Sokrates in der Höhle: Aspekte praktischer Ethik im Platonismus der Kaiserzeit 9783161590689, 9783161590696, 3161590686

Sokrates hat als Figur in der kaiserzeitlichen Philosophie nicht zuletzt auch bei der Auseinandersetzung mit dem Christe

139 112 2MB

German Pages 240 [251] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Sokrates in der Höhle: Aspekte praktischer Ethik im Platonismus der Kaiserzeit
 9783161590689, 9783161590696, 3161590686

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung: Sokrates, der ‚wahre Politiker‘
1. Einleitung
2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘
2.1 Das Höhlengleichnis
2.2 Sokrates’ ‚wahre Politik‘
2.3 Sokrates als Beobachter (θεωρός)
2.4 Das Gute als diffusivum sui
2.5 Generiert das Streben nach Einheit Egoismus?
3. Sokratische Weltverantwortung
3.1 Sokratische Politik als Bildungsinstitution bei Aristoteles
3.2 Sokratische Politik bei Epikur
3.3 Platonismus der Kaiserzeit
4. Der ‚wahre Politiker‘ Sokrates als Symbol
II. „Pray for us, holy Socrates“? (Erasmus, Apophthegmata III)
1. Einleitung
2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus
2.1 Optimistisches Menschenbild: Plotin
2.2 Pessimistischeres Menschenbild: Jamblich
2.3 Pessimismus bei Platon
2.4 Pessimismus und Optimismus bei Jamblich
2.5 Wissensoptimismus bei Platon
3. Zwei Sichtweisen im Platonismus
4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates: Platonismus und Christentum
4.1 Christliche Vorwürfe und die Sokratesfigur
4.2 Platonische Reaktionen
4.3 Sokrates als anti-christlicher Jesus
III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias): Sokratische Peitho und pagan-christliche Paideia
1. Gleichnis und Beispiel in den platonischen Dialogen
2. Das ‚Kind im Mann‘
3. Herkunft der Metapher im Phaidon
4. Rezeptionsphasen
5. Zwei Fallbeispiele
5.1 Lukrez
5.2 Clemens Alexandrinus
6. Sokrates und Weltzugewandtheit
IV. Sokrates, der Schreiber: Hellenistisches im Platonismus
1. Sokrates als Schriftsteller?
2. Crebras coacervabo rationes (cons. 4, p. 2, 26) – Argumentationshäufung bei Boethius
3. Lukrez und additive Argumentation
4. Sextus Empiricus
5. Sokrates als Therapeut
6. Rhetorische Tradition und sokratische Rhetorik
7. Praeparatio philosophica bei Boethius und Simplikios
8. Ein Fazit
V. Sokrates als Leser: Interpretatio medicans als praktische Philosophie
1. Textauslegung als praktische Philosophie
2. Proklos: Aphorme und Anagoge
3. Plutarch: Philologie und Aphorme
4. Sextus Empiricus: Die grammatische und die philosophische Aphorme
5. Philodem: Aphorme und philosophische Leserkorrektur
6. Lukrez: Die Pestschilderung im Rahmen der Aphorme-Methode
7. Herkunft und Tradition der Aphormai
8. Eigenes und Fremdes: Porphyrios’ Aphormai
9. Simplikios: Interpretation als Therapie
10. Aphorme und literarisches Spiel: Die Spuria im Corpus Platonicum
11. Aphorme-Methode und ‚wahre Politik‘
Bibliographie
Sachregister
Personenregister
Stellenregister

Citation preview

Michael Erler

Sokrates in der Höhle

Tria Corda Jenaer Vorlesungen zu Judentum, Antike und Christentum Herausgegeben von Karl-Wilhelm Niebuhr, Matthias Perkams und Meinolf Vielberg

12

Michael Erler

Sokrates in der Höhle Aspekte praktischer Ethik im Platonismus der Kaiserzeit

Mohr Siebeck

Michael Erler, geboren 1953; Studium der Klassischen Philologie und Philosophie; 1977 Promotion; 1985 Habilitation; 1989–92 Professor (C3) für Klassische Philologie (mit Schwerpunkt Latein) in Erlangen; seit 1992 Professor für Klassische Philologie (mit Schwerpunkt Griechisch) in Würzburg.

ISBN  978-3-16-159068-9 / eISBN  978-3-16-159069-6 DOI 10.1628/978-3-16-159069-6 ISSN  1865-5629 / eISSN  2569-4510 (Tria Corda) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Ver­arbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck aus der Garamond gesetzt, in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Sokrates hat als Figur in der kaiserzeitlichen Philosophie nicht zuletzt auch bei der Auseinandersetzung mit dem Christentum eine Rolle gespielt. Dass dies auch für ein Element sokratischen Denkens gilt, also insbesondere für Aspekte praktischer Ethik, die mit seinem Namen verbunden werden, ist mit Blick auf die wachsende Jenseits­orientierung der kaiserzeitlichen, immer mehr platonisch dominierten Philosophie bestritten worden. Doch wird diese skeptische Haltung in der jüngeren Forschung zunehmend relativiert. Das vorliegende Buch möchte hierzu einen kleinen Beitrag leisten und dabei einen Aspekt des ‚sokratisch-platonischen Denkens‘ betonen, der vielleicht in seiner Tradition mehr Aufmerksamkeit verdient: Den Aspekt der Philosophie, den Sokrates im Gorgias ‚wahre Politik‘ nennt, mit dem traditionelle Politik ersetzt werden soll und der vor allem durch praktische Anwendung philosophischer Methoden auch für das Diesseitsleben einen Gewinn meint, auch wenn das letzte Ziel der Bemühungen die Befreiung der Seele von den Zumutungen des Diesseits bleibt. Ich bin dankbar, dass ich Gelegenheit hatte, einige Gedanken hierzu in der Tria Corda-Vorlesungsreihe 2014 an der Friedrich Schiller Universität Jena vorzutragen und zu erörtern und dabei – dem Konzept der Reihe entsprechend – den Blick wenigstens andeutungs­weise

VI

Vorwort

auch auf christliche Autoren zu richten. An die Vorträge schlossen sich Diskussionen an: Mit Kolleginnen und Kollegen, Studierenden, mit Philologen, Theologen und Philosophen, die bisweilen nach den Veranstaltungen fortgesetzt wurden, denen ich zahlreiche Anregungen verdanke und die meinen Aufenthalt in Jena zu einer für mich äußerst inspirierenden Zeit machten. Hierfür, für die herzliche und warme Aufnahme, die Gastfreundschaft und die vielen Gespräche am Rande, die sich in schriftlicher Korrespondenz nach meiner Rückkehr fortsetzten, bin ich den Gastgebern und den Organisatoren der Vortragsreihe, aber auch den zahlreichen Zuhörern und Zuhörerinnen der je­wei­li­gen Vorträge sehr dankbar. In der Folge habe ich versucht, Anregungen aufzugreifen, Akzente zu setzen und einige Gedanken weiter zu entwickeln. Dennoch bin ich bei der Publikation dem Wunsch der Organisatoren entsprechend dem Vortagstext doch im Wesent­lichen treu geblieben. Dass bis zur Publikation mehr Zeit verstrichen ist, als gewünscht und gedacht war, hängt nicht zuletzt mit Belastungen infolge verschiedener Aufgaben zusammen (beispielsweise dem Vorsitz der Mommsen Gesellschaft). Dass die Vorlesungen nun erscheinen können, verdanke ich nicht zuletzt wertvoller Hilfe an meinem Lehrstuhl in Würzburg. Ich danke insbesondere Frau Vanessa Zetzmann, Frau Katharina Winter und Herrn Marcel Moser, aber auch Herrn Eobaldt (Jena) für Korrekturen und Überprüfung der Textstellen, für Hinweise und auch Formulierungsvorschläge. Michael Erler

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung: Sokrates, der ‚wahre Politiker‘ . . . . . . . . 1 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘ . . . . . . . 2.1 Das Höhlengleichnis . . . . . . . . . . . 2.2 Sokrates’ ‚wahre Politik‘ . . . . . . . . . 2.3 Sokrates als Beobachter (θεωρός) . . . . 2.4 Das Gute als diffusivum sui . . . . . . . 2.5 Generiert das Streben nach Einheit Egoismus? . . . . . . . . . . . . 3. Sokratische Weltverantwortung . . . . . . 3.1 Sokratische Politik als Bildungsinstitution bei Aristoteles . . 3.2 Sokratische Politik bei Epikur . . . . . 3.3 Platonismus der Kaiserzeit . . . . . . . . 4. Der ‚wahre Politiker‘ Sokrates als Symbol

1 9 13 16 22 28 31 35 36 37 39 45

II. „Pray for us, holy Socrates“? (Erasmus, Apophthegmata III) . . . . . . . 48 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus . . . . . . . . . . . . . . . . 52

VIII

Inhaltsverzeichnis

2.1 Optimistisches Menschenbild: Plotin . 53 2.2 Pessimistischeres Menschenbild: Jamblich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.3 Pessimismus bei Platon . . . . . . . . . 62 2.4 Pessimismus und Optimismus bei Jamblich . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2.5 Wissensoptimismus bei Platon . . . . . 70 3. Zwei Sichtweisen im Platonismus . . . . . 73 4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates: Platonismus und Christentum 77 4.1 Christliche Vorwürfe und die Sokratesfigur . . . . . . . . . . . . . 77 4.2 Platonische Reaktionen . . . . . . . . . 80 4.3 Sokrates als anti-christlicher Jesus . . . 82

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias): Sokratische Peitho und pagan-christliche Paideia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Gleichnis und Beispiel in den platonischen Dialogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das ‚Kind im Mann‘ . . . . . . . . . . . . . 3. Herkunft der Metapher im Phaidon . . . . 4. Rezeptionsphasen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwei Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Lukrez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Clemens Alexandrinus . . . . . . . . . 6. Sokrates und Weltzugewandtheit . . . . . .

86 89 92 98 105 106 110 120

Inhaltsverzeichnis

IX

IV. Sokrates, der Schreiber: Hellenistisches im Platonismus . . . . . . . 123 1. Sokrates als Schriftsteller? . . . . . . . . . . 2. Crebras coacervabo rationes (cons. 4, p.  2, 26) – Argumentationshäufung bei Boethius . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lukrez und additive Argumentation . . . 4. Sextus Empiricus . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sokrates als Therapeut . . . . . . . . . . . . 6. Rhetorische Tradition und sokratische Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Praeparatio philosophica bei Boethius und Simplikios . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

130 135 141 143 152 155 160

V. Sokrates als Leser: Interpretatio medicans als praktische Philosophie . . . . . . . . . . . 162 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Textauslegung als praktische Philosophie . Proklos: Aphorme und Anagoge . . . . . . Plutarch: Philologie und Aphorme . . . . . Sextus Empiricus: Die grammatische und die philosophische Aphorme . . . . . . . . Philodem: Aphorme und philosophische ­Leserkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . Lukrez: Die Pestschilderung im Rahmen der Aphorme-Methode . . . . Herkunft und Tradition der Aphormai . . Eigenes und Fremdes: Porphyrios’ Aphormai . . . . . . . . . . . . Simplikios: Interpretation als Therapie . .

162 165 170 173 175 181 184 188 191

X

Inhaltsverzeichnis

10. Aphorme und literarisches Spiel: Die Spuria im Corpus Platonicum . . . . . 193 11. Aphorme-Methode und ‚wahre Politik‘ . . 196

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung: Sokrates, der ‚wahre Politiker‘ 1. Einleitung Ἀλλ’ οὔτ’ ἀπολέσθαι τὰ κακὰ δυνατόν, ὦ Θεόδωρε – ὑπεναντίον γάρ τι τῷ ἀγαθῷ ἀεὶ εἶναι ἀνάγκη – οὔτ’ ἐν θεοῖς αὐτὰ ἱδρῦσθαι, τὴν δὲ θνητὴν φύσιν καὶ τόνδε τὸν τόπον περιπολεῖ ἐξ ἀνάγκης. διὸ καὶ πειρᾶσθαι χρὴ ἐνθένδε ἐκεῖσε φεύγειν ὅτι τάχιστα. φυγὴ δὲ ὁμοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν. „Das böse, o Theodoros, kann weder ausgerottet werden, denn es muss immer etwas dem guten entgegengesetztes ge­ ben, noch auch bei den Göttern seinen Sitz haben. Unter der sterblichen Natur aber, und in dieser Gegend zieht es umher jener Noth­wendigkeit gemäss. Deshalb muss man auch trach­ ten, von hier dorthin zu entfliehen aufs schleunigste. Der Weg dazu ist Verähnlichung mit Gott so weit als möglich.“1

Die ‚Flucht von hier nach dort‘ (ἐνθένδε ἐκεῖσε), von der Platons Sokrates im Theaitetos gegenüber Theodoros und dann auch an seinem letzten Tag im Gefängnis zu seinen Freunden und öfter in den Dialogen spricht, 2 jene Reise von hier nach dort, von der Welt des Werdens zu der der Ideen, wird oft als das signum platonischen Philosophierens bezeichnet.3 In Raphaels Schule von 1   Pl. Tht. 176a–b; Übersetzung: F. Schleiermacher, Platons Werke. Bd.  2,1, Berlin 31856, 174. 2   Vgl. Pl. Phd. 117c. 107e; Pl. Phdr. 250e; Pl. R. 529a; 619e. 3   Vgl. M. Erler, Platon, München 2006b, 143–145.

2

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

Athen4 ist es emblematisch geworden, wenn Platons Hand nach oben zum Jenseits – Aristoteles’ nach unten zur Realität weist. Sokrates’ Diktum ‚von hier nach dort‘ scheint in der Tat nahezulegen, dass die Lehre Platons eine Philosophie der Jenseitigkeit mit dem Ziel einer Angleichung an Gott,5 ihr Weg also eine Flucht aus die­ ser Welt ist, die als Hindernis empfunden wird. Denn der Mensch ist – wie es im Timaios eindrucksvoll heißt6 – ein Wesen, das seine ‚Wurzeln im Himmel hat‘. Weltzu­ gewandtheit und Verantwortung für die Welt scheinen da eine bestenfalls nur untergeordnete Rolle zu spielen. Es passt ins Bild, wenn sich Platons Protophilosoph ­Sokrates in den Dialogen als – angeblich – notorisch ­un­fähig erweist, mit den Dingen des täglichen Lebens angemessen umzugehen, sich z. B. um seine F ­ a­milie zu kümmern oder mit den politischen Institutionen seiner Polis Athen angemessenen Umgang zu pflegen.7 4   Vgl. M. Erler, Epikur in Raphaels Schule von Athen?, in: ders. (Hg.), Epikureismus in der späten Republik und der Kai­ serzeit. Akten der 2. Tagung Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 30. Sep­ tember–3.  Oktober 1998 in Würzburg, Stuttgart 2000, 273–294. 5   Vgl. Pl. Ti. 90a, c–e; Pl. R. 500c–d; Pl. Tht. 176b; H. Merki, Homoiosis Theo. Von der platonischen Angleichung an Gott zur Gott­ähnlichkeit bei Gregor von Nyssa, Freiburg 1952; J. A. Pass­ more, The Perfectibility of Man, London 1970. 6   Vgl. Pl. Ti. 90a; M. Erler, ‚Der Mensch, ein himmlisches Gewächs‘ (Tim. 90a). Naturbetrachtung als Seelentherapie bei Platon und im Hellenismus, Philia 2 (2005b), 5–11. 7   Vgl. Pl. Ap.  31d–e; vgl. die Kritik des Kallikles an Sokrates als Lehrer der Lebensuntüchtigkeit im Gorgias (485d), wo Sokrates ­seinerseits (Pl. Grg. 519a) über den sinnlosen Aktivismus norma­ ler Politiker klagt.

1. Einleitung

3

Wenn Platon im Theaitetos den anderen Protophiloso­ phen Thales komödienreif zum Gelächter der Magd, des personifizierten gesunden Menschenverstandes, in den Brunnen fallen lässt,8 unterstreicht er anscheinend das Bild vom lebensfremden Philosophen. Er reagiert damit auf eine populäre Auffassung vom Intellektuellen, wie sie z. B. Aristophanes in den Wolken zeichnet. In diesem Stück stilisierte Aristophanes die Figur des Sokrates zur Projektionsfläche für populäre Ressentiments und machte die Sokratesfigur zum Zerrspiegel zeitgenössi­ scher Vor­stellungen vom Unverständliches daherreden­ den, Un­nützes lehrenden und arroganten Prototypen dessen, was wir in der modernen Zeit seit der Drey­ fus-Affäre als Intellektuellen zu bezeichnen pflegen.9 Die weitere Geschichte des Platonismus, insbeson­ dere in der Kaiserzeit, wirkt wie eine Bestätigung des Ein­druckes, dass es sich beim Platonismus um eine Philosophie der Jenseitssehnsucht und der Weltflucht handelt. Praxisferne, mangelnde Weltverantwortung und Lebensuntüchtigkeit sind Vorwürfe, mit denen sich Platoniker noch in der Kaiserzeit insbesondere auch von Seiten der Christen immer wieder auseinan­ derzusetzen hatten.10 Gerne wurde den Platonikern von ihren Gegnern Beschränkung auf eine bloß dialek­   Vgl. Pl. Tht. 174a.   Vgl. B. Zimmermann, Sokrates oder der Intellektuelle als komisches Sujet, in: ders./W. von der Weppen (Hgg.), Sokrates, die Sophistik und die postmoderne Moderne, Tübingen 2008, 67–78. 10   Vgl. M. Erler, Platonismus, Reallexikon für Antike und Christentum 27 (2016b) 837–965. 8 9

4

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

tische Wahrheitssuche und Vernachlässigung des realen Lebens vorgeworfen. Dabei werde die Schwachheit der menschlichen Natur und die Not des Lebens zu wenig berücksichtigt.11 Wendeten sich Platoniker aber der Welt zu, so der Vorwurf, dann aus Anbiederung und Opportunismus, wenn sie z. B. einem populären Po­ lytheismus – wider besseres Wissen – das Wort redeten, denn aufgrund ihrer Lehre müssten sie konsequent und mit Grund einen Monotheismus vertreten.12 Gegenan­ griffe wie die des Platonikers Kelsos, der behauptete, dass nicht die Lehre Platons, sondern die der Christen das Leben ruiniere, konnten den Eindruck des Elitä­ ren, der dem Platonismus immer anhaftet und von ihm auch bisweilen regelrecht gepflegt wurde, nicht beseiti­ gen.13 Bis zu modernen Interpreten wirkt das Bild eines praxisfernen oder weltfernen Platonismus nach, nicht selten gestützt auf den Hinweis, dass Sokrates, In­ begriff lebenspraktischer Weltgewandtheit,14 im Plato­ nismus der Kaiserzeit keine wirkliche Rolle mehr spie­   Vgl. z. B. zu Origenes C. Markschies, Origenes und sein Erbe. Gesammelte Studien, Berlin 2007. 12   Vgl. z. B. die Auseinandersetzung des Augustinus mit Por­ phyrios in De civitate dei bei M. Erler, ‚Imitari potius quam inuocare‘ (ciu. 10, 26). Augustinus, Sokrates, Porphyrios und der pagane ­Polytheismus, in: C. Müller (Hg.), Kampf oder Dialog? Conflict/Dialogue? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei, Würzburg 2015c, 263–277. 13   Vgl. Orig. Cels. 1, 26 p.  78, 22 f.; vgl. dazu M. Frede, Celsus philosophus Platonicus, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 36.7 (1994) 5183–5213, bes. 5205; siehe Kapitel II dieses Bandes. 14   Vgl. Cic. Tusc. 5, 10. 11

1. Einleitung

5

le.15 Man glaubte sogar, von einem ‚Platonismus ohne Sokrates‘ sprechen zu können.16 Spätestens seit Plotin will man einen ‚Frontwechsel der Ethik‘ oder eine Ethik ‚for the world renouncing sage‘ im Platonismus ausmachen,17 die eher von egoistischen Motiven der Selbstrettung als von Fürsorge für den anderen und die Welt getragen sei. Freilich blieb die These eines Sokrates-freien Plato­ nismus nicht unwidersprochen. Beierwaltes wies als einer der ersten Philosophen darauf hin, dass das so­ kra­tisch-­dialogische Element als Denkstruktur ebenso 15   Vgl. M. Erler, Hilfe der Götter und Erkenntnis des Selbst. S­ okrates als Göttergeschenk bei Platon und den Platonikern, in: ders./T. Kobusch (Hgg.), Metaphysik und Religion. Zur Signa­ tur spätantiken Denkens. München/Leipzig 2002b, 387–414, bes. 389. 16   Vgl. W. Bröcker, Platonismus ohne Sokrates. Ein Vortrag über Plotin, Frankfurt am Main 1966; E. N. Tigerstedt, The Decline and Fall of the Neoplatonic Interpretation of Plato: An Outline and Some Observations, Helsinki 1974. 17   Vgl. R Harder, Plotin. Auswahl und Einleitung, Frank­ furt am Main/Hamburg 1958; J. M. Dillon, An Ethic for the Late Antique Sage, in: L. P. Gerson (Hg.), The Cambridge Com­ panion to Plotinus, Cambridge 1996, 315–335, 315–335; anders akzentuierend A. Smith, The Significance of Practical Ethics for Plotinus, in: J. J. Cleary (Hg.), Traditions of Platonism: Es­ says in Honour of John Dillon, Aldershot 1999, 227–236; L. P. Gerson, Platonic Ethics in Later Antiquity, in: R. Crisp (Hg.), The Oxford Handbook of the History of Ethics, Oxford 2013, 129–146; vgl. Tigerstedt 1974, 7: „What this Platonism entirely lacked was the Socratic, aporetic element in Plato for which these philosophers and theologians had no use.“ Auf Elemente der Kontinuität mit Hilfe der Sokratesfigur Platons und den späteren Neuplatonikern hinzuweisen versucht Erler 2002b, 387–414.

6

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

kenntlich bleibe wie die sokratische Aufforderung zur Selbsterkenntnis. Man zweifelte am bloß weltabge­ wandten Ego­ismus des plotinischen Weisen und man erinnert an Pas­sagen in spätantiken platonischen Tex­ ten auch Plotins, die durchaus Bereitschaft für Verant­ wortung in der Welt erkennen lassen.18 Plotin z. B. versteht die von Platon im Theaitetos an­ gesprochene Flucht aus der Welt19 keineswegs als bloße Aufforderung, das richtige Leben im Diesseits zu ver­ nachlässigen, sondern als Auftrag, sich auch in der Welt gerecht zu verhalten. Es gibt demnach Diesseitsver­ antwortung im Platonismus. Darauf hat besonders ­O’Meara hingewiesen und die These vertreten, dass es bei den Platonikern der Kaiserzeit eine politische Theo­ rie gegeben habe. 20 Zwar ist mit Recht infrage gestellt worden, ob die Platoniker der Kaiserzeit wirklich über ein theoretisches Konzept für Politik verfügten.21 Gleich­ 18   Vgl. W. Beierwaltes, Selbsterkenntnis als sokratischer Im­ puls im neuplatonischen Denken, in: H. Kessler (Hg.), Sokrates. Geschichte, Legende, Spiegelungen, Zug 1995, 97–116, der auf das sokratisch-dialogische‘ Element bei Plotin und den späteren Platonikern aufmerksam macht; vgl. auch Smith 1999, 227–236; ­Gerson 2013, 129–146; A. Schniewind, L’Ethique du Sage chez Plotin. Le Paradigme du Spoudaios, Vrin 2003; E. Song, Auf­ stieg und Abstieg der Seele. Die Sorge um andere, Göttingen 2009, 23–25; zur Diskussion Plotin ohne Sokrates vgl. Song 2009, 13–18. 19   Vgl. Pl. Tht. 176c. 20   Vgl. D. J. O’Meara, Platonopolis: Platonic Political Philo­ sophy in Late Antiquity, Oxford 2003. 21   Vgl. M. Perkams, Rezeption zu D. J. O’Meara, Platonopo­ lis: Platonic Political Philosophy in Late Antiquity, Jahrbuch für An­tike und Christentum 50 (2007), 234–237; M. Perkams, Eine

1. Einleitung

7

wohl eröffnet O’Mearas Hinweis auf die ‚politischen Komponenten‘ platonischer Philosophie Perspektiven für weitere Untersuchungen z. B. über die Bedeutung sozialer Verhaltenskonzepte im Kontext des Platonis­ mus. 22 Auch im Folgenden sei an diese Überlegungen ange­ knüpft und nach weiteren Spuren des Sokrates, d. h. nach Elementen praktischen Philosophierens im Plato­ nismus der Kaiserzeit, z. B. mit Blick auf das Prinzip der Freundschaft, gefragt. 23 Dabei soll freilich bei Pla­ neuplatonische politische Philosophie – gibt es sie bei Kaiser ­Julian?, in: C. Schäfer (Hg.), Kaiser Julian ‚Apostata‘ und die philosophische Reaktion gegen das Christentum, Berlin/New York 2008, 105–126. 22   Vgl. M. Schramm, Freundschaft im Neuplatonismus. Poli­ tisches Denken und Sozialphilosophie von Plotin bis Kaiser ­Julian, Berlin/New York 2013. 23   Es soll also weniger um die Suche nach der Person des Sokra­ tes im kaiserzeitlichen Platonismus gehen; vgl. z. B. Beiträge in D. R. Morrison (Hg.), The Cambridge Companion to Socrates, Cambridge 2011, darin z. B. A. A. Long, Socrates in Later Greek Phi­losophy, in: D. R. Morrison (Hg.), The Cambridge Compani­ on to Socrates, Cambridge 2011, 355–380; A. Stavru/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dialogue, Leiden 2018; K. Dö­ ring, Sokrates, in: H. Flashar (Hg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Bd.  2/1, Basel 1998, 160 ff.; T. M. Trapp (Hg.), Socrates from Antiquity to the Enlightenment, Aldershot 2007; Grundlegend die Zeugnis­ sammlung von G. Giannantoni (Hg.), Socratis et Socratico­ rum Reliquiae I–IV, Neapel 1990; D. A. Layne, Socrates Neo­ platonicus, in: R. Goulet (Hg.), Dictionnaire des philosophes antiques, Paris 2015, 417–438; H. Tarrant/D. A. Layne, The Neoplatonic Socrates, Philadelphia 2014; S. Rangos, Images of Socrates in Neoplatonism, in: V. Karamanis (Hg.), Socrates:

8

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

ton selbst begonnen und zunächst untersucht werden, was Platons Sokrates eigentlich unter ‚Politik‘ versteht. Es scheint nämlich wichtig, daran zu erinnern, dass ­Sokrates in Platons Dialogen eine Unterscheidung trifft zwischen einem tradi­tionellen Verständnis von Politik und dem, was er z. B. ‚wahre Politik‘ nennt. Dieses so­ kratische Konzept soll als Leitfaden für weitere Über­ legungen über sokratische Elemente im Platonismus der Kaiserzeit dienen. 24 Denn vor diesem Hintergrund wird wohl deutlicher, wie und warum Elemente sokratisch-praktischen Den­ kens in der Kaiserzeit wirksam bleiben. Unter dem Ge­ sichtspunkt der ‚wahren Politik‘ erweisen sich nämlich Jenseitssehnsucht und Weltverantwortung bei Platon und im Platonismus als Alternativen, die sich nicht aus­ schließen und die den wahren Platoniker auszeichnen.25 Zudem ist eine derartige Spurensuche mit Blick auf das 2400 Years since his Death, Delphi 2004, 464–480; D. A. Layne, Proclus on Socratic Ignorance, Knowledge, and Irony, in: A. Stav­ ru/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dialogue, Leiden 2018, 836–854; der Aspekt der ‚wahren‘ Politik für S­ okrates, der hier verfolgt werden soll, steht dabei nicht im Zentrum des In­ teresses. 24   Vgl. M. Erler, Platonische Dialoge im Kontext. Interpre­ tationen zu philosophi­schen, politischen und literarischen As­ pektens, in: B. Zimmermann/K. Stierle/B. Seidensticker (Hgg.), Paradeigmata. Bd. 47, Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2018d, 138– 156. 25  Vgl. dazu M. Erler, Weltverantwortung und Weltflucht bei Platon und im Platonismus, in: H.-G. Nesselrath/M. Rühl (Hgg.), Der Mensch zwischen Weltflucht und Weltverantwor­ tung. Lebens­modelle der paganen und der jüdisch-christlichen Antike, Tübingen 2014c, 31–45.

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

9

an Be­deutung gewinnende Christentum von Interesse, weil in diesem Kontext manches Element der ‚wahren Politik‘ des Sokrates und manche Akzentuierung im Platonismus der Kaiserzeit Profil gewinnt. Ich möchte deshalb zunächst einerseits an die sokra­ tisch-platonische Transformation des Politikbegriffes erinnern, also Sokrates als wahren Politiker vorstellen, und andererseits einige Gründe anführen, warum auch im ­kaiserzeitlichen Platonismus praktische Ethik und Hinwendung zu anderen Menschen Teil platonischen Philosophierens sind und bleiben. Dabei sollen das Höhengleichnis und die ursprüng­ liche Bedeutung von θεωρία ebenso diskutiert werden wie die Frage nach Egoismus und Weltverbesserung der ‚wahren Politik‘ des Sokrates. In den weiteren Kapiteln möchte ich mich auf Spu­ rensuche begeben: etwa bei der Frage nach einer – wie ich es nenne möchte – platonischen Gnadenlehre oder nach Methoden der ‚wahren Politik‘ im Umgang mit Menschen und Texten. Dabei möchte ich – soweit mei­ ne Kompetenz dies erlaubt – bisweilen auch den christ­ lichen Kontext im Blick behalten.

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘ Zunächst also zu Sokrates und zur Frage, was Platon denn unter ‚Zuwendung zur Welt‘ oder Weltverantwor­ tung eigentlich versteht26 und ob es ihm dabei wirklich  Vgl. M. Erler, Utopie und Realität. Epikureische Legiti­ mation von Herrschaftsformen, in: Th. Baier (Hg.), Die Legiti­ 26

10

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

um eine politische Theorie und Politik im traditionel­ len Sinn eines Umgangs mit Institutionen und Geset­ zen geht. Hier sind in der Tat Zweifel erlaubt. Platons Sokrates signalisiert nämlich, dass er bei Politik weni­ ger an politische Tätigkeit im modernen Sinne denkt, sondern dass er traditioneller Politik eher skeptisch, ja ablehnend gegenübersteht. Hierfür beruft er sich in der Apologie sogar auf eine göttliche Stimme: Τοῦτ’ ἔστιν ὅ μοι ἐναντιοῦται τὰ πολιτικὰ πράττειν, καὶ παγκάλως γέ μοι δοκεῖ ἐναντιοῦσθαι· εὖ γὰρ ἴστε, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, εἰ ἐγὼ πάλαι ἐπεχείρησα πράττειν τὰ πολιτικὰ πράγματα, πάλαι ἂν ἀπολώλη καὶ οὔτ’ ἂν ὑμᾶς ὠφελήκη οὐδὲν οὔτ’ ἂν ἐμαυτόν. „Sie [die göttliche Stimme] ist es, die sich mir widersetzt, ­politisch tätig zu sein, und mir scheint, es ist sehr gut, daß sie mich daran hindert. Denn wisset wohl, Bürger von Athen, wenn ich mich der Politik zugewandt hätte, dann wäre ich längst umgekommen und hätte weder euch noch mir ge­ nützt.“27

Wenn Sokrates betont, dass ‚dies weder euch noch mir genützt hätte‘, scheint er zu bestätigen, dass er sich wenig­stens im Sinne traditioneller Politik nicht für die Gemeinschaft engagieren möchte. Dieser Eindruck wird in den Dialogen bestärkt. 28 Sokrates klagt zudem darüber, dass Politiker die Stadt „ohne Besonnenheit mation der Einzelherrschaft im Kontext der Generationen­ thematik, Berlin/New York 2008d, 39–54. 27   Pl. Ap.  31d–e; Übersetzung E. Heitsch (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  I 2. Apologie des Sokrates, Göttingen 22004, 25. 28   Vgl. Pl. Grg. 519a.

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

11

und Gerechtigkeit [...] mit Häfen und Werften und Mauern und Zöllen und derartigem Quatsch [angefüllt haben].“29 Mit politischen Einrichtungen oder Gerichten kennt er sich nach eigenen Worten nicht aus, was jenem Bild entspricht, das Platon vom idealen Philosophen im Theaitetos entwirft.30 Denn dort behauptet Sokrates, dass ein solcher Philosoph Gelächter errege, wenn er mit jemandem Geschäfte treiben oder auch in öffent­ lichen Angelegenheiten tätig sein wolle. Denn er sei nicht vertraut mit politischen Institutionen, kenne nicht einmal den Weg auf die Agora.31 Traditionelle und durchaus hochverdiente Politiker wie Perikles erachtet Sokrates eher für gering und möchte mit Freunden im Stillen wirken.32 Man fühlt sich an Epikurs berühmte These erinnert, wonach der Philosoph verborgen leben und sich nicht politisch betätigen soll. In der Tat lassen sich hier Parallelen erkennen, gerade daran, dass in bei­ den Fällen offenbar kein Rückzug aus der Öffentlich­ keit, sondern ein anderes Verständnis von Politik ge­ meint ist,33 denn in der Tat wird man als Platonleser verwundert sein. Ein Blick in die Dialoge lehrt doch, dass Sokrates keineswegs ein weltabgewandtes Leben führt. Die Dialoge zeigen vielmehr, dass Sokrates ­seinen Tag zumeist in der Öffentlichkeit verbrachte. 29  Übersetzung J. Dalfen (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommen­tar. Bd.  V I 3. Gorgias, Göttingen 2004, 93. 30   Vgl. Pl. Tht. 174c. 31   Vgl. Pl. Tht. 173c. 32   Vgl. Pl. Tht. 173; 174c; Pl. Grg. 502d–503d. 33  Vgl. Erler 2008d, 39–54.

12

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

Offenbar kennt er den Weg auf die Agora durchaus, nur versteht er unter ‚Agora‘ weniger einen zentralen Platz politischer Versammlungen als vielmehr eine Mög­lichkeit, sich mit Menschen zu treffen und zu spre­ chen. Aus der Apologie ergibt sich, dass Sokrates in der Tat Zeit auf der Agora mit Einzelgesprächen eher priva­ ter Art verbringt, indem er z. B. bestimmte Mitbürger mit Fragen über den Sinn, Recht­fertigung und Grund ihrer jeweiligen Tätigkeit prüft und sie irritiert, weil er ihnen ihr Unwissen vor Augen führt.34 So trifft er z. B. Eu­thyphron vor dem Haus des Archon Basileus, an­ deren begegnet er auf anderen öffentlichen Wegen und Straßen. Die dabei geführten Unterhaltungen erachtet ­Sokrates als Zuwendung oder Fürsorge für den jeweili­ gen Partner und erkennt in seiner Tätigkeit sogar einen gött­lichen Auftrag, bezeichnet sich als gottgesandt und seine Tätigkeit als Gottesdienst.35 Doch hat das in ­seinen Augen offenbar nichts mit Politik im traditionel­ len Verständnis zu tun, sondern mit einer anderen Art von Fürsorge und Nutzen für die Mitmenschen. Die Ab­sage des Sokrates an traditionelles politisches En­ gagement ist zu sehen im Kontext der zeitgenössischen ­Auseinandersetzung über den Nutzen von – politischer – Vielgeschäftigkeit (πολυπραγμοσύνη) und deren Ab­ lehnung, wie sie z. B. in Aristophanes’ Vögeln themati­ 34   Vgl. Pl. Ap.  21b–22e; M. Erler, Vom admirativen zum irri­ tierten Staunen. Philosophie, Rhetorik und Verunsicherung in Platons Dia­logen, in: R. Früh u. a. (Hgg.), Irritationen. Rhetori­ sche und p ­ oetische Verfahren der Verunsicherung, Berlin/New York 2015b, 109–123. 35   Vgl. Pl. Ap.  23b–c; 30a; 31a; Erler 2002b, 387–414, bes. 402.

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

13

siert wird.36 Platon reagiert darauf im Theaitetos mit einem Plädoyer der Entschleunigung, aber auch durch das Bild, das er vom sokratischen ‚Politiker‘ zeichnet, der gerade nicht in praktische, institutionalisierte Po­ litik involviert ist, sondern sich um seine Mitbürger ‚seelsorgerisch‘ kümmert.37 Wahrer Nutzen – so Sokra­ tes – liegt demnach nicht in der Beherrschung von ­Institutionen oder dem Bau von Mauern, wie dies po­ litisch korrektes Engagement behauptet, sondern in der Pflege, Heilung und Leitung der Seelen der Mit­ bürger, kurz: in der Anleitung zur Befähigung, mit die­ sen Institutionen richtig umzugehen. 2.1 Das Höhlengleichnis Diesen Nutzen illustrieren die Dialoge und diesen Nut­ zen lässt Platon seinen Sokrates im Höhlengleichnis er­ läutern, das zumeist für platonische Jenseitssehnsucht und Weltflucht herangezogen wird. Doch ist es ebenfalls zentral auch für den Aspekt sokratisch-platonischer Weltverantwortung, insofern es hierfür Legitimation und Erläuterung bietet und geradezu als Eigenkommen­ tar Platons38 zu den Darstellungen der Weltzuwendung   Vgl. z. B. die Meton-Szene in Aristophanes’ Vögeln. Zur Viel­ geschäftigkeit in der Intellektuellenkritik der Zeit vgl. B. Zim­ mermann, Aristophanes und die Intellektuellen, Entretiens sur l’Antiquité Classique 38 (1993) 255–280 (Diskussion 281–286). 37   Vgl. Sokrates als einer, der sich Vielgeschäftigkeit verwei­ gert bei Pl. Tht. 172c–174a. 38  Zum Höhlengleichnis vgl. Pl. R. 514a–521b; 539d–541b; M. Erler, Platon, in: H. Flashar (Hg.), Grundriss der Geschich­ te der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig 36

14

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

in den Dialogen, insbesondere den aporetischen, gelesen werden kann. Das Höhlengleichnis, das Sokrates an zentraler Stelle in der Politeia bietet, schildert die Men­ schen im Zustand der Ferne vom Ursprung allen Wis­ sens. Die Menschen sitzen gefesselt in einer Höhle und sehen bewegte Schatten an der Wand vor sich. Da sie we­ gen der Fesseln den Kopf nicht drehen können, halten die Höhlenmenschen die Schattenbilder für Wirklich­ keit, diskutieren die Art ihrer Bewegung und schreiben den Schatten auch Stimmen zu. Um sich von der Illusion zu befreien und die Wirklichkeit kennen zu lernen, muss man die Höhlenmenschen von den Fesseln lösen, ihren Nacken umdrehen und sie zwingen, gegen das Licht zu sehen. Dann ist der mühsame Aufstieg ins Freie bis an das Licht der Sonne möglich. Wie nun kommt die Umkehr in der Höhle zustande? Aus dem Höhlengleichnis geht hervor, dass ein Impuls von außen unabdingbar ist. Bei der Loslösung von der Fessel handelt es sich demnach um einen Vorgang, den die Gefesselten nicht von sich aus durchführen, son­ dern der nur unter Zwang und Schmerzen mit Hilfe von außen und gegen den Willen des Gefesselten voll­ zogen werden muss.39 Was nun ist mit diesem Zwang, dieser Anklage gemeint? Auch hierüber macht das Höhlengleichnis eine Andeutung. Die Umwendung des ganzen Menschen, die Hilfe von außen, geht dem­ neu bearbeitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike. Bd.  2/2, Basel 2007, 401 f.; Th.A. Szlezák, Das Höhlengleichnis (Buch VII 514a–521b und 539d–541b), in: O. Höffe (Hg.), Platon, Poli­ teia, Berlin 1997, 205–228. 39   Vgl. Pl. R. 515c–d.

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

15

nach von einer nicht näher spezifizierten Person (τις) aus, welche die Gefesselten mit Frage und Antwort in Aporien führt, sie durch derartige Irritation von ihrer Illusion zu befreien versucht und dies unter Lebens­ gefahr tut, wie es heißt. Die Stichworte, die in diesem Zusammenhang fallen – Frage und Antwort, Aporie, Lebensgefahr – machen klar: Notwendig als Hilfe und Lehrer ist kein anderer als Sokrates.40 Denn der Zwang, den es für die Befreiung von Illusion braucht, besteht in der Tat in jener Art des Fragens und Antwortens, die für Sokrates typisch ist. Zwang meint hier also die An­ wendung der elenktischen Untersuchungsmethode des Sokrates und nicht etwa physische Gewaltanwendung. Es geht um den Zwang, der von stringenter Argumen­ tation ausgeht.41 Mit der Lebensgefahr für denjenigen, der bei der Umwendung hilft, antizipiert Sokrates als Erzähler schon im 5.  Jh. – der dramatischen Zeit der ­Erzählung –, was Platon als Autor wie jeder Leser der Politeia im 4.  Jh. wusste: Diese Lebensgefahr für den unbekannten Helfer (τις) ist für Sokrates, den Seel­ sorger, im Jahr 399 v. Chr. mit dem Justizmord real ge­ worden. Die Dialogfigur ­Sokrates antizipiert hier ihr eigenes Schicksal. Sie ist so­mit das erste Beispiel für tra­ gische Ironie in einer Prosaschrift.42 Zudem handelt es   Vgl. Pl. R. 515d.  Vgl. M. Erler, Paideia, Peitho und Bia, in: C. Mayer/ G. För­­ster (Hgg.), Augustinus – Recht und Gewalt. Beiträge des V. Würzburger Augustinus-Studientages am 15./16. Juni 2007, Würzburg 2010, 13–28, zu Sokrates 23 ff. 42  Vgl. D. Clay, Platonic Questions: Dialogues with the Silent Philosopher, University Park (Pennsylvania) 2000, 70. 40 41

16

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

sich um eine Art Eigenkommentar Platons zu dem in den Dialogen geschilderten πρᾶγμα des Sokrates, seiner Seelsorge. 2.2 Sokrates’ ‚wahre Politik‘ Während das Höhlengleichnis demonstriert, dass und wie der Philosoph sich im Diesseits um die Mitmen­ schen kümmern muss, verdeutlicht der Dialog Gorgias, dass Platon respektive Sokrates in dieser Zuwendung nicht nur eine andere, sondern die wahre Art von Poli­ tik sehen – eine Politik, die es eben nicht mit Institutio­ nen zu tun hat, sondern der es um jene Personen geht, die von Institutionen Gebrauch machen wollen.43 Im Gorgias diskutiert Sokrates mit Kallikles die Vor- und Nachteile des philosophischen Lebens, das Sokrates re­ präsentiert,44 und des traditionellen politischen Lebens, dem es allein um die Durchsetzung eigener Interessen geht und für das Kallikles steht. Die traditionelle Auf­ fassung von Politik konfrontiert Sokrates mit einer philosophischen Lebensweise, welche die Seele des Handelnden ins Zentrum rückt. Dieser neuen Lebens­ weise liegt die Umkehr des Menschen sowie die Resti­ tution der Ordnung in der Seele und in der Gemein­ schaft als Quelle für Gerechtigkeit und damit für individuelles und staatliches Glück am Herzen. Als ei­ nen Repräsentanten jener neuen Art von Politik stellt sich im Gorgias Sokrates selbst vor:  Vgl. Erler 2008d.   Vgl. Pl. Grg. 485eff.

43

44

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

17

Οἶμαι μετ’ ὀλίγων Ἀθηναίων, ἵνα μὴ εἴπω μόνος, ἐπιχειρεῖν τῇ ὡς ἀληθῶς πολιτικῇ τέχνῃ καὶ πράττειν τὰ πολιτικὰ μόνος τῶν νῦν. „Ich glaube, dass ich als einer von wenigen Athenern, um nicht zu sagen als Einziger die wahre politische Kunst anpacke und dass ich als Einziger von allen Zeitgenossen Politik treibe.“45

Sokrates, der wahre Politiker, sein philosophisches πρᾶγμα als wahre Politik: Dem wahren Politiker geht es also nicht um Macht und Institutionen, sondern dar­ um, bei den Menschen Voraussetzungen zu schaffen, mit Macht, I­ nstitutionen und anderen Menschen rich­ tig umzugehen. Voraussetzung aber ist eben Ordnung in der Seele als Grundlage für Ordnung im Staat. Es ist kein Zufall, dass Sokrates in der Politeia viel über die menschliche Seele zu sagen hat und viel weniger über Gesetze und beinahe nichts über staatliche Institutio­ nen. Obgleich es in Kallipolis Gesetze gibt, stehen d ­ iese zumeist für ungeschriebene Gesetze, die vom Philoso­ phenkönig überwacht werden sollen.46 Sokrates erach­ tet in der Politeia Gesetze als zwar hilfreich, aber un­ flexibel und daher als seine zweitbeste Lösung.47 Erst in Magnesia, der zweitbesten Option eines Staates, den Platon in den Nomoi beschreibt, spielen geschriebene Gesetze eine zentrale Rolle.

  Pl. Grg. 521d; Übersetzung Dalfen 2004, 96.   Vgl. Pl. R. 425c–d; Pl. Plt. 271e. 47   Zum Verhältnis von Kallipolis und Magnesia vgl. H. Görge­ manns, Beiträge zur Interpretation von Platons Nomoi, Mün­ chen 1960; A. Laks, Plato’s ‚truest tragedy‘: Laws Book 7, 817a–d, in: C. Bobonich (Hg.), Plato’s Laws: A Critical Guide, 217–231. 45

46

18

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

Sokrates’ Auffassung von einer Seelentherapie als der eigentlichen und wahren Politik wie diejenige, welche der Gorgias vorstellt und die Politeia illustriert, hat nicht nur auf Kallikles paradox gewirkt. Auch moderne Interpreten empfinden Sokrates’ Anspruch, der wahre Politiker zu sein, weil er sich um die Seelen der Mitbür­ ger kümmere, als merkwürdig und weltfremd. Freilich ist Sokrates’ Anspruch, wahre Politik habe sich nicht um Institutionen, sondern um Personen und deren See­ le zu kümmern, mit Blick auf das antike Polisverständ­ nis in besonderer Weise angemessen. Denn dieses meint ja gerade nicht die institutionelle Organisation eines Territoriums, sondern einen Personenverband:48 „Wir sind die Polis“, ruft Nikias in Sizilien seinen Soldaten und Mitbürgern zu – nicht, „wir sind ein Volk.“49 Deshalb ist es konsequent, wenn Sokrates als ‚wahre Politik‘ bezeichnet, was nicht auf Institutionen, son­ dern auf die Menschen, konkret auf die Seele als das wahre Selbst des Menschen, zielt. Und deshalb ist es sinnvoll, wenn er sein philosophisches πρᾶγμα, seine ‚Sorge für die Seele‘ (ἐπιμέλεια τῆς ψυχῆς), als wahre Politik bezeichnet. Sokrates’ Auffassung von wahrer Politik als Seelenpflege und besondere Art von Weltzu­ gewandtheit und Welt­verantwortung ist demnach aus platonisch-sokratischer Sicht konsequent. Und konse­ quent ist auch, dass Platon in diesem Zusammenhang Konzepte oder Begriffe aus dem traditionellen politi­ 48   Vgl. Pl. Lg. 829b; Arist. Pol. 1274b41; E. Schütrumpf (Hg.), Aristoteles, Politik. Buch 1, Darmstadt 1991, 76–102. 49   Vgl. Th. 7, 77, 7; N. Blössner, Dialogform und Argument. Studien zu Platons Politeia, Stuttgart 1997, 189 ff.

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

19

schen Leben transformiert und in das philosophische Konzept der ‚wahren Politik‘ integriert. Erinnert sei hier nur an traditionelle Elemente des politischen Le­ bens wie Rhetorik, Scham (αἰδώς), Wohlwollen (εὔνοια),50 Strafe oder Homologie im Sinne einer rechtlichen Ab­ sprache, die im Kontext der sokratischen Dialektik eine so wichtige Rolle spielen und vornehmlich im Dialog Gorgias diskutiert werden.51 Alle diese Begriffe stammen aus einem realpoliti­ schen Kontext, werden von Platon transformiert und in die sokratisch-platonische ‚wahre Politik‘ integriert, d. h. sie werden Element des platonischen philosophi­ schen Diskurses. Dabei wird z. B. Rhetorik aus einer Kunst der Verteidigung zu einer Kunst therapeutischer Anklage und Seelenreinigung,52 für die Sokrates’ ankla­ gende Verteidigungsrede vor den unwissenden Rich­ tern in der Apologie ein eindrucksvolles Zeugnis ist – insofern sie keine Verteidigung erstrebt, sondern seine Ankläger vom Unwissen über ihr Tun befreien und sie besser machen will.

 Vgl. R. Geiger, Dialektische Tugenden. Untersuchungen zur Gesprächsform in den Platonischen Dialogen, Paderborn 2006, bes. 108 ff. 51   Vgl. T. Kobusch, Wie man leben soll: Gorgias, in: ders./ B. Mojsisch (Hgg.), Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuer For­ schungen, Darmstadt 1996, 47–63, 47–63. 52   Vgl. Prot. 324a; und dazu B. Manuwald (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  V I 2. Protagoras, Göttingen 1999; M. Erler, Platon und seine Rhetorik, in: ders./Ch. Tornau (Hgg.), Handbuch Antike Rhetorik, Berlin/Boston 2019, 315– 337. 50

20

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

Eine solche Transformation und Integration politi­ scher Konzepte in die sokratisch-platonische ‚wahre Politik‘ beobachten wir auch sonst bei Platon. So wird bei ihm aus dem für die Athener Demokratie zentralen Begriff der ‚freien Rede‘ (Parrhesie),53 die Grundlage dialektisch-­elenktischer Auseinandersetzung. Denn nur wer sagt, was er denkt, kann im Elenchos von Illusion befreit werden. Freilich tritt hier der Aspekt der Adres­ satenorientierung hinzu.54 Dies gilt auch für ein anderes Markenzeichen sokra­ tischen Philosophierens in den Dialogen, seine Eiro­ neia. Wie schon Aristoteles, Proklos und noch Ficino sahen, wird bei Sokrates aus einer von vielen Partnern in den D ­ ialogen (Thrasymachos) gescholtenen, angeblich betrügerischen Verstellung eine adressatenorientierte Form der Kommunikation, die signalisiert, dass der Partner als für Philosophie wenig geeignet ange­sehen wird.55 Selbst so wichtige Elemente sokratischer Sorge für die Seele wie der Elenchos und die Homologie ent­ leiht Platons Sokrates dem Bereich realer Politik und transformiert sie zu Hilfsmitteln, seinen Mitbürgern   Vgl. Pl. Grg. 487a; und dazu M. Erler, Parrhesie und Iro­ nie. ­Platons Sokrates und die epikureische Tradition, in: R. Glei (Hg.), Ironie. Griechische und lateinische Fallstudien, Trier 2009d, 59–75. 54  Vgl. Erler 2009d, 59–75. 55  Zur Adressatenbezogenheit von Parrhesie und Ironie bei Platons Sokrates vgl. M. Erler, Das Sokratesbild in Ficinos ar­ gumenta zu den kleineren Platonischen Dialogen, in: A. Neschke-­ Hentschke (Hg.), Argumenta in Dialogos Platonis Teil  1. Platon­ interpretation und ihre Hermeneutik von der Antike bis zum Beginn des 19.  Jahrhunderts, Basel 2010, 247–265. 53

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

21

Gerechtigkeit und Besonnenheit in ihre Seele zu pflan­ zen, Ungerechtigkeit hingegen zu entfernen.56 Sie wer­ den dadurch zu Merkmalen dessen, was Platon unter der eigentlichen politischen Kunst versteht und was er für sich reklamiert,57 obwohl er nach ­eigenem Bekunden nicht einmal eine richtige politische Abstimmung durchführen kann.58 Sokrates’ Rezeption und Trans­ formation politischer Begriffe und Konzepte zeigt, dass sich Sokrates in der Tat als Politiker versteht, dies aber in einem besonderen Sinn einer Seelsorge für ­seine Mit­ bürger. Sokrates’ ‚wahre Politik‘ impliziert Weltverant­ wortung und Weltzugewandtheit. Dieses transformier­ te Verständnis von Politik ist zu berücksichtigen, will man in Platons Akademie eine Schmiede künftiger Po­ litiker sehen.59 Kaum ging es Platon um die Ausbildung von Realpolitikern, sondern um die Fähigkeit, im Sinn seiner Philosophie ‚politisch‘ wirksam zu werden, d. h. die Disposition der Bürger und ihrer Seele, die von Pla­ ton bezeichnenderweise ebenfalls als Politeia bezeich­ net wird,60 als Grundlage ihrer Machtausübung und ihres Verhaltens in eine Ordnung zu bringen.

  Vgl. Pl. Grg. 504d–e.   Vgl. Pl. Grg. 521d. 58   Vgl. Pl. Grg. 473e; 512d. 59   K. Trampedach, Platon, die Akademie und die zeitgenös­ sische Politik, Stuttgart 1994, 166–169. 60   Vgl. Pl. R. 579c. 56 57

22

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

2.3 Sokrates als Beobachter (θεωρός) Sokrates also als wahrer Politiker, sein philosophisches πρᾶγμα als Ausdruck wirklicher Weltverantwortung: Natürlich stellt sich die Frage, warum Sokrates als Phi­ losoph überhaupt eine Verpflichtung für die Welt sieht, warum er sich nicht ganz der Flucht aus der hiesigen Welt widmen sollte.61 Warum soll ein Philosoph wie Sokrates nach der Schau (θέα) der Sonne und damit des Guten wieder in die Höhle hinabsteigen, um den Men­ schen an seiner Erkenntnis Anteil zu geben, d. h. also ‚wahre Politik‘ zu prakti­zieren?62 Wir hören im Höhlengleichnis ja, dass Philosophen ­ungern von der Sicht zurückkehren und Verantwor­ tung übernehmen.63 Auch hier ist es hilfreich zu beach­ ten, dass Platon das Problem mit der Transformation eines Begriffes aus der zeitgenössischen Realpolitik be­ schreibt und dabei gleichzeitig eine Antwort andeutet. Indem er nämlich den Menschen im Höhlengleichnis und zur Schau – θέα – aus der Höhle hinauf- und aus ihr hinausgehen lässt, ihn dann aber nötigt, wieder abzu­ steigen, um das Gesehene zu kommunizieren, evoziert er beim zeitgenössischen Leser eine besondere realpo­ litische Institution, die sogenannte θεωρία.64 Gemeint   Vgl. dazu Song 2009, 23–25.   Vgl. Pl. R. 519c–520a. 63   Vgl. Pl. R. 517b; 519c–520a; 525a–c. 64  Vgl. Erler 2014c, 31–45; P. Boyancé, Le Culte des Muses chez les Philosophes Grecs. Études d’Histoire et de Psychologie Reli­gieuses, Paris 1937, 326f.; A. W. Nightingale, Spectacles of Truth in Classical Greek Philosophy: Theoria in its Cultural Context, Cambridge 2004, 98. 61

62

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

23

ist jenes politische Amt, das ein Mitglied einer Polis­ gemeinschaft auf sich nimmt, wenn es sich im Auftrag dieser Polis – als θεωρός – auf Reisen in eine Region außerhalb der eigenen Polis begibt, um dort Augenzeu­ ge – θεωρία / θέα – z. B. bei einem religiösen Fest zu sein oder etwas anderes kennenzulernen. Platon selbst be­ richtet von dieser Institution im 12. Buch der Nomoi.65 Zentral für den θεωρός ist, dass er nicht nur ausgesandt wird, sondern dass er nach der θεωρία in die eigene ­Polis heimkehren und Bericht erstatten, d. h. seine Er­ kenntnisse kommunizieren muss.66 Weggang und not­ wendige Rückkehr sind also wesentliche Ingredienzien des tradi­tionellen θεωρός-Amtes. Eben diese politische Institution der θεωρία legt Platon zugrunde, wenn er zu jener Pilgerreise aus der Höhle auffordert, die zur θέα der Sonne und damit zu Erkenntnis führen soll, aber mit der Erwartung verbunden ist, zurückzukehren und die Erkenntnisse zu verkünden: Der τις – d. h. So­ krates – des Höhlengleichnisses steht also für einen philosophischen θεωρός.67 Damit soll dem zeitgenössi­ schen Leser plausibel gemacht werden, warum der Phi­ losoph nicht zu eigenem Nutzen und zur eigenen Freu­ de ganz egoistisch bei der Sonne bleiben darf, sondern zurückkehren und berichten muss – zum Nutzen der Gemeinschaft. Platon ist es also ernst mit dem Postulat der Weltzugewandtheit – er klärt dies unter Hinweis auf ein politisches Amt: Auch dem angeblich welt­ gewandten Platoniker Plotin war dies klar, wenn er un­   Vgl. Pl. Lg. 951b.   Vgl. Pl. Lg. 951b–952b. 67   Vgl. Pl. R. 514a–517. 65

66

24

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

ter Bezug auf das Höhlengleichnis ebenfalls postuliert, dass der Mensch, der Kenntnis und Tugend erlangt hat, sich dann um die anderen kümmern, also Weltverant­ wortung übernehmen muss: [...] κἀκείνῳ συγγενόμενον καὶ ἱκανῶς οἷον ὁμιλήσαντα ἥκειν ἀγγέλλοντα, εἰ δύναιτο, καὶ ἄλλῳ τὴν ἐκεῖ συνουσίαν· οἵαν ἴσως καὶ Μίνως ποιούμενος ὀαριστὴς τοῦ Διὸς ἐφημίσθη εἶναι, ἧς μεμνημένος εἴδωλα αὐτῆς τοὺς νόμους ἐτίθει τῇ τοῦ θείου ἐπαφῇ εἰς νόμων πληρούμενος θέσιν. Ἢ καὶ τὰ πολιτικὰ οὐκ ἄξια αὐτοῦ νομίσας ἀεὶ ἐθέλει μένειν ἄνω. „[...] und ist man so mit Jenem vereint und hat genug gleich­ sam Umgang mit ihm gepflogen, so möge man wiederkehren und wenn mans vermag auch andern von der Vereinigung mit Jenem Kunde geben; in solcher Vereinigung stand vielleicht auch ­Minos, weshalb er in der Sage als ‚des Zeus vertrauter Genosse‘ galt, und dieser Gemeinschaft gedenkend gab er als ihr Abbild seine Gesetze, durch die Berührung des Göttli­ chen befruchtet zur Gesetzgebung; oder man möge, hält man das Politische seiner nicht für würdig, oben verweilen.“68

Nicht nur diese Stelle69 zeigt, dass Plotins jenseitsorien­ tierte Philosophie auch diesseitige, praktische, d. h. so­ kratische Aspekte hat, die nicht zuletzt bei seiner Aus­ einandersetzung mit der Gnostik kenntlich werden.70   Plot. VI 9 (9) 7; Übersetzung R. Harder u. a. (Hgg.), Plo­ tins Schriften. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen. Bd.  1, Hamburg 1956, 193. 69   Dazu vgl. Schniewind 2003, 13; Song 2009, 30–32; 95–107; 129–140; vgl. auch J. Omtzigt, Die Beziehung zwischen dem Schönen und dem Guten in der Philosophie Plotins, Göttingen 2012, 35 (mit Blick vor allem auf Plotin). 70   Vgl. Plot. II 9 (33) gegen die Gnostiker, vgl. bes. Plot. II 9 (33) 6, 55–57; II 9 (33), 6, 38–41; dazu vgl. K. Alt, Philosophie 68

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

25

Denn dieser wirft er Weltabgewandtheit vor. Ihre Welt­ verneinung verunstalte Platons positive Weltsicht und führe zu bloßem Hedonismus und zu Egoismus, wie Plotin an anderer Stelle kritisiert: [...] πάντας νόμους τοὺς ἐνταῦθα ἀτιμάσας καὶ τὴν ἀρετὴν τὴν ἐκ παντὸς τοῦ χρόνου ἀνηυρημένην τό τε σωφρονεῖν τοῦτο ἐν γέλωτι θέμενος. [...] Ὥστε αὐτοῖς καταλείπεσθαι τὴν ἡδονὴν καὶ τὸ περὶ αὐτοὺς καὶ τὸ οὐ κοινὸν πρὸς ἄλλους ἀνθρώπους καὶ τὸ τῆς χρείας μόνον. „[Die gnostische Lehre] achtet alle hier gültigen Gesetze ge­ ring und zieht die Tugend, wie sie seit Beginn aller Zeit offen zutage liegt, und die hiesige Besonnenheit ins Lächerliche [...] sodass für sie also nur die Lust übrig bleibt und nur das, was sich auf sie selbst bezieht, was nicht mit anderen Menschen gemeinsam ist und was ausschließlich mit dem eigenen Be­ darf zu tun hat.“71

Es sei dahingestellt, ob diese Kritik an der Gnostik wirklich fair ist.72 Jedenfalls plädiert Plotin für den Nutzen der Tugendlehre, die gemeinsam mit Übung zur Erkenntnis der Wahrheit und der Schau Gottes führen kann.73 Diesem Plädoyer für praktische Philo­ sophie und eine prak­tische sokratische Sichtweise des Platonismus bei Plotin entsprechen auch Nachrichten über das Leben, das Plotin z. B. in Rom geführt hat. gegen Gnosis. Plotins Polemik in seiner Schrift II 9, Stuttgart 1990, 11; sie weist darauf hin, dass moderne Kritik Plotin gerade das vorwirft (Vernachlässigung praktischer Philosophie im Diesseits), was dieser den Gnostikern vorwirft. 71   Plot. II 9 (33) 15, 10–22; Übersetzung Ch. Tornau (Hg.), Plotin. Ausgewählte Schriften, Stuttgart 2001, 233. 72  Vgl. Song 2009, 12 f. 73   Vgl. Plot. II 9 (33) 18, 34–35.

