Sheroes: Genderspiele im virtuellen Raum [1. Aufl.] 9783839402313

Die virtuelle Heldin Lara Croft ist das prominenteste Beispiel für die künstlichen Frauenfiguren der 1990er Jahre. Heute

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German Pages 124 [122] Year 2015

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Sheroes: Genderspiele im virtuellen Raum [1. Aufl.]
 9783839402313

Table of contents :
Inhalt
Einleitung …
Kickin´Off with the Prototype: Lara Croft …
I. Mediensprünge & Bildnachbarschaften …
Die künstlichen Heldinnen im Symboluniversum Comic, Kino und PC-Spiel …
Reality Check: Realitäts- und Künstlichkeitseffekte in Spiel und Film …
II. Laras Schwestern: Von Tomb Raider zu Heavy Metal F.a.k.k.2 …
Alien …
Das Fünfte Element …
Xena …
Virtua Fighter …
Oni …
Kagero …
Vampire …
Alone in the Dark …
No One Lives Forever …
The Longest Journey …
The Nomad Soul …
American Mcgee's Alice …
Heavy Metal F.A.K.K. …
III. Formen der aktiven Game-Rezeption in Netz und Real Life …
Vom weiblichen Ödipuskomplex zur Female Masculinity …
Rezeption & Identifikation …
Weibliche Repräsentation …
Grrls who got game …
Weibliche Skins & Patches …
Body Doubles & Lookalikes …
IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle …
Kyoko & Co. Digitale Beauties und Models …
Frauenkörper = Medienkörper? …
Virtuelles Crossdressing und Double Drag …
Weiblichkeitsmythen und Narration …
Körperbausätze: Body-Sampling …
Female Cyborg …
Virtuelle Weiblichkeitsmodelle …
Virtuelles Schutzschild …
V. Zur Konstruktion der Sheroes …
Komm spiel mit mir! Wartegesten …
Heldin ohne Falten & monströse Metamorphosen zum dämonischen Frauenkörper …
Durchschlagend weiblich: Die Körper-Waffe im tödlichen Einsatz …
Spielgenre und „openness“ …
Zu viel Gegenwart verhindert Identifikation …
Literatur, Abbildungen, URLs …

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Birgit Richard Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum

CULTURAL STUDIES • HERAUSGEGEBEN VON RAINER WINTER • BAND 8

Birgit Richard (Dr. phil.) lehrt als Professorin für Neue Medien an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihre Forschungsschwerpunkte sind aktuelle Jugendkulturen, Alltagskultur (z.B. Games und Clips), Medienkunst.

Birgit Richard

Sheroes Genderspiele im virtuellen Raum

CULTURAL STUDIES

Gefördert vom Institut für Kunstpädagogik der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Marcus Recht, Frankfurt am Main Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-231-7 Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Einleitung … 7 Kickin´Off with the Prototype: Lara Croft … 10

I. Mediensprünge & Bildnachbarschaften … 23 Die künstlichen Heldinnen im Symboluniversum Comic, Kino und PC-Spiel … 23 Reality Check: Realitäts- und Künstlichkeitseffekte in Spiel und Film … 28

II. Laras Schwestern: Von Tomb Raider zu Heavy Metal F.a.k.k.2 … 35 Alien … 35 - Das Fünfte Element … 36 - Xena … 37 - Virtua Fighter … 39 - Oni … 40 Kagero … 42 - Vampire … 43 - Alone in the Dark … 44 - No One Lives Forever … 46 The Longest Journey … 48 - The Nomad Soul … 53 American Mcgee's Alice … 55 - Heavy Metal F.A.K.K. … 61

III. Formen der aktiven Game-Rezeption in Netz und Real Life … 65 Vom weiblichen Ödipuskomplex zur Female Masculinity … 65 Rezeption & Identifikation … 67 - Weibliche Repräsentation … 70 - Grrls who got game … 70 Weibliche Skins & Patches … 76 - Body Doubles & Lookalikes … 80

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle … 83 Kyoko & Co. Digitale Beauties und Models … 84 - Frauenkörper = Medienkörper? … 86 Virtuelles Crossdressing und Double Drag … 87 Weiblichkeitsmythen und Narration … 90 - Körperbausätze: Body-Sampling … 91 Female Cyborg … 92 - Virtuelle Weiblichkeitsmodelle … 94 - Virtuelles Schutzschild … 98

V. Zur Konstruktion der Sheroes … 101 Komm spiel mit mir! Wartegesten … 101 Heldin ohne Falten & monströse Metamorphosen zum dämonischen Frauenkörper … 102 Durchschlagend weiblich: Die Körper-Waffe im tödlichen Einsatz … 106 Spielgenre und „openness“ … 109 - Zu viel Gegenwart verhindert Identifikation … 111

Literatur, Abbildungen, URLs … 115

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Die Grundlage des hier vorliegenden Buches bilden die Ergebnisse eines Forschungsprojektes mit dem Titel „Die Konstruktion von weiblichen Repräsentationsbildern in Computerspielen“, das im Rahmen des Forschungsschwerpunktes „Frauenbewegungen - kultureller und sozialer Wandel“ ATG 99 - Forschungsfeld III „Kulturelle Konstruktion von Geschlechtern“ vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst - von 1999 bis 2001 gefördert und unter der Leitung von Prof. Dr. Birgit Richard durchgeführt wurde. Der Dank gilt allen am Forschungsprojekt beteiligten Personen, in der wissenschaftlichen Mitarbeit vor allem Jutta Zaremba, sowie Astrid Baxmeier, Harald Hillgärtner, Verena Kuni, Sebastian Richter, Arndt Röttgers, die die notwendigen Textbausteine für den multimedialen Endbericht mit einer beiliegenden CD ROM erstellt haben. Die Gestaltung der CD übernahmen Astrid Baxmeier, Harald Hillgärtner und Tina Öcal. Für dieses Buch geht ein besonderer Dank für die intensiven Lektoratsarbeiten und die Gestaltung an Marcus Recht. Besonders hervorzuheben ist die finanzielle Unterstützung durch das Institut für Kunstpädagogik, das durch die Bewilligung eines Druckkostenzuschusses dieses Buchprojekt erst möglich gemacht hat. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, dass sie die Veröffentlichung meiner Forschungsarbeiten gefördert haben.

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Einleitung

Einleitung Bislang haben sich wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit weiblichen Figuren in Computerspielen nahezu ausschließlich auf Lara Croft konzentriert. Die virtuelle Heldin ist das prominenteste Beispiel für die künstlichen Frauenfiguren der 90er Jahre, bei denen sich Geschlechterdiskurse mit digitaler Technologie verschränken. Lara Croft löst gerade beim weiblichen Publikum extrem unterschiedliche Reaktionen aus: Sie gilt vor allem in radikalfeministischen Kreisen aufgrund ihrer hyperweiblichen Körperformen als Saboteurin der Emanzipation. Auf der anderen Seite repräsentiert sie aufgrund ihres toughen Durchsetzungsvermögens auch eine zeitgenössische weibliche Ikone, an der sich viele Frauen orientieren. Lara ist nicht mehr allein, sie hat Schwestern bekommen. Diese Tatsache macht es notwendig, die Welt der Computerspiele einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Zunächst gilt es an den Spielemarkt folgende Frage zu richten: In welchen Spielen tauchen weibliche Spielfiguren auf? Und wie ist dann ihre Position im Spiel definiert? Sind die Figuren überhaupt sichtbar, und spielen sie eine tragende Rolle oder sind sie nur als Verkaufsanreize auf der Verpackung platziert und dienen der Produktdifferenzierung? Des Weiteren stellt sich die Frage, wie „autonom“ die jeweiligen Frauencharaktere in den Spielen agieren. Eine Analyse des Marktes der PC- und Konsolen-Spiele zeigt zunächst, dass sich die Anzahl von Protagonistinnen seit 1999 erhöht hat. Eine Produktanalyse fördert zutage, dass sich auch die Bandbreite der weiblichen Spielfiguren so erweitert hat, dass sich hieraus eine Typologie von ambivalent gestalteten weiblichen Sheroes entwickeln lässt: Die Palette der Charaktere reicht von der „cleanen“ Lara Croft, über die B-Movie und Porno-Königin Julie Strain, die „gotische“ Alice, die Retro-Heldin Cate Archer, die toughe Konoko, bis hin zur Looserin April Ryan. Untersucht wurde in den Spielen zunächst einmal die Ästhetik, also das „Design“ im weitesten Sinne. Leitende Fragestellung bei der Betrachtung ist, ob unter der Bedingung einer männlich-kulturindustriellen Herstellung der Spiele nur die Perpetuierung der dualen Geschlechterstereotypen stattfindet oder ob diese Figuren über einen dekonstruierenden Zugriff reokkupiert werden können. Grundlegende These des Buches ist, dass die Existenz einer kulturellen Kodierung von Geschlecht auch dessen Variation und Veränderung zulässt. Die exemplarischen Analysen der Spiele zeigen, dass in den männlich konnotierten Alltagsbildern sehr wohl Identifikationsangebote für das Weibliche existieren können. Auch Computerspiele eröffnen polyvalente Bedeutungshorizonte und die Möglichkeit autonomer weiblicher Schaulust. Diese Mehrfachdeutungen sind allerdings an bestimmte Gestaltungskriterien geknüpft, die die Ausformulierung einer eigenständigen Heldin erst ermöglichen. Grundlegende Merkmale sind in der optischen Gestaltung der Figur (z.B. die Vermeidung zeitgenössischer 7

Einleitung

Kleidung) und im Setting selbst angelegt. Zudem sind die erfolgreichen Protagonistinnen durch ihre körperliche Kampfeskraft und ihre Bereitschaft zu tödlicher Aggression charakterisiert. Gleichzeitig dürfen sie auch Schwäche und höchste Anstrengung bekunden. Hierbei wird die aggressive Markierung des weiblichen Körpers oft nur durch den Kunstgriff der Metamorphose zur teuflischen Gestalt (Alice, Tels in Nomad Soul) erreicht. Es äußert sich die Ambivalenz der simultanen Wahrnehmung des weiblichen Körpers als Verlockung und unergründliche bedrohliche Waffe. Die auftretenden Heldinnen sind nicht in die üblichen sozialen Netze eingebunden und haben keinen Fixpunkt, z.B. in Form eines festen Standorts; ihre Aggressivität wird durch keinen sozialen Faktor, wie etwa fürsorgende Mütterlichkeit, gebremst. Die starken Figuren präsentieren sich kampfbereit mit einem herausfordernden, offensiv auf den Betrachter gerichteten Blick. Hier paart sich Aggressivität mit den physischen Attributen eines für den männlichen Blick hergestellten Sex-Symbols, ohne das Moment von Autonomie zu relativieren. Diese Sheroes machen also ihren RezipientInnen ein mehrdeutiges Angebot, das die explizite Aufforderung zur Weiterbearbeitung der Figur in verschiedenen Medien enthält. Die Protagonistinnen müssen in potentielle Extensionen in Film, Comic, Internet oder in die Realität in Form der Body Doubles überführbar sein, um eine aktive Rezeption zuzulassen. Die weibliche Spielfigur ist dabei als ein künstliches Modell auf der Skala der unterschiedlichen Virtualitätsebenen von Weiblichkeit anzusehen, der Austausch zwischen den verschiedenen Künstlichkeitsmodellen ist system- und medienstrukturell immanent. Die potentielle Rückführbarkeit in weibliche Repräsentationen aus Fleisch und Blut ist eine von den Spielen transportierte Verheißung, in der gleichzeitig die Unmöglichkeit des Ebenenwechsels mitschwingt. Die ambivalente Aussagekraft der Heldinnen wird nicht nur durch die medialen Sprünge geformt, sondern spiegelt sich auch in den Aneignungspraxen ihrer NutzerInnen. Das bedeutet, nicht nur bestimmte äußerliche Merkmale, sondern auch eine aktiv-gestaltende Rezeption transformiert die vorhandenen Markierungen, wie die Überbetonung des Weiblichen. Ein Blick auf die Rezeptionsformen im Internet (Gamerinnen Websites wie grrrlgamer) verdeutlicht, dass sich Frauen und Mädchen die Figuren über Body Doubles, Lookalikes, Skins (eigene Looks für die Heldinnen) oder Fanwebsites aneignen. Die gestalterische Veränderung der Oberfläche der weiblichen Figur als aktive Korrektur der weiblichen Repräsentationen kann darüber hinaus sogar zum emanzipatorischen Angebot werden. Freiräume eröffnen sich allerdings nur in Spielen, die sich in Umgebung und weiblicher Figur deutlich vom zeitgenössischen Design entfernen, sei es in historische, futuristische oder surreale Welten.

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Einleitung

Die untersuchten Spiele1 zeigen zwar keine direkte Umsetzung der Gleichstellung der Geschlechter, aber eine Machbarkeit in der Zukunft wird suggeriert. Aufbauend auf einer bestimmten vorgefundenden Ästhetik der Figur könnnen aktive Strategien bis zum Re-Imaging von Geschlechtkonstruktionen führen. Gender- und medientheoretische Topoi wie Judith Butlers Auffassung eines performativen „doing gender“ und Marieluise Angerers Formulierung einer „Vervielfältigung von Identitäten zwischen Medien und Realität“, die Imagination einer „weiblichen Cyborg“ mit einer Pastiche-Identität und der Möglichkeit des Shape-Changing (Donna Haraway) und die Entwicklung einer „Terminal identity“ (Bukatman) von Seiten der UserInnen, sowie Begriffe wie „Gender Swapping“, „virtuelles Crossdressing“ und „Double Drag“, sowie „phallische Frau als Fetisch“ (Bukatman vgl. auch RhodeDachser) können auf diese Weise für die Einordnung der Figuren und die Erschließung ihrer semantischen Dimensionen nutzbar gemacht werden. Die Rezeptionshaltungen bewegen sich zwischen purer Konsumption und Subversion. Sie pendeln zwischen dem virtuellen Modell weiblicher Macht und dem realen Modus eines konventionellen Mädchen- und Frauseins. Das Identifikationsangebot der Heldin wird also durch ästhetische, mediale und kontextuelle Faktoren geformt. Sheroes entstehen in der Deund Rekonstruktion des Materials durch die NutzerInnen. Damit ist das „Making of a sheroe” im Computerspiel ein vielschichtiger Produktionsvorgang, der, angestoßen auf der Ebene des Produktes, bei den RezipientInnen in einem mehrstufigen Prozess mit verschiedenen Aktivitätsgraden fortgesetzt wird.

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Neben Tomb Raider wurden Xena - The Warrior Princess (Xena und Gabrielle), Das fünfte Element (Leeloo) und Alien (Ripley), The Nomad Soul (z.B. Kayl und Jenna), Kagero (Millenia), Virtua Fighter (Pai Chan und Sarah Bryant), Oni (Konoko), Vampire (Ekatharina, Anezka und Serena), Alone in the Dark (Aline Cedrac), No One Lives Forever (Cate Archer), The Longest Journey (April Ryan), American McGee´s Alice (Alice) und Heavy Metal F.A.K.K.II (Julie) einer intensiven Betrachtung unterzogen.

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Kickin’ Off with the Prototype: Lara Croft

Kickin’ Off with the Prototype: Lara Croft Am Beginn steht die Analyse der prototypischen Figur Lara Croft. Die Argumentation folgt dabei keineswegs einer eindeutig positionierten feministischen Linie, sondern will den Charakteristika, Widerspüchen und Potentialen der virtuellen Idole in Spielen auf die Spur kommen und damit den komplexen Mechanismen in Produktion und Anwendung gerecht werden. Lara Croft hat als einzige der Computerspiel-Heldinnen eine dermaßen hohe Popularität, dass sie bei unterschiedlichen Werbeträgern in mehreren Ländern zum Einsatz kam: Sie posierte für die spanische Autofirma Seat, für einen Spot der deutschen Zeitschrift „Brigitte“, für Anzeigen der Zeitung „Die Welt“ und für die Sony Playstation. Auch im Video der deutschen Punk-Pop-Gruppe „Die Ärzte“ mit dem Titel „Männer sind Schweine“ spielt Lara Croft mit: Hier kämpfen die drei männlichen Bandmitglieder und Lara in einem alten Kaufhaus gegeneinander, am Ende gewinnt die perfekte Lara die Schießduelle. Alle diese Erzeugnisse machen sich ihren sexualisierten Körper in seiner für die Game-Heldin spezifischen Assoziation mit Stärke und Unabhängigkeit zunutze, da bis auf die Frauenzeitschrift Brigitte viele der Anzeigen tendentiell ein männliches Publikum adressieren.2 Interessant dabei ist, dass die Firma Eidos Interactive Deutschland 1999 ein „Lara Croft Magazine“ herausgegeben hat, das neben Geschichten zum „Making Of“ erotisierte, oft spärlich bekleidete ModelFotos von Lara präsentiert, die weit über die Spiel-Figur Lara hinausgehen und bezeichnenderweise in Zusammenarbeit mit dem „Playboy“-Magazin entstanden. Im übrigen Merchandising-Bereich existiert Lara nicht nur, wie sonst bei den Computerspiel-Ikonen üblich, als kleine Hartplastikfigur für das Regal, sondern ziert T-Shirts, Uhren, Kalender, Mousepads etc. Der ökonomische Kontext ist gerade für ein künstliches Idol wie Lara Croft von großer Bedeutung, da sie dem Produktionszusammenhang der Unterhaltungsindustrie direkt entspringt. Andere virtuelle Charaktere sind für kommerzielle Zwecke instrumentalisierbar, ohne dass ein autonomes Potential von den Usern weiterentwickelt werden kann. Das zeigt die wachsende Anzahl von virtuellen AnsagerInnen und Such-AgentInnen im Netz, bis hin zu den ersten virtuellen Pornodarstellerinnen für die 0190Nummern. Lara Croft ist ein Idol, dessen Rezeption ähnlich zwiespältig verläuft wie beim Star Madonna. Wie diese, ist sie ein posthumanes Idol3 mit aufgesplitteten multiplen, künstlich hergestellten Identitäten und Körperbildern. Dieses Image wird nicht mehr allein von einer Industrie produziert, 2

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Natürlich gibt es auch Frauen, die Seat fahren und Lara gerade wegen ihrer unnachahmlichen Kombination aus Sexiness und Kampfgeist besonders schätzen und in ihr eine Identifikationsfigur finden. Hier liegt die Grundprämisse des Projekts, die von der aktiven Aneignung der Figur ausgeht, ohne etwaige marktstrategischen Platzierungen der Figur zu beachten (vgl. Anne Marie Schleiners verschiedenen Lesarten der Lara in: Anne-Marie Schleiner: Female-Bobs arrive at dusk, 1999. http://www.opensorcery.net/Femalebob.html) Jeffrey Deitsch: Posthuman. Ausstellungskatalog, Feldkirchen 1992. 10

Kickin’ Off with the Prototype: Lara Croft

sondern kann vielmehr auch selbst konstruiert werden. Ebenso gestalten die Tombraider-UserInnen das Bild-Angebot nach ihren Wünschen und Bedürfnissen in anderen Medien weiter. Beide Kunstfiguren sind im Sinne Ecos doppelt kodiert.4 Man kann sie anhimmeln oder aufgrund ihrer ambivalenten Inszenierung auch nur bewundern. Lara Croft ist nicht nur die berühmteste, sondern auch eine der frühsten weiblichen Hauptfiguren im Computerspiel-Genre: Zwei Jahre nach dem Erscheinen der Sony-Playstation-Computerspielkonsole kam 1996 das Action-Spiel Tomb Raider des Spieleherstellers Eidos/London auf den Markt. Darauf folgte die jährliche Fortsetzung des Spiels, ähnlich wie bei einem TV-Sequel, bis schießlich „Tomb Raider“ VI im Herbst 2002 von den britischen Firmen Core Design (Produktion) und Eidos Interactive (Vertrieb) auf den Markt gebracht wurde. Tomb Raider gehört dem Action-/Adventure Genre an und besitzt die für Computerspiele typischen Level, welche den SpielerInnen immer mehr Geschicklichkeit abfordern und diese durch dreidimensionale Abenteuerwelten führen, die von China nach Venedig, von der Eiswüste nach Indien, von London nach Arizona bis hin nach Ägypten reichen.

Tomb Raider: Das Spiel Auf den Verpackungen von Tomb Raider I-IV steht Lara Croft im Mittelpunkt und trägt immer dasselbe Outfit: knappe Hotpants, Pistolenhalfter, Treckingschuhe und Sonnenbrille. Bis auf Tomb Raider II ist sie immer, wie bei einem Schnappschuss, in Action zu sehen und mit zwei Pistolen bewaffnet. In Tomb Raider IV sucht sie, wie in einem Polizeifilm, mit einer Taschenlampe den Raum ab. Nur bei Tomb Raider II zeigt das Cover Laras ganzen Körper, und sie lächelt in charmanter James Bond-Pose. Bei allen anderen Folgen scheint sie unnahbar und furchtlos, ihre Körperhaltung signalisiert Stärke und Härte. Der folgende Lebenslauf wurde vom Tomb Raider-Spielehersteller Eidos/London hergestellt und mit Hilfe von Artikeln auf Fan-Websites erweitert. Demnach ist Lara Croft eine 1968 in Wimbledon geborene Britin, Spross einer britischen Adelsfamilie, mit der sie sich früh zerstritten hat und daher enterbt wurde. Sie ist 1,80 m groß, fast 60 kg schwer und hat die Maße 86D-61-89. Als Tochter von Lord Henshingly Croft bekommt Lara zunächst Privatunterricht, besucht dann eine weiterführende Schule in Schottland und schließt mit 21 Jahren die Schule in der Schweiz ab. Nach dem Tod ihrer Eltern arbeitet sie als Reiseschriftstellerin und begibt sich schließlich als gefragte Archäologin auf die Suche nach Schätzen und Abenteuern, daher der Titel Tomb Raider (Grabräuberin).

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Umberto Eco: Die Innovation im Seriellen. In: ders.: Über Spiegel und andere Phänomene, München 1990. 2. Auflage. 11

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Bei einer Reise zum Himalaya stürzt Laras Flugzeug ab; sie schlägt sich als einzige Überlebende dank ihrer Intelligenz und Körperkraft zwei Wochen alleine im Hochgebirge durch. Das ändert ihren Lebensweg radikal: Sie entsagt dem Luxus und wählt ein Leben als Archäologin. Lara lebt fortan von den Entdeckungen mehrerer antiker Stätten und von den Reisetagebüchern ihrer abenteuerlichen Expeditionen.5 Als virtuelle Stellvertreterinfigur trifft Lara anstelle des Users auf alle Herausforderungen und versucht Geheimnisse zu lösen, Fallen zu vermeiden und Feinde zu besiegen. Lara kommuniziert nicht dialogisch mit dem Spieler - außer in einer Trainingssequenz, während der sie Anweisungen zum Springen oder Klettern gibt. Sie wirkt vielmehr indirekt durch kurze stöhnende Laute, die sie während ihrer Aktionen bis hin zu ihrem virtuellen Tod von sich gibt, auf die Spielenden ein. Die Einzelsportarten des Free-Climbing und Extremski, aber auch die exaltierten Helden ihrer o.g. Lieblingsfilme signalisieren ein extremes Einzelgängertum. Lara Croft besitzt maskulin konnotierte Züge: Mut, Körperkraft, starken Willen und Intelligenz, und alle diese Fähigkeiten setzt Lara in Kombination mit einem Waffenarsenal skrupellos ein. Aber Lara besitzt ebenso „weibliche“ Attribute: Sie ist behütet aufgewachsen, ist hochgebildet, tugendhaft, charmant und kultiviert, und hat vor allem einen ultrafemininen Körper, der Schönheit und Erotik signalisiert. Lara, die durchtrainierte, vollbusige Heldin schießt und schlägt auf ihre Widersacher ein, sie springt, hangelt, boxt, klettert und schwimmt mutig durch dunkle, unbekannte multiperspektivisch wahrnehmbare Räume. Außergewöhnlich für die Konstruktion einer Protagonistin ist die Tatsache, dass Lara zu keinem Zeitpunkt häuslich orientiert ist, wie dies beispielsweise bei Romanheldinnen der Fall ist, die nach dem Auszug in die Welt schließlich irgendwo heimisch und familiär werden oder für ihren Ausbruch, der diesen Weg nicht zulässt, büßen und sterben müssen (wie im Film „Thelma & Louise“ von 1991). Es existiert zwar ein Heim, Laras Landhaus, doch dies ist spärlich ausgestattet und an den entscheidenden symbolischen Plätzen traditioneller Weiblichkeit funktionsuntüchtig (in der Küche fehlen die Kochutensilien, die Dusche ist defekt etc.). So tauscht Lara die privaten gegen öffentliche Räume ein, wenn sie sich schnell in immer wieder neue Abenteuer stürzt und dabei sehr einem Westernhelden, dem „lonesome cowboy“ (oder auch Odysseus und seinen vielen zu lösenden Aufgaben), ähnelt, den es rastlos zu neuen Herausforderungen weiterzieht. Es gibt im Internet auch Darstellungen von Lara, die sie mit Cowboyhut zeigen, einmal eine Reminiszenz an das filmische Motiv, aber auch Ausdruck der Referenz an die zeitgenössische Modewelt (Cowboymode 1998/1999 Prada, Diesel). Analog dazu spielen in Laras Lebenswelt soziale Kontakte keine Rolle. Ganz unspezifisch für die Präsentation eines weiblichen Kosmos fehlen tie5

Sie mag die Filme „Aguire - der Zorn Gottes“ und „Deliverance“, fährt Motorrad, besitzt Uzis, ein M-16 Automatikgewehr und mag die Städte London, Venedig und Atlantis. 12

Kickin’ Off with the Prototype: Lara Croft

fere menschliche Begegnungen und jegliche Ausrichtung auf einen potentiellen Partner. Lara Croft ist absolut autonom - bis einschließlich Teil V helfen ihr weder Mann noch Familie, sie bleibt eine unabhängige Einzelgängerin. Bei der Beseitigung von Hindernissen trifft Lara durchweg auf körperlich und geistig unterlegene Gegner, die Teil eines ritualisierten primitiven Universums sind: Es sind Monster, Dämonen, wilde Tiere und Schurken, die in ihrer Feindseligkeit eindeutig böse konnotiert sind und somit potentielle Hemmungen seitens der SpielerInnen ausschalten. Anders als in klassischen Horrorfilmen, in denen die Frau aufgrund der gemeinsamen Außenseiterposition eine gewisse Affinität zum Monster entwickeln kann („Die Schöne und das Biest“, „Das Phantom der Oper“, die Alien-Filme, besonders „Alien IV“), will Lara Croft weder die Welt, noch einzelne Subjekte retten. Sie verfolgt ihr Programm als Einzelkämpferin so unbeirrbar wie der „Terminator“. Ihr individualisiertes, cooles Durchsetzungsvermögen korrespondiert dabei mit einer Neudefinition von Weiblichkeit, die durch die Mädchenkultur der 90er Jahre geprägt wurde. „Weit davon entfernt, ihre Weiblichkeit aufgeben zu müssen, um „Gleichberechtigung“ erlangen zu können, haben diese Mädchen auf ihr Recht gepocht, sie uneingeschränkt, sogar übertrieben, beibehalten zu können.“ 6 Lara Croft ist dabei eindeutig kein aggressives riot grrl im Sinne von Courtney Love (Leadsängerin der Band „Hole“), da sich ihre übertriebene Beibehaltung von Weiblichkeit in phantasmatischen Proportionen (riesiger Busen, extreme Wespentaille, ultralange Beine) und in teilweise eigens von Designern entworfener erotischer Kleidung (Hotpants, knappe T-Shirts etc.) äußert. In der Darstellung des Körpers wird im Sinne des Vorurteils verfahren, dass eindeutig belegbare Parameter existieren, die die Attraktivität eines Frauenkörpers für Männer ausmachen.7 Solche „Erkenntnisse“ werden dann als Legitimation für die Resonanz auf eine bestimmte Darstellung herangezogen. Das Verhältnis der Idealproportionen genannt WTH (waist to hip ratio - Verhältnis Taille zu Hüfte) wurde im Rahmen von Tests, die an einer texanischen Hochschule mit männlichen und weiblichen Probanden durchgeführt wurden, als nur bedingt entscheidend für die Anziehungskraft einer Frau erkannt.8 Für die Konstruktion weiblicher Avatare jedoch scheint die WTH eine entscheidende Rolle zu spielen, denn 1994 wurde das virtuelle japanische Idol „Kyoko Date“ von der Firma Horipro entwickelt und mit den in Japan beliebten Fotomodellmaßen von 83-56-82 ausgestattet.

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Angela McRobbie: Codierung von Weiblichkeit in den 90ern. In: Manuela Barth (Hg.): LaraCroftism, München 1999, S. 16. Aufgestellt von der Wissenschaft der evolutionären Psychologie. Thomas Saum-Aldehoff: Eine magische Ziffer für maximales Interesse. Frankfurter Rundschau 5. Februar, S. 6. 13

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Lara Crofts „maskuliner“ Tatkraft und Omnipotenz wird durch die Übererfüllung des WTH die sexuell aggressive Komponente zugleich genommen.9 Sie oszilliert zwischen Übererfüllung eines männlichen Begehrens durch ihren Hyperkörper und der Symbolisierung weiblicher Potenz. Die großen Werbe-Plakate für Tomb Raider III im öffentlichen Raum zeigten Lara 1999 im langen geschlitzten Abendkleid, umrahmt von Rosen. Auch dies weist auf den Versuch einer romantischen Einbettung, die die eventuelle Bedrohlichkeit des Charakters ausgleicht.

Das Interessante bei Lara Crofts Kunstkörper, der manieristische Übersteigerungen wie die überlangen Beine und die übergroße Büste aufweist, ist die Überlagerung der religiösen, sexuellen und modischen Aspekte des Fetischismus. Im ursprünglichen, religiösen Sinne bezeichnet der Fetisch ei9

Man kann es auch so lesen, dass sie grade wegen dieser Übererfüllung des WTH aggressiv wirkt (vgl. Rohde-Dachser sieht Hyper-Brüste als weibliches Pendant des Phallus und damit als Ausdruck weiblicher Potenz) wie z.B. die Brüste in RussMeyer-Filmen. 14

Kickin’ Off with the Prototype: Lara Croft

nen rituellen Gegenstand, der seinem Verehrer Schutz und Geborgenheit verleiht. Genau dies geschieht auch durch die virtuelle StellvertreterinFigur Lara, die sich im Spiel, ähnlich einem wiederkehrenden Ritual, immer von neuem allen Gefahren aussetzt und einen Schutzschild für die UserInnen bildet, die sich hinter Lara in Sicherheit wissen. Der sexuelle Aspekt des Fetisch findet sich in der Psychoanalyse in Form eines Ersatzobjekts zur Erlangung des sexuellen Höhepunktes eines Fetischisten wieder Ersatzobjekte können der ganze Körper, ein Körperteil oder auch ein Kleidungsstück sein.10 Die Über-Sexualisierung bestimmter Körperteile Laras repräsentieren eine verheissungsvolle „Ultraweiblichkeit“, die dem Fetischisten die Illusion der Kontrollierbarkeit des Begehrten verschaffen kann. Hier greift nun der Bereich der Mode ein: Der modische Fetischismus unterscheidet sich vom sexuellen dadurch, dass nur der Code der Erotik aufgenommen wird und das sexuelle Element lediglich subtil mitschwingt.11 Die modische, enganliegende Kleidung Laras verhüllt die Objekte der sexuellen Begierde, so dass jederzeit eine erotische Aufladung, aber keine direkte sexuelle Aufforderung oder pornografische Zurschaustellung beabsichtigt ist. Laras Look ist bei genauem Hinsehen eine subtile und ambivalente Mischung zwischen männlich und weiblich konnotierten Kleidungsstücken. Ihre schmucklose, eher sportliche Kleidung liegt eng an - XXS kehrt die weiblichen Formen heraus. Die eher männlichen Bekleidungsstücke sind zugleich funktional und wirken erotisch. Ihr örtliches Ungebundensein, ihre Mobilität wird durch den Rucksack symbolisiert, sie trägt alles am Körper. Die funktional bedingten Riemen und die Laschen für Waffen und Zubehör an Laras Oberschenkeln bekommen wieder eine erotische Bedeutung, denn sie werden wie zwei Strapse, welche die langen Beine erotisch aufteilen, in Szene gesetzt.12 Das türkisfarbene enganliegende Muskel-Shirt mit freien Schultern wird eher von Männern bevorzugt; zeitgemäßer wären die Tops mit Spaghetti-Trägern, die so genannten Tanktops gewesen, wie sie von jungen Frauen heute getragen werden. Diese würden jedoch die Robustheit von Lara abschwächen und wären für die Kampfhandlungen zu fragil.

10 Vgl. Sigmund Freud: Fetischismus (1927). In: Studienausgabe, Bd. III, Frankfurt am Main, 1994. S. 379-388. Der Fetischist leugnet die Penislosigkeit der Frau und erhebt den Fetisch zum Ersatzobjekt für den Penis. Zum Begriff des Fetischismus aus feministischer Perspektive vgl. besonders: Garber, Marjorie: Verhüllte Interessen. Kap. V: Fetisch-Neid, Frankfurt am Main 1993. S. 171-184. 11 Vgl. Valerie Steele: Fetisch, Mode, Sex und Macht, Berlin 1996. 12 Siehe auch Baudrillard Kap. „Der gezeichnete Körper“ in Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod, München 1983. 15

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Die kurze Hose verweist ebenfalls auf die zeitgemäße Einkleidung, die Anlehnung an ein Girlie-Outfit aus dem Kontext der Techno-Szene13, das bewusst mit ähnlichen Ambivalenzen spielt: die Hyperproportionen einer erwachsenen Frau, konterkarriert mit infantilen Formen wie Pferdeschwanz, Zöpfen und kurzen Hosen. Die schwarze kurze Hose bietet die einzige Möglichkeit, eine Pose von breitbeiniger Standfestigkeit anzunehmen, ohne an Würde zu verlieren, d.h. ohne unerlaubte Einblicke zu gewähren. Eine Untersicht ist trotzdem möglich, z.B. in den Unterwasserszenen. Trotzdem ist eine enganliegende kurze Hose nicht funktional für den Kampf und unwegsames Gelände und verweist auf die potentielle Verletzlichkeit von Lara Croft. Wichtig ist in der Darstellung der Wechsel zwischen Kleidungsstücken und nackter Haut und die beabsichtigten Unterbrechungen und Aufgliederungen durch Kleidungsstücke. Ihre schwarzen Handschuhe gleichen einmal denen, die Männer zum Sportwagenfahren benutzen, aber auch denen, die von Freeclimbern und Abenteuer-Extremsportlern getragen werden. Sie unterstreichen Laras aktive Sportlichkeit. Weitere Accessoires sind der Gürtel mit einer überdimensionalen, rechteckigen metallischen Schnalle und die rötlich getönte Sonnenbrille als Ausweis jugendlicher Coolness, Abgeklärtheit und Angstlosigkeit. Das Kleidungsensemble zeigt also durchgängig eine Mischung von opulenter Weiblichkeit und eher männlich konnotierten funktionalen Kleidungsstücken. Genau in diesen Körperdiskursen und in einer mehrfach codierten Kleidungssprache kommt die Ambivalenz der Heldin und damit der Identifikationsfigur Lara Croft zum Tragen: Derselbe Körper, der Schutz, Kraft und Selbstsicherheit garantiert, wird in seiner körperlichen Überperfektionierung zum Unerreichbaren eines jeden Nachahmungsversuchs. Vor diesem Hintergrund sind auch die zahllosen „Lara Croft look-alike“-Wettbewerbe zu sehen, wo junge Frauen untereinander bezeichnenderweise als „Body Double“ konkurrieren, um die perfekteste Verkörperung Lara Crofts darzustellen. Eine Vermarktungsindustrie setzt auf lukrative Anreize: Der Tomb Raider-Hersteller Eidos kürt nach Castings das offizielle Lara Croft-Model und organisiert weltweite Fantours. Generell vereint Lara Croft als Identifikationsfigur die ewigen Verheißungen von Schönheit, Erfolg und Abenteuer in sich. Als virtueller Charakter altert sie nicht, in den Zwischenversionen wird sie durch einen Rückblick sogar jünger und hat wie alle digitale Avatare nach ihrem Tod eine endlose Anzahl neuer Leben. SpielerInnen erlernen durch Wiederholung das erfolgreiche und mutige Durchqueren dunkler, klaustrophobischer Räume und die gezielte Konfrontation mit finsteren Mächten und spielen so ihre Ermächtigungsphan13 Vgl. Birgit Richard: Why does it hurt when the beat misses my heart? Tanz, Raum und Mode der Techno- und House Szene. In: Jürgen Zinnecker & Hans Merkens (Hg.): Jahrbuch der Jugendforschung, Opladen 2001.

