Souveränitätskonzeptionen: Beiträge zur Analyse politischer Ordnungsvorstellungen im 17. bis zum 20. Jahrhundert [1 ed.] 9783428499243, 9783428099245

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Souveränitätskonzeptionen: Beiträge zur Analyse politischer Ordnungsvorstellungen im 17. bis zum 20. Jahrhundert [1 ed.]
 9783428499243, 9783428099245

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MARTIN PETERS I PETER SCHRÖDER (Hrsg.)

Souveränitätskonzeptionen

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 119

Souveränitätskonzeptionen Beiträge zur Analyse politischer Ordnungsvorstellungen im 17. bis zum 20. Jahrhundert

Herausgegeben von

Martin Peters Peter Sehröder

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Souveränitätskonzeptionen : Beiträge zur Analyse politischer Ordnungsvorstellungen im 17. bis zum 20. Jahrhundert I Hrsg.: Martin Peters ; Peter Schröder. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Beiträge zur politischen Wissenschaft ; Bd. 119) ISBN 3-428-09924-9

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-09924-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Unserem verehrten Lehrer Univ.-Prof Dr. Dr. h.c. Klaus Ma/ettke

Vorwort Am Anfang stand Jean Bodin ( 1530-1596). Er fonnulierte den neuzeitlichen Begriff von »Souveränität« als »puissance absolue et perpetuelle«. 1 Das Merkmal der »absoluten« und »unteilbaren Souveränität« sei die >>lebenslängliche« Ausübung. 2 In Deutschland wurde in Reaktion auf Bodin, der das Reich als aristokratische Fürstenrepublik beschrieb, die >>majestas personalis« dem Kaiser und die >>majestas realis« dem Reich zugeordnet. Helmut Quaritsch urteilte daher: >>Der S[ouveränitäts].-Begriff gehörte der Neuzeit an; er paßte nicht auf den singulären Verfassungsbau des Reiches«. 3 Die Unterscheidung von >>Real«- und »Personal«-Majestät wurde im Zedler verworfen, um die Theorie der unumschränkten Gewalt der höchsten Obrigkeit, und dies bedeutete den Supremat des Staates, nicht aber um die Tyrannei zu rechtfertigen. Die Bestimmung des Subjekts der »Souveränität« zog weitreichende politische Folgen nach sich ebenso die des Objekts, wenn dies auf die Person der Untertanen ohne Unterschied angewandt wurde. Die Beftirworter der Souveränität stellten die Tyrannei/Diktatur, die »Infallibilität« des Papstes und die Macht der Stände in Frage. Mit der Konstituierung des »fiühmodemen« Staatsbegriffes konnte endlich auch ein neuer Rechtsbegriff entstehen: »der Rechtsstaat wurde durch Bodin nur erst zur bewußt erfaßbaren ldee«. 4 Und der Berliner Jurist Otto v. Gierke ( 1841-1921) urteilte, daß »Souveränität« nicht mehr die Summe der Befugnisse bezeichne, sondern die »einheitliche Quelle der einzelnen Hoheitsrechte«. 5 Der Souveränitätsbegriff steht im Zentrum der Analyse der »bipolaren, zwischenstaatlichen Spannungsphänomene«, die durch das Verhältnis von »Macht« 1 J. Bodin, Les six livres de Ia Republique, 1583 (ND 1961 ). Die Souveränität sei »absolue«, »pure et simple perpetuelle«: liv. 1 chap. 8 (S. 128). 2 Bodin, Les six livres, liv. 2 chap. 1 (S. 266). Vgl. H. Quaritsch, Souveränität, in: J Ritter/K. Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9: Se-Sp, Darmstadt 1996, S. 1104-1109. Ders., Souveränität, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 29. Lieferung: Rheinisches Recht - Salvatorische Klausel (1988), S. 1714-1725. 3 H. Quaritsch, Souveränität, in: HRG, S. 1717. 4 Fr. Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München/Berlin 1924, S. 80. Vgl. auch /. Mieck, Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit. Eine Einführung, Vierte, verbesserte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln 1989, s. 170. 5 0. Gierke, Genossenschaftsrecht, Band 4: Die Staats- und Korporationslehre der Neuzeit. Durchgeführt bis zur Mitte des siebzehnten, für das Naturrecht bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts (ND Graz 1954), S. 214.

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Vorwort

und »Recht« sowie die Dichotomie von »Hegemonie« und »Gleichheit« gebildet werden. 6 Die Konzeptionen von »Souveränität« hieraufhin zu untersuchen, ist gerade deswegen notwendig, da versucht wird, die »nach-souveräne« Ära zu inszenieren. »Souveränität« erscheint im Kontext des »Werdens Europas«, der weltweiten Ökonomie, globalen Informationsgesellschaft und supranationalen Zusammenschlüsse als »Relikt«. Michael Stolleis sieht im »tendentiellen Verschwinden des auf seine Souveränität pochenden Nationalstaats« eine Chance fiir den Verfassungsstaat. 7 Müssen, ja dürfen überhaupt Souveränität und Verfassung als Paradoxon aufgefaßt werden? Welche unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten und Funktionen hat »Souveränität« in unterschiedlichen historischen Kontexten und regionalen Sphären - beispielsweise bei der Staatenbildung, fiir Föderalismuskonzepte oder innerhalb nationaler Individualität? Die Diskussion um »Souveränität« ist Geschichte, nicht aber Vergangenheit. In dem vorliegenden Sammelband »Souveränitätskonzeptionen - Beiträge zur Analyse politischer Ordnungsvorstellungen im 17. bis zum 20. Jahrhundert« werden englische und deutsche Konzeptionen von »Souveränität« aus unterschiedlichen Epochen (16. bis 20. Jahrhundert) von fllnf Historikern, einem Philosophen und einem Juristen, die verschiedenen europäischen Nationen (Deutschland, Großbritannien, Italien) und sogar Kanada entstammen, vorgestellt. Der Widerstreit der Konfessionen, der Dualismus von Staat und Kirche, die Entstehung des »frühmodemen« Staates, die »Aufklärung«, die »Nationalstaatsbildung«, die »Industrialisierung« und der »Konstitutionalismus« bezeichnen ftlr unser Thema Aspekte des historischen lnterpretationsrahmens. Einleitend sollen die Zentralbegriffe der deutschen Souveränitätsdebatte, wie sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verstanden wurden, definiert werden. Im Universal-Lexikon Zedlers wird im Artikel »Souveränität« (supremetas, imperium summum, absolute auctoritatis) -auf verwandte Begriffe »Majestät« und »Landeshoheit« verwiesen. »Souverän«, heißt es weiter, sei ein Prädikat, das nur jenen zustehe, die ihre Länder von niemandem zu Lehen tragen oder von ihren Untertanen an keine Verträge gebunden seien. Und weiter: »mithin, ausser Gott, keinen Ober-Herrn über sich erkennen«. 8 Der »souveräne Herr« oder »Souverän« (Supremus, Souverain) sei »frey, niemand unterworffen, unbeschränckt, ungebunden, eigenmächtig, vollmächtig, der Höchste in einem 6 Vgl. K. Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit (=Marburger Studien zur Neueren Geschichte, Bd. 4), Marburg 1994, S. 15. 7 M. Stol/eis, Nach der Souveränität. Einarbeitung der Grundrechte: Ein Kolloquium über die Welt des Verfassungsstaates, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung filr Deutschland, Nr. 130 (9. Juni 1999), S. NS. 8 Souverain, in: Grosses vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. [... ] [genannt im folgenden: Zedler, Acht und Dreyßigster Band, SkSpie, Leipzig und Halle, 1743, S. 1039-1040.

Vorwort

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Lande«. 9 »Souveränität« wird im Zedler dementsprechend als höchste und unbeschränkte Gewalt sowie vollkommenste Herrschaft und Regierung defmiert, 10 die an die Person des Königs oder Fürsten, also des Herrschers, gebunden sei. So wird ein »souveränes Reich« mit der Regierungsform der Monarchie gleichgesetzt. In den Zedler'schen Definitionen von »Souveränität« und »Majestät« wurde indirekt und verschlüsselt der Hoffnung Ausdruck verliehen, das Reich in einen »modernen Staat« zu transformieren. Sehr viel ausfuhrlicher als »Souveränität« ist im Zedler der Begriff »Majestät« beschrieben. Hierbei handele es sich um das »höchste Ansehen« sowie auch die »höchste Gewalt und Hoheit im Staate«, »welche ein jeder Souverain, er sey gleich ein König, freyer Herzog oder Republic, besitzet«. 11 Die »Majestät« werde in dem Fall ihrer Kraft beraubt, sofern ein Herr an die Fundamentalgesetze eines Landes gewiesen werde, der Lehenspflicht unterliege, unter dem Schutz eines anderen stehe oder einem anderen eine Pension zahlen müsse. Daher »muß man sehen, ob solche Verbindlichkeit eine Unterwerfung mit sich filhret? Denn wenn dieses ist: so hat man nichts mehr denn den äusserlichen Schein der Oberherrschaft«. 12 Was aber war unter Gehorsam zu verstehen? Die freiwillige Unterwerfung unter ein Gesetz mußte nicht notwendig zur Folge haben, daß »Majestät« eingebüßt wurde: »Aus Klugheit nehmen sie [die Herren, Hg.] die Gesetze, die sie ihren Unterthanen vorgeschrieben, selbst in acht, damit sie durch ihr Beyspiel das Volck desto eher zum Gehorsam bewegen mögen«. 13 »Majestät« war eine Möglichkeit, Existenz zu sichern, Wohlfahrt hervorzubringen; ja sie war nicht nur fiir den Menschen auf Grund nützlicher und rationaler Erwägungen notwendig, sondern stand sogar unter dem Gebot der Natur. 14 Souveränitätsdebatten brechen nicht ab. Im Zedler'schen Lexikon wurden zwei einander widerstreitende Parteiungen unterschieden: die »Machiavellisten« und die >>Monarchomachen«. Während die ersteren die Rechte des Herrschers betonten, begründeten zweitere die Rechte der Untertanen. Der Autor selbst aber grenzte sich von beiden Strömungen ab. Gegen die »Monarchomachen« wandte der Autor ein: »[ ... ] ein Unterthan seyn und die Gewalt zugleich haben, geht nicht an. Geflihrlich ist diese Meinung, weil sie Gelegenheit zur Rebellion geben kan«. 15 Auch wenn die höchste Gewalt ursprünglich beim Volk ruhe, müsse ihre Veräußerung notwendig auch ihren Verlust nach sich ziehen. Doch auch dem Monarchen, postulierte der Autor, sollten Grenzen gesetzt werden. 9

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Zedler (wie Anm. 8), Acht und Dreyßigster Band, S. 1039. Zedler (wie Anm. 8), Acht und Dreyßigster Band, S. I 039-1040. Zedler (wie Anm. 8), Neunzehnender Band, Ma, S. 534-548, S. 535. Zedler (wie Anm. 8), ebd., S. 535. Zedler (wie Anm. 8), ebd., S. 536. Zedler (wie Anm. 8), ebd., S. 536. Zedler (wie Anm. 8), ebd., S. 537.

Vorwort

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Der Fürst sei, hieß es, auf Grund seiner Funktion mehr als nur ein Mensch; nicht aber, wie es die »Machiavellisten« meinten, ein Herrscher, der »regieren könne, wie er wolte, wenn auch Land und Leute darüber zu Grunde gehen sollten«. 16 Dies nämlich sei ein Tyrann oder gottloser Regent. Der letzte in unserem Zusammenhang relevante Begriff ist der der Landeshoheit, »ein Wort, welches so viel anzeigt, das nur eine Person im Lande die höchste Regirung mit allen dazu gehörigen Rechte besitze, [... ]«. 17 Schon die Synonyme »Majestas dependens« oder »lus inferioris Maiestats« bedeuten den Unterschied zu »Majestät« und »Souveränität«. Die bewußte oder unbewußte Verwechslung dieser »abhängigen« mit der »obersten« Gewalt, beispielsweise bei der Translation von Vertragstexten, konnte weitreichende politische Konsequenzen zeitigen. Dennoch wird im Zedler die Tendenz deutlich, die Differenz von »Souveränität« und ))Landeshoheit« aufzulösen: ))Unter dessen hat man sich darüber noch nicht verglichen, ob diese Gewalt eine majestätische sey, welche Niemanden über sich erkene, oder keine maiestätische, welche iemanden über sich habe«. 18 Sich filr die eine oder andere Definition zu entscheiden, hieß, das Alte Reich als ))Cörper« oder ))Systema Ciuitatum« zu begreifen, ))Welcher aus vielen zusammen verbundenen Staaten besteht«; oder aber als Monarchie. In diesem Fall aber wurden die Stände bloß als Untertanen bezeichnet. Eine dritte Gruppe von Staatsrechtlern definierte Landeshoheit als ))Majestät«, die ))VOn etwas abhange«, beziehungsweise als ein Abbild der ))Souveränität«. Hierfilr sprach, hieß es im Zedler, daß der Stand in seinem Land als Staat der oberste Fürst sei, ferner, daß dem Stand die oberste Gerichtsbarkeit zustehe, oder auch daß sich die Stände des Titels von Gottes Gnaden bedienen. Mit dieser Analogisierung aber sollte nicht die ))Ständische Majestät« geschwächt und ))kaiserliche Souveränität« gestärkt werden: ))[ ... ] so ist auch dem gemeinen Besten und der Sicherheit aller und ieder daran gelegen, daß die Landesherrlichen Rechte, Macht und Hoheit in ihrem Wesen aufrecht erhalten werden«. 19 Dies sprach für die individuelle historische Entwicklung eines Staates und gegen normative Setzung: ))Jeder Staat ist bey denienigen Rechten, Macht und Hoheit zu erhalten, wie er durch die GrundGesetze des Reichs und die Capitulationen hergebracht ist«. In die Ausübung der Landeshoheit, einem ))Complexus aller derjenigen Rechte, die zur Regierung von Land und Leuten« erforderlich sei, 20 konnte mitunter nicht einmal der Kaiser eingreifen. Der Souveränitätsbegriff wird also nicht deshalb obsolet, da ihm durch Völkerrecht und Verfassung Grenzen gesetzt würden. Zedler (wie Anm. 8), ebd., S. 537f. Lands-Hoheit, in: Zedler (wie Anm. 8), sechszehnter Band, La-Le, 1737, S. 500546, S. 500. 18 Ebd., S. 504. 19 Ebd., S. 528. 20 J. J. Schmauß zit. n. W Se/lert, Landeshoheit, in : HRG, II. Band: Haustür-Lippe, s. 1387-1394, s. 1389. 16

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Vorwort

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Ausgehend von diesen frühneuzeitlichen Aspekten der Souveränität, wird in diesem Band versucht, die unterschiedlichen Forschungsrichtungen aufzuzeigen, die sich der Problematik der Souveränitätsfrage stellen. Interdisziplinarität ist eine gern gebrauchte und geläufige Forderung an die heutige Wissenschaftnur allzu oft bleibt sie aber Postulat. Die Spannungen und Disharmonien, die zwangsläufig bei dem Versuch auftreten, mit einer interdisziplinären Forschung Ernst zu machen, wurden hier bewußt in Kauf genommen. Es ist unsere Hoffnung, daß aus diesen Spannungen fruchtbare Anstrengungen fiir die weitere Forschungsdiskussion entstehen können. Für die Vorbereitungen des Manuskriptes fiir den Verlag Duncker & Humblot danken wir Herrn Jens Koch (Göttingen/Marburg). Martin Peters Peter Sehröder

Inhaltsverzeichnis Merio Scatto/a Die Frage nach der politischen Ordnung: >ImperiummaiestasSumma potestas< in der politischen Lehre des frühen siebzehnten Jahrhunderts ...

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Peter Sehröder Völkerrecht und Souveränität bei Thomas Hobbes

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Timothy J. Hochstrasser Eighteenth-Century Despotism and the Physiocratic Concept of Legal Sovereignty ................................................... 00 • • • • • • • • • 00 • •

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Dieter Hüning Naturzustand, natürliche Strafgewalt und Staat bei John Locke ..

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Martin Peters August Ludwig Schlözer und das Verhältnis von Staat und Gesellschaft

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FrankLaux Rathenau und das Verhältnis von staatlicher Souveränität und Wirtschaft

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Geoffrey Vaughan The Decline ofSovereignty in the Liberal Tradition: The Case of John Rawls 157 Verzeichnis der Mitarbeiter ..........

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Die Frage nach der politischen Ordnung: >Imperiummaiestassumma potestas< in der politischen Lehre des frühen siebzehnten Jahrhunderts Von Merio Scattola

I. Die vielen Namen der politischen Herrschaft Regia potestas, manus regia, maiestas imperialis, imperatoria maiestas et celsitudo, principialis maiestas, summa rerum, arbitrium, KUpta absoluta potestas< gingen unmittelbar in die Lehre des Naturrechts über und wurden zu den Hauptbegriffen der neuzeitlichen Theorie von Politik, Recht und Staat. 2 Sie bilden daher die Schnittstelle zwischen dem antiken oder mittelalterlichen und dem modernen politischen Denken.3

1 Jakob Bornitz: De maiestate politica et summo imperio eiusque functionibus (... ], in : Bornitz: Tractatus duo. I. De maiestate politica (...]. II. De praemiis in republica decemendis [ ...], Lipsiae 1610, S. 3-4. Zur Geschichte des Begriffs >Herrschaft< zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts vgl. Merio Scattola: Ordine della giustizia e dottrina della sovranita in Jean Bodin, in: Giuseppe Duso (Hg.): II potere. Per Ia storia della filosofia politica modema, Roma 1999, S. 61- 75; Giuseppe Duso: II govemo e l'ordine delle consociazioni: La Politica di Althusius, in: ebd., S. 77-94; Merio Scattola: Ordine e >imperiumc Dalle politiche aristoteliche del primo Seicento al diritto naturale di Pufendorf, in: ebd., S. 95-111. 2 V gl. Leo Strauss: Hobbes' politische Wissenschaft ( 1936), Neuwied am Rhein 1965, S. 126-160: Die neue politische Wissenschaft. 3 Otto Brunnerbenutzt in diesem Fall das Wort >alteuropäischganze Haus< und die alteuropäische >Ökonomikmodernen politischen Wissenschaft< 4 etwas Neues erschienen, mit der Folge, daß man die neue und die alte Idee von Herrschaft kaum miteinander vergleichen kann, weil dieser Begriff- wenn man darunter eine rational begründete und daher unbeschränkte Befugnis des Herrschers über den Willen der Untertanen versteht- erst seit der Neuzeit bekannt ist? >Imperium< und >maiestas< sind Spiegel dieses Übergangs. Ersteres wurde sowohl von der >alteuropäischen< aristotelischen Politik als auch von der >modernen< Naturrechtslehre in Anspruch genommen,5 und auch in Anlehnung an die juristische Tradition6 bildete es den Kern der naturrechtliehen Herrschaftslehre. Letztere wurde in der lateinischen Gelehrtensprache schon von Jean Bodin verwendet, um den Begriff >Souveränität< zu bezeichnen und rückte damit in die Mitte der in den deutschen Territorien nicht immer unangefochtenen Bodin-Rezeption.

II. Warum muß man dem Herrscher gehorchen?

Die unterschiedlichen Ansätze der >modernen politischen Wissenschaft< des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts haben ein gemeinsames Merkmal. In der Erörterung der Herrschaft wird von allen Seiten der Versuch unternommen, diesen Begriff rational zu begründen. »Warum muß man der Obrigkeit gehorchen?«: Diese Frage wird mit Hinweis auf die Herrschaft beantwortet. Die Antwort lautet: »Weil die Obrigkeit die politische Herrschaft inne hat«. Folglich muß man zeigen, was diese Herrschaft sei und worauf sie beruhe. Die Grundlage der modernen Politik besteht daher in einem Diskurs über die Zwangsläufigkeit der Herrschaft, also über ihre Fähigkeit, Gehorsam zu erzwingen. Da eine vernunftmäßige Begründung sich ausschließlich auf das rationale Element der menschlichen Natur berufen darf, entwickelt der politische Diskurs 4 Strauss: Hobbes' politische Wissenschaft ( 1936), Neuwied am Rhein 1965, S. 126 und 150. 5 Giuseppe Duso: Introduzione: Patto sociale e forma politica, in: Duso (Hg.): Il contratto sociale nella filosofia politica moderna, Milano 21993, (I . Autl. Bologna 1987), S. 7-49, besonders S. 21- 27 und 34-38. 6 Vgl. zum Beispiel Jean Bodin: De republica libri sex, Latine ab autore redditi, multo quam antea locupletiores [...], Parisiis 1586, I, 8, S. 85 B, der auffolgende Stellen verweist: Digestum, I, 3, 31 : »Princeps Iegibos solutus est: Augusta autem licet soluta non est, principes tarnen illi privilegia tribuunt, quae ipsi habent«; Codex, I, 14, 9; Codex, I, 26, 2; Baldus de Ubaldis: In primum, secundum et tertium Cod. lib. commentaria [... ], Venetiis 1577, ad Codex, I, 1, 1, BI. 5rb_9rb; ebd., ad Codex, I, 19, 7, BI. 8orb; Alessandro Tartagni: Consiliorum Alexandri volumen primum [... ], Lugduni 1535, I, 101 , § 5, BI. 78Tb_va.

Die Frage nach der politischen Ordnung

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eine deduktive Kette, deren unvermeidliche Schlußfolgerung ist, daß der Gehorsam notwendig ist, weil er aus einer Entscheidung des individuellen Verstands entsteht. Die politische Herrschaft gilt somit als begründet, weil man beweisen kann, daß ihre Ursache im vernunftmäßigen Willen der Individuen liegt. Sie hat daher ein >rationales< oder >begriffsmäßiges< -das heißt durch logische Deduktion gewonnenes- Wesen. Ihre Zwangsläufigkeit kommt aus ihrer Fähigkeit, ein Unterwerfungsverhältnis durch die logische Kohärenz ihrer Deduktion zu erzwingen. In der politischen Lehre des späten sechzehnten und des frühen siebzehnten Jahrhunderts, die auch als >politischer Aristotelismus< bezeichnet werden kann, ist solch eine Erscheinung unbekannt. 7 Dies heißt aber freilich nicht, daß die vormoderne Lehre kein politisches Verhältnis, keine Unterordnung zwischen Oberem und Unterem kennt. Im Gegenteil, dieses Unterordnungsverhältnis wird auf vielerlei Weise dargestellt: als dessen Basis gilt aber immer die Feststellung, daß die politische Ordnung einfach da ist und daß jene besondere Fähigkeit, Befehle zu erteilen, die mit dem Wort >imperium< bezeichnet wird, ein Hauptbestandteil dieses Zusammenhangs ist. Man fragt sich aber nicht, woher die politische Ordnung ihre Zwangsläufigkeit erhalte. Noch weniger fragt man sich, warum sie existiere. Die Antwort auf eine solche Frage wäre eine Tautologie: Die Ordnung ist, weil Ordnung sein muß. Weder die politische Ordnung noch der Diskurs, der sie erörtet, beruhen auf einer verstandesmäßigen Begründung, und ihre Gültigkeit hängt von keinem logischen Kalkül ab, zu dem die Individuen verpflichtet sind. Zwischen der modernen >Herrschaft< und dem vor- oder frühneuzeitlichen >imperium< läßt sich daher ein wesentlicher Unterschied konstatieren, der sich nicht als Differenz zwischen zwei Arten derselben Gattung deuten läßt. Nur die moderne Herrschaft ist Begriff im engeren Sinn und verftlgt über einen inneren rationalen Aufbau, der immer- zumindest virtuell- in seinen logischen Teilbe7 Hier wird der Ausdruck >politischer Aristotelismus< im weiten Sinn verwendet, um die gemeinsame politische Sprache zu bezeichnen, die von allen Parteien der politischen Debatte unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit benutzt wurde. Der politische Aristotelismus kann als der gemeinsame Nenner verstanden werden, auf den alle Varianten der politischen Lehre des siebzehnten Jahrhunderts zurückfiihbar sind. Mit dem ähnlichen und sinnverwandten Ausdruck >protestantischer Aristotelismus< bezeichnet Horst Dreitzel dagegen jene politischen Autoren wie Henning Arnisaeus und Hermann Conring, die die Souveränitätstheorie Jean Bodins mit der aristotelischen Lehre integrierten und die herrschaftliche Ordnung des protestantischen Staats gegen die monarchomachischen Vorstellungen des reformierten Lagers verteidigten. Der >protestantische Aristotelismus< ist also eine Variante des >politischen Aristotelismuspolitischem Aristotelismus< die Rede ist.

Merio Scattola

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Stimmungen aufgelöst werden kann. Das vormoderne >imperium< verweigert sich jeder intellektuellen Umsetzung. Der politische Aristotelismus der deutschen Territorien, der diese Auffassung beispielhaft versinnlicht, versucht nicht, die Berechtigung des >imperium< stringent zu beweisen, sondern kann einfach darauf hinweisen, daß Ordnung - sei es die politische, sei es eine höhere - vorhanden ist, und lehrt, daß sie auf allen Ebenen der Schöpfung wirksam ist. Wie Henning Amisaeus bemerkt, ist das Gemeinwesen, in dem die Menschen zusammenleben, ein Ordnungsverhältnis. Eine Menschenmenge (>multitudomateria< der Republik bildet, ist keine politische Gesellschaft, solange ihr die >Form< fehlt. Das Wesen der Stadt besteht daher in der quia per rempublicam cives in ordinem coguntur, cum multitudo sine ordine confusiones pariat, et felici concordique vitae obsistat«. 8

»msts,

111. Politische, kosmische und göttliche Ordnung Die Stadt und die Schöpfung Die politische Ordnung oder >taxisOrdo potestatumimperium< innehaben und das Leben anderer Menschen in bezugauf das Gute leiten. Es wäre zwecklos, hier die Frage aufzuwerfen, ob eigentlich der >ordo< oder das >imperiurn< vorkommt: ob die Herrschenden gebieten dürfen, weil sie gut sind, oder ob sie gut sind, weil sie die Herrschaft ausüben. Diese Frage muß ohne Antwort bleiben, weil die Hierarchie des >imperiurn< zur gleichen Zeit auch die Hierarchie des Guten ist. Folglich muß die Tugend, die das wahre Ziel der politischen Herrschaft ist, nicht als ein äußerer Zweck angesehen werden, dem gegenüber das >imperiurn< ein bloßes Hilfsmittel wäre. Die Tugend wird vielmehr ausgeübt, indem die Rangordnung der regierenden Instanzen aufrechterhalten wird. 9 Das tugendhafte Leben flillt mit dem Gehorsam der politischen Gebote zusammen, und das gute Leben ist das Leben in dem Gemeinwesen, das durch Gebieten und Gehorchen die Ordnung der Stadt bewahrt. 10 8 Henning Arnisaeus: Doctrina politica in genuinam methodum, quae est Aristotelis, reducta [... ], Argentorati, 1648, in: Arnisaeus: Opera politica omnia duobus tomis distincta [ .. . ], Argentorati 1648, (I. Aufl. Francofurti 1606), Bd. I, I, 7, S. 59b. 9 Pierre Gregoire: De republica libri sex et viginti [... ], [o. 0 .], 1597, (I. Aufl. Ponte ad Montionem, 1596), VI, I, 4, S. 290-291. 1 Christian Matthiae: De republica [... ], resp. Christophorus Muckhius, in: Matthiae : Collegium politicum iuxta methocturn logicam conscriptum, et ad disputandum propositum [... ), Giessae 1611, §§ 36-37, S. 77- 78: »Ürdo vero qui formam reipublicae constituit, est ethicus sive moralis, in administratione prudentiae, iustitiae aliarumque virtutum consistens, sine quo multitudo domorum, ut effabre et concinne sit disposita quoad locum et numerum, non tarnen est respublica aut politia,

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Die Frage nach der politischen Ordnung

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Jede Ordnung bezieht sich aber immer auf ein Eins. Keine Reihenfolge kann rückwärts ins Unendliche gehen und muß daher unbedingt mit einem Ersten anfangen, zumal anderenfalls Zwischenzahlen nicht auftauchen können. 11 Andererseits stelltjede Ordnung ein gewisses Verhältnis (>ratioimperium< verweist daher notwendigerweise auf die metaphysische Verfassung der Welt und auf Gott als deren Schöpfer, der der wahre »in et a se ipso dominus, monarcha et imperator« der Welt ist, von dem alle irdischen Obrigkeiten »dominium, autoritatem et potestatem imperandi« bekommen:13 Naturalis (sei!. respublica est] quia natura a Deo ita comparata est, ut requirat magistratum; cum sine ordine constare nihil queat, necessario alii priores, alii posteriores sint; et in omnibus. quae in unum disponuntur, quiddam nascatur principii vicem gerens. 14

Die Tatsache, daß die Ordnung immer auf das Eine bezogen ist, ist keine Besonderheit der Politik. Alle Autoren des frühen siebzehnten Jahrhunderts stimmen darin Uberein, daß dieselben Prinzipien sowohl filr die Stadt als auch filr den einzelnen Menschen und die gesamte Natur gelten müssen:

sed barbaries politiae oppositae. Fundamenturn huius ordinis sunt Ieges naturales, quarum sanctionibus, si respublica est subnixa, sanctum reipublicae nomen existit.« Vgl. auch Christian Matthiae : Systema politicum in tres libros distributum [...], Marpurgi 163 I, S. 193- 194. 11 Arnisaeus: Doctrina politica, I, 7, S. 59b; Henning Arnisaeus: De iure maiestatis libri tres [... ], Argentorati 1635, in: Arnisaeus: Operum politicorum tomus secundus [ .. . ), Argentorati 1648, (I. Aufl. Francofurti 1610), I, 3, I, S. 29-30; Francesco Piccolomini: Universa philosophia de moribus (... ], Francofurti 1595, (I. Aufl. Venetiis 1583), Introductio, 16, S. 30-33. Beide Autoren beziehen sich auf Averroes: Expositio [metaphysicae], in: Aristoteles und Averroes: Tomus octavus operum Aristotelis (...] universam illa scientiam complectens, quam metaphysicam vocant (... ] cum Averrois Cordubensis duplici expositione [... ], in: Aristoteles und Averroes: Aristotelis omnia quae extant opera (... ]. Averrois Cordubensis in ea opera omnes, qui ad nos pervenere commentarii ~ . ], Venetiis 1560, (1. Aufl. Venetiis, 1550), V, II, Nr. 16, ad Metaphysica, V, II, 1018 9. 12 Henning Arnisaeus: Oe republica seu relectionis politicae libri duo [...], Argentorati 1636, in: Arnisaeus: Opera politica duobus tomis distincta, (I. Aufl. Francofurti 1615), Bd. l, II, I, I, 12, S. 296a. 13 Otto Casmann: Doctrinae et vitae politicae methodicum ac breve systema [ ... ], Francofurti 1603, S. 11-12. 14 Ebd., S. 12.

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Merio Scattola In corporum universitate corpus coeleste reli~ua moderetur; omnia animalia rationale animal regal; hominem ipsum divinior anima. 5

Alle politischen Schriftsteller der Zeit rekurrieren in dieser Hinsicht direkt oder indirekt auf die Stelle des De legibus (III, I, 3), in der Cicero das >imperium< als ein Prinzip beschreibt, das auf allen Ebenen des Seienden wirkt: Nihil porro tarn aptum est ad ius condicionemque naturae (quod cum dico, Iegern a me dici intellegi volo) quam imperium; sine quo nec domus ulla nec civitas nec gens nec hominum universum genus stare nec rerum natura omnis nec ipse mundus polest; nam et hic deo paret, et huic oboediunt maria terraeque, et hominum vita iussis supremae legis obtemperat.

Eine ähnliche Analogie besteht auch zwischen der Seele und der Stadt. Dieselbe Führungsaufgabe, die die Seele im Menschen erfiillt, kommt innerhalb der Stadt dem >imperium< zu, so daß die >imperandi et parendi ratio< die Seele der Gemeinschaft ist. 16 Wie ein Lebewesen zu einem toten Körper wird, wenn es 15 Ebd., S. 12. Vgl. auch Arnisaeus: Doctrina politica, I, 7, S. 59b; Klemens Timpler: Philosophiae practicae pars tertia et ultima complectens politicam integram libris V. pertractatam [...], Hanoviae 1611, S. 119: »Sine imperio nec domus ulla, nec hominum ipsum genus, nec rerum natura omnis, nec ipse mundus stare polest«; Georg Schönborner: Politicorum libri VII.( ... ], Lipsiae 1619, (1. Aufl. 1609), S. 9: »Et nihil in toto hoc universo consistit absque ordine, qui est proprium naturae effectum.« Christoph Besold: Dissertatio prima praecognita philosophiae [scil. politices] complectens, in: Besold, Principium et finis politicae doctrinae. Hoc est dissertationes duae. Quarum una praecognita politices proponit. Altera de republica curanda agit [ ...], Argentorati 1625, V, 3, S. 49. Vgl. auch John Case: Sphaera civitatis; hoc est, reipublicae recte ac pie secundum Ieges administrandae ratio [... ], Francofurti 1589, (1. Aufl. Oxoniae 1588), I, 3, S. 23, der die Analogie umkehrt: »Disces melius quid sit civitas, si in te ipso quodammodo civitatem discas.« 16 Justus Lipsius: Politicorum sive civilis doctrinae libri sex [...], Lugduni Batavorum 1590, (1. Aufl. Amstelodami 1589), !I, 16, S. 76 und IV, 9, S. 153-154; Henricus Farnesius: De simulachro reipublicae sive de imaginibus politicae et oeconomicae virtutis [... ], Papiae 1593, I, 2, BI. I JV-12Y: »Quid enim est, aut princeps nisi caput mundi, aut mundus, nisi corpus principis? [ ...]. Quare ut animae corpus, sie principi obedire debet populus«; Gregoire: De republica, VI, I, 9 und 13, S. 292- 293 und 294-295; Johannes Althusius: Politica methodica digesta [... ], 1603 Herbornae Nassoviorum, I, S. 8; Bornitz: De maiestate politica, S. 22-23: »Imperio summo rempublicam animare finem principalem esse, cuius gratia 7tpoYcc.ot:;, constituta est maiestas, dicimus, qua voce cum alia, quae plenius et planius, quod volumus, exprimat, deesse videtur, utendum fuit analogia ab anima hominis sumpta, quae corpus humanum sua virtute animat, ut sit et existat homo. Est enim imperium principis verissimus animus reipublicae et vinculum, per quod respublica cohaeret, atque ille vitalis spiritus, quem tot millia hominum trahunt, ut respublica nihil ipsa per se futura sit, nisi onus et praeda, si mens illa imperii subtrahatur [.. .]. Ut enim corpus ab animaesse et motum nanciscitur, ea vero deficiente corpus humanum esse desinit: lta quaevis respublica maiestate imperii esse incipit, eoque vigente viget, cessante respublica esse cessat, et vel in anarchiam, illegem hominum coetum, [... ] vel aliud chaos corruptum et informe degenerat«; Christoph Besold: Disputatio prima praecognita prudentiae politicae proponens [... ], resp. Georgius Christophorus a Schallenberg in Biberstein, in: Besold: Collegi politici classis prima; reipublicae naturam et constitutionem XII. disputationibus absolvens [... ], Tubingae 1614, § 23, S. 13-14; Christoph Besold: Politicorum libri duo [... ], Francofurti 1620, (1. Aufl. 1618), I, I, 23, S. 25; Besold: Dissertatio prima praecognita philosophiae [scil. politices] complectens, V, I, S. 47-48.

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von der Seele verlassen wird, so stirbt und löst sich die politische Gemeinschaft auf, wenn ihr das strukturierende Element des Regierens fehlt, und nur durch eine Abstraktion der Einbildungskraft ist möglich, die formale von der materialen Seite, die >respublica< von der >civitas< zu trennen. IV. Tugend und Herrschaft Die Analogie zwischen Seele und Stadt beschreibt nicht bloß eine allgemeine Übereinstimmung zwischen zwei Sphären, die ähnlich sind, aber unabhängig voneinander bleiben. Sie zeigt vielmehr die gegenseitige Implikation von Ethik und Politik, Tugend und Herrschaft und stellt den wahren Grund dar, warum sich die Menschen in das politische Zusammenleben der Stadt vereinigen. Die Ordnung des Gemeinwesens ist nämlich die Bedingung filr die Verwirklichung des tugendhaften Lebens. Da der einzige Mensch von Unvollkommenheit und angeborener Unzulänglichkeit gegenüber seinem wesentlichen Zweck behaftet ist, ist er auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen: Nemo enim per se autapKT(Autarkes< im eigentlichen Sinn ist daher nur die Stadt oder sogar der Städtebund, der sowohl Überfluß an materialen Gütern und innere Ruhe als auch auswärtige Sicherheit und Frieden mit den Feinden gewährleisten kann. >Autarkeia< bedeutet zuerst die materiale Selbständigkeit, weil das Einzelne wehrlos geboren wird; sie betrifft aber auch die gegenseitige Hilfe und Mitwirkung in Hinblick auf die Erziehung der Seele, damit jeder das Gute anerkennen und ausüben könne. Die Menschen kommunizieren daher nicht nur die materialen Güter, sondern auch und vor allem ihre Rechte und Pflichten. Aus dem Widerspruch zwischen angeborener Schwäche und Streben nach dem guten Leben folgt die Notwendigkeit, sich selbst und das Gemeingut der Führung des besseren Teils der Stadt, sei dieser ein König, ein Rat oder das 17 Althusius: Politica methodica digesta 1603, I, S. 2. Zur >communicatio< bei Althusius vgl. Peter Jochen Winters: Die >Politik< des Johannes Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen, Freiburg im Breisgau 1963, S. 175-191 ; Peter Jochen Winters : Johannes Althusius, in: Michael Stalleis (Hg.): Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik, Politik, Naturrecht, Frankfur 21987 ( 1. Aufl. 1977), S. 35 und 42-43 . Die Übereinstimmung von Tugend und Politik wird von Michael Behnen: Herrschersbild und Herrschaftstechnik in der Politica des Johannes Althusius, in: Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), S. 417-472 in Frage gestellt.