26

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

Wie nämlich Porphyrios in der Vita Plotini74 berichtet, war Plotins Haus in Rom immer von Gästen und jun­ gen Leuten frequentiert, für die er Fürsorge übernom­ men hatte. Wir hören, dass seine Schule offen war für Hörer und Hörerinnen unterschiedlicher Herkunft. Zudem hören wir, dass Plotin auch praktisch ‚politisch‘ als Schlichter tätig war. Schließlich darf an sein Projekt einer ‚Platonopolis‘ erinnert werden, in der alle nach den Gesetzen Platons75 leben sollen. Die theoretische Zurückhaltung gegenüber einem Engagement für die Allgemeinheit, verschiedene Aussagen und reales Ver­ halten erinnern in vielem an gleiche Beobachtungen, die man hinsichtlich der vieldiskutierten Maxime Epi­ kurs – ‚Lebe im Verborgenen‘ – machen kann.76 Auch ist zu bezweifeln, ob damit ein völliger Rückzug von öffentlichem Engagement gemeint ist. Auch hier jeden­ falls scheint sich die D ­ iskrepanz zu lösen, wenn man unter ‚praktisch und politisch‘ die sokratische ‚wahre Politik‘ versteht.77   Vgl. Porph. Plot. 7–9.   Es lässt sich allerdings nicht genau sagen, ob Plotin Platons ­Nomoi vor Augen hatte oder eher Gesetze des Idealstaats in der Politeia meint. Zu dieser Frage vgl. J. Halfwassen, Plotin und der Neuplatonismus, München 2004, 25; O’Meara 2003, 16. 76   Vgl. Epicur. fr. 551; dazu G. Roskam, Live Unnoticed: On the Vicissitudes of an Epicurean Doctrine, Leiden 2007; U. Ber­ ner u. a. (Hgg.), Plutarch. Ist ‚Lebe im Verborgenen‘ eine gute Lebensregel?, Darmstadt 2000. 77  Vgl. Erler 2018d. Man kann Plotins Haltung ambivalent nennen und mit Song 2009, 14 auf das schöne Bild der zwei Weltbewohner Plot. II 9 (33) 18, 4–14 verweisen. Zum Doppel­ aspekt vgl. K. Alt, Weltflucht und Weltbejahung. Zur Frage des Dualismus bei Plutarch, Numenios, Plotin, Mainz 1993. 74

75

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

27

Jedenfalls sollte deutlich werden, dass für den bedeu­ tendsten Platoniker der Kaiserzeit die erstrebte Flucht von ‚hier nach da‘ als Teil jener platonischen Theoria (θεωρία) zu verstehen ist, die im Menschen einen ‚aus­ gesandten Betrachter‘ (θεωρός) sieht, der nach Erkennt­ nis strebt, aber gerade in dieser Funktion andere an ­deren Ergebnissen teilhaben lassen muss. Dieses trans­ formierte politische Theoria-Konzept verdeutlicht, dass Jenseitsstreben mit Weltzugewandtheit in Form einer Kommu­nikation von erlangtem Wissen verbun­ den sein muss und integraler Bestandteil der plato­ nischen Philosophie ist. Jenseitssehnsucht und Welt­ verantwortung schließen sich nicht aus, sondern sie gehören zusammen. Mit Blick auf das Konzept der so­ kratischen ‚wahren Politik‘ widerspricht eine Trennung der beiden Komponenten und eine Fokussierung auf Jenseitsorientierung platonischem Denken. Sowohl bei Platon wie auch im späteren Platonismus stellen Aufund Abstieg, Welt- und Jenseitszugewandtheit zwei Sichtweisen eines philosophischen πρᾶγμα dar. Dies re­ lativiert sich freilich, wenn sich durch das Ver­trauen, aus eigener Kraft in die Stadt Gottes gelangen zu kön­ nen, die Akzente verschieben und Sokrates’ ‚wahre Po­ litik‘ als Hinwendung zur Welt nicht länger relevant scheint.78

  Dazu und zu platonischer Gnadenlehre unter Rekurs auf Sokra­tes vgl. Kapitel III dieses Bandes. 78

28

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

2.4 Das Gute als diffusivum sui Die Transformation des politischen θεωρία-Konzeptes durch Platon illustriert und erklärt also dem zeitgenös­ sischen Leser in gewisser Weise die Notwendigkeit der Rückkehr und die Kommunikation mit der Welt, be­ gründet sie aber noch nicht. Eine philosophische Be­ gründung ergibt sich, wenn man sich an eine Wesens­ eigenschaft jenes Guten erinnert, das der Philosoph erkannt und dem er sich beim Aufstieg angeglichen hat.79 Der Dialog Timaios80 lehrt, dass es zum Wesen eines jeden Guten gehört, an s­einem Gut-Sein Anteil zu geben. Denn zum Wesen des Guten gehört die Neid­ losigkeit. Deshalb will z. B. der gute Demiurg die Welt, die er herstellt, gut machen.81 Dem Guten eignet es nämlich wesenhaft, sich selbst mitzu­teilen. Es ist ein diffusivum sui 82 wie es die Sonne in der Politeia illust­ riert.83 Wenn der Philosoph dieses Gutsein erkennt und es nachahmt, zeichnet auch er sich notwendig durch Neidlosigkeit aus,84 ist ein Philanthropos,85 empfindet   Vgl. Pl. R. 519c–520a; dazu O’Meara 2003, 73.   Vgl. Pl. Ti. 29e–30a. 81   Vgl. ebd. 82  Vgl. K. Kremer, Bonum est diffusivum sui. Ein Beitrag zum Verhältnis von Neuplatonismus und Christentum, Auf­ stieg und Niedergang der Römischen Welt II 36.2 (1987) 994– 1032. 83   Vgl. Pl. R. 517b–c. 84  Vgl. S. Lavecchia, Una Via che Conduce al Divino. La ‚Homoiosis Theo‘ nella Filosofia di Platone, Mailand 2006, 249– 252. 85   Vgl. Pl. Euthphr. 3d. 79

80

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

29

Mitleid mit den Gefangenen in der Höhle86 und ist be­ reit, sie zur Erkenntnis zu führen.87 Deshalb ist der Phi­ losoph besorgt, nicht nur sich, sondern auch die andern zu heilen;88 er hält es für fromm, dazu beizutragen, die Welt und die anderen Menschen gut zu machen, wie es im Euthyphron heißt.89 Der platonische Weise ist kei­ neswegs ein jenseitsorientierter Egoist,90 sondern der Welt zugewandt, gerade weil er nach dem Guten strebt und das Gute nachahmt. Denn insofern er sich dem Guten anzugleichen versucht, wird er zwar zum einen zunehmend selbst­genügsam, erhält aber zugleich den Drang, sich anderen neidlos mitzuteilen. Beides ist kein Widerspruch, wie schon im Dialog Lysis immerhin an­ gedeutet wird.91 Genau dieser Drang zur Selbstmittei­ lung des Guten und nach einem ‚Gut-Machen‘ ist Ziel und Zweck der sokratischen ‚wahren Politik‘. Sokrates’ politischer Philosophie geht es nämlich darum, die Welt gut zu machen, indem sie Mitbürger ‚an der Seele besser macht‘.92 Mit dieser Auf­gabenstellung formuliert und transformiert Platon im Übrigen erneut ein Kon­ zept aus der zeitgenössischen Realpolitik. Denn der Rat von Athen hatte im Amtseid zu schwören, dass durch seine Entscheidungen die Bürger besser werden soll­ ten;93 Aristophanes greift das auf, wenn er in den Frö­   Vgl. Pl. R. 516c.   Vgl. Pl. Ap.  33a. 88   Vgl. Pl. R. 520a. 89   Vgl. Pl. Euthphr. 14c; Pl. Phdr. 274b. 90  Vgl. Song 2009, 24 ff. 91   Vgl. Pl. Ly. 215a–c. 92   Vgl. Pl. Grg. 513e. 93   Vgl. Pl. Grg. 503a; vgl. dazu Dalfen 2004, 410. 86 87

30

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

schen den Euripides – offenbar in Konkurrenz zum Anspruch der Realpolitik – behaupten lässt, die Dich­ ter machten die Polis besser.94 Platons Zielsetzung für seine ‚wahre Politik‘ greift dieses Postulat auf und transformiert es in seinem Sinne, insofern dieses ‚Bes­ ser Machen‘ die Seelen der Mitbürger betrifft. Auch ­Sokrates’ Forderung nach einer Fürsorge für die Seelen der Mit­bürger erweist sich damit als Teil des Diskurses darüber, welche Rolle platonische Philosophie als Mit­ tel für eine angemessene Weltzuwendung spielen soll. Offenbar soll sie Realpolitik ersetzen, insofern sie sich um die innere Ordnung der menschlichen Seele küm­ mert. Genau dies führt Sokrates in den Dialogen vor, in denen die Suche nach Erkenntnis immer auch mit einer Prüfung der Seele der Partner verbunden ist. Und er erklärt es in der Apologie: Dort bezeichnet Sokrates seine Philosophie als ein Mitwirken an der Tätigkeit der Götter und als eine Hilfe für die Götter (βοηθεῖν τῷ θεῷ), bei deren Bemühen, die Welt besser zu machen. Mit dieser Formulierung – Philosophie als Mithilfe beim Werk der Götter – greift Platons Sokrates eine alte religiöse Formel auf und schließt sich dem Selbstver­ ständnis von Dichtern wie Pindar an.95 Auf diese Weise deutet Platon an, wie die Frage gelöst werden könnte, die im Euthyphron gestellt, aber nicht beantwortet   Vgl. Ar. Av. 1008 f.   Vgl. Pl. Euthphr. 12e; 13b; 14a; Pl. Ap.  23b; zu den Dichtern vgl. M. Erler, Poiesin poiein. Selbstbezug und immanente Poetik in früh­griechischer Dichtung, in: D. Klein (Hg.), Formen der Selbstthematisierung in der Lyrik der Vormoderne, Hildesheim 2019, 1–15. 94 95

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

31

wird: Dort ergab sich, dass die Menschen den Göttern bei deren Werk, die Welt gut zu machen, Hilfe bieten sollen. Offenbar besteht die Hilfe, oder der Gottes­ dienst, wie es Sokrates selbst nennt, darin, die Men­ schen mit H ­ ilfe der sokratischen Methode an der Seele besser zu machen.96 Gleichzeitig beschreibt und cha­ rakterisiert ­Sokrates seine eigene philosophische Tätig­ keit als Teil des göttlichen Verbesserungswerkes für die Welt. Wieder wird deutlich, dass es keineswegs Auf­ gabe des ‚sokratischen‘ Philosophen und von dessen ‚wahrer Politik‘ ist, der Welt einfach zu entfliehen, son­ dern sich bei diesem Bemühen auch der Welt zuzuwen­ den, um sie besser zu machen. Hinwendung zum Nächsten ist nicht eine bloß freundliche Zugabe, son­ dern sie gehört zum Wesen der philosophischen ‚wah­ ren Politik‘, insofern der sokratisch-platonische Philo­ soph ein ‚Theoros‘ ist, der sich dem Guten angenähert hat und nun von diesem nicht nur berichten, sondern an diesem auch Anteil geben muss. 2.5 Generiert das Streben nach Einheit Egoismus? Wenn die weltzugewandte Haltung aus platonischer Sicht also konsequent ist, weil sie verwirklicht, was durch das Wesen des Guten vorgegeben ist, ergibt sich im späteren Platonismus freilich ein Problem. Denn seit Plotin bis hin zu Proklos und Damaskios ist ein Aspekt der Verschiebung zu erkennen, welche die Einschät­ 96  Vgl. M. Erler, Der Sinn der Aporien in den Dialogen Pla­ tons. Übungsstücke zur Anleitung im philosophischen Denken, Berlin/New York 1987, 164–169.

32

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

zung des obersten Prinzips durch die Platoniker be­ trifft. Statt des Guten als obersten Prinzips tritt zuneh­ mend das Prinzip des Einen in den Vordergrund, wobei die Rezeption des platonischen Parmenides eine wichti­ ge Rolle spielt.97 Damit tritt gegenüber dem Prinzip des Guten, dessen Wesen die Mitteilung ist und das sich also durch Relationalität auszeichnet, das Prinzip des Einen in den Vordergrund, dem diese Qualität der Relationa­ lität gerade nicht eigen ist.98 Das Eine ist nämlich, inso­ fern es eines ist, ganz auf sich selbst bezogen – sonst wäre es ja Vielheit. Wenn es nun Ziel und Aufgabe des Menschen ist, dieses Eine als oberstes Prinzip nachzu­ ahmen und sich ihm anzugleichen, wird vom Menschen also ein Selbstbezug und eine Einswerdung verlangt (ἑνῶσθαι).99 Tritt damit nicht eine Hinwendung des Menschen zu sich selbst in den Vordergrund, also das Gegenteil von Neidlosigkeit, Weitergabe von Erkann­ tem und Hinwendung zu der Welt wie es beim Guten zugrundliegt? Ein egoistischer Selbstbezug scheint die­ sem Streben geradezu inhärent zu sein und damit die sokra­ tische Philanthropie und Weltzugewandtheit in Frage zu stellen, die bisher vertreten wurde. Gewiss, Plotin fordert in der Tat eine Konzentration des Men­  Vgl. J. Halfwassen. Der Aufstieg zum Einen. Untersu­ chungen zu Platon und Plotin, Stuttgart 1992. 98   Vgl. S. Lavecchia, Von der Angleichung an die Tugend zur Selbstaufhebung der Ethik – Ethisches Handeln und Philoso­ phie zwischen Platon und dem Platonismus, in: C. Pietsch (Hg.), Ethik des antiken Platonismus. Der platonische Weg zum Glück in Systematik, Entstehung und historischem Kontext, Stuttgart 2013, 35–45. 99   Vgl. Plot. I 4 (46) 11. 97

2. Sokrates, der ‚wahre Politiker‘

33

schen auf sich selbst, lehnt gleichwohl aber eine Fürsor­ ge für die Welt und die anderen Menschen keineswegs ab, wie lebenskluge Bemerkungen zeigen wie zum Bei­ spiel: „[D]ie Scheuer bekommt voll, nicht wer betet, sondern wer das Land beackert, und gesund bleibt man auch nicht, wenn man nichts dafür tut.“100 Plotin ist also offenbar überzeugt, dass die Arelationalität des Einen als oberstem Ziel allen menschlichen Strebens es keines­ wegs verbietet, gleichwohl auch in der Welt selbst tätig zu sein.101 Plotin betont vielmehr, dass ein innerwelt­ liches Engagement durchaus hilfreich sein kann und dass, wer sich auf sich selbst konzentriert, durch Welt­ zuwendung in seinem Streben nach dem letzten Ur­ grund nicht gestört wird.102 Ein Grund für diese Ver­ bindung von Selbstsorge und Weltzuwendung mag darin liegen, dass das Prinzip des Einen als deckungs­ gleich, freilich nicht austauschbar103, mit dem Guten empfunden104 und gleichsam als zwei Sichtweisen oder Perspektiven des einen, obersten Prinzips gesehen wird. Schon Platon hielt ein völlig arelationales Eines ohne Konnotation des Guten für unmöglich.105 Jedenfalls ist  Übersetzung R. Harder u. a. (Hgg.), Plotins Schriften. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen. Bd.  5, Hamburg 1960, 65; vgl. Plot. III 2 (47) 8, 38–40. 101   Vgl. Plot. III 8 (30) 4, 31–43. 102   Vgl. Plot. III 8 (30) 6, 9–13. 103  Vgl. Ch. Tornau, Der Eros und das Gute bei Plotin und Proklos, in: M. Perkams (Hg.), Proklos. Methode, Seelenlehre, Metaphyik, Leiden 2006, 201. 104  Vgl. Lavecchia 2013, 44; Plot. V 3 (49) 11, 23–25. 105   Vgl. Pl. Prm. 142a; Plot. V 3 (49) 11, 23–25; dazu Tornau 2006, 201–229, bes. 201; Lavecchia 2013, 44. 100

34

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

bemerkenswert, dass bei späteren Platonikern gerade in diesem Kontext gleichsam als Illustration die Sokrates­ figur ins Spiel kommt. Proklos, der vom Einen als Prin­ zip spricht, erkennt Sokrates als Idealbild des Philo­ sophen an, gerade weil der sich nicht nur um ein kontemplatives Leben, ­ sondern auch fürsorglich um andere kümmere. Denn dies geschehe in Nachahmung göttlicher Neidlosigkeit.106 Proklos findet es zwar durch­aus bewundernswert, dass und wie Sokrates bis­ weilen schweige. Doch findet er es noch bewunderns­ werter, wenn Sokrates sich mitteile. Denn indem er spreche, ahme er das Offenbarende des Göttlichen nach. Sokrates ist also für Proklos gerade deshalb Vorbild und Illustration richtigen ‚philosophischen‘ Verhaltens, weil er beide Aspekte des obersten Prinzips verkörpert: das Selbstbezogene – im Schweigen – und den mitteilenden, d. h. dem einem anderen zugewandten Aspekt.107 Auch hier wird deutlich, dass und wie Sokrates’ weltzu­ge­ wandter, philanthropischer Zug zu rühmen ist, obgleich oder gerade wenn man als oberstes Prinzip das Eine verehrt. Ebendies betont Proklos’ Schüler Hermeias in seinem Phaidroskommentar: Ὁ Σωκράτης ἐπὶ εὐεργεσίᾳ τοῦ τῶν ἀνθρώπων γένους καὶ τῶν ψυχῶν τῶν νέων κατεπέμφθη εἰς γένεσιν· διαφορᾶς δὲ οὔσης πολλῆς κατά τε τὰ ἤθη καὶ τὰ ἐπιτηδεύματα τῶν ψυχῶν, διαφόρως ἕκαστον εὐεργετεῖ, ἄλλως τοὺς νέους, ἄλλως τοὺς σοφιστάς, πᾶσι χεῖρας ὀρέγων καὶ ἐπὶ φιλοσοφίαν προτρεπόμενος. „Sokrates wurde zum Zweck der Wohltätigkeit am Ge­ schlecht der Menschen und an den Seelen der Jugend ins Wer­   Procl. in Alc. 125–126, 6.   Vgl. Procl. in Alc. 166, 7–17; vgl. dazu Layne/Tarrant 2014.

106 107

3. Sokratische Weltverantwortung

35

den geschickt: Da es aber große Unterschiede hinsichtlich der Charaktere und der Beschäftigungen der Seelen gibt, ist er auf unterschiedliche Weise für einen jeden wohltätig, auf die eine Weise für die Jugend, auf eine andere für die Sophisten, indem er allen die Hand reicht und sie der Philosophie zuwendet.“108

3. Sokratische Weltverantwortung Platonische Philosophie wird also als neue und wahre Politik verstanden, mit der nicht einfach Flucht aus der Welt erstrebt, sondern auch Verpflichtung für ein En­ gagement in der Welt verbunden wird. Durch Transfor­ mation und Integration realpolitischer Konzepte in den philosophischen Bereich empfiehlt schon Platon eine ‚politische‘ Haltung, die bis in den spätantiken Plato­ nismus verfolgt und die sokratisches Element verstan­ den werden kann und sollte. Mag es sich dabei auch um eine Verengung des Politikbegriffes hin auf praktische Ethik handeln, so gewinnt die Frage nach dem Verhält­ nis von Weltflucht und Weltverantwortung bei Platon und im Platonismus vor dem Hintergrund dieses spezi­ fischen platonischen ‚Politik‘-Verständnisses an Profil und verliert viel von der Widersprüchlichkeit, die ihr oft unterstellt wird. Jedenfalls hat Platons Auffassung von Philosophie als ‚wahrer Politik’ als Rechtfertigung von Weltzugewandtheit offenbar für das Fortleben des sokratischen Elements im Platonismus gesorgt. 108   Herm. in Phdr. 1 (C. M. Lucarini/C. Moreschini [Hgg.], Hermias Alexandrinus: In Platonis Phaedrum Scholia, Berlin 2012, 1); Übersetzung H. Bernard (Hg.), Hermias Alexandri­ nus, Kommentar zu Platons Phaidros, Tübingen 1997, 77.

36

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

3.1 Sokratische Politik als Bildungsinstitution bei Aristoteles Platons Transformation von Elementen traditioneller ­politischer Tätigkeit und die Integration dieser Trans­for­mationen in den philosophischen Diskurs hat schon Aristoteles aufgegriffen. In der Nikomachischen Ethik argu­mentiert Aristoteles nämlich, dass es zwei Arten von Politik gebe: eine traditionelle Politik, die durch persön­liche Ambition motiviert ist, und eine weitere Art von ­Politik, die Aristoteles als ‚wahre Politik‘ be­ zeichnet109 und die sich nach seinen Worten darum be­ müht, die Mitbürger gut oder besser zu machen an ­ihrer Seele. Es ist offensichtlich, dass Aristoteles sich bei dieser Unterscheidung von traditioneller und einer wahren Politik, die sich um die Seele der Bürger küm­ mert, an das Konzept des wahren Politikers, des plato­ nischen Sokrates, anschließt110 und sie zur Grundlage seines Bildungsgedankens macht, der freilich einen überschaubaren Kreis von Mitwirkenden voraussetzt. In der Tat hat schon Sokrates argumentiert, dass die pä­ dagogische Intention der wahren Politik nur in einem kleinen Kreis von Studierenden und nur dann prakti­ ziert werden kann, wenn man traditionelle Politik möglichst meidet.111 Hier finden wir die Grund­lage für 109   Vgl. Arist. EN 1095b22 ff. (traditionell); Arist. EN 1102a8 ff. (wahre Politik: ὁ κατ’ ἀλήθειαν πολιτικóς); vgl. Arist. EE 1216a23; dazu Schütrumpf 1991, 71–80. 110  Vgl. Schütrumpf 1991, 78. 111   Vgl. Pl. Grg. 485d; Sokrates prüft im Gorgias, ob traditio­ nelle Politiker wie Perikles andere besser gemacht haben, was für keinen traditionellen Politiker gelte (vgl. Pl. Grg. 503b6–516e).

3. Sokratische Weltverantwortung

37

das, was man als Bildungsstätte verstehen kann. Es be­ ginnt bei Platon und Aristotels in der Nikomachischen Ethik112 ein Verständnis ‚sokratisch-politischer‘ P ­ ä­da­gogik, das eine Tradition bildet und in verschiedenen Facetten in der Kaiserzeit und darüber hinaus verfolgt werden kann. 3.2 Sokratische Politik bei Epikur Sokrates’ Transformation zur ‚wahren Politik‘ markiert ­offenbar den Beginn einer Tradition, die bei Aristoteles rezipiert wird, sich aber trotz aller Unterschiede auch in der praktischen Ethik des Epikureismus feststellen lässt und dort auch als pädagogische Methode Anwendung findet, wie z. B. Philodems Traktate, insbesondere seine Schriften De libertate dicendi, zeigen.113 Denn nach Auffassung der Epikureer genügt es nicht, für Sicherheit ­gegenüber äußeren Bedrohungen zu sorgen. Um eine Gemeinschaft gegen Feinde zu schützen und um für physi­sche Integrität der Bürger zu sorgen, mag traditio­ nelle Politik durchaus hilfreich sein. Doch ist es nach Auffassung der Epikureer von größter Bedeutung, auch für Sicherheit im Inneren des Menschen im Sinne einer Deshalb hält sich Sokrates in dieser Hinsicht für den einzig wahren Politiker (vgl. Pl. Grg. 521d). 112   Vgl. Arist. EN 1103b3–5. 113   Vgl. A. Olivieri (Hg.), Philodemus, Peri parrēsias libel­ lus, Leipzig 1914; D. Konstan (Hg.), Philodemus: On Frank Criticism, Atlanta 1998, 14; C. E. Glad, Frank Speech, Flattery, and Friendship in Philodemus, in: J. T. Fitzgerald (Hg.), Friend­ ship, Flattery, and Frankness of Speech: Studies on Friendship in the New Testament World, Leiden 1996, 21–59.

38

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

inneren Ruhe des Geistes zu sorgen.114 Denn allein diese bewirke ein wirkliches Sicherheitsgefühl und wahres Glück.115 Deshalb wird im Epikure­is­mus eine traditio­ nelle Politik von einer philosophischen unterschieden, welche für die innere Sicherheit sorgt, die als epi­kureische Physiologie oder Philosophie bezeichnet wird und die sich weniger um Institutionen, als um Aufklärung der Menschen und Befreiung von Furcht kümmert. Es ist keineswegs zufällig, dass Epikur als Retter der Mensch­ heit und der Polis bezeichnet wurde,116 gerade weil er sich weniger um Gesetze und Institutionen als um die Seele der Mitbürger kümmert. Epikurs Auffassung von wahrer Politik setzt im Grunde wie Aristoteles fort, was Platons Sokrates im Gorgias vertritt. Auch im Epiku­ reismus werden bestimmte politische Konzepte wie Parrhesia, Elenchos, oder generell die Rhetorik trans­ formiert und als pädagogische Methode im philosophi­ schen Kontext praktisch. Der Schluss liegt nahe, dass die epikureische Dichotomie zwischen traditioneller und wahrer Politik auf Sokrates zurückgeht, vermittelt ver­ mutlich durch Aristoteles. Sie sollte jedenfalls berück­ sichtigt werden und davor bewahren, Epikureer leicht­ hin als Politikfeinde aufzufassen. Sie sind es weder im traditionellen Sinn noch besonders mit Blick auf das   Vgl. Epicur. KD 12.  Zu innerer Sicherheit vgl. Epicur. KD 7; vgl. M. Erler, Epikur oder die Kunst, in Gemeinschaft zu leben, in: G. Ernst (Hg.), Philosophie als Lebenskunst. Antike Vorbilder, moderne Perspektiven, Berlin 2016a, 66–87. 116  Vgl. M. Erler, Epicureanism in the Roman Empire, in: J. Warren (Hg.), The Cambridge Companion to Epicureanism, Cambridge 2009b, 46–64, bes. 52–54. 114

115

3. Sokratische Weltverantwortung

39

s­okratische Politikverständnis. Epikurs oft kritisierte Aufforderung zum Rückzug aus der Politik117 ist vor diesem Hintergrund zu sehen.118 Wir sehen, dass von Sokrates’ Transformation von Politik offenbar eine ­ Tradi­tion ausgeht, die sich auch wie eine Blaupause für das liest, was wir über die epikureische Auffassung von wahrer ­Politik ausführten, welche sich um ‚wahre Si­ cherheit‘, d. h. innere Sicherheit im Menschen bemüht. Auch hier finden jene urprsünglich politischen Kon­ zepte wie Parrhesia, Elenchos oder Rhetorik in der bei Platon transformierten Form als pädagogische Methode Verwendung.119 3.3 Platonismus der Kaiserzeit Aber auch im Platonismus der Kaiserzeit ist das Kon­ zept der sokratisch-praktischen Ethik aufgegriffen worden. Wie Cicero bewundert auch Plutarch, dass ­Sokrates als erster zeigte, dass Philosophie in allen Be­ reichen des praktischen Lebens eine Rolle spiele und spielen sollte.120 Sokrates wurde als herausragender Philosoph und Weiser betrachtet, der wegen seiner in­ tellektuellen Fähigkeiten bewundert wurde.121 Beson­  Zur epikureischen Aufforderung ‚Lebe im Verborgenen‘ vgl. Roskam 2007. 118  Vgl. Erler 2016a, 66–87. 119   Vgl. Erler 2009d; zur Transformation vgl. Geiger 2006, 96–­131. 120   Vgl. Cic. Tusc. 5, 10; Plu. An seni 796d–e. 121   G. Roskam, Plutarch’s Reception of Socrates, in: A. Stavru/ C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dialogue, Leiden/­ Boston 2018, 744–759, bes. 756 f.; zu Apuleius vgl. F. drews, 117

40

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

ders Epiktet lässt erkennen, dass er sich als eine Art Sokrates versteht.122 Die sokratisch-praktische Ethik steht als ein Element sokratischer Praxis innerhalb des im Platonismus der Kaiserzeit besonders akzentuierten religiös konnotier­ ten Jenseitsstrebens für den Aspekt der Weltzugewandt­ heit. Dabei werden im Bereich dieser praktischen ‚wah­ ren Politik‘ Elemente hellenistischer praktischer Ethik kenntlich, die nicht nur zentrale Bezugspunkte und Hintergrund für ein besseres Verständnis für Struktur und literarische Gestaltung philosophisch relevanter Texte sind, sondern auch einen wichtigen Horizont für das aufblühende Christentum darstellten und deshalb philosophisch und literarisch Beachtung verdienen. Auch Plotin lässt den praktisch-lebensweltlichen As­ pekt von Philosophie nicht gänzlich außer Acht. Er in­ terpretiert die Stelle in Platons Theaitetos, an der Platon die Angleichung an Gott mit einer Flucht aus der Welt dahingehend verbinde,123 dass unter dieser Flucht nicht notwendig ein Ortswechsel, sondern auch ein Wechsel der Lebensweise gemeint sein könne. Da Gott gut und gerecht sei, schließe Angleichung an Gott ein, ‚hier‘ in der Welt gerecht und gut zu sein. Dazu passt, dass Plo­ tins Schüler Porphyrios Plotin mit den Worten charak­ ‚A Man of Outstandig Perfection‘: Apuleius’ Admiration for So­ crates, in: A. Stavru/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dialogue, ­Leiden/Boston 2018, 760–771. 122   K. Döring, Exemplum Socratis. Studien zur Sokratesnach­ wirkung in der kynisch-stoischen Popularphilosophie der frühen Kaiserzeit und im frühen Christentum, Wiesbaden 1979; A. A. Long, Epictetus: A Stoic and Socratic Guide to Life, Oxford 2002. 123   Vgl. Pl. Tht. 176b; Plot. I 8 (51) 6, 9–13.

3. Sokratische Weltverantwortung

41

terisiert, dass er „gleichzeitig bei sich selber und bei den andern“124 war. Freilich ist zuzugeben, dass der ‚politi­ sche‘ Aspekt der Weltzugewandtheit bei Plotin eher im Hintergrund bleibt. Die sogenannten politischen Tugen­ den für das soziale Leben im Diesseits gelten ihm für die Erkenntnis der Wahrheit als eher nachrangig, bleiben allerdings Voraussetzung für die geistigen, reinigenden Tugenden und mit diesen verbunden:125 Καὶ ὁ μὲν ἔχων τὰς μείζους καὶ τὰς ἐλάττους ἐξ ἀνάγκης δυνάμει, ὁ δὲ τὰς ἐλάττους οὐκ ἀναγκαίως ἔχει ἐκείνας. „Wer also die höheren Tugenden hat, hat notwendigerweise potential auch die niederen; wer aber die niederen, nicht not­ wendig auch die höheren.“126

Die nachrangige Anordnung der politischen und der philosophisch-kathartischen Tugend wird von späteren Platonikern aufgegriffen, systematisiert und in eine Art philosophisches Curriculum integriert. Die ‚politischen‘ Tugenden behalten somit eine wichtige Rolle als Vor­ bereitung für den philosophischen Erkenntnisaufstieg, gleichsam als prae­paratio philosophica, aber auch als 124  Übersetzung R. Harder u. a. (Hgg.), Plotins Schriften. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen. Bd.  5c, Hamburg 1958, 25; vgl. Porph. Plot. 8, 19. 125   Vgl. R. Thiel, Stoische Ethik und neuplatonische Tugend­ lehre. Zur Verortung der stoischen Ethik im neuplatonischen System in Simplikios Kommentar zu Epiktets Enchiridion, in: T. Fuhrer/M. Erler (Hgg.), Zur Rezeption der hellenistischen Philosophie in der Spätantike. Akten der 1. Tagung der Karlund-Gertrud-Abel-Stiftung vom 22.–25. September 1997 in Trier, Stuttgart 1999, 93–103. 126   Plot. I 2 (19) 7; Übersetzung Harder 1956, 349; vgl. H.-R. Schwyzer, Porphyrii vita Plotini. Enneades 1, Paris 1951, 72.

42

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

Orientierungshilfe im Diesseits.127 Es ist kein Zufall, wenn wir auch im spätantiken Platonismus gerade in diesem Kontext der Sokrates-­Figur begegnen, die sich den Menschen didaktisch zuwendet, sie an der Seele bes­ ser machen will, sich also wie ein ‚wahrer Politiker‘ ver­ hält, und dabei Methoden anwendet, die nicht nur aus platonischem, ja nicht nur aus philosophischem Kontext stammen.128 Hermeias erkennt vermutlich mit Blick auf die Sokrates-Figur beim Philosophen zwei Aspekte: den des ‚wahren Philosophen‘ und den des ‚wahren Politi­ kers‘. Beides sei nicht voneinander zu trennen, sondern es seien zwei Seiten einer Medaille: Καθόλου γὰρ ὁ φιλόσοφος, ὅταν περὶ τὴν νοητὴν οὐσίαν στρέφηται καὶ τὴν θεωρίαν τῶν νοητῶν καὶ τοῦ θεοῦ [...], ὁ πρῶτός ἐστι φιλόσοφος· ὅταν δὲ ἀπὸ τῆς θέας ἐκείνης μετέλθῃ εἰς ἐπιμέλειαν τῆς πόλεως καὶ κατὰ τὴν θέαν ἐκείνων διακοσμῇ τὴν πόλιν, τότε γίνεται πολιτικὸς φιλόσοφος. „Allgemein nämlich ist der Philosoph, wenn er sich im Be­ reich des noetischen Seins und der Betrachtung des Noeti­ schen und des Gottes aufhält […] Philosoph im primären Sinn. Wenn er sich aber von jener Schau umwendet hin zur Sorge um die Stadt und im Sinne der Schau jener Dinge die Stadt ordnet, dann wird er zum philosophischen Staatsmann.“129  Vgl. M. Erler, Hellenistische Philosophie als praeparatio ­ latonica in der Spätantike (am Beispiel von Boethius’ Consola­ P tio philosophiae), in: ders./T. Fuhrer (Hgg.), Zur Rezeption der hellenistischen Ethik in der Philosophie der Spätantike. Akten der 1.  Tagung der Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 22.–25. September 1997 in Trier, Stuttgart 1999, 105–122. 128   Siehe Kapitel II dieses Bandes. 129   Herm. in Phdr. 221 (Lucarini/Moreschini 2012, 231 f.); Übersetzung Bernard 1997, 376. 127

3. Sokratische Weltverantwortung

43

Dies ist – so darf man wohl ergänzen – im Sinne einer platonischen ‚wahren Politik‘ zu verstehen. Diese Aus­ sage setzt hier offenbar das Höhlengleichnis voraus: Der Aufstieg macht einen Menschen zum Philosophen und der Abstieg zum Politiker im Sinne des Sokrates im Gorgias und der Apologie, der mit seinem Engage­ ment für den anderen Menschen die Götter nachahmt, die notwendig die Welt gut machen wollen.130 Der spätantike Kommentator Olympiodoros formuliert das ausdrücklich in seinem Gorgias-Kommentar,131 wo er zwei Arten von Zwang – einen materiellen und einen göttlichen – unterscheidet. Von göttlichem Zwang sprechen wir demnach, wenn wir sagen, dass der Gott notwendig die Welt gut macht und – so Olympiodoros weiter – es ist dieser Zwang, von dem sich auch Sokrates bei seinem πρᾶγμα leiten lässt, d. h. wenn er sich mit seinen Gesprächen um die Seelen der Mitmenschen ­ kümmert. Damit formuliert Olympiodoros, was wir als These behaupten: Die wahre Politik als Hinwendung zum Diesseits findet ihre Legitimation in der Nach­ ahmung göttlichen Verhaltens der Welt gegenüber, in­ sofern sie am göttlichen Plan, die Welt gut zu machen, mitarbeitet. Weltzuwendung ist in der Tat ein Gottes­ dienst, wie Sokrates in der Apologie behauptet. Das 130  Vgl. M. Erler, Ist Polytheismus gefährlich? Euripides’ Hippolytos und Platons Apologie über die Radikalität von Got­ tesverehrung, in: B. Burrichter/C. Wehr (Hgg.), Exzess. Formen der Grenz­überschreitung in der Vormoderne, Würzburg 2018b, 21–35. 131   Vgl. L. G. Westerink (Hg.), Olympidoria in Platonis Gor­ giam commentaria, Leipzig 1970, 12,4 ff.

44

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

philosophisch-­politische πρᾶγμα wird zur Hilfe für den Gott, der die Welt besser machen möchte. Protopoliti­ ker ist und bleibt Sokrates, der zum Zweck der Wohl­ tätigkeit am Geschlecht der Menschen und an den See­ len der Jugend ins Werden geschickt wurde und – wie Hermias es formuliert – allen die Hand reicht.132 Auch andere Platoniker unterscheiden zwischen dem Philosophen als Liebhaber der Schau ohne politische Aktion und einem Liebhaber, der die Menschen mit prak­tischen Tugenden liebt und der als wahrer Politi­ kos das Göttliche nachahmt.133 Weltzuwendung bleibt Bestandteil platonischen Jen­ seitsstrebens – wobei es sich kaum um die Verwirk­ lichung eines politischen Konzeptes im traditionellen Sinn handelt, sondern um praktisches Philosophieren mit dem Ziel, die Seele der Mitmenschen in Ordnung zu bringen, wobei auch ein Engagement in der Real­ politik möglich ist. Beide Aspekte waren dann offenbar für den Platoniker Boethius Anlass, sich von der Real­ politik nicht fernzu­ halten; und zwar nicht obwohl, sondern weil er Platoni­ker war. Als er 524 n. Chr. seine Hinrichtung erwartete, d ­ achte er über eine Rechtferti­ gung seines innerweltlichen ­ Engagements nach und ließ seine Gedanken in der Con­solatio philosophiae lite­ rarisch werden. Diese Consolatio philosophiae freilich ist keine Anleitung zu realpolitischem Handeln, son­ 132   Vgl. M. Erler, Die helfende Hand Gottes. Augustins Gna­ denlehre im Kontext des kaiserzeitlichen Platonismus, in: T. Fuh­ rer (Hg.), Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätanti­ ke. Texte, Personen, Institutionen, Stuttgart 2008a, 189–204. 133   Vgl. Phot. Bibl. 251, 464b.

4. Der ‚wahre Politiker‘ Sokrates als Symbol

45

dern Illustration und Angebot, dass und wie man die eigene Seele in Ordnung bringen kann, um ‚politisch‘ tätig zu sein mit dem Ziel, ‚dem Gemeinwohl aller Gu­ ten zu dienen‘ und diese – und sich selbst – an der Seele besser zu machen. So versteht jedenfalls B ­ oethius den Auftrag der Philosophie wenn er sagt „nichts anderes hat mich zum Amte geführt, als das Gemeinwohl aller Guten.“134 Damit meint Boethius zwar ein realpoliti­ sches Engagement, zugrunde aber liegt das sokratisch-­ platonische Konzept der ‚wahren‘ Politik, welche die Seele der Bürger in Ordnung bringen will, deren Nut­ zen Boethius selbst durch Philosophia erfahren hat und die er in der Consolatio literarisch werden lässt.135

4. Der ‚wahre Politiker‘ Sokrates als Symbol Commune bonorum omnium studium – allen Anteil am Guten zu geben scheint seit den Zeiten Platons gän­ gige Münze der Propaganda von Politik zu sein.136 Für einen Platoniker meint es etwas Besonderes und fügt  Übersetzung E. Gegenschatz/O. Gigon (Hgg.), Boethius. Trost der Phi­losophie/Consolatio Philosophiae. Lateinisch-­Deutsch, München/­Zürich 1990, 17; vgl. Boeth. cons. I, p. 4, 4–8. 135   Vgl. M. Erler, Mulier tam imperiosae auctoritatis (Boeth. Cons. 1,1,13). Auctoritas und philosophia in römischer und grie­ chischer Philosophie, in: J. Müller/Ch. Rode (Hgg.), Freiheit und Geschichte. Festschrift für Theo Kobusch zum 70.  Geburtstag, Münster 2018c, 39–57; Erler 1999, 105–122. 136   Vgl. Boeth. cons. I, p. 4, 30 f.; dazu J. Gruber (Hg.), Kom­ mentar zu Boethius, De consolatione philosophiae, Berlin/New York 22006, 123. 134

46

I. Jenseitssehnsucht und Weltzuwendung

sich in der transformierten Form der sokratischen ‚wahren Politik‘ in die platonische Philosophie ein. Es entspricht dem, was Platon unter ‚fromm‘ versteht, – nämlich ein Mitwirken am Werk der Götter, die Welt besser zu machen,137 und formuliert, was Sokrates als Gottesdienst anspricht und mit seiner Seelentherapie anbietet. Man wird weder vom Platoniker Boethius noch von Platon eine traditionelle politische Theorie erwarten, wohl aber das Konzept einer pädagogischen Hinwendung zu einer anderen Person in der Hoffnung, Ordnung in deren Seele schaffen zu können. Sokrates ist und bleibt dabei Exemplum für ein richtiges Verhal­ ten, für Selbstvervollkommnung und für Zuwendung zur Welt. Gewiss, für den Platoniker ist diese ‚politi­ sche Tätigkeit‘ nur eine erste Stufe auf dem Weg ‚von hier nach dort‘: Ziel bleibt die ‚egoistische‘ Hinwen­ dung zum Selbst und dessen Vervollkommnung. Dies mag von christlicher Seite mit Recht beklagt werden.138 Doch steht Sokrates’ ‚wahre Politik‘ im pagan philoso­ phischen Denken für eine Verbindung von egoistischen und philanthropischen Elementen. Die Sokratesfigur als Symbol dieses Doppelaspektes war und blieb wich­ tige Bezugsperson im Platonismus der Kaiserzeit. Von einem Platonismus ohne Sokrates oder gar einem dimi­ diatus Plato139 zu sprechen, scheint nicht berechtigt. ­Sokrates war und blieb vielmehr ein Bezugspunkt auch   Vgl. Pl. Euthphr. 14b–d; Pl. Phdr. 273e; Pl. Ap.  23b.   Vgl. Kritikpunkte in Erler 2016b, 837–890; 891–965, bes. 946 f. 139   So sieht es W. Theiler, Forschungen zum Neuplatonis­ mus, Berlin 1966, 126. 137

138

4. Der ‚wahre Politiker‘ Sokrates als Symbol

47

für christliche Polemik – und dies nicht zuletzt in sei­ ner Funktion als Retter menschlicher Seelen durch Hinwendung im Diesseits. Einige Elemente dieser Zu­ wendung sollen Thema der nächsten Kapitel sein.

II. „Pray for us, holy Socrates“? (Erasmus, Apophthegmata III) 1. Einleitung Im Folgenden soll bei der Spurensuche nach sokra­ tischen Elementen im Platonismus der Kaiserzeit auf eine besondere Facette im Platonismus der späten Kai­ serzeit hin­gewiesen werden: Auf die Rolle, die Sokrates als einem bisweilen sogar religiös überhöhten Lehrer und als Helfer für die Seele der Menschen zugeschrie­ ben wird.1 Das gilt für die Bemühungen der Menschen sowohl um Rettung ihrer Seele im Jenseits als auch um ein richtiges Leben im Diesseits. Es geht dabei um jenen Sokrates, dessen Rolle als Helfer von Platon im Höh­ lengleichnis bereits angedeutet wird. 2 Es ist zu beob­ achten, dass diese Rolle des Sokrates als Lehrer, Retter und Seelenleiter immer aus­geprägter wird.3 Dies ist wohl auch im Zusammenhang zu sehen mit einem of­   Zu Sokrates in der rhetorischen Tradition und als ‚holy man‘ in der späten Kaiserzeit vgl. M. C. De Vita, Political Philoso­ pher or Saviour of Souls? Socrates in Themistius and Julian the Emperor, in: A. Stavru/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socra­ tic Dialogue, ­Leiden/Boston 2018, 816–835. 2   Siehe Kapitel I dieses Bandes. 3   Zu Sokrates als ‚holy man‘ vgl. G. Fowden, The Pagan Holy Man in Late Antique Society, The Journal of Hellenic Studies 102 (1982) 33–59. 1

1. Einleitung

49

fenbar wachsenden Misstrauen der Menschen gegen­ über ihrer eigenen Fähigkeit, für sich selbst und die Rettung ihrer Seele sorgen zu können, und dem damit verbundenen Gefühl, auf Hilfe von außen ­angewiesen zu sein. Da der menschliche Eigenbeitrag zur Suche nach dem erstrebten Glück immer geringer ein­geschätzt wurde,4 hoffte man zunehmend auf Hilfe und das Ein­ greifen eines Gottes, was Impuls und Durchführung anging. In diesem Zusammenhang begegnet man nicht selten in der paganen Literatur seit Homer, aber auch im christlichen Kontext dem Motiv der helfenden Hand Gottes,5 die – wie es ein Mosaik in der Apsis von Sankt Apollinaris in Classe in Ravenna illustriert – für die Unterstützung Gottes für den Menschen steht. Das Motiv der helfenden Hand signalisiert ein als span­ nungsreich empfundenes Verhältnis von göttlicher Zu­ wendung und menschlicher Eigeninitiative. Dieses Spannungsverhältnis kulminiert im christlichen Be­ reich in der augustinischen Lehre von der Gnade,6 wel­ 4   Zum soteriologischen Aspekt spätplatonischen Denkens vgl. H. Dörrie, Die Religiosität des Platonismus im 4. und 5. Jahr­ hundert nach Christus, in: ders./B. D. Larsen (Hgg.), De Jam­ blique à Proclus. 9 Exposés Suivis de Discussions, Vandouerve/ Genèves 1975, 257–286. 5  Vgl. Erler 2008a, 189–204; zum Symbol der helfenden Hand vgl. K. Gross, Menschenhand und Gotteshand in Anti­ ke und Christentum, Stuttgart 1985; Synes. hymn. 9,123; Procl. H. 6, 8. 11; Sen. epist. 73, 15; weitere Stellen bei H. Strohm, Exkurs zu 9,123. Die helfende Hand Gottes, in: ders./J. Gruber (Hgg.), Synesios von Kyrene. Hymnen, Heidelberg 1991, 246 f. 6  Vgl. V. H. Drecoll, Die Entstehung der Gnadenlehre Au­ gustins, Tübingen 1999; vgl. auch K. Flasch, Logik des Schre­ ckens. Augustin von Hippo, De diversis quaestionibus ad Simpli­

50

II. „Pray for us, holy Socrates“?

che in der platonisch-paganen Philosophie nicht ohne Parallele bleibt, dort aber freilich – wie im Folgenden gezeigt werden soll – weniger als Einschnitt, sondern als Akzentuierung eines schon bei Platon zu beob­ achtenden Aspektes angesehen werden kann, bei dem die Sokratesfigur eine nicht unwichtige Rolle spielt. Mit Blick auf eine entsprechende Haltung im Christen­ tum der Kaiserzeit, etwa bei Augustinus, hat man gera­ dezu von einer platonischen Gnadenlehre gesprochen.7 Das mangelnde Selbstvertrauen auf die eigenen Fähig­ keiten des Menschen, das dabei zum Ausdruck kommt, wurde als ein Bruch mit der ansonsten angeblich von ­Optimismus geprägten Tradition und als Zeichen der De­pravation klassischer Philosophie gesehen.8 Hier je­ cianum I  2, Mainz 1990; dazu kritisch G. Ring, Bruch oder Entwicklung im Gnadenbegriff Augustins? Kritische Anmer­ kungen zu K. Flasch, ‚Logik des Schreckens‘, Augustiniana 44 (1994) 31–113; Überblick bei C. Horn, Augustinus, München 1995, 33 ff.; T. Fuhrer, Augustinus, Darmstadt 2004, 159 ff.; Erler 2016b, 948. 7   Zur Vorstellung von göttlicher Hilfe und ‚Gnade‘ bei Platon vgl. Erler 2002b, 387–414; zur Gnadenlehre im Platonismus vgl. H. Dörrie, Gnade, Reallexikon für Antike und Christen­ tum 11 (1981) 325–333; C. Zintzen, Bemerkungen zum Auf­ stiegsweg der Seele in Jamblichs De mysteriis, in: H.-D. Blume/­ F. Mann (Hgg.), Platonismus und Christentum. Festschrift für Heinrich Dörrie (Jahrbuch für Antike und Christentum Ergän­ zungsband  10), 1983, 312–328; wichtig ist in diesem Zusammen­ hang die Vorstellung von der Rezeptionsfähigkeit des ‚begnade­ ten‘ Menschen (ἐπιτηδειότης); vgl. Erler 2008a, 189–204. 8  Vgl. E. R. Dodds (Hg.), Proclus: The Elements of Theology, Oxford 21963, XX: „As the ancient world staggered to its death, the sense of man’s unworthiness grew more oppressive, and the mystical optimism of Plotinus came to seem fantastic and almost

1. Einleitung

51

doch seien Bedenken angemeldet. Zwar ist nicht zu be­ streiten, dass es in der Zeit nach Plotin zunehmend Hinweise auf ein wachsendes Bewusstsein einer Schwä­ che mensch­licher Erkenntnismöglichkeiten, eine damit verbundene Skepsis hinsichtlich der Möglichkeiten, zur eigenen Rettung beitragen zu können, und sogar Ansätze einer Art platonischer Gnadenlehre gibt. Gleichwohl aber ist zu bezweifeln, dass man dabei von einem Bruch innerhalb des Platonismus oder mit der pagan-antiken Tradition sprechen kann. Vielmehr soll­ ten auch Elemente der Kontinuität beachtet werden. Es scheint nämlich, dass gerade mit Blick auf die Sokrates­ figur trotz unbestreitbarer Unterschiede eine Kontinu­ ität der positiven Einschätzung menschlicher Möglich­ keiten innerhalb des Platonismus erkennbar bleibt, die von Platon bis Proklos reicht und die den angeblichen Bruch nach Plotin in der Einschätzung menschlicher Kompetenz geringer erscheinen lässt, als gemeinhin angenommen wird. Es sei die These vertreten, dass die Sokratesfigur und ihr Umgang mit ihren Partnern, wie er in Platons Dialogen dargestellt wird, einen Aspekt des platonischen Menschenbildes andeutet, den man als durchaus pessimistisch ansehen kann und der manchen nur als Merkmal spätantiker Resignation gilt. Es soll also betont werden, dass diese pessimistische Sicht­ weise auf den Menschen schon bei Platon eine Rolle spielt, z. B. bei der Frage, wie der normale Mensch, nicht der protophilosophische Sokrates, mit seinen be­ schränkten Möglichkeiten – der Begriff ‚Nichtigkeit‘ impious: not by the effort of his own brain and will can so mean a creature as man attain the distant goal of ‚unification‘“.

52

II. „Pray for us, holy Socrates“?

fällt in diesem Zusammenhang – zu jenem Wissen ge­ langen kann, das für seine Eudaimonie notwendig ist. Schon Platon in den Dialogen schildert die conditio ­humana also als durchaus hilfsbedürftig und greift da­ mit seinerseits eine Tradition auf, die vor allem in der frühen griechischen Lyrik zum Ausdruck kommt.9 Der spätere ‚pessimistische‘ Platonismus setzt diese Tradition gleichsam parallel zu der anderen traditionell optimistischen Sichtweise menschlichen Handelns fort. Dies soll im Folgendem erläutert und die Vermu­ tung verteidigt werden, dass diese besondere Akzentu­ ierung nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Aus­ einandersetzung des Platonismus mit der erstarkenden christlichen Lehre, z. B. als Reaktion auf christliche Kritik am platonischen Elitedenken, erklärt werden kann, die sich auch in der religiös über­höhten Sokrates­ figur als einem Alternativangebot zum Christusbild der Zeit spiegelt.

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus Zunächst sei die Frage diskutiert, ob es auch innerhalb der platonischen Tradition eine Art Gnadenlehre gibt, welche die Möglichkeiten der Menschen, sich selbst zum Glück zu führen, gering einschätzt und allein auf Hilfe von außen baut, und ob es sich dabei um ein An­ zeichen eines Bruches innerhalb der platonischen Tra­ dition handelt.   Vgl. H. Diels, Der antike Pessimismus, Berlin 1921.

9

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 53

2.1 Optimistisches Menschenbild: Plotin Im Traktat Das Gute, das Eine schreibt Plotin: Ἀλλὰ λέγομεν καὶ γράφομεν πέμποντες εἰς αὐτὸ καὶ ἀνεγείροντες ἐκ τῶν λόγων ἐπὶ τὴν θέαν ὥσπερ ὁδὸν δεικνύντες τῷ τι θεάσασθαι βουλομένῳ. Μέχρι γὰρ τῆς ὁδοῦ καὶ τῆς πορείας ἡ δίδαξις, ἡ δὲ θέα αὐτοῦ ἔργον ἤδη τοῦ ἰδεῖν βεβουλημένου. „[W]ir reden und schreiben nur davon [vom Einen Guten], um zu ihm hinzuleiten, aufzuwecken aus den Begriffen zum Schauen und gleichsam den Weg zu weisen dem der etwas erschauen will; denn nur bis zum Wege, bis zum Aufbruch reicht die Belehrung, die Schau muß dann selbst vollbringen wer etwas zu sehen gewillt ist.“10

Mit dem ‚Impuls von außen‘ (δίδαξις) und der ‚eigen­ ständigen Selbsterkenntnis‘ (ζήτησις) spricht Plotin im Traktat Das Gute, das Eine – und nicht nur dort11 – Komponenten an, die im gesamten Platonismus für den Erkenntnisprozess von entscheidender Bedeutung sind, jedoch von unterschiedlichen Philosophen unter­ schiedlich akzentuiert werden. Es geht um die eigene Suche als ein Element, das für Eigenleistung steht und dem Menschen aufgegeben ist, und die Belehrung von außen, die als Impuls gewertet wird, mit dem Lehrer wie Sokrates anleiten und zur Suche anregen wollen. Die Belehrung von außen will dabei eine Eigenleistung nicht überflüssig machen, sondern eher fördern. Plotin macht in seiner Ausführung also deutlich, dass er Ver­ trauen in die Fähigkeit zu eigenständiger Suche hat. In der Tat ist er der Überzeugung, dass eine Besinnung   Plot. VI 9 (9) 4,26; Übersetzung Harder 1956, 183.   Vgl. z. B. Plot. VI 9 (9) 4, 13. I 6 (1) 9, 42.

10 11

54

II. „Pray for us, holy Socrates“?

auf das Selbst eine notwendige, aber auch hinreichende Bedingung für jene erfolgreiche An­näherung an den gesuchten Anfangsgrund aller Dinge sei. Obgleich also von Plotin ein Impuls von außen in Form schriftlicher und mündlicher Belehrung angesprochen wird – wie dies auch bei Platon schon geschieht –, steht bei ihm aber zweifellos das Vertrauen auf die Fähigkeit des Menschen zu eigenständiger Selbsterkenntnis im Vor­ dergrund, wie dies ebenfalls bei Platon der Fall ist.12 Der Grund für ­Plotins Optimismus ist in seiner Psy­ chologie zu suchen. Nach Plotins Auffassung kann die Seele des Menschen nämlich deshalb selbst alles Hin­ derliche abwerfen,13 sich nach innen wenden14 und zur Schau des göttlichen Be­reiches gelangen,15 weil nach ihrem Abstieg ein Teil ihres Wesens oben im geistigen Bereich verbleibt. Porphyrios berichtet, dass Plotin selbst diese Schau viermal gelungen sei.16 Dieses op­ 12   Zu Platon über Erkenntnisgewinn durch Belehrung oder eigenes Suchen vgl. Pl. La. 186b; Pl. Men. 81a; Procl. in Alc. 225, 4 ff. 235, 1 ff. p.  103 f. 108 Westerink; auch die platonische Anamnesis verlangt ja einen Impuls von außen und Eigenan­ strengung vgl. Pl. Tht. 150d–e; die Dialoge Platons selbst werden unterschieden in solche, die didaktisch sind, und solche, die die eigene Suche unterstützen vgl. D. L. 3, 49 ff.; J. Mansfeld, Prole­ gomena: Questions to be Settled Before the Study of an Author, or a Text, Leiden 1994, 74ff; antike Diskussion über die beiden Komponenten bei Procl. in Alc. 236, 10–14 p.  109 Westerink; zu Plotin vgl. D. J. O’Meara, Plotinus: An Introduction to the Enneads, Oxford 1995, 102. 13   Vgl. Plot. V 3 (49) 17, 38. 14   Vgl. Plot. I 6 (1) 8, 4. 15   Vgl. Plot. I 6 (1) 8, 21. 16   Vgl. Porph. Plot. 23, 12 ff.