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tasien unter positivem Feedback durch. Strategisches Denken, Wendigkeit, Treffsicherheit und Kraft garantieren Überlegenheit, Sicherheit und Macht. Ein interaktives Computerspiel suggeriert die Illusion der Kontrolle über die Geschehnisse. Die Archäologin Lara bringt die UserInnen in verborgene Abenteuerwelten, und sie bewegen sich damit zwischen verschiedenen Zeitebenen, ohne jedoch die Orientierung zu verlieren. Hier liegt wohl auch der Schlüssel für den Zugang und die Rezeption von Lara Croft: In Tomb Raider findet nicht nur ein müheloser Wechsel zwischen Raum und Zeit statt, sondern vor allem auch das Oszillieren zwischen den Geschlechtern. In Lara Croft vereinen sich harter Killerinstinkt mit gestyltem Pin-Up, Gewaltbereitschaft mit Fragilität. Dies wird zunächst begleitet von körperlich eindeutiger (Über-)Weiblichkeit, die ironischerweise dennoch in eine Desorientierung münden muss, da die Unerreichbarkeit dieses computeranimierten Ideals vorprogrammiert ist. Die vordergründige Eindeutigkeit wird also immer wieder durch eine vage Ironie sabotiert. Laras Charakter bleibt uneindeutig auch dadurch bedingt, dass sie als Kunstfigur nur ein spärlich ausgestattetes Charakter-Konstrukt, aber keine spezifische Persönlichkeit aufweist und somit offen ist für Projektionen aller Art. Daher sind bei Lara Croft vermarktende Nutzungen ihres Images in Clips und Werbung genauso möglich wie individuelle Lesarten, die in ihr beispielsweise einen spielerischen, digitalen Weiblichkeitsexzess oder die ironisierte Ikone einer Heldin sehen. Diese doppelt kodierte Heldin erweckt einerseits Illusion ihrer Steuerbarkeit, andererseits sugerriert sie als virtueller Charakter die Möglichkeit einer potentiellen Kommunikation, indem sie Interviews gibt und damit gleichzeitig Autonomie des Charakters vermittelt.

Medienextension Tomb Raider: Der Film Da Computerspiele, wie Georg Seeßlen bemerkt, zu den Abbildungssystemen gehören, die sich nur in Relevanz zu anderen Abbildungssystemen verstehen lassen14, muss man auch Tomb Raider im Zusammenhang mit Comics, Film oder Fernsehen betrachten. Hier steht Lara Croft durchaus in der Tradition der attraktiven Actionheldin vorausgegangener und paralleler Medien: angefangen 1932 mit der frech-frivolen Zeichentrickfigur Betty Boo und der erotischen Film-Amazone Wonder Woman 1941, dann 1968 die sexy Heldin Barbarella verkörpert von Jane Fonda, gefolgt in den 70er Jahren vom coolen Sexappeal des „Girl with a Gun“ - Emma Peel aus der TV-Serie Mit Schirm, Charme und Melone. In den 80er Jahren werden die attraktiven Heldinnen gefährlicher und tougher, wie z.B. die Polizistin im Thriller Blue Steel oder das Frauenduo im BuddyMovie Thelma und Louise. Die späten 90er Jahre hingegen mildern dies entweder durch aparte, berechenbare TV-Komissarinnen wie Lena Oden14 Vgl. Georg Seeßlen: Pacman & Co. Die Welt der Computerspiele, Hamburg 1984. 17

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thal oder durch erotisierte TV-Fantasy-Serien à la Xena ab, die auch Hauptfigur in einem Computerspiel gleichen Namens ist. Allen Heldinnen gemeinsam ist ihr Status als Kunstfigur, bei der verschiedene, durchaus ambivalente Ideale und Projektionen in künstlicher Synthese verschmelzen, was in der Körperinszenierung der Tomb Raider-Heldin evident wird. Wie fast alle Computerspiele startet auch Tomb Raider mit einer einführenden Animationssequenz, die die Handlung und das Setting veranschaulicht. Ähnlich einem Kino-Trailer wirbt die Sequenz mit spannenden Szenen und Spezialeffekten und besitzt eine quasifilmische Ästhetik. Als einen weiteren Schritt in diese Richtung entschließt sich Eidos Interactive zu einem Lara Croft-Film. Dies geschieht aufgrund des Riesenerfolgs von Tomb Raider und der Beliebtheit von Body-Doubles. Im Jahr 2000 beginnen die Dreharbeiten zu dem lange angekündigten Filmprojekt Lara Croft, in dem das Body Double Angelina Jolie die Protagonistin spielt. Da sie als Mensch den künstlichen überweiblichen Körpermaßen nicht ganz entspricht, werden die eigenen Attribute durch Plastikeinlagen ergänzt. Die körperliche Veränderung ist jedoch minimal, von Größe D zu DD - Angelina Jolies Körper entspricht bereits virtuellen Maßen.15 Das Computerspiel Tomb Raider unternimmt einen medialen Sprung auf der Ebene der Bilder, wohingegen der Film seine Geschichte in Bildern erzählt, die auf herkömmlichem Filmmaterial gedreht worden sind. Hier kann man zunächst beobachten, dass das Spiel den Sprung in die Kinos nur schafft, indem es sich auf verschiedensten Ebenen konventionalisierter Darstellungsmuster des Hollywoodfilms bedient. Die in ihrer Dramaturgie - aus filmischer Sicht gesprochen - „unrealistischen“ Darstellungsparameter der Spiele (die potentielle Unsterblichkeit in der Wiederholbarkeit des Spielgeschehens, die Non-Linearität der „Erzählhandlung“ und die auf das Erlernen von angemessen Verhaltensmustern angelegte Dramaturgie der Spiele) werden in bekannte filmische Darstellungsformen übersetzt, ohne dass die Besonderheit der Spiele dabei wirklich berücksichtigt würde. So lassen sich in Tomb Raider durchaus Anknüpfungspunkte von Film und Spiel finden, die dafür sprechen, dass der Film spieltypische Darstellungsmuster übernimmt. Lara schießt auch im Kino vorzugsweise mit ausgestreckten Armen, beherrscht ähnliche akrobatische Sprünge und ist sowohl auf dem Motorrad als auch im Jeep unterwegs. Hinzu kommt noch, dass sie im Film, wie auch in Teil II des Spiels, kurz unter der Dusche zu sehen ist. Die Erwartungshaltung, sie nackt zu sehen, wird jedoch durch die darauffolgende Einstellung, in der man den Mann sieht, enttäuscht. Der Film ist relativ deutlich in „Levels“ untergliedert und übernimmt so ein Stück weit den dramaturgischen Aufbau der Spiele. Kurze Zwischensequenzen verbinden die ansonsten heterogenen Teile. Die Szenen wechseln schnell ab, es scheint keine wirklich stringente logische narrative Ver15 In den ersten vier Wochen nach dem Kinostart des Tomb-Raider-Films konnte Eidos eine deutliche Steigerung der Nachfrage nach Lara-Croft-Spielen feststellen (Absatz seit dem 28. Juni 2001 um 65 % gestiegen). 18

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bindung zwischen ihnen zu geben. Die Orte sind vielmehr nur Schauplatz der Kämpfe oder Aufgaben, die Lara Croft erfüllen muss. Level Nummer Eins ist ein Trainingsparcours - wie auch in den Tomb Raider-Spielen. In der Eingangssequenz wird Lara von einem riesigen Roboter angegriffen, der sich als von ihrem persönlichen Technik-Genie gebastelte Kampfmaschine zu Übungszwecken entpuppt. Dann folgt die erste Zwischensequenz zur Einleitung des Plots. Lara Croft findet in einem geheimen Versteck ihres Hauses eine merkwürdige Uhr, die dort von ihrem lange verstorbenen Vater versteckt wurde. Diese Uhr ist der Schlüssel zu einem uralten Artefakt, das unglaubliche Kräfte in sich birgt. Auch die Illuminaten sind auf der Jagd danach, um hiermit die Weltherrschaft an sich zu reißen. Die Zeit drängt, denn die komplizierte Prozedur mit mysteriösen Gerätschaften funktioniert nur alle 5000 Jahre, wenn alle Planeten des Sonnensystems auf einer Linie stehen. In Level 2 zerstören die Ganoven das Croft'sche Anwesen beim Versuch, die besagte Uhr zu stehlen, und anschließend geht es, wie sich das für einen Grabräuber gehört, rund um die Welt. Lara muss sich hier gegen eine immense Übermacht von Sondereinsatzgruppen behaupten. Die weiteren Level spielen in Kambodscha, Tibet und Island. Überall finden sich versteckte Hebel, Türen, Hinweise und immer wieder „Gadgets“, die Lara Croft helfen, im aktuellen Level weiterzukommen oder ins nächste aufzusteigen. Auch dies scheinen Elemente zu sein, die ähnlich im Spiel auftauchen und an den Schauplätzen entdeckt werden müssen: ein Schlüssel, um ein Tor zu öffnen, ein Glocke, die geläutet werden muss, um weiterzukommen oder ein Kräutertee, der ihr in einem tibetanischen Kloster als „Medipack“ verabreicht wird. Diese Dramaturgie ist aber nicht unbedingt allein charakteristisch für Computerspiele. Die meisten Beispiele lassen sich auch an Filmen der James Bond- oder der Indiana Jones-Reihe aufzeigen. Die rekursive Struktur aus narrativer Sequenz, Actionszene und Rätselaufgabe der Spiele entspricht auf verblüffende Weise dem modernen „Hollywood Attraktionskino“, welches die Spieleindustrie bereits nachhaltig beeinflusst hat. Wenn sich ein Hollywoodfilm des Computers als Bilderlieferant bedient und die scheinbaren Merkmale eines Computerspiels erfüllt - schnelle Schnitte, rasante Actionszenen, levelartige Schauplatzdramaturgie - wird er schnell als Videospiel im Kinoformat bezeichnet. Das Missverständnis entsteht durch die Gleichung: digitale Effekte plus Action gleich Computerspieladaption. Dass neben der Interaktivität aber gerade eine spezielle Ästhetik der synthetischen Bildwelt der Spiele zu den wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen zwischen Computer und Film gehört, wird hingegen bisher wenig berücksichtigt.

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So bewegt sich auch James Bond zwischen immer verschiedenen Spielorten, die zunächst einmal nichts miteinander zu tun haben, unverbunden inszeniert werden (gerade noch in Venedig, in der nächsten Einstellung schon in Rio) und die als Orte deshalb gewählt worden sind, weil sie einen großartigen Schauplatz abgeben (in Rio ist immer Karneval, in Venedig rauschen die Gondeln über die Kanäle). Es sind dabei zwei Sachverhalte, derer man sich dabei immer sicher sein kann: 1. neuer Ort = neue Frau und 2. neuer Ort = neuer, spektakulärerer Mordanschlag auf Bond, neue Action, neue Schießereien. So funktioniert James Bond auf der dramaturgischen Ebene durch die Inszenierung von „sich-selbst-genügenden“ Orten, die nicht unbedingt nur „Orte der Handlung“ sind. In Bezug auf diesen Sachverhalt sieht Tomb Raider einem Computerspiel sogar fast unähnlicher als die James Bond-Reihe. Tomb Raider bindet seine Orte im Vergleich stärker in die Narration und in eine „Chronologie“ des Handelns und der Motivationen ein. Damit schwächt der Film den Eindruck der Losgelöstheit von jeglichem „Sinn“ ab, die die Levels z.B. im Spiel haben. So reichen die oberflächlich an der Spieleästhetik orientierten Merkmale des Films nicht aus, um Tomb Raider einen computerspielähnlichen Charakter attestieren zu können. Vielmehr muss ein Film mit Hilfe seiner Konstruktion einen Freiraum für das Material erzeugen. Genau das aber unternimmt Tomb Raider nicht. Hier wird aus einem Spiel ein Film gemacht, der versucht - wenn auch mit episodischer und dennoch stringenter Narration - ein Höchstmaß an Realismus aus seinen Bildern heraus zu evozieren. Das Ziel vieler 3D-Computerspiele - einen möglichst großen Realitätseffekt zu erreichen - wird hier durch den Medienwechsel in konventionalisierten Bildern vollendet. Insgesamt verfolgt der Film so die Strategie, in Farbgebung und Licht filmisch-realistisch zu wirken. Vergleicht man die Landschaftsaufnahmen des Films z.B. mit denen aus „Mumie II“ - der mit digitalen Bildern arbeitet, bei ähnlicher „Thematik“ (archäologische Geheimnisse in fremden Ländern, viel Action und das Ende der Welt droht durch ein archäologisches Artefakt) - so kann man feststellen, dass Tomb Raider eher versucht, die künstliche Computerwelt des Spiels in einen Look zu kleiden, der die Materialität des photographischen Films betont, während die Mumie die Künstlichkeit der Bilder regelrecht feiert. Eine weitere wesentliche Konzession von Tomb Raider an die narrativen Strukturen des Hollywood-Films scheint auch die Einbindung der Protagonistin Lara Croft in ein soziales Setting zu sein, welches ihre Autonomie im Vergleich zum Spiel in Frage zu stellen scheint. Hatte ihr Vater sie im Computerspiel noch enterbt, weil sie sich der Tradition nicht beugen wollte, inszeniert der Film eine überstarke Vaterbindung Lara Crofts, die sie einerseits zur Vollstreckerin väterlicher Planungen regredieren lässt. Im Spiel erschien Lara auch als Rebellin gegen überkommene Werte, nun be-

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wahrt sie die Tradition fügsam, indem sie den väterlichen Auftrag vollendet.16 In ähnlicher Weise stellt der Plot Lara Croft auch einen konkurrierenden Archäologen zur Seite, zu dem sie sich andeutungsweise auf mehr als freundschaftlicher Basis hingezogen fühlt. Sex allerdings ist für Lara Croft tabu (im Gegensatz zum oben erwähnten James Bond). Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass Lara zwar in Beziehung zu Männern gesetzt wird, andere Frauen im Film allerdings überhaupt keine Rolle spielen. Lara Croft ist so Teil einer durchweg von Männern dominierten Welt. Auch aufgrund der vollkommen abwesenden Mutter ist ihre deutlich in Szene gesetzte Vateridentifizierung umso einprägsamer. Lara Croft ist jedoch nicht als „realistische“ Figur inszeniert, denn gerade über die Zurschaustellung ihres Körpers bricht der Film aus dem Realismuskonzept konventionalisierter Darstellungsstrategien aus und offenbart die offensive Künstlichkeit ihres Charakters. Im Gegensatz zur als möglichst realistisch konzipierten Aki aus „Final Fantasy“ ist Lara Croft in ihrem Phänotyp vom Medienwechsel scheinbar unberührt geblieben. Ihre Brüste sind ähnlich künstlich wie im Spiel und besonders bei ihren Lippen stellt man sich durchgängig die Frage nach deren Urheberschaft. Lara Croft ist in der offensiven Künstlichkeit ihrer sexuellen Merkmale immer wieder Störfaktor der Realismus evozierenden Filmbilder. Gegen Ende des Films wird Lara Croft, um endlich ihrem Vater zu genügen, in ein mädchenhaftes Kleidchen gesteckt, in dem sie wie ein unschuldiges Mädchen zum Grabmal ihres Vaters laufen muss. Im Gegensatz zu den erotischen Versprechungen, die von Lara im Abendkleid oder unter der Dusche ausgehen - die genauso wenig zu der Abenteurerin Croft zu passen zu scheinen wie das Kleidchen hier und deshalb auch niemals eingelöst werden - wirkt die als Mädchen verkleidete Lara Croft lächerlich. Diese Szene wird jedoch ironisiert durch einen Schwarm umherflatternder Schmetterlinge, die beinahe zur Farbe des Kleides passen. Die Ironie und das Durchbrechen des gängigen Frauenbilds wird besonders deutlich in der Folgeszene, wenn der Butler Lara ein abgedecktes Silbertablett reicht, unter dessen Tuch sich zwei Pistolen befinden, die Lara auch gleich ergreift und in spieltypischer Pose abschießt. Ansonsten scheint es, als ob der Körper Lara Crofts sich förmlich gegen die Art von Besetzung durch Narration zu Wehr setzt. „Das Kostüm“ als solches scheint die Funktion zu haben, Lara Croft als überlegene, jeglichem Realismus strotzende Figur zu zeigen. Während sich die begleitenden Herren im ewigen Eis Sibiriens in dickste Pelzjacken einhüllen, trägt Lara nach wie vor ein körperbetontes Outfit aus dünnen Stoffen, denn niedrige Temperaturen können ihrem Körper nichts anhaben. Sieht man also von der oben ausgeführten Konzession an den Kulturbetrieb ab, so bleibt eine Protagonistin, welche ihren ähnlichen Gegen16 Zu allem Überfluss wurde die Rolle des Vaters noch mit Jon Voight besetzt, dem Vater von Hauptdarstellerin Angelina Jolie. 21

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spielern fraglos überlegen ist. Es ist, als ob eine virtuelle Figur in eine reale Umgebung versetzt wurde: Lara Croft ist Roger Rabbit17. Als Kunstfigur „im Realen“ ist Lara in der Verfilmung von Tomb Raider nahezu unverwundbar, wie auch die Toons in „Who framed Roger Rabbit“.18

17 Who Framed Roger Rabbit (1988). Regie: Robert Zemeckis. 18 Zizek benutzt hier für die Analyse des Zeichentrickfilms die Bezeichnung des sublimen Körpers, den er von de Sade ableitet. Vgl. Slavoj Zizek: Liebe dein Symptom wie dich selbst. In: Liebe dein Symptom wie dich selbst, Berlin 1991. 22

I. Mediensprünge & Bildnachbarschaften

I. Mediensprünge & Bildnachbarschaften Die künstlichen Heldinnen im Symboluniversum von Comic, Kino und PC-Spiel Im Lauf der vergangenen Jahre sind computergenerierte Spiele zu einem selbstverständlichen und populären Teil der Alltagskultur geworden, dessen virtuelle Realitäten sowohl zu anderen kulturellen als auch zu anderen sozialen Feldern zahlreiche Schnittstellen aufweisen. Die prototypische Interpretation des Spiels und des Films Tomb Raider hat sowohl die Verflochtenheit von Film und Computerspiel als auch die medienstrukturellen Differenzen verdeutlicht. Computerspiele haben ihre medialen Vorläufer, auf die sie sich beziehen und die sie selbst wiederum beeinflussen. Ihre Bilder besitzen damit eine ästhetische Geschichte, die ständig weiter produziert und fortgesetzt wird. Die Computerspiele-Heldinnen stehen in der Bildtradition der Actionheldinnen aus Comic, Film und Fernsehen. Allen Heldinnen gemeinsam ist der Status einer Kunstfigur, bei der verschiedene, durchaus ambivalente Ideale und Projektionen in fiktionaler Synthese verschmelzen.1 Es folgt ein kurzer Streifzug durch die Geschichte der fiktiven Heldinnen der Massenmedien Comic, TV und Film, welche anhand exemplarischer Frauenfiguren erläutert wird.

Comic In den Comics lassen sich zahlreiche Vorläuferinnen der virtuellen Heldinnen finden: Den Anfang bildete 1932 die Zeichentrickfigur Betty Boo, 1934 gefolgt von den bösen Gegnerinnen in Flash Gordon. Die mythischen Eigenschaften der erotischen Amazone Wonder Woman - bereits übermenschliche Schönheit, Klugheit, Schnelligkeit und Stärke in sich vereinend - wurden 1941 folgendermaßen angekündigt: „As lovely as Aphrodite - as wise as Athena - with the speed of Mercury and the strength of Hercules - she is known only as Wonder Woman.“2 Die attraktive Superheldin Batwoman begleitete Batman seit 1956, in den 60er Jahren kamen die laszive und optisch makellose Barbarella (1964) und die düster-erotische, Männern das Blut aussaugende Vampirella (1969) hinzu. Comic-Heldinnen neueren Datums sind, ebenso wie ihre männlichen Pendants, bis an die Zähne bewaffnet und betonen durch ihren gestählten, gepanzerten Körper ihre Gefährlichkeit und aggressive Stärke. Ein Beispiel für solche athletischen Heldinnen ist die Comicfigur Xena, 1 2

Vgl. Birgit Richard: 9-11. World Trade Center. Image Complex + „Shifting Image”. In: Kunstforum. Band 164, März - Mai 2003, S. 36. Maurice Horn: Women in the Comics, New York/London 1980, S. 130. 23

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eine derb erotisierte Kriegerprinzessin. Seit September 1998 erscheinen monatlich die Abenteuer der starken Amazone, die, mit Hilfe ihrer Freundin Gabrielle, Monster und Bösewichte besiegt und für Frieden auf Erden sorgt. Scott Bukatman bezeichnet derartige Comic-Heldinnen als phallische Frauen und sieht sie in einer Linie mit den männlichen Heroen, mit Abenteurern, die mutig, durchtrainiert und eigenmächtig die Welt nach Gefahren absuchen. Die völlig offensichtliche körperliche Übersexualisierung der populären Heldinnen ruft in Bukatman Spott hervor: „Hypermasculine fantasy is also revealed, with unabashed obviousness, in approach to female superhereos. The spectacle of the female body in these titles is so insistent, and the fetishism of breasts, thighs, and hair so complete [...]. Of couse these women represent simple adolescent masturbatory fantasies (with the healthy taste of the dominatrix).“ 3

Computerspiele und Kino Videospiele, die den Medienwechsel auf die Kinoleinwand vollziehen, sind zum Beispiel „Super Mario Bros“ (USA 1993), „Street Fighter“ (USA 1994) und „Mortal Kombat“ (USA 1995). Sie basieren auf Spielen, die für die ersten Gamekonsolen entwickelt wurden und deren Grafik aus dementsprechend einfachen Algorithmen aufgebaut worden war (zu nennen wäre in diesem Zusammenhang auch noch „Wing Commander“ von 1999, das auf dem gleichnamigen Spiel aus dem Jahre 1990 basiert). Die Filme zum Spiel konnten die Faszination, welche vor allem über die Interaktivität der Spielewelten erzeugt wurde, nicht adäquat auf das Medium Film übertragen. Die aktuellen Spiele arbeiten mit immer komplexeren Grafiken, und fast jedes Videospiel für eine der neueren Konsolen (Playstation 2, Dreamcast, Gamecube und X-Box) wird wie ein Kinofilm, mit ähnlich großen Budgets, inszeniert.4 Der Film „Dungeons & Dragons“ (USA/CZ 2000) - basierend auf einem Spiel, das seit den siebziger Jahren in verschiedenen Versionen von insgesamt 25 Millionen Fans gekauft wurde und dessen Prinzipien und Ideen das gesamte Genre der Rollenspiele geprägt hat - war der erste einer ganzen Reihe von Filmen, die seit 2000 in die Kinos gekommen sind. In dieser Kategorie ist der Film „Lara Croft“ (USA 2001) der bisher erfolgreichste Kinofilm, wohingegen „Final Fantasy“ (USA/JAP 2001), mit 3 4

Scott Bukatman: X-Bodies. The torment of the mutant superhero. In: Rodney Sappington & Tyler Stallings (Hg.): Uncontrollable Bodies. Testimonies of Identity and Culture, Seattle 1996, S. 112. Die Gesamtumsätze der Videospielindustrie reichen inzwischen an die der Kinowirtschaft heran. Es sind diese hohen Verkaufszahlen, die in Hollywood zu Beginn dieses Jahrzehnts eine neue Generation von Spieleverfilmungen mit großen Produktionsbudgets nach sich gezogen haben. 24

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einem Budget von 150 Mio Dollar, vollanimierten, virtuellen Schauspielern und photorealistischen Bildwelten an der Kinokasse floppte. Ebenso werden der auf dem Spiel „Tekken“ basierende Film „The Legend of Tekken“ (Honkong 2001) und „Resident Evil“ (D/USA/GB 2002), in den Kinos gezeigt. Des Weiteren können auch die Filme „Alice“ (USA 2003, basierend auf dem Spiel „American McGee´s Alice“ unter der Regie von Wes Craven), wie auch „Duke Nukem: The Movie“, die für das Kino geplant sind, genannt werden. Zudem erwarb die französische Firma Le Studio CanalPlus die Rechte an dem Konami-Spiel „Nightmare Creatures“, das im London des 17. Jahrhunderts spielt und in der Handlung das alte Frankensteinmotiv multipliziert. Auch „The House Of The Dead“, ein Zombie-Shooter der Dreamcast-Konsole, soll von Regisseur Jesse Dylan nach einem Drehbuch von Mark Verheiden im Herbst abgedreht werden - ebenso das Horrorspiel „Clock Tower“. Die filmischen Versuche, die am Schnittpunkt beider Medien anzusiedeln sind, waren an der ästhetischen Qualität der Bildwelten der Spiele bisher meist wenig interessiert. Es wurden vielmehr Filmadaptionen einzelner Videospiele in die Kinos gebracht, die sich nicht durch besondere Bildwelten, sondern meist vor allem durch die Einfachheit ihrer Erzählung auszeichneten. Der Transfer von einem Medium in das andere verlief also genau da, wo sich Spiele und Film am meisten unterscheiden: auf der Ebene der Narration - obwohl bei den meisten Spiele die Erzählhandlung sekundär bleibt und der Schwerpunkt auf „Aktion und Reaktion“ gesetzt wird. Neben dieser Form von Interaktivität, die sportliche Fähigkeiten anspricht, ist es aber auch gerade die spezielle Ästhetik der synthetischen Bildwelt der Spiele, die einen Teil der Faszination der Spiele ausmacht. Die Spielhandlung tritt eher in den Hintergrund, beschränkt sie sich doch schon deshalb selbst, weil das Spiel auf mehrfaches Spielen ausgelegt ist. So gibt es Trailer und Einstiegssequenzen, um auf die nächste Spielsituation einzustimmen, wobei der Erzählbogen im Computerspiel als Bindeglied zwischen den einzelnen Stationen, den „levels“ zu verstehen ist. Der Flashback gilt als ein entscheidendes Spielprinzip, der in Form einer Rückschau stattfindet, wobei Spiele dadurch nicht nur auf einer Ebene, z.B. in der Gegenwart, angesiedelt sind, sondern es mehrere Zeitebenen gibt. Diese verschiedenen Zeitebenen sind durch Tunnelfahrten zwischen „Realität“ und Traum verbunden, wobei es sich um spezifische digitale optische Kategorien handelt, welche die Immersion der Spielenden verstärken soll.5 Der Beginn der Games und der Level wird häufig als ein Eindringen in den unbekannten dreidimensionalen Raum des Spielsettings durch ein symbolisches Durchstoßen der zweidimensionalen Bildebene, in eine vermeintliche Tiefe hinein, inszeniert. Die Grenzüberschreitung, bei der ein bisher Unsichtbares visuell konstruiert werden soll, beschreibt die Bewe5

Solche Tunnelfahrten können zum Beispiel der Sturz durch das Loch in die unterirdische Welt oder die Fahrt auf einer Lore durch Stollen sein. 25

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gung des Kamerapunktes in die Tiefe des eröffneten Bildes wie in einen Tunnel hinein.6 Die Unterschiede zum Film werden deutlich: Als narratives Medium beherrscht beim klassischen Hollywoodfilm der Plot die Bilder. So werden die Erwartungen, die an das Medium Film gestellt werden, indem man die Computerspiele auf der Ebene der nicht vorhandenen Narration adaptiert, natürlich nicht erfüllt. Dies auch deshalb, weil die ordentlich in gut und böse geteilte Welt der Spiele auf der Leinwand bloß verdoppelt wird und die Protagonisten zu flachen, auf wenige Eigenschaften reduzierte Figuren werden und dem Ganzen bunte Bilder und rasante Schnitte hinzufügt werden. Auch auf der Ebene der Interaktivität, die die Welt der Computerspiele bestimmt, ist es bisher nicht gelungen, Anknüpfungspunkte zu finden, welche die Welten der Spiele für die Leinwand nutzbar machen - obwohl die Interaktivität im Vergleich zum Film immer wieder Ausgangspunkt gerade von theoretischen Arbeiten über Schnittpunkt der beiden Medien ist. Weit spannender ist jedoch die Frage, inwieweit der Einsatz von digitalen Technologien gerade im Zusammenhang mit Verfilmungen von Videospielvorlagen die Ästhetik der Filme verändert und/oder einen Einfluß der Spiele auf das Kino erkennen lässt.7

Digitale Technologien im Film Digitale Technologie kam erstmals in George Lucas Star Wars (1977) zum Einsatz. Mit Hilfe des Computers entstanden für Star Wars „bis dato nie gesehene“ Bilder von „rasenden Fahrten in die Tiefen des Raumes“, die oftmals als „traumhaft realistisch“ beschrieben wurden. Mit Hilfe des „motion control“ genannten Verfahrens wurde es erstmals möglich, Modelle in die Erzeugung perspektivischer Raumgeometrien miteinzubeziehen. Im Zuge dessen wurde der Computer für das Science Fiction Kino, als Maschine, die Bilder produziert, interessant. In der Diskussion um das digitale Bild fällt oftmals der Begriff der Referenzlosigkeit: Im Unterschied zum Bild der Kamera ist das digitale Bild synthetisch, da es keine Aufzeichnung einer Sache darstellt, die in einer chemischen Reaktion eine optische Spur auf einem Trägermaterial hinterlassen hat. Das digitale Bild ist vielmehr eine durch Algorithmen formalisierte Beschreibung, die das Reale nicht mehr repräsentiert, sondern es si6 7

Vgl. Claudia Reiche: Anatomie eines UFOs. http://www.obn.org/people/Reiche/Anatomie_eines_UFOs.html Die Zukunft des Films und die Überwindung seiner immerwährend konstatierten Krise wird nicht von wenigen Autoren in der von den Computerspielen entlehnten möglichen zukünftigen Interaktivität des Kinos gesehen. Der gegenwärtige Stand erlaubt allerdings bestenfalls Spekulationen über ein solches neues Hybridmedium. Die Interaktivität in den wenigen Kinofilmen in der Nachfolge von „I am your man“ (1992) beschränkt sich auf Knöpfedrücken und trägt so bestenfalls Demokratie im Format der Popkultur in das Kino, indem es den Fortgang der Handlung nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden lässt. Die Frage ist in jedem Fall, ob sich die Rezeptionsweise des Kinos mit Interaktivität zusammen bringen lässt. 26

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muliert. Da dem synthetischen Bild kein Gegenstand mehr vorangeht, sondern ein Modell von Realität, dessen Parameter sich immer aufs Neue bestimmen lassen, wird die Loslösung vom „Index der Realität“ angenommen. Die ontologische Unterscheidung zwischen digitalem Bild und fotografischem Bild knüpft dabei an ein Verständnis des Wirklichkeitsbezuges an, wie Kracauer und Bazin es vertreten haben. Die kleinsten Einheiten des digitalen Bildes - die Pixel - werden als referenzlos beschrieben, da ihre Eigenschaften lediglich im binären Code des Computers beschrieben seien keiner Analogie gehorchend, sondern nur dem Programmierer, der sie unabhängig voneinander bearbeiten kann. Als Beispiel werden hierzu oft frühe Computerspiele herangezogen, welche mit abstrakten Bildwelten operieren, was zunächst mehr ein Zwang als eine Entscheidung war (die Rechnerleistungen ermöglichten nichts anderes). Winzige Formate, grafische Reduktion auf einfache Linien und Farbflächen, diskrete Bewegungen und Schleifen bestimmten Computergraphiken in ihren Anfängen. So entstand mit dieser hybriden Bildsprache eine eigene Bildwelt des Computers, welche in Computerspielen weiterhin anzutreffen ist. Die Bilder so genannter „Adventures-Games“ oder „Fantasy-Games“ sind denen von Action-Film oder Science Fiction ähnlich, doch im Gegensatz zu den Rechnerleistungen der Special-Effect-Firmen im Kinobereich ist die des Homecomputers immer noch relativ gering. So werden Adventurespiele zwar inzwischen in Echtzeit gespielt, der Spieler kann virtuelle Räume in drei Dimensionen erkunden, und teilweise erreichen die Computerbilder schon einen großen Realismus, aber trotz allem ist der Bildaufbau der Spiele durch leicht zu berechnende Formen gekennzeichnet. Spiele versuchen mit wachsender Rechnerleistung immer „realistischer“ zu wirken, jedoch sind die Bilder im Bereich des Homecomputers und der Spielkonsole noch vom Fotografischen entfernt. Dadurch schaffen Bilder von Computerspielen eine eigene Ästhetik, deren Bildwelten als synthetisch gekennzeichnet sind. Ist ein synthetisches Bild allerdings entsprechend realistischer Abbildungs- und Wahrnehmungskonventionen errechnet worden, kann es von einem fotografischen Bild nicht mehr unterschieden werden. Die ontologische Differenz von digitalem und indexalischem Bild wird damit dort problematisch, wo die Herkunft der Bilder auf der phänotypischen Ebene nicht mehr zu erkennen ist. Gerade im Hollywoodkino zeigt sich ein entsprechender Einsatz digitaler Technologien.

