Proletarischer Mythos und realer Sozialismus: Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR 9783412217662, 9783412223779

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Proletarischer Mythos und realer Sozialismus: Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR
 9783412217662, 9783412223779

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Proletarischer Mythos und realer Sozialismus

Zeithistorische Studien Herausgegeben vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Band 55

Tilmann Siebeneichner

Proletarischer Mythos und realer Sozialismus Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR

2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Tilmann Siebeneichner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Emmy Noether-Forschergruppe „Die Zukunft in den Sternen“ an der FU Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Titelbild der Kampfgruppen-Chronik des VEB Filmfabrik Wolfen aus dem Jahre 1969, Illustration von Ullrich Bewersdorff

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat und Satz: Waltraud Peters Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22377-9

Inhalt

Einleitung................................................................................................................................ 9 Realer Sozialismus als Kampfgemeinschaft: Forschungsstand und Fragestellung ........................................................................... 13 Alltag und Ausnahmezustand im Staatssozialismus: Methodische und theoretische Prämissen ................................................................ 25 Kampfgruppen im Roten Herzen: Zum Ort der Untersuchung und zur Quellenlage.................................................. 32 Erster Teil Ausnahmezustand als Erfahrung und Erinnerung: Zur prekären Allianz von Partei und Klasse I. Gerechte Gewalt? Das Rote Herz und die Vielstimmigkeit seiner revolutionären Tradition(en) ....................................................................................... 45 Das Rote Herz: Arbeiterbewegung im ,punktuellen Bürgerkrieg‘ der frühen 1920er Jahre................................................................................................ 49 Ambivalente Allianz: Zum Verhältnis von kommunistischer Parteiführung und -Basis .............................................................................................. 64 II. „Bei Euch war es am schlimmsten“. Der 17. Juni 1953 in den Bezirken Halle und Magdeburg................................... 79 Zweiter Teil Die Kampfgruppen und das Problem der ,Inneren Sicherheit‘ in den Aufbau-Jahren I. Partisanen oder der Partei verpflichtete Virtuosen? Die Gründung der Kampfgruppen.............................................................................. 99 Alte Kämpfer und Antimilitarismus. Der Aufbau der Kampfgruppen im Schatten von Klassenkämpfen und Weltkrieg.................................................105 Parteiliche Loyalität und betriebliche Lebenswelt. Die lokalen Funktionäre und die militärpolitische Arbeit................................................................................124 Disziplin und Partisanenromantik. Kampfgruppenausbildung als soziale Praxis...........................................................139

 

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Inhalt

Wie „anderseitig eingesetzt“? Kampfgruppen in den Straßen des Arbeiter-und-Bauern-Staates.....................................................................................157 II. Die Grenzen der Kampfgemeinschaft. Kampfgruppen und ihre Verortung im staatssozialistischen Alltag...............................................................177 „Arbeiter schützen ihre Betriebe“? Das politisch-moralische Bewusstsein der werktätigen Bevölkerung.....................................................................................183 „Völlige Klarheit über Charakter und Aufgaben“ der Kampfgruppen? Militärpolitische Arbeit zwischen obrigkeitlichen Vorgaben und eigensinnigen Interessen. ............................................................................................198 Zur Ökonomie symbolischer Praxis. Grenzen und Reichweite eines Kampfgruppen-spezifischen Selbstverständnisses ......................................217 Proletarische Virtuosen oder ganz gewöhnliche Werktätige? Kampfgruppen vor dem Mauerbau..........................................................................233 Dritter Teil Die Kampfgruppen und die ,sozialistische Landesverteidigung‘ nach dem Mauerbau     I. „Als es 13 schlug“. Die Kampfgruppen und die Errichtung des ,antifaschistischen Schutzwalls‘ im August 1961....................................................251 „Vorposten an der Friedensfront“? Die propagandistische Inszenierung des Kampfgruppen-Einsatzes im Rahmen der „Aktion Rose“ ...........................255 „Ernste Mängel und Schwächen“. Kampfgruppen im Einsatz ...........................271 Der Mauerbau und die Stimmung in den Betrieben. Kampfgruppen in der Industrieprovinz ..................................................................275 II. Der proletarische Mythos und sein Wandlungspotential. Die Kampfgruppen im Schatten des ,umfassenden Aufbaus des Sozialismus‘ 297 „Mehr subjektive als objektive Schwierigkeiten“? Militärpolitische Arbeit versus „wissenschaftlich-technische Revolution“ und NÖSPL .........................304 Abenteuerlust und Alltagsfrust. Die Kampfgruppen als männlich-militärische Erlebnisgemeinschaft ...................................................326 „Geschlossen“ und „mit ganzem Herzen“ hinter dem Kurs der Partei? Die Kampfgruppen im Spätsommer 1968..............................................................346

 

Inhalt

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Vierter Teil Kampfgruppen und das Erbe Ernst Thälmanns in der ,heilen Welt‘ des Realsozialismus   I. Kampfgruppen in der Ära Honecker. Zur „Faktizität der F(r)iktionen“ in den ,langen‘ 1970er Jahren.....................................................................................365 II. Die (Selbst-)Verkehrung des proletarischen Mythos. Kampfgruppen in der friedlichen Revolution 1989.............................................399 Staatsorgan oder Schlägertruppe? Die Kampfgruppen und der Schutz der ,sozialistischen Errungenschaften‘ im Vorfeld des 40jährigen DDR-Jubiläums .......................................................................................406 „Die Ziele der Massen waren insgeheim auch ihre Ziele“? KampfgruppenAngehörige zwischen den Fronten der ,friedlichen Revolution‘........................419 „Abgestempelter, Sonntagskrieger, Gestriger“. Kampfgruppen und das ,arbeiterliche‘ Milieu .......................................................441 „… In ihrer jetzigen Form von der Geschichte überholt“. Das Ende der Kampfgruppen ....................................................................................456 Schlussbetrachtung ...........................................................................................................467 Abbildungsverzeichnis .....................................................................................................481 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................483 Quellen- und Literaturverzeichnis.................................................................................489 Unveröffentlichte Quellen.........................................................................................489 Zeitschriften..................................................................................................................494 Veröffentlichte Quellen..............................................................................................494 Danksagung ........................................................................................................................565 Abbildungen.......................................................................................................................569

 

 

Einleitung

„Die Gefahr, die die Zukunft der Welt bedroht, kann aber dann aus dem Weg geräumt werden, wenn sich das Proletariat mit Hartnäckigkeit an die revolutionären Ideen heftet, um derart, soweit wie möglich, die Marxsche Auffassung zu verwirklichen. […] Da liegt das große Ziel, auf das alles Denken derjenigen Menschen gerichtet werden muss, welche nicht durch die Ereignisse des Tages hypnotisiert sind, aber über die Bedingungen einer nahen Zukunft nachsinnen. Die proletarische Gewalt erscheint derart, sofern sie als reine und einfache Äußerung der Klassenkampfgesinnung geübt wird, als etwas sehr Schönes und sehr Heldenhaftes; sie steht im Dienste der zutiefst begründenden Interessen der Zivilisation; sie ist vielleicht nicht die geeignetste Methode, um unmittelbare materielle Vorteile zu erlangen, aber sie vermag die Welt vor der Barbarei zu erretten.“1

Gewalt stellte das Heiligste der kommunistischen Bewegung dar und zugleich ihr größtes Dilemma. Das „Selbstbewusstsein [ihrer Führung; T.S.] und ein Großteil der Kohäsion und Loyalität innerhalb der von ihr herbeigeführten Strukturen, bis weit über die Parteigrenzen hinaus, beruhte“, so hat es Lutz Niethammer im Hinblick auf die SED-Herrschaft in der DDR postuliert, „auf einer politischen Religion“.2 Bestand deren historische Mission in der Durchsetzung einer gerechteren Gesellschaftsordnung, war vor allem die Form entscheidend, in der dieses Ziel erreicht werden sollte: „Die Ankunft des Heils, das virtuell schon präsent war, vollends zu bewerkstelligen“, so Niethammer weiter, „lag in den Händen der aufgeklärten Führung und an der Entscheidung des einzelnen, sich ihr und damit dem Guten anzuvertrauen und für sie aktiv zu werden, zu ,kämpfen‘“.3 Zeit ihrer Existenz hatte sich die SED einem „Kult der Militanz“ verschrieben, dem ein

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Georges Sorel, Über die Gewalt, Frankfurt a. Main 1981 (erstmalig: 1908), S. 106f. Lutz Niethammer, Die SED und ,ihre‘ Menschen. Versuch über das Verhältnis zwischen Partei und Bevölkerung als bestimmendes Moment innerer Staatssicherheit, in: Siegfried Suckut/Walter Süß (Hg.), Staatspartei und Staatssicherheit. Zum Verhältnis von SED und MfS, Berlin 1997, S. 307–340, hier: S. 309; der Begriff der „politischen Religion“ geht zurück auf: Eric Voegelin, Die politischen Religionen, 2. Aufl., München 1993 (erstmalig: 1938); eine Anwendung des Begriffs auf den Marxismus im 20. Jahrhundert bei: KlausGeorg Riedel, Der Marxismus-Leninismus als politische Religion, in: Hans Maier/Michael Schäfer (Hg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, Band II, Paderborn 1997, S. 75–128. Niethammer, ebd.

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Einleitung

„Verständnis von Politik als eines nie endenden, schweren Kampfes der Männer gegen den inneren und äußeren Feind“ zugrunde lag.4 Den ,Feind‘ skrupellos und mit aller zur Verfügung stehenden Macht zu bekämpfen, galt als oberste politische Handlungsmaxime in allen Krisenmomenten des Staatssozialismus. Während die SED im Juni 1953 und im August 1961 – als den zwei zentralen Krisenmomenten der DDR – nicht gezögert hatte, Gewalt anzuwenden, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, war das im Herbst 1989 jedoch nicht mehr der Fall. Warum das Regime trotz aller verbalen Militanz vor jener Konsequenz zurückschreckte, die es sonst stets an den Tag gelegt hatte, ist eine Frage, für die die Geschichtswissenschaft noch keine überzeugende Antwort gefunden hat.5 Eine Untersuchung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse kann dazu beitragen, diese gänzlich unerwartete und aus Sicht der politischen Führung „unerhörte Begebenheit“ zu erklären. Denn diese betrieblich organisierte Miliz hielt über 35 Jahre lang nicht nur SED-Mitglieder, sondern alle Bürger (und Bürgerinnen) der DDR dazu an, sich freiwillig und in ihrer Freizeit dem militanten Schutz der sozialistischen Errungenschaften zu widmen. Eine Untersuchung zur Geschichte der DDR mit einem Zitat Georges Sorels einzuleiten, mag einigermaßen paradox anmuten. Nicht nur hat Sorel die eingangs zitierten Sätze lange vor der Gründung des ersten ,Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden‘ verfasst. Auch gilt er heute trotz seiner damaligen Sympa-

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Eric D. Weitz, Der Zusammenbruch der DDR aus langfristiger Perspektive, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien 12 (1998), S. 6–16, hier: S. 10; ausführlicher: ders., Creating German Communism, 1890–1990. From Popular Protest to Socialist State, Princeton 1996; erkannt und kritisiert worden war diese Auffassung bereits von Zeitgenossen wie Curt Geyer, nach dem Ersten Weltkrieg einer der führenden Vertreter des radikalen Flügels der USPD, der sich 1920 der KPD anschloss; ohne sich explizit auf Sorel zu beziehen, schrieb Geyer, dass dem Radikalismus „der Erfolg nicht Zweck und der Kampf Mittel [sei], sondern der Kampf an sich […] ihm Selbstzweck“, weil er sich von ihm „die Stählung des Kampfgeistes, die Weckung des Selbsthandelns der Masse“ verspreche; vgl. Curt Geyer, Der Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung. Ein soziologischer Versuch, Jena 1923, hier: S. 27; zur Rezeption Sorels in der Weimarer Republik vgl. Manfred Gangl, Mythos der Gewalt und Gewalt des Mythos. Georges Sorels Einfluss auf rechte und linke Intellektuelle in der Weimarer Republik, in: ders./Gerard Raulet (Hg.) Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Frankfurt a. Main 1994, S. 171–195. Vgl. dazu jedoch: Martin Sabrow (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt, Göttingen 2012; ders., Der Konkurs der Konsensdiktatur. Überlegungen zum inneren Zerfall der DDR aus kulturgeschichtlicher Perspektive, in: Konrad H. Jarausch/ders. (Hg.), Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR, Göttingen 1999, S. 83–116, hier: S. 84.

Einleitung

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thien für die radikale französische Arbeiterbewegung eher als einer der geistigen Wegbereiter des Faschismus.6 Dennoch sind die Gründe und Ursachen dafür, dass von 1953 bis zum Ende der DDR eine paramilitärische Organisation existierte, die sich Kampfgruppen der Arbeiterklasse nannte – obwohl sie zu keiner Zeit ihrer Existenz tatsächlich gekämpft hätte – ohne den ,Mythos der Gewalt‘, für den Sorel berühmt geworden ist, nicht zu verstehen. Es ist behauptet worden, dass keine Mythologie existierte, die ein DDR-Volk hervorgebracht hätte.7 Eine solche Aussage verkennt aber, dass das ganze politische Projekt des realen Sozialismus einem politischen Mythos verpflichtet war: dem Mythos einer revolutionären, in ihren Machtambitionen jedoch mehrfach geschlagenen Arbeiterklasse, die schließlich siegreich und gereift aus der Geschichte hervorgeht.8 Manche seiner Protagonisten – etwa Wilhelm Pieck – hatten schon das Scheitern der Novemberrevolution erlebt; die meisten – wie etwa Erich Honecker oder Erich Mielke – zumindest die Machtergreifung des Faschismus und die Niederlage im Spanischen Bürgerkrieg. Damit verkörperten sie auf leibhaftige Art und Weise, dass nur diejenige Revolution etwas wert sei, die sich auch zu verteidigen wisse, wie Lenin im „Militärprogramm der proletarischen Revolution“ verkündet hatte.9 In diesem Sinne repräsentierten die Kampfgruppen die Essenz der kommunistischen Bewegung. Nichts macht das deutlicher als ihre herausragende Rolle im Rahmen der alljährlichen Gedenkfeiern zu Ehren der im Januar

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Sorel selbst soll sich gerne dafür gerühmt haben, dass seine Theorie sowohl Mussolini als auch Lenin stark beeindruckt hätte; vgl. dazu: Armin Steil, Die imaginäre Revolte. Untersuchungen zur faschistischen Ideologie und ihrer theoretischen Vorbereitung bei Georges Sorel, Carl Schmitt und Ernst Jünger, Marburg 1984; Zeev Sternhell/Mario Sznajder/Maia Asheri, Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini, Hamburg 1999. Raina Zimmering, Mythen in der Politik der DDR. Ein Beitrag zur Erforschung politischer Mythen, Opladen 2000, S. 34. Vgl. Wie den Faschismus bezeichnet Peter Fritzsche auch den Kommunismus als „the classic twentieth-century performance of the consciously held modernist myth that the world was at a critical turning-point, that a new era was about to manifest itself and that individual action was not only urgent but emancipating. […] What this view obscures is the degree to which fascism [bzw. communism; T.S.] was also a cultural movement, which appealed to the senses and emotions and offered a blueprint for regeneration”; On Being the Subjects of History: Nazis as Twentieth-Century Revolutionaries, in: Igal Halfin (Hg.), Language and Revolution: Making of Modern Political Identities, London 2002, S. 161– 183, hier: S. 163. Wladimir Iljitsch Lenin, Das Militärprogramm der proletarischen Revolution, in: ders., Über sozialistische Landesverteidigung, Berlin (O) 1983 (erstmalig: 1916), S. 71–83.

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1919 ermordeten kommunistischen Gründereltern Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Diese bildeten zusammen mit dem 8. Mai und dem 7. Oktober die „gründungsmythische Dreieinigkeit“ der zentralen Feiertage der DDR10 und vermittelten den „Ursprungsmythos der aus dem Feuer der Revolution geborenen Partei“ (Könczöl).11 So bedeutsam die Gewalt für das kommunistische Selbstverständnis war, so problematisch war sie: In der Weimarer Republik hatte die Basis der Avantgarde stets die Gefolgschaft verweigert, wenn diese zum Angriff auf die Macht geblasen hatten. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte sie hingegen tatenlos hingenommen und sich im Juni 1953 sogar gegen ihre eigene Avantgarde gewandt. Wann und zu welchem Zweck die Anwendung von politisch motivierter Gewalt (bzw. ihre Androhung), wie sie sich in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse repräsentierte, als legitim und notwendig erachtet wurde, ist die grundlegende Frage dieser Untersuchung. Sie war nicht nur von entscheidender Bedeutung im Hinblick darauf, ob und in welchem Maße die Kampfgruppen innerhalb der ,arbeiterlichen‘ Gesellschaft (Engler) angenommen wurden. Vielmehr kann sie auch dazu beitragen, die Implosion der „uncivil society“ (Kotkin), wie sie sich im Herbst 1989 vollzog, genauer zu verstehen. Denn so unverzichtbar der proletarische Mythos für die SED-Herrschaft war, so sehr implizierte er stets auch ein Moment der Enttäuschung, wie es sich im Herbst 1989 keineswegs zum ersten Mal zeigen sollte: Wenn die Klasse nicht handelte – d. h.: kämpfte – wie es der Mythos vorschrieb, wie sollten sich die „letzten Revolutionäre“ dann verhalten? Dass sie, wie Erich Mielke es formulierte, ,ihre‘ DDR einfach so aufgaben, verweist auf die Auszehrung des proletarischen Mythos als Quell kollektiver Sinn- und Selbstvergewisserung. Seine Problematisierung verspricht Aufschluss darüber,

                                                             10 Monika Gibas, „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt!“ Politische Feierund Gedenktage der DDR, in: Sabine Behrenbeck/Alexander Nützenadel (Hg.), Inszenierungen des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 191–220, hier: S. 219. 11 Barbara Könczöl, Märtyrer des Sozialismus. Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Frankfurt a. Main/New York 2008; Eric D. Weitz, ,Rosa Luxemburg Belongs to Us!‘ German Communism and the Luxemburg Legacy, in: CEH 27 (1994), S. 27–64; ab 1949 waren Einheiten der Volkspolizei im Demonstrationszug mitmarschiert; Kampfgruppen nahmen erst seit Mitte der 1950er Jahre und zunächst noch im Verbund mit den Einheiten der VP an den Gedenkfeiern teil; nach der Gründung der NVA waren anfangs auch Armeeeinheiten beteiligt, bis den Kampfgruppen seit Mitte der 1960er Jahre schließlich der alleinige Abschluss der „Kampfdemonstration“ zufiel; vgl. dazu: Könczöl, Märtyrer des Sozialismus, S. 272f.

 

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warum jene Teile der Bevölkerung, die durch ihr performatives Bekenntnis zum Arbeiter-und-Bauern-Staat wie es in der Mitgliedschaft in den Kampfgruppen zum Ausdruck gebracht wurde, sich im Jahr seines 40jährigen Jubiläums nicht so verhielten, wie ihre Führung es verlangte und erwartete.

Realer Sozialismus als Kampfgemeinschaft: Forschungsstand und Fragestellung Mit den Kampfgruppen hat sich bislang nur die DDR-Militärhistoriographie eingehender befasst.12 Den meisten dieser Untersuchungen ist gemeinsam, dass sie die politischen Implikationen der Existenz dieser Organisation wohl benennen. Diese wurden vor 1989 jedoch – je nach Standpunkt – entweder denunziert oder reproduziert,13 nach 1989 hingegen nicht ernst genug genommen, wie besonders anhand des suggestiven Titel von Koops Studie „Armee oder Freizeitclub?“ deutlich wird.14 Die Tatsache, dass es neben einem für die Landesverteidigung zustän-

                                                             12 Zur DDR-Militärhistoriographie vgl. den Forschungsüberblick von Heiner Bröckmann/ Torsten Diedrich/Winfried Heinemann/Matthias Rogg/Rüdiger Wenzke, Die Zukunft der DDR-Militärgeschichte. Gedanken zu Stand und Perspektiven der Forschung, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), S. 71–99; sowie Hans Ehlert/Matthias Rogg (Hg.), Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR. Forschungsfelder, Ergebnisse, Perspektiven, Berlin 2004. 13 Für die Bundesrepublik vgl. bspw. Werner Bader, Kampfgruppen – Die Spezialtruppe der SED für den Bürgerkrieg, Köln 1963; Wilfried Dissmann, Kampfgruppen der Arbeiterklasse – Bürgerkriegsarmee der SED?, München 1979; Armin Hinrichs, Die Bürgerkriegsarmee. Die militanten Kampfgruppen des deutschen Kommunismus, Berlin 1963; für die DDR bspw.: Herbert Nicolaus, Lehren und Erfahrungen des wehrhaften Kampfes der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung und die Entwicklung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse der DDR von 1981 bis 1986, Dissertation (A) (Ms.), Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED, Berlin (O) 1989; Josef Gabert, Die Entstehung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und ihre Entwicklung bis zum Sommer 1961 zu einem schlagkräftigen bewaffneten Instrument der Arbeiterklasse der DDR, Dissertation (B) (Ms.), Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (O) 1989; Roland Grau, Aufgaben und Funktion der Kampfgruppen der Arbeiterklasse der DDR beim umfassenden Aufbau des Sozialismus in den Jahren 1961 bis 1970, Dissertation (B) (Ms.), Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (O) 1989. 14 Volker Koop, Armee oder Freizeitclub? Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR, Bonn 1997; insbesondere den Arbeiten Armin Wagners ist es jedoch zu verdanken, dass die Organisationsgeschichte der Kampfgruppen inzwischen weitestgehend als rekonstruiert betrachtet werden kann; vgl. Armin Wagner, Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse (1953– 1990), in: Torsten Diedrich/Hans Ehlert/Rüdiger Wenzke (Hg.), Im Dienste der Partei.

 

 

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digen „Organ“15 – der Nationalen Volksarmee – und einem für die innere Sicherheit der DDR zuständigen Organ – der Deutschen Volkspolizei – noch ein „unmittelbar bewaffnetes Organ der Arbeiterklasse“ gab (wie die Kampfgruppen häufig synonym genannt wurden) verweist darauf, dass sich Sinn und Zweck dieser Organisation nur dann erschließen, wenn die historischen und politischen Wurzeln des ,ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden‘ mit in den Blick genommen werden. Aufgrund der Teilung Deutschlands verfügte die DDR über keine selbstverständliche nationalstaatliche Grundlage, auf der sie sich hätte legitimieren können. Als alternativer deutscher Staat bedurfte sie ebenso wie die staatstragende Partei SED deshalb der Berufung auf eine eigene, von der Bundesrepublik abzugrenzende Tradition, um die Verbundenheit von Partei und Bevölkerung mit ihrem Staat zu stiften. Derartige Bestrebungen schlugen sich in der „Anti-Agenda“ eines selbsternannten ,besseren Deutschlands‘ nieder. Der hierfür zentrale (geschichts)politische Rekurs auf die revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung stellte zum einen den Versuch dar, den Mangel an (national)staatlicher Legitimität auszugleichen. Zugleich intendierte er, ein spezifisch sozialistisches Staats- bzw. Klassenbewusstsein in der Bevölkerung zu formen,16 das sich eng am

                                                                                                                                       Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, Berlin 1998, S. 281–337; ders., Die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ im System der DDR-Landesverteidigung: Wahrnehmung – Literatur – Quellen – Forschungen, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2000/2001, S. 159–186. 15 „Organ“ war ein aus der Sowjet-Union übernommener, für alle staatlichen Institutionen in der DDR gebräuchlicher Begriff mit revolutionärer Signalwirkung, Ausdruck des „selbsttätige[n] Schöpfertum[s] der Volksmassen“, das „sich selbst einen Ausweg, eine Form“ sucht, „in der und durch die es sich entwickeln, entfalten, aus seiner Beengtheit hervortreten, sie überwinden, beseitigen und Neues gestaltend wirksam werden“ sollte; zit. nach: Wolfgang Weichelt, Lenin über die Sowjets als staatlicher Form der Diktatur des Proletariats, in: Staat und Recht, H. 11, Jg. 6 (1957), S. 1089–1106, hier: S. 1092. 16 Martin Sabrow, Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation. Der Fall DDR, in: ders. (Hg.), Verwaltete Vergangenheit. Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR, Leipzig 1997, S. 7–18; Alan L. Nothnagle, Building the East German Myth. Historical Mythology and Youth Propaganda in the German Democratic Republic, 1945–1989, Ann Arbor 1999; zum Begriff des Staatsbürgertums in der DDR: Jan Palmowski, Citizenship, Identity, and Community in the German Democratic Republic, in: Geoff Eley/Jan Palmowski (Hg.), Citizenship and National Identity in Twentieth-Century Germany, Stanford 2008, S. 73–91; zur Verknüpfung von Staatsbürgertum und Gewalt im Deutschland des 20. Jahrhunderts vgl. Thomas Lindenberger, From the Chopped-off Hand to the

 

 

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Erfahrungshaushalt und Verhaltenskanon der bis dahin stets konspirativ agierenden, berufsrevolutionären Avantgarde ausrichtete.17 Dass „zum Arbeiter das Gewehr gehört, so lange gehört, bis es in der ganzen Welt keine kapitalistischen Blutsauger, keine Zins- und Fronherren mehr gibt“, wie es 1956 in einer von der Abteilung Agitation und Presse/Rundfunk beim Zentralkomitee der SED herausgegebenen Broschüre zur Popularisierung der Kampfgruppen hieß,18 artikulierte ein Selbstverständnis, das die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt für die Sache der Arbeiterklasse als notwendiges und essentielles Moment politischer Partizipation betrachtete.19 Wie die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts gezeigt hatte, vollzog sich die Geburt des deutschen Kommunismus in einem latenten Bürgerkrieg, der mit einer hochgradigen Militarisierung der politischen Kultur einherging – ,Klassenkampf‘ war für die kommunistischen Berufsrevolutionäre zumeist gleichbedeutend mit ,Klassenkrieg‘.20 „Multiple Restaurationen“21 und die Revitalisierung traditioneller Feindbilder22

                                                                                                                                      

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Twisted Foot: Citizenship and Political Violence in Twentieth-Century Germany, in: ebd., S. 108–128. Zum Begriff der Avantgarde vgl. die Beiträge in: Niels Beckenbach (Hg.), Avantgarde und Gewalt. Gratwanderungen zwischen Moderne und Antimoderne im 20. Jahrhundert, Hamburg 2007; darin speziell im Hinblick auf die DDR: Rainer Gries/Silke Satjukow, Die Vorhut der Großväter. Eine Generationengeschichte der Avantgarde im real existierenden Sozialismus, S. 93–138. Gustav Giesemann, Damals in Eisleben, hrsg. von der Abteilung Agitation und Presse/Rundfunk beim ZK der SED, Berlin (O) 1956, S. 8f. Vgl. dazu: Bernd Weisbrod, Die Politik der Repräsentation. Das Erbe des Ersten Weltkrieges und der Formwandel der Politik in Europa, in: Hans Mommsen (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik, Köln 2000, S. 13–43. Vgl. dazu: Stefan Plaggenborg, Weltkrieg, Bürgerkrieg, Klassenkrieg. Mentalitätsgeschichtliche Versuche über die Gewalt in Sowjetrussland, in: HA 3 (1995), S. 493–505; zur Situation im Deutschen Reich der Zwischenkriegszeit vgl. Bernd Weisbrod, Gewalt in der Politik. Zur Politischen Kultur in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen, in: GWU 43 (1992), S. 391–404; ausführlich: Dirk Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918–1933. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg, Essen 2001. Jeffrey Herf, Multiple Restorations: German Political Traditions and the Interpretation of Nazism, 1945–1946, in: CEH 26 (1993), S. 21–55; Jürgen Kocka, 1945: Neubeginn oder Restauration, in: Carola Stern/Heinrich August Winkler (Hg.), Wendepunkte deutscher Geschichte: 1848–1990, Frankfurt a. Main 2001, S. 159–192. Monika Gibas, „Bonner Ultras“, „Kriegstreiber“ und „Schlotbarone“. Die Bundesrepublik als Feindbild der DDR in den fünfziger Jahren, in: Rainer Gries/Silke Satjukow (Hg.), Unsere Feinde. Zur Geschichte des Anderen im Sozialismus, Leipzig 2004, S. 75–106.

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sorgten dafür, dass auch noch im Juli 1952 als „entscheidende Forderung der II. Parteikonferenz“ – auf der Walter Ulbricht den planmäßigen Aufbau des Sozialismus verkündete23 – „die allseitige Entfaltung der Wachsamkeit“ benannt wurde: „Das heißt, es wird eben noch nicht genügend erkannt, dass Wachsamkeit und Kampf gegen feindliche Agenten Aufgaben des täglichen Klassenkampfes sind, Aufgaben, die nicht nur unsere Staatsorgane oder bestimmte Organisationen, sondern mit ihnen die breitesten Massen der Bevölkerung in ihrem eigenen Interesse lösen müssen.“24 Publiziert in der „Einheit“, der maßgeblichen „theoretischen Zeitschrift des wissenschaftlichen Sozialismus“, reflektiert diese Forderung die Kampagnenlogik der SED, die in einer permanenten Mobilisierung ,ihrer‘ Klasse ihr wichtigstes Artikulations- und Selbstvergewisserungsmoment sah. Die Verortung der Kampfgruppen innerhalb der betrieblichen Lebenswelt – dem zentralen Vergesellschaftungskern der DDR-Gesellschaft25 – reflektiert zudem die pädagogischen Intentionen der kommunistischen „Erziehungsdiktatur“.26 Der Begriff des Arbeiters stellte im Staatssozialismus weniger eine sozioökonomische als eine normative Kategorie dar.27 Angesichts des andauernden „kalten Bürgerkrieges“28 war ihr ein ausgeprägtes Freund-Feind-Bild eingeschrieben. Die entsprechende Kampfbereitschaft und Disziplin wurden zu den grundlegenden

                                                             23 Vgl. Protokoll der Verhandlungen der II. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands; 9.–12. Juli 1952 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Berlin (O) 1952, S. 58–61; vgl. dazu auch: Die wissenschaftliche Bedeutung der II. Parteikonferenz, in: Einheit 14 (1952), S. 714–727. 24 Paul Puls, Die Entfaltung der revolutionären Wachsamkeit – eine Aufgabe des täglichen Kampfes, in: Einheit 14 (1952), S. 904–908, hier: S. 904 [Hervorhebungen T.S.]. 25 Martin Kohli, Die DDR als Arbeitsgesellschaft? Arbeit, Lebenslauf und soziale Differenzierung, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 31–61. 26 Zum Begriff der „Erziehungsdiktatur“ und seine Anwendung auf die DDR vgl. KarlChristian Lammers, Totalitäre Diktatur, moderne Diktatur oder Erziehungsdiktatur? Probleme einer historischen und begrifflichen Einordnung der DDR, Leipzig 1999; Torsten Diedrich/Hans Ehlert, Moderne Diktatur – Erziehungsdiktatur – Fürsorgediktatur oder was sonst? Das Herrschaftssystem der DDR und der Versuch seiner Definition, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien 12 (1998), S. 17–25. 27 Vgl. Sheila Fitzpatrick, Tear Off the Masks!: Identity and Imposture in Twentieth-Century Russia, Princeton 2005, Kap. I u. II. 28 Diesen Begriff gebrauchen: Patrick Major, The Death of the KPD: Communism and Anticommunism in West-Germany, 1945–1956, Oxford University Press 1998, S. 294; Jens Gieseke, Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945–1990, 2. Aufl., München 2001, Kap.2: Antifaschismus – Stalinismus – Kalter Bürgerkrieg, S. 21–68.

 

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Eigenschaften der zu schaffenden „sozialistischen Persönlichkeit“ gezählt.29 Zwar war die Mitgliedschaft in den Kampfgruppen von Anfang an freiwillig. Trotzdem betrachtete die Staatsführung es als „hohe Ehre und Pflicht“ aller voll einsatzfähigen Mitglieder und Kandidaten der SED, unabhängig von ihren militärischen Kenntnissen in den Reihen der Kampfgruppen „aktiv an der Zerschlagung der verbrecherischen Machenschaften der faschistischen Untergrundorganisationen […] und damit am Schutze unserer Partei und unserer Republik“ teilzunehmen, wie es im Beschlussprotokoll des Zentralkomitees anlässlich der republikweiten Gründung der Kampfgruppen hieß.30 Die Betonung von „Enthusiasmus“ und „Dilettantismus“ als grundlegender Momente der Kampfgruppenzugehörigkeit31 verweist darauf, dass die SED mit ihnen weder die Ausbildung und organisatorische Zusammenfassung militärisch geschulter Bürgerkriegsexperten32 noch die Aufstellung einer genuin sozialisti-

                                                             29 Der Begriff der „(entwickelten) sozialistischen Persönlichkeit“ kam in den 1960er Jahren auf und ersetzte den bis dahin gebräuchlichen Begriff des „neuen Menschen“; Irma Hanke, Vom neuen Menschen zur sozialistischen Persönlichkeit. Zum Menschenbild der SED, in: DA 9 (1976), S. 492–515; vgl. dazu auch: Angela Brock, Producing the ,Socialist Personality‘? Socialisation, Education, and the Emergence of New Patterns of Behaviour, in: Mary Fulbrook (Hg.), Power and Society in the GDR, 1961–1979: The „Normalization of Rule”? New York/Oxford 2009, S. 220–252; Rainer Gries/Silke Satjukow, Feindbilder des Sozialismus. Eine theoretische Einführung, in: diess. (Hg.), Unsere Feinde, S. 13–70; eine mit den Kampfgruppen vergleichbare Organisation, die sich der wehrpolitischen Erziehung der Jugend widmen sollte, bestand mit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST); auch sie ist noch nicht zum Gegenstand einer eigenständigen wissenschaftlichen Untersuchung geworden; vgl. jedoch die Einführung von: Paul Heider, Die Gesellschaft für Sport und Technik (1952–1990), in: Torsten Diedrich/Hans Ehlert/Rüdiger Wenzke (Hg.), Im Dienste der Partei: Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, Berlin 1998, S. 169–199. 30 Beschlussprotokoll des ZK-Sekretariats vom 9.12.1953, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/410, Bl. 9. 31 „Gemeinsam ist den Leitbildern von ,Ehre‘ und ,Engagement‘, dass Personen sich durch Institutionen unter Forderung und in Verantwortung stellen: aus der Berufung ihres Standes, aus Liebe zur Sache oder aus der Begeisterung bewegenden Sinns. […] ,Dilettantismus‘ steht für die bewusste Freiheit von der funktionalen Perfektion ausdifferenzierter Expertenund Virtuosenkulturen“; so Eckart Pankoke, Zwischen „Enthusiasmus“ und „Dilettantismus“. Gesellschaftlicher Wandel „freien“ Engagements, in: Ludgera Vogt/Arnold Zingerle (Hg.), Ehre. Archaische Momente in der Moderne, Frankfurt a. Main 1994, S. 151–171, hier: S. 151f. 32 Über solch eine Organisation verfügte die SED auch: unter der Ägide des MfS entstand 1969 die sogenannte „Gruppe Forster“, in der Angehörige der bundesdeutschen DKP auf dem Gebiet der DDR in subversiver Kriegsführung unterrichtet wurden; vgl. dazu: Udo Ba-

 

 

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schen Armee intendierte, wie sie Engels und Lenin in ihren Schriften zur Militärpolitik des Proletariats antizipiert hatten.33 Die Partei wollte ihre Basis vielmehr prinzipiell auf das revolutionäre Selbstverständnis der Bewegung einschwören, für das Gewalt an sich als „reine und einfache Äußerung der Klassenkampfgesinnung“, wie Sorel schreibt, „etwas sehr Schönes und Heldenhaftes“ darstellte.34 Das zeigt, wie sich die SED ihre „ideale Gemeinschaft“ vorstellte, nämlich als disziplinierte und klassenbewusste Kampfgemeinschaft.35 Mit Blick auf das berüchtigste, weil ideologisch zuverlässigste Repressionsorgan der DDR – dem Ministerium für Staatssicherheit – ist jedoch eine „merkwürdige Doppelbewegung“ konstatiert worden, die gewiss für alle staatlichen Organe gel-

                                                                                                                                       ron, „Gruppe Ralf Forster“. Die geheime Militärorganisation von DKP und SED in der Bundesrepublik, in: DA 38 (2005), S. 1009–1016; Thomas Auerbach, Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front. Terror- und Sabotagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2001; für die Frühphase der SED-Herrschaft vgl. Michael Kubina, „Was in dem einen Teil verwirklicht werden kann mit Hilfe der Roten Armee, wird im anderen Teil Kampffrage sein“. Zum Aufbau des zentralen Westapparates der KPD/SED 1945–1949, in: Manfred Wilke (Hg.), Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998, S. 413–500. 33 Die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) vollzog sich seit 1956; zum Zeitpunkt der Gründung der Kampfgruppen existierte jedoch bereits die mit schweren Waffen ausgerüstete Kasernierte Volkspolizei (KVP), aus der schließlich die NVA hervorging; zur KVP vgl. Torsten Diedrich, Die getarnte Armee: Geschichte der Kasernierten Volkspolizei der DDR 1952 bis 1956, Berlin 2001; zur verdeckten Aufrüstung in der DDR vgl. Bruno Thoß (Hg.), „Volksarmee schaffen – ohne Geschrei!“ Studien zu den Anfängen einer „verdeckten Aufrüstung“ in der SBZ/DDR 1947–1952, München 1994; vgl. dazu im Einzelnen: Tilmann Siebeneichner, Im Schatten von „Ausnahmezustand“ und revolutionärer Arbeiterbewegung: Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR, in: Rüdiger Bergien/Rolf Pröve (Hg.), Spießer, Patrioten, Revolutionäre. Militärische Mobilisierung und gesellschaftliche Ordnung in der Neuzeit, Göttingen 2010, S. 139–159. 34 Vgl. hierzu: Bernd Weisbrod, Das Charisma der Gewalt. Gewaltkommunikation und politische Religion im 20. Jahrhundert, in: Georgia-Augusta 5 (2007), S. 49–55; ausführlicher: ders., Religious Languages of Violence. Some Reflections on the Reading of Extremes, in: Alf Lüdtke/Bernd Weisbrod (Hg.), No Man’s Land of Violence. Extreme Wars in the 20th Century, Göttingen 2006, S. 251–276. 35 Vgl. dazu: Weitz, Creating German Communism; sowie (allerdings mit dem Fokus auf Westdeutschland): Till Kössler, Abschied von der Revolution. Kommunismus und Gesellschaft in Westdeutschland. 1945–1968, Düsseldorf 2005; ders. Die Partei als Medium. Kommunikationspolitik und Kommunikationsverweigerung in der SED/KPD 1945–1956, in: Habbo Knoch/Daniel Morat (Hg.), Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960, München 2003, S. 201–227.

 

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tend gemacht werden kann. Der steten Perfektionierung von Aufwand und Methode stand eine faktische Begrenzung von Handlungsspielräumen und eine Entradikalisierung ihrer Akteure gegenüber,36 die ihren – noch weitgehend unterbelichteten – Teil zum plötzlichen Zusammenbruch des Regimes im Herbst 1989 beitrug.37 Warum es der Stasi nicht gelang, die Revolution von 1989 zu verhindern, lautet der Titel einer der wenigen Untersuchungen, die sich dem Zusammenbruch der DDR aus der Perspektive ihrer Protagonisten zu nähern versucht38 und die so auch auf die Kampfgruppen anzuwenden wäre. Die Forschung zur „friedlichen Revolution“ hat sich bisher weitgehend mit der Opposition beschäftigt. Dem zugrunde lag die berechtigte Annahme, dass die Demonstranten die entscheidenden Akteure waren, die zum Sturz der SED und zum Zusammenbruch der DDR beigetragen haben. Im Mittelpunkt dieser Diskussion stand die Frage, wie diese sich quasi über Nacht von über 40 Jahre gültigen (und bis dahin scheinbar kaum hinterfragten) Verhaltens- und Verfahrensmustern der politischen Praxis emanzipierten.39 Zuletzt wird dagegen verstärkt von der Implosion der staatssozialistischen Regime gesprochen: Stephen Kotkin etwa, der die Thesen einer sich formierenden staatssozialistischen „Zivilgesellschaft“ einer scharfen Kritik unterzog, hat auf die selbstproduzierten Widersprüche im Staatssozialismus hingewiesen und behauptet, dass sie von weit größerem Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse im Herbst 1989 gewesen seien.40 Welcher Gruppe der größere Verdienst für das Gelingen der „friedlichen Revolution“ zukommt, ist allerdings nicht die zentrale Frage, die diese Untersuchung zu beantworten sucht. Denn damit würde sie in gewisser Weise die Frontstellung von Herrschenden auf der einen und Beherrschten auf der anderen Seite reproduzieren. Herrschaft ist

                                                             36 So: Jens Gieseke, Staatssicherheit und Gesellschaft –Plädoyer für einen Brückenschlag, in: ders. (Hg.), Staatssicherheit und Gesellschaft. Studien zum Herrschaftsalltag in der DDR, Göttingen 2007, S. 7–20, hier: S. 18. 37 Vgl. dazu jedoch wiederum die einzelnen Beiträge in: Sabrow (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt. 38 Walter Süß, Staatssicherheit am Ende. Warum es den Mächtigen nicht gelang, 1989 eine Revolution zu verhindern, Berlin 1999. 39 Ehrhart Neubert, Die friedliche Revolution: Vom Herbst 1989 bis zur deutschen Einheit, St. Augustin 2009; Ilko-Sascha Kowalczuk, Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München 2009 sind nur zwei der jüngsten Beispiele dieser Tendenz. 40 Stephen Kotkin, Uncivil Society. 1989 and the Implosion of the Communist Establishment. With a Contribution by Jan T. Gross, New York 2009; auf die „konstitutive Widersprüchlichkeit“ der DDR verweist auch: Detlef Pollack, Die konstitutive Widersprüchlichkeit der DDR. Oder: War die DDR-Gesellschaft homogen?, in: GG 1 (1998), S. 110–131.

 

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dagegen auch in der Diktatur nur als „soziale Praxis“ denkbar.41 Aber der Hinweis auf die selbstproduzierten Widersprüche des Staatssozialismus ist insofern hilfreich, als dass er die Aufmerksamkeit auf jene „Repräsentationen, Praktiken und Aneignungsweisen“ lenkt, „mit denen in sozialen Großgruppen Bedeutung produziert, Identität konstruiert, Sinn verliehen und erzeugt wird“, kurzum: auf die „konsensstiftenden Denkstrukturen und Wahrnehmungsmuster“ der Diktatur. Ihr Einfluss auf den Zusammenhang von Stabilität und Krise der SED-Herrschaft ist auch von entscheidender Bedeutung für ihren Untergang.42 Die größte Herausforderung, so hat es Thomas Lindenberger formuliert, bleibt dabei, „das unmittelbare Neben- und Ineinander von manifester Stabilität und latenter Instabilität der Herrschaftsordnung des SED-Staates zu erklären“.43 Hier setzt diese Untersuchung an. Zwar ist die Bedeutung, die Mythen als gemeinschaftsstiftende und handlungsorientierende Momente in der politischen Kultur des Arbeiter-und-Bauern-Staates zukam, schon vielfach herausgehoben worden. Kaum ist sie bisher jedoch in ihren tatsächlichen Auswirkungen auf Sinnhaushalte und Handlungsweisen in der gesellschaftlichen Praxis des SEDRegimes genauer untersucht worden.44 Dabei geht es aber nicht einfach um die politische Funktionalisierung staatssozialistischer Mythen, sondern um die ambivalenten Effekte ihres praktischen Gebrauchs, wie er etwa am Beispiel der „Antifaschismus-Falle“ schon ansatzweise beschrieben worden ist.45

                                                             41 Zum Begriff von „Herrschaft als sozialer Praxis“ vgl. Alf Lüdtke, Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis, in: ders. (Hg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozialanthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 9–63; zur Anwendung dieses Konzepts auf die DDR vgl. Thomas Lindenberger (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn in der DDR. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln/Weimar/Wien 1999; Gieseke (Hg.), Staatssicherheit und Gesellschaft. 42 Sabrow, Der Konkurs der Konsensdiktatur, S. 89 u. S. 91. 43 Thomas Lindenberger, SED-Herrschaft als soziale Praxis, Herrschaft und „Eigen-Sinn“: Problemstellung und Begriffe, in: Gieseke (Hg.), Staatssicherheit und Gesellschaft, S. 23– 47, hier: S. 29; vgl. dazu auch: Sigrid Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945–1989, Frankfurt a. Main 1992. 44 Vgl. dazu: Zimmering, Mythen in der Politik der DDR; Herfried Münkler, Antifaschismus und antifaschistischer Widerstand als politischer Gründungsmythos der DDR, in: APuZ 45 (1998), S. 16–29; Nothnagle, Building the East German Myth; zuletzt: Könczöl, Märtyrer des Sozialismus. 45 Vgl. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft; der Begriff bei: Ehrhart Neubert, Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989, Berlin 1997, S. 317–319; vgl. dazu auch: Bernd Faulenbach, Die DDR als antifaschistischer Staat, in: Rainer Eckert/Bernd Faulen-

 

 

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Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass jede Art der Massenbeeinflussung auf einen entsprechenden Resonanzraum angewiesen ist, um wirksam werden zu können. Zugleich ist die Vermittlung von Propaganda-Elementen stets mehrdeutig, d. h. die Adressaten eignen sich ihre Botschaften aktiv an, deuten sie bisweilen eigensinnig um und unterlaufen sie auf diese Weise womöglich.46 Zuletzt hat Alf Lüdtke in Anlehnung an Walter Benjamin sogar die Frage aufgeworfen, ob die „Ästhetisierung der Politik“ im Staatssozialismus die Massen wenn nicht zu ihrem Recht, so doch zu ihrem Ausdruck kommen ließ.47 Die vielzitierte, über vierzig Jahre andauernde „Inszenierung der Arbeiterklasse“ blieb keineswegs wirkungslos, wie Erhebungen vor wie nach dem Ende der DDR gezeigt haben, in denen sich die überwiegende Mehrheit aller DDR-Bürger als ,Arbeiter‘ bezeichnete.48

                                                                                                                                       bach (Hg.), Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild, München/Landsberg 1996, S. 175–190. 46 Vgl. Rainer Gries, Zur Ästhetik und Architektur von Propagemen. Überlegungen zu einer Propagandageschichte als Kulturgeschichte, in: ders./Wolfgang Schmale (Hg.), Kultur der Propaganda, Bochum 2005, S. 9–35, hier: S. 17; zur Funktion und Reichweite von Propaganda im Staatssozialismus vgl. auch: Jan C. Behrends, Die erfundene Freundschaft. Propaganda für die Sowjetunion in Polen und in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2006; zum Begriff des „Eigen-Sinns“, der auf die deutenden und sinnproduzierenden Aspekte individuellen wie kollektiven Handelns in sozialen Beziehungen zielt und gewissermaßen im Plural zu denken ist vgl. Alf Lüdtke, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitserfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993; ders., Eigensinn, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 139–153. 47 Vgl. Alf Lüdtke, Macht der Emotionen – Gefühle als Produktivkraft: Bemerkungen zu einer schwierigen Geschichte, in: Arpad von Klimo/Malte Rolf (Hg.), Rausch und Diktatur. Inszenierung, Mobilisierung und Kontrolle in totalitären Systemen, Frankfurt a. Main/ New York 2006, S. 44–55, hier: S. 54. 48 Vgl. Peter Hübner, Arbeiterklasse als Inszenierung? Arbeiter und Gesellschaftspolitik in der SBZ/DDR, in: Richard Bessel/Ralph Jessen (Hg.), Die Grenzen der Diktatur, Göttingen 1996, S. 199–223; Corey Ross, Staging the East German ,Working Class‘: Representation and Class Identity in the ,Workers‘ State‘, in: Mary Fulbrook/Martin Swales (Hg.), Representing the German Nation. History and Identity in Twentieth-Century Germany, Manchester/New York 2000, S. 155–171, bezieht sich auf eine Erhebung von 1991, in der 61 Prozent der Befragten sich der Unterschicht bzw. Arbeiterklasse zuordneten; Wolfgang Engler, Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land, Berlin 1999, S. 176f., bezieht sich auf die erste größere empirische Untersuchung ostdeutscher Soziologen aus dem Jahr 1973, in der sich die Befragten, je nach Funktionsgruppe unterschieden, zu zwischen 68,7

 

 

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Für die SED und ihre Legitimation war es unerlässlich, ihre Herrschaft als proletarisch zu inszenieren. Damit schuf sie jedoch zugleich eine prekäre Konstellation, die für die gesamte Geschichte der DDR von zentraler Bedeutung war und sowohl die Dauer und relative Stabilität wie auch langfristig deren unvermeidlichen Kollaps zu erklären vermag.49 Denn die „Verstaatlichung der Arbeiterbewegung“ in der DDR stellte nicht nur einen Bruch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung dar, weil der autoritäre Gesellschaftsentwurf der SED von Anfang an mit dem Erfahrungshaushalt der Arbeiter und Arbeiterbewegung konfligierte. Das traditionelle Streben der Arbeiterschaft nach Autonomie blieb auch im selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staat konstitutiv50 und erwies sich – wie nicht zuletzt der Aufstand vom Juni 1953 deutlich gemacht hatte51 – als letzte Reserve eines selbständigen Klassenbewusstseins. Mit der „Verstaatlichung“ einher ging auch die Herausbildung einer staatssozialistischen „Lageröffentlichkeit“, die der Überzeugung anhing, „sich nur mit einer umfassenden, das heißt einstimmigen und zielorientierten Konsenskultur

                                                                                                                                       Prozent (Ingenieurtechnisches Personal ohne Leitungsfunktion) und 99,3 Prozent (Meister, Obermeister) der Arbeiterklasse zurechneten. 49 Vgl. Christoph Kleßmann, Arbeiter im „Arbeiterstaat“ DDR. Deutsche Traditionen, sowjetisches Modell, westdeutsches Magnetfeld (1945 bis 1971), Bonn 2007; Andrew I. Port, Conflict and Stability in the German Democratic Republic, Cambridge 2007. 50 Vgl. Christoph Kleßmann/Arnold Sywottek, Arbeitergeschichte und DDR-Geschichte. Einige Bemerkungen über Forschungsperspektiven, in: Peter Hübner/Klaus Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ-DDR, Essen 1999, S. 897–905; zur „Verstaatlichung der Arbeiterbewegung“: Christoph Kleßmann, Die „verstaatlichte Arbeiterbewegung“. Überlegungen zur Sozialgeschichte der Arbeiterschaft in der DDR, in: Karsten Rudolph/Christl Wickert (Hg.), Geschichte als Möglichkeit. Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 108– 119; zum Kontinuitätsbruch: Hartmut Zwahr, Kontinuitätsbruch und mangelnde Lebensfähigkeit. Das Scheitern der DDR, in: Kaelble/Kocka/Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 554–558. 51 Vgl. dazu auch Andrew Ports Aufsätze über den in der Forschung erst spärlich zur Kenntnis genommenen Aufstand der Wismut-Arbeiter vom August 1951: Andrew I. Port, Der erste Arbeiteraufstand in der DDR. Die Proteste der Wismut-Arbeiter im thüringischen Saalfeld 1951, in: DA 40 (2007), S. 605–613; ders., The „Grumble Gesellschaft“: Industrial Defiance and Worker Protest in Early East Germany, in: Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ-DDR, S. 787–810; grundsätzlich ist jedoch Peter Hübner zuzustimmen, dass die Arbeiter in der DDR spätestens seit dem Juni 1953 in der Regel eine eher defensive als offensive Haltung einnahmen; vgl. dazu: Peter Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss. Soziale Arbeiterinteressen und Sozialpolitik in der SBZ/DDR 1945–1970, Berlin 1995.

 

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auf Dauer behaupten und siegen zu können“.52 In diesem Sinne diente der Rekurs auf den proletarischen Mythos in der „durchherrschten“ DDR-Öffentlichkeit53 dem Zweck, die historische Mission der deutschen Arbeiterklasse aufzuführen und unwidersprochen die Loyalität und Stärke der politisch organisierten und scheinbar klassenbewussten werktätigen Massen zu demonstrieren. Auf diese Weise etablierte er aber zugleich eine trügerische „Faktizität der Fiktionen“,54 die sich schließlich als verheerend erweisen sollte. Nachdem die „letzten Revolutionäre“ über vierzig Jahre die Vorstellung einer wehrhaften Arbeiterklasse propagiert und vorangetrieben hatten, konnten sie diese Vorstellung im Herbst 1989 nicht einfach aufgeben.55 Ihre fortgesetzte Orientierung am proletarischen Mythos trug auf diese Weise jedoch seinen Teil dazu bei, dass sich die staatssozialistische „Unwirklichkeit des Realen“ vollendete.56 Als Staat sah sich die DDR ganz der Durchsetzung einer spezifischen Ideologie verpflichtet. Tatsächlich begriffen ihn seine Protagonisten ausschließlich als Ins-

                                                             52 Adelheid von Saldern, Öffentlichkeiten in Diktaturen. Zu den Herrschaftspraktiken im Deutschland des 20. Jahrhunderts, in: Günther Heydemann/Heinrich Oberreuter (Hg.), Diktaturen in Deutschland – Vergleichsaspekte, Strukturen, Institutionen und Verhaltensweisen, Bonn 2003, S. 442–475, hier: S. 457. 53 Vgl. Alf Lüdtke, Die DDR als Geschichte, in: APuZ B36 (1998), S. 3–16, ders., Helden der Arbeit – Mühen beim Arbeiten. Zur missmutigen Loyalität von Industriearbeitern in der DDR, in: Kaelble/Kocka/Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 188–213, sowie: Jürgen Kocka, Eine durchherrschte Gesellschaft, in: ebd., S. 547–553. 54 Vgl. hierzu: Alf Lüdtke, Sprache und Herrschaft in der DDR. Einleitende Überlegungen, in: Becker/ders. (Hg.), Die DDR und ihre Texte, S. 11–26; David Bathrick, The Powers of Speech. The Politics of Culture in the DDR, Lincoln/London 1995. 55 Epstein verweist in diesem Zusammenhang auf einen Streit, der sich zwischen Krenz und Hager im Hinblick auf die Veröffentlichung eines Communiques entspannte, mit dem die Öffentlichkeit über die Absetzung der „alten Garde“ informiert werden sollte. Gegenüber dem Zentralkomitee hatte Krenz explizit den „Kampfgefährten“ gedankt, die „unter Spaniens Himmel, im antifaschistischen Widerstand, in faschistischen Zuchthäusern mit ihrem Leben für die Ideale ihrer Weltanschauung ein[standen].“ Gegenüber der Öffentlichkeit wollte er die Passage, die sich auf die antifaschistischen Meriten der „alten Garde“ bezog, aufgrund der angespannten Stimmung innerhalb der Bevölkerung jedoch weglassen; dagegen protestierte Hager und eine Abstimmung im ZK entschied schließlich mit überwältigender Mehrheit, die strittige Passage mit zu veröffentlichen; The Last Revolutionaries, S. 243. 56 Vgl. Wolfgang Engler, Die Unwirklichkeit des Realen, in: ders., Die zivilisatorische Lücke. Versuche über den Staatssozialismus, Frankfurt a. Main 1992, S. 62–87.

 

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trument zu diesem Zweck.57 Vor diesem Hintergrund war es für sie von entscheidender Bedeutung, inwieweit die von ihm repräsentierte Ideologie dazu taugte, Probleme der Gegenwart zu bewältigen. Diese rührten zum Ende der 1980er Jahre jedoch schon länger nicht mehr aus einer latenten Bürgerkriegssituation her, sondern aus einem fortschreitenden blockpolitischen Entspannungsprozess.58 Die permanente Ausgrenzung „wirklicher Verhältnisse und wirklicher Menschen“ im Rekurs auf den Mythos – nach Oskar Negt und Alexander Kluge ein sich durchhaltendes Charakteristikum proletarischer Öffentlichkeit59 – verkehrte den Mythos von einem Moment der Machterringung zu einem Moment der Machtverweigerung. Wie sehr das Staatsvolk im Herbst 1989 genug von einer – betrachtet man die Kampfgruppen, sogar in einem buchstäblichen Sinne: – „militanten Verweigerung“ hatte, „sich der veränderten Situation zu stellen und eine andere Wahrnehmung ,des Arbeiters‘ wie auch ein anderes Selbstverständnis zu entwickeln“,60 zeigt nicht zuletzt die Losung der „friedlichen Revolution“. „Wir sind das

                                                             57 Vgl. Herman Wentker, Die Staatsräson der DDR, in: Günther Heydemann/Eckart Klein (Hg.), Staatsräson in Deutschland, Berlin 2003, S. 143–161; Walter Ulbricht hatte auf der staats- und rechtswissenschaftlichen Konferenz im April 1958 klargestellt, dass Staat (und Recht) nicht mehr und nicht weniger als „Hebel der Partei und Staatsmacht zur Überwindung der [gesellschaftlichen] Widersprüche“ im Sinne der SED seien; Walter Ulbricht, Die Staatslehre des Marxismus-Leninismus und ihre Anwendung in Deutschland, in: Staat und Recht, H. 4, Jg. 7 (1958), S. 325–349; vgl. auch: Wolfgang Weichelt, Zu einigen Fragen der Funktionen des sozialistischen Staates, in: Staat und Recht, H. 1, Jg. 6 (1957), S. 13–28. 58 Sabrow, der diese Wendung anhand einer Untersuchung der DDR-Geschichtswissenschaft nachzuvollziehen versucht hat, betrachtet die Erosion eines klar definierten Gegners/ Feindbildes als „entscheidende(s)“ Moment für die „Verabschiedung und Distanzierung von einem gewohnten und gelebten Orientierungsrahmen“; Der Konkurs der Konsensdiktatur, S. 97f. u. S. 104; vgl. dazu auch: ders., Vertrauter Feind, objektiver Gegner, kollegialer Konkurrent. Zum Wandel des Bildes vom ,Anderen‘ in der sozialistischen Legitimationskultur der DDR, in: Gries/Satjukow (Hg.), Unsere Feinde, S. 255–276. 59 Oskar Negt/Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt a. Main 1972, S. 345; zur Öffentlichkeit im Staatssozialismus vgl. Adelheid von Saldern, Öffentlichkeiten in Diktaturen. Zu den Herrschaftspraktiken im Deutschland des 20. Jahrhunderts, in: Günther Heydemann/Heinrich Oberreuter (Hg.), Diktaturen in Deutschland – Vergleichsaspekte, Strukturen, Institutionen und Verhaltensweisen, Bonn 2003, S. 442–475; Gabor T. Rittersporn/Malte Rolf/Jan C. Behrends (Hg.), Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs, Frankfurt a. Main 2003, S. 389–421. 60 Richard Bessel, Der Arbeiter, in: Ute Frevert/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Der Mensch des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. Main/New York 1999, S. 20–44, hier: S. 28; vgl. dazu auch: Greg Eghigian, Homo Munitus. The East German Observed, in: Katherine

 

 

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Volk“ demonstrierte nicht nur eine kollektive Ermächtigungspraxis, die die „letzten Revolutionäre“ mit ihrer eigenen Legitimationsgrundlage konfrontierte. Als durchweg gewaltfreie Praxis signalisierte sie zugleich den Bruch mit deren politischem Selbstverständnis, das im Ausnahmezustand von Klassenkampf und Bürgerkrieg fußte.

Alltag und Ausnahmezustand im Staatssozialismus: Methodische und theoretische Prämissen Die Rede vom proletarischen Mythos geht von der These aus, dass das politische System der DDR auf einer kommunistischen Heilsvision fußte, mit der sie ihren Anspruch auf die Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären legitimierte. Werden damit Fragen angesprochen, die insbesondere die kulturhistorisch interessierte DDR-Forschung beschäftigen, soll die „Machtfrage“ dabei keineswegs außen vor gelassen werden – im Gegenteil.61 So sehr auf totalitarismustheoretische Ansätze zurückgegriffen wurde, um den allumfassenden Herrschaftsanspruch der SED hervorzuheben, so sehr tendiert ein solcher Blick von ,oben‘ jedoch dazu, Gesellschaft als Gemengelage eigenständiger wie eigensinniger Akteure zu ignorieren. Intentionen und Machbarkeitsphantasien der SED drohen dann für Abbilder der gesellschaftlichen Realität gehalten zu werden, während der tatsächliche Durchsetzungsgrad des Herrschaftsanspruchs weitgehend im Dunkeln bleibt.62 Sinnvoller scheint es demgegenüber, Herrschaft mit Max Weber als „Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“

                                                                                                                                       Pence/Paul Betts (Hg.), Socialist Modern: East German Everyday Culture and Politics, Ann Arbor 2008, S. 37–70. 61 Vgl. Dolores L. Augustine, The Power Question in GDR History, in: German Studies Review 34 (2011), S. 633–652. 62 Vieldiskutierte Vertreter totalitarismustheoretischer Ansätze im Hinblick auf die DDR sind: Klaus Schroeder, Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949–1990, München 1998; Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, die sich entweder auf die Ansätze von: Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München/Zürich 1986 (erstmalig: 1951) oder von: Carl Joachim Friedrich/Zbigniew Brzezinski, Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur, in: Eckhard Jesse (Hg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Bonn 1996, S. 225–236, beziehen; zur produktiven „Überwindung“ totalitarismustheoretischer Ansätze vgl. Michael Geyer/Sheila Fitzpatrick (Hg.), Beyond Totalitarism. Stalinism and Nazism Compared, Cambridge 2009.

 

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zu betrachten.63 In der Tat haben systemimmanente Erklärungsansätze, die auf die von Weber inspirierte Theorie von „Herrschaft als sozialer Praxis“ (Lüdtke) zurückgreifen, überaus instruktive Ergebnisse über die Grenzen der SED-Diktatur innerhalb der DDR-Gesellschaft hervorgebracht.64 In Anlehnung an Pierre Bourdieus „Theorie der Praxis“ rücken damit verinnerlichte Haltungen, Wahrnehmungen und Sinngebungen, die mit konkreten Handlungen verbunden sind bzw. durch sie erzeugt werden, ins Zentrum der Betrachtung.65 Diese Perspektive verlangt, sich auf die alltägliche Lebenswelt der Akteure einzulassen. Solchermaßen geht sie jedoch keineswegs – wie auch im Rahmen der Debatte um die Ergebnisse der sogenannten „Sabrow-Kommission“ kritisiert – in einer „weichgespülten“ Sicht diktatorischer Herrschaftspraxis auf, aus der die „harten“ Repressionsmechanismen scheinbar verschwunden sind.66 Vielmehr wird erst hier das ganze Spektrum „harter“ wie „weicher“ Disziplinierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen erkennbar.67 Daran anknüpfend versucht diese Untersuchung mit Hilfe eines praxeologischen Ansatzes die Geschichte der Kampfgruppen und ihrer Angehörigen zu rekonstruieren. Die Praxeologie zielt, ähnlich wie schon bei E.P. Thompson oder der

                                                             63 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28. 64 „Macht“ wird in diesen Zusammenhängen in Anlehnung an die von Michel Foucault begründete Denktradition als ein soziales Kräftefeld begriffen, an dem sämtliche Akteure teilhaben und das in allen Funktionsbereichen und -ebenen wirksam ist; vgl. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Frankfurt a. Main 1991 (erstmalig: 1976–1984), Kap. IV. 2; vgl. dazu auch: Ulrich Brieler, Foucaults Geschichte, in: GG 24 (1998), S. 248–282. 65 Pierre Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a. Main 1976 (erstmalig: 1972); im Hinblick auf die DDR: Thomas Lindenberger, Die Diktatur der Grenzen. Zur Einleitung, in: ders. (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn, S. 13–44. 66 Vgl. zu dieser Debatte die Beiträge in: Martin Sabrow (Hg.), Wohin treibt die DDRErinnerung? Dokumentation einer Debatte, Bonn 2007. 67 Alf Lüdtke, Alltag: Der blinde Fleck? In: DA 39 (2006), S. 894–901; zur Unterscheidung von „harten“ und „weichen“ Systemstabilisatoren vgl. Christoph Boyer, Die Sozial und Konsumpolitik der DDR in den sechziger Jahren in theoretischer Perspektive, in: ders./Peter Skyba (Hg.), Repression und Wohlstandsversprechen. Zur Stabilisierung der Parteiherrschaft in der DDR und der ČSSR, Dresden 1999, S. 37–48; Peter Skyba, Die Sozialpolitik in der Ära Honecker aus institutionentheoretischer Perspektive, in: ebd., S. 49– 62; ein anregender Ansatz, die Verknüpfung beider Momente für eine Interpretation der SED-Herrschaft fruchtbar zu machen, bei: Konrad H. Jarausch, Realer Sozialismus als Fürsorgediktatur. Zur begrifflichen Einordnung der DDR, in: APuZ B20 (1998), S. 33–46.

 

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deutschen Alltagsgeschichte,68 auf eine erfahrungsorientierte Gesellschaftsgeschichte. In diesem Sinne thematisiert sie nicht allein die durch Aufmerksamkeit ausgezeichneten Erlebnisse der historischen Akteure, sondern auch ihr durch Handeln strukturiertes, routiniertes Erfahrungswissen.69 In sozialtheoretischer Hinsicht vermittelt der praxeologische Ansatz zwischen Struktur und Handeln, indem er die konkreten Praktiken handlungsfähiger Akteure in den Mittelpunkt seiner Analyse zu rücken versucht. Dabei geht es sowohl um die Rekonstruktion einer „Mikrologik des Sozialen“70 wie auch um die Klärung derjenigen „Beziehungsgefüge, in denen die Mitglieder von Institutionen sich bewegen“71. Denn die Logik einer jeden Praktik kann nicht aus ihrem Mikrokosmos heraus allein verstanden werden, sondern erschließt sich erst aus ihrer gesellschaftlichen Einbettung und Kontextualisierung. Diese wird im Hinblick auf die Kampfgruppen der Arbeiterklasse mit dem Begriff des proletarischen Mythos thematisiert. Mythen sind ein wichtiger Bestandteil der Sakralisierung von Politik.72 Deren Zweck wiederum besteht darin, ein                                                              68 Vgl. Edward P. Thompson, The Making of the English Working Class, London 1963; Thomas Lindenberger, Das „empirische Idiom“. Geschichtsschreibung, Theorie und Politik in The Making of the English Working Class, in: Prokla 70 (1988), S. 167–189; Alf Lüdtke, Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte? In: ders. (Hg.), Alltagsgeschichte: Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt a. Main/New York 1989, S. 9–47; ders., Alltagsgeschichte – ein Bericht von unterwegs, in: HA 11 (2003), S. 278–295; Belinda Davis/Thomas Lindenberger/Michael Wildt (Hg.), Alltag, Erfahrung, Eigensinn. Historisch-anthropologische Erkundungen, Frankfurt a. Main/New York 2008. 69 Vgl. dazu die Einführung von: Karl H. Hörning/Julia Reuter, Doing Culture: Kultur als Praxis, in: diess. (Hg.), Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis, Bielefeld 2004, S. 9–15 sowie: Sven Reichardt, Praxeologie und Faschismus. Gewalt und Gemeinschaft als Elemente eines praxeologischen Faschismusbegriffes, in: ebd., S. 129–153. 70 Andreas Reckwitz, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie (2003) 32, S. 282–301, hier: S. 298. 71 Thomas Welskopp, zit. nach: Reichardt, Gewalt und Gemeinschaft, S. 134; vgl. dazu auch: Victoria E. Bonnell/Lynn Hunt, Introduction, in: diess. (Hg.), Beyond the Cultural Turn. New Directions in the Study of Society and Culture, Berkeley/Los Angeles 1999, S. 1–32, hier: S. 7f. 72 Vgl. Herfried Münkler, Mythischer Sinn. Der Nibelungen-Mythos in der politischen Symbolik des 20. Jahrhunderts, in: Udo Bermbach (Hg.), In den Trümmern der eigenen Welt. Richard Wagners ,Ring der Nibelungen‘, Berlin/Hamburg 1989, S. 251–266; Politische Mythen und nationale Identität. Vorüberlegungen zu einer Theorie politischer Mythen, in: Wolfgang Frindte/Harald Pätzoldt (Hg.), Mythen der Deutschen. Deutsche Befindlichkeiten zwischen Geschichten und Geschichte, Opladen 1994, S. 21–27; sowie zuletzt: Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin 2009.

 

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substantielles Deutungsmonopol zu schaffen, das gleichzeitig als Heilsversprechen fungiert: Wenn die Arbeiterklasse die Lehren der Vergangenheit beherzige – die stets auf das Fazit hinausliefen, angesichts eines mächtigen Feindes auch vor dem Gebrauch von Gewalt nicht zurückzuschrecken –, könne der Aufbau des Sozialismus und die Errichtung einer besseren Gesellschaft nicht verhindert werden.73 Deutlich kommt hier die Eigenschaft von Mythen zum Ausdruck, die Gegenwart mit einer sinnvollen Vergangenheit zu verknüpfen und auf diese Weise bestimmte handlungsanleitende Werte und Normen – in diesem Fall die Prämisse, dass zum Arbeiter das Gewehr gehöre – zu vermitteln.74 Zugleich transportierte der „historische Präsentismus“ (Sabrow) des proletarischen Mythos eine manichäische Weltsicht, indem er klar zwischen Freund und Feind unterschied. Von den Anhängern wurde absolute Hingabe für das heilige Ziel verlangt, während gegenüber Gegnern ein unerbittlicher Hass geschürt wurde.75 Auf diese Weise wirken Mythen zugleich gemeinschaftsstiftend. Die „ideale Gemeinschaft“ wurde in der DDR durch die aus dem Untergrund an die Macht gelangte Partei repräsentiert. Eine „symbiotische Bindungsform“, wie sie tatsächlich für zahllose Arbeiterveteranen aus der Zeit der Weimarer Republik charakteristisch war,76 fungierte als Vorbild dafür, wie sich die „letzten Revolutionäre“ das

                                                             73 Vgl. Giesemann, Damals in Eisleben; zur Sakralisierung von Politik vgl. Emilio Gentile, Die Sakralisierung der Politik, in: Hans Maier (Hg.), Wege in die Gewalt: Die modernen politischen Religionen, Frankfurt a. Main 2000, S. 166–182; ders., The Sacralisation of Politics: Definitions, Interpretations and Reflections on the Question of Secular Religion and Totalitarism, in: Totalitarian Movements and Political Religions 1 (2000), S. 18–55; zur Anwendung dieses Ansatzes auf die DDR: Könczöl, Märtyrer des Sozialismus. 74 Grundsätzlich sollen Mythen als Mitteilungssysteme verstanden werden, die reale Ereignisse mit fiktionalen Aspekten verknüpfen; vgl. dazu: Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt a. Main 1964 (erstmalig: 1957), S. 85–150; eine ausführliche Einführung bei: Andreas Dörner, Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannsmythos: Zur Entstehung des Nationalbewusstseins der Deutschen, Reinbek 1996. 75 So findet sich in der Kampfgruppen-eigenen Zeitung „Der Kämpfer“, die seit 1957 monatlich erschien, in jeder Ausgabe auch eine mit „Todfeinde des Volkes an den Schalthebeln der Macht in der BRD“ betitelte Rubrik, in der westdeutsche Politiker, Industrielle und Offiziere portraitiert (bzw. diffamiert) wurden; mit der Rubrik „Kämpfer an unserer Seite“ wurden demgegenüber verdiente Kampfgruppen-Angehörige vorgestellt. 76 Vgl. Könczöl, Märtyrer des Sozialismus, S. 51–54; Till Kössler, Die Partei als Medium. Kommunikationspolitik und Kommunikationsverweigerung in der SED/KPD 1945–1956, in: Habbo Knoch/Daniel Morat (Hg.),Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960, München 2003, S. 201–227, hier: S. 211.

 

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Verhältnis der Werktätigen zu ,ihrem‘ Staat vorstellten. Idealtypisch erlaubt sie eine fast ausweglose Gruppenerfahrung in einer Art von Gewalt-Gemeinschaft: „Sprechen wir von symbiotischer Bindungsform, dann haben wir mehreres zugleich im Auge: Zunächst die in Kampfgemeinschaften uns überhaupt häufig begegnende Form der Gesellung: die gesteigerte Intimität der persönlichen Beziehungen durch geteilte Leistungen, Gefahren, Freuden in einem gemeinsamen Erlebnisstand verwurzelt; das in eindeutiger Glaubenswelt vereinheitlichte Sich-zu-einander-Verhalten, das keine ,Grundprobleme‘ zur Entscheidung, nur Angelegenheiten zur Regelung kennt; die Solidarität des Miteinanderseins, in Kampf und Isolierung gestärkt, die bei geringstem Anlass die Schicht der Identifizierung zu oben und nach außen kehrt. Daneben wird die Atmosphäre von Sicherheit, die in diesem Kreise nur selten erschüttert wird, das Gefühl des Eigenwertes oft zum erstenmal im Leben empfunden und in einer Gemeinschaft bestätigt; die Überlegenheit, sei es moralischer, sei es psychologischer Art, die man den Außenstehenden gegenüber empfindet; die Lust an der Bewährung und der Spaß am Erfolg, die in solcher zeitlichen Kumulierung, Deutlichkeit und Intensität selten noch anderswo mit dem auf die Gruppe angewiesenen ,Auskosten‘ anzutreffen wäre. Ferner zumeist das Fehlen von Oppositionshaltungen gegenüber den Vorgesetzten: die Nahen stehen in einer eher väterlich-familiären Beziehung zu der Gruppe, die Höheren sind ein Mythos.“77

Dieser idealtypische Entwurf erfasst eine Reihe konstitutiver Merkmale der SEDHerrschaft: Die „symbiotische Bindungsform“ reflektiert nicht nur Zuschreibungen, die die familiären Konnotationen der „Fürsorgediktatur“ betonen.78 In diesem Sinne ließe sich im Hinblick auf den Gesellschaftsentwurf der SED sogar behaupten, dass dieser sich weniger an einem modernen „Gesellschafts“-Begriff denn an einem vormodernen „Gemeinschafts“-Begriff orientierte.79 Darüber hi-

                                                             77 Elias Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft. Zur Frage der strukturellen Deutung des sozialen Phänomens, Stuttgart 1967, S. 77. 78 Vgl. Jarausch, Realer Sozialismus als Fürsorgediktatur; Dorothee Wierling, Über die Liebe zum Staat. Der Fall der DDR, in: HA 2 (2000), S. 236–263; vgl. dazu auch: Alf Lüdtke, Alltage „in unserer Ebene“. Anfragen zu den Perspektiven auf die 1970er und 1980er Jahre in der DDR, in: Renate Hürtgen/Thomas Reichel, Der Schein der Stabilität. DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker, Berlin 2001, S. 295–300. 79 Vgl. zu dieser Unterscheidung die klassische Arbeit von: Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirische Kulturformen [ab der 2. Aufl. mit dem Untertitel: Grundbegriffe der reinen Soziologie], Darmstadt 2005 (erstmalig: 1887); ob die DDR damit als eine „vormoderne“ Gesellschaft bezeichnet werden kann oder nicht, soll hier jedoch nicht erörtert werden; vgl. zu dieser Debatte: Ilja Srubar, War der reale Sozialismus modern? Versuch einer strukturellen Bestimmung, in: KZfSS 43 (1991), S. 415–432; Jürgen Kocka, The GDR: A Special Kind of

 

 

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naus hebt die Bindungsform der Kampfgemeinschaft auch das im proletarischen Mythos vermittelte, für das Charisma politischer Religionen unverzichtbare Moment außeralltäglicher Bewährung hervor.80 Lutz Niethammer hat bemerkt, dass „im Osten […] viele Staatsbürger in der Uniform hergestellt“ wurden. Er hat dafür den Begriff des „zoon polemicon“ geprägt, eines „Kriegslebewesens“, das sich gewissermaßen permanent im Kriegszustand wähnen sollte.81 Als Mobilisierung für den Ausnahmezustand in Permanenz ließe sich das als eine verweigerte Lerngeschichte im Zuge der Bürokratisierung von Herrschaft beschreiben. Die Hochschätzung der „letzten Revolutionäre“ für einen quasi-militärischen Verhaltenskanon lässt sich aber durchaus auch mit deren „durch die besonderen Erfahrungen des politischen Kampfes und politischer Verfolgung“ geprägtem biographischen Hintergrund erklären.82 Daraus folgt eine generationsspezifische Perspektive für die Erforschung gesellschaftspolitischer Dynamiken in der DDR. Versteht man mit Karl Mannheim Generation als „ein Ensemble von alterspezifischen inhaltlichen Zuschreibungen, mittels derer sich Menschen in ihrer jeweiligen Epoche verorten“,83 so wäre auch mit einer erfahrungsgeschichtlichen Ablösung solcher Zuschreibungen zu rechnen. Generationszusammenhänge erweisen sich nämlich als kollektiv wahrge-

                                                                                                                                      

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Modern Dictatorship, in: Jarausch (Hg.), Dictatorship as experience, S. 17–26; sowie zuletzt: Katherine Pence/Paul Betts, Introduction, in: diess. (Hg.), Socialist Modern, S. 1–36. Vgl. Riegel, Marxismus-Leninismus als politische Religion; sowie: Stefan Breuer, Die Organisation als Held. Der sowjetische Kommunismus und das Charisma der Vernunft, in: ders., Bürokratie und Charisma. Zur politischen Soziologie Max Webers, Darmstadt 1994, S. 84– 109. Niethammer, Die SED und ,ihre‘ Menschen, S. 325; der Begriff des „zoon polemicons“ in: ders./Alexander von Plato/Dorothee Wierling (Hg.), Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR, Berlin 1991, S. 338; vgl. dazu auch: Dietmar Neutatz, Die Suggestion der „Front“. Überlegungen zu Wahrnehmungen und Verhaltensweisen im Stalinismus, in: Brigitte Studer/Heiko Haumann (Hg.), Stalinistische Subjekte. Individuum und System in der Sowjetunion und der Komintern 1929– 1953, Zürich 2006, S. 67–80. Thomas Ahbe/Rainer Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte. Theoretische und methodologische Überlegungen am Beispiel der DDR, in: Annegret Schüle/diess. (Hg.), Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive. Eine Inventur, Leipzig 2006, S. 475–571, hier: S. 493 [Hervorhebung im Original]. Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt a. Main 2001, S. 331; Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, hrsg. von Kurt H. Wolff, Neuwied 1964 (erstmalig: 1928), S. 509–565.

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nommene Problemlagen und beschreiben Möglichkeitsräume, um die Welt und die eigenen kohortenspezifischen Probleme zu deuten und zu lösen.84 Die Staatsführung der DDR hatte jedoch die Möglichkeit, solche Generationsprägungen institutionell zu vererben, während sich in der Erfahrungswelt der DDR-Bürger eine Generationslücke auftat. Mythen leben von einem nachvollziehbaren Gegenwartsbezug, der jedoch, wie generationsspezifische Perspektiven zu zeigen vermögen, maßgeblich von biographischen „Erfahrungsräumen“ und „Erwartungshorizonten“ bestimmt wird.85 Beide Wahrnehmungsmodi kreisten aus der Perspektive der bis zuletzt tonangebenden „letzten Revolutionäre“86 im Kern fortwährend um den Ausnahmezustand. Er bringt die zentrale Legitimationsfigur für die von den Kampfgruppen repräsentierte politische Kultur im Staatssozialismus auf den Begriff. Die folgende Untersuchung beabsichtigt daher zwei, gewöhnlich getrennt voneinander operierende Ansätze der Forschungen zur Geschichte der DDR zusammenzuführen: zum einen die am Zusammenhang von Stabilität und Krise der DDR-Gesellschaft interessierten, sozialgeschichtlich orientierten Ansätze, zum anderen die im Hinblick auf Konsens und Kritik nach Einstellungsmodi und realsozialistischen Wertmustern fragenden, kulturgeschichtlich informierten, politikgeschichtlichen Ansätze.87 Auf diese Weise trägt die Untersuchung nicht nur der wiederholt postulierten Forderung nach einem „empirisch gesättigten Verständnis für die Auswirkungen

                                                             84 Vgl. Bernd Weisbrod, Generation und Generationalität in der Neueren Geschichte, in: APuZ 8 (2005), S. 3–9; Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005. 85 Zu den Begriffen vgl. Reinhart Koselleck, ,Erfahrungsraum‘ und ,Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. Main 1989, S. 349–375. 86 Auch wenn die Bezeichnung der kommunistischen Gründerväter als „misstrauische Patriarchen“ insofern gut gewählt ist als dass er die familiären Implikationen der SED-Herrschaft betont, wird hier in der Regel jedoch von den „letzten Revolutionären“ gesprochen, weil diese Bezeichnung nicht auf den Zeitraum der DDR allein fokussiert, sondern die biographisch von prägendem Einfluss gewesene „Kampfzeit“ der 1920er und 30er Jahre mit berücksichtigt; vgl. Klaus Tenfelde, Generationelle Erfahrungen in der Arbeiterbewegung bis 1933, in: Bernhard Braun/Klaus Schönhoven (Hg.), Generationen in der Arbeiterbewegung, München 2005, S. 17–49. 87 Vgl. Reichardt, Gewalt und Gemeinschaft; Geoff Eley, Wie denken wir über Politik? Alltagsgeschichte und die Kategorie des Politischen, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 17–36.

 

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der Sicherheitspolitik der SED nach innen“ Rechnung.88 Gleichzeitig versteht sie sich als ein Beitrag zur Beantwortung der Frage, „warum eine Parteiführung, die des Traumas vom Juni 1953 immer eingedenk blieb, sprachlos und gelähmt verharrte, als sie es wiederkehren sah, und vor einer Bewegung kapitulierte, die keine Helden hervorbrachte, keine klaren Ziele besaß und doch ein in vierzig Jahren der Diktatur gewachsenes Herrschaftssystem gewaltlos hinwegzuschwemmen vermochte“.89

Kampfgruppen im Roten Herzen: Zum Ort der Untersuchung und zur Quellenlage Angesichts einer Zahl von über 2 000 Kampfgruppen-Einheiten in der gesamten DDR schien es im Hinblick auf die dieser Untersuchung zugrundeliegenden Fragestellung geboten, nicht die Geschichte der Kampfgruppen zu schreiben, sondern den Untersuchungsgegenstand zumindest in seinen räumlichen Dimensionen einzuschränken. Wie Roger Engelmann in seinem Plädoyer für mikrohistorische Zugänge zur Erforschung der Gesellschaftsgeschichte der DDR deutlich gemacht hat, können Bezirke und Kreise als „Miniaturausgaben“ staatssozialistischer Herrschaft betrachtet werden. Nicht zuletzt aufgrund des der SED-Herrschaft zugrundeliegenden Prinzips des „demokratischen Zentralismus“ reproduzierten sie wesentliche Elemente der Herrschaftsstrukturen.90 Trotzdem sollen regionalspezifische, über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinausreichende, historisch gewachsene Unterschiede keinesfalls negiert werden. Im Gegenteil spielten sie bei der Auswahl der dieser Untersuchung zugrunde gelegten Bezirke eine wesentliche Rolle. Nicht zuletzt, weil die Wirksamkeit politischer Mythen daran gebunden ist, an schon vorhandene semantische Traditionen anzuknüpfen und sich auf sie einzulassen,91 wurden deshalb die nach

                                                             88 Vgl. Lindenberger, SED-Herrschaft als soziale Praxis, S. 44; vgl. auch: Niethammer, Die SED und ,ihre‘ Menschen; Augustine, The Power Question in GDR History. 89 So: Sabrow, Der Konkurs der Konsensdiktatur, S. 89; vgl. dazu auch: ders., „1989“ und die Rolle der Gewalt in Ostdeutschland, in: ders. (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt, S. 9– 31. 90 Vgl. Roger Engelmann, Eine Regionalstudie zu Herrschaft und Alltag im Staatssozialismus, in: Gieseke (Hg.), Staatssicherheit und Gesellschaft, S. 167–186, hier: S. 168; zur MikroHistoire vgl. die konzise Einführung bei: Hans Medick, Mikro-Histoire, in: Winfried Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Histoire. Eine Diskussion, Göttingen 1994, S. 40–53. 91 Vgl. dazu: Dörner, Politischer Mythos, S. 96.

 

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der Länderreform von 1952 entstandenen Bezirke Halle und Magdeburg als Untersuchungsorte ausgewählt.92 Beide Bezirke, die zu Zeiten der Weimarer Republik in etwa der preußischen Provinz Sachsen entsprachen, stellten zu dieser Zeit bedeutende Schauplätze des „punktuellen Bürgerkrieges“ dar. So bildete der Raum rund um die Bezirkshauptstadt Halle in den 1920er Jahren eine Hochburg der KPD; verschiedene Aufstände und quasi-militärische Auseinandersetzungen fanden hier statt. Der Raum Magdeburg wiederum bildete eine Hochburg der SPD und war gleichzeitig Gründungsort des seinerzeit mitgliederstärksten Wehrverbandes, des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold.93 Beide Bezirkshauptstädte zählten im Juni 1953 zu den Zentren des Aufstandes und die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Ordnungskräften waren nirgendwo in der DDR so gewalttätig wie hier. Gleichzeitig verfügten wenig andere Bezirke über mehr KampfgruppenAngehörige als diese beiden. Zeit ihrer Existenz rangierte der Bezirk Halle stets an erster Stelle, was die Zahl ihrer Mitglieder betraf, der Bezirk Magdeburg an vierter Stelle. Spricht diese Beobachtung für eine vergleichsweise breite, lokale Akzeptanz der Kampfgruppen, resultierte diese offenkundig nicht allein aus unbedingter Loyalität der SED gegenüber.94 Zwar transportierte der proletarische Mythos die Prämisse, dass zu jedem Arbeiter ein Gewehr gehöre, verallgemeinerte sie damit aber, ohne die unterschiedlichen Gewalttraditionen in den verschiedenen Zweigen der organisierten Arbeiterbewegung zu berücksichtigen. Diese können jedoch mögliche Varianzen im Selbstverständnis und in der Praxis der Kampfgruppen                                                              92 Einen insbesondere im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung aufschlussreichen Überblick bietet: Werner Ostwald, Die DDR im Spiegel ihrer Bezirke, Berlin (O) 1989; speziell zur Länderreform vgl. Karl-Heinz Hajna, Länder – Bezirke – Länder. Zur Territorialstruktur im Osten Deutschlands 1945–1990, Frankfurt a. Main 1995; Henning Mielke, Die Auflösung der Länder in der SBZ/DDR. Von der deutschen Selbstverwaltung zum sozialistischzentralistischen Einheitsstaat nach sowjetischem Modell 1945–1952, Stuttgart 1995; aus Sicht der SED: Karl-Heinz Hajna, Zur Bildung der Bezirke in der DDR ab Mitte 1952, in: ZfG 37 (1989), S. 291–303. 93 Vgl. dazu: Schumann, Politische Gewalt, der sich in seiner Studie gleichfalls auf dieses Gebiet konzentriert. 94 War die Loyalität und Zuverlässigkeit ihrer Parteimiliz – insbesondere in dem wegen seiner sozialdemokratischen Traditionen gefürchteten Bezirk Magdeburg – eine beständige Sorge der SED, verfügte sie deshalb, dass mindestens 60 Prozent aller Kampfgruppen-Angehörigen jeder Einheit Mitglieder der Partei sein sollten; eine Anordnung, die sich jedoch in einigen Kreisen – von denen sich die meisten im Bezirk Magdeburg befanden – bis in die 1980er Jahre hinein nicht durchsetzen ließ; vgl. Einschätzung des MdI, o. D. [1988], BArch., Do1/18.0/53683.

 

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aufdecken, die als residuale Kräfte des politischen Regionalismus dem SED-Zentralismus entgegenstanden. Wer sich mit der Geschichte der DDR beschäftigt, kann auf eine schier unüberblickbare Fülle von Quellen zurückgreifen – das gilt auch für die im betrieblichen Alltag verorteten Kampfgruppen. Groß war nach der Öffnung der Archive der DDR die Skepsis gegenüber dem hier Dokumentierten, zu offensichtlich war der Zug zu einer Stabilität suggerierenden, Ist- und Soll-Aussagen vermischenden Darstellungsweise.95 Den Wert der Überlieferung schmälert dies jedoch nur bedingt, denn Sprache ist zu keiner Zeit und in keinem System eine direkte Abbildung gesellschaftlicher und historischer Realität.96 Jeder „kommunikative Stil“ (Ralph Jessen) erlaubt hingegen Rückschlüsse auf spezifische Formen von Herrschaftspraxis und -erfahrung.97 In diesem Sinne eröffnet die oftmals als schablonenhaft und stark ritualisiert charakterisierte Sprache der DDR-Öffentlichkeit Aufschluss über die Wege und Wirksamkeit von Wirklichkeitskonstruktion(en) im Staatssozialismus.98 Nicht zuletzt trug – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – die (selbstgeschaffene) „Faktizität der Fiktionen“ ihren kaum als unbeträchtlich                                                              95 Vgl. Mary Fulbrook, Methodische Überlegungen zu einer Gesellschaftsgeschichte der DDR, in: Richard Bessel/Ralph Jessen (Hg.), Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996, S. 274–297, hier: S. 275–281; Ralph Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis. Überlegungen zum Zusammenhang von „Bürokratie“ und Sprachnormierung in der DDR-Geschichte, in: Peter Becker/Alf Lüdtke (Hg.), Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte. Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997, S. 57–75. 96 Klassische Texte dazu stammen von: Joan W. Scott, The Evidence of Experience, in: James Chandler (Hg.), Questions of Evidence, Chicago 1994, S. 363–387 (erstmalig: 1991); dies., Über Sprache, Geschlecht und die Geschichte der Arbeiterklasse, in: Christoph Conrad/Martina Kessel (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne, Stuttgart 1994, S. 283–309 (erstmalig: 1983); die Sprache der DDR hat vor und nach 1989 breite Aufmerksamkeit erfahren; vgl. etwa (für die Zeit vor 1989): Hans H. Reich, Sprache und Politik. Untersuchungen zu Wortschatz und Wortwahl des offiziellen Sprachgebrauchs in der DDR, München 1968; Wolf Oschlies, Würgende und wirkende Wörter. Deutschsprechen in der DDR, Berlin 1989; (für nach 1989): Ulla Fix, Rituelle Kommunikation im öffentlichen Sprachgebrauch der DDR und ihre Begleitumstände. Möglichkeiten und Grenzen der selbstbestimmten und mitbestimmenden Kommunikation in der DDR, in: Gottfried Lerchner (Hg.), Sprachgebrauch im Wandel. Anmerkungen zur Kommunikationskultur in der DDR vor und nach der Wende, Frankfurt a. Main 1992, S. 3–99. 97 Vgl. hierzu: Lüdtke, Sprache und Herrschaft in der DDR; Bathrick, The Powers of Speech. 98 Grundlegend zur gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit die Untersuchung von: Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt a. Main 1996.

 

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zu bezeichnenden Teil zur schleichenden Auszehrung des proletarischen Mythos bei. Als wichtigster geschlossener Quellenbestand zur Geschichte der Kampfgruppen kann der im Bundesarchiv Berlin/Dahlwitz archivierte Aktenfundus der Hauptabteilung Kampfgruppen im Ministerium des Innern genannt werden. Er dokumentiert die Organisationsgeschichte und wird durch die Provenienzen beschlussfähiger Organe wie Politbüro, ZK-Sekretariat, ZK-Abteilung für Sicherheit sowie des Nationalen Verteidigungsrates (befindlich im Bundesarchiv-Militärarchiv) ergänzt. Ihre Auswertung bestätigte jedoch, was bereits an anderer Stelle bemerkt worden ist und reflektiert auf seine Weise das konspirative Selbstverständnis der „letzten Revolutionäre“: So finden sich hier so gut wie keine Hinweise auf Entscheidungsfindungsprozesse und/oder Konfliktlinien; vielmehr werden fast ausschließlich Beschlusslagen dokumentiert.99 Aufschlussreicher für die Fragestellung dieser Arbeit erwies sich demgegenüber die umfangreiche Sammlung von Eingaben an das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“. Das Eingabewesen stellt eine in der DDR viel genutzte und für sozial- und mentalitätsgeschichtlich orientierte Fragestellungen produktive Quelle dar. Indem es der Bevölkerung einen Weg eröffnete, sich mit ihren Sorgen und Nöten – aber auch Vorstellungen im Hinblick auf die Kampfgruppen – direkt an die Kommandohöhen der Macht zu wenden, lud es dazu ein, ganz individuelle Anliegen zu artikulieren.100 Die Untersuchung fußt hauptsächlich auf der Auswertung der entsprechenden Aktenbestände im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, wo sich die Überlieferung der vormaligen DDR-Bezirke Halle und Magdeburg befindet. Gelten für die Akten der Bezirksleitungen tendenziell dieselben Einschränkungen wie bei den Akten der Hauptabteilung Kampfgruppen, so erwiesen sich die Akten der Kreisebene für die Fragestellung dieser Untersuchung als überaus produktiv.101 Weil die

                                                             99 Vgl. Matthias Judt, „Nur für den Dienstgebrauch“ – Arbeiten mit Texten in einer deutschen Diktatur, in: Becker/Lüdtke (Hg.), Die DDR und ihre Texte, S. 29–38, hier: S. 35f. 100 Vgl. dazu: Felix Mühlberg, Bürger, Bitten und Behörden. Geschichte der Eingaben in der DDR, Berlin 2004; Ina Merkel, „Wir sind doch nicht die Mecker-Ecke der Nation“: Briefe an das DDR-Fernsehen, Köln/Weimar/Wien 1998; Jochen Staadt, Eingaben: Die institutionalisierte Meckerkultur in der DDR. Goldbrokat, Kaffee-Mix, Büttenreden, Ausreiseanträge und andere Schwierigkeiten mit den Untertanen, Berlin 1996. 101 Vgl. dazu: Sighard Neckel, Das lokale Staatsorgan. Kommunale Herrschaft im Staatssozialismus der DDR, in: Zeitschrift für Soziologie 21 (1992), S. 252–268; anregend in diesem Zusammenhang auch: Landolf Scherzer, Der Erste. Eine Reportage aus der DDR, Köln 1989 (erstmalig: 1988).

 

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Kampfgruppen direkt der SED bzw. ihren Gliederungen vor Ort unterstanden, de facto aber von der Volkspolizei (und ihren lokalen Gliederungen) betreut und angeleitet wurden, konnte in diesem Fall auf eine doppelte Überlieferung zurückgegriffen werden. Dies scheint angesichts der konstatierten, zunehmenden Ritualisierung des Berichtswesens nicht zuletzt deshalb hilfreich, weil Partei- und Polizeifunktionäre der militärpolitischen Arbeit durchaus unterschiedliche Erwartungen entgegenbrachten. Solchermaßen konnte der Untersuchungsgegenstand gewissermaßen aus tendenziell gegenläufigen Perspektiven betrachtet werden. Ähnliches gilt für die Akten des MfS, die aber – korrespondierend mit dem exponentiellen Anwachsen der Behörde – erst für den Zeitraum seit den 1970er Jahren an Bedeutung gewinnen.102 Ihre Hinzuziehung ist jedoch nicht zuletzt deshalb problematisch, weil dem interessierten Forscher ein eigenständiger Zugang verwehrt bleibt, er hingegen auf die Auffassungsgabe und den Eifer dafür zuständiger Mitarbeiter der BStU angewiesen bleibt, die die Recherchetätigkeit übernehmen.103 Aufgrund der betrieblichen Verortung der Kampfgruppen – ihre Angehörigen waren (bis auf wenige Ausnahmen) keine professionellen Soldaten, sondern gewöhnliche Werktätige – beschränkte sich die Auswertung nicht auf Partei- bzw. Polizei-Akten allein. Hinzugezogen wurden außerdem im Landeshauptarchiv befindliche Überlieferungen einzelner Betriebe,104 um Aufschluss auch über die Außenwahrnehmung der Kampfgruppen innerhalb der betrieblichen Lebenswelt zu gewinnen. Die Überlieferung der im Landeshauptarchiv befindlichen Betriebsakten ist jedoch nur bruchstückhaft, ebenso wie die Akten lokaler Parteiorganisationen (Kreisleitungen) und Polizeiämter (VPKAs).105

                                                             102 Zur Geschichte des MfS vgl. Gieseke, Der Mielke-Konzern; zur Bedeutung der MfSAkten vgl. Klaus-Dietmar Henke/Roger Engelmann (Hg.), Aktenlage. Die Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die Zeitgeschichtsforschung, Berlin 1995; Joachim Gauck, Zum Umgang mit den Stasi-Akten – eine Zwischenbilanz, in: Bernd Faulenbach u. a. (Hg.), Die Partei hatte immer recht – Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur, Essen 1994, S. 30–41. 103 Vgl. Thomas Lindenberger, Öffentliche und geheime Polizei: Anmerkungen zu den Quellen der Herrschaftsgeschichte des SED-Staates, in: Agnés Bensussan/Dorota Dakowska/Nicolas Beaupré (Hg.), Die Überlieferung der Diktaturen. Beiträge zum Umgang mit Archiven der Geheimpolizei in Polen und Deutschland nach 1989, Essen 2004, S. 173– 193, hier: S. 176f. 104 Vgl. dazu etwa: Eric D. Weitz, Archive Report: The Betriebsarchiv der Leuna-Werke ,Walter Ulbricht‘, in: German History 9 (1991), S. 75–80. 105 Engelmann, Eine Regionalstudie, S. 185.

 

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Zudem wurde im Laufe der Untersuchung auch auf die Befragung von Zeitzeugen zurückgegriffen, eine Methode, die sich in der Forschung zur Gesellschaftsgeschichte der DDR als sehr populär und unter bestimmten Bedingungen als außerordentlich produktiv erwiesen hat.106 Indem die Interviews nur als ergänzende, durch die Auswertung aller anderen Quellen kontextualisierte Quellengattung benutzt wurden, sollten die mit der Oral History verbundenen, erkenntnistheoretischen Probleme vermieden werden. Grundsätzlich gilt es im Hinblick auf eine reflektierte Oral History ohnehin zu konstatieren, dass sie primär an subjektiven Verarbeitungsprozessen historischer Erfahrungen interessiert ist.107 Insgesamt wurden fünf Interviews mit anonymisierten Angehörigen der „funktionierenden“ Generation geführt.108 Auf diese Weise konnten vielfältige Erfahrungs- und Funk-

                                                             106 Vgl. die klassische Studie von: Niethammer/von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung; sowie etwa: Dorothee Wierling, Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie, Berlin 2002; Annegret Schüle, „Die Spinne“. Die Erfahrungsgeschichte weiblicher Industriearbeit im VEB Leipziger Baumwollspinnerei, Leipzig 2001. 107 Dorothee Wierling, Oral History, in: Michael Maurer (Hg.), Aufriss der Historischen Wissenschaften, Bd. 7: Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, S. 81–151; speziell zur DDR: Lutz Niethammer, Annäherung an den Wandel. Auf der Suche nach der volkseigenen Erfahrung in der Industrieprovinz der DDR, in: Lüdtke (Hg.), Alltagsgeschichte, S. 283–345. 108 Max Fidorra, Jg. 1949, Abteilungsleiter im VEB Armaturenwerke „Karl Marx“ Magdeburg, Kämpfer in der motorisierten Hundertschaft „Hubert Materlik“; Anton Werner, Jg. 1940, Leiter der Bauwerkstatt im VEB Stickstoffwerk Piesteritz und Zugführer des FlaMG-Zuges der 1. Hundertschaft; Hans Fischer, Geburtsdatum unbekannt, Angehöriger des VEB Karosseriewerkes Halle, bezeichnete sich selbst als ein in seinem Tätigkeitsfeld unbestimmten Assistenten des Direktors, Politstellvertreter in der gewöhnlichen Hundertschaft „Erich Honstein“; Heinz Körner, Jg. 1937, Angehöriger des VEB Elektromotorenwerke Wernigerode und stellvertretender Kommandeur für Ausrüstung und Technik des Kampfgruppen-Bataillons „Hermann Matern“ und damit hauptamtlicher Funktionär der Kampfgruppen; Edgar Peters, Jg. 1938, Chemie-Facharbeiter VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, Zug- und Gruppenführer, zeitweiliger Ausbilder in einer gewöhnlichen Hundertschaft; nach Gries und Ahbe sind die Angehörigen der „funktionierenden Generation“ dadurch charakterisiert, dass sie „die politischen Grundmaximen und Grundregeln der sozialistischen Gesellschaft“ internalisiert hatten: „Das bessere Leben […] musste ,erkämpft‘ werden, Zweifel und Sentimentalitäten konnten zu keinem guten Ergebnis führen. Sie huldigten den Paradigmen der Machbarkeit und Planbarkeit , die bestens mit ihrer Weltsicht in Einklang zu bringen waren. Für sie war die Lebensdevise von Anfang an, beherzt und wenn nötig unbarmherzig zuzupacken, denn nur wer richtig hin-

 

 

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tionshorizonte innerhalb der Organisation – vom einfachen Kämpfer, über Kampfgruppen-Offiziere und technische Spezialisten, bis hin zum Politstellvertreter und stellvertretenden Kommandeur eines Kampfgruppen-Bataillons – erschlossen werden. Die Interviews waren lebensgeschichtlich angelegt, um nicht nur Entwicklungen und Motive des Beitritts zu erschließen, sondern auch den Stellenwert der Kampfgruppen-Zugehörigkeit in der eigenen Biographie.109 Die Begegnungen mit den Zeitzeugen lenkte die Aufmerksamkeit zudem auf eine weitere Quelle. Zu DDR-Zeiten entstanden verschiedene Bildbände über das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“, die den KampfgruppenAngehörigen zu besonderen Jubiläen übergeben wurden.110 Zugleich waren die Kampfgruppen Gegenstand von Filmen,111 Plakaten und sogar Briefmarken.112 Nicht zuletzt eröffnete die Begegnung mit den ehemaligen KampfgruppenAngehörigen auch den Zugang zu privaten Photos. Obschon Abbildungen in dieser Untersuchung – ähnlich wie die durch die Oral History gewonnenen Erkenntnisse – nur als ergänzende Quellengattung benutzt wurden, ist ihre Verwendung jedoch Anregungen der Visual History verpflichtet. Ihr geht es darum, „Bilder über ihre zeichenhafte Abbildhaftigkeit hinaus als Medien zu untersuchen, die Sehweisen konditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen, historische Deutungs-

                                                                                                                                      

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langen konnte, vermochte auch zu überleben“; Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 523. Damit korrespondiert, dass – bis auf eines, bei dem sich in einer Gaststätte getroffen wurde – alle Interviews in den Eigenheimen der ehemaligen Kämpfer stattfanden, in denen sie in der Regel seit mehreren Jahrzehnten lebten. Erhard Gilgen/Roland Carl/Fritz Bachinger, Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, Dresden 1978; Holger Lorenz/Einhard Germann/Siegfried Hempel, Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR, 2. Aufl., Leipzig 1986 (erstmalig: 1983); vgl. auch: Dieter Schulze, Das große Buch der Kampfgruppen. Geschichte – Aufgaben – Ausrüstung, Berlin 2007 versammelt vor allem Abbildungen aus der Geschichte der Kampfgruppen. Das DDR-Fernsehen widmete den Kampfgruppen unter dem Motto „Wir schützen, was wir schaffen“ einen abendfüllenden Dokumentarfilm, der im August 1968 erstmals ausgestrahlt wurde; die DEFA-Produktion „Geschichten jener Nacht“ von 1967 behandelte in vier Episoden den Einsatz von Kampfgruppen im Rahmen der „Aktion Rose“ im August 1961; der vielleicht berühmteste Träger einer Kampfgruppen-Uniform ist Winfried Glatzeder als Paul in der DEFA-Produktion von 1973 „Die Legende von Paul und Paula“, die zu den populärsten und erfolgreichsten Filmen der DDR-Filmgeschichte zählt. Zur Objektkultur in der DDR vgl. Peter Hübner, „Revolution in der Schrankwand“. Die DDR-Objektkultur und ihre Musealisierung in der Perspektive sozialhistorischer Forschung, in: Gerd Kuhn/Andreas Ludwig (Hg.), Alltag und soziales Gedächtnis. Die DDRObjektkultur und ihre Musealisierung, Hamburg 1997, S. 152–169.

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weisen transportieren und die ästhetische Beziehung historischer Subjekte zu ihrer sozialen und politischen Wirklichkeit organisieren“.113 Hinsichtlich der privaten Fotografien konzentrierte sich das Interesse der Untersuchung auf die „konstruktiven Dimensionen beim Machen wie beim Wahrnehmen der Bilder“114 – und sah sich dabei immer auch der Suche nach dem „punctum“ verpflichtet.115 Offizielle Abbildungen hingegen werden als „Symbolbilder“ verstanden, die als Speicher von Normen, Traditionen und Erfahrungen mit durchaus divergierender sozialer Reichweite erinnerungskulturell formierte, zweckhaft verdichtete Inhalte stützen.116 Reich bebildert sind neben dem seit 1957 regelmäßig erscheinenden offiziellen Organ der Kampfgruppen „Der Kämpfer“117 auch eine Vielzahl an Kampfgrup-

                                                             113 Gerhard Paul, Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 7–36, hier: S. 25; speziell zur DDR: Stefan Wolle, Die Welt der verlorenen Bilder. Die DDR im visuellen Gedächtnis, in: ebd., S. 333–352 sowie: Karin Hartewig/Alf Lüdtke (Hg.), Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat, Göttingen 2004. 114 Vgl. Alf Lüdtke, Kein Entkommen? Bilder-Codes und eigen-sinniges Fotografieren. Eine Nachlese, in: Hartewig/ders. (Hg.), Die DDR im Bild, S. 227–236, hier: S. 227; vgl. dazu auch: Pierre Bourdieu u. a., Eine Illegitime Kunst: Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, Frankfurt a. Main 1981 (erstmalig: 1976). 115 Für Roland Barthes, der den Begriff als Gegensatz zum „studium“ geprägt hat, besteht das „punctum“ in jenen unintendierten Details, die den Blick des Betrachters „bestechen“ und über den Rahmen des Gezeigten hinausführen; vgl. Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt a. Main 1985 (erstmalig: 1980). 116 Vgl. Habbo Knoch, Die Tat als Bild. Fotografien des Holocausts in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001, S. 33; tatsächlich konzentrierte sich zumindest das Interview mit Heinz Körner rund um den Bildband von Gilgen/Carl/Bachinger, den er zum Interview mitgebracht hatte und anhand von dessen Abbildungen er seine Erzählungen strukturierte. 117 „Kämpfer“ war zugleich eine umgangssprachliche und häufig verwendete Bezeichnung für die Angehörigen der Kampfgruppen; um Missverständnisse zu vermeiden, soll, wann immer im Folgenden von den Angehörigen der Arbeitermiliz gesprochen wird, dieser Begriff ohne Anführungszeichen verwendet werden; bezieht er sich auf die betreffende Zeitung, erfolgt seine Verwendung mit Anführungszeichen; für den „Kämpfer“ gilt, was Thomas Lindenberger für die „Volkspolizei“, das entsprechende Organ der VP, konstatiert hat: Er war ein Vehikel der organisationsinternen Bildung, der den direkten Zusammenhang von Politik und Kampfgruppen ins Bild setzte; vgl. Thomas Lindenberger, Führungsorgan aller Volkspolizisten: Die Volkspolizei, in: Simone Barck/Martina Langermann/Siegfried Lokatis (Hg.), Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“. Zeitschriften in der DDR, Berlin 1999, S. 508–515.

 

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pen-Chroniken, die in zweifacher Hinsicht einer wertvolle Quelle darstellen. Auch wenn sie in ihrem Duktus dem offiziellen „kommunikativen Stil“ ähneln, handelt es sich hier um Broschüren, die von den Kampfgruppen-Angehörigen (in der Regel in Zusammenarbeit mit den lokalen Betriebspartei-Organisationen) selbst angefertigt wurden.118 Damit versprechen sie Aufschluss darüber, inwieweit hier an der Basis versucht wurde, sich in das „public transcript“ des Staatssozialismus einzuschreiben bzw. es sich anzueignen.119 Zugleich sind diese Broschüren deshalb von Bedeutung, weil sie alle seit den 1960ern Jahren entstanden und insofern organisationsspezifische Versuche der Traditionsbildung dokumentieren.120 In den 1960er Jahren vollzog sich nicht nur ein organisationsinterner Generationswechsel. Der „umfassende Aufbau des Sozialismus“ infolge des Mauerbaus

                                                             118 Retorte und Gewehr. Kampfgruppen der Arbeiterklasse im VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, hrsg. von der Kommission Betriebsgeschichte der SED-KL VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, Leuna [undat.]; Wehr-, Schutz- und Kampforgane der Arbeiterklasse – ihre Entwicklung im Bereich des Kreises Aschersleben, hrsg. von der SED-KL Aschersleben und der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, Aschersleben 1964; Schutz- und Kampforgane der Arbeiterklasse. Kreis Quedlinburg. 1920–1963, hrsg. von der SED-KL Quedlinburg, Quedlinburg 1963; Getreu dem Gelöbnis. Ausschnitte und Berichte aus der Arbeit der Kampfgruppen des VEB Filmfabrik Wolfen, hrsg. von der SED-BPO des VEB Filmfabrik Wolfen, Wolfen 1969; Kämpfer der Arbeiterklasse. 30 Jahre Kampfgruppen der Arbeiterklasse 1953–1983, hrsg. von der SED-BPO des VEB Chemische Werke Buna, Buna 1983; Bewaffnete Arbeiterbataillone im Bezirk Rostock. 25 Jahre Kampfgruppen der Arbeiterklasse, hrsg. von der Abteilung Agitation und Propaganda und der Abteilung für Sicherheitsfragen der SED-BL Rostock, Rostock 1978; Karl-Heinz Marks, Zur Geschichte der Kampfgruppeneinheit „Karl Liebknecht“ an der Pädagogischen Hochschule Potsdam von ihren Anfängen bis zum Jahre 1987, Potsdam 1988. 119 Zum Begriff des „public transcript“ bzw. zur Unterscheidung von „public transcript“ und „hidden transcript“ vgl. James C. Scott, Domination and the Arts of Resistance. Hidden Transcripts, New Haven/London 1990. 120 Kampfgruppen-Chroniken lehnen sich an die Betriebsgeschichte-Bewegung an; vgl. dazu: Arnd Kluge, Betriebsgeschichte in der DDR – ein Rückblick, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 38 (1993), S. 49–62; sie sollte Stolz auf Betriebe und Heimat wecken und die Menschen dazu bringen, ihre „Arbeit in Vergangenheit und Gegenwart“ zu verorten; vgl. Hans Radandt, Der Stand der Geschichte der Fabriken und Werke in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1969 II, S. 153– 199, hier: S. 156; vgl. auch: Heinz Moritz/ders., Forschungen zur Betriebsgeschichte, in: Historische Forschungen in der DDR 1970–1980. Analysen und Berichte, Berlin (O), S. 760–769.

 

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stellte auch einen Bruch zu den „wilden“ Aufbaujahren der 1950er Jahre dar,121 der für das (Selbst-)Verständnis der Kampfgruppen von erheblicher Bedeutung war, wie zu zeigen sein wird. Da der proletarische Mythos als politisches Prinzip über die Geschichte der Kampfgruppen hinausweist, setzt diese Untersuchung bereits vor ihrer Gründung ein. Sie gliedert sich in vier Teile und verfolgt die Geschichte der Kampfgruppen in chronologischer Folge. Teil I widmet sich der Zeit bis zur Gründung der Kampfgruppen. Er nimmt sowohl die „Kampfzeit“ der kommunistischen Bewegung (Kap. I) wie auch den „Juni“-Aufstand (Kap. II) genauer in den Blick, und fragt nach dem Ausnahmezustand als Erfahrung und Erinnerung. Auf diese Weise soll erklärt werden, warum die Kampfgruppen sowohl als Repressionsorgan wie auch als Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden konnten. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten für die Akzeptanz der Kampfgruppen (Kap. I) und Herausbildung eines organisationsspezifischen Selbstverständnisses (Kap. II) stehen im Mittelpunkt von Teil II. Die 1960er Jahre, denen sich Teil III widmet, stellten insofern eine Herausforderung dieses Selbstverständnisses dar, als im Schatten des „umfassenden Aufbaus des Sozialismus“ die politischen und symbolischen Implikationen der Kampfgruppen in den Hintergrund gedrängt wurden. Zwar wurde ihr Einsatz im Rahmen der Absperrmaßnahmen, die im August 1961 dem Bau der Berliner Mauer vorausgingen, als (vor allem: propagandistischer) Erfolg bewertet (Kap. I). Dennoch geriet ihr virtuoser Status angesichts der von Ulbricht betriebenen „wissenschaftlich-technischen Revolution“ und deren technokratischer Implikationen zunehmend fragwürdiger (Kap. II). Teil IV, der die Entwicklung der Kampfgruppen in den 1970er und 1980er Jahren verfolgt, beschäftigt sich mit den Wiederaufwertungsversuchen proletarischer Militanz seit dem Machtantritt Erich Honeckers. Dabei tritt der Wandel der symbolischen wie praktischen Strategien hervor, mit denen die Angehörigen, letztendlich aber die gesamte Bevölkerung auch unter den veränderten Bedingungen auf ein kämpferisches Ethos eingeschworen werden sollten (Kap. I). In der „heilen Welt“ (Stefan Wolle) des Realsozialismus gewann die Besinnung auf den „Geist Ernst Thälmanns“ zunehmend simulierende Züge. Welche Bedeutung sie für die Selbstverkehrung des proletarischen Mythos besaßen, sollte sich im Herbst

                                                             121 Ulrich Gill, Bergbau, Energie, Chemie und Leder, in der DDR zwischen 1950 und der deutschen Vereinigung, in: Klaus Tenfelde (Hg.), Ein neues Band der Solidarität. ChemieBergbau-Leder. Industriearbeiter und Gewerkschaften in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg, Hannover 1997, S. 187–204, hier: 189 u. S. 198.

 

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1989 zeigen (Kap. II). Das manichäische, vom Mythos getragene Weltbild der realsozialistischen „Präsentationsöffentlichkeit“ sollte sich nun endgültig als vollkommen ungeeignet erweisen, angemessen zu kommunizieren und zu verarbeiten, was sich in der „Wende“ auf den Straßen der Republik ereignete. Es trug damit auf seine Weise zur Erosion nicht nur der Kampfgruppen und ihrer Moral, sondern des Regimes als Ganzes bei.

 

I. Gerechte Gewalt? Das Rote Herz und die Vielstimmigkeit seiner revolutionären Tradition(en)

„Ihre Vorfahren waren die Knappen, die mit Thomas Münzer gegen die Grafen von Mansfeld gingen, ihre Großväter haben den großen Streik von 1909 entfesselt und sich im Mitteldeutschen Aufstand geschlagen; ihre Väter waren unter denen, die die SS enthauptete und in Stücke schlug, die das bronzene Lenin-Denkmal vor den Zerstörern versteckten, jenes Denkmal, das heute auf dem Platz von Eisleben steht. An alles das denkt der Schriftsteller unter Tage.“1

Es scheint bemerkenswert, dass in der DDR (wie in den übrigen sozialistischen Staaten auch) keine speziellen Notverordnungen existierten.2 Demgegenüber regierten und agierten die staatssozialistischen Machthaber bis 1989 permanent auf der Grundlage eines konspirativen Denk-, Gefühls- und Verhaltenskanons – zumindest in der DDR.3 Nicht nur reflektiert dieses Paradox ein „revolutionäres“ Selbstverständnis, das auf generationsspezifische Erfahrungen und Einstellungen verweist. Es zeigt zugleich die Vorstellung der allgegenwärtigen Existenz von Feinden sowie den residualen Stellenwert von Gewalt als Konzept zur Lösung von (politischen) Problemen. Wichtigstes Artikulationsmittel proletarischer Macht war seit dem „punktuellen Bürgerkrieg“ in der Frühphase der Weimarer Republik

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Stefan Hermlin, zit. nach: Monika Gibas, Das „Rote Mansfeld“ in der Erinnerungskultur der DDR, in: Justus H. Ulbricht (Hg.), Deutsche Erinnerungslandschaften II: „Rotes Mansfeld“ – „Grünes Herz“, Halle 2005, S. 41–65, hier: S. 50; zum „Mansfelder Oratorium“ vgl. auch: Juliane Stückrad, Das Mansfelder Oratorium, in: ebd., S. 138–156. Vgl. dazu: Helmut Schmitz, Notstandsverfassung und Notstandsrecht der DDR, Köln 1971; im Sachregister des Sammelbandes von: Uwe-Jens Heuer (Hg.), Die Rechtsordnung der DDR. Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, taucht weder der Begriff des „Ausnahmezustandes“ noch der des „Notstandes“ auf; vgl. in diesem Zusammenhang auch: Johannes Raschka, Paragraphen für den Ausnahmezustand. Die Militarisierung der Strafgesetzgebung in der DDR, in: Ehlert/Rogg (Hg.), Militär, Staat und Gesellschaft, S. 419–438, der jedoch mit einem gänzlich unreflektierten Begriff des Ausnahmezustandes operiert und auf die Strafgesetzgebung bzw. deren vorgeblicher Aushöhlung in der DDR fokussiert. Engler, Die Unwirklichkeit des Realen, S. 70; vgl. dazu auch: Armin Wagner, Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR und seine Vorgeschichte (1953–1971), Berlin 2002; Meuschel, Überlegungen, S. 6f.

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stets die auf Kampf, Tat und Entscheidung fixierte Aktion, die unmittelbare physische und symbolische Argumentation durch kollektive Handlungsweisen.4 Dieses Moment außeralltäglicher Bewährung, das in der Kampagnenpolitik der SED als Staatspartei gewissermaßen seine Fortsetzung fand, soll mit dem Ausnahmezustand auf den Begriff gebracht werden. Denn auch, wenn die staatssozialistische Kampagnenpolitik nicht (mehr) mit Kampf und Gewalt einherging, zehrte sie vom Charisma temporär suspendierter Normalität. Und nicht zuletzt blieb der Ausnahmezustand – verstanden als ultimative Konfrontation mit dem Klassenfeind – bis in den Herbst 1989 hinein zentrale Projektionsfläche der politischen Kultur des Arbeiter-und-Bauern-Staates. Hat der von Carl Schmitt geprägte5 und von Giorgio Agamben aufgegriffene Begriff seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zunehmend an wissenschaftlicher Virulenz gewonnen,6 soll er im Folgenden jedoch nicht als konstitutionelle Kategorie, sondern – anknüpfend an Alf Lüdtke und Michael Wildt – als politisch-kulturelles Konstrukt betrachtet und benutzt werden. Nicht Fragen danach, ob die SED-Herrschaft als „souveräne“ oder als „kommissarische“ Diktatur bezeichnet werden kann,7 leiten das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung. Vielmehr soll mit seiner Hilfe die Frage erörtert werden, inwieweit der simulierte Ausnahmezustand die politische Kultur der DDR beeinflusste und bestimmte. Wenn etwa die Kreisleitung Sangerhausen auf „alte Kämpfer der Partei“ verwies, „die schon in den Jahren 1921 an den Märzkämpfen im mitteldeutschen Raum teilnahmen“ und sich inzwischen den Kampfgruppen angeschlossen hatten,8 wird deutlich, dass der von ,oben‘ mythisierte und                                                              4

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Vgl. Manfred Gailus, „Seid Bereit zum Roten Oktober!“ Die Kommunisten, in: Dietmar Schirmer (Hg.), Mythos – Heilshoffnung – Modernität. Politisch-kulturelle Deutungscodes der Weimarer Republik, Opladen 1992, S. 61–88; vgl. auch: Weitz, Creating German Communism. Vgl. Carl Schmitts klassische Definition des Ausnahmezustandes: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ in: ders., Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 3. Aufl., Berlin 1979 (erstmalig: 1922), S. 11. Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, Frankfurt a. Main 2004. Diese Unterscheidung bei: Carl Schmitt, Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, Berlin 1994 (erstmalig: 1921), S. 134; eine Kritik der Anwendung dieser Begriffe auf den Staatssozialismus bei: Stefan Plaggenborg, Staatlichkeit als Gewaltregime. Sowjetische Geschichte und das Problem des Ausnahmezustandes, in: Alf Lüdtke/Michael Wildt (Hg.), Staats-Gewalt: Ausnahmezustand und Sicherheitsregimes. Historische Perspektiven, Göttingen 2008, S. 117–144. Vgl. die Reportage der SED-KL Sangerhausen zum Generalappell der Kampfgruppen vom 14.3.1956, LHASA, Nr. IV/414/418, die namentlich „die Genossen Oskar Schaft, BW

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in Gestalt der Kampfgruppen gleichsam institutionalisierte Ausnahmezustand auch ,unten‘ spezifische Erfahrungsdimensionen besaß. Um herauszufinden, wie diese jeweils beschaffen waren, ist es unerlässlich, den Blick auf die Kampfzeit der kommunistischen Bewegung zu richten. Denn sie macht deutlich, dass der Ausnahmezustand nicht nur eine ermächtigende Dimension besaß – insofern er den Moment bezeichnete, in dem die Eroberung der politischen Macht in greifbare Nähe rückte –, sondern auch eine enttäuschende – dann nämlich, wenn die Klasse ihrer selbsternannten Avantgarde die Gefolgschaft verweigerte bzw. sich sogar gegen sie wendete. Konrad Jarausch hat die DDR eine „Gegengesellschaft“ genannt.9 Diese Zuschreibung schärft den Blick für das Problem, das charismatische Moment des Dagegen-Seins, aus dem sich ein gewichtiger Teil der politischen Legitimation der „letzten Revolutionäre“ speiste, in die staatssozialistische Systemphase hinüberzuretten und zu konservieren. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik war das Verhältnis von Partei und Klasse eher ein Verhältnis der Schwäche denn der Stärke gewesen – das galt zumal im Hinblick auf die für die Eroberung der politischen Macht zentrale Gewaltfrage.10 Drängten die „Revolutionäre in nichtrevolutionären Zeiten“ – wie Klaus-Michael Mallmann das Dilemma kommunistischer Politik in ihrer Bewegungsphase benannt hat11 – permanent darauf, die Massen in den Aufstand zu treiben, versagte die idealisierte Klasse ihr in solchen Momenten stets die Unterstützung.12 Was für den mitteldeutschen Aufstand 1921 oder den „Roten Oktober“ 1923 galt, galt mithin auch für den proletarischen Alltag spezifischer Krisenzeiten und -regionen. Denn auch die gewaltsame Straßenpolitik folgte einem milieuspezifischen Attentismus, der sich um die Direktiven der Avantgarde nur insofern scherte, als dass diese mit den Ausrichtungen der lokalen Lebenswelt

                                                                                                                                      

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Mücheln, die Genossen Reinhold Köhler, Mineralölwerk Lützkendorf, Genosse Herfurth, Mineralölwerk Lützkendorf“ nennt. Konrad H. Jarausch, Die gescheiterte Gegengesellschaft. Überlegungen zu einer Sozialgeschichte der DDR, in: AfS 39 (1999), S. 1–17. Vgl. Eve Rosenhaft, Gewalt in der Politik: Zum Problem des „sozialen Militarismus“, in: Klaus-Jürgen Müller/Eckart Opitz (Hg.), Militär und Militarismus in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1978, S. 237–259. Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996. Vgl. dazu: Hans-Ulrich Ludewig, Arbeiterbewegung und Aufstand. Eine Untersuchung zum Verhalten der Arbeiterparteien in den Aufstandsbewegungen der frühen Weimarer Republik 1920–1923, Husum 1978; sowie: Schumann, Politische Gewalt.

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kompatibel erschienen.13 Welche Bedeutung lokalspezifische Traditionen und Werthaushalte der Weimarer Klassenkampfpraxis für die spätere Akzeptanz der Kampfgruppen besaßen, ist mithin eine wichtige Frage dieser Untersuchung. Jan Palmowski hat gezeigt, inwieweit sich ein über die Gründung der DDR hinausreichendes, lokales Heimatbewusstsein letztendlich als immun gegenüber allen staatssozialistischen Deutungs- und Durchherrschungsversuchen erwies.14 Zwar betrieb die SED mit großem Aufwand die Erforschung lokaler kämpferischer Arbeiterbewegungstraditionen, um auf diese Weise ein wehrhaftes sozialistisches Staatsbewusstsein zu stimulieren. Gleichwohl hatte sie doch stets ihre Probleme damit, das klassenbewusste Handeln der Vielen in ihr master narrative zu zwängen.15 Einerseits wollte und konnte die Partei auf die Beschwörung des widerstandsfähigen, männlichen ,Riesen Proletariat‘ als gesellschaftlichem Idealtypus nicht verzichten. Andererseits war der zivile Ungehorsam, der mit dieser Figur stets einhergegangen war und einen Großteil des kommunistischen Charismas in der Weimarer Republik ausgemacht hatte, nun jedoch unbedingt zu unterbinden. „Die Ironie“, so Eric Weitz, „liegt dabei darin, dass eine Partei, die so sehr aus dem Bürgerprotest hervorgegangen war, nun das Volk kontrollieren und zur Passivität zwingen wollte“.16 Das grundlegende Dilemma staatssozialistischer Herrschaftspraxis bestand darin, permanent die Selbsttätigkeit des Proletariats – und damit des Staatsvolkes – einzufordern und gleichzeitig unbedingt an der führenden Rolle

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Vgl. dazu: Pamela Swett, Neighbors and Enemies: The Culture of Radicalism in Berlin, 1929–1933; Eve Rosenhaft, Links gleich rechts? Militante Straßengewalt um 1930, in: Thomas Lindenberger/Alf Lüdtke (Hg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt a. Main 1995, S. 238–275. Jan Palmowski, Inventing a Socialist Nation: Heimat and the Politics of Everyday Life in the GDR, 1945–1990, Cambridge 2009; vgl. dazu auch: Karlheinz Blaschke, Die „marxistische“ Regionalgeschichte. Ideologischer Zwang und Wirklichkeitsferne, in: Georg G. Iggers/Konrad H. Jarausch/Matthias Middell/Martin Sabrow (Hg.), Die DDR-Geschichtswissenschaft als Forschungsproblem, München 1998, S. 341–368. Alf Lüdtke, Wer handelt? Die Akteure der Geschichte. Zur DDR-Geschichtsschreibung über Arbeiterklasse und Faschismus, in: ebd., S. 367–410; zum „master narrative“ der DDR-Geschichtswissenschaft vgl. Martin Sabrow, Planprojekt Meistererzählung. Die Entstehungsgeschichte des „Lehrbuchs der deutschen Geschichte“, in: ders. (Hg.), Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 227–286. Weitz, Der Zusammenbruch der DDR aus langfristiger Perspektive, S. 7.

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der Partei festzuhalten.17 Dieses Dilemma ergab sich aus Lenins AvantgardeKonzeption, besaß aber in Deutschland eine besondere Schärfe. Das Erbe von zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft beunruhigte die SED-Führung bis weit in die 1950er Jahre hinein, wie nicht zuletzt die reflexhafte und bis zum Ende der DDR hin gültige offizielle Deutung des 17. Juni als „faschistischem Putschversuch“ zeigt.18 Dass sich Arbeiter aus Halle über derartige Zuschreibungen empörten – die als ,faschistisch‘ stigmatisierten, was in ihren Augen Ausdruck der „revolutionäre[n] Kraft der Arbeiterklasse“ gewesen war19 –, verweist darauf, dass „gerechte“ Gewalt an der gesellschaftlichen Basis des „roten Herzens“ durchaus anders gedeutet werden konnte als auf den Kommandohöhen20.

Das Rote Herz: Arbeiterbewegung im ,punktuellen Bürgerkrieg‘ der frühen 1920er Jahre Ein bestimmtes Gebiet, so hat die jüngere, kulturell informierte Regionalgeschichte betont, kann als Filter dienen, um lokal verankerte Wahrnehmungs- und Erfahrungsweisen zu identifizieren.21 In den Mittelpunkt gerät dabei die „symbolische

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Vgl. dazu: Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft; Joachim Petzold, Die DDR und das Problem der Diktatur des Proletariats, in: Richard Saage (Hg.), Das Scheitern didaktischer Legitimationsmuster und die Zukunftsfähigkeit der Demokratie, Berlin 1995, S. 59–78. Vgl. dazu: Ilse Spittmann, Der 17. Juni im Wandel der Legenden, in: dies./Karl Wilhelm Fricke (Hg.), 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR, 2. Aufl., Köln 1988 (erstmalig: 1982), S. 121. Klein, Arbeiterrevolte, S. 38; vgl. auch: Klaus Ewers/Thorsten Quest, Die Kämpfe der Arbeiterschaft in den volkseigenen Betrieben während und nach dem 17. Juni, in: Karl Wilhelm Fricke/Ilse Spittmann (Hg.), 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR, Köln 1982, S. 23–55, hier: S. 43f. Vgl. dazu: Thomas Lindenberger, „Gerechte Gewalt?“ Der 17. Juni 1953 – ein weißer Fleck in der historischen Protestforschung, in: Henrik Bispinck/Jürgen Danyel/HansHermann Hertle/Hermann Wentker (Hg.), Aufstände im Ostblock. Zur Krisengeschichte des realen Sozialismus, Berlin 2004, S. 113–128. Vgl. James Retallack, Einleitung. Sachsen und Deutschland. Sachsen in Deutschland, in: ders. (Hg.), Sachsen in Deutschland. Politik, Kultur und Gesellschaft 1830–1918, Bielefeld 2000, S. 11–32; speziell zu Mitteldeutschland: Hannes Siegrist, Region, Regionalisierung und Regionalismus in Mitteldeutschland aus europäischer Perspektive, in: Jürgen John (Hg.), Mitteldeutschland. Begriff – Geschichte – Konstrukt, Jena 2001, S. 91–108; Werner Bramke/Ulrich Heß (Hg.), Sachsen und Mitteldeutschland. Politische, wirt-

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Ortsbezogenheit“ (Bernd Weisbrod) seiner Bewohner: sie verweist darauf, welche Identitäten an einer Region haften und welche Erfahrungen sie konstituieren.22 Weil sich seine Bewohner scheinbar durch eine besondere Radikalität auszeichneten, galt das Gebiet Mitteldeutschlands vielen Zeitgenossen als das „rote Herz“ Deutschlands, wie die eingangs zitierte Passage aus dem „Mansfelder Oratorium“ zeigt. Dieser Lobgesang wurde 1950 von Stephan Hermlin gemeinsam mit dem Komponisten Ernst Hermann Meyer anlässlich des 750jährigen Jubiläums des Mansfelder Kupferschieferbergbaus verfasst. Er verweist auf die Absicht, der Bevölkerung des „roten Herzens“ eine lokalspezifische Identität zuzuschreiben, die sich vornehmlich durch einen sich über Generationen hinweg fortsetzenden, fast mythisch anmutenden Widerstandsgeist auszeichnete. Die marxistische Regionalgeschichtsschreibung wurde nicht müde, den Widerstandsgeist der mitteldeutschen Arbeiterschaft als Ausdruck eines beispielgebenden Klassenbewusstseins zu preisen.23 Dabei hatten schon Zeitzeugen wie der Leipziger Curt Geyer24, der

                                                                                                                                      

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schaftliche und soziale Wandlungen im 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 1995; Hans Mommsen, Ein „drittes Deutschland“, in: Helga Grebing (Hg.), Demokratie und Emanzipation zwischen Saale und Elbe. Beiträge zur Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung bis 1933, Essen 1993, S. 11–16. Vgl. Pamela J. Stewart/Andrew Strathern, Introduction, in: diess. (Hg.), Landscape, Memory and History. Anthropological Perspectives, London 2003, S. 1–15. Im Hinblick auf das „rote Herz“ formulierte Hermlin, dass „man jetzt erst eine richtige Heimat hat, die über dunkle Jahre, aus Tränen und Asche, hinübergerettet wurde von der Arbeiterklasse, die so viel mehr ist als ein nüchternes und geheimnisvolles Wort. Man kann, man muss wieder stolz sein auf dieses Land, auf diese Menschen, auf das unsterbliche Volk“; zit. nach: Gibas, Das „Rote Mansfeld“, S. 50f.; vgl. dazu auch: Karl Oertel, Die Erforschung der deutschen Arbeitergeschichte im Mansfelder Land, in: ZfG 3 (1955), S. 783–786. Curt Geyer (1891–1967), Sohn des führenden Leipziger Sozialdemokraten Friedrich Geyer (1853–1937), trat 1911 der SPD bei, 1917 der USPD; zunächst als Journalist bei verschiedenen sozialdemokratischen Tageszeitungen tätig; während der Novemberrevolution Vorsitzender des Leipziger Arbeiterrates; 1920 Reichstags-Mandat der USPD, deren linken Flügel er angehörte; nach Vereinigung mit VKPD Vorstandsmitglied, bis er wegen seiner Kritik an der „Märzaktion“ im Juni 1921 aus der Partei ausgeschlossen wurde; über die Kommunistische Arbeitsgemeinschaft im Frühjahr 1922 Rückkehr in die USPD, im Herbst 1922 dann in die SPD;1941 floh er von Marseille, wo er die Flucht deutscher Emigranten organisiert hatte, über Portugal nach England; war noch während des Krieges als Berater des britischen Außenministeriums tätig und nahm schließlich auch die britische Staatsbürgerschaft an, vgl. dazu: ders., Die revolutionäre Illusion. Zur Geschichte des linken Flügels der USPD. Erinnerungen von Curt Geyer, hrsg. von Wolfgang Benz und Hermann Graml, Stuttgart 1976.

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selbst in den frühen zwanziger Jahren in der linksradikalen Arbeiterbewegung aktiv war, erkannt, dass der vielgerühmte Radikalismus des „roten Herzens“ ganz eigenen Regeln folgte. „Die Brutalität des Staates gegen die Arbeiter weckte kontrastierend die Brutalität von der anderen Seite. Die getretenen Individuen reagierten auf die Gewalt nicht mit der Verstärkung ihrer Menschlichkeitsgefühle und der idealen Steigerung ihrer sittlichen Würde, sondern mit ihren ursprünglichsten Kampf- und Vergeltungsinstinkten. Die eigene Gewaltanwendung, die Vergeltung von Brutalität durch Brutalität, das war ihnen, wenn sie intellektuell die große Idee der Menschlichkeit erfasst hatten, vor ihrem Gefühl gerechtfertigte Mittel zur Verteidigung und Durchsetzung dieser Idee. Gegenüber den geweckten ursprünglichen Instinkten aber verblasste jede große Idee. Sie konnte höchstens noch den äußeren Rahmen für eine ursprüngliche Kampf- und Vergeltungsinstinkten entstammende Bewegung abgeben.“25

Aus diesen Zeilen, die Geyer zu einem Zeitpunkt verfasste, als er sich bereits von der radikalen Arbeiterbewegung ab- und der gemäßigteren SPD zugewandt hatte, sprach nicht nur ein gehöriges Maß an Skepsis gegenüber jedweder radikaler Politik. Sie bewiesen zugleich Gespür dafür, dass die Allianz von Partei und Klasse, die die SED im Hinblick auf das „rote Herz“ stets als beispielhaft herausstrich, durchaus prekär war. So eindeutig der Mythos die offiziöse Erinnerung an die lokale Kampfzeit präsentierte – als einen Gleichklang der Absichten von Partei und Klasse –, so vielstimmig war sie tatsächlich.26 Wer über das kollektive Gedächtnis einer Gemeinschaft verfüge, so hat die jüngere Gedächtnisforschung zur DDR postuliert, könne zugleich über ihr politisches Selbstverständnis, ihre Werte und Normen und ihre politische Agenda verfügen.27 Wie jede Erinnerung bedurfte auch die im proletarischen Mythos transportierte Botschaft dazu vielfältiger symbolischer Repräsentationen. Bei aller Aufmerksamkeit gegenüber den Repräsentationen eines ,kulturellen Gedächtnisses‘ stellt die neuere Gedächtnisforschung jedoch selten die Vielstimmigkeit in                                                              25 26

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Geyer, Der Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung, S. 71. Vgl. dazu: Catherine Epstein, The Production of „Official Memory“ in East Germany: Old Communists and the Dilemmas of Memoir-Writing, in: CEH 32 (1999), S. 181– 201; Siegfried Lokatis, Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht, Köln/Weimar/Wien, 2003. Herfried Münkler, Das kollektive Gedächtnis der DDR, in: Dieter Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag: Ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, Berlin 1997, S. 458–468; vgl. dazu auch: Martin Sabrow, Einleitung: Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft, in: ders. (Hg.), Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 9–35.

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Rechnung, die Symbolen zu Eigen ist.28 Symbole sind vor allem durch ihren Verweisungscharakter definiert.29 Der wiederum ist jedoch keinesfalls eindeutig, sondern vielschichtig; die Bedeutungen, die Symbolen zukommt, deshalb an die Situationen ihrer Präsentation und Nutzung gebunden.30 Um der Bedeutung, die der Erinnerung an die kommunistische Kampfzeit in den Kampfgruppen (jeweils) beigemessen wurde, auf die Spur zu kommen, ist es deshalb angeraten, ihre Praxis zu rekonstruieren.31 Welche Symbole fanden Eingang in die Kampfgruppen-eigene Traditionspflege? Und wie gingen die Kampfgruppen-Angehörigen mit ihnen um? „Getreu den Traditionen des ,Roten Mansfeld‘“ zu handeln und „das Vermächtnis der Märzkämpfer“32 zu bewahren und fortzuführen, waren bis in die 1980er Jahre hinein kanonisch wiederkehrende Appelle an alle Angehörigen der Kampfgruppen. Mitteldeutschland (in einem geographisch weiter gefassten, insbesondere Sachsen einschließenden Sinne) hatte sich schon frühzeitig als ein Kernland der Demokratiebestrebungen einer sich formierenden Arbeiterbewegung erwiesen.33 In diesem Sinne bildete auch der (geographisch enger gefasste) Raum Halle-Merseburg schon vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung.34 Seinen

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Vgl. etwa: Maoz Azaryahu, Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR, Gerlingen 1991; zuletzt: Martin Sabrow (Hg.), Erinnerungsorte der DDR, München 2009. Eine Fußnote vermag der Spannweite der vorhandenen Symboltheorien kaum gerecht zu werden; als anregend für die hier präsentierten Überlegungen sei jedoch genannt: Victor Turner, The Forest of Symbols. Aspects of Ndembu Ritual, Ithaca/London 1973; ders., Symbols in African Ritual, in: Janet R. Dolgin (Hg.), Symbolic Anthropology, New York 1977, S. 183–194. Vgl. Alf Lüdtke, „Ehre der Arbeit“: Industriearbeiter und Macht der Symbole. Zur Reichweite symbolischer Orientierungen im Nationalsozialismus, in: ders., Eigen-Sinn, S. 283– 350, hier: S. 290. Vgl. dazu: Alon Confino/Peter Fritzsche, Introduction: Noises of the Past, in: diess. (Hg.), The Work of Memory. New Directions in the Study of German Society and Culture, Urbana 2002, S. 1–21. Vgl. etwa: Der Kämpfer, Nr. 10 (Oktober), Jg. 24 (1979); Nr. 3 (März), Jg. 25 (1980); Nr. 4 (April), Jg. 25 (1980); Nr. 3 (März), Jg. 26 (1981); Nr. 4 (April), Jg. 26 (1981). Zur nahezu unüberschaubaren Fülle an Literatur zu diesem Thema vgl. Karsten Rudolph, Bibliographie zur Geschichte der Demokratiebewegung in Mitteldeutschland (1789– 1933), Köln/Weimar/Wien 1997. Vgl. dazu: Roswitha Mende, Geschichte der Sozialdemokratie im Regierungsbezirk Merseburg von der Jahrhundertwende bis 1917, Diss B., Halle 1984.

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Beinamen – das „Rote Herz“ Deutschlands – sollte er jedoch erst in den frühen 1920er Jahren erhalten.35 Während des Ersten Weltkrieges hatte diese Region einen folgenreichen Entwicklungsschub erlebt. Günstige militärstrategische, logistische und montane Standortfaktoren gaben 1914 den Ausschlag für die Errichtung belegschaftsstarker Betriebe, die sich zunächst ganz auf die Rüstungsgüterproduktion konzentrierten, nach Kriegsende hingegen in die Stickstoff- und Düngemittelproduktion einstiegen.36 Die Leuna-Werke bei Merseburg sind wohl das prominenteste Beispiel dafür, wie sich eine ehedem überwiegend ländlich geprägte Region gleichsam über Nacht in ein industrielles Zentrum verwandelte. 1916 gegründet, beschäftigte dieser Zweigbetrieb der BASF bei Kriegsende bereits 14.000 Menschen; 1921 waren hier annähernd 23.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.37 Innerhalb kürzester Zeit war damit ein Zentrum der Chemischen Industrie entstanden,38 das von der SED im Nachhinein zu einer Bastion des Kampfes „gegen die Chemiekönige, gegen den Reformismus, für die feste revolutionäre Einheit der Mitglied-

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Ursprung und Urheber dieses Begriffes sind ebenso unklar wie seine genaue geographische Reichweite; mal bezieht sich dieser Begriff allein auf das Mansfelder Industriegebiet, mal dient er als Bezeichnung für den ehemaligen KPD-Bezirk Halle-Merseburg; vgl. dazu jedoch Geyer, Die revolutionäre Illusion; Hans-Ulrich Ludewig, Das „rote Herz Deutschlands“, in: Gerd Biegel (Hg.), Sachsen-Anhalt. 1200 Jahre Geschichte – Renaissance eines Kulturraums, Braunschweig 1993, S. 206–212; Gibas, Das „rote Mansfeld“. Vgl. dazu: Hans Thormann/Erich Staab, Der mitteldeutsche Raum. Seine natürlichen, geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen, Merseburg 1929. Zur Unternehmensgeschichte: Geschichte der VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, hrsg. von der Kreisleitung der SED des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 2 Bde., Leipzig 1986/1989; Werner Abelshauser, Die BASF. Eine Unternehmensgeschichte, München 2002; vgl. auch: Jana Lehmann/Marion Schatz, Leuna. Leben zwischen Werk und Gartenstadt 1916–1945, Erfurt 2004. Weitere Kriegsgründungen waren das Stickstoffwerk bei Piesteritz, das zu Kriegsende ca. 2.700 Arbeiter beschäftigte, sowie die chemische Fabrik Griesheim Elektron in Bitterfeld und die benachbarte Filmfabrik Wolfen, beide später Teil der I.G. Farben; vgl. dazu: Gottfried Plumpe, Die IG Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945, Berlin 1990; allein im Bitterfelder Raum stieg die Zahl der in der Chemieindustrie beschäftigten Arbeiter zwischen 1905 und 1919 von 1.500 auf 10.000; vgl. dazu: HansDieter Klein, Zwischen Burgfrieden und Komintern. Die Unabhängige Sozialdemokratie in Halle-Merseburg 1917–1920, in: Grebing/Mommsen/Rudolph (Hg.), Demokratie und Emanzipation, S. 181–195, hier: S. 182f.

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schaft der Partei und der Arbeiterschaft“ verklärt wurde.39 Tatsächlich war durch die mit hohem Tempo betriebene Industrialisierung jedoch ein Pulverfass für soziale Konflikte geschaffen worden, das aus der Kombination miserabler Arbeitsbedingungen, schlechter Löhne und einer massenhaften Proletarisierung zugewanderter wie alteingesessener Bevölkerungsgruppen resultierte.40 Nicht jedoch die KPD, sondern die USPD profilierte sich als führende sozialistische Kraft der Region.41 Unter dem Einfluss der Führer ihres linken Flügels, der Brüder Wilhelm42 und Bernhard Koenen43 – Letzterer sollte nach der Länderreform von 1952 zum 1. Sekretär der Bezirksleitung in Halle avancieren – bildete sie ein Sammelbecken der „Unzufriedenen“. Die KPD, die den Bezirk HalleMerseburg stets als eine ihrer Hochburgen betrachtete, verdankte den Großteil ihres lokalen politischen Einflusses hier der Spaltung der USPD und dem An-

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Kämpfendes Leuna (1916–1945). Die Geschichte des Kampfes der Leuna-Arbeiter, 2 Bde., hrsg. von der SED-KL der VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, Berlin (O) 1961, hier: Bd. 1, S. 6. Vgl. Sigrid Koch-Baumgarten, Aufstand der Avantgarde. Die Märzaktion der KPD 1921, Frankfurt a. Main 1986, S. 143f.; Stefan Weber, Ein kommunistischer Putsch? Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland, Berlin 1991, S. 12–15. Klein, Zwischen Burgfrieden und Komintern. Wilhelm Koenen (1886–1963); 1903 SPD, 1917 USPD, 1920 KPD; 1911 Redakteur des sozialdemokratischen „Volksblattes“ in Halle; zwischen 1920 und 1932 Reichstagsabgeordneter der KPD, nach der Machtübernahme der Nazis Emigration, zunächst nach Frankreich, später in die Tschechoslowakei, nach England, Kanada; nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Rückkehr nach Deutschland; 1945–46 Chefredakteur des KPDBezirksorgans „Freiheit“ in Halle; Mitglied des SED-Parteivorstands, Mitglied des ZK und der Volkskammer; seit 1937 verheiratet mit Emmy Damerius-Koenen (1903–1987); vgl. dazu: Epstein, The Last Revolutionaries. Bernard Koenen (1889–1964); 1907 SPD, 1917 USPD, 1920 KPD; stellvertretender Vorsitzender des Arbeiterrates der Leuna-Werke während der Novemberrevolution; nachdem Koenen während eines Überfalls von SA-Leuten auf eine Tagung der KPDBezirksorganisation am sogenannten „Eislebener Blutsonntag“ (12.2.1933) schwer verletzt wurde, floh er in die UdSSR; dort Opfer stalinistischer Säuberungen, zeitweilig inhaftiert; 1940 wieder mit parteilichen Aufgaben betraut; nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Rückkehr nach Deutschland; Mitbegründer der SED; von 1946 bis 1964 Mitglied des ZK und seit 1949 Abgeordneter der Volkskammer; ab 1960 Mitglied des Staatsrates der DDR; 1952/53 und von 1958 bis 1963 (in der Zwischenzeit war Koenen auf den Posten des DDR-Botschafters in Prag abgeschoben worden) 1. Sekretär der SEDBezirksleitung Halle.

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schluss ihres linken Flügels im Herbst 1920.44 Neben der jetzt „V(ereinigte)KPD“ genannten Partei verfügte jedoch auch die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), eine linksradikale Splitterpartei der KPD, zu Anfang der zwanziger Jahre für eine kurze Zeit über einen relativ großen Einfluss im „Roten Herzen“ – insbesondere unter den Arbeitern der dominierenden Bergbau- und der Chemischen Industrie.45 Innerhalb der Bergarbeiterschaft hatten sich immer schon gewisse Affinitäten zu syndikalistischen Aktionsformen gezeigt.46 Im Roten Herzen der Zwischenkriegszeit waren sie hingegen in erster Linie Ausdruck einer Enttäuschung gegenüber jederart parteipolitischer Einbindung und Ergebnis einer                                                              44

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Die Spaltung der USPD war aufgrund des beabsichtigten Anschlusses der Partei an die III. Internationale (Komintern) erfolgt; vgl. dazu: Robert F. Wheeler, USPD und Internationale. Sozialistischer Internationalismus in der Zeit der Revolution, Frankfurt a. Main 1975, S. 252–257; Hartfried Krause, USPD. Zur Geschichte der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Frankfurt a. Main 1975, S. 205f.; Klein, Zwischen Burgfrieden und Komintern. Kool weist jedoch darauf hin, dass für die „meisten Mitglieder die Grenzen mit der Mutterpartei nicht immer scharf umrissen gewesen sein“ mögen; Frits Kool, Dokumente der Weltrevolution, Bd. 3: Die Linke gegen die Parteiherrschaft, Olten 1970, S. 115; vgl. auch: Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1933. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der frühen Weimarer Republik. Aktualisierte und mit einem Nachwort versehene Neuausgabe, Darmstadt 1993 (erstmalig 1969), S. 299f.; Wilfried Röhrich, Revolutionärer Syndikalismus. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Arbeiterbewegung, Darmstadt 1977, S. 54; zur KAPD, der anfangs 38.000 Mitglieder angehört haben sollen, die nach der „Märzaktion“ ihren Einfluss jedoch weitgehend wieder verlor, liegt keine eigenständige Monographie vor; vgl. hierzu die Ausführungen bei: Kool, Die Linke, S. 114–153; Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1933, S. 146–173; zuletzt: Riccardo Bavaj, Von links gegen Weimar. Linkes antiparlamentarisches Denken in der Weimarer Republik, Bonn 2005. Vgl. dazu: Klaus Tenfelde, Linksradikale Strömungen in der Ruhrbergarbeiterschaft 1905 bis 1919, in: Hans Mommsen/Ulrich Borsdorf (Hg.), Glück auf, Kameraden! Die Bergarbeiter und ihre Organisation in Deutschland, Köln 1979, S. 199–223; charakteristisch für syndikalistische Aktionsformen ist eine Orientierung an lokalen Verhältnissen und Bedürfnissen wie auch ein Hang zu ausgesprochen unbürokratischer, militanter Politik, die sich im Begriff der „direkten Aktion“ auf den Punkt gebracht sieht: „Selbst handeln, nur auf sich selbst vertrauen – das ist die direkte Aktion.“ Vgl. Ulrich Linse, „Propaganda der Tat“ und „Direkte Aktion“. Zwei Formen anarchistischer Gewaltanwendung, in: Sozialprotest, Gewalt, Terror. Gewaltanwendung durch politische und soziale Randgruppen im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen/Gerhard Hirschfeld, Stuttgart 1982, S. 237–269; zur Geschichte des Anarchosyndikalismus vgl. auch: Hartmut Rübner, Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, Köln 1994.

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gesamtgesellschaftlichen Radikalisierung, die stark lokal orientierte Zielsetzungen beförderte.47 Wiederholt war es – wie 1919 in Aschersleben oder 1920 in Köthen – zu isolierten Putschen und kurzlebigen Proklamationen „sozialistischer Räterepubliken“ gekommen.48 Die politische Radikalisierung von Teilen der regionalen Arbeiterschaft, die im Anschluss des linken USPD-Flügels an die KPD im Herbst 1920 zum Ausdruck kam, war vor allem das Ergebnis heftiger, bürgerkriegsartiger Auseinandersetzungen infolge des „Kapp-Putsches“ im März desselben Jahres. Eine von Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp und Kapitänleutnant Hermann Ehrhardt – dessen berüchtigtes Freikorps, die „Brigade Ehrhardt“, sich einer Auflösung verweigerte – angeführte Verschwörung war am Morgen des 13. März in Berlin einmarschiert. Die Regierung hatte vor ihrer Flucht aus der Hauptstadt jedoch noch zum Generalstreik aufrufen können.49 Die Dynamik, die dieser weithin (und parteiübergreifend) befolgte Generalstreik auslöste, war im ganzen Reich höchst unterschiedlich, ging in Mitteldeutschland jedoch nicht so weit wie im Ruhrgebiet, wo sich eine mehr als 50.000 Mann zählende Rote Armee formierte.50 Zwar war es in Sömmerda, wo die syndikalistische Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) über einen verhältnismäßig großen Einfluss verfügte, zur Ausrufung einer lokalen Räterepublik gekommen.51 Im Übrigen dienten die sich spontan

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Schumann, Politische Gewalt, S. 84; vgl. dazu auch die klassische Untersuchung von: Erhard Lucas, Zwei Formen von Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt a. Main 1976. Vgl. Volker Ullrich, Der ruhelose Rebell. Karl Plättner 1893–1945. Eine Biographie, München 2000, S. 75f. Zu den Ereignissen im Einzelnen: Johannes Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, Düsseldorf 1967; Erwin Könnemann/Hans-Joachim Krusch, Aktionseinheit contra Kapp-Putsch. Der Kapp-Putsch im März 1920 und der Kampf der deutschen Arbeiterklasse sowie anderer Werktätiger gegen die Errichtung der Militärdiktatur und für demokratische Verhältnisse, Berlin (O) 1972; vgl. auch: Erich Knauf, Ca ira! Reportagen-Roman aus dem KappPutsch, Berlin 1930. Die Zielsetzungen dieser alle Parteien der organisierten Arbeiterbewegung umfassenden Mobilmachung waren lokal durchaus heterogen: während sie mancherorts ausschließlich dem Widerstand gegenüber einmarschierenden und mit den Putschisten sympathisierender Freikorps galt, zeigte sich etwa der Hagener Zentralrat entschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen, um die Protestbewegung in Richtung einer Revolution weiterzutreiben; vgl. dazu: Erhard Lucas, Märzrevolution im Ruhrgebiet, März/April 1920, 3 Bde., Frankfurt a. Main 1970–72. Zur Geschichte der FAUD vgl. Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus; zu Sömmerda vgl. Annegret Schüle, BWS Sömmerda. Die wechselvolle Geschichte eines Indus-

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formierten Arbeiterwehren jedoch überwiegend defensiven Absichten. Ihre Mobilisierung erfolgte nicht für ein spezifisches politisches Programm, sondern gegen das der Komplizenschaft mit den Putschisten verdächtigte Militär.52 Dabei kam es zu regelrechten Gefechten, die mancherorts mit großer Heftigkeit ausgetragen wurden. In der im Nachhinein von der SED zur „Schlacht um Halle“ stilisierten, mehrtägigen bürgerkriegsartigen Konfrontation starben 27 Soldaten und vermutlich mehr als hundert Zivilisten. Aber auch in Weißenfels und Eisleben, wo sogar ein Panzerzug der Reichswehr zum Einsatz kam, forderten die Kämpfe viele Opfer.53 Großen Nachhall erfuhren die Übergriffe in Sömmerda, wo ReichswehrEinheiten unter dem Kommando eines Freikorps-Veteranen über zwanzig Aktivisten, darunter zahlreiche FAUD-Anhänger und mehrere Stadtverordnete, gezielt ermordeten und weitere hundert Männer und Frauen wahllos inhaftierten und misshandelten.54 Die Erinnerung an die „Märzkämpfe“ von 1920 zählte zur obligatorischen Traditionspflege der Kampfgruppen. Noch 1980 rühmte die SED die „Heldentaten“ der Arbeiter „im Kampf gegen die Konterrevolution“ als „Ruhmesblätter in [der] Geschichte der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung“.55 Doch während sie diese „Heldentaten“ stets in erster Linie den Anhängern der KPD zuschrieb, erwies sich die Praxis ihres Gedenkens zumindest als mehrdeutig. In Sömmerda gedachten die Kampfgruppen den lokalen „Märzkämpfen“ alljährlich vor einem Gedenkstein auf dem lokalen Friedhof, den die FAUD in Erinnerung an die Ereignisse hatte aufstellen lassen.56 Richtig ist, dass das Wirken der FAUD in der DDR wenn nicht übergangen, so doch kategorisch als „linkssektiererisch“ verunglimpft wurde.57 Ob es der SED jedoch gelang, lokale Erinnerungen an das

                                                                                                                                      

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triestandortes in Thüringen, 1816–1995. Dreyse & Collenbusch, Rheinmetall, Büromaschinenwerk, Erfurt 1995, S. 142–154, S. 369–372; vgl. auch: dies., Anarchosyndikalismus in Sömmerda, in: Thüringen. Blätter zur Landeskunde 39, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2004 [ohne Seitenangaben]. Schumann, Politische Gewalt, S. 88. Joachim Schunke, Schlacht um Halle, Berlin (O) 1956; zu den Ereignissen im Einzelnen: Könnemann/Krusch, Aktionseinheit; Schumann, Politische Gewalt. Zu den Ereignissen im Einzelnen: Schumann, Politische Gewalt, S. 90f.; Schüle, Anarchosyndikalismus in Sömmerda. „Das Vermächtnis der Märzkämpfer von 1920 ist in der DDR erfüllt“, in: Der Kämpfer, Nr. 4 (April), Jg. 24 (1980), S. 1. Vgl. Annegret Schüle, Anarchosyndikalismus in Sömmerda. Vgl. dazu: Josie McLellan, Antifascism and Memory in East Germany: Remembering the International Brigades 1945–1989, Oxford 2004, S. 183–187; Thomas Klein, „Für die

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Wirken der FAUD vor Ort gänzlich „auszulöschen“, ist dagegen fraglich.58 Denkbar, im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht eingehender zu untersuchen, ist, dass das von der FAUD errichtete Denkmal nicht nur Projektionsfläche für das master narrative der SED bildete. Vielmehr konnte es auch als Projektionsfläche für lokal tradierte und verschwiegene Narrative fungieren, die der tragenden Rolle der FAUD vor Ort durchaus eingedenk waren. Zu noch heftigeren „Märzkämpfen“ sollte es im März des folgenden Jahres kommen. Im Hochgefühl eigener Stärke hatte die KPD verkündet, nun vom „Stadium der Agitation“ zum „Stadium der Aktion“ übergehen zu wollen.59 Im Bann einer „Offensiv-Theorie“, die unmissverständlich auf die Eroberung der politischen Macht zielte, und angestachelt von einer Gruppe Komintern-Emissäre mit dubiosem Auftrag, probte sie im März 1921 die Revolution. Vom Parteibezirk Halle-Merseburg, der durch die Vereinigung zum mitgliederstärksten Bezirk im ganzen Reich geworden war, sollte der Funke für den Aufstand in ganz Deutschland ausgehen. Der mitteldeutsche Aufstand wurde von der KPD jedoch stets als „Abwehrkampf“ der lokalen Arbeiterschaft gegenüber einer „Provokation“ der damaligen SPD-Bezirksregierung vorgestellt. Sie hätte, so behauptete es auch die SED, mit Hilfe einer „Polizeiaktion“ beabsichtigt, „die revolutionären Kräfte der Arbeiterklasse“ vor Ort „zu zerschlagen oder einzuschüchtern“.60 Tatsächlich nahm die Bevölkerung den Einmarsch von massiven Schutzpolizei-Kontingenten weithin als Besetzung wahr.61 Deren Präsenz wurde offiziell mit der Verhütung von „wilden Streiks, Terror und Sachbeschädigungen“ gerechtfertigt, galt inoffiziell aber wohl der Eindämmung des Einflusses der KPD in der Region. Es kam, wie schon im Jahr zuvor, zu schweren, sich über Tage hinziehenden Auseinandersetzungen, bei denen die Sicherheitskräfte – die Schutzpolizei wurde dabei auch

                                                                                                                                      

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Einheit und Reinheit der Partei“. Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 48–52. So jedoch: Schüle, Anarchosyndikalismus in Sömmerda. Bericht über den Vereinigungsparteitag, zit. nach: Rudolf Luz, KPD, Weimarer Staat und politische Einheit der Arbeiterbewegung in der Nachkriegskrise 1919–1922/23, Konstanz 1987, S. 235. Leidigkeit/Hermann, Auf leninistischem Kurs, S. 128; Giesemann, Damals in Eisleben. Schumann, Politische Gewalt, S. 110; bei den preußischen Landtagswahlen im Februar 1921 hatte die VKPD in jenen Kreisen, die später zu den Hauptschauplätzen des mitteldeutschen Aufstandes zählten, große Erfolge erzielt: etwa im Mansfelder Seekreis kam sie auf 47,9%, im Mansfelder Gebirgskreis auf 39,6% und im Stadt- und Landkreis Merseburg auf 34% der abgegebenen Stimmen; vgl. ebd., S. 111.

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von einer Artillerie-Einheit der Reichswehr unterstützt – letztendlich die Oberhand behielten.62 Die SED nahm diese „große Klassenschlacht gegen Imperialismus und Militarismus“ stets für sich in Anspruch und rühmte „die klassenbewussten Arbeiter, die in den Märztagen 1921 […] ihr Blut und ihr Leben für die Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen“ gegeben hätten.63 Tatsächlich waren viele der kämpfenden Arbeiter im März 1921 jedoch weniger der KPD als linksradikalen Aktivisten wie dem legendären „Roten General“ Max Hoelz oder auch Karl Plättner gefolgt. Beide folgten jedoch einer politischen Programmatik, die Lenin im Jahr zuvor noch als „Kinderkrankheit im Kommunismus“ verurteilt hatte.64 Sowohl Hoelz als auch Plättner – ersterer immerhin Mitbegründer der KPDOrtsgruppe in seinem Heimatort Falkenstein im Vogtland – sympathisierten zum Zeitpunkt des mitteldeutschen Aufstandes mit der KAPD.65 Während Plättner schnell in Vergessenheit geriet, hatte sich Hoelz 1921 bereits einen legendären Ruf erworben. Als „Instinkt des noch gefesselten Proletariats“ und Inbegriff dessen

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Zur Märzaktion im Einzelnen vgl. Christian Knatz, „Ein Heer im grünen Rock“? Der Mitteldeutsche Aufstand 1921, die preußische Schutzpolizei und die Frage der inneren Sicherheit in der Weimarer Republik, Berlin 2000; Koch-Baumgarten, Aufstand der Avantgarde; Weber, Ein kommunistischer Putsch?; Schumann, Politische Gewalt, S. 115–142; vgl. auch: Walter Drobnig, Der mitteldeutsche Aufstand 1921. Seine Bekämpfung durch die Polizei, Lübeck 1929. „Vermächtnis der Märzkämpfer von 1921 wurde in der DDR Wirklichkeit“, in: Der Kämpfer, Nr.4 (April), Jg. 25 (1981), S. 1. Vgl. Wladimir I. Lenin, Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: ders., Werke, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 31, Berlin (O) 1972 (erstmalig: 1920), S. 1–105. Zur Person Hoelz‘ vgl. Max Hoelz, Vom „Weißen Kreuz“ zur roten Fahne. Jugend-, Kampf- und Zuchthauserlebnisse, Frankfurt a. Main 1984 (erstmalig: 1929); Peter Giersich/Bernd Kramer (Hg.), Max Hoelz. Sein Leben und sein Kampf, Berlin 2000; Dieter Bähtz, Die „um- und umgewendete Landschaft“ und Max Hoelz, in: Ulbricht (Hg.), „Rotes Mansfeld“, S. 98–116; zur Person Plättners: Volker Ullrich, Vom Sozialdemokraten zum Terroristen. Der Weg des mitteldeutschen Bandenführers Karl Plättner (1893– 1945), in: Eliten im Wandel. Gesellschaftliche Führungsschichten im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Karl Christian Führer/Karen Hagemann/Birthe Kundrus, München 2004, S. 300–313; ausführlicher: ders., Der ruhelose Rebell; zur Interpretation Hoelz‘ und Plättners „als Typus des linksradikalen Aktivisten“ vgl. Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 308–318.

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gerühmt, was es bedeutet, „wenn das Proletariat selbst handelt“,66 war seine Politik der ,Direkten Aktion‘ der KPD stets ein Dorn im Auge gewesen. Und auch die SED hatte nach 1945 ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zu seiner Person.67 Wenn, wie auf einem Lehrgang der SED in Bieberstein, in dem eigentlich der „illegale Kampf in Deutschland, Spanien und Frankreich“ im Mittelpunkt stehen sollte, das Gespräch immer wieder auf Max Hoelz zurückkam, zeugte das von der anhaltenden Faszination seiner Person. Weil dessen Auslegung des revolutionären Kampfes jedoch weniger auf die Führungsmacht der Avantgarde als auf die ,Propaganda der Tat‘ einiger entschlossener Aktivisten fokussierte, war Hoelz der SED stets verdächtig.68 Franz Jung, der zu Beginn der 1920er Jahre selbst mit der KAPD sympathisierte und von deren Parteiführung zur Koordinierung des Aufstandes nach Mitteldeutschland geschickt worden war, hat die Wirkung, die das Erscheinen Hoelz‘ auf die Erregung im Roten Herzen hatte, in einer (gewiss stilisierten) Anekdote pointiert geschildert: „Hölz [sic] hielt nicht viel von Versammlungen. Wir ließen, wie vorgesehen, eine am Vormittag abrollen. Hölz erschien dort auf dem Podium, als die Diskussion bereits im Gange war. Es sprach gerade ein junger Mann, der angezogen war wie ein Forstadjunkt, irgendein Angestellter von einem Gut aus der Nachbarschaft, zur Ruhe mahnend. Hölz trat ihm in

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So rühmten die „Aktion“ und die „KAZ“ Hoelz nach seiner Festnahme im Jahre 1921; vgl. Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 316; zu Hoelz vgl. auch die Erinnerungen von Georg Dittmar, SAPMO, SgY 30. Vgl. dazu: Manfred Gebhardt, Max Hoelz. Wege und Irrwege eines Revolutionärs, Berlin (O) 1983; das Zitat ist entnommen: Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, S. 35; vgl. auch Geyer, der dem Phänomen des Radikalismus einen starken Hang zur Illegalität bescheinigt, den er folgendermaßen erklärt: „Nicht nur, dass mit sehr primitiven Mitteln Spannung erzeugt wird, die von vornherein alle Maßstäbe nüchterner Überlegung verschiebt: es wird der Masse zugleich Gelegenheit gegeben, ihre eigenen dunklen Triebe nach Bedeutung und Macht, ihre eigenen Tagträume zu projizieren auf eine Figur, die durch besondere Regiemittel in gesteigertem Format ihnen gegenübergestellt wird,“ Geyer, Der Radikalismus, S. 100f. sowie die klassische Studie von Eric Hobsbawm, Die Banditen, Frankfurt a. Main 1972 (erstmalig: 1969). Erst am 14. Oktober 1989 [!] wurde Hoelz in seiner Heimatstadt mit einem Denkmal geehrt, das jedoch im Februar des folgenden Jahres auf Veranlassung der lokalen CDU bereits wieder demontiert wurde; zur Einweihung waren auch Angehörige der lokalen Kampfgruppe aufmarschiert; gleichfalls im Oktober 1989 hatte ein Truppenteil der Nationalen Volksarmee den Ehrennamen „Max Hoelz“ erhalten; vgl. dazu: Giersich/Kramer, Max Hoelz, S. IIf.

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den Hintern und schmiss den Mann vom Podium, großes Gelächter; die Versammlung war aus, es wurde nicht abgestimmt.“69

Stattdessen wurden Gewehre ausgeteilt und zum Angriff übergegangen, folgt man den Ausführungen Jungs. Ob der offenkundig bürgerliche Forstadjunkt tatsächlich ausgelacht und in den Hintern getreten wurde, ist im Nachhinein nicht zu beantworten und auch nicht entscheidend. Bezeichnend ist Jungs Beschreibung insofern, als dass sie Hoelz als Protagonist eines „Proletkultes“ zeigte, der sich um Worte wenig scherte und stattdessen dafür optierte, stets kräftig zuzupacken und klare Verhältnisse zu schaffen.70 Neben Hoelz und Plättner, die die Sicherheitskräfte in einen Guerilla-Krieg verwickelten, bildeten vor allem die Leuna-Werke ein Zentrum des Widerstandes. Hier war die Belegschaft nach dem Aufmarsch der Polizeikräfte geschlossen in den Streik getreten. Gleichzeitig begann sie damit, das Werk zur Verteidigung herzurichten und zu diesem Zweck sogar einen eigenen Panzerzug zu bauen.71 Dieser Panzerzug [Siehe Erster Teil, Kap. I, Abb. 1 und 2] gelangte in der DDR zu monumentaler Bedeutung, konnte er doch im Nachhinein zu einem Symbol für die praktische Vorwegnahme der (Wieder-)Vereinigung der Arbeiterklasse stilisiert werden, die mit der (Zwangs-)Vereinigung von KPD und SPD 1946 faktisch vollzogen wurde: „Ein Kommunist, ein Sozialdemokrat, wie kamen beide zusammen? Sie stiegen beherzt auf den Panzerzug, sie spuckten gemeinsam in Hörsings Betrug mit Eisen und Feuer und Flammen. Mit Eisen und Feuer und Flammen! Das Leunawerk, von Schupo umstellt, vereinte die tapfern Genossen zum Schutze der kämpfenden Arbeiterschaft. Sie stießen vor bis mit letzter Kraft die letzte Kugel verschossen. Die letzte Kugel verschossen! Die letzte Kugel, die kläglichste nicht! Sie hat den Stahl vernietet, der Lenins Werk in die Zukunft trug.

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Franz Jung, Der Weg nach unten. Aufzeichnungen aus einer großen Zeit, 2. Aufl., Hamburg 1988 (erstmalig: 1961), S. 185; zu Jung selbst und seiner Rolle während der „Märzaktion“ vgl. Riccardo Bavaj, Linkskommunistischer „Gemeinschaftsmythus“ als antibürgerliche Herausforderung. Franz Jungs lebensideologisches Denken während der Weimarer Republik, in: Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik 10 (2005), S. 101–130. In Deutschland huldigte vor allem die von Franz Pfemfert (1879–1954) ins Leben gerufene „Aktion“, die sich bei der Heroisierung Hoelz‘ hervortat, dem ursprünglich aus der Sowjet-Union stammendem Proletkult; vgl. dazu: Paul Raabe, „Ich schneide die Zeit aus“. Expressionismus und Politik in Franz Pfemferts „Aktion“, München 1964; Lisbeth Exner, Vergessene Mythen. Franz Pfemfert und die „Aktion“, in: dies. (Hg.), Pfemfert. Erinnerungen und Abrechnungen. Texte und Briefe, München 1999. Vgl. dazu im Einzelnen: Kämpfendes Leuna, 1. Bd., S. 224–258.

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Die Einheitspartei ist der Panzerzug, von Leunas Genossen geschmiedet. Von Leunas Genossen geschmiedet!“

So lautete ein mit „der Panzerzug“ überschriebenes Gedicht in der Chronik der Kampfgruppen-Einheiten der Leuna-Werke.72 Bis 1971 befand sich der Panzerzug auf dem Gelände der Leuna-Werke, bevor er im März desselben Jahres an HalleNeustadt übergeben wurde. Hier wurde er im Herzen der frisch eingeweihten „sozialistischen Musterstadt“ auf- und ausgestellt.73 Immer wieder wurde er auch in Geländespiele eingebunden, in denen Kampfgruppen-Mitglieder mit Angehörigen anderer Massenorganisationen den Verlauf der „Märzaktion“ nachspielten.74 Die Kampfgruppen der Leuna-Werke veranstalteten alljährlich einen „Märzkämpfer-Gedächtnislauf“, zu dem auch Angehörige anderer bewaffneter Organe wie der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), der Nationalen Volksarmee (NVA), der VP und der sowjetischen Armee eingeladen wurden. Der Siegerpokal bestand dabei aus einer originalgetreuen Nachbildung des Panzerzuges.75 1960 hatte die lokale SED-Kreisleitung überdies vorgeschlagen, anlässlich des 40. Jahrestages der „Märzkämpfe“ im folgenden Jahr den Panzerzug zum Gegenstand einer Briefmarke zu machen.76 Diese Initiative fand jedoch nicht die Zustimmung der SED-Führung. Deren Ablehnung reflektiert hingegen das dünne Eis, auf dem sich die symbolische Vergangenheitspolitik der SED bewegte: Weil auf der der Briefmarke zugrunde gelegten Fotografie neben einem Sowjetstern auch mehrere Totenköpfe sowie zwei Reichswehr-Soldaten zu erkennen waren, wurde das Vor-

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„Der Panzerzug“, zit. nach: Retorte und Gewehr, S. 43. Zur „sozialistischen Musterstadt“ Halle vgl. Albrecht Wiesener, Als die Zukunft noch nicht vergangen war – der Aufbau der Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt 1958–1980, in: Werner Freitag/Katrin Minner (Hg.), Geschichte der Stadt Halle, Bd. 2: Halle im 19. und 20. Jahrhundert, Halle 2006, S. 442–456. Im Rahmen eines solchen Geländespiels der Technischen Hochschule Merseburg im Jahre 1958 wurde die Niederlage kurzerhand in einen Sieg umgedeutet: „Der 1921 von den Leuna-Arbeitern gebaute Panzerzug fährt, von der Jugend-Hundertschaft begleitet, in das Werk und es gelingt, die gefangenen Arbeiter zu befreien“, hieß es im Bericht der lokalen Studentenzeitschrift „Forum“; zit. nach: Hinrichs, Die Bürgerkriegsarmee, S. 87f. Interview mit dem 1. Sekretär der SED-KL des Chemiekombinats Leuna vom 26.7.1973, LHASA, Abt.. Mer., SED-KL Leuna, Nr. IV/C-4/12/151. Peter Fischer/Alfred Peter, Warum ein Panzerzug aus Leuna nicht auf eine Marke kam. Angekündigtes Wertzeichen erschien 1961 nicht, in: Deutsche Briefmarken-Zeitung, H. 11, Bd. 69 (1994), S. 914–915.

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haben schließlich wieder zu den Akten gelegt.77 Bei der Fotografie handelte es sich offenbar um eine Aufnahme, die erst nach der Niederschlagung des Aufstandes angefertigt worden war. Jedenfalls verwiesen die Reichswehr-Soldaten nicht nur auf das unrühmliche Ende des Aufstandes. Die Totenköpfe drohten zudem Assoziationen an die Totenkopfverbände der SS zu wecken, so die Befürchtungen der SED-Führung. Die Gewaltsamkeit, die die politischen Auseinandersetzungen im „punktuellen Bürgerkrieg“ der frühen zwanziger Jahre beherrschte, war im Roten Herzen von außerordentlicher Intensität. Wie Curt Geyer schon 1923 bemerkte: „Kampf und Gefecht und Tod wurden aus agitatorischen Redewendungen zu Realitäten. Der Gebrauch der militärischen Ausdrucksweise nach dem Kriege wurde zu einem Mittel, das die durch den Krieg gewaltig verstärkten kriegerischen Instinkte der Massen auf die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien übertrug.“78 Zumindest im Hinblick auf das Rote Herz ist diese Gewalteskalation weder durch eine ausgeprägte Loyalität der Arbeitermassen gegenüber der KPD – wie es die SED stets behauptete79 – noch durch linksradikale Orientierungen – deren Einfluss zwar bemerkenswert, aber wenig nachhaltig blieb – hinreichend zu erklären. Während der proletarische Mythos die Gewaltsamkeit mit dem „Heroismus klassenbewusster Arbeiter“ erklärte,80 verschwieg er, dass die Gewalt an der gesellschaftlichen Basis in erster Linie Ausdruck eines „totalen Protestes“ war.81 In erster Linie ist sie als Indiz individueller wie kollektiver Krisenbewältigungsstrategien zu lesen. Als solche oszillierte sie zwischen sozialem Protest und politischem Engagement und artikulierte vor allem die Bereitschaft, durch die Anwendung von Gewalt „die bisher respektierten Grenzen ,normalen‘ sozialen und politischen Verhaltens zu überschreiten“.82

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Auch ein alternativer Vorschlag, auf dem stattdessen das Mahnmal der Gedenkstätte der „Märzkämpfer“ in Leuna-Kröllwitz zu sehen war, fand nicht die Zustimmung der Abteilung Agitation und Propaganda; vgl. Fischer/Peter, Warum ein Panzerzug, S. 915. Geyer, Der Radikalismus, S. 81. Vgl. Leidigkeit/Hermann, Auf leninistischem Kurs, S. 6. Vgl. Giesemann, Damals in Eisleben, S. 29. Michael Geyer, Nation, Klasse und Macht. Zur Organisation von Herrschaft in der Weimarer Republik, in: AfS 26 (1986), S. 27–48; vgl. auch Wolfgang J. Mommsen, Die deutsche Revolution 1918–1920. Politische Revolution und soziale Protestbewegung, in: GG 4 (1978), S. 362–391. Dirk Schumann, Der aufgeschobene Bürgerkrieg. Sozialer Protest und Politische Gewalt in Deutschland 1923, in: ZfG 44 (1996), S. 526–544, hier: S. 527.

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Ambivalente Allianz: Zum Verhältnis von kommunistischer Parteiführung und -Basis Die durch Revolution und Weltkrieg angestoßene „Brutalisierung“ der politischen Kultur Deutschlands hielt auch über die Phase des „punktuellen Bürgerkrieges“ der frühen 1920er Jahre an.83 Politisch motivierte Gewalt gehörte in der Phase relativer Stabilität und dann in der sich wieder zuspitzenden Situation des „latenten Bürgerkrieges“ seit 1928/29 weiterhin zum Alltag in Mitteldeutschland. Nach dem „Krisenjahr“ 1923 – in dem die KPD abermals den Aufstand geprobt hatte und auch die NSDAP in Bayern zum ,Marsch auf Berlin‘ sammelte – veränderten sich jedoch Konfrontationsmuster und Feindbilder.84 Waren die bis dahin vornehmlich durch staatliche Sicherheitskräfte (bzw. gegenrevolutionäre Freikorps) bestimmt gewesen, rückten nun rechtsradikale Wehrverbände wie der Stahlhelm, der Jungdeutsche Orden und der Wehrwolf an ihre Stelle.85 Die „Zeit der Enttäuschungen“ hatte an der Basis zur Restituierung gegenhegemonialer Strategien geführt, die sich nun in milieu-spezifischer Segregation niederschlug.86 (Kampf)Organisationen der politischen Gegner wurden auch und in erster Linie als lebensweltliche Eindringlinge wahrgenommen. Ein daraus resultierender symbolisch hoch aufgeladener Terrainkampf führte auch in Mitteldeutschland zu umfangreichen Mobilisierungsprozessen. Gewaltsame Konfrontationen entzündeten sich

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Vgl. dazu: Bernd Weisbrod, Gewalt in der Politik. Zur politischen Kultur in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen, in: GWU 43 (1992), S. 391–404; zuletzt: Dirk Schumann, Europa, der Erste Weltkrieg und die Nachkriegszeit: eine Kontinuität der Gewalt? In: Journal of Modern European History 1 (2003), S. 24–43. Zum „Krisenjahr“ vgl. Schumann, Der aufgeschobene Bürgerkrieg; speziell zu den Mobilisierungsanstrengungen der KPD in Mitteldeutschland: Tilmann Siebeneichner, Proletarischer Mythos und politische Gewalt. Die proletarischen Hundertschaften der KPD in Mitteldeutschland 1923, unveröffentlichte Magisterarbeit, Göttingen 2002. Vgl. Kurt Finker, Die militaristischen Wehrverbände in der Weimarer Republik und ihre Rolle bei der Unterdrückung der Arbeiterklasse und bei der Vorbereitung eines neuen imperialistischen Krieges (1924–1929), Habilitationsschrift Potsdam 1964; Hans-Joachim Mauch, Nationalistische Wehrorganisationen in der Weimarer Republik. Zur Entwicklung und Ideologie des „Paramilitarismus“, Frankfurt a. Main 1982; James M. Diehl, Paramilitary Politics in Weimar Germany, Bloomington, Indiana 1977; zu den einzelnen „Wehrverbänden“ vgl. Volker Berghahn, Der Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten 1918– 1935, Düsseldorf 1966; Klaus Hornung, Der Jungdeutsche Orden, Düsseldorf 1958. Detlev J.K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a. Main 1987, S. 44.

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stets an der Präsenz des politischen Gegners in einem für sich reklamierten Gebiet und folgten stärker ritualisierten Konfliktmustern.87 Ein Zentrum dieser Mobilisierungsprozesse bildete der Raum Magdeburg, der über eine sozialdemokratische Tradition verfügte, die bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichte.88 Eine langfristige persönliche Kontinuität der Führungsarbeit sorgte in Kombination mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad der lokalen Industriearbeiterschaft dafür, dass „die rote Stadt im roten Land“ sich in der Weimarer Republik zu einer festen Bastion des rechten Flügels der Sozialdemokratie mit einem vitalen sozialdemokratischen Milieu entwickelte.89 Im Februar 1924 war hier als Antwort auf das Erstarken des gleichfalls in Magdeburg gegründeten Frontkämpferbundes „Stahlhelm“, der aus seiner antirepublikanischen Gesinnung wenig Hehl machte, das „Reichsbanner Schwarz-RotGold, Bund republikanischer Kriegsteilnehmer“ ins Leben gerufen worden.90 Obwohl mit schätzungsweise über eine Million Mitglieder der zahlenmäßig

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Vgl. dazu: Schumann, Politische Gewalt, S. 203ff.; wie schmal der Grat zwischen begrenzter und entgrenzter Konfrontation weiterhin blieb, zeigen jedoch bspw. Ereignisse wie die des Berliner „Blutmais“ von 1929; vgl. dazu: Eve Rosenhaft, Beating the Fascists? The German Communists and Political Violence, 1929–1933, London 1983. Vgl. Ingrun Drechsler, Von Fehden und Kämpfen: Der schwierige Weg der Magdeburger Arbeiter bis zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei 1900, in: Grebing/Mommsen/Rudolph (Hg.), Emanzipation zwischen Elbe und Saale, S. 42–53; einen Überblick gibt: Karsten Rudolph, Die sächsische Sozialdemokratie vom Kaiserreich bis zur Republik (1871–1923), Köln/Weimar/Wien 1995. Vgl. Ingrun Drechsler, Die rote Stadt im roten Land. Die Magdeburger Sozialdemokratie unter besonderer Berücksichtigung ihrer Gründungsphase und Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg, als sozialdemokratische Hochburg im Spiegel ihrer Wahlergebnisse während der Weimarer Republik und ihrer erfolgreichen kommunalen Wohnungsbaupolitik, in: IWK 29 (1993), S. 177–194; vgl. auch: Beatrix Herlemann, „Wir sind geblieben, was wir immer waren, Sozialdemokraten“. Das Widerstandsverhalten der SPD im Parteibezirk Magdeburg-Anhalt gegen den Nationalsozialismus 1930–1945, Halle 2001, S. 19–69. Zum Reichsbanner zuletzt: Nadine Rossol, Performig the Nation in Interwar Germany. Sport, Spectacle and Political Symbolism, 1926–1936, Basingstoke 2010; Carsten Voigt, Kampfbünde der Arbeiterbewegung. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Rote Frontkämpferbund in Sachsen (1924–1933), Köln/Weimar/Wien 2009; vgl. weiterhin die klassische Studie von Karl Rohe, Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966; sowie: Helga Gotschlich, Zwischen Kampf und Kapitulation. Zur Geschichte des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Berlin (O) 1987; Beatrix Herlemann, Der Gau Magdeburg-Anhalt des „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, in: IWK 35 (1999), S. 225–248.

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stärkste politische Kampfverband seiner Zeit,91 fand das Reichsbanner keinen Eingang in die Traditionspflege der Kampfgruppen. Zentraler Grund dafür war ein Selbstverständnis, das nicht klassenspezifisch konnotiert war, sondern sich dem Schutz der Republik verpflichtet zeigte. Das Reichsbanner, so der Tenor der DDR-Geschichtsschreibung, stand „unter dem bestimmenden Einfluss der reformistischen, das heißt der bürgerlichen Ideologie. Auf der Grundlage der Koalitionspolitik war die Verteidigung der Weimarer Republik gegen die erstarkende kommunistische Bewegung seine Hauptaufgabe. Unter der Losung ,Schutz der Republik‘ – der bürgerlich-kapitalistische Charakter der Republik wurde bewusst verschwiegen – war das Reichsbanner von der Gründung an dem Wesen nach eine Schutztruppe der auf Ausbeutung und Unterdrückung aufgebauten bürgerlichen Gesellschaftsordnung.“92

Wie das Zitat zeigt, schrieben sich die Ressentiments der Kommunisten gegenüber der vorgeblich „reformistischen“ SPD-Politik in der Weimarer Republik in der SED-offiziellen Betrachtung und Darstellung des Reichsbanners fort.93 Seinem kommunistischen Pendant, dem gleichfalls im Jahre 1924 gegründeten Roten Frontkämpferbund (RFB), wurde hingegen große Bedeutung innerhalb der Traditionspflege der Kampfgruppen beigemessen. Als Kampfbund gegen „Imperialismus, Militarismus und Faschismus“ und Erzieher zu „klassenbewusster Wehrhaftigkeit“ sollte der RFB gewissermaßen zur Blaupause für die Kampfgruppen avancieren. Zwar bildete der sogenannte „Blutsonntag“ von Halle im Mai 1924, bei dem infolge eines Feuergefechts zwischen kommunistischen Demonstranten und der Polizei mehrere Menschen getötet wurden,94 nicht – wie die DDR-Histo-

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Vgl. Rohe, Reichsbanner, S. 74; Ziemann nimmt eine Mitgliederzahl zwischen einer und zwei Millionen an; Benjamin Ziemann, Republikanische Kriegserinnerung in einer polarisierten Öffentlichkeit. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als Veteranenverband der sozialistischen Arbeiterschaft, in: HZ 267 (1998), S. 3573–98, hier: S. 370. So: Dünow, Der Rote Frontkämpferbund, S. 75; Dünow, KPD-Mitglied seit 1922, der in der DDR zum VP-Oberst avancierte, stammte selbst aus dem illegalen Militär-Apparat der KPD; vgl. dazu: Erinnerungen von Hermann Dünow, SAPMO, SgY 30/0171. Zur Wahrnehmung von und dem Umgang mit SPD-Traditionen innerhalb der SED vgl. Beatrix Bouvier, Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945–1953, Bonn 1996. Die genaue Anzahl der Getöteten ist unklar: während der „Klassenkampf“ von jeweils vier Todesopfern und sechs Schwerverletzten auf Seiten der Polizei wie auch auf Seiten der Demonstranten kündete, berichtete die „Volksstimme“ einen Tag später unter Berufung auf das Hallesche Polizeipräsidium von insgesamt zehn Todesopfern; vgl. dazu: Schumann, Politische Gewalt, S. 203–210.