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 55

timistische Seelenkonzept begründet ­ Plotins großes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten der menschlichen Seele, zur Erkenntnis von Wahrheit und ­damit zu Eu­ daimonia zu gelangen. Es soll zudem den ­philosophisch interessierten Lesern seiner Texte Auf­munterung zur eigenen Suche sein und erklärt den Verzicht auf äußere Impulse wie z. B. religiöse Praktiken. Auch Porphyrios selbst vertraut grundsätzlich auf die Kraft menschli­ cher Erkenntnismöglichkeit, ist sich aber freilich der Attraktivität der populären Kultformen bei der Menge bewusst. Porpyhrios erkennt an, dass ein strenger, aus­ schließlicher Intellektualismus nur für wenige Perso­ nen geeignet ist.17 Da es jedoch auch Porphyrios um das transzendente Jenseits geht, kann es beim traditionellen Kult nur um eine praeparatio, d. h. um Vorbereitung der Seele beim Streben nach philosophischem Glück gehen. Im Grunde bewahrt Porphyrios ein in gewisser Weise elitäres Ver­ ständnis von Philosophie und Philosoph, das auch Pla­ ton vertrat. Demnach ist die überwiegende Mehrzahl der Menschen unphilosophisch und für Philosophie nicht geeignet.18 Allein der platonische Philosoph kann aus eigener Kraft, wenn auch mit Mühe und nur kurz, Ideenschau, Gotteserkenntnis und Glück erlangen und durch Pflege seines unsterblichen Selbst eine ethische Haltung ent­wickeln, die zur Angleichung an Gott und zur Flucht aus dem Bereich des Werdens befähigt. Die­ ses Vertrauen in die Eigenfähigkeit weniger Menschen 17   Vgl. Porph. 297F in A. Smith (Hg.), Porphyrii Philosophi fragmenta, Stuttgart 1993, 338. 18   Vgl. Pl. Prt. 317a; Pl. Grg. 483b; Pl. R. 494a; 500b.

56

II. „Pray for us, holy Socrates“?

teilen Plotin und auch Porphyrios und es mag auch er­ klären, warum bei i­hnen das sokratische Element eines äußeren Impulses bei der Suche nach Erkenntnis und Rettung der Seele zwar wichtig bleibt, Sokrates als Im­ pulsgeber jedoch eher in den Hintergrund tritt. 2.2 Pessimistischeres Menschenbild: Jamblich Der von Plotin repräsentierte Wissensoptimismus nimmt in der Folgezeit ab und wird in den Schriften späterer Platoniker wie Jamblich, Hermeias oder Pro­ klos nur noch mit Zurückhaltung vertreten. Gleich­ zeitig begegnet man zunehmend einer Wertschätzung von äußerer Hilfe, auch in Form religiöser Praktiken. Sokratische Elemente wie ‚Selbstbesinnung‘ und ‚selbst­ tätige Suche‘ bleiben zwar zentrale Komponenten beim Erkenntnisprozess der Seele. Jedoch tritt nun ein weite­ rer sokratischer Aspekt in den Vordergrund: Die Vor­ stellung von Sokrates als Lehrer, der von außen Hilfe zur Selbsthilfe geben will. Denn nun glaubt man, dass die Seele bei ihrer Suche nach Erkenntnis und Rettung der Unterstützung bedarf.19 Man hat in diesem Zusam­ menhang sogar von einer Art Gnadenlehre im Plato­ nismus gesprochen.20 Auch diese Haltung kann durch einen Hinweis auf die Psychologie der Platoniker der Zeit verständlich gemacht werden. Plotins Überzeu­ 19   Vgl. M. Erler, Sokrates als religiöser Erzieher. Anmerkun­ gen zum Sokratesbild bei Augustinus, in: C. Mayer (Hg.), Au­ gustinus, Bildung – Wissen – Weisheit. Beiträge des VI. Würz­ burger Augustinus-Studientages am 6. Juni 2008, Würzburg 2011b, 29–48. 20  Vgl. Zintzen 1983, 312–328; Erler 2008a, 189–204.

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 57

gung, wonach ein Teil der Seele immer im geistigen Be­ reich verbleibt, wurde nämlich von nicht wenigen spä­ teren Neuplatonikern als unplatonisch abgelehnt. 21 Für die späteren Platoniker gilt, was Plotin gerade bestreitet: Platon habe demnach gelehrt, dass die mensch­liche Seele als ganze abfällt und dass dabei kein Teil von ihr im geistigen Bereich bleibt. 22 Nach diesem ‚Abfall‘ sind die Seelen also vom göttlichen Bereich ab­ geschnitten. 23 Eben dieser Umstand erklärt nach An­ sicht späterer Platoniker wie Hermeias oder Proklos die Schwäche menschlicher Erkenntnismöglichkeit und ist Ursache für jenen Mangel an Vertrauen auf selbsttätige Rettung, den man bei Platonikern der Zeit in der Tat beobachtet und gern als Signum des späteren Neuplatonismus und seiner Sichtweise des Menschen verbucht. Deshalb wird jede Form äußerer Hilfe ge­ schätzt. Dabei zählt man nicht nur auf philosophische Unterweisung. Vielmehr wird zunehmend auch auf re­ ligiöse Vorstellungen zurückgegriffen. Von großer Be­ deutung ist hier Jamblich. Bewertete Porphyrios den Nutzen von Kult und traditioneller Religion in philo­ sophischem Kontext noch zurückhaltend, so liegen die Dinge bei Jamblich anders. Jamblichs Hauptwerk über das Verhältnis von Religion und Philosophie, das ge­ meinhin als De mysteriis zitiert wird, trägt eigentlich den Titel Antwort des Meisters Abbammon auf einen 21   Vgl. Procl. in Prm. 948, 13 ff.; Procl. in Ti. 3, 334, 3; Herm. in Phdr. 160, 1 ff.; Procl. Inst. 211 p.  185 Dodds. 22   Vgl. Herm. in Phdr. 160, 1 ff. 23  Vgl. Herm. in Phdr. 163, 18–23; Procl. Inst. 211 p.  185 Dodds; Procl. in Ti. 3, 323, 2 ff. 333, 28 ff.

58

II. „Pray for us, holy Socrates“?

Brief des Porphyrios an Anebon und Lösungen von Pro­ blemen, die er bereitet. Dieser Titel zeigt, worum es Jamblich wirklich geht: Er greift in eine zeitgenössische Debatte über den Sinn von Kult und Magie auch im philosophischen Kontext ein. Dies zeigt sich auch dar­ in, dass er eben jenes Schreiben des Porphyrios zum Anlass nimmt, das sich als Brief an einen ägyptischen Priester, Anebon, gibt und Kritik am Kultverständnis übt, ohne dieses freilich grundsätzlich abzulehnen. In seinem für die antike Religionsgeschichte zentralen Werk rechtfertigt Jamblich sein Interesse an traditio­ nellen Kulten gegen Porphyrios’ Bedenken und ver­ sucht, Elemente populärer Religiosität in das platoni­ sche Philosophieren zu integrieren und dieses damit zu legitimieren. Wie Platon und die anderen Platoniker sieht Jamblich das Ziel allen menschlichen Strebens in der Schau der Götter im geistigen Bereich und in der Vereinigung mit ihnen. Der Weg dorthin erweist sich nach Jamblich jedoch als beschwerlich. Denn Jamblich teilt den Optimismus nicht, wonach der Mensch aus ­eigener Kraft Glück erlangen kann.24 Er konstatiert   Unvollkommenheit des Menschen z. B. in De anima, in: Stob. 1, 49, 32, p.  365,5–21 Wachsmuth; dazu M. von Albrecht, Das Menschenbild in Jamblichs Darstellung der pythagoreischen Le­ bensform, Antike und Abendland 12 (1966) 51–63; jetzt in: M. von Albrecht u. a. (Hgg.), Jamblich. Pythgoras. Legende – Lehre – Lebens­gestal­tung, Darmstadt 2002, 255–274; zur Psychologie Jamb­ lichs vgl. C. Steel, The Changing Self: A Study on the Soul in Later Neo­platonism: Iamblichus, Damascius and Priscianus, Brüssel 1978, bes. 23 ff.; zu Jamblichs Schrift De anima vgl. J. F. Finamore (Hg.), Iamblichus: De anima, Leiden 2002; J. F. Finamore, Iamblichus and the Theory of the Vehicle of the Soul, Chico (California) 1985. 24

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 59

vielmehr wiederholt die Schwäche des Menschen und spricht dabei von menschlicher Nichtigkeit: Τὸ δ’ ἀνθρώπειον αἰσχρὸν καὶ ἐν οὐδενὸς μέρει καὶ παίγνιόν ἐστι πρὸς τὸ θεῖον παραβαλλόμενον. [...] Τὸ γὰρ ἀνθρώπειον φῦλον ἀσθενές ἐστι καὶ σμικρόν, βλέπει τε ἐπὶ βραχύ, σύμφυτόν τε οὐδένειαν κέκτηται. „Das Menschliche [...] ist erbärmlich, wertlos und, mit dem Göttlichen verglichen, nur kindischer Tand“, 25 weiter heißt es, dass „das Menschengeschlecht schwach und klein [ist], [dass es] nur auf kurze Strecken vor sich [sieht] und eine ihm angeborene Nichtigkeit [besitzt].“26

Das Bewusstsein eben dieser menschlichen ‚Nichtig­ keit‘ ist nach seiner Ansicht Anlass für die Menschen, sich Kult und Gebet zuzuwenden. „Denn“, so Jamblich, „das Bewußtsein unserer ei­ge­nen Nichtigkeit, wenn wir uns nämlich mit den G ­ öttern vergleichen, bewirkt, daß wir uns ganz na­ turgemäß dem Bitt­gebete zuwenden.“27 Bewusstsein menschlicher 25   Iamb. Myst.  3,19 p.  146, 10 ff. Parthey; Übersetzung T. Hopf­ ner (Hg.), Iamblichus. Über die Geheimlehren (De mysteriis), Hildesheim/Zürich/New York 2007, 96. 26   Iamb. Myst.  3,18 p.  145, 19 ff. Parthey; Übersetzung Hopf­ ner 2007, 94; vgl. H. Feichtinger, Oudeneia and humilitas: Nature and Function of Humility in Iamblichus and Augustine, Dionysius 21 (2003) 123–160, bes. 149 ff. (freundl. Hinweis von R. Dorado, OSA, Rom). Zum Ausdruck οὐδένεια vgl. auch A. Bi­ raschi, Eforo e l’oudeneia dei Ciclopi. A proposito di Strab. VI 2.2, in: D. Ambaglio (Hg.), Sungrafe. Materiali e appunti per lo Studio della storia e della letteratura antica, Como 2000, 73–81; bei Hierokles (in CA 65,5–25) vgl. O’Meara 2003, 108 f. 27  Übersetzung Hopfner 2007, 29 f.; vgl. Iamb. Myst.  1,15 p.  47, 15 ff. Parthey.

60

II. „Pray for us, holy Socrates“?

‚Nich­tigkeit‘ im Vergleich mit den Göttern wird also als Grund für die Suche nach Hilfe und Rechtfertigung für religiö­se Praktiken genommen.28 Jamblich lässt die Seelen der meisten Menschen ganz absteigen und ohne dauer­ haften Kontakt zum intelligiblen Bereich sein. Diese eher pessimistische Einschätzung ist ihm zugleich Anlass für Suche nach und Offenheit für jede Art von Hilfe.29 Hilfe findet Jamblich in Gaben wohlwollender Götter, die die­ se in der Welt verteilt haben, Symbole, welche wesens­ gleich mit den Göttern sind und deshalb die Götter zur Unterstützung der Menschen bewegen – Jamblich spricht von ‚aufwecken‘ (ἐγείρειν)30 – und die aus diesem Grund beim Aufstieg der schwachen menschlichen Seelen zu Gott helfen können.31 Διὰ τῆς τοιαύτης οὖν βουλήσεως ἀφθόνως οἱ θεοὶ τὸ φῶς ἐπιλάμπουσιν εὐμενεῖς ὄντες καὶ ἵλεῳ τοῖς θεουργοῖς, τάς τε ψυχὰς αὐτῶν εἰς ἑαυτοὺς ἀνακαλούμενοι καὶ τὴν ἕνωσιν αὐταῖς τὴν πρὸς ἑαυτοὺς χορηγοῦντες, ἐθίζοντές τε αὐτὰς [...] ἀφίστασθαι τῶν σωμάτων, ἐπὶ δὲ τὴν ἀίδιον καὶ νοητὴν αὐτῶν ἀρχὴν περιάγεσθαι. „Wegen dieses so gearteten […] Willens also lassen die Göt­ ter, wohlwollend und gnädig, den Thëurgen das Licht […] leuchten, rufen ihre Seelen […] zu sich empor, gewähren ih­ nen […] die Vereinigung mit sich selbst und gewöhnen sie, […] aus dem Leibe herauszutreten und sich zu ihrem ewigen und nur intellegiblen Ursprung zurückzuversetzen.“32 28   Vgl. B. Nasemann, Theurgie und Philosophie in Jamblichs De mysteriis, Stuttgart 1991, 119 ff. 29   Vgl. Iamb. Myst.  1, 12 p.  41, 4 Parthey. 30   Vgl. Iamb. Myst.  10, 5 p.  290, 16 ff. Parthey. 31   Vgl. Iamb. Myst.  1, 12. 10, 5 p.  41, 4. 290, 16 ff. Parthey; Zintzen 1983, 317 ff. 32   Iamb. Myst.  1, 12; Übersetzung Hopfner 2007, 25.

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 61

Neben Philosophie und Theologie als Reden über Gott wird für Jamblich in De mysteriis also das Handeln der Götter selbst zu einem wichtigen Element mensch­ licher Rettungsbemühungen, bei denen es darum geht, die menschliche Seele aus den Fesseln des Diesseits zu be­freien.33 Demnach können die Menschen bei ihrer Rettung zwar mitwirken, doch bleibt ihr Anteil relativ gering. Voraussetzung sind göttliches Wohlwollen und ihr Willen zu helfen. Dieses Wohlwollen wird zum ge­ ringsten Teil durch menschliche Vorgaben und Leis­ tungen, sondern durch jene Gaben beeinflusst, die ­ihrerseits von den Göttern stammen und nach ihrem Willen verteilt werden. Der menschliche Beitrag ist nach Jamblich nur eine Neben­ursache (συναίτιον). Er besteht in einer Disposition, die für göttliche Hilfe offen ist. Jamblich bekundet also ein Bewusstsein ­ menschlicher Nichtigkeit (οὐδένεια) und des­halb den Wunsch nach religiöser Praxis. Mit Blick auf den plato­ nischen Wissensoptimismus ist in der Tat zu fragen, inwieweit Jamblich mit seiner Position noch auf dem ­Boden des Platonismus steht oder ob seine pessimi­ stische Einschätzung menschlicher Möglichkeiten und damit ver­bunden seine Aufwertung des Kultes in phi­ losophischem Kontext aus platonischer Sicht kritik­ würdig ist oder gar einen Bruch der Tradition bedeutet.

  Vgl. Iamb. Myst.  2, 11 p.  96, 14 ff. Parthey.

33

62

II. „Pray for us, holy Socrates“?

2.3 Pessimismus bei Platon Um diese Frage zu klären, ist es hilfreich, sich Platon selbst zuzuwenden und sich dabei von jenem Ausdruck für menschliche Nichtigkeit (οὐδένεια) leiten zu lassen, der bei Jamblich eine Rolle spielt. Das Wort ‚Nichtig­ keit‘ findet sich vor Jamblich nur an wenigen Stellen bei ­Plutarch – in konsolatorischem Kontext –, bei Philon, bei Strabon und an einer Stelle bei Polybios.34 Freilich sind diese Stellen für das Verständnis unseres Kontex­ tes wenig hilfreich. In klassischer Zeit ist die mit dem Wort ‚Nichtigkeit‘ verbundene Einschätzung mensch­ licher Existenz keineswegs fremd: Es sei hier nur an den resignierenden Ausruf Philoktets in der gleich­ namigen Tragödie des S­ ophokles ‚Nichts mehr bin ich‘ erinnert, als er die gegen ihn gesponnene Intrige durch­ schaut.35 Doch ist das Wort ‚Nichtigkeit‘ (οὐδένεια) selbst in dieser Zeit nur zweimal bei Platon belegt. Der erste Beleg findet sich im Phaidros, wo sich Sokrates für unfähig erklärt, die rhetorische Qualität der Lysiasrede auf Eros so zu würdigen, wie es dem begeisterten Phaidros angemessen erscheint. Diese Un­ fähigkeit führt er auf seine ‚Nichtigkeit‘ oder Unfähigkeit zu­ rück.36 Inhalt und ironischer Kontext der Stelle erlau­ ben freilich keinen Bezug für Jamblich und sein An­ liegen in De mysteriis. Dies ist jedoch anders bei der 34   Vgl. z. B. Plu. Cons. Apoll. 110a; 112d (in konsolatorischem Kontext); Ph. Quis rerum divinarum heres sit 29, 3; Plb. Histo­ riae 34, 14, 4 und Procl. in Ti. 1, 374, 16; vgl. Erler 2008a, 198. 35   Vgl. S. Ph. 1217. 36   Vgl. Pl. Phdr. 234e.

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 63

zweiten Stelle, an der Platon das Wort ‚Nichtigkeit‘ in einem zu der von Jamblich thematisierten Problematik passenden Zusammenhang verwendet: im Theaitetos. Es handelt sich um die Stelle,37 an der Sokrates von der Notwendigkeit der Existenz des Bösen in der Welt spricht, das Böse im Bereich der sterblichen Natur lo­ kalisiert, leugnet, dass die Götter damit etwas zu tun hätten, und von der Notwendigkeit spricht, die Welt des Werdens zu fliehen und entsprechend menschlicher Möglichkeit nach einer Anähn­lichung an Gott zu stre­ ben. Hierfür aber sei die Erkenntnis der Götter und des intelligiblen Bereiches notwendig. Die Fähigkeit zu dieser Erkenntnis nun sei ein Zeichen menschlicher Meisterschaft (δεινότης), die Unfähigkeit hingegen ein Beleg für jene menschliche Nichtigkeit, die sich in Un­ wissen und Schlechtigkeit manifestiert. Περὶ τοῦτο καὶ ἡ ὡς ἀληθῶς δεινότης ἀνδρὸς καὶ οὐδενία τε καὶ ἀνανδρία. ἡ μὲν γὰρ τούτου γνῶσις σοφία καὶ ἀρετὴ ἀληθινή, ἡ δὲ ἄγνοια ἀμαθία καὶ κακία ἐναργής. „Und hierauf geht auch die wahre Meisterschaft eines Man­ nes, so wie seine Nichtigkeit und Unmännlichkeit. Denn die Erkenntniss hievon [von Gott] ist wahre Weisheit und Tu­ gend, und die Unwissenheit hierin die offenbare Torheit und Schlechtigkeit.“38

Wortwahl und Kontext passen genau zu dem, was Jamblich in De mysteriis über das Verhältnis der Men­ schen zu Gott und ihre Fähigkeit bzw. Unfähigkeit zur Gottes­erkenntnis zu sagen hat. Freilich verbindet   Vgl. Pl. Tht. 176c; vgl. Kapitel I dieses Bandes.   Pl. Tht. 176c; Übersetzung Schleiermacher 31856, 174.

37

38

64

II. „Pray for us, holy Socrates“?

Sokrates im Theaitetos Unwissenheit mit Nichtigkeit und Erkenntnis mit Weisheit der Menschen als zwei Optionen. Jamblich hingegen greift in De mysteriis nur die erste der beiden Optionen auf. Ihm geht es um die Nichtigkeit der Menschen im Verhältnis zu den Göt­ tern und um ihr Unwissen; beides sieht er in De myste­ riis als für die menschliche Existenz eigentümlich an (σύμφυτος), beides ist ihm Anlass, Hilfe von außen zu suchen und im Kult zu finden. Es ist offensichtlich, dass Jamblich diese berühmte Stelle aus Platons Theai­ tetos vor Augen hat und dem Leser in Er­innerung rufen will. Er ist offenbar bestrebt, seine eher skeptische und pessimistische Sicht menschlicher Erkenntnismöglich­ keit, mit der er zudem eine positive Bewertung religiö­ ser Aspekte im Rahmen der platonischen Philosophie begründen will, als platonisch zu legitimieren, und ­rezipiert deshalb die Theaitetstelle nur einseitig. Nun könnte man in Jamblichs Vorgehen eine bloße rhetori­ sche Strategie sehen, um mit Hilfe Platons eine Position zu legitimieren, die bei Platon selbst keine Bedeutung hat. Ein Blick in Platons Dialoge zeigt jedoch, dass Jamblich in De mysteriis mit seiner Betonung mensch­ licher Schwäche und der Notwendigkeit einer Hilfe von außen einen Aspekt aufgreift, der bei Platon durch­ aus eine Rolle spielt. Man denke an die Partner des ­Sokrates in den aporetischen Dialogen: Menschen ‚wie Du und Ich‘ und keine wirklichen Philosophen im Sin­ ne Platons oder Sokrates’, die nicht in der Lage sind, ihre Thesen und Definitionsvorschläge zu verteidigen und deshalb im Gespräch mit Sokrates scheitern, ob­

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 65

gleich sie manch Richtiges zu sagen wissen.39 Eben die­ se Schwäche illustriert und kommentiert Platon gleich­ sam im Höhlengleichnis der Politeia, wo Sokrates sie ausdrücklich als Menschen ‚wie Du und Ich‘ apostro­ phiert40 und Angaben über die conditio huma­na und die Möglichkeiten der gewöhnlichen Menschen macht, sich aus den Zwängen der Erfahrungswelt zu befreien. Von diesen gewöhnlichen Menschen hören wir, dass sie gefesselt in einer Höhle sitzen und Schatten an der Höhlenwand für die Wirklichkeit halten. Um diese Illu­sion von Wissen als solche zu erkennen, ist für einen jeden Umkehr und Ausstieg aus der Höhle notwendig. Umwendung der ganzen Seele (περιαγωγή) ist seither Signatur p ­ latonischer Paideia bis hin zu den spätanti­ ken Platonikern geworden. Noch Jamblich spricht im Zusammenhang mit Philosophie, aber auch Religion von ‚Umkehr‘ (περιαγωγή).41 Wie nun kommt die Um­ kehr nach Platons Auffassung zustande? Im Höhlen­ gleichnis zeichnet Platon ein eindeutiges Bild: An kei­ ner Stelle ist die Rede davon, dass sich der Mensch durch Eigeninitiative, durch Suche, durch bloße Selbst­ erkenntnis selbst befreien und auf den Weg zur Er­ kenntnis bringen kann. Das Höhlengleichnis zeigt vielmehr, dass ein Impuls von außen unabdingbar ist. Die Loslösung von den Fesseln wird vielmehr als passi­  Vgl. Erler 1987.  Vgl. Pl. R. 515; vgl. M. Erler, ‚Sokrates in der Höhle‘. ­A rgumente als Affekttherapie im Gorgias und im Phaidon, in: M. van Ackeren (Hg.), Platon verstehen. Die Perspektiven der Forschung, Darmstadt 2004, 57–68. 41   Zur περιαγωγή vgl. z. B. Iamb. Myst.  5,12, p.  216, 6 f. Parthey. 39

40

66

II. „Pray for us, holy Socrates“?

ver Vorgang geschildert, der unter Zwang und Schmer­ zen nur von außen und dazu noch gegen den Willen des Gefesselten vollzogen wird. Weil die Gefangenen in der Höhle nämlich die Schatten an der Wand nicht als sol­ che, als Illusion, erkennen, meinen sie, die Schatten sei­ en die Wahrheit, und weil sie überzeugt sind, dass sie über Wissen verfügen, das glücklich macht, möchten die Gefesselten in der Illusion gefangen bleiben.42 Die Befreiung geht deshalb nicht von ihnen selbst aus, sondern erfolgt durch eine ungenannte Person (τις), die an Sokrates erinnern soll, der die Gefesselten unter Lebensgefahr mit Frage und Antwort in Aporien führt und sie durch derartige Irritation von ihrer Illu­ sion zu befreien versucht. Die Stichworte Frage und Antwort sowie ‚Aporie‘ machen klar: Notwendig ist kein anderer als ein Philosoph wie Sokrates, der von außen Hilfestellung leistet, wo Selbsthilfe nicht oder nur in geringem Maße möglich ist.43 Das Höhlengleichnis vermittelt also ein Menschen­ bild, welches keinesfalls optimistisch gestimmt ist, sich auch sonst bei Platon findet – man denke an das Mario­ nettengleichnis in den Nomoi 44 oder an Bemerkungen des Sokrates über Nichtigkeit menschlicher Angele­   Vgl. Pl. R. 515a; dazu N. Delhey, ΠΕΡΙΑΓΩΓΗ ΟΛΗΣ ΤΗΣ ΨΥΧΗΣ – Bemerkungen zur Bildungstheorie in Platons ΠΟΛΙΤΕΙΑ, Hermes 122 (1994) 44–54, bes. 47 ff. Hier wird zu Recht betont, dass es sich nicht um einen natürlichen Vorgang (so L. C. H. Chen, Education in General [Rep.  518c4–519b5], Hermes 115 [1987] 66–172), sondern um einen unfreiwilligen und schmerzhaften Vorgang handelt. 43   Vgl. Pl. R. 515d. 44   Vgl. Pl. Lg. 803a–804c. 42

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 67

genheiten45 – und besonders prominent in der pseudo­ platonischen Schrift De virtute46 eine Rolle spielt. Dort ist davon die Rede, dass Tugend überhaupt nicht durch eigenen Verdienst erworben werden könne, sondern ganz als Geschenk Gottes anzusehen sei. Platon greift zudem offenbar auf die Tradition eines eher pessimisti­ schen Weltbildes zurück, das man schon bei Homer, vor allem aber bei den Lyrikern findet. Man denke nur an Glaukos’ Worte im 6.  Gesang der Ilias, wo die Men­ schen als ephemere Wesen mit den Blättern im Walde verglichen werden47 oder wenn bei Archilochos der Mensch als ephemeres Wesen vorgestellt wird.48 Man sieht also, dass Platon diese Tradition aufgreift, wenn er im Höhlengleichnis die Nichtigkeit menschlicher Er­ kenntnisfähigkeit oder in den Nomoi im Marionetten­ gleichnis das menschliche Leben in die Nähe eines Spiels für die Gottheit bringt. In der Tat passt diese Sichtweise der conditio humana Platons zu jenem ­‚pessimistischen Menschbild‘, das z. B. Jamblich in De mysteriis vertritt. Ein Bruch liegt also nicht vor. 2.4 Pessimismus und Optimismus bei Jamblich Dafür spricht auch eine weitere Beobachtung. Wäh­ rend man sich zuvor auf seine Schrift De mysteriis be­   Vgl. Pl. R. 603e–604d.   Vgl. Ps.-Pl. Virt. 379d. 47   Vgl. Hom. Il. 6,146; Hom. Od. 18,130–137. 48  Vgl. Archil. Frg. 68 Diehl; 131–132 West; vgl. Ar. Av. 585 ff.; Ps.-Pl. Virt. 379d; dazu C. W. Müller, Die Kurzdialoge der Appendix Platonica. Philologische Beiträge zur nachplato­ nischen Sokratik, München 1975, 217 ff. 45

46

68

II. „Pray for us, holy Socrates“?

ruft, wird bisweilen übersehen, dass für Jamblich auch die optimistische Sichtweise des Menschen, wie sie etwa noch Plotin vertritt, durchaus eine Option bleibt. In seiner Schrift Protreptikos nämlich, einem Aufruf, sich der Philosophie zu widmen, stellt Jamblich eine viel optimistischere und Plotins Auffassung ähnlichere Meinung dar,49 und zwar unter Bezug auf genau die Theaitetos-Stelle, die auch für die pessimistische als Be­ leg dient. Auch im Protreptikos zitiert Jamblich diese wichtige Stelle in extenso.50 Wir erinnern uns, dass an besagter Stelle bei Platon nicht nur von οὐδένεια die Rede war, sondern auch von der Fähigkeit (δεινότης) des Menschen, trotz aller Widerstände doch zu Gottes­ erkenntnis und Glück zu gelangen.51 Platons Text setzt auch voraus, dass eine solche Er­ kenntnis möglich ist – also eine optimistische Men­ schensicht legitimiert. Wir erinnern uns, dass schon Plotin mit Blick auf diese Stelle eine ‚Flucht von hier nach dort‘ nicht als einfaches Weglaufen, sondern als Aufforderung verstanden hat, sich in der Welt zu en­ gagieren und gerecht zu sein. Im Protreptikos macht Jamblich sich die eher optimistische Alternative bei Platon zunutze, denn hier geht es um Philosophie, die als Eigenleistung des Menschen verstanden wird. Er stellt dem Leser genau jene ‚Anähnlichung an Gott‘ als Lohn philosophischer Bemühungen in Aussicht, um die es in der Theaitetstelle geht, die Jamblich in De 49   Vgl. Iamb. De anima, in: Stob. 1, 49, 65 p.  454, 10–457, 6 Wachs­muth. 50   Vgl. Iamb. Protr. 14, p.  76, 5 Pistelli. 51   Vgl. Pl. Tht. 176c (s.o.).

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 69

­mysteriis aber bezeichnenderweise unterdrückt; eine positive Einschätzung des Menschen, der Jamblich auch in einer anderen Schrift, in De anima, Ausdruck verleiht. Diese positive Sichtweise passt nun natürlich in der Tat besser in den Kontext eines Protreptikos, wo den Lesern Philosophie als Weg zum Glück angeboten wird. Zudem wird in De anima festgestellt, dass es ­philosophisch begabte Seelen gibt, die anders als ge­ wöhnliche Seelen in direktem Kontakt mit dem gei­ stigen Bereich bleiben52, deshalb die Chancen haben, Glück und Angleichung an Gott zu gewinnen, und ihr Wissen Menschen vermitteln können. Dies ist eine ­Position, die ganz an den Optimismus des Plotin er­ innert und dem Bild widerspricht, das man sich oft vom pessimistischen Menschenbild des Jamblich macht. Diese reinen Seelen, wie Jamblich sie nennt, sind von den Göttern herabgesandt, reichen allen die Hand und helfen den gewöhnlichen Seelen durch Belehrung und Reinigung bei deren Umkehr.53 Zu diesen Seelen gehö­ ren die wahren Philosophen, dazu Platon selbst, Pytha­ goras, Sokrates oder Plotin. Wir konstatieren also ein Paradox: Obgleich Jamb­ lich oder andere späte Platoniker sich gegen Plotins These wenden, dass die menschliche Seele keinen Kon­ takt mit dem geistigen Bereich mehr hat, wenn sie ins Werden gefallen ist, behaupten sie für Sokrates das Ge­ 52  Von ἄχραντοι ψυχαί ist die Rede vgl. Procl. in Ti. 1, 111, 14 ff. Diehl; Procl. in R. 2, 250, 7 ff. Kroll. 53  Vgl. D. J. O’Meara, Pythagoras Revived: Mathematics and Philosophy in Late Antiquity, Oxford 1989, 38–40; Erler 2002b, 397 ff.

70

II. „Pray for us, holy Socrates“?

genteil. Die Lehre von Sokrates als ‚reine und deshalb mit den Göttern verbundene Seele‘ bildet sozusagen einen ‚plotinischen Rest‘ im ansonsten pessimistische­ ren Weltbild der nach­plotinischen Platoniker. Offenbar wollen sie erklären, wie es kommen kann, dass eine Person im Höhlengleichnis Hilfe zu leisten imstande ist. Auch für diesen positiven Aspekt kann sich Jamb­ lich auf Platon berufen und sich dabei subjektiv als or­ thodoxer Platoniker fühlen. Und es gilt auch gerade für die religiöse Konnotation, mit der ­Sokrates bei ihm und anderen späteren Platonikern als ausgezeichneter Mensch versehen wird, dessen Seele ständig in Kontakt mit der Welt der Wahrheit ist. 2.5 Wissensoptimismus bei Platon Denn bei Platon kommt neben der pessimistischen auch eine optimistische Perspektive zum Tragen und wird ebenfalls im Höhlengleichnis deutlich, wo ein Unbekannter, der klar als Sokrates erkennbar wird, die Gefangenen von ihren Illusionen befreien kann und den Weg zur Erkenntnis kennt. Auf diese Weise signa­ lisiert Platon, dass es doch – wenn auch wenige – Men­ schen gibt, die helfen können, selbst aber eine derartige Hilfe nicht nötig haben, in der Höhle frei von Illusio­ nen sind und deshalb anderen die notwendige Hilfe leisten können. Eine Figur wie ­Sokrates, so ist zu ver­ stehen, hat den Weg aus der Höhle geschafft, ist nach der Schau der Wahrheit wieder hinab­gestiegen und war auf die Hilfe anderer offenbar nicht angewiesen. Er ist Platons Protophilosoph und steht für die andere, op­

2. Menschenbild, Seelenrettung und Sokrates im Platonismus 71

timistische Tradition im Platonismus, die Plotin auf­ greift. Schon der Platoniker Hermeias beruft sich für diese Auffassung auf Platon selbst, indem er jene be­ kannte Tatsache, dass Sokrates Athen – seine Heimat – praktisch niemals verlassen habe, allegorisch auslegt. ­Platon wolle damit sagen – so Hermeias – dass Sokra­ tes’ Seele ihre geistige Heimat nicht verlassen habe, son­ dern in ständigem Kontakt mit ihr stehe.54 Ein Blick in die Dia­loge Platons zeigt, dass in ihnen die Lehre von der ‚reinen Seele‘ des Sokrates gleichsam antizipiert ist: Sokrates mit seiner besonderen Kompetenz ist von den Göttern herabgesandt, bleibt aber mit dem Bereich der Götter in ständigem Kontakt, ist also nicht von seinem Ursprung abgeschnitten wie andere menschliche Seelen und ist dabei für einen jeden Menschen wohltätig, in­ dem er allen Menschen die Hand reicht. In der Tat hebt Platons Sokrates in der Apologie und in anderen Dialo­ gen55 seine Beziehung zu den Göttern hervor, betont, dass er in göttlichem Auftrag handelt und dem Gott bei seinem Werk hilft. Sokrates bezeichnet sein Pragma ge­ radezu als einen Gottesdienst, wie es im Euthyphron als Merkmal eines frommen Menschen und im Phaidros als Kennzeichen des wahren Philosophen bezeichnet wird. Sich selbst, seine Kompetenz und seine Methode   Vgl. Herm. in Phdr. 34, 5, 1–7 Lucarini/Moreschini.   Vgl. Pl. Ap.  23b; 30a; Pl. Euthphr. 14a; dazu Erler 2002b, 402. Gott lenkt bisweilen das Gespräch oder inspiriert es (Pl. Lg. 682e; 722c; 811c; vgl. K. Schöpsdau (Hg.), Platon Werke. Über­ setzung und Kommentar. Bd.  IX 2. Nomoi Buch I–III, Göt­ tingen 1994, 381). Auch Traumbelehrungen (vgl. Pl. Cra. 439c; Pl. R. 443b) gehören wohl in diesen Kontext. 54 55

72

II. „Pray for us, holy Socrates“?

hält Sokrates für eine Gabe der Götter für die Stadt und ihre Bürger und seine Fähigkeit, wahre Liebhaber, also richtige Partner für den philosophischen Diskurs her­ auszufinden, für gottgegeben. Gott habe ihn geschickt, die Bürger zu retten und aus ihrem Schlaf ‚aufzuwe­ cken‘.56 Mögen diese Hinweise auf religiöse Kon­texte bei Platon bisweilen von sokratischer Ironie geprägt oder wie in der Apologie dem jeweiligen literarischen Kontext geschuldet sein, so ist doch festzuhalten, dass für spätantike Interpreten hier eindeutige Hinweise auf eine keineswegs rein optimistische Weltsicht und jene pessimistische Einschätzung menschlicher Möglich­ keiten, menschlicher ‚Nichtigkeit‘ und göttlicher Zu­ wendung vorgegeben sind, die oftmals als Kennzeichen spätantiken Denkens gelten. Es ergibt sich also, dass Jamblich die Theaitetstelle, bei der von der ‚Nichtigkeit‘ wie auch von der Fähigkeit des Menschen die Rede ist, nicht nur kennt, sondern dass er sie kontextbezogen verwendet: Zu einer Schrift über ägyp­tische Kulte passt die Betonung menschlicher Un­zuläng­lichkeit, in einem Protreptikos zur Philoso­ phie der Hinweis auf menschliche Fähigkeiten. Beides ist durch Platon legitimiert und darf nicht gegenein­ ander ausgespielt und zum Zeugen eines Traditions­ 56   Zum ‚Aufwecken‘ vgl. Iamb. Myst.  5,7 p.  208, 2 f. Parthey; dazu Nasemann 1991, 119 ff. Von Zuwendung von Seiten eins obersten Wesens (Pl. Ti. 29d–e; Pl. Phdr. 246e; Pl. Lg. 903b–905b) ist bei Platon ausdrücklich die Rede. Vgl. auch Pl. Phlb. 16c: ­Dialektik als Geschenk der Götter; Philosophie als Geschenk Gottes; Pl. Lg. 722c: Prooimia sind Geschenke der Götter; Pl. Phdr. 273e; 274b–c: Reden sollen Göttern gefallen; Pl. Euthphr. 13d–e: Philosophie als Gottesdienst.

3. Zwei Sichtweisen im Platonismus

73

bruches innerhalb des Platonismus genommen werden. In diesem Zusammenhang ist die Sokratesfigur von zentraler Bedeutung für die Legitimation des platoni­ schen Restes in pessimistischem Umfeld. Denn sie ver­ bindet das pessimistisch akzentuierte Menschenbild mit einem Wissensoptimismus. Platon verbindet in sei­ nen Dialogen in der Tat die pessimistische Sichtweise des Menschen als ephemeren Wesen und die optimisti­ sche vom befähigten Menschen, der seine eigene Ret­ tung durch Erkenntnis bewerkstelligen kann. Jeden­ falls können beide Traditionen darauf hinweisen, dass ihre Thesen durch Platon legitimiert sind und ­die­jeni­gen, die von der Nichtigkeit des Menschen im späteren Platonismus sprechen, keineswegs für einen Bruch in­ nerhalb der platonischen Tradition stehen.

3. Zwei Sichtweisen im Platonismus Es ist vielmehr zudem festzuhalten, dass auch Jamblich keineswegs einseitig ein nur pessimistisches Weltbild innerhalb des Platonismus vertritt, sondern wie Platon selbst eine pessimistische mit einer optimistischen Ein­ schätzung zu verbinden sucht. Will man also bei Jamb­ lich hierin einen Widerspruch sehen, müsste man die­ sen schon bei Platon selbst suchen. Man könnte darauf hinwiesen, dass Platon z. B. die diesseitige Welt in ei­ nem Kontext als schön,57 in einem anderen aber als ne­ gativ und Hindernis für die Seele und ihr Streben nach   Vgl. Pl. Ti. 34b.

57

74

II. „Pray for us, holy Socrates“?

Rückkehr bewertet.58 Diese Widersprüchlichkeiten verlieren wie bei Jamblich freilich ihre Problematik, wenn man inhaltlich ein her­meneutisches Mittel an­ wendet, das besonders Schwyzer und Song59 mit Blick auf Plotin in diesem Zusammenhang fruchtbar ma­ chen, indem sie von einer ‚zweifachen Sicht‘ des Philo­ sophen sprechen. Demnach ist bei der Inter­pretation der plotinischen Philosophie zwischen einer ­aktuellen Sichtweise zu unterscheiden, die das subjektive Be­ mühen der menschlichen Seele um Befreiung aus der als hinderlich empfundenen Welt in den Blick nimmt, und einer ‚gegenständlichen‘ Sichtweise, die sich ganz auf die objektive philosophische Betrachtung der Welt kon­zen­triert. In der Tat lassen sich bei einer derartigen Betrach­ tungsweise Unterschiede beseitigen und man erkennt, dass sie nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, dass sich z. B. bei Plotin die Widersprüche auflösen, wenn man unterscheidet zwischen einer vorrangig ob­ jektiven oder onto­logisch gegenständlichen Sichtweise auf die Welt, wie sie ist, und einer subjektiven, alterna­ tiven und aktualen Sichtweise auf die Welt, wie sie sich zu dem stellt, was man selbst will, z. B. aus ihr fliehen.60 Dann ist nicht mehr widersprüchlich, dass Platon im   Vgl. Pl. Phd. 62b; Pl. R. 514a.  Vgl. H.-R. Schwyzer, Die zwiefache Sicht in der Philoso­ phie Plotins, Museum Helveticum 1 (1944) 87–99; für Plotin vgl. Song 2009. 60   Vgl. Schwyzer 1944, 89; dazu W. Beierwaltes, Plotin, Geist – Ideen – Freiheit. Griechisch-Deutsch, Enneade V 9 und VI  8, Hamburg 1990, XIV f. 58 59

3. Zwei Sichtweisen im Platonismus

75

Phaidon den Leib ‚Gefängnis der Seele‘ nennt und in der Politeia unsere Welt mit einer finsteren Höhle ver­ gleicht, im Timaios aber selbige als von einer Seele ­erfüllt und als seligen Gott preist.61 Letzteres ist die ­gegenständliche Sicht der Beschreibung, ersteres die aktuale mit der Frage, wie man aus ihr entkommen kann. Gleiches gilt z. B. für das Menschenbild, das Pla­ ton in den Nomoi mit Hilfe des Marionettengleichnis­ ses zeichnet.62 Auch hier hängt alles von der Perspek­ tive ab: Mit Blick auf die Götter ist menschliches Leben nur Spiel und Megillus hat Recht, wenn er darin eine Bewertung menschlichen Lebens sieht.63 Doch darf man diese pessimistische Sichtweise nicht als Zeichen platonischer Spätlehre in den Nomoi verallgemeinern. Denn schon in der Politeia ist die Rede davon, dass das Menschenleben nicht als etwas sehr Großes anzusehen ist.64 Nichts Menschliches verdient allzu großen Ernst.65 Andererseits kann der Mensch aber durchaus als eine Art göttliches Wesen angesehen werden.66 Sowohl bei   Vgl. Pl. Phd. 62b; Pl. R. 514a; Pl. Ti. 34b.   Vgl. Pl Lg. 803a–804c; vgl. Pl. R. 486a; dazu K. Schöpsdau (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  IX 2. Nomoi Buch IV–VII, Göttingen 2003, 547 f. 63   Vgl. Pl. Lg. 804b. 64   Vgl. Pl. R. 486a. 65   Vgl. Pl. Lg. 804b–c. 66   Vgl. Pl. Ti. 90c; dazu D. Sedley, Becoming like God in the Timaeus and Aristotle, in: T. Calvo (Hg.), Interpreting the Ti­ maeus-­­Critias: Proceedings of the IV Symposium Platonicum, Sankt A ­ ugustin 1997, 327–339; zur Rezeption des Homoiosis-­ Konzeptes vgl. M. Erler, Epicurus as Deus Mortalis. Homoio­ sis Theoi and Epicurean Self-Cultivation, in: D. Frede/A. Laks (Hgg.), Traditions of Theology: Studies in Hellenistic Theology, 61

62

76

II. „Pray for us, holy Socrates“?

Platon als auch bei Jamblich gibt es unterschiedliche Sichtweisen, die in unterschiedlichen Kontexten ver­ schieden akzentuiert werden.67 Eine solche perspektivi­ sche Sichtweise ist nicht nur bei Plotin, sondern bei der Bewertung der unterschied­lichen Positionen hilfreich, die wir bei Jamblich in De mysteriis und im Protrepti­ kos hinsichtlich der Möglichkeiten menschlicher Er­ kenntnis sowie bei Platon selbst finden. Diese Methode der zwei Sichtweisen ergänzt somit inhaltlich, was lite­ rarisch durch die Beachtung von Kontext ebenfalls na­ hegelegt wird: Es macht einen Unterschied, ob man eine Aussage in einem Protreptikos oder einer religiös polemischen Schrift positioniert. Die jeweils gewählte literarische Form mit ihren Gesetzen ist auch im philo­ sophischen Kontext beider Interpretationen relevant.68 Ohne die Möglichkeit, dass es sowohl bei Platon selbst als auch in der platonischen Tradition Entwicklungen geben kann und gegeben hat, zu bestreiten, sollte man auch berücksichtigen, dass die Autoren aus unterschied­ lichen Gründen auch unterschiedliche Akzente setzen wollten. Jedenfalls ist festzuhalten, dass es eine solche ­besondere Akzentuierung der pessimistischen Optik der Welt gibt und dass in diesem Zusammenhang ein Its Background and ­ A ftermath, Leiden/Boston/Köln 2002a, 159–181; Merki 1952; Pass­more 1970; D. S. Du Toit, Theios Anthropos. Zur Verwendung von theios anthropos und sinnver­ wandten Ausdrücken in der Literatur der Kaiserzeit, Tübingen 1997. 67   Vgl. M. Erler, Die philosophische Literatur der Kaiserzeit, Handbuch der griechischen Literatur der Antike III (im Druck). 68   Vgl. ebd.

4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates

77

religiös überhöhter Sokrates als Helfer eine besondere, philosophische legitimierte Rolle spielt.

4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates: Platonismus und Christentum Dann freilich stellt sich die Frage, warum gerade in der Zeit nach Plotin diese pessimistische Perspektive im Platonismus in den Vordergrund tritt, die Beschränkt­ heit menschlicher Existenz betont, die praktische Su­ che nach Seelenheil und die Rolle des Sokrates als reli­ giös konnotierter Retter hervorgehoben wird? Als eine Erklärungsmöglichkeit sei hier auf den wachsenden Konkurrenzdruck durch das Christentum hingewie­ sen. Die Akzentuierung menschlicher Nichtigkeit, der damit verbundene Wunsch nach Selbstbeschränkung und die zunehmende Offenheit gegenüber Kulten im Platonismus gewinnen an Profil, wenn man berück­ sichtigt, dass auf diese Weise eine anti­platonische Pole­ mik des Christentums aufgefangen werden kann. 4.1 Christliche Vorwürfe und die Sokratesfigur Es ist daran zu erinnern, dass ein Vorwurf christlicher ­Polemik gegen den Platonismus trotz mancher Wert­ schätzung darin bestand, Platons Lehre einen elitären Charakter und Platonikern mangelnde Demut vorzu­ halten. Platoniker zeichneten sich demnach durch eine Mischung aus intellektuellem Hochmut gegenüber der

78

II. „Pray for us, holy Socrates“?

Menge und Angst vor der Menge aus,69 obgleich sie doch einen an­gemessenen metaphysischen Gottesbe­ griff verträten, so beklagt Augustinus, konzedierten sie der Menge deren traditionelle religiöse Praktiken und das im vollen Bewusstsein, dass dieser Weg nicht zum wahren Glück führen könne.70 Ursache sei u. a. das ­elitäre Philosophie­verständnis der Platoniker und ihre despektierliche Ein­stellung gegenüber Nicht-Philoso­ phen.71 Ausgerichtet auf das Jenseits, angewiesen auf geistige Erkenntnis und deshalb bemüht um Flucht aus dem Diesseits kümmerten sie sich nicht oder nur zu wenig um die Bedürfnisse im Diesseits und seien des­ halb unfähig, gewöhnliche Menschen zu belehren.72 Ambrosius’ Dictum, wonach man nicht Philosophen sondern Fischern glauben solle,73 ist bezeichnend. Nicht dialektische Philosophie der Platoniker, son­dern Weisheit einfacher Leute führt demnach zu Glück 69  Vgl. T. Kobusch, Philosophische Streitsachen. Zur Ausein­ andersetzung zwischen christlicher und griechischer Philoso­ phie, in: C. Schäfer (Hg.), Kaiser Julian ‚Apostata‘ und die philo­ sophische Reaktion gegen das Christentum, Berlin/New York 2008, 17–40, bes. 31; vgl. Erler 2016b, 837–889; 905–955, bes. 946. 70   Vgl. Aug. de vera rel. 1. 71  Vgl. M. Erler, Die helfende Hand Gottes. Augustins ­Gnadenlehre im Kontext des kaiserzeitlichen Platonismus, in: C. Mayer (Hg.), Augustinus – Ethik und Politik. Zwei Würz­ burger Augustinus-Studientage‚ Aspekte der Ethik bei Augusti­ nus (11. Juni 2005) ‚Augusti­nus und die Politik‘ (24. Juni 2006), Würzburg 2009a, 87–108, bes. 91. 72   Vgl. Aug. de vera rel. 2 ff.; dazu Fuhrer 2004, 102 ff. 73   Vgl. Ambr. De fide I 13, 84 p.  37, 49 Faller; Kobusch 2008, 31.

4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates

79

und innerem Frieden. Die platonischen Intellektuellen könnten ihre Lehre nicht mit dem Leben in Einklang bringen und biederten sich deshalb den Vorstellungen der gewöhnlichen Menschen an. Nach Augustinus’ Ansicht sind Platoniker nicht in der Lage, das Interesse der Menschen von dieser Welt fort hin zum wahren Kult des wahren Gottes zu lenken. Denn sie seien über­ zeugt, dass Erkenntnis Gottes und wahres Glück nur wenigen – den Philosophen – möglich seien. Nichts fin­ de sich in ihren Büchern, was ein Bewusstsein von der Nichtigkeit mensch­lichen Wesens und ihrer Hilflosig­ keit erkennen lasse. Kurz, Augustinus vermisst bei den Platonikern die Tugend der Demut.74 Das sei der Grund – so Augustinus – weshalb die Pla­ toniker die Bedürfnisse der Menge vernachlässigten.75 Gerade weil die Platoniker um ihr schwieriges Verhält­ nis zur Menge wüssten, seien sie aus Angst versucht, sich den Bedürfnissen der Menge zu beugen. Denn sie wüssten, dass Volksglaube, mythische und bürgerliche Religiosität wichtige Elemente im Leben der gewöhnli­ chen Menschen sind. Zwar räumt Augustinus bei Plato­ nikern wie Plotin oder Porphyrios eine durchaus kriti­ sche Haltung ein. In Wirklichkeit jedoch hielten sie die Menschen deshalb keineswegs von derartigen Prakti­ ken ab, sondern ließen sich vielmehr von unredlichen Motiven leiten. Heuchelei ist Augustinus’ Vorwurf.76 Vorgeworfen wird also mangelnde Demut, Praxisver­ gessenheit, und Heuchelei im Umgang mit traditionel­   Vgl. Aug. civ. 10, 27; 10, 29, 7–24.   Vgl. Aug. civ. 10, 27; Fuhrer 2004, 103. 76   Vgl. Aug. civ. 10, 27; Pl. R. 494a.

74

75

80

II. „Pray for us, holy Socrates“?

ler Religiosität als Folge elitärer Auffassung von Phi­ losophie. Eben diese mangelnde Demut wird als ein zentraler Unterschied zum Christentum ge­ sehen. Zwar sei auch für die Christen Schau und Besitz Gottes Ziel allen Handelns. Doch seien sie überzeugt, dass mit Hilfe des Glaubens der Weg zu diesem Ziel allen offen stehe, wobei es sich freilich nach Augustinus um ein Geschenk Gottes handle, das auf Grund seines uner­ forschlichen Ratschlusses und nicht als Lohn für ver­ dienstvolles Handeln verliehen werde.77 4.2 Platonische Reaktionen Mit Blick auf diese Vorwürfe, die sich bei Augustinus fin­ den, aber zumeist aus dem Arsenal traditioneller philoso­ phischer Polemik stammen, gewinnt die oben skizzierte ­besondere platonische Akzentuierung von menschlicher Nichtigkeit, der ‚Gnadenlehre‘ und der Rolle des Sokrates als religiösem Retter innerhalb des Platonismus, die ja of­ fenbar den traditionellen Wissensoptimismus nicht aus­ schloss, an Profil. Denn diese Akzentuierung innerhalb des Platonismus lässt sich nicht zuletzt auch als Reaktion auf eben diese Kritik verstehen. In der Tat zeigen derarti­ ge Akzentuierungen, wie wir sie u. a. bei Jamblich finden, – oder sollen offenbar zeigen –, dass Vorwürfe wie die des Augustinus gegen die Platoniker in gewisser Weise ins Leere laufen. Zwar ist zuzugeben, dass Platons Philosophiever­ ständnis in der Tat elitär ist.78 Platon bezeichnet wieder­   Vgl. Aug. civ. 8, 10.   Vgl. Ambr. De fide I 13, 84 p.  37, 49 Faller.

77 78

4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates

81

holt die Mehrheit der Menschen als unphilosophisch und für ­Philosophie ungeeignet.79 Plotin und andere Platoniker teilten diese Haltung und auch spätere Pla­ toniker verwarfen den elitären Charakter von Philoso­ phie keineswegs. Jedoch stimmt es eben nicht, dass sich in den Büchern der Platoniker nichts findet, was ein Bewusstsein von der Nichtigkeit menschlicher Wesen und ihrer Hilflosigkeit erkennen lässt, wie Augustinus behauptet.80 Wie Jamblichs Positionierung zeigt, gibt es durchaus so etwas wie ein platonisches Bewusstsein von der Nichtigkeit des Menschen und die Warnung vor Selbst­ überschätzung (σωφροσύνη). Die besonderen Akzentu­ ierungen im Platonismus sollen offenbar eine gewisse Konvergenz zwischen platonischen und christlichen Vorstellungen hinsichtlich der beschränkten Möglich­ keiten des Menschen zeigen.81 Auch wenn, wie wir gesehen haben, Jamblich im ­Protreptikos ein elitäres Verstandnis von Philosophie favorisiert, sollte das nicht den Blick dafür verstellen, dass es bei den Platonikern durchaus auch das Bewusst­ sein menschlicher Nichtigkeit gibt. Wenn sie sich den Kulten der Menge öffnen, dann ist dies nicht Hypokri­ sie, sondern Kon­sequenz aus der Erkenntnis mensch­ licher Schwäche. Der Vorwurf platonischer Praxisferne   Vgl. Pl. R. 493e; 494a; 496c.   Vgl. Aug. conf. 7, 21. 81   Platoniker wie Jamblich zeigen, dass es – wenn auch schwa­ che – Anzeichen gibt, dass Augustinus entsprechende Bemer­ kungen Jamblichs gekannt hat – jedenfalls gibt es interessante Parallelen im Sermo Dolbeau 26. 79

80

82

II. „Pray for us, holy Socrates“?

wird vollends widerlegt durch die Hinweise Jamblichs und anderer Platoniker auf jene Sokratesfigur, die sich als Prototyp des Seelenleiters und Pädagogen den ­Mitmenschen zuwendet, ihnen Orien­tierungshilfe im Leben gewähren und ihnen auf ihrem Weg zur Seelen­ rettung durch Angleichung an Gott helfen will. Nach Kaiser Julians Überzeugung werden alle, die gerettet werden, wegen Sokrates gerettet,82 wobei die Rettung nicht durch Realpolitik, sondern durch die wahre Poli­ tik sokratischer Seelsorge erfolgt. 4.3 Sokrates als anti-christlicher Jesus Man darf vermuten, dass die Stilisierung von Sokrates zu einem paganen Heiligen, der wegen der Schwäche der Menschen für deren Rettung notwendig ist und durch Platon als solcher legitimiert scheint, auch in Konkurrenz zu Christus zu sehen ist.83 Sokrates wird zum bisweilen religiös überhöhten Retter, der wie ein Gegenentwurf zu der Christusfigur der Christen wirkt. Es ist bemerkenswert, dass er z. B. von Augustinus sogar als Zeuge und religiöser Lehrer herbeigezogen und akzeptiert wird.84 Spätere Platoniker wie Jamblich, Syrian (=Hermeias) oder Proklos lassen 82   Vgl. Iul. Epist. ad Them. §  10, 35.9; vgl. Perkams 2008, 105– 126, bes. 121. 83  Vgl. Erler 2016b, 946 f.; dazu D. Jackson, Socrates and Christianity, Classical Folia 31 (1977) 189–206; E. Dassmann, Christus und Sokrates. Zu Philosophie und Theologie bei den Kirchenvätern, Jahrbuch für Antike und Christentum 36 (1993) 33–45. 84   Vgl. Aug. cons. evang. 12. 26; dazu Erler 2011b, 29–48.

4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates

83

erkennen, dass sie Sokrates als Impulsgeber, als Elenk­ tiker, Protreptiker und Maieut für nützlich halten. So­ krates wird zum Gottesgeschenk und sein Pragma zum Gottesdienst stilisiert. Er wird als Helfer empfunden, gerade in einer Zeit, die der Seele des Menschen infolge ihrer Schwäche eine Rettung aus eigener Kraft nicht mehr zutraut.85 Die Sokratesfigur trägt zunehmend Züge, die diese ­Figur ganz offenbar als Gegenangebot zum christlichen Christus erscheinen lassen und offenbar erscheinen las­ sen sollen. In der Tat war die Figur Christi Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Platonikern und christlichen Autoren, wie z. B. Porphyrios und Augus­ tinus ­zeigen.86 Platoniker warfen Christen vor, das Bild Christi verfälscht zu haben. Christus sei kein Gott, wohl aber eine Art Magier.87 Kelsos argumentiert, dass Jesus kein heiliger Mann sei, denn ein solcher würde nicht die Demütigung der Kreuzigung auf sich nehmen.88 Porphyrios weist neben Herakles, Orpheus und ­Pythagoras einen Platz unter den Weisen auch Jesus zu, der den Menschen die Verehrung Gottes lehrt, von Menschen aber irrig als Gott verehrt werde.89 In diesem Kontext nun wird Sokrates zum Vergleich herange­ zogen. Justin sieht Sokrates als Christ ‚avant la lettre‘, der verfolgt wurde und der durch seinen Kampf gegen falsche Götter in der Mythologie bewiesen habe, dass  Vgl. Erler 2002b, 387–414.   Vgl. z. B. Aug. civ. 10, 28. 87   Vgl. Porph. frg. 346 Smith. 88   Vgl. Cels. 2, 31. 89   Vgl. Aug. civ. 19, 23; Erler 2016b, 946. 85

86

84

II. „Pray for us, holy Socrates“?

er partiell Christ war.90 Auch Origenes stellt einen ­direkten Vergleich an. Demnach starben Christus und Sokrates einen schmählichen Tod, beide lehrten Tap­ ferkeit angesichts des Todes, beide gaben sich mit ­Sündern ab. Platon hatte ja in der Tat nicht nur einen Hinweis auf den gekreuzigten Gerechten gegeben,91 sondern schildert ja auch Sokrates’ Tod quasi als ein Opfer für die Gerechtigkeit. Schließlich ist daran zu ­erinnern, dass Sokrates sich selbst in der Apologie zwar nicht als Gott, wohl aber als Gottesdiener und sein Pragma als Gottesdienst bezeichnet,92 was – wie wir ­sahen – im späteren Platonismus gerne aufgegriffen worden ist. Alles dies legt die Vermutung nahe, dass wohl nicht zuletzt in Konkurrenz zu Christus Sokrates von Plato­ nikern zu einer Heiligenfigur und zu jenem Retter ­stilisiert wird, der wegen der Schwäche der Menschen schon von Platon selbst als solcher legitimiert scheint. Weiterhin zeigt es erneut, dass Sokrates und sokrati­ sche Elemente im Platonismus wichtig bleiben und so­ gar als ‚Argument‘ in der Auseinandersetzung mit dem Christentum dienen. Dazu gehören eine gewisse Hin­ wendung zur Diesseitigkeit und jene platonische De­ mut und jene platonische Gnadenlehre, welche oft als Zeichen von Diskontinuität oder gar als Bruch inner­   Vgl. Just. Apol. 1, 46.   Vgl. Pl. R. 361e–362a; E. Benz, Der gekreuzigte Gerechte bei Plato, im Neuen Testament und in der alten Kirche, Wiesba­ den 1950; H. Hommel, Der gekreuzigte Gerechte, Theologia Viatorum 4 (1952) 124–133; Erler 2016b, 837 ff., bes. 946–948. 92   Vgl. Pl. Ap.  23c; 31a. 90 91

4. Nichtigkeit des Menschen und Überhöhung des Sokrates

85

halb des Platonismus betrachtet werden. Es handelt sich jedoch hier nur um besondere Akzentuierungen und Zeichen von Flexibilität, die nicht zuletzt innerhalb der wachsenden Auseinandersetzung mit dem Chris­ tentum hilfreich sind und die besonders auch den Be­ reich praktischer Philosophie betreffen. ­Sokrates spielt auch hier eine bleibende Rolle.