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Reality Check: Realitäts- und Künstlichkeitseffekte in Spiel und Film Mit dem Einsatz von digitalen Bildern im Film verschwimmen mehr und mehr die Grenzen zwischen fotografischen und synthetischen Bildern, so dass eine neue Klasse von Bildern entsteht, deren Herkunft nicht mehr zu erkennen ist. Es ist festzustellen, dass digitale Technologien vor allem dazu verwendet und werden, um analoge Verfahren kostengünstig zu ersetzen oder „special effects“ realistischer zu gestalten. Sie machen sich dabei die Eigenschaft der potentiellen Ununterscheidbarkeit von fotografischem und digitalem Bild zunutze, und verstärken somit den optischen Realismus des Mediums Film, den so genannten Realitätseffekt. Der Computer wird hier also genutzt, um die digitale Arbeit unsichtbar zu machen. Auf diese Weise bleibt der computergenerierte Anteil des Kinos, am Beispiel des großen kommerziellen Erfolgs „Titanic“ (1997), geradezu vollkommen verborgen, obwohl die Kombination von digitalen und analogen Bildern in der Geschichte des Films bis dahin nie intensiver betrieben wurde - das Ergebnis ist eine neue Art des Realismus. Die Bilder des Films behaupten auf der phänomenalen Ebene weiterhin Indexalität, obgleich sie keine Referenz mehr auf eine vorfilmische Wirklichkeit aufweisen. Die nicht unerhebliche Frage, ob die Bilder „indexalisch“ oder „synthetisch“ sind, ist in diesem Zusammenhang unentscheidbar geworden. Im fertigen Film ist der Ursprung der Bilder nicht mehr zu erkennen und die Bildwelten transportieren untergründig den Mythos des „Widerscheins von verité“8 - des Photographischen gegenüber dem Digitalen. Das Filmen der materiellen Wirklichkeit ist aus dieser Perspektive nur noch eine Möglichkeit unter anderen Konstruktionen, um „Realität“ auf der Leinwand für die Zuschauer zu erzeugen. Lev Manovich geht sogar so weit, die Vorstellung des Kamerablicks, der sich durch die Wirklichkeit bewegt, auf den Kopf zu stellen: Nach seiner Interpretation ist es für den Realitätseindruck der Bilder völlig unerheblich, ob sie aus dem Filmischen entspringen und sich eine reale Kamera durch die Wirklichkeit bewegt hat oder ob die Bewegung des Raumes synthetisch im Computer erzeugt wurde.9 Wenn aber die Arbeit des Computers auf diese Weise durch den Einsatz realistischer Konventionen unsichtbar gemacht wird, kann die Besonderheit synthetischer Bildwelten nicht zum Thema gemacht werden. Damit geht ein wichtiges Wesensmerkmal der Spiele im Realismusanspruch verloren. Die Besonderheit der computergenerierten Welten kann nur über die Ästhetik der Filme ausgestellt werden, wenn die Künstlichkeit der Bildwelten inszeniert wird. Sollen Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen visuell thematisiert werden, müssen Bilder eingesetzt werden, um den Computer als Ur8 9

André Bazin: What Is Cinema? 2 vols, essays selected and translated by Hugh Gray, Berkeley, 1967. Vgl. Lev Manovich: The Language of New Media. In: Roger F. Malina Leonardo (Hg.) The MIT Press, Cambridge 2001, S. 354. 28

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sprung der Bildwelten sichtbar zu machen. Hier deutet sich eine wichtige Voraussetzung für die weiblichen Heldinnen an, denn es ist wichtig, die Künstlichkeit und das Gemachtsein zu betonen, welches wiederum daraufhinweist, dass die körperliche Einschreibung gestaltbar und veränderlich ist. Der Eindruck einer Künstlichkeit, welcher in den synthetischen Welten der Computerspiele seine Entsprechung findet, kann auf mehrere Arten erzeugt werden: Es können zum Beispiel kamerabasierte, „realistische“ Aufnahmen mit Verfremdungseffekten versehen werden, um sie konstruiert und künstlich erscheinen zu lassen, die Verfremdung kann aber auch auf der Ebene der Schauspielführung, des Kostüms, der Ausstattung sowie der digitalen Bearbeitung der Filmbilder in der Postproduktion geschehen.

Filmbeispiel: Final Fantasy Die Vorlage des Films bildet das inzwischen elfteilige Computerspielsequel „Final Fantasy“, welches seit langem Marktführer der interaktiven Rollenspiele ist. Der erste Teil der Serie kam 1987 auf den Markt und avancierte zu einem der beliebtesten Spiele in seinem Genre, wobei weltweit insgesamt mehr als 33 Millionen Einheiten verkauft wurden. Jeder Teil der Serie ist als unabhängiges Spiel in Szene gesetzt - mit neuen Figuren und Storylines, die eine eigenständige Geschichte erzählen; die Handlung der SpieleSequels wurde dann schließlich auf der Leinwand fortgesetzt. Jeder Teil der „Final Fantasy“-Spielserie untermauert seinen meist einfachen Plot mit „großen“ Themen wie Liebe, Freundschaft, Träumen, epischen Abenteuern, Tod - und all das mit spirituellem Hintergrund. Der Film bewegt sich auf dem gleichen Terrain und präsentiert eine neue Geschichte mit einem neuen Figuren-Ensemble. Die Hauptperson im Film ist die Wissenschaftlerin und Ärztin Aki Ross, die mit Hilfe ihres Mentors Dr. Sid und einer militärischen Eliteeinheit versucht, die Erde vor der endgültigen Zerstörung durch Invasoren aus dem All zu schützen. Das gleiche Ziel verfolgt auch General Hein, der allerdings Aki und Dr. Sid aufgrund ihrer esoterischen Rettungsmethode für Verräter hält. „Final Fantasy - Die Mächte in dir“ ist technisch außergewöhnlich: Es ist ein Kinofilm in voller Spielfilmlänge, der ausschließlich mit computergenerierten Bildern arbeitet. Er ist so nicht nur als Medienwechsel eines Computerspiels auf die Kinoleinwand interessant, sondern ist darüberhinaus der erste Film in der Geschichte des Kinos, der mit Hilfe des Computers photorealistische „menschliche“ Schauspieler kreiert, wobei der virtuelle Star des Films ein weiblicher Charakter namens Aki ist. „Final Fantasy“ zeigt virtuelle Welten, die in ihrem Photorealismus in Spielen und auf der Leinwand bisher keine Entsprechung finden. Die Künstlichkeit der Bilder durch ihre Herkunft aus dem Computer bleibt jedoch erkennbar und somit bezieht der Film einen Großteil seiner Spannung gerade aus dieser „Unzulänglichkeit“: Die Schaulust der Zuschauer

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sucht in den Bildern des Films immer wieder nach der perfekten Illusion von Realität, welche an einigen Stellen jedoch fast eingelöst wird. Der Film arbeitet auf verschiedenen Ebenen, um dies zu erreichen. Geschichte und Figurenkonstellationen folgen gewissen stereotypen Merkmalen des Hollywoodfilms; auf der Ebene der Dramaturgie nutzt „Final Fantasy“ konventionalisierte Kino-Momente, um den Realismus des Films zu stützen - Gut und Böse sind durch die Ausstattung der Figuren sofort zu erkennen. Es gibt bekannt anmutende Actionszenen und exotische Schauplätze, Science Fiction-Mythen und schließlich eine Liebesgeschichte. Die virtuellen Protagonisten um die zarte Wissenschaftlerin Aki setzen sich aus den prototypischen Charakteren der „Weltrettungsfilme“ Hollywoods zusammen: der ehemalige Beziehungspartner, der trottelige Sprücheklopfer, der bullige aber freundliche Ich-hau-dich-hier-raus-Typ und der spröde, kämpferische, aber herzensgute weibliche Gegenpart zur Hauptfigur. Dazu gesellt sich der weise, alternde Wissenschaftler, dem ein verblendet-brutaler General gegenübergestellt wird, der die Katastrophe ins Rollen bringt. Diese bekannten Figurenkonstellationen, die Haltungen und Handlungen der virtuellen Charaktere, die alle leicht vorhersehbar sind, erfüllen in ihrer Stereotypie die Funktion eines ersten Realitätseffektes. Wie „Armageddon“ oder „Independence Day“ spult das Drehbuch hier einen akzeptierten Formenkanon des Hollywoodfilms ab - die auf dem Computer errechneten Szenarien sind auf Wiedererkennung ausgelegt. Auch wenn die Bilder synthetisch bleiben, evoziert die Dramaturgie des Films so einen Realitätseffekt, der auf Konventionen des Science Fiction-Kinos rekurriert. Durch die Fast-Perfektion der virtuellen Schauspieler vergisst man so zuweilen, dass hier keine Menschen, sondern lediglich Algorithmen agieren. Auch auf der Ebene der Bilder lässt sich diese Strategie aufzeigen, denn es werden vorwiegend solche eingesetzt, die Photorealismus evozieren, indem sie die physikalischen Voraussetzungen und Besonderheiten des photographischen Bildes simulieren. Dies zeigt sich besondes deutlich am Einsatz von Tiefenschärfe, welche typisch für Objektive und Linsen ist, die sowohl in der Fotografie als auch im Film diese charakteristische Eigenschaft des Bildaufbaus liefern. Besonders eindrücklich lässt sich der Rückgriff auf filmische Darstellungskonventionen zur Stützung des Realitätseffekts auch an der wieder aufflammenden Liebesgeschichte zwischen der Protagonistin Aki und ihrem ehemaligen Liebhaber aufzeigen. Gegen Ende des Films kommt es zu einer Kussszene zwischen den beiden, die neben der Frage, ob virtuelle Stars überhaupt fähig sind, Liebesszenen zu spielen, vor allem einen Eindruck hinterlässt: Das Kino der 50er Jahre ist zurück, die scheuen Küsse der Schauspieler, Lippen, die sich vor der Kamera nur streifen dürfen und eine Kamera, die nach einer kurzen Fahrt um das Paar herum einen verschämten Schwenk zum Fenster hin unternimmt. Den virtuellen Schauspielern in diesem Zusammenhang Gefühlskälte und Eindimensionalität im Ausdruck vorzuwerfen, scheint verfehlt. Es ist vielmehr die Konvention

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eines „Kinos der Schamhaftigkeit“, wie es im Hollywood der Nachkriegsjahre oder der frühen neunziger Jahre in den Zeiten von AIDS die Regel war, das hier reproduziert wird. In jeder Hinsicht zeigt der Film hier also ein Begehren, das virtuell bleiben muss. Ein weiterer Realitätseffekt lässt sich an der Hauptdarstellerin selbst aufweisen. Im Gegensatz zu der Filmfigur Lara Croft ist sie in gewisser Hinsicht keine auffällig künstliche weibliche Figur. Sie ist keine Ikone mit ausgestellten Brüsten, Wespentaille und breiten Hüften, sondern ihre Erscheinung ist eher als Idealtypus einer „Kindfrau“ angelegt, jedoch nach Maßgabe des goldenen Schnitts bekannter Fotomodels: Ihr Körper ist schmal gebaut, auch ihre Brüste sind im Vergleich zu Lara Crofts eher klein. Sie ist wie Lara Croft zwar auch Wissenschaftlerin, vertritt aber einen ganz anderen Typ Frau: Sie kleidet sich nicht offensiv, ihre weiblichen Formen betonend, sondern eher zurückhaltend elegant, fast langweilig. Sie trägt in einer Szene beispielsweise ein graues Kostüm im Business-Stil, in dem zwar ihre langen dünnen Beine zur Geltung kommen, das jedoch ansonsten ihren Körper fast entsexualisiert. Sie wirkt kindlich, makellos, unauffällig und doch schön, geheimnisvoll, passiv in der Kleidung, aber doch selbstbewusst und erfolgreich. Sie ist in ihrer Konzeption als die perfekte Verkörperung dieses kindlichen Frauentyps zwar ebenso hochgradig künstlich wie Lara Croft, repräsentiert aber etwas, was man vorsichtig mit dem Eindruck von „Natürlichkeit“ beschreiben kann. Im Gegensatz zu dem Phänotyp Lara Crofts, der die Künstlichkeit der Körperformen offensiv ausstellt, fungiert Akis inszenierte Natürlichkeit auf diese Weise als Realitätseffekt. In einer durch und durch synthetischen Umgebung ist die Figur des Charakters Aki ebenfalls daraufhin konzipiert, die Illusion des Realitätseindrucks zu stützen. Der Film will vergessen machen, dass er seine Geschichte ausschließlich in computergenerierten Bildern erzählt.10 Zurück zu den Spielen und zu ihrer Anknüpfung an filmische Strukturen: Die Ebene der Narration ist wenig geeignet für die Charakterisie10 Das Gesicht von Aki wurde zunächst von einem Künstler dreidimensional geformt. Danach wurde es als Drahtgittermodell gerendert, indem ein dreidimensionales Drahtgitter über eine Zeichung der Figur gelegt wurde. Dieses Drahtgitter dient als Skelett der Figur und erlaubt den Animatoren, ihr lebensechte Bewegungen und Formen zuzuweisen. Der Stift in Akis Kopf ist ihr eigentliches „Rückgrat“, das echte Knochen simuliert und sich wie echte Knochen bewegt. Im weiteren Verlauf der Prozedur wurde Haut über das Modell gelegt. Das Ergebnis: der so genannte „shaded mode“. Im dritten Schritt wurden Ausleuchtung, Oberflächenstrukturen, Schattierungen, Reflektionen in den Augen, Mängel und weitere Details eingefügt. Sommersprossen, Poren und andere Einzelheiten wurden per Hand im Computer ergänzt. Keine reale Person wurde digitalisiert, kein Stück menschlicher Haut eingescannt, um diese authentischen, menschlichen Charakteristika zu schaffen - all das wurde von Anfang an im Computer generiert. Das Kostüm wurde separat gerendert und danach als zusätzliche Schicht über das Modell der Figur gelegt. Die Technischen Leiter haben Monate damit verbracht, Kleidungsstücke auseinander zu reißen und nähen zu lernen, damit sie den Sitz und die Falten von Gewebe in Bewegung glaubwürdig rendern konnten. 31

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rung und Identifikation und ist vielmehr das Nadelöhr - nicht etwa die Schnittstelle - zwischen Film und Spiel. Die digitale Technik ist ebenfalls keine direkte Schnittstelle, denn das digitale Bild wird im Film verborgen, während es für das Spiel konstituierend ist. Festzuhalten ist, dass im Fall von Computerspiel und Film auf keinen Fall generell von Medienkonvergenzen und -analogien die Rede sein kann. Besonders die medialen Differenzen treten in der Analyse hervor: Das Spiel ist in Level strukturiert und durch Künstlichkeit, Interaktivität und permanente Wiederholbarkeit und Speicherbarkeit der Aktionen gekennzeichnet. Der ebenfalls non-lineare Film ist anders strukturiert, die Handlung ist für die Rezipienten nicht beeinfluß-, wiederhol- und speicherbar. Hier zeigen sich „media gaps“, Sprünge, die aus der unterschiedlichen Medienstruktur von Spiel und Film resultieren, z.B. in Bezug auf Narration und Chronologie.

Exkurs Mangas Eine besondere Referenzquelle für die Darstellung der Frauenfiguren sind die japanischen Mangas und Animes. Die Figuren zeigen hier eine Mischung aus Hyperweiblichkeit, Kampfeslust und Kindlichkeit. „Die Freizeit- und Unterhaltungsaktivitäten eines jeden Landes spiegeln die technologischen Bedingungen der Zeit wider, in der sie sich entwickelt haben. Im Falle Japans ist es daher natürlich, dass elektronische Formen der Unterhaltung [...] die Führung übernommen haben.“ 11 Japans Ministerpräsident Miyazawa gab für die 90er Jahre das Motto „Lifestyle Superpower“ aus: Hier verschmelzen Design und Werbung mit hochspezialisierter Informationsgesellschaft und bringen mediale Kulturprodukte, wie virtuelle Idole und Videogames, hervor, die wiederum in engem Bezug zu Manga-Comics und Animes (japanischen Animationsfilmen) stehen. „In einer Businesskultur wie der japanischen, in der individueller Ausdruck, Risikobereitschaft, Verspieltheit und Exzentrik verpönt sind, nehmen die ,Creators’ einen besonderen Freiraum für sich in Anspruch. In den 70ern waren solche medialen Stars vor allem Mode- und Grafik-Designer. In den Achtzigern waren es die Werbetexter und Event-Planer. In den Neunzigern stehen die Game-Designer und Anime-ka im Rampenlicht.“ 12

11 Elizabeth Grosz: Volatile Bodies. Toward a Corporal Feminism, Indianapolis 1994, S. 140. 12 Volker Grassmuck: „Allein, aber nicht einsam“ - die otaku-Generation. In: Bolz, Kittler, Grassmuck: Japanogames & Japanimation. Elektronische Spiele in Japan. In: telepolis. http://www.heise.de/deutsch/special/game/2353/1.html S. 5.

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Die kulturelle Lesart, zweidimensionale Bildwelten als „wirklicher“ und „natürlicher“ zu empfinden als dreidimensionale, zeigt sich vor allem auch in der großen Beliebtheit von japanischen Mangas. Mangas sind wöchentlich in Millionenauflage erscheinende Comic-Magazine, die eine thematische Bandbreite von Alltagsgeschichten, wie Familiendramen über HorrorStories bis hin zur Pornographie, beinhalten. Ihren Ursprung haben Mangas in unterschiedlichen japanischen Bilderrollen, die den Alltag mit Humor und Karrikatur schildern. Unzählige Details unterteilen den Bildraum in zersplitterte Kombinationen von Bildern und Schriftzeichen. „Was den Leser auf seiner Reise durch ein manga mitreißt, ist die Folge unverbundener Szenen und Eindrücke mit Sprüngen in Abstufung und Dichte, vergleichbar mit den Visionssequenzen, die man in einem bewußtseinserweiternden Rauschzustand erfährt. Ihre visuelle Logik ähnelt der japanischer Fernsehwerbung und Musikvideos und sogar der des traditionellen japanischen Spaziergartens mit seinem Rundweg, der Neugier und Entdeckungsfreude stimulieren und befriedigen soll.“ 13 Die weiblichen Figuren in Mangas sind charakterisiert durch schlanke, große Gestalt mit langen Beinen, großen runden Augen und einer Stupsnase. Manchmal gleichen sie westlichen Mannequins, vor allem wenn sie mitunter nordeuropäische Gesichtszüge und blonde Haare besitzen. Diese modische Maskerade bedient sich einer alten Projektions-Strategie: „Ebenso wie die traditionellen No-Masken die Wirklichkeit verwandeln, kann auch die Manga-Maske ein Bild verändern oder ein Ideal beschreiben.“ 14 Den Frauenfiguren in Mangas widerfährt ebenso tiefe Bewunderung wie, in weit häufigeren Fällen, gewaltsame Unterwerfung - beides spiegelt die Phantasiebilder des Heilige-Hure-Musters. In Mangas herrschen SM, Bondage und Gewalt, und in Verbindung mit dem kindlich unschuldigen Aussehen der weiblichen Figuren hat sich in Porno-Mangas der Begriff der Rorikon geprägt, der die sexuelle Vorliebe für Teenager-Mädchen und damit den Lolita-Komplex meint. Volker Grassmuck weist jedoch darauf hin, dass für die männlichen Leser der Sex der Comic-Figuren nichts Physisches, sondern etwas Mediales habe, und verweist hierbei auf das westliche Pendant des Helden aus Steven Soderberghs Film „Sex, Lies and Videotapes“ von 1989, der den zweidimensionalen Beobachter-Sex als viel sicherer und damit erstrebenswerter darstellt.15 Die massenkulturelle Beliebtheit von Mangas geht mit einer riesigen Spin-Off-Industrie einher: TV, Werbung, Telekommunikation, Games 13 Günther Nitschke: Die Manga-Stadt. Aus: Atsushi Ueda: Die elektrische Geisha, Göttingen 1995, S. 243. 14 Ebd., S. 234. 15 Volker Grassmuck: „Allein, aber nicht einsam“ - die otaku-Generation. In: Bolz, Kittler, Tholen (Hg.): Computer als Medium, München 1993. http://www.heise.de/deutsch/special/game/2353/1.html 33

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und Animes greifen Mangas auf bzw. kommunizieren mittels Mangas, die wiederum vice versa funktionieren.

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II. Laras Schwestern: Von Tomb Raider zu Heavy Metal F.a.k.k.2 Dieses Kapitel widmet sich der Einzelanalyse der ausgewählten Spiele. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die weiblichen Spielfiguren, ihre Körper, die Bekleidung und ihre Ausstattung mit Waffen und anderen Gadgets.1 In weiteren Interpretationsschritten werden die Repräsentationen in den Blick genommen, die Körperbilder als Signifikanten für „Natürlichkeit“/ „Künstlichkeit“ oder „Konstanz vs. Modellierung“ untersucht. Auch Bewegungen und Gesten werden im Hinblick auf Handlungsspielräume der Protagonistinnen betrachtet. Die intensive Analyse der Ästhetik der Figuren folgt Fragestellungen wie: Was macht die „Autonomie“ der Figur aus, wie kann man dies am Design, am „Stil“ der Figur festmachen? Unterliegen die Figuren neben technischen Machbarkeitskriterien auch modischen Trends? Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Ausarbeitung des Motivkomplexes „Frau und Waffe“, wobei sich besonders dessen spezifische Formation von weiblichem Körper als Waffe von Interesse zeigte. Eine Grundlage für die Beurteilung der Relevanz der betrachteten Figuren sind ausdifferenzierte Bildanalysen mit Schwerpunkten wie Farbgebung, Figur-Grund-Verhältnis und die im Spiel auftretenden Figuren und Objekte. Daneben erfolgt ein Vergleich der Bewegungsformen der Figuren in Abstimmung mit der Beurteilung des technischen Standards. Hinzu tritt die Verpackungsanalyse der Spiele, die vor allem dazu dienen soll, den tatsächlichen Stellenwert der weiblichen Figur mit ihrer Funktion als Teaser und Kaufanreiz abzugleichen. Als Hintergrund dient hier zusätzlich der Blick auf Anzeigen in den Printmedien. Zu Beginn erscheinen die Spiele, die in Verbindung zu einem anderen Medium, wie Film oder TV, stehen.

Alien-Tetralogie und PC Spiel Die aus dem Horror/Science Fiction-Genre stammende Alien-Tetralogie, die sich unter wechselnder Regie über drei Jahrzehnte erstreckt hat, entwirft mit der weiblichen Heldin Ellen Ripley eine komplexe Protagonistin. Im ersten Alien-Film von 1979 ist Ripley (Sigourney Weaver) die Offizierin eines Raumschiffes, das von einem mordlüsternen Alien angegriffen wird. Ripley übernimmt nach dem frühen Tod des Kommandanten (und damit anstelle des erwarteten Handlungsträgers) die Führung auf dem Raumschiff und erweist sich als klug, mutig, verantwortungsbewusst, kraftvoll und konsequent.

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Die Spielumgebung wurde nur in Ausnahmefällen (z.B. bei Alice) berücksichtigt, eine präzise Analyse der Spielumgebung mit Setting, Architektur, Landschaft, Innen- und Außenräume, Übergänge) und die Beziehung zu den agierenden Körpern wird noch zu leisten sein. 35

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„Alien“ erschien 1999 als Computerspiel. Obwohl auf der Verpackung in Screenshots noch mit der bekannten Protagonistin Ripley geworben wird, taucht diese im Spiel an keiner Stelle auf. Dies erklärt sich durch die Tatsache, dass es sich bei Alien um ein reines 3D Ego-Shooter Spiel handelt, bei dem genregemäß lediglich eine Waffe anstelle einer Spielfigur am unteren Bildrand existiert, mit deren Hilfe man Gegner dezimiert. Im Falle von Alien sind dies massenweise umherlaufende Aliens, die den Spieler in düsteren Schächten angreifen. Für die weitere Bearbeitung ist das Spiel daher nicht geeignet, da unsere Hauptfigur nicht auftaucht und sich ein Vergleich mit der vielschichtigen Filmfigur nicht anbietet.

Das Fünfte Element Eine ungewöhnliche und von Anfang an geklonte Protagonistin wird durch die Figur Leeloo aus dem Science Fiction Film Das Fünfte Element2 dargestellt. Wissenschaftler entdecken Anfang des 19. Jahrhunderts uralte Inschriften, die von der Vernichtung des Bösen mittels einer Waffe erzählen, welche zu ihrer Aktivierung das fünfte Element benötigt. Ein außerirdisches Raumschiff landet im ägyptischen Tempel und nimmt vier Steine, die vier Elemente, mit. 300 Jahre später bedroht das Böse, dargestellt als riesiger Feuerball, New York, und als die Außerirdischen der US Regierung zu Hilfe eilen wollen, werden sie bis auf einige intakte Zellen vernichtet. Wissenschaftler klonen daraus die Außerirdische Leeloo, gespielt von Milla Jovovich, die aufgrund ihrer übermenschlichen Kraft entflieht, um sich auf die Suche nach dem fünften Element zu begeben. Zufällig trifft sie auf den Taxifahrer Korben Dallas, verkörpert durch den Schauspieler Bruce Willis, der ihr bei der Verfolgung durch Polizei, Regierung und einem Großindustriellen beiseite steht und ihr hilft die Welt zu retten. Das Intro des gleichnamigen Spiels zeigt zunächst die Erschaffung Leelos in einer animierten Sequenz, welche an das Visible Human Project erinnert.3 Das Videospiel, das dem Action/Adventure Genre angehört, wurde 1998 von den Firmen Ubi Soft, Kalisto und Gaumont herausgebracht. Auf der Verpackung wird nur mit der weiblichen Spielfigur „Leeloo“ geworben, die eine große Ähnlichkeit mit der Filmschauspielerin Milla Jovovich aufweist. Auf dem Cover posiert Leeloo vor dem Hintergrund einer futuristischen Stadtlandschaft und strahlt Bestimmtheit und Stärke aus, wenn sie den Betrachter herausfordernd anschaut, dabei die Hände locker in die Hüften stemmt und doch eher einem Model als einer aggressiven Kämpferin ähnelt. In der schrägen Seitenansicht sieht man ihren Körper bis zu den Knien, sie steht in starkem Hohlkreuz und trägt ein enganliegendes weißes Top, Nylonstrümpfe mit einer Naht über den Oberschenkeln und eine Art 2 3

Das Fünfte Element. Regie: Luc Besson, 1999. www.nlm.nih.gov/research/visible/visible_human.html 36

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Plastikgurt mit großen Löchern. Dieser Gurt ist eine Mischung aus Pistolengurt, Hosenträgern, Korsett und Tangaslip, der in seiner Funktionslosigkeit den Scham- und Busenbereich zugleich bedeckt und betont. Auf der Rückseite der Spieleverpackung zeigen drei von vier Screenshots wieder Leeloo in Aktion, und nur der vierte Screenshot präsentiert den männlichen Helden. Dies steht im Kontrast zu der Werbung des Films, wo auf Plakaten, etc. primär die männliche Hauptfigur, der Star und Hauptwerbeträger Bruce Willis zu sehen ist. Das PC-Spiel wendet sich wiederum eher an ein männliches Userpublikum und setzt ganz auf die Erotik Leeloos. Ihr Outfit ist weder im Film noch im tatsächlichen Computerspiel so wie auf der Verpackung zu sehen. Der Film dient nicht nur als Vorbild, sondern strukturiert in bestimmten Szenen das Spiel: So teilen sich beide Medien dasselbe Intro, desweitern beginnt jeder neuer Spielelevel mit einer spektakulären Filmpassage. Das Spiel startet mit der Figur des Korben Dallas, der ins Nuklearlabor eindringen und Leeloos Materialisierung mithilfe einer Genkarte aktivieren muss. Erst nach einem virtuellen Moderator und den Filmsequenzen, welche den Handlungsverlauf erklären sollen, besteht die Möglichkeit, sich mittels der weiblichen Figur fortzubewegen. Leeloo ist die digitale Kopie der markanten Filmprotagonistin, da sie gleichfalls sowohl ein Spezialoutfit - feuerrote Pagenfrisur und spärliche weiße Bandagen-Körperumhüllung, entworfen vom Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier - als auch eine übermenschliche Sprungkraft besitzt. Leeloo schlägt schnelle Flick-Flacks, macht weite Sprünge und hangelt, läuft und schlägt sich durch das Geschehen. Sie hat auch im Computerspiel keinerlei Waffen und ist, besonders durch einarmige fliegende Roboter, die ihr die Lebensenergie buchstäblich herausschlagen, leicht zu verletzen. Die virtuelle Leeloo bleibt somit in Kampfstärke und Strategie weit hinter ihrem Vorbild zurück, wohingegen die Figur des Korben Dallas mehr Spiel- und Verteidigungsstärke bietet. Insgesamt enttäuscht die simple Umsetzung des Spiels: Leeloo ist eine recht schwache Spielfigur, es gibt keinerlei Besonderheiten für das digitale, interaktive Medium, und auch die variationsreichen, bombastischen Spielfilmausschnitte verdeutlichen die Phantasielosigkeit und die schlechte graphische und technische Umsetzung des PC-Spiels Das Fünfte Element.

Xena Die Comicserie Xena ist auf die vorausgehende TV-Serie Xena abgestimmt: Bezeichnenderweise ist das Titelbild der Comicserie nicht gezeichnet, sondern ein Screenshot der erfolgreichen TV-Serie, zu der es im Comic-Heft einen TV-Guide, Hintergrundinformationen zu den Schauspielerinnen, als auch ein Gewinnspiel gibt. Die Fantasyfigur der Fernsehserie Xena besitzt hohe Popularität und die Serie wird seit 1995 in den USA und seit 1996 in der BRD wöchentlich ausgestrahlt. Die in Neuseeland gedrehten Folgen zeigen die antike Kriegerprinzessin Xena und ihre Wegge37

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fährtin Gabrielle auf abenteuerlichen Wegen beim Kampf für das Gute. Allerdings hat die brünette Xena eine dunkle Vergangenheit als brutale mordlüsterne Kriegsherrin, was in vielen magisch-düsteren Situationen Gefahren heraufbeschwört, aus denen ihr oft die blonde, tugendhafte Gabrielle heraushelfen kann. Um ihre frühere Schuld ansatzweise tilgen zu können, will Xena anderen Menschen helfen. Xenas Fähigkeit besteht aus einer Kombination von Charisma, Akrobatik, meisterlicher Waffenkunst, dem Wissen um todbringende Akupressurpunkte und vor allem aus der Begabung, die tödliche Wurfscheibe Chakram benutzen zu können. Gabrielle ist eine ausgezeichnete Bardin, friedliebend, voller Unschuld und Zuversicht. Beide Frauen verbindet tiefe Freundschaft, Mut, Intelligenz, Stärke und Geschick. Mit Männern haben sie oft schlechte Erfahrungen gemacht, Xena hat einen Sohn geboren, den sie voller Sorge weggab, und auch Gabrielle setzte ihre Tochter notgedrungen aus. Beide Frauen sind daher lebenserfahren, unabhängig und gleichermaßen verantwortungsvoll. Sie ergänzen sich als ideale Heldinnen: die große dunkelhaarige Xena als aggressiv-kraftvolle, mutige Kämpferin und die zunächst zartere blonde Gabrielle als harmoniebestrebte, wahrheitsliebende Gefährtin. Auf die TVSerie folgte nicht nur ein Comic, sondern auch schließlich das Computerspiel Xena.

Das Playstation- und PC-Spiel von 1999 wirbt, wie auch schon die bereits besprochenen PC-Spiele, mit dem Bild der gleichnamigen Heldin auf der Verpackung: Xenas Gesicht blickt den Betrachter in Großaufnahme direkt an, wobei ihre wilden dunklen Haare und ein entschlossener Schmollmund aktive Erotik signalisieren. Durch Xenas seitlich dargestelltes Schwert und das im Hintergrund züngelnde Feuer, kommt die Komponente der Gefahr hinzu.

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Im animierten Intro gehen Xena und ihre Gefährtin Gabrielle einen idyllischen Gebirgspfad entlang und unterhalten sich entspannt über Möglichkeiten der Gefahrenabwendung. Im Spiel hat man mit Xena die Option, sich in 27 Spieleleveln fortzubewegen, wobei Xena zu Beginn noch nicht mit einem Schwert ausgestattet ist. In einem Trainingslevel kann der User gefahrlos Xenas Bewegungs- und Waffenpotentiale einüben, das Computerspiel übernimmt jedoch vage das Handlungsgerüst der TVSerie, wobei Xena eine mutige Kriegerprinzessin ist, die den Menschen helfen will und daher viele lauernde Feinde besiegen muss. Xena ist, wie in der TV-Serie, kräftig, akrobatisch, kampferprobt, kann jederzeit und ohne Energieverlust ihr Chakram einsetzen, um immer stärker werdende Feinde (z.B. einen Riesenzyklopen) zu töten. Beim Nahkampf stößt sie mitunter einen lauten Triumphschrei aus und dreht sich eindrucksvoll mehrmals um die eigene Achse. Auch Gabrielle existiert als Spielfigur im AmazonendorfLevel, der jedoch erst erspielt werden muss. Wie in der TV-Serie sind Gabrielles Fähigkeiten Schlagfertigkeit mit Worten und Taten, wobei sie ebenso fähig ist, sich mit einem Stab zu verteidigen. Grundsätzlich funktionieren Xena und Gabrielle ähnlich wie Lara Croft in Tomb Raider, indem sie sich als gut animierte und erotisierte Heldinnen und Stellvertreterinnen durch vorprogrammierte Gefahren bewegen und durchaus dabei sterben können, um gleich darauf erneut zu starten.

Virtua Fighter Die japanische Firma Sega brachte 1997 das Kickbox-Spiel Virtua Fighter und 1998 Virtua Fighter 2 auf den Markt. Auf der Verpackung sind zwei bunte, männliche Figuren während eines Fights zu sehen; eine schmale Bildersequenz darunter zeigt zehn Spielefiguren, von denen zwei als weiblich zu erkennen sind. Die zwei weiblichen Kämpferinnen besitzen zunächst eine sehr knappe Personenbeschreibung, die das Geburtsdatum, die Staatsangehörigkeit, den Beruf, die Blutgruppe und das Hobby auflisten. In Virtua Fighter 2 werden die Frauenfiguren Pai Chan und Sarah Bryant anstelle des üblichen Animations-Intros durch einen Portrait-Modus visualisiert. Hier gibt es pseudo-fotografische Abbildungen, die durch realistische Lichtreflexe Körperteile betonen, wobei die gezeigten Outfits und Szenarien mit dem Spiel selbst nichts gemein haben. Die 1975 geborene Pai Chan ist ein ehrgeiziger Action-Star aus Hongkong und die Tochter des Titelverteidigers Lau Chan, den sie im Spiel selbst zu besiegen versucht. Ihre langen geflochtenen Zöpfe und ihr Overall verweisen auf ein behütetes Mädchen, das im Ballett tanzt, Rad fährt und unbeschwert auf dem Land lebt, jedoch gibt es auch zwei Abbildungen, die sie unter der Dusche und mit einem roten, weitgeschlitzten Kleid in einem TV-Studio zeigen. Hier findet eine ähnliche Strategie der Romantisierung und damit Entschärfung der kämpferischen Einstellung statt, wie bereits auch bei Lara Croft aufgezeigt wurde. 39

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Im Kampf springt Pai Chan sehr hoch, tritt, rollt ab und dreht sich schnell, macht Salti rückwärts und beherrscht Handkanten- sowie Faustschläge mit beiden Händen. Sie kann Gegnern den Arm umdrehen und sie über die Schulter zu Boden werfen, wobei sie einen lauten Karate-Ausruf ausstößt. Bei abschließenden Triumphgesten reißt sie die Arme hoch, geht mit einem Bein auf die Zehenspitzen, winkelt das andere an und spricht einen asiatischen Satz. Diese Mischung aus Ballett und Karate wird durch ihre Kleidung unterstrichen, denn sie trägt einen Kampfanzug mit Blumenmotiv, eine Seidenschärpe und weiße Ballerinaschuhe. Ihre Freundin ist die zwei Jahre jüngere, blonde US-Collegestudentin Sarah Bryant, deren Hobby Sky-Diving ist. Sarah wurde von einer Untergrundorganisation gekidnappt und einer Gehirnwäsche unterzogen, auf dass sie nun versucht ihren Bruder Jacky zu eleminieren. Von Lehrern zur ultimativen Kampfmaschine getrimmt, ist sie deutlich muskulöser und größer als Pai, besitzt lange Beine und einen großen Busen, der durch Reflexionslichter betont ist. Sie hat eine Vorliebe für die Farbe Schwarz, für Sonnenbrillen und geschminktes Äußeres, posiert am Pool, am Strand oder in der Disco. Sarah ist tritt- und schlagkräftig und vermag ebenso wie Pai zu springen, boxen und Salti zu schlagen. Ihr Kampf wirkt direkter und aggressiver, was ihrem toughen Outfit entspricht: Sie trägt einen blauschwarzen, schulterfreien Overall mit Gürtel, schwarze Boots und Fingerhandschuhe. Die Bluse ist vorn geknotet und weit aufgeknöpft, ihr BH schaut hervor und ihr Bauchnabel ist frei. Als Gewinnergeste wirft sie ihre Arme hoch und den Kopf in den Nacken, nimmt seitliche Pin-Up-Posen ein und ruft entweder „Yahoo“ oder „You better run home to mama now“.