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riographie lange zu suggerieren versuchte – den ursächlichen Anlass zu seiner Gründung.95 Gleichwohl formierte sich nur wenige Wochen später (und noch vor dem offiziellen Gründungsdatum des RFB, dem 1. August) in Halle die erste (und mitgliederstärkste) Ortsgruppe des neuen kommunistischen Wehrverbandes.96 Dem RFB musste in der DDR zwangsläufig jedes Schulkind begegnen. So wie Ernst Thälmann – der von 1925 bis 1929 Parteivorsitzender und RFB-Führer zugleich gewesen war – zu einem der heiligsten Märtyrer für die Erwachsenen stilisiert wurde, versuchte man, den „kleinen Trompeter“ Fritz Weinecke aus Halle zu einem Mythos für die Heranwachsenden zu stilisieren.97 Ein nach ihm benanntes, fünfstrophiges Lied, bereits 1925 entstanden und in der Melodie dem Soldatenlied „Der gute Kamerad“ nachempfunden, hatte jedes DDR-Schulkind auswendig zu lernen.98 Fritz Weinecke – zum Zeitpunkt seines Todes am 13.

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Vgl. etwa: Dünow, Der Rote Frontkämpferbund, S. 22f.; Finker, Geschichte des Roten Frontkämpferbundes, S. 24. Der konspirative „M“-Apparat der Partei, zuständig für Sabotage, Spionage und alle Formen subversiver Kriegsführung, blieb selbstverständlich bestehen und schien den RFB Zeit seiner Existenz eher mit Geringschätzung betrachtet zu haben; vgl. dazu: Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 198. Thälmanns Schicksal besaß als „Herzstück der Legitimationsideologie“ des SED-Regimes selbstverständlich auch für die Heranwachsenden herausragende Bedeutung; nicht zuletzt wurden die „Jungpioniere“, eine der FDJ vorgeschaltete Jugendorganisation für Kinder von 6 bis 10 Jahren vielfach als „Thälmann-Pioniere“ bezeichnet; vgl. dazu: René Börrnert, Wie Ernst Thälmann treu und kühn! Das Thälmann-Bild der SED im Erziehungsalltag der DDR, Bad Heilbronn 2004; zu Person und Mythos Thälmanns vgl. auch: Annette Leo, „Deutschlands unsterblicher Sohn …“. Der Held des Widerstands Ernst Thälmann, in: Silke Satjukow/Rainer Gries (Hg.), Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR, Berlin 2002, S. 101–114; zur literarischen Stilisierung Thälmanns vgl. Simone Barck, Antifa-Geschichte(n). Eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 195ff. Vgl. Barbara Felsmann, Beim kleinen Trompeter habe ich immer geweint: Kindheit in der DDR. Erinnerungen an die Jungen Pioniere, Berlin 2003; der vollständige Text des Liedes lautete: „Von all unsern Kameraden, war keiner so lieb und gut, wie unser kleiner Trompeter, ein lustiges Rotgardistenblut. Wir saßen so fröhlich beisammen, in einer so stürmischen Nacht; mit seinen Freiheitsliedern hat er uns so glücklich gemacht. Da kam eine feindliche Kugel, bei einem so fröhlichen Spiel, mit einem so seligen Lächeln, unser kleiner Trompeter, er fiel. Da nahmen wir Hacke und Spaten, und gruben ihm morgens ein Grab; und die ihn am liebsten hatten, die senkten ihn stille hinab. Schlaf wohl, du kleiner Trompeter, wir waren dir alle so gut. Schlaf wohl du kleiner Trompeter, du lustiges Rotgardistenblut.“ In der DDR entstand eine weitere, sechste Strophe: „Du bist nicht vergeblich ge-

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März 1925 immerhin schon 28 Jahre alt – hatte als Hornist dem Spielmannszug des Hallenser RFB angehört. Der Legende nach verdankte Ernst Thälmann seinem Einsatz das Leben, als er an diesem Tag in Halle den Wahlkampf für seine Kandidatur um das Amt des Reichspräsidenten eröffnete. Während der Veranstaltung im „Volkspark“ war es zu Tumulten gekommen, sodass die Polizei die Versammlung schließlich auflöste. Sie feuerte nach Darstellungen der KPD (und in ihrer Folge der SED) dabei wahl- und grundlos in die Menge. Indem sich der „kleine Trompeter“ in die Schusslinie warf, schützte er Thälmanns Leib und Leben, wobei er jedoch selbst, zusammen mit neun weiteren, überwiegend der KPD angehörenden Besuchern, getötet wurde.99 Kurt Kuhles, damals einer der Leibwächter Thälmanns und in den 1970er Jahren zum Kommandanten einer Kampfgruppen-Einheit avanciert, konnte Hallenser Schülern leibhaftig davon berichten.100 Das persönliche Beispiel verdienter Arbeiterveteranen besaß große Bedeutung für die antifaschistischen Legitimitätsansprüche der SED-Herrschaft. Das „Hallenser Urgestein“ Kuhles (1906–1987) war einer jener für ihre Glaubwürdigkeit so wichtigen Arbeiterveteranen, deren Biographie beispielhaft den „roten Faden“ (Siegfried Lokatis) kommunistischer Geschichtsschreibung zu verkörpern schien. Nach eigenen Angaben war Kuhles bereits als dreizehnjähriger an den revolutionären Kämpfen der Jahre 1919 und 1920 beteiligt, später beim Roten Frontkämpferbund und im konspirativen Militär-Apparat der KPD aktiv, nach 1933 acht Jahre inhaftiert und anschließend in ein Strafbataillon der Wehrmacht abgeschoben worden. Mit einer derartigen Vita verkörperte sich in Kuhles Person das Ideal einer „symbiotischen“ Bindung an die kommunistische Bewegung, die jedoch in den seltensten Fällen frei von dunklen Flecken war.101 So sehr die SED Zeitzeugen der Kampfzeit nutzte, um sie für ihre Version des „roten Fadens“ kommunistischer Geschichte zu instrumentalisieren, so sehr miss-

                                                                                                                                       fallen, dein Werk haben wir nun vollbracht. Wir bauten den Staat, der uns allen die Freiheit und den Frieden gebracht. Last stolz unsern Ruf drum erschallen: es lebe die Arbeitermacht“. 99 Roswitha Berndt u. a., „Von all unseren Kameraden …“ Der kleine Trompeter und seine Zeit. Hrsg. von der SED-BL Halle und der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, Halle 1967. 100 „Jugend und Kampftradition. Arbeiterveteran Kurt Kuhles bei Hallenser Schülern“, in: Der Kämpfer, Nr. 7 (Juli), Jg. 22 (1978), S. 8. 101 Vgl. Frank Hirschinger, Fälschung und Instrumentalisierung antifaschistischer Biographien. Das Beispiel Halle/Saale 1945–2005, Göttingen 2007, S. 57–79; Niethammer/von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung, S. 182–220.

 

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traute sie ihnen jedoch zugleich.102 Dem Versuch, so viele verdiente Partei-Veteranen und „alte Kämpfer“ wie möglich heranzuziehen, um unter der Schirmherrschaft des Instituts für Marxismus-Leninismus ein Erinnerungsarchiv zu schaffen, das gewissermaßen als das „kollektive Gedächtnis der Partei“ fungieren sollte,103 begegneten viele Arbeiter-Veteranen ausgesprochen reserviert.104 Ihnen war be-

                                                             102 Vgl. etwa: Lutz Niethammer (Hg.), Der ,gesäuberte‘ Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald. Dokumente, Berlin 1994. 103 Dieses Erinnerungsarchiv findet sich heute in: SAPMO, SgY 30 Erinnerungen; die Kriterien „sozialistischer Erinnerungen“ waren rigoros insofern als dass sie von „der Parteiergebenheit ihrer Autoren, von offener kommunistischer Parteilichkeit durchdrungen“ zu sein hatten; ferner hatten sie sich „durch einen ausgeprägten, klassenbedingten revolutionären Gehalt“ auszuzeichnen und sollten „auf eigene Art die humanistische, marxistischleninistische Persönlichkeitskonzeption, die Einheit von Nationalem und Internationalem zum Ausdruck bringen“ sowie „von der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit ihrer Autoren und von echtem Demokratismus erfüllt“ sein, „das reiche Gebiet der Erinnerungen“ schöpferisch verarbeiten, „historischen Optimismus“ ausstrahlen und „durch echte Volksverbundenheit geprägt“ sein; zit. nach: Ilse Schiel, Zum Platz und Wesen der Erinnerung bei der Verbreitung des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes. Erfahrungen und Probleme des Sammelns, Gestaltens, Wertens, Diss. Masch., Berlin (O) 1981, S. 2; vgl. dazu auch: Karin Hartewig, Das Gedächtnis der Partei. Biographische und andere Bestände im zentralen Parteiarchiv der SED in der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“, in: WerkstattGeschichte 5 (1993), S. 23–28; Michael Hollmann, „Erinnerungen als Träger und Vermittler revolutionärer Tradition“. Anmerkungen zur Memoirenliteratur der DDR, in: Klaus Oldenhage/Hermann Schreyer/Wolfram Werner (Hg.), Archiv und Geschichte, Düsseldorf 2000, S. 877–890. 104 Beispiele ließen sich zuhauf benennen und waren durchaus unterschiedlich gelagert, denkt man etwa an Franz Dahlem (1892–1981), der zu den größten Rivalen Walter Ulbrichts zählte, dem jedoch seine Funktion als Leiter des ZK-Komitees der KPD in Paris zum Verhängnis werden sollte, oder aber an Willi Stoph (1914–1999), zeitweiliger Verteidigungsminister der DDR und nach dem Tode Ulbrichts 1973 sogar zum Staatsratsvorsitzenden aufgestiegen, der während seiner Armeedienstzeit pro-nationalsozialistische Artikel in einem Fachblatt der Deutschen Arbeitsfront veröffentlicht hatte, vgl. dazu: Ulrich Mählert, Willi Stoph – Ein Fußsoldat der KPD als Verteidigungsminister der DDR in: Hans Ehlert/Armin Wagner (Hg.), Genosse General! Die Militärelite der DDR in biographischen Skizzen, Berlin 2003, S. 279–303, hier: S. 283; so große Bedeutung das Gemeinschaftsgefühl unter den „letzten Revolutionären“ auch besaß, blieb wechselseitiges Misstrauen eine zentrale Kategorie ihres Wirkens: so soll Erich Mielke selbst über Erich Honecker, dessen kommunistische Biographie auch nicht frei von Anfeindungen gewesen war, die sich etwa auf sein Verhalten im Zuchthaus Brandenburg bezogen, eine geheime Akte geführt haben; vgl. dazu: Jochen von Lang, Erich Mielke. Eine deutsche Karriere, Berlin 1991, S. 171–173.

 

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wusst, dass derartige Quellen auch als „beständige Bezugspunkte für Denunziationen, Ermittlungen, Repressionen, Rügen, Ermahnungen und Disziplinierungen“ verwendet werden konnten und wurden.105 Selbst ein ausgewiesener Kämpfer wie Kuhles sah sich 1955 mit einem Parteiausschlussverfahren konfrontiert, weil er – so der damalige Vorwurf – zwanzig Jahre zuvor auf „verräterische“ Art und Weise Mitkämpfer gegenüber der Gestapo belastet habe.106 Aufgrund früherer Verfehlungen aus der Partei ausgestoßen zu werden, war für viele jener Aktivisten, für die der Kampf ihrer Klasse zur „Schwungkraft des Lebens“ (Peter Weiss) geworden war, unerträglich und konnte sogar Selbstmordabsichten evozieren – biographische Kontinuität war hier untrennbar mit parteilicher Loyalität und Treue verknüpft.107 Nicht zuletzt fiel es vielen von ihnen schwer, einen Staat abzulehnen, zu dessen Geschichte und Gründung sie selbst beigetragen hatten.108 Die von staatlicher Seite betriebene Heroisierung der Kampfzeit eröffnete diesen bis dahin zumeist namenlos agierenden ,Soldaten der Revolution‘ schließlich eine „späte Genugtuung“, die über die Schattenseiten ihres persönlichen Einsatzes hinwegzutrösten half.109 Sein ganzes Leben in der DDR hatte Kuhles Schulklassen und

                                                             105 Klaus-Georg Riegel, Kaderbiographien in marxistisch-leninistischen Virtuosengemeinschaften, in: Leviathan 22 (1994), S. 15–47, hier: S. 27; vgl. auch: Thomas Klein/Wilfriede Otto/Peter Grieder, Visionen. Repression und Opposition in der SED 1949–1989, Frankfurt a. der Oder 1996. 106 Das Gleiche gilt für den bereits erwähnten Hermann Dünow: in der zweiten Jahreshälfte 1933 zum Leiter des KPD-Nachrichtendienstes ernannt, war er im Dezember 1933 der Gestapo in die Hände gefallen und soll im Verhör umfassende Aussagen gemacht haben, die zur Aufdeckung zahlreicher illegaler Verbindungen beitrugen; vgl. dazu: Ronald Sassning, Thälmann, Dünow, Wehner, Mewis – Bilder mit Radierungen. Vom KippenbergerApparat zum IM-System Mielkes, in: Utopie Kreativ, H.115/116 (2000), S. 558–583; vgl. aus einer biographischen Perspektive dazu: Niethammer/von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung, S. 182–220. 107 Epstein, The Last Revolutionaries, S. 139 u. S. 143; vgl. dazu auch: Jan Assmann, Erinnern, um dazuzugehören. Kulturelles Gedächtnis, Zugehörigkeitsstruktur und normative Vergangenheit, in: Kristin Platt/Mihran Dabag (Hg.), Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, Opladen 1995, S. 51–75, hier: S. 52; Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 77–95. 108 Gareth Pritchard, The Making of the GDR 1945–53. From Antifascism to Stalinism, Manchester 2000, S. 51. 109 Michael Mallmann, „Kreuzritter des antifaschistischen Mysteriums“. Zur Erfahrungsperspektive des Spanischen Bürgerkrieges, in: Helga Grebing/Christl Wickert (Hg.), Das „andere Deutschland“ im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Beiträge zur politischen Überwindung der nationalsozialistischen Diktatur im Exil und im dritten Reich,

 

 

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Militäreinheiten besucht. 1979 war er dafür mit der „Medaille für hervorragende propagandistische Leistungen“ ausgezeichnet worden.110 Seine Biographie bürgte scheinbar für die Wahrhaftigkeit des proletarischen Mythos. Dem Parteiausschluss war er 25 Jahre zuvor jedoch nur knapp entgangen. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass er seine Biographie ganz in den Dienst der staatlichen Agitation stellte. Ein nicht weniger gewichtiger Grund mag jedoch auch gewesen sein, dass Kuhles, der bereits 1933 stellvertretender Waffenverwalter des kommunistischen Militär-Apparates im Roten Herzen gewesen war, sich gleichzeitig als unverzichtbar beim Aufbau der Kampfgruppen erwies. Im Alltag konnte solch demonstrative Virtuosität auch zu Ressentiments führen und die gerühmten – und vielfach auch privilegierten – Veteranen innerhalb ihres eigenen Milieus isolieren.111 Dabei spielte ein historisch aufgeladener Sozialneid eine gewisse Rolle: So beklagten sich staatlich anerkannte „Opfer des Faschismus“ (OdF) immer wieder, dass sie von großen Teilen der Bevölkerung als „Kzler verachtet“ und ausgegrenzt würden.112 Auf der anderen Seite verschärfte auch ein elitäres Selbstverständnis den politischen Rigorismus vieler Aktivisten, die sich umso enger zusammenschlossen. Ihre vielfach lokal orientierte Verankerung und Verantwortung schmälerte zudem die bedingungslose Befolgung zentralistischer Vorgaben ,von oben‘,113 wie etwa die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) immer wieder bemängelte.114

                                                                                                                                      

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Essen 1994, S. 32–51, hier: S. 47; Epstein, The Production, S. 186; McLellan, Antifascism and Memory. Kuhles wurde vielfach ausgezeichnet: 1958 hatte er die „Medaille gegen den Faschismus 1933–1945“ erhalten, ein Jahr später die „Medaille für bewaffnete Kämpfe 1918–1923“ und 1963 war er mit der „Medaille für 40 Jahre Treue zur Partei“ ausgezeichnet worden; vgl. Hirschinger, Fälschung und Instrumentalisierung, S. 64 u. S. 79. Vgl. Silke Satjukow, Propaganda mit menschlichem Antlitz im Sozialismus. Über die Konstruktion einer Propagandafigur. Der „Held der Arbeit“ Adolf Hennecke, in: Rainer Gries/Wolfgang Schmale (Hg.), Kultur der Propaganda, Bochum 2005, S. 167–191; dies., Von Menschen und Übermenschen. Der „Alltag“ und das „Außeralltägliche“ der „sozialistischen Helden“, in: APuZ B17 (2002), S. 39–46. Vgl. Ralf Kessler/Hartmut Rüdiger Peter, Antifaschisten in der SBZ. Zwischen elitärem Selbstverständnis und politischer Instrumentalisierung, in: VfZ 43 (1995), S. 611–633, hier: 619. Sebastian Simsch, „… was zeigt, dass sie ideologisch zurückgeblieben sind“. Personelle Grenzen der früheren DDR-Diktatur am Beispiel der FDGB-Funktionäre in und um Dresden, 1945–1951, in: Peter Hübner (Hg.), Eliten im Sozialismus. Beiträge zu einer Sozialgeschichte der DDR, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 241–253; ders. Blinde Ohnmacht:

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Die ZPKK war 1948 ins Leben gerufen worden und für die „Einheit und Reinheit der Partei“ zuständig. In ihr Visier geriet – neben Sozialdemokraten und Angehörigen anderer Gruppierungen der organisierten Arbeiterbewegung – besonders die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. Die VVN, eine formal überparteiliche Organisation, fungierte als Sammelbecken für alle diejenigen, die im Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft aktiv gewesen oder vom NS-Regime verfolgt worden waren.115 Viele von ihnen zählten zu den „Aktivisten der ersten Stunde“, besonders hoch war ihr Anteil überdies in den entstehenden Sicherheitsorganen.116 Aufgrund ihrer Biographie politisch besonders legitimiert, zogen sich die Angehörigen der VVN jedoch den besonderen Argwohn der SED-Führung zu. Sie betrachtete die VVN als potentielle Rivalin um die politische Macht, was schließlich zu ihrer Auflösung im Frühjahr 1953 führen sollte.117 Den Hintergrund bildete der innerhalb der SED schwelende Konflikt um die Ausrichtung der Partei. Diejenigen Kommunisten und Sozialdemokraten, die die Zuchthäuser und KZs des NS-Regimes überlebt hatten – und sich vielfach in der VVN sammelten –, wollten beim Aufbau des neuen Staates vielfach an genuine Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung anknüpfen. Ihnen standen jedoch die aus sowjetischer Emigration nach Deutschland zurückgekehrten „Moskowiter“ gegenüber, die eine „Stalinisierung“ der Partei nach russischem Vorbild betrieben.118 „Ich habe im KZ gesessen und einen erbitterten Kampf gegen die Faschisten geführt. Jene Genossen, die in der Emigration waren und nach 1945 an leitende Stellen gekommen sind, verraten jetzt die Interessen der Arbeiter“, brach-

                                                                                                                                      

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der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund zwischen Diktatur und Gesellschaft in der DDR 1945–1963, Aachen 2002, S. 111. Dazu: Klein, Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED. Zur VVN vgl. Elke Reuter/Detlef Hansel, Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953, Berlin 1997. Vgl. Kessler/Peter, Antifaschisten in der SBZ, S. 626. Vgl. dazu: Jörn Schütrumpf, „Besprechungen zwischen ehemaligen VVN-Kameraden … dürfen nicht mehr stattfinden.“ Antifaschismus in der DDR, in: Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag, S. 142–152; Klein, Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED, S. 166–184. Klein, Die innerparteilichen Kontrollorgane, S. 168; zur „Stalinisierung“ vgl. Andreas Malycha, Partei von Stalins Gnaden? Die Entwicklung der SED zur Partei neuen Typs in den Jahren 1946 bis 1950, Berlin 1996; ders., Die SED: Geschichte ihrer Stalinisierung, 1946–1953, Paderborn 2000; Harold Hurwitz, Die Stalinisierung der SED: Zum Verlust von Freiräumen und sozialdemokratischer Identität in den Vorständen, 1946–1949, Opladen 1997.

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te ein Hallenser Arbeiterveteran beispielhaft seinen Verdruss zum Ausdruck.119 Allerorten registrierte die ZPKK „sektiererische Tendenzen“ unter den lokalen VVN-Verbänden.120 Im Kreis Wernigerode wurde ihr mangelhafte Zusammenarbeit mit den lokalen Parteiorganen vorgeworfen und im Kreis Bernburg fürchtete man gar eine Wiederbelebung des alten RFB-Geistes.121 Die Bedeutung, die der RFB in der Erinnerungslandschaft der politischen Kultur der DDR besaß, erklärt sich nicht nur damit, dass er die größte Massenorganisation der KPD in der Weimarer Republik gewesen war – zeitweilig sollen ihm sogar mehr Menschen als der Mutterpartei selbst angehört haben. Vielmehr gewann der organisationsintern gepflegte Habitus aus Mitgliedschaft und Militanz in der Gestalt Ernst Thälmanns schließlich paradigmatischen Charakter für die gesamte KPD und in ihrer Nachfolge auch die SED.122 Die Forderung nach quasimilitärischer Disziplin in den eigenen Reihen war jedoch nicht allein das Produkt einer hochgradig militarisierten politischen Kultur der Zwischenkriegszeit. Und sie war auch nicht ausschließlich auf Lenins ,21 Bedingungen‘, den Kanon der revolutionären Avantgarde, zurückführen, die sich selbst als „Generalstab des Proletariats“ begriff.123 Vielmehr reflektierte sie zugleich eine bis in die Anfangsjahre der organisierten Arbeiterbewegung zurückreichende Tradition, die sich an quasi-militärischer Disziplin berauschte.124 Die „Zusammenschaltung von Körper und Geste“ in ritualisierten Aufmärschen diente einerseits der Disziplinierung und Dressur aller Mitglieder der Bewegung. Gleichzeitig beabsichtigten bereits die Arbeitersportveranstaltungen im Kaiserreich, durch den Rekurs auf militärische Ordnungsvorstellungen Respektabilität und Verlässlichkeit zu vermitteln. Nicht zuletzt bekräftigten reibungslos choreographierte und diszipliniert sich vollziehende Massenaufmärsche die Allmachtsphantasien der Avantgarde, quasi-generalstabsmäßig über ihre Klasse verfügen zu können. Solchermaßen begründeten sie

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Zit. nach: Klein, Arbeiterrevolte, S. 40. Vgl. Kessler/Peter, Antifaschisten in der SBZ, S. 631. Klein, Die innerparteilichen Kontrollorgane, S. 173. Vgl. dazu: Weitz, Creating German Communism, S. 196. Dazu: Riedel, Der Marxismus-Leninismus als politische Religion; Philip Selznick, The Organizational Weapon: A Study of Bolshevik Strategy and Tactics, New York 1952, S. 43. 124 Robert Michels, Soziologie des Parteienwesens, Stuttgart 1925, S. 41; Hauck, „Armeekorps auf dem Weg zur Sonne“.

 

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ein symbolisch-suggestives „Treue-Schutz“-Gelöbnis, das bis zum Ende der DDR nichts von seiner Gültigkeit verlor.125 Oft genug hatte jedoch zu Zeiten der Weimarer Republik weniger die politische Programmatik den individuellen Ausschlag für einen Beitritt zum RFB gegeben als persönliche Beziehungen, die sich dann in der Gruppe reproduzierten und in erster Linie auf die Lust an einem (männlich-militärisch konnotierten) Gemeinschaftserlebnis verweisen.126 Zwar verstanden sich Reichsbanner wie RFB gleichermaßen als überparteiliche Organisationen. Ein Zusammengehen ihrer Mitglieder wurde jedoch weder von SPD noch KPD gern gesehen. Trotz regelmäßiger Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen beider Formationen kam es an der Basis immer wieder auch zu lokalen „Einheitsfronten“ und „proletarischen Verbrüderungsszenen“,127 etwa an klassischen Feiertagen der Arbeiterbewegung128 und insbesondere im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung. Sie zeigen, dass die proletarische Gewaltpraxis an der gesellschaftlichen Basis weniger politischen Vorgaben als vornehmlich der Schutzfunktion des eigenen, immer wieder auch parteiübergreifend verstandenen Milieus diente.129

                                                             125 Monika Gibas, Die Inszenierung kollektiver Identität. Staatssymbolik und Staatsfeiertage in der DDR, in: Universitas 634 (1999), S. 312–325; vgl. auch: Monika Gibas/Rainer Gries, „Vorschlag für den Ersten Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei!“ Überlegungen zur Geschichte der Tribüne in der DDR, in: Deutschland Archiv 5/1995, S. 481–494. 126 Kurt G.P. Schuster, Der Rote Frontkämpferbund 1924–1929: Beiträge zur Geschichte und Organisationsstruktur eines politischen Kampfbundes, Düsseldorf 1975, S. 94; vgl. dazu auch: Timothy S. Brown, Weimar Radicals: Nazis and Communists between Authenticity and Performance, New York 2009, S. 92f. 127 Vgl. Klaus-Michael Mallmann, Gehorsame Parteisoldaten oder eigensinnige Akteure? Die Weimarer Kommunisten in der Kontroverse – Eine Erwiderung, in: VfZ 47 (1999), S. 401–415, hier: S. 408f.; Gotschlich, Zwischen Kampf und Kapitulation, S. 89–94; Schutz- und Kampforgane der Arbeiterklasse. Kreis Quedlinburg. 1920–1963, hrsg. von der SED-KL Quedlinburg und der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, Quedlinburg 1963, S. 12–15. 128 Vgl. Kämpfer ihrer Klasse. Wehr-, Schutz- und Kampforgane der Arbeiterklasse – ihre Entwicklung im Bereich des Kreises Aschersleben, hrsg. von der SED-KL Aschersleben und der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, Aschersleben 1964, S. 18f.; Bers, Rote Tage, S. 26f. 129 Vgl. dazu: Rosenhaft, Gewalt in der Politik.

 

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Zahllose Zusammenstöße und Krawalle verweisen darüber hinaus auf einen schwer zu kontrollierenden Aktionsdrang einzelner Aktivisten.130 Nur etwa ein Viertel aller Reichsbanner-Mitglieder war überhaupt bereit, sich regelmäßig an den obligatorischen Exerzierübungen- und Kommandoübungen zu beteiligen.131 Auch wenn der Zuspruch innerhalb des RFB zu derartigen Übungen größer gewesen sein mag, war er auch hier durchsetzt von Vorbehalten gegenüber jedweder Form militärisch-strikter Disziplin.132 Vielfach, und sehr zum Missfallen seiner Führung, schienen die Mitglieder vor allem einem Hang zum „Soldatenspielen“ nachzugehen. Gewalt war zu einer Form der Selbstdarstellung geworden und ihre Praxis wies nicht selten Züge eines Bandenkrieges auf,133 der sich um politische Vorgaben wenig zu kümmern schien. Stattdessen wurde er vielfach auch als Ventil genutzt, um individuelle Frustration auszuleben und sich einer gewalttätigen „Neuschöpfung“ zu unterziehen,134 bei der die Grenzen zwischen politischem Aktivismus und parteilicher Loyalität leicht verschwimmen konnten.135 Durchaus mit Besorgnis stellte deshalb Gustav Roebelen – als Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen beim ZK der SED mit der Ausarbeitung von „Richtlinien für die Organisierung und Ausbildung der Kampfgruppen“ beauftragt – im Mai 1954 fest, dass „vielfach die Meinung vertreten [werde], dass mit den Kampfgruppen die Tradition des Roten Frontkämpferbundes wieder aufleben und diese ihren Ausdruck in einer gleichen Organisationsform und sogar ,Uniformierung‘ finden

                                                             130 Vgl. dazu: Günter Bers (Hg.), „Rote Tage“ im Rheinland. Demonstrationen des Roten Frontkämpfer-Bundes (RFB) im Gau Mittelrhein 1925–1928, Köln 1980, S. 7; Brown, Weimar Radicals, S. 92. 131 Vgl. Gottfried Korff, Rote Fahnen und geballte Faust, S. 40; Ziemann, Republikanische Kriegserinnerung, S. 368f. 132 Bers (Hg.), „Rote Tage“, S. 8; Schuster, Der Rote Frontkämpferbund . 133 Eve Rosenhaft, Links gleich rechts? Militante Straßengewalt um 1930, in: Lindenberger/Lüdtke (Hg.), Physische Gewalt, S. 238–275, hier: S. 248f.; vgl. dazu auch: dies., Organizing the „Lumpenproletariat“. Cliques and Communists in Berlin during the Weimar Republic, in: Richard J. Evans (Hg.), The German Working Class. The Politics of Everyday Life, London 1982, S. 174–219; Helmut Lessing/Manfred Liebel, Wilde Cliquen. Szenen einer anderen Arbeiterbewegung, Berlin 1981; Pamela E. Swett, Neighbors and Enemies: The Culture of Radicalism, 1929–1933, New York 2004. 134 Vgl. dazu die Überlegungen bei: Erving Goffman, Wo was los ist – wo es action gibt, in: ders., Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, 5. Aufl., Frankfurt a. Main 1999 (erstmalig 1967), S. 164–292. 135 Vgl. dazu: Brown, Weimar Radicals, Kap. IV: „German Communism and the Fascist Challenge”.

 

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soll“.136 Tatsächlich glichen viele der neu entstehenden Hundertschaften ihrem historischen Vorbild verblüffend genau. Etwa in Dresden waren anlässlich der 1. Mai-Demonstrationen Kampfgruppen in Uniformen des RFB gekleidet und dessen Gruß imitierend aufmarschiert.137 Verschiedene Kampfgruppen-Einheiten führten überdies Original-Fahnen des RFB. Die Fahne ist von hoher symbolischer Bedeutung für jedes Kollektiv, insbesondere für Kampfverbände. Galt sie auch innerhalb der Kampfgruppen als „höchstes Symbol der militärischen Ehre“,138 kamen Fahnen in der Symbolik der Arbeiterbewegung von jeher zentrale Bedeutung zu.139 „Fahnen sind sichtbar gemachter Wind“, hat Elias Canetti im Hinblick auf ihre symbolische Dynamik festgestellt. „Die Völker, als vermöchten sie den Wind aufzuteilen, bedienen sich seiner, um die Luft über sich als die ihre zu bezeichnen.“140 Einerseits soll die Vergegenwärtigung des Ruhmes eines sozialen Kollektivs in der Fahne den Geist ihrer Träger gewissermaßen ,beflügeln‘. Andererseits vergegenwärtigt sich in ihr zugleich das „Heer der Toten“,141 dessen Vermächtnis ihre Träger auf eine spezifische Haltung verpflichtet, so auch in den Kampfgruppen: „Die Kampfgruppen-Fahne ist das Symbol der bewaffneten Arbeiterklasse. Sie mahnt jeden Angehörigen der Kampfgruppen, die Deutsche Demokratische Republik zu schützen und unter Einsatz seines Lebens zu verteidigen sowie sich der Zugehörigkeit zu den Kampfgruppen stets würdig zu erweisen.“142

Wie in der Armee symbolisierte die Fahne auch in den Kampfgruppen den Ehrenkodex des kommunistischen Kampfes. Sie stand für die gemeinsamen Über-

                                                             136 Vorlage der Abt. f. Sicherheitsfragen vom 6.5.1954, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/419, Bl. 27. 137 Vgl. Schulze, Das große Buch der Kampfgruppen, S. 38; im VEB Elektrogerätewerk Suhl hatten die Angehörigen der lokalen Kampfgruppe sich im März 1954 eigens „ThälmannMützen“ gekauft, um solchermaßen gekleidet nach Zella-Mehlis zu marschieren, wo man gefallene Kämpfer des mitteldeutschen Aufstandes von 1921 zu ehren beabsichtigte; vgl. Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 32. 138 Ordnung über den Dienst in den Kampfgruppen vom 27.6.1976, BStU, MfS-BdL, Nr. 8784, Bl. 62. 139 Vgl. dazu: Klaus-Peter Merta, Flatternde Fahnen – Fahnenkult in der DDR, in: Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag, S. 187–192. 140 Elias Canetti, Masse und Macht, Frankfurt a. Main 1980, S. 95. 141 Klaus Theweleit, Männerphantasien, 2 Bde., Band 2: Männerkörper – zur Psychoanalyse des weißen Terrors, München/Zürich 2000 (erstmalig: 1977/78), S. 283f. 142 Ordnung über den Dienst in den Kampfgruppen vom 27.6.1976, BStU, MfS-BdL, Nr. 8784, Bl. 27.

 

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zeugungen und Verpflichtungen der Angehörigen einer Hundertschaft und sollte dem einfachen Kämpfer das Bewusstsein vermitteln, in der Nachfolge von Verbänden zu stehen, die im Kampf große Leistungen vollbracht hatten. In diesem Sinne verpflichtete sie die Kämpfer, stets „getreu den Traditionen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zu handeln“.143 Gegenüber den meisten, gewöhnlich erst in der DDR hergestellten Fahnen vieler Kampfgruppen-Einheiten besaßen Originalfahnen eine besondere kultische Bedeutung, derer sich ihre Träger durchaus bewusst zu sein schienen [Siehe Erster Teil, Kap. I, Abb. 3]. Der Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus, Lothar Berthold, hatte am 26.8.1964 eine Anfrage an die Abteilung für Sicherheitsfragen beim ZK gerichtet, in der er darauf hinwies, „dass über die Jahre des Hitlerfaschismus erhalten gebliebene Fahnen von Ortsgruppen des RFB von Bezirks- und Kreisleitungen der Partei, so zum Beispiel in Halle, Leipzig, Gotha vorbildlichen Einheiten übergeben worden“ seien. „Angesichts der Tatsache, dass solche Fahnen sehr selten“ seien, plädierte er dafür, dass „einige solcher Fahnen dem Museum für Deutsche Geschichte in Berlin zur Verfügung gestellt“ würden, zumal ihnen von den Kampfgruppen-Einheiten kaum jene sachkundige Pflege zuteil würde, der diese Artefakte bedürften. Eine Aufstellung über in den Kampfgruppen vorhandene Traditionsfahnen, die das Institut daraufhin von Seiten des ZK erhielt, blieb jedoch höchst unvollständig. Einige Bezirke, darunter auch der Bezirk Halle, hatten dem ZK erst gar keine Meldung erstattet, möglicherweise auch deshalb, weil sie um den Erhalt ihrer Fahnen fürchteten.144 Was für die einen Ausweis ,echter‘ revolutionärer Berufung des neuen, „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ zu sein schien, war für andere durchaus Grund zur Besorgnis, wie der distanzierte und eher skeptisch anmutende Kommentar Roebelens nahelegt. Zum Ausdruck kommt darüber ein zentrales Dilemma staatssozialistischer Erinnerungspolitik: Zwar fungierte die Bezugnahme auf die Tradition der Kampfzeit weithin als Ausweis politischen Kapitals, nur handelte es sich hierbei nicht um eine einzige oder gar eindeutige Tradition. Vielmehr war der Bezug auf die Kampfzeit stets ambivalent, beeinflusst von individuellen und milieuspezifischen Prägungen und Erfahrungen der jeweiligen Akteure. Gefährlich war der „Einspruch lokaler Traditionen“ (Siegfried Lokatis) im Hinblick auf die Kampfzeit vor allem deshalb, weil er die Wahrnehmungen im Hinblick auf den Sinn und Zweck von bewaffneten Arbeiterformationen beeinflusste.

                                                             143 Ordnung über den Dienst in den Kampfgruppen vom 27.6.1976, BStU, MfS-BdL, Nr. 8784, Bl. 11. 144 Vgl. Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 169f.

 

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Schon zu Zeiten des ,punktuellen Bürgerkrieges‘ hatte es Dissonanzen zwischen der politischen Führung und der gesellschaftlichen Basis hinsichtlich der Anwendung von Gewalt gegeben. War die Avantgarde stets bestrebt gewesen, die Gewaltsamkeit an der gesellschaftlichen Basis für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren, wurde sie dort zumeist als legitimes Mittel zur Durchsetzung milieuspezifischer Interessen gedeutet.145 Das sollte sich auch im Juni 1953 zeigen, allerdings unter veränderten Voraussetzungen. Die inzwischen erfolgte „Verstaatlichung der Arbeiterbewegung“ (Christoph Kleßmann) belastete jedoch die Gründung einer Formation, die nominell auf den Schutz der sozialistischen Errungenschaften verpflichtet wurde, mit einer doppelten Bürde. Während ihre Existenz an der gesellschaftlichen Basis auch als gegen die Arbeiter selbst und allein der Avantgarde verpflichteten Formation wahrgenommen werden konnte, war man auf den Kommandohöhen zu keiner Zeit ihrer Existenz sicher, ob die Klasse die ihnen anvertrauten Waffen nicht gegen ihre eigene Avantgarde wenden würde.  

                                                             145 Vgl. Rosenhaft, Gewalt in der Politik; Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik.

 

II. „Bei Euch war es am schlimmsten“. Der 17. Juni 1953 in den Bezirken Halle und Magdeburg

„Wir sind in einem Bezirk, in dem die Arbeiterklasse eine große revolutionäre Tradition hinter sich hat. […] Jetzt war Halle eines der entscheidenden Zentren des geplanten Putsches. Aber es ist dieselbe Arbeiterklasse, die wir hier haben. Das sind die Kinder und Enkel der, die früher gekämpft haben und unsere Partei ist dieselbe, die damals da war. Das ist der entscheidende Punkt und wir müssen wieder zu den Massen in das gleiche Verhältnis kommen, wie wir es 1918, 1919, 1920 und 1921 hatten. Diese großen revolutionären Traditionen, auf die die Arbeiter stolz sind, in Leuna, Geiseltal und Mansfeld, das sind unsere Traditionen, die Traditionen der Partei Ernst Thälmanns. Wir haben sie nicht genügend geachtet.“1

Der proletarische Mythos – die Vorstellung, dass zum Arbeiter das Gewehr gehöre – war der Versuch, der kämpferischen Vergangenheit einen kohärenten und verbindlichen Sinn zuzuschreiben. Immer, wenn Arbeiter zu den Waffen gegriffen hätten, habe ihr Einsatz dem Kampf um eine bessere Gesellschaftsordnung gegolten, die mit der Gründung des ersten ,Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden‘ Wirklichkeit geworden sei. Schon Georges Sorel hatte mit seiner Mythenlehre darauf hingewiesen, dass die Beschwörung von Kampf und Gewalt zwar geeignet sei, ein Kollektiv gegen jede Art von Herrschaft zu mobilisieren, Herrschaft selbst zu begründen ihr hingegen unmöglich sei.2 Der Übergang von einer Bewegungs- zu einer Staatspartei zwang die „letzten Revolutionäre“ einerseits dazu, sich zur Rechtfertigung ihrer Machtansprüche weiterhin einem revolutionären Gestus zu verschreiben. Andererseits verlangte die Sicherung ihrer Macht jedoch eine Praxis von Ordnung und Disziplin,3 die sie 1953 dazu brachte, die Gewalt, die ihr im Juni dieses Jahres

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Fred Oelßner, zit. nach: Angelika Klein, Die Arbeiterrevolte im Bezirk Halle, Potsdam 1993, S. 6. Helmut Berding, Der politische Mythos in der Theorie Georges Sorels und in der Praxis des Faschismus, in: Kurt Kluxen/Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Politische Ideologien und nationalstaatliche Ordnung, München 1968, S. 239–252, hier: S. 249f.; vgl. auch: Dietrich Harth, Revolution und Mythos. Sieben Thesen zur Genesis und Geltung zweier Grundbegriffe historischen Denkens, in: ders./Jan Assmann (Hg.), Revolution und Mythos, Frankfurt a. Main 1992, S. 9–35. Weitz, Der Zusammenbruch der DDR aus langfristiger Perspektive, S. 7.

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entgegenschlug, kategorisch als „konterrevolutionär“ zu verunglimpfen.4 Die eingangs zitierten Aussagen des damaligen SED-Chefideologen Fred Oelßner – 1921 selbst am mitteldeutschen Aufstand beteiligt gewesen5 – deuten jedoch eine Ahnung davon an, dass diese Diffamierungen zumindest im Bezirk Halle nicht ganz den Tatsachen entsprachen. Denn, wie zu zeigen sein wird, dienten die vielfach symbolisch zu lesenden Gewaltakte der Aufständischen hier im Juni 1953 auch einer ritualisierten Artikulation von Protest, die auf weit zurückreichende Traditionen Bezug nehmen konnte. Sowohl im Hinblick auf den bisher kaum zur Kenntnis genommenen „ersten Arbeiteraufstand“ von 1951 als auch im Hinblick auf den weitaus prominenteren Aufstand vom Juni 1953 ist dafür plädiert worden, die Dynamik der Ereignisse mit den Methoden der sozialen Protestforschung zu untersuchen.6 Eine solche

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Vgl. dazu: Ilko-Sascha Kowalczuk, „Faschistischer Putsch“ – „Konterrevolution“ –„Arbeitererhebung“. Der 17. Juni 1953 im Urteil der SED und PDS, in: Rainer Eckert/Bernd Faulenbach (Hg.), Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild, München/Landsberg 1996, S. 69–82. Fred Oelßner (1903–1977), in Leipzig geboren, trat 1919 der USPD und 1920 der KPD bei; zunächst Bezirksleiter des kommunistischen Jugendverbandes im Partei-Bezirk Halle/Merseburg, ab 1921 Mitarbeiter des ZK; 1923 Verhaftung und Verurteilung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“; 1926 Delegierung nach Moskau, Besuch der LeninSchule; 1932 Rückkehr nach Deutschland und im Schulungswesen der Partei aktiv; 1933 Emigration nach Frankreich, 1935 in die Sowjetunion; 1940 wird Oelßner sowjetischer Staatsbürger, kehrt 1945 jedoch mit der „Gruppe Ackermann“ nach Deutschland zurück; 1946–49 Leiter des partei-internen Schulungswesens; 1947 Mitglied des Zentralkomitees; 1949 der Volkskammer; 1950 des Politbüros; ab 1955 Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates; 1959 jedoch im Zusammenhang mit der Schirdewan/Wollweber-Affäre in Ungnade gefallen, aller Ämter enthoben; ein Jahr später öffentliche Selbstkritik und Rehabilitierung; zur Biographie Oelßners im Einzelnen vgl. Epstein, The Last Revolutionaries, S. 34–37. Im Hinblick auf 1951 vgl.: Andrew I. Port, Der erste Arbeiteraufstand in der DDR. Die Proteste der Wismut-Arbeiter im thüringischen Saalfeld 1951, in: DA, H. 4, Jg. 40 (2007), S. 605–613; ausführlicher: ders., Conflict and Stability, S. 46–69; im Hinblick auf 1953 vgl.: Lindenberger, „Gerechte Gewalt“; Dale, Popular Protest; zur historischen Protestforschung vgl. die klassischen Studien von: Eric Hobsbawm, The Machine Breakers, in: ders., Labouring Men. Studies in the History of Labour, London 1964, S. 5–21; Edward P. Thompson, „Die moralische Ökonomie“ der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert, in: ders., Plebeische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. Main/Berlin/Wien 1980, S. 66–129; zur historischen Protestforschung in Deutschland: Heinrich Volkmann, Kategorien des sozialen Protests im Vormärz, in: GG 3 (1977), S. 164–189; ders./Jürgen Bergmann (Hg.),

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Perspektive ist weniger an der (die Forschung immer noch beschäftigenden) Frage interessiert, ob der Aufstand vom Juni 1953 ein „Arbeiter“- oder ein „Volksaufstand“ war,7 als vielmehr daran, welche Bedeutung die Aufständischen selbst ihrem gewaltsamen Handeln zuschrieben. Schien die vielbeschworene ,Einheit von Partei und Klasse‘ nirgendwo so unverbrüchlich wie im Roten Herzen, beteiligten sich hier jedoch mehr Industriearbeiter – die soziale Leitfigur des Arbeiterund-Bauern-Staates – an den Juni-Protesten als irgendwo sonst in der DDR.8 Trotzdem – oder eben auch: genau deshalb – zählten der Bezirk Halle, aber auch der Bezirk Magdeburg, im Hinblick auf das Ausmaß des Protestes und die Aktivitäten der Aufständischen zu den Zentren des Aufstandes vom 17. Juni 1953. Halle, dessen Einwohnerzahl von 2.148.000 (1946) auf 1.816.000 Einwohner (1982) zurückging,9 war mit seinen 20 Landkreisen sowie den drei Stadtkreisen Dessau, Halle und (ab 1967) Halle-Neustadt, der viertgrößte Bezirk der DDR. Trotz seines mit 8.771 Quadratkilometern flächenmäßig überschaubaren Umfangs verfügte er über die zahlenmäßig größte aller SED-Bezirksparteiorganisationen in der DDR. Die 1. Sekretäre der lokalen SED-Bezirksleitung – Bernhard Koenen (1952–53/59–63),10 Horst Sindermann (1963–71), Walter Felfe (1971– 1981) und Hans-Joachim Böhme (1981–1989) – waren stets auch Vollmitglieder des Politbüros, und damit des inneren Führungszirkels der SED, gewesen – ein

                                                                                                                                      

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Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, Opladen 1984; Heinrich Volkmann/Manfred Gailus (Hg.), Der Kampf um das tägliche Brot. Nahrungsmangel, Versorgungspolitik und Protest 1770–1990, Opladen 1994. Vgl. dazu die Diskussion bei: Lutz Niethammer, Der 17. Juni 1953 in vergleichender Perspektive: War der Aufstand eine Revolution? In: Hans-Joachim Veen (Hg.), Die abgeschnittene Revolution. Der 17. Juni 1953 in der deutschen Geschichte, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 189–237, hier: S. 193–198. Hermann-Josef Rupieper, Einleitung, in: ders. (Hg.), „… und das Wichtigste ist doch die Einheit.“ Der 17. Juni 1953 in den Bezirken Halle und Magdeburg, Münster/Hamburg/London 2003, S. 9–29, hier: S. 12f.; vgl. auch: Klein, Arbeiterrevolte im Bezirk Halle; Hans-Peter Löhn, Spitzbart, Bauch und Brille – sind nicht des Volkes Wille! Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in Halle an der Saale, 2. Aufl., Bremen 2003. Vgl. DDR-Handbuch, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 2 Bde., Bonn 1984, Bd. 1, S. 215. Koenen war von 1953 bis 1959 als Botschafter in der ČSSR tätig und wurde bis 1959 von Heinz Glaser (1953/54) und Franz Bruk (1954–1958) vertreten; vgl. dazu: Mario Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen 1952–1989, Paderborn 2007, S. 87–89.

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Privileg, das nur vier der fünfzehn SED-Bezirksleiter zuteil wurde.11 In diesem Gebiet, dessen Wahrnehmung als ,blutrote‘ kommunistische Hochburg beinah so alt wie die Partei selbst war, waren einige der größten und wichtigsten Industriebetriebe der DDR konzentriert [Siehe Erster Teil, Kap. II. Abb. 4].12 Reichhaltige Vorkommen von Bodenschätzen machten den Braunkohletagebau und die Förderung von Stein- und Kalisalzen zu wichtigen regionalen Industriezweigen,13 sie stellten zugleich wesentliche Standortfaktoren für die chemische Industrie dar.14 Ihr überproportionaler Stellenwert – auf weniger als 2 Prozent der DDR-Fläche konzentrierten sich fast 50 Prozent ihrer Chemieindustrie15 – trug dem Bezirk den Namen „Chemiearbeiterbezirk“ ein. Die chemische Industrie war an den Standorten Halle-Merseburg, Bitterfeld-Wolfen, Wittenberg-Coswig und Weißenfels-Zeitz konzentriert. Ihre bereits in den 1920er und 30er Jahren entstandenen Großbetriebe – dazu zählten die Leuna-Werke bei Merseburg, die

                                                             11 Hans-Peter Löhn, „Unsere Nerven lagen allmählich blank“. MfS und SED im Bezirk Halle. Die Entmachtung der Staatssicherheit in den Regionen, Teil 2. BF informiert 13, BStU, Berlin 1996, S. 3; vgl. auch: Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen; Helga Welsh, Zwischen Macht und Ohnmacht. Zur Rolle der 1. Bezirkssekretäre der SED, in: Stefan Hornbostel (Hg.), Sozialistische Eliten. Horizontale und vertikale Differenzierungsmuster in der DDR, Opladen 1999, S. 105–123. 12 Vgl. Ulrich Gill, Bergbau, Energie, Chemie und Leder in der DDR zwischen 1950 und der deutschen Vereinigung, in: Klaus Tenfelde (Hg.), Ein neues Band der Solidarität. ChemieBergbau-Leder. Industriearbeiter und Gewerkschaften in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg, Hannover 1997. 13 Im Geiseltal, in dem seit 1848 Kohle gefördert wurde, befand sich das mächtigste Braunkohleflöz Mitteldeutschlands; 1946 lag die mittlere Kohlenmächtigkeit bei 80 Metern und die Abraummächtigkeit bei 45 Metern; der Bestand an Kohle wurde auf 247 Millionen Tonnen geschätzt; das Braunkohlenwerk Mücheln umfasste die Gruben Elisabeth und Elise II sowie Tagebaue in Mücheln, Lützkendorf und Stöbnitz; vgl. allgemein zum Braunkohlenbergbau: Hans Czihak/Jörg Roesler, Naturbedingungen und Effektivitätsentwicklung im Braunkohlenbergbau 1950–1972, in: Jörg Roesler (Hg.), Produktionswachstum und Effektivität in Industriezweigen der DDR 1950–1970, Berlin (O) 1983. 14 Zur Entwicklung der chemischen Industrie: Friedrich Welsch, Geschichte der chemischen Industrie. Abriss der Entwicklung ausgewählter Zweige der chemischen Industrie von 1800 bis zur Gegenwart, Berlin (O) 1981; vgl. auch: Wolfgang Mühlfriedel, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, Berlin (O) 1989. 15 Handbuch der DDR-Wirtschaft, hrsg. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Hamburg 1984, S. 162.

 

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Buna-Werke bei Schkopau16 sowie die Filmfabrik Wolfen bei Bitterfeld17 – bildeten auch zu DDR-Zeiten das Herz der chemischen Industrie.18 Bedeutende Kupferschiefervorräte in der Mansfelder und Sangerhausener Mulde bildeten die Grundlage für den Mansfelder Kupferbergbau, der auf eine über 700jährige Tradition zurückblicken konnte.19 Die Verhüttung erfolgte in Eisleben und Hettstedt, der Volkseigene Betrieb (VEB) Eisen- und Hüttenwerke Thale war zudem ein wichtiger Betrieb der Eisen- und Stahlindustrie.20 Weitere prägende Industriezweige waren der vor allem auf den Bedarf der Industrie des Bezirkes ausgerichtete Schwermaschinenbau, der Fahrzeugbau mit der Herstellung von Schienenfahrzeugen (VEB Waggonfabrik Ammendorf, VEB Waggonfabrik Dessau) und Fahrrädern sowie die Herstellung von Gas- und Elektrogeräten.21 Kampfgruppen entstanden – entgegen der Suggestion des Titelbildes – auch auf dem Lande. Zum einen hatte sich die militärpolitische Arbeit hier auf strukturell anders gelagerte Probleme einzustellen. Zum anderen sah sich die SED in ihren Kollektivierungsbestrebungen zudem mit bisweilen tief verwurzelten, bäuer                                                             16 Vgl. Heinz Rehmann, Das Buna-Werk Schkopau: 1936–1989, Merseburg 2006; Uwe Pfannmöller, Zur Geschichte der PVC-S-Produktion im Buna-Werk Schkopau, in: Merseburger Beiträge zur Geschichte der chemischen Industrie Mitteldeutschlands 2 (1997), S. 4–62. 17 Dirk Hackenholz, Die elektrochemischen Werke in Bitterfeld 1914–1945. Ein Standort der IG-Farbenindustrie AG, Münster 2004; Gerhard Hess, Funktion und Struktur des Industriegebietes Bitterfeld. Eine historisch-geographische Untersuchung zur Frage der Entwicklung industrieller Ballungsräume, Diss. Math.-Nat. Leipzig 1965. 18 Vgl. dazu die Beiträge in: Hermann-Josef Rupieper/Friederike Sattler/Georg WagnerKyora (Hg.), Die mitteldeutsche Chemieindustrie und ihre Arbeiter im 20. Jahrhundert, Halle 2004; vgl. auch: Björn Müller, Der Wandel der chemischen Industrie Mitteldeutschlands im planwirtschaftlichen System der SBZ/DDR 1945–1989, Hamburg 2007; Dieter Scholz, Die Industrie im Ballungsgebiet Halle-Leipzig. Ein Beitrag zu den industriegeographischen Grundlagen gebietsplanerischer Probleme in Ballungsgebieten, Habil. Rer. Nat. Leipzig 1965; ders., Ballungsgebiete in der DDR, Halle 1981. 19 Vgl. dazu: Gerhard Boltz, Zur Geschichte des Mansfelder Kupferschieferbergbaus, Clausthal-Zellerfeld 1995; vgl. auch: Gudrun Riedel (Hg.), 800 Jahre Mansfelder Bergbau- und Hüttentradition 1999/2000. Protokoll des wissenschaftlich-technischen Kolloquiums, Halle 2000. 20 Vgl. Jochen Czerny, EKO: Eisen für die Republik, Berlin (O) 1984. 21 VEB Waggonbau Ammendorf (Hg.), 1823–1948. Von der Kutsche zum Weitstreckenwagen – VEB Waggonbau Ammendorf, Halle 1986; Wolfgang Fabian, Befreier: Beiträge zur Geschichte des VEB Waggonbau Ammendorf, Halle 1981; Franz Brückner, Die Vorgeschichte des VEB Waggonbau Dessau von 1895 bis 1945, Berlin (O) 1962.

 

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lich-individuellen Werthaltungen konfrontiert, die bis in die 1950er Jahre hinein durch weitgehend intakt gebliebene dörfliche Milieus gestützt wurden.22 Tatsächlich verfügten sowohl Halle als auch Magdeburg auch über eine leistungsfähige Landwirtschaft. Obwohl im Bezirk Halle mehr als 50 Prozent seiner Fläche landwirtschaftlich genutzt wurde, waren hier jedoch weniger als zehn Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig; ein Wert, der sich im benachbarten Bezirk Magdeburg immerhin auf über 15 Prozent belief.23 Hier wurden 60 Prozent der Fläche des Bezirkes landwirtschaftlich genutzt. Aufgrund ihres guten Bodens war die Magdeburger Börde seit Jahrhunderten ein Zentrum der landwirtschaftlichen Nutzung gewesen24 und auch zu DDR-Zeiten bildete sie den wichtigsten Lieferanten für Schlachtvieh, Kartoffeln, Gemüse und Zucker.25 Auch in dem mit 11.526 Quadratkilometern zweitgrößten DDR-Bezirk war die Bevölkerungsentwicklung rückläufig: Von 1.534.000 Einwohnern (1946) ging sie auf 1.260.000 Einwohner (1982) zurück.26 Damit korrespondierte, dass die Zahl der Kreise von ursprünglich 21 Landkreisen und dem Stadtkreis Magdeburg im Laufe der Jahre auf 17 schrumpfte. Der Bezirk war insofern von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung als dass er über den größten Anteil an der innerdeutschen Grenze und über drei für den deutsch-deutschen Verkehr wichtige Verkehrswege verfügte.27 Die Grenzübergangsstelle Marienborn an der Autobahn Hannover – Berlin war die bedeu-

                                                             22 Vgl. dazu: Arnd Bauerkämper, Traditionalität in der Moderne. Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Mecklenburg nach 1945, in: ZAA 51 (2003), S. 9–33; ders., Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945–1963, Köln/Weimar/Wien 2002. 23 Vgl. Handbuch der DDR-Wirtschaft, S. 49; zur Betriebs- und Arbeitskräftestruktur in der DDR-Landwirtschaft vgl. auch: DDR-Handbuch, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 2. Aufl., Bonn 1979, S. 644–648. 24 Vgl. Hans-Jürgen Rach (Hg.), Landwirtschaft und Kapitalismus. Zur Entwicklung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Magdeburger Börde vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, 2 Halbbände, Berlin (O) 1978/79. 25 Z. B. befand sich in Deersheim, Kreis Halberstadt, der mit 600 Mitarbeitern größte Legehennenbetrieb der DDR; vgl. 60 Jahre Geflügelzucht in Deersheim. Die Geschichte der Geflügelzucht in Deersheim – Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung in der Landwirtschaft unseres sozialistischen Staates, Güstrow 1987; zur DDR-Landwirtschaft vgl.: Jens Schöne, Die Landwirtschaft der DDR 1945–1990, Erfurt 2005. 26 Vgl. DDR-Handbuch, Bd. 1, S. 215. 27 Vgl. dazu die mit „Netzwerk Autobahn“ betitelte Ausgabe der WerkstattGeschichte 7 (1998) sowie: Felix Mühlberg, Alltag an der deutsch-deutschen Grenze, in: WerkstattGeschichte 1 (1992), S. 27–34.

 

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tendste Grenzübergangsstelle zwischen der Bundesrepublik und der DDR.28 Neben der Landwirtschaft gewann der Bezirk durch das Vorhandensein verschiedener Bodenschätze eine zunehmende Bedeutung für die Volkswirtschaft der DDR. Der Volkseigene Betrieb (VEB) Kalibetrieb „Ernst Schneller“ Zielitz hatte einen Anteil von etwa einem Viertel an der gesamten Kalidüngemittelerzeugung der DDR.29 Mit einer jährlichen Förderung von etwa 13 Milliarden Kubikmetern Erdgas, der Erweiterung der Großgaserei Magdeburg und dem im Bau befindlichen Kernkraftwerk Stendal besaß der Bezirk ein erhebliches Gewicht als Brennstoff- und Energieversorger. Wichtige Industrieeinrichtungen befanden sich in den Kreisen Schönebeck, Staßfurt, Wernigerode und Salzwedel.30 Die Bezirkshauptstadt galt nicht erst zu DDR-Zeiten als „Stadt des Schwermaschinenbaus“.31 Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Magdeburger Unternehmer und Erfinder Hermann Gruson in Magdeburg-Buckau eine Maschinenfabrik und Schiffsbau-Werkstatt begründet.32 Weitere Niederlassungen ent                                                             28 Zum Grenzübergang Marienborn vgl. Halberstadt, Quedlinburg und Stollberg: Grenzübergang Helmstedt/Marienborn, hrsg. vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen, Lübeck 1986; zur deutsch-deutschen Grenze vgl. Hendrik Thoß, Europas Eiserner Vorhang: die deutsch-deutsche Grenze im Kalten Krieg, Berlin 2008; Maren Ullrich, Geteilte Ansichten: Erinnerungslandschaft deutsch-deutsche Grenze, Berlin 2006. 29 Georg Gruchot, Zwölf Jahrzehnte Kalibergbau – 10 Jahre Kaliproduktion Zielitz, in: Wolmirstedter Beiträge 1984, S. 3–80; Hans-Jürgen Schmidt, Die Geschichte der Kaliindustrie in Sondershausen: von 1926 bis 1995, Sondershausen 2007; Günther Duchrow, Von der Staßfurter Wiege bis ins Nordharzer Twen-Stadium: die 2. Periode der deutschen Kalibergbaugeschichte, Sondershausen 2002; Bergmannsverein Staßfurt (Hg.), Geschichte des Staßfurter Salzbergbaus und der Staßfurter Kaliindustrie in der Zeit von 1952–2002, Staßfurt 2002; Karl-Hermann Hauske, Kali: das bunte, bittere Salz, Leipzig 1990. 30 Klaus Rosenhahn, 40 Jahre Dieselmotoren aus Schönebeck: 1946–1986. Festschrift hrsg. zum 40. Jahrestag der Gründung des Betriebes der Motorenbauer, Schönebeck 1986; Aus der 125jährigen Geschichte des VEB Chemieanlagenbau in Staßfurt: von der Maschinenfabrik „Sauerbrey“ zum sozialistischen Großbetrieb CAS, hrsg von der SED-BPO des VEB CAS, Staßfurt 1988; Von der „Buckauer“ zum Volkseigenen Betrieb „Karl Marx“: aus der 100jährigen Geschichte des Soda-Werkes in Staßfurt, hrsg. von der SED-BPO der Vereinigten Sodawerke „Karl Marx“ Bernburg, Staßfurt 1983. 31 Ernst Albrecht, 150 Jahre Walzwerksbau in Magdeburg im Wandel der Zeit, Magdeburg 2010. 32 Christoph Kretschmann, Das Grusonwerk in Magdeburg-Buckau von der Gründung bis zur Übernahme durch Krupp, in: Mitteldeutsche Mitteilungen 16 (2007), S. 35–39; zur Person Grusons vgl. Helmut Derp, Hermann Gruson: 13. März 1821–30. Januar 1895. Ingenieur – Unternehmer – Mitbürger, Magdeburg 1995.

 

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standen, 1893 wurden die Gruson-Werke von Krupp aufgekauft. Im großen Stil wurden nun auch Kriegsgüter produziert und exportiert.33 Zählte der Maschinenbau mit über 50 Prozent zu den Hauptstützen des DDR-Exports,34 verfügte die Bezirkshauptstadt mit den Schwermaschinenbau-Betrieben „Georgi Dimitroff“35, „Karl Liebknecht“ (SKL)36 und „Ernst Thälmann“ (SKET)37 sowie den Armaturenwerken „Karl Marx“ über einige der größten Industriebetriebe innerhalb der DDR [Siehe Erster Teil, Kap. II, Abb. 5]. In allen Kreisen des Bezirkes Halle war es am 17. Juni 1953 zu Demonstrationen, Arbeitsniederlegungen und anderen Protest-Aktivitäten gekommen. Im Bezirk Magdeburg artikulierte sich Protest in 19 seiner (damaligen) 21 Kreise. Von insgesamt etwa 500.000 Personen, die sich DDR-weit am Aufstand in irgendeiner Form beteiligten, sollen es allein im „Roten Herzen“ zwischen 120.000 und 150.000 Personen gewesen sein.38 Nur im sächsischen Görlitz gingen die Aufständischen ähnlich weit wie in Bitterfeld, wo binnen weniger Stunden ein Streikkomitee gebildet wurde, das weitergehende politische Forderungen und Programme entwickelte.39 Tatsächlich schienen die Aufständischen im Roten Herz vielfach genau zu wissen, was sie taten. In den meisten Betrieben wurden, ohne dass dazu nähere Anweisungen nötig gewesen wären, Forderungen erhoben und Delegierte bestimmt. Vielfach folgten die Protestaktivitäten dem Muster vergleichbarer Streik- und Protestaktionen der zwanziger Jahre. In den Leuna-Werken, aber auch anderswo, beteiligten sich zahlreiche Basisfunktionäre, die über Protest- und Streikerfahrun-

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Axel Kühling, Krupp Grusonwerke, Panzer aus Magdeburg: 1933–1945, Magdeburg 2001. Vgl. Handbuch DDR-Wirtschaft, S. 167f. Dieter Gollasch, TAKRAF: ein Kombinat des DDR-Schwermaschinenbaus, Leipzig 2006. Betriebsgeschichte des Stammwerkes VEB Schwermaschinenbau „Karl-Liebknecht“ Magdeburg – Kombinat für Dieselmotoren und Industrieanlagen, hrsg. von der zentralen Parteileitung der BPO im Stammbetrieb des Kombinates SKL, 4 Bde., Magdeburg 1979–1986. 37 Christoph Kretschmann, Vom Grusonwerk zum SKET: 150 Jahre Industriegeschichte, Magdeburg 2005; Willy Mader, Auferstanden aus Ruinen: vom zerstörten Kruppschen Rüstungsbetrieb zum modernen Schwermaschinenbau der DDR, 1945–1955, Magdeburg 1986. 38 Rupieper, Einleitung, S. 12f.; Heidi Roth, Der 17. Juni in Sachsen, Köln 1999. 39 Vgl. zu Bitterfeld: Olaf Freier, Spontanes Aufbegehren, Machtverlust und Besatzergewalt. Der 17. Juni 1953 in Bitterfeld, in: Rupieper (Hg.), „… und das Wichtigste ist doch die Einheit“, S. 186–216; Stefanie Wahl/Paul Werner Wagner (Hg.), Der Bitterfelder Aufstand. Der 17. Juni 1953 und die Deutschlandpolitik. Ereignisse – Zeitzeugen – Analysen, Leipzig 2003; zu Görlitz: Heidi Roth, Der 17. Juni in Görlitz, Dresden 1998.

 

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gen aus der Zeit der Weimarer Republik verfügten, aktiv an den Demonstrationen und nahmen auf ihre Weise Einfluss auf die Formen des Protestes.40 Erst im Laufe des sich ausweitenden Aufstandes wurden auch politische Forderungen erhoben. Zunächst waren es hier jedoch vornehmlich soziale Forderungen – Arbeitsnormen, Löhne und Lebensstandard betreffend – gewesen, die von Seiten der Streikenden eingeklagt wurden,41 Forderungen also, die auf die Widerherstellung gewohnheitsmäßiger Rechte und Erfahrungsräume abzielten. Eine vergleichende Betrachtung des 17. Juni 1953 rückt besonders den hohen Grad an Gewaltsamkeit gegenüber den anderen Orten des Aufstandes in der DDR hervor, der den Protesten sowohl im Bezirk Magdeburg als auch im Bezirk Halle zu eigen war. Hier wurden im Verlauf des Aufstandes sechs Menschen getötet,42 dort sogar acht43 – bis zum Eingreifen der sowjetischen Verbündeten in den frühen Abendstunden wurden vielerorts erbitterte Kämpfe ausgetragen. Aggressivität und Gewaltbereitschaft bahnten sich jedoch nicht grundlos ihren Weg, sondern resultierten aus der direkten Konfrontation mit der Staatsmacht – erst das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte bewirkte auch gewaltsame Gegenmaßnah-

                                                             40 Vgl. für die Großbetriebe der chemischen Industrie vgl. dazu: Friederike Sattler, „Seht euch vor, ihr sitzt auf einem Vulkan!“ Der 17. Juni 1953 in den Leuna- und den Buna-Werken, in: Rupieper (Hg.), „… und das Wichtigste ist doch die Einheit!“, S. 280–329, hier: S. 297– 299; für Magdeburg: Wilfried Lübeck, Der 17. Juni 1953 in Magdeburg. „Wenn die Freunde nicht dagewesen wären, wäre es zu einer Niederlage gekommen“, in: ebd., S. 106–139, hier: S. 116; Dale hingegen argumentiert, dass die tatsächliche Beteiligung solcher Arbeiterveteranen weniger ausschlaggebend war als die Tradierung klassischer Konfliktformen an die nächsten Arbeiter-Generationen: „It is well established that veterans from the Weimar or even Wilhelmine periods [..] played influential parts in certain workplaces, and certain towns and cities on 17 June. Yet it would, I think, be a mistake to assume that the evidence of labour movement traditions on that day – the receptiveness of workers to arguments for ‚solidarity‘, their familiarity with the repertoires of industrial action, the reclamation of socialist and Communist symbols as signs of workers’ power – was wholly a concequence of the presence of old-timers. Rather, I would suggest, these traditions had been kept alive and passed on,” Dale, Popular Protest, S. 54. 41 Vgl. für Halle: Löhn, Spitzbart, Bauch und Brille, S. 26–28. 42 Lübeck, Der 17. Juni 1953 in Magdeburg, S. 132; eine Einschätzung „Über die Lage am 17.6.1953 in Groß-Berlin und der DDR“ ging davon aus, dass „bei dem Kampf in Magdeburg […] 2 Volkspolizisten, 1 Angehöriger des MfS, sowie 4 Zivilisten ums Leben gekommen“ seien, vgl. Büro Walter Ulbricht, SAPMO-BArch., DY 30/3688. 43 Im gesamten Bezirk Halle wurden zehn Personen getötet; vgl.: Hermann-Josef Rupieper, Quellen zum 17. Juni 1953 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in: ders. (Hg.), „…und das Wichtigste ist doch die Einheit“, S. 254–279, hier: S. 259.

 

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men der Aufständischen.44 Schon deshalb kann kaum von ziel- und zügelloser Gewaltanwendung auf Seiten der Protestierenden gesprochen werden. Unfähig oder unwillig, sich die Stringenz des Vorgehens der Aufständischen anders zu erklären, ging die SED in einer im Anschluss an den Aufstand angefertigten Einschätzung der Ereignisse davon aus, „als wäre man in Halle nach einem wohlüberlegten Plan vorgegangen“.45 Tatsächlich verweisen die Angriffe, die vornehmlich auf ostentative Symbole und zentrale Repräsentanten der SED-Herrschaft zielten, jedoch auf gewachsene Verhaltensmuster kollektiven Protests. Nicht im Sinne einer absichtsvollen politischen Umwälzung, sondern als „Akt der Notwehr“ deuteten im Nachhinein viele Aufständische ihren Protest. Sie hätten „lediglich ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen“ und ihre „Missstimmung kundtun“ wollen.46 Nicht auszuschließen ist, dass derartigen Aussagen angesichts der dem Aufstand folgenden Repressionswelle auch beschwichtigende Absichten zugrunde gelegen haben. Gleichwohl nahmen Arbeiter damit auch eine Tradition sozialen Protests für sich in Anspruch, die im Roten Herzen bis in die frühen 1920er Jahre zurückreichte.47 Der „totale Protest“ (Michael Geyer), der sich im „Sommergewitter“ (Erich Loest) vom Juni 1953 entlud, war hier vielfach als Signal an eine politische Führung zu verstehen, die vorgab, im Interesse der Arbeiterklasse zu agieren, von der die Arbeiter ihre Interessen jedoch nicht mehr gewahrt wähnten. „Wir wünschen selbstverständlich eine Arbeiterregierung und keinen Adenauer“, erklärten in diesem Sinne Arbeiter der Buna-Werke, bestanden aber darauf, dass „das Wort des Arbeiters von unserer Arbeiterregierung gehört werden“ müsse.48 Ihr Verhalten wurde von ihnen gewissermaßen als „bargaining by riot“ gerechtfertigt: Weil die politische Führung ihren Forderungen kein Gehör geschenkt habe, sah man sich gezwungen, zu äußersten Mitteln zu greifen.49 Vor allem in den Großbetrieben der chemischen Industrie und der Maschinenbauindustrie, seit jeher Brennpunkte sozialer und politischer Konflikte in der

                                                             44 Löhn, Spitzbart, Bauch und Brille, S. 51. 45 Einschätzung des Büros Walter Ulbricht „Über die Lage am 17.6.1953 in Groß-Berlin und der DDR“, SAPMO-BArch., DY 30/3688. 46 Zit. nach: Ewers/Quest, Die Kämpfe der Arbeiterschaft in den volkseigenen Betrieben, S. 43; vgl. auch: Klein, Arbeiterrevolte, S. 22. 47 Vgl. Ewers/Quest, Die Kämpfe der Arbeiterschaft in den volkseigenen Betrieben; Niethammer, Der 17. Juni 1953 in vergleichender Perspektive, S. 193 u. S. 222. 48 Klein, Arbeiterrevolte, S. 25. 49 Lindenberger, „Gerechte Gewalt“, S. 118.

 

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Region, artikulierte sich entschiedener Protest.50 In den Leuna-Werken nahmen die Proteste im Bau 15 ihren Anfang, jenem Reparaturbetrieb, in dem schon während der Novemberrevolution 1918 als erstes die rote Fahne gehisst worden war.51 Im Juni 1953 hatten sich die Arbeiter hier als erstes daran gemacht, die Lettern Walter Ulbrichts, dem Namenspaten des Werkes, zu entfernen und sie durch „Karl Marx – Wir wollen die Freiheit“ zu ersetzen.52 In Magdeburg bewiesen die Demonstranten ihren Sinn für Tradition, indem sie sich unter dem Motto „Für Demokratie und Freiheit“ sammelten, das anlässlich des 1. Jahrestages der Gründung des Reichsbanners im Februar 1925 formuliert worden war.53 Klagen der örtlichen SED-Funktionäre über die problematische „Herkunft und Vergangenheit des Menschenmaterials“ reproduzierten ganz selbstverständlich landläufige Wahrnehmungen, nach denen insbesondere unter den Facharbeitern in den traditionsreichen Großbetrieben der Stadt sozialdemokratische Orientierungen wirksam seien.54 In Halle beriefen sich Arbeiter wiederum auf Lenin, in Bitterfeld führten Demonstranten Bilder einiger nicht näher spezifizierter „Arbeiterführer“ mit sich und in Leuna stimmten Arbeiter auch „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ an.55 So vielschichtig sich die Bezüge bereits anhand dieser wenigen Beispiele erweisen, waren sie doch allesamt proletarisch konnotiert und reflektierten historische Orientierungen lokalspezifischer Emanzipationsbestrebungen. Der Zorn der Demonstranten richtete sich vornehmlich gegen Gebäude der Partei- und Staatsmacht, d. h. gegen die symbolischen Orte der Macht und Repression.56 SED-Zentralen, Dienststellen des MfS und der BDVP sowie die loka-

                                                             50 Sattler, Der 17. Juni 1953 in den Leuna- und Bunawerken; zur Industriestruktur vgl.: Kohle, Leichtmetall und Igelit. Die Industriestruktur im Raum Bitterfeld, in: Wahl/Wagner (Hg.), Der Bitterfelder Aufstand, S. 31–34. 51 Zu den revolutionären Traditionen des Leuna-Werks vgl. Kämpfendes Leuna. 52 Vgl. Sattler, Der 17. Juni 1953 in den Leuna- und Bunawerken, S. 298. 53 Vgl. Ewers/Quest, Die Kämpfe der Arbeiterschaft in den volkseigenen Betrieben während und nach dem 17. Juni, S. 32f. 54 Vgl. dazu die Berichte in: LHASA, MD, Rep. P13, SED-Bezirksleitung Magdeburg, Nr. IV/2/3/17; vgl. auch: Bouvier, Ausgeschaltet, S. 310–328. 55 Udo Grashoff, Bezirk Halle: Aufruhr im „blutroten Herzen“ Deutschlands, in: Ulrich Mählert (Hg.), Der 17. Juni 1953. Ein Aufstand für Einheit, Recht und Freiheit, Bonn 2003, S. 134f. 56 Vgl. Lindenberger, „Gerechte Gewalt“; vgl. auch: Dale, Popular Protest, S. 28 u. S. 38; aus der Sicht der Volkspolizei: Torsten Diedrich/Hans-Hermann Hertle (Hg.), Alarmstufe

 

 

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len Volkspolizeiämter (VPKÄ) waren bevorzugte Ziele und wurden mancherorts schwer beschädigt. Aber die von den Demonstranten verübten Zerstörungen sind zuallererst symbolisch zu lesen: Randaliert wurde nicht „schamlos“, sondern zielgerichtet. SED-Losungen, sogenannte „Sichtwerbungen“, Stalin-Standbilder und Bilder der Staats- und Parteiführer sowie mit Propaganda dekorierte Schaufenster fielen dem Zorn der Menge als erstes zum Opfer.57 Aber auch Parteigelder nahmen die Demonstranten mit.58 Individuelle Bereicherungsabsichten standen dabei jedoch kaum im Vordergrund; vielmehr ging es auch hier um einen symbolischen Ausgleich. „Wir sind Arbeiter und denken als Arbeiter“, erklärten wiederum Betriebsangehörige der Buna-Werke im Anschluss an den Aufstand. „Wir wollen keine amerikahörige Regierung. Wir verlangen aber, dass unsere gewählten Funktionäre und Vertreter so denken und fühlen wie wir, dass sie uns verstehen und zwischen ihnen und uns eine Atmosphäre des Vertrauens herrscht und keine Kluft.“59 Distanzierten sich die meisten Arbeiter im Nachhinein „selbstkritisch“ von der ausgeübten Gewalt, blieben sie dennoch dabei, dass ihr Protest notwendig und berechtigt gewesen wäre.60 Insbesondere die lokalen Gefängnisse waren – wie in Halle, Merseburg, Eisleben, Weißenfels und Bitterfeld – Orte erbitterter Auseinandersetzungen. Hier kam es sowohl in Magdeburg als auch in Halle zu Schusswechseln und Todesopfern.61 Der Sturm auf Gefängnisse zählt seit 1789 zu den elementaren Bestandteilen der Eskalation von partikularen Revolten hin zum Angriff auf die Staatsmacht selbst. Volksmassen, die zum Sturm auf ein Gefängnis ansetzen, wollen damit die bestehende Ordnung im Kern treffen.62 Als Seismographen einer lokalen „moral economy“ verweisen Angriffe auf sie jedoch zugleich auf ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Insbesondere die lokale Arbeiterschaft hatte im Roten Herzen bis zum Juni 1953 unter extrem harten Verurteilungen aufgrund

                                                                                                                                      

57 58 59 60 61 62

 

„Hornisse“. Die geheimen Chef-Berichte der Volkspolizei über den 17. Juni 1953, Berlin 2003, für den Bezirk Halle S. 256–286, für den Bezirk Magdeburg S. 312–332. Vgl. Löhn, Spitzbart, Bauch und Brille, S. 46, S. 56 u. S. 111. Vgl. Bericht über die faschistische Provokation im Bezirk Magdeburg vom 17.6.–30.6.53 vom 13.7.1953, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/4/419, Bl. 76. Zit. nach Klein, Arbeiterrevolte, S. 24 u. S. 38; vgl. dazu auch: Port, Conflict and Stability, S. 81. Vgl. Klein, Arbeiterrevolte, S. 38; Ewers/Quest, Die Kämpfe der Arbeiterschaft, S. 43; Port, Conflict and Stability, S. 77. Vgl. für Halle: Löhn, Spitzbart, Bauch und Brille, S. 41–43 u. S. 57–95; Grashoff, Aufruhr im „blutroten Herzen“, S. 143f. Lindenberger, „Gerechte Gewalt“, S. 122.

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des „Gesetztes zum Schutz des Volkseigentums“ gelitten. Bereits Anfang 1953 hatte die SED-Bezirksleitung festgestellt, dass in 246 von 319 im IV. Quartal 1952 durchgeführten Strafverfahren die Leittragenden Arbeiter gewesen waren, nicht selten aufgrund eher nichtiger Vergehen.63 War die Solidarität mit all jenen, die aus politischen Gründen in Haft saßen, eines der Hauptantriebsmomente des Protests, hielt sich die Forderung nach der Freilassung aller politischen Gefangenen auch weit über den Aufstand hinaus.64 Dass die Konfrontation mit der Staatsmacht nicht noch weiter eskalierte, ist nicht allein dem repressiven Einschreiten der sowjetischen Besatzungsmacht zuzuschreiben. Schon vorher waren vielerorts lokale VP-Beamte in der Absicht, eine Eskalation der Auseinandersetzung zu verhüten, selbständig dazu übergegangen, ihre Waffen wegzuschließen.65 Überall stürzte die Konfrontation mit dem Zorn der Aufständischen die Angehörigen vor allem der Polizei in ein Dilemma. Was von ihnen verlangt wurde, schien kaum vereinbar mit dem staatlich propagierten Bild eines völlig neuen, echten Polizeiorgans im Arbeiter-und-Bauern-Staat – eben der „Volkspolizei“.66 Einen rücksichtslosen Einsatz gegenüber den Aufständischen verhinderte zum einen das besonnene Verhalten zahlreicher VP-Offiziere – in Magdeburg hatte der Chefinspekteur der VP-Bezirksverwaltung, Herbert Paulsen, ausdrücklich angeordnet, keine Waffen einzusetzen.67 Zum anderen waren es aber auch lokale Gewohnheiten und Traditionen, die die Wahrnehmungen auf beiden Seiten prägten und das Verhalten entsprechend beeinflussten. In Magdeburg suchten die Polizeiangehörigen, möglicherweise auch in dem Bewusstsein eigener

                                                             63 In Roßlau bspw. waren im Januar 1953 zwei Arbeiter wegen des Diebstahls von je einer Weintraube aus einem offenen Eisenbahnwaggon zu je einem Jahr Zuchthaus verurteilt worden; vgl. dazu: Grashoff, Aufruhr im „blutroten Herzen“, S. 145f. 64 Vgl. dazu: Klein, Arbeiterrevolte, S. 20. 65 Zum Verhalten der Volkspolizei während des Aufstandes vgl. im Einzelnen: Diedrich/Hertle (Hg.), Alarmstufe „Hornisse“. 66 Vgl. dazu: Thomas Lindenberger, Volkspolizei. Herrschaftspraxis und öffentliche Ordnung im SED-Staat 1952–1968, Köln 2003; Richard Bessel, Grenzen des Polizeistaates. Polizei und Gesellschaft in der SBZ und frühen DDR 1945–1953, in: ders./Jessen (Hg.), Die Grenzen der Diktatur, S. 224–252; demgegenüber war die Kasernierte Volkspolizei (KVP) aufgrund vielfältiger Privilegien ihrer Angehörigen und als Keimzelle einer künftigen Armee vielfach Zielscheibe des Protests der Aufständischen; zur KVP vgl. Torsten Diedrich/Rüdiger Wenzke, Die getarnte Armee. Geschichte der Kasernierten Volkspolizei der DDR 1952–1956, Berlin 2001. 67 Lübeck, Der 17. Juni 1953 in Magdeburg, S. 114.

 

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Schwäche,68 den Weg der Verhandlung mit den Demonstranten. In Bitterfeld und Eisleben wiederum verweigerten sich Volkspolizisten dem Befehl, „das VPKA bis zum letzten Mann zu verteidigen“. Als Grund gaben sie an, dass es sinnlos sei, den Mansfelder Arbeitern mit Waffengewalt zu begegnen, da „die Kumpels über eine ausgezeichnete Erfahrung aus den Kämpfen der Arbeiterbewegung im Mansfelder Land“ verfügen würden.69 Dass die „vor einer kleinen Gruppe VP-Angehöriger nicht zurückschrecken würden, wenn sie auch schießen“, wie die lokalen VPAngehörigen zur Rechtfertigung ihres Verhaltens weiter ausführten, war dabei nicht einmal sehr weit hergeholt. Obwohl hier sogar sowjetische Wachposten vor dem VPKA Stellung bezogen hatten und auch einige Warnschüsse abfeuerten, wurden sie von der Menge der Demonstranten abgedrängt und die Besatzung des VPKA in die Flucht geschlagen.70 Gewalt war eine Referenzgröße im Roten Herzen, auf die sich Angehörige der Staatsmacht wie der Aufständischen gleichermaßen bezogen. Sinnfällig wurde das etwa am Bitterfelder Rathaus, das am 17. Juni vom lokalen Streikkomitee besetzt wurde, und an dessen Fassade noch die Einschusslöcher vergangener Auseinandersetzungen zu sehen waren71 – schweigende, aber kaum stumme Zeugnisse aus der Zwischenkriegszeit, deren Schatten auch gegenwärtige Erwartungen beeinflussten.72 Tatsächlich schienen sich im Verlauf des „Sommergewitters“ vielfältige linksradikale Erfahrungshaushalte zu revitalisieren. Im Mansfelder Gebiet ging einigen Arbeitern die Gewalt offensichtlich nicht weit genug. Noch Tage nach

                                                             68 Ein Bericht der BDVP-Leitung konstatierte im Nachhinein, dass verschiedenste Maßnahmen, wie etwa die Entsendung von 244 Polizisten nach Berlin, die dort mit Pistolen und Gummiknüppeln ausgerüstet werden sollten, „zu einer beträchtlichen Schwächung der VP in Magdeburg“ geführt hätten und mit dafür verantwortlich waren, „dass zum Schutze der Gebäude der Partei, Massenorganisationen und Verwaltung vollkommen ungenügende Kräfte von der VP eingesetzt werden konnten“, zit. nach: Lübeck, Der 17. Juni 1953 in Magdeburg, S. 113. 69 Instrukteursbericht der DVP, zit. nach: Daniel Bohse, „Arbeiter, lasst euch auf keinen Kuhhandel ein! Sie lügen immer noch. Sie meinen es nicht ehrlich!“ Der 17. Juni 1953 im Bergbau- und Industrierevier Mansfeld-Sangerhausen, in: Rupieper (Hg.), „… und das Wichtigste ist doch die Einheit!“, S. 59–105, hier: S. 102. 70 Die Angst der VP-Angehörigen ging so weit, dass einige von ihnen in Schlosseranzügen verkleidet über die Außenmauer flüchteten, andere auf dem Dachboden sich zu verstecken versuchten. Die Situation konnte hier erst unter Kontrolle gebracht werden, nachdem die sowjetischen Streitkräfte Verstärkung erhalten hatten; vgl. Bohse, Der 17. Juni im Bergbauund Industrierevier Mansfeld-Sangerhausen, S. 71. 71 Grashoff, Aufruhr im „blutroten Herzen“, S. 134. 72 Vgl. dazu: Steege/Bergerson/Healy/Swett, The History of Everyday Life, S. 364.

 

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dem 17. Juni registrierte die SED Attentatsversuche auf Angehörige des Parteiapparates oder an den legendären „roten General“ Max Hoelz erinnernde SabotageAktivitäten, wie sie in dem Versuch, in Eisleben die Eisenbahngleise zu sprengen, zum Ausdruck kamen.73 Ob derartige Vorgänge tatsächlich auf planmäßige subversive Aktivitäten zurückzuführen sind, oder eher den militarisierten Wahrnehmungsmustern der SED entsprangen, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Sie verweisen jedoch auf die Langlebigkeit eines „diskreten Charme der ,direkten Aktion‘“ (Dirk Schumann), der auch über dreißig Jahre später wenig von seiner Faszination eingebüßt zu haben schien. „Bei Euch war es am schlimmsten“, äußerte ein fassungsloser Fred Oelßner, nachdem er, zur Unterstützung bei der Niederschlagung des Aufstandes am 17. Juni 1953 nach Halle geschickt, sich einen Eindruck von den dortigen Vorgängen verschafft hatte. „1920–21 war Halle das blutrote Herz Deutschlands. Ich frage mich, ist das herzkrank geworden? Schlägt es nicht mehr?“ fragte er weiter.74 „Vieles von diesem 17. Juni 1953 erinnerte mich an den 13. März 1920“, gab in diesem Sinne ein Kampfgruppen-Angehöriger zu Protokoll, der bereits an der Bekämpfung des Kapp-Putsches im März 1920 beteiligt gewesen war.75 Oelßners Fassungslosigkeit wie auch die Überzeugung des anonymen Kampfgruppen-Angehörigen entsprachen gleichermaßen der „Erfindung einer Tradition“76, die die DDR als Vollendung eines heroischen, von den Kommunisten angeführten antifaschistischen Kampfes präsentierte.77 Zugleich zeugen sie von der „gefesselten Se-

                                                             73 „Im Bezirk Halle fanden auch nach dem 19.6.1953 noch einzelne Provokationen in Form von Überfällen statt. Ein Mitarbeiter des Bezirksrates wurde von zwei Radfahrern angeschossen. Auf Angehörige der Sowjetarmee wurde geschossen. In Eisleben wurde der Versuch unternommen, Schienen zu sprengen“; vgl. Analyse über die Vorbereitung, den Ausbruch und die Niederschlagung des faschistischen Abenteuers vom 16.–22.6.1953 vom 20.7.1953, Büro Walter Ulbricht, SAPMO-BArch., DY 30/3688. 74 Fred Oelßner, zit. nach: Grashoff, Aufruhr im „blutroten Herzen“ Deutschlands, S. 134. 75 Wir schützen was wir schaffen. Arbeiterveteran Franz Heim und sein Sohn Ewald Heim berichten über die Tradition ihrer Familie, hrsg. von der Bezirkskommission zur Vorbereitung der II. Kampfgruppenspartakiade des Bezirkes Suhl, Suhl 1969, S. 10. 76 Vgl. dazu: Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983. 77 Herfried Münkler, Antifaschismus und antifaschistischer Widerstand als politischer Gründungsmythos der DDR, in: APuZ, B45 (1998), S. 16–29; ders., Das kollektive Gedächtnis der DDR; Alan Nothnagle, From Buchenwald to Bismarck: Historical Myth Building in the German Democratic Republic, 1945–1989, in: Central European History 26 (1993), S. 91–113, hier: S. 94f.

 

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mantik“ offizieller Erinnerung in der DDR. 78 Der Blick auf das Rote Herz zeigt, dass die Tradition, lokale Interessen mit Gewalt zu verteidigen, hier auch im Juni 1953 durchaus lebendig war. Aus der Sicht der Avantgarde wies sie jedoch höchst „diabolische“ Züge auf.79 Signalisierte die Gewalt der Aufständischen „Entzweiung“ und „Verkennung“ der vielbeschworenen ,Einheit von Partei und Klasse‘, machte sie zugleich deutlich, dass diese Einheit (zumindest) im Roten Herzen durchaus prekär war.80 Der „Lernschock“ (Klaus Ewers) vom Juni 1953 besaß für den Entschluss der Avantgarde, bewaffnete Arbeiterformationen zu bilden, zwiespältige Bedeutung. Weil die SED sich eingestehen musste, von den Ereignissen vollkommen überrascht worden zu sein,81 war sie einerseits entschlossen, „für die erhöhte Kampfbereitschaft in der Partei bestimmte organisatorische Formen zu schaffen,“82 die fortan vergleichbare Aufstände im Keim ersticken sollten. Andererseits zielten diese „bestimmten organisatorischen Formen“ nicht allein auf die Bereitstellung eines loyalen Eingreifpotentials. Bertolt Brechts berühmtes, im Anschluss an den 17. Juni entstandenes Bonmot – „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“83 – lässt sich in besonderer Weise auf die Mobilmachung, wie sie sich schließlich in Form der Kampfgruppen vollziehen sollte, anwenden. Zeit ihrer Existenz vermochte sich die Avantgarde nicht von der Vorstellung zu lösen, dass die Klasse ,ihre‘ Waffen erneut gegen ,ihre‘ Avantgarde wenden könnte. Nicht nur ging es bei der Bildung der Kampfgruppen deshalb darum, „den Parteigewaltigen eine Bürgerkriegsmiliz für künftige innere Krisen zur Verfügung zu stellen“. Wie Lutz Niethammer konstatiert hat, wurde damit zugleich intendiert „unter denjenigen, von denen nach der Erfahrung des 17. Juni solche Krisen vor allem zu erwarten waren, eine Führungsschicht schon im Vor-

                                                             78 Vgl. dazu die anregenden Überlegungen von: Dieter Thomä, Symbolisches und Diabolisches. Eine neue Deutung der Krisen moderner Gesellschaften in sozial- und sprachtheoretischer Perspektive, in: Leviathan 34/3 (2006), S. 419–439, der mit dem „Diabolischen“ eine „Gegenfigur zum Symbolischen“ problematisiert, die für „Entzweiung, Ausschließung, Verkennung und Verdrehung“ steht, hier: S. 430. 79 Vgl. ebd., S. 430f. 80 Vgl. Niethammer/von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung, S. 54f. 81 Analyse […] des faschistischen Abenteuers vom 20.7.1953, Büro Walter Ulbricht, SAPMOBArch., DY 30/3688; vgl. auch: Niethammer, Die SED und „ihre“ Menschen. 82 Vorlage über Organisation und Ausbildung der Kampfgruppen vom 21.12.1954, SAPMOBArch., DY 30/J IV 2/2 A 397; vgl. auch: Honecker, Aus meinem Leben, S. 186. 83 Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 12, Frankfurt a. Main 1988 (erstmalig: 1953), S. 310.

 

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feld einer Krise unter Kriegsrecht zu stellen“. Im Kern handelte es sich bei den Kampfgruppen, und hier ist Niethammer zuzustimmen, deshalb um den Versuch einer „militärischen Disziplinierung“ der eigenen Basis.84 In diesem Sinne können die Kampfgruppen als ein Instrument dafür betrachtet werden, was Michael Walzer als den „revolutionären Gebrauch von Repression“ bezeichnet hat.85 Einerseits waren sie Ausdruck des Versuchs der „letzten Revolutionäre“, im Rekurs auf den proletarischen Mythos zentrale bewegungsspezifische Momente in die sozialistische Staatlichkeit hinüberzuretten, um sie als Quelle der Legitimation und Regeneration ihrer Herrschaft nutzen zu können. Zugleich bezweckten sie, Kampfgruppen-Angehörige wie Außenstehende auf soziale Konformität im Sinne der kommunistischen Kampfgemeinschaft anzuhalten. Die Bezeichnung „unmittelbar bewaffnetes Organ der Arbeiterklasse“ sollte diesen prekären Zusammenhang überspielen. Einerseits rekurrierte sie auf die im Mythos transportierte Vorstellung, dass das Proletariat, wenn es – wie in der Weimarer Republik –, seine Errungenschaften bedroht wähnt, selbsttätig – „spontan“ und „als Ausdruck seiner unmittelbaren Bedürfnisse“86 – zu deren Verteidigung schreitet. Andererseits erklärte und entwarf sie das Handeln seiner Angehörigen nicht als Ergebnis formaler Verpflichtung einer staatlichen Institution gegenüber, sondern aus der „unmittelbaren“ Übereinstimmung des bewussten schöpferischen Handelns der Klasse mit den Erfordernissen der revolutionären Umwälzung.87 Damit suggerierte diese Bezeichnung zugleich, dass die Angehörigen der Kampfgruppen stets „unmittelbar“ im Einklang mit den Interessen ihrer                                                              84 Niethammer, Die SED und „ihre“ Menschen, S. 311, Fn. 1. 85 Vgl. Michael Walzer, The Revolutionary Uses of Repression, in: Melvin Richter (Hg.), Essays in Theory and History. An Approach to the Social Sciences, Cambridge 1970, S. 122–136. 86 Bei aller Betonung des spontanen und selbsttätigen Wirkens der „revolutionären Volksmassen“ sollte jedoch keiner syndikalistisch angehauchten „Propaganda der Tat“ das Wort geredet werden; vielmehr war die Führung durch eine revolutionäre Avantgarde beim Aufbau des neuen, „sozialistischen Staates“ unverzichtbar: „Hinzufügen muss man unbedingt die Bedeutung der führenden Rolle der revolutionären marxistisch-leninistischen Partei in den Sowjets bzw. in den Staatsorganisationen der sozialistischen Staaten überhaupt. […] Nur die Verbindung beider Elemente, der Bewegung der Massen, ihre Heranziehung zur Leitung des Staates und die Führung dieser Massen durch die Partei der Arbeiterklasse, die Erziehung der Massen zur sozialistischen Bewusstheit, zum bewussten Gestalten ihrer sozialistischen Zukunft in den Organen ihres Staates und durch sie kann die politische Form des sozialistischen Staates charakterisieren“; Weichelt, Lenin über die Sowjets, S. 1104f. 87 Karl Polak, Die neue Etappe in der Entwicklung unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates, in: Staat und Recht, H. 3, Jg. 7 (1958), S. 225–243.

 

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Klasse im Hinblick auf die Errichtung und den Schutz einer neuen, sozialistischen Gesellschaftsordnung handeln würden. Wie das neue Organ innerhalb der eigenen Parteibasis aufgenommen werden würde, war jedoch nicht ausgemacht.

 

I. Partisanen oder der Partei verpflichtete Virtuosen? Die Gründung der Kampfgruppen

„Die Geschichte unseres Lebens ist hart, deshalb fordert sie ganze Menschen. […] Denn Soldat der Revolution sein, heißt: Unverbrüchliche Treue zur Sache halten, eine Treue, die sich im Leben und im Sterben bewährt, heißt unbedingte Verlässlichkeit, Zuversicht, Kampfesmut und Tatkraft in allen Situationen zeigen. Die Flamme, die uns umgibt, die unsere Herzen durchglüht, die unseren Geist erfüllt, wird uns wie ein Leuchtfeuer auf den Kampfgefilden unseres Lebens begleiten.“1

Diese, in der DDR vielzitierten Zeilen Ernst Thälmanns2 führte auch ein Bildband an, den seit den 1970er Jahren jeder langjährige Angehörige der Kampfgruppen als Dankesgabe für sein militantes Engagement erhielt. Tatsächlich benennen diese Zeilen, die er 1944 einem Mitgefangenen im Gefängnis hatte zukommen lassen, auf geradezu paradigmatische Weise all die Eigenschaften, die jeden „ganzen“, neuen Menschen auszeichnen sollten. Als Appell an die „flammende“ Überzeugung, die sie „wie ein Leuchtfeuer“ durch die „Kampfgefilde“ eines wahrhaft sozialistischen Lebens leiten würde, richteten sie sich an die Angehörigen der Kampfgruppen als zeitgemäßen „Soldaten der Revolution“, deren Leben ganz im Dienst der Sache der Arbeiterbewegung zu stehen hatte. Der proletarische Mythos kommunizierte Sinn und Zweck der Kampfgruppen – den Schutz der sozialistischen Errungenschaften – als etwa quasi Selbstverständliches, das jedem „ganzen“ Arbeiter unmittelbar einleuchten musste und sollte. Wie der vergleichsweise überschaubare Aufwand an organisatorischen Maßnahmen im Hinblick auf die Aufstellung bewaffneter Arbeiterformationen nahelegt, schienen die „letzten Revolutionäre“ zunächst tatsächlich die Hoffnung gehegt zu haben, dass der Rekurs auf die revolutionären Traditionen der organisierten Arbeiterbewegung schon genügen würde, den Aufbau eines „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ voranzutreiben. Zwar war bereits im Dezember 1953 ein offizieller ZK-Beschluss zur republikweiten Bildung von Kampfgruppen-

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Ernst Thälmann, zit. nach: Gilgen/Bachinger, Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, S. 19. Vgl. dazu: Börrnert, Das Thälmann-Bild der SED im Erziehungsalltag der DDR; Annette Leo, „Deutschlands unsterblicher Sohn …“ Der Held des Widerstands Ernst Thälmann, in: Rainer Gries/Silke Satjukow (Hg.), Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR, Berlin 2002, S. 101–114.

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Einheiten gefasst worden, dem einige Direktiven zu Ausbildung und Aufbau folgten. Eine „Hauptabteilung Kampfgruppen“, die sich ausschließlich und eingehend um die Belange des neuen „bewaffneten Organs“ kümmern sollte und konnte, entstand jedoch erst Mitte 1955. Bis dahin war die militärpolitische Arbeit, wie die Arbeit mit den Kampfgruppen auch genannt wurde, den lokalen Gliederungen der Partei praktisch selbst überlassen.3 Die Unterstellung unter die Volkspolizei, die mit den Direktiven des Jahres 1955 eingeleitet wurde, wird zumeist mit den seit 1953 veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen erklärt. Demnach waren die Kampfgruppen inzwischen nicht mehr nur fester Bestandteil der SED-eigenen Aufstandsprävention.4 Angesichts der sich zuspitzenden Blockkonfrontation, die sich etwa in der Gründung von NATO und Warschauer Pakt manifestierte, sollten sie zudem, über den Schutz ihrer Trägerbetriebe hinaus, auch innerhalb der territorialen Landesverteidigung verwendbar sein.5 Der Einfluss derart gelagerter Gründe soll im Hinblick auf die Unterstellung der Kampfgruppen unter die VP hier keineswegs negiert werden. Beständige Klagen der Kommandohöhen über Unklarheiten im Hinblick auf die Aufgaben und den Charakter der Kampfgruppen wie die nicht minder beständige Mahnung, dass es sich bei den gebildeten Formationen um „Kampfgruppen der Partei“ handeln müsse,6 verweisen jedoch noch auf ganz anders gelagerte Gründe. Das militante Engagement der Kämpfer – wie die Angehörigen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ gemeinhin genannt wurden –, basierte auf „Dilettantismus“ und „Enthusiasmus“. Wie Eckart Pankoke bemerkt hat, kann mit der „extrafunktionale[n], oft exzentrische[n] Freiheit eines Engagements aus Freude oder aus Begeisterung immer auch die Sprengkraft von Widerspruch

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Erst der Politbüro-Beschluss vom 4.1.1955 leitete eine Zentralisierung ein, indem er verfügte: „Für alle Fragen der Kampfgruppen im Kreis ist der 1. Kreissekretär unmittelbar verantwortlich“; SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3/397; vgl. dazu auch: Wehr-, Schutzund Kampforgane der Arbeiterklasse. Lindenberger, Volkspolizei, 56f.; vgl. auch: Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat. Wagner, Die Kampfgruppen, S. 288; vgl. auch: Torsten Diedrich, Prägende Veränderungen im Militär- und Sicherheitssystem der DDR nach 1953 und 1961 im Vergleich, in: ders./Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.), Staatsgründung auf Raten? Auswirkungen des Volksaufstandes 1953 und des Mauerbaus 1961 auf Staat, Militär und Gesellschaft in der DDR, Berlin 2005, S. 119–138. Vgl. Richtlinien für die Organisierung und Ausbildung der Kampfgruppen, SAPMOBArch., DY 30/J IV 2/3/430; Politbüro-Beschluss vom 4.1.1955, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3/397; Hervorhebung T.S.

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und Aufbruch“ einhergehen.7 Der Begriff des Partisanen, der in der Gründungsphase der Kampfgruppen verschiedentlich und mit vielfältigen Bedeutungszuschreibungen gebraucht wurde, schärft den Blick für dieses Dilemma. Er kann helfen, unterschiedliche Wahrnehmungsweisen der Kampfgruppen, die im Hinblick auf den Aufbau dieser Organisation von Einfluss waren, zu rekonstruieren und zu differenzieren. Gewöhnlich werden Partisanen als irreguläre Truppen bezeichnet und erfreuen sich eines zweifelhaften Rufes, nicht zuletzt deshalb, weil sie in der Regel aus dem Hinterhalt heraus operieren.8 „Partisanenbekämpfung“ im Zweiten Weltkrieg folgte zumeist der Devise des „kurzen Prozesses“ und war zumal in der Wehrmacht Synonym für wahlloses und rücksichtsloses „Durchgreifen“.9 Gleichzeitig zählt die Figur des Partisanen zu den zentralen mythischen Figuren des „europäischen Bürgerkrieges“.10 Einige der „letzten Revolutionäre“ waren selbst als Partisanen im Spanischen Bürgerkrieg oder in der Sowjetunion aktiv gewesen.11 Zu nennen wäre hier etwa Gustav Roebelen, der als Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen beim ZK der SED federführend an der Ausarbeitung erster Richtlinien über die Organisation und Ausbildung der Kampfgruppen beteiligt war.12

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Pankoke, Gesellschaftlicher Wandel ,freien‘ Engagements, S. 152. Zum Begriff des Partisanen vgl. Herfried Münkler, Die Gestalt des Partisanen. Herkunft und Zukunft, in: ders. (Hg.), Der Partisan. Theorie, Strategie, Gestalt, Opladen 1990, S. 14–39; Gerhard Schulz, Die Irregulären: Guerilla, Partisanen und die Wandlungen des Krieges seit dem 18. Jahrhundert. Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Partisanen und Volkskrieg. Zur Revolutionierung des Krieges im 20. Jahrhundert, Göttingen 1985, S. 9–35. Vgl. dazu: Hannes Heer, Die Logik des Vernichtungskrieges. Wehrmacht und Partisanenkampf, in: ders./Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944, Hamburg 1995, S. 104–138; Christoph Rass, ,Menschenmaterial‘: Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision, 1939–1945, Paderborn 2003. Vgl. Traverso, Im Bann der Gewalt, S. 87–98. Vgl. dazu: Paul Heider (Hg.), Geschichte der Militärpolitik der KPD (1918–1945), Berlin (O) 1987; speziell zum Partisanenkrieg in der Sowjetunion: Bernd Bonwetsch, Sowjetische Partisanen 1941–1944. Legende und Wirklichkeit des „allgemeinen Volkskrieges“, in: Schulz (Hg.), Die Irregulären, S. 92–124. Gustav Roebelen (1905–1967), trat 1929 der KPD bei, nahm von 1936–1939 am Spanischen Bürgerkrieg teil; emigrierte anschließend in die Sowjetunion und trat der Roten Armee bei; 1945 Rückkehr nach Deutschland, zunächst Leiter der Personalabteilung in der Zentralen Kommission für Sequestierung; 1950–1956 Leiter der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen bzw. deren Vorläufer; 1957–1959 Leiter der 15. Verwaltung des MfNV; vgl. Diedrich/Ehlert/Wenzke (Hg.), Handbuch der bewaffneten Organe, S. 707; Müller-

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Das Heldenkabinett der antifaschistischen Märtyrer setzte sich durchweg aus Partisanen zusammen, deren Konturen Wolfgang Engler folgendermaßen umrissen hat: „frühe Erinnerungsspuren an den Ersten Weltkrieg, an heimkehrende Soldaten und Krüppel; deutliche Reminiszenzen an den Kampf um eine sozialistische deutsche Republik und an die Niederlage; scharfer Rückblick auf die Sozialisation in der Weimarer Republik, auf den noch offenen Kampf gegen die Nazis in Deutschland, Spanien oder anderswo; schließlich individuell verzweigte, aber höchst gegenwärtige Erinnerungen an die Nazidiktatur, an KZ oder Gefängnis, an inneren Widerstand oder Exil.“13 Verweist diese Beschreibung auf eine vielgeprüfte und trotzdem unerschütterliche politische Überzeugung,14 war es – aus dieser Perspektive betrachtet – nicht der Soldat, der den eigentlichen Antipoden des Partisanen darstellte, sondern – wie Carl Schmitt bemerkt hat – der Bürger. Für Schmitt wird der Partisan durch seine „äußerste Intensität des politischen Engagements“ charakterisiert.15 So sehr diese Definition mit dem politischen Selbstverständnis der SED korrespondiert, enthüllt sie zugleich dessen – aus Sicht der „letzten Revolutionäre“ – problematische Pointe: Weil der kommunistische Partisan dazu neigte, „eigenes Urteil über jede fremde Einrede, Tatkraft und Risikobereitschaft über Pathos und Ritual“ zu stellen – so wiederum Engler –, drohte er „zuweilen zum unangenehmsten Quälgeist, zum verkörperten schlechten Gewissen seiner willfährigen, disziplinierteren Altersgenossen, der Funktionäre“ zu werden.16

                                                                                                                                      

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Enbergs/Wielgohs/Hoffmann (Hg.), Wer war wer, S. 707; zu verweisen wäre in diesem Zusammenhang auch auf Karl Linke, Chef des militärischen Geheimdienstes, oder Richard Stahlmann, Chef des Auslandsnachrichtendienstes der DDR; vgl. dazu die jeweiligen Portraits in: Dieter Krüger/Armin Wagner (Hg.), Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg, Berlin 2003, S. 84–110 bzw. S. 132–159. Engler, Die Ostdeutschen, S. 118. Im Hinblick etwa auf die „Interbrigadisten“ des Spanischen Bürgerkrieges vgl. Walter Janka, Spuren eines Lebens, Berlin 1991; Gustav Szinda, Das Leben eines Revolutionärs. Gustav Szinda erinnert sich, Leipzig 1989; eine eindringliche literarische Darstellung bietet: Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstandes, Frankfurt a. Main 1983. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995 (erstmalig: 1963), S. 92. Engler, Die Ostdeutschen, S. 118; die Unterscheidung von „Partisanen“ auf der einen und „Funktionären“ auf der anderen Seite, in die die kommunistische Bewegung nach der Machtübernahme zerfallen sei, übernimmt Engler von Walter Markov. Zwiesprache mit dem Jahrhundert, Köln 1990, S. 160; Markov (1909–1993) war Historiker und Widerstandskämpfer; schloss sich 1934 der KPD an und gründete eine Widerstandsgruppe an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn; 1935 verhaftet und im Zucht-

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Roebelen etwa war, trotz seiner vorbildlichen Meriten, nur eine kurze Karriere als Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen vergönnt. Für sein „schnelles, konsequentes und durchgreifendes Handeln, Aufrüttelung und Ansporn“ geschätzt, verkörperte er jedoch eher die Figur des eigensinnigen und tendenziell unberechenbaren Parteigängers. Wie eine parteiliche Beurteilung seiner Person befand, ließ ihn sein „stark motorisches Element“ bisweilen „über das Ziel hinausschießen“. Demnach agierte Roebelen „kurzsichtig und voreilig“, mit nur wenig Sinn für „beharrliche systematische Arbeiten“.17 Mochten persönliche und machtpolitische Interessen für diese Beurteilung von (hier nicht nachvollziehbarem) Einfluss gewesen sein, machen sie jedoch deutlich, dass eigenmächtiges und unangepasstes Verhalten innerhalb der SED-Führung auf wenig Verständnis rechnen konnte.18

                                                                                                                                      

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haus Siegburg inhaftiert, wo Markov 1945 die Selbstbefreiung der politischen Häftlinge mitorganisierte; gehörte zu den Mitbegründern der FDJ und des AStA an der Universität Bonn, 1946 siedelte er jedoch nach Leipzig über; Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte seit 1949 sowie Direktor des Instituts für Universal- und Kulturgeschichte; als Hochschullehrer war Markov auch in Nigeria (1962/63) und in Chile (1970/71) tätig. Beurteilung Roebelens durch die Sequesterkommission, zit. nach: Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 101; was für die ,Kommandohöhen‘ galt, galt, wie verschiedene Untersuchungen gezeigt haben, auch für die Parteiarbeit an der gesellschaftlichen Basis; vgl. dazu: Sebastian Simsch, „Was zeigt, dass sie ideologisch zurückgeblieben sind …“ Personelle Grenzen der frühen DDR-Diktatur am Beispiel der FDGB-Funktionäre in und um Dresden, 1945–1951, in: Peter Hübner (Hg.), Eliten im Sozialismus: Beiträge zur Sozialgeschichte der DDR, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 241–253; Till Kössler, Vom Soldaten zum Manager. Kommunistische Funktionäre nach 1945, in: ders./Helke Stadtland (Hg.), Vom Funktionieren der Funktionäre. Politische Interessenvertretung und gesellschaftliche Integration in Deutschland nach 1933, Essen 2004, S. 179–201. Vgl. dazu: Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten. Vom geheimen Apparat der KPD ins Gefängnis der Staatssicherheit, Berlin 1990; bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass zwei der größten Rivalen Walter Ulbrichts, Wilhelm Zaisser und Ernst Wollweber, über äußerst umfangreiche Erfahrungen als Partisanen verfügten; beide brachten es bis zum Chef der Staatssicherheit, trugen sich zugleich mit eigenen Vorstellungen über den Charakter der SED-Herrschaft und wurden von Ulbricht nicht zuletzt deshalb als gefährlich für seine eigene Machtposition eingeschätzt, weil sie über ausgezeichnete Kontakte in die Sowjetunion verfügten; Zaisser wurde jedoch der Aufstand vom 17. Juni zum machtpolitischen Verhängnis und Wollweber wurde im Zusammenhang mit der sogenannten „Schirdewan-Opposition“, die 1956/57 für eine Fortsetzung des kurzfristig eingeschlagenen Entstalinisierungskurses plädierte, entmachtet; vgl. dazu: Thomas Klein/ Wilfriede Otto/Peter Grieder, Visionen. Repression und Opposition in der SED 1949– 1989, Frankfurt a. d. Oder 1996; Ehrhart Neubert, Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989, Berlin 1997.

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„Unklarheiten“ über Aufgaben und Charakter der Kampfgruppen besaßen für die „misstrauischen Patriarchen“ deshalb – zumal vor dem Hintergrund des JuniAufstandes – geradezu traumatische Implikationen.19 Was die von Thälmann eingangs geforderten Werte wie „Verlässlichkeit, Kampfesmut und Tatkraft” konkret bedeuteten, war in der Praxis vielfach umstritten. War es im Hinblick auf die Legitimität der Kampfgruppen, aber auch der kommunistischen Herrschaft überhaupt, wichtig herauszustreichen, dass die proletarische Mobilmachung quasi selbsttätig und ,von unten‘ erfolgte, forderte eine derartige Propaganda zugleich den Eigensinn der Akteure an der gesellschaftlichen Basis heraus. Wurde ,oben‘ im Rekurs auf den proletarischen Mythos intendiert, die eigensinnigen revolutionären Energien und Ambitionen „einzufrieren“,20 konnte er ,unten‘ auch als Aufforderung verstanden werden, sie nun kompromissloser als zuvor in die Tat umzusetzen.21 Wie sich die militärpolitische Arbeit in der Praxis zu gestalten habe – mithin: was als virtuos zu gelten hatte und was nicht22 – war, wie zu zeigen sein wird, durchaus strittig. Waren die „misstrauischen Patriarchen“ besorgt, dass das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ seine Waffen auch gegen die eigene Avantgarde wenden könnte, ist jedoch danach zu fragen, inwieweit Wahrnehmungen seiner Angehörigen als Partisanen der historischen Realität entsprachen. Die Rekonstruktion von Mitteln und Wegen, mit denen die „misstrauischen Patriarchen“ versuchten, die Loyalität ihrer Parteimiliz sicherzustellen, reflektieren nicht nur spezifisch generationelle Züge und Prägemuster. Denn „Härte, Entschlossenheit und habitualisiertes Misstrauen – ideologisch aufgewertet zur sogenannten ,revolutionären Wachsamkeit‘“23 war von zentraler Bedeutung für die Herrschaftspraxis im Staatssozialismus. Sie versprechen zugleich Aufschluss über die Schwierigkeiten, auf die ihre Durchherrschungs-Ambitionen in der sozialen Praxis stießen. Wie Kämpfer, zivile Kollegen und Kader mit den Di-

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Vgl. dazu den Abschnitt „In ,Argwohn geübt‘ und im ,Argwohn bewährt‘: Zur Biographie der Mitglieder der Sicherheitskommission“, in: Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 76–107; sowie: Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 497f. Walzer, The Revolutionary Uses of Repression, S. 129. Für die Weimarer Republik bzw. die Phase der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ vgl. dazu: Brown, Weimar Radicals, der sich zwar auf die Aktivisten der NS-Bewegung konzentriert, aber auch kommunistische Aktivisten nicht außen vor lässt. Zum Begriff der „Virtuosität“ und seiner Instrumentalisierung im Staatssozialismus vgl. Susan L. Shirk, Competitive Comrades. Career Incentives and Student Strategies in China, Berkeley/Los Angeles 1982. Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 497.

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rektiven der Kommandohöhen umgingen, sie in die Tat umsetzten oder negierten, eröffnet deshalb Aufschluss über divergierende „Erfahrungshintergründe“ und „Erwartungshorizonte“ (Koselleck), die in die militärpolitische Arbeit mit eingingen und wie sie diese beeinflussten.

Alte Kämpfer und Antimilitarismus. Der Aufbau der Kampfgruppen im Schatten von Klassenkämpfen und Weltkrieg Einige „fortschrittliche“ Betriebe – wie es im Jargon der SED hieß – waren bereits unmittelbar im Anschluss an den Aufstand vom 17. Juni dazu übergegangen, „Betriebskampfgruppen“ aufzustellen.24 Dabei handelte es sich jedoch um lokale Initiativen, die zwar im Nachhinein das Wohlwollen der Avantgarde ernteten, nicht aber mit deren Rückendeckung erfolgt waren. Eine allgemeine, alle Kreise und Bezirke einschließende Mobilmachung begann erst mit dem Beschluss des Sekretariats des ZK vom 9.12.1953 einzusetzen. Er schaffte die Grundlage für eine einheitliche Organisation, die der SED die uneingeschränkte Befehlsgewalt über die neue Organisation zusicherte.25 Aber auch noch zu diesem Zeitpunkt waren die ersten Formationen weitgehend „auf sich allein angewiesen und führten ihre Ausbildung nach eigenem Ermessen durch“, wie es der Bericht einer lokalen historischen Kommission beschreibt.26 Es scheint, als sei man auf den Kommandohöhen anfangs davon ausgegangen, dass ein Signal des Anstoßes genügen würde, um eine proletarische Mobilmachung zu initiieren. Tatsächlich verweisen Bezeichnungen wie „proletarische Hundertschaften“, „Arbeiterwehren, Selbstschutzbrigaden sowie auch Kampfgemeinschaften zur Sicherung der Betriebe“27, die an der Basis für die neu entstehende Formation gebraucht wurden,28 auf bis in die 1920er Jahre zurückreichende

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Vgl. etwa: Protokoll über die am 12.9.1953 durchgeführte außerordentliche Sekretariatssitzung der KL Aschersleben, LHASA, SED-KL Aschersleben, Nr. IV/402/69. Beschlussprotokoll des Sekretariats des ZK vom 9.12.1953, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/410. Kämpfer unserer Klasse, S. 32. Vgl. bspw.: Karl-Heinz Marks, Zur Geschichte der Kampfgruppeneinheit „Karl Liebknecht“, Potsdam 1988, S. 5; Kämpfer ihrer Klasse. Wehr-, Schutz- und Kampforgane der Arbeiterklasse – ihre Entwicklung im Bereich des Kreises Aschersleben, hrsg. v. der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung und der SEDKL Aschersleben, Aschersleben 1964, S. 31. Die bis zu ihrem Ende hin gültige, offizielle Bezeichnung „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ scheint erstmals im Rahmen der 25. ZK-Tagung im Oktober 1955 gebraucht wor-

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Erfahrungsräume. Auch von staatlicher Seite wurde stets auf diese Zeit verwiesen, wenn es darum ging, für die neu entstehende Organisation zu werben: „So wie heute Ollenhauer, Fette, Schernowsky u. a. sozialdemokratische Führer die schändlichsten Provokationen der Militaristen und Kriegsverbrecher unterstützen und durchführen helfen, so waren ihre Vorläufer auch die Provokateure zur Zeit der März-Aktion. […] Lernt bei Euren [sic] steten Gedenken an die Opfer der Märzkämpfe, lernt aus den Erfahrungen der Veteranen von 1921 und aus den Kämpfen unserer Partei bis zum heutigen Tag, dass ihr die Reihen der Kämpfer rein haltet von Agenten des Feindes, von Spionen und Spitzeln. Wartet nicht, bis der Feind Euch im Werk hintergeht und überfällt wie 1921. Sucht den Feind auf, wo er sich gegen Euch vorbereitet.“29

Waren es hier die „Märzkämpfer“, die von Bernard Koenen anlässlich des 33. Jahrestages des mitteldeutschen Aufstandes im März 1954 als Vorbilder für die Kämpfer herangezogen wurden, stand in erster Linie der Rote Frontkämpferbund Pate beim organisatorischen Aufbau. Er stellte zugleich die einzige genuin kommunistische, bewaffnete Formation dar, die über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand gehabt hatte, von 1924 bis 1929. So entsprach die bis zu ihrem Ende unverändert beibehaltene Gliederung der Kampfgruppen nach Gruppen, Zügen und Hundertschaften exakt dem großen historischen Vorbild.30 Hundertschaften der neuen „Arbeiterwehr“ sollten sich nicht allein auf Volkseigene Betriebe (VEBs) beschränken, sondern auch in allen Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS), Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG`s) und staatlichen Verwaltungseinrichtungen der Republik gebildet werden. Intendiert wurde, „den Schutz des Betriebes gegen Angriffe von außen zu übernehmen, aber auch die Sicherheit innerhalb des Betriebes zu gewährleisten“.31 Kampfgruppen sollten in jedem Betrieb selbständig und zunächst ohne übergeordnete militärische Leitung organisiert werden. Die Auswahl „politisch zuverlässiger, aktiver und körperlich geeigneter“ Kandidaten wurde deshalb von den Kreisleitungen an die Grundorganisationen der SED in den Betrieben übertragen, die sich daneben auch um die

                                                                                                                                      

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den zu sein; bis dahin sprach man auf den ,Kommandohöhen‘ zumeist von „Kampfgruppen“; vgl. Gabert, Die Entstehung der Kampfgruppen und ihre Entwicklung bis zum Sommer 1961; Wagner, Kampfgruppen, S. 334. Von den Märzkämpfen 1921 und Leuna 1954, Redemanuskript, undat., SAPMO-BArch., FBS 158/19257, Bl. 140 u. Bl. 155. Beschluss des Politbüros über die Organisierung und Ausbildung der Kampfgruppen vom 4.1.1955, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/2 A/397, Bl. 81. Sekretariatsvorlage der Abteilung „M“ vom 21.01.1954, LHAM, Rep P13, SED-BL Magdeburg, 1954–1958, Nr. IV/4/3/127.

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Vorbereitung und Organisation der Ausbildung sowie deren regelmäßige Durchführung zu kümmern hatten.32 Kampfgruppen-Arbeit war zunächst reine ParteiArbeit, die anfangs gänzlich in die Verantwortung der Vertretungen vor Ort fiel und ohne die Unterstützung anderer staatlicher Organisationen betrieben werden sollte. Als Faustregel war vorgegeben worden, etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Belegschaft jedes Betriebes für die Kampfgruppen zu rekrutieren.33 Offensichtlich überschätzte die SED jedoch mit dieser Vorgabe die Bereitschaft und Selbstleistung an der gesellschaftlichen Basis. Eine Analyse der Kampfgruppen-Arbeit aus dem Kreis Merseburg, Bezirk Halle, stellte im Frühjahr 1955 – eine systematische Ausbildung war hier gerade erst angelaufen – fest, dass zum ersten Ausbildungstag im gesamten Kreisgebiet nur 592 Betriebsangehörige angetreten wären. Sie entsprachen etwa 4% der regionalen Belegschaftsstärke. Nirgendwo im Bezirk Halle verfügten die Hundertschaften auch ein halbes Jahr später über ihre beabsichtigte Sollstärke. Und Angehöriger der Kampfgruppen zu sein, hieß noch lange nicht, dass man sich auch regelmäßig an der Ausbildung beteiligte. Eine Teilnahme aller Kampfgruppen-Angehörigen konnte das VPKA Dessau allein aus dem Regiebetrieb Kapen melden. In den Kreisen Köthen und Bernburg würde hingegen gar keine Ausbildung betrieben werden. Und selbst in den „Großbaustellen des Sozialismus“ – den industriellen Großbetrieben Leuna, Buna, Bitterfeld und Wolfen – beteiligten sich weniger als 50 Prozent aller Kämpfer regelmäßig an der Ausbildung, so interne Auswertungen.34 Legt dieser geringe Zuspruch eine weithin verbreitete, ablehnende Haltung gegenüber der neuen, im betrieblichen Umfeld verorteten und bewaffneten Organisation nahe, ist zunächst die angespannte Situation infolge des 17. Juni 1953 in Rechnung zu stellen.35 In den Leuna-Werken mussten sich die SED-Funktionäre von Seiten der ZPKK vorwerfen lassen, „keine geschlossene, prinzipienfeste Einheit“ zu bilden – Hinweis auf die Verunsicherung, die der Aufstand innerhalb der parteilichen Organe an der Basis ausgelöst hatte. Als „ungenügend“ hatte sie bemängelt, dass die Parteiversammlungen hier nur von durchschnittlich einem Drit-

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Befehl des Ministers des Innern Nr.4/57 vom 10. Januar 1957, BStU, MfS-BdL, Nr. 50090, Bl. 5. Vgl. Sekretariatsvorlage vom 21.1.1954, LHAM, Rep P13, SED-BL Magdeburg, 1954– 1958, Nr. IV/4/3/127. In Leuna waren es 38% aller registrierten Kämpfer, die sich regelmäßig an der Ausbildung beteiligten; in Buna 47,6%, in Wolfen 31,3% und in Bitterfeld nur 11%; vgl. Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 16. Vgl. dazu: Kleßmann, Arbeiter im „Arbeiterstaat“, S. 348–364.

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tel aller Mitglieder besucht wurden. Dass damit auch eine distanzierte Haltung des überwiegenden Teils der lokalen Parteibasis gegenüber ihrer politischen Führung zum Ausdruck gebracht wurde, ignorierte sie hingegen.36 In Buna, wo die Proteste bis in den Juli hinein noch anschwollen, sei die Partei „überhaupt noch nicht wieder in Erscheinung getreten“; auch hier konstatierte die ZPKK eine „tiefe Kluft zwischen Parteileitung und Mitgliedschaft“.37 Im Geiseltal, Kreis Merseburg, wo der Zuspruch zu den Kampfgruppen überaus gering war – in Pfännerhall waren nur 35 der insgesamt 1.400 Betriebsangehörigen zur Ausbildung erschienen; in Lützkendorf waren es 27 von insgesamt 1.900 Betriebsangehörigen38 – machte die VP hingegen „feindliche Zersetzungsarbeit“ für die ablehnende Haltung der Basis verantwortlich. Sie verwies in diesem Zusammenhang etwa auf Drohbriefe, die an lokale SED-Funktionäre verschickt worden wären.39 Ressentiments gegenüber der SED-Führung und ihren militärpolitischen Initiativen waren weithin wirksam und konnten, wie im Falle der Drohbriefe, auch offen widerständige Akte und Handlungen provozieren.40 Sie verweisen darauf, dass die Kampfgruppen auch als ein gegen die Bevölkerung gerichtetes Machtinstrument der Partei verstanden werden konnten. Virulent waren aber auch noch ganz anders gelagerte Gründe dafür, dass sich große Teile der SED-Basis ausgesprochen reserviert gegenüber dem neuen „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ verhielten. „Kommt herein, ihr Massengrabskandidaten“, hatte ein lokaler Betriebsarzt aus dem Kreis Bitterfeld zukünftige Kämpfer im Rahmen eines medizinischen Eignungstestes begrüßt. Damit nahm er Bezug auf ein weiteres, zentrales Ereignis, das die militärpolitischen Initiativen der SED überschattete – den Vernichtungs-

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Bericht über die Lage in der Partei, o. D. [Juli 1953], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/4/419, Bl. 262. Bericht über die Lage der Partei, o. D. [Juli 1953], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/4/419, Bl. 263. Analyse über die Kampfgruppen im Kreis Merseburg vom 27.4.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV//414/418, Bl. 53. Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 29; vgl. auch: Bericht über die Lage der Partei vom 17.7.1953, SAPMOBArch., DY 30/IV 2/4/419, Bl. 265. Auch im Gummiwerk Elbe wurden „am Tage, als die Parteileitung sich über die KGArbeit auseinandersetzte, Hetzschriften welche sich gegen die Arbeit der KG richteten, im Werk gefunden,“ notierte das VPKA Wittenberg im September 1955; vgl. Bericht Nr. 41/55 vom 1.9.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 12.

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krieg der Nationalsozialisten.41 Eine kriminalpolizeiliche Untersuchung war auf den betreffenden Arzt aufmerksam geworden, nachdem hier verschiedene Betriebsangehörige den Dienst in den Kampfgruppen mit der Begründung verweigert hatten, dass er dem Volkssturm gleichkäme.42 Das erklärte Ziel der SED, mithilfe der Kampfgruppen „schon in kurzer Frist alle[n] körperlich tauglichen Werktätigen eine bestimmte waffenmäßige und taktische Ausbildung“ zu vermitteln, „die sie befähigt, im Ernstfall ihre ganze Kraft sofort zur Vernichtung des Feindes einzusetzen“,43 war mithin doppeldeutig. Mancherorts weckte es offensichtlich vor allem Assoziationen an ein verzweifeltes, „letztes“ Aufgebot, wie es die Nationalsozialisten am Ende des Zweiten Weltkrieges in Form des „Volkssturms“ zu mobilisieren versucht hatten. Wiederholt sahen sich die neu entstehenden Arbeiterformationen Vergleichen mit der Wehrmacht44 und anderen nationalsozialistischen Organisationen ausgesetzt.45 Derartige Vergleiche können als Versuche gelesen werden, die militärpolitischen Initiativen der SED zu diskreditieren. Inwieweit sich in Gleichsetzungen von SED und Nazi-Diktatur gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber der antifaschistischen Rhetorik der neuen Machthaber artikulierten, ist jedoch weit schwieriger zu eruieren als die Tatsache, dass damit zugleich auf die wirkmächtige Präsenz des Krieges im „kommunikativen Gedächtnis“ der ostdeutschen Gesellschaft abgehoben wurde.46 Länger als in der Bundesrepublik schienen dessen verheerende Folgen in der DDR unmittelbar präsent zu sein, etwa durch die Demontierung von Fabriken oder die bis 1958 immer wieder angespannte Versorgungslage.47 Und anders als

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Vgl. dazu: Richard Bessel, The War to End All Wars. The Shock of Violence in 1945 and Its Aftermath in Germany, in: Alf Lüdtke/Bernd Weisbrod (Hg.), No Man’s Land of Violence. Extreme Wars in the 20th Century, Göttingen 2006, S. 69–99; ders., Germany 1945. From War to Peace, London 2009; vgl. auch: ders./Dirk Schumann (Hg.), Life after Death. Approaches to a Cultural and Social History of Europe during the 1940s and the 1950s, Cambridge 2003. Bericht vom 6.12.1955, LHASA, BDVP 19, Nr. 95, Bl. 31. Vorlage an das Politbüro über die Organisation und Ausbildung vom 21.12.1954, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 A/397, Bl. 68. Vgl. Bürovorlage der SED-KL vom 22.4.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95. Vgl. dazu: Winfried Ranke, Linke Unschuld? Unbefangener oder unbedachter Umgang mit fragwürdig gewordener Vergangenheit, in: Vorsteher (Hg.); Parteiauftrag, S. 94–112. Port, Conflict and Stability, S. 117 u. S. 130. Dorothee Wierling, Nationalsozialismus und Krieg in den Lebens-Geschichten der ersten Nachkriegsgeneration der DDR, in: Elisabeth Domansky/Harald Welzer (Hg.), S. 35–56, hier: S. 38.

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noch im Anschluss an den Ersten Weltkrieg war die Zeit der 1950er Jahre getragen von einem weithin verbreiteten Bedürfnis nach individueller „Sicherheit“.48 Während man vom Staat den Schutz persönlicher Integrität und materieller Besitzstände erwartete, war jedes Anzeichen neuerlicher Rüstungsbestrebungen hingegen dazu angetan, Argwohn und Beklommenheit unter der Bevölkerung zu wecken.49 Eine daraus resultierende antimilitaristische Haltung50 konnte sich in der DDR zudem auf die offizielle Entmilitarisierungspolitik der SED in den frühen fünfziger Jahren berufen.51 Vielfach rekurrierten Arbeiter im Zusammenhang mit den Kampfgruppen auf den von der SED selbst ausgegebenen, gegen die Aufrüstung im Westen gerichteten Slogan, dass der Friede an der Werkbank verteidigt werde.52 Die Partei reagierte darauf kompromisslos, indem sie weithin vorge-

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Vgl. dazu: Hans Braun, Das Streben nach „Sicherheit“ in den 1950er Jahren. Soziale und politische Ursachen und Erscheinungsweisen, in: AfS 18 (1978), S. 279–306; vgl. auch: Gottfried Niedhart, „Soviel Anfang war nie“ oder: „Das Leben und nichts anderes“ – deutsche Nachkriegszeiten im Vergleich, in: ders./Dieter Riesenberger (Hg.), Lernen aus dem Krieg? Deutsche Nachkriegszeiten 1918 und 1945, München 1992, S. 11–38; zu den verschiedenen Lesarten von „Sicherheit“ in der DDR der 1950er Jahre vgl. jedoch: Alf Lüdtke, „… den Menschen vergessen“? – oder: Das Maß der Sicherheit. Arbeiterverhalten der 1950er Jahre im Blick von MfS, SED, FDGB und staatlichen Leitungen, in: ders./Peter Becker (Hg.), Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte, Berlin 1997, S. 189–222. Vgl. Corey Ross, “What About Peace and Bread?” East Germans and the Remilitarization of the GDR, 1952–1962, in: MGM 58 (1999), S. 111–135; Bessel, The Shock of Violence in 1945. Martin Kutz, Militär und Gesellschaft im Deutschland der Nachkriegszeit (1946–1995), in: Ute Frevert (Hg.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, S. 277–306, hier: S. 279; vgl. auch: Reinhart Koselleck, Der Einfluss der beiden Weltkriege auf das soziale Bewusstsein, in: Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München 1992, S. 324–343. Holger Stoecker, „Stalin, das ist der Frieden!“ – Die Stalin-Note vom 10. März 1952 und die friedenspolitische Propaganda in der DDR, in: Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag, S. 395– 405; Rüdiger Wenzke, Das unliebsame Erbe der Wehrmacht und der Aufbau der DDRVolksarmee, in: Rolf-Dieter Müller/Hans-Erich Volkmann (Hg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 1113–1138, hier: S. 1114; zur dennoch vollzogenen, „verdeckten“ Aufrüstung in der frühen SBZ/DDR vgl. Thoß (Hg.), „Volksarmee schaffen – ohne Geschrei!“ Studien zur verdeckten Aufrüstung. Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 83, Bl. 258.; vgl. dazu auch: Corey Ross, „Wird der Friede nicht an der Werkbank verteidigt?“ Die Sol-

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brachte Argumente wie „Gewehr ist gleich Gewehr“ nicht gelten ließ. Während sie betonte, dass es darauf ankäme, „in welchen Händen dieses Gewehr ist und welches Ziel“ damit erreicht werden solle,53 taten sich ihre Vertreter an der gesellschaftlichen Basis bisweilen schwer, diese Argumentation zu vermitteln. In verschiedenen Betrieben des Kreises Genthin waren „Aussprachen“ mit wehrunwilligen Bürgern durchgeführt worden, die sich jedoch als wirkungslos herausstellten, woraufhin die lokalen Funktionäre schließlich „kapituliert“ hätten.54 Im Kreis Wanzleben, Bezirk Magdeburg, hatte es eine gesamte Betriebsleitung – „alles Genossen unserer Partei“ –, aus „pazifistischen“ Gründen abgelehnt, den Kampfgruppen beizutreten.55 Das Beispiel macht deutlich, dass manche Funktionäre die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber neuerlichen Aufrüstungsbestrebungen offenbar durchaus teilten.56 Ob aus Überzeugung oder Ohnmacht: Im Kreis Genthin, Bezirk Magdeburg, versuchte die Parteiorganisation des Kreisgerichts es erst gar nicht, eine Kampfgruppe aufzubauen. „Ja, wir haben wohl der Kreisleitung einmal Namen für die Aufstellung von Kampfgruppen gemeldet, aber Rücksprache und die Namen aufgeschrieben habe ich nicht“, wurde ein „Genosse von der BPO“ zitiert. Als Begründung gab er an, dass es „zwecklos“ wäre, eine Ausbildung anzuberaumen, da ohnehin niemand erscheinen würde.57 Entgegen den Erwartungen der Kommandohöhen fühlten sich offenkundig längst nicht alle Funktionäre – und erst recht nicht alle Parteimitglieder – in symbiotischer Art und Weise mit der Partei verbunden bzw. an ihre Direktiven ge-

                                                                                                                                      

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datenwerbung in der DDR in den 50er und 60er Jahren, in: Ehlert/Rogg (Hg.), Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR, S. 439–457. Die Rolle und die Aufgaben der Kampfgruppen in der Deutschen Demokratischen Republik, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 14; vgl. dazu auch: Ross, East Germans and the Remilitarization, S. 111; Gunter Holzweißig, SED-Agitation im Widerspruch zwischen Einheitspropaganda und „sozialistischer Landesverteidigung“, in: Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag, S. 412–419. Bürovorlage über die Stärke und den Ausbildungsstand der Kampfgruppen vom 23.7.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 69. Situationsbericht über die Arbeit der Kampfgruppen im Kreis Wanzleben vom 29.7.1954, LHAM, Rep P13, Nr. IV/2/12/03. Vgl. dazu: Port, Conflict and Stability, S. 128f.; Ross, Die Soldatenwerbung in der DDR, S. 446. Monatliche Auswertung der Ausbildung der Kampfgruppen vom 1.6.1955, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 22.

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bunden. Der Genthiner BPO-Funktionär etwa argumentierte, dass „die Genossen ja auch manchmal einen freien Nachmittag haben wollen“.58 Von Seiten der SED wurden derartige Einstellungen jedoch stets als „kleinbürgerlich“ verunglimpft. Der Bürger, der allein um seine individuelle Ruhe bemüht schien, stand nicht nur für das Fortwirken überholter Moralvorstellungen,59 er drohte sich auch verdächtig zu machen.60 Zwar wurde der „Kleinbürger“ nicht explizit zu den Feinden des Sozialismus gezählt, gefährlich war er aufgrund der ihm zugeschriebenen Eigenschaften in den Augen der Avantgarde jedoch sehr wohl: Politisch indifferent, selbstsüchtig und korrumpierbar stellte er ein „Hemmnis für die Durchsetzung sozialistischer Denk- und Lebensgewohnheiten“ dar.61 Der „Aufbau des Sozialismus“ jedoch, hieß es dazu in einer Ansprache zur Rolle und den Aufgaben der Kampfgruppen, war gleichbedeutend mit dem „Kampf des Neuen gegen das Alte“. Da er sich „unter den Bedingungen des Klassenkampfes“ vollziehe,62 sei der Dienst in den Kampfgruppen nicht als „notwendiges Übel, sondern als eine Lebensnotwendigkeit aller Werktätigen beim Aufbau des Sozialismus“ zu betrachten.63 „Seine geliebte Ruhe“ könne der Bürger der DDR nur deshalb genießen, weil es „Menschen seiner Klasse gibt, die sich mit der Waffe vor diesen Staat stellen“, hieß es beispielhaft in einem „Lesebuch für den Unterricht in Staatsbürgerkunde“.64 In diesem Sinne bezeichnete der „Kleinbürger“ weniger

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Monatliche Auswertung der Ausbildung der Kampfgruppen vom 1.6.1955, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 22; ein weiteres Beispiel für Zugeständnisse von Seiten der Funktionäre bietet der Vorschlag der BPO des VEB Osternienburg im Bezirk Halle, „nur 2 Stunden Ausbildung der Kämpfer durchzuführen, obwohl 4 Stunden festgelegt sind“, vgl. Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 18. Vgl. dazu: Horst Büttner, Über die Rolle von Moral und Recht im ideologischen Kampf der Gegenwart, in: Staat und Recht, H. 6, Jg. 6 (1957), S. 1007–1023. Vgl. dazu: Marc Garcelon, The Shadow of the Leviathan: Public and Private in Communist and Post-Communist Society, in: Jeff Weintraub/Krishan Kumar (Hg.), Public and Private in Thought and Practice: Perspectives on a Grand Dichotomy, Chicago 1997, S. 303–332. Vgl. dazu: Thomas Ahbe, Der Kleinbürger als Froschkönig. Kleinbürgerstereotype im Offizialdiskurs der DDR, in Gries/Satjukow (Hg.), Unsere Feinde, S. 179–196, hier: S. 189. Die Rolle und die Aufgaben der Kampfgruppen in der Deutschen Demokratischen Republik, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 12. Das Sprachrohr, Nr. 16 (Jg. 8) vom 22.8.1956, LHAM, Rep I 34 (1955–1957), Nr. 524. Volkspolizei. Staatssicherheit. Kampfgruppen. Leseheft für den Unterricht in Staatsbürgerkunde, zusammengestellt und bearbeitet v. Heinz Siegel, Berlin (O)1958.

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eine tatsächlich existierende soziale Gruppe, sondern fungierte vielmehr als Chiffre für den „Aufbau des Sozialismus“ hemmende Wertvorstellungen und Verhaltensweisen. Etwas von einem „Kleinbürger“ steckte nach dieser Lesart in jedem „Genossen“ und bildete sozusagen das verfemte „Andere“ im „Eigenen“. Es stellte eine Negativfolie dar, in die all die bei der Schaffung des „neuen sozialistischen Menschen“ unerwünschten und zu überwindenden Charaktereigenschaften eingingen. Obwohl als Relikt längst vergangener Zeiten gedeutet, schien der Geist der „alten Zeit“ durchaus noch gegenwärtig. Zumindest hatte sich die Ausbildung mancherorts deshalb zunächst auf das „idiologische [sic] Gebiet“ konzentrieren müssen.65 Denn nur dort, wo die Betriebsparteiorganisationen „den ideologischen Kampf führen und die Genossen von der Notwendigkeit der Arbeit der Kampfgruppen und der notwendigen Disziplin bei der Ausbildung überzeugen“ konnten66 – so eine interne Einschätzung –, kamen Kampfgruppen zusammen, die nicht schon nach der ersten Ausbildung wieder zerfielen. Sollte der Beitritt zu den Kampfgruppen grundsätzlich freiwilliger Natur sein, zeigte sich schon in der Anfangszeit, dass vielerorts die Einsicht in die „Notwendigkeit“ eines Engagements nur durch Zwang und Beeinflussung erreicht werden konnte. In den LeunaWerken wurden zu diesem Zweck von Seiten der Kreisleitung Instrukteure für den „politisch-moralischen Zustand in den einzelnen Hundertschaften“ – Vorläufer der späteren Politstellvertreter –, eingesetzt. Aber sie mussten sich vorwerfen lassen, ihren Aufgaben „nur selten oder gar nicht“ nachzukommen.67 Andernorts wurde versucht, den Vorbehalten der Betriebsangehörigen damit zu begegnen, dass man den „zivilen“ Charakter der Kampfgruppen herauszustreichen suchte. In Leuna etwa brachte „ein Genosse der B[etriebs]L[eitung]“ im Rahmen eines Erfahrungsaustausches „nochmals […] zum Ausdruck, dass die Kampfgruppen ihre Aufgabe darin sehen müssen, in der politischen Massenarbeit, den Schutz der Betriebe sowie Einsätze bei Katastrophen, Verkehrsunfällen und sonstigen Dingen.“[sic]68 Reflektieren diese Aussagen einerseits, dass über den                                                              65 66 67 68

 

 

Bericht der SED-Kreisleitung Genthin vom 8.3.1954, LHAM, MD, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 4. Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 229. Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 19. Bericht vom Erfahrungsaustausch der Kampfgruppen vom 17.3.1954, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298; ein Abriss der historischen Entwicklung der Kampfgruppen schrieb dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ gleichfalls zu, neben dem „Schutz der Betriebe“ und der „Sicherung größerer Veranstaltungen“ zunächst auch

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Charakter des neuen „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ noch weitestgehende Unklarheit bestand, mag ihnen auch das Motiv zugrunde gelegen haben, dem militärischen Charakter der Kampfgruppen seine Schärfe zu nehmen. Denn es waren nicht nur „trübe Erfahrungen beim Faschismus“,69 die von zahllosen Betriebsangehörigen gegen die Kampfgruppen vorgebracht wurden. Ganz im Gegensatz zu den Intentionen der SED konnte auch der Rekurs auf die eigenen kämpferischen Traditionen nicht zu unterschätzendes Misstrauen und Skepsis wecken – dann nämlich, wenn die Kampfgruppen für bloße Partisanenverbände gehalten wurden. Wie ein Bild aus den Anfangstagen der lokalen Miliz zeigt, machten manche Einheiten der ersten Stunde einen bunt zusammengewürfelten Eindruck. [Siehe Zweiter Teil, Kap. I, Abb. 6]. Nicht zuletzt, weil sie von den Kämpfern selbst bezahlt werden musste, setzte sich eine Uniform erst langsam durch.70 Aber auch sie hatte zunächst eher provisorischen Charakter, war zugleich jedoch voller Reminiszenzen an die kommunistische Kampfzeit: Blaue Overalls hatten die anarchistischen Milizen im Spanischen Bürgerkrieg als Uniformen getragen,71 Armbinde und Mütze bildeten – zusammen mit einer Bluse – die Uniform des RFB. Der „blaue Anton“ brachte die Verortung der Kampfgruppen in der Produktion zum Ausdruck. Schirmmützen wiederum – die in der Weimarer Republik als das Insignium des politischen Soldaten schlechthin galten72 – konnten als Zeichen der

                                                                                                                                      

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„zur Lösung komplizierter ökonomischer Aufgaben“ vorgesehen gewesen zu sein; vgl. Historischer Abriss über die Entwicklung der Kampfgruppen, undat., BArchB., Do1/18.0/ 17924. Einschätzung der Kampfgruppen-Arbeit vom 29.7.1957, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 26. Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kampfgruppen vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 70; gleichwohl übernahmen einige Betriebe die Bezahlung der Uniformen, wie etwa im Kreis Salzwedel; vgl. Ansprache zur Rolle und den Aufgaben der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR, undat. [vermutl. 1955], LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 12. Eine direkte Bezugnahme ist aber, trotz aller Glorifizierung des Spanischen Bürgerkrieges als antifaschistischer Widerstand in der politischen Kultur der DDR, aus den Quellen nicht nachzuweisen; zu den Overalls der Milizen im Spanischen Bürgerkrieg: Ingrid Strobl, „Sag nie, du gehst den letzten Weg“. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung, Frankfurt a. Main 1989, S. 37. Vgl. dazu: Alexandra Hillringhaus, Stahlhelm, Blücher-, Leninmütze: Politische Uniformen als Medien gesellschaftlicher Sinnstiftung in der Zwischenkriegszeit, in: Gottfried Korff (Hg.), KriegsVolksKunde. Zur Erfahrungsbindung durch Symbolbildung, Tübingen 2005, S. 119–146, hier: S. 139.

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Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft, des Außenseitertums, der Bedrohung wie auch der positiven Identifizierung mit der Vorstellung einer besseren Welt interpretiert werden.73 Ein derart anti-bürgerlicher Gestus schien weiten Teilen der Bevölkerung jedoch den Eindruck zu vermitteln, als verstoße die neue Organisation gegen die Auflagen internationalen (Kriegs-)Rechts. Tatsächlich ächtet die Haager Landkriegsordnung bzw. die Genfer Konvention Partisanen nicht grundsätzlich. Sofern bewaffnete Formationen über einen verantwortlichen Führer und ein aus der Entfernung sichtbares Abzeichen verfügen, ihre Waffen offen tragen und sich weitgehend an die Gesetze und Gebräuche des Krieges halten, schreibt sie vor, dass deren Angehörige als Kombattanten anerkannt und entsprechend behandelt werden sollen.74 Wurden die Kampfgruppen all diesen Merkmalen gerecht, verstießen sie jedoch gegen ein anderes zentrales Gebot. Voraussetzung für die Anerkennung solcher Formationen ist, dass es sich bei ihnen um Organe eines Staates handelt, während die Kampfgruppen ausweislich das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ darstellten.75 Signalisierte diese Bezeichnung einen bewussten Bruch mit bürgerlichen Rechts- und Ordnungsvorstellungen, schien der jedoch weite Teile der Bevölkerung eher zu verunsichern als zu begeistern. Die Errungenschaften des ,Arbeiter-und-Bauern-Staates‘ mit Gewalt zu verteidigen, musste – und das gaben DDR-Rechtswissenschaftler auch unumwunden zu76 – im „ideologischen Kampf der Gegenwart“ unausweichlichen Rechtsbruch bedeuten, wenn man die proletarische Mobilmachung an bürgerlichen, von der SED stets als „abstrakt-formal“ verbrämten Rechtsvorstellungen maß.77 Anerkennung bzw. Ablehnung der proletarischen Mobilmachung, wie sie sich in Gestalt der Kampfgruppen

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Vgl. Bernd Hüppauf, Zylinder, Mützen und ein steifer Hut. Versuch über Kopfbedeckungen und die Macht von Bildern, in: Paragrana 4 (1995), H. 1, S. 120–150, hier: S. 121f. Vgl. dazu: Peter Lieb, Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44, München 2007, S. 232–258. Vgl. dazu auch: Koop, Armee oder Freizeitclub?, S. 88–90. Vgl. dazu bspw.: Herbert Kröger, Das Recht in der Deutschen Demokratischen Republik muss zum Hebel des sozialistischen Aufbaus werden!, in: Staat und Recht, H. 1, Jg. 5 (1956), S. 1–10; Rolf Schüssler, Über Rechtsverletzungen und Klassenkampf in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Staat und Recht, H. 7, Jg. 5 (1956), S. 827–848. Vgl. bspw.: Walter Ulbricht, Die Staatslehre des Marxismus-Leninismus und ihre Anwendung in Deutschland, in: Staat und Recht, H. 4, Jg. 7 (1958), S. 325–349; Julius Leymann/Siegfried Petzold, Zum Wesen der sozialistischen Gesetzlichkeit in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Staat und Recht, H. 6, Jg. 8 (1959), S. 691–705.

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vollzog, konnte aus dieser Perspektive deshalb immer auch als Test ,echter‘ klassenbewusster Gesinnung gedeutet werden.78 Aussagen wie „Außerdem seien die Kampfgruppen keine militärischen Einheiten, sondern nach der Genfer Konvention Partisanen, diese würden einmal aufgehängt“79 schienen deshalb nicht ausschließlich kriegsrechtliche Vorbehalte zu artikulieren. Sie reflektierten auf ihre Weise zugleich biographische Erfahrungs- und Erinnerungsräume, in denen sich ein Wissen um die Partisanenbekämpfung der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg artikulierte.80 Ob in der Weimarer Republik oder im kriegführenden Europa des Zweiten Weltkrieges: Die weithin verbreitete Erfahrung, dass im „heißen Bürgerkrieg“ der 1920er bis 1940er Jahre mit dem Gegner stets wenig zimperlich umgegangen wurde, blieb nicht folgenlos. Sie führte im „Kalten Bürgerkrieg“ dazu, dass Arbeiter vielerorts, wie exemplarisch in Halle, erklärten, als Zivilisten keine Waffe mehr in die Hand nehmen zu wollen.81 Der Rekurs auf die revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung allein schien jedenfalls kaum zu genügen, die Parteimitglieder und Betriebsangehörigen scharenweise für die Kampfgruppen zu mobilisieren. Zwar wurde intern von „großen Erfolgen“ gesprochen, „weil fast in allen Kampfgruppen die alten Traditionen der deutschen Arbeiterklasse ausgewertet und in der Arbeit der Kampfgruppen angewendet wurden“. Gleichzeitig mussten die lokalen Parteiorganisationen jedoch einräumen, dass sich das von der SED erhoffte Engagement für die Kampfgruppen „nur in einem bestimmten Prozentsatz“ zeige.82 Zu diesem bestimmten Prozentsatz zählten vor allem solche Arbeiter, die ihr ganzes Leben in der organisierten Arbeiterbewegung aktiv gewesen waren, wie etwa Richard Schmidt. Seit 1928 im Waschmittelwerk von Genthin tätig, hatte er zu den „ersten [gezählt], die nach der Zerschlagung des faschistischen Regimes […] den Wiederaufbau des Betriebes in Angriff nahm. […] Für den Aufbau einer neu-

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Horst Büttner, Über die Rolle von Moral und Recht im ideologischen Kampf der Gegenwart, in: Staat und Recht, H. 6, Jg. 6 (1957), S. 1007–1023, hier: S. 1012. Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 83, Bl. 258; vgl. auch: Bürovorlage der SED-KL vom 22.4.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95. Vgl. dazu: Heer, Die Logik des Vernichtungskrieges; vgl. dazu auch: Bogdan Musial, Sowjetische Partisanen 1941–1944. Mythos und Wirklichkeit, Paderborn 2008. Vgl. Bürovorlage der SED-KL vom 5.4.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95; vgl. auch: Kämpfer ihrer Klasse, S. 32; vgl. dazu auch: Conway/Gerwarth, Revolution and Counterrevolution, S. 161f. Vgl. Ansprache, undat. [vermutl.1955], o. Verf., LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film 90, Bl. 153.

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en antifaschistisch-demokratischen Ordnung gab Genosse Schmidt seine ganze Kraft. So war es eigentlich selbstverständlich, dass er von Anfang an Mitglied der Kampfgruppe war.“ Das „Porträt eines Kämpfers“ aus der Betriebszeitung des VEB Waschmittelwerk Genthin zeigt, dass es nicht allein die Bereitschaft war, sein Leben für den Schutz des Sozialismus zu lassen, die die Kämpfer zu proletarischen „Virtuosen“ machte. Vielmehr war diese Bereitschaft nur die logische Konsequenz einer durch und durch „virtuosen“ Überzeugung. Denn nicht nur als Kämpfer hatte Richard Schmidt „stets vorbildlich und beispielhaft seinen von der Partei erhaltenen Klassenauftrag erfüllt“. Auch als zeitweiliges Mitglied der BPOLeitung, als Bezirkstagsabgeordneter, als ehrenamtlicher Beauftragter der Kreisleitung Genthin und als „aktives Mitglied“ der APO-Leitung war er „bekannt für sein prinzipienfestes Auftreten“. Schmidt wurde dreimal als Aktivist ausgezeichnet und auch die Brigade, in der er wirkte, erhielt zweimal die Auszeichnung „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“.83 Damit war Richard Schmidt jedoch kein Einzelfall – Kämpfer zeichneten sich immer wieder als Aktivisten und unermüdliche Parteiarbeiter aus.84 Warum die Mindestaltersgrenze für den Beitritt zu den Kampfgruppen auf 25 Jahre festgelegt wurde, findet sich nirgends offiziell erläutert. Der Anspruch proletarischer Virtuosität, der durch die Kämpfer verkörpert werden sollte, legt jedoch nahe, dass mit dieser Anordnung auch bezweckt wurde, vor allem im Sinne der SED „moralisch gefestigte“ Personen in den Kampfgruppen zu sammeln.85 In der Tat handelte es sich anfangs „zum größten Teil um Genossen im Alter von 50–60 Jahren“, die sich für die Kampfgruppen engagierten und trotz ihres fortgeschrittenen Alters

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Vgl. Richard Schmidt – Porträt eines Kämpfers, o. D., LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/C-4/3/165, Bl. 28f. Vgl. dazu bspw. die Porträts einzelner Kampfgruppen-Angehöriger in: Getreu dem Gelöbnis. Ausschnitte und Berichte aus der Arbeit der Kampfgruppen des VEB Filmfabrik Wolfen, hrsg. von der BPO des VEB Filmfabrik Wolfen, Wolfen 1969; Kämpfer der Arbeiterklasse. 30 Jahre Kampfgruppen der Arbeiterklasse 1953–1983, hrsg. von der BPO des Kombinats VEB Chemische Werke Buna, Buna 1983, S. 4; auch „Der Kämpfer“ brachte regelmäßig Beiträge, die die „Virtuosität“ der Kampfgruppen-Angehörigen herausstrichen, vgl. bspw: „Ein bewährter Genosse“, in: Der Kämpfer, Nr. 8, Jg. 2 (1957), S. 2. Victor Turner verweist darauf, dass „Communitas“ immer auch als „Produkt spezifisch menschlicher Fähigkeiten, zu denen Vernunft, Wollen und Erinnerung gehören und die sich mit der gesellschaftlichen Lebenserfahrung entwickeln“, betrachtet wird; vgl. ders., Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt a. Main/New York 1989 (erstmalig: 1969), S. 125.

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„unter keinen Umständen aus den Kampfgruppen ausscheiden wollten,“ wie ein Bericht der Hauptverwaltung der DVP kommentierte.86 Dass offensichtlich gerade diese Altersgruppe die enthusiastischsten Kämpfer stellte, deutet auf generationsspezifische Prägungen und Einstellungen solcher Arbeiterveteranen hin.87 Gewalt hatte Zeit ihres Lebens die politische Arena beherrscht und konnte von ihnen als „Lokomotive“ auch ihrer eigenen Geschichte gedeutet werden.88 Inwiefern eine „wieder und wieder erneuerte Lust am Überleben“ – das Bedürfnis existentieller Bewährung und die Verpflichtung gegenüber der Gewalt zum Opfer gefallenen Freunde oder Verwandten –89 für diese Menschen ausschlaggebend war, sich den Kampfgruppen anzuschließen, muss spekulativ bleiben. Die heroische Verklärung der Kampfzeit im Mythos rührte jedoch nicht nur an einem spezifisch politisch-historischen Erfahrungsraum. Vielmehr eröffnete sie denjenigen, die sich in ihm verorteten, mit dem Beitritt zum „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ auch die Aussicht einer sinnvollen Deutung ihrer eigenen Biographie. Zwar bewiesen zahllose Arbeiterveteranen in der Kampfgruppe bemerkenswerten Einsatz.90 Aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters konnten sie jedoch

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Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 3.7.1955, BArchB., Do1/18.0/17924; vgl. auch: Überprüfung der bisher getroffenen Maßnahmen zur Bildung von Kampfgruppen vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 227. Mancherorts beklagten die Kämpfer jedoch auch „zweierlei Disziplinen“: „Schauen wir uns doch einmal die älteren Genossen aus der Produktion an, die waren da, aber vor den jüngeren Genossen machen wir halt“, beklagte sich bspw. ein Mitglied der BPO des VEB Mifa-Werke in Sangerhausen; Auswertung der Übung der Kampfgruppen in Zschopau am 29. und 30.9.1956, LHASA, SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/304; vgl. dazu auch Port, Conflict and Stability, S. 132. Vgl. dazu: Pritchard, The Making, S. 186f.; Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Personalstruktur und Lebenswelt 1950–1989/90, Berlin 2000, S. 128–132. Tilmann Siebeneichner, „Wieder und wieder erneuerte Lust am Überleben“? Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, das THW und die Virulenz von Bürgerkriegsperzeptionen im geteilten Deutschland, in: DA 3/2008, S. 441–446; vgl. dazu auch: Michael Geyer, Krieg als Gesellschaftspolitik. Anmerkungen zu neueren Arbeiten über das Dritte Reich im Zweiten Weltkrieg, in: AfS 26 (1986), S. 557–601; ders., Das Stigma der Gewalt und das Problem der nationalen Identität in Deutschland, in: Christian Jansen/Lutz Niethammer/Bernd Weisbrod (Hg.), Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1995, S. 673–698, hier: S. 689f. Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 23.7.1955, BArchB., Do1/18.0/17924.

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kaum dem entsprechen, was als Ausbildungsziel für die Kampfgruppen-Angehörigen formuliert worden war: die „Herausbildung von disziplinierten, körperlich widerstandsfähigen Genossen, die jederzeit in der Lage sind, ihre Produktionsstätten sowie die Errungenschaften des Arbeiter- und Bauern-Staates zu verteidigen.“91 Zu diesem Zweck ordnete der „Beschluss über die Aufgaben der Parteileitung bei der Organisierung der Kampfgruppen“ vom August 1955 an, dass sich jeder Arbeiter vor seinem Beitritt zu den Kampfgruppen einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen habe.92 Dass die SED trotz aller Probleme mit ihren Arbeiterveteranen aber auf deren Erfahrung und Engagement auch nicht gänzlich verzichten wollte, macht der bereits zitierte „Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kmpfgruppen [sic]“ aus dem Sommer 1955 deutlich. Er sah vor, dass „ältere kampferfahrene Genossen, die nicht mehr an der gesamten Ausbildung der Kampfgruppen teilnehmen können, […] in gesonderten Einheiten“ zusammenzufassen seien.93 Wird in den Berichten wie selbstverständlich stets von Männern ausgegangen, die sich in der Kampfgruppe engagierten, war auch Frauen der Zutritt zunächst nicht verwehrt worden. Im Gegenteil „gaben [sie] manchem Genossen ein Beispiel an Disziplin und Einsatzfreude“, wie eine Kampfgruppen-Chronik des Kreises Aschersleben berichtet.94 Bedauerlicherweise geben die Quellen keinen Aufschluss darüber, wie viele Frauen sich in den Kampfgruppen engagierten und ob sie anfangs gleichberechtigt neben ihren männlichen Kämpfern agierten.95 Offiziell

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Vgl. Programm für die Ausbildung der Kampfgruppen vom 20.4.1955, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/12/99; Werner Borchardt, Kampf und Sieg der Partei. Parteigeschichte des VEB Mansfeld Kombinat Wilhelm Pieck 1917–1975, Halle/Saale 1976, S. 92. Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kmpfgruppen [sic] vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 69; wirklich entschlossene Arbeiterveteranen schienen sich auch von solchen Beschlüssen nicht abhalten zu lassen; so wirkte etwa der Leiter der MTS Klebitz im Kreis Wittenberg „trotz viermaliger OP und Entfernung der Blase“ als Kommandeur einer Hundertschaft; Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 23.7.1955, BArchB., Do1/18.0/17924. Vgl. Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kmpfgruppen [sic] vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 69. Kämpfer ihrer Klasse. Wehr-, Schutz- und Kampforgane der Arbeiterklasse – ihre Entwicklung im Bereich des Kreises Aschersleben, hrsg. von der SED-KL Aschersleben und der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, Aschersleben 1964, S. 32. Vgl. dazu die generellen Ausführungen bei: Marie Marmo Mullaney, Revolutionary Women. Gender and the Socialist Revolutionary Role, New York 1983; Eingaben wie die einer „Genossin“ aus Demitz-Thumitz, die zu den Kämpfern der ersten Stunde zählte, le-

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setzte sich nämlich erst nach der Unterstellung unter die DVP im Sommer 1955 die Ansicht durch, Frauen nicht „neben den Männern in den Kampfgruppen für den unmittelbaren Kampfeinsatz auszubilden und einzusetzen“.96 Einerseits reproduzierte dieser Satz klassisch ,männliche‘ Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von Frauen auch in militärischen Kampfeinheiten, die von geringerer körperlicher und nervlicher Belastbarkeit bis zur vermeintlich zersetzenden Wirkung von Frauen auf die „Manneszucht“ reichen.97 Andererseits verwies der nachgestellte Satz auf das insgesamt eher widersprüchliche Frauenbild innerhalb der kommunistischen Bewegung: „Ganz abgesehen von der politischen Bedeutung, wenn in der DDR bewaffnete Frauen in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten.“98 Gerade Frauen hatten in der im Vergleich zur Bundesrepublik verlängerten Nachkriegszeit, nicht zuletzt aufgrund des hohen Anteils an kriegsversehrten- und gefangenen Männern, große Verantwortung beim gesellschaftlichen Wiederaufbau in der DDR übernommen.99 Wurde diese „Bewährungsprobe“ ebenso heroisch wie harmonisch gedeutet, half sie „weibliche Tüchtigkeit“ als ein langfristig gültiges Programm proletarisch-weiblicher Existenz in der DDR zu etablieren.100 Zudem führte sie dazu, dass Frauen in der Folgezeit verstärkt auch klassische Männerberufe übernahmen. Insofern scheint es nicht verwunderlich, wenn auch Frauen an den ersten öffentlichen Kampfgruppen-Aufmärschen beteiligt waren. Etwa in Halle waren sie jedoch gezwungen, ihr langes Haar dabei unter der obligatorischen Skimütze zu verbergen – und dass nicht ohne das ihnen scheinbar eigen-

                                                                                                                                       gen jedoch nahe, dass Frauen am Aufbau von Kampfgruppen, zumindest mancherorts, gleichberechtigt beteiligt waren; Vgl. Eingabe vom 28.8.1975 (Demitz-Thumitz), SAPMO-BArch., DY 30/IV B2/12/207, Bl. 247; in Rechnung zu stellen ist hier jedoch, dass diese Eingabe der Reklamation von Versorgungsansprüchen diente, die Autorin insofern bemüht sein musste, ihre Verdienste in der Kampfgruppe herauszustreichen. 96 Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 23.7.1955, BArchB., DO1/18.0/17924. 97 Vgl. dazu: Nira Yuval-Davis, Militär, Krieg und Geschlechterverhältnisse, in: Christine Eifler/Ruth Seifert (Hg.), Soziale Konstruktionen – Militär und Geschlechterverhältnisse, Münster 1999, S. 18–43. 98 Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 3.7.1955, BArchB., Do1/18.0/17924. 99 Vgl. dazu: Ina Merkel, „… und Du, Frau an der Werkbank.“ Frauenbilder – Männerbilder. Die DDR in den 50er Jahren, Berlin 1990. 100 Dorothee Wierling, Das weiblich-proletarische Tüchtigkeitsideal in der DDR, in: Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ/DDR, S. 831–848, hier: S. 837; vgl. auch: Monika Gibas, Vater Staat und seine Töchter. Offiziell propagierte Frauenleitbilder der DDR und ihre Sozialisationswirkungen, in Dieter Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag: Ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, Berlin 1997, S. 310–319.

 

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tümliche „weibliche Geschick“, wie der Bericht nicht zu erwähnen vergaß.101 Derartige Ansichten verweisen darauf, dass trotz einer weltweit herausragenden Beschäftigungsquote von Frauen in der DDR im sozialen Bereich ein klassisches Geschlechterrollenverständnis vorherrschend blieb.102 Obwohl die KPD schon zu Zeiten der Weimarer Republik die radikalsten Gleichheitsforderungen in der Geschlechterfrage postuliert hatte, war sie im Grunde ihres Wesens ein Männerbund geblieben.103 Trotz regelrechter „Frauenquote“ in Fragen der Besetzung von Mandaten dominierte innerhalb der KPD ein traditionelles Geschlechterverständnis. Ein „proletarischer Antifeminismus“, der bereits im Kaiserreich zu Stil und Lebensart der Arbeiterbewegung gehört hatte, fand seine Fortsetzung und Verstärkung in martialisch eingefärbten Mustern vom ‚richtigen Mann‘. Weil die KPD auch als Sammelbecken proletarischer Kriegsteilnehmer fungierte, stellte sie in vielerlei Hinsicht ein Ventil männerbündischer Geselligkeitsformen dar.104 Die Trennung von eher häuslich konnotiertem „Frauenalltag und Männerpolitik“105 zeigte sich erst recht in Fragen militanter Politik. Obwohl Frauen mancherorts zu den Gründungsmitgliedern einiger Ortsgruppen des RFB gezählt hatten, sprach man sich bereits auf der zweiten Reichskonferenz des RFB 1925 dafür aus, weibliche Mitglieder in einer selbständigen Organisation zusammenzufassen. Der daraus resultierende „Rote Frauen- und Mädchenbund“

                                                             101 Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 23.7.1955, BArchB., Do1/18.0/17924. 102 Ina Merkel, Leitbilder und Lebensweisen von Frauen in der DDR, in: Kaelble/Kocka/ Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 359–382, hier: S. 376; Jan C. Behrends, Schwester, Freundin, Vorbild. Bilder der „sowjetischen Frau“ im stalinistischen Polen und in der SBZ/DDR, in: Claudia Kraft (Hg.), Geschlechterbeziehungen in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. Soziale Praxis und Konstruktion von Geschlechterbildern, München 2008, S. 59–86. 103 Silvia Kontos, Die Partei kämpft wie ein Mann. Frauenpolitik der KPD in der Weimarer Republik, Basel 1979; Eric D. Weitz, The Heroic Man and the Ever-Changing Woman: Gender and Politics in European Communism, 1917–1950, in: Laura L. Frader/Sonya O. Rose (Hg.), Gender and Class in Modern Europe, New York 1996, S. 311–352; vgl. auch Atina Grossmann/Elisabeth Meyer-Renschhausen, Frauen und Arbeiterbewegung in Deutschland, 1914–1938, in: Ernest Borneman (Hg.), Arbeiterbewegung und Feminismus. Berichte aus vierzehn Ländern, Frankfurt a. Main 1982, S. 54–61. 104 Vgl. Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 131–141; Weitz, Creating German Communism, S. 205–220. 105 Vgl. dazu Karen Hagemann, Frauenalltag und Männerpolitik. Alltagsleben und gesellschaftliches Handeln von Arbeiterfrauen in der Weimarer Republik, Bonn 1990.

 

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sollte zwar ein „Kampforgan“ sein, aber keine „militärische Organisation“.106 Frauen (und Kinder), so befand die Rote Fahne unisono, „sind die Sanitätsgruppe des Roten Krieges“.107 Gänzlich dieser Tradition verpflichtet, verfügte die Direktive des Jahres 1955, dass Frauen lediglich als Sanitäter in den Kampfgruppen dienen dürften,108 dem ,klassischen‘ Betätigungsfeld von Frauen innerhalb des Militärs.109 Als Sanitäterinnen bekamen sie den Status von selbständigen Angehörigen einer Hundertschaft zugewiesen, deren Angehörige sie in Ausbildung und Einsatz begleiten sollten. Der Status einer „Kämpferin“ wurde ihnen jedoch vorenthalten. Da „im Ernstfall […] der Sanitäter [sic] sich und die verletzten Kämpfer gefährden [kann], wenn er nicht mit militärischen Grundkenntnissen über das Verhalten unter gefechtsmäßigen Bedingungen vertraut gemacht wurde“,110 wurde von den männlichen Sanitätern durchaus militärisches Grundwissen verlangt. Sie nahmen deshalb auch an der militärischen Ausbildung der Hundertschaften teil. Die weiblichen Kampfgruppen-Angehörigen erhielten hingegen nur eine Ausbildung durch das Deutsche Rote Kreuz.111 „Weibliche Fürsorge“ und „Verletzbarkeit“, die „männliche Beschützerinstinkte“ weckte, scheinen weiterhin gültige und unhinterfragte Topoi zumindest der militärpolitischen Arbeit gewesen zu sein.112 Das

                                                             106 Vgl. dazu: Schuster, Der Rote Frontkämpferbund, S. 116–122; Hans-Jürgen Arendt/ Werner Freigang, Der Rote Frauen- und Mädchenbund – die revolutionäre deutsche Frauenorganisation in der Weimarer Republik, in: BzG 21 (1979), S. 249–258. 107 Rote Fahne vom 11.5.1924, zit. nach: Kontos, Frauenpolitik der KPD, S. 231. 108 Aber „auch als Telefonistinnen und Funkerinnen haben unsere Genossinnen große Aufgaben und Verantwortung“, wusste „Der Kämpfer“ im September 1959 zu berichten; vgl. „Hebt an! Hebt auf! Trage marsch!“ in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 3 (1959). 109 Barbara Wiesinger zeigt in ihrer Untersuchung zu den jugoslawischen Partisaninnen des Zweiten Weltkrieges, dass sie wohl – wenn auch in unterschiedlichem Maße – als Kämpferinnen zum Einsatz kamen, zumeist jedoch als Sanitätspersonal eingesetzt wurden; vgl. Barbara N. Wiesinger, Partisaninnen. Widerstand in Jugoslawien (1941–1945), Köln/ Weimar/Wien 2008. 110 „Hebt an! Hebt auf! Trage marsch!“ in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 3 (1959). 111 Direktive zur Arbeit mit den Kampfgruppen vom 12.4.1955, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/474, Bl. 254; dazu zählte auch, dass Frauen zwar eine Pistole zur Selbstverteidigung führen durften, ihnen das Tragen von Waffen ansonsten jedoch verboten blieb; zum Zusammenhang von Waffen als Ausweis männlicher Geschlechtsidentität vgl. Wiesinger, Partisaninnen, S. 104–108. 112 Vgl. dazu: Christine Eifler, „… es schützt Dich mein Gewehr.“ Zu Frauenbildern in der NVA-Propaganda, in: Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung der HumboldtUniversität Berlin (Hg.), Unter Hammer und Zirkel. Frauenbiographien vor dem Hin-

 

 

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implizierte zugleich, dass Streitbarkeit, Aggressivität und Kämpfertum weiterhin zur gesellschaftlichen Konstruktion von Männlichkeit zählten, Frauen, die sich zu eben jenen Prinzipien bekannten, jedoch schnell den Ruf von „Flintenweibern“ eintragen konnte.113 Und nicht zuletzt fürchtete man wohl auch, dass die Integration von Frauen in männlich-militärische Primärgruppen die Kohäsionskraft unter den Kämpfern stören könnte. Der Mythos einer ausschließlich männlich konnotierten „soldatischen Kameradschaft“ – in angelsächsischen Armeen oft als „male bonding“ bezeichnet – und das damit einhergehende Loyalitätsgefühl gegenüber den „eigenen Jungs“ gilt im Militär als wichtiger psychologischer Baustein, der die Soldaten befähigt, mit der Kriegführung einhergehendes Leid und Anstrengungen zu bewältigen.114

Parteiliche Loyalität und betriebliche Lebenswelt. Die lokalen Funktionäre und die militärpolitische Arbeit Wenn Kämpfer, wie in Bitterfeld, als „Massengrabskandidaten“ begrüßt wurden, konnte sich darin allgemeine Geringschätzung gegenüber dem militärpolitischen Engagement artikulieren, die auf die individuelle Wehrmotivation der Kämpfer von nicht unbeträchtlichem Einfluss war. Das zeigen Verhaltensweisen, wie sie etwa in Salzwedel beobachtet wurden, wo Kämpfer den Mantel über ihre Uniformen zogen, um auf dem Weg zur Ausbildung nicht als Angehörige der Kampfgruppen erkannt zu werden.115 Ob die neue Arbeitermiliz als eine notwendige und unterstützungswürdige Einrichtung betrachtet wurde, hing nicht zuletzt von

                                                                                                                                       tergrund ostdeutscher Sozialisationserfahrungen, Pfaffenweiler 1995, S. 269–276; dies., Nachkrieg und weibliche Verletzbarkeit. Zur Rolle von Kriegen für die Konstruktion von Geschlecht, in: dies./Seifert (Hg.), Soziale Konstruktionen, S. 155–186. 113 Ruth Seifert, Männlichkeitskonstruktionen: Das Militär als diskursive Macht, in: Das Argument 196 (1992), S. 859–872, hier: S. 866; dies., Militär und Geschlechterverhältnisse. Entwicklungslinien einer ambivalenten Debatte in: dies./Eifler (Hg.), Soziale Konstruktionen, S. 44–70, hier: S. 55; zur Konstruktion der „Flintenweiber“ vgl. Klaus Theweleit, Männerphantasien, Frankfurt a. Main/Basel 2000, S. 78–87. 114 Vgl. Ruth Seifert/Christine Eifler, Einleitung, in: diess. (Hg.), Soziale Konstruktionen, S. 7–16, hier: S. 13; Yuval-Davis, Militär, Krieg und Geschlechterverhältnisse, S. 34; Joshua S. Goldstein, War and Gender. How Gender Shapes the War System and Vice Versa, Cambridge 2001, S. 194–203. 115 Ansprache zur Rolle und den Aufgaben der Kampfgruppen in der Deutschen Demokratischen Republik, undat. [vermutl. 1955], LHASA, MD, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/ 11/212, Bl. 15.

 

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milieuspezifischen Bedingungen und Werthaltungen ab. Als „unmittelbar bewaffnetes Organ der Arbeiterklasse“ repräsentierten und transportierten die Kampfgruppen eine Vorstellung von Klassenkampf, die vor allem in einem industriell geprägten Milieu verortet wurde. Dort, wo gewalttätige soziale und politische Auseinandersetzungen zur Geschichte des jeweiligen Betriebes gehörten und von der SED entsprechend herausgestrichen wurden, konnte zumeist konstatiert werden, „dass […] die Stimmung der Arbeiter gegenüber der Aufstellung der Kampfgruppen eine positive ist“.116 In den Leuna-Werken etwa war auf Eigeninitiative der Kämpfer hin bereits ein eigenes Übungsgelände inklusive Hindernisbahn entstanden.117 Größere Probleme bereitete hingegen die Bildung von Kampfgruppen in den ländlichen Gebieten.118 Infolge des 17. Juni hatte sich hier nach Ansicht des Politbüros eine „zunehmende Verschärfung des Klassenkampfes“ zu Ungunsten der SED-Herrschaft ergeben. Die Kollektivierungsbestrebungen der lokalen Gliederungen provozierten vielfach gegen die SED gerichtete „Tätlichkeiten und Provokationen“,119 zumal die Organe der Partei hier in den 1950er Jahren häufig noch auf schwachen Füßen standen. Ihre Vertreter sahen sich bisweilen mit tief verwurzelten, bäuerlichindividuellen Werthaltungen konfrontiert, die durch weitgehend intakt gebliebene dörfliche Milieus gestützt wurden.120 Erschwerend kam hinzu, dass die Existenz zahlreicher, aber belegschaftsschwacher Betriebe hier die Aufstellung kompletter Hundertschaften nahezu unmöglich machte. Mancherorts konnten die örtlichen BPOs allenfalls die Aufstellung von Einheiten „in eine Stärke von 2 bis 6 Mann“

                                                             116 Bericht Nr.18/55 vom 7.4.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 211. 117 Situationsbericht über die Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 10.8.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 1. 118 Quartalsbericht des VPKA Magdeburg, undat., LHAM, Rep M24, BDVP 1952–1960, Film-Nr. 196; Situationsbericht über die Kampfgruppen im Bezirk Halle/S. vom 10.8.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 2 119 Vgl. Armin Mitter, „Am 17.6.1953 haben die Arbeiter gestreikt, jetzt aber streiken wir Bauern.“ Die Bauern und der Sozialismus, in: Ilko-Sascha Kowalczuk/Armin Mitter/Stefan Wolle (Hg.), Der Tag X – 17. Juni 1953: die „innere Staatsgründung“ der DDR als Ergebnis der Krise von 1952/54, Berlin 1995, S. 75–128; Jens Schöne, Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, Berlin 2005, S. 171. 120 Vgl. dazu: Arnd Bauerkämper, Traditionalität in der Moderne. Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Mecklenburg nach 1945, in: ZAA 51 (2003), S. 9–33; ders., Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945–1963, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 437.

 

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melden. Im Kreis Genthin, Bezirk Magdeburg, behalf man sich deshalb zunächst damit, Hundertschaften zu bilden, deren Angehörige sich aus verschiedenen Betrieben zusammensetzten.121 Im Kreis Querfurt, Bezirk Halle, verstreuten sich die Kämpfer der Hundertschaft Leimbach auf sieben Ortschaften, die teilweise bis zu 35 Kilometer voneinander entfernt lagen.122 Das beeinträchtigte jedoch nicht nur eine einheitliche Ausbildung – immer wieder fehlten zu einem angesetzten Ausbildungstermin Angehörige dieses oder jenes Betriebes.123 Erschwert wurde auf diese Weise überdies die Entstehung eines einheitlichen Kameradschaftsgefühls unter den betreffenden Kämpfern. Nicht nur potentielle Kämpfer ließen sich unter diesen Bedingungen nur schwer von der Notwendigkeit einer regelmäßigen Ausbildung überzeugen. Vielmehr erwies es sich als notwendig, in den „Stützpunkten des Sozialismus auf dem Dorf“, den Maschinen-Traktoren-Stationen des Bezirkes Magdeburg, zunächst einmal „die Leiter und stellvert. Leiter aus jedem MT Bereich zusammen zu nehmen um den Zweck und die Bedeutung zu erleutern [sic] und ihnen eine Grundlage für das Bestehen der K.Gr. [sic] zu geben“.124 Vor der beabsichtigten Mobilisierung der Bauern für die Sache des Sozialismus stand zunächst einmal „die Erziehung der Erzieher“.125 Zu Beginn der 1950er Jahre war die SED noch keineswegs jene disziplinierte Partei stalinistischen Zuschnitts, die ihrer aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten Führung vorschwebte.126 Vielmehr stellte sie eine überaus heterogene Organisation dar, in der über den ,richtigen‘ Weg zum Sozialismus durchaus Dissens herrschte, wie ein Bericht der Kreisleitung Aschersleben aus dem September 1953 zeigt. Er kritisierte, dass eine ganze Reihe von Parteiangehörigen der Ansicht seien, ihre Arbeit „auch ohne das Studium des Marxismus-Leninismus durchführen“ zu

                                                             121 Vgl. etwa: Bericht über die Kampfgruppen, undat., LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 14. 122 Vgl. Bericht über den Zustand der Kampfgruppen im Kreis Querfurt vom 27.11.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 171. 123 Vgl. etwa: Bericht vom 23.12.1955, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 30. 124 Bericht, undat. [vermutl. April 1954], o. Verf., LHASA, MD, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 7. 125 Lindenberger, Volkspolizei, S. 344; vgl. auch: ders., Der ABV als Landwirt. Zur Mitwirkung der Deutschen Volkspolizei bei der Kollektivierung der Landwirtschaft, in: ders. (Hg.), Herrschaft und Eigensinn, S. 167–203, hier: S. 174ff. 126 Vgl. dazu: Andreas Malycha, Die SED: Geschichte ihrer Stalinisierung 1946–1953, Paderborn 2000; Harold Hurwitz, Die Stalinisierung der SED. Zum Verlust von Freiräumen und sozialdemokratischer Identität in den Vorständen 1946–1949, Opladen 1997.

 

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können. Diese Genossen „neigen zur Überheblichkeit, lehnen jede Mitarbeit in der Partei ab und verlieren somit die Verbindung zur Partei und zum Staat.“127 Was hier kritisiert wurde – ein als überheblich und distanziert diffamierter Eigensinn verschiedener Parteifunktionäre – verweist auf einen tiefgreifenden Wandel, den die SED auf ihrem Weg zu einer Massenpartei durchmachte. Da zahllose Kader aus der Weimarer Republik dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer gefallen waren, sah sich die Partei im Zuge ihrer Rekonsolidierung gezwungen, in großer Zahl auf ,bewegungsfremde‘ Personen zurückzugreifen. Ihr Insistieren auf einem gründlichen Studium marxistisch-leninistischer Theorie illustriert das Misstrauen, das man ihnen auf den Kommandohöhen entgegenbrachte. Kompensiert werden sollte eine fragwürdige Bindung neuaufgenommener Mitglieder auch durch einen „demokratischen Zentralismus“, d. h. die Ausrichtung aller Beschlüsse an den Vorgaben der Avantgarde, die auf diese Weise ihren uneingeschränkten Führungsanspruch zu sichern trachtete. Nicht der lokal verwurzelte und durch langjähriges praktisches Engagement ausgewiesene „Arbeiterführer“, sondern der ideologisch geschulte und den Kommandohöhen unbedingt verpflichtete „Manager“ rückte deshalb zum Idealtypus eines kommunistischen Funktionärs auf. Er schien zur kompromisslosen Durchsetzung der Direktiven der SED-Führung weitaus geeigneter als der milieuspezifischen Interessen verpflichtete, klassisch-eigensinnige Arbeitervertreter.128 Zwar war die Mehrheit unangepasster Arbeiterveteranen – die sich zumeist schon durch eine langjährige Mitgliedschaft in der SPD verdächtig machten – bis zum Beginn der 1950er Jahre weitestgehend aus verantwortungsvollen Positionen innerhalb des Partei-Apparates verdrängt worden. Aber auch die Aktivitäten einer neuen Generation von Partei-Funktionären hatten sich an den Belangen jenes Milieus, in das sie delegiert wurden, zu orientieren. Ansonsten drohten auch sie das Vertrauen der Massen in die Partei zu verspielen,129 ein Aspekt, der infolge des „Lernschocks“ des 17. Juni für zusätzliche Verunsicherung unter den Kadern an

                                                             127 Bericht über den Stand der BPO beim Rat des Kreises, Aschersleben, vom 3.9.1953, LHASA, SED-KL Aschersleben, Nr. IV/402/69. 128 Vgl. dazu: Kössler, Vom Soldaten zum Manager; vgl. dazu auch: Anna-Sabine Ernst, Erbe und Hypothek. (Alltags-)kulturelle Leitbilder in der SBZ/DDR 1945–1961, in: Kultur und Kulturträger in der DDR. Analysen, hg. von der Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat, Berlin 1993, S. 9–72, hier: S. 43f. 129 Pritchard, The Making, S. 152.

 

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der Basis gesorgt hatte.130 Vielerorts existierten lokale BPOs nur rudimentär, war das Interesse an Parteiversammlungen gering und wurden politische Schulungen als „notwendiges Übel“ betrachtet.131 Mannigfache Klagen der Parteiführung darüber, dass die Parteiarbeit an der Basis nur ungenügend betrieben werde,132 verweisen auf das Spannungsfeld von zentralen Vorgaben und milieuspezifischen Erwartungen, in dem den lokalen Funktionären nicht selten die Rolle von „Prügelknaben“ (Niethammer) zufiel. Sollten sie einerseits die Anordnungen ,von oben‘ schnell und effizient durchsetzen, mussten sie zugleich auf lokale Werthaltungen und Stimmungen Rücksicht nehmen, um die Position und das Ansehen ihrer Partei nicht weiter zu gefährden.133 Die soziale Praxis vor Ort zwang, rollensoziologisch betrachtet, zu oftmals scheinbar widersprüchlichem Handeln. Sie machte ein individuelles „Mäandern“ notwendig, das durchaus charakteristisch für das Agieren von lokalen Funktionsträgern „vor Ort“ gewesen zu sein scheint.134 Das im Hinblick auf die Kampfgruppen-Arbeit häufig zu hörende Lamento übergeordneter Funktionäre, die lokalen BPOs ließen den „nötigen Ernst“ vermissen,135 ignorierte hingegen derartig gelagerte Konfliktpotentiale. War die militärpolitische Arbeit zunächst ausschließlich Angelegenheit der lokalen Partei-Organisationen gewesen, befand das Politbüro nach Ablauf des Jahres 1954, dass die bis dahin erbrachten Ergebnisse ihrer Funktionäre vor Ort nicht

                                                             130 Vgl. Klaus Ewers, Juni-Schock und Neuer Kurs. Einige systematisierte Überlegungen zur Politik des „Neuen Kurses“ in der DDR 1953, in: Deutsche Studien 23 (1985), S. 410– 418, hier: S. 416. 131 Pritchard, The making, S. 166; Ross, Socialism at the Grass-Roots, S. 6f. u. S. 9; Fulbrook, Anatomy of a Dictatorship, S. 62–67. 132 Etwa im Hinblick auf die Margarine-Fabrik Milka im Kreis Wittenberg wurde von Seiten des lokalen VPKA festgestellt, dass „die BPO auf äußerst schwachen Füßen steht. Charakteristisch hierfür ist, dass der Gen. Parteisekretär als Kraftfahrer des Betrie-bsleiters [sic] beschäftigt wird“; Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 228. 133 Vgl. dazu: Peter Hübner, Diktatur und Betrieb in der frühen DDR (1949–1961). Aspekte einer schwierigen Beziehung, in: Dierk Hoffmann/Michael Schwartz/Hermann Wentker (Hg.), Vor dem Mauerbau. Politik und Gesellschaft in der DDR der fünfziger Jahre, München 2003, S. 119–135, hier: S. 123; Bauerkämper, Loyale „Kader“?, S. 268f. 134 Vgl. Niethammer/von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung, S. 450–477; Port, Conflict and Stability; auch: Lindenberger, Der ABV als Landwirt, S. 192–203; zum „Mäandern“: Alf Lüdtke, Fehlgreifen in der Wahl der Mittel. Optionen im Alltag militärischen Handelns, in: Mittelweg 36 (2003), S. 61–75. 135 Vgl. Situationsbericht über die Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 10.8.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 1.