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias): Sokratische Peitho und pagan-christliche Paideia 1. Gleichnis und Beispiel in den platonischen Dialogen Metaphern können Brücken zwischen Bereichen bau­ en, die inhaltlich in einem Spannungsverhältnis zuein­ ander stehen. Dies gilt in der Politik ebenso wie in der Literatur, dies gilt auch im Kontext antiker Philoso­ phie. Hier werden Metaphern bisweilen zu Schlagwör­ tern, die nicht nur zwischen philosophischen Schulen, sondern auch zwischen paganer Philosophie und dem Christentum vermitteln, insofern sie Konvergenzen andeuten, ohne Differenzen gänzlich zu verleugnen. Platon bedient sich in den Dialogen gerne einer bild­ reichen Sprache in Gleichnisreden oder in Beispielen,1 zumeist um so argumentativ gefundene oder gesuchte Wahrheiten zu erhellen. Er tut dies in bestimmten Kon­ texten und mit Blick auf bestimmte Adressaten. Erin­ nert sei an den Vergleich des Sokrates mit einem Zitter­ rochen, an das Bild der Seele als Seelengespann, das 1   Zu Platons Verwebung von Gleichnissen vgl. E. E. Pender, Images of Persons Unseen: Plato’s Metaphors for the Gods and the Soul, St. Augustin 2000 (das hier behandelte Bild vom ‚Kind im Mann‘ wird dort nicht diskutiert). Grundsätzlich vgl. U. von Wilamowitz-Moellendorff, Platon. Bd.  2, Berlin 1920, 416 f.

1. Gleichnis und Beispiel in den platonischen Dialogen

87

Schiffergleichnis sowie an das Sonnen-, das Linien- und das Höhlengleichnis in der Politeia. 2 Mit Gleichnis oder Beispiel beabsichtigt Platon vornehmlich einen didakti­ schen Nutzen mit Blick auf den Rezipienten und setzt sie zudem als persuasives Mittel ein.3 Jedenfalls ist ­Sokrates in den Dialogen überzeugt, dass Vergleiche für die Verdeutlichung von philoso­phischen Positionen, die er vertritt, geeignet seien. Wenn er z. B. im Dialog Gor­ gias den zügellosen und lust­orien­tierten Menschen mit einem löchrigen Sieb und einem l­öchrigen Fass ver­ gleicht, dann begründet er dies damit, dass er auf diese Weise besser überreden könne.4 Die bildreiche Argu­ mentationsweise scheint als für Sokrates typisch gegol­ ten zu haben.5 Wenn Adeimantos zu Sokrates sagt, „Als ob du sonst nicht in Gleichnissen zu antworten pfleg­ test“,6 dann ist das Ironie, denn Sokrates bedient sich vieler Bilder und Metaphern; er ist geradezu gierig ­danach.7 Das Gleichnis ist für ihn Mittel rhetorischer ­persuasio, stellt aber keinen gleichwertigen Ersatz für dialektisch-philosophische argumentatio dar. Denn wie 2   Vgl. Pl. Men. 80a; Pl. Phdr. 246 ff.; Pl. R. 488a–b; 488b–­489a; 504b–511; 514a–521b; vgl. auch das Taubenschlagbeispiel (Pl. Tht. 197d), Schiff und Staat (Pl. Lg. 758a), Leib als Gefängnis (Pl. Phd. 82e), Delphin als Retter (Pl. R. 453d) und dreifache Woge (Pl. R. 472a). 3   Vgl. M. Erler, Gleichnis im Kontext. Antike Reflexionen über das Gleichnis in Philosophie und Rhetorik (im Druck). 4   Vgl. Pl. Grg. 493c. 5   Vgl. Pl. Smp.  221e; Xen. Mem. 1, 2, 9. 6   Übersetzung K. Vretska, Platon, Der Staat, Stuttgart 1982, 281; vgl. Pl. R. 487e. 7   Vgl. Pl. R. 487e; 488a; Pl. Grg. 493c.

88

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

Platon selbst im Menon andeutet, stammen Vergleich, Gleichnisrede oder Bild lebensweltlich nicht aus dem philosophischen Bereich, sondern aus dem Kontext des sympotischen Spiels.8 Diese Adressatenbezogenheit und die persuasive Funktion von Gleichnissen und Gleich­nisreden werden in Platons Dialogen durch das wohl berühmteste Gleichnis, das Höhlengleichnis in der Politeia, prominent hervorgehoben. Dabei wird deutlich – so meine erste These –, dass Platon auch das rhetorische Mittel der Gleichnisrede oder des Beispiels akzeptiert, freilich nur in bestimmten Kontexten und mit Blick auf bestimmte Adressaten. Ein weiteres be­ rühmtes Beispiel bei Platon und im Platonismus allge­ mein ist das Bild vom ‚inneren Menschen‘, das Platon in der Politeia prägt9 und das bei ihm als Bild für jenen vernünftigen Seelenteil steht, den Adressat ‚sokratisch-­ platonischer Seelsorge‘, und damit Grundlage der prak­ tischen Ethik Platons ist. Die Metapher erfreute sich aber auch deshalb großer Beliebtheit, weil Paulus eben­ falls von einem ‚inneren Menschen‘10 spricht und man hier in der Kaiserzeit gerne die Möglichkeiten einer An­ näherung zwischen Christen und Platonikern sehen wollte, obgleich das Bild bei Platon und bei Paulus durchaus nicht völlig Identisches meint.11 8   Vgl. Pl. Men. 80a; Ar. Ra. 905, vgl. dazu K. Dover (Hg.), Aristo­phanes: Frogs, Oxford 1993, 306. 9   Vgl. Pl. R. 588aff. 10   Vgl. Paulus, 2. Kor. 4, 16–18. 11  Zur Metapher vom ‚Inneren Menschen‘ vgl. C. Mark­ schies, Die platonische Metapher vom ‚inneren Menschen‘. Eine Brücke zwischen antiker Philosophie und altchristlicher Theo­

2. Das ‚Kind im Mann‘

89

2. Das ‚Kind im Mann‘ Im Folgenden soll es jedoch nicht um diese vielbehan­ delte Metapher Platons, sondern um eine andere, weni­ ger beachtete, gleichwohl aber interessante und wir­ kungsmächtige Metapher aus dem Kontext platonischer Ethik gehen. Gemeint ist das Bild vom ‚Kind im Mann‘, das ‚besungen‘ und besänftigt werden muss, wenn man seiner Affekte Herr und empfänglich für philosophi­ sche Belehrung werden will. Wer heute vom ‚Kind im Mann‘ oder ‚Mann als Kind‘ spricht, wird dies viel­ leicht mit jenem alten, an Ovid orientierten Schulvers in Verbindung bringen: sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant (Kinder sind Kinder, Kinder tun Kindliches) – oder er wird sich an den ersten Korintherbrief erin­ nern, in dem davon die Rede ist, dass Paulus, als er ein Kind war, wie ein Kind redete.12 Weniger bekannt ist, dass der erste Beleg für dieses Bild in Platons Dialog Phaidon zu finden ist.13 Dort wird es im Kontext einer philosophischen Argumenta­ tion verwendet, den man sokratisch-therapeutisch nen­ nen könnte. Eine Tradition hat es bis in die Spätantike gebildet. Das Bild vom ‚Kind im Mann‘ steht für jene Instanz, von der jene Affekte a­ usgehen, die das Bemü­ hen der Diskussionspartner des Sokrates behindern, logie, International Journal of the Classical Tradition 1 (1995) 3–18. 12   Vgl. Paulus, 1. Kor. 13, 11. 13  Vgl. Pl. Phd. 77c–e; vgl. dazu M. Erler, Das Bild vom ‚Kind im Menschen‘ bei Platon und der Adressat von Lukrez’ De rerum natura, Cronache Ercolanesi 33 (2003a) 107–116.

90

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

sich seiner Argumentation für die Unsterblichkeit und seinen Schlussfolgerungen anzuschließen. Dabei be­ zeichnet Sokrates selbst seine Argumente für die Un­ sterblichkeit der Seele als Hilfs- und Trostmittel, um bei seinen Partnern Gleichmut und Eudaimonie ange­ sichts seiner anstehenden Hinrichtung zu bewirken. Nun werden die Ergebnisse der sokratischen Argumen­ tationen und Beweisführungen von den Gesprächs­ partnern Kebes und Simmias wiederholt als schlüs­sig bezeichnet. Gleichwohl haben sie nach eigenen Worten große Probleme, das Ergebnis nicht nur zu akzeptieren, sondern auch anzunehmen. Der Kopf hat sozusagen den (rationalen) Argumenten nichts entgegenzusetzen und fühlt sich im Grunde verpflichtet zuzustimmen. Doch gibt es einen inneren, von Emotionen geleiteten Widerstand, aufgrund dessen man diese nicht akzep­ tiert – ein Zustand, der von Platon in den Dialogen nicht nur dargestellt, sondern auch reflektiert wird. Platon hat erkannt, dass man für rationale Überzeu­ gungskunst gleichsam den Boden bereiten und die emotionale Bereitschaft wach­rufen muss, auch anzu­ nehmen, was vermittelt wurde und wovon man über­ zeugt sein sollte. Das Bild vom ‚Kind im Mann‘, das besungen werden muss, ist also bedeutsam für Platon und die Interpretation seiner Dialoge.14 Es lässt sich zeigen, dass Platon in späteren Dialogen wie der Politeia mit dem dreiteiligen Seelenmodell und in den Nomoi durch das Paideia-Konzept im Grunde 14  Vgl. M. Erler, Platon. Affekte und Wege zur Eudaimonie, in: H. Landweer/U. Renz (Hgg.), Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, Berlin/New York 2008c, 19–44.

2. Das ‚Kind im Mann‘

91

nur begrifflich erläutert, was im Phaidon mit der Meta­ pher vom ‚Kind im Mann‘ und der Notwendigkeit des ‚Besingens‘ illustriert wird, sodass man diese Stellen nicht nur als Zeugnisse einer Entwicklung in der geisti­ gen Biographie Platons werten, sondern dabei auch an kontextbedingte Akzentuierungen in Platons Psycho­ logie denken sollte. Im Folgenden soll uns freilich ein weiterer Gesichts­ punkt beschäftigen: Die Tradition der sokratisch-pla­ tonischen Metapher ‚Kind im Mann‘, die von unserer Phaidon-­Stelle ausgeht, eine Tradition, die sich über mehrere Stationen bis in die Spätantike verfolgen lässt. Dabei geht es nicht einfach darum, Stellen zu sammeln, an denen u ­ nsere Metapher verwendet wird. Vielmehr soll darauf hingewiesen werden, dass dieses Bild nicht nur in unterschiedlichen philosophischen Schulen ver­ wendet wird, sondern dass es gleichsam zum Merkmal einer sokratischen praeparatio philosophica wird, die weiterer oder eigentlicher argumentativer Belehrung den Boden bereiten will. Die Metapher ‚Kind im Men­ schen‘ wird geradezu zum Signum von Texten im Lehr­ curriculum unterschiedlicher philosophischer Schulen, in denen es um die Domestizierung von Emotionen geht, wodurch bestimmte Stellen an Profil gewinnen. Die Metapher wird nicht nur ‚schulübergreifend‘ ver­ wendet; sie dient zudem als Brücke zwischen paganem Denken und Christentum. Es sei deshalb zunächst an die Herkunft der Metapher erinnert, dann wenigstens andeutungsweise die Geschichte dieser Metapher nach­ gezeichnet und vor diesem Hintergrund schließlich am Beispiel des Clemens von Alexandria gezeigt, wie die vom

92

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

Platon geschaffene Metapher eine Art ‚Brückenfunk­ tion‘ ausübt, die freilich Unterschiede nicht verbirgt.

3. Herkunft der Metapher im Phaidon Τῷ γε βιάζεσθαι τοῖς λόγοις ὁμολογεῖν αὐτὸν μὴ λέγειν ὀρθῶς· ἐπῳδῶν γε μὴν προσδεῖσθαί μοι δοκεῖ μύθων ἔτι τινῶν. „Wenigstens insofern, als wir ihn durch unsere Argumente gezwungen haben einzugestehen, daß er nicht recht hat. Doch scheint er mir noch einiger bezaubernder Worte zu be­ dürfen.“15

Was der Athener in den Nomoi nach längerer Argu­ mentation konstatiert, ist in Platons Dialogen zu beob­ achten: Die Ergebnisse einer Argumentation werden zwar als schlüssig akzeptiert, gleichwohl aber nicht ei­ gentlich angenommen.16 Die Ursache hierfür beschreibt Platon im Phaidon mit einer Metapher, die weniger ­bekannt zu sein scheint, die allerdings interessant und besonders wirkungsmächtig im Kontext platonischer Ethik bis in die späte Kaiserzeit ist. 15   Pl. Lg. 903a–b; Übersetzung K. Schöpsdau (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  IX 2. Nomoi Buch VIII–XII, Göttingen 2011, 91. 16   Vgl. ausführlich dazu Erler 2004, 57–68. Zu den nicht un­ problematischen Argumenten vgl. E. Heitsch, Was Autor und Dia­logpersonen des Phaidon von ihren Argumenten halten, in: A. Hav­líček/F. Karfik (Hgg.), Plato’s Phaedo: Proceedings of the Second Symposium Platonicum Pragense, Prag 2001, 78–95. Freilich resultiert das Problem aus einer Unsicherheit auf Seiten der Rezipienten.

3. Herkunft der Metapher im Phaidon

93

Zunächst also kurz zur Herkunft der Metapher im ­ ialog Phaidon: Anlass für Sokrates’ Diskussion über D die Unsterblichkeit der Seele in diesem Dialog ist der Wunsch, zu klären, warum Platons Protophilosoph ­angesichts der Richter so zuversichtlich und angesichts des Todes so furchtlos bleibt. Der Phaidon gilt als Do­ kument des Triumphes menschlicher Vernunft über menschliche Emo­tion und Unzulänglichkeit. Weil Af­ fekte wie Todesfurcht oder Misstrauen gegen die Kraft der Vernunft eine falsche Einschätzung der Situation, Fehlverhalten und deshalb Unglück bewirken, will ­Sokrates die Unsterblichkeit der Seele beweisen,17 um diesen Affekten den Boden zu entziehen. Freilich, der Phaidon dokumentiert auch tiefes Misstrauen gegen­ über rationaler Argumentation und Man­gel an Bereit­ schaft, deren Ergebnisse anzunehmen und zur Maxime eigenen Handelns zu machen.18 Sokrates’ Partner sind auf unterschiedliche Weise an­ fällig: Kebes und Simmias z. B. sind philosophisch inter­ essiert, gebildet und vertraut im Umgang mit Argumen­ ten, wollen sich der Macht des Logos beugen und sich überzeugen lassen. Sie geben sogar schließlich zu, dass Sokrates schlüssig argumentiert. Und dennoch ist ihr Verhältnis zum Logos ambivalent: Es ist geprägt von Misstrauen. Zurückhaltung und Unglauben (ἀπιστία)

17   Vgl. Analyse der Argumente (nach anderen) in T. Ebert, Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  I 4. Phaidon, Göttingen 2004, 163 ff. 18   Vgl. J. Dalfen, Philologia und Vertrauen. Über Platons ei­ genartigen Dialog Phaidon, Grazer Beiträge 20 (1994) 35–57.

94

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

sind Merkmale ihres Verhaltens im Gespräch.19 Mal scheinen sie Argumente und ihr Ergebnis zu akzeptie­ ren, mal zeigen sie sich ungläubig, obgleich sie zugeben, eigentlich überzeugt zu sein, und das, obwohl sie keinen Grund für Zweifel benennen können.20 Diesem negativen Einfluss und Misstrauen sucht ­Sokrates mit seiner Argumentation zu begegnen und den Widerstand dieses ‚Etwas‘ im Menschen zumin­ dest zu mildern. Mehrere Argumente für die Unsterb­ lichkeit der Seele werden daher vorgetragen. Noch nach dem letzten seiner Beweise rechnet Sokrates damit, dass weitere Argu­mente für die Unsterblichkeit der Seele zu finden sind. 21 Das ist erstaunlich, denn für ei­ nen Philosophen sollte ein schlagendes Argument ge­ nügen. Doch davon geht Sokrates nicht aus. Er bedient sich der rhetorischen Strategie der Argumentations­ häufung und der Ankündigung, eigentlich habe er noch mehr zu bieten; damit intendiert er nach eigenen Worten Aufmunterung (παραμυθία) – ‚Trost‘ ist hier eine viel zu enge und deshalb unangemessene Über­ setzung – als Ziel seiner Ausführungen, vertraut also weniger auf die Schlagkraft der Argumente als auf ­rhetorische Überredung. 22 Es wird deutlich, dass die eigentliche Absicht sokratischer Argumentation im   Vgl. ebd.   Vgl. Pl. Phd. 77e; 91c–d. 21   Vgl. N. Blössner, Sokrates und sein Glück, oder: Weshalb hat Platon den Phaidon geschrieben?, in: A. Havlíček/F. Karfík (Hgg.), Proceedings of the Second Symposium Platonicum Pra­ gense, Prag 2001, 96–139. 22   Vgl. D. Gallop, Emotions in the Phaedo, in: A. Havlíček/ F. Karfík (Hgg.), Plato’s Phaedo: Proceedings of the Second 19

20

3. Herkunft der Metapher im Phaidon

95

Phaidon die Zügelung und die Kontrolle von Affekten ist, die verhindern, dass man sich ganz der Überzeu­ gungskraft der Argumente überlässt. Das Stichwort Paramythia 23 ­signalisiert, dass es Sokrates mit seinen Argumenten weniger um ein exercitium logicum als um den Wunsch geht, rationale Beweisführung mit thera­ peutischem Zweck zu verbinden. Adressat jener argu­ mentativen Therapie ist ei­ne Instanz im Menschen, die daran hindert, Folgerungen aus den Argumentationen anzunehmen und diese zur Maxime eigenen Verhaltens zu machen. Ebendiese Instanz nun versieht Platon im Phaidon mit einem Namen und beschreibt sie mit einer Metapher. An zentraler Stelle des Dialoges konstatiert Sokrates, dass Kebes und Simmias sich trotz aller Beweise immer noch ‚wie Kinder‘ verhielten und deshalb befürchteten, die Seele könne nach dem Tod durch den Wind zerstie­ ben. 24 Kebes ist ihm wegen dieses Vergleiches keines­ wegs böse. Er greift ihn auf, wobei er freilich differen­ ziert. ­Kebes schlägt vor, so zu tun, als ob nicht er und Simmias selbst sich fürchteten. Er bittet darum, vom

Symposium Platonicum Pragense, Prag 2001, 275–286; Dalfen 1994, 35–57. 23   Vgl. Pl. Phd. 70b; 83a. 24   Zwar ist richtig, dass Kebes zuerst von jenem ‚Kind in uns‘ spricht (vgl. Pl. Phd. 77e), doch zuvor schon (vgl. Pl. Phd. 77d) bringt Sokrates die Furcht von Kindern ins Spiel, was Kebes of­ fenbar aufgreift. Es ist deshalb plausibel, dass sie dann Sokrates zugeschrieben wurde, wie z. B. von Epiktet (vgl. Arr. Epict. II 1, 15), der auch andere Bezüge zum Phaidon herstellt (vgl. A. A. Long 2002, 159; 167).

96

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

‚Kind in uns‘ zu sprechen (ἐν ἡμῖν παῖς). 25 Dieses ‚Kind in uns‘, wie er sagt, – d. h. das Kind in ihm selbst, aber auch in Sokrates und Simmias – solle von Angst befreit werden: Ὡς δεδιότων, ἔφη, ὦ Σώκρατες, πειρῶ ἀναπείθειν· μᾶλλον δὲ μὴ ὡς ἡμῶν δεδιότων, ἀλλ’ ἴσως ἔνι τις καὶ ἐν ἡμῖν παῖς ὅστις τὰ τοιαῦτα φοβεῖται. τοῦτον οὖν πειρῶ μεταπείθειν μὴ δεδιέναι τὸν θάνατον ὥσπερ τὰ μορμολύκεια. „Sokrates, da uns ja bange ist, so versuche doch, uns zu über­ zeugen. Oder eher, nicht als ob uns bange ist, sondern es gibt wohl in uns ein Kind, dem vor diesen Dingen bange ist. Das versuche nun zu überzeugen, daß man nicht vor dem Tode Angst haben muß wie vor einem Buhmann.“26

Sokrates erklärt sich hierzu bereit: Ἀλλὰ χρή [...] ἐπᾴδειν αὐτῷ ἑκάστης ἡμέρας ἕως ἂν ἐξεπᾴσητε. „Man muß ihm aber […] jeden Tag eine Zauberformel vorsa­ gen, bis es von seiner Furcht geheilt ist.“27 25   Vgl. Pl. Phd. 77e; mit Wyttenbach (D. A. Wyttenbach, Platonis Phaedo, Lugduni Batavorum 1810) ist die Metapher zu verstehen als ‚Kind in uns‘, nicht mit Ficino (Platonis opera translatione Marsilii Ficini, emendatione et ad Graecum codicem collatione Dimonis Grynaei 1533) und anderen als inter nos puer. Es gab auch eine Diskussion, ob die Metapher als zweifelnde Ver­ nunft zu verstehen ist (C. F. Williger, Il Pais di Cebes nel Faidon di Platone, Giornale di Metafisica 1 [1946] 103–113) oder als ir­ rationaler Teil der Seele (G. Braga, Il ‚Fanciullino‘ Di Cebete, Giornale di Metafisica 2 [1947] 60–62, mit Replik von C. F. Wil­ liger, Ancora Sul ‚Fanciullino‘ di Cebete, Giornale di Metafisica 2 [1947] 262–264; zur Metapher zuletzt C. H. Young, A Delicacy in Plato’s Phaedo, The Classical Quarterly 38 [1988] 250–251). 26   Pl. Phd. 77e; Übersetzung Ebert 2004, 39. 27   Pl. Phd. 77e; Übersetzung Ebert 2004, 39; vgl. P. Laín-Et­

3. Herkunft der Metapher im Phaidon

97

Dass Furcht von Platon mit ‚Kind‘ in Verbindung ge­ bracht wird, kann nicht erstaunen. Anders als christ­ liche Auffassung verbindet antik-paganes Denken mit dem Begriff ‚Kind‘ eine Vorstellung des Unzureichen­ den 28 und des Furchtsamen. Affekte, insbesondere Furcht, wurden geradezu zum Inbegriff naturgemäßen Verhaltens bei Kin­dern. Sokrates’ Aufforderung soll zudem an einen lebens­ weltlichen Kontext erinnern, nämlich an jene ‚Alt­ weibergeschichten‘, 29 die in griechischen Kinderstuben erzählt wurden, um Kinder in Schrecken zu versetzen ralgo, Die platonische Rationalisierung der Besprechung (ΕΠΩΙΔΗ) und die Erfindung der Psychotherapie durch das Wort, Hermes 86 (1958) 298–323; zum ‚Besingen‘ als Vernunft­ argument bei Platon vgl. Pl. Chrm. 156e–157a; Pl. Phd. 77e; Pl. Lg. 903a–b; dazu C. Bobonich, Persuasion, Compulsion and Freedom in Plato’s Laws, The Clas­sical Quarterly 41 (1991) 365– 388, bes. 374. Der Charmides zeigt zudem, dass die eigentlich philosophische Belehrung auf die Hinwendung zur Philosophie (Protrepse) mittels der Aporie und der praeparatio philosophica folgen sollte, vgl. Erler 1987, 211 f. 28   Vgl. H. Herter, Das unschuldige Kind, in: ders./E. Vogt (Hgg.), Kleine Schriften, München 1975, 598–619. Unfertigkeit als Eigenart von Kindern konnte zur Disqualifizierung von Erwach­ senen verwendet werden, vgl. den Aufruf des greisen Ägypters in Platons Timaios (Pl. Ti. 22b), wonach die Griechen immer Kinder – und das heißt unvollkommen – bleiben werden; zum Kind im Hellenismus und in der Klassik vgl. S. Schlegelmilch, Bürger, Gott und Götterschützling. Kinderbilder der hellenisti­ schen Kunst und Literatur, Berlin/New York 2009. 29   Vgl. A. Scobie, Storytellers, Storytelling, and the Novel in Graeco-Roman Antiquity, Rheinisches Museum 122 (1979) 229– 259; G. Heldmann, Märchen und Mythos in der Antike? Ver­ such einer Standortbestimmung, München/Leipzig 2000, 95 ff.

98

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

und um sie auf diese Weise zu Gehorsam und zu richti­ gem Verhalten zu veranlassen. Als Kinderschreck dien­ ten in Griechenland Gespenster wie Mormo oder La­ mia. Zudem wurden grimmig dreinschauende Masken (μορμολυκεῖα) gezeigt oder Kindern wurden schreck­ liche Geschichten erzählt. Freilich, einfach übernom­ men hat Platon dieses Element primitiv-praktischer Ethik oder Pädagogik nicht, er hat es vielmehr auf be­ zeichnende Weise verändert. Denn, wie wir hörten, geht es Sokrates im gesamten Gespräch des Phaidon darum, das ‚Kind im Mann‘ geradezu davon zu über­ zeugen (μεταπείθειν), dass der Tod nicht wie ein Schreck­ gespenst zu fürchten sei. Platons Sokrates ist vielmehr das richtige Verhalten gegenüber dem Tod und der Hinrichtung wichtig, eine Änderung der Haltung. Aus Schreckgeschichten wird also ein therapeutisches Ge­ spräch, aus Abschreckung eine praeparatio philosophi­ ca. Im Phaidon soll Sokrates’ Argumentation für die Unsterblichkeit der Seele dieser Tröstung und Therapie dienen.

4. Rezeptionsphasen Genau so ist unsere Metapher dann in der Antike ver­ standen worden. Sokrates’ Paramythia als Therapie des ‚Kindes im Mann‘ formte über Platon hinaus eine Tra­ dition bei Griechen und Römern, von der Republik über die Kaiserzeit bis in die Spätantike. Wie genau man sich diese ‚Tröstung‘ im Sinne einer praeparatio vorstellen soll, lässt sich z. B. gut der pseudoplatoni­

4. Rezeptionsphasen

99

schen Schrift Axiochos entnehmen.30 Dort wird ge­ schildert, wie Sokrates auf dem Weg zum Kynosarges von Kleinias zu dessen Vater Axiochos gerufen wird, der sich dem Tode nahe fühlt, der verunsichert und vol­ ler Furcht ist. Früher, so Sokrates, sei Axiochos offen für vernünftige Überlegungen gewesen, jetzt verhalte er sich jedoch wie ein Kind, das noch ohne Vernunft ist (νηπίου δίκη). Er weigere sich, Argumente ab­zunehmen; deshalb bedürfe Axiochos in der Tat des Zuspruches. Ebendiese Paramythia des Kindes Axiochos will Sok­ rates im Folgenden bieten, indem er argumentiert, dass der Tod kein Übel, sondern ein Gut ist. Dabei wird deutlich: Sokrates will eigentlich keine neue Erkenntnis argumentativ festigen, sondern den verängstigten Axiochos emotional aufbauen und dazu bringen, sich überhaupt erst für die Argumente zu öff­ nen, die ihm zeigen sollen, dass seine Situation weniger dramatisch ist, als er denkt. Seine Argumentationen sind also kein Selbstzweck oder gar ein exercitium logi­ cum, sondern zielen auf die Disposition des Partners, gehören zur sokratischen Therapie der Seele und sind daher eher Teil seiner praktischen Ethik. Und eben dies erwartet Axiochos auch: Er gibt zu, dass ihm irgendwie die starken und hervorragenden Argumente über den 30   Vgl. dazu M. Erler, Argumente, die die Seele erreichen. Der Axiochos und ein antiker Streit über den Zweck philosophi­ scher Argumente, in: ders./K. Döring/S. Schorn (Hgg.), Pseudo­ platonica. Akten des Kongresses zu den Pseudoplatonica vom 6.–9. Juli 2003 in Bamberg, Stuttgart 2005a, 81–95; M. Erler, Zur lite­ rarisch-philosophischen Einordnung des Dialogs, in: I. Männ­lein-Robert u. a. (Hgg.), Ps.-Platon. Über den Tod, Tü­ bingen 2012b, 99–115.

100

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

Tod bekannt sind, doch räumt er auch ein, dass sie ihm immer wieder entweichen: Ἀλλ’ οὐκ οἶδα ὅπως παρ’ αὐτό μοι [...] οἱ μὲν καρτεροὶ καὶ περιττοὶ λόγοι ὑπεκπνέουσιν λεληθότως καὶ ἀτιμάζονται. „[I]ch weiß nicht, wie mir [...] die starken und herausragen­ den Argumente unbemerkt mit meinem Atem allmählich entweichen und an Ansehen verlieren.“31

Offenbar sträubt sich in ihm etwas, aus vernünftigen Erwägungen Folgerungen für das Verhalten zu ziehen. Axiochos hofft auf Argumente, die nicht nur die Ober­ fläche berühren, wie er sagt, sondern die Seele errei­ chen. Gegen Affekte – so Axiochos – können sophis­ tische Argumente nichts ausrichten. Erst ein letzter populärer Hinweis des Sokrates auf ein interessantes Leben im Jenseits spricht Axiochos an, beseitigt seine Zweifel und beruhigt das ‚Kind in ihm‘.32 Es geht bei dem Besingen des Kindes in diesem Dia­ log darum, Axiochos emotional aufzurüsten und ihm zu helfen, seiner Affekte, also des ‚Kindes in ihm‘, Herr zu werden. Und wichtig festzuhalten ist auch: Was hier im Axiochos in einer dramatischen Szene geschildert wird – das Besingen des Kindes als emotionale prae­ paratio für die Akzeptanz für Belehrung –, finden wir in der Folge immer wieder, oft im Kontext schulischer Situationen und im Zuge unterschiedlicher philoso­ 31   Ps.-Pl. Ax. 365c; Übersetzung I. Männlein-Robert u. a. (Hgg.), Ps.-Platon, Über den Tod, Tübingen 2012, 47; dazu vgl. O. Immisch, Philologische Studien zu Plato. Bd.  1: Axiochus, Leipzig 1896, 31 ff. 32   Vgl. Ps.-Pl. Ax. 369e; 371c–372a.

4. Rezeptionsphasen

101

phischer Ausrichtungen. Es begegnet uns z. B. bei An­ hängern hellenistischer Schulen wie Seneca oder Mark Aurel.33 Epiktet andererseits beklagt in einer dissertatio,34 dass manche seiner studentischen Zuhörer zwar schon Kenntnisse erworben hätten, diese aber nicht richtig einsetzen könnten, sondern sich vom ‚Kind in ihnen‘ zu emotionalem Verhalten verleiten ließen. Sie müssten dieses Kind zügeln und eine affektfreie, für rationale Argumentation zugängliche Disposition erst noch er­ werben, wenn sie wirklich Philosophie treiben wollen. In dieser dissertatio35 bezieht sich Epiktet auf Sokrates: Da Kinder nicht erfahren genug seien, erachten sie Masken und Schreck­gespenster als erschreckend. Und wegen Mangel an Erfahrung und Erziehung würden manche sich von Ereignissen einschüchtern lassen, weil sie nicht erkennen, dass die Ereignisse in keinster Weise erschreckend seien. Deshalb benötige das Kind manche Bildung und Aufklärung. Denn ein Kind, das Wissen hat, ist – so ist Epiktet überzeugt – nicht schlechter als wir Erfahrenen.36 So sei es z. B. hilfreich, den Tod, der von manchen als Schreck­gespenst betrachtet und ge­ fürchtet wird, in das zu verwandeln, was er wirklich ist.37 Epiktet will, dass wir den Tod als etwas sehen, das   Vgl. Sen. epist. 24, 13; M. Aur. XI 23.   Vgl. Epict. diss. II. 35   Vgl. M. Erler, Death is a Bugbear: Socratic ‚Epode‘ and Epictetus’ Philosophy of the Self, in: T. Scaltsas/A. S. Mason (Hgg.), The Philosophy of Epictetus, Oxford 2010c, 99–111. 36   Vgl. Epict. diss. II 1, 16 f. 37   Vgl. Epict. diss. II 1, 19. 33

34

102

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

nicht zu fürchten ist. Die Beurteilung dessen, was Tod ist, liegt in unserer Macht. Nur wenn wir keine Kinder mehr sind, genießen wir Seelenruhe.38 Epiktet bezieht sich damit offensichtlich auf den Phaidon und auf die von Sokrates verwendete Metapher und integriert die­ ses Bild in seine praktische Ethik. Es geht ihm darum, zu erkennen, was in unserer Macht liegt und was nicht.39 Dabei wird Sokrates’ Dictum zum Teil einer meditatio.40 Die Sokratesfigur dient Epiktet als ­Legitimation dafür, dass der Philosoph logoi mit Vor­ sicht (εὐλάβεια) handhaben muss, um einen Hass gegen Reden (μισολογία) und die Furcht vor dem Schreck­ gespenst Tod zu meiden und um angesichts des Todes zuversichtlich zu sein. Wie Platon ist auch Epiktet überzeugt, dass es bisweilen nicht hinreichend ist, nur gute Argumente zu haben.41 Wir sehen, dass Platons Metapher ‚Kind im Mann‘ eine wichtige Rolle in der hellenistischen Philosophie spielt. Das Bild lässt sich bis in die Spätantike verfolgen, denn es findet sich in philosophischen Kontexten auch in späteren Schriften der platonischen Tradition, etwa bei Plutarch, bei Plotin, bei Porphyrios oder Damas­   Vgl. Epict. diss. II 1, 21.   Vgl. Epict. diss. II 1, 21; vgl. R. F. Dobbin (Hg.), Epictetus: Discourses. Book 1, Oxford 1998, 75–78. 40   Vgl. Epict. diss. III 22, 106. 41   Vgl. Pl. Phd. 62b. Dies ist interessant mit Blick darauf, dass nach Epiktet Emotionen wie Todesfurcht nicht durch ein irratio­ nales Element in der Seele, sondern durch falsches Urteil verur­ sacht sind (vgl. Long 2002, 246). Genau dieses Problem aber besteht auch im Phaidon, wo ebenfalls ein rein rational ausge­ richtetes Seelen­model zugrunde gelegt wird. 38 39

4. Rezeptionsphasen

103

kios.42 Stets geht es dabei um die Gefahr, dass Adressa­ ten – meist bereits interessierte Anfänger in Philoso­ phicis – Argumente hören, deren Ergebnisse sie für akzeptabel halten, aber gleichwohl nicht annehmen und deshalb nicht zu Maximen eigenen Handelns ma­ chen können oder wollen. Und immer steht die Me­ tapher für jene Instanz, an die sich schon der philo­­so­phische paid-agogos (‚Kinderführer‘) Sokrates mit seinen therapeutischen Argumenten richtet, um für philosophische Belehrung vorzubereiten. Noch für den spät­antiken Aristoteles-Kommentator David43 gilt als un­gebildet (a-paideutos) nicht derjenige, der nichts weiß, sondern derjenige, der – wie ausdrücklich gesagt wird – ‚das Kind in sich‘ noch nicht besänftigt hat. Da­ bei handelt es sich um ein ‚Kind im Mann‘, das es auch noch bei alten Leuten gebe und das die unvernünftige Seele symbolisiere. Paideia wird geradezu definiert als ‚Tröstung oder Kontrolle des Kindes in uns‘ (ὡς τοῦ ἐν ἡμῖν παιδὸς οὖσα καταστολή),44 – also des affektiven Teils der Seele durch den vernünftigen Seelenteil. Aus­ drücklich beruft sich ­David dabei auf Platon. Von besonderem Interesse schließlich ist Simplikios.45 Auch er bestimmt in seinem Kommentar zu Epiktets Encheiridion die Paideia als Korrektur des ‚Kindes in uns‘, also als Kontrolle der Unvernunft durch den ver­ nünftigen Seelenteil. Auch bei ihm gelten als ungebildet 42   Vgl. Plu. de exilio 600d–e; Plot. I 4 (46), 15; Porph. Abst. 1, 41 oder Dam. in Phaedonem I §  310. 43   Vgl. Elias Philosophus in Cat. 118, 1 ff. Busse. 44   Vgl. Elias Philosophus in Cat. 118, 3 f. Busse. 45   Vgl. Simp. in Epict. Ench. XI 90 ff. Hadot.

104

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

diejenigen, welche sich von jenem ‚Kind in sich‘ fehl­ leiten und sich dadurch an wirklicher Philosophie hin­ dern lassen. Simplikios ist von besonderem Interesse, weil sich sein Kommentar46 ausdrücklich nicht an sol­ che Leser richtet, die schon in Philosophie fortgeschrit­ ten sind, sondern an solche, die sich durch einen richti­ gen Umgang mit ihren Affekten erst eine Disposition verschaffen wollen, wie sie für Philosophie notwendig ist. Sein Kommentar ist für solche gedacht, die eine Paideia im Sinne einer Zügelung des ‚Kindes in uns‘ erst erwerben wollen und müssen. Wie bei Epiktet geht es also um Adressaten, die vorgebildet sind, die aber dem ‚Kind in ihnen‘ und ihren Affekten, bis­weilen erlauben, den philosophischen Diskurs zu stören. Die Metapher ‚Kind im Menschen‘ wird sozusagen zum Signum einer Station innerhalb des philosophischen Curriculums, das in den philosophischen Kreisen praktiziert wurde und in Boethius’ Consolatio philosophiae literarisch ge­ worden ist. Trotz aller Unterschiede in philosophischen Grund­ positionen wird deutlich: Was bei Platon im Phaidon kunstvoll mit Hilfe einer Metapher geschildert und als Problem angedeutet wird – nämlich dass seine Argu­ mentation nicht hinreicht, um Überzeugungen zur handlungs­ leiten­ den Disposition zu machen –, wird später in anderem Kontext als Problem formuliert und Teil des philosophischen Curriculums: Es geht um die Notwendigkeit, für eine philosophiebereite Disposi­ tion beim Rezipienten zu sorgen. Paideia wird zur Zü­  Vgl. Erler 1999, 105–122, bes. 112–115.

46

5. Zwei Fallbeispiele

105

gelung des ‚Kindes im Menschen‘ im Sinne einer prae­ paratio philosophica und das bedeutet in der Kaiserzeit zumeist praeparatio Platonica.

5. Zwei Fallbeispiele Wir haben eine Metapher kennengelernt, die Platon mit Hilfe des Sokrates in den philosophischen Diskurs ein­ geführt hat und die – anders als das Bild vom inneren Menschen – nicht für den rationalen Teil, sondern den emotionalen Teil des Menschen steht, der besungen, d. h. gezügelt werden muss. Wie der Phaidon zeigt, ge­ schieht dieses Besingen durch Argumentationen, die keineswegs allein auf Erkenntnisse aus sind, sondern auch auf eine Beseitigung oder zumindest Besänfti­ gung der Emotionen zielen und deshalb von Sokrates als ‚Trostrede‘ bezeichnet werden. Schließlich wurde deutlich, dass die Metapher innerhalb des philosophi­ schen Diskurses als Signum einer Gesprächsform und von Texten angesehen werden kann, welche innerhalb des philosophischen Curriculums einer praeparatio philosophica dienen. Im Folgenden seien nun zwei Fallbeispiele genau be­ trachtet: Zum einen Lukrez’ Gedicht De rerum natura, weil hier die Geschichte unserer Metapher einem von Lukrez gern gebrauchten Bild Profil verleiht. Zum an­ deren der Protreptikos des Christen Clemens Alexan­ drinus, bei dem gut gezeigt werden kann, wie die von Platon geprägte Metapher als Zeichen eines pagan-päd­ agogischen Konzeptes auch innerhalb des christlichen Curriculums in­tegriert wird.

106

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

5.1 Lukrez Zunächst also einige Bemerkungen zu Lukrez’ Lehr­ gedicht De rerum natura.47 Der hellenistische Philo­ soph Epikur, dessen Physiologie Lukrez in seinem ­Gedicht propagieren will, war überzeugt, dass philoso­ phische Argumentation einen heilend-medizinischen Charakter haben sollte.48 In der Tat werden bei Lukrez und im Epikureismus Konvergenzen dieser Haltung mit dem deutlich, was im Phaidon als ‚sokratische Hal­ tung‘ zu beobachten war.49 Wie Sokrates verlangt Epi­ kur, dass Argumente nicht nur den Kopf, sondern auch die Affekte der Ad­ressaten im Blick haben müssen. Dieses therapeutische Verfahren wurde in Epikurs Schule praktiziert, in Trak­ taten seiner Schüler be­ schrieben und ist in Lukrez’ großem Lehrgedicht De rerum natura literarisch geworden.50 Wie Epikur – und wie Platons Sokrates im Phaidon – war Lukrez sich nämlich bewusst, dass bestimmte Affekte wie die Furcht vor dem Tod so tief in der menschlichen Seele verwurzelt sind, dass sie durch rationale Argumenta­ 47   Zur Beziehung zwischen Lukrez und dem Epikureismus vgl. P. Boyancé, Lucrèce et l’épicurisme, Paris 1963; D. Clay, Lucre­ tius and Epicurus, Ithaca (New York)/London 1983; S. Gil­ lespie/Ph.R. Hardie (Hgg.), The Cambridge Companion to Lucretius, Cambridge 2007; F. Montarese, Lucretius and his Sources: A Study of Lucretius De rerum natura I 635–920, Berlin u. a. 2012; D. Sedley, Lucretius and the Transformation of Greek Wisdom, Cambridge 1998; D. Clay, The Sources of Lucretius’ Inspiration, in: M. R. Gale (Hg.), Lucretius, Oxford 2007, 18–47. 48   Vgl. Epicur. fr. 221 Usener; Erler 2016a, 66–87. 49  Vgl. Erler 2003a, 107–116. 50  Vgl. Clay 1983, 216–234.

5. Zwei Fallbeispiele

107

tion allein schwer zu beseitigen, bestenfalls zu kontrol­ lieren sind. Er geht davon aus, dass der Kopf Argu­ mente hören kann und sogar zustimmen will.51 Doch widersetzt sich bisweilen das Herz und verhindert, dass Zweifel und Angst beseitigt und angemessene Ver­ haltensweisen ermög­licht werden. Mit diesem inneren Zwist rechnet Lukrez bei Memmius, dem textimma­ nenten Adressaten seiner philosophischen Belehrung, und mit ihm rechnet Lukrez auch bei seinem Leser. Of­ fenbar – so konstatiert der Dichter im dritten Buch – gibt es im menschlichen Herzen einen Stachel (caecus stimulus cordi), der dafür sorgt, dass der Mensch sich nicht durch ein schlagendes, rationales Argument über­ zeugen lässt.52 Es bedarf deshalb einer ständigen Be­ handlung der zweifelnden Seele, kontinuierlicher Übung und Therapie: Dazu gehört, Ängste und Fehler nicht nur zu erkennen, sondern sie frei zu bekennen, damit sie für Argumente zugänglich und wie Sympto­ me einer Krankheit heilbar werden.53 Es geht also um eine recreatio.54 Deshalb bemüht sich Lukrez, den Leser vor falschen Meinungen zu bewahren, rechnet aber damit, dass er sich den Argumenten zu entziehen sucht. In diesem Zusammenhang betont der Dichter immer wieder, dass   Vgl. Lucr. 3, 870 ff.   Vgl. Lucr. 3, 873 f. 53   Vgl. Lucr. 1, 402 f.; 6, 527–534; 3, 417–829; dazu M. Erler, Einübung und Anverwandlung. Reflexe mündlicher Medita­ tions­ technik in philosophischer Literatur der Kaiserzeit, in: W. Kullmann/J. Althoff/M. Asper (Hgg.), Gattungen wissen­ schaftlicher Literatur in der Antike, Tübingen 1998, 361–381. 54   Vgl. Lucr. 1, 942. 51

52

108

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

sich der Adressat seiner therapeutischen Argumenta­ tion wie ein Kind verhalte. Dieser Vergleich zieht sich wie ein Leit­motiv durch das Gedicht und kulminiert in jenem Bild, das den Leser mit einem Kind gleichsetzt, welches sich in der Dunkelheit fürchtet, aber durch das Licht epikureischer Philosophie von Furcht befreit werden und lernen kann, dass Dunkelheit nicht be­ drohlich ist. Dreimal wiederholt Lukrez diese Verse in unterschiedlichem Kontext,55 besonders eindrucksvoll erscheinen sie dabei im Zusammenhang mit der Thera­ pie für die Todesfurcht im dritten Buch: Nam veluti pueri trepidant atque omnia caecis in tenebris metuunt, sic nos in luce timemus interdum, nilo quae sunt metuenda magis quam quae pueri in tenebris pavitant finguntque futura. „Wie nämlich Kinder zittern und in tiefer Finsternis vor al­ lem sich fürchten, so fürchten wir in hellem Licht zuweilen, was man nicht mehr zu fürchten brauchte als das, wovor die Kinder in der Finsternis beben und was sie sich vorstellen, dass es auf sie zukomme.“56

Der Leser wird hier als furchtsames und unaufgeklär­ tes Kind dargestellt, das für die bittere Medizin epiku­ reischer Philosophie gewonnen werden soll, sich aber sträubt, und das sich weigert, die Argumente anzuneh­ men. Die Verse illustrieren, dass sich die Argumenta­ 55   Vgl. Lucr. 2, 55–58; 3, 87–90; 6, 35–38; dazu M. Deufert, Pseudo-­Lukrezisches in Lukrez. Die unechten Verse in Lukre­ zens De rerum natura, Berlin/New York 1996, 51 ff. 56   Lucr. 3, 87–90; Übersetzung J. Martin (Hg.), Titus Lucre­ tius Carus. Über die Natur der Dinge. Lateinisch-Deutsch, Ber­ lin 1972.

5. Zwei Fallbeispiele

109

tion an einen Anfänger in epikureischer Philosophie richtet, für den Memmius im Text steht.57 Doch hat dies die Interpreten irritiert: Man fragte sich, wie der Ver­ gleich mit einem furchtsamen Kind zu jenem werben­ den Charakter der Schrift passt, mit dem der Leser für Epikurs Lehre aufnahmebereit gemacht werden soll. Immerhin sollte doch der Leser wohlgesonnen ge­ stimmt und aufmerksam gemacht werden.58 Man hat daher eine rhetorische Strategie vermutet, die mit dem furchtsamen Memmius eine Zwischeninstanz zwischen Leser und Autor schaltet und den Leser so gleichsam vom Bewusstsein der eigenen Inkompetenz ablenken soll – manche erinnern an die bisweilen begriffsstut­zi­ gen Partner des Sokrates in den platonischen Dialo­ gen.59 Jedoch lässt die offensichtlich therapeutische Inten­ tion von Lukrez’ Ausführungen an ebenjene Tradition denken, auf die wir hier hinweisen wollen. Die Gleich­ setzung des Adressaten der philosophia medicans mit einem Kind ist nicht bloß literarisches Spiel und bedeu­ tet keine H ­ erabsetzung des Lesers, wie oft vermutet wurde. Vielmehr bezeichnet sie einen Leser, der An­ 57   Vgl. E. Pöhlmann, Charakteristika des römischen Lehrge­ dichtes, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt I 3 (1973) 813–901. 58   Vgl. C. J. Classen, Poetry and Rhetoric in Lucretius, in: ders. (Hg.), Probleme der Lukrezforschung, Hildesheim u. a. 1986, 331–373. 59  Zu Memmius als Adressaten vgl. P. Mitsis, Committing Philosophy on the Reader: Didactic Coercion and Reader Auto­ nomy in De rerum natura, in: Materiali e discussioni per l’anali­ si dei testi classici 1 (1993) 111–128.

110

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

fänger ist und wie Kebes einen inneren emotionalen Widerstand gegen die Ergebnisse rationaler Argumen­ tation überwinden muss, es aber oft nicht kann, und der deshalb mit einer Häufung von Argumenten be­ sänftigt, aufgemuntert und therapiert werden soll. Wenn Lukrez Argumente aneinanderreiht, anbietet mehr vortragen zu können und den Leser auf­fordert, selbst welche zu finden,60 dann wird deutlich: De rerum natura bietet einen Grundkurs für Anfänger, die für Philosophie gewonnen und in die Grundlagen epiku­ reischer Physik eingeführt werden sollen. Mit seiner Metapher vom ‚furchtsamen Kind im Mann‘ evoziert Lukrez also die von Platon ausgehende literarische Tra­ dition.61 Diese ist aber keinesfalls auf ein pagan-philo­ sophisches Milieu beschränkt und wurde auch im christlichen Bereich rezipiert und integriert, wie ein Blick auf Clemens Alexandrinus zeigen soll. 5.2 Clemens Alexandrinus Clemens Alexandrinus, der sich sowohl inhaltlich als auch methodisch durch besondere Offenheit gegenüber griechischer Philosophie auszeichnet,62 verdeutlicht mit Hilfe der Metapher vom ‚Kind im Mann‘, auf wel­ 60   Vgl. M. Erler, Chain of Proof in Lucretius, Sextus, and ­ lato. Rhetorical Tradition and Philosophy, in: S. Marchand/ P F. Verde (Hgg.), Épicurisme et Scepticisme, Rom 2013, 25–43. 61  Vgl. Erler 2003a, 116. 62  Vgl. M. Erler, ‚Besinge das Kind im Menschen‘. Ein Ele­ ment p ­ latonischer Ethik als Hintergrund von Clemens’ Paeda­ gogus, in: H. C. Brennecke (Hg.), Ethik im antiken Christentum, Leuven 2011a, 13–29.

5. Zwei Fallbeispiele

111

che Art und Weise ein paganes Konzept philosophi­ scher Paideia mit christlichen Vorstellungen konver­ giert und in einen christlichen Kontext integriert werden kann. Im Bereich der Ethik werden derartige Konvergenzen durch den Umstand erleichtert, dass an­ tike Philosophie sich spätestens seit Sokrates und Pla­ ton – wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung – durch einen stark praktischen Charakter auszeichnet. Dieses praktische Element manifestiert sich im Streben nach Selbstgestaltung.63 Clemens folgt der für alle Phi­ losophenschulen gültigen sokratischen Maxime, dass Philosophie ‚Sorge um die eigene Seele‘ für die Eudai­ monie im Jenseits zu sein hat. Er sieht in antiker Phi­ losophie – und hier vorrangig bei Platon64 – die Rolle ­Hagars,65 also einer Magd für den Glauben. Pagane Philosophie wird zur Propädeutik für christliche Be­ lehrung, wobei vor allem Vertreter praktischer Philo­ sophie verschiedener Schulen auf Interesse stoßen.66 Freilich sieht Clemens sein Bemühen Widerständen ausgesetzt: Denn er glaubt zu wissen, dass die meisten Menschen sich vor der griechischen Philosophie fürch­   Vgl. P. Hadot, Philosophie als Lebensform. Geistige Übun­ gen in der Antike, Berlin 1991; P. Hadot, Wege zur Weisheit oder was lehrt uns die antike Philosophie?, Frankfurt am Main 1999. 64  Vgl. Clem.Al. Paed. 3, 54, 2; 2, 42, 1; 2, 91, 1; Clem.Al. Strom. 1, 67, 19; Wyrwa (vgl. D. Wyrwa, Die christliche Platon­ aneignung in den Stromateis des Clemens von Alexandrien, ­Berlin/New York 1983) geht von direkter Platonkenntnis des Clemens aus. 65   Vgl. Clem.Al. Strom. 1, 30–32. 66   Vgl. Clem.Al. Strom. 6, 67, 2. 63

112

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

ten „wie die Kinder vor Gespenstern.“67 Doch ist Cle­ mens überzeugt, dass man bei eifrigem Bemühen „die Wahrheit, die unter den vielen Wahrscheinlichkeitsleh­ ren der Griechen wie unter den Masken das wirkliche Gesicht verborgen ist“68, erkennen kann. Griechische Philosophie wird also zur Schreckensmaske, wobei de­ ren Entlarvung pädagogisches Mittel und Propädeutik für die wahre Philosophie ist, unter der Clemens die christliche Lehre versteht. Schon bei einer pädagogi­ schen Grundsatzerklärung wird offenbar Platons Me­ tapher vom ‚Kind im Mann‘ evoziert, das sich vor schrecklichen Masken fürchtet. C ­ lemens rechtfertigt die Rezeption paganer Philosophie also damit, dass diese keineswegs ein Scheckgespenst sei, sondern ent­ larvt werden und dann nützlich sein könne. Bei dieser Entlarvung kann es dann zu Konvergenzen und Modi­ fikation von christlichen und paganen Vorstellungen in Zielvorgabe und Methode kommen.69 67   Übersetzung O. Stählin (Hg.), Des Clemens von Alexan­ dreia ausgewählte Schriften. Bd.  4. Teppiche: wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis). Buch IV–VI, München 1937, 292; vgl. Clem.Al. Strom. 6, 80, 5; vgl. E. F. Osborne, The Emergence of Christian Theology, Cambridge 1993 (zu Philosophie als praeparatio vgl. 271 ff.; zu Platon vgl. 274 f.). 68   Übersetzung O. Stählin (Hg.), Des Clemens von Alexan­ dreia ausgewählte Schriften. Bd.  3. Teppiche: wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis). Buch I–III, München 1936, 152; vgl. Clem.Al. Strom. 2, 3, 5. 69  Vgl. Pl. R. 500c–501b; 613a–b; Pl. Lg. 716c–d; Pl. Phd. 81a–84b; Pl. Phdr. 245c–249a; Pl. Ti. 41d–47c; 90a–d. Zur Lehre von Homoiosis bei Platon vgl. Merki 1952; Passmore 1970; D. Ro­ loff, Gott­ähnlichkeit, Vergöttlichung und Erhöhung zu seligem

5. Zwei Fallbeispiele

113

Auch Clemens’ praktische Ethik mündet in dem Ver­ sprechen, dass der Mensch, der die Ideen schaut, als ein Gott auf Erden leben werde. Er schließt sich damit der platonischen Telosformel von der Angleichung an Gott an.70 Clemens’ Formulierung evoziert Epikur, der im ­Menoikeusbrief ein Leben wie (ὡς) ein Gott auf Erden verspricht. Der Unterschied zwischen ‚wie‘ und ‚als‘ ist programmatisch und reflektiert die inhaltliche Diver­ genz zwischen platonischer und epikureischer Psycho­ logie. Nur der unsterblichen Seele Platons ist es näm­ lich möglich, als Gott unter den Menschen zu leben. Die sterbliche Seele Epikurs hingegen bringt es nur zu einem deus mortalis, also zu einem Leben wie ein Gott unter den Menschen.71 Clemens entscheidet sich, wie zu erwarten, für Platon und gegen Epikur – aber nicht für einen Gott, sondern für einen Engel. Somit wird eine platonisch-epikureische Grundlage mit christli­ chem Inhalt gefüllt, der sich der vorgegebenen Form anpasst. Gleiches lässt sich nun bei Clemens’ Verwen­ Leben. Untersuchungen zur Herkunft der platonischen Anglei­ chung an Gott, Berlin 1970; Du Toit 1997; Sedley 1997, 327– 339; D. Sedley, The Ideal of Godlikeness, in: G. Fine (Hg.), Pla­ to. Bd.  2: Ethics, Politics, Religion, and the Soul, Oxford 1999, 309–328. 70   Vgl. Clem.Al. Paed. 1, 4, 2; der Paedagogos jetzt zitiert nach M. Marcovich (Hg.), Clementis Alexandrini Paedagogus, Lei­ den 2002. 71   Vgl. Clem.Al. Strom. 4, 155, 2–4 (= Dörrie/Baltes 130, 2; dazu vgl. H. Dörrie/M. Baltes (Hgg.), Die philosophische Leh­ re des Platonismus. Platonische Physik (im antiken Verständnis) II. Bd.  5, Stuttgart/Bad Cannstatt 1998, 307–312). Zu Epikur vgl. Epicur. Ep. Men. 135; vgl. Lucr. 5, 1 ff.; dazu Erler 2002a, 159– 181.

114

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

dung der platonischen Metapher vom ‚Kind im Mann‘ beobachten. Das Bild begegnet uns bei Clemens im Zusammen­ hang mit seinem Programm einer ethischen Praxis, das nach e­ iner Bekehrung durch Protrepse, Affektbehand­ lung (Paramythia) und schließlich Belehrung (Didaxe) umfasst. Dabei gilt es zunächst, fromme Einstellung zu wecken und die Seele von allem zu reinigen, was hin­ derlich ist.72 Nach der Bekehrung zum Christentum durch die Protrepse soll die Seele mit Hilfe von Para­ my­thia zur Aufnahme des neuen Wissens bereit ge­ macht werden, ehe die Didaxe erfolgen kann. Für die­ ses Curriculum hat Clemens die uns erhaltenen Schriften Protreptikos und Paidagogos oder Paramythi­ cus verfasst. Erhalten ist der Paidagogos, dessen Ziel es ist, nach der Hinwendung zum Christentum und vor der eigentlichen Belehrung die Widerstände im Men­ schen unter Kontrolle zu bringen.73 Als Aufgabe dieser 72   Vgl. Clem.Al. Paed. 1, 1–3. Die praktische Ethik wird dabei in die Aspekte der Protrepse (προτρεπτικός), der Affekttherapie (ὑποθετικός, παραμυθητικός) und der Belehrung (διδασκαλικός) geschieden. Hier werden oft Vorstellungen des Poseidonios als Bezugspunkt angeführt (Sen. epist. 95,65 = fr. 176 Edelstein/ Kidd; L. Edelstein/I. G. Kidd (Hgg.), Posidonius. Bd.  1: The Fragments, Cam­bridge 1972 mit Kommentarband; L. Edelstein/­ I. G. Kidd (Hgg.), Posidonius. Bd.  2: The Commenta­r y, Cam­ bridge 1988, 646–651); vgl. A. Dihle, Posidonius’ System of Moral Philosophy, The Journal of Hellenic Studies 93 (1973) 50–57; E. Mühlenberg, From Early Christian Morality to Theoligical Ethics, Studia Patristica XIX (1989) 203–215, bes. 204–208. Zu Problemen vgl. auch H.-I. Marrou (Hg.), Clément d’Alexandrie, Le Pédagogue, Livre I, 1960, 11 ff. 73   Vgl. Clem.Al. Paed. 1, 4, 2.