Oni Die Darstellung der Protagonistin Konoko des Anime-Actionsspiels Oni lehnt sich an die Ästhetik der Mangas an. Sie steht in einer aktiven Bereitschaftshaltung, in dynamischer Schrittstellung, dem Betrachter zugewandt, diesen mit ihrem Blick fixierend. Konoko trägt kurzes schwarz-violettes Haar. Sie ist mit einem futuristischen, blauen Kampfanzug bekleidet. Ihre Schultern, Oberarme, Ellenbogen und Handrücken sind mit metallisch wirkenden Schutzplatten besetzt. In beiden Händen hält sie Waffen: in der linken eine Pistole, der rechten ein Maschinengewehr, dessen Patronengurt ihre Hüfte und ihren rechten Oberschenkel umschlingt. Die Körperhaltung der Protagonistin wirkt sehr dynamisch, wobei die Bewegungsdynamik erwarten lässt, dass die Waffen auf den Betrachter gerichtet werden könnten. Konoko zeigt sich als aktive, unerschrockene Kämpferin, die bis an die Zähne bewaffnet ist und alles unter Kontrolle hat.

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Mit den weiblichen Heldinnen Lara Croft und Cate Archer als weibliche Pendants ihrer Vorläufer Indiana Jones und James Bond ist die Hauptdarstellerin Konoko nicht wesensverwandt, sie entstammt vielmehr der fernöstlichen Martial Arts. Konoko verfügt über eine außerordentliche Körperbeherrschung und rekurriert, wenn auch vermittelt, auf eine südostasiatische Tradition weiblicher Kämpferinnen.4 Bei Oni wird im Gegensatz zu Tomb Raider oder No One Lives Forever die Weiblichkeit der Heldin nicht in ein Verhältnis zu ihren männlichen Kontrahenten oder Partner gesetzt. Keiner ihrer Gegner scheint sich für ihr Geschlecht zu interessieren. Die Räume der Handlung sind in ihrer kargen, technokratischen Architektur „männlich“ konnotiert. Die Weiblichkeit Konokos steht in keinerlei Kontrast zum räumlichen Rahmen, in dem sie agiert. Situiert ist die Handlung in einer postapokalyptischen Zukunft, in welcher die Herrschaft in den Händen einer korrupten „Weltregierung“ liegt. Gegenspieler dieser Welt-Regierung ist ein skrupelloses Verbrechersyndikat; Konokos Aufgabe besteht darin, das Syndikat zu bekämpfen. Sie 4

Die traditionelle „Peking Oper“ kennt durchaus weibliche Kämpferinnen, und die Filmindustrie Hong Kongs und Chinas setzt seit ihren Anfängen bis in die Gegenwart klar auf solche Heldinnen - ein weiblicher Ninja löst in derlei Filmen keinerlei Erstaunen aus. Vgl. etwa „A Chinese Ghoststory“ oder „Tiger and Dragon“. Aufschlussreich ist auch der Film „Full Metal Jacket“ von Stanley Kubrick, in dem amerikanische GI's auf eine weibliche Scharfschützin treffen und mit dieser Situation nicht umgehen können. 41

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ist Teil einer hochtechnisierten Spezialeinheit und hat ihre Ausbildung gerade erst durchlaufen. Das Spiel setzt mit ihrem ersten Auftrag ein und steigert sich im Schwierigkeitsgrad. Im Trainigslevel lernt man Konoko zu steuern - eine schwierige Aufgabe, denn eine Vielzahl möglicher Schlagund Trittattacken muss in jedem neuen Level erlernt werden. Zwar verfügt Konoko über eine ganze Reihe von Distanzwaffen, aber ihre Körperbeherrschung ist und bleibt ihre effektivste Waffe. Oni wird aus der „TombRaider Perspektive“, der dritten Person heraus gespielt, und lässt sich auch dem Action-Adventure-Genre zuordnen. Der Adventure-Anteil des Spiels Oni überdeckt jedoch die Inhaltsleere des Spiels. Wie im Actiongenre des Hollywoodkinos liegt die Attraktion des Spiels eben nicht in seiner Erzählstruktur begründet. Die Körperlichkeit der Protagonistin macht das Spiel attraktiv, wobei in diesem Fall ganz besonders die Körperbeherrschung, der Körper als Träger, als Konstituens des Subjekts im Mittelpunkt steht. Festzuhalten bleibt, dass Konoko als Repräsentantin von Weiblichkeit kein Klischee traditioneller Geschlechterrollenzuschreibung bedient. Sie könnte in gewissem Sinne auf die Seite von „Gleichberechtigung“ von Mann und Frau geschlagen werden. Aus diesem Grund wurde dieses Spiel auch vom bundesdeutschen Frauenmagazin „Emma“ zu einem gelungenen Beispiel einer nicht-sexistischen Darstellung gekürt.5 Es bleibt hier nur zu fragen, ob die Ausblendung von Sexualität gleichzusetzen ist mit einer emanzipierten Darstellung von Geschlecht in Computerspielen.

Kagero Auf Vorder- und Rückseite des PC-Spiels Kagero wird mit der Spielefigur Millennia geworben, die auf dem Cover auf den Betrachter zuzulaufen scheint und mit ihren hohen Lederstiefeln und ihrem extrem taillierten und mit Lederapplikationen versehenen Kleidchen das Bild ausfüllt. Das Dekollete ist durch ein Tuch verhüllt, und ihre asiatisch-kindlichen Gesichtszüge mit großen braunen Augen werden von einer mädchenhaften PonyRundfrisur eingerahmt. Die Rückseite bietet ein höher sexuell aufgeladenes Image: Wir sehen Millennia von hinten mit ihrem tiefen Rückenausschnitt, der ein rotes asiatisches Tatoo freigibt; unter dem knappen Röckchen zeigen sich beinlange Lederstiefel mit hohen Absätzen. Das Adventure-Spiel Kagero - The Deception 2 erschien 1999 bei der japanischen Firma Techmo/Virgin Interactive Entertainment. Im ersten Teil des Spiels werden wiederauferstandene Tote in ein Schloss gelockt, um sie mit einer ausgeklügelten Strategie in Form einer Reihe von Fallen zu töten. In Kagero - The Deception 2 ist der Lockvogel und die Hauptfigur diesmal die Schlossherrin Millennia, die als 3rd-Person Stellvertreterin des Users jede Menge Diebe, Soldaten, Zauberer und NinjaRitter, unter ihnen drei Frauen, davon abhält, wichtige Artefakte zu stehlen 5

Vgl. Liebling Konoko. In: Emma Heft 4, Juli/August 2001, S. 9. 42

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und das Schloss zu erobern. Innerhalb der 30 Spielelevels werden die Feinde immer trickreicher und stärker. Kleine animierte Intros zwischen den Leveln zeigen diese Feinde bei der Lagebesprechung, so dass ihr Gefährlichkeitsgrad deutlich wird. Um sich taktisch richtig zu verhalten, kann der User zwischen den Leveln diverse Fallen kaufen, um sie dann gut gezielt als Kettenreaktion einzusetzen. Beispielsweise gibt es Felsblöcke, Flammenwerfer, eine Wand, aus der Speere geschossen kommen, elektrische Stühle, Bomben, etc., deren Wirkungen sich kombinieren lassen. Das animierte Intro enthüllt, dass Millennia, von ihrer Mutter Yocal „innocent girl“ genannt, als Kind entführt wurde und später von einer Rasse namens Timenoids als Tochter adoptiert wurde. Die Timenoids tauschten Menschlichkeit gegen Unsterblichkeit und benötigen daher Millennia, der sie zuvor eine Gehirnwäsche verabreicht hatten, als menschliches Werkzeug. Millennia muß alle Eindringlinge zunächst durch die Gänge locken und sie dann im Sinne der Timenoids - und mit Hilfe des Users und seiner Fallen - dezimieren. Somit ist Millennia das Werkzeug des Bösen und gleichzeitig unschuldig daran. Sie bewacht unfreiwillig das ihr anvertraute Schloss, geht oder läuft hauptsächlich verführerisch durch die Gänge. Beim Einsatz der Fallen hebt sie den rechten Arm. Da der User die Stellvertreterfigur hauptsächlich aus der rückwärtigen Perspektive sieht, erklärt sich die Erotisierung der Rückenansicht von Millennia. Wenn die Fallen ihr Ziel verfehlen und die Gegner Millennia direkt angreifen, ist sie völlig hilflos, denn sie besitzt weder eine Waffe noch sonstige Kampftechniken und stirbt im direkten Nahkampf dementsprechend schnell.

Vampire Die Verpackung zeigt eine Gesichtshälfte einer großen, männlichen Vampirfratze auf der Vorderseite und vier Screenshots aus dem PC-Spiel auf der Rückseite aus unterschiedlichen Spielebenen, in denen zwei Frauenfiguren vage zu erkennen sind. Zentral ist der Eindruck eines mittelalterlichen Vampir-Universums. Die Firma Nihilistic brachte das Action/Rollenspiel-Game Vampire Die Maskerade: Redemption 1999 auf den Markt. Dabei handelt es sich um die im 13. Jahrhundert spielende Geschichte des Tempelritters Christophe, der, wie im Intro zu sehen, gegen Barbaren kämpft und dabei schwer verletzt wird. Nun wird er von der Nonne Anezka in einem Prager Kloster gepflegt. Da sich beide verlieben, verdonnert der lokale Bischof Christophe dazu, das nächtliche Prag von Unholden zu befreien. Vampire setzt sehr stark auf lange animierte Sequenzen und Dialoge, wobei ein kleines Schwert den Weg durch das Gelände weist. Die oftmals im Spiel vorkommenden Kämpfe sind dabei nie in Nahaufnahme zu sehen. Mindestens ebenso wichtig für das Geschehen sind die in Zwischensequenzen immer wiederkehrenden animierten Figuren, von denen mehrere weiblich sind.

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Als zentrale animierte Figur in Vampire dient Ekatharina, die Herrin eines Vampirclans, die sowohl Gelehrte, Gebieterin als auch Ratgeberin ist. Ekatharinas mächtiger Status wird durch ihre Kleidung, Gestik und ihr Umfeld unterstrichen: Sie trägt eine lange braun/gelbe Robe mit Falten, hat ein Tuch vor dem Mund und beide Arme vor ihrem Schoß verschränkt. Sie ist auffallend oft in kostbaren Räumen zu sehen, deren prunkvolle Ausstattung den visuellen Hintergrund ihrer Auftritte bildet. In einem fortgeschrittenen Spielelevel kommt die traurige Vampirin Serena, Tochter des Kriegers Garenol, als Spielefigur hinzu. Ihr blasses Gesicht ist von langen dunklen Haaren umrahmt, und sie trägt ein langes dunkelgrünes Kleid mit Flügelärmeln, besitzt eine geschnürte Taille mit rotem Gürtel und ein ausgeschnittenes Dekollete. Sie ist verzweifelt, dass sie alles aus der Welt der Sterblichen hinter sich lassen mußte. Körperlich ist sie geschickt und kann schnell laufen, ohne jedoch kampfstark zu sein. Für den unglücklichen Ritter ist sie voller Mitleid und bereit, ihn zu trösten, doch dieser hat sein Herz schon längst an die in zahlreichen Zwischensequenzen erscheinende Nonne Anezka verschenkt. Sie ist eine Sterbliche, erwidert die Liebe des Ritters und zieht durch die Welt, um ein Heilmittel zur Wiedererlangung seiner Seele zu finden, denn schießlich ist Christophe mittlerweile auch zu einem Vampir geworden. Anezka besitzt hellseherische Fähigkeiten, ist jung, schlank, trägt eine taillierte Nonnentracht, ein großes Kreuz in Brusthöhe und ist von reiner und unschuldiger Erscheinung.

Alone in the Dark Bei „Alone in the Dark - The New Nightmare“ (Infogrames, 2001) handelt es sich um den vierten Teil einer Serie, die sich um den männlichen Protagonisten Edward Carnby dreht. Dieser „Detektiv des Unergründlichen“ wird in Aufträge mit paranormalem Hintergrund verwickelt, hinzu tritt Aline Cedrac, die weibliche Protagonistin.6 Nach dem Unfalltod ihrer Mutter, welche die Identität des Vaters verheimlicht hatte, kann Aline nun nicht mehr darauf hoffen, dieses Rätsel um ihren Vater zu lösen. Edward Carnby und Aline Cedrac werden durch einen Auftrag zusammengeführt, der sie auf eine abgelegene Insel führt. Carnby soll die Wissenschaftlerin beschützen, Aline die geheimnisvollen Schrifttafeln finden und die Sprache entschlüsseln. Auf dem Weg zur Insel wird ihr Flugzeug von einem schattenartigen Wesen angegriffen und stürzt ab. Beide schaffen es, mit einem Fallschirm abzuspringen, sie werden jedoch getrennt. Carnby landet auf einem finsteren Friedhofsgelände, 6

Auffällig bei der Konstruktion der Charaktere ist deren Verhältnis, das dem der berühmten Hauptfiguren der Fernsehserie „Akte X“ ähnelt. Dort ist Mulder erfahren im Umgang mit Außerirdischen und den Mächten der Finsternis. Scully hingegen entstammt als Ärztin der wissenschaftlichen Welt und legt ihre Skepsis gegenüber paranormalen Geschehnissen nur zögernd ab. Parallel dazu ist Aline Cedrac in Alone in the Dark eine bekannte Wissenschaftlerin, die einen Doktortitel in Anthropologie trägt und auf nordamerikanische Indianerstämme spezialisiert ist. 44

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Cedrac auf dem Dach eines Herrenhauses. Nur noch durch ein Funkgerät miteinander verbunden, sind sie zunächst auf sich allein gestellt und beginnen, beide auf ihre Art und Weise, die Rätsel zu lösen. Die SpielerIn hat nach dem Intro die Möglichkeit, zwischen den beiden Personen und somit zwischen verschiedenen Handlungssträngen zu wählen. Ein Menü mit den Porträts der Helden und kurzen zusätzlichen Informationen lässt der SpielerIn die Wahl. Beachtenswert ist die Auflistung der „besonderen Merkmale“: Bei Edward Carnby handelt es sich um „eine doppelläufige Waffe“ und bei Aline Cedrac um den Hinweis „Vater unbekannt“. Obwohl es sich bei Aline weniger um eine Heldin wie Cate Archer, Lara Croft oder Alice handelt, haben sie doch eins gemeinsam: Die genannten Charaktere sind entweder Waisen oder ihnen ermangelt es, wie im Falle Alines, zumindest des Vaters, also der zentralen Kastrationsinstanz.7 So ist Aline Cedrac durch ein Trauma gekennzeichnet. Es stellt sich recht schnell heraus, dass Alines Mutter in der Vergangenheit in die Geschehnisse um die Personen auf der Insel involviert gewesen ist. Aus diesem Grund entwickelt Aline die Idee, dass eine der Personen auf der Insel ihr Vater sein könnte. Von nun an versucht sie also nicht mehr nur, das Geheimnis der Schrifttafeln zu lösen, sondern ebenso das ihrer Herkunft. Aufgabe der SpielerIn ist es, die Räume zu erkunden und Gegenstände zu sammeln, zu denen auch Waffen gehören, mit denen man sich gegen die in allen dunklen Ecken des Gebäudes lauernden Wesen zur Wehr setzen kann. Spielt man Alines Rolle, kann man außerdem über das Funkgerät an vordefinierten Stellen den Privatdetektiv Carnby um Hilfe ersuchen. Aline ist zwar eine selbstbewusste, attraktive junge Frau, die aber auf die Hilfe ihres Begleiters angewiesen ist, zumal sie im Gegensatz zu ihrem Partner zu Beginn des Spiels unbewaffnet ist. Sie muss sich aber nicht an seine Ratschläge halten: Zu Beginn des Spiels rät ihr Carnby, sich im Haus versteckt zu halten, bis er ihr zur Hilfe eilen kann. Tritt man jedoch in das Haus ein, ist man recht schnell dazu gezwungen, auf eigene Faust zu handeln. Dadurch ist die Protagonistin von der Story bereits so angelegt, dass sie sich von den Ratschlägen des männlichen Parts emanzipiert. Dieses Spiel zeichnet sich in Hinsicht der Gender-Thematik dadurch aus, dass man ein und dieselbe Geschichte aus der männlichen und der weiblichen Perspektive heraus bestreiten kann. Passend zur Geschlechterkonstruktion ist Aline schreckhaft und Edward abgeklärt, sie ist hilflos, und er verhält sich souverän. Bei einer etwas genaueren Betrachtung allerdings fällt auf, dass die beiden Hauptpersonen, adäquat zur Fernsehserie Akte X, dann aber doch nicht so eindeutig in ihren Geschlechterrollen aufgehen. Der männliche Protagonist ist der Mystiker, die Protagonistin hingegen der rationale Part. Beide Personen bieten gewissermaßen Identifikationspotential für beiderlei Geschlecht. Ob dies nun geschickter Schachzug der Industrie ist, die Absatzraten zu steigern, oder ob dies Reaktion auf eine doch fragwürdig erscheinenden bipolare Geschlechterkonstruktion ist, sei dahingestellt. 7

Siehe Kapitel III: Vom weiblichen Ödipuskomplex zur Female Masculinity. 45

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No One Lives Forever Nicht nur der Titel, sondern auch die Gestaltung der Verpackung, verweist auf das große Vorbild: James Bond. Dieser Gesamteindruck entsteht aus den gestalterischen Elementen. Ein wichtiges Erkennungszeichen des James Bond Films ist sein Vorspann. In diesem posieren die Personen, fast ausschließlich Frauen, vor einem abstrakten Hintergrund. Auf diese Weise wird auch Cate Archer, die Protagonistin des Spiels No One Lives Forever, dargestellt. Die Heldin präsentiert sich lasziv stehend, dem Betrachter zugewandt. Den linken Arm stemmt sie in die Hüfte, sie steht in einer Kontraposthaltung. Lässig posierend hält sie in ihrer rechten Hand mit angewinkeltem Arm eine Pistole in Schulterhöhe, den Finger am Abzug. Im Hintergrund ist ein abstraktes Muster aus sich überschneidenden Kreisen in verschiedenen Weiß-, Gelb- und Orange-Tönen zu sehen. Diese flächige Gestaltung wirkt, als ob sie durch Beleuchtung mit Scheinwerfern erzeugt worden wäre, so dass der Gesamteindruck der Verpackungsvorderseite dem einer Filmszene entspricht. Auch der Hintergrung korrespondiert farblich mit der Protagonistin. Gekleidet ist sie in einen hautengen orange-weißen Lederanzug, dazu trägt sie orangefarbene Handschuhe. Obwohl Cate Archer in dieser Ganzkörperansicht vollständig bekleidet ist, zeichnet sich ihr Körper unter ihrer Kleidung deutlich ab. Ihr Dekollete ist tief ausgeschnitten, und das Volumen ihrer Brüste wird durch einen starken Hell-Dunkel-Kontrast betont. Sie schaut mit einem offenen und direkten Blick den Betrachter an, ein Lächeln spielt über ihre leicht geöffneten Lippen. Die Kombination aus Blick und Lächeln erzeugt einen selbstsicheren und entspannten Gesichtsausdruck. Ihr dunkelbraunes glattes Haar wird von einem weißen Haarband, im Stil der Sixties, gehalten. Auch die Art der Personendarstellung in Verbindung mit der geschwungenen Schrift des Spieltitels evoziert eine 60erJahre-Atmosphäre, die in den späten 90ern ein Revival erlebte. Die Geheimagentin Cate Archer ist, ähnlich der großen Computerspielheldin Lara Croft, in vermögenden, britischen Verhältnissen geboren und früh zum Waisenkind geworden. Im Gegensatz zu Lara Croft verläuft Cate´s Karriere zur Heldin nicht gradlinig. Nachdem ihre Mutter bereits bei der Geburt, ihr Vater einige Zeit später aufgund seines unsteten Lebenswandels verstarben, schlug Cate eine kriminelle Laufbahn ein. Als erfolgreiche Verbrecherin schulte sie ihre Instinkte, wie aus dem Booklet des Spiels hervorgeht. Erst nach dem Zusammentreffen mit einem Geheimagenten der U.N.I.T.Y. stellt sie ihre Fähigkeiten in den Dienst der Menschheit. Wie Lara Croft ist „Cate Archer außergewöhnlich kompetent, unglaublich intelligent und umwerfend attraktiv.“8 Das Spiel setzt ein mit dem ersten Auftrag der frisch ausgebildeten Agentin. Gegner ist eine weltumspannende verbrecherische Organisation. Handlung und Setting sind in den sechziger Jahren angesiedelt und gestal8

No One Lives Forever. Booklet, S. 26. 46

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ten sich in Referenz zum Kalten Krieg; sowohl Orte als auch Personen ziehen wesentliche Teile ihrer Gestaltung aus dieser Ästhetik. Ähnlich einem James Bond-Film führt Cate ihre Aufträge an den unterschiedlichsten Orten der Welt aus: Marokko, Ost-Berlin, eine karibische Insel, der ErdOrbit und die Schweizer Alpen sind Schauplätze der Handlung. Das Verbrechersyndikat mit dem Namen H.A.R.M. entführt einen Topwissenschaftler, um mit seinen Erfindungen die (freie) Welt zu erpressen. Cates Aufgabe ist es, den Wissenschaftler zu befreien und die Katastrophe abzuwenden. No One Lives Forever wird in der „First-Person Sicht“ gespielt; man sieht Cates Hand, die verschiedenste Waffen oder Gadgets hält. Die Geheimagentin selbst ist nur in den so genannten „ingame cinematics“ zu sehen; in den spielbaren Sequenzen kann man sie sich allerdings durch einen Cheat (mpasscam) heranholen. Die Macher des Spiels haben sich in den Zwischensequenzen besondere Mühe gegeben, einen möglichst großen Realismus vor allem in der Ausgestaltung der Umgebung zu erzeugen. Das reicht von Fußspuren im Schnee, über Einschusslöcher in Gegenständen, bis zu den via motion-capture aufgezeichneten Mundbewegungen bei den Dialogszenen. Ein weiteres wichtiges Element sind die Gadgets. Aus den James Bond Filmen kennt man die unauffälligen Alltagsgegenstände, die zu tödlichen Waffen werden.9 Nicht weniger einfallsreich sind die Gadgets in No One Lives Forever: eine Lippenstiftbombe, eine Haarspange als Dietrich oder zum Injizieren von Gift, eine hochexplosive Damenhandtasche, Filzpantoffeln zum Dämpfen der Schritte, eine Gürtelschnalle als Seilwinde.10 Wenn es auch nicht für alle Ausrüstungsgegenstände gilt, so fällt doch auf, dass Cates Geheimwaffen weiblich konnotierte Gegenstände und Accessoires sind. Auf diese Art und Weise kann sich „Weiblichkeit“ in tödliche Bedrohung für die Gegner verwandeln. Die Geheimagentin Cate Archer muss nicht zu einem männlichen Agenten werden. Ihre Weiblichkeit wird betont, von ihren Vorgesetzten bisweilen als Manko diskreditiert, aber letztendlich ist Cate Archer erfolgreich. Dies wird besonders deutlich im Verhältnis zu ihren Partnern, denn Vulkov, ihr mächtiger Gegenspieler, versucht, Cate mit ihren gefangenen Partnern zu erpressen. Die Rolle der Geschlechter hat sich geändert: Nicht die Frau wird als Druckmittel, als Geisel eingesetzt, sondern der Mann. In No One Lives Forever gibt es einen ähnlichen Charakter wie „Q“ in James Bond, den Ausrüster. Vor jeder neuen Mission muss sich die Geheimagentin im Bereich der „advanced field tactics“ melden und darf neu9

Bond hatte ein Satellitentelefon im Schuhabsatz, einen explosive Füllfederhalter, eine Sonnenbrille mit Röntgenblick, ein Zigarettenetui als Safeknacker, eine Tube Zahnpasta als Sprengstoff, eine Steichholzschachtel als Zündmechanismus oder aber eine Fotokamera in einem Siegelring. Vgl. http://jmsbond.tripod.com/gadgets.html 10 Vgl. http://www.noonelivesforever.com/workshop 47

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entwickelte Ausrüstungsgegenstände an Dummies ausprobieren. Diese Gadgets können dazu beitragen, eine Mission mehr oder weniger lautlos zu durchstehen, man kann es sich also aussuchen, ob man eine Mission mit einem Maschinengewehr oder aber auf leisen Sohlen abschließt. Alles in allem ist Cate Archer eine durch und durch positive Identifikationsfigur, die in den Dialogszenen ironisch bis frech gegenüber ihren Partnern oder Vorgesetzten agiert. Sie verfügt über die Eleganz eines James Bond und ist auch analog als eine Heldin zu lesen, die aus diesem Grund weniger durch kämpferische Radikalität gekennzeichnet ist.

The Longest Journey Prägendes Element der Verpackung von The Longest Journey ist die Darstellung der Protagonistin April Ryan. Diese schreitet unsicher und furchtsam mit einem verstörten, fragenden Gesichtsausdruck aus einer gleißend hellen, bläulichen Lichtaura auf den Betrachter zu. Die Lichtaura ergießt sich aus dem Mittelpunkt eines über ihr schwebenden Talismans. Das gesamte Setting wirkt unwirklich und bedrohlich. In angespannter Körperhaltung und mit seitlich abgespreizter Arm- und Handhaltung 48

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scheint April Ryan in diese Welt hineinzuschleichen. Gekleidet ist sie mit einem sportiven enganliegenden schwarzen Trikot und einer engen längsgestreiften dunklen Hose. Ihre zeitgemäße Kleidung ist keinem bestimmten Stil zuzuordnen, wirkt unauffällig, fast androgyn. Ihre Haare sind dunkelbraun, kinnlang und leicht zerzaust. Auf der Rückseite befindet sich neben einigen Screenshots eine Abbildung von April mit entspanntem Gesichtsausdruck. Bäuchlings, schwebend wie im Traum, bewegt sie sich schwerelos im Raum. Im Hintergrund befindet sich wieder der Talisman. Das Spiel gehört zum Genre des „Point & Click Adventures“, was bedeutet, dass die Spielenden über das „Herumklicken“ in dem dargestellten Setting den Spielverlauf bestimmen. Der Schwerpunkt liegt im kommunikativen Bereich. Dialoge mit anderen Spielfiguren können durch Auswahl der Antworten im Menü geführt werden. Informationen, die die Protagonistin hier erfährt, sind wesentlich für den Spielverlauf. Die Protagonistin treibt durch das Lösen von verschiedenen Aufgaben die Handlung voran. Sie fungiert als Zuhörende, um an Informationen zu gelangen. Für den Spielenden des PC-Games bedeutet dies, dass er sich für die Zeitdauer der initiierten Aktion mehr als Zuschauer statt als Handelnder erfährt. Protagonistin ist die 18-jährige Kunststudentin April Ryan. Sie erfährt in einer Traumsequenz zu Beginn des Spiels durch einen Drachen von ihrer Rolle als „Mutter der Zukunft“. Sie ist eine Wanderin zwischen zwei völlig verschiedenen Welten und hat die Fähigkeit, die futuristische, kalte Welt von „Starks“ sowie die idyllische, märchenhafte Welt „Arcadias“ zu besuchen. Da sie als einzige diese Macht hat, ruhen alle Hoffnungen auf ihr, das Gleichgewicht zwischen Ordnung, Chaos, Wissenschaft und Magie aufrechtzuerhalten und somit den Untergang dieser Welten abzuwenden. Im gesamten Spiel ist die Figur durchgehend mädchenhaft charakterisiert. April Ryan ist eingebunden in ein Netz von Beziehungen zu ihrer Familie, zu Freunden und Kollegen. Im Spiel gibt es eine große Anzahl von weiteren weiblichen Spielcharakteren: die Freundin Emma, die Vermieterin Fiona, die Meerkönigin, die Wirtin, und die Hexe, genannt Gribbler. Im Unterschied zu allen anderen untersuchten Heldinnen ist April Ryan unsterblich. Ihre Fähigkeiten unterscheiden sich jedoch deutlich von denen der anderen Protagonistinnen. April Ryan besiegt ihre Gegner durch Listen. April Ryan hat keine physische Kraft, die bei einem direkten Kampf zum Sieg führen könnte. Auch ihre Handlungsfähigkeiten sind beschränkt, wobei sie die Umgebung und Gegenstände anschauen, beschreiben und Dinge in ihr Inventar aufnehmen kann. Die Narration beinhaltet aufschlussreiche Besonderheiten: Die Protagonistin April Ryan macht Aussagen über ihr Äußeres und ihr Selbstverständnis; beim Anklicken der Spielfigur redet sie über sich selbst: „Was ist, habe ich Pickel?“ „Ist was mit meiner Frisur?“ „Es verunsichert mich, dass ich mir meiner ständig bewusst bin.“ „Ich habe das Gefühl, mich starrt jemand an.“ „Ich mag meine Klamotten - billig, aber cool.“ „Überraschung,

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bin immer noch da!“ Diese Charakterisierung wird noch verstärkt durch die „Wartegesten“, die April Ryan ausführt, wenn das Spiel längere Zeit nicht gesteuert wird: Sie schaut sich suchend um, indem sie den Kopf seitlich wendet und über die Schulter schaut. Dies wirkt verhalten, vorsichtig und ängstlich. Die Protagonistin handelt nicht aus eigenem Antrieb, sondern wird in ihrem Tun deutlich fremdbestimmt. Solange die erforderlichen Informationen noch nicht gegeben sind, werden die animierten Sequenzen Des Weiteren Spielgeschehens nicht eingeleitet. Häufig bekommt sie Anweisungen von männlichen Charakteren. Es folgen absurde Aufgaben, wie im Flughafen von der Männertoilette potenzsteigernde Mittel aus einem Automaten zu ziehen, um damit später einen Gegenspieler auszuschalten. Zudem ist April ungeschickt: Sie will auf einem Schiff unter Deck eine Holztruhe öffnen, um an ein magisches Amulett zu gelangen, verfehlt diese und schlägt mit einem Beil in den Holzboden. Dadurch bringt sie das Schiff zum Sinken und treibt hilflos auf dem offenen Meer umher. Dann taucht ein Kopf aus dem Wasser auf. April Ryan lockt ihn heran und versucht ihn zu streicheln. Daraufhin wird sie unter Wasser gezogen und von zwei seepferdchenartigen Gestalten zur Meerkönigin gebracht, von der sie erfährt, dass in dem Unterwasser-Matriarchat Frauen die Beschützer der Männer und Kinder sind. April Ryan ist im Spielverlauf unterschiedlich gekleidet. An verschiedenen Stellen ist sie nur in weißer Unterwäsche zu sehen, so zu Beginn der Handlung im Wirtshaus. Nach eigenen Aussagen findet sie dieses der Situation unangemessen und bekommt dort von der Wirtin Kleidung geschenkt. Hier erfahren wir, wie April Ryans Figur bewertet wird, denn die Wirtin sagt: „Du bist zwar nicht sehr fraulich, aber du wirst schon hineinwachsen.“ Ansonsten trägt sie Leggins und bauchfreie T-Shirts. Man sieht die Protagonistin in ein Kaufhaus gehen, aus dem sie anschließend neu eingekleidet wieder heraus kommt. Nun trägt sie die gleiche Kleidung wie auf der Verpackung: Schwarze Leggins und schwarzes bauchfreies T-Shirt mit einem grauen Querstreifen über der Brust. An dieser Stelle macht sie folgende Aussage: „Ich spüre förmlich, wie teuer diese Sachen sind. Nettes Outfit!“ Ein anderes Mal wird ihr neue Kleidung gegeben, dafür wird jedoch auch die Gegenleistung der Mitarbeit im Wirtshaus von ihr verlangt. Sie erweist sich, ganz im Gegensatz zu Cate Archer, als ein fremdbestimmtes „Fashion Victim“.

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In einer Animationsszene legt sie sich in weißen Leggins und weißem bauchfreien T-Shirt schlafen. Sie denkt über ihre inneren Konflikte nach und hegt Zweifel an der Rolle als Retterin der Welt. Als Gesprächspartnerin erscheint sie sich in der Traumsequenz zunächst selbst in Verdopplung, danach erscheint ihr Charly, ein Freund der ihr seine Liebe gesteht und ihr Mut machen will. Von Charly bekommt sie die Waffen genannt, mit denen sie das Chaos besiegen wird: Herz, Geist und Gehirn. Ihr „eigentliches“ Selbst, das im Vordergrund im Schneidersitz hockt, wirkt ängstlich. Eine weitere Besonderheit dieses PC-Games ist die Einbettung ihrer Familiengeschichte in das Spielgeschehen, insbesondere die Beziehung zu ihrem Vater. So wird zu Beginn des Spiels deutlich, dass April Ryan heimlich ihr Elternhaus verlassen hat, um ihr eigenes Leben zu führen. Im letzten Kapitel des Spiels trifft sie in einer Reise in die Vergangenheit als 9-jähriges Mädchen wieder auf ihren Vater. Sie trägt ein blaues geblümtes Kleid. Ihre zu zwei kurzen Zöpfen gebundenen Haare sind hier nicht dunkel, sondern blond. In dem Gespräch mit ihrem Vater sieht man April Ryan in der Rückenansicht ihrem Vater gegenüberstehend, sodass der Vater die SpielerIn unmittelbar anblickt. Obwohl April dem Betrachter näher zugewandt steht, ist sie in Bedeutungsperspektive sehr klein dargestellt, was das Machtverhältnis zwischen beiden verdeutlicht. April Ryan wird mit ihrer Angst, die sie als kleines Mädchen empfunden hat, konfrontiert. Die Aufgabe der Protagonistin ist in diesem Level, die Familienharmonie wiederherzustellen, indem sie ihrem Vater die emotionalen Ungerechtigkeiten, die er ihr als Adoptivkind angetan hat, verzeiht. Ihre Konstruktion entspricht einer stereotypen Charakterisierung der Frau als Trägerin von sozialen Kompetenzen.