 

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ausreichten. Sowohl die Zahl der bisher gebildeten Hundertschaften wie auch die Zahl ihrer Mitglieder wurden allgemein als „unbefriedigend“ bezeichnet.136 In der Folge wurden den Verantwortlichen für die militärpolitische Arbeit deshalb Vertreter der Volkspolizei – sogenannte „Instrukteure“137 – zur Seite gestellt. Sie sollten sich in zunehmendem Maße um die praktischen Seiten der Ausbildung kümmern. Damit entstand jedoch eine Kompetenzkonkurrenz zwischen Polizei und Partei im Hinblick auf die an der Basis zu leistende militärpolitische Arbeit. Intendierten die Berichte der Instrukteure gewiss auch, alle offenkundig gewordenen Versäumnisse dem konkurrierenden Organ zuzuschieben, zeichneten sie ein desillusionierendes Bild der bis dahin erfolgten parteilichen Initiativen beim Aufbau des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“.138 Etwa im VEB Guß, Kreis Wittenberg, würde sich der lokale Parteisekretär „von der Meinung der ,Masse‘ leiten“ lassen, die dahingehend tendierte, „erst mal abzuwarten wie sich die Dinge nach der Genfer Konferenz entwickeln“.139 Im Mansfeld-Kombinat wurden von Seiten der BPOs „Beschlüsse nicht eingehalten“ oder an Ausbildungstagen Sitzungen und Versammlungen durchgeführt.140 Und im VEB Nagema im Kreis Wittenberg schien sich die BPO „keine Gedanken über die nicht durchgeführten Ausbildungstage“ zu machen, „sondern startet andere

                                                             136 Beschluss über die Organisierung der Kampfgruppen vom 4.1.1955, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/2 A/397, Bl. 81. 137 „Instrukteure“ übten innerhalb des Partei-Apparates vielfach die Funktion von „Feuerwehr“-Kadern aus, die zumeist dorthin geschickt wurden, wo die lokalen Funktionäre mit ihren Aufgaben überfordert schienen; vgl. zum „Instrukteurswesen“ der SED: Heike Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949–1963: Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster 2003; in den Kampfgruppen blieben die Instrukteure jedoch eine permanente und deshalb, wie sich zeigen wird, auch nicht unproblematische Begleiterscheinung der Ausbildungspraxis. 138 Bericht der Abteilung für Sicherheitsfragen betreffend Kampfgruppen vom 25.1.1954, LHASA, MD, Rep P13, Nr. IV/2/12/1, Bl. 23. 139 Bericht Nr. 41/55 vom 1.9.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 12; vgl. dazu auch die „monatliche Auswertung der Ausbildung der Kampfgruppen“ vom 1.6.1955: „Der parteisekr. [sic] der BPO-Konsum war unseren Genossen Ausbilder skeptisch [sic], indem er meinte einige Genossen stehen der gesamten Ausbildung negativ gegenüber.“ Hier konnte der betreffende Funktionär jedoch durch die „Bereitschaft aller Kämpfer eines anderen überzeugt werden“; LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 21. 140 Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 19.

 

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Einsätze von Seiten der Partei“ – hier waren Kämpfer, statt an der Ausbildung teilzunehmen, für Ferienaktionen eingesetzt worden.141 Bereits anhand dieser wenigen Beispiele wird deutlich, auf welch vielfältige Art und Weise die lokalen Funktionäre sich gegenüber den militärpolitischen Direktiven verhielten. Gegen die Mehrheit der Parteigenossen zu agieren, widersprach jedem gesunden Menschenverstand. Eine gemeinsame Abneigung gegenüber als Zumutung empfundener Kontroll- und Disziplinierungsabsichten ,von oben‘ konnte wiederum dazu beitragen, den solidarischen Zusammenhalt von Basisfunktionären und Betriebsangehörigen zu bestärken.142 Die Beschlüsse nicht einzuhalten, gefährdete jedoch die eigenen Positionen, so dass sich die lokalen Funktionäre im Falle der militärpolitischen Arbeit bisweilen „hinter den [sic] Vertreter der Volkspolizei [verschanzten], der den Genossen über Sinn und Zweck ihrer Anwesenheit Auskunft geben sollte“.143 Die Kompetenzkonkurrenz mit der Volkspolizei bot den Funktionären der SED zugleich immer auch die Möglichkeit, von eigener Verantwortlichkeit abzulenken. Da sich von der VP lange niemand mehr habe blicken lassen, gab jener Wittenberger Parteisekretär an, der sich hatte vorhalten lassen müssen, nur auf die Meinung der Masse zu hören, sei er überdies davon ausgegangen, dass die „Kampfgruppen-Arbeit“ nicht mehr „im Vordergrund“ stünde.144 Versuchten manche BPOs durch unterschiedlichste Maßnahmen, die Kampfgruppen-Arbeit zu umgehen, begegneten andere ihr hingegen mit blindem „Formalismus“.145 Ein Bericht der DVP stellte diesbezüglich fest, dass mancherorts auch „Genossen mit schweren körperlichen Leiden oder Genossen die 70 Jahre und noch älter sind, in die Kampfgruppen delegiert wurden“.146 Im Kreis Genthin, Bezirk Magdeburg, waren neben Frauen auch „Armversehrte“ in den lokalen

                                                             141 Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 21.7.1955, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 234. 142 Vgl. dazu: Jennifer Schevardo, Zweite Sektion: „Arbeitsbeziehungen, Arbeitsverhältnisse, Arbeiterexistenzen“, in: Peter Hübner/Christoph Kleßmann/Klaus Tenfelde (Hg.), Arbeiter im Staatssozialismus. Ideologischer Anspruch und soziale Wirklichkeit, Köln/ Weimar/Wien 2005, S. 215–225, hier: S. 219. 143 Vgl. Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 226. 144 Vgl. Bericht Nr. 41/55 vom 1.9.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 12. 145 Vgl. Ross, East Germans and the Remilitarization, S. 127; ders., Die Soldatenwerbung in der DDR, S. 447. 146 Direktive zur Arbeit mit den Kampfgruppen, (undat.), SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/474, Bl. 250.

 

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Kampfgruppen tätig.147 Im VEB Profen, im Bezirk Halle, waren wiederum alle „Genossen kategorisch“ zur Kampfgruppenausbildung abkommandiert worden und zwar „ohne vorherige Aufklärungsarbeit bzw. Aussprachen“.148 Die für die Kampfgruppen vorgesehenen Parteimitglieder waren hier gar nicht erst gefragt worden, ob sie den Kampfgruppen beitreten wollten. Solche Vorgehensweisen konnten jedoch zu dem Ergebnis führen, dass, wie im Kreis Gräfenhainichen, „beim ersten Ausbildungstag den Genossen noch nicht bekannt war, dass sie die o. a. Funktion [in den aufzustellenden Hundertschaften; T.S.] bekleiden sollten“.149 Auch in Merseburg beklagten Arbeiter, dass sie über ihre Zugehörigkeit zu den Kampfgruppen gar nicht informiert worden seien. Hier existierte die Kampfgruppe jedoch ohnehin nur auf dem Papier. Eine Überprüfung vom April 1955 ergab, „dass die Kampfgruppe nie gearbeitet hatte oder zu einer Besprechung zusammengefasst wurde“.150 Grundsätzlich bedeutete die Organisierung der Kampfgruppen eine zusätzliche Belastung für die ohnehin breit gestreuten Aufgabengebiete der Basisfunktionäre. Zugleich eröffneten ihnen diese wiederum die Möglichkeit, sich in pragmatische Handlungszwänge zu flüchten. Da explizite Bekundungen gegen die militärpolitische Arbeit grundsätzlich das Verdikt „pazifistischen“ Verhaltens heraufzubeschwören drohten, rekurrierten Funktionäre weitaus häufiger auf ökonomische Gründe, um eine Vernachlässigung der militärpolitischen Arbeit zu erklären.151 Angesichts des zentralen Stellenwerts der Produktion im selbsternannten ,Arbeiter-und-Bauern-Staat‘ besaß die Planerfüllung, insbesondere in Krisenzeiten, oberste Priorität. Indem Basisfunktionäre darauf insistierten, dass die militärpolitische Arbeit die Planerfüllung beeinträchtigen würde, rekurrierten sie auf ein Dilemma, das Kritik gegenüber den Kampfgruppen im Einklang mit dem gültigen „public transcript“ artikulierte. Demgegenüber hatten es übergeord-

                                                             147 Monatliche Auswertung der Ausbildung der Kampfgruppen vom 1.6.1955 LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 21. 148 Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 18. 149 Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 226; vgl. auch Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 18. 150 Situationsbericht über den Stand der Schaffung von Kampfgruppen im VEB Zellstoffund Papierfabrik Merseburg vom 15.4.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418. 151 Vgl. Bericht der Abt. Ausb. u. Schul. vom 9.10.1956, LHASA, MD, Rep M24, BDVP, Film-Nr. 91, Bl. 165.

 

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nete Funktionäre schwer nachzuvollziehen, ob die vielfach angeführte Unvereinbarkeit von militärpolitischer Arbeit und geforderter Planerfüllung tatsächlich den ökonomischen Bedingungen vor Ort entsprach. Zwar sollte die Kampfgruppenausbildung grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werden, in der Praxis ließ sich diese Anordnung vor allem deshalb nur schwer durchsetzen, weil sie nicht selten erheblichen Protest der Kämpfer nach sich zog.152 Im Kreis Bitterfeld beispielsweise hatten sich zunächst etwa sechzig Kämpfer an der Ausbildung beteiligt, solange sie während der Arbeitszeit durchgeführt wurde. Nachdem die Ausbildung jedoch in die Freizeit verlegt worden war, ging die Teilnahme bis auf 10 Kämpfer zurück, mit dem Ergebnis, dass am Ende „überhaupt keine Ausbildung mehr“ durchgeführt wurde.153 Wurden die lokalen Parteiorganisationen für solche Missstände verantwortlich gemacht, etwa, weil „mit den säumigen Genossen Kämpfern, die unentschuldigt an der Ausbildung gefehlt haben, keine Auseinandersetzung geführt“ wird,154 sahen sie ihren Machtbefugnissen vor Ort enge Grenzen gesetzt. So mussten sie sich hinsichtlich einer Beteiligung an der Ausbildung auch mit den örtlichen Betriebsleitungen einigen, die wiederum eine Freistellung ihrer Arbeiter verhindern konnten. Insbesondere in den ländlichen Gebieten wurde die Ausbildung nicht selten den ökonomischen Aufgaben hinten angestellt: „Schwierigkeiten gibt es zur Zeit noch bei der Ausbildung der Kampfgruppen in den MTS-Bereichen“, hieß es etwa in einer Einschätzung der SED-Kreisleitung Merseburg. „Diese Schwierigkeiten sind in dem verstärkten Kampf um die Erfüllung der Frühjahrsbestellung zu suchen. Hier tritt in Erscheinung, dass alle landwirtschaftlichen Kräfte und Traktoristen im Kampf um die Erfüllung des Anbauplanes stehen und diese Fragen in den Vordergrund stellen.“155 Saisonale Erfordernisse verlangten vereinte Anstrengungen, so wurde hier das zeitweilige Versiegen der militärpolitischen Arbeit erklärt. Erst einmal eingestellt, wurde die Ausbildung dann jedoch erst gar nicht wieder aufgenommen, wie die Kreisleitung in ihrem Jahresbericht feststellen

                                                             152 Vgl. Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kampfgruppen vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 70. 153 Vgl. Bericht Nr. 45/55 vom 6.12.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95. 154 Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 19. 155 Analyse über die Kampfgruppen im Kreis Merseburg vom 27.4.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 53 RS; vgl. auch: Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 17.

 

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musste.156 Dass, wie in Gräfenhainichen, die Dispatcher der MTS dazu verpflichtet werden mussten, „die Arbeitszeit der Genossen so zu lenken, dass die Teilnahme unbedingt gewährleistet ist“157, verweist auf unverhohlenes Desinteresse und mangelnde Kooperation der Betriebsleitungen bei der militärpolitischen Arbeit. Wie schon im Hinblick auf die Auseinandersetzungen um eine Wiederbewaffnung beobachtet, taten sich die Funktionäre schwer, wenn Betriebsleitungen und -angehörige ihre Argument gegen sie wendeten und sich auf ihre ökonomischen Verpflichtungen beriefen.158 Vielerorts beschränkten sich die Rekrutierungsaktivitäten der lokalen Parteiorganisationen zunächst ausschließlich auf SED-Mitglieder.159 Das konnte auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen SED-Mitgliedern und parteiunabhängigen Betriebsangehörigen verweisen, wie es infolge des 17. Juni in Leuna, Buna und im Mansfeld-Kombinat konstatiert worden war.160 Allerdings war die Bindung der Kampfgruppen an die Partei auch gewollt und institutionell abgesichert. Nur die „fähigsten Genossen“ – also Parteimitglieder – sollten als Gruppen-, Zug- und Hundertschaftskommandeure eingesetzt werden. Vorgeschlagen wurden sie von den die Ausbildung anleitenden Instrukteuren der DVP, eingesetzt durch die lokalen Parteileitungen.161 Parteilose Kämpfer, die sich gleichermaßen in den Kampfgruppen engagierten, fühlten sich durch eine derartige Praxis jedoch vor den Kopf gestoßen. Das führte „zu Verwirrungen über Sinn und Inhalt der Aufgaben bei vielen Mitgliedern“, wie ein Mitglied der ersten Stunde berichtete, und hatte nicht selten „Austritte aus den Wehreinheiten und auch der SED zur Fol-

                                                             156 Jahresbericht der Kampfgruppen, undat., LHASA, Abt. Mer., SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 126. 157 Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 227. 158 Vgl. Einschätzung der Ausbildung und der Arbeit der Kampfgruppen vom 8.7.1955, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/224; vgl. auch: Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 21.7.1955, LHASA, BDVP 19, Nr. 94, Bl. 233. 159 Vgl. etwa: Situationsbericht über den Stand der Schaffung von Kampfgruppen vom 15.4.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418; Bericht der SED-KL Saalkreis vom 9.3.1954, ebd.; Bericht über den Stand der Kampfgruppen im VPKA Wittenberg vom 1.9.1955, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 12. 160 Vgl. dazu: Bericht über die Lage in der Partei, o. D. [Juli 1953], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/4/419, Bl. 261–265. 161 Direktive zur Arbeit mit den Kampfgruppen vom 12.4.1954, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/474, Bl. 253.

 

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ge“.162 „Verwirrungen über Sinn und Inhalt“ verweisen auf den prekären Status des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ im Geflecht milieuspezifischer Einstellungen und Erwartungen. Wenn die Mitgliedschaft in der SED verpflichtend war für einen Beitritt zu den Kampfgruppen, konnte darüber leicht der Eindruck entstehen, dass die neue Formation nicht der Verteidigung der ,sozialistischen Errungenschaften‘ im Allgemeinen diente. Vielmehr konnte dadurch auch der Eindruck entstehen, dass sie insbesondere der Durchsetzung SEDspezifischer Interessen dienten – ein Eindruck, den es im Anschluss an den Juni 1953 jedoch unbedingt zu verhindern galt. Trotz aller beabsichtigter Parteitreue der Miliz – die mit der Besetzung von verantwortlichen Positionen ausschließlich durch SED-Mitglieder gesichert schien163 – war von Anfang an beabsichtigt gewesen, auch Nicht-SED-Mitglieder für die Kampfgruppen zu gewinnen. Ganz in der Tradition des Roten Frontkämpferbundes wurde den Kampfgruppen als „politischen Kampforganen der Werktätigen“ auch eine werbende, „agitatorische“ Funktion zugeschrieben. Von der Institutionalisierung proletarischer Militanz erhoffte man sich, dass sie „das Klassenbewusstsein und die Kampfbereitschaft der ganzen Arbeiterschaft“ stärken und festigen würde.164 In diesem Sinne stellte das „unmittelbar bewaffnete Organ der

                                                             162 Johannes G. Gnad, Ein Leben in Uniform, Schkeuditz 2002, S. 291. 163 Die Direktive zur Arbeit mit den Kampfgruppen vom 12.4.1954, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/474, Bl. 253 schrieb vor, dass „für alle Funktionen innerhalb der Kampfgruppen […] nur Mitglieder und Kandidaten der SED in Betracht kämen; gleichzeitig verfügte die SED, dass das Verhältnis von parteitreuen und parteilosen Kämpfern bei zwei zu eins liegen sollte; ein Grundsatz, auf den bis zum Ende der Organisation peinlich genau geachtet wurde; nichtsdestotrotz belief sich der Anteil von SED-Mitgliedern in den Kampfgruppen der Kreise Havelberg, Klötze und Osternburg (alle drei im Bezirk Magdeburg) bis in die 1980er Jahre hinein konstant auf unter 50 Prozent; vgl. dazu die Berichte in: BArchB., Do1/18.0/53683. 164 Hermann Dünow, Der Rote Frontkämpferbund. Die revolutionäre Schutz- und Wehrorganisation des deutschen Proletariats in der Weimarer Republik, Berlin (O) 1958, S. 92ff.; staatsrechtlich stellte sich dieser Zusammenhang wie folgt dar: „Das wachsende Bewusstsein der Massen über die Rolle und Bedeutung ihrer Staatsorgane wird ihre Mitarbeit in diesen verstärken und ihre Heranziehung zur Leitung des sozialistischen Staates erleichtern, sowie umgekehrt die immer stärkere Heranziehung der Massen zur Leitung des Staates in und durch ihre Organe, die Sowjets und die in den anderen Ländern bestehenden sozialistischen Vertretungskörperschaften, das Bewusstsein der Massen über die Rolle und die große gestaltende und schöpferische Bedeutung dieser Organe und damit der eigenen Tätigkeit und Mitarbeit der Massen heben und entwickeln wird“; Weichelt, Lenin über die Sowjets, S. 1101.

 

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Arbeiterklasse“ eine „Zwischenorganisation“ dar, die sowohl eine militärische als auch eine ideologische Funktion besaß. Beide Funktionen verfolgten jedoch dasselbe Ziel – die „Klasse“ für die SED zu mobilisieren und sie auf ihre Politik zu verpflichten.165 Schon in der Anfangszeit wurden deshalb Einheiten zu Agitationseinsätzen abkommandiert. Etwa im Kreis Wanzleben, Bezirk Magdeburg, diskutierten Kampfgruppen-Angehörige „mit den jungen Menschen und Werktätigen über die Frage: ,Was ist Patriotismus?‘“166 Im Kreis Naumburg kamen Kampfgruppen wiederum im Rahmen der lokalen Kollektivierungskampagne der SED zum Einsatz.167 Und auch an symbolischen Feiertagen, wie etwa dem „Tag der Befreiung“, marschierten Kampfgruppen auf,168 um zu demonstrieren, dass „die Werktätigen in unserer Republik […] die ruhmvollen revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterklasse“ fortsetzten.169 Im Sinne eines parteiübergreifenden Antifaschismus sollten solchermaßen auch Nicht-SED-Mitglieder für die Partei und ihre Politik begeistert werden. Das macht auch ein Bericht der Abteilung Sicherheit der Kreisleitung in Genthin deutlich, der davon ausging, dass mit der Gewinnung von Parteilosen immer auch die Möglichkeit einer „Gewinnung von Kandidaten verbunden“ sei.170 Deshalb wurden Parteiorganisationen, die ihre Rekrutierungsaktivitäten, wie etwa im Kreis Genthin, ausschließlich auf SED-Mitglieder beschränkten, scharf kritisiert.171 Einerseits konnten derartig selektive Rekrutierungspraxen auf den schweren Stand der lokalen Parteiorganisationen im betrieblichen Milieu verweisen und ein wechselseitiges Misstrauen von SED-treuen und parteilosen Betriebs-

                                                             165 Vgl. dazu: Brown, Weimar Radicals, S. 92. 166 Situationsbericht über die Arbeit der Kampfgruppen im Kreise Wanzleben vom 29.7.1954, LHAM, Rep P13, Nr. IV/2/12/03, Bl. 94. 167 Vgl. Bericht über einen Agitationseinsatz in der Gemeinde Löbitz vom 25.3.1954, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298, Bl. 21; Bericht über den Einsatz des Stützpunktes ENA in Wischroda, undat., ebd., Bl. 33f. 168 Vgl. Analyse über die durchgeführte Wache der KG über [sic] den Tag der Befreiung vom 10.5.1954, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298, Bl. 41f. 169 Vgl. Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kampfgruppen vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 66. 170 Bericht der Abt. „S“ Genthin vom 14.06.1956, LHASA, MD, Rep P13, Nr. IV/4/3/127, Bl. 50. 171 Bericht über die Kampfgruppen, undat., LHAM; Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 14; vgl. auch: Aufstellung des Einsatzplanes für die Kampfgruppen vom 5.1.1954, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418.

 

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angehörigen reflektieren. Andererseits konnte auf diese Weise aber auch ein spezifisch „virtuoses“ Selbstverständnis nicht weniger Kampfgruppen-Angehörigen zum Ausdruck gebracht werden, das in der Parteimitgliedschaft sein zentrales Kriterium fand. Denn in Leuna waren es die Kämpfer selbst, die sich gegen die Aufnahme von parteilosen Arbeitern in ihre Einheiten aussprachen. Hier schien zudem „einmütige Auffassung darüber“ zu bestehen, „dass die Mitglieder der KG im ständigen Tragen ihres Parteiabzeichens allen Mitgliedern der Partei ein Vorbild sind“.172 Auch SED-Angehörige wurden deshalb vor ihrer Aufnahme einer Überprüfung unterzogen, denn „nur die besten geeigneten Genossen konnten Angehörige der Kampfgruppen werden“, erinnerte sich der Sekretär der SEDBPO. Die „sehr genaue Auswahl“ wurde jedoch von den Angehörigen der Kampfgruppe selbst vorgenommen.173 Auf diese Weise eröffnete sich einfachen Aktivisten mit der neu entstehenden Formation die Möglichkeit, eigene Vorstellungen davon, wie ein vorbildlicher Arbeiter zu sein hatte, zu artikulieren und einzufordern: „Ich bin der Meinung, dass man gerade an der Teilnahme der Ausbildung innerhalb der Kampfgruppe erkennt, wie ein jeder Genosse zur Partei steht. Jeder Genosse sollte sich darum die Frage stellen, ob er es gegenüber seiner Partei verantworten kann, nicht an der Ausbildung der Kampfgruppe teilzunehmen. Dies gilt besonders für die Genossen, die als leitende Wirtschaftsfunktionäre eingesetzt sind und die glauben, dass sie allein mit ihrer Arbeit am Arbeitsplatz den Pflichten gegenüber der Partei nachkommen.“174

Dieser Magdeburger Arbeiter rekurrierte in der Betriebszeitung des VEB Messgeräte und Armaturenwerkes „Karl Marx“ einerseits auf ein „public transcript“, das die Beteiligung an der Kampfgruppen-Ausbildung zum Lackmus-Test klassenbewusster Gesinnung stilisierte. Andererseits nahm er damit zugleich die höhergestellten „Genossen“ in die Pflicht. Tatsächlich wurde sowohl von Seiten der

                                                             172 Vgl. Protokoll über kollektive Auswertung des Kurzlehrgangs vom 15.–17.6.1954, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298, Bl. 49f. 173 Retorte und Gewehr, S. 14; Protokoll über kollektive Auswertung des Kurzlehrgangs vom 15.–17.6.1954, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298, Bl. 49f. 174 Das Sprachrohr, Nr. 11 (Jg. 8) vom 23.5.1956; zum Begriff des „Wirtschaftsfunktionärs“ vgl. Christoph Boyer, Wirtschaftsfunktionäre. Das Personal der wirtschaftslenkenden Apparate in der formativen Phase der SBZ/DDR (1945–1961), in: Helke Stadtland/Till Kössler (Hg.), Vom Funktionieren der Funktionäre. Politische Interessenvertretung und gesellschaftliche Integration in Deutschland nach 1933, Essen 2004, S. 109–125; Peter Hübner, Industrielle Manager in der SBZ/DDR. Sozial- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte, in: GG 24 (1998), S. 55–80, hier: S. 62.

 

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Volkspolizei als auch aus den Reihen der Kampfgruppen selbst wiederholt beklagt,175 dass ein „Großteil der Wirtschaftsfunktionäre […] die Mitarbeit in der KG ablehnen“ würde.176 Nicht auszuschließen ist deshalb, dass dieser Artikel von der lokalen BPO lanciert wurde. Offenkundig sollten die einfachen Arbeiter davon überzeugt werden, dass die weithin unpopuläre, weil nicht zuletzt zeitintensive und körperlich anstrengende militärpolitische Arbeit auf die Schultern des „kleinen Mannes“ abzuwälzen nicht im Sinne der SED war. Zugleich stellte er jedoch auch einen Appell dar, der höhergestellte Arbeiter – sogenannte „Wirtschaftsfunktionäre“ – zur Mitarbeit in den Kampfgruppen aufforderte. Dass diese den Kontakt zu einfachen Arbeitern mieden, war jedoch eine auch außerhalb der militärpolitischen Arbeit häufig anzutreffende Praxis.177 So brachte bspw. der 1. Sekretär der Stahlwerke Wetterzeube, Zeitz, zum Ausdruck: „Ich stelle mich doch nicht als Schütze A. [sic] ins letzte Glied“.178 Seine Haltung verweist auf virulente soziale Distinktionspraxen179 zwischen einfachen und höhergestellten Werktätigen bzw. Funktionären, die sich im Widerspruch zur offiziell proklamierten, harmonisch ausgerichteten sozialistischen Menschengemeinschaft bewegten.180 Sie waren schon deshalb nicht im Sinne der SED, weil sie von einfachen Arbeitern wiederum als Argumente gegen eine eigene Beteiligung an der Ausbildung benutzt werden konnten. Im VEB Stahlwerk Frankleben verlangte ein Arbeiter – stellvertretend „für viele“, wie ein Stimmungsbericht notierte –, „dass alle fortschrittlichen Kollegen des Betriebes insbesondere die Wirtschaftsfunktionäre und Mitglieder der Partei an der Ausbildung der Kampfgruppe teilzunehmen                                                              175 Bericht der Abt. Ausb. u. Schul. über den Stand der Kampfgruppen vom 9.1.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 36; vgl. auch: Situationsbericht über die Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 10.8.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 1. 176 Bericht Nr. 41/55 vom 1.9.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 12. 177 Vgl. dazu: Stefan Hornbostel (Hg.), Sozialistische Eliten. Horizontale und vertikale Differenzierungsmuster in der DDR, Opladen 1999. 178 Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 21.7.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 233. 179 Dazu: Peter Hübner, Um Kopf und Kragen. Zur Geschichte der innerbetrieblichen Hierarchien im Konstituierungsprozess der DDR-Gesellschaft, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung 16 (1993) 33, S. 210–232; ders., Industrielle Manager, S. 65. 180 „Auch in der Kampfgruppe ist ein großer Teil Intelligenzler vertreten und es besteht eine Abneigung des einfachen Menschen und eine geringe Einschätzung der Intelligenz gegenüber dem Arbeiter“, Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 88; vgl. dazu Hübner, Identitätsmuster und Konfliktverhalten, S. 230f.

 

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haben“. Würde dies nicht angestrebt, dann habe „er auch kein Interesse, seine Zeit für die Kampfgruppenausbildung zu opfern“.181 Brachte dieser Arbeiter damit zum Ausdruck, dass die Kampfgruppen-Ausbildung als ein „Opfer“ betrachtet wurde, forderte er zugleich, dass es nicht ausschließlich von einfachen Arbeitern, sondern von höhergestellten Betriebsangehörigen und Funktionären gleichermaßen zu erbringen sei. Indirekt konnte solchermaßen auch Kritik an dem neuen staatssozialistischen Selbstverständnis der kommunistischen Bewegung artikuliert werden. Aufmerksame und an einflussreicher Stelle tätige Zeitgenossen wie Walter Markov hatten den Eindruck gewonnen als zerfiele die Bewegung im Zuge ihrer staatlichen Konsolidierung „in zwei Gruppen von Menschentypen […]: in Funktionäre und Partisanen“. „Die früher vor der Front gestanden haben, stehen heute wieder davor und wir liegen im Dreck“, kommentierte ein Kämpfer der Leuna-Werke den Kampfgruppen-Aufbau. Zugleich artikulierte sich darin ein Unmut darüber, dass sich auch im Arbeiter-und-Bauern-Staat an bis dahin gültigen gesellschaftlichen Distinktionsmustern wenig geändert zu haben schien.182 In diesem Sinne äußerte sich ein „altes Parteimitglied“ in den Leuna-Werken zur Lage innerhalb der Partei: „In unserer Partei ist die Lage wie früher in der SPD, einige Bonzen leben gut, um die anderen kümmert man sich nicht.“183 Wie der Bericht nicht zu erwähnen vergaß, sei diese Wahrnehmung keine vereinzelte. Ihre Virulenz nährte jedoch die Sorge der „misstrauischen Patriarchen“, die neu entstehenden Arbeiterformationen könnten auch als ein der Partei gegenüber autonomes Bollwerk authentischer proletarischer Traditionen betrachtet werden, das sich gegen die „Verbonzung“ der Bewegung wandte.184 Deutlich wird, warum die Avantgarde darauf insistierte, dass die Mehrheit aller Kampfgruppen-Angehörigen sich aus SED-Mitgliedern rekrutieren sollte – offensichtlich spekulierte man auf deren qua Mitgliedsbuch verbriefte Loyalität. Demgegenüber belief sich in der Praxis mancherorts der Anteil „parteilose[r] Kollegen“ hingegen auf fünfzig Prozent, etwa in Paplitz im Kreis Genthin. Hier                                                              181 Stimmungsbericht vom 25.5.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 54; im Verlauf einer persönlichen Rücksprache erklärte der betreffende Kämpfer, dass er „eine Kampfgruppenausbildung, insbesondere eine waffentechnische Ausbildung grundsätzlich“ ablehne. 182 Ausbildungsplan der Kampfgruppen vom Juni 1955, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298; vgl. dazu auch: Port, Conflict and Stability, S. 240–244. 183 Vorlage der Abt. Industrie vom 16.7.57, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A, Nr. 579, Bl. 68. 184 Vgl. dazu: Brown, Weimar Radicals, S. 52–59.

 

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zeigten die sich zudem deutlich enthusiastischer als ihre parteiverbundenen Kollegen und drängten auf eine schnelle Aufnahme der Ausbildung.185 Im VEB Maschinenbau Burg waren nur dreißig Prozent aller Kämpfer Mitglied der SED und auch hier hielten die sich mit ihrer Beteiligung an der Ausbildung gegenüber den parteilosen Kämpfern deutlich zurück. „So waren z. B. beim Scharfschießen lediglich 3 Genossen anwesend, alles übrige waren parteilose Kollegen“, kritisierte die lokale BPO.186 Dass sich parteilose Arbeiter in größerer Zahl als SED-Mitglieder in der militärpolitischen Arbeit engagierten, war für die Funktionäre vor Ort aus zweierlei Gründen untragbar. Zum ersten war ihr Enthusiasmus insofern entlarvend als dass doch eigentlich Parteimitglieder die gesellschaftliche Schrittmacher-Funktion übernehmen sollten. Zum zweiten beschwor die vorherrschende Präsenz parteiunabhängiger Kämpfer zugleich das Gespenst einer Unterwanderung der Kampfgruppen und einer Unterminierung ihrer Loyalität herauf. Tatsächlich hatten sich im Zuge der Stalinisierung der Partei langjährige Arbeiterveteranen, die vor 1945 entweder der SPD oder linksradikalen Splittergruppen der organisierten Arbeiterbewegung angehört hatten, als die unbequemsten politischen Gegenspieler der Partei erwiesen.187 Ob sie sich von den Kampfgruppen eine neue politische Heimat versprachen, in der sich ihre enttäuschten Vorstellungen von einer sozialistischen Gesellschaftsordnung am ehesten verwirklichen ließen,188 muss spekulativ bleiben. Und auch, ob es sich bei den oben erwähnten Parteilosen in der Tat um solch politische Renegaten handelte, lässt sich im Einzelnen nicht nachvollziehen. Jedes Anzeichen einer von Partisanenromantik getragenen Distanz zur Einheitspartei und ihrem autoritären Selbstverständnis innerhalb des „unmittelbar be-

                                                             185 Monatliche Auswertung der Ausbildung der Kampfgruppen vom 1.6.1955, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 21. 186 Protokoll der Mitgliederversammlung der SED-BPO vom 20.9.1957, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3. 187 Vgl. dazu: Sebastian Simsch, „… was zeigt, dass sie ideologisch zurückgeblieben sind“ – personelle Grenzen der frühen DDR-Diktatur am Beispiel der FDGB-Funktionäre in und um Dresden, 1945–1951, in: Peter Hübner (Hg.), Eliten im Sozialismus: Beiträge zu einer Sozialgeschichte der DDR, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 241–253; Helke Stadtland, „Avantgarde“, „Exekutive“, „Arbeitervertreter“? Gewerkschaftsfunktionäre im „Kaderstaat“ der DDR, in: dies./Till Kössler (Hg.), Vom Funktionieren der Funktionäre. Politische Interessenvertretung und gesellschaftliche Integration in Deutschland nach 1933, Essen 2004, S. 127–156. 188 Überprüfung der bisher getroffenen Maßnahmen vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 227; vgl. dazu auch: Pritchard, The Making.

 

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waffneten Organs der Arbeiterklasse“ war für die Kommandohöhen jedoch untragbar und unbedingt zu unterbinden.

Disziplin und Partisanenromantik. Kampfgruppenausbildung als soziale Praxis „Nicht gut“ war der Eindruck, den ein RFB-Veteran und ehemaliger Widerstandskämpfer aus Magdeburg bei dem Besuch einer Kampfgruppenkonferenz gewonnen hatte, wie er in einem Brief an die Bezirksleitung im September 1954 mitteilte. Der Veteran vermisste vor allem einen „freudigen Kampfgeist“. Ganz allgemein herrschte ihm „zuviel Gerede“ in den Kampfgruppen, das nicht zuletzt mit „bürgerlich-christlichen Umgangsformen“ einherginge, wie er weiter kritisierte. Betrachtete er die Kampfgruppen hingegen als eine genuin proletarische Formation, forderte er deshalb, „sich den Elan und die Einsatzbereitschaft des RFB zu eigen [zu] machen“. Das bedeutete seiner Ansicht nach auch, „mehr Wert auf den schnellen und entschlossenen Willen [zu] legen, als auf den papiernen, oftmals bürokratischen Weg“.189 Tatsächlich galt für eine große Anzahl lokaler Parteiorganisationen, dass „bisher meist nur auf organisatorischem Gebiet gearbeitet“ worden war.190 Der Mangel an konkreten Ausbildungsunterlagen und Plänen191 trug seinen Teil dazu bei, dass eine Vielzahl von als Kommandeure vorgesehene Kämpfer von den ihnen zugedachten Aufgaben überfordert waren. Sie mussten erst in eilig anberaumten Lehrgängen auf ihre Aufgabe vorbereitet werden.192 Dass bis zu dem Zeitpunkt, als die Anleitung der Ausbildung von Instrukteuren der DVP übernommen wurde, vielerorts „über den Charakter und Inhalt der bevorstehenden Ausbildung […] noch völlige Unklarheit“ bestand, wie die BDVP in Halle kritisierte,193 stimmte jedoch nur bedingt. Vielmehr artikuliert sich in dieser Ansicht eine Perspektive,

                                                             189 Brief an die SED-Bezirksleitung Magdeburg vom 4.9.1954, LHAM, Rep P13, Nr. IV/2/12/03, Bl. 7f. 190 Vgl. etwa: Quartalsbericht des VPKA Magdeburg, undat., LHAM, Rep M24, BDVP (1952–1960), Aktennr. 196; vgl. auch: Bericht der SED-Kreisleitung vom 8.3.1954, LHAM, Rep P15 Genthin; Nr. IV/4/3/127, Bl. 4; Bericht der SED-KL Buna vom 11.1.1954, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237. 191 Stimmungsbericht vom 25.5.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 54. 192 Vgl. etwa: Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 18; Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle/S. vom 21.7.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 233. 193 Bericht Nr. 18/55 vom 7.4.1955, LHASA, Abt. Mer., BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 209.

 

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die Erfahrungen und Vorstellungen proletarischer Wehrhaftigkeit, wie sie etwa in dem Brief des Magdeburger Arbeiterveteranen zum Ausdruck kommen, gänzlich ausklammerte. Tatsächlich waren die Hundertschaften der ersten Stunde durchsetzt mit langjährigen Aktivisten der Arbeiterbewegung. Nicht wenige hatten bereits dem RFB angehört. Speziell im Bezirk Halle fanden sich auch eine Reihe ehemaliger „Märzkämpfer“, wie die SED jene Arbeiter-Veteranen nannte, die im März 1921 am mitteldeutschen Aufstand teilgenommen hatten.194 Manche von ihnen verfügten sehr wohl über militärisches Fachwissen, wie beispielsweise der bereits erwähnte Kurt Kuhles. Er hatte im Rahmen seiner Tätigkeit für den konspirativen Militär-Apparat der KPD in den 1920er Jahren eine militärische Ausbildung in der Sowjetunion erhalten. Schon damals war er als Ausbilder für Waffen- und Schiesstechnik tätig gewesen.195 Viele dieser Arbeiterveteranen schienen jedoch ganz eigene Vorstellungen davon zu hegen, wie sich die militärpolitische Arbeit in der Praxis zu gestalten habe. Manche Kommandeure vertraten die Ansicht, „dass [sic] Stillstehen könnte [man] auf dem Schießplatz weglassen“.196 Anderen wurde unterstellt, insgesamt davor zurückzuweichen, „bestimmte Grundsätze unserer Ausbildung durchzusetzen, wie beispielsweise die klare und laute Kommandogebung, die Einhaltung der Disziplin beim Unterricht, oder die Anredeform“.197 Wie die Volkspolizei im Kreis Hohenmölsen konstatierte, verweigerte hier ein großer Teil der Kämpfer ein militärisches Reglement während der Ausbildung und wandte sich auch gegen das „Sie“ als Anredeform.198 Während die Instrukteure das bis zu ihrer Anwesenheit gebräuchliche „Du“ abzuschaffen intendierten, insistierten die Kämpfer darauf, „dass die Disziplin darunter nicht leidet, wenn wir uns wieder in der bisherigen Form ansprechen“. Ganz klassenbewusst rekurrierten sie in diesem Zusammenhang auf das Beispiel von „Kampflieder, in denen unsere Genossen mit ,Du‘ angesprochen werden,“ um ihren Standpunkt zu stützen.199

                                                             194 Vgl. dazu: Entwicklung der Kampfgruppenarbeit im Bezirk Halle, undat., SAPMOBArch., FSB 158/19251, Bl. 101f. 195 Vgl. Hirschinger, Fälschung und Instrumentalisierung, S. 58 u.S. 60. 196 Situationsbericht über die Kampfgruppe im Bezirk Halle/S. vom 10.8.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 1. 197 Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 227. 198 Einschätzung der Ausbildung und der Arbeit der Kampfgruppen vom 18.7.1955, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/224. 199 Einschätzung der Ausbildung und der Arbeit der Kampfgruppen vom 18.7.1955, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/224.

 

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Zunächst einmal zeigen derartige Ansichten, dass es sich bei den Kämpfern nicht um Soldaten, sondern um gewöhnliche Werktätige handelte, deren Verhältnis zueinander durch ganz andere lebensweltliche Bindungen als die einer „totalen Institution“ (Goffman) geprägt war. Nicht zuletzt waren manche Hundertschaften der ersten Stunde aus freundschaftlichen Bindungen hervorgegangen.200 In den Augen der „misstrauischen Patriarchen“ atmeten sie jedoch immer auch den Geist eines inzwischen weitgehend verfemten „Proletkults“. Unangepasstes, gesellschaftliche Konventionen sprengendes Verhalten, das in der Weimarer Republik noch die klassenbewusste Frontstellung gegenüber bürgerlicher Etikette zum Ausdruck gebracht hatte, ziemte sich nach der Errichtung des Arbeiter-undBauern-Staates für einen Werktätigen nicht mehr. Im Gegenteil konnte es den Verdacht erwecken, Distanz auch gegenüber der neuen Gesellschaftsordnung signalisieren zu wollen.201 Im Hinblick auf die militärpolitische Arbeit war das Wiederaufleben eines Proletkultes aus der Perspektive der Kommandohöhen schon deshalb bedenklich, weil es in mancherlei Hinsicht Züge des klassischen Partisanen reflektierte. Im Kontext der absolutistischen Kriege des ausgehenden 18. Jahrhunderts entstanden, operierte der Partisan im Gegensatz zu regulären Truppen – die sich in militärisch-starrer Ordnung auf offenem Felde begegneten – aus der Deckung von Hecken und Gräben heraus.202 Für diese Form des Kleinkrieges waren Drill und Gehorsam, die Taktik, Disziplin und Vorgehen der regulären Truppen bestimmten,203 nicht notwendig. Besaßen Befehl und Gehorsam bei regulären Truppen auch deshalb eine so große Bedeutung, weil es sich bei ihnen zu dieser Zeit größtenteils um zwangsverpflichtete Truppen handelte, zeichnete sich der Partisan hingegen durch eine ganz eigenständige Kampfmotivation aus. Eine spezifische Form der „Lässigkeit“204 hatte bereits die paramilitärischen Arbeiterformationen der Weimarer Republik geprägt. Insbesondere in ihrer Spät-

                                                             200 Vgl. dazu: Bericht über die Bildung einer Kampfgruppe in der MTS Wolferstedt, undat. [1954], LHASA, SED-KL Sangerhausen (Januar 1945 bis September 1961), Nr. IV/421/302. 201 Vgl. dazu: Weitz, Creating German Communism, S. 373f. 202 Vgl. dazu: Münkler, Die Gestalt des Partisanen, S. 22f. 203 Vgl. Ulrich Bröckling, Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997, S. 91. 204 Vgl. dazu: Kaspar Maase, „Lässig“ kontra „zackig“ – Nachkriegsjugend und Männlichkeiten in geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Christina Benninghaus/Kerstin Kohtz (Hg.), „Sag mir, wo die Mädchen sind …“ Beiträge zur Geschlechtergeschichte der Jugend, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 79–101.

 

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phase wiesen sie nicht selten Züge subkultureller Banden auf.205 Signalisiert wurde damit immer auch eine Distanz gegenüber jedweden militaristischen Aspirationen und Implikationen. Die SED war sich durchaus bewusst, dass Drill- und Disziplinierungsabsichten leicht den Eindruck militaristischer Praktiken suggerieren könnten, die eher an den Kommiss stehender Heere als an die Praxis kommunistischer Kampfverbände erinnerten. „Um jedweden Verdacht von Militarismus gar nicht erst aufkommen zu lassen“, waren die unmittelbaren Vorgesetzten deshalb angehalten, „jede Form der Kritik […] in einem sachlichen, aber bestimmenden Ton“ anzubringen. Nicht zuletzt galt es zu berücksichtigen, dass „die Genossen freiwillig den Kampfgruppen beigetreten“ seien.206 Der Rekurs auf den Mythos intendierte vor allem eine „Mobilisierung der Leidenschaften“: „Aus gemeinsamer Not geboren, einem gemeinsamen Ziel zustrebend, vom individuellen, nationalen und internationalen Solidaritätsgefühl getragen, durch Kampf und Niederlagen, Rückschlag und Sieg gehärtet, fühlt sich jeder Organisierte als Teil des Ganzen, dem er auf Gedeih und Verderb verbunden ist.“ Mit diesen Worten hatte Ernst Gniffke bereits im Jahre 1947 für eine proletarische Disziplin plädiert, die nicht nur die Kampfgruppen, sondern jede parteiliche Gliederung erfassen sollte. Disziplin war aus dieser Perspektive „nicht das Ergebnis eines Kasernenhofdrills“, sondern quasi selbstverständlicher Ausdruck eines „gemeinsamen Wollens zum gemeinsamen Ziel“.207 Enthusiasmus allein würde dazu jedoch nicht ausreichen, argumentierte etwa die Broschüre des ZK im Hinblick auf den Widerstand der Eislebener Arbeiter zu Zeiten des mitteldeutschen Aufstandes. Um effektiv zu wirken, müsse er hingegen mit „der Meisterung der Waffentechnik und mit den Kenntnissen der Taktik gepaart“ sein: „Disziplinlosigkeit kann verschiedene Formen haben. Zur Ehre und zum Ruhm der Kämpfer von Eisleben des Jahres 1921 sei es gesagt: Kein einziger war der schändlichsten Form, dem offenen Ungehorsam oder der Meuterei gegenüber den Befehlen der von uns selbst gewählten Führer verfallen. Und doch waren viele undiszipliniert. Manche Korporalschaft hatte Befehl erhalten, eine ganz bestimmte Operation durchzuführen. Doch dann meinten die Unterführer, dass sie aus der Situation heraus anders handeln müssten, weil ihnen durch Zufall ein paar Sipos [Angehörige der Sicherheitspolizei; T.S.] über den Weg liefen. Sie lie-

                                                             205 Vgl. Rosenhaft, Links gleich rechts?, S. 247. 206 Arbeitsrichtlinien für die Ausbilder der Kampfgruppen vom 18.5.1955, LHAM, Rep P13, Nr. IV/4/3/127, Bl. 16; damit korrespondierte, dass gezeigter guter Einsatz von Seiten der Kämpfer während der Ausbildung „vor der gesamten Gruppe auszuwerten und ihnen ein Dank, oder Anerkennung vor der Front auszusprechen“ sei. 207 Gniffke, Organisationsfragen, S. 838.

 

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ßen sich in Feuergefechte ein, denen sie ausweichen sollten. Sie verrieten durch unüberlegtes Feuer ihre Stellungen, von denen aus sie dem Feind in den Rücken fallen sollten, und brachten damit größere Aktionen zum Scheitern, die dem Gegner starke Verluste gebracht hätten. Sie hatten dabei große Verluste und brachten andere Korporalschaften und Züge in die größte Gefahr.“208

Tatsächlich bestand ein großes Problem darin, die Basis von der Notwendigkeit einer regelmäßigen Ausbildung zu überzeugen. Wie die Volkspolizei notierte, brachten Arbeiter häufig zum Ausdruck, dass sie „ein Gewehr […] auch ohne dem [sic] in die Hand nehmen“ könnten.209 Derartige Ansichten sind nicht unbedingt als grundsätzliche Ablehnung gegenüber der Mitarbeit in den Kampfgruppen zu lesen. Einerseits mussten die Funktionäre immer wieder einräumen, dass viele derjenigen, die sich in den Kampfgruppen engagierten, auch über die militärpolitische Arbeit hinaus vielfältig „gesellschaftlich“ eingebunden waren.210 Andererseits konnten Aussagen wie sie auch Magdeburger Arbeiter zu Protokoll gaben – die wohl ihre Bereitschaft zur Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften beteuerten, „aber erst, wenn es soweit wäre“ –,211 ein ganz eigenes, milieuspezifisches Selbstbewusstsein artikulieren. So konnte die Bereitschaft, erst dann zur Waffe zu greifen, wenn es soweit sei, auf eine lokalistisch orientierte Variante des „revolutionären Kampfes“ verweisen, die in Momenten unmittelbarer physischer Bedrohung von spontanen Mobilisierungsprozessen getragen wurde und auf einem spezifisch-historischen Erfahrungshaushalt beruhte.212                                                              208 Damals in Eisleben, S. 27f. 209 Überprüfung der bisher getroffenen Maßnahmen zur Bildung von Kampfgruppen vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 227; vgl. auch: Bericht über die Kampfgruppe im VEB „Erich Weinert“, Deuben vom 30.12.1955, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 210 So kam die Kampfgruppen-Ausbildung im Stickstoffwerk Piesteritz im Herbst 1955 deshalb zeitweilig zum Erliegen, weil die Mitglieder des lokalen Kampfstabes sich auf einem Ernteeinsatz befanden; im VEB Mühlenbau, Wittenberg, ruhte die Ausbildung acht Wochen, weil der Kommandeur der lokalen Einheit mit der Leitung eines Kinderferienlagers betraut war; Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 17; Bericht Nr. 41/55 vom 1.9.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 12. 211 Analyse über den Stand der Einsatzbereitschaft und Ausbildung der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 83, Bl. 258. 212 Tatsächlich argumentierten auch Staatsrechtler der DDR mit dem Verweis auf den dynamischen Charakter staatssozialistischer Organe dahingehend, dass „das Wirken der Unterdrückungs- und Schutzfunktionen des sozialistischen Staates im Inneren und nach außen […] nicht ständig und unabdingbar“ sei, sondern sich nach dem Umfang und Aus-

 

 

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Der Rekurs auf die Kampfzeit, mit dem die Notwendigkeit einer bewaffneten Arbeiterklasse begründet wurde, eröffnete demnach unterschiedliche und durchaus widersprüchliche Auslegungsmöglichkeiten, die von Arbeitern gegen eine regelmäßige Beteiligung an der Ausbildung genutzt werden konnten. Den „misstrauischen Patriarchen“ diente er hingegen auch dazu, eine solche Regelmäßigkeit einzufordern, wie das mythisierte Beispiel der Eislebener Arbeiter zeigt. Weil sie 1921 elementare Grundsätze militärischer Taktik ignoriert und undiszipliniert agiert hätten, brachten sie auf diese Weise nicht nur ihre Kameraden in Gefahr, sondern untergruben zugleich die Interessen ihrer Klasse. Die von allen Kämpfern verlangte „proletarische Disziplin“ hatte aus dieser Perspektive betrachtet mit dem Kadavergehorsam preußischer Prägung nichts gemein. Vielmehr markierte sie eine Forderung, „die aus der Einsicht in die Notwendigkeit und aus der Hingabe für die Partei, für die Sache der Arbeiterklasse entstanden“ sei.213 Damit verortete man die Kampfgruppen in der Tradition einer proletarischen Militärpolitik, die zu keiner Zeit das Prinzip der individuellen Subordination unter ein kollektives Gesamtinteresse kritisiert hatte. Die in dieser Tradition geäußerte Kritik begründete sich demgegenüber darin, dass dieses Gesamtinteresse, etwa im historischen Falle Preußens, nur einer privilegierten Minderheit gedient habe.214 Dass zahllose Kampfgruppen-Angehörige sich für eine ,weiche‘ Disziplin und dementsprechende Ausbildungspraxis aussprachen, ist jedoch nicht allein auf den

                                                                                                                                       maß des „Widerstandes der konterrevolutionären Kräfte und der internationalen imperialistischen Reaktion“ zu richten habe: „Wir stellen also fest, dass die Unterdrückung des Widerstandes der gestürzten Ausbeuterklassen für den sozialistischen Staat keine ständige und dauernd wirksame Funktion ist wie etwa die wirtschaftlich-organisatorische und kulturell-erzieherische Funktion“, so etwa der einflussreiche Staatsrechtler Weichelt in: Zu einigen Fragen der Funktionen des sozialistischen Staates, S. 21 u. S. 24; dass den Kampfgruppen eben keine ausschließlich militärische, sondern zugleich eine „kulturell-erzieherische“ Funktion zugedacht war, legt die Entschiedenheit nahe, mit der die SED derartigen Auffassungen entgegentrat: „Wenn sich Genossen damit rausreden, dass sie zur Stelle sein werden, wenn es ernst wird, so muss ich denen sagen: Wenn sie jetzt, wo es noch nicht knallt, bereits fehlen, dann sind sie schon gar nicht da, wenn es wirklich einmal knallen sollte“, polemisierte etwa das „Sprachrohr“, die Betriebszeitung der VEB Armaturenwerke „Karl Marx“ in Magdeburg; Das Sprachrohr, Nr. 10, Jg. 9 vom 1.4.1957, LHASA, MD, Rep I 34 (1955–1957), Nr. 524. 213 Vgl. Ansprache zur Rolle und den Aufgaben der Kampfgruppen in der Deutschen Demokratischen Republik, undat. [vermutl. 1955], LHASA, MD, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 13; vgl. auch: Arbeitsrichtlinien für die Ausbilder der Kampfgruppen vom 18.5.1955, LHASA, MD, Rep P13, Nr. IV/4/3/127, Bl. 16. 214 Bröckling, Disziplin, S. 171.

 

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Einfluss eigensinniger Arbeiterveteranen zurückzuführen. Bildeten sie nur einen, zudem numerisch schwer einzuschätzenden, Teil innerhalb der Kampfgruppen, hatte die überwiegende Mehrheit der Kämpfer ihre militärische Sozialisation hingegen in der Wehrmacht erfahren. Angesichts einer Zahl von ca. 18 Millionen Männern, die während des Zweiten Weltkrieges zum Kriegsdienst eingezogen wurden, war das kaum verwunderlich.215 Zwar gilt die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges den Überlebenden als das alles beherrschende „Lebensthema“.216 Das Nachwirken des nationalsozialistischen Eroberungs-, Rassen- und Vernichtungskrieges auf die „Kriegsteilnehmergeneration“ (Heinrich Brüning) bleibt jedoch weiterhin und weithin „diffus“.217 Leitmotivisch zieht sich aber die Erfahrung männlicher Kameradschaft durch individuelle wie kollektive Kriegserinnerungen.218 In scharfem Kontrast zur Kampfgemeinschaft der Männerbünde und nicht zuletzt im Zeichen einer durch die Niederlage beförderten „Krise der Männlichkeit“219 wurde sie weithin als retrospektive, defensive Leidensgemeinschaft erinnert. Damit einher ging zumeist eine ,weiche‘ Deutung des Kriegserlebnisses, die vor allem die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft betonte und durch die breite Erfahrung teilweise langjähriger Kriegsgefangenschaft noch verstärkt wurde.220 Eine daraus resultierende „Viktimisierung“ des eigenen soldatischen Selbst-

                                                             215 Die Kaderakten aller Kampfgruppen-Offiziere im Bezirk Halle zeigen, dass allein von den hier erfassten 413 Kommandeuren, Unterführern und Polit-Stellvertretern 313 (75,8%) im Verlauf des Zweiten Weltkrieges in der Wehrmacht gedient hatten; in den „bewaffneten Organen“ der DDR hatten demgegenüber nur 62 Personen (15%) gedient, die meisten von ihnen in der erst 1956 gegründeten Nationalen Volksarmee, insgesamt 12; vgl. Kaderakten, LHASA, SED-BL Halle, Nr. IV/2/12/1670–1674. 216 Hans Joachim Schröder, Töten und Todesangst im Krieg. Erinnerungsberichte über den Zweiten Weltkrieg, in: Lindenberger/Lüdtke (Hg.), Physische Gewalt, S. 106–135, hier: S. 106; vgl. auch: Simsch, Blinde Ohnmacht, der im Hinblick auf diese „biographisch wesentliche Prägung“ in einer vergleichbaren Untersuchung zu den FDGB-Funktionären deshalb gar von einer eigenen „Wehrmachtsgeneration“ spricht, S. 113–117. 217 So Klaus Naumann, Nachkrieg. Vernichtungskrieg, Wehrmacht und Militär in der deutschen Wahrnehmung nach 1945, in: Mittelweg 36, Jg. 6 (1997), S. 11–26. 218 Vgl. dazu: Felix Römer, Kameradschaft. Die Wehrmacht von innen, München 2012. 219 Uta G. Poiger, Krise der Männlichkeit. Remaskulinisierung in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften, in: Naumann (Hg.), Nachkrieg, S. 227–263. 220 Vgl. Arnold Sywottek, Kriegsgefangene und ihre Heimkehr, in: Greven/von Wrochem (Hg.), Der Krieg in der Nachkriegszeit, S. 133–150; 79,9% aller Kampfgruppen-Offiziere des Bezirkes Halle hatten sich für kürzere oder längere Zeit in Kriegsgefangenschaft befunden: 23,6% in Lagern in der Sowjetunion, während immerhin 6,8% in Übersee, also in Kanada oder in den Vereinigten Staaten interniert gewesen waren; galt die Inhaftierung

 

 

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verständnisses beeinflusste auch individuelle wie kollektive Vorstellungen von Kameradschaft. Weniger „Härte“ und „Rücksichtslosigkeit“ als vielmehr „Geborgenheit“ wurden auf diese Weise zu einer tragenden Säule weithin gängiger Kameradschaftsentwürfe. So wichtig Kameradschaft für die Kampfkraft einer kämpfenden Einheit ist, besitzt sie, insbesondere in Friedenszeiten, immer auch eine „subversive“ Seite, die vom gemeinsamen und vergemeinschaftenden Normbruch lebt.221 Die Begründung, mit der sich die Kommandohöhen gegen die Praxis des „Duzens“ während der Ausbildung wandte, reflektiert dies auf ihre Weise: So sei das „Du“ in erster Linie Ausdruck der Klassensolidarität der Ausgebeuteten gegenüber den Ausbeutern gewesen. Nachdem die Arbeiter in der DDR aber selbst Eigentümer der Produktionsmittel geworden seien, könne es nun jedoch nicht mehr die alte Klassensolidarität zum Ausdruck bringen.222 Aus diesem Grund wähnten die „misstrauischen Patriarchen“ in seinem fortgesetzten Gebrauch immer auch zugleich Distinktionsabsichten gegenüber den Gliederungen der SED bis hinauf zu den Kommandohöhen. Ihr Insistieren auf einem strikt militärischen Reglement während der Ausbildung illustriert die Absicht,223 jedwede Formen eines organisationsspezifischen Selbstverständnisses, das sich ,proletarischer‘ als die Partei selbst dünkte und zur Quelle möglicher, militanter Oppositionshaltungen gegenüber der SED werden konnte, unbedingt zu unterbinden.

                                                                                                                                       durch die Rote Armee weithin als „rite de passage“ im Sinne der Ermöglichung einer antifaschistischen Konvertierung, wurde eine Gefangenschaft bei den Streitkräften der westlichen Alliierten grundsätzlich als Unterminierung der ideologischen Zuverlässigkeit gedeutet; Pritchard, The Making, S. 167; vgl. dazu auch: Frank Biess, „Russenknechte“ und „Westagenten“. Kriegsheimkehrer und die (De)legitimierung von Kriegsgefangenschaftserfahrungen in Ost- und Westdeutschland nach 1945, in: Naumann (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, S. 59–89, hier vor allem: S. 82–87; die „prägende Erfahrung“ vornehmlich in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern betont und beschreibt: Albrecht Lehmann, In sowjetischer Gefangenschaft, in: Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen Mannes, S. 295–310, ohne jedoch zu spezifizieren, worin diese Prägung bestand; nur eine Person unter den 413 Kampfgruppen-Offizieren war aus eigenem Entschluss während des Krieges zu den Streitkräften der Roten Armee übergelaufen – bemerkenswert insofern, als dass die Figur des gleichsam geläuterten „Deserteurs“ das Feld der ostdeutschen Kriegsliteratur beherrschte; vgl. dazu: Echternkamp, Soldatengenerationen der Wehrmacht, S. 440. 221 Vgl. dazu: Kühne, Vertrauen und Kameradschaft, S. 271. 222 Vgl. Ernst, Erbe und Hypothek, S. 48–51. 223 Vgl. Arbeitsrichtlinien für die Ausbilder der Kampfgruppen vom 18.5.1955, LHAM, Rep P13, Nr. IV/4/3/127, Bl. 16.

 

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Diejenigen Kämpfer, die sich freiwillig gemeldet hatten, zeigten sich teilweise enthusiastisch, „so schnell als möglich eine Waffe in die Hand zu bekommen“,224 wie im Mineralölwerk Lützkendorf, im Kreis Merseburg. Hier hatten Kämpfer den Wunsch geäußert, „sofort mit der Waffenausbildung zu beginnen, um rechtzeitig allen Operationen unserer Feinde gewappnet zu sein.“225 Entschlossen zuzupacken, wie es der bereits zitierte Magdeburger Veteran aus der Vergangenheit gewohnt war und für die Gegenwart einforderte, war jedoch nicht unbedingt im Sinne der SED. Der „papierne, oftmals bürokratische Weg“, den der alte Kämpfer in seinem Brief an die Bezirksleitung bemängelt hatte, diente gewiss auch dazu, den „schnellen und entschlossenen Willen“ einiger tatendurstiger Aktivisten zu kanalisieren und militante Eigenmächtigkeiten an der gesellschaftlichen Basis einzuhegen. Zunächst hatten die Kampfgruppen Waffen und Munition – zumeist Kleinkaliber-Gewehre – von der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) erhalten. Sie war darüber hinaus im Zusammenwirken mit der VP an Wochenenden für die Ausbildung von zukünftigen Kampfgruppenleitern zuständig.226 Allerdings unterschied sich der Aufgabenbereich der GST – der auf die Wehrertüchtigung der Jugend zielte227 – jedoch erheblich von der sozialen und altersgeschichteten Zusammensetzung der Kampfgruppen und den ihnen zugeschriebenen Aufgaben. Andererseits waren die weiterhin strittig. So wandte Roebelen sich in seinen Richtlinien gegen die Tendenz, die Kampfgruppen ausschließlich zu „eine[r] Art halbmilitärische[m] Organ mit vorwiegend polizeilichen Aufgaben“ zu machen. Stattdessen plädierte er dafür, sie als ein Instrument der politischen Massenarbeit zu nutzen228 – Vorstellungen, die durchaus die Wirkungsmächtigkeit des „RFBGeistes“ reflektieren. Denn Aufgaben wie „Versammlungsschutz, den Schutz aller

                                                             224 Vgl. auch: Analyse über die Kampfgruppen im Kreis Merseburg vom 27.4.1955, LHASA, Nr. IV/414/418, Bl. 53. 225 Analyse über den Stand der Kampfgruppen im Kreis Merseburg vom 27.4.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 53. 226 Vgl. etwa: Bericht über den Wochenendlehrgang der Gruppenführer im Kreis Genthin vom 15.5.1954, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127. 227 Zur GST vgl. Paul Heider, Die Gesellschaft für Sport und Technik. 228 Eine waffentechnische Ausbildung sollte deshalb nach Roebelens Vorstellungen nur an Sportwaffen erfolgen und sich darüber hinaus auf den Umgang mit Hunden, Karte und Kompass und entsprechenden Funkhilfsmitteln beschränken; vgl. Vorlage der Abt. f. Sicherheitsfragen vom 6.5.1954, SAPMO, DY 30/J IV 2/3A/419, Bl. 48f.

 

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Organisationseinrichtungen und der eigenen Mitglieder der Partei“,229 die Roebelen den Kampfgruppen zusprechen wollte, waren in der Weimarer Republik vom RFB wahrgenommen worden.230 Roebelens Vorschläge fanden jedoch wenig Zustimmung im Politbüro. Die krisenhafte Entwicklung von 1950 bis 1953 und der Ausbruch des Korea-Krieges als markantestes globales Ereignis dieser Periode hatten zu einer Verschärfung der schwelenden Blockkonfrontation geführt. Damit einher gingen intensivierte militärische Rüstungsbestrebungen.231 Die Vorbereitungen eines sozialistischen Militärpaktes, der im Mai 1955 in Warschau offiziell aus der Taufe gehoben wurde, verlangten nun auch von der DDR, die notwendigen Voraussetzungen für den Aufbau einer eigenen Armee zu schaffen.232 War damit der Startschuss für eine offene Aufrüstung gefallen, sollte es jedoch noch bis 1956 dauern, ehe der DDR mit der Nationalen Volksarmee (NVA) eine eigene Armee zur Verfügung stand. „In Anbetracht der verstärkten Kriegsvorbereitungen der imperialistischen Mächte und der ernsten Bedrohung des Friedens durch die Ratifizierung der Pariser Verträge im Bonner-Bundestag und Bundesrat“ sollten die Kampfgruppen deshalb fortan „zu einem wirksamen Instrument der Heimatverteidigung entwickelt werden.“233

                                                             229 Vorlage der Abt. f. Sicherheitsfragen vom 6.5.1954, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/419, Bl. 28; tatsächlich wurden Kampfgruppen im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung der Volkswahlen 1954 zum Streifendienst und zum Schutz der Sichtwerbungen und Wahllokale herangezogen; vgl. Bericht über den Einsatz der Kampfgruppen zur Vorbereitung und Durchführung der Volkswahlen vom 23.10.1954, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 13. 230 Roebelen regte auch an, die Kampfgruppen im Rahmen des Katastrophenschutzes zu verwenden; mag er damit einerseits auf die im Februar 1954 erlassene Katastrophenschutzverordnung Bezug genommen haben; vgl. dazu: Helmut Schmitz, Notstandsverfassung und Notstandsrecht in der DDR, Köln 1971, S. 3; ist zugleich darauf zu verweisen, dass die Verknüpfung von Katastrophenschutz und paramilitärischer Mobilisierung Mechanismen einer zu dieser Zeit sich weitgehend noch verdeckt vollziehenden Aufrüstung reflektiert, wie sie auch in der Bundesrepublik anzutreffen waren; vgl. dazu: Siebeneichner, „Wieder und wieder erneuerte Lust am Überleben“?; zur verdeckten Aufrüstung in der DDR vgl. Thoß (Hg.), Volksarmee schaffen – ohne Geschrei! 231 Vgl. dazu: Stöver, Der Kalte Krieg, S. 98–106; speziell zum Korea-Krieg: Christoph Kleßmann (Hg.), Der Korea-Krieg: Wahrnehmung – Wirkung – Erinnerung, Köln/Weimar/Wien 2008. 232 Dazu im Einzelnen: Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee, S. 557–572. 233 Direktive zur Arbeit mit den Kampfgruppen vom 12.4.1955, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/474, Bl. 251.

 

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Ob zu einer Zeit, als die NVA noch nicht existierte, tatsächlich ernsthafte Überlegungen bestanden, auf der Grundlage des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ eine sozialistische Armee zu formen, bedarf eingehenderer Untersuchungen, als sie hier möglich sind.234 Festzuhalten ist aber, dass der Aspekt der territorialen „Heimatverteidigung“ fortan zu einem bleibenden Bestandteil des organisationseigenen Selbstverständnisses der Kampfgruppen aufrückte. Solchen Anforderungen war die GST jedoch nicht gewachsen. Hatte sich in der Praxis die Durchführung und materielle Unterstützung ohnehin bereits von der GST zur VP verschoben, besiegelte die Direktive diesen Schritt nun auch offiziell.235 Zudem wurde die Anregung Roebelens aufgegriffen und im Juli 1955 eine eigene „Abteilung Kampfgruppen“ bei der Hauptverwaltung für Ausbildung und Schulung gebildet.236 Roebelen hatte bereits im Frühsommer 1954 kritisiert, dass es „im Apparat des ZK“ keine zentrale Abteilung gäbe, die „mit der Anleitung und Kontrolle“ der unteren Parteiorganisationen in Bezug auf die Kampfgruppen beauftragt wäre.237 Deren Bildung mag auch als Versuch einer verstärkten Zentralisierung der militärpolitischen Arbeit gedeutet werden, die einen Schlussstrich unter die Phase zog, in der Organisation und Ausbildung weitestgehend den Grundorganisationen überlassen worden waren. Denn im April 1955 war überdies ein von der Hauptverwaltung der DVP erstelltes „Programm für die Ausbildung der Kampfgruppen“ in Kraft getreten. Neben allgemeinen organisatorischen und methodischen Hinweisen umfasste es auch eingehende Anweisungen über Ausbildungsabläufe- und Ziele der militärpolitischen Arbeit. Demnach sollte den Kampfgruppen-Angehörigen in 33 Ausbildungswochen – was einer Gesamtzahl

                                                             234 Vgl. dazu jedoch: Tilmann Siebeneichner, Im Schatten von Ausnahmezustand und revolutionärer Arbeiterbewegung: Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR, in: Ralf Pröve/Rüdiger Bergien (Hg.), Umstrittene Sicherheit, militärische Mobilisierung, gesellschaftliche Ordnung und politische Partizipation in der Neuzeit (1500–2000), Göttingen 2011, S. 139–159. 235 Die Kampfgruppen der Deutschen Reichsbahn blieben hingegen weiterhin der Transportpolizei unterstellt; vgl. Befehl Nr. 127/55 betr. Maßnahmen zur Organisierung und Ausbildung der Kampfgruppen der Deutschen Reichsbahn vom 2.5.1955, BStU, MfSBdL, Nr. 000315, Bl. 1–5; vgl. auch Direktive über die Organisierung, Ausbildung und den Einsatz der Kampfgruppen bei der Deutschen Reichsbahn, SAPMO-BArch., DY 30/ J IV 2/6.05/44. 236 Vgl. Direktive zur Arbeit mit den Kampfgruppen vom 7.7.1955, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3/430, Bl. 36ff. 237 Vorlage der Abt. f. Sicherheitsfragen vom 6.5.1954, SAPMO, DY 30/J IV 2/3A, Nr. 419, Bl. 22.

 

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von 132 Ausbildungsstunden pro Jahr entsprach – Grundkenntnisse der Waffenund Schießtechnik, der Topographie und der Taktik vermittelt werden.238 Dafür zuständig waren sogenannte „Instrukteure“, deren Wirken von einem „Kreisstab der Kampfgruppen“ koordiniert wurde,239 der seine Befehle wiederum vom Leiter des zuständigen Volkspolizeikreisamtes oder übergeordneten Dienststellen der DVP erhielt.240 Damit waren im Laufe des Jahres 1955 Strukturen geschaffen worden, die sämtliche Aktivitäten der Kampfgruppen an die Kommandohöhen rückbanden und eine zentral ausgerichtete Führung der Miliz gewährleisten sollten. Dass die Ausbildung bis dahin vielfach höchst improvisierten Charakter besaß, lag nicht zuletzt an der unzureichenden materiellen Ausstattung des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“. Vor allem an Schießscheiben und Waffen mangelte es;241 im Bezirk Halle kamen im Sommer 1955 auf 100 Kämpfer eine Waffe.242 Die Ausbildung beschränkte sich in der Anfangsphase deshalb zumeist auf kurze Aufmärsche und Schießübungen mit Kleinkalibergewehren.243 In manchen Hundertschaften wurde aufgrund des vollständigen Mangels an Waffen aber auch nur eine Grundausbildung durchgeführt. Das führte jedoch bald zu einem breiten Boykott der Ausbildung.244 Schießübungen konnten hingegen dazu beitragen, dass sich die Beteiligung an der Ausbildung erhöhte. Im Kreis Magdeburg

                                                             238 Vgl. Programm für die Ausbildung der Kampfgruppen vom 20.4.1955, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/99. 239 Solch einem „Kreiskampfstab“, der sich aus insgesamt acht Personen zusammensetzte, gehörten neben einem Vertreter der Polizei auch ein Vertreter der Kreisleitung an; größere Betriebe, die, wie die Leuna-Werke, über mehr als zwei Hundertschaften verfügten, bildeten entsprechende „Betriebskampfstäbe“, die sich aus dem Kommandeur, dem Stellvertreter Allgemein, einem Beauftragten der Betriebs-Parteileitung, sowie einem Innendienstleiter und, je nach Anzahl der existierenden Hundertschaften, aus 2–8 Meldern, zusammensetzen; vgl. Direktive zur Arbeit mit den Kampfgruppen vom 12.4.1955, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/474, Bl. 252. 240 Vgl. Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kampfgruppen vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 67. 241 Bericht über die Kampfgruppen, undat., LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 14. 242 Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 21.7.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 234. 243 Vgl. Kämpfer unserer Klasse. Schutz- und Kampforgane der Arbeiterklasse. Kreis Quedlinburg 1920–1963, hrsg. von der SED-KL Quedlinburg 1964, S. 20. 244 Überprüfung der bisher getroffenen Maßnahmen zur Bildung von Kampfgruppen vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 228.

 

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wurde im Dezember 1955 ein stärkerer Zuspruch zur Ausbildung dadurch erreicht, dass in einzelnen Betrieben mit Kleinkalibergewehren und Karabinern geschossen wurde.245 Im VEB „Vorwärts“ Webau, Kreis Hohenmölsen, hatten an einer regulären Übung nur 45 „Genossen“ teilgenommen, während demgegenüber die Schießausbildung von 60 Genossen besucht worden war. „An diesen […] Beispielen ist zu erkennen, dass bei operativer Arbeit unsere Genossen bereitwilliger an der Ausbildung teilnehmen“, folgerte die lokale BPO.246 „Eine einigermaßen gute Beteiligung war nur vorhanden, wenn Schießausbildung war“, mussten auch die BPOs in Bösau und Wählitz einräumen.247 In Halle hatten Kämpfer unumwunden erklärt, „sie wollen schießen, aber nicht an den Ordnungsübungen teilnehmen“.248 Im Kreis Bitterfeld beschränkte sich die Ausbildung deshalb ganz auf die Schießausbildung, während die übrigen Ausbildungsinhalte vernachlässigt wurden. Dass Kämpfer, nachdem sie die Schießausbildung absolviert hatten, „ohne sich abzumelden“ wieder nach Hause gingen, wie ein „Situationsbericht“ der VP im August 1955 konstatierte,249 scheint offensichtlich eher die Regel als die Ausnahme gewesen zu sein. Zumindest hielt es der „Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen“ vom August 1955 für notwendig zu betonen, dass an der Schießausbildung nur Kämpfer teilnehmen dürften, die sich auch auf den anderen „Ausbildungsgebieten […] regelmäßig beteiligen“.250 Deutlich wird damit, dass nicht wenige Werktätige sich von der Ausbildung Abenteuer und Nervenkitzel versprachen und sich nur dann regelmäßig beteiligten, wenn auch „was los“ war.251 Kontraproduktiv wirkte sich hingegen aus, wenn sich die Ausbildung darauf beschränkte, „dass lediglich die Namen und Wohnanschriften der Kämpfer aufgeschrieben wurden und die Kampfgruppen-Bekleidung ausgegeben wurde und sich

                                                             245 Vgl. Quartalsbericht des VPKA Magdeburg vom 3.1.1956, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Nr. 196, Bl. 237. 246 Einschätzung der Ausbildung und der Arbeit der Kampfgruppen vom 18.7.1955, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/224. 247 Bericht über die Kampfgruppentätigkeit im Kreisgebiet Hohenmölsen vom 5.1.1956, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 248 Ausbildungsplan der Kampfgruppen vom Juni 1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94. 249 Situationsbericht über die Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 10.8.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 1. 250 Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen über die Organisierung der Kampfgruppen vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 70. 251 Vgl. dazu die Überlegungen bei: Erving Goffman, Wo was los ist – wo es action gibt, in: ders., Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, 5. Aufl., Frankfurt a. Main 1999 (erstmalig: 1967), S. 164–292.

 

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diese Dinge unter stundenlangem Herumstehen vollzogen“. Unter solchen Umständen sei es nicht verwunderlich, „wenn zur nächsten ,Ausbildung‘ nur wenige Kämpfer“ erscheinen würden, kritisierte selbst ein Bericht der DVP.252 Er drängte darauf, die Ausbildung interessanter zu gestalten.253 „Unbedingt zu regeln wäre“, verlangte das VPKA Genthin in diesem Sinne, ob nicht im Anschluss an jede Ausbildung „die Abgabe von je 2–3 Schüssen pro Kämpfer möglich wäre, da gerade durch dass [sic] Schießen das Interesse [an der Ausbildung, T.S.] gesteigert werden würde“.254 Nicht nur, weil die Instrukteure der Volkspolizei angewiesen waren, dafür Sorge zu tragen, dass die Ausbildung entsprechend dem Ausbildungsprogramm durchgeführt wurde,255 provozierte ihre seit dem Sommer 1955 obligatorische Anwesenheit Konflikte mit den Angehörigen der Kampfgruppen. Das Instrukteurswesen bildete ein zentrales Instrument innerhalb des Parteiapparates. Angesichts politischer Unstimmigkeiten sollte mit seiner Hilfe direkter Einfluss auf die Mitglieder vor Ort genommen werden. Das implizierte, sie mit detaillierten Anweisungen auszustatten und die Umsetzung der Parteilinie vor Ort zu kontrollieren, d. h. auch, übergeordneten Leitungen über die Lage vor Ort Bericht zu erstatten. Schon deshalb wurden Instrukteure an der Basis oft gemieden oder ausgegrenzt, bisweilen sogar körperlich angegriffen.256 Offiziell dazu bestimmt, die Kommandeure bei der Ausbildung anzuleiten und zu unterstützen,257 verfügten die VP-Angehörigen in der Regel jedoch über kaum größeres fachliches Wissen als die Kämpfer. Zudem erwiesen sie sich nicht selten als schlecht vorbereitet auf ihre Aufgabe.258 Manche hielten sich aus der Ausbil-

                                                             252 Befehl Nr. 40/55 der HV/DVP vom 23.7.1955, BArchB, DO1/18.0/17924; vgl. auch: Bericht Nr. 18/55 vom 7.4.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 210f. 253 Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 18. 254 Monatliche Auswertung der Ausbildung der Kampfgruppen vom 1.6.1955, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 22. 255 Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 227. 256 Vgl. Kössler, Die Partei als Medium, S. 220f. 257 Befehl Nr. 4/57 über Aufgaben und Organisierung der Kampfgruppen vom 10.1.1957, BStU, MfS-BdL, Nr. 050090, Bl. 5. 258 Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 228f.; vgl. auch: Jahresbericht der Kampfgruppen, undat., LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 126; zu den Anfängen der VP vgl. Richard Bessel, Polizei zwischen Krieg und Sozialismus. Die Anfänge der Volkspolizei nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Jansen (Hg.), Von der Aufgabe der Freiheit, S. 518–531.

 

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dung gänzlich heraus und kümmerten sich weder um organisatorische Fragen noch um die materielle Sicherstellung der Ausbildung.259 Andere mussten sich vorwerfen lassen, „ein äußerst überhebliches Wesen an den Tag“ zu legen und keinen Hehl daraus zu machen, dass sie ihre Tätigkeit als „üble Nebenbeschäftigung“ betrachteten.260 Manch Kämpfer vermutete gar – und gewiss nicht ganz zu Unrecht – „mangelndes Vertrauen“ in die Kommandeure als den eigentlichen Grund für die Anwesenheit der Instrukteure.261 Schon ihre Einmischung in die bis dahin gültige, vielfach eigensinnige Auslegung der Ausbildungspraxis erwies sich als problematisch. Das betraf insbesondere die Fragen der Disziplin und der Behandlung von im Ausbildungsprogramm vorgeschriebenen Inhalten. Ein erster „Härtetest“ der Ausbildung bestand allgemein in einem 20-Kilometer-Fußmarsch. Dieser Marsch diente nicht nur der körperlichen Ertüchtigung der Kämpfer, sondern sollte mit dem „Besuch historischer Stätten, Berichte[n] alter erfahrener Kämpfer der Arbeiterklasse“ verknüpft werden.262 In Merseburg war jedoch nur etwa ein Viertel aller Kämpfer der Einheit des Rat des Kreises erschienen. Zum Missfallen der Instrukteure zeigte der betreffende Kommandeur zudem noch Verständnis für ihr Verhalten: „Der Kommandeur dieser Hundertschaft vertritt den Standpunkt, man könnte es den Kämpfern nicht zumuten, den 20 Km. Marsch ohne vorheriges Training durchzuführen.“ In Pfännerhall, wo der Marsch mangels entsprechenden Zuspruchs komplett abgesagt werden musste, wurde von Seiten der Hundertschaftsleitung eine ähnlich lautende Meinung vertreten: „Man könnte es den Gen. [sic] Kämpfer nicht zumuten, wenn sie 8 Stunden in der Produktion stehen noch 20 Km. zu marschieren“.263 Tat man es doch, konnte das auch zur Verweigerung von Seiten der Kämpfer führen. Anlässlich einer Marschübung einer Hundertschaft der Leuna-Werke sah sich der Kommandeur gezwungen, „wegtreten zu lassen, weil sonst die Formation durch selbständiges Weggehen auseinandergefallen wäre.“264 Das Negieren funk-

                                                             259 Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 229. 260 Bericht Nr. 41/55 vom 1.9.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 13. 261 Gnad, Ein Leben in Uniform, S. 292f.; noch im Mai 1960 sah sich etwa die Kreisleitung Hohenmölsen veranlasst, ihren Kommandeuren zu versichern, dass die Vertreter der Volkspolizei zu ihrer Unterstützung da seien und nicht, um sie zu „bevormunden oder diskriminieren“. Einschätzung der Kampfgruppen-Arbeit für das Jahr 1959 und das 1. Quartal 1960 vom 21.5.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 262 Vgl. Richtlinien für Geländemärsche, undat., LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298. 263 Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle/S. vom 21.7.1955, LHASA, Abt. Mer., BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 233. 264 Vgl. Bürovorlage der SED-KL vom 22.4.1955, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298.

 

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tionaler Perfektion verweist auf den ,dilettantischen‘ Charakter des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“. Gegenüber professionalisierten Expertenkulturen, wie sie durch die Instrukteure der Volkspolizei vertreten waren, beharrten die Kämpfer vielfach auf die Subjektivität und Spontaneität ihres in erster Linie im ,Enthusiasmus‘ wurzelnden Engagements.265 Reguliert werden sollte das „gemeinsame Wollen“ der Kämpfer deshalb mit Hilfe sogenannter „sozialistischer Wettbewerbe“. Zählten sie in der Produktion zur üblichen Praxis, um das Engagement der Werktätigen im Hinblick auf die Erreichung der ausgegebenen ökonomischen Zielsetzungen zu stimulieren, wurde dieses Prinzip auch innerhalb der Kampfgruppen-Ausbildung angewendet.266 Die Einführung von Wettbewerben innerhalb der Einheiten – offiziell zur „Festigung der Hundertschaften und des Ausbildungsstandes“ bestimmt267 –, bezweckte einerseits, die Ausbildung fortan ernsthafter und militärisch exakter zu begehen. Zugleich implizierte sie, dass auch eher unpopuläre Ausbildungsinhalte nun gleichfalls geübt werden mussten, um das Ausbildungsziel zu erreichen. Wenn „des öfteren [sic]“ Ausbildungsstunden angesetzt wurden, zu denen die zuständigen Berater der VP erschienen, diese dann jedoch „wegen mangelnder Beteiligung laufend“ ausfallen mussten,268 wird deutlich, dass derartige Anforderungen von Seiten der Kämpfer vielfach als Zumutung wahrgenommen und nicht

                                                             265 Einschätzung der Ausbildung und der Arbeit der Kampfgruppen vom 18.7.1955, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/224; Bürovorlage der SED-KL vom 22.4.1955, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298. 266 Grundsätzlich zum „sozialistischen Wettbewerb“ vgl. den Leitartikel: Der sozialistische Wettbewerb – die Hauptmethode zur Schaffung der Grundlagen des Sozialismus, in: Einheit 8 (1953), H. 4, S. 433–446; vgl. auch Birgit Müller, Sozialismus als Performance: Die Repräsentation des Politischen im volkseigenen Betrieb, in: Andreas Pribersky/Berthold Unfried (Hg.), Symbole und Rituale des Politischen. Ost- und Westeuropa im Vergleich, Frankfurt a. Main 1999, S. 103–117; Klaus Schönberger, „Ein schöner Orden hebt das Bewusstsein“. Betriebliche Auszeichnungen und symbolisches Kapital, in: Monika Gibas/Rainer Gries/Barbara Jakoby/Doris Müller (Hg.), Wiedergeburten. Zur Geschichte der runden Jahrestage der DDR, Leipzig 1999, S. 219–231, besonders S. 221f.; im Hinblick auf die Kampfgruppen vgl. bspw. Jahresbericht der Kampfgruppen, undat. (vermutl. 1955), LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 126; Direktive der SED-KL vom 5.9.1955 zur Verbesserung der patriotischen Erziehung, LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252. 267 Direktive der SED-KL vom 5.9.1955 zur Verbesserung der patriotischen Erziehung in der GST und den Kampfgruppen, LHASA, SED-KL Leuna, Nr. IV/412/298; Jahresbericht der Kampfgruppen, undat., LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 126. 268 Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 227.

 

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einfach hingenommen wurden. Vielmehr versuchten sie, die Kompetenzstreitigkeiten der Organe im Hinblick auf die militärpolitische Arbeit zu ihren Gunsten zu nutzen. Im VEB BKW Groß-Kayna beharrte ein Kämpfer auf dem Standpunkt, „dass das Ausbildungsprogramm für ihn nicht bindend sei“. Trotz einer Aussprache bestand der betreffende Kämpfer darauf, dass die Volkspolizei ihm nichts zu sagen hätte. Er würde seine Anweisungen und Instruktionen allein von der Kreisleitung der SED entgegennehmen.269 Dass Kämpfer wiederholt „die Qualität der eingesetzten Berater der Volkspolizei“ kritisierten,270 verweist auf zweierlei: Zum einen zeigten sie sich nicht bereit, die in verschiedener Hinsicht als Misstrauen und Bevormundung wahrgenommene Präsenz der Volkspolizei einfach hinzunehmen. Zum anderen schienen sie ganz eigene, nicht zuletzt vielfach biographisch beeinflusste Vorstellungen davon zu hegen, wie sich proletarische Wehrhaftigkeit – angefangen bei der Frage der Regelmäßigkeit der Ausbildung bis hin zu Form und Inhalt derselben – in der Praxis zu gestalten hatte.271 Individuelle Interessen an außergewöhnlichem Nervenkitzel – die sich in dem zentralen Stellenwert, den das Schießen für die Kämpfer besaß, artikulierte – und einem männerbündisch ausgerichteten ,Gemeinschafts‘-Erlebnis korrespondierten mit der militanten Mobilisierung, wie sie die SED in Form der Kampfgruppen verfolgte. Nicht zuletzt das weit verbreitete Desinteresse vieler Parteiorganisationen wie auch die als Bevormundung wahrgenommene Präsenz der VP-Instrukteure schwor jedoch diejenigen, die sich in den Kampfgruppen engagierten, auf ein ganz eigenes Gruppengefühl ein. Das wiederum wurde – inspiriert und legitimiert durch den offiziellen Rekurs auf den proletarischen Mythos und vielfach leibhaftig verkörpert durch die Anwesenheit zahlloser Arbeiterveteranen – von einer Art eigensinniger „Partisanenromantik“ getragen. Wenn Kämpfer sich jedoch in Abgrenzung gegenüber parteilichen und staatlichen Organen als ,wahre‘ Avantgarde ihrer Klasse gerierten, drohte ein derartiges Selbstverständnis den Zielen, die die Parteiführung mit den Kampfgruppen hegte, diametral zuwiderzulaufen. Die Disziplinierung einer aktivistisch gesinnten Minderheit und die Mobilisierung weiterer Bevölkerungsgruppen für den Schutz der ,sozialistischen Errungenschaf-

                                                             269 Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle/S. vom 21.7.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 233. 270 Bericht über den Stand der Kampfgruppen vom 12.10.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 19; Bericht Nr. 24/55 vom 27.5.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 227. 271 Vgl. Jahresbericht der Kampfgruppen für 1955, undat., LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 126.

 

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ten‘ konnte überdies nur gelingen, wenn die Kampfgruppen aus ihrem gesellschaftlichen Nischendasein herausgeholt und als „unmittelbar bewaffnetes Organ der Arbeiterklasse“ in der Gesellschaft als Ganzes verortet wurden.

Wie „anderseitig eingesetzt“? Kampfgruppen in den Straßen des Arbeiter-und-Bauern-Staates“. „22.000 bewaffnete Arbeiter und Bauern aus dem roten Herz Mitteldeutschlands, aus Halle, dem Mansfelder Land, den Leunawerken, aus dem Geiseltal, aus Bitterfeld – aus dem ganzen Bezirk sind es, die an diesem Tag den Feinden der Arbeiterklasse, den Feinden unserer Republik zu verstehen geben: Die Zeit der Kapp und Lüttwitz, der Noske und Hörsing ist bei uns ein für allemal vorbei.“ So kündete die „Freiheit“ – das regionale ,Zentralorgan‘ der SED im Bezirk Halle – am 19. März 1956 vom ersten großen Aufmarsch der Kampfgruppen auf ihrer TitelSeite.272 Aufmärschen kam innerhalb der organisierten Arbeiterbewegung eine zentrale Funktion zu, indem sie grundlegende Ordnungsvorstellungen in Szene setzten.273 Realisierte sich auf diese Weise ein bestimmtes Verständnis von Politik – die Kampagne als Mobilisierungs- und Aktivierungsmittel274 –, zwang es alle daran Beteiligten, sich dazu zu positionieren.275 Als Ritual mit außeralltäglichem Charakter waren Aufmärsche jedoch nicht nur Medium politischer Willensbildung, sondern zugleich integraler Bestandteil sozialistischer Festkultur.276 Anhand des

                                                             272 Freiheit. Organ der SED für den Bezirk Halle, Nr. 67 vom 19.3.1956, Jg. 11. 273 Vgl. Gerhard Hauck, „Armeekorps auf dem Weg zur Sonne“ – Einige Bemerkungen zur kulturellen Selbstdarstellung der Arbeiterbewegung, in: Dietmar Petzina (Hg.), Fahnen, Fäuste, Körper. Symbolik und Kultur der Arbeiterbewegung, Essen 1986, S. 69–89. 274 Vgl. dazu: Kössler, Die Partei als Medium, S. 221. 275 Paula Diehl, Macht – Mythos – Utopie. Die Körperbilder der SS-Männer, Berlin 2005, S. 177; gleichwohl Elias Canetti bei seiner Interpretation der „Prozession“ den Katholizismus vor Augen hatte, sind seine Bemerkungen auch für kommunistische „Machtvisualisierungsrituale“ fruchtbar: „Die Prozession bietet immer ein Abbild der kirchlichen [hier: kommunistischen, T.S.] Hierarchie. Jeder schreitet im Gewand seiner vollen Würde einher und wird von jedem als das erkannt und bezeichnet, was er vorstellt“; Canetti, Masse und Macht, S. 175. 276 Auf die Analogie von Fest und Ritual, die in der Bedeutungshaftigkeit des Anlasses, der Besonderheit seiner äußeren Form, seiner „Inszenierung“, und in dem gesteigerten Gemeinschaftserlebnis liegt, verweisen: Lars Deile, Feste – eine Definition, in: Michael Maurer (Hg.), Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln 2004, S. 1–17, hier:

 

 

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1. Mai – des „höchsten Feiertages des Proletariats“277 – ist gezeigt worden, wie beide Elemente in der Geschichte dieses Feiertages miteinander um Geltung konkurrierten. „Kein Fest- sondern Kampftag!“ hatte die KPD zu seinem Anlass in der Weimarer Republik stets ausgegeben.278 Scheinbar gänzlich dieser Tradition verhaftet, erfolgte der erste Auftritt von Kampfgruppen in der DDR-Öffentlichkeit im Rahmen der 1.-Mai-Feiern des Jahres 1954.279 Zählte die Teilnahme an den alljährlichen 1.-Mai-Feiern seitdem zum rituellen Aufmarsch-Kalender der Kampfgruppen,280 präsentierten sich im März 1956 etwa 22.000 Kämpfer zu einer ersten großen Heerschau der ,Arbeiter-und-BauernMacht‘ in Halle. Die Verbindung des Abschlusses der ersten Ausbildungsetappe281 mit dem 35jährigen Jubiläum des mitteldeutschen Aufstandes zeugt von dem Versuch einer „spezifische[n] Zurichtung der geschichtlichen Gegebenheiten im Hinblick auf die behauptete Kontinuität“ der kommunistischen Bewegung.282 Als „unmittelbar bewaffnetes Organ der Arbeiterklasse“ wurden die Kampfgruppen zu einer klassenspezifischen Institution stilisiert, die ihre Wurzeln in der Kampfzeit der 1920er Jahre besaß, wie die Nennung der Namen Kapp und Lüttwitz, Noske und Hörsing in der „Freiheit“ unterstreicht. Obwohl deren Zeit für beendet erklärt wurde, war der Kampf noch nicht gewonnen, wie der Aufruf der SED zum „Bezirksaufmarsch“ klarstellte. Zwar seien „die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik“ inzwischen „Herren des Landes und der Betriebe“ geworden. „In Westdeutschland“ jedoch säßen weiterhin „die alten Kräfte am Ruder und versuchen, durch den Aufbau einer                                                                                                                                       

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S. 9; Rolf, Das sowjetische Massenfest; Matthias Warstat, Theatrale Gemeinschaften. Zur Festkultur der Arbeiterbewegung 1918–1933, Tübingen 2005. Vgl. dazu: Gottfried Korff, Seht die Zeichen, die euch gelten. Fünf Bemerkungen zur Symbolgeschichte des 1. Mai, in: Inge Marßolek (Hg.), 100 Jahre Zukunft. Zur Geschichte des 1. Mai, Frankfurt a. Main/Wien 1990, S. 15–39. Arne Andersen, „Auf die Barrikaden, erstürme die Welt, du Arbeitervolk!“ Der 1. Mai, die Kriegslinke und die KPD, in: Marßolek (Hg.), 100 Jahre Zukunft, S. 121–143. Vgl. Historischer Abriss über die Entwicklung der Kampfgruppen, undat., BArchB., Do1/18.0/17924. Zum 1. Mai in der DDR vgl. Birgit Sauer, „Es lebe der Erste Mai in der DDR!“ Die politische Inszenierung eines Staatsfeiertages, in: Horst Dieter Braun (Hg.), Vergangene Zukunft. Mutationen eines Feiertages, Berlin 1990, S. 115–128. Auch in Magdeburg wurde ein entsprechender Befehl „Kampfappell“ abgehalten; vgl. Nr. 13/56 vom 1.8.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 127. Karl-Siegbert Rehberg, Die stabilisierende ,Fiktionalität‘ von Präsenz und Dauer, in: Reinhard Blänkner/Bernhard Jussen (Hg.), Institutionen und Ereignis, Göttingen 1998, S. 381–407, hier: S. 398.

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NATO-Söldnerarmee die revolutionären Kräfte der Arbeiterklasse zu unterdrücken und den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat in der Geschichte Deutschlands, unsere Deutsche Demokratische Republik, zu überfallen“. Für die Nachkommen der „Märzkämpfer“ konnte dies nur eines bedeuten: „Seid wachsam! Zeigt in den Märztagen allen Feinden des arbeitenden Volkes Eure geballte Kraft!“283 [Siehe Zweiter Teil, Kap. I, Abb. 7]. Wie das Zitat zeigt, wurde die Bedrohung durch den, zumindest im Westen des Landes noch unbesiegten, aber auch im eigenen Land aktiven „Klassenfeind“ als „Sinngenerator“ für die Existenz der Kampfgruppen benutzt.284 Aus dieser Perspektive bekräftigte der Blick in die Vergangenheit die Dauerhaftigkeit klassenspezifischer Kämpfe, mit deren Hilfe der institutionellen Verankerung der Kampfgruppen innerhalb der Gesellschaft des Arbeiter-undBauern-Staates die notwendige Plausibilität verliehen werden sollte. Die Wahl des Datums verknüpfte die öffentliche Demonstration proletarischer Macht mit der Ehrung der „ruhmreichen revolutionären Märzkämpfer“.285 Ihre Huldigung beabsichtigte nicht nur, das Sinnhafte ihres Opfers und die Kontinuität des Kampfes, in dem sie gefallen waren, hervorzuheben.286 Sie bezweckte zugleich, ihre Nachfolger, die Angehörigen der Kampfgruppen, letztendlich aber alle am Ritual Beteiligten, auf deren heldenhaftes Vorbild zu verpflichten.287 Die Geschichten von heroischem Einsatz und Opfermut sollten ebenso moralische Empörung wie Begeisterung und somit die Bereitschaft zur Nachahmung, zur

                                                             283 Aufruf der SED-Bezirkleitung, undat., LHASA, Abt. Mer., SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/303, Bl. 238; vgl. auch: Freiheit. Organ der SED für den Bezirk Halle, Nr. 66, Jg. 11, vom 17.3.1956. 284 Karl-Siegbert Rehberg, Der doppelte Ausstieg aus der Geschichte. Thesen zu den „Eigengeschichten“ der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, in: Gert Melville/Hans Vorländer (Hg.), Geltungsgeschichten. Über die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 319–349, hier: S. 347. 285 Aufruf der SED-Bezirksleitung, undat., LHASA, Abt. Mer., SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/303, Bl. 238; vgl. auch: Freiheit. Organ der SED für den Bezirk Halle, Nr. 66, Jg. 11, vom 17.3.1956. 286 Vgl. George L. Mosse, Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993, S. 13; Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (Hg.), Identität, München 1996, S. 255–276. 287 Reinhart Koselleck, Einleitung, in: ders./Michael Jeismann (Hg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 9–20, hier: S. 11; Warstat, Theatrale Gemeinschaften, S. 187; Könczöl, Märtyrer des Sozialismus, S. 67.

 

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„imitatio heroica“ entfachen.288 Die Nennung solcher Orte wie dem Geiseltal, dem Mansfelder Land, den Leuna-Werken oder Bitterfeld – allesamt Stätten des Kampfes im März 1921 – in der „Freiheit“ appellierte zugleich an lokalhistorische Erinnerungshaushalte. Sie zeugt damit von der Absicht, die Kampfgruppen als neue institutionelle Verkörperung dieser kämpferischen Tradition in der Gegenwart zu verorten. Bis zum Zeitpunkt des sogenannten „Generalappells“ hatten sich bezirksweit nominell 22.055 Werktätige den Kampfgruppen anschlossen. Republikweit verfügte Halle damit über die höchste Anzahl von Kämpfern pro Bezirk, wozu nicht zuletzt auch die dichte industrielle Struktur dieser Region beitrug. Wie auch im Bezirk Magdeburg289, waren es jedoch stets „dieselben Genossen“, die regelmäßig an der Ausbildung teilnahmen und denen eine „besonders gute Einsatzfreudigkeit“ bescheinigt werden konnte.290 Im Hinblick auf die Gesamtstärke der Kampfgruppen traf das auf etwa jeden dritten Kämpfer zu.291 Wenn nun – offiziellen Angaben zufolge – annähernd 22.000 Kämpfer am Aufmarsch zu Ehren der gefallenen „Märzkämpfer“ teilnahmen, bedeutete dies in der Tat einen eindrucksvollen Mobilisierungserfolg. Bereits an den dem Generalappell vorausgegangenen, lokalen Kreisappellen hatten sich – mancherorts bei anhaltendem Regen292 – 16.253 Kämpfer beteiligt. Wie die Bezirksbehörde der DVP im Nachhinein konstatierte, hätten sich darunter auch viele Kämpfer befunden, die „bisher kaum an der Aus-

                                                             288 Sabine Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole. 1923 bis 1945, Vierow 1996, S. 67; im Hinblick auf den Staatssozialismus in der DDR: Silke Satjukow, Von Menschen und Übermenschen. Der „Alltag“ und das „Außeralltägliche“ der „sozialistischen Helden“, in: APuZ B17 (2002), S. 39–46; dies./ Rainer Gries (Hg.), Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR, Berlin 2002. 289 Hier waren zu diesem Zeitpunkt insgesamt 16.302 Werktätige für die Kampfgruppen rekrutiert worden; damit rangierte der Bezirk im republikweiten Vergleich an vierter Stelle, vgl. Aufstellung der Hauptverwaltung der DVP, undat., BArchB., DO1/18.0/17924. 290 VPKA Magdeburg, Quartalsbericht vom 3.1.1956, LHAM, Rep M24, Nr. 196, Bl. 237; vgl. auch: Situationsbericht über den Stand der Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 21.7.1955, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 94, Bl. 234. 291 Ein Bericht der DVP aus dem Juli 1955 bezifferte die durchschnittliche Beteiligung an der Ausbildung für beide Bezirke auf jeweils 36 Prozent – im republikweiten Vergleich war das unterdurchschnittlich, derselbe Bericht bezifferte diesen auf 42 Prozent, vgl. Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 3.7.1955, BArchB., DO1/18.0/17924. 292 Die Kampfgruppen-Chronik des Kreises Aschersleben spricht bezeichnenderweise vom „Regenappell“ der Kampfgruppen; vgl. Kreisleitung Aschersleben (Hg.), Wehr-, Schutzund Kampforgane der Arbeiterklasse, S. 33.

 

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bildung teilgenommen“ hatten,293 und selbst solche, die eine Mitarbeit in der Kampfgruppe bisher gänzlich verweigert hatten.294 Der finale Aufmarsch aller 22.000 Kämpfer im Hallenser „Kurt-Wabbel-Stadion“295 bildete nur den Höhepunkt der sich über mehrere Tage erstreckenden, die ganze Bevölkerung mit einbeziehenden Festivitäten. Zum Programm zählten zudem Geländeübungen im Mansfelder Raum, die an das Kampfgeschehen von 1921 anknüpften,296 genauso wie verschiedene Kulturveranstaltungen, die den festlichen Charakter des Anlasses unterstreichen sollten.297 Bestand das vornehmliche Ziel dieser Veranstaltungen darin, „der Bevölkerung die Verbundenheit mit den Kampfgruppen“ zu demonstrieren,298 schien sie mancherorts tatsächlich auf lebhaftes Interesse zu stoßen. In Eisleben, ehedem eines der Zentren des mitteldeutschen Aufstandes, marschierten die Kampfgruppen

                                                             293 Bericht über die durchgeführten Kreisappelle vom 5.3.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 49. 294 In Artern etwa beteiligten sich 510 Arbeiter am Kampfgruppen-Aufmarsch gegenüber einer Ist-Stärke von nominell 400 Kämpfern; in Buna waren es 300 gegenüber einer IstStärke von 256; in Dessau 1180 gegenüber einer Ist-Stärke von 1028; in Hettstedt 540 gegenüber einer Ist-Stärke von 492; in Leuna 548 gegenüber einer Ist-Stärke von 468; in Quedlinburg 1170 gegenüber einer Ist-Stärke von 900; in Sangerhausen 592 gegenüber einer Ist-Stärke von 514 Kämpfern, vgl. Aufstellung über die Stärke der Kampfgruppen im Bezirk Halle, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 3. 295 Kurt Wabbel, geboren 1901, Arbeitersportler und Stadtverordneter der KPD, 1933 verhaftet und nach Buchenwald deportiert, dort im Mai 1944 unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen; vgl. Gedenkstätten. Arbeiterbewegung, antifaschistischer Widerstand, Aufbau des Sozialismus, hrsg. v. Institut für Denkmalpflege in der DDR, Leipzig/Jena/Berlin 1974, S. 272; Wabbel gehörte als Lagerältester im BuchenwaldAußenlager Wernigerode zu den sogenannten „Funktionshäftlingen“, die als Scharnier zwischen SS und Mitgefangenen oft besondere Privilegien genossen, und soll sich verschiedener Vergehen wie der Denunziation, der körperlichen Misshandlung und des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben, die möglicherweise zu seiner Ermordung durch Mithäftlinge führten; vgl. dazu: Hirschinger, Fälschung und Instrumentalisierung, S. 80–99; zu den „Funktionshäftlingen“ im Allgemeinen vgl. Niethammer, Der „gesäuberte“ Antifaschismus. 296 Vgl. dazu die Berichte in: LHASA, SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/303; Entwicklung der Kampfgruppenarbeit im Bezirk Halle, SAPMO-BArch., FSB 158/19251, Bl. 102f. 297 Zu Form und Charakter sozialistischer Festkultur in der DDR vgl. Katrin Minner, Städtische Erinnerung und der Blick nach vorn: Die Tausendjahrfeier Halles 1961, in: dies./Werner Freitag (Hg.), Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle, Halle 2004, S. 249–273. 298 Kämpfer ihrer Klasse, S. 35.

 

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durch die alten Arbeiterviertel und sangen proletarische Kampflieder, begleitet von ihnen zuwinkenden und Fahnen schwenkenden Einwohnern. Nicht unbedingt war diese „lebhafte Anteilnahme“ jedoch gleichbedeutend mit einer bedingungslosen Unterstützung der SED. Etwa in Bitterfeld wohnten schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Menschen dem dortigen Aufmarsch bei. „Stürmisch begrüßt“ wurde von ihnen insbesondere ein 80-jähriger „Parteiveteran und Märzkämpfer“, der nun in den Reihen der Kampfgruppen mitmarschierte.299 Die Begeisterung, die ihm zuteil wurde, musste nicht zwangsläufig auch den Errungenschaften der SED-Herrschaft gelten. Vielmehr konnte sie auch lokale Arbeiter- und Arbeiterbewegungserfahrungen feiern, die über deren Existenz hinauswiesen und möglicherweise einer milieuspezifischen Lesart der Ereignisse folgten, für die das Streben nach Autonomie auch gegenüber dem Arbeiter-und-Bauern-Staat konstitutiv blieb.300 „Überall wurden Erinnerungen geweckt an die Kämpfe und an die gefallenen Kämpfer“, resümierte Bernard Koenen Anspruch und Ergebnis des Bezirksaufmarsches.301 Erinnerungen jedoch, die nicht unbedingt in einem „gewaltige[n] Bekenntnis der Bereitschaft der fortgeschrittensten Werktätigen, die Errungenschaften unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht […] zu schützen und zu verteidigen“,302 aufgingen. So konstatierte ein Bericht der Abteilung für Ausbildung und Schulung der Bezirksleitung Halle im Anschluss an den Generalappell ein „merkliches Nachlassen, vor allen Dingen in der Beteiligung der Ausbildung“.303 Wie

                                                             299 Bericht über die durchgeführten Kreisappelle vom 5.3.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 50; Entwicklung der Kampfgruppenarbeit im Bezirk Halle, undat., SAPMOBArch., FSB 158/19251, Bl. 101f.; vgl. auch: Retorte und Gewehr. Kampfgruppen der Arbeiterklasse im VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, hrsg. v. der Kommission Betriebsgeschichte der SED-KL VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, o. Jahresangabe, S. 16. 300 Kleßmann/Sywottek, Arbeitergeschichte und DDR-Geschichte, S. 900; Mergel, Milieu und Region. 301 Redemanuskript Bernard Koenens anlässlich des Kampfgruppenaufmarsches zum 18.3.1956, SAPMO-BArch., FBS 158/19251, Bl. 95; zur Bedeutung von „Orten“ als „Punkte[n] der kollektiven Erinnerung“ vgl. Christoph Kühberger, Emotionaler Rausch: Zum Spektrum der Gefühlsmobilisation auf faschistischen und nationalsozialistischen Festen, in: Arpad von Klimo/Malte Rolf (Hg.), Rausch und Diktatur. Inszenierung, Mobilisierung und Kontrolle in totalitären Systemen, Franfurt a. Main/New York 2006, S. 177– 192, hier: S. 179–184. 302 Befehl Nr. 13/56 vom 1.8.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 127. 303 Bericht der Abteilung Ausbildung und Schulung vom 3.4.1957, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 235; andere Berichte konstatierten hingegen die Rekrutierung zahlloser neuer

 

 

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diese Einschätzung nahelegt, schienen zahllose Kämpfer am Generalappell insbesondere wegen seines außergewöhnlichen Ereignischarakters teilgenommen zu haben. Dessen Faszination konnte aus einer Vielzahl von Gründen resultieren. Manche Einheiten etwa bekamen zu diesem Anlass erstmalig eine Waffe ausgehändigt.304 In verschiedener Hinsicht trugen die ersten Aufmärsche von Kampfgruppen in der Öffentlichkeit Züge eines Initiationsrituals. Der Bevölkerung wurde eine neue Organisation vorgestellt und die Kämpfer in Abgrenzung zu ihr auf eine spezifische Form der „Communitas“ eingeschworen.305 Als zentrale Akteure des Aufmarsches waren sie ihrem alltäglichen sozialen Status enthoben und rückten für die Dauer des Rituals in die Rolle von Virtuosen einer „Glaubensgemeinschaft auf dem Weg zur Sonne“ (Gerhard Hauck). „Unseren Genossen im Stahlbau Parey muss man sagen, dass sie nicht nur für Aufmärsche da sind, sondern das zum Schutz unserer Heimat auch eine Ausbildung gehört“, konstatierte die SED-Kreisleitung Genthin im darauffolgenden Jahr ernüchtert.306 Auf ihre Weise reflektierte sie damit den besonderen Reiz öffentlicher Aufmärsche und die mit ihnen einhergehende gesellschaftliche Präsenz und Aufwertung des kämpferischen Engagements. In der Tat scheint die Teilnahme am Generalappell vielen Kämpfern vor allem wegen der Festivitäten inhärenten Gruppendifferenzierung attraktiv gewesen zu sein. In den Reihen der Kampfgruppen mitzumarschieren und sich solchermaßen selbst als Teil einer sozialen Elite wahrnehmen zu dürfen, mag für viele motivierender gewesen sein als die oftmals improvisierte und wenig Beachtung findende Routine alltäglicher Ausbildung. Nicht zuletzt gewährte das Anrufen verdienter „alte[r] Kämpfer der Partei“ in der Öffentlichkeit307 manchen Veteranen auch persönliche Genugtuung. Schlug ihnen im Alltag nicht selten

                                                                                                                                      

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Kämpfer im Anschluss an den „Generalappell“, vgl. Bericht über die durchgeführten Kreisappelle vom 5.3.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 51; vergleicht man den zeitlichen Unterschied zwischen den hier zitierten Berichten, ist nicht auszuschließen, dass die aufwändige Inszenierung des Generalappells kurzfristig tatsächlich einen stärkeren Zuspruch zu den Kampfgruppen bewirkte, der angesichts einer in dieser Hinsicht kaum vergleichbaren Ausbildungspraxis rasch wieder abebbte; gleichzeitig mag auch der Zwang eines stark ritualisierten Berichtswesens im unmittelbaren Nachklang eine euphorische Auswertung des Aufmarsches befördert haben, während zeitfernere Berichte sich einer nicht minder ritualisierten, kritischeren Haltung verpflichtet fühlten. Vgl. Retorte und Gewehr, S. 16. Turner, Das Ritual, S. 94f.; vgl. dazu auch: Warstat, Theatrale Gemeinschaften, S. 188. Bericht über die Stärke und den Ausbildungsstand der Kampfgruppen des Kreises Genthin vom 23.7.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 70. Bericht der SED-KL Merseburg vom 14.3.1956, LHASA, Nr. IV/414/418.

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Neid und Skepsis entgegen,308 eröffnete der Aufmarsch ihnen die Möglichkeit, sich konkret und in „reuelose[r] Grandiosität“ als Teil eines „Großen Ganzen“ fühlen und wiederfinden zu können.309 In diesem Zusammenhang von einer „politisch reife[n], selbstbewusste[n], qualifizierte[n] Arbeiterklasse, die sich in der aktuellen Situation ihrer historischen Verantwortung bewusst“ war zu sprechen, scheint deshalb überzogen und undifferenziert.310 Wohl mochte die Bereitschaft zahlloser Arbeiterveteranen, sich den Kampfgruppen anzuschließen, auch in einem spezifisch individuell-biographischen „Erfahrungsraum“ wurzeln. Ihn zeichnete aus, dass der Gewalt als legitimem Mittel der politischen Auseinandersetzung eine gewichtige Bedeutung zukam, die im Rekurs auf den proletarischen Mythos zusätzlich überhöht wurde. Nicht unbedingt war diese Bereitschaft jedoch gleichbedeutend mit einem parteikonformen Klassenbewusstsein. Vielmehr wurzelten sie auch – wie der lokalpatriotische Charakter der Festivitäten anlässlich des 35. Jahrestages der „Märzkämpfe“ zumindest andeutet – in konkreten milieuspezifischen Traditionen. Die wiederum konnten – wie sich etwa in Fragen einer regelmäßigen Beteiligung an der Ausbildung zeigte – gänzlich andere Vorstellungen im Hinblick auf Form und Funktion der Kampfgruppen produzieren, als sie die SED im Sinn hatte. Die Zurschaustellung proletarischer Macht, die im März 1956 bisweilen eine fast ausgelassene Note besessen hatte, wiederholte sich schon ein halbes Jahr später, schlug nun allerdings einen gänzlich anderen Ton an. Erneut waren Kampfgruppen auf den Straßen der DDR präsent, dieses Mal jedoch nicht nur im Roten Herzen, sondern in der ganzen Republik. Die Ausgelassenheit, die noch den Generalappell ausgezeichnet hatte, war jedoch dem (vermeintlichen) Ernstfall gewichen. Mithilfe der Kampfgruppen ging es nun darum, eine „Kampfstimmung“ innerhalb der Bevölkerung zu schaffen.311 Den Hintergrund bildeten die gewalttä-

                                                             308 Vgl. dazu: Kessler/Peter, Antifaschisten in der SBZ. 309 Vgl. dazu: Alf Lüdtke, Macht der Emotionen – Gefühle als Produktivkraft: Bemerkungen zu einer schwierigen Geschichte, in: von Klimo/Rolf (Hg.), Rausch und Diktatur, S. 44– 55, hier: S. 54f. sowie: Gudrun Brockhaus, Sozialpsychologie der Akzeptanz des Nationalsozialismus: Kritische Anmerkungen zu „Rausch und Diktatur“, in: ebd., S. 155–176, hier: S. 156; erwähnt sei in diesem Zusammenhang ein RFB-Veteran, der trotz seiner Erblindung am Aufmarsch in Halle teilnahm; um nicht ,aus der Reihe‘ zu fallen, war der Kämpfer von seinen Kameraden „an feinen Zwirnsfäden gelenkt“ worden; Bericht der Hauptverwaltung der DVP vom 23.7.1955, BArchB., Do1/18.0/17924. 310 So jedoch: Schulze, Das große Buch der Kampfgruppen, S. 35. 311 Plan der politisch-ideologischen Vorbereitung und Durchführung des Kreisappells am 24.11.56, LHASA, SED-KL Aschersleben, Nr. IV/402/107; vgl. dazu auch: Lüdtke,

 

 

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tigen Unruhen in Polen und vor allem in Ungarn.312 Sie wurden weithin als offenkundigste Symptome einer den kommunistischen Machtbereich erschütternden „Entstalinisierungskrise“ wahrgenommen, die auch die Errungenschaften der „misstrauischen Patriarchen“ zu bedrohen schien und deren Angst vor einem neuen 17. Juni befeuerten.313 In „Argwohn geübt“ (Wagner), reagierten sie wie sie es gewohnt waren. Detaillierte „Maßnahmen zur Unterdrückung der konterrevolutionären Aktionen“, die noch im November vom Politbüro beschlossen wurden, schworen die DDR auf den Ausnahmezustand ein.314 Der Chef des MfS, Ernst Wollweber, orientierte seine engsten Mitarbeiter sowie die regional verantwortlichen Vorsitzenden von Staatssicherheit und Polizei – fast ausnahmslos gestandene Bürgerkriegsveteranen315 – in einer Dienstbesprechung Mitte Dezember auf eine

                                                                                                                                      

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Macht der Emotionen, S. 50; vgl. auch: ders., Ausnahmezustand und staatliche Gewaltrituale. Vgl. zu den Ereignissen in Polen bzw. Ungarn: Mark Kramer, The Soviet Union and the Crisis in Hungary and Poland: Reassessments and New Findings, in: Journal of Contemporary History 33 (1998), S. 163–214; György Litvan/Janos M. Bak (Hg.), Die ungarische Revolution 1956. Reform – Aufstand – Vergeltung, Wien 1994; Géza Alföldy, Ungarn 1956. Aufstand, Revolution, Freiheitskampf, Heidelberg 1997. Vgl. dazu: Winfried Heinemann/Norbert Wiggershaus (Hg.), Das internationale Krisenjahr 1956. Polen, Ungarn, Suez, München 1999; Hans-Henning Hahn/Heinrich Olschowsky (Hg.), Das Jahr 1956 in Ostmitteleuropa, Berlin 1996; Heiner Timmermann/László Kiss (Hg.), Ungarn 1956: Reaktionen in Ost und West, Berlin 2000; Mary Fulbrook, „Entstalinisierung“ in der DDR. Die Bedeutung(slosigkeit) des Jahres 1956, in: DA 39 (2006), S. 35–42. Beschluss des Politbüros vom 6.11.1956, SAPMO-BArch., DY 30/I IV 2/2/511; diesem Dokument folgte am 5.12.1956 die gemeinsam vom Minister für Staatssicherheit wie dem Minister des Innern unterzeichnete Direktive Nr. 3/56 über „Maßnahmen zur Verhinderung von Provokationen und konterrevolutionären Umtrieben“, BStU, MfS-BdL, Nr. 002614, Bl. 1-4; vgl. dazu auch: Votum für bewaffnete Gewalt. Ein Beschluss des SED-Politbüros vom November 1956, in: BzG 43 (1992), S. 75–85. Neben Wollweber führt das Protokoll namentlich auf: Hermann Gartmann (1906– 1972), seit 1927 in der KPD; ab 1929 in deren Abwehrapparat tätig und 1930 zu einem Lehrgang an die militärpolitische Schule in Moskau delegiert; ab 1933 im illegalen Widerstand aktiv und von 1937–39 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg; anschließend Internierung und Auslieferung an die Gestapo; im KZ Dachau inhaftiert bis 1945; 1956 Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit und Leiter der Hauptabteilung Innere Sicherheit; nach seiner Pensionierung ab 1967 Sekretär des „Solidaritätskomitees für das spanische Volk“; Willi Seifert (1915–1986), seit 1930 in der KPD; von 1935–1945 im KZ Buchenwald inhaftiert; von 1946–1949 Vizepräsident der DVdI; 1956 Stellvertreter des Chefs der DVP und Stellvertreter des Minister des Innern; Ottomar Pech (1914–

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„reale Kriegsgefahr“. „Faschistische Elemente in der DDR gehen auf direkte Provokationen aus. Es kommt darauf an, eventuelle Provokationen durch sofortiges Eingreifen der inneren Sicherheitskräfte zu liquidieren“,316 so Wollweber, selbst ein langjähriger Militärexperte nicht nur der KPD, sondern auch der Komintern.317

                                                                                                                                       2000), von 1928–31 Angehöriger der SAJ, im Zweiten Weltkrieg Angehöriger der Wehrmacht (Feldwebel); 1945 der KPD beigetreten, 1946 der SED; seit 1945 in Diensten der DVP, 1950 zum MfS gestoßen und 1956 Kommandeur der Inneren Truppen/Bereitschaftspolizei; Wilhelm Kinski (geb. 1921), weitere Angaben zur Person konnten nicht gefunden werden, 1956 vermutlich Chef der Transportpolizei; Heinz Gronau (1912–1977); seit 1930 in der KPD und nach 1933 zunächst im illegalen Widerstand tätig; nach seiner Verhaftung zehn Jahre im KZ Buchenwald inhaftiert, dort Mitglied der illegalen Partei- und Internationalen Militärorganisation; ab 1946 bei der VP, ab 1950 beim MfS; 1956 Stabschef der Grenzpolizei und später Kommandeur des MfS-Wachbataillons „Feliks Dzierzynski“ (1962–1972); vgl. dazu das Personenregister in: Diedrich/Ehlert/Wenzke (Hg.), Handbuch der bewaffneten Organe, S. 686–716; Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee; sowie Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter. 316 Protokoll der Dienstbesprechung vom 17.12.56 im Ministerium für Staatssicherheit, BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4847, Bl. 2. 317 Ernst Wollweber (1898–1967), stammte aus einer Arbeiterfamilie und war schon in seiner Jugendzeit in der Arbeiterjugend seiner Heimatstadt Hannoversch-Münden aktiv; nach dem 1. Weltkrieg, den er als Matrose der Kaiserlichen Marine erlebt hatte, zählte er zu den Mitbegründern der lokalen KPD-Ortsgruppe und requirierte als eine seiner ersten Maßnahmen einen Güterzug voller Panzer, die er, mit roten Fahnen versehen, auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt auffahren ließ; aktiv in den Aufstandsbewegungen der kommunistischen ,Kampfzeit‘ 1919–1921, dann zur militärischen Schulung nach Moskau delegiert; auch nach seiner Rückkehr 1924 war er weiterhin maßgeblich in der militärpolitischen Arbeit der KPD tätig, wurde 1928 jedoch zugleich Abgeordneter des Preußischen Reichstages und 1932 Reichstagsabgeordneter; ab 1933 im illegalen Widerstand und aufgrund seiner nautischen Kenntnisse als Reichsleiter des „Einheitsverbandes der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer“ in der kommunistischen „Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter“ (ISH) aktiv; dabei widmete sich Wollweber vornehmlich dem Aufbau eines international und unabhängig operierenden Widerstandsnetzes, das Sabotageakte gegen die Schifffahrt der Achsenmächte unternahm und hauptsächlich in Nordeuropa tätig war; Wollweber selbst hatte sich nach Skandinavien abgesetzt und wurde 1940 in Schweden verhaftet, von wo aus er 1944 in die Sowjetunion ausreisen durfte; er kehrte erst im März 1946 nach Deutschland zurück, weil die Sowjets auch nach Kriegsende auf seine subversiven Fähigkeiten nicht verzichten wollten; Wollweber war zunächst im Verkehrsministerium der DDR als Staatsekretär für Schifffahrt zuständig und soll hier auch seine Sabotage-Aktivitäten wieder aufgenommen haben; nach dem Sturz Zaissers infolge des 17. Juni 1953 avancierte er zum MfS-Leiter und seinen Aktivitäten war es zu

 

 

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Das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ hatte bereits mit der ersten offiziellen Meldung über die Unruhen in Budapest – die analog zu den Juni-Unruhen drei Jahre zuvor als „Putschversuch“ bezeichnet wurden – am 25.10.1956 einen Bericht über Appelle von Berliner Kampfgruppen-Einheiten gebracht.318 Damit signalisierte es die Entschlossenheit der „letzten Revolutionäre“, jedweder Protestregung mit „proletarischer Wehrhaftigkeit“ zu begegnen. „Wer da glaubt, das Budapester Verbrechen auf Berlin übertragen zu können, der irrt sich gewaltig“, machte der damalige Bezirkssekretär von Berlin, Alfred Neumann,319 drei Tage später erneut deutlich. Zugleich drohte er: „Jeder Missbrauch der demokratischen Freiheiten wird an der geschlossenen Kraft der Arbeiterklasse zerbrechen.“320 Die zu verkörpern, oblag nun insbesondere den Angehörigen ihrer Kampfgruppen. Unmittelbar in der betrieblichen Lebenswelt agierend, sollte ihr Beispiel alle Bürger des Arbeiter-und-Bauern-Staates zu „revolutionärer Wachsamkeit“ anhalten. Aufmärsche und sogenannte „Alarmübungen“ beabsichtigten – wie der General-

                                                                                                                                       verdanken, dass die Behörde nach ihrer Degradierung infolge des „Juni-Debakels“ im November 1955 ihren Status als eigenständiges Ministerium zurückerhielt; eine biographische Skizze zur Person Wollwebers bei: Roger Engelmann, Ernst Wollweber (1898– 1967). Chefsaboteur der Sowjets und Zuchtmeister der Stasi, in: Dieter Krüger/Armin Wagner (Hg.), Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg, Berlin 2003, S. 179–206; ausführlicher: Jan v. Flocken/Michael F. Scholz, Ernst Wollweber. Saboteur – Minister – Unperson, Berlin 1994. 318 Vgl. Neues Deutschland, Nr. 255 vom 25.10.1956. 319 Alfred Neumann (1909–2001), seit 1919 im Arbeitersportverein „Fichte“ aktiv; 1928 Mitglied der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit; trat 1929 der KPD bei und war 1933–34 (gemeinsam mit Karl Maron) im illegalen Widerstand aktiv; über Schweden und Finnland in die Sowjetunion emigriert, arbeitete er dort zunächst als Sportlehrer, bis er 1938 wegen fehlender sowjetischer Staatsangehörigkeit ausgewiesen wurde; schlug sich nach Spanien durch und kämpfte 1936–1939 in den Reihen der Internationalen Brigaden; 1939 in Frankreich inhaftiert, 1941 an Deutschland ausgeliefert und wegen Hochverrats zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt; im Februar 1945 an das SS-Strafbataillon „Dirlewanger“ überstellt, von wo aus er zu den sowjetischen Streitkräften überlief; bis 1947 in Kriegsgefangenschaft, trat er nach seiner Rückkehr der SED bei, war zunächst SED-Funktionär auf Kreisebene, stieg 1953 schließlich zum 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin auf; seit 1949 Mitglied der Volkskammer; 1954 wurde er Mitglied des ZK, 1958 Mitglied des Politbüros; 1961–1965 spielte er als Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des NÖSPL; 1965–1968 Minister für Materialwirtschaft; nach Ulbrichts Ablösung, die er missbilligte, blieb Neumann einer der unbequemsten politischen Widersacher Honeckers im inneren Führungszirkel der SED, trat jedoch nie öffentlich gegen ihn auf. 320 Neues Deutschland, Nr. 258 vom 28.10.1956.

 

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appell ein halbes Jahr zuvor auch –, die rituelle Stimulation über den Rahmen alltäglichen Verhaltens hinausgehender Haltungen und Handlungsweisen. Angesichts einer scheinbar „realen Kriegsgefahr“ konnte das nur die Bereitschaft zu kämpfen meinen. Die Präsenz uniformierter und bewaffneter Arbeiter in den Straßen beabsichtigte, angesichts der unsicheren politischen Situation ein „vereinheitlichte[s] Sich-zu-einander-Verhalten“ zu inszenieren und zu demonstrieren. Eventuellem Zweifel im Hinblick auf das Warum oder auf das Wie sollte solchermaßen entgegengewirkt werden.321 In Querfurt wurden kurzerhand alle „Mitglieder der Partei, die noch laufen können“, zur Kampfgruppen-Ausbildung delegiert.322 Auch wenn die lokale Parteiorganisation für diese Initiative nicht die Anerkennung der Kommandohöhen erhielt, handelte sie in eben diesem Sinne. Der Schutz der sozialistischen Errungenschaften konnte nur auf militante Art und Weise vollzogen werden und er war nicht Angelegenheit der Sicherheitsorgane allein, sondern aller Angehörigen der Arbeiterklasse. Aus diesem Grund scheinen nicht wenige Alarmübungen mitten in Wohngebieten abgehalten worden zu sein. Im Zusammenwirken mit anderen bewaffneten Organen ging die Kampfgruppen u. a. auf „,Hasenjagd‘ in Halberstadt“, fassten „Provokateure“ in Weimar und bekämpften „Diversantengruppen“ in Worbis und Genthin.323 Wurde der Bürgerkrieg bzw. seine Inszenierung auf diese Weise quasi vor die Haustür der Bevölkerung getragen, sprachen sich – etwa in Aschersleben – zahllose Kämpfer „sehr lobend“ über die Form der dort unter gefechtsmäßigen Bedingungen durchgeführten Alarmübung aus.324 In Merseburg notierte der Kommandeur einer lokalen Hundertschaft gar „eine gewisse Enttäuschung“, als den Kämpfern im Anschluss an die Übung gesagt wurde: „Ihr könnt wieder nachhause [sic] gehen, es war nur eine Übung“.325 Trotz einer vielerorts registrierten „großen Begeisterung“ unter den Kämpfern, sparten die Instrukteure der VP jedoch auch nicht mit Kritik. In Rosslau sei das

                                                             321 Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 77. 322 Bericht über den Zustand der Kampfgruppen im Kreis Querfurt vom 27.11.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 171. 323 „,Hasenjagd‘ in Halberstadt“ überschrieb die Zeitschrift der GST im Februar 1957 einen Bericht über die dortige Übung, „Arbeiter fassten ,Provokateure‘“ und „Diversantengruppe niedergekämpft“ hieß es jeweils in Artikeln der Kreisausgabe des „Volkes“ in Worbis; vgl. dazu: Alarm in Halberstadt, S. 4f. 324 Bericht über den politisch-moralischen Zustand in den Kampfgruppen vom 13.11.1956, LHASA, SED-KL Aschersleben, Nr. IV/402/107. 325 Protokoll über die Aktivtagung vom 24.7.1957, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418.

 

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Ganze in ein „Indianerspiel“ ausgeartet, „das allen infantristischen, militärischen Grundsätzen Hohn sprach“.326 In Sangerhausen wiederum sei „keine Einheitlichkeit des Vorgehens […] zu erkennen“, die Spähertätigkeit „nicht ausgeprägt genug“ und „die Seitensicherung nicht vorhanden“ gewesen, vielmehr „wurde ohne einen Gegner zu sehen, wahllos geschossen.“327 Offenbarte sich hier ein Feuereifer, wie er schon den Eislebener Arbeitern als verhängnisvoll ausgelegt worden war, betrachteten die Instrukteure nicht wenige Übungen deshalb als „verfehlt“.328 Ihre Kritik lässt zum einen deutlich werden, dass die uneinheitliche und improvisierte Ausbildung der letzten Jahre es offenkundig noch nicht vermocht hatte, den Kampfgruppen-Angehörigen grundlegende militärische Standards zu vermitteln. Aussagekräftig ist sie aber auch im Hinblick auf individuelle Werthaltungen unter den Kampfgruppen-Angehörigen. Wo die Inspekteure Enthusiasmus notierten, war der nicht unbedingt gleichbedeutend damit, dass sich die begeisterten Kämpfer der verlangten Disziplin beugten. Insbesondere, wenn es ans Schießen ging, ließ die nach Einschätzung der Inspekteure häufig zu wünschen übrig.329 Hatten nicht wenige Kämpfer bis dahin nur selten eine Waffe in die Hand bekommen, stimulierte deren Erhalt nun offenbar ganz eigen(sinnig)e ,Entladungen‘.330 Vielerorts, so legen die verschiedenen Berichte der Volkspolizei nahe, resultierte die Begeisterung der Kämpfer daraus, dass auf einmal etwas ,los‘ war. Das Plädoyer der Kommandohöhen für richtige, d. h. unter „gefechtsmäßigen“ Bedingungen abgehaltene Übungen korrespondierte in diesem Sinne mit dem Wunsch zahlloser Kämpfer nach einer abwechslungsreicheren und aufregenderen Ausbildung. Es versah den von ,oben‘ beschworenen Ausnahmezustand ,unten‘ jedoch mit einer ganz eigenen Note: Als Möglichkeit, die Reiz- und Spannungslosigkeit des eigenen Alltages auf mehr oder weniger spielerische Art und Weise zu durchbrechen.331

                                                             326 Kritische Bemerkungen zur Durchführung der Kampfgruppen-Arbeit im Bezirk Halle/S. vom 29.11.1956, LHASA, BDVP 19, Nr. 95, Bl. 173. 327 Protokoll über die Besichtigung der Kampfgruppe HO Sangerhausen vom 13.11.1956, LHASA, Abt. Mer., SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/304. 328 Kritische Bemerkungen zur Durchführung der Kampfgruppen-Arbeit im Bezirk Halle/S. vom 29.11.1956, LHASA, BDVP 19, Nr. 95, Bl. 173. 329 Auswertung der Übung der Kampfgruppen in Zschopau am 29. u. 30.9.1956, LHASA, SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/304. 330 Fitzpatrick/Lüdtke, Energizing the Everyday; vgl. dazu auch: Eley, Wie denken wir über Politik, insbesondere S. 33. 331 Nicht zuletzt besitzt der lustvolle Einsatz von Gewalt, mit dem Angehörige eines Männerbundes Angehörigen wie Außenseitern begegnen und der sich insbesondere in der Form von „Rüpeleien“ äußert, in Männerbünden die Bedeutung quasi-initiatorischer

 

 

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Diese „Tendenz einer Kriegsspielerei“, wie sie von zahllosen Instrukteuren bezeichnet wurde,332 schien Ausdruck einer Lust nach eher privatem denn politischem Nervenkitzel zu sein.333 Das legen zumindest Vorbehalte nahe, die zahllose Kämpfer im „heißen Herbst“ gegenüber dem Anlegen der eigenen Uniform an den Tag legten. Bereits im Oktober hatte die BPO der VEB Maschinenfabrik Sangerhausen bemerkt, dass „einige Genossen Kämpfer [sich] schämen mit dem Anzug und der roten Armbinde durch den Betrieb zu laufen“.334 Und auch aus dem VEB Hydrierwerk Zeitz notierten die Inspekteure, dass zu einer angesetzten Schießübung am 20.9.1956 allein der Kommandeur der lokalen Einheit in Uniform erschienen sei.335 Was Uniformen von Zivilkleidern unterscheidet, ist der Zwang zum vereinheitlichenden Bild. Die mit Hilfe der Uniform gleichgemachten Körper vermitteln das Bild einer in sich geschlossenen Gruppe – Uniformen trennen zwischen Zugehörigen und Fremden und verpflichten ihre Träger zugleich auf die Werte des durch sie bezeichneten Verbandes.336 „Was sollen die Leute von Jübar sagen, wenn ich mich in dieser Kleidung zeige“, zitierte die VP einen LPG-Vorsitzenden,337 der implizit deutlich machte, dass „diese Kleidung“

                                                                                                                                      

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Mutproben, durch die sich der einzelne Kämpfer sowohl seinen Kameraden, aber auch Außenstehenden gegenüber als ,echter Kerl‘ beweisen kann; vgl. dazu: Klaus Theweleit, Männliche Geburtsweisen. Der männliche Körper als Institutionenkörper, in: Therese Steffen (Hg.), Masculinities – Maskulinitäten. Mythos – Realität – Repräsentation – Rollendruck, Stuttgart 2002, S. 2–27, hier: S. 13; Thomas Kühne, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 126. Vgl. Kritische Bemerkungen zur Durchführung der Kampfgruppen-Arbeit im Bezirk Halle/S. vom 29.11.1956, LHASA, BDVP 19, Nr. 95, Bl. 173. Vgl. dazu: Engler, Private Gewalt als politischer Akt. Protokoll über die am 26.10.1956 abgehaltene Leitungssitzung der BPO VEB Maschinenfabrik Sangerhausen, LHASA, Abt. Mer., SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/304. Zu der anberaumten Übung waren von den 58 Angehörigen der Hundertschaft nur 19 erschienen, die „sich zum größten Teil aus Zug- und Gruppenkommandeuren zusammen[setzten]“; vgl. Überprüfung der Kampfgruppenarbeit im Kreis Zeitz vom 21.9.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 149. Diehl, Macht – Mythos – Utopie, S. 177; zur Entwicklung der militärischen Uniform vgl. Daniel L. Purdy, The Tyranny of Elegance: Consumer Cosmopolitanism in the Era of Goethe, Baltimore 1998, S. 195ff.; Karen Hagemann, Mannlicher Muth und Teutsche Ehre. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn 2002, S. 427–429. Analyse des Standes der Einsatzbereitschaft, undat., LHASA, MD, Rep M24 1952–1960, Film-Nr. 11, Bl. 239.

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offenkundig ganz konkrete Assoziationen und Ansprüche hervorrief. Wer in die blaue Kombination des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ schlüpfte, kam nicht umhin, zumindest symbolisch für die Politik der SED einzustehen. Deren konfrontative Natur schien im „heißen Herbst“ 1956 jedoch alles andere als populär, vor allem die Gefahr neuerlicher kriegerischer Auseinandersetzungen sorgte innerhalb wie außerhalb der Apparate für allgemeine Verunsicherung.338 So bekundeten Arbeiter des VEB Wema Aschersleben mit dem Verweis auf die Ereignisse in Polen und Ungarn, „dass das sozialistische Lager heute viel zu geschwächt“ sei, um in einer kriegerischen Auseinandersetzung bestehen zu können. Im VEB Geologische Bohrungen notierte man, dass „zur Zeit der Konterrevolution in Ungarn die Genossen mehr Angst wie [sic] Verteidigungsbereitschaft“ gezeigt hätten.339 Tatsächlich war der SED nicht verborgen geblieben, dass zahllose Basisfunktionäre durch den scheinbaren „Zick-Zack-Kurs“ im Krisenjahr 1956 verunsichert waren. Insbesondere jene, die erst nach 1945 zur Partei gestoßen waren, artikulierten Ängste, sich, ähnlich wie 1945, plötzlich auf der „falschen“ Seite wiederzufinden.340 Sie verweisen auf das auch in der DDR virulente Phänomen eines „gekränkten Staatsbürgertums“. Demnach hatten die traumatischen Kriegs- und Nachkriegserfahrungen einen verstärkten Rückzug ins Private angestoßen, der von in erster Linie individuellen und nicht mehr kollektiven Wünschen nach einem „anständigen Auskommen“ getragen wurde. Mit ihm einher ging häufig eine individuelle Entschlossenheit, sich fortan nicht mehr für irgendwelche politischen Projekte „verheizen“ zu lassen.341 In diesem Sinne handelten

                                                             338 Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 83; vgl. dazu auch: Schröter, Bedrohungsvorstellungen in der DDR-Führung in den 50er Jahren. 339 Bericht der KL Aschersleben an die Bezirksleitung der SED vom 10.1.1957, LHASA, Nr. IV/402/109. 340 So resümierte die Bezirksbehörde der VP in Magdeburg, dass „die Vorfälle in Ungarn und die Auswertungen in den PGs [Partei-Grundorganisationen]“ gezeigt hätten, „dass es in unseren Reihen immer noch Genossen gibt, die sehr leicht der klassenfeindlichen Propaganda Gehör schenken und auch nicht davor zurückschrecken um sich nach ihrer Meinung ,richtig zu orientieren‘“; Jahresberichterstattung 1956 des VPKA Halberstadt vom 2.1.1957, LHAM, Rep M24, 1952–1960, Film-Nr. 14, Bl. 288; vgl. dazu auch: Fulbrook, Anatomy of a Dictatorship, S. 66–68. 341 Michael Geyer, Der Kalte Krieg, die Deutschen und die Angst. Die westdeutsche Opposition gegen Wiederbewaffnung und Kernwaffen, in: Klaus Naumann (Hg.), Nachkrieg, Hamburg 2001, S. 267–318.

 

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wohl auch die Bürger von Leimbach im Kreis Querfurt. Wie die Inspekteure mit Bestürzung feststellten, rückten sie im „heißen Herbst“ die ganz und gar nicht klassenbewusst anmutende „Organisierung und Durchführung von auf alter Tradition beruhenden Feierlichkeiten und Heimatfesten“ in den Vordergrund statt die proletarische Mobilmachung voranzutreiben.342 Wenn – wie aus dem VEB Wema in Aschersleben berichtet wurde – selbst „Genossen“ die Ansicht vertraten, „dass man mit der Kampfgruppenausbildung jetzt langsam treten müsse“,343 konnte das nicht ohne Konsequenzen für ihre Angehörigen bleiben. Schamgefühle, wie sie den Kämpfern in Sangerhausen zugeschrieben wurden, verweisen darauf, dass die Kämpfer eben keine reinen (Partei-) Soldaten waren, sondern in erster Linie Betriebsangehörige. Als Mitglieder einer sozial und kollegial konnotierten „Arbeitsgesellschaft“ (Kohli) zeigten sie in der Regel wenig Bereitschaft, sich der durch die Uniform symbolisierten militärischen Vergemeinschaftung (sowie der damit einhergehenden Unterwerfung unter geltende Regeln und Normen dieser Institution) 344 zu unterwerfen.345 Damit zeigte sich schon im Rahmen der ersten Bewährungsprobe des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“, dass seine Einbettung in die betriebliche Lebenswelt eindeutigen und im Sinne der SED unbedingten Loyalitätsverhältnissen entgegenwirkte. Nicht nur die unmittelbare vorangegangene Erfah-

                                                             342 Darüber, ob der hier verantwortliche Funktionär erst nach 1945 zur Partei gestoßen war, gibt die Quelle keine Auskunft; wohl aber musste er sich von den Instrukteuren als ein „unsauberer und unmoralischer Mensch mit einem schlechten Leumund im ganzen Kreisgebiet“ bezeichnen lassen; vgl. Bericht über den Zustand der Kampfgruppen im Kreis Querfurt vom 27.11.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 171RS. 343 Ein im Bericht zitiertes SED-Mitglied sagte wörtlich, „ich würde Euch abraten, gerade jetzt in der Öffentlichkeit aufzutreten, um nicht den Menschen etwas in die Augen zu machen, denn die Stimmung der Bevölkerung ist nicht besonders gut und seines Erachtens wäre es besser nicht mit der Kampfgruppe in der Öffentlichkeit aufzutreten“; Bericht über den politisch-moralischen Zustand in den Kampfgruppen vom 13.11.1956, LHASA, SED-KL Aschersleben, Nr. IV/402/107. 344 Ute Frevert, Männer in Uniform. Habitus und Signalzeichen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Claudia Benthien/Inge Stephan (Hg.), Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 277–295. 345 Der Blick auf den betrieblichen Alltag zeigt solchermaßen auch die Grenzen des Ausnahmezustandes; der ist eben nicht per se ein totaler rechtsfreier Raum, sondern bezieht sich auf grundlegende, zumeist in der Verfassung verankerte Rechte, betrifft andere Rechtsbereiche, wie etwa das Vertrags- oder Eigentumsrecht in weit geringerem Maße; vgl. dazu: Michael Wildt, Gewalt als Partizipation. Der Nationalsozialismus als Ermächtigungsregime, in: Alf Lüdtke/ders. (Hg.), Staats-Gewalt, S. 215–240, hier: S. 225, Fn. 8.

 

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rung des 17. Juni 1953 rückte die neue Organisation in ein zwielichtiges Licht. Jedwede Anzeichen neuerlicher Rüstungsbestrebungen waren angesichts des noch nicht lange zurückliegenden Krieges eher dazu angetan, Misstrauen und Distanz als Begeisterung und selbstloses Engagement zu stimulieren. Ob ,Krieg‘ oder ,Klassenkampf‘: die heroische Begeisterung, die die politische Kultur nach 1918 geprägt hatte und im Rekurs auf den Mythos zu revitalisieren versucht wurde, war nach 1945 vielfach einem „gekränkten Staatsbürgertum“ gewichen. „Sie bedeuteten eben für sich nichts“, beschreibt Uwe Johnson in seinem Roman „Mutmaßungen über Jakob“ einen Kampfgruppen-Aufmarsch im „heißen Herbst“ 1956. Dessen Protagonisten wirkten auf ihn „anderseitig eingesetzt wie ein Foto neben einem längst vorbereiteten Text oder die Filmaufnahmen eines Vorgangs, von dem man bisher nur hat reden hören, ,jetzt ist es soweit‘.“346 Artikuliert er in dieser Passage die Unwirklichkeit des im Rekurs auf den Mythos beschworenen Ausnahmezustand, verweist die „familienväterliche Unfreiwilligkeit“, die er in den meisten Gesichtern der Marschierenden zu beobachten können glaubte,347 darauf, dass der Mythos bereits im Herbst 1956 nur noch bedingt zu begeistern mochte. Wie selbst die SED feststellen musste, war es nur ein ganz bestimmter Prozentsatz der werktätigen Bevölkerung, aber auch der parteilichen Funktionäre, der sich der militärpolitischen Arbeit mit Enthusiasmus verschrieb. Dieser zeichnete sich vor allem durch eine generationsspezifische Prägung aus, in der Gewalt als ultimativer Beweis politischer Partizipation parteiübergreifende Faszination besaß und vor dem Hintergrund eines anhaltenden, ,kalten‘ Bürgerkrieges auf eine gewisse Plausibilität rechnen konnte. Zwar mag man die fast vollständige Mobilisierung aller Kämpfer im Rahmen des Generalappells als einen ersten Höhepunkt der bisherigen Kampfgruppen-Arbeit bewerten,348 die es vermocht hatte, durchaus differierende Erfahrungen und Erwartungen zu kanalisieren. Die Diskrepanz

                                                             346 Uwe Johnson, Mutmaßungen über Jakob, Frankfurt a. Main 1981 (erstmalig: 1959), S. 114; zur „parabolischen Dimension“, die diesem Debüt im Hinblick auf die Ereignisse des Jahres 1956 zugesprochen worden ist vgl. Bernd Neumann, Utopie und Mythos. Über Uwe Johnson: Mutmaßungen über Jakob, in: Rainer Gerlach/Matthias Richter (Hg.), Uwe Johnson, Frankfurt a. Main 1984, S. 105–139; zur Rezeption der „Mutmaßungen“ in der Geschichtswissenschaft vgl. auch: Stefan Wolle, Die DDR zwischen Tauwetter und Kaltem Krieg. „Mutmaßungen“ über das Jahr 1956, in: Jan Foitzik (Hg.), Entstalinisierungskrise in Ostmitteleuropa 1953–1956. Vom 17. Juni bis zum ungarischen Volksaufstand. Politische, militärische, soziale und nationale Dimensionen, Paderborn 2001, S. 293–330. 347 Ebd. 348 Vgl. Kämpfer ihrer Klasse, S. 33.

 

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zwischen dem festlich inszenierten Ereignis und den „Mühen der Ebene“ 349 alltäglicher Kampfgruppen-Arbeit geriet auf den Kommandohöhen darüber jedoch aus dem Blick. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die genug zu haben schien von Krieg und Klassenkampf, mussten diejenigen, die sich in den Kampfgruppen engagierten, ohnehin eher den Eindruck „Ewiggestriger“ erwecken, die aus der Geschichte der letzten drei Jahrzehnte nichts gelernt hatten.350 Sich selbst begriffen die Kämpfer demgegenüber vielfach, und nicht zuletzt angefeuert durch die offiziellen Zuschreibungen, als Avantgarde ihrer Klasse. War ein derartiges virtuoses Selbstverständnis gleichfalls dazu angetan, unter der Bevölkerung Vorbehalte zu wecken,351 forderte es auch den Argwohn der „misstrauischen Patriarchen“ heraus. Wie die Anwesenheit von Instrukteuren zeigt, trauten sie der Partisanenromantik ihrer Kämpfer nicht über den Weg. In den Augen der Avantgarde schien sich der Einsatz ihrer „Visibilitätsreserve“ – als weithin sichtbarer Ausdruck eines idealen Selbstverständnisses der proletarischen Kampfgemeinschaft352 – im Herbst 1956 dennoch bewährt zu haben. Trotz aller erkennbaren militärischen Unzulänglichkeiten versah die symbolische Inszenierung einer kampfentschlossenen und geschlossenen Arbeiterklasse das Regime scheinbar mit dringend benötigter Legitimität. Auch wenn die proletarische Mobilmachung in Form der Kampfgruppen hinter den Erwartungen der Apparate zurückblieb, erreichte sie – wie auch im nächsten Kapitel noch einmal zu zeigen

                                                             349 Die Formulierung geht zurück auf einen Roman von Erich Loest: Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene, Stuttgart 1978; sie wird insbesondere von Alf Lüdtke immer wieder verwandt, um auf vielfältige und „konkrete Formen des alltäglichen SichEinrichtens“, auf „vielerlei Mischungen von Mühsal und Vergnügen“ hinzuweisen; vgl. Alf Lüdtke, „Alltag in unserer Ebene“. Anfragen zu den Perspektiven auf die 1970er und 1980er Jahre in der DDR, in: Renate Hürtgen/Thomas Reichel (Hg.), Der Schein der Stabilität. DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker, Berlin 2001. 350 Vgl. dazu das Interview mit Edgar Peters (20.9.2006), Transkript S. 4. 351 “In political competition not only do the rewards for the virtuos inevitably attract opportunists, but it is impossible to devise a method for screening all of them out. This difficulty of distinguishing sincere activists from false ones creates considerable leeway for arbitrary judgments on the part of the authorities. Even sincere believers become disillusioned as they watch undeserving opportunists being promoted through favoritism”; Shirk, Competitive Comrades, S. 13. 352 Zum Begriff der „Visibilitätsreserve“ vgl. Herfried Münkler, Die Visbilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, in: Gerhard Göhler (Hg.), Macht der Öffentlichkeit – Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, S. 213–230; vgl. auch Thomä, Symbolisches und Diabolisches, S. 426.

 

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sein wird – beträchtliche Ausmaße. Die vielerorts notierte Begeisterung derjenigen Kämpfer, die sich an der Mobilmachung beteiligten, war keineswegs eine Erfindung der Funktionäre. Aber sie war – wie durchaus kritische Einschätzungen der Aufmärsche und Alarmübungen zeigen – auch nicht als uneingeschränktes Bekenntnis zum politischen Kurs der Avantgarde zu deuten. Vielmehr gründete der Enthusiasmus nicht weniger Kämpfer in der Überlappung eigen(sinnig)er und machtpolitischer Interessen, wie nicht zuletzt der Einsatz gegen rebellierende Studenten im „heißen Herbst“ zeigt. Insbesondere an der Berliner Humboldt-Universität hatten Studenten nach der Abrechnung mit dem Stalinismus infolge des XX. Parteitages der KPdSU grundsätzliche Kritik am kommunistischen Hegemonialanspruch geübt. Gleichzeitig hatten sie diese mit konkreten Forderungen verbunden, die neben einer grundlegenden Reform des Studiums vor allem gegen das Organisationsmonopol der FDJ – und der SED im weiteren Sinne – zielten.353 Dass „durch entschlossenes Auftreten der Kampfgruppen […] diese Provokation im Keim erstickt“ werden konnte, wie die SED im Anschluss verkündete,354 hatte wohl eher andere Gründe. Zu nennen wären hier etwa der Einsatz auf ortsfremden Terrain355 sowie klassen-

                                                             353 Ilko-Sascha Kowalczuk, Die Niederschlagung der Opposition an der veterinärmedizinischen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin in der Krise 1956/57. Dokumentation einer Pressekonferenz des Ministeriums für Staatssicherheit im Mai 1957, Berlin, 2. Aufl. 2000, S. 4–30; vgl. dazu auch: Waldemar Krönig/Klaus-Dieter Müller, Anpassung, Widerstand, Verfolgung. Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945–1961, Köln 1994, S. 291; Ilko-Sascha Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003, S. 535ff. 354 Zit. nach: Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 63. Kampfgruppen waren auch an der Martin-Luther-Universität zu Halle in Bereitschaft; wie der Bericht nahelegt, gab es hier jedoch weder eine ähnlich „kämpferische“ Stimmung wie an der Humboldt-Universität noch eine konkrete Aufgabenstellung für die alarmierten Kämpfer: „Am Freitag, den 26.10.1956 fand durch die Kreisleitung I eine Beratung über die Tätigkeit der Kampfgruppen statt. Die anwesenden Genossen der Grundorganisation Verwaltung waren unbefriedigt, da die Beratung über eine allgemeine Information nicht hinausging. Die Genossen hatten den Eindruck, wieder einmal zwei Stunden gesessen zu haben. Diese Aussprache war keine Kampfberatung. Trotz mehrerer Anfragen von Genossen Kämpfern wurde keine konkrete Aufgabenstellung gegeben,“ Informationsbericht der SED-BPO der Martin-Luther-Universität vom 21.10.1956, LHASA, Informationsberichte der UPL (1953–1957), Nr. IV/7/501/29a, Bl. 53. 355 An den Universitäten selbst gab es bis dahin keine Kampfgruppen; erst im August 1957 wurde – gewissermaßen als Lehre aus den vorangegangenen Ereignissen – beschlossen, auch „an den Universitäten Kampfgruppen der Partei zu bilden, denen die aktivsten Ge-

 

 

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und generationsspezifischen Frontstellungen, die von den „misstrauischen Patriarchen“ geschickt ausgenutzt wurden. Vorsätze wie die eines der zum Einsatz gebrachten Kämpfers – „dann können sie sich ihre Knochen in ihren Krankenhäusern selbst zusammenflicken“ [Hervorhebungen T.S.] – verweisen auf ,arbeiterliche‘ Ressentiments gegenüber den intellektuell überlegenen Jugendlichen. Sie konnte man mit diesem Einsatz nun quasi stellvertretend dafür ,büßen‘ lassen, dass sich Angehörige der Intelligenz im betrieblichen Alltag der KampfgruppenAusbildung weitgehend entzogen.356 Zugleich mag es den „patriarchalischen“ Kampfgruppen-Angehörigen auch darum gegangen sein, ihren ganz persönlichen Einsatz, mit dem sie bisher zum Aufbau des Sozialismus beigetragen hatten, gegenüber den jüngeren „Unruhestiftern“ zu verteidigen.357 Für nicht wenige Studenten „stellten diese alten Arbeiter, die alle schon mal den Krieg hinter sich hatten“, dieselben dar, „die schon Hitler hinterhergetrottet sind“.358 Anstelle von Dankbarkeit und Respekt mit Misstrauen und Kritik bedacht zu wurden, konnte durchaus dazu angetan sein, die Kämpfer in einer kompromisslosen Haltung zu bestärken. Der „Wille, die Errungenschaften unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates sich nicht durch konterrevolutionäre Elemente und Hetzpropaganda streitig machen zu lassen“, wie ein Kämpfer in Berlin erklärte,359 artikulierte in diesem Sinne nicht ausschließlich eine politische Überzeugung. Auch in einem biographisch konnotierten Sinne war er anschlussfähig für die Wahrnehmungsmuster zahlloser Kampfgruppen-Angehörigen360 – Politik war hier von Privatem weitaus schwerer zu trennen und beförderte vielfach eine pragmatische Einstellung gegenüber der Machtfrage.361

                                                                                                                                      

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nossen des Lehrkörpers, Studenten, Arbeiter und Verwaltungsangestellte angehören“ sollten; vgl. Vorlage der Abt. Wissenschaft vom 5.8.1957, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3A/557, Bl. 62f. Vgl. dazu: Weitz, Creating German Communism, S. 383. Vgl. dazu das Fazit bei: Sonja Häder, Mythologisierung der ,Arbeiterkinder‘? Mentalitäten – Handlungsmuster – Bildungswege von Kindern aus einem traditionellen Ost-Berliner Arbeiterbezirk (1945–1958), in: Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ/DDR, S. 691–708, hier: S. 708. Zit. nach: Krönig/Müller, Anpassung, Widerstand, Verfolgung, S. 292. Gabert, zit. nach: Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 64. Vgl. dazu den Abschnitt „Gewalt und Gesetz“ in: Niethammer/von Plato/Wierling (Hg.), Die volkseigene Erfahrung, S. 584–594. Vgl. dazu den Abschnitt „Politik und Realität“ in: Niethammer/von Plato/Wierling, Die Volkseigene Erfahrung, S. 176–181.

 

II. Die Grenzen der Kampfgemeinschaft. Kampfgruppen und ihre Verortung im staatssozialistischen Alltag

„Unter den bewaffneten Kräften unserer Republik nehmen die Kampfgruppen der Arbeiterklasse einen hervorragenden Platz ein. […] Ihnen obliegt die große und verantwortungsvolle Aufgabe, gemeinsam mit den Einheiten der Deutschen Volkspolizei und der Bereitschaftspolizei sowie anderen Organen der inneren Sicherheit, das sozialistische Aufbauwerk in der Deutschen Demokratischen Republik zu schützen, jederzeit in der Lage zu sein, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln eventuelle konterrevolutionäre Provokationen im Keime zu ersticken. […] Worauf kommt es also an, was ist zu tun? Die Qualität der Ausbildung für alle Kämpfer und Kommandeure ist rasch zu verbessern. Die Angehörigen der Kampfgruppen, vom Kämpfer bis zum Kommandeur, müssen mehr an sich arbeiten, um sich exakte militärische Kenntnisse anzueignen. Jegliche Tendenzen der Unterschätzung der militärischen Ausbildung und Disziplin sind energisch zu bekämpfen. […] Genossen Kämpfer und Kommandeure! Hasserfüllt geifern die Adenauer, Strauß und Konsorten gegen unseren Arbeiter-und-Bauern-Staat, dem festen Bolwerk [sic] des Friedens, der Deomkratie [sic] und des Fortschritts in Deutschland, gegen unsere sozialistischen Errungenschaften die der Stolz der Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen Menschen in ganz Deutschland sind. […] Wir wissen, dass der Feind nicht schläft. Wir schlafen auch nicht.“

Mit diesen Worten legte Erich Honecker, zu dieser Zeit noch Sekretär für Sicherheitsfragen des ZK der SED, den Angehörigen der Kampfgruppen im Oktober 1957 einen „neuen wertvollen Kampfgenossen“ in Gestalt einer eigenen Zeitschrift, den „Kämpfer“, ans Herz. Er sollte dazu beitragen, „allen Kämpfern und Kommandeuren zu helfen, die vor den Kampfgruppen stehenden Aufgaben noch besser als bisher zu erfüllen“.1 Sicherheit stand nach den gewaltsamen Zusammenstößen in Polen, Ungarn und Ägypten,2 auf die Honecker mit dem Begriff der „konterrevolutionären Provokationen“ insbesondere anspielte, im Fokus der                                                              1 2

 

„Bereit zum Schutz unserer Errungenschaften“, in: Der Kämpfer, Nr. 1 (Oktober), Jg. 1 (1957), S. 1. Auszüge aus dem Referat des Genossen VP-Inspekteur Mellmann auf der Tagung der Leiter Ausbildung und Sicherheit in der Zentralschule der DVP Aschersleben am 21.12.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 179; vgl. dazu auch: Arthur Baumgarten, Zu den Ereignissen in Ungarn und Ägypten in jüngster Zeit, in: Staat und Recht, H. 8, Jg. 5 (1956), S. 957–963.

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Kommandohöhen.3 Dass der sozialistische Staat „für eine bestimmte kurze Periode alle Kräfte auf die Verteidigung des sozialistischen Staates gegen Überfälle der ausländischen imperialistischen Reaktion oder auf die Niederhaltung des Widerstandes der gestürzten Ausbeuterklassen im Innern“ aufwenden müsse, war eine programmatische Forderung der späten 50er Jahre.4 Die rege Debatte um das Wesen sozialistischer Staatlichkeit, die sich hier entflocht,5 reflektiert die Suche nach einem DDR-spezifischen Staatsbewusstsein. Mächtigen Einfluss übten dabei die bewegungshistorischen Wurzeln der „letzten Revolutionäre“ aus. Schrieben Staatsrechtler wie Weichelt ihrem Staat in erster Linie die Funktion zu, für den Schutz der sozialistischen Errungenschaften Sorge zu tragen, besaß Staatlichkeit in ihren Augen eine eminent praktische Dimension. Entscheidend für die Ausprägung eines sozialistischen Staatsbewusstseins – und damit der Konsolidierung des sozialistischen Gesellschaftsentwurfs – war die weitestgehende Mobilisierung der Bevölkerung. Charakterisierungen der DDR als einer „Organisationsgesellschaft“ (Detlef Pollack) oder „participatory dictatorship“ (Mary Fulbrook) streichen heraus, dass das staatssozialistische Ziel einer „allseitigen Entwicklung des gesellschaftlichen Bewusstseins“ nicht durch Gesetze angestrebt wurde. Ausschlaggebend sollte vielmehr die „bewusste Mitwirkung [so vieler Herrschaftsunterworfenen wie möglich; T.S.] an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens“ sein6 – auch und insbesondere in militärischer Hinsicht. Weil „die Bourgeoisie, nachdem sie von der Arbeiterklasse entmachtet wurde, ihre Anstrengungen verzehn- ja verhundertfacht, um ihre verlorenen Positionen zurückzugewinnen“ und „sich dabei des Terrors, des Mordes und anderer verbrecherischer Mittel“ bedienen würde, war höchste „revolutionäre Wachsamkeit“ gefor-

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Vgl. dazu: Lüdtke, Das Maß der Sicherheit. Wolfgang Weichelt, Zu einigen Fragen der Funktionen des sozialistischen Staates, in: Staat und Recht, H. 1, Jg. 6 (1957), S. 13–28, hier: S. 16; ders., Über die Rolle des sozialistischen Staates in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, in: Staat und Recht, H. 3, Jg. 6 (1957), S. 221–234. Vgl. dazu: Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 172–177. Vgl. bspw.: Karl Polak, Die neue Etappe in der Entwicklung unseres Arbeiter-und-BauernStaates, in: Staat und Recht, H. 3, Jg. 7 (1958), S. 225–243; Horst Büttner, Über die Rolle von Moral und Recht im ideologischen Kampf der Gegenwart, in: ebd., H. 6, Jg. 6 (1957), S. 1007–1023; vgl. dazu auch: Jan Palmowski, Citizenship, Identity and Community in the GDR, in: ders./Geoff Eley (Hg.), Citizenship and National Identity in TwentiethCentury Germany, Stanford 2008, S. 73–91.

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dert.7 „Dort, wo wir nicht sind, da ist der Feind“, lautete eine viel zitierte Parole dieser Zeit.8 Sie macht deutlich, dass die sozialistische Gesellschaft in der sogenannten „Übergangsperiode“ vor allem als eine „Frontgemeinschaft“ und ihre Angehörigen als „zoon polemicon“, als „Kriegslebewesen“, vorgestellt wurden.9 In diesem Sinne sollten großangelegte Straßen- und Häuserkampfmanöver, an denen im Laufe des Jahres 1957 republikweit mehr als 100.000 Menschen teilnahmen,10 nicht nur die Angehörigen der bewaffneten Organe der Arbeiter-und-BauernMacht, sondern die ganze Gesellschaft auf einen anhaltenden (Bürger-)Kriegszustand einschwören.11 Die „letzten Revolutionäre“ waren überzeugt, dass die Konsolidierung ihres Staates nicht ohne eine korrespondierende ideologische Überzeugung breiter Teile der Gesellschaft zu bewerkstelligen war. Ideelle Motive galten der SED als zentrale Hebel, um ihre Transformationspolitik unter Einbindung breiter Bevölkerungsteile zu beschleunigen. Sie gipfelten zum Ende des Jahrzehnts in der Proklamation eines sozialistischen Dekalogs, der schon an zweiter Stelle von allen Bürgern verlangte, jederzeit ihre „ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen“.12

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Zit. nach: Die Rolle und die Aufgaben der Kampfgruppen in der Deutschen Demokratischen Republik, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 9f. Vgl. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 170. Der Begriff des „zoon polemicon“ bei: Niethammer/von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung, S. 338; vgl. dazu auch: Patrick Major/Rana Mitter, East is East and West is West? Towards a Comparative Socio-Cultural History of the Cold War, in: diess. (Hg.), Across the Blocs. Cold War Cultural and Social History, London/Portland 2004, S. 1–22, hier: S. 12f. Vgl. Auswertung der Übungen im Straßen- und Häuserkampf vom 20.5.1957, SAPMOBArch, DO1/18.0/17924; Schreiben des 1. Sekretärs des ZK der SED, undat., SAPMOBArch., DY 30/IV 2/12/99, Bl. 43. In diesem Sinne hatte Alfred Neumann, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, vorgeschlagen, „auch Genossen und fortschrittliche Kollegen“, die aufgrund von „Körperbehinderung“ nicht an der Kampfgruppen-Ausbildung teilnehmen konnten, zu sogenannten „Objektverteidigungs-Einheiten“ zusammenzufassen, um auf diese Weise die Kampfgruppen angesichts der neuen Aufgabenstellung in ihrer Funktion als Objektschutz zu entlasten, eine Initiative, die jedoch im Sande verlief, möglicherweise auch deshalb, weil sie nur allzu leicht Assoziationen an das „Volkssturm“-Aufgebot der Nationalsozialisten weckte; vgl. dazu: Analyse über die Entwicklung der Objektverteidigungs-Einheiten vom 12.11.1957, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/99, Bl. 88. Zu den „zehn Geboten der sozialistischen Moral“ vgl. das Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei, 10. bis 16. Juli 1958 in der Werner-

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Als „Normalisierung des Ungewöhnlichen“ hat Sigrid Meuschel den Versuch der SED charakterisiert, ihre Aura außeralltäglicher Bewährung in den sozialistischen Alltag hineinzuholen.13 Axiomatisches Moment dieser Aura war der anhaltende Kampf der kommunistischen Bewegung um die Befreiung des Proletariats, der dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ zentrale Bedeutung zusprach. „Kampfgruppenarbeit“, so formulierte es zumindest das Fazit einer Kommandeurs-Tagung in Genthin, sei „Spiegelbild der Parteiarbeit“.14 Im Westen des geteilten Landes seien die „Hitlergenerale [sic] Speidel, Wenck und Heusinger“ dabei, mit Hilfe von „Atom- und Massenvernichtungswaffen“ einen „neuen, grausamen Krieg“ vorzubereiten. Deshalb sei es notwendig, „alle Kräfte anzuspannen, unsere Verteidigungsbereitschaft zu erhöhen und es niemals zuzulassen, dass Agenten und Diversanten unseren friedlichen Aufbau stören können“, hieß es etwa in der Betriebszeitung der VEB Armaturenwerke „Karl Marx“ in Magdeburg.15 Diverse, in dieser Zeit publizierte Artikel im „Kämpfer“, in Betriebszeitungen und Agitationsschriften des ZK16 zeugen nicht nur von der Bedeutung, die die „letzten Revolutionäre“ den Kampfgruppen beimaßen. Die anhaltende Invokation des Ausnahmezustandes mag auch als Indiz für die Schwierigkeiten gelesen werden, der Bevölkerung die dauerhafte Notwendigkeit von Kampfgruppen zu vermitteln und sie zu einem „festen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens“ zu machen.17 Zeitgenössische westliche Berichterstatter diffamierten sie als „Bürgerkriegsarmee“, die nach antikommunistischer Lesart allein der Verteidigung der „Gewaltherrschaft eines Parteiregimes, das von der Bevölkerung abgelehnt wird“ und der „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die im Machtbereich

                                                                                                                                      

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Seelenbinder-Halle zu Berlin, Bd. 1, Berlin (O) 1959, S. 160f.; vollständig lautete das zweite Gebot: „Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen“. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 143. Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 87. „Arbeiter schützen ihre Betriebe“, in: Das Sprachrohr, Nr. 8, Jg. 9 vom 1.3.1957, LHAM, Rep I 43 (1955–1957), Nr. 524. Vgl. bspw.: „Brauchen wir noch Kampfgruppen?“, in: Der Kämpfer, Nr. 3 (Dezember), Jg. 1 (1957), S. 3; Giesemann, Damals in Eisleben. Vgl. Historischer Abriss der Kampfgruppen, undat., BArchB., DO1/18.0/17924.

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des Bolschewismus in unvorstellbarem Maße zugenommen“ habe, dienen würde.18 Die SED rühmte ihre Angehörigen hingegen als mit der Bevölkerung eng verbundene, vorbildlich handelnde Werktätige, die allzeit bereit seien, „gemeinsam mit den bewaffneten Kräften unserer Republik, jeden Angriff des Klassengegners zu vernichten“.19 ,Vertrauen‘ erwies sich in vielerlei Hinsicht als bedeutsam für die Verortung der Kampfgruppen im staatssozialistischen Alltag. Während die „letzten Revolutionäre“ eine symbiotische Bindung von Bevölkerung und Staat propagierten, sahen sie sich vielfach mit Anzeichen eines „gekränkten Staatsbürgertums“ konfrontiert.20 Nicht nur, weil die Kampfgruppen als eine kommunistische „Bürgerkriegsarmee“ wahrgenommen wurden, stießen sie auf breites Misstrauen innerhalb der Bevölkerung der DDR. Auch deshalb, weil ihre Angehörigen in erster Linie ein (militantes) staatssozialistisches Ideal propagierten, das in der symbiotischen Beziehung jedes Werktätigen zu ,seinem‘ Staat – „dem er auf Gedeih und Verderb verbunden ist“, wie es Erich Gniffke 1947 programmatisch formuliert hatte21 – bestand, stießen sie auf Vorbehalte. Die SED forderte für ihr Projekt einer sozialistischen Gesellschaft den ganzen Menschen. Dabei sah sie sich jedoch von Erfahrungsräumen der Kriegs-, aber auch der Nachkriegszeit herausgefordert, die eine „tiefsitzende Enttäuschung über den Staat […] als Beschützer und Garant von Sicherheit und persönlicher Integrität“ artikulierten, wie sie Michael Geyer in der Bundesrepublik der 1950er Jahre ausgelotet hat.22 Sie bezog sich jedoch nicht auf den Ausnahmezustand allein, sondern konnte auch für ganz alltägliche Dinge geltend gemacht werden. Je weniger die SED sich etwa in der Lage zeigte, für geregelte Arbeitsbedingungen zu sorgen, umso mehr drohte dies ihre Glaubwürdigkeit als fähige Arbeiter-und-Bauern-Regierung zu untergraben. Sicherheit definierte

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Alarm in Halberstadt. Bürgerkriegsübungen der SED-Kampfgruppen in der sowjetischen Zone, hrsg. von der Publikationsstelle des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen, Berlin 1957, in: BArch., Sp 84C, Nr. 143, S. 8. „Arbeiter schützen ihre Betriebe“, in: Das Sprachrohr, Nr. 8, Jg. 9 vom 1.3.1957, LHAM, Rep I 43 (1955–1957), Nr. 524. Zum Begriff vgl. Ute Frevert, Vertrauen – eine historische Spurensuche, in: dies. (Hg.), Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003, S. 7–66; speziell im Hinblick auf staatssozialistische Gesellschaften: Jan C. Behrends, Soll und Haben. Freundschaftsdiskurs und Vertrauensressourcen in der staatssozialistischen Diktatur, in: ebd., S. 336–364. Gniffke, Organisationsfragen, S. 838. Geyer, Der Kalte Krieg, die Deutschen und die Angst; im Hinblick auf die DDR vgl. die Hinweise bei: Port, Conflict and Stability, S. 128–133.

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sich an der gesellschaftlichen Basis vielfach weniger von der Ausnahme als von der Regel her.23 Aber auch diejenigen, die die Notwendigkeit eines „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ nicht in Abrede stellten, mussten davon überzeugt werden, dass die Kampfgruppen den Interessen ihrer Klasse – also der Bevölkerung – und nicht bloß ihrer Avantgarde – der SED-Führung – dienten. Die Mahnung Honeckers an alle Kampfgruppen-Angehörigen, „mehr an sich zu arbeiten“, illustriert zum einen ein für die SED charakteristisches Optimierungsstreben. Wie die sich daran anschließende Forderung nach strengster Disziplin in den Reihen der Kampfgruppen zeigt, reflektiert sie darüber hinaus, dass der Zusammenhang von Avantgarde und „unmittelbar bewaffnetem Organ der Arbeiterklasse“ nicht unbedingt ein Zusammenhang der Stärke war. Misstraute die Avantgarde einer anhaltenden Partisanenromantik, sind die forcierten Versuche der späten 50er Jahre, eine kampfgruppen-spezifische Identität zu entwerfen, auch als Versuche zu lesen, derartige (Selbst-)Entwürfe auszutreiben. Nicht die zahlenmäßige Erhöhung, sondern die Festigung des „politisch-moralischen Bewusstseins“ – Chiffre für politische Zuverlässigkeit – sollte im Mittelpunkt der militärpolitischen Arbeit stehen. Das schien weithin jedoch alles andere als selbstverständlich zu sein. Militärpolitischer Unterricht zur Festigung dieses Bewusstseins im Sinne der SED musste als fester Bestandteil der Ausbildung hingegen erst noch durchgesetzt werden. Die verstärkten Forderungen nach militärpolitischen Schulungen reflektieren auf ihre Weise die allgemeine kulturpolitische Offensive, die 1959 mit dem berühmten Slogan der Bitterfelder Kulturkonferenz „Greif zur Feder, Kumpel“ die Geburt einer wahrhaft sozialistischen Kultur proklamierte.24 Zugleich zeugen sie von dem Bemühen um absolute Zuverlässigkeit ihrer Kämpfer (wie auch von einem fortgesetzten Misstrauen gegenüber dieser Zuverlässigkeit). Die Einführung eines organisationseigenen Gelöbnisses macht das besonders deutlich, wurden die Kämpfer seit 1959 doch nicht in erster Linie auf den Arbeiter-und-Bauern-Staat, sondern auf seine politische Führung, die SED, verpflichtet. Das Dilemma staatssozialistischer Herrschaft fand in der militärpolitischen Arbeit seine Zuspitzung. Zielte die Gesellschaftspolitik der „misstrauischen Patriarchen“ darauf, ihre Men-

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Vgl. dazu: Lüdtke, Das Maß der Sicherheit. Zit. nach: Sandrine Kott, Zur Geschichte des kulturellen Lebens in DDR-Betrieben. Konzepte und Praxis der betrieblichen Kulturarbeit, in: AfS 39 (1999), S. 167–193, hier: S. 167; zum sogenannten „Bitterfelder Weg“ vgl. auch: Kleßmann, Arbeiter im „Arbeiterstaat“.

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schen zu selbsttätigem klassenbewussten Handeln zu stimulieren, waren sie doch nicht bereit, von ihrer führenden Rolle abzurücken. Vielmehr fürchteten sie stets, dass sich die Klasse – wie schon einmal im Juni 1953 geschehen – gegen sie wenden könnte. Dass sie, wohl aus diesem Grund, der Miliz eigene Waffen weiterhin vorenthielten, konnte jedoch nicht ohne Einfluss auf die Motivation derjenigen Kampfgruppen-Angehörigen bleiben, die es ernst meinten mit ihrem Einsatz für die „Vervollkommnung der sozialistischen Staatsmacht“.25

„Arbeiter schützen ihre Betriebe“? Das politisch-moralische Bewusstsein der werktätigen Bevölkerung Die Entschlossenheit der SED-Spitze, jegliche „konterrevolutionären Umtriebe“ mit all ihr zur Verfügung stehenden Macht zu unterdrücken, wie sie in den „Maßnahmen zur Unterdrückung der konterrevolutionären Aktionen“ vom November 1956 zum Ausdruck gebracht worden war, 26 beeinflusste auch die Ausrichtung der Kampfgruppen. Wie das „Programm für die Ausbildung der Kampfgruppen im Jahre 1957“ deutlich macht, war unter dem Eindruck der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Ungarn eine Entwicklung angestoßen worden, die aus einem lokal verorteten Betriebsschutz eine Verfügungstruppe für den militärischen Ortskampf zu formen beabsichtigte. Von insgesamt 96 Stunden sollten fortan 60 Stunden der Ausbildung auf „Taktik des Straßen- und Häuserkampfes“ verwendet werden.27 „Heute wollen bewaffnete Arbeiter gemeinsam mit der Volkspolizei in einer großen Einsatzübung lernen und demonstrieren, wie man dem Feind unserer

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Rolf Badstübner u. a., Geschichte der DDR, Berlin (O) 1981, S. 199 u. S. 202; zur Frage des staatlichen Vertrauens im Hinblick auf das Recht, eine Waffe zu tragen (allerdings mit westdeutschem Fokus) vgl. die Ausführungen von: Dagmar Ellerbrock, Waffenrecht: Vertrauenskonjunkturen oder kontinuierlicher Vertrauensverlust?, in: Frevert (Hg.), Vertrauen, S. 306–335. Beschluss des Politbüros vom 6.11.1956, SAPMO-BArch., DY 30/I IV 2/2/511, Bl. 6ff.; diesem Dokument folgte am 5.12.1956 die gemeinsam vom Minister für Staatssicherheit wie dem Minister des Innern unterzeichnete Direktive Nr. 3/56 über „Maßnahmen zur Verhinderung von Provokationen und konterrevolutionären Umtrieben“, BStU, MfSBdL, Nr. 002614, Bl. 1–4; vgl. dazu auch: Votum für bewaffnete Gewalt. Ein Beschluss des SED-Politbüros vom November 1956, in: BzG 43 (1992), S. 75–85. Programm für die Ausbildung der Kampfgruppen im Jahre 1957, undat., SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/12/99, Bl. 74; die übrigen 36 Stunden sollten für Kampfsport (16 h) und Waffen- und Schießausbildung (20 h) verwendet werden.

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jungen Arbeiter-und-Bauern-Macht auf die Finger klopfen muss, wenn er es wagt, das friedliche Leben in Halberstadt zu stören“, kündigte die Magdeburger Volksstimme im Januar 195728 eine großangelegte lokale Einsatzübung an. Vergleichbare Manöver wurden im Laufe des Jahres überall in der DDR abgehalten. Bestand ihr vornehmliches Ziel „in der Demonstration der politisch-moralischen Geschlossenheit“ der Arbeiter-und-Bauern-Macht,29 war die Bekämpfung von Spionen und Diversanten deshalb nicht Sache der bewaffneten Organe allein. Vielmehr sollte die Bevölkerung durch den „Einsatz von Agitatoren, durch Beratung mit den Sekretären der Wohnparteiorganisationen, den BPOs, durch die Einschaltung der Presse, des Rundfunks und des Stadtfunks als auch durch die Herausgabe von Flugblättern“ so intensiv wie möglich in die Manöver mit einbezogen werden. Den Kämpfern, „unmittelbar“ mit ihrer Klasse verbunden, kam hierbei im besonderen Maße die Aufgabe zu, „als Agitator[en] [zu] wirken, um auch während der Übung ständig die Verbindung mit der Bevölkerung zu festigen“.30 Die Inszenierung einer festen, vertrauensvollen Beziehung zwischen der Bevölkerung und den bewaffneten Organen stand im Mittelpunkt der landesweiten Übungen. In „vielen Kreisen“ hätte die Bevölkerung sie nicht nur mit großem Interesse verfolgt, sondern vielfach auch die Tätigkeit der Kämpfer unterstützt, notierte die Bezirksbehörde der VP in Magdeburg. Das habe sich wiederum „besonders ermutigend und anspornend auf die Moral der Kampfgruppen“ ausgewirkt, beschwor die Auswertung der Behörde im Nachhinein das Ideal einer kampfentschlossenen Aktionseinheit von Kämpfern und Klasse.31 Unter den Angehörigen der Kampfgruppen schienen diese Übungen durchaus auf Zuspruch gestoßen zu sein. Ähnlich wie schon im Herbst 1956 waren dafür jedoch nicht unbedingt politische Gründe ausschlaggebend. Vielmehr gaben Kämpfer zu Protokoll, dass „die Ausbildung im Straßen- und Häuserkampf mehr

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Vgl. Volksstimme, Nr. 23 vom 28.1.1957. Auswertung der Übungen im Straßen- und Häuserkampf vom 20.5.1957, BArchB, DO1/18.0/17924. Plan der politischen Aufgaben der Vorbereitung und Durchführung der Kampfgruppenübung, undat., LHASA, SED-KL Naumburg, Nr. IV/415/214. Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 7.9.1957, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 83, Bl. 235; für den Bezirk Halle: Schiedsrichterbericht für die Übung im Kampfabschnitt III Marienthal vom 16.11.1957, LHASA, SED-KL Naumburg, Nr. IV/415/213; Bericht über die Kampfgruppen-Übung am 31.8.1957, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237.

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Spaß [mache] als das links- und rechtsum der Grundausbildung“.32 Dass die Manöver wiederum dazu genutzt werden konnten, um ,Dampf abzulassen‘ und individuelle Bedürfnisse nach Nervenkitzel auszuleben, legen Verhaltensweisen nahe, wie sie in Halberstadt beobachtet wurden. Hier „verschossen die […] eingesetzten Kämpfer nach Beendigung der Übung ihre Munition, weil sie während der Übung nicht zum Schießen“ gekommen waren.33 Überhaupt bildete ein in den Augen der Instrukteure vielfach „übertriebene[r] Eifer“ zahlloser Kampfgruppen-Angehöriger einen Hauptkritikpunkt der anschließenden Auswertungen. Trotz allgemein konstatierter „hoher Einsatzfreudigkeit“ wurden gravierende „taktische Unzulänglichkeiten“ vieler Hundertschaften bemerkt. Sie würden deutlich machen, dass „die Kampfgruppen zum Zeitpunkt der Durchführung der Übungen […] erst am Anfang der Ausbildung standen“, wie ein Bericht der Abteilung für Sicherheitsfragen nachsichtig vermerkte.34 Schwerer wog demgegenüber, was Walter Ulbricht monierte, nachdem er im April einer Übung in Magdeburg beigewohnt hatte: „Einigen Übungen lag eine völlig falsche politische und taktische Idee zugrunde“.35 Ulbricht nahm insbesondere Anstoß daran, dass die Kampfgruppen hier vom Gegner besetzte Polizei- und Parteizentralen „freikämpfen“ sollten. Werden derartige Schaltzentralen der Macht naturgemäß zu den wichtigsten Zielen des Gegners gezählt, entsprach ein solches Szenario durchaus den Gegebenheiten des Straßen- und Häuserkampfes. Ulbrichts Kritik artikulierte demgegenüber politisch motivierte Anstrengungen, den Eindruck zu vermeiden, dass das militärische Potential der Arbeitermiliz gegen die eigene Bevölkerung gerichtet sei. Pate stand bei derartigen Erwägungen abermals der 17. Juni 1953, nicht zuletzt deshalb, weil damals vor allem derartige, für die Ausübung der politischen Macht höchst bedeutsame, symbolische Objekte Ziel der aufständischen Bevölkerung gewesen waren. Tatsächlich war die Wahrnehmung des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ durchaus nicht frei von Vorbehalten, wie Stimmen aus dem Produktionsalltag nahelegen. [Siehe Zweiter Teil, Kap. II, Abb. 8].

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Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 7.9.1957, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 83, Bl. 242. Auswertung der Übungen im Straßen- und Häuserkampf vom 20.5.1957, BArchB., DO1/18.0/17924. Auswertung der Übungen im Straßen- und Häuserkampf vom 20.5.1957, BArchB., DO1/18.0/17924. Bericht über die Übung im Straßen- und Häuserkampf in Magdeburg vom 18.4.1957, BArchB., DO1/18.0/17924.

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Weil die Kampfgruppen sich ihrer Meinung nach „gegen die Arbeiter richteten“, hatten sich Arbeiter in den Leuna-Werken unter Berufung auf Karl Marx gegen eine Beteiligung an der Ausbildung gewandt.36 In der Pumpenfabrik Oschersleben sah sich das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ wiederum Vergleichen mit der „faschistischen Werkschar“ ausgesetzt.37 Dass während der Manöver „eine Atmosphäre herrschte, als ob diese Übung tatsächlich Ernstfall wäre“, wie die Kreisleitung Naumburg im Anschluss resümierte,38 gab hingegen annähernd wieder, was die SED mit den Manövern hatte erreichen wollen. Auch die VP konstatierte im Anschluss, dass – im Gegensatz zum rein militärischen – „das mit der Übung verbundene politische Ziel“ – die Mobilisierung der bewaffneten Organe und der Bevölkerung zum Schutz der sozialistischen Errungenschaften – „in jedem Fall erreicht“ worden sei.39 Nun gelte es, „den Schwung der während der Übung vorhanden war, nicht einschlafen zu lassen, dann werden auch die Erfolge in unserer Hundertschaft nicht ausbleiben“, formulierte wiederum programmatisch die Kreisleitung in Naumburg.40 „Arbeiter schützen ihre Betriebe“ war ein Artikel aus der Betriebszeitung des VEB Armaturenwerke „Karl Marx“ in Magdeburg überschrieben. Er versuchte im Frühjahr 1957 auf einer ganzen Seite und unter Verwendung zahlreicher Fotos das Wirken und die Wichtigkeit der werkseigenen Kampfgruppe zu popularisieren. Waren es hier wiederum „Agenten und Diversanten“, die als potentielle Gegner der Kampfgruppen benannt wurden, beschwor dieser Artikel jedoch mehr als nur Bürgerkriegsängste. „Hitlergeneräle“, die mit Hilfe von „Atom- und Massenvernichtungswaffen“ versuchen würden, „Millionen Menschen für das Massengrab frei zu machen“, standen für eine atomare Apokalypse, gegen die voluntaristischen Werte wie Mut, Ehre und Einsatzwillen wenig auszurichten vermochten. Eben solche Werte wurden mit dem kanonischen Rekurs auf die Heldentaten der

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Einschätzung der Kampfgruppen-Arbeit vom 29.7.1957, LHASA, BDVP 19, Nr. 96, Bl. 27. Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHASA, MD, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 258. Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Kampfgruppen-Übung vom 1.12.1957, LHASA, SED-KL Naumburg, Nr. IV/415/213. Auswertung der Übungen im Straßen- und Häuserkampf vom 20.5.1957, BArchB, DO1/18.0/17924. Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Kampfgruppen-Übung vom 1.12.1957, LHASA, SED-KL Naumburg, Nr. IV/415/213.