5. Zwei Fallbeispiele

115

Schrift bezeichnet es Clemens deshalb, die Seele in Tu­ genden zu üben und damit den Weg zu einer ‚vollkom­ menen Kindschaft‘ vorzubereiten, die zur christlichen Angleichung an Gott befähigt.74 Freilich mag die Zielvorgabe ‚vollkommene Kind­ schaft‘ mit Blick auf die durch den Titel Paidagogos evozierten paganen Vorstellungen problematisch er­ scheinen. Die Bezeichnung ‚Kinder‘ könnte demnach als Herabsetzung verstanden werden.75 Clemens geht es jedoch um zwei Traditionen: die pagane, die er mit dem Titel seines Werkes Paidagogos evoziert und die das un­ vollendete ‚Kind im Mann‘ therapieren will, und das christliche Bemühen, den nach seiner Bekehrung neuen Menschen mit christ­licher Lehre vertraut zu machen. Clemens’ Reflexionen im Paidagogos lassen also pagane mit christlichen Vorstellungen konvergieren. Einerseits beruft sich Clemens auf die Tradition gro­ ßer paganer Erzieher wie Phoinix, den Erzieher des Achill.76 Andererseits wird aus dem paganen Pädagogen bei Clemens der göttliche Logos, dem es bei den be­ kehrten Menschen um Affektkontrolle und Anweisun­ gen für das richtige Leben geht und der Affekte der Seele mit Hilfe von Ermahnungen zu heilen versucht.77 Denn auch das Verständnis der göttlichen Geheimnisse bedarf vorhergehender Reinigung, wofür die überlie­ ferte pagane Philosophie zu Hilfe genommen wird. Ziel jener praktisch-christ­lichen, an pagane Tradition an­   Vgl. Clem.Al. Strom. 6, 1, 3.   Vgl. Clem.Al. Paed. 1, 14, 1 ff.; dazu vgl. Erler 2011a, 22 f. 76   Vgl. Clem.Al. Paed. 1, 12, 1. 77   Vgl. Clem.Al. Paed. 1, 86, 1; Pl. Ti. 87cff. 74

75

116

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

knüpfenden Ethik ist die ‚vollkommene Kindschaft‘ des Adressaten.78 Ebendiese Kindschaft des Adressaten ist von Interes­ se: Clemens scheint nämlich unsicher, ob und warum man bekehrte Christen mit Kindern gleichsetzen darf, wie dies im Neuen Testament geschieht. Er muss offen­ bar rechtfertigen, dass dort frisch bekehrte Christen immer wieder als Kinder apostrophiert werden.79 Be­ stimmte Gruppen hatten diesen Vergleich aufgegriffen, negativ gewertet und zum Anlass genommen, Christen mit Blick auf den kindischen Charakter der Lehren zu verspotten.80 Wir erinnern uns an das Problem, das mo­ derne Interpreten mit Lukrez hatten und stellen fest: Die Kritik an der Gleichsetzung der bekehrten Chris­ ten mit Kindern setzt eine Auffassung von ‚Kind‘ vor­ aus, die der paganen Tradition entspricht, wonach Kin­ der Wesen sind, die sich durch ein ‚noch nicht‘ auszeichnen. Für Christen gilt jedoch Jesu Aufforde­ rung, zu werden wie Kinder, da diesen das Himmel­ reich gehöre.81 Was also paganer Tradition unmündig und unvollendet scheint, singt nun das Lob Gottes und besitzt die Weisheit. Ebendies ist eine Neuerung und das vor dem paganen Hintergrund Unerwartete im christ­lichen Kontext, dass bei Kindern nicht das Unfer­ tige, sondern eher der Aspekt des Neuen betont wird.

  Vgl. Clem.Al. Strom. 7,56,2; 2, 134, 2.   Vgl. Clem.Al. Paed. 1,12,2. 80   Vgl. Clem.Al. Paed. 1,25,1. 81  Vgl. Erler 2011a, 21; vgl. Clem.Al. Paed. 1,12,3; 1,16,1 mit Mt. 18, 1–6; 10, 13–16. 78

79

5. Zwei Fallbeispiele

117

Clemens macht allerdings deutlich, dass auch im christlichen Bereich ‚Kind‘ eine Metapher ist – Jesus wendet sich mit seiner Belehrung keineswegs an Kin­ der im Sinne einer Altersstufe, sondern an Erwachsene, die zu Kindern werden sollen. ‚Kind‘ steht demnach für eine Disposition, eine Haltung derjenigen, die sich zum Christentum bekehrt haben, aber durch den christlichen Pädagogen noch eine Affekttherapie benö­ tigen. Gleichwohl wird – anders als im paganen Kon­ text – ‚Kind‘ jetzt zur Metapher für eine geistige Dis­ position, die sich durch eine gewisse Vollendung auszeichnet, steht sie doch für solche, die „den alten Menschen von sich abgelegt und […] die Unvergäng­ lichkeit Christi angelegt haben.“82 Hierauf greift Cle­ mens zurück und rechtfertigt die Gleichsetzung der Christen mit Kindern. Deshalb kann er Spott und den Vorwurf der Unmündigkeit zurückweisen, zu dem der Vergleich von Christen mit Kindern dann reizt, wenn man Kinder im pagan-abwertenden Sinn versteht. Cle­ mens sieht allerdings auch, dass manche Stellen des Neuen Testaments seiner Deutung nicht zu entspre­ chen scheinen und manche Aussagen des Paulus eher an die pagane Auffassung von Kind als etwas Unfertiges und Unvollkommenes erinnern, wenn er z. B. von sich sagt, dass er in seiner Kindheit wie ein Kind dachte und redete.83 Doch Clemens findet eine Lösung, die für uns von großem Interesse ist: Er harmonisiert den Wider­ 82   Nach Paulus, 1. Kor. 14, 20, Übersetzung in Erler 2011a; vgl. Clem.Al. Paed. 1, 33, 1; 1, 32, 4. 83  Vgl. Erler 2011a, 20 ff.; vgl. Paulus, 1. Kor. 13, 11.

118

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

spruch, indem er den Kindesbegriff in einen paganen und einen christlichen aufspaltet und sich bei der paga­ nen Definition ganz offensichtlich auf den Phaidon und die davon ausgehende Tradition bezieht. Clemens un­ terscheidet somit zwei Arten von ‚Kindern‘: jene, die in unvernünftig-­knechtischer Furcht vor dem ‚Gespenst‘ der Gesetze und des Gottes leben, also die Kinder des Alten Testaments, und solche Kinder, die vernünftige Scheu vor dem christlichen Gott haben und als neue Kinder bereit für christ­liche Belehrung sind. In beiden Fällen ist das Wort ‚Kind‘ Metapher für einen geistigen Zustand.84 Bei Clemens werden diese beiden Kinder­ arten nun zum Signum einer menschlichen Disposition vor und nach der Belehrung und damit zu Stufen eines christlichen Bildungscurriculums: An erstere, pagane Kinder mit Angst vor Schreckgespenstern ist die Er­ mahnung adressiert, sich dem Christentum zuzuwen­ den (Protrepse), an letztere, schon christliche Kinder mit Scheu vor dem göttlichen Logos richtet sich die Pä­ dagogik mit ihrer Affekttherapie. Clemens greift also auf, was bei paganen Autoren seit Platon Programm war. Es geht ihm um solche Adres­ saten, die zwar schon bereit für Belehrung sind, aber noch eine entsprechende Disposition erhalten müssen.85 84 Clemens argumentiert bisweilen auch philologisch. Er erin­ nert daran, dass das griechische Wort νήπιος etymologisch mit ἤπιος (‚mild‘) zusammenhänge, was die Bedeutung ‚töricht‘ mil­ dere. Clemens folgert, dass nicht törichte Kinder, sondern gera­ de die Fortgeschrittene gemeint sind, die sich zum Christentum bekehren und Gott als Vater erkennen vgl. Clem.Al. Paed. 1, 19, 1 ff.; 1, 20, 1 ff. mit Paulus, 1. Thes. 2, 7. 85   Vgl. Clem.Al. Paed. 1, 87, 1 ff.; Clem.Al. Strom. 2, 53, 4; Pl.

5. Zwei Fallbeispiele

119

Wie bei den anderen paganen Autoren erzeugt Clemens diese Haltung, indem er aufklärt, Affekte beseitigt und Material für die Therapie, also pagane Philosophie, an die Hand gibt; auch gibt er dem Zustand, der therapiert werden soll, einen Namen: Dieser Mann – oder bei ­Clemens ausdrücklich – diese Frau wird als ‚Kind‘ be­ zeichnet. Jedoch ist auch ersichtlich, wie im Gewand der uns jetzt schon bekannten, alten Tradition Neues daherkommt. Denn Clemens reserviert die Metapher ‚Kind‘ im alten Sinne für eine Vorstufe der Bekehrung, für die Protrepse, konkret für jene Juden, die sich in Furcht vor Gott und dem Gesetz befinden. Anders als in paganer Tradition wird bei ihm also das pagane Kind noch nicht Gegenstand philosophischer Therapie, son­ dern vorphilosophischer, gnaden­reicher und göttlicher Bekehrung. Das christliche ‚Kind‘ als Mann oder ‚Kind im Mann‘ hingegen kommt nach der Bekehrung ins Spiel und wird zum Adressaten christ­licher Seelen­ leitung, jener Paramythia, die wir im paganen Bereich verfolgt haben und die bei Clemens im Paidagogos lite­ rarisch wird. Was im paganen Curriculum für eine Stu­ fe steht, wird in der christlichen Vorstellung also in zwei Stufen aufgefaltet. Aus Sokrates’ Paramythia des unvollendeten Kindes im Menschen wird Clemens’ ­ Para­mythia des schon vollendeten Kindes in Christo. Clemens transferiert also gleichsam die Methode der sokratischen Therapie auf einen dem Wort nach gleich­ lautenden, dem Verständnis nach aber unterschied­ lichen Adressaten. Lg. 646e (Furcht als Feigheit und als Scham) mit Schöpsdau 1994, 242–244; vgl. auch Pl. Euthphr. 12a–c; Epict. diss. II 1.

120

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

Diese Aufspaltung der platonischen Kind-Metapher, diese Ausweitung des paganen Curriculums prakti­ scher Ethik ist mehr als ein Spiel mit Begriffen. Sie mar­ kiert das völlig Neue, eine Auffassung, die mit der Me­ tapher ‚Kind im Mann‘ oder ‚Mann als Kind‘ auf jene neuen Menschen weist, die in Christus jung und ein neues Volk werden, entsprechend dem Vers: „Das Alte ist vergangen, siehe, neu ist alles.“86 Indem Clemens das Alte mit Neuem konvergieren lässt, bewahrt er die ­Metapher ‚Kind im Mann‘ als Signum philosophischer Therapie und Signal einer literarischen Gattung mit einer bestimmte Funktion, integriert sie jetzt aber ­ freilich ins christliche Bildungscurriculum. Was bei ­ Platon im Phaidon kunstvoll geschildert und als Prob­ lem angedeutet ist, wird später in anderem Kontext als Problem formuliert und Teil des philoso­phischen Cur­ riculums: Es geht um die Notwendigkeit, für eine phi­ losophiebereite Disposition bei Rezipienten zu sorgen. Paideia wird somit zur Zügelung des Kindes im Men­ schen im Sinne einer praeparatio philosophica.

6. Sokrates und Weltzugewandtheit Blicken wir zum Schluss auf Platon zurück: Die Meta­ pher vom ‚Kind im Mann‘ signalisiert im Platonismus den Adressaten, den Bereich praktischen, diesseits­ orientierten Philosophierens und eine bestimmte Sorte von Texten. Sie ist komplementär zu jener anderen, be­ rühmteren Metapher vom inneren Menschen, die den  Übersetzung Erler 2011a, 29; vgl. Paulus, 2. Kor. 5, 17.

86

6. Sokrates und Weltzugewandtheit

121

Adressaten eines wirklich dialektischen, auf das Jen­ seits zielenden Philosophierens bezeichnet. Weiterhin unterstreicht sie die Bedeutung, welche praktische Phi­ losophie seit Platon und insbesondere im Platonismus hat und für die Sokrates gleichsam als Chiffre steht. Wir haben auch gesehen: Die Metapher ‚Kind im Mann‘ und das Besingen des ‚Kindes im Mann‘ als therapeuti­ sche praeparatio philosophica sind im Laufe der Zeit zu Teilen eines philosophischen Curriculums geworden, das in paganen Kommentaren und philosophischer Li­ teratur reflektiert wird, das – wie man zeigen könnte – bei manchen Autoren wie Cicero und Lukrez – auch Boethius könnte man nennen – große Literatur gewor­ den ist als ein Curriculum, das sich zum Schema eines Dreischrittes von Protrepse, Paramythia und Didaxe verfestigt hat und auch noch in christlichem Kontext, z. B. bei Clemens Alexandrinus, kenntlich bleibt. Die Metapher kann also hilfreich sein, wenn man nach Funktion und Gestaltung bestimmter antiker Schrif­ ten fragt. Zumindest sollte, wer heute vom ‚Kind im Mann‘ oder ‚Mann als Kind‘ spricht, nicht nur an den oben zi­ tierten Schulvers oder an den ersten Korintherbrief den­ ken. Stattdessen sollte er sich von Giovanni Pascoli, dem bedeutenden italienischen Dichter und Essayisten des 19.  Jh. inspirieren lassen, der ausdrücklich auf unsere Phaidon-­Stelle als Ursprung der Metapher Bezug ge­ nommen hat. Bei ihm ist freilich aus Platons ‚Kind im Mann‘ als Quelle von Affekten, die stören, eine Instanz von Spontaneität und Empfindsamkeit z. B. in der Dich­ tung geworden, die begeistert. Aus kindlicher Angst,

122

III. ‚Besinge das Kind in uns‘ (Elias)

die überwunden werden muss, wird bei Pascoli kind­ liches Staunen zur Inspiration von Dichtung. Auch wenn dies nicht im Sinne Platons ist, so zeigt es doch, dass die Metapher ‚Kind im Mann‘ als sokratisch-plato­ nisches Erbe in der Antike unter literarischen wie unter philosophisch-theologischen Aspekten von gleicher Be­ deutung war wie die Metapher vom ‚inneren Menschen‘. Weiterhin lässt sich dieses Bild als Brücke zwischen Christentum und paganer Philosophie auffassen, und sein Praxisbezug im Rahmen der praeparatio philoso­ phica ist bezeichnend. Die Metapher ist also geradezu ein Kennzeichen jener Weltzugewandtheit innerhalb des Platonismus, die als sokratisches Erbe bezeichnet werden kann und sollte und deren Existenz von man­ chen bestritten wird.

IV. Sokrates, der Schreiber: Hellenistisches im Platonismus 1. Sokrates als Schriftsteller? Der Titel ‚Sokrates, der Schreiber‘ mag verwundern, verbindet man mit Sokrates seit der Antike doch den Aspekt der Mündlichkeit. Dass Sokrates nichts Schrift­ liches hinterlassen hat, gilt als eine Gewissheit antiker Philosophiegeschichtsschreibung.1 Gleichwohl behaup­ tet der Stoiker und Sokrates-Anhänger Epiktet, Sokra­ tes habe viele Texte verfasst. In seinen Dissertationes finden wir die folgende kleine, dialogische Szene: Τί οὖν; Σωκράτης οὐκ ἔγραφεν; – Καὶ τίς τοσαῦτα; ἀλλὰ πῶς; ἐπεὶ μὴ ἐδύνατο ἔχειν ἀεὶ τὸν ἐλέγχοντα αὐτοῦ τὰ δόγματα ἢ ἐλεγχθησόμενον ἐν τῷ μέρει, αὐτὸς ἑαυτὸν ἤλεγχεν καὶ ἐξήταζεν. „Was denn hat Sokrates nicht geschrieben? Ja, wer schrieb so viel wie er. Aber wie? Da er nicht immer jemanden zur Hand hatte, um seine Meinungen zu prüfen oder um selbst getestet zu werden, testete und prüfte er sich selbst.“2

Diese Aussage Epiktets ist bemerkenswert: Denn er glaubt nicht nur zu wissen, dass Sokrates viel geschrie­ 1   Vgl. D. L. 1, 16, wobei die Einschränkung ‚wie einige meinen‘ auffällt. 2   Epict. diss. II, 1, 32. Übersetzung R. Nickel (Hg.), Epiktet, Teles, Musonius. Ausgewählte Schriften. Griechisch–Deutsch, München/Zürich 1994.

124

IV. Sokrates, der Schreiber

ben hat, sondern auch, warum er geschrieben hat. Grund ist nach Auffassung des Stoikers, dass Sokrates immer damit beschäftigt gewesen sei, seine eigene Mei­ nung zu prüfen.3 Diese Tests, die gewöhnlich in Form von Gesprächen mit anderen erfolgten, sind notwendig zur eigenen Disposi­tionsbildung und Ausbildung der Fähigkeiten. Da aber nicht immer die für diese Prüfun­ gen notwendigen Gesprächspartner vorhanden gewe­ sen seien, habe er Maximen und Probleme für sich und andere aufgeschrieben, um sie immer zur Hand zu ha­ ben und die notwendige Distanz für Selbstprüfung herstellen zu können. Anders als Sokrates zweifelt Epiktet – aber auch viele andere – daran, dass Erkennt­ nis immer in Mittel und Handlung umgesetzt würde. Hierzu sei vielmehr eine Habitualisierung von Wissen und ein Bemühen notwendig, sich Wissen gleichsam ‚einzufärben‘.4 Dies versucht Epiktet im Unterrichtsraum mit seinen Schülern und dem dient seine Methode mit Standard­ fragen wie ‚Was betrifft mich, was betrifft mich nicht, was steht in meiner Macht und soll täglich geübt ­werden?‘. Derartige Übungen und Urteile werden ex­ emplarisch in den Dissertationes vorgeführt und als Übungsmaterial für Selbstversuche angeboten. Sie sol­ len Tag und Nacht zur Hand sein und sind ein Thesau­ 3   Vgl. B. Wehner, Die Funktion der Dialogstruktur in Epik­ tets Diatriben, Stuttgart 2000, 83 f. mit Anm.  17. 4   A. A. Long (vgl. Long 2002, 73 Anm. 3) erwägt (wohl auf Hinweis von D. Sedley) einen Bezug zum Selbstgespräch, wie es in Pl. Phlb. 39a geboten wird; vgl. außerdem zum ‚Einfärben‘ von Wissen Sen. epist. 71, 31.

1. Sokrates als Schriftsteller?

125

rus von idealtypischen ­Situationen, die helfen sollen, im Leben zurecht zu kommen. Sokrates’ Methoden wie ἔλεγχος oder Prolepse werden so bei Epiktet zu medi­ tativen Elementen des Selbst­tests. Der Stoiker lädt die Studierenden ein, zu erkennen, dass sie in schlechtem Zustand sind – und bietet die Chance, diesen Zustand zu bessern.5 Zum Zweck einer derartigen Habitualisierung von Wis­sen, so Epiktet, schreibe in der Tat jeder Philosoph Texte, damit er alles für tägliche Prüfungen zur Hand hat und dadurch sich und andere wappnen kann, irri­ tierende Si­tuationen zu meistern. Ein philosophischer Text dient also als Mittel für den Leser und den Autor, sich zu testen und zu üben. Diese Vorstellung überträgt der Stoiker offenbar auf Sokrates, der als Therapeut für sich und andere vorgestellt wird. Mag Epiktets Begrün­ dung auch merkwürdig und vielleicht erfunden sein, so ist sie doch interessant und bedeutsam. Denn sie be­ schreibt in der Tat gut die seelsorgerische Funktion, welche Philosophie für Platons Sokrates hat, aber auch die Funktion, die philosophisch relevanten Texten in der Kaiserzeit zukam – man denke hier an Cornutus’ Epidrome, an Epiktets Dissertationes, an Mark Aurels Meditationes, aber auch an Texte platonischer Proveni­ enz von Plutarch bis hin zu Boethius’ Consolatio philo­ sophiae.6 Sie sollen dem Leser offenbar helfen, sich phi­   Vgl. Epict. diss. IV, 4, 29; III, 24, 103.   Vgl. P. Hadot, Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre Marc Aurels, Frankfurt am Main. 1997; zu Mark Aurel, aber auch Epiktet, bes. 62–86. Die unterstützende Funktion des Schreibens bei der Meditation betont Mark Aurel, vgl. M. Er­ 5 6

126

IV. Sokrates, der Schreiber

losophische Lehre einzuverleiben, um Orientierung im Leben zu geben. Zu diesem Zweck inkorporieren oder illustrieren sie argumentative oder meditative Szenen, die offenbar nicht nur als Darstellungen philosophi­ scher Argumentation, sondern auch als Angebote für eine ‚aktive Lektüre‘ des Lesers zum Zweck der Dispo­ sitionsbildung gedacht sind.7 Und in der Tat passt das Sokratesbild dieser Autoren, das in Sokrates einen Therapeuten sieht, der versucht, die Disposition seiner Partner zu stärken und sie gegen Irri­tationen zu wappnen, zum Sokratesbild der plato­ nischen Dialoge. Erinnert sei beispielsweise an das Bild vom ‚Besingen des Kindes im Mann‘ im Phaidon, das die Notwendigkeit beschreibt, sich auch dann für phi­ losophische Argumente zu öffnen, wenn sich in einem etwas – ein caecus stimulus cordi, wie Lukrez sagt – da­ gegen sträubt.8 Man darf auch daran erinnern, dass Platon im Timaios nicht nur die Pflege des unsterbli­ chen Selbst des Menschen als Weg zum Glück ansieht, sondern auch damit rechnet, dass mancher sich mit ei­ ner Perfektion des sterblichen Selbst, also z. B. mit der emotionalen Seite des Selbst, begnügen wird.9 Bereits zuvor spricht Platon beim Menschen von einem Ge­ wächs auf der Erde, dessen Wurzeln im Himmel ge­ ler, Aspects of Orality in (the Text of) the Meditations, in: M. van Ackeren (Hg.), A Companion to Marcus Aurelius, Mal­ den (Massachusetts) u. a. 2012a, 346–361; vgl. weiterhin M. Er­ ler, Die philosophische Literatur der Kaiserzeit, Handbuch der griechischen Literatur der Antike III (im Druck). 7  Vgl. Erler 1998, 361–381. 8   Siehe Kapitel III dieses Bandes. 9   Vgl. Pl. Ti. 90c.

1. Sokrates als Schriftsteller?

127

bunden sind.10 Das wahre Selbst des Menschen, der Ad­ ressat platonischer Selbstsorge, ist nicht ein sterbliches Selbst, sondern jener vernünftige und unsterbliche Teil der Seele, der dem ewig Seienden zugewandt und mit diesem verwandt ist. Platons Antwort auf Sokrates’ Frage ‚Wie soll ich leben?‘ ist also eindeutig: Allein die Konzentration auf und die Pflege des ‚unsterblichen Seelenteils‘ verhilft der Seele dazu, sich in den Himmel zu erheben und so göttlich wie möglich zu werden. Freilich erwägt Timaios, als er von der bevorzugten Pflege des unsterb­lichen Selbst spricht, auch eine alter­ native ‚Seelenpflege‘, die sich auf das sterbliche Selbst des Menschen richtet. Möglicherweise ziehe es ja je­ mand vor, sich nicht auf den unsterblichen, sondern auf die sterblichen Seelenteile zu konzentrieren, also die sterbliche Seele zu seinem Selbst zu erklären: Τῷ μὲν οὖν περὶ τὰς ἐπιθυμίας ἢ περὶ φιλονικίας τετευτακότι καὶ ταῦτα διαπονοῦντι σφόδρα πάντα τὰ δόγματα ἀνάγκη θνητὰ ἐγγεγονέναι, καὶ παντάπασιν καθ’ ὅσον μάλιστα δυνατὸν θνητῷ γίγνεσθαι, τούτου μηδὲ σμικρὸν ἐλλείπειν, ἅτε τὸ τοιοῦτον ηὐξηκότι. „Dem, der sich nun den Begierden oder dem Ehrgeiz hingibt, und darauf seine ganze Energie verwendet, dem müssen aus­ schließlich sterbliche Gedanken innewohnen und der wird notwendigerweise ganz und gar, soweit es ihm überhaupt möglich ist, sterblich zu werden, es daran kein bisschen feh­ len lassen, da er einen solchen (Seelenteil) gefördert hat.“11   Vgl. Pl. Ti. 90a.  Pl. Ti. 90b; Übersetzung Th. Paulsen/R. Rehn (Hgg.), Platon: Timaios. Griechisch-Deutsch. Übersetzung, Anmerkun­ gen und Nachwort, Stuttgart 2003. 10 11

128

IV. Sokrates, der Schreiber

Natürlich ist das nicht im Sinne Platons und Unsterb­ lichkeit ist so nicht erreichbar. Und dennoch räumt er ein, dass auch in diesem Fall eine Therapie vorliegt – man denke an das Kind im Menschen – und dass auch in diesem Fall Naturbetrachtung eine Hilfe ist: Eine Per­ fektionierung des sterblichen Zustandes durch Kon­ trolle der Affekte scheint auf diese Weise immerhin möglich. Damit bietet Platon im Timaios eine Art Le­ benswahl, je nachdem, ob man sein Selbst in der un­ sterblichen Seele oder in dem sterblichen, von Begier­ den behafteten Teil der Seele sieht.12 In der Tat ist zu beobachten, dass Sokrates sich in Platons Dialogen bis­ weilen Methoden bedient, die we­niger philosophisch als persuasiv wirken und offenbar bewirken sollen, dass die Partner bereit sind, über philosophische Argu­ mente nachzudenken und deren Ergebnisse anzuneh­ men, also der praeparatio philosophica dienen sollen.13 Die sokratische Sorge auch um die sterbliche Seele des Partners bot Schulen des Hellenismus Anknüp­ fungspunkte für eigene methodische Erwägungen und praktische Anwendungen, die ihrerseits dann später von Platonikern wieder aufgegriffen wurden,14 erkann­ 12  Vgl. M. Erler, Kontinuität in Diskontinuität. Strategien der Selbstpflege bei Platon und im Epikureismus, in: G. Radke-­ Uhlmann/A. Schmitt (Hgg.), Philosophie im Umbruch. Der Bruch mit dem Aristotelismus im Hellenismus und im späten Mittelalter – seine Bedeutung für die Entstehung eines epocha­ len Gegensatzbewusstseins von Antike und Moderne, Stuttgart 2009c, 35–49, bes. 48. 13   Siehe hierzu Kapitel II dieses Bandes. 14   Vgl. H. Dörrie/M. Baltes (Hgg.), Der Platonismus in der An­tike. Grundlagen – System – Entwicklung. Bd.  4. Die philo­

1. Sokrates als Schriftsteller?

129

ten sie doch ursprünglich sokratische Ingredienzien wieder. Entsprechende therapeutisch-persuasive Stra­ tegien wurden damit zum Bestandteil jener ‚wahren Politik‘ des Sokrates15, jener Fürsorge für sich selbst und die anderen, welche Ordnung in der Seele der Men­ schen erreichen und dadurch zur Ordnung in der Welt beitragen möchte. Die persuasiven Strategien dieser Fürsorge innerhalb der philoso­phischen argumentatio verdienen Beachtung, weil sie zum Strukturelement platonisch-philosophischer Texte bei Plutarch ebenso wie bei Plotin, bei Porphyrios, in S­ implikios’ Epiktet-­ Kommentar oder sogar in Boethius’ Consolatio philo­ sophiae geworden sind.16 Auf ein methodisches Beispiel sokratischer Fürsor­ge – oder besser des sokratischen ‚Besingens des Kindes im Mann‘ – sei im Folgenden hingewiesen, weil es als ursprünglich rhetorisch-persuasive Strategie in philo­ sophischen Texten bis hin zu Boethius literarisch sophische Lehre des Platonismus. Einige grundlegende Axiome / Platonische Physik (im antiken Verständnis) I, Stuttgart/Bad Cannstatt 1996, 235–238; vgl. z. B. den Mittelplatoniker Lukios Kalbenos Tauros, der einen Schwerpunkt seiner Philosophie in der ‚Sorge für die Seele‘ (ἐπιμέλεια τῆς ψυχῆς) sah wie Platon und sein Sokrates; M.-L. Lakmann u. a. (Hgg.), Platonici minores. 1.  Jh. v. Chr. – 2.  Jh. n. Chr. Prosopographie. Fragmente und Testi­ monien. Mit deutscher Übersetzung, Leiden/Boston 2017, 238– 248, bes. 240 (mit weiterer Literatur). 15  Insbesondere thematisiert Platon diese ‚wahre Politik‘ in seinem Dialog Gorgias; vgl. dazu und zur dazugehörigen Tradi­ tion Kapitel I dieses Bandes. 16   Hinweise hierauf in M. Erler, Die philosophische Litera­ tur der Kaiserzeit, Handbuch der griechischen Literatur der An­ tike III (im Druck).

130

IV. Sokrates, der Schreiber

g­ eworden ist. Gemeint ist die Strategie der Argumenta­ tionshäufung als persuasives Mittel im Kontext philo­ sophischer argumentatio. Ausgangspunkt sei eine Pas­ sage in der Consolatio philosophiae des Boethius, die vor diesem Hintergrund in Gestaltung und Funktion besser verständlich wird. Diese Argumentationsform17 lässt sich über verschiedene Schulen bis zu Platon zu­ rückverfolgen und erweist sich als eine Strategie der ‚wahren Politik‘ des Sokrates. Zunächst sei auf Boethi­ us’ Consolatio verwiesen, dann die Tradition der Argu­ mentationsform nachgezeichnet und Boethius vor dem Hintergrund dieser sokratischen Elemente philosophi­ scher Präparation interpretiert.

2. Crebras coacervabo rationes (cons. 4, p.  2, 26) – Argumentationshäufung bei Boethius Die Consolatio philosophiae gehört zu den bedeutends­ ten literarischen Texten der lateinischen Spätantike und ist zugleich ein wichtiges Zeugnis für die philoso­ phische Praxis dieser Zeit im platonischen Kontext.18 Boethius war mit dem Curriculum des platonischen  Vgl. M. Erler, Argumentationshäufung. Eine forensische Strategie in philosophischem Kontext, in: G. Ueding/G. Kalivo­ da (Hgg.), Wege moderner Rhetorikforschung. Klassische Fun­ damente und interdisziplinäre Entwicklung, Berlin/New York 2014a, 253–266. 18   Das Werk ist gut erschlossen durch Gruber 22006; C. Mo­ reschini (Hg.), Anicius Manlius Severinus Boethius. De con­ solatione philosophiae. Opuscula theologica, München 22005; L. Bieler (Hg.), Anicii Manlii Severini Boethii opera. Bd.  I. 17

2. Crebras coacervabo rationes (cons. 4, p.  2 , 26)

131

Unterrichts wohlvertraut und wollte durch seine Über­ setzungen griechische Philosophie und ihre praktische Umsetzung dem lateinischen Westen vermitteln, wie schon Cassiodor rühmte.19 Denn der Platoniker und vielleicht Christ war in die Auseinandersetzungen zwi­ schen dem Hof in ­Ravenna und dem probyzantinischen Teil des römischen S­ enats hineingeraten, verlor darauf­ hin sein Amt, wurde wegen Hochverrats und Majes­ tätsbeleidigung eingekerkert und nach längerer Haft hingerichtet. In der Ein­ samkeit des Kerkers suchte ­Boethius Trost bei der Philosophie. 20 Resultat war sein berühmtestes Werk, die Consolatio philosophiae. Der Titel ‚Consolatio‘ signalisiert dabei die Zugehörigkeit zur Gattung der Konsolations­literatur. 21 Zwar tritt die personifizierte Philosophie auf und möchte mit strin­ genter Argumentation verhindern, dass Boethius in Selbstmitleid versinkt, indem sie den Blick von trug­ voller Fortuna auf die heilbringende Providenz und die entscheidende Frage der Theodizee lenkt. 22 Philosophiae consolatio, Turnhout 21984; Gegenschatz/Gigon 1990 resp.  62002. 19   Vgl. Cassiod. var.  1, 45, 3; vgl. Erler 2018c, 39–57. 20   Zur Diskussion über den fiktionalen Hintergrund des Ker­ kers vgl. R. Glei, In carcere et vinculis? Fiktion und Realität in der Consolatio Philosophiae des Boethius, Würzburger Jahr­ bücher für die Altertumswissenschaft 22 (1998) 199–213. 21   Vgl. R. Kassel, Untersuchungen zur griechischen und rö­ mischen Konsolationsliteratur, München 1958. 22   Vgl. Boeth. cons. 2, p.  8; zur Argumentation im ,platoni­ schen‘ Teil vgl. die Analyse von E. Gegenschatz, Die Freiheit der Entscheidung in der Consolatio phiosophiae des Boethius, Museum Helveticum 15 (1958) 110–129; auch in: M. Fuhrmann/ J. Gruber (Hgg.), Boethius, Darmstadt 1984, 323–349.

132

IV. Sokrates, der Schreiber

Eigentlich geht es in der Schrift aber um einen Selbst­ trost des Boethius und vor allem um eine Therapie ­seines seelischen Zustandes für eine Hinwendung der Seele zum eigentlichen Ziel ihres Strebens im Jenseits. Die Consolatio illustriert den Weg des eingekerkerten ­Boethius von krankhafter Verblendung hin zu einer Erkenntnis seiner Fehlerhaftigkeit und der damit ein­ setzenden Heilung. 23 In der Tat hat der Boethius im Text eine praeparatio Platonica nötig, bevor er mit der eigentlichen Philosophie beginnen kann. Und genau das wird in den ersten Büchern bis zur Mitte der Schrift geboten. Die Person Boethius im Text stellt somit ein Identifikationsangebot an den Leser dar, sich mit deren seelischer Situation zu identifizieren und ihren Hei­ lungsprozess mitzuvollziehen. 24 Dabei wird Dichtung in ihrer traditionellen Funktion als Selbsttröstung durch philosophische Seelentherapie im Sinne des ­Sokrates ersetzt, denn Boethius vertreibt die trösten­ den Musen durch Philosophia. 25 In seinem prosimetri­ schen Werk werden also aus diesen Musen profaner Dichtung die heilenden Musen der Philosophie, die   Vgl. W. Schmid, Philosophisches und Medizinisches in der Consolatio Philosophiae des Boethius, in: H. Erbse (Hg.), Fest­ schrift Bruno Snell, München 1956, 113–144; auch in: G. Mau­ rach (Hg.), Römische Philosophie, Darmstadt 1976, 341–384. 24   Zu Boethius im Text und als Autor vgl. S. Lerer, Boethius and Dialogue: Literary Method in The consolation of philosophy, Princeton (New Jersey) 1985. 25   Vgl. Boeth. cons. 1, p.  1; vgl. W. Stroh, Tröstende Musen: Zur literarhistorischen Stellung und Bedeutung von Ovids Exil­ gedichten, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 31.4 (1981) 2638–2684, bes. 2670 f. 23

2. Crebras coacervabo rationes (cons. 4, p.  2 , 26)

133

sich the­rapeu­tischer Argumente bedienen. Das Werk illustriert und intendiert somit zunächst eine praepara­ tio philosophica der Disposition des Autors im Text und des Lesers für philosophische Belehrung und bietet dann eine Belehrung aus platonischer Perspektive. Da­ mit reflektiert es lebensweltliche, philosophische Pra­ xis und wird nicht nur unter literarischen, sondern ge­ rade auch unter philosophisch-funktionalen Aspekten erst richtig verständlich. Im Folgenden soll uns in diesem Zusammenhang eine kleine Partie im 4. Buch interessieren. Dort versucht die Philosophia dem inhaftierten Boethius – aus seiner Sicht gegen den Augenschein – zu beweisen, dass allein die guten Menschen mächtig seien, die schlechten hingegen schwach. In einer Beweisführung, die sich eng an Pla­ tons Dialog Gorgias anlehnt26, aber durchaus neue Ar­ gumente für die These findet, dass alleine der gute Mensch mächtig ist, vertritt Philosophia auf gut plato­ nisch-sokratische Weise die These, dass allein der Weise handelt, wie er möchte, und dass nur er erhält, was er wirklich erstrebt. Der Schlechte hingegen glaube zwar, er erreiche etwas, doch erreiche er stets das, was er in Wirklichkeit eigentlich gar nicht wolle. Deshalb – so ar­ gumentiert die Philosophia wie Sokrates im Gorgias – sei der Schlechte schwach, der Gute aber stark. Nach­ dem dieser Beweis durchgeführt ist und Philosophias 26   Vgl. Pl. Grg. 466bff.; vgl. J. Magee, Boethius’s Consolatio and Plato’s Gorgias, in: Th. Böhm/Th. Jürgasch/A. Kirchner (Hgg.), Boethius as a Paradigm of Late Ancient Thought, Berlin 2014, 13–30; ich danke John Magee für eine Diskussion über die hier behandelte Boethiusstelle.

134

IV. Sokrates, der Schreiber

Gesprächspartner einräumt, dass die Folgerungen auf der Hand lägen, schließt sie überraschend die Beweis­ führung keineswegs ab. Sie möchte vielmehr, wie sie sagt, Gründe aufhäufen.27 In der Tat lässt sie dann weitere Argumente folgen, obgleich der eigentliche Beweis be­ reits durchgeführt und das Ziel im Grunde erreicht ist. Dieses Verhalten ist bemerkenswert und entspricht ei­ gentlich nicht dem, was man von einem Philosophen er­ wartet, dem bei der Wahrheitssuche doch ein einziger stringenter Beweis genügen sollte. Das jedenfalls sagt der Platoniker Porphyrios ausdrücklich und nachvoll­ ziehbar, als er betont, dass die theoretische Betrachtung der Dinge, die glücklich machen, nicht in einem An­ häufen von Argumenten oder einer Menge angelernter Kenntnisse bestehe.28 Insbesondere ein Akkumulieren von Argumenten bringe einen Philosophen demnach nicht voran. Was Porphyrios betont, wird seit Platons Dialogen in philosophischen Schriften illustriert. Es sollte nicht immer um Quantität, sondern um die Strin­ genz eines entscheidenden Beweises gehen. Ebendiese Regel jedoch wird von Philosophia in der Consolatio of­ fenbar nicht befolgt. Sieht man freilich in der philosophi­ schen Literatur vor Boethius genauer hin, dann stellt man fest, dass die Strategie einer Anhäufung von Argu­ menten nicht nur von Boethius’ Philosophia praktiziert, sondern in philosophischen Texten unterschiedlicher 27   Vgl. Boeth. cons. 4, p.  2, 26: crebras coacervabo rationes; zu ­coacervare vgl. Cic. part. 40. 28  Vgl. Porph. Abst. 1, 29, 1–6 Bouffartigue/Patillon; Porph. Marc. 9, 24–25 Pötscher; Plot. VI, 7, 36; Heraclit.  fr. 40 Diels-Kranz; Epict. diss. II, 9, 13 f.

3. Lukrez und additive Argumentation

135

Provenienz und unterschiedlicher Zeiten trotz der Mah­ nung des Porphyrios durchaus angewandt wird. Argu­ menta­tionshäufung findet man vielmehr – vergleichs­ weise wenig beachtet – immer wieder bei hellenistischen Philosophen ebenso wie bei Platonikern; man findet sie beim Proto­philosophen Sokrates selbst, der sie zwar als guter Philosoph wie Porphyrios eher ablehnt, sich ihrer in bestimmten Kontexten aber dennoch bedient. Zudem erlaubt dies einen Rückschluss auf die Herkunft dieser Argumentations­strategie. Es scheint sich nämlich bei der Argumentationshäufung um eine persuasiv-therapeuti­ sche, ‚sokratische‘ Strategie in philosophischem Kontext zu handeln. Dies sei anhand einiger Beispiele von unterschied­ lichen Autoren wie Lukrez und Sextus Empiricus, der pseudo-platonischen Schrift Axiochos und schließlich Platons Dialog Phaidon selbst gezeigt. Dann soll darauf hingewiesen werden, dass die Strategie der Argumen­ tationshäufung in der Tat nicht aus philosophischem, sondern rhetorischem Kontext stammt und vielleicht zuerst vom platonischen Sokrates in den philosophi­ schen Diskurs integriert wurde. Die Tradition dieser Strategie lässt sich bis in die Spätantike verfolgen und, wie wir gesehen haben, noch bei Boethius beobachten.

3. Lukrez und additive Argumentation Ein Merkmal des lukrezischen Gedichtes De rerum na­ tura ist die häufige Verwendung additiver Strukturen innerhalb seiner philosophischen Argumentation, die

136

IV. Sokrates, der Schreiber

letztlich aus forensischem Kontext stammen. 29 Oft ist der Leser konfrontiert mit einer Fülle von alternativen Erklärungen für ein natürliches Phänomen oder mit ganzen Ketten von Argumenten für eine These. Nicht selten wird dabei beim textinternen Adressaten Mem­ mius, aber auch beim Leser der Eindruck erweckt, dass Lukrez noch mehr vortragen könnte oder dass er kon­ zediert, dass schon mehr an Argumenten geboten wur­ de, als die Beweisführung eigentlich erfordert. Der Dichter scheint also nicht so sehr auf die Überzeu­ gungskraft eines validen, kohärenten Arguments oder einer Erklärung zu vertrauen, sondern versucht, den Adressaten mit einer Fülle von alternativen Erklärun­ gen für Phänomene auf der Erde oder am Himmel oder mit einer Reihe von Argumenten für einen Sachverhalt zu überfluten30 – kurz, er verhält sich so, wie es Porphy­   Vgl. dazu Erler 2013, 25–43.   Vgl. J. Loehr, Ovids Mehrfacherklärungen in der Tradi­ tion aitiologischen Dichtens, Stuttgart 1996, 175–188; zur Tradi­ tion der Erklärungshäufung vgl. Ph.R. Hardie, Lucretian Mul­ tiple Explanations and their Reception in Latin Didactic and Epic, in: M. Beretta/F. Citti (Hgg.), Lucrezio, la natura e la s­ cienza, Florenz 2008, 69–96. Es bestehen Ähnlichkeiten zum πλεοναχός τρόπος – der Methode der ‚vielfältigen Erklärung‘ –, was bei den Epikureern insbesondere in der Meteorologie zu beobachten ist; vgl. Epicur. Ep. Pyth. 85 f.; Epicur. Ep. Hrdt. 78–80; vgl. E. Asmis, Epicurus’ Scientific Method, Ithaca (New York)/London 1984, 321–­330; F. Verde, Cause epicuree, Antiquorum Philosophia  7 (2013) 127–142; F. G. Masi, The Method of Multiple Explana­ tions: Epicurus and the Notion of Causal Possibility, in: C. Natali/ C. Viano (Hgg.), AITIA II. Avec ou sans Aristote. Le débat sur les causes à l’âge hellénistique et impérial, Neu-Löwen 2014, 37–63; F. A. Bakker, Epicurean Meteorology: Sources, Method, 29

30

3. Lukrez und additive Argumentation

137

rios verbietet und man es von einem Philosophen nicht erwartet, für den doch gelten sollte: Ein schlagendes Argument reicht. In manchen Fällen scheint es gerade­ zu so, als wolle Lukrez einen Widerstand seiner Leser brechen.31 Jedenfalls spricht er wiederholt davon, dass es im menschlichen Herzen einen Stachel, einen caecus stimulus cordi, gibt, der dafür sorgt, dass der Mensch sich nicht durch ein schlagendes, rationales Argument überzeugen lässt.32 Es bedarf deshalb ständiger Behand­ lung der zweifelnden Seele, kontinuierlicher Übung und Therapie, zu der offenbar auch eine Art von Über­ wältigen durch eine Fülle von Erklärungen und Argu­ menten gehört. Betroffen sind grundlegende Thesen epikureischer Physiologie wie die Sterblichkeit der Seele, die Existenz des Leeren oder die des Atoms.33 Ein Instrument, um Scope and Organization, Leiden/Boston 2016; G. Leone, Dio­ gène d’Œnoanda et la polémique sur les meteora, in: J. Hammer­ staedt/P.-M. Morel/R. Güremen (Hgg.), Diogenes of Oinoanda: Epicureans and Philosophical Debates, Löwen 2017, 89–­110; F. G. Corsi, Il metodo delle molteplici spiegazioni in Diogene di Enoanda, Syzetesis IV/2 (2017) 253–284. 31  Vgl. Clay 1983, 212–266; zum lector doctus und zur recrea­ tio (Lucr. 1,942) vgl. M. Erler, Physics and Therapy: Meditative Elements in Lucretius’ De rerum natura, in: K. A. Algra/M. H. Koenen/P. H. Schrijvers (Hgg.), Lucretius and His Intellectual Back­ground, Amsterdam 1997, 79–92. 32   Vgl. Lucr. 3, 874; zum caecus stimulus cordi als Quelle von Emotionen bei Lukrez und deren Therapie vgl. Erler 2003a, 107–116. 33   Vgl. z. B. die Argumentation für die Existenz der Atome und des Leeren in Lucr. 1, 265–328; 329–417. Lukrez reklamiert die Argumente für sich (vgl. Lucr. 1, 412–417).

138

IV. Sokrates, der Schreiber

den Widerstand von Gegnern argumentativ brechen zu können, ist die Methode der vielfachen Argumente. Ge­ boten wird ein gehäuftes Angebot von Erklärungsalter­ nativen für bestimmte Naturphänomene, die Menschen in Unruhe versetzen können wie z. B. Blitz, Donner, Wolken oder Erdbeben. In den Büchern 5 und 6 seines Lehrgedichtes fügt Lukrez Ketten von Ursachenerklä­ rungen für derartige Phänomene aneinander. Jede Er­ klärung wird von ihm als wahr angesehen, solange sie mit den Phänomenen konform geht.34 Denn es ist, wie der Dichter betont, nicht leicht zu sagen, welche Erklä­ rungen in der Welt sicher sind: Sed quid possit fiatque per omne [...], id doceo plurisque sequor disponere causas, motibus astrorum quae possint esse per omne. „Aber was geschehen kann [...], das lehre ich, und dafür fahre ich fort, vielfache Gründe aneinanderzusetzen, die es für die Bewegung der Sterne im All geben kann.“35

Lukrez sieht in der Vielfalt der Erklärungsmöglichkei­ ten eine wichtige Ingredienz seiner physiologia medi­ cans. Diese Methode vielfacher alternativer Erläuterun­ gen ist mitverantwortlich für den additiven Charakter vieler Passagen in seinem Lehrgedicht.36 Die Epikureer sind überzeugt davon, dass sie helfen kann, den im Text angesprochenen Adressaten und den Leser von jener   Vgl. Lucr. 5, 509–771; 6, 160–422.   Lucr. 5, 527–530; Übersetzung Martin 1972. 36   Vgl. M. Erler, Interpretatio medicans. Zur epikureischen Rückgewinnung der Literatur im philosophischen Kontext, in: M. van Ackeren/J. Müller (Hgg.), Antike Philosophie Verstehen, Darmstadt 2006a, 243–256. 34 35

3. Lukrez und additive Argumentation

139

Furcht zu befreien, die durch irritierende Phänomene verursacht wird – sie wird angewendet als eine Medizin bei Menschen, die sich ‚wie Kinder‘ fürchten, was Luk­ rez wiederholt betont.37 Man erinnert sich dabei an ­Sokrates, der im Phaidon vom ‚Kind im Mann‘ sprach, das beruhigt werden muss, um für philosophische Ar­ gumente offen zu sein.38 Lukrez will diese Beruhigung nicht durch die einzig richtige Erklärung, sondern den Umstand und das Bewusstsein bewirken, dass es über­ haupt eine Erklärung gibt. Die Vielfacherklärung wird also zum Element einer argumentatio medicans, die von Furcht befreien will. Dies gilt auch, wenn Lukrez an anderen Stellen Argumente häuft, z. B. 29 Argu­ mente für die Sterblichkeit der Seele39, und dabei zu er­ kennen gibt, dass er – quasi als Zugabe – noch weitere bieten kann. Der Dichter erstrebt sozusagen eine argu­ mentative Überwältigung, wie er selbst sagt: Quapropter, quamvis causando multa moreris, esse in rebus inane tamen fateare necessest. multaque praeterea tibi possum commemorando argumenta fidem dictis corradere nostris. verum animo satis haec vestigia parva sagaci sunt per quae possis cognoscere cetera tute. „Magst du deshalb auch zögern und noch so viele Einwände zusammentragen, du musst doch gestehen, dass es in den 37   Vgl. z. B. Lucr. 5,1091–1101; 6,80–89; zu Epikurs Philoso­ phie als Medizin vgl. Epicur. fr. 221 Usener = Porph. Marc. 31, 10–13 Pötscher; zu kindlicher Furcht von Erwachsenen vgl. Lucr. 2, 55–58; 3, 87–90; 6, 35–38. 38   Siehe auch Kapitel III dieses Bandes. 39   Vgl. Lucr. 3, 417–829.

140

IV. Sokrates, der Schreiber

Dingen ein Leeres gibt. Und viele Beweise könnte ich dir noch anführen und so dir den Glauben an meine Worte zu­ sammenkratzen. Aber deinem scharfsinnigen Geiste genügen auch schon diese geringen Spuren, dass du selber das Übrige sicher erkennen kannst.“40

Lukrez fordert den Leser also sogar auf, selbst noch zu­ sätzliche Beweise und Argumente als eine Art von Selbsttherapie zu finden. Wie sein Meister Epikur es fordert, verfügt Lukrez in der Frage der Physiologie über einen Argumentationsschatz, den er je nach Situa­ tion einsetzen kann – Argumente sind also fertige Waf­ fen oder Heilmittel, die man parat hat und nicht erst entwickeln muss. Auch bei Lukrez wird also deutlich, dass nicht das eine schlagende, philosophische Argument, sondern die gehäufte Fülle von Beweisen wichtig ist. Dieser Häufung traut man eine persuasive und therapeutische Aufgabe zu. Es geht also um Rhetorik, weniger um ei­ nen rein sachbezogenen, philosophischen Diskurs. Halten wir zunächst fest: Die Ähnlichkeit zu dem, was wir bei Boethius beobachtet haben, ist evident. Auffäl­ lig ist auch, dass Lukrez diese Methode einer Häufung von Argumenten in einem Kontext anwendet, in dem es um das Beruhigen von ‚Kindern‘ im Menschen und deren irrationaler Angst, also den emotionalen Zustand des Adressaten und intendierten Lesers geht. Die Ar­ gumentationshäufung wird also als ein Mittel genutzt, das ‚Kind im Mann‘ zu beruhigen, indem man es argu­ mentativ ‚besingt‘: Ein Element sokratisch-praktischer   Lucr. 1, 398–403; Übersetzung Martin 1972.

40

4. Sextus Empiricus

141

Philosophie, die sich rhetorischer Strukturen bedient, ist also auch hier zu beobachten.

4. Sextus Empiricus Nun hat man derartige Häufungen von Argumenten als typisch epikureisch, bisweilen auch als Reaktion auf ­peripatetische Methoden41 oder auf aitiologische Dich­ tung wie z. B. die des Kallimachos42 oder überhaupt als Eigentümlichkeit des Lukrez zu erklären versucht.43 Die besprochene Stelle im Werk des spätantiken Plato­ nikers Boethius relativiert oder widerlegt diese Annah­ me freilich. Und in der Tat sollte man nicht übersehen, dass derartig additive argumentative Strukturen auch in anderen philosophischen Schulen zu beobachten sind.44 Es sei hier nur auf die Skeptiker und insbesondere die Schrift Grundriss der pyrrhonischen Skepsis von Sextus Empiricus verwiesen. Sextus setzt in diesem Werk ebenfalls Argumentationsketten ein und bezeichnet sie 41  Vgl. J. Mansfeld, Epicurus Peripateticus, in: A. Alberti (Hg.), Realtà e ragione. Studi di filosofia antica, Florenz 1994, 29–47 (auch in: J. Mansfeld/D. T. Runia [Hgg.], Aëtiana: The Method and Intellectual Context of a Doxographer. Bd.  III. Stu­ dies in the Doxographical Traditions of Ancient Philosophy, Leiden/Boston 2010, 237–254). 42  Vgl. Loehr 1996, 161–271. 43  Vgl. Classen 1986, 331–373; bes. 343 ff. 44   Vgl. M. Erler, Beweishäufung bei Lukrez. Zum Verhältnis von Philosophie und Rhetorik in philosophischer Literatur, in: G. M. Müller/F. Mariani (Hgg.), Philosophie in Rom – Römi­ sche Philosophie, Berlin/Boston 2018a, 175–188.

142

IV. Sokrates, der Schreiber

als ‚Argumente ἐκ περιουσίας‘ (Argumente im Über­ fluss), die er ausdrücklich als nicht notwendig für das Erreichen des Beweiszieles, aber als zielführend für die Überzeugungsarbeit bei seinem Gesprächspartner an­ sieht.45 Zwar habe man den Beweis schon hinreichend geführt, sagt er in ­diesem Zusammenhang wiederholt, doch seien diese ‚Zugaben‘ hilfreich, um den Adressa­ ten zu überreden, dass die conclusio wirklich wahr ist.46 Der Ausdruck ‚als Zu­gabe‘ (ἐκ περιουσίας) ist selten. Bezeichnenderweise findet er sich aber einmal in der Topik des Aristoteles, wenn er den Unterschied zwi­ schen notwendigen Argumenten und solchen disku­ tiert, die als Zugabe dienen, aber bisweilen durchaus als besser angesehen werden können.47 Auch beim Verfahren des Sextus erkennt man die ­Parallelität zu den von uns zu Beginn herangezogenen Stelle aus Boethius’ Consolatio philosophiae. Der Skepti­ ker deutet ebenfalls an, dass er mehr Beweise anführen könnte, wenn er denn wollte – er nennt das ἄλλα πλείω oder ὀλίγα ἀπὸ πολλῶν – und lässt damit wie Lukrez er­ kennen, er habe nur eine Auswahl von Argumenten vor­ geführt, könne aber mehr anbieten. Die genannten Ar­ gumente, die Sex­tus in diesem Kontext verwendet, kann man als ter­mini technici für seine Art der argumentatio, der Argumenta­tionshäufung, ansehen.48 Sextus ist über­ zeugt, dass man auch schwache Argumente dann an­ bieten könne, wenn ihnen eine persuasive Funktion   Vgl. S. E. P. 1, 62; 1, 76; 2, 192; S. E. M. 5, 86; 8, 183; 8, 262.   Vgl. S. E. P. 1, 85; 2, 130; 3, 20; 3, 245; 3, 273. 47   Vgl. Arist. Top. III 2–3, 118a. 48   Vgl. S. E. P. 1, 58. 45

46

5. Sokrates als Therapeut

143

z­ ukomme.49 Gerade mit Blick auf die inhaltlichen Un­ terschiede zwischen epiku­reischer und skeptischer Leh­ re ist diese Konvergenz in der Methode bemerkenswert. Beide Schulen haben die Inten­tion gemeinsam, mit der additiven Argumentationsmethode therapeutisch zu wir­ ken und eine Medizin zur Heilung von Furcht anzu­ bieten, um Glück beim Menschen zu bewirken. Offen­ bar liegt hier eine gemeinsame Argumentationstradition vor, die an diejenige der crebrae rationes erinnert, welche Boethius in der Consolatio anhäuft.

5. Sokrates als Therapeut Gleichwohl wird man einwenden, es handele sich hier ja bei den behandelten Autoren um Epikureer und Skeptiker mit je eigenen, vom Platonismus grundsätz­ lich verschiedenen Vorstellungen von Wahrheit und den Möglichkeiten, diese zu erreichen. Doch haben wir schon darauf hingewiesen, dass die Philosophia des Platonikers Boethius sich – trotz des Verbotes von ­ ­Porphyrios – der offenbar als dispositionsbildend aner­ kannten Strategie der Argumentationsanhäufung be­ dient. Vor allem aber ist bemerkenswert, dass es sich bei der Beweis- oder Erklärungshäufung als persuasive Strategie in philosophischem Kontext keineswegs um eine Erfindung der hellenistischen Schulen handelt, die wir bisher herangezogen haben. Vielmehr lässt sich die Strategie auch in der frühen platonischen Tradition bis zu Platon selbst zurückverfolgen. Auch seinem Proto­   Vgl. S. E. P. 3, 280 f.

49

144

IV. Sokrates, der Schreiber

philosoph Sokrates ist diese Methode, die seine Ge­ sprächspartner emotional ausrüsten soll, nicht fremd. Dies jedenfalls lehrt zunächst ein Blick in die pseu­ doplatonische Schrift Axiochos. Darin begegnet uns ein ‚weiser Sokrates‘, dessen Kompetenz darin besteht, Trost zu spenden, z. B. wenn sich Menschen vor dem Tod ‚wie vor einem Schreckgespenst‘ (μορμολυκεῖον) fürchten. Das ist bei Axiochos der Fall, der selbstkri­ tisch beklagt, dass ihm seine bisherigen Argumente und Überlegungen über den Tod ‚entwichen‘ seien.50 Offenbar hindert ihn sein emotionaler Zustand, Argu­ mente anzunehmen und in angemessenes Verhalten umzusetzen, sodass die Argumente ohne Auswirkung auf seine Verfasstheit im Leben blieben. Er wünscht ­daher Abhilfe durch Sokrates. Auch hier ist die Rede davon, dass sich Axiochos ‚wie ein Kind‘ verhalte, das noch ohne Vernunft ist. Wie sieht nun die ­Paramythia, das ‚Besingen‘, aus, die Sokrates ihm zuteilwerden lässt? Er versucht nun keineswegs in gut philosophi­ scher Manier, Axiochos mit einem schlagenden Beweis dafür, dass die Seele unsterblich ist, zu beruhigen; er überhäuft ihn vielmehr mit Argumentationen, die zu­ dem aus unterschiedlichen Schulen stammen, nämlich aus der Platons, aber auch aus der Epikurs. Zunächst zeigt die Häufung von Argumenten nicht die ge­ wünschte ‚paramythische‘ Wirkung: Das ‚Kind‘ Axio­ chos fühlt sich keineswegs aufgemuntert, sondern tut das Vorgetragene als ein ‚gegenwärtig übliches Geplau­ der‘ ab,51 mit dem man bestenfalls junge Leute beein­   Vgl. Ps.-Pl. Ax. 364b–c; 365c.   Vgl. Ps.-Pl. Ax. 369d.