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Nachdem die Protagonistin alle Aufgaben im Spiel gelöst hat, stellt sich heraus, dass ihr nicht die Aufgabe des 13. Hüters zuteil wird. Obwohl sie die Situationen des Spiels erfolgreich durchläuft, wird der Ausgang des Spiels unter männlichen Spielcharakteren verhandelt. April scheint körperlich defizitär zu sein, denn nur eine männliche Hand kann den Weg öffnen. Als April Ryan in den Endkampf gegen ihren Widersacher eingreift, verhilft sie ihm durch den Einsatz des Talismans unwissenderweise wieder zur „Ganzheit“ und somit zum Erfolg. Der „Böse“ Gordon Halloway wird durch die Kraft der Protagonistin ein „Guter“. Er nimmt sich somit zugleich das Recht, den Platz des 13. Hüters einzunehmen, und kann die Welt dank ihrer „Vorarbeit“ retten. Zudem kehrt April Ryan nicht in die ihr vertraute Welt zurück, obwohl es dort Freunde und einen Mann gibt, der ihr seine Liebe gestanden hat, sondern geht an einen nicht weiter bestimmten Ort und nimmt dort, als gealterte Frau, die Rolle der Geschichtenerzählerin Lady Alvane ein. Der Namenswandel der Hauptfigur von April Ryan hin zu Lady Alvane spiegelt die innere Dynamik des PC-Games wider. Die junge „frühlingsfrische, noch zu erblühende“ April wandelt sich in die alte Lady Alvane, die in ihren Erzählungen einen Rückblick auf ihre „in vain“ (vergeblich) geführten Abenteuer gibt. Beide Rollen, die der jugendlichen Unschuld und die der weisen alten Frau, deuten wiederum auf typisierte weibliche Darstellungen in Computerspielen. In der Rahmenhandlung des Spiels erzählt Lady Alvane ihren jugendlichen Zuhörern die „Geschichte des Gleichgewichts“. Der weibliche Körper funktioniert somit als Allegorie für das Kommunikationsnetz, das die einzelnen Teile der Gesellschaft verbindet. Er wird zum Medium. Im Kontext der Parapsychologie ist das „Medium“ fast immer weiblich, die Frau ist als Artefakt offenbar besonders geeignet, sich in ein Sprachrohr zu verwandeln.11 Die eigentliche Spielhandlung ist als Imagination der Protagonistin lesbar. Im Intro des Spiels wird April Ryan schlafend gezeigt. Dann löst sich das Bett unter ihr auf, sie beginnt zu schweben und fliegt in die Landschaft des ersten Levels. In animierten Sequenzen zu Beginn und am Ende des Spiels wird deutlich, dass die Erzählung Lady Alvanes die Spielhandlung bildet. Im Intro wird ein Körper gezeigt, in dessen Brustraum ein blauer Strahl aus Licht eindringt. Bei diesem Akt der Beseelung vermutet der Betrachter, dass dies ein weiblicher Körper sei. Erst bei wiederholtem Betrachten und mit dem Wissen um den Ausgang des Spiels wird erkennbar, dass ein männlicher Körper dargestellt ist. Diese machtvollste Position wird letztendlich dem männlichen Gegenspieler der Protagonistin zugestanden: Somit kann man in dem Spiel The Longest Journey schließlich festgestellen, dass „Männlichkeit und Macht“ sowie „Weiblichkeit und Opferbereitschaft“ als zusammengehörend angesehen werden. 11 Vgl. Katharina Sykora: Ver-Körperungen: Weiblichkeit - Natur - Artefakt, Basel 1993 und Silvia Eibelmayr: Automatismus und Medien. Die Frau als Symptom. In: Marie Luise Angerer (Hg.): The body of gender. Körper, Geschlechter, Identitäten, Wien 1995. 52

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Der hohe Gesprächsanteil und der Ausschluss der direkten körperlichen Gewalt bei der Problemlösung sowie die „natürlichen“ körperlichen Proportionen der Protagonistin legen zunächst die Vermutung nahe, dass dies ein Spiel „für Frauen“ sei. Die Charakterisierung der Charaktere entspricht aber weitgehend einer heterosexuellen Geschlechtermetaphysik. Die bildliche Darstellung der Protagonistin tritt in ihrer Bedeutung hinter der Relevanz der Narrationselemente zurück, was auch in der geringen Darstellungsgröße der Spielefiguren begründet ist.

The Nomad Soul Auf der Verpackung von The Nomad Soul ist keine einzige der 26 Spielfiguren abgebildet. Auf der Rückseite ist eine schmale harlekinartige Gestalt mit weißgeschminktem Gesicht innerhalb eines Screenshots abgebildet, die entfernt an die computeranimierte Figur von David Bowie, welche auch im Spiel einen Song singt, erinnert. Die mysteriöse schemenhafte Gestalt der Verpackung weist schon auf die bevorstehende Maskerade im Spielverlauf hin, weil die UserInnen die Spielfigur im Laufe von The Nomad Soul immer wieder wechseln können. Das Computerspiel der Firmen Eidos/Quantic Dream aus dem Jahr 1999 ist eine Mischung zwischen Adventure-, Action- und Fantasy-Spiel: Finstere Dämonen der Verdammnis suchen nach frischen menschlichen Seelen, die sie in Besitz nehmen können, um sich ihre Macht zu sichern. Der von den Dämonen heimgesuchte menschliche Körper stellt nur noch eine leere Hülle dar. Nomad Soul ist in einer futuristischen Science Fiction-Umgebung angelegt, in der ein korruptes Staatsgebilde mit mehreren Städten visualisiert wird, das wie eine Mischung aus Orwells 1984 und Ridley Scotts Blade Runner anmutet. Das Spiel mit seiner großen Zahl an Charakteren ist darauf angelegt, immer wieder die Spielfigur wechseln zu können bzw. zu müssen, wodurch es nicht nur eine Protagonistin, sondern insgesamt 26 Spielfiguren gibt, von denen 12 weibliche Charaktere sind.

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Für die unterschiedlichen Frauenfiguren ist ein Steckbrief aufrufbar. Neben einem kurzen Charakterprofil aus Fähigkeiten, Vorlieben und Abneigungen beinhaltet er Körpermaße, Augenfarbe, Größe, Gewicht und Blutgruppe, und nennt dem User die vorprogrammierten Fähigkeiten der Figur wie Angriffsstärke, Schnelligkeit, Wendigkeit, Widerstandsfähigkeit und Kampferprobtheit.12 Die Kurzbiographien zeigen die Bandbreite an fiktiven Frauenfiguren. Darüberhinaus existieren zwei Frauenfiguren ohne Steckbrief, nämlich die Pilotin Jenna und die junge luxuriöse Ehefrau des Protagonisten Kayl. Beide sind insofern relativ zentrale Figuren des Spieles, als sie als einzige in abgewandeltem Outfit an verschiedenen Spielorten angelegt sind: Jenna gibt es als Pilotin in entsprechendem Overall und als animalische Dämonin, die wie eine futuristische weibliche Stierfigur aussieht. Auch Tels existiert als Dämonin in ganz ähnlicher Gestalt und gleichzeitig als junge Frau in knappem weißen Dress, aber auch in knapper weißer Unterwäsche. Der permanente Körperwechsel des Körpers hat aber auch Auswirkungen auf den Identifikationsprozess der SpielerInnen, und kann als Ausdruck „supermoderner“ flexibler Identität interpretiert werden, besonders bei den Figuren mit janusköpfiger Identität. Die Tatsache, dass die Figuren Namen in Verbindung mit Nummern besitzen, hat womöglich einen Bezug zu den „nicknames“, die immer wieder in „Chat-Rooms“ zu finden sind. Hier werden Namen aufgrund der vielfach vergebenen „Nick’s“ zusätzlich mit einer Nummer versehen; dazu gibt es manchmal, wie auch im Spiel, Steckbriefe. Im ganzen scheint Nomad Soul also eher ein Reflex auf fungible Identitäten zu sein, wie sie von Sherry Turkle in „Life on the screen“ 13

12 In der Stadt Anekbah gibt es die 22jährige Journalistin Betsy 112, die die Wahrheit, Natur und Sport liebt, die 30jährige Agentin Kay`A 669, die die Stille bevorzugt, die 26jährige Krankenschwester Ysmala`n 402, die Spezialkenntnisse über BioImplantate besitzt und neue Behandlungsmethoden entdecken möchte, die 28jährige Spiritualistin Samyaz`n, die über das Dritte Auge verfügt, mit den Toten sprechen kann und durch das Unbekannte und die Einsamkeit angezogen wird, und die 24jährige Diebin Syao 471, die schnell und verletzbar ist und Detektivromane verschlingt. Die Stadt Qualisar beherbergt das 23jährige Callgirl Lahyli`n 097, die auf Luxus steht, moderne Kunst und Alkohol hasst und für die ein Nein keine Antwort ist, und die 17jährige Literaturstudentin Eva 332, die kurze Röcke, Sport, Jungs und Parties mag. In Jaunpur lebt die 23jährige Programmierein Tahim´a 223, die schwierige Sprachen beherrscht und sich mit Künstlicher Intelligenz auskennt, Techno und elektronische Gadgets mag, Computerbugs und Vernunftsmenschen verabscheut, und ebenso die 38jährige Body-Guard-Frau Iman 631, die sich durch Kampftechniken und große Schönheit auszeichnet, sich für Mode sowie moderne Malerei interessiert. In der Stadt Lahoreh gibt es die 26jährige Modeschöpferin Plume 263, die exzentrische Kleidung, Juwelen, moderne Kunst, vegetarische Küche und Kampfkünste bevorzugt, und die 27jährige Schauspielerin Nioma´y 452, der Lügen und Manipulation mehr liegen als Routine und einfache Situationen. 13 Vgl. Sherry Turkle: Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet, London 1997. 54

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beschrieben werden. Damit hat das Spiel eher den Charakter eines MUD oder MOO14.

American Mcgee's Alice Das Cover des Spiels American McGee's Alice verweist auf den ambivalenten Charakter der Protagonistin: Es besteht aus drei Teilen, wobei jeder die Protagonistin Alice aus einer anderen Perspektive zeigt. Der mittlere Teil entspricht einem Close-Up, der linke Teil einer Halbtotalen, der rechte Teil nahezu einer Totalen - diese Körperdarstellung verweist bereits auf eine psychisch fragmentarisierte Hauptdarstellerin. Alice steht den Betrachtern zugewandt und ist mit einem blauen mädchenhaften Kleid mit Puffärmeln und einer weißen Schürze bekleidet. Das schulterlange brünette Haar trägt sie offen. Die Körperproportionen verweisen auf ein frühes Teenageralter. Die Arme sind sehr schlank, ihr Kopf im Verhältnis zum Körper relativ groß, und die grünen Augen erscheinen riesig. Hier verschmelzen Kindchenschema und Teenagerimage. Die Darstellung auf dem mittleren Bildteil wirkt sehr fraulich. Dieser Eindruck wird durch die seitlich angeschnittene Darstellung ihrer MundNasenpartie erreicht, wodurch der Blick auf ihren Mund gelenkt wird, der durch volle und weich gestaltete Lippen gekennzeichnet ist. Diese Konstruktionskomponente findet keinerlei Entsprechung im PC-Game. Auf der linken Bildseite sieht man Alice mit ernstem Gesichtsausdruck. Sie umfasst mit der rechten Hand ihren linken dünnen Oberarm, was auf ein eher passives, beobachtendes Verhalten schließen lässt. Auf der rechten Bildseite hält sie ein großes blutiges Messer, dessen Spitze nach unten zeigt. Die weiße Schürze ist auf der linken Bildseite unbefleckt und rein, auf der rechten Seite blutdurchtränkt. Die Figur ist vor einem rot-fleckigen Hintergrund situiert, der farblich mit dem Blut auf ihrer Kleidung korrespondiert. Die Tasche der Schürze ist mit einem Alpha-Symbol bestickt, an einer Halskette trägt Alice ein Omega-Symbol. Diese christlichen Symbole stehen für Anfang und Ende. Die Symbolik ihrer Schürze wird ergänzt durch

14 Die Abkürzung MUD steht für Multi User Dungeons. Multi User bedeutet soviel wie Mehrbenutzerfähigkeit, das heißt, es können beliebig viele Spieler gleichzeitig spielen. Das Dungeon (Verlies) ist der klassische, textbasierte Ort bei FantasyRollenspielen. Der Spieler muss sich in virtuellen Räumen mit seinen Mitspielern auseinandersetzen, befindet sich quasi in einem Chat mit Wandelgängen. Das MOO (Mulit User Dungeon Object Orientated) stellt einen Treffpunkt für Interessensgruppen dar und kann zu Lernzwecken verwendet werden. 55

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die Verwendung von Gothic-Elementen15, wie z.B. die Totenkopf-Spange, die sich auf der Rückseite ihrer Schürze befindet. Die Ausstrahlung der Spielefigur changiert somit zwischen mädchenhaft zurückhaltend, weiblich verlockend und psychopatisch aggressiv. Die bildliche Spaltung trennt das Konglomerat der verschiedenen Anteile auf, aus denen die Protagonistin konstruiert ist: Einerseits wird durch Kleidung 15 Zur Symbolik der Gothic Jugendkultur siehe: Birgit Richard: Todesbilder. München 1995 und Birgit Richard: Schwarze Netze: Eine klassische Subkultur mit medialen Extensionen, die Gruftie- bzw. Gothic-Punk Szene. In: Eric Meyer (Hg.): Kursbuch Jugendkultur, Mannheim 1997, S. 129-140 und Birgit Richard & Sven Drühl: Das Magische II. Zur Repräsentation okkulter Phänomene und Emanationen des Bösen. In: Kunstforum International, Band 164, März - Mai 2003, S. 34.

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und Körperhaltung auf die literarische Vorlage, andererseits auf deren Modifikation verwiesen. Dieser Third-Person-Shooter bezieht sich auf die literarischen Werke Alice im Wunderland (1865) und Alice hinter dem Spiegel (1871) von Lewis Carroll (Rev. Charles Lutwidge Dodgson). Grundlegende Modifikation der literarischen Vorlage ist, dass Alice fast von Anbeginn des PCSpiels die Macht hat, bedrohliche Situationen körperlich aktiv durch Kampf anzugehen. Die meisten Charaktere, z.B. die Katze und die schwarze Königin, aber auch Teile des Settings, sind diesen literarischen Vorlagen entlehnt. Alice ist in Anlehnung an die ursprünglichen Illustrationen von John Tenniel (1820 - 1914, London) und von Lewis Carroll gekleidet. Das Spiel schließt ein Jahr nach dem letzten Abenteuer in Alice hinter dem Spiegel an. Dieser zeitlichen Logik folgend hat Alice im Spiel den Körper einer Teenagerin. Im PC-Spiel ist sie im Gegensatz zu der Protagonistin der Disney Produktionen und der literarischen Vorlage nicht blond, sondern dunkelhaarig. Das beiliegende Booklet beschreibt Alices Situation in Form eines ärztlichen Berichts. Seit dem Tod ihrer Eltern, diese Katastrophe wird im Intro gezeigt, liegt Alice apathisch in einer Nervenheilanstalt. Ein Stofftier in Form eines weißen Kaninchens löst bei ihr starke emotionale Reaktionen und den Beginn der Spielhandlung aus; sie fällt im Intro durch ein Loch in die Unterwelt. Dieser als Tunnelfahrt dargestellte Übergang verdeutlicht, dass Alice diese Welt nicht auf gleichem Wege wieder verlassen kann. Als nächstes erfährt sie, dass sie die Einzige ist, die das Wunderland vor der Versklavung durch die böse Königin retten kann. Wenn Alice im Spiel den stärksten und letzten Feind, die „Schwarze Königin“ besiegt, wird sie in einer animierten Sequenz geheilt und aus der Anstalt entlassen. Mit dem Sieg über die gedanklichen Ausgeburten ihrer eigenen Vorstellungskraft errettet sie nicht nur das Wunderland, sondern auch sich selbst. Alice wird im Spiel von ihren Gefährten als neugierig und lerneifrig beschrieben, sie zeigt im Spielverlauf keinerlei Angst und ist in Gesprächen ironisch bis frech. Alice ist nach eigenen Aussagen mit Hilfe ihrer Waffen dazu bereit, jeden aus dem Weg zu räumen, der ihr bei dem Vorhaben, das Wunderland zu retten, im Wege steht. Sie kann gehen, laufen, springen, an Lianen schwingen, schwimmen, klettern.16 Ihre Waffen sind wahlweise im Nah- oder Distanzkampf einsetzbar. Zudem kann sie eine abgemagerte, heruntergekommene und an einem Ohr gepiercte „Grinsekatze“ herbeiläuten und sie um Rat fragen. Waffen werden aufgesammelt, indem die Spielfigur darüberläuft, und stehen danach dauerhaft zur Verfügung. Nur der Einsatz einer speziellen Waffe, des Wutfläschchens, ist fest an den jeweiligen Fundort gebunden und kann nicht ins Inventar aufgenommen werden. So kann die Protagonistin an drei Stellen im Spiel gezielt in den Affektzustand der Wut versetzt werden: Alices Körper vollzieht dabei, verursacht 16 Ihre Art zu gehen wirkt sehr beherrscht, ihr Laufen spielerisch. Wenn Alice länger als 10 Sekunden im Geh-Modus gespielt wird, ändert sich die Bewegung zu einem Schleichen. 57

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durch eine rote gasförmige Substanz, die in ihren Kopf eindringt, eine Metamorphose ins Monströse: Alice schlägt daraufhin beide Hände vor das Gesicht, sackt in sich zusammen, fällt auf die Knie und stöhnt vor Schmerz laut auf. Dann wachsen an Skorpionscheren und Widderhörner erinnernde Gebilde seitlich aus ihrem Kopf. An ihren Schulterblättern entsteht jeweils ein Skorpionstachel. Ihre Arme werden blutrot und ihre Hände größer und krallenartig. Sie öffnet ihre Arme, überstreckt ihren Oberkörper nach hinten und wendet ihr Gesicht zum Himmel. Ihr gesamter Oberkörper und auch ihr Gesicht ist von einem blutrotem Lichtschimmer umgeben und leuchtet. Die Gesichtszüge sind kantiger, härter und wirken wie angeschwollen. Ihre Ausstrahlung ist diabolisch. Die Metamorphose geht mit einer zeitweiligen Erstarkung ihrer Kampffähigkeiten einher. Der Einsatz der Waffen verbraucht Energie, nur das Messer kann von Alice ohne diese Konsequenzen verwendet werden. Alice kann an verschiedenen Stellen neue Energie aufsammeln oder durch den Tod von Gegnern erhalten. Sie bezieht also ihre Kraft zum Besiegen ihrer Feinde durch das Töten. Durch die Gesten werden ihre verschiedenen Persönlichkeitsanteile verdeutlicht. Ist sie in animierten Sequenzen in der Situation der Zuhörenden, steht sie mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf der Stelle und wippt auf den Zehenspitzen, ungeduldig aber zurückhaltend, vor und zurück. Wird die Spielaktion unterbrochen, so ändert sich in animierten Sequenzen die Kameraperspektive, und Alice wird von vorn gezeigt. Dem nicht mehr aktiven Spieler wird somit eine aktive Alice Gegenübergestellt. Diese unternimmt nun jeweils verschiedene Warte- und Überbrückungsgesten: Hände und Fingernägel betrachten, mit den Füßen scharren, demonstrativ cooles Herumstochern oder auch lässige Wurfspiele mit dem Messer, Fingernägel reinigen.17 In den literarischen Werken von Lewis Carroll muss Alice dagegen in ihren Erlebnissen verschiedene Situationen durchleiden - sie ist ihnen ausgeliefert. Die Machtkämpfe zwischen Alice und ihren Widersachern finden dort in der sprachlichen Kommunikation statt, bis sie sich dann letztendlich auch körperlich zur Wehr setzt. Die Protagonistin des PC-Spiels ist in jeder Situation kämpferisch aktiv und besitzt Macht und Waffen, um ihre Feinde zu besiegen. Die Figur der Alice ist mit einem unverletzlichen Körper ausgestattet. Sie muss zwar alles durchleiden, aber es hinterlässt keine Spuren an ihrem Körper. Die Sterblichkeit der Protagonistin begrenzt ihre Macht nur scheinbar. Die angelegte Spielstruktur erlaubt das Abspeichern von Spielständen und somit die Wiederholung von Kampfsituationen, bis sie erfolgreich gelöst werden.

17 Je nach verwendeter Waffe, werden die Gesten modifiziert. 58

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In beiden Werken von Lewis Carroll und im Spiel finden die wundersamen Erlebnisse von Alice in ihren Träumen bzw. in der Gedankenwelt statt. Durchgehendes narratives Element innerhalb der verschieden Medien ist der Sieg über die schwarze Königin und dem darauffolgenden Erwachen aus dem Traum.18 American McGee’s Alice zeigt eine belebte Dingwelt und transformiert Motive von Phantasiewelten aus der Malerei. Steine erheben sich, beginnen zu laufen und lassen sich an anderen Orten nieder, wenn Alice in ihre Nähe gelangt. Der hier gezeigte Animismus weist auf Anleihen aus der Bildenden Kunst, z.b. auf Hieronymus Boschs surreale Welt, in denen tote Gegenstände zum Leben erwachen. Auf dem Bild „Die Versuchung des heiligen Antonius“19 sieht der Einsiedler sich mit Steinen im Bach konfrontiert, die ihn bedrohlich mustern. In einer anderen animierten Sequenz tauchen Burg und Fluggerät auf, die ebenfalls an Bosch-Motive erinnern.20 Die phantastische Hybridität in der Mischung aus belebten tierischen Elementen und Gegenständen wird hier in einem bewegten Bild dargestellt. 18 „Wie lautet euer Urteil?“ fragte der König ungefähr zum zehntenmal. „Nein, nein!“ sagte die Königin, „zuerst die Strafe, dann das Urteil!“ „Schluß mit dem Gefasel!“ sagte Alice laut. „Zuerst die Strafe, wo gibt's denn so was!“ „Du hältst den Mund!“ sagte die Königin, krebsrot vor Zorn. „Ich denke gar nicht daran“, sagte Alice. „Kopf ab mit ihr!“ schrie die Königin aus Leibeskräften. Niemand rührte sich. „Wer wird sich denn um euch scheren?“ sagte Alice (denn sie hatte ihre volle Größe erlangt), „ihr seid ja nichts weiter als ein Kartenspiel!“ Bei diesen Worten schwang sich das ganze Kartenspiel in die Luft und kam auf sie zugesegelt. Halb zornig, halb erschreckt, stieß Alice einen kleinen Schrei aus und schlug nach ihnen, um sie zu verjagen - und auf einmal war sie wieder am Bachufer und lag mit ihrem Kopf ihrer Schwester im Schoß, und eine sanfte Hand strich ihre einige raschelnde Blätter aus dem Gesicht, die von einem Baum auf sie herabgeflattert waren. [...] „Ach, und ich hatte so einen seltsamen Traum, sagte Alice [...].“ (Lewis Carroll, Alice im Wunderland, Frankfurt am Main 1973, S. 125). [...] der Schöpflöffel kam über den Tisch auf Alice zugeschritten und bedeutete ihr mit einer herrischen Geste, Platz zu machen. „Das halte ich nicht mehr aus!“ rief Alice und griff mit beiden Händen nach dem Tischtuch: ein fester Ruck, und Teller, Schüsseln, Gäste und Kerzen stürzten mit Getöse zu einem Trümmerberg auf dem Boden zusammen. „Und du“, rief sie dann und wandte sich dabei mit wilden Blicken der Schwarzen Königin um, der sie die Schuld gab für die ganze Bescherung [...] „Und du“, wiederholte sie und bekam das kleine Wesen gerade noch zu fassen“ als es über eine Flasche springen wollte, die auf dem Tisch gelandet war, „wirst jetzt von mir gerüttelt und geschüttelt, bis du nur noch ein Kätzchen bist, dass du es weißt!“[...]und je mehr Alice sie schüttelte, desto kürzer wurde sie - und dicker - und weicher - und runder - und [... ] da war tatsächlich ein Kätzchen aus ihr geworden. [...] „Euer Majestät sollten nicht so laut schnurren, sagte Alice, sich die Augen reibend, zu dem Kätzchen vor ihr, mit gebührendem Respekt, aber doch recht streng. „Ihr habt mich aufgeweckt - und dabei hatte ich einen so schönen Traum!“ (Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln, Frankfurt am Main 1974, S. 141f). 19 Hieronymus Bosch: „Die Versuchung des heiligen Antonius“, Madrid, Prado, um 1500. 20 Dieses Motiv der hybriden Fluggeräte findet sich auch in dem Gemälde „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ von Pieter Breughel d. J. (vor 1594, Kassel, Staatliche Museen, Gemäldegalerien Alte Meister, Kupfer, 21 x 30 cm) wieder. 59

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Die gesamte Atmosphäre des Spiels American McGee’s Alice ist bedrohlich und trägt „gotische Züge“ (angelehnt an die gothic novels der schwarzen Romantik). Sie ergibt sich aus der dunklen, altertümlichen und surrealen Ästhetik des Settings.21 Die Gestaltung stellt physikalische Gesetze in Frage. So kann Alice auf bestimmten Dampfwolken schweben, sonst ist der Sturz in die Tiefe tödlich; unter Wasser ist Alice zunächst vom Tod des Ertrinkens bedroht und muss sich deshalb in der Nähe von Luftblasen aufhalten. Später bekommt sie einen Schildkrötenpanzer, mit dem sie unabhängig vom Sauerstoff tauchen kann. Die Umgebung selbst ist voll mit lebensbedrohlichen Gefahren für die Protagonistin. So gibt es Räume, in denen ihr durch schwankende oder wegbrechende Böden buchstäblich der Boden unter den Füßen entzogen wird. Der Weg wird häufig durch ätzende Säure versperrt. Alice wird attackiert von surrealen Elementen aus der Umgebung: von Rosen, die Pfeile schießen, von bombenwerfenden fliegenden Käfern, von Pilzen, die sie verschlucken und sie erneut in hohem Bogen wieder ausspeien. Die bedrückende Stimmung wird auch durch Charaktere erzeugt, die keine direkten Gegner sind. So verhalten sich die „verrückten Kinder“, wie in einer Zwangshandlung, gehen wie ferngesteuert und lachen hysterisch. Diese Stimmung wird noch durch die extra für das Spiel komponierte Musik von Chris Vrenna verstärkt. Es sind unheimliche Instrumentalstücke, eine Mischung zwischen Kinderspielzeugmelodien und Horrorfilmsound.22 Die düstere Stimmung des Spiels kommt also auch in der Gestaltung der Bedienungsoberfläche zum Tragen.23 Das Menü, das beim Beenden des Spiels erscheint, zeigt Alice, auf ihrem Krankenbett sitzend, körperlich extrem ausgemergelt. Ihre Wangen sind stark eingefallen, ihr Haar zerzaust, ihre übergroßen erschrockenen Augen starren ins Leere, und im Vordergrund steht eine heruntergebrannte Kerze. Hier weist die Darstellung wieder Referenzen zu kunstgeschichtlichen Motiven auf. Das Vanitas Stillleben wird aufgegriffen und transformiert, um auf die Vergänglichkeit alles Lebendigen zu verweisen. Die düstere, kalte grau-bläuliche Farbe entspricht der atmosphärischen Stimmung des „Verfalls“, die das Spiel maßgeblich kennzeichnet. 21 Aus Öffnungen in der Stadtmauer quellen zwei riesige bewegliche Zungen. Diese bilden den jeweiligen Endpunkt des Weges, begrenzen somit den Handlungsspielraum der Protagonistin. Im Nichts schweben neben dem Gebäudekomplex einige fragmentierte Bodenteile auf verschiedenen Höhenebenen. Innerhalb dieser Burg befindet sich unter anderem ein zerborstener Innenraum, der in einem Wirbelsturm zu schweben scheint. Eine große Holzkonstruktion, die sich nach dem Gleichgewichtsprinzip einer Wippe verhält, muss von der Protagonistin ausgependelt werden, damit sie die höhere Raum Ebene erreicht. 22 Chris Vrenna ist Gründungsmitglied und Ex-Drummer der Band „Nine Inch Nails“ und hat bereits mit „Smashing Pumpkins“, „Hole“ und „Marilyn Manson“ zusammengearbeitet. http://www.alice.ea.com/german/music.html 23 Die hierin gezeigten Bildsequenzen verweisen in ihrer flackernden, bräunlichmonochromen Bildästhetik auf den Stummfilm. 60

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Alice lässt sich keinem Stereotyp in der heterosexuellen Geschlechtermetaphysik zuordnen. Diese Differenz zeigt sich besonders deutlich in der Konstruktion ihrer Gesten. Nur auf den ersten Blick ist das Verhalten von Alice der bildlichen Konstruktion ihrer äußeren Gestalt, Kleidung und Körperbau, diametral entgegengesetzt. Die „Wartegesten“ dagegen zeigen eigenwillige, ungeduldige und rohe Verhaltensweisen, mit denen das Bild der mädchenhaften Protagonistin gebrochen wird. In einer solchen Wartegeste erscheint Alice in einem Spiegel, wobei sie selbst nicht körperlich anwesend ist. Dies ermöglicht die Identifikation mit der Protagonistin, da ein Perspektivenwechsel stattfindet, der suggeriert, die Spielenden würden sich in Form der Stellvertreterin Alice spiegeln. Die Spiegelung fungiert als „Reality-check“ für die virtuelle Figur. Alice wird so reflektiert, als ob sie frontal vor dem Spiegel stehen würde. Sie kann also nicht als „vor dem Betrachter“ gesehen werden, sondern muss hier „als Betrachtende selbst“ imaginiert werden. Das Spiegelbild dient hier als Beweisführung des Realitätsgrades der Fiktion. Die Protagonistin soll letztendlich als Handelnde und reale Existenz gedacht werden24

Heavy Metal F.a.k.k. Kennt man den Film Heavy Metal F.a.k.k. 2, so überrascht die Verpackung des Spiels nicht sonderlich, denn der Film zeigt explizit martialische sexualisierte Gewalt. Auf der Verpackung ist die Hauptdarstellerin Julie zu sehen, die auf einem Felsen kniet, und zu deren Füßen Patronenhülsen liegen. Sie ist kaum bekleidet, jedoch bis an die Zähne bewaffnet, selbst ihre spärliche Kleidung ist wehrhaft und fungiert als Waffe. Sie trägt rote Strapsstrümpfe, einen roten Tangaslip und einen dazu passenden BH, außerdem einen schwarzen Strapsgürtel, lange schwarze Stiefel und ein Lederoberteil. An Schulter, Handgelenk und Knie sind krallenartige Haken befestigt, die Julies Körper in eine Waffe umfunktionieren. In der linken Hand hält sie ein rotes Kettensägenschwert, in der rechten, zwischen ihren gespreizten Schenkeln hervorragend, ein Maschinengewehr. Zusätzlich führt Julie in ihrem auf dem Rücken befestigten Köcher ein weiteres Schwert und ein Gewehr mit sich. Interessant ist die Kombination aus archaischen, rituellen Waffen und modernstem High-Tech Kriegsgerät. Hierzu korrespondierend trägt sie, wie ein moderner Soldat, auf ihrer rechten Schulter eine ID-Nummer. Die Darstellung oszilliert zwischen mythisch-archaisch und technologisch-futuristisch. Unter ihren roten Strapsen und schwarzem Ledermieder erkennt man einen durchtrainierten muskulösen Körper, dessen große Brüste durch goldene Körbchen betont werden. Julie trägt ihre dunklen Haare hochgesteckt und schaut aus ihren Augenwinkeln in Richtung des Betrachters. Obwohl sie, wie der Hintergrund erahnen lässt, kurz zuvor in einen Kampf mit 24 Vgl. J. Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. In: Lacan: Schriften Bd. I, 1973, S. 61-73. 61

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monströsen Wesen verwickelt war, ist ihr Körper frei von Wunden, ihr MakeUp unberührt; hier findet sich wieder ein Verweis auf den sublimen Körper bei den Spielfiguren. Der Himmel ist flammend rot, verändert sich zur Bildmitte hin zu einem orangegelb; über einen neblig-weißlichen Bereich hinweg sieht man, dass der Felsen, auf dem Julie kniet, von Wasser umspült wird. Der hierbei entstehende „heiß-kalte“ Eindruck ist der gleiche, den auch die in ihrem Blick abweisende Julie vermittelt. Aufgegriffen wird dieser Farbkontrast auch in der Gestaltung des Schriftzugs „Heavy Metal“, der in metallischem Blau vor dem erwähnt flammend-roten Hintergrund platziert ist. Des Weiteren fällt auf der Rückseite des Booklets ein Symbol auf, das auf den ersten Blick an einen Dolch erinnert, jedoch bei näherem Hinsehen als das „Frauenzeichen“ zu identifizieren ist. Es deutet sich an, dass Weiblichkeit auf einer symbolischen Ebene zur Waffe wird. Von Julies Vorleben wird im Laufe des Spiels so gut wie nichts bekannt, der Animationsfilm Heavy Metal F.a.k.k.2 bildet die Vorgeschichte. Der Titel verweist auch auf den ersten Animationsfilm „Heavy Metal“ (1981), der eine Folge verbundener Episoden zu einer Zeit darstellt, in der der Musikstil Heavy Metal noch relativ jung und rebellisch war. Der Film zieht seinen Reiz aus einer „Erwachsenen-Comic“-Ästhetik, in der Sex und Gewalt eine Synthese eingehen. Bei diesen „Adult-Comics“ handelt es sich um die Visualisierung adoleszenter Phantasien.25 Heavy Metal F.a.k.k.2 folgt ebenfalls dieser Ästhetik, ist aber im Gegensatz zu Heavy Metal mit einer durchgehenden Geschichte versehen. Das Spiel Heavy Metal F.a.k.k.2 bedient sich der Quake Bilderwelt aufgrund der von „Quake III Arena“ stammenden Game-Engine. Die Hauptdarstellerin Julie lebt auf dem idylllischen Planeten Eden, dessen Bewohner aufgrund der Beschaffenheit des Wassers unsterblich sind. Eden wird von dem skrupellosen, nach Unsterblichkeit suchenden Lord Tylor überfallen, seine Bewohner ermordet. Einzige Überlebende sind Julie und ihre Schwester, welche von Tylor gefangengenommen und dessen Vergewaltigungsphantasien ausgesetzt ist. Dieser formuliert seinen Rachewunsch gegenüber Julie folgendermaßen: „Ich wünschte, sie wäre unsterblich, dann könnte ich sie jeden Tag ficken und töten.“ Julie macht sich auf zu einem Rachefeldzug, an dessen Ende sie Tylor tötet. Wie im Laufe des Spiels zu erfahren ist, hat Julie die Kolonie auf dem Planeten Eden vor dreißig Jahren gegründet, nachdem sie in einem apokalyptischen Endkampf den dämonischen Gott „Gith“ besiegte, der im Film Lord Tylor ist. Nach dieser Schlacht sammelte sie die „Heimatlosen“ des Universums um sich und gründete die besagte Kolonie. Julie ist also eine Art „gute Mutter“, die Beschützerin der Bewohner Edens. Die Figur des Films verwandelt sich also von einem apokalyptischen Racheengel in eine „Alma Mater“. Sie verkörpert die Version des mythischen Prometheus: In einer Zwischensequenz erläutert ein alter Mann einem kleinen Mädchen

25 Vgl. http://www.rottentomatoes.com/click/movie-1068461/ 62

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die Geschichte Edens, in der Julie als die Gottestöterin und als Begründerin der Zivilisation bezeichnet wird. Zu Beginn des Spiels findet die erste Begegnung mit der Heldin nach einem „Establishing Shot“ statt, der mit einer schwebenden Kamerafahrt rund um ihr Anwesen auf dem Planeten Eden führt. Sie steht auf einer Art Landungssteg über einem gigantischen Abgrund. Bekleidet ist sie mit einem marinblauen hautengen, ihre weiblichen Rundungen betonenden, Ganzkörperanzug. Julie wirkt sehr hochgeschlossen, einzig kleinere Bereiche an Bauch und Rücken lassen ein wenig von ihrer Haut sehen - sie wirkt ein wenig wie eine Königin, die über ihrem Reich thront.26 Während der ersten Level ist der Heimatplanet Julies idyllisch. Känguruhartige Wesen springen durch die Gärten, die Bewohner von Eden beschäftigen sich hauptsächlich mit Ackerbau und Viehzucht. Interessant ist, dass Julie selbst keine Aufgabe in dieser Agrarwirtschaft zukommt. Sie ist die einzige Waffenträgerin, obwohl den Bewohnern Edens in den vergangenen Jahren keine Gefahr droht. Nun bricht das Unglück in Form von grün-fluoriszierenden Asteroiden über Eden herein. Diese haben die Eigenschaften, die Tierwelt Edens zu mutieren, aus den känguruhartigen Wesen werden bösartige Monster. Die Bewohner und das Vieh Edens werden von ebenso grün-fluoriszierenden Insekten angegriffen, und Julie wird zu erneutem Kampf genötigt. Julies Aussehen und Charakter wandeln sich deutlich über die verschiedenen Level. Ihre erste „Verwandlung“ findet in der Spielstufe unmittelbar nach dem ersten Endgegner statt. Julie wird auf ihrem Weg in die Unterwelt Edens von einem bedrohlichen Monster gefangengenommen, nach einer Schwarzblende sieht man sie zwar im gleichen Outfit - dieses ist jedoch zerfetzt, woduch man viel Haut sehen kann. Besonders prägnant ist ein eher „dekorativer“ Riss, der Julies linke Pobacke nahezu vollständig entblößt. Augenfällig wird Julies erneute Regression zu einem Racheengel aber erst im nächsten Level. Nachdem die Aliens endgültig die Invasion des Planenten Eden gestartet haben, sieht man Julie in einer Zwischensequenz in einem unterirdischen Labor, in dem auf einer Art Kleiderhaken ihr neues Outfit zu sehen ist. Nach einem Schnitt sieht man sie dann in der Kombination aus roten Strapsen und schwarzem Mieder, wie schon anhand der Verpackung beschrieben worden ist. Diesmal ist auch Julies Charakteränderung deutlich in Szene gesetzt: hüftschwingend, in einer Art Tanzbewegung, hört man sie sagen: „Groovy, it's time to kick some butt.“ Sie findet Gefallen am erneuten Kampf gegen eine finstere Bedrohung. Auf dem Weg zum Finale ist sie schließlich nur noch in schwarzem Ledermieder gekleidet; ihr Hals von einer Art Dominaband umschlossen. Die intime Einheit von Sex und Gewalt, die bereits den Film Heavy Metal F.a.k.k.2 bestimmte, findet sich in der Protagonistin des Spiels wieder. 26 Der Körper der Herrscherin repräsentiert sich aufgrund seiner Stellung als Staatskörper geschlossen bekleidet, vgl. Barbara Vinken: Kultkörper, Verworfen und Heilig: Marie-Antoinette. In: Gerhard J. Lischka (Hg.): Mode-Kult, Köln 2002, S. 1529. 63

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Die expliziten Hinweise auf Julies Rolle als Sexualfetisch ziehen sich durch das Spiel. Bereits in der ersten Spielstufe, als Julie - nach wie vor vollkommen bekleidet - auf ihre ersten Gegner, die mutierten Insekten trifft, können sich schon solche Phantasien entspinnen. Im Laufe des Spiels wird es jedoch zunehmend expliziter, die Kostümierungen der Protagonistin verweisen immer deutlicher auf eine „handgreifliche Sexualität“ - Julies Look erinnert an eine Lack und Leder -Domina. Die Verquickung von Computerspielheldin und männlichem Begehren ist viel weniger eine Sache der Analyse, wie etwa bei Lara Croft. Was dem Spiel Tomb Raider von seinen Fans mit dem sog. „Nude Raider Patch“ mit einem gewissem Maß an Ironie hinzugefügt wurde, ist bei Heavy Metal F.a.k.k. 2 Bestandteil des Spiels. Trotzdem wirkt Julie innerhalb ihrer virtuellen Umgebung in Film und Spiel nicht deplatziert. Das Setting ist eine Fantasy-Welt, innerhalb der ein martialisches Auftreten legitim erscheint. Keines der Elemente im Spiel lässt in irgendeiner Weise den Verdacht aufkommen, hier solle ein naturalistisches Szenario entworfen werden. Die Bewaffnung der Protagonistin sowie ihre an Alptraumphantasien gemahnenden Gegner relativieren dann auch in gewissem Maße Julies sexualisierte Erscheinung. Die Spieleheldin Julie ist eine ambivalente Gestalt. Der heiß-kalte Eindruck der Spieleverpackung, ihre Regression von der guten Mutter zum Racheengel, ihre gerade aufgrund der fetischisierten Darstellung erzeugten Unnahbarkeit verleihen ihr eine Subjekt-Position, die sie sowohl zu einem Objekt männlichen Begehrens macht, als auch Ermächtigungsphantasien weiblicher Spieler aufgreift.