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Volk, zu unterwerfen. Die natürliche Verfassung der Menschen - ihre eigentümliche Mischung von materialer oder geistiger Unzulänglichkeit und Streben nach der Vollkommenheit- läßt die Gesellschaft unentbehrlich sein. Die angestrebte Tugend ist andererseits an sich auf das Zusammenleben angewiesen, weil sie eigentlich nichts anderes als das Kommunizieren von Gütern und Pflichten ist, zu dem die Menschen von ihrer Unvollkommenheit aus bewegt werden. Die Menschen sind daher unmittelbar gesellig, und die Sprache ist das Merkmal ihres Zustands. Einige Autoren der Zeit beobachteten, daß auch »naturalis instinctus, inclinatio et propensio ad societatem civilem colendam« an der Entstehung der Gesellschaft mitwirken. 18 Diese nähere Bestimmung ist aber strenggenommen nicht notwendig und kann die ethische Bedeutung des gemeinsamen Lebens verschleiern, indem sie letzteres auf einen natürlichen Trieb zurückfuhrt. Um ihre >autarkeia< zu verwirklichen, gehen die Menschen in die politische Gesellschaft ein, aber sie sind naturgemäß ungleich. So gestaltet sich die Stadt als eine Ordnung zwischen dem Oberen und dem Unteren. Die Ausübung der Tugend im Gemeinschaftsleben bedeutet für einige, daß sie tugendmäßig gehorchen, für andere, daß sie tugendmäßig regieren sollen. Die natürliche Unvollkommenheit gilt nämlich auch für diejenigen, die die Stadt regieren, denn sie könnten außerhalb der politischen Kommunikation keineswegs ihre Tugend verwirklichen. Sie können nach der moralischen Selbständigkeit nur in dem Maße streben, wie sie in Hinblick auf das Gemeingut tugendhaft gebieten. Folglich ist die Herrschaft der Regierenden - seien sie einer, mehrere oder viele keine Verfügungsbefugnis über andere Menschen, die von diesen sogar vernichtet werden kann, sondern sie ist ein Leiten oder Führen, das die Regierten bewahrt und fördert. Wenn der Regierende seine Pflicht mißversteht und sein >imperium< als ein Beherrschungsmittel betrachtet, das der Kommunikation der Güter entzogen ist, hört er auf, ein gerechter Herrscher zu sein und wird zu einem Tyrannen. Das Gemeinwesen geht somit auseinander: Nam imperare, regere, subiici, regi, et gubernari sunt actiones naturales, ex iure gentium profectae, ut aliter pro monstro haberetur, non minus quam videre corpus sine capite, et caput sine membris legitime et convenienter ordinatis, aut cum defectu illorum. Utile enim est maxime singulis, quae sibi suffleere nequeunt, ab alio iuvari et conservari, et id melius dicitur quod et sibi sufficit et aliis prodesse potest: et quo magis bonum communicatum, eo melius praestantius est. Deiode tanta tamque admirabilis est mundi huius diversitas, ut nisi aliqua symmetria subordinationis colligeretur, et certis legibus subiectionis et regiminis temperaretur, confusione sua brevi tempore consumendus esset: nec possent partes tarn diversae in eo perseverare, si singulae vellent per se promiscue et indifferenter opera ·sua perficere, atque 18 Timp/er: Philosophiae practicae pars tertia, S. 23 . Vgl. auch Casmann : Doctrinae et vitae politicae methodicum ac breve systema, S. 3: »affectus societatis«; A/thusius: Politica methodica digesta 1603, I, S. 6: »instinctus gregatim vivendi, societatemque civilem constituendi«.

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potestas potestati aequali occurrens, perpetua discordia et irreconciliabili, ornnia pessundaret, alienaque quae regere non novit, nec conveniunt, usurparet cum sua pernicie. Et dum quisque secundum voluntatem suam cogitat vivere, regulam disciplinae omitteret [... ]. Deinde conservatio et duratio ornnium rerum consistit in illa ordinationis et subiectionis concordia. Nam sicut ex diversi toni fidibus, ad syrnmetriam intensis, sonus dolcissimus oritur et melodia suavis, gravibus, mediis et acutis coniunctis; ita conventus et societas, in republica imperantium et oboedientium, ex divitum, pauperum, artificum, sedentariorum et id genus diversorum graduum, personarum statu, quam suavissima oritur et conveniens: et si ad concentum reducatur, efficitur concordia laudabilis, felix et pene divina et durabilior. Quod si vero omnes aequales, singulique pro arbitrio vellent alios regere, et alii recusarent regi, hinc facilis esset discordia, et ex discordia dissolutio societatis: nullus esset gradus virtutis, nullus meritorum, et sequeretur ut ipsa aequalitas esset summa inaequalitas, ut Petrus Gregorius recte disserit lib. 6. c. 1. de Republica. 19

Die Unterschiede zwischen den Einzelnen, die an der harmonischen Übereinstimmung des Gemeinwesens teilnehmen, beziehen sich nicht nur auf Stand und Beruf, sondern betreffen auch- wie Jakob Bomitz erklärt- die Verteilung der >potestaspotestates< gedeckt: Nam in republica potestas est vel cum imperio, vel sine imperio quaevis alia. Utraque vel publica vel privata. Summa et prima, vel a prima orta. Cum imperio illa potestas est, quae imperium suo nomine dicitur. Quod publicum et privatum. Publicum est, quod publice exercetur in subditos et cives. Quod absolutum et moderatum. Potestas publica sine iurisdictione et imperio est quaevis alia potestas publica. Sacra puta vel civilis, vel militaris. Privata est singulorum in singulos. Vel cum imperio, quae est patrumfamilias in farniliares. Vel absque imperio, quae est tutorum, curatorum, propinquorum, praeceptorum, seniorum et c. Unde imperium privatum est patrisfamilias, quod privatim in singulos familiares exercetur. Hoc ordine imperiorum et potestatum continetur tota respublica?0

Alle Geschöpfe der Welt üben eine gewisse >potestas< aus, und sind wiederum anderen >potestates< unterworfen. Nur Gott ist >potens< im eigentlichen Sinn, und nur die Materie ist vollkommen >impotensuniversitas< bildet, wird von ihrem eigenen Fürsten regiert, der von Gott eingesetzt wird. So haben Bäume, Quellen, Flüsse, Engel, Sterne, Dämonen, Vögel, Tiere, Schlangen, Fische und Menschen ihren Fürsten, und der Fürst der Menschen ist Christus. 21 Die 19 Althusius: Politica methodica digesta 1603, I, S. 6-7. Vgl. auch ebd., VI, S. 5556. Althusius bezieht sich hier auf Gregoire: De republica, VI, 1, 5, S. 291. Vgl. auch Lambert Daneau: Politicae Christianae libri septem [...], [o. 0 .], 1606 (I. Aufl. 1596), II, 2, S. 78- 79. Die Quellen dieser Stellen sind Cicero: De legibus, Ill, I, 3 und Augustinus: De civitate Dei, ll, 21, der Cicero: De republica, ll, 69 anfuhrt. 20 Jakob Bornitz: Partitionum politicarum libri quattuor, Hanoviae 1608, S. 34- 35. 21 Gregoire: De republica, VI, I, 1, S. 289-290.

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Notwendigkeit und die Struktur der >potestates< werden von der Unvollkommenheit dieser Welt gerechtfertigt, die, der Sünde preisgegeben, zwischen Mehr und Weniger schwebt. Nur das, was fehlerhaft ist, aber sich verbessern kann, kann Gegenstand eines Gebots sein. Das >imperium< ist eine Art der >potestasimpotens< wieder zur >potentia< zu-_ rückfiihrt: Imperium ab imperando, est potestas regendi impotentes, a Deo, gentium et civili iure ordinatum et temperatum. Potestas est rectae rationis ordinatio. Quae consistit in reductione impotentis ad Eotentiam. Quod fit informatione animi in veri et recti studio. Turn iussione recti.

Die wahre >Macht< ist daher die Kenntnis von dem Wahren und Gerechten, von dem, was vernünftig ist und der Weltordnung entspricht. Die Aufgabe des >imperium< - es soll die Machtlosen zur Macht filhren - verlangt, daß es die Untertanen zur Kenntnis des Wahren und zur Ausübung des Gerechten fiihre. Es betriffi also sowohl die Regierung der Seelen durch die Lehre als auch die Regierung der äußeren Handlungen durch das gerechte Gebieten. 23 In der Anschauung des Kosmos begreift die Vernunft das Geflecht von >potestatesimperium< innerhalb der Stadt achtet. Somit verweist das >imperium< letztlich auf sich selbst. Gestiftet wurde es, um eine Ordnung zu bewahren, die mit ihm selbst zusammenfallt, und sein eigener Zweck ist die eigene Darstellung, die zugleich die Darstellung der schöpfungsimmanenten Ordnung ist.

V. Zwei Auffassungen der politischen Herrschaft: >maiestas aut summa potestas< Neben >imperium< stellt >maiestas< den zweiten zentralen Begriff in der politischen Lehre des späten sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhunderts dar. Das Schicksal dieses Ausdrucks wurde entschieden, als Jean Bodin 1586 das Wort >souvrainete< ins Lateinische übersetzte. Seitdem konnte die >maiestas< nur in Anlehnung an die Souveränität oder im Gegensatz zu ihr bestimmt werden.

Bornitz: Partitionum politicarum libri quattuor, S. 32-33. Ebd., S. 33-34. Vgl. auch A/thusius: Politica methodica digesta 1603, I, S. 3 und Gregoire: Oe republica, VI, I, 3, S. 290. 22 23

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In der Menge von systematischen Darstellungen, Traktaten und Dissertationen, die sich nach der Begründung der ersten Lehrstühle filr Politik an den deutschen Universitäten24 in den ersten zwei Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts in rascher Folge verfaßt wurden, zeigten sich deutlich zwei entgegengesetzte Auffassungen von der >maiestas< und ihrem theoretischen Zusammenhang. Einerseits wurde sie als das persönliche Ansehen verstanden, das der eindeutigen Tugendhaftigkeit entspringt; andererseits wurde sie mit der höchsten Gewalt im Gemeinwesen gleichgestellt: Haec potestas est quasi reipublicae caput. In hoc imperio praecipua vis totius consistit civitatis. Imperium hoc reipublicae quasi obtinet arcem: omnia eiusdem membra movens. Errat itaque Petrus Gregorius Tholosanus, dum 8. de republica cap. 3. § 2. maiestatem esse latens quippiam, ait, quod praeter naturam propriam admirabile quippiam reddit. Nec Justus Lipsius maiestatis culmen attingit, 2. politicorum cap. 16. quod maiestatem reverendam quandam amplitudinem appellat ob meritum virtutis aut affinium rerum. Denique etiam Keckermannus male definit maiestatem, quod sit vis quaedam, per quam princeps sibi conciliat in animis hominum singularem quandam admirationem venerationemque et cum utraque coniunctum metum. Licet enim maiestas, nonnunquam pro auctoritate ac gravitate personae proque difnitatis reverentia usurpetur, in specialiori tarnen hic omnino sumitur significatu. 2

Diesen zwei Auffassungen entsprachen zwei Orientierungen der frühneuzeitlichen politischen Lehre, die sich bewußt voneinander ausdifferenzierten. Trotz der heftigen Debatte bewahrten aber beide Traditionen die Ideen der allgemeinen Ordnung und des >imperium< als >reductio impotentis ad potentiam< als gemeinsame Basis, die nie in Frage gestellt wurde, nicht einmal von den Verteidigern der >potestas absolutaimperium< als >maiestas< Der ersten Tradition, die die >maiestas< mit der Tugend des Fürsten verbindet, gehören Pierre Gregoire von Toulouse und Justus Lipsius an, die zu den wichtigsten Quellen der politischen Lehre im frühen siebzehnten Jahrhundert gezählt werden können. Unter den deutschen Autoren sind Hermann Kirchner, Otto Casmann, Bartholomaeus Keckermann, Klemens Timpier und Georg Schönborner zu erwähnen, die zum großen Teil der reformierten Konfession angehörten. Dieser besondere Umstand läßt sich aus zwei Gründen erklären. Einerseits konnte diese Interpretation die Ansprüche der kalvinistischen Reichsstände gegen den Augsburger Frieden rechtfertigen. Andererseits hatte sie auch theologische Wirkungen, weil sie verneinte, daß Christus die göttliche >maiestas< im höchsten Grad besaß und damit eine wichtige Voraussetzung der ubiquitären Abendmahlslehre bestritt. 27 Diese Auffassung der politischen Herrschaft, die Teil der theologischen und politischen Debatte vor dem Dreißigjährigen Krieg war, übernahm die antike Tradition des Terminus >maiestasmaiestas< nur Gott und sie zeigt sich auf der Erde erst dann, wenn Gott den Menschen einen Strahl seiner Macht mitteilt. Dementsprechend besitzen die Fürsten >maiestas< nur deswegen, weil sie Gott auf der Erde repräsentieren und somit trotz der Beschränkungen des menschlichen Zustands an den göttlichen Eigenschaften teilhaben.30 Die >maiestas< dieser Tradition ist also keine absolute Befugnis, die keinen Oberen anerkennt, sich selbst erzeugt und sich nur nach unten, zu den Untertanen wendet. Im Gegenteil, sie wirkt in der Welt, weil sie nach oben offen bleibt und ständig darauf hinweist, daß sie in einer oberen Ebene wurzelt. Das Wort >maiestas< wird in diesem Fall eindeutig gegen Bodin benutzt, indem die Gleichstellung von >maiestas< und >souverainetc~< bestritten wird: Laonde Ia podest assoluta non e essentiale della maestä., ma il grandissimo merito, ehe porta seco honore e riverenza e piu convenevolmente essentiale di Iei; e perehe cio si puo trovare anco in persone private, ehe non hanno podest assoluta sopra niuno. 31

Territorialgewalt. Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit, Köln 1975, S. 138-172. 29 Thomas Aquinas: Quaestiones disputatae de virtutibus, qu. 4, art. 13; Thomas Aquinas: Sermones, 13, 3, 113; Thomas Aquinas: Superad Hebraeos, I, 2, 410--425. 30 Gregoire: Oe republica, VIII, 3, 1-2, S. 555-556: »In regibus, maiestas dicitur excellentia dignitatis et honoris, primum Deo attributa absolute et solummodo; dehinc et principibus quatenus in terra sunt Dei simulacra, cuius maiestatis impressio et inter fortunae varietates principum insidet personis, veluti signaculum et character potestatis, quae nulla est, nisi a Deo perrnittatur vel detur [... ). Quid autem sit illa maiestas, non potest facile exprimi proprietatem rei clare sensibus insinuando. Est enim quippiam latens, quod reddit praeter naturam propriam mirabile quippiam: unde veneratio singularis et honor nascitur, nec quale illud sit possunt ipsi admirantes notare aperte [... ]. Certe Dei haec virtus est, et radius vera Dei maiestate inditus, ut opinor, seu angelus potestatis minister vel aliud quippiam efficax sed incognitum.« Vgl. auch Lipsius: Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, IV, 9, S. 153 : »Auctoritas est impressa subditis, sive et exteris, opinio reverens de rege eiusque statu.« 31 Fabio Albergati: De i discorsi politici di Fabio Albergati libri cinque. Nei quali viene riprovata Ia dottrina politica di Gio. Bodino, e difesa quella d'Aristotele, Roma 1602, II, II : Della maesta mal'intesa dal Bodino, S. 207- 219, hier S. 210. Vgl. auch Farnesius: Oe simulachro reipublicae, I, 2, BI. II v_ 12v.

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Das Entscheidende an der >maiestas< ist daher das Wirken der Tugend, dessen Verhältnis zum politischen und juristischen Gefiige der Verfassung von den deutschen Autoren des frühen siebzehnten Jahrhunderts auf vielerlei Arten gestaltet wird.32 Otto Casmann gründet das gemeinschaftliche Leben auf das Vorhandensein der Tugend, weil die politische Gesellschaft das gute Leben bezweckt und das >imperium< nur da wirksam ist, wo es die Tugend begleitet. In dieser von der Tugend beherrschten Welt ist die >maiestas< die besondere Tugend des Magistrats. Sie besteht in einem gewissen Edel- oder Großmut, der von den Untertanen geehrt wird und den persönlichen Verdiensten entspringt. 33 Ihre Wirkung ist das Ansehen, das den Untertanen Bewunderung und Ehrfurcht einflößt und sie zum Gehorsam zwingt. Zur >maiestas< gesellt sich die >potentiamaiestas< muß daher mit den materialen und juristischen Bedingungen übereinstimmen. Sie ersetzt auf keinen Fall die politische Verfassung eines Gemeinwesens, die übrigens neben Reichsgesetzen, dynastischen Gewohnheiten und Regierungsverträgen auch die >maiestas< einschließt, sondern vervollständigt sie und stellt das Prinzip dar, das die politische Gemeinschaft belebt. Keine Verfassung, nicht einmal die beste, könnte ohne >maiestas< bestehen. Daß die Fähigkeit, politische Befehle zu erteilen, aus einer objektiven - den Gesetzen des Gemeinwesens - und einer subjektiven Seite - den Tugenden des Magistrats - zusammengesetzt ist und daß die eine ohne die andere undenkbar ist, wird entschieden von Bartholomaeus Keckermann behauptet, der in seinem Systema die Monarchie als die beste Regierungsform betrachtet. In einem Königreich wird die Wahl oder die Erbfolge des gesetzmäßigen Herrschers von juristischen Normen geregelt. Trotzdem bilden die Gesetze, die die Regierungstätigkeit des Fürsten bestimmen, nur eine äußere Hülse, weil das Reich von einem inneren Prinzip, der >maiestasPrudentia gubernatioriamaiestas< ist das allgemeine konsensstiftende Prinzip des politischen Lebens. Sie muß aber nicht als ein Zusatz oder ein Hilfsmittel zur Befestigung einer politischen Macht angesehen werden, die schon besteht und durch ein gesteigertes Ansehen ideologisch befestigt wird. Sie setzt vielmehr voraus, daß der Fürst Teil einer gerechten Ordnung ist. Sie muß eher als das Grundgefilhl oder das primäre Bewußtsein der Untertanen angesehen werden, die sich gegenseitig als Mitglieder derselben Gemeinschaft und die >maiestas< - sie falle einem, mehreren oder allen anheim - als das bindende Element der Gesellschaft anerkennen. Daß die Römer der >maiestas< des römischen Volks und die französischen Stände der >maiestas< ihres Königs huldigen, bedeutet, daß sie sich als Teil eines spezifischen Gemeinwesens filhlen. Ohne das Oberhaupt, hier der französische König, oder ohne die Ämter, Räte und Volksversammlung, hier die römische Republik, würde das Gemeinwesen zu leben aufhören, oder sich in ein anderes Gemeinwesen verwandeln. Dieses Prinzip muß also mit der juristischen Verfassung einer politischen Gesellschaft notwendig zusammengehen. Ein Gemeinwesen mag die besten Gesetze haben, die Untertanen würden ihnen nicht gehorchen, wenn sie sich nicht als Mitbürger desselben fiihlen und den Magistrat, der die Gesetze erläßt, als ihr Oberhaupt anerkennen. Die eigentlichen Ursachen dieser bindenden Kraft, die weder durch bloße Macht noch durch ein rationales Abkommen zustande kommt, gehen auf Geschichte, Tradition und Überlieferung, also auf die Ordnung der Dinge, zurück.

VII. >Maiestas< als >Summa potestas< Die zweite Interpretationslinie der >maiestasSumma potestas< von dem >summus honormaiestas< be35 Bartho/omaeus Keckermann: Systema disciplinae politicae [... ], Hanoviae 1608, S. 129: »Maiestas, quae et augusta autoritas et celsitudo principis dicitur, est vita et anima regni, quae efficit ut tot mortalium milibus una anima praesideat, et ab uno capite tot membra pendeant.« 36 Vgl. Rudo/f Hake: Bodins Einfluß auf die Anflinge der Dogmatik des deutschen Reichsstaatsrechts, in: Horst Denzer (Hg.): Jean Bodin. Verhöre der internationalen Bodin-Tagung in München, München 1973, S. 315-322; Sto//eis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 170--185; Michael Sto//eis: La reception de Bodin en Allemagne, in: Quaderni fiorentini per Ia storia del pensiero giuridico moderno 24 (1995), S. 141-156. 37 Arnisaeus: Oe iure maiestatis libri tres, I, I, 5, S. 9: »Nam dum potestatem separatim ponit [scil. Svetonius: De vita Caesarum, III (Tiberius), 30], per maiestatem oportet honorem et venerationem externam intelligat, sicut Cicero pro Balbo lib. 4. ad

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steht dementsprechend in der durch Gesetz oder Gewohnheit bestätigten Fähigkeit, Befehle zu erteilen. Die Würde, mit der ein König umgeben ist, ist eine Wirkung seines Amts, und seine >maiestas< ist lediglich ein Recht: Per maiestatem enim hoc loco inteltigere debemus ius ipsum, quod in potestate, eamque secuta veneratione consistit. 38

Diese Auffassung der >maiestas< war auch für die Konsolidierung der Politik als universitäres Fach von entscheidender Bedeutung, weil sie als jenes besondere Element verstanden wurde, das der politischen Gemeinschaft wesentlich ist und diese von anderen Gesellschaftsformen unterscheidet. So wurde die politische Disziplin zur Disziplin der Souveränität. 39 Die als Souveränität verstandene >maiestas< bildet die formale Ursache des Gemeinswesens, mit deren Hilfen man die eigentliche Gattung der Politik bestimmen und die politischen Erscheinungen nach Arten und Individuen verteilen kann. 40 Was nämlich die politische Gesellschaft von allen anderen menschlichen Gesellschaften - der Familie, dem Stand, der Körperschaft oder der einfachen Volksmenge - unterscheidet, ist das Vorhandensein einer höchsten Gewalt, der die Regierungsaufgabe anvertraut wird. Nur kraft dieses Elements darf man sagen, daß eine gewisse Menschengruppe eine Republik bildet. Wennjenes fehlt, verwandelt sich die politische Gesellschaft wieder in eine lose Menschenmenge oder in eine andere nicht-politische Gemeinschaft. In diesem Sinn ist die >maiestas< auch Prinzip und Wesen der politischen Lehre selbst, und wo keine >maiestas< ist, da kann auch keine >politica< sein. Dieser absoluten Herrschaft müssen einige Eigenschaften zugeschrieben werden, die Punkt für Punkt der Souveränitätslehre Jean Bodins entsprechen: Maiestas, a magnitudine appellata, politica est summa in republica universim imperandi potestas. Cuius esse est, sumrnam esse atque universaliter imperare. Summa est, quod superiorem aut parem sibi non agnoscat. Universalis est potestas, quod universos aut singulos saltem unico imperio complectatur et coerceat. Est vero maiestas prima potestas, propterea quod reliquorum potestatum prima. Turn quod suae quasi originis. Nec aliunde proficiscitur et dependet, nisi ab ipso Deo. Qui eam proxime antecedit, et cuius vicem in hoc mundo obtinet. 41 .

Herennium et de oratore lib. 2. maiestatem definit dignitatem et amplitudinem populi Romani, et satis explicat Valerius lib. 2, c. ult. in pr. [.. . ]. Sed hoc in loco illam maiestatis significationem seponimus, quae solum honorem designat, quaque tantum utitur Bocerus class. 4. disp. 10 de regalibus in pr. Tholosanus lib. 8. de republica c. 4 per tot. Lipsius lib. 2. politicorum c. 16.« Vgl. Heinrich Bocerus: Tractatus de regalibus [... ], Tubingae 1608, S. 58-59 und oben Anm. 28 und 30. 38 Arnisaeus: De iure maiestatis libri tres, I, I, 6, S. 9. 39 Jakob Bornitz: Discursus politicus de prudentia politica comparanda, editus a Johanne Bornitio, Erphordiae 1602, BI. C2Y. 40 Arnisaeus: Doctrina politica, I, 7, S. 59b. 41 Bornitz: Partition um politicarum libri quattuor, S. 41. Vgl. Bornitz: De maiestate politica, S. 5-22.

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Wenn die Herrschaft >summa< ist und andere übergeordnete oder gleichrangige Instanzen ausschließt, muß sie auch einzig sein, weil zwei höchste Prinzipien gleichzeitig nicht bestehen können. Wenn sie fernerhin dem Willen aller anderen Menschen überlegen ist, muß sie auch vom Gesetz frei sein, in dem sich der Wille der Menschen kundtut. Um wirklich »höchst« zu sein, muß sie ewig und unteilbar sein, und folglich müssen alle Rechte, aus denen sie besteht, in den Händen eines einzigen Subjekts sein. 42

VIII. Die Einschänkungen der Herrschaft Mit dem Begriff der >summa potestas< bietet die politische Lehre des frühen siebzehnten Jahrhunderts eine Vorstellung der politischen Gewalt, die scheinbar in sich schon alle Eigenschaften der modernen naturrechtliehen Souveränität vereinigt. Obwohl die politische Herrschaft die radikale Gestalt der >summa potestas< annimmt, wird sie aber einer Reihe von Bedingungen unterzogen, die ihren Wirkungsbereich beträchtlich einschränken. Wie schon Jean Bodin behauptete,43 bildet das göttliche, Natur- und Völkerrecht eine Grenze, die von den Gesetzen des Herrschers nicht überschritten werden dürfen. Auch die Regierungsverträge und alle jene Verträge und Abkommen, die der Herrscher mit den Ständevertretungen seines Königreichs eingeht, und die Reichsgrundgesetze, deren Verletzung die Vernichtung von Herrscher und Reich verursacht, sind ebensoviele und ebensoviel verbindende Einschränkungen der hoheitlichen Gewalt. 44

Bornitz: De maiestate politica, S. 91-97. Bodin, De republica libri sex, I, 8, S. 84 C- D: ))Quid autem sit absoluta, vel potius soluta lege potestas, nemo definiit. Nam si legibus omnibus solutam definiamus, nullus ornnino princeps iura rnaiestatis habere comperiatur, cum ornnes teneat Iex divina, Iex item naturae, turn etiam Iex omnium gentium communis, quae a naturae legibus ac divinis divisas habet rationes« und I, 8, S. 85 A-B. Dazu vgl. Raymond Polin: L'Idee de Ia Republique selon Jean Bodin, in: Horst Denzer (Hg.): Jean Bodin. Verhandlungen der internationalen Bodin Tagung in München[ ... ], München 1973, S. 343-357, besonders S. 351- 353, Diego Quaglioni: I limiti della sovranitil, Padova 1992, S. 1980; Merio Scattola: Diritto medioevale e scienza politica rnoderna nella dottrina della sovranita di Jean Bodin, in: lus commune 26 ( 1999), im Druck. 44 Arnisaeus: De iure maiestatis libri tres, I, 3, 14: Maiestas subiecta est Dei et naturae legibus, licet soluta sit humanis, S. 55-56: ))Quae igitur e" iure naturae dependent, iis princeps etiam tenetur, quia licet sit dominus aliorurn, subditus tarnen est naturae et civis mundanus« (S. 55). Vgl. auch Althusius: Politica methodica digesta 1603, VI, S. 54-65; Phitipp Heinrich von Hoen: Oe magistratu, altera civitatis parte; resp. Eckhardus Eschoven, in : Hoen : Libri duo disputationum [... ], Herbornae Nassoviorum 1608, §§ 37- 38, S. 55- 56; Bornitz, Oe rnaiestate politica, S. 56-70; Arnisaeus: Oe iure maiestatis libri tres, I, 7, II, S. 151 ; Besold: De politica rnaiestate, § 5, S. 3; Besold: Oe maiestate in genere, I, I, 6, S. 8. 42 43

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Eine noch höhere Grenze wurde von jener Lehre festgesetzt, die als Theorie der >partes potentiales< auch von Hugo Grotius aufgenommen wurde45 und eine immense Rolle in der naturrechtliehen Diskussion über die Souveränität bis ins achtzehnte Jahrhundert spielte.46 Diese Lehre, die auch von Amisaeus und Matthiae vertreten wurde, verstand die >maiestas< als ein Rechtsgebilde, das mehrere Befugnisse umfaßt, die unter mehrere Subjekte verteilt werden können.47 Zusammenhänge dieser Art- argumentiert Amisaeus- sind in der Jurisprudenz geläufig. Die Vormundschaft ist zum Beispiel untrennbar, weil sie sich auf einen einzigen Mündel bezieht, kann aber mehreren Vormündern zugeteilt werden. 48 Aus der Bedingung, daß die höchste Gewalt einzig sein muß, folgt nicht, daß sie von einer einzigen Person ausgeübt werden muß, sondern daß ein und dasselbe Recht einer einzigen Instanz zuerkannt werden kann. Dementsprechend können die Rechte der Souveränität - Gesetzgebung, Rechtsprechung, Besteuerung, Erziehung, Schutz der Landeskirche - unter ebensovielen Subjekten verteilt werden. Es bleibt aber ausgeschlossen, daß dieselbe Befugnis, wie zum Beispiel die Gesetzgebung, von zwei oder mehreren Versammlungen, Räten oder Fürsten ausgeübt wird. Im Streitfall bliebe es unklar, wem man gehorchen sollte. Arnisaeus zieht daraus die Schlußfolgerung, daß Bodin mit Recht die zusammengesetzten Regierungsformen (>respublicae mixtaemaiestas< in >realis< und >personalis< erzielt, die von den deutschen Autoren in der Debatte über die Lehre des Bodin entwickelt wurde. Laut Hermann Kirch45 Hugo Grotius: De jure belli ac pacis libri tres, cum adnotationibus auctoris et praefatione C. Wolfii, Marburgi Cattm;um 1734 ( 1. Aufl. 1625), I, 3, 17, 1. 46 Merio Scattola: La nascita delle scienze dello stato. August Ludwig Schlözer (1735-1809) e Je discipline politiche del Settecento tedesco, Milano 1994, S. 195-197. 47 Arnisaeus: De iure maiestatis libri tres, II, I, I, S. 154-155; Matthiae: Systema politicum, S. 324. 48 Arnisaeus: Deiure maiestatis libri tres, II, I, I, S. 155: »Multa enim dicuntur in iure civili individua, quae vel consensu eorum, quorum interesi, vel iussu praetoris vel aliam ob causam divisionem recipiunt [ ... ]. Et sub classe hac consistit etiam maiestas, quae simul sumta cum omnibus suis partibus, unum quid constituit, quod est totum potentiale, quod vocant, indivisum, ideoque pluribus in republica distribui non potest, ut recte argumentantur, qui rempublicam mixtarn impugnare conantur [ ... ]. Nihil tarnen prohibet, quin partes in hoc toto unitae secemi et divisim inter plures distribui possint. Alia enim potestaS est creare magistratus, alia iubere Ieges, alia ducere bellum, alia rationem habere aerarii, quae qui confundere inter se et inseparabilia facere velit, idem oflicia aedilium, consulum, censorum, praetorum una commisceat, quae et ipsa in maiestate unita, inter magistratus diversa sunt.« 49 Vgl. Bodin, De republica libri sex, I, 7, S. 68 B-78 D (Staatenbunde) und II, I, S. 175 A-187 A, besonders 184 A-B; Gregoire: De republica, V, I, 3, S. 246-247; Melchior Iunius: Politicarum quaestionum centum et tredecim [...], Argentorati 1602, pars I, S. 4-5; Philipp Heinrich von Hoen: De monarchia, priore reipublicae specie, eiusque in tyrannidem degenerationem, resp. Paulus Kutnaur a Sonnenstein, in: Hoen : Libri duo disputationum, th. 2, S. 165-166.

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ner, Christoph Besold und Christian Matthiae50 besteht ein Gemeinwesen auch dann weiter, wenn der rechtmäßige Fürst stirbt und der Nachfolger den Thron noch nicht bestiegen hat. Aus dieser Beobachtung muß geschloßen werden, daß die >maiestas< ein Einheitsprinzip enthält, das außerhalb der Person des Herrschers fiillt und der Gemeinschaft selbst anhaftet. In diesem Sinn bildet sie das >fimdamentum reipublicae< und muß von der Summe der Hoheitsrechte unterschieden werden. 5 1 Solche >maiestas realis< beginnt und endet mit dem Gemeinwesen und umfaßt die Grundgesetze, die Grenzen und Möglichkeiten der Herrschaftsausübung regulieren. Die .>maiestas personalis< ist dagegen dem Herrscher eigen und hört mit seinem Tod auf. Sie ist der >maiestas realis< untergeordnet, auf der sie gegründet ist. Nichtsdestoweniger hört sie auf, höchst, absolut und ewig zu sein. Sie darf freilich die Grundgesetze nicht verletzen, weil diese durch einen Vertrag zwischen allen Gliedern des Volks sanktioniert wurden und nur mit der Einstimmung aller vertragschließenden Parteien verändert werden können. 5 2 Durch die Grundgesetze, die Lehre der >partes potentiales< und der Unterschied >maiestas realis v. maiestas personalis< wird die politische Herrschaft, auch wenn sie als >Summa potestas< dargestellt wird, einer Reihe von Bedingungen unterzogen, die die Freiheit des Herrscher stark beeinträchtigen. Diese >summa potestas< herrscht über das Zivilrecht, was aber nicht heißt, daß sie der Grund und der Ursprung des gesamten Rechts ist. Die Gesamtheit der Rechtsgebilde wirkt nämlich schon vor dem Entstehen der politischen Herrschaft. Daher ist das Recht vielmehr Bedingung und Voraussetzung fiir die >potestasmaiestas< kann also auf keinen Fall als der Ursprung der Rechtsordnung gelten - noch weniger ist sie das Prinzip, wodurch der Staat vereinigt wird, denn nach der Lehre der >maiestas realis< existiert das Gemeinwesen unabhängig vom Herrscher. Die Aufgabe des Fürsten, der auch in diesem Fall >summus et absolutus< ist, besteht nicht in der Vereinigung einer verstreuten Menschenmenge, sondern in der Regierung einer Gesellschaft, die durch Tradition, Geschichte und göttliche Ordnung schon gebildet ist. Sein >imperium< übt keine ordnungsstiftende, konstituierende Funktion, sondern es ist das Mittel filr die Tätigkeit des Führens und des Regierens.

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5 Kirchner: Disputatio li., § 3; Henricus Velstenius: De maiestate et magistratu, resp. Georgius Lehenmair, in: Velstenius: Centuria quaestionum politicarum [... ], Witebergae 1610, decas VIII, quaest. 3; Christian Matthiae: De maiestate et potestate imperatoris [...], resp. Daniel Meisnerus, in: Matthiae: Collegium politicum secundum [... ], Giessae 1611, § 6, S. 37; Beso/d: De politica maiestate, § 3, S. 2; Besold: Politicorum libri duo, I, 2, 3, S. 54-55; Beso/d: De maiestate in genere, I, 1, 4, S. 5-6; Matthiae: Systema politicum, S. 301. Vgl. Hake: Bodins Einfluß, S. 327-328. 51 Besold: De politica maiestate, § 3, S. 2. 52 Besold: De maiestate in genere, I, 1, 5, S. 6-7.

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IX. Politische Ordnung und Tyrannis >Imperium< und >maiestas< entstehen nicht aus einem Mangel an Ordnung, sondern sind Teil eines geregelten natürlichen und göttlichen Zusammenhangs. Beide Traditionen des fiiihen siebzehnten Jahrhunderts, sowohl die der >maiestas< als auch die der >Summa potestasius naturae< im sechzehnten Jahrhundert, Tübingen 1999, s. 62-70.