50 51

5. Sokrates als Therapeut

145

drucken könne. Er hoffe vielmehr auf Argumente, die nicht nur die Oberfläche berühren, sondern – wie er sagt – ‚die Seele erreichen‘.52 Gegen Affekte – so Axio­ chos – könnten sophistische Argumente nichts ausrich­ ten.53 Man fühlt sich dabei an den lukrezischen ‚Stachel im Herzen‘ erinnert, der sich diesen widersetzt. Sokrates führt also weiter Gründe an – und schließlich findet er ein Argument, das Axiochos beeindruckt. Die­ ser fühlt sich daraufhin wie ein neuer Mensch und von Furcht befreit.54 Die Inhalte der Argumente sollen hier nicht i­n­­teressieren, sondern vielmehr nur der Umstand, dass S­ okrates Argumente anhäuft und dass er sich dabei aus Argumentationsvorräten bedient, die nicht zu seiner philosophischen Richtung gehören. Ihn interessiert nur, ob sie therapeutisch wirken und die Disposition des Axiochos bessern – um die Wahrheit geht es weniger. Auch hier also ist die Häufung von Argumenten selbst ein Argument, welches zum Ziel hat, therapeutisch zu wirken oder ‚die Seele zu erreichen‘. Der Protophilosoph Sokrates verhält sich im Axiochos somit wie Boethius’ Philosophia, wie der Epikureer Lukrez oder ein Skepti­ ker wie Sextus, aber anders als der Platoniker Porphyrios es sich bei einem wahren platonischen Philosophen vor­ stellt. Man wird sich vielleicht damit beruhigen wollen, dass es sich beim Dialog Axiochos ja um ein Spurium handelt, das sich ja allein schon durch die epikureische Provenienz mancher Argumente ergebe.  Vgl. Erler 2005a; siehe auch Kapitel III dieses Bandes.   Vgl. Ps.-Pl. Ax. 369e. 54   Vgl. Ps.-Pl. Ax. 370d–e. 52 53

146

IV. Sokrates, der Schreiber

Zudem wird man darauf hinweisen wollen, dass ­ orphyrios sich mit seiner Zurückhaltung gegenüber P der ­ Methode der Argumentationshäufung durchaus auf den Sokrates Platons berufen kann. Denn der Pro­ tophilosoph äußert sich im Dialog Theaitetos in der Tat negativ über die Sitte, Argumente gleichsam als Zubrot oder Zugabe anzubieten. Er konstatiert nämlich, dass er imstande wäre, die verbleibende Zeit als Zugabe da­ mit zu verbringen, sich mit seinem Gesprächspartner wie Sophisten im Wortkampf mit Argumenten gegen­ seitig zu testen, wenn er und sein Partner wirklich wei­ se wären und alles hinreichend analysiert hätten. Doch leider seien sie nun einmal keine Weisen und ihm liege daran, immer seriöse Argumente vorzubringen.55 Trotz aller Ironie wird hier deutlich, dass Sokrates die Strate­ gie der Argumentations­häufung kennt. Er verwendet an dieser Stelle genau den Ausdruck ‚im Überfluss‘ (ἐκ περιοuσίας), der dann auch später bei Sextus Empiricus begegnet. Gleichzeitig aber wird auch klar, dass es für ihn keine Option ist, mit im Grunde überflüssigen Be­ weisen herumzuspielen, die nicht zielgerichtet und not­ wendig für die Wahrheitsfindung sind. Derartiges tun Eristiker wie Euthydemos und Dionysodoros im Dia­ log Euthydemos, die immer wieder andeuten, sie hätten mehr zu bieten, als sie vorzutragen bereit sind. Doch zeigt Sokrates in diesem Dialog, dass sie in Wirklich­ keit gar nichts Relevantes zu sagen haben, sondern dass er selbst derjenige ist, der über passende Beweisführun­ gen verfügt. Man sieht also, dass der Euthydemos einen   Vgl. Pl. Tht. 154d–e.

55

5. Sokrates als Therapeut

147

unangemessenen Umgang mit dieser argumentativen Strategie parodiert.56 Andererseits sollte man sich auch daran erinnern, dass Sokrates trotz seiner Skepsis und Zurückhaltung gleichwohl selbst Gebrauch von dieser Methode der Argumentationshäufung macht. Dies ist der Fall in ei­ nem ernsten, philosophischen Kontext und an promi­ nenter Stelle, nämlich in Platons Dialog Phaidon. In dieser Schrift wird nicht nur beschrieben, wie Sokrates eine Vielzahl von ­Beweisen für die Unsterblichkeit der Seele vorträgt. Der Dialog illustriert auch, dass sich die Partner des Sokrates dem Zwang der Argumente zwar beugen und sie anerkennen, gleichwohl aber emotional nicht bereit sind, die Ergebnisse der Argumente anzu­ nehmen.57 Genau in diesem Kontext finden wir jene Metapher vom ‚Kind im Mann‘58 als Quelle für einen emotionalen Widerstand, die uns schon bei Lukrez und bei Axiochos und immer im Zusammenhang mit Ar­ gumentationshäufung begegnete. Im Phaidon begegnet uns eine Häufung von vier aneinandergereihten Argu­ 56   Wenn Platon Sokrates andeuten lässt, dass man Weiteres – auch philosophisch Ernstes – zu sagen hätte, während andere dies zwar andeuten, aber eigentlich nichts zu sagen haben, ist dies nicht notwendig mit Blick auf eine esoterische Lehre zu ­sehen (vgl. Th.A. Szlezák, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie. Interpretationen zu den frühen und mittleren Dia­ logen, Berlin/New York 1985, 49–65), sondern vor dem Hinter­ grund der hier skizzierten rhetorischen Methode (vgl. für den Euthydemos M. Erler, Platon Werke. Übersetzung und Kom­ mentar. Bd.  V I 1. Euthydemos, Göttingen 2017, 136). 57   Siehe auch Kapitel III dieses Bandes. 58   Vgl. Pl. Phd. 77e.

148

IV. Sokrates, der Schreiber

menten59, die im Grunde Inhalt jenes ‚Besingens‘ sind, das Sokrates für notwendig hält, um das ‚Kind im Mann‘ bei Kebes und Simmias als Quelle ihres Wider­ standes gegen rationales Philosophieren zu beruhigen. Die Argumente sollen einzeln überzeugen; sie sollen in ihrer Häufung aber auch als therapeutisches Mittel die­ nen, jene Disposition der Adressaten zu stärken, die zu Philosophie erst befähigt. Zudem gibt sich Sokrates nach der vierten Argumentation60 davon überzeugt, dass dieses Argument hinreichend sei, um die Unsterb­ lichkeit der Seele zu beweisen, ist gleichwohl aber be­ reit, weitere Beweise hinzuzufügen, um die Sorgen und die Furcht seiner Partner zu mildern.61 Die These ist bewiesen, doch die Philosophie selbst bietet noch mehr Argumente. Zwar kommt es dazu nicht, doch ist von Bedeutung, dass hier Sokrates die rhetorische Strategie ‚Argumente als Zugabe‘ durchaus anwendet, die uns bereits im Axiochos sowie bei Lukrez, Sextus und ­Boethius begegnete. Und wenn er am Schluss behaup­ tet, dass es weitere Beweise geben könnte, erinnert dies an die Methode des ἄλλα πλείω, d. h. eines ‚mehr-­ in-der-Hinterhand-Habens‘. Im Phaidon wird somit deutlich, dass es sich um genau jene therapeutische Si­ tuation handelt, die immer wieder mit der Argumenta­ tions­häufung verbunden ist: dem Wunsch, emotiona­ len Widerstand, der seine Quelle – wie wir sahen – im ‚Kind im Mann‘ hat, zu überwinden. Sokrates unter­ streicht die therapeutische Funktion dieser Argumen­  Vgl. Dalfen 1994; Heitsch 2001.   Vgl. Pl. Phd. 102a–107b. 61  Vgl. Erler 2004. 59

60

5. Sokrates als Therapeut

149

tationsmodi noch, wenn er selbst seine Argumentation als Trostrede (παραμυθία) bezeichnet, ganz wie dies in ­Boethius’ Schrift der Fall ist. Die Argumente sollen also nicht nur Beweiskraft haben, sondern Emotionen besänftigen. Das gilt auch für ein weiteres Beispiel, das sich in der Apologie findet, als Sokrates erläutert, dass und warum er trotz der drohenden Todesstrafe glücklich ist. Hier wird eine weitere Erklärungshäufung geboten: Ent­ weder sei der Tod nämlich das Ende von allem (finis) oder Übergang (transitus) zu etwas anderem.62 Sokrates kann und will keine Präferenz erkennen lassen, ob­ gleich man unterstellen darf, dass er eine solche Prä­ ferenz hat. Es geht ihm hier offenbar weniger um Er­ kenntnis und Wahrheit als vielmehr um – wie er selbst sagt – die Hoffnung (ἐλπίς), die aus der alternativen Option (aut finis aut transitus) erwächst, jene Hoff­ nung, welche den erwünschten therapeutischen Effekt hat, nach dem Sokrates für sich strebt, nämlich dem Tod ruhig und unbeirrt ins Auge sehen zu können.63 Die Alternativerklärung ist also als Mittel anzusehen, eine positive Disposition zu erzeugen. Es sei ­darauf hingewiesen, dass die von Sokrates aufgeworfene Al­ ternativerklärung aut finis aut transitus in der Tat später bei Cicero, Seneca oder Marcus Aurelius genau in die­ sem therapeutischen Sinne weiterwirkt.64   Vgl. Pl. Ap.  38c–42a, bes. 40c.   Vgl. S. R. Slings/É. de Strycker, Plato’s Apology of Socra­ tes: A Literary and Philosophical Study with a Running Com­ mentary, Leiden/New York/Köln 1994, 226 ff. 64   Vgl. Cic. Tusc. 1, 119; Sen. epist. 65, 24; M.Aur. med. 7, 32. 62

63

150

IV. Sokrates, der Schreiber

Zu dieser Argumentationsstrategie gehört es auch, wenn Sokrates in der Politeia den Mythos des ‚Er‘ gleichsam als ‚Zugang‘ 65 anbietet, obgleich die bis dahin ge­botene Argumentation für das Erreichen des Beweis­ ziels hinreichend war. Es ging darum, Gerechtigkeit als intrinsisch gut zu erweisen. Nun aber fügt Sokrates den Mythos noch als Beleg für die Gutheit der Gerech­ tigkeit an, indem er auf die positiven Folgen von Ge­ rechtigkeit hinweist. Er tut dies hier, obgleich er dies zuvor im zweiten Buch66 bereits als Defizit traditionel­ ler Argumentation z. B. bei Hesiod abgelehnt hatte. Der Mythos fungiert also gleichsam als persuasives Element, wenn eine stringente Argumentation nicht die erhoffte Überzeugung bewirkt hat. Platon deutet dies in den Nomoi an, wo davon die Rede ist, dass je­ mand zwar argumentativ zu Zugeständnissen gezwun­ gen ist, dass darüber hinaus aber noch gewisse Mythen hilfreich sein können, um Überredung zu leisten.67 Dazu gehört jene Strategie der Argumentationshäufung, welche Epikur und Lukrez verwenden, der Sextus ei­ nen Namen gibt, die wir bis Boethius verfolgen können und die aus dem Bereich der forensischen Rhetorik stammt. Die therapeutische Methode der Argumentations­ häufung ist also schon bei Platons Sokrates kein Selbst­ zweck, sondern Teil einer praeparatio philosophica, ­insofern sie der Kontrolle der Emotionen und der Be­ reitschaft für Philosophie, also der Pflege des sterbli­   Vgl. Pl. R. 612c–d.   Vgl. Pl. R. 367c. 67   Vgl. Pl. Lg. 903a–b. 65

66

5. Sokrates als Therapeut

151

chen Selbst dient. Als wichtige Rahmenbedingung fun­ giert hierbei Platons Unterscheidung der gewöhnlichen Tugenden von den reinen, wirklich philosophischen ­Tugenden,68 deren Erwerb und Pflege unterschiedliche Techniken zugewiesen werden; diejenigen hellenisti­ scher Provenienz werden dabei auf den Bereich der ge­ wöhnlichen Tugenden angewandt und bleiben also auf die Bewältigung des Diesseits beschränkt. Diese von Platon vorgegebene Hierarchisierung der Tugenden spielt im kaiserzeitlichen Platonismus eine zunehmend wichtige Rolle69 und erleichtert die Rezeption und Inte­ gration nützlicher Methoden aus anderen philosophi­ schen Kontexten. Wir beobachten seit Platons Sokrates bis hin zu Boethius’ Consolatio philosophiae im philo­ sophischen Umfeld die Methode der Argumentations­ häufung, die bisweilen mit jenem Topos ‚Besingen des Kindes im Mann‘ verbunden wird, der als Signum für therapeutische Präparation der menschlichen Seele für den richtigen Umgang mit Argumenten angesehen wer­ den kann.70

  Vgl. Pl. Phd. 69b; 82a–b.   Vgl. R. Thiel, Stoische Ethik und neuplatonische Tugend­ lehre. Zur Verortung der stoischen Ethik im neuplatonischen System in Simplikios Kommentar zu Epiktets Enchiridion, in: T. Fuhrer/M. Erler (Hgg.), Zur Rezeption der hellenistischen Philosophie in der Spätantike. Akten der 1. Tagung der Karl-undGertrud-Abel-Stiftung vom 22.–25. September 1997 in Trier, Stuttgart 1999, 93–103. 70   Siehe auch Kapitel III dieses Bandes. 68 69

152

IV. Sokrates, der Schreiber

6. Rhetorische Tradition und sokratische Rhetorik Es ist nun von Interesse, dass Platon selbst die von Sok­ rates kritisch betrachtete, gleichwohl aber in der Rhe­ torik praktizierte Strategie der Argumentationshäu­ fung offenbar anwendet. Das ist im forensischen Kontext der Apo­logie zu beobachten, wenn er über die Möglichkeiten spricht, wie man den Tod betrachten soll. Er addiert hier Lösungsvorgaben, ohne sich zu entscheiden, um die Todesfurcht zu beseitigen. Auch hier gilt, dass weniger das einzelne Argument als der Umstand zählt, dass es viele Argumente aus unter­ schiedlicher Perspektive überhaupt gibt. Platons Sokra­ tes kennt also die Strategie und setzt sie sehr bewusst ein. Aber auch im Phaidon ist die Strategie der Argu­ mentationshäufung in den Kontext einer fingierten Ge­ richtsverhandlung eingebettet. Sokrates will nämlich vor seinen Freunden – im Kontrast zu den Richtern in der Apologie – seine wahre Verteidigung bieten, in der die Freunde seine wahren Richter sind.71 Aus diesem Kontext erwachsen dann die Unsterblichkeitsbeweise, deren Häufung auch therapeutisch wirken soll. Was Platon nun über den ursprünglichen Kontext der Stra­ tegie der Argumentationshäufung anklingen lässt, be­ stätigt ein Blick in die attischen Redner wie etwa De­ mosthenes, bei denen man das ‚Argument als Zugabe‘ oder die Andeutung, dass man noch mehr Argumente habe, als Topoi findet.72   Vgl. Pl. Phd. 62c–69e.  Vgl. Lib. Arg.D. 9, 8 f. zur Kranzrede des Demosthenes (Text nach W. Zürcher (Hg.), Rede für Ktesiphon über den 71

72

6. Rhetorische Tradition und sokratische Rhetorik

153

Ein Blick in das rhetorische Handbuch des Quinti­ lian bestätigt, dass es sich um eine argumentative Stra­ tegie handelt. An einer für uns zentralen Stelle nämlich bestätigt der römische Rhetoriker die Vermutung, dass es sich beim ‚Argument als Zugabe‘ um eine philo­ sophisch-therapeutische Strategie handelt. Dort lobt Quintilian Cicero und dessen Rede Pro Milone, weil Cicero in dieser Rede zuerst schlüssig zeige, dass Clo­ dius ein hinterhältiger Mensch sei, und dann darüber hinaus noch Argumente hinzufüge – ex abundanti nennt dies der Rhetoriker: Egregie vero Cicero pro Milone insidiatorem primum Clodi­ um ostendit, tum addidit ex abundanti, etiamsi id non fuisset, talem tamen civem cum summa virtute interfectoris et gloria necari potuisse. „Hervorragend hat indessen Cicero in der Rede für Milo zu­ erst klargemacht, dass Clodius der Attentäter war, dann aber als Dreingabe hinzugefügt, selbst wenn er es nicht gewesen wäre, hätte immerhin ein solcher Mitbürger zum höchsten Verdienst und Ruhm dessen, der ihm den Todesstoß versetz­ te, getötet werden können.“73

Quintilian beschreibt also jene rhetorische Strategie, welche zu einem Merkmal der physiologia medicans der Kranz, Darmstadt 1983); zur Argumentationsstruktur vgl. Arist. Top. VIII 14, 163a36–163b16; dazu A. Beriger, Die aris­ totelische Dialektik. Ihre Darstellung in der Topik und in den Sophistischen Widerlegungen und ihre Anwendung in der Meta­ physik M 1–3, Heidelberg 1989, 74 ff. 73   Quint. inst. 4, 5, 15; Übersetzung H. Rahn (Hg.), Marcus Fabius Quintilianus. Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, Darm­stadt 52011; modifiziert durch M. Erler.

154

IV. Sokrates, der Schreiber

Epikureer und der Skeptiker wurde und die – wie wir jetzt sagen dürfen – der platonische Sokrates offenbar in die Philosophie eingeführt hat. Den Ausdruck ge­ braucht der Rhetorikgelehrte im gleichen Sinne einer eigentlich überflüssigen Zugabe an anderer Stelle, wenn er z. B. im 5.  Buch davon spricht, dass man neben ande­ ren Beweismitteln als Zugabe oder zum Überfluss noch einen weiteren Beweis anbieten könne, oder wenn er im 8. Buch die Argumentationsform ex abundanti zum Begriff des ‚Gesuchten‘ rechnet.74 An einer anderen Stelle im gleichen Buch verwendet er den Ausdruck ­cumulus ex abundanti, um den Begriff ἐπεξεργασία als eine Aufhäufung aus Überflüs­sigem und Zugaben zu erklären.75 Die Formulierung ex abundanti findet man sonst nur noch zweimal bei Seneca, freilich in nicht-­ rhetorischem Kontext im Sinne von ‚Überfluss‘.76 Wir haben es also mit einer rhetorischen Strategie in­ nerhalb der Philosophie zu tun, die bezeichnenderwei­ se zunächst dort rezipiert wurde, wo es auch bei philo­ sophischen Argumenten nicht um rein philosophische Wahrheitssuche geht, sondern darum, den Adressaten mittels persuasio und Seelentherapie auf die Akzeptanz dieser Wahrheit vorzubereiten. Die Strategie ist offen­ bar eine wichtige Ingredienz jener praktischen Philoso­ phie oder wahren Politik, von der Platon spricht und die bis in die Spätantike zu beobachten ist.

  Vgl, Quint. inst. 5, 6, 2 und 8, 3, 56.   Vgl. Quint. inst. 8, 3, 88. 76   Vgl. Sen. dial. 10, 3, 4; benef. 1, 11, 5. 74

75

7. Praeparatio philosophica bei Boethius und Simplikios 155

7. Praeparatio philosophica bei Boethius und Simplikios Vor dem Hintergrund der hier nachgezeichneten Tra­di­ tion gewinnt die zu Beginn herangezogene Stelle in ­Boethius’ Consolatio philosophiae, an der er von einer Anhäufung von Argumenten spricht, an Profil. Wir ha­ ben festgestellt, dass das ‚Besingen‘ als therapeutische Maßnahme eine lange Tradition innerhalb des Platonis­ mus hat. Zudem stellte sich heraus, dass die Argument­ häufung im Zuge der philosophischen Argu­mentation ein rhetorisches Element der persuasio darstellt. Es geht der Philosophia in der Consolatio darum, die Seele des Adressaten Boethius zu erreichen, wie Axiochos sagt, und da reichen bloße philosophisch stringente Argu­ mente offenbar nicht aus. Zu diesem Zwecke werden rhetorische Strategien eingesetzt, zu denen auch die der Argumentationshäufung gehört. Diese sokratische Tra­ dition, für die sich viele ­Beispiele sammeln ließen, reicht also bis zu Boethius ans Ende der Antike. Die Verwendung dieses therapeutischen Mittels prak­tischer Philosophie passt in der Tat zur Intention der ­Consolatio. Zudem dient das Werk selbst als sokra­ tisches Hilfsmittel für Selbsttherapie des Lesers im ­Sinne dessen, was Epiktet über die ‚Schriftstellerei des Sokrates‘ sagt.77 Denn die Boethius-Figur durchläuft im Text eine Art ­philosophisches Curriculum, wie es uns aus anderen Texten der Zeit – etwa in Simplikios’ Epiktet-­Kommentar – deutlich wird.78 Der Verfasser,  Vgl. Erler 1999.   Vgl. I. Hadot (Hg.), Simplicius Commentaire sur le Manuel

77 78

156

IV. Sokrates, der Schreiber

Simplikios, gehört zu den wichtigen neuplatonischen Autoren des 6.  Jh. n. Chr. und kommentierte Werke des Aristoteles, Hermogenes, J­amblich und eben auch Epiktets Encheiridion. Dieser Kommentar lässt ein in seinem Ausmaß erstaunliches Interesse des Autors an dem Werk eines Stoikers erkennen, das ausdrücklich als Handreichung für das diesseitige ­Leben gemeint ist. Mit dem Werk des Simplikios liegt uns in schriftlicher Form vor, was offenbar Bestandteil der mündlichen Unterweisung im platonischen Unterricht der Zeit war. Nicht trotz, sondern wegen Epiktets Auffassung von Philosophie als ars vitae ist sein Encheiridion für Sim­ plikios attraktiv, denn es geht ihm um mehr als eine bloße Interpretation des Handbuchs. Er erwartet näm­ lich sowohl für sich als Interpreten als auch für den Le­ ser seines Kommentars eine Anverwandlung der vorge­ tragenen Belehrung: Es wird zum Ausdruck gebracht, dass der Verfasser des Kommentars sich dem anpasse, was er kommentiert, und dem Leser eine Anleitung gebe. In der Tat wünscht sich Simplikios einen Leser, der sich um die sogenannte ‚politische‘ oder ‚ethische‘ Are­ te bemüht, d. h. dem es um eine besondere moralische Disposition seines Charakters geht. Der Kommentar ist nach den Worten des Neuplatonikers nicht für sol­ che bestimmt, die schon fortgeschritten sind, eine Exis­ tenz gemäß dem Geist oder der Theoria führen und von alten Affekten und allem Körperlichem befreit schon über Apatheia verfügen. Vielmehr wünscht sich d’Épictète. Introduction et édition critique du texte grec, Leiden/ New York/Köln 1996; I. Hadot, Le problème du néoplatonisme ­alexandrin. Hiéroclès et Simplicius, Paris 1978, 147–165.

7. Praeparatio philosophica bei Boethius und Simplikios 157

Simplikios gebildete Leser, die wissen, dass man trotz aller Schwierigkeiten Affekte durch Vernunft kontrol­ lieren, äußere Güter nur mit Maß und mit Blick auf das wahre Gut genießen und scheinhafte Güter meiden muss.79 Der Neuplatoniker will den Leser nach eigenen Worten durch seine Interpretation für Philosophie ,aufwecken‘. Simplikios richtet sich also an einen philo­ sophischen Anfänger, der sich durch die Lektüre des Kommentars die moralische Disposition für ein erfolg­ reiches Philosophieren erst noch erwerben muss. Der Kommentar des Simplikios erhebt nicht den Anspruch, eine eigentlich philosophische Unterweisung zu bieten. In der Tat wird kaum philosophisch argumentiert, viel­ mehr geht es um moralische Propädeutik. Was bei Epiktet Philosophie selbst ausmacht, nämlich Übung für die Bewältigung des Diesseits durch richtige Ein­ schätzung von Affekten und äußeren Gegebenheiten, wird bei Simplikios zu einer praeparatio philosophica, einer bloßen Vorstufe für philosophische Belehrung. An dieser Tatsache wird wohl mehr als ein nur gene­ relles Interesse eines Platonikers an jedem philosophi­ schen Werk deutlich, weil eben alle Philosophen von der unwandelbaren Wahrheit erleuchtet und deshalb von Bedeutung seien, auch wenn sie anderen Schulen angehörten. Denn der Kommentator informiert nicht nur über die Intention Epiktets, sondern gibt auch Auf­ schluss darüber, dass wir hier am Ende der ‚platoni­ schen‘ Spätantike in schriftlicher Form fassen, was sonst gewöhnlich Bestandteil einer eher mündlichen   Vgl. Simp. in Epict. Praefatio 26–34; 63 ff. Hadot.

79

158

IV. Sokrates, der Schreiber

Unterweisung im platonischen Unterricht war. Ganz im Sinne des Stoikers werden nämlich im Kommentar des Simplikios Anweisungen für ein regelgerechtes Le­ ben geboten. Darüber hinaus werden aber auch Medi­ tationen aufgezeigt, die diese Anweisungen praktisch werden lassen und dem Leser zu einer philosophischen Disposition verhelfen wollen. Dieses Miteinander von Belehrung und praktischer Anweisung ist ein Merkmal philosophischer Texte.80 Mit dem Kommentar haben wir also eine verschrift­ lichte Form schulmäßiger Vorbereitung auf das platoni­ sche Philosophiestudium vor uns. Ebendiese Form aber passt zur Struktur und zum Aufbau der Consolatio phi­ losophiae des Boethius.81 Voraussetzung der philoso­ phischen Belehrung ist die Erkenntnis, dass dessen Feh­ ler im Verkennen seiner wahren Natur besteht. Ein Test durch die Philosophia lässt den kranken Boethius den Grund seines schlechten Zustandes erkennen. Es fällt dabei auf, dass sich Boethius im Zustand jener Leser­ gruppe befindet, an die sich Simplikios’ Epiktet-Kom­ mentar wendet. Auch der Neuplatoniker möchte sol­ chen Lesern Hilfestellung leisten, die ihre eigene Natur kennenlernen82 und beurteilen wollen, was man tun und erleiden kann. Wie der Adressat des Simplikios ist auch Boethius noch nicht philosophie­bereit. Zuerst bedarf es der Befreiung von falschen M ­ einungen, dann kann die eigentlich platonisch-­philo­sophische Belehrung erfol­ 80   Vgl. M. Erler, Die philosophische Literatur der Kaiserzeit, Handbuch der griechischen Literatur der Antike III (im Druck). 81  Vgl. Erler 1999, 115–121. 82   Vgl. Simp. in Epict. LXVII 7–32 Hadot.

7. Praeparatio philosophica bei Boethius und Simplikios 159

gen. Die praeparatio zielt dann auf die vorphilosophi­ sche, politische Tugend, also auf ein richtiges Verhalten in der Welt, die rechte Einschät­zung von Gefahren und die Beherrschung der Affekte. Die Strategie der Argumentationshäufung, deren sich Boethius’ Philosophia bedient, passt ins Bild ­sokratisch-praktischer Therapie der Seele in der Conso­ latio. Das Werk kann somit als Manifest und Illustra­ tion der sokratischen ‚wahren Politik‘ gelten, spiegelt in ihrer Gestaltung die sokratische Auffassung von Philo­ sophie und lässt sich sozusagen als das Produkt eines schreibenden Sokrates lesen. Wieder wird deutlich, dass das exemplum Socratis bis in die Spätantike Chiff­ re für jede Art von Zuwendung an andere als Voraus­ setzung für ein angemessenes Leben ist. Ist diese Zu­ wendung nicht möglich, bleibt sie auf sich selbst beschränkt. Genau dies aber ist in der Abgeschieden­ heit des Kerkers für Boethius der Fall. Das dargestellte therapeutische Gespräch der Philosophia mit Boethius ist gleichsam der Ersatz für jenes Selbstgespräch, das Boethius allein in der Einsamkeit des Kerkers bleibt. Die Niederschrift der Consolatio illustriert geradezu, was Epiktet von Sokrates berichtet, wonach Vorausset­ zung für eine erfolgreiche Therapie das Gespräch mit einem andren ist. Falls ein realer Partner fehlt, muss man sich selbst mit Material für Selbstversuche versor­ gen oder man muss sich einen Partner fingieren, um praktische Zuwendung zu erlangen. Ebendies prakti­ ziert Platons Sokrates schon in seinen Dialogen.83   Fingiertes Personal gibt es schon in Platons Dialogen, vgl. Th. A. Szlezák, Platon lesen, Stuttgart/Bad Cannstatt 1993, 83

160

IV. Sokrates, der Schreiber

8. Ein Fazit Abschließend soll festgehalten werden, dass der schrei­ bende Sokrates zur Legitimationsfigur einer literari­ schen Textsorte wurde, die in der praktischen Philoso­ phie der Kaiserzeit eine wichtige Rolle spielte und die sich bei der Therapie unterschiedlicher, ursprünglich rhetorischer Strategien bediente. Sie muss beachten, wer die Intention und Funktion der entsprechenden Schriften bewerten möchte. In den Kontext der sokra­ tischen Therapie gehört auch die Tradition ‚sokrati­ scher Argumentationshäufung‘. Diese Strategie ist zu verstehen als Teil jener ‚wahren Politik‘ des Sokrates, bei der es sich eben nicht um ein Konzept platonischer Realpolitik handelt, sondern um eine Hinwendung zu der Seele des anderen mit dem Ziel, in ihr Ordnung zu schaffen und dem Menschen ein glückliches Leben zu ermöglichen. Die äußeren Umstände erweisen sich da­ bei als zweitrangig. Dies illustriert die Schrift De con­ solatione philosophiae und diesem Zweck dient sie. Sie ist ein weiterer Beleg dafür, dass Weltzugewandtheit integraler Bestandteil platonischer Philosophie und als solche mit Jenseitsstreben verbunden ist; getrennt wer­ den beide erst, wenn man sich von den Möglichkeiten dieses Strebens lossagt, wie dies bei Augustinus der Fall ist. Denn in einer Welt, in der die Menschen grundsätz­ lich nicht aus eigener Kraft das erstrebte Jenseits erlan­ 137–139; zu ihnen könnte man vielleicht Diotima im Symposium zählen; für weitere Beispiele vgl. Pl. Prt. 353aff.; Pl. Hp.Ma. 304d4 (wenn echt); Pl. Phd. 60d–67b.

8. Ein Fazit

161

gen können, hat Sokrates’ ‚wahre Politik‘ ihren Platz verloren, den sie im Platonismus immer hatte.

V. Sokrates als Leser: Interpretatio medicans als praktische Philosophie 1. Textauslegung als praktische Philosophie Die Reise der Seele ins Jenseits, von der Sokrates im Phaidon spricht, jenes ‚von hier nach dort‘ haben wir zuvor als wesentliches Merkmal platonischer Philoso­ phie angesprochen und darauf hingewiesen, dass gleich­ wohl eine Orientierung im Diesseits dadurch nicht aus­ geschlossen, sondern sogar gewünscht ist und durch praktische Hinweise und Methoden gefördert werden soll.1 Ein weiteres zentrales Element jenes praktischen Handelns, das Weltzugewandtheit repräsentiert, aber auch Jenseitssehnsucht befriedigen soll, ist die Lektüre von Texten. Natürlich waren und blieben für die Plato­ niker aller Epochen Platons Dialoge und ihre Ausle­ gung maßgeblich. Der Exegese dieser Texte geht es nicht nur um die bloße philologische Analyse der jeweiligen Schrift, sondern um das Seelenheil des Lesers.2 Aus philologischer Behandlung des Textes wird also ein so­   Siehe dazu Kapitel I dieses Bandes.  Vgl. M. Erler, Platons Dialoge als ‚heilige Texte‘? Altes Wissen und ‚anagogische‘ Exegese platonischer Dialoge in der Kaiserzeit, in: P. Gemeinhardt (Hg.), Zwischen Exegese und re­ ligiöser Praxis. Heilige Texte von der Spätantike bis zum Klassi­ schen Islam, Tübingen 2016c, 61–83. 1 2

1. Textauslegung als praktische Philosophie

163

teriologisches Bemühen um die Seele des Rezipienten. Aber auch die Texte von Philosophen an­derer Schulen wie z. B. von Stoikern wie Epiktet oder von Dichtern wie Homer spielten in diesem Prozess eine ­wichtige Rolle, sei es im Sinne einer Vorbereitung für die pla­ tonische Philosophie (praeparatio Platonica) zur Orien­ tierung im Diesseits, sei es als Unterstützung der philo­ sophischen Rückkehr der Seele ins Jenseits.3 Gemeinsam ist dieser philosophischen Lektüre, dass aus der philolo­ gischen Behandlung des Textes ein soteriologisches Be­ mühen um die Seele des Rezipienten wird – eine inter­ pretatio medicans.4 Im Folgenden sei auf eine Art von Textauslegung hingewiesen, die auch Sokrates anwendet und die ihre Spuren bis in die Spätantike hinterlassen hat. Es handelt sich um eine Methode, welche mit dem Ausdruck Aphormen labein (ἀφορμὴν λαβεῖν) oder als Aufgreifen von Hinweisen bzw. ‚starting points‘ bezeichnet wird. Der Ausdruck Aphormen labein steht dabei für eine Leseweise, welche in Texten nach Anknüpfungspunk­ ten sucht, die Gelegenheit bieten, nicht nur Gedanken darin nachzuvollziehen, sondern diese auch eigenstän­ dig weiterzuentwickeln und sie dann an den Text her­ anzutragen.5 Die Aphorme ist also ein hermeneutisches 3   Vgl. M. Erler, Philosophie, Handbuch der griechischen Li­ teratur der Antike II (2014b) 279–446; M. Erler, Die philoso­ phische Literatur der Kaiserzeit, Handbuch der griechischen Literatur der Antike III (im Druck). 4  Vgl. Erler 2006a; Erler 2016c. 5   Einiges dazu findet sich bei M. Erler, Aphormen labein. Rhetoric and Epicurean Exegesis of Plato, in: D. De Sanctis u. a. (Hgg.), Questioni epicuree, Sankt Augustin 2015a, 113–128;

164

V. Sokrates als Leser

Prinzip, das in verschiedenen philosophischen Schulen zur Anwendung kam. Sein Ursprung – so soll gezeigt werden – liegt in der Rhetorik des 5.  Jh. v. Chr.; von dort hat es Einzug in die Textauslegung der Philoso­ phenschulen gehalten, lässt sich bei Platons Sokrates beobachten, wurde auch im Platonismus der Kaiserzeit praktiziert und erhält dort eine Rolle beim Bemühen, die Seele bei ihrem Aufstieg und ihrer Rückkehr zu unterstützen. Ein besonderes und bemerkenswertes ­ Merkmal dieser Methode des Aphormen labein ist nämlich eine starke Leserorientierung. Sie steht weiter­ hin für einen Textzugang, der sich im Rahmen einer als philosophia ­medicans verstandenen Philosophie um Unterstützung des Interpretierenden oder des Rezi­ pienten zunächst bei ihrer Suche nach Ataraxie und dann im späteren kaiserzeitlichen Platonismus bei ih­ rem Streben nach Rückkehr ins Jenseits bemüht. Damit ist sie wichtiger Bestandteil jener philosophischen Her­ meneutik, die im späteren Platonismus eine geradezu religiöse Konnotation erhält. Man kann also auch das Aphormen labein letztlich als sokra­tisches Element im Platonismus der Kaiserzeit verstehen. Zudem lässt sich durch dieses Prinzip besser verstehen, warum man bis­ weilen bei der Interpretation philosophischer Grund­ texte ein Miteinander von texttreuer Auslegung und einer zugleich durchaus eigenständigen Weiterent­ wicklung der in Texten formulierten Grundgedanken M. Erler, ‚Von hier nach dort‘ (Phd. 117c). Aphormai und ana­ gogische Lektüre im Platonismus der Kaiserzeit, in: J. Half­ wassen/T. Dangel/C. O’Brien (Hgg.), Seele und Materie im Neu­ platonismus, Heidelberg 2016d, 211–232.

2. Proklos: Aphorme und Anagoge

165

zu beachten hat, deren Eigenständigkeit freilich be­ stritten wird. Diese Beobachtung kann man insbeson­ dere im Platonismus machen und sie hat moderne In­ terpreten platonischer Schriften wie z. B. der Sententiae des Porphyrios bisweilen irritiert. Die folgende Untersuchung soll bei den spätantiken Platonikern Proklos, Porphyrios und Plutarch beginnen und dann den Gebrauch und die Diskussion der Metho­ de des Aphormen labein bei Sextus Empiricus und in epikureischen Texten verfolgen. Eine Textpassage in Lu­ krez’ epikureischem Lehrgedicht De rerum n ­ atura soll als Resultat einer solchen Interpretation vorgestellt wer­ den. Daraufhin sei die Herkunft des Aphorme-Kon­ zeptes aus der Rhetorik des 5.  Jh. v. Chr. verdeutlicht. Schließlich soll angedeutet werden, dass und wie Eigen­ tümlichkeiten der Plotin-Rezeption in der Sententiae-­ Sammlung des Porphyrios, die den Begriff Aphormai als Titel trägt, vor diesem Hintergrund verständlicher, ja eigentlich erst erklärbar werden. Zuletzt sei außerdem darauf hingewiesen, dass sich diese Methode bis in die Spätantike (z. B. bei Simplikios) und sogar im Kontext der Spuria im Corpus Platonicum beobachten lässt.

2. Proklos: Aphorme und Anagoge An einer Stelle seines Timaios-Kommentares diskutiert Proklos die Rolle des Gebetes und die Frage, ob man bei jeder noch so kleinen Angelegenheit ein solches be­ nötige.6 Der Neuplatoniker unterstreicht in diesem Zu­  Vgl. Pl. Ti. 27c mit Procl. in Ti. 1, 214 f. Diehl; dazu vgl.

6

166

V. Sokrates als Leser

sammenhang die Notwendigkeit, dass sich die Seele des Menschen zu sich selbst hinwenden und auf Gott aus­ richten müsse. Dies aber kann nach Proklos’ Auffas­ sung letztlich nur mit Hilfe der Götter und solcher Symbole7, die von ihnen der suchenden Seele übermit­ telt werden, gelingen. Mit Symbolen (συνθήματα) sind offenbar jene aus den chaldäischen Orakeln und der theurgischen Praxis bekannten Zeichen gemeint, wel­ che in der Welt der Phä­nomene ebenso wie in Texten den Menschen von den G ­ öttern gegeben sind. Sie kön­ nen und sollen der Seele Hinweise auf ihre Bestimmung und ihren Weg nach oben geben. Diese Symbole be­ zeichnet Proklos im gleichen Kontext als ‚Ausgang­ punkte‘ oder Aphormai.8 Was er freilich genau damit meint, wenn er sie mit ‚Ausgangspunkten‘ vergleicht, ist zunächst unklar. Es ist zu vermuten, dass es sich bei den Aphormai um Stellen in Texten handelt, denen wie den Symbolen eine anagogische Funktion zugespro­ chen wird, die also beim Aufstieg vom materiellen Diesseits ins Jenseits helfen können. Proklos’ Timaios-Kommentar, aber auch andere Schriften wie der Kommentar zum Dialog Alkibiades, zeigen, dass der Begriff Aphorme oft im Zusammen­ hang mit der Auslegung von Texten, z. B. der Dialoge M. Erler, Selbstfindung im Gebet. Integration eines Elementes epikureischer Theologie in den Platonismus der Spätantike, in: Th.A. Szlezák/K.-H. Stanzel (Hgg.), Platonisches Philosophieren: zehn Vorträge zu Ehren von Hans Joachim Krämer, Hildesheim 2001, 155–172. 7  Vgl. Nasemann 1991; er verwendet den Ausdruck συνθήματα. 8  Vgl. I. Tanaseanu-Döbler, Theurgy in Late Antiquity: The Invention of a Ritual Tradition, Göttingen 2013.

2. Proklos: Aphorme und Anagoge

167

Platons, aber auch der Schriften anderer Platoniker fällt.9 Besonders interessant ist eine Passage im Timaios-­ Kommentar: Dort erläutert Proklos die methodisch wichtigen Bemerkungen des Sokrates über die Ver­ wandtschaft von Aussage (λόγος) und Aussageinhalt, wonach eine Aussage jener Sache verwandt sein müsse, die es auszulegen gelte.10 Proklos weist nun darauf hin, dass die Platoniker Albinos und Gaios diese Timaios-­ Stelle und die dort aufgestellte These als ‚Ausgangs­ pukt‘ genommen und ihre eigene Theorie entwickelt hätten, wonach Platon seine systematische Lehre auf zweifache Weise, nämlich auf wissenschaftliche und auf bildliche Weise, verbreite. Im Augenblick soll hier die Interpretation der Timaios–Stelle durch Albinos und Gaios weniger inhaltlich als vielmehr der Umstand interessieren, dass sie diese Stelle nach Proklos’ Auffas­ sung als Anknüpfungspunkt für eine These verwen­ den, die als Interpretation Platons vorgestellt wird. Der Begriff Aphorme bezeichnet also eine Stelle in Platons Dialog Timaios, die als Anlass, Ausgangspunkt und Legitimation für eine Interpretation gewählt wird, die als für Gaios und Albinos spezifisch angesehen werden kann, die durch den Bezug zum Dialog aber als platonisch legitimiert wird. Wie auch sonst bei Mit­ telplatonikern wird der Wunsch deutlich, platonische Lehre trotz der offensichtlichen Vielfalt der Aus­ drucksformen in den Dialo­gen und der bisweilen nicht zu bestreitenden Widersprüchlichkeit zu systematisie­ 9  Vgl. Procl. in Alc. 36, 9; 114, 19; 235, 18; 236, 14; 317, 18 ­Westerink. 10   Vgl. Procl. in Ti. 1, 340 Diehl zu Pl. Ti. 29b.

168

V. Sokrates als Leser

ren.11 Folgt man Proklos, so nahmen Gaios und Albi­ nos Sokrates’ Bemerkungen im Timaios zum Anlass und als Rechtfertigung für derartige Harmonisierungs­ bemühungen. Passagen der Dialoge Platons wurden also als An­ knüpfungspunkte für eigene Überlegungen gewählt und als solche kenntlich gemacht. Jedenfalls findet sich der Ausdruck Aphorme in dieser Bedeutung auch sonst bei Proklos. Der Neuplatoniker nimmt z. B. im Rahmen der Interpretation von Platons Diskussion der Elemente im Timaios12 einen sprachlichen Ausdruck bei Platon zum Anlass13 für die Erläuterung seines Textverständ­ nisses und spricht in diesem Zusammenhang von ­Aphorme. Derselbe Begriff fällt auch, wenn Proklos In­ terpretationen diskutiert, die Porphyrios oder Jamblich zu bestimmten Problemen bieten.14 Interessanterweise wird Letzterer von ihm vielfach als Aphorme-­Geber bezeichnet und erwähnt, dass der Platoniker andere In­

  Vgl. dazu F. Ferrari, Esegesi, commento e sistema nel medio­ platonismo, in: A. B. Neschke-Hentschke (Hg.), Argumenta in dia­ logos Platonis Teil 1. Platoninterpretation und ihre Hermeneutik von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Basel 2010, 51–76; zu einer Methode mittelplatonischer Exegese vgl. F. M. Pe­ trucci, ἀντέχεσθαι τῶν ῥημάτων: The Neoplatonic Criticism of At­ ticus’ Exegesis of Plato’s Cosmology, in: J. Halfwassen/T. Dangel/­ C. O’Brien (Hgg.), Seele und Materie im Neuplatonismus, Heidel­ berg 2016, 75–103. 12   Vgl. Pl. Ti. 30c–d; 32b mit Procl. in Ti. 2, 42–52 Diehl. 13   Vgl. Procl. in Ti. 2, 50 Diehl. 14   Vgl. zu Porphyrios Procl. in Ti. 1, 202, 4 Diehl; zu Jamblich Procl. in Ti. 1, 174, 32 Diehl. 11

2. Proklos: Aphorme und Anagoge

169

terpretationen kritisiere, für die er selbst Anknüpfungs­ punkte biete. Es kann also festgehalten werden, dass wir mit dem Begriff Aphorme offenbar einem Wort begegnet sind, das als eine Art Terminus im Kontext der Hermeneutik platonischer Texte eine Rolle spielt. Das Wort bezeich­ net demnach den Anfangspunkt für eine Überlegung, die aus einer Stelle in Platons Text erwächst und sich als Auslegung gibt. Dabei wird dem Interpreten aber Raum für eigenständige Reflexionen zugebilligt,15 die freilich infolge der Anknüpfung an die Autorität der platonischen Texte gleichsam ­legitimiert sind.16 Weiter­ hin ist ersichtlich, dass Proklos diese Art des Zugriffs als Möglichkeit ansieht, die Seele des Interpretierenden bei sich zu ver­sammeln und ihr dadurch beim Aufstieg zur Schau der Wahrheit behilflich zu sein. Durch den Vergleich mit den Symbolen wird zudem nahegelegt, dass Aphormai weniger als vom Autor initiierte Hin­ weise und Hilfestellungen, sondern als Gnadengaben eines Gottes angesehen werden sollen, der diese durch den Autor in den Text eingegeben hat. Auch hier wird also deutlich: Es geht um die Seele des Rezipienten.

15   Vgl. M. Erler, Philologia medicans. Wie die Epikureer die Schriften ihres Meisters lasen, in: W. Kullmann/J. Althoff (Hgg.), Vermittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur, Tübingen 1993, 281–303. 16   Vgl. zu dieser Haltung Plot. V 1, 8, 10–14 Henry/Schwyzer/ Lewis; Erler 2016c.

170

V. Sokrates als Leser

3. Plutarch: Philologie und Aphorme Der interpretative Zugang zu Platons Dialogen, der bei Proklos durch den Ausdruck Aphorme markiert wird, ist bemerkenswerterweise auch bei früheren Platoni­ kern zu beobachten. Dabei ist auffällig, dass es keines­ falls nur um eine bestimmte Weise des Umgangs mit den Dialogen Platons geht. Plutarch beispielsweise spricht in seiner Schrift De audiendis poetis wiederholt von den Anregungen oder Anknüpfungspunkten, die man Homer entnehmen könne.17 In diesem Zusam­ menhang konzediert der Mittelplatoniker, dass die Dichtungen des Homer die Leser zwar irritieren könn­ ten. Doch vertritt er daneben auch die traditionelle Po­ sition der Platoniker zu Homer, dass seine Werke und ebenso die anderer Autoren durchaus Lust und Nah­ rung für die Seele bieten können.18 Plutarch begründet diese Auffassung, indem er das hermeneutische Kon­ zept des Aphormen labein ins Spiel bringt. Es gibt nämlich nach seiner Ansicht in Homers Epen Ansatz­ punkte für richtige ‚Seelennahrung‘; man müsse diese Aphormai nur richtig bewerten und nutzen. Zwar bil­ deten Dichter unakzeptables Verhalten ab, was für Pla­ ton Anlass für die Verbannung Homers aus Kallipolis 17   Vgl. Plu. mor. 22b–c; vgl. E. Asmis, Philodemus’ Poetic ­ heory and On the Good King According to Homer, Classical T Antiquity 10 (1991) 1–45, bes. 22; R. L. Hunter/D. A. Russell (Hgg.), Plutarch: How to Study Poetry (De audiendis poetis), Cambridge 2011; D. Konstan, The Birth of the Reader: Plutarch as a Literary Critic, Scholia 13 (2004) 3–27, bes. 3. 18   Vgl. Plu. mor. 15c.

3. Plutarch: Philologie und Aphorme

171

gewesen sei,19 doch dürfe dies keineswegs zur Abwer­ tung der Dichtung allgemein führen, wie dies nach Plutarch z. B. bei Epikur zu beobachten sei. 20 Der Mit­ telplatoniker sieht nämlich Möglichkeiten für den Le­ ser, die negative Bewertung und Kritik, die Sokrates bei Platon in der Tat äußert, abzuwehren. Dazu müsse der Leser z. B. auf die Autorenkommentare bei Homer ­achten, die Richtiges und Falsches zu unterscheiden helfen. Zudem soll der Leser die Kontexte von Aussa­ gen beachten und insbesondere Anknüpfungspunkte in H ­ omers Texten berücksichtigen, um diese für Kor­ rekturen und Interpretationen fruchtbar zu machen. Derartige Aphormai für die Interpretation ergeben sich nach Plutarch zum einen aus sprachlich-grammati­ schen Beobachtungen – z. B. wenn die Restriktion einer Wortbedeutung durch den Kontext beachtet werde oder wenn man den korrekten Sinn eines allgemein ge­ nutzten Wortes heranziehe. 21 Neben diesen aus dem Bereich der Grammatik stammenden Anknüpfungs­ punkten – so Plutarch weiter – sei es auch hilfreich, auf philosophische Argumentationen, Beweise und Evi­ denz zurück­zu­greifen. Es ist bemerkenswert, dass der Platoniker je­nen Anknüpfungspunkten, die aus der sprachlichen und gram­matischen Struktur der Texte, aber auch deren Inhalt stammen, die Funktion zu­ schreibt, der moralischen Korrektur oder Besserung des Lesers zu dienen.22   Vgl. Plu. mor. 17–19.   Vgl. Plu. mor. 15d. 21   Vgl. Plu. mor. 19e–20b; 22c–25b. 22   Vgl. Plu. mor. 22a–c. 19

20

172

V. Sokrates als Leser

Weitere Beispiele für diese Verbindung von Philolo­ gie und Philosophie im Zusammenhang der Aphor­ me-Methode findet man auch sonst in Plutarchs Werk oder in der fälschlicherweise Plutarch zugeschriebenen Schrift De Homero. Auch hier ist die These leitend, dass Homers Dichtung für die Philosophie Samen und Aphormai biete, für die er höchste Bewunderung ver­ diene und aus denen unterschiedliche philosophische Interpreten Nutzen gezogen hätten. Wiederum wird die Intention deutlich, den Rezipienten vor Irritationen zu bewahren. Es ist also festzuhalten, dass Plutarch wie Proklos mit dem Begriff der Aphorme offenbar einen besonde­ ren hermeneutischen Zugriff meinen, der nicht nur auf Platons Dialog anwendbar ist. Vor allem aber wird deutlich, dass es bei diesem Zugriff letztendlich weni­ ger um den Inhalt als um die Wirkung des zu interpre­ tierenden Textes auf den Leser geht. Die Methode soll helfen, beim Rezipienten Irritation zu meiden, d. h. ­seine Seele zu heilen. Anders als Proklos – jedenfalls soweit wir sehen – hält Plutarch in diesem Zusam­ menhang neben philosophischen Erklärungen auch textphilologische Betrachtungen für hilfreich. Ziel aber ist und bleibt die Aufrichtung der Seele des Lesers. ­Damit wird die mit dem Begriff Aphorme verbundene Interpretationsmethode als eine Art interpretatio me­ dicans erkennbar, die sich in den Kontext einer sokrati­ schen philosophia medicans einfügt.

4. Sextus Empiricus

173

4. Sextus Empiricus: Die grammatische und die philosophische Aphorme Bei Plutarch ist also sowohl ein philosophischer wie auch ein philologischer Gebrauch von Aphormai zu be­ obachten. Diese Verbindung von grammatikalischen und philosophischen Aspekten ist bezeichnend für den Umgang mit Texten eines Mittelplatonikers23 und war offenbar nicht unumstritten. Sextus Empiricus24 lässt im ersten Buch seiner Schrift Adversus mathematicos eine Aus­einandersetzung zwischen Grammatikern und epikureischen Philosophen erkennen. Der Streit geht darüber, wie Anknüpfungspunkte bei der Interpreta­ tion von Texten zu verwenden seien und ob Philoso­ phen oder Grammatiker einen besseren Gebrauch von ihnen machen. Demnach stimmen beide Gruppen darin überein, dass man mit Texten auf eine Weise umgehen müsse, die dem Leser Nutzen für ein glückliches Leben bringe. Einig ist man sich auch darin, dass Dichtung und andere Texte viele Anknüpfungspunkte für die ­Suche nach Weisheit und Glück böten. Neben dieser Übereinstimmung gibt es aber auch Dissens zwischen Grammatikern und Philosophen, wer von beiden diese Aphormai richtig gebrauchen könne. Nach Ansicht der Grammatiker können diejenigen Leser der­artige An­ knüpfungspunkte angemessen bewerten und nutzen, 23   Zum mittelplatonischen Umgang mit Texten vgl. Ferrari 2010; für Plutarchs Umgang damit vgl. F. Ferrari, La letteratura filoso­fica di carattere esegetico in Plutarco, in: I. Gallo/C. More­ schini (Hgg.), I generi letterari in Plutarco, Neapel 2000, 147–175. 24  Vgl. Erler 2015a.

174

V. Sokrates als Leser

die Sprache und Grammatik der Texte genau im Blick haben. Ebendiesen Anspruch bestreiten allerdings die Epikureer. Allein Philosophen seien in der Lage, Aphor­ mai richtig zu bewerten und für das Glück des Lesers fruchtbar zu machen. Denn nur sie hielten sich nicht bloß an Worte, sondern verstünden es, aus den An­ knüpfungspunkten valide Argumente zu formen. An­ ders als Grammatiker, denen es nur um die Lexis ginge, seien Philosophen nämlich an Inhalten ­interessiert. 25 Dieser Streit ruft die Klage Senecas in Erinnerung, wonach aus Philosophen Philologen geworden seien. 26 Auch ein Vorwurf Plotins, den er laut Porphyrios ge­ genüber Longin erhoben hat, wonach dieser nur Philo­ loge ge­wesen sei, belegt eine Rivalität zwischen Philolo­ gen und Philosophen, die, wie wir sehen, auch die Verwendung von Aphormai, also die Frage nach der richtigen Inter­preta­tionsmethode betraf. In der Tat fin­ det sich in den Fragmenten von Loginos’ Werk der Aus­ druck ‚Anknüpfungspunkt’ immer im Sinne der Gram­ matiker. 27 Beide Bemerkungen erhalten Profil, wenn man sie in dem Streit zwischen Grammatikern und Phi­ losophen über den richtigen Umgang mit Texten sieht, bei dem der Gebrauch von Aphormai eine wichtige Rol­ le spielt. Schließlich fügt sich auch jene Anekdote über das Leben Epikurs in dieses Bild, von der Diogenes   Vgl. S. E. M. 1, 270–271.   Vgl. Sen. epist. 108, 23. 27   Vgl. Plotins dictum über Longin in Porph. Plot. 14, 18–20 Henry/Schwyzer/Lewis; vgl. dazu I. Männlein-Robert, Longin. Philologe und Philosoph. Eine Interpretation der erhal­ tenen Zeugnisse, München/Leipzig 2001, 141–146. 25 26

5. Philodem: Aphorme und philosophische Leserkorrektur 175

Laertius berichtet: Demnach soll sich Epikur bei den Ausführungen seines Grammatik­lehrers darüber, was Hesiod in der Theogonie mit dem Chaos meine, so ge­ langweilt haben, dass er die Schule des Grammatikers verließ und zum Philosophen wurde. 28 Es kann also zunächst festgehalten werden, dass wir es bei Aphormai offenbar mit einem Terminus für eine exegetische Methode zu tun haben, die bis zu den Mittel­platonikern zurückreicht, aber auch im Kontext hellenistischer Schulen, etwa bei Skeptikern und Epi­ kureern, offenbar Verwendung fand und deren ange­ messene Anwendung zwischen Philosophen und Phi­ lologen sogar heftig diskutiert wurde. Als Merkmale dieser Methode ergaben sich bisher eine starke Adres­ satenorientiertheit mit sogar soteriologischen Aspek­ ten im späten Platonismus und der Anspruch sowie die Lizenz, Textpartien als Anknüpfungspunkte für eige­ ne Argumentationen und Überlegungen zu wählen, dabei aber Raum für eigene Auffassungen zu lassen.

5. Philodem: Aphorme und philosophische Leserkorrektur Dass Sextus Empiricus die philosophieorientierte Praxis des Gebrauchs von Aphormai von Epikureern vertre­ ten lässt, ist kein Zufall. In der Tat haben die Epikureer 28   Vgl. D. L. 10, 2; Hes. Th. 116; dazu vgl. D. Obbink, How to Read Poetry about Gods, in: ders. (Hg.), Philodemus and Poetry: Poetic Theory and Practice in Lucretius, Philodemus and Horace, Oxford/New York 1995, 189–209, bes. 189 f.

176

V. Sokrates als Leser

darüber nachgedacht, wie man Texte angemessen lesen soll. Dabei bedienten sie sich kundig der Mittel, welche die alexandrinische Philologie bereitstellte, um die Schriften des Meisters vor Missverständnissen der Re­ zipienten zu bewahren. Es ging den Epikureern bei ih­ rem philolo­gischen Zugriff also nicht allein um die Texte, sondern vor allem auch um das Wohlergehen der Rezipienten. 29 In diesem Zusammenhang spielen be­ sonders Demetrios Lakon und Zenon von Sidon, der Lehrer Philodems, eine Rolle.30 Wir erfahren dabei von Diskussionen über die Echtheit oder Unechtheit be­ stimmter Werke Epikurs und seiner besten Schüler. ­Zudem hören wir von Diskussionen über textkritische Probleme, von Kollationen verschiedener Textzeugnis­ se bestimmter Schriften, von Emendationen und Athe­ tesen. Auch Textstellen, welche textkritisch gesichert sind, werden beispielsweise gegen den Vorwurf man­ gelnder Folgerichtigkeit und Schwierigkeit verteidigt, indem Parallelstellen angeführt und eine genaue Exe­ gese vorgeführt werden.31 Ziel der Interpretationen der 29  Vgl. Erler 1993; der Rezipient spielte dabei geradezu eine aktive Rolle (vgl. Plu. de aud. 45); dazu vgl. Konstan 2004. 30   Vgl. A. Angeli/M. Colaizzo, I frammenti di Zenone Si­ donio, Cronache Ercolanesi 9 (1979) 47–133. 31   Vom Epikureer Demetrios von Lakonien sind auf Papyrus Reste einer Schrift erhalten, in welcher eine Fülle derartiger Fra­ gen behandelt worden sind, vgl. Demetr.Lac. PHerc. 1012, coll. LXVI–LXVII (vgl. E. Puglia (Hg.), Demetrio Lacone. Aporie testuali ed esegetiche in Epicuro (Papiri Ercolanesi 1012). Edi­ zione, traduzione e commento, Neapel 1988); dazu vgl. E. Pug­ lia, La filologia degli Epicurei, Cronache Ercolanesi 12 (1982) 19–34.