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III. Formen der aktiven Game-Rezeption in Netz und Real Life

III. Formen der aktiven Game-Rezeption in Netz und Real Life Vom weiblichen Ödipuskomplex zur Female Masculinity In den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse widmet sich Freud in der „33. Vorlesung“ der Weiblichkeit.1 Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Vorstellung einer „konstitutionellen Bisexualität“ des Menschen: Freud geht davon aus, dass der Geschlechterunterschied - die Differenzierung in „Mann“ und „Frau“- im Prinzip eine sekundäre Entwicklung in der Phylogenese ist. Dementsprechend legt er auch einiges Gewicht auf die Relativierung des biologischen Geschlechtsunterschieds und folgert: „das, was die Männlichkeit oder Weiblichkeit ausmache, sei ein unbekannter Charakter, den die Anatomie nicht erfassen kann.“2 Aber auch die psychologische Unterscheidung, wesentlich die Kategorisierung des aktiven Prinzips als männlich und des passiven Prinzips als weiblich, wird von Freud in Frage gestellt.3 Freud sieht die auf die phallische Phase folgende ödipale Phase für beide Geschlechter durch den Kastrationskomplex konstitutiert.4 Der Geschlechterunterschied scheint also 1 2 3

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Vgl. Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. In: ders.: Studienausgabe Bd. I. Frankfurt am Main 1969. S. 544 ff. Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, A.a.O. S. 546. „Wenn Sie jetzt sagen, diese Tatsachen enthielten eben den Beweis, daß Männer wie Weiber im psychologischen Sinne bisexuell sind, so entnehme ich daraus, daß Sie bei sich beschlossen haben, „aktiv“ mit „männlich“ und „passiv“ mit „weiblich“ zusammenfallen zu lassen. Aber ich rate Ihnen davon ab.“ ebd. S. 547. Ebd. S. 548f. Dann kommt Freud auf den weiblichen Ödipuskomplex zu sprechen, um zu ergründen, „wie sich das Weib aus dem bisexuell veranlagten Kind entwickelt.“ Für Freud ist das Kindesalter sowohl beim Mädchen als auch beim Jungen von einer unübersehbaren Übereinstimmung gekennzeichnet: „Man hätte erwarten können, daß sich beim Mädchen bereits in der sadistisch-analen Phase ein Zurückbleiben der Aggression äußert, aber das trifft nicht ein. Die Analyse des Kinderspiels hat unseren weiblichen Analytikern gezeigt, daß die aggressiven Impulse der kleinen Mädchen an Reichlichkeit und Heftigkeit nichts zu wünschen übriglassen. Mit dem Eintritt in die phallische Phase treten die Unterschiede zwischen den Geschlechtern vollends gegen die Übereinstimmungen zurück. Der Knabe entdeckt, dass sein Penis nicht notwendig zum Körper gehört, da er bei seiner Schwester gesehen hat, dass sie über keinen Penis verfügt. Das Mädchen hingegen gewahrt am Knaben den Penis und geht nun davon aus, dass dieser ihr genommen worden ist. Die Folge ist, dass der Knabe sich vor der zentralen Kastrationsinstanz, dem Vater, zu fürchten beginnt, da dieser ihm den Penis nehmen könnte und das Mädchen andererseits wendet sich an den Vater, da sie sich von ihm einen Penis erhofft. Folge des Kastrationskomplex ist allerdings auch, dass der Knabe sich mit dem Vater identifiziert, um sein Primärobjekt, die Mutter, für sich zu gewinnen und um den Vater zu überwinden. Das Mädchen identifiziert sich aus einer ähnlichen Motivation hingegen mit der Mutter. Der Knabe will an die Stelle des Vaters treten, das Mädchen an die Stelle der Mutter.“ 65

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Folge der ödipalen Phase zu sein, nach deren Ausgang der Mensch sich einem Geschlecht „unterordnet“ und die Differenz verinnerlicht. Der Geschlechtsunterschied ist also im Prinzip sekundär erworben, sozusagen kultureller Ballast. Gerade auch neuere feministische Forschung unterstreicht diesen Befund.5 Man kann den Ödipuskomplex als eine Art kulturelle Initiation begreifen, nach dem das Wesen Mensch sich der kulturellen Norm unterordnet, um an der Kultur teilhaben zu können. Der Durchgang durch die ödipale Phase bedeutet so die Unterordnung unter die „heterosexuelle Geschlechtermetaphysik“6. Diese als apriorisch anzusehen wäre folglich nichts anderes als eine essentialistische Projektion, eben ein Rückfall in eine Art „Metaphysik“.7 Für beide Geschlechter gilt also, der mit dem Ödipuskomplex einhergehenden Kastrationsdrohung zu entgehen, die sich für Mädchen und Jungen nicht nur unterschiedlich artikuliert, sondern auch für die jeweilige Entwicklung unterschiedliche Konsequenzen hervorbringt. Auf einer metaphorischen Ebene ist der Durchgang durch den Ödipuskomplex und der damit verbundenen kulturellen Initiation zumindest für das Mädchen sicherlich als eine effektive Kastration zu verstehen. Wo zuvor kein Unterschied im Aggressionsverhalten zu beobachten war, erscheint nun die junge gesittete Frau, und es stellt sich die Frage, ob eben dieses Entgehen der Kastration einen Teil des „Familienromans“ der weiblichen Heldin ausmacht. Dies gilt für Lara Croft ebenso wie für Cate Archer. Zusammen mit Konoko, Alice, Aline Cedrac und auch April Ryan kann für die meisten Heldinnen konstatiert werden, dass sie nicht in „regulären“ Familienverhältnissen aufgewachsen sind.8 Aber nicht nur die Aggressivität wird beschnitten, sondern auch die Intelligenz.9 5 6 7

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Vgl. Judith Butler: Gender Trouble. New York, London 1990. Vgl. Astrid Deuber-Mankowsky: Lara Croft - Modell, Medium, Cyberheldin, Frankfurt am Main 2001. Ein wesentlicher Kritikpunkt an Freud ist, dass diesem mit seiner Konstruktion des Penisneides als Konstituens des weiblichen Geschlechts ebenfalls ein Essenzialismus vorgeworfen wird. Alternativ etwa entwirft Jacques Lacan eine Konstruktion des Ödipuskomplex, in dem an die Stelle des Penis der Phallus als kulturelle Metapher tritt. Die Bindung an den Körper und das Körpererleben der Freudschen Psychoanalyse wird durch einen sprachlichen Strukturalismus substituiert. Zu einer weiteren Kritik an Freud, vgl. außerdem: Luce Irigaray: Das Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin 1979. Ebenso wie der männliche Held im Familienroman. Berühmte mythische Gestalten, wie Siegfried, Parsifal, oder Ödipus, aber auch Moses und Jesus, wachsen nicht bei ihren „wirklichen“ Eltern auf. Vgl. Otto Rank: Der Mythos von der Geburt des Helden. Anders aber als männliche Helden, wachsen weibliche Helden wohl ganz ohne Autorität auf, zumindest lässt sich dies bei Cate Archer und Lara Croft zeigen; gleiches gilt aber auch für so populäre Gestalten wie Pippi Langstrumpf. Vgl. Sigmund Freud: Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci. In: ders.: Studienausgabe Bd. X, Frankfurt am Main 1969. Freud legt in seinem Leonardoaufsatz allergrößten Wert auf seine Konstruktion, dass Leonardo in seinen ersten Kindheitsjahren befreit von väterlicher Autorität aufgewachsen ist und spricht von der „strahlenden Intelligenz“ des Kindes. 66

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Wenn also Cate Archer und Lara Croft ab einer bestimmten Entwicklungsstufe ohne die zentrale Kastrationsinstanz aufgewachsen sind, dann ist dies sicherlich nicht unwichtig für ihr späteres Leben. Hierzu paßt auch, dass im Film Tomb Raider die Protagonistin einiges ihrer Faszination einbüßt, wenn in diversen Rückblenden eine Art überstarke Vaterbindung konstruiert wird. 10

Rezeption & Identifikation Nach dem kurzen Exkurs zur Position Freuds bezüglich der sozialen Konstitution des Geschlechterunterschieds, bezogen auf die biographischen Rahmen der Heroinen, erfolgt nun der Blick auf die Seite der RezipientInnen. Die künstlichen Frauenfiguren der 90er Jahre, bei denen sich Geschlechterdiskurse mit digitaler Technologie verschränken, lösen gerade auf Seiten der Frauen extrem unterschiedliche Reaktionen aus. Im Fall Lara Croft reicht das Spektrum der Äußerungen von der „female enemy number one“11 im Rahmen feministischer Polemiken bis hin zur Feier Laras als einer postfeministischen Ikone. Eine Erklärung für diese Bandbreite potentieller Rezeptionsweisen inszenierter „Weiblichkeit“ könnten Donald M. Lowes Thesen aus dem Buch „The Body in Late-Capitalist USA“ (1995) liefern, auf das die Literaturwissenschaftlerin Randi Gunzenhäuser hinweist: „Lowe nimmt im Spätkapitalismus die Betonung körperlicher Unterschiede ohne zugrundeliegende Identitäten wahr und entwickelt daraus die Theorie einer in westlichen Kulturen immer sichtbarer werdenden Pluralität sexueller Ökonomien, die zugleich subversiv und marktintensivierend wirkt. Eine solche ,spielerische’ Pluralität wird gerade für digitale Texte immer wieder postuliert.“ 12 Die vollkommene Artifizialität der weiblichen Figur, die keine eindimensional-konsistente Persönlichkeit aufweist und sich damit für Projektionen aller Art anzubieten scheint, ermöglicht bei Lara Croft die marktgerechte Nutzung ihres Images in Clips und Werbung. Die Cybergöttin signalisiert eine postmoderne Identität, die sich durch fragmentierte, künstliche, fließend experimentelle Bestandteile auszeichnet. Laras hoher Grad an Künstlichkeit, ihre Multimedialität bzw. Multifunktionalität und ihre Patch10 Auf einmal wirkt Lara Croft unglaublich bieder, zumal sie in einer der letzten Einstellungen in einem vollkommen unpassenden Sommerkleid die Grabstätte ihres Vaters besucht. Diese Szene ist als ironisch gebrochen aufzufassen. Hinweise hierauf sind die kitschigen Schmetterlinge und der weitere Verlauf der Handlung: Lara kehrt danach in ihren Trainingsraum zum Kampf zurück. 11 Cal Jones: Female Enemy Number One?. In: http://www.compactiongames.miningco.com/library/blara.htm 12 Randi Gunzenhäuser: Darf ich mitspielen? Literaturwissenschaften und Computerspiele, S. 13. http://www.computerphilologie.uni-muenchen.de/jg00/gunzenh/gunzenh.html 67

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work-Konstruktion im Bereich des Body-Samplings zeigen ein Spektrum möglicher Identitäten auf. Doch ebenso lassen sich moderne Diskurse im Sinne einer stabilen, essentiellen und einheitlichen Identität finden: Laras Lebenslauf ist auf Stringenz, Widerspruchslosigkeit und dem Ausleben ihrer wahren Bestimmung angelegt; ihr Verhalten ist vorhersagbar und wiederholt sich ständig, und ihre Übersexualisierung suggeriert eine essentiell vorhandene Weiblichkeit. In diesem Sinne waltet keine postmoderne Stratgie, sondern ein repräsentierter Körper funktioniert wieder als Ort der Macht, die Suggestion der Ware Frau wird fortgesetzt und die Hypersexualisierung verstärkt die Idee der biologischen Differenz im Gewand des Zeitgeistes: „Lara manages to precisely capture the spirit of our time. She aptly represents the mixture of faszination, thrill and fear society experiences in view of the fundamental developments in technology and shifts in cultural ,certainties’. She satisfies our desire to have fun and play with the new technologies while at the same time catering to our need of stability, traditional values and the feeling of control.”13 Allerdings werden die Diskurse der Stabilisierung teilweise auch wieder durch eine vage Ironie sabotiert. Denn die körperlich eindeutige (Über-) Weiblichkeit aller Protagonistinnen ist von einer zwangsläufigen Desorientierung aller NutzerInnen begleitet, da die Unerreichbarkeit eines computeranimierten Ideals vorprogrammiert ist. Derselbe Körper, der Schutz, Kraft und Selbstsicherheit garantiert, wird in seiner körperlichen Überperfektionierung zum Unerreichbaren für jeden Nachahmungsversuch. Marie-Luise Angerer gibt allerdings eine generelle diskursive Uneinlösbarkeit des Wunsches bzw. Versprechens einer virtuellen Subjektfindung zu bedenken und bringt die ursprüngliche Spaltung des Subjekts auch im Zusammenhang mit digitalen Umgebungen in Erinnerung. Die Subjektkonstituierung im Sinne von Lacans Spiegelstadium, über das Lacan den Identifikationsprozess ex negativo als Verkennung, oberflächlichen Schein und fiktives Trugbild charakterisiert, manifestiert sich nämlich auch im virtuellen, dreidimensionalen Identifikationsprozess als problematische Verschränkung von changierenden Subjekt- und Objektpositionen. Die entstehende „Terminal-Identity“14 ist demnach sowohl körperreaktionsgebunden als auch extrem desorientierend, insofern der Körper und seine Repräsentation und damit das Ich und das Andere ständig oszillieren:

13 Birgit Pretzsch: Lara Croft and Feminism. http://www.ifu.uni-hamburg.de/webspace/gendering/lara/tr.html 14 Scott Bukatman: Who Programms You? The Science Fiction of the Spectacle, S. 203. In: Annette Kuhn (Hg.): Alien Zone, London/New York 1990. 68

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„Mein Körperbild sowie mein sich nachträglich einstellendes ,moi’ sind immer schon auf der Seite des Anderen, wodurch einer möglicherweise neuen taktilen Qualität, wie sie sich im Cyberspace einstellen kann, nicht von vornherein jegliche Berechtigung abgesprochen, sondern vielmehr auf deren diskursive Uneinlöslichkeit derzeit verwiesen werden soll.“ 15 In Bezug auf die ambivalenten Körperdiskurse der Heldinnen ist die Interpretation der generellen Gender-Instabilität von Elisabeth Grosz interessant. Grosz vermutet, die von Butler und Halberstam angenommene Instabilität von Gender existiere als Instabilität von Sex, und zwar im Sinne einer möglichen körperlichen Fähigkeit, die jedoch unterdrückt werden muss, weil sie kulturell inakzeptabel ist: „Isn´t it more threatening to show not that gender can be at variance with sex, [...], but that there is an instability at the very heart of sex and bodies, that the body is what it is capable of doing is well beyond the tolerance of any given culture?“ 16 Daraus ließe sich schließen, dass körperliche Abweichungen von Weiblichkeitsnormen - und als solche wären wohl auch die starken, extrem sexualisierten Körper der Game-Heroinen zu fassen - gerade wegen ihrer Machbarkeit bedrohlich wirken, während diese Bedrohung dort, wo Körperformulierungen in ihrer künstlichen Überzeichnung die Grenzen des als machbar Vorstellbaren überschreiten, zugleich eine erneute Zähmung erfahren. Man kann an der offensiv formulierten Künstlichkeit der weiblichen Körper also nicht pauschal ein subversives Moment festmachen - das sie jedoch durchaus enthalten mögen. Was Gunzenhäuser für Lara Croft feststellt, lässt sich auf alle Protagonistinnen übertragen: Die Rezeption der weiblichen Computerspielfiguren hängt vom Standpunkt der SpielerIn/BetrachterIn/InterpretIn ab: „Solche ,weicheren’ Konzeptionen von Körperidentitäten können aber durchaus zu spannenden Widerstandsmodellen führen, innerhalb derer das selbstreflexive Spielen mit Identitäten und Begehren Platz hat. Unter diesen Vorzeichen lässt sich etwa die Gestalt Lara Crofts als ein ironischer Kommentar zur Fetischisierung des weiblichen Körpers einsetzen - wenn die Geschichte des Fetisch Maschinenfrau mit ins Bild rückt. Dann wird das Posieren als Fetisch zum strategischen Spiel, die Identifizierung mit der Position des technologischen Fetisch wird zur subversiven Gegenerzählung. [...] Im Zweifelsfall kommt es darauf an, wer den Text rezipiert.“17

15 Marie-Luise Angerer: alt. feminism, ..., S. 6. 16 Elizabeth Grosz: Volatile Bodies. Toward a Corporal Feminism, Indianapolis 1994, S. 140. 17 Randi Gunzenhäuser: Darf ich mitspielen? A.a.O. S. 27. 69

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Weibliche Repräsentation Der Begriff „Repräsentation“ besitzt zwei Bedeutungen, die sich beide mit der Assoziation von „Bildlichkeit“ verknüpfen: in Form einer Darstellung und in Form einer Vorstellung im Sinne mentaler Projektion. Repräsentation meint aber auch Vertretung im politischen Sinne, also Vertretung im intersubjektiven Raum.18 Versucht man nun diese Bedeutungen zusammenzudenken, so ergibt sich für die selbstgewählten Repräsentationsbilder von computerspielenden Frauen, die sich häufig in so genannten „Clans“ organisieren, ebenfalls eine entsprechende Interpretation. Die Bilder, die sie von sich entwerfen und in den Skins konkretisieren, dienen in diesem Sinne nicht allein der bildlichen, sondern auch der politischen Vertretung. Mit den Skins schaffen sich die Gamerinnen eine zweite Identität, mit der sie nicht nur online agieren, sondern zugleich ihre Subjektivität im intersubjektiven Raum der Online-Spiele repräsentieren und markieren. Falls eine virtuelle Heldin nicht gefällt, kann das Aussehen des weiblichen Avatars mit Hilfe von selbstangefertigten Skins verändert werden. Haut, Haare und Kleidung der digitalen Figur können in Farbe und Design modifiziert werden. Durch die sogenannnte „the art of skinning“ werden neue Projektionen und Assoziationen zu den virtuellen Ikonen möglich.

Grrls who got Game. Spielen Männer und Frauen anders? Von den Ressourcen im Internet19, die sich explizit an ein weibliches Publikum wenden, sind die „WomenGamers“ die seriösesten. Ausschlaggebend für die Gründung von „www.womengamers.com“ im Mai 1999 war für Phaedra und Ismini Boinodiris die Unzufriedenheit mit dem bestehenden Angebot an Game Websites. Besonderes Ärgernis waren BannerWerbungen und Chatrooms mit sexistischen Inhalten. Nicht die Spiele selbst werden kritisiert, sondern die Gesamtgestaltung der Gaming Websites, die sich an ein männliches Spielerpublikum richten und bei denen häufig gecrackte Software hinter Pornographie zu finden ist. Auf einer sachlichen, argumentativen Ebene versuchen die WomenGamers, Einfluß auf die Gestaltung der Computerspiele zu nehmen. Mit quantitativen Aussagen, dass 43 % der PC-Spieler und 35 % der Console-Spieler Spielerinnen sind und Frauen im Computerspielebereich eine Kaufkraft von zwei Milliarden Dollar repräsentieren, wird dafür geworben, dass Frauen von der Industrie als Zielgruppe ernst genommen werden sollen.20 Die Artikel, die auf der Website gehostet werden, sprechen sich gegen sexistische Inhalte in

18 Vgl. Marie-Luise Angerer: The Body of Gender, Wien 1995. 19 Eine kleine Auswahl: http://www.womengamers.com; http://www.grrlgamer.com; http://www.gamegal.com; http://www.girlzclan.com; http://www.gamegirl.net; http://www.nolfgirl.com; http://www.gamegirlz.com; http://www.vifem.com; 20 Vgl. http://www.womengamers.com/about/ Abschnitt: „Market Size“. 70

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Computerspielen aus.21 Großes Ärgernis für die WomenGamers sind hierbei die übersexualisierten Darstellungen von Frauen: „We are not looking to eredicate all female characters with huge boobs, as we realize some gamers enjoy them. But it would be nice if not ALL female characters had them!“ 22 Cate Archer aus dem Spiel No One Lives Forever verkörpert für die WomenGamers eine positive Heldin. „Advertising emphasize Cate as an all-inclusive package of brains and beauty („Killer Style Meets Killer Instinct“), not just how tight her catsuit is. Overall, the game is marketed in a refreshing way that makes Cate appeal to both genders. There's room to want her and to want to be her, and the two aren't mutually exclusive. I believe that ignoring this game based on the marketing would be a grave mistake, as it's the first title to successfully combine a sexy, smart, and capable heroine with a great script, humor, and fantastic game play. Cate deserves to be a star.“ Doch auch Lara hat die Grundanlagen zu einem positiven Modell: „With tantalizing british accent, Lara is tough, beautiful, intelligent, and physically-fit with a killer-instinct. [...] However, she has been aggressively marketed as a sex symbol, which has turned off many female gamers.” 23 Hinter dem Hyperlink „Digital Women“24 befindet sich ein Pantheon von Computerspiel-Heroinen, deren Abbildung den Link zur kompletten Besprechung des Spiels bildet. Die eingehende Bewertung der Frauenrolle berücksichtigt auf einer Skala von 1-10: Aussehen (Look), Verhalten (Attitude), Intelligenz (Intelligence), Stimme (Voice), Haltung (Stance) und das Marketing in Hinsicht auf Frauen (Marketing efforts toward women). Hierbei ist vor allem die Zusammenstellung der Kriterien zu beachten: Der „Look“ spielt eine große Rolle, er kann allerdings - bei Nicht-Gefallen - mit eigenen Oberflächen, Skins, nachgebessert werden. Erstaunlicherweise schneiden die Heldinnen, bis auf eine einzige Ausnahme, gut bis sehr gut ab. Als Alternative zu den digitalen Frauen als Sexobjekt finden sich auf der Website der WomenGamers Hintergrundbilder (Wallpapers) und Skins, die einem positiven Frauenbild entsprechen. Für jede Spielekategorie findet sich hier ein eigenes Wallpaper, etwa für die Frau, die gerne Rätsel löst, eine Managerin, vertieft in die Lösung eines Kreuzworträtsels, oder für die Frau, die Rollenspiele bevorzugt, eine Prinzessin. Allen gemein ist eine Art Unschuldigkeit: Sie sind „Good Girls“, die für Gerechtigkeit einstehen. 21 22 23 24

Vgl. etwa: http://www.womengamers.com/articles/bpolicy.html http://www.womengamers.com/dw http://www.womengamers.com/dw/lara.html http://www.womengamers.com/dw 71

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Es sind niedliche, harmlos wirkende Zeichentrickfiguren mit einem Hauch von Ironie. Die Wallpapers schöpfen aus einem breiten Fundus zeitgemäßer Mode/Jugend -Kultur, wie etwa die Hip-Hop-Skaterin, die urbane Camouflage-Kämpferin oder die intellektuelle, erfolgreiche Mittdreißigerin. Des Weiteren finden sich Figurinen, die offensichtlich einer Märchenwelt entstammen und an Peter Pan oder Robin Hood erinnern. Interessanterweise wird ein eher männliches Vorstellungsuniversum verweiblicht. Den Hintergrund aller Wallpapers bildet das ubiquitäre WomenGamersLogo, welches wie ein von Ringen umsäumter Planet anmutet, in dessen Zentrum das „Frauenzeichen“ steht. Die Designerin der Wallpapers, Meghan Dombrowski (alias „Seby“), lehnt sich in ihren Bildern in gewissem Maße an eine Anime-Ästhetik an, und Resultat ist, dass alle dargestellten Spiele-Heldinnen (Action-Woman, Adventure/RPG-Woman, Classic/ Puzzle-Woman, Strategy-Woman, Simulation-Woman, Sports-Woman, Job-Woman) sich ähnlich sind. Die WomenGamers-Website ist ein ambitioniertes und dabei recht konventionelles Spiele-Portal, das sich auf attraktive und gleichzeitig harmlose Weiblichkeitsdarstellungen fokussiert Das Frauenbild, das auf WomenGamers vermittelt wird, wirkt brav und wirft die Frage auf, ob die Entsexualisierung der Repräsentationsfiguren nicht einem bürgerlichen Diskurs entgegenkommt, dem an einer Kastration weiblicher Protagonistinnen gelegen ist. Im Universum der WomenGamers bleibt Geschlecht eine automatische und gleichzeitig stabilisierende Konstruktion.

Girlzclan 1999 wurde in in Austin/Texas die Girlzclan-Website 25 mit dem Slogan „all female gaming clan“ und dem Schwerpunkt Ego Shooter Spiele veröffentlicht. Der Girlzclan bietet viele Skin-Optionen an, um das Aussehen der weiblichen Charaktere zu verändern. Im Unterschied zu den WomenGamers zeigen sich die Girlzclan-Skins aggressiver und sexualisierter. „Toughe“ und selbstsichere Identitäten werden den anderen ClanFrauen voller Stolz präsentiert. In Anbetracht dieser Avatare ist ein Vergleich mit den Fotos aus dem Real Life interessant, die von den Gamerinnen ebenfalls auf der Website veröffentlicht werden. Wie in einem Familienalbum werden nette Versionen des „all-american-girl“ gezeigt, das Kinder und (Ehe-)Männer um sich schart. Ganz offensichtlich stellen diese Alltagsfotos einen großen Kontrast zu den verruchten virtuellen Avataren dar. Demzufolge scheint es genau die Spannung zwischen der heimischen Sphäre und der Online-Welt zu sein, die dem Girlzclan besonders gefällt. Seine weiblichen Mitglieder sehen keinen Nutzen in der physischen Kopie eines virtuellen Vorbildes, wie es Body Doubles von Lara Croft darstellen. Stattdessen besteht ihr Vergnügen aus der Modifizierung des virtuellen Designs, zu der sie zusätzlich eine freche Persönlichkeit erfinden. Das 25 http://www.girlzclan.com 72

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nette amerikanische Family-Girl stellt daher ein ebenso hohes Ideal für den Girlzclan dar wie die harte Kämpferin ohne soziale Verantwortung. Wie sich gleichfalls an den selbstgestalteten Wallpapers ablesen lässt, versuchen die Frauen des Girlzclan ihre beiden Träume von Weiblichkeit - das nette Mädchen und die Powerfrau - zu realisieren. Somit legt die Girlzclan -Website die künstliche Produktion von beiden Weiblichkeitskodierungen offen. Beide Optionen führen in ihrem performativen Charakter deutlich den Aspekt der Konstruktion von Weiblichkeit vor.

www.GrrlGamer.com Der Domainname lässt es schon vermuten: Die GrrlGamer stehen den RiotGrrls26 nahe. Die Web-Site der GrrlGamer ist nicht sehr umfangreich, da sie von ihren Mitgliedern in der Freizeit gepflegt wird. Hier steht der Spaß am Spielen, weniger aber der konkrete Einfluss auf die Spieleindustrie, im Vordergrund. Die auf den html-Seiten abgebildeten Frauen sind charakterisiert durch grellbunte Farbigkeit, eine Mischung aus 70er Jahre Mode und zeitgemäßer Girlie-Power, flächig und dadurch wenig die Volumina betonend. Die GrrlGamers spielen mit dem Teenie-Image und setzen augenscheinlich wenig auf das klassische Frauenideal.