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In der naturrechtliehen Lehre des späten siebzehnten Jahrhunderts, wie sie musterhaft in den deutschen Territorien von Johann Christoph Beckmann vertreten wurde, wird die Tyrannis als widersprüchlicher Begriff aus der politischen Sprache verbannt, weil das Gesetz mit dem Willen des Herrschers gleichgestellt wird und kein unabhängiger Maßstab zur VerfUgung steht, um über die Gerechtigkeit der hoheitlichen Verordnungen zu urteilen. 54 Alle politischen Schriftsteller des frühen siebzehnten Jahrhunderts, auch die entschiedensten Anhänger Jean Bodins, räumen dagegen ein, daß die Tyrannis eine Entartung der allgemeinen göttlichen Gerechtigkeit ist, die dem Gemeinwesen ständig droht. Der Tyrann wird als >imago Satanae< 55 und Inkarnation jenes >Fürsten dieser Welt< (Johannes, 12, 31) bezeichnet, der am Ende der Zeiten kommen wird. 56 Unterschiedlich sind dagegen die Schlußfolgerungen, die aus diesen Prämissen gewonnen werden. Einerseits stellen die reformierten Autoren den politischen Bereich als eine Ebene dar, die von der himmlischen Sphäre getrennt und ihr untergeordnet ist. Daraus folgt, daß die himmlische Ordnung über der irdischen Ordnung waltet; daß diese sich nach jener richten muß; daß man sich immer auf die universale Gerechtigkeit berufen darf, wenn der Tyrann ihre Gesetze verletzt und daß sogar filr den Untertan eine Pflicht ist, die göttliche Ordnung in ihrer ursprünglichen Gestalt wieder einzurichten. Die Untertanen dürfen daher dem Magistrat auch mit Gewalt widerstehen, wenn dieser offensichtlich gegen Recht und Gerechtigkeit handelt. Um der Entartung der Obrigkeit Einhalt zu gebieten und sie zur Beachtung des mit Gott und dem Volk geschlossenen Vertrags zu zwingen, können besondere Aufsichtsbehörden eingerichtet werden, die notwendige sind, weil das Volk mitverantwortlich vor Gott filr alle Handlungen des höchsten Magistrats ist. 57 Es ist zuletzt undenkbar, daß der 54 Johann Christoph Beckmann: Dissertatio de non abutendo nomine principum seu suspecta doctrina de tyrannis ac tyrannide [...], resp. Joh. Christophorus Tauber, Francofurti ad Viadrum 1680, in: Beckmann: Dissertationum academicarum in universitate Francofurtana praeside Joh. Christoph. Becmano [... ] institutarum volumen unum, Francofurti ad Oderam 1684, I, 1-8, S. 5-10. Vgl. Merio Scatto/a, »II concetto di tirannide nel pensiero politico della prima eta modema«, in: Filosofia politica I 0 ( 1996), s. 416-420. 55 Keckermann: Systema disciplinae politicae, I, 28, S. 422. 56 [Anonym]: Grunddieher bericht aus heilliger schrifft/ wie ferne man den Oberherrn/ gehorsam schüldigl auch wer/ wie/ unnd in welcherley fellen/ man den verderblichen Tyrannen/ möge widerstand thun [...), [Magdeburg] 1552, BI. CI r; [Nic/as AmsdorjJJ: Confessio et apologia pastorum et reliquorum ministrorum ecclesiae Magdeburgensis. Anno 1550, idibus Aprilis, Magdeburgi [1550], BI. D4r: »Quando etiam ex professo persequuntur veram pietatem et honestatem, ipsi sese exuunt honore magistratus et parentum coram Deo et conscientiis suorum, et ex ordinatione Dei iam fiunt ordinatio Diaboli, cui ordine pro vocatione etiam resisti potest ac debet.« 57 Johannes A/thusius: De regno recte instituendo et administrando, resp. Hugo Pelletarius, Herbornae 1602, hg. von Merio Scatto/a, in: Quaderni fiorentini 1996 (25), §§ 51- 75, S. 41-45 und§§ 45-48, S. 36-37, besonders§ 46, S. 36-37: »Ergo in hoc pacto magistratus et populus sunt quasi duo rei promittendi ex una eademque caussa voluntate mutua coniunctim obligati, et aequaliter in solidum in continenti, ita ut ab

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Fürst so willkürlich über das Recht herrsche, daß das Gesetz mit seinem Willen zusammenfalle und seine Entscheidungen von keinem irdischen Richter beurteilt werden könnten. Daß die politische Herrschaft absolut und von jeder Bindung befreit ist, wird daher in dieser Tradition von vornherein ausgeschlossen; die absolute Souveränität wird vielmehr mit dem wahren Prinzip jeder Tyrannei gleichgestellt, die ständig versucht, die ewige Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit durch die Willkür des Einzelnen zu ersetzen. 58 Auch die Anhänger Bodins wie Bomitz und Amisaeus vertreten die Idee der natürlichen Ordnung, fUhren aber gleichzeitig eine besondere Bedingung ein, die weitgehende Folgen filr die Tyrannislehre mit sich bringt. Auch filr Amisaeus gilt die Voraussetzung, daß der Fürst tugendhaft sein soll, weil »rex non est, nisi bonus [ ... ]. Describimus enim regem per virtutem, qua sola distinguitur a tyranno«59 . Es ist also immer möglich, den guten Fürsten von dem lasterhaften Tyrannen zu unterscheiden, weil ersterer nach den Geboten der Gerechtigkeit regiert, während letzterer sie aus Eigenwillen zerstört. 60 Obwohl die höchste Gewalt über die positiven Gesetze herrscht, muß sie immer den Geboten Gottes, der Natur und der Vernunft gehorchen, die im Herzen des Menschen geschrieben sind; sie gebieten, was man tun und lassen soll, und sind ewig und unveränderlich. 61 Der Tyrann stürzt die Ordnung sowohl des unoquoque in solidum tanquam principali reo promissum peti possit«; Althusius: Politica methodice digesta 1603, XIV, S. 133-167; Althusius: Politica methodice digesta 1614, XVIII, S. 273-322 und XXVIII, S. 879-940; Casmann: Doctrinae et vitae politicae methodicum ac breve systema, X, S. 45-48; Hoen: Oe monarchia, priore reipublicae specie, eiusque in tyrannidem degenerationem, §§ 30--56, S. 179-186; Hermann Kirchner: Disputatio VIII., resp. Mattbias Quaedt a Wickraed, in: Kirchner: Respublica, BI. H3r-v. Die Tyrannislehre von Klemens Timpier stimmt mit den Grundideen anderer kalvinistischer Autoren, ist aber inhaltlich differenzierter. Sie wurde auch von nicht reformierten Schriftstellern vertreten. Vgl. Timp/er: Philosophiae practicae pars tertia, V, 3, 9, S. 562-567; Johannes Gerhard: Decas decima, resp. Wolfgangus Schiltelius, in: Gerhard: Centuria quaestionum politicarum [... ], Ienae 1608, § 6, BI. P4f-V; Christoph Besold: Oe republica curanda (... ], resp. Carolus Christophorus von Schallenberg zu Leonbach unnd Biberstein, in: Beso/d: Collegi politici classis posterior [... ], Tubingae, 1614, §§ 47--60, S. 16--20; Besold: Politicorum libri duo, li, 9, 5, 47--60, S. 862-870; Wolfgang Heider: Philosophiae politicae systema (... ], Jenae 1628. Die wichtigsten Quellen dieser Literatur sind Lipsius: Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, VI, 5, S. 403-421; Daneau: Politicae Christianae libri septem, S. 51-52, 63--66 und 457-460; Gregoire: Oe republica, VI, 18-19, S. 369-381; XXVI, 7, S. 1526--1537. Zur Ephoratslehre des Althusius und der Monarchomaehen vgl. Otto Gierke: Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtliehen Staatstheorien, Aalen 6 1968, S. 211-225. 58 Casmann: Doctrinae et vitae politicae methodicum ac breve systema, X, S. 41-44; Althusius, Politica methodice digesta 1614, XXXVIII, 9, S. 887. 59 Arnisaeus: Oe iure maiestatis libri tres, I, 3, 9, S. 46. 60 Ebd., I, 3, 9, S. 47. 61 Ebd., I, 3, 14, S. 55-56: »Quae igitur ex iure naturali dependent, iis princeps etiam tenetur, quia licet sit dominus aliorum, subditus tarnen est naturae et civis mundanus. Jus autem naturae voco, quod apostolus Rom. 2. [v. 15] hominum mentibus insculptum esse dicit, quodque describit Cicero lib. I. de legibus (1, 6, 18] quod sit ratio

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Gemeinwesens als auch der gesamten Natur, weil seine Befehle nicht das Gemeinwohl, sondern den Eigennutz verfolgen. 62 Mit dieser Argumentation stimmt Arnisaeus vollkommen mit der Tyrannislehre der kalvinistischen Autoren überein und räumt ein, daß die allgemeine Ordnung der göttlichen und natürlichen Gerechtigkeit die >summa potestas< umschreibt und beschränkt, und daß diese Ordnung allen Menschen, auch den Untertanen, zugänglich ist. Nichtsdestoweniger bleibt der Herrscher, der als »Untertan Gottes und Bürger dieser Welt« den Gesetzen der Natur, der Tugend und der Vernunft Folge leisten muß, keinem menschlichen Zwang und keinem menschlichen Gesetz unterstellt. Wenn er die göttlichen Gebote mißachtet, begeht er Verrat an Gott; wenn er die Naturgesetze übertritt, zeigt er sich als verderbter Mensch; wenn er gegen die Vorschriften der Tugend handelt, ist er ungerecht und unehrlich, »sed nego ipsum propterea legum vinculis subiici, cum imperii potestas eum tutum faciat«. 63 Nichts kann der Souveränität überlegen sein, und kein Mensch kann sie beurteilen, mahnen oder strafen. Ihr einziger Richter wird Gott im Jüngsten Gericht sein. 64 Freilich, je freier die politische Herrschaft von menschlicher Strafe ist, desto pünktlicher wird sie Gott Rechenschaft über ihre Handlungen ablegen müssen und desto unerbittlicher wird die von der göttlichen Gerechtigkeit verhängte Strafe sein.65 Arnisaeus vertritt also eine politische Auffassung, in der das Gerechte und das Billige unabhängig von der Souveränität existieren, ohne diese einschränken zu können . .Gerechtigkeit und Billigkeit wirken noch weiter als unabhängige Maßstäbe fiir das Handeln der Obrigkeit, deren Entartung mit ihrer Hilfe anerkannt wird. Aber gegen die offensichtliche Verletzung der natürlichen Ordnung darf kein aktiver Widerstand unternommen werden. Daraus muß geschlossen werden, daß das Dasein einer transzendenten Ordnung grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird und daß sie nicht aufhört, ihren strukturierenden Einfluß auf die Welt auszuüben. Aber dieser Einfluß und diese Transzendenz können nicht außerhalb der Souveränität oder gegebenenfalls surnrna insita in natura, quae iubet ea, quae facienda sunt, prohibetque contraria. Illud quia sernper per aequurn et bonurn est, L. pen. in pr. ff. de i. et i. [Digesturn, I, 1, 111 nec rnutari potest § pen. inst. de iur. nat. [Institutiones, I, 2, 111 ne a principe quidern, nisi violenter, perrurnpi potest.« 62 Ebd., I, 3, 9, S. 47. Vgl. auch Jakob Martini: Politica, in genuinam Aristotelis rnethodurn redacta [... 1, [o. 0.1 1630, Il, 10, S. 497-517: »Tirannidis definitionern hanc darnus: Tyrannis est surnrnurn unius irnperiurn in pares vel rneliores ad quaesturn privaturn et non publicurn« (S. 497). 63 Ebd., 1, 3, 7, S. 43. 64 Ebd., I, 3, 5, S. 38-39, besonders S. 38: »Hinc porro sequitur, curn nihil sit rnaiestate superius, quod nec iudicari nec puniri vel in ordinern redigi a quoquarn possit, nisi a solo Deo.« 65 Ebd., I, 3, 12, S. 50-53, besonders S. 50-51: »Narn Iicet eos suppliciis horninurn tutos faciat rnaiestas, vindictarn tarnen divinarn eo sentient graviorern, quo gravius peccant et pluribus peccandi occasio exernplis suis existunt.«

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gegen sie wirken. Sie verkünden sich durch die höchste Gewalt oder in ihr. Die >Summa potestas< birgt in sich selbst die Ordnung der Gerechtigkeit. Diese ist offensichtlich, aber stumm. Die Ebenen der Ewigkeit und der Zeitlichkeit fallen also in der Souveränität zusammen. An die Seite dieser >Summa potestas< darf keine Kontrollinstanz gestellt werden, die über ihre Handlungen urteilt. 66 Daraus folgt aber nicht, daß der Herrscher derart handeln darf, als ob die göttliche Gerechtigkeit nicht bestünde und er den göttlichen Willen durch seinen eigenen Willen verdrängen könnte. Der Untertan darf zwar der Obrigkeit nicht widerstehen, wenn sie einen falschen oder ungerechten Befehl gibt; er darf und muß sie aber mit allen Mitteln bekämpfen, wenn sie die göttliche Ordnung als solche in Frage stellt. In diesem Fall artet der Herrscher, auch wenn er legitim ist, in einen wahren Tyrannen aus, und die Untertanen haben das Recht, ihn auch mit Gewalt abzusetzen:

Patet ex dictis: Tyrannum consummatum et notorium, contra quem non datur aliud remedium, vel a subditis ipsis posse a republica amoveri, nam de caede eius relinquimus rem piis animis considerandam, aut ex theologorum scholis petendam sine magno scelere.67 Man muß daher den schlechten Fürsten von dem wahren Tyrannen unterscheiden, und der Unterschied muß in der Bewahrung der Ordnung gesucht werden, weil der Tyrann über das Gerneinwesen wie über einen Privatbesitz herrscht und kehrt die natürliche Ordnung umkehrt und das Band der politischen Gesellschaft zerstört. 68 Die Tatsache, daß der Tyrann jeder menschlichen Strafe entzogen ist, bedeutet nicht, daß jeder Strafe gegen ihn ausgesetzt wird. Das göttliche Urteil, das auf ihn wartet, muß nicht unbedingt erst nach dem Tod, sondern kann schon auf der Erde zu jeder Zeit verhängt werden. Der Appell an den Himmel ist also weder eine ungewisse Drohung noch ein rhetorisches Hilfsmittel, um den 66 Henning Arnisaeus: De autoritate summorum principum in populum et subditos, resp. Levin von dem Knesebeck, Francofurti 1611, § 33; Henning Arnisaeus: De autoritate principum in populum semper inviolabili seu quod nulla ex causa subditis fas sit contra legitimum principem arma movere commentatio politica opposita seditiosis quorundam scriptis, qui omnem principum maiestatem subiiciunt censurae ephorum et populi, Argentorati 1635, in: Arnisaeus: Operum politicorum tomus secundus (1. Aufl. Francofurti 1612), IV, 1-8, S. 64-87. 67 Arnisaeus: De autoritate principum in populum semper inviolabili, IV, 16, S. 101. 68 Ebd., IV, 15, S. 101 : »in tyranno enim, quam legitimam [scil. potestatem] nactus erat, potestas male agendo perit et nihil omnino obtinet a Deo tanquam a causa constituente, cuius ratione subditi maneant, tanquam ex iure divino, obligati ad obedientiam. Legitimae enim potestati propter Deum et conscientias obligamur: In tyranno vero nihil est legitimum, nihil ordinatum a Deo, sed omnia Deo adversa et reipublicae detrimentosa ( ... ). Respublica vero non est ita de proprietate principum etiam haereditariorum et absolutorum ut res privatae, cum inde dicatur publica, quod ad omnes pertineat. Traditur enim principi in eum finem, ut illi praesit ad salutem omnium, a quo si desciverit, etiam de potestate cadit, quam non alio fine sibi commissam habebat.«

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Herrscher zur Mäßigung zu ermahnen, sondern - wie die weitläufigen Argumentationen des Arnisaeus zeigen - der eindeutige Beweis, daß die politische Ordnung nicht säkularisiert ist. Die Sphären der Politik, der Tugend und der Gerechtigkeit sind vielmehr eng miteinander verbunden, so daß die Zeit Gottes ständig in die Zeit des Menschen eingreift. 69 Der vermeintliche Widerspruch zwischen der reformierten Tradition der >maiestas< als Tugend und der Bodin-Rezeption der >surnma potestas< löst sich daher von selbst auf, weil sich beide Auffassungen schließlich als zwei Varianten derselben Grundidee offenbaren. Verteidiger der Souveränität und Monarchomaehen hegen dieselbe Idee, daß sich die göttliche Ordnung durch die politische Ordnung äußert - eine Überzeugung, die keinen Beweis benötigt und unmittelbar auf die Erfahrung verweist. Der Hauptunterschied zwischen Anhängern des Bodin und Reformierten ist darin zu sehen, daß erstere beide Momente so eng identifizieren, daß sich die göttliche Ordnung nur durch die politische >taxis< verkündet, während letztere eine untilgbare Differenz voraussetzen. Gleichzeitig wird auch der Unterschied deutlich, der Amisaeus und die Vertreter der frühneuzeitlichen Souveränität von der modernen Naturrechtslehre trennt. Die >Summa potestas< des Arnisaeus ist zwar eine wichtige Entwicklung in der Lehre von >maiestas< und >imperium< und das Neue an ihr läßt sie die reformierte und monarchomachische Lehre als eine archaische Auffassung erscheinen; sie kann aber keinesfalls als entscheidender Einschnitt und grundsätzliche Neuformulierung in der Geschichte der politischen Begriffe, also als Einbruch der Modeme verstanden werden. Über den ganzen Kosmos waltet die Ordnung der universalen Gerechtigkeit; die >summa potestas< ist die höchste Stufe in der irdischen Hierachie; die >maiestas< wird nicht von den Menschen gegründet, sondern ihnen gegeben; sie entsteht nicht aus einer Handlung, die die Menschen gleichstellt und die Vielzahl der Autoritäten abschafft, sondern ist ihre höchste Erscheinung; die Souveränität ist die Regierung des Guten über die Guten fiir das tugendhafte Leben; der politische Bereich ist nicht säkularisiert, aber steht der göttlichen Sphäre offen; zuletzt bleibt die Ordnung- trotz aller Einschränkungen - allen Menschen deutlich und zugänglich. Alle diese Elemente reden noch die Sprache der alten Tradition und sind durch eine unüberbrückbare Feme von der Souveränität der modernen politischen Wissenschaft getrennt.

69 Dreitzel: Protestantischer Aristotelismus, S. 234-237 sieht dagegen in der Tyrannislehre des Arnisaeus eine typisch lutherische Lösung, die nur in einem fast unvorstellbaren Ausnahmezustand gültig ist.

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X. Das Ende der Debatte über die >maiestas< Die politische Lehre des frühen siebzehnten Jahrhunderts blieb der aristotelischen Tradition verhaftet. Die zwei Traditionen in der Deutung der >maiestassumma potestas< wurde in die systematischen Darstellungen der Politik als unent-· hehrlieber Bestandteil aufgenommen; die reformierte Auslegung verbreitete sich dagegen in den literarischen oder rhetorischen Gattungen. Eine grundlegende Umstrukturierung des politischen Diskurses erfolgte erst mit der Durchsetzung der Naturrechtslehre, die, obwohl in abgeschwächter Form, die Prinzipien der Staatslehre von Thomas Hobbes durch die Disziplin des >ius publicum universale< vermittelte. Eine deutliche Entwicklung ereignete sich aber auch in dem scheinbar unbewegten Lager des politischen Aristotelismus, der sich merklich der modernen Auffasung von Staat und Herrschaft näherte, ohne dabei seine Grundsätze zu verleugnen. Zu diesem Wandel trug Hermann Conring wesentlich bei, der sichparadoxerweise - zum Ziel setzte, die aristotelische Lehre von allen Irrtümern der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Scholastik auch philologisch zu befreien, um schließlich ihren ursprünglichen Sinn neu zu beleben. Conring und sein Schüler Daniel Clasen konnten in die aristotelische Sprache einige Lösungen des modernen Naturrechts aufnehmen, weil sie auf alle Beschränkungen der frühneuzeitlichen Herrschaftslehre verzichteten und damit den Grundsatz der allgemeinen Ordnung in Frage stellten. Dies hatte bedeutsame Folgen filr das ganze Gebäude der politischen Lehre mit sich brachte. Conring befreite die Souveränität nicht nur vom Zivil-, sondern auch vom Natur- und Völkerrecht. Da jedes Gesetz nur in dem Maße Gehorsam erzwingen kann, wie es über Zwangsgewalt verfilgt, und da sämtliche Gewalt in den Händen der Souveränität liegt, werden sowohl das Natur- als auch das Völkerrecht erst dann gültig, wenn sie von der politischen Herrschaft durchgesetzt werden. Folglich kann es keine Instanz geben, die den Herrscher zum Gehorsam gegenüber natur- und völkerrechtlichen Geboten zwingen kann. 70 Die Gewißheit, die noch in der Argumentation des Amisaeus wirkte, daß Gott in die irdischen und menschlichen Angelegenheiten ständig eingreift, 70 Hermann Conring: De maiestate civili eiusque iuribus circa sacra et profana [...), resp. Sigismundus Johann. Tenneman, Helmstadii 1669, § 12: »Quando igitur maiestatem Iegibus solutam dicimus esse potestatem, primum id ipsum de legibus mere civilibus, quales scilicet immediate ipsam rempublicam non afficiunt, cupimus intellectum. Secundum videtur etiam idipsum ad Ieges tarn naturales atque gentium quam civiles extendi posse, quoad vim videlicet coactivam, dum ad earum observantiam a nemine civium cogi potest. Omnis enim coactio a superiore, qualem maiestas non habet, proficiscitur.«

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um die Verletzungen der kosmischen Ordnung zu strafen, ist offensichtlich spurlos verschwunden, und der Bereich der Politik gilt jetzt als eine säkularisierte Sphäre, die keine Verbindung mit dem Göttlichen unterhält. Die Souveränität wird auch von den Vorschriften der Moral befreit, weil ihr Zweck nicht immer mit der ethischen Vollkommenheit identisch ist, sondern sich nach den Verfassungsformen richtet. Sie kann sowohl das Gemeinwohl als auch das Interesse des Herrschers betreffen. Folglich wirkt die >maiestas< auch in der Tyrannei, die rechtsmäßig ist, solange sie ihre Aufgabe - die Aufrechterhaltung der tyrannischen Herrschaft- erfiillt. 71 Die Lehre Hermann Conrings wurde von Daniel Clasen ausgebaut, 72 der die Schlußfolgerungen seines Lehrers auch fiir die Unterscheidung >maiestas realispersonalis< gelten ließ. Diese erschien Clasen als widersprüchig, weil nichts wirklich absolut und höchst sein könne, wenn es einem fremden Willen unterworfen ist. So konnte Clasen auch das Verhältnis zwischen beiden Auslegungen der >maiestas< erklären. Sie sind beide gerechtfertigt und können gleichzeitig bestehen, aber müssen hierarchisch geordnet werden. Wesen der >maiestas< ist die politische Gewalt, der das Ansehen als ihre Wirkung folgt. 73 Wenn ein Magistrat seine >potestas< einbüßt, verliert er zugleich auch sein Amt, obwohl sein Ansehen unverletzt bleibt. Die wahre Grundlage des politischen Lebens ist also die politische Herrschaft, und die >maiestas< ist nichts anderes als ein Name der Souveränität - jener Souveränität, die im Zentrum des politischen Denkens der Modeme steht.

71 Hermann Conring: De maiestatis civilis autoritate et officio circa sacra [ ... ], resp. Martinus ab Heimburg, Helmaestadi 1645, § 2: »Qua propter si aeque posteriores ac priores respublicas placeat civilium societatum nomine appellare, liquet maiestatem quoque civilem duplicis esse ordinis, in prioribus nempe vim eius versari circa ea, quae ad felicitatem civilem omnium promiscue civium pertinent, in posterioribus circumscribi illarn usu imperantium.« Vgl. auch Hermann Conring: Dissertatio de ratione status, resp. Henricus Voss, Helmestadii 1651. Dazu vgl. Michael Stolleis, Machiavellismus und Staatsräson: ein Beitrag zu Conrings politischen Denken, in: Stalleis (Hg.): Hermann Conring (1606--1681 ). Beiträge zu Leben und Werk, Berlin 1983, S 173-199; Horst Dreitzel: Hermann Conring und die politische Wissenschaft seiner Zeit, in: Stalleis (Hg.): Hermann Conring, S. 135-172; Scattola: II concetto di tirannide, S. 411416. 72 Daniel Clasen: Politicae compendium succinctum cum notis, Helmstadii 1675. 73 Clasen: Politicae, S. 262-263. »Maiestas interpretatur [ ... ] pro summa potestate, quarn imperans habet in republica: et in ea consistit vera maiestatis essentia, quarn postea veneratio et honor extemus insequitur.«

Völkerrecht und Souveränität bei Thomas Hobbes Von Peter Sehröder

Es wird in der einschlägigen Hobbesforschung immer wieder behauptet, Hobbes habe sich zum Völkerrecht nicht geäußert, sondern diesen Rechtsbereich lediglich abgetan, indem er auf den Naturzustand verwiesen habe. Ausgehend von den zentralen Textstellen in Hobbes' rechtsphilosophischen Schriften, wie sie zum Beispiel im Leviathan faßbar werden, 1 soll hier untersucht werden, ob aus Hobbes' eigener Stellungnahme nicht mehr hinsichtlich des Völkerrechts abzuleiten ist, als dies allgemein behauptet wird. 2 Ganz offensichtlich bildet die Hobbessche Naturzustandstheorie den entscheidenden interpretativen Zugang zu dieser Fragestellung. Die bekannte Argumentationsfigur von Hobbes zur Überwindung des Naturzustands bestand in der Etablierung der staatlichen Herrschaft als Rechtssicherungs- und Schiedsinstanz. Erst durch diesen Akt des Staatsvertrages war filr Hobbes Recht denkbar und unter der staatlichen Herrschaft dann auch gesichert. Das berühmte und häufig nur verkürzt zitierte Diktum von Hobbes gibt ein verwirrendes Rätsel auf: »Nun sind sicher beide Sätze wahr: Der Mensch ist ein Gott fiir den Menschen, und: Der Mensch ist ein Wolf fiir den Menschen; jener, wenn man die Bürger untereinander, dieser wenn man die Staaten untereinander vergleicht«.3 Wie erklärt sich dieser Unterschied und wie kommt es, daß Hobbes den Menschen zwar als fähig ansieht, den zwischenmenschlichen Naturzustand durch die Staatsgründung zu überwinden, nicht aber den zwischenstaatlichen Naturzustand durch ähnliche rechtsstiftende Vorkehrungen?

1 Th. Hobbes, Leviathan (Lev.), hg. v. R. Tuck, Cambridge 1992, S. 244: »Concerning the Offices of one Souveraign to another, which are comprehended in that Law, which is commonly called the Law of Nations, I need not say any thing in this place; because the Law ofNations, and the Law ofNature, is the same thing«. 2 Unter der kaum noch überschaubaren Literatur zu Hobbes finden sich erstaunlich wenig Arbeiten zum hier diskutierten Thema. Vgl. mit weiteren Nachweisen T. Airaksinen!M. A. Bertman (Hg.), Hobbes: War among Nations, Aldershot 1989. 3 Th. Hobbes, Vom Bürger (DC), hg. v. G. Gawlick, Harnburg 1994, Widmung,

s. 59.

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Hobbes' rechtsphilosophische Schriften entstanden bekanntermaßen im Kontext des englischen Bürgerkrieges und des diesem folgenden Protektorats. Sowohl De Cive als auch Leviathan reflektieren die Krise des Staates und den zunehmenden Verlust allgemein anerkannter Wertordnungen. Die von Hobbes entwickelte Staatslehre war daher vor allem darum bemüht, eine neue Begründung und Legitimierung innerstaatlicher Gewalt zu erarbeiten. Der entscheidende zukunftsweisende Ansatz dieser Lehre bestand in dem Aufweis der Rechtsantinomie4 des Naturzustandes, deren Überwindung nur durch einen staatsstiftenden Vertragsschluß der Menschen geleistet werden konnte. 5 Dieses Lehrstück der Hobhesseben Rechtsphilosophie ist immer wieder nachgezeichnet worden und braucht nicht erneut skizziert zu werden. 6 Die hier vertretene These lautet, daß Hobbes - obwohl er ohne jeden Zweifel vor allem um die Legitimierung staatlicher Herrschaft bemüht war - mit dem Verweis, daß »the Law of Nations, and the Law of Nature, [... ] the same thing«7 sei, weitaus mehr über das Völkerrecht ausgesagt hat, als allgemein angenommen wird. Eine erneute Interpretation seiner Naturzustandstheorie hinsichtlich ihrer Relevanz fiir das Völkerrecht wird dies belegen können. In einem ersten Schritt (I) wird die von Hobbes entwickelte Konzeption in Auseinandersetzung mit Kants Positionen zum Völkerrecht erörtert. Kontrastierend wird dann in einem zweiten Schritt (II) exkursorisch das von den Naturrechtslehrern des 17. und 18. Jahrhunderts begründete Völkerrecht diskutiert. Hier wird nicht weniger behauptet, als daß Hobbes das paradoxe Verhältnis von Souveränität und Völkerrecht zuerst aufgezeigt hat, und daß diesem sich daher in der Folge alle Theoretiker, die sich zum Völkerrecht äußerten, zu stellen hatten. Es ist somit auch nicht so sehr - wie dies jüngst zu zeigen versucht wurde 8 die systematische Übereinstimmung zwischen den Gedanken von Rousseau und Kant, die in die Problematik des Völkerrechts fiihren, sondern die von Hobbes und Kant. 9 Denn »bei Rousseau sieht man sich [ ... ] schnell mit dem Problem Vgl.DCI-12. Vgl. DC V-1; V-3; V-7. 6 Vgl. vor allem G. Geismann!K. Herb, Hobbes über die Freiheit, Würzburg 1988; D. Hüning, Freiheit und Herrschaft in der Rechtslehre des Thomas Hobbes, Berlin 1998; Ders., Von der Tugend der Gerechtigkeit zum Begriff der Rechtsordnung: zur rechtsphilosophischen Bedeutung des suum quique tribuere bei Hobbes und Kant, in: D. Hüning/B. Tuschling (Hg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, Berlin 1998, S. 53-84; A. Ryan, Hobbes's political philosophy, in: T. Sore/1 (Hg.), The Cambridge Campanion to Hobbes, Cambridge 1996, S. 208-245. 7 Lev., S. 244. 8 0. Asbach, Internationaler Naturzustand und Ewiger Friede. Die Begründung einer rechtlichen Ordnung zwischen Staaten bei Rousseau und Kant, in: D. Hüning/B. Tuschfing (Hg.), Recht, Staat und Völkerrecht (Anm. 6), S. 204-332. 9 Zu den systematischen und begründungstheoretischen Anlehnungen von Rousseau und Kant an Hobbes vgl. K. Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, Würzburg 1989; G. Geismann, Kant als Vollender von Hobbes und Rousseau, in: Der Staat 21 (1982), S. 161-189. 4

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konfrontiert, daß er seine Theorie internationaler Beziehungen selbst nirgends ausgeführt hat. Sie muß also in ihrer systematischen Bedeutung filr seine politische Philosophie erst begründet und in ihren Grundzügen rekonstruiert werden«. 10 Diese Rekonstruktion ergibt dann allerdings, daß Rousseau in starker inhaltlicher Abhängigkeit von den bereits von Hobbes aufgezeigten souveränitätstheoretischen Problemen zur Frage des Völkerrechts Position bezieht. Auf die weiteren Aspekte von Rousseaus Überlegungen zum Völkerrecht kann hier nicht eingegangen werden. Deutlich ist aber aufgrund der jüngsten Untersuchungen, 11 daß bereits der Abbe de Saint-Pierre 12 und diesem dann folgend Rousseau 13 in ihren Überlegungen von den bei Hobbes exponierten souveränitätstheoretischen Argumenten ausgehen. Auch diese beiden Denker vermögen den sich aufgrund der einzelstaatlichen Souveränität und der Notwendigkeit einer internationalen Schiedsinstanz ergebenden Konflikt nicht aufzulösen und vertreten die von Hobbes' Souveränitätskonzeption ausgehende These, daß eine »angestrebte internationale Organisation so beschaffen sein [muß], daß sie den Bestand der Einzelstaaten gewährleistet, ohne ihre staatsrechtliche Souveränität zu beeinträchtigen«. 14 Bei ihnen steht allerdings nicht so sehr die systematische Auseinandersetzung15 mit dem völkerrechtlichen Souveränitätsproblem im Vordergrund, sondern ihr Versuch, durch einen Wechsel von der begründungstheoretischen Ebene auf die empirische, diese Problematik zu lösen. Der Rekurs auf die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches bildet hierbei das bekannteste Element. Insofern verschränken sich hier systematisch souveränitätstheoretische Überlegungen mit praktisch-politischen Gedankenspielen. 16 Zur Sicherung eines ewigen Friedens forderte zum Beispiel Rousseau eine Konföderation, 10

0. Asbach, Internationaler Naturzustand (Anm. 8), S. 205.

Vgl. neben der bereits genannten Literatur vor allem die wichtige Studie von 0. Asbach!D. Hüning, Naturzustand und Rechtsbegründung. Der Abbe de Saint-Pierre zwischen Hobbes und Rousseau, in: Archiv fllr Rechts- und Sozialphilosophie 84 (I 998), s. 307-325. 12 Abbe de Saint-Pierre, Projet pour rendre Ia paix perpetuelle en Europe, 3 Bde., Utrecht 1713/17. 13 J J Rousseau, Extrait du Projet de Paix perpetuelle de M. I'Abbe de Saint-Pierre, in: CEuvres Completes, Brüssel 1827, Bd. I 0, S. 167-208. 14 0. Asbach!D. Hüning, Naturzustand und Rechtsbegründung (Anm. II ), S. 318. 15 Auf den systematischen Gehalt dieser Argumente vor allem bei Rousseau macht 0/af Asbach in den genannten Arbeiten mit guten Gründen aufmerksam. Eine noch deutlichere Fokussierung auf die »geistige Ahnherrschaft« von Hobbes hätte seine Argumentation meines Erachtens aber noch überzeugender gemacht. 16 Zu den politischen Friedenskonzeptionen vor allem in Frankreich während des 17. Jahrhunderts vgl. die Ausruhrungen bei K. Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit, Marburg 1994, bes. S. 263-285, sowie K. 0. Freiherr von Aretin, Reichssystem, Friedensgarantie und europäisches Gleichgewicht, in: Ders., Das Reich, Stuttgart 1986, S. 55-75 für die Bedeutung des Reiches ah; Friedensgaranten. 11

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deren Struktur er bekanntermaßen an der idealisierten Reichsverfassung ausrichtete. 17 Zugleich verwies er aber auf die souveräniätstheoretische Problematik, wenn er feststellte, daß sobald diese Konföderation bestehe, »il faut necessairement une force coactive qui ordonne et concerte les mouvements des ses membres«. 18 Der Abbe de Saint-Pierre und Rousseau bilden somit ein vermittelndes Bindeglied zwischen den rein rechtslogischen Argumenten Hobbes' und Kants, die von einem strikten - souveränitätstheoretischen Rechtsbegriff ausgehen, und denen der - mit Grotius einsetzenden moderneren, den Krieg durch naturrechtliche Normen einhegenden - Naturrechtstradition, die über Pufendorfbis Vattel reicht.

I. Die von Hobbes konstatierte Rechtlosigkeit des menschlichen Naturzustandes gilt gleichermaßen ftir das Verhältnis der Staaten untereinander, da es auch für diese keine unabhängige Schiedsinstanz gibt und somit die Staaten in ihrem Verhältnis zueinander Richter in eigener Sache bleiben. Die Konfliktlage zwischen den Staaten ist ebenso latent vorhanden wie zwischen den Menschen im Naturzustand. Ohne eine übergeordnete unabhängige Instanz können diese Konflikte nur nach dem Recht des Stärkeren gelöst werden. Es gilt daher ebenso für das zwischenstaatliche Verhältnis, daß sie »am häufigsten [... ] einander verletzen [wollen], weil viele denselben Gegenstand zugleich begehren, der sehr oft weder gemeinsam genossen noch geteilt werden kann. Deshalb muß der Stärkere ihn haben; und wer der Stärkere ist, das muß durch das Schwert [Kampf] entschieden werden«. 19 Diese Konfliktlage wird dadurch verschärft, daß jeder Staat den Willen hat zu schaden. Die voluntas laedendi mag aus Aggressivität oder Geltungsbedürfuis resultieren, sie kann sich aber auch »aus der Notwendigkeit, seinen Besitz und seine Freiheit gegen den andem zu verteidigen«20 ergeben. Genau in dieser Konstellation liegt die Problematik des Wettrüstens, denn selbst wenn ich nicht rüsten will, so bin ich im Interesse meiner Selbsterhaltung genötigt, auf die Rüstung des potentiellen Gegners zu reagieren. Wie jedem Menschen im Naturzustand, so kommt auch jedem Staat 17 J. J. Rousseau, Extrait du Projet de Paix perpetuelle (Anm. 13), S. 182: »Ce qui fait le vrai soutien du systeme de I'Europe, c'est bien en partie le jeu des m!gociations, qui presque toujours se balancent mutuellement: mais ce systeme a un autre appui plus solide encore, et cet appui c'est le Corps germanique, place presque au centre de I'Europe, lequel en tient toutes les autres parties en respect, et sert peut-etre encore plus au maintien de ses voisins qu'a celui de ses propres membres: corps redoutable aux etrangers par son etendue, par le nombre et Ia valeur de ses peuples; mais utile atous par sa constitution, qui, lui ötant les moyens et Ia volonte de rien conquerir, en fait l'ecueil des conquerants«. 18 J. J. Rousseau, Extrait du Projet de Paix perpetuelle (Anm. 13), S. 179. 19

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DC 1-6. DC I-4.