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bewaffneten Arbeiterklasse in den Januarkämpfen von 1919, dem Märzaufstand von 1921 oder dem Hamburger Aufstand von 1923 in beinahe jeder Ausgabe des inzwischen monatlich erscheinenden „Kämpfers“ eingefordert.41 Der Kalte Krieg hatte die Vorstellungen zeitgemäßer Kriegsführung inzwischen dahingehend verändert, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Blöcken unweigerlich in einer atomaren Auseinandersetzung münden würden.42 Eine „Politik der Angst“, die auch die Aussicht auf eine verheerende atomare Konfrontation nicht ausblendete, war jedoch wenig dazu angetan, die Menschen für die Politik der SED zu mobilisieren. Vielmehr lief sie dem ausgeprägten, durch die Erfahrungen des letzten Weltkrieges bestärkten Sicherheitsbedürfnis weiter Teile der Bevölkerung entschieden zuwider.43 Statt einer rückhaltlosen Unterstützung der Politik der SED schien sich im Laufe des Jahres vielmehr eine „politische Unsicherheit“ bei „vielen Genossen“ bemerkbar zu machen, wie etwa die Volkspolizei in Magdeburg rückblickend auf das Jahr 1957 konstatierte. Im Hinblick auf den „politisch-moralischen Zustand“ musste im lokalen VPKA ein „sehr kritischer Zustand“ überwunden werden. „Bei vielen Genossen [sei] keine richtige klare Einschätzung und Vorstellung über die derzeitige Entwicklung und die Methoden des Klassenkampfes vorhanden“, klagte ein Bericht.44 Bezog sich diese Einschätzung vermutlich auf die Angehörigen der VP, aus deren Reihen die die Kampfgruppen-Ausbildung anleitenden Instrukteure stammten, galt das mithin auch für die Kampfgruppen-Angehörigen selbst. In den Leuna-Werken wurde „eine[r] Reihe von Genossen“ vorgeworfen, „die politische Notwendigkeit der Kampfgruppen“ zu unterschätzen. Zwar existierten hier im Juli 1957 sieben Hundertschaften mit insgesamt 478 Kämpfern, gemessen an der Größe des Betriebes waren das jedoch nur 2,6 Prozent der Belegschaft, die sich für die militärpolitische Arbeit stark machten. Weit häufiger würden Beleg-

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Vgl. dazu die Artikel in: Der Kämpfer, Nr. 1 (Oktober), Jg. 1 (1957); Nr. 2 (Februar), Jg. 2 (1958); Nr. 3 (März), Jg. 2 (1958); Nr. 11 (November), Jg. 2 (1958); Nr. 5 (Mai), Jg. 3 (1959). Joanna Bourke, Fear: A Cultural History, London 2005, S. 284; zum atomaren Wettrüsten: Bernd Stöver, Der Kalte Krieg: Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007, S. 145–157. Vgl. dazu: Braun, Das Streben nach Sicherheit; Bessel, The War to End All Wars. Jahresberichterstattung des VPKA Magdeburg vom 7.1.1958, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 16, Bl. 136.

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schaftsangehörige hingegen „persönliche Belange“ wie „Krankhit [sic] oder häusliche Arbeit“ vorschützen, um sich der Ausbildung zu entziehen.45 Dass durch die Übungen vom Frühjahr 1957 der quantitative Zuspruch zur Ausbildung erheblich gesteigert werden konnte, wie es der Abschlussbericht der Hauptabteilung für Ausbildung und Schulung behauptete,46 galt zumindest für die Bezirke Magdeburg und Halle nicht. Vielmehr musste das VPKA Magdeburg im Januar 1958 einräumen, dass der Zuspruch zur Ausbildung im Anschluss an die Großübungen „rapide“ gesunken sei.47 Tatsächlich war im Laufe des Jahres 1957 die Zahl der Kampfgruppen-Angehörigen im Bezirk Magdeburg auf 12.989 geschrumpft. Auch im Bezirk Halle war sie rückläufig, mit 19.401 Kämpfern rangierte der Bezirk republikweit jedoch weiterhin an erster Stelle. Noch bedenklicher stimmte die Zahl derjenigen, die regelmäßig an der Ausbildung teilnahmen. Diese lag im Bezirk Magdeburg durchschnittlich bei 37,6% – damit rangierte der Bezirk im republikweiten Vergleich nur an zehnter Stelle – und im Bezirk Halle bei 50,3%, das bedeutete republikweit den vierten Platz.48 Jedoch sei der Zuspruch zur Ausbildung vor Ort in den Einheiten „sehr unterschiedlich“, wie ein Bericht der Hauptverwaltung der DVP im November 1957 weiter einräumte.49 „In den meisten Fällen“ würde sich nur jeder zweite Kampfgruppen-Angehörige regelmäßig an der Ausbildung beteiligen.50 Mit Blick auf die Kreise Halberstadt, Haldensleben, Magdeburg, Stendal und Wanzleben konnte die Bezirksbehörde in Magdeburg in ihrem Jahresbericht für 1957 jedoch nur eine „Beteiligung zwischen 20 und 25 %“ bestätigen.51

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Einschätzung des gegenwärtigen Standes der KG-Arbeit des chemischen Großbetriebes Leunawerke vom 29.7.1957, LHASA, BDVP 19, Nr. 96, Bl. 22. Auswertung der Übungen im Straßen- und Häuserkampf vom 20.5.1957, BArchB., DO1/18.0/17924; vgl. auch speziell für den Bezirk Magdeburg: Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 7.9.1957, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 83, Bl. 227. Jahresberichterstattung des VPKA Magdeburg vom 7.1.1958, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 16. Aufstellung der HV der DVP, undat., BArchB., DO1/18.0/17924. Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB., DO1/18.0/17924. Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB., DO1/18.0/17924. Jahresberichterstattung der Bezirksbehörde der DVP vom 10.1.1958, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 19, Bl. 279.

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„Für die Stärke unserer Kampfgruppe […] ist neben den militärischen Kenntnissen vor allem das politische Bewusstsein ausschlaggebend“, orakelte der Kommandeur der 1. Hundertschaft des VEB Persil-Werkes Genthin im September 1957. Mit dem schien es hier jedoch nicht weit her zu sein. Obwohl 54 der insgesamt 62 Angehörigen dieser Einheit das Mitgliedsbuch der SED besaßen, waren es „nur wenige, die sich bereit erklären, beständig mitzumachen“, klagte der Kommandeur. Wenn, dann seien es vor allem die „weit über 50jährigen“, die die „Notwendigkeit des Bestehens von Kampfgruppen an[erkennen] und […] damit den jüngeren Genossen ein gutes Beispiel“ zu geben versuchen würden.52 Die Einsicht, worum es bei der proletarischen Mobilmachung gehe, schien offensichtlich mit einem bestimmten Alter verknüpft zu sein. Denn auch im VEB Maschinenbau Burg war es wiederum ein Parteiveteran, der im Rahmen einer Parteiversammlung der lokalen BPO „den Genossen auf[zeigte], dass alle [älteren Arbeiter; T.S.] mehr oder weniger gründliche Erfahrungen mit den Gepflogenheiten des dt. Imperialismus gesammelt“ hätten, um „die Gefahr zu erkennen“, die von Westdeutschland ausginge, wo „sich wieder das gleiche Gesindel ans Ruder gestellt [hat], die [sic] vor 1945 Deutschland beherrschten“.53 Das Fazit eines anderen Genossen, Mitglied der VdN, wirft ein bezeichnendes Licht auf einen latent schwelenden Generationskonflikt innerhalb der „Aufbau-Gesellschaft“ bzw. seine Instrumentalisierung durch die SED. Wer am eigenen Leib erfahren hatte, wie „die Imperialisten“ mit der „Arbeiterklasse“ umgehen, der sollte wissen, „dass es seine Pflicht ist, als Mitglied der KG die Errungenschaften unseres Arbeiter- und Bauern-Staates zu verteidigen“, so der betreffende Veteran.54 Der Jugend hingegen, die von solchen Erfahrungen verschont geblieben war, fehle es an derartiger Einsicht. Sie geriet leicht in den Verdacht, verwöhnt zu sein und nur die Früchte des Aufbaus genießen zu wollen, wenn sie Zurückhaltung gegenüber gesellschaftlichem Engagement an den Tag legte.55 Politik – in diesem Fall die militärpolitische Arbeit – konnte auch dazu benutzt werden, generationsspezifische Werte wie Disziplin, Selbstlosigkeit und Härte zu beglaubigen und einzufordern.                                                              52

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Analyse über die Kampfgruppenarbeit der 1. Hundertschaft vom 10.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 77; vgl. auch: Vorlage für die Arbeit der Kampfgruppen vom 6.11.1958, LHAM, SED-BPO „Georgij-Dimitroff“-Werk Magdeburg, I 35, Nr. 672, Bl. 53. Protokoll der Mitgliederversammlung vom 3.8.1959, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3. Protokoll der Mitgliederversammlung vom 3.8.1959, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3. Port, Conflict and Stability, S. 126f.

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„Faule Ausreden“ waren es hingegen nach Ansicht der VP in Halle, wenn Arbeiter sich hinter „körperlichen Leiden versteckten“, obwohl sie gleichzeitig in der Lage seien, „ihre Normen monatelang mit 200% und mehr überzuerfüllen“. Auch den Besuch einer Abendschule der militärpolitischen Arbeit vorzuziehen, zeugte in ihren Augen von fehlender „revolutionärer Wachsamkeit“: „Wäre es nur die Bequemlichkeit, so schien es nicht allzu gefährlich. Aber es sind Unklarheiten über die Pflichten eines Parteimitgliedes. Unklarheiten über die Aufgabe der Partei in der Übergangsperiode, und das scheint weitaus gefährlicher.“56 Auch in der „zweiten Etappe“ der „Übergangsperiode“ – in deren Zentrum eigentlich die ökonomische Konsolidierung stand – betonten DDR-Staatsrechtler, dass die „Schutzund Unterdrückungsfunktionen des sozialistischen Staates“ für eine „bestimmte, historisch kurze Periode“ wieder in den Vordergrund treten könnten. „Diese Umstände in unserer gegenwärtigen Situation in Deutschland nicht in Betracht ziehen“, so Wolfgang Weichelt im März 1957, „heißt den Kopf vor den Tatsachen in den Sand stecken“.57 Individuelle Fortbildungen nach Feierabend wie auch die (Über-)Erfüllung der Produktionsnormen sind wohl kaum als Indizien für eine wie auch immer geartete „Bequemlichkeit“ der betreffenden Arbeiter zu deuten. Vielmehr verweisen sie auf ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber dem Staat und seiner zweifelhaften Legitimität: „Das Streben nach einer wohlgeordneten Gesellschaft nicht im Dienste des Staates, sondern im Dienste des privaten Wohlergehens war die selbsterfundene Therapie für vergangene Verletzungen im Dienste des Staates“, so Michael Geyer.58 Die staatliche „Politik der Angst“ stieß auch deshalb auf Ablehnung, weil zu viele ein „unheimliches Wissen“ davon hatten, was radikale Politik bedeutete und ihr Heil stattdessen vermehrt in einem persönlichen, von politischen Zielen unabhängigen Glück zu suchen schienen.59 Laut ausgesprochen werden konnten derartige Maximen jedoch nicht. Wer angab, kein Gewehr mehr in die Hand nehmen zu wollen, sah sich zumeist des „Pazifismus“ bezichtigt. „Pazifismus, das ist eine Richtung, die den Frieden predigt

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Bericht über die Durchführung der Quartalsausbildung der Einheiten eines Bataillons der Kampfgruppen, undat. [1959], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 138; vgl. auch: Analyse über die Kampfgruppenarbeit der 1. Hundertschaft vom 10.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 76–79. Weichelt, Über die Rolle des sozialistischen Staates in der Übergangsperiode, S. 227. Geyer, Der Kalte Krieg, die Deutschen und die Angst, S. 302. Vgl. dazu auch: Braun, Das Streben nach Sicherheit sowie die Beiträge in: Niedhart/ Riesenberger (Hg.), Lernen aus dem Krieg.

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und glaubt, dass man allein durch Predigen die Wurzeln des Krieges in der bürgerlichen Gesellschaft beseitigen kann“, erklärte ein Vertreter der Kreisleitung Salzwedel unter Berufung auf Lenin.60 In der „Übergangsperiode“ kam eine derartige Haltung jedoch einem Verrat an der sozialistischen Sache gleich: „Das ist eine Ermunterung der Gegner, Genosse Bartoly!“ bezichtigte wiederum das „Sprachrohr“ in Magdeburg ein Parteimitglied, das sich der Kampfgruppen-Ausbildung verweigerte. Dessen pazifistische Überzeugung wurde als „falsche Einstellung“ diffamiert, die gleichbedeutend sei mit einer „Ermunterung für die Imperialisten […], die DDR zu überfallen und die Errungenschaften der Arbeiter zu beseitigen“.61 Derartige Praxen illustrieren, wie die SED im Rekurs auf eine „imperialistische Bedrohung“ bemüht war, soziale Konformität herzustellen.62 Die quasi-denunziatorische Art und Weise, einen renitenten Genossen in der betrieblichen Öffentlichkeit bloßzustellen, zeugt von einer Gesellschaft, die auf einen fortwährenden Kriegszustand einzuschwören versucht wurde. Wer nicht vorbehaltlos die Politik der Arbeiter-und-Bauern-Macht unterstützte, wurde unweigerlich nur als deren Gegner wahrgenommen.63 Insofern richtete sich diese Diffamierung jedoch nicht ausschließlich an den besagten Genossen Bartoly; vielmehr war sie Warnung an jeden Werktätigen, sein soziales Verhalten zu prüfen,64 um nicht selbst auf ähnliche Art und Weise vorgeführt zu werden.65

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Die Rolle und die Aufgaben der Kampfgruppen in der Deutschen Demokratischen Republik, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 14. „Das ist eine Ermunterung der Gegner, Genosse Bartoly!“, in: Sprachrohr, Nr. 10, Jg .9 vom 1.4.1957, LHASA, MD, Rep I 34 (1955–1957), Nr. 524. Vgl. dazu: Joanna Bourke, Fear: a cultural history, London 2005, S. 271; Neutatz, Die Suggestion der „Front“, S. 68. Dazu: Zizek, Die innere Größe des Stalinismus, S. 45. Robert Gellately weist in Anlehnung an Joachim Gauck darauf hin, „that the most frequently mentioned goal in the Stasi`s plans [und damit des „Überwachungsstaates“ insgesamt; T.S.] aimed at individual suspects was to foster self-doubt. These psychological aspects of self-policing – involving subjective psychological dimensions such as selfsurveillance, self-discipline, and self-censorship of behaviour, opinions, writings, and even thoughts –seem to play a very important role in modern dictatorships […],” Robert Gellately, Denunciations in Twentieth-Century Germany: Aspects of Self-Policing in the Third Reich and the German Democratic Republic, in: ders./Sheila Fitzpatrick (Hg.), Accusatory Practises. Denunciation in Modern European History, 1789–1989, Chicago 1997, S. 185–221, hier: S. 220. In diesem Sinne verlangte die BPO des Waschmittelwerkes Genthin, „sich auch einmal mit den Genossen zu beschäftigen, was sie zu Hause tun und ihnen dann den Spiegel vor

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„Da gab es keinen unter uns, der nicht begeistert zugestimmt hätte“, hieß es beispielsweise in einem Artikel aus dem „Kämpfer“, der die Geldumtauschaktion am 13. Oktober 1957 zum Gegenstand hatte.66 Handelte es sich hier um eine explizit politische Aktion, die dem subversiven Treiben von „Spekulanten, Agentenorganisationen, Kapitalistenkreise[n] und westdeutsche[n] Banken“ einen Riegel vorzuschieben trachtete, wurden Kampfgruppen auch vermehrt zu gemeinnützigen Arbeiten delegiert. „Es war damals – schon einige Jahre her. Die Kämpfer und Kommandeure hatten so manchen Sondereinsatz durchgeführt, außer ihrem eigentlichen Auftrag, […]. Katastropheneinsatz …, Hochwasseralarm – die Mulde trat über die Ufer. Dämme mussten in Tag- und Nachteinsatz verstärkt und erhöht werden. Sandsäcke wurden gefüllt – Posten an gefährlichen Stellen bezogen u. a. m. Da war der große Waldbrand bei Dessau – Schanzzeug wurde verladen – das Feuer fraß sich durch den Wald – Rauchschwaden erschwerten den Kampf, die Feuerwalze wurde gestoppt. In jedem Einsatz Gefahr für Mensch und Tier – Acker, Wald und Flur. […] Aber da kam ein Hilferuf besonderer Art – vom S-Zellstoff-Betrieb – Holz, Holz und nochmals Holz trifft ein. […] Da sind die Kampfgruppen zur Stelle – freiwillig, das Wetter ist äußerst ungünstig. Wind – Regen, trotz alledem, die Kämpfer stehen auf den Waggons, ungewohnt diese Arbeit – eine Knochenarbeit, die Holzscheite, schwer – nass – rutschig, werden gepackt. […] Eine Schlacht, diesmal am Arbeitsplatz, wurde erfolgreich beendet.“67

Wenn Kämpfer ihrer Klasse bei Naturkatastrophen, Engpässen in der Produktion oder auch bei der Bekämpfung krimineller Straftäter zu Hilfe kamen,68 demons-

                                                                                                                                      

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das Gesicht zu halten“; Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV74/3/127, Bl. 88. Zur Geldumtauschaktion vgl. Rainer Gries, Die Mark der DDR. Eine Kommunikationsgeschichte der sozialistischen deutschen Währung, Erfurt 2003, S. 26; der Zeitpunkt der Aktion war mit Bedacht gewählt: „Die Bürger unserer Republik schätzen den 13. Oktober. Seit Adolf Henneckes großer Pioniertat gilt der 13. Oktober als ein Datum der friedlichen, schöpferischen sozialistischen Arbeit für die Interessen des Volkes“, hieß es etwa in der SED-Presse; zur Person Adolf Henneckes vgl. Satjukow, Propaganda mit menschlichem Antlitz; nicht zuletzt die weit verbreitete Wahrnehmung der 13 als einer Unglückszahl eignete sich gut dazu, dem Klassenfeind ein Unglück zuzufügen: „So schlug es am 13. Oktober für das imperialistische Geschmeiß in Westberlin dreizehn!“ hieß es wiederum in der SED-Presse; zit. nach: Gries, Die Mark der DDR, S. 33. Zit. nach: Getreu dem Gelöbnis, S. 23; vgl. dazu auch: „Gut gemacht, Genossen!“, in: Der Kämpfer, Nr. 7 (Juli), Jg. 3 (1959), S. 1. Im Kreis Eisleben war es der „Wachsamkeit“ der MTS-Hundertschaft Hedersleben zu verdanken, dass ein Raubüberfall auf einen Taxifahrer umgehend aufgeklärt und der Täter

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trierten sie auf diese Weise nicht nur den sozialen Nutzen, den die Gesellschaft von der Existenz des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ hatte.69 „Posten an gefährlichen Stellen“ zu beziehen, den „Kampf“ gegen eine „Feuerwalze“ aufzunehmen, „Knochenarbeit“ unter „Gefahr für Mensch und Tier“ zu verrichten, eröffnete „Ersatzschlachtfelder“.70 Sie machten den vielbeschworenen Ernstfall individuell und kollektiv erfahrbar und sollten die Kämpfer von der Notwendigkeit und dem Wert ihres Engagements überzeugen. Dass war insofern von Bedeutung als dass Sicherheit an der gesellschaftlichen Basis weit häufiger mit einem geregelten Produktionsprozess in Verbindung gebracht wurde als mit dem Schutz vor Sabotage-Aktivitäten des Klassenfeindes.71 „Die Dinge müssen ernst angesprochen werden und es muss dann auch etwas verändert werden zur Verbesserung der Arbeit“, lautete das Plädoyer eines Angehörigen der Betriebsparteiorganisation im VEB Persilwerk Genthin. „Es sind manchmal kleine Sachen, aber die Menschen werden verärgert und dann kommen sie natürlich auch nicht zur Kampfgruppe.“72 Funktionäre an der gesellschaftlichen Basis schienen durchaus Verständnis dafür aufzubringen, dass man, wenn man von den Menschen erwartete, ihr Leben für den Staat einzusetzen, ihnen dafür auch stabile Arbeits- und Lebensbedingungen gewähren musste.73 Tatsächlich bildete der Anspruch ökonomischen Wachstums, insbesondere auch in Konkurrenz gegenüber dem nationalen Systemgegner im Westen des Landes, einen zentralen Eckpfeiler aller legitimatorischen Anstrengungen im Arbeiter-undBauern-Staat. In diesem Sinne insistierten Arbeiter vielfach darauf, „dass erst die ökonomischen Probleme gelöst werden“ müssten, vorher würde die Kampfgrup-

                                                                                                                                      

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verhaftet werden konnte; Wortprotokoll über die am 28.3.1960 durchgeführte Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 79. Zum Einsatz von bewaffneten Organen in der Produktion und beim Katastrophenschutz vgl. Rogg, Armee des Volkes, S. 449–497. Vgl. dazu: Niethammer, Trostpreis erster Klasse, in: ders./von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung, S. 338; Neutatz, Die Suggestion der „Front“. Zu den verschiedenen Lesarten von ,Sicherheit‘ vgl. Lüdtke, Das Maß der Sicherheit; zu den Problemen in der Produktion vgl. Albrecht Wiesener, „Neue Menschen“ in der DDR-Industrieprovinz? Leuna-Arbeiter zwischen politischer Inszenierung und alltäglichem Konflikt 1958–1965, in: DA 23 (2001), S. 991–998. Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 87. Vgl. dazu wiederum: Lüdtke, Das Maß an Sicherheit, S. 193f.

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penausbildung gar keinen Sinn machen.74 Die Funktionäre wurden hingegen darauf verpflichtet, „keine Trennung zwischen Politik und Ökonomie“ zuzulassen bzw. vorzunehmen.75 Obwohl dazu angehalten, „offensive Auseinandersetzungen über die Notwendigkeit der Sicherung unserer Republik“ zu führen,76 schienen längst nicht alle lokalen Funktionäre die Kampfgruppen als einen festen „Bestandteil der Partei“ wahrzunehmen, der „alle Mitarbeiter des Apparates, die Parteileitungen, Parteiorganisationen und Sekretäre“ in die Pflicht nahm.77 In Genthin vertrat „eine Anzahl von Genossen“ der örtlichen Abteilungsparteiorganisationen (APO) mit Hinweis auf die internationale Situation hingegen die Meinung, „dass die Kampfgruppen bei uns gar nicht notwendig wären“.78 In Salzwedel – immerhin ein „Grenzkreis“, in dem Sicherheit ganz besondere Priorität besaß – würden Funktionäre nicht konsequent genug auf jene Kämpfer einwirken, die „die Notwendigkeit der Ausbildung unterschätzen“. Außerdem mussten sie sich vorhalten lassen, sich nur „ungenügend“ um die Durchsetzung der gefassten Beschlüsse zu kümmern.79 Statt als Aushängeschild des politisch-moralischen Bewusstseins zu fungieren, wurde die militärpolitische Arbeit offensichtlich eher als fünftes Rad am Wagen der Parteiarbeit wahrgenommen. Singuläre Einsätze, wie die „Aktion Blitz“, schienen in dieser Hinsicht kein nachhaltig wirksames Korrektiv darzustellen. „In allen Parteiorganisationen“ sollte die Kampfgruppenarbeit deshalb „auf die Tagesordnung gesetzt werden und in den Mitgliederversammlungen ist mit inaktiven Genossen und pazifistischen Tendenzen eine ernste Auseinandersetzung zu führen. Die politisch-ideologische Erziehungsarbeit muss Hauptgegen-

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Einschätzung des politisch-moralischen Zustandes des VPKA Hettstedt vom 21.10.1960, LHASA, SED-KL Hettstedt (1958–1961), Nr. IV/409/252; Jahresberichterstattung des VPKA Magdeburg vom 7.1.1958, LHAM, Rep M24, BDVP 18, Film-Nr. 16, Bl. 135. Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 89. Vgl. Vorlage, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 70. Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 260. Bericht an das Büro der Kreisleitung über den Stand der Kampfgruppenarbeit im VEB Waschmittelwerk Genthin vom 19.11.1957, LHAM, Rep P15, NR. IV/4/3/127, Bl. 95. Instrukteursbericht des VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 43.

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stand dieser Auseinandersetzung sein“, verlangte eine Analyse der Abteilung Sicherheit bei der VP in Magdeburg im September 1957.80 Das beinhaltete auch, gegebenenfalls zugunsten der Kampfgruppen-Ausbildung in den Produktionsablauf einzugreifen,81 eine Vorgabe, die verständlicherweise den Unmut des betrieblichen Leitungspersonals zu provozieren drohte. „Was geht mich die Kampfgruppe an, wenn der Kämpfer freiwillig gehen will, ist es seine Sache“, brachte ein Hallenser Betriebsleiter seinen Unwillen darüber zum Ausdruck, seine Betriebsangehörigen zur Teilnahme an der Kampfgruppen-Ausbildung anzuhalten.82 Nicht zuletzt stand die militärpolitische Arbeit, die weiterhin zumeist während der Arbeitszeit durchgeführt werden musste, weil sie sonst kaum auf Zuspruch rechnen konnte,83 in einem Konkurrenzverhältnis zur ökonomischen Produktion. In der Pumpenfabrik Oschersleben waren „Schwierigkeiten in der Planerfüllung“ nach Ansicht der Kreisleitung ein offenes Geheimnis. Hier brachte der Betriebsleiter gegenüber dem Kommandeur der lokalen Hundertschaft zum Ausdruck, „dass die Erfüllung des Produktionsplanes gefährdet ist, wenn er alle Genossen Kämpfer zur Ausbildung freistellt“.84 Drohte die militärpolitische Arbeit die Erfüllung des Plansolls zu beeinträchtigen, griffen mancherorts Angehörige des betrieblichen Leitungspersonals zu drastischen Methoden, um ihre Arbeiter von einer Teilnahme an der Kampfgruppen-Ausbildung abzuhalten. „Du als Kommandeur hast ebenfalls um 15.oo Uhr im Betrieb zu sein und deinen Arbeitsplatz einzunehmen“, wurde etwa einem Kommandeur im Bezirk Halle von Seiten der Betriebsleitung gedroht. „Geschieht das nicht, erfolgt ein Lohnabzug und wir werden dich dazu zwingen, durch einen Lohnabbau das zu tun, was wir sagen.“85

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Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 260. Vgl. Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 89. Einschätzung der Kreisleitungen der SED vom 1.6.1960, LHASA, SED-BL Halle, Nr. IV/2/12/1650. Vgl. Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 87. Bericht der SED-KL Salzwedel, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 70f. Nachricht an den Kreiskampfstab vom 5.8.1957, LHASA, SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/303; vgl. auch: Einschätzung der Kreisleitungen der SED vom 1.6.1960, LHASA, SED-BL Halle, Nr. IV/2/12/1650.

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Andernorts blieb es nicht bei bloßen Drohungen. In den Kreisen Magdeburg und Salzwedel verwiesen die Vertreter der VP auf zahlreiche Betriebe, in denen Kämpfern, die an der Ausbildung teilgenommen hatten, als Konsequenz deren Lohn verweigert wurde.86 Im Kreis Hohenmölsen – wo insbesondere die Abteilungsleiter und Meister für eine nur unzureichende Unterstützung der Kampfgruppen-Arbeit von Seiten der Volkspolizei kritisiert wurden – hatten sich Angehörige der Kampfgruppen zudem darüber beklagt, bei betrieblichen Prämiierungen und Auszeichnungen benachteiligt zu werden. Angesichts der Auszeichnungspraxis vor Ort hatten sie gar den Eindruck gewonnen, dass das betriebliche Leitungspersonal „bevorzugt solche Genossen“ prämiieren würde, „die für die Kampfgruppen und unsere Entwicklung nicht viel übrig haben“.87 Kaum schien es hier um die Konkurrenz von ökonomischer und militärpolitischer Arbeit allein zu gehen. Die demonstrative Benachteiligung solcher Betriebsangehörigen, die sich für die Kampfgruppen stark machten, brachte vielmehr unverhohlene Geringschätzung gegenüber der militärpolitischen Arbeit zum Ausdruck. Wie die Beschwerden der betroffenen Kämpfer zeigen, wurde sie auch als solche verstanden. Tatsächlich hatte der Beschluss des Ministerrates über die Bildung von Betriebsprämienfonds vom April 1957 festgeschrieben, dass sich die Prämienzuteilung nach der Arbeitsqualität zu richten habe.88 Wenn Angehörigen der Kampfgruppen also wegen ihres militärpolitischen Engagements Prämien verweigert wurden, konnte auf diese Weise symbolisch zum Ausdruck gebracht werden, dass man das militärpolitische Engagement eben nicht als Arbeit, sondern als Ausrede betrachtete, um sich vor ,echter‘ Arbeit zu drücken. Geringschätzung, Gleichgültigkeit und offenes Desinteresse der ökonomischen wie politischen Funktionäre mussten den Kämpfern – entgegen der offiziellen Propaganda – eher das Gefühl vermitteln, zu den „Letzten“ innerhalb der betrieblichen Hierarchie gezählt zu werden.89 In diesem Sinne monierte die Bezirksbehörde der DVP in Magdeburg im Mai 1959, dass zahlreiche Funktionäre                                                              86

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Bericht der SED-KL Salzwedel, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 71; vgl. auch: Analyse vom 4.11.1959, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 124. Einschätzung der Kampfgruppen für das Jahr 1959 und das I. Quartal 1960 vom 21.5.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. Vgl. Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss, S. 64; zum Prämiensystem: ebd., S. 63–70. Vgl. zu diesem Begriff: Petra Clemens, Die „Letzten“. Arbeits- und Berufserfahrungen einer Generation Niederlausitzer Textilarbeiterinnen, in: Jürgen Kocka (Hg.), Historische DDR-Forschung. Aufsätze und Studien, Berlin 1993, S. 245–262.

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bei besonderen Anlässen und Feierlichkeiten abseits stehen würden und „sich über die demonstrierenden Kampfgruppen lustig machen mit dem Bemerken ,ohne mich‘“.90 Vielerorts schienen höhergestellte Fachkräfte bemüht, sich im Rekurs auf ihre fachliche Unentbehrlichkeit der Kampfgruppen-Ausbildung nach Kräften zu entziehen.91 Offenes Desinteresse wie auch unverhohlene Geringschätzung von ihrer Seite drohten sich jedoch „sehr schädlich auf die Kampfmoral“ der Kämpfer auszuwirken, wie Funktionäre im Kreis Hettstedt unumwunden eingestanden.92 Offensichtlich empfanden gewöhnliche Arbeiter ihre eigene Position im Gegensatz zur Intelligenz – und damit auch zum offiziell proklamierten Bild einer egalitären Gesellschaftsausrichtung – als nachrangig und schwach.93 In diese Wahrnehmung passte, dass die militärpolitische Arbeit in erster Linie von ihnen getragen werden sollte, während man gegenüber „der jungen Intelligenz und den Meistern“ in dieser Hinsicht „zurückweichen“ würde, wie sich die Hundertschafts-Leitung im VEB Hydrierwerk Zeitz beklagte.94 Die unbequeme militärpolitische Arbeit allein tragen zu müssen, wurde von gewöhnlichen Arbeitern in der Regel jedoch nicht einfach hingenommen. In Zeitz, aber auch andernorts, löste die geringe Teilnahme von „Angehörigen der Intelligenz am Kampfgruppendienst“ deutliches „Befremden“ aus. Zudem wurden Forderungen laut, „Wirtschaftsfunktionäre“ und Angehörige der Intelligenz stärker zur KampfgruppenArbeit heranzuziehen,95 um Einstellungen vorzubeugen, wie sie die VP in Magdeburg registrierte. Hier wurde ein SED-Mitglied dahingehend zitiert, dass „er

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Bericht der BDVP Magdeburg vom 12.5.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 44. Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 88; Bericht vom Kampfgruppen-Lehrgang vom 14.9.1959, LHASA, VEB Hydrierwerk Zeitz, Nr. 517. Bericht der HS-Leitung Poppenrode vom 25.2.1958, LHASA, SED-KL Hettstedt (1958– 1961), Nr. IV/409/252. Vgl. dazu: Albrecht Wiesener, Taktieren und Aushandeln – Erziehen und Ausgrenzen. Zum Verhältnis von Mikropolitik und Produktionskampagnen in den Leuna-Werken 1958–1963, in: Rupieper/Sattler/Wagner-Kyora (Hg.), Die mitteldeutsche Chemieindustrie, S. 237–258, hier: S. 251. Bericht vom Kampfgruppen-Lehrgang vom 14.9.1959, LHASA, VEB Hydrierwerk Zeitz, Nr. 517. Bericht vom Kampfgruppen-Lehrgang vom 14.9.1959, LHASA, VEB Hydrierwerk Zeitz, Nr. 517; vgl. auch die Protokolle der BPO-Sitzungen vom 8.9.1958 und 3.8.1959, LHASA, MD, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3.

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nichts zu verteidigen habe und den Schutz der Betriebe überlasse er denen, die die dicken Gehälter einstreichen“.96 In Merseburg führte die „Gleichgültigkeit der Wirtschaftsfunktionäre“ der Zellstoff- und Papierfabrik dazu, dass sich die Stärke der lokalen Hundertschaft hier von 34 auf sieben Kämpfer reduziert hatte.97

„Völlige Klarheit über Charakter und Aufgaben“ der Kampfgruppen? Militärpolitische Arbeit zwischen obrigkeitlichen Vorgaben und eigensinnigen Interessen Die Verortung der Kampfgruppen im betrieblichen Alltag erwies sich als schwierig. Nicht nur zeigte sich der überwiegende Teil der Belegschaften wie auch des ökonomischen und politischen Leitungspersonals kaum so begeistert, wie es sich die SED mit dem Rekurs auf den proletarischen Mythos versprochen hatte. Auch die Verhältnisse in ihren Reihen entsprachen nicht den Erwartungen der Avantgarde. Das betraf zunächst – und war im Hinblick auf Disziplin und Zuverlässigkeit gewiss von zentraler Bedeutung – die Befehlsgebung. Ein Befehl des Innenministers vom Januar 1957 schrieb fest, dass „sämtliche Aufgaben […] auf der Grundlage von Befehlen und einer straffen Disziplin durchzuführen“ seien.98 Demgegenüber schienen zahllose Kampfgruppen-Angehörigen darauf zu beharren, „dass das Verhältnis in der Kampfgruppe das gleiche wie im Produktionsablauf sein müsste“, wie Angehörige der Einheit des Genthiner Waschmittelwerkes zum Ausdruck brachten.99 Dass Befehle grundsätzlich „unbedingt ausgeführt werden müssen“, schien den Angehörigen (wohl nicht nur) dieser Einheit jedoch „noch nicht klar“ zu sein.100 Stattdessen zählten zur Praxis der Ausbildung „auch solche Erscheinun-

                                                             96 Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, BDVP 18, Film-Nr. 83, Bl. 258. 97 Protokoll der Aktivtagung vom 24.7.1957, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418; vgl. auch: Instrukteurseinsatz des VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 41. 98 Vgl. Befehl Nr. 4/57 über die Aufgaben und Organisierung der Kampfgruppen vom 10.1.1957, BStU, MfS-BdL, ZA, Nr. 050090, Bl. 5. 99 Analyse über die Kampfgruppenarbeit der 1. Hundertschaft des VEB Waschmittelwerkes Genthin vom 10.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 82. 100 Protokoll des bisherigen Standes der Kampfgruppenarbeit vom 18.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 1f.

 

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gen, dass man über gegebene Befehle und Anweisungen diskutiert“.101 Trotz beharrlicher Anstrengungen von Seiten der Instrukteure würde dieser Zustand „vor allem bei den alten Genossen nur sehr langsam überwunden“ werden, kommentierte die Kreisleitung Hohenmölsen noch im November 1960 die Mühen der militärpolitischen Ebene.102 Das Gemeinschaftserlebnis war eine tragende Säule des Zusammenhalts kommunistischer Kampfverbände in der Weimarer Republik gewesen. Weniger formale Verpflichtungen als ein gehöriges Maß an Enthusiasmus hatte vielfach die Motivation kommunistischer Kämpfer begründet, eine strikte Disziplin, wie sie etwa bei den rechtsradikalen Wehrverbänden vorherrschte, jedoch untergraben.103 Dass sich daran auch in der DDR wenig geändert hatte, legt die Zustimmung nahe, mit der Kämpfer auf die Einführung von Wochenendausbildungen reagierten. Immer mehr Einheiten gingen nach und nach dazu über, die Ausbildung nicht mehr wöchentlich, sondern quartalsmäßig an Wochenenden durchzuführen.104 Das Ausbildungsprogramm derart zu bündeln, ging offenbar auf Initiativen ,von unten‘ zurück. Ausschlaggebend waren diesbezüglich wiederum kompensatorische Gründe im Hinblick auf den betrieblichen Alltag. Mit der quartalsmäßigen Zusammenfassung des Ausbildungsprogramms beabsichtigte man vor allem, die ökonomische Produktion zu entlasten. Gleichzeitig ermöglichte diese Form eine gründlichere Vorbereitung und eine effektivere Ausnutzung der Ausbildungszeit.105 Und nicht zuletzt trug die Wochenendausbildung offensichtlich auch stärker dazu bei, die Verbundenheit der Kämpfer untereinander zu vertiefen als kurze Ausbildungseinheiten106 – nicht unbedingt jedoch im Sinne der Avantgarde. Wie die Kreisleitung Hohenmölsen notierte, verlockte diese neue Form der

                                                             101 Bürovorlage über die Stärke und den Ausbildungsstand der Kampfgruppen des Kreises Genthin vom 3.7.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 70. 102 Einschätzung der Hundertschaften des VEB Paraffinwerkes „Vorwärts“ vom 29.11.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 103 Vgl. dazu: Bers, „Rote Tage“ im Rheinland; Rosenhaft, Links gleich rechts. 104 Vgl. etwa: Protokoll der Sitzung des Kreiskampfstabes vom 8.6.1956, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/228. 105 Vgl. dazu: Analyse über die Kampfgruppenarbeit der 1. Hundertschaft des VEB Waschmittelwerkes Genthin vom 10.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 76f.; Bericht der Abt. Ausb. u. Schul. über den Stand der Kampfgruppen vom 9.1.1956, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 95, Bl. 36. 106 Vgl. Bericht über die durchgeführte Wochenendausbildung vom 14.3.1960, LHASA, SED-KL Naumburg, Nr. IV/415/213.

 

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Ausbildung nämlich manchen Kämpfer vor allem dazu, sie als „Vergnügungsfahrten“ zu betrachten und „sich mit Bier volllaufen“ zu lassen.107 Übermäßiger Alkoholkonsum konnte jedoch auch das Resultat einer als defizitär wahrgenommenen Ausbildungspraxis sein. „Berechtigte Kritik“ übte in diesem Sinne ausgerechnet die Frau eines Kampfgruppen-Angehörigen im „Kämpfer“.108 Vorbehalte der Ehefrauen gegenüber der militärpolitischen Arbeit wurden von unwilligen Kämpfern immer wieder als Grund für deren Nichtteilnahme an den Ausbildungen angeführt.109 Im Bezirk Halle hatte man deshalb sogar erwogen, von Seiten der BPOs persönliche Briefe an die Familien zu schicken, um „das Verhältnis vom Kämpfer zur Familie und von der Partei zu den Familien der Kampfgruppen-Angehörigen zu festigen“.110 Die im „Kämpfer“ zu Wort kommende Ehefrau wendete sich hingegen gerade nicht gegen eine Teilnahme ihres Mannes an der Ausbildung. Stattdessen forderte sie, „dass mein Mann in der Zeit, die er seiner Ausbildung in der Kampfgruppe widmet, nicht nutzlos in der Gegend herumsteht und unnötig lange seine Freizeit hingibt, sondern diese Zeit sinnvoll ausnutzt […]“. Die Redaktion des „Kämpfers“ gab ihr Recht und verlangte von der betreffenden Parteiorganisation, die Organisation der Ausbildung zu verbessern,111 eine Forderung, die auch andernorts immer wieder zu vernehmen war.112 Nach Ansicht der Kommandohöhen war das Niveau der Ausbildung in „entscheidendem Maße“ vom Einsatz der Instrukteure abhängig. Ihre Zahl differierte jedoch von Kreis zu Kreis erheblich – während in den Kreisen Klötze und Kal-

                                                             107 Einschätzung der Arbeit der Kampfgruppe des BKW „Erich Weinert“ vom 3.12.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 108 Vgl. „Eine Frau übt berechtigte Kritik“, in: Der Kämpfer, Nr. 8 (August), Jg. 3 (1959), S. 1. 109 Einschätzung des gegenwärtigen Standes der KG-Arbeit des chemischen Großbetriebes Leunawerke vom 29.7.1957, LHASA, BDVP 19, Nr. 96, Bl. 22. 110 Bericht Nr. 44/45 vom 6.12.1955, LHASA, BDVP 19, Nr. 95, Bl. 31; in Naumburg wurde erreicht, „dass ca. 40 Ehefrauen unserer Kämpfer die nationale Gedenkstätte Buchenwald besuchten. Hier verstanden es unsere Frauen, dass wir wieder Waffen in die Hand nehmen müssen, dass sich so etwas nicht wiederholt“, so der Kommandeur der 565. Hundertschaft; vgl. Wortprotokoll über die am 28.3.1960 durchgeführte Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 143. 111 „Eine Frau übt berechtigte Kritik“, in: Der Kämpfer, Nr. 8 (August), Jg. 3 (1959), S. 1. 112 In diesem Sinne hatte das „Sprachrohr“ bereits im Januar 1956 verlangt, „einen für die Genossen Kämpfer interessant gestalteten Dienstlauf aufzustellen, aus dem ersichtlich wird, dass der Genosse Kämpfer auch wirklich ein Kämpfer unserer Arbeiter-und-BauernMacht ist“; vgl. Das Sprachrohr, Nr. 10, Jg. 8 vom 30.1.1956, LHASA, MD, Rep I 34, Nr. 524.

 

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be/M. auf jede Hundertschaft sieben Instrukteure kamen, waren es im Kreis Wanzleben nur zwei pro Hundertschaft. „Nicht selten“, räumte die Bezirksbehörde der VP in Magdeburg ein, seien die Instrukteure „rein fachlich gesehen“ noch „zu schwach, Anleitung und Hilfe zu geben“. Weit schwerwiegender wog jedoch, dass sie vielfach auch „politisch zu unerfahren“ seien, um sich ihren Aufgabe gewachsen zu zeigen113 – offensichtlich bissen sich einzelne Instrukteure am Eigensinn einiger Kämpfer oder auch ganzer Einheiten die Zähne aus.114 Ein bisweilen übermäßiger Konsum von Alkohol wie auch ein weiterhin spannungsreiches Verhältnis von Kämpfern und VP-Instrukteuren bzw. übergeordneten Institutionen verweist auf kämpferische Bestrebungen, sich durch Distanz gegenüber den nächsthöheren Organen „soziale Erfahrungsräume sui generis“ zu schaffen. Derartige Bestrebungen sind zum Ende der 1950er Jahre auch im Hinblick auf die „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ konstatiert worden und riefen hier sogar das Verdikt „syndikalistischer Versündigungen“ hervor.115 Gleich den Kampfgruppen sollten auch die Brigaden der sozialistischen Arbeit seit 1959 nicht nur beispielhaft in der Produktion vorangehen, sondern als Ausdruck vollendeten Klassenbewusstseins auch sozialistisch leben. Maßgebend waren in dieser Hinsicht vor allem die auf dem V. Parteitag formulierten „zehn Gebote der sozialistischen Moral“.116 In der Praxis erwiesen sich die Brigaden jedoch weitgehend „als Heimstatt eines mitunter renitenten und von anarchischen Anwandlungen nicht freien ,Eigensinns‘“.117 Viele Angehörige nutzten demnach die mit den Brigaden einher-

                                                             113 Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 254. 114 Einschätzung der Kampfgruppen im Kreisgebiet vom 12.8.1959, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 115 Dazu: Peter Hübner, Syndikalistische Versündigungen? Versuche unabhängiger Interessenvertretung für die Industriearbeiterschaft der DDR um 1960, in: JHK 1995, Berlin 1995, S. 100–117; zu den „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ bzw. den „Produktionsbrigaden“ im Allgemeinen vgl. auch: Jörg Roesler, Die Produktionsbrigaden in der Industrie der DDR. Zentrum der Arbeitswelt?, in: Kaelble/Kocka/Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 144–170; Sandrine Kott, Le communisme au quotidien. Les entreprises d’Etat dans la societee est-allemande, Berlin 2001, S. 127–156. 116 Vgl. dazu: Gert-Joachim Glaeßner, Selbstinszenierung von Partei und Staat, in: Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag, S. 20–39, hier: S. 37f. 117 So: Peter Hübner, „Sozialistischer Fordismus“? Oder: Unerwartete Ergebnisse eines Kopiervorganges. Zur Geschichte der Produktionsbrigaden in der DDR, in: Alf Lüdtke/Inge Marßolek/Adelheid von Saldern (Hg.), Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996, S. 96–115, hier: S. 113.

 

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gehenden kulturellen und Qualifizierungsangebote nur insoweit, wie sie ihren individuellen Interessen entsprachen,118 ein Befund, der mithin auch für die soziale Praxis in den Kampfgruppen geltend gemacht werden kann. Begünstigt wurden derartige Bestrebungen durch eine unzureichende Pflege der Journale, in denen die Angehörigen einer Kampfgruppe sowie deren Teilnahme an Ausbildung und Einsätzen registriert werden sollten. „In vielen Fällen“ seien sie bisher nur „lückenhaft“ oder „gar nicht“ geführt worden, vermerkte diesbezüglich ein Bericht der Hauptverwaltung der DVP im November 1957.119 Mancherorts bestand der einzige Nachweis der Stärke der betreffenden Einheit nur in einem „Notizbuch“, in dem die Namen ihrer Angehörigen eingetragen waren.120 Auf der einen Seite erschwerten derart nachlässige Nachweispraxen einheitsfremden Personen bzw. übergeordneten Institutionen einen Überblick darüber, wer den Kampfgruppen denn eigentlich angehörte. Auf der anderen Seite verweisen sie darauf, dass für das Verbundenheitsgefühl der Kämpfer personale ,face-to-face‘Beziehungen offensichtlich ausschlaggebender waren als nominelle Verpflichtungen und Nachweise. Nicht zuletzt schien die mangelhafte Nachweisführung mit einer permanenten „Fluktuation“ innerhalb der Einheiten des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ zu korrespondieren.121 In der Produktionssphäre bezeichnete der Begriff individuelle Reaktionen auf schlechte Arbeitsbedingungen und unzureichende, zumeist finanzielle Anerkennung, die ihren Ausdruck im Wechsel des Arbeitsplatzes fanden.122 Demnach verfügten die Einheiten der Kampfgruppen

                                                             118 Vgl. auch: Thomas Reichel, „Jugoslawische Verhältnisse“? – Die „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ und die „Syndikalismus“-Affäre (1959–1962), in: Lindenberger (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn, S. 45–73. 119 Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB., DO1/18.0/17924; speziell für die Bezirke Magdeburg: Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 232; bzw. Halle: Schreiben des Kampfstabes vom 5.10.1957, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237; Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 42. 120 Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB., DO1/18.0/17924. 121 Vgl. dazu: Wagner, Die Kampfgruppen, S. 297. 122 Vgl. dazu: Thomas Reichel, Die „durchherrschte Arbeitsgesellschaft“. Zu den Herrschaftsstrukturen und Machtverhältnissen in DDR-Betrieben, in: ders./Hürtgen (Hg.), Der Schein der Stabilität, S. 85–110, hier: S. 101.

 

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einerseits über einen festen Stamm an verlässlichen Kämpfern, der im Hinblick auf die Gesamtstärke der Einheiten mit etwa einem Drittel zu beziffern wäre. Die Mehrheit der Kämpfer andererseits erschien jedoch nur sporadisch zur Ausbildung bzw. schied nach einer gewissen Zeit ganz aus. Das führte jedoch dazu, dass aus den zur Ausbildung erschienenen Personen Einheiten „vielfach“ immer wieder „neu gebildet“ werden mussten, mit in vielerlei Hinsicht fragwürdigen Konsequenzen: „Abgesehen davon, dass hierdurch dem Gegner ermöglicht wird, in die Reihen unserer Einheiten leichter einzudringen, ist dringend erforderlich, dass die Zug- und Gruppenführer die zu ihren taktischen Einheiten gehörenden Kämpfer und ihren Ausbildungsstand gut kennen und die Gruppen und Züge im Rahmen der Ausbildung fester zu ständig bestehenbleibenden Einheiten zusammengeschmiedet werden. Auch hier gewährleistet der Nachweis in den Journalen die notwendige Kontrolle“,

mahnte die Bezirksbehörde der VP in Magdeburg.123 Ein häufiger Wechsel unter den Angehörigen einer Einheit beeinträchtigte nicht nur die militärische Schlagkraft einer Einheit, die nach militärsoziologischen Maßstäben in erheblichem Maße auf einem intakten Kameradschaftsgefühl der Kämpfer – das sich jedoch nicht von heute auf morgen einzustellen vermag – fußte. Er drohte außerdem das Eindringen des Klassenfeindes in die Reihen der Kampfgruppen zu erleichtern. Im Vordergrund der militärpolitischen Arbeit stand deshalb auch nicht die zahlenmäßige Erhöhung der Kampfgruppen um jeden Preis, sondern die „politische und militärische Festigung“ bereits bestehender Formationen.124 Wichtig war zudem, dass sich die Auffüllung der bestehenden Einheiten nicht „auf Kosten der politischen Zuverlässigkeit“ vollziehen dürfe, wie Erich Honecker 1958 betonte.125 Damit reagierte der Sekretär für Sicherheitsfragen auf Initiativen an der parteilichen Basis, die nicht selten rein formalen Charakter zu tragen schienen. Um die

                                                             123 Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 232. 124 Vgl. Bericht über einen Instrukteurseinsatz im VPKA Salzwedel vom 12.5.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 43; Analyse über die Kampfgruppenarbeit in der 1. Hundertschaft des VEB Waschmittelwerkes Genthin vom 10.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127 Bl. 77. 125 Vgl. Hinrichs, Die Bürgerkriegsarmee, S. 91f., der das Zitat auf den 30.1.1957 datiert; Wagner, Die Kampfgruppen, S. 293, hingegen auf 1958; vgl. auch: Bürovorlage über die Stärke und den Ausbildungsstand der Kampfgruppen des Kreises Genthin vom 23.7.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 70.

 

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Beteiligung an der militärpolitischen Arbeit anzukurbeln, hatten etwa in der MTS Diesdorf im Kreis Salzwedel – wo Parteileitung und Hundertschaftsleitung identisch waren – die Funktionäre „diktiert“, dass dort „alle Angehörigen des Betriebes, die irgendwie arbeitsmäßig abkömmlich“ zur Ausbildung abzustellen seien. Einher ging diese Anordnung mit der Drohung, dass „wenn ihr nicht teilnehmt, bekommt ihr den Tag nicht bezahlt“.126 Legt die Personalunion der betreffenden Verantwortlichen den Eindruck nahe, dass Funktionäre hier einmal Ernst machten mit den Vorgaben der „Frontgemeinschaft“, war dies jedoch nicht im Sinne der Instrukteure. Dass Betriebsangehörige, „ganz gleich, ob sie der Kampfgruppe angehören oder nicht“, zur Ausbildung kommandiert wurden, reflektiert durchaus einen gewachsenen Druck auf die verantwortlichen Funktionäre vor Ort, den militärpolitischen Maßgaben gerecht zu werden. Das resolute Vorgehen der Funktionäre der MTS Diesdorf war jedoch nicht hinnehmbar, insofern als dass es den „Prinzipien der Partei“ widerspräche, brachte die Abteilung für Sicherheitsfragen im Januar 1959 unmissverständlich zum Ausdruck.127 Zum einen drohte ein derartiges Vorgehen Assoziationen an die nationalsozialistische Diktatur zu wecken und wurde bisweilen auch in diesem Sinne kommentiert.128 Zum anderen war den Instrukteuren bewusst, dass jede Form von Formalismus kaum zur beabsichtigten Festigung der Kampfgruppen beitrug. „Mit Recht wurde von dem Beauftragten der Partei dieser Hundertschaft [der Hundertschaft der MTS Diesdorf; T.S.] zum Ausdruck gebracht, dass er mit einer solchen Zusammensetzung der Einheit nicht in den Einsatz gehen möchte, da er nicht weiß, wie viele dieser Kämpfer aus dem Hinterhalt gegen die Arbeiter-und-Bauernmacht auftreten.“129 Artikuliert sich in dieser Bemerkung einerseits klassenbewusst anmutende Wachsamkeit, offenbart sie jedoch auch eine Sensibilität dafür, dass sich die Loyalität gegenüber den Kampfgruppen nicht erzwingen ließ. Zwangsmaßnahmen wie pauschale Rekrutierungen bargen überdies die Gefahr, dem Klassenfeind zuzuarbeiten – eine Befürchtung, die sich in der betreffenden Hundertschaft scheinbar bestätigt fand: Unter ihren Angehörigen lokalisierten die Instrukteure auch einen

                                                             126 Bericht über den Instrukteurseinsatz im VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 41. 127 Schreiben der Abteilung für Sicherheitsfragen vom 9.1.1959, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/99, Bl. 178. 128 Vgl. Protokoll der Leitungssitzung vom 4.9.1959, LHAM, P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Halberstadt, Nr. IV/7/4/3. 129 Bericht über den Instrukteurseinsatz im VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 41.

 

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ehemaligen Fremdenlegionär, „der in keiner Weise den Forderungen der Partei“ entsprach.130 Die Aufnahme ehemaliger Angehöriger der Fremdenlegion in den Kampfgruppen mag auf den ersten Blick verblüffen, gilt diese Sondereinheit der französischen Armee gemeinhin doch als Sammelbecken abenteuerhungriger und bisweilen krimineller „Söldner“.131 Tatsächlich waren jedoch eine nicht unerhebliche Anzahl deutscher Legionäre, die im Rahmen der Aufstandsbekämpfung im damaligen Französisch-Indochina zum Einsatz kamen, bis 1955 zu den Partisanen des Viet Minh übergelaufen. Sie wurden seit 1950 im Einvernehmen mit der SED etappenweise repatriiert.132 Teilweise als „antifaschistische Internationalisten“ agitatorisch instrumentalisiert, wurden ehemalige Angehörige der Fremdenlegion jedoch zugleich als potentielles Sicherheitsrisiko eingestuft, denen der ganze Argwohn des MfS galt.133 Im Rahmen einer Wochenend-Ausbildung im September 1961 war es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Kämpfern verschiedener Betriebe gekommen. Kämpfer des VEB Kohlehandel Halle hatten Kämpfer anderer Betriebe beleidigt, sie mit Lebensmitteln und Steinen beworfen und dabei verkündet: „Wir sind hart, aber gerecht wie die OAS!“ Die „Organisation de l’Armee Secrete“ war eine terroristische Organisation, die zu dieser Zeit die französische Regierung bekämpfte, weil sie Algerien in die Unabhängigkeit entlassen hatte.134 Sie bestand

                                                             130 Dieser ehemalige Fremdenlegionär zählte jedoch nicht zu den „diktierten Teilnehmern“, sondern war ein regulärer Kampfgruppen-Angehöriger, der zeitweise sogar die Funktion eines Gruppenführers bekleidet hatte; vgl. Bericht über den Instrukteurseinsatz im VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 41 u. 43. 131 Vgl. dazu: Eckard Michels, Deutsche in der Fremdenlegion 1870–1965, Paderborn 1999; Detlef Michelers, Le boudin: Deutsche Fremdenlegionäre der Nachkriegszeit, Berlin 1990; zum Begriff des „Söldners“ vgl. Michael Sikora, Der Söldner, in: Eva Horn/Stefan Kaufmann/Ulrich Bröckling (Hg.), Grenzverletzer. Von Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten, Berlin 2002, S. 114–135. 132 Heinz Schütte, Zwischen den Fronten. Deutsche und österreichische Überläufer zum Viet Minh, Berlin 2006, S. 18. 133 Vgl. Schütte, Zwischen den Fronten, S. 14f. 134 Zur OAS liegt auf Deutsch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Monographie vor; vgl. dazu jedoch: Paul Henissart, Wolves in the City. The Death of French Algeria, London 1970; Alexander Harrison, Challenging De Gaulle: The O.A.S. and the Counter-Revolution in Algeria, 1954–1962, New York 1989; bemerkenswert scheint in diesem Zusammenhang, dass Carl Schmitt in seiner Theorie des Partisanen Raoul Salan, den Kopf der OAS, als paradigmatischen Partisanen diskutiert; vgl. dazu: Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 65–70.

 

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zu einem beträchtlichen Teil aus ehemaligen Militärs, darunter zahlreiche Fremdenlegionäre, und tatsächlich befand sich unter den „Organisatoren“ des Zwischenfalls in Halle auch ein ehemaliger Fremdenlegionär.135 Die Quellen geben keinen Aufschluss darüber, ob dieser Kämpfer Verbindungen zur OAS hatte; das war angesichts seines Aufenthaltsortes auch eher unwahrscheinlich. Bedenklich stimmte jedoch nicht allein, dass sich Angehörige des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ demonstrativ auf eine Organisation beriefen, die aufgrund ihrer rassistischen und imperialistischen Einstellung zu den erbittertsten Feinden des Sozialismus gezählt wurde. Zwar waren die ideologischen Vorzeichen von Kampfgruppen und OAS gänzlich verschieden. In der OAS wirkten hochdekorierte Militärs, die während des algerischen Unabhängigkeitskrieges für ein französisches Algerien gekämpft hatten und sich nun von de Gaulle verraten fühlten. Dass sich die eigene militärische Elite gegen sie wenden könnte, war jedoch eine der größten Ängste der „misstrauischen Patriarchen“. Deshalb musste das demonstrative Bekenntnis zur OAS die sozialistische Gesellschaft (bzw. ihre Vertreter) auf geradezu provokatorische Art und Weise herausfordern. Auf der einen Seite konnten derartige Provokationen ein kämpferisches Selbstverständnis zum Ausdruck bringen, das sich weniger an den Werten der „offenen Gesellschaft“ als vielmehr an männerbündischen Werten zu orientieren schien, wie sie vor allem für die Freikorps der Zwischenkriegszeit geltend gemacht werden.136 Gleichwohl sind sie jedoch nicht notwendigerweise als positives Bekenntnis zum Kämpfer-Status zu interpretieren. Sich selbst als „Aussätzige“ zu stilisieren,137 mag auch auf subjektive Wahrnehmungen unter den Kämpfern verweisen,

                                                             135 Vgl. Bericht über die Durchführung des Beschlusses des Büros der Bezirksleitung zur Erhöhung der Kampfkraft der Kampfgruppen vom 27.9.1961, LHASA, BDVP 19, 360, Bl. 46. 136 Dazu: Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft; Bernhard Sauer, „Vom Mythos eines ewigen Soldatentums“. Der Feldzug deutscher Freikorps im Baltikum im Jahre 1919, in: ZfG 10 (1995), S. 869–890; grundsätzlich ist in dieser Hinsicht auch auf die „symbolische Antistruktur“ soldatischer Kameradschaft zu verweisen; vgl. dazu: Kühne, Vertrauen und Kameradschaft. 137 Vgl. dazu: Karin Hartewig, Botschaften auf der Haut der Geächteten. Die Tätowierungen von Strafgefangenen in Fotografien der Staatssicherheit, in: dies./Alf Lüdtke (Hg.), Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat, Göttingen 2004, S. 125–144, im Hinblick auf Bekenntnisse zur Fremdenlegion bzw. zur OAS vgl. insbes. S. 134 u. S. 137.

 

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wonach, wer sich an der Ausbildung beteiligte, eher mit allgemeiner Geringschätzung als mit der offiziell eingeforderten Achtung bedacht wurde. Während die SED in der Öffentlichkeit keinen Zweifel an der Verbundenheit zwischen den Kampfgruppen und ihrer Klasse aufkommen ließ, waren jegliche Anzeichen „syndikalistischer Versündigungen“ innerhalb der Miliz durchaus dazu angetan, ihr Misstrauen zu wecken. Wer über militärische Erfahrung in anderen bewaffneten Formationen als denen der organisierten Arbeiterbewegung verfügte – dazu wurde die Fremdenlegion genauso gezählt wie die „faschistische“ Wehrmacht und erst recht sämtliche Massenorganisationen der NS-Diktatur – galt grundsätzlich als ,politisch-moralisch‘ bedenklich. Aufgrund seiner Vergangenheit konnte – zumindest in den Augen der „misstrauischen Patriarchen“ – nicht ausgeschlossen werden, dass er seine militärischen Fähigkeiten nicht auch zu anderen als der Partei dienlichen Zwecken einsetzen würde.138 Alarmierend waren vor diesem Hintergrund Verhältnisse, wie sie im Kreis Hettstedt registriert wurden, wo neben ehemaligen Wehrmachtsangehörigen auch zahlreiche ehemalige Mitglieder der NSDAP und sogar der SS den Kampfgruppen angehörten. Den Kommandeursposten der 374. Hundertschaft in Gerbstedt bekleidete ein ehemaliger Fallschirmjäger, zwei seiner drei Zugführer hatten vor 1933 der SA angehört.139 In der 376. und in der 382. Hundertschaft dienten ehemalige Angehörige der SS als Gruppenführer.140 Darüber hinaus fanden sich unter dem Leitungspersonal aller Einheiten zahlreiche ehemalige Wehrmachts- und NSDAP-Angehörige. Während etwa Kommandeur und Innendienstleiter der 371. Hundertschaft ehemalige Oberfeldwebel und NSDAP-Mitglieder waren,

                                                             138 Dazu wurden selbstverständlich auch solche Kämpfer gezählt, die früher der Legion Condor angehört hatten (Kreis Hohenmölsen), oder „zu 25 Jahren Zuchthaus durch die Sowjetarmee wegen Verbrechen an der Menschlichkeit“ verurteilt worden waren (Kreis Bernburg), oder „von 45–47 als Vizefeldwebel in der US-Armee“ gedient hatten (Kreis Köthen); vgl. Vorlage zur Chefberatung der Abteilung Ausbildung und Schulung vom 11.8.1958, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 97, Bl. 236; Vorlage vom 28.8.1959, LHASA, ebd., Bl. 123. 139 Zur Einheit, der zwar offiziell 86 Kämpfer angehörten, deren Nachweisführung jedoch nur 68 Männer erfasste, zählten insgesamt vier ehemalige NSDAP-Mitglieder und fünf ehemalige SA-Mitglieder; vgl. Einschätzung der Einheiten des Kreises Hettstedt, undat. [1960], LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 17. 140 Neben zwei ehemaligen Angehörigen der SS befanden sich unter den insgesamt 53 Kämpfern der 382. Hundertschaft zudem 7 ehemalige NSDAP-Mitglieder; Einschätzung der Einheiten des Kreises Hettstedt, undat. [1960], LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 19 u. Bl. 22.

 

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hatte auch der Stellvertreter Allgemein der NSDAP angehört und war im Zweiten Weltkrieg Unteroffizier der Wehrmacht gewesen. Unter den Zugführern der Hundertschaft befanden sich zwei weitere ehemalige Angehörige der NSDAP, einer der beiden war zudem Angehöriger der Waffen-SS gewesen.141 Inwiefern diese hohe Dichte an biographisch kompromittierten Personen in den Reihen der Kampfgruppen-Offiziere des Kreises Hettstedt exzeptionell war, lässt sich mangels vergleichbarer Aufstellungen aus anderen Kreisen nicht ermitteln. Bezeichnend war sie jedoch in verschiedener Hinsicht: Zunächst einmal zeigt sie, dass „das unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ auch für ehemalige Angehörige ehedem politisch feindlich gesonnener Organisationen attraktiv war. Dem individuellen Entschluss, den Kampfgruppen beizutreten, mögen sehr unterschiedliche subjektive Motive zugrunde gelegen haben. Denkbar ist, dass einige dieser Kämpfer ehrlich bemüht waren, sich durch ihr militantes Engagement politisch und sozial zu rehabilitieren. Andere wiederum wollten womöglich auf das Gefühl, einer männlich-militanten Kampfgemeinschaft anzugehören, nicht verzichten, gleichgültig unter welchen politischen Vorzeichen sie letztendlich stand. Dass auch die SED, obwohl derartige Verhältnisse „nicht den gestellten Anforderungen“ entsprachen, nur in einem Fall anordnete, die betreffende Person aus den Kampfgruppen herauszulösen – hierbei handelte es sich um einen der Zugführer der 382. Hundertschaft, der vor 1945 Untersturmführer der SS gewesen war –, erstaunt zunächst. Zugleich legt es nahe, dass sich die SED von derart gestandenen (Bürger-)Kriegsveteranen möglicherweise einen positiven Einfluss auf militärische Fertigkeiten, Führung und Disziplin innerhalb ihrer Hundertschaften versprach. Dafür spricht nicht zuletzt, dass viele der ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und anderer nationalsozialistischer Organisationen – zumindest im Kreis Hettstedt – nicht als einfache Kämpfer, sondern zumeist als Offiziere tätig waren.142

                                                             141 Einschätzung der 371. Hundertschaft des VEB Walzwerkes Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252. 142 Vgl. dazu wiederum die Einschätzung der Einheiten des Kreises Hettstedt, undat. [1960], LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252; im Jahr darauf vermeldete ein Bericht der Bezirksbehörde der VP, dass „die Konzentration von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und Dienstgraden der faschistischen Wehrmacht in den Kampfgruppen […] nach den vorhandenen Übersichten“ inzwischen „überwunden“ sei und es „gegenwärtig“ nur noch „einzelne Kommandeurs-Funktionen“ gebe, „die durch ehemalige Mitglieder der NSDAP, SA, Offiziere der faschistischen Wehrmacht und durch Vorbestrafte besetzt“ seien; vgl. Bericht über die Durchführung des Beschlusses des Büros der Bezirksleitung zur Erhöhung der Kampfkraft der Kampfgruppen vom 27.9.1961, LHASA, Abt. Mer., BDVP Hal-

 

 

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Vor allem ehemalige Unteroffiziere scheinen sich in großer Zahl den Kampfgruppen angeschlossen zu haben. Noch 1963 hatte beinah jeder dritte, als Kampfgruppen-Offizier im Bezirk Halle tätige Kämpfer in der Wehrmacht einen solchen Rang innegehabt, insgesamt 127 Personen (30,8%).143 Mehr als drei Viertel dieser ehemaligen Unteroffiziere (76,4%) waren zudem bereits in der Gründungsphase bis 1955 den Kampfgruppen beigetreten144 – Hinweis darauf, dass die Kampfgruppen auch als Teil einer SED-spezifischen „Vergangenheitspolitik“ (Norbert Frei) betrachtet werden können, die durch das Angebot männlicher „Militärspielerei“ zur erfolgreichen sozialen Integration ehemaliger Wehrmachtsoldaten beitrug. So eröffnete das Engagement in den Kampfgruppen eine Aufwertung ihrer im Krieg erworbenen militärischen Kenntnisse und Erfahrungen, wenn auch unter veränderten ideologischen Vorzeichen. Zugleich gestattete es diesen Veteranen solchermaßen auch, der traumatischen Erfahrung zu begegnen, die ihre Vergangenheit und damit ihre persönliche Biographie in ein nicht nur sinnloses, sondern auch ehrloses Licht rückte.145 Auch wenn der Napoleon zugeschriebene Satz „Gute Unteroffiziere sind der Kitt, der ein Heer zusammenhält“ historisch nicht verbürgt ist, gilt die Figur des

                                                                                                                                       le 19, Nr. 360, Bl. 55; beachtenswert bleibt, dass dieser Beschluss in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Mauerbau im August 1961 fällt, insofern möglicherweise eher als Reaktion auf eine kurzweilige Kampagnen-Politik zu bewerten ist denn als Ausdruck grundsätzlicher Personalpolitik in den Reihen der Kampfgruppen. 143 Die Anzahl ehemaliger Offiziere fiel demgegenüber deutlich ab: Nur 12 aller Kampfgruppen-Offiziere waren vor 1945 als Offizier tätig gewesen (2,9%), der höchste hier zu verzeichnende Rang war der eines Hauptmannes; vgl. Kaderakten LHASA, SED-BL Halle, Nr. IV/2/12/1670–1674. 144 Im Hinblick auf die ehemaligen Offiziere fiel das Verhältnis noch deutlicher aus: von ihnen hatten sich sogar 10 Personen (83,3%) in der Gründungsphase den Kampfgruppen angeschlossen; vgl. Kaderakten, LHASA, SED-BL Halle, Nr. IV/2/12/1670–1674. 145 Geyer, Der Kalte Krieg, die Deutschen und die Angst; vgl. dazu auch: Jürgen Danyel, Die SED und die „kleinen PG’s“: Zur politischen Integration der ehemaligen NSDAPMitglieder in der SBZ/DDR, in: Annette Leo/Peter Reif-Spirek (Hg.), Helden, Täter und Verräter: Studien zum DDR-Antifaschismus, Berlin 1999, S. 177–196; zum Umgang mit der NS-Vergangenheit speziell für die 1960er Jahre und in vergleichender Perspektive vgl. Detlef Siegfried, Zwischen Aufarbeitung und Schlussstrich. Der Umgang mit der NSVergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958 bis 1969, in: ders./Axel Schildt/Karl Christian Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 77–113.

 

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Unteroffiziers im Allgemeinen als das „Rückgrat der Armee“.146 Dieser Befund findet zumal in der Wehrmacht des Zweiten Weltkrieges Bestätigung.147 In der Selbst- wie Fremdwahrnehmung wird der Unteroffizier gemeinhin mit Attributen wie „zuverlässig“, „pflichtbewusst“ und „tatkräftig“ beschrieben.148 Nicht nur insofern gilt er als der ,harte‘, professionelle Soldat par exellence. Zugleich fällt ihm als sub-alterner Führer die Aufgabe der Ausbildung und Motivation der einfachen Soldaten zu. Gelten Unteroffiziere innerhalb der Streitkräfte als ,Mädchen für alles‘, bezieht sich diese Bezeichnung nicht nur auf ihre organisatorischen Fähigkeiten,149 sondern bringt zugleich die ,weiche‘ Seite der Truppenführung zum Ausdruck.150 Welche Bedeutung diese Seite besaß, kommt etwa in der Kritik an einem Kommandeur zum Ausdruck, dem „überhebliches“ Auftreten und die „Überspitzung“ von bestimmten „Maßnahmen und Aufgaben in der Tätigkeit der Kampfgruppe“ vorgeworfen wurde.151 Wiederholt wurde von Seiten einfacher Kämpfer moniert, dass „Dienstgrade der ehemaligen faschistischen Wehrmacht als Kommandeure“ fungierten152 und es in der Ausbildung „zu exerziermäßig“ zuginge.153 Die Anwesenheit politisch kompromittierter Personen eröffnete ihnen jederzeit die Möglichkeit, individuellen wie kollektiven Unmut über ihrer Meinung nach zu strenge Disziplin- und Gehorsamspraktiken auf klassenbewusste Art und Weise zum Ausdruck zu bringen. Demgegenüber waren ehemalige Angehöri-

                                                             146 André Heikenroth/Wolfgang Frantz/Stefan Spangenberg/Paul Klein, Unteroffizier und ziviler Beruf, SOWI-Berichte Nr. 74, Strausberg 2002, S. 9; Manfred Grodzki/Paul Klein/Horst Rohde (Hg.), Soldat – ein Berufsbild im Wandel. Bd. 1: Unteroffiziere, Bonn/Dortmund 1989. 147 Horst Rohde, Zur Geschichte des deutschen Unteroffiziers, in: Grodzki/Klein/Rohde (Hg.), Unteroffiziere, S. 15–31, hier: S. 26. 148 Heidelore Dillkofer, Paul Klein, Der Unteroffizier der Bundeswehr, SOWI-Berichte Nr. 6, Troisdorf 1981, S. 119ff. 149 Joachim Bussert, Unteroffiziere als Spezialisten in Technik und Verwaltung, in: Grodzki/Klein/Rohde (Hg.), Unteroffiziere, S. 101–112. 150 Horst Scheffler, Der Unteroffizier als Erzieher und Ausbilder, in: Grodzki/Klein/Rohde (Hg.), Unteroffiziere, S. 63–76. 151 Vgl. LHASA, Nr. IV/2/12/1671; von Bedeutung für die negative Bewertung der betreffenden Person mag jedoch auch die Tatsache gewesen sein, dass jener Kommandeur von 1940 bis 1945 Mitglied der NSDAP gewesen war. 152 Einschätzung der Hundertschaften des VEB Paraffinwerkes „Vorwärts“ vom 29.11.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 153 Einschätzung der Hundertschaften des VEB Paraffinwerkes „Vorwärts“ vom 29.11.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222; vgl. dazu: Schröder, Schikane in der Militärausbildung; ders., Kasernenzeit.

 

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ge der Wehrmacht oder anderer nationalsozialistischer Organisationen angesichts der allgemein eher schwach ausgeprägten Disziplin innerhalb der Einheiten ein in dieser Hinsicht der SED möglicherweise sehr willkommenes, potentielles Korrektiv. Zumindest die Kreisleitung Hettstedt schlug im Fazit ihrer Einschätzung vor, statt einer konsequenten Herauslösung biographisch kompromittierter Personen „ernsthafte Anstrengungen“ zu unternehmen, um „die führende Rolle der Partei durchzusetzen und völlige Klarheit über Charakter und Aufgaben der Kampfgruppen“ zu schaffen. Zu diesem Zweck sollte insbesondere „die Arbeit […] mit den Parteibeauftragten […] grundlegend“ verbessert“ werden.154 Damit appellierten die lokalen Funktionäre an eine Forderung, die in Reaktion auf das gemeinhin als gering eingeschätzte ,politisch-moralische Bewusstsein‘ in den Reihen der Kampfgruppen entstanden war. Eine „regelmäßigere und aktivere politisch-ideologische Arbeit in den einzelnen Hundertschaften“ sollte die Kämpfer in verstärktem Maße zu mehr proletarischer Disziplin und Enthusiasmus anhalten. „Vor jeder Ausbildung, aber mindestens einmal im Monat“ waren deshalb in Zukunft „politische, ökonomische und militärische Fragen“ behandelnde, sogenannte „Polit-Informationen“ durchzuführen.155 Dazu waren zwei Stunden „Polit-Unterricht“ pro Monat in die Ausbildung einzuplanen, zu denen, je nach Themenschwerpunkt, politisch zuverlässige und allgemein respektierte Personen herangezogen werden sollten. Die Kreis-Leitung Naumburg verfügte Anfang 1959, „zur weiteren Verbesserung der politischen Arbeit in den Kampfgruppen“ allen Hundertschaften einen „Arbeiterveteran“ an die Seite zu stellen, der an lokalen Leitungstreffen wie auch an den Ausbildungen „beratend“ teilnehmen sollte.156 Obligatorische Lektionen über den „Kampf der Roten Ruhrarmee“ oder „den mitteldeutschen Aufstand“ schienen jedoch nicht auf die Zustimmung aller Kämpfer zu stoßen. Etwa im VEB Waschmittelwerk Genthin verlangten die Angehörigen der Hundertschaft, „das Leben in unserer Kampfgruppe gegenwartsnaher und interessanter [zu] gestalten“. Zu diesem Zweck wurde vorgeschlagen, „militärusch-wissenschaftliche [sic] Vorträge zu halten, und die dazu entspre-

                                                             154 Einschätzung der Einheiten des Kreises Hettstedt, undat. [1960], LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 22. 155 Vgl. Plan für die Arbeit der Parteibeauftragten in den Kampfgruppen vom 21.5.1958, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 111. 156 Bericht über die Erfüllung des Ausbildungsprogramms im Jahre 1958, undat., LHASA, SED-KL Naumburg, Nr. IV/415/213.

 

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chenden Filme zu zeigen“.157 Tatsächlich bildeten die „revolutionären Waffentraditionen der deutschen Arbeiterklasse“ ein knappes Jahr später nur noch einen von zehn Themenschwerpunkten der lokalen „politisch-ideologischen Arbeit“. Vorträge zum „moralische[n] Faktor im modernen Krieg“ schienen demgegenüber den gewandelten historisch-politischen Bedingungen des Atomzeitalters genauso Rechnung zu tragen wie Vorträge über „Menschen und Technik im modernen Krieg“. Über den „Befehl, die Disziplin und die Einzelleitung“ zu referieren, war jedoch ebenso unerlässlich wie über die „Genfer Konvention und die Kampfgruppen“ – Hinweis auf Bestrebungen der SED, möglichen Vorbehalten hinsichtlich des kriegsrechtlichen Status‘ der Kampfgruppen jeglichen Boden zu entziehen.158 Wichtig war zudem, dass die ,politisch-ideologische‘ Arbeit nicht Sache der Politbeauftragten allein blieb, sondern sich das gesamte Leitungspersonal einer Einheit dazu verpflichtet fühlte. Diese Anordnung verweist ex negativo auf eine politisch-soziale Eigendynamik mancher Einheiten, die nicht immer der Linie der Partei zu folgen schien.159 Korrigierende Wirkung erhoffte man sich in dieser Hinsicht insbesondere von einer intensivierten und umfangreichen Qualifizierung aller Kampfgruppen-Kommandeure bzw. Unterführer. Zu diesem Zweck war im Jahre 1957 eine „Zentrale Schule für die Kampfgruppen“ (ZSfK) in Schmerwitz bei Potsdam gebildet worden; anlässlich ihres zehnjährigen Jubiläums erhielt sie 1967 den bezeichnenden Ehrennamen „Ernst Thälmann“.160 Die Durchsetzung eines „hohen politische[n], militärische[n] und pädagogische[n] Niveaus, eine vorbildliche Organisiertheit der Erziehung, Ausund Weiterbildung, die Durchsetzung der sozialistischen Kaderprinzipien“ als programmatischer Anspruch der ZSfK verweisen darauf, dass hier nicht allein militärisches Wissen weitergegeben werden sollte. In internatsmäßiger Form und

                                                             157 Analyse über die Kampfgruppenarbeit in der 1. Hundertschaft vom 10.9.1957, LHASA, MD, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 80. 158 Themenplan für die politisch-ideologische Arbeit in den Kampfgruppen, undat. [vermutl. 1958], LHASA, MD, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 94; die weiteren Themenschwerpunkte lauteten: „Der Marxismus-Leninismus über gerechte und ungerechte Kriege. Die Zerschlagung der bürgerlichen Ideologie des Pazifismus. Eine Aufgabe jeden Kämpfers. […] Patriotismus und Internationalismus. Die militärische Stärke des sozialistischen Lagers. […] Die Rolle der Kampfgruppen in der Heimatverteidigung“. 159 Vgl. Einschätzung der Einheiten des Kreises Hettstedt, undat. [1960], LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 22. 160 Auskunftsbericht vom 6.6.1979, BArchB., Do8/63; Zug- und Gruppenführer wurden hingegen weiterhin an den regionalen Bezirksschulen der VP ausgebildet.

 

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nach strikt militärischem Procedere161 sollten die zukünftigen Kommandeure hingegen auch auf ihre Verpflichtung gegenüber der Avantgarde und dem Staat eingeschworen werden. Unter den Bedingungen einer „totalen Institution“ (Goffman) wurden die Kursanten in zwei- bis dreimonatigen Lehrgängen auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Neben militärischem Fachwissen widmeten sich 53 der insgesamt 350 Stunden eines Lehrganges theoretischen Fragen des „Marxismus/Leninismus“. Insbesondere von ihnen versprach man sich die Sicherstellung der politischen Linientreue des zur Leitung vorgesehenen Personals.162 Die Delegierung zu einem Lehrgang – Voraussetzung war eine mindestens einjährige Tätigkeit als Zugführer sowie die Mitgliedschaft in der SED – erfolgte durch die zuständigen Kreisleitungen. Die mussten sich jedoch, etwa in Magdeburg, vorwerfen lassen, den „Fragen der Kaderentwicklung“ nur ungenügende Beachtung zu schenken.163 So waren für den ersten Lehrgang, der am 15.5.1957 startete, 270 Kursanten vorgesehen gewesen. Erschienen waren jedoch nur 207 Kämpfer, von denen wiederum lediglich 126 tatsächlich die Funktion eines Kommandeurs bekleideten.164 Die Delegierungs-Praxis zeigt, dass Kämpfer zunächst zumeist „wahllos zur Schule und den Lehrgängen delegiert“ wurden, wie etwa die Kreisleitung Hohenmölsen kritisierte.165 Dass lokale Funktionäre auch in den folgenden Jahren immer wieder gewöhnliche Kampfgruppen-Angehörige und Gruppenführer zu den Lehrgängen nach Schmerwitz schickten166 oder aber der

                                                             161 Vgl. BArchB., Do8/63. 162 Vgl. BArchB, Do8/63; die Mehrzahl des zunächst 90 Personen umfassenden Personals stammte aus den Bezirken Halle, Magdeburg, Potsdam und Karl-Marx-Stadt; überwiegend rekrutierten sie sich aus Angehörigen der VP; bis zum Jahre 1965 sollte der an der Schule beschäftigte Personalbestand auf 225 Personen anwachsen; vgl. dazu: BArchB., Do1/2.2/54851; BArchB., DO 8/86. 163 Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 7.5.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 256. 164 Vgl. Auswertung der Übungen im Straßen- und Häuserkampf vom 20.5.1957, BArchB., Do1/18.0/17924; aus dem Kreis Salzwedel, gleichfalls im Bezirk Magdeburg, hatte man bis zum Frühjahr 1959 noch keinen einzigen Kämpfer nach Schmerwitz delegiert; vgl. Instrukteursbericht des VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 42. 165 Einschätzung der Kampfgruppenarbeit für 1959 und das I. Quartal 1960 vom 21.5.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 166 Bericht über den Entwicklungsstand der Kampfgruppen, undat., SAPMO-BArch., Do1/18.0/17924.

 

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„Schulbeschickungsplan“ nicht eingehalten wurde,167 verweist wiederum auf kompensatorische Handlungszwänge an der gesellschaftlichen Basis. So hatten sich die Kreisleitungen mit den lokalen Betriebs- und Parteileitungen über eine Freistellung potentieller Lehrgangsteilnehmer zu einigen. Die zeigten jedoch „in der Schulbeschickung […] nicht immer die richtige Einstellung“, beklagte sich etwa die Kreisleitung in Bitterfeld.168 Vielfach überließen sie es zunächst den Instrukteuren, „mit den Betriebsleitern oder Sekretären in den Betrieben oder MTS ,Streitgespräche‘ über die Freistellung der Genossen zu führen“, kritisierte die Abteilung Sicherheit der VP-Bezirksbehörde in Magdeburg im Herbst 1957.169 Schon im Hinblick auf kurzfristige Freistellungen zum Zweck einer Beteiligung an der Ausbildung hatte sich das betriebliche Leitungspersonal im Allgemeinen wenig kooperativ gezeigt. Längerfristige Freistellungen drohten nun – wie die Formulierung „Streitgespräche“ andeutet – erst recht ihren Unmut heraufzubeschwören. Erhöhter Druck von Seiten der übergeordneten Organe führte vielfach dazu, dass vornehmlich „solche Kämpfer geschickt wurden, die betrieblich abkömmlich waren“ bzw. „sich selbst dazu bereit erklärt hatten, um somit das gestellte Soll zu erfüllen“, kritisierte die Behörde auch drei Jahre später noch.170 Die Kreisleitung Aschersleben hatte beispielsweise einen Arbeiter des BKW Nachterstedt zu einem Lehrgang nach Bitterfeld delegiert – dort erhielten die Unterführer im Bezirk Halle eine Einweisung in ihre Tätigkeit –, der weder „Angehöriger der Kampfgruppe noch Angehöriger der Partei war“.171 Aus dem Kreis Haldensleben, Bezirk Magdeburg, war hingegen ein Kämpfer nach Schmerwitz delegiert worden, der weder des Lesens noch des Schreibens mächtig war. Wie eine Untersuchung erwies, war das dem lokalen Parteisekretär sehr wohl bekannt gewesen, als er den betreffenden Kämpfer zum Schulbesuch auswählte. Deutlich wird, dass die Verpflichtung einer Planerfüllung um jeden Preis einen Formalismus in der Delegierungspraxis beförderte, der nicht im Sinne der Kommandohöhen sein

                                                             167 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 51. 168 Analyse über die Arbeit der Kampfgruppen vom 1.2.1961, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/404/360, Bl. 3. 169 Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24, Film-Nr. 11, Bl. 256. 170 Einschätzung der Kampgruppenarbeit im Jahre 1960 vom 17.1.1961, LHAM, Rep M24, Film-Nr. 11, Bl. 316; vgl. dazu auch: Kössler, Die Partei als Medium, S. 223. 171 Vorlage der Bezirksbehörde der DVP vom 28.8.1958, LHASA, BDVP 19, Nr. 97, Bl. 124.

 

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konnte.172 Zugleich offenbarte sich in der Vernachlässigung spezifischer Eignungsvoraussetzungen eine Geringschätzung der militärpolitischen Arbeit. In diesem Sinne hatte der betreffende Parteisekretär gegenüber dem des Lesens und Schreibens unkundigen Kämpfer erklärt, „das spiele ja keine Rolle, weil es sich dort nur um einen Schießlehrgang“ handeln würde.173 Politische wie ökonomische Fortbildungen waren selbstverständlicher Teil der Produktionssphäre. Nicht selten wurden Delegierungen in dieser Hinsicht dazu genutzt, sich unbequemer oder wenig gelittener Betriebsangehöriger zu entledigen, schließlich mussten, zumindest bei längerfristigen Lehrgängen, die entsprechenden Stellen neu besetzt werden. Zudem war keineswegs ausgemacht, dass die betreffenden Personen nach dem Ende ihres Lehrganges auf ihre ehemaligen Posten zurückkehren würden.174 Die Einschätzung des Haldenslebener Parteisekretärs hinsichtlich des Zwecks des Kampfgruppen-Lehrgangs kann vor diesem Hintergrund auch als individuelle Geringschätzung gegenüber der militärpolitischen Arbeit gelesen werden: Während in der Produktion am Aufbau des Sozialismus gearbeitet würde, gehe es beim „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ nur ums „Schießen“. Dafür könnten, wenn überhaupt, nur die am wenigsten qualifizierten Betriebsangehörigen entbehrt werden. Wer hingegen in der Produktion gebraucht wurde, bekam das bisweilen auch deutlich zu spüren. Im Kaliwerk Roßleben wurde beklagt, dass denjenigen, die bereit waren, an einem Kampfgruppen-Lehrgang teilzunehmen, „Schwierigkeiten“ von Seiten der Betriebsleitung bereitet würden.175 Um welche Art „Schwierigkeiten“ es sich hier handelte, verschweigt die Quelle. Denkbar sind, wie schon im Falle einer Beteiligung an der Ausbildung, individuelle Lohnkürzungen oder

                                                             172 Von Seiten der Sicherheitskommission beim ZK der SED wurde deshalb angeordnet, dass alle Kreisleitungen „konkrete Kadereinsatz- und Entwicklungspläne“ erarbeiten sollten, „um einen qualifizierten Kaderbestand“ innerhalb der Einheiten der Kampfgruppen zu gewährleisten; vgl. Analyse über den Stand der Ausbildung und der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24, Film-Nr. 11, Bl. 257. 173 Analyse über den Stand der Ausbildung und der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 256. 174 Vgl. dazu: Thekla Kluttig, Parteischulung und Kaderauslese in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands 1946–1961, Berlin 1997, S. 249f. 175 Referat des Genossen Bernard Koenen zur außerordentlichen Kommandeurskonferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 12.

 

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Nicht-Berücksichtigungen bei Prämienzuteilungen, aber auch soziale Missachtung und Spott von Seiten der Kollegen und Vorgesetzten. Aus der Perspektive der Kämpfer waren es nicht allein mögliche berufliche Nachteile, die einen Lehrgangsbesuch in ein fragwürdiges Licht rückten. Unattraktiv war – angesichts der weitverbreiteten Ressentiments gegenüber militärischer Disziplin – gewiss auch das strikt nach militärischen Maßstäben ausgerichtete Reglement in Schmerwitz.176 Zudem garantierte ein Lehrgangsbesuch überdies keineswegs eine der erworbenen Qualifikation entsprechende Tätigkeit. Von 39 Kämpfern aus dem Bezirk Magdeburg, die an den ersten vier Lehrgängen an der ZSfK teilgenommen hatten, wurden nur 27 als Kommandeure eingesetzt. Im Bezirk Halle waren es von 73 Lehrgangsteilnehmern 51, die übrigen wurden auf andere Funktionen abgeschoben, einer diente fortan gar als „Gehilfe für Versorgung“.177 Wenn Kämpfer-Angehörige nun ihrerseits argumentierten, dass „die Anstrengung der Kampfgruppen-Ausbildung […] die Leistung in der Produktion beeinträchtigen“ würden,178 sind derartige Aussagen mehrdeutig zu lesen. Einerseits konnte Arbeit als Argument gegen Zumutungen ,von oben‘ genutzt werden179 – immerhin war die Teilnahme an der Kampfgruppen-Ausbildung bzw. an damit einhergehenden Lehrgängen eine gleichermaßen zeitintensive wie körperliche Belastung. Zugleich reflektiert derartiges Verhalten gleichzeitig Wertmaßstäbe einer „arbeiterlichen Gesellschaft“: Als Axiom, das über Ansehen und Achtung eines jeden Werktätigen entschied, konnte derjenige, der das Schießen der Produktion vorzog, leicht in den Verdacht geraten, zu faul zum Arbeiten zu sein.180

                                                             176 Vgl. dazu: BArchB., Do8/63; Gnad, Ein Leben in Uniform, S. 298–300; zur Unpopularität parteilicher Schulungen wegen der damit einhergehenden alltäglichen Unwägbarkeiten vgl. Kössler, Die Partei als Medium, S. 233; Kämpfer, die einen Unterführer-Lehrgang in Bitterfeld besucht hatten, berichteten im Anschluss daran, dass sie, statt in den Vorzug einer Fortbildung zu kommen, dazu verpflichtet wurden, den Hof zu kehren, Alteisen zu sammeln und Holz wegzubringen; Protokoll der Kommandeurskonferenz des Bezirkes Halle, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 93f. 177 Bericht über den Entwicklungsstand der Kampfgruppen, undat., BArchB., DO1/ 18.0/17924. 178 Einschätzung des gegenwärtigen Standes der Kampfgruppen-Arbeit in den Leuna-Werken vom 29.7.1957, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 26f. 179 Lüdtke, Zur missmutigen Loyalität, S. 205. 180 Vgl. dazu den Abschnitt „Eine arbeiterliche Gesellschaft“, in: Engler, Die Ostdeutschen, S. 173–208.

 

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Lohneinbußen und Nichtberücksichtigung bei Prämienzuteilungen besaßen demnach mehr als nur eine existentielle Dimension. Vielmehr brachten sie eine gleichermaßen faktische wie symbolische Geringschätzung des militärpolitischen Engagements zum Ausdruck. In Genthin trug sie ihren Teil dazu bei, dass „ein Teil“ der Kämpfer „nicht den Mut hat bzw. sich schämt, in der Uniform mit dem Gewehr in der Hand offen und ehrlich für unseren Arbeiter-und-Bauern-Staat zu demonstrieren“, wie der Kommandeur der örtlichen Hundertschaft beklagte.181

Zur Ökonomie symbolischer Praxis. Grenzen und Reichweite eines Kampfgruppen-spezifischen Selbstverständnisses Die Uniform, aber auch das Gewehr, in Genthin als zentrale Insignien eines spezifisch sozialen Status‘ benannt, verweisen darauf, dass jede Organisation und Institution zum Zwecke ihrer Veralltäglichung symbolischer wie materieller Repräsentationen bedarf.182 Wie die Sicherheitskommission der SED im November 1957 selbst einräumte, war es nicht zuletzt der Mangel an geeigneter Bekleidung und entsprechenden Ausrüstungsgegenständen, der für den schlechten Zuspruch zur Kampfgruppen-Ausbildung verantwortlich zu machen sei.183 „Für unsere einwandfreie Ausbildung benötigen wir auch eine einwandfreie Bekleidung“, klagte ein Dessauer Kommandeur im März 1960 im Rahmen einer lokalen Kommandeurstagung. „Ein Genosse Vorredner betonte, dass er blaue Uniformen hat und teils graue. Wenn wir derartige Uniformen hätten, wären wir glücklich. Es sieht bei uns so aus, dass wir 40 Genossen in grau erscheinen [sic], vielleicht 30 in blau vollständig, 10 in Bauer [sic] Uniform und Schlägermütze und die nächsten – das ist eine Tatsache – kommen ganz in Zivil, die bekommen eine Zeltplane umgehängt., [sic] damit sie nicht nass werden.“

Der zitierte Kommandeur sprach hier nicht nur für seine Einheit, sondern stellvertretend für den gesamten Kreis Dessau. Er bestand darauf, „dass wir nicht irgendeine Organisation sind, sondern dass wir die Kampfgruppen sind und dass wir der bewaffnete Schutz unseres 1. Arbeiter-und-Bauern-Staates sind, und dass

                                                             181 Analyse über die Kampfgruppenarbeit der 1. Hundertschaft vom 10.9.1957, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/4/3/127, Bl. 76–79. 182 Vgl. dazu: Karl-Siegbert Rehberg, Weltrepräsentanz und Verkörperung. Institutionelle Analyse und Symboltheorien. Eine Einführung in systematischer Absicht, in: Gert Melville (Hg.), Institutionalität und Symbolisierung, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 3–49. 183 Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB., Do1/18.0/17924.

 

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letzten Endes auch eine einwandfreie Bekleidung dazu gehört“.184 Victor Turner hat darauf aufmerksam gemacht, dass Symbole neben einem „normativen“ auch einen „emotiven“ Pol besitzen, der auf ihre „sensorischen“ Eigenschaften verweist.185 Symbole vermitteln demnach nicht allein bestimmte Bedeutungen, sondern wirken zugleich auf sinnliche Weise. In diesem Sinne kann eine gut- oder schlechtsitzende, gepflegte oder zerschlissene Uniform die Selbst-Bilder und Vorstellungen ihrer Träger darüber, welche Bedeutung ihrer Tätigkeit zugemessen wird, entscheidend beeinflussen. Um den Kampfgruppen auch in symbolischer Hinsicht „mehr Bedeutung von zentraler Stelle“ zukommen zu lassen, wie es in der Begründung des Politbüros hieß,186 war im September 1957 deshalb zunächst die Einführung eines organisationseigenen Emblems beschlossen worden. Dass sei schon deshalb notwendig, so führte die Begründung des Politbüros weiter aus, weil in den Kampfgruppen nicht nur SED-Mitglieder, sondern auch eine „hohe Anzahl von parteilosen Kollegen organisiert“ seien. Schienen die Selbst-Bilder und Vorstellungen dieser Kämpfer weniger berechenbar als die der eigenen Basis,187 war es umso dringender geboten, alle Angehörigen der Kampfgruppen auf ein einheitliches Selbst-Verständnis als ,Kämpfer der Arbeiter-undBauern-Macht‘ zu verpflichten. Versuche, ein Kampfgruppen-spezifisches Selbstverständnis zu stiften, rekurrierten dabei auf Traditionen der organisierten, vornehmlich der kommunistisch orientierten Arbeiterbewegung. So knüpfte das Kampfgruppen-Emblem in seiner Ikonographie – es zeigte ein in die Höhe gerecktes Gewehr, an dem eine rote Fahne weht [Zweiter Teil, Kap. II, Abb. 9] – an den Symbolhaushalt des Roten Frontkämpferbundes an [Zweiter Teil, Kap. II, Abb. 10].188 Auch andere Neuerungen folgten dem großen historischen Vorgänger: In Eigeninitiative waren einzelne Einheiten dazu übergegangen, nach dem Vorbild des RFB Kampfgruppen-eigene Spielmannszüge zu bilden.189

                                                             184 Vgl. Wortprotokoll über die am 28.3.1960 durchgeführte Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 92. 185 Vgl. dazu: Turner, The Forest of Symbols, S. 27ff, S. 48ff. 186 Vorschlag vom 30.10.1956, BArchB., Do 1/18.0/10201. 187 Zur Wahrnehmung der eigenen Basis bzw. anderer gesellschaftlicher Gruppen durch die SED vgl. Lüdtke, Die Akteure der Geschichte. 188 Vgl. Roter Frontkämpferbund 1924–1929. Katalog. Hrsg. vom Armeemuseum der DDR, Dresden 1984, S. 21–25; Schulze, Das große Buch der Kampfgruppen, S. 94. 189 Vgl. dazu: „Ein Spielmannszug wurde geboren“, in: Der Kämpfer, Nr. 2 (Februar), Jg. 2 (1958), S. 6; Aufstellung eines Orchesters der Kampfgruppen vom 4.4.1956, SAPMOBArch., DY 30IV 2/12/99, Bl. 18f.; vgl. auch: Bewaffnete Arbeiterbataillone im Bezirk Rostock, S. 22.

 

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Korrespondierten derartige Initiativen mit den kulturpolitischen Absichten der Avantgarde, im Rekurs auf die Agitproptradition der 1920er Jahre das sozialistische Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung zu stärken,190 wurden sie auf den Kommandohöhen sogleich aufgegriffen. Bereits im Jahr 1957 hatte die SED eigens ein Liederbuch für die Kampfgruppen herausgegeben. „Schreiten wir in Reih und Glied“ enthielt 65 traditionelle Arbeiter- und Kampflieder, u. a. aus dem Spanischen Bürgerkrieg und teilweise aus der Feder russischer Komponisten. Versprach man sich vom gemeinsamen Singen eine Stärkung des Kollektivgeistes innerhalb der Einheiten,191 konnte auch die Begleitung von Spielmannszügen in der Öffentlichkeit zu einer veränderten Wahrnehmung der Kampfgruppen beitragen. „Neugierig zogen viele Bürger die Jalousien hoch und hörten uns zu, winkten aus den Fenstern“, berichteten die Angehörigen des Spielmannzuges Rothenburg nach ihrem ersten Aufmarsch. Die Straßen „mit Musik der Arbeiterklasse zu beleben“, war für sie „ein doppelter Feiertag“,192 der weniger den kriegerischen als den klassenverbundenen Charakter der Kampfgruppen inszenierte. In Merseburg konnte die Kreisleitung melden, dass nach der Bildung einer eigenen Schalmeien-Gruppe die Beteiligung an der Ausbildung auf 80 % gestiegen war.193 Während in Salzwedel die Beteiligung an der Ausbildung der sechs lokalen Hundertschaften zwischen 27% und 68% betrug, konnte der Musikzug hingegen eine Beteiligung von 93,7% vorweisen. Derartige Befunde legen nahe, dass Musik und Geselligkeit hier auf größeren Zuspruch stießen als die militärische Ausbildung.194 Gleichzeitig verweisen sie auf individuelle wie kollektive Aneignungspraxen, die eher privaten als politischen Zielsetzungen zu folgen schienen.195 Die Einführung einer Uniform, bereits 1957 beschlossen, war, wie der bereits zitierte Beitrag des Dessauer Kommandeurs zeigt, auch drei Jahre später noch nicht gänzlich abgeschlossen. Nur in ungenügender Anzahl vorhanden waren

                                                             190 Vgl. dazu: Sandrine Kott, Zur Geschichte des kulturellen Lebens in DDR-Betrieben. Konzepte und Praxis der betrieblichen Kulturarbeit, in: AfS 39 (1999), S. 167–193. 191 Vgl. etwa: Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Kampfgruppen-Übung vom 1.12.1957, LHASA, SED-KL Naumburg, Nr. IV/415/213. 192 „Ein Spielmannszug wurde geboren“, in: Der Kämpfer, Nr. 2 (Februar), Jg. 2 (1958), S. 6. 193 Protokoll über die Aktivtagung vom 24.7.1957, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418. 194 Einschätzung der Kampfgruppenarbeit, undat. [1961], LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 70. 195 Vgl. dazu wiederum: Kott, Zur Geschichte des kulturellen Lebens; sowie: Jennifer Schevardo, Arbeitsbeziehungen, Arbeitsverhältnisse, Arbeiterexistenzen, in: Hübner/Kleßmann/Tenfelde (Hg.), Arbeiter im Staatssozialismus, S. 215–225.

 

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ferner Koppel, Tragegestelle und Munitionstaschen. Eine planmäßige Ausrüstung mit Brotbeuteln, Feldflaschen, Kochgeschirren, Zeltbahnen und Feldspaten hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht begonnen.196 Sowohl technische Hilfsmittel als auch entsprechende Dienstvorschriften standen den Einheiten zum Ende der 1950er Jahre nur „in beschränktem Maße“ zur Verfügung. Zwecks „Überwindung“ diesbezüglicher „Engpässe“ war 1957 ein erstes „Handbuch für die Ausbildung der Kampfgruppen. Waffen und Geländekunde“ erschienen, dennoch besaß die Ausbildung weiterhin und weithin improvisierten Charakter. Übungsanlagen entstanden vorwiegend „durch Eigenbau“,197 wobei sich insbesondere die Merseburger Einheit durch die Errichtung eines „vorbildlichen“ Schießstandes hervortat. Umgehend wurde sie dafür mit dem „Ernst-Thälmann“-Kampfbanner der Bezirksleitung ausgezeichnet.198 Für eine vom Selbstverständnis her als Kampfverband begriffene Organisation war insbesondere der Mangel an Waffen eine kaum zu unterschätzende psychologische Bürde. Auf 155.257 Kämpfer kamen im Herbst 1957 gerade 152.790 Karabiner und 4.048 Pistolen.199 Während Grenztruppen, Transport- und Bereitschaftspolizei mit modernen sowjetischen Waffen ausgerüstet wurden, erhielt das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ zumeist ältere deutsche Handfeuerwaffen, die größtenteils aus tschechischen Kriegsbeutebeständen stammten.200 Dass der Zustand der Waffen oftmals nur als „sehr unbefriedigend“ bewertet werden konnte, wie die Bezirksbehörde der VP in Magdeburg monierte,201 lag jedoch nicht allein am Alter des vorhandenen Materials. So notieren die Berichte der Instrukteure immer wieder auch, dass zahllose Kämpfer das – für jeden

                                                             196 Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB., Do1/18.0/17924. 197 Vgl. Analyse der Ausbildungssysteme, undat., BArchB., Do1/18.0/10201. 198 Vgl. Vorlage, undat., o. Verf., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 72 u. Bl. 76. 199 Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB, Do1/18.0/17924; Protokoll der 15. Sitzung des NVR vom 13.6.1963, BA-MA, DVW 1/39472, Bl. 167. 200 Vgl. Otto Wenzel, Kriegsbereit. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR 1960 bis 1989, Köln 1995, S. 87; allein die Bezirke Berlin und Magdeburg waren bis dahin mit dem moderneren Karabiner 38/44 ausgerüstet; die übrigen Bezirke verfügten weiterhin über den schon im Zeiten Weltkrieg gebräuchlichen Karabiner 98k; vgl. Bericht über den gegenwärtigen Stand der Kampfgruppen vom 8.11.1957, BArchB., Do1/18.0/17924; Protokoll der 15. Sitzung des NVR vom 13.6.1963, BA-MA, DVW 1/39472, Bl. 167. 201 Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHASA, MD, Rep M24, Film-Nr. 11, Bl. 257.

 

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Kampfverband eigentlich obligatorische – Waffenreinigen ostentativ verweigern würden.202 „Also Genossen [sic] es soll nicht ironisch klingen, ihr könnt es mir ehrlich glauben. Auch wir als Arbeiter machen uns Gedanken darüber, was können wir am besten tun, um tatsächlich unsere Republik am besten zu stärken und zu festigen“, beteuerte im März 1960 der Kommandeur einer Hundertschaft des VEB Mansfeld-Kombinates „Wilhelm Pieck“ im Rahmen einer Kommandeurstagung des Bezirkes Halle. Er führte weiter aus: „Ich sehe hier, der Genosse Major da unten, der zieht ein bisschen ein komisches Gesicht bei der Geschichte, vielleicht ist es ihm nicht ganz wohl, dass die Waffen vielleicht in die Betriebe kommen, ja aber Genossen, dass [sic] ist die Forderung der Arbeiter und inwieweit die Forderung der Arbeiter zurecht besteht, dafür seit [sic] ihr Genossen Offiziere, prüft das Genossen, sagt das – obs [sic] drin ist, von uns ist es ein guter Wille, dass [sic] ist nicht bloß eine Forderung, weil wir sagen, wir wollen die Knache [sic] oben haben, sondern wir machen uns Gedanken darüber, wenn der dadrüben [sic], der verkalkte Kreis dadrüben [sic] tatsächlich anfangen sollte die Brandfackel umzuwerfen […]. Und das berücksichtigt dabei, sprecht mal, wieweit das drin ist und dann Genossen, sagt uns, was ihr für richtig haltet, damit wir gemeinsam darüber diskukitieren [sic] und einen Weg darüber finden und wir denken, Genossen, wenn wir diese Dinge, wie ich sie eben angesprochen habe, auch in unserem [sic] gesamten Kampfgruppenarbeit, […], die Kritiken unserer Genossen Kämpfer beachten, sie in die Tat umsetzten […], dann wird auch unsere Kampfgruppenarbeit […] von vorn herein einen vielgrösseren [sic] Erfolg zeigen.“203

Dass die Kampfgruppen so wenig Zuspruch zu verzeichnen hatten, verknüpfte dieser Kommandeur mit der Weigerung des Regimes, den Kämpfern die Verfügungsmacht über eigene Waffen zuzugestehen. Tatsächlich lagerten die – trotz der vom Kommandeur benannten Bemühungen, eigene Waffenkammern in den Betrieben einzurichten – in der Regel in den örtlichen Volkspolizeikreisämtern. Dort mussten sie nach jeder Ausbildung auch wieder abgeliefert werden.204 Offiziell wurde diese Anordnung damit begründet, dass die Betriebe nicht für eine sichere Unterbringung der Waffen sorgen könnten. Implizit verweist sie jedoch                                                              202 Bericht über einen Instrukteurseinsatz im VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 45; Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 257. 203 Wortprotokoll über die am 28.3.1960 durchgeführte Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 96. 204 Vgl. Beschluss über die Aufgaben der Parteileitungen bei der Organisierung der Kampfgruppen vom 5.8.1955, LHASA, SED-KL Merseburg, Nr. IV/414/418, Bl. 70.

 

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auf die traumatische Erfahrung des 17. Juni und eine daraus resultierende, beständige Sorge der politischen Avantgarde, „dass sie [die Kommandeure und Kämpfer; T.S.] mit den Waffen und der Munition dem Staat Schaden zufügen konnten“, wie es ein Kämpfer der ersten Stunde formulierte.205 Aus der Sicht der Avantgarde war diese Sorge zumindest nachvollziehbar. Aus der Sicht derjenigen Arbeiter, die durch ihr militantes Engagement doch scheinbar bewiesen, dass es ihnen mit dem Schutz der sozialistischen Errungenschaften ernst war,206 konnte sie hingegen nur als Misstrauensbeweis betrachtet werden. Das ostentative Verweigern der Waffenwartung ist vor diesem Hintergrund mehrdeutig zu lesen. War es geeignet, gegen die schlechte Qualität der Ausrüstung zu protestieren, konnte es ebenso gut Enttäuschung über das mangelnde Vertrauen anderer Organe – hier: der VP – in die Kampfgruppen signalisieren. Bereits im Herbst 1957 war die Forderung „Jedem Kämpfer seine Waffe“ entstanden.207 Da aber nicht genug Waffen vorhanden waren, um jedem Kämpfer tatsächlich auch eine persönliche Waffe zuzugestehen, musste man sich deren Erhalt ,verdienen‘.208 Nur diejenigen Kämpfer, die regelmäßig an der Ausbildung teilnahmen und die Ausbildungsnormen erfüllten, sollten demnach auch eine eigene Waffe erhalten. Die Verteilung der vorhandenen Waffen besaß folglich nicht nur eine organisatorische, sondern gleichermaßen eine „politisch-ideologische“, pädagogische Dimension. Der schließlichen Verteilung der Waffen gingen deshalb ausführliche Diskussionen „über die politische Bedeutung der Pflege und des Zustandes der Waffen“ voraus. Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang auf die Kampfzeit, insbesondere auf das Beispiel der Buchenwalder KZHäftlinge, verwiesen: „Im Jahre 1945 haben sich in Buchenwald die Genossen unter Lebensgefahr Waffen besorgt und haben sich befreit, deshalb ist es heute

                                                             205 Gnad, Ein Leben in Uniform, S. 292f. 206 „Wir stellen die Frage, 15 Jahre sind vergangen, 15 Jahre wurde in der Deutschen Demokratischen Republik der Mensch überzeugt von der Richtigkeit des Sozialismus. Die Menschen wurden erzogen im Geiste des Sozialismus. Das äußert sich hier, Teilnahme an der Kampfgruppenarbeit, Stärkung der Partei und verschiedene andere Dinge mehr“, hatte der bereits zitierte Kommandeur in seinem Diskussionsbeitrag bereits zuvor zum Ausdruck gebracht; Wortprotokoll über die am 28.3.1960 durchgeführte Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 95. 207 Vgl. Analyse über den Stand der Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 15.9.1957, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 257. 208 Vgl. Über einige Erfahrungen zur Durchsetzung des Prinzips „Jeder Kämpfer seine Waffe“, Entwurf (undat.), LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 191.

 

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nicht so viel verlangt, wenn sich jeder Genosse Kämpfer verantwortlich fühlt für seine Waffe“, war der Tenor einer Kommandeurskonferenz des Kreises Hohenmölsen im April 1959.209 Der Rekurs auf die in der Kampfzeit erbrachten Opfer rückte den Erhalt einer persönlichen Waffe in die Nähe höchster klassenkämpferischer Weihen. Er implizierte eine moralische Verpflichtung, der sich der betreffende Kämpfer würdig zu erweisen hatte.210 Ihren symbolischen Abschluss sollte die Initiative durch eine feierliche Übergabe der Waffen finden. Vielfach wurden Arbeiterveteranen und verdiente ,alte Kämpfer‘ dazu ausersehen, die Waffen an die Kämpfer zu überreichen. Auf diese Weise unterstrich man nicht nur die Kontinuität des Kampfes der Arbeiterklasse, sondern verpflichtete die Kämpfer zugleich auf das persönliche Beispiel ihrer Vorgänger. Zwar berichteten einige Kreisleitungen im Anschluss an die Kampagne, dass in jenen Kreisen, wo jeder Kampfgruppen-Angehörige eine eigene Waffe erhalten hatte, die Pflege der Waffen zugenommen habe.211 Die Bezirksbehörde der VP in Halle konstatierte zum Jahresende 1959 jedoch, dass „der erwartete Erfolg […] nicht im vollen Umfang eingetreten“ sei. Nicht zuletzt fehlte es allein

                                                             209 Protokoll der Kreiskonferenz der Kommandeure vom 22.4.1959, LHASA, Abt. Mer., SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/40/228; dem Verweis auf die „Selbstbefreiung“ der Buchenwalder Häftlinge kam gerade dann Bedeutung zu, wenn er, wie etwa in Naumburg, durch die Biographien einzelner Kämpfer beglaubigt wurde; hier war es der Politstellvertreter einer lokalen Einheit, der selbst in Buchenwald inhaftiert gewesen war und nun seinen Kameraden aus eigener Erfahrung davon berichten konnte, „welche große Bedeutung die ständige Einsatzbereitschaft der Waffen durch eine gute Pflege hat“; Über einige Erfahrungen zur Durchsetzung des Prinzips „Jeder Kämpfer seine Waffe“. Entwurf (undat.), LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 193; zum Mythos der „Selbstbefreiung“ der Buchenwalder KZ-Häftlinge, der insbesondere in Bruno Apitz‘ kanonischem Roman „Nackt unter Wölfen“ thematisiert wird, vgl. Lutz Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald, Berlin 1994, S. 63–67. 210 Kampfgruppen-Angehörige, wie der Kämpfer einer Naumburger Hundertschaft, der „die Kampfgruppenuniform unter dem Arm [zur Ausbildung; T.S.] mitbrachte und erst am Antreteplatz anzog oder vorher den Mantel darüber trug“, wurde in diesem Sinne eine persönliche Waffe verweigert, denn „wenn du dich schämst, in der Kampfgruppenuniform über die Straße zu gehen, dann kannst du noch keine persönliche Waffe bekommen“; Über einige Erfahrungen zur Durchsetzung des Prinzips „Jeder Kämpfer seine Waffe“. Entwurf (undat.), LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 193. 211 Vorlage, undat., o.Verf., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 96, Bl. 69; Einschätzung der Kampfgruppen für das Jahr 1959 und das I. Quartal 1960 vom 21.5.1960, LHASA, Abt. Mer., SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222.

 

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im Bezirk Halle weiterhin an 2.500 Waffen.212 Eine feierliche Übergabe hatte bis dahin noch längst nicht in allen Kreisen stattgefunden. Zudem hätte sie „in vilen [sic] Fällen“ nur „organisatorischen Charakter“ gehabt, weiterhin „mangelhaft“ sei die Waffenpflege vor allem in den Kreisen Querfurt, Weißenfels, Hettstedt und in den Chemie-Betrieben des Bezirkes.213 Ein Ergebnis der Kampagne bestand darin, dass die Kampfgruppen-Angehörigen nun individuell für Unzulänglichkeiten in der Pflege ihrer Waffen verantwortlich gemacht werden konnten. Ansonsten schien die Initiative wenig dazu beigetragen zu haben, ihr Selbstwertgefühl als respektierte und geachtete Kämpfer ihrer Klasse zu stärken, zumal die Waffen auch weiterhin in den VPKÄ gelagert wurden. Allzu offensichtlich waren die disziplinierenden Intentionen dieser Initiative, die möglicherweise gerade deshalb nicht den erwünschten Erfolg zeitigte. Die Einführung eines organisationseigenen Gelöbnisses im Herbst 1959 ist vor diesem Hintergrund als neuerlicher Versuch zu bewerten, die Angehörigen der Kampfgruppen auf ein loyales und diszipliniertes Idealbild einzuschwören. Anders als die Initiative von 1957 war die Einführung eines Gelöbnisses zugleich der Versuch, über die Angehörigen der Kampfgruppen hinaus alle Werktätigen auf das zweite der erst ein Jahr zuvor von Walter Ulbricht proklamierten „zehn Gebote der sozialistischen Moral“ einzuschwören. Zu diesem Zweck sollte das Gelöbnis zu einem „Höhepunkt nicht nur im Leben der Kampfgruppen, sondern des gesamten Betriebes“ werden.214 Der gewählte Zeitpunkt war zudem nicht ohne symbolische Bedeutung. Das Gelöbnis sollte republikweit im Rahmen der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen des Arbeiter-und-Bauern-Staates begangen werden, und zwar am Abend vor dem eigentlichen Feiertag, dem 7. Oktober.215 Voller Eifer hatte die politische Führung ihre Bevölkerung auf dieses Ereignis vorbereitet.216 Mit dem Erreichen

                                                             212 Vorlage vom 28.8.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 97, Bl. 22. 213 Einschätzung des Standes der Ausbildung der Kampfgruppen im Bezirk Halle nach Abschluss des Ausbildungsjahres 1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 162. 214 Direktive zur Organisation der Ablegung des Gelöbnisses, undat., LHASA, MD, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 112. 215 Auch in Zukunft sollte das Gelöbnisritual jeweils entweder am Vorabend des 7. Oktober oder alternativ am Vorabend des 1. Mai begangen werden. 216 Zum zehnten Jahrestag der DDR vgl. insbesondere die Beiträge in: Monika Gibas/Dirk Schindelbeck (Hg.), „Die Heimat hat sich schön gemacht …“. 1959: Fallstudien zur deutsch-deutschen Propagandageschichte, Leipzig 1994; sowie: Dieter Vorsteher, „Ich bin zehn Jahre“. Die Ausstellung im Museum für Deutsche Geschichte anlässlich des zehnten Jahrestages der DDR, in: Monika Gibas/Rainer Gries/Barbara Jakoby/Doris Müller

 

 

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ihres zehnjährigen Jubiläums verfügte die DDR nun nicht nur über eine eigene Geschichte, sie war selbst Geschichte geworden, „würdiger Bestandteil des jahrhundertelangen Kampfes des edelsten Teils der Menschheit um eine sozial gerechtere Gesellschaft“.217 Diesem Anlass sollte nicht bloß ein einziger Feiertag, sondern eine ganze Feierwoche Rechnung tragen. Im Sinne eines „nachholenden Initiationsrituals“ sollte die gesamte Bevölkerung auf die historische Mission des Arbeiter-und-Bauern-Staates verpflichtet werden.218 Die zeigte sich jedoch – folgt man den Berichten der Apparate – skeptisch. Eine „Einschätzung der Aktion ,Friedensfest‘“, die vom MfS Mitte Oktober 1959 angefertigt wurde, hob drei Themenfelder hervor, die insbesondere „Gegenstand […] negativer Diskussionen“ unter der Bevölkerung gewesen seien: „Die Vereidigung der Kampfgruppen, die neue Staatsflagge (wo man als hauptsächliches Argument anführte, dass die DDR dadurch die Spaltung Deutschlands vertiefe) und verschiedene Lohn- und Prämienfragen“. Zwar würden sie „alle keinen so großen Umfang einnehmen wie es beispielsweise bei den Versorgungsschwierigkeiten der Fall“ sei,219 beschwichtigte das MfS. Im Hinblick auf die von der Avantgarde umworbene Klasse scheinen sie dennoch bezeichnend, zeigten sie doch, dass eine beunruhigende Anzahl an Werktätigen weniger klassenbewusst als national zu denken schien, wie die Diskussionen über die sogenannte „Spalterflagge“ nahelegen.220 Darüber hinaus war die Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich weniger an gesamtstaatlicher als an individueller Prosperität interessiert, wie wiederum der

                                                                                                                                      

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(Hg.), Wiedergeburten. Zur Geschichte der runden Jahrestage der DDR, Leipzig 1999, S. 135–146. Zit. nach: Monika Gibas, „Deckt alle mit den Tisch der Republik“. Regie und Dramaturgie des DDR-Dezenniums am 7. Oktober 1959, in: dies./Schindelbeck (Hg.), Fallstudien zur deutsch-deutschen Propagandageschichte, S. 49–68, hier: S. 50. Monika Gibas, „Die Republik, das sind wir!“ Das propagandistische „Gesamtkunstwerk“ Zehnter Jahrestag als nachholendes Initiationsritual, in: Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag, S. 217–235. [Bericht über] die Aktion „Friedensfest“ vom 19.10.1959, BStU, ZAIG, Nr. 226, Bl. 72; hier sind dem Verfasser von Seiten der BStU nur diejenigen Seiten des Berichtes mitgeteilt worden, in denen die Kampfgruppen explizit benannt werden, die Bl. 68, 72 und 7, insofern muss bedauerlicherweise offenbleiben, welche anderen Aspekte „Gegenstand weiterer negativer Diskussionen“ innerhalb der Bevölkerung waren. Zur Rezeption der „Spalterflagge“ vgl. Eckhardt Fuchs, Blicke hinter den „Eisernen Vorhang“: Die DDR 1959 im Spiegel der US-Presse, in: Gibas/Schindelbeck (Hg.), Fallstudien zur deutsch-deutschen Propagandageschichte, S. 126–143, hier: S. 126f.

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Streit um Lohn- und Prämienfragen andeutet.221 Erst recht schien sie nicht bereit, die sozialistischen Errungenschaften auch unter dem Einsatz ihres eigenen Lebens verteidigen zu wollen. Umso bedeutungsvoller war die Funktion des Gelöbnisses. Die „politischideologische“ Vorbereitung dieses Ereignisses beinhaltete Kulturveranstaltungen, Filmvorführungen und Gespräche mit Arbeiterveteranen.222 Nicht nur die Kampfgruppen-Angehörigen, sondern die gesamte werktätige Bevölkerung sollte auf diese Weise davon überzeugt werden, dass die DDR „das Ergebnis des mehr als 60jährigen Kampfes der deutschen Arbeiterklasse“ sei, das es unbedingt zu schützen und zu verteidigen gelte.223 Angesichts der ungebrochenen „imperialistischen Bedrohung“ bestand das offiziell proklamierte Ziel des Gelöbnisses darin,224 „ein eindrucksvolle[s] Treuebekenntnis zur Partei der Arbeiterklasse und unser Deutschen Demokratischen Republik“ zu inszenieren. Jedwede Zweifel daran, „dass die Kampfgruppen wachsam und bereit sind, jede seiner [gemeint ist der „Klassenfeind“, T.S.] Provokationen mit eiserner Faust zu zerschlagen“, sollten auf diese Weise zerstreut werden.225 Zugleich erhoffte man sich vom Gelöbnis eine Stärkung des Selbstbewusstseins der Kämpfer, indem es ihnen „stärker als bisher“ vor Augen führen sollte, „welch‘ hohe Verantwortung sie in den Betrieben und für die Sicherung der Arbeiter-und-Bauernmacht tragen“.226 Einmal mehr (und im Widerspruch zu vielfachen alltäglichen Erfahrungen) sollte das Ritual auch die Verbundenheit der Klasse zu ihrem bewaffneten Organ in Szene setzen. Dazu war es unerlässlich, dass das Gelöbnis „im Beisein aller Betriebsangehörigen, im betriebseigenen Gelände oder in unmittelbarer Nähe des

                                                             221 Vgl. dazu wiederum: Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss; Port, Conflict and Stability, S. 166–178. 222 Bericht der Bezirksbehörde der DVP Halle über die Vorbereitung des Gelöbnisses vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 94. 223 Arbeitsmaterial zum Gelöbnis der Kampfgruppen, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 98ff. 224 Vgl. dazu: Gerald Diesener, Schon einmal am Wendepunkt – im ,Neuen Deutschland‘ 1959, in: Gibas/Schindelbeck (Hg.), Fallstudien zur deutsch-deutschen Propagandageschichte, S. 29–48, hier: S. 41–44. 225 „Ablegung des Gelöbnisses erfordert eine gute Vorbereitung“, in: Der Kämpfer, Nr. 7 (Juli), Jg. 3 (1959), S. 1. 226 „Einheitliches Gelöbnis für die Kampfgruppen“, in: Der Kämpfer, Nr. 6 (Juni), Jg. 3 (1959), S. 1.

 

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Betriebes“ begangen wurde.227 Neben der Belegschaft waren auch Delegationen aller Massenorganisationen eingeladen, an diesem Ritual teilzunehmen. Dass die Kampfgruppen bei aller Betriebsbezogenheit ein integraler Bestanteil der bewaffneten Organe der DDR darstellten, wurde wiederum durch die Teilnahme von Gästen anderer sozialistischer Truppenformationen, etwa der NVA, der DVP oder der GST unterstrichen. Deutlicher als jedes andere der vielfältigen Rituale im Kampfgruppen-Alltag trug das Gelöbnis Züge eines „Übergangsrituals“. Definiert als Versuch, „das Individuum aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte Situation hinüberzuführen“, besitzen Übergangsriten eine quasi-initiatorische Funktion.228 Sie unterwerfen die Initianten einem Zyklus, der sie symbolisch zunächst ihrer vorangegangenen, zumeist ,profanen‘ sozialen Rolle enthebt, um sie in die ihnen zugedachte neue Rolle einzuführen. Spezifische Vorschriften und Insignien – wie sie etwa in einer einheitlichen Uniformierung zum Ausdruck kommen – binden die Initianten aneinander und schreiben ihnen einen ,sakralen‘ Status zu. Der wiederum geht mit spezifischen Erwartungen einher. Die (nunmehr) Initiierten sehen sich fortan dazu aufgefordert, ihr Verhalten an spezifischen Normen und ethischen Maßstäben auszurichten, die sich mit ihrer neuen Rolle – in diesem Fall die des Kämpfers – verbinden.229 Die lokalen Parteiorganisationen waren angehalten, das Gelöbnis gründlich vorzubereiten. Dazu zählten auch „Aussprachen“, in denen Ablauf und Inhalt des Zeremoniells diskutiert wurden. Kämpfer mussten „Bereitschaftserklärungen“ unterzeichnen, die in der Regel mit Verpflichtungen „zu Ehren des Geburtstages der Republik“ verknüpft waren.230 Wer sich der Ablegung des Gelöbnisses verweigerte, sah sich zumeist mit weiteren Aussprachen konfrontiert. Dass mancher

                                                             227 Direktive zur Organisation der Ablegung des Gelöbnisses der Kampfgruppen, undat., LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 112.; vgl. auch: Protokoll der BPOMitgliederversammlung vom 21.9.1959, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3. 228 Arnold van Gennep, Übergangsriten, Frankfurt a. Main/New York 1999 (erstmalig: 1909), S. 15. 229 Turner, Das Ritual, S. 94f.; ders., Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites de Passage, in: ders., The Forest of Symbols. Aspects of Ndembu Ritual, Ithaca/New York 1967, S. 93–111, Zitat S. 108. 230 Vgl. Abschlussbericht über die Durchführung des Gelöbnisses der Kampfgruppen vom 12.10.1959, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 132; „Unser Gelöbnis ist uns eine Selbstverständlichkeit“, in: Der Kämpfer, Nr. 8 (August), Jg. 3 (1959).

 

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Kämpfer daraufhin doch der Ablegung des Gelöbnisses zustimmte,231 verweist darauf, dass auf unwillige Kämpfer auch Druck ausgeübt wurde, um sie zur Teilnahme am Zeremoniell zu bewegen. Maßnahmen, wie sie im Kreis Hettstedt getroffen wurden, wo 11 Kampfgruppen-Angehörige aufgrund ihres Widerstandes gegenüber dem Gelöbnis kurzerhand aus den Kampfgruppen ausgeschlossen wurden, scheinen jedoch die Ausnahme gewesen zu sein. Offensichtlich war der Zuspruch zu den Kampfgruppen hier dermaßen ausgeprägt – so hatten annähernd 95 Prozent aller Kampfgruppen-Angehörigen dieses Kreises dem Gelöbnis zugestimmt –, dass ein Ausschluss der betreffenden Kämpfer hier besser zu verkraften war als in anderen Kreisen, wo um jeden einzelnen Kämpfer geworben und gerungen werden musste.232 Zählt der Eid zu den intensivsten Ausformungen einer feierlichen Bekenntnishandlung mit Symbolcharakter im militärischen Kontext, rangiert das Gelöbnis formal eine Stufe darunter.233 Dennoch gilt auch das Gelöbnis und der mit ihm verbundene Appell an das Gefühl als eine Art „feierliches Versprechen“ (Euskirchen).234 Für die Kämpfer war es selbstverständlich, ihn in Uniform zu begehen, jedoch ohne Waffen.235 Wo das, wie in Magdeburg, aufgrund des vorherrschenden Uniformmangels nicht möglich war, unterband die VP die Durchführung des

                                                             231 Vgl. etwa: Bericht über die Vorbereitung des Gelöbnisses vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 94. 232 Bericht über die Ablegung des Gelöbnisses im Bereich des VPKA Hettstedt vom 15.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 107. 233 Eid und Gelöbnis ist gemeinsam, dass der Grad der Verpflichtung, der aus den verschiedenen Verpflichtungs- und Bekräftigungsformulierungen abgeleitet wird, als gleich gilt, dem Eid jedoch als der feierlichen Anrufung einer „göttlichen Instanz“ formell ein höherer Rang zukommt; vgl. Hans-Peter Stein, Symbole und Zeremoniell in deutschen Streitkräften vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Augsburg 1992, S. 92; Markus Euskirchen, Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005. 234 Stein, Symbole und Zeremoniell, S. 86; Eidesleistungen und Gelöbnisse begründen jedoch keine neuen Pflichten, sondern bedeuten lediglich ein symbolisches Bekenntnis zur Grundpflicht des Kombattanten, die auch ohne ein solches Bekenntnis wirksam wäre; Bruch des Eides bzw. des Gelöbnisses ist deshalb für sich kein Straftatbestand; vgl. ebd., S. 93. 235 Die Direktive merkte jedoch an, dass zur „würdige[n] Ausgestelung [sic] des Raumes oder Platzes […] Waffen, die zur Ausrüstung der Kampfgruppen gehören, aufgestellt werden“ können, vgl. Direktive zur Organisation der Ablegung des Gelöbnisses der Kampfgruppen, undat., LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 113.

 

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Rituals236 – deutlicher Hinweis darauf, wie viel Wert der Uniform zur symbolischen Bekräftigung des Anliegens beigemessen wurde.237 Nach ein paar einleitenden Worten über die Bedeutung des Gelöbnisses durch den 1. Sekretär der Betriebsparteiorganisation sollte dann zur Ablegung des Gelöbnisses geschritten werden. „Ich bin bereit, als Kämpfer der Arbeiterklasse die Weisungen der Partei zu erfüllen, die Deutsche Demokratische Republik, ihre sozialistischen Errungenschaften jederzeit mit der Waffe in der Hand zu schützen und mein Leben für sie einzusetzen. Das gelobe ich!“238 lautete es und wurde in der Regel vom ersten Sekretär der BPO – ggf. auch von einem Arbeiterveteran239 – vorgesprochen. Im Mittelpunkt des Zeremoniells stand dabei die Kampfgruppen-Fahne. „Besonders bewährte Genossen“ sollten sich zu ihren Seiten postieren und während des Schwurs mit ihrer linken Hand das Fahnentuch berühren, während die rechte zum Schwur erhoben war. Als zentrales Symbol, das dazu anhielt, „getreu den Traditionen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zu handeln“,240 betonte die Fahne den Vorrang des Kollektivs gegenüber dem einzelnen Kämpfer. Als symbolischer Zeuge des Schicksals einer Einheit bildete sie zugleich den zentralen Bezugspunkt ihrer Angehörigen.241 Nach Möglichkeit sollte das Zeremo-

                                                             236 Bericht der Bezirksbehörde der DVP Magdeburg, LHAM, Rep M24 (1952–1960), FilmNr. 11, Bl. 134; in Halle waren es hingegen Kämpfer, die aufgrund des dort vorherrschenden Uniformmangels vorschlugen, das Gelöbnis erst nach der Einkleidung zu begehen; ob es ihnen tatsächlich um eine würdige Begehung ging oder der Mangel an Uniformen nur dazu benutzt wurde, das Gelöbnis zu umgehen, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben; vgl. Bericht der Bezirksbehörde der DVP Halle über die Vorbereitung des Gelöbnisses vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 94f. 237 Euskirchen, Militärrituale, S. 147. 238 Zit. nach: Getreu dem Gelöbnis, S. 20. 239 Vgl. Bericht der Bezirksbehörde der DVP Magdeburg, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 134; in Bitterfeld bspw. sprach der Parteiveteran und langjährige Gewerkschaftsfunktionär Max Troitzsch das Gelöbnis; vgl. dazu: Getreu dem Gelöbnis, S. 20; zur Person Max Troitzsch vgl. Manfred Gill, Genosse Max Troitzsch – ein Leben für die Gewerkschaft, hrsg. von der Kommission für Betriebsgeschichte der Zentralen Parteileitung und des Betriebsarchivs des VEB Filmfabrik Wolfen, Wolfen 1985. 240 Ordnung über den Dienst in den Kampfgruppen vom 27.6.1976, BStU, MfS-BdL, Nr. 8784, Bl. 11. 241 Ordnung über den Dienst in den Kampfgruppen vom 27.6.1976, BStU, MfS-BdL, Nr. 8784, Bl. 62: „Die Kampfgruppen-Fahne ist das Symbol der bewaffneten Arbeiterklasse. Sie mahnt jeden Angehörigen der Kampfgruppen, die Deutsche Demokratische Repu-

 

 

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niell zudem von einer Musikkapelle begleitet werden.242 Mancherorts erfolgte im Anschluss an das Gelöbnis zudem eine Auszeichnung von „in Fragen der Ausbildung, Schießergebnisse und Disziplin“ vorbildlichen Kämpfern durch den Sekretär der lokalen Parteiorganisation. Scheinbar zum Erstaunen der Berichterstatter befanden sich unter den Ausgezeichneten mancherorts auch parteilose Angehörige.243 Pries der „Kämpfer“ im Vorfeld die „breite Zustimmung der Kämpfer und Kommandeure zum einheitlichen Gelöbnis“, zeigte sich im Oktober jedoch, dass die Ablegung nicht allen Kämpfern „eine Selbstverständlichkeit“ war, wie es im August noch geheißen hatte.244 Insgesamt gab es sowohl im Bezirk Magdeburg als auch im Bezirk Halle kaum eine Hundertschaft, in der nicht auch Missfallen gegenüber der Ablegung des Gelöbnisses geäußert wurde.245 Im Bezirk Magdeburg legten 87,1 Prozent aller Kampfgruppen-Angehörigen das Gelöbnis ab;246 im Bezirk Halle belief sich die Zahl der Ablegungen auf 82,7 Prozent.247 Auch wenn diese Angaben dafür sprechen, dass der überwiegende Teil der Kämpfer dem Gelöbnis zustimmte, variierte diese Zustimmung von Ort zu Ort dennoch beträchtlich. Während in Hettstedt und Halle 94,9 bzw. 94,1 Prozent aller Kampfgruppen-Angehörigen das Gelöbnis abgelegt hatten,248 lehnten 50 Prozent aller

                                                                                                                                      

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blik zu schützen und unter Einsatz seines Lebens zu verteidigen sowie sich der Zugehörigkeit zu den Kampfgruppen stets würdig zu erweisen.“ Direktive zur Organisation der Ablegung des Gelöbnisses der Kampfgruppen, undat., LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 113; in Salzwedel hatte der Leiter des lokalen Schallmeien-Zuges eigens einen „Marsch der Kampfgruppen“ zu diesem Anlass komponiert; vgl. Bericht des VPKA Salzwedel, undat., LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 134. Einschätzung der Gelöbnisse der Kampfgruppen vom 9.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 104. Vgl. „Unser Gelöbnis ist uns eine Selbstverständlichkeit“, in: Der Kämpfer, Nr. 8 (August), Jg. 3 (1959), S. 1. Vgl. Bericht der Bezirksbehörde der DVP Halle vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 95f.; Vgl. Analyse vom 4.11.1959, LHAM Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 123f. Bericht der Bezirksbehörde der DVP Magdeburg, undat., LHAM, Rep M24 (1952– 1960), Film-Nr. 11, Bl. 135; ein anderer Bericht beziffert die Teilnahme dagegen auf „18.910 Genossen“; vgl. ebd., Bl. 133. Referat zur III. Bezirkskonferenz zu Halle, undat., SAPMO-BArch., FSB 158/19251, Bl. 14. Bericht über die Durchführung des Gelöbnisses im Bereich des VPKA Halle, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 97.

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Kämpfer der MTS Brehna im Kreis Bitterfeld eine Teilnahme ab.249 Ähnlich gering fiel die Zustimmung im MTS-Bereich Querfurt aus. Im MTS-Bereich Obhausen nahmen von 35 Angehörigen nur 15 am Gelöbnis teil.250 Legen diese Angaben ein ausgeprägtes Stadt/Land-Gefälle im Hinblick auf die Zustimmung zu den Kampfgruppen nahe, schärfen sie wiederum den Blick für das lokale Milieu, in dem das Gelöbnis jeweils begangen wurde. Zahllose Betriebsleitungen verweigerten ihren Angehörigen eine Freistellung für das Gelöbnis.251 In verschiedenen Gemeinden bedurfte es darüber hinaus „längere[r] Diskussionen“ mit den jeweiligen Bürgermeistern, weil diese sich zunächst geweigert hatten, für die Veranstaltung die geforderten Brandschutzwachen abzustellen.252 Im Stadtgebiet Querfurt, im Bezirk Halle, wurde anlässlich des Gelöbnisses gar „Hetze und Feindtätigkeit“ registriert, hier hatten Jugendliche zwei Fahnen niedergerissen.253 Dass Kämpfer das Gelöbnis selbst dazu benutzten, ihrem Unmut über lokalpolitische Missstände und Konflikte Ausdruck zu geben – ein geringer Zuspruch gerade in ländlichen Gebieten ist wiederum auch vor dem Hintergrund der aktuellen Kollektivierungskampagne zu betrachten –, zeigen andere Beispiele. Etwa in Magdeburg beabsichtigte ein Kämpfer durch sein Fehlbleiben demonstrative Kritik an den „bestehenden Unklarheiten bzw. Unstimmigkeiten im Leitungskollektiv“ des Betriebes zu üben.254 Die symbolische Verpflichtung des Gelöbnisses hatte nicht immer zur Folge, dass die Kämpfer abweichende Ansichten über den politischen Kurs ,ihrer‘ Avantgarde daraufhin aufgaben. Wie nicht zuletzt die zentrale Passage des Gelöbnisses, in erster Linie „die Weisungen der Partei zu erfüllen“ und erst nachstehend die „Deutsche Demokratische Republik“ und ihre „sozialistischen Errungenschaften“ zu schützen, zum Ausdruck brachte, intendierte die Einführung des Gelöbnisses, den Anspruch einer symbiotischen Beziehung von Avantgarde und (bewaffneter) Klasse zu bestärken. Aussagen wie die eines Hallenser Kämpfers – der zwar an der Vorbereitung des Gelöbnisses teilgenommen hatte, „nach dem Antreten zum Appell die Ablegung des Gelöbnisses mit der Begrün                                                             249 Bericht vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 95. 250 Kontrollbericht über den Einsatz im VPKA Querfurt vom 15.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 106. 251 Vgl. die Berichte in: LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 123f. u. Bl. 135. 252 Vgl. Kontrollbericht über den Einsatz im VPKA Querfurt vom 15.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 106. 253 Vgl. Kontrollbericht über den Einsatz im VPKA Querfurt vom 15.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 106RS. 254 Vgl. Analyse des Gelöbnisses vom 4.11.1959, LHAM, RepM24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 123.

 

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dung, ,dass er freibleiben wolle‘“ jedoch verweigerte255 – verweisen hingegen auf eigensinnige Distanz gegenüber dem Parteiregime der SED.256 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Absicht einiger Hundertschaften der Kreise Salzwedel und Staßfurt, deren Kämpfer nur den Schlusssatz „Das geloben wir“ sprechen wollten – ein Anliegen, das von den zuständigen Instrukteuren jedoch unterbunden wurde.257 Vorbehalte im Hinblick auf eine Verpflichtung gegenüber der SED artikulieren eine Distanz gegenüber dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“, die ihre Ursache möglicherweise auch in dessen zweideutigem Status‘ fanden. Am deutlichsten kam das in Aussagen zum Ausdruck, die „Angst“ davor bekundeten, „zur Verantwortung gezogen zu werden, ,falls es einmal anders käme‘“.258 Derartige Befürchtungen brachten einerseits wenig Vertrauen in den Konsolidierungsprozess des ,ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden‘ zum Ausdruck. Zugleich artikulierten sie erhebliches Misstrauen gegenüber den Kampfgruppen, die „immer mehr den Charakter von Partisanen an[nehmen]“ würden.259 Warum dieser Charakterzug in den Augen der betreffenden Personen weiter an Bedeutung gewann, während die Kommandohöhen doch bemüht waren, ihrer Miliz durch vielfältige Einflussnahme ihren Partisanengeist auszutreiben, scheint zunächst widersprüchlich. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang jedoch auf die großangelegten Übungen des Jahres 1957 wie auch auf die fortgesetzte Weigerung der SED, die Kampfgruppen trotz internationaler Abrüstungs-Diskussionen aufzulösen. Von Bevölkerungsseite war in Vorbereitung des Gelöbnisses immer wieder auf sie Bezug genommen worden.260 Dass die SED nichtsdestotrotz auf ihrer Haltung beharrte, mag manchen Bürger in seinem Misstrauen bestärkt haben, dass das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ im Zweifelsfall zum Einsatz auch gegen die eigene Klasse gedacht und gebraucht würde.

                                                             255 Vgl. Bericht über die Durchführung des Gelöbnisses, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 97. 256 Bericht der Bezirksbehörde der DVP Halle vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 96. 257 Bericht der Bezirksbehörde der DVP Magdeburg, LHAM, Rep M24 (1952–1960), FilmNr. 11, Bl. 134. 258 [Bericht über] die Aktion „Friedensfest“ vom 19.10.1959, BStU, ZAIG, Nr. 226, Bl. 73. 259 [Bericht über] die Aktion „Friedensfest“ vom 19.10.1959, BStU, ZAIG, Nr. 226, Bl. 72. 260 Vgl. Bericht über die Vorbereitung des Gelöbnisses vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 94; [Bericht über] die Aktion „Friedensfest“ vom 19.10.1959, BStU, ZAIG, Nr. 226, Bl. 73.

 

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So, wie die Angst davor, zur Rechenschaft gezogen zu werden, falls es ,einmal anders käme‘, Vorbehalte gegenüber einer kompromisslosen Bindung an die SED zum Ausdruck bringen konnte, artikuliert sie zugleich Spuren eines „gekränkten Staatsbürgertums“: „Wir sind schon öfters aufs Vaterland vereidigt worden und haben davon die Nase voll“, notierte das MfS an erster Stelle eines Berichtes über die „Aktion Friedensfest“ einer Anzahl von Argumenten, die überall in der DDR gegen das Gelöbnis vorgebracht wurden.261 Dass zwischen Eid und Gelöbnis hier nicht unterschieden wurde, kann auch auf den Verfasser des Berichtes zurückzuführen sein, unterstreicht nichtsdestotrotz die weithin wirksame Verpflichtungsfunktion des Rituals. „Wenn ich das Gelöbnis ablege, unterstehe ich dem Militärgesetz und bin kein freier Mensch mehr“262 oder kann gezwungen werden, „an der Ausbildung aktiv teilzunehmen“263, waren Befürchtungen, die in diesem Sinne gegen eine Beteiligung am Zeremoniell angeführt wurden. „Oftmals“, so die Einschätzung des MfS, hätten Kämpfer insbesondere an der Forderung „mein Leben für sie einzusetzen“ Anstoß genommen,264 im Kreis Salzwedel gar die „gesamte MTS-Brigade“ der 194. Hundertschaft.265 Derartige Befunde unterstreichen einmal mehr, dass die Mitarbeit in den Kampfgruppen vielfach eher privaten als politischen Motivationen zu folgen schien. Hin und wieder der „Militärspielerei“ zu frönen, ging nicht in jedem Fall auch mit der Bereitschaft einher, sein Leben für den Schutz der sozialistischen Errungenschaften einsetzen zu wollen.

Proletarische Virtuosen oder ganz gewöhnliche Werktätige? Kampfgruppen vor dem Mauerbau Nachdem 1958 auf dem V. Parteitag von höchster Stelle noch einmal gefordert worden war, die Kampfgruppen-Arbeit umgehend zu intensivieren,266 zeigten sich

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[Bericht über] die Aktion „Friedensfest“ vom 19.10.1959, BStU, ZAIG, Nr. 226, Bl. 72. [Bericht über] die Aktion „Friedensfest“ vom 19.10.1959, BStU, ZAIG, Nr. 226, Bl. 72. Vgl. Bericht der DVP Halle vom 5.10.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 95RS. [Bericht über] die Aktion „Friedensfest“ vom 19.10.1959, BStU, ZAIG, Nr. 226, Bl. 72; vgl. auch: Bericht der Bezirksbehörde der DVP Magdeburg, LHAM, Rep M24 (1952– 1960), Film-Nr. 11, Bl. 133. 265 Bericht der SED-Kreisleitung Salzwedel vom 12.10.199, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 33. 266 Vgl. Einschätzung des Standes der Ausbildung der Kampfgruppen im Bezirk Halle nach Abschluss des Ausbildungsjahres 1959 vom 28.2.1960, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 151.

 

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diesbezügliche Berichte zum Ende des Jahrzehnts bemüht, die Fortschritte der vergangenen Jahre herauszustreichen. „In immer stärkerem Maße ist zu erkennen, dass sich in den Einheiten der Kampfgruppen die besten und fortschrittlichsten Söhne des werktätigen Volkes zusammengeschlossen haben und sich neben der Erfüllung der Produktionspläne sehr intensiv um die Verteidigung ihrer Errungenschaften vorbereiten. Allein schon die ständig steigende Teilnahme an den Ausbildungsthemen zeigt den hohen Grad an politischem Bewusstsein und kennzeichnet den eisernen Willen der Genossen Kämpfer, sich neben ihrer fachlichen Qualifizierung, zusätzlich in ihrer Freizeit auch ein Höchstmaß an militärischem Wissen und Können anzueignen“,

hieß es in einer Einschätzung der Bezirksbehörde der DVP in Magdeburg aus dem Frühjahr 1961.267 Benannte der Bericht die wichtigsten Probleme der militärpolitischen Arbeit – die Konkurrenz von Ausbildung und Produktion wie auch die Konkurrenz von individueller Freizeit/Fortbildung und ehrenamtlichem paramilitärischen Engagement –, schrieb er es dem vorbildlichen Bewusstsein der Kämpfer zu, dass diese Probleme zunehmend gemeistert würden. In diesem Sinne verwies auch die Bezirksbehörde der DVP in Halle auf die regelmäßige Teilnahme an der Ausbildung, die sich von 1957 (67,5%) bis 1960 (88%) im gesamten Bezirksgebiet kontinuierlich gesteigert hätte. Positiv bewertete sie insbesondere die Entwicklung, dass inzwischen „eine ziemliche Ausgeglichenheit an der Ausbildung unter der Mehrzahl der Kreise“ erreicht werden konnte. Belegt wurde diese Einschätzung damit, dass seit 1957 die Differenz zwischen dem besten und dem schlechtesten Kreis in dieser Hinsicht von „etwa 60%“ auf mittlerweile nur noch „etwa 30%“ gesenkt werden konnte.268 Im Bezirk Magdeburg hatte die Beteiligung hingegen in der ersten Jahreshälfte nur bei durchschnittlich 62,3% gelegen und war im III. Quartal – „stets bedingt durch verstärkte Erntearbeiten“, wie die Bezirksbehörde der VP erklärend hinzufügte – auf 54,6% zurückgegangen. Hinsichtlich einer regelmäßigen Beteiligung an der Ausbildung belief sich die Differenz zwischen dem besten und dem schlechtesten Kreis – das waren im Jahr 1960 Staßfurt (92,1%) bzw. Klötze (55,9%) gewesen – hier auf 36,2%.269

                                                             267 Bericht der Bezirksbehörde der VP, undat.[1961], LHASA, MD, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 324. 268 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 43f. 269 Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Jahre 1960 vom 17.1.1961, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 313.

 

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Insbesondere in den eher ländlich geprägten Kreisen beider Bezirke blieb die Beteiligung an der Ausbildung deutlich hinter dem Bezirksdurchschnitt zurück. In Magdeburg betraf das – neben Klötze – die Kreise Haldensleben (56,9%), Osterburg (56,3%), Wanzleben (57,8%) und Wolmirstedt (57,9%), in Halle wiederum die Kreise Weißenfels (60,4%) und Artern (65%).270 Hier trugen nicht nur ungleich ungünstigere strukturelle Bedingungen dazu bei, dass die sich zumeist aus mehreren Orten und Betrieben rekrutierenden Angehörigen einer Hundertschaft selten vollzählig zusammenkamen.271 Auch saisonale Spezifika, wie sie im Bericht der Bezirksbehörde in Magdeburg als Erklärung für die absinkende Beteiligung im Herbst angeführt wurden, konnten sich auf die Ausbildung auswirken. Vor allem aber die seit Oktober 1957 forcierten Kampagnen zur vollkommenen Verstaatlichung der Landwirtschaft beeinflussten die militärpolitische Arbeit in der Provinz auf vielfältige Art und Weise.272 Seit 1959 – von Ulbricht im Hinblick auf die Kollektivierung selbst als das „Jahr der Wende“ bezeichnet273 – verschärften sich hier Druck und Repression der parteilichen Organe, um weiterhin renitente Landwirte zum Beitritt in die LPGs zu bewegen und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft zu einem Ende zu bringen.274 Das Vertrauen zwischen Bevölkerung und bewaffneten Organen wurde auf diese Weise sicher nicht gestärkt, wie eine Betrachtung der Beteiligung an der Kampfgruppenausbildung nahelegt. In allen sogenannten „Agrarkreisen“ des Bezirkes Magdeburg konstatierte die Bezirksbehörde der VP im September 1960 – zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kollektivierung weitestgehend durchgesetzt war – diesbezüglich ein „starkes Absinken“.275 Vergleichbares wurde aus Halle berich-

                                                             270 Vgl. Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Jahre 1960 vom 17.1.1961, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 313; Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 44. 271 Vgl. dazu: Protokoll der außerordentlichen Kommandeurskonferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, Nr. 100, Bl. 36f. 272 Zur Kollektivierung im Einzelnen: Schöne, Kollektivierung, S. 184ff.; Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 181–191; Port, Conflict and Stability, S. 220–223; Ross, Constructing Socialism, S. 110–120. 273 Zit. nach: Weber, Geschichte der DDR, S. 214. 274 Bericht über den politisch-ideologischen Zustand der Kampfgruppen im Kreis Roßlau vom 1.9.1959, LHASA, SED-BL Halle, Nr. IV/2/12/1650. 275 Analyse der Kampfgruppenarbeit in den Hundertschaften der MTS-Bereiche vom 15.9.1960, LHASA, MD, Rep M24 (1952–1960), Film Nr. 11, Bl. 212.

 

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tet, wo bereits im Jahr zuvor ein starker Rückgang an der Ausbildungsbeteiligung in allen MTS-Bereichen des Bezirkes bemerkt worden war.276 Das hing jedoch auch damit zusammen, dass zahllose Aktivisten, die als loyale SED-Anhänger nicht ausschließlich in den Kampfgruppen tätig waren, im Rahmen sogenannter „Festigungsbrigaden“ zu Agitationseinsätzen herangezogen wurden.277 Der mit den Kampagnen verbundene organisatorische Aufwand trug auf seine Weise dazu bei, dass die Kampfgruppen-Ausbildung mancherorts gänzlich zum Erliegen kam. Während er von loyalen Mitgliedern erhöhten Einsatz verlangte, eröffnete er unwilligen Kämpfern zugleich verschiedenste Möglichkeiten, sich der Ausbildung zu entziehen. In diesem Sinne klagte die Bezirksbehörde der Volkspolizei in Magdeburg darüber, dass aufgrund der „sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft“ der „erzieherische Einfluss“ der Parteiorganisationen auf die Kämpfer litt.278 Derartige Klagen verweisen darauf, dass Kämpfer, die im Zuge der Kampagnen Angehörige einer LPG geworden waren, dem Einfluss ihrer vormaligen Parteiorganisationen entzogen wurden. Umgekehrt erwiesen sich diejenigen POs, die während der Kollektivierung in den neu geschaffenen LPGs gebildet wurden, zumeist als „noch nicht so gefestigt, dass sie auf die Genossen einwirken an der Ausbildung und Mitarbeit in der Kampfgruppe teilzunehmen“.279 Erschwerend trat hinzu, dass durch im Zuge der Kollektivierung erfolgte Veränderungen der Beschäftigungsverhältnisse – bspw. wenn Angehörige der Kampfgruppen sich neugebildeten LPGs anschlossen – vorhandene Übersichten über Kader- bzw. Personalbestände einzelner Hundertschaften hinfällig wurden. Sie mussten erst wieder auf einen aktualisierten Stand gebracht werden.280 Wiederholt sahen sich Funktionäre nach dem Abschluss der Kollektivierung jedoch mit der Ansicht konfrontiert, dass mit der erfolgreichen Umgestaltung der Landwirtschaft die Existenz von Kampfgruppen auf dem Lande nun überflüssig

                                                             276 Referat zur III. Bezirkskonferenz zu Halle, undat., SAPMO-BArch., FSB 158/19251, Bl. 15; Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 42. 277 Bericht der SED-KL Salzwedel, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 68f. 278 Analyse der Kampfgruppenarbeit in den Hundertschaften der MTS-Bereiche vom 15.9.1960, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 213. 279 Analyse der Kampfgruppenarbeit in den Hundertschaften der MTS-Bereiche vom 15.9.1960, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 213. 280 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 41f.

 

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geworden sei.281 Nicht auszuschließen ist, dass auf diese unverdächtige Weise grundsätzliche Kritik am Bestehen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ artikuliert werden sollte. Dass die Notwendigkeit von Kampfgruppen mit konkreten Bedrohungssituationen verknüpft wurde, war jedoch eine Auffassung, die seit ihrem Bestehen immer wieder vorgebracht worden war und dabei auf lokale proletarische Traditionen rekurrieren konnte. Aus dieser Perspektive stellten die Kampfgruppen ein Instrument des Ausnahmezustandes dar, dessen Existenz „nicht ständig und unabdingbar“ war, sondern „durch den Widerstand der konterrevolutionären Kräfte und der internationalen imperialistischen Reaktion“ hervorgerufen und bestimmt würde. Konnten sich kundige Bürger hier auf DDR-Staatsrechtler berufen,282 schienen die Kampfgruppen angesichts konsolidierter Verhältnisse, wie sie mit der „Herstellung der Vollgenossenschaftlichkeit“ erreicht worden waren, kaum noch notwendig.283 Zweifel an der Notwendigkeit bewaffneter Arbeiterformationen bestanden innerhalb der Bevölkerung trotz aller Agitationsanstrengungen von Seiten der staatssozialistischen Obrigkeit offenkundig fort. Demgegenüber wurde auf den Kommandohöhen fortlaufend an der Optimierung der Kampfkraft des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ gefeilt. Der Leiter der Abteilung Kampfgruppen bei der Hauptverwaltung der DVP, Karl Mellmann, hatte im Frühjahr vorgeschlagen, neben den bisher existierenden Hundertschaften zusätzli-

                                                             281 Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Jahre 1960 vom 17.1.1961, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 316. 282 Weichelt, Zu einigen Fragen der Funktionen des sozialistischen Staates, S. 21; vgl. auch: ders., Über die Rolle des sozialistischen Staates in der Übergangsperiode. 283 So waren im Bitterfelder Braunkohlerevier eine nicht genannte Anzahl an Kämpfern aus ihren Einheiten abgezogen und dem Grubenrettungsdienst überstellt worden; vgl. Analyse über die Arbeit der Kampfgruppen einschließlich des 2. Batl. des Kreises Bitterfeld vom 1.2.1961, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/404/360, Bl. 3; in Roßlau hatte die Kreisleitung die Hundertschaft des Rates des Kreises im Sommer 1959 zeitweilig aufgelöst, um ihre Angehörigen stattdessen in dem zu dieser Zeit im Aufbau befindlichen Luftschutz einzusetzen, jedoch sehr zum Missfallen der Hallenser Bezirksleitung, die diesen „Fehler“ umgehend korrigierte; vgl. Referat zur III. Bezirkskonferenz zu Halle, undat., SAPMOBArch., FSB 158/19307, Bl. 15; zum Luftschutz bzw. zur Zivilverteidigung vgl. Clemens Heitmann, Schützen und Helfen? Luftschutz und Zivilverteidigung in der DDR 1955 bis 1989/90, Berlin 2006.

 

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che Kampfgruppen-Bataillone zu bilden.284 Zu diesem Zweck sollte auf die „bewusstesten, treuesten und befähigsten Genossen“ zurückgegriffen werden.285 „Allgemeinen Kampfgruppen-Bataillonen“ (KGB (allgem.)) sollte fortan die ursprüngliche Aufgabe der Kampfgruppen, der Schutz der Betriebe wie auch des umliegenden Territoriums, zufallen. „Bataillone der Bezirksreserve“ (KGB (mot.)) waren im Konfliktfall hingegen dazu ausersehen, gemeinsam mit den anderen bewaffneten Organen der DDR selbständige Kampfhandlungen durchzuführen.286 Angeordnet worden war, republikweit insgesamt 80 Bataillone aufzustellen, von denen zunächst aber nur 36 vollständig ausgerüstet werden konnten.287 Jeweils acht Bataillone entstanden in den Bezirken Halle und Magdeburg.288 Zurückgegriffen wurde dabei auf das Reservoir bestehender Kampfgruppen-Hundertschaften.289 Das hatte zur Folge, dass die Zahl der Einheiten des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ gegenüber dem Vorjahr zwar anstieg, die Zahl ihrer Angehörigen hingegen zurückging. Denn auch, wenn eine ganze Reihe von Kämpfern aus bereits bestehenden Hundertschaften in die neugeschaffenen

                                                             284 Vorschlag zur Bildung der ersten Kampfgruppen-Bataillone vom 10.1.1959, BArchB., Do1/18.0/17924; zusätzlich wurde auch die Bildung von Spezialeinheiten angeregt. 285 Vgl. Bericht der Abteilung Ausbildung und Schulung über den Stand der Ausbildung der Bataillone der Kampgruppen im Bezirk Halle vom 2.6.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 18. 286 Das Kürzel „mot.“ verweist darauf, dass diese Bataillone zu diesem Zweck entsprechend motorisiert werden mussten; zwei der drei Hundertschaften eines Bataillons (mot.) sollten vollständig motorisiert sein, eine weitere dritte, bestehend aus je einem Pak-, Granatwerfer- und sMG-Zug, erhielt die schwere Ausrüstung; in der Praxis wurde die „Motorisierung“ den Betrieben überlassen, d. h. die Hundertschaften erhielten (zunächst) keine eigenen Fahrzeuge, sondern sollten auf lokal vorhandene und verfügbare Fahrzeuge zurückgreifen; brachte diese Regelung die Verwurzelung des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ in der betrieblichen Produktionssphäre zum Ausdruck, führte sie, wie noch zu zeigen sein wird, zu allerhand Problemen. 287 Vorschlag zur Bildung der ersten Kampfgruppen-Bataillone vom 10.1.1959, BArchB., Do1/18.0/17924. 288 Im Einzelnen wurden Bataillone (im Bezirk Halle) in Aschersleben, Bitterfeld, Dessau, Halle, Merseburg, Mansfeld, Leuna und Quedlinburg bzw. (im Bezirk Magdeburg) in Magdeburg (3), Haldensleben, Staßfurt, Stendal und Wernigerode gebildet; vgl. Bericht der Abteilung Ausbildung und Schulung über den Stand der Ausbildung der Bataillone der Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 2.6.1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 18; Einschätzung der Kampfgruppenarbeit vom 17.1.1961, LHAM, Rep M24 (1952– 1960), Film-Nr. 11, Bl. 313. 289 Vgl. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 51.

 

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Bataillone überwechselten, blieben die alten Hundertschaften trotz ihrer nunmehr geringeren Auffüllung bestehen.290 Ein Grund für diese Umgliederung findet sich nirgendwo explizit benannt. Ein systemimmanenter Hang zur Verbesserung von Struktur und Kampfkraft der Miliz mag hier von Einfluss gewesen sein. Ebenso denkbar ist die Absicht, sich mit den Bataillonen der Bezirksreserve eine gesondert verfügungsbereite, dislozierte militärische Reserve in den einzelnen Bezirken zu schaffen.291 Möglicherweise zwangen die gewachsenen Anforderungen an die Kampfgruppen über den Betriebsschutz hinaus auch zu einer internen Trennung der ,Spreu vom Weizen‘292, um überhaupt eine gewisse Einsatzbereitschaft gewährleisten zu können. So zeichneten sich die Bataillone durch eine planmäßige Erfüllung des vorgeschriebenen Ausbildungsprogramms aus, was im Hinblick auf die allgemeinen Hundertschaften weitaus seltener der Fall war. Zugleich konnten sie auch eine höhere Beteiligung an der Ausbildung vorweisen. Während die allgemeinen Hundertschaften im Bezirk Magdeburg eine Beteiligung von durchschnittlich 75,3 Prozent aufwiesen, belief sich diese bei den Bataillonen auf 88,6 Prozent.293 Ähnlich verhielt es sich in Halle, wo die Bataillone gegenüber den allgemeinen Hundertschaften eine durchschnittliche Beteiligung von 92,8 Prozent (gegenüber 87,8 Prozent) aufweisen konnten.294 Eine professionellere militärische Einstellung ließ sich jedoch nicht von heute auf morgen durchsetzen. Vielmehr zeigten erste Übungen gewohnte Nachlässigkeiten. So wurde anlässlich einer Übung des III. Bataillons Magdeburg im September 1959 bemängelt, dass „die einzelnen Kämpfer sich offen im Gelände bewegt“ hätten. Beim „Eingraben […] wurde festgestellt, dass die Gen[ossen] Kämpfer nicht in der Lage waren, sich gefechtsmäßig einzugraben“. Der sMG-Zug bewegte sich „gemütlich […] unmittelbar im Bereich des Gegners entlang“ und Kämpfer standen häufig „im freien Gelände auf und zeigten sich somit offen dem

                                                             290 Zu den Schwierigkeiten vor Ort vgl. bspw. den Bericht der Abteilung Ausbildung und Schulung über den Stand der Ausbildung der Bataillone der Kampfgruppen im Bezirk Halle vom 2.6.1959, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 18; Referat zur III. Bezirkskonferenz zu Halle, undat., SAPMO-BArch., FSB 158/19307, Bl. 14. 291 Wagner, Die Kampfgruppen, S. 296–298. 292 Vgl. dazu: Einschätzung des Standes der Ausbildung der KG-Bataillone der Bezirksreserve Halle, undat. [1960], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 122. 293 Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Jahre 1960, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 312. 294 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 43.

 

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Gegner“.295 Ähnliche Mängel offenbarte auch eine Übung im Bezirk Halle, die das Vorgehen gegen eine „bewaffnete Diversantengruppe“ simulierte. Hier schien „der Begriff der Suche […] den Genossen Kämpfern zum Teil noch unklar. Statt das Gelände systematisch abzusuchen, wurde angriffsmäßig vorgegangen“. Die „Moral“ aller Beteiligten fand jedoch das Lob des Berichterstatters, zumal die „Genossen Kämpfer 4 ½ Stunden trotz der ungünstigen Witterung in ihrer Stellung lagen und dieselbe nicht verließen.“296 Die zunächst noch nur ungenügend vorhandene materielle Ausrüstung wie auch das Fehlen entsprechender Ausbildungsunterlagen zwangen auch hier zur Improvisation. „Die erstmals konkret festgelegte und geforderte Kampfausbildung schien für alle Beteiligten“ zudem „etwas völlig Neues“ gewesen zu sein. Dennoch zeigten sich die Instrukteure zufrieden: „Es war zu beobachten“, dass aufgrund einer „bedeutend umfangreicher[en] und vielseitiger gestaltet[en]“ Ausbildung das Interesse der Kämpfer gewachsen sei und jeden Kämpfer motiviert hätte, „sein Bestes zu geben“.297 Tatsächlich wurde bei den Bataillonen auf eine entsprechende Qualifizierung des Leitungspersonals besonders geachtet. Belief sich die Zahl derjenigen Kommandeure, die eine ihrer Tätigkeit entsprechende Schulung vorweisen konnten, zur Jahresfrist 1960 in den Bataillonen des Bezirkes Halle auf 93,7 Prozent, wurde sie im Hinblick auf die allgemeinen Hundertschaften hingegen mit nur 64 Prozent beziffert.298 Die „guten Seiten“ der bisher geleisteten Kampfgruppenarbeit würden vor allem „dadurch geschwächt, dass sich in der gesamten Kampfgruppe bei der Durchführung des Dienstes noch keine straffe, militärische Disziplin durchgesetzt“ habe, lamentierte beispielhaft ein Bericht der SED-Kreisleitung Hohenmölsen im November 1960.299 Vor allem würde „die Rolle des Kommandeurs“ von Seiten der Hundertschafts- und Parteileitungen immer noch verkannt werden. Vorherr-

                                                             295 Bericht über den Stand der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 18.9.1959, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 129. 296 Einschätzung des Standes der Ausbildung der KG-Bataillone der Bezirksreserve Halle, undat., o. Verf., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 124 u. Bl. 126. 297 Vgl. Bericht über die Durchführung der Quartalsausbildung der Einheiten eines Bataillons, undat. [1959], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 129–140. 298 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat., LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 50; zum Bezirk Magdeburg vgl. Einschätzung der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg, undat. [1961], LHAM, Rep M24 (1952– 1960), Film-Nr. 11, Bl. 325. 299 Einschätzung der Hundertschaften des VEB Paraffinwerkes „Vorwärts“ vom 29.11.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222.

 

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schend wäre stattdessen eine weithin verbreitete „Kumpelhaftigkeit“ zwischen Leitungspersonal und einfachen Kämpfern.300 Besonders die Unterführer würden ihre Leitungsfunktionen nur ungenügend wahrnehmen, zudem fehlte ihnen weitestgehend „ein gut fundamentiertes [sic] militärisches Wissen“.301 Entsprechende Lehrgänge waren im Bezirk Magdeburg im Jahre 1960 nur mit 53,8 Prozent (Zugführer) bzw. 42 Prozent (Gruppenführer) ausgelastet gewesen. Derartige Zahlen vermittelten den Kommandohöhen den Eindruck einer untragbaren ,Unterschätzung der Kaderqualifizierung‘. „Gerade diesem Kaderbestand, der im Einsatzfalle mit den Gen[ossen] Kämpfern auf das Engste zusammenarbeiten muss und von deren Befehlen und deren Kenntnissen das Gelingen einer Operation oder anderer taktischer Aufgaben letzten Endes abhängt, muss in Zukunft mehr Beachtung geschenkt werden.“302 Ein nur unzureichend fundiertes Fachwissen des Leitungspersonals drohte im Konfliktfall die Kampfkraft der Kampfgruppen erheblich zu beeinträchtigen. Ein gutes Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen wiederum gilt im Allgemeinen als unerlässlich, um den Kampfeswillen einer Einheit zu stärken.303 Warum SED bzw. VP derartige Bestrebungen durchweg kritisch betrachteten, wird erst vor dem Hintergrund einer prekären Einheit von Partei und Klasse verständlich. Die „misstrauischen Patriarchen“ schienen immer damit zu rechnen, dass sich die Basis gewaltsam gegen ihre Avantgarde wenden könnte. Wie die nicht zu vernachlässigende Zahl ehemaliger SA- und SS-Angehöriger in den Reihen der Kampfgruppen zeigt, eigneten sie sich auch als Refugium ehedem politischer Gegner. Ob Partisanen oder Konvertiten – Ulbrichts Forderung nach einer „neuen gesellschaftlichen Disziplin“, die er im April 1958 auf der staats- und rechtswissenschaftlichen Konferenz in Babelsberg vorbrachte,304 zielte auf die Etablierung eines Verhaltenskanons, der „unbedingte Treue über Zweifel und Kritik, Opferbereit-

                                                             300 Einschätzung der Kampfgruppen für das Jahr 1959 und das I. Quartal 1960 vom 21.5.1960, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 301 Einschätzung der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg, undat. [1961], LHASA, MD, Rep M24 (1952–1960), Nr. 84, Film Nr. 11, Bl. 326; vgl. dazu auch: „Schwache Leistungen der Zug- und Gruppenführer“, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 3 (1959), S. 3. 302 Einschätzung der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg, undat. [1961], LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 326; vgl. auch: Bericht über den Stand der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg vom 18.9.1959, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 122f. 303 Vgl. dazu: Kühne, Vertrauen und Kameradschaft. 304 Walter Ulbricht, Die Staatslehre des Marxismus-Leninismus und ihre Anwendung in Deutschland, in: Staat und Recht, H. 4, Jg. 7 (1958), S. 325–349, hier: S. 337.

 

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schaft über Individualismus, Wir-Orientierungen über Ich-Orientierungen“ stellte. Solchermaßen war er – unabhängig von seinen politischen Vorzeichen – jedoch vielfältig anschlussfähig.305 Dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ kam in dieser Hinsicht eine Vorbildfunktion zu, der ihre Angehörigen jedoch nur bedingt gerecht zu werden schienen. Eine weitverbreitete Abneigung gegenüber strikter militärischer Disziplin während der Ausbildung wie auch die Vernachlässigung entsprechender Qualifikationen verweisen jedoch weniger auf divergierende politische Absichten als auf individuelle Aneignungsstrategien.306 Taktische Mängel wie das „nicht richtige Ausnutzen des Geländes […], Vernachlässigung der Tarnung […], unzweckmäßiger Einsatz der Waffen“, wie sie im Hinblick auf sämtliche allgemeinen Hundertschaften im Bezirk Halle konstatiert wurden,307 machen etwas anderes deutlich. Sie legen nahe, dass die Ausbildung weiterhin vornehmlich dazu benutzt wurde, der „Militärspielerei“ nachzugehen. Für eine Einschätzung der Kampfmotivation des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ waren insbesondere die Alarmierungszeiten ein zentraler Gradmesser. Sie zeigten, wie schnell und entschieden die Kämpfer zur Stelle waren, wenn der Ernstfall beschworen wurde. Die Alarmierung ihrer Kämpfer war den einzelnen Einheiten weitgehend selbst überlassen, zentrale Alarmierungspläne existierten zum Ende der 1950er Jahre noch nicht. Auf dem Land ließ die Herstellung einer schnellen Einsatzbereitschaft gemeinhin erheblich zu wünschen übrig. Sie wurde hier jedoch dadurch beeinträchtigt, dass die Angehörigen einer Einheit oftmals über ein größeres Gebiet verstreut lebten und dementsprechend längere Anfahrtswege zurücklegen mussten.308 Aber auch in den dichter besiedelten, industriell geprägten Gebieten entsprachen die Alarmierungszeiten keineswegs den Erwartungen. Um überhaupt einsatzfähig zu sein, mussten mindestens 75 Prozent der Angehörigen einer Einheit am Sammelort erscheinen. Die Zeit dafür belief sich bei den Bataillonen im Bezirk Magdeburg auf durchschnittlich 185 Minuten, bei den

                                                             305 Zit. nach: Engler, Die Unwirklichkeit des Realen, S. 70. 306 Vgl. dazu: Lindenberger, Der ABV als Landwirt, S. 192–201. 307 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 45. 308 Berichterstattung 1. Halbjahr 1961 vom 6.7.1961, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1518, Bl. 2; Wortprotokoll über die am 28.3.1960 durchgeführte Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen, LHASA, Abt. Mer., BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 143.

 

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allgemeinen Hundertschaften betrug sie hier zwischen 200 und 270 Minuten.309 Da die Kampfgruppen-Einheiten selbst über keinerlei eigene Fahrzeuge verfügten, waren sie in dieser Hinsicht auf die Unterstützung der anderen bewaffneten Organe angewiesen. Zumeist sollten entsprechende Fahrzeuge jedoch von den Stammbetrieben der Kämpfer gestellt werden. Diese Form der Kooperation – nicht zuletzt Indiz dafür, wie viel Rückhalt das „unmittelbar bewaffnete Organ“ von seiner Klasse erwarten konnte – verlief jedoch keineswegs reibungslos. „Ungenügende Zusammenarbeit“ und „nicht ausreichende Unterstützung“ von Seiten ziviler Institutionen, wie sie die Bezirksbehörde der DVP im Hinblick auf die militärpolitische Arbeit in Magdeburg beklagte, verweisen vor allem auf die Grenzen innerhalb der „Frontgemeinschaft“ des real antizipierenden Sozialismus.310 Die Invokation eines permanenten Kriegszustandes diente den Mächtigen dazu, eine Grenze zwischen dem eigenen Lager und dem des Gegners zu ziehen. Zugleich schuf sie eine Grenze zwischen demjenigen Teil der Gesellschaft, der bereit war, durch seine Beteiligung an der Kampfgruppen-Ausbildung diese Politik mitzutragen, und einem – quantitativ betrachteten – weitaus größeren Teil, der dieser Politik eher „missmutig“ gegenüberstand.311 Diese Grenze verlief quer durch den zentralen „Nahbereich“ der Diktatur, den betrieblichen Alltag, und machte, wie die in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder auftauchenden Konflikte über das Tragen der Uniform zeigen, die Kämpfer zu macht- und herrschaftspolitischen „Doppelgängern“.312 Einerseits – und wiederum bekräftigt durch den symbolischen Akt des Gelöbnisses – der Avantgarde verpflichtet, waren sie andererseits einem Milieu verbunden, das den herrschaftspolitischen Vorgaben in dieser Hinsicht mit kaum verhohlener Skepsis eines „gekränkten Staatsbürgertums“ begegnete. Auch aus der Perspektive der militärpolitischen Arbeit betrachtet, machte der Großteil der werktätigen Bevölkerung im Hinblick auf das Projekt eines neuen

                                                             309 Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Jahre 1960 vom 17.1.1961, LHAM; Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 319; entsprechende Zahlen liegen für den Bezirk Halle nicht vor; im Kreis Bitterfeld wurde die durchschnittliche Alarmierungszeit auf vier Stunden beziffert, entsprach also etwa den Magdeburger Werten; vgl. Analyse über die Arbeit der Kampfgruppen des Kreises Bitterfeld im Jahre 1960 vom 1.2.1961, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/404/360, Bl. 1. 310 Vgl. dazu: Lindenberger, Einleitung, S. 26–35; Bessel/Jessen, Die Grenzen der Diktatur. 311 Zur „missmutigen Loyalität“ vgl. Lüdtke, „Helden der Arbeit“ – Mühen beim Arbeiten. 312 Vgl. Lüdtke, Die DDR als Geschichte, S. 6.

 

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„sozialistischen Menschen“ einen eher defensiven Eindruck.313 Nur wenige schienen tatsächlich bereit, ihr Leben für den Schutz der sozialistischen Errungenschaften einzusetzen, wie es die „zehn Gebote der sozialistischen Moral“ verlangten. Offenes Desinteresse und bisweilen unverhohlene Geringschätzung gegenüber der militärpolitischen Arbeit waren durchaus angetan, diejenigen, die sich bereit zeigten, an der Kampfgruppen-Ausbildung teilzunehmen, in ihrem Entschluss zu verunsichern. Aber auch die Weigerung der „misstrauischen Patriarchen“, den Kampfgruppen eigene Waffen zuzugestehen, wurde vielfach als Misstrauensbeweis betrachtet, der die Bereitschaft unbedingter Hingabe beeinträchtigen konnte. „Beharrlichkeit“ wurde von verantwortlichen Funktionären verlangt, um den Kämpfern „die politischen Grundprobleme unserer Politik“ zu vermitteln.314 Dazu zählte einerseits, das Vertrauen der Bevölkerung in die Miliz zu bestärken und sie von deren Notwendigkeit zu überzeugen, andererseits, die Bevölkerung zu unbedingter Hingabe an die Politik der SED zu bewegen. Die immer wieder zu vernehmenden Klagen über unzureichende Unterstützung von Seiten der lokalen Parteiorganisationen verweisen jedoch darauf, dass ohne entsprechenden Druck nur die wenigsten Werktätigen von der Notwendigkeit, sich „in ihrer Freizeit auch ein Höchstmaß an militärischem Wissen und Können anzueignen“, überzeugt werden konnten.315 Dass das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ eher Spiegelbild gesellschaftlicher Gemengelagen als virtuoser Ansprüche war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch seine Reihen nicht frei von „Republikfluchten“ waren. So wurden 1960 im Bezirk Magdeburg insgesamt 25 Kämpfer registriert, die sich in den Westen abgesetzt hatten,316 im Bezirk Halle sogar 98317. Die Kommandohö-

                                                             313 Vgl. dazu: Wiesener, „Neue Menschen“ in der DDR-Industrieprovinz; ders, Taktieren und Aushandeln. 314 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 39; vgl. dazu auch: Port, Conflict and Stability, S. 128–133. 315 Vgl. dazu auch: Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 39. 316 „Besonders“ bedenklich war aus der Perspektive der Verantwortlichen in dieser Hinsicht zudem die Zahl an „Republikfluchten“ aus den „Grenzkreisen“: Aus dem Kreis Wernigerode waren fünf Kämpfer geflohen, aus Halberstadt sechs, einer aus Klötze und drei aus Seehausen; hinzu kamen sechs „Republikfluchten“ aus dem Kreis Burg; die übrigen vier verteilten sich auf die übrigen Kreise; vgl. Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Jahre 1960 vom 17.1.1961, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 319.

 

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hen hatten im Zuge der Konsolidierung ihrer Miliz insbesondere darauf gedrängt, der ,politisch-ideologischen Festigung‘ der bestehenden Einheiten verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. An der gesellschaftlichen Basis musste jedoch weiterhin „besondere Aufmerksamkeit […] darauf gelegt werden, dass die Parteibeauftragten ihre Aufgaben voll wahrnehmen“, wie etwa die Kreisleitung Salzwedel kritisierte.318 Die zuständigen Parteibeauftragten konnten sich hingegen weder auf die Unterstützung der lokalen Grundorganisationen verlassen,319 noch schienen die Kämpfer ihrer Arbeit besondere Wertschätzung entgegenzubringen.320 Von allen Ausbildungsschwerpunkten hatte die „militärpolitische Propaganda“ 1960 die geringste Beteiligung im gesamten Bezirk Magdeburg zu verzeichnen.321 Nahmen hier durchschnittlich nur zwei von drei Kämpfern überhaupt an den Polit-Schulungen teil, stellte sich die Situation in manchen Kreisen noch gravierender dar. In den Kreisen Wolmirstedt, Klötze und Seehausen beteiligte sich nicht mal jeder zweite Kämpfer an den Polit-Schulungen und im Kreis Seeehausen gerade einmal jeder Dritte.322                                                                                                                                        317 Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1960], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 42. 318 Bericht der SED-Kreisleitung Salzwedel, undat. [1961], LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 72; in Halle hatte die Bezirksbehörde der VP kritisiert, „dass programmatische Erklärung[en] in der Polit-Schulung und in der Ausbildung“ eine nur „ungenügende Rolle“ spielen würden; Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsprogramms des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 40. 319 Der Parteibeauftragte der 191. Hundertschaft, Salzwedel, etwa klagte über „die größten Schwierigkeiten mit den Parteisekretären der Betriebe, die ihn in seiner Funktion nicht anerkennen, sondern nur auf Weisungen der Kreisleitungen reagieren und [er] daher auch keine Unterstützung bei diesen Genossen fand“; Bericht über einen Instrukteurseinsatz im VPKA Salzwedel vom 12.3.1959, LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 43. 320 In Halle wurden die Parteibeauftragten von Kämpferseite in Anspielung an die Kampfgruppeneigene Zeitung „Der Kämpfer“, die insbesondere in den Polit-Schulungen Verwendung finden sollte, als „Zeitungsverkäufer“ verspottet; vgl. Bericht über die Durchführung der Quartalsausbildung der Einheiten eines Bataillons der Kampfgruppen, 1959, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 137. 321 Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Jahre 1960 vom 17.1.1961, LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 314. 322 Einschätzung der Kampfgruppen im Bezirk Magdeburg, undat. [1961], LHAM, Rep M24 (1952–1960), Film-Nr. 11, Bl. 328; in Prozentzahlen ausgedrückt, belief sich die durchschnittliche Beteiligung am Polit-Unterricht bezirksweit auf 67%; im Kreis Salzwedel wurde sie auf 59,3% beziffert, im Kreis Wolmirstedt auf 45,9%, im Kreis Klötze auf 45,6% und im Kreis Seehausen auf 34,2%.

 

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„Es darf in unseren Hundertschaften keinerlei Illusionen über den Bonner Militarismus und Revanchismus geben“, hielt die Kreisleitung Salzwedel dagegen. „Dazu gehört, nirgends die sogenannte Übungsideologie aufkommen zu lassen, die darauf hinausläuft, man brauche es ja bei der Übung nicht so genau nehmen [sic], im Ernstfalle wisse man ja, worum es geht.“ Genau diese Einstellung hatte die Kreisleitung jedoch „bei fast allen Übungen der Kampfgruppen im abgelaufenen Jahr 1960“ vorgefunden.323 Einerseits notierten die Berichte der Instrukteure, dass die Einheiten das Ausbildungsprogramm mittlerweile „übererfüllten“,324 andererseits argwöhnten Kommandeure, ob „die Frage der Erfüllung der Ausbildungszeit nicht so ein kleines bischen [sic] über den Daumen gepeilt wird“.325 Formale Erfüllungspraktiken verweisen auf Bestrebungen, sich auch in den Reihen der Kampfgruppen hinter der Fassade der politischen Orthodoxie eigensinnig konnotierte, soziale Erfahrungsräume zu erschließen.326 Erleichterungen und Vereinfachungen in der Ausbildungspraxis machen deutlich, dass in deren Mittelpunkt das Gemeinschaftserlebnis stand. Von politischer Bedeutung waren derartige Privatisierungsversuche des Politischen sehr wohl. Auch wenn sie mittelfristig zu einer trügerischen Stabilität beitrugen, drohten sie langfristig die Legitimität des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ zu untergraben. Dann nämlich, wenn es als ein Refugium für diejenigen Werktätigen betrachtet wurde, die sich nicht in der Lage zeigten oder nicht Willens waren, in der Produktion ihren Mann zu stehen.327 Kurzfristig waren sie aus der Perspektive der Kommandohöhen vor allem deshalb problematisch, weil sie Loyalität und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen

                                                             323 Bericht der SED-Kreisleitung Salzwedel, undat. [1961], LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 66f. 324 So notierte die BDVP in Halle, dass die allgemeinen Hundertschaften im Jahre 1960 das Programm mit durchschnittlich 96,7 Stunden erfüllt hätten, die Bataillone der Bezirksreserve sogar mit 117 Stunden; vgl. Auswertung des Standes der Erfüllung des Ausbildungsstandes des Jahres 1960, undat. [1961], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 100, Bl. 42f. 325 Wortprotokoll über die am 28.3.1960 durchgeführte Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 99, Bl. 111; vgl. dazu auch: Protokoll einer Kampfgruppentagung, undat., LHAM, Rep P15 Salzwedel, Nr. IV/4/11/212, Bl. 110. 326 Kott, Zur Geschichte des kulturellen Lebens, S. 193; Lüdtke, Die DDR als Geschichte. 327 Vgl. dazu: Alf Lüdtke, Meister der Landtechnik oder: Grenzen der Feldforschung? Annäherung an einen „Qualitätsarbeiter“ auf dem Lande im Bezirk Erfurt, in: Daniela Münkel/Jutta Schwarzkopf (Hg.), Geschichte als Experiment. Studien zu Politik, Kultur und Alltag im 19. Und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. Main/New York 2004, S. 243–257, hier: S. 251.

 

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zu beeinträchtigen drohten. Während den Bataillonen zugetraut wurde, gemäß den geltenden Orientierungen auch gegen eingesickerte Diversantengruppen vorzugehen,328 galt das für die allgemeinen Hundertschaften nur bedingt. „Größere Operationen können von den Hundertschaften nicht durchgeführt werden“, räumte ein Bericht des VPKA Tangerhütte im Juli 1961 unumwunden ein, „aufgrund des niedrigen Personalbestandes und der noch zum größten Teil fehlenden Bekleidung und Ausrüstung“.329 Diese Einschätzung betraf jedoch die allgemeinen Hundertschaften und sie bezog sich auf ein weitgehend ländlich geprägtes Gebiet. Auf ihre Weise reflektierte sie jene innerorganisatorischen Differenzierungen, die sich einerseits aus dem Stadt/Land-Gefälle, andererseits aus dem Unterschied von einfachen Hundertschaften und Bataillonen ergaben. Offensichtlich ging es der SED mit den neugeschaffenen Bataillonen nicht allein darum, sich in den Besitz einer schlagkräftigen Prätorianergarde zu bringen. In diesem Fall wäre es effizienter gewesen, die dadurch personell geschwächten und materiell benachteiligten allgemeinen Hundertschaften einfach aufzulösen. Dass sie hingegen beibehalten wurden, spricht dafür, dass dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ eben nicht nur eine militärische, sondern auch eine – um mit Hannah Arendt zu sprechen – „propagandistische“ Funktion zugedacht war. Für Arendt beabsichtigt „totalitäre Propaganda“, dass „ihr Inhalt – jedenfalls für die Mitglieder der Bewegung und die Bevölkerung eines totalitären Landes – nichts mehr mit Meinungen zu tun hat, über die man streiten könnte, sondern zu einem ebenso unangreifbar realen Element ihres täglichen Lebens geworden ist, wie dass zwei mal zwei vier ist“.330 Die Existenz der Kampfgruppen sollte in diesem Sinne bis in den betrieblichen Alltag hinein die Bevölkerung auf einen künstlichen Kriegszu-

                                                             328 Vgl. Einschätzung des Standes der Ausbildung der KG-Bataillone der Bezirksreserve Halle, undat. [1969], LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 98, Bl. 123f.; eine entsprechende Übung, an der im Oktober 1960 13 Bataillone und sieben weitere Hundertschaften aus den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl beteiligt waren, offenbarte jedoch noch nicht jenen Professionalisierungsgrad, den sich die Kommandohöhen von ihrer Aufstellung versprochen hatten; die 180 an der Übung beteiligten Schiedsrichter waren mit dem Verlauf des Manövers – die Kampfgruppen sollten „einen angenommenen Gegner in kürzester Zeit außerhalb bzw. am Rand der Städte […] liquidieren“ – keineswegs zufrieden, zumal die Bataillone des Bezirkes Suhl nicht, wie vorgesehen, um drei Uhr morgens, sondern erst um 10.15 Uhr am folgenden Vormittag einsatzfähig waren; vgl. dazu: Wenzel, Kriegsbereit, S. 88. 329 Berichterstattung 1. Halbjahr 1961 vom 6.7.1961, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1519, Bl. 3. 330 Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 764.