Die Grrlgamers haben eine starke Affinität zum Ego Shooter Genre. Die „Real life“ rriot grrls aus Fleisch und Blut dienen als Referenz. Der rebellische Unterton zeigt sich durch die vielen rrs im Website und Community Namen. Die grrlgamers assoziieren sich mit Frauen wie Courtney Love und ihrer autonomen sexy und aggressiven Weiblichkeit. Die Website konzentriert sich auf Spiel, Renzensionen und die Zurverfügungstellung von cheats. Die Site ist sehr diskursiv und text-basiert, wenig Bilder und Skins auf den ersten Ebenen. Sie enthält Kategorien wie GrrlX „She shoots 26 Siehe: Birgit Richard: Schwarze Netze statt Netzstrümpfe. Websites als Extension von weiblichen Aktions- und Kommunikationsräumen. In: Winfried Marotzki & Dorothee Meister & Mike Sandbothe (Hg.): Zum Bildungswert des Internet, Opladen 1999. 73

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from the hip“ or „your daily bitch“. Gaming ist hier kein kompensatorisches Hobby für entgangene Gelegenheiten im Alltag. Eine unabhängige weibliche Spielekultur ist das Ziel. Grrlgamer Charaktere auf der Website versuchen die Anmutung der Coolness des Subkulturellen zu erzeugen. Die GrrlGamer kooperieren nicht mit der Spieleindustrie, wie die WomenGamers, die in der Tat das eine oder andere frauenspezifische Spiel hervorgebracht haben.27 Die Texte sind essayistisch bis polemisch. Wichtiger für die GrrlGamers ist der Spaß am Spielen. Nichtsdestotrotz wird an Kritik nicht gespart, allerdings weniger realpolitisch als bei den WomenGamers: „Well forgive the stereotype, but a good number of game developers are pizza faced nerds with sticky palms and hairy knuckles. It's almost part of the profile for the job.“ 28 Es sind vor allem die wenig „frauenspezifischen“ Spiele, wie Quake, Doom und Unreal, die im Internet frauenspezifische Webseiten für Spiele hervorgebracht haben. Eine deutliche Sprache sprechen auch die bildlichen Repräsentationen auf der GrrlGamer-Site. Während bei den WomenGamers alle html-Seiten mit einem doch recht sachlichen Logo hinterlegt sind, finden sich bei den GrrlGamern mit Pistolen bewaffnete oder kickboxende Frauenfiguren, die die Betrachterin offensiv anblicken. Auch die Frauenbilder der GrrlGamer bedienen sich der japanischen Manga/Anime Ästhetik in einer übersteigerten Form. Interessant jedenfalls ist, dass die großen Augen der Figuren nicht bewirken, dass die Mädchen „cute“ wirken. Vielmehr erwecken diese grellbunten, schlanken und biegsamen Figuren alles andere als den Eindruck von lieben Mädchen. Frei nach dem Motto „No more Mr. Nice Grrl”29 zielt auf der Startseite der GrrlGamer eine schwarzbekleidete Gestalt mit ihrer Waffe direkt auf die Betrachterin. Hierbei kneift sie in einer lässigen Geste das rechte Auge zu und stemmt ihren rechten Arm in die Hüfte. Ihre lilafarbenen Haare türmen sich, am Hinterkopf zu zwei Haarknoten zusammengesteckt, an ihrem Kopf auf. Sie wird von dem GrrlGamer Logo links flankiert, auf dem, in einer an „Drei Engel für Charlie“ anmutenden Figurenanordnung, drei weitere Girlies zu sehen sind. Vor einem zart-rosa-Hintergrund fügen sich Frisuren, Kleidung und androgyner Körperbau (relativ schmalhüftig, wenig taillenbetont, mädchenhafte Brüste) zu einem Gesamtensemble, das ein Stück weit an eine Phase der Kindheitsentwicklung erinnert, in der sich die Differenzierung in zwei unterschiedliche Geschlechter noch nicht als 27 Vgl. http://www.womengamers.com/onlinegames/kiwigames.html. Zu finden sind hier etwa ein Memory mit WomenGamers-Motiven oder ein Online-Pokerspiel mit Herzchen- oder Blümchenkarten. 28 Chella Kline: It's not a Dude thang, it's not a Chick thang, it's a peoples thang. http://www.grrlgamer.com/grrlzpov.htm 29 So lautet eine Abschnittsüberschrift in dem Text „It's not a Dude thang, it's not a Chick thang, it's a peoples thang“ von Chella Kline. 74

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offensichtlich herausgebildet hat. Die GrrlGamers spielen mit einem Teenie-Image und setzen augenscheinlich wenig auf das klassische Frauenideal. Wichtig sind der direkte Blick in die Augen der Betrachterin und die Attribute Dynamit, Revolver, Kaugummiblase, und Joystick. Hier zeigen sich Merkmale für eine offensive „Attitude“: Auge in Auge-Konfrontation, kein gesenkter Mädchen-Blick, Waffen als Zeichen von Aggression und Frechheit und kein geschlechtsstereotypes Verhalten. Beim Blick auf die Websites wird deutlich, dass Spieleentwickler nur scheitern können, wenn sie frauenspezifische Spiele auf den Markt bringen wollen.30 Der „Barbie Fashion Designer“ der Firma Matel verweist als bekanntestes Beispiel für diese Art von Computerspielen auf das Problem, dass Frauen mit der Teenagerin verwechselt werden, wenn man die Spielverpackungen in geschlechtsspezifischem Rosarot hält. Wenn den Entwicklern oder den Marketingstrategen nichts besseres einfällt, als Spiele in Rosa zu verpacken, um den weiblichen Markt zu adressieren, dann spricht dies die ganze Misere aus. Diese entsteht aus dem Vorurteil, dass Frauen keine Computerspiele spielen und dass Computer generell junge Frauen nicht ansprechen.31 Die MIT-Publikation „From Barbie to Mortal Combat“32 betrachtet das Verhältnis von Frau und Computer aus einer ganz anderen Perspektive: Computerspiele werden als hilfreich erachtet, um junge Frauen an einen selbstbewussten Umgang mit Computern heranzuführen und widmet sich im ersten Teil „The Girls’ Games Movement“ dem Problem, wie Computerspiele geartet sein könnten, um junge Frauen anzusprechen. Das Ergebnis fällt dann wenig überraschend stereotyp aus: „Our analysis suggests that girls like nonaggressive play activities that allow them to create fantasies set in familiar settings with familiar characters.“ 33 Besonders „Barbie Fashion Designer“ erscheint als ein prototypisches Spiel für Mädchen, das die Verwendung dualistischer Geschlechterrollen perpetuiert. An Stelle der normierten, heterosexuellen Geschlechtsrollenzuschreibung tritt hier der Ruf nach „Gleichheit“. Der Dualismus „Spiele für Männer - Spiele für Frauen“ weicht einer Differenzierung in Actionspiele, 30 Vgl. dazu auch: Nikki: Games for girls? http://www.grrlgamer.com/geegrrl.htm 31 Hartmut Winkler: Docuverse - Zur Medientheorie der Computer. München 1997. Für den Medienwissenschaftler Hartmut Winkler liegt dies an der diskreten, isolationistischen Struktur der Computer, welche durch die grafische Benutzeroberfläche lediglich überdeckt, jedoch nicht außer Kraft setzt. Übertragen auf Computerspiele und ihr Interface würde dies bedeuten, dass auch Computerspiele der dem Computer inhärenten logozentristischen, und somit der phallozentristischen Ordnung nicht entkommen. Winkler nutzt den Dualismus von „Computer = isolationistisch = männlich“ und „Welt = kontextuell = weiblich“ um bestimmte Wunschphantasien, die sich an den Computer als Medium heften, zu entlarven. 32 Justine Cassell & Henry Jenkins (Hg.): From Barbie to Mortal Kombat: gender and computer games, Cambridge, 1998. 33 Kaveri Subrahmanyam & Patricia M. Greenfield: Computer Games for Girls: What Makes Them Play? In: Justine Cassell & Henry Jenkins (Hg.): From Barbie to Mortal Kombat: gender and computer games, a.a.O. S. 66. 75

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Abenteuerspiele, Sportspiele, usw.. Sicher gibt es Frauen, die mit dem „Barbie Fashion Designer“ ihre Erfüllung finden, aber ebenso sicher gibt es Männer, denen es ähnlich geht, so wie manche Frauen es bevorzugen, in einem „First-Person-Shooter“ ihre Gegner zu besiegen, anstatt sie in soziale Settings einzubinden. Für Frauen eigene Spiele zu entwickeln, ist repressiv. Falsch ist aber auch, Spiele auf den Markt zu bringen und dabei anzunehmen, diese wären „objektiv“, im Sinne von „geschlechtsneutral“. Statt dessen sollten diese sich, so fordern die GrrlGamer, darauf konzentrieren, gute Spiele zu produzieren: „My very first computer game love was Quake. [...] I'm shure the guys at ID software never thought of Quake as a Chick game.“ 34 WomenGamers, Girlzclan und grrlgamer wollen verschiedene Segmente des männlich definierten Konsumentenuniversums erobern. Keine der Communities kann den „pink games“ etwas abgewinnen, die ihnen die Industrie als weibliche Marktnische zugedacht hat. Die drei Websites zeigen verschiedene Wege des Umgangs mit den Heldinnen. Der Girlzclan produziert und illustriert Formen von Weiblichkeit, die zwischen netten und freundlichen und aggressiven Formen changieren, ohne eine davon explizit zu bevorzugen. Diese Spielerinnen verlassen ihr alltägliches real life Aussehen punktuell beim Spielen. Für die WomenGamers ist es wichtig, ihren Einfluß als Geschäftsfrauen geltend zu machen, um einen Teil der Spiele zu verändern und als Game Community ernst genommen zu werden. Sie versuchen ihre Konsumentenmacht auszuspielen und initiieren einen rationalen Diskurs, der den Markt als Ausgangspunkt hat. Im Falle der grrlgamers handelt es sich beim Computerspielen um den Ausdruck einer virtuellen Rebellion. Auf ihrer Website gibt es auch keinen Hinweis, wie sie im „wahren Leben“ aussehen. Das ist nicht von Interesse, denn der Focus liegt auf exzessivem Spielen mit erfolgreichen virtuellen Stellvertretern.

Weibliche Skins & Patches Für weibliche Spielerinnen muss die Identifikation mit einer weiblichen Figur sicherlich nicht nur im Sinne einer „masochistischen“ stattfinden, wie es als Merkmal der Kinorezeption von Laura Mulvey formuliert wurde und unter anderem auch für die Rolle der Frau in Computerspielen in Betracht gezogen wird.35 Bei den so beliebten Online-Shootern resultiert der Reiz des Spiels aus einer Mischung von virtueller Gewalt, der Reichhaltigkeit handelnder Per34 Chella Kline: It's not a Dude thang, it's not a Chick thang, it's a Peoples thang. A.a.O. 35 Laura Mulvey: Visuelle Lust und narratives Kino. In: Gertrud Nabakovskyi & Helke Sander & Peter Gorsen: Frauen in der Kunst. Bd. I, Frankfurt am Main 1980. 76

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sonen und einer optisch differenzierten Spieleumgebung. Virtuelle Umgebungen und Körper spielen demnach eine entscheidende Rolle, die weit über bloße visuelle Stimuli eines irgendwie gearteten Objektbegehrens hinausgehen und in den Bereich der phantasmatischen, identifikatorischen Subjektpositionen eindringen. Deutlich ist auch, dass sich diese möglichen Subjektidentifikationen aus unterschiedlichen Quellen speisen. Ein interessanter Nebenaspekt ist auch, wie Männer mit den Repräsentationen weiblicher Helden in Computerspielen umgehen.36 Als einen für männliche Spieler wesentlichen Reiz der Identifikationsfigur Lara Croft, der den Erfolg von Tomb Raider unterstützte, stellt sich die Möglichkeit des Genderswitching dar. Es findet ein gewisses Maß an Identifizierung statt, und die simple Gleichung, dass der Spieler die Heldin des Spiels im Sinne eines heterosexuellen Begehrens kontrollieren möchte, wie es gerade in Hinsicht der Figur Lara Croft bereits mehrfach formuliert worden ist37, greift hier zu kurz: „The portrait of the lonely male computer gamer longing for either a romanticized virtual girlfriend or an objectified virtual porn star in the form of a computer game heroine relies on the heterosexist assumption that boys would naturally represent themselves virtually as boys unless some stunted desire for women compelled them to create female avatars. A conceivable alternate scenario unfolds if we consider that [...] female action heroines are active avatars in the game space that are ,worn’ by the player. Like early text based Mud's or more recent graphical Role Playing Games where male players often assume female identities, (and female players assume male identities), playing a female character allows male players to escape the parameters of the male game hero role and experiment with femininity.“ 38 Kein Spieleentwickler kann vorausplanen, welches Geschlecht sich mit welchem Geschlecht identifiziert, zumal de Lauretis herausstellt, dass Identifikationen permanent oszillieren. Begreift man weiterhin Weiblichkeit als Maskerade39 und nimmt man das gleiche für Männlichkeit in Anspruch, dann ist klar, dass Maskeraden selbstgewählt sind. Man streift sich mitunter gern Laras „Weiblichkeit“ als Maske über. Der im Bereich der Com36 Der Frage, ob und warum männliche Spieler einen weiblichen Avatar, eine weibliche Rolle in Computerspielen übernehmen, ging eine kleine quantitative, nicht repräsentative Umfrage in einer Newsgroup nach. Lediglich 23 % der Antworten der Befragten entsprachen der These eines irgendwie gearteteten heterosexuellen Begehrens. Im Vergleich bekannten sich 19 % der Befragten dazu, dass sie Frauenrollen übernehmen, um die andere Geschlechterrolle zu erkunden, 25 % gaben an, dass Frauenrollen das Spiel interessanter machen. Die meisten allerdings, 60 %, begründeten es damit, dass sie sich durch ihre Frauenrolle Vorteile im Spiel verschaffen wollen. 37 Vgl. Astrid Deuber-Mankowsky: Lara Croft - Modell, Medium, Cyberheldin, Frankfurt am Main 2001. 38 Schleiner, Anne-Marie: Female-Bobs arrive at dusk, 1999. http://www.opensorcery.net/Femalebob.html 39 Mary Ann Doane: Film und Maskerade. Zur Theorie des weiblichen Zuschauers. In: Frauen und Film, Heft 38, 1985. 77

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puterspiele gebräuchliche Begriff „Skin“ spricht diesen Sachverhalt überdeutlich aus. Die 3D-Figuren, die Bestandteil der Game-Engine sind, erhalten ein selbstbestimmtes Aussehen. Der „Barbie Fashion Designer“ wird quasi nativer Bestandteil beliebter Netzwerkspiele, wie Doom oder Quake, allerdings auf einer subversiven Ebene. Bei den Skins in den Netzwerkspielen geht es nicht darum, spielerisch vorgefertigte kulturelle Geschlechtsmuster zu adaptieren, sondern im Gegenteil, sich eine Haut etwa nach strategischen, idiosynkratischen oder phantasmatischen Erwägungen überstreifen zu können, ohne am biologischen Geschlecht gemessen zu werden. Die von Friedrich Kittler geforderte Umgehensweise mit dem Medium Computer, der Interzeption, findet gerade auch im Computerspiel seine Umsetzung.40 Hier findet sich eine wesentlich unmittelbarere Möglichkeit der Eigenproduktion, z.B. mit Skins und Patches, wenn die kulturelle und technische Kompetenz beim Benutzer vorhanden ist. Die unter GamerInnen verbreitete Volkskunst des Hackens von Game-Codes und die Entwicklung von Patches und Skins für populäre Spielformate wie Doom, Quake, Marathon Infinity oder auch Tombraider erlaubt es, eine wichtige Brücke zwischen Computerspielen und Kunst 41 zu schlagen - so jedenfalls die These, von der ausgehend die amerikanischen Game-Entwicklerin, Künstlerin und Theoretikerin AnneMarie Schleiner ihr Online-Ausstellungsprojekt Cracking the Maze entwickelt.42 Patches entstehen aus einem Bedürfnis nach anderen Repräsentationen und Bildern als denen, die bereits angeboten werden. Patches müssen - im Hinblick auf die Repräsentationen von Weiblichkeit - nicht notwendigerweise mit kulturell tradierten Stereotypen brechen. Jedoch bergen Patches und Skins ein entsprechendes Potential der Infiltration, das möglicherweise nicht nur dazu beitragen kann, die Bildung von neuen Spielekonfigurationen, Charakteren und das des Spielens an sich zu fördern43 , sondern - als Technologie des Geschlechts, die sich geschlechtlich kodierter Technologien gezielt bedient - auch die Schnittstelle Geschlecht als solche neu zu konfigurieren. Die dialogischen Qualitäten des Mediums, mit Flusser formuliert das Dialogisieren mittels technischer Bilder,44 mittels der besagten Skins, aber auch eigener Maps und Levels, erreicht im Computerspiel eine neue Qualität. Es ist aber zu beachten, dass die Möglichkeiten des Eingriffs Teil des

40 Vgl. Friedrich Kittler: Rockmusik. Ein Mißbrauch von Heeresgerät. In: Theo Elm & Hans H. Hiebel (Hg.): Medien und Maschinen. Literatur im technischen Zeitalter, Freiburg 1991, S. 112, 170f.. 41 Siehe hierzu im Endbericht des Forschungsprojekts den Anhang Gender and Games Art Patchwork, auch zu finden unter www.birgitrichard.de 42 Vgl. die Projekte Cracking The Maze, mutation.fem, Lucky KiSS und Snowblossom House; aber auch die Projekte Synreal und reload; sowie ausführlicher im Gender & Game Art Patch Work Abschnitt. 43 Vgl. Anne-Marie Schleiner: Cracking the Maze. Curators Note, http://switch.sjsu.edu/CrackingtheMaze/note.html 44 Vgl. Vilem Flusser: Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen 1986. 78

III. Formen der aktiven Game-Rezeption in Netz und Real Life

ökonomischen Systems sind.45 Das Fan-Feedback spart Produktionskosten, und die Zielgruppe ist besser im Auge zu behalten. Auch die verwendeten Programmcodes setzen gewisse Grenzen, innerhalb derer sich die Nutzer bewegen müssen. Ein ständiges Wechselspiel von Aneignung und Wiederaneignung, das zwischen ökonomischem System und NutzerInnen stattfindet, läuft ab. Anne-Marie Schleiner sieht in der Möglichkeit, sich eigene Repräsentationen in Spielen zu schaffen, einen emanzipatorischen Akt: „As a kind of open source laboratory for gaming, online patch distribution is a forum for proposing new and alternative character types and player subject positions, occasioning mutations at the borders of ,official’ game genres.“ 46 Mit den Skins schaffen sich die Gamerinnen eine zweite Identität, mit der sie nicht nur online agieren, sondern zugleich ihre Subjektivität im intersubjektiven Raum der Online-Spiele repräsentieren und markieren. „Der User verkörpert das, was wir heute als multiple Identitäten wahrnehmen, eine Koexistenz unterschiedlicher Identitätsmodelle. [...] Es sind ,shifting personalities’, die in der Lage sind, ihre Erscheinungsformen ständig zu verändern und immer neuen Bedingungen anzupassen. Ihre innere Logik ist es, die Nichtexistenz der Grenzen zwischen verschiedenen Realitätsebenen als gegeben vorauszusetzen. Das flottierende Werk hat die Rolle einer identitätsstiftenden Maske. Diese Maske besitzt nicht länger eine tarnende Funktion, sondern sie verleiht erst Identität.“47 Dies lässt sich auf die Identitätskonstruktionen von Gamerinnen im Internet übertragen: Sie fußen nicht mehr auf Authentizitätsansprüchen, sondern lassen verschiedene Realitätsebenen nebeneinander gelten. Die Skins bieten den UserInnen die Möglichkeit zur kreativen Entfaltung von Identitätsanteilen. „Skin“ bedeutet Haut und wird als „zweite Haut“ oft im Bereich der Mode verwendet, speziell für sehr eng anliegende Kleidungsstücke bis hin zu Fetischbekleidung aus Materialien wie Lack, Leder oder Gummi, die sich wie eine zweite Haut um den Körper legen. Im Rahmen der Computerspiele bekommt der Begriff nun die erweiterte Bedeutung, die auf die Möglichkeit der Gestaltung der Spielfigur verweist, mit der die SpielerInnen nun ver45 In Fernsehserien wie etwa „Akte X“ und auch bei den „Star Trek“ Serien wird den Fanproduktionen auch von Produzentenseite her Aufmerksamkeit gewidmet, indem eingereichte Manuskripte der Fans verwendet werden. 46 Anne-Marie Schleiner: Female-Bobs arrive at dusk, 1999. http://www.opensorcery.net/Femalebob.html 47 Söke Dinkla: Das flottierende Werk. Zum Entstehen einer neuen künstlerischen Organisationsform. In: Natalie Binczek & Peter Gendolla & Peter M. Spangenberg (Hg.): Anschluss - Einschluss - Teilnahme. Formen interaktiver Medienkunst, Frankfurt am Main 2001, S. 87f..

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III. Formen der aktiven Game-Rezeption in Netz und Real Life

schiedene Identitäten performen können. Mittels Skins kann ein Look kreiert werden, der frei von allen materiellen und körperlichen Einschränkungen ist und so unbegrenzte Projektionen eines virtuellen Selbst erlaubt: Die GamerInnen tragen eine zweite Identität mittels ihres zweiten virtuellen Körpers. Die Skins der Spielerinnen repräsentieren die volle Bandbreite möglicher Weiblichkeiten und weiblicher Körpertransformationen, von sehr fraulichen Skins bis hin zu übersexualisierten oder aggressiven Charakteren.

Body Doubles & Lookalikes Bei der Betrachtung von Frauenfiguren in Computerspielen und ihren nachfolgenden Fanproduktionen sind mediale Vor- und Rückprojektion auf verschiedene Weiblichkeits- und Realitätsmodelle zu beobachten. Die Heldinnen von Computerspielen unterliegen in besonderem Maße medialen „Shifts“ zwischen unterschiedlichen Virtualitätsebenen, denn häufig ist das virtuelle Modell das Vorbild, das eine Inkorporierung in weibliche „look-alikes“ (Ähnlichkeits-Wettbewerbe) nach sich zieht. Dabei ist hervorzuheben, dass nur die weiblichen Ikonen medialen Sprüngen zwischen verschiedenen Virtualitätsebenen ausgesetzt sind, denn ihre männlichen Pendants weisen keine Verlebendigungen in Fleisch und Blut oder ReMedialisierungen auf. Die potenzielle Rückkehr zu „fleischlichen“ weiblichen Repräsentationen ist daher ein Versprechen, das dezidiert durch die Computerspielindustrie transportiert wird, die durch ihre synthetisch erzeugten Figuren - mehr noch als beispielsweise das Medium Film - auf eine korporale Rückbindung angewiesen ist. Diese kontinuierlichen Adaptionen von künstlichen Weiblichkeitsstufen zeigen darüber hinaus, dass die Unterschiede zwischen computeranimierten Figuren und medial propagierten Körpermodellen lediglich graduell sind. Die virtuelle Ikone Lara Croft aus der Tomb Raider-Computerspielserie setzt insbesondere im Internet eine Lawine von „look-alike“ Inszenierungen in Bewegung. Die Computerspielindustrie fördert dabei reale weibliche Verkörperungen, indem sie bei der Vermarktung auf lukrative Anreize setzt: So ruft der Tomb Raider-Hersteller Eidos/London zu „lookalike“ Wettbewerben auf, kürt nach Castings das offizielle Lara CoftModel und organisiert anschließend weltweite Fan- und Promotiontours. Zudem arbeiten Computerspielindustrie und Filmindustrie zusammen, so dass Paramount die Rechte für den Einsatz des „Body-Doubles 2000“, Angelina Jolie, erhält, die im Jahr 2001 die Darstellerin des Filmes Tomb Raider wird. Interessant ist ein Vergleich der offiziell gekürten Body-Doubles mit Inszenierungen, die von weiblichen Fans zumeist im Internet veröffentlicht werden. Streng juristisch gesehen, ist die Verdopplung von Lara und das

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III. Formen der aktiven Game-Rezeption in Netz und Real Life

Einnehmen ihrer typischen Posen eigentlich nicht erlaubt48. Lara ist ein Produkt und unterliegt dem ökonomischen Copyright der Firma Eidos. Die weiblichen Fans interessiert diese Beschränkung nicht, sie brechen aus den regulierten Bahnen der kommerziellen Posen aus. Fernab von der Motivation, ein perfektes Remake der virtuellen Traumfrau sein zu wollen, setzen sich die „privaten“ Look-Alikes in ganz anderer Weise in Szene: Sie nutzen das digitale Trägermedium, um das eigene Abbild im „Copy & Paste“-Verfahren auf Spielen oder Plakaten zu platzieren. Auf diese leicht ironisierte Weise in spielerisch-lässiger Attitüde führen sie ihr Begehren nach Ruhm vor. Dabei imitieren sie die vorgegebenen Dress-Codes und Körperhaltungen und legen so die grundlegenden visuellen Muster der virtuellen Ikonen und der professionellen Body-Doubles offen. Andere laienhafte Look-Alikes inszenieren sich in ihrem persönlichen Umfeld, damit sie den „Thrill“ ihrer potentiellen Gefährlichkeit durch die Betrachtung ihrer Abbildung imaginieren können. Über die visuelle Ebene versuchen sie, Weiblichkeit, Stärke und Kampfbereitschaft in sich zu vereinen und ihr heimisches Terrain mit Bedrohlichkeit aufzuladen. Wieder andere Look-Alikes erschaffen eigene, phantasievolle Kontexte oder wählen Filmsettings als Hintergrund-Motive aus. Vergleicht man die professionellen „Body-Doubles“ mit den Selbstinszenierungen der „Amateurinnen“, fällt zunächst der unterschiedliche Perfektionsdruck auf, dem beide Seiten unterliegen. Diejenigen Frauen, die offizielles „Body-Double“ des Jahres werden wollen, unterwerfen sich dem weitaus höheren Maß an körperlicher Perfektion, sie wollen fleischgewordene Kopie des digitalen „Originals“ sein. Der hohe Anteil an Konkurrentinnen (schließlich winken lukrative Einsätze in der Werbeindustrie) lässt sie versessen an einer detailgetreuen Umsetzungen zu arbeiten. Demgegenüber zeigen sich bei den InternetDarstellerinnen Aspekte von Freude am Spiel mit Weiblichkeitsmustern sowie ein Freiraum für eigenwillige, kreative Gestaltungen. Zudem weisen auch die Anflüge von Ironie auf einen spielerischen Umgang mit dem Druck des Idealkörpers hin, so dass die eigene Verkörperung hin und her pendelt zwischen einem ambitionierten So-Sein-Wollen und einem erleichterten Nicht-So-Sein-Müssen. Im Unterschied zu den Skins, scheinen die materiell verkörperten Lookalikes und Body Doubles auf den ersten Blick danach zu streben, die perfekte Kopie zu sein. Das Verleugnen der eigenen Persönlichkeit und das Ziel der eleganten Performance in Mission des gewählten Charakters scheint die individuellen Körper nach der Matrix des virtuellen Modells umzugestalten. Die Beispiele zeigen jedoch, dass sich hier eine untrennbare Mischung in der Performance der Imitation mit einem individuellen Zuschnitt, einem Surplus bildet, die sich entweder durch den individuellen Körper, die Pose oder das Setting ergibt. 48 Wolfgang Ullrich: Starkult als Verdopplung: Doubles. In: ders. & Sabine Schirdewahn: Stars. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt am Main 2002, S. 136.

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Diese Art der „Impersonation“ erschöpft sich nicht im Spiel der Rolle des virtuellen Charakters. Die realen Heldinnen nutzen die virtuellen Figuren auch um ihr häusliches Alltagsleben etwas interessanter zu machen. Auch das all-american girl möchte Phantasien einer mächtigen oder aggressiven Frauenfigur ausagieren und nutzt die Skins als ein Mittel der eigenen Ermächtigung. Die Impersonation ist somit eine aktive Rezeptionsstrategie. Lookalike und Body Double werden materiell über die zweite Haut konstruiert. Die Mode ist der visuelle Link zu den virtuellen Charakteren. Sie sehen wie Lara aus, weil sie die gleiche Kleidung tragen. Die Skins weisen auf eine andere aktive Strategie der Personalisierung von medialen Spielstrukturen. Die persönlichen looks in den virtuellen Extensionen des Selbst sind nur noch locker mit der repräsentierten, vielmehr repräsentierenden Person verbunden. Skins können eine Flucht vor dem eigenen Körper in phantasmatische und surreale Dimensionen sein, sie sind aber ebenfalls eine Mischung von persönlichen und virtuellen Elementen wie die Body Doubles. Natürlich macht sie gerade die Abtrennung von der materiellen Welt besonders phantasmatisch. Manchmal wird die Lücke zwischen virtueller Erscheinung und körperlicher Präsenz in der Realität unüberwindbar oder schneidet sogar die Verbindung zwischen Körper/ zweiter Haut und Avatar Skin völlig ab.

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IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle Das Phänomen virtueller Idole ist ein relativ junges, da es mit dem massenhaften Einsatz digitaler Medien wie PC und Internet einhergeht. Die am Computer programmierten digitalen Kunstfiguren sind Avatare, dazu gehören auch speziell konstruierte Netzpersönlichkeiten zu kommerziellen Zwecken. Zunächst treten die „Avatare“ als Figuren in den MUDs im Internet auf. Der Begriff Avatar bezeichnet im Buddhismus ursprünglich Götter, die unter den Menschen leben. Er wurde 1980 von amerikanischen Programmierern für die Figuren mit menschenähnlichem Verhalten und Aussehen in Simulationsspielen aufgegriffen. Mitte der 90er Jahre erlaubte die Computertechnologie virtuelle Kunstfiguren, die in Echtzeit mit den Nutzern interagieren konnten. Dies löste einen Boom an virtuellen Idolen aus, einige von ihnen erlangten einen hohen Marktwert und den Status eines Stars. Die Computerindustrie bemerkte schnell, dass die Fans nach einer scheinbar authentischen Biographie voller Dramatik verlangten. So, wie seit 1914 in Ausweitung der so genannten Picture Personalities in der Filmindustrie das Image eines Stars aufgebaut wurde, so wird analog bei der Entwicklung der digitalen Stars eine persönliche Biographie konstruiert, die die Vorlieben und Fähigkeiten der Figur wiedergibt. Doch ebenso wie die menschlichen Eigenschaften der Stars dem Fan Nähe und Identifizierungsmöglichkeit bieten sollen, muss gleichzeitig die Einzigartigkeit des Idols garantiert und damit auch ein Distanzierungsmechanismus vorhanden sein. Dies geschieht durch eine offene Form der Biographie: „Dabei handelt es sich um die Tatsache, dass das Image eines Stars nie komplett und geschlossen sein darf, um im Publikum stets die Neugier und den Drang nach zusätzlichem Wissen geweckt zu lassen. Das Bedürfnis, mehr über den ,persönlichen’ Star zu erfahren und einen scheinbar vollständigeren Eindruck von seinem Wesen zu gewinnen, ihn sogar zu kennen, findet seinen Ausdruck sowohl im wiederholten Ansehen eines Films, als auch in der Vermehrung von Wissen über die private Seite des Darstellers, die durch Presseberichte, Fotos, Merchandising- Promotionartikel genährt werden kann.“ 1 Die kommerzielle Einsatzmöglichkeit ist bei virtuellen Stars ungleich flexibler, da digitale Avatare für die Konsumindustrie die ideale Arbeitskraft darstellen: Sie sind nie krank, noch altern oder sterben sie unbeabsichtigt und erheben auch keine individuellen Forderungen wie viele menschliche Stars. Zudem lassen sie sich problemlos auf aktuelle Trends hin variabel programmieren und besitzen eine hohe Adaptionsfähigkeit für kulturell unterschiedliche Märkte. Die Vermarktung in diversen Parallelmedien (Internet, Film, TV, Print etc. ) bietet sich angesichts der fortschreitenden Digitalisierung daher förmlich an. 1

Myriam Schlupp: Cyberpop - virtuelle Stars. Lara Croft, Kyoko Date, E-Cyas und Co. Projekt Cyberworlds. http://kommunix.uni-muenster.de/IfK/projekte/cyberworlds/cyberpop.htm 83

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

Kyoko & Co. Digitale Beauties und Models Ein virtueller Star der späten 90er Jahre ist Kyoko Date. Ihre Biographie kann mit Laras exotischem Leben und Abenteuern nicht mithalten: Ihre Eltern haben eine Sushibar am Stadtrand von Tokyo; Kyoko liebt Tennis, Manga-Comics und jobt in einem Fast-Food-Restaurant. Sie ist eher mädchenhaft sportlich charakterisiert und verkörpert die typisch fernöstliche Orientierung an westlichen Stars. Demgegenüber steht die von Europäern designte Lara Croft, welche an die Darstellungsschemata der japanischen Mangas anknüpft und den Bildern von Illustratoren wie Sonehachi entspricht: Mädchen mit kindlichen Gesichtern und unproportional riesigen Brüsten. Details zu sozialem Background und persönlicher Lebensgeschichte spielen eine große Rolle bei japanischen Figuren, was sich auch in japanischen Videogames niederschlägt. Als kulturspezifischer Unterschied zu amerikanischen Games, die auf größtmöglichen Realismus und Immersion drängen, forcieren japanische Videospiele kein Eintauchen in die virtuelle Welt, sondern legen vielmehr Wert auf eine emotionale Beziehung zwischen Spieler und Figur, auf ein empathisches Beteiligtsein.2 Dennoch ging die Rechnung im Falle von Kyoko Date nicht auf: Sie wurde vom japanischen Fanmarkt nicht angenommen. Volker Grassmuck führt für das Scheitern Dates zwei Gründe an: Zum einen sei sie zu perfekt und zugleich als überzeugender Menschenersatz nicht perfekt genug - hier klingt die misslungene Spannung zwischen Artifiziellem und High-Tech an. Zum anderen tun sich Japaner mit dreidimensionalen Figuren schwer, da ihre Sehgewohnheiten an einer zweidimensionalen, flachen, nicht-perspektivischen Bildsyntax geschult sind. Lara bewegt sich in vielen bildlichen Ausformungen in unterschiedlichen Medien-Netzwerken und erzeugt dort Loops.3 Ihre Welt erfährt vor allem eine Ergänzung in den virtuellen Welten des Web und in Medien, wie TV (Musikvideoclip), bis zur Gestaltung von Realität in den Lookalike Wettbewerben. Kyoko konzentriert sich auf eine Übertragung von der Virtualität auf eine Radio- und Fernsehwelt: Sie tritt auf, singt und veröffentlicht CDs. Beide Figuren, Kyoko und Lara, erfahren in ihrer Übertragung auf interaktive Medien eine Erweiterung ihres Charakters. Ihre Binarität erlaubt die Ausgestaltung der persönlichen Projektionen durch die Spieler. Kyoko kann man als virtuellen Star zunächst nur bewundern, sie distanziert fetischisieren. In der Gegenüberstellung wird die singuläre Stellung der Figur Lara Croft deutlich: Kyoko ist selbstbewusst, aber keine Kämpferin, sie wird immer in einem sanften Licht dargestellt, bleibt mäd2 3

Vgl. Volker Grassmuck: Japanogames, A.a.O., S. 15. Aki, die Protagonistin von „Final Fantasy“ entwickelt ebenfalls ein Eigenleben, zu dem sogar eine Fotoserie in einer Ausgabe des Männermagazins „Maxim“ und der Auftritt in der „IT“-Ausgabe von „Entertainment Weekly“ gehören. Außerdem ist auf der amerikanischen DVD ein Making-of zu sehen, in der sie und andere virtuelle Schauspieler des Films in Drehpausen mit den (realen) Technikern am Set sitzen, Kaffee trinken und die Zeit totschlagen. 84

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

chen- und feenhaft, erscheint niemals in einer aggressiven Pose. Ihr Körper ist nicht aus sichtbaren Polygonen zusammengesetzt, da er sich in anderen als in interaktiven 3D-Welten bewegen muss.4 Das sofort erkennbare und Aufmerksamkeit erregende Artifizielle dieser Weiblichkeit geht einher mit einer ausgewiesenen Inszenierung. Immer zielt die Zurschaustellung auf ein voyeuristisches Gegenüber ab.5 Auf die gleiche Weise inszenieren sich auch die Fotomodelle als Objekte, fordern und steuern den begehrlichen Blick des Gegenübers, so dass Erotik zum kulturellen Tauschwert werden kann. Genau diesem Mechanismus folgend, sind die Computerfrauen angelegt, wenn Betrachterperspektiven genauso wichtig wie Blickperspektiven werden. Spielehersteller forcieren somit den aktiven, auffordernden Blick ihrer virtuellen Heldin für ihre eigenen Zwecke. Auf den bereits beschriebenen Verpackungen oder in den mehrseitigen Spielanleitungen präsentieren sie die Frauenfigur in aufreizenden Posen, in denen diese so später nicht im Spiel erscheinen. Der Fetischismus der Mode kommt durch teilweise eigens von Designern entworfener erotischer Kleidung (Hotpants, knappe T-Shirts etc.) als einer forcierten Behauptung von Weiblichkeit zum Zuge. Die überdeterminierten weiblichen Körper sollen zwar keiner direkten sexuellen Aufforderung gleichkommen, doch gerade wegen dieser stilisierten Zurückhaltung finden sich im Internet Fan-Seiten, die ihre Stars in eindeutigen Pin-Up-Posen zeigen oder deren Nacktheit spektakulär ankündigen. Um zentrale Mechanismen von Weiblichkeitsinszenierungen zu verdeutlichen, ist die Betrachtung von fetischisierter Schönheit beim gesellschaftlichen Phänomen der Models aufschlussreich. Sie sind die Medienstars der 90er Jahre und Heldinnen der Mode. Längst dienen sie nicht mehr den Modeschöpfern als Modelle ihrer Kreationen, sondern die Modeschöpfer stellen sich umgekehrt als Zulieferer von textilen Hüllen in den Dienst der Medienstars. Die künstliche Idealisierung der Models, bei denen bezeichnenderweise auch Elemente einer fiktiven Biografie zum Einsatz kommen, funktioniert ähnlich wie bei den virtuellen Frauen: „So wie Barbie sieht keine reale Frau aus - und genausowenig sieht je eine reale Frau so aus wie die Topmodels auf den Fotos. Lange Beine, schlanke Taille und großer Busen gelten aber in unserer Kultur als unverkennbare Anzeichen von weiblicher Schönheit, [...]. Es sind mithin letztlich die fragmentarisierten Körperteile, die diese Wirkung ausüben und der idealisierenden Identifikation Vorschub leisten.“ 6

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Ein 3D-Modelling-Programm mit Namen Shade zur Gestaltung von mädchenhaften Avataren erlaubt dann ein virtuelles Pendant ganz nach dem eigenen Geschmack zu erschaffen (Kusahara, Machiko: Emerging Popularities of 3D Virtual Beauties. In: Sven Drühl & Birgit Richard (Hg.): Dauer Simultaneität Echtzeit. Kunstforum International Band 150, April-Juni 2000). Randi Gunzenhäuser: Darf ich mitspielen? A.a.O. S. 20. Gertrud Lehnert: Mode. Models. Superstars, Köln 1996, S. 145. 85