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das Recht zu, »alle Mittel zu gebrauchen und alle Handlungen zu tun«, 21 die fiir seine Erhaltung nötig sind. Über den angemessenen Einsatz »ist er selber nach dem Naturrecht Richter«.Z2 Damit kommt auch den Staaten ein Recht auf alles zu, und die Paradoxie dieses Rechtes reproduziert im Verhältnis der Staaten zueinander die Rechtsantinomie des zwischenmenschlichen Naturzustandes. Denn auch fiir das Verhältnis der Staaten zueinander gilt, daß es ihnen »durchaus keinen Nutzen [brachte], in dieser Weise ein gemeinsames Recht auf alles zu haben. Denn die Wirkung eines solchen Rechts ist so ziemlich dieselbe, als wenn überhaupt kein Recht bestände«. 23 Die uneingeschränkte Freiheit macht somit jeden gesicherten Freiheitsgebrauch unmöglich. Wenn Hobbes aber sagt, daß der Naturzustand dem zwischenstaatlichen Verhältnis entspreche, dann heißt dies implizit auch, daß die vernunftrechtlichen Gebote des Naturzustandes auch auf das Völkerrecht Anwendung fmden. Es war Hobbes' feste Überzeugung, daß die Gebote der recta ratio allein nicht ausreichten, um einen gesicherten Rechtsfrieden zu garantieren. Dies war bekanntermaßen erst durch die Stiftung einer mit Zwangsrechten bewehrten Staatsgewalt möglich. Dennoch liefern die von Hobbes entwickelten Ieges naturales die Grundlage, von der aus erst eine kontraktualistische Staatsgründung möglich ist. Ähnlich den Kantischen Präliminarartikeln seiner Schrift Zum ewigen Frieden wird man behaupten können, daß die von Hobbes entwickelten Ieges naturalis als notwendige Preliminarien fiir die Ordnung einer Staatengemeinschaft anwendbar sind. Freilich zieht Hobbes auf der internationalen Ebene nicht die Konsequenzen, die er auf der staatsrechtlichen durch die Stiftung eines Souveräns gezogen hatte. Im weiteren sollen zunächst die natürlichen Gesetze auf ihre Bedeutung fiir die Staatengemeinschaft geprüft werden. Hobbes definierte die natürlichen Gesetze als ein »Gebot der rechten Vernunft in betreff dessen, was zu einer möglichst langen Erhaltung des Lebens und der Glieder zu tun und zu lassen ist«. 24 Sie geben damit die Bedingungen an, unter denen erst eine Rechtsordnung möglich ist, ohne bereits hinreichend fiir die erstrebte Rechtssicherheit zu sein, weil die natürlichen Gesetze nicht erzwingbar sind, sondern ihre Gültigkeit stets von der jeweiligen Einsicht und freiwilligen Befolgung der involvierten Konfliktparteien abhängig bleibt (vgl. DC V-I ff. ). Den Gehalt der natürlichen Gesetze als Regelungsmechanismus gerade fiir die internationalen Beziehungen sollte man nicht unterschätzen, auch wenn die scharfsinnige Souveränitätslehre von Hobbes dazu verleitet. Konzeptionell dient ihm der Naturzustand- und darin besteht gerade eine seiner bedeutendsten rechtsphilosophischen Leistungen- als begründungstheoretischer Nachweis, daß ein staatliches Gewaltmonopol zur Garantie von Frieden und 21 22

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DC 1-8. DC 1-9. DC 1-11. DC 11-1.

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Sicherheit zwingend notwendig ist. Eben die Konsequenz des den Staat stiftenden Vertragsschlusses wird man aber fiir die internationale Ebene nicht ziehen können. Kant sah sich später in seiner Friedensschrift genau vor diese Problematik gestellt. Bereits bei Hobbes zeigt sich, daß jedes Völkerrecht unauflöslich mit der Souveränitätsfrage verschränkt ist. Solange aber der dieser Argumentation konsequent folgende Schritt der Etablierung einer souveränen Schiedsinstanz nicht vollzogen wird, muß jedes Völkerrecht zwangsläufig defizitär bleiben. In Auseinandersetzung mit Kants Friedensschrift werde ich im folgenden zu zeigen versuchen, daß Hobbes bereits in seinen staatstheoretischen Schriften das Rüstzeug lieferte, von dem aus Kant seine »rechtsphilosophisch einzigartig[e]«25 Friedenslehre erarbeitete. In der Kontrastierung dieser beiden Denker wird der bedeutende rechtsphilosophische Beitrag Hobbes' auch fiir das Völkerrecht deutlich werden. Ganz offensichtlich argumentiert Kant ausgehend von der von Hobbes nachgewiesenen Paradoxie des ius in omnia, wenn er behauptet: ))Völker als Staaten können wie einzelne Menschen beurtheilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d.i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein lädiren, und deren jeder. um seiner Sicherheit willen von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine der bürgerlichen ähnliche Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann«. 26 Kant schränkt dieses Urteil aber differenzierend ein, indem er in fast unmittelbarem Anschluß darauf hinweist, daß ))VOn Staaten nicht eben das gelten kann, was von Menschen im gesetzlosen Zustande nach dem Naturrecht gilt, [ ... ] weil sie als Staaten innerlich schon eine rechtliche Verfassung haben und also dem Zwange anderer, sie nach ihren Rechtsbegriffen unter eine erweiterte gesetzliche Verfassung zu bringen, entwachsen sind«.27 Die Souveränität der Staaten schließt eine Lösung der latent vorhandenen zwischenstaatlichen (Rechts-)Konflikte durch die Stiftung einer internationalisierten, übergeordneten souveränen Macht aus. Dieser Standpunkt wurde noch viel mehr von Hobbes als von Kant28 vertreten. Es bleibt somit fiir Hobbes wie fiir Kant zunächst nur die Einsicht, daß »der Krieg doch nur das traurige Nothmittel im Naturzustande ist (wo kein Gerichtshof vorhanden ist, der rechtskräftig urteilen könnte), durch Gewalt sein Recht zu behaupten; wo keiner von beiden Theilen fiir einen ungerechten Feind erklärt werden kann (weil das schon einen 25 G. Geismann, Kants Rechtslehre vorn Weltfrieden, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 37 (1983), S. 363-388, hier S. 364. 26 /. Kant, Zum ewigen Frieden (EF), in: AA. VIII, S. 354. 27 EF, S. 355 f. 28 Neben der Konzentration Hobbes' auf die BegrUndung innerstaatlicher Souveränität wird ein weiterer bestimmender Grund fllr die Unmöglichkeit eines supranationalen Souveräns für ihn sicherlich darin auszumachen sein, daß die zu seiner Zeit einzig in Frage kommende Möglichkeit in einer dramatischen politischen Aufwertung des Papstes bestanden hätte. Derartige Gedankenspiele wären mit Hobbes' Ansichten völlig unvereinbar gewesen.

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Richterausspruch voraussetzt), sondern der Ausschlag desselben [... ] entscheidet, auf wessen Seite Recht ist; zwischen Staaten sich aber kein Bestrafungskrieg [... ] denken läßt (weil zwischen ihnen kein Verhältnis eines Oberen zu einem Untergebenen statt findet)«?9 Auch Kant sah sich dem Dilemma gegenüber, daß die Grenze eines effektiven, rechtlich durchsetzbaren Völkerrechts genau dort verlief, wo der Staat nicht bereit war, seine ihm eigentümlichen Souveränitätsrechte an eine diesem übergeordnete Instanz zu übertragen.30 Die entscheidende Differenz zwischen Kant und Hobbes liegt freilich darin, daß ersterer diese Problematik in bewußter Auseinandersetzung thematisierte, während Hobbes nur implizit auf die völkerrechtlichen Aspekte einging. Während sich daher bei Kant der Versuch findet, eine konsistente Rechtslehre auch fiir die internationalen Beziehungen zu entwickeln, bleibt fiir Hobbes nur der Verweis auf die Kongruenz der Konfliktlage des Naturzustandes unter den Menschen wie unter den Staaten. Der wichtige Hinweis Kants, daß die Übereinstimmung dadurch begrenzt wird, daß es sich bei den Staaten bereits um durch Vertrag gestiftete Rechtsgemeinschaften handelt, deutet vor allem darauf hin, daß Kant nicht an einer Lösung durch einen supranationalen Souverän gelegen war und er daher die Freiwilligkeit eines jeden zwischenstaatlichen Vertrages zur Wahrung des (Rechts-)Friedens betont. Wenn auf der internationalen Ebene keine souveräne Institution geschaffen werden kann, die durch die Ausstattung mit entsprechenden Zwangsrechten in der Lage wäre, Konflikte zu entscheiden und durch ein instanzlieh gesichertes Austragsverfahren dadurch letztlich auch zu schlichten, bleibt nur der Austrag zwischen den jeweiligen Konfliktpartnern. Diese sind Richter in eigener Sache, so daß aufgrund des ipse-judex-Prinzips nicht grundsätzlich davon auszugehen ist, daß die Konflikte friedlich ausgetragen werden können, keinesfalls aber rechtlich. Insofern bleibt die Paradoxie des ius in ornnia in vollem Umfang fiir die EF, S. 346 f. Die frühneuzeitliche scholastische Völkerrechtslehre hatte noch an der Idee eines Bestrafungskrieges festgehalten. Nach diesem Verständnis war der Sieger eines gerechten Krieges nicht mehr nur Partei sondern auch, gerade aufgrund seines Sieges, übergeordneter Richter gegenüber der unterlegenen Partei. (Die aus Antike und Mittelalter tradierte Idee des bel/um iustum braucht hier nicht weiter erörtert zu werden, vgl. zu diesem Bereich F. Dickmann, Krieg und Frieden im Völkerrecht der Frühen Neuzeit, in: Ders., Friedensrecht und Friedenssicherung. Studien zum Friedensproblem in der neuen Geschichte, Göttingen 1971, S. 116-139). Stellvertretend sei in diesem Zusammenhang auf das einschlägige Urteil Francisco de Vitorias verwiesen, der behauptete, »daß man, wenn der Sieg errungen und die verlorenen Güter wiedererlangt sind, von den Feinden Geiseln, Schiffe, Waffen sowie alles einfordern darf, was dazu dient, diese Feinde in der Pflicht zu halten und der Gefahr vorzubeugen, die von ihnen drohen könnte. [ ... ] Nicht nur dies ist in einem gerechten Krieg erlaubt, sondern man darf auch, wenn der Sieg errungen, die verlorenen Güter wiedererlangt sowie Frieden und Sicherheit erreicht sind, von den Feinden empfangenes Unrecht ahnden und diese flir solche Unrechtstaten bestrafen«. F. de Vitoria, Über das Kriegsrecht, in: Vorlesungen hg. v. U. Horst e.a., Stuttgart 1997, Bd. I!, S. 542-605, hier S. 565. 29

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internationale Ebene erhalten, und die Rechtsantinomie des Naturzustands reproduziert sich in der Tat in gleicher Tragweite hinsichtlich der zwischenstaatlichen Verhältnisse. Genau dieser Aspekt bringt aber die von Hobbes bereits entwickelten Ieges naturalis auch filr das Völkerrecht wieder ins Spiel. Die Schlüsselstelle bei Hobbes, auf die sich fast alle ihm folgenden Naturrechtslehrer wie Samuel Pufendorf oderEmerde Vattel berufen sollten, lautete: »Das natürliche Gesetz kann wieder eingeteilt werden in das natürliche der Menschen, das allein den Namen ,das natürliche Gesetz' erhalten hat, und in das natürliche der Staaten, das das Gesetz der Völker genannt werden kann, aber gewöhnlich als Völkerrecht bezeichnet wird. Beider Vorschriften sind dieselben; indes nehmen die einmal eingerichteten Staaten die Eigenschaften einer menschlichen Person an«. 31 Damit hatte Hobbes unmißverständlich festgestellt, daß die natürlichen Gesetze auch filr den zwischenstaatlichen Zustand Geltung hatten. Ihre Anwendung unterscheidet sich aber dadurch, daß die Staaten sich nicht nur in einem äußeren Verhältnis zueinander befinden, sondern durch ihre durch Vertrag begründete Staatsgewalt auch ein innerstaatliches Verhältnis zwischen Souverän und Bürgern entsteht, das es so klarerweise nicht zwischen den Menschen im Nautrzustand gegeben hatte. Das ändert aber grundsätzlich nichts an der Geltung und Anwendung der natürlichen Gesetze filr die Staaten in ihrem Verhältnis zueinander. »Das erste und grundlegende Gesetz der Natur geht dahin, daß man den Frieden suche, soweit er zu haben ist; wo dies nicht möglich ist, soll man Hilfe filr den Krieg suchen«. 32 Die recta ratio gebietet zwar, den Frieden zu suchen, aber das übergeordnete Interesse der Selbsterhaltung fordert, den Wert des Friedens nicht höher als die eigene Sicherheit zu veranschlagen. Das Ergebnis ist eine instabile Situation, in der jeder Akteur aufgrund vernünftiger Abwägungen zwar erkennen mUßte, daß der Friede im eigenen Interesse liegt, aber aufgrund der Unkalkulierbarkeit des Verhaltens der anderen Akteure doch nicht sicher sein kann, diesen auch wirklich zu erhalten. Um diese Instabilität zu reduzieren, entwickelt Hobbes das aus dem grundlegenden natürlichen Gesetz - den Frieden zu suchen - das erste von diesem abgeleitete natürliche Gesetz, welches besagt, »daß das Recht aller auf alles nicht beizubehalten sei, sondern daß einzelne Rechte zu Obertragen oder aufzugeben seien«.33 Dies käme auf der internationalen Ebene zumindest einer Einschränkung der staatlichen Souveränität gleich. Genau an diesem Punkt setzt Kant mit seinem philosophischen Entwurf Zum ewigen Frieden an und filhrt somit Hobbes' rudimentär angelegtes Völkerrecht weiter.

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DC XIV-4. DC 11-2. DC 11-3.

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Da auch fiir Kant »alles Recht [... ] von Gesetzen« 34 abhängt, macht er sich die absolute Begrifflichkeit von Recht und Souveränität Hobhesseher Provenienz zu eigen. Staatliche Souveränität ist somit die conditio sine qua non beider Denker, die Recht, durch die Positivierung der von dem Souverän erlassenen Gesetze, erst denkbar werden läßt. Nur so kann »jedem das seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden«. 35 Die Rigorosität von Kants Begriff des Rechts und dessen begründungstheoretische Dependenz von der staatlichen Souveränität, »bringt auf der Ebene des Völkerrechts beide [Begriffe] in ein Verhältnis wechselseitiger Exklusivität«.36 Kant hatte diese Problematik natürlich selbst gesehen und auch formuliert. Solange man nicht bereit ist, die einzelstaatliche Souveränität zu Gunsten einer supranationalen Souveränität aufzugeben, wird sich die von Hobbes aufgezeigte Konfliktsituation des ipse-judex-Prinzips nicht befriedigend lösen lassen. Hobbes hatte daher auch behauptet, daß die durch die Etablierung staatlicher Herrschaft ermöglichte Friedens- und Rechtsstiftung auf der internationalen Ebene nicht zu erwarten sei, denn »you are not to expect such a peace between two nations; because there is no common power in this world to punish their injustice«. 37 Kants berühmte Friedensschrift fußt, aufgrund der von Kant übernommenen Argumentation, daß das Recht der gesetzlichen Positivierung durch einen legitimen Souverän bedürfe, in einem hohen Maße auf den Hobbesschen Konzeptionen. Auch Kant gelingt es letztlich nicht, die Paradoxie des Verhältnisses von Souveränität und Recht fiir die internationalen Beziehungen aufzulösen. Die konsequente Lösung des völkerrechtlichen Problems würde zwar in der Etablierung eines übergeordneten Souveräns bestehen, aber sie läßt sich gerade nicht mit der einzelstaatlichen Souveränität vereinbaren. Diese Paradoxie wird von Kant konstatiert, ohne daß er sie in seiner Schrift tatsächlich zu lösen vermocht hätte: »Darin aber wäre ein Widerspruch: weil ein jeder Staat das Verhältnis eines Oberen (Gesetzgebenden) zu einem Unteren (Gehorchenden, nämlich dem Volk) enthält, viele Völker aber in einem Staate nur ein Volk ausmachen würden, welches (da wir hier das Recht der Völker gegen einander zu erwägen haben, so fern sie so viel verschiedene Staaten ausmachen und nicht in einem Staat zusammenschmelzen sollen) der Voraussetzung widerspricht«. 38 Man wird daher sagen müssen, daß bei der Beibehaltung dieser rigorosen Prä34 I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fiir die Praxis (GS), in: AA VIII, S. 294. 35 GS, S. 289. 36 R. Merke/, »Lauter leidige Tröster«? Kants Friedensschrift und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, in: Ders.IR. Wittmann (Hg.), »Zum ewigen Frieden«. Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, FfM 1996, S. 309-350, hier S. 325. 37 Th. Hobbes, ADialogue between a philosopher and a student ofthe common Jaws of England, in : EW-VI, S. 1-160, hier S. 7 f. 38 EF, S. 354.

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missen keine Lösung denkbar ist, die das Völkerrecht analog zum gesetzlichen Zustand der Einzelstaaten sichert. Die Analogie des Naturzustandes erschöpft sich damit auch bei Kant in dem Aufweis der Konflikthaftigkeit des nichtrecht-· Iichen Zustandes, nicht aber in der Überwindung dieses Unrechts: ))Ftir Staaten im Verhältnisse unter einander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie eben so wie einzelne Menschen ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen [... ] Völkerstaat [ ...] bilden. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik [...] nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden [... ] Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung authalten«. 39 Kants Friedensentwurf kommt damit genau an der von Hobbes bereits aufgeworfenen Frage tiber das Spannungsverhältnis von (Völker-)Recht und Souveränität an seine Grenze. Der in Hobbes' Rechtsphilosophie zumindest implizit vorhandene völkerrechtliche Gehalt wird daher in der von Kant erneut grundsätzlich thematisierten Problematik von einzelstaatlicher Souveränität und dem überstaatlichen Geltungsanspruch des Völkerrechts faßbar. Der Hobhesseben Argumentation verdankt sich aber nicht nur der Aufweis dieser grundsätzlichen rechtsphilosophischen Problemstellungen, die bis zum heutigen Tage noch keine befriedigende Antwort erfahren haben, 40 sondern seine Rechtslehre läßt sich auch auf einige Aspekte des Verhältnisses der Staaten zueinander übertragen. So war die Prämisse pacta sunt servanda bereits von Hobbes als grundsätzliche Bedingung jeder Möglichkeit geregelter menschlicher Rechtsbeziehungen formuliert worden. ))Das zweite der abgeleiteten natürlichen Gesetze verlangt, daß man die Verträge halte und das gegebene Wort nicht breche«.41 Es ist evident, daß sobald die einzig vollkommene Lösung des juridischen Konfliktes, der sich aus dem Charakter der wilden Freiheit der Staaten in ihrem Verhältnis zueinander ergibt, nicht umgesetzt werden kann, jede weitere Regelung den Charakter eines unbefriedigenden Kompromisses, oder wie Kant es formulierte, eines negativen Sourrogates anhaften muß. Hobbes hatte nachgewiesen, daß es zwar ein Gebot der rechten Vernunft sei zu wollen, daß jeder die von ihm eingegangenen Verträge halte, eine wirkliche Sicherheit fiir die tatsächliche Umsetzung dieser Forderung konnte es aber im vorstaatlichen Naturzustand nicht geben. Genau hieraus erklärt sich auch die bereits zitierte Behauptung, ))der Mensch ist ein Gott fiir den Menschen, und: Der Mensch ist ein Wolffiir den Menschen; jener, EF, S. 357. So scheitert zum Beispiel die tatsächliche Umsetzung des idealtypischen Anspruches der UN-Charta gerade an dem Interessenkonflikt, der sich aus der einzelstaatlichen Souveränität und einer supranationalen Rechtsordnung ergibt. 41 DC III-1. 39 40

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wenn man die Bürger untereinander, dieser wenn man die Staaten untereinander vergleicht«. 42 Denn dadurch, daß die Menschen durch Vertrag einen Souverän etablieren und sich dessen Urteil in Konflikten unterwerfen, schaffen sie die Möglichkeit, Recht zu sichern und (Rechts-)Konflikte nicht durch Willkür oder das Recht des Stärkeren sondern in öffentlichen und geordneten Rechtswegen auszutragen. Der Mensch wird damit durch diesen Vertrag in ein rechtliches Verhältnis zu seinen Mitmenschen gesetzt und verliert seine potentielle Bedrohung, die ihm vor diesem Akt im Naturzustand noch eigen war. Kant hat diesen Sachverhalt eindringlich beschrieben: »Der Friedenszustand unter den Menschen ist kein Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d.i. wenn gleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Er muß also gestiftet werden; denn die Unterlassung der letzteren ist noch nicht Sicherheit dafilr, und ohne daß sie einem Nachbar von dem andem geleistet wird (welches aber nur in einem gesetzlichen Zustande geschehen kann), kann jener diesen, welchen er dazu aufgefordert hat, als einen Feind behandeln. [ ... ] Der Mensch [ ...] (oder das Volk) im bloßen Naturzustande benimmt mir diese Sicherheit und lädirt mich schon durch eben diesen Zustand, indem er neben mir ist, obgleich nicht thätig (facto), doch durch die Gesetzlosigkeit seines Zustands (statu iniusto), wodurch ich beständig von ihm bedroht werde«. 43 Ohne ein rechtliches Verhältnis müssen die Menschen oder Völker einander bedrohen und schaden. Es ist daher nur konsequent, wenn Hobbes erklärt, daß die Menschen als Bürger, also in einem rechtlich verfaßten Zustand, sich gegenseitig als förderlich, ja sogar als Gott erweisen, während sie im rechtlosen Zustand, in welchem sie sich in ihrem Verhältnis zueinander befinden, wenn man sie auf der zwischenstaatlichen Ebene betrachtet, einander bedrohen. Es muß hier, um dem sich hartnäckig haltenden Vorurteil erneut zu begegnen, noch einmal wiederholt werden, daß diese Argumentationsfigur mit irgendeiner angeblichen Wolfsnatur des Menschen also überhaupt nichts zu tun hat.

II.

Der kategorische Nachweis, daß jedes Recht bereits seiner Idee nach nur durch die Sicherung staatlicher Souveränität möglich sei, kennzeichnet die rechtsphilosophischen Positionen von Hobbes und Kant. Die problematischen Konsequenzen, die dieses filr die Begründung eines Völkerrechts haben mußte, sind ebenfalls von beiden Philosophen gesehen worden. Es war Kant, der diese Paradoxie ausdrücklich thematisierte. Ausgehend von dieser Position erklärt sich auch sein bekanntes ablehnendes Urteil über das von den NaturrechtsIehrem entwickelte Völkerrecht: »Bei der Bösartigkeit der menschlichen 42

43

DC, Widmung, S. 59. EF, S. 349.

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Natur,44 die sich im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blicken läßt (indessen daß sie im bürgerlichen gesetzlichen Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleiert), ist es doch zu verwundern, daß das Wort Recht aus der Kriegspolitik noch nicht als pedantisch ganz hat verwiesen werden können, und sich noch kein Staat erkühnt hat, sich fiir die letztere Meinung öffentlich zu erklären; denn noch werden Hugo Grotius, Pufendorf, Vattel u.a.m. (lauter leidige Tröster), obgleich ihr Codex[ ... ] nicht die mindeste gesetzliche Kraft hat, oder auch nur haben kann (weil Staaten als solche nicht unter einem gemeinschaftlichen äußeren Zwange stehen), immer treuherzig zur Rechtfertigung eines Kriegsangriffs angefUhrt«. 45 Die naturrechtliche Konzeption gründete in der Behauptung, daß auch die internationalen Beziehungen durch Rechtsbeziehungen zu regeln wären, da man auf die Existenz des vorpositiven Naturrechts zurückgreifen könne. Dafiir war die Annahme, daß das Naturrecht selbst bereits ein verbindliches Recht darstelle, unentbehrlich. Hugo Grotius hatte zwar behauptet, daß Recht nur in Verbindung mit einer dieser korrespondierenden Verbindlichkeit bestehen könne, »denn Ratschläge und ähnliche Reden sind zwar anständig aber sie verpflichten nicht und bilden deshalb kein Gesetz oder Recht«,46 aber er hatte diese Verbindlichkeit sehr weit gefaßt. Für ihn war auch das Naturrecht ein von Gott und der Vernunft gebotenes Recht, »welches anzeigt daß einer Handlung wegen ihrer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der vernünftigen Natur selbst eine moralische Häßlichkeit oder eine moralische Notwendigkeit innewohnt«. 47 Das Naturrecht ist nach Auffassung der Naturrechtslehrer a priori gegeben und »so unveränderlich, daß selbst Gott es nicht verändern kann«. 48 Damit kann der verpflichtende Charakter des vorpositiven Naturrechts zum begründenden Fundament der zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen werden. Mit dem kategorisch-voluntaristischen Rechtsbegriff von Hobbes und Kant war dieser Verpflichtungscharakter des Naturrechts nicht vereinbar. Das 44 Es ist wichtig festzuhalten, daß die Bösartigkeit des Menschen fiir Kant - und auch berei~fiir Hobbes- nicht in seiner natürlichen Veranlagung begründet lag. Vgl. /. 'Kant, Qie ~etaphysik der Sitten, AA VI, S. 312: »Es ist nicht etwa die Erfahrung, durch die wir von der Maxime der Gewaltthätigkeit des Menschen belehrt werden und ihrer Bösartigkeit, sich, ehe eine äußere machthabende Gesetzgebung erscheint, einander zu befehden, als nicht etwa ein Factum, welches den öffentlich gesetzlichen Zwang nothwendig macht, sondern, sie mögen auch so gutartig und rechtliebend gedacht werden, wie man will, so liegt es doch a priori in der Vernunftidee eines solchen Zustandes, daß, bevor ein öffentlich gesetzlicher Zustand errichtet worden, vereinzelte Menschen, Völker und Staaten niemals vor Gewaltthätigkeiten gegeneinander sicher sein können, und zwar aus jedes seinem eigenen Recht zu thun, was ihm recht und gut dünkt, und hierin von der Meinung des Anderen nicht abzuhängen«. 45 EF, S. 355. 46 H. Grotius, Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens [Paris 1625], übersetzt und hg. v. W. Schätze/, Tübingen 1950, 1-1, IX, S. 50. 47 H. Grotius, Vom Recht des Krieges (Anm. 46), 1-1 , X, S. 50. 48 H. Grotius, Vom Recht des Krieges (Anm. 46), I- I, X, S. 51.

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Naturrecht hatte für sie vielmehr in der natürlichen Freiheit bestanden, die letztlich jedes Recht ausschloß. Bereits Hobbes hatte daher auch behauptet: »The Right ofNature, that is the naturall Liberty ofman, may by the Civill Law be abridged, and restrained: nay, the end ofmaking Lawes, is no other, but such Restraint; without which there cannot possibly be any Peace. And Law was brought into the world for nothing eise, but to Iimit the naturall liberty of particular men, in such manner, as they might hurt, but assist one another«. 49 Die frühneuzeitlich scholastische Völkerrechtstradition vor allem spanischer Provenienz und Grotius, der dieser doch in weiten Zügen folgte, 50 hatte nicht versucht, die Geltung des Völkerrechts durch eine souveränitätstheoretische Begründung zu beweisen. Ihnen ging es vielmehr um die empirischen Bedingungen von Krieg und Frieden und die Möglichkeiten, eine Regelung zu etablieren, die Friedensschlüsse erreichbar und dauerhaft machte und die Kriegfiihrung eingrenzte. Ihre Erörterungen zielten auf die Hegung des Krieges, wenn dieser schon nicht gänzlich zu vermeiden war. Daß Krieg als ein Mittel der lnteressendurchsetzung weiterhin Anwendung fand, lag eindeutig an der Tatsache, daß sich der Souveränitätsanspruch der Staaten durchgesetzt hatte.51 Insofern ist es fur den hier diskutierten Zusammenhang bezeichnend, daß neben Kant auch die - von diesem als »leidige Tröster« denunzierten Naturrechtslehrer ausdrücklich auf Hobbes und seine Bedeutung fiir das Völkerrecht hinwiesen. Innerhalb der modernen Naturrechtstradition war es neben Hobbes' holländischem Zeitgenossen Grotius vor allem der Schweizer Emer de Vattel, der sich um die Ausarbeitung eines Völkerrechts auf der Grundlage naturrechtlicher Argumente bemühte. Bemerkenswerterweise war es nach Vattel gerade Hobbes, »qui ait donne une idee distincte, mais encore imparfaite du droit des gens«. 52 Das besondere Verdienst Hobbes' sah Vattel in der Tatsache, daß dieser bemerkt habe, »que le droit des gens est le droit nature! applique aux nations«.53 Offensichtlich lag also in der von Hobbes unternommenen Charakterisierung des Völkerrechts für einen der bedeutendsten Völkerrechtslehrer des 18. Jahrhunderts eine der entscheidenden rechtsphilosophischen Erkenntnisse. Bereits Pufendorf hatte gleich Vattel betont, daß Hobbes' Position gegenüber dem Völkerrecht die einzig schlüssige sei: »Je souscris absolument ä cette position [von Hobbes, den Pufendorf direkt zuvor zitiert]; & Lev., S. 185. Vgl. J Sauter,Die philosophischen Grundlagen des Naturrechts, FfM 1966, S. 95. 51 F. Dick.mann, Krieg und Frieden (Anm. 30), betont den positiven Aspekt dieser »Humanisierung des Krieges« (S. 130), wie sie sich der theoretischen Fundierung durch die frühneuzeitlichen Völkerrechtslehrer verdankte und zunehmend in den sogenannten Kabinettskriegen auch manifestierte. 52 E. de Vatte/, Le Droit des Gens, ou Principes de Ia Loi Naturelle (DG), 3 Bde., Neuchatel21777, S. XII. 53 DG, S. XIII. 49

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je ne reconnois aucune autre sorte de Droit de Gens Volontaire ou Positif, du moins qui ait force de Loi proprement dite, & qui oblige !es Peuples comme emanant d'un Superieur«. 54 Die bei Pufendorfund später auch bei Vattel anders akzentuierte Begründung staatlicher Souveränität erlaubt diesen Denkern die Problematik von Souveränität und Völkerrecht zu umgehen. In der von ihnen entwickelten Pflichtenlehre ist die zentrale begründungstheoretische Argumentation zu sehen. Der Souverän wird sich auch in den internationalen Beziehungen gemäß der naturrechtliehen Gebote verhalten, da dies in seinem eigenen Interesse und in seiner Pflicht liegt. 55 Im Vergleich zu Grotius und Vattel findet sich in Pufendorfs Rechtslehre, trotz des anders lautenden Titels, primär ein Interesse am Natur- und Staatsrecht. Durch seine Übernahme der Hobhesseben Gleichsetzung von Natur- und Völkerrecht kann auch Pufendorf sich dem Naturrecht und der von ihm hieraus abgeleiteten Pflichtenlehre zuwenden. Während Hobbes auf die Problematik aufmerksam machte, die sich fiir die internationalen Beziehungen aufgrund einer fehlenden souveränen Macht ergeben mußte, schlug Vattel genau den umgekehrten Weg ein: Er wollte nicht die souveränitätstheoretischen Fragen behandeln, sondern »seulement [ ... ] faire voir en consequence des grands principes du droit des gens, ce que c'est que le souverain, & de donner une idee generale de ses obligations & de ses droits«. 56 Wenn man wie Vattel die Verbindlichkeit natürlicher Rechte annimmt, dann wird durch die gedankliche Übertragung des Naturzustands auf die Staatengemeinschaft nicht nur deren Konfliktlage charakterisiert, sondern der so konzipierte Naturzustand liefert auch Handlungsanleitungen fiir das Verhalten der Staaten untereinander: »Cette societe [... ] est donc obligee de vivre avec les autres societes, ou etats, comme un homme etoit oblige avant ces etablissemens, de vivre avec !es autres hommes, c'est-a-dire, suivant !es loix de Ia societe naturelle etablie dans le genre humain«.57 Die Schwäche der Naturrechtslehre wird aber unmittelbar evident, wenn man die von Vattel vertretene Annahme der Gültigkeit vorpositiver Rechte gegen die Hobbessche Naturzustandskonzeption liest. Die von Hobbes fiir den Naturzustand aufgewiesene Rechtsantinomie wird auch von Vattel nicht aufgelöst und bleibt in ihrer Problematik auch fiir das Verhältnis der Staaten zueinander bestehen. Er muß dies selbst zugeben, wenn er schreibt: »Les nations etant libres & independantes les unes des autres, puisque les hommes sont naturellement libres & independants, Ia [... ] loi generale de leur societe est, que chaque nation doit 54 S. Pufendorf, Le Droit de Ia Nature et des Gents. (Traduits du Latin du Baron de Pufendorfpar Jean Barbeyrac), Basle 1732,2 Bde., 11-3, 23, S. 213. Da sich hier auch die wichtigen Kommentare Barbeyracs finden, zitiere ich nach dieser Ausgabe. 55 Vgl. DG, S. 75: »II est donc du veritable interet du prince, comme de son devoir, de maintenir !es loix & de !es respecter: il doit s'y soumettre lui meme«. 56 DG, S. 63 f 57 DG, S. 14.

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etre Iaissee dans Ia paisible jouissance de cette liberte tient de Ia nature. La societe naturelle des nations ne peut subsister, si les droits que chacune a re~us de Ia nature n'y sont pas respecte. Aueune ne veut renoncer asa liberte«. 58 Die paradoxe Freiheit des von Hobbes konstatierten ius in omnia wird von Vattel erneut betont, ohne daß ihm die hiermit verbundene Problematik in ihrer letzten Konsequenz einsichtig geworden wäre. »De cette liberte & independance, il suit que c'est a chaque nation de juger de ce que sa conscience exige d'elle, de ce qu'elle peut ou ne peut pas«. 59 Die grundlegende Frage quis judicabit kann auf der von Vattel angenommenen Grundlage nicht entschieden werden. Montesquieu, der konzeptionell andere Ziele als die Naturrechtslehrer verfolgt, von ihnen aber dennoch stärker beeinflußt ist, als er selbst zu erkennen gibt, 60 liefert ein letztes vielsagendes Beispiel. Entscheidend filr den hier erörterten Zusammenhang ist, daß es auch filr Montesquieu- darin Hobbes' Auffassung folgend - Freiheit nur in dem gesicherten Rechtsrahmen positiver Gesetze geben konnte, 61 was auch Montesquieu veranlaßte, die gleichen Konsequenzen zu ziehen: »La liberte consiste principalement a ne pouvoir etre force a faire une chose que Ia loi n'ordonne pas; et on n'est dans cet etat que parce qu' on est gouverne par des lois civiles: nous sommes donc libres, parce que nous vivons sous des lois civiles. Il suit de Ia que les princes, qui ne vivent point entre eux sous des lois civiles, ne sont point libres; ils sont gouvernes par Ia force». 62 Damit wird deutlich, daß nicht nur Kant und die Naturrechtslehrer von Pufendorf bis zu Vattel in der Erörterung des Völkerrechts die bereits von Hobbes formulierten Fragen aufgriffen, sondern daß auch Montesquieu, der in ganz anderen Traditionszusammenhängen stand, ebenfalls die grundlegenden Positionen von Hobbes übernahm. Bezeichnend ist aber weiterhin, daß Montesquieu gleich Kant das nicht aufzulösende juridische Verhältnis von Souveränität und Völkerrecht durch nichtjuridische, empirische Bedingungen der zwischenstaatlichen Beziehungen zu moderieren sucht. Sowohl filr Kant wie bereits filr Montesquieu kommt dem internationalen Handel hier eine entscheidende Schlüsselfunktion zu, denn »l'effet naturel du commerce est de porter a Ia paix. Deux nations qui negocient ensemble se rendent reciproquement dependants«. 63 Die wechselseitigen Bedürfnisse und Abhängigkeiten verstärken die Notwendigkeit und damit die BeDG, S. 16. DG, S.I7. 60 Vgl. M. H. Waddicor, Montesquieu and the Philosophy of Natural Law, The Hague 1970. 61 Vgl. P. Schröder, Liberte et pouvoir chez Hobbes et Montesquieu, in: M Porret (Hg.), Le Temps de Montesquieu. Colloque international 250 ans apres L'Esprit des lois (im Druck). 62 Montesquieu, De I'Esprit des lois, hg. v. L. Versini [Genf, 1748], Paris 1995, XXVI-15, S. 883. 63 Montesquieu, Esprit (Anm. 62), XX-2, S. 610. 58

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reitschaft, Regeln zu etablieren und sich an diese zu halten. Diese haben zwar keinen durchsetzbaren Geltungsanspruch, sondern beruhen lediglich auf wechselseitigem Interesse und einem entsprechenden Nutzenkalkül, aber »l'esprit de commerce produit dans les hommes un certain sentiment de justice«.64 Der Handelsgeist fördert damit die Einhaltung der von Hobbes bereits erarbeiteten vernunftrechtlichen Gebote. Genau diese Argumentation findet sich dann auch bei Kant, wenn er schreibt, »es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt. [ ...] Auf die Art garantirt die Natur durch den Mechanism der menschlichen Neigungen selbst den ewigen Frieden; freilich mit einer Sicherheit, die nicht hinreichend ist«. 65 Diese nicht hinreichend gesicherte Garantie ist offensichtlich kaum etwas anderes als der schwache, oder leidige Trost eines Vattel oder Pufendorf. Die abstrakte Absolutheit der von Hobbes begründeten Dependenz von Recht und Souveränität ist in seiner kategorischen Radikalität nicht auf das Völkerrecht zu übertragen, weil so die zahlreichen »Zwischenstufen zwischen einem vollständigen status iuridicus (im Modell des Rechtsstaats) und einem von jeder premtorischen Rechtssicherheit gänzlich freien Naturzustand«66 nicht in den Blick kommen. Kant hat, wenn auch widerstrebend, zu dieser Einsicht gefunden, obwohl er zugleich an der grundsätzlichen rechtsphilosophischen Prämisse festgehalten hat.