5. Philodem: Aphorme und philosophische Leserkorrektur 177

Epikurjünger ist, den Text des Meisters gegen Pole­ miken anderer Philosophenschulen oder auch gegen Missverständnisse aus den eigenen Reihen in Schutz zu nehmen. Dabei ergeben sich in der grundsätzlichen Haltung bemerkenswerte Parallelen zur Platonexegese des kaiserzeitlichen Platonismus. Gemeinsam ist auch das Ziel der Interpretation: Mit ihrer medizinischen Funktion soll sie Irritationen beim Leser vermeiden. Der Epikureer Demetrios Lakon verlangt ausdrück­ lich, dass mit interpretatio oder philologischen Mitteln beim Leser jede Irritation vermieden werden soll, die sich aus einem Text ergeben könne. Eine Methode dieser epikureischen philologia medi­ cans ist der Gebrauch von Aphormai, deren Anwen­ dung man gut in Philodems Schrift De bono rege32 ­verfolgen kann. Denn dort bietet der Epikureer Inter­ pretationen von Stellen aus Homergedichten. Im Zuge dessen verwendet er wie der Platoniker Plutarch An­ knüpfungspunkte, um sein Verständnis bestimmter Stellen aus Homer zu ziehen und in Verbindung mit ­einer epikureischen Sichtweise zu bringen, und entwi­ ckelt so eine eigene Vorstellung vom guten Herrscher. Philodem möchte auf diese Weise seinem Leser einen   Vgl. T. Dorandi (Hg.), Filodemo. Il buon re secondo Omero. Edizione, traduzione e commento, Neapel 1982; O. Murray, Philodemus On the Good King according to Homer, The journal of Roman studies 55 (1965) 161–182; O. Murray, Rileggendo Il buon re secondo Omero, Cronache Ercolanesi 14 (1984) 157–160; Asmis 1991; J. Fish, Anger, Philodemus’ Good King, and the Helen Episode of Aeneid 2.567–589: A New Proof of Authenti­ city from Herculaneum, in: ders. u. a. (Hgg.), Vergil, Philode­ mus, and the Augustans, Austin 2004, 111–138. 32

178

V. Sokrates als Leser

Spiegel vorhalten und die Seele des Lesers korrigieren. Dabei lässt er ein erstaunliches Verständnis Homers er­ kennen. Der Epikureer behauptet nämlich, dass der Dichter, der in der Ilias ja den Trojanischen Krieg schil­ dert, Krieg und deshalb Freunde des Krieges und des Streites hasse.33 Deshalb verlange Homer vom Herr­ scher, dass er der Liebe zum Kampf abschwöre, wobei er Kämpfen freilich nicht aus dem Weg gehen müsse, wenn es denn notwendig sei. Grundsätzlich aber seien Milde und Nachsicht verlangt, denn der Mächtige solle sich wie ein Vater verhalten. Diese Postulate und dieses Verständnis sind bemerkenswert, hält man sich Homers Ilias und die dort vom agonalen Prinzip gekennzeich­ nete Adelsgesellschaft vor Augen. In der Tat sucht Phi­ lodems ‚moralisierende‘ Interpretation Homers beim Dichter Beispiele für moralisch gutes und schlechtes Verhalten. Die Interpretation des Epikureers setzt im Grunde voraus, dass Homer von Helden verlange, ein ‚unhomerischer‘ Held zu sein. Auch hier soll weniger das Ergebnis der Interpretation, als die dabei prakti­ zierte Methode interessieren, die Philodem zu dieser erstaunlichen Folgerung berechtigt. Denn er verwen­ det für diesen Umgang mit dem Text den Ausdruck Aphormen labein. Ausdrücklich betont Philodem, er hoffe, nicht viele jener Aphormai von einigen Stellen bei H ­ omer ausgelassen zu haben. Mit ihrer Hilfe ge­ langt er zu einer Interpretation, die der Darstellung der homerischen Helden kaum in jeder Hinsicht gerecht wird. Vielmehr lässt er sich offensichtlich von eigenen,   Vgl. Phld. De bono rege col. XXIX, 6 f. Dorandi.

33

5. Philodem: Aphorme und philosophische Leserkorrektur

179

epikureischen Vorstellungen vom Helden oder vom Krieg leiten. Es geht ihm im Grunde weniger um die wirkliche Auffassung Homers als darum, eine Hilfe­ stellung für das Wohlbefinden und eine moralische ‚Aufrüstung‘ seiner Leser zu sorgen. In diesem Zusam­ menhang begegnet uns auch bei Philodem der Aus­ druck Aphorme als Kennzeichnung einer Lektüre­ haltung, die bestimmte Aussagen oder Passagen eines Textes aufgreift und dann Interpretationen folgen lässt, die eigenem Interesse, aber nicht notwendig der Inten­ tion des Autors entsprechen müssen.34 Wiederum zeigt sich, dass zur Methode des Aphor­ men labein neben Adressatenbezogenheit auch die Li­ zenz gehört, sich von der Vorlage zu lösen, um eigenen Argumenten und Überlegungen Raum zu geben. Der Ausdruck Aphorme ist dabei wörtlich zu verstehen: Es handelt sich bei bestimmten Stellen des zu interpre­ tierenden Werkes gleichsam um ‚Startrampen‘ für die eigene Argumenta­tion, bei der es dem Philosophen we­ niger um den Text als um die Korrektur und die Auf­ richtung der Seele der Re­zipienten geht, die durch den Text irritiert sein könnte. Eine derartige Interpreta­ tionsweise findet man auch sonst in Philodems Trak­ taten, besonders die Schrift De ira ist hier ergiebig.35 Auch dort geht es nicht wirklich um das, was Homer behauptet, sondern um die Frage, ob das Gesagte mit 34   Vgl. Phld. De bono rege col. XXII, 36 f.; col. XLIII, 16 ff. ­ orandi; vgl. dazu M. Erler, Orthodoxie und Anpassung. D Philodem, ein Panaitios des Kepos?, Museum Helveticum 49 (1992) 171–200, bes. 185 f. 35   Vgl. Phld. De ira col. XLIV, 23–25 Indelli.

180

V. Sokrates als Leser

epikureischem Gedankengut übereinstimmt. Im posi­ tiven Fall wird der Text dazu genutzt, epikureische Thesen zu legitimieren, andernfalls wird er aus epi­ kureischer Sicht kritisiert. Vorausgesetzt wird jedoch, dass ein Philosoph unterscheiden kann, was er an Gu­ tem und Schlechtem aus Dichtung gewinnen kann.36 Diese Methode, Texte zu lesen, indem man Passagen aus dem Kontext nimmt und sie als Anknüpfungs­ punkte für eigene Ausführungen nutzt, wenden die Epikureer nicht nur bei der Lektüre Homers, sondern auch bei der Platons an. Dies können wir z. B. bei Kolo­ tes’ Interpretation platonischer Dialoge beobachten.37 Zwar haben wir nur wenige Fragmente seiner Interpre­ tation der Dialoge Lysis und Euthydemos38 erhalten, doch wird deutlich, dass Kolotes die Aphorme-Metho­ de praktiziert, indem er bestimmte Passagen dekontex­ tualisiert und sie aus epikureischer Sicht polemisch kri­ tisiert oder bewertet.

  Vgl. Asmis 1991, 23; E. Asmis, Epicurean Poetics, in: D. Ob­ bink (Hg.), Philodemus and Poetry: Poetic Theory and Practice in Lucretius, Philodemus and Horace, New York/Oxford 1995, 15–34. 37  Vgl. Erler 2015a, 114–118; 120. 38   Es handelt sich um die Werke Πρὸς Πλάτωνος Λύσιν und Πρὸς Πλάτωνος Εὐθύδημον; vgl. dazu W. Crönert, Kolotes und Menedemos. Texte und Untersuchungen zu Philosophenund Literatur­geschichte, Leipzig 1906 (ND Amsterdam 1965); E. Kechagia, Plutarch against Colotes: A lesson in History of Philosophy, Oxford 2011, 53 ff. 36

6. Lukrez: Die Pestschilderung

181

6. Lukrez: Die Pestschilderung im Rahmen der Aphorme-Methode Auch im römischen Kontext wurde diese Methode of­ fenbar praktiziert, wie der Lolliusbrief für Horazens Homerlektüre in Praeneste zeigt, wie man sie offenbar auch für Vergils Homerrezeption voraussetzen kann und wie sie Lukrez in seinem Gedicht De rerum natura geradezu ­illustriert, indem er dort am Ende des Ge­ dichtes mit der berühmten Pestbeschreibung seine In­ terpretation von Thukydides vorführt.39 Wegen des exemplarischen Charakters für die Aphorme-Methode sei an letzteres Beispiel erinnert. Die Beschreibung der Pest gehört zu den Stellen von De rerum natura, an ­denen sich Lukrez auf Vorbilder aus der klassischen Li­ teratur bezieht und dies seinem gelehrten Leser auch zu verstehen gibt. Der Dichter evoziert nämlich mit seiner Darstellung die Schilderung der Pest in Athen während des Peloponnesischen Krieges 430 v. Chr. durch Thuky­ dides.40 Ein genauer Vergleich lässt Übereinstimmungen in Inhalt und Komposition, aber auch inhaltliche Ab­ weichungen von der Vorlage erkennen. Anders als bei Thukydides wird als Erklärung für das Auftreten der 39   Vgl. Hor. epist. 1, 2.; zur Darstellung des Zorns in Vergils ­ eneis mit Blick auf Philodems Traktat De ira vgl. M. Erler, A Der Zorn des Helden. Vergils Aeneis und Philodems De ira, Grazer Beiträge 18 (1992) 103–126; vgl. Lucr. 6, 1138–1286; zur lukrezischen Pest vgl. Erler 2006a, 252–255. 40   Vgl. Th. 2, 47–54; vgl. A. J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography: Four Studies, London 1988, 34 f.

182

V. Sokrates als Leser

Pest von Lukrez kein besonderer Zusammenhang mit dem Krieg nahegelegt, sondern sie wird als Natur­ erscheinung vorgeführt, die immer wieder auftreten kann.41 Zwar lässt auch Thukydides’ Darstellung eine didaktische Intention erkennen – er hofft nämlich, durch seine Belehrung, die Pest verhindern, also die ­Situation ändern zu können42 –, bei Lukrez aber tritt dieser belehrende Aspekt ganz in den Vordergrund. Ihm geht es weniger um die Pest selbst als um den Af­ fekt, der durch sie bewirkt wird, und das Verhalten, das dieser Affekt der Furcht bei den Menschen hervorruft. Die Folgen der durch die Pest bewirkten Emotionen werden von Lukrez mit besonderer Drastik beschrie­ ben.43 Bei Thukydides überleben beispielsweise Pest­ kranke, weil sie kranke Gliedmaßen verlieren, L ­ ukrez hingegen lässt Menschen sich selbige aus bloßer Todes­ furcht abschneiden.44 In der Tat konzentriert sich ­Lukrez’ Darstellung auf eine Visualisierung der Folgen der Furcht vor dem Tod in Verhalten und Physiogno­ mie. Krankheit und Affekt manifestieren sich durch verwirrten Sinn, Angst, düsteren Gesichtsausdruck,  Vgl. H. S. Commager Jr., Lucretius’ Interpretation of the ­ lague, Harvard Studies in Classical Philology 62 (1957) 105– P 118; D. F. Bright, The Plague and the Structure of De rerum natura,­Latomus 30 (1971) 607–632. 42   Vgl. G. Rechenauer, Thukydides und die hippokratische Medizin. Naturwissenschaftliche Methodik als Modell für Ge­ schichtsdeutung, Hildesheim/Zürich/Hamburg 1991, 226–256. 43   Eine ähnliche Emotionalisierung ist auch sonst bei Lukrez zu beobachten, z. B. bei der Iphianassageschichte (vgl. Lucr. 1, 80–101). 44   Vgl. Th. 2, 49, 7 f.; Lucr. 6, 1208–1212. 41

6. Lukrez: Die Pestschilderung

183

wilden und wahnsinnigen Blick sowie hastigen Atem, wobei die H ­ eilkunst vor Grauen nichts zu sagen weiß.45 Derartige Änderungen lassen sich als originelles, litera­ risches Spiel verstehen, das nach hellenistischer Manier allein an die philologische Beobachtungsgabe und lite­ rarische Kompetenz seines Lesers appelliert. Doch gewinnen die Beobachtungen an Profil und fü­ gen sich auf besondere Weise in die didaktische Gesamt­ konzeption des Gedichtes, wenn man sie vor dem Hin­ tergrund der Ausführungen bei Philodem über den Umgang mit klassischen Texten wie z. B. Homer und der Aphorme-­ Methode liest. Denn wie Philodem ­Homer interpretiert, so liest auch Lukrez Thukydides mit jenem Fokus auf moralische Belehrung und führt das Produkt dieser Lektüre vor. Die Analyse von Lukrez’ Umgang mit seiner Vorlage lässt zudem erkennen, dass Stellen bei Lukrez im Sinne Philodems als Anknüpfungspunkte eigene philoso­ phisch-­ethische Reflexionen über Ursachen und Be­ wertung des geschilderten Verhaltens der Menschen anregen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn die Darstellung des Dichters eher subjektiv den Affekt betont, während Thukydides die Folgen der Pest für den Menschen eher objektiv und beinahe kli­ nisch distanziert schildert.46 Hierzu passt auch, dass   Vgl. Lucr. 6, 1179 ff.   Vgl. M. Erler, Exempla amoris. Der epikureische Epilo­ gismos als philosophischer Hintergrund der Diatribe gegen die Liebe in Lukrez’ De rerum natura, in: A. Monet/Ph. Rousseau (Hgg.), Le Jardin Romain. Épicureisme et Poésie à Rome. Mélan­ ges offerts à M. Bollack, Lille 2003b, 147–162. 45

46

184

V. Sokrates als Leser

bei Lukrez mit moralischer Konnotation versehen wird, was bei Thukydides faktische Zustands­beschrei­ bung ist. Es wird deutlich, dass die Intention der lukre­ zischen Thukydideslektüre eine Dar­stellung weniger der Krankheit selbst als eines Verhaltens der Menschen angesichts dieser Krankheit ist. Nicht sie soll besiegt werden, sondern der Leser soll die falsche Meinungen über die Situation erkennen und ändern. Die Besonder­ heiten der lukrezischen Thukydidesrezeption sind also Teil und Folge seines psychagogischen Programms. Die Lektüre wird auf diese Weise zu einem Teil praktischer Philosophie, der es beim Rezipienten nicht einfach um Belehrung (prodesse) oder Unterhaltung (delectare), sondern um die Dispositionsbildung des Rezipienten Memmius im Text und des Lesers des Gedichtes geht. Man kann also sagen, dass Lukrez mit seiner morali­ schen, bestimmte Anknüpfungspunkte aufgreifenden Lektüre des Thukydides praktiziert und illustriert, was Philodem mit Hilfe der Aphormai-Methode am Homertext an­deutet: die therapeutische Lektüre eines klassischen Textes, welcher der Dispositionsbildung des Lesers dienen soll.

7. Herkunft und Tradition der Aphormai Wir sahen bisher ausgehend von einem spätplatoni­ schen Autor im zeitlichen Rückgang bis in den Helle­ nismus und in verschiedenen philosophischen Kontex­ ten, dass offenbar eine exegetische Methode praktiziert und auch dis­kutiert wurde, die mit dem Etikett Aphor­ men labein bezeichnet wird. Ein Merkmal der Metho­

7. Herkunft und Tradition der Aphormai

185

de ist, dass sie in besonderer Weise adressatenorientiert ist. Es geht darum, gleichsam therapeutisch der Seele des Rezipienten hilfreich zu sein, sich von Irritationen zu befreien, oder gar in der Spätantike als religiös ver­ standene Hilfe bei der Rückkehr der Seele zu ihrem Ur­ sprung Unterstützung zu leisten. Freilich ist der Ur­ sprung der Methode nicht im philosophischen Kontext zu suchen, sondern lässt sich zunächst auf die Rhetorik zurückführen, für die Adressatenorientiertheit eine wesentliche Grundlage ist. Sucht man nämlich nach ersten Hinweisen für die Herkunft der Aphorme-Methode, so wird man auf die Sentenzensammlung des Platonikers Porphyrios ver­ wiesen, die den Titel Sententiae ad intelligibilia ducen­ tes oder Aphormai trägt.47 Man hat daran erinnert, dass schon Thrasymachos ein Werk mit dem Titel Aphor­ mai verfasst habe und dass dort ein rhetorischer Inhalt zu vermuten sei.48 Auch bei anderen überlieferten 47   Zum Titel vgl. Schol. zu Plot. VI 9, 8, 4 (vgl. P. Henry, Étu­ des plotiniennes. Bd.  I. Les états du texte de Plotin, Paris/Brüssel 1938, 373), das Porph. Sent. 44 zitiert und von Aphormai spricht; vgl. R. Goulet, Le titre de l’ouvrage, in: L. Brisson (Hg.), Por­ phyre ­Sentences. Bd.  I. Études d’introduction, texte grec et tra­ duction française, commentaire, Paris 2005, 11–16, bes. 13 f. Zur Problematik, dass Plotinisches und Unplotinisches gemischt ist, vgl. H.-R. Schwyzer, Plotinisches und Unplotinisches in den Ἀφορμαί des Porphyrios, in: Atti del convegno internazionale sul tema: Plotino e il Neoplatonismo in Oriente e in Occidente, Rom 1974, 221–252. 48   Vgl. Thrasym. 85 A 1 Diels-Kranz; Schol. Ar. Av. 880 = 85 3 Diels-Kranz; vgl. Goulet 2005; demnach handelt es sich vielleicht bei dem Werk in der Tat um einen Teil des als Μεγάλη τέχνη bekannten rhetorischen Lehrbuchs des Thrasymachos.

186

V. Sokrates als Leser

Werktiteln, bei welchen Aphorme eine Rolle spielt, ist völlig unklar, was inhaltlich gemeint ist, wie z. B. bei Theophrasts Schrift Ἀφορμαὶ ἢ ἐναντιώσεις.49 Freilich ist allen ein möglicher Bezug zu rhetorischen Proble­ men gemeinsam. Dass der Ursprung des hermeneuti­ schen Konzeptes Aphormen ­labein zunächst eher im Umfeld der Rhetorik als der Philosophie zu suchen ist, wird bestätigt, wenn man die Geschichte des Aus­ drucks bis ins 5.  Jh. v. Chr. zurückverfolgt. In den Tra­ gödien des Euripides ist nämlich der Begriff Aphorme bisweilen in Kontexten zu finden, die einen B ­ ezug zur Rhetorik haben. So kommentiert der Chor in Euripi­ des’ Herakles eine lange Rede des Amphitryon mit den Worten: Ἆρ’ οὐκ ἀφορμὰς τοῖς λόγοισιν ἁγαθοὶ θνητῶν ἔχουσι, κἂν βραδύς τις ἦι λέγειν; „Man sieht: dem edlen Mann gebricht es nie an Stoff Zum Reden, ist er ungeübt in Worten auch.“50

Die Bemerkung ‚Es fehlt nicht an Stoff‘ als Überset­ zung für Aphorme weist offenbar auf Anknüpfungs­ punkte hin, die der Redner – in diesem Fall Amphi­ tryon – zum Anlass oder als Einstieg für seine eigenen Ausführungen nehmen kann. Wir finden den Aus­ druck Aphorme in der Tat auch in anderen Tragödien   Vgl. D. L. 5, 46.   E. HF 236 f.; Übersetzung J. J. C. Donner/R. Kannicht (Hgg.), Euripides. Sämtliche Tragödien. In zwei Bänden, Stutt­ gart 1958. Auf Euripides macht in diesem Zusammenhang schon Wilamowitz-­Moellendorff aufmerksam, vgl. U. von Wila­ mo­w itz-­Moellendorff, Euripides. Herakles, Bd.  3, Darmstadt 2 1959, 60 f. 49

50

7. Herkunft und Tradition der Aphormai

187

des Euripides in rhetorisch relevantem Kontext51 – es geht dabei zumeist um Stoff, d. h. um Anknüpfungs­ punkte für Redner.52 Stellen wie die zitierten legen nahe, dass Aphormai in der Rhetorik zu jener Stoffbasis gehören, auf der die Logoi dann aufbauen können. Es liegt bei Euripides of­ fenbar ein Rückgriff auf zeitgenössische Redepraxis, die sich daraus entwickelnde Rhetorik und insbesonde­ re auf den Bereich der Rhetorik vor, der später als in­ ventio bezeichnet wurde. Es geht dabei nicht zuletzt um Pathoserzeugung. Das bestätigt beispielsweise ein Blick in Reden des Demosthenes und in rhetorische Handbücher. Bei der Anwendung wird natürlich er­ wartet, dass die sich aus ‚starting points‘ ergebenden Überlegungen auf den Adressaten zielen und weniger den Sachverhalt im Auge haben, von dem sie i­ hren Aus­ gang nehmen. Anaximenes z. B. spricht von Aphormai, die dem Redner bei der Argumentation gegen Neue­ rungen helfen können, und führt dann aus, dass man die Reden den Taten anpassen solle; dann würde man in Prozessen oder in anderen Agonen sehr kunstgemäße

  Vgl. z. B. E. Med. 342.   Demnach findet ein guter Redner immer Aphormai für sei­ ne Reden, wie es besonders eindrucksvoll in der Hekabe vom Chor formuliert wird, vgl. E. Hec. 1238 f.: „Wonach das Gute doch den Sterblichen zu guten Reden allezeit den Stoff bietet“ (Übersetzung D ­ onner/Kannicht 1958), d. h. für gute Redner liegt der Stoff für eigene Ausführungen gleichsam auf der Stra­ ße. In den Backchen (vgl. E. Ba. 266 f.) heißt es: „Sobald ein Gu­ ter schöne Aufhänger für seine Reden findet, ist es leicht, gut zu reden“ (Übersetzung Donner/­K annicht 1958). 51

52

188

V. Sokrates als Leser

Anknüpfungspunkte besitzen.53 Wir finden zudem bei anderen Autoren Stellen, an denen der Ausdruck für die Entlehnungen oder den Bezug auf Passagen anderer Autoren verwendet wird, bei denen man Anleihen macht oder von denen man ausgeht. So begegnet der Begriff z. B. bei der Beschreibung von Archimedes’ Umgang mit Eratosthenes, bei Ephoros oder dann, wenn Demokrits Umgang mit den Büchern des Osta­ nos beschrieben wird.54 All dies legt die Vermutung nahe, dass das Konzept des Aphormen labein ur­ sprünglich nicht in den philosophischen Kontext, son­ dern zur Rhetorik gehört und als Ausdruck dafür dient, dass man sich einer Vorlage oder Information, also eines Stoffes bedient, mit dem man dann eine ei­ gene Rede gestaltet.

8. Eigenes und Fremdes: Porphyrios’ Aphormai Wir haben es also bei der Aphorme-Methode mit einer Form der Interpretation von Texten zu tun, die letzt­ lich aus der Rhetorik stammt und zwei Merkmale auf­ weist: Eine geradezu therapeutische Orientierung am Adressaten und die Lizenz, die jeweiligen Anknüp­ fungspunkte in einem Text als ‚Startrampen‘ für eigene Überlegungen zu nehmen, die gleichwohl als durch den Text gesichert und legitimiert gelten. Dies hat sich bei 53   Vgl. Anaxim.Rh. 2, 3 f.; 2, 6 f. Fuhrmann; vgl. Wilamo­ witz-­Moellendorff 21959, 61. 54   Vgl. Archim. Eratosth. 3, 83, 22; Ephor. F 2a, 70, fr. 180, 5 ­Jacoby; Democr. fr. 300, 17, 7.

8. Eigenes und Fremdes: Porphyrios’ Aphormai

189

der Analyse von Beispielen des Epikureers Philodem und kaiserzeitlicher Platonikern ergeben und diese Merkmale erklären in der Tat Besonderheiten auch an­ derer Texte, die im Zusammenhang mit der Aphor­ me-Methode zu sehen sind. Letzteres ist insbesondere bei der schon genannten Sentenzsammlung des Porpyhrios der Fall. Denn diese Sentenzen tragen nicht nur den Titel Aphormai, son­ dern sie erweisen sich oft u. a. als Interpretation der Werke Plotins. Dabei hat die Interpreten des Porpy­ hrios irritiert, dass in diesen Sententiae trotz engster Anlehnung an Plotin mit geradezu wörtlicher Über­ nahme gleichwohl eigene Akzente gesetzt werden. Be­ sonders eindrücklich ist in diesem Zusammenhang die Sentenz 32, die eine Systematisierung der Tugendgrade bietet. Porphyrios lehnt sich hier offensichtlich ganz eng an Plotin an.55 Und dennoch unterscheidet er sich in einem wichtigen Punkt: Während Plotin mit Blick auf Platons Dialog Theaitetos den politischen Tugenden den Rang einer eigentlichen Tugend nicht zusprechen möchte, weil sie sich zu sehr an Irdischem orientierten, lässt Porphyrios erkennen, dass politische Tugenden beim Menschen hilfreich seien und zu einem guten Le­ ben verhelfen können. Diese wichtige Nuancierung ist dann ihrerseits von Interpreten des Porphyrios, wie Macrobius, aufgegriffen worden, wobei man sich für diese – eigentlich unplotinische Position – freilich nicht 55  Vgl. C. D’Ancona, Les Sentences de Porphyre entre les ­ n­néades de Plotin et les Éléments de Théologie de Proclus, in: E Brisson 2005, 139–274, bes. 228–230.

190

V. Sokrates als Leser

auf ­Porphyrios, sondern auf Plotin (Liber de virtutibus) beruft, gleichwohl aber Porpyhrios’ Text heranzieht.56 Nimmt man nun den Titel Aphormai und die mit ihm verbundene Interpretationsmethode ernst, so wird das Miteinander von Texttreue und eigener Akzentuie­ rung, die in dieser und anderen Sentenzen zum Aus­ druck kommt, verständlicher. Der Titel signalisiert dann nicht nur eine Art anagogische Funktion der Sen­ tenzen beim Leser, sondern illustriert auch, dass und wie die Verbindung von Nähe zum Quellentext und Eigenanteil des Interpreten zustande kommt. Plotins Text wird für Por­phyrios in bestimmten Passagen zum Anknüpfungspunkt für eigene Überlegungen mit eige­ nen Nuancierungen, die gleichwohl den Anspruch er­ heben, nur Entfaltung des plotinischen Textes und des­ halb durch diesen legitimiert zu sein. Immer wird die Methode des Aphormen labein mit ihrer Verbindung von Autorität des Quellentextes und Eigenständigkeit des Interpreten verwendet, wie es z. B. bei Philodem zu beobachten war und wie sie von Plotin an berühmter und vieldiskutierter Stelle sogar thematisiert wird, ohne dass dabei freilich der Terminus Aphorme fällt.57 56   Vgl. Plot. I 2, 3, 1 ff. mit Pl. Tht. 176a–d; Porph. Sent. 32; Macr. Comm. 1, 8, 12; vgl. C. Zintzen, Römisches und Neu­ platonisches bei Macrobius. Bemerkungen zur πολιτικὴ ἀρετή in Comm. in Somn. Scip. I,8, in: P. Steinmetz (Hg.), Politeia und Res publica. Beiträge zum Verständnis von Politik, Recht und Staat in der Antike, dem Andenken Rudolf Starks gewidmet, Wiesbaden 1969, 357–376 (auch in: D. Gall/P. Riemer [Hgg.], Athen – Rom – Florenz. Ausgewählte kleine Schriften, Hildes­ heim/Zürich 2000, 285–302). 57   Vgl. Plot. V 1, 8, 10–14 Henry/Schwyzer/Lewis; dazu vgl.

9. Simplikios: Interpretation als Therapie

191

In der Tat fungieren auch für Plotin platonische Text­ stellen als Aphormai für eigene Überlegungen, die sich als bloße Exegese geben und an die Seele des Adressaten richten – ein philosophischer, aber auch rhetorischer Zugriff, der bei späteren Platonikern zu beobachten ist und dort dann, wie wir sahen, eine religiös-soteriologi­ sche Konnotation eines ‚von hier nach dort‘ der Seele erhält. Die Sententiae des Porphyrios können also als ein Produkt der Aphorme-Methode angesehen werden, insofern sie von einem autoritativen Text ihren Aus­ gang nehmen und dabei eigene Gedanken entwickeln, die freilich unter dem Schutz des interpretierten Textes bleiben und durch ihn legitimiert sind. Dabei können durchaus eigene Positionen zum Ausdruck kommen, die denjenigen der zugrunde liegenden Texte nicht ent­ sprechen.

9. Simplikios: Interpretation als Therapie Geradezu mit Händen zu greifen sind diese Merkmale des Aphorme-Verfahrens in Simplikios’ Kommentar von Epiktets Encheiridon.58 Simplikios geht es bei sei­ ner Kommentierung um eine Interpretation des stoi­ schen Textes, die sowohl für den Interpreten als auch für den Leser mit einer Anverwandlung der vorgetra­ genen Belehrung verbunden ist. Der Platoniker ist Th.A. Szlezák, Platon und Aristoteles in der Nuslehre Plotins, ­Basel u. a. 1979, 36–38 ohne freilich auf die hier dargestellte Me­ thode hinzuweisen. 58   Siehe dazu auch Kapitel IV dieses Bandes.

192

V. Sokrates als Leser

überzeugt, dass sich der Verfasser des Kommentars im­ mer mehr dem Inhalt dessen anpassen wird, was er kommentiert. Daher hofft er, dass mit dem Inhalt nicht vertraute Leser durch die Auslegung eine Anleitung haben werden.59 Simpli­kios sieht also, dass das Kom­ mentieren eines Textes Vorzüge für ihn selbst und für den Leser hat: Durch den Kommentar will er selbst ­innerliche Affinität zu dem Kommentierten erlangen (συμπαθέστερον) und dem lernwilligen Leser eine Handreichung für die anverwandelnde Ausdeutung bieten.60 Simplikios wünscht sich Leser, die sich um die sogenannte ‚politische‘ oder ‚ethische‘ Arete bemühen, d. h. um eine besondere moralische Disposition ihres Charakters. In diesem Zusammenhang spricht er von Gebildeten (πεπαιδευμένοι), die wissen, dass man Af­ fekte durch Vernunft beherrschen muss, auch wenn es ihnen nicht immer gelingt. Allerdings richtet der Plato­ niker sich an einen philosophischen Anfänger, der sich durch die Lektüre des Kommentars die moralische Disposition für ein erfolgreiches Philosophieren erst noch erwerben muss. Zu diesem Zweck wählt er Passa­ gen aus dem zu interpretierenden Text gleichsam als Anknüpfungspunkte, um sie in seinem Sinne zu inter­ pretieren und für seine Intention fruchtbar zu machen. Simplikios’ Kommentar selbst stellt eine solche Hilfe­ stellung dar und bedient sich der Methode der Aphor­ me als Methode für den Umgang mit dem Grundlagen­ text, den er in seinem Sinne und mit therapeutischer Intention auslegt.   Vgl. Simp. in Epict. Praefatio 56–60 Hadot.   Vgl. Simp. in Epict. Praefatio 61 ff. Hadot.

59

60

10. Aphorme und literarisches Spiel

193

10. Aphorme und literarisches Spiel: Die Spuria im Corpus Platonicum Die Methode und ihre Lizenz, die Interpretation eines Textes mit Eigenem zu verbinden, erinnert schließlich auch an Besonderheiten der Rezeption platonischer ­Dialoge, die man im literarischen, aber auch im philo­ sophischen Kontext beobachten kann, insbesondere bei den sogenannten Spuria, den unechten Dialogen im Corpus Platonicum. In diesen Werken werden bis­ weilen Positionen vertreten, die Platons Ansichten wi­ dersprechen, weshalb die Dialoge zumeist als unecht angesehen werden. Bei der Bewertung dieser Wider­ sprüchlichkeiten wird oft die Unfähigkeit der Verfasser unterstellt. Mit Blick auf den hier dargestellten Hori­ zont der Aphorme-Methode kann zumindest darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht notwendig um Unfähigkeit, sondern um die Ergebnisse bewusster ­Interpretation handeln kann: Denn auch hier nutzen Autoren die Autorität Platons und den literarischen Charakter seiner Dialoge, um Eigenes auszudrücken, sich von Platon zu distanzieren, ja sich in Widerspruch zu ihm zu setzen und auf diese Weise den Leser nicht nur philosophisch zu belehren, sondern auch durch Pointen zu unterhalten.61 61   Vgl. M. Erler, Dire il nuovo in modo vecchio e il vecchio in modo nuovo. Gli spuria del corpus platonicum fra poetica e ­retorica ellenistica, in: G. Arrighetti/M. Tulli (Hgg.), Filologia, papirologia, storia dei testi. Giornate di studio in onore di Anto­ nio Carlini, Udine, 9–10 dicembre 2005, Pisa/Rom 2008b, 225– 241.

194

V. Sokrates als Leser

Als Beispiel mag der pseudoplatonische Kleitophon62 dienen. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Autor unter strenger Anlehnung an Platon, unter Bezugnahme auf eine bestimmte Partie und durch Ausgestaltung be­ stimmter platonischer Motive Szenen und Situationen konstruiert, die inhaltlich und von der Personenzeich­ nung her gänzlich unplatonisch sind. Der Verfasser ist offensichtlich mit platonischen Motiven vertraut, ver­ kehrt ihre eigentliche Aussage aber ins Gegenteil. Das gilt z. B. wenn Kleitophon nach dem Wesen der Ge­ rechtigkeit sucht und sich an Sokrates wendet. Ohne Zögern bietet dieser die Definition, es gehöre zur Ge­ rechtigkeit, den Feinden zu schaden und den Freunden zu nützen.63 Sokrates bietet hier nicht nur eine populäre Bestimmung der Gerechtigkeit, die in Platons Politeia Polemarchos vertritt und mit der er an Sokrates’ Kritik scheitert,64 sondern das genaue Gegenteil von dem, was Platons Sokrates beispielsweise im Kriton vertritt.65 Der Autor will in platonischem Kontext also einen unplatonischen Sokrates vorführen und verleiht seinem Gesprächspartner geradezu platonisch-sokratische Züge. Zu diesem Zweck liest er Platons Dialoge selek­ tiv, ohne Berücksichtigung des Kontextes und darüber hinaus auf eine Weise, die alle in den Dialogen vertrete­ nen Meinungen Platon zuschreibt. Kleitophon erweist 62  Zum Kleitophon vgl. S. R. Slings (Hg.), Plato: Clitophon, Cambridge u. a. 1999; zur Interpretation vgl. Erler 2007, 304– 306 (mit weiterer Literatur). 63   Vgl. Ps.-Pl. Clit.  410a. 64   Vgl. Pl. R. 331e–336a; vgl. Erler 2008b, 231. 65   Vgl. Pl. Cri. 46b–50a.

10. Aphorme und literarisches Spiel

195

sich in dem ­unechten Dialog geradezu als gelehriger Schüler der sokratischen Methode,66 indem er wie Sok­ rates seine Gesprächspartner in die Aporie führt. Frei­ lich konterkariert er im Zuge dessen den platonischen Sokrates, indem er positive Hinweise zur Diskussion über Gerechtigkeit gibt und dadurch ins Gegenteil ver­ kehrt, was von Platon in der Politeia intendiert war. Dies mag man als Polemik, aber auch als Wunsch werten, eine Pointe zu setzen, wie dies auch in der Dichtung dieser Zeit zu beobachten ist, wenn Kalli­ machos im 23.  Epigramm Keombrotos Platons Phai­ don lesen und dann von einer Mauer in den Tod sprin­ gen lässt. Gewiss, Sokrates propagiert im Phaidon die Bedeutungslosigkeit des Todes, beweist die Unsterb­ lichkeit der Seele und definiert Philosophie als Streben nach Trennung von Leib und Seele, als Einüben ins Sterben und als Verlangen nach dem Tod. Und dennoch wird Selbstmord dezidiert verboten.67 Ebendies hat der Platonleser Kleombrotos offenbar vergessen. Er ver­ lässt den Posten – der Mauersprung macht dies sinn­ bildlich – und wählt den Freitod, tut also das Gegenteil von dem, was Platons Sokrates intendiert. Kallimachos spielt auf diese Weise eine Position im Phaidon gegen eine andere aus, wertet aber beide als platonisch. Auch hier wird also eine Passage in einem platoni­ schen Dialog als Aphorme für eigene Auslegungen ge­ wählt, wobei es nicht um philosophische Positionen, sondern um literarisches Spiel und Pointen geht.68 So­   Vgl. Ps.-Pl. Clit.  408d.   Vgl. Pl. Phd. 68b–c. 68   Herter spricht bei Kallimachos davon, er wolle in Homers 66 67

196

V. Sokrates als Leser

wohl bei der Platoninterpretation im Kleitophon wie bei Kallimachos resultieren diese im Grunde aus einer gleichen Leseweise, die ihren Ausgangspunkt von ei­ nem Text nimmt und die Freiheit beansprucht, eigene Positionen zu vertreten, die zu dem vom Text Gesagten sogar in Widerspruch stehen können.

11. Aphorme-Methode und ‚wahre Politik‘ Mit dem Ausdruck Aphormen labein als Signum einer hermeneutischen Methode, die ursprünglich aus rheto­ rischem Kontext stammt, wird ein weiteres Element sokratisch-therapeutischer Philosophie kenntlich, das sich bis in die Spätantike verfolgen lässt und sich als wichtiger Hintergrund für die Erklärung mancher Ei­ genheit philosophischer Texte erweist. Neben Adres­ satenbezogenheit hat sich die Lizenz, bei der Ausle­ gung fremder Texte eigenen Überlegungen Raum zu geben, als Merkmal der Aphorme-Methode ergeben. Man fühlt sich an Grillparzers Dictum erinnert: „Der Anlass wird nur gewählt, um weit darüber hinaus­zu­gehen.“69 Es ist außerdem bezeichnend, dass Paul Friedländer ebendieses Dictum wählt, um Sokrates’ Palinodie im Phaidros zu charakterisieren. Denn auch Spuren so „unhomerisch wie möglich sein“; vgl. H. Herter, Kallimachos und Homer. Ein Beitrag zur Interpretation des Hymnos auf Artemis, in: Xenia Bonnensia, Bonn 1929, 50–105, bes. 57–76 (auch in: ders./E. Vogt (Hgg.), Kleine Schriften, Mün­ chen 1975, 371–416); vgl. Erler 2008b, bes. 237–242. 69  A. Sauer (Hg.), Franz Grillparzer. Sämtliche Werke, Bd.  X VI, Wien 51890, 91.

11. Aphorme-Methode und ‚wahre Politik‘

197

hier greift Sokrates im Redeagon die These und die Ar­ gumente des Lysias auf, nimmt diese aber zum Anlass, durchaus Eigenes vorzutragen, ja sie zu übertrumpfen.70 Im philosophischen Kontext wird dann aus dieser rhetorischen Methode eine Art seelentherapeutischer Zugriff, bei dem weniger der Text als der Adressat im Blick ist. Er soll durch Korrekturen falscher Auffas­ sungen geheilt und durch richtige Erklärungen von ­Irritation befreit werden. Dabei kann es sich um eine affirmative Textauslegung handeln, aber auch um eine kritische Auseinandersetzung: Denn auch die Polemik zielt nicht nur darauf, die Position des Autors zu wider­ legen, sondern ist bemüht, dem Adressaten zu seiner seelischen Ataraxie oder Seelenrettung zu verhelfen. Hierfür bietet Sokrates im Protagoras mit seiner plato­ nischen Interpretation des Simonides-­ Gedichts ein frühes Beispiel.71 Wenn Xenophon zudem berichtet, dass Sokrates nach eigenen Worten die in alten Büchern der Weisen hinterlassenen Schätze gemeinsam mit Freunden durchgehe,72 darf man vielleicht an einen Kontext für die Aphorme-Methode denken. Jedenfalls erweist sich das Prinzip des Aphormen labein als Art des Umgangs mit Texten, die es erlaubt, Fremdes mit eigenen Positionen zu mischen, dabei autoritative Texte 70  Vgl. P. Friedländer, Platon. Bd.   III. Die platonischen Schriften. 2. und 3. Periode, Berlin/New York 31975, 203. 71   Vgl. Pl. Prt. 338e–347a. Zwar fällt dort der Begriff Aphor­ men labein nicht; doch kann man zeigen, dass ebendiese herme­ neutische Methode praktiziert wird, vgl. B. Manuwald (Hg.), Platons Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  V I 2. Prota­ goras, Übersetzung und Kommentar, Göttingen 1999, 301–351. 72   Vgl. Xen. Mem. 1, 6, 14.

198

V. Sokrates als Leser

wie z. B. die Dialoge Platons als Garant und Legitima­ tion für die Richtigkeit der weitergehenden Überlegun­ gen zu nutzen und das Wohl des Rezipienten im Blick zu haben. Es darf als ein weiteres ‚sokratisches‘ Ele­ ment jener therapeutischen und unter verschiedenen Aspekten ‚wahren Politik‘ des Sokrates gewertet wer­ den, die Tradition gebildet hat und sich bis in die späte Kaiserzeit verfolgen lässt. Sokrates bleibt also in ver­ schiedenster Weise bis in die Spätantike wirksam – von einem Platonismus ohne Sokrates kann keine Rede sein.73

 Man könnte auch fragen, ob und gegebenenfalls wie der Ausdruck ἀφορμὴν λαβεῖν und die damit verbundene Methode im Bereich der lateinisch-christlichen Literatur verwendet wur­ de. Als Übertragung ins Lateinische bietet sich die Verbindung von occasio und accipere an, worauf mich Meinolf Vielberg im Gespräch freundlich aufmerksam machte (vgl. z. B. A. Blaise, Dictionnaire latin-­français des auteurs chrétiens, Straßburg 1954, s. v. occasio [4]; z. B. Tert. Res. 63: occasiones scripturarum). Hier mögen sich weitere Untersuchungen lohnen. 73

Bibliographie A. Angeli/M. Colaizzo, I frammenti di Zenone Sidonio, Cronache Ercolanesi 9 (1979) 47–133. M. von Albrecht, Das Menschenbild in Jamblichs Darstel­ lung der pythagoreischen Lebensform, Antike und Abend­ land 12 (1966) 51–63. – u. a. (Hgg.), Jamblich. Pythgoras. Legende – Lehre – Le­ bensgestaltung, Darmstadt 2002, 255–274. K. Alt, Philosophie gegen Gnosis. Plotins Polemik in seiner Schrift II 9, Stuttgart 1990. –, Weltflucht und Weltbejahung. Zur Frage des Dualismus bei Plutarch, Numenios, Plotin, Mainz 1993. E. Asmis, Epicurus’ Scientific Method, Ithaca (New York)/ London 1984. –, Philodemus’ Poetic Theory and On the Good King Ac­ cording to Homer, Classical Antiquity 10 (1991) 1–45. –, Epicurean Poetics, in: D. Obbink (Hg.), Philodemus and Poetry: Poetic Theory and Practice in Lucretius, Philode­ mus and Horace, New York/Oxford 1995, 15–34. F. A. Bakker, Epicurean Meteorology: Sources, Method, Scope and Organization, Leiden/Boston 2016. W. Beierwaltes, Plotin, Geist – Ideen – Freiheit. Griechisch-­ Deutsch, Enneade V 9 und VI 8, Hamburg 1990. –, Selbsterkenntnis als sokratischer Impuls im neuplatoni­ schen Denken, in: H. Kessler (Hg.), Sokrates. Geschichte, Legende, Spiegelungen, Zug 1995, 97–116. E. Benz, Der gekreuzigte Gerechte bei Plato, im Neuen ­Testament und in der alten Kirche, Wiesbaden 1950. A. Beriger, Die aristotelische Dialektik. Ihre Darstellung in der Topik und in den Sophistischen Widerlegungen und

200

Bibliographie

ihre Anwendung in der Metaphysik M 1–3, Heidelberg 1989. U. Berner u. a. (Hgg.), Plutarch. Ist ‚Lebe im Verborgenen‘ eine gute Lebensregel?, Darmstadt 2000. H. Bernard (Hg.), Hermias Alexandrinus, Kommentar zu ­Platons Phaidros, Tübingen 1997. L. Bieler (Hg.), Anicii Manlii Severini Boethii opera. Bd.  I. Philosophiae consolatio, Turnhout 21984. A. Biraschi, Eforo e l’oudeneia dei Ciclopi. A proposito di Strab. VI 2.2, in: D. Ambaglio (Hg.), Sungrafe. Materiali e appunti per lo Studio della storia e della letteratura antica, Como 2000, 73–81. A. Blaise, Dictionnaire latin-français des auteurs chrétiens, Straßburg 1954. N. Blössner, Dialogform und Argument. Studien zu Pla­ tons Politeia, Stuttgart 1997. –, Sokrates und sein Glück, oder: Weshalb hat Platon den ­Phaidon geschrieben?, in: A. Havlíček/F. Karfík (Hgg.), Proceedings of the Second Symposium Platonicum Pra­ gense, Prag 2001, 96–139. C. Bobonich, Persuasion, Compulsion and Freedom in Pla­ to’s Laws, The Classical Quarterly 41 (1991) 365–388. J. Bouffartigue/M. Patillon (Hgg.), Porphyre De l’absti­ nence. Livre I. Texte établi et traduit, Paris 22003. P. Boyancé, Le Culte des Muses chez les Philosophes Grecs. Études d’Histoire et de Psychologie Religieuses, Paris 1937. –, Lucrèce et l’épicurisme, Paris 1963. G. Braga, Il ‚Fanciullino‘ Di Cebete, Giornale di Metafisica 2 (1947) 60–62. D. F. Bright, The Plague and the Structure of De rerum ­natura, Latomus 30 (1971) 607–632. L. Brisson (Hg.), Porphyre. Sentences. Études d’introduc­ tion, texte grec et traduction française, commentaire. Bd.  I, Paris 2005. W. Bröcker, Platonismus ohne Sokrates. Ein Vortrag über Plotin, Frankfurt am Main 1966.

Bibliographie

201

A. Busse, Eliae Commentaria, Berlin 1900. L. C. H. Chen, Education in General [Rep.  518c4-519b5], Hermes 115 (1987) 66–172. C. J. Classen, Poetry and Rhetoric in Lucretius, in: ders. (Hg.), Probleme der Lukrezforschung, Hildesheim u. a. 1986, 331–373 (zuerst in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 99 [1968] 77–118). D. Clay, Lucretius and Epicurus, Ithaca (New York)/Lon­ don 1983. –, Platonic Questions: Dialogues with the Silent Philosopher, University Park (Pennsylvania) 2000. –, The Sources of Lucretius’ Inspiration, in: M. R. Gale (Hg.), Lucretius, Oxford 2007, 18–47. H. S. Commager Jr., Lucretius’ Interpretation of the Plague, Harvard Studies in Classical Philology 62 (1957) 105–118. F. G. Corsi, Il metodo delle molteplici spiegazioni in Dio­ gene di Enoanda, Syzetesis IV/2 (2017) 253–284. W. Crönert, Kolotes und Menedemos. Texte und Unter­su­ chun­gen zu Philosophen- und Literaturgeschichte, Leip­ zig 1906 (ND Amsterdam 1965). C. D’Ancona, Les Sentences de Porphyre entre les Ennéades de Plotin et les Éléments de Théologie de Proclus, in: Bris­ son 2005, 139–274. J. Dalfen, Philologia und Vertrauen. Über Platons eigenarti­ gen Dialog Phaidon, Grazer Beiträge 20 (1994) 35–57. – (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  V I 3. Gorgias, Göttingen 2004. E. Dassmann, Christus und Sokrates. Zu Philosophie und Theologie bei den Kirchenvätern, Jahrbuch für Antike und Christentum 36 (1993) 33–45. N. Delhey, ΠΕΡΙΑΓΩΓΗ ΟΛΗΣ ΤΗΣ ΨΥΧΗΣ – Bemerkun­ gen zur Bildungstheorie in Platons ΠΟΛΙΤΕΙΑ, Hermes 122 (1994) 44–54. M. Deufert, Pseudo-Lukrezisches in Lukrez. Die unechten Verse in Lukrezens De rerum natura, Berlin/New York 1996.

202

Bibliographie

M. C. De Vita, Political Philosopher or Saviour of Souls? So­ crates in Themistius and Julian the Emperor, in: A. Stavru/ C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dialogue, Lei­ den/Boston 2018, 816–835. E. Diehl (Hg.), Procli Diadochi in Platonis Timaeum com­ mentaria. 3 Bde., Leipzig 1903–1906. –, Anthologia lyrica Graeca. Bd.  3, Leipzig 1952. H. Diels, Der antike Pessimismus, Berlin 1921. –/ W. Kranz (Hgg.), Die Fragmente der Vorsokratiker. Grie­ chisch-Deutsch. 3 Bde., Berlin u. a. 1906–1912 (zahlreiche Neudrucke). A. Dihle, Posidonius’ System of Moral Philosophy, The Journal of Hellenic Studies 93 (1973) 50–57. J. M. Dillon, An Ethic for the Late Antique Sage, in: L. P. Gerson (Hg.), The Cambridge Companion to Plotinus, Cambridge 1996, 315–335. R. F. Dobbin (Hg.), Epictetus: Discourses. Book 1, Oxford 1998. E. R. Dodds (Hg.), Proclus: The Elements of Theology, Ox­ ford 21963. K. Döring, Exemplum Socratis. Studien zur Sokratesnach­ wirkung in der kynisch-stoischen Popularphilosophie der frühen Kaiserzeit und im frühen Christentum, Wiesbaden 1979. –, Sokrates, in: H. Flashar (Hg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Bd.  2/1, Basel 1998. H. Dörrie, Die Religiosität des Platonismus im 4. und 5. Jahrhundert nach Christus, in: ders./B. D. Larsen (Hgg.), De Jamblique à Proclus. 9 Exposés Suivis de Discussions, Vandouerve/­Genèves 1975, 257–286. –, Gnade, Reallexikon für Antike und Christentum 11 (1981) 325–333. –/ M. Baltes (Hgg.), Der Platonismus in der Antike. Grund­ lagen – System – Entwicklung. Bd.  4. Die philosophische Lehre des Platonismus. Einige grundlegende Axiome /

Bibliographie

203

­Platonische Physik (im antiken Verständnis) I, Stuttgart/ Bad Cannstatt 1996. –/ M. Baltes (Hgg.), Die philosophische Lehre des Platonis­ mus. Platonische Physik (im antiken Verständnis) II. Bd.  5, Stuttgart/Bad Cannstatt 1998. J. J. C. Donner/R. Kannicht (Hgg.), Euripides. Sämtliche Tragödien. In zwei Bänden, Stuttgart 1958. T. Dorandi (Hg.), Filodemo. Il buon re secondo Omero. Edi­zione, traduzione e commento, Neapel 1982. K. Dover (Hg.), Aristophanes: Frogs, Oxford 1993. V. H. Drecoll, Die Entstehung der Gnadenlehre Augus­ tins, Tübingen 1999. F. Drews, ‚A Man of Outstandig Perfection‘: Apuleius’ ­Admiration for Socrates, in: A. Stavru/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dialogue, Leiden/Boston 2018, 760–771. D. S. Du Toit, Theios Anthropos. Zur Verwendung von theios anthropos und sinnverwandten Ausdrücken in der Literatur der Kaiserzeit, Tübingen 1997. T. Ebert, Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  I 4. Phaidon, Göttingen 2004. L. Edelstein/I. G. Kidd (Hgg.), Posidonius, Bd.   1: The Fragments, Cambridge 1972. –/ I. G. Kidd (Hgg.), Posidonius, Bd.  2: The Commentary, Cambridge 1988. M. Erler, Der Sinn der Aporien in den Dialogen Platons. Übungsstücke zur Anleitung im philosophischen Denken, Berlin/New York 1987. –, Der Zorn des Helden. Vergils Aeneis und Philodems De ira, Grazer Beiträge 18 (1992) 103–126. –, Orthodoxie und Anpassung. Philodem, ein Panaitios des Kepos?, Museum Helveticum 49 (1992) 171–200. –, Philologia medicans. Wie die Epikureer die Schriften ihres Meisters lasen, in: W. Kullmann/J. Althoff (Hgg.), Ver­ mittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur, Tübingen 1993, 281–303.

204

Bibliographie

–, Physics and Therapy: Meditative Elements in Lucretius’ De rerum natura, in: K. A. Algra/M. H. Koenen/P. H. Schrijvers (Hgg.), Lucretius and His Intellectual Backg­ round, Amsterdam 1997, 79–92. –, Einübung und Anverwandlung. Reflexe mündlicher Me­ ditationstechnik in philosophischer Literatur der Kaiser­ zeit, in: W. Kullmann/J. Althoff/M. Asper (Hgg.), Gattun­ gen wissenschaftlicher Literatur in der Antike, Tübingen 1998, 361–381. –, Hellenistische Philosophie als praeparatio Platonica in der Spätantike (am Beispiel von Boethius’ Consolatio philosoph­ iae), in: ders./T. Fuhrer (Hgg.), Zur Rezeption der hellenis­ tischen Ethik in der Philosophie der Spätantike. Akten der 1. Tagung der Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 22.– 25. September 1997 in Trier, Stuttgart 1999, 105–122. –, Epikur in Raphaels Schule von Athen?, in: ders. (Hg.), ­Epikureismus in der späten Republik und der Kaiserzeit. Akten der 2. Tagung Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 30.  September–3.  Oktober 1998 in Würzburg, Stuttgart 2000, 273–294. –, Selbstfindung im Gebet. Integration eines Elementes epi­ kureischer Theologie in den Platonismus der Spätantike, in: Th. A. Szlezák/K.-H. Stanzel (Hgg.), Platonisches Phi­ losophieren: zehn Vorträge zu Ehren von Hans Joachim Krämer, Hildesheim 2001, 155–172. –, Epicurus as Deus Mortalis. Homoiosis Theoi and Epicu­ rean Self-Cultivation, in: D. Frede/A. Laks (Hgg.), Tradi­ tions of Theology: Studies in Hellenistic Theology, Its Back­ground and Aftermath, Leiden/Boston/Köln 2002a, 159–181. –, Hilfe der Götter und Erkenntnis des Selbst. Sokrates als Göttergeschenk bei Platon und den Platonikern, in: ders./ T. Kobusch (Hgg.), Metaphysik und Religion. Zur Signa­ tur spät­antiken Denkens. München/Leipzig 2002b, 387– 414. –, Das Bild vom ‚Kind im Menschen‘ bei Platon und der Ad­

Bibliographie

205

ressat von Lukrez’ De rerum natura, Cronache Ercolanesi 33 (2003a) 107–116. –, Exempla amoris. Der epikureische Epilogismos als philo­ sophischer Hintergrund der Diatribe gegen die Liebe in Lukrez’ De rerum natura, in: A. Monet/Ph. Rousseau (Hgg.), Le Jardin Romain. Épicureisme et Poésie à Rome. Mélanges offerts à M. Bollack, Lille 2003b, 147–162. –, ‚Sokrates in der Höhle‘. Argumente als Affekttherapie im Gorgias und im Phaidon, in: M. van Ackeren (Hg.), Platon verstehen. Die Perspektiven der Forschung, Darmstadt 2004, 57–68. –, Argumente, die die Seele erreichen. Der Axiochos und ein antiker Streit über den Zweck philosophischer Argumente, in: ders./K. Döring/S. Schorn (Hgg.), Pseudoplatonica. Akten des Kongresses zu den Pseudoplatonica vom 6.–9. Juli 2003 in Bamberg, Stuttgart 2005a, 81–95. –, ‚Der Mensch, ein himmlisches Gewächs‘ (Tim. 90a). Na­ turbetrachtung als Seelentherapie bei Platon und im Helle­ nismus, Philia 2 (2005b) 5–11. –, Interpretatio medicans. Zur epikureischen Rückgewin­ nung der Literatur im philosophischen Kontext, in: M. van Ackeren/J. Müller (Hgg.), Antike Philosophie Verstehen, Darm­stadt 2006a, 243–256. –, Platon, München 2006b. –, Platon, in: H. Flashar (Hg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike. Bd.  2/2, ­Basel 2007. –, Die helfende Hand Gottes. Augustins Gnadenlehre im Kontext des kaiserzeitlichen Platonismus, in: T. Fuhrer (Hg.), Die christlich-philosophischen Diskurse der Spät­ antike. Texte, Personen, Institutionen, Stuttgart 2008a, 189–­204. –, Dire il nuovo in modo vecchio e il vecchio in modo nuovo. Gli spuria del corpus platonicum fra poetica e retorica elle­ nistica, in: G. Arrighetti/M. Tulli (Hgg.), Filologia, pa­

206

Bibliographie

pirologia, storia dei testi. Giornate di studio in onore di Antonio Carlini, Udine, 9–10 dicembre 2005, Pisa/Rom 2008b, 225–241. –, Platon. Affekte und Wege zur Eudaimonie, in: H. Land­ weer/U. Renz (Hgg.), Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, Berlin/New York 2008c, 19–44. –, Utopie und Realität. Epikureische Legitimation von Herr­ schaftsformen, in: Th. Baier (Hg.), Die Legitimation der Einzelherrschaft im Kontext der Generationenthematik, Berlin/New York 2008d, 39–54. –, Die helfende Hand Gottes. Augustins Gnadenlehre im Kontext des kaiserzeitlichen Platonismus, in: C. Mayer (Hg.), Augustinus – Ethik und Politik. Zwei Würzburger Augustinus-­Studientage‚ Aspekte der Ethik bei Augusti­ nus (11. Juni 2005) ‚Augustinus und die Politik‘ (24. Juni 2006), Würzburg 2009a, 87–108. –, Epicureanism in the Roman Empire, in: J. Warren (Hg.), The Cambridge Companion to Epicureanism, Cambridge 2009b, 46–64. –, Kontinuität in Diskontinuität. Strategien der Selbstpflege bei Platon und im Epikureismus, in: G. Radke-Uhlmann/ A. Schmitt (Hgg.), Philosophie im Umbruch. Der Bruch mit dem Aristotelismus im Hellenismus und im späten Mittelalter – seine Bedeutung für die Entstehung eines epochalen Gegensatzbewusstseins von Antike und Mo­ derne, Stuttgart 2009c, 35–49. –, Parrhesie und Ironie. Platons Sokrates und die epikurei­ sche Tradition, in: R. Glei (Hg.), Ironie. Griechische und lateinische Fallstudien, Trier 2009d, 59–75. –, Das Sokratesbild in Ficinos argumenta zu den kleineren Platonischen Dialogen, in: A. Neschke-Hentschke (Hg.), Argumenta in Dialogos Platonis Teil 1. Platoninterpreta­ tion und ihre Hermeneutik von der Antike bis zum Beginn des 19.  Jahrhunderts, Basel 2010, 247–265. –, Paideia, Peitho und Bia, in: C. Mayer/G. Förster (Hgg.), Augustinus – Recht und Gewalt. Beiträge des V. Würzbur­

Bibliographie

207

ger Augustinus-Studientages am 15./16. Juni 2007, Würz­ burg 2010, 13–28. –, ‚Besinge das Kind im Menschen‘. Ein Element platonischer Ethik als Hintergrund von Clemens’ Paedagogus, in: H. C. Brennecke (Hg.), Ethik im antiken Christentum, Leuven 2011a, 13–29. –, Sokrates als religiöser Erzieher. Anmerkungen zum Sokra­ tesbild bei Augustinus, in: C. Mayer (Hg.), Augustinus, Bildung – Wissen – Weisheit. Beiträge des VI. Würzburger Augustinus-­Studientages am 6. Juni 2008, Würzburg 2011b, 29–48. –, Aspects of Orality in (the Text of) the Meditations, in: M. van Ackeren (Hg.), A Companion to Marcus Aurelius, Malden (Massachusetts) u. a. 2012a, 346–361. –, Zur literarisch-philosophischen Einordnung des Dialogs, in: I. Männlein-Robert u. a. (Hgg.), Ps.-Platon. Über den Tod, Tübingen 2012b, 99–115. –, Chain of Proof in Lucretius, Sextus, and Plato. Rhetorical Tradition and Philosophy, in: S. Marchand/F. Verde (Hgg.), Épicurisme et Scepticisme, Rom 2013, 25–43. –, Argumentationshäufung. Eine forensische Strategie in phi­ losophischem Kontext, in: G. Ueding/G. Kalivoda (Hgg.), Wege moderner Rhetorikforschung. Klassische Funda­ mente und interdisziplinäre Entwicklung, Berlin/New York 2014a, 253–266. –, Philosophie, Handbuch der griechischen Literatur der An­ tike II (2014b) 279–446. –, Weltverantwortung und Weltflucht bei Platon und im ­Platonismus, in: H.-G. Nesselrath/M. Rühl (Hgg.), Der Mensch zwischen Weltflucht und Weltverantwortung. ­Lebensmodelle der paganen und der jüdisch-christlichen Antike, Tübingen 2014c, 31–45. –, Aphormen labein. Rhetoric and Epicurean Exegesis of Pla­ to, in: D. De Sanctis u. a. (Hgg.), Questioni epicuree, Sankt Augustin 2015a, 113–128. –, Vom admirativen zum irritierten Staunen. Philosophie, Rhe­

208

Bibliographie

torik und Verunsicherung in Platons Dialogen, in: R. Früh u. a. (Hgg.), Irritationen. Rhetorische und poetische Verfah­ ren der Verunsicherung, Berlin/New York 2015b, 109–123. –, ‚Imitari potius quam inuocare‘ (ciu. 10, 26). Augustinus, Sokrates, Porphyrios und der pagane Polytheismus, in: C. Müller (Hg.), Kampf oder Dialog? Conflict/Dialogue? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei, Würzburg 2015c, 263–277. –, Epikur oder die Kunst, in Gemeinschaft zu leben, in: G. Ernst (Hg.), Philosophie als Lebenskunst. Antike Vor­ bilder, moderne Perspektiven, Berlin 2016a, 66–87. –, Platonismus, Reallexikon für Antike und Christentum 27 (2016b) 837–965. –, Platons Dialoge als ‚heilige Texte‘? Altes Wissen und ‚ana­ gogische‘ Exegese platonischer Dialoge in der Kaiserzeit, in: P. Gemeinhardt (Hg.), Zwischen Exegese und religiöser Praxis. Heilige Texte von der Spätantike bis zum Klassi­ schen Islam, Tübingen 2016c, 61–83. –, ‚Von hier nach dort‘ (Phd. 117c). Aphormai und anagogi­ sche Lektüre im Platonismus der Kaiserzeit, in: J. Half­ wassen/T. Dangel/C. O’Brien (Hgg.), Seele und Materie im Neuplatonismus, Heidelberg 2016d, 211–232. –, Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  V I 1. Eu­ thy­demos, Göttingen 2017. –, Beweishäufung bei Lukrez. Zum Verhältnis von Philoso­ phie und Rhetorik in philosophischer Literatur, in: G. M. Müller/­F. Mariani (Hgg.), Philosophie in Rom – Römische Philosophie, Berlin/Boston 2018a, 175–188. –, Ist Polytheismus gefährlich? Euripides’ Hippolytos und Platons Apologie über die Radikalität von Gottesvereh­ rung, in: B. Burrichter/C. Wehr (Hgg.), Exzess. Formen der Grenz­überschreitung in der Vormoderne, Würzburg 2018b, 21–35. –, Mulier tam imperiosae auctoritatis (Boeth. Cons. 1,1,13). Auctoritas und philosophia in römischer und griechischer Philosophie, in: J. Müller/Ch. Rode (Hgg.), Freiheit und

Bibliographie

209

Geschichte. Festschrift für Theo Kobusch zum 70. Ge­ burtstag, Münster 2018c, 39–57. –, Platonische Dialoge im Kontext. Interpretationen zu phi­ losophischen, politischen und literarischen Aspekten, in: B. Zim­mermann/K. Stierle/B. Seidensticker (Hgg.), Para­ deigmata. Bd. 47, Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2018d. –, Platon und seine Rhetorik, in: ders./Ch. Tornau (Hgg.), Handbuch Antike Rhetorik, Berlin/Boston 2019, 315–337. –, Poiesin poiein. Selbstbezug und immanente Poetik in frühgriechischer Dichtung, in: D. Klein (Hg.), Formen der Selbstthematisierung in der Lyrik der Vormoderne, Hil­ desheim 2019, 1–15. –, Die philosophische Literatur der Kaiserzeit, Handbuch der griechischen Literatur der Antike III (im Druck). –, Gleichnis im Kontext. Antike Reflexionen über das Gleich­ nis in Philosophie und Rhetorik (im Druck). O. Faller (Hg.), Ambrosius De fide, Wien 1962. H. Feichtinger, Oudeneia and humilitas: Nature and Func­ tion of Humility in Iamblichus and Augustine, Dionysius 21 (2003) 123–160. F. Ferrari, La letteratura filosofica di carattere esegetico in Plutarco, in: I. Gallo/C. Moreschini (Hgg.), I generi lette­ rari in Plutarco, Neapel 2000, 147–175. –, Esegesi, commento e sistema nel medioplatonismo, in: A. B. Neschke-Hentschke (Hg.), Argumenta in dialogos Platonis Teil  1. Platoninterpretation und ihre Hermeneu­ tik von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Basel 2010, 51–76. J. F. Finamore, Iamblichus and the Theory of the Vehicle of the Soul, Chico (California) 1985. – (Hg.), Iamblichus: De anima, Leiden 2002. J. Fish, Anger, Philodemus’ Good King, and the Helen Epi­ sode of Aeneid 2.567–589: A New Proof of Authenticity from Herculaneum, in: ders. u. a. (Hgg.), Vergil, Philode­ mus, and the Augustans, Austin 2004, 111–138.