 

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stand verpflichten, von dessen permanenter Invokation die Avantgarde sich gleichermaßen mobilisierende wie disziplinierende Effekte versprach. Die Legitimität einer solchen Organisation verknüpft sich nicht zuletzt mit einer entsprechenden Praxis, die in pathetischen Appellen immer wieder beschworen wurde. Das Einfangen von Straftätern oder die Bekämpfung von Waldbränden waren in dieser Hinsicht jedoch nur Ersatzschlachtfelder, die mit dem nominellen Auftrag der Kampfgruppen – „jeden Angriff des Klassengegners zu vernichten“331 – nichts zu tun hatten. Unzureichende Alarmierungszeiten und eine weit verbreitete „Übungsideologie“ verweisen vor diesem Hintergrund darauf, dass man einen möglichen Ernstfall in den Reihen der Miliz allgemein für wenig wahrscheinlich erachtete (oder aber ihn fürchtete, weil er auch den Einsatz gegen die eigene Bevölkerung bedeuten konnte). Wie sich die Kampfgruppen bewährten als es schließlich doch noch zu einem solchen Einsatz kam, soll im folgenden Kapitel näher untersucht werden.

                                                             331 „Arbeiter schützen ihre Betriebe“, in: Das Sprachrohr, Nr. 8, Jg. 9 vom 1.3.1957, LHASA, MD, Rep I 43 (1955–1957), Nr. 524.

 

I. „Als es 13 schlug“. Die Kampfgruppen und die Errichtung des ,antifaschistischen Schutzwalls‘ im August 1961

„Wir aber, die die Waffen tragen, die das Volk uns gab, rückten enger zusammen in diesem Monat August, und es war nicht nur die scharfe Munition allein, die uns unsere Stärke bewusst werden ließ. Es war die Ohnmacht des Klassengegners vor den Mündungen unserer Gewehre; wir sahen, wie er schrumpfte zu einer tobenden Zwergenversammlung. Wir, die Genossen unserer Kampfgruppe, waren freund mit Tag und Nacht, wir standen in Wind und Regen, unser Schlaf war kurz. Wir halfen die Grenze sichern, wir gingen Patrouille, wir ließen dem Gegner keinen Raum.“1

Durkheim erklärt den eigentlichen Ursprung einer jeden sozialen Gemeinschaft mit einem Akt „ekstatischer“ Natur, in dem das Kollektiv sich verdichtet, um dabei nicht nur einem gemeinsamen Gefühl gewahr zu werden, sondern auch die Kraft spürt, die von ihm selbst ausgeht.2 „Ein Gespenst geht um in Europa“, zitiert Erwin Geschonneck als Kampfgruppenkommandeur Willi im DEFA-EpisodenFilm „Geschichten jener Nacht“ die einleitenden Worte des „Kommunistischen Manifests“. Im Hinblick auf den Einsatz seiner Einheit während des „Mauerbaus“3, der den Hintergrund des Filmes bildet, fährt er fort: „und det sind im Moment wir.“ In der Tat bildete die „Feuertaufe“ – wie die SED herausstrich – des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse ein „ekstatisches“ Erlebnis, das in mancherlei Hinsicht als ihr eigentliches Gründungsmoment bezeichnet werden kann. „Es ist ganz natürlich, dass sich bei jedem von uns, die wir am 13. August 1961 an der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles in Berlin aktiv beteiligt waren, diese Tage stärker, ja unvergesslich in unser Gedächtnis eingeprägt haben. […] An der Grenze, die die sozialistische Welt von der des Imperialismus trennt, erlebte jeder von uns persönlich die

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Zit. nach: Der Kämpfer, Nr. 10 (Oktober), Jg. 6 (1961), S. 4. Durkheim, Die elementaren Formen, S. 285ff. Zum Begriff der „Mauer“ vgl. Ilse Spittmann, Mauer, in: Werner Weidenfeld/Karl-Heinz Korte (Hg.), Handbuch zur deutschen Einheit, Bonn 1991, S. 466–472; zum Mauerbau selbst zuletzt: Patrick Major, Behind the Berlin Wall. East Germany and the Frontiers of Power, Oxford 2010, S. 143; Klaus-Dietmar Henke, Die Mauer: Errichtung, Überwindung, Erinnerung, München 2011; Gerhard Sälter, Ultima ratio: Der 13. August 1961: Der Mauerbau, die Blockkonfrontation und die Gesellschaft der DDR, St. Augustin 2011.

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Größe der Wahrheit von der Sieghaftigkeit und Unbesiegbarkeit unserer sozialistischen Sache! […] Ja, da standen wir, die MPi fest in unseren Händen und entschlossen, unsere gemeinsame sozialistische Sache zu schützen und zu verteidigen. Jeder spürte es, und es erfüllte ihn mit Kraft und Stolz: Das war proletarischer Internationalismus in Aktion!“4

Wohl waren die Kampfgruppen auch schon vor dem 13. August 1961 de facto eine Gemeinschaft, eine Gemeinschaft jedoch ohne eigene positive Geschichte. Mancher in ihren Reihen hatte möglicherweise schon unter dem Banner des RFB gekämpft (und manch anderer unter gänzlich anderem Banner), aber unter dem Banner der Arbeitermiliz war man noch nicht zusammen in den Ernstfall ausgerückt. Jetzt erst – in der Stunde wirklicher Bewährung – würde sich zeigen, ob man sich auf seinen Nebenmann verlassen konnte und ob man selbst den Mut besaß, „getreu dem Gelöbnis“ – wie der „Kämpfer“ forderte5 – sein Leben für die sozialistischen Errungenschaften aufs Spiel zu setzen. Geschonnecks Rekurs auf das „kommunistische Manifest“ unterstreicht – wie auch die übrigen drei Episoden der „Geschichten jener Nacht“ – die DDR-offizielle Deutung des Mauerbaus. Demnach stellte die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“ eben keine – worüber jedoch schon in der zeitgenössischen Forschung weitgehender Konsens bestanden hatte6 – Zäsur in der Entwicklung der DDR dar. Vielmehr sollte sie als Fortsetzung und Stabilisierung des „revolutionären Erbes“ der deutschen Arbeiterbewegung verstanden werden.7 Organisation und Ereignis instrumentalisierten sich in dieser Hinsicht gegenseitig: Die SED-Führung griff in propagandistischer Absicht auf die Kampfgruppen zurück, um aller Welt zu zeigen, dass in ihrer Gestalt „der Sozialismus in der DDR endgültig gesiegt hatte, dass er stark war und sich zu verteidigen versteht“.8 Ihre Angehö-

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„Im August 1961 – als es 13 schlug“, in: Der Kämpfer, Nr. 8, 25. Jg. (1981), S. 2. Vgl. „Jederzeit unserem Gelöbnis treu“, in: Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 2. Vgl. Wilfriede Otto, 13. August 1961 – eine Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte, in: BzG 39 (1997), S. 40–47, S. 55–92; Heinrich Potthoff, Im Schatten der Mauer. Deutschlandpolitik 1961 bis 1990, Berlin 1999, S. 13ff.; vgl. auch die Diskussion von: Ilko-Sascha Kowalczuk, Die innere Staatsgründung. Von der gescheiterten Revolution 1953 zur verhinderten Revolution 1961, in: Diedrich/ders. (Hg.), Staatsgründung auf Raten, S. 341–378. Michael Lemke, Instrumentalisierter Antifaschismus und SED-Kampagnenpolitik im deutschen Sonderkonflikt 1960–1968, in: Jürgen Danyel (Hg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, S. 61–86. „20 Jahre antifaschistischer Schutzwall“, in: Der Kämpfer, Nr. 8, 25. Jg. (1981), S. 1.

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rigen wiederum konnten dank des Einsatzes nun endlich behaupten, auch praktisch in eine Reihe mit den revolutionären Vorbildern ihrer Organisation getreten zu sein. Sinnfällig wird das bereits in der ersten Episode der „Geschichten jener Nacht“, die den Namen „Phönix“ trägt. Eine Kampfgruppen-Einheit erscheint in der Nacht des 12. August auf einer Hochzeit, um einen ihrer Angehörigen abzuholen, der ausgerechnet der feiernde Bräutigam ist. Eingedenk der „verfluchten alten Geschichten“ bringt es der Kommandeur – ein ehemaliger ,Roter Bergsteiger‘ – nicht über das Herz, den frisch Vermählten mit in den Einsatz zu nehmen. Er erinnert sich, wie er schon einmal mit einem Freund in dessen Hochzeitsnacht im März 1933 einen von den Nationalsozialisten verfolgten Widerstandskämpfer über die Grenze ins sichere Exil zu bringen versucht hatte. Dabei war der Freund und damalige Bräutigam in einem Gefecht mit Grenztruppen jedoch getötet worden.9 Fast dreißig Jahre später meldet sich der frisch verheiratete KampfgruppenAngehörige am nächsten Morgen jedoch aus eigenem Antrieb am Einsatzabschnitt.10 Stolz und sichtlich gerührt begrüßt ihn der Kommandeur mit den Worten: „Ich danke dir, dass du gekommen bist, Phönix.“ Obwohl eine fiktive Geschichte, fanden sich auch in der historischen Wirklichkeit zahlreiche Entsprechungen, die die Kampfgruppen-eigene Zeitung unter dem Titel „Begeisterung und Initiative“ beispielgebend ausschlachtete. Aus dem Urlaub, dem Krankenbett oder der Entbindungsstation – von überall her schritten die Arbeiter zur Tat, handelnd scheinbar „in dem Bewusstsein, dass der Feind geschlagen wird, wo er sich zeigt“.11

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Zu den „Roten Bergsteigern“ vgl. Joachim Schindler, Rote Bergsteiger – Wahrheit und Legende, in: Grüner Weg 31a. Zeitschrift für die Sozial- und Ideengeschichte der Umweltbewegungen, 14. Jg. (2000), S. 17–33. „Begeisterung und Initiative“, in: Der Kämpfer, Sonderausgabe, August 1961, S. 1; die Beispiele von Kämpfern, die sich aus dem Urlaub oder der Krankschreibung meldeten, finden sich hier; von „2 Genossen Kämpfer[n]“ seines Bataillons, „deren Frauen in der Nacht entbunden hatten, sie [die Kämpfer; T.S.] waren frühestens 1 Stunde nach Einlieferung ihrer Frauen in der Klinik bei uns im Bereitstellungsraum,“ berichtete der Kommandeur des 7. Kampfgruppen-Bataillons Berlin Mitte, auf der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz in Halle; vgl. Protokoll der außerordentlichen KommandeursKonferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 19. Die „Geschichten jener Nacht“ waren kein wirklicher Publikumserfolg; gleichwohl er von Seiten der Filmkritiker mit großer und teilweise auch wohlwollender Aufmerksamkeit bedacht wurde, war sein legitimatorisches Anliegen allzu offensichtlich. Nicht zuletzt war die DEFA bestrebt, mit seiner Hilfe – so wurde der Film „zu Ehren des VII. Parteitages“

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Die Wiedererweckung eines revolutionären, den Tod nicht fürchtenden Klassenbewusstseins, die in dieser Episode dem Kampfgruppen-Angehörigen zugeschrieben wird, bildet den zentralen Aspekt des Einsatzes von Kampfgruppen im Rahmen der Errichtung der Berliner Mauer. „Sie kommen nicht durch“, hatte etwa Bernard Koenen – der erste Bezirkssekretär der SED in Halle – anlässlich einer außerordentlichen Kommandeurstagung in Anlehnung an den Schlachtruf der republikanischen Truppen während der Belagerung Madrids im Spanischen Bürgerkrieg als Parole ausgegeben.12 Die mythische Überhöhung des Mauerbaus, die diesen Einsatz in die Tradition der antifaschistischen Kampfzeit rückte, machte diesen Einsatz zum eigentlichen Gründungsmoment des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“. Nicht nur eröffnete er dessen Angehörigen erstmalig die Möglichkeit, sich im Sinne des den Kampfgruppen zugrundeliegenden Mythos zu beweisen. Er lieferte – anders und ganz im Gegensatz zum 17. Juni 1953 – auch den Stoff zu einer identitätsstiftenden und -bestätigenden Meistererzählung. Die scheinbar eindeutige Bestimmung der Ereignisse und sie flankierende unstrittige Trennung der Akteure in Gewinner und Verlierer, die im oben angeführten „Kämpfer“-Zitat zum Ausdruck kommen, machte diejenigen zu Helden, die an vorderster Front der Sektorengrenze zur Tat schritten: „Entschlossen dreinblickende, schirmmützenbewehrte, ihre Waffe fest umklammernde Kämpfer“.13

                                                                                                                                      

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gedreht –, ihren Ruf, der durch die „Verirrungen“ und „Abweichungen“ der Aufbruchsfilme von 1965 gelitten hatte, ideologisch aufzupolieren; vgl. dazu: Detlef Kannapin, Dialektik der Bilder. Der Nationalsozialismus im deutschen Film. Ein Ost-West-Vergleich, Berlin 2005, S. 188–201. Referat des Genossen Bernard Koenen auf der außerordentlichen Kommandeurskonferenz vom 2.9.1961, LHASA., BDVP 19, Nr. 101, Bl. 2. Gerald Diesener, 17. Juni 1953 und 13. August 1961 – Bemerkungen zur politischen Propaganda an zwei Knotenpunkten der DDR-Geschichte, in: Diedrich/Kowalczuk (Hg.), Staatsgründung auf Raten, S. 275–285, hier: S. 284; in den Worten des „Kämpfers“ las sich das wiederum so: „Plastisch sichtbar hatten wir die ,Barrikade‘ des Klassenkampfes vor Augen und die berühmte Frage: ,Wer – Wen?‘ Auf der einen Seite der Barrikade, genauer, auf der einen Seite unserer Staatsgrenze standen wir, die Verteidiger und Beschützer des Sozialismus und des Friedens, auf der anderen Seite standen die Imperialisten und ihre Handlanger, bestrebt, das Rad der Geschichte zurückzudrehen“. In: „Im August 1961 – als es 13 schlug“, in: Der Kämpfer, Nr. 8, 25. Jg. (1981), S. 2.

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„Vorposten an der Friedensfront“? Die propagandistische Inszenierung des Kampfgruppen-Einsatzes im Rahmen der „Aktion Rose“ Tatsächlich hatten die Absperrmaßnahmen im August 1961 sowohl blockstrategische als auch machtpolitische Ursachen.14 Unter dem Vorwand des Schutzes gegen angebliche Aggressionsvorbereitungen der benachbarten Bundesrepublik bzw. der NATO waren sie zuallererst ein Reflex der SED auf die immer größere Ausmaße annehmende Abwanderung von DDR-Bürgern.15 Zunächst war die seit der Gründung der DDR anhaltende „Abstimmung mit Füßen“ von den Machthabenden noch als „Sicherheitsventil“ begrüßt worden, weil sie den innergesellschaftlichen Widerspruch gegen das Regime untergrub. Auf Dauer drohte sie hingegen zu einer existenzbedrohenden Schwächung für das Regime selbst zu werden:16 Bis zum Mauerbau hatten alles in allem etwa drei Millionen Menschen oder ein Sechstel der Bevölkerung die SBZ/DDR verlassen.17 Die kontinuierliche Fluchtbewegung stellte einen beachtlichen ökonomischen Aderlass dar. So waren es vor allem die jüngeren, aktiveren und beruflich besser qualifizierten Flüchtlinge – darunter Ärzte, Professoren, Ingenieure und Facharbeiter –, die durch ihren Exodus in großer Zahl das Arbeitskräftepotential der

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Gary Bruce, Die Sowjetunion und die ostdeutschen Krisen 1953 bis 1961, in: Diedrich/Kowalczuk (Hg.), Staatsgründung auf Raten, S. 39–61; darüber, wer als eigentlicher Urheber für den Mauerbau zu gelten habe, ist sich die Forschung weiterhin uneins; die DDR als „Superally“ der Sowjetunion und treibende Kraft hinter dem Mauerbau sieht: Hope M. Harrison, Ulbrichts Mauer: wie die SED Moskaus Widerstand gegen den Mauerbau brach, Berlin 2011; Major, Behind the Berlin Wall, S. 109; auf den geringen Handlungsspielraum der DDR im östlichen Bündnis verweist hingegen: Matthias Uhl, „Für die Sicherung der Sektorengrenze und des Rings um Berlin wird durch den Stab der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (…) ein Plan ausgearbeitet“. Die militärischen Planungen Moskaus und Ost-Berlins für den Mauerbau, in: Heiner Timmermann (Hg.), 1961 – Mauerbau und Außenpolitik, Münster 2002, S. 81–99. Vgl. dazu: Gerhard Wettig, Beweggründe für den Mauerbau, in: Hertle/Jarausch/Kleßmann (Hg.), Mauerbau und Mauerfall, S. 111–117; Matthias Uhl, „Westberlin stellt also ein großes Loch inmitten unserer Republik dar“. Die militärischen und politischen Planungen Moskaus und Ost-Berlins zum Mauerbau, in: Hoffmann/Schwartz/Wentker (Hg.), Vor dem Mauerbau, S. 311–330. Christoph Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation: Deutsche Geschichte 1955–1970, Bonn 1997, S. 321; Niethammer, Erfahrungen und Strukturen, S. 99f. Dazu: Henrik Bispinck, „Republikflucht“: Flucht und Ausreise als Problem für die DDRFührung, in: Hoffmann/Schwartz/Wentker (Hg.), S. 285–310.

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DDR schwächten und im Gegenzug dem Wirtschaftsaufschwung des Systemkonkurrenten zusätzliche Impulse gaben.18 Im Jahr 1959 war zwar die niedrigste Fluchtquote seit der Gründung des Arbeiter-und-Bauern-Staates zu verzeichnen gewesen. Vor dem Hintergrund der nahezu abgeschlossenen Kollektivierung der Landwirtschaft19 waren die Zahlen seit dem Frühjahr 1960 jedoch wieder beträchtlich gestiegen. Im Jahr vor dem Mauerbau hatten fast 200.000 Menschen der DDR den Rücken gekehrt, bis zum August 1961 waren es bereits 160.000 – eine Zahl, die jene von der Staatlichen Plankommission vorab berechnete Summe von zu erwartenden „Republikfluchten“ um das Doppelte übertraf. Durch die zunehmend verschärften Grenzüberwachungsmaßnahmen an der deutsch-deutschen Demarkationslinie war West-Berlin zu einem bevorzugten „Schlupfloch“ geworden.20 Schon 1956 wählten 40 Prozent aller „Republikflüchtigen“ den Weg über die Stadt, 1960 waren es schon fast 95 Prozent.21 West-Berlin bildete als souveränitätsrechtliches wie auch als ökonomisches Ärgernis einen „Pfahl im Fleische des Ostens“.22 Als vermeintliches Drehkreuz der Spionage-Tätigkeiten im Kalten Krieg bildete es in den Augen der Mächtigen zudem ein gefährliches „trojanisches Pferd“.23 Überhaupt bildete das prosperierende West-Deutschland eine Projektionsfläche für unerfüllte materielle Wünsche zahlloser DDR-Bürger. Die SED hatte demgegenüber 1958 angekündigt, die BRD bis 1965 in der Produktion von Konsumgütern überflügeln zu wollen. Dieser „Siebenjahresplan“ war jedoch schon in seiner Anfangsphase gescheitert und hatte zudem eine akute Versorgungskrise

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Helge Heidemeyer, Flucht und Zuwanderung aus der SBZ-DDR 1945/49–1961. Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bau der Berliner Mauer, Düsseldorf 1994. Inge Bennewitz/Rainer Potratz, Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze. Analysen und Dokumente, 2. Aufl., Berlin 1997, S. 102. Bispinck, „Republikflucht“, S. 285 u. S. 290–296; vgl. dazu auch mit besonderem Fokus auf die Außenpolitik: Michael Lemke, Die Berlinkrise 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielräume der SED im Ost-West-Konflikt, Berlin 1995. Zahlen bei Patrick Major, Torschlusspanik und Mauerbau. „Republikflucht“ als Symptom der zweiten Berlinkrise, in: Burghard Ciesla/Michael Lemke/Thomas Lindenberger (Hg.), Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen 1948–1958, Berlin 2000, S. 221–243, hier: S. 222–224, S. 234; vgl. auch: ders., Innenpolitische Aspekte der zweiten Berlinkrise (1958–1961), in: Hertle/Jarausch/Kleßmann (Hg.), Mauerbau und Mauerfall, S. 97–110. Honecker, Aus meinem Leben, S. 202. Heinrich Homann, Auf Ehre und Gewissen. Vom Sinn einer Wandlung, Berlin (O) 1963, S. 113.

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heraufbeschworen.24 Nicht nur diese „Wohlstandskonkurrenz“, wie Ulbricht sie nannte, auch die durch eine hohe Auslandsverschuldung zusehends enger werdenden ökonomischen Spielräume der ostdeutschen Wirtschaft sprachen in den Augen der SED-Führung für den Mauerbau. Auf diese Weise erhoffte sie sich eine „Störfreimachung“25, d. h. die Unabhängigkeit der DDR-Wirtschaft, die bis dahin eng mit der Bundesrepublik verknüpft gewesen war.26 Zudem waren die zahlreichen „Grenzgänger“, die zwar in der DDR wohnten, zur Arbeit jedoch tagtäglich in den Westen hinüberwechselten, ein sowohl wirtschaftlich wie auch „politischmoralisch“ destabilisierendes Moment für den Arbeiter-und-Bauern-Staat.27 Und nicht zuletzt bildete das „Schlupfloch“ West-Berlin ein politisches Druckmittel, das von den „Dagebliebenen“ auch als solches genutzt wurde, um vom planmäßigen Aufbau des Sozialismus auf eigensinnige Art und Weise zu profitieren. Die Alternativen „Abwanderung“ und „Widerspruch“28 wirkten nicht erst im Herbst 1989 gegen den Herrschafts- und Kontrollanspruch des SED-Regimes, sondern, auf weniger dramatische Weise allerdings, bereits in der Zeit vor dem Mauerbau. Tendierten die Regierungen beider deutscher Staaten in selbstlegitimatorischer Absicht gewöhnlich dazu, das Phänomen „Republikflucht“ allein auf politische Beweggründe zu reduzieren – entweder als „Drang nach demokratischer Freiheit“ oder als „Verrat am Sozialismus“ –, waren die tatsächlichen Beweggründe weniger eindeutig. Vielmehr resultierten sie häufig aus weitaus komplexeren sozialen, politischen und materiellen Gründen. Zweifellos waren jene, die das Abenteuer einer Flucht auf sich nahmen, unzufrieden mit den politischen und

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Oskar Schwarzer, Lebensstandard in der SBZ/DDR 1945–1989, in: Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1995/2, Berlin 1995, S. 130; André Steiner, Politische Vorstellungen und ökonomische Probleme im Vorfeld der Errichtung der Berliner Mauer. Briefe Walter Ulbrichts an Nikita Chruschtschow, in: Hartmut Mehringer (Hg.), Von der SBZ zur DDR. Studien zum Herrschaftssystem in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik, München 1995, S. 233–268, hier: S. 236–241. Zum Problem der „Störfreimachung“, Lemke, Die Berlinkrise, S. 63–72. Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze, S. 101f. Frank Roggenbuch, Das Berliner Grenzgängerproblem. Verflechtungen und Systemkonkurrenz vor dem Mauerbau, Berlin 2008; Erika M. Hoerning, Zwischen den Fronten. Grenzgänger und Grenzhändler 1948–1961, Köln/Weimar/Wien 1992, zuletzt: Major, Behind the Berlin Wall, S. 106f. Vgl. dazu die Überlegungen von Albert O. Hirschmann, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Essay zur konzeptuellen Geschichte, in: Leviathan 20 (1992), S. 330–358.

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gesellschaftlichen Zuständen in der DDR. Aber das galt für jene, die sich entschieden zu bleiben, möglicherweise in ähnlichem Maße. Zudem blieben sie keineswegs bloß passive Zuschauer der anhaltenden Abwanderung, sondern versuchten, die offene Grenze als Druckmittel gegenüber der SED zu benutzen. Das konnte etwa im Hinblick auf Konflikte am Arbeitsplatz geschehen oder Fragen materieller Versorgung betreffen.29 Kurzfristig bedeutete die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ deshalb einen Erfolg für den unumschränkten Herrschaftsanspruch des SEDRegimes. Nicht nur reduzierte sie die Fluchtbewegung von DDR-Bürgern beträchtlich. Zugleich schuf sie neue Voraussetzungen für die Stabilisierung des Herrschaftssystems und erhöhte solchermaßen den Zwang, sich mit dem herrschenden Regime zu arrangieren.30 Wie Albert Hirschmann es in Bezug auf sein Modell von „Abwanderung“ und „Widerspruch“ formuliert hat: „Es sieht so aus, als ob die brutale Unterdrückung von Abwanderung, signalisiert durch die Errichtung der Mauer, gleichzeitig als weitere Unterdrückung von Widerspruch verstanden wurde.“31 Vermutlich am 3. August 1961 – unmittelbar vor der Eröffnung des Treffens der Staats- und Parteichefs des sozialistischen Lagers – wurde in einer Besprechung Ulbrichts mit Chruschtschow beschlossen, am 13. August die Grenze dauerhaft zu schließen. Daraufhin ordnete der Minister des Innern Karl Maron am 12. August per Befehl für die kommende Nacht den Beginn der „X-Zeit“ in Berlin an: „Damit begann eine Operation, die an dem nun anbrechenden Tag, einem Sonntag, die Welt aufhorchen ließ“, so Honecker – der eigentliche Regisseur des Mauerbaus – in seinen Memoiren.32 Der Zentrale Stab zur Führung der

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Vgl. dazu: Cory Ross, Before The Wall: East Germans, Communist Authority, And The Mass Exodus To The West, in: The Historical Journal 45 (2002), S. 459–480 sowie: ders., „sonst sehe ich mich veranlasst, auch nach dem Westen zu ziehen“. „Republikflucht“, SED-Herrschaft und Bevölkerung vor dem Mauerbau, in: Deutschland Archiv 34 (2004), S. 613–627; vgl. dazu auch die theoretischen Überlegungen bei: Scott, Domination, S. 90–96. Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation, S. 321; Meuschel, Überlegungen zu einer Herrschafts- und Gesellschaftsgeschichte, S. 11. Hirschmann, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik, S. 343. Honecker, Aus meinem Leben, S. 204; der betreffende Befehl ist abgedruckt in: Hartmut Mehls (Hg.), Im Schatten der Mauer. Dokumente. 12. August bis 29. September 1961, Berlin 1990, S. 12–15; eine instruktive Zusammenstellung zentraler zeitgenössischer Dokumente bei: Jürgen Rühle/Gunter Holzweißig, 13. August 1961. Die Mauer von Berlin,

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„Aktion Rose“ getauften Operation setzte sich aus Angehörigen des Nationalen Verteidigungsrates (NVR) und des Stabes des Ministerium des Innern zusammen. Als Leiter des täglichen Dienstbetriebes wechselten sich Honecker, Stoph, Verner und Mielke im Schichtverfahren ab; Walter Ulbricht, der Motor hinter der „Aktion Rose“, hielt sich hingegen aus der direkten Sicherheitsregie der Operation weitgehend heraus. Stattdessen war er häufig im Stadtgebiet unterwegs und besuchte vor allem die dort eingesetzten Kampfgruppen-Angehörigen. Er „war ja ganz stolz auf seine Kampfgruppen“, erinnerte sich der damalige Oberbefehlshaber der eingesetzten NVA-Verbände, General Kurt Wagner.33 Neben geschätzten 5.000 Grenz- und ebenso vielen Volkspolizisten sowie 7.300 Armee-Angehörigen kamen insgesamt etwa 8.000 Kämpfer aus verschiedenen Berliner und Potsdamer Betrieben zum Einsatz. Sie bildeten im Verbund mit Einheiten der VP und der Grenzpolizei die erste Abriegelungsstaffel unmittelbar an der Zonengrenze, rissen Straßen auf, installierten Panzerhindernisse und spannten Stacheldraht. Zwei Schützendivisionen der NVA sicherten im Zusammenwirken mit sowjetischen Streitkräften den „rückwärtigen Raum“, d. h. die Stadt und ihre Grenzen. Der Einsatz von Einheiten der Roten Armee war ebenfalls eingeplant, allerdings nur für den Fall militärischer Gegenmaßnahmen von Seiten der NATO bzw. im Falle einer Erhebung der ostdeutschen Bevölkerung.34 Sollte sich im Verlauf des Einsatzes zeigen, dass der militärische Wert der Kampfgruppen eher gering war, war ihr propagandistischer umso größer. Dass der 13. August 1961 Wille und Tat der Arbeiterklasse gewesen sei, illustriert im Besonderen das Bild einer „menschlichen Mauer“, das als „Ikone“ in den Bildhaushalt der DDR eingegangen ist. [Dritter Teil, Kap. I, Abb. 11]. Indem es, insbesondere zu Jubiläumsdaten, immer wieder in Zeitungen, auf Plakatwänden, Briefmarken und in Schulbüchern präsentiert wurde, geriet das

                                                                                                                                      

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Köln 1988; eine minutiöse Darstellung der militärischen „Dramaturgie des Mauerbaus“ bei: Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 438ff.; vgl. auch: ders., Stacheldrahtsicherheit. Die politische und militärische Durchführung des Mauerbaus 1961, in: Hertle/Jarausch/Kleßmann (Hg.), Mauerbau und Mauerfall, S. 119–137. Generaloberst a. D. Kurt Wagner, zit. nach: Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 464, Anm. 167. Torsten Diedrich, Die militärische Grenzsicherung an der innerdeutschen Demarkationslinie und der Mauerbau 1961, in: Bruno Thoß (Hg.), Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit. Analysen und Zeitzeugenberichte zur deutschen Militärgeschichte 1945 bis 1995, München 1995, S. 127–143, hier: S. 136; Uhl, Die militärischen Planungen für den Mauerbau; zum Einsatz der GSSD. Vgl. Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 459ff.

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Bild zu dem „lasting image“ des Mauerbaus in der DDR35 mit einer ganz eigenen Mythologie.36 Einerseits fand sich in dieser „menschlichen Mauer“ aus vier mit MPis bewaffneten Kämpfern der entschlossene und einheitliche Willen einer größeren, alle Generationen umfassenden Gemeinschaft – der Arbeiterklasse – ausgedrückt. Durch die zahlenmäßig korrespondierende Säulenreihe des Brandenburger Tors im Hintergrund wurde dieser Eindruck bildästhetisch zusätzlich unterstrichen.37 Andererseits besticht das Bild durch seine „Ambivalenz aus Militärischem und Zivilem“ (Demke), die in der Uneinheitlichkeit von Mimik, Gestik und Körperhaltung der abgebildeten Kämpfer zum Ausdruck kommt. Sie vermittelte einen wenig bedrohlichen, beinah familiären Eindruck, der nicht nur die

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Elena Demke, „Sprung in die Freiheit“ versus „Menschliche Mauer“ – Foto-Ikonen zum Mauerbau aus West und Ost. Anregungen zur Bildinterpretation im Geschichtsunterricht, in: Der Mauerbau im DDR-Unterricht, S. 1–18, hier: S. 9; dies., Mauerfotos in der DDR. Inszenierungen, Tabus, Kontexte, in: Hartewig/Lüdtke (Hg.), Die DDR im Bild, S. 89–106. Koop behauptet fälschlicherweise, dass das Bild später gesperrt wurde, weil alle abgebildeten Kämpfer in den Westen geflohen seien; vgl. Koop, Armee oder Freizeitclub?, Abb.14; die Zeitschrift „Horizont“ hatte im Juli 1981 darauf hingewiesen, dass gegenüber dem ursprünglichen, vier Kämpfer zeigenden Bild, mittlerweile eine Version zirkulierte, die nur noch drei Kämpfer zeigte und gleichfalls gemutmaßt, dass der nicht mehr abgebildete, ursprünglich zu sehende, vierte Kämpfer die DDR ungesetzlich verlassen habe; die Hauptabteilung VII, die sich daraufhin zu einer Überprüfung veranlasst sah, stellte jedoch fest, dass „der Grund dafür, dass dieses Bild nur noch mit den angeführten drei Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse veröffentlicht wird, liegt darin, weil auf dem Bild (rechte Seite) im Hintergrund ein Teil eines Wasserwerfers zu sehen ist, der nicht mit veröffentlicht werden soll“, Überprüfungsergebnis vom 28.7.1981, BStU, MfS-Sekretariat Neiber, Nr. 640, Bl. 64f.; zwar war die „menschliche Mauer“ gen Westen gerichtet, da dennoch viele DDR-Bürger ungeachtet sachlich richtiger Bildunterschriften den Einsatz als „nach innen“ gerichtet wahrnahmen, schien die Abbildung eines Wasserwerfers mehr noch als die eher unentschlossen wirkenden Kämpfer geneigt, den Unmut des Betrachters zu schüren, vgl. Demke, Foto-Ikonen zum Mauerbau, S. 9f.; vermeintliche Republikflucht kam als Erklärung für die Beschneidung des Bildes nicht in Frage: der Bericht der Hauptabteilung VII bestätigte, dass alle vier ursprünglich abgebildeten Kämpfer weiterhin in der DDR leben würden; allerdings sei nur noch einer der vier Angehöriger der Kampfgruppen; die übrigen seien „aus beruflichen Gründen u. a. Funktionen aus dem aktiven Dienst in der Kampfgruppe der Arbeiterklasse ausgeschieden,“ vgl. Überprüfung der Information der Abteilung 26 vom 29.7.1981, BStU, MfS-Sekretariat Neiber, Nr. 640, Bl. 67f. Holzweißig, SED-Argumentation im Widerspruch zwischen Einheitspropaganda und „sozialistischer Landesverteidigung“, S. 418.

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abgebildeten Kämpfer als „Söhne ihrer Klasse“ auswies,38 sondern zugleich die scheinbar defensiven Absichten der Arbeiter-und-Bauern-Macht unterstrich. Der Sperrriegel aus Waffen und Menschen verweist aus dieser Warte zunächst auf ein historisch – in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus – erwachsenes Selbstverteidigungsrecht der Arbeiterklasse. Damit entsprach er der propagandistischen Konzeption der SED, die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ als eine Maßnahme zur Friedenssicherung darzustellen.39 Der Versuch der Mächtigen, zur Legitimation des Mauerbaus auf das eigene revolutionäre Erbe zu rekurrieren, wies den Kampfgruppen eine zentrale Bedeutung zu. Mit ihrem Einsatz konnte die SED demonstrieren, dass die Arbeiterklasse nichts von ihrem voluntaristischen Elan verloren habe und ganz im Sinne der Kampfzeit selbst zum Schutze ihrer Errungenschaften schritt.40 Dementsprechend groß war der Aufwand, der den Einsatz der Kampfgruppen begleitete. Bekannte kommunistische Schriftsteller wie Stephan Hermlin, Bruno Apitz oder Bodo Uhse besuchten die Kampfgruppen in ihren Einsatzräumen. Manch einer schrieb „aus dem unmittelbaren Erleben heraus Gedichte und Lieder, die sofort über Rundfunk und Fernsehen verbreitet wurden“, wie eine Broschüre

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Die „Propaganda mit menschlichem Antlitz“ (Rainer Gries/Silke Satjukow) ging so weit, zum 5. Jahrestag des 13. August die Bevölkerung mit einem „Auf den Spuren eines historischen Fotos“ überschriebenen Artikel im „Neuen Deutschland“ über den weiteren Lebensweg der abgebildeten Kämpfer zu informieren; noch im Juli 1987 wurden anlässlich des historischen Festumzuges zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin nachgestellte „lebende Bilder“ durch die Stadt gefahren, die neben Karl Marx und Martin Luther auch diese vier Kämpfer zeigten; vgl. Demke, Mauerfotos, S. 94. Stefan Wolle, Die Diktatur der schönen Bilder. Zur politischen Ikonographie der SEDDiktatur, in: Deutsche Fotografie. Macht eines Mediums 1879–1970. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Köln 1997, S. 174–185; dass nicht wenige Betrachter in der DDR hingegen der Überzeugung waren, die vor der Westansicht postierten Kämpfer seien in Wahrheit gen Osten, also gegen die eigene Bevölkerung gerichtet, in Stellung gegangen, verweist auf eigensinnige Rezeptionsweisen, ob derer die Deutungsmacht der Partei auch mittels noch so schlüssiger Bilder an ihre Grenzen stieß; vgl. dazu: Demke, Mauerfotos, S. 102f.; vgl. dazu auch in grundsätzlicher Hinsicht: Alf Lüdtke, Kein Entkommen? Bilder-Codes und eigen-sinniges Fotografieren; eine Nachlese, in: ders./Hartewig (Hg.), Die DDR im Bild, S. 227–236. Vgl. Bernd Eisenfeld/Roger Engelmann, 13.8.1961: Mauerbau. Fluchtbewegung und Machtsicherung, Bremen 2001, S. 51f; Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 93, schreibt die Idee, zum Zwecke der Absperrmaßnahmen aus quasi-legitimatorischen Gründen Kampfgruppen einzusetzen, Honecker persönlich zu.

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der lokalen Kreisleitung rühmte.41 Der Sekretär des Staatsrates der DDR, Otto Gotsche – selbst ein bekannter Arbeiter-Veteran und Schriftsteller – vergaß bei seinem Besuch nicht, auch an „den Kampf der deutschen Arbeiterklasse im Mansfelder Bergbau“ zu erinnern.42 Weithin wurde von offizieller Seite eine Tradition beschworen, die von der Kampfzeit der Weimarer Republik bis zum Einsatz der Kampfgruppen am Brandenburger Tor reichte.43 In diesem Sinne ging es auch im August 1961 darum, „das Vermächtnis Karl Liebknechts zu erfüllen“, wie der „Kämpfer“ schrieb.44 Damit wurde eine Tradition beschworen, die unter den beteiligten Kampfgruppen-Angehörigen durchaus noch hoffen konnte auf Resonanz zu stoßen. So manchem im Einsatz befindlichen „älteren“ Kämpfer wurde zugeschrieben, sich „an den denkwürdigen 1. Mai 1916“ erinnert zu fühlen, „als Karl Liebknecht auf dem Potsdamer Platz zur Berliner Bevölkerung sprach und zum flammenden Protest gegen den imperialistischen Krieg aufrief“.45 Die Broschüre der SED-Kreisleitung Berlin-Mitte zum Mauerbau brachte eine – möglicherweise fiktive, im Hinblick auf ihre Aussage jedoch bezeichnende – Geschichte, in der patrouillierende Kämpfer auf eine etwa 70jährige Frau stießen. Nachdem die Kämpfer ihr versichert hatten, dass sie sich tatsächlich im Einsatz befänden, ballte die alte Dame ihre „dünngliedrige Hand“ entschlossen zu Faust und grüßte: „dann: Rotfront, Genossen!“46 Laut Tagesbefehl focht das „scharfe Schwert der Arbeiter-und-Bauern-Macht“ gegen „den Militarismus“ und für den „Schutz der Hauptstadt“.47 Der überwiegende Teil der Bewohner Berlins fragte sich trotzdem, „warum die Kampfgruppen mit dem Gewehr nach Osten und mit dem Rücken zum Brandenburger Tor ste-

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Da schlug’s 13: 13. August 1961 – Bau der Berliner Mauer, hrsg. von der SEDBezirksleitung Berlin-Mitte, Berlin (O) 1961, S. 6. Neues Deutschland, Nr. 34 vom 26.8.1961, Jg. 16, Beilage zur Nr. 34. Peter Hübner, Das Jahr 61 und die Kontinuität der Arbeitergeschichte in der DDR, in: ders./Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ/DDR, S. 15–38, hier: S. 17. „Die Ultras kommen nicht durch“, in: Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 1. „Vorposten auf Friedenswacht“, in: Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 1; Major zitiert Informationsberichte des ZK, nach denen sich zahllose Arbeiterveteranen angesichts der ausgerufenen „kämpferischen Atmosphäre“ in den Betrieben ihrer antifaschistischen Verdienste vor 1933 rühmten, vgl. ders., Behind the Berlin Wall, S. 129. Da schlug’s 13, S. 4. Aus dem Tagesbefehl an die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der Hauptstadt der DDR, in: Der Kämpfer, Nr. 9, Jg. 5 (1961), S. 1.

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hen“. „Sind die Gewehre“ so fragten etwa die Assistenten am Berliner Naturkundemuseum „gegen unsere Bevölkerung gerichtet“?48 Pries der „Kämpfer“ die im Einsatz befindlichen Kampfgruppen-Angehörigen als „Vorposten an der Friedensfront“, die ihre „Sache gut gemacht“ hätten,49 war die massive Truppenpräsenz auf Seiten der Bevölkerung eher dazu angetan, Unruhe und Besorgnis zu wecken. Der Einsatz von Stacheldraht war manchem Bürger schon „zu viel“50 und auch die allerorts postierten Panzer weckten Zweifel. „Mit Panzern kann man doch nicht für den Frieden sein“, war die Überzeugung zahlreicher Bürger, bei denen die Aktion vor allem Kriegsängste schürte.51 Statt einer „kämpferischen Atmosphäre“, wie sie von der SED ausgegeben wurde, schürte der Einsatz, insbesondere unter den älteren Teilen der Bevölkerung, Kriegsängste.52 Die offizielle Berichterstattung war demgegenüber voller Beispiele, in denen Bürger die eingesetzten Kämpfer „mit Tee, mit Zigaretten sogar, die sie aus ihrer Tasche bezahlten“,53 versorgten. Aus den VEB Werkzeugfabrik Treptow, VEB Mantelmode und anderen Betrieben wurde überdies von selbständigen Sammlungen der Betriebsangehörigen berichtet, mit denen den „Genossen der Kampfgruppe und den Genossen der VP eine Freude zu bereiten“ beabsichtigt war. „Die Delegationen, die diesen Genossen die kleinen Geschenke überreicht haben, kamen voller Freude, Begeisterung und Stolz über die Einsatzbereitschaft zurück“ und „berichteten in ihren Gewerkschaftsgruppen über ihre Eindrücke und halfen so, noch vorhandene Unklarheiten über die Aufgaben der Kampfgruppen der Arbeiterklasse zu überwinden“.54 Derartige Beispiele wurden propagandistisch als Beleg

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Information über die Stimmung an unseren wissenschaftlichen Einrichtungen zu den Maßnahmen des 13. August 1961 vom 16.8.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/5/433, Bl. 133; vgl. auch: Information vom 16.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/7/34/22232. „Vorposten auf Friedenswacht“, in: Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 1. Kurzinformation Nr. 7 vom 14.8.1961, SAPMO-BArch., DY/30/IV 2/5/433, Bl. 21. Patrick Major, Vor und nach dem 13. August 1961: Reaktionen der DDR-Bevölkerung auf den Bau der Berliner Mauer, in: AfS 39 (1999), S. 325–354; Ross, Socialism at the Grass-Roots, S. 165. Vgl. Major, Behind the Berlin Wall, S. 126f. Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 22f. Meinungen, Stellungnahmen und Verpflichtungen unserer Mitglieder zu den Beschlüssen unser Regierung vom 17.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/7/34/22677; vgl. auch: 10. Kurzinformation über die Lage in Berlin vom 17.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/5/433, Bl. 36.

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für die Unterstützung der Bevölkerung gegenüber den Kampfgruppen ausgeschlachtet; sie konnten die Kluft, die zwischen den Kämpfern und der Zivilbevölkerung klaffte, jedoch kaum schließen. Ihr Einsatz, insbesondere bei der Verhinderung und Räumung von spontanen Menschenansammlungen, machte vor allem deutlich, dass „mit der Kampfgruppe […] nicht zu spaßen“ sei. Während der Minister des Innern Karl Maron im Anschluss konstatierte, der Einsatz der Kampfgruppen habe „entscheidend zur Aufrechterhaltung der Ruhe, der Ordnung und der Sicherheit“ mit beigetragen,55 resümierten eingesetzte Kämpfer hingegen, „dass wir […] noch eine stärkere Verbindung […] zu den Bürgern herstellen müssen“.56 Offenbar vollzog sich die Herstellung von Ruhe und Ordnung immer wieder auch auf Kosten gewöhnlicher Bürger oder erregte deren Missfallen. „Berliner Geschichten“ aus dem Frontalltag der Kämpfer entwarfen hingegen ein Feindbild, das sich entlang der Klassenfronten ausrichtete: „Ein nobler Herr im Mercedes“, der sich in seiner Eigenschaft als westlicher Bezirksbürgermeister über die Kontrollen der Kämpfer hinwegsetzen zu können glaubte, ein „allzu neugieriger Sudel-Journalist“, der seine „Enten-Nase etwas zu weit in den demokratischen Sektor“ hineinzustecken versuchte, „einige wohlgenährte Damen“, die sich mit der Absicht, ihre Kartoffeln „drüben“ holen zu wollen, als Grenzgänger offenbarten.57 Solchen „Freiheiten“ erteilte die SED-Propaganda eine unmissverständliche Absage und verfiel dabei bisweilen in einen sozialhygienischen Jargon, dessen Tradition unübersehbar war: „Was meinten eigentlich diese Leute, die am Brandenburger Tor misstönend nach der Freiheit schrien […]. Sie meinten die Freiheit der unmoralischen Grenzgängerei. Sie meinten die Freiheit, wie Läuse an unserem Staatskörper hängen zu dürfen und sich ungestört vollsaugen zu können. […] Genauso wie der Blutegel am Körper eines Nutztieres bereits fertige Nahrung ohne viel Anstrengung saugt, lebten auch diese Leute wie Parasiten. Ihre Wohnungen strotzten von teuren Möbeln und Teppichen, sie fuhren Motorräder und Autos und schimpften auf unseren Staat. Sie waren durch die Verhältnisse bestochen worden und verrieten ihre Klasse. […] Sie sind gestolpert, und wir werden ihnen jetzt eine Brille aufsetzen.“58

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Vgl. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 48. Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 20–23. „Berliner Geschichten“, in: Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 2. „Lektion am Brandenburger Tor“, in: Der Kämpfer Nr. 9 (September), Jg. 6 (1961), S. 2.

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Die Darstellung von Grenzgängern als „Blutegel“ und „Parasiten“ rekurrierte auf klassische, bis ins 19. Jahrhundert zurückverweisende Feindstereotype.59 Sie implizierten immer auch eine Entmenschlichung des Anderen und wiesen darin frappierende Ähnlichkeit zur nationalsozialistischen Feindpropaganda auf. Die Absicht der SED, den Grenzgängern eine „Brille aufzusetzen“, betont jedoch – anders als im Nationalsozialismus – weniger eliminatorische als pädagogische Absichten. Da „in unserer Hauptstadt jetzt wieder reine Luft“ wehen würde, galt nun, wie in einer Ansprache an die Angehörigen des 1. KGB formuliert wurde, die „Auswirkungen des Frontstadtsumpfes zu überwinden und all unsere Bürger zu sozialistisch denkenden und handelnden Menschen zu erziehen“.60 [Siehe Dritter Teil, Kap. I, Abb. 12].61 Eine „Brille aufgesetzt“ bekommen sollten neben den Grenzgängern, die als Projektionsfläche vor allem für materielle Ressentiments herhalten mussten,62 überwiegend jugendliche „Halbstarke“ und „Rowdies“. Unangepasste RowdyCliquen wurden offiziell in einem Übergangsbereich zwischen unpolitischer Krawallmacherei und konterrevolutionärem Aufruhr verortet, ihre demonstrative Missachtung gesellschaftlicher Konventionen machte sie zu sozial „Ausgestoßenen“.63 [Siehe Dritter Teil, Kap. I, Abb. 13].64

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Zu Feindbildstereoptypen der DDR vgl. Gries/Satjukow, Feindbilder des Sozialismus, S. 48f.; zu den Ursprüngen biologistisch konnotierter sozialhygienischer- und moralischer Diskurse vgl. Peter Becker, Verderbnis und Entartung. Eine Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis, Göttingen 2002. Zit. nach: Roggenbuch, Das Berliner Grenzgängerproblem, S. 396. Zur Karikatur gab es eine kurze – vermutlich fiktive – Geschichte mit dem Titel „Angabe mit Gewehr“: „Zwei Halbstarke Westberliner in Lederjacken und Niethosen schlenderten – die Hände tief in den Taschen vergraben – auf den Kampfgruppenposten an der Bernauer Straße zu. ,Wo möchten Sie hin?‘ fragt der Genosse Kämpfer. ,Za [sic] Hause!‘ sagt der längere der beiden recht lässig. Und mürrisch kamen sie der Aufforderung nach, ihre Westausweise vorzuzeigen. , Die Strelitzer Straße‘, sagt der Genosse Kämpfer, ,ist gesperrt. Bitte benutzen Sie die Brunnenstraße als Übergang!‘ Der kurze Halbstarke räsonnierte: ,Jestern war noch uff. Wir jehn schließlich immer hier durch.‘ ,Sehn Sie‘, sagt der Posten, ,und nun nicht mehr!‘ ,Dürfen wa det als amtliche Mitteilung uffassen?‘ ,Klar,‘ sagte der Genosse Kämpfer, ,diese Angabe erfolgt mit Gewehr!‘ In: Der Kämpfer, Nr. 10 (Oktober), Jg. 6 (1961), S. 4. Vgl. dazu: Roggenbuch, Das Grenzgängerproblem, S. 256ff.; Hoerning, Zwischen den Fronten. Vgl. dazu im Einzelnen: Lindenberger, Volkspolizei, S. 367–422; ders., „Asoziale Lebensweise“. Herrschaftslegitimation, Sozialdisziplinierung und die Konstruktion eines „negati-

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Vermutlich nicht nur deshalb teilten manche Kampfgruppen-Angehörige die Geringschätzung, die der „Kämpfer“ in paternalistischer Manier gegenüber „Rowdies“ und „Halbstarken“ anstimmte.65 „Man muss mit ihnen überhaupt nicht diskutieren, sondern diese mussten sofort hart angefasst werden“, reflektierte ein eingesetzter Kämpfer im Nachhinein seine Handlungsmaxime. „Einer versuchte z. B., wir sagen dazu mit seiner ,Heule‘, mit diesem kleinen Kästchen [einem tragbaren Radio; T.S.], nicht wahr, innerhalb der Abriegelung hat er das Ding auf RIAS gestellt, der laufend Aufrufe verbreitete.“ Die Reaktion der Kämpfer war unmissverständlich: „Ihr könnt euch vorstellen, dass dieser Apparat nachher im Handumdrehen nur noch Einzelteile war.“66 Der Verweis auf das Abspielen von „Feindsendern“, noch dazu in der Öffentlichkeit, bot hinreichende politische Legitimation für das rücksichtslose Durchgreifen der Kämpfer. Ob es jedoch allein die politische Überzeugung war, die den Kämpfer hier zur Tat schreiten ließ, ist so eindeutig nicht zu bestimmen. Kampfgruppen-Einheiten wurden vielfach mit der Aufgabe betraut, „Zusammenrottungen“ von jugendlichen „Provokateuren“ zu zerstreuen. Diese Frontstellung reflektiert einen der DDR-Gesellschaft inhärenten Generationskonflikt, der insbesondere zu Krisenzeiten sichtbar wurde. Sein Spannungspotential bezog er aus der jeweiligen Positionierung zum Projekt des Arbeiter-und-Bauern-Staates. Die „Alten“ reklamierten stets, ihr ganzes Leben dem Aufbau und der Verteidigung einer neuen Gesellschaftsordnung gewidmet zu haben. Die „Jungen“ erschienen dem-

                                                                                                                                      

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ven Milieus“ in der SED-Diktatur, in: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), S. 227– 254. Vgl. dazu Uta G. Poiger, Rock `n‘ Roll, Kalter Krieg und deutsche Identität, in: Jarausch/Siegrist (Hg.), Amerikanisierung und Sowjetisierung, S. 275–289; dies., Jazz, Rock, and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany, Berkeley/Los Angeles 2000; auch zu dieser Karikatur lieferte der „Kämpfer“ eine Geschichte mit dem Titel „Afrika statt Sibirien“: „Am Brandenburger Tor versuchten Jugendliche, von der Westseite aus unsere Kämpfer zu provozieren. Einer schrie: ,Kommt doch rüber zu uns!‘ Ein Genosse rief: ,Du traust dich wohl nicht?‘ Der Jüngling schrie zurück: ,Bei euch wird man nach Sibirien geschickt.‘ ,Wir schicken keinen mehr nach Sibirien, wir schicken sie jetzt nach Afrika.‘ ,???‘ ,Dort werden jetzt die Affen knapp.‘“ In: Der Kämpfer, Nr. 10 (Oktober), Jg. 6 (1961), S. 4. Vgl. etwa: Der Kämpfer, Nr. 10, Jg. 5 (1961); zur Darstellung von „Rowdies“ und „Halbstarken“ in der DDR-Öffentlichkeit vgl. Thomas Lindenberger, Der Feind tanzt mit. Rockmusik und Jugenddelinquenz in DEFA-Filmen (1957–1961–1968), in: Gries/Satjukow (Hg.), Unsere Feinde, S. 197–214. Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 21.

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gegenüber häufig als diejenigen, die ihnen nicht nur den nach ihrer Ansicht dafür zustehenden Respekt verweigerten. Vielmehr wurde ihr unangepasstes Verhalten grundsätzlich auch als Versuch gedeutet, auf geradezu provokatorische Art und Weise gegen diesen Generationenvertrag aufzubegehren. In der Konfrontation von Kämpfern und „Halbstarken“ konkurrierten zugleich zwei konträre Entwürfe von „Männlichkeit“ [Abb. 12 u. 13]. Einem seit den 1950er Jahren unter Jugendlichen virulenten Leitbild ziviler Lässigkeit stand in Gestalt der uniformierten Kämpfer ein an Härte und „Zackigkeit“ ausgerichtetes Leitbild gegenüber.67 Die offensichtliche Häufigkeit „spontaner Zusammenrottungen“ musste die eingesetzten Kämpfer in ihrer Überzeugung, im Namen der ganzen Gesellschaft zu agieren, nicht nur irritieren. Die Vergeblichkeit ihres konkreten Einsatzes – kaum war eine „Zusammenrottung“ aufgelöst, hatten sich Jugendliche meist an anderer Stelle schon wieder zusammengefunden68 – konnte darüber hinaus auch frustrieren. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Kämpfer bisweilen nicht gerade zimperlich zur Tat schritten. „Dabei hat sicherlich auch mancher Neugierige einen Puff gekriegt“, räumte ein Kommandeur im Nachhinein ein, vergaß aber nicht zu betonen, dass „niemand blutig geschlagen worden“ sei.69 Gewalt galt hier nicht der Vernichtung eines vermeintlichen Gegners, sondern war eher Instrument einer „nachholenden Erziehung“. Sie wurde von den „misstrauischen Patriarchen“ in pädagogischer Absicht gegenüber dem aufsässigen und aus der Reihe tanzenden Nachwuchs gebraucht und verstanden. Dennoch scheinen sich die Kampfgruppen ihrer einschüchternden Wirkung durchaus bewusst gewesen zu sein und diese von Fall zu Fall auch ausgekostet zu haben. So konnte es vorkommen, dass „Genossen plötzlich aus der Räumkette heraus[sprangen] […] und sich ein paar aggressive Burschen persönlich herausgreifen wollte[n].“70 Inwiefern solcher „Übereifer“ – so zumindest der Kommentar des Bericht erstattenden Kommandeurs –, aus persönlich-politischem Engagement, aus individueller Frustration oder aber auch aus bloßer Erschöpfung erfolgte, lässt sich kaum rekonstruieren. Festzuhalten ist jedoch, dass Kampfgruppen-Angehörige sich „z. T. 36, 40                                                              67

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Vgl. dazu: Kaspar Maase, „Lässig“ kontra „zackig“ – Nachkriegsjugend und Männlichkeiten in geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Christina Benninghaus/Kerstin Kohtz (Hg.), „Sag mir, wo die Mädchen sind.“ Beiträge zur Geschlechtergeschichte der Jugend, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 79–101; Poiger, Jazz, Rock, and Rebels. Kurzinformation Nr. 5 vom 13.8.1961, SAPMO-BArch., DY/30/IV 2/5/433, Bl. 13. Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 20. Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 26.

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Stunden“ ununterbrochen im Einsatz befanden und eine angemessene Versorgung der eingesetzten Einheiten erst am dritten Tag des Einsatzes „völlig normal“ funktionierte.71 Stress, unzureichende Ernährung und auch eine mangelhafte Ausbildung dürften viele, vor allem ältere Kampfgruppen-Angehörige, durchaus überfordert haben. In der kompromisslosen Auseinandersetzung mit dem „inneren Feind“ (Dorothee Wierling) vermischten sich solchermaßen individuelle Frustrations- und Überforderungsmomente mit generationsspezifischen Ressentiments. Sie wurden von offizieller Seite nicht nur geduldet, sondern in pädagogisch-paternalistischer Absicht auch stimuliert: „Es ist für die Rowdies ganz heilsam, wenn sie wissen, dass sie bei ihrem Tätigwerden mit einer anständigen Tracht Prügel zu rechnen haben“, hatte beispielsweise der Minister des Innern Maron auf einer Cheftagung der Volkspolizei im März 1958 programmatisch klargestellt.72 Der überwiegende Teil der Berliner Bevölkerung jedoch blieb vor allem passiver Beobachter der Ereignisse.73 Das lag zum einen am Überraschungsmoment, denn der Zeitpunkt für die „Aktion Rose“ war geschickt gewählt. Die Absperrmaßnahmen vollzogen sich in der Nacht zum Sonntag und überraschten solchermaßen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in der Privatsphäre des Wochenendes. In dieser Hinsicht hatte die SED-Führung aus dem 17. Juni gelernt: Den Einsatz unter der Woche zu begehen, hätte die Bevölkerung am Arbeitsplatz mit ihm konfrontiert, wo unmittelbare Verständigung und kollektiver Protest viel leichter gefallen wäre. Zahlreiche Bürger, nicht nur der Hauptstadt, glaubten überdies zunächst kaum an eine dauerhafte Abriegelung. Zum einen legten Stacheldraht und Panzersperren eher den Eindruck einer provisorischen Befestigung nahe, zum anderen war die Sektorengrenze bereits im Anschluss an die Ereignisse des 17. Juni für einige Zeit gesperrt gewesen, um schließlich stillschweigend wieder geöffnet zu werden.74 Nachdem sich abzuzeichnen begann, dass der Westen gegen die Grenzabsperrung nichts unternehmen würde, wurde am 21. August die bis dahin geltende Alarmstufe I heruntergestuft. Der Abzug des Gros der Kampfgruppen erfolgte

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Vgl. Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 20 u. 22. Zit. nach: Lindenberger, Volkspolizei, S. 389. Major, Vor und nach dem 13. August 1961, S. 340. Stefan Wolle, „Lage stabil, vereinzelte Vorkommnisse“. Die Stimmung der DDR-Bevölkerung nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 und nach dem Mauerbau am 13. August 1961, in: Diedrich/Kowalczuk (Hg.), Staatsgründung auf Raten, S. 225–252, hier: S. 247; Ross, East Germans and the Berlin Wall, S. 32f.

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bereits zwei Tage später, ab dem 23. August 1961, also noch vor dem eigentlichen Mauerbau. Im Rahmen eines großen „Kampfappells“, der mit mächtigem propagandistischem Aufwand im Beisein von Walter Ulbricht begangen wurde, wurden die Kampfgruppen verabschiedet.75 Eine Parade in „meisterhaft disziplinierten Kolonnen“ vorbei an den Spitzen der Partei und des Staates und der „stürmische Beifall Tausender Berliner Werktätiger“ krönten ihren Einsatz.76 In zahlreichen Medienberichten erhielten die Kampfgruppen Lob für das „hohe Klassenbewusstsein“ und „entschlossene Handeln“ gezollt, das sie während der Absperrungsmaßnahmen bewiesen hätten:77 „Als wahre Patrioten, als gute Deutsche handelnd, haben sie ein unüberwindliches Bollwerk gegen die Angriffe der tollgewordenen Ultras um Strauß und seine Frontstadtgefreiten errichtet. Die Panzer, Maschinengewehre, Maschinenpistolen und Karabiner in den Händen treuer Söhne unserer Klasse sind Barrieren gegen Provokateure, Spione, Menschenhändler, Schieber und Spekulanten, die sich auf Kosten fleißiger werktätiger Menschen mästen wollen“,

rühmte etwa der „Kämpfer“ die Leistung des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“. Voll des Lobes für die Angehörigen der Arbeitermiliz führte er aus: „Die letzten Tage sind reich an hervorragenden Beispielen der bedingungslosen Treue und Ergebenheit der Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse zu unserer gemeinsamen sozialistischen Sache“.78 Aber es war nicht allein die organisationseigene Zeitung, die sich zu solchen Lobeshymnen verstieg. Auch das „Neue Deutschland“ zollte den „Werktätigen der Betriebskampfgruppen, die mustergültig ihre Pflicht gegenüber der Arbeiterklasse und der Republik getan“ hätten, seinen Dank.79 Blumen – in aller Regel Nelken –, die die Kämpfer bei der

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Ein motorisiertes Bataillon und sechs Hundertschaften, insgesamt etwa 1.000 Kampfgruppen-Angehörige, wurden von den Stadtbezirks-Einsatzleitungen als Reserve in lokale Verfügungsräume delegiert; vgl. Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 469. Vgl. Neues Deutschland, Nr. 233 vom 24.8.1961, Jg. 16, S. 1; Da schlug’s 13, S. 11. So auch der Tenor des Referats anlässlich der 8. Sitzung des NVR über den Einsatz von Kampfgruppen im Rahmen der „Aktion Rose“, vgl. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 48. Vgl. die Artikel „Vorposten an der Friedensfront“ u. „Begeisterung und Initiative“ in: Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 1. Neues Deutschland, Nr. 228 vom 19.8.1961, Jg. 16, S. 1.

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Rückkehr in ihre Betriebe erhielten, sollten allen Ortes die Verbundenheit der Klasse mit ihren Kampfgruppen deutlich machen.80 Tatsächlich erfolgte der frühzeitige Abzug zahlreicher Kämpfer vor allem auch deshalb, weil in einigen Berliner Betrieben unüberhörbarer Unmut über die Abwesenheit ihrer kämpfenden Betriebsangehörigen laut geworden war. Zahllose Werktätige zeigten sich erbost darüber, dass sie die Arbeitsleistungen der im Einsatz befindlichen Kampfgruppen-Angehörigen mit übernehmen mussten.81 Dass zahlreiche Werktätige infolge des Kampfgruppeneinsatzes „immer stärker erkennen [würden], dass die Kampfgruppen der Arbeiterklasse den [sic] Schutz ihrer Errungenschaften dienen“82 – wie es eine lokale Parteiorganisation in Treptow euphemistisch formulierte –, blieb vielerorts bloßes Wunschdenken. Nur „vereinzelt“ wurden von Betriebsangehörigen Anträge gestellt, in die Kampfgruppen aufgenommen zu werden, vor allem wurden jedoch „noch große Unklarheiten, Zweifel und zahlreiche Fragestellungen“ von den lokalen Parteiorganisationen konstatiert. Und immer wieder verweigerten auch Kämpfer ihre Teilnahme am Einsatz, wie der Gruppenkommandeur im VEB Elfe oder ein Jungingenieur im Reifenwerk Köpenick.83 Ein von „Blumen und Geschenken“ begleiteter „herzlicher Empfang“ der in die Betriebe zurückkehrenden „Arbeiterbataillone“, wie er im „Neuen Deutschland“ präsentiert wurde,84 hatte mit der Wirklichkeit mancherorts hingegen nur wenig gemein. Exemplarisch quittierte eine Betriebsangehörige des Werks für Fernsehelektronik anlässlich des Begrüßungsappells der vom Einsatz zurückkeh-

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„Dieser ,Strauß‘ war uns willkommen“ berichtete der ,Kämpfer‘ in seiner Sonderausgabe zum Mauerbau: „Unsere Hundertschaft hatte Besuch: Eine Frauendelegation aus dem VEB Industriebau überbrachte einen Nelkenstrauß mit Süßigkeiten garniert. ,Im Namen aller Arbeiter und Angestellten des Betriebes herzlichen Dank für eure Einsatzbereitschaft!‘ sagte die Genossin Berlin, Abteilungsleiterin für Lohn- und Sozialfragen, in ihren Begrüßungsworten. ,Und wir alle versprechen euch,‘ erwiderte Hundertschaftskommandeur Gromilis, ,dass wir auch weiterhin zu jeder Stunde bereit sind, unsere Errungenschaften zu verteidigen!‘“ In: Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 2. Eisenfeld/Engelmann, Mauerbau, S. 51. Meinungen, Stellungnahmen und Verpflichtungen unserer Mitglieder zu den Beschlüssen unser Regierung vom 16.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/34/22677. Kurzinformation vom 1.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/5/433, Bl. 23f. Neues Deutschland, Nr. 228 vom 19.8.1961, Jg. 16, S. 1.

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renden Kämpfer die Feierlichkeiten mit der Bemerkung: „Die Schweine sollen lieber arbeiten.“85 Der „Kämpfer“ druckte hingegen unverdrossen Grußbotschaften an die Kampfgruppen, die mit „Wir sind stolz auf Euch!“ oder „Ihr seid auf Draht“ überschrieben waren.86 Ganz in diesem Sinne zitierte wiederum das „Neue Deutschland“ aus dem Einsatz zurückgekehrte Kommandeure und Kämpfer: „Wir stellen persönliche Interessen hinter das Interesse unserer Klasse. Wir werden jeden neuen Auftrag der Partei ebenso gewissenhaft erfüllen.“87

„Ernste Mängel und Schwächen“. Kampfgruppen im Einsatz Tatsächlich waren es hinter den Kulissen jedoch vor allem „ernste Schwächen und Mängel“, die etwa der Nationale Verteidigungsrat im Anschluss an den Einsatz der Kampfgruppen konstatierte.88 Unter den etwa 400 Personen, die ihre letzte Chance zur Flucht nutzten, waren nicht nur 85 Volkspolizisten,89 sondern auch sechs Angehörige der Kampfgruppen.90 Bereits im Zuge der Alarmierung der für die Absperrmaßnahmen ausgewählten Kampfgruppen-Einheiten hatte sich gezeigt, dass viele Kämpfer kaum dem Bild proletarischer Virtuosen entsprachen, das die Propaganda von ihnen zeichnete. Drei Stunden waren für den Aufmarsch von Polizei, Armee und Kampfgruppen entlang der Berliner Sektorengrenze vorgesehen gewesen. Die Alarmierung und Zusammenziehung der eingesetzten Kämpfer, die sich stadtteil- und kreisweise über die zuständigen VP-Ämter vollzog, erfolgte jedoch unter erheblicher zeitlicher Verzögerung. Zwar wird auch von Kampfgruppen-Angehörigen berichtet, „die von sich aus sofort ihre Dienststellen oder die befohlenen Sammelräume aufgesucht haben“, als sie bemerkten, dass etwas im Gange war.91 Im Ganzen betrachtet zeigte die Mobilisierung jedoch ein anderes Bild: Nachdem um 1.40 Uhr nachts der Alarm für die Kampfgruppen ausgelöst worden war, vergingen Stun-

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Information des FDGB-Bezirksvorstandes Groß-Berlin vom 29.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/7/34/22232. Vgl. Der Kämpfer, Sonderausgabe vom August 1961, S. 2. Neues Deutschland, Nr. 235 vom 26.8.1961, Jg. 16, S. 4. Vgl. Wagner, Die Kampfgruppen, S. 301f. Diedrich, Die militärische Grenzsicherung, S. 139. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.196, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 62. Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 19.

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den, bis die vollständige Einsatzbereitschaft erreicht war. Sieben Stunden nach Auslösung des Alarms waren erst ca. 13 Prozent der motorisierten Berliner Kampfgruppen-Einheiten einsatzbereit; bei den allgemeinen Einheiten betrug die Einsatzbereitschaft zu diesem Zeitpunkt ca. 14 Prozent. Abermals sieben Stunden später hatten die motorisierten Einheiten erst eine Stärke von ca. 37 Prozent erreicht; bei den allgemeinen Einheiten lag sie sogar nur bei ca. 29 Prozent.92 Nicht viel anders sah es bei den Kampfgruppen des Potsdamer Bezirkes aus. Das disziplinierteste Bataillon hatte nach sechs Stunden eine Einsatzbereitschaft von knapp 30 Prozent erreicht. Die übrigen drei zum Einsatz abkommandierten Bataillone erreichten in diesem Zeitraum lediglich eine Einsatzbereitschaft, die um die 15 Prozent lag. Auch nach fünfzehn Stunden betrug die Einsatzbereitschaft dieser Bataillone gerade 60 Prozent, wobei die Einsatzbereitschaft einiger Einheiten sich deutlich unter dieser Zahl bewegte.93 Angesichts einer Ist-Stärke von etwa 60 Prozent aller eingesetzten Kampfgruppen-Einheiten in den ersten Tagen des Einsatzes konnte von einer „hervorragende[n] Einsatzbereitschaft und Kampfmoral“ keine Rede sein.94 Ein Erklärungsversuch führte diese überaus langen Alarmierungszeiten darauf zurück, dass die einzelnen Bataillone der Kampfgruppen sich „noch immer“ auf eine Vielzahl von Betrieben verteilten. Angemahnt wurde deshalb, „verstärkt Wert darauf zu legen, dass die […] Zersplitterung der Einheiten auf eine Vielzahl von Betriebsparteiorganisationen vermieden“ werde.95 Zudem wurde beschlossen, ein von der Volkspolizei unabhängiges Alarmierungssystem zu entwickeln. Weiterhin wurde das Phänomen der „Übungsideologie“ dafür verantwortlich gemacht, „dass noch nicht bei allen Funktionären und Kämpfern Klarheit darüber besteht, dass von der schnellen Herstellung der Alarm- und Einsatzbereitschaft die Erfüllung der den Kampfgruppen gestellten Aufgaben zur Sicherung des Friedens und zum Schutze unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht abhängt.“96 Aufgrund der hohen Geheimhaltung, unter der sich die Vorbereitungen für den Mauerbau vollzogen, waren die zum Einsatz kommenden Einheiten erst unmittelbar vor Beginn der Aktion über ihren Auftrag informiert worden.97 Viele Angehörige der Kampfgruppen schienen auch diesen Einsatz zunächst noch für

                                                             92 93 94 95 96 97

 

Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 51. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465 Bl. 51. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 48. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 50f. Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 54. Vgl. Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 451f.

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eine Übung gehalten zu haben. Erst „als wir scharfe Munition empfingen und als befohlen wurde: ,Unterladen, entspannen‘, da war aufeinmal [sic] schlagartig die ganze Übungsideologie, die vorher drin war, die war vorbei“, bekannte ein in Berlin eingesetzter Kommandant im Nachhinein. „Jetzt merkten die Genossen, jetzt ist ernst, es ist keine Übung und hier spielt sich etwas ab.“98 Die Wahrnehmung von Ernstfall und Ausnahmezustand speist sich nicht zuletzt aus dessen Inszenierung: Gegenüber aller offiziellen Rhetorik sind es vor allem Rituale – hier das Aushändigen scharfer Munition –, die den Ernstfall bekräftigen.99 Zwar waren die Parteibeauftragten instruiert worden, die Kampfgruppen-Angehörigen auf ihren Einsatz vorzubereiten, „aber so ganz klar war das bei vielen Genossen noch nicht. Erst als ganz konkret die Strukturbewaffnung ausgegeben wurde, […], da war die Situation bei vielen Kämpfern viel klarer.“100 Einmal in Aktion, zeigten sich jedoch grundlegende Mängel, etwa in der Beherrschung der Waffen, die sogar zu Ausfällen führten, weil Kämpfer sich gegenseitig anschossen.101 Zahlreiche Kampfgruppen-Angehörige mussten überdies nach kurzer Zeit aus ihrem Einsatz herausgelöst werden, weil sie für andere, nichtmilitärische Aufgaben unverzichtbar waren.102 Stattdessen sprangen Einheiten von Grenz- und Schutzpolizei ein und begannen damit, die innerstädtischen Grenzkontrollpunkte zu schließen und durch Pioniermaßnahmen unpassierbar zu machen. Auch der U- und S-Bahnverkehr wurde unterbrochen.103 Gegen sechs Uhr morgens war die Sektorengrenze abgesperrt, die Menschen im In- und Ausland vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine Reaktion der Westmächte, die über rhetorischen Protest hinausging, war ausge-

                                                             98 Protokoll der außerordentlichen Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen des Bezirkes Halle vom 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, Nr. 101, Bl. 20; Major behauptet hingegen, dass die Kampfgruppen, obwohl in vorderster Front eingesetzt, als einzigstes unter den im Einsatz befindlichen bewaffneten Organen keine scharfe Munition erhalten hätten, macht hier jedoch keine Quellenangabe; vgl. Major, Behind the Berlin Wall, S. 114. 99 Vgl. dazu: Lüdtke, Ausnahmezustand und staatliche Gewaltrituale. 100 Protokoll der außerordentlichen Kommandeurskonferenz der Kampfgruppen des Bezirkes Halle vom 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, Nr. 101, Bl. 20. 101 Protokoll der außerordentlichen Kommandeurskonferenz vom 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, Nr. 101, Bl. 21. 102 Protokoll der 8. Sitzung des NVR vom 29.11.1961, BA-MA, DVW 1/39465, Bl. 50. 103 Wagner, Stacheldrahtsicherheit, S. 129.

 

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blieben.104 Das beeinflusste auch die Moral der im Einsatz befindlichen Kämpfer. Gewiss konnte das „Kneifen“ der Westmächte das Gefühl eigener Überlegenheit kurzfristig bekräftigen. Auf Dauer wich die Erregung des Einsatzes jedoch Gefühlen der Langeweile: „[…] am vierten Tag waren viele Genossen der Meinung, ja was sollen wir hier eigentlich noch, nicht wahr, es ist doch alles ruhig,“ berichtete ein zum Einsatz gekommener Kampfgruppen-Kommandeur.105 Tatsächlich waren die Kampfgruppen in ihren Bereitschaftsräumen immer auch längeren Wartezeiten ausgesetzt, die sie ganz klassenbewusst zu nutzen bemüht waren, wie die Broschüre der SED-Kreisleitung Berlin-Mitte vorstellte: „Sie lasen in den Büchern, die die Betriebe ihnen geschickt hatten. Schachliebhaber setzten hier auch Freunde matt und qualifizierten sich zu wahren Meistern. Fernstudenten, mitten im Examen stehend, wälzten ihre Fachliteratur. Die Skatkarten krachten, und die Tischtennisbälle flogen. In vielen Hundertschaften wurde der schreibende Arbeiter zum schreibenden Kämpfer. Seine Manuskripte stehen heute in Tagebüchern und Kampfblättern, oder sie wurden an den Wandzeitungen veröffentlicht.“106

Selbstverständlich durften individuelle Hobbys auch im Einsatz nicht zu kurz kommen – aufschlussreich ist, wie selbst anhand der Gestaltung der Freizeit proletarische Leitbilder beschworen wurden. Während Skat und Tischtennis eher populärkulturelle Freizeitaktivitäten benannten, verweist der Griff zur Fachliteratur oder zur Feder hingegen auf die Vorgaben des „Bitterfelder Aufrufes“ von 1959. „Greif zur Feder, Kumpel!“ hatte Walter Ulbricht damals den Anspruch einer eigenständigen „sozialistischen Kultur“ in eine griffige Formulierung zusammengefasst,107 dem die Kämpfer als proletarische Virtuosen gerecht zu werden hatten. An der ab dem 21. August erfolgenden totalen Sperrung der Westgrenze waren sie dann kaum noch beteiligt. Vielmehr wurden die Kampfgruppen nun aus der vordersten Linie abgezogen und als „Visibilitätsreserve“ zu Abschreckungszwecken in Betriebe delegiert, in denen es zu „feindlichen Aktivitäten“ gekommen war. „Z. B. brannte im ,Neuen Deutschland‘ nachts die Garderobe, darunter befanden sich aber die Aggregate. Es gab auch andere Erscheinungen. Im VEB ,Akti-

                                                             104 Potthof, Im Schatten der Mauer, S. 25; vgl. dazu: Rolf Steiniger, Der Mauerbau. Die Westmächte und Adenauer in der Berlinkrise 1958–1963, München 2001, bes. S. 261– 279. 105 Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 27. 106 Da schlug’s 13, S. 6. 107 Zum „Bitterfelder Weg“ vgl. Kott, Le communisme au quotidien, S. 106–109.

 

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vist‘ fiel in derselben Nacht durch Zerstörung eine wichtige Abpackmaschine aus, so dass beschlossen wurde, dass die Kampfgruppen auch im Prenzlauer Berg jetzt stärker in die Betriebe gehen.“108 Mit dem Verweis auf vermeintliche SabotageAktivitäten versuchte man, den Kampfeswillen der Arbeitermiliz zu nähren. Wie schon 1956 wurden Kampfgruppen-Einheiten nun zur Abschreckung in Betriebe delegiert, in denen sich die Stimmung gegen das Regime zu wenden drohte.109

Der Mauerbau und die Stimmung in den Betrieben. Kampfgruppen in der Industrieprovinz Der Bau der Berliner Mauer signalisierte die Bereitschaft der Mächtigen, gegen „Staatsfeinde“ mit aller zur Verfügung stehenden Macht auch wirklich vorzugehen. Diese symbolische Drohung ging über die konkreten Anordnungen in Bezug auf die „Aktion Rose“ hinaus. „Alle Durchbruchversuche müssen unmöglich gemacht werden,“ hatte etwa Erich Honecker in seiner damaligen Funktion als NVR-Vorsitzende kategorisch verlangt110 und der Chef der Staatssicherheit, Erich Mielke, hatte seinen Mitarbeitern befohlen: „Kein Feind darf aktiv werden, keine Zusammenballung darf zugelassen werden.“111 Sie demonstrierte vielmehr eine über das konkrete Ereignis des Mauerbaus hinausweisende Bereitschaft, jedweden Widerspruch gewaltsam zu unterdrücken112 – bisweilen mit tödlichen Konsequenzen. Nachdem im LEW Hennigsdorf Arbeiter der Holzindustrie spontan in den Streik getreten waren, wurde hier die lokale Kampfgruppe mobilisiert. Die nahm nicht nur Verhaftungen vor, sondern erschoss auch einen Rangiermeister. Der war, obwohl er „zweimal von unseren Streitkräften angerufen“ worden war, dieser Aufforderung nicht nachgekommen.113 Dass daraufhin auf ihn das Feuer eröffnet wurde, zeigt, zu welchen Selbstermächtigungen die Invokation des Ausnahmezustandes auch führen konnte.

                                                             108 Information vom 16.8.1961, SAPMO-BArch, DY 30/7/34/22232; vgl. auch: Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 25. 109 Information des FDGB-Bezirksvorstandes Groß-Berlin vom 23.8.1961, SAPMO-BArch, DY 30/7/34/22232. 110 Zit. nach Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 465. 111 Erich Mielke, zit. nach: Major, Vor und nach dem 13. August 1961, S. 339. 112 Hirschmann, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik, S. 344. 113 Vgl. Roggenbuch, Das Grenzgängerproblem, S. 391; ob es sich bei den „Streitkräften“ um Kampfgruppen handelte, konnte nicht eindeutig geklärt werden.

 

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Von verschiedener Seite ist auf die „Atmosphäre der Repression und Einschüchterung“ in unmittelbarer Folge des Mauerbaus hingewiesen worden. In der Tat erreichte die Zahl der im Verlauf des Mauerbaus festgenommenen DDRBürger Ausmaße, die an jene von 1953 heranreichten.114 Jedes erkennbare Protestpotential wurde mit Härte unterdrückt und bereits das Schweigen zu den Maßnahmen der SED konnte als Ablehnung der Politik der Partei interpretiert werden.115 Im Ganzen arbeitete der staatliche Repressionsapparat während des Mauerbaus auf Hochtouren.116 So waren in allen zwölf Bezirken der DDR vorsorglich Bezirkseinsatzleitungen gebildet worden. Sie hatten am 12. August den Befehl des NVR-Vorsitzenden erhalten, der die Einsatzleitungen und ihre durch die BDVP gestellten Stäbe in Alarmbereitschaft versetzte.117 Unmittelbar nach Bekanntwerden des Aufmarsches an der Sektorengrenze „wurden die Kommandeure der einzelnen Hundertschaften in die Lage eingewiesen mit der Aufgabe, die sofortigen Voraussetzungen zu schaffen, um in kürzester Zeit ihre Hundertschaften zum Einsatz zu bringen“.118 Die Partei ließ mit Hilfe der Kampfgruppen wieder einmal ihre Muskeln spielen. Diese Drohgebärde verfehlte ihre Wirkung offensichtlich nicht, auch wenn das Bild der Einheiten keineswegs überall so geschlossen war, wie es die Propaganda suggerierte. Im VEB Hydrierwerk Zeitz – wo noch nicht ausreichend Uniformen und Waffen für alle Kämpfer vorhanden waren – mussten einige Kämpfer „im blauen Overall ohne Kopfbedeckung oder in Sportmützen“ marschieren.119 In Halle bewertete die Partei die Stimmung der Arbeiter in den Großbetrieben zwar als gespannt; offen-

                                                             114 So wurden bis zum 4.9.1961 republikweit 6.041 Personen festgenommen – im Juni 1953 waren es 6.171 Personen gewesen –, 3.108 blieben in Gewahrsam; Major, Die Stimmung der DDR-Bevölkerung, S. 212; Torsten Diedrich, Der 17. Juni 1953 in der DDR: Bewaffnete Gewalt gegen das Volk, Berlin 1991, S. 300; 767 Personen wurden in Arbeitslager verbracht, vgl. Falco Werkentin, Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin 1995, S. 406–408. 115 Hübner, Das Jahr 61 und die Kontinuität, S. 28f.; Hermann-Josef Rupieper (Hg.), „Es gibt keinen Ausweg für Brandt zum Krieg“. August 1961 an der Martin-Luther-Universität, Halle 2002, S. 20. 116 Diedrich, Die militärische Grenzsicherung, S. 140. 117 Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 457. 118 Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 37. 119 Bericht über die Kampfgruppenausbildung des IV. Quartals vom 25.10.1961, LHASA, VEB Hydrierwerk Zeitz, Nr. 517.

 

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sive Reaktionen gegen die Grenzabsperrung gab es jedoch keine.120 In Rostock und Merseburg fuhren sogar zusätzliche Einheiten der sowjetischen Streitkräfte auf.121 Republikweit stieg die Zahl der Fälle von „Sabotage“ in den Betrieben – der klassischen Form anonymen Protests –, infolge der „Aktion Rose“ von ca. sechs Prozent im zweiten Quartal 1961 auf dreiundachtzig Prozent im dritten Quartal. „Verstärkte Feindarbeit“ wurde etwa im BKW „Einheit“ Bitterfeld festgestellt, „wo die Anzahl der Havarien in letzter Zeit stark angestiegen ist. So wurden z. B. Kabel zerschnitten und Signale von Zügen überfahren, wodurch es zu Zusammenstößen kommt.“122 War es am Tag des Aufmarsches an der Sektorengrenze in den meisten Betrieben weitgehend ruhig geblieben, häuften sich Fälle von „grobe[r] Verletzungen der Arbeitsdisziplin“ in den folgenden Tagen. Ausdruck fanden sie etwa in „Saufgelage[n] während der Arbeitszeit“,123 so im VEB (K) Roßlau, wo am 14.8. neun Bauarbeiter einer Dachdeckerbrigade ihren Arbeitsplatz verließen, um Bier zu trinken. Inwieweit Verletzungen der Arbeitsdisziplin in Form des Genusses von Alkohol am Arbeitsplatz tatsächlich außergewöhnlich waren, muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben. Befunde aus der kulturhistorischen Forschung verweisen jedoch auf die relative Gewöhnlichkeit übermäßigen Alkoholgenusses auch im betrieblichen Alltag,124 dem erst vor dem Hintergrund der aktuellen Krisensituation eine gewisse Brisanz beigemessen wurde. In Roßlau zeigten sich die Verantwortlichen jedoch um eine betriebsinterne, eher entpolitisierende Lösung des Konfliktes bemüht: Nachdem den Bauarbeitern „das Verwerfliche ihrer Handlungsweise aufgezeigt“ worden war, sahen sie ihr Fehlverhalten ein. Zum Zwecke der Wiedergutmachung erklärten sie sich zu einer Aufholung der ausgefallenen Arbeitszeit und zu einer vorfristigen Planerfüllung bereit. Um ihre Besserungsabsichten zu unterstreichen, willigten fünf Beteiligte überdies ein, sich in

                                                             120 Major, Vor und nach dem 13. August 1961, S. 431; vgl. auch: Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen des Kreises Hettstedt, undat., LHASA, SEDKL Hettstedt, IV/409, Nr. 252, Bl. 38; zur Situation an der lokalen Martin-LutherUniversität vgl. Rupieper (Hg.), August 1961 an der Martin-Luther-Universität. 121 Uhl, Die militärischen und politischen Planungen, S. 328. 122 Informationsbericht über klassenfeindliche Tätigkeit vom 12.9.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/6.11/65, Bl. 269f. 123 Informationsbericht über klassenfeindliche Tätigkeit vom 29.9.61, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/6.11/65, Bl. 291, Bl. 298 u. Bl. 299. 124 Vgl. Hübner, Arbeitskampf im Konsensgewand?, S. 228; ders., Identitätsmuster und Konfliktverhalten, S. 202.

 

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Zukunft am Kampfgruppendienst zu beteiligen.125 Die Bekundung einer vorfristigen Planerfüllung, insbesondere aber das Engagement für die Kampfgruppen, ist hier vor allem als symbolische „Loyalitätsgesten“ zu lesen. Derart signalisierten die Betroffenen in ritualisierter Art und Weise ihre Einsicht und Wiedergutmachungsabsicht126 – ob sie deshalb schon von den Maßnahmen der Regierung überzeugt waren, bleibt jedoch fraglich. Bis zum 19. August wurden republikweit 22 Fälle von Arbeitsniederlegungen gezählt, an der Spitze standen dabei die Bezirke Potsdam und Halle mit jeweils 4 Fällen von Arbeitsniederlegungen.127 „Provokationen“ wie sie etwa aus dem Kreis Halberstadt gemeldet wurden – hier war am 15.8. ein LPG- und SED-Mitglied in der Zuckerfabrik Dedeleben erschienen und hatte die Belegschaft mit dem Verweis darauf, dass in Berlin bereits gestreikt würde, zur Einstellung der Arbeit aufgefordert – ereigneten sich aber „eigentlich überall“, musste die Partei intern einräumen.128 Auch die nun überall auftauchenden Protestlosungen wie „Wir wollen Freiheit“ und „Weg mit Ulbricht“ sprachen eine deutliche Sprache.129 Dass die überwiegende Mehrheit der DDR-Bevölkerung gegen die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ war, dürfte auch den Kämpfern nicht verborgen geblieben sein. Sie waren nicht ausschließlich Kämpfer, sondern eben auch Ehemänner, Familienväter und Betriebskollegen. Selbst Befürworter des Mauerbaus, die sich von dieser Maßnahme eine stabilisierende Wirkung auf den real antizipierenden Sozialismus versprachen,130 brachten ihr Missfallen zum Ausdruck. So bekundeten manche, dass sie mit den Ausdrücken, wie sie etwa Karl Eduard v. Schnitzler in seiner Sendung „Der schwarze Kanal“ gebrauchte, „nicht einverstanden“ seien: „Sie stehen auf dem Standpunkt, dass wir es nicht nötig haben, solche Ausdrücke zu gebrauchen.“131 Auch das MfS registrierte Aussagen, nach denen „die getroffe-

                                                             125 Informationsbericht über klassenfeindliche Tätigkeit vom 12.9.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/6.11/65, Bl. 269f. 126 Vgl. dazu: Hübner, Arbeitskampf im Konsensgewand?, S. 230; ders., Identitätsmuster und Konfliktverhalten, S. 201. 127 1. Information über die ersten Ergebnisse, den Inhalt und den Stand der Durchsetzung des Produktionsaufgebotes vom 19.9.1961, SAPMO-BArch, DY 30/7/34/2277. 128 Information über die Tätigkeit der Parteiorganisationen und über die Stimmung der Bevölkerung vom 18.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/5/433, Bl. 57. 129 Eisenfeld/Engelmann, Mauerbau, S. 75. 130 Vgl. Lemke, Die Berlinkrise, S. 169f. 131 Protokoll der Mitgliederversammlung vom 21.8.1961, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3.

 

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nen Maßnahmen […] zu hart“ seien und die Spaltung vertiefen würden. Allgegenwärtig war weiterhin zudem die Kriegsfurcht – nicht wenige waren schon froh, dass der Kalte Krieg nicht zu einem heißen wurde.132 Dass die getroffenen Maßnahmen „lediglich dem Zweck“ dienen würden, „die Entvölkerung der DDR zu verhindern“, verweist auf den ungebrochenen Realitätssinn weiter Bevölkerungskreise, gegen den auch alle Propaganda wenig auszurichten vermochte.133 Zwar gab es auch Betriebsangehörige, die sich demonstrativ hinter die Maßnahmen der Regierung stellten. In diesem Sinne artikulierte etwa ein Angehöriger des Elektro-Chemischen Werkes Ammendorf seine Befriedigung darüber, „dass den Spekulanten und Agenten in Westberlin das Handwerk gelegt wurde“. Im Kaliwerk Teutschenthal wiederum hatte ein Betriebsangehöriger erklärt: „Wir werden nicht nur unsere Betriebe sondern wenn notwendig die Grenzen der DDR mit der Waffe in der Hand verteidigen.“134 Dass jedoch „mehr als bisher“ mit Kollegen, aber auch „den Genossen“ über die Maßnahmen des 13.8. diskutiert werden müsse – wie etwa im Protokoll einer Mitgliederversammlung der Betriebsparteiorganisation des VEB Maschinenbau Burg im Bezirk Magdeburg angemahnt wurde – mag als Hinweis zu lesen sein, dass sich die Funktionäre von ritualisierten Treue-Bekenntnissen nicht täuschen ließen.135 Nicht nur die lokalen Gewerkschaftsorganisationen waren angewiesen worden, in den Betrieben eine „kämpferische Atmosphäre zu schaffen“.136 Insbesondere von den proletarischen Virtuosen erwartete man, „in vorderster Reihe des ideologischen Kampfes und der Lösung der ökonomischen Aufgabe sowie der militärischen Sicherung [zu] stehen.“ Unter der Parole „Die Faust der revolutionären Arbeiter und Bauern trifft diejenigen, die die Errungenschaften unserer DDR angreifen“137, sollten Kampfgruppen-Angehörige in ihren Betrieben beispielhaft vorangehen. „Vorbild im täglichen Leben“ sollten sie jedoch nicht nur in

                                                             132 Hübner, Das Jahr 61 und die Kontinuität, S. 27. 133 Zit. nach: Eisenfeld/Engelmann, Mauerbau, S. 75. 134 Meinungen, Stellungnahmen und Verpflichtungen unserer Mitglieder zu den Beschlüssen unser Regierung vom 16.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/7/34/22677. 135 Protokoll der Mitgliederversammlung vom 21.8.1961, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3. 136 Information 9/61 über die Situation und Lage zur Durchsetzung des Beschlusses des Ministerrates vom 12. August 1961 vom 18.8.1961, SAPMO-BArch, DY 30/7/34/ 22677; vgl. dazu auch: Major, Behind the Berlin Wall, S. 129–143. 137 Referat des Gen. Bernard Koenen zur außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 13 u. 15.

 

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der Ausbildung sein, sondern genauso am Arbeitsplatz.138 Konkret hieß das, „offensiv gegen feindliche Äußerungen negativer Kräfte in Betrieben und Wohngebieten“ aufzutreten und „Schlampereien sowie Unordnung als Wucherboden für gedeckte Feindarbeit energisch zu bekämpfen“139 – im Zweifelsfall auch mit Hilfe bewährter „Arbeiterfäuste“.140 Der „Kämpfer“, aber auch lokale Zeitungen appellierten mit Artikelüberschriften wie „Schlagkräftig“ oder „Da hilft nur die Faust aufs Schandmaul“ unverhohlen an eine proletarische Hemdsärmeligkeit.141 Zugleich wurde kanonisch auf die Kampfzeit rekurriert, um „die entsprechenden Schlussfolgerungen für den gegenwärtigen Kampf“ ziehen zu können.142 Insbesondere die „älteren Genossen“ wurden zu Wort gebeten, um von „ihre[n] Kampferfahrungen vor 1933 und während des Faschismus“ zu berichten.143 Aufgrund der Invokation der Kampfzeit waren es neben den Kämpfern vor allem Arbeiterveteranen mit Kampferfahrung, die als Vorbilder in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung herhielten. Gleichzeitig wurden sie auch mit dem verstärkten Argwohn der Organe bedacht: Die Arbeit der lokalen Gewerkschaftsorganisationen in Halle etwa war angewiesen, sich besonders auf jene Abteilungen zu orientieren, von denen schon am 17. Juni 1953 „Provokationen“ ausgegangen waren, wie etwa im VEB Waggonbau Ammendorf.144 Statt einer „kämpferischen Atmosphäre“ registrierten die parteilichen Organe vor allem Meinungen, die kundtaten, dass West-Deutschland keine Bedrohung darstelle. Immer wieder war zu hören, dass ein Krieg nur dadurch verhindert werden könnte, „wenn alle Arbeiter keine Waffen mehr in die Hand nehmen“ wür-

                                                             138 „Kämpfer sein, heißt überall seinen Mann zu stehen“, in: Der Kämpfer, Nr. 10 (Oktober), Jg. 6 (1961), S. 4. 139 Referat des Gen. Bernard Koenen zur außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 13 u. 15. 140 Neues Deutschland, Nr. 235 vom 26.8.1961, Jg. 16, S. 4. 141 Vgl. dazu die entsprechenden Artikel in der Leipziger Volkszeitung und der Sächsischen Zeitung, zit. nach: Weber, Geschichte der DDR, S. 225. 142 Major spricht von einem „significant amount of physical, if still ritualized, violence […] in the immediate wake oft he Wall“; mancherorts weckten derartige gewalttätige Übergriffe an der Basis jedoch den Eindruck von „SA-Methoden“, so dass sich die Partei einige Wochen später gezwungen sah, sich von diesen Übergriffen zu distanzieren; Major, Behind the Berlin Wall, S. 131. 143 Information über die Tätigkeit der Parteiorganisationen und über die Stimmung der Bevölkerung vom 18.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/5/433, Bl. 52. 144 Information 9/61 über die Situation und Lage zur Durchsetzung des Beschlusses des Ministerrates vom 12. August 1961 vom 18.8.1961, SAPMO-BArch, DY 30/34/22677.

 

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den.145 In Burg wurde zusammenfassend konstatiert, dass „viele den 13. August noch nicht richtig verstanden haben“, was insbesondere an der Verteidigungsbereitschaft der Belegschaft festgemacht wurde. Ein offenbar weit verbreitetes „Versöhnlertum“ wurde hingegen als Gefahr für Verteidigungsfähigkeit des Arbeiterund-Bauern-Staates betrachtet.146 Wiederum war es vor allem die Jugend, die am unverhohlensten ihren Unmut und ihre Abwehr zum Ausdruck brachte. Das zeigte sich insbesondere im Rahmen der nun verstärkt im Betrieb durchgeführten Werbungen für die bewaffneten Organe: „Am wenigsten Verständnis für die Maßnahmen unserer Regierung zum Schutze des Friedens ist bei einem Teil der Jugendlichen zu finden. Der Feind hat auf große Teile unserer Jugendlichen einen starken Einfluss“, der vor allem mit einer „starke[n] Orientierung“ der betreffenden Personen am westdeutschen Fernseh- und Hörfunk erklärt wurde.147 Folgerichtig wurden im Anschluss an die Grenzabriegelung republikweit etwa 25.000 FDJ-Mitglieder mobilisiert, um in einer „Blitz kontra Nato-Sender“ getauften Aktion zum Sturm auf Rundfunkund Fernsehantennen anzusetzen, mit denen auch Westsender empfangen werden konnten.148 Die Aktion war ein Misserfolg und trug gewiss dazu bei, die Kluft zwischen Regime-Gegnern und Befürworten weiter zu vergrößern. Jedenfalls waren bis zum 26. August in den Bezirken Gera, Dresden, Suhl, Frankfurt/Oder, Halle, Schwerin, Potsdam sowie den Kreisen Gotha und Bitterfeld nur insgesamt 3.282 Jugendliche für die NVA gewonnen worden. Der SED wollten nur 249 Jugendliche beitreten und den Kampfgruppen noch weniger, nämlich nur 82.149

                                                             145 Referat des Gen. Koenen, LHASA, Abt. Mer., BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 5. 146 Protokoll der Mitgliederversammlung vom 11.9.1961, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3. 147 Vgl. die Protokolle der Mitgliederversammlungen vom 21.8.1961 u. 11.9.1961, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/7/4/3; vgl. auch, insbesondere zur Ablehnung des Militärdienstes: Wierling, Die Jugend als innerer Feind, S. 404–425; Erste zusammenfassende Information über die Situation und Lage zur Durchsetzung des Beschlusses des Ministerrates am 13. August 1961 vom 19.8.1961, SAPMO-BArch., DY 30/34/22677. 148 Vgl. dazu: Marc-Dietrich Ohse, Jugend nach dem Mauerbau. Anpassung, Protest und Eigensinn (DDR 1961–1974), Berlin 2003, S. 32. 149 Information über die Situation in den Betrieben und Vorständen zur Durchsetzung der Maßnahmen unserer Regierung zum Schutze des Friedens vom 26.8.1961, SAPMOBArch., DY 30/34/22677; vgl. dazu auch: Ohse, Jugend nach dem Mauerbau, S. 34; inwieweit Werbungen für die Kampfgruppen unter Jugendlichen auf Initiativen lokaler Parteifunktionäre zurückgingen oder Anweisungen ,von oben‘ folgten, muss dahingestellt

 

 

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Auch die Reihen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ waren nicht frei von Protest gegenüber der Grenzabriegelung. In Sandersleben, im Kreis Hettstedt, bekannte ein Angehöriger der Arbeitermiliz, keinesfalls auf seine „Brüder“ in Westdeutschland schießen zu werden.150 In Jessnitz, Kreis Bitterfeld, erklärte ein ehemaliger Kämpfer gegenüber dem Parteisekretär seines Betriebes wiederum, dass „wenn es mal anders kommt, drehen wir die Waffen um und laufen über“.151 Aufgrund von „Unklarheiten über die Rolle der bewaffneten Kräfte und die von ihnen zu lösenden Aufgaben“152 kam es deshalb am 2. September unter dem prominenten Vorsitz Bernard Koenens zu einer außerordentlichen Konferenz für alle Kampfgruppen-Kommandeure in Halle. Sie galt dem Ziel einer „einheitlichen politischen Orientierung“ aller Kampfgruppen.153 Vergleichbare, sogenannte „Meetings“, in denen den Kampfgruppen-Angehörigen die politische Linie der SED nahegebracht werden sollte, gab es in allen Kreisen. Im Kreis Hettstedt betrug die durchschnittliche Beteiligung an dieserart Versammlungen jedoch selten mehr als jeweils 30 Kämpfer, also gut einem Drittel der vollen Sollstärke der Einheiten.154 Offensichtlich war es hier nur eine Minderheit der KampfgruppenAngehörigen, die diesen „Meetings“ beiwohnten. Die rhetorische Floskel, dass die Mehrheit der Kampfgruppen-Mitglieder hinter den Maßnahmen der Partei stehe, wie sie in keinem Bericht fehlen durfte, ging immer auch einher mit noch vorhandenen „Schwankungen und Aufweichungserscheinungen“.155 Zwar habe „der größte Teil der Kampfgruppen die Worte des Genossen Harald Becker […] verwirklicht“, betonte auch Bernard Koenen vor den Komman-

                                                                                                                                      

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bleiben; hinzuweisen ist an dieser Stelle jedoch darauf, dass weiterhin ein Mindestalter von 25 Jahren für den Beitritt zum „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ galt. Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, IV/409, Nr. 252, Bl. 38. Einschätzung der SED-KL Bitterfeld, undat., LHASA, SED-KL Bitterfeld, IV/404, Nr. 360, Bl. 10. Bericht des Stabschefs der BDVP Halle vom 7.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 47. Vgl. Bericht des Stabschefs der BDVP Halle vom 7.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 47; vgl. auch: Protokoll der außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz der Kampfgruppen vom 2.9.1961, ebd., Bl. 18ff. Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 37. Vgl. die kurzen Einschätzungen vom 5.9., 6.9., 8.9.1961, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237.

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deuren des Bezirkes Halle. Dieser Harald Becker, Kommandeur der 7. Hundertschaft in Schkopau, hatte im Anschluss an den 13.8. auf einem Forum, an dem auch Walter Ulbricht zugegen war, erklärt, „dass er jederzeit bereit sei, unsere Betriebe und die DDR mit der Waffe in der Hand zu schützen“.156 Verschiedene Kreise – Koenen nannte die Kreise Roßlau, Gräfenhainichen, Wittenberg, Artern und Nebra –, sahen sich seinem Vorwurf ausgesetzt, demgegenüber „noch keine Klarheit über die Notwendigkeit und den Sinn ihres militärischen Auftrages in der jetzigen Periode“ des „verschärften Klassenkampfes“ zu besitzen.157 Weiterhin beklagte er vielfältige „Verfehlungen nach der Ausbildung oder nach Übungen“, die sich vor allem aus dem Konsum von Alkohol ergeben hätten. Im 5. KGB in Quedlinburg habe der Alkoholkonsum Ausmaße angenommen, die den „politisch-moralische Zustand sowie die Einsatzbereitschaft und Schlagkraft“ der ganzen Einheit gefährdet hätten.158 Kann der Griff zum Alkohol auch als Versuch interpretiert werden, sich als Widrigkeiten und Zumutungen wahrgenommenen Anforderungen zu entziehen,159 ist zugleich auf seine gemeinschaftsstiftende Funktion zu verweisen – mit durchaus ambivalenten Implikationen. Ebenfalls im Bezirk Halle hatte ein Angehöriger der 1. Hundertschaft, statt zum Dienst zu erscheinen, dem Alkohol zugesprochen, darüber hinaus jedoch noch weitere Kollegen „negativ“ beeinflusst, die dann gleichfalls nicht zur Ausbildung erschienen waren.160 Bedenklich musste die Funktionäre stimmen, dass es sich dabei nicht durchgängig um schon vorher als „unzuverlässig“ aufgefallene Kämpfer handelte. Auch solche, von denen gesagt werden konnte, dass sie „früher sehr aktiv“ waren, bekundeten nun ihren Willen, aus der Kampfgruppe auszuscheiden.161 Selbst „ein

                                                             156 Vgl. Jahresbericht der Kampfgruppen vom 2.4.1962, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237. 157 Referat des Gen. Bernard Koenen zur außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101,Bl. 2. 158 Referat des Gen. Koenen, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 4. 159 Paul Brieler, Der Suff im Osten oder Wie man mit Alkohol 17 Millionen Menschen ruhigstellt, in: Psychologie heute, Jg. 19 (1992), H. 12, S. 66–71; vgl. dazu auch: Jan C. Behrends, Rausch und Depression: Alkohol im kommunistischen Polen, in: von Klimo/Rolf (Hg.), Rausch und Diktatur, S. 239–254; Hübner, Identitätsmuster und Konfliktverhalten, S. 228f. 160 Einschätzung der 1. und 2. Hundertschaft nach dem 13.8.1961 vom 5.9.1961, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237. 161 Vgl. Einschätzung der Kampfgruppen vom 13.9.1961, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237.

 

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alter Genosse, Verfolgter des Naziregimes“ – der „bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Ausdruck brachte, dass der ,Westen‘ den ,Osten‘ ausnimmt und man dem Kapitalismus das Handwerk legen sollte“ – verließ die Kampfgruppen, weil er „die geschlossene Grenze ablehnte“.162 Wiederum offenbarten sich hier Spuren eines eigensinnigen und von den „misstrauischen Patriarchen“ beargwöhnten ,Partisanen‘-Geistes. Gerade diejenigen, die von der Überlegenheit ihres Systems überzeugt waren, konnten sich vom Vorgehen der SED enttäuscht zeigen und zögerten in der Regel auch nicht, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Sich explizit gegen die Maßnahmen der Regierung zu wenden, konnte jedoch unabsehbare Folgen haben. Zwei Kämpfer, die öffentlich bekundet hatten, sie wären „mit den Maßnahmen der Partei und Regierung nach dem 13.8. nicht einverstanden“ und sich weigerten, eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurden kurzerhand aus den Kampfgruppen ausgeschlossen.163 Angesichts unkalkulierbarer Folgen waren zahllose Kämpfer deshalb bemüht, ihren Unmut zu verschleiern. Dabei griffen sie auf Methoden zurück, mit denen die Funktionäre seit der Aufstellung der Kampfgruppen immer wieder konfrontiert wurden: Im „Volksgut“ Walbeck, Kreis Hettstedt, erschien trotz „mehrmaliger Aussprache“ kein „Kämpfer“ zur Ausbildung. In der LPG Gerbstedt präsentierte der Brigadier einer technischen Brigade dem Hundertschafts-Kommandeur der lokalen Einheit „wortlos ein Flugblatt“, auf dem der Erntenotstand erklärt wurde. „Aufgenommen wurde diese Geste so, dass Genosse [Name geschwärzt] keinen Genossen Kämpfer aus seiner Brigade zur Ausbildung schicken wollte“ und tatsächlich beteiligte sich aus der betreffenden Brigade niemand an der Ausbildung.164 „Schwierigkeiten mit den LPG-Vorständen, die sehr mangelhaft die Kämpfer zur Ausbildung schicken“, „Auseinandersetzungen“, die sich bereits über ein Jahr hinzogen, „ohne nennenswerte Ergebnisse zu erreichen“, und vergebliche Versuche, in Orten wie Wieserode und Ulzigerode überhaupt „Bürger für die Kampfgruppe zu gewinnen“, verweisen auf breite, anhaltende Ablehnung der Bevölkerung gegenüber den Kampfgruppen gerade in den ländlichen Gebieten.165

                                                             162 Gnad, Ein Leben in Uniform, S. 293. 163 Einschätzung der 1. und 2. Hundertschaft nach dem 13.8.1961 vom 5.9.1961, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237. 164 Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 38. 165 Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 39.

 

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Hier lag die letzte Phase der Kollektivierung noch nicht lange zurück; in ihrem Zusammenhang entstandener Unmut erhielt nun durch den Mauerbau neue Nahrung. In den Augen der SED trugen in erster Linie die lokalen „Betriebsfunktionäre und vereinzelt[en] Funktionäre auf Kreisebene“ die Schuld für „ideologische Unklarheiten“ aller Art.166 Der Blick auf die Basis offenbart demgegenüber ganz andere Grenzen der „Erziehungsdiktatur“: Wiederum im Kreis Hettstedt waren in verschiedenen LPGs „keine bzw. nur vereinzelte Kämpfer“ zur Ausbildung erschienen. Diejenigen, die sich bereit zeigten, an der Ausbildung teilzunehmen, waren von ihren Kollegen jedoch mit Vorwürfen wie, dass sie „zu faul sind zu arbeiten“ konfrontiert worden. Derartige informelle Hierarchien im betrieblichen Alltag ignorierte die SED. Die Kämpfer wiederum konnten sich jedoch nicht einfach über sie hinwegsetzen, ohne dabei die Missachtung ihrer Kollegen zu riskieren.167 Dennoch ist die Ausstrahlungskraft eines richtigen Einsatzes auf aktivistisch gesinnte Kampfgruppen-Angehörige nicht zu unterschätzen, bot sich hier doch die Möglichkeit, die in der Ausbildung erworbenen Fähigkeiten endlich einmal unter Beweis stellen zu können. Von Einheiten, die erklärten, dass sie selbst in Berlin zum Einsatz kommen wollten, wird sowohl aus dem Bezirk Halle wie auch aus dem Bezirk Magdeburg berichtet.168 Aus Tangerhütte wurden infolge des 13. Augusts ausgewählte Kämpfer „zur Staatsgrenze – West“ nach Berlin „delegiert“.169 Daraufhin wurden auch im übrigen Kreisgebiet Stimmen einzelner Kämpfer laut, die gleichfalls verlangten, in Berlin zum Einsatz zu kommen. Die Kreisleitung lehnte dieses Ersuchen jedoch mit dem Hinweis darauf ab, dass es sich bei den delegierten Kämpfern nur um Werktätige aus der Verwaltung handeln würde, deren Abwesenheit den Produktionsprozess nicht gefährde. Erst, nachdem sich im benachbarten Kreis Genthin Betriebsangehörige bereitgefunden

                                                             166 Information 9/61 über die Situation und Lage zur Durchsetzung des Beschlusses des Ministerrates vom 12. August 1961 vom 18.8.1961, SAPMO-BArch, DY 30/34/22677. 167 Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 38 u. 40. 168 Vgl. etwa für den Bezirk Halle: Einschätzung des VPKA Bitterfeld vom 12.10.1961, LHASA, SED-KL Bitterfeld, IV/404, Nr. 360, Bl. 6; für den Bezirk Magdeburg: Jahreswortbericht des VPKA Genthin vom 5.4.1962, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1116. 169 Vgl. Jahresbericht des VPKA Tangerhütte vom 5.4.1962, LHAM, Rep M24 (1961– 1975), Nr. 1518, Bl. 17.

 

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hatten, die Produktionsaufgaben von Kämpfern mit zu übernehmen, sollten diese zur Grenze delegiert werden, gab sie schließlich nach.170 Trotz dieser Solidaritätsbekundung gab es hier auch anders lautende Stimmen. Zwar hätten die Angehörigen der 31. und der 32. Hundertschaft des Kreises Genthin, die in Berlin zum Einsatz kamen, ihre Aufgabe „treu und gewissenhaft“ und „ohne Ablehnung“ erfüllt.171 Wie die lokale Arbeitsgruppe der Kampfgruppen jedoch anmerkte, sollte man sich „durch einzelne Aktionen, die auf Konto [sic] einzelner, bewusster Genossen Kämpfer kommen, nicht täuschen lassen“. Im Klartext hieß das: Nur wenige waren zu solchen Einsätzen wirklich bereit; an einer geschlossenen und „bewussten“ Haltung aller Angehörigen der betreffenden Hundertschaft mangelte es hingegen weiterhin.172 Mag der Wunsch manchen Kämpfers, selbst an der Grenze zum Einsatz zu kommen, von der Aussicht motiviert gewesen sein, einen Hauch von Ernstfall zu kosten, war der konkrete Einsatz zumeist eher ernüchternd.173 Zum einen trauten die professionellen Grenztruppen den Parteisoldaten offensichtlich nicht über den Weg, zum anderen wurden die Kämpfer zu eher unmilitärischen Aufgaben herangezogen. Zu „Planierungsarbeiten“ delegiert, war ihre Arbeit dabei von einem „unerklärlich hohen Einsatz an Diensthundeführern (mit Hunden) der Grenzbrigade“ begleitet worden, führte ein Hauptmann des Präsidiums der Volkspolizei in einem Brief an den Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen aus.174 Die Begründung eines Grenztruppen-Offiziers, dass die Hunde zum Schutz der Kämpfer eingesetzt würden, hätten die Kämpfer jedoch als „sehr unangebracht“ empfunden, intervenierte der VP-Offizier. Das galt in gleichem Maße für ihren Auftrag: Aufgrund fehlender Werkzeuge hatten sie mit bloßen Händen Stein- und Schutthaufen wegräumen müssen. Die „primitive Arbeitsweise“ wie auch die Anwesenheit ständig „kläffender Diensthunde“ bezeichneten die Kämpfer als „entwürdi-

                                                             170 Jahreswortbericht des VPKA Genthin vom 5.4.1962, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1116; zugleich verpflichteten sich die Kämpfer der entsprechenden Hundertschaft, der 34. Hundertschaft des Kreises Genthin, mit den Kämpfern der 39. Hundertschaft auf dem Gelände des VEB Betonschwellenwerkes Güsen, einen Schießstand zu errichten, der auch prompt fertiggestellt wurde, vgl. ebd. 171 Jahreswortbericht des VPKA Genthin vom 5.4.1962, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1116. 172 Vgl. Bericht der Arbeitsgruppe KG des Kreises Genthin vom 15.11.1962, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1115. 173 Vgl. dazu: Jochen Maurer, Dienst an der Mauer: der Alltag der Grenztruppen rund um Berlin, Berlin 2011. 174 Vgl. Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 149.

 

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gend“. Umgehend brachten sie zum Ausdruck, „dass, wenn die Vielzahl der Wachposten und Diensthundeführer, die zusätzlich zum Schutz der Staatsgrenze in den Arbeitsabschnitten eingesetzt waren, manuell gearbeitet hätten, ziemlich das gleiche ohne den Einsatz der Kampfgruppen geschafft worden wäre“.175 Die Zwiespältigkeit des kämpferischen Engagements war nicht allein in der Konkurrenz mit professionelleren Kräften – „Waffenbrüdern“, wie sie die Propaganda nannte176 – erfahrbar, wenn Kampfgruppen-Einheiten nicht ernst genommen und nur mit nachrangigen Aufgaben betraut wurden. Sie offenbarte sich vor allem dort, wo Kämpfer nicht, wie in den Straßen der Hauptstadt, quasi im Rampenlicht der in- und ausländischen Presse agierten, sondern im eigenen Milieu, dabei bisweilen im unmittelbar privaten Umfeld, wie die „Aktion Festigung“ zeigen sollte.177 Insbesondere aus den Grenzbezirken war infolge der Grenzabriegelung offene Kritik an der Politik der SED gemeldet worden. Zugleich wurde hier ein verstärktes Auftreten von „Hetzlosungen“ und „Diversionshandlungen“178 verzeichnet. Daraufhin beschloss die SED-Führung, Personen, die in ihren Augen durch eine „reaktionäre Einstellung“ den Aufbau des Sozialismus behinderten oder „ihrer Einstellung nach“ eine Gefährdung für die Ordnung und Sicherheit darstellten, zwangsweise umzusiedeln. Hierzu wurden „Personen, die als Grenzgänger aufgefallen sind oder die Arbeit der DGP erschwerten oder behinderten, darunter fallen arbeitsscheue und asoziale Elemente“, gezählt. Aber auch Erstzuziehende, Rückkehrer, Staatenlose oder Ausländer erregten ihren Argwohn. 956 „belastete Personen“ registrierte die SED; im Verbund mit deren Angehörigen belief sich die Zahl

                                                             175 Zit. nach: Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 150. 176 Vgl. Der Kämpfer, Sonderausgabe August 1961. 177 Inge Bennewitz/Rainer Potratz, Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze. Analysen und Dokumente, Berlin 1994, S. 126–169. 178 Als „Diversion“ – im MfS-Jargon „Bestandteil des Systems der Feindtätigkeit gegen die DDR .[…] Sie wird von imperialistischen Geheimdiensten sowie anderen feindlichen Stellen […] organisiert [und] greift die politischen und ökonomischen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft sowie deren Landesverteidigung an“ – konnte schon an sich harmloses non-konformes Verhalten gelten, wie eine Einschätzung des MfS nahelegt, die anlässlich der 1. Mai-Feierlichkeiten des Jahres 1961 in Steinbach im Grenzgebiet „passiven Widerstand“ vermutete, weil an der dortigen Maidemonstration außer der obligatorischen Musikkappelle keine erwachsene Person teilgenommen hatte; vgl. Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 111; zur „Diversion“ vgl. BStU (Hg.), Das Wörterbuch des MfS. Definitionen des MfS zur „politisch-operativen Arbeit“, Reihe A, Nr. 1/93, Berlin 1993, S. 77f.

 

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derjenigen, die sich den Zwangsmaßnahmen ausgesetzt sahen, auf insgesamt 3.273 Personen.179 Wie schon in Berlin kamen Kampfgruppen im Verbund mit Freiwilligen Helfern von Polizei und Grenzpolizei, Mitgliedern der Feuerwehr und regulären Angehörigen der Volks- und Grenzpolizei sowie dem MfS zum Einsatz. Sie waren sowohl an der Sicherung des Grenzstreifens wie auch an den Räumungskommandos beteiligt. Die Konspiration im Vorfeld des Einsatzes war auch hier so groß gewesen, dass mancher für den Einsatz vorgesehene Kämpfer sich im Verlauf der Operation selber als Opfer wiederfand, im Bezirk Schwerin allein zwei. „Nach Beendigung seines Dienstes als Fahrer eines PKW in einem VEB hatte Karl Müller am 2.10. von seinem Bereitschaftsleiter den Auftrag bekommen, sich – mit Essen und Trinken für 24 Stunden ausgerüstet – in der Nähe von Zarrentin einzufinden; gegen 18.00 Uhr traf er dort mit seinem PKW ein. Die Nacht verbrachten die Männer vorwiegend mit Kartenspielen in einem Klubraum. Um vier Uhr morgens wurden die Fahraufträge erteilt, und jemand sollte nach Boizenburg fahren. Der ,Auserwählte‘ erklärte, er kenne sich in der Stadt nicht aus, so laut, dass es Karl Müller verstand. Ahnungslos erklärte er sich bereit, die Fahrt zu übernehmen, da er Boizenburger war. Ein Mann in Zivil fuhr mit ihm. Der Weg führte ,zufällig‘ direkt an seiner Wohnung vorbei. Vor dem Haus stand ein LKW, auf dem schon ein Teil seiner Möbel verladen worden war – der Kampfgruppenmann wurde in wenigen Sekunden vom Täter zum Opfer.“180

Hoben die Einsatzleiter das Verhalten der eingesetzten Kämpfer und Volkspolizisten in ihren Berichten im Allgemeinen positiv hervor,181 zeigten sich auch hier die üblichen Mangelerscheinungen. Erneut erfolgte die Mobilisierung der Kämpfer nicht in der dafür vorgesehenen Zeit. Manche Milizangehörigen schliefen während ihres Postendienstes; andere verletzten sich durch fahrlässigen Schusswaffengebrauch.182 Widerstand gab es im Rahmen der „Aktion Festigung“ kaum zu brechen. Jedoch verstiegen sich manche Bewohner zu Verzweiflungstaten, die den Kampfgruppen-Angehörigen den zwiespältigen Charakter ihres Einsatzes deutlich vor Augen führten. „In 3 Fällen wurden von betroffenen Personen Selbstmordversuche unternommen“, heißt es etwa im Abschlussbericht der Bezirksverwaltung

                                                             179 Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 115f. u. S. 126. 180 Zit. nach: Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 128. 181 BStU, ZA, AS 75/65, Bd.3, Bl. 170; vgl. auch: Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 130. 182 BStU, ZA, AS, 75/65, Bd. 3, Bl. 90 u. Bl. 239.

 

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Suhl.183 Die meisten Opfer fügten sich nach anfänglichem passiven Widerstand jedoch ihrem Schicksal. Nur in Einzelfällen wurden die Sicherheitskräfte mit tätlicher Gegenwehr bedroht, wie in Suhl, wo ein selbständiger Schmiedemeister „den Agitatoren gegenüber in der Form tätlich [wurde], indem er diese mit einer Axt bedrohte“.184 Angesichts solcher Verzweiflungstaten waren nicht wenige beteiligte Helfer in Anbetracht der zumeist fassungslosen, verzweifelten und hilflosen Opfer physisch und psychisch überfordert. Ein Mitglied der Kampfgruppe, zugleich Kreistagsabgeordneter, verweigerte seinen Einsatz mit den Worten: „Ihr könnt machen, was ihr wollt, diesen Auftrag führe ich nicht durch.“185 Widerstand gegen die Maßnahmen gab es auf Seiten der Sicherheitskräfte jedoch nur in Einzelfällen, insbesondere dann, wenn Angehörige der Sicherheitskräfte selbst zu den Opfern gehörten. Ein Kampfgruppen-Angehöriger „führte negative Diskussionen, verließ seinen zugewiesenen Posten, betrank sich und bot anderen Kampfgruppenmitgliedern Alkohol an“, vermerkte etwa ein Bericht des MfS. Dem vorausgegangen war jedoch die Nachricht, dass auch der Bruder des betreffenden Kämpfers zu den Zwangsausgesiedelten zählte.186 Wie schon im Herbst 1956 verwiesen auch die Ereignisse vom Spätsommer 1961 auf die prekäre Situierung der Kampfgruppen. Während sie außerhalb ihres eigenen Milieus sich mehrheitlich bemüht zeigten, den Anforderungen ihrer Partei nachzukommen, offenbarten Einsätze innerhalb der eigenen Lebenswelt die latente Konkurrenz tendenziell gegenläufiger Loyalitäten. Verglichen mit der Situation im Herbst 1956 besaß die Verschränkung von Mikro- und MakroEbene im Spätsommer 1961 jedoch ganz andere Implikationen. Damals waren es Ereignisse im eher fernen Ungarn gewesen, die das Regime – und in seinem Schatten das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ – zur Demonstration eigener Stärke herausgefordert hatten. Diesmal ging es um die Existenz der eigenen sozialistischen Errungenschaften. In welch hohem Maße die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ als konstitutiver und ermöglichender Akt im Hinblick auf den „umfassenden Aufbau

                                                             183 BStU, ZA, AS 204/62, Bd.10, Bl. 182; zur „Aktion Festigung“ im Bezirk Suhl vgl. Gunther Mai, Grenzregime, Zwangsumsiedlungen und Enteignung im Bezirk Suhl 1950– 1965, in: Detlev Brunner/Mario Niemann (Hg.), Die DDR – eine deutsche Geschichte: Wirkung und Wahrnehmung, Paderborn 2011, S. 339–363. 184 BStU, ZA, AS 204/62, Bd. 10, Bl. 182. 185 Vgl. BStU, ZA, AS 75/65, Bd. 3, Bl. 165. 186 Vgl. BStU, ZA, AS 75/65, Bd. 3, Bl. 165 u. Bl. 169.

 

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des Sozialismus“ dargestellt wurde, wird beispielsweise anhand von Briefmarken deutlich. Sie fungieren gemeinhin als zentrale öffentliche Symbole im Hinblick auf die Repräsentation eines Staatswesens.187 In regelmäßiger Folge betonten sie die Bedeutsamkeit des Mauerbaus für die Entwicklung der DDR. Auf vielfältige – in Form von Briefmarken bis in den Alltag hineinreichende und anhaltende – Art und Weise wurde den Angehörigen der Arbeitermiliz eine Aufwertung ihres Engagements angeboten, die ihren Eindruck im Großen und Ganzen offenkundig nicht verfehlte.188 In den Kreisen Bitterfeld und Hettstedt wurde infolge des Mauerbaus eine intensivierte Ausbildung und eine zahlenmäßige Verstärkung der lokalen Kampfgruppen registriert.189 In diesem Sinne notierte die Abteilung Kampfgruppen der Bezirksbehörde der DVP Halle, dass im Vergleich zum Vorjahr die Differenz zwischen dem „fortgeschrittensten“ und dem „zurückgebliebensten“ Kreis von 30 Prozent auf 12 Prozent geschrumpft sei. Demnach waren 70,2 Prozent der Kämpfer in den Bataillonen und 62,9 Prozent der Kämpfer in den allgemeinen Hundertschaften mit „dem vollen Umfang des Ausbildungsprogramms für 1961“                                                              187 Jana Scholze, Ideologie mit Zackenrand. Briefmarken als politische Symbole, in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e. V. (Hg.), Fortschritt, Norm und Eigensinn. Erkundungen im Alltag der DDR, Berlin 1999, S. 175–191. 188 Wie sehr manche Kämpfer selbst an der Berichterstattung über ihren Einsatz in der Öffentlichkeit interessiert waren, illustriert wiederum eine der Broschüren der SED-KL Berlin-Mitte entnommene Geschichte: „Die Genossen des 3. Bataillons, die eine Absperrkette quer über die Linden- Ecke Friedrichstraße bildeten, waren zunächst etwas verblüfft, als plötzlich eine alte Zeitungsfrau auf sie zueilte und schon von weitem rief: ,Bezett am Abend! Mit Bildern von den Kampftruppen!‘ ,Vielleicht seita ooch druff‘, sagte die Frau, als sie die Absperrkette entlangging und jedem Kämpfer schmunzelnd eine BZA in die Hand drückte. Die Genossen klemmten eine Weile ganz unvorschriftsmäßig ihre Karabiner zwischen die Beine und fingerten einen Groschen aus irgendeiner Uniformtasche. Bald war jeder mit einer Zeitung ausgerüstet, und die Frau trippelte lachend davon. ,Geschäftstüchtigkeit‘, sagte einer der zuschauenden Straßenpassanten. Geschäftstüchtigkeit? Ein Genosse soll noch mit der Zeitung in der Hand nach seinem Groschen gesucht haben, als die Frau bereits verschwunden war.“ Liegt der Fokus dieser mit „Geschäftstüchtigkeit“ überschriebenen Geschichte zwar auf der materiellen Selbstlosigkeit der Zeitungsverkäuferin, bringt sie gleichzeitig das Interesse der Kämpfer an der Berichterstattung über ihren Einsatz zum Ausdruck; vgl. „Geschäftstüchtigkeit“, in: Da schlug’s 13, S. 4. 189 Vgl. etwa: Bürovorlage des VPKA Bitterfeld vom 12.10.1961, LHASA, SED-KL Bitterfeld, IV/404, Nr. 360, Bl. 6; Jahresbericht der Kampfgruppen vom 2.4.1962, LHASA, SED-KL Buna, Nr. IV/405/237; Einschätzung über die Lage der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat., LHASA, SED-KL Hettstedt, IV/409, Nr. 252, Bl. 40.

 

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vertraut. Nur 0,9 Prozent der Kämpfer hatten dagegen überhaupt nicht an der Ausbildung teilgenommen.190 Im Kreis Bitterfeld etwa wurde das Ausbildungsprogramm „voll erfüllt […], und das bei einer nie zu vor [sic] erreichten Beteiligung“.191 Im Kreis Hohenmölsen belief sich die Beteiligung an der Ausbildung im III. Quartal auf 93,4%. „Dieser Stand der Teilnahme wurde seit Bestehen unserer Kampfgruppe noch nie erzielt, verkündeten hier die verantwortlichen Funktionäre.“192 Im Hinblick auf die „entscheidende Phase des Kampfes zur Bändigung des westdeutschen Militarismus“ waren ihre Schlussfolgerungen deutlich: „In der gegenwärtigen Periode kommt es darauf an, diesen Schwung auszunutzen […] und politisch-ideologisch bis zum letzten Kämpfer Klarheit zu schaffen, über die Hauptfragen des gegenwärtigen Kampfes.“ Zugleich gelte es, „einen unbändigen Hass gegen den deutschen Militarismus und Faschismus anzuerziehen.“193 Scheinbar ganz in diesem Sinne war es an der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Halle in Reaktion auf den 13.8. zur Bildung eines KampfgruppenZuges gekommen. Die „überwältigende Mehrheit der Genossen“ habe hier ein „hohes Maß an Aktivität und Einsatzbereitschaft“ gezeigt, notierte die SEDGrundorganisation.194 Auch die Dozenten der pädagogischen Fakultät – zu 86 Prozent SED-Mitglieder – wären ohne Ausnahme bereit gewesen, in den Kampfgruppen Dienst zu verrichten. An der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät hatten wiederum 29 „Kollegen“ – der Formulierung nach vermutlich keine Mitglieder der SED – Bereitschaftserklärungen für die Kampfgruppen abgegeben.195 Das waren Reaktionen, die ziemlich exakt dem entsprachen, was die SED unter erhöhter ,revolutionärer Wachsamkeit‘ verstand. Beabsichtigte sie die Mobilisierung und militärische Einbindung möglichst breiter Bevölkerungsgruppen,

                                                             190 Bericht über den Stand der Teilnahme an der Ausbildung vom 9.4.1962, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 234–236. 191 Jahresbericht der Kampfgruppen vom 10.4.1962, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/404/360, Bl. 19. 192 Einschätzung des Standes der Ausbildung im Kreisgebiet Hohenmölsen vom 9.10.1961, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 193 Einschätzung der Arbeit der Kampfgruppen vom 12.10.1961, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/404/360, Bl. 6. 194 Einschätzung der politisch-ideologischen Situation im Bereich der GO Landwirtschaft vom 9.10.1961, LHASA, SED-UPL (August 1961), Nr. IV/7/501/44, Bl. 23f. 195 Einschätzung der gegenwärtigen Lage an der pädagogischen Fakultät vom 9.10.1961, LHASA, SED-UPL (August 1961), Nr. IV/7/501/44, Bl. 55; Bericht der GO der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät „Walter Ulbricht“ vom 11.10.1961, ebd., Bl. 61f.

 

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legen „Einschätzungen“ aus dem Bereich der GO-Verwaltung nahe, dass solche Maßnahmen jedoch kaum dem „unbändigen Hass gegen Militarismus und Faschismus“ zuzuschreiben waren. Vielmehr schien es sich dabei in erster Linie um symbolische Loyalitätsbekundungen zu handeln: Obwohl alle einsatzfähigen Genossen im Anschluss an den Mauerbau den Kampfgruppen gegenüber Verpflichtungserklärungen abgegeben hätten, würde eine ganze Anzahl von Genossen dieser Verpflichtung ohne Angabe „triftige[r] Gründe“ nicht nachkommen.196 Das konstitutive Element einer jeden Gemeinschaft besteht für Durkheim in der „aktiven Kooperation“. Ist für ihn deshalb die gemeinsame Tat das entscheidende Kriterium „religiösen“, d. h. vom „profanen geschiedenem, „heiligem“ (Er-) Lebens,197 gewinnt die ihre Bedeutung doch erst aus den Zuschreibungen der Handelnden. Insofern kommt der medialen Stilisierung und Inszenierung der Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ in der DDR-Öffentlichkeit entscheidende Bedeutung zu. Sie allein als einseitige, gewissermaßen durchschaubare Propaganda zu interpretieren, wäre gewiss kurzschlüssig. Vielmehr war (und ist sie) immer auch Angebot der Selbstvergewisserung und -verständigung an die Handelnden und erlaubt deren – bisweilen eigensinnige – Aneignung und Auslegung durch sie.198 „Sind das nicht prächtige Männer […], die da Ordnung machten und ihrem Arbeiter-und-Bauern-Staat Respekt verschafften?“ pries nicht nur der „Kämpfer“199 ein Bild proletarischer Virtuosen, in dessen Zentrum das Moment kämpferischer Bewährung stand. „Diese Tage waren für uns eine Bewährungsprobe. Sie verlangten das Äußerste. Es kam vor, dass wir in den ersten Tagen auf blanken Tischen und Fußböden schliefen, dass wir 12 Stunden und mehr ununterbrochen Dienst taten, 2 Stunden ruhten und wieder alarmiert wurden. Es goss in Strömen und war kalt. Doch wenn Freiwillige gebraucht wurden, dann trat die ganze Einheit an. Wie oft geschah es auch, dass die Kämpfer nach einem Einsatz Essen empfingen und es stehenlassen mussten, weil in derselben Minute Alarm gegeben wur-

                                                             196 Einschätzung der Situation im Bereich der GO Verwaltung, undat. [Oktober 1961], LHASA, SED-UPL (August 1961), Nr. IV/7/501/44, Bl. 57. 197 Durkheim, Die elementaren Formen, S. 560. 198 Vgl. dazu: Rainer Gries, Zur Ästhetik und Architektur von Propagemen. Überlegungen zu einer Propagandageschichte Kulturgeschichte, in: ders./Thomas Ahbe (Hg.), Kultur der Propaganda, Bochum 2005, S. 9–35, besonders: S. 17–19; ders./Gerald Diesener (Hg.), Propaganda in Deutschland. Zur Geschichte der politischen Massenbeeinflussung im 20. Jahrhundert, Darmstadt 1996. 199 „Vorposten an der Friedensfront“, in: Der Kämpfer, Sonderausgabe August 1961, S. 1.

 

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de. Nie aber taten solche Schwierigkeiten dem Kampfgeist Abbruch. Im Gegenteil: Mit jedem neuen Einsatz wuchs der Zusammenhalt, die Bereitschaft, das Klassenbewusstsein.“200

Gemeinsam mussten die Kämpfer dem „Äußersten“ trotzen, hatten sie während ihres Einsatzes körperliche Entbehrungen wie Schlaf- und Essenmangel auf sich genommen und sogar Naturgewalten widerstanden. Das schuf Zusammenhalt und Kampfgeist und machte das, was die Propaganda an den Kämpfern stets herausstrich – Hingabe und Opfermut, Härte und Entschlossenheit – für viele zum ersten Mal gemeinsam erfahrbar. Kämpfer zu sein, hieß, „überall seinen Mann zu stehen“.201 Und erst die Aktion gewährte, ganz im Sinne Durkheims, die Selbstvergewisserung, sich als echter Kämpfer fühlen zu können. „Ja, da standen wir“, an jener Grenze, „die die sozialistische Welt von der des Imperialismus trennt“, wie ein bereits eingangs zitierter Kämpfer sich erinnerte, „die MPi fest in unseren Händen und entschlossen, unsere gemeinsame sozialistische Sache zu schützen und zu verteidigen“. Die (vielleicht bereits entsicherte) Waffe „fest“ in der Hand bekräftigte den Ernst des Anliegens und das aktive Eingreifen vermittelte jedem Kämpfer „Kraft“ und „Stolz“, überzeugte ihn von der „Sieghaftigkeit und Unbesiegbarkeit“ seiner Sache.202 Die Kontinuität von Kampf und körperlicher Bewährung ist zentrales Thema auch der „Geschichten jener Nacht“. Der Fokus der ersten beiden Episoden liegt auf der Kampfzeit – hier sind es der Freund bzw. der Vater der jeweils porträtierten Kämpfer, die durch die Hand von Faschisten sterben. Die anderen Episoden suggerieren hingegen, dass auch im Arbeiter-und-Bauern-Staat die Gefahr noch keineswegs gebannt ist. So wird in der dritten Episode der Meister und Mentor des hier porträtierten Kämpfers am 17. Juni 1953 von aufrührerischen Arbeitern attackiert. In der vierten Episode wiederum wird Erwin Geschonneck – der „große Willi“ – am Morgen des 13.8.1961 selbst Opfer eines Hinterhalts, aus dem ihn nur ein durch sein persönliches Beispiel bekehrter „Rowdy“ – der „kleine Willi“ – retten kann. Dass die „Aktion Rose“ letztendlich nicht zu blutigen Auseinandersetzungen im Innern wie im Äußeren führte, tat dem weithin beschworenen Kampfgeist keinen Abbruch. Die Erleichterung darüber, dass dieser Einsatz keine unkontrollierten Entwicklungen nach sich zog, war selbst aus der offiziellen Propaganda dieser Tage herauszulesen.203 Angesichts einer in der Gesellschaft weiterhin viru                                                             200 201 202 203

 

Zit. nach: Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 94. Vgl. Der Kämpfer, Nr. 10, Jg. 5 (1961), S. 4. „Im August 1961 – als es 13 schlug“, in: Der Kämpfer, Nr. 8, 25. Jg. (1981), S. 2. Diesener, Bemerkungen zur politischen Propaganda, S. 281.

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lenten Kriegsangst konnte gerade das Ausbleiben opferreicher Auseinandersetzungen als Ergebnis und eigentlicher Triumph des eigenen entschlossenen Einsatzes gedeutet werden. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Ereignisse rund um den 13. August auch eine „späte Korrektur“ der Ereignisse im Juni 1953 markierten, weil sie heroische Bilder – wie das der „menschlichen Mauer“ – hervorbrachten, wie sie der 17. Juni nicht vorweisen konnte.204 Indem die propagandistische Offensive der SED den Akt der Grenzschließung als europaweite Beruhigung und Befestigung des Friedens deutete, gewährte sie den Kämpfern weit mehr die Möglichkeit einer positiven und heroischen Bezugnahme als die Ereignisse rund um den 17. Juni. Beide Daten bildeten zentrale Momente des Selbstverständnisses der Arbeitermiliz. Gegenüber dem unglücklichen Agieren der staatlichen Organe während der Juni-Ereignisse verwiesen die Bilder scheinbar entschlossen zur Tat schreitender und den Sozialismus schützender Kämpfer im August 1961 auf eine Bewährungssituation, der man sich rühmen konnte und die weit besser zum Selbstverständnis des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ passte. Insofern scheint es angebracht, in der „Feuertaufe“ vom August 1961 den eigentlichen, ideellen Gründungsmoment der Kampfgruppen zu sehen. Eingaben von Kämpfern, die immer wieder auch auf den „denkwürdigen“ Tag der Grenzschließung Bezug nahmen, untermauern diese Interpretation. Erst recht jene, die als Kämpfer an den Absperrmaßnahmen direkt beteiligt waren, bekundeten die herausragende Bedeutung dieses Datums für die „weitere Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft“. Sie schienen bisweilen sogar geneigt, den Mauerbau als „eine antifaschistische und antiimperialistische Aktion von größter Bedeutung“ zu betrachten.205 Nach eigener Wahrnehmung machte dieser Einsatz die Angehörigen der Kampfgruppen zu vollwertigen Kämpfern der revolutionären Arbeiterbewegung. Das impliziert zumindest die Eingabe eines Milizangehörigen, der anlässlich des 25. Jahrestages des Mauerbaus vorschlug, auch den „Kämpfern des 13. Augusts 1961“ die Aufnahme in die „antifaschistischen Widerstandskomitees“ zu eröffnen.206 Diese Komitees waren 1953 aus der zwangsweise aufgelösten VVN hervorgegangen.207 Eine Aufnahme war denjenigen vorbehalten, die vor 1945 gegen

                                                             204 Diesener, Bemerkungen zur politischen Propaganda, S. 284. 205 Vgl. Eingabe vom 10.10.1985 (Berlin), SAPMO-BArch., DY 30/1077; vgl. auch: Eingabe vom 11.10.1982 (Berlin), ebd. 206 Eingabe vom 10.10.1985 (Berlin), SAPMO-BArch., DY 30/1077. 207 Im Gegensatz zu seinem Vorläufer, der VVN, ist das „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR“ (KdAW), so seine vollständige Bezeichnung, das sich im

 

 

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„Faschismus“ und „Imperialismus“ gekämpft hatten. Wenn nun Kämpfer gleichfalls um Aufnahme baten, offenbarte sich darin ein antifaschistisches Traditionsverständnis, in dem der 13. August 1961 gleichberechtigt neben dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern seinen Platz haben sollte.208 In diesem Sinne plädierte ein anderer, vielfach ausgezeichneter Kampfgruppen-Angehöriger209 während eines Krankenhausaufenthaltes im August 1971 für einen offiziellen „Tag der Kampfgruppen der Arbeiterklasse“. Selbstverständlich sollte ein solcher Tag nach dem Dafürhalten des betreffenden Kämpfers mit „Große[m] Wachaufzug“ begangen werden.210 Als geeigneten Tag dafür schlug er den 13. August oder einen Tag zwischen dem 18. und dem 20. Juni vor.211 Die gegenüber der exakten Benennung des Mauerbaus nur vage bleibende Formulierung zwischen dem 18. und dem 20. Juni bestätigt indirekt die Schwierigkeiten, die eine Bezugnahme auf das faktische Gründungsjahr selbst überzeugten Kämpfern zu bereiten schien. Da sich für Betrachter aus dem In- und Ausland – der betreffende Kämpfer hatte hier vor allem die „vielen ausländischen“ Teilnehmer der anstehenden X. Weltfestspiele im Sinn – hingegen „das Bild Berlins mit dem Auftreten der Kampfgruppen der Arbeiterklasse am Brandenburger Tor“ verbin-

                                                                                                                                      

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Februar 1953 konstituierte und bis 1989 existierte, noch nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung geworden; vgl. dazu aber die Hinweise bei Uhl, Mythos Spanien, S. 218–221. Waren die VVN bzw. die „antifaschistischen Widerstandskomitees“ zur Verleihung des Ordens „Kämpfer gegen den Faschismus“ berechtigt, regten verschiedene KampfgruppenAngehörige an, eine „Erinnerungs“- oder „Kämpfer des 13. Augusts 1961“-Medaille zu stiften und reichten auch eigenständige Entwürfe zu solch einer Medaille ein, etwa in „Form eines roten Sterns als Untergrund für das Brandenburger Tor […], um die Klassenfronten zu verdeutlichen“; Eingabe vom 10.10.1985 (Berlin), SAPMO-BArch., DY 30/1077; vgl. auch: Eingabe vom 11.10.1982 (Berlin), ebd. und: DY 30/1078. Seiner Unterschrift beigefügt waren die Angaben: „Vierfacher Aktivist, Träger der Verdienstmedaille, der Medaille für ausgezeichnete Leistungen und der Treuemedaille der Kampfgruppen“; Eingabe vom 25.8.1972, Berlin, SAPMO-BArch., DY 30/IV B2/12/ 206, Bl. 173. Daneben regte er im Hinblick auf die bevorstehenden X. Weltjugendfestspiele in Berlin vielfältige Veranstaltungen im Zusammenhang mit den Kampfgruppen an: eine „Bezirksspartakiade, […] Foren mit Jugendlichen“ und „Führungen am Brandenburger Tor durch Kämpfer und Kdr. [sic], die 1961 dabei waren“; Eingabe vom 25.8.1972, Berlin, SAPMOBArch., DY 30/IV B2/12/206, Bl. 173. Eingabe vom 25.8.1972, Berlin, SAPMO-BArch., DY 30/IV/B2/12/206, Bl. 168f.

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de, schien ihm der Tag der Grenzabriegelung deshalb als weitaus geeigneteres symbolisches Datum. Der Rekurs auf den Mythos, dessen Verpflichtung die Kampfgruppen nun endlich erfüllt zu haben schienen, entbehrt im Nachhinein nicht einer ironischen Dimension, die auf den tragischen Charakter des SED-Regimes verweist. Sein antifaschistisches Selbstverständnis fußte auf der Vorstellung, sich einer bestimmten, objektiv nachweisbaren Tendenz entgegenstellen zu müssen, weil man sonst unausweichlich der Katastrophe entgegengehe.212 Damit zeigte es sich im Bann eines Politikverständnisses, das noch ganz von den Paradigmen der 1920er Jahre geprägt war. Die appellative Botschaft des Mythos, auf die „Barrikade“ zu stürmen,213 besaß zwar auch im August 1961 noch eine mobilisierende Funktion. Gleichwohl folgten die nicht machtermöglichenden, sondern ausschließlich machterhaltenden Absichten.

                                                             212 Heinz Bude, Das Ende einer tragischen Gesellschaft, in: Hans Joas/Martin Kohli (Hg.), Der Zusammenbruch der DDR. Soziologische Analysen, Frankfurt a. Main 1993, S. 267– 281, hier: S. 268. 213 Sowohl der „Kämpfer“ als auch einzelne Kampfgruppen-Angehörige benutzten diesen Ausdruck – „unsere rote Barrikade gegen Imperialismus und Militarismus“ – als Bezeichnung für die Berliner Mauer; vgl. Der Kämpfer, Nr. 8 (August), Jg. 25 (1981), S. 2; Eingabe vom 10.10.1985 (Berlin), SAPMO-BArch., DY 30/1077.

 

II. Der proletarische Mythos und sein Wandlungspotential. Die Kampfgruppen im Schatten des ,umfassenden Aufbaus des Sozialismus‘

„,Er ist nicht mehr wie früher.‘ Aber wie ist er denn jetzt? dachte Curt; er suchte nach Worten, endlich sagte er, unbeholfener als sonst: ,Irgendwie … braucht man ein Vorbild, nicht wahr, jemanden, von dem man denkt: Teufel, das ist ein Kerl …‘ Er lachte. ,Wär doch angenehm, wenn man so was in der eigenen Familie hätte. Übrigens sterbe ich nicht vor Verzweiflung, weil Vater nicht der strahlende Held ist, an dem ich mich entzünden könnte. Nur, manchmal wünschte ich, er wär‘ nicht so seriös geworden, und immer zerstreut, mit Tabletten in jeder Tasche, und mit Bauch, und ewig Konferenzen, und: das Werk, das Werk …‘ Preuß legte seine kleine dunkle Hand auf Curts Knie, er sagte: ,Nun mal langsam, Junge, du schmeißt ja alles durcheinander. Dein Vater tut heute nichts anderes, als was er vor zwanzig Jahren getan hat – er kämpft. Na, zieh kein Gesicht, Curt, ich weiß auch so, dass ihr `ne Abneigung gegen gewisse Wörter habt.‘ ,Kämpfen‘, sagte Curt. ,`n komischer Kampf: am Konferenztisch, in seinem Büro.‘ ,Sicher, es ist nicht so spannend wie vor dreiunddreißig und während der Nazizeit. Es sieht nicht nach Heldentum aus. Es ist kein bisschen romantisch. Aber es ist auf eine andere Art spannend, das wirst du merken, wenn du selbst als Ingenieur in einem Betrieb arbeiten wirst. Du willst doch Ingenieur werden?‘ ,Ja, Autoindustrie. Du musst nicht glauben, Preuß, dass ich mir einen Helden nur mit Maschinenpistole vorstellen kann statt mit `nem Zeichenstift. Aber – sehr aufregend ist das Leben bei uns nicht.‘“1

Schlug mit dem Einsatz im Rahmen der Absperrmaßnahmen im August 1961 in gewisser Weise die Geburtsstunde der Kampfgruppen, stürzte sie das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ zugleich in seine bis dahin schwerste Krise. Dass es den Angehörigen einer Bitterfelder Einheit „sichtbar unangenehm“ schien, sich im Rahmen einer Übung in den Straßen Sandersdorfs zu bewegen – „ja man kann sagen, sie schämten sich“, wie auf einer Kommandeurs-Konferenz im November 1962 festgehalten wurde –2, brachte eine offenkundig angeschlagene (Selbst-)Wahrnehmung seiner Angehörigen zum Ausdruck. Sie ist jedoch nicht                                                              1 2

 

Brigitte Reimann, Ankunft im Alltag. Kurzroman, Berlin (O) 1986 (erstmalig: 1961), S. 240. Vgl. Protokoll der Kommandeurs-Konferenz vom 1.11.1962, LHASA, SED-KL Bitterfeld (1961–62), Nr. IV/404/360; vgl. auch: Einschätzung der Kampfgruppenarbeit vom 24.7.1963, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 5.

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allein durch ihre (propagandistisch) herausgehobene Rolle im August 1961 zu erklären. Nicht ohne Grund wird der 13. August 1961 auch als „heimlicher Gründungstag der DDR“3 bezeichnet. Die nahtlose Schließung der Westgrenze erhöhte zum einen den Zwang zum Arrangement innerhalb der nun „geschlossenen Gesellschaft“ (Hartmut Zwahr) und beförderte eine weitgehende soziale Homogenisierung der DDR-Bevölkerung. Die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ verschaffte der realsozialistischen „Frontgesellschaft“ auch eine Konsolidierung ihrer Position in der Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind.4 Auf dem VI. Parteitag der SED – der vom 15. bis zum 21. Januar 1963 in Berlin tagte – hatte Walter Ulbricht den „umfassenden Aufbau des Sozialismus“ in der DDR verkündet. Damit wurde gewissermaßen ein symbolischer Schlussstrich unter die krisengeschüttelten Aufbaujahre gezogen. Getragen werden sollte dieser Aufbau von einer „wissenschaftlich-technischen Revolution“ (WTR), die den Menschen „verkürzte Arbeitszeit, verringerte Berufsjahre und verlängerte Urlaubszeiten“ – kurzum: die Früchte ihrer jahrzehntelangen Aufbauarbeit – versprach.5 Zunächst tat sich die SED schwer damit, von einer Revolution zu sprechen, implizierte der Begriff doch eine gesellschaftliche Dynamik, die dem absoluten Führungsanspruch der SED zuwiderlief.6 Statt entfesselter Gesellschaftsgruppen sollten seine modernisierenden Intentionen jedoch ein gänzlich anders gelagertes Problem heraufbeschwören. Der Begriff deutete einen Bruch mit dem bis dahin gültigen Selbstverständnis der Arbeiter-und-Bauern-Macht an: Die Energien der „Gegengesellschaft“ (Jarausch) zielten nun nicht länger auf die physisch-politische Selbsterhaltung im Kampf mit dem Klassenfeind. Vielmehr sollten sie zur Profilierung des Sozialismus als die dem Kapitalismus überlegene Gesellschaftsordnung

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Dietrich Staritz, Geschichte der DDR 1949–1985, Frankfurt a. Main 1985, S. 138. Arnold Sywottek, Gewalt – Reform – Arrangement. Die DDR in den 60er Jahren, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 54–76. Vgl. dazu: Rainer Gries, „… und der Zukunft zugewandt“. Oder: Wie der DDR das Jahr 2000 abhanden kam, in: ders./Enno Bünz/Frank Möller (Hg.), Der Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren, Stuttgart 1997, S. 309– 333; Kleßmann, Arbeiter im „Arbeiterstaat“ DDR, S. 564–568. Vgl. Hartmut Zimmermann, Politische Aspekte in der Herausbildung, dem Wandel und der Verwendung des Konzepts „wissenschaftlich-technische Revolution“ in der DDR. Wissenschaftlich-technische Revolution und industrieller Arbeitsprozess, in: DA 9 (1976), Sonderheft, S. 17–52.

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zum Einsatz kommen. Schon 1959 hatte Walter Ulbricht angekündigt, die Bundesrepublik binnen weniger Jahre „einholen und überholen“ zu wollen.7 Die Befestigung sozialistischer Verhältnisse und ihre alltägliche Verinnerlichung bedingte eine Schwerpunktverlagerung von der Politik hin zur Ökonomie.8 Die bis dahin wirksame Vorstellung einer permanenten Bedrohung ausgesetzten „Frontgesellschaft“ wich auf den Kommandohöhen gewissermaßen einer „Wagenburg“-Mentalität (Andrew Port). Sie unterschied zwischen einer Bevölkerung mit relativ entwickeltem sozialistischem Bewusstseinsstand und einer kleiner gewordenen Zahl an Feinden. Deren Vernichtung war jedoch, wie der „Prager Frühling“ zum Ende des Jahrzehnts zeigen sollte, weiterhin mit aller Macht geboten. Der proletarische Mythos sah sich angesichts einer vielbeschworenen „Ankunft im Alltag“ (Brigitte Reimann) dem von ,oben‘ gestifteten Versuch einer Neu-Akzentuierung ausgesetzt. Nicht mehr dem Gebrauch von Maschinenpistolen, sondern von Zeichenstiften wurde nun zunehmende und zentrale Bedeutung bei der planmäßigen Ausgestaltung des Sozialismus zugeschrieben. Das Nachrücken jüngerer, erst in der Nachkriegszeit sozialisierter Menschen, deren Vorbehalte und Wünsche, Hoffnungen und Zweifel im Mittelpunkt von Reimanns Erzählung stehen, ließ die gewaltgesättigten Erfahrungshorizonte der älteren Generationen langsam in den Hintergrund treten.9 Es trug auf diese Weise auch zu einer Neuaushandlung dessen bei, was in der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ als virtuos zu betrachten war.

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Vgl. dazu: Martin Sabrow, Zukunftspathos als Legitimationsressource. Zu Charakter und Wandel des Fortschrittsparadigmas in der DDR, in: Heinz-Gerhard Haupt/Jörg Requate (Hg.), Aufbruch in die Zukunft. Die 1960er Jahre zwischen Planungseuphorie und kulturellem Wandel. DDR, ČSSR und Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Göttingen 2004, S. 165–184; Monika Kaiser, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972, Berlin 1997, S. 62; Peter Hübner, Menschen – Macht – Maschinen. Technokratie in der DDR, in: ders. (Hg.), Eliten im Sozialismus, S. 325–360. Heike Solga, Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der DDR, Berlin 1995, S. 108; Peter Skyba, Die Sozialpolitik der Ära Honecker aus institutionentheoretischer Perspektive, in: ders./Boyer (Hg.), Repression und Wohlstandsversprechen, S. 49–62, hier: S. 52. Vgl. dazu Birgit Dahlke, „Ich bin so alt wie die Republik!“ Die 60er Jahre: Aufbruch einer Generation, in: Haupt/Requate (Hg.), Aufbruch in die Zukunft, S. 329–344; Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 285f.

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Das revolutionäre Charisma der kommunistischen Bewegung war bis dahin vornehmlich durch Männer repräsentiert worden, die eher mit Maschinenpistolen als mit dem Zeichenstift hantierten. Die planvolle und systematische Ausgestaltung des bald zu einer „relativ selbständigen sozialökonomischen Formation“ deklarierten Sozialismus verlangte hingegen nach „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten“.10 Nicht „der einseitig im selbstlosen Arbeitseinsatz für die Erfüllung des vorgegebenen Plans kämpfende Aktivist, sondern der um Weiterbildung, Qualifizierung, um Mitdenken und Mitplanen in Staat und Wirtschaft, der um Entfaltung seiner Fähigkeiten [bemühte] Werktätige“ rückte im Zuge der Etablierung des „Neuen ökonomischen Systems der Planung und Lenkung“ – kurz „NÖSPL“ genannt11 – zum zeitgemäßen Leitbild des „neuen Menschen“ herauf.12 Die Umdeutungsversuche des proletarischen Mythos im „entwickelten Sozialismus“ konfrontierte auch die Kampfgruppen und ihre Angehörigen mit der Herausforderung eines wandlungsbedürftigen Selbstverständnisses. Das Oszillieren zwischen klassenkämpferischer Kontinuität und systematisch-wissenschaftlichem Wandel in den 1960er Jahren verweist auf die Suche nach einem zeitgemäßen Selbstverständnis. Zwar blieben die revolutionären Traditionen weiterhin unverzichtbarer Teil des kämpferischen Selbstverständnisses. Zugleich gewannen jedoch Standards und Vorgaben moderner und konventioneller Kriegführung bestimmenden Einfluss auf die Ausbildungspraxis. Noch vor dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ räumten DDR-Historiker eine Überbewertung militärischer Momente in der Ausbildung in den 1960er Jahren ein.13

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Sigrid Meuschel, Symbiose von Technik und Gemeinschaft. Die Reformideologie der SED in den sechziger Jahren, in: Wolfgang Emmerich/Carl Wege (Hg.), Der Technikdiskurs in der Hitler-Stalin-Ära, Stuttgart 1995, S. 203–230. Zur Genese des NÖSPL vgl. im Einzelnen: Kaiser, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker; André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre: Konflikt zwischen Effizienz- und Machtkalkül, Berlin 1999. Freya Mühlhaupt, zit. nach: Paul Kaiser, Die Aura der Schmelzer. Zum Paradoxon einer destabilisierenden Stabilisierung am Beispiel der Arbeiterdarstellung in der bildenden Kunst der DDR, in: Stephan Müller/Gary S. Schaal/Claudia Tiersch (Hg.), Dauer durch Wandel. Institutionelle Ordnungen zwischen Verstetigung und Transformation, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 237–253, hier: S. 247; vgl. dazu auch: Peter Zimmermann, Industrieliteratur der DDR. Vom Helden der Arbeit zum Planer und Leiter, Stuttgart 1984; Hanke, Vom neuen Menschen zur sozialistischen Menschengemeinschaft. Vgl. Josef Gabert/Herbert Nicolaus, Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse der DDR. Entstehung und Entwicklung, in: Militärgeschichte 28 (1989), S. 473–482, hier: S. 478.

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Kampfgruppen-Einheiten nahmen an Manövern des Warschauer Paktes teil14 und hatten mit den Partisanen von einst kaum noch etwas gemeinsam. Der Anspruch, es mit professionellen Soldaten aufzunehmen, verweist auf die Herausforderung einer alle gesellschaftlichen Bereiche dominierenden „Reformideologie“ (Sigrid Meuschel). Zugleich reflektierte er jedoch auch einen sich vollziehenden Generationswechsel innerhalb des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“. Eine zunehmend auf systematisch-wissenschaftlicher Grundlage zu betreibende Ausbildung beabsichtigte, den Dilettantismus in seinen Reihen zu vertreiben. Mit dem altersbedingten Ausscheiden zahlloser Kämpfer der ersten Stunde verschwand nun aber auch das Moment eines erfahrungsgesättigten Enthusiasmus aus den Reihen der Kampfgruppen, wie eine Episode aus dem Bezirk Halle andeutet. Hier waren Angehörige des 7. Bataillons im Spätsommer 1961 an ihren Kommandeur herangetreten und hatten eine Verlegung der Ausbildung verlangt, weil sie auf einem westdeutschen Fernsehkanal die Übertragung eines Fußballspiels sehen wollten. Der Kommandeur verweigerte sich erwartungsgemäß diesem Anliegen, was jedoch zur Folge hatte, dass die Beteiligung an der Ausbildung auf knapp 44 Prozent herabsank.15 Die spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen, die etwa mit der bereits 1958 erfolgten, endgültigen Abschaffung der Lebensmittelkarten und der Einführung der 5-Tage-Woche 1967 erfahrbar wurde,16 verschob auch die Muster des Alltagslebens. An die Stelle existenzsichernder Außenorientierung traten langsam (und nach Generation und Milieu verschieden) stärker subjektbezogene Ansprüche und Lebensziele.17 Inwiefern die Kampfgruppen als geeignet betrachtet wur-

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Eine Darstellung derartiger Manöver unter Einbeziehung alltäglicher Erfahrungsperspektiven findet sich bei: Satjukow, Besatzer, S. 179–187. Referat des Genossen Koenen zur außerordentlichen Kommandeurs-Konferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, Nr. 101, Bl. 8. Philipp Heldmann, Herrschaft, Wirtschaft, Anoraks. Konsumpolitik in der DDR der Sechzigerjahre, Göttingen 2004; vgl. auch: Ina Merkel, Utopie und Bedürfnis. Die Geschichte der Konsumkultur in der DDR, Köln/Weimar/Wien 1999; zur Einführung der 5-Tage-Woche: Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss, S. 120–129. Vgl. Dietrich Mühlberg, Von der Arbeitsgesellschaft in die Konsum-, Freizeit- und Erlebnisgesellschaft. Kulturgeschichtliche Überlegungen zum Bedürfniswandel in beiden deutschen Staaten, in: Christoph Kleßmann/Hans Misselwitz/Günter Wichert (Hg.), Deutsche Vergangenheiten – eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit der doppelten Nachkriegsgeschichte, Berlin 1999, S. 176–205; Gerlinde Petzoldt, „Freie

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den, derartige Ansprüche auszuleben und einzulösen, sollte von nicht unerheblichem Einfluss auf die Beteiligung an der Ausbildung sein. Zwar setzte das NÖSPL bewusst auf ein „System der ökonomischen Hebel“, um durch Rücksicht auf die konsumtiven Bedürfnisse das produktive Handeln der Werktätigen zu stimulieren.18 Entsprechende Bedürfnisse wurden jedoch nur in dem Maße akzeptiert, in dem sie der von ,oben‘ vorgegebenen „sozialistischen Menschengemeinschaft“ politisch bewusster Produzenten dienlich waren. Letztendlich zeigte sich die SED weder in „wirtschaftlich-organisatorischer“ noch in „kulturell-erzieherischer“ Hinsicht bereit, von ihrem paternalistischen Führungsanspruch abzurücken. Das signalisierte vor allem das berüchtigte „KahlschlagPlenum“ von 1965 all denen, die die Hoffnung hegten, nun den Sozialismus von sinnlosen Zwängen, verstaubten Konventionen und überlebten Dogmen befreien zu können.19 „Überholen ohne einzuholen“, Ulbrichts vielbelächeltes Diktum aus dem Jahr 1968, brachte die Idee einer sozialistischen Moderne20 auf den Punkt:

                                                                                                                                      

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Zeit – was nun?“ Alltägliche Modernisierung in der Arbeitsgesellschaft DDR, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung 33, Jg. 16 (1993), S. 153–189. Erich Apel und Günter Mittag betrachteten es als generelles Ziel des NÖSPL, „die gesellschaftlichen Interessen mit den materiellen Interessen der Werktätigen in Übereinstimmung zu bringen, um diese Übereinstimmung als entscheidende Triebkraft immer besser zu entfalten“; im Kontext des NÖSPL sollte sich dies aufgrund „der umfassenden Anwendung der materiellen Interessiertheit in Gestalt des in sich geschlossenen Systems ökonomischer Hebel“ vollziehen; Erich Apel/Günter Mittag, Ökonomische Gesetze und neues ökonomisches System, Berlin (O) 1964, S. 13 u. S. 68; vgl. dazu: Christoph Boyer, Die Sozial- und Konsumpolitik der DDR in den sechziger Jahren in theoretischer Perspektive, in: ders./Peter Skyba (Hg.), Repression und Wohlstandsversprechen. Zur Stabilisierung von Parteiherrschaft in der DDR und ČSSR, Dresden 1999, S. 37–48. Engler, Die Ostdeutschen, S. 53–74; Stefan Wolle, Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968, Berlin 2008, S. 16–72; speziell zum „Kahlschlag“-Plenum: Günter Agde (Hg.), Kahlschlag: Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente, 2. Aufl., Berlin 2000. Ob die DDR als eine „moderne Diktatur“ begriffen und interpretiert werden kann, ist in der Forschung nach wie vor umstritten; vgl. dazu: Ilja Srubar, War der reale Sozialismus modern? Versuch einer strukturellen Bestimmung, in: KZfSS, Heft 3, Jg. 43 (1991), S. 415–432; Jürgen Kocka, The GDR: A Special Kind of Modern Dictatorship, in: Jarausch (Hg.), Dictatorship as Experience, S. 17–26; zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Diskussion darüber, ob die DDR als „modern“ bezeichnet werden kann, von einer Definition des Begriffes „Moderne/Modernität“ bestimmt ist, der weitestgehend auf westlich-liberale Parameter rekurriert; vgl. Katherine Pence/Paul Betts, Introduction, in: diess. (Hg.), Socialist Modern, S. 1–34; zum Vorschlag einer alternativen, DDR-

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Sollte der Kapitalismus in technologischer Hinsicht überholt werden, wollte man auf den Kommandohöhen der Macht die gesellschaftspolitischen Implikationen dieses Prozesses – eine „Individualisierung“ ihrer Menschen nach westlichem Muster – unbedingt vermeiden.21 Dieser, im Grunde um die Grenzen und den Gehalt des Politischen kreisende Konflikt trug wiederum generationsspezifische Züge.22 Ulbrichts Reformansätze zielten darauf, die nachfolgenden Generationen für das Vermächtnis der „misstrauischen Patriarchen“ zu mobilisieren. Sie sahen sich jedoch umgehend mit eigensinnigen Deutungen darüber konfrontiert, wie Ideal und Wirklichkeit der sozialistischen Utopie zusammenzubringen seien. Ein Mehr an selbstbestimmter Zeit musste in den Augen derjenigen „Jungen“, die wie Reimanns Protagonisten entschlossen waren, sich gegenüber dem Vorbild ihrer Eltern zu emanzipieren, nicht gleichbedeutend mit einer Absage an den politischen Auftrag der Arbeiter-und-Bauern-Macht sein. Er konfligierte jedoch mit den Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten der „letzten Revolutionäre“, die sich von einer existentiellen Bedeutung des Politischen nicht zu lösen vermochten. Die Entwicklungen und Ereignisse des Jahres 1968 bestätigten sie in ihrem Misstrauen gegenüber jedweden „Deobjektivierungs“-Tendenzen (Engler) des Politischen. Schon zuvor war ihr Reformeifer jedoch stets von einer „alle verkapselten Sehnsüchte begleitende[n] Angst“ bestimmt. Wenn die Ankunft im Alltag auch mit einer fortschreitenden Dämpfung existentieller Lebensrisiken einherging, blieb das politische Risiko, auf diese Weise „wieder zu verlieren, was man so opferreich erobert hatte“, 23 für die „misstrauischen Patriarchen“ weiterhin handlungsanleitend. Das Politische verlor trotz aller Veralltäglichungsversuche nichts von seinen dezisionistischen Implikationen, weswegen die Kampfgruppen auch weiterhin zu einem „nicht wegzudenkende[n] Faktor“ der politischen Kultur gezählt wurden.24

                                                                                                                                      

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spezifischen “socialist modernity” vgl. ebd., S. 6ff.; vgl. auch: Engler, Die Unwirklichkeit des Realen. Vgl. dazu: Engler, Die ungewollte Moderne. Zum Generationswandel in der DDR in den 1960er Jahren vgl. Dahlke, Aufbruch einer Generation; Dorothee Wierling, Erzieher und Erzogene. Zu Generationenprofilen in der DDR der 60er Jahre, in: Schildt/Siegfried/Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten, S. 624– 641. Engler, Die Ostdeutschen, S. 124. Stand der Entwicklung der Arbeit mit den Kampfgruppen im Jahre 1962, o. Verf., o. D. [vermutl. 1963], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 4; „Das gemeinsame Ziel, das wir vor Augen haben – die entwickelte sozialistische Gesellschaft – setzt hohe Maßstäbe

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Innerhalb der Bevölkerung wurde dieser Dezisionismus jedoch immer weniger als Konfrontation zweier ideologischer Todfeinde wahrgenommen. Immer mehr erfuhren ihn hingegen als Konfrontation einer das Erreichte verwaltenden, machtversessenen Führung und einer es weitertreiben wollenden nachrückenden Generation – auch in den Reihen der Kampfgruppen.

„Mehr subjektive als objektive Schwierigkeiten“? Militärpolitische Arbeit versus „wissenschaftlich-technische Revolution“ und NÖSPL Nach dem Mauerbau rückten die Kampfgruppen neben den Einheiten der Volkspolizei zu den „entscheidenden Einsatzkräften“ in der Sicherheitspolitik der SED auf. Sie sollten fortan „als geschlossene taktische Einheiten zur Lösung der den bewaffneten Organen des Ministeriums des Innern obliegenden Aufgaben zum Einsatz kommen“, hieß es in einer Direktive der Abteilung für Sicherheitsfragen von 1964.25 Das Ministerium des Innern wiederum, dem die Arbeitermiliz formal zugeordnet war, war aufgefordert, in Zukunft enger mit dem Ministerium für Nationale Verteidigung zusammenzuarbeiten.26 Weiterhin hatte es auf Weisung des Nationalen Verteidigungsrates nicht mehr nur die Aufgabe, „die staatliche Ordnung und Sicherheit auf dem Territorium der DDR aufrechtzuerhalten“. Im Kriegszustand sollte es außerdem durch die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung alle militärischen Operationen der Streitkräfte des Warschauer Paktes

                                                                                                                                      

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an die schöpferische Arbeit auf allen Gebieten. An der ganzen breiten Front, in der Politik, Ökonomie, Kultur und Bildung sowie in der Landesverteidigung wird dieses große Ziel in Angriff genommen“, hieß es in einer mit „Wofür du deine Waffe trägst“ überschriebenen Artikelserie aus dem „Kämpfer“; vgl. „Wofür du deine Waffe trägst (I)“, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 13 (1968); Zur Kybernetik-Rezeption in der DDR vgl. Helmut Metzler, Der geistige Stellenwert der Kybernetik im Modernisierungsschub der DDR in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre, in: Frank Dittmann (Hg.), Kybernetik steckt den Osten an: Aufstieg und Schwierigkeiten einer interdisziplinären Wissenschaft in der DDR, Berlin 2007, S. 417–432. Direktive für die Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der Zeit vom 1. Oktober 1964 bis zum 30. Juni 1966, o. D. [1964], BStU, MfS-BdL, Nr. 050355, Bl. 6; zu sicherheitspolitischen Ausrichtungen der bewaffneten Organe in den 1960er Jahren vgl. Diedrich, Prägende Veränderungen im Militär- und Sicherheitssystem der DDR nach 1953 und 1961, S. 133f. Protokoll der 12. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates vom 14.9.1962, BA-MA, DVW 1/39469.

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unterstützen.27 Diese Vorgaben waren nicht zuletzt das Ergebnis einer Veränderung der Militärdoktrin des sozialistischen Verteidigungsbündnisses, die auf eine Vereinheitlichung des Systems der Landesverteidigung abzielte. Verbindliche Vorgaben für alle Mitgliedstaaten28 wirkten sich auch auf die künftige Ausrichtung der Kampfgruppen aus. Wurde ihr Einsatz gegen „Menschenansammlungen mit volksfeindlichem Charakter“ im Innern nicht ausgeschlossen,29 galt das Hauptaugenmerk jedoch der Bekämpfung von „Diversions-, Ranger-, Agenten- und Terrorgruppen“ wie etwa die „10. Special Forces Group“. Diese Sondereinheit der amerikanischen Streitkräfte liege „angriffslüstern und sprungbereit wenige Kilometer von der Staatsgrenze unserer Republik […] auf der Lauer“, wurde den KampfgruppenAngehörigen vermittelt.30 Ihre Angehörigen übten sich in der Tat in subversiver Kriegsführung. Mit Partisanen im Schmitt’schen Sinne hatten sie jedoch nichts gemein. Vielmehr handelte es sich um professionelle und hochtrainierte Spezialisten, mit denen es die Kampfgruppen nun aufnehmen sollten. Selbstverständlich wurde das richtige Klassenbewusstsein weiterhin zur zentralen Eigenschaft des sozialistischen Soldaten gezählt. Zunehmende Bedeutung gewannen jedoch spezifische, an den Bedingungen des modernen Gefechts ausge-

                                                             27

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Direktive Nr. 2/63 über Aufgaben der bewaffneten Kräfte und zivilen Organe des Ministerium des Innern einschließlich der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und der Kräfte des Luftschutzes im Verteidigungszustand vom 20.2.1963, BStU, MfS, AGM, Nr. 215, Bl. 417–437; vgl. auch: Protokoll der 13. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates vom 23.11.1962, BA-MA, DVW 1/39470. Diedrich, Prägende Veränderungen im Militär- und Sicherheitssystem der DDR nach 1953 und 1961; ausführlicher dazu: Wagner, Der Nationale Verteidigungsrat, S. 321ff. Direktive für die Vorbereitung und Durchführung der Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Jahre 1962, o. D. [1961], BStU, MfS-BdL, Nr. 050351, Bl. 12; demnach waren das „Räumen und Sperren durch Einheiten der Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Verhinderungen der Bildung von Ansammlungen, Auflösung von Ansammlungen“ wie auch die „Organisation des Posten- und Streifendienstes im Rahmen der Sicherung eines Abschnittes bzw. Raumes. Einsatz und Aufgaben von Patroiullen [sic], von Beobachtungsund Horchposten (Auswahl, Besetzung der Posten- und Streifenbereiche, Aufgaben im Streifenbereich, Zusammenwirken mit Nachbarn u. a.)“ in den Ausbildungsplan zusätzlich mit aufzunehmen; vgl. Zusammengefasster Bericht über den Stand der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und über die Erfahrungen des Einsatzes der Kampfgruppen zur Sicherung des Friedens und zum Schutze der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, o. D. [1961], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 119. Referat des Genossen Bernard Koenen auf der außerordentlichen Kommandeurskonferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, Nr. 100, Bl. 6.

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richtete, militärische Fertigkeiten, die eine forcierte Einbindung der Kampfgruppen in das System der „sozialistischen Landesverteidigung“ reflektieren. „Mit einer gewissen ,Routine‘ arbeiten [sic] ist heute nicht mehr möglich und Erfahrungen allein reichen nicht mehr aus. Es geht auch nicht darum, die politische Arbeit und die Ausbildung schlechthin durchzuführen, sondern im Vordergrund muss stehen die weitere Gestaltung der inhaltlichen Seite, aufgebaut auf neuesten Erkenntnissen“,

formulierte der Kommandant einer Stendaler Einheit zum Ende der 1960er Jahre hin ein zeitgemäßes kämpferisches Selbstverständnis.31 Oszillierte es noch zwischen klassenkämpferischer Emphase und systematisch-wissenschaftlichem Wandel, orientierte es sich jedoch zunehmend an professionellen militärischen Expertenkulturen. Bereits 1960 war mit der Herausgabe von Unterrichtsmaterialien begonnen worden, zunächst einmal, um „einheitliche Auffassungen bei der inhaltlichen Gestaltung der Gefechtsausbildung zu erreichen“. 1962 folgte „zur weiteren Unterstützung einer einheitlichen inhaltlichen Gestaltung“ der Ausbildung das „Handbuch für den Kämpfer“.32 1967 trat schließlich eine neue Dienstvorschrift über die systematische „Durchführung und Auswertung von Übungen“ in Kraft.33 Herzustellen war „eine solche militärische Disziplin, Ordnung, Kampfentschlossenheit, Alarm- und Einsatzbereitschaft“, die „die Kämpfer und KampfgruppenEinheiten in die Lage versetzen [sic], die komplizierten Kampfaufgaben auch unter Schwierigkeiten und Entbehrungen eines Einsatzes erfolgreich zu meistern“.34 Dafür sollten alle Angehörigen der Kampfgruppen zu „allseitig ausgebildeten Einzelkämpfern“ gemacht werden. Aber auch in Gruppen sollten „selbständige Einsätze“ durchgeführt werden können – immer mit dem Ziel, „gegnerische Kräfte in kürzester Frist zu liquidieren“.35 Das Bild, das ein Bericht der Abteilung für Sicherheitsfragen im Anschluss an die „Aktion Rose“ vom inneren Zustand der Kampfgruppen zeichnete, machte

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Protokoll der Kampfgruppen-Aktivtagung vom 24.10.1969, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B2/12/956, Bl. 154. Vgl. Analyse der Ausbildungssysteme, undat., BArchB., DO1/18.0/10201. Dienstvorschrift IX 17 über die Organisation, Durchführung und Auswertung von Übungen vom 30.5.1967, BStU, MfS-BdL, Nr. 011347, Bl. 3–64, hier: Bl. 5. Direktive für die Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der Zeit vom 1. Oktober 1964 bis zum 30. Juni 1966, o. D. [1964], BStU, MfS-BdL, Nr. 050355, Bl. 5; Hervorhebungen im Original. Direktive für die Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der Zeit vom 1. Oktober 1964 bis zum 30. Juni 1966, o. D. [1964], BStU, MfS-BdL, Nr. 050355, Bl. 4.

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deutlich, dass es bis dahin noch ein weiter Weg war. Demnach hatten von republikweit insgesamt 197.187 Kämpfern und Kommandeuren lediglich 104.264 Kämpfer – das entsprach 54% – an allen vorgeschriebenen 48 Ausbildungsstunden des ersten Halbjahres 1961 teilgenommen. 17.387 Kämpfer – das entsprach dem Personalbestand von 180 vollständigen Hundertschaften oder, anders ausgedrückt, etwa 9% der Ist-Stärke – hatten hingegen an keiner einzigen Ausbildungsstunde teilgenommen.36 „Selbst in den Kampfgruppen-Bataillonen,“ die gemeinhin für kampfstärkere Einheiten gehalten wurden, „befindet sich eine untragbar hohe Anzahl an Kämpfern, die an der Ausbildung nicht teilnahmen und daher die gesamte Einsatzbereitschaft erheblich beeinträchtigen,“ befand der Bericht der Abteilung für Sicherheitsfragen.37 Aber nicht nur diejenigen, die überhaupt nicht zur Ausbildung erschienen, untergruben die Kampfkraft der Miliz. Immerhin 32%, also gut ein Drittel aller Kämpfer, stellte der Bericht weiter fest, nahm nur hin und wieder an der Ausbildung teil.38 Darüber hinaus entsprachen 22.459 Kämpfer – das waren 11,5% der Ist-Stärke – nicht den geforderten Altersbeschränkungen der Kampfgruppen:                                                              36

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Bei diesen Angaben handelt es sich um Durchschnittsangaben; die Werte einzelner Bezirke lagen teilweise noch erheblich darunter: so belief sich die Anzahl derjenigen, die im 1. Halbjahr 1961 keine einzige Ausbildungsstunde absolvierten, im Bezirk Potsdam auf 21,4%, in Neubrandenburg auf 16,7% und in Suhl auf 15,3%; vgl. Zusammengefasster Bericht über den Stand der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und über Erfahrungen des Einsatzes der Kampfgruppen zur Sicherung des Friedens und zum Schutze der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, o. Verf., o. D. [vermutl. 1961], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 117; im Bezirk Halle waren es immerhin 66,4% aller Kämpfer, die an allen Ausbildungsstunden teilgenommen hatten; an keiner einzigen Ausbildungsstunde teilgenommen hatten hier nur 0,9%; vgl. dazu: Stand der Teilnahme an der Ausbildung vom 9.4.1962, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 101, Bl. 236. Hier hatten immerhin 7% – 2.388 von insgesamt 32.785 Kämpfern – an keiner Ausbildungsstunde teilgenommen; der Bezirk Halle bot in dieser Hinsicht eine löblich erwähnte Ausnahme: er hatte mit 0,5% den geringsten Rückstand aufzuweisen; vgl. dazu: Zusammengefasster Bericht über den Stand der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und über Erfahrungen des Einsatzes der Kampfgruppen zur Sicherung des Friedens und zum Schutze der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, o. Verf., o. D. [1961], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 118. Diese Zahl ergibt sich aus dem Bericht vom Jahre 1961: 7% Prozent nahmen überhaupt nicht an der Ausbildung teil, 54% regelmäßig und weitere 5% an 42–46 Stunden, also sehr häufig; vgl. Zusammengefasster Bericht über den Stand der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und über Erfahrungen des Einsatzes der Kampfgruppen zur Sicherung des Friedens und zum Schutze der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, o. Verf., o. D. [1961], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 118.

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19.308 Kämpfer waren jünger als 25 Jahre, 3.141 sogar jünger als zwanzig Jahre alt.39 Wurde die von Beginn an bestehende Anordnung, dass Angehörige der Kampfgruppen mindestens 26 Jahre alt zu sein hatten, offiziell nie erläutert, hatte sie gewiss auch pragmatische Gründe. Angesichts der betriebsbezogenen Organisation der Arbeitermiliz war eine gewisse Sesshaftigkeit ihrer Angehörigen von Nöten, um eine allzu starke Fluktuation innerhalb der Einheiten zu verhindern. Zudem konnte man damit rechnen, dass diejenigen im Alter von über 25 Jahren ihren Wehrdienst absolviert hatten, d. h. bereits über eine militärische Ausbildung verfügten. Nicht zuletzt reflektiert die Anordnung jedoch auch eine latente Angst vor dem „inneren Feind“. Standen bei den Kampfgruppen – wie bei allen anderen gesellschaftlichen Organisationen der DDR im Übrigen auch – Einordnung und Disziplin im Vordergrund, wurde der Jugend derlei Bereitschaft tendenziell abgesprochen.40 Sollte für sie in den Kampfgruppen deshalb kein Platz sein,41 verweist ihr nicht unbeträchtlicher Prozentsatz zugleich darauf, wie wenig genau man es an der Basis mit den Vorgaben von ,oben‘ nahm und vor allem um Planerfüllung bemüht schien. Denn auch die 32%, die nur hin und wieder an der Ausbildung teilnahmen, konnten nach militärischen Maßstäben kaum als vollwertige Kämpfer gelten. Solche Nachzügler beeinträchtigten nicht nur das Vorankommen im Ausbildungsplan. Ihretwegen mussten bereits durchgenommene Inhalte immer wieder – und nicht selten zum Verdruss der übrigen Kämpfer – wiederholt werden statt

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Zusammengefasster Bericht über den Stand der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und über Erfahrungen des Einsatzes der Kampfgruppen zur Sicherung des Friedens und zum Schutze der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, o. Verf., o. D. [vermutl. 1961], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 124. Vgl. dazu: Dorothee Wierling, Die Jugend als innerer Feind. Konflikte in der Erziehungsdiktatur der sechziger Jahre, in: Kaelble/Kocka/Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 404–425; vgl. auch: Marc-Dietrich Ohse, Jugend nach dem Mauerbau. Anpassung, Protest und Eigensinn (DDR 1961–1974), Berlin 2003. Dass die Ist-Stärke 1963 gegenüber dem 1. Halbjahr 1962 um 10.475 Kämpfer zurückgegangen war, lag nach dem Bericht der Abteilung für Sicherheitsfragen „in erster Linie“ daran, dass diejenigen Kämpfer, „die den Bedingungen über die Zugehörigkeit zu den Kampfgruppen nicht entsprechen“, inzwischen herausgelöst worden waren; das betraf gewiss auch eine Vielzahl von „Arbeiterveteranen“, legt jedoch nahe, dass auch und vor allem Jugendliche konsequent herausgelöst wurden, vgl. Stand der Entwicklung der Arbeit mit den Kampfgruppen, o. Verf., o. D. [vermutl. 1963], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 55.

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gemäß des Ausbildungsprogramms voranzuschreiten. Gleichzeitig stellten sie auch „eine Gefahr […] für das Zusammenwirken innerhalb einer Einheit und mit anderen Einheiten“ dar, wie ein Bericht der Abteilung für Sicherheitsfragen Anfang 1963 betonte.42 Die unregelmäßige Teilnahme eines erheblichen Teils der KampfgruppenAngehörigen war ein Problem, das die Miliz seit ihrer Gründung beschäftigte. Eine Zuspitzung erfuhr es jedoch durch den in den 1960er Jahren einsetzenden innerorganisatorischen Generationswechsel. Zahllose Kämpfer der ersten Stunde hatten inzwischen ein Alter erreicht, das ihre Herauslösung aus dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ notwendig machte. Waren diese älteren Kämpfer im Allgemeinen „beispielgebend in der Dienstdurchführung“ gewesen, traf ihr Verlust die Kampfgruppen ganz besonders.43 Dass sie im Bezirk Magdeburg vielerorts zu „lose[n] Gebilden“ verkommen seien, schrieb die Bezirksbehörde der VP im Januar 1965 in erster Linie dem Ausscheiden dieser KämpferGeneration zu.44 Ihr Ausscheiden besaß, wie dieser Befund nahelegt, neben der quantitativen auch eine qualitative Dimension. Denn aufgrund ihrer generationellen Sozialisation leuchtete den älteren Kämpfern der Sinn eines „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ vielfach unmittelbar ein bzw. wurde von ihnen mitgetragen. Bei den nachrückenden, zum überwiegenden Teil erst in der Nachkriegszeit sozialisierten Kämpfern war das offenkundig nicht länger der Fall.45

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Stand der Entwicklung der Arbeit mit den Kampfgruppen, o. Verf., o. D. [vermutl. 1963], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 19; wie das Plädoyer des Verfassers, die „Nachzüglerausbildung weitestgehend zu überwinden“, eigentlich gemeint sei – ob sie etwa ganz abgeschafft werden sollte oder gemeint war, den Druck auf die unregelmäßig teilnehmenden Kämpfer zu erhöhen –, entzog sich offensichtlich auch dem zeitgenössischen Leser – neben der Formulierung ist ein Fragezeichen gemalt. Vgl. Einschätzung der Kampfkraft der beiden Hundertschaften im VEB Paraffinwerk „Vorwärts“ vom 17.4.1962, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222; Einschätzung des Standes der Kampfgruppenarbeit vom 25.8.1964, LHASA, BDVP 19, Nr. 364, Bl. 2. Protokoll der Arbeitsberatung vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 36. So bekannte der Leiter der Abt. Kampfgruppen bei der Bezirksbehörde der DVP in Halle: „Die Anstrengungen der Kreise in der Neuwerbung von Kämpfern im Ausbildungsjahr 1963/64 von 1.454 Genossen, [sic] wurden durch die absoluten Abgänge in Höhe von 1.635 Kämpfern nicht wirksam“, Einschätzung des Standes der Kampfgruppenarbeit vom 25.8.1964, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 364, Bl. 2; die Einheiten des VEB Braunkohlekombinats Zschornewitz bspw. hatten auch im August noch 1969 einen Fehlbestand „von

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Weil der Staat „seit Jahren“ nichts zur Verbesserung seiner Wohnverhältnisse getan hätte, war ein Angehöriger der 909. Hundertschaft in Güsen nicht mehr bereit, weiter in der lokalen Kampfgruppe Dienst zu tun.46 „Ich gehe lieber zur Sonderschicht [,] die bekomme ich bezahlt, plus 5,00 Mark zur Jahresendprämie. Weiterhin habe ich mein freies Wochenende“, waren Gründe, die das VPKA Klötze im Hinblick auf die „Bewertung der gesellschaftlichen Tätigkeit in den Kampfgruppen“ Anfang 1971 notierte.47 Die Einführung der Fünf-Tage-Woche zum Ende der 1960er Jahre hatte dazu geführt, dass die Ausbildung nun vielerorts an den nun arbeitsfreien Samstagen durchgeführt wurde. Diese Praxis stieß jedoch auf heftigen Protest unter vielen Kampfgruppen-Angehörigen.48 Ihr Protest reflektiert zum einen den gestiegenen Stellenwert von „Freizeit“, die zunehmend als selbstbestimmte und von parteilichen Zugriffen „freie“ Zeit verstanden wurde.49 Zugleich verweist er jedoch auch auf das von der SED propagierte „System ökonomischer Hebel“: Immer häufiger verlangten Kämpfer als Gegenleistung für ihr Engagement in der Kampfgruppe Vergünstigungen von staatlicher Seite oder maßen der eigenen beruflichen Karriere mehr Bedeutung bei als der „gesellschaftlichen Tätigkeit“ in Form der Kampfgruppen. Aus Sicht der SED artikulierten sich darin jedoch die negativen Implikationen eines forcierten Modernisierungsversuches im Rahmen des „umfassenden Aufbaus des Sozialismus“. Die moderne „allseitig entwickelte sozialistische Persönlichkeit“ wurde als eine Person vorgestellt, die aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnahm

                                                                                                                                      

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rd. 60 Gen. [sic]“ aufzuweisen; vgl. dazu: Bericht über das Kampfgruppenausbildungsjahr 1968/69 vom 25.8.1969, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/B-404/182, Bl. 44. Protokoll einer Aussprache vom 5.4.1966, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/A-4/3/105, Bl. 33–35. Einschätzung der Ausbildung der Kampfgruppen-Einheiten im 1. Ausbildungsabschnitt 1971, o. D. [1971], LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1518. Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 23; in Magdeburg und Wernigerode war der Protest mancher Einheiten offenkundig so entschieden, dass die Kreis- bzw. Stadtleitung ihnen noch im Frühjahr 1970 einräumten, ihre Ausbildungen nach dem alten Modus durchzuführen; Einschätzung des polit.-moral. Zustandes der Kampfgruppen vom 29.1.1970, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 195. Hübner, Politische Einflussnahme, S. 213; vgl. dazu aber die Diskussion bei Fulbrook, die darauf verweist, dass die Gestaltung der Freizeit und insbesondere des Urlaubs einerseits von der Zugehörigkeit zu den Massenorganisationen des SED-Staates abhängig war, andererseits diese Zugehörigkeit aber nicht immer nur als Zwang, sondern auch als Chance wahrgenommen wurde; Fulbrook, Alltag und Gesellschaft in der DDR, S. 105.