III.

Hobbes hatte nicht die Existenz eines Völkerrechts geleugnet, sondern dessen Garantie und die Möglichkeit seiner rechtlichen Durchsetzung. Daß er keinen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der rechtsphilosophischen Theorie des Völkerrechts geleistet habe, wird man angesichts des umfassenden Rekurses auf seine Theorie nicht ernsthaft behaupten können. Vielmehr wird bereits bei Hobbes die grundsätzliche Problematik aufgezeigt, daß bei der Beibehaltung der Souveränität der einzelnen Staaten ein wirksames Völkerrecht nicht realisierbar ist. Die argumentative Stringenz und Stärke der von Hobbes entwickelten Souveränitätstheorie, deren begründungstheoretisches Fundament er in seiner spezifischen Naturzustandslehre geleistet hatte, bildeten daher fUr jeden Denker, der sich mit der Problematik von Souveränität und Völkerrecht auseinandersetzte, den geradezu unvermeidbaren Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen. Kant erwies sich der Naturrechtstradition vor allem deswegen überlegen, weil er die von Hobbes erarbeitete Rechtsantinomie erkannte und in ihrer Bedeutung fUr das Verhältnis von Recht und Souveränität weiterentwickelte. Hobbes und Kant haben gezeigt, daß nur durch die Einschränkung der 64

65 66

Ibid.

EF, S. 368. R. Merke/, »Lauter leidige Tröster«? (Anm. 36), S. 325.

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einzelstaatlichen Souveränität »ein auf öffentliche mit Macht begleitete Gesetze, denen sich jeder Staat unterwerfen müßte, gegründetes Völkerrecht (nach der Analogie eines bürgerlichen oder Staatsrechts einzelner Menschen) möglich«67 ist. Aber auch Kant mußte andererseits die bittere Erfahrung machen, daß diese kategorischen Rechtsprinzipien sich nicht gegenüber den faktischen Beharrungskräften durchsetzen ließen, wenngleich es filr ihn »auch in kosmopolitischer Hinsicht bei der Behauptung [bleibt]: Was aus Vernunftgründen fiir die Theorie gilt, das gilt auch filr die Praxis«. 68 Trotz aller empirischer Widrigkeiten hat Kant daher daran festgehalten, daß de iure die absolute Garantie der Norrndurchsetzung auch im Völkerrecht eingefordert werden müsse.

67 68

GS, S. 312. GS, S. 313.

Eighteenth-Century Despotism and the Physiocratic Concept of Legal Sovereignty By Timothy J. Hochstrasser

Enlightened Despotism still remains a problematic concept in the history of political theory more for reasons intrinsic to its content than because of the subsequent development of its historiography. 1 This is because even its proponents were unclear on the legal basis of its sovereignty. While there was much generalisation about the capacities of philosopher kings, and the need for reform to emanate from above if it was to be effective in a Ständestaat, there was no clearly articulated concept of the state separate from the person of the ruler which could set boundaries between the purely administrative role of the monarch, and his capacity to override and dispense with traditional centres of power and authority in the name of cameralist efficiency or a concept of the common good. 2 No suchsolutionwas generated by the resources ofthe voluntarist natural law tradition in Germany associated with Pufendorf, Thomasius and their disciples, whose institutional position within universities depended on just this flexible monarchical protection, and indeed encouraged the view that the satisfaction of the needs of the individual was only feasible within the unquestioned and broadly protective Polizei of unconstrained regalism. 3 Nor was there any movement in this direction by the philosophes in France, because they clearly saw the need to rely on flexible reform from above at the discretion of the ruler which would sometimes require conciliation of the established corporate institu-

1 For a analysis of the way in which the historiography of the subject has been shaped in the last two centuries by changing models in international relations as weil as the shifting redefinition of the Enlightenment itself, see H. M Scott, Introduction: The Problem of Enlightened Absolutism, in H. M Scott (ed.), Enlightened Absolutism. Reform and Reformers in Later Eighteenth-Century Europe (London, 1989), pp. 1-35. 2 See D. Beales, Philosophical Kingship and Enlightened Despotism, in M. Goidie & R. Wok/er (eds.), The Cambridge History of Eighteenth Century Political Thought (Cambridge, forthcoming) for an incisive survey ofthe recent literature. 3 For an examination ofthe way in which voluntarist naturallaw in the firsthalf of the eighteenth century was statist yet old-fashionedly cameralist in its political proposals see D. Klippe/, Von der Aufklärung der Herrscher zur Herrschaft der Aufklärung, in: ZHF 17 (1990), pp. 193-210.

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tions, and sometimes direct confrontation with them. 4 Only a concept of a truly modern bureaucratic state, ofthe kind towards which Joseph II was reaching out in his radical Hirtenbrief (1783), could have provided the adequate infrastructure for neutral and irnpersonal administration that would have dispensed with the need for remedial discretionary power by the monarch, and the continuing functional roJe and intluence of court structures and individual leading ministers on policy formation. 5 So long as govemments still presided over a maze of competing local and central jurisdictions, both ecclesiastical and secular, an informal exercise of power by the monarch was needed to break the log-jam. 6 Thus, in many ways the best justification for enlightened despotism was that given by Frederick II of Prussia in his judgement on the weaknesses of the French monarchy: Finances, domestic government, foreign policy and military affairs are so closely connected that it is impossible to deal with one of these branches in isolation from the others. When that happens, rulers do badly. In France, four ministers rule the kingdom: the Ministers of Finance, Marine, War and Foreign Affairs. These four >kings< never agree or concur: hence alt the contradictions which we see in the French govemment... no system, no planning; chance rules alt, and everything in France is the result of court intrigues. A welt-run government must have a system as coherent as a system of philosophy: alt the measures taken must be welt-reasoned; finances, foreign policy and military affairs must work to the same end, namely the consolidation of the State and the increase of its power. Now a system can only emanate from one mind; and this must be the monarch's. 7 Despite the obvious sense of this pragmatism, the concept of sovereignty within eighteenth century enlightened despotism was inherently unstable because it depended self-evidently upon the particular qualities of the individual ruler. It seemed difficult to separate the regular attributes of the reforming monarch from the choice of priori~ies adopted for entirely local and contingent reasons by Frederick II, Catherine II, and Joseph II, and other rulers. However, two conventional justifications - beyond this pragmatism - were put forward for the acceptance of untrammelled royal power: cameralist efficiency and implicit contractarianism. In an era where the theoretical claims of divine right absolutism no Ionger held sway, and dynasticism had no inevitable claim on popular loyalty and obedience, it was first of all by results that enlightened 4 This position is welt-illustrated in the generat incoherence and later qualifications admitted to Diderot 's article: Autorite Politique, in the Encylopedie. 5 See H. M. Scott, The Rise of the First Minister in Eighteenth Century Europe, in History and Biography. Essays in honour of Derek Beales (Cambridge, 1996), pp. 2151, for a study of the way in which ministeries expanded in size but did not diminish the power of chief ministers or of monarchs through proto-Weberian rationalisation. 6 See the still insightful essay by 0. Hintze, The Origins of the Modern Ministerial System, in F. Gilbert (ed.), The Historical Essays of Otto Hintze (New York, 1975), pp. 218-66. 7 Frederick II, Testament Politique (1752), translated in A. Lentin (ed.), Enlightened Absolutism ( 1760-1790). A Documentary Sourcebook (Newcastle, 1985), p. 22.

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despotism asked to be judged. Indeed, this was the implicit claim behind Frederick II's assertion that he was merely the first servant of the state. But in fact there was no close match between the residually-Aristotelian ideology of household management associated with cameralism, and the objectives of the early modern state. 8 Management of estates was classically conceived as the reproduction of the status quo rather than the increase and centralisation of power in the hands of a central administration or the pursuit of a mercantilist economic policy at the expense of other states engaged in similar processes of evolution. It envisaged a broad pattern of regulation of the Jives of citizens to compensate for their basic weaknesses and inability to provide for their own welfare. lt specifically did not involve some of the key developments that took place in Prussia, such as the emergence of a Kabinett of secretaries focused on the monarch rather than the traditional ministerial structure of administration, or the emergence of an autarkic economic policy to attract skilled immigrants, or the gearing of all domestic policies to the maintenance of a disproportionately !arge army. 9 But a contractarian definition of the monarch's roJe did not offer a good fit with the political realities either. The major criticism of enlightened despotism remained its reliance on the notion that kingship could be trusted to observe informal constraints on abuse of its extensive discretionary power simply on the basis of the commitment to contemporary enlightened values on the part of the individual personalities in power; yet this objection was not to be overcome by any of the attempts of contemporary monarchs to demonstrate the congruity of their regimes with Montesquieu's concept of constitutional monarchy. The disparity between means and ends was too obvious. In the example of Catherine II, there was an obvious clash between the desire to create intermediate institutions (especially within an urban setting) that the monarch could use as a counterweight to the aristocracy in local government, and the arbitrary action required to set these moves in motion. In the meantime she could only present an implausible claim that her rule was limited rather than autocratic, a contradiction that was pointed out to her none-too-tactfully by Diderot during his visit to St Petersburg in 1774. 10 In fact, it was closer to the mark to say that in all those monarchies where a high Ievel of discretionary power was claimed by the monarch, the reality indicated a series of trade-offs with existing corporate institutions that effectively inhibited the growth of that very constitutionalism which was the alleged goal of royal exertions. 8 See K. Tribe, Governing Economy. The Reformation of German Economic Discourse 1750-1840 (Cambridge, 1988), p. 27. 9 See the essays collected in German History, 12(3) (1994), for a pointed evaluation of how threadbare Prussian ideology had become after 1763. 10 See the pertinent criticisms of Catherine 's highly tendentious reading of Montesquieu in the Nakaz by Prince Shcherbatov, quoted in Lentin, Enlightened Absolutism, pp. 35-6.

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In the case of Frederick II, there was an obvious and an effective trade-off between the monarch and the nobility on the question of serfdom, whereby the aristocracy avoided all measures for liberalisation in return for managing local conscription from their own estates and administering justice in local society, according to traditional notions of Gutsherrschaft. There was simply no alternative to cooperation with these local power-bases. Enlightened despotism was caught between a rhetoric of absolutism that required a new rationale to replace the discredited apparatus of divine right, and a Iack of practical dominance over other corporate institutions to deliver the benefits and reforms that were the justification ofthat new rationale. Hobbesian doctrines of the supreme impersonal authority of the state increasingly underpinned all attempts to rework sovereignty in the eighteenth century; yet governments still lacked the authority to turn these notions of abstract administration into a bureaucratic reality of genuine institutional outreach. 11 Nor could those governments find theorists to integrate and assimilate the continuing functional need for personal and charismatic royal leadership with an increasing unease about discretionary and potentially tyrannical power. A dassie case of this double-bind is provi~ed in the unsuccessful attempt of Christian Thomasius in Germany to develop Pufendorfs notion of a double contract (for the formation first of society, and then of a specific form of government) as a basis for the emergence of sovereign authority. In each case popular consensus was the key ingredient and guarantee of stability, but contemporary monarchs were no more happy with the derivation of their powers from the grant ofthe people than they could be at ease in the grant oftheir powers from God. While the latter explanation increasingly lacked ideological conviction, the former gave sirnply too many contractual hostages to fortune. 12 A paradox is demonstrated here, whereby monarchies in the eighteenth century needed to demoostrate an independence of the hierarchies and interest groups that had been their traditional allies and supporters, but could only do so by embracing a radical populism that was at variance with what was perceived to be the traditional moral legal order and hierarchy of which they remained an inextricable part. This paradox is most cruelly exposed, as Perry Anderson has pointed out, in the work of Joseph II, where >Unrooted in any one territorial nobility, with a strong and single class cohesion, the monarchy could achieve a degree of volatile autonomy unknown to its neighbours ... But the relative detachment of the 11 For a study of the Hobbesian contribution to the development of an abstract notion ofthe authority ofthe state, see Q. Skinner, The State, in T Ball, J. Farr & R. L. Hanson (eds.), Political Innovation and Conceptual Change (Cambridge, 1989), pp. 90131. 12 See Thomasius 's dispule with the Danish writer H. G. Masius, documented in F. Grunert, Zur aufgeklärten Kritik am theokratischen Absolutismus, Christian Thomasius (1655-1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung, in: F. Vollhardt (ed.) (Tübingen, 1997), pp. 51-77.

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monarchy from the heterogeneaus landowners of its realm was also, of course, the cause of its inner debility. lntemally, the social laws of nature of the Absolutist state rigorously reasserted themselves, in an eloquent demonstration of the impotence of the personal will of the ruler, once it transgressed the collective interests ofthe class which Absolutism historically functioned to defend.< 13 But despite the practical problems, there were further theoretical resources which were available to resolve the conundrum. One possible answer, where there is evidence of both theoretical focus and practical reforming initiatives lay in the creation of a legal code that would stand over and above the discretionary authority of the monarch, and properly assimilate it once more to other parts of the body politic. There were at least two attempts in eighteenth-century political theory to reconcile personal sovereignty with regular govemment through relocating the monarch's personal authority within the superior legal authority of a code backed up by independent judicial enforcement. The first of these was the project by the Prussian Chancellor and Roman Lawyer, Samuel von Cocceji (1679-1755), to create what later became the Allgemeines Landrecht (1794), while the second was the development by the French physiocrats of the concept of despotisme legale to characterise their notion of an ideally regulated state. Unlike most eighteenth century German writers on jurisprudence, who tended to divide into two camps represented either by the vo!Wltarist tradition associated with Pufendorf and Thomasius, or the rationalist school of Leibniz and Wolff, Samuel Cocceji and his father before him were essentially students of Roman law, seeking to find a way of updating its precepts to eighteenthcentury circumstances. 14 His own jurisprudential writings, undertaken weil before his work on codification, stressed the importance of the sovereign authority's roJe in defending and guaranteeing Wlder law the rights of individuals, in the same way that Justinian's Institutes had conceived the function of the emperor. 15 For Cocceji, divine vo!Wltarism rather than sociality represented the basis of natural law, and was made manifest in the individual teleology of God's creatures, all of whom have rights. 16 The chief principle in any system of justice should therefore be one of giving to each his right, and it P. Anderson, Lineages ofthe Absolutist State (London, 1974), p. 321 . For Cocceji 's political and administrative career, see H. Weil/, Frederick the Great and Samuel von Cocceji: A Study in the Reform ofthe Prussian Judicial Administration 1740-1755, (Madison, WI, 1961 ); for a clear analysis of the foundations of his legal theory, see K. Haakonssen, Adam Smith out of Context: his Theory of Rights in Prussian Perspective, in K. Haakonssen, Natural Law and Moral Philosophy. From Grotius to the Scottish Enlightenment (Cambridge, 1996), pp. 139-45. 15 See especially his edition of his father's commentary on Grotius: Introductio ad Henrici L. B. de Cocceji Grotium illustratum, continens dissertationes proemiales XII in quibus principia Grotiana circa ius naturae ad iustam methodum revocantur (Halle, 1748). 16 Haakonssen, Adam Smith out ofContext, pp. 142-3. 13

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was through a code of laws that this was best enshrined. The modern ruler thus achieved a secure and Iegitimale position as the guarantor of such fair play, and the enlightened ruler too recovered something ofthe monarch's traditional roJe as an enforcer and embodiment of justice. But in the same way that Cameralism did not fit easily with the centralising purposes of the early modern state, so this ingenious revivifying of Roman Law did not mesh with the realities of contemporary enlightened absolutism, which required a much more interventionist roJe in Iaw-making as the state expanded and assimilated new territory, and sought to breakdown provincial exceptionalism in favour of uniform centralised legal definitions. While the ostensible purpose of Cocceji's Iaw reforms was to provide more consistent and speedy justice, the government's real battle lay with the lingering corporate privileges of the provincial estates. Production and ratification of the code was delayed until 1794, by which time its provisions were limited to the civil rather than the criminal law, and any notion that it might form a type of written constitution or charter of rights bad vanished altogether. 17 The work of the physiocrats, although equally unimplemented, offers much more scope for our investigation, because it addressed the central questions we have been exploring in connection with enlightened despotism within the framework of an overarching reinterpretation of the natural and social order. 1t looked forward rather than back towards seventeenth century social models and did justice to the full complexity of the asymmetry between the theoretical aspirations and practical limitations of eighteenth-century monarchies. The physiocratic concept of legal sovereignty examined here Operated within the ideological resources of the ancien regime, but nevertheless penetrated to the the heart of the debate within the Enlightenment of how unconstrained discretionary power and the emancipatory potential of reforms initiated from above might be satisfactory reconciled. The physiocratic concept of despotisme legale was ultimately derived from a distinctive reading of natural jurisprudence, and was much more expressive than Cocceji's work of an unease about the potential for unlicensed interference with the natural order by rulers. The physiocratic position resulted in a view of sovereignty that combined aspects of the royalist tradition in France with elements of the parlementaire tradition, where the supremacy of Iaw was protected by judicial control. While the physiocrats were not particularly interested in the specific mechanisms of sovereign control, in fact their theory bad an inherent sympathy for notions of absolutism operated by the state, and contained a stronger concept of the state than society within their notion of >ordre nature!< . 17 See H. Conrad, Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen Landrechts für die preussischen Staaten von 1794, Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, lxxvii (1958), pp. 1-54.

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However, one of the problems about discussing the physiocrats as both economic and political thinkers is the relentless uniformity of jargon and abstract doctrine that they introduced into their vast volume ofpamphleteering literature, which obscures the fact that their chief objectives were much Iess rarified, and essentially directed towards practical politics. 18 This is often difficult to detect, for most of their surviving writings were narrowly focused contributions to polemics on such questions as the liberalisation of the grain trade, reform of representative institutions, and the possibility of creating despotisme legale. They carried the defects of all such exchanges - a tendency to overstate one's case and a tactical refusal to recognise any virtue at all in an opponent's position. To these drawbacks one has also to add in a rebarbative, opaque and obfuscatory political vocabulary which lent itself easily to satire then, and still tends to deter readers today. Anyone reading the relevant Iiterature is likely to prefer the witty and elegant critiques of Galiani, Diderot and Voltaire to the frequently repetitious propagandising of Dupont and Mirabeau; anyone trying to take seriously the moral eamestness of a sect that evoked an austere pastoral utopia reminiscent ofthe kingdom of Salente in Fenelon's Telemaque, is surprised to find its supporters working from an entresol at Versailles, in its most frivolously Rococo phase; finally, anyone studying physiocratic political theory is soon perplexed by their adoption of provocative paradoxes such as despotisme /egale itself, and Je roi co-proprietaire (the sovereign's status as co-owner ofall forms of property). In fact physiocratic political theory was a fully-developed naturallaw theory, with fairly detailed metaphysical foundations, and not just a convenient buttress to their basic economic doctrines. lt was associated in the 1750s with a new and perhaps diminished definition of the scope of politics itself: for if the task of politics was now merely to realise and then guarantee the stable conditions which political economy insisted represented the necessary and natural framework for national flourishing, then political economy was promoted above politics itself. Correspondingly, the strategies of politics become much more rigid and formulaic, directed towards fine-tuning the operation of an elaborate system 18 For introductions in English to the physiocratic movement see M. Einaudi, The Physiocratic Doctrine of Judicial Control (Cambridge (Mass.), 1938); R. L. Meek, The Economics of Physiocracy. Essays and Translations (London, 1962); E. Fox-Genovese, The Origins of Physiocracy - Economic Revolution and Social Order in EighteenthCentury France (Ithaca!London, 1976). In French the standard texts are still G. Weulersse, Le mouvement physiocratique en France de 1756 a 1770 (2 vols. Paris, 1910); La physiocratie sous les ministeres de Turgot et Necker, 1774-81 (Paris, 1950); La physiocratie a Ia fin du regne de Louis XIV, 1770-74 (Paris, 1959). A useful modern survey is C. Larrere, L'Invention de I'Economie au XVIIIe siecle. Du Droit nature( au Physiocratie (Paris, 1992). Most recently, two important collections of conference proceedings shed light on many aspects of French political economy from the final decades of the old regime down to the revolution itself: G. Faceare/la & P. Steiner (eds.), La pensee economique pendant Ia Revolution franr;;aise (Grenoble, 1990); B. De/mas, T. Demals, & P. Steiner (eds.), La diffusion internationale de Ia physiocratie (Grenoble, 1995).

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of legal codes and judicial control. Politics was made subordinate to a certain vision of regulated nature. But as the 1760s and 1770s wore on, there was a progressive elaboration and sophistication of political theory that broadly accepted the metaphysics and economics of the physiocratic model as a reflection of the natural order; and this demonstrated in itself a growing realisation that if France's social realities were indeed to be refashioned on these lines then a !arger conception of the roJe of politics was needed to carry it through than had been evident in earlier physiocratic writings. For example, Turgot's Memoire sur /es municipalites (1775), although never acted upon, revealed a fresh awareness of the public sphere born of the physiocratic defeat in the grain wars, and a hard-headed administrative strategy for reorganising and educating public opinion in favour of the physiocratic natural order. Whereas Quesnay had blandly asserted that a system founded on deductive economic argument would establish itself because it was configured with the natural order, Turgot aimed to utilise political power to bring about a concept of the common good where property rights would be fully mirrored in the social structure. Where Mirabeau had appealed to evidence, and the irrefutable logic of a system with a progressive dynamic built into it, Turgot set administrative procedures in motion to apply to France as a whole the fiscal and agricultural reforms he had initiated as the intendant of Limoges. lt is in this area ultimately that we may fmd the fully-developed physiocratic concept ofsovereignty. The historiography of the subject still perpetuates the misreading that physiocracy was about economic theory pure and simple. On this account its political theory was either irrelevant to the main theoretical edifice or at most a polemical response to the continuing frustrations the physiocrats experienced in the battle for liberalisation of the foreign and internal grain trades in the 1760s and 1770s. In other words, there is still a tendency to identify the physiocrats merely as mildly interesting precursors of Adam Smith, and in any case not to pursue discussion beyond the initial work of Quesnay and Mirabeau in the 1760s. 19 Ultimately it is Adam Smith hirnself who is responsible for this misplaced focus; for despite a largely enthusiastic discussion of the physiocrats in

19 As Henry Higgs put it, when justifying his writing the first book in English on the physiocrats: »To many compilers of little text-books ... they are merely people who lived in the dark ages before 1776, and held some absurd opinions about land.« [H. Higgs, The Physiocrats (London, 1897), p. 2.] Ronald Meek effectively concludes his coverage with the full development of the Tableau Economique, and Elizabeth Fox-Genovese, although sophisticated in her analysis of the differing political priorities of Mirabeau and Quesnay, concludes her book with the publication of their jointly-composed textbook, Philosophie Rurale in 1763. Likewise, in French, the main writers break off their coverage just at the time when economic priorities are shading into political ones. Even Georges Weurlesse, concludes his survey in 1770; and although later volumes were edited from his papers taking the story down to 1781 , these do not provide a fully integrated account of the process by which the economistes renamed and reoriented themselves as les physiocrates.

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his comparison of agricultural and mercantile systems he omitted the political dimensions oftheir thought: This system, however, with all its imperfections is, perhaps, the nearest approximation to the truth that has yet been published upon the subject of political oeconomy... Though in representing the labour which is employed upon the land as the only productive labour, the notions which it inculcates are perhaps too narrow and confined; yet in representing the wealth of nations as consisting, not in the unconsumable riches ofmoney, but in the consumable goods annually reproduced by the labour of the society; and in representing perfect liberty as the only effectual expedient for rendering this annual reproduction the greatest gossible, its doctrine seems to be in every respect as just as it is generaus and liberal. 2

Although elsewhere Smith claimed to have read Mercier's L'Ordre naturel, it did not substantially affect his judgement which though fair so far it goes, tends to recruit the physiocrats to his own campaign, and to identify as their main achievements those aspects of their thought which had been of most assistance to him when he had conversed with their leading representatives in Paris in 1766. And similarly, in the case ofTurgot, it has been too easy for historians to see him simply in relation to Smith alone, because the account of laissez-faire given in his Reflections sur Ia formation et distribution de Ia riebesse offers such striking anticipations of Smith's own ideas in this area. As a result his commitment to other parts of the physiocratic programme has been understated, and his development of other parts oftheir programme underplayed. One only has to peruse the index of a multi-volume work such as Franeo Venturi's Settecento Riformatori to see that in the period 1767 to 1776 physiocracy was seen as compellingly relevant to political affairs outside France. For example, it provided the intellectual framework for the French reconstruction of Corsica after the purchase ofthat island from Genoa in 1768; it was also seriously entertained in Tuscany and Milan where earlier jurisdictionalist thought had already anticipated much of its economic theory; and in Poland the concept of legal despotism was thoroughly discussed before the First Partition as way of resolving the chronic stasis between the Polish legislative and executive bodies. In 1769 Mercier made a visit to St Petersburg to meet Catherine the Great. Even in 1776, at the end ofTurgot's ministry, there was a physiocratic contribution to the discussion surrounding the formulation of state federal constitutions in the fledgling United States. In other words, for roughly a decade wherever there were contemporary examples of a breakdown in a long-established constitution, or where new relationships of trust had to be developed between rulers and ruled, a form of legal despotism was at least considered as a way of rebuilding the state.

20 Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, (eds.) R.. H. Campbe/1, A. S. Skinner, & W B. Todd (2 vols. Oxford, 1976), II [Book IV, eh. ix, 38], p. 678.

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One receives a clearer notion of physiocratic political aims in respect of France itself from the testimony of de Tocqueville, who affered a perceptive retrospective analysis of the way the new school of writers hoped to both accommodate themselves to and take over the administrative structures of the state. This account is worth quoting in full: It was so long since political liberty had been destroyed in France that its conditions and its effects had been almost entirely forgotten. Furthermore, the debris which yet remained, and the institutions which seemed to have been created to substitute for" freedom, made freedom suspect and often created prejudices. Most of the assernblies of estates which still existed preserved, along with the oudated forms, the spirit of the Middle Ages, and hindered social progress rather than helped it; the parlements, alone charged with taking the place of political bodies, could not prevent the evil that the govemment did, and often prevented the good in wanted to do.

The idea of accomplishing the revolution that they wanted with the aid of all these old tools seemed impractical to the physiocrats; even the thought of confiding the execution oftheir plans to the nation become its own mistresswas not very acceptable to them; for how could one make a whole people adopt and follow a system of reform so vast, and so closely linked in its parts? To them it seemed easier and more opportune to make the royal government itself serve their plans. 21 However, this strategy was not developed self-consciously until the middle1760s. Before that time, while Quesnay and Mirabeau devoted much of their time to perfecting their purely economic doctrines, political theory developed only piecemeal, as each produced different views of how royal policy might be influenced on particular issues. They started from the premiss that the only source of the wealth of nations was natural resources and that all callings other than agriculture were >sterile< because they merely changed the form of wealth without affecting its amount. It followed therefore that the only acceptable social and political structure was one that increased national wealth by boosting agricultural production. This goal could only be achieved through greater capital investment in agriculture (as opposed to industry) that would restore the demographic balance between towns and countryside. The free market would allow for rising agricultural prices and an incentive for research into the improvement of agrarian technology. Labour costs would have to be kept low, but in compensation a better quality of education would be affered to the peasants together with relief from traditional feudal dues. By permitting absolute freedom of trade in both intemal and extemal markets, the tariff barriers that operated across France would be broken down, and in consequence road and canal infrastructure would improve, and large-scale farming would become normative as common land was transferred to private ownership.

21 A. de Tocqueville, The Old Regime and the French Revolution, (eds.) F. Furet & F. Melonio. trans. A. S. Kahan (2 vols., Chicago!London, 1998-) I, pp. 211-12.

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These policies carried with them at least one imperative for political action by the government, were they to stand any realistic chance of success: they implied a complete reorganisation of the tax system, whereby only agricultural production should be taxed, and then through a vingtieme to be charged on net product, that is the profit minus all reasonable annual running expenses. In theory, this speit the end for the complex pattem of direct and indirect taxes that operated in France, together with levies of agricultural labour such as the corvee, which were equally incompatible with intensively capitalised agriculture. But of courseit was not until Turgot's administration in 1774-6 that this programme was tackled even in part. What was rather less clear in early physiocratic writings was how far Quesnay and Mirabeau envisaged the government going beyond fiscal reform to take an active role in reshaping the social order of France so as to offer a better reflection of the new profile of property holdingthat they projected. In the 1750s Quesnay seemed to Iack any clear concept of the state or of society: his focus was on the economic freedom of action of the individual to trade and deploy his resources as he saw fit; it was to such economic individualism that he attributed England's contemporary trading success. lt was the state's task to mobilise social resources in mercantilist manner; but unlike the mercantilists he held that the best way to do this was create wholly free markets particularly in agricultural products. At most he allowed that the state had a role in redistributing revenue taken from the agricultural sector in the form oftaxation: Landed property provides subsistence to those who are engaged in cultivating it, and proeures revenue for the sovereign and proprietors and tithes for the clergy. The expenditure of this revenue creates the gains of the citizens who carry on remunerative occupations. Thus a kingdom's population increases or diminishes in the proportion that its revenue increases or diminishes. This diminution or increase does not degend on the people: it is always the result ofthe policy ofthe govemment ofthe state.

His views became more sophisticated as he engaged with and criticised Mirabeau's more prescriptive writings on French political institutions. Mirabeau had begun his career with a Memoire concemant l'utilite des etats provinciaux, which advocated the extension of the system of provincial estates that still survived in the pays d'etats to the pays d'e/ections as weil, so that representative intermediate institutions could be restored across the country, acting as a counter-weight to the centralising tendency represented by the royal intendants. This work was reissued in 1757 (after his meeting with Quesnay) as an appendix to his L'Ami des Hommes. Here it was given a different slant as a formula for improving the representation of the propertied interests in society. 22 F. Quesnay 'Article: HOMMES' ( 1757), (intended for the Encyclopedie, but never published), reprinted in Fran~tois Quesnay et Ia physiocratie (2 vols. Paris, 1958), II, pp. 511-78. For this reference see pp. 548-9, as translated in Meek, Economics of Physiocracy, p. 96.

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Every society required a common interest to be shared by all its citizens; and as property was the common bond that united modern society, so the rights of property should be considered as the fundamental Iaw of each society. For this reason the established orders should be represented in local administration, and a tendency towards bureaucratic centralisation should be resisted. For, »in a monarchical state, the participation of the municipal order or the citizen in administration or sub-administration was necessary and even indispensable, and consequently one of the most noble parts of the body politics, and perhaps the most active, was altered to the extent that the jurisdiction of the municipal order was invaded.«23 There was clearly a fairly direct link between the doctrine of interest expounded here and the justification for municipal reform later put forward in Turgot's Memoire sur !es municipalites. However, unlike Turgot, who saw this more as the basis for reforming social institutions, so as to better reflect the pattern ofactual property-holding, Mirabeau was still an old-fashioned constitutionalist, seeing no mis-match between the current representational institutions of France and the developing pattern of property-holding. This Ievel of analysis was quite different from that adopted by Quesnay, who like Turgot, had much less interest in preserving this world of privilege: his concern was with liberating individuals to maximise their economic potential. In one of his articles for the Encyclopedie, he wrote in the following terms: One could, perhaps envisage those kingdoms where the peasants are serfs of the great proprietors and subject to working only for the profit of their Iord, who reduces them to the barest minimum. But such a constitution which is no less contrary to the domination of the Sovereign than disadvantageous to the prosperity of a State, stifles all emulation and all activity: it is moreover incompatible with navigation and commerce: this feudal tyranny can never suit a maritime kingdom nor a truly monarchical govemment; it is liberty and individual interest which vivify states.24 He was concerned to associate trade with liberty, and based his defence of modern monarchy in France on the greater suitability of monarchy for a primarily agricultural society, and the greater suitability of republican or mixed constitutions for commercial societies. He developed this point in detail in a marginal comment on an unpublished Traite de Ia monarchie, written primarily by Mirabeau in 1758: Different kinds of govemment depend principally upon the nature of states. The republican form is appropriate to commercial or trading nations, and the monarchical 23 Victor Riqueti, marquis de Mirabeau, L'Arni des Hommes (6 parts in 2 vols., Avignon, 1756-60), II (iv), pp. 265-6. 24 Quesnay, Hommes, Quesnay et Ia physiocratie, II, p. 567, quoted from FoxGenovese, Origins of Physiocracy, p. 130. For an insightful examination of Quesnay's analysis of the impact of commerce and agricultural systems on political forms, see /. Hont, Free trade and the economic Iimits to national politics: neo-Machiavellian political economy reconsidered, in J. Dunn (ed.), The economic Limits to Modem Politics (Cambridge, 1990), pp. 45-9.

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form to nations which live by their land or to brigand peoples who live by their incursions into the land of others. Despotism is a consequence of tyrannical monarchical government: the sovereign power, the prince, and the nation are then subjugated by a superior power to which the prince has turned in order to assure his tyrannical domination and which brings the prince and the nation under subjection. From this arise ecclesiastical despotism, feudal despotism, and the despotism of military forces. lt is true that there are republican governments in nations which are not commercial, and despotic governments among commercial peoples..... But the republican form of government is the most advantageous for commercial nations, just as the monarchical form would be the most appropriate for those which live by the land if it did not de~enerate into arbitrary power which destroys sovereignty and oppresses the people. 5

In the case of France, Quesnay seemed to have believed that it was not possible to progress to a purely commercial society based on international trade; for a !arge agrarian state would always have to feed its population itself through its own agriculture, come what may. lt could not rely on an empire in this respectand in any case such restriction of the free trade of the colonies would itself be wrong. Nor in an unstable world order did it make sense to place over much reliance on uninterrupted international trade. Finally, because the wealth bound up in it was so mobile, trade could not easily be made susceptible to royal control. In a republic there was more of a chance for the intangible wealth of merchants to be represented within the structures of power, and a greater opportunity to develop flexible administrative procedures for turning commerce to the state's advantage. Far better for the crown to concentrate its revenue raising and economic management on agriculture, and make agriculture its raison d'etat. This point was made again and again in Philosophie Rurale (1763), the careful and systematic textbook issued deliberately to coincide with the first royal decree liberalising the grain trade within France, itself produced after a period of discreet lobbying at Versailles. Harking back to the medical antecedents of his ideas on the circulation of value, Quesnay stressed the importance for political theory of taking the natural economic order as its starting point; for, »ifthe moralists and politicians do not base their sciences on the economic order, on agriculture, their speculations will be useless and illusory: they will be doctors who perceive only the symptoms and ignore the disease. «26 Later in the same book Mirabeau was also willing to embrace this prudential vocabulary, indicating that the whole social order would decay unless the mon-

25 A note by Quesnay to an unpublished MS by Mirabeau entitled Traite de Ia monarchie or Essai sur Ia monarchie ( 1758) [Archives Nationales M.778, no. l, Introduction, p. 15], as translated in Meek, Economics of Physiocracy, pp. 65-6. This manuscript is the subject of detailed and illuminating analysis in Fox-Genovese, Origins ofPhyioscracy, ch.5, pp. 168-201. 26 Mirabeau & Quesnay, La Philosophie Rurale (3 vo1s, Paris/Amsterdam, 1764), I, pp. 114-15, and translated in Meek, Economics ofPhysiocracy, p. 69.