210

Bibliographie

K. Flasch, Logik des Schreckens. Augustin von Hippo, De diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2, Mainz 1990. G. Fowden, The Pagan Holy Man in Late Antique Society, The Journal of Hellenic Studies 102 (1982) 33–59. M. Frede, Celsus philosophus Platonicus, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 36.7 (1994) 5183–5213. P. Friedländer, Platon. Bd.  III. Die platonischen Schriften. 2. und 3. Periode, Berlin/New York 31975. T. Fuhrer, Augustinus, Darmstadt 2004 . M. Fuhrmann (Hg.), Anaximenis Ars rhetorica quae vulgo fertur Aristotelis ad Alexandrum, Leipzig 1966. D. Gallop, Emotions in the Phaedo, in: A. Havlíček/F. Kar­ fík (Hgg.), Plato’s Phaedo: Proceedings of the Second Sym­ posium Platonicum Pragense, Prag 2001, 275–286. E. Gegenschatz, Die Freiheit der Entscheidung in der Con­ solatio phiosophiae des Boethius, Museum Helveticum 15 (1958) 110–129; auch in: M. Fuhrmann/J. Gruber (Hgg.), Boethius, Darmstadt 1984, 323–349. –/ O. Gigon (Hgg.), Boethius. Trost der Philosophie/Conso­ latio Philosophiae. Lateinisch-Deutsch, München/Zürich 1990 (Düsseldorf/Zürich 62002). R. Geiger, Dialektische Tugenden. Untersuchungen zur Ge­ sprächsform in den Platonischen Dialogen, Paderborn 2006. L. P. Gerson, Platonic Ethics in Later Antiquity, in: R. Crisp (Hg.), The Oxford Handbook of the History of Ethics, Oxford 2013, 129–146. G. Giannantoni (Hg.), Socratis et Socraticorum Reliquiae I–IV, Neapel 1990. S. Gillespie/Ph.R. Hardie (Hgg.), The Cambridge Compa­ nion to Lucretius, Cambridge 2007. C. E. Glad, Frank Speech, Flattery, and Friendship in Philo­ demus, in: J. T. Fitzgerald (Hg.), Friendship, Flattery, and Frankness of Speech: Studies on Friendship in the New Testament World, Leiden 1996. R. Glei, In carcere et vinculis? Fiktion und Realität in der

Bibliographie

211

Consolatio Philosophiae des Boethius, Würzburger Jahr­ bücher für die Altertumswissenschaft 22 (1998) 199–213. H. Görgemanns, Beiträge zur Interpretation von Platons Nomoi, München 1960. R. Goulet, Le titre de l’ouvrage, in: L. Brisson (Hg.), Por­ phyre Sentences. Bd.  I. Études d’introduction, texte grec et traduc­tion française, commentaire, Paris 2005, 11–16. K. Gross, Menschenhand und Gotteshand in Antike und Christentum, Stuttgart 1985. J. Gruber (Hg.), Kommentar zu Boethius De consolatione philosophiae, Berlin/New York 22006. I. Hadot, Le problème du néoplatonisme alexandrin. Hiéroclès et Simplicius, Paris 1978. – (Hg.), Simplicius Commentaire sur le Manuel d’Épictète. Introduction et édition critique du texte grec, Leiden/New York/Köln 1996. P. Hadot, Philosophie als Lebensform. Geistige Übungen in der Antike, Berlin 1991. –, Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre Marc Aurels, Frankfurt am Main 1997. –, Wege zur Weisheit oder was lehrt uns die antike Philoso­ phie? Frankfurt am Main 1999. J. Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin, Stuttgart 1992. –, Plotin und der Neuplatonismus, München 2004. R. Harder u. a. (Hgg.), Plotins Schriften. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen. Bd.  1a, Ham­ burg 1956. –, Plotin. Auswahl und Einleitung, Frankfurt am Main/ Hamburg 1958. – u. a. (Hgg.), Plotins Schriften. Neubearbeitung mit griechi­ schem Lesetext und Anmerkungen. Bd.  5c, Hamburg 1958. – u. a. (Hgg.), Plotins Schriften. Neubearbeitung mit griechi­ schem Lesetext und Anmerkungen. Bd.  5, Hamburg 1960. Ph.R. Hardie, Lucretian Multiple Explanations and their Reception in Latin Didactic and Epic, in: M. Beretta/

212

Bibliographie

F. Citti (Hgg.), Lucrezio, la natura e la scienza, Florenz 2008, 69–96. E. Heitsch, Was Autor und Dialogpersonen des Phaidon von ihren Argumenten halten, in: A. Havlíček/F. Karfik (Hgg.), Plato’s Phaedo: Proceedings of the Second Sympo­ sium Platonicum Pragense, Prag 2001, 78–95. – (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  I 2. Apologie des Sokrates, Göttingen 22004. G. Heldmann, Märchen und Mythos in der Antike? Ver­ such einer Standortbestimmung, München/Leipzig 2000. P. Henry, Études plotiniennes. Bd.  I. Les états du texte de Plotin, Paris/Brüssel 1938. –/ H.-R. Schwyzer/G. Lewis (Hgg.), Plotini opera, Paris 1951–1973. H. Herter, Kallimachos und Homer. Ein Beitrag zur Inter­ pretation des Hymnos auf Artemis, in: Xenia Bonnensia, Bonn 1929, 50–105 (auch in: ders./E. Vogt [Hgg.], Kleine Schriften, München 1975, 371–416). –, Das unschuldige Kind, in: ders./E. Vogt (Hgg.), Kleine Schriften, München 1975, 598–619. H. Hommel, Der gekreuzigte Gerechte, Theologia Viato­ rum 4 (1952) 124–133. T. Hopfner (Hg.), Iamblichus. Über die Geheimlehren (De mysteriis), Hildesheim/Zürich/New York 2007. C. Horn, Augustinus, München 1995. R. L. Hunter/D. A. Russell (Hgg.), Plutarch: How to Stu­ dy Poetry (De audiendis poetis), Cambridge 2011. O. Immisch, Philologische Studien zu Plato. Bd.  1: Axiochus, Leipzig 1896. G. Indelli (Hg.), Filodemo. L’ira. Edizione, traduzione e commento, Neapel 1988. D. Jackson, Socrates and Christianity, Classical Folia 31 (1977) 189–206. F. Jacoby u. a. (Hgg.), Die Fragmente der griechischen His­ toriker. 8 Bde., Leiden 1923–1958 (zahlreiche Nachdrucke).

Bibliographie

213

R. Kassel, Untersuchungen zur griechischen und römischen Konsolationsliteratur, München 1958. –/ C . Austin, Poetae Comici Graeci. Bd.  3,2. Aristophanes, Berlin/New York, 1984. E. Kechagia, Plutarch against Colotes: A lesson in History of Philosophy, Oxford 2011. T. Kobusch, Wie man leben soll: Gorgias, in: ders./B. Moj­ sisch (Hgg.), Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuer For­ schungen, Darmstadt 1996, 47–63. –, Philosophische Streitsachen. Zur Auseinandersetzung zwischen christlicher und griechischer Philosophie, in: C. Schäfer (Hg.), Kaiser Julian ‚Apostata‘ und die philoso­ phische Reaktion gegen das Christentum, Berlin/New York 2008, 17–40. D. Konstan (Hg.), Philodemus: On Frank Criticism, Atlan­ ta 1998. –, The Birth of the Reader: Plutarch as a Literary Critic, Scholia 13 (2004) 3–27. K. Kremer, Bonum est diffusivum sui. Ein Beitrag zum Ver­ hältnis von Neuplatonismus und Christentum, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 36.2 (1987) 994– 1032. W. Kroll (Hg.), Proclus Diadochus: In Platonis rem publi­ cam commentarii Bd.  2, Amsterdam 1965. P. Laín-Etralgo, Die platonische Rationalisierung der Be­ sprechung (ΕΠΩΙΔΗ) und die Erfindung der Psychothera­ pie durch das Wort, Hermes 86 (1958) 298–323. M.-L. Lakmann u. a. (Hgg.), Platonici minores. 1.  Jh. v. Chr. – 2.  Jh. n. Chr. Prosopographie. Fragmente und Testimo­ nien. Mit deutscher Übersetzung, Leiden/Boston 2017. A. Laks, Plato’s ‚truest tragedy‘: Laws Book 7, 817a–d, in: C. Bobonich (Hg.), Plato’s Laws: A Critical Guide, 217–231. S. Lavecchia, Una Via che Conduce al Divino. La ‚Homoio­ sis Theo‘ Nella Filosofia di Platone, Mailand 2006. –, Von der Angleichung an die Tugend zur Selbstaufhebung der Ethik – Ethisches Handeln und Philosophie zwischen

214

Bibliographie

Platon und dem Platonismus, in: C. Pietsch (Hg.), Ethik des antiken Platonismus. Der platonische Weg zum Glück in Systematik, Entstehung und historischem Kontext, Stuttgart 2013, 35–45. D. A. Layne, Socrates Neoplatonicus, in: R. Goulet (Hg.), Dictionnaire des philosophes antiques, Paris 2015, 417–438. –, Proclus on Socratic Ignorance, Knowledge, and Irony, in: A. Stav­r u/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dia­ logue, Leiden 2018. –/ H. Tarrant, The Neoplatonic Socrates, Philadelphia 2014. G. Leone, Diogène d’Œnoanda et la polémique sur les mete­ ora, in: J. Hammerstaedt/P.-M. Morel/R. Güremen (Hgg.), Dio­genes of Oinoanda: Epicureans and Philosophical De­ bates, Löwen 2017, 89–110. S. Lerer, Boethius and Dialogue: Literary Method in The consolation of philosophy, Princeton (New Jersey) 1985. J. Loehr, Ovids Mehrfacherklärungen in der Tradition ­aitiologischen Dichtens, Stuttgart 1996. A. A. Long, Epictetus: A Stoic and Socratic Guide to Life, Oxford 2002. –, Socrates in Later Greek Philosophy, in: D. R. Morrison (Hg.), The Cambridge Companion to Socrates, Cambridge 2011, 355–380. C. M. Lucarini/C. Moreschini (Hgg.), Hermias Alexandri­ nus: In Platonis Phaedrum Scholia, Berlin 2012. I. Männlein-Robert, Longin. Philologe und Philosoph. Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse, München/ Leizig 2001. – u. a. (Hgg.), Ps.-Platon, Über den Tod, Tübingen 2012. J. Magee, Boethius’s Consolatio and Plato’s Gorgias, in:­ Th. Böhm/Th. Jürgasch/A. Kirchner (Hgg.), Boethius as a Paradigm of Late Ancient Thought, Berlin 2014, 13–30. J. Mansfeld, Epicurus Peripateticus, in: A. Alberti (Hg.), Realtà e ragione. Studi di filosofia antica, Florenz 1994, 29–47 (auch in: ders./D. T. Runia [Hgg.], Aëtiana: The Me­ thod and Intellectual Context of a Doxographer. Bd.  III.

Bibliographie

215

Studies in the Doxographical Traditions of Ancient Philo­ sophy, Leiden/Boston 2010, 237–254). –, Prolegomena: Questions to be Settled Before the Study of an Author, or a Text, Leiden 1994. B. Manuwald (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kom­ mentar. Bd.  V I 2. Protagoras, Göttingen 1999. M. Marcovich (Hg.), Clementis Alexandrini Paedagogus, Leiden 2002. C. Markschies, Die platonische Metapher vom ‚inneren Menschen‘. Eine Brücke zwischen antiker Philosophie und altchristlicher Theologie, International Journal of the Clas­sical Tradition 1 (1995) 3–18. –, Origenes und sein Erbe. Gesammelte Studien, Berlin 2007. H.-I. Marrou (Hg.), Clément d’Alexandrie, Le Pédagogue, Livre I, 1960. J. Martin (Hg.), Titus Lucretius Carus. Über die Natur der Dinge. Lateinisch-Deutsch, Berlin 1972. F. G. Masi, The Method of Multiple Explanations: Epicurus and the Notion of Causal Possibility, in: C. Natali/C. Viano (Hgg.), AITIA II. Avec ou sans Aristote. Le débat sur les causes à l’âge hellénistique et impérial, Neu-Löwen 2014, 37–63. H. Merki, Homoiosis Theo. Von der platonischen Anglei­ chung an Gott zur Gottähnlichkeit bei Gregor von Nyssa, Freiburg 1952. P. Mitsis, Committing Philosophy on the Reader: Didactic Coercion and Reader Autonomy in De rerum natura, in: ­Materiali e discussioni per l’analisi dei testi classici 1 (1993) 111–128. F. Montarese, Lucretius and his Sources: A Study of Lucre­ tius De rerum natura I 635–920, Berlin u. a. 2012. C. Moreschini (Hg.), Anicius Manlius Severinus Boethius. De consolatione philosophiae. Opuscula theologica, Mün­ chen 22005. D. R. Morrison (Hg.), The Cambridge Companion to Socra­ tes, Cambridge 2011.

216

Bibliographie

A. Motta, Socratismo neoplatonico o neoplatonismo so­ cratico? Alcune considrazioni sulla figura di Socrates nella tarda antichità, in: F. De Luise/A. Stavru (Hgg.), Socratica III: Studies on Socrates, the Socratics, and the Ancient So­ cratic Literature, Sankt Augustin 2013, 354–361. E. Mühlenberg, From Early Christian Morality to Theoli­ gical Ethics, Studia Patristica XIX (1989) 203–215. C. W. Müller, Die Kurzdialoge der Appendix Platonica. Philologische Beiträge zur nachplatonischen Sokratik, München 1975. O. Murray, Philodemus On the Good King according to ­Homer, The journal of Roman studies 55 (1965) 161–182. –, Rileggendo Il buon re secondo Omero, Cronache Ercola­ nesi 14 (1984) 157–160. B. Nasemann, Theurgie und Philosophie in Jamblichs De mysteriis, Stuttgart 1991. R. Nickel (Hg.), Epiktet, Teles, Musonius. Ausgewählte Schriften. Griechisch–Deutsch, München/Zürich 1994. A. W. Nightingale, Spectacles of Truth in Classical Greek Philosophy: Theoria in its Cultural Context, Cambridge 2004. D. Obbink, How to Read Poetry about Gods, in: ders. (Hg.), Philodemus and Poetry: Poetic Theory and Practice in Lucretius, Philodemus and Horace, Oxford/New York 1995, 189–209. A. Olivieri (Hg.), Philodemus, Peri parrēsias libellus, Leip­ zig 1914. D. J. O’Meara, Pythagoras Revived: Mathematics and Phi­ losophy in Late Antiquity, Oxford 1989. –, Plotinus: An Introduction to the Enneads, Oxford 1995. –, Platonopolis: Platonic Political Philosophy in Late Anti­ quity, Oxford 2003. J. Omtzigt, Die Beziehung zwischen dem Schönen und dem Guten in der Philosophie Plotins, Göttingen 2012. E. F. Osborne, The Emergence of Christian Theology, Cam­ bridge 1993.

Bibliographie

217

G. Parthey (Hg.), Iamblichi De mysteriis liber, Amsterdam 1965. J. A. Passmore, The Perfectibility of Man, London 1970. Th. Paulsen/R. Rehn (Hgg.), Platon: Timaios. Griechisch-­ Deutsch. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort, Stutt­gart 2003. E. E. Pender, Images of Persons Unseen: Plato’s Metaphors for the Gods and the Soul, St. Augustin 2000. M. Perkams, Rezeption zu D. J. O’Meara, Platonopolis: ­Platonic Political Philosophy in Late Antiquity, Jahrbuch für Antike und Christentum 50 (2007) 234–237. –, Eine neuplatonische politische Philosophie – gibt es sie bei Kaiser Julian?, in: C. Schäfer (Hg.), Kaiser Julian ‚Apostata‘ und die philosophische Reaktion gegen das Christentum, Berlin/New York 2008, 105–126. F. M. Petrucci, ἀντέχεσθαι τῶν ῥημάτων: The Neoplatonic Criticism of Atticus’ Exegesis of Plato’s Cosmology, in: J. Halfwassen/T. Dangel/C. O’Brien (Hgg.), Seele und Materie im Neuplatonismus, Heidelberg 2016, 75–103. H. Pistelli (Hg.), Iamblichi Protrepticus, Leipzig 1888. E. Pöhlmann, Charakteristika des römischen Lehrgedichtes, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt I 3 (1973) 813–901. W. Pötscher, (Hg.), Porphyrios. ΠΡΟΣ ΜΑΡΚΕΛΛΑΝ. Griechischer Text. Übersetzt, eingeleitet und erklärt, Lei­ den 1969. E. Puglia, La filologia degli Epicurei, Cronache Ercolanesi 12 (1982) 19–34. – (Hg.), Demetrio Lacone. Aporie testuali ed esegetiche in Epicuro (Papiri Ercolanesi 1012). Edizione, traduzione e commento, Neapel 1988. H. Rahn (Hg.), Marcus Fabius Quintilianus. Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, Darmstadt 52011. S. Rangos, Images of Socrates in Neoplatonism, in: V. Kara­ manis (Hg.), Socrates: 2400 Years since his Death, Delphi 2004, 464–480.

218

Bibliographie

G. Rechenauer, Thukydides und die hippokratische Medi­ zin. Naturwissenschaftliche Methodik als Modell für Ge­ schichtsdeutung, Hildesheim/Zürich/Hamburg 1991. G. Ring, Bruch oder Entwicklung im Gnadenbegriff Au­ gustins? Kritische Anmerkungen zu K. Flasch, ‚Logik des Schreckens‘, Augustiniana 44 (1994) 31–113. D. Roloff, Gottähnlichkeit, Vergöttlichung und Erhöhung zu seligem Leben. Untersuchungen zur Herkunft der pla­ tonischen Angleichung an Gott, Berlin 1970. G. Roskam, Live Unnoticed: On the Vicissitudes of an Epicu­rean Doctrine, Leiden 2007. –, Plutarch’s Reception of Socrates, in: A. Stavru/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dialogue, Leiden/Boston 2018, 744–759. A. Sauer (Hg.), Franz Grillparzer. Sämtliche Werke, Bd.  X VI, Wien 51890. H. Scheible, Die Gedichte in der Consolatio Philosophiae des Boethius, Heidelberg 1972. S. Schlegelmilch, Bürger, Gott und Götterschützling. Kinderbilder der hellenistischen Kunst und Literatur, Ber­ lin/New York 2009. F. Schleiermacher, Platons Werke. Bd.  2,1, Berlin 31856. W. Schmid, Philosophisches und Medizinisches in der Con­ solatio Philosophiae des Boethius, in: H. Erbse (Hg.), Fest­ schrift Bruno Snell, München 1956, 113–144; auch in: G. Maurach (Hg.), Römische Philosophie, Darmstadt 1976, 341–384. A. Schniewind, L’Ethique du Sage chez Plotin. Le Paradig­ me du Spoudaios, Vrin 2003. K. Schöpsdau (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kom­ mentar. Bd.  IX 2. Nomoi Buch I–III, Göttingen 1994. – (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  IX 2. Nomoi Buch IV–VII, Göttingen 2003. – (Hg.), Platon Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd.  IX 2. Nomoi Buch VIII–XII, Göttingen 2011. M. Schramm, Freundschaft im Neuplatonismus. Politisches

Bibliographie

219

Denken und Sozialphilosophie von Plotin bis Kaiser Juli­ an, Berlin, New York 2013. E. Schütrumpf (Hg.), Aristoteles, Politik. Buch 1, Darm­ stadt 1991. H.-R. Schwyzer, Die zwiefache Sicht in der Philosophie Plotins, Museum Helveticum 1 (1944) 87–99. –, Porphyrii vita Plotini. Enneades 1, Paris 1951. –, Plotinisches und Unplotinisches in den Ἀφορμαί des Por­ phyrios, in: Atti del convegno internazionale sul tema: Plotino e il Neoplatonismo in Oriente e in Occidente, Rom 1974, 221–252. A. Scobie, Storytellers, Storytelling, and the Novel in Graeco-­­Roman Antiquity, Rheinisches Museum 122 (1979) 229–259. D. Sedley, Becoming like God in the Timaeus and Aristotle, in: T. Calvo (Hg.), Interpreting the Timaeus-Critias: Pro­ ceed­ings of the IV Symposium Platonicum, Sankt Augus­ tin 1997, 327–339. –, Lucretius and the Transformation of Greek Wisdom, Cambridge 1998. –, The Ideal of Godlikeness, in: G. Fine (Hg.), Plato. Bd.  2: Ethics, Politics, Religion, and the Soul, Oxford 1999, 309– 328. S. R. Slings (Hg.), Plato: Clitophon, Cambridge u. a. 1999. –/ É . de Strycker, Plato’s Apology of Socrates: A Literary and Philosophical Study with a Running Commentary, Leiden/New York/Köln 1994. A. Smith (Hg.), Porphyrii Philosophi fragmenta, Stuttgart 1993. –, The Significance of Practical Ethics for Plotinus, in: J. J. Clea­r y (Hg.), Traditions of Platonism: Essays in H ­ onour of John Dillon, Aldershot 1999, 227–236. E. Song, Aufstieg und Abstieg der Seele. Die Sorge um ande­ re, Göttingen 2009. O. Stählin (Hg.), Des Clemens von Alexandreia ausgewähl­ te Schriften. Bd.  3. Teppiche: wissenschaftliche Darlegun­

220

Bibliographie

gen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis). Buch I–­III, München 1936. – (Hg.), Des Clemens von Alexandreia ausgewählte Schrif­ ten. Bd.  4. Teppiche: wissenschaftliche Darlegungen ent­ sprechend der wahren Philosophie (Stromateis). Buch IV– VI, München 1937. A. Stavru/C. Moore (Hgg.), Socrates and the Socratic Dia­ logue, Leiden 2018. C. Steel, The Changing Self: A Study on the Soul in Later Neoplatonism: Iamblichus, Damascius and Priscianus, Brüs­sel 1978. W. Stroh, Tröstende Musen: Zur literarhistorischen Stel­ lung und Bedeutung von Ovids Exilgedichten, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 31.4 (1981) 2638– 2684. H. Strohm, Exkurs zu 9,123. Die helfende Hand Gottes, in: ders./J. Gruber (Hgg.), Synesios von Kyrene. Hymnen, Heidelberg 1991. Th.A. Szlezák, Platon und Aristoteles in der Nuslehre Plo­ tins, Basel u. a. 1979. –, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie. Interpreta­ tionen zu den frühen und mittleren Dialogen, Berlin/New York 1985. –, Platon lesen, Stuttgart/Bad Cannstatt 1993. –, Das Höhlengleichnis (Buch VII 514a–521b und 539d–541b), in: O. Höffe (Hg.), Platon, Politeia, Berlin 1997, 205–228. I. Tanaseanu-Döbler, Theurgy in Late Antiquity: The In­ vention of a Ritual Tradition, Göttingen 2013. W. Theiler, Forschungen zum Neuplatonismus, Berlin 1966. R. Thiel, Stoische Ethik und neuplatonische Tugendlehre. Zur Verortung der stoischen Ethik im neuplatonischen System in Simplikios Kommentar zu Epiktets Enchiridion, in: T. Fuhrer/M. Erler (Hgg.), Zur Rezeption der hellenis­ tischen Philosophie in der Spätantike. Akten der 1. Tagung der Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung vom 22.–25. Septem­ ber 1997 in Trier, Stuttgart 1999, 93–103.

Bibliographie

221

E. N. Tigerstedt, The Decline and Fall of the Neoplatonic Interpretation of Plato: An Outline and Some Observa­ tions, Helsinki 1974. Ch. Tornau (Hg.), Plotin. Ausgewählte Schriften, Stuttgart 2001. –, Der Eros und das Gute bei Plotin und Proklos, in: M. Per­ kams (Hg.), Proklos. Methode, Seelenlehre, Metaphyik, Leiden 2006, 201–229. K. Trampedach, Platon, die Akademie und die zeitgenössi­ sche Politik, Stuttgart 1994. T. M. Trapp (Hg.), Socrates from Antiquity to the Enligh­ tenment, Aldershot 2007. H. Usener (Hg.), Epicurea, Leipzig 1887. F. Verde, Cause epicuree, Antiquorum Philosophia 7 (2013) 127–142. M. Vorwerk (Hg.), Plotins Schrift ‚Über den Geist, die ­Ideen und das Seiende‘. Enneade V9 (5), München 2001. K. Vretska, Platon, Der Staat, Stuttgart 1982. C. Wachsmuth (Hg.), Ioannes Stobaeus, Anthologii. Bd.  1, Berlin 1884. B. Wehner, Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben, Stuttgart 2000. M. L. West, Iambi et elegi Graeci ante Alexandrum cantati. Bd.  1, Oxford 1971. L. G. Westerink (Hg.), Proclus Diadochus: Commentary on the First Alcibiades of Plato, Amsterdam 1954. – (Hg.), Olympidoria in Platonis Gorgiam commentaria, Leipzig 1970. U. von Wilamowitz-Moellendorff, Platon. Bd.  2, Berlin 1920. –, Euripides. Herakles, Bd.  3, Darmstadt 21959. C. F. Williger, Il Pais di Cebes nel Faidon di Platone, Gior­ nale di Metafisica 1 (1946) 103–113. –, Ancora Sul ‚Fanciullino‘ di Cebete, Giornale di Metafisica 2 (1947) 262–264.

222

Bibliographie

A. J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography: Four Studies, London 1988. D. Wyrwa, Die christliche Platonaneignung in den Stroma­ teis des Clemens von Alexandrien, Berlin/New York 1983. D. A. Wyttenbach, Platonis Phaedo, Lugduni Batavorum 1810. C. H. Young, A Delicacy in Plato’s Phaedo, The Classical Quarterly 38 (1988) 250–251. B. Zimmermann, Aristophanes und die Intellektuellen, Entretiens sur l’Antiquité Classique 38 (1993) 255–280. –, Sokrates oder der Intellektuelle als komisches Sujet, in: ders./­W. von der Weppen (Hgg.), Sokrates, die Sophistik und die postmoderne Moderne, Tübingen 2008, 67–78. C. Zintzen, Römisches und Neuplatonisches bei Macro­ bius. Bemerkungen zur πολιτικὴ ἀρετή in Comm. in Somn. Scip. I,8, in: P. Steinmetz (Hg.), Politeia und Res publica. Beiträge zum Verständnis von Politik, Recht und Staat in der Antike, dem Andenken Rudolf Starks gewidmet, Wiesbaden 1969, 357–376 (auch in: D. Gall/P. Riemer [Hgg.], Athen – Rom – Florenz. Ausgewählte kleine Schriften, Hildesheim/Zürich 2000, 285–302). –, Bemerkungen zum Aufstiegsweg der Seele in Jamblichs De mysteriis, in: H.-D. Blume/F. Mann (Hgg.), Platonismus und Christentum. Festschrift für Heinrich Dörrie (Jahr­ buch für Antike und Christentum Ergänzungsband 10), 1983, 312–328. W. Zürcher (Hg.), Rede für Ktesiphon über den Kranz, Darm­stadt 1983.

Sachregister Adressat, Adressatenbezo­ genheit, Adressatenorien­ tierung  20, 86, 88 f., 95, 103 f., 106–109, 116, 118– 121, 127, 136, 138, 140, 142, 148, 154 f., 158, 175, 179, 185, 187 f., 191, 196 f. Affekt  65, 89 f., 93, 95, 97, 100 f., 103 f., 106, 114 f., 117–119, 121, 128, 145, 156 f., 159, 182 f., 192, 205 f. Anagoge (Aufstieg)  165 f. Angleichung an Gott (Homoiosis Theo), ­A nähnlichung  2, 28, 40, 55, 63, 68 f., 75, 82, 204, 113, 115, 215, 218 Aphorme (Ausgangspunkt), Aphorme-Methode 163– 197, 207 Aporie  15, 31, 66, 97, 176, 195, 203 argumentatio  87, 129 f., 139, 142 Argumentationshäufung, additive Argumentation  94, 130, 135 f., 140, 142, 146–152, 155, 159 f., 207 Ataraxie (Seelenruhe)  102, 164, 197

Beispiel  15, 33, 42, 86–88, 91, 129, 135, 149, 155, 160, 172, 178, 181 f., 189, 194, 197, 204 Besingen  91, 97, 100, 105, 121, 126, 129, 144, 148, 151, 155 Besonnenheit  10, 21, 25 Beweis, Beweisführung  90, 94 f., 133 f., 136, 140, 142– 148, 154, 171 caecus stimulus cordi (Stachel im Herzen)  107, 126, 137 Christentum  3, 6 f., 9, 28, 40, 49 f., 77 f., 80, 82, 84 f., 87, 91, 110, 114, 117 f., 122 conditio humana  52, 65, 67 Curriculum  41, 91, 104 f., 114, 118–121, 130, 155 Demut  77, 79 f., 83 f. Dialektik  19, 72, 153 Didaxe (Belehrung)  53 f., 69, 89, 91, 97, 100, 103, 107, 111, 114, 117 f., 121, 133, 156– 158, 182–184, 191 Diesseitsverantwortung 6 diffusivum sui  28

224

Sachregister

Disposition  21, 61, 99, 101, 104, 117 f., 120, 124, 126, 133, 143, 145, 148 f., 156– 158, 184, 192 Egoismus  6, 9, 25, 31, Eigeninitiative  49, 65 Eine, das  32, 34, 53 Elenchos  20, 38 f. Erkenntnis  6, 22 f., 25, 27, 29 f., 41, 51, 53–57, 63–65, 67 f., 70, 73, 76, 78, 79, 81, 99, 105, 124, 132, 149, 158 Ethik, praktische  9, 35, 40, 102, 113 Eudaimonie  52, 90, 111 Exegese (Textauslegung)  162, 176 f., 191 Flucht, Weltflucht  1–3, 6, 8, 13, 22, 26 f., 35, 40, 55, 68, 78 Furcht  38, 93, 95–99, 101 f., 106, 108–110, 112, 118 f., 139, 143–145, 148, 152, 182 Gerechtigkeit  11, 16, 21, 84, 150, 194 f. Gesetze  10, 17, 24–26, 38, 76, 118 Gleichnis  9, 13 f., 16, 22–24, 43, 48, 65–67, 70, 75, 87 f. Glück  16, 32, 38, 49, 52, 55, 58, 68 f., 78 f., 126, 173 f. Gnadenlehre  9, 27, 44, 50–52, 56, 78, 80, 84 Gnostik  24 f.

Götter  1, 30 f., 43, 46, 58–61, 63 f., 69–72, 75, 83, 166 Gott  1 f., 25, 27, 40, 43 f., 49, 55, 60 f., 63, 67–69, 71 f., 75, 79, 80, 82–84, 113, 115 f., 118 f., 166, 169 Gottesdienst  12, 31, 43, 46, 71, 83 f. Grammatik  171, 174 Gute, das  28, 53 Habitualisierung  124 f. Hermeneutik  164, 169 Höhlengleichnis  13 f., 16, 22–­24, 43, 48, 65–67, 70, 87 f. Homologie  19 f. Illusion  14 f., 20, 65 f., 70 Institutionen  2, 10 f., 13, 16–18, 38 Interpretation  74, 76, 90, 156 f., 164 f., 167, 171, 173, 176–181, 188 f., 191, 193, 197 interpretatio medicans  162 f., 172 Ironie  15, 72, 87, 146 Irritation  15, 66, 126, 172, 177, 185, 197 Jenseits, Jenseitssehnsucht, Jenseitsorientierung, Jenseits­streben  1–3, 8, 13, 24, 27, 29, 40, 44, 48, 55, 78, 100, 111, 121, 132, 160, 162

Sachregister Kallipolis  17, 170 Kind  86, 89–91, 95–105, 108–110, 112, 114–122, 126, 128 f., 139 f., 144, 147 f., 151 Kind im Mann  89–91, 98, 102 f., 110, 112, 114 f., 119– 122, 139 f., 147 f. Kontext  7, 9, 12, 19, 34, 38, 42, 49, 57 f., 61–63, 69, 72 f., 76, 83, 86, 88 f., 92, 97, 100, 102, 104, 108, 111, 116 f., 120 f., 130, 135 f., 140, 142 f., 147, 151 f., 154, 160, 165 f., 169, 171 f., 175, 180 f., 184– 188, 193 f., 196 f. Korrektur  103, 171, 179, 197 Kult  55, 57–59, 61, 64, 72, 77, 79, 81 Leser  15, 22 f., 28, 55, 64, 68 f., 104, 107–110, 125 f., 132 f., 136–138, 140, 155– 158, 162, 170–174, 177–179, 181, 183 f., 190–193 Logos  93, 115, 118 Menschenbild  51f., 66, 69, 73, 75 Metapher  86–89, 91–93, 95, 98, 102–105, 110, 112, 114, 117–122, 147 Mythos  97, 150 Nichtigkeit  51–64, 66 f., 72 f., 77, 79–81

225

Optimismus  50, 54, 58, 67, 69 Ordnung  16 f., 21, 30, 44–46, 129, 160 Orientierung  126, 162–164, 188 Pädagogik  98, 118 Paideia  56, 86, 90, 103 f., 111, 120 Paramythia (Aufmunterung)  95, 98 f., 114, 119, 121, 144 Parrhesie, Parrhesia  20, 38 f. Peitho 86 persuasio (Überredung)  87, 154 f. Pessimismus  62, 67 Pest 181–183 Philanthropie 32 philologia medicans  177 Philologie  170, 172, 176 philosophia medicans  109, 164, 172 Philosophie, praktische  25, 121, 162 physiologia medicans  138, 153 Physiologie  38, 106, 137, 140 Polemik  47, 77, 80, 177, 195, 197 Polis  2, 18, 23, 30, 38 Politik, sokratische  36 f., 39 Politik, traditionelle  36–38 Politik, wahre  8, 16–22, 26 f., 30, 35 f., 43, 46, 82, 161, 196 Politiker, wahrer  22, 42 praeparatio philosophica  41, 91, 98, 105, 120–122, 128, 133, 150, 155, 157

226

Sachregister

praeparatio Platonica  105, 132, 163 Pragma  71, 83 f. Propädeutik  111 f., 157 Protophilosoph  2 f., 70, 93, 135, 145 f. Protrepse  97, 114, 118 f., 121 Psychologie  54, 56, 91, 113 Realpolitik  22, 29 f., 44, 82, 160 Rezipient, Rezeption  87, 104, 120, 163 f., 169, 172, 176, 179, 184 f. Rhetorik  19, 38 f., 140, 150, 152 f., 164 f., 185–188 Schau  22, 25, 42, 44, 53 f., 58, 70, 80, 169 Schreiber  123 ff. Seelenrettung  52, 82, 197 Seelsorge, Seelenpflege  15 f., 18, 21, 82, 88, 127 Selbst, das  18, 46, 54 f., 126– 128, 151 Selbsterkenntnis  6, 53 f., 65 Sicherheit 37–39 Sichtweise  25, 27, 33, 51 f., 57, 67–69, 73–77 Sokratesfigur  3, 34, 46, 50– 52, 73, 77, 82 f., 102 Spuria  165, 193 Symbole  60, 166, 169 Theoria  27, 156 Theoros (Betrachter, Beob­ achter) 31 Therapeut  125 f., 143

Therapie  95, 98 f., 107 f., 119 f., 128, 132, 137, 159 f., 191 Tod  84, 93, 95 f., 98–102, 106, 144, 149, 152, 182, 195 Tradition  37, 39, 50–52, 61, 67, 71, 73, 76, 89, 91, 98, 102, 109 f., 115 f., 118 f., 130, 135, 143, 152, 155, 160, 184, 198 Transformation  9, 20–22, 28, 35–37, 39 Tugend  24 f., 41, 44, 63, 67, 79, 115, 151, 159, 189 Übung  25, 107, 124, 137, 157 Umkehr  14, 16, 65, 69 Unsterblichkeit  90, 93 f., 98, 128, 147 f., 195 Vielfacherklärung 139 Vielgeschäftigkeit 12 Wahrheit  25, 41, 55, 66, 70, 86, 112, 143, 145, 149, 154, 157, 169 Wahrheitssuche  4, 134, 154 Weltverantwortung  3, 8 f., 13, 18, 21 f., 24, 27, 35 Weltzuwendung, Weltzuge­ wandtheit  1 f., 13, 18, 21, 23, 27, 30, 32 f., 35, 40 f., 43 f., 120, 122, 160, 162 Widerstand, innerer  90, 94, 110, 114, 137, 147 f. Wissen  4, 14, 27, 52, 65 f., 69, 101, 114, 124 f. Zugabe  31, 139, 142, 146, 148, 152–154

Personenregister Abbammon 57 Achill 115 Adeimantos 87 Albinos  167 f. Ambrosius 78 Amphitryon 186 Anaximenes  187 f. Anebon 58 Archilochos 67 Archimedes 188 Aristophanes  3, 12 f., 29 Aristoteles  2, 20, 36–39, 103, 142, 156 Augustinus  4, 50, 56, 78–83, 160 Axiochos  99 f., 135, 144–148, 155 Beierwaltes, Werner  5 f., 74 Boethius  44–46, 104, 121, 125, 129–151, 155–159, Cassiodor 131 Cicero  39, 121, 149, 153 Clemens von Alexandria  91, 111 f. Clodius 153 Cornutus 125 Damaskios 31

Demetrios Lakon  176 f. Demokrit 188 Demosthenes  152, 187 Diogenes Laertius  174 f. Dionysodoros 146 Diotima 160 Elias  86, 103 Ephoros 188 Epikur 11, 26, 37–40, 106– 113, 137–140, 143–146, 150, 171–180 Epiktet  39 f., 95, 101–104, 123–126, 129, 155–159, 163, 191 Erasmus 48 Eratosthenes 188 Euripides  29 f., 186 f. Euthydemos  146 f., 180 Euthyphron  12, 29–31, 71 Ficino, Marsilio  20, 96 Friedländer, Paul  196 f. Gaios  167 f. Glaukos 67 Grillparzer, Franz  196 Hagar 111 Herakles  83, 186

228

Personenregister

Hermeias von Alexandria  34, 42, 56, 71, 82 Hermogenes 156 Hesiod  150, 175 Homer  49, 67, 163, 170–172, 177–184, 195 f. Horaz 181 Jamblich  56–77, 80–83, 156, 168 Jesus Christus  82–84, 117 Julian, Kaiser  6 f., 82 Justin  83 f. Kallikles  2, 16–18 Kallimachos  141, 195 f. Kebes  90, 93–95, 110, 148 Kelsos  4, 83 Kleinias 99 Kleitophon 194–196 Kleombrotos 195 Kolotes 180 Lamia 98 Longin 174 Lukrez  105–110, 116, 121, 126, 135–143, 145–148, 150, 165, 181–184 Lysias  62, 197 Macrobius  189 f. Mark Aurel  125 Megillus 75 Memmius  107, 109, 136, 184 Milo 153 Minos 24 Mormo 98

Nikias 18 Olympiodoros 43 O’Meara, Dominic J.  6 f. Origenes 84 Orpheus 83 Ostanos 188 Ovid 89 Pascoli, Giovanni  121 f. Paulus 88 Perikles 11 Phaidros  62, 71, 196 Philodem  37, 175–184, 189 f. Philoktet 62 Philon von Alexandria  62 Phoinix 115 Pindar 30 Platon  1–46, 48–106, 109–135, 141, 143–147, 150–173, 175, 177, 180, 189, 193–195, 198 Plotin  5 f., 23–26, 31–33, 40 f., 51, 53–69, 71, 74, 76 f., 79, 81, 102, 129, 165, 174, 189– 191 Plutarch  39, 62, 102, 125, 129, 165, 170–173, 177 Polemarchos 194 Polybios 62 Porphyrios  26, 40, 54–58, 79, 83, 102, 129, 134, 143, 145 f., 165, 168, 174, 185, 188–191 Poseidonios 114 Proklos  20, 31, 34, 51, 56 f., 82, 165–170, 172 Pythagoras  69, 83

Personenregister Quintilian 153 Raphael 1 Schwyzer, Hans-Rudolf  74 Seneca  101, 149, 154, 174 Sextus Empiricus  135, 141, 146, 165, 173, 175 Simmias  90, 93, 95 f., 148 Simonides 197 Simplikios  103 f., 129, 155– 158, 165, 191 f. Sokrates  1–23, 27, 29–31, 34, 36–40, 42–48, 51–53, 56, 62–66, 69–72, 77, 80, 82– 90, 93–103, 105 f., 109, 111, 119–133, 135, 139, 143–152, 154 f., 159–168, 171, 194– 198

229

Song, Euree  74 Sophokles 62 Strabon 62 Syrian 82 Tauros 129 Theodoros 1 Theophrast 186 Thrasymachos  20, 185 Thukydides 181–184 Timaios  2, 28, 75, 126–128, 165–168 Vergil 181 Xenophon 197 Zenon von Sidon  176 Zeus 24

Stellenregister Ambrosius de fide ad Gratianum I 13,84 78, 80 Anaximenes Rhetorica ad Alexandrum 2,3 f. 188 2,6 f. 188 Archilochos Fragmenta 68 Diehl 131–132 West

67 67

Archimedes ad Eratosthenem methodus 3,83,22 188 Aristophanes Aves 585 ff. 67 880 185 1008 f. 30 Ranae 905 88 Aristoteles Ethica Eudemia 1216a23 36

Ethica Nicomachea 1095b22 ff. 36 1102a8 ff. 36 1103b3–5 37 Politica 1274b41 18 Topica 118a 142 163a36–163b16 153 Arrian Epicteti dissertationes II 1,15 95 Augustinus Confessiones 7,21 81 de civitate Dei 8,10 80 10,27 79 10,28 83 10,29,7–24 79 19,23 83 de consensu evangelistarum 12 82 26 82 de vera religione 1 78 2 ff. 78

232

Stellenregister

Boethius de consolatione philosophiae 1, p. 1 132 1, p. 4,4–8 45 1, p. 4,30 f. 45 2, p. 8 131 4, p. 2,26 134 Cassiodor Variae 1,45,3 131 Cicero Partitiones oratoriae 40 134 Tusculanae disputationes 1,119 149 5,10 4, 39 Clemens von Alexandria Paedagogus 1,1–3 114 1,4,2 113, 114 1,12,1 115 1,12,2 116 1,12,3 116 1,14,1 ff. 115 1,16,1 116 1,19,1 ff. 118 1,20,1 ff. 118 1,25,1 116 1,32,4 117 1,33,1 117 1,86,1 118 1,87,1 ff. 118 2,42,1 111 2,91,1 111 3,54,2 111

Stromateis 1,30–32 111 1,67,19 111 2,3,5 112 2,53,4 118 2,134,2 116 4,155,2–4 113 6,1,3 115 6,67,2 111 6,80,5 112 7,56,2 116 Demetrios Lakon P.Herc. 1012 LXVI–LXVII 176 Demokrit Fragmenta 300,17,7 188 Diogenes Laertius de clarorum philosophorum vitis 1,16 123 3,49 ff. 54 5,46 186 10,2 175 Elias in Aristotelis Categorias commentaria 118,1 ff. 103 118,3 f. 103 Ephoros Fragmenta 2a,70 Jacoby 180,5 Jacoby

188 188

233

Stellenregister Epiktet Dissertationes 2 101 2,1 119 2,1,16 f. 101 2,1,19 101 2,1,21 102 2,1,32 123 2,9,13 f. 134 3,22,106 102 3,24,103 125 4,4,29 125 Epikur Epistula ad Herodotum 78–80 136 Epistula ad Menoeceum 135 113 Epistula ad Pythoclem 85 f. 136 Fragmenta 221 Usener 106, 139 551 Usener 26 Kyriai doxai 7 38 12 38 Euripides Bacchae 266 f. 187 Hecuba 1238 f. 187 Hercules furens 236 f. 186 Medea 342 187

Heraklit Fragmenta 40 Diels-Kranz

134

Hermeias von Alexandria in Platonis Phaedrum scholia 1 35 34,5,1–7 71 160,1 ff. 57 163,18–23 57 221 42 Hesiod Theogonia 116 175 Hierokles in Carmen Aureum 65,5–25 59 Homer Ilias 6,146 67 Odyssea 18,130–137 67 Horaz Epistulae 1,2 181 Jamblich de anima 58, 68 f. de mysteriis 1,12 60 1,15 59 2,11 61 3,18 59

234

Stellenregister

3,19 59 5,7 72 5,12 65 10,5 60 Protrepticus 14 68 Julian, Kaiser Epistula ad Themistium 10,35,9 82 Justin Apologia 1,46 84 Kallimachos Epigrammata 23 195

2,55–58 108, 139 3,87–90 108, 139 3,417–829 107, 139 3,870 ff. 107 3,873 ff. 107 3,874 137 5,1 ff. 113 5,527–530 138 5,509–771 138 5,1091–1101 139 6,35–38 108, 139 6,80–89 139 6,160–422 138 6,527–534 107 6,1138–1286 181 6,1179 ff. 183 6,1208–1212 182

Kelsos Alethes logos 2,31 83

Macrobius Commentarius in Ciceronis somnium Scipionis 1,8,12 190

Libanios Argumenta orationum ­Demosthenicarum 9,8 f. 152

Mark Aurel Meditationes 7,32 149 11,23 101

Lukrez de rerum natura 1,80–101 182 1,256–328 137 1,329–417 137 1,398–403 140 1,402 f. 107 1,412–417 137 1,942 107, 137

Neues Testament Evangelium Matthaei 10,13–16 116 18,1–6 116 Olympiodoros in Platonis Gorgiam ­commentaria 12,4 ff. 43

Stellenregister Origenes contra Celsum 1,26 4 Paulus Epistula ad Corinthios I 13,11 89; 117 14,20 117 Epistula ad Corinthios II 4,16–18 88 5,17 120 Epistula ad Thessalonicos I 2,7 118 Philodem de bono rege XXII,36 f. 179 XXIX,6 f. 178 XLIII,16 ff. 179 de ira XLIV,23–25 179 Philon von Alexandria quis rerum divinarum heres sit 29,3 62 Photius Bibliotheca 251,464b 44 Platon Apologia 21b–22e 12 23b 30; 45; 71 23b–c 12 23c 84

235

30a 12; 71 31a 12; 84 31d–e 2; 10 33a 29 38c–42a 149 40c 149 Charmides 156e–157a 97 Cratylus 439c 71 Crito 46b–50a 194 Euthyphro 3d 28 12a–c 119 12e 30 13b 30 13d–e 72 14a 30; 71 14b–d 46 14c 29 Gorgias 466bff. 133 473e 21 483b 55 485d 2; 36 485eff. 16 487a 20 493c 87 502d–503d 11 503a 29 503b6–516e 36 504d–e 21 512d 21 513e 29 519a 2; 10 521d 17; 21; 37

236

Stellenregister

Hippias Major 304d4 160 Laches 186b 54 Leges 646e 119 682e 71 716c–d 112 722c 71 758a 87 803a–804c 66; 75 804b 75 804b–c 75 811c 71 829b 18 903a–b 92; 97; 150 903b–905b 72 951b 23 951b–952b 23 Lysis 215a–c 29 Meno 80a 87; 88 81a 54 Parmenides 142a 33 Phaedo 60d–67b 160 62b 74; 75; 102 62c–69e 152 68b–c 195 69b 151 70b 95 77c–e 89

77d 95 77e 94; 95; 96; 97; 147 81a–84b 112 82a–b 151 82e 87 83a 95 91c–d 94 102a–107b 148 107e 1 117c 1; 164; 208 Phaedrus 234e 62 245c–249a 112 246 ff. 87 246e 72 250e 1 273e 46; 72 274b 29 274b–c 72 Philebus 16c 72 39a 124 Politicus 271e 17 Protagoras 317a 55 324a 19 338e–347a 197 353aff. 160 Respublica 331e–336a 194 361e–362a 84 367c 150 425c–d 17 443b 71

237

Stellenregister 453d 87 472a 87 486a 75 487e 87 488a 87 488a–b 87 488b–489a 87 493e 81 494a 55; 79; 81 496c 81 500b 55 500c–d 2 500c–501b 112 504b–511 87 514a 74; 75 514a–517 23 514a–521b 13; 14; 87; 220 515 65 515a 66 515c–d 14 515d 15; 66 516c 29 517b 22 517b–c 28 519c–520a 22; 28 520a 29 525a–c 22 529a 1 539d–541b 13; 14; 220 579c 21 588aff. 88 603e–604d 67 612c–d 150 613a–b 112 619e 1

Symposium 221e 87 Theaetetus 150d–e 54 154d–e 146 172c–174a 13 173 11 173c 11 174a 3 174c 11 176a–b 1 176a–d 190 176b 2; 40 176c 6; 63; 68 197d 87 Timaeus 22b 97 27c 165 29b 167 29d–e 72 29e–30a 28 30c–d 168 32b 168 34b 73; 75 41d–47c 112 87cff. 115 90a 2; 127; 205 90a–d 112 90b 127 90c 75; 126 90c–e 2 Plotin Enneades I 2,3,1 ff. I 2 (19),7 I 4 (46),11

190 41 32

238 I 4 (46),15 I 6 (1),8,4 I 6 (1),8,21 I 6 (1),9,42 I 8 (51),6,9–13 II 9 (33) II 9 (33),6,38–41 II 9 (33),6,55–57 II 9 (33),15,10–22 II 9 (33),18,4–14 II 9 (33),18,34–35 III 2 (47),8,38–40 III 8 (30),4,31–43 III 8 (30),6,9–13 V 1,8,10–14 V 3 (49),11,23–25 V 3 (49),17,38 VI 7,36 VI 9 (9),4,13 VI 9 (9),4,26 VI 9 (9),7 VI 9,8,4

Stellenregister 103 54 54 53 40 24 24 24 25 26 25 33 33 33 169; 190 33 54 134 53 53 24 185

Plutarch an seni respublica gerenda sit 796d–e 39 Consolatio ad Apollonium 110a 62 112d 62 de audiendis poetis (= Plut. mor.) 15c 170 15d 171 17–19 171 19e–20b 171 22a–c 171 22b–c 171 22c–25b 170

de audiendo 45 176 de exilio 600d–e 103 Polybios Historiae 34,14,4 62 Porphyrios ad Marcellam 9,24–25 134 31,10–13 139 de abstinentia 1,29,1–6 135 1,41 103 Fragmenta 297F Smith 55 346 Smith 83 Sententiae ad intelligibilia ducentes 32 190 44 185 Vita Plotini 7–9 26 8,19 41 14,18–20 174 23,12 ff. 54 Poseidonios fragmenta 176 Edelstein/Kidd 114 Proklos Hymni 6,8 49 11 49

Stellenregister in Platonis Alcibiadem 36,9 167 114,19 167 125–126,6 34 166,7–17 34 225,4 ff. 54 235,1 ff. 54 235,18 167 236,10–14 55 236,14 167 317,18 167 in Platonis Parmenidem commentarii 948,13 ff. 57 in Platonis Rempublicam commentarii 2,250,7 ff. 69 in Platonis Timaeum ­commentarii 1,111,14 ff. 69 1,174,32 168 1,202,4 168 1,214 f. 165 1,340 167 1,374,16 62 2,42–52 168 2,50 168 3,323,2 ff. 57 3,333,28 ff. 57 3,334,3 57 Institutio Theologica 211 57 Pseudo-Platon Axiochus 364b–c 144 365c 100; 144 369d 144

239

369e 100; 145 370d–e 145 371c–372a 100 Clitopho 408d 195 410a 194 de virtute 379d 67; 67 Quintilian Institutio oratoria 4,5,15 153 5,6,2 153 8,3,56 153 8,3,88 153 Seneca de beneficiis 1,11,5 154 Dialogi 10,3,4 154 epistulae morales ad Lucilium 24,13 101 65,24 149 71,31 124 73,15 49 95,65 114 108,23 174 Sextus Empiricus adversus Mathematicos 1,270–271 174 5,86 142 8,183 142 8,262 142 Pyrrhoneiai hypotyposeis 1,58 142 1,62 142

240

Stellenregister

1,76 142 1,85 142 2,130 142 2,192 142 3,20 142 3,245 142 3,273 142 3,280 f. 143

Stobaios Anthologium 1,49,32 58 1,49,65 68 Synesios Hymni 9,123 49

Simplikios in Epictetum commentaria LXVII 7–32 158 Enchiridion XI 90 ff. 103 Praefatio 26–34 157 56–60 192 61 ff. 192 63 ff. 157

Thrasymachos fragmenta 85 A 1 Diels-Kranz 185 85 3 Diels-Kranz 185

Sophokles Philoctetes 1217 62

Xenophon Memorabilia 1,2,9 87 1,6,14 197

Thukydides Historiae 2,47–54 181 2,49,7 f. 182 7,77,7 18