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und seine Energien sinnvoll zur individuellen Aus- und Weiterbildung nutzte.50 Die Einführung eines zweiten arbeitsfreien Wochentages war in diesem Sinne damit begründet worden, der Bevölkerung auf diese Weise mehr Zeit für individuelle Weiterbildungs- und Qualifizierungsabsichten einzuräumen. Individuelle Entwicklung und Entfaltung sollte sich jedoch stets im Einklang mit der gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer „sozialistischen Menschengesellschaft“ eben „allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten“ bewegen. Gefordert und geduldet wurden allein solche Freizeitaktivitäten, die erkennbar auch dem Staat als Ganzes zugute kamen. Während der Staat also vorgab, den individuellen Interessen seiner Bevölkerung stärker Rechnung tragen zu wollen, blieben die im Hinblick auf das gesamtgesellschaftliche Interesse einer Stärkung der Arbeiter-und-Bauern-Macht jedoch von nachrangiger Bedeutung. Vielmehr gerieten diejenigen, die sich im Zweifelsfall für ihre individuellen Interessen entschieden, leicht in zweifelhaftes Ansehen. Etwa in Genthin hatte ein Kämpfer, der für einen Kommandeurs-Lehrgang vorgesehen war, stattdessen ein Fernstudium aufgenommen. Agierte dieser Kämpfer damit durchaus im Sinne gesellschaftspolitischer Vorgaben, zog er sich dennoch die Kritik der lokalen Funktionäre zu. Ausschlaggebend dafür war, dass er einer ehrenamtlichen Tätigkeit eine Tätigkeit vorzog, die langfristig auch materielle Vorteile versprach und ihm den Verdacht eintrug, allein an „seine[r] persönliche[n] Entwicklung“ interessiert zu sein.51 Wenn SED-Funktionäre, wie im VEB Maschinenbau Burg argumentierten, dass „die Kampfgruppen-Ausbildung […] auch eine Form der Qualifizierung“ sei,52 ignorierten sie auf diese Weise die Konkurrenz zweier tendenziell gegenläufiger Karriereoptionen.53 Weiterbildungen im Rahmen der militärpolitischen

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Meuschel, Symbiose von Technik und Gemeinschaft, S. 219f. Protokoll der Arbeitsberatung vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 33f. Protokoll über die am 20.1.1968 durchgeführte Leitungssitzung, LHAM, Rep P18, SEDBPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/B-7/7/3. So notierte das VPKA Klötze im Juli 1964: „Bei den Aussprachen mit den Kämpfern, vor Beginn des Lehrganges, brachten die Genossen zum Ausdruck, dass sie bereit sind den Lehrgang zu besuchen, gleichzeitig stellten sie aber auch die Frage, wer dann die eigene Qualifizierung im Betrieb übernimmt, bzw. ob das VPKA die entstehenden Unkosten übernimmt, wie z. B. Spezialistenlehrgänge für LPG-Maschinisten, usw. Diese Lehrgänge werden im Winter durchgeführt und dienen der Qualifizierung der Mitglieder. Im Sommer jedoch ist ein Besuch eines Lehrganges nicht möglich, da alle Kräfte in der Landwirtschaft gebraucht werde [sic]. Das ist die überwiegende Meinung der Kämpfer.“ Vgl. Jah-

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Arbeit versprachen zwar einen Aufstieg innerhalb der Arbeitermiliz. Der Aussicht, auf diese Weise einer ohnehin nur ehrenamtlichen Tätigkeit immer zeitintensiver verpflichtet zu sein, stand jedoch die Chance wachsender Verdienstmöglichkeiten durch berufsspezifische Überstunden und Weiterbildung gegenüber. Weniger „Ehre“ als „materielles Interesse“ schien das gesellschaftspolitische Engagement zunehmender Bevölkerungsteile zu bestimmen. Ganze drei Bereitschaftserklärungen waren das Ergebnis von über dreißig geführten Gesprächen, die im Herbst 1970 in einem Zeitraum von zehn Tagen in einem Betrieb im Kreis Tangerhütte durchgeführt wurden. Hier war eigens eine „Aussprachegruppe“ gebildet worden, die sich aus Mitgliedern der Parteileitung, der APO-Leitungen und leitenden Wirtschaftskadern zusammensetzte. Zwar sei sie nicht mit „feindlichen Äußerungen“ konfrontiert worden, gestand der Bericht in bezeichnender Weise die Erwartungshaltung der „Aussprachegruppe“ gegenüber der zuständigen Kreisleitung ein. Dennoch sei „überwiegend“ zum Ausdruck gebracht worden, dass an der Kampfgruppen-Arbeit kein Interesse bestünde. Weiterhin solle man sie endlich mit den Aussprachen in Ruhe lassen, da sie doch nicht gehen würden.54 Daraufhin mit dem Vorbild bereitwilligerer Kollegen konfrontiert, hätten die unumwunden erklärt: „Wenn andere Kollegen in der Kampfgruppe mitarbeiten, so ist das deren Angelegenheit“.55 Artikulierte sich in derartigen Einstellungen eine von der SED so gefürchtete Individualisierung nach westlichem Vorbild, trug auch der Appell an die Parteiehre immer seltener dazu bei, ein Überdenken ihrer Haltung anzustoßen. „Genossen“ aus dem VEB ELTMA in Oebisfelde, die in diesem Sinne von den Funktionären verpflichtet zu werden versucht wurden, brachten „zum Ausdruck, dass es ihr größter Fehler war, in die SED einzutreten“.56 Mancherorts wurde der sich aus Altersgründen vollziehende Umbruch innerhalb der Arbeitermiliz dazu genutzt, sich dieser gleich vollständig zu entledigen.

                                                                                                                                      

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resbericht des VPKA Klötze über die Arbeit mit den Kampfgruppen vom 8.7.1964, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 7. Bericht der SED-KL Tangerhütte über Auffüllung der KG-Einheiten vom 12.10.1970, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 270; vgl. auch: Protokoll der Arbeitsberatung vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 36; Jahresbericht über die Arbeit mit den Kampfgruppen vom 8.7.1964, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 4. Bericht der SED-KL Tangerhütte über Auffüllung der KG-Einheiten vom 12.10.1970, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 270. Vgl. Sekretariatsvorlage zur Einschätzung der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 52.

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Im Kreis Weißenfels war es mit Hilfe eines Arztes durch die Ausgabe von Untauglichkeitsattesten gelungen, dass ein Bestand von 20 Kämpfern in einem Betrieb der lederverarbeitenden Industrie innerhalb von vier Jahren „vollkommen liquidiert“ wurde.57 Die Vorlage einer ärztlichen Untauglichkeitsbescheinigung war offenbar eine geläufige Methode, den Dienst in der Kampfgruppe zu umgehen.58 Auch im Kreis Naumburg hatte sich ein stellvertretender Parteisekretär, der als Zugführer in der Kampfgruppe tätig war, per Attest von diesem Dienst befreien lassen. Als Einzelfall wäre er womöglich nicht weiter aufgefallen. Die Ehefrau des Zugführers hatte jedoch andere Ehefrauen von Kämpfern seines Zuges auf diesen Arzt aufmerksam gemacht – mit dem Ergebnis, dass „zum Schluss nur noch 1 Kämpfer dieser Gruppe übrig blieb“.59 Das Missverhältnis zwischen dem Engagement für die Arbeitermiliz und anderen, ähnlich gelagerten gesellschaftlichen Tätigkeiten zeigt exemplarisch ein Blick auf den Kreis Seehausen im Bezirk Magdeburg. Hier standen im Jahre 1965 300 Kampfgruppen-Angehörigen 1.200 Freiwillige Feuerwehrleute und noch einmal 300 Freiwillige Helfer der Volkspolizei gegenüber.60 Zwar waren auch die Freiwilligen Feuerwehren seit 1967 Teil der Zivilverteidigung.61 Da ihre Ausbildung jedoch eine nachmilitärische war, wurden sie offenbar weithin als Option wahrgenommen, um mit ihrer Hilfe im Hinblick auf die verlangte gesellschaftliche Tätigkeit den Dienst in der Kampfgruppe zu umgehen.62 In diesem Sinne beharrten

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Einschätzung des Standes der Kampfgruppenarbeit vom 25.8.1964, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 364, Bl. 2. Zur Praxis des Sich-Krank-Schreiben-Lassens im betrieblichen Alltag vgl. Port, Conflict and Stability, S. 184–193. Einschätzung des Standes der Kampfgruppenarbeit vom 25.8.1964, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 364, Bl. 2. Vgl. Protokoll der Arbeitsberatung vom 21.1.1965, LHASA, MD, Rep P13, Nr. IV/A2/12/917, Bl. 35; vgl. auch: Einschätzung der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat. (vermutl. 1961), LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, Bl. 41. Zur Zivilverteidigung: Wolfgang Jahn, Der Luftschutz und die Zivilverteidigung der DDR (1955–1990), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke (Hg.), Handbuch der bewaffneten Organe, S. 551–576; vgl. auch: Clemens Heitmann, Familie Franzkes Wehrbeitrag. Zur Einbindung der DDR-Bevölkerung in das System der sozialistischen Landesverteidigung – eine fiktive Biographie, in: Ehlert/Rogg (Hg.), Militär, Staat und Gesellschaft, S. 377–418, hier: S. 382f.; ders., Schützen und Helfen. Vgl. Einschätzung der Kampfgruppenarbeit im Kreis Klötze vom 24.7.1963, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 5; Jahresbericht des VPKA Klötze über die Arbeit mit den Kampfgruppen vom 8.7.1964, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 4;

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etwa im Kreis Hettstedt die Feuerwehrleitungen auf der Unabkömmlichkeit ihrer Angehörigen.63 Andernorts suchte man nach Kompromissen: Etwa im Kreis Kalbe, Bezirk Magdeburg, wurden „ältere und kranke Kämpfer“ an die Feuerwehr überstellt, während die Kampfgruppen im Gegenzug einsatzfähige Feuerwehrmänner erhielten.64 Darüber hinaus scheute man sich auch nicht (mehr), angesichts des geringen gesellschaftlichen Zuspruches nun in größerem Umfang „parteilose Kollegen und die Blockfreunde“ in die Werbung mit einzubeziehen.65 Vor allem aber die Reservisten gerieten jetzt ins Visier der Auffüllungsbestrebungen. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht Anfang 1962 hatte die SED auch auf die Bildung sogenannter „freiwilligen Reservistenkollektive“ hingewirkt. In ihnen wurden diejenigen zusammengefasst, die bereits ihren Wehrdienst absolviert hatten. Auf diese Weise hoffte man einerseits, ihre Kampfkraft zu erhalten und zu optimieren, andererseits auch, ihre Erfahrungen der sozialistischen Wehrerziehung und anderen paramilitärischen Aktivitäten zugutekommen zu lassen.66 Auch wenn Reservisten von sich aus immer wieder darauf insistierten, dass sie im Konfliktfall ohnehin zur NVA abgestellt würden, boten sie sich auf-

                                                                                                                                      

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gleichzeitig artikulieren sich in dem Engagement für die örtlich gewachsenen und integrierten Feuerwehren Versicherungsmaßnahmen dörflicher Identität, die als kollektive Abwehrhaltungen gegenüber staatlich-zentralistischer Einflussnahme interpretiert werden können; vgl. dazu: Antonia Maria Humm, Auf dem Weg zum sozialistischen Dorf? Zum Wandel der dörflichen Lebenswelt in der DDR von 1952 bis 1969 mit vergleichenden Aspekten zur Bundesrepublik, Göttingen 1999, S. 253–278; da sie bei schweren Naturkatastrophen, wie sie sich beispielsweise 1947 und 1952 in Brandenburg ereigneten, oftmals die einzigen Helfer vor Ort waren, schien ein Engagement in ihnen noch am ehesten mit lokalen Erwartungshaltungen und -ansprüchen kompatibel. Einschätzung der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen im Kreis Hettstedt, undat. (vermutl. 1961), LHASA, SED-KL Hettstedt, Nr. IV/409/252, B. 41. Protokoll der Arbeitsberatung vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 36; um hier neue Kämpfer für die Arbeitermiliz zu gewinnen, wurde die Aushändigung einer Jagdberechtigung an die Mitarbeit in der Kampfgruppe geknüpft; Bedingung für den Erwerb eines Jagdscheines war die Mitarbeit in der Kampfgruppe; vgl. Bericht des VPKA Klötze, o. D. [1963], LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 5. Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 23 u. Bl. 50. Rogg, Militär und Gesellschaft, S. 503–512; zu den Reservisten in der DDR vgl. auch: Rüdiger Wenzke, Reservisten in der Nationalen Volksarmee, in: Gerhard Brugmann (Hg.), Die Reservisten der Bundeswehr: Ihre Geschichte bis 1990, Hamburg 1998, S. 337–353.

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grund ihrer bereits vorhandenen militärischen Kenntnisse als Kampfgruppen„Nachwuchs“ geradezu an.67 Offensichtlich betrachteten auch viele Funktionäre vor Ort sie als willkommene Verstärkung, so dass im Jahre 1966 schließlich die Anordnung erging, bei der Auffüllung der Kampfgruppen-Einheiten auf Reservisten zu verzichten.68 Deren Rekrutierung war etwa in Genthin soweit gediehen, dass hier angeordnet werden musste, sich „nur auf solche Reservisten [zu] stützen, die z. Z. oder im ersten Bereich einer Anfangsperiode nicht zum aktiven Dienst einberufen werden“, weil ansonsten im Konfliktfall „nur noch 10 % in unseren Zügen vorhanden“ wären.69 Besonders schwer fiel die Auffüllung wiederum in ländlichen Gebieten.70 Zwar zeigten sich die Funktionäre der Kreisleitung Genthin im Frühjahr 1968 erfreut von ihren Werbungserfolgen in Tuchheim, die sie sechs Jahre zuvor so nicht für möglich gehalten hätten.71 Nicht unerheblich scheint dabei jedoch eine unterschwellige Drohkulisse gewesen zu sein, mit der man hier die Werbung betrieb. So waren diejenigen, die sich im Gemeindesaal eingefunden hatten, allesamt fotografiert – also erkennungsdienstlich erfasst – worden, was sich offensichtlich „positiv“ auf deren Verpflichtung ausgewirkt hatte.72 Nur dort, wo, wie in Tuchheim, aber auch in Tangerhütte, „harte Auseinandersetzungen“ geführt, d. h. Druck ausgeübt wurde, konnten offensichtlich Erfolge in der Mobilisierung erreicht werden.73

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Vgl. Protokoll über die Kampfgruppenkonferenz am 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 23. Problem-Beratung mit Parteisekretären vom 8.11.1966, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/A-4/3/105, Bl. 64. Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/3/206, Bl. 33. Vgl. Protokoll der Arbeitsberatung vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A2/12/917, Bl. 35; so waren die Einheiten der Kampfgruppen des Bezirkes Magdeburg Anfang 1965 erst zu durchschnittlich 86 Prozent aufgefüllt; deutlich darunter lagen jedoch die ländlichen Kreise Genthin (69 Prozent), Klötze (74 Prozent) und Wanzleben (75 Prozent); vgl. Bericht betreffs des polit.-moral. Zustandes vom 14.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 28. Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 29. Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 29. Ergebnisse der Ausbildung vom 22.9.1964, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1512, Bl. 14; zugleich wurde jedoch auch auf paternalistische Methoden bei der Mobilisierung

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In Klötze brachten Aussprachen hingegen „in keinem Fall den erhofften Erfolg“. Weder konnten durch sie neue Kämpfer gewonnen werden noch war der aus zwölf Kämpfern bestehende Kaderbestand durch sie dazu zu bewegen, an der Ausbildung teilzunehmen, „obwohl alles versucht [wurde], um sie entsprechend des Programms auszubilden. An den mehrmals festgelegten Ausbildungstagen war zu verzeichnen, dass die Einheit einfach nicht erschienen ist“.74 „Wir haben zwar Aussprachen geführt“, beklagte auch ein SED-Funktionär aus Gardelegen, „aber jetzt beginnt erst die Arbeit mit den Genossen der HS-Leitungen und Parteileitungen, um die Genossen davon zu überzeugen, dass sie hinter ihrer Unterschrift stehen.“ 75 Wer sich für die Kampfgruppen engagierte, musste weiterhin damit rechnen, bei Prämien nicht berücksichtigt zu werden, wurde zu unpopulären Arbeitseinsätzen delegiert und setzte sich der Gefahr finanzieller Einbußen aus: „z. B. ein Arbeiter erhält für jede geleistete Sonderschicht 5,-M ausgezahlt und 5,-M Aufschlag auf die Jahresprämie, auf der anderen Seite werden von den der Kampfgruppe zur Verfügung gestellten Prämienmittel Kosten abgesetzt wie: Abschreibung für die Bekleidungskammer; Kosten für die Verlegung bzw. Einrichtung von Telefonen“, stellte eine Einschätzung des VPKA in Tangerhütte fest.76 Das bereits bekannte Dilemma zwischen ökonomischer Planerfüllung auf der einen und militärpolitischer Arbeit auf der anderen Seite hatte sich durch die Einführung des NÖSPL nicht verändert, sondern zugespitzt. „Wenn wir die Er-

                                                                                                                                      

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zurückgegriffen: So verpflichtete die SED-Kreisleitung Klötze per Beschluss eine Reihe von Betriebsleitern zur Teilnahme an der Kampfgruppen-Ausbildung, wodurch eine höhere Beteiligung auch der gewöhnlichen Kämpfer erreicht werden konnte, denn – so das Fazit des Berichterstatters – „wo der Betriebsleiter voran-geht [sic], sind auch die Kämpfer bei der Sache und die Diskussionen aus Weg dem geräumt, warum ist nur der kleine Mann verpflichtet, die Waffe zu tragen“; Wortbericht zum Abschluss der Ausbildungsperiode 1964/66 vom 29.6.1966, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 76. Jahresbericht über die Arbeit mit den Kampfgruppen vom 2.7.1965, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 7. Protokoll der Arbeitsberatung der BDVP in Stendal vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 32f.; im VEB Braunkohlekombinat Zschornewitz hatte man 30 Genossen für die Kampfgruppen geworben, von denen jedoch „effektiv nur 11 Genossen […] aktiv an der Ausbildung“ teilnahmen; vgl. Bericht über das Kampfgruppenausbildungsjahr 1968/69 vom 25.8.1969, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/B-404/182, Bl. 44. Einschätzung zum Stand der Kampfgruppen-Ausbildung vom 14.10.1971, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1518, Bl. 110; vgl. auch: Einschätzung des Standes der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 53f.

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füllung unser ökonomischen Aufgaben als die ,Hauptfront‘ unseres Kampfes ansehen, so können wir jedoch niemals die anderen ,Frontabschnitte‘ vernachlässigen“, stellte der „Kämpfer“ im September 1969 klar.77 Der Vorgabe, dass aus diesem Grund der Gesamtplan eines Betriebes erst dann erfüllt sei, wenn auch der Ausbildungsplan der Kampfgruppen erfüllt sei – wie es beispielhaft eine zeitgenössische Losung aus dem Baustoffkombinat Bitterfeld propagierte78 – konnten jedoch nicht alle Wirtschafts- und Parteifunktionäre folgen. „Ich betrachte die Frage der Kampfgruppenarbeit, die Frage schlechthin der Sicherung der militärischen Verteidigungsbereitschaft, als Teil des ökonomischen Systems als Ganzes und gehe davon aus, dass die Arbeit der Kampfgruppe schließlich und letztlich widerspiegelt die politisch-ideologische Leitungstätigkeit in einem Betrieb. […] Wir zwingen unsere mittleren Kader, ich sage bewusst zwingen, dazu, diese Art der ideologischen Tätigkeit auch in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Das sieht in der Praxis so aus: wir führen regelmäßig mit den Meistern, Abteilungsleitern usw. Rechenschaftslegungen durch. Ein Punkt dieser Rechenschaftslegung ist die Fragestellung, was hast du getan zur Verbesserung der Kampfgruppentätigkeit, wie viele deiner Leute arbeiten in der Kampfgruppe mit, wie viele arbeiten mit im Luftschutz, der Feuerwehr. Aber die Kampfgruppe stellen wir vom politischideologischen her dabei besonders in den Mittelpunkt.“79

Aufschlussreich ist dieser Beitrag des Betriebsleiters des VEB Stahl- und Apparatebaus Genthin auf einer Kampfgruppen-Konferenz im Februar 1968 in zweierlei Hinsicht: Zum einen entspricht die Akzentuierung der betriebseigenen „Kampfgruppenarbeit“ ziemlich exakt dem geltenden „public transcript“. Zum anderen offenbaren seine Worte bei allem Bemühen um Konformität zugleich ein virulentes „hidden transcript“. Dass man die „mittleren Kader“ dazu „zwingen“ musste, wie der Betriebsleiter herausstrich, der „Kampfgruppentätigkeit“ überhaupt Aufmerksamkeit zu widmen, deutet an, für wie überflüssig und unpopulär diese Tätigkeit auch gehalten wurde. Zwar bemühte sich etwa der „Kämpfer“, unter Berufung auf Friedrich Engels, den „sehr engen Zusammenhang“ von Militärwesen und Wirtschaft herauszustreichen.80 Die militärpolitische Praxis schien jedoch

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„Wofür du deine Waffe trägst (I)“, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 13 (1968). Jahresbericht der Kampfgruppen 1961/62 vom 10.4.1962, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/404/360, Bl. 18. Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 52; vgl. auch: Bericht über den Abschluss der Ausbildungsperiode 1964/66, LHAM, Rep P15 Klötze, Nr. IV/A-4/8/64, Bl. 121. „Wofür du deine Waffe trägst“, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 13 (1968).

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weiterhin vom „Nichtverständnis der Einheit von Politik, Ökonomie und Landesverteidigung“ dominiert zu werden, wie die Volkspolizei wiederholt beklagte.81 „Man muss versuchen, die Produktionsarbeit und die Kampfgruppen-Arbeit in Einklang zu bringen“, schloss das Plädoyer einer Kommandeurs-Konferenz im Kreis Bitterfeld im August 1962.82 Ein Ergebnis dieses Plädoyers war etwa die Forderung der „Herstellung einer engen Einheit zwischen Produktion und militärischer Ausbildung“, die von den Hundertschaften der lokalen Filmfabrik Wolfen in ihren Wettbewerbsaufruf übernommen wurde. Demnach sollte jeder Angehörige der Kampfgruppen zugleich als „Neuerer“ in der Produktion tätig werden und verpflichtete sich, mindestens „einen Verbesserungsvorschlag“ zur Effektivierung der Produktion einzureichen.83 Aber auch solch Bekenntnisse des guten Willens von Seiten der Kämpfer trugen offensichtlich wenig dazu bei, die geringe Kooperationsbereitschaft der Betriebsleitungen hinsichtlich der Freistellung für die Kampfgruppen-Ausbildung aufzubrechen. Manche rekurrierten weiterhin auf das Dilemma von „höchstmögliche[r] Planerfüllung einerseits und […] möglichst hohe[r] Freistellung andererseits“, um ihre Nicht-Unterstützung der militärpolitischen Arbeit zu rechtfertigen. Bewegten sie sich solchermaßen im Einklang mit dem realsozialistischen „public transcript“,84 brachten andere ihre Abneigung gegenüber den Kampfgruppen wiederum ganz offen zum Ausdruck.85 Dass „objektive Schwierigkeiten“ im Hinblick auf eine Freistellung von Kämpfern zur Ausbildung existierten, war das VPKA Tangerhütte durchaus bereit einzuräumen. Dennoch argwöhnte es, dass „diese Feststellung […] nicht darüber hinwegtäuschen [darf], dass subjektive Schwierigkeiten erheblich größer wie [sic] die objektiven waren.“86 Die „meisten Schwierig-

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Einschätzung des Standes der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A2/12/197, Bl. 50; vgl. auch: Einschätzung des polit-moralischen Zustandes und des Kampfwertes der Einheiten der Kampfgruppen im Kreis Tangerhütte vom 6.5.1966, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1518, Bl. 51. Protokoll der Beratung mit den Kampfgruppen-Kommandeuren vom 6.8.1962, LHASA, SED-KL Bitterfeld (1961–62), Nr. IV/404/360. Vgl. Getreu dem Gelöbnis, S. 34. Protokoll einer Aussprache vom 5.4.1966, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/A-4/3/105, Bl. 33–35; vgl. auch: Bericht betreffs des polit.-moral. Zustandes vom 14.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 27. Referat des Genossen Bernard Koenen auf der außerordentlichen Kommandeurskonferenz am 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, Nr. 100, Bl. 12. Ergebnisse der Ausbildung vom 22.9.1964, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1512, Bl. 14.

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keiten“, notierte auch die Kreisleitung Hohenmölsen im Mai 1962, würden den Hundertschafts-Leitungen die „mittleren Leitungskräfte“ bereiten. Während sie einerseits bestrebt waren, einzelne Werktätige und auch sich selbst von der Ausbildung zu befreien,87 hatten sie andererseits auch mit dem Zorn ihrer Vorgesetzten zu rechnen, wenn sie sich allzu stark für die militärpolitische Arbeit engagierten.88 Schon vor der Einführung des NÖSPL waren die Wirtschaftsfunktionäre wegen ihres offensichtlich „unparteilichen“ Selbstverständnisses ins Kreuzfeuer der SED-Kritik geraten. Vor allem die Meister hätten demnach wenig Engagement in der Organisation der „sozialistischen Wettbewerbe“ gezeigt und sich auch nicht um die politische Anleitung in ihren Abteilungen gekümmert.89 Der technokratische Impuls des NÖSPL eröffnete den Verantwortungsträgern vor Ort die Möglichkeit, in der Praxis technischen und wirtschaftlichen Rationalitätskriterien den Vorzug gegenüber machtpolitischen Zielen geben zu können.90 Von den Partei-Funktionären wurde nun verlangt, nicht mehr nur „gute Marxisten-Leninisten“, sondern zugleich „richtige Fachleute“ zu sein, wie es Walter Ulbricht programmatisch formuliert hatte.91 Damit wurde den Amtsträgern auf der Mikro-Ebene des Betriebes genug Macht eingeräumt, um den Prioritäten-Konflikt von Politik und Ökonomie zum eigenen Vorteil zu wenden und neue Prioritäten

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Einschätzung des Standes der Ausbildung der allgemeinen Hundertschaften der KG im Ausbildungsjahr 1961/62 vom 2.5.1962, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/ 222; Kampfgruppenanalyse vom 28.2.1968, BStU, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 430. Dass insbesondere Meister und höher gestellte Betriebsfunktionäre wenig Unterstützung für die „militärpolitische Arbeit“ aufzubringen gewillt waren, mag auch damit zusammenhängen, dass ihre Gehälter im Rahmen des NÖSPL zunehmend an die Leistungsziffer „Geplanter Betriebsgewinn“ und damit an den Grad der Planerfüllung gekoppelt wurden; vgl. dazu: Kleßmann, Arbeiter im „Arbeiterstaat“ DDR, S. 573; Madarász, Working in East Germany, S. 49; im VEB ELTMA in Oschersleben war der Betriebsleiter gegen einen Meister vorgegangen, weil der eigenmächtig Kämpfer zur Teilnahme an der Ausbildung freigestellt hatte; Einschätzung des Standes der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 52. Vgl. dazu: Wiesener, Taktieren und Aushandeln, S. 239f.; speziell zu den Meistern und ihrer Bedeutung im betrieblichen Hierarchiegefüge Hürtgen, Angestellt im VEB, S. 149– 169. Hübner, Technokratie in der DDR, S. 339. So: Walter Ulbricht, Zum neuen ökonomischen System der Planung und Leitung, Berlin (O) 1966, S. 146; vgl. dazu: Jeannette Madarász, Working in East Germany: Normality in a Socialist Dictatorship, Basingstoke 2006, S. 52f.; Hübner, Technokratie in der DDR, S. 338–344.

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im Hinblick auf die militärpolitische Durchdringung der Produktion zu setzen. Bis zur Einführung des NÖSPL war es allein den Sekretären der lokalen BPOs erlaubt gewesen, Kämpfer von der Ausbildung freizustellen. Nun würden sich jedoch auch staatliche Leiter und andere Wirtschaftsfunktionäre diese Befugnis anmaßen, beklagte beispielsweise die BPO des VEB Schwermaschinenbau-Kombinats „Ernst Thälmann“. Hier waren „bei der letzten Ausbildung […] auf diese Weise 10 Genossen von der Ausbildung“ ferngehalten worden.92 „Laufend vorstellig“ geworden waren nach eigenen Angaben der kommandierende Major des VPKA Tangerhütte und sein Stellvertreter im VEB Eisenwerk „1. Mai“ der Kreisstadt, das die größte Anzahl an Kämpfern im Kreis stellte. Hier waren die lokalen parteilichen wie betrieblichen Leitungen nicht auf die Vorschläge übergeordneter Parteiorganisationen eingegangen, wie man mehr Betriebsangehörige dazu bewegen könnte, an der Ausbildung teilzunehmen. Umgehend wurde das lokale VPKA aktiviert, „aber die Atmosphäre ist derart angespannt, dass weder vom Parteisekretär noch vom Betriebsleiter ernsthafte Schritte unternommen werden, zur Beseitigung dieses mangelhaften Zustandes. Antworten wie, ich kündige usw. vertagte Leitungssitzungen und Versprechen sowie erneut mangelnde Teilnahme waren das Ergebnis“.93 Weder Partei- noch Polizei-Funktionäre sahen sich demnach in der Lage, den Betriebsleitungen Zugeständnisse im Hinblick auf die militärpolitische Arbeit abzuringen. Diese konnten sich wiederum auf die „Direktive für die Ausbildung der Kampfgruppen“ von 1964 berufen, die vorschrieb, dass „die Organisation und Durchführung der Ausbildung der Kampfgruppen […] die vorrangige Erfüllung der ökonomischen Aufgaben nicht beeinträchtigen“ dürfe.94 Eine Folge dieser Vorgabe war, dass „im Interesse der Erfüllung der volkswirtschaftlichen Aufgaben“ die Ausbildungszeit zum Ende der 1960er Jahre von 96 auf zunächst 72 Stunden

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Bericht über die Verwirklichung der Aufgaben der Kampfgruppe im I. Halbjahr durch die BPO, undat., LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Schwermaschinenbau „Ernst Thälmann“, Nr. IV/C-7/70/95. Bericht über die hohe Zahl an Nichtteilnehmern vom 14.6.1965, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1518; ein Besuch und eine Sitzung in diesem Betrieb durch die Kreisleitung waren für den 17.6.1965 [sic] angekündigt. Ob dieses Datum zufällig gewählt war oder sich als Hinweis auf dissidente Traditionen lesen lässt, muss hier dahingestellt bleiben. Direktive für die Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der Zeit vom 1. Oktober 1964 bis zum 30.6.1966, BStU, MfS-BdL, Nr. 050355, Bl. 9.

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reduziert wurde, um dann zu Anfang der 1970er Jahre abermals auf nunmehr 54 Stunden reduziert zu werden.95 Derartige Maßnahmen bekräftigten den faktischen Vorrang ökonomischer Aufgaben gegenüber der militärpolitischen Arbeit auch auf symbolischer Ebene. Damit mussten sie die, den militärpolitischen Aktivitäten gegenüber skeptisch eingestellten Betriebsfunktionäre in ihrer Auffassung bestätigen, dass der Arbeitermiliz vor dem Hintergrund der Durchsetzung des NÖSPL eher nachrangige Bedeutung zukam. Vorgaben wie die oben zitierte, gaben ihnen ausreichende Handhabe, sich im Zweifelsfall gegen die militärpolitische Arbeit auszusprechen. Produzierte der wissenschaftlich-technokratische Steuerungsanspruch der Partei einen gesteigerten Bedarf an Experten, wuchsen mit deren Unverzichtbarkeit auch deren Handlungsspielräume. Wie die Episode aus dem VEB Eisenwerk Tangerhütte deutlich macht, bot die Androhung einer Kündigung in diesem Zusammenhang offensichtliche Handhabe, sich gegenüber als Zumutung wahrgenommenen Forderungen von Seiten der Staatsmacht zu entziehen.96 Die Einführung diverser Kampfgruppen-Auszeichnungen seit der Mitte der sechziger Jahre ist vor diesem Hintergrund gewiss auch als Versuch zu deuten, die schwindende Bedeutung des militärpolitischen Engagements zu bekräftigen und symbolisch aufzuwerten. „In Würdigung der bisherigen Verdienste und zum weiteren Ansporn der verantwortungsvollen Tätigkeit der Kommandeure und zur weiteren Erhöhung der Einsatzbereitschaft aller Kämpfer und Kollektive“ hatte das ZK der SED im Oktober 1965 diverse Auszeichnungen für KampfgruppenAngehörige beschlossen.97

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Vgl. Analyse der Ausbildungssysteme, undat., BArchB., DO1/18.0/10201. Kündigungen, Aufnahme von Beschäftigungsverhältnissen im sozialistischen Ausland, aber auch ärztliche Untauglichkeitsbescheinigungen waren zentrale Gründe, die von der BPO des VEB Schwermaschinenbau-Kombinats „Ernst Thälmann“ in Magdeburg für die „große Fluktuation“ (30 Personen) innerhalb der Einheit des Werkes verantwortlich gemacht wurden und die auf vielfältige Möglichkeiten, sich dem Kampfgruppendienst zu entziehen, verweisen; vgl. Bericht über die Verwirklichung der Aufgaben der Kampfgruppe im I. Halbjahr durch die BPO, undat., LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Schwermaschinenbau „Ernst Thälmann“, Nr. IV/C-7/70/95. Dabei handelte es sich um eine „Medaille für ausgezeichnete Leistungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ sowie eine „Medaille für treue Dienste in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse“; sie wurde in drei Stufen verliehen: für 10-jährige Mitgliedschaft in Bronze, für 15-jährige Mitgliedschaft in Silber und für 20-jährige Mitgliedschaft in Gold. Bereits im September 1961 war vor dem Hintergrund des Einsatzes während des Mauerbaus eine „Verdienstmedaille der Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ gestiftet worden; vgl.

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Als Strategie der Motivations- und Mobilisierungssteigerung bildete das Auszeichnungswesen einen festen Bestandteil des sozialistischen Alltages in der DDR.98 Einerseits markierte es den Versuch, die materialistische Tauschbeziehung der kapitalistischen Produktionsweise durch ideell-symbolische zu ersetzen – zumeist war der Erhalt von Orden und Urkunden nur mit kleineren Sach- oder Geldprämien verbunden. Gleichzeitig versprach man sich von den Auszeichnungen einen Appell an die „intrinsische Motivation der Werktätigen“.99 Im Hinblick auf den Ausweis als vorbildliche „sozialistische Persönlichkeit“ konnten Auszeichnungen von nachhaltigem Einfluss auf den Lebenslauf sein, wurden sie doch in Kaderakten vermerkt und wirkten sich solchermaßen auf berufliche und politische Karrieren aus.100 Die Integrationskraft solch einer „Gabenaustauschlogik“101 hing jedoch nicht nur vom ideellen Wert der Auszeichnung oder den aus ihnen erwachsenden Prämien und Privilegien ab. Das Bewusstsein hob ein Orden nur dann, wenn die Auszeichnung von den Nicht-Ausgezeichneten auch als eine solche wahrgenommen und anerkannt wurde.102 „Vielleicht leistet er gerade eine zusätzliche Schicht, damit sein Kumpel für Stunden oder Tage die Arbeitskleidung mit der steingrauen Uniform und das Werkzeug mit der Waffe vertauschen kann. Allerorts ist dies eine Selbstverständlichkeit. Für diese Bereitschaft gilt

                                                                                                                                      

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99 100

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dazu: Ordnung über die Verleihung und Aberkennung staatlicher Auszeichnungen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 4.6.1966, BStU, MfS-BdL, Nr. 010078, Bl. 1–12. Vgl. dazu: Klaus-Peter Merta, Bedeutung und Stellenwert des Auszeichnungswesens in der Gesellschaft der DDR, in: Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag, S. 290–305; Dieter Segert, Fahnen, Umzüge, Abzeichen. Die Macht der Rituale und Symbole, in: Thomas Blanke/Rainer Erd (Hg.), DDR – Ein Staat vergeht, Frankfurt a. Main 1990, S. 25–35; Lutz Niethammer, Trostpreis erster Klasse, in: Ders./von Plato/Wierling, Die volkseigene Erfahrung, S. 329ff. Jens Aderhold/Joachim Brüß/Michael Finke, Von der Betriebs- zur Zweckgemeinschaft, Berlin 1994, S. 32. Jana Scholze, Ausgezeichnete Höchstleistungen. Leistungsstimulierungen in der DDR, in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e. V. (Hg.), Fortschritt, Norm und Eigensinn. Erkundungen im Alltag der DDR, Berlin 1999, S. 85–103. Ludgera Vogt, Zeichen der Anerkennung. Orden als Medien sozialer Differenzierung und gesellschaftlicher Integration, in: Soziale Welt 1997, H. 2, S. 187–205, hier: S. 192. Vgl. dazu: Vogt, Zeichen der Anerkennung, S. 197; sowie im Hinblick auf die DDR: Klaus Schönberger, „Ein schöner Orden hebt das Bewusstsein“. Betriebliche Auszeichnungen und symbolisches Kapital, in: Monika Gibas/Rainer Gries/Barbara Jakoby/Doris Müller (Hg.), Wiedergeburten. Zur Geschichte der runden Jahrestage der DDR, Leipzig 1999, S. 219–231; Scholze, Ausgezeichnete Höchstleistungen.

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beiden uneingeschränkte Hochachtung. Dem einen hier am Arbeitsplatz, dem anderen dort im Gelände bei der Ausbildung.“103

Was hier als „selbstverständlich“ vorgestellt wird – ein kollegiales Verhältnis von Kumpel und Kämpfer und ein beiden gemeinsames Bewusstsein, für den „umfassenden Aufbau des Sozialismus“ an einem Strang zu ziehen – scheint im betrieblichen Alltag eher die Ausnahme gewesen zu sein. Von staatlicher Seite wurden die Kämpfer weiterhin als vorbildliche Arbeiter vorgestellt, weil sich in ihrer Person „der Werktätige als Haupttriebkraft im Prozess der materiellen Produktion und der politische Soldat, der bereit ist seine geschaffenen Werte mit der Waffe zu verteidigen“, vereinigte.104 In der alltäglichen Praxis wurden sie hingegen eher selten mit der eingangs zitierten „Hochachtung“ und „Anerkennung“ bedacht, sondern fanden sich zunehmend isoliert in ihrer betrieblichen Lebenswelt wieder. In der 142. Hundertschaft der VEB BMK Chemie Halle beklagten die einheitsinternen „Diskussionen“ vor allem die unzureichende Unterstützung von Seiten des Trägerbetriebes. So würde bei der Durchsetzung von betrieblichen Maßnahmen „oft vergessen“ werden, die Leitung der Hundertschaft zu informieren. Obwohl dem Kommandeur von Seiten der BPO versprochen worden war, einen offiziellen Vertreter als Beobachter zur Ausbildung abzustellen, war dieses Versprechen nicht gehalten worden, vermerkte das MfS im Frühjahr 1968. Die Offiziere waren hier in Fragen der Organisierung der Ausbildung gänzlich auf sich selbst gestellt. Zwar registrierte das MfS keinerlei „Erscheinungen der PiD [Politischideologischen Diversion]“ innerhalb der Einheit, konstatierte jedoch, dass einige Kämpfer bisweilen betrunken zur Ausbildung erschienen oder sich während der Ausbildung betrinken würden.105 Das Desinteresse und Misstrauen, das ihnen von Seiten ihrer zivilen Betriebskollegen vielfach und vielfältig entgegengebracht wurde, verweist darauf, dass Kämpfer kaum die oben postulierte Anerkennung fanden. Im Gegenteil wurden sie häufig vor allem als solche Kollegen wahrgenommen, die in erster Linie zur Unterminierung der betriebsspezifischen Solidargemeinschaft beitrugen. Mancherorts – etwa im VEB Paraffinwerk „Vorwärts“ im Kreis Hohenmölsen – standen Kampfgruppen-Angehörige an der Spitze des unmittelbar nach dem

                                                             103 Zit. nach: Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, S. 112. 104 Vgl. Bericht über das Kampfgruppenausbildungsjahr 1968/69 vom 25.8.1969, LHASA, SED-KL Bitterfeld, Nr. IV/B-404/182, Bl. 40. 105 Vgl. Kampfgruppenanalyse vom 28.2.1968, BStU, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 429–433.

 

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Mauerbau erlassenen „Produktionsaufgebotes“, das wegen der ihm zugrunde liegenden Devise „In der gleichen Zeit für das gleiche Geld mehr produzieren“ weithin unpopulär war.106 In Oebisfelde waren verschiedene Kämpfer als „Aktivisten des Siebenjahrplanes“ ausgezeichnet und mit einem „Ehrenplatz in der Wandzeitung der Parteiorganisation“ bedacht worden.107 Andere Kämpfer wiederum – wie beispielsweise der Kommandeur der Hundertschaft des VEB Energieversorgung Halle108 – verfügten über keinerlei berufliche Qualifikationen. Trotzdem erhielten sie aufgrund ihres gesellschaftlichen Engagements die gleiche materielle Anerkennung oder wurden bisweilen sogar bevorzugt behandelt.109 Ganz gleich ob Kämp-

                                                             106 Einschätzung der Kampfkraft der beiden Hundertschaften im VEB Paraffinwerk „Vorwärts“ vom 17.4.1962, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/401/222; zum „Produktionsaufgebot“ vgl. Peter Hübner, Politische Einflussnahme und Freiräume im Alltag der Bevölkerung nach dem Mauerbau sowie im Vergleich mit der Zeit nach dem Volksaufstand, in: Diedrich/Kowalczuk (Hg.), Staatsgründung auf Raten, S. 201–224; Kleßmann, Arbeiter im „Arbeiterstaat“ DDR, S. 549–557; Port, Conflict and Stability, S. 172–174; speziell für die Hallenser Chemieindustrie: Wiesener, Taktieren und Aushandeln, S. 242– 244; ein Bericht hob hervor, dass „durch Angehörige der Kampfgruppen […] Produktionsverbesserungen vorgeschlagen und durchgesetzt [wurden], die einen hohen ökonomischen Nutzen ausmachen. In den Leuna-Werken „W. Ulbricht“ zum Beispiel 1. [sic] Million DM [sic]“; vgl. Einschätzung der Lage in den Kampfgruppen vom 20.7.1963, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 360, Bl. 61. 107 Bericht über den Abschluss der Ausbildungsperiode 1964/66 vom 20.6.1966, LHAM, Rep P15 Klötze, Nr. IV/A-4/8/64, Bl. 124. 108 Dieser Kommandeur war in seinem Betrieb als Schrottbeauftragter eingesetzt, hatte Zeit seines Lebens keinen Beruf erlernt, dafür aber eine vorbildliche politische Vita vorzuweisen: Schon als Zehnjähriger hatte er einer KPD-Kindergruppe angehört, war später dann dem KJVD beigetreten und im Arbeitersport aktiv gewesen; seine Kaderakte bescheinigte ihm ein „einwandfreies“ Verhalten während der Nazi-Diktatur; nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft war er sogleich der SED beigetreten und hatte von 1947 bis 1950 bei der VP gedient; vgl. Kaderakten im LHASA, Abt. Mer., Nr. IV/2/12/1670. 109 Vgl. dazu: Alf Lüdtke, Meister der Landtechnik oder: Grenzen der Feldforschung? Annäherungen an einen „Qualitätsarbeiter“ auf dem Lande im Bezirk Erfurt, in: Daniela Münkel/Jutta Schwarzkopf (Hg.), Geschichte als Experiment. Studien zu Politik, Kultur und Alltag im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. Main/New York 2004, S. 243–257, hier: S. 251; auch hier scheint der Blick auf das China nach der Kulturrevolution aufschlussreich: infolge der ideologischen Mobilisierung dort wurde die Zur-Schau-Stellung eines vorbildlichen Klassenbewusstseins bald mit der Weigerung, im Produktionsprozess tätig zu werden, gleichgesetzt; vgl. Lisa Rofel, Rethinking Modernity: Space and Factory Discipline in China, in: Akhil Gupta/James Ferguson (Hg.), Culture, Power, Place: Explorations in Critical Anthropology, Durham 1997, S. 155–178, hier: S. 161.

 

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fer nun vorbildliche „Aktivisten“110 oder unzuverlässige Kollegen waren: in beiden Fällen untergruben sie eine normativ aufgeladene, egalitär konnotierte Solidargemeinschaft und drohten sich damit zu Außenseitern in der betrieblichen Lebenswelt zu machen.111 Besondere Virulenz besaß dieses Problem in den ländlichen Gebieten. Hier waren die Angehörigen einer Einheit nicht selten über verschiedene Betriebe verstreut, hatten also innerhalb ihres jeweiligen Betriebes ein besondere Außenseiterfunktion inne, während zugleich der Zusammenhalt der Einheiten weniger gefestigt war.112 Beides wirkte sich nachteilig auf die Bereitschaft zur Teilnahme an der Ausbildung aus, wie das VPKA Tangerhütte feststellte: „Weil sie oft einzeln als Kämpfer in diesem Betrieb wirken und wenig Zuspruch im Betrieb für die gesellschaftliche Tätigkeit in der Kampfgruppenarbeit finden, ist eine Benachrichtigung und gesicherte Teilnahme sehr schwierig.“113 Gefordert waren deshalb vor allem die Agitations- und Propagandaabteilungen der örtlichen Grundorganisationen. Wie schon in der Gründungsphase der Arbeitermiliz sollten Artikel in den lokalen Betriebs- bzw. Kreiszeitungen helfen, die Kampfgruppen zu popularisieren. Erfolge in der Ausbildung sollten in die betriebliche Lebenswelt getragen werden,114 um die Kämpfer solchermaßen davon zu überzeugen, dass ihr Engagement sinnvoll war und gesellschaftliche Anerkennung fand.

                                                             110 Vgl. dazu: Silke Satjukow, „Früher war das eben der Adolf …“ Der Arbeitsheld Adolf Hennecke, in: dies./Rainer Gries (Hg.), Sozialistische Helden, S. 115–132. 111 Vgl. dazu: Hübner, Soziale und mentale Trends in der DDR-Industriearbeiterschaft, bes. S. 178–182; Birgit Müller, Sozialismus als Performance: Die Repräsentation des Politischen im volkseigenen Betrieb, in: Andreas Pribersky/Berthold Unfried (Hg.), Symbole und Rituale des Politischen. Ost- und Westeuropa im Vergleich, Frankfurt a. Main 1999, S. 103–117; in praktischer Hinsicht kam hinzu, in der Kampfgruppe mitarbeitende Werktätige von anderen gesellschaftlichen Tätigkeiten zu entbinden; vgl. Protokoll der Abteilungsleiterbesprechung vom 23.3.1964, LHAM, Rep M24, BDVP Magdeburg (1961–1975), Film-Nr. 167; zwar kam man mit dieser Vorgabe dem Ansinnen vieler Kämpfer entgegen, die wiederholt über die gesellschaftliche Mehrbelastung geklagt hatten, drohte damit jedoch gleichermaßen einen Prozess der gesellschaftlichen Isolierung zu befördern. 112 Halbjahresbericht vom 3.10.1962, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1518, Bl. 11. 113 Bericht zur Kampfgruppenarbeit, o. D. [1970], LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1518, Bl. 117. 114 Halbjahresbericht des VPKA Genthin vom 2.10.1962, LHAM, Rep M24, BDVP Magdeburg (1961–1975), Film-Nr. 129; Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin Nr. IV/B-4/3/206, Bl. 68.

 

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Abenteuerlust und Alltagsfrust. Die Kampfgruppen als männlichmilitärische Erlebnisgemeinschaft Zu einem in vielerlei Hinsicht bezeichnenden Zwischenfall kam es im Rahmen einer Wochenendausbildung im Dezember 1968 im Kreis Schönbeck.115 Zwei Angehörige der 54. Hundertschaft – die Kämpfer K. und S. – hatten während der Nachtruhe ihre Wache schiebenden Kameraden B. und M. überfallen, ihnen die Waffen abgenommen und sie in ein nahe gelegenes Waldstück geführt. Da K. und S. demonstrativ „die Verschlüsse der Maschinenpistolen, in deren Magazinen sich scharfe Munition befand“, betätigten – eine offenkundige Drohgebärde –, leisteten sie keinerlei Widerstand und wurden „brutal“ durchsucht, gefesselt und geknebelt. Nach einer Weile hatten sich Kämpfer B. und M. selbst befreien können, liefen jedoch, als sie die Hundertschafts-Leitung verständigen wollten, in die Arme von K. und S. Die makabre Prozedur wiederholte sich ein zweites Mal, diesmal „richtete K. die Waffe gegen den Kopf des B. und verlangte die Auskunft, wo der Stab untergebracht sei. Als B. die Auskunft verweigerte, erklärte K., dass sie ihn schon zum Reden bringen werden“. In diesem Moment gelang es jedoch dem Kämpfer M. zu entkommen und schließlich die Hundertschafts-Leitung zu verständigen. Auch der nun hinauseilende stellvertretende Kommandeur geriet zunächst ins Visier der zwei Kämpfer, es gelang ihm jedoch, „dem K. die Maschinenpistole zu entreißen“, woraufhin auch S. überwältigt werden konnte. Beide Maschinenpistolen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in durchgeladenem, aber gesichertem Zustand. Eine schnell eingeleitete Untersuchung des Vorfalls durch das lokale VPKA förderte in jeder Hinsicht höchst Bedenkliches zutage: Zwar waren sowohl K. als auch S. Parteimitglieder; K. jedoch, der seinen Parteipflichten nur ungenügend nachkam,116 galt allgemein als „impulsiv und reizbar“. Zudem war er bekannt dafür, dass er in Gaststätten „öfters Schlägereien“ anzetteln würde. Er war 1954

                                                             115 Zum Folgenden: Bericht betreffs des Vorkommnisses in der 054. Kampfgruppen-Hundertschaft vom 10.12.1968, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 80–84. 116 K., 1936 in Warschau geboren, war 1947 mit seiner Familie in die DDR gekommen, hatte eine Fleischerlehre absolviert und zwischen 1954 und 1959 neunmal die Arbeitsstelle gewechselt; 1959 war er der SED beigetreten, wurde im Bericht jedoch als ein „ausgesprochen passiver Genosse“ bezeichnet: „Eine Teilnahme an Parteiversammlungen ist schon als Erfolg zu werten. […] Sein Leumund im Wohngebiet ist schlecht. Er steht oft unter Alkoholeinfluss und hat dann Auseinandersetzungen in der Familie. Die Ehe war deshalb schon gefährdet“; Bericht betreffs des Vorkommnisses in der 054. KampfgruppenHundertschaft vom 10.12.1968, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 82.

 

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wegen Einbruchdiebstahls zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden und 1958 wegen „Körperverletzung“ aufgefallen; „mehrfach“ sei er „mit blauen Augen zur Arbeit“ erschienen. S. wiederum, in Duisburg geboren, war nach einer Ehescheidung und dem Verlust seines Arbeitsplatzes 1959 in die DDR übergesiedelt und seitdem wegen „wiederholtem unpünktlichem Arbeitsbeginn“ aufgefallen.117 Im August 1968 – also kaum vier Monate vor dem hier verhandelten Zwischenfall – war er dafür mit einem „Verweis“ bestraft worden. Probleme in der Ehe und am Arbeitsplatz, eine schwache Bindung zur Partei, Alkoholsucht und eine offensichtlich niedrige Aggressionsschwelle waren Verhaltensmerkmale, die kaum dem Idealbild eines vorbildlichen Werktätigen entsprachen. Vielmehr reflektierten sie individuelle Integrationsschwierigkeiten, die gemäß der herrschenden sozialpolitischen Ordnungsvorstellungen und Leitbilder als „asozial“ zu bewerten waren.118 Nach den Motiven ihres Handelns befragt, erklärten sie übereinstimmend, dass sie die Wachsamkeit ihrer Einheit hätten überprüfen wollen. Rechtfertigten sie ihr Verhalten also mit einer männlich-militärischen Logik, zeugt die Misshandlung der überwältigten Kameraden hingegen von latenten Gewalt- und Machtphantasien. Ihre Ursachen lassen sich kaum eindeutig bestimmen. Verweisen sie auf ein hohes Maß an individueller Frustration, konnte die aus einer möglicherweise eher eintönigen Ausbildungspraxis resultieren. Sowohl K. als auch S. gaben an, beweisen zu wollen, „dass es mit der Wachsamkeit in dieser K[ampf]G[ruppen]H[undertschaft] nicht weit her sei“. Artikuliert sich in diesem Motiv allge                                                             117 S., Jahrgang 1933, hatte eine Lehre als Bergmann absolviert; 1963 war er der SED beigetreten und inzwischen auch wieder verheiratet; wurde seine neue Ehe als „harmonisch“ bezeichnet, war jedoch auch sein politisches Verhalten unzureichend: zwar „nimmt [S.] an den Parteiveranstaltungen teil, beteiligt sich aber kaum an der Parteiarbeit und nur selten an Diskussionen“; Bericht betreffs des Vorkommnisses in der 054. KampfgruppenHundertschaft vom 10.12.1968, LHASA, MD, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 82f. 118 Vgl. dazu: Fulbrook, Alltag und Herrschaft in der DDR, S. 123; Thomas Lindenberger, „Asociality“ and Modernity: The GDR as a Welfare Dictatorship, in: Katherine Pence/Paul Betts (Hg.), Socialist Modern. East German Everyday Culture and Politics, Ann Arbor 2008, S. 211–233; ders., Das Fremde im Eigenen des Staatssozialismus. Klassendiskurs und Exklusion am Beispiel der Konstruktion des „asozialen Verhaltens“, in: Jan C. Behrends/Thomas Lindenberger/Patrice G. Poutrus (Hg.), Fremde und Fremd-Sein in der DDR. Zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland, Berlin 2003, S. 179–191; Sandrine Kott, Die „Arbeiterklasse an der Macht“: Die Geschichte der DDR aus der Randperspektive, in: Belinda Davis/Thomas Lindenberger/Michael Wildt (Hg.), Alltag, Erfahrung, Eigensinn. Historisch-anthropologische Erkundungen, Frankfurt a. Main/New York 2008, S. 458–473.

 

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meine Enttäuschung über eine eher uneffiziente Ausbildung, ist auch denkbar, dass zumindest S. die Ausbildung dazu nutzte, um über seinen kaum vier Monate zurückliegenden Verweis ,Dampf abzulassen‘. K. wiederum vereinte alle Merkmale eines gesellschaftlichen Außenseiters; er galt allgemein als „Aufschneider“ und wurde von den meisten seiner Kollegen gemieden. Dass sie bei ihrem Vorgehen unter dem Einfluss von Alkohol gehandelt hatten, war im Hinblick auf die gängige Praxis innerhalb der Einheit offenbar wenig ungewöhnlich. Zumindest räumte der stellvertretende Kommandeur im Laufe der Untersuchung ein, dass auch in den vorangegangenen Ausbildungen „erheblich gezecht“ worden sei.119 Nicht nur der Alkoholgenuss von einfachen Kämpfern, sondern auch von Vorgesetzten, schien durchaus zur sozialen Praxis der Ausbildung zu zählen.120 Auch das Verhalten des Kämpfers K. war keineswegs ungewöhnlich: Wie sich herausstellte, hatte er bereits 1965 einem TRAPO-Angehörigen – während „der mit ihm zechte“ – seine Dienstwaffe entwendet; im Frühjahr 1968 unter gleichen Umständen auch dem Politstellvertreter seiner Einheit. Bekannt wurden diese Vorkommnisse jedoch erst durch die nun erfolgte Untersuchung. Hatten die verantwortlichen Offiziere diese Verfehlungen damals nicht gemeldet, schienen sie auch diesmal bemüht, den Vorfall weitestgehend herunterzuspielen. Möglicherweise darum bemüht, von eigener Verantwortlichkeit abzulenken, ist zugleich auf die symbolische Anti-Struktur männlich-solda-

                                                             119 Da sich auch der Parteisekretär an diesen „Saufgelagen“ beteiligt hatte, beriefen sich die Angehörigen der Einheit stets auf sein Vorbild, „wenn der Alkoholgenuss bei KGÜbungen eingeschränkt werden“ sollte, gab der Kommandeur weiterhin zu Protokoll, vgl. Bericht betreffs des Vorkommnisses in der 054. Kampfgruppen-Hundertschaft vom 10.12.1968, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 83; das Trinkverhalten von Vorgesetzten, das den einfachen Soldaten oftmals in nichts nachstand, wurde auch in der NVA von einfachen Soldaten als Druckmittel benutzt, wenn es darum ging, den Alkoholkonsum einzuschränken; Rogg, Militär und Gesellschaft, S. 360; vgl. dazu auch: Unger, Alkoholismus in der DDR. 120 Ein Bericht der SED-KL Sangerhausen beklagte bspw. im November 1958 das Fehlverhalten des stellvertretenden Kommandeurs einer Hundertschaft, der „während der Übung alkoholische Getränke zu sich genommen [hatte]. Das hat er trotz Ermahnung im Anschluss an die Übung fortgesetzt. Zur Nachtübung ist er dann nicht angetreten, weil er dazu nicht fähig war“; vgl. Bericht der SED-KL Sangerhausen vom 10.11.1958, LHASA, Nr. IV/421/304; vgl. auch: Sekretariatsvorlage der BDVP MD vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 52; zum Alkoholkonsum in der DDR vgl. Kochan, So trank die DDR.

 

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tischer Kameradschaft zu verweisen, die sich durch gemeinsamen Normbruch immer wieder ihrer Verschworenheit versichert.121 Bisweilen handfeste, und damit die Grenzen gesitteter Verhaltensregeln überschreitende, Auseinandersetzungen innerhalb der Kampfgruppen scheinen durchaus nicht ungewöhnlich gewesen zu sein. Vergleichbare Zwischenfälle ereigneten sich etwa in Sangerhausen, wo im März 1960 ein Kämpfer seine Kameraden mit einer Pistole bedroht hatte122 – häufig war übermäßiger Alkoholkonsum Auslöser derartiger Vorfälle.123 Der war ein, nicht nur in den bewaffneten Organen der DDR,124 weit verbreitetes und auch toleriertes Phänomen. Trinken – insbesondere auch während der Arbeitszeit – betonte weithin gängige Selbstentwürfe staatssozialistischer Männlichkeit. Sie korrespondierten nicht zuletzt mit dem in den 1950er Jahren von offizieller Seite propagierten Idealbild eines kraftstrotzenden, mithin kampfentschlossenen Proletariers.125 Allgemein wird dem Alkoholrausch ein archaischer Kontrollverlust zugeschrieben. Seine enthemmende und aggressionssteigernde Wirkung macht ihn gerade deshalb zu einem wichtigen Bestandteil gewaltbereiter Männerbünde.126                                                              121 Vgl. dazu: Kühne, Vertrauen und Kameradschaft, S. 262. 122 Vgl. Überprüfung der Vorkommnisse auf dem Hainfeld durch das VPKA Sangerhausen vom 22.3.1960, LHASA, SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/304. 123 Der Bericht über die „Vorkommnisse auf dem Hainfeld“ durch das VPKA Sangerhausen hatte festgestellt, dass diese Einheit mit 15 Kästen Bier und 20 Litern Schnaps im Gepäck ihre Wochenend-Ausbildung angetreten hatte; schon während der Schießausbildung am Freitagnachmittag hätten sich einige Kämpfer in eine nahe gelegene Gaststätte abgesetzt, um dort Alkohol zu konsumieren; während des „kulturellen Teils“ der Ausbildung am Freitagabend, die in dem befohlenen Besuch des Kino-Films „Weißes Blut“ bestand, hätte die Mehrheit der Einheit vorzeitig den Saal verlassen, offenbar, um wiederum dem Alkohol zuzusprechen; die Alkoholvorräte der nahe gelegenen Gaststätte wären laut Angabe des Besitzers „am Sonnabend früh vollständig ausverkauft“ gewesen; der HundertschaftsLeitung wiederum waren diese Vorfälle entgangen, weil sie während der Filmvorführung selbst mit einigen Kämpfern in der Küche bei Tee und Rum Skat gespielt hätte; vgl. Überprüfung der Vorkommnisse auf dem Hainfeld durch das VPKA Sangerhausen vom 22.3.1960, LHASA, SED-KL Sangerhausen, Nr. IV/421/304. 124 Vgl. dazu: Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee, S. 526f.; Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 282; Rogg, Militär und Gesellschaft, S. 352–361; Hagemann, Parteiherrschaft, S. 107. 125 Fulbrook, Alltag und Gesellschaft in der DDR, S. 121–124; zum Zusammenhang von Männlichkeit und Trinkfestigkeit vgl. auch: Alf Lüdtke, Männerarbeit – Ost und West, in: Dirk Baecker (Hg.), Archäologie der Arbeit, Berlin 2002, S. 35–47. 126 Jürgen Martschukat/Olaf Sieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt a. Main 2008, S. 112; vgl. dazu auch: Hasso Spode, Die Macht der Trunkenheit. Kultur- und So-

 

 

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Der Griff zum Alkohol auf der einen Seite, das Ausleben von Gewalt- und Machtphantasien auf der anderen Seite, offenbaren individuelle Grenzüberschreitungen. Mögen ihnen im Einzelnen höchst vielschichtige Motive zugrunde gelegen haben, bringen sie auf die eine oder andere Weise allesamt den Wunsch nach „Nervenkitzel“ zum Ausdruck.127 Das – durch Alkohol gewiss stimulierte – wiederholte Vordringen in die Grauzonen ohnehin grenzwertiger „erlaubter Übertretungen“ reflektiert zum einen die Virulenz soldatischer Männlichkeitsbilder in den Kampfgruppen. Es verweist auf den Stellenwert von Risiko und Gefahr, Unerwartetem und Unberechenbarem, das für diejenigen, die sich in der Kampfgruppe engagierten, offensichtlich von nicht unerheblichem Interesse war.128 „Da ich bei dieser Ausbildung die hierzu aufgewendete Arbeits- und Freizeit nicht effektiv genutzt sehe“, bekundete beispielsweise ein Kämpfer aus dem VEB Maschinenbau Halberstadt in einem Brief an die lokale BPO, „teile ich ihnen [sic] mit, dass ich […] nicht mehr die Notwendigkeit erkenne, an den nächsten Übungen teilzunehmen. Sollten jedoch zwischenzeitlich zur wesentlichen Verbesserung der Übungen (Disziplin, Teilnahme, Vorbereitung) Maßnahmen eingeleitet werden, so komme ich selbstverständlich unter den neuen Bedingungen wieder meiner Pflicht nach.“129

Tatsächlich hegte auch die lokale MfS-Kreisdienststelle den Eindruck, „als ob nicht die Themen und die Schulung der Kämpfer das Hauptziel sind, sondern dass die Ausbildung unbedingt zum Beispiel 4 Stunden dauern muss“.130 Korrespondierten der Brief des Halberstädter Kämpfers mit diesem Eindruck, zeugen die

                                                                                                                                      

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zialgeschichte des Alkohols in Deutschland, Opladen 1993; Regina Hübner/Manfred Hübner, Der deutsche Durst. Illustrierte Kultur- und Sozialgeschichte, Leipzig 1994. Vgl. dazu: Wolfgang Engler, Private Gewalt als politischer Akt, in: Frank Willmann (Hg.), Stadionpartisanen. Fußballfans und Hooligans in der DDR, 2. Aufl., Berlin 2007, S. 121– 125. Vgl. Goffman, Wo was los ist – wo es action gibt; zum Begriff der lustvollen „Verausgabung“ vgl. Georges Bataille, Der Begriff der Verausgabung, in: ders., Das theoretische Werk 1: Die Aufhebung der Ökonomie, München 1975 (erstmalig: 1967), S. 9–32; vgl. dazu auch: Eley, Wie denken wir über Politik. Schreiben an die BPO des VEB Maschinenbau Halberstadt vom 9.6.1970, LHAM, Rep P18 Maschinenbau Halberstadt, Nr. IV/B-7/62/17, Bl. 79 [Unterstreichung im Original]. Vgl. Berichterstattung zur 053. mot. Kampfgruppenhundertschaft vom 27.8.1971, BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Halberstadt, Nr. 738, Bl. 41.

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ihm beigegebenen Verbesserungsvorschläge zudem davon, dass es dem betreffenden Kämpfer mit seinem Anliegen offensichtlich ernst war.131 Im Rahmen einer Kommandeurs-Tagung in Genthin im Februar 1968 räumten die Anwesenden unumwunden ein, dass die Ausbildung hier von durchschnittlich „30 oder 40 % Gammelzeit und Wartezeit“ geprägt sei. Angesichts solcher Verhältnisse zeigten auch Vorgesetzte Verständnis dafür, wenn „viele Genossen [kommen] und sagen, ich opfere meine Freizeit für die Ausbildung und hier ist die Ausbildung nicht organisiert, es fehlt an dem und an diesem.“132 Welche Erwartungen die Mehrheit der Kämpfer an die Ausbildung stellten, brachte ein anderer Kommandeur zum Ausdruck: „Man muss doch wenigstens einmal im Jahr solche Möglichkeit schaffen, dass es knallt. Das hebt die Moral, die Einsatzbereitschaft wird höher, jeder sagt, hier musst du dich doch ein bisschen ducken und passt sich mehr dem Gelände an.“133 Vor diesem Hintergrund gewinnt der häufige Griff zum Alkohol während der Ausbildung noch eine andere Bedeutung. Angesichts unzureichender Ausbildungsgestaltung mag er – noch dazu auf scheinbar proletarische Art und Weise – auch das Ergebnis von Alltags- bzw. Ausbildungsfrust gewesen sein.134 So vieldeutig der Alkoholkonsum in den Kampfgruppen letztendlich ist, wirft er doch ein bezeichnendes Licht auf eine Organisation, deren Angehörige mit weitreichenden Widersprüchen konfrontiert wurden. Nicht nur wurden die

                                                             131 Auch im VEB Burg hatte ein Kämpfer mit dem Verweis auf das in seiner Einheit angeblich übliche „stundenlange Herumstehen“ während der Ausbildung erklärt, dass er an einer weiteren Teilnahme kein Interesse mehr habe; vgl. Protokoll über die am 20.1.1968 durchgeführte Leitungssitzung, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/B-7/7/3; hier wussten sich die lokalen Funktionäre dem Anliegen nicht anders zu erwehren, als den betreffenden Kämpfer vor die Wahl zu stellen, entweder zu „den Beschlüssen unserer Partei“ zu stehen oder nicht „in die Reihen der Partei“ zu gehören. 132 Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/3/206, Bl. 42; vgl. auch: Protokoll der Leitungssitzung vom 5.2.1968, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/B-7/7/3. 133 Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, N. IV/B-4/3/206, Bl. 66. 134 Vgl. Manfred Hübner, Zwischen Alkohol und Abstinenz. Trinksitten und Alkoholfrage im deutschen Proletariat bis 1914, Berlin (O) 1988, S. 7; im Hinblick auf die DDR bzw. Polen: Paul Brieler, Der Suff im Osten oder Wie man mit Alkohol 17 Millionen Menschen ruhigstellt, in: Psychologie heute, Jg. 19 (1992), H. 12, S. 66–71; vgl. dazu auch: Jan C. Behrends, Rausch und Depression: Alkohol im kommunistischen Polen, in: von Klimo/Rolf (Hg.), Rausch und Diktatur, S. 239–254; Hübner, Identitätsmuster und Konfliktverhalten, S. 228f.

 

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Kämpfer auf einen beständigen Kriegszustand eingeschworen, ohne wirklich Krieg zu führen und an Waffen geschult, ohne ihr Wissen darum auch einsetzen zu können. Sie repräsentierten auf diese Weise zugleich ein militantes Ideal, dass angesichts der Konsolidierung der DDR-Gesellschaft im Zeichen des „umfassenden Aufbaus des Sozialismus“ zunehmend obsoleter wurde. In diesem Sinne brachten Kämpfer in Seehausen zum Ausdruck, dass ihre Tätigkeit nur von denjenigen geleistet werden müsste, die weniger als 500 Mark Monatslohn verdienten, „wer darüber hat, bei dem ist es nicht unbedingt erforderlich“.135 Anlässlich einer Aussprache der 909. Hundertschaft Güsen im Kreis Genthin im April 1966 verbanden sich kritische Fragen wie „Weshalb sind jetzt so wenig Leiter des Betriebes in der Kampfgruppen?“ mit nicht minder bezeichnenden Forderungen, „hier einen verstärkten Hebel ansetzen“. Derartige Forderungen wurden „von den meisten Genossen“ geteilt und gipfelten in dem Vorschlag, dass „der Parteisekretär […] sich auch ruhig mal eine Uniform anziehen und mit den Kämpfern an einer Ausbildung teilnehmen [könnte], um so besseren Kontakt zu bekommen“.136 Deutlich kam hier zum Ausdruck, dass der Kampfgruppen-Dienst in den Augen vieler Kämpfer nur von den einfachen Werktätigen getragen wurde. Die fehlende Zuwendung höhergestellter Funktionäre nährte nicht nur längst überwunden geglaubte Ressentiments, sondern vermittelte in Zeiten der umfassenden Ausgestaltung des Sozialismus auch die Botschaft, dass die KampfgruppenAngehörigen innerhalb der betrieblichen Lebenswelt von nachrangiger Bedeutung seien.137 Angesichts derartiger Widersprüche konnte individuelle Frustration in Aggression umschlagen. Sie richtete sich, wie die Beispiele belegen, sowohl gegen die eigenen Kameraden, wie auch gegen Außenstehende. Wiederum im Rahmen einer Wochenendübung und abermals unter dem Einfluss übermäßigen Alkoholkonsums kam es in Seddin, im Bezirk Potsdam, zu einem Zwischenfall, bei dem Angehörige der 2. Hundertschaft Lichtenberg entgegen der Weisung des Komman                                                             135 Protokoll der Arbeitsberatung der BDVP in Stendal vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 36. 136 Protokoll einer Aussprache vom 5.4.1966, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/A-4/3/105, Bl. 33–35; vgl. dazu auch: Einschätzung des Standes der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 51; nicht minder bezeichnend war, dass zur oben genannten Aussprache nur 31 Kämpfer erschienen waren, 32 hingegen fehlten, 9 von ihnen entschuldigt, 23 jedoch unentschuldigt, von denen anzunehmen ist, dass ihr Verdruss den der erschienenen Kämpfer noch überstieg. 137 Vgl. Wortbericht zum Abschluss der Ausbildungsperiode 1964/66 vom 29.6.1966, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 76.

 

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deurs im Februar 1964 auf einem in der Nähe stattfindenden Faschingsball aufgetaucht waren. Als der Kommandeur zu einem Kontrollgang im Ballsaal erschien, führte dies prompt zu einem handfesten Tumult.138 Jugendliche Besucher des Faschingsballes fühlten sich durch seine Anwesenheit provoziert – einer von ihnen äußerte, dass die Kampfgruppen nicht das Recht hätten, öffentliche Veranstaltungen zu kontrollieren – und verwickelten einige Kampfgruppen-Angehörige in eine „größere Schlägerei“. Als der Kommandeur daraufhin seine gesamte Einheit alarmieren ließ, erschien die mit aufgepflanztem Bajonett und besetzte alle zentralen Ein- und Ausgänge. Dass die in die Schlägerei verwickelten Kämpfer „zum Teil gewaltsam vom Ereignisort weggeholt werden“ mussten, wie der Bericht weiter ausführte,139 verweist auf ein erhebliches Aggressionspotential, dessen Gründe jedoch nicht eindeutig zu bestimmen sind. Einerseits wies die Auseinandersetzung Elemente eines handfest ausgetragenen und insbesondere auch im Hinblick auf die Definition von „Männlichkeit“ schwelenden Generationenkonfliktes auf.140 Nicht nur fühlten sich hier Jugendliche von der Anwesenheit älterer Kämpfer kontrolliert und begehrten dagegen auf. In der Auseinandersetzung konkurrierten auch gegensätzliche Entwürfe von „Männlichkeit“: Einem seit den 1950er Jahren unter Jugendlichen virulenten Leitbild ziviler Lässigkeit stand in Gestalt der uniformierten Kämpfer ein an Härte und Zackigkeit ausgerichtetes Leitbild gegenüber.141 Gleichzeitig reflektiert die Heftigkeit des kämpferischen Vorgehens wiederum ein gehöriges Maß an Frustration. Kaum tauchten Kämpfer auf einer geselligen Veranstaltung auf, hagelte es Proteste, die auf die geringe gesellschaftliche Anerkennung ihrer Organisation verweisen. Die Konfrontation eröffnete den Kämpfern jedoch zugleich die Möglichkeit, einmal ordentlich hinzulangen – eine Einstellung, die möglicherweise auch aus einer Alltags- und Ausbildungspraxis resultierte, in der es an vielem mangelte und die nicht selten von Reiz- und Spannungslosigkeit geprägt war.                                                              138 Auch diese Episode ist kein Einzelfall; Zusammenstöße zwischen KampfgruppenAngehörigen und ziviler Bevölkerung ereigneten sich bspw. im Mai 1966 in einer Gaststätte in Arendsee, wo der Kommandeur des I. Kampfgruppen-Bataillons eine Schlägerei anzettelte; vgl. Bericht über den Zustand der Kampfgruppen, o. D. [1966], LHASA, MD, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 189; vgl. dazu auch: Hagemann, Parteiherrschaft, S. 107. 139 Zit. nach: Koop, Armee oder Freizeitclub, S. 139f. 140 Vgl. dazu: Wierling, Erzieher und Erzogene. 141 Vgl. dazu: Maase, „Lässig“ kontra „zackig“ – Nachkriegsjugend und Männlichkeiten in geschlechtergeschichtlicher Perspektive; Poiger, Jazz, Rock, and Rebels.

 

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Höchst bedenklich erschien in diesem Zusammenhang, was die Untersuchung für einen namentlich nicht genannten Kreis im Bezirk Halle im Jahre 1963 zutage förderte. Demnach befanden sich allein unter den Kampfgruppen-Angehörigen dieses Kreises 57, die wegen „Diebstahls“ verurteilt waren. 16 weitere waren wegen „Körperverletzung“ verurteilt worden, jeweils 12 wegen „Betruges“ und „versuchtem Grenzübertritt“. Hinzu kamen 7 weitere, die wegen „Staatsverleumdung“ und 4, die wegen „Widerstandes gegen die Staatsgewalt“ verurteilt worden waren. Auch Personen, die wegen „Unzucht mit Kindern“ (11 Personen) verurteilt worden waren, fanden sich in den Reihen der lokalen Kampfgruppen.142 Kaum konnten diese Kämpfer als proletarische Virtuosen durchgehen. Das war auch die Meinung der SED-Funktionäre. Sie stellten klar, dass diese Personen „deutlichst“ den Beschluss des ZK, in die Kampfgruppen nur „politisch zuverlässige, in ihrem persönlichen Leben einwandfrei auftretende Bürger“ aufzunehmen, verletzten. Umso erstaunlicher ihre Reaktion: Anstatt anzuordnen, diese „verdächtigen Subjekte“ restlos aus der Arbeitermiliz zu entfernen, argumentierten sie, dass sich niemand einbilden solle, „dass in seinem Bataillon so etwas nicht vorhanden ist“.143 Warum man diese Personen nicht alle aus den Kampfgruppen entfernen könne, wurde nicht weiter begründet, folgte offensichtlich jedoch einer Logik, die sich im Spannungsfeld von pädagogischen und pragmatischen Intentionen zu bewegen schien. Einerseits war man aufgrund des geringen gesellschaftlichen Zuspruches auf jeden angewiesen, der sich bereit erklärte, in den Kampfgruppen mitzumachen. Andererseits intendierte man möglicherweise, denjenigen, die sich gegen die „sozialistische Menschengemeinschaft“ vergangen hatten, in den Kampfgruppen eine Chance der Bewährung zu eröffnen, wie ein Vorfall, der sich im Mai 1968 in der 153. Hallenser Hundertschaft ereignete, nahelegt. Hier war eine Pistole verschwunden, deren Verlust jedoch relativ schnell aufgeklärt werden konnte. Ein Gruppenführer hatte das MfS auf die Spur eines Angehörigen der Hundertschaft gebracht, der schon einmal eine Waffe entwendet hatte. Dieser gab, zur Rede gestellt, auch „ohne Umschweife zu“, die Waffe an sich

                                                             142 Hinweise über die Arbeit der Parteigruppe vom 2.12.1963, LHASA, BDVP Halle 19.1, Nr. 360, Bl. 111. 143 Hinweise über die Arbeit der Parteigruppe vom 2.12.1963, LHASA, BDVP Halle 19.1, Nr. 360, Bl. 112.

 

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gebracht zu haben.144 Wie der Kämpfer K. der Schönebecker Einheit gab auch er als Motiv seiner Handlung an, dass er die Wachsamkeit der verantwortlichen Funktionäre habe prüfen wollen. Mitglied des FDGB und der „Deutsch-Sowjetischen-Freundschaftsgesellschaft“, Gewerkschaftsvertrauensmann und Mitglied des Vorstandes der Betriebsgruppe, war er 1958 wegen „Fraktionsbildung, parteischädigenden Verhalten[s] und Überheblichkeit“ aus der SED ausgeschlossen worden. Seit 1964 bemühte er sich jedoch um eine Wiederaufnahme in die Partei und war – vermutlich, um seine Absicht zu bekräftigen – 1967 den Kampfgruppen beigetreten.145 Sein Kommandeur gab an, dass ihm die Vergangenheit des betreffenden Kämpfers bekannt gewesen wäre, verwies jedoch gleichzeitig auf dessen rege gesellschaftliche Tätigkeit. „Da mir bekannt wurde, dass [Name geschwärzt; T.S.] innerhalb unseres Betriebes sehr aktiv in der DSF tätig ist (Vorstandsmitglied), mit Delegationen die Sowjetunion besuchte und [Name geschwärzt] Feldw. [sic] der NVA war, fand ich persönlich sein Eintreten in die Kampfgruppe als Selbstverständlichkeit. Seine damaligen Einstellungen hatte ich mit seiner Jugend begründet und dieser bis heute keine Aufmerksamkeit geschenkt.“146

Seine Vergangenheit als Feldwebel prädestinierte ihn nach Ansicht des Kommandeurs zu einer Mitgliedschaft in der Kampfgruppe und bot ihm zugleich die Chance, seine „Jugendsünde“ wiedergutzumachen. Die Bezirksbehörde der VP hatte im Zuge der Überprüfung von 1963 zwar angemahnt, „dort wo es Unsicherheiten gibt, klare Verhältnisse herbeizuführen“ und sich in Zukunft „ein genaues Bild über die politische Zuverlässigkeit, seine Vergangenheit und gegenwärtige Aktivität“ der betreffenden Person zu machen147 – derartige Versäumnisse waren dem betreffenden Kommandeur hier jedoch nicht vorzuwerfen.

                                                             144 Bericht zum Verlust der Pistole „Makarow“ Nr. 2805 in der 153. Hundertschaft der Kampfgruppe vom 20.5.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. IX, Nr. 4623, Bl. 1644; der Vorfall hatte sich am 18. Mai 1968 ereignet. 145 Sofortmeldung zum Verlust der Pistole „Makarow“ Nr. 2805 in der 153. Hundertschaft der Kampfgruppe in Halle vom 21.5.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. IX, Nr. 4623, Bl. 1642. 146 Bericht zum Verlust der Pistole „Makarow“ Nr. 2805 in der 153. Hundertschaft der Kampfgruppe vom 20.5.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. IX, Nr. 4623, Bl. 1646. 147 Vgl. Hinweise über die Arbeit der Parteigruppen vom 2.12.1963, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 360, Bl. 112; eine verstärkte Überprüfung aller Kampfgruppen-Angehörigen, insbesondere aber auch ihrer Offiziere, durch das MfS setzte erst Anfang der 1970er Jahre ein; dazu: Viertel Teil, Kap. I.

 

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Die vielfältigen Versuche, disziplinarische Verfehlungen von Kämpfern herunterzuspielen oder zu decken, verweisen auf die latente Anti-Struktur militärischer Kameradschaft. Vor dem Idealbild einer verschworenen Kampfgemeinschaft wurde gerade der zum Kamerad, mit dem man(n) auch mal was ,ausfressen‘ konnte. Ihre Moral folgte keiner absoluten, sondern einer funktionalen Logik, die in erster Linie danach urteilte, was der Kampfgemeinschaft nützte und was nicht. Forderte sie von jedem Einzelnen, sich von einer um individuelles Gewissen und Schuld zentrierten Moral zu lösen, belohnte sie ihn dafür mit der Fürsorge, Geborgenheit und Wärme der Gemeinschaft.148 Auch wenn das für die keineswegs eine „totale Institution“ darstellenden Kampfgruppen nur in gewissem Maße zutrifft, zeigt sich hier jedoch, welche Probleme die kontinuierliche Einschwörung auf den Ausnahmezustand mit sich brachte. Seine kontinuierliche Invokation stimulierte und produzierte (Selbst-)Ermächtigungspraktiken, die keinesfalls im Sinne der Apparate sein konnten. Für die SED waren alle Anzeichen einer derartigen, allen Männerbünden inhärenten Anti-Struktur Anlass zu höchster Beunruhigung. Bezweckte sie, mit Hilfe der Kampfgruppen die Ideale einer verschworenen Kampfbereitschaft in die Gesellschaft hineinzutragen, schien sich hingegen ein gegensätzlicher Effekt einzustellen. Die Praxis einer verschworenen Gemeinschaft, die in disziplinarischen Verfehlungen zum Ausdruck kam, drohte die Distanz zwischen KampfgruppenAngehörigen und zivilen Werktätigen eher zu vergrößern als zu verkleinern. Dass sie im Einzelfall ja auch durchaus intendiert, ob gegenüber den eigenen Kameraden oder der zivilen Bevölkerung, beschwor das Gespenst einer Eigendynamik herauf, wie sie – wenn auch unter in jeder Hinsicht gänzlich anderen Vorzeichen – zur Bildung der OAS geführt hatte. Tatsächlich würde eine Reihe von Kommandeuren die Ausbildung weiterhin zumeist nach eigenem Gutdünken gestalten, ohne jedoch über „konkrete Vorstellungen zur KG-Arbeit“ zu verfügen, kritisierte etwa das VPKA Tangerhütte 1964.149 Kaum jedoch handelte es sich hier um Partisanen; vielmehr verwiesen die Einstellungen der betreffenden Kommandeure vielfach eher auf kaum vorhandenen Enthusiasmus. Eine ungenügende Vorbereitung der Ausbildung wie auch eine ungenügende Kontrolltätigkeit der Offiziere wurde etwa im Kreis Zerbst durch

                                                             148 Kühne, Vertrauen und Kameradschaft, S. 271–273. 149 Bericht des VPKA Tangerhütte, o. D. [vermutl.1964], LHAM; Rep M24 (1961–1975), Nr. 1512, Bl. 145.

 

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das MfS bemängelt.150 Andere sprachen über Gebühr dem Alkohol zu, wie das MfS über den Kommandeur der 143. Hundertschaft Halle urteilte.151 „Tendenzen eines eigenen Organisationsleben“ waren während der 1960er Jahre auch in der zivilen Arbeitswelt weiterhin ein Thema, das den Parteifunktionären zu schaffen machte. Reagierte man hier bisweilen mit der Auflösung von Brigaden, die sich „syndikalistischer Tendenzen“ verdächtig gemacht hatten,152 war das in den Kampfgruppen kaum möglich. Stattdessen versuchte man, durch eine gleichermaßen intensive wie extensive Schulung der Kampfgruppen-Offiziere stärker auf die Ausbildungspraxis Einfluss zu nehmen. Dahinter standen nicht nur professionelle, sondern im Grunde politische Absichten. Eine professionelle Schulung zumindest der Offiziere intendierte nicht allein, das militärische Potential des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ zu verbessern. Zugleich sollte sie für eine disziplinierte Ausbildungspraxis sorgen, die sicherstellte, dass seine Angehörigen nicht ,aus dem Ruder‘ liefen. Vielleicht auch deshalb blieb die Abneigung gegenüber Schulungen und Lehrgängen, die nicht zuletzt „internatsmäßig“ durchgeführt wurden, jedoch weiterhin stark ausgeprägt. So stellte die Bezirksbehörde in Magdeburg fest, dass 1964 nur jeder zweite der im Bezirk vorhandenen Kommandeure einen Lehrgang in Schmerwitz besucht hatte, d. h. für seine Aufgaben voll qualifiziert war.153 Im Bezirk Halle verhielt es sich kaum anders. Insbesondere in den Kreisen Hettstedt, Querfurt, Leuna, Halle und Merseburg konstatierte die Bezirksbehörde der DVP eine „Unterschätzung der Kaderqualifizierung“.154 In der Regel zeigten sich die Kommandeure weder bereit, ihre Ausbildung planvoll vorzubereiten, noch ihre übergeordneten Dienststellen wie die Kreisstäbe von ihren Ausbildungsabsichten zu unterrichten, wie die Bezirksbehörde der DVP in Magdeburg im März 1965

                                                             150 Jahresanalyse der Kampfgruppen des Kreises Zerbst 1970/71 vom 31.8.1971, BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Zerbst, Nr. 2571, Bl. 29. 151 Einschätzung der Leitungstätigkeit in der 143. Hundertschaft vom 14.10.1969, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XIX, Nr. 575, Teil 1 /2, Bl. 353. 152 Vgl. dazu: Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss, S. 229–239. 153 Bericht betreffs des polit.-moral. Zustandes vom 14.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A2/12/917, Bl. 27; während einzig der Kreis Magdeburg eine 100prozentige Auslastung vorweisen konnte, lagen die Ziffern in den übrigen Kreisen teilweise erheblich darunter: Osterburg hatte nur 35% seiner Kommandeure delegiert, Salzwedel 27%, Genthin 22% und das Schlusslicht bildete Oschersleben mit 16%. 154 Bericht der Bezirksbehörde der DVP vom 23.5.1962, LHASA, BDVP 19, Nr. 360, Bl. 36.

 

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kritisierte.155 Offenbar gestaltete sich die Praxis der Ausbildung innerhalb der Einheiten zumeist noch überaus eigenwillig. Maßgeblich war in dieser Hinsicht eine vielfach und vielfältig zu beobachtende Lust am Abenteuer. Gegenüber einem häufig vorhersehbaren Alltag scheinen nicht wenige Kämpfer die Ausbildung weniger als politisch-moralische Verpflichtung, denn als Möglichkeit zum Ausbruch und Aufbruch hin zu aufregenden, reizvollen und mitunter gefährlichen Erlebnissen betrachtet zu haben. Anstatt sich an die Ausbildungsrichtlinien zu halten – wie auf einer Kampfgruppenkonferenz im Kreis Genthin, Bezirk Magdeburg, im Februar 1968 kritisiert wurde –, würden die lokalen Einheiten hier bevorzugt das Aufspüren von vermeintlichen Gegnern im Wald oder Gelände üben. Das hatte jedoch wenig mit dem eigentlichen Auftrag dieser Einheiten, der Objektsicherung, zu tun.156 Eine „hundertprozentige Themenerfüllung sowie die höchstmögliche Beteiligung […] an der Ausbildung“, die „Erfüllung der im Ausbildungsprogramm festgelegten Schulschieß- und Gefechtsübungen“ und die „Erreichung höchster Ausbildungsergebnisse“ waren nur einige der Punkte, zu denen der Aufruf zu einem sozialistischen Wettbewerb im Schwermaschinen-Kombinat „Ernst Thälmann“ in Magdeburg die Kämpfer zu verpflichten versuchte. Aber auch die „vorschriftsmäßige Nachweisführung der gesamten Ausbildung“ und die „Einhaltung der strukturmäßigen Stärke“ der Einheit bildeten wettbewerbsrelevante Kriterien. Sie deuten ex negativo an, dass derartige Punkte – die zum A und O jeder halbwegs professionellen militärischen Organisation zählen – von Kämpferseite in der Regel wenig Beachtung fanden.157 „Nicht immer“ sei „das notwendige Verständnis für

                                                             155 Einschätzung des Standes der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A2/12/917, Bl. 58; dass auf Seiten der Kommandeure offensichtlich kaum Verständnis dafür bestand, ihre Tätigkeit auch schriftlich und gewissenhaft zu dokumentieren, reflektiert die Kritik der Bezirksbehörde der VP, es herrsche „zum überwiegenden Teil Zettelwirtschaft“ innerhalb der Einheiten vor: „Veränderungsmeldungen der Kämpfer sind den Bataillons – bzw. Hundertschaftsleitungen nicht bekannt. […] Der Einsatz der Melder bei Ausfall der Haupt- und Bereichsleiter ist nicht organisiert- […] Die Übersicht, wer wurde wann benachrichtigt, wer muss noch berücksichtigt werden, gibt kein klares Bild über den Stand der Alarmierung“, Bericht über den unzureichenden Stand der Kampf- und Einsatzbereitschaft vom 6.2.1967, LHAM Rep P13, Nr. IV/A-2/12/918, Bl. 21. 156 Vgl. Einschätzung des Standes der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 58; Protokoll der Kampfgruppentagung vom 28.2.1968, LHASA, MD, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 35. 157 Im Einzelnen verpflichteten sich die Wettbewerbsteilnehmer u. a. zu einer „ständige[n] Erhöhung des sozialistischen Bewusstseins und Anerziehung sozialistischer Verhaltens-

 

 

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die objektiv gesetzten neuen Maßstäbe, für die Beschleunigung des Tempos und für die monatliche Ausbildung in der Freizeit vorhanden“, kritisierte die Bezirksbehörde in Magdeburg noch im Januar 1970.158 Stattdessen registrierte beispielsweise das VPKA in Klötze „Tendenzen“ unter den Kampfgruppen-Angehörigen, „die eine ständige Übung bzw. Wiederholung für überflüssig halten“. Dass derartige, eher unprofessionelle Einstellungen jedoch als „Versöhnlertum“ bewertet wurden, verweist auf die politischen Implikationen scheinbar professioneller Ansprüche. Die Unterschätzung der „revolutionären Wachsamkeit“ gefährdete kaum die Praxis einer Ausbildung, wohl aber die Sicherheit der DDR und war deshalb aus Sicht der SED eine „ideologische Frage“. „Jedem Kämpfer muss klargemacht werden, was in der Ausbildung versäumt wurde, wird im Kampf mit dem Gegner mit dem eigenen Blut bezahlt.“159 Eine normativ aufgeladene Sprache des Gefechts und der Bewährung bekräftigte kämpferische Selbstwahrnehmungen von Abenteuer und Gefahren. Damit ging sie an einer Ausbildungspraxis, die vielfach vom Phänomen der sogenannten „Übungsideologie“ dominiert wurde, aber weitgehend vorbei.160 „Zweckentfremdeter Umgang mit Imitationsmitteln, oberflächliche Führung der Arbeitskarten durch Kdr. der KGH, ungenügende Beharrlichkeit bei der Suche nach eingesetztem Gegner“161 waren nur einige der Kritikpunkte, die unter diesem Begriff subsumiert wurden. Aufgrund seiner vielfältigen Auslegbarkeit wurde immer dann

                                                                                                                                      

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weisen“, zur „hundertprozentige[n] Themenerfüllung sowie [der] höchstmögliche[n] Beteiligung […] an der Ausbildung“, zur „Erreichung höchster Ausbildungsergebnisse mit dem geringsten Aufwand an materiellen und finanziellen Mitteln“, zur „Gewährleistung der ständigen Einsatzbereitschaft der Bewaffnung und Technik durch die ordnungsgemäße Wartung und Pflege“, zur „Erhöhung der Alarm- und Einsatzbereitschaft bei Erreichung und Unterbietung der Alarmierungsnormen“, zur „vorschriftsmäßigen Nachweiserfüllung der gesamten Ausbildung“ und zur „Teilnahme an der außerschulischen Qualifizierung […] und Einhaltung des Schulbeschickungsplanes“; vgl. Konzeption zur Führung des Wettbewerbes in den Einheiten der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im SKET für den Ausbildungszeitraum 1969/70, undat. [1969], LHAM, Rep P16 Magdeburg, Nr. IV/B-5/1/199, Bl. 7. Einschätzung des polit.-moral. Zustandes der Kampfgruppen vom 29.1.1970, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 194. Bericht des VPKA Klötze vom 6.1.(?), vermutl. Ende der 1960er], LHAM, Rep M24, BDVP Magdeburg (1961–1975), Film-Nr. 143. Direktive für die Vorbereitung und Durchführung der Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Jahre 1962, o. D. [1961], BStU, MfS-BdL, Nr. 050351, Bl. 5. Aktenvermerk über Stand der Kampfgruppenausbildung vom 19.10.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 189.

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auf ihn zurückgegriffen, wenn die Instrukteure der Überzeugung waren, dass die Kämpfer sich nicht an die vorgeschriebenen Ausbildungsinhalte hielten, sondern die Ausbildung nach ihrem Gutdünken gestalteten. Ein Dorn im Auge waren ihnen vor allem die Vereinfachungen, die sich Kommandeure und Kämpfer in vielfältiger Weise einzuräumen schienen. „Bei der Durchführung des Fußmarsches zeigte sich ein Nachlassen in der straffen Führung der Einheiten durch die Vorgesetzten. Teilweise mangelte es an einer straffen Disziplin, [sic] Die Vorgesetzten nahmen nicht genügend Einfluss und waren selbst nicht immer Vorbild. Im 006. KGB marschierten teilweise Genossen nach 2 km. ohne Schutzmaske. Von den leitenden Genossen marschierte in diesem Battl. fast keiner mit,“

kommentierte ein Inspekteur der Volkspolizei anlässlich einer Abschlussübung eine ganze Reihe von Versäumnissen.162 Sie illustrieren den dilettantischen Charakter der Ausbildung. Gegenüber professionalisierten Expertenkulturen (der NVA oder jeder anderen Armee) dominierten im „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ trotz aller Professionalisierungsbestrebungen spontane und personale Verhaltensweisen. Kampfgruppenangehörige nahmen einen rationalisierten Funktionsdruck nicht einfach hin, ignorierten ihn vielmehr nach Möglichkeit oder umgingen ihn in eigensinniger Weise. Dabei konnten sie – etwa in den Kreisen Burg und Osterburg, wo die Kommandeure die Berichtspflicht ihren Unterführern überließen163 – nicht nur auf das Einvernehmen ihrer Vorgesetzten zählen. Mancherorts – etwa in Halle – fanden sie auch Verständnis bei den zuständigen Parteiorganisationen und bisweilen sogar bei den Instrukteuren der Volkspolizei.164 Reflektieren derartige Praxen eine „Planerfüllungsideologie“, die auch als Abgrenzungsversuche gegenüber jeglicher Einflussnahme von ,oben‘ interpretiert

                                                             162 Einschätzung zur Abschlussübung vom 2.11.1970, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 226; vgl. auch: Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/03/206, Bl. 41–43. 163 Einschätzung der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 49. 164 Referat Bernard Koenen vom 2.9.1961, LHASA, BDVP 19, 101, Bl. 9; im Kreis Genthin pflegte man auf Schießscheiben zu schießen, die, wie die VP bemerkte, nicht den vorgeschriebenen Bedingungen entsprachen, um trotzdem das veranschlagte Ausbildungssoll zu erreichen; Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/3/206, Bl. 41.

 

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werden kann,165 verweisen sie zugleich auf die mangelhafte materielle Ausstattung der Arbeitermiliz. „Unzulänglichkeiten in der Versorgung“ führten nicht nur zu „erheblichen Verspätungen“ im Ausbildungsplan, sondern immer wieder auch zu „persönlichen Verärgerungen der Genossen Kämpfer“, wie die Vertreter der BPO im VEB „7.Oktober“ Magdeburg notierten. Aufgrund dessen bedurfte es hier wiederholt „langwieriger individueller Gespräche, um ein gewisses persönliches Gleichgewicht der Genossen wieder herzustellen“.166 Insbesondere die Politstellvertreter, grundsätzlich jedoch alle Vorgesetzten, waren angehalten, jegliche Anzeichen von „Gammelei, Laschheit und Undiszipliniertheit“ während der Ausbildung zu unterbinden. Der Vorgabe, diese stattdessen „rationell auszunutzen“167, waren nicht zuletzt enge praktische Grenzen gesetzt, die – was die Gestaltung der Ausbildung betraf – nicht selten zu notdürftiger Improvisation zwangen: „Es wird zum Handgranatenwerfen gegangen. Da wird gefordert, dass ein Türrahmen vorhanden ist und wenn wir rauskommen zur Kontrolle, ist gar nichts da. Es sind nur 2 Stöcker hingesteckt und dann wird eben formal beim Handgranatenwerfen diese Frage erfüllt. Natürlich wird es Unstimmigkeiten bei den einzelnen Kämpfern [geben]. Sie werden sagen, ich bin ja gewillt, meine Freizeit zu opfern, aber ich bin nicht gewillt, die 8 Stunden da zu sein so zu verbringen, wie es gerade der Kommandeur oder der jeweilige Leiter sagt.“168

Die technisch-materielle Ausstattung der Kampfgruppen entsprach in den 1960er Jahren noch kaum professionellen militärischen Standards. Wurde sowohl von Seiten der Instrukteure wie auch der Kampfgruppen-Angehörigen selbst für eine wirklichkeitsnahe Ausbildung plädiert, setzte bereits der begrenzte Vorrat an

                                                             165 Vgl. dazu: Friedrich Thießen (Hg.), Zwischen Plan und Pleite. Erlebnisberichte aus der Arbeitswelt der DDR, Köln/Weimar/Wien 2001; Rainer Weinert, Wirtschaftsführung unter dem Primat der Parteipolitik, in: Theo Pirker/M. Rainer Lepsius/Rainer Weinert/Hans-Hermann Hertle (Hg.), Der Plan als Befehl und Fiktion. Wirtschaftsführung in der DDR. Gespräche und Analysen, Opladen 1995, S. 285–308. 166 Bericht des 3. Kampfgruppen-Bataillons vom 8.7.1965, LHAM Rep P18, SED-BPO VEB „7. Oktober” Magdeburg, Nr. IV/A-7/118/13; vgl. auch: Jahresbericht des VPKA Genthin zur Kampfgruppenarbeit vom 1.1.1961 bis zum 31.3.1962, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1116. 167 Hinweise über die Arbeit der Parteigruppen vom 2.12.1966, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 360, Bl. 111. 168 Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/3/206, Bl. 41–43.

 

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Imitationsmitteln diesem Anspruch enge Grenzen.169 Der Einsatz der Miliz im August 1961 hatte gezeigt, „dass ein Teil der den Kampfgruppen zur Verfügung gestellten Technik überaltert war, einen hohen Abnutzungsgrad aufwies und den gestellten Aufgaben nicht mehr gerecht wurde“. Trotzdem konnte eine strukturmäßige Ausrüstung an Waffen noch immer nicht gewährleistet werden. Die Ausstattung mit Maschinenpistolen war „unzureichend“ und an leichten MaschinenGewehren (lMG) fehlte es völlig. Die Ausrüstung mit Funkgeräten, Pioniermitteln und nicht zuletzt Sanitätsmaterialien erwies sich als „völlig unzureichend“.170 Wie eine Arbeitsberatung in Stendal im Januar 1965 zur Sprache brachte, hatte in den Kreisen Genthin, Osterburg, Salzwedel, Seehausen und Stendal im I. Quartal der Ausbildung kein einziger Kämpfer „eine Übung geschossen“.171 Im Kreis Genthin war auch drei Jahre später noch kein geeigneter Schießplatz vorhanden. Das machte es notwendig, „dass die Zugführer der selbständigen Züge und die Hundertschaftskommandeure tagelang im Bezirk herumreisen, um Schießplätze zu suchen, auf denen sie schießen können und damit auch noch wertvolle Zeit versäumen, die für die Ausbildung selbst unmittelbar angewandt werden könnte.“172 Bis auf diejenigen, die in den Bataillonen dienten, waren die Kämpfer überwiegend noch mit aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden Karabinern ausgerüstet; die volle Ausrüstung aller Kampfgruppen-Einheiten wurde bis 1970 angestrebt.173 Die Unzuverlässigkeit des ihnen anvertrauten Gerätes blieb jedoch nicht ohne Konsequenzen für die Ausbildungspraxis. Im Kreis Klötze konnte trotz Reparaturarbeiten an den vorhandenen lMGs im Sommer 1964 mit diesen Waffen „aufgrund der mangelhaften Einsatzbereitschaft dieser Waffen“ nicht geschossen wer-

                                                             169 Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/3/206, Bl. 62; vgl. auch: Einschätzung des Standes der KG-Arbeit vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 58. 170 Bericht des Leiters der Abt. Kampfgruppen über die materiell-technische Sicherstellung der Kampfgruppen, o. D. [1961], SAPMO-BArch., DY 30/IV 2/12/100, Bl. 167. 171 Protokoll der Arbeitsberatung der BDVP in Stendal vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 37. 172 Protokoll der Kampfgruppenkonferenz vom 28.2.1968, LHASA, MD, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/3/206, Bl. 47 bzw. Bl. 48 bzw. Bl. 63; vgl. auch: Kampfgruppenanalyse vom 28.2.1968, BStU, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 430. 173 Protokoll der 15. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates vom 13.6.1963, BA-MA, DVW 1/39472.

 

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den.174 Jeweils etwa 30 Waffen zweier (von insgesamt vier) Hundertschaften des VEB Braunkohlekombinats Zschornewitz im Kreis Bitterfeld waren „schadhaft“ und mit Mängelbescheinigungen versehen.175 „Durch Kakelei haben sich am meisten verletzt“, konstatierte der ehemalige Kampfgruppen-Ausbilder Edgar Peters im Nachhinein die Gefahren des organisationseigenen Alltages. Die Erinnerungen an seine Zeit bei der Kampfgruppe waren reich an vermeintlich lustigen Anekdoten, die er als „Kakelei“ oder „Kalke“ bezeichnete: „Und wenn wir wieder `n Abschlussübung hatten, da hatten se een geärgert, da. Wir hatten ja … Unsere Zeltplane mussten wir ja aus ein, zwei, drei, vier … Aus sechsen wurde a vierMann-Zelt gebaut, äh, und Stroh wurde beim Bauern geholt und da kam `n Decke rauf und dann wurde da, eben … Eben gepennt, bis früh, früh morgens, nicht wahr … Und da haben se einem auch immer die Heringe raus… Es wurde eben och Kalke gemacht, nicht wahr, wie gesagt … [schmunzelt] Da war [lacht], da war … Hatten se a Notstrom-Aggregat draußen, ja, unter freien Natur, da is` keene Steckdose, wo hier anstecken können, und, und, und … Da hatten se a Film gezeigt `n Abend, da hat eener och `n Stecker rausgezogen, weil er schlafen wollte. Das ist auch alles passiert, ja …“176

Der „Kalke“, von dem Herr Peters nicht müde wurde zu erzählen, diente, wie die Anekdote illustriert, nicht einfach der Belustigung, sondern besaß immer auch eigensinnige Implikationen. Dass „das auch alles passieren“ konnte, verweist aus dieser Perspektive weniger auf ein womöglich geringes Maß der Durchherrschung als vielmehr auf deren Wirksamkeit, der man sich am einfachsten mit Humor zu entziehen vermochte. In dieser Hinsicht mag der „Kalke“ auch das Ziel zugrunde gelegen haben, sich „Freiräume“ zu verschaffen: entweder gegenüber ungeliebten Kameraden, denen man nachts die Heringe ihrer Zelte aus der Erde zog, oder gegenüber Vertretern des Regimes, deren immerwährende Agitation – hier möglicherweise in Form eines Propaganda-Filmes – man leid war. Gleichzeitig verweisen derartige Anekdoten wiederum auf das Männerbünden inhärente Moment der „erlaubten Übertretung“.177 Mut kann etwa dadurch zum

                                                             174 Jahresbericht über die Arbeit mit den Kampfgruppen vom 8.7.1964, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1253, Bl. 70. 175 Bericht über das Kampfgruppenausbildungsjahr 1968/69 vom 25.8.1969, LHASA, SEDKL Bitterfeld, Nr. IV/B-404/182, Bl. 42. 176 Interview mit Edgar Peters (20.9.2006), Transkript S. 11. 177 „Gerade in Momenten von action hat man das Risiko und die Gelegenheit, vor sich selbst und manchmal auch vor anderen zu zeigen, wie man sich verhält, wenn die Würfel gefallen sind. Charakter wird aufs Spiel gesetzt; eine einzige gute Darstellung kann als repräsen-

 

 

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Ausdruck gebracht werden, dass man keine Angst vor Verletzungs- oder Unfallgefahr zeigt und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ignoriert oder ablehnt.178 Das wurde insbesondere während der Schießausbildungen – gewiss das zentrale Element der Kampfgruppenausbildung, um sich als echter Mann zu beweisen – zum Problem. Durchgängig wurde von Seiten der Instrukteure „disziplinloses Verhalten und fahrlässiger Umgang mit Schusswaffen und Munition“ beklagt. KampfgruppenAngehörige spielten in angetrunkenem Zustand mit ihren Waffen, feuerten blindlings im Wald herum179 oder ließen ihre Waffen unbeaufsichtigt, während Kinder in der Nähe spielten.180 Auch bei der Missachtung von auf dem Schießstand vorgeschriebenen Sicherheitsregeln konnten Kämpfer bisweilen auf das stumme Einverständnis ihrer Vorgesetzten rechnen. Kommandeuren wurde vorgehalten, dass sie das Rauchen während der Schießausbildung gestatteten181 und hin und wieder erlaubten sie sich selbst einige Disziplinlosigkeiten: „Da waren mir mal auf `nem Schießplatz in, so, in Greibau. Weiß gar nich`, ob der jetzt noch existiert. Hat da immer die Polizei drauf geschossen. Und da sagt unser großer Kommandeur: ,Guckt! Wollt ihr mal was sehen?‘ Da liefen oben zwei Gänse lang, von den Bauern, die das dort unten hatten. Da hat der durchgeladen. Nur noch `n Federwolke …“182

                                                                                                                                      

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tativ gelten, und eine schlechte Darstellung kann nicht so leicht entschuldigt, auch nicht wiederholt werden. Charakter zu entfalten oder auszudrücken, sei er schwach oder stark, heißt Charakter zu schaffen. Kurz, das Selbst kann sich freiwillig einer Neuschöpfung unterwerfen“; Goffman, Wo was los ist, S. 257; vgl. auch: Christoph Köck, Sehnsucht Abenteuer: Auf den Spuren der Erlebnisgesellschaft, Berlin 1990, S. 42. Goffman charakterisiert insbesondere das In-Kauf-nehmen von gewöhnlich leicht auszuräumenden Versäumnissen als zentralen Unterschied „zwischen ,eine Arbeit erledigen‘ und ,ein Ding drehen‘: hier wird die Tat zur Heldentat“, vgl. Wo was los ist, S. 183 u. S. 237f.; Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft, Frankfurt a. Main 2005, S. 94–96. Aktenvermerk über Stand der Kampfgruppenausbildung vom 19.10.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 189. Beratung mit Parteisekretären vom 8.11.1966, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/A4/3/105, Bl. 63. Einschätzung der politisch-moralischen Festigung vom 29.1.1970, LHAM, Rep P13, Nr. IV/B-2/12/956, Bl. 194; vgl. auch: Sekretariat-Vorlage der BDVP Magdeburg vom 19.3.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 58; wie der Alkohol war auch das Rauchen in der DDR weit verbreitet – Anfang der 1960er Jahre waren 70 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen Gewohnheitsraucher – und wie die Flasche fungierte auch die Zigarette als ein Symbol von Männlichkeit und Sexappeal; vgl. dazu: Fulbrook, Alltag und Gesellschaft in der DDR, S. 119. Interview mit Edgar Peters (20.9.2006), Transkript S. 8.

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Selbstverständlich durfte niemand davon wissen, dass der „große Kommandeur“ zwei Gänse des Platzwartes erschossen hatte, um die Männer seiner Einheit zu beeindrucken, stellte Herr Peters klar. Die waren im Zweifelsfall eben unabsichtlich in die Schusslinie geraten oder von einem Raubvogel angegriffen worden. Aber Herr Peters vergaß auch nicht hinzuzufügen, dass der Platzwart dort „wie der Graf in Frankreich“ gelebt hätte. Seinen Ausführungen zufolge hätten sich solche „Unfälle“ öfters ereignet; Nachteile seien dem Platzwart dadurch jedoch nicht entstanden, schließlich wären ihm alle durch die Kampfgruppen verursachten Kosten im Nachhinein von der Polizei zurückerstattet worden. Deutlich werden vielschichtige Aspekte einer Kampfgruppen-spezifischen Kameradschaft: Während die von Herrn Peters zum Ausdruck gebrachte Komplizenschaft zu einer ganz eigenen, durch die Tat begründeten Vergemeinschaftung beitrug, dienten Mutproben zugleich der individuellen Profilierung als Mann und als Kämpfer. Abgrenzungsstrategien waren vielfach wirksam: Gegenüber dem offenbar großzügig sozial abgesicherten Platzwart, dem man hin und wieder eine proletarische Lektion erteilte, genauso wie gegenüber den Instrukteuren der Volkspolizei. Im Zentrum des Kampfgruppen-spezifischen Gemeinschaftserlebnisses schien dabei jedoch keine kohärente politische Haltung zu stehen, sondern die Lust an der Gefahr als Form des Ausbruchs aus einem berechenbaren Alltag. Die konnte jedoch auch auf ganz andere Art und Weise erreicht werden, wie die Einladungskarte zu einem sogenannten „Kampfgruppenvergnügen“ der Hundertschaft des VEB Waschmittelwerkes Genthin zeigt. [Siehe Dritter Teil, Kap. II, Abb. 14]. Zu sehen sind freudig erregte, sich jedoch auch etwas ungelenk bewegende Kämpfer. Sie scheinen bereitwillig von ihren Aufgaben im Feld abzulassen, um sich einem vorbeifahrenden LKW anzuschließen, auf dessen Plane Ort und Zeitpunkt des „Kampfgruppenvergnügens“ prangen. Anspielungen auf eine wenig soldatische Einstellung sind vielfältig vorhanden. Mahnen die bereits auf dem LKW befindlichen Kämpfer ihre Kameraden, „aber pünktlich [zu] sein“, zeigt die Zeichnung einen der Kämpfer zudem mit heruntergelassenen Hosen. Die Kopfbedeckung verschiedener Kämpfer schnellt in Aussicht des bevorstehenden „Kampfgruppenvergnügens“ in die Höhe. Handelt es sich hier um ein in Comics häufig verwandtes Stilmittel, das die Intensität eines Gefühls betont, wurde den Kämpfern auf diese Weise jedoch eine im Hinblick auf die Botschaft des Mythos gebrochene Einstellung zugeschrieben: Offenkundig scheinen sie von der Aussicht auf ein Vergnügen sehr viel begeisterter als von ihrer militärpolitischen Tätigkeit. Wichtig scheint zudem, dass es sich bei dem angekündigten „Kampfgruppenvergnügen“ um keine ausschließlich männliche Veranstaltung handelt, sondern die Ehefrauen ausdrücklich mit eingeladen werden. Seit den 1960er Jahren gingen zahlreiche Einheiten dazu über, gesellige Veranstaltungen für die Kämpfer und ihre Ehefrauen auszurichten.

 

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War den Parteiorganisationen nicht verborgen geblieben, dass das militante Engagement der Männer immer wieder Anlass zu ehelichen Zerwürfnissen gab,183 intendierten derartige Veranstaltungen auch, eventuell vorhandene Vorbehalte der Ehefrauen gegenüber der Tätigkeit ihrer Männer abzubauen.184 „Ich fand das immer herrlich“, rekapitulierte Heinz Körner zahllose gesellige Zusammenkünfte,185 die auf ihre Weise einen Ausbruch aus dem Alltag ermöglichten. Festliche Essen, feierliche Ansprachen, Auszeichnungen, Tanz und Tombolas sollten nicht nur die Überzeugung vermitteln, dass ihre Männer einer geachteten Tätigkeit nachgingen. Sie sollten den Ehefrauen zugleich den Eindruck vermitteln, vom Engagement ihrer Männer auch zu profitierten. Hans Fischer berichtete von gemeinsamen Wochenendausflügen und „Freundschaftsbesuchen“ in Moskau und Leningrad, die den Eheleuten aufgrund des militanten Engagements der Männer zugestanden wurden.186 Bei Edgar Peters waren es hingegen eher alltägliche Vorteile, die ihm und seiner Familie aus seiner Kampfgruppenzugehörigkeit erwuchsen. Er freute sich darüber, wenn man etwa im Rahmen einer Übung dem Betriebsdirektor zehn Flaschen Schnaps entlocken konnte oder zum „Manöverball“ eine „Schlachtetafel“ aufgefahren wurde, von der man anschließend auch noch Pakete mit nach Hause nahm.187

„Geschlossen“ und „mit ganzem Herzen“ hinter dem Kurs der Partei? Die Kampfgruppen im Spätsommer 1968 „Mit der DDR verteidigen wir all das was es in der deutschen Geschichte an revolutionären Traditionen, fortschrittlichen Ideen und wertvollen Beiträgen zur humanistischen Kultur gegeben hat“, kündete der „Kämpfer“ im November 1968. Er führte aus: Unser sozialistischer Staat ist das Ergebnis und die Krönung des opferreichen Kampfes der deutschen Arbeiterbewegung und der fortschrittlichen Kräfte unseres Volkes. Mit unserer Bereitschaft, ihn zu schützen, erfüllen wir das Vermächtnis der zahllosen Helden der Arbei-

                                                             183 Vgl. dazu bspw. die Kaderakten in: LHASA, Nr. IV/2/12/1672. 184 Auswertung des Ausbildungsjahres 1971 vom 14.7.1971, LHAM, Rep P18 Waschmittelwerk Genthin, Nr. IV/B-7/40/32, Bl. 106; Kampfaufruf für das Jahr 1976 vom 16.1.1976, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Halberstadt, Nr. IV/C-7/54/46; vgl. auch: Gnad, Ein Leben in Uniform, S. 302 u. S. 329. 185 Interview mit Heinz Körner (17.8.2006), Transkript S. 21. 186 Interview mit Hans Fischer (4.8.2006), Transkript S. 17f. 187 Interview mit Edgar Peters (20.9.2006), Transkript S. 5 und S. 16.

 

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terklasse und des werktätigen Volkes, die für den Sieg der Kräfte des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus über die Reaktion ihr Leben einsetzten.“188

Die umfangreichen Reformversuche und -abbrüche der 1960er Jahre mochten manchem den Eindruck einer Ankunft im Alltag suggerieren, in der weniger Kampf als Komfort das Streben der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ leitete. Der „Kämpfer“ insistierte hingegen darauf, dass „der Bonner Staat auf der Alleinvertretungsanmaßung [beharrt], auf dem Prinzip, den anderen deutschen Staat, unsere sozialistische DDR, nicht anzuerkennen“. Von „friedlicher Koexistenz“ konnte zu diesem Zeitpunkt deshalb keinesfalls die Rede sein. Vielmehr stellte „diese Anmaßung“ in den Augen der SED den „konzentrierte[n] Ausdruck der Aggressivität des westdeutschen Staates, […] eine ständige Kriegserklärung an die DDR“ dar.189 Wenn auch die Ausbildung sich in zunehmendem Maße an moderner Gefechtstaktik und -praxis ausrichten sollte, blieben die revolutionären Traditionen der Kampfgruppen weiterhin wichtiger Bestandteil des kampfgruppen-spezifischen Selbstverständnisses. Die von Walter Ulbricht selbst mit großem Eifer vorangetriebene Veröffentlichung der achtbändigen „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ im Jahre 1966 bedeutete in gewisser Weise jedoch zugleich eine Historisierung der kommunistischen Kampfzeit. Denn im Mittelpunkt dieses Monumentalwerkes, das in großer Auflagenhöhe produziert wurde und auf populäre Breitenwirkung ausgelegt war, stand die Legitimation der DDR als Siegerin der Geschichte gegenüber dem untergangsreifen kapitalistischen System.190 Die kampfgeprägte Vergangenheit geriet zunehmend zu einem „fremden Land“ – um eine Formulierung L.P. Hartleys aufzugreifen –, die man sich bisweilen auf geradezu karnevalesk anmutende Art und Weise anzueignen versuchte. [Siehe Dritter Teil, Kap. II, Abb. 15]. Etwa im Rahmen des mit großem Aufwand begangenen 40. Jubiläums der Gründung des Roten Frontkämpferbundes schlüpften Angehörige der Arbeitermiliz in Originaluniformen des RFB. Ein Angehöriger mimte zudem den legendären „kleinen Trompeter“ Fritz Weineck, der – so die SEDLegende – beim Versuch, Ernst Thälmann mit seinem eigenen Leib zu schützen, im März 1925 von der Polizei in Halle erschossen worden war.191

                                                             188 „Wofür du deine Waffe trägst (III)“, in: Der Kämpfer, Nr. 11 (November), Jg. 13, S. 6. 189 „Wofür du deine Waffe trägst (III)“, in: Der Kämpfer, Nr. 11 (November), Jg. 13, S. 6. 190 Zum „Buch der Bücher“ und seiner Bedeutung für die kommunistische Parteigeschichte vgl. Lokatis, Der rote Faden, S. 315–357. 191 Vgl. Berndt u. a. (Hg.), Der kleine Trompeter und seine Zeit.

 

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Derartige Veranstaltungen beabsichtigten, die Kampfgruppen-Angehörigen an ihr Vermächtnis zu erinnern und dessen Aktualität zu beschwören. Die Krise von 1968, insbesondere die sich überstürzenden Ereignisse in der ČSSR, schienen zu belegen, dass es nichts von seiner Bedeutung verloren habe: „Wir kennen die Konterrevolution und ihre Gefährlichkeit aus unseren eigenen Erfahrungen der Jahre 1918, 1923, 1933, 1953, 1956 und 1961“, war im September 1968 im „Kämpfer“ zu lesen. „Wieviel Blut der Besten wurde schon vergossen! Nirgendwo darf deshalb der Klassenfeind eine Chance erhalten, wieder zum Zuge zu kommen.“192 Explizit strich eine im „Kämpfer“ abgedruckte „Betrachtung zum 50. Jahrestag der Gründung der KPD“ vom Dezember 1968 die anhaltende Kontinuität des kommunistischen Kampfes heraus: „Nimmt man das Protokoll dieses Gründungsparteitages zur Hand, verfolgt man die Debatten, liest man das Programm, so wird sofort die brennende Aktualität der dort aufgeworfenen Grundfragen deutlich. Es geht hier nicht um konstruierte geschichtliche Parallelen. […] Es geht nicht in erster Linie um den Vergleich der Methoden, mit denen damals die Macht der Räte in Deutschland abgewürgt wurde, und der heutigen Versuche, die sozialistische Macht in der ČSSR zu beseitigen. Gewiss, die Argumente Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs von damals ließen sich mühelos zur Zerschlagung der ,Theorien‘ der Revisionisten und Antikommunisten von heute anwenden, denn die Konterrevolution hat ihre Argumente und Methoden von einer Generation zur anderen weitergegeben und verfeinert. Aber viel wichtiger ist, dass auch die revolutionäre Arbeiterklasse und die echten MarxistenLeninisten ihre prinzipielle Klarheit in den Grundfragen der revolutionären Bewegung weitergegeben und schöpferisch angewandt haben.“193

Die „prinzipielle Klarheit in den Grundfragen der revolutionären Bewegung“, die der Artikel beschwor, bezog sich im Besonderen auf eine der „Lehren von 1918“, die sozialistischen Errungenschaften, wenn nötig, auch mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Bezeichnend scheint zudem, dass als Referenzgröße weniger vom Staat als von der Bewegung die Rede war, obwohl sich die DDR erst im April des Jahres eine eigenständige „sozialistische“ Verfassung zugelegt hatte.194 Die gewaltsame Unterdrückung der tschechoslowakischen Reformbestrebungen im Spätsommer 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes versetzte die Arbeiter-undBauern-Macht auch in der DDR in den Ausnahmezustand.

                                                             192 „Als Kommunist ehrenvoll seine Pflicht erfüllen!“ in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 13 (1968), S. 2. 193 „Die Macht in unseren Händen“, in: Der Kämpfer, Nr. 12 (Dezember), Jg. 13 (1968), S. 3. 194 Vgl. dazu: Sywottek, Die DDR in den 60er Jahren, S. 67.

 

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Gleichzeitig aktualisierte sie historische Erfahrungen: Wie zu Zeiten des „latenten Bürgerkrieges“ der Weimarer Republik und des „kalten Bürgerkrieges“ der 1950er Jahre waren die Angehörigen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ auch im Herbst 1968 angehalten, den Klassenfeind dort, wo er sich zeigte, zurückzuschlagen und in der Stunde der Gefahr treu zur Partei zu stehen.195 Gemäß einer Direktive über die „Aufgaben […] zur Vorbereitung auf den Verteidigungszustand und im Verteidigungszustand“ vom März 1966 wurden sämtliche, dem Ministerium des Innern unterstellten Organe in den Alarmzustand versetzt. Auch die Kampfgruppen wurden nun herangezogen, um „ordnungspolizeiliche Maßnahmen zur Gewährleistung der Ruhe und Sicherheit“ in die Wege zu leiten. Sie hatten nicht nur „die Bewegungen der Vereinten Streitkräfte“ auf dem Territorium der DDR abzusichern und zu unterstützen, sondern zugleich für die Gewährleistung eines sicheren Hinterlandes zu sorgen.196 Die Ereignisse in der ČSSR wurden vielfach mit dem Mauerbau verglichen. Was den Kampfgruppen der 13. August 1961 gewesen war, oblag nun den „Klassen- und Waffenbrüdern“ der ČSSR. Ihnen gehöre die ganze „Solidarität und Sympathie“ der Kampfgruppen, bekräftigte ein Zugführer aus Berlin, um „die verbrecherischen Pläne des westdeutschen Imperialismus als Hauptverbündeten [sic] des USA-Imperialismus“ zu durchkreuzen.197 „Geschlossen“ und „mit ganzem Herzen“ bekundeten Kampfgruppen-Einheiten aus der ganzen DDR im „Kämpfer“ ihre Bereitschaft, „zu jeder Stunde jeden Auftrag, den die Partei und Regierung uns gibt, zu erfüllen“. Als klassenbewusster Kommunist und Kämpfer ehrenvoll seine Pflicht zu erfüllen, hieß nicht nur, in der Ausbildung eine „hohe Einsatzbereitschaft“ zu beweisen. Zugleich waren die Kämpfer angehalten, „jede[m] Provokateur, der gegen das sozialistische Lager und gegen unsere souveräne sozialistische Deutsche Demokratische Republik auftritt, gehörig auf die Finger zu klopfen!“198

                                                             195 Wolle, Der Traum der Revolte, S. 158. 196 Vgl. Direktive über die Aufgaben der Organe des Ministerium des Innern im Bezirk zur Vorbereitung auf den Verteidigungszustand und im Verteidigungszustand vom 19.3.1966, BStU, MfS, AGM, Nr. 215, Bl. 397–415; diese Direktive ersetzte die Direktive vom 20.2.1963. 197 Vgl. „No pasarán! Sie werden nicht durchkommen!“ und „Die einzig richtige Antwort“, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 13 (1968), S. 2. 198 Vgl. die verschiedenen Leserzuschriften, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 13 (1968), S. 2.

 

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Gewiss ist die Fülle an Loyalitätsbekundungen, die der „Kämpfer“ druckte, wiederum in erster Linie als ritualisierte Unterwerfungsgeste zu interpretieren, die in Krisenzeiten das wichtigste Instrument kommunistischer Mobilmachung darstellte.199 Spontane, unter dem Eindruck der „verstärkten Umtriebe der internationalen Konterrevolution“ gestellte Aufnahmeanträge an die Kampfgruppen200 dienten der Demonstration scheinbar ,prinzipieller Klarheit in den Grundfragen der revolutionären Bewegung‘, wie sie etwa der „Kämpfer“ postulierte. Häufig waren sie jedoch nicht mehr als performative Loyalitätsbekundungen und noch dazu nur von kurzweiliger Dauer. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass die proletarischen Mobilmachungsbestrebungen für manchen Kampfgruppen-Angehörigen tatsächlich eine willkommene Bewährungsprobe darstellten, die einen Hauch von Ernstfall mit sich brachte.201 Nicht zuletzt blieb der im Ganzen kalkulierbar. Auch wenn die SED in vielerlei Hinsicht den Ausnahmezustand beschwor, konstatierte das MfS im Anschluss an die „Aktion Sperrmauer“ – wie die Abriegelung aller Grenzen in Vorbereitung der Invasion genannt wurde –, dass es „keine ernsthaften, einen größeren Bevölkerungskreis oder bestimmte Bevölkerungsgruppen umfassende Missstimmungen, Unruhe oder Vorkommnisse“ gegeben habe. „Die innere Ordnung und Sicherheit in der DDR“ sei hingegen „jederzeit

                                                             199 Vgl. dazu: Müller, Sozialismus als Performance. 200 Vgl. dazu: „Als Kommunist ehrenvoll seine Pflicht erfüllen!“, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 13 (1968), S. 2. 201 Einschätzung der Erfahrungen über die Führung und Organisierung der politischideologischen Arbeit während der Abschlussübungen der Kampfgruppeneinheiten vom 14.6.1968, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1115, Bl. 55; Heinz Körner vom Wernigeroder Kampfgruppen-Bataillon wies noch achtunddreißig Jahre später, im August 2006, darauf hin, dass seine Einheit über SPWs verfügte, die eigentlich für den Einsatz in der ČSSR bestimmt gewesen wären: „Da waren noch welche dabei, die haben den Aufstand in, äh, wie sagt man, in der Tschechei mitgemacht.“ I.: „Tatsächlich?“ K.: „Die waren oben zugeschweißt. Die sind alle offen, aber zweie waren dabei, die waren oben zugeschweißt. Wenn die jetzt in `n Einsatz reingefahren wären, nicht, dass man irgendwie etwas draufschmeißt …“ I.: „Ja, ja. Molotow-Cocktails, oder so was …“ K.: „Also, die standen ja kurz vor der Grenze bei den Tschechen. Die waren nicht … Deutsche waren nicht mit da drinne, aber da kommen die Dinger her. Da kommen die Dinger her“, Interview mit Heinz Körner (17.8.2006), Transkript S. 5; die „Dinger“ waren nicht wirklich in „den Aufstand“ involviert gewesen, verkörperten aber auch so, durch ihre zugeschweißten Decken, einen Hauch von Ernstfall.

 

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gewährleistet“ gewesen.202 Dabei hatten die Tagesberichte des MfS wiederholt schwere Sabotageanschläge gegen Nachrichtenverbindungen der sozialistischen Armeen auf dem Territorium der DDR vermeldet. Die Invokation des Ausnahmezustandes diente wiederum dazu, über die Angehörigen der bewaffneten Organe hinaus die Menschen für die Sache des Sozialismus zu mobilisieren. In diesem Sinne wurden als zuverlässig eingestufte „gesellschaftliche Kräfte“ herangezogen, um in Kooperation mit Polizei und Staatssicherheit Patrouillendienste zu übernehmen. Nicht zuletzt ihrem Einsatz war es zu verdanken, dass allein in der Nacht vom 21. auf den 22. August „482 Straftäter (ca. 30% aller Täter) an Ort und Stelle dingfest gemacht und an der Fortsetzung strafbarer Handlungen gehindert“ werden konnten.203 Zwar hatte sich der Arbeiter-und-Bauern-Staat zu keinem Zeitpunkt in seiner Existenz gefährdet gesehen. Dennoch räumte das MfS ein, dass die Zahl „feindlicher Handlungen“ – zu denen insbesondere das „Anschmieren von Hetzlosungen“ sowie die „Verbreitung selbstgefertigter Hetzschriften“ gezählt wurden – an Umfang und „Gesellschaftsgefährlichkeit“ die Proteste infolge des Mauerbaus im Herbst 1961 übertroffen hätten.204 Lautstarken Protest gegenüber ihrer Politik vernahm die SED vor allem aus intellektuellen Kreisen. Hier hatte man sich vom tschechischen Beispiel eines „demokratischen Sozialismus“ Reformanstöße auch für die DDR erhofft und sah sich im Anschluss an seine gewaltsame Unterdrückung jeder Hoffnung auf eine demokratische Erneuerung in der DDR beraubt.205 Auch innerhalb der Arbeiterschaft artikulierte sich Unmut über die Haltung der Partei. Er scheint jedoch weniger von der Sympathie gegenüber den tschechischen Reformkommunisten als von unmittelbarer Solidarität mit den tschechischen Klassengenossen getragen worden

                                                             202 Bericht von Anfang Oktober 1968, zit. nach: Monika Tantzscher, „Maßnahme Donau und Einsatz Genesung“. Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968/69 im Spiegel der MfS-Akten, in: Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Reihe B: Analysen und Berichte Nr. 1/1994, Berlin 1994, S. 35. 203 Bericht über Straftaten in der Zeit vom 20.8. bis zum 30.9.1968, die sich gegen die Schutzmaßnahmen der fünf verbündeten sozialistischen Staaten zur Sicherung des Sozialismus in der ČSSR richteten, zit. nach Wolle, Der Traum von der Revolte, S. 165. 204 Tantzscher, Die Niederschlagung des Prager Frühlings, S. 35. 205 Vgl. dazu: Hartmut Zwahr, Die erfrorenen Flügel der Schwalbe: DDR und „Prager Frühling“. Tagebuch einer Krise 1968–1970, Bonn 2007.

 

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zu sein. 206 In Berlin kam es beispielsweise zu heftigen Auseinandersetzungen, als Bauarbeiter von Reportern der Berliner Zeitung und einem lokalen Parteisekretär aufgefordert wurden, Zustimmungserklärungen für die Politik der SED abzugeben. Die Arbeiter verweigerten sich diesem Anliegen mit der Begründung, sich keinesfalls von der SED – auch nicht in Fragen der ČSSR – bevormunden zu lassen.207 Wiederholt bekannten Arbeiter, gar nicht zu wissen, „wer eigentlich der Genosse Dubček ist und welche Rolle er bei den jetzigen Ereignissen“ spiele.208 Denkbar ist, dass derartige Unwissenheit nur vorgeschützt wurde. Zugleich verweist sie jedoch darauf, dass, wer sich allein aus DDR-Medien über die Situation in der ČSSR informieren konnte, nur ein lückenhaftes Bild erhielt. Angesichts der Einbindung auch von DDR-Truppen in die Invasionsvorbereitungen des Warschauer Paktes bewiesen deutsche Arbeiter jedoch antifaschistisches Geschichtsbewusstsein: (Nicht nur) in Magdeburg hatten Unbekannte die Waggons des VEB Armaturen-Werke „Karl-Marx“ mit Parolen wie „Kommunistenschweine, Faschistenpack“ und Hakenkreuzen sowie SS-Runen bemalt.209 Einerseits handelte es sich hierbei um Versuche, die betriebliche Diskussion mitzubestimmen oder gar eine Gegenöffentlichkeit zu etablieren.210 Andererseits artikulierte sich in ihnen zugleich Unmut darüber, dass dreißig Jahre nach dem Überfall der Nationalsozialisten erneut deutsche Streitkräfte an einer Invasion der Tschechoslowakei beteiligt waren.211 Tatsächlich tat sich die SED schwer, das

                                                             206 Vgl. Michael Hofmann, „Solidarität mit Prag“. Arbeiterproteste 1968 in der DDR, in: Bernd Gehrke/Gerd-Rainer Horn (Hg.), 1968 und die Arbeiter. Studien zum „proletarischen Mai“ in Europa, Hamburg 2007, S. 92–102. 207 Vgl. Rüdiger Wenzke, Die NVA und der Prager Frühling 1968. Die Rolle Ulbrichts und der DDR-Streitkräfte bei der Niederschlagung der tschechoslowakischen Reformbewegung, Berlin 1995, S. 164; von 23 Arbeitern der technischen Gebäudeausrüstung Wanzleben weigerten sich 17 eine Zustimmungserklärung zu unterzeichnen und bekundeten: „Wenn diese Erklärung ,für die ČSSR und gegen die Russen wäre‘, dann würden sie diese Erklärung unterschreiben“, zit. nach: Bernd Gehrke, 1968 – das unscheinbare Schlüsseljahr der DDR, in: ders./Horn (Hg.), 1968 und die Arbeiter, S. 103–128, hier: S. 107f. 208 Vgl. Informationen über Meinungen zur ČSSR und KPC vom 23.7.1968, LHASA, MD, Rep P18, SED-BPO VEB Waschmittelwerk Genthin, Nr. IV/B-7/40/33. 209 Vgl. Gehrke, Das unscheinbare Schlüsseljahr, S. 108. 210 Vgl. dazu: Michael Hofmann, Die Leipziger Metallarbeiter. Etappen sozialer Erfahrungsgeschichte, in: Michael Vester/Michael Hofmann/Irene Zierke (Hg.), Soziale Milieus in Ostdeutschland. Gesellschaftliche Strukturen zwischen Zerfall und Neubildung, Köln 1995, S. 135–192, hier: 174f. 211 Wenn die NVA auch aktiv in die Aufmarschvorbereitungen und die logistische Unterstützung der Invasion einbezogen wurde – Streitkräfte des Warschauer Paktes drangen

 

 

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Vorgehen gegenüber einer kommunistischen Partei zu begründen, mit deren Generalsekretär Ulbricht wenige Tage zuvor noch Bruderküsse getauscht hatte. 3.358 mit Mitgliedern und Kandidaten der SED wegen „unklarer Auffassungen, schwankenden Verhaltens, parteischädigenden Auftretens und parteifeindlichen Handlungen“ geführte Aussprachen nehmen sich gegenüber der Zahl von 1.800.000 Partei-Mitgliedern im Jahr 1968 jedoch verschwindend gering aus.212 Ihre relativ geringe Zahl verweist implizit auf die strenge Disziplin, die die Partei von ihren Anhängern einforderte. Waren alle Parteimitglieder schon vor dem 21. August, dem Tag der militärischen Invasion, zu erhöhter „revolutionärer Wachsamkeit“ angehalten,213 antizipierte das Parteileben vielfältige Praktiken, die sich in ihrer Form deutlich an militärischen Verbänden orientierte. „Diskussionen gab es keine, dafür Anweisungen über erhöhte Wachsamkeit, Sicherheit, Ordnung, Eilmeldungen, Sofortberichte. Einsatzstäbe wurden gebildet, Sicherheitsverantwortliche bestimmt, Alarmketten organisiert, Streifendienste eingeteilt. Besondere Vorkommnisse sollten sofort gemeldet werden, Provokateuren musste entgegengetreten werden, Staatsfeinde sollten dingfest gemacht werden.“214 Unbedingt mahnte eine „Konzeption zur politisch-ideologischen Arbeit“ im Oktober 1968 jedoch an, „die politische Arbeit in den Einheiten [der Kampfgruppen; T.S.] mehr auf die Bedingungen des Kampfes“ auszurichten. Das sei vor allem deshalb notwendig, weil „Brutalität und schonungsloses Vorgehen des Gegners“ weithin unterschätzt würden und bestimmte Elemente der „Übungsideologie“ noch immer nicht überwunden seien.215 Deutlich machen diese Hinweise,                                                                                                                                       

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auch vom Territorium der DDR in die ČSSR ein –, beteiligte sich nach aktuellen Erkenntnissen jedoch keine ihrer Einheiten am Einmarsch; vgl. dazu: Wenzke, NVA und Prager Frühling; Wolle, Der Traum von der Revolte, S. 162. Infolge der Aussprachen wurden 552 Parteistrafen verhängt, 223 Personen aus der SED ausgeschlossen, 109 Personen erhielten eine strenge Rüge, 135 Personen eine Rüge und 297 Mitglieder und Kandidaten erhielten Verwarnungen und Missbilligungen; 2017 Personen kamen hingegen ohne parteierzieherische Maßnahmen davon; diese Zahlen nennt ein Bericht an die SED-Führung vom Dezember 1968, zit. nach Wolle, Der Traum von der Revolte, S. 181. Information über Meinungen zur ČSSR und KPC vom 23.7.1968, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Halberstadt, Nr. IV/C-7/54/44; vgl. dazu auch: Lutz Prieß/Vaclav Kural/Manfred Wilke, Die SED und der „Prager Frühling“ 1968. Politik gegen einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, Berlin 1996, S. 158f. Zit. nach: Wolle, Der Traum der Revolte, S. 158. Konzeption der politisch-ideologischen Arbeit vom 28.10.1968, LHASA, SED-KL Bitterfeld, IV/B-404, Nr. 182, Bl. 12; vgl. auch: Einschätzung des Standes der Kampfgruppenarbeit vom 25.8.1964, LHASA, BDVP Halle 19, Nr. 364, Bl. 10.

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dass eine Vielzahl von Kämpfern den dezisionistischen Wahrnehmungsmustern ihrer Avantgarde offenbar nicht zu folgen bereit war.216 Von einer Kampfstimmung war während der infolge der Invasion veranstalteten Übungen kaum etwas zu spüren. Zu einer Alarm-Übung des I. Bataillons in Magdeburg waren im November 1968 nach 240 Minuten nur 32,5% aller Angehörigen einsatzbereit gewesen, im Januar 1969 waren es gerade 50%. Kämpfer verließen während der Übungen ihre Posten, ein ganzer Zug hatte die Übung eigenmächtig abgebrochen, und durch den Genuss von Alkohol war ein schwerer Verkehrsunfall mit erheblichem Sachschaden entstanden.217 Der Blick auf die Männlichkeits-Entwürfe von Kämpfern hatte gezeigt, dass diese nicht unbedingt in einem konsistenten Modell von „Männlichkeit“ aufgehen mussten. Vielmehr existieren und konkurrierten „harte“ und „gewalttätige“ Formen männlicher Gemeinschaft – die etwa in den eingangs geschilderten Vorfällen in Schönebeck bzw. Seddin zum Ausdruck kamen – mit „weichen“ Formen – wie wiederum etwa an der Angst vor (überalterten) Waffen und einer nach wie vor eher laxen Disziplin zu beobachten war. Die Mobilmachungsabsichten im Spätsommer 1968 offenbarten eine weitere Inkonsistenz des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“: Krieg zu spielen schien für viele Kämpfer durchaus ein Anreiz gewesen zu sein, sich der Ausbildung anzuschließen, Krieg zu führen hingegen nicht. Nimmt man die Beteiligung an den Alarm-Übungen, die ja zumindest die Möglichkeit eines Ernstfalles implizierten, als Indikator für die Wehrbereitschaft der Kampfgruppen, so zeigte sich den Instrukteuren ein desillusionierendes Bild. Im Bezirk Magdeburg vorhandene Übersichten über Haupt- und Bereichsleiter boten der BDVP im Frühjahr 1967 „kein klares Bild über den Stand der Alarmierung“. Vielmehr konstatierte sie eine „Zettelwirtschaft“, die mit der mangelhaften Einstellung zahlloser Kämpfer korrespondiere.218 Vorgeschrieben

                                                             216 Zu „wesensfremd und schablonenhaft“ war etwa dem Hauptmann des VPKA Genthin die Arbeit der lokalen Politstellvertreter, die es, seiner Ansicht nach, „noch nicht verstehen, die aktuellen Probleme aufzugreifen und mit den gestellten Aufgaben zu verbinden“; Einschätzung der Erfahrungen über die Führung und Organisierung der politisch-ideologischen Arbeit während der Abschlussübungen der Kampfgruppeneinheiten vom 14.6.1968, LHAM, Rep M24 (1961–1975), Nr. 1115, Bl. 55. 217 Einschätzung über den Stand der Kampf- und Einsatzbereitschaft des 1. mot. Batl. Trägerbetrieb KMW Magdeburg vom 20.1.1969, LHAM, Rep P16 MD, Nr. IV/B-5/1/199, Bl. 97f. 218 „Beispiele dieser ideologischen Unklarheit: Ein Alarmgruppenführer erhielt beim Verlassen des Betriebes SKL die Nachricht, dass für das KGB (mot.) Alarm ausgelöst worden ist. Dieser bemerkte: ,Ich habe nichts gehört‘ und entfernte sich. Trotz mehrmaligem Klin-

 

 

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war, jährlich mindestens zwei Alarm-Übungen in jeder Einheit abzuhalten; eine angekündigte und eine unangekündigte. Nimmt man sie als Indikator für den Wehrwillen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“, offenbarten die während des Jahres 1968 abgehaltenen Alarm-Übungen, dass allenfalls auf ein Drittel aller Kampfgruppen-Angehörigen Verlass war. Die überwiegende Mehrheit betrachtete und bezeichnete sie hingegen unverhohlen als „Zeitschinderei“.219 Infolge des Mauerbaus waren die Kampfgruppen angehalten gewesen, ihr Alarmierungs-System, das sich schon zu diesem Zeitpunkt als unzureichend herausgestellt hatte,220 zu verbessern. Effektive Verbesserungen versprach man sich etwa davon, „dass die KG-Angehörigen dazu übergehen, sich bei ihren nächsten Vorgesetzten abzumelden, wenn sie sich längere Zeit von ihrem Wohnsitz entfernen mit Angabe des neuen Aufenthaltsortes“.221 Derartige Vorschläge konnten jedoch zugleich als Ausdruck einer bis in das Privatleben hineinreichenden Kontrolle betrachtet werden, die den Widerwillen zahlloser Kämpfer provozierte.                                                                                                                                        geln wird sich nicht gemeldet, oder die Frau meldet sich mit der Bemerkung, ihr Mann sei nicht zu Hause. Diese Erscheinungen sind keine Einzelbeispiele“, Bericht über den unzureichenden Stand der Kampf- und Einsatzbereitschaft in den Einheiten der KGB (mot.) Magdeburg vom 6.2.1967, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/918, Bl. 21; vgl. auch: Einschätzung über den Stand der Kampf- und Einsatzbereitschaft des 1. mot. Batl. Trägerbetrieb KMW Magdeburg vom 20.1.1969, LHAM, Rep P16 MD, Nr. IV/B-5/1/199, Bl. 99; Kampfgruppenanalyse vom 4.7.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 434. 219 Vgl. dazu: Einschätzung der Alarmübung im 3. KGB vom 2.5.1968, LHAM, Rep P16 MD, Nr. IV/B-5/1/199, Bl. 61; vgl. auch: Kampfgruppenanalyse vom 4.7.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 434; anlässlich einer Alarm-Übung im VEB Maschinenbau Burg im Frühjahr 1968 waren 180 Minuten nach Auslösen des Alarmes nur 13 Kämpfer einsatzbereit; als „untragbar“ wurde hier bemängelt, dass die Alarmgruppenführer weder wussten, wo die Mehrzahl der Angehörigen der Einheit wohnten noch wie sie zu erreichen seien, hinzu kam der Vorwurf „ideologischer Unklarheit“: „Ganz treffende Beispiele ideeologischer [sic] Unklarheit sowie Disziplinlosigkeit ist das Verhalten des Genossen Kämpfer R. und S., sie wurden geweckt, legten sich aber wieder Schlafen“; vgl. Bericht, undat. [vermutl. Frühjahr 1968], LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/B-7/7/3; Kampfgruppenanalyse vom 28.2.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 429–433. 220 Vgl. dazu bspw.: Einschätzung des Standes der Ausbildung der allgemeinen Hundertschaften der Kampfgruppen im Ausbildungsjahr 1961/62 vom 2.5.1962, LHASA, SED-KL Hohenmölsen, Nr. IV/410/222. 221 Vgl. Jahresanalyse der Kampfgruppen des Kreises Zerbst vom 31.8.1971, BStU, BV Magdeburg, KD Zerbst, Nr. 2571, Bl. 26.

 

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Nicht nur die Kampfgruppen-Angehörigen selbst, sondern auch ihre Betriebe legten bisweilen unverhohlene Geringschätzung gegenüber den Alarm-Übungen an den Tag. Das kam etwa in der Bereitstellung von Fahrzeugen zum Ausdruck. Da die Einheiten selbst über keine eigenen Fahrzeuge verfügten, waren sie – insbesondere auf dem Land, wo sich die Kämpfer zumeist auf mehrere Betriebe verteilten – auf die mobile Unterstützung ihrer Trägerbetriebe angewiesen. „Es gibt solche Erscheinungen in unserem Kreis“, berichtete beispielsweise das VPKA Klötze im Juni 1966, „dass die LPG absolut kein Interesse an der Personenbeförderung haben, da es mit Kosten verbunden ist. Eine LPG hat sogar einen Vorstandsbeschluss gefasst, keine Personenbeförderung abzulegen“.222 Nicht in jedem Fall musste hinter der Weigerung, notwendige Transportkapazitäten für die Kampfgruppen zur Verfügung zu stellen, politisch motivierter Dissens stehen. Die mangelhafte Bereitschaft, die das VPKA in Klötze konstatierte, gründete auch in pragmatischen Anschauungen, denn hier waren im gesamten Kreisgebiet nur sieben in Frage kommende LKW vorhanden.223 Nicht auszuschließen ist jedoch, dass sich in Krisenzeiten wie im Spätsommer 1968 pragmatische Erwägungen und politische Vorbehalte zum Nachteil der Arbeitermiliz vermengen konnten.224 Nicht nur beklagten sich die Angehörigen der 142. Hundertschaft im Februar 1968 über mangelnde Unterstützung durch das lokale VPKA. Auch ihr Trägerbetrieb, der VEB BMK Chemie in Halle, hatte für ihr Engagement offensichtlich wenig übrig. Ständige Terminverschiebungen würden eine regelmäßige Durchführung der Ausbildung beeinträchtigen, reklamierten die Kämpfer und brachten zum Ausdruck, dass der militärpolitischen Arbeit nur wenig Interesse entgegengebracht würde.225 Ob derartiges demonstratives Desin-

                                                             222 Wortbericht zum Abschluss der Ausbildungsperiode 1964/66, LHAM, Rep M24 (1961– 1975), Nr. 1253, Bl. 77; vgl. auch: Protokoll der Arbeitsberatung in Stendal vom 21.1.1965, LHAM, Rep P13, Nr. IV/A-2/12/917, Bl. 36; Kampfgruppenanalyse vom 4.7.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 434. 223 Zu den infrastrukturellen Defiziten des Verkehrswesens vgl. Port, Conflict and Stability, S. 186; Rogg, Militär und Gesellschaft, S. 461f. 224 So konstatierte eine „Kampfgruppenanalyse“ des MfS im Juli 1968, dass die Bereitstellung von Fahrzeugen für die Kampfgruppe im VEB BMK Chemie Halle „wesentlich verbessert werden“ könnte; zwar registrierte das MfS keine „Erscheinungen der piD [politischideologischen Diversion]“, stellte jedoch fest, dass sich „Vorkommnisse organisatorischer Art […] zersetzend auf die Einsatzbereitschaft“ auswirken würden; vgl. Kampfgruppenanalyse vom 4.7.1968, BStU, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 437. 225 Kampfgruppenanalyse vom 28.2.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 429–433.

 

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teresse politisch motivierten Unmut gegenüber dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ signalisieren sollte, lässt sich im Einzelnen nicht rekonstruieren und oblag den individuellen Wahrnehmungen der Kämpfer selbst. Wohl gab es auch im Spätsommer 1968 einzelne Kämpfer, die, wie im Magdeburger Georgi-Dimitroff-Werk, aus Protest gegen die Politik der SED aus den Kampfgruppen austraten.226 Sich auf diese Weise symbolisch gegen die Partei zu wenden, war jedoch mit unkalkulierbaren beruflichen und sozialen Risiken verbunden, das galt zumal für die Angehörigen der bewaffneten Organe.227 Offenkundig waren auch die Verantwortlichen selbst bemüht, jedweden Verdacht von politischem Dissens innerhalb der Kampfgruppen von vornherein zu zerstreuen. In der Regel wurden Gründe privater Natur angeführt, um das Fehlen von Kämpfern zu entschuldigen, „politische“ Gründe tauchten hingegen selten auf.228 „Diejenigen, die an der Ausbildung nicht teilgenommen haben, konnten stets eine Entschuldigung vorbringen“, notierte ein Bericht der MfS-Bezirksverwaltung Halle im Juli 1968.229 Was als akzeptabel bzw. nicht akzeptabel galt, war in jedem Fall Ansichtssache. Die vielfältigen Auslegungsmöglichkeiten des Begriffes verweisen jedoch auf den intimen Charakter staatssozialistischer Disziplinierungs- und Konfliktbereinigungsmechanismen.230 Ein Kämpfer, der seine Teilnahme an der Ausbildung mehrfach zugesichert hatte, um dann doch nicht zu erscheinen, zog sich „ernsthafte Aussprachen“ zu. Daraufhin nahm er an der Nachholausbildung teil, so dass „weitere derartige Aussprachen nicht geführt zu werden [brauchten]“.231 Der pädagogische Impetus, der hier zum Ausdruck kommt und der ebenso hartnäckig wie nachsichtig sein konnte, verweist auf die

                                                             226 Gehrke, Das unscheinbare Schlüsseljahr, S. 108. 227 Vgl. dazu: Wenzke, NVA und Prager Frühling, S. 180–187. 228 Vgl. Kampfgruppenanalyse vom 28.2.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 430f.; Kampfgruppenanalyse vom 4.7.1968, ebd., Bl. 434f. 229 An Entschuldigungen, die von den Kampfgruppen-Angehörigen vorgebracht worden waren, wurde aufgelistet: „1. Krankheiten aller Art, 2. Auswärtswohnende, 3. Reservisten der NVA mit Spezialausbildung, 4. Zeitknappheit, 5. Ein Teil sieht den Sinn seiner Teilnahme nicht ein, da sie als Reservisten im E-Fall [Ernstfall, T.S.] sowieso eingezogen würden und die Kampfgruppe ihnen bei dem Ausbildungsniveau nicht viel bieten kann, 6. Schlechte Organisation der Kampfgruppenarbeit (s. Punkt 12 [des Berichts, T.S.]),“ Kampfgruppenanalyse vom 4.7.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 435. 230 Vgl. dazu: Madarász, Working in East Germany, S. 155. 231 Kampfgruppenanalyse vom 4.7.1968, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 435.

 

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„Matrix Familie“ als wichtige handlungsanleitende Orientierung sozialistischer Herrschaftspraxis.232 Das galt erst recht für SED-Mitglieder, denn mit dem, nicht zuletzt freiwilligen Beitritt hatten die Betreffenden eingewilligt, sich den parteilichen Moral- und Wertvorstellungen gewissermaßen mit „ganzem Herzen“ zu verschreiben. Die praktische Konsequenz dieser Forderung besaß eine hohe emotionale Aufladung, wie zahllose Parteiversammlungen zeigen, die nicht selten als Rituale von Scham und Beschämung wirkten.233 Die SED trachtete mit Hilfe von Unterwerfungsritualen und Einschüchterungsversuchen, wie sie auch in den zahlreichen Leserzuschriften von Kampfgruppen-Einheiten aus der ganzen DDR im „Kämpfer“ zum Ausdruck kommen, ihre Mitglieder nicht nur einer strengen Disziplin zu unterwerfen. Zugleich gab sie sich auf diese Weise den Anschein einer großen Familie, in der die ,oben‘ die Rolle von Familienoberhäuptern innehatten und gegebenenfalls „Erziehungsmaßnahmen“ einleiteten, wenn ihre Schützlinge ,unten‘ aus der Reihe zu tanzen drohten.234 Wie in einer Familie war der Austritt praktisch unmöglich, im Zweifelsfall wurde man ausgeschlossen. Ein Ausschluss implizierte jedoch nicht nur unkalkulierbare berufliche und soziale Folgen, er versah den Ausgeschlossenen zugleich mit der moralischen Schande, die Sache des Sozialismus (und all die, die weiterhin für sie einstanden) verraten zu haben.235 Dass fast die Hälfte derjenigen, die ihrem Unmut gegenüber der Politik der SED im Spätsommer 1968 lautstarken Ausdruck gaben, unter 25 Jahre alt waren, legt nahe, dass sich in den Kampfgruppen mit seinem Mindestbeitrittsalter von 26 Jahren eher verhaltener Protest regte. Wiederum zeigte sich ein stets zu Krisenzeiten sichtbar werdender Generationenkonflikt innerhalb der DDR-Gesellschaft. Grob verallgemeinert, begrüßten die Älteren – teils aus subjektiver Überzeugung,

                                                             232 Vgl. Alf Lüdtke, Alltag „in unserer Ebene“. Anfragen zu den Perspektiven auf die 1970er und 1980er Jahre in der DDR, in: Renate Hürtgen/Thomas Reichel (Hg.), Der Schein der Stabilität. DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker, Berlin 2001, S. 295–300, hier: S. 299f. 233 „By the very act of joining, individuals acknowledged the right of the party to shame them and expressed their own preparedness to feel shame”; Helena Flam, Mosaic of Fear. Poland and East Germany before 1989, New York 1998, S. 60; vgl. auch: Thomas Reichel, Die „durchherrschte Arbeitsgesellschaft“. Zu den Herrschaftsstrukturen und Machtverhältnissen in DDR-Betrieben, in: Hürtgen/Reichel (Hg.), Der Schein der Stabilität; speziell zum Spätsommer 1968: Wolle, Die DDR-Bevölkerung und der Prager Frühling, S. 44; Gehrke, Das unscheinbare Schlüsseljahr, S. 112. 234 Wolle, Der Traum von der Revolte, S. 180. 235 Flam, Mosaic of Fear, S. 63.

 

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teils aus Angst, selbst in die Schusslinie zu geraten – in der Regel ein autoritäres Vorgehen, während die Jüngeren dagegen aufbegehrten.236 Mehr noch als der unterdrückte Streit über die Angemessenheit des politischen Vorgehens kam jedoch in diesem „heißen Sommer“ zusammen. Die entschiedene Anti-Haltung der „misstrauischen Patriarchen“ gegenüber jedweden, von ihren paternalistischen Vorstellungen abweichenden Versuchen einer Reform des Sozialismus, wie sie im „Prager Frühling“, aber auch im „Kahlschlag“-Plenum zum Ausdruck kamen, bedeutete nicht nur eine Absage an alle Reformhoffnungen innerhalb der eigenen Gesellschaft. Sie verlieh der ohnehin prekären Bedeutung des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ zusätzliche Brisanz. Was er in der Kampfgruppe solle, wir hätten ja ohnehin nichts mehr zu verteidigen, machte ein Arbeiter einem Meister im August 1970 im VEB Maschinenbau Burg zum Vorwurf. Zu seiner Rechtfertigung führte er – seit vier Jahren Mitglied der SED und für seine verbale Entgleisung mit einer Rüge bedacht – an, dass er selbst seine „Pflicht in der Kampfgruppe erfüllt“ habe. Sein Unmut schien sich weniger gegen den Sozialismus als Ganzes als vielmehr gegen seine Vertreter zu richten. So würde der Parteisekretär, seit der betreffende Kämpfer der SED beigetreten sei, kaum noch mit ihm sprechen und ihm in der Produktion benötigte Materialien für Reparaturzwecke vorenthalten.237 Indirekt bezichtigten diese Rechtfertigungsversuche die SED falscher Versprechungen. Zunächst schien die Partei – in Gestalt des Parteisekretärs – sehr bemüht um seine Person gewesen zu sein, solange der betreffende Arbeiter noch nicht den Mitgliederstatus besaß. Einmal eingetreten, war davon – seiner Wahrnehmung zufolge – jedoch nicht mehr viel zu spüren. Darüber hinaus warf er der SED bzw. wiederum ihren Vertretern vor, für sich zu reklamieren, die Partei der Arbeiterklasse zu sein, ohne jedoch für geordnete Produktionsbedingungen sorgen zu können (oder zu wollen). Artikulierte sich in diesen Vorwürfen ein individuelles Bewusstsein über die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit innerhalb der „sozialistischen Menschengemeinschaft“, scheint bezeichnend, dass sie sich ausgerechnet am Kampfgruppen-Dienst festmachten.238 Ulbrichts Reformansätze der 1960er Jahre kön-

                                                             236 Vgl. im Hinblick auf das Jahr 1968 in der DDR: Wierling, Die Jugend als innerer Feind, S. 420–422; dies., Erzieher und Erzogene, S. 638–641; vgl. auch: Ohse, Jugend, S. 218f. 237 Protokoll über die am 9.10.1970 durchgeführte außerordentliche Leitungssitzung, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/B-7/7/3. 238 Darüber, wie lange der betreffende Kämpfer selbst in der Kampfgruppe gedient hatte und ob er aus Protest gegenüber der Politik der SED aus ihr ausgetreten war, gibt die Quelle

 

 

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nen auch als Versuch interpretiert werden, dem proletarischen Mythos eine neue, friedlichere Ausrichtung zu geben. Nicht in erster Linie der Kampf gegen den Klassenfeind, sondern der Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sollte die Menschen für das Projekt des „umfassenden Aufbaus des Sozialismus“ begeistern und mobilisieren.239 Es war aber nicht nur die „Symbiose von Technik und Gemeinschaft“ (Meuschel), die eine Prüfung von Sinn und Zweck der Kampfgruppen heraufbeschwor. Auch ein gleichfalls sich in den 1960er Jahren vollziehender, innerorganisatorischer Generationenwechsel hatte seinen Anteil daran, (innere wie äußere) Wahrnehmungsmuster der Kampfgruppen neu zu verhandeln. Nicht die selbstlose Begeisterung für ein das Gegebene transzendierendes Ziel („Enthusiasmus“) und die bewusste Freiheit gegenüber funktionaler Perfektion („Dilettantismus“) schienen die militärpolitische Arbeit zu bestimmen. Waren sie bis zu dem Ausscheiden zahlloser Kämpfer der ersten Stunde vielfach maßgeblich gewesen, wichen sie mehr und mehr einer Lust an männerbündischer Geselligkeit, die sich um Telos und Utopie der kommunistischen Bewegung wenig kümmerte. Politische, durch die Kampfgruppen repräsentierte Gewalt erfuhr hingegen – so hatte es zumindest den Anschein – eine zunehmende Privatisierung. Weniger ideologische Verpflichtung als der Wunsch, aus der Reiz- und Spannungslosigkeit des eigenen Alltags auszubrechen, schien im Hinblick auf die Frage eines Beitritts an Gewicht zu gewinnen.240 Die Kampfgruppen deshalb aufzulösen oder sie ihrer politischen Funktion zu entkleiden, kam bei allem Reformeifer auch für Ulbricht nicht in Frage. Insofern es bei ihnen immer auch um die Frage nach einer zeitgemäßen Repräsentation des proletarischen Mythos ging, bewirkte ihre Beibehaltung die Zuspitzung eines Dilemmas, das nicht nur das Selbstverständnis der Kampfgruppen allein, sondern des ganzen kommunistischen Systems betraf. „Virtuocracy breeds sycophancy“, schreibt Susan Shirk in ihrer Untersuchung zur Instrumentalisierung von Virtuosität im Staatssozialismus. Schon Max Weber hat auf die Schwierigkeiten bei der Veralltäglichung „charismatischer Herrschaft“ hingewiesen. Weil ihre Legitimität sich aus Situationen außeralltäglicher Bewäh-

                                                                                                                                       keinen Aufschluss; sie spricht allein von einer „fragwürdigen Bindung“ des betreffenden Arbeiters an die SED; Protokoll über die am 9.10.1970 durchgeführte außerordentliche Leitungssitzung, LHAM, Rep P18, SED-BPO VEB Maschinenbau Burg, Nr. IV/B-7/7/3. 239 Vgl. dazu: Eric Larsen, Marxism-Leninism’s Loss of Revolutionary Momentum: Conflict and Routinization in the East German State, 1961–1971, Washington 1994. 240 Zum Zusammenhang von ,politischer‘ und ,privater‘ Gewalt in der DDR vgl. Engler, Private Gewalt als politischer Akt.

 

Der proletarische Mythos und sein Wandlungspotential

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rung speist, macht es die Regel, der es an solchen Bewährungssituationen mangelt, zunehmend schwerer, echte moralische Integrität von lediglich vorgeblicher zu unterscheiden.241 Zunehmend wurden die Angehörigen der Kampfgruppen als Werktätige wahrgenommen, die sich weniger aus selbstlosen, denn aus subjektbezogenen Gründen dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ anschlossen – etwa, um auf diese Weise in den Genuss von Privilegien zu kommen, die gewöhnlichen Werktätigen verwehrt blieben, oder auch nur, um ganz persönlichen Vergnügungen nachzugehen. Derartige Wahrnehmungen konnten nicht ohne Folgen für die Glaubwürdigkeit eines Regimes bleiben, dass sie immerfort als ideale Repräsentanten seiner staatstragenden Ideologie pries. Zwar bewies Ulbrichts Reformeifer insofern Realitätssinn, als dass er den Versuch darstellte, die kommunistischen Energien auf weitaus zeitgemäßere und rationalere Kampfplätze zu lenken – nämlich die der Ökonomie (womit zugleich eine Neuaushandlung dessen bewirkt wurde, was als virtuos zu gelten habe). Zugleich sah er sich jedoch mit dem Widerstand derjenigen konfrontiert, die darin eine Abkehr von der staatstragenden Ideologie witterten (und sich durch die Ereignisse des Jahres 1968 scheinbar bestätigt fühlten).

                                                             241 Shirk, Competitive Comrades, S. 12f.; zum Problem der Veralltäglichung von „charismatischer Herrschaft“ vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 142–148.

 

 

I. Kampfgruppen in der Ära Honecker. Zur „Faktizität der F(r)iktionen“ in den ,langen‘ 1970er Jahren

„Was die Märzkämpfer vor 50 Jahren erträumten – einen sozialistischen Staat deutscher Nation zu schaffen, in dem Ausbeutung, Krise und Krieg für immer beseitigt sind, wo das Recht auf Arbeit verwirklicht wird und das ganze werktätige Volk Bildungsrecht genießt, das ist in 25 Jahren Politik der SED in der DDR verwirklicht worden. Was den Märzkämpfern vor 50 Jahren noch fehlte – eine hohe militärische Ausbildung, moderne Waffen und Geräte, die Meisterschaft, solche Waffen gegen ihre Feinde zu beherrschen, das ist heute in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse und in allen bewaffneten Kräften der DDR zur Realität geworden. Wofür die Märzkämpfer vor 50 Jahren kämpften – die unheilvolle Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden und die Einheit der revolutionären Arbeiterklasse herzustellen, das ist seit der Gründung der SED vor 25 Jahren erfüllt. Die Ideale, Träume und Ziele der klassenbewussten Arbeiter, die in den Märzkämpfen 1921 und in anderen Klassenschlachten gegen den Imperialismus ihr Leben einsetzten, sind verwirklicht.“1

In mancherlei Hinsicht bildete die Machtübernahme Erich Honeckers im Mai 1971 eine ähnliche Zäsur für die Geschichte der DDR wie der Mauerbau kaum zehn Jahre zuvor. Während Ulbrichts „umfassender Aufbau des Sozialismus“ im Gewand des NÖSPL eine Schwerpunktverlagerung von der Politik hin zur Ökonomie angestoßen hatte, implizierte er zugleich eine Neujustierung des revolutionären Selbstverständnisses der SED. Demgegenüber folgte Honeckers Kurs wieder uneingeschränkt dem Primat des Politischen.2 Mochten Ulbrichts Reformversuche noch so halbherzig gewesen sein, so stellten sie zumindest den Versuch dar, den Sozialismus auf ein zeitgemäßeres (und zivileres) Selbstverständnis auszurichten. Honeckers Agenda sah sich hingegen gänzlich dem kämpferisch konnotierten „Vermächtnis“ Ernst Thälmanns verpflichtet.3 Der Generalsekretär führte den unter Ulbricht verpönten „Rotfrontkämpfer-Gruß“ wieder als Parteigruß ein – als

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Aufruf des 1. Bezirkssekretärs der SED vom 5.3.1971, LHASA, BDVP 19, Nr. 362, Bl. 43. Zum Machtwechsel vgl. Monika Kaiser, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972, Berlin 1997; zur „Neujustierung“ des SED-Selbstverständnisses unter Ulbricht: Eric Larsen, MarxismLeninism’s Loss of Revolutionary Momentum: Conflict and Routinization in the East German State, 1961–1971, Washington 1994. Vgl. bspw.: Ernst Thälmann – unsere Partei erfüllt sein Vermächtnis. Wissenschaftliche Konferenz zum 100. Geburtstag Ernst Thälmanns in Berlin am 12. und 13. März 1986, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus, Berlin (O) 1986.

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„Kampfansage an den Klassenfeind“4 – und schwor seine Basis darauf ein, dass es an der „ideologischen Front“ des Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus „keine Waffenruhe“ geben könne.5 Es verwundert daher kaum, dass die Kampfgruppen, die im Schatten von Ulbrichts „wissenschaftlich-technischer Revolution“ zunehmend an Bedeutung verloren hatten, unter Honecker eine Wiederaufwertung erlebten. Das Bekenntnis zu Klassenkrieg und Kampfbereitschaft – das gerade sie in pointierter Form verkörperten – war jedoch nicht ausschließlich „funktional“.6 Obwohl der Repressionsapparat, und hier insbesondere das MfS, unter Honecker einen massiven Ausbau erfuhr, stellte der darin zum Ausdruck kommende Argwohn nur eine Seite einer als Einheit zu denkenden „Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik“ dar.7 Honeckers „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ – darin ist sich die Forschung weitgehend einig – vermochte es (zunächst noch) vergleichsweise stärker als Ulbrichts NÖSPL wenn nicht Legitimität, so doch zumindest Loyalität innerhalb der Bevölkerung zu erzeugen. Zudem konnte die DDR auch in außenpolitischer Hinsicht unter seiner Führung stetig wachsende und sich ausweitende politische Anerkennung verzeichnen.8 Manche Forscher plädieren deshalb dafür, stärker auf „normalisierende“ Aspekte und Entwicklungslinien seiner Amtszeit zu

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Börrnert, Das Thälmann-Bild der SED, S. 81. Vgl. dazu: Satjukow/Gries, Feindbilder des Sozialismus, S. 50. Rüdiger Bergien, Erstarrter Bellizismus. Die SED-Funktionäre und ihr Weg in den Herbst `89, in: Sabrow (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt, S. 32–55, hier: S. 35. Jens Gieseke, Die Einheit von Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik. Militarisierung und Überwachung als Problem einer DDR-Sozialgeschichte in der Ära Honecker, in: ZfG 51 (2003), S. 990–1021; zur „Militarisierung“ unter Honecker: Heribert Seubert, Zum Legitimitätsverfall des militarisierten Sozialismus in der DDR, Hamburg 1995; Diedrich/Ehlert/Wenzke (Hg.), Handbuch der bewaffneten Organe; Ehlert/Rogg (Hg.), Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR; zuletzt: Rogg, Armee des Volkes; Bröckermann, Landesverteidigung und Militarisierung. Zur Rezeption von Honeckers „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ in der DDR: Hockerts, Soziale Errungenschaften?; Fulbrook, Anatomy of a dictatorship, S. 277; zur Außenpolitik in der Ära Honecker: Hermann Wentker, Doppelter UN-Beitritt. Deutschdeutsche Konkurrenz auf der internationalen Bühne, in: ders./Udo Wengst (Hg.), Das doppelte Deutschland. 40 Jahre Systemkonkurrenz, Berlin 2008, S. 235–258; Benno-Eide Siebs, Die Außenpolitik der DDR 1976–1989. Strategien und Grenzen, Paderborn 1999; Anja Hanisch, Die DDR im KSZE-Prozess 1972–1985: zwischen Ostabhängigkeit, Westabgrenzung und Ausreisebewegung, München 2012.

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fokussieren.9 Honecker galt zu Beginn seiner Amtszeit noc h kaum als der politisch blinde und ideologisch starrköpfige Gerontokrat als den man ihn im Herbst 1989 schließlich aus dem Amt jagte. Gegenüber seinem Vorgänger wirkte der ehemalige FDJ-Vorsitzende hingegen erfrischend jugendlich. Die X. Weltfestspiele der Jugend 1973 in Berlin schienen auch der übrigen Welt zu zeigen, dass mit dem neuen Generalsekretär eine „sozialistische Morgenröte“ (Engler) angebrochen sei. So widersprüchlich sich Honeckers politische Agenda scheinbar ausnimmt, so verständlich wird sie aus einer generationellen Perspektive. Der „proletarische König“ – wie Wolfgang Engler Honecker genannt hat – „verwechselte sich Zeit seiner Herrschaft mit einem proletarischen ,Erobererkönig‘ und die Geschichtsspanne, in der er wirkte, mit der Kampf- und Aufbruchsperiode des Weltkommunismus“.10 Für ihn gehörten Wohlfahrtsstaat und wehrhafte Klasse zusammen. Sie bildeten zwei komplementäre Momente einer lebenslang gültigen Lektion, die Honecker in seiner Jugend erfahren hatte und die auch im eingangs zitierten Aufruf zum Ausdruck kommt. „Cultivating the spirit of Ernst Thälmann meant using modern technology to fulfill the values and ideals of the 1920s and 1930s in the 1970s and 1980s.“11

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Mary Fulbrook definiert „Normalisierung“ erstens „im Sinne einer Routinisierung des alltäglichen Lebens“, zweitens „im Sinne eines wachsenden Gefühls der Normalität“ und drittens „im Sinne von Normen, die akzeptiert oder verinnerlicht werden“; vgl. dies., Ein „ganz normales Leben“? Neue Forschungen zur Sozialgeschichte der DDR, in: Timmermann (Hg.), Das war die DDR, S. 115–134, hier: S. 120f.; ausführlicher: dies., Ein ganz normales Leben; den vorgeblichen Charakter scheinbarer „Normalität“ betonen dagegen: Vollnhals/Weber (Hg.), Der Schein der Normalität; Peter Hübner wiederum benutzt den Begriff, um der inneren Logik des Staatssozialismus zu folgen und fasst darunter eine konservative Wende seiner Machthaber seit den 1970er Jahren, die auf „Repression gegen die Reformer, gezielte Entpolitisierung der Gesellschaft und deren soziale Beschwichtigung sowie für die Restauration der Parteiherrschaft“ zielte; vgl. ders., Norm, Normalität, Normalisierung: Quellen und Ziele eines gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsels im sowjetischen Block um 1970, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien, Bd. 28/29 (2003), S. 24–40, hier: S. 24; vgl. auch: ders./Christa Hübner, Sozialismus als soziale Frage. Wolfgang Engler, Der proletarische König, in: ders., Die ungewollte Moderne. Ost-WestPassagen, Frankfurt a. Main 1995, S. 11–30, hier: S. 28; vgl. dazu auch: Epstein, The Last Revolutionaries. Nothnagle, Building the East-German Myth, S. 126f.; Ahbe/Gries, Generationengeschichte als Gesellschaftsgeschichte.

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Vor dem Hintergrund einer in zunehmendem Maße „heilen Welt“ im Realsozialismus12 waren die Kampfgruppen alles andere als ein funktionales Repressionsorgan, sie fungierten vielmehr als Repräsentanten eines übergreifenden Sinnzusammenhangs. Wohl waren Kampfgruppen auch in den 1970er Jahren noch an Manövern des Warschauer Paktes beteiligt. Sie wurden sogar in den 1980er Jahren im Inneren zum Einsatz gebracht,13 nachdem die krisenhaften Ereignisse in Polen zu Beginn des Jahrzehnts zu einer Änderung ihrer Einsatzgrundlagen geführt hatten. Beabsichtigt wurde vor diesem Hintergrund, die Miliz ggf. zur „Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere gegen subversive und konterrevolutionäre Machenschaften des Gegners“ zu verwenden.14 Vor allem aber kam ihnen nun wieder eine wichtige Repräsentationsfunktion innerhalb der politischen Kultur der DDR zu. Ein Plan zur Öffentlichkeitsarbeit des II. Kampfgruppen-Bataillons „Karl Meseberg“ aus dem Jahr 1988 zeigt beispielhaft, wie präsent die Kampfgruppen in der realsozialistischen Öffentlichkeit waren. Nicht nur marschierte die Einheit zu den üblichen staatssozialistischen Feiertagen wie dem 1. Mai und dem 7. Oktober auf. Auf dem Programm standen ferner die Anwesenheit bei öffentlichen Kranzniederlegungen, feierlichen Waffenübergaben und Delegiertenkonferenzen sowie weitere Demonstrationen und Aufmärsche, etwa zum Internationalen Frauentag.15 Desgleichen gewann die Öffentlichkeitsarbeit auch im Alltag der Einheiten an Gewicht, etwa durch die Übernahme sogenannter „Patenschaften“. Mit ihrer Hilfe beabsichtigte man, „unmittelbar auf die Erziehung der jungen Menschen                                                              12 13

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Vgl. dazu: Wolle, Die heile Welt der Diktatur; Vollnhals/Weber (Hg.), Der Schein der Normalität. So z. B. gegen randalierende Fußballfans, aber schon derartige Einsätze weckten unter einer Reihe von Kämpfern „Unverständnis und Unzufriedenheit“; vgl. Bericht über die Arbeit der Kampfgruppe im Ausbildungsjahr 1974, undat. [1975], LHAM, Rep P13, Nr. IV/C-2/12/790, Bl. 5; vgl. dazu auch: Frank Willmann, Unter der Oberfläche brodelte es: Fußballfans in der DDR, in: Daniel Küchenmeister/Thomas Schneider (Hg.), Emanzipation und Fußball, Berlin 2011, S. 93–105. Direktive des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates über Rolle, Platz, Aufgaben, Organisation und Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse der Deutschen Demokratischen Republik vom 22.12.1980, BStU, MfS, AGM, Nr. 370, Bl. 245; zur Wahrnehmung der Ereignisse in Polen durch die SED vgl. Michael Kubina/Manfred Wilke (Hg.), „Hart und kompromisslos durchgreifen“. Die SED contra Polen 1980/81. Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewegung, Berlin 1995. Plan der Öffentlichkeitsarbeit des II. KGB „Karl Meseberg“ vom 26.10.1988, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, BdL, Nr. 172, Bl. 208f.

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Einfluss“ zu nehmen, um „ihnen die Erfahrungen des Klassenkampfes [zu] vermitteln und sie mit dem Gefühl der Arbeiterehre [zu] erfüllen“, wie es auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 formuliert worden war.16 Der Patenschaftsvertrag zwischen der motorisierten Hundertschaft des VEB Waschmittelwerkes Genthin und der 9. Klasse der Erweiterten Oberschule Genthin zeigt, wie Schulkinder und Kämpfer auf diese Weise gleichermaßen zur Ausbildung „allseitig und harmonisch entwickelte[r] sozialistische[r] Persönlichkeiten“ angehalten wurden.17 Zentrale Momente der Miliz aber stellten insbesondere die Jubiläumsdaten des Bestehens der Kampfgruppen 1973, 1978 und 1983 dar – vor allem das 30jährige Jubiläum der Kampfgruppen wurde mit großem Aufwand begangen. Beinah täglich brachte das „Neue Deutschland“ im September unter der Rubrik „Vor drei Jahrzehnten entstanden die Kampfgruppen“ Artikel zur Arbeitermiliz.18 Zur besten Sendezeit wurde an einem Freitagabend um 20 Uhr eine Reportage über eine Übung der Kampfgruppenhundertschaft „Herbert Ritter“ im ersten Programm gezeigt.19 „Bildet Spalier! Begrüßt die Genossen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und bekundet durch Eure Teilnahme Eure enge Verbundenheit mit ihnen!“ forderte das „Neue Deutschland“ die Berliner Bevölkerung im Hinblick auf den zentralen „Kampfappell“ am 25.9.1983 auf.20 Folgt man seiner Berichterstattung, begleiteten 150.000 Berliner den Vorbeimarsch von insgesamt 10.000 Kämpfern. Ihre Aufmerksamkeit wurde als „sinnfälliger Ausdruck dafür“

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Zit. nach: Emmanuel Droit, Die „Arbeiterklasse“ als Erzieher? Die Beziehung zwischen Schulen und Betrieben in der DDR (1949–1989), in: Sandrine Kott/Emmanuel Droit (Hg.), Die ostdeutsche Gesellschaft. Eine transnationale Perspektive, Berlin 2006, S. 35– 52, hier: S. 43; zu Patenschaften zwischen den bewaffneten Organen und der Gesellschaft vgl. Rogg, Armee des Volkes?, S. 158–162. Vgl. Patenschaftsvertrag zwischen der motorisierten Hundertschaft des VEB Waschmittelwerk Genthin und der Klasse 9B2 der EOS Genthin, o. Verf., o. D., LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/B-4/3/207, Bl. 105f.; zur Ausbildung „allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ vgl. Angela Brock, Producing the ,Socialist Personality‘? Socialisation, Education, and the Emergence of New Patterns of Behaviour, in: Mary Fulbrook (Hg.), Power and Society in the GDR, 1961–1979: The “Normalization of Rule”? New York/Oxford 2009, S. 220–252. Vgl. dazu: Neues Deutschland, Nr. 221 vom 19.9.1983; Nr. 224 vom 22.9.1983; Nr. 225 vom 23.9.1983; Nr. 226 vom 24./25.9.1983; Nr. 227 vom 26.9.1983. Vgl. dazu Programmankündigung im „Neuen Deutschland“, Nr. 221 vom 19.9.1983, S. 4. Vgl. Neues Deutschland, Nr. 226 vom 24./25.9.1983, S. 1.

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betrachtet, „dass die produzierende Arbeiterklasse ihre Macht auch militärisch zu organisieren versteht“, wie das „Neue Deutschland“ emphatisch verkündete.21 In Abwandlung einer Formulierung von Alexander Kluge und Oskar Negt könnte man deshalb behaupten, dass die Kampfgruppen in der Ära Honecker „nicht mehr als Hilfstruppen gegen die Konterrevolution gebraucht“ wurden. Hingegen fungierten sie unter Honecker vornehmlich „als Hilfstruppen zur Aufrechterhaltung der Legitimation, zur Neutralisierung der kritischen Öffentlichkeit des eigenen Lagers“.22 Martin Sabrow hat unterstrichen, dass das schärfste Instrument des SED-Regimes trotz seines massiven Sicherheitsapparates nicht die Repression war, sondern das – suggerierte, inszenierte, erzwungene oder freiwillige – Einverständnis. Dafür hat er den Begriff der „Konsensdiktatur“ vorgeschlagen. Gemeint ist damit eine Herrschaftsform, die den politischen, kulturellen und sozialen Konsens von Herrschenden und Beherrschten beständig von oben proklamierte und von unten akklamieren ließ. Auf diese Weise beabsichtigte die SED, sich und ihren Führungsanspruch aus der behaupteten und inszenierten Identität von Volk und Führung heraus zu legitimieren.23 Dieser Befund gilt selbstverständlich nicht erst für die Regierungszeit Honeckers, aber er entfaltete seit den frühen 1970er Jahren im verstärkten Rekurs auf den proletarischen Mythos eine ganz spezifische Dynamik. Ideologie und Wissenschaft – die die Legitimitätsansprüche der SED formulieren und ihre Realisierung nachweisen sollten – nahmen den Charakter dogmatischer Fiktionen an, sobald die Entwicklung der Wirklichkeit mit dem Primat politischer Ansprüche und Vorgaben nicht mehr Schritt zu halten vermochte.24 Erfahrbar wurde diese „Faktizität der Fiktionen“ als fortschreitende Unterspülung einer spezifischen Form von Weltaneignung und -auslegung, die ihre innere Stärke und Überzeugungskraft stets aus Abgrenzung und Geschlossenheit gezogen hatte. Mit der Auflösung der bipolaren Welt wurde sie von ihren eigenen Repräsentanten jedoch in zunehmendem Maße als bloße Täuschung und lästige Denkfessel betrachtet. Dafür ist der Begriff der „Finalitätskrise“ geprägt worden, deren Beginn die Forschung ir-

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Vgl. „Zum 30. Jahrestag des Bestehens der bewaffneten Arbeiterformationen“, in: Neues Deutschland, Nr. 227 vom 26.9.1983, S. 1. Kluge/Negt, Öffentlichkeit und Erfahrung, S. 344. Sabrow, Der Konkurs der Konsensdiktatur; vgl. dazu auch: Fulbrook, Methodologische Überlegungen, S. 292. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 236.

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gendwo in der Amtszeit Honeckers verortet, ohne jedoch einen genaueren Zeitpunkt angeben zu können.25 Der Begriff der „langen“ 1970er Jahre, der hier für die gesamte Amtszeit Honeckers bis in den Spätsommer 1989 hinein gebraucht werden soll, begründet sich mit diesem ,Ausstieg aus der Geschichte‘. Die Forderung einer „Ausprägung der spezifisch sozialistischen Züge der Klasse“, wie sie von Werner Lamberz bereits 1971 programmatisch formuliert worden war26, zielte in erster Linie auf einen homogenen gesellschaftlichen Gegenentwurf zur westlichen Moderne mit all ihren Heterogenitäten und Ambivalenzen.27 Gleichzeitig illustriert sie die Absicht, die realsozialistische Gegenwart zum Gipfel der Geschichte zu erheben. Dies kommt auch im eingangs zitierten Aufruf zum Ausdruck, wenn dort kategorisch behauptet wird, dass die Ideale, Träume und Ziele aller klassenbewussten Arbeiter nun verwirklicht seien. „Sinnstiftung diesseits der Utopie“ erteilte dem bis dahin immer wieder prognostizierten baldigen Übergang zum Kommunismus eine kaum verhüllte Absage. Stattdessen konzentrierte sie all ihre Energien auf die Gestaltung der „realen Prozesse“ des gegenwärtigen „gesellschaftlichen Lebens“.28 Das galt auch – und offenbar mit Priorität – für das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“, denn schon bald nach Honeckers Machtantritt erfolgte eine breit angelegte und sich über zwei Jahre hinziehende Kampfgruppen-Reform. Diese Reform galt vordergründig der „bedeutenden Erhöhung“ von Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft der Miliz.29 Sie intendierte aber zugleich eine symbolische (Wieder-)Aufwertung der Kampfgruppen und ihrer Angehörigen. Das legen zumindest zahlreiche, in diesem Zusammenhang formulierte Eignungskriterien pragmatischer wie „politisch-moralischer“ Natur nahe, die fortan bei der Auf-

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Vgl. dazu: Sabrow, Konkurs der Konsensdiktatur; ders., Vertrauter Feind, objektiver Gegner; zur „Finalitätskrise“: Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft; zur „Faktizität der Fiktionen“: Lüdtke, Sprache und Herrschaft in der DDR. Vgl. dazu: Werner Lamberz, Partei – Klasse – Masse, in: Einheit 27 (1972), S. 846–854. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 19; vgl. dazu auch: Kurt Hager, Die entwickelte sozialistische Gesellschaft, in: ders., Zur Theorie und Politik des Sozialismus. Reden und Aufsätze, Berlin (O) 1972, S. 159–218. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 221–240; vgl. dazu auch: Boris Groys, Gesamtkunstwerk Stalin. Die gespaltene Kultur der Sowjetunion, München/Wien 1988; Eugen Blume/Roland März, Utopie und Realität – Vom Scheitern in der Geschichte, in: diess. (Hg.), Kunst in der DDR. Eine Retrospektive der Nationalgalerie, Bonn 2003, S. 292–299. Grundsätze der Entwicklung der Kampfgruppen im System der Landesverteidigung vom April 1972, BArchB., Do1/18.0/53583.