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archy recognised the central determining roJe of agriculture, the natural order upon which the political order must be predicated: lt is upon subsistence, upon the means of subsistence, that all the branches of the political order depend. Religion, in a sense, is purely and simply spiritual, but natural law inspires us and also teils us about duties relative to our needs; the civil laws, which originally are nothing more than rules for the allocation of subsistence; virtues and vices, which are only obedience to or revolt against natural or civil law; government, the sciences, the liberal and mechanical arts, agriculture, trade, industry - all are subordinate to the means of subsistence. 27 In the light of these arguments the physiocratic position during the period of the guerres des farines, or grain wars, that broke out shortly after the publication of this work, surely has to be seen as essentially a matter of reason of state and of sovereignty as much as an attack on traditional notions of police or the government's continuing responsibility to provide famine relief. Ifthe whole health ofthe moraland political order in France depended so absolutely on the success of agricultural productivity, and the removal of the shackles of fiscal obscurantism and sentimentalism, then there was a moral case based on necessity for ignoring the short-term hardship and shortage that might be associated with its introduction, even if harvests proved meagre in the first few years. If prices were allowed to rise in an open market, then the long-term benefits that would follow would Iead directly to the strengthening ofthe sinews ofthe state and of the bonds linking the crown to the social orders: for the sake of the higher incomes that would accrue to the producers of grain, which would then be reinvested in more capital-intensive agriculture, it was worth risking a break with that traditional element of Ia police, the government's duty to store and then provide grain for the poor. Moreover, by extending the Iiberalisation to foreign trade it would be possible to use future grain surpluses to purchase so-called >sterile< commodities from commercial countries such as Britain and Holland. As Quesnay put it rather crudely, »abundance plus deamess equals opulence.«28 And on that opulence the edifice of political and royal stability was to be erected. What we have here then seems to be a straight fight between a reason of state argument on the one hand, and an appeal to traditional natural law on the other. This is true to the extent that it explains why in all the many pamphlets written by the economistes in support of grain liberalisation there was so little recognition of the atavistic strength of their opponents' appeal to humanity and traditional doctrine. The physiocrats were keen to emphasise that wages would rise in line with prices, and that the higher prices and higher future grain yields would benefit both tax revenues, Iandlord incomes and farmers' profits. But Ibid, II, ch.8, p. 8, translated in Meek, Economics ofPhysiocracy, p. 57. lt is not entirely clear from Quesnay's writings whether he envisaged open-ended economic growth for France, or the attainment of a 'stationary state' ofthe kind that was associated by contemporaries with China. 27

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these were technical arguments not moral ones, and when the harvests turned out to be unexpectedly and persistently low, there was no retreat onto the traditional moral high ground. If the future welfare of the state was identified with one single policy, then from the physiocratic Standpoint there was no moral case to answer: a concept of the common good and natural order projected into the future was now the deductive moral touchstone; it was a question of breaking a cycle of poverty to bring the state back into line with what they believed was the natural order of things - to achieve this goal it should be enough to state the logic ofthe new political economy. But what is less often noted is that the abler opponents of liberalisation, such as Galiani, also perceived the extent to which the dispute was more about statebuilding and reason of state than simple agrarian profits versus the rights of poverty. His experience in a earlier subsistence crisis in Naples had taught him that the nexus between grain and the nature of govemment was not only close, but inextricable. After the publication of his Dialogues sur le commerce des bles ( 1770), he wrote to Mme D'Epinay in the following terms: In every government the grain legislation takes the tone and spirit of the government. Under a despot, free exportation is impossible: the tyrant is too afraid of the cries of his starved slaves. In a democracy, liberty of exportation is natural and infallible, the governors and the governed being the same persons, confidence is infinite. In a mixed and tempered government, liberty should be only mixed and tempered. Corollary: Ifyou interfere too much with the administration of grain in France, and if you succeed, you alter the form and constitution ofthe government 29

As that last sentence indicates, Galiani saw the main problern of grain liberalisation not so much in human terms, but more in terms of its implications for the basic state constitution. He effectively challenged the physiocrats on their weakest ground, their dismissal of the tendency within monarchy, when detached from a traditional social pyramid, to decline either into unrestricted despotism or anarchy, a fear which Montesquieu had so strongly earthed in French political theory. According to Galiani, monarchy depended on the maintenance of an unequal societe d'ordres which could only be so preserved if the indigent were assured a basic Ievel of subsistence through government grain stores and police controls on prices. With the arrival of complete liberty to trade, the hierarchy would be disrupted and eventually a republic would follow: »Every country that establishes and maintains indefmite liberty of the grain trade will be overthrown; its form will become entirely republican, democratic, and the peasant class will become the first and most powerful.«30 In other words, while the physiocrats had not been wrang to base their policy on the necessity of the state, they had drastically miscalculated in adopting

29 F. Galiani, Lettres de l'abbe Galiani Paris, 1882), I, p. 138. 30 lbid, II, p. 2.

a Mme d'Epinay, Eugene Asse (ed.), (2 vols.

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liberalisation as the route to reform; for the real spirit of necessity could be found anchored in the present system. As Steven Kaplan's two magisterial volumes have shown us, liberalisation of the grain trade failed in the 1760s not so much because physiocratic economics was wrong, but rather because its understanding of the politics of the ancien regime was insufficiently nuanced.31 While capable intendants such Turgot could do much to improve transportation of grain on the Iocal Ievel, the central government with responsibility for feeding Paris did not dare liberalise the trade in the capital, and therefore gained the worst of all possible worlds. An inability to coordinate transportation and improve national infrastructure meant that no general relief could be offered to provincial shortages; while buying up and storing grain for Paris only incurred accusations of hoarding and profiteering, charges which the govemment unsuccessfully tried to divert onto the grain merchants. The result was, as Galiani had predicted, to lower both the competence and reputation of the administration, rather than to enhance and promote the flourishing of a modern agrarian monarchy. Writing in bis Memoires sur Ia librarie et sur Ia liberte de Ia presse (1758-9), Malesherbes, argued that »what would be most advantageous for the printing trade, looking to commerce would be to leave it free. Looking to police, one finds that it would be better to have fewer printers.«32 Roger Chartier has recently pointed out that this paradoxical relation between govemment and the world of print is equally expressive of the anomalous relationship between grain and government, in that neither sphere could be Ieft totally free of state interference: yet regulation was still no satisfactory solution, for neither trade could be treated as a mere commodity, and the professional organisations behind each of them were forever lobbying for greater freedoms. As a result the government veered uneasily from one form of liberalisation back to renewed regulation, thus earning more contempt for itself from all quarters. What physiocracy had failed to come to terms with was the organised hypocrisy of all who had to work within eighteenth century institutions: it had failed to understand that true agrarian raison d'etat in France was (to redeploy Chartier's words on print regulation), »an economic mind-set typical ofthe Old Regime that saw enterprise as always taking place at the expense of others, that saw no contradiction in a demand for free commerce and a search for privilege, and that associated the most audacious speculation with willingly accepted dependency.«33 So although it is often said that physiocracy failed in the early 1760s because of its economic 31 S. Kaplan, Bread, Politics and Political Economy in the Reign of Louis XV (2 vols. The Hague, I 976). 32 Chretien Guillaume de Malesherbes, Memoires sur Ia librairie et sur Ia liberte de Ia presse, G. E. Rodme/1, (ed.), (Chapel Hili, 1979), p. 147, quoted in R. Chartier, The Cultural Origins of the French Revolution, Irans. L. G. Cochrane, (Durham/London, 1991), p. 44. 33 Ibid, The Way ofPrint, pp. 45-6.

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shortcomings, it is fairer to say that it miscued because its understanding of political superstructures was undemourished and jejune. It was this specifically this deficiency that Quesnay and Le Mercier de La Riviere attempted to put right after 1765 in their massive work of purely abstract political theory, L'Ordre nature! et essentiel des societes politiques (1767), and in a number of other articles that appeared under Quesnay's name alone. 34 Mercier's participation in this work is itself symptomatic of the increasing political emphasis of physiocratic work. He was a member of a second generation of economistes all of whom had had relevant administrative experience, in his case as intendant of the Windward Isles before the Seven Years War, and of Martinique after its retum by the British in 1763. These experiences shaped his contribution to L'Ordre naturel, which consisted of the later chapters of the work given over largely to tax proposals and discussions of overseas commerce in a context of international relations where his expertise is evident. In contrast, the earlier abstract chapters of the book are more likely to have been Quesnay's work, and bear a close relation to his contemporaneous articles. Quesnay's later political theory began with a backward glance to his work as a doctor which had left him with a conviction that moral laws were dependent on physical laws. Our moral desires were seen to be dependent on prior physical ones, a theme that he represented diagrammatically in his second synoptic Tableau to show the two sets of physical and moral instincts to be interdependent, so that a moral decision emanates from a physical instinct in the same way that the decision to open a bottle of fine wine is a combination of thirst, knowledge, and ownership. 35 Quesnay transferred this principle to naturallaw by arguing in bis article Droit Nature! and elsewhere that the human physical instinct for self-preservation was at the same time a natural right to maintain oneself. Self-preservation was only possible if mankind could occupy land and work to convert useful things to his maintenance and retain the profits he might make by doing so: »it is thus from nature itself that every man derives exclusive ownership of his person and also of those things that he has acquired by bis own initiative and labour.«36 Liberte was directly equated with propriete personelle, and propriete personelle was regarded as the source of all other rights; or as 34 Le Mercier de Ia Riviere, L'Ordre nature! et essentiel des societes politiques (2 vols. London/Paris, 1767); F. Quesnay, Droit Nature!, in Journal de l'Agriculture, du Commerce et des Finances (1765); Analyse du gouvemement des Yncas du Perou & Despotisme de Ia Chine, in Ephemerides du Citoyen ( 1767). 35 F. Quesnay, Aspect de Ia Psychologie, reprinted in Quesnay et Ia physiocratie, II, p. 683-5 [originally, published as Observations sur Ia psychologie ou Science de l'äme; (Versailles, 1760)]: see particularly the fifth part of the table in which promotion physique is placed alongside promotion morale, and the related footnotes nine and ten (which are Quesnay's own). 36 Mercier/Quesnay, L'Ordre nature!, I, p. 12.

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Quesnay fonnulated it, »without it there is no movable property, no landed property, no society.«37 If inclinations and desires could only be satisfied in a social context - the increase of the human population, for example, could hardly be envisaged without a concept of society already being in place - then this was an argument for the existence of a natural world order of which society was already a part. 38 There was no need for society to be created from a state of nature. Another argument in favour of this position was the ability of men in even primitive societies to make economic judgements as to what will bring economic harm or benefit. If men knew how to pursue gain and avoid loss then society was clearly already congruent with nature. lnequalities in the ownership of property might be explained (and excused) by the inequality of talents given to men by God: all property rights must than have equal justice even though they do not represent the same property values. The sole justification for govemment on this account was to protect the rights of property and allow men to enjoy what they own. Thus natural law was defined as »the right man has to things suitable for his use.« 39 There are features of this theory which will of course be very familiar to anyone acquainted with the >modern< natural law tradition flowing originally from Grotius and Hobbes: the droits or rights that emanated from Quesnay's reading of duties were that familiar trope of life, liberty, and property, the minimum requirement, in other words, that was compatible with the rational and independent life, which is our due as part of the natural order. But it was also asserted very strongly that liberty could only be seen as a form of property in itself; that both society and property were parts of the natural order; and that the political order existed solely to guarantee property holding (siirete). These were important departures, revealing a detemiination to use naturallaw theory, if possible, to provide a coherent justification of modern property-holding. lt was striking that many years after the heyday of physiocracy it was this natural law argument that Dupont de Nemours singled out above all Quesnay's other achievements in a Ietter to Jean-Baptiste Say: He, (ie Quesnay) who against the unanimous opinion of all the philosophers and commentators who had gone before, discovered, maintained and demonstrated that it was not true that men, when combining tagether in society, had to give up one part of their liberty and rights to reassure one another: that they never associated so as to lose it, but on. the contrary to attain it, to guarantee and extend the exercise and enjoyment of all their rights. From where it follows that no government has the right to hinder their work, or to interfere with their property, since it is for the defence and

Ibid, p. 29. lbid. 39 Quesnay, Droit Naturel, Quesnay et Ia physiocratie, II, p. 729, translated in Meek, Economics ofPhysiocracy, p. 43 . 37

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aggrandisement of both that they have united their resources and given themselves not masters (maitres), whom they would not have wanted at all, but Ieaders (chefs). 40

Three writers within the >modern< naturallaw tradition should be mentioned as important sources for these physiocratic ideas: the firstwas Cumberland, several of whose arguments on the obligation of a law and the relationship between the physical and moral order of the world were taken almost word for word from Jean Barbeyrac's translation ofthe De Legibus Naturae which appeared in France in 1744; the second was Malebranche, whose concepts of natural order and beneficent amour propre directed towards human happiness, recurred regularly in Quesnay's argumentation - indeed an epigraph from Malebranche graced the frontispiece of L'Ordre nature!. Finally, there was Christian Wolff, whose insistence that duties and rights were interchangeable was taken over by Quesnay as the basis for political obligation: if we have a right to expect the protection of our property by the state, we correspondingly have a duty to support the system that guards our rights: »no rights without duties, no duties without rights.« 41 The task ofthe state was therefore to protect property. This was essentially a watehing brief, where the govemment had to make sure that positive laws were in line with the natural order and did not conflict with the conditions necessary for the state's economic flourishing. Once this code ofpositive law had been set up, then the code itself, rather than those chosen to guarantee it, exercised a benign despotism in society. In agrarian societies the role of guardian of the laws was best carried out by a monarch, controlled if necessary by a body of judges who, it is clear, resembled the intendants more than the members of the parlements. lt was just as important for these law-enforcers to set about educating the public in the new political economy, so that the whole society might be permeated by an understanding ofthe >spirit ofthe laws< that supported the natural and necessary order of things. As an example of such a state in operation, Quesnay chose to describe the constitution of China, which he believed offered relevant comparisons with France in its agrarian economy, separation of the monarch from law making, and reliance on a group of magistrates to supervise positive law. For Quesnay this made sense as part of his campaign to attack Montesquieu's definition of despotism, which had held up China as the worst case of corrupt, arbitary oriental despotism. It represented an ideal of a >stationary statesterile< forms of wealth creation; nor did he have their narrowly rationalist approach to political reform. Indeed, his progressive theory of historical development does not anticipate the same mis-match between positive and natural laws, as this early passage indicates: More happy are the nations whose Iaws have not been established by such great geniuses; they are at any rate perfected, although slowly and through a thousand detours, without principles, without perspectives, without a fixed plan; chance and circumstances have often led to wiser laws than have the researches and efforts of the human mind; an abuse which had been observed would give rise to a law; the abuse ofthat law would give rise to a second which modified it: by passing successively from one excess to the opposite excess, men little by little drew nearer to the happy medium. 55

Yet as an administrator he was obviously more than just a fellow traveller with the economistes: his province, Limoges, was run on impeccable physiocratic lines - indeed its profile of backward agriculture combined with a minute manufacturing sector, but compensated for by good transport and road links to ports and other cities in France, made it an ideal test case for the physiocratic model. Considerable progress was made in updating the land register so that taxation would be more equitable; and indirect taxes and intemal tolls were mitigated, improving comrnunications and boosting agricultural productivity.56 Nor should he be seen as wholly hostile to the idea of legal despotism. lt is true he disliked the provocative vocabulary, but in the form tutelary authority he

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J. A .. N. Caritat, marquis de Condorcet, Vie deM. Turgot (Berne, 1787).

For a clear statement of his economic debts to the physiocrats see R. L. Meek (ed.), Turgot on Progress, Sociology and Economics (Cambridge, 1973), lntroduction, pp. 26-7. 55 A. R.. J. Turgot, Les Avantages que l'etablissement du christianisme a proeuresau genre humain ( 1750), reprinted in G. Schelle (ed.), Oeuvres de Turgot et documents lui concernant (5 vols. Paris, 1913-23), I, p. 208. 56 See Dakin, Turgot and the Ancien regime, ch.4. Turgot may have rejected transfers to Rouen and Lyons because ofhis desire to complete his work in Limoges. 54

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considered it an acceptable statement of tbe duty of tbe governrnent to educate the people in economic skills and tbeir political duties. 57 However, by the time tbat Turgot reacbed governrnent office at Versailles be seemed to have become convinced that neitber oftbe two types ofpolitics advocated by the physiocrats - grain liberalisation as a motor of state-building and the revision of positive law by royal or judicial autbority - were adequate analyses of tbe French political dilemma. Reform initiated by central governrnent was never going to succeed when tbe administrative infrastructure to support it was so weak. lnstead, it was better to rework tbe decrepit forms of local political liberty (as we have seen tbem cbaracterised earlier by Tocqueville), and gain greater administrative control througb providing a measure of local participation on tbe basis of property-bolding, rather tban traditional privilege. As tbe king's minister, Turgot always clairned tbat be was trying to reconcile the monarchy with the social orders; but after bis fall from office be was more ready to admit tbe republican orientation and culmination of bis proposals.58 Condorcet was surely rigbt to say that Turgot was aiming for a state »in wbicb all property owners bave an equal rigbt to participate in legislation, regulate the assernblies tbat draw up and promulgate tbe laws, give tbem sanction by their suffrage, and cbange tbe form of all public institutions by a formal decision.«59 Turgot seemed to confirm tbis point in bis Ietter to Richard Price on tbe American Constitution: bis main anxiety was that the new republic bad not paid enough attention »to tbe great distinction - and the only one founded on nature between two classes of men: tbe proprietors of land, and tbose wbo do not own land; to tbeir interests and in consequence their different rigbts in respect of tbe laws.« 60 Thus legal despotism eventuated in an attempt to create a clear line of mutual self-interest between tbe monarchy and tbe bolders of property witbin the state: eacb stood to benefit from a link in wbicb tbe monarcby could sbake off the shackles imposed upon it by the traditional social orders, and establish a simple but adequate fiscal basis for its operations. In retum, property bolders would gain freedom from traditional stifling notions of social responsibility that interfered witb tbe development of tbeir full economic potential and win governrnent support for tbe decisive administrative deregulation of the economy. But of

See Schelle (ed.), Oeuvres, IV, pp. 578-80. His frank remarks are recorded in the joumal of the abbe Veri: Journal de l'abbe de Veri (2 vols, Paris, 1933), II, p. 147. 59 Oeuvres de Condorcet, A. Condorcet-O'Connor & F. Arago (eds.), (12 vols. Paris, 1847-9}, 5, pp. 209-10. 60 Turgot, Ietter to Dr Price, 12 March 1778, in Schelle (ed.), Oeuvres, V, pp. 532-40, at p. 536. 57

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course critics of the physiocrats were quick to allege that their theory of legal despotism was in these terms a pure rationaHst utopia in which political theory had simply been logically extracted from economic doctrines, with scant reference to empirical practicalities. The Abbe Mably, for example, drew attention to the fact that there was no point in alarming people in talking of despotism if the sovereignty envisaged was a benign natural order that did not need enforcement. However, if it did encounter opposition, if not all observers were swayed by the power of evidence, then how could the physiocrats convincingly talk oftheir economics, Iet alone their politics, as a natural order?61 This devastating question goes to the heart not merely of the practical political problems that were raised by the rationally-deductive edifice ofphysiocracy, but also the central quandary faced by all those seeking to identifY absolute monarchy asthebest vehicle through which to pursue rational reform. Ifthe enlightened measures proposed were self-evident, then their implementation should merely have been an administrative matter, and their legal ratification merely a function of declaring as law what was self-evidently agreed to be in the common interest of all. But in actual fact it proved impossible to abolish discretionary sovereignty in this way and thereby neutralise its destabilising potential : legal measures tended to mean not the transparent elevation of common sense, but the imposition of unpopular enlightened provisions upon interest groups intent upon resistance, and who through the court, the perpetual Achilles heel of reforming monarchies, could defeat the initiators and cast down their claims to have nature and truth upon their side. It is appropriate to conclude with a telling example of this bureaucratic reason of state caught in the toils of these very contradictions. In October 1775, at the peak of his ministerial dominance, Turgot arranged a debate at the chäteau of Montigny to discuss the current review of the future of the depöts de mendicite and poor relief that had been carried out by Lomenie de Brienne. 62 Some minutes of this meeting have survived, and they provide a fascinating record of argument as to whether this problern should be tackled by legal or administrative reforms. Those who urged the introduction of legislative solutions viewed this approach as no more than a restatement of the natural order in the form of rational norms of universal validity which the state could enforce and defend against the corrosive opposition of interest groups in the societe d'ordres. Those who supported piecemeal administrative answers appreciated that the state lacked the financial, bureaucratic and practical means

61 See Mably 's critique in G. B. de Mably, Doutes sur I'Ordre nature( ( 1768), in Oeuvres completes (Paris, 1794-5), vol. xi. 62 Extracts from this MS are reproduced in T .McStay Adams, Bureauerats and Beggars: French Social Policy in the Age of the Enlightenment (Oxford, 1990), pp. 148-58.

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to enforce compulsory poor relief whatever the theoretical coherence of such a policy might be. Such a direct attack upon the power bases ofthe local notables, whose cooperation continued to be an essential part of the collection of taxes and the administration of justice, simply could not be contemplated. Turgot knew this for hirnself after his experience in Limoges. The administrative view prevailed because a legal fonnula was held by Turgot to be »too close to injustice in its disposition, and to arbitrariness in its application, for one's sense of justice, if healthy and precise, to be happy.«63 A comprehensive welfare programme would follow only once a new municipal structure had been created to build up the infrastructure of government, and bind the people closer to the state in intennediary bodies with limited consultative rights. It was not enough to declare the natural order: the subordinate municipal and bureaucratic orders were required before legal despotism could begin to match its confident rhetoric with reality. 64 Butthis of course was not to be. A remedy that risked toppling the social pyramid upon which its political agency depended was deferred until that edifice collapsed anyway under the stress of its accumulated and ultimately irreconcilable fault lines. Abstract in German

In den Theorien des aufgeklärten Absolutismus in Deutschland wurde der Anspruch der monarchischen Herrschaft nicht mehr durch göttliches Recht begründet und legitimiert, sondern mit der Effizienz einer kameralistischen Verwaltung sowie mit einem implizit vorausgesetzten Vertragsschluß zwischen Souverän und Untertan. Die Grenzen dieser von Pufendorf und Thomasius ausgehenden Herrschaftsbegründung veranlaßten vor allem Cocceji durch eine rechtliche Kodifizierung, die der Befugsgewalt des Monarchen noch übergeordnet sein sollte, der monarchischen Herrschaft den ihr anhaftenden Aspekt der Willkür zu nehmen. Gegenüber diesen Theorien läßt sich in Frankreich in den Werken der Physiokraten eine alternative Auseinandersetzung mit den Ansprüchen monarchischer Herrschaftsansprüche feststellen. Die politische Theorie der Physiokraten war im Grunde eine Variante der Naturrechtstheorie, die durch die Voraus-

Ibid, p. 152. There is an instructive comparison to be made between the French case and welfare provision in Russia, where the principle was established under Peter I and given institutional form and genuine financial resources by Catherine Il. Only a sustained incremental approach of this kind could be successful in ancien regime states where bureaucratic outreach was so limited, and where the associated task of forming citizens through the creation of social institutions was by definition a goal to be achieved only over several generations: see J. M. Hartley, A Social History of the Russian Empire, 1650-1825 (London/New York, 1999), pp. 145-9. 63

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setzung einer naturgegebenen Ordnung der Staatsgewalt lediglich noch den Schutz der individuellen Eigenturnsrechte zuschrieb. Im späteren 18. Jahrhundert wurde die »physiokratische Theorie« weit über die Grenzen Frankreichs hinaus als ein wesentlicher Beitrag zu den politischen Debatten angesehen und wirkte so auf die europäischen Kontroversen über eine legitime Herrschaftsform.

Naturzustand, natürliche Strafgewalt und Staat bei John Locke Von Dieter Hüning

I.

Zu den gängigen Vorurteilen in der Einschätzung der politischen Philosophie der Neuzeit gehört die These, daß Lockes insbesondere im Second Treatise entfaltete politische Philosophietrotz aller vehementen Kritik in irgendeiner Weise der Rechts- und Staatsphilosophie des Thomas Hobbes verpflichtet sei bzw. systematisch an sie anknüpfe. Einige Interpreten sehen eine systematische Übereinstimmung zwischen Hobbes und Locke in erster Linie im Hinblick auf das Lehrstück des Naturzustandes. In ihrer ausgeprägtesten Gestalt ist diese These von Leo Strauss vertreten worden, nach dessen Ansicht »Locke beträchtlich von der traditionellen Lehre vom Naturgesetz abwich und der von Hobbes vorgezeichneten Richtung folgte«. 1 Ähnlich lautet die Einschätzung des Leo Strauss-Schülers Richard H. Cox, der meint, »that, contrary to the surface impression which I believe Locke deliberately seeks to convey, his conception of the state of nature - whether with regard to individuals or states - is in fact fundamentally Hobbesian in character«. 2 Vor kurzem hat Wolfgang Kersting die entsprechende These fur das andere große Lehrstück der politischen Philosophie der Neuzeit, fur die Theorie der vertraglichen Begründung staatlicher Herrschaft, aufgestellt. Locke folge in dieser Hinsicht »dem großen

Leo Strauss, Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1977, S. 230. Richard H. Cox, Locke on War and Peace, Oxford 1960, p. XIX f. Cox ' Interpretation beruht - wie diejenige seines Lehrers - auf der hermeneutischen Prämisse, daß zwischen den »surface indications of the work« (p. 50 f.), die letztlich nur der Verschleierung dienen, und der eigentlichen Lehre, die gewissermaßen nur zwischen den Zeilen steht, unterschieden werden müsse. - Zu dem gleichen Ergebnis kommt Patrick Coby (The Law of Nature in Locke's Second Treatise: ls Locke a Hobbesian?, in: Review of Politics 49 (1987), pp. 3-28: »Locke's >Strange doctrineVereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzenappetitus societatis< auf13 und definiert die Rechtsordnung als diejenige Gemeinschaft von Menschen, die sich unter der Leitung des natürlichen Gesetzes zur Verwirklichung ihrer naturgemäßen Zwecke in Gerechtigkeit und Nächstenliebe vereinigen. Anders als Hobbes, der wenigstens ansatzweise zwischen Recht und Ethik, d. h. zwischen der Rechtsordnung, deren Zwangsgesetze allein die Sicherung des Rechtsfriedens zum Gegenstand hat, und der ethischen Gemeinschaft von Menschen, deren (nicht erzwingbares) moralisches Gesetz die mögliche Einheit menschlicher Zwecke ist, unter10 ST § 6: »Every one as he is bound to preserve himself, and not to quit his Station wilfully; so by the like reason when his own Preservation comes not in competition, ought he, as much as he can, to preserve the rest of Mankind, and may not, unless it be to do Justice on an Offender, take away, or impair the life, or what tends to the Preservation ofthe Life, the Liberty, Health, Limb or Goods of another.« 11 Vgl. auch ST § 128: »[ ... ) the Law ofNature: by which Law common to them all, he and all the rest of Mankind are one Community, make up one Society distinct from all other Creatures«; § 172: »[...) Reason, which God hath given to be the Rule betwixt Man and Man, and the common bond whereby humane kind is united into one fellowship and societie«. - Schon Cicero (De legibus I, 61) hatte behauptet, daß der Mensch als Vernunftwesen nicht nur als »popularem alicuius defniti loci, sed civem totius mundi ·quasi unius urbis« betrachtet werden müsse. 12 Zur systematischen Übereinstimmung Lackes - jedenfalls soweit es die Theorie des natürlichen Gesetzes, seine Existenz und seinen Gehalt betriffi - mit der Lehre Hookers vgl. Eugeen de Jonghe, Locke and Hooker on the Findung of the Law, in: Review of Metaphysics 42 ( 1988), pp. 301-325. 13 ST § 77: »God having made Man such a Creature, that, in his own Judgement, it was not good for him to be alone, put him under strong Obligations of Necessity, Convenience, and IncHnation to drive him into Society«; vgl. auch ST § 15, wo Locke zustimmend die Behauptung Hookers zitiert, daß »we are naturally induced to seek Communion and Fellowship with others«.

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scheidet, erneuert Locke den Gedanken des christlichen Naturrechts, daß das (bloß ethische) Gesetz des allgemeinen Wohlwollens und der Menschenliebe selbst sowohl Grund wie Schranke der möglichen subjektiven Rechte darstellt. Während also Hobbes' rechtsphilosophisches Verdienst in der Einsicht liegt, daß dieses ethische Gesetz einer Gemeinschaft der Zwecke unmöglich das Prinzip sein kann, aus dem man die allgemeinen Bedingungen der Rechtsordnung und des Rechtszwangs erkennen könne, kehrt Locke zu der traditionellen Vorstellung zurück, »man könne das dem Menschen von Gott gegebene natürliche Recht auf die Bedingungen seines möglichen Lebensglückes zur Bestimmung derjenigen Freiheit brauchen, auf die Menschen ein Recht gegeneinander haben können.« 14 Wie schon fiir die scholastische Naturrechtslehre beruht also auch filr Locke die Rechtsflihigkeit der Menschen auf ihrer Eigenschaft als »God's Workmanship« (ST § 6) 15 : Um ihre ihnen von Gott auferlegte Bestimmung erfilllen zu können, sind die Menschen von Natur mit bestimmten (subjektiven) Rechten ausgestattet, v. a. mit dem Recht der persönlichen Freiheit, »to order their Actions, and dispose of their Possessions, and Persons as they think fit, within the bounds ofthe Law ofNature« (ST § 4). Infolgedessen dient filr Locke der Terminus >Freiheit< in Übereinstimmung mit der Tradition zur Bezeichnung der aus der Iex naturalis entspringenden Befugnis, sich gemäß der durch die Schöpfungsordnung vorgezeichneten Bestimmung bestimmte Zwecke zu setzen, ihnen entsprechend zu handeln und sich insofern auch die Dinge dieser Welt anzueignen, die Gott allen Menschen gleichermaßen zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfuisse zur Nutzung überlassen hatte. 16 Der Traditionalismus dieser Konzep14 Julius Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung, in: Ders., Gesammelte Schriften Bd. II, hrsg. von Georg Geismann und HariolfOberer, Bonn 1988, S. 254. 15 ST § 6: »ForMen being all the Workmanship of one Omnipotent, and infinitely wise Maker; All the Servants of one Sovereign Master, sent into the World by his order and about his business, they are his Property, whose Workmanship they are, made to last during his, not one anothers Pleasure.«- Locke hat in der Elimierung des theologischen Fundaments des Naturgesetzes den Hauptfehler von Hobbes gesehen: »The not taking God into this hypothesis has been the great reason of Mr Hobbeses mistake that the laws of nature are not properly laws nor do oblige mankind to their observation when out of a civil state or commonwealth« (zitiert nach Laslett: Introduction, p. 80; es handelt sich um eine Passage aus einem Brief James Tyre/ls, der Lackes Position referiert). 16 Vgl. First Treatise § 86: »God having made Man, and planted in him, as in all other Animals, a strong desire of Self-preservation, and furnished the World with things fit for Food and Rayment and other Necessaries of Life, Subservient to his design, that Man should live and abide for some time upon the Face ofthe Earth (... ]. For the desire, strong desire of Preserving bis Life and Being having been Planted in him, as a Principle of Action by God himself, Reason, which was the Voice of God in him, could not but teach him and assure him, that pursuing that natural IncHnation he had to preserve his Being, he followed the Will of his Maker, and therefore had a right to make use of those Creatures, which by his Reason or Senses he could discover would be serviceable thereunto. And thus Man's Property in the Creatures was founded upon the right he had, to make use ofthose things, that were necessary or useful to his Being.«

Naturzustand, natürliche Strafgewalt und Staat bei John Locke

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tion zeigt sich v. a. in der Art und Weise, wie Gesetz und (subjektives) Recht aufeinander bezogen werden. In der bekannten Formel »where there is no Law, there is no Freedom« (ST § 57) bringt Locke sehr deutlich seine Überzeugung zum Ausdruck, daß das natürliche Gesetz konstitutiv filr den Begriff der Freiheit ist und dieser geltungstheoretisch vorgeordnet ist und deshalb das ein subjektives Recht nur als Reflex einer vorausgehenden Verbindlichkeit zu denken ist. 17 Gerade aufgrund der durch die Iex naturalis vorgegebenen natürlichen Ordnung hat jeder Mensch gegenüber allen anderen ein Grundrecht auf Selbsterhaltung und Freiheit der Person sowie ein Recht auf solche Handlungen, die mit dem >bonum commune< - sei es das Wohl der Menschheit oder des Volkes - als letztem Zweck dieser Ordnung übereinstimmen. Während das Gesetz im Sinne dieses Bedingungsverhältnisses »not so much Limitation as the direction of a free and intelligent Agent to his proper Interest« {ST § 57) ist, stellt sich das aus ihm hervorgehende subjektive Recht die bedingte Befugnis dar, die zugrundeliegende naturrechtliche Verbindlichkeit zu erfilllen. Die natürliche Freiheit ist deshalb auch nicht »Licence«, also rechtliche Ungebundenheit des Willens, sondern immer nur die aus der obersten Verbindlichkeit des natürlichen Gesetzes abgeleitete Befugnis, seinen Pflichten (wie z. B. der Pflicht zur Nächstenliebe) nachzukommen und hierin von anderen nicht gestört oder behindert zu werden. Die natürliche Freiheit ist somit wesentlich Pflichterfüllungsfreiheit: »For Liberty is to bee free from restraint and violence from others which cannot be, where there is no Law: but Freedom is not, as we are told, A Liberty for every Man to do what he lists: (For who could be free, when every other Man's Humour might domineer over him?) But a Liberty to dispose, and order, as he lists, his Person, Actions, Possessions, and his whole Property, within the Allowance of those Laws under which he is; and therein not to be subject to the arbitrary will of another, but freely follow his own« (ST § 57).

Es wäre nun absurd - so die der Lockeschen Naturrechtslehre zugrunde liegende theologische Überzeugung -, wenn Gott den Menschen zwar ein Gesetz des Zusammenlebens in Gerechtigkeit und Frieden auferlegt, sie aber nicht zugleich auch mit der Fähigkeit ausgestattet hätte, in Übereinstimmung mit diesem Gesetz zu leben, d. h. die aus ihm resultierenden moralischen Nonnen zu befolgen. Soweit es ihre von Gott verliehene Natur angeht, müssen die Menschen wenigstens fähig sein, das natürliche Gesetz zu erkennen, zu befolgen und dementsprechend in Frieden miteinander zu leben. 18 Aufgrund dieser Voraussetzung erscheint der ursprüngliche Naturzustand bei Locke nicht wie bei Hobbes als Zustand völliger Gesetzlosigkeit, sondern als ein Zustand prästabilierter Harmonie der Interessen und als Zustand eines ursprünglichen 17 Vgl. James Tul/y, An Approach to political Philosophy: Locke in Contexts, Cambrigde 1993, pp. 297-298. 18 Richard Ashcraft, Locke's State of Nature: Historical Fact or Moral Fiction?, in: American Political Science Reviewe 62 (1968), pp. 902-3.

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Rechtsfriedens, kurz: »a State of Peace, Good Will, Mutual Assistance, and Preservation« (ST § 19), in welchem der äußere Freiheitsgebrauch von jedermann immer schon durch das natürliche Gesetz normiert ist. Denn das natürliche Gesetz fordert, fremdes Recht nicht zu verletzten und filr den Frieden und die Erhaltung der gesamten Menschheit zu sorgen. 19 Allerdings - so lehrt die Erfahrung - sind die Menschen trotz ihrer Verpflichtung durch das natürliche Gesetz befiihigt, sowohl in Übereinstimmung als auch im Widerspruch mit der vom natürlichen Gesetz geforderten Möglichkeit der Liebesgemeinschaft zu handeln. Es sind die lasterhaften Menschen, die durch Leidenschaften korrumpiert - das natürliche Gesetz übertreten und die dadurch erklären, »to live by another Rule, than that of reason and common Equity, which isthat measure God has set to the actions of Men, for their mutual security« (ST § 8). Wer aber gegen das natürliche Gesetz verstößt, d. h. aufgrundder moralischen Defizienz seines Willens vom Wege der rechten Vernunft abweicht und ohne Rücksicht auf andere seinen persönlichen Vorteil betreibt, der schadet nicht nur einem einzelnen Menschen, sondern hebt überhaupt die Bedingungen des möglichen friedlichen Zusammenlebens auf: Seine Tat hat nicht nur die Bedeutung der Verletzung eines. individuellen Rechtsguts, sondern ist ein genereller Angriff auf die vom natürlichen Gesetz geforderten Prinzipien des Friedens und der Sicherheit, kurz: »a trespass against the whole Species, and the Peace and Safety of it« (ST § 8) bzw. eine Kriegserklärung gegenüber der gesamten Menschheit (ST § 11). 20 Nun würde angesichts der Möglichkeit seiner Übertretung das natürliche Gesetz filr die Menschen nutz- und wirkungslos bleiben und niemand seiner Rechte jemals sicher sein können, wenn das natürliche Gesetz nicht mit einer entsprechenden Exekutionsgewalt verknüpft wäre, die im Falle des Gesetzesbruchs dem Täter bestimmte unangenehme Folgen androht. 21 Denn es scheint 19 ST § 6: »The State of Nature has a Law of Nature to govem it, which obliges every one: And Reason, which is that Law, teaches all Mankind; who will but consult it, that being all equal and independent, no one ought to harrn another in his Life, Health, Liberty, or Possessions.« Dem Inhalt nach erschöpft sich die Verpflichtung des Naturgesetzes- wie Locke in Übereinstimmung mit der Naturrechtstradition (vgl. Cicero, De off. I, 20: »iustitiae primus munus est, ut ne cui quis noceat«) lehrt- in dem klassischen Gebot des »neminem laede«. 20 Als Aufhebung der menschlichen Gemeinschaft hatte schon Cicero die Übertretung des natürlichen Gesetzes durch Bevorzugung des eigenen Nutzens bestimmt: »Detrahere igitur alteri aliquid et hominem hominis incommodo suum commodum augere magis est contra naturam quam mors, quam paupertas, quam dolor, quam cetera, quae possunt aut corpori accidere aut rebus extemis. Nam principio tollit convictum humanum et societatem. Si enim sie erimus adfecti, ut propter suum quisque emolumentum spoliet aut violet alterum, disrumpi necesse est eam, quae maxime est secund um naturam, humani generis societatem« (De off. III, 21; vgl. auch III, 26 sowie Thomas von Aquin, Summa theologiae, Madrid 31961-62,11-11, qu. 64, a. 2 ad 3). 21 Zu den notwendigen Geltungsbedingungen eines Gesetzes (als einer Iex perfecta) gehört nach Lockes Auffassung neben seiner Normierungsfunktion auch das Zwangsmoment (vis coactiva), d.h. die Existenz einer Exekutionsgewalt, die Gesetzes-

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ganz folgerichtig zu sein, daß Gott, der ja alle Menschen mit dem gleichen »Title to perfect Freedom, and an uncontrouled enjoyment of all the Rights and Priviledges of the Law of Nature« (ST § 87) ausgestattet hat, ihnen auch das rechtliche Vermögen verliehen hat, sich fiir dieses Persönlichkeitsrecht auch die entsprechende Sicherheit zu verschaffen. Aus diesem Grunde billigt Locke jedem Menschen im Naturzustand außer dem schon angefiihrten Recht der persönlichen Freiheit eine gleichfalls durch das natürliche Gesetz legitimierte Kompetenz der Exekution des natürlichen Gesetzes, d. h. eine naturrechtliche Strafbefugnis zu. 22 Vermöge des natürlichen Gesetzes hat jedermann nicht nur das Recht, über seine eigenen aus dem natürlichen Gesetz entspringenden Rechte (das »Right of Self-preservation« § 11, »the Right of Freedom« § 17, das Recht »to preserve his Property, that is, his Life, Liberty and Estate« § 87 etc.) selbst Richter zu sein und sie nach seinem Urteil zu schützen, sondern er hat aufgrund seines Rechts, »to preserve Manking in general« (ST § 8), die prinzipielle Befugnis, Verstöße gegen das natürliche Gesetz selbst zu ahnden?3 Diese naturrechtliche Strafbefugnis umfaßt zum einen die Kompetenz der Straf gerichtsbarkeit, also das Recht, fremdes Handeln im Hinblick auf seine mögliche Strafbarkeit zu beurteilen, zum anderen auch das Recht als Vollstrecker des natürlichen Gesetzes aufzutreten, d. h. das Recht der Strafexekution (vgl. ST §§ 7-9, 13). Das Spezifikum dieser naturrechtliehen Strafbefugnis besteht jedoch darin, daß jeder zur Ausübung des Strafrechts ermächtigt ist, und zwar ganz unabhängig davon, ob er selbst von dem Verstoß gegen das natürliche Gesetz persönlich betroffen ist. Der Grund fiir diese Ausweitung der Strafbefugnis im Sinne eines allgemeinen Nothilferechts liegt auf der Hand: Denn wenn das Verbrechen nicht nur die Verletzung des Rechts der betroffenen Person darstellt, sondern überhaupt eine Tat ist, durch welche die Bedingungen des möglichen gerechten Zusammenlebens der Menschen negiert werden und die sich insofern gegen das ganze Menschengeschlecht richtet, dann ist jeder einzelne als Mitglied der universellen Rechtsgemeinschaft durch jedes Verbrechen in seinen Rechten verletzt und deshalb zur Gegenwehr berechtigt: »by the

verstöße sanktioniert; vgl. hierzu Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 114f. · 22 ST § 7: »And that all Men may be restrained from invading others Rights, and from doing hurt to one another, and the Law of Nature be observed, which willeth the Peace and Preservation of all mankind, the Execution of the Law of Nature is in that State, put into every Mans hands, whereby every one has a right to punish the transgressors ofthat Law to such a Degree, as may hinder its Violation.« 23 Vgl. ST § 87: »Man being bom, as has been proved, with a title to perfect freedom, and an uncontrouled enjoyment ofall the rights and privileges ofthe law ofnature, equally with any other man, or nurober of men in the world, hath by nature a power, not only to preserve his property, that is, his life, liberty and estate, against the injuries and attempts of other men; but to judge of, and punish the breaches ofthat law in others, as he is persuaded the offence deserves, even with death itself, in crimes where the heinousness ofthe fact, in his opinion, requires it.«

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Law ofNature, every Man hath (... ] aPower to punish Offences against it, as he soberly judges the Case to require« (ST § 9). 24 Die Höhe der möglichen Bestrafung richtet sich weniger nach Art und Umfang des Verstoßes gegen das natürliche Gesetz; sie beruht also nicht auf dem Talionsprinzip. Vielmehr bestimmt sich das Strafmaß nach den' Notwendigkeiten der Erhaltung der Menschheit einerseits und den Bedingungen der zweckmäßigen Verhinderung von Verbrechen fiir die Zukunft(§§ 7, 12, 171). Im Falle von Kapitalverbrechen (»unjust Violence and Slaughter«, ST § 11) ist sogar jeder befugt, den Täter mit dem Tode zu bestrafen. Denn wer in verbrecherischer Absicht Leib und Leben anderer Menschen bedroht, der weicht nicht nur von der »right Rule of Reason« ab, die filr jedes vernunftbegabte Geschöpf gleichermaßen verständlich und klar (ST § 12) ist, sondern er erklärt durch seine Tat, nach einer anderen Regel »than that of reason and common Equity« (ST § 8) zu leben sowie »to quit the Principles of Human Nature« (ST § I 0) und degeneriert auf diese Weise zu einer »noxious Creature«, zu einem wilden Tier »as a Lyon or a Tyger, one of those wild Savage Beasts, with whom Men can have no Society or Security« (ST §§ 10 f., 172).25 Andererseits aber soll die Ausübung der natürlichen Strafgewalt selpst gewissen durch das natürliche Gesetz gezogener Schranken unterliegen: Denn bei der durch das Naturrecht verliehene Stratbefugnis, die sogar die Verhängung der Todesstrafe einschließt, soll es sich nicht um eine absolute und willkürliche Gewalt handeln. Bei der naturrechtliehen Strafgewalt soll es sich um eine Kompetenz handeln, die ihrerseits unter der gesetzlichen Bedingung steht, daß der Vollstrecker der Strafe nicht durch die »boundless extravagancy ofhis own Will« bestimmt wird, sondern an dem Verbrecher nur insoweit Vergeltung übt, »so far as calm reason and conscience dictates, what is proportionate to his Transgression« (ST § 8). Durch die Zuerkennung dieser beiden Rechte - dem Recht der persönlichen Freiheit und dem Recht zur Vollstreckung von naturgesetzlich legitimierten Strafen - glaubt Locke einerseits die Voraussetzungen zur Widerlegung der Hobbesschen Behauptung von der Schrankenlosigkeit des natürlichen Rechts geschaffen zu haben. Wenn Locke zum anderen den Naturzustand als vollständig bestimmten Rechtszustand darstellt - in welchem alle Elemente, die eine Rechtsordnung konstituieren: nämlich 1. ein Gesetz, das Verbindlichkeiten auferlegt, 2. ein Normadressat, dem diese Verbindlichkeiten auferlegt sind, und 24 Von der naturrechtliehen Strafbefugnis ist das Recht der Entschädigung zu unterscheiden: Während das Strafrecht ein allen Menschen gemeinsames Recht ist, das jeder ganz unabhängig davon ausüben kann, ob er selbst Opfer einer gesetzeswidrigen Handlung geworden ist, ist das Entschädigungsrecht »a particular Right« (ST § 6), da die einzige Person, die rechtmäßigerweise Wiedergutmachung fordern kann, die geschädigte Partei selbst ist. 25 Locke bedient sich hier eines alten scholastischen Arguments: Wer durch seine unrechte Tat das Leben und die Sicherheit anderer bedroht, verstößt gegen die Bedingungen der Möglichkeit menschlichen Zusammenlebens und geht dadurch seiner menschlichen Würde verlustig, d. h. er degradiert sich selbst zu einem wilden Tier, s. Thomas von Aquin, Summa Theologiae 11-11, qu. 64, a. 2.

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3. eine Gewalt, die Verstöße gegen das Gesetz sanktioniert, bereits vorhanden sind -, dann gibt diese Darstellung darüber Auskunft, daß fiir ihn die Konstitution eines Rechtszustandes von der Unterwerfung aller unter eine gemeinsame Rechtszwangsgewalt unabhängig ist.

111. Fragt man nun, ob es in der Geschichte der Naturrechtstheorie Vorbilder oder zumindest Anknüpfungspunkte ftir diese Vorstellung einer natürlichen Strafkompetenz gegeben habe, so muß daran erinnert werden, daß die natürliche Strafgewalt nach den Lockeschen Voraussetzungen jedem einzelnen zukommt, weil durch einen Verstoß gegen die Normen der rechten Vernunft das individuelle Recht, »to preserve Mankind in general« (ST § 8), als Rechtsgrundlage der Bestrafung aktualisiert wird. An sich war der Gedanke einer naturrechtlich legitimierten Strafgewalt sowohl der politischen Philosophie der Antike wie der Scholastik geläufig. So hatte Cicero auf der Grundlage einer allem positiven Recht vorausliegenden Iex naturalis den Tugendhaften nicht nur ein Recht der Notwehr und der Bestrafung von Verstößen gegen das natürliche Gesetz zugesprochen,26 sondern aus der Iex naturalis auch eine Theorie des legitimen Tyrannenmordes sowie eine Begründung des gerechten Krieges entwickelt und damit die strafrechtlichen Konsequenzen der Voraussetzung einer unabhängig von staatlichen Institutionen gültigen Gesetzesordnung auf der Ebene des Staats- bzw. Völkerrechts gezogen. Ein Krieg ist naturr~chtlich dann erlaubt, wenn er wegen einer >justa causaquam< ulciscendi aut propulsandorurn hostium causa belli justurn nullum potest«. 27 Damit ist der Rahmen abgesteckt, in welchem die scholastische Naturrechtslehre das Recht der Bestrafung thematisiert: Das Interesse dreht sich um das Problem des bellum justurn und gilt daher in erster Linie der Frage, ob und unter welchen Umständen Staaten andere Staaten (oder Individuen) fiir Vergehen gegen das natürliche Gesetz bestrafen können. Demgegenüber wird die fiir unsere Problemstellung wichtige Frage, ob fiir die Sicherung des Gemeinwohls notwendige Strafgewalt eine individuelle Kompetenz ist, von Thomas von Aquin abschlägig beantwortet: Zwar beruht die Strafgewalt auf einem natürlichen Gesetz, das es erlaubt, dem Verbrecher ein Übel zuzufügen, 26 Vgl. Cicero, Oe off. I, 20, 34, 89: »Sed iustitiae primum munus est, ut ne cui quis noceat, nisi lacessitus iniuria [... ). Sunt autem quaedam officia etiam adversus eos servanda, a quibus iniuriam acceperis. Est enim ulciscendi et punendi modus [... ]. Cavendum est etiam ne maior poena quam culpa sit et ne isdem de causis alii plectantur, alii ne appellentur quidem. Prohibenda autem maxime est ira puniendo; numquam enim iratus qui accedet ad poenam mediocritatem illam tenebit, quae est inter nimium et parum [ ...].« 27 Cicero, Oe rep. III, 54; vgl. hiermit Hugo Grotius, Oe Jure Belli ac Pacis libri tres, ed. Joannes Barbeyrac, Amsterdam 1720, II, 1, § I, 4.

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aber die Ausübung dieses Rechts ist Sache der öffentlichen Autorität und kann daher nur aufgnmd eines >publicum judicium< erfolgen. 28 In der >quaestio de vindicatione< macht Thomas das Erlaubtsein der >vindicatiovindicantis animusOrdo divinae institutionis< respektiert wird. 29 Angesichts dieser Ausruhrungen wird man festhalten müssen, daß der scholastischen Naturrechtslehre zwar der Gedanke einer durch die Iex naturalis legitimierten Strafkompetenz geläufig ist, daß diese Kompetenz nicht durch Private ausgeübt werden kann. Und dieser Umstand ist insofern nicht weiter verwunderlich, als in den Naturrechtslehren der Antike und der Scholastik das Prinzip der subjektiven Freiheit bzw. der unveräußerlichen Rechte der Person keine systematisch leitende Rolle spielt. Mit dem Beginn der Neuzeit ändert sich die Lage. In der Epoche der Entstehung der souveränen Staatsgewalten sehen sich Philosophen und Juristen vor die Aufgabe gestellt, im Rahmen ihrer allgemeinen (naturrechtlichen) Rechtstheorien eine mit den veränderten Formen moderner Staatlichkeit und mit der Verrechtlichung der gesellschaftlichen Beziehungen übereinstimmende Theorie der Strafe aufzustellen. Auch Grotius diskutiert das Problem der Strafgewalt im Zusammenhang mit dem Begriff des gerechten Krieges. Schon in seiner Frühschrift De iure praedae commentarius aus den Jahren 1604/05 hatte er die Auffassung von der unmittelbaren Ableitbarkeit einer individuellen Strafgewalt aus dem Naturrecht vertreten und die Frage, >>nonne puniendi potestas reipublicae propria est«, mit der Begründung verneint, daß die Ausübung der Strafkompetenz durch die Staatsgewalt die Übertragung dieses Rechts durch die einzelnen voraussetzt: »jus illud antiquus penes privatos fuisse quam penes rempublicam necesse videtur«. 30 In seinem Hauptwerk De Jure Be/li ac Pacis hat Grotius diese naturrechtliche Begründung der Strafgewalt im wesentlichen wieder aufgenommen und sie systematisch in die Theorie des Kriegsrechts eingebettet. 31 Auffällig ist zunächst, daß Grotius seine eigene Thomas von Aquin, Summa Theologiae 11-11, qu. 64, a. 3. Thomas von Aquin, Summa Theologiae 11-11, qu. 108, a. I. 30 Hugo Grotius, Oe iure praedae commentarius, hrsg. von H. G. Hamaker, Den Haag 1868, p. 91. Grotius' Schrift war erst vier Jahre zuvor entdeckt worden; vgl. zu den theoriegeschichtlichen Hintergründen dieser Schrift Richard Tuck, Natural right theories. Their origin and development, Cambridge 1979, pp. 62-64. 31 Es ist zu vermuten, daß die Grundzüge dieser naturrechtliehen Begründung der Strafe in De Jure Be/li ac Pacis fiir Lockes eigene Strafrechtskonzeption richtungsweisend gewesen sind. 28

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Strafrechtstheorie von von Vitoria, Vasquez und anderen Vertretern der spanischen Spätscholastik abgrenzt. Im Gegensatz zu deren Auffassung, nach welcher das ius puniendi eine Folge der Institutionalisierung der Staatsgewalt darstellt, betont Grotius die unmittelbare Ableitbarkeil desselben aus dem Naturrecht. 32 Zwar sieht er sich zu der Feststellung gezwungen, daß die Natur keinerlei Bestimmungen über die Person getroffen habe, welche die Strafgewalt ausüben solle.33 Aber dies ändert nichts an seiner grundsätzlichen Überzeugung, daß innerhalb der Grenzen der Billigkeit die Strafe sowohl vom Opfer der Rechtsverletzung als auch von jedem anderen vollstreckt werden, »quando hominem ab homine adjuvari naturre est consentaneum.«34 Die Annahme einer ursprünglichen Strafkompetenz des einzelnen beruht bei Grotius ihrerseits auf einer Naturrechtskonzeption, fiir welche der Unterschied zwischen recht und unrecht nicht erst mit der Schaffung einer staatlichen Zwangsgewalt zur Geltung kommt. Das Unrecht gilt Grotius daher nicht einfach als Schädigung eines durch das staatliche Gesetz fixierten fremden Rechtsanspruchs, sondern als Angriff auf die naturrechtliche Ordnung der menschlichen Gemeinschaft schlechthin, durch den der Angreifer - wie Grotius in Anknüpfung an Cicero und Thomas von Aquin lehrt - zu einem wilden Tier degeneriert, das alle Rechte verloren hat und keine Nachsicht mehr verdient. 35 32 Grotius, Oe Jure Belli ac Pacis, II, 20, § 40. Sein Einwand gegen die Spanier lautet, daß unter dieser Voraussetzung der Begriff des Strafkrieges und der naturrechtliehen Ordnung zwischen Staaten unmöglich würde. 33 Grotius, Oe Jure Belli ac Pacis, II, 20, § 3. 34 Grotius, Oe Jure Belli ac Pacis, II, 20, § 8, 2; vgl. auch II, 25, § l. 35 Grotius, Oe Jure Belli ac Pacis, II, 20, § 3: »injustum autem id demum intelligi quod necessarium cum natura rationaH ac sociali habet repugnantiam«; vgl. damit Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, qu. 64, a. 2 und die schon in Fußnote 20 zitierte Passage aus Ciceros Oe officiis. - Pufendorf hat in seinem Hauptwerk Oe jure naturae et gentium die naturrechtliche Strafrechtsbegründung des Grotius einer scharfen Kritik unterzogen und statt dessen der Strafgewalt ein strikt souveränitätstheoretisches Fundament verschafft. Für ihn ist die Strafe ein Attribut der staatlichen Herrschaft und der Begriff der Strafe systematisch mit dem Begriff der Befehlsgewalt verknüpft: fehlt diese (wie im Naturzustand), dann gibt es keine Rechtsgrundlage dafilr, daß jemand der Strafurteil eines anderen unterworfen ist. Nur unter der Voraussetzung, daß sich alle einzelnen durch einen staatsbegründenden Vertrag zu einer societas civilis, d. h. zu einer staatlich verfaßten Gesellschaft, vereinigen, kann von einer Strafgerichtsbarkeit (und Strafgewalt) im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Folglich bildet die Konstitution einer souveränen Zwangsgewalt bzw. die Etablierung von Herrschaftsverhältnissen die Bedingung der Genese der Strafgewalt als einer ausschließlich staatlichen Kompetenz; vgl. Samuel von Pufendorf, Gesammelte Werke Bd. 4: Oe jure naturae et gentium, hrsg. von Frank Böhling, Berlin 1998, VIII, 3, §§ 2 f.- Seit Pufendorfs Klarstellungen ging die Mehrzahl der neuzeitlichen Vernunftrechtslehrer davon aus, daß von einem Recht der Bestrafung nur im status civilis die Rede sein kann, vgl. Christian Thomasius, Institutiones jurisprudentiae Oivina:, Halle 7 1720, III, 7; § 28; Johann Franz Buddeus, Eiementa philosophiae practicae. Pars secunda, Magdeburg 1703, cap. V, sect. I, § 5; Gottfried Achenwall/Johann Stephan Pütter, Eiementa ivris natvra:, Göttingen 1750 (Neuausgabe Frankfurt!M. 1995), III, 4, § 880; lmmanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Akademie-Ausgabe Bd. VI), § 49 E, filr den das

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Dennoch darf die unterschiedliche Funktion der Strafgewalt bei Grotius und Locke nicht übersehen werden: Grotius hatte die Lehre von der ursprünglich individuellen Strafkompetenz im Kontext der Untersuchung des ius belli entwickelt. Sie bildete die Grundlage filr seine Konzeption des (gerechten) Strafkrieges. Bei Locke hingegen bildete die individuelle Strafbefugnis einen (allerdings wesentlichen) Aspekt der rechtlichen Legitimation staatlicher Herrschaft.

IV. Unterzieht man Lockes Ausruhrungen über das natürliche Strafrecht einer näheren Betrachtung, so drängen sich eine Reihe von Einwänden auf. Die Zuerkennung einer allen Menschen gemeinsamen Strafkompetenz zu dem Zwecke, »that all Men may be restrained from invading others Rights, and from doing hurt to one another« (ST § 7), wirft zunächst die Frage auf, wie es überhaupt dazu kommt, daß sich die Menschen vor rechtswidrigen Angriffen anderer schützen müssen, wenn doch alle ursprünglich im Naturzustand alle nichts anderes wollen, als »to dispose of their own Possessions, and Persons as they think fit, within the bounds of the Law of Nature, without asking leave, or depending upon the Will of any other Man« (ST § 4). Denn Locke will ersichtlich seine Darstellung des Naturzustandes nicht so verstanden wissen, als ob es nachvollziehbare Gründe gäbe, das Recht anderer zu verletzen und ihnen Schaden zuzufilgen, (z. B. in Gestalt von lnteressengegensätzen, die durch die Ausschließlichkeit der individuellen Rechte zustande kommen). Vielmehr unterstellt Locke einen grundlos bösen, d. h. irrationalen Willen zum GesetzesStrafrecht »das Recht des Befehlshabers gegen den Unterwürfigen, ihn wegen seines Verbrechens mit einem Schmerz zu belegen« darstellt, das seinerseits zu den »rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins« (§ 49 Überschrift der allgemeinen Anmerkung); vgl. auch die prägnante Formulierung: »Strafe findet nur im Verhältnisse eines Obern (imperantis) gegen den Unterworfenen (subditum) statt« (Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre § 57). Demgegenüber sind Jean Barbeyrac (s. seine Anmerkung zu Samuel Pufendorf, Le droit de Ia nature et des gens, trad. par Jean Barbeyrac, tome troisil!me, London 1740, VIII, 3, § 4, note 3), Burlamaqui (Principes du droit politique, Amsterdam 1751, III, 4, §§ 3 ff.), Christion Woljf(Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Halle 1754, I. Theil, 5. Hauptstück, § 153), Emer de Vattel (Le droit des gens ou principes de Ia loi naturelle, Neuchätel 1758 (Reprint Washington 1916) I, 13, § 169) und schließlich Gaetano Filangieri (System der Gesetzgebung. Vierter Band, drittes Buch, zweiter Theil, neunundzwanzigstes Kapitel. Aus dem Italienischen des Ritters Caietan Filangieri, Anspach 1787, S. 41 ; zitiert nach: Thomas Vormbaum, Texte zur Strafrechtstheorie der Neuzeit, Bd. 1: 17. und 18. Jahrhundert, Baden-Baden 1993, S. 187) wie Locke Anhänger der naturrechtliehen Straftheorie, nach welcher die Strafkompetenz des Souveräns ihren rechtlichen Geltungsgrund in der Übertragung durch die einzelnen hat. Barbeyrac macht in seiner Kommentierung der Pufendorfschen Strafrechtsbegründung zu Recht darauf aufmerksam, daß der springende Punkt im Streit zwischen Verfechtern einer naturrechtliehen und positiv-rechtlichen Begründung der Strafkompetenz die Frage ist, ob die Ausübung des Strafrechts durch eine höhere Instanz im status civilis überhaupt eine wesentliche Bestimmung des Begriffs der Strafe darstellt.

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bruch. Zweitens flillt auf, daß sich Locke über die naheliegende Frage, ob denn aus dem natürlichen Gesetz auch eine Verbindlichkeit hervorgehen könne, diese von anderen ausgeübte Strafgewalt widerstandslos über sich ergehen zu lassen, beharrlich ausschweigt - mit der Begründung, es habe nicht in seiner Absicht gelegen, ))tO enter into the particulars of the Law of Nature, or its measures of punishment« (ST § 12). Statt dessen wiederholt er nur stereotyp seine Behauptung, daß jedermann im Naturzustand die Befugnis habe, andere in Übereinstimmung mit dem natUrliehen Gesetz zu bestrafen. Nun ist unschwer zu erkennen, daß die Annahme einer naturrechtliehen Strafgewalt, durch die jeder sich zum Vollstrecker des natUrliehen Gesetzes machen kann, unmittelbar der von Locke gleichfalls aufgestellten Behauptung widerspricht, daß der Naturzustand ein Zustand vollkommener Freiheit sei, in welchem jedermann innerhalb der Grenzen des natürlichen Gesetzes frei über die Rechtlichkeit seines Handeins entscheidet, ))Without being subjected to the Will or Authority of any other Man« (ST § 54). Während der Naturzustand auch nach den von Locke selbst gemachten Voraussetzungen ein Verhältnis freier und gleicher Individuen darstellt, d. h. er ist ein Zustand, in welchem niemand in seinen Handlungen von dem Willen eines anderen abhängig ist, 36 spricht er gleichzeitig davon, daß in diesem Zustand auch eine politische Gewalt über andere Menschen erlangt werden kann. Und der Widerspruch verschärft sich noch, wenn man sieht, daß Locke in demselben Atemzug jedem Menschen ein Recht zubilligt, sich gewaltsamer Angriffe auf seine Person zu erwehren und den Angreifer zu töten ())it being reasonable and just I should have a Right to destroy that which threatens me with Destruction«, ST § 16), und zwar gemäß dem ))Right of War« (ST §§ 18 f.). Deutlicher hätte er allerdings nicht sagen können, daß das natürliche Bestrafungsrecht im durchgängigen Widerspruch mit der Annahme eines gleichfalls natürlichen Selbstverteidigungsrechtes steht. Dasselbe natürliche Gesetz, aus dem Locke seine Strafbefugnis ableiten möchte, verleiht also jedermann zugleich die Befugnis, sich gegen beliebige Zwangshandlungen anderer mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. 37 Eine Verbindlichkeit, sich einer fremden Strafgewalt zu unterwerfen, wäre überhaupt nur denkbar unter der Voraussetzung, daß niemand durch diese Unterwerfung ein bloßes Objekt fremder Willkür wird. Auch die von Locke wiederholt betonte Begrenzung der individuellen Strafgewalt durch das natürliche Gesetz ändert hieran nichts. Der 36 ST § 4: Der Naturzustand ist »a State of perfect Freedom to order their Actions, and dispose of their Possessions, and Persons as they think fit, within the bounds of the Law ofNature«, sowie ein Zustand der »Equality [... ] without Subordination or Subjection«. 37 Selbst wenn man wie z. B. Christian Woif.f(Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Magdeburg 1754, Reprint Hildesheim/New York 1980, § 153) annimmt, daß der Beleidiger verpflichtet ist, »die Strafe zu erdulden«, ändert sich die Problemlage nicht: Auch in diesem Falle hat der einzelne das Recht, darüber zu urteilen, ob es sich bei der drohenden Gewaltanwendung um eine ihn verpflichtende Bestrafungsaktion handelt oder um einen unrechtmäßigen Zwang; dies wiederum bedeutet, daß er jeglichen ihm angedrohte Zwang als rechtswidrig beurteilen kann.

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durch das ius puniendi legitimierte Gebrauch der Zwangsgewalt soll »no Absolute or Arbitrary Power« (ST § 8) sein, sondern sich auf die angemessene (proportionale) Vergeltung des Verbrechens beschränken. Keineswegs darf der Exekutor der Strafkompetenz seine Rachegelüste zum Maßstab der Bestrafung machen. Denn die Forderung nach Mäßigung erweist sich, wie Locke selbst konstatiert, als frommer Wunsch, weil zu befiirchten ist, »that Jll Nature, Passion and Revenge will carry them [sc. die Menschen, D.H.] too far in punishing others« (ST § 13). Es zeigt sich also, daß das Lockesche Bestrafungsrecht der Sache nach dieselbe Widerspruchsstruktur besitzt wie das Hobbessche jus naturale im Naturzustand: Es ist kein Recht im strikten Sinne, d. h. kein Recht, dem eine Verbindlichkeit anderer korrespondieren würde. Folglich ist es kein solches 'Recht', durch das jemand im äußeren Gebrauch seiner Freiheit gesetzlich eingeschränkt werden könnte, weil niemand im Naturzustand als verpflichtet gedacht werden kann, sich dem Rechtsurteil und dem Zwang eines anderen zu unterwerfen. Wegen der fehlenden Bedingung der allgemeinen Reziprozität liefert Lockes Annahme einer natürlichen Strafkompetenz malgre lui den Beweis fiir die Wahrheit des Hobhesseben Satzes vom rechtlichen Widerspruch des Naturzustandes, in welchem die möglichen Rechtsansprüche von jedermann mit den gleichen Rechtsansprüchen anderer in beliebiger Hinsicht miteinander in Konflikt geraten können- ein Widerspruchsverhältnis, das Hobbes auf folgende Formel »alter iure inuadit, alter iure resistit«38 gebracht hatte. Allerdings hat Locke und hierin unterscheidet er sich von seinem Vorgänger - kein Bewußtsein davon, daß dieser Satz die notwendige Konsequenz seiner eigenen Überlegungen ist und deshalb die Annahme einer naturrechtliehen Strafgewalt im wahrsten Sinne des Wortes grundlos werden läßt. Übrigens kann fiir Hobbes ein Recht der Strafe schon deshalb nicht in dem ursprünglichen Recht (der Selbsterhaltung), das jedem Menschen im Naturzustand zukommt, enthalten sein, weil »dort, wo es keine allgemeinen Strafgesetze der Staatsgewalt gibt«, es keine Gewalttat gibt, »die nicht irgendwann fiir irgend jemanden mit RUcksicht auf die Sicherung seines eigenen Rechtes gegen irgendeinen anderen erforderlich sein könnte.« Hobbes hat aus dieser Einsicht, daß es im Naturzustand überhaupt »keine Bestimmbarkeit des Verhältnisses irgendeiner Gewalttat zur möglichen allgemeinen Rechtssicherheit« geben kann, 39 den richtigen Schluß gezogen, daß das natürliche Recht ein unbeschränktes Recht auf alles ist.

38 Thomas Hobbes, De Cive I, 12. Vgl. zu dem von Hobbes insbesondere in De Cive I, 7-12 entwickelten unvermeidlichen juridischen Widerspruch die fiir das Verständnis der Hobbesschen Rechtsphilosophie richtungsweisenden Ausruhrungen von Georg Geismann/Karlfriedrich Herb (Hrsg.), Hobbes über die Freiheit, Würzburg 1988, bes. Scholien 196, 215 und 220. 39 Julius Ebbinghaus, Die Strafen fiir Tötung eines Menschen nach Prinzipien einer Rechtsphilosophie der Freiheit, in : ders., Gesammelte Schriften Bd. II, S. 309.

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Aber so zwingend der Schluß, daß die Annahme einer aus dem natürlichen Gesetz hervorgehenden Bestrafungskompetenz bedeutungslos ist, weil ein solches Recht nur unter der Voraussetzung existieren kann, daß jeder durch Unterwerfung unter eine gemeinsame Rechtssicherungsgewalt allen anderen Sicherheit gibt, die er fiir sich selbst fordert, 40 und so zwingend der Schluß ist, daß auf Grund des ipse-iudex-Prinzips das natürliche Recht im Naturzustand nur Ausdruck einer durchgängigen Rechtsantinomie ist, so daß Locke selbst davon spricht, daß seine Behauptung, »that in the State of Nature every one has the Executive Power of the Law of Nature«, wohl als eine »very strange Doctrine« (ST §§ 9, 13)41 erscheinen müsse, so wenig ist Locke tatsächlich bereit, diese 40 Vgl. Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung, in: Ders., Gesammelte Schriften Bd. II, S. 252, der diesen Punkt, daß die Annahme einer naturrechtlich fundierten, individuellen Straflcompetenz im Naturzustand keinen Sinn ergibt, mit Nachdruck hervorgehoben hat. 41 Eine andere Interpretation der >Strangeness< der Lockeschen Strafrechtsbegründung findet sich bei Wolfgang von Leyden (The state of nature and Locke's 'strange' Doctrine of Punishment, in: Ders., Hobbes and Locke. The Politics of Freedom and Obligation, London 1981, pp. 109-119). Von Leydens Interpretation beschränkt sich im wesentlichen auf die Rekonstruktion des Lockeschen Selbstverständnisses, ohne die rechtsphilosophischen Probleme seiner Begründung näher zu erörtern. Insbesondere erörtert von Leyden die Frage, warum Locke seine Lehre von der natürlichen Straflcompetenz selbst als >Strange< bezeichnet und er trotz der offenkundigen Probleme, die mit der Annahme einer solchen Straflcompetenz im Naturzustand verbunden sind, von ihrer Stichhaltigkeit überzeugt war. In diesem Zusammenhang betont von Leyden, daß der seltsame Charakter der Lockeschen Lehre nicht - wie z. B. Lasfett annimmt - in ihrer Neuartigkeit liegt. Vielmehr benutze Locke den Ausdruck >Strange< zur Bezeichnung seiner eigenen Theorie, um auf diese Weise anzudeuten, daß seine eigene Lehre vom natürlichen Recht von anderen im allgemeinen nicht geteilt würde. Obwohl Locke die Probleme, welche die Annahme einer natürlichen Straflcompetenz mit sich bringe, nicht leugne, sei er doch der Auffassung, seine eigene Position sei im Vergleich zu der Hobbesschen weniger >Strangebellum ornnium contra ornnes< werden läßt, und der Begründung der Notwendigkeit der Unterwerfung aller unter eine souveräne Zwangsgewalt zwecks Beendigung dieses Kriegszustandes. Eine nonnative Funktion kommt der Naturzustandskonzeption bei Hobbes nur insofern zu, als er unter dem Titel der Ieges naturae eine Theorie der fonnalen Bedingungen liefert, die erfilllt sein müssen, damit überhaupt Rechtsverhältnisse zwischen Menschen konstituiert werden können (wie z. B. das Gesetz der Friedenssuche, der Aufgabe der unbe44 So begreift Locke die naturrechtliche Strafkompetenz ausdrücklich als eine Form der »Political Power[ ... ] which every Man, having in the state ofNature, has given up into the hands of the Society« (ST § 171 ). 45 ST §§ 128-131, 171, 190.

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schränkten natürlichen Freiheit und das Gesetz der Einhaltung abgeschlossener Verträge). Bei Locke hingegen dient das Naturzustandsmodell der Erkenntnis eines immer schon durch das natürliche Gesetz bestimmten ursprünglichen Rechtszustandes, der in seiner Möglichkeit von der Existenz einer souveränen Zwangsgewalt unabhängig ist. >Status naturalis< und >Status civilis< unterscheiden sich demnach nicht wie bei Hobbes als Zustand der Gesetzlosigkeit einerseits und als Zustand der gesetzlich bestimmten Rechte und Pflichten der Menschen, der in seiner Möglichkeit von der Existenz einer souveränen Zwangsgewalt abhängt, andererseits. Dem Naturzustand mangelt es nach Locke vielmehr nur an einer Instanz, welche die schon an sich gültigen Rechtsnormen effektiv durchsetzt; es ist genauer gesagt der private bzw. der öffentliche Modus der Rechtsausübung, durch den sich beide Zustände unterscheiden. Von daher ergeben sich grundsätzliche Bedenken gegen die vielfach von den Interpreten verfochtene Auffassung, Locke habe in gleicher Weise wie Hobbes aus den Widersprüchen des Naturzustandes die Notwendigkeit der Staatsgewalt entwickelt. Zwar antizipiert Locke den hobbesianischen Einwand, daß es aufgrund der Eigenliebe der Menschen es sehr fraglich sei, ob sie bei der Ausübung der naturrechtliehen Strafkompetenz die gebotene Unparteilichkeit walten lassen, so daß aus einem derart individualisierten Strafvollzug statt der Wiederherstellung des verletzten Rechts nur »Confusion and Disorder« (ST § 13) folgen würden. Insofern stellen auch fiir Locke die Nachteile des Naturzustandes gewichtige Gründe dar, warum sich Menschen in einer staatlich verfaßten Gesellschaft zusammenschließen. Dennoch kennt Lockes politische Philosophie keine unbedingte Forderung, den Naturzustand zu verlassen, vielmehr bleibt die Rückkehr in den Naturzustand eine unter bestimmten Umständen mögliche politische Option. Zwar ist es angesichts der dem Naturzustand eigentümlichen »inconveniences« klug und nützlich, sich zum Zwecke der Sicherheit der natürlichen Rechte zu einem >body politick< zusammenzuschließen. Dennoch will Locke auf die Vorstellung, der Naturzustandes seitrotz alledem ein an sich friedlicher rudimentärer Rechtszustand, in welchem das natürliche Gesetz herrscht, nicht verzichten, weil diese Konzeption des Naturzustandes die staatstheoretische Grundlage bildet, welche »die allgemeinen Legitimitätsvoraussetzungen und die inhaltliche Zweckbestimmung fiir politische Herrschaft in der ' civil society' rahmenhaft festlegt«. 46 Die Vorstellung des Naturzustandes, in welchem alles Handeln immer schon unter der Herrschaft eines äußerlich verbindlichen Gesetzes steht, liefert also das natur46 Hans Medick, Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1973, S. II 0. Mit besonderem Nachdruck verweist Locke auf diese Funktion der naturrechtliehen Grundlegung des Naturzustand in ST § 135: ))[ ... ] the Law of Nature stands as an Etemal Rule to all Men, Legislators as weil as others. The Ru/es that they make for other Mens Actions, must, as weil as their own and other Mens Actions, be conformable to the Law of Nature, i. e. to the Will of God, of which that is a Declaration, and the fundamental Law of Nature being the preservation of Mankind, no Humane Sanction can be good, or valid against it.«

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rechtliche Fundament, von dem aus die Konzeption der rechtlichen Absolutheil staatlicher Herrschaft zurückgewiesen werden soll. Mit der gleichen systematischen Absicht wie Lehre vom überpositiven Ursprung des Eigentumsrechtes soll auch die Annahme eines Strafvollstreckungsrechtes, das jedermann schon im Naturzustand hat, die Theorie stützen, daß der Inhaber der Staatsgewalt nur eine von den Mitglieder der community aus Zweckmäßigkeitsgründen mit der Wahrnehmung des Vollstreckungsrechts beauftragte Instanz ist. Da sie dieses Recht nur stellvertretend ausübt, kann ihr dieses Mandat im Falle tyrannischer Herrschaftspraxis prinzipiell wieder entzogen werden. Der Eintritt in den status civilis steht somit unter dem generellen Vorbehalt, daß die staatlichen Instanzen ihre Politik in Übereinstimmung mit dem >bonum commune< machen. Verlassen sie den Pfad der Vernunft und mißbrauchen sie die ihnen bona fide übertragenen Kompetenzen, dann wird die Rückkehr in den Naturzustand, in welchem jeder die Exekution seiner besonderen und der gemeinsamen Rechte in die eigene Hand nimmt, zu einer sowohl erlaubten als auch wünschenswerten politischen Tat.