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nahme und Ausbildung zu berücksichtigen waren. Stärker als bisher sollten bei der Rekrutierung fortan strukturelle Faktoren wie die „Wohnlage zum Standort, die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit, die Verkehrsbedingungen, berufliche und sonstige Vorkenntnisse sowie die Bedingungen der beruflichen Tätigkeit und Qualifizierung“ berücksichtigt werden.30 Erhoffte man sich dadurch eine Erhöhung der Gefechtsbereitschaft, lagen diesen Vorgaben offensichtlich pragmatische Erwägungen zugrunde. Die Forderung, vor allem in der Produktion beschäftigte und in der Partei integrierte Personen zu rekrutieren,31 verweist hingegen auf die symbolische Dimension der Reform. Gegenüber der technokratischen Vision der 60er Jahre gewann nun wieder der proletarische Mythos an Gewicht: Die – nach Maßgabe der SED – ideale Gesellschaft würde dann erreicht sein, wenn alle Individuen sich dem „proletarischen Wesen“ assimiliert hatten, wenn sie von revolutionärem Geist, politischer Bewusstheit und gesamtgesellschaftlicher Verantwortlichkeit durchdrungen waren.32 Zu den vornehmsten Vertretern einer derartigen Haltung wurden nun wieder die Angehörigen der Kampfgruppen gezählt. Damit brach man zwar unter-

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Richtlinien für die Auswahl und Zugehörigkeit der Kämpfer der Kampfgruppen der Arbeiterklasse der Deutschen Demokratischen Republik [Beschlußvorlage für das Sekretariat des ZK der SED], undat. [1972], BStU, MfS, SdM, Nr. 1591, Bl. 214; um die Herstellung einer schnelleren Gefechtsbereitschaft zu gewährleisten, gewiss aber auch, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Kämpfer innerhalb der Einheiten zu stärken, war zudem vorgesehen, die Anzahl der Betriebe, aus denen sich einzelne Einheiten zusammensetzten, zu verringern; eine Vorgabe, der insbesondere in den ländlichen Kreisen des Bezirkes Magdeburg nicht entsprochen werden konnte; vgl. dazu: Abschlussbericht zur Umgliederung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, undat. [1974], LHAM, Rep P13, Nr. IV/C-2/12/787, Bl. 42. Ausdrücklich festgeschrieben wurde, dass als Kämpfer nur in Frage kam, wer seine „beruflichen und gesellschaftlichen Pflichten vorbildlich“ erfüllte; Personen, die sich hingegen „staatsgefährdender Tätigkeit und anderer schwerwiegender Verbrechen“ schuldig gemacht hatten, sollten in den Kampfgruppen fortan genauso wenig geduldet werden wie Reservisten, die „zur Ergänzung der Nationalen Volksarmee und der anderen bewaffneten Organe“ vorgesehen waren sowie Kader, deren zivile Verwendung sie auch im Krisenfall im Betrieb unabkömmlich machte; zugleich sollten fortan auch die „Bedingungen der beruflichen Tätigkeit und Qualifizierung (Studium, Auslandsarbeit, Montage, Dienstreisen, Schichtbetrieb usw.)“ bei der Rekrutierung mit berücksichtigt werden; vgl. Richtlinien für die Auswahl und Zugehörigkeit der Kämpfer der Kampfgruppen der Arbeiterklasse der Deutschen Demokratischen Republik [Beschlußvorlage für das Sekretariat des ZK der SED], undat. [1972], BStU, MfS, SdM, Nr. 1591, Bl. 214. Vgl. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 232f.

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schwellig mit dem bis dahin gültigen (wenn auch in der Praxis nur bedingt berücksichtigtem) Prinzip der Freiwilligkeit, dieser Bruch vollzog sich jedoch weitgehend unbemerkt. Auf seine Weise reflektierte er, dass unter den KampfgruppenAngehörigen der zweiten Generation kaum noch ein biographisch begründeter Enthusiasmus vorhanden war, wie er nicht wenige Kämpfer der ersten Generation ausgezeichnet hatte. Für weitaus größeres Aufsehen sorgte eine andere, im Zuge der Reform erlassene Maßnahme. In „Anerkennung der von den Kampfgruppen geleisteten Tätigkeit“ war im August 1974 beschlossen worden, langjährigen Angehörigen der Arbeitermiliz einen Zuschuss von bis zu 100 Mark zuzuerkennen – die sogenannte „Kampfgruppen-Rente“.33 Dass nun materiell belohnt wurde, was bis dahin stets als unentgeltliche „Ehrenpflicht“ gegolten hatte,34 fügte sich einerseits in den Kontext einer forcierten Sozialpolitik. Sie hatte Honecker schon kurz nach seinem Machtantritt auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 zur „Hauptaufgabe“

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Information über die Arbeit mit dem Beschluss zur zusätzlichen Rentenzahlung an langjährige Angehörige der Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 18.11.1974, LHAM, Rep P15 Genthin, Nr. IV/C-4/3/165, Bl. 76; im Einzelnen gewährte dieser Rentenzuschlag „bei einer Zugehörigkeit zu den Kampfgruppen der Arbeiterklasse von a) mindestens 25 Jahren oder b) mindestens 20 Jahren, sofern das vorzeitige Ausscheiden infolge Invalidität bzw. Untauglichkeit aus gesundheitlichen Gründen erfolgt, eine Alters-, Invaliden- und Unfallrente in Höhe von 100,- M.“ Desgleichen beschloss das Sekretariat des ZK eine „Witwenrente“ in Höhe von 60,- M, eine „Vollwaisenrente“ in Höhe von 40,- M sowie eine „Halbwaisenrente“ von 30,- M; vgl. Anlage vom 14.8.1974, BArchB., DO1/18.0/ 53584. Wie sehr sich das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ von einer auf ,Dilettantismus‘ und ,Enthusiasmus‘ beruhenden Organisation entfernt hatte, macht auch eine andere Maßnahme deutlich: Angesichts des gewachsenen Bedarfs „an Arbeitszeit zur Aufrechterhaltung der ständigen Einsatzbereitschaft“ war man im Zuge der Kampfgruppen-Reform auch dazu übergegangen, hauptamtliche Kampfgruppen-Funktionäre mit der Wartung und Instandsetzung von Bewaffnung und Ausrüstung der Miliz zu betrauen, zunächst zwei pro Bataillon, eine Zahl, die sich bis 1988 in der Praxis auf durchschnittlich acht Personen pro Bataillon erhöhte – republikweit waren damit in den 1980er Jahren insgesamt ca. 300 Personen hauptberuflich für das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ tätig, die aus dem Etat der jeweiligen Standortbetriebe bezahlt werden mussten; Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die weitere Erhöhung der Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft im Zeitraum 1981 bis 1990, undat. [1988], BStU, MfS, AGM, Nr. 269, Bl. 49.

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seiner Politik postuliert.35 Damit vollzog sich die Einführung der KampfgruppenRente im Kontext einer allgemeinen Erhöhung von Einkommen und Renten, die zu Beginn der 1970er Jahre eingesetzt hatte.36 Der Beschluss unterstrich jedoch auch, was unter Ulbricht zuletzt mehr und mehr in den Hintergrund getreten war: Dass nämlich die Angehörigen der Kampfgruppen „zum goldenen Fonds der Kader der Arbeiterklasse [gehören], deren Wort etwas gilt und deren Leistungen entsprechend anzuerkennen und zu würdigen sind“.37 Die verstärkte Besinnung auf die (mythisch verklärte) Vergangenheit würdigte nun nicht mehr nur diejenigen als gesellschaftliche Vorbilder, die einstmals für die Errichtung eines sozialistischen Staates gekämpft hatten. Vielmehr bezog sie fortan auch ihre zeitgenössischen Erben mit ein, die für den Schutz dieses Staates einstanden. Die schriftlich fixierten „funktionellen Pflichten“ verlangten von jedem Kämpfer, „ständig Vorbild zu sein, nach den Gesetzen der sozialistischen Ethik und Moral zu leben und getreu den Traditionen der revolutionären und deutschen Arbeiterbewegung und im Sinne des proletarischen Internationalismus zu handeln“.38 Diese Maximen bezogen sich jedoch nicht allein auf den Dienst in der Kampfgruppe, sondern auf den realsozialistischen Alltag im Allgemeinen. Kämpfer sollten „Aktivposten in jedem Betrieb“ sein, „fleißig, diszipliniert, sachlich, von hoher politischer und fachlicher Qualifikation“ und die „führende Rolle der Partei verwirklichen“ helfen.39 Handelt es sich hier um Zuschreibungen, die im Grunde schon immer von den Kämpfern erwartet worden waren, gewann unter Honecker jedoch die Parteiverbundenheit an Gewicht. Richtige Kämpfer

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Hans Günther Hockerts (Hg.), Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich, München 1998; Peter Hübner/Christa Hübner, Sozialismus als soziale Frage, S. 218. Vgl. Skyba, Sozialpolitik als Herrschaftssicherung, S. 48; Hübner/Hübner, Sozialismus als soziale Frage, S. 207f. „Kämpfer – Aktivposten in jedem Betrieb“, in: Der Kämpfer, Nr. 12 (Dezember), Jg. 21 (1977), S. 2. Die Funktionellen Pflichten für die Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, undat., LHAM, Rep P18, Maschinenbau Halberstadt, Nr. IV/C-7/54/44, Bl. 4. Vgl. dazu die Artikel „Kämpfer – Aktivposten in jedem Betrieb“, in: Der Kämpfer, Nr. 12 (Dezember), Jg. 21 (1977), S. 2; „Der Kämpfer vom Mönchshof“, in: Der Kämpfer, Nr. 11 (November), Jg. 20 (1976), S. 3; „Wie wir die führende Rolle der Partei verwirklichen“, in: Der Kämpfer, Nr. 11 (November), Jg. 19 (1975), S. 3.

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wurden seit den 1970er Jahren zumeist als überzeugte Kommunisten und Angehörige der SED vorgestellt.40 In mancherlei Hinsicht schien das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ nach der Reform auf dem Zenit seiner Entwicklung angelangt. Eine Miliz, die über moderne Waffen – die in aller Welt zum Symbol kommunistischer „Befreiungsbewegungen“ gewordene Kalaschnikow-Maschinenpistole –, neue Uniformen und eine Ausrüstung verfügte, die Schützenpanzer und FlugabwehrGeschütze mit einschloss, erinnerte kaum noch an die historischen Vorbilder der kommunistischen Kampfzeit. Die Beherrschung atomarer, biologischer und chemischer Kriegsführung wie das Kämpfen zu jeder Jahreszeit gemahnte eher an einen professionellen Truppenverband. Im März 1980 konnte vermeldet werden, dass die Kampfgruppen nun „voll in das System der Landesverteidigung integriert“ seien. Das implizierte, „die übertragenen Aufgaben im territorialen Bereich der Landesverteidigung“ sowohl in Krisenzeiten wie auch im Kriegsfalle „erfolgreich zu lösen“.41 Zu diesem Zweck war im Zuge der Reform 1974 eine zweite Kampfgruppenschule eröffnet worden, die neben der Ausbildung der für Artillerie und Logistik zuständigen „Spezialkräfte“ vor allem die Schulung der Unterführer der Miliz intensivieren sollte. Sie erhielt 1979 – analog zur ZSfK „Ernst Thälmann“ – den Ehrennamen „Ernst Schneller“.42

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Vgl. „Der Kämpfer vom Mönchshof“, in: Der Kämpfer, Nr. 11 (November), Jg. 20 (1976), S. 3; „Vorbild für alle – die Kommunisten unserer Einheit“, in: Der Kämpfer, Nr. 5 (Mai), Jg. 21 (1977), S. 4; „Allen voran die Kommunisten!“, in: Der Kämpfer, Nr. 12 (Dezember), Jg. 22 (1978), S. 2. Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die Hauptrichtung der Entwicklung der Kampfgruppen bis 1980 vom 19.3.1980, BStU, MfS, AGM 370, Bl. 231. Ernst Schneller, 1890 in Leipzig geboren, von Beruf Lehrer, trat 1919 zunächst der SPD und 1920 der KPD bei; neben seiner Tätigkeit in der Arbeiterbildung engagierte er sich auch in der militärpolitischen Arbeit und trat 1923 als Organisator der Proletarischen Hundertschaften in Sachsen hervor; daraufhin in die Illegalität gezwungen, wurde er 1924 in die Parteiführung der KPD gewählt; Schneller war zunächst Mitglied des sächsischen Landtages und später des Reichstages; 1933 von den Nazis verhaftet, wurde er 1944 im KZ Sachsenhausen ermordet; nach der Gründung des RFB 1924 war Schneller über lange Zeit auch in dessen Leitung aktiv gewesen und profilierte sich als ein „bedeutender Militärpolitiker der KPD“: „Zahlreiche Kollektive der sozialistischen Arbeit, Brigaden, Schulen und Institutionen tragen Schnellers Namen. Sein militärpolitisches Vermächtnis lebt in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Er ist gegenwärtig in der vormilitärischen Ausbildung der Jugend der Gesellschaft für Sport und Technik. Er ist unveräußerlicher Bestandteil der revolutionären Traditionen der Nationalen Volksarmee, deren Angehörige

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Die Unterführer waren insbesondere für den reibungslosen und geordneten Ablauf von Ausbildung und Einsatz verantwortlich. Da sie bis dahin überwiegend durch unzureichendes professionelles Verhalten aufgefallen waren, sollte eine internatsmäßige Schulung die Einflussnahme auf sie zumindest zeitweilig erhöhen. Tatsächlich vermeldete der Bericht über die „Realisierung der Grundsätze für die Entwicklung der Kampfgruppen“ im März 1980 eine umfassende Qualifizierung der Kampfgruppen-eigenen Kader. Insgesamt 90,3 Prozent der Zugführer und 86,2 Prozent der Gruppenführer hätten inzwischen eine professionelle Schulung durchlaufen. Von den Kommandeuren, deren Qualifikation weiterhin in Schmerwitz betrieben wurde, waren zu diesem Zeitpunkt 96,7 Prozent professionell geschult.43 Zumindest auf dem Papier schien damit für eine professionelle und den Ansprüchen moderner Kriegsführung genügende Leitung der Kampfgruppen gesorgt. Die personelle Stärke der Miliz belief sich mittlerweile auf ca. 78.500 Kämpfer – das entsprach 42,4 Prozent der Gesamtstärke –, die den Kampfkräften zugeordnet waren. Ca. 106.500 Kämpfer – das entsprach wiederum 57,6 Prozent der Gesamtstärke –, gehörten den Sicherungskräften an.44 Einschließlich einer personellen Reserve von ca. 17.000 Kämpfern belief sich die Stärke der Miliz damit auf

                                                                                                                                      

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zu Waffen- und Klassenbrüdern der Sowjetarmee und der anderen Armeen der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft erzogen werden“; zit. nach: Wolfgang Kießling, Ernst Schneller. Lebensbild eines Revolutionärs, Berlin (O) 1974, S. 7f. Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die Hauptrichtung der Entwicklung der Kampfgruppen bis 1980 vom 19.3.1980, BStU, MfS, AGM 370, Bl. 233; bis 1988 konnte ein Qualifizierungsstand erreicht werden, der bei den Kommandeuren mit 100 Prozent veranschlagt wurde und sich bei den Unterführern auf 96,8 Prozent belief; vgl. Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die weitere Erhöhung der Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft im Zeitraum 1981 bis 1990, undat. [1988], BStU. MfS, AGM, Nr. 269, Bl. 46. Die Unterteilung nach „Kampfkräften“ und „Sicherungskräften“ war im Zuge der Reform eingeführt worden und stellte den Versuch dar, die Ausrichtung der Miliz, die in den 60er Jahren noch zwischen ,sozialistischer Landesverteidigung‘ und ,Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit‘ hin- und herchangierte, stärker zu differenzieren: Kampfkräfte waren dafür vorgesehen, im Konfliktfall mit Einheiten der NVA und der Grenztruppen zusammenzuarbeiten und die „Erfüllung militärischer Aufgaben im territorialen Bereich der Landesverteidigung“ zu unterstützen; der Schutz von wichtigen Produktionseinrichtungen und die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit innerhalb dieser Objekte – eine Aufgabe, für die die Kampfgruppen ursprünglich einmal aufgestellt worden waren – , fiel im Konfliktfall den Sicherungskräften zu; vgl. Grundsätze der Entwicklung der Kampfgruppen im System der Landesverteidigung vom April 1972, BArchB., Do1/18.0/53583.

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ca. 202.000 Angehörige.45 70,5 Prozent der Kämpfer waren Mitglieder bzw. Kandidaten der SED;46 fast die Hälfte – 47,3 Prozent – gehörten den Kampfgruppen länger als 10 Jahre an.47 Entsprechend ihrer Strukturen seien die Einheiten nun „zu 100%“ mit Schützenwaffen, Artillerie und Flugabwehr-Geschützen ausgerüstet, vermeldete der Bericht.48 Diese Zahlen vermittelten den Eindruck, die Kampfgruppen verkörperten „auf besondere Weise“, dass „die produzierende und machtausübende Arbeiterklasse ihre Macht auch militärisch organisiert und so den Früchten ihrer revolutionären Tätigkeit Bestand verleiht“. So hatte zumindest Honecker auf dem VIII. Parteitag 1971 ihr Wirken gerühmt (und so wurde es anlässlich des 30jährigen Jubiläums der Miliz 1983 vom „Neuen Deutschland“ kanonisch reproduziert).49 So überzeugend sie diese Annahmen zu belegen schienen, so sehr waren sie zugleich Teil einer umfassenden (Selbst-)Täuschung. Nicht allein die imposant inszenierten „Kampfappelle“ machten die Kampfgruppen – ganz in der Tradition ihres Vorgängers, des Roten Frontkämpferbundes – zu einer „Institution permanente[r] Machtillusion“. Indem sie dem Betrachter eine geschlossene und kampfentschlossene Klasse suggerierten, erzeugten sie „einen gigantischen Bluff über die realen Potenzen“50

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Darunter befanden sich auch 375 weibliche Angehörige; vgl. Richtlinien für die Auswahl und Zugehörigkeit der Kämpfer der Kampfgruppen der Arbeiterklasse der Deutschen Demokratischen Republik [Beschlussvorlage für das Sekretariat des ZK der SED], undat. [1972], BStU, MfS, SdM, Nr. 1591, Bl. 214.; hatten die Richtlinien von 1972 ausdrücklich verlangt, auch Frauen für die Kampfgruppen zu gewinnen, blieb deren Präsenz in den Kampfgruppen marginal; 1985 zählten immerhin 1830 Frauen zu den Kampfgruppen, denen attestiert wurde, ihren Dienst „mit hoher Disziplin und Einsatzbereitschaft“ zu erfüllen; vgl. Bericht über den Stand der Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, undat. [Mai 1985], MfS, MfS SdM, Nr. 1586, Bl. 107. Im Bezirk Magdeburg gab es jedoch zwei Kreise – Havelberg und Osterburg – in denen der vorgeschriebene Anteil von SED-Mitgliedern in den Kampfgruppen beständig unter 50% lag; 1980 belief er sich auf 39,5% (Havelburg) bzw. 46,6% (Osterburg), 1986 auf 41,3% bzw. 45,5% und 1988 auf 48,9% bzw. 45,7%; vgl. dazu die Berichte des MdI in: BArchB., DO1/18.0/53683. Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die Hauptrichtung der Entwicklung der Kampfgruppen bis 1980 vom 19.3.1980, BStU, MfS, AGM 370, Bl. 234. Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die Hauptrichtung der Entwicklung der Kampfgruppen bis 1980 vom 19.3.1980, BStU, MfS, AGM 370, Bl. 234. Erich Honecker, zit. nach: Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, S. 8. So, im Hinblick auf den RFB bereits: Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 199; vgl. auch Weitz, Creating German Communism.

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der SED, an dem sich Avantgarde und Angehörige der Kampfgruppen gleichermaßen berauschen konnten. Das Berichtswesen des SED-Regimes nährte diese Illusion zusätzlich. Die für die Ära Honecker überlieferten, zahlreichen und dichten Informationsberichte weisen grosso modo eine Tendenz der Seiteninflation, Inhaltsentleerung und Formalisierung auf. Sie wirken durch zahllose Leerformeln, Tautologien und „abgegriffene Metaphern“ in großem Maße redundant.51 Langatmige Wiederholungen, immergleiche Argumentationsketten und die sorgfältige Beachtung gerade gängiger Phrasen und Floskeln artikulieren einen weithin wirksamen „Repetitions-„ und „Formalisierungskult“ innerhalb des SED-Berichtswesens.52 Die Aufmerksamkeit, die ihm von Seiten der Forschung entgegengebracht worden ist, verweist darauf, dass eine Analyse der SED-Sprache „Tiefenkonflikte einer scheinbar ,stillgelegten‘ Gesellschaft“ zu offenbaren und damit über die Herrschaftspraxis der SED insgesamt aufzuklären vermag.53 Denn Sprache ist Teil jener sozialen Praxis, die Herrschaft erst herstellt – und auf diese Weise zu fortwährender Fiktionalisierung zwingt.54 Das galt umso mehr für die Ära Honecker, weil hier die offizielle Sprache mindestens in demselben Maße der „Beziehungsgestaltung“ zwischen „oben“ und „unten“ diente wie der Informationsvermittlung. Für die „langen“ 1970er Jahre ist eine zunehmende „Selbstbespiegelung“ und ein notwendigerweise damit einhergehender, „fortschreitender Realitätsverlust“ des Regimes konstatiert worden. Standardfloskeln und Propagandaformeln, so hat es

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Stefan Wolle, Die Aktenüberlieferung der SED als historische Quelle, in: Henke/Engelmann (Hg.), Aktenlage, S. 211–219, hier: S. 215f.; vgl. dazu auch: Peter Christian Ludz, Mechanismen der Herrschaftssicherung. Eine sprachpolitische Analyse gesellschaftlichen Wandels in der DDR, München/Wien 1980. Christian Bergmann, Parteisprache und Parteidenken. Zum Sprachgebrauch des ZK der SED, in: Gotthart Lerchner (Hg.), Sprachgebrauch im Wandel. Anmerkungen zur Kommunikationskultur in der DDR vor und nach der Wende, Frankfurt a. Main 1992, S. 101–141, hier: S. 107 u. S. 113; vgl. dazu auch: Hans Dieter Schlosser, Die deutsche Sprache in der DDR zwischen Stalinismus und Demokratie. Historische, politische und kommunikative Bedingungen, Köln 1990. Ralph Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis. Überlegungen zum Zusammenhang von „Bürokratie“ und Sprachnormierung in der DDR-Geschichte, in: Becker/Lüdtke (Hg.), Die DDR und ihre Texte, S. 57–75; vgl. auch: Fulbrook, Methodologische Überlegungen. Lüdtke, Sprache und Herrschaft in der DDR; ders., „… den Menschen vergessen?“.

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oftmals den Anschein, wurden umso mehr zum Ersatz für reale Information, je älter die DDR wurde.55 Kluge und Negt haben jedoch schon in ihrer klassischen Untersuchung proletarischer Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, derartige Phänomene nicht einfach als „Verblendung“ abzutun. Vielmehr brächten sie zugleich das Bedürfnis zum Ausdruck, in einem öffentlich darstellbaren Sinnzusammenhang zu leben.56 Der war im real existierenden Sozialismus jedoch weder frei noch dynamisch, sondern zentral vorgegeben und reguliert. Von Saldern spricht in diesem Zusammenhang von einer „Präsentationsöffentlichkeit“,57 die im Falle der DDR die historische Mission der deutschen Arbeiterklasse in Szene setzte und sich dabei auf alle Aspekte und Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erstreckte.58 Schon vor Honeckers Amtseinführung war die Miliz bspw. durch Briefmarken geehrt worden. Anfang der 1980er Jahren entstand jedoch die explizite Forderung, „die Kampfgruppen stärker zum Gegenstand des künstlerischen Schaffens, einschließlich des künstlerischen Volksschaffens“ zu machen.59 Das waren Hinweise auf eine zunehmende „Ästhetisierung des Politischen“ (Walter Benjamin), die die Einheit von Volk und Führung zu verstärken, politischen Widerstand und kulturelle Distanz in einem ästhetischen Schauspiel gemeinsamer Entschlossenheit hingegen aufzulösen beabsichtigte.60

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Fulbrook, Methodische Überlegungen, S. 279f.; vgl. auch: Matthias Judt, „Nur für den Dienstgebrauch“ – Arbeiten mit Texten einer deutschen Diktatur, in: Becker/Lüdtke (Hg.), Die DDR und ihre Texte, S. 29–38, Kluge/Negt, Öffentlichkeit und Erfahrung, S. 345; vgl. dazu auch speziell für die DDR unter Honecker: Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 233; Ludz, Mechanismen der Herrschaftssicherung. Von Saldern, Öffentlichkeiten in Diktaturen, S. 447; vgl. auch: Rittersporn/Rolf/Behrends (Hg.), Sphären von Öffentlichkeiten. Ross, Staging the East German ,working-class‘; Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 231f. Zit. nach: Koop, Armee oder Freizeitclub?, S. 224. Vgl. dazu: Albrecht Göschel, Die Kunst der DDR als Dokument essentialistischer Identitätsbildung, in: Paul Kaiser/Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Analysen und Meinungen, Dresden 1999, S. 555–570; zur Funktion der Kunst in der DDR vgl. auch: Monika Flacke (Hg.), Auf der Suche nach dem verlorenen Staat. Die Kunst der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Berlin 1994.

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Derartige Bemühungen schlugen sich nicht nur in einer Reihe von Briefmarken nieder.61 Sie wurden in der Regel zu den ,runden‘ Jubiläen der Miliz herausgebracht und kommunizierten auf ihre Weise Sinn und Selbstverständnis der Kampfgruppen [Siehe Vierter Teil, Kap. I, Abb. 16 u. 17].62 Zu Ehren des 30jährigen Jubiläums der Kampfgruppen wurde gar die Errichtung eines eigenen Denkmals in Auftrag gegeben und termingerecht im September 1983 in einem „traditionellen Berliner Arbeiterbezirk“ eingeweiht.63 Die Besonderheiten in Wortwahl und Stil, welche die öffentliche Kommunikation im Realsozialismus prägten, waren keine taktisch-manipulativen Oberflächenphänomene. Vielmehr fungierten sie als fester Bestandteil der offiziellen Schriftsprache, in der sich das Regime selbst verwaltete.64 Zu nennen wären hier insbesondere die Dominanz ideologischer Begrifflichkeiten („Kampf“; „Klasse“) und spezifischer Stilformen (Nominalisierungen) sowie die Formalisierung und Entdifferenzierung der Sprache selbst. Nicht individueller Stil, sondern Konformismus bis in die Feinheiten der Formulierung hinein wurde verlangt und honoriert. Von verschiedenen Seiten ist deshalb dafür plädiert worden, den öffentlichen Sprachgebrauch in der DDR als Ausdruck „ritueller Kommunikation“ zu

                                                             61  Vgl. Katharina Klotz, Foto – Montage – Plakat. Zur politischen Ikonographie der sozialistischen Sichtagitation in der frühen DDR, in: Hartewig/Lüdtke (Hg.), Die DDR im Bild, S. 29–49, hier: S. 31f. 62 Vgl. dazu: Scholze, Ideologie mit Zackenrand. 63 Vgl. „Kampfgruppen der Arbeiterklasse sind eng mit dem Volk verbunden“, in: Neues Deutschland, Nr. 219 vom 16.9.1983, S. 1 u. S. 8; das von Gerhard Rommel geschaffene Denkmal bestand aus drei Teilen: einem Bronzerelief, das marschierende Mitglieder des RFB zeigte, einer überlebensgroßen Bronzefigur zweier Arbeiter, in deren Mitte ein Angehöriger der Kampfgruppen platziert war, und einer Betonwand mit drei rechteckigen Reliefszenen, die jeweils aufständische Bauern, aufgereihte RFB-Anhänger und Kämpfer bzw. Soldaten der Roten Armee, zeigten. Ein viertes Element bildete die Vollplastik eines nackten Jungen, die ebenerdig neben dem Relief stand und dem herausschauenden Soldaten eine Blume reichte; eine Geste, die an die Maidemonstrationen erinnert, so EvaMaria Klother, Denkmalplastik nach 1945 bis 1989 in Ost- und West-Berlin, Münster 1998, S. 150; aber auch gänzlich anders gedeutet werden kann, wie Nielsen, The Social Life, deutlich macht; vgl. Kristine Nielsen, The Social Life of a GDR Monument: East Berlins Kampfgruppen-Denkmal, Referat, gehalten auf der GSA-Tagung in St. Paul/Minnesota, 8.–10.10.2008. 64 Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis, S. 60; Lüdtke, „… und den Menschen vergessen?“; vgl. dazu auch: Ludz, Mechanismen der Herrschaftssicherung.

 

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untersuchen.65 Dieser Begriff signalisiert, dass die latente Funktion der Kommunikation – d. h. die Bekräftigung von Werten, die Demonstration von Loyalität und die Gestaltung von Herrschaftsbeziehungen – gegenüber den manifesten Inhalten der Rede in der Ära Honecker an Gewicht gewannen. Im Hinblick auf Stabilität und Herrschaftssicherung des Regimes ist davon auszugehen, dass diese rituelle Überformung großer Teile der internen wie externen Kommunikation die Handlungsmöglichkeiten der SED auf die Dauer empfindlich einschränkte.66 Mittelfristig erwies sie sich jedoch unter verschiedenen Gesichtspunkten als durchaus zweckdienlich: Sie trug zur Aktualisierung ideologischer Wertbezüge bei und stärkte solchermaßen stets aufs Neue die Fiktion, dass offizielles Weltbild und Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus identisch seien.67 Fester Bestandteil der ritualisierten SED-Kommunikation war nämlich der fortwährende Verweis auf die legitimationsstiftenden Basiswerte der Ideologie. Sie sollten auf diese Weise präsent gehalten, aktualisiert und scheinbar bestätigt werden.68 Wenn Honecker zu seinem Machtantritt davon sprach, dass die Existenz der Kampfgruppen der Beweis dafür sei, dass die Arbeiterklasse ihre Macht auch militärisch zu organisieren verstehe, war das nicht nur Ausdruck einer (über die Existenz der DDR hinausweisenden) „Lagermentalität“, die der Überzeugung anhing, sich nur mit einer umfassenden, einstimmigen und zielorientierten Konsenskultur behaupten zu können.69 Dass diese Formulierung dann zu jedem Jubiläum der Kampfgruppen wieder aufgegriffen wurde, verweist auch auf den Versuch, durch die immer wiederkehrende Zitation axiomatischer Kernannahmen diese zu ver                                                             65

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Vgl. Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis; der sich wiederum auf Ulla Fix, Rituelle Kommunikation im öffentlichen Sprachgebrauch der DDR und ihre Begleitumstände. Möglichkeiten und Grenzen der selbstbestimmten und mitbestimmenden Kommunikation in der DDR, in: Gottfried Lerchner (Hg.), Sprachgebrauch im Wandel. Anmerkungen zur Kommunikationskultur in der DDR vor und nach der Wende, Frankfurt a. Main 1992, S. 3–99 stützt. Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis, S. 66; Fulbrook, Methodologische Überlegungen. Susanne Marten-Finnis, Pressesprache zwischen Stalinismus und Demokratie. Parteijournalismus im „Neuen Deutschland“ 1946–1993, Tübingen 1994. Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis, S. 66; Fix, Rituelle Kommunikation, S. 61–63. Der Begriff der „Lagermentalität“ bei: Kluge/Negt, Öffentlichkeit und Erfahrung; vgl. aber auch: von Saldern, Öffentlichkeiten in Diktaturen, S. 457, die von einer „Lageröffentlichkeit“ spricht; zur „langen Dauer“ des SED-Parteijargons vgl. Hans H. Reich, Sprache und Politik. Untersuchungen zu Wortschatz und Wortwahl im offiziellen Sprachgebrauch in der DDR, München 1968.

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dinglichen. Das „Heilige“ wurde in seiner dauernden Wiederholung scheinbar reifiziert. Wie die grandios inszenierten Aufmärsche anlässlich der Jubiläumsdaten der Miliz deutlich machen. [Siehe Vierter Teil, Kap. I, Abb. 18], jedoch nicht allein in sprachlicher, sondern auch in visueller Hinsicht.70 Hier schien Gestalt gewonnen zu haben, was im Mythos beschworen wurde: Ein loyales, waffenstarrendes und kampfentschlossenes Proletariat. Vom Tribünenplatz der Mächtigen aus betrachtet mag es tatsächlich so ausgesehen haben, als trage der ungebrochene Rekurs auf den proletarischen Mythos zur beständigen Erneuerung des „TreueSchutz“-Gelöbnisses zwischen Avantgarde und Klasse in der DDR bei.71 So wie rituelle Aufmärsche spezifische Ordnungsmuster bekräftigen, so ist auch die Sprache selbst in der Lage, Ordnung zu bekräftigen – im Hinblick auf das SED-Regime ist in diesem Zusammenhang von einer manifesten „Stabilitäts-/Totalitätssemantik“ gesprochen worden.72 Durch die Schaffung verbindlicher Handlungsabläufe trug die Ritualisierung des Berichtswesens nicht nur dazu bei, innerhalb der Apparate Komplexität zu reduzieren und Verhaltensunsicherheit zu mindern.73 Ein fester Formenkanon, verbindliche Interpretationsvorgaben und die Übernahme gewünschter Sprachmuster suggerierten auf ihre Weise Stabilität und Ordnung, insofern als dass sie den Anschein zweifelsfreier, eindeutiger Verhältnisse erweckten, in denen sich gesetzlich vorbestimmte Prozesse vollzogen.74 „Die Einheit von politischer und militärischer Erziehung bestimmt wesentlich den politisch-moralischen Zustand in den Kampfgruppeneinheiten“, hieß es etwa im Bericht des VPKAs Gardelegen über das Ausbildungsjahr 1984. „Dabei ist das Hauptanliegen, mittels der politisch-ideologischen Arbeit jeden Kampfgruppenangehörigen zu erreichen und die Bereitschaft des Kämpfers in bewusstes Handeln umzusetzen.“ Auf die Frage, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß das tatsächlich geschah, ging der Bericht gar nicht ein. Er fuhr hingegen fort mit der Bemerkung: „Die Vorbildhaltung und das persönliche Engagement der in den Einheiten täti-

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Vgl. dazu: Sally Falk Moore/Barbara Myerhoff, Secular Ritual: Forms and Meanings, in: diess. (Hg.), Secular Ritual, Assen/Amsterdam 1977, S. 3–24. Vgl. dazu: Gibas/Gries, Überlegungen zur Geschichte der Tribüne in der DDR; ders., Dramaturgie der Utopie. Kulturgeschichte der Rituale der Arbeiter-und-Bauern-Macht, in: Hübner/Kleßmann/Tenfelde (Hg.), Arbeiter im Staatssozialismus, S. 191–214, hier: S. 194; vgl. dazu auch: Dieter Segert, Fahnen, Umzüge, Abzeichen – die Macht der Rituale und Symbole, in: Thomas Blanke/Rainer Erd (Hg.), DDR. Ein Staat vergeht, Frankfurt a. Main 1990, S. 25–35. Vgl. Marten-Finnis, Pressesprache zwischen Stalinismus und Demokratie, S. 44ff. Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis, S. 67. Ralph Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis.

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gen Kommunisten wirkt dabei positiv auf den Entwicklungsprozess der Einheiten.“75 Zum einen betonte der Bericht verschiedene Beispiele „offensiv geführte[r] politisch-ideologischer Arbeit“ (zum „Charakter des imperialistischen Klassenfeindes“; zur „Stationierung von Erstschlagwaffen in Westeuropa durch die USA“; zur „Kontaktpolitik des Gegners“). Zum anderen räumte er aber ein, dass „die getroffenen Aussagen zum politisch-moralischen Zustand der Einheiten deutlich [machen], dass der politisch-ideologische Erziehungsprozess kontinuierlich entsprechend den höheren Anforderungen und der ernsten internationalen Situation verstärkt fortgesetzt werden muss. […] Die anleitende Tätigkeit der Genossen Offiziere, die von der Aktivität differenziert gewertet werden muss, ist inhaltlich noch stärker auf die Stabilisierung des inneren Zustandes der Einheiten zu konzentrieren“.76 Deutlich wird, wie der häufige Gebrauch von Nominalisierungen konkrete Akteure nicht fassbar werden lässt. Ist-Aussagen mischen sich unvermittelt mit Soll-Aussagen und suggerieren durch die Hinzuziehung verstärkender Wörter („Hauptanliegen“, „jeden Kampfgruppen-Angehörigen“) bei gleichzeitigem Mangel an relativierenden Wendungen wie „vielleicht“ oder „ungefähr“ den Anschein zweifelsfreier und eindeutiger Verhältnisse. Dieser Bericht zeigt wie Tausend andere, dass zwischen den Sprachhandlungen des Feststellens, Behauptens und Forderns in der Regel kaum differenziert wurde. Festgestellt wurde, dass die Kämpfer zu „bewussterem“ Handeln angehalten werden. Behauptet wurde, dass das Engagement der Kommunisten diesbezüglich „positiv“ wirke. Gefordert wurde, derartige Anstrengungen zu „verstärken“. Gleichzeitig kontrastierte die offenkundige Eindeutigkeit des Berichts jedoch mit zahlreichen Leerformeln und Begriffshülsen – etwa dann, wenn vom „kontinuierlichen Erziehungsprozess“ gesprochen oder die kommunistischen Kämpfer als Vorbilder vorgestellt werden.77 Derartige Kennzeichnungen ließen in ihrer phrasenhaften Unbestimmtheit jede

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Bericht des VPKA Gardelegen über die Ergebnisse der politischen und Gefechtsausbildung im Ausbildungsjahr 1984 vom 7.12.1984, LHAM, Rep M24, BDVP MD, Nr. 15311, Bl. 11. Bericht des VPKA Gardelegen über die Ergebnisse der politischen und Gefechtsausbildung im Ausbildungsjahr 1984 vom 7.12.1984, LHAM, Rep M24, BDVP MD, Nr. 15311, Bl. 13. Vgl. dazu bspw. auch: „Bei uns geht es kontinuierlich voran“, in: Der Kämpfer, Nr. 5 (Mai), Jg. 21 (1977), S. 8; „Kämpfer – Aktivposten in jedem Betrieb“, in: Der Kämpfer, Nr. 12 (Dezember), Jg. 21 (1977), S. 2.

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beliebige Auffüllung nach wechselnden Parteilinien zu, konnten aber ebensogut als völlig unbestimmte Versatzstücke standardisierter Argumentation dienen.78 Zu den durchgängigen Stilelementen zählten ferner – wie der Bericht des VPKA Gardelegen gleichfalls zeigt – Euphemismen jeder Art. Sie dienten auch und insbesondere intern dazu, Herrschaftsverhältnisse zu verschleiern (Wendungen wie „offensiv geführte politisch-ideologische Arbeit“, „anleitende Tätigkeit“). Der offizielle Sprachstil verband so die Suggestion von Stabilität und vollkommener Kontrolle mit einer eigentümlichen Entsubjektivierung. Sie verdeckte nicht nur den Handlungscharakter der Entscheidungen und Anordnungen. Zugleich offenbarte sie eine Tendenz zur „Bedeutungsleere“; oftmals gerade dann, wenn Handlungsziele beschrieben wurden, wie in diesem Fall die Motivierung der Kämpfer für den militanten Schutz des Sozialismus. Dass es damit nicht sehr weit her sein konnte, findet sich in den komparatistischen Wendungen des Berichts zumindest angedeutet. Sie fanden ebenfalls häufig Verwendung, insbesondere das notorische „noch“, das einen bereits positiven Zustand in Beziehung zu einem wünschenswerteren, „noch besseren“ zukünftigen Zustand setzte.79 Tendierte das Berichtswesen deshalb zu einer zunehmenden „Verhüllung der realsozialistischen Realität“ (Meuschel), eröffnete der Sprachritualismus den Herrschaftsunterworfenen zugleich größere Handlungssicherheit. Er gestaltete den Austausch mit den Herrschaftsinstanzen berechenbarer, unterstützte die Schaffung und Abschirmung schwer bestimmbarer autonomer Räume80 und förderte eine Berichtskultur, die auf Schadensverhütung, mindestens aber auf Schadensbegrenzung ausgerichtet war.81

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Ernst Topitsch, Über Leerformeln. Zur Pragmatik des Sprachgebrauchs in Philosophie und politischer Theorie, in: ders., Probleme der Wirtschaftstheorie, Wien 1960, S. 236– 264; Ludz, Mechanismen der Herrschaftssicherung, S. 121ff.; Norbert Kapferer, Von der „Macht des Wortes“ zur „Sprache der Macht“ zur Ohn-Macht der Vernunft. Über die Enteignung der Sprache im real existierenden Sozialismus durch die marxistisch-leninistische Philosophie, in: Armin Burkhard/K. Peter Fritzsche (Hg.), Sprache im Umbruch. Politischer Sprachwandel im Zeichen von „Wende“ und „Wiedervereinigung“, Berlin 1992 , S. 19–40, hier: S. 32. Vgl. Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis, S. 61. Lüdtke, Sprache und Herrschaft, S. 15; Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis. Lutz Marz, Die Ohnmacht der Allmacht. Zur Autonomie der administrativen Hand, in: Kommune. Forum für Politik – Ökonomie – Kultur 3 (1990), S. 63–67, hier: S. 67.

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Etwa „ständige Manipulationen der Stärkemeldungen bei […] Alarmüberprüfungen“, wie sie das MfS im September 1986 kritisierte,82 zählten seit längerem zur gängigen Praxis der militärpolitischen Arbeit.83 Sie waren deshalb notwendig, weil derartige Übungen wiederholt werden mussten, wenn sie nicht eine bestimmte Mindestbeteiligung vorweisen konnten. „Vom Batl. [sic] kommt indirekt die Orientierung auf 100%ige Beteiligung durch entsprechende Hinweise und Tips, indem […] gesagt wird erfüllt wird auf jeden Fall,“84 kritisierte die Kreisdienststelle des MfS offenbar durchaus übliche „Erfüllungspraktiken“ in der 3. Hundertschaft in Halle. Indem „bestimmte vorher ausgesuchte Genossen“ für die an der Ausbildung fehlenden Kämpfer mitschossen, konnte die Beteiligung „auf 100% gebracht“ werden, um solchermaßen ein „Nachschießen“, d. h. eine Wiederholung der Übung, zu „vermeiden“. Das funktionierte so, dass „die Munition für Urlauber, Kranke, Lehrgangsteilnehmer usw […] an andere Genossen mit ausgegeben“ und von ihnen verschossen wurde85: „In der Schießkladde erscheint bei den fehlenden Genossen dann ein fingiertes Ergebnis und die Anzahl der abgegebenen Schüsse entsprechend der Vorschrift.“86 Verweisen derartige Praxen auf eine „Absicherungsmentalität“ an der Basis der Berichtspyramide, zeigen sie zugleich, dass der SED derartiges nicht verborgen blieb. Insbesondere das MfS, dem seit 1977 die „politisch-operative Sicherung“ der Kampfgruppen oblag,87 fungierte auch als Surrogat einer freien Öffentlichkeit. Seine Mitarbeiter sollten nicht zuletzt verhindern, dass die Mächtigen in einer inszenierten Umwelt der eigenen Inszenierung zum Opfer fielen. Weil Anpas                                                             82

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Einschätzung zum Stand der politisch-operativen Sicherung der im Verantwortungsbereich der KD Halle befindlichen Kampfgruppeneinheiten der Arbeiterklasse vom 27.9.1986, BStU, MfS, BV Halle, Abt. XVIII, Nr. 1113, Bl. 192. Vgl. etwa: Bericht über die Alarmübung am 7.1.1975, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, Abt. VIII, Nr. 1092/72, Bl. 237f.; Information zur Situation in den Kampfgruppeneinheiten des Kreises Halberstadt vom 25.3.1975, BStU, MfS, BV Mgb., KD Hbs., Nr. 788, Bl. 455. Bericht über die Ausbildung der 3. KGH am 18.5.73, BStU, Außenstelle Halle, KD Halle, Nr. VIII, 1092/72, Bl. 78–80. Vgl. auch: Kampfgruppenanalyse über die Kampfgruppeneinheiten des Kreises Staßfurt vom 10.2.1975, BStU, MfS, BV Mgb, KD Staßfurt, Nr. 15423, Bl. 471. Bericht über die Ausbildung der 3. KGH am 18.5.73, BStU, Außenstelle Halle, KD Halle, Nr. VIII, 1092/72, Bl. 78–80. Vgl. dazu auch: Franz-Otto Gilles/Hans-Hermann Hertle, Überwiegend negativ. Das Ministerium für Staatssicherheit in der Volkswirtschaft dargestellt am Beispiel der Struktur und Arbeitsweise der Objektdienststellen in den Chemiekombinaten des Bezirks Halle, Berlin 1994.

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sungssignale immer mehr Integration vortäuschten als tatsächlich vorhanden war, weil rituelle Praktiken Konflikte verdeckten, ohne sie zu lösen,88 versuchte man durch die Schaffung immer neuer Berichtsstränge diesem Dilemma vorzubeugen. Gleichzeitig wurde es dadurch aber auch verstärkt. Die Gliederungen dreier Institutionen beschäftigten sich in der Ära Honecker regelmäßig mit der militärpolitischen Arbeit: SED, DVP und MfS.89 Obligatorisch waren für all diese Gliederungen bis hinunter zur Kreisebene vierteljährliche Informationsberichte, sogenannte Quartalsberichte. Die behandelten jedoch nur diejenigen Vorkommnisse, die sich in normalen Bahnen vollzogen, besondere Vorkommnisse produzierten hingegen eigene Berichte. Tatsächlich schuf man auf diese Weise jedoch immer neue Dilemmata90: Für die Verwaltungsbediensteten wuchs angesichts der Vervielfachung der Berichtsinstanzen die Handlungsunsicherheit und verstärkte damit den Hang zur „Absicherungsmentalität“. Wo man mit der unkalkulierbaren Kontrolle durch Parteiinstanzen rechnen musste, war es klüger, sich auf Belanglosigkeiten zurückzuziehen. Die Alltagserfahrung ermöglichte zudem eine Einschätzung, welche Berichte und Problemdarstellungen wiederum welche Art von Rapporten, Kontrollen, Zusatzberichten und Inspektionen nach sich ziehen würden. Solchermaßen begünstigte sie eine Art „organisierter Verantwortungslosigkeit“ (Rudolf Bahro), die vielfach nur dann aktiv wurde, wenn auch gefragt wurde und nur das kommunizierte, was die Zentrale ausdrücklich abforderte.91

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Fix, Rituelle Kommunikation, S. 61–63; vgl. auch: Martin Beck, Zur Funktion der Rhetorik in der DDR. Eine sprechwissenschaftliche Untersuchung, St. Ingbert 1991. Da besonderen Wert darauf gelegt wurde, dass die Kampfgruppen einen festen Bestanteil des betrieblichen Lebens darstellten, war es – etwa anlässlich von Kinder-Ferienlagern, bei denen Kämpfer als Freizeit-Animateure fungierten – durchaus üblich, dass die Kampfgruppen auch mit anderen Gliederungen – etwa denen des FDGB – kooperierten und sich dies dann auch in deren Überlieferungen niederschlug; eine kursorische Durchsicht aller Provenienzen der SED-Überlieferung in den Landesarchiven zeigte, dass sich in beinahe allen Bereichen betrieblicher Überlieferungen Dokumente zu den Kampfgruppen finden lassen. Jessen, Diktatorische Herrschaft. Vgl. dazu Fred Klinger, Statik und Dynamik in der DDR. Zum Leistungsverhalten von Industriearbeiterschaft und wissenschaftlich-technischer Intelligenz, in: APuZ B46/47 (1985), S. 19–35; der im Hinblick auf die grundlegenden Prinzipien des diktatorischen Zentralismus und der Einzelleitung von einer Haltung spricht, die er als „hierarchisches Bewusstsein und Regelvollzug“ bezeichnet und die darauf hinauslief, dass im System zentraler Lenkung Regeln ungeachtet ihrer Effekte befolgt wurden, umgekehrt aber, wenn keine Anweisungen ergingen, überhaupt nicht gehandelt wurde.

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Demgegenüber waren die „letzten Revolutionäre“ ganz in der Manier misstrauischer Patriarchen auch an den kleinsten Nichtigkeiten interessiert. In den Kampfgruppen tätige informelle Mitarbeiter des MfS verfassten regelmäßig Berichte über einzelne Kampfgruppen-Angehörige. In sie ging auch mit ein, wenn ein Kämpfer – wie beispielsweise in der 29. Hundertschaft des CAS Staßfurt – „mit in die Stirn heruntergekämmtem angeklatschtem Haar“ im Betrieb auftrat.92 Sein in die Stirn gekämmtes (und offenkundig gegeeltes, „angeklatschtes“) Haar signalisierte in zeitgenössischer Perspektive eine „Beat“-bewegte Einstellung, die den Kämpfer potentiell zu einem Sicherheitsrisiko machte. Ein offenkundiges Interesse für Musik wie auch das Interesse für Frauen – das dem betreffenden Kämpfer weiterhin nachgesagt wurde – zeigen, dass sich auch das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ nicht gänzlich resistent gegenüber als „dekadent“ und „unmoralisch“ diffamierten, populärkulturellen Einflüssen aus dem Westen zu halten vermochte.93 Es macht außerdem deutlich, wie umfassend die Angehörigen der Kampfgruppen durch das MfS „aufgeklärt“ wurden. Dieser extreme Informationsbedarf der Avantgarde reflektierte einerseits, dass der konspirative Verhaltenskanon der letzten „Revolutionäre“ die Bedingungen, die ihn erzeugten, überdauerte. Sie verhielten sich, auch, nachdem ihnen die Macht längst sicher war, weiter als Eroberer, denen nichts so sehr am Herzen lag wie die alleinige und ausschließliche Verfügung über ,ihren‘ Staat.94 Auf seine Weise trug dieser Gestus aber dazu bei, die Suggestion totaler Kontrolle zu bestärken. Zwar produzierte das exzessive Berichtswesen mehr Information, als tatsächlich genutzt werden konnte – viele Berichte konnten aufgrund der Überzentralisierung der Entscheidungsprozesse gar nicht verarbeitet werden. Zugleich gewährte es jedoch den Eindruck, als ob den misstrauischen Patriarchen nichts verborgen bleiben konnte.95 Bei allem Bemühen, die Gesellschaftsmitglieder ge-

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Vgl. Einschätzung der Angehörigen der CAS-Kampfgruppe vom 13.3.1974, BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15423, Bl. 141. Vgl. dazu: Stefan Wolle, Der Traum vom Westen. Wahrnehmungen der bundesdeutschen Gesellschaft in der DDR, in: Jarausch/Sabrow (Hg.), Weg in den Untergang, S. 195–211; Elfie Rembold, „Dem Eindringen westlicher Dekadenz ist entgegenzutreten.“ Jugend und die Kultur des Feindes in der DDR, in: Behrends/Lindenberger/Poutrus (Hg.), Fremde und Fremd-Sein, S. 193–214; Michael Rauhut, Beat in der Grauzone. DDR-Rock 1964 bis 1972 – Politik und Alltag, Berlin 1993. Engler, Der proletarische König, S. 28; ders., Die Unwirklichkeit des Realen, S. 70. Vgl. dazu: Walter Süß, Selbstblockierung der Macht. Wachstum und Lähmung der Staatssicherheit in den siebziger und achtziger Jahren, in: Jarausch/Sabrow (Hg.), Weg in den Untergang, S. 239–257, vgl. auch: Kössler, Die Partei als Medium, S. 216.

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mäß ihrer Legitimitätsansprüche zu formen, hatte sich die SED dennoch aus der Privatsphäre der Bürger weitgehend zurückgezogen. Das bedeutete, dass sie Werthaltungen, die sie nicht direkt beeinflussen konnte und die sich nicht direkt gegen ihre Herrschaft zu richten schienen, nicht länger zu unterdrücken suchte.96 Umso wichtiger war deshalb sicherzustellen, dass ihr (scheinbar) nichts verborgen blieb, was sich zu einer Gefahr für ihre Herrschaft ausweiten konnte. In verschiedener Hinsicht kann man im Hinblick auf die militärpolitische Arbeit – mit einigem Recht aber für die realsozialistische Gesellschaft insgesamt – deshalb von einer Gesellschaft des „Als-ob“ sprechen. Das „public transcript“ der SED behauptete kanonisch, dass die Kampfgruppen „die Liebe und Zuneigung unseres Volkes“ genießen und „die besten Erfahrungen, die Reife und revolutionären Traditionen der deutschen und internationalen Arbeiterklasse“ verkörpern würden. Zugleich stellte es ihre Angehörigen als proletarische Virtuosen vor. Da anders gelagerte Meinungen nicht geduldet wurden, entstand, scheinbar gestützt auf zahllose Berichte, der Eindruck, als ob das Engagement in den Kampfgruppen die politische Reife und Parteiverbundenheit seiner Angehörigen verbürge. So etwa im Hinblick auf die Einführung der Kampfgruppen-Rente, die auch den Eindruck erwecken konnte, dass die Partei „sich die ,Treue‘ zur Kampfgruppe mit Geld erkaufen“ müsse – eine Meinung, die jedoch erst 1989 offen auszusprechen gewagt wurde.97 Die Kampfgruppen-Angehörigen selbst schienen ihre Organisation kaum noch als das unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse wahrzunehmen, sondern als ein bewaffnetes Organ unter zahlreichen anderen in der SED-„Organisationsgesellschaft“ (Pollack). Im VEB Gleitlagerwerk Osterwieck war ein dort tätiger Ingenieur Mitglied der Kampfgruppe geworden, um „dadurch einen Platz in der Jagdgesellschaft Osterwieck zu erhalten“.98 Auch im Kreis Stendal verbanden Bürger „ihre Bereitschaft zur Mitarbeit in den Kampfgruppen“ mit „persönlichen Forderungen“ und machten ihre Bereitschaft etwa „von der Lösung ihres Wohnproblems, einer höheren Lohngruppe u. ä. abhängig“.99 Die Kampfgruppen wurden in dieser Perspektive kaum noch mit dem Ausnahmezustand assoziiert,

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Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 238. Vgl. Eingabe vom 6.11.1989 (Leipzig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 3. Einschätzung über Lage und Situation in den Einheiten der Kampfgruppen des Kreises Halberstadt vom 26.9.1975, BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Halberstadt, Nr. 788, Bl. 363. Einschätzung der durchgeführten Maßnahmen in der 3. Etappe der Umgliederung der Kampfgruppen vom 11.1.1974, LHAM, Rep P13, Nr. IV/C-2/12/788, Bl. 104.

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sondern waren eine unter vielfältigen Optionen, um in der „participatory dictatorship“ (Fulbrook) seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Dazu trug auch bei, dass die obligatorischen Politschulungen – ganz ähnlich wie in der NVA100 – zumeist als ideologischer „Überbau“ betrachtet und deshalb in der Regel, wenn überhaupt, nur formal durchgeführt wurden.101 „Es wird allgemein eingeschätzt, dass die Polit-Arbeit der schwächste Punkt“ im 2. KGB Halle sei, kritisierte beispielhaft das MfS im Sommer 1975 die Haltung der MilizAngehörigen gegenüber den „militärpolitischen Schulungen“.102 Zwar hob der „Kämpfer“ sie als „emotional wirksame Arbeit“ hervor, die es ermöglichen würde, „Erfahrungen des Klassenkampfes zu vermitteln, Geschichtsbewusstsein zu festigen und kommunistische Denk- und Verhaltensweisen zu formen“.103 Von Kämpferseite wurde sie jedoch nicht selten als etwas betrachtet, das „man in Kauf nehmen“ musste, wie Heinz Körner sich ausdrückte.104 „Das war im Endeffekt Larifari“, erinnerte sich Anton Werner, während Max Fidorra im Nachhinein mutmaßte, „dass mancher vielleicht nicht mal gewusst hat, wie unsere Einheit hieß“.105                                                              100 Vgl. dazu: Christian Th. Müller, „Für den Soldaten des Sozialismus ist der Feind immer konkret“. Das Feindbild der Nationalen Volksarmee und die Probleme seiner Implantierung, in: Gries/Satjukow (Hg.), Unsere Feinde, S. 233–253. 101 Information über Lage und Situation in den Einheiten der Kampfgruppen des Kreises Halberstadt vom 26.9.1975, BStU, MfS, BV MD, KD Hbs, Nr. 788, Bl. 455; Max Fidorra gab an, dass ihm militärpolitische Schulungen aus dem Wehrdienst bekannt gewesen wären, während seiner Zeit bei den Kampfgruppen hätte er so etwas jedoch nie erlebt; Interview mit Max Fidorra (6.7.2006), Transkript S. 16. 102 Bericht über die Sekretariatssitzung der Stadtleitung der SED vom 5.6.1975, BStU, MfS, BV Halle, Abt. VIII, Nr. 1092/72, Bl. 276. 103 „Die revolutionären Traditionen bewahren, pflegen und fortsetzen“, in: Der Kämpfer, Nr. 9 (September), Jg. 26 (1981), S. 4. 104 Interview mit Heinz Körner (17.8.2006), Transkript S. 23. 105 Interview mit Anton Werner (26.7.2006), Transkript S. 23; Interview mit Max Fidorra (6.7.2006), Transkript S. 12, der hier auf die seit den 1970er Jahren üblichen „Ehrennamen“ der Kampfgruppen-Einheiten anspielt; in Einzelfällen bereits Ende der 1960er Jahre praktiziert, erhielten die meisten Kampfgruppen-Einheiten bis Mitte der 1980er Jahre solche Namen; vgl. „Kampf um Ehrennamen fester Bestandteil der Traditionspflege“, in: Der Kämpfer Nr. 6 (Juni), Jg. 24 (1979); als Namenspaten fungierten „verdiente Antifaschisten“, die in der Regel – und im Einklang mit der SED-spezifischen „Regionalgeschichte“ – einen regionalen Bezug zum Standort der jeweiligen Einheit aufwiesen; vgl. dazu: Aufstellung der verliehenen Ehrennamen an Einheiten der Kampfgruppen der Arbeiterklasse des Bezirkes Magdeburg vom 1.3.1988, LHAM, Rep M24, BDVP MD (1975–1990), Nr. 17231, Bl. 43–45; eine intensive Auseinandersetzung mit der Biographie der jeweili-

 

 

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Ob „Larifari“ oder etwas, das man „in Kauf zu nehmen“ hatte – die Ausdrucksweisen scheinen mehrdeutig. Nicht auszuschließen ist, dass es sich hier um ein Narrativ handelt, das 17 Jahre nach dem Zusammenbruch des Arbeiter-undBauern-Staates schon immer vorhanden gewesene Distanz gegenüber dem Regime und seinem ideologischen Selbstverständnis zum Ausdruck bringen soll.106 Gleichzeitig reflektiert es jedoch auch eine weniger ideologische, denn pragmatische Einstellung gegenüber dem Dienst in den Kampfgruppen: „Äh, ich kann nicht sagen, dass ich der ganzen Sache nachtrauere. Ich nehme das, was an positiven Sachen war, nehm ich mit, nämlich der, der Kontakt mit den, mit den Leuten immer wieder, ja, da noch einigermaßen vernünftig durch, äh, über die Zeit gekommen zu sein, und, wie gesagt, diese, äh, technischen Dinge, die man dabei gelernt hat, die man anderen beigebracht hat. Das is` ja doch schon irgendwo, wenn man sagt, ja, der hat `s begriffen, also hast du deine Arbeit gut gemacht. Ja … So, so hab ich das also betrachtet. Aber viel mehr Gedanken hab ich mir darüber nich´ gemacht,“

gab der ehemalige Kampfgruppen-Offizier Anton Werner im Interview zu Protokoll.107 Seine Aussagen reflektieren einerseits ein eigensinniges „Sich-Durchwurschteln“, das in mancher Hinsicht den Zuschreibungen entspricht, mit denen die Forschung die „funktionierende Generation“ charakterisiert – „keine Auffälligkeiten zu zeigen und keine Störungen zu verursachen“.108 Sie verweisen aber zugleich auf ein Selbstverständnis, das auch die militärpolitische Arbeit in erster Linie als Arbeit und weniger als politischen Auftrag verstand.109 Nicht der proleta-

                                                                                                                                      

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gen Namenspaten sollte „vom komplizierten, opferreichen und zugleich ruhmvollen Kampfweg der Arbeiterklasse, davon, wie sich das Vorbild in den unterschiedlichen Lebens- und Kampfsituationen verhalten, wie es gedacht und gehandelt hat“ künden und die Kämpfer auf diese Weise dazu anzuregen, „ihrem Vorbild nachzuleben“; vgl. „Würdige Erben revolutionärer Kampftradition. Gedanken zum Inhalt, den Formen und Methoden der Traditionen und die Traditionspflege in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse (Schluss)“, in: Der Kämpfer, Nr. 11 (November), Jg. 23 (1978), S. 8. Vgl. dazu: Bernd Faulenbach/Annette Leo/Klaus Weberskirch, Zweierlei Geschichte. Lebensgeschichte und Geschichtsbewusstsein von Arbeitnehmern in West- und Ostdeutschland, Essen 2000. Interview mit Anton Werner (26.7.2006), Transkript S. 15f. Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 523. Vgl. dazu: Alf Lüdtke, War as Work. Aspects of Soldiering in Twentieth-Century Wars, in: ders./Weisbrod (Hg.), No Man’s Land of Violence, S. 127–152; ders., Soldiering and Working: Almost the Same? Reviewing Practices in Industry and the Military in Twentieth-Century Contexts, in: Jürgen Kocka (Hg.), Work in a Modern Society. The German Historical Experience in Comparative Perspective, New York/London 2010, S. 109–130.

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rische Mythos und sein politischer Appell erwiesen sich aus dieser Perspektive als grundlegende Orientierungen, aus der der einzelne Kämpfer Befriedigung schöpfen konnte. Vielmehr war es die Orientierung daran, seine Arbeit ,gut‘ gemacht zu haben.110 Die Klagen der verantwortlichen Funktionäre über dieses Phänomen zeigen, dass der im Hinblick auf die forcierte Wehrpolitik unter Honecker vieldiskutierte Begriff der „Militarisierung“111 die damit verbundenen Ziele der „letzten Revolutionäre“ nur unzureichend erfasst. Es lag weniger in ihrem Interesse, ihre Bürger ausschließlich zu guten Soldaten zu formen.112 Vielmehr galt es als Ausweis ultimativer klassenbewusster Gesinnung, wenn unter Honecker alle gesellschaftlichen Organisationen – im „Geiste Ernst Thälmanns“ – zu demonstrativer Militanz verpflichtet wurden, angefangen bei den Pionieren und der FDJ bis hin zur Zivilverteidigung und eben den Kampfgruppen. Aus der Perspektive der Angehörigen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ konnte – wie die Interviews zeigen – die Einschwörung auf ein den Klassenschlachten der 1920er und 30er Jahre entstammendes Feindbild in der sozialen Praxis solchermaßen weitgehend übergangen werden. Nicht übergangen werden konnten jedoch die praktischen Implikationen einer strikt dezisionistisch ausgerichteten Politik. Die Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik war angesichts kontinuierlicher Annäherungen im Verlauf der

                                                             110 Vgl. Lüdtke, Zur missmutigen Loyalität; zur „langen Dauer“ dieser Orientierung vgl. ders., „Ehre der Arbeit“. 111 Vgl. zum Begriff den Überblick von: Volker Berghahn, Militarismus. Die Geschichte einer internationalen Debatte, Hamburg/New York 1986; Wolfram Wette, Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur, Frankfurt a. Main 2008. 112 Reflektiert die DDR-Militärhistoriographie durchaus die Probleme des klassischen „Militarismus“-Begriffes, fehlt es nicht an Versuchen, ihn im Hinblick auf ihren Untersuchungsgegenstand auf eigene Füße zu stellen; Seuberts Modell, das allgemein als methodisches Grundlagenkonzept herangezogen wird und unter „Militarisierung“ 1. die Vernetzung verschiedener militärischer und paramilitärischer Institutionen und Erziehungseinrichtungen für Wehrzwecke, 2. die organisatorische Einbindung möglichst vieler Menschen in diese Strukturen zwecks Disziplinierung und sozialer Kontrolle, 3. die militärische Organisation und Hierarchisierung der Gesellschaft, 4. die militärische Indoktrination und 5. die Pflege soldatischer Tugenden und militärischer Rituale versteht, benennt zwar zentrale Aspekte der realsozialistischen Wehrpolitik, versäumt es aber, sie angemessen zu historisieren; vgl. Heribert Seubert, Zum Legitimitätsverfall des militarisierten Sozialismus in der DDR, Münster/Hamburg 1995, S. 89.

 

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1980er Jahre113 zur zentralen Herausforderung der militärpolitischen Arbeit geworden. Für das Jahr 1982 war das MfS noch davon ausgegangen, dass etwa 30 Prozent aller Kämpfer „mehr oder weniger aktive“ Verbindungen ins nichtsozialistische Ausland, und hier vor allem in die Bundesrepublik, unterhalten würden.114 Bereits ein Jahr später bezifferte die Bezirksverwaltung in Magdeburg diese Zahl auf 40–60 Prozent.115 Von den 582 Angehörigen des II. KGB „Karl Meseberg“ verfügten nach Ermittlungen des MfS im Jahr 1986 256 Kämpfer über Kontakte ins nicht-sozialistische Ausland. 42 dieser Kämpfer hätten Besuch aus dem Westen bekommen bzw. seien zu Besuch dort gewesen. Eine exakte Übersicht über Ein- bzw. Ausreisen durch Kämpfer erwies sich jedoch als unmöglich, „da nicht in jedem Fall Meldungen durch die Kämpfer“ erfolgen würden.116 Als „Schwert und Schild der Partei“, zugleich „Gralshüter der reinen Lehre“, kam das MfS nicht umhin, zwischen dem „besuchsweise[n] Reiseverkehr“ von Kämpfern in die Bundesrepublik und einem stetig anwachsenden „rechtswidrige[n] Ersuchen auf Übersiedlung in die BRD“ sowie „Absichten und Versuche, sich dem Dienst […] durch Androhung rechtswidrigen Ersuchens auf Übersiedlung in die BRD zu entziehen“,117 einen direkten Zusammenhang zu sehen. Dass der Reiseverkehr seit 1986 „sehr stark“ zugenommen habe,118 schrieb es kanonisch

                                                             113 Vgl. dazu: Anselm Doering-Manteuffel, Der Kampf um „Frieden“ und „Freiheit“ in der Systemrivalität des Kalten Krieges, in: Frank Möller/Ulrich Mählert (Hg.), Abgrenzung und Verflechtung. Das geteilte Deutschland in der zeithistorischen Debatte, Berlin 2008, S. 29–42. 114 Information über die Kampfgruppen des Kreises Staßfurt, undat. [1982], BStU, MfS, BV Mgd., KD Staßfurt, Nr. 15471, Bl. 13. 115 Information über Erfahrungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen bei der Durchsetzung der DA 1/77 vom 16.3.1983, BStU, MfS, BV Mgb., Abt. XX, Nr. 2397, Bl. 17. 116 Einschätzung zum Stand der politisch-operativen Sicherung der im Verantwortungsbereich der KD Halle befindlichen Kampfgruppeneinheiten der Arbeiterklasse vom 27.9.1986, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, Nr. 172; Bl. 194f. 117 Information über Erfahrungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen bei der Durchsetzung der Dienstanweisung 1/77 vom 15.2.1983, BStU, MfS, HA VII, Nr. 3639, Bl. 12f.; Information über wesentliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit der politisch-operativen Abwehrarbeit in den Kampfgruppen vom 10.3.1986, BStU, MfS, BV Magdeburg, BdL, Nr. 462, Bl. 6; Siebs weist darauf hin, dass dieses Phänomen in allen bewaffneten Organen beklagt wurde, vgl. ders., Die Außenpolitik der DDR, S. 369. 118 Erfahrungen, Ergebnisse und Erkenntnisse bei der Bearbeitung und Durchführung von OV bzw. OPK vom 7.4.1988, BStU, MfS, BV Mgb., Abt. XIX, Nr. 1237, Bl. 5; 1986 waren insgesamt 2,2 Millionen DDR-Bürger zu Besuch in der Bundesrepublik gewesen, 1987 bereits 5,1 Millionen und 1988 6,75 Millionen; vgl. dazu: Siebs, Die Außenpolitik der

 

 

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dem „verstärkten ideologischen Druck“ des „Klassenfeindes“ zu.119 Es entging dem MfS aber auf diese Weise, dass das Unverständnis vieler Kämpfer in eben dieser ideologischen Engführung begründet lag, die nur ein „Entweder-Oder“ kannte und gelten ließ. In zunehmender Zahl lehnten Kämpfer eher die Übernahme von Funktionen innerhalb der Kampfgruppen ab als ihre Kontakte in den Westen abzubrechen.120 Für sie erwies sich die „Faktizität der Fiktionen“ solchermaßen auch als Faktizität alltäglich erfahrbarer Friktionen.121 „Der einstmals sehr gute Zustand in beiden Einheiten ist immer mehr der Unlust gewichen“, konstatierte das MfS im Oktober 1988 beispielhaft für zwei Hallenser Kampfgruppen. „In Diskussionen machen die Genossen kein [sic] Hehl aus ihrer Meinung. […] Dabei geht es speziell um das völlig fehlende Interesse der staatlichen Leitung […] sowie um die unzureichende Engagiertheit der BPO und

                                                                                                                                       DDR, S. 364; zu den deutsch-deutschen Verschränken vgl. auch die Beiträge in: Wengst/Wentker (Hg.), Das doppelte Deutschland. 119 Information über Erfahrungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen bei der Durchsetzung der Dienstanweisung 1/77 vom 15.2.1983, BStU, MfS, HA VII, Nr. 3639, Bl. 12f.; Information über wesentliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit der politisch-operativen Abwehrarbeit in den Kampfgruppen vom 10.3.1986, BStU, MfS, BV Magdeburg, BdL, Nr. 462, Bl. 6; vgl. dazu auch: Walter Süß, Selbstblockierung der Macht. Wachstum und Lähmung der Staatssicherheit in den siebziger und achtziger Jahren, in: Jarausch/Sabrow (Hg.), Wege in den Untergang, S. 239–257. 120 Vgl. Information über Erfahrungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen bei der Durchsetzung der Dienstanweisung 1/77 vom 15.2.1983, BStU, MfS, HA VII, Nr. 3639, Bl. 13; Einschätzung zum Stand der politisch-operativen Sicherung der im Verantwortungsbereich der KD Halle befindlichen Kampfgruppeneinheiten der Arbeiterklasse vom 27.9.1986, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, Nr. 172, Bl. 195. 121 Anton Werner schilderte im Interview ein Streitgespräch, das er mit einem Kameraden hatte, weil ihm der Besuch von Verwandten im Westen gestattet worden war: „Ich hatte also mal diesen Disput mit einem Genossen da aus meinem Zug.. Und zwar aufgrund dessen, dass ich 88 zu meinem Bruder nach `m Westen gefahren bin. Ja … Und er war darüber erbost, dass ich das durfte und er, da er keine Verwandten drüben hatte, das nich` konnte. Ja … Da war er aus irgendwelchen Gründen wurde er damit nich` fertig und das bei mir versucht abzuladen, ja ... Fühlte das also als ungerecht und das war ja nun 88, mh, äh, im, im Hinblick auf 89, also auf die Wende, programmiert. Ich meine, wir hamm uns dann nachher in Ruhe drüber unterhalten und, äh, wie, wie das zustande kommt … Er konnte aber eben nicht begreifen, warum ich mit Westverwandtschaft in `ner Kampfgruppe sein konnte, ja ... Das war … Das, das Ende eigentlich der Diskussion. Er konnte das nicht begreifen und ich konnte ihm das nich` erklären;“ Interview mit Anton Werner (26.7.2006), Transkript S. 25.

 

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der BEL gegenüber den Belangen der KG-Angehörigen.“122 Vermissten die Kämpfer „die Wertschätzung ihres Dienstes“ und eine gebührende „gesellschaftliche Anerkennung“, brachten sie – wie „z. B. der Gen. [Name geschwärzt], Sekretär der Parteigruppe des 2. Zuges und seit über 25 Jahren“ Mitglied der Kampfgruppe – offen zum Ausdruck, „dass die KG in den PWH nicht das größte Rad am Wagen ist, sondern ein lästiges notwendiges Übel“.123 Fortlaufende „Manipulationen der Stärkemeldungen der Teilnehmer der KG-Ausbildung bzw. Abschlussüberprüfungen“, wie sie das MfS nur einen Monat zuvor im Hinblick auf das II. KGB „Karl Meseberg“ beklagt hatte,124 folgten in eigensinniger Absicht der Logik einer „fiktionalen Faktizität“. Zugleich trugen sie auf diese Weise jedoch auch zu „negativen Diskussionen“ unter den Kämpfern selbst bei. Insbesondere von denjenigen, die regelmäßig an der Ausbildung teilnahmen, wurden ob derartiger Praxen „verstärkt solche Meinungen vertreten, wenn die Teilnehmerzahlen mit dem spitzen Bleistift reguliert werden, brauchen wir auch nicht mehr an den KG-Ausbildungen teilzunehmen“.125 Beständige Manipulationen statt besonderem Enthusiasmus, offene Geringschätzung statt allgemeiner Wertschätzung: Was im Herbst 1989 in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht destabilisierend wirken sollte – die Kombination von „exit“ und voice“ (Hirschmann) – vollzog sich im Kleinen bereits in den Kampfgruppen. Trotzdem – möglicherweise auch gerade deshalb – kündeten lokale Funktionäre, wie der 1. Sekretär der Kreisleitung Oschatz, Karl-Heinz Buschmann, noch im Sommer 1989 von einer durch „Optimismus, Zuversicht und Realismus“ gekennzeichneten, „im Leben bewährte[n], weit in die Zukunft reichende[n] Gesellschaftsstrategie“. Im Rekurs auf das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ brachte er seine Entschlossenheit zum Ausdruck, all denjenigen eine entscheidende Abfuhr zu erteilen, die unter der Fahne der „Erneuerung“ die Beseitigung des Sozialismus anstrebten.126

                                                             122 Information zum polit-moralischen Zustand der 1. KGH und des AZ vom 11.10.1988, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, Nr. 172, Bl. 240. 123 Information zum polit-moralischen Zustand der 1. KGH und des AZ vom 11.10.1988, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, Nr. 172, Bl. 241. 124 Einschätzung zur taktischen Übung des II. KGB (m) vom 19.9.1988, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, Nr. 172, Bl. 206. 125 Einschätzung zur taktischen Übung des II. KGB (m) vom 19.9.1988, BStU, MfS, BV Halle, KD Halle, Nr. 172, Bl. 206. 126 Martin Krupke/Michael Richter, Der Kreis Oschatz in der friedlichen Revolution 1989/90, Dresden 2002, S. 28; hier waren im Juni 31 Kämpfer der Ausbildung unentschuldigt ferngeblieben, zwei ehemalige Angehörige der 15. KGH hatten Straftaten gegen

 

 

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Inwiefern Funktionäre wie dieser 1. Kreissekretär tatsächlich noch an das glaubten, was sie öffentlich kundtaten, lässt sich in diesem Zusammenhang kaum ermitteln.127 Je bedingungsloser man sich jedoch den Fiktionen verschrieb, umso überzeugender gewährten sie einem das Gefühl, dass die desaströsen Zustände vor Ort möglicherweise nur die Ausnahme seien, während es anderorts – und in der Regel – besser lief. Und auch, wenn man nicht mit allen Maßnahmen der Kommandohöhen einverstanden war128 – sie bisweilen selbst als „Larifari“ oder „Quatsch“ empfand –, so überwog doch weithin die Überzeugung, „dass der Weg, wie wir ihn gehen, richtig ist“.129 In diesem Sinne war der proletarische Mythos in der Ära Honecker zu einem „Motor im Leerlauf“ geworden. Er leistete – um im

                                                                                                                                       die staatliche Sicherheit begangen und das Alarm-System funktionierte nur noch ungenügend, weil sich Alarmunterführer nicht abgemeldet hatten, ihre Stellvertreter unzureichend einwiesen und Kämpfer nicht erreichbar waren; es fiel immer schwerer, Kämpfer zu Lehrgängen zu bewegen, den Auflagen der Kreisleitung wurde nicht mehr in vollem Umfang nachgekommen und weil von dreizehn neuaufgenommenen Kämpfern nur noch sieben der SED angehörten, schien hier auch die führende Rolle der Partei innerhalb der lokalen Einheiten ernstlich bedroht; ebd., S. 27. 127 Vgl. dazu jedoch: Landolf Scherzer, Der Erste. Protokoll einer Begegnung, Rudolstadt 1988. 128 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf jene Äußerungen Kurt Hagers, mit denen er im April 1987 in einem Interview gegenüber dem ,Stern‘ Gorbatschows Reformankündigungen quittiert hatte – „Würden Sie nebenbei, gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren“ – und die selbst innerhalb der Parteianhängerschaft für große Empörung gesorgt hatten; vgl. dazu: Wolle, Die heile Welt der Diktatur, S. 292f. 129 Zit. nach: Bergien, Erstarrter Bellizismus, S. 53; vgl. dazu auch: Interview mit Hans Fischer (4.8.2006), Transkript S. 13: „Na ja, man kann das nich` aus `n, aus der Zeit eben so herausreißen. Es wurde einem auch gesagt, was weiß ich, drüben in der Bundeswehr, äh, wurden eben die Kasernen hier nach, was weiß ich, nach irgendwelchen Generalen der Wehrmacht oder so benannt, und hier wurde eben ganz bewusst, äh, gesagt, dass das eben hier, äh, bei uns eben doch so ganz anders is`, und so … Es wurde eben och gesagt, äh, was weiß ich, wenn` s um den, überhaupt um den Widerstand im Nationalsozialismus eben ging, äh, wurde eben in Westdeutschland, äh, so wurde uns das eben auch gesagt, und denn auch so weitervermittelt, wurde eben noch gesagt, dass es da angeblich nur den eenen zwanzigsten Juli gab hier und `n paar Generäle, die da … und der Widerstand, äh, der war, äh, wesentlich größer. Es gab also nich` nur, nich´ nur den Stauffenberg und, und das Militär, die Generäle, die da eben recht spät erst gesehen haben, dass das eigentlich auch nich` gut gehen kann, dass es eben viel, viel mehr gab. Und das eben natürlich die Kommunisten n` größere Rolle mit gespielt haben als wie, als wie andere, und so, ja … Das war nun eben mal so“ und das war „eigentlich“ auch motivierend, so Hans Fischer.

 

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Bild zu bleiben – vielleicht keinen Antrieb mehr,130 aber er lief, zumindest so lange, wie er nicht ernsthaft herausgefordert wurde. „Er sieht grau aus, liegt im Gras und zittert – das ist die Kampfgruppe!“ lautete ein offenbar gängiger Witz über die Angehörigen der Miliz, den Edgar Peters im Interview zitierte.131 Grau war zunächst einmal die seit den 1970er Jahren gebräuchliche Uniform der Kämpfer.132 Im Verbund mit dem Attribut des Zitterns mag es gleichzeitig eine Anspielung auf das vergleichsweise hohe Alter zahlloser Kämpfer dargestellt haben wie auch auf deren eher geringe militärische Befähigung. Politische Witze stellten im Staatssozialismus eine Art von „Gegenöffentlichkeit“ her. Ihr Grundmuster bestand darin, eine fiktive Episode ideologisch positiv besetzter Helden so zu erzählen, dass diese durch die Pointe plötzlich in die Stellung ideologisch negativ besetzter Helden gerückt wurden133 – die „goldenen Fonds der Arbeiterklasse“ wurden hier zu einem grauen Haufen Elend. In jedem Fall kam der Person des Kämpfers nur stellvertretende Bedeutung zu. Eigentliches Objekt jedes politischen Witzes war die jedem Werktätigen aufgezwungene ideologische Rolle, deren Zumutung man sich mit Witz und Ironie kurzzeitig zu entledigen versuchte.134 Kein Wunder, dass eine zunehmende Anzahl an Kämpfern der Ausbildung kaum noch Interesse entgegenbrachte, „sondern nur das [macht], was er machen bzw. wozu er ausgebildet werden soll“.135 Dass sie ihren Dienst trotzdem nicht gänzlich verweigerten – und solchermaßen ihren Teil zu einer immer „unwirklicher“ werdenden „Faktizität der Fiktionen“ beitrugen136 –, wird zumeist mit dem Verweis auf generationelle Allianzen

                                                             130 Bergien, Erstarrter Bellizismus, S. 52. 131 Interview mit Edgar Peters (20.9.2006), Transkript S. 9. 132 Anweisung Nr. 161/71 über die Einführung einer verbesserten Uniform mit neuem Emblem für die Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 8.6.1971, BStU, MfS-BdL, Nr. 010962, Bl. 1–4. 133 So: Michael Brie, Der politische Witz – Antiideologie im Staatssozialismus, in: Hansjörg Bay/Christof Hamann (Hg.), Ideologie nach ihrem ,Ende‘. Gesellschaftskritik zwischen Marxismus und Postmoderne, Opladen 1995, S. 183–205, hier: S. 188; vgl. dazu auch: Wolle, Die heile Welt der Diktatur, S. 154f. 134 Brie, Der politische Witz, S. 192. 135 Information des IMS „Bär“ vom 20.9.1989, BStU, AS Halle, KD Halle, A 8, Nr. 172, Bl. 250. 136 „Unwirklich“ wurde von Hans Fischer immer dann benutzt, wenn er im Interview die gesellschaftliche Situation im Herbst 1989 zu erklären versuchte; vgl. Interview mit Hans Fischer (4.8.2006), Transkript S. 1f., S. 8.

 

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erklärt.137 Auch wenn die politische Agenda der „letzten Revolutionäre“ zum Ende der 1980er Jahre nur noch als „outdated“ bezeichnet werden kann,138 zehrte sie doch weiterhin von den antifaschistischen Weihen, denen keine der nachfolgenden Generationen das Wasser reichen konnte. Sie bildeten gleichermaßen Grundlage und Voraussetzung des realsozialistischen Gesellschaftsvertrages: Solange die „Fürsorgediktatur“ (Jarausch) ihre versprochenen Leistungen erbrachte, war die Mehrheit der Bevölkerung bereit, sich dem moralischen Kapital der „letzten Revolutionäre“ zu beugen. Soziale Sicherheit, Vollbeschäftigung und steigender Lebensstandard verpflichteten in diesem Sinne dazu, seinen Part in der virtuellen „Aufführung“ (Ross) der historischen Mission der deutschen Arbeiterklasse zu mimen.139 Dass den Kern dieser Mission der Kampf bildete, konnte angesichts „weniger von den großen geschichtlichen Prozessen der Vergangenheit, den harten Kämpfen und Entbehrungen, als von der Normalität eines gesicherten, selbstverständlichen, materiell reicher werdenden, wenn auch nicht ungefährdeten Alltags“ geprägten Verhältnissen140 leicht ignoriert werden. Dass die Bereitschaft zu kämpfen weiterhin – „trotz alledem“ – die axiomatische Verpflichtung des Gesellschaftsvertrages einer Bewegung darstellte, deren führende Köpfe ihr Staatsamt bis zuletzt als Appendix ihrer parteilichen Machtstellung betrachteten,141 sollte sich im Herbst 1989 erneut und in nicht mehr zu ignorierender Art und Weise zeigen.

                                                             137 Vgl. dazu: Ahbe/Gries, Generationengeschichte als Gesellschaftsgeschichte; Niethammer, Die SED und „ihre“ Menschen. 138 Vgl. dazu: Epstein, The Last Revolutionaries, Kap. 8: “Outdated: East German Generational Dynamics”. 139 Vgl. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 235. 140 Gerhard Rothbauer, zit. nach: Lüdtke, Alltage „in unserer Ebene“, S. 295. 141 Engler, Der proletarische König, S. 12f.

 

 

II. Die (Selbst-)Verkehrung des proletarischen Mythos. Kampfgruppen in der friedlichen Revolution 1989

„Was siehst du. Sag mir nur was du siehst. Vor dreißig Jahren hättest du nichts gesehen als Trümmer und Dreck. Und was siehst du jetzt? Kästen, sagte Robert, Riesenknast mit Grünanlagen. […] Warte, rief der Alte. Es ist meine Schuld. Ich wollte dir etwas anderes sagen. ich war in Spanien. Wir haben gekämpft und wir wussten wofür. Ich habe die Fliegen auf den Gesichtern der Toten gesehen. Ich war ein junger Mann. Aber sie haben uns fertiggemacht. Als es keinen Sinn mehr hatte, sind wir über die Grenze gegangen. Es war nicht einfach, doch als es nicht weiterging, mussten wir über die Grenze. Gut, sagte Robert und setzte sich wieder in den Sessel, spielen wir es zuende. Ihr musstet also über die Grenze und ihr seid gegangen. Über welche Grenze kann ich gehen, wenn es keinen Sinn mehr hat? Wie meinst du das. Stell dich nicht dümmer als du bist, sagte Robert und sah den Alten an. Das gehört doch zu diesem Gesellschaftsspiel. Du hattest deinen Text, jetzt hab ich meinen, und der heißt: Ich kann nicht machen, was du konntest. Schließlich habt ihr um die schönen Häuser auch noch eine Mauer gebaut. […] Was ist mit dir los. Wer hat dir was getan. Was willst du denn. Robert stand auf und stellte sich in die Mitte des Zimmers. Ihm schien, als habe er diese Sätze schon hundertmal gesagt und seiner eigenen Stimme dabei zugehört. Was ich will, schrie er, diese Nabelschnur durchreißen. Die drückt mir die Kehle ab. Alles andersmachen. […] Von vorn anfangen in einer offenen Gegend.“1

Dieser Streit zwischen dem jungen Robert, der beschlossen hat, aus der DDR zu flüchten, und einem Arbeiterveteran, der fast vergessen und nur noch wenig ernst genommen in einer Neubau-Wohnung haust, ist Thomas Brasch’s Abrechnung mit dem „real existierenden Sozialismus“ entnommen. Brasch – selbst Sohn eines hohen Kulturfunktionärs – hatte ihr den prophetischen Titel „Vor den Vätern sterben die Söhne“ gegeben. Obwohl bereits 1977 erschienen, bezeichnet dieser Dialog jene Asymmetrie von generationsspezifischen Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten, an denen die DDR im vierzigsten Jahr ihres Bestehens

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Thomas Brasch, Vor den Vätern sterben die Söhne. Roman, Frankfurt a. Main 1977, S. 18–20.

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schließlich zerbrechen sollte. Auch in den 1970ern bestand das Land bereits aus einer Minderheit derjenigen, die gekämpft hatten – oder vorgaben, gekämpft zu haben2 – und in der DDR ihren unruhigen Frieden fanden. Schon damals standen ihnen als Mehrheit diejenigen gegenüber, deren Ziele und Vorstellungen sich an ganz anderen „Zeithorizonten“ ausrichteten3 – ihre revolutionäre Dynamik entfaltete diese Konstellation jedoch erst im Herbst 1989.4 Die Wahl des Zitats verweist auf einen länger schwelenden Erosionsprozess kommunistischer Macht und Legitimität, dessen temporäre Grenzen immer noch nicht vollständig ausgelotet sind.5 Zugleich ist aber auch auf die internationale Dynamik hinzuweisen, die im Jahr des 200jährigen Jubiläums der Französischen Revolution eine systemsprengende Wucht entfaltete.6 Glasnost“ und „Perestroi-

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So muss sich „der Alte“ von einer hinzukommenden Nachbarin nachsagen lassen, dass „seine großen Geschichten“ nichts als Lügen seien; Brasch, Vor den Vätern, S. 21; das bekannteste Beispiel ist in dieser Hinsicht gewiss der in der Ära Honecker zum „Grandseigneur der ostdeutschen Literatur“ avancierte Schriftsteller Stephan Hermlin [Geburtsname: Rudolf Leder], der vorgab, im Spanischen Bürgerkrieg und in der Resistance gekämpft und seinen Vater im KZ verloren zu haben; vgl. dazu: Karl Corino, Außen Marmor, innen Gips. Die Legenden des Stephan Hermlin, Düsseldorf 1996. Vgl. dazu: Epstein, The Last Revolutionaries. Ob die Ereignisse von 1989 insbesondere in der DDR, aber im übrigen kommunistisch dominierten Osteuropa eine Revolution genannt werden können, darüber gehen die Meinungen bis heute auseinander; „friedlich“ waren sie in der DDR nur in eingeschränktem Maße: Zeitzeugen bezeichneten die Auseinandersetzung, die sich rund um den Dresdener Hauptbahnhof am Abend des 4. Oktobers abspielten, als „bürgerkriegsähnliche“ Konfrontation; vgl. Hartmut Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung. Leipzig und die Revolution in der DDR, Göttingen 1993; auch in Plauen sah sich am 7. Oktober fast ein ganze Stadt in Straßenschlachten mit den lokalen Sicherheitskräften verstrickt; es war schließlich die Belagerung des Rathauses und die Angst vor einer weiteren Eskalation der Situation, die die örtlichen Verantwortlichen zum Einlenken bewog; vgl. dazu: John Connelly, Moment of Revolution: Plauen, 7. Oktober 1989, in: German Politics and Society 20 (1990), S. 71–89. Vgl. dazu die Beiträge in: Jarausch/Sabrow (Hg.), Weg in den Untergang. Michael Düring, 1989 – Jahr der Wende im östlichen Europa, Eul 2011; Bernd Florath, Das Revolutionsjahr 1989: die demokratische Revolution in Osteuropa als transnationale Zäsur, Göttingen 2011; Clemens Vollnhals, Jahre des Umbruchs: friedliche Revolution in der DDR und Transition in Osteuropa, Dresden 2011; eine Reihe an Publikationen, die im Jahr des zwanzigsten Jubiläums der „friedlichen Revolution“ erschienen ist, klammert diese Dimension hingegen weitgehend aus; vgl. dazu (mit weiterführenden Literaturhinweisen) etwa: Neubert, Die friedliche Revolution; Kowalczuk, Endspiel; speziell mit Blick auf die hier zentralen Bezirke Halle bzw. Magdeburg; Patrick Wagner (Hg.), Schritte zur

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ka“ bildeten unverzichtbare Anregungen für die Möglichkeit eines politischen Wandels auch in der DDR.7 Aber der erklärt sich im Hinblick auf das Regime der „letzten Revolutionäre“ nicht zuletzt aus dem Verbrauch des proletarischen Mythos. Aus der Perspektive der Kampfgruppen betrachtet, war es vor allem das Festhalten an einem spezifisch „generationellem Stil“ (Ulrich Herbert), der Politik nicht von der Regel, sondern von der Ausnahme her definierte und damit zu einem massenhaften Abrücken vom „real existierenden Sozialismus“ beitragen sollte. Nicht nur das Zusammenspiel von „Abwanderung“ und „Widerspruch“ verlieh den Ereignissen eine ungeahnte Dynamik. Die finale „Krise der Konsensdiktatur“ gewann ihre Wirkungsmächtigkeit vor allem aus dem Zusammenbruch einer bis dahin (zumeist) unhinterfragt gültigen „Faktizität der Fiktionen“.8 Wenn der „Kämpfer“ zum vierzigsten Jahrestag der DDR in seiner Oktoberausgabe davon kündete, dass man „voller Optimismus und Zuversicht“ den neuen Anforderungen entgegensehe und diese „auf Arbeiter-und Kämpferart“ meistern werde, trieb er die „Unwirklichkeit des Realen“9 auf die Spitze. Zum „letzten Tag der Republik“10 rühmte er – von den aktuellen Ereignissen scheinbar ungerührt – die SED dafür, „ihre Macht erfolgreich für wirtschaftliches Vorankommen, für sozialen Fortschritt und ebenso im weltweiten Friedenskampf einzusetzen“.11 Seine Lobeshymne konnte auch als nur spärlich verhüllte Drohung verstanden werden. Denn zum Zeitpunkt seines vierzigsten Geburtstages – der, anders als in den vorangegangenen Jahren, wieder verstärkt im Zeichen von Exklusions- und

                                                                                                                                      

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Freiheit: Die friedliche Revolution 1989/90 in Halle an der Saale, Halle 2009; Sebastian Stude, Die friedliche Revolution 1989/90 in Halle/Saale: Ereignisse, Akteure und Hintergründe, Frankfurt a. Main 2009; Matthias Puhle, Herbst 89 in Magdeburg: 20 Jahre friedliche Revolution, Magdeburg 2009. Vgl. dazu: Helmut Fehr, Die Macht der Symbole. Osteuropäische Einwirkungen auf den revolutionären Umbruch in der DDR, in: Jarausch/Sabrow (Hg.), Weg in den Untergang, S. 213–238. Vgl. dazu: Hirschmann, Abwanderung; Sabrow, Konkurs der Konsensdiktatur; Lüdtke, Sprache und Herrschaft; Steven Pfaff, Exit-Voice Dynamics and the Collapse of East Germany: The Crisis of Leninism and the Revolution of 1989, Durham 2006. Engler, Die Unwirklichkeit des Realen; vgl. auch: Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft in der DDR, S. 229ff. Vgl. dazu: Klaus Bästlein, Der letzte „Tag der Republik“. Aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum 7./8. Oktober 1989 in Berlin, in: DA 42 (2009), Nr. 5, S. 821–831. „7. Oktober: Bekenntnis – Verpflichtungen – Taten“, in: Der Kämpfer, Nr. 10 vom Oktober 1989, 33. Jg., S. 1.

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Abwehrgesten begangen wurde12 – sah sich das SED-Regime in den Ausnahmezustand versetzt. In Ungarn war – im Sommer bereits, und sehr zum Missfallen der „letzten Revolutionäre“ – der Eiserne Vorhang aufgebrochen und auf diese Weise die größte Fluchtwelle von DDR-Bürgern seit dem Mauerbau stimuliert worden. Die Entscheidung der chinesischen Regierung, gegen sie gerichtete Proteste auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ im Juni mit rücksichtsloser Gewalt zu unterdrücken, wurde hingegen mit öffentlichen Zustimmungserklärungen der SED kommentiert.13 Von allen staatssozialistischen Diktaturen galt die DDR allgemein als eine der stabilsten und ihre politische Führung als eine der kompromisslosesten. Trotzdem wurde sie in kürzester Zeit von einer Protestbewegung hinweggefegt, die weder über umfassende organisatorische Strukturen noch über konkrete politische Absichten verfügte. „Vor den Vätern sterben die Söhne“ – die „friedliche Revolution“ von 1989 stellte in der Tat die demonstrative Aufkündigung eines Generationenvertrages dar, in dessen Zentrum ein spezifisches Weltbild stand.14 Während die „Väter“ im Spanischen Bürgerkrieg jedoch noch gewusst hatten, wofür – und vor allem: gegen wen – sie „kämpften“, war das für ihre „Söhne“ fünfzig Jahre später eine längst nicht mehr so eindeutig zu beantwortende Frage. „Es ist merkwürdig, dass die SED über Jahrzehnte hinweg markige Klassenkampfparolen ausgab, dass aber dann, als der ,Klassenfeind‘ tatsächlich sein gefährliches Haupt erhob, die SEDFührung von seiner Existenz völlig überrascht war und sich als unfähig erwies, ihre Macht zu verteidigen“, schreibt Detlef Pollack im Hinblick auf den Zusammenbruch der DDR. „Offenbar hatten die Funktionäre in den letzten Jahren selbst den Glauben an den Klassenfeind verloren.“15 Die Vorbereitungen, die das Regime in der ersten Oktoberwoche initiierte, um der Protestbewegung den Garaus zu machen, sprechen dafür, dass zumindest die „letzten Revolutionäre“ den Glauben an den Klassenfeind keineswegs verloren hatten. Was sich auf den Straßen der                                                              12 13

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Vgl. dazu: Sauer, Politische Leiblichkeit, S. 140. Zu den Ereignissen im Einzelnen: Charles S. Maier, Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus. Mit einem Vorwort des Autors zur deutschen Ausgabe, Frankfurt a. Main 1999. Epstein, The Last Revolutionaries; Niethammer, Die SED und ,ihre‘ Menschen; Hartmut Zwahr, Umbruch durch Ausbruch und Aufbruch: Die DDR auf dem Höhepunkt der Staatskrise 1989, in: Kaelble/Kocka/Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 426– 461; Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 240f. Detlef Pollack, Der Zusammenbruch der DDR als Verkettung getrennter Handlungslinien, in: Jarausch/Sabrow (Hg.), Weg in den Untergang, S. 41–81, hier: S. 58.

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Republik versammelte, schien in ihren Augen geradewegs der Massenpsychologie des späten 19. Jahrhunderts entsprungen:16 eine undisziplinierte und unberechenbare Masse, aufgehetzt und angeführt vom politischen Gegner.17 Berechtigte Aufmerksamkeit hat im Zusammenhang mit den Ereignissen im Herbst 1989 die Sprache selbst gefunden.18 Das „public transcript“ der DDR schrieb nach innen stets Harmonie und Stabilität vor, während es Kritik und objektive Gegner konsequent externalisierte.19 Damit erwies es sich jedoch als vollkommen unfähig, angemessen zu kommunizieren (und – was im Hinblick auf den Zerfall der DDR sehr viel entscheidender scheint – zu verarbeiten), was sich im Herbst 1989 tatsächlich ereignete.20 In gewisser Weise schloss sich mit der Repräsentationskrise 1989 ein Kreis. Nichts bringt die (Selbst)Verkehrung des proletarischen Mythos deutlicher zum Ausdruck als die Tatsache, dass die SED – selbst aus einer Protestbewegung hervorgegangen – von einer Protestbewegung gestürzt wurde. Während sie sich jedoch Zeit ihrer Existenz im Kampf mit verschlagenen und vor keiner Brutalität

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Vgl. dazu: Gustave Le Bon, Psychologie der Massen, Stuttgart 1951 (erstmalig: 1895); Serge Moscovici, Das Zeitalter der Massen. Eine historische Abhandlung über die Massenpsychologie, Frankfurt a. Main 1986; Bernd-Jürgen Warneken, Massenmedium Straße: Zur Kulturgeschichte der Demonstration, Frankfurt a. Main 1991. Sabrow, Der Konkurs der Konsensdiktatur; ders., Vertrauter Feind, objektiver Gegner, kollegialer Konkurrent. Zum Wandel des Bildes vom ,Anderen‘ in der sozialistischen Legitimationskultur der DDR, in: Gries/Satjukow (Hg.), Unsere Feinde, S. 255–276. Adam Prezeworski spricht gar von einer „Revolution der Wörter“, in: Eastern Europe: the Most Significant Event in our Life Time?, in: Sisyphus, Bd. VIII (1991), S. 9–18, hier: S. 10; speziell für die DDR vgl. etwa: Bettina Bock, Politische Wechsel – sprachliche Umbrüche, Berlin 2011; Armin Burkhardt/K. Peter Fritzsche (Hg.), Sprache im Umbruch. Politischer Sprachwandel im Zeichen von „Wende“ und „Vereinigung“, Berlin 1992; Lerchner (Hg.), Sprachgebrauch im Wandel; Wolf Oschlies, „Wir sind das Volk“. Zur Rolle der Sprache bei den Revolutionen in der DDR, Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien, Köln 1990; vgl. aber auch: Christa Wolf, Reden im Herbst. Vgl. Fix, Rituelle Kommunikation im öffentlichen Sprachgebrauch der DDR. Engler spricht von einer „auf der Rückbildung der repräsentativen wie der expressiven Symbolfunktionen“ aufgebauten „kaputten Sprache“: „Ihr letzter sprachlicher Ratschluss sind affektgesättigte, nicht gefühlsbetonte Sprechhandlungen. Auch Selbsterkenntnis, detachment, liegt jenseits der kommunikativen Register, die sie [die Sprecher; T.S.] in ihrer Not zu ziehen vermögen. Eine Sprache, die unangenehm berührt, kann die Solidaritätsgefühle nicht wecken, an die sie appelliert“; in: Das peinliche Archiv, S. 115f.; vgl. dazu auch: Wolf Oschlies, Würgende und wirkende Wörter – Deutschsprechen in der DDR, Berlin 1989.

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zurückschreckenden Feinden verstrickt wähnte,21 gegen die auch der Einsatz von Gewalt geboten schien, war die Gewalt der Protestbewegung im Herbst 1989 auf ganz „unblutige Weise letal“22. Die mobilisierende Funktion des proletarischen Mythos, der Enthusiasmus, den er hervorzurufen intendierte, speiste sich stets aus einem Moment des Widerstandes. Der Enthusiasmus der Protestbewegung richtete sich im Herbst 1989 jedoch nicht gegen den Klassenfeind, sondern gegen das Regime der „letzten Revolutionäre“ selbst. Um den Bruch mit dem historischen Auftrag der Arbeiter-undBauern-Macht – wie er im proletarischen Mythos kommuniziert wurde – vollkommen zu machen, wurde er nicht von ultimativer kämpferischer Entschlossenheit getragen, sondern zeigte sich weitgehendem Gewaltverzicht verpflichtet.23 Eine Parole, die von den Demonstranten im Verlauf der Montagsdemonstrationen skandiert wurden, brachte das Dilemma der „Gegengesellschaft“ (Konrad Jarausch), das im Mythos selbst angelegt war, auf den Punkt: „Widerrede ist kein Widerstand“ artikulierte nicht nur die Hoffnung, Gewaltanwendung zu vermeiden.24 Sie war zugleich populäres Plädoyer für die Überwindung eines hegemonialen, politischen Repräsentationsregimes, das nur ,Freund‘ und ,Feind‘ gelten ließ.

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Vgl. dazu im Einzelnen die Beiträge in: Gries/Satjukow (Hg.), Unsere Feinde; vgl. aber auch: Günter Schabowski, Das Politbüro: Ende eines Mythos. Eine Befragung, Reinbek 1991, S. 156f. Walter Benjamin bringt diese Formulierung im Rahmen seiner Gegenüberstellung von „mythischer“ und „göttlicher Gewalt“: „Ist die mythische Gewalt rechtssetzend, so die göttliche rechtsvernichtend, setzt jene Grenzen, so vernichtet diese grenzenlos, ist die mythische verschuldend und sühnend zugleich, so die göttliche entsühnend, ist jene drohend, so diese schlagend, jene blutig, so diese auf unblutige Weise letal“; Zur Kritik der Gewalt, in: ders., Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2, Frankfurt a. Main 1988, S. 42–66, hier: S. 62; auch wenn die Protestbewegung unter dem Dach der Kirchen ihren Anfang nahm, wäre, sie deshalb als göttliche Gewalt zu bezeichnen, gewiss verfehlt und auch nicht im Sinne Benjamins; vielmehr bezeichnet der Begriff der „göttlichen Gewalt“ ihm ein eschatologisches und emanzipatorisches Moment, das er der „schaltenden“, bloß verwaltenden Gewalt gegenüberstellt – allein in diesem Sinne wäre die systemsprengende Gewalt der Protestbewegung, eben weil sie keine konkrete Zielsetzung verfolgte, sondern (im Grunde ganz im Sinne des Sorel’schen Mythos, aber in völliger Verkehrung seiner Form) bloß den Bruch mit der „mythischen Gewalt“ „um des Lebendigen willen“ artikulierte und vollzog, „göttlich“ zu nennen; vgl. dazu auch: Jacques Derrida, Gesetzeskraft. Der „mystische Grund der Autorität“, Frankfurt a. Main 1991. Vgl. dazu: Detlef Pollack, Die Friedlichkeit der Herbstakteure 1989, in: Sabrow (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt, S. 108–128. Vgl. Hirschmann, Abwanderung, S. 349.

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Zumindest im Hinblick auf das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ – im weitesten Sinne gilt das vermutlich jedoch für alle Organe der Arbeiter-und-Bauern-Macht – wurde ein symbiotisches Beziehungsverhältnis der Angehörigen zu ihrer Organisation vorausgesetzt. Wie die Kämpfer sich im Konfliktfall zu verhalten hatten, schien weniger von konkreten Befehlen als vom Bezug auf eine organisationsspezifische Norm abhängig. Bis heute finden sich keine Belege für einen Schießbefehl der Avantgarde. Dieser Befund spricht jedoch nicht notwendigerweise für ihre friedfertigen Absichten. Vor dem Hintergrund der Fiktion einer symbiotischen Einheit von Partei und Klasse war ein solcher Befehl gar nicht notwendig. Vielmehr suggerierte sie, dass die Angehörigen der bewaffneten Organe, mithin alle klassenbewussten Arbeiter, auch so wussten, was auf dem Spiel stand und entsprechend ,kämpften‘. Im Rekurs auf Gewalt als ultimativem Qualitätsbeweis politischer Partizipation, vollendete sich eine sich auch schon vorher in anderen Alltagsbereichen ankündigende „Unwirklichkeit des Realen“. Tatsächlich erfolgte der Untergang des SED-Staates nicht aus der Niederlage gegen einen erstarkten Gegner, sondern markiert das Ende eines schon länger schwelenden, inneren Auflösungsprozesses.25 Schon vor dem Herbst 1989 hatte sich in der „heilen Welt“ der realsozialistischen Gesellschaft eine von ,warmem“ individuellem Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft getragene Praxis „hautnaher Beziehungsarbeit“ etabliert.26 Sie trug ihren Teil dazu bei, dass der kanonisch ,kalte‘ Konfrontationskurs des „Alles oder Nichts“ auf immer weniger Verständnis rechnen konnte.27 Gerade, weil die SED jedoch auf einem militaristischen Jargon beharrte, der Politik vornehmlich als Schlachtfeld aufzufassen schien,28 demonstrierte sie damit die Permanenz der Ausgrenzung wirklicher Ver-

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Sabrow, Konkurs der Konsensdiktatur; Kotkin, Uncivil Society. Vgl. dazu: Engler, Die ungewollte Moderne. Sabrow, „1989“ und die Rolle der Gewalt, S. 23; diese Spannung artikulierte sich etwa in dem Protest, mit dem breite Teile der Bevölkerung auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung auf ein Erich Honecker zugeschriebenes Zitat im Neuen Deutschland vom 2. Oktober reagierten, mit der die Regierung die Fluchtbewegung kommentierte: „Wir weinen denen die weggehen, keine Träne nach“ rückte den paternalistischen Herrschaftsanspruch der Parteiführung in das Licht machtpolitischer Farce; vgl. dazu: Hirschmann, Abwanderung, S. 352f.; der Begriff der „Politik des Alles oder Nichts“ bei: Weitz, Der Zusammenbruch der DDR. Vgl. dazu: Hans H. Reich, Sprache und Politik. Untersuchungen zu Wortschatz und Wortwahl des offiziellen Sprachgebrauchs in der DDR, München 1968.

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hältnisse und wirklicher Menschen.29 Auf diese Weise sollte sie jedwede Glaubwürdigkeit endgültig verspielen.30

Staatsorgan oder Schlägertruppe? Die Kampfgruppen und der Schutz der ,sozialistischen Errungenschaften‘ im Vorfeld des 40jährigen DDR-Jubiläums “The East German regime was out of touch”, schreibt Stephen Kotkin im Hinblick auf die Ereignisse vom Herbst 1989, „but partly for that very reason the paragons of uncivil society were in no mind to capitulate.”31 Bereits im November 1988 hatte der Nationale Verteidigungsrat beschlossen, dass die Kampfgruppen zukünftig auch im Falle „politisch bedeutsame[r] Veranstaltungen sowie bei Vorliegen einer erheblichen Gefährdung der inneren Sicherheit“ zum Einsatz kommen könnten.32 Einige Monate später hatte der stellvertretende Innenminister, Generalleutnant Schmalfuß, im „Kämpfer“ sybillinisch von „wachsenden Anforderungen an den Schutz der Arbeiter-und-Bauern-Macht“ und „neuen Aufgaben“ gesprochen. Da er sich über deren Inhalt jedoch weitestgehend ausschwieg,33 wurde diese Meldung in den westdeutschen Medien als heimliche Mobilmachung gegen die eigene Bevölkerung gedeutet.34

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Vgl. dazu: Negt/Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, S. 345. Weitz, Der Zusammenbruch der DDR, S. 13. Kotkin, Uncivil Society, S. 53. Information über Entscheidung des Nationalen Verteidigungsrates zur weiteren Entwicklung der Kampf- und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 3.2.1989, BStU, AS Halle, BV Halle, Abt. XIV, Nr. 764, Bl. 135f.; westdeutsche Journalisten, die sich auf „glaubwürdige Informanten“ beriefen, berichteten, dass Einheiten der Kampfgruppen bereits anlässlich der Maifeiern des Jahres 1989 bereitgestanden hätten, um eventuelle Demonstrationen von Bürgerrechtsgruppen zu zerschlagen: „So wurde beispielsweise eine Betriebskampfgruppe in der Kreisstadt Grimma bei Leipzig im Hinterhof einer Eisdiele am 1. Mai bereitgestellt. Die Eisdiele befindet sich direkt am Marktplatz in Grimma, auf dem die Abschlusskundgebung nach dem Mai-Umzug stattfand“, vgl. Information von [Name geschwärzt] von der [Name geschwärzt]-Redaktion in Hannover an den in der Hauptstadt der DDR akkreditierten [Name geschwärzt]-Korrespondenten [Name geschwärzt] bezüglich des geplanten Einsatzes der Kampfgruppen vom 16.6.1989, BStU, AS Halle, BV Halle, Abt. XIV, Nr. 764, Bl. 141. Vgl. „Ein ehrenvoller Parteiauftrag“, in: Der Kämpfer, Nr. 7, Jg. 33 (Juli 1989), S. 1. So berichtete die Berliner Morgenpost von „neue[n] Aufgaben für Betriebskampfgruppen“, die sich darauf konzentrieren würden, „wie man Demonstranten abdrängt und Rädelsführer festnimmt“; vgl. „Neue Aufgaben für Betriebskampfgruppen“, in: Berliner

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Tatsächlich war die Abteilung für Sicherheitsfragen seit dem Frühjahr 1989 mit der Ausarbeitung einer neuen Direktive über „Charakter, Aufgaben, Organisation und Ausbildung der Kampfgruppen“ beschäftigt. Zunächst betraf sie Aspekte wie das Aufstocken der hauptamtlich für die Kampfgruppen tätigen Kader von zwei auf fünf Personen oder die Herabsenkung der Mindestaltersgrenze von Kämpfern auf 18 Jahre. Diese Überlegung – die einen deutlichen Bruch mit der bis dahin gültigen Praxis bedeutete, Jugendlichen den Beitritt zu den Kampfgruppen zu verwehren – mag als ein Indiz dafür gelesen werden, dass dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ der reife Nachwuchs ausblieb. Andere Aspekte der Direktive nahmen hingegen deutlichen Bezug auf die sich zuspitzende „Finalitätskrise“ des Regimes. In der Direktive von 1980 hatte es noch – eher allgemein formuliert – geheißen, die Kampfgruppen „haben Handlungen im Interesse der jederzeitigen Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere gegen subversive und konterrevolutionäre Machenschaften des Gegners, durchzuführen“.35 In der neuen Direktive erfuhr dieser Punkt nun eine gründlichere Ausdifferenzierung: Neben der „Sicherung bedeutsamer Objekte, Anlagen und Einrichtungen sowie festgelegter Abschnitte und Räume“ kam der „Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit“ nun oberste Priorität zu.36 Dabei konnte es sich um Einsätze zur „Unterstützung bei der Abwehr und Bekämpfung von Katastrophen [und] schweren Havarien“ handeln, aber auch um die „Aufklärung und Bekämpfung subversiver und anderer Kräfte des Gegners“. Von außen luftgelandete oder auf andere Art und Weise in die DDR eindringende Ranger- und Diversionseinheiten, die in der Direktive von 1980 noch als potentielles Feindbild der Kampfgruppen herhielten, spielten hingegen keine Rolle mehr. Eine Unterstützung von „Handlungen der DVP“ und erst nachrangig der Streitkräfte und der Grenztruppen schrieb der Miliz nun hingegen wiederum vornehmlich polizeiliche Aufgaben zu. „Verstärkt erfolgt die Vorbereitung zur Lösung von Aufgaben gegen subversive und konterrevolutionäre Kräfte“, hieß es in dem der Direktive beiliegenden „Bericht über die Realisierung der                                                                                                                                       

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Morgenpost vom 12.7.1989, BStU, AS Halle, BV Halle, Abt. XIV, Nr. 764, Bl. 137; vgl. dazu auch: „Blick nach Osten“, in: Der Spiegel vom 1.5.1989, S. 16; „Die DDR will ihre Betriebskampfgruppen bei inneren Unruhen einsetzen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.7.1989. Vgl. Direktive des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates über die Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 22.12.1980, Bl. 245. Vgl. Direktive des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik über Charakter, Aufgaben, Organisation und Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, undat. [1989], BStU, MfS, AGM 379, Bl. 58.

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Grundsätze für die weitere Erhöhung der Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft“. Und: „Die bei den taktischen Übungen und Überprüfungen der Ausbildung erreichten guten bis sehr guten Ergebnisse bestätigen, dass die Einheiten als Kampfund Sicherungskräfte ihre Aufgaben erfüllen können“.37 Von Zersetzungs- oder gar Auflösungserscheinungen innerhalb der Miliz wollte der von der Abteilung für Sicherheitsfragen angefertigte Bericht hingegen nichts wissen. Vielmehr konstatierte er, dass die „verstärkten ideologischen Angriffe des Gegners“ – damit war die Berichterstattung der westdeutschen Presse gemeint – auf die Angehörigen der Kampfgruppen „im wesentlichen ohne Erfolg“ geblieben seien. Tatsächlich zeichneten diverse Berichte über den Zustand der Kampfgruppen das Bild einer scheinbar loyalen und zuverlässigen Organisation. 72 Prozent aller Kämpfer waren entweder Kandidaten oder Mitglieder der SED.38 Während die Zahl der Parteimitglieder im Bezirk Magdeburg mit 67,5 Prozent etwas darunter lag, belief sie sich im Bezirk Halle gar auf 81,5 Prozent.39 Nicht nur verfügte ein Großteil der Kämpfer scheinbar über ein – qua Parteizugehörigkeit zum Ausdruck gebrachtes – gefestigtes Klassenbewusstsein. Ein zwischen 40 und 45 Jahren verortetes Durchschnittsalter schien zugleich dafür Sorge zu tragen, dass sich das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ mehrheitlich aus in ihrer persönlichen Entwicklung gefestigten Werktätigen zusammensetzte.40 73 Prozent aller Kämpfer gehörten der Miliz seit über fünf Jahren an, jeder fünfte gar seit über 20 Jahren, was zugleich dafür zu sprechen schien, dass die meisten Kämpfer ihren Dienst nicht als Zwang betrachteten, sondern mit einer gewissen Überzeugung verrichteten. Dafür schien nicht zuletzt die durchschnittliche Beteiligung an der Ausbildung zu sprechen, die mit 95,6 Prozent beziffert wurde.41

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Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die weitere Erhöhung der Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zeitraum 1981 bis 1990, undat. [1989], BStU, MfS, AGM 379, Bl. 47. Zudem konnte die Anzahl derjenigen Einheiten, in denen sich die Zahl der SEDMitglieder auf unter 50 Prozent belief, seit 1985 von 76 auf 26 verringert werden; Bericht über die Realisierung der Grundsätze für die weitere Erhöhung der Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zeitraum 1981 bis 1990, undat. [1989], BStU, MfS, AGM 379, Bl. 43. Bericht über den Zustand der Kampfgruppen von 1988, BArchB., DO 1/18.0/53683. Einschätzung der Kampfgruppen im 1. Ausbildungsabschnitt 1986–1990 vom 21.1.1988, BArchB., DO 1/18.0/53683. Einschätzung der Kampfgruppen im 1. Ausbildungsabschnitt 1986–1990 vom 21.1.1988, BArchB., DO 1/18.0/53683.

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Weil „die Pflege und Wahrung der revolutionären Traditionen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, besonders ihrer Schutz- und Wehrorganisationen, […] wesentlich zur Vertiefung des sozialistischen Geschichts- und Traditionsbewusstseins beigetragen“ hätte, könne man, so das Fazit eines Berichtes, auch davon ausgehen, dass sich der „Stolz auf die Zugehörigkeit zu den Kampfgruppen“ weiter vertieft habe.42 Der rege Gebrauch komparativistischer Wendungen, der auch die hier herangezogenen Berichte zum Zustand der Kampfgruppen zeichnete, mag im Nachhinein entlarvend wirken. Wohl mag unter den Angehörigen der Apparate ein Bewusstsein darüber vorhanden gewesen sein, dass diese Berichte frisiert waren,43 Abstriche im Hinblick auf den tatsächlichen Zustand also in Kauf zu nehmen waren. Selbst vor solch einem Hintergrund nahm sich das Bild der Einsatzbereitschaft des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ immer noch beachtlich aus.44

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Einschätzung der Kampfgruppen im 1. Ausbildungsabschnitt 1986–1990 vom 21.1.1988, BArchB., DO 1/18.0/53683. Zumindest die Berichte des MfS zeigen sich über sogenannte „Erfüllungspraktiken“ gut informiert: Vorkommnisse, wie es sie etwa aus dem II. KGB „Ernst Brandt“ in Magdeburg berichtete, wo anlässlich der Ausbildung im April 1989 der Verbindungsoffizier der VP verfügte, aufgrund des „40. Jahrestages der DDR“ einen höheren Wert im Hinblick auf die Beteiligung von faktisch 91 Prozent aller Angehörigen dieser Einheit anzugeben seien, brachte es jedoch nicht mit einer grundsätzlich abnehmenden Motivation der Kämpfer in Verbindung, sondern ging davon aus, dass der „politisch-ideologische Zustand“ dieser Einheit sehr wohl „stabil sei“ und man im Ernstfall auf „ca. 80%“ der Kämpfer rechnen könne; Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, AKG, Nr. 52, Bl. 319; diese Zahl scheint insofern bemerkenswert, weil sie einerseits deutlich unter den 91 Prozent liegt, die in Magdeburg faktisch zu den Willigen zählten, andererseits auch in anderen Berichten angegeben wird; vgl. dazu: Information des IMS „Bär“ vom 20.9.1989, BStU, AS Halle, KD Halle, AR 8, Nr. 172, Bl. 250; denkbar, hier jedoch nicht nachzuprüfen, ist demnach, dass es sich bei dieser Zahl um eine standardisierte ,Kompromissformel‘ des MfS handelte, das seinerseits darum bemüht war, seine Effizienz zu beweisen; hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang zugleich auf die Verwendung des Adjektivs „stabil“, das in den Reihen des MfS häufig Verwendung fand, wenn es darum ging, die gesamte gesellschaftlich-politische Situation im Vorfeld der Herbstereignisse zu bewerten; vgl. dazu: Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 181f. Bspw. im Hinblick auf die bereits erwähnte 1. KGH Halle, in der sich Kämpfer über mangelnde Wertschätzung beklagt hatten, ging der Berichterstatter des MfS dennoch davon aus, dass der „politisch-moralische und ideologische Zustand“ dieser Einheit sehr wohl „stabil“ sei und man im Einsatzfall mit „ca. 80 %“ der Kämpfer würde rechnen kön-

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„Man hat also auch gedacht, dass man sich, äh, in vielen Dingen auf diese Kampfgruppen vielleicht och `n bisschen besser verlassen kann wie, wie auf … wie vielleicht auch auf die Volksarmee, wenn man … Dort waren eben alles nur junge Leute und hier waren also doch, also, so der Altersdurchschnitt, der war natürlich, was weiß ich, der lag bei vierzig oder fünfzig Jahren oder, oder eben auch noch älter und die hatten also auch `n ganze Menge Lebenserfahrung.. Äh, viele waren natürlich auch, äh, in, in der Partei und so, das hat da alles sicher `n Rolle mitgespielt, ja.“45

Was Hans Fischer erinnert, reflektiert in wichtigen Punkten die besondere Stellung, die das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ im Gefüge des SED-Sicherheitsapparates einnahm. Der vergleichsweise hohe Altersdurchschnitt und die mit ihm einhergehende Lebenserfahrung, zumeist verbunden mit der Parteimitgliedschaft – Eigenschaften, die auch die internen Berichte zum Zustand der Kampfgruppen betonten –, stützten die Fiktion einer klassenbewussten, ihrer Avantgarde gegenüber uneingeschränkt loyalen Truppe. Auf den Kommandohöhen schien man nicht nur einen möglichen Einsatz des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ gegen die Zivilbevölkerung zu antizipieren, sondern zeigte sich zugleich bemüht, ihn rechtlich zu sanktionieren. Bis zum Sommer 1989 waren die Befugnisse der Kampfgruppen bei Einsätzen in Friedenszeiten zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung rechtlich nicht geklärt. Überhaupt existierte in der DDR keine eigenständige Notstandsverfassung46 – wiederum ein Hinweis darauf, dass der Ausnahmezustand quasi axiomatische Bedeutung für das politische Wirken der „letzten Revolutionäre“ besaß. Im Spätsommer 1989 wurde hingegen dafür plädiert, eine Übertragung von Befugnissen gemäß des § 20 des „Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der DVP“ auf die Kampfgruppen umgehend festzuschreiben. Dieser Paragraph des 1968 erlassenen Gesetzes sah vor, dass der Ministerrat anderen Organen die Ausübung der in diesem Gesetz geregelten polizeilichen Befugnisse übertragen könne. Genannt wurden in diesem Zusammenhang das MfS und die NVA, nicht aber die Kampfgruppen.47 Sowohl die Zuverlässigkeit der Miliz wie auch ihr Verwen-

                                                                                                                                      

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nen; vgl. Information über ausgewählte Ergebnisse der Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 27.7.1989, BArchB., Do1/18.0/53583. Interview mit Hans Fischer (4.8.2006), Transkript S. 4. Vgl. dazu: Schmitz, Notstandsverfassung und Notstandsrecht in der DDR. Vgl. dazu: Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Volkspolizei vom 11.6.1968, http://www.verfassungen.de/ddr/polizeigesetz68.htm; zur Ausarbeitung und Konzeption des Gesetzes vgl. Thomas Lindenberger, Öffentliche Polizei im Staatssozialismus: Die Deutsche Volkspolizei, in: Hans-Jürgen Lange (Hg.), Staat, Demokratie und

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dungszweck gemäß § 20 des DVP-Gesetzes sorgten auf den Kommandohöhen für Diskussionsbedarf. Der Vertreter des Ministeriums des Innern (MdI), Oberst Werkmeister, bezweifelte die Aussage der Abteilung für Sicherheitsfragen, dass die Zuverlässigkeit der Kampfgruppen „in der Gesamtheit nicht“ beeinträchtigt sei. Seine Skepsis begründete er mit der steigenden Zahl von Ausreiseanträgen bzw. Austrittserklärungen. Zugleich verwies er auf die fehlende Bereitschaft zum Dienst und insbesondere zu einzelnen Ausbildungsmaßnahmen,48 womit offenbar das Üben von gegen Demonstranten gerichtete Einsätze gemeint war. Tatsächlich war es im April 1989 im Rahmen einer Übung in Delitzsch zu deutlichen Unmutsbekundungen unter den Kämpfern gekommen. Sie hatten insbesondere das Szenario der Übung, wonach „in der Stadt Delitzsch kirchliche Kreise die Bevölkerung aufwiegeln und es schon zu Zerstörungen gekommen sei“, moniert. Dies erschien ihnen überwiegend nicht nur als „krasse[r] politisch[r] Fehler“. Zugleich fürchteten sie einen „politischen Skandal“, wenn die Kirche davon erführe.49 Eine unabsehbare Zahl an Kampfgruppen-Angehörigen hegte offenkundig die Überzeugung, dass derartige Einsätze „nicht im Einklang mit den Aufgaben der Kampfgruppen“ stünden.50 Damit korrespondierten „zahlreiche“ mit den neuen Richtlinien in Zusammenhang stehende „Austritte“ und „negative Diskussionen“, die das MfS im Verlauf des Ausbildungsjahres registriert hatte.51 Aus diesem Grund war die zentral herausgegebene Ausbildungsanleitung zum Thema „Sperren und Räumen von Straßen und Plätzen“ auf Entscheidung des

                                                                                                                                      

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innere Sicherheit in Deutschland. Studien zur Inneren Sicherheit, Opladen 2000, S. 89– 110. Aktennotiz vom 13.9.1989, BStU, MfS, AGM 379, Bl. 77. Vgl. Information Brünings vom 7.4.1989, in: Gerhard Besier/Stephan Wolf (Hg.), „Pfarrer, Christen und Katholiken“. Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen, 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1992, S. 617f., hier: S. 618; Walter Süß, Der friedliche Ausgang des 9. Oktober in Leipzig, in: Sabrow (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt, S. 173–202, hier: S. 178f. Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in Durchführung der Aktion „Jubiläum 40“ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, AS Halle, BV Halle, Abt. XIV, Nr. 764, Bl. 123; vgl. auch: Information Brünings, S. 618. Konnte diesbezüglich eine „definitive Aussage […] alle Bezirke betreffend“ nicht getroffen werden, zählte man jedoch in Dresden 213 und in Cottbus 187 Austritte in der Zeit vom 1.1.1989 bis zum 30.9.1989; vgl. Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in Durchführung der Aktion „Jubiläum 40“ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, AS Halle, BV Halle, Abt. XIV, Nr. 764, Bl. 123.

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Ministers des Innern im Mai 1989 kurzfristig zurückgezogen worden. Kommandeure, die einen Lehrgang in der ZSfK in Schmerwitz besuchten, wurden hingegen weiterhin in dieser Hinsicht unterrichtet und eingewiesen.52 Diese Maßnahmen verweisen weniger auf ein grundsätzliches als vielmehr auf ein taktisches Umdenken der Kommandohöhen im Hinblick auf die Vorbereitungen eines möglichen Einsatzes der Kampfgruppen gegen die Bevölkerung. Die Bedenken, die der Vertreter des Ministers des Innern bei der Diskussion polizeilicher Aufgaben und Befugnisse der Kampfgruppen bekundete, lagen ganz auf dieser Linie. Sie stießen sich an einer expliziten Bezugnahme auf den § 20 des DVPGesetzes in der Direktive. Da ihre Verteilung bis hinunter zur Kreisebene vorgesehen war, fürchtete man im Innenministerium offensichtlich, mit einer Regelung für den Fall eines möglichen Einsatzes auf Widerstand an der Basis zu stoßen. Denn eine solche Regelung – so war man sich bewusst – konnte vor dem Hintergrund der politisch-sozialen Zuspitzung auch als konkrete Vorbereitung bzw. Absicherung eines tatsächlichen Einsatzes gedeutet werden. Die Entscheidungsgewalt über einen möglichen Einsatz war ohnehin den 1. Sekretären der Bezirksleitungen vorbehalten, die im Konfliktfall wiederum auf direkte Anweisungen aus Berlin zu handeln hatten. Da in den Augen der VP die Befugnisse der Kampfgruppen damit grundsätzlich geregelt waren, plädierte man dafür, den entsprechenden Punkt in der Direktive einfach wegzulassen,53 d. h. die lokalen Kader in dieser Hinsicht zu übergehen. Dass die Verantwortlichen auf den untersten Ebenen der Apparate angesichts einer so zentralen Frage – nämlich der Anwendung von Gewalt – nicht ins Vertrauen gezogen wurden, spricht für die weitreichende Tendenz, mögliche Gewaltanwendung immer stärker in den Bereich des Geheimen zu relegieren.54 Zugleich reflektiert sie aber auch ein erhebliches Misstrauen der Avantgarde gegenüber der Loyalität ihrer Apparate auf den untersten Ebenen – zumindest innerhalb des Ministeriums des Innern. Denn der Vorschlag des Vertreters des Ministeriums des Innern fand nicht die Zustimmung des MfS. Zwar stimmte die Hauptabteilung VIII mit den Vertretern des MdI darin überein, Hinweise auf den „politisch-moralischen Zustand“ des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ nochmals zu prüfen. Zu-

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Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in Durchführung der Aktion „Jubiläum 40“ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, AS Halle, BV Halle, Abt. XIV, Nr. 764, Bl. 123. Aktennotiz vom 13.9.1989, BStU, MfS, AGM 379, Bl. 74f. Vgl. dazu: Gieseke, Einheit von Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik, S. 1112.

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gleich wollte sie aber einen Hinweis auf den § 20 des DVP-Gesetzes nicht einfach übergehen. Einerseits schlug sie eine staatsrechtliche Prüfung vor, „ob die Kampfgruppen als ,Organ‘ im Sinne des VP-Gesetzes erfasst werden können“. Andererseits schien das für sie selbst gänzlich unstrittig zu sein, plädierte die Hauptabteilung doch für die Formulierung eines Grundsatzes, der eine Übertragung von Befugnissen durch den Ministerrat gemäß § 20 des DVP-Gesetzes an die Kampfgruppen eindeutig festschrieb.55 Bemerkenswert an dieser sich bis in den Spätsommer hinziehenden Debatte – die sich im Übrigen mit der krankheitsbedingten Abwesenheit Erich Honeckers deckte – ist der Streit um die rechtliche Absicherung Kampfgruppen-spezifischer Befugnisse. Dass die „letzten Revolutionäre“ ihr kaum Bedeutung beimaßen, verweist auf die Fiktion des virtuosen Charakters der Miliz. Als Organisation, die ihre Wurzeln im Untergrund besaß, ergaben sich Auftrag und Handlungsweisen der Kampfgruppen nicht aus spezifisch oder gar juristisch geregelten Gesetzen, sondern aus der symbiotischen Bindung ihrer Mitglieder an die Werte und Normen der aus dem Untergrund an die Macht gelangten (und dabei stets um die Behauptung ihrer Macht kämpfenden) Bewegung.56 Die Debatte zeigt aber auch, dass ein derart „revolutionäres“ Verständnis der Befugnisse der Kampfgruppen auf den Kommandohöhen nicht mehr uneingeschränkt auf Verständnis rechnen konnte.57 Ein möglicher Einsatz scheint für alle beteiligten Parteien außer Frage gestanden zu haben, trotz der Hinweise auf den „politisch-moralischen“ Zustand seitens des MfS und MdI. Die Debatte fokussierte vielmehr darauf, wie ein solcher Einsatz den eigenen Untergebenen am besten zu vermitteln sei: Indem man ihn per Gesetz legitimierte, wie es das MfS vorschlug, oder auf eine solche Legitimierung gänzlich verzichtete, wofür wiederum

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Meinungsäußerung zu Entwürfen von Beschlussvorlagen über die Kampfgruppen der Arbeiterklasse für den Nationalen Verteidigungsrat der DDR vom 31.8.1989, BStU, MfS, AGM 379, Bl. 87f.; vgl. auch: Meinungsäußerung zu NVR-Vorlagen Kampfgruppen vom 31.8.1989, BStU, MfS, AGM 379, Bl. 92–94. Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 80: „Die Adhärenz zu den Normen [der jeweiligen Bewegung; T.S.] wird, wie gesagt, global und ,in blanco‘ internalisiert, eine allgemeine Bereitschaft, der Sitte, dem Brauch und den Vorschriften des Kollektivs zu folgen, wird erzeugt. Verinnerlicht wird eine Achtung im Voraus: vor der Gesetzlichkeit [wiederum: der jeweiligen Bewegung; T.S.] schlechthin, vor ihren Institutionen, vor dem Gesetzgeber, vor dem ,man‘, vor dem ,Gang der Welt‘“. Vgl. Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 745f.; zur vermehrten Kritik an der Praxis einer lange Jahre unhinterfragten, relativistischen Rechtsauslegung speziell in den 1980er Jahren vgl. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 256–267.

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das MdI plädierte. Deutlich wird, dass man auch auf den Kommandohöhen einem Rekurs auf den proletarischen Mythos nicht mehr uneingeschränkt vertraute, um die Bevölkerung für die Sache der Avantgarde zu mobilisieren. Stattdessen wurde auch erwogen, eine vorgeblich rechtsstaatliche Autorität in die Waagschale zu werfen.58 Tatsächlich dokumentieren die Berichte des MfS, dass die aktuellen Probleme auch in den Kampfgruppen „offen und kritisch“ diskutiert würden. „Der größte Teil der Kämpfer ist für wirtschaftliche, soziale und politische Veränderungen in der DDR“, resümierte ein Bericht der Kreisdienststelle Staßfurt, „sie warten nur auf den ,Startschuss‘ in Form von zielklaren Orientierungen“.59 Wurde auch im „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ über notwendige Reformen nachgedacht, sollten entsprechende Initiativen und „zielklare Orientierungen“ jedoch von ,oben‘ kommen. Noch siebzehn Jahre nach den Ereignissen, während eines Interviews im Sommer 2006, sprach Herr Peters mit Bezug auf die Montagsdemonstrationen intuitiv von „Putschen“.60 Denkbar ist, dass das Gespräch an lange Zeit gültigen Wahrnehmungsmustern und -kategorien dieses Angehörigen der „funktionierenden Generation“ rührte und in einem entsprechenden Jargon resultierte. Zugleich reflektiert seine Sprache ein Ordnungsdenken, das politischer Artikulationen außerhalb institutionalisierter Bahnen jedwede Berechtigung aberkannte und sie stattdessen mit Chaos und Anarchie assoziierte.61 In eben diese Richtung argumentierte die SED-Presse. Wenn der „Kämpfer“ noch im November forderte: „Schluss mit Randalieren und Demolieren. Die Straße ist kein geeigneter Gesprächsplatz“62, marginalisierte er solchermaßen das politische Anliegen der Protestbewegung. Dem Verlauf der Ereignisse weit hinterherhinkend und sie maßlos verzerrend, schrieb er ihr weiterhin vor allem ordnungsstörende und aufwieglerische – Dämme brechende – Absichten zu. Zeitungsberichte schlugen denselben

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Vgl. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, die von einem „zögerlichen“ Aufgreifen des „Rechtsstaatsgedankens“ seit 1988 spricht, S. 270f. Bericht zur politisch-operativen Lage unter den Kampfgruppen-Einheiten des Kreises Staßfurt vom 16.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 36. Interview mit Edgar Peters (20.9.2006), Transkript S. 11; Heinz Körner sprach im Zusammenhang mit den Ereignissen im Herbst 1989 auch vom „Hammer“ und „Umsturz“; vgl. Interview mit Heinz Körner (17.8.2006), Transkript S. 1. Vgl. Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 525; Lindner, Politische Kultur der Straße, S. 18f.; Maier, Das Verschwinden der DDR, S. 197f. „Der 9. Oktober in Leipzig“, in: Der Kämpfer Nr. 11 vom November 1989, 33. Jg., S. 2.

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Ton an, berichteten von „antisozialistischen Ausschreitungen“ und ließen beunruhigte, nach Ordnung verlangende Bürger zu Wort kommen.63 Bei aller Skepsis, die Herr Fischer im Nachhinein gegenüber der SED zum Ausdruck brachte, ließ auch er offen, was passiert wäre, „wenn hier irgendwelche, wenn se hier das Partei, äh, Büro vielleicht, oder das VPKA oder was, gestürmt hätten“.64 Dass Herr Fischer in solch einem Fall die Anwendung von Gewalt womöglich gutgeheißen hätte, wurde nicht in erster Linie durch eine unbedingte Treue gegenüber der SED und ihres politischen Programms begründet. Vielmehr resultierte sie aus dem Interesse an einer formalen Kontinuität der staatlichen Ordnung zum Zweck der Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit – einem „Anti-Chaos“-Reflex.65 Die Forderung, „keine Anarchie aufkommen zu lassen“,66 konnte in großen Teilen der Bevölkerung durchaus auf Zustimmung rechnen, weniger jedoch aus politischen, denn aus obrigkeitsstaatlichen Gründen. „Mit Zusammenrottungen werden keine Probleme gelöst und wer ausflippt oder randaliert, muss eben zur Vernunft gezwungen werden“, bekundete in diesem Sinne demonstrativ ein Kollektiv im VEB SKL Magdeburg.67 Erich Honecker, nach einer krankheitsbedingten Ruhepause im September in sein Amt zurückgekehrt, machte kein Hehl daraus, dass er das Anliegen der Protestbewegung für unzulässig betrachtete und „diese feindlichen Aktionen im Kei-

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Vgl. dazu: Lindner, Politische Kultur der Straße, S. 16f.; Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 74f.; die „Märkische Volksstimme“ etwa berichtete Anfang Oktober über eine von der Volkspolizei aufgelöste „Zusammenrottung“ von „etwa 200 Störenfrieden“ in Potsdam: „Es fällt auf, dass unter den Zugeführten sich eine größere Anzahl von Personen befand, die vorbestraft sind, keiner geregelten Arbeit nachgehen oder aufgrund ihres asozialen Lebenswandels als kriminell gefährdet gelten“; zit. nach: Was im Oktober ‘89 in der Zeitung stand …, in: Herbst ‘89 in Magdeburg, S. 18. Interview mit Paul Fischer (4.8.2006), Transkript, S. 2. Vgl. dazu: Richard Löwenthal, Bonn und Weimar: Zwei deutsche Demokratien, in: Heinrich August Winkler (Hg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945–1953, Göttingen 1979, S. 9–25, hier: S. 10f. Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 13.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 167; zu generationsspezifischen Dispositionen vgl. Thomas Gensicke, Mentalitätswandel und Revolution. Wie sich die DDRBürger von ihrem System abwandten, in: DA 25 (1992), S. 1266–1283, besonders S. 1274f. Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 11.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 409.

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me erstickt werden müssen“.68 Honeckers Denunziationen der Demonstrationen als gegen „die verfassungsmäßigen Grundlagen unseres Staates“ gerichtete, „staatsfeindliche“ Aktivitäten69 entbehrten jedoch nicht einer gewissen Doppelbödigkeit. Gegen verfassungsmäßige Grundlagen verstießen die Demonstranten nur insoweit als dass sie die „führende Rolle der Partei“ in allen Fragen gesellschaftspolitischer Aktivitäten in Frage stellten. Als „staatsfeindlich“ konnten ihre Intentionen wiederum nur gedeutet werden, wenn der Staat mit dem SED-Regime gleichgesetzt wurde. Die Differenz ist scheinbar minimal, jedoch bedeutsam: Denn obwohl die staatliche Integrität der DDR von den Demonstranten zunächst noch nicht in Frage gestellt wurde, wurde die Protestbewegung in der realsozialistischen „Präsentationsöffentlichkeit“ nicht nur als Gefährdung der allgemeinen Ordnung und Sicherheit verunglimpft. Auch, wenn sich ihr Unmut allein gegen die Regierung richtete, wurde sie durchweg als „Konterrevolution“ wahrgenommen und dargestellt, die die sozialistischen Errungenschaften und damit die DDR als Ganzes bedrohen würde. Alle Bezirke wurden aufgefordert, zentrale Bezirkseinsatzleitungen (BEL) zu bilden, denen neben den Bezirkschefs von Polizei, Armee und MfS die Führung der Bezirksleitung der SED angehörte und die vom 1. Sekretär der Bezirksleitung gelenkt wurden.70 Aus der Perspektive der Kommandohöhen war, was sich als Protestbewegung „zusammenrottete“, höchst gefährlich: eine „akute Masse“, die sich „rowdyhaft“71, „gewalttätig“ und für „unsere Bürger in höchstem Maße beunruhigend“ verhielt.72 Als in ihren Wahrnehmungen getrübt, anfällig für Affekt                                                             68

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Fernschreiben Honeckers an die 1. Sekretäre der Bezirksleitungen der SED, zit. nach: Tobias Hollitzer, Der friedliche Verlauf des 9. Oktober 1989 in Leipzig – Kapitulation oder Reformbereitschaft? Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkung, in: Günther Heydemann/Werner Müller (Hg.), Revolution und Transformation in der DDR 1989/90, Berlin 1999, S. 247–288, hier: S. 252. Vgl. Armin Mitter/Stefan Wolle (Hg.), Ich liebe euch doch alle! Befehle und Lageberichte des MfS Januar bis November 1989, Berlin 1990. Vgl. Löhn, MfS und SED im Bezirk Halle, S. 10. Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 72ff.; während Zwahr mutmaßt, dass die politische Benutzung des Wortes Rowdy aus dem intensiven Austausch mit chinesischen Politikern Anfang Oktober 1989 hervorgegangen sein mag, ist jedoch darauf zu verweisen, dass diese Bezeichnung als Synonym für gewaltbereite, häufig jugendliche Störer der öffentlichen Ordnung bereits seit den 1950er Jahren in der DDR gebräuchlich war; das Rowdytum und seine Bekämpfung nahm seit den 1960er Jahren einen für das Selbstverständnis des SED-Staates zentralen Stellenwert in der Politik der Inneren Sicherheit ein; vgl. dazu: Lindenberger, Volkspolizei, S. 367ff. Vgl. dazu: Mitter/Wolle (Hg.), Befehle und Lageberichte des MfS, S. 200.

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handlungen und selbsternannten „Rädelsführern“ zu folgen bereit, fügte sie sich exakt ins Bild der Massenpsychologie des späten 19. Jahrhunderts.73 Die stigmatisierende Scheidung von „hochstehendem“, elitären Einzelnen und „niedriger“, kulturloser Masse verblüfft zunächst ob des vorgeblich egalitären Charakters des SED-Regimes. Zugleich verweist sie jedoch auf dessen Wurzeln als „virtuoser Kadergemeinschaft“, die auch nach der Machteroberung die Gesellschaft als etwas Äußeres und die Masse grundsätzlich als Objekt der Mobilisierung wie der Geringschätzung betrachtete.74 Interne, unter den Sicherheitskräften kursierende Berichte sprachen von „rowdyhaften Ausschreitungen“, „aktive[m] Widerstand“ und „aggressive[m] Verhalten, insbesondere von „weiblichen Demonstranten“. Die Codierung der Masse als „weiblich“ verweist auf mehr als auf bloße Delegitimierungsabsichten von Seiten der Machthaber entlang der Unterscheidung „hochstehend/niedrig“.75 Bedroht ist nicht nur das Regime, sondern jeder einzelne seiner Repräsentanten: „Das öffentliche Erscheinen revolutionärer Massen ist eine Folge von Dammbrüchen; es bedroht auch die eigenen Dämme, als bräche die Körpergrenze der Männer durch den ,Einfluss‘ der äußeren Masse zusammen; die eigene Masse zerfließt in die äußere – die äußere wird zur Verkörperung des ausgebrochenen eigenen Inneren. Der Mann wird ,überschwemmt‘.“76

Tatsächlich fühlten sich die Repräsentanten des Regimes – angefangen vom einfachen Kämpfer bis hin zu den Kommandohöhen – angesichts der schieren Größe der Demonstrantenmenge vielfach „überschwemmt“. Aber gerade weil der Repräsentant der staatlichen Ordnung nicht zur Masse werden darf, droht er ihrer Verlockung mit emphatischem Terror zu begegnen. Die Verbreitung angeblicher Ausschreitungen, die Beschwörung ihrer Unheimlichkeit, wie sie in Presse und internen Berichten zum Ausdruck kommt, verweist auf einen „Doppelbinderprozeß“: Wenn die Protestbewegung tatsächlich so unberechenbar böse und gewaltbereit war, wie es von Seiten der Staatspartei suggeriert wurde, konnte sie allein durch entschlossenes und kompromissloses Vorgehen gebändigt werden. Für alle Angehörigen der Sicherheitsorgane musste die Vorstellung der Protestbewegung

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Zur Wahrnehmung von Menschenmassen aus der Perspektive von Ordnungskräften vgl. Weinhauer, Schutzpolizei, S. 274–277. Vgl. dazu: Riegel, Marxismus-Leninismus als politische Religion; Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 109; Theweleit, Männerphantasien, Bd. 2, S. 8ff. Vgl. dazu den Abschnitt „Frauen vorneweg“ in: Theweleit, Männerphantasien, Bd. 2, S. 31–39. Theweleit, Männerphantasien, Bd. 2, S. 8.

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als „akuter Masse“ – deren Ziele nicht weniger als „staatsfeindlich“ sein sollten – wenn nicht einer Aufforderung, so doch einem moralischen Freibrief gleichkommen, mit allen verfügbaren Mitteln gegen die Demonstranten vorzugehen.77 War die Gewaltschwelle jedoch erst einmal überschritten, drohte ihre Eigendynamik alle Akteure in eine „Falle“ zu führen, „die jede der beteiligten Seiten zwingt, aus Furcht vor der Gewalttätigkeit der Gegenseite diese selbst mit Gewalt zu bekämpfen“.78 Im vierzigsten Jahr seiner Existenz konnte die politische Führung von einer gewissen Legitimität ihres Staates innerhalb der Bevölkerung durchaus ausgehen. Das zeigt sich etwa daran, dass selbst die an die gesellschaftlichen Ränder abgedrängten Diskursformationen der politischen Opposition eine „extreme Staatsbezogenheit“ an den Tag legten, „oft in der gewendeten Form der kritischen Auseinandersetzung“.79 Der Ordnungsbegriff der DDR war jedoch insofern doppeldeutig als dass Ordnung kein Wert an sich darstellte. Folgte er in vielerlei Hinsicht einem Ordnungsdiskurs, wie ihn deutsche Regierungen seit dem 18. Jahrhundert pflegten und propagierten,80 bildete er nur die Voraussetzung für eine staatssozialistische Praxis von Herrschaft. Obwohl das Regime kurz vor dem 40. Geburtstag seines Staates stand, artikulierte es solchermaßen eine ausgesprochene Lagermentalität. Axiomatischen Charakter für das Selbstverständnis der DDR besaß die Fiktion eines harmonischen Miteinanders von Herrschenden und Beherrschten, die sogenannte ,Einheit von Partei und Klasse‘. Wer sich dieser harmonischen „Einheit“ entzog, konnte faktisch nur Feind dieser politischen Ordnung sein. Verweist diese Wahrnehmung auf die lange Dauer einer Untergrund-Mentalität unter den „letzten Revolutionären“, reproduzierte sie zugleich ein grundlegendes Dilemma „proletarischer Öffentlichkeit“: Der Zusammenschluss zu einem homogenen und handlungsfähigen Lager konnte nur um den Preis der Abtrennung von der lebendigen gesellschaftlichen Wirklichkeit erkauft werden.81

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Vgl. dazu: Lüdtke, Fehlgreifen in der Wahl der Mittel. Norbert Elias, Die Zersetzung des staatlichen Gewaltmonopols in der Weimarer Republik, in: ders., Studien über die Deutschen, Frankfurt a. Main 1989, S. 282–294, hier: S. 284. Rittersporn/Rolf/Behrends, Von Schichten, Räumen und Sphären, S. 408f. Vgl. dazu: Weitz, Creating German Communism. Vgl. dazu: Negt/Kluge, Lagermentalität der KPD vor 1933, in: diess., Öffentlichkeit und Erfahrung, S. 384–387.

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„Die Ziele der Massen waren insgeheim auch ihre Ziele“? Kampfgruppen-Angehörige zwischen den Fronten der ,friedlichen Revolution‘ Nur mit „Konsequenz und Härte“ sei der Sozialismus noch zu retten, hatte wiederum Erich Mielke den Leitern der MfS-Diensteinheiten am 3. Oktober mahnend mit auf den Weg gegeben.82 Egon Krenz‘ Besuch in Peking im September 1989 war allgemein als Zeichen verstanden worden, dass die SED nicht zögern würde, dem Beispiel der chinesischen Genossen zu folgen, sollte es auch in der DDR zu größeren oppositionellen Kundgebungen kommen.83 Nachdem die Beteiligung an der Montagsdemonstration vom 25. September auf 5.000 angewachsen war, beschloss das Sekretariat der SED-Bezirksleitung Leipzig umfassende „Maßnahmen […] zur offensiven Bekämpfung und Zurückdrängung antisozialistischer Aktivitäten in der Stadt Leipzig“.84 Damit forcierte sie eine erste Radikalisierung der Auseinandersetzung. Staatsicherheit und Polizei wurden angewiesen, „die Konzentration feindlich-negativer Kräfte an bekannten Handlungsorten nicht zuzulassen und jegliche Anzeichen dieser Art im Keim zu ersticken“. Einmal mehr waren nun auch die Kampfgruppen gefordert, vor allem als „Visibilitätsreserve“ des Regimes. Aus allen Einheiten sollten Stellungnahmen und persönliche Standpunkte zusammengetragen werden, „in denen sich Kämpfer […] öffentlich dazu bekennen […] eine hohe Bereitschaft zu entwickeln, die Heimat mit der Waffe in der Hand gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen.“85 Die Mobilisierung des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ intendierte nicht die Visualisierung der (tatsächlich im Schwinden begriffenen) Macht des Regimes, sondern im Gegenteil deren Erhaltung und Generierung mit Hilfe

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Zit. nach: Ekkehard Kuhn, „Wir sind das Volk!“ Die friedliche Revolution in Leipzig, 9. Oktober 1989, Berlin 1999, S. 40. Vgl. die entsprechenden Veröffentlichungen im Neuen Deutschland vom 23./24. bis zum 29. September 1989; vgl. dazu auch: Bernd Schäfer, Die DDR und die „chinesische Lösung“. Gewalt in der Volksrepublik China im Sommer 1989, in: Martin Sabrow (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt, S. 153–172. Beschluss des Sekretariats der SED-BL Nr. 471/89, zit. nach: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 254. Beschluss des Sekretariats der SED-BL vom 27.9.1989 über Maßnahmen zur Mobilisierung der Mitglieder und Kandidaten der Bezirksorganisationen, aller in der Nationalen Front vereinten gesellschaftlichen Kräfte sowie der Staats- und Sicherheitsorgane zur offensiven Bekämpfung und Zurückdrängung antisozialistischer Aktivitäten in der Stadt Leipzig, zit. nach: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 254.

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von Gerücht und Anschein.86 Die Inszenierung einer weithin und weiterhin geschlossenen Arbeiter-und-Bauern-Macht richtete sich gewiss gegen die zum Protest entschlossenen Teile der Bevölkerung. Im selben Maße richtete sie sich aber auch an jene, die in ihrer Haltung noch unentschlossen waren und nicht wussten, auf welche Seite sie sich schlagen sollten. Denn der anfangs überschaubaren Protestbewegung stand Ende September/Anfang Oktober noch eine weitaus größere Gruppe gegenüber, die sich über die Ereignisse nur durch Mundpropaganda oder mit Hilfe der lokalen Presse informieren konnte oder wollte. Zu ihr zählten der größte Teil der Arbeiterschaft, aber auch viele Mitglieder der SED. Wofür die „Visibilitätsreserve“ stand, hatte der „Kämpfer“ Anfang Oktober noch einmal deutlich gemacht: „Jeden Auftrag von Partei und Regierung zuverlässig zu erfüllen“.87 Sogenannte „politisch-offensive Maßnahmen der Partei“ schlossen auch konkrete Warnungen von Betriebsfunktionären mit ein, den Demonstrationen fernzubleiben,88 und konnten solchermaßen als Drohgebärden der SED verstanden werden. Dennoch kamen am Montag, dem 2. Oktober, im Anschluss an das Friedensgebet, das nun auch in der Reformierten Kirche stattfand, annähernd 20.000 Menschen auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz zusammen. Die Sicherheitskräfte, mittlerweile auch um Kampfgruppen-Einheiten aufgestockt, waren angewiesen worden, „mit allen Mitteln gegen die Demonstranten vorzugehen“.89 Eingeschritten waren sie jedoch erst, als die Zahl der Demonstranten auf etwa 1.500 herabgesunken war.90 Die SED-Bezirksleitung resümierte im Anschluss, dass „diese Zusammenrottung […] antisozialistischer und rowdyhafter Elemente […] mit den vorhandenen Kräften ohne Anwendung polizeilicher Hilfsmittel nicht mehr zu verhindern“ gewesen sei.91 Bedeutete dies faktisch einzuräumen, dass die Situation

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Münkler, Die Visibilität der Macht, S. 226. „7.Oktober: Bekenntnis – Verpflichtungen – Taten“, in: Der Kämpfer, Nr. 10 (Oktober), Jg. 33 (1989), S. 1. Dale, Popular Protest, S. 152. Neues Forum Leipzig (Hg.), Jetzt oder nie – Demokratie. Leipziger Herbst `89, München 1990, S. 47 [Hervorhebung im Original]: „Dazu gehörten meiner Meinung nach auch Waffen“, gab der Gruppenführer später zu Protokoll. „Unser Kampfgruppenkommandeur hatte sich geweigert, Waffen in Empfang zu nehmen – ebenso der Leiter der Bezirksbehörde der VP. Da waren wir schon etwas erleichtert.“ Vgl. dazu: Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 36–52. Information über eine erneute Provokation feindlich-negativer Kräfte im Anschluss an das Montagsgebet vom 3.10.1989, zit. nach: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 256.

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in Leipzig mit den hier vorhandenen Mitteln nicht länger zu kontrollieren war, spitzte sich die Situation am nächsten Tag in Dresden noch weiter zu. Den Anlass gab die Durchfahrt der DDR-Flüchtlinge, die seit dem Sommer in den westdeutschen Botschaften in Prag, Budapest und Warschau Zuflucht gesucht hatten und Anfang Oktober schließlich in die Bundesrepublik ausreisen durften. Wohl um wenigstens formell das Gesicht zu wahren, hatte die zunehmend unter Druck geratene SED-Führung darauf bestanden, dass sie dabei in Zügen der Deutschen Reichsbahn und über das DDR-Staatsgebiet reisen sollten.92 Die Absicht, seine Bürger auf diesem Wege gleichsam zu expatriieren, bewirkte jedoch, dass weitere, sich noch in der DDR befindliche Ausreisewillige versuchten, diesen Zügen auf ihrem Weg durch die Republik zuzusteigen.93 Denn zeitgleich hatte die SED-Führung in der Absicht, den anhaltenden Flüchtlingsstrom zu stoppen, am 3. Oktober die Grenze zur ČSSR geschlossen. Viele Ausreisewillige sahen sich nun ihres letzten Schlupflochs beraubt. Hatte sich die Regierung mit dieser Maßnahme auch unter der übrigen Bevölkerung nachhaltig desavouiert,94 sah sie sich nun gezwungen, in noch stärkerem Maße auf ihre Sicherheitsorgane zurückzugreifen und die Durchfahrt der Züge mit polizeilichen Mitteln abzusichern. Kampfgruppen-Einheiten wurden mobilisiert, um die Durchfahrt der Züge an neuralgischen Punkten wie Brücken oder Bahnübergängen zu sichern. Erstmalig kamen nun auch Einheiten des Magdeburger Bezirks zum Einsatz. Obwohl es hier im Rahmen dieser Einsätze nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam – vielmehr alle Aufgaben „entsprechend der Vorgabe“ erfüllt wurden, wie das MfS vermerkte –, beeinträchtigten sie die Moral der Kampfgruppen-Angehörigen bereits beträchtlich. In Stendal sahen sich die Kämpfer des I. KampfgruppenBataillon „Ernst Thälmann“, dem die Sicherung des Bahnhofsgeländes übertragen worden war, „als Verräter beschimpft“. Das MfS notierte darüber hinaus, dass in den Arbeitskollektiven, aus denen die Kämpfer stammten, wenig Zustimmung zu                                                              92 93 94

 

Den Flüchtlingen wurden in den Zügen die Personaldokumente abgenommen, um sie nachträglich ausbürgern zu können; vgl. Hertle, Chronik des Mauerfalls, S. 74. Vgl. dazu: Conelly, Moment of Revolution, S. 82f. Vgl. dazu etwa: Hinweise auf weitere Reaktionen der Bevölkerung im Zusammenhang mit der zeitweiligen Aussetzung des pass- und visafreien Verkehrs zwischen der DDR und der ČSSR für Bürger der DDR vom 6.10.1989, BStU, ZA, ZAIG 4257, Bl. 2–5; vgl. auch: Bernd Gehrke, Demokratiebewegung und Betriebe in der „Wende“ 1989. Plädoyer für einen längst fälligen Perspektivwechsel, in: ders./Renate Hürtgen (Hg.), Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989: Die unbekannte Seite der DDR-Revolution, Berlin 2001, S. 204–246, hier: S. 237.

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den Einsätzen vorhanden sei.95 Während im I. KGB noch keine Ablehnungen zu verzeichnen gewesen waren,96 zeigten sich in anderen Einheiten bereits deutliche Vorbehalte gegenüber einem Einsatzbefehl. In der gleichfalls zum Einsatz befohlenen Hundertschaft „Gerhard Steinig“ etwa verweigerten zunächst acht Kämpfer einen Einsatz. Nach Aussprachen mit Vertretern der lokalen Parteileitung revidierten sie – bis auf einen Kämpfer – ihren Standpunkt jedoch und „gaben ihre Bereitschaftserklärung für weitere Einsätze ab“.97 Das Ritual von „Aussprache“, „Selbstkritik“ bzw. „Revidierung des Standpunktes“ und anschließender „Selbstverpflichtung“ zeigt, dass die realsozialistische Ordnung zu diesem Zeitpunkt unter den Kämpfern in der Regel noch nicht entschieden herausgefordert, sondern weiterhin als bindend betrachtet wurde.98 Kritik wurde zunächst noch vorsichtig und im Einklang mit dem realsozialistischen „public transcript“ vorgebracht:

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Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 317f. Waren für diesen Einsatz „30 Kämpfer mit entsprechender Technik“ angefordert worden, konnten „in der zur Verfügung stehenden Zeit […] 27 Kämpfer erreicht und zum Einsatz gebracht“ werden; ob das Nicht-Erscheinen der drei fehlenden Kämpfer in der Ablehnung des Einsatzes gründete oder aber den schon vorher üblichen schlechten Alarmierungspraktiken geschuldet war, muss hier spekulativ bleiben; Einschätzung der politischoperativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 317f. Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 322. Davon ging auch das MfS aus, kam jedoch zu einer durchaus differenzierten Einschätzung: „Es kann eingeschätzt werden, dass die zum Einsatz gekommenen Kämpfer sich mit der Einsatzaufgabe identifizierten. Inoffiziell wird eingeschätzt, dass daraus aber noch nicht geschlussfolgert werden kann, dass die Einsatzaufgabe bei direkter Konfrontation mit strafrechtlich relevant Handelnden in vollem Umfang erfüllt worden wäre“; Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 317 u. Bl. 322; Ausnahmen gab es allerdings auch bereits zu diesem Zeitpunkt: Nachdem 23 Angehörige der 3. Hundertschaft des VEB Großdrehmaschinenbaus „8. Mai“ Karl-Marx-Stadt die Durchführung eines entsprechenden „Sicherungseinsatzes“ abgelehnt und weitere 9 Kämpfer nach der Einweisung „spontan“ ihre Kampfgruppen-Ausweise auf den Tisch gelegt und den Stützpunkt verlassen hatten, konnte diese Einheit nicht zum Einsatz gebracht werden; vgl. Information über einige beachtenswerte Erscheinungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lageentwicklung vom 13.10.1989, BStU, MfS-ZAIG 6023, Bl. 3.

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„Kritisch wird weiterhin vermerkt, dass sowohl Kommandeure als auch Kämpfer selbst ihren Ausbildungsstand für die neuen Einsatzrichtungen als noch nicht den Anforderungen entsprechend einschätzen. Ihrer Meinung nach müssten die neuen Ausbildungselemente kurzfristig geübt und erprobt werden.“99

Nicht politische Vorbehalte schienen hier die Kritik der Kampfgruppen-Angehörigen zu leiten, sondern technische. Solange die „neuen Ausbildungselemente“ – „Einzelkämpferausbildung, Ketten bilden, Umgang mit Schlagstöcken“100 – noch nicht vollkommen beherrscht würden, war nach ihrem Dafürhalten ein Einsatz wenig sinnvoll. Zumindest könne die technische Zuverlässigkeit nicht garantiert werden, womit zugleich die praktische Effizienz in Frage gestellt sei. Als zentraler Verkehrsknotenpunkt auf der Strecke zwischen der Bundesrepublik und der ČSSR hatte der Dresdener Hauptbahnhof bis zum Abend des 4. Oktobers annähernd 15.000 Menschen angelockt. Daraufhin befahl die lokale Einsatzleitung die Räumung des Geländes.101 Angesichts der rücksichtslosen Gewalt, mit der die Sicherheitskräfte vorgingen, eskalierte die Situation: „Schreie der Wut, der Angst. Hundertschaften bilden Sperrriegel, klopfen auf die Schilde, hinter denen sie Schutz suchen. Autos werden umgestürzt. Ein Polizeifahrzeug geht in Flammen auf“, hat Hartmut Zwahr die mehrstündige bürgerkriegsähnliche Konfrontation zusammengefasst.102

                                                             99 Vgl. Bericht zur Lage und Situation in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Territorium unter Beachtung der gegenwärtigen innenpolitischen Entwicklung vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 82, Bl. 31; eine Unterschriftensammlung, wie sie von Angehörigen der 110. KGH des Bezirkes Potsdam gegen den Einsatz von Kampfgruppen initiiert wurde, besaß hingegen sehr wohl politische Implikationen, die jedoch durch das basisdemokratische Vorgehen zu legitimieren versucht wurden; auch hier zogen 14 von insgesamt 20 Kämpfern, die das Dokument unterschrieben hatten, im Anschluss an eine Aussprache ihre Unterschrift zurück; vgl. Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII, Nr. 68, Bl. 249. 100 Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 322. 101 Gareth Dale, The East German Revolution of 1989, Manchester 2006, S. 12ff.; zu den Ereignissen im Einzelnen: Eckhard Bahr, Sieben Tage im Oktober. Aufbruch in Dresden, Leipzig 1990. 102 Zwahr, Die demokratische Revolution in Sachsen, S. 25; die Kampfgruppen waren hier – eher zum Missfallen der zum Einsatz gekommenen Sicherheitskräfte – aus den direkten Auseinandersetzungen herausgehalten und vorwiegend zur Sicherung von „Parteigebäude, Versorgungsschwerpunkte, Sender Dresden, Bezirksleitung u. a. wichtige strategische Ob-

 

 

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Brechen vermochte das kompromisslose Vorgehen der Sicherheitskräfte den Protestwillen der Demonstranten jedoch nicht. Vielmehr wuchsen sich die Proteste zu permanenten Demonstrationen mit bis zu 30.000 Teilnehmern aus, die auch in den nächsten Tagen der immer wieder aufflammenden Brutalität der Sicherheitskräfte trotzten. Aus mehreren Gründen gerieten die Ereignisse rund um den Dresdener Bahnhof darum zu einem Schlüsselereignis der „friedlichen Revolution“. Zum einen verbreitete sich im ganzen Land die Nachricht, dass die Menschen begonnen hatten, sich dem Staat zu widersetzen und der Macht seines Gewaltapparates auch standzuhalten vermochten. Zum anderen bekam die realsozialistische „Faktizität der Fiktionen“ immer größere Risse. Zwar hatte das Politbüromitglied Werner Krolikowski am 3. Oktober einmal mehr mit einer „chinesischen Lösung“ des Problems gedroht.103 Während auf den Kommandohöhen verschiedene Funktionäre zumindest verbal weiterhin eine militärische Lösung der Krise in Aussicht stellten, bewirkte die Konfrontation unter den Angehörigen der zum Einsatz kommenden Sicherheitskräfte hingegen zunehmende Verunsicherung. „Uns wurde gesagt, dass da nur Chaoten kämen, und wir sollten die Bürger vor den Ausschreitungen chaotischer Leute und Gruppierungen schützen“, erinnerte sich beispielsweise ein Gruppenführer der Kampfgruppen, der am 2. Oktober in Leipzig zum Einsatz gekommen war.104 Chaoten habe er jedoch keine gesehen, stattdessen Übergriffe von Seiten der Sicherheitskräfte, die sich auch gegen Unbeteiligte richteten. Auch in Magdeburg machten Kämpfer die Erfahrung, dass das in der Öffentlichkeit propagierte Feindbild nicht der Wirklichkeit entsprach. Im Rahmen eines „Sicherungseinsatzes“ am Alten Markt trafen die Kämpfer nicht „auf die erwarteten ,Skinheads‘, sondern auf Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren, die, […], in erster Linie das politische Gespräch suchten“.105 Je größer die Menge der Demonstranten wurde, die sich auf die Straße wagte (und je deutlicher sie auch als aus ganz normalen Bürgern bestehend zu erkennen war), umso mehr spitzte sich die Frage nach dem Sinn und Zweck des Einsatzes

                                                                                                                                       jekte“ eingesetzt worden; vgl. dazu: Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 249, Fn. 49; zu den Ereignissen in Dresden vgl. auch: Edward Hammelrath, Zwischen Gewalteskalation und Sicherheitspartnerschaft. Der Fall Dresden, in: Sabrow, (Hg.), 1989 und die Rolle der Gewalt, S. 203–229. 103 Dale, The East German Revolution, S. 18. 104 Neues Forum Leipzig (Hg.), Jetzt oder nie, S. 47. 105 Tagesbericht zu Reaktionen, Stimmung und Meinungen im Verantwortungsbereich vom 13.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 172.

 

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des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ zu. So suggerierte diese Bezeichnung eine in der Öffentlichkeit regelmäßig beschworene Verbundenheit mit der Bevölkerung des Arbeiter-und-Bauern-Staates, deren Interessen die Kampfgruppen vorgeblich verteidigten. Die Konfrontationen auf der Straße entlarvten die vom Regime propagierten Freund- und Feindbilder jedoch zunehmend als Fiktionen. Konsequenterweise führte sie unter denjenigen, die man für das Regime zu mobilisieren trachtete, vielfach zu einem Gefühl, von der um ihren Machterhalt fürchtenden Regierung missbraucht zu werden.106 Seit dem 7. Oktober registrierte das MfS vermehrt Aussagen von Kämpfern, die kundtaten, dass „die Einsätze nicht im Einklang mit den Aufgaben der Kampfgruppen“ stünden. Kampfgruppen-Angehörige behaupteten, „auf solche Einsätze […] bisher nie orientiert“ worden zu sein und weigerten sich, als „Knüppelgarde der Partei bzw. des Staates“ herzuhalten.107 Tatsächlich waren die Sicherheitskräfte an diesem Tag nach Abschluss der offiziellen Feierlichkeiten mit großer Brutalität gegen die Demonstranten in Berlin,108 aber auch in anderen Städten vorgegangen.109 Das Regime zeigte sich gewillt, die De-Ritualisierungen der offiziösen Inszenierung und eine damit einhergehende Infragestellung des eigenen Machtmonopols gerade an diesem symbolträchtigen Geburtstag nicht hinzunehmen. Seine Repression artete allerorten in demonstrativen „Staatsterror“ aus, die Sicherheitskräfte wurden zur „Jagdmeute“ (Canetti).110 Die diesen „Staatsterror“ tragenden Intentionen waren ,oben‘ und ,unten‘ jedoch nicht unbedingt de-

                                                             106 Stellungnahme vom 10.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 106, Bl. 1; vgl. auch: Stimmungen und Meinungen vom 6.10.1989, ebd., Bl. 223; vgl. dazu auch die Ausführungen bei: Canetti, Masse und Macht, S. 365–367. 107 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 595. 108 Vgl. dazu: Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 284–286; Bästlein, Der letzte „Tag der Republik“. 109 Vgl. dazu: Bahrmann/Links, Chronik, S. 7–11; Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 61–70; Herbst `89 in Magdeburg, S. 82. 110 Sauer, Politische Leiblichkeit, S. 144; Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 61ff.; auf dem Alten Markt in Magdeburg waren mehrere Hundertschaften der Kampfgruppen an dem abendlichen Einsatz beteiligt; geleitet von der Annahme, dass sich hier „zum größten Teil Betrunkene und Randalierer“ aufhalten würden, und bedroht von sporadischen Steinwurfattacken, waren die Sicherheitskräfte mit großer Brutalität vorgegangen; vgl. dazu: Herbst `89 in Magdeburg, S. 77–82 u. S. 84; insgesamt wurden an diesem 7. Oktober allein in Magdeburg 93 Personen „zugeführt“ und erhielten Ordnungsstrafen, vgl. Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 68f.

 

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ckungsgleich. Wohl ist nicht vollkommen auszuschließen, dass die Verantwortlichen in den Befehlszentralen mit dieser Taktik ein Vabanque-Spiel betrieben, das das Ziel verfolgte, eine bürgerkriegsähnliche Situation zu provozieren, um den „Spuk“ mit einer einzigen, konzentrierten Aktion ein für alle Mal beenden zu können.111 Den Sicherheitskräften vor Ort eröffnete sich damit hingegen auch die viel unmittelbarere Möglichkeit, Frust, Verunsicherung und seit Tagen angestaute Anspannung konkret zu entladen. „Kein Nachhausekommen, Übermüdung, tagelanges In-der-Uniform-Stecken, Gewissensbeunruhigung“112 – derartige Belastungen konnten auch in Aggression umschlagen.113 Insbesondere im Hinblick auf ältere Angehörige der Sicherheitsorgane ist zudem ein latenter Generationskonflikt in Rechnung zu stellen.114 Ältere Kämpfer mögen sich durch Beleidigungen, denen sie sich während des Einsatzes ausgesetzt sahen, stärker provoziert gefühlt und ihren Einsatz gegenüber eher jüngeren Demonstranten in paternalistischer Art und Weise – wie schon im August 1961 – vornehmlich als „nachzuholende Erziehung“ verstanden haben.115 Gleichzeitig offenbarte diese Erfahrung jedoch noch eine andere Seite: Weil Presse und Staatsanwaltschaft die Gewaltexzesse der Sicherheitskräfte heftig attackierten, wurden deren Angehörige von der Parteiführung nicht mehr in Schutz genommen. Unübersehbar in die Defensive gedrängt, sprach man hier von „Übergriffen“ einzelner und signalisierte der breiten Mehr-

                                                             111 So zumindest: Wolle, Die heile Welt der Diktatur, S. 323. 112 Vgl. Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 66. 113 Vgl. Süß, Der friedliche Ausgang, S. 181; Weinhauer hat für die bundesdeutsche Schutzpolizei der 1960er Jahre herausgearbeitet, dass Revierbeamte, die zu Demonstrationen herangezogen, ihrem alltäglichen Milieu also enthoben wurden, stärker zu Gewaltsamkeit neigten, weil sie der Ansicht waren, dass, wenn sie schon zu Großeinsätzen befohlen würden, sie auch „zupacken, also hart eingreifen und nicht nur passiv bleiben“ wollten; vgl. Weinhauer, Schutzpolizei, S. 329f.; das Herausgerissen-Werden aus gewohnter, alltäglicher Routine, die Verunsicherung eines ungewohnten Betätigungsfeldes und der Anspruch, angesichts der Besonderheit des Einsatzes auch „gründlich“ tätig zu werden – Aspekte, die allesamt auch für die Mobilisierung von Kämpfern geltend gemacht werden können – konnten in diesem Sinne eine stärkere Neigung zu kompromisslosem Vorgehen beeinflussen. 114 Vgl. Gensicke, Mentalitätswandel und Revolution. 115 Heinz Körners Erinnerungen an diese Tage, in denen er von missmutigen Kameraden berichtete, die er zu beschwichtigen versuchte, verweisen auf ein hohes Frustrationspotential, das sich, seiner Wahrnehmung zufolge, durchaus in Gewalt zu entladen drohte; Interview mit Heinz Körner (17.8.2006), Transkript S. 22); vgl. dazu auch: Weinhauer, Schutzpolizei, S. 328f.

 

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heit damit ungewollt, sich bei der Verteidigung des Regimes besser nicht zu weit vorzuwagen.116 Die Selbstwahrnehmung von Kämpfern als „Knüppelgarde“ scheint bezeichnend. Die Unsicherheit des zitierten Kämpfers, ob seine Organisation im Namen der SED oder des Staates agierte, verweist darauf, dass SED und Staat bis dahin zumeist synonym gedacht wurden, nun jedoch auseinanderzufallen begannen.117 Für Ordnung im Staat einzutreten, schien zahllosen Kämpfern durchaus legitim. Für die Interessen einer Partei, die – wie die Begegnungen mit der Masse zeigten – sich den Anliegen zunehmend breiter Bevölkerungskreise beharrlich verweigerte, Gewalt anzuwenden war eine zunehmende Zahl hingegen nicht länger bereit.118 Zudem war das Verhalten verantwortlicher Funktionäre kaum dazu angetan, den Sicherheitskräften den Rücken zu stärken. In Magdeburg fehlte es anlässlich des Einsatzes am 9. Oktober an „konkrete[r] Aufgabenstellung und Anleitung durch das VPKA“, eine ordnungsgemäße Versorgung der im Einsatz befindlichen Kämpfer war „trotz Abstimmung mit der VP nicht gewährleistet“.119 In Leipzig rannten die zuständigen Offiziere der VP „kopflos hin und her“ und forderten die Kämpfer auf, besser „so schnell wie möglich zu verschwinden“.120 Zeigten sich die verantwortlichen Einsatzleiter von der Situation überfordert, ließen sich die Funktionäre der SED nur selten bei den im Einsatz befindlichen Einheiten blicken, wie

                                                             116 Süß, Selbstblockierung der Macht, S. 248; von seiner Einheit sei niemand „scharf drauf“ gewesen, „da in irgendwas mit reingezogen zu werden“, gibt Herr Fischer im Nachhinein diesem Gefühl Ausdruck; vgl. Interview mit Hans Fischer (4.8.2006), Transkript S. 2. 117 Vgl. dazu Hans Fischer: „Es gab auch so `n Erscheinung, dass manche eben schon kamen und sagten, hier, ich mache nich` mehr mit hier in der Kampfgruppe, ich scheide aus jetzt, so ungefähr … Das war also zu DDR-Zeiten … [schmunzelt] Ich muss sagen, vor … Also, das, das wär, wie wenn bei der Wehrmacht einer gesagt hätte, ich mache heute nich` mehr mit, oder so, ja …Das hätt` s also nich` gegeben“; Interview mit Hans Fischer (4.8.2006), Transkript S. 2; vgl. dazu auch: Sabrow, Der Konkurs der Konsensdiktatur. 118 „Wir waren uns einig: Wir sind bereit, so wie wir das in unserem Eid zum Ausdruck gebracht haben, Einrichtungen zu schützen, Leben und Gesundheit von Menschen zu schützen. Wir sind aber nicht bereit, uns benutzen zu lassen, um unzufriedene Bürger der DDR zu behindern“, gab später ein in Leipzig zum Einsatz befohlener KampfgruppenAngehöriger zu Protokoll; zit. nach: Neues Forum Leipzig (Hg.), Demokratie Jetzt, S. 90. 119 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 598. 120 Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, AKG, Nr. 52 Bl. 320; vgl. auch: Neues Forum Leipzig (Hg.), Jetzt oder nie, S. 91.

 

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ein in Leipzig zum Einsatz gekommener Kämpfer im Nachhinein zu Protokoll gab: „Wir hatten angenommen, dass nicht nur die einzelnen Kämpfer dort stehen würden, die einzelnen Produktionsarbeiter, sondern dass sich auch Funktionäre der Kreisleitungen, der Bezirksleitung der SED dort befinden. Von diesen Genossen war keiner zu sehen. Wir kamen uns vor wie ein Häuflein, dass nun ,die Republik retten‘ sollte.“121

Die Selbstwahrnehmung der Kämpfer als „Häuflein“ scheint bezeichnend. Gewannen zunehmend mehr Kämpfer den Eindruck, eine kaum noch konsensfähige Ordnung zu verteidigen, löste die Begegnung mit der „Masse“ eine „Umkehrung“ aus, die den „Stachel“ des Befehls zu zersetzen begann.122 Zeichnete sich intern bereits ab, dass eine steigende Anzahl an Kämpfern bei erneuten „Sicherungseinsätzen“ den Befehl verweigern würde,123 bewirkte das zu diesem Zeitpunkt jedoch noch kein Umdenken auf den lokalen Kommandohöhen. Das MfS zeigte sich hingegen bemüht, als unsicher eingestufte Kämpfer „aufzuklären“, d. h. sie auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen.124 Und auch innerhalb der Kampfgruppen ging man dazu über, Listen der als zuverlässig eingestuften Kämpfer anzulegen und hinsichtlich weiterer Einsätze ein „Differenzierungsprinzip“ anzuwenden, „um zu sichern, dass nur zuverlässige Kämpfer an den Einsätzen teilnehmen“.125

                                                             121 Neues Forum Leipzig (Hg.), Jetzt oder nie, S. 91; die am 9.10. zum Einsatz gebrachten Kämpfer des RAW Magdeburg monierten, dass durch die „SBL der SED keine Auswertung erfolgte und den Kämpfern für ihre Einsatzbereitschaft kein Dank ausgesprochen wurde“, vgl. Tagesbericht zu Reaktionen, Stimmung und Meinungen im Verantwortungsbereich vom 13.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 172; aus Staßfurt berichtete das MfS: „Innerhalb der Kampfgruppen der AK [sic] hatte man erwartet, dass vor dem Einsatz am 16.10.1989 ein Sekretariatsmitglied vor den Kämpfern auftritt. Man erwartet insgesamt mehr Aktivitäten der Funktionäre des Kreises“; Teillageeinschätzung zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 18.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 1, Bl. 70. 122 Vgl. Canetti, Masse und Macht, S. 365f. 123 Vgl. Tagesbericht zu Reaktionen, Stimmung und Meinungen im Verantwortungsbereich vom 12.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 321; Stimmungen und Meinungen unter der Bevölkerung vom 12.10.1989, ebd., Bl. 370f. 124 Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 317. 125 Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 1, Bl. 121; da bezüglich der „Herauslösung“ unzuverlässiger Kämpfer jedoch keinerlei zentrale Richtlinien vorlagen, sei diese „zu schleppend“ verlaufen; vgl. Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampf-

 

 

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Dass derartige Initiativen auch von einzelnen Kampfgruppen-Leitungen selbst ausgingen, zeigt, dass die Stimmung innerhalb des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ in dieser Phase der Herbstunruhen noch keineswegs einheitlich war. Von den 55 Kämpfern des 229. Kampfgruppen-Zuges des VEB Messgeräte „Erich Weinert“, die am 7. Oktober zu einem Sicherungseinsatz vor dem Magdeburg Dom herangezogen worden waren, hatten lediglich 15 ihre Bereitschaft zum Einsatz erklärt. Die überwiegende Mehrheit der Kämpfer verurteilte hingegen den Einsatz der Sicherheitskräfte, plädierte für Reformen auf der Basis der sozialistischen Gesellschaftsordnung und warf der SED in dieser Hinsicht Unvermögen vor.126 In anderen Einheiten wiederum wurden unwillige Kämpfer als „Unsicherheitsfaktoren“ betrachtet, die Kampfwert und Einsatzbereitschaft der Einheit schwächen würden. Die Kämpfer des VEB Schwermaschinenkombinats „Karl Liebknecht“ Magdeburg sprachen sich „mehrheitlich“ dafür aus, jene Kameraden, die einen Einsatz abgelehnt hatten, aus der Kampfgruppe auszuschließen.127 Auch in anderen Einheiten war man dafür, „lieber vorher sich von Kämpfern zu trennen, als später nicht zu wissen, ob man sich auf seinen Nebenmann verlassen kann“.128 Ob es der SED gelingen würde, sich mit Hilfe einer „chinesischen Lösung“ an der Macht zu halten oder ob die Protestbewegung sich durchsetzen und sie überwinden könnte, war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs absehbar. Die Mehrheit der Kampfgruppen-Angehörigen scheint deshalb erst einmal abgewartet zu haben. Kampfgruppen-Angehörige, die es wagten, ihren Einsatz zu verweigern,

                                                                                                                                       gruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 321. 126 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg, AKG, Nr. 399, Bl. 597; vgl. auch Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 248. 127 Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 12.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg, AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 318. 128 Stimmungen und Meinungen unter der Bevölkerung vom 12.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg, AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 371; vgl. auch: Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 598.

 

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mussten in der Regel mit einem Ausschluss rechnen129 und sahen sich „Gesprächen“ von Seiten der zuständigen Leiter und Parteisekretäre ausgesetzt.130 Eine Verweigerung hatte in der Regel zugleich den Parteiausschluss zufolge, dessen soziale und berufliche Konsequenzen zu diesem Zeitpunkt noch unkalkulierbar waren. Die Unkalkulierbarkeit der Konsequenzen, die den Kämpfern im Fall einer Befehlsverweigerung drohten, verweist auch auf den symbiotischen Charakter der SED. Nicht der Bruch einer einzelnen Norm ist für die Sanktion in symbiotischen Bindungsformen wesentlich, sondern der Bruch der Normativität, der Kommunikation des Ganzen. Geahndet wird weniger das konkrete Vergehen als vielmehr der Bruch eines komplexen Kommunikations- und Sinnzusammenhanges – in diesem Fall die Vorstellung einer loyalen und gegenüber ihren Feinden rücksichtslosen Arbeiterklasse –, aus dem der Abweichende ausgestoßen wird.131 Nicht nur berufliche, auch soziale Ächtung drohte den Kämpfern – zunächst einmal aus der eigenen Einheit: „Es ist unverständlich, dass es jetzt Genossen der Partei sind, die den Sozialismus nicht schützen wollen“, war laut eines MfS-Berichtes die „einhellige Meinung“ der Einheit von Hans Fidorra, der Hundertschaft „Hubert Materlik“.132 Allgemein bestand die Forderung, diese Kämpfer an das von ihnen geleistete Gelöbnis zu erinnern,133 um solchermaßen an das Maß der Verpflichtung zu appellieren, die sie eingegangen waren. Insbesondere „ältere Genossen“ zeigten sich „beschämt“ darüber, „dass es welche gibt, die nicht ihren Beitrag

                                                             129 Vgl. bspw. Bericht über die politisch-operative Lage unter den KG-Einheiten des Kreises Staßfurt vom 11.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 35; Eingabe vom 8.11.1989 (Oschatz), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 211f.; der BPO-Sekretär des VEB Forschung und Rationalisierung Lacke und Farben Magdeburg weigerte sich hingegen, gegenüber unwilligen Kämpfern Sanktionen auszusprechen und bezeichnete diese im Gegenzug als „zuverlässige Stützen“; vgl. Einschätzung der Einsatzbereitschaft und des politisch-moralischen Zustandes der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den Ereignissen zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR vom 16.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 88, Bl. 61. 130 Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 1, Bl. 121. 131 Vgl. Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 82f. 132 Stimmungen und Meinungen unter der Bevölkerung vom 12.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bl. 371. 133 Vgl. Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 320.

 

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leisten und in solchen Bewährungssituationen die Genossen im Stich lassen“.134 Verweisen derartige Aussagen auf ein Männlichkeitsideal, das Tatkraft, Mut und Entschlossenheit propagiert, Passivität oder gar „Feigheit“ jedoch nicht gelten lässt, lassen sie auch anders gelagerte moralisierende Sinnhaushalte deutlich werden. Diese rekurrierten jedoch nicht notwendigerweise auf politische Werthaltungen, sondern konnten auch – insbesondere in militärischen Zusammenhängen maßgebliche135 – gruppenspezifische Werthaltungen artikulieren.136 Während die über lange Jahre scheinbar stabile Kohäsion innerhalb der Kampfgruppen zunehmend brüchiger wurde, zeigte sich die SED hingegen bemüht, zumindest nach außen hin eine ungebrochene Haltung ihrer „Visibilitätsreserve“ zu suggerieren. Ein Leserbrief der Kampfgruppenhundertschaft „Gerhard Amm“ hatte am 5. Oktober in der „Leipziger Volkszeitung“ bekräftigt, „nicht tatenlos zu[zu]sehen, wie Feinde unserer DDR nichtgenehmigte Demonstrationen durchführen und unsere öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden“.137 Am Vorabend des 40. Jahrestages der DDR war abermals ein KampfgruppenKommandeur an gleicher Stelle zu Wort gekommen. Die Angehörigen seiner Hundertschaft „Hans Geiffert“ würden verurteilen, was „gewissenlose Elemente“ seit einiger Zeit in der Stadt Leipzig veranstalteten, wurde er zitiert. Sie seien wil-

                                                             134 Stimmungen und Meinungen unter der Bevölkerung vom 12.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg, AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 371; vgl. auch: Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 11.10.1989, ebd., Bl. 409. 135 Kühne, Kameradschaft – „das Beste im Leben des Mannes“, S. 506; vgl. auch: Ulrich vom Hagen/Maren Tomforde, Militärische Organisationskultur, in: Nina Leonhard/InesJacqueline Werkner (Hg.), Militärsoziologie – Eine Einführung, Wiesbaden 2005, S. 176–197, hier: S. 190f. 136 „Der einzelne orientiert sich an einer Idealform, die konkrete Umgebung, gleichfalls an dieser Form orientiert, übt die Kontrollfunktion aus. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die ideale Leitvorstellung hier sehr konkret da ist und konkret eingreifen kann. sie besteht hier nicht wie andernorts nur in einer kollektiven Vorstellung von der ,moral authority‘, jeweils von der aktuellen partikulären Gemeinschaft und von der internalisierten Norm repräsentiert, sondern ist höchst handgreiflich als die letzte Instanz der Normierung da, und auf ihren konkreten Willen bezieht sich die Ordnung und das Miteinandersein in diesem Gefüge wie auf ihren Schöpfer“; Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 78f. 137 Leipziger Volkszeitung vom 5.10.1989, zit. nach: Neues Forum Leipzig (Hg.), Jetzt oder nie, S. 61.