V. Gegen die hier vorgetragene Interpretation könnte der Einwand erhoben werden, sie konzentriere sich in einseitiger Weise auf die naturrechtliehen Präliminarien, die Locke in seiner Lehre vom Naturzustand entfaltet, und berücksichtige nicht die Konzeption des Kriegszustandes (ST §§ 16-21), in welcher Locke schließlich doch auf die Hobbessche Linie der Argumentation einschwenke. Die sog. >erste Phase< des Naturzustandes, d. h. die Phase des friedlichen Zusammenlebens der Menschen unter der Herrschaft des natürlichen Gesetzes, sei in Wahrheit »filr sich genommen im logisch-systematischen Aufbau der Lockeschen Theorie überflüssig« und diene keinem anderen Zwecke, »als die zweite (mit der Hobhesseben Konzeption identische) Phase vorzubereiten«.47 In der Tat scheint die Lockesche Konzeption des Kriegszustandes auf den ersten Blick kaum Differenzen zum Hobhesseben >bellum omnium contra omnes< aufzuweisen. Der Kriegszustand wird bestimmt als »a State of Enmity, Malice, Violence, and Mutual Destruction« (ST § 19): nicht nur sind die Menschen im Naturzustand in eigener Sache parteiisch, so daß das ipse-iudexPrinzip unerträgliche >Nachteile< und >Verwirrungen< erzeugt, und ist die Wahrnehmung der natürlichen Rechte im Naturzustand »very uncertain, and constantly exposed to the Invasion of others« (ST § 123); v. a .. fehlt es im Naturzustand - trotz der Geltung des natürlichen Gesetzes - an einem »establish'd, settled, known Law«, an einer allgemein anerkannten Instanz, die Rechtskonflikte verbindlich zu entscheiden vermöchte, an einer in jedem Falle 47 Burkhard Tuschling, Die >offene< und die >abstrakte< Gesellschaft. Habermas und die Konzeption von Vergesellschaftung der klassisch-bürgerlichen Rechts- und Staatsphilosophie, Berlin 1978, S. 254.

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der Rechtsübertretung wirksamen Rechtsexekutionsgewalt {ST §§ 124-126),alles Mängel, die auch nach Lackes Auffassung den Naturzustand »so unsafe and uneasie« werden lassen. Aber auch in diesem Punkt ist Lackes Lehre den rechtsphilosophischen Einsichten des Thomas Hobbes entgegengesetzt: Zum einen bestreitet Locke den Hobbesschen Lehrsatz, daß der Naturzustand nicht zufälligerweise, sondern aus strukturellen Gründen ein Kriegszustand ist. 48 Er hält statt dessen an der traditionellen Auffassung fest, daß das bloße Fehlen einer anerkannten und mit Zwangsmitteln ausgestatteten richterlichen Autorität die Menschen keineswegs in den Kriegszustand versetzt. Damit sich der >eigentliche Naturzustandgoldene Zeitalter< beendet und schließlich »vain Ambition, and amor sceleratus habendi, evil Concupiscence, [that] had corrupted Mens minds into a Mistake of true Power and Honour« (ST § 111 ), freisetzt und den friedlichen Naturzustand zum Kriegszustand werden läßt. Er betont in diesem Zusammenhang mit Nachdruck, daß ohne eine solche Depravation überhaupt keine begreifliche Notwendigkeit bestünde, »that Men should seperate from this great and natural Community [sc. diejenige menschliche Gemeinschaft, die schon durch das natürliche Gesetz konstituiert wird, D.H.], and by positive agreements combine into smaller and divided associations« (ST § 128). Nicht aus Rechtsgründen ist der Eintritt in den status civilis notwendig, sondern wegen der Korruption der menschlichen Natur, zu der durch Strafandrohung ein motivierendes Gegengewicht geschaffen werden muß, um den geselligen Verkehr nicht vollständig zusammenbrechen zu lassen. Aus den hier skizzierten unterschiedlichen rechtsphilosophischen Prämissen bei Hobbes und Locke kann nur der Schluß gezogen werden, daß filr 50 Neben den im folgenden angeführten Passagen sei auf folgende einschlägige Stellen aus dem Second Treatise verwiesen: »Self-Love will make Men partial to themselves and their Friends« (ST § 13); »III Nature, Passion and Revenge will carry them too far in punishing others«; das ipse-iudex-Prinzip ist nicht grundsätzlich problematisch (weil durch dieses Prinzip die Rechte von jedermann von der Willkür anderer abhängig und daher prinzipiell unsicher sind), sondern weil es die Menschen an der erforderlichen Unparteilichkeit fehlen lassen: § 90: »those inconveniences of the State of Nature, which necessarily follow from every Man's being Judge in his own Case«, in Verbindung mit § 125: »For every one in that state [of nature] being both Judge and Executioner of the Law of Nature, Men being partial to themselves, Passion and Revenge is very apt to carry them too far, and with too much heat, in their own Cases; as weil as neglicence, and unconcernedness, to make them too remiss, in other Mens«; in § 124 verweist er auf die scholastische Lehre von der Verdunkelung des natUrliehen Gesetzes durch die individuellen Interessen: »For though the Law ofNature be plain and intelligible to all rational Creatures; yet Men being biassed by their lnterest, as weil as ignorant for want of study of it, are not apt to allow of it as a Law binding to them in the application of it to their particular Cases«; in § 128 wird »the corruption, and vitiousness of degenerate Men« filr die Auflösung der »great and natural Community«, in welcher ursprUnglieh alle Menschen durch das natUrliehe Gesetz in Gerechtigkeit und Liebe vereint waren, verantwortlich gemacht; § 143 : »humane frailty apt to grasp at Power«.

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den Second Treatise ofGovernment das gleiche gilt, was Julius Ebbinghaus mit Blick auf Lockes staatsrechtliche Abhandlungen aus den Jahren 1660/61 (die sog. Two Tracts on Government) hervorgehoben hat, daß nämlich die Rechtsund Staatslehren beider Denker »aus verschiedenen Hemisphären des globus intellectualis« stammen und alle Versuche, ihre Positionen einander anzunähern, auf einem grundsätzlichen Mißverständnis beruhen.5 1

51 Ebbinghaus, Anmerkungen zur Einleitung zu: John Locke, Ein Brief über Toleranz, in: Ders., Gesammelte Schriften Bd. Il, S. 123.

August Ludwig Schlözer und das Verhältnis von Staat und Gesellschaft Von Martin Peters

I. Einleitung

Im Jahre 1787 wurde das 50jährige Bestehen der Göttinger Universität Georgia Augusta gefeiert. Im Rahmen der Festlichkeiten erhielt der Hochschullehrer fiir Geschichte August Ludwig (v.) Schlözer (1735-1809) die Nominalprofessur fiir Politik. Diese Auszeichnung, inklusive einer Gehaltszulage, wurde ihm auf Grund seiner Leistungen in der Analyse der Staaten und Gesellschaften in Europa, Rußland und Nordamerika übertragen. Schlözers Leben und Werk ist auch heute noch in der Forschung von Bedeutung, weil er zwischen den Jahren 1775 und 1794 die einflußreiche Zeitschrift »Briefwechsel« (1775-1782) und »StatsAnzeigen« (=StA; 1782-1794) veröffentlichte. In diesen Journalen publizierte Schlözer u.a. Aufsätze über den Finanzhaushalt deutscher Höfe. In diesem Zusammenhang untersuchte er die Funktionstüchtigkeit politischer Ordnungen in Europa, die seiner Ansicht nach im Bevölkerungswachstum und im Wohlstand nachweisbar sei. Der hohe Stellenwert der Publikationsorgane Schlözers im »aufgeklärten Diskurs« ist nicht nur von Zeitgenossen, sondern auch in der neuesten Forschung eingeräumt worden. H.-U. Wehler würdigte Schlözers Journale, weil sie »geradezu paradigmatisch die entstehende Macht öffentlicher Meinung [repräsentierten]«,1 und K. 0. v. Aretin charakterisierte Schlözer als »So etwas wie ein öffentliches Gewissen«. 2 Mit seiner 1793 veröffentlichten »StatsRechtsLere« beeinflußte Schlözer die über die »Universitätsöffentlichkeit« hinaus

1 H.-U. Weh/er, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Erster Band: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815; München 1987, S. 320. 2 K. 0. v. Aretin, Das Alte Reich 1648-1806, Band I: Föderalistische oder hierarchische Ordnung ( 1648-1684 ), Stuttgart 1993, S. 44.

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gefiihrte Diskussion über das Verhältnis von Naturzustand und Staat, über die höchste Gewalt im Staate oder auch über das Widerstandsrecht. 3 Im folgenden Beitrag soll analysiert werden, welche Auffassung der renommierte und umstrittene Göttinger Hofrat Schlözer von Staat und Gesellschaft vertreten hat. Lange Zeit wurde er in der Forschung als »Wegbereiter des deutschen Liberalismus« bezeichnet.4 Diese Interpretation lebt noch fort, obwohl schon D. Klippe! Einwände gegen die These erhoben hat, daß er die »bürgerliche« Gesellschaft vom Staat begrifflich getrennt habe. 5 Zuletzt hat Merio Scatolla Schlözers Bedeutung als Muster des »aufgeklärten Absolutismus« gewürdigt und die Mittelstellung der politischen Theorie Schlözers zwischen »absolutistischer« und »liberaler« Staatslehre betont.6 In diesem Zusammenhang untersuchte er dessen Lehre des »princeps compositus«, in der sowohl die unbeschränkte Herrschaft als auch die Kontrolle der höchsten Gewalt postuliert und in der sowohl die Unteilbarkeit als auch die Teilung der höchsten Gewalt in einer Reihe von Rechten begründet wurde. 7 Die hier zu erörternde o.g. Fragestellung soll dahingehend konkretisiert werden, daß auf der Grundlage der Analyse Scatollas Schlözers Begriff von politischer Ordnung unter dem Aspekt seines anthropologisch akzentuierten Menschenbildes sowie seiner Perzeption zeitgenössischer politischer und sozialer Ereignisse thematisiert wird. Daher wird Schlözers Vorstellung von Souveränität (Kap. II), Natur (III), Kultur (IV), »Publizität« (V), Vertrag (VI), Lehenswesen (VII), ferner von dem einzelnen als Mitglied der Gesellschaft (VIII), vom Eigentum (IX) und dem Kirchenwesen (X) behandelt. Denn Natur, Presse, Lehenswesen und Kirche konnten quer zur herrschaftlichen Ordnung 3 Sie diente zum Vorbild filr: C/tristian Daniel Voß, Handbuch der allgemeinen Staatswissenschaft, nach Schlözers Grundriß, Bd. I bis 6: Allgemeine Einleitung. Philosophische Urgeschichte des Staats. Allgemeines Staatsrecht, Leipzig 1796; Politik: Theoretischer Theil; Zweyter Band, Staatswirtschaftslehre, Cameral- Finanzlehre, ebd. 1798; Politik: Praktischer Theil, Staatsgeschäften-Lehre oder Staatspraxis, ebd. 1799. Einleitung in die Geschichte und Litteratur der allgemeinen Staatswissenschaft; Erster Theil, Leipzig 1800. Einleitung in die Geschichte und Litteratur der allgemeinen Staatswissenschaft, Zweyter Theil, Beschluß der Einleitung in die Geschichte und Litteratur der allgemeinen Staatswissenschaft in dem Alterthume, Leipzig 1802. 4 F. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 17701815. Mit einem Nachwort von J Garber, 1951 (Nd Kronbergffs. 1978), S. 101 f. 5 D. Klippe/, Politische Freiheit im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts (=Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, N.F. Heft 23 ), Paderborn 1976, S. 136 f. 6 M Seato/la, La nascita delle scienze dello stato. August Ludwig Schlözer ( 17351809) e Je discipline politiche del settecento tedesco, Milano 1994. 7 M Seato/la, Die politische Theorie in Deutschland zur Zeit des aufgeklärten Absolutismus, in: H. Schmidt-Glintzer (Hg.), Fördern und Bewahren (=Studien zur Europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit; zugleich Festschrift anläßtich des zehnjährigen Bestehens der Dr. Günther Findet-Stiftung zur Förderung der Wissenschaften, Wolfenbütteler Forschungen Bd. 70), Wiesbaden 1996, S. 119-133, S. 123.

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stehen. Hierbei wird darauf geachtet, daß Schlözers Anschauungen nicht mit den »modernen« Kategorien »konservativ«, »liberal« oder »demokratisch« charakterisiert werden.

II. Schlözers Definition von Souveränität Schlözer rekurrierte in seiner Vorlesung »lus Publicum Universale« auf die »Politik« von Aristoteles. Dieser, meinte er, »hat schlichte Begriffe von der wahren Politik, als daß die Griechen gebohrene freye Leute waren, und die Barbaren gebohrene Sklaven. Die Beschreibung der Griechischen kleinen Republiken ist ganz gut«. 8 Ferner zitierte er Besold, Arniseus, sogar Althusius, Boxhorn, Huber und Thomasius: »Wolf gab der Politik eine ganz neue Bedeutung, wurde sie zu einem Theil der Praktischen Philosophie gemacht. Dieser Idee blieb man ein ganzes halbes Jahrhundert getreu«. 9 Schlözer argumentierte, daß der Staat eine menschliche Erfindung sei, 10 weshalb er das Staats- und Verfassungsrecht, nach heutigem Begriff das Öffentliche Recht, der Disziplin der Politik zuordnete und nicht der Jurisprudenz oder der Philosophie. In seiner Broschüre »Systema Politices« (1771) 11 behandelte Schlözer sowohl die »civitas«, also den Staat, als auch die »scientia civitatis«. Er beschrieb den Staat zum einen vor dem Hintergrund seiner Kenntnisse, die er vom vorstaatlichen Zustand hatte. Dies nannte er »Möglichkeit« oder »Vorstellung«, wobei er auf die Philosophie zurückgriff. Zum anderen untersuchte er den Staat unter dem Blickwinkel der »Gegenwart« und »Geschichte«. Die Wissenschaft vom Staat, die Politik, setzte sich bei ihm daher aus diversen Hilfswissenschaften zusammen. Die Historie gliederte er in historische Politik, Statistik und Staatenhistorie, die Philosophie in Theorie (»in naturam civitatis inquirit«) und Praxis (u.a. Verwaltungs- und Verfassungslehre). DarOber hinaus behandelte er die »Gewohnheiten«, das »Herkommen« und die »Literaturgeschichte« »ab Aristoteles ad nostra temporis« sowie die »Quellen«. Diese unterteilte er in Quellen a priori (»argumenta philosophia«) und a posteriori (»argumenta historica«). 12 Schlözers Staatsrechtsverständnis war eng mit seiner Wahrnehmung der historischen und politischen Realität verbunden, d.h. sein »lus Publicum Universale« war ein auf der Staatengeschichte basierender Entwurf über das Wesen Ius Publicum Universale, p[agus]. 64. lus Publicum Universale, p. 64. 10 Ius Publicum Universale, p. 62. 11 Cod. Ms. A. L. Schlözer II, 2:42: Systema Politicis, Auetore Aug. Ludw. Schloezero, Göttingen 1771. 12 Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung: SchlözerNachlaß: Cod. Ms. A. L. Schlözer ll, 2:42: Systema Politicis, Auetore Aug. Ludw. Schloezero, Göttingen 1771. 8

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des Menschen, des Staates und die Möglichkeiten und Grenzen, einen Staat so zu verwalten, daß das Gemeinwohl nach innen und die Kommunikation aller Staaten und Völker der Erde universalhistorisch befördert werde. Sehr viel ausftlhrlicher als in seinem aphoristischen, in politisch bewegter Zeit konzipierten und unvollendeten »StatsRecht« definierte er Herrschaft 1787 in seiner Vorlesung »Ius Publicum Universale«. In diesem Zusammenhang erläuterte er: »Die Freyheit zu vergeben ist ein fiirchterlicher Gedanke. Aber der Monarch ist quasi unser WegWeiser, und deßwegen wird er bezahlt«. 13 Es lassen sich aus diesem Zitat drei zentrale staatsrechtliche Aspekte ableiten: a) Herrschaft über das Ganze bedeutet Verlust von Freiheit des einzelnen fiir einen höheren Zweck, b) Herrschaft wird wie ein Mandat übertragen und c) der Herrscher übt wie ein besoldeter Beamter mit besonderen Kompetenzen und Pflichten ein Amt aus. Der originelle Gedanke Schlözers ist hier nicht, daß der Herrscher ein Mandatsträger sei. Auch erinnern eine Reihe staatsrechtlicher Sätze von ihm an Thesen Friedrichs des Großen und preußische Reformer (Svarez, Cocceji, v. Carmer). Hervorzuheben aber ist, daß er hier ein genetisch-historisches Verhältnis von Individuum und Gesamtheit beziehungsweise »Aggregat« und »System« konzipiert. Schlözer stellte sich den Verlauf der Geschichte als Dreischritt, nämlich Einheit (Paradies, Harmonie), Isolation (Naturzustand, Aggregat) und Zusammenhang (Staat, System), vor. So verstand Schlözer die Veräußerung der persönlichen Souveränität und Freiheit des einzelnen zugleich die Konstituierung einer allgemeinen, übergeordneten Souveränität und Freiheit (System). Doch diese Entwicklung barg seiner Ansicht nach auch Gefahren. Durch diese »Generalisierung«, so befiirchtete Schlözer, entfremde sich der Souverän vom einzelnen und schwebe über der Gesellschaft ohne irgendeine Verbindung mit ihr. Daher lehrte er: »1. bleibt der Souverain ein Mensch wie andere Menschen, 2. der Souverain bleibt ein Bürger wie andere, 3. der Souverain hat nicht das Recht zu schaden, obgleich er die Macht dazu hätte«. 14 Dies bedeutete, daß der Souverän bei Schlözer nicht nur Mensch, nicht nur Bürger, sondern auch die Verkörperung des Staates war. Der Souverän, dem Schlözer gewissermaßen zwei »Gesichter« zuwies, nämlich ein »privates« und ein »öffentliches« Gesicht, war bei ihm nicht nur Individuum, sondern eine höhere Instanz und moralische Persönlichkeit. 13 Unveröffentlichte Vorlesungsmitschrift Bibliothek der ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest: Jogt. Alt. 4° 2: Ein Band Kollegnachschriften des Grafen Ladistaus von Teleki: »Statistik, Politik, Oeconomie«. Im folgenden zitiert: lus Publicum Universale. 14 lus Publicum Universale, p. 90.

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Schlözer kritisierte jene Auffassungen, in denen der Souverän als »transzendentes« jenseitiges Wesen gerechtfertigt wurde. Statt dessen forderte er, daß sich der Souverän »empirisch« durch die Erfolge seiner Regierungspolitik legitimieren müsse. Natürlich war sich Schlözer bewußt, daß der Souverän mit spezifischen Rechten, Pflichten, Aufgaben und Kompetenzen sowie mit einer besonderen »Würde« ausgestattet war. Auch bezeichnete er jene Entwürfe als »albern«, in denen beschrieben wurde, daß politische Ordnung auch ohne Regierung, ja sogar ohne Zwang und Gehorsam auskomme. Macht und Recht waren in seinem Denken keine miteinander ringenden Kräfte, sondern notwendige und nützliche Komponenten politischer Ordnung. Einen starken, gerechten und gut funktionierenden Staat ohne Souveränität konnte sich Schlözer nicht denken, weshalb er jene Gesellschaften kritisierte, in denen keine Souveränität ausgebildet wurde. Nur die Übertragung der Freiheit des einzelnen auf einen einzelnen Souverän, der die Interessen der Gesamtheit verkörperte, gewährleistete Schlözers Ansicht nach die Möglichkeit, daß Kultur realisiert werde. Die Freiheit des einzelnen, defmiert als Verlust des Gemeinschaftlichen, ließe sich Schlözers Gedankengang fortsetzen, mochte zwar am Beginn der Geschichte der Menschheit stehen, sie war aber nicht das Ziel menschlicher Zivilisierung. 15

111. Natur und Staat Schlözer war der Überzeugung, daß sich politische Ordnung nach der »Natur« des Menschen, seinen >>Bedürfnissen«, seiner »Geschichte« und seinen »Rechten« zu richten habe. Daher problematisierte er die »Geschichte der Menschheit«: »Zu diesem [Ius publicum Universale, M.P.] braucht man noch einige andere Kenntniß, da der Stand des Menschen im Staat außernatürlich ist so ist die erste Frage wie der Mensch im Stand der Natur ist, und dann wie er in den Staat gekommen ist«. 16 In Anlehnung an den aristotelischen Terminus »Metaphysik« nannte er diesen Teil »Metapolitik«, d.h. »Anthropologie«. 17 Schlözer lehrte, daß der Staat nicht natürlich und daß der Mensch nicht von Natur aus im Staate sei: »Status nun natura sed pisitione existit«. 18 Der Staat

15 A. L. Schlözer, Allgerneines Stats Recht und Stats Verfassungs Lere. Voran: Einleitung in alle Stats Wissenschaften, Encyclopädie derselben, Metapolitik, Anhang: Prüfung der v. Moserschen Grundsätze des Allgern. Staats-Rechts, Göttingen 1793 (Nd Frankfurt 1970). 16 Ius Publicurn Universale, p. 77. 17 Schlözer unterschied die Anthropologie im physisch-medizinischen und philosophisch-psychologischen Sinn. Erstere lehrte sein Schwager Lader in Jena. 18 Ius Publicurn Universale, p. 63.

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entstand seiner Ansicht nach aus einem anthropologischen Antrieb des Menschen nach Sicherheit und Vergnügen, die nur durch die menschliche Verbindung, Kommunikation oder Gesellschaft gewährleistet würden. Der Rückzug aus der Gesellschaft-Ünd Tatenlosigkeit waren bei Schlözer sowohl natürliche als auch unnatürliche Verhaltensweisen des Menschen: »natürlich« insofern, weil diese Aktionen im Stande der Natur zu finden seien; >>Unnatürlich« insofern, weil es der Bestimmung des Menschen nicht entspräche. Sogar aus dem anatomischen Aufbau des menschlichen Körpers leitete Schlözer ab, daß Tätigkeit eine zentrale menschliche Bestimmung sei. Im Folgenden werden stichwortartig die wichtigsten Thesen Schlözers über Natur und Staat aufgefilhrt, wie er sie selbst in einem der Forschung noch unbekannten Konzept formulierte. 19 Im Verlaufe dieses Beitrages soll auf diese Thesen Bezug genommen werden: A. Schlözer leitete folgende Sätze aus der Natur ab: 1. Datur ius omnium in omnia. 2. Datur ius in producte, sed non in fundum Qeder darf Produkte genießen und sie fiir die Zukunft aufheben). 3. Hoc ius omnium est allimitatum: allein a) das Bedürfnis und b) die Macht des Menschen setzen ihm Grenzen. 4. Der Naturmensch braucht Gesellschaft, da er in der Ausübung seiner Rechte schwach ist. B. Schlözer beschrieb den Staat folgendermaßen: 1. Von Natur ist der Mensch nicht im Staat. 2. Der Staat ist eine Erfindung. 3. Die meisten Menschen der Welt haben diese Entdeckung. 4. Menschen, die nicht im Staat leben, sind schlechtere Menschen. 5. Sie sind minder glücklich, etliche sind Menschenfresser geworden. 6. Der Staat ist ein wahres Bedürfnis der Menschheit. Wahre Menschlichkeit ohne Staat kann nicht existieren und ist daher Absicht des Schöpfers. 7. Geselligkeit und Bedürfnis: a) Ein Mensch kann nicht allein leben.

19 Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Nachlaß Schlözer: Cod. Ms A. L. Schlözer II, 2:42: A. L. Schlözers Vorlesungen über die Politik oder Stats-Lehre. Im Sommer 1776, 6. März, p. 7 ff.

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b) Kein menschliches Glück läßt sich ohne Naturrecht denken, dieses ist aber unvollkommen und nicht zwingend. Naturrecht kennt keine Strafen: daher ist in supplementum iuris naturo der Staat äußerst notwendig, wenn Menschen glücklich sein wollen. 8. Es gibt Wilde, Barbaren, gesittete Staaten. 9. Europäische Staaten sind gesittet, dennoch existiert eine erstaunliche Unzufriedenheit. I 0. Alle Menschen sind sich gleich: von einem Stammvater, sie haben augenscheinlich einerlei Natur. ll. Größter Unterschied: einige regieren, andere gehorchen. Von Natur hat keiner Recht zu regieren, allein der Regent glaubt es doch. 12. Nur durch Verträge kann diese Relation entstehen.

IV. Der Staat als höchste Kulturstufe Schlözers Politik war »dialektisch« angelegt: seiner Ansicht nach müsse der »einsame Son der Natur« erst in Gesellschaft weiterentwickelt und schließlich zu einem unabhängigen, reifen und »aufgeklärten« Menschen ausgebildet werden. Dies bedeutete, daß der einzelne Naturmensch bei Schlözer zwar nicht mit Moral und Kultur (B 4), aber doch mit »Instinkt«, »Macht« und »Souveränität« ausgestattet war. Erst die Kommunikation und Umwelt stellten Schlözers Ansicht nach die Möglichkeiten bereit, so daß der Mensch erst von einem »Tier« und »hilflosen Kind« zu einem Menschen werde. Kommunikation war demzufolge die Voraussetzung menschlicher Entwicklung (B 7a). Schlözer teilte die Menschheit je nach der Intensität der jeweiligen menschlichen Verbindungen und der Struktur der Gesellschaften beziehungsweise des Staates in »Wilde«, »Barbaren« und »Kultivierte« (Thesen Schlözers: B 8), die je nach Lebensgewohnheit als Nomaden, Hirten oder Jäger kriegerisch oder friedlich seien. Der christliche Europäer nahm bei ihm im Vergleich zu allen anderen Völkern und Kulturen das zivilisierteste Stadium ein. Aber auch den Europäer ordnete er nicht der letzten Stufe der Zivilisationsleiter zu. Neben diesen Kulturstufen operierte Schlözer mit verschiedenen Stadien der Staatsrechtsentwicklung: u.a. Ehe, Familie, »häusliche«, »bürgerliche« Gesellschaft und Staat, die er darin voneinander unterschied, daß ihre innere Komplexität, beispielsweise die politischen Institutionen oder auch die Infrastruktur, zunahm. Der Unterschied zwischen »Staat« und »bürgerlicher Gesellschaft« bestand Schlözers Ansicht nach darin, daß nur im Staat ein Souverän existiere, der als Richter, Streit zu schlichten, Recht und Pflicht habe. Schlözer war - im Gegensatz zu Rousseau - davon überzeugt war, daß nicht etwa im Staat, sondern in der

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»häuslichen Gesellschaft« die Ursache der »Gebrechen« menschlichen Zusammenlebens zu fmden sei. Die »bürgerliche Gesellschaft« zeichnete sich seinem Staatsrecht zufolge durch Uneinheitlichkeit und Zersplitterung aus. Daher seien Regierungen, gleichzusetzen mit Staaten, keineswegs »Unterdrückungen«, sondern ein Verband, um »bürgerliche« Mängel, wie beispielsweise Streit, zu beheben. 20 Der Staat war in Schlözers Staatsrecht ein kulturhistorischer Fortschritt der »bürgerlichen Gesellschaft«. Bedenkenlos sprach er dem Staat weitreichende Pflichten und Funktionen in Recht, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, der nicht nur die - »negative« - Funktion besitze, filr den Schutz vor äußeren Feinden zu sorgen, sondern auch die - »positive« - Bildungspolitik, Bevölkerungspolitik und Wirtschaftspolitik zu fördern. Um diese Aufgaben zu erfilllen, mußte seiner Ansicht nach der Souverän von verschiedenen Institutionen unterstützt werden. Schlözer forderte zwar, daß politische Organe gebildet werden müssen, doch ist hieraus nicht notwendig das Postulat abzuleiten, daß die Souveränität eingeschränkt werden solle. In vielen Situationen plädierte er sogar fi1r »persönliche Regimente«, beispielsweise im Fall Katharinas II. von Rußland, Karls XII. von Schweden, Georgs III. von Großbritannien oder auch Wilhelms IX. von Hessen-Kassel. Auf Grund seiner Kenntnisse der Staatengeschichte setzte sich Schlözer ein filr eine Monarchie mit einem »autoritären«, aber von sich aus, freiweillig Ratschläge und Kontrollen respektierenden Fürsten an der Spitze, der sich dem »Recht« verpflichtete. Jeder politisch Verantwortliche in Politik, Wirtschaft oder auch Kultur müsse, so Schlözer, durch den aufinerksamen Beobachter an seine gesamtgesellschaftliche Pflicht erinnert werden. Dies sollten »qua Amt« politische Organe durchfUhren, oder, wenn dies nicht geschah, sollte jeder einzelne befugt sein, gleichsam unbesoldet auf Mißstände hinzuweisen. Privates Engagement sollte und durfte erst dann ausgeübt werden, wenn der Staat seinen Pflichten nicht nachkam.

V. »Publizität« und Verfassung Schlözer setzte sich nicht fi1r normative Rechtssätze ein und postulierte nur in spezifischen Situationen Pressefreiheit und Menschenrechte, die er sogar kritisierte (bspw. die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die französischen Menschenrechte, die holländische Pressefreiheit der »Patrioten«). »Zivilisierung« in Geschichte und Politik war bei Schlözer darüber hinaus keinesfalls das Resultat von Vernunft und Klugheit, Expertenturn und Professionalität, wie Becher meint, 21 die mit Rekurs auf Schlözer konstatierte: Ius Publicum Universale, p. 62. U. A. J. Becher, Politische Gesellschaft. Studien zur Genese bürgerlicher Gesellschaft in Deutschland (=Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 59), Göttingen 1978, S. 144 f. 20 21

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»Repräsentation bedeutet demnach Berufung von Vertretern auf Grund ihres Sachverstandes«.22 Schlözer wußte wn die historische Kraft des Mißverstehens, der Unvernunft und erörterte die Überlegenheit »unkultivierter« Völker gegenüber kultivierteren. Aus seinen Studien zur asiatischen Geschichte hatte er die Schlußfolgerung gezogen, daß »barbarische« Völker nicht nur kultiviertere Völker besiegen, sondern sogar »barbarische« »Fürsten« kultiviertere Völker beherrschen können. Schlözer problematisierte also in diesem Zusammenhang das Phänomen, daß aus Schlechtem Gutes werde und wngekehrt. Auch filhrte er die Vernunft nicht zur Legitimation von Herrschaft an, denn er lehrte: »Verstand gibt auch kein völliges Recht, denn so müßte der gescheiteste Mann stets König seyn«. 23 Schlözer erhielt von Zeitgenossen u.a. deshalb Beifall, weil er sich dafilr einsetzte, daß Archive (bspw. Klosterarchive in Rußland) filr die historische Forschung zugänglich gemacht wurden, und weil er ferner eine »Justiz bei offenen Türen« forderte. Die »Publizität« war nicht nur ein wichtiger Bestandteil seines Staatsrechts, sondern darüber hinaus ein Mediwn, die Struktur der Gesellschaft eines Staates oder Landes zu analysieren, Reformen zu inaugurieren und zugleich dem Einwohner Vertrauen dem Staat gegenüber einzuflößen. Die »Publizität« besaß eine innenpolitische und außenpolitische Funktion: Die Kluft zwischen dem Fürsten und der Gesellschaft sollte vermindert, und das Ansehen eines Staates im Ausland beilirdert werden. Somit besaß Schlözers Begriff von Publizität nicht nur einen affirmativen, sondern auch einen kritischen Aspekt, so daß einige Regierungen argwöhnten, daß Schlözer die Landeshoheit ihres Fürsten beziehungsweise »Souveränität« ihres Staates attackiere. U. A. J. Becher wies daraufhin, daß Schlözer die »öffentliche Meinung« als Mediwn nutzen wollte, über den Meinungsaustausch zu einer vernünftigen Entscheidung zu gelangen. Doch Schlözer selbst operierte nicht mit dem Konstrukt einer homogenen »öffentlichen Meinung«. Er unterschied private von veröffentlichten Meinungen sowie veröffentlichte Meinungen, die Zustimmung erhielten, von denjenigen, denen widersprochen wurde. Der Staat, forderte er, sollte dann eingreifen, wenn »irrige« Meinungen einen größeren Bekanntheitsgrad erhielten. Meinungsfreiheit war insofern bei Schlözer nur dann ein normatives Menschenrecht, wenn die Meinung entweder die private Sphäre nicht verlasse, oder wenn sie innerhalb eines Zirkels von Gelehrten geäußert werde. Schlözer war sich durchaus bewußt, daß die >>Publizität« ein Mediwn war, wn politische Positionen durchzusetzen. Darüber hinaus begriff er seine Zeitschrift als »Archiv«, in dem konträre Meinungen abgedruckt wurden, ohne daß 22 23

Becher, Politische Gesellschaft (wie Anm. 21), S. 145. Ius Publicum Universale, p. 80.

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er eine endgültige Entscheidung über die Richtigkeit der einen oder anderen Meinung getroffen hätte. Schlözer selbst liebte es, sogar widersprüchliche und unvernünftige Meinungen zu publizieren. Dabei berücksichtigte er die hieraus resultierenden diplomatischen Konsequenzen fUr die politischen Beziehungen der Staaten, die die Veröffentlichung statistischer Beiträge bewirken konnten, nicht. Gewissermaßen »spielte« er mit der »Publizität«, instrumentalisierte andere Zeitschriften und ließ sich instrumentalisieren, entweder bewußt u.a. von preußischen und Österreichischen Staatsmännern oder unbewußt, u.a. in Prozeßverhandlungen, in denen sich Angeklagte in ihrer Verteidigung auf Gesetzestexte oder Gesetzesinterpretationen bezogen, die in Schlözers Journalen veröffentlicht wurden. Wie beschrieb Schlözer die deutsche Verfassung? Seitdem Bodin den Begriff der Souveränität defmiert hatte, galt das Alte Reich vielen Staatsrechtlern als »merkwürdige« Regierungsform mit einer teils monarchischen und teils aristokratischen Verfassungsstruktur. 24 Schlözer stand vor der Frage, das Reich als Staat oder nur als »bürgerliche« Gesellschaft zu beschreiben. Im zweiten Fall hätte er das Reich primär als Staatenbund charakterisiert. Seiner Ansicht nach mangele es dem Reich keineswegs an einer Verfassung oder an Fundamentalgesetzen, zu denen er neben dem Naturrecht und dem Herkommen, die in der Bibel und in Katechismen ihren Niederschlag fänden, vor allem auch die Goldene Bulle, den Augsburger Religionsfrieden, den Westflilischen Frieden sowie Sukzessionsordnungen und Wahlkapitulationen zählte. Hierin seien, wie er meinte, das Prinzip der Gleichheit des Einwohners vor Gott und dem Recht sowie die Verpflichtung des Herrschers festgeschrieben, fUr den Wohlstand der Bevölkerung zu sorgen. Die Verfassung des Alten Reiches, als, wie er es nannte, »demokratische Monarchie« reformuliert, verglich er- zu Unrecht- mit der englischen Verfassung, wie sie von Montesquieu rezipiert worden war. 25 Die deutsche Reichsverfassung (bis zur Französischen Revolution) war durchaus ein Vorbild ftlr Schlözers Ideal eines einheitlichen Staates mit einer sozial-monarchischen Regierungsform. Dies begründete er damit, daß das Reich durch den Kaiser als Oberhaupt und durch die beiden Reichsgerichte, das Reichskammergericht in Wetzlar und den Reichshofrat in Wien, zu einer Einheit zusammengehalten werde. Hier ist nicht der Ort, Schlözers Perzeption der deutschen Verfassung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, doch wird deutlich, daß er die deutsche Verfassung nicht nur verteidigte, sondern sie trotz ihrer Eigenheiten - sogar anderen vorzog. Seinem Bild vom Alten Reich

24 Hierzu: K. Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit (=Marburger Studien zur Neueren Geschichte, Band 4), Marburg 1994, S. 159 ff. 25 Ius Publicum Universale, p. 62.

Staat und Gesellschaft bei August Ludwig Schlözer

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zufolge, das von Johann Peter Süßmilch beeinflußt war, besitze das Reich Anlagen filr einen föderativen, Frieden sichemden Rechtsstaat. Schlözers Begriff von Repräsentation war vieldeutig und betraf die Stellvertretung gegenüber dem Ausland, das Wahlrecht und die Landstände. Schlözer leitete den Ursprung des »Jus repräsentativum« aus dem »Juria pacis, belli, et foderam« ab. Der Souverän besaß bei ihm die Funktion eines Repräsentanten des Volkes, der das durch Wahllegitimierte Recht besaß, das Volk gegenüber einem anderen Volk zu vertreten. 26 Doch Schlözer trat keineswegs per se filr das Wahlrecht als Legitimationsform von Herrschaft ein. In seinem »StatsRecht« erläuterte er, daß das allgemeine und gleiche Wahlrecht gerechter als das Zensuswahlrecht sei,27 da dieses eine Minderheit privilegiere und eine Mehrheit ausgrenze. Allerdings gab er auch zu bedenken: »Da sie [die katholischen Staaten, M.P.] WalStaten sind, so sollten sie auch die glücklichste Regierung haben