 

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lens, „diese konterrevolutionären Aktionen endgültig und wirksam zu unterbinden. Wenn es sein muss, mit der Waffe in der Hand!“138 Sämtliche Angehörigen von Partei, Gewerkschaft und FDJ sowie alle „Mitarbeiter“ der „staatlichen Organe“ waren aufgefordert, „unmittelbar vor Ort an der Unterbindung der Krawalle teil[zu]nehmen und offensiv in Erscheinung [zu] treten“.139 Honecker war bestrebt, den gesamten Funktionärsapparat aufzubieten und in die Waagschale zu werfen. Allein die schiere Masse an Menschen und Material, die das Regime aufgeboten hatte, suggerierte eine bis um äußersten entschlossene Haltung der „letzten Revolutionäre“. Schon ihre demonstrative Zurschaustellung weckte Kriegsassoziationen und Bedrohungsängste:140 Über 3.000 Volkspolizisten – von denen mehr als die Hälfte nicht aus Leipzig stammten –, acht Hundertschaften der Kampfgruppen,141 1.500 Soldaten der NVA, dazu die Einsatzkräfte der Staatssicherheit142 sowie 5.000 sogenannte „gesellschaftliche Kräfte“ – Mitglieder der SED und anderer staatlicher Organe –, waren aufgeboten, um gegen die Demonstranten – erwartet wurden bis zu 50.000143 – vorzugehen. Im Hof der Leipziger BDVP wurden Wasserwerfer und Schützenpanzer zusammengezogen, an der Außenwache des Polizeigebäudes am Dittrichring Maschinenpistolen und Munition ausgegeben. In der 5. Etage des Gebäudes wurden zusätzlich durch Sandsäcke gesicherte MG-Nester aufgebaut und die Wachen des

                                                             138 Leipziger Volkszeitung vom 6.10.1989, zit. nach: Neues Forum Leipzig (Hg.), Jetzt oder nie, S. 63; auch die Magdeburger „Volksstimme“ druckte im Hinblick auf den 9. Oktober und die zu erwartenden Demonstrationen Leserbriefe empörter Bürger, die ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung forderten; vgl. Herbst `89 in Magdeburg, S. 96. 139 Vgl. Mitter/Wolle (Hg.), Befehle des MfS, S. 200. 140 Eine Augenzeugin gab später zu Protokoll: „Es war ja Wahnsinn, in welcher Menge Polizei, Armee und Kampfgruppen seit dem Vormittag ausgerückt sind. Ich war erschrocken, als ich von der Arbeit nach Hause fuhr und das sah;“ zit. nach: Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 89; vgl. zur Inszenierung staatlicher Gewaltpotentiale: Michael Sturm, „Der knackt jeden Schädel“. Überlegungen zur Verwendung des Polizeischlagstocks, in: WerkstattGeschichte 43 (2006), S. 96–108, hier: S. 101. 141 Nur ein Bataillon war jedoch zu 100 Prozent einsatzbereit; in den übrigen Einheiten belief sich die Anzahl der zum Einsatz angetretenen Kämpfer auf zwischen 40,2 und 58,3 Prozent; vgl. Hans-Hermann Hertle, Der Fall der Mauer. Die unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates, Opladen 1996, S. 117. 142 Neben gewöhnlichen MfS-Mitarbeitern waren auch Angehörige der Territorial-spezifischen-Kräfte (TSK), einer auf Terrorabwehr geschulten Elitetruppe, zusammengezogen worden; vgl. Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 270, Fn. 94. 143 Hertle, Chronik des Mauerfalls, S. 81.

 

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Stasi-Geländes in Leipzig Leutzsch erhielten schwere Maschinengewehre und Reizwurfkörper.144 Auch wenn die Mächtigen es unterließen, eine formale Sanktionierung des Ausnahmezustandes auszusprechen, eröffnete die praktische Mobilmachung im Vorfeld der Demonstration die Erwartung „bürgerkriegsähnliche[r] blutige[r] Auseinandersetzungen“.145 „Genossen, ab heute ist Klassenkampf“, verkündete etwa der Politoffizier der 21. Volkspolizei-Bereitschaft „Arthur Hoffmann“ den Angehörigen seiner Einheit. „Die Situation entspricht dem 17. Juni 53. Heute entscheidet es sich – entweder die oder wir. Seid deshalb klassenwachsam. Wenn die Knüppel nicht ausreichen, wird die Waffe eingesetzt.“146 Auch andere Offiziere hatten die Parole ausgegeben, dass „heute ein für alle mal Schluss gemacht werden wird mit der Konterrevolution in Leipzig“.147 Erich Mielke hatte im Verlauf des 9. Oktobers zwar mehrfach mit seinem lokalen Stellvertreter Manfred Hummitzsch telefoniert, genau so wenig wie Erich Honecker jedoch einen ausdrücklichen Schießbefehl erteilt. Die Sicherheitskräfte waren angewiesen, erst im Fall einer Provokation aktiv zu werden.148 So zweideutig es war, das „Wie“ des Vorgehens den Kommandierenden vor Ort zu überlassen, so eindeutig waren Rhetorik wie Rituale, mit denen die Sicherheitskräfte auf

                                                             144 Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 270f.; Neues Forum Leipzig (Hg.), Jetzt oder nie, S. 93; ein Mitarbeiter der Leipziger Staatssicherheit erinnerte sich: „Für die Objektverteidigung gab es klare Befehle. Wenn Mitarbeiter angegriffen worden wären …, ich weiß nicht, wie ich mich entschieden hätte. Wenn es um Leben oder Tod gegangen wäre. Zum Glück kam es nicht dazu“, zit. nach: Rieker/Schwarz/Schneider (Hg.), Stasi intim, S. 219; zum Bezirk Halle vgl. Plan zur Gewährleistung einer hohen Sicherheit und des Schutzes der Dienstobjekte der Bezirksleitung Halle am 6.11.1989; BStU, AS Halle, BdL, Nr. 1, Bl. 79–84; auf welch schmalem Grat sich die Staatsmacht mit derlei Vorkehrungen begab, zeigt der Blick nach Rumänien: vergleichbare Vorkehrungen führten hier im Dezember 1989 zu erheblichem Blutvergießen; nachdem die Demonstranten zum Sturm auf Einrichtungen des Staates angetreten waren, eröffneten die Verteidiger zumeist aus reinem Überlebenswillen das Feuer, wobei etliche unbewaffnete Zivilisten getötet wurden; vgl. Peter Siani-Davies, The Romanian Revolution of December 1989, Ithaca 2005, S. 80–82. 145 Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 80. 146 Zit. nach: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 273; Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 90; vgl. auch: Dale, Popular Protest, S. 155. 147 Zit. nach: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 273. 148 Kotkin, Uncivil Society, S. 59.

 

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ihren Einsatz vorbereitet wurden. Sie signalisierten und stimulierten zwei Handlungsmaximen: Grenzenloses Misstrauen und kompromissloses Durchgreifen.149 Warum die „letzten Revolutionäre“, obwohl sie solche Entschlossenheit an den Tag legten, es (glücklicherweise) an letzter Konsequenz fehlen ließen, ist eine Frage, die nur spekulativ beantwortet werden kann. Die „Faktizität der Fiktionen“, die in der Ära Honecker so unverzichtbar war, um sich der Stabilität der eigenen Ordnung zu vergewissern, erwies sich nun jedoch als Falle: „Nach fast vier Jahrzehnten ,sozialistischer Entwicklung‘ wäre ein nochmaliges gewaltsames Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung ein politischer Offenbarungseid gewesen, vor dem selbst hartgesottene Sicherheitskader zurückschreckten“, mutmaßt Walter Süß.150 Die proletarische Mobilmachung im Herbst 1989 offenbarte jedoch die lange Dauer zweier durchaus unterschiedlich gelagerter Denkmuster. Einerseits folgte der Appell an die Selbstmobilisierung der Organe vor Ort der Fiktion einer symbiotischen ,Einheit von Partei und Klasse‘.151 Andererseits rekurrierte er auf die klassische deutsche Militärdoktrin, wonach ein „fester Entschluss und dessen beharrliche Durchführung […] am sichersten den Erfolg“ bewirken würde.152 Beide Momente hatten das Selbstverständnis der „letzten Revolutionäre“ geprägt, bildete ihre Synthese doch den Kern kommunistischer Politik noch in der DDR.153 Dieser Kanon hatte – zumindest in den Augen der „letzten Revolutionäre“ – dafür gesorgt, dass sich die DDR über vierzig Jahre an vorderster Front des Kalten Krieges zu behaupten vermochte. Wenn es den Vielen so schwer fiel, sich

                                                             149 „Um die Lage richtig verstehen zu können, muss ich daran erinnern, dass wenige Tage zuvor antisozialistische Provokateure und Randalierer den Dresdener Hauptbahnhof verwüstet hatten und tätliche Angriffe auf alle richteten, die für Ruhe und Ordnung eintraten,“ zitierte „Der Kämpfer“ einen Zugführer der Kampfgruppen vor seinem Einsatz am 9. Oktober; „Der 9. Oktober in Leipzig“, in: Der Kämpfer, Nr. 11, Jg. 33 (1989), S. 2; „Angst“ und „Überlebenswillen“ hätten das Verhalten vieler in den Auseinandersetzungen rund um den Dresdener Hauptbahnhof zum Einsatz gekommener Sicherheitskräfte bestimmt, erinnerte sich ein beteiligter Bereitschaftspolizist später; vgl. dazu: Bahr, Sieben Tage, S. 76f.; Maier, Das Verschwinden der DDR, S. 235 und auch in Leipzig rechneten zahllose Kämpfer am 9. Oktober damit, mit Molotov-Cocktails empfangen zu werden; Pfaff, Exit-Voice Dynamics, S. 174f. 150 Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 745; vgl. dazu auch: ders., Der friedliche Ausgang des 9. Oktober. 151 Vgl. etwa: Weichelt, Über die Sowjets als staatliche Form der Diktatur des Proletariats. 152 Vgl. dazu: Lüdtke, Optionen im Alltag militärischen Handelns. 153 Engler, Die Unwirklichkeit des Realen, S. 69f.

 

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gegenüber einer jahrelang verbindlichen „Faktizität der Fiktionen“ zu emanzipieren, wie schwer musste es erst den Wenigen fallen, für die diese Faktizität gleichbedeutend mit ihrem Lebenswerk war. Manche retrospektiv verfassten Erinnerungen sprechen dafür, dass es ihnen nicht gelungen ist.154 Denkbar ist also auch, dass die „letzten Revolutionäre“ einen ausdrücklichen Schießbefehl bewusst unterließen. Solchermaßen setzten sie weiterhin auf die Verbindlichkeit einer politischen Praxis, die „Ermächtigung“ – verstanden als konsequent-kompromissloses Agieren im Angesicht des Unvermeidlichen – in der Regel nicht vorschrieb, sondern gleichsam erwartete. In diesem Sinne provozierte die Invokation des proletarischen Mythos stets einen „Offenbarungseid“ und folgte der Logik einer traditionell prekären Allianz von Partei und Klasse: wenn die Klasse – wie so oft seit der Gründung der KPD – der Partei ihre Unterstützung versagte, verwandelte sich der (antizipierte) Moment der Entscheidung umgehend in einen Moment der Enttäuschung.155 Die ritualisierte Einstimmung im Vorfeld der Einsätze eröffnete ein „Anschließen der eigenen Lebenssphäre an ein überpersonelles Gefüge“.156 Es sollte die Angehörigen der Kampfgruppen (und alle anderen Anhänger des Regimes) in der Überzeugung bekräftigen, sich als Vollstrecker eines höheren, moralisch mit den Opfern zahlloser gefallener Antifaschisten gerechtfertigten Auftrages der Arbeiterklasse zu verstehen. Dabei besaß es durchaus zweischneidige Implikationen: Indem es Zugehörigkeit wie Ausgrenzung festschrieb, war es in Zeiten verschärfter Unsicherheit und Unübersichtlichkeit von kaum zu unterschätzendem Reiz.                                                              154 Honecker äußerte 1990 die Überzeugung, dass sein Sturz „das Ergebnis eines großangelegten Manövers [sei], [dessen] Drahtzieher sich noch im Hintergrund halten“ würden; vgl. Reinhold Andert/Wolfgang Herzberg, Der Sturz. Erich Honecker im Kreuzverhör, Berlin/Weimar 1990, S. 19f.; vgl. auch: Epstein, The Last Revolutionaries. 155 Als Mielke im Vorfeld des 8. Oktobers seine Untergebenen fragte, ob denn morgen der 17. Juni ausbreche und er als Antwort zu hören bekam, „Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch da“, hakte er nochmals nach: „Du verstehst den Sinn?“ Auch wenn er selbst sich über den tieferen Sinn seiner Frage ausschwieg, scheint das gleichsam stumme Einverständnis, das sein Untergebener ihm signalisierte – ein einfaches „Ja, ich verstehe“ – bezeichnend genug: Der 17. Juni war nicht einfach ein Tag, an dem die Staatsmacht zu kompromisslosem Eingreifen gezwungen wurde, sondern Chiffre für die apokalyptisch gedeutete „Entscheidung“, in der nicht weniger als die Existenz der Bewegung auf dem Spiel stand – dann nämlich, wenn die Basis der Avantgarde nicht mehr zu folgen bereit war oder sich – wie im Juni 1953 – sogar gegen sie wendete; vgl. dazu: Zwahr, Umbruch durch Ausbruch; die Zitate: ebd., S. 447; vgl. dazu auch: Volkhard Mosler, Klassenkämpfe in der Revolution 1989, in: Sozialismus von unten 2 (1994), S. 12–18. 156 Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 72.

 

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Zugleich verpflichtete es jedoch auf ganz bestimmte Handlungsmuster – Handlungsmuster der Ausnahme.157 In den Betrieben, Behörden und Einrichtungen Leipzigs fanden den ganzen Tag über Versammlungen statt, in denen die Verantwortlichen vor einer Beteiligung an bevorstehenden „konterrevolutionären Umtrieben“ warnten und die Anwesenden aufforderten, am Abend zu Hause zu bleiben.158 Auch in Magdeburg bemühte die SED ihre „gesellschaftlichen Kräfte“, um auf Protestwillige einzuwirken. Im VEB Schwermaschinenkombinat „Ernst Thälmann“ sollten Leiter und Parteifunktionäre „mit allen namentlich bekannten Teilnehmern von Zusammenrottungen im Magdeburger Dom Gespräche“ führen, um sie von einer erneuten Teilnahme abzubringen.159 Die Leipziger Geschäfte waren angewiesen, bis spätestens 17.00 Uhr zu schließen. Die Gerüchteküche brodelte: Krankenhausbetten und Blutkonserven seien bereitgestellt und es gebe einen ausdrücklichen Schießbefehl.160 Die Drohung des Kampfgruppenkommandeurs und eine erneute Rechtfertigung des Pekinger Massakers im „Neuen Deutschland“ schürten die Angst vor einer „chinesischen Lösung“ in Leipzig.161 Insbesondere der Rückgriff auf die proletarische „Visibilitätsreserve“ wurde als ein Signal verstanden, dass die Staatsmacht vor einer bürgerkriegsähnlichen Eskalation nicht zurückschreckte, etwa im VEB „Georgi Dimitroff“ in Magdeburg.162 Nicht nur in Leipzig, auch in Magdeburg und in Halle bereitete sich die Einsatzleitung auf „schwere Ausschreitungen“ vor.163 Als der Leiter des Volkspolizeireviers Mitte in Magdeburg bei der Einweisung die Befürchtung äußerte, „wenn ihr das so macht, wie es darauf gezeichnet ist, dann fließt Blut!“, wurde er von seinem Vorgesetzten ausgelacht. „Die verstehen nur absolute Härte! Immer nur

                                                             157 Vgl. dazu: Lüdtke, Ausnahmezustand und staatliche Gewaltrituale, S. 253f. 158 Vgl. Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 87f. 159 „Dies wird mit der Orientierung ,Für uns Thälmannwerker ist dort kein Platz‘ politisch ausgerichtet“, vgl. Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 9.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 106, Bl. 104. 160 Vgl. Maier, Das Verschwinden der DDR, S. 237; Kotkin, Uncivil Society, S. 58. 161 Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 271; Dale, Popular Protest, S. 155; Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 81–83; Heinz Körner erinnerte sich daran, dass das große Schlachthaus in Leipzig ausgeräumt worden wäre, um dort die Leichen eventuell erschossener Demonstranten „verschwinden“ zu lassen; vgl. Interview mit Heinz Körner (17.8.2006), Transkript, S. 22. 162 Information vom 16.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 1, Bl. 111. 163 Löhn, MfS und SED im Bezirk Halle, S. 11.

 

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druff!“ wurde dieser zitiert.164 Ca. 6.000 Sicherheitskräfte waren an diesem Tag in der Bezirkshauptstadt im Einsatz, darunter Kampfgruppen-Einheiten aus Magdeburg selbst und aus den umliegenden Kreisen. Sie waren in Schulen, öffentlichen Gebäuden, Bussen und LKWs rund um den Dom zusammengezogen. Wie in Leipzig, wurden auch hier Schützenpanzer, Wasserwerfer und ähnlich schweres Gerät in Bereitschaft gehalten. „Leipzig’s urban heart had indeed become a ,Tiananmen Square‘“, schreibt Stephen Kotkin im Rückblick auf die Ereignisse des 9. Oktobers 1989, „not a bloodbath but a ,Gate of Heavenly Peace‘“.165 In verschiedener Hinsicht bewirkte die totale Mobilmachung des Regimes, das sich entschlossen zeigte, um sein Überleben zu kämpfen, eine totale Demaskierung der „Unwirklichkeit des Realen“. „Ich kann sagen“, gab ein zum Einsatz befohlener Kampfgruppen-Kommandeur später zu Protokoll, „dass dieser Einsatz ein Wendepunkt in meinem Leben war. Das, was wir am Schwanenteich (an der Oper) vorfanden, war für uns eine einzige Ernüchterung. Wir haben uns gesagt, wir werden uns nie wieder so benutzen lassen von einer Parteiführung.“166 Angesichts der Masse der Demonstranten – Schätzungen gehen von bis zu 80.000 Menschen aus, die an diesem Tag den Schritt auf die Straße wagten – erwiesen sich nicht nur alle vorbereiteten Maßnahmen als praktisch undurchführbar.167 Auch die Einweisung der Sicherheitskräfte zielte vollkommen an der Realität vorbei: Das Ziel des Einsatzes bestand in der „Auflösung rechtswidriger Menschenansammlungen und […] der dauerhaften Zerschlagung gegnerischer Gruppierungen sowie der Festnahme deren Rädelsführer“.168 Weder waren von den zum Einsatz kommenden Sicherheitskräften jedoch gegnerische Gruppierungen auszumachen noch irgendwelche Rädelsführer zu

                                                             164 165 166 167

Herbst `89 in Magdeburg, S. 97. Kotkin, Uncivil Society, S. 61. Zit. nach: Neues Forum Leipzig (Hg.), Demokratie Jetzt, S. 91. Vgl. dazu: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 277f.; konsequenterweise hatte der stellvertretende 1. Bezirkssekretär, Helmut Hackenberg, daraufhin den Befehl ausgegeben, dass alle im Einsatz befindlichen Sicherheitskräfte sich zurückziehen und zur „Eigensicherung“ übergehen sollten; Hackenberg hatte versucht, Honecker bzw. Krenz in Berlin zu erreichen, um seine Entscheidung mit den höchsten Führungsgremien abzustimmen; Krenz rief erst zurück, als der Demonstrationszug den Leipziger Ring schon fast umrundet hatte, traf selbst also keine Entscheidung, sondern sanktionierte im Nachhinein den Entschluss der Verantwortlichen vor Ort, keine Konfrontation zu provozieren; vgl. dazu: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 278f.; Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 311f. 168 Entschluss des Leiters des VPKA Leipzig vom 8.10.1989, zit. nach: Hollitzer, Der friedliche Verlauf, S. 270.

 

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identifizieren, die Protestbewegung agierte hingegen vollkommen spontan und gewaltlos.169 „Unsere politische Führung reagierte viel zu spät auf die Zeichen der Zeit. Die Situation spitzte sich weiter zu und erreichte um den 40. Jahrestag den Höhepunkt. […] Da sah sich die KG-Führung plötzlich einer ungeahnten und nicht geplanten Situation gegenüber. Viele Kämpfer identifizierten sich mit der Meinung des Volkes auf der Straße, die Ziele der Massen waren insgeheim auch ihre Ziele. […] Das Feindbild hielt plötzlich einer persönlichen Überprüfung nicht mehr stand. Gewalt war nicht gefragt“,

argumentierte im Nachhinein ein Leipziger Kampfgruppen-Angehöriger in einer Eingabe.170 Deutlich kommt in diesem Zitat die Erosion der zentralen Wahrnehmungsund Wertungskategorie des hegemonialen, realsozialistischen Diskurses zum Ausdruck: Das Feindbild hielt der persönlichen Überprüfung nicht mehr stand. „Gravierende Fehler“ warf ein Magdeburger Zugführer der Kampfgruppen den „Parteiund Staatsorganen aller Ebenen“ vor. Sie drückten sich für ihn vor allem in einer „unzureichenden“ bzw. „fehlenden“ Informationspolitik aus. Ausdrücklich forderte er, „zwischen Kräften, die in friedlicher Absicht politische Ansichten offen vertreten“ und „einer Minderheit, die dieses in provokatorischer Absicht zur Anwendung offener Gewalt missbrauchen“ zu differenzieren.171 Auch unter den zum Einsatz befohlenen Sicherheitskräften wurde die dogmatische „Diskursfigur des objektiven Gegners“ zunehmend als bloße Täuschung und Denkfessel betrachtet.172 Sie wurde weithin dafür verantwortlich gemacht, dass die Sicherheitskräfte mit einer „ungeahnten und nicht geplanten Situation“ konfrontiert worden seien. In dieser Formulierung findet sich die ganze Sprachlosigkeit des Regimes artikuliert. Ihr dezisionistischer Diskurs bot kein Raster, um die konkreten Erfahrungen der Krise sinnvoll einzuordnen und produktiv zu wenden.173 Der konsequente Verfall dieser Diskursordnung, die ihre Stärke und ihre Binnenplausibilität aus Abgrenzung, Geschlossenheit und Rigidität bezogen hatte, artikulierte sich etwa darin, dass Aussprachen und Indoktrinationsversuche stetig wirkungsloser wur-

                                                             169 170 171 172 173

 

Vgl. dazu: Pfaff, Exit-Voice Dynamics. Eingabe vom 28.10.1989 (Leipzig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 107. Stellungnahme vom 10.10.1989, BStU, BV Magdeburg AKG, Nr. 106, Bl. 1f. Vgl. dazu: Sabrow, Der Konkurs der Konsensdiktatur. Vgl. dazu: Süß, Selbstblockierung der Macht, S. 250.

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den, wie das MfS in der zweiten Oktoberhälfte konstatierte.174 Zunächst hatte es – gemäß der „Faktizität der Fiktionen“ – den Grund dafür zunächst noch in dem mangelhaften „Niveau der Parteiarbeit“ gesucht.175 Nun musste es einräumen, dass die Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von Gewalt unter den Sicherheitskräften auch „durch die politische Arbeit […] nicht vollkommen abgebaut werden“ konnten.176 Bei vielen derjenigen Kämpfer, die ihre Teilnahme an Einsätzen verweigerten, handelte es sich um SED-Mitglieder, wie die Berichte nicht ohne Erstaunen vermuteten.177 Je stärker sich den Akteuren die „Unwirklichkeit des Realen“ eröffnete, umso weniger fühlten sie sich an den ihnen bis dahin abverlangten und eingeübten Habitus noch gebunden.178 Diskreditiert hatte sich das Regime nicht dadurch, dass es der Krise nicht zu begegnen wusste. Diskreditiert hatte es sich vielmehr durch die Art und Weise, wie es ihr begegne: „Ich würde am liebsten hingehen und diese Halunken zusammenschlagen, dass ihnen keine Jacke mehr passt. Ich war 1953 verantwortlich hier in Berlin. Mir braucht keiner zu sagen, was die weiße Brut veranlasst. Ich bin als Jungkommunist nach Spanien und habe gegen die Halunken, dieses faschistische Kroppzeug, gekämpft. […] Mir braucht keiner zu sagen, wie man mit dem Klassenfeind umgeht“,

äußerte sich etwa der Minister des Innern und Bürgerkriegsveteran Friedrich Dickel.179 Mit Kompromisslosigkeit und Härte, wie es Erich Mielke und die ande-

                                                             174 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 595. 175 Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 322. 176 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 595. 177  „Von den Kämpfern, die den Einsatz ablehnten, waren 90% Mitglieder der SED, darunter ein Parteitagsdelegierter“, vermerkte der Bericht der MfS-Bezirksverwaltung Magdeburg Ende Oktober; Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg, AKG, Nr. 399, Bl. 596. 178 Vgl. dazu: Engler, Die Unwirklichkeit des Realen. 179 Rede des Ministers des Innern vor den Chefs der BDVP am 21.10.1989; zit. nach: Tobias Hollitzer, „Heute entscheidet es sich: Entweder die oder wir“ – zum 9. Oktober 1989 in Leipzig. Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkung, in: Horch und Guck 7 (1998), H. 23, S. 32; Dickel (1913–1993) trat 1928 dem KJVD und 1931 der KPD bei; nach 1933 im il-

 

 

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ren der „letzten Revolutionäre“ gewohnt waren und gefordert hatten, war der Sozialismus nicht mehr zu retten. Die zentrale Parole der Protestbewegung – „Wir sind das Volk – wir sind keine Rowdys!“ – war in diesem Sinne Absage und Ermächtigung zugleich: Absage an einen hegemonialen Diskurs, der Politik nicht von der Regel, sondern stets von der Ausnahme her definierte. Und Ermächtigung gegenüber einer politischen Führung, deren elitäres Selbstverständnis die ,Klasse‘ (oder das ,Volk‘) stets nur als Objekt des Misstrauens und der Bevormundung wahrzunehmen in der Lage war.180

                                                                                                                                       legalen Widerstand aktiv, mehrfach verhaftet; 1936 schloss Dickel sich den Internationalen Brigaden an und wurde 1937 zu einem Speziallehrgang in die Sowjetunion delegiert; als Agent des militärischen Nachrichtendienstes der Roten Armee (GRU) war Dickel bis 1946 in Shanghai tätig; Rückkehr nach Deutschland über die Sowjetunion im Dezember 1946; Dickel bekleidete in den 1950er Jahren hohe Posten in der VP und der NVA (u. a. stellvertretender Verteidigungsminister 1956/57) und wurde nach dem Ausscheiden Karl Marons 1963 Minister des Innern und Chef der DVP sowie Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates; 1967 wurde er zudem in die Volkskammer und in das Zentralkomitee aufgenommen, dem Politbüro gehörte er jedoch niemals an; vgl. Andreas Herbst, Friedrich Dickel – GRU-Agent, NVA-General und Minister des Innern der DDR, in: Ehlert/Wagner (Hg.), Die Militärelite der DDR, S. 191–208; auch Erich Honecker war erst dadurch von seinem Entschluss, zur Einschüchterung der Demonstranten ein Panzerregiment durch die Straßen Leipzigs zu schicken, abzubringen, als man ihm glaubhaft zu versichern vermochte, dass diese Anordnung angesichts unzähliger in Panzernahbekämpfung ausgebildeter Jugendlicher zu einem militärischen Fiasko führen könne; vgl. HansHermann Hertle, Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989, Berlin 1996, S. 85; Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 337. 180 Auf den Entstehungszusammenhang dieser Parole verweist Hartmut Zwahr: „Wir sind das Volk – wir sind keine Rowdys! Diese Verknüpfung, die offensichtlich nur einmal, und zwar in einem Bericht für den engeren Zirkel der Macht um Mielke dokumentiert ist, enthüllt den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang des denkwürdigen Bekenntnissatzes des Leipziger 9. Oktober Wir sind das Volk! Dieses Bekenntnis entstand aus der Zurückweisung einer Verleumdung, mit der Honecker den Demonstranten die Ehre abschnitt. Im Rezeptionsgeschehen durch Anschlusshandeln wurde die Bekenntnisformel dann aber spontan von der Zurückweisungsformel Wir sind keine Rowdys! abgetrennt. Das geschah im massenhaften Zugriff auf die Bekenntnisformel, erstmals schon am 9. Oktober in Leipzig. Erst diese Umformung gab dem bekennenden Wir sind das Volk!, nachdem es aus dem Entstehungskontext herausgelöst war, seine politische Durchschlagskraft. Erst in diesem Gestaltwandel erhielt das bekennende Wir sind das Volk! sein radikales Eigengewicht. In diesem Gestaltwandel wurde es Postulat der Volkssouveränität, legitimierte es gegen Partei- und Staatsmacht gerichtetes Machthandeln, erhoben sich die, die es in Anspruch nahmen, in den Rang des politischen Volkes.“ Zit. nach: Hartmut Zwahr,

 

 

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„Abgestempelter, Sonntagskrieger, Gestriger“. Kampfgruppen und das ,arbeiterliche‘ Milieu Ein zusammenfassender Bericht des MfS notierte, dass für die „Aktion ,Jubiläum 40‘“ – wie die „Sicherungseinsätze“ im Rahmen der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR intern genannt wurden – insgesamt 8.162 Kampfgruppen-Angehörige alarmiert worden waren. Von ihnen kamen 4.631 zum Einsatz.181 Nur ein kleiner Teil aller Kampfgruppen-Angehörigen machte also tatsächlich die Erfahrung einer Konfrontation mit der protestierenden Bevölkerung auf der Straße. In den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Leipzig, Berlin und Magdeburg waren 2.272 Kämpfer „unmittelbar gegen antisozialistische Ausschreitungen und zur Auflösung von Zusammenrottungen zum Einsatz“ gekommen.182 Insgesamt hatten 346 Kampfgruppen-Angehörige den Einsatzbefehl verweigert, 326 davon in den oben genannten Bezirken, 208 allein im Bezirk Magdeburg.183 149 Kämp-

                                                                                                                                       Die demokratische Revolution in Sachsen: „Wir sind das Volk!“, in: Sigrid Meuschel/Michael Richter/Hartmut Zwahr, Friedliche Revolution in Sachsen. Das Ende der DDR und die Wiedergründung des Freistaates, Dresden 1999, S. 23–43, hier: S. 27f. 181 Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 248; ein anderer Bericht spricht hingegen von ca. 3.500 „direkt zum Einsatz gebrachten“ Kämpfern und weiteren ca. 7.100 „in Bereitschaft versetzten“ Kämpfern; vgl. Information über einige beachtenswerte Erscheinungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lageentwicklung vom 13.10.1989, BStU, ZA, ZAIG 6023, Bl. 1–7, hier: Bl. 1. 182 Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 248–260, hier: Bl. 248. 183 Von den 208 Befehlsverweigerungen erfolgten 159 in der Bezirkshauptstadt; für den Bezirk wurde die Zahl der Parteiaustritte mit insgesamt 62 (davon 7 in der Bezirkshauptstadt) beziffert, die Zahl der Kampfgruppenaustritte mit 47 (davon 2 in der Bezirkshauptstadt), vgl. Das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989; BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 596; für den Bezirk Halle wurden 30 Einsatzverweigerungen, 14 Kampfgruppenaustritte und 50 Parteiaustritte angegeben, „ein Schwerpunkt betreffs des Austritts von Kampfgruppenangehörigen aus der Partei bzw. den Kampfgruppen“ bildete der Kreis Dessau; hier kam es allein in der Zeit zwischen dem 25.9. und dem 12.10.1989 zu 49 Parteiaustritten, 8 Kampfgruppenaustritten und 5 Dienstverweigerungen unter den Angehörigen der „Arbeitermiliz“; vgl. Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse,

 

 

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fer hatten gleichzeitig ihren Austritt aus der SED erklärt.184 Insgesamt bewegte sich die Anzahl derjenigen Kämpfer, die ihren Einsatz verweigerten, zwischen 10 und 30 Prozent aller mobilisierten Kampfgruppen-Angehörigen.185 Im Hinblick auf die Auflösungserscheinungen innerhalb der Kampfgruppen sehr viel aussagekräftiger scheint die Tatsache, dass sich selbst im Bezirk Gera, wo es zu keinerlei „Sicherungseinsätzen“ kam, sich „ausnahmslos in allen Einheiten“ Kämpfer fanden, die eine mögliche Teilnahme an „Ordnungs- und Sicherungseinsätzen ablehnten“.186 Deutlich kommt in den Berichten des MfS die brüchig gewordene „Faktizität der Fiktionen“ zum Ausdruck. Einerseits versuchte das MfS weiterhin, die Ursachen für diese Aufweichungserscheinungen damit zu erklären, „dass vereinzelte Kämpfer der westlichen Hysterie erlegen“ seien.187 Gleichzeitig konnte es nicht länger ignorieren, „dass bestimmte schwankende Haltungen von Kämpfern und Kommandeuren in der Regel nicht in der Phase von Kampfgruppeneinsätzen erzeugt werden, sondern dass die Einflussnahme im Arbeits- und Freizeitbereich                                                                                                                                       

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die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 249f. Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 248–260, hier: Bl. 249; der Bericht vom 13.10.1989 gibt hingegen 334 Kämpfer an, die sich einem Einsatz verweigerten; 188 von ihnen erklärten zugleich ihren Austritt aus den Kampfgruppen, 136 im Bezirk KarlMarx-Stadt, 18 in Leipzig und 15 in Magdeburg; im Hinblick auf die Befehlsverweigerungen waren es in Leipzig 85 gewesen, in Karl-Marx-Stadt 28 und in Magdeburg 27; vgl. Information über einige beachtenswerte Erscheinungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lageentwicklung vom 13.10.1989, BStU, ZA, ZAIG 6023, Bl. 1–7, hier: Bl. 2. Diese Zahl nennt Süß, Staatssicherheit am Ende, S. 319 aufgrund der Auswertung der „Einschätzung …“ vom 23.10.1989; legt man jedoch die „Information …“ vom 13.10.1989 zugrunde, kommt man hingegen auf ca. 10 Prozent an Kampfgruppen-Angehörigen, die sich einem Einsatz verweigerten; legt man wiederum den Bericht über „Das Verhalten …“ im Bezirk Magdeburg vom 20.10.1989 zugrunde, in dem leider keine Angaben über die Zahl der hier insgesamt zum Einsatz gekommenen Kämpfer gemacht werden, mag die Verweigerungshaltung hier sogar bei mehr als 30 Prozent gelegen haben. Information über einige beachtenswerte Erscheinungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lageentwicklung vom 13.10.1989, BStU, ZA, ZAIG 6023, Bl. 1–7, hier: Bl. 3. Vgl. Bericht zur Lage und Situation in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Territorium unter Beachtung der gegenwärtigen innerpolitischen Entwicklung vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 82, Bl. 31.

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erfolgt“.188 Damit gestand das MfS ein, dass die Reaktion und Stimmung der Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse zur gegenwärtigen Lage und den Tagesfragen inhaltlich grundsätzlich nicht von den differenzierten Stimmungen und Meinungen der Bevölkerung abweichen würden.189 Tatsächlich sollte sich die (mehr oder weniger) betriebsbezogene Organisation der Kampfgruppen als verhängnisvoll für die Loyalität ihrer Angehörigen erweisen. Gegen „Randalierer, Kriminelle und Punker“ – also als asozial stigmatisierte gesellschaftliche Randgruppen – gewaltsam einzuschreiten, konnte auch im Herbst 1989 noch auf die Zustimmung zahlreicher Kämpfer zählen.190 Aber gegen potentielle „Freunde, Bekannte und Kollegen ,Zwangsmaßnahmen‘ durchführen zu müssen“,191 dazu war die überwiegende Mehrheit der Milizangehörigen nicht bereit. Aussagen von Kämpfern, die an Einsätzen in ihrem Wohnort nicht teilnehmen wollten, gegenüber Einsätzen außerhalb ihres Milieus jedoch keinerlei Vorbehalte zeigten,192 werden erst vor diesem Hintergrund verständlich. Sie verweisen weniger auf grundsätzliche als vielmehr auf lebensweltlich bedingte Skrupel.                                                              188 Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 321; vgl. auch: Einschätzung der Einsatzbereitschaft und des politisch-moralischen Zustandes in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den Ereignissen zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR vom 16.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 88, Bl. 55. 189 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 594. 190 Bericht, undat., BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 82, Bl. 32. 191 Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion „Jubiläum 40“ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 242f.; vgl. auch: Einschätzung der Einsatzbereitschaft und des politisch-moralischen Zustandes der Kampfgruppen im Zusammenhang mit den Ereignissen zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR vom 16.10.1989, BStU, As Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 88, Bl. 59. 192 Vgl. Lage und Situation in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Territorium unter Beachtung der gegenwärtigen innerpolitischen Entwicklung vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 82, Bl. 31; vgl. auch: Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion „Jubiläum 40“ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 132: „Ein anderer Teil der Kämpfer vertritt den Standpunkt, dass solche Einsätze nach Möglichkeit in anderen Territorien durchgeführt werden sollten, um relativ anonym zu bleiben.“

 

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Um die Auflösungserscheinungen innerhalb der Kampfgruppen nachvollziehen zu können, ist es deshalb unerlässlich, einen Blick auf die Situation in den Betrieben im Herbst 1989 zu werfen. Weitgehender Konsens besteht in der Forschung darin, dass die „friedliche Revolution“ keine „proletarische“ war, der überwiegende Teil der Arbeiterschaft vielmehr die Rolle von „passive participants“ einnahm.193 Nicht allein die insbesondere unter älteren Arbeitern, für die der 17. Juni 1953 noch präsent war, weit verbreiteten und durch die offizielle Propaganda geschürten Ängste vor einer gewaltsamen Niederschlagung der Protestbewegung waren hierfür verantwortlich.194 Auch das Fehlen eines Erfahrungsraumes kollektiver Verständigung und widerständigen kollektiven Handelns allein bietet noch keine hinreichende Erklärung.195 Die Zurückhaltung vieler Arbeiter scheint hingegen in den Ambivalenzen der realsozialistischen Produktionsverhältnisse selbst begründet gewesen zu sein, die von den Werktätigen als „empowering and „enervating“ zugleich wahrgenommen wurden.196 Weite Teile der Arbeiterschaft zeigten sich deshalb geneigt, demjenigen politischen Kollektiv zu folgen, von dem sie sich am ehesten eine Verbesserung ihrer Situation versprachen; solange die Apparate noch den Anschein zu wahren imstande waren, im Vollbesitz ihrer Macht zu sein, zumeist also noch der SED. Je deutlicher jedoch die „Unwirklichkeit des Realen“ zutage trat und die Unfähigkeit offenbar wurde, der Krise angemessen zu begegnen, umso mehr schwand ihre Loyalität. Im Gegenzug wuchsen die Bereitschaft und der Mut, Forderungen, die sich zumeist an besseren Produktionsbedingungen bzw. Lebensverhältnissen ausrichteten, auch in den Betrieben zu artikulieren.

                                                             193 Vgl. vor allem Linda Fuller, Where Was the Working Class?: Revolution in East Germany, Urbana 1999; aber auch: Maier, Das Verschwinden der DDR, S. 232. 194 Gehrke, Demokratiebewegung und Betriebe, S. 230; vgl. dazu: Tagesbericht zu Reaktionen, Stimmungen und Meinungen im Verantwortungsbereich vom 13.10.1989; BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 169: „Aus der BE [Berichterstattung] zum Besuch der Gastdelegation der VR China und der Betonung unserer Verbundenheit wird im Stadtgebiet Magdeburgs geschlussfolgert, dass unsere Partei- und Staatsführung hinter den Ereignissen und deren Lösung in Peking steht und bei entsprechender Situation auch so durchgreifen wird.“ 195 Vgl. dazu: Renate Hürtgen, „Keiner hatte Ahnung von Demokratie, im Betrieb sowieso nicht.“ Vom kollektiven Widerstand zur Eingabe oder Warum die Belegschaften 1989 am Anfang eines Neubeginns standen, in: dies./Gehrke, Der betriebliche Aufbruch, S. 183– 204, hier: S. 184. 196 Fuller, Where Was the Working Class, S. 152; Hervorhebungen im Original; vgl. auch: Zwahr, Umbruch durch Ausbruch und Aufbruch, S. 452f.

 

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Der Kommandeur des 222. Kampfgruppen-Zuges aus Erfurt beschwor gar das Schreckgespenst eines Bürgerkrieges herauf, als er ostentativ für das „Neue Forum“ Partei ergriff. Mit seinem Eintreten für das „Neue Forum“ bekundete er zugleich die Bereitschaft, „zur Durchsetzung deren Zielstellung die ihm unterstellte Einheit einzusetzen“.197 Derartige Absichten – die allerdings die Ausnahme bildeten198 – sind insofern bezeichnend als dass sich in ihnen die lange Dauer eines dezisionistischen Politikverständnisses artikuliert. Auch wenn man als Kampfgruppen-Einheit inzwischen von der SED abgerückt war und das „Neue Forum“ unterstützte, ging man hier implizit weiterhin davon aus, dass eine Entscheidung letztendlich nur durch den Einsatz von Gewalt herbeigeführt werden könne. Festzuhalten ist, dass die Gefahr gewaltsamer Konfrontationen auch nach dem 9. Oktober noch keineswegs gebannt war. Kampfgruppen wurden auch weiterhin zu „Sicherungseinsätzen“ im Rahmen der sich fortsetzenden Montagsdemonstrationen herangezogen. Im Bezirk Halle war es bis zum 9. Oktober nur zu kleineren Demonstrationen in einigen Kreisstädten des Bezirkes gekommen war. Vor allem aus Solidarität mit der Protestbewegung in Leipzig fand sich eine größere Anzahl von Menschen – Schätzungen sprechen von etwa 1.200 Personen – erstmalig am 9. Oktober auf dem Hallenser Marktplatz zusammen.199 Die Sicherheitskräfte waren auch hier auf ein kompromissloses Vorgehen gegenüber der „Konterrevolution“ eingeschworen worden und rechneten mit „schweren Ausschreitungen“.200 Nachdem

                                                             197 Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 250. 198 In Magdeburg war der Polit-Stellvertreter einer (ungenannten) Kampfgruppen-Einheit als „Agitator“ für das „Neue Forum“ aufgetreten und zählte zu den Unterzeichnern eines dort publizierten Aufrufes; vgl. Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion ,Jubiläum 40‘ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 246f; im Bezirk Halle informierte ein Angehöriger der 34. Hundertschaft seinen Vorgesetzten über seine Mitgliedschaft im „Neuen Forum“ und erklärte gleichzeitig seinen Austritt aus der Kampfgruppe; ebd., Bl. 247. 199 Zu den Ereignissen im Einzelnen: Georg Wagner-Kyora, Eine protestantische Revolution in Halle, in: Heydemann/Mai/Müller (Hg.), Revolution und Transformation, S. 335– 363; Löhn, MfS und SED im Bezirk Halle.; Das andere Blatt (Hg.), „Keine Überraschung zulassen.“ Berichte und Praktiken der Staatssicherheit in Halle bis Ende November 1989, Halle 1991. 200 Löhn, MfS und SED im Bezirk Halle, S. 11; tatsächlich hatte das MfS seit Anfang Oktober verschiedene telefonische Drohungen vor Gewaltakten, etwa gegen den Güterbahnhof

 

 

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die Menschenmenge auf etwa 800 Personen zusammengeschrumpft war, gingen sie mit großer Härte gegen die verbliebenen Demonstranten vor und nahmen willkürliche Verhaftungen vor.201 Das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte stellte hier erst die Initialzündung für eine Massenmobilisierung gegen das Regime dar,202 von der zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen konnte, ob sie nicht weitere gewaltsame Konfrontationen heraufbeschwören würde.203 Rapide an Fahrt gewann nach dem 9. Oktober der schwelende Legitimationsschwund der SED. Ihn vermochte auch der Sturz Erich Honeckers am 18. Oktober und die von seinem Nachfolger Egon Krenz initiierte „Wende“204 nicht mehr aufzuhalten.205 Schon vor den Demonstrationen am 16. Oktober hatte Krenz in seiner Funktion als für Sicherheit zuständiger ZK-Sekretär im Verbund mit den Stabschefs von Armee und Ministerium des Innern, Fritz Streletz und Karl-Heinz Wagner, durchgesetzt, dass ein Einsatz von Schusswaffen im Zusammenhang mit möglichen Demonstrationen „grundsätzlich verboten“ sei.206 Die von der SED initiierte „Wende“ intendierte gewiss nicht ein Abrücken von klassisch staatssozialistischen Zielen. „Den Sozialismus weiter auszubauen, die sozialistischen Ideale hochzuhalten und keine unserer gemeinsamen Errungenschaften preiszugeben“, hatte Krenz als Ziele im Zentralkomitee verkündet. Auf den Einsatz von Gewalt

                                                                                                                                      

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Thale, registriert; am 3. Oktober hatten Unbekannte auf der Kreuzung in Wolfen ein Feuer entfacht und gedroht: „Das ist der 1. Schlag des Neuen Forums, weitere werden folgen!“ Einschätzung der politisch-operativen Lage in Vorbereitung des 40. Jahrestages der Gründung der DDR – Aktion „Jubiläum 40“ vom 4.10.1989, BStU, AS Halle, BV Halle AKG, Nr. 3715, AKZ. 2104H, Bl. 2. Löhn, MfS und SED im Bezirk Halle, S. 11f.; Wagner-Kyora, Eine protestantische Revolution, S. 335f. Wagner-Kyora, Eine protestantische Revolution, S. 355. So notierte das MfS Äußerungen aus „zumeist jugendlichen Personenkreisen“, die zum Ausdruck brachten, dass „eine Demonstration ohne Konfrontation mit der Polizei […] sinnlos und langweilig“ sei; vgl. Ergänzung zum Bericht über die am 16.10.1989 auf dem Marktplatz von Halle durchgeführte Demonstration vom 17.10.1989, BStU, AS Halle, BV Halle, Abt. 26, Nr. 51, Bl. 52. Zum Begriff „Wende“ und seiner Entstehungsgeschichte vgl. Zwahr, Umbruch durch Ausbruch und Aufbruch, S. 432f.; ders., Die Revolution in der DDR, S. 207–210. Vgl. dazu im Einzelnen: Hans-Hermann Hertle/Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), Das Ende der SED. Die letzten Tage des Zentralkomitees, Berlin 1997, S. 49–58; Hans-Hermann Hertle, Der Fall der Mauer. Die unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates, Opladen 1996, S. 122–138. Hertle, Der Fall der Mauer, S. 129.

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sollte dabei jedoch gänzlich verzichtet und stattdessen der Versuch eines „ernstgemeinten politischen Dialogs“ unternommen werden.207 Wolfgang Engler hat diese Zeit als „Enthüllungsphase“ bezeichnet, in der all diejenigen, die ehedem noch als ,anständige‘ und ,ehrliche‘ DDR-Bürger gegolten hatten, sich nun in der Rolle der „peinlich Befragten“ wiederfanden.208 „Mitglied“, also Unterstützer der SED, und „Bürger“, also Anhänger der Protestbewegung, zugleich zu sein, erwies sich zunehmend als unvereinbar und wurde für die Betroffenen zu einer schmerzlichen Entscheidungsfrage, die die Kämpfer in besonderer Weise betraf. „Es kommen verstärkt die Fragen zum Verbleib der Kampfgruppe und wenn ja, zu ihrem Einsatzprofil“, wandte sich der Kommandeur einer Merseburger Hundertschaft in einer Eingabe an das Zentralkomitee, nachdem seine Einheit am 16. Oktober in Merseburg zum Einsatz gebracht worden war.209 Der Kommandeur einer Wanzlebener Hundertschaft hatte es abgelehnt, seine Einheit wie befohlen anlässlich der Demonstration am 16.10. in Magdeburg in den Einsatz zu führen. Rechtfertigte er seine Entscheidung damit, „dass man Gewalt nicht gegen friedliche Demonstranten ausüben kann“, wurden seine moralischen Bedenken auch zu diesem Zeitpunkt noch von „technischen“ Bedenken flankiert. So sei seine Einheit auf derartige Einsätze nicht vorbereitet. Die Bezugnahme auf ein „public transcript“, die in den technischen Bedenken des Kommandeurs zum Ausdruck kommt, verweist darauf, dass trotz aller Demoralisierung das Verhalten der verantwortlichen Funktionäre vor Ort weiterhin unberechenbar war. Tatsächlich wurde der Kommandeur wegen seiner Bedenken kurzerhand von seiner Funktion entbunden und durch einen Kämpfer ersetzt, der bereit war, die Einheit in den Einsatz zu führen.210

                                                             207 Rede von Egon Krenz im Zentralkomitee am 18.10.1989, zit. nach: Hertle, Der Fall der Mauer, S. 133. 208 Engler, Das peinliche Archiv, S. 107f. 209 „Meinungsäußerungen von Polizisten – ,endlich draufschlagen‘ – und eine sehr schlechte Organisation und ideologische Vorbereitung seitens der Verantwortlichen“ hatten dazu geführt, dass hier 12 Kämpfer aus Partei bzw. den Kampfgruppen ausgetreten waren; vgl. Eingabe vom 14.11.1989, SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 184. 210 Fortlaufende Berichterstattung vom 16.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 42f.; dass diese harte Linie kaum mit den Direktiven der Kommandohöhen korrespondierte, sondern weitestgehend der Eigeninitiative der lokal Verantwortlichen entsprang, legt das Antwortschreiben des Staatsrates auf die Eingabe eines Angehörigen der 117. Hundertschaft im Bezirk Leipzig nahe; dieser Kämpfer war, nachdem er einen Einsatz am 7. Oktober, bei dem seinen Angaben zufolge „gezielt geschossen“

 

 

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Derartige Einsätze müssten die Ausnahme bleiben, verlangte die Mehrheit einer Oscherslebener Einheit, weil sie die anstehenden Probleme nicht lösen, sondern nur noch mehr Bürger gegen das Regime aufbringen würden. Auch müsse „bei weiteren derartigen Einsätzen mit weiteren Austritten aus der KG gerechnet werden“, schätzte das MfS die Stimmung innerhalb der Einheit ein.211 Neben moralischen Gründen wurden weiterhin auch ökonomische Argumente vorgebracht. So gaben die Kämpfer an, dass solcherart Einsätze zu Produktionsausfällen führen würden, die dann nicht mehr aufgeholt werden könnten212 – Hinweise darauf, dass auch nach dem Sturz Honeckers noch nicht überall gewagt wurde, Kritik offen und ohne Angst vor Repressalien zu artikulieren. Das galt für die Angehörigen der Kampfgruppen wie auch für die überwiegende Anzahl der zivilen Betriebsangehörigen gleichermaßen. „Kämpfer können nicht aus der materiellen Produktion bzw. als Leiter von Kollektiven zur Organisation der Produktion entbehrt werden“, brachten verschiedene Betriebsleitungen als Gründe gegen die Heranziehung ihrer Betriebsangehörigen zu Kampfgruppen-Einsätzen zum Ausdruck.213 Je öfter solche „Sondereinsätze“ durchgeführt würden, umso mehr würden sie, wie ein Leiter im VEB Schwermaschinenbau Kombinat „Ernst Thälmann“ Mag-

                                                                                                                                       werden sollte, wenn „der Befehl dazu kommt“, verweigert hatte, aus den Kampfgruppen ausgeschlossen worden und verlangte nun seine Wiederaufnahme; vgl. Eingabe vom 8.11.1989 (Oschatz), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 211f.; während im Antwortschreiben des Staatsrates vom 27.11.1989 die Anordnung eines Schießbefehls kategorisch verneint wurde, wurden die Verantwortlichen vor Ort jedoch nur unterschwellig für ihre harte Linie gegenüber dem unwilligen Kämpfer kritisiert: „Wenn die Genossen in der Kreisleitung Oschatz einen Kämpfer aus den Kampfgruppen ausschlossen, nur weil er sich weigerte, an einem Einsatz gegen sein Gewissen teilzunehmen, ist das unrechtmäßig und müsste noch einmal durchdacht werden“; trotzdem enthielt sich das Antwortschreiben einer klaren Anweisung und empfahl stattdessen, dass die Angelegenheit zwischen dem „betreffenden Genossen“ und „seinem Kommandeur“ selbst geregelt werden solle; Eingabe vom 8.11.1989 (Oschatz), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 213. 211 Bericht der Kreisdienststelle Oschersleben vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bl. 162. 212 Bericht der Kreisdienststelle Oschersleben vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bl. 162. 213 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 596; vgl. auch: Bericht, undat., BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 318.

 

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deburg sich ausdrückte, „an die Substanz gehen“.214 Nicht nur geriete durch sie die ordnungsgemäße Produktion in Gefahr. Durch den Ausfall zum Einsatz abkommandierter Kämpfer würden zudem Arbeitskräfteausfälle entstehen, die durch zivile Betriebsangehörige aufgefangen werden müssten. Der Rekurs auf Produktionsrückstände und der Protest über zusätzliche Arbeitsbelastung bewegte sich hier noch im Einklang mit dem „public transcript“ der „arbeiterlichen“ Gesellschaft. Aussagen wie die zweier Arbeiter aus Staßfurt offenbarten hingegen ein virulentes „hidden transcript“: „Im VEB Staßfurt brachten 2 Kraftfahrer /keine Angehörigen der KG/ zum Ausdruck, dass sie nicht bereit sind, die Kämpfer zu Einsätzen zu fahren, wo mit Schlagstöcken gegen Arbeiter vorgegangen wird.“215 Insbesondere der Versuch der SED, die Protestbewegung gewaltsam zu unterdrücken, hatte die Menschen in großer Zahl gegen das Regime aufgebracht und den Bruch zum herrschenden System befördert.216 Die Kampfgruppen, einst Repräsentation proletarischer Machtbehauptung, waren auf diese Weise zu einem Symbol der Machtverweigerung geworden. Ihr Einsatz im Verlauf der Herbstunruhen hatte aller Welt gezeigt, dass sie nicht die Interessen der werktätigen Bevölkerung verteidigten, sondern die Interessen einer machtversessenen Minderheit. Solchermaßen gerieten sie nun zum unmittelbar greifbaren, weil – anders als Polizei oder Staatssicherheit – in der betrieblichen Lebenswelt alltäglich präsenten Symbol staatssozialistischer Herrschaft. In keinem anderen Organ des Sicherheitsapparates verkörperte sich die Verknüpfung von formaler Gewaltandrohung mit der spezifisch ideologischen Legitimation des Regimes auf derart offensichtliche Art und Weise.217

                                                             214 Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 17.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 1, Bl. 120. 215 Bericht über die politisch-operative Lage unter den KG-Einheiten des Kreises Staßfurt vom 16.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 37. 216 Dale, The East German revolution, S. 37; vgl. auch: Information über Meinungen zur gegenwärtigen innenpolitischen Lage im VEB SKET-ETW [Magdeburg] vom 12.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 309: „Erlebte am Wochenende den Einsatz der VP am Alten Markt als Kinogängerin und bestätigte, das kein Grund zu dem, auch für sie unfassbaren, Knüppeleinsatz bestand. Eine ähnliche Situation als Unbeteiligte erlebte auch ihre Freundin beim Pferdemarkt in Havelberg. Für sie und ihre Freundin ist das Vertrauensverhältnis zum Staat und zur VP verlorengegangen.“ 217 „Weg mit den Kampfgruppen“ wurde in diesem Sinne etwa in Halle anlässlich der Montagsdemonstration vom 23.10.1989 skandiert; Bericht über den Verlauf der am 23.10.1989 auf dem Marktplatz Halle durchgeführten Demonstration, zit. nach: Das andere Blatt (Hg.), Berichte und Praktiken, S. 74. vgl. dazu auch die abgedruckten Doku-

 

 

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Aber nicht sie grundsätzlich, sondern vor allem ihre byzantinischen Auswüchse standen im Fokus der Kritik: „Es ist doch schon genug, dass man diesen Leuten gesetzmäßig eine höhere Altersrente zusichert“, spielte ein „parteiloser Arbeiter“ – so seine Selbstbezeichnung – in einer Eingabe vom 6. November auf den Kämpfern zustehende Privilegien an.218 Stellte der Verfasser damit die moralische Integrität der Kampfgruppen-Angehörigen in Frage, waren selbst KampfgruppenAngehörige bereit einzugestehen, dass „die Moral einiger Kämpfer zunehmend ins Negative“ abgedriftet sei.219 Dazu zählten für einen Kämpfer aus Loitz – seit 1968 Angehöriger der SED und der Kampfgruppen –, dass „Leute, die durch Aussicht auf 100,- M zusätzliche Rente und insgesamt vorteilhaftere Bedingungen […] nur aus egoistischen Gründen in die Kampfgruppe eingetreten“ seien. Ferner führte er an, dass „junge Leute im wehrfähigen Alter nicht etwa aus Einsicht in die Notwendigkeit in die Kampfgruppe eintraten, sondern um den sicherlich weit unbequemeren Reservistendienst in der Nationalen Volksarmee zu umgehen“. Darüber hinaus seien organisationsspezifische „Auszeichnungen, auch in Verbindung mit der Zuwendung finanzieller Mittel, an mehr oder minder unbeteiligte Personen, wie Betriebsleiter und Parteisekretäre u. a.“ vergeben worden. Die Eingabe listete noch eine ganze Reihe weiterer Missstände auf: So sei die Ausbildung „entgegen der Orientierung nicht konsequent nur an den Wochenenden [d. h. an arbeitsfreien Tagen; T.S.] durchgeführt“ worden. „Niveau“ und „Intensität“ wären „zunehmend verflacht“, auch deshalb, weil „stets höhere Leistungen und Ausbildungsergebnisse bestätigt“ worden seien. Derartige Missstände rundeten das Bild eines vollkommen verkommenen „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ respektive Arbeiter-und-Bauern-Staates ab und suggerierte, dass Organ bzw. Staat weniger von moralisch integren Virtuosen als von selbstsüchtigen, nur auf den eigenen Vorteil versessenen Opportunisten getragen worden sei.220 Bemerkenswert ist, dass sich der Zorn gegenüber dem „unmittelbar bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ weitgehend an ,arbeiterlichen‘ Werthaltungen maß.                                                                                                                                        mente in: Gehrke/Hürtgen (Hg.), Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989, S. 347, S. 366, S. 375, S. 405. 218 „Als parteiloser Arbeiter […] kann ich nicht verstehen, dass man den Angehörigen der Kampfgruppe für Ihre Tätigkeit nach 20 Jahren eine Prämie von 750.- M zukommen lässt. Im Vergleich dazu bekommt ein Werktätiger für 25-jährige Arbeit im Betrieb eine Treueprämie von 500.- M. Dazu kommt, dass die ,Prämie‘ der Kampfgruppen in keinen [sic] BKV oder sonst irgendwo verankert ist, damit ja die Belegschaft keinen Einspruch geltend machen kann;“ Eingabe vom 6.11.1989, Leipzig, DY 30/1077, Bl. 3. 219 Eingabe vom 7.11.1989 (Loitz), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 38. 220 Vgl. dazu: Shirk, Competitive Comrades, S. 14.

 

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Wurden ihre Angehörigen mit Vorwürfen wie „Schande – Arbeiter gegen Arbeiter“, „Arbeiterverräter“ konfrontiert,221 räumten sie selbst ein, dass vielen Kämpfern „von ihren Betrieben nicht gerechtfertigte Vorteile geboten“ worden seien.222 Weil die Existenz der Kampfgruppen, unabhängig von ihren politischen Implikationen, weder gerechtfertigt noch ökonomisch tragbar sei,223 gerieten diejenigen, die sich in ihnen engagierten, vor allem in den Verdacht, den eigenen Vorteil gesucht zu haben. Die Vehemenz der Entrüstung, mit der viele Bürger auf die vergleichsweise bescheidenen Verhältnisse reagierten, in denen sich die „letzten Revolutionäre“ in Wandlitz eingerichtet hatten, sind bezeichnend für die allgemeine Enttäuschung, die sich nun einstellte. Während man jahrelang der Propaganda einer egalitären Solidargemeinschaft ausgesetzt gewesen war, die im realsozialistischen Alltag zunehmend als Mangelgesellschaft erfahren wurde, war man von den Mächtigen – und ihren Wasserträgern an der Basis – scheinbar schamlos hintergangen worden.224 Der „Kämpfer“ nahm in seiner letzten Ausgabe implizit Bezug auf derartiges Misstrauen den Angehörigen der Kampfgruppen gegenüber, diffamierte es jedoch als westliche Verleumdung: „Westmedien hatten die Lüge verbreitet, wir Angehörigen der Kampfgruppen hätten Privilegien. Stadtbekannt ist, dass diese allein darin bestehen, an den Wochenenden unsere Ausbildung durchzuführen, wenn andere Bürger schon längst ihren wohlverdienten Freizeitinteressen nachgehen.“225 Derart hochmütige Formulierungen waren kaum dazu angetan, das Misstrauensverhältnis zwischen Kämpfern und der Bevölkerung zu entspannen. Welche Bedeutung für viele Angehörige der Kampfgruppen jedoch die Tatsache besaß, als ,ordentliche‘ Arbeiter wahrgenommen zu werden, deuten die Zeitzeugen-Interviews an. Darin betonten die meisten der ehemaligen Angehörigen der Kampfgruppen auch 17 Jahre nach den Ereignissen unaufgefordert und überein-

                                                             221 Eingabe vom 26.11.1989 (Erfurt), SAPMO-BArch., DY 30/1361, Bl. 2; Information über einige beachtenswerte Erscheinungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lageentwicklung vom 13.10.1989, BStU, ZA, ZAIG 6023, Bl. 4. 222 Eingabe vom 7.11.1989 (Loitz), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 39. 223 Eingabe vom 6.11.1989 (Leipzig), DY 30/1077, Bl. 3. 224 Zu Wandlitz und den Empörungen, die der Bericht eines Fernsehteams des DDR-Jugendmagazins Elf 99, das am 23.11.1989 erstmals dort filmen durfte, innerhalb der DDRBevölkerung auslöste vgl. Maier, Das Verschwinden der DDR; Dale, The East German Revolution. 225 „Der 9. Oktober in Leipzig“, in: Der Kämpfer, Nr. 11 (November), Jg. 33 (1989), S. 2.

 

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stimmend, dass ihr Einsatz in der Produktion unter ihrem zusätzlichen Engagement nicht gelitten hätte.226 Gleichfalls ,arbeiterlich‘ konnotiert – und keineswegs frei von Gewaltandrohungen – waren die Formen, mittels derer die Bevölkerung ihrer Entrüstung über die Verlogenheit des Regimes und seiner alltäglichen Repräsentanten Ausdruck zu geben versuchte. Schon während der Einsätze im Rahmen der Aktion „Jubiläum 40“ hatte das MfS immer wieder Aussagen von Kämpfern registriert, die neben moralischen Bedenken auch Befürchtungen vor möglichen Repressalien artikulierten.227 Ein Angehöriger der 102. Hundertschaft aus dem Bezirk Magdeburg war „während einer Dampferfahrt in Berlin von seinen zwei Kollegen als Arbeiterverräter beschimpft [worden], weil er beim befohlenen Einsatz am 9.10.1989 aktiv“ mitgewirkt hatte.228 In Ilmenau sah sich ein Kämpfer, der gleichfalls an einem „Sicherungseinsatz“ teilgenommen hatte, anonymen Anrufen ausgesetzt, in denen er beschimpft und bedroht wurde.229 Dass Parteisekretäre in den Betrieben „geschlachtet“ würden, die „Arbeiterklasse […] auf die Barrikaden“ zu gehen drohe, waren Formulierungen, die während der „Enthüllungsphase“ allerorts in der SED zu vernehmen waren.230 Artikuliert sich im Rückgriff auf diesen jahrelang gebräuchlichen, militarisierten Jargon die Hilflosigkeit der Funktionäre, der Krise

                                                             226 Vgl. Interview mit Max Fidorra (6.7.2006), Transkript S. 3; Interview mit Anton Werner (26.7.2006), Transkript S. 23; Interview mit Edgar Peters (20.9.2009), Transkript S. 16; als „StKTA“ (Stellvertretender Kommandeur für Technische Ausrüstung“) eines Kampfgruppen-Bataillons zählte Heinz Körner hingegen zu der Minderheit speziell qualifizierter Funktionäre, die ihren Dienst in den Kampfgruppen hauptamtlich verrichteten; Hans Fischer hatte aufgrund seiner Funktion als Politstellvertreter in dieser Hinsicht gleichfalls eine Sonderstellung inne; zwar nicht gänzlich der Erwerbstätigkeit enthoben, räumte er jedoch selbst ein, dass seine Tätigkeit als „Mitarbeiter beim Betriebsdirektor“ nicht mehr als die einer „besseren Sekretärin“ gewesen sei, der sich „um tausend Dinge kümmern“ musste, bei denen der Übergang zwischen politischer und ökonomischer Tätigkeit tendenziell fließend gewesen sei; Interview mit Hans Fischer (4.8.2006), Transkript S. 18. 227 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 596. 228 Bericht über das Verhalten von Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit den aus aktuellen Anlässen realisierten Sicherungseinsätzen vom 20.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 399, Bl. 598. 229 Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion „Jubiläum 40“ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 251. 230 Vgl. dazu Maier, Das Verschwinden der DDR, S. 264–267.

 

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auch sprachlich angemessen zu begegnen, reflektiert er zugleich die Kontinuität jahrelang praktizierter Denk- und Wahrnehmungsmuster. Zwar lassen sich in den hier ausgewerteten Quellen keinerlei Belege für tatsächlich erfolgte tätliche Übergriffe auf Angehörige der Kampfgruppen finden.231 Dennoch verweisen individuell geäußerte Befürchtungen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, ins Kreuzfeuer postsozialistischer Scherbengerichte zu geraten, auf die lange Dauer eines Diskurses, der sich – gleichsam querliegend zu dem, die politische Arena bestimmenden offiziellen Diskurs einer ,arbeiterlichen‘ Gesellschaft – erhalten hatte. Er schloss im Hinblick auf die „Arenen des Alltages“ eine symbolisch zu fassende, „verdiente Tracht Prügel“ keineswegs aus.232 Sein gemeinsamer Nenner bestand in dem kollektiven Verlangen, einer verletzten Norm an Ort und Stelle nachdrücklich und demonstrativ Geltung zu verschaffen. Vorwürfe wie „willst Du Deinen Kumpel zusammenschlagen?“233 artikulierten in diesem Sinne Vorstellungen einer eigenen, betriebsspezifischen „moral economy“. Sie zeigen zugleich, dass die staatstragende „Harmonievorstellung von Individuum und Kollektiv“ mehr als bloß eine propagandistische Floskel gewesen war. Vielmehr besaß sie in der betrieblichen Praxis „hautnaher Beziehungsarbeit“ eine wirkmäch-

                                                             231 Vgl. jedoch die vielfältigen Hinweise auf Bedrohungen, denen sich Repräsentanten des Regimes im Alltag ausgesetzt sahen: „Die KD Wolmirstedt wurde beispielsweise am heutigen Tag darüber informiert, dass durch die Person [Name geschwärzt] gegenüber einer Kollegin, die als Kreistagsabgeordnete bekannt ist, Drohungen getätigt wurden, ,Wenn das anders kommt, dann bist Du als erste dran.‘“; Information zur Stimmung und Reaktion der Bevölkerung vom 13.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 331, Bd. 2, Bl. 168; in Halle wurden zwei Volkspolizisten, als sie „zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung in einer Gaststätte“ einschritten, bedroht: „Ihr Kommunistenschweine, euch hängen wir auf, ihr dreckigen Bullenschweine, wir schlagen euch tot“; nicht nur die Beamten selbst, auch „Ehefrauen von Angehörigen sind in ihren Arbeitskollektiven unsachlichen und beleidigenden Äußerungen wegen der Zugehörigkeit ihrer Ehepartner zur DVP ausgesetzt“ gewesen; vgl. Information über die Stimmung und Reaktion unter Angehörigen der bewaffneten Organe im Bezirk Halle vom 1.11.1989, BStU, AS Halle, BV Halle AKG Nr. 1111, Bl. 2. 232 Vgl. dazu: Thomas Lindenberger, Die „verdiente Tracht Prügel“. Ein kurzes Kapitel über das Lynchen im wilhelminischen Berlin, in: Lüdtke/Lindenberger (Hg.), Physische Gewalt, S. 190–212; im Hinblick auf die DDR: Alexander von Plato, Arbeiter-Selbstbilder in der DDR, in: Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ/DDR, S. 867–881. 233 Information über einige beachtenswerte Erscheinungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lageentwicklung vom 13.10.1989, BStU, ZA, ZAIG 6023, Bl. 4.

 

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tige, den Alltag der Menschen entscheidend beeinflussende Dimension.234 Angesichts der Auflösungserscheinungen der staatlichen Ordnung schwand zwar der repressionsbewehrte Konformitätsdruck der Mächtigen, nicht jedoch die Gültigkeit jener Normen und Konventionen, die sich in der alltäglichen Gemeinschaft der Gleichen herausgebildet hatten. Während das Bemühen um politische Integrität zunehmend obsoleter wurde, gewann das Bemühen um individuelle Integrität hingegen an Bedeutung.235 In diesem Sinne hatte etwa der Wehrleiter der Freiwilligen Feuerwehr in Plauen gehandelt. Nachdem es hier am 7. Oktober zwischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung zu schweren Auseinandersetzungen gekommen war,236 hatte er in brieflicher Form die Bevölkerung um Verzeihung dafür gebeten, dass sich seine Leute zum Wasserwerfereinsatz gegenüber den Demonstranten hatten missbrauchen lassen.237 Die Kritik, der sich die Angehörigen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ ausgesetzt sahen, kulminierte häufig in der Aufforderung, seine Zugehörigkeit zu dieser Organisation zu überdenken.238 Sie ließ keinen Zweifel

                                                             234 Der Begriff bei: Engler, Die ungewollte Moderne, S. 42; vgl. dazu auch: Lutz Marz, Beziehungsarbeit und Mentalität, in: Eva Senghaas-Knobloch/Hellmuth Lange (Hg.), DDRGesellschaft von innen: Arbeit und Technik im Transformationsprozess. Forum Humane Technikgesellschaft, Heft 5, Bonn 1992, S. 75–90. 235 Srubar spricht diesbezüglich von einer „paradoxen sozialen Beziehung, in der zwar die Symmetrie der Erwartungen erhalten bleibt – was ich von mir erwarte, erwarte ich auch von anderen –, in der aber die Wertung des gleichermaßen Erwarteten asymmetrisch ist – in bezug auf Ego und seine Netzwerke positiv, in bezug auf andere negativ“; zur „Selbstdefinition des Individuums als eines normalen, ,anständigen‘ Menschen gehört, ein loyales Verhältnis zur Familie im umfassendsten Sinne sowie zu den ,Freunden‘ zu haben, das den selbstverständlichen Anspruch auf ihre Versorgung durch die zur Verfügung stehenden Umverteilungsnetze einschließt“; vgl. Srubar, War der reale Sozialismus modern?, S. 425. 236 Zu den Ereignissen in Plauen im Einzelnen: Thomas Küttler/Jean Curt Röder (Hg.), Es war das Volk. Die Wende in Plauen. Eine Dokumentation, 5. Aufl., Plauen 1993; Thomas Küttler, Die Wende in Plauen, in: Alexander Fischer/Günther Heydemann (Hg.), Die politische „Wende“ 1989/90 in Sachsen. Rückblick und Zwischenbilanz, Köln/Weimar/ Wien 1995, S. 147–155; Conelly, Moment of Revolution. 237 Vgl. Erklärung der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Plauen zu den Maßnahmen mit Tanklöschfahrzeugen des Kommandos Feuerwehr am 7.10.1989, in: Küttler/Röder (Hg.), Es war das Volk, S. 41. 238 Vgl. Einschätzung der politisch-operativen Lage in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.10.1989, BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 106, Bl. 6; vgl. auch: Bericht, ohne Verf., undat., BStU, AS Magdeburg, BV Magdeburg AKG, Nr. 52, Bl. 320.

 

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daran, dass man alle individuellen Rechtfertigungsversuche an einem praktischen Kriterium maß: Der Konsequenz, mit der die Kämpfer bereit waren, ihrem ehemaligen Status abzuschwören.239 Tatsächlich bekundete mancher Kämpfer starke Betroffenheit über die unrühmliche Rolle der Kampfgruppen während der Herbstunruhen240 und fand es „unerträglich“, als „ein potentieller Schläger angesehen zu werden“.241 Anderen fiel es wiederum nicht leicht, sich von ihrem langjährigen Engagement zu distanzieren. „Es kann doch nicht war [sic] sein, dass wir als Versager unserer Gesellschaft hingestellt werden“, beschwerte sich etwa ein Görlitzer Kämpfer, der sich eigenen Angaben zufolge, „seit 22 Jahren […] für unsere Partei einschließlich unserer Kampfgruppeneinheit ,Bruno Gleisberg‘ den Arsch weg[gerannt]“ hätte.242 Mit dem Aufbrechen der „Faktizität der Fiktionen“ sahen sich auch die Angehörigen der Kampfgruppen einer Entzauberung ihrer Organisation ausgesetzt, die nicht selten mit der Einsicht einherging, sich jahrelang selbst über seinen eigenen Status getäuscht zu haben. Beschimpfungen wie „Abgestempelter“, „Sonntagskrieger“ oder „Gestriger“,243 mit denen die Kämpfer allerorts konfrontiert wurden, führten ihnen die (Selbst-)Verkehrung des proletarischen Mythos eindringlich vor Augen. Die Werte, die die Kampfgruppen repräsentierten – Kampf, unbedingter Einsatzwillen und Opfermut – und für die sie von Seiten des Regimes stets gerühmt worden waren, wurden nun offen und unwidersprochen als überzogen und überholt diffamiert. Wenn die Fiktion „endgültig zerbricht und die Mittelmäßigkei-

                                                             239 Vgl. Engler, Das peinliche Archiv, S. 107. 240 In diesem Zusammenhang ist besonders auf die, im Nachhinein vom MfS als Fehler bewertete Maßnahme zu verweisen, Kampfgruppen-Angehörige „in Zivil mit Schlagstock und Bauarbeiterhelm“ zum Einsatz zu bringen, vgl. Einschätzung der Kampfkraft und Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die im Vorfeld und in der Durchführung der Aktion „Jubiläum 40“ zum Einsatz kamen vom 23.10.1989, BStU, ZA, HA VII 68, Bl. 124; die Quelle gibt keinen Aufschluss darüber, wo und in welchem Umfang derart getarnte Schlägertrupps zum Einsatz kamen; diese Tarnung, die einerseits ganz auf eine gewaltsame Konfrontation zugeschnitten war, andererseits die Kämpfer kaum als Angehörige eines staatlichen Sicherheitsorgans – allenfalls der Staatssicherheit – erkennen ließ, offenbart die „terroristischen“ Absichten des Regimes: nicht nur bezweckte sie eine durch Anonymität beförderte Entgrenzung des Gewalteinsatzes, sie verschleierte solchermaßen auch die staatliche Verantwortung, indem Kämpfer, derart verkleidet, nicht als Repräsentanten des Regimes ausgemacht werden konnten. 241 Eingabe vom 26.11.1989 (Erfurt), SAPMO-BArch., DY 30/1361, Bl. 2; vgl. auch: Eingabe vom 28.10.1989 (Leipzig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 107. 242 Eingabe vom 3.11.1989 (Görlitz), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 314. 243 Eingabe vom 16.11.1989 (Weißig), SAPMO-BArch., DY 30/1361, Bl. 211.

 

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ten, die schäbigen Tricks, die kleineren oder größeren Bosheiten der eben noch Verehrten durch keine kollektive ,Übertragung‘ mehr verdeckt“ werden, entstehe nicht selten (Selbst-)Hass, so Engler.244 In diesem Sinne ist wohl die Aussage eines Kampfgruppen-Offiziers im VEB Wema Saalfeld in Thüringen zu deuten, der die Veränderungen vor Ort mit der Aussage „Bevor er sich in die Schnauze hauen lässt und wenn es um ,seins‘ geht, will er erst einige erschießen lassen“ kommentierte.245 Artikulierte sich hier wohl eher individuelle Frustration als ungebrochene Kampfbereitschaft – zumal die Kämpfer ohnehin keinen Zugang zu ihren Waffen besaßen –, trugen derartige Aussagen jedoch dazu bei, die Angst vor kämpferischen Übergriffen zu schüren. „Es gibt keinen Befehlsnotstand, auch in den Reihen der Kampfgruppen nicht“, sah sich ein Kämpfer aus Weißig immer wieder aufgefordert, seinen „Kollegen, Genossen und auch Kämpfern“ zu versichern.246 Sie fühlten sich offensichtlich genauso bedroht wie Angehörige eines Erfurter Betriebes, die an der Wandzeitung ihre Angst vor den Kampfgruppen zum Ausdruck gebracht hatten.247

„… In ihrer jetzigen Form von der Geschichte überholt“. Das Ende der Kampfgruppen „Unsere Waffen richten sich nicht gegen das Volk“, beteuerte auch Egon Krenz am 28. November in einem eigens „an die Kommandeure, Unterführer und Kämpfer in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ adressierten, öffentlichen Brief. „Im Gegenteil. Die gute Losung ,Wir sind das Volk‘ schließt auch jeden Angehörigen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse ein. Und so soll es bleiben!“248 Hatten die Kampfgruppen zu diesem Zeitpunkt ihre Tätigkeit bereits vollständig eingestellt,249 bleibt unklar, welche Motive Krenz dazu bewogen, sich in einem

                                                             244 Engler, Das peinliche Archiv, S. 115. 245 Vgl. Informationsschreiben des SED-Sekretärs VEB Wema Saalfeld vom 9.11.1989, in: Quellen zur Geschichte Thüringens: Thüringen 1989/90, I. Halbband, hrsg. von Jürgen John, Erfurt 2001, S. 104. 246 Eingabe vom 16.11.1989 (Weißig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 212. 247 Vgl. Eingabe vom 26.11.1989 (Erfurt), SAPMO-BArch., DY 30/1361, Bl. 2. 248 Brief des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an die Kommandeure, Unterführer und Kämpfer in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse der DDR vom 28.11.1989, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/2/2365, Bl. 45–47, hier: Bl. 47. 249 Der „Bericht über die Beendigung der Tätigkeit der Kampfgruppen der Arbeiterklasse verzeichnete das Ende aller Ausbildungen und ähnlicher Tätigkeiten für Ende Oktober

 

 

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Brief direkt an die Angehörigen des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“ zu wenden.250 Einige Tage zuvor war das MfS jedoch eher zufällig auf Aktivitäten innerhalb der Apparate gestoßen, die Kampfgruppen im Falle ihrer Auflösung in die Illegalität zu überführen. In Berlin-Köpenick hatten zwei Offiziere der Volkspolizei bereits damit begonnen, auf „zuverlässige“ Kämpfer einzuwirken. Sie beabsichtigten sicherzustellen, dass „bei einer Auflösung der KGEinheiten die zuverlässigen Kämpfer bereit wären, auf der Grundlage der bestehenden Strukturen unter Ausnutzung des Alarmsystems der KG der Arbeiterklasse weiterhin Aufträge der Partei illegal zu realisieren.“251 Die konspirativen Bestrebungen der beiden Offiziere waren jedoch aufgeflogen, weil ein Kämpfer, an den sie mit der Frage herangetreten waren, ob er sich auch „vorstellen könne, in der Illegalität mit der Waffe in der Hand zu arbeiten,“ als IM dem MfS verpflichtet war und seinem Führungsoffizier unverzüglich Bericht erstattet hatte. Seinen Angaben zufolge hätten die beiden VP-Offiziere bereits eine Liste mit dreizehn anderen Kämpfern erstellt, mit denen „verschwiegene und persönliche Gespräche“ ohne Hinzuziehung des zuständigen Parteisekretärs geführt werden sollten. Das MfS schob der konspirativen Tätigkeit jedoch unverzüglich einen Riegel vor. Der Führungsoffizier wurde angewiesen, „dem IM zu empfehlen, sich an seine zuständige Kreisleitung zu wenden und jegliche Tätigkeit, die gegen Verfassungsgrundsätze verstößt, zu unterlassen“.252 Überdies wurde von Seiten der MfS-Kreisdienststelle Berlin-Köpenick „Einfluss genommen, dass keine weiteren Gespräche der KG-Offiziere der VPI [Volkspolizeiinspektion] Köpenick mit Kommandeuren der Kampfgruppen in dieser Hinsicht erfolgen“.253 Nach einem Gespräch von Generalmajor Büchner mit dem stellvertretenden Minister für Staatssicherheit, Generalleutnant Schmalfuß, wurden alle „erforderlichen Maßnahmen zur Unter-

                                                                                                                                      

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1989; vgl. Bericht über die Beendigung der Tätigkeit der Kampfgruppen der Arbeiterklasse“, undat., BArchB., DO1/18.0/10201. Krenz selbst gibt in seinem autobiographischen Bericht der Ereignisse keinerlei Auskunft über die Gründe, die ihn zum Verfassen dieses Briefes bewogen haben; vgl. ders., Wenn Mauern fallen: die friedliche Revolution: Vorgeschichte, Ablauf, Auswirkungen, Wien 1990. Ergebnis der Überprüfung der Information der HA XVIII/5 zur Auflösung der Kampfgruppen vom 22.11.1989, BStU, ZA, Generalleutnant Neiber 552, Bl. 76. Schreiben vom Leiter der HA XVIII/5, Oberst Neuß, an den Leiter der HA XVIII, Generalleutnant Kleine, vom 18.11.1989, BStU, ZA, Neiber 874, Bl. 142. Schreiben des Leiters der HA VII, Generalmajor Büchner, an Generalleutnant Neiber vom 22.11.1989, BStU, ZA, Neiber 874, Bl. 76.

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bindung dieser und ähnlicher politischer Fehlhandlungen in eigener Verantwortung eingeleitet“.254 Dass sich das „Schwert und Schild der Partei“ solch konspirativen, dem Kampfauftrag der SED verpflichteten Bestrebungen entschieden entgegenstellte, mag angesichts der Haltung, die ihr Chef noch im September verkündet hatte, verwundern. In Rechnung zu stellen ist jedoch die immer deutlicher zutage tretende Tatsache, dass weder Krenz noch seine Mitverschwörer über den Sturz von Honecker hinaus über eine tragfähige Konzeption zur politischen Erneuerung verfügten.255 Vor diesem Hintergrund kann man von einer „Lähmung“ auch im MfS ausgehen, die insbesondere deren jüngere Mitarbeiter betraf.256 Wenn sie sich auch modernen Werten gegenüber weitgehend immun zeigten, verstanden sie sich kaum noch als „Revolutionäre“. Im Gegensatz zu den durch den „heißen“ und „kalten Bürgerkrieg“ geprägten Tschekisten der ersten und zweiten Generation, betrachteten sie sich vielfach hingegen als – im weitesten Sinne – Staatsdiener. In diesem Sinne mögen eine Anzahl Verantwortlicher, die nach dem kurzfristigen Ausscheiden älterer Kader nachzurücken begannen, von einem allein der Bewegung verpflichteten Selbstverständnis abgerückt sein – nicht zuletzt, um sich zukünftigen Machthabern als parteiunabhängiger, professioneller Nachrichtendienst zu empfehlen.257 Tatsächlich erwies sich die von Krenz initiierte „Wende“ zunehmend als Desaster, die den ramponierten Ruf der Regierungspartei nicht zu retten vermochte. Parteifunktionäre aller Ebenen, jahrzehntelang politisch offener Diskussionen in freier Rede und Gegenrede entwöhnt, zeigten sich dem gesellschaftlichen Dialog selten gewachsen. Ihre Auftritte waren eher dazu angetan, die Stimmung der Bevölkerung gegen sich und ihre Partei zusätzlich anzuheizen. Parteiaustritte häuften sich, insbesondere unter Arbeitern, deren Anteil an der Gesamtmitgliedschaft Ende 1989 noch 33 Prozent betragen hatte. Sie war im Frühjahr 1990 bis auf acht Prozent herabgesunken.258 Die Montagsdemonstrationen, die sich nicht mehr nur auf die Großstädte der Republik beschränkten, blieben gigantisch. Nachdem am                                                              254 Schreiben des Leiters der HA VII, Generalmajor Büchner, an Generalleutnant Neiber vom 22.11.1989, BStU, ZA, Neiber 874, Bl. 76. 255 Hertle, Der Fall der Mauer, S. 135; ders./Stephan (Hg.), Das Ende der SED, S. 59. 256 Vgl. dazu: Jens Gieseke, Die dritte Generation der Tschekisten. Der Nachwuchs des Ministeriums für Staatssicherheit in den „langen“ siebziger Jahren, in: Schüle/Ahbe/Gries (Hg.), Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive, S. 229–246. 257 Vgl. dazu auch: Walter Süß, Staatssicherheit am Ende. Warum es den Mächtigen nicht gelang, 1989 eine Revolution zu verhindern, Berlin 1999, S. 531f. 258 Dale, The East German Revolution, S. 80.

 

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1. November die Grenze zur Tschechoslowakei wieder geöffnet worden war, verließen erneut Tausende die DDR.259 Langjährige Parteimitglieder fühlten sich von ihrer politischen Führung im Stich gelassen, demoralisiert von der Zurückweisung ihrer Mitarbeiter und unsicher, weiterhin moralische Autorität zu beanspruchen. „Die Partei ist kaputt im Grunde genommen,“ brachte es ein ZK-Mitglied während der 10. ZK-Tagung, die eigentlich der Verabschiedung eines neuen Aktionsprogramms dienen sollte, auf den Punkt.260 Der „Kämpfer“ reklamierte in seiner letzten Ausgabe vom November unbeirrt und entgegen allgemein verbreiteter Ansichten innerhalb der Bevölkerung den Fortschritt für die Sache des Staatssozialismus. Zugleich unterstellte er all denjenigen, die für das Aufbrechen verkrusteter Strukturen und Wahrnehmungen auf die Straße gingen, das „Rad der Geschichte“ zurückdrehen zu wollen.261 Damit sprach er jedoch nicht für alle Kampfgruppen-Angehörigen. „Wir sind tief enttäuscht“, bekundeten die „noch verbliebenen Kämpfer der KGH ,Dr. Margarete Blank‘“ in einer Eingabe, „dass die Mitglieder der Kampfgruppen von der SED-Führung verraten wurden und als Bürgerkriegsmiliz missbraucht werden sollten“. Unmissverständlich forderten sie deshalb die Auflösung der Kampfgruppen: „Wir kamen zu der Einschätzung, dass die Existenz der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in ihrer jetzigen Form von der Geschichte überholt ist. Es kann nicht sein, dass unter gleichberechtigten Parteien nur eine über bewaffnete Kräfte verfügt. Noch weniger ist wünschenswert, dass alle Parteien bewaffnete Milizen aufstellen.“262

Die Angehörigen der Hundertschaft „Dr. Margarete Blank“ bestätigten auf diese Weise, dass die Kampfgruppen im Grunde keine staatliche, sondern eine aus dem Selbstverständnis der SED als einer militanten Kampfpartei resultierende Organisation seien. Andere zeigten sich durchaus überzeugt von ihrem Potential als überparteiliche Ordnungsmacht.263 Vorgeschlagen wurde, den Dienst in den Kampfgruppen fortan als eine Art „Ersatzdienst“, vergleichbar mit dem Zivildienst, zu begehen,264 oder eine „Umwandlung in einen gut funktionierenden

                                                             259 Maier, Das Verschwinden der DDR, S. 260f.; Hertle/Stephan (Hg.), Das Ende der SED, S. 59f. 260 Zit. nach: Hertle/Stephan (Hg.), Das Ende der SED, S. 81; vgl. auch: Dale, The East German Revolution, S. 80; Maier, Das Verschwinden der DDR, S. 267. 261 „An Stelle eines Leitartikels“, in: Der Kämpfer, Nr. 11, Jg. 33 (1989), S. 1. 262 Eingabe vom 16.11.1989 (Engelsdorf), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 270. 263 Eingabe vom 8.11.1989 (Erfurt), SAPMO-BArch. DY 30/1077, Bl. 6. 264 Vgl. Eingabe vom 16.11.1989 (Weißig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 212.

 

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Katastrophenschutz“ vorzunehmen.265 Ein bereits zitierter Erfurter Kämpfer – dem der Gedanke, als Schläger betrachtet zu werden, unerträglich war – schlug vor, „die Kampfgruppen als paramilitärische Einheiten aufzulösen und die bei den Angehörigen der Kampfgruppen vorhandene Bereitschaft zu gesellschaftlich notwendigem und sinnvollen körperlichem Einsatz außerhalb der Arbeitszeit zu nutzen“. Zwar beharrte er auf dem virtuosen Status der Kämpfer, der für ihn nicht in der Anwendung von Gewalt, sondern in der Bereitschaft zu sozialem Engagement zum Ausdruck kam. Zugleich entwarfen seine konkreten Vorschläge das Bild einer symbolischen Wiedergutmachung, etwa wenn Kämpfer „bei kommunalen Aufgaben im Bauwesen insbesondere bei der Werterhaltung bzw. Rekonstruktion innerstädtischer Altbaugebiete“ zum Einsatz kämen.266 Unumgänglich war für viele dazu eine „Auflösung des Unterstellungsverhältnisses der Kampfgruppen unter die SED“.267 Dazu zählte auch, die zentrale Gelöbnis-Passage „Weisungen der Partei“ in „Weisungen der Regierung“ umzuwandeln, wie Angehörige der Erfurter KGH „Fritz Noack“ verlangten.268 Gemeinsam mit anderen Einheiten verbanden sie mit dieser Maßnahme vermutlich die Hoffnung, dass derlei symbolische Akte zu einer „wieder Herstellung [sic] der Verbundenheit zur Bevölkerung“ führen könnten und eine Auflösung verhindern würden.269 „Kontrovers und emotional geführte Aussprache[n]“ wie auch eine Vielzahl an Eingaben verweisen darauf, dass zahllosen Kampfgruppen-Angehörigen das Schicksal ihrer Organisation keineswegs gleichgültig war.270 Nicht zuletzt gab es auch Kampfgruppen-Angehörige, für die eine Auflösung ihrer Organisation in der bisherigen Form „nicht zur Debatte“ stand. „Solange ,drüben‘ mit Waffen gerasselt wird, mal lauter, mal leiser, muss es auch Kampfgruppen geben,“ gab ein

                                                             265 Eingabe vom 28.10.1989 (Leipzig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 108. 266 Zugleich mahnte er an, „dass es geboten ist, einige der zahlreichen, auch von der Kampfgruppe genutzten Truppenübungsplätze der DDR zumindest teilweise zu liquidieren und der Bevölkerung wieder zugängig zu machen, zumal diese z. T. in landschaftlich reizvollen Gebieten in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten liegen […]. Bei der ,Zivilisierung‘ dieser Landschaften und Erschließung für die Bevölkerung könnten ebenfalls die Angehörigen der Kampfgruppe sinnvoll eingesetzt werden“; Eingabe vom 26.11.1989 (Erfurt), SAPMO-BArch., DY 30/1361, Bl. 3. 267 Eingabe vom 24.11.1989 (Großbeeren), SAPMO-BArch., DY 30/1077. 268 Eingabe vom 8.11.1989 (Erfurt), SAPMO-BArch. DY 30/1077, Bl. 6. 269 Eingabe vom 16.11.1989 (Weißig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 212; vgl. auch: Eingabe vom 16.11.1989 (Karl-Marx-Stadt), SAPMO-BArch., DY 30/1078, Bl. 73. 270 Vgl. Eingabe vom 24.11.1989 (Großbeeren), SAPMO-BARch., DY 30/1077.

 

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Kämpfer, der seit sechs Jahren „absolut freiwillig und aus Überzeugung“ den Kampfgruppen angehörte, seiner – ganz auf der Linie des Leitartikels der letzten „Kämpfer“-Ausgabe liegenden – Meinung Ausdruck.271 „Mehr denn je“ erfordere die „komplizierte Situation“, in der sich die DDR befinde, größte Wachsamkeit, beteuerte ein anderer Kämpfer aus Karl-Marx-Stadt. Die Waffen aus der Hand zu geben, sei mit Sicherheit ein großer Fehler, „denn es wird stark befürchtet, dass die notwendige Erneuerung unseres Staates sehr schnell konterrevolutionäre Züge erhält“. Was der betreffende Kämpfer sich darunter vorstellte, verhehlte er nicht: „Neofaschisten formieren sich, […]! Rauschgift, Pornoschund, Waffen und Munition sowie Sprengstoff werden eingeschleust und bald wird der Terrorismus auch in der DDR beginnen. Viele Angehörige der Kampfgruppen, Mitglieder der Partei und parteilose Werktätige befürchten, dass es nach der Auflösung der Kampfgruppen zu Pogromen gegen die ehrlichen Kommunisten, gegen Funktionäre kommt.“272

Rekurrierte dieser Kämpfer auf die „Anti-Agenda“ des Arbeiter-und-Bauern-Staates, die ihn zu einem Bollwerk gegenüber westlich-dekadenten Einflüssen hatte werden lassen, scheinen derartige Wahrnehmungsmuster überwiegend generationsspezifisch verankert gewesen zu sein.273 „Notwendiger denn je“ war es für eine Berliner Kämpferin, „den Kampfgruppen ihren ursprünglichen Inhalt – Schutz des territorialen Volksvermögens‘ [sic] in allen Ebenen wieder zu geben und damit gleichzeitig auch den Besitzerstolz am Volksvermögen als Motivation zu fördern“. Diese Forderungen verband sie mit der Sorge, dass angesichts der Leipziger Montagsdemonstrationen ihr „persönlich zu viele – auch eine wäre schon zu viel – schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt und zu laut die Forderung nach Wiederbzw. Vereinigung erhoben wurde“.274

                                                             271 Eingabe vom 16.11.1989 (Weißig), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 211. 272 Eingabe vom 16.11.1989 (Karl-Marx-Stadt), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 72; vgl. auch: Eingabe vom 8.12.1989 (Berlin), SAPMO-BArch., DY 30/1354, Bl. 7f. 273 Dahingehend, dass bereits eine längere Zugehörigkeit zu den Kampfgruppen die Entscheidung über ihren Verbleib beeinflusste, argumentierte ein Berliner Kämpfer: „Viele ältere Genossen stehen grundsätzlich gegen eine Auflösung, das [sic] sie mit der Kampfgruppe viele persönliche Bezugspunkte in ihrem Leben haben. […] Logisch gesehen betrachten viele, vor allem junge Genossen, ohne emotionale Bindung an die Kampfgruppen bzw. die Ereignisse um den 13. August 1961 eine ordentliche Auflösung der Einheiten als einzig möglichen Schritt“; Eingabe vom 17.11.1989 (Berlin), SAPMO-BArch., DY 30/1081. 274 Eingabe vom 8.11.1989 (Berlin), SAPMO-BArch., DY 30/1354, Bl. 67.

 

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Der Stolz auf das Errungene hier, die Angst vor Annexion da: Als Beweggrund für ihren Beitritt zu den Kampfgruppen hatte diese Kämpferin – eigenen Angaben zufolge in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, seit 1948 Mitglied der SED und seit 1953 Angehörige der Kampfgruppen – angegeben, dass „wer, wenn nicht wir, […] das so qualvoll und mühsam Errungene schützen und verteidigen“ solle. Damit artikulierte sie zugleich die Annahme und Verinnerlichung des generationsspezifischen Auftrages der Aufbau-Generation. Verband sich für zahllose Angehörige dieser Generationseinheit der Aufbau des Sozialismus – der immer auch als Abgrenzung gegenüber einer faschistischen Kontinuität im Westen kommuniziert wurde275 – mit dem eigenen Lebenswerk, blieb das Errungene zugleich zeitlebens den Kämpfen und Entbehrungen der vorangegangenen Generationen verpflichtet.276 „Wir können und dürfen nicht zulassen, dass die Arbeiterklasse wehrlos gemacht wird! Das sind wir dem Vermächtnis der gefallenen Kämpfer der Revolution […] allen Gefallenen des antifaschistischen Widerstandes schuldig“, argumentierte ganz in diesem Sinn der bereits zitierte Karl-Marx-Städter Kämpfer, eigenen Angaben zufolge seit 32 Jahren Angehöriger der Kampfgruppen.277 Dass sich in den Kampfgruppen die Essenz der kommunistischen Bewegung verkörpere, brachte ein Görlitzer Kämpfer in seiner Eingabe zum Ausdruck, in der er geradezu beschwörend auf Egon Krenz einschrieb: „Solltest du es nicht begreifen, dass wir das Herzstück unserer Partei sind, so geht der Sozialismus und unsere Partei unter!“278 In ihrem Antwortschreiben vom 27. November gab sich die SED dem Kämpfer gegenüber traditionsbewusst und bestrebt, für einen demokratischen Sozialismus zu „kämpfen“, in dem die Kampfgruppen „ihren festen Platz“ hätten. In der Tat war drei Tage zuvor ein von Egon Krenz unterzeichnetes Fernschreiben mit „Überlegungen zur künftigen Entwicklung der Kampfgruppen“ an alle 1. Sekretä-

                                                             275 Vgl. dazu: Jarausch, Die gescheiterte Gegengesellschaft. 276 Vgl. dazu: Wierling, The Hitler Youth Generation in the GDR; Ahne/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 502–518; Zwahr, Umbruch durch Ausbruch und Aufbruch. 277 Eingabe vom 16.11.1989 (Karl-Marx-Stadt), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 72. 278 Wie wichtig dem Kämpfer sein Anliegen war, unterstreicht die folgende Formulierung: „Ich hoffe und erwarte, dass du [sic] mir persönlich antwortest und nicht die zweite Garnitur“; Eingabe vom 3.11.1989 (Görlitz), SAPMO-BArch., DY 30/1077, Bl. 314; das Antwortschreiben vom 27.11.1989 bekundete: „Deine Hoffnung und Erwartung, dass Genosse Egon Krenz Dir persönlich antwortet, ist beim besten Willen nicht zu erfüllen. In der Partei […] gibt es weder eine ,erste‘ noch eine ,zweite‘ Garnitur.“; ebd., Bl. 315.

 

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re der Bezirks- und Kreisleitungen herausgegangen.279 Darin wurde eine Reduzierung der Ausbildungszeit und eine 25prozentige Reduzierung aller Kampfgruppen-Einheiten angeregt, die schweren Hundertschaften der Bataillone sowie die Flak-Züge sollten ganz aufgelöst werden. Zum ersten implizierten diese Vorschläge, dass die Kampfgruppen fortan ihrer Funktion innerhalb der militärischen Landesverteidigung enthoben würden.280 Zum zweiten schränkte der Verzicht auf das „Sperren und Räumen von Straßen und Plätzen“ – den die Überlegungen gewiss gerade deshalb vorschlugen, weil er vor allem dazu angetan war, unliebsame Erinnerungen an die Rolle der Kampfgruppen während der „friedlichen Revolution“ zu wecken – auch mögliche polizeitechnische Verwendungen von vornherein erheblich ein. Ihre grundsätzliche Aufgabenstellung – das „Volkseigentum, die Betriebe, lebenswichtigen Anlagen und Objekte sowie Einrichtungen zu schützen und zu verteidigen und sie somit vor Schaden und Störungen zu bewahren“ – blieb hingegen unverändert. Wegfallen sollte zukünftig jedoch die strittige Gelöbnis-Passage „die Weisungen der Partei zu erfüllen“, die alle Angehörigen auf die SED verpflichtet hatte.281 Auch, wenn die Kampfgruppen weiterhin als „Schutzorgan […] der Arbeiterklasse“ fungieren sollten, würden sie ihre Befehle zukünftig vom Innenministerium, einer formal staatlichen Institution, erhalten.282 Zeigten sich die Überlegungen bemüht, das Fortbestehen der Kampfgruppen zu gewährleisten, ließen sie zugleich deutlich werden, dass das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ zu keinem Zeitpunkt einer staatlichen Institution entsprochen                                                              279 Überlegungen zur künftigen Entwicklung der Kampfgruppen. Anlage Nr. 1 zum Protokoll Nr. 125 vom 24.11.1989, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3/4467, Bl. 7–10. 280 Anlage Nr. 1 zum Protokoll Nr. 125 vom 24.11.1989, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3/4467, Bl. 7f.; wegfallen sollten in Zukunft auch mit dieser Funktion korrespondierende Ausbildungsinhalte wie „Panzernahbekämpfung“ und Gefechtsübungen bei Nacht. 281 Der Wortlaut des Gelöbnisses sollte zukünftig wie folgt lauten: „Ich bin bereit, als Kämpfer der Arbeiterklasse der Deutschen Demokratischen Republik, meine sozialistische Heimat, jederzeit mit der Waffe in der Hand zu schützen und mein Leben für sie einzusetzen“; Überlegungen zur künftigen Entwicklung der Kampfgruppen. Anlage Nr. 1 zum Protokoll Nr. 125 vom 24.11.1989, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3/4467, Bl. 7. 282 Auch, wenn die Kampfgruppen fortan jedem Werktätigen offenstehen sollten, zeigte sich die SED jedoch nicht gewillt, ihren Einfluss auf die Miliz gänzlich aufzugeben; vielmehr hegte sie explizit die Hoffnung, dass ihr Einfluss „durch die Mitglieder der SED in den Einheiten verwirklicht“ würde, von denen erwartet wurde, dass sie auch zukünftig die überwiegende Mehrheit aller Kämpfer bilden würden; Überlegungen zur künftigen Entwicklung der Kampfgruppen. Anlage Nr. 1 zum Protokoll Nr. 125 vom 24.11.1989, SAPMO-BArch., DY 30/J IV 2/3/4467, Bl. 7.

 

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hatte. War der Schutz lebenswichtiger Objekte und Einrichtungen immer schon auch Aufgabe des Betriebsschutzes, respektive der Polizei bzw. der Armee gewesen, gingen Sinn und Zweck der Kampfgruppen deshalb nicht in einer ausschließlich sicherheitspolitischen Funktion auf. Vielmehr war er unauflöslich mit einem bestimmten Politikverständnis verbunden, das ganz im Zeichen eines „latenten Bürgerkrieges“ stand und dessen Kern Gewalt als ultimativer Qualitätsbeweis politischer Partizipation bildete. Ihr Auftrag als „Schutzorgan der Arbeiterklasse“, von der sich auch die Überlegungen nicht lösen konnten, war nur verständlich vor dem Hintergrund eines imaginierten Klassenkampfes bzw. Bürgerkrieges. Denn ihre Funktion galt weniger dem tatsächlichen Schutz der sozialistischen Errungenschaften bzw. ,lebenswichtigen Objekten und Einrichtungen‘ (für den eben auch Armee, Polizei und MfS zuständig waren), sondern verfolgte in erster Linie die Absicht, alle werktätigen Bürger des Arbeiter-und-Bauern-Staates zu militantem Klassenbewusstsein anzuhalten. Eben diese Funktion gab dann auch den Ausschlag dafür, dass nur wenige Tage später, auf dem außerordentlichen Parteitag der SED am 8./9. bzw. 16./17. Dezember, die Auflösung der Kampfgruppen beschlossen wurde.283 Bereits am 1. Dezember war der Führungsanspruch der „Arbeiterklasse und ihrer marxistischleninistischen Partei“ aus der DDR-Verfassung gestrichen worden. Am 3. Dezember war Krenz – genauso wie das Politbüro und das ZK – zurückgetreten und hatte alle politische Verantwortung an einen 25köpfigen Arbeitsausschuss abgetreten.284 Der „Kollaps der alten Garde“285 warf die Frage nach einem neuen, kon-

                                                             283 Zum außerordentlichen Parteitag vgl. Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS. Protokoll der Beratungen am 8./9. und 16./17. Dezember 1989 in Berlin, hrsg. von Lothar Hornbogen/Detlef Nakath/Gerd-Rüdiger Stephan, Berlin 1999; die Unterbrechung des Parteitages um eine Woche war in den Planungen des zuständigen Arbeitsausschusses von Anfang an vorgesehen gewesen; vgl. dazu: Gero Neugebauer, Von der SED zur PDS 1989 bis 1990, in: Andreas Herbst/Gerd-Rüdiger Stephan/Jürgen Winkler (Hg.), Die SED. Geschichte–Organisation–Politik. Ein Handbuch, Berlin 1997, S. 100–116, hier: S. 108. 284 Zum „Ende der marxistisch-leninistischen Arbeiterpartei in der DDR“, wie Hans Modrow die letzte Tagung des Zentralkomitees genannt hat, vgl. Hertle/Stephan (Hg.), Das Ende der SED; Gerd-Rüdiger Stephan, Die letzten Tagungen des Zentralkomitees der SED 1988/89. Abläufe und Hintergründe, in: DA 26 (1993), H.3, S. 296–; das Zitat von Modrow in: ders., Ich wollte ein neues Deutschland. Mit Hans-Dieter Schütt, Berlin 1998, S. 372. 285 Konrad H. Jarausch, Die unverhoffte Einheit. 1989–1990, Frankfurt a. Main 1995, S. 88ff.

 

Die (Selbst-)Verkehrung des proletarischen Mythos

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sensfähigen Selbstverständnis auf, das schließlich mit der Zulegung eines neuen Namens286 auch symbolisch zum Ausdruck gebracht wurde. Bereits in seinem einleitenden Referat „zur Formierung einer modernen Partei des demokratischen Sozialismus“ hatte der designierte Parteivorsitzende Gregor Gysi für die Auflösung der Kampfgruppen plädiert.287 Nicht zuletzt, weil das neue „politische System der DDR […] nur nach dem Prinzip gewaltfreier Auseinandersetzung auf der Grundlage des Verfassungskonsens“ erfolgen könne, zählte Gysi die Zukunft der Kampfgruppen zu den fünf zentralen Fragen seiner Ausführungen. Zwar rangierte sie erst hinter den Fragen nach einem angemessenen Begriff des Sozialismus, der Notwendigkeit eines neuen Parteinamens und der Haltung zum Leistungsprinzip, aber noch vor der Frage nach der Zukunft des Amtes für Nationale Sicherheit, immerhin der Nachfolgeinstitution des MfS. Gysi honorierte durchaus den „Beitrag der Mitglieder, die jahrelang ihre Freizeit für die Ausbildung geopfert haben“. In Anbetracht der „Gründungsmotive“, die den Kampfgruppen zugrunde gelegen hätten, machte er jedoch deutlich, „dass sie nicht mehr zeitgemäß sind“.288 Notierte das Protokoll des Parteitages Beifall für seine Forderung nach einer umgehenden Auflösung, blieb sie unter den Delegierten in der Tat unwidersprochen. Am 14. Dezember fasste der Ministerrat der DDR schließlich den Beschluss, ihre Tätigkeit zu beenden.289 Insgesamt waren 2022 Einheiten mit 189.370 Ange-

                                                             286 Der außerordentliche Parteitag hatte über eine endgültige Namensänderung der SED in PDS – „Partei des Demokratischen Sozialismus“ – nicht abschließend entschieden, sondern dafür plädiert, „nachdem ein Parteiengesetz in Kraft ist und wir genau wissen, wie das zu handhaben ist, […] basisdemokratisch die Frage des endgültigen Namens der Partei noch einmal [zu] entscheiden. Ob es dann der alte Name wird, oder ,Sozialistische Partei in der DDR‘ oder ,Partei des Demokratischen Sozialismus‘ oder ob wir uns an diese Koppelung gewöhnen und sie behalten, das wollen wir dann entscheiden, wenn es soweit ist, und heute und hier nichts gefährden“; Gregor Gysis, zit. nach: Außerordentlicher Parteitag, S. 304f.; nachdem im Anschluss an den Parteitag zunächst das Kürzel „SED/PDS“ gebräuchlich war, wurde schließlich am 4. Februar 1990 durch den neuen Parteivorstand entschieden, sich fortan auf den Parteinamen „Partei des Demokratischen Sozialismus“ zu beschränken. 287 Die Entwaffnung der Kampfgruppen war vom amtierenden Innenminister Lothar Arendt bereits am 6. Dezember verfügt worden; vgl. dazu: Wagner, Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, S. 326. 288 Gregor Gysi, zit. nach: Außerordentlicher Parteitag, S. 66. 289 Beschluss über die Beendigung der Tätigkeit der Kampfgruppen der Arbeiterklasse vom 14.12.1989, BStU, ZA, SdM 1508, Bl. 140–142.

 

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Die (Selbst-)Verkehrung des proletarischen Mythos

hörigen zu demobilisieren.290 Ihre Ausrüstung wurde von der DVP übernommen und entweder verkauft oder vernichtet. „So schnell konnten se gar nich` gucken, wie das Zeug alles dann verschwunden war aus den, aus unserem Kampfgruppengebäude“, erinnert sich Anton Werner aus Piesteritz an die Auflösung seiner Einheit.291 „Das war innerhalb einer Nacht alles verschwunden“, beschrieb auch Max Fidorra die Demobilisierung seiner Einheit, die sich vollzog, ohne dass die Angehörigen seiner Einheit davon erfahren hätten.292 Einerseits reflektiert die zügige Demobilisierung, die – wie Herr Fidorra deutlich macht – teilweise ohne Wissen der Kampfgruppen-Angehörigen selbst durchgeführt wurde, eine weiterhin vorhandene Angst, dass die Kampfgruppen sich am Ende doch noch gegen den Gang der Ereignisse wenden könnten. Andererseits spricht sie wiederum für die vollkommene (Selbst-)Verkehrung des Proletarischen Mythos. So hatte die zweite Durchführungsanweisung zum Auflösungsbefehl vorgesehen, eine Auflösung der Kampfgruppen „in würdiger Form“ vorzunehmen. „Aufgrund der angespannten Stimmungslage sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Kampfgruppenangehörigen selbst“ war das jedoch „nur in Ausnahmefällen möglich und zweckmäßig“.293 Die neuaufgestellte Regierungspartei zeigte sich bemüht, demonstrativ und unmissverständlich „von vorn anfangen“ zu wollen, gewissermaßen „in einer offenen Gegend“, wie es Robert im Roman von Thomas Brasch eingangs formuliert hatte. Dafür musste sie jedoch, wollte sie sich nicht jede Glaubwürdigkeit für eine politische Zukunft verspielen, sich schnell und endgültig der Kampfgruppen entledigen. Der Stolz der „letzten Revolutionäre“ stellte nach der „Wende“ nicht mehr dar als die Schmach einer langjährigen „Faktizität der Fiktionen“.

                                                             290 Vgl. Bericht über die Beendigung der Tätigkeit der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“, undat., SAPMO-BArch., DO1/18.0/10201; im Bezirk Halle existierten zu diesem Zeitpunkt nominell 249 Einheiten mit 25.056 Kämpfern; im Bezirk Magdeburg 155 Einheiten mit 14.272 Kämpfern. 291 Interview mit Anton Werner (26.7.2006), Transkript, S. 6. 292 Interview mit Max Fidorra (6.7.2006), Transkript, S. 8. 293 Vgl. Abschlussbericht über die planmäßige Beendigung der Tätigkeit der Kampfgruppen der Arbeiterklasse des Bezirks Halle vom 7.5.1990, SAPMO-BArch., DO1/18.0/10201.

 

Schlussbetrachtung

„Die straffe Konzentration des Radikalismus auf seine fixe Idee aber birgt für ihn eine Gefahr in sich: die Gefahr, dass er aus einer kämpfenden Richtung, aus einer gefühls- und willensmäßig auf pathetischen Kampf gerichteten geistigen Haltung zu einem boshaften Zerrbild solcher Haltung wird. Zu einer Haltung, die um des Möglichen willen sich von der Wirklichkeit abkehrt und die, vor die Aufgabe gestellt, die Möglichkeit zur Wirklichkeit zu machen, nicht antwortet mit wirklichem Kampf und schöpferischer Tat, sondern mit jener Geste, die alles, was wirklich ist und Wirklichkeit gewinnen kann, verwirft um des Möglichen willen und die uns vertröstet auf das, was sie einst leisten werde – ohne es jemals wirklich zu leisten.“1

Die Möglichkeit zur Wirklichkeit zu machen – so stellte sich den „letzten Revolutionären“ die Situation nach 1945 dar. Aus dem Untergrund, Gefängnis oder Exil an die Macht gelangt, begaben sie sich daran, den ,ersten Arbeiter-und-BauernStaat auf deutschem Boden‘ zu errichten. 45 Jahre später stand in Berlin der Umgang mit einer der politisch-kulturellen Repräsentationen dieses Projekts zur Debatte, die dessen zugrunde liegende „fixe Idee“ par excellence zum Ausdruck brachte: Das 1983 eingeweihte Denkmal zu Ehren der Kampfgruppen der Arbeiterklasse. „Im Interesse einer öffentlichen Aufarbeitung der Geschichte“ plädierte das Kulturamt Prenzlauer Berg, in dessen Zuständigkeitsbereich das Denkmal fiel, im September 1990 gegen dessen umgehende Beseitigung. Obwohl es nach seiner Ansicht „zweifellos eine Provokation dar[stellte]“, bereite seine Entfernung nur einer vorschnellen Entsorgung den Weg, mahnte das Kulturamt. Sie würde die Bürgerinnen und Bürger der Last entheben, sich mit den Zeugnissen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Angeregt wurde deshalb eine öffentliche Auseinandersetzung über die Bedeutung des monumentalen Relikts – ein Vorschlag, dessen Resonanz in nicht einmal zehn Zuschriften von Seiten der Bevölkerung des Berliner Stadtviertels bestand.2 Das Bezirksamt hatte kritisch kommentierende Tafeln zur Genese des Denkmals sowie zwei Segmente der Berliner Bauer als assoziatives Kontrastprogramm in unmittelbarer Nähe aufstellen lassen. Darüber hinaus fand das Denkmal die

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Geyer, Der Radikalismus, S. 57. Vgl. dazu: Thomas Flierl, Möglichkeiten eines aktiven Umgangs mit der DDR-Geschichte. Projekte der Geschichtsarbeit im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung, H. 32 (1992), S. 232–250.

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Schlussbetrachtung

Aufmerksamkeit zweier Berliner Künstler, Reinhard Zabka und Ben Wagin. Sie überspannten das Ensemble mit Schnüren, um Kletterpflanzen, die das Werk überwachsen sollten – so die Absicht der Künstler – den nötigen Halt zu geben. Allerdings wurde diese Idee einer organisch wachsenden Pflanzenhülle, auf die auch andere Künstler im Umgang mit den monumentalen Relikten des Staatssozialismus zurückgriffen, schon bald wieder verworfen, weil die Pflanzen schlichtweg zu langsam wuchsen. Dafür provozierte das Denkmal noch eine Reihe anderer Reaktionen. Angehörige der Jungen Union überspannten es in Christo-Manier mit einem weißen Tuch, das auf diese Weise verwendet Assoziationen eines Totentuches weckte. Angehörige des Neuen Forums wiederum umwickelten es mit Stacheldraht, um es solchermaßen vor einem Abbau zu schützen.3 Trotz alledem – die Intensität der in den Medien und politischen oder künstlerischen Gruppierungen geführten Debatte um Bedeutung und Zukunft des Denkmals stand in keinem Verhältnis zu dem Ausbleiben einer nennenswerten Reaktion von Seiten der Bevölkerung. Deren Teilnahmslosigkeit wiederum scheint all die Enttäuschung zu reflektieren, die dem Radikalismus – folgt man Curt Geyer – notwendig zu eigen ist. Von den Repräsentationen eines Staates, der ununterbrochen das Engagement seiner Bürger eingefordert hatte, ohne sich dabei willens oder in der Lage zu zeigen, es in eine historisch sinnvolle Richtung zu lenken – wie der politische und ökonomische Bankrott ,ihres‘ Arbeiter-und-BauernStaates ihnen scheinbar bewiesen hatte –, wollte man in der unmittelbaren „Wendezeit“ nichts mehr wissen.4 Bemerkenswert bleibt, dass sich diese Art von „gekränktem Staatsbürgertum“ – die bei den ersten freien Wahlen des Landes im März 1990 zu einem überwältigenden Wahlsieg der „blühende Landschaften“ versprechenden CDU führte – (auch) am Denkmal für die Kampfgruppen artikulierte. Sie verweist auf den kompletten Bruch mit einer politischen Agenda, in deren Zentrum stets der Ausnahmezustand gestanden hatte. Er bildete – weniger als konstitutionelle Kategorie denn als politisch-kulturelle „Denkwirklichkeit“ (Hans Mayer)5 – bis zuletzt das zentrale Axiom der „uncivil society“, wie die Äußerungen Friedrich Dickels oder Erich Mielkes im Herbst 1989 gezeigt haben. Tatsächlich vermochten die vom Untergrund an die Macht gelangten „letzten Revolutionäre“ sich von der Vorstellung einer permanenten,

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Paul Kaiser/Andreas Kämper, Gestürzte Helden, gestürzte Welten. Beobachtungen zum Umgang mit den politischen Denkmälern und Wandbildern nach dem Ende der DDR, in: Kaiser/Rehberg (Hg.), Enge und Vielfalt, S. 375–381. Vgl. dazu: Engler, Das peinliche Archiv. Vgl. dazu: Kotkin, Uncivil Society, S. 15f.

Schlussbetrachtung

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subversiven wie offenen Bedrohung ihrer Errungenschaften durch den Klassenfeind niemals zu lösen. Diese Vorstellung bildete den Grundstein für die „fixe Idee“, dass um den Erhalt und den Ausbau dieser Errungenschaften letztendlich immer gekämpft werden müsse. Im Dezember 1989, als alle Angehörigen der SED-Führung aufgefordert wurden, ihre persönliche Waffe, die sie bis dahin zu tragen berechtigt waren, abzugeben, brachte Bernhard Quandt, KPD-Mitglied seit 1922,6 mit fast versagender Stimme im Zentralkomitee vor: „Und dann krieg ich einen telefonischen Anruf. […] Ja, es kommt ein Genosse zu dir, der hat einen besonderen Auftrag. Und der Genosse, das ist ein junger Genosse, ich weiß gar nicht, wer das ist … Der sagt: ,Genosse Quandt, ich soll die persönliche Waffe, die sie haben, von ihnen abholen.‘ Nee, hab ich ihm gesagt. Bestellen sie dem Genossen Schwanitz einen schönen Gruß von mir, die persönliche Waffe kriegt er von mir im Zentralkomitee, die ich bisher zur Verteidigung der Revolution benutzt habe, kriegt er von mir im Zentralkomitee persönlich ausgehändigt.“7

Wenn diese Episode aus dem Dezember 1989 eher grotesk anmutet, verweist sie doch auf ein zentrales Element kommunistischen Selbstverständnisses, das zumindest innerhalb der Führungsriege der SED bis zuletzt wirksam war. Ein Kommunist trägt eine Waffe (und untermauert damit seine Entschlossenheit, die „Revolution zu verteidigen“, wie Quandt sagte) und die gibt er auch nicht einfach auf (schon gar nicht händigt er sie jemandem aus, den er nicht kennt).8 Der hohe Stellenwert, den „Gemeinschaft“ im Arbeiter-und-Bauern-Staat besaß, erklärt sich – wenigstens aus der Perspektive seiner Avantgarde betrachtet – auch aus der Untergrund-Erfahrung der „letzten Revolutionäre“. Er war zugleich – wie das Beispiel der Kampfgruppen, im Grunde aber jeder anderen politischen Organisa-

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Bernhard Quandt (1903–1999), gelernter Eisendreher, war 1920 der SPD beigetreten, 1922 der KPD; während der Weimarer Republik zeitweilig Landtagsabgeordneter von Mecklenburg-Schwerin; nach 1933 mehrfach inhaftiert, 1939–45 in Sachsenhausen und Dachau; 1951 zum Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern ernannt, nach der Auflösung der Länder 1952–1974 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung in Schwerin; Mitglied des ZK der SED und seit 1958 auch Mitglied des Staatsrates; Müller-Enbergs/ Wielgohs/Hoffmann (Hg.), Wer war wer, S. 675f. Zit. nach: Hans-Hermann Hertle (Hg.), Das Ende der SED. Die letzten Tage des Zentralkomitees, Berlin 1997, S. 471; Generalleutnant Wolfgang Schwanitz (geb. 1930), im MfS seit 1951, war seit Mitte der 1980er Jahre einer der Stellvertreter Erich Mielkes und nach der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der Leiter von dessen Nachfolgeorganisation, dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS); zu seiner Person vgl. Müller-Enbergs/Wielgohs/Hoffmann (Hg.), Wer war wer, S. 781. Vgl. Bergien, Erstarrter Bellizismus, S. 55.

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Schlussbetrachtung

tion der DDR auch, zeigt – entsprechend modelliert.9 Gewöhnliche Werktätige, die sich in ihrer Freizeit freiwillig im Umgang mit Waffen übten, erwiesen sich auf diese Weise als klassenbewusste Bürger, die eine besonders wichtige Lehre der jüngeren Vergangenheit – eben, dass zum Arbeiter das Gewehr gehöre – beherzigten. Weil die Angehörigen der Kampfgruppen diese Lehre beherzigten, wurden sie in der realsozialistischen Gesellschaft stets als ,Virtuosen‘ vorgestellt. Die Verortung der Kampfgruppen im Betrieb als dem zentralen Vergesellschaftungskern der DDR resultierte deshalb weniger aus abschreckungstaktischen Gründen. Vielmehr versuchte sie im Rekurs auf die „revolutionäre“ Tradition der KPD – die Selbsthilfe und -verteidigungsinitiativen der organisierten Arbeiterbewegung gegenüber gegenrevolutionären Freikorps und Wehrverbänden in der Weimarer Republik – und ihrer mythischen Überhöhung ein Gefühl der Verbundenheit und Verantwortung mit ,ihren‘ Errungenschaften zu stiften. Die „Liebe zur DDR“ (Wierling), die von der staatlichen Propaganda beständig beschworen wurde, die „familiäre“ Verbundenheit von Individuum und Kollektiv im Arbeiter-und-Bauern-Staat, war Ausdruck und Anspruch einer „symbiotischen“ Bindung. Sie sollte jedoch nicht dem Staat, sondern der Bewegung – was den politischen Charakter der DDR reflektiert – bzw. ihrer politischen Avantgarde, der Partei – was wiederum deren diktatorischen Charakter reflektiert –, gelten. Dass Partei und Staat in der DDR identisch waren, führte nicht nur dazu, dass, nachdem sich die SED politisch desavouiert hatte, auch die Idee eines „besseren Deutschlands“ keine Chance mehr besaß. Sie rückte zugleich das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ vom Zeitpunkt seiner Gründung an in ein zwielichtiges Licht, selbst in den Augen seiner überzeugtesten Fürsprecher. So sehr der Ausnahmezustand als latentes Paradigma des Regierens im Staatssozialismus eine machtsichernde und -ermöglichende Dimension besaß, so sehr war ihm zugleich – wie der 17. Juni 1953 gezeigt hatte – eine machtbedrohliche, mithin traumatische Dimension zu eigen. Denn versteht man den Juni-Aufstand als Protest der Klasse gegenüber ihrer selbsternannten Avantgarde, musste sich die Gründung der Kampfgruppen im Anschluss an dieses Ereignis (wie auch die von Anfang an dominante Präsenz von SED-Angehörigen in ihren Reihen) zweifelhaft ausnehmen. Galt ihre Funktion fortan dem Schutz der sozialistischen Errungenschaften vor konterrevolutionären Angriffen oder waren damit in erster Linie die Errungenschaften der SED-Herrschaft gemeint?

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Vgl. Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 77.

Schlussbetrachtung

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Die befand sich im Sommer 1953 in einer schweren Krise. Wie interne Untersuchungen im Anschluss an den Aufstand gezeigt hatten, war die Parteibasis tief verunsichert. Vor dem Hintergrund desaströser ökonomischer Verhältnisse, die nicht zuletzt einen gewichtigen Anlass zum Aufstand gegeben hatten, besann sich die SED auf die religiösen Implikationen ihrer Bewegung. Die Invokation des proletarischen Mythos, den die Kampfgruppen verkörperten, diente in diesem Sinne nicht nur einem „vereinheitlichten Sich-zu-einander-Verhalten, das keine ,Grundprobleme‘ zur Entscheidung, nur Angelegenheiten zur Regelung kennt“. Sie erschöpfte sich auch nicht in der Absicht, eine „Überlegenheit, sei [sie] moralischer, sei [sie] psychologischer Art“ zu stimulieren.10 Vielmehr zielte sie zugleich darauf, die Bevölkerung auf den Kampf, den der Sozialismus zu bestehen hätte, einzuschwören. Bereits Hannah Arendt hat in ihrer großen Untersuchung über die „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ darauf hingewiesen, dass Mobilisierung in totalitären Regimes immer auch mentale und körperliche Zurichtung bedeutet. Indem das Individuum in eine Organisation eingebunden wird, „wird eine Konsequenz und Stimmigkeit [der Gesinnung; T.S.] erreicht, mit der die wirkliche Welt und die nicht verabsolutierte Erfahrung nie und nimmer in Konkurrenz treten können. Die Organisation der totalitären Bewegung entspricht aufs Genaueste dieser in der Propaganda errichteten Stimmung einer fiktiven Welt. In ihr vermag die Bewegung die Aufdeckung aller spezifischen Lügen zu überleben, weil die Konsequenz der Fiktion als solches eine ,höhere‘ Wahrheit zu repräsentieren scheint“.11

Auch wenn sich ihr Fazit im Fall der DDR nicht bewahrheiten sollte, unterstreicht Arendt die zentrale Bedeutung, die das Eingebundensein für die Ausformung eines entsprechenden Bewusstseins besitzt. Aber auch sie vollzieht sich weder automatisch noch eindeutig. Kann man die Kampfgruppen in der Arendt’schen Terminologie als „Frontorganisation“ bezeichnen, zeichnen die sich gewöhnlich durch die Demonstration einer „kämpferischen Gesinnung“ und einer antibürgerlichen Haltung aus.12 So revitalisierte auch die Gründung der Kampfgruppen das Bild des Partisanen, der sich Carl Schmitts Definition zufolge durch eine „absolute“ (und „unabhängige“) Gesinnung auszeichnet.13 Zwar wies die Ausbildung der Kampfgruppen in ihrer Formierungsphase überwiegend improvisierte Züge auf, erwies sich auch die Durchsetzung einer strikt militärischen Diszi-

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Siberski, Untergrund und offene Gesellschaft, S. 77. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 763. Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 777. Vgl. dazu: Schmitt, Der Partisan.

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Schlussbetrachtung

plin vielfach als schwierig. Was die hochsensibilisierten „misstrauischen Patriarchen“ im Schatten des Juni-Aufstandes schnell als gefährliche Abweichung zu deuten geneigt waren, erweist sich jedoch vor allem als „Partisanenromantik“. Wohl dünkten einige Kampfgruppen-Angehörige sich als eine den Geist der Bewegung verkörpernde Elite, wie etwa Ressentiments gegenüber den der Ausbildung sehr reserviert gegenüberstehenden, höhergestellten (Wirtschafts)Funktionären zeigen. Gegen die Avantgarde aufzubegehren, lag ihnen jedoch fern. Tatsächlich erfüllte die „Visibilitätsreserve“ im Herbst 1956 die in sie gesetzten Erwartungen – wie schon der Aufmarsch anlässlich des 25jährigen Jubiläums der „Märzaktion“ im Frühjahr desselben Jahres gezeigt hatte, jedoch weniger aus politischer Überzeugung, denn aus Begeisterung darüber, dass „etwas los“ (Goffman) war. Individuelle Ansprüche, sich als Teil eines größeren Ganzen fühlen zu können und die Lust nach Nervenkitzel korrespondierten jedoch mit den Mobilmachungsabsichten der SED und profitierten nicht zuletzt davon, dass die Partei die in den Kampfgruppen aktiven Werktätigen als proletarische Virtuosen präsentierte. Waren die Kampfgruppen auf betrieblicher Basis organisiert, schlug ihren Angehörigen hier jedoch ein anderer Wind entgegen. Von Anfang an sahen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass, wer sich in den Kampfgruppen engagiere, doch nur zu faul zum arbeiten sei. Ob derartige Vorwürfe als „hidden transcript“ fungierten, seinen Unmut über die Existenz dieser Organisation zu artikulieren, oder gewissermaßen das „public transcript“ einer „arbeiterlichen“ Gesellschaft, die den gesellschaftlichen Wert eines Menschen nach seiner Arbeitsleistung bemaß, aufnahmen, muss dahingestellt bleiben. Wahrscheinlich ist, dass sich je nach der politischen Groß-, aber auch Kleinwetterlage (etwa, wenn im eigenen Betrieb Geld, das für dringend notwendige Reparaturen benötigt wurde, stattdessen für die militärpolitische Arbeit verwendet wurde) beide Momente abwechselten und vermengten. Festzuhalten ist, dass Hohn und Spott, aber auch die Nichtberücksichtigung bei Prämienzuteilungen, symbolische Mittel und Wege waren, mit denen die zivilen Betriebsangehörigen ihren Unmut über die Existenz dieser Organisation artikulierten. Zugleich konnten sie solchermaßen den Enthusiasmus derjenigen, die bereit waren, sich in den Kampfgruppen zu engagieren, beeinträchtigen. Zeigen sich in diesen Maßnahmen Bestrebungen, die Autonomie der Produktionssphäre gegenüber den Durchherrschungs-Ambitionen der SED zu behaupten, machte die (im Gegensatz zu Arendts Modell) nicht-totale Organisation der Kampfgruppen ihre Angehörigen zu lebensweltlichen „Doppelgängern“. Als Arbeiter waren sie der moralischen Ökonomie ihrer lokalen Lebenswelt unterworfen, als Kämpfer sollten sie ausschließlich den Direktiven der SED verpflichtet sein. Mochte dieses Dilemma im Alltag zu Reibereien führen, konnte es im Ausnahmezustand gravierende Konsequenzen für die Loyalität der Kämpfer besitzen, wie die Mobilmachungsversuche im Herbst 1956 zeigten. Nicht erst 1989, son-

 

Schlussbetrachtung

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dern bereits zu diesem Zeitpunkt war zu erkennen, dass die Einbettung der Kampfgruppe in die betriebliche Lebenswelt eindeutigen und im Sinne der SED unbedingten Loyalitätsverhältnissen entgegenwirkte. Weit eher war sie dazu angetan, den Widerspruch zwischen politischer und lebensweltlicher Realität, zwischen demokratischem Zentralismus und „hautnaher Beziehungsarbeit“, im Staatssozialismus offenzulegen. Überhaupt sah sich die SED in den 1950er Jahren vor allem damit konfrontiert, die Kampfgruppen als unverzichtbare und notwendige Organisation innerhalb der Gesellschaft zu etablieren. Ihre Veralltäglichung erwies sich nach den großangelegten Bürgerkriegsübungen des Jahres 1957, bei denen mehr als 100.000 Menschen mobilisiert und auf eine „Frontgesellschaft“ (Neutatz) eingeschworen wurden, jedoch als schwierig. Der Blick in den betrieblichen Alltag zeigt, dass Sicherheit hier weniger von der Ausnahme als von der Regel her definiert wurde – wichtiger als eingeübte bewaffnete Organe war den meisten Werktätigen eine verlässlich funktionierende Produktion. Ernteeinsätze oder die Unterstützung bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen wurden nun zu Ersatzschlachtfeldern stilisiert. Sie sollten zum einen der Bevölkerung demonstrieren, welchen gemeinschaftlichen Nutzen das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ besaß, zum anderen zweifelnde Kämpfer selbst vom Sinn ihres Engagements überzeugen. Dass die ihre Ausbildung nicht selten dazu nutzten, über Gebühr dem Alkohol zuzusprechen, wie den „misstrauischen Patriarchen“ nicht verborgen blieb, ist zumindest mehrdeutig zu bewerten. Konnte sich darin Unmut über die Unzulänglichkeiten einer weiterhin nur improvisierten Ausbildungspraxis artikulieren, reflektierte sein Konsum möglicherweise auch den zweifelhaften Status der Kämpfer selbst. Gleichzeitig besaß Alkohol im Alltag der „arbeiterlichen“ Gesellschaft einen hohen Stellenwert und nicht zuletzt förderte er die Vergemeinschaftung der Kämpfer untereinander. Zwar war die SED – schon aus einsatztaktischen Gründen – an einem intakten Gemeinschaftsgefühl in den Kampfgruppen durchaus interessiert. Zugleich fürchtete sie jedoch, dass sich die organisationsspezifische Kameradschaft zu einer permanenten symbolischen „Antistruktur“ (Turner) auswachsen würde, die sich womöglich gegen das Regime selbst wenden könnte. Dass die SED den Kampfgruppen Zeit ihrer Existenz – und sehr zum Verdruss ihrer überzeugtesten Anhänger – keinerlei Verfügungsgewalt über ihre eigenen Waffen zugestand, scheint in dieser Hinsicht bezeichnend genug. Die vielfältigen symbolischen Initiativen der späten 1950er Jahre sind vor diesem Hintergrund auch als Versuche zu bewerten, die Partisanenromantik in den Reihen der Kampfgruppen auszutreiben. Angefangen bei der Verleihung eines organisationseigenen Emblems bis hin zur Einführung eines Gelöbnisses – bei dem die Kampfgruppen-Angehörigen ihre unbedingte Treue nicht gegenüber der Klasse, sondern in erster Linie gegenüber ihrer Avantgarde, der SED, bekennen

 

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Schlussbetrachtung

mussten –, handelte es sich hier um Versuche, ihre Angehörigen auf eine ,von oben‘ vorgegebene, organisationsspezifische Identität zu verpflichten. Der erste und einzige, große Einsatz der Kampfgruppen im Rahmen der Absperrungsmaßnahmen, die schließlich zum Bau der Berliner Mauer führten – deren schließliche Errichtung die zum Einsatz herangezogenen Kämpfer aus verschiedenen Gründen jedoch nicht mehr erleben sollten –, kam da gerade recht. Unter militärischen Gesichtspunkten betrachtet war er ein Misserfolg. So funktionierte das Alarm-System nicht, Kämpfer verletzten sich gegenseitig mit ihren Waffen und in den Betrieben, aus denen sie herangeholt worden waren, wurde Kritik an ihrem Einsatz wegen des dadurch entstehenden Produktionsausfalls (so zumindest das „public transcript“) laut. Unter propagandistischen Gesichtspunkten betrachtet, stellte ihr Einsatz im August 1961 hingegen einen Erfolg dar, der den Kämpfern einen – im Gegensatz zum Juni 1953 – positiven Bezugspunkt bescherte. Er konnte und wurde so dargestellt, als sei die Klasse selbst zur Verteidigung ihrer Errungenschaften geschritten. Selbstverständlich blieb den Kämpfern nicht verborgen, dass die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ in der Bevölkerung wenig populär war. Gleichwohl gestattete es – ganz im Arendt’schen Sinne – die „Stimmigkeit einer fiktiven [und durch den Einsatz ihrer Organisation scheinbar beglaubigten] Welt“ ihnen, sich im ,Ernstfall‘ zu bewähren und so aus dem Schatten ihrer revolutionären Vorgänger herauszutreten. In diesem Sinne ist ihr Einsatz als eigentlicher Gründungsmoment der Kampfgruppen zu interpretieren versucht worden. Im August 1961 – wie auch gegenüber rebellischen Studenten im Herbst 1956 – waren es nicht zuletzt generationsspezifische Konfliktlinien, die die Zuverlässigkeit der Kampfgruppen gewährleisteten. Sie sollten sich seit den 1960er Jahren als größte Herausforderung für das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ und seine Legitimation innerhalb der Bevölkerung erweisen. Denn immer mehr Kämpfer der ersten Stunde begannen nun altersbedingt aus den Kampfgruppen auszuscheiden. Zwar war es den „letzten Revolutionären“ gelungen, im Rekurs auf den antifaschistischen Gründungsmythos breite Teile der noch im Nationalsozialismus sozialisierten Aufbau-Generation für das Projekt des Sozialismus und damit auch für die Notwendigkeit einer diese Errungenschaften verteidigenden Miliz zu gewinnen. Bei den ihr nachfolgenden, allesamt in der DDR sozialisierten Generationen sollte sich das jedoch weitaus schwieriger gestalten. Das lag auch an einem, die 1960er Jahre prägenden Fortschrittsoptimismus, der den Bezug auf die „revolutionären Traditionen“, wie sie die Kampfgruppen repräsentierten, zunehmend in den Hintergrund drängte. In diesem Sinne kann Ulbrichts Proklamation einer „wissenschaftlich-technischen Revolution“ auch als Versuch gedeutet werden, den proletarischen Mythos in ein zivileres Gewand zu kleiden. Weiterhin sollte die Geschichte auf voluntaristische Art und Weise be-

 

Schlussbetrachtung

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zwungen werden, weniger waren dazu jetzt jedoch Gewalt und Opfermut als überlegtes Handeln und ein kühler Kopf gefragt. Die gesellschaftliche Idealfolie des Arbeiters wandelte sich darüber in den 60er Jahren vom kraftstrotzend-schwitzenden Proletarier zum kühl kalkulierenden und versiert agierenden Technokraten. Weiterhin sollten die Kampfgruppen zwar als fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens betrachtet werden, ihr virtuoser Status geriet darüber jedoch zunehmend in die Kritik. „Brauchen wir noch Kampfgruppen?“ war eine Frage, die angesichts der „geschlossenen Gesellschaft“ (Zwahr), aus der der Klassenfeind weitgehend vertrieben worden war, eine provokante Spitze besaß. Provokant war sie nicht zuletzt deshalb, weil ihre Angehörigen in den 1960er Jahren vor allem durch Gewaltexzesse und Unfälle auffielen. Die Gründe dafür waren wiederum vielschichtiger Natur. Geringes gesellschaftliches Ansehen vermengte sich mit Frustrationsgefühlen über eine weiterhin nur schlecht vorbereitete und oftmals als „Zeitschinderei“ empfundene Ausbildungspraxis. Überprüfungen der späten 1950er Jahre hatten gezeigt (und für entsprechende Irritationen gesorgt), dass auch zahllose ehemalige Klassenfeinde den Weg in die Reihen der Kampfgruppen gefunden hatten. Offenbarte sich nun, dass biographische und soziale Hintergründe vieler Kämpfer kaum den virtuosen Zuschreibungen und Hoffnungen der SED entsprachen, schien demgegenüber der generationsspezifische Hintergrund entscheidend für die Akzeptanz der Kampfgruppen. Weniger ein im Sinne der Avantgarde ausgeprägtes Klassenbewusstsein als vielmehr ein lagerübergreifender, durch Härte und unbedingten Einsatz charakterisierter „generationeller Stil“ (Herbert) beeinflusste häufig die individuelle Einstellung zur Notwendigkeit (und Unterstützung) von Kampfgruppen. Der Reformeifer, der die Kampfgruppen in den 1960er Jahre erfasste, erklärt sich jedoch aus anderen Gründen. Zum einen waren es die Bedingungen der „geschlossenen Gesellschaft“ selbst, die nach der Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalles“ den inneren Feind quasi ausgebürgert zu haben glaubte. Zum anderen übte eine kurzweilige Kybernetik-Euphorie, die die auf Enthusiasmus und Dilettantismus beruhende Formation zu einem armeeähnlichen Truppenverband zu formen trachteten, erheblichen Einfluss aus. Die Schulung aller Vorgesetzten wurde intensiviert, die Ausbildung sollte auf der Grundlage detaillierter Pläne erfolgen und sich zudem stärker an den Bedingungen des modernen Gefechts ausrichten. Als Ergebnis derartiger Anstrengungen wurden die Kampfgruppen zum Ende des Jahrzehnts als fester Bestandteil der „sozialistischen Landesverteidigung“ betrachtet und nahmen sogar an Manövern des Warschauer Paktes teil. Weil sie ihren auf Enthusiasmus und Dilettantismus fußenden Charakter trotzdem nicht zur Gänze einbüßten, waren die Kampfgruppen attraktiv für Männer (und sehr viel weniger Frauen), die von Zeit zu Zeit aus der Reiz- und

 

476

Schlussbetrachtung

Spannungslosigkeit ihres Alltages auszubrechen trachteten. Die Ausbildung hatte sich inzwischen – vor allem aus Rücksicht auf die Konkurrenz von Produktion und militärpolitischer Arbeit – dahingehend gewandelt, dass sie nun nicht mehr, wie anfangs üblich, wöchentlich stattfand, sondern an ausgewählten, über das Jahr verteilten Wochenenden abgehalten wurde. Der Umgang mit Waffen und das Campieren im Freien eröffneten solchermaßen einen Anflug von nicht ungefährlichem, aber kalkulierbarem Abenteuer, der bei zahllosen Instrukteuren den Eindruck reiner „Militärspielerei“ hinterließ. Lokale Initiativen im Hinblick auf eine Neugründung von Kampfgruppen nach „Wende“ und „Wiedervereinigung“, von denen einer der interviewten Zeitzeugen, Edgar Peters aus Leuna-Tollwitz, berichtete, werden erst vor diesem Hintergrund vollkommen verständlich. Hinweise darauf, dass derartige Planungen Bezug auf ein lokalspezifisches Traditionsbewusstsein bewaffneter Selbstschutzverbände nahmen, finden sich in Herrn Peters Ausführungen nämlich nicht. Wahrscheinlicher scheint, dass es sich hierbei um das Ergebnis einer „Privatisierung politischer Gewalt“ handelte, d. h. dass die Kampfgruppe als eine Form männerbündischer Erlebnisgemeinschaft betrachtet wurde, auf die man, unabhängig von der politischen Konstellation, nicht verzichten wollte.14 Stellten die 1960er Jahre eine Phase staatlicher Konsolidierung und ideologischer Neujustierung dar, erschütterte 1968 die gewaltsame Unterdrückung reformkommunistischer Ansätze in der ČSSR derartige Bestrebungen jedoch nachhaltig. Sie initiierte im gesamten sozialistischen Lager eine konservative Wende (die in der DDR jedoch schon früher einsetzte – zumeist wird hier auf das sogenannte „Kahlschlag-Plenum“ von 1965 verwiesen). Dass die Kampfgruppen seit den 1970er Jahren eine Wiederaufwertung erlebten, ist aber mehr noch auf die Machtübernahme Erich Honeckers im Mai 1971 zurückzuführen. Unter seiner Führung gewann abermals an Gewicht, was Hannah Arendt in ihrer Bemerkung zu den Frontorganisationen totalitärer Bewegungen herausgestrichen hatte: die Beglaubigung der Stimmigkeit einer fiktiven Welt. Hatte die „Präsentationsöffentlichkeit“ im Staatssozialismus schon immer vornehmlich dazu gedient, die historische Mission der deutschen Arbeiterklasse zu inszenieren, verstärkten sich mit dem Machtantritt des „proletarischen Königs“ deren dogmatische Implikationen noch. Trotz wachsender internationaler An-

                                                             14

 

Vgl. dazu: Interview mit Edgar Peters (20.09.2006), Transkript S. 12; zur „Privatisierung politischer Gewalt“ vgl. Wolfgang Engler, Private Gewalt als politischer Akt, in: Frank Willmann (Hg.), Stadionpartisanen. Fußballfans und Hooligans in der DDR, 2. Aufl., Berlin 2007, S. 121–125.

Schlussbetrachtung

477

erkennung und deutsch-deutscher Annäherung wähnte sich Honecker weiterhin in einen Klassenkampf mit dem Systemgegner verstrickt, der nach unverminderter „revolutionärer Wachsamkeit“ verlangte und den Kampfgruppen folglich eine wichtige Rolle zuschrieb. Aber diese Rolle war alles andere als funktional, insofern man die Kampfgruppen ausschließlich als ein bewaffnetes Organ betrachtet, das nach der sich über zwei Jahre hinziehenden, unmittelbar nach Honeckers Amtsantritt initiierten Kampfgruppen-Reform befähigt schien, in jeder militärischen Auseinandersetzung zu bestehen. Die Interpretation der Amtszeit Honeckers als einer Phase forcierter Militarisierung übersieht, dass das militante Ideal, auf das in dieser Zeit jede Massenorganisation eingeschworen wurde, gerade nicht dazu diente, aus Bürgern Soldaten zu machen. Im „Geiste Ernst Thälmanns“ zu agieren, fungierte hingegen vornehmlich als Ausweis ultimativer klassenbewusster Gesinnung. In diesem Sinne inszenierten und beglaubigten die grandiosen Jubiläen der Miliz die Fiktion eines weithin wirksamen, wehrhaften „Treue-Schutz-Gelöbnisses“ zwischen Avantgarde und ihrer Klasse. Als „normal“ lässt sich das Leben in der „heilen Welt“ des Realsozialismus deshalb auch nicht fassen, denn trotz (bescheidener) Prosperität und Berechenbarkeit implizierte die Besinnung auf den „Geist Thälmanns“ unter Honecker immer, den Ernstfall nicht aus den Augen zu verlieren. Trug die medial vermittelte „Konsensdiktatur“ mittelfristig zur Stabilisierung der Herrschaft Honeckers bei, erwies sich die „Faktizität der Fiktionen“ für viele Kämpfer in zunehmendem Maße als eine „Faktizität der Friktionen“. Konnte sie im Alltag mehr oder weniger übergangen werden, katapultierte sie die Kämpfer im Ernstfall – wie er sich den „letzten Revolutionären“ im Herbst 1989 schließlich darstellte – jedoch zwischen alle Fronten und beeinträchtigte ihre Handlungsfähigkeit entscheidend. „Der tragische ,Erfolg‘ der SED-Herrschaft“ besteht für Thomas Lindenberger darin, dass es ihr im Rahmen der Strukturierung ihrer Herrschaftspraxis „durchaus gelang, Menschen mit ihren sozialen Ressourcen und Kompetenzen zu aktivieren und an ihr sozialistisches Experiment zu binden, aber eben nur soweit, wie deren Engagement sich auch auf die Aufrechterhaltung der eigenen Handlungschancen im Nahbereich […] richten konnte“.15 Für die Angehörigen der Kampfgruppen, für die diese Zuschreibung gewiss zutrifft, entfaltete sich die „Unwirklichkeit des Realen“ auf eine zugespitzte Art und Weise schließlich im Herbst 1989.

                                                             15

 

Lindenberger, SED-Herrschaft als soziale Praxis, S. 38.

478

Schlussbetrachtung

Gerade, weil der Rekurs auf den kämpferischen „Geist Thälmanns“ unter Honecker alle Massenorganisationen der DDR zu demonstrativer Militanz anhielt, konnten dessen kriegerische Implikationen im Ausbildungsalltag weitgehend übergangen werden. Kämpfer betrachteten ihr Engagement entweder als Dienst in einer unter zahllosen anderen Massenorganisationen der DDR oder verstanden sich wenn, dann eher als professionelle denn politische Soldaten. Mit dem Entschluss der SED, den sich auf den Straßen ihres Landes formierenden Demonstrationen mit Gewalt entgegenzutreten, gewann der bis dahin zumeist belächelte und kaum noch als politisch betrachtete Kampfgruppen-Dienst seine politischen Implikationen zurück. Ein letztes Mal reproduzierte der Rekurs auf den proletarischen Mythos das Dilemma proletarischer Öffentlichkeit (Negt/Kluge). Der Zusammenschluss zu einem homogenen und handlungsfähigen Lager konnte nur um den Preis der Abtrennung von der lebendigen gesellschaftlichen Wirklichkeit erkauft werden. Sollte es, wie im Juni 1953, gegen den Klassenfeind gehen, beschworen die Massen an friedlichen Demonstranten jedoch ein Paradox herauf, an dem „das unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ schließlich zerbrechen sollte. Seine Verortung im betrieblichen Alltag der „heilen Welt“ des Realsozialismus rückte die kompromisslosen Vorgaben von ,oben‘ für die zum Einsatz befohlenen Kämpfer in ein unüberbrückbares Spannungsverhältnis zum gewohnheitsmäßigen Verhältnis der Menschen zur Politik ,unten‘. Politisch motivierte Gewalt, ehedem Ausweis höchster kommunistischer Weihen, war zum letzten Mittel einer isolierten Führung geworden, die den Kontakt zur Realität weitgehend verloren zu haben schien. Wenn Kämpfer als „Gestrige“ verunglimpft wurden und selbst ihren Einsatz verweigerten, weil sie nicht als „potentielle Schläger“ des Regimes herhalten wollten, wurde die Selbstverkehrung des proletarischen Mythos offenbar. Es ist darauf hingewiesen worden, dass sich die Zentren ,arbeiterlicher‘ Empörung im Herbst 1989 mit jenen von 1953, ja sogar von 1920–23 deckten.16 Trotz vereinzelter Drohungen und kleinerer Brandanschläge, wie sie etwa die Behörden im Bezirk Halle registrierten, verzichtete die Protestbewegung jedoch weitestgehend auf die Anwendung von Gewalt. Dass die „Heimat“-Politik der SED gänzlich ohne Folgen für regionale Identitäten blieb,17 stimmt aus dieser Perspektive

                                                             16

17

 

Vgl. Bernd Gehrke, Demokratiebewegung und Betriebe in der „Wende“ 1989. Plädoyer für einen längst fälligen Perspektivwechsel, in: Renate Hürtgen/ders. (Hg.), Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989: Die unbekannte Seite der DDR-Revolution, Berlin 2001, S. 204–270, hier: S. 219. Vgl. Palmowski, Inventing a Socialist Nation.

Schlussbetrachtung

479

betrachtet nur zum Teil. Tatsächlich scheint der kontinuierliche Rekurs der SEDRegionalgeschichte auf lokale kämpferische Traditionen in dieser Hinsicht vor allem „exorzistische“ Folgen gehabt zu haben. Weil von der SED eine fortwährende Heroisierung gewalttätiger politischer Aktionen ausging, implizierte und stimulierte jede Absetzbewegung ihr gegenüber zugleich den Verzicht auf den Einsatz von Gewalt. Und dies galt für die Demonstranten wie für die (überwiegende Mehrheit der) Sicherheitskräfte gleichermaßen. Die Akten des MfS erwähnen einen einzigen Kampfgruppen-Kommandeur, der im Zuge der „Wende“ zum Gegner überlief, d. h. seine Einheit dem „Neuen Forum“ unterstellte. Und auch eigenen konspirativen Bestrebungen, die Kampfgruppen im Falle ihrer Auflösung in die Illegalität zu überführen, wurde schnell und entschlossen ein Riegel vorgeschoben. In den Reihen der Kampfgruppen – vermutlich aber in den Reihen jedes anderen bewaffneten Organs der DDR auch – stellte die Anwendung von Gewalt, ob für oder gegen das Regime, im Herbst 1989 keine Option mehr dar. „To link emergency with renewal“,18 die Idee und Hoffnung, dass jeder Ausnahmezustand eine Erneuerung der kommunistischen Kampfgemeinschaft bewirken würde, hatte sich endgültig und vollständig desavouiert. Aus dieser Perspektive betrachtet, hatte das „unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse“ im Oktober 1989 endgültig sein Gewand als ein Instrument der Machterringung und -erhaltung abgelegt und sich als das zu erkennen gegeben, was es im Grunde immer schon gewesen war: Instrument und Ausdruck einer „militanten Verweigerung“ (Bessel), ein politisches Selbstverständnis zu überwinden, das sich unverrückbar dem latenten Ausnahmezustand der 1920er Jahren verpflichtet fühlte. Wie Barbara Könczöl gezeigt hat, veränderte sich im Staatssozialismus die Funktion politischer Mythen von „revolutionär-mobilisierend“ zu „revolutionärfundierend“.19 Auch die Invokation des proletarischen Mythos infolge des JuniAufstandes zielte darauf, die Bildung der Kampfgruppen zu legitimieren und mit ihrer Hilfe die proletarische Gesellschaft zu disziplinieren, d. h. auf einen von ,oben‘ vorgegebenen Verhaltenskanon zu verpflichten. „Der revolutionäre Gebrauch von Repression“ (Michael Walzer) war der Versuch, das charismatische Moment der Bewegungsphase – was Geyer als „gefühls- und willensmäßig auf pathetischen Kampf gerichtete geistige Haltung“ bezeichnet – in die kommunistische Systemphase hinüberzuretten. Auf seiner Grundlage sollte eine neue, ,revolutionäre‘ Gesellschaft entstehen. Dass dieser Versuch es nicht vermochte, „die                                                              18 19

 

Fritzsche, On Being the Subjects of History, S. 165. Vgl. Könczöl, Märtyrer des Sozialismus.

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Schlussbetrachtung

Welt vor der Barbarei zu erretten“, wie Sorel es formuliert hat, sondern zu einem „boshaften Zerrbild solcher Haltung“ geriet, lag an der ihr zugrundeliegenden „fixen Idee“. Von der anhaltenden Unversöhnlichkeit gesellschaftlicher Verhältnisse ausgehend, war sie nicht dem Alltag, sondern dem Ausnahmezustand entnommen. Seine regelmäßige Invokation untergrub solchermaßen jedoch fortwährend das Vertrauen in die offiziell proklamierte „sozialistische Menschengemeinschaft“. Die Geschichte der Kampfgruppen ist insofern auch eine Geschichte der Gesellschaft der DDR als dass sich an ihnen das Scheitern eines in der Moderne verankerten, sozialutopischen Gesellschaftsentwurfs in spezifisch-historischer Hinsicht ablesen lässt. Sie zeigt, wie eine Bewegung – geboren aus den Klassenkämpfen der „klassischen Moderne“ (Peukert) –, die immer mehr „Gemeinschaft“ als „Gesellschaft“ sein wollte, stattdessen Misstrauen und Verdruss in die von ihr geschaffene gesellschaftliche Ordnung produzierte. Symptomatisch und symbolisch höchst bedeutsam scheint vor diesem Hintergrund, dass das Ende der Kampfgruppen mit dem „Kollaps der alten Garde“ (Jarausch) zusammenfiel. Auf dem außerordentlichen Parteitag im Dezember 1989, auf dem die Zukunft der SED verhandelt wurde, warf der designierte Parteivorsitzende, Gregor Gysi, in seinem Einleitungsreferat auch die Frage nach der Zukunft der Kampfgruppen auf. Dass sie damals gleichbedeutend neben Fragen nach einem angemessenen Begriff des Sozialismus, der Notwendigkeit eines neuen Parteinamens und der Haltung zum Leistungsprinzip – und noch vor der Frage nach der Zukunft des Amtes für Nationale Sicherheit, immerhin der Nachfolgeinstitution des MfS – rangierte, verweist auf die Bedeutung der Kampfgruppen und den durch sie verkörperten Mythos. Mythen leben von einem nachvollziehbaren Gegenwartsbezug – das hatte auch Gysi erkannt, der die Kampfgruppen für nicht mehr zeitgemäß erklärte und mit dieser Aussage unwidersprochen blieb. Die Entfremdung, die sich zwischen der SED und „ihren Menschen“ vollzogen hatte – und die von der nun PDS getauften Staatspartei rückgängig zu machen versucht werden sollte –, gründete nicht zuletzt in einem von den Kampfgruppen repräsentierten, zum Leitmotiv der politischen Kultur erhobenen, biographischen Erfahrungsraum, dessen Kern der (Bürger)Krieg gebildet hatte.

 

481

Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Titelbild: Aus der Geschichte der Filmfabrik Wolfen, hrsg. von der SED-BPO des VEB Filmfabrik Wolfen, Wolfen 1969 Teil I 1. aus: Berndt, Von all unseren Kameraden, Abb. 5 2. aus: Gemkow, Der Sozialismus – Deine Welt, S. 473 3. aus: Berndt, Von all unseren Kameraden, Abb. 12 4. aus: Ostwald, Die DDR im Spiegel ihrer Bezirke, S. 161 (Kartograf Karl-Heinz Graf ) 5. aus: ebd., S. 223 (Kartograf Karl-Heinz Graf ) Teil II 6. aus: Retorte und Gewehr, S. 14 7. aus: LHASA, Nr. IV/421/303, Bl. 238 8. aus: LHAM, I 43, Nr. 524 9. aus: Schulze, Das große Buch der Kampfgruppen, S. 30 10. aus: ebd., S. 94 Teil III 11. aus: Heinz Heitzer, DDR. Geschichtlicher Überblick, S. 457 12. aus: Der Kämpfer, Nr. 10 (Oktober), Jg. 6 (1961), S. 4 13. aus: ebd., S. 4 14. aus: LHAM, Rep P18 Waschmittelwerk Genthin, Nr. IV/B-7/040/032, Bl. 79 15. aus: Berndt, Von all unseren Kameraden, Abb. 17 Teil IV 16. aus: Privatbesitz des Verfassers 17. aus: Privatbesitz des Verfassers 18. aus: Gilgen/Bachinger/Carl, Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, S. 60 (Trotz intensiver Nachforschungen ist es nicht in jedem Fall möglich gewesen, den Fotografen zu ermitteln)

 

 

Abkürzungsverzeichnis

ABV ADN AfNS AfS AGM AKG APO APuZ AS AStA AZ

Abschnittsbevollmächtigter der Deutschen Volkspolizei Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Amt für Nationale Sicherheit Archiv für Sozialgeschichte Arbeitsgruppe des Ministers Auswertungs- und Kontrollgruppe Abteilungsparteiorganisation Aus Politik und Zeitgeschichte Allgemeine Sachablage Allgemeiner Studierendenausschuss Ausbildungszug

BArchB BdL BDVP BEL BKW BL BMK BPO BRD BStU

Bundesarchiv Büro der Leitung Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Bezirkseinsatzleitung Bernische Kraftwerke Bezirksleitung Bau und Montage-Kombinat Betriebsparteiorganisation Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Bezirksverwaltung Büromaschinenwerk Sömmerda Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung

BV BWS BzG CAS CEH ČSSR

Chemieanlagenbau Central European History Československá socialistická republika (Tschechoslowakische sozialistische Republik)

DA DBD DDR DEFA

Deutschland Archiv Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Republik Deutsche Film-Aktiengesellschaft

 

484

Abkürzungsverzeichnis

DGP DIW DKP DSF DVdI DVP/VP

Deutsche Grenzpolizei Deutsches Inhstitut für Wirtschaftsforschung Deutsche Kommunistische Partei Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Deutsche Verwaltung des Innern Deutsche Volkspolizei

ELMO ELTMA ENA EOS

Elektro-Motorenwerke Elektromaschinen und Apparatebau Energietechnik und Anlagenbau Erweiterte Oberschule

FAUD FDGB FDJ FH Fla-MG

Freie Arbeiterunion Deutschlands Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freiwillige Helfer Flugabwehr-Maschinengewehr

GG GO GRU GSSD GST GWU

Geschichte und Gesellschaft Grundorganisation Glavnoe Razvedyvatel’noe Upravlenie (Hauptverwaltung Aufklärung der Roten Armee) Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland Gesellschaft für Sport und Technik Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

HA HA HO HS HZ

Hauptabteilung Historische Anthropologie Handelsorganisation Hundertschaft Historische Zeitung

IBK IM IMS

Ingenieurbüro für Bauwesen, Kühl- und Gefrierwirtschaft Inoffizieller Mitarbeiter Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Arbeiterbewegung

ISH IWK

 

485

Abkürzungsverzeichnis

JHK JModH

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung Journal of Modern History

KAPD KAZ KD KdAW Kdr KG KGB KGH KI (Komintern) KJVD KL KPČ KPD KPdSU KVP KZ KZfSS

Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands Kommunistische Arbeiterzeitung Kreisdienststelle Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer Kommandeur Kampfgruppen Kampfgruppen-Bataillon Kampfgruppen-Hundertschaft Kommunistische Internationale Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Kreisleitung Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kasernierte Volkspolizei Konzentrationslager Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

LEW LHAM LHASA LKW LPG

Lokomotivbau-Elektrotechnische Werke Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Zweigstelle Merseburg Lastkraftwagen Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft

MdI MfNV MfS (l)MG (s)MG MGM MP(i) MTS

Ministerium des Innern Ministerium für Nationale Verteidigung Ministerium für Staatssicherheit (leichtes) Maschinengewehr (schweres) Maschinengewehr Militärgeschichtliche Mitteilungen Maschinenpistole Maschinen-Traktoren-Station

NATO NDPD NKWD

North Atlantic Treaty Organization Nationaldemokratische Partei Deutschlands Narodny kommissariat wnutrennich del (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten)

 

486

Abkürzungsverzeichnis

NÖSPL NSDAP NVA NVR

Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationale Volksarmee Nationaler Verteidigungsrat

OAS OdF OPK OV

Organisation de l’armée secrète (Organisation der geheimen Armee) Opfer des Faschismus Objekt-Personenkontrolle Objektverteidigung

Pak PDS PiD PKW PO PV/KG PWH

Panzerabwehrkanone Partei des demokratischen Sozialismus Politisch-ideologische Diversion Personenkraftwagen Parteiorganisation Polit-Stellvertreter/Kampfgruppen Pharmazeutisches Werk Halle

RFB RTS

Rotfrontkämpferbund Reparatur-Technische Stationen

SA SAJ SAPMO SBZ SdM SED SiPo SKET SKL SPD SPG SPW SS StKTA

Sturmabteilung Sozialistische Arbeiterjugend Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv Sowjetische Besatzungszone Sekretariat des Ministers Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sicherheitspolizei Schwermaschinenbau-Kombinat „Ernst Thälmann“ Schwermaschinenbau-Kombinat „Karl Liebknecht“ Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schwere Panzerbüchse Schützenpanzerwagen Schutzstaffel Stellvertretender Kommandeur für Technische Ausrüstung

TAKRAF THW

Tagebau-Ausrüstungen, Krane und Förderanlagen Technisches Hilfswerk

 

487

Abkürzungsverzeichnis

TRAPO TSK

Transportpolizei Territoriale Spezifische Kräfte

UGS USPD

Untergrundspeicher- und Geotechnologie-Systeme Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

VdN VEB VfZ VKPD VP VPI VPKA VVN

Verfolgte(r) des Naziregimes Volkseigener Betrieb Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands Volkspolizei Volkspolizeiinspektion Volkspolizeikreisamt Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

WTR

Wissenschaftlich-technische Revolution

ZA ZAA ZAIG ZfG ZK ZPKK ZSfK

Zentralarchiv Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentralkomitee Zentrale Parteikontrollkommission Zentrale Schule für Kampfgruppen

 

 

Quellen- und Literaturverzeichnis Unveröffentlichte Quellen 1. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArchB) Do1, Deutsche Verwaltung des Innern, Ministerium des Innern der Deutschen Demokratischen Republik 8, Hauptabteilung Kampfgruppen Nr. 63; 86 2.2, Stab Organisation Nr. 54851 18.0, Hauptverwaltung der DVP Nr. 10201; 17924; 53583; 53584; 53683 Sp84C, Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Nr. 143 2. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) DY 30, Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) J/IV/2, 2A, Protokolle der Sitzungen des Politbüros des Zentralkomitees der SED Nr. 397; 511; 2365; 3263 J/IV 2/3, 3A Protokolle der Sitzungen des Sekretariates des Zentralkomitees der SED Nr. 397; 410; 419; 430; 474; 552; 579; 4467 IV/2/4, Zentrale Partei-Kontrollkommission (ZPKK) Nr. 419 IV/2/12, B12, Abteilung für Sicherheitsfragen des ZK der SED Nr. 99; 100; 125; 206–209 IV/2/904, Abteilung für Wissenschaft und Propaganda Nr. 432 IV/2/5, Abteilung Parteiorgane Nr. 433 IV/2/6.11, Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik Nr. 65 IV 2/7/34, Abteilung Landwirtschaft

 

490

Quellen- und Literaturverzeichnis

Nr. 2277; 22232; 22677 Eingaben Nr. 1354; 1361; 1077–1081 Büro Walter Ulbricht Nr. 3688 FSB 158, Nachlass Bernhard Koenen Nr. 19251; 19257; 19307 SgY 30, Erinnerungsarchiv 0171 (Hermann Dünow) 1568 (Georg Dittmar) 3. Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg i. B. (BA-MA) DVW 1, Nationaler Verteidigungsrat (NVR) Nr. 39465; 39469; 39470; 39472; 39476 4. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg (LHAM) Rep P13, Bezirksbehörde der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) Nr. IV/2/12, SED-Bezirksleitung Magdeburg Nr. 01; 03; 197 P13, SED-Bezirksleitung Magdeburg IV/A-2/12/917, 918 IV/B-2/12/956 IV/C-2/12/787; 788; 790 Rep P15, SED-Kreisleitung Genthin Nr. IV/4/3/127 Nr. IV/A-4/3/105 Nr. IV/B-4/3/206; 207 Nr. IV/C-4/3/165 Nr. IV/B-7/40/32 Nr. IV/D-4/3/177; 178 Rep P15, SED-Kreisleitung Klötze Nr. IV/A-4/8/64 Rep P15, SED-Kreisleitung Salzwedel Nr. IV/4/11/212

 

Quellen- und Literaturverzeichnis

491

Rep P16, SED-Stadtbezirksleitung Magdeburg-Mitte Nr. IV/B-5/1/199 Rep P16, SED-Stadtbezirksleitung Magdeburg-Nord Nr. IV/C-5/5/180 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Maschinenbau Burg Nr. IV/7/4/3 Nr. IV/B-7/7/3; 4 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Förderanlage Calbe Nr. IV/7/19/3 Nr. IV/7/195/3 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Waschmittelwerk Genthin Nr. IV/B-7/40/33 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Stahl- und Apparatebau Genthin Nr. IV/C-7/36/12 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Maschinenbau Halberstadt Nr. IV/7/4/3 Nr. IV/B-7/62/17 Nr. IV/C-7/54/44–46 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Armaturenwerk Hötensleben Nr. IV/C-7/224/2 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Armaturenwerke „Karl Marx“, Magdeburg Nr. IV/C-7/189/55 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Schwermaschinenbau „Ernst Thälmann“, Magdeburg Nr. IV/C-7/70/95 Rep P18, SED-Grundorganisation VEB Schwermaschinenbau „7. Oktober“, Magdeburg Nr. IV/A-7/118/13 Rep M24, Bezirksbehörde der DVP Magdeburg Rep M24, BDVP 18, (1952–1960): Mikro-Fiche-Nr. 11; 14–19; 83; 90; 91; 196 (1961–1975): Mikro-Fiche-Nr. 129; 134; 143; 167 Rep M24, BDVP 18 (1961–1975): 1116; 1253; 1512; 1518; 1519 (1975–1990): 17231 Rep I34, VEB Schwermaschinenbau „Karl Liebknecht“ Magdeburg (SKL), Kombinat für Dieselmotoren und Industrieanlagen Nr. 524 Rep I35, VEB Schwermaschinenbau „Georgi Dimitroff “, Magdeburg Nr. 672

 

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Quellen- und Literaturverzeichnis

5. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Außenstelle Merseburg (LHASA) BDVP 19, Bezirksbehörde der DVP Halle Nr. 94–101; 360; 362; 364 IV/2/12, SED-Bezirksleitung Halle Nr. 1650; 1670–1674 Nr. IV/D-2/12/467 IV/7/501, Universitätsparteileitung der Martin-Luther-Universität Halle Nr. 18; 19; 29; 44 IV/402, SED-Kreisleitung Aschersleben Nr. 69; 107; 109 IV/404, SED-Kreisleitung Bitterfeld Nr. 182; 360 IV/405, SED-Kreisleitung Buna Nr. 237 IV/409, SED-Kreisleitung Hettstedt Nr. 252 IV/410, SED-Kreisleitung Hohenmölsen Nr. 222; 224; 228 IV/412, SED-Kreisleitung Leuna Nr. 298 IV/414, SED-Kreisleitung Merseburg Nr. 418 IV/415, SED-Kreisleitung Naumburg Nr. 213; 214 IV/421, SED-Kreisleitung Sangerhausen Nr. 302–304 6. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) AGM (Arbeitsgruppe des Ministers) Nr. 215; 226; 269; 370; 379 AS (Allgemeine Sachablage) Nr. 75/65; 204/62 SdM (Sekretariat des Ministers) Nr. 1508; 1586; 1591 BdL (Büro der Leitung)

 

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Nr. 8784; 002614; 008784; 000315; 011347; 010078; 010962; 050090; 050351; 050355 HA VII (Abwehrarbeit MdI/DVP) Nr. 68; 3639 MfS-Sekretariat Neiber Nr. 552; 640; 874 Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) Nr. 226; 4257; 4847; 6023 BV, Bezirksverwaltung Halle Abt. VIII (Beobachtung/Ermittlung) Nr. 1092/72 Abt. IX (Untersuchungsorgan) Nr. 4623 Abt. XIV (Untersuchung, Strafvollzug) Nr. 764 Abt. XVIII (Sicherung der Volkswirtschaft) Nr. 1113 Abt. XIX (Verkehr, Post- und Nachrichtenwesen) Nr. 575 Abt. XXVI (Telefonüberwachung) Nr. 51 AKG (Auswertungs- und Kontrollgruppe) Nr. 1111; 3715 BdL (Büro der Leitung) Nr. 1; 172 BV, Bezirksverwaltung Magdeburg BdL (Büro der Leitung) Nr. 462 Abt. XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund) Nr. 2397 AKG (Auswertungs- und Kontrollgruppe) Nr. 52; 82; 88; 106; 331; 399 KD HBS, Kreisdienststelle Halberstadt Nr. 738; 788 KD Staßfurt, Kreisdienststelle Staßfurt

 

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Nr. 15420; 15423; 15471 KD Zerbst, Kreisdienststelle Zerbst Nr. 2571

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Danksagung

Das Anfertigen einer wissenschaftlichen Arbeit wird gemeinhin als eher einsames Unterfangen betrachtet. Dass dieses Klischee, wie alle Klischees, nur sehr bedingt der Wahrheit entspricht, zeigt sich zumal, wenn es gilt, allen denen Dank zu erweisen, die durch ihre Anteilnahme und Unterstützung einen unverzichtbaren Beitrag dazu geleistet haben, dass aus einer Arbeit, die im Dezember 2010 an der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation eingereicht wurde, das nun vorliegende Buch geworden ist. Mein herzlicher Dank gebührt zuallererst meinem Doktorvater Prof. Dr. Bernd Weisbrod, Göttingen/Berlin, der die vorliegende Studie nicht nur angeregt und ihre Erstbegutachtung übernommen hat, sondern ihr Entstehen auch stets interessiert begleitet, kritisch vorangebracht und nach Kräften unterstützt hat. Ganz herzlicher Dank gilt auch Prof. Dr. Alf Lüdtke, Erfurt/Göttingen, der entgegen widrigster Umstände die Zweitbegutachtung übernommen und in allen Phasen des Projekts immer wohlwollende und wertvolle Unterstützung geleistet hat. Die jeweiligen Kolloquien an der Universität Göttingen wie an der Universität Erfurt boten mir wiederholt willkommene Gelegenheit, meine Forschungsergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren. Dafür sei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dieser Stelle genauso herzlich gedankt wie den Kommissionsmitgliedern meiner Disputation, Prof. Dr. Ruth Florack, Göttingen und Prof. Dr. Wolfgang Knöbl, Göttingen. Dankbar bin ich der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin, die durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums und eines großzügigen Druckkostenzuschusses großen Anteil daran hat, dass die vorliegende Studie erarbeitet und publiziert werden konnte. Ihre regelmäßigen Kolloquien gaben gleichfalls wichtige Anstöße, für die ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern bzw. Organisatorinnen und Organisatoren, allen voran Dr. Ulrich Mählert und Rigo Hopfenmüller, mein herzlicher Dank gilt. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), Potsdam, hat die Arbeit in die Reihe ihrer „Zeithistorischen Studien“ aufgenommen; dafür bin ich den Herausgebern, insbesondere Prof. Dr. Frank Bösch und Prof. Dr. Martin Sabrow, sehr zu Dank verpflichtet, genauso wie Dr. Annelie Ramsbrock und Dr. Rüdiger Bergien, die von Seiten des ZZF die entsprechende Betreuung übernommen haben. Mein besonderer Dank gilt nicht zuletzt Waltraud Peters, die als institutsinterne Lektorin wie als Herstellerin der Druckvorlage großen Anteil daran hat, dass aus einer Dissertationssschrift dieses Buch entstanden ist.

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Danksagung

Quellen sind das A und O jeder historischen Arbeit. Das ungewöhnliche Ausmaß an archivalischen Quellen, das die Geschichte der DDR hinterlassen hat, war in dieser Hinsicht Segen und Fluch zugleich, zumal, wenn man sich ihr aus einer alltagshistorischen Perspektive nähert. Besonderer Dank gilt deshalb den Archivarinnen und Archivaren des Bundesarchivs und der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) in Berlin, des BundesarchivsMilitärarchivs (MA) in Freiburg, des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt in Magdeburg (LHAM) und Halle (LHASA) sowie der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) in Berlin, für die alle stellvertretend hier nur Frau Irene Schaarschmidt genannt sein soll. Angesichts der nicht unbeträchtlichen Einschränkungen, die einer Verwendung der Überlieferung des ehemaligen MfS für die wissenschaftliche Forschung entgegenstehen, kann ihre Initiative und ihr Spürsinn, der zahlreiches, für mein Forschungsprojekt ungemein wertvolles Material zutage förderte, gar nicht angemessen genug gewürdigt werden. Aber auch der Einsatz aller anderen Archivarinnen und Archivare, Schneisen in den manchmal noch wild wuchernden Dschungel der DDR-Überlieferung zu schlagen, war mir unverzichtbare Hilfe, von der diese Arbeit sehr profitiert hat. Erheblich bereichert worden ist diese Studie auch durch die Begegnung mit ehemaligen Kampfgruppen-Angehörigen, die mich nicht nur in ihr Zuhause einluden und meinen zahllosen Fragen geduldig Rede und Antwort standen, sondern mich zugleich großzügig mit eigenen materiellen Überlieferungen aus ihrem Kampfgruppen-Alltag versahen. Sie hier beim Namen zu nennen, verbietet das Gebot der Anonymität, nichtsdestotrotz sei ihnen an dieser Stelle mein besonderer Dank ausgesprochen. Auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, von denen manche im Verlauf des Projekts zu Freunden wurden, haben großen Anteil an der Entstehung dieser Arbeit. Mit kritischem Rat und konstruktiver Tat zur Seite gestanden haben stets Hannah Ahlheim, Göttingen, Marc Czichy, Göttingen, Rainer Gries, Jena, Joachim Häberlen, Coventry, Jan Kiepe, Zürich, Habbo Knoch, Köln, Thomas Lindenberger, Potsdam, Marc-Dietrich Ohse, Hannover, Andrew Port, Detroit, Dirk Schumann, Göttingen, Russell Spinney, Santa Fe, Matthias Steinle, Paris, Dorothee Wierling, Hamburg, und nicht zuletzt Armin Wagner, Hamburg, der nicht nur wohlwollend beobachtete, wie sich jemand anderes „seinen“ Kampfgruppen annahm, sondern mir in selbstloser Art und Weise auch eigens zusammengetragene Materialien und Rechercheergebnisse zur Verfügung stellte. Sandra Kirchner und Andreas Enoch, Katja Rippert und Tom Reichard halfen, praktische Probleme zu bewältigen. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Die Anteilnahme von Freunden, die der Geschichtswissenschaft nur lose verbunden sind, war in vielerlei Hinsicht wertvolle Hilfe. Martin und Julia, Jan und Judith, Steffen und Tina, Thomas und Verena, Nora, Sabine und Yvonne stellten

Danksagung

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nicht nur bereitwillig Schlafplätze, Transportmittel und sonstige Unterstützung praktischer Art zur Verfügung; ihr Interesse war Ansporn und Herausforderung zugleich, meine Forschungen jenseits disziplinärer Vorgaben und Verpflichtungen zu reflektieren und auf ihre Relevanz zu prüfen. Und nicht zuletzt gebührt ihnen Dank dafür, in Momenten des Zweifels durch ihren Zuspruch und ihre Gesellschaft der Konzentration und Klausur, die ein solches Projekt notwendigerweise mit sich bringt, Momente der Zerstreuung entgegengesetzt zu haben. Meine Eltern Ute und Klaus Siebeneichner, mein Bruder Frederik Siebeneichner und meine Großmutter Barbara Dittloff, die als gebürtige Halberstädterin eine ganz eigene Beziehung zu meinem Forschungsgegenstand besaß und diesen immer wieder gern mit mir diskutierte, das Ergebnis meiner Forschungen jedoch nicht mehr erleben kann, haben meinen Bildungsweg auf jede erdenkliche Art und Weise unterstützt. Indem sie mir in allen Situationen selbstlos und tatkräftig zur Seite standen, niemals mit Zuspruch sparten und mach schwierige Klippe zu umschiffen halfen, haben sie meine Arbeit auf sehr grundsätzliche und bedeutsame Weise gefördert. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Tilmann Siebeneichner

Berlin, im Mai 2014

Abbildungen

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Erster Teil, Kap. I Abb. 1 u. 2: Der Panzerzug der Leuna-Arbeiter, erbaut im März 1921; Abbildung 1 zeigt ihn vermutlich nach der Niederschlagung des Aufstandes, Abbildung 2 nach seiner Aufstellung in HalleNeustadt: „Der Arbeiterveteran Genosse Winkler erzählt Jugendlichen von den Märzkämpfen der Leuna-Arbeiter 1921. Ein von ihnen erbauter Panzerzug wurde zu dieser Zeit eingesetzt“, lautete die entsprechende Bildunterschrift in „Der Sozialismus – Deine Welt“

570 Abbildungen

Abb. 3: Zwei Arbeiter(veteranen), in Uniformen des RFB gekleidet, präsentieren anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung des RFB am 31. Juli 1964 die Originalfahne der Ortsgruppe GroßBeeren; zu dieser Fahne schrieb der „Kämpfer“: „Die revolutionäre Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg fand auch in Großbeeren viele Anhänger. Die Ortsgruppe der KPD hatte bei ihrer Gründung 40 Mitglieder, und als der Rotfrontkämpferbund als proletarische Wehrorganisation entstand, vereinigten sich in Großbeeren darin über 70 Mann unter der Leitung des Genossen Friedrich Schulze. Seine Frau Marie stickte damals auf rotes Fahnentuch die Worte ,Roter Frontkämpferbund Groß-Beeren‘, dazu die trotzig geballte Faust, und auf die Rückseite die stolzen Worte ,Sieg oder Tod‘. Diese Fahne war bei vielen Klassenauseinandersetzungen der Großbeerener dabei. Vor dem Zugriff der SA wurde sie 1931 [sic] durch den mutigen Einsatz des Genossen Karl Wegel gerettet und durch die Genossen Willi Zeidler, Wilhelm Domack und Emma Domack versteckt und aufbewahrt. […] Und die Großbeerener, die heute durch freiwilligen Dienst in den Kampfgruppen beim Schutz des sozialistischen Aufbaus helfen, haben im Rahmen ihrer Traditionspflege diesem Banner einen Ehrenplatz gegeben. Bei besonderen Anlässen wird es von der Einheit mitgeführt.“ („Die rote Faust von Großbeeren“, in: Der Kämpfer, Nr. 6 ( Juni), Jg. 23 (1979), S. 7)

Abbildungen

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Erster Teil, Kap. II Abb. 4: Übersicht über die Kreise des SED-Bezirkes Halle, auf der zugleich die wichtigsten wirtschaftlichen und kulturellen Einrichtungen der Region verzeichnet sind

572 Abbildungen

Abb. 5: Die entsprechende Übersicht für den SED-Bezirk Magdeburg und seine Kreise

Abbildungen

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Zweiter Teil, Kap. I Abb. 6: Aufnahme einer der ersten Kampfgruppen-Einheiten der Leuna-Werke. Auffallend die Vielfalt der Kleidungsstücke: zu sehen ist ein Konglomerat aus Mänteln, Wind- und Arbeitsjacken

Abb. 7: „Es lebe der

35. Jahrestag der revolutionären Märzkämpfe“: in blutroten Lettern rief die SED-Bezirksleitung Halle im März 1956 zur Teilnahme am Bezirksaufmarsch der Kampfgruppen und an der Gedenkkundgebung zu Ehren der „Märzkämpfer“ auf

574 Abbildungen

Zweiter Teil, Kap. II Abb. 8: „Arbeiter schützen ihre Betriebe“: Artikel in der Betriebszeitung der VEB ArmaturenWerke „Karl Marx“ in Magdeburg, der das Wirken der Kampfgruppen zu popularisieren versuchte

Abbildungen

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Abb. 9 u. 10: Abbildung 9 zeigt ein Plakat des Roten Frontkämpferbundes von 1929, Abbildung 10 zeigt das 1957 eingeführte, offizielle Abzeichen der Kampfgruppen – Ausdruck klassenbewusster Entschlossenheit und Zuversicht, dass das Proletariat nicht unterzukriegen ist

Dritter Teil, Kap. I Abb. 11: Das Bild einer „menschlichen Mauer“: Kampfgruppen-Angehörige vor dem Branden­ burger Tor und fortan in (fast) jedem DDR-Schulbuch

576 Abbildungen

Abb. 12: „Angabe mit Gewehr“ – Karikatur aus der Kampfgruppen-eigenen Zeitung: Ein Kämpfer in Hab-Acht-Stellung „diskutiert“ mit zwei lässig-lümmelnden „Halbstarken“

Abb. 13: „Afrika statt Sibirien“ – Eine weitere Karikatur aus dem „Kämpfer“: Ein Kampfgruppen-Angehöriger verweist einen Jugendlichen Jazz/Rock’n’Roll-Fan nach Afrika. Die Auseinandersetzungen über amerikanische Populärmusik stellten einen zentralen Bereich dar, in dem die SED versuchte, ihre Vorstellungen von Kultur und Geschlechterrollen durchzusetzen, um dabei immer wieder auf rassistische Stereotype zu rekurrieren

Dritter Teil, Kap. II Abb. 14: Einladungskarte zum „Kampfgruppenvergnügen“ für Kämpfer und Ehefrauen aus dem VEB Waschmittelwerk Genthin

Abbildungen

Abb. 15: Kampfgruppen-Angehörige, in Uniformen des Roten Frontkämpferbundes gekleidet, defilieren im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum 40. Jubiläum des RFB am 31. Juli 1964, vor der Gedenkstätte der Märzkämpfer in Leuna-Kröllwitz vorbei

577

578 Abbildungen

Viertel Teil, Kap. I Abb. 16 u. 17: Auch ikonographisch dem „Vermächtnis Ernst Thälmanns“ verpflichtet – Briefmarken zum 20jährigen bzw. zum 30jährigen Jubiläum des „unmittelbar bewaffneten Organs der Arbeiterklasse“: Während die Briefmarke von 1973 die revolutionären Traditionen der Kampfgruppen transportiert, indem sie einen Kämpfer in einer Reihe mit einem Angehörigen des RFB (erkennbar an seiner sogenannten „Lenin-Mütze“ sowie dem Ärmelabzeichen) und einem Angehörigen der Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkrieges (wiederum gekennzeichnet durch die Baskenmütze) rückt, betont die Briefmarke von 1983 die in dieser Tradition erstrittenen „sozialistischen Errungenschaften“: vor dem Hintergrund einer in Rot gehaltenen Silhouette einer Industrielandschaft posiert ein Kämpfer in Hab-Acht-Stellung. Farbgebung, Arrangement und Motive zitieren die „operative Kunst“ der 1920er und 1930er Jahre

Abbildungen

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Abb. 18: Kämpfer, soweit das Auge reicht: Aufmarsch von Kampfgruppen-Einheiten zum 20jäh-

rigen Jubiläum im September 1973 in Berlin; bemerkenswert auch die Angehörigen anderer Gliederungen der SED, vornehmlich der FDJ, die zu den Kämpfern eilen, um ihnen Geschenke zu überreichen und auf diese Weise die Verbundenheit von Kampfgruppen und Jugend/Bevölkerung zu demonstrieren

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