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

Frauenkörper = Medienkörper? Die Wahrnehmung des Körpers ändert sich mit neuen Kommunikationsmedien. Anstelle rein institutioneller Körpereinschreibungen setzen die neuen gesellschaftlichen Faktoren der Vernetzung und der veränderten Kommunikationsformen im Alltag auf ein Spiel mit der Repräsentation. Die Medienwissenschaftlerin Marie-Luise Angerer weist auf die Vervielfachung von Identitätsbildungen hin, die innerhalb der sich ständig zwischen Realität und Virtualität befindenden menschlichen Medienkörper entsteht.7 Angesichts bio- und kommunikationstechnologischer Veränderungen funktioniert es daher immer weniger, Identität lediglich, wie zuvor, am physischen Körper festzumachen. Die Überlappungen von elektronischen Medien und menschlichen Körpern demonstrieren die Instabilität von körperlichen Grenzziehungen. Dieses spezifische Moment an Instabilität produziert fluktuierende Referenzen hinsichtlich vorhandener Geschlechterausprägungen, weswegen die Literaturwissenschaftlerin Judith Halberstam in Bezug auf Judith Butler meint: „Gender is an automatic construct, an electronic text that shifts and changes in dialogue with users and programmes.“ 8 Anhand der vielschichtigen Körperdiskurse, die bei den virtuellen Heldinnen aus Computerspielen eine zentrale Stellung einnehmen, werden im folgenden die Anschlussmöglichkeiten zeitgenössischer Gendertheorien an die digitalen Frauenfigurationen untersucht. Ende der 80er Jahre lösten vor allem anglo-amerikanische feministische Theorien ein neues Verständnis der Differenz zwischen Frauen und der Einsicht in die kulturelle Konstruiertheit weiblicher Körperidentität aus. Die Literaturwissenschaftlerin Judith Butler hat 1990 mit ihrem Buch „Gender Trouble“9 auf die diskursive Konstruiertheit aller Aussagen über Körper, Geschlecht und Identität hingewiesen.10 Butler bezeichnet mit Gender die kulturell-gesellschaftlich bedingten Geschlechtsidentitäten und benutzt für das biologische Geschlecht den Begriff Sex11, wobei sie keinesfalls beide Konzepte voneinander trennt. In Berufung auf Butler, weist Angerer auf den Begriff des „doing gender“ hin, der die Performativität von Geschlechteridentitäten als per7

Marie-Luise Angerer: alt.feminist/alt.sex./alt.identity/alt.theory/alt.art, http://gewi.kfunigraz.ac.at/jauk/d_jauk-hinz/6000volt/springer.html 8 Judith Halberstam: Automating Gender: Postmodern Feminism in the Age of the Intelligent Machine. My Computer, My Self. In: Feminist Studies 17/3, Herbst 1991, S. 446. 9 Judith Butler: Gender Trouble, 1990; dt: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991. 10 Vgl. Inge Stephan: Frauen und Körper gehören untrennbar zusammen, S. 36. In: Figurationen, Heft 0/1999. 11 Dies geschieht bei Butler in Anlehnung an Foucaults Sexus-Begriff, der bei ihm allerdings nicht nur das biologische Geschlecht meint, sondern sich auf den diskursiven Komplex bezieht, der die moderne Sexualität reguliert. Siehe Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1976. 86

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

manente Akte der Wiederholung bestehender Normen betont. Im diskursiven Sinne meint dies eine Benennung und eine damit einhergehende Produktion von Geschlechterkonstruktionen, um diese anschließend zu inszenieren.12

Virtuelles Crossdressing und Double Drag Die Konstrukte der Vervielfältigung und Performativität bei Identitätsbildungen werfen Fragen hinsichtlich der Computerspiele auf: Gibt es dort einen freischwingenden Gender-Shift der elektronisch codierten Repräsentationen oder materialisiert sich dieser eher nur als eine Wahloption zwischen verschiedenen männlichen und weiblichen Charakteren? Für die Identitätskonstruktion im Cyberspace existieren die Begriffe des virtuellen Cross-Dressing oder Gender-Swapping als spielerisches Einwählen ins andere Geschlecht: „Virtuelles cross-dressing bzw. gender-swapping bedeutet auch ein Ausprobieren, was es bedeutet, das andere Geschlecht zu sein. Selbstverständlichkeiten des realen Lebens werden plötzlich in Frage gestellt. Das Verlassen der eigenen Geschlechterkultur in der virtuellen Realität, um eine neue kennenzulernen, bringt eine neue Sicht der Wirklichkeit.“ 13 Für die Spiele mit Heroinen von hypertropher Weiblichkeit ist in diesem Zusammenhang die Figur der „Drag Queen“ besonders interessant, also die Inszenierung eines Mannes, der nicht nur in weibliche Kleidung schlüpft14, sondern sich als Weiblichkeitsstereotypen noch übertreffende „Überfrau“ in Szene setzt. Anne-Marie Schleiner sieht für den männlichen Spieler eine Möglichkeit, mittels eines virtuellen Avatars wie Lara Croft, das andere Geschlecht in einer Art Probehandeln spielend zu erkunden. Nach Schleiner handelt es sich bei Lara Croft um eine Art doppelte „Drag Queen“, da ihre Weiblichkeit nicht nur überrepräsentiert15, sondern zugleich einer männlichen Konfiguration als Maske übergestülpt ist, so dass sie für den männlichen Spieler zwei Identifikationsangebote im Zeichen der Maskerade vereint bzw. verschränkt. Legt man zunächst ein binäres Modell der Zuschreibungen von männlich-aktiv und weiblich-passiv zugrunde, so erscheint Lara einerseits in ihrer durch und durch aktiven Heldenrolle, ihrem alles andere als häuslichen Lebenswandel, als ein in gewissem Maße männlich konnotierter Charakter, der - um als Frau glaubhaft zu wirken - nach 12 Vgl. Marie-Luise Angerer (Hg.): The Body of Gender, a.a.O., S. 26. 13 Johanna Dorer: Neue Kommunikationstechnologien und die Konstruktion von Geschlechteridentitäten, S. 4f. http://www.univie.ac.at/Publizistik/DoLV96-1.html 14 Zu schwulen Strategien siehe Birgit Richard: Metrosexual. Schwule Crossovers in den Mainstream. In: Norbert Jocks (Hg.) : Der homoerotische Blick. Kunstforum International Band 154, April- Mai 2001, S. 152-165. 15 Was der psychoanalytisch informierten Auffassung von „Weiblichkeit als Maskerade“ entspräche. 87

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

einer Kompensation durch nach aussen hin demonstrierte „mustergültige“ Weiblichkeit verlangt. Andererseits wären Laras überdimensionierte Brüste, ihre Wespentaille und ihre vollen Lippen eine Ausstellung von Weiblichkeit, wie sie nur ein Mann wählen würde, um als Frau (an)erkannt zu werden. Tatsächlich ist Lara aber auch als Spielfigur bereits für ein „Double drag“ „vorprogrammiert“. So weist sie bereits ihre „Entwicklungsgeschichte“ als „double drag“ aus: Als Game-Charakter ursprünglich männlich konzipiert, ist sie erst im Verlauf der Spielentwicklung und -gestaltung in eine „Frau“ verwandelt worden.16 Ihre ultrafeminine Erscheinung überlagert eine „female masculinity“, die ursprünglich eigentlich eine „male feminity“ ist. Die Doppelung des Drag lässt sich aus verschiedenen Perspektiven lesen und verweist zudem wieder auf die Konstruiertheit und die Künstlichkeit der Formen von Weiblichkeit. Ob dieser „Hinweis“ - einschliesslich der ironischen Brechungen der Geschlechterstereotypen, die „Drag“ transportieren kann - von den SpielerInnen und insbesondere von männlichen Spielern überhaupt wahrgenommen wird, dürfte wiederum eine andere Frage sein, zumal Tomb Raider als Spiel bzw. im Spielverlauf „Geschlecht“ an keiner Stelle zum Gegenstand der Wahl werden lässt. Daher soll die Betrachtung des virtuellen Crossdressing und Drag nun wieder auf die tatsächliche Spielebene selbst zurückgeführt werden, indem die Häufigkeit weiblicher Figuren und die Wechselmöglichkeiten zwischen männlichen und weiblichen Charakteren untersucht werden soll. Zunächst fällt auf, dass es lediglich im Fall Lara Croft in allen Tomb Raider-Folgen keinerlei Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Geschlechts gibt; denn Lara ist die exklusive und alleinige Stellvertreterin. Letzteres ist zwar auch bei Kageroo der Fall, doch die Protagonistin Millennia ist weniger relevant und keine Kämpferin, sondern Lockvogel. In wenigen Spielen erfolgt der Start zunächst mit einer weiblichen Figur wie in Xena, und in späteren Leveln kommen weitere Stellvertreter hinzu. Bei Virtua Fighter hat man von Anfang an Wahloptionen hinsichtlich aller Figuren, auch wenn nur 2 von 10 weiblich sind. Durchaus üblich ist der Spielstart mit einem Helden, um später auch mit Frauenfiguren weiterspielen zu können, wie z.B. bei Das Fünfte Element, wenn man mit Korben starten muß, um danach an Leeloo zu gelangen. Dies alles zeigt, dass in den seltensten Fällen eine quantitative Gleichwertigkeit der Geschlechter zur Wahl steht, sondern die Vorgaben hinsichtlich der Relevanz und Strategie der Figuren innerhalb des Spiels sehr prägend sind. Der freischwingende Gender-Shift wäre demnach bereits im Vorhinein in seiner Bandbreite und der Wichtigkeit von weiblichen Figuren eingeschränkt, obwohl prinzipiell die Erfahrung des virtuellen Geschlechtertausches möglich ist. 16 Laut den Produzenten des Spiels wurde zunächst von einer Adaption des „IndianaJones“-Stoffes ausgegangen, und allein aufgrund befürchteter Urheberrechtsstreitigkeiten wurde das Geschlecht des Protagonisten gewechselt: „Wie hätte man die Ähnlichkeit der Spielfigur mit Indiana Jones raffinierter tarnen können, als durch eine simple Änderung der Geschlechtidentität?“ Deuber-Mankowsky, a.a.O. S. 34. 88

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

Eine absolute Ausnahme bildet The Nomad Soul: Nicht nur das Vertauschen der Geschlechterpositionen, sondern auch deren Konstruiertheit wird hier offensichtlich. Dies spiegelt sich vordergründig darin, dass die Hälfte der 26 Spielfiguren weiblich ist. Doch es bestehen nicht nur die üblichen Figuren-Wahloptionen, sondern das Gender-Swapping wird innerhalb von Spielsequenzen sogar ausdrücklich visualisiert. So geht z.B. in einer Szene ein Mann auf die lasziv-blass an der Wand lehnende Eva zu, deren Körper von unten nach oben detailliert abgeschwenkt wird. Parallel erscheinen im unteren Bildrahmen die Gedanken des Mannes: „Toller Körper, den würde ich gerne übernehmen.“ Kurz darauf entsteigt Evas Hirn eine Energiekrone, sie faßt sich an den Kopf und betrachtet verblüfft ihre erstarkten Körperteile, während der Ton einer Energieaufladung erklingt. Zu lesen ist: „Der Reinkarnationszauber hat gewirkt. Jetzt besitze ich einen neuen Körper.“ Die Gestalt des Mannes ist regungslos und transparent geworden, und eine Sicht von oben zeigt die junge selbstbewußte Eva im hellrosa Dress, die sich hüfteschwingend auf neue Herausforderungen hin entfernt. Zu der herkömmlichen Blickperspektive des Mannes als dem Abschwenken bzw. Taxieren des Frauenkörpers gesellt sich zunächst eine Abwandlung des Begehrens: Aus „Toller Körper, den würde ich gerne besitzen“, wird „Toller Körper, den würde ich gerne übernehmen.“ Die männliche Inbesitznahme wird zum spielerischen Ausprobieren, das andere Geschlecht zu sein, zur Travestie, die im Moment der „Inkorperierung“ jedoch sogar Züge einer virtuellen Geschlechtsumwandlung im Zeichen der Transsexualität annimmt. In dem Maße, wie dem Eroberer die Kräfte schwinden und seine Bedeutung verblasst, lädt sich ihre Kraft auf. Der Begriff „Reinkarnationszauber“ deutet neben seinem magischen Aspekt darauf hin, dass die Spieler von The Nomad Soul nicht nur eine Verwandlung, sondern eine Kette von Transformationen erleben können, und dies wahlweise von männlich zu weiblich, weiblich zu männlich, männlich zu männlich und weiblich zu weiblich. Bei allen Körperbegegnungen erfolgt ein Abschwenken der Person, wobei ein weiblicher Körper mit „den würde ich gerne besitzen“, und ein männlicher Körper mit „der würde mir Schutz bieten“ unterschieden wird. Die Körperwandlungen sind ein endloses Umherziehen in männlichen und weiblichen Leibern, eine nomadische Körperfolge, und The Nomad Soul könnte ebenso „The Nomad Body“ heißen. Die Betonung des Körpers verstärkt sich bei diesem Spiel durch eine weitere Besonderheit: Im Internet ist einschließlich der animierten Intros ein „Body-Switcher“ verfügbar, ein Tool, mit dem der User jederzeit einen beliebigen Körper aus dem Spiel annehmen kann.17 Diese Umschaltmöglichkeit, die sich nach wahlweiser Vorabinfo über eine Figur bietet, kann daher als freischwingender Gender-Shift für beiderlei Geschlecht angesehen werden. Noch viel deutlicher als die Optionen in allen anderen Spielen, macht der „Body-Switcher“ aber die Konstruiertheit der Verkörperungen 17 http://hammer.prohosting.com/~emwai 89

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sichtbar, indem er durch die hohe Anzahl der Wechsel die relative Austauschbarkeit und die Fiktivität der Figuren betont.

Weiblichkeitsmythen und Narration Auf den ersten Blick erscheint es so, als wären die Figuren durch Individualität auf der narrativen Ebene (Biographie) und durch visuelle Stereotypen auf der Ebene der Darstellung dominiert. Zu den Rahmenbiographien der Frauen gehört die Kombination von hochgebildet und Hyperkörper. Die Arbeiten und Jobs, die viele der weiblichen Figuren ausüben, sind immer im kulturellen Bereich angesiedelt. Lara ist Archäologin, Aline Cedrac, aus Alone in the Dark, ist eine bekannte Wissenschaftlerin und trägt einen Doktorentitel in Anthropologie, und April Ryan ist eine Kunststudentin. Eine Naturwissenschaftlerin oder Technikerin wird man vergeblich suchen. Mit ihren Biographien bewegen sich die Heroinen eindeutig in der Gegenwart, ihre Jobs und ihr Look nehmen eine Zwischenstellung ein, die verschiedene Zeitebenen einschließt. „Die schöne Frau, seit der Avantgarde der Moderne aus der Ästhetik der bildenden Kunst und Literatur in die Populärkultur verdrängt, findet sich heute in Protagonistinnen wie Lara Croft wieder. Die eindeutig lesbare und insofern - hermeneutisch gesehen - harmlose schöne Frau kehrt wieder. Diesmal allerdings angereichert durch die aggressive, fetischisierte Haltung der Femme Fatale der Jahrhundertwende, und deshalb in der Gestalt einer holzschnittartig gezeichneten Superfrau [...].“ 18 Durch die Fetischisierung verliert die starke Superheldin ihren Schrecken und wird in den begehrlichen Objektstatus zurückgeführt. Ihre „maskuline“ Tatkraft und Allmacht verliert die sexuell aggressive Komponente, denn sie soll keinen bedrohlichen Terror für Männer verkörpern, sondern eine mutige, aber harmlose Traumfrau sein, deren Reize ungestraft betrachtet werden können. Dies ist auch bei weiteren „mythisch“ konstruierten Frauenmodellen der Fall: Xena und Gabrielle sind die für den Frieden kämpfenden, mit knapper Rüstung ausgestatteten Amazonen aus dem Mittelalter, Leeloo aus Das Fünfte Element ist die wilde geklonte, halbnackte Hybridfrau, Anezka aus Vampire die junge, tugendhafte Nonne, bei der ebenso die übliche fetischisierende Seitenansicht auftaucht, welche die Konturen von Busen, Taille und Po betont. Doch bei Anezka wird noch etwas anderes deutlich: Da die Nonne ihre romantische Liebe zum Ritter den religiösen Geboten vorzieht, ermöglicht dies eine Animationssequenz, die Anezka zeigt, wie sie, auf der Suche nach dem geliebten Ritter aufgelöst durch den finsteren Wald läuft und sich von einem männlichen Vampir beißen lässt. Hier 18 Randi Gunzenhäuser: Darf ich mitspielen?, Literaturwissenschaften und Computerspiele, S. 26. http://www.computerphilologie.uni-muenchen.de/jg00/gunzenh/gunzenh.html 90

IV. Virtuelle Weiblichkeitsmodelle

zeigt sich die Wichtigkeit einer standardisierten fiktiven Erzählung, die in den historischen Weiblichkeitsmythen bereits vorhanden ist und bei Bedarf nur noch aktualisiert werden muß - in diesem Falle als Narration der jungen aufopferungsvollen Nonne, deren Tugend einer gefahrvollen romantischen Liebe erliegt. Genau in diesem Zusammenhang spricht Judith Butler 1993 in ihrem Buch „Bodies That Matter“ von der „bodily intelligibility“19, d.h. der Verständlichkeit eines Körpers mittels ästhetischer Versatzstücke und narrativer Konventionen. Die digitalen Schönheiten beziehen sich also im postmodernen Pastiche-Verfahren auf historische Kunst- und Körperkonstrukte, indem sie diverse Bilder- und Textkulturen nebeneinanderstellen und kombinieren.

Körperbausätze: Body-Sampling Die hohe Überformung von körperlichen Schlüsselreizen der aus Versatzstücken von Schönheitskategorien zusammengesetzten virtuellen Beauties deutet sowohl auf eine hochgradige Selektierung als auch Stilisierung: Bei nahezu allen virtuellen Protagonistinnen findet sich eine phantasmatische Überformung von riesigem Busen, extremer Wespentaille und ultralangen Beinen. Dies gilt für so unterschiedliche Figuren wie die Amazone Xena, die Außerirdische Leeloo, die Schloßbesitzerin Millennia, die junge Nonne Anezka und natürlich auch für Lara Croft, bei der ein großer Schmollmund hinzukommt. Zudem zeigt sich bei Lara Croft ein besonders überdimensionierter Busen, so dass sie immer wieder als das erste virtuelle Sexsymbol bezeichnet wird. Die Fetischisierung Lara Crofts geschieht mittels eines komplexen „Body-Samplings“, wie es Barbara U. Schmidt sehr anschaulich beschreibt: „Lara Croft vereinigt auf sich als ,echtes’ Body-Sampling unterschiedliche Zuschreibungen und Fiktionen: Ihre Arme und Knie sind schmal, während die Schenkel muskulös wirken, die überlängten Gliedmaßen und dünne Taille entsprechen den digital bearbeiteten Aufnahmen von Fotomodellen und die extremen Rundungen von Po und Busen erinnern an fetischisierte Frauenbilder in Comics. [...] Dieser Fetischisierung entspricht auch die Kleidung von Lara Croft, die weniger den Erfordernissen der jeweiligen Umgebung angepaßt ist, in der die Abenteuer zu bestehen sind, als vielmehr einer Ästhetik, die den nackten Körper - Beine, Arme und natürlich ,the cleavage’ inszeniert.“ 20 Dieses Body-Sampling-Verfahren ist bei The Nomad Soul ebenso deutlich sichtbar und führt darüber hinaus in noch groteskere Ausformungen. Die körperlichen Übersexualisierungsmuster sind bei allen 12 weiblichen Spielefiguren vorhanden. Besonders Bustiers, aber auch Stolas, Bänder, 19

Judith Butler: Bodies That Matter. On the Discursive Limits of „Sex“, New York/ London Routledge 1993, S. 17. 20 Barbara U. Schmidt: Lara Croft - A „Good Girl“ going Everywhere. In: Manuela Barth (Hg.): LaraCroftism, München 1999, S. 35 91

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Applikationen und Farbakzente betonen den großen Busen, und Stiefel, Stulpen oder Seitenstreifen und ähnliche Acessoires verweisen auf lange Beine. Die Wespentaille ist meist durch bauchfreie Tops zu sehen oder durch enganliegende Korsagen oder Gürtel geschnürt, der Po wird durch Farbstreifen, runde Enbleme, Miniröcke, Hotpants oder Tangaslips betont, und die Scham ist entweder von Schnallen und Gürteln eingerahmt oder als farbliches Dreieck gestaltet. Zur extrem erotischen Aufladung von Körper und Kleidung kommt in The Nomad Soul zunächst die ungewöhnliche Gestaltung mancher Figuren hinzu: So ist z.B. Betsy eine völlig asymmetrisch angelegte Figur mit kaum erkennbarem Gesicht, während Anissa extrem symmetrisch, fast nackt erscheint und eine Maske trägt. Noch erstaunlicher sind die weiblichen fliegenden Geister und die Frauen ohne Unterkörper: Die Geister sehen wie fliegende Meerjungfrauen aus und haben einen langen Kopf ohne Haare, einen nackten Oberkörper und einen abgeknickten Schweif. Zudem gibt es noch weitere Weiblichkeitsdiskurse: Die korrupte Welt von The Nomad Soul äußert sich auch darüber, dass es viele Sex-Shops, Bars und unzählige Prostituierte als Passantinnen gibt. In jeder Stadt in einer anderen Farbe gekleidet, laufen sie in Mini und Strapsen energisch durch die Straßen oder sind als Table-Dancerinnen oder Stripperinnen aktiv. Der animierende Fetisch-Charakter dieser Frauen bildet den ständigen Hintergrund zum Geschehen der übrigen Figuren und Wesen; insgesamt entsteht eine ambivalente Atmosphäre aus Subkultur und Sex.

Female Cyborg Der Frauenkörper, der durch neueste Technologien neu strukturiert, organisiert und letztlich auch neu definiert wird, legt den Diskurs um einen weiblichen Cyborg nahe. Tatsächlich lässt sich der „Wille zur Virtualität“, den Angerer für den postmodernen Feminismus diagnostiziert, in der Figuration einer weiblich assoziierten Cyborg wiederfinden, wie ihn Donna Haraway in ihrem vielzitierten „Manifesto for Cyborgs“21 entwirft. Als „Geschöpf einer Post-Gender-Welt“ ist Haraways Cyborg allerdings weniger eine Frau denn eine Hybrid-Existenz, deren Identitätskonstruktion deshalb weiblich konfiguriert erscheint, weil ihre charakteristischen Eigenschaften und Potentiale dem entsprechen, was traditionell mit „Weiblichkeit“ assoziiert wird. Tatsächlich jedoch geht sie aus den Konditionen einer postindustriellen Gesellschaft hervor, deren Technologisierung sich als eine

21 Donna Haraway: A Manifesto for Cyborgs: Science, Technology and Socialist Feminism in the 80s. In: Linda J. Nicholson (Hg.): Feminism, Postmodernism, New York/London 1990, S. 191. Deutsch: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Carmen Hammer & Immanuel Stieß (Hg.): Donna Haraway. Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt am Main/New York 1995, S. 33-72. 92

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„Feminisierung“ begreifen lässt.22 Dies schlägt sich nicht nur in einer zunehmenden Informatisierung aller Lebensbereiche nieder, die sich zu einer allmählichen Auflösung der Grenzen zwischen Mensch und Maschine bzw. Mensch und Tier äussern23, sondern auch in der so genannten „Haushaltsarbeitsökonomie“, in der Arbeitsformen normativ werden, die zuvor mit „weiblicher Arbeit“ gleichgesetzt wurden24. Obgleich beide Entwicklungen das Ergebnis einer phallisch-patriarchalen Machtpolitik sind bzw. wie der Cyborg - als ein (militär- bzw. weltraum-)technologisch aufgerüsteter Mensch - auf von dieser produzierte Phantasmen zurückgehen, führen sie nach Haraway nicht nur zu einer partiellen Entmächtigung traditioneller „Männlichkeit“25, sondern zu einer generellen „Verweiblichung“, auf die zwar nicht optiert worden ist, in der aber gleichwohl eine Stärke erkannt werden kann. Aufgrund ihrer partialen, fragmentierten (Nicht-)Identität „besitzt die Cyborg keine Ursprungsgeschichte im westlichen Verständnis“; „nichts verbindet sie mehr mit Bisexualität, präödipaler Symbiose, nichtentfremdeter Arbeit oder anderen Versuchungen, organische Ganzheit durch die endgültige Unterwerfung der Macht aller Teile unter ein höheres Ganzes zu erreichen“.26 Statt dessen kann sie jene „gender- und rassenübergreifende[n] Allianzen“ eingehen, die zu notwendigen Überlebensstrategien werden.27 Solcherart souverän gegenüber der Hegemonie patriarchaler Phantasmen, erweist sich die Cyborg ihrerseits als potentiell machtvolle Figur. Wenn Haraway die „instabile“ Identität der Cyborg an anderer Stelle auch mit dem Begriff des „shape-changer“ beschreibt28, eröffnet dies zugleich die Assoziation zu den aus den Metamorphose-Mythen bekannten und in zahlreichen Alien- und Cyborg-Figurationen des populären (und insbesondere des digitalen) Science Fiction ebenso wie auch der Game-Welt wiederkehrenden Gestalt- und Geschlechtswandlern, deren 22 Vgl. hierzu- auf Haraway aufbauend - etwa auch Sadie Plant: Zeros + Ones. Digital Women and the New Technoculture, New York/London, 1996. Deutsch: nullen + einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien, Berlin, 1998 u. München 2000. 23 „Solche Verbindungen machen den Mann und die Frau problematisch, sie untergraben die Struktur des Begehrens, die imaginierte Macht, die Sprache und Gender hervorgebracht hat, und unterlaufen damit die Strukturen und Reproduktionsweisen westlicher Identität, Natur und Kultur, Spiegel und Auge [bzw. Simulakrum und Original], Knecht und Herr, Körper und Geist. „Wir“ hatten zwar ursprünglich nicht gewählt, Cyborgs zu werden, aber die Wahl begründet eine liberale Politik und Epistemologie, die sich die Reproduktion von Individuen als der erweiterten Replikation von „Texten“ vorgängig vorstellt.“ Vgl. Haraway 1995, S. 65. 24 Vgl. Haraway 1995, S. 54 ff. 25 Etwa dahingehend, dass für die in der Industriegesellschaft noch nützliche und dementsprechend honorierbare Muskelkraft im Zeitalter der neuen Technologien kaum mehr Bedarf besteht. 26 Vgl. Haraway 1995, S. 35/36. 27 Vgl. Haraway 1995, S. 57 u. ausf. S. 59 f.. 28 „May be she is not so much bad as she is a shape-changer, whose dislocations are never free.“, Vgl. Donna Haraway im Interview mit Constance Penley & Andrew Ross. In: Penley & Ross (Hg.): Technoculture, Minneapolis/Oxford 1991, S. 20. 93

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Verwandlungspotential nicht notwendigerweise selbstbestimmt, jedoch ebenfalls als Machtpotential gekennzeichnet ist.29 Entsprechend findet sich das „shape-changer“-Phänomen auch bei den Spiele-Protagonistinnen in den verschiedenen Aufmachungen und der hohen körperlichen Anpassungsfähigkeit auf den verschiedenen Leveln eines Spiels wieder. Und wie bei Haraway angedeutet, existiert keine eigenständige Grenzziehung zwischen human und maschinell. Selbst beim mühelosen Gestaltwechsel der „Body-Switcher“-Option in The Nomad Soul handelt es sich um eine vorprogrammierte Vorgabe, und der Reiz liegt wohl weniger in einer Grenzziehung als vielmehr in der fusionierenden, technologischen Machbarkeit von Gestaltwechseln.30

Virtuelle Weiblichkeitsmodelle Nur die weiblichen Heldinnen, so fällt auf, sind Sprüngen zwischen den unterschiedlichen Virtualitätsebenen ausgesetzt. Die virtuelle weibliche Konstruktion kann und darf aber nicht vollkommen von einer Frau aus Fleisch und Blut repräsentiert werden. Es existiert die Position der Stellvertreterin, für die zum Beispiel Lara Croft die Folie darstellt. Eine Verknüpfung von Spielfigur und weiblichem Körper in der Realität scheint zwingend. Bei Lara Croft ist das virtuelle Modell vorgängig. Ihre Verlebendigung in Fleisch und Blut im menschlichen Lookalike und die Remediatisierung im Film folgt. Bei Xena übernimmt das Spiel die TV Heldin, die Schauspielerin, die danach zum Modell für Comic und das Spiel wird. Cate Archer aus dem Computerspiel No One Lives Forever ist das Ebenbild des Fotomodels Mitzi Martin31, das per Casting als Modell für das Spiel ausgewählt wurde. Mitzi Martin alias Cate Archer repräsentiert digitalisierte lebendige Körperlichkeit:

29 Vgl. etwa den T1000 in „Terminator II“ oder den Ripley-Alien-Klon in „Alien IV The Resurrection“. Hierzu ausführlich Verena Kuni: Metamorphose im Zeitalter ihrer technischen (Re-)Produzierbarkeit. In: Eva Huber (Hg.): Technologien des Selbst: Zur Konstruktion des Subjekts, Frankfurt am Main/Basel, 2000, S. 52-75; zu den „shape changern“ der klassischen Metamorphose-Mythen vgl. P.M.C. Forbes Irving: Metamorphosis in Greek Myths, Oxford, 1990, insb. Kap. 7: „Sex Changes“, S. 149-170 und Kap. 8: „The Shape-Shifters“, S. 171-194. 30 Vgl. hierzu: Allucquère Rosanne Stone: The War of Desire and Technology at the Close of the Mechanical Age, Cambridge/Ms. 1996, sowie Verena Kuni: Arbeiten an der Schnittstelle Geschlecht. Trans/Gender-Utopien dies- und jenseits der Interfaces. In: FrauenKunstWissenschaft, 29, 2000, S. 6-20. 31 Adäquat der Besetzung eines Spielfilms wurde die Protagonistin des Spiels No One Lives Forever, das Elite-Model Mitzi Martin, in einem internationalen Casting als Vorlage für Cate Archer ausgewählt. (http://www.noonelivesforever.com/operative/) Sie erfüllte die Anforderungen nach „beauty, strength and sex appeal“, Eigenschaften, die die Protagonistin des Spiels auszeichnen sollten. Martin hatte bereits für L'Oreal, Maybelline and Lubriderm gemodelt und mit Photographen wie Herb Ritts, Patrick DeMarchellier und Mathew Rolston gearbeitet. (http://lith.com/corporate/05_11_2_2000.html) 94

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„Her cleavage is emphasized, but not to the point where you wonder how she walks upright, and Cate's curves are womanly: she's got the hips to match." 32 Der Austausch zwischen Computerspiel und Hollywood-Film, wie sie sich bei den neueren Spielen in Narration und in der virtuellen „Kameraführung“ manifestiert, findet in einer Art Starkult eine weitere Entsprechung. Das Modell „Tomb-Raider“ unterscheidet sich stark vom Modell No One Lives Forever; im Fall von Julie Strain und ihrem virtuellen Nachbild findet sich eine erneute Abwandlung dieses Themas. Anders als bei den Lara-Models und dem Fotomodel Mitzi Martin, handelt es sich bei Julie Strain um das Gegenteil des auratischen Stars. Sie wird von ihren Fans als „Queen of the B-Movies“ bezeichnet, da sie etwa in der Fernsehserie „Penthouse Sex-Court“ die Rolle des Judge Julie übernommen hat und in Spielfilmprojekten wie „Bikini Squad“ und „Lingerie Kickboxer“ mitwirkte.33 Dem Herausgeber des Comic-Magazins „Heavy-Metal“, Kevin Eastman, diente sie als Vorlage der Heldin von Animationsfilm und Computerspiel Heavy Metal F.a.k.k.2. Julie Strain hat den Sprung als Hauptdarstellerin in ein Computerspiel geschafft, die Spielfigur ist nach ihr, nach ihrer Rolle in der „real-world“ Hollywoods gestaltet.34 Die Rolle der Julie Strain innerhalb des Computerspiels geht weit über das Motion-Capture Verfahren hinaus. Nicht nur Bewegungen und Aussehen, sondern auch ihre Rolle und ihr Starcharakter finden Einzug in die virtuelle Welt des Computers. Julie Strain verleiht der Figur Julie im Spiel und auch im Film eine verwegene pornographische Mischung aus Sexobjekt und Racheengel. Wie das Spiel die Phantasie seiner Rezipienten beflügelt, lässt sich auch an einer Fan-Site im Internet erkennen, die eine ganze Reihe von digitalen „Airbrushs“ versammelt.35 Auch das organische Vorbild Julie Strain bedient an dieser Stelle das Begehren ihrer Rezipienten, wie einige aufreizende Fotos im Julie-Outfit erahnen lassen. Julie Strain, Protagonistin von Heavy Metal F.a.k.k.2, weist also gleich mehrere Virtualitätsgrade und mediale Sprünge auf. Computerspiel und animierter Film basieren auf dem Erwachsenencomic Heavy Metal. Die reale Julie Strain inszeniert sich wiederum in ihren Avatar Rollen, indem sie typische Spielposen einnimmt und sich im Outfit der Spielfigur präsentiert. 32 http://www.womengamers.com/dw/catearcher.html Abschnitt: The Look 33 „The six foot, one inch, statuesque actress is a one woman industry. Main product: Julie Strain. Main assets: Julie Strain.”33 Sie posiert in Film und Fernsehen, für Magazine wie Penthouse, Vogue und Cosmopolitan, als Pin-Up Girl, auf ZippoFeuerzeugen und auf interaktiven CD-Roms, sowie als Vorlage für ComicZeichner. 34 Auf die Frage, ob sie sich als neue Lara Croft fühlt, antwortete sie in einem Interview: „She was created and it's great that Academy Award winner Angelina Jolie will play her in the movie, but I AM it, I was the character before it became the comic, so I come from a different background on it, and I feel like I really own it, and it's mine [...]. I am what they wanted a woman to be on this planet their whole life.” http://www.fakkyou.com/interviews/jstrain2.html 35 Siehe: http://www.heavy-metal.net/about_HM/julie_strain/JULIE.php3 95

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Die potentielle Rückführbarkeit in weibliche Repräsentationen aus Fleisch und Blut ist eine von den Spielen transportierte Verheißung. Der Wunsch nach Inkarnation der Figur wird noch einmal besonders in den bildnerischen Fanproduktionen deutlich, im Hinblick auf die Konstruktion weiblicher Repräsentationen als Objekte männlicher Begierde. Deren Bandbreite liegt zwischen Darstellungen von erotischen Posen, übersteigerten Sexualmerkmalen in Verbindung mit Gewaltdarstellungen bis hin zu ausdrucksvollen Phantasie-Produktionen, die sich kreativ mit den Grundideen des Games beschäftigen. Je expliziter die Konstruktion der Protagonistin auf Voyeurismus abzielt, desto stärker werden die Heldinnen innerhalb der bildnerischen Fanproduktionen so rezipiert.36

36 Dead or Alive Fanproduktionen: http://www.gamebabes.4players.de/web/galerie,11,artwork,0.html und http://alice.trinitee.net/community/fan/artwork/alice.pl, sowie bilder über julie strain aus http://www.heavy-metal.net/about_HM/julie_strain/gallery_one.php3 bis ...gallery_four.php3 96

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Auffällig ist weiterhin die „2-click-away-Positionierung“ von Reportagen über weibliche Protagonistinnen von PC-Games zu „Soft-Porno-Seiten“ im Internet. 37 Es gibt jedoch auch Protagonistinnen, die in ihrer Anlage zu sperrig sind, um diese pornographische Verwertung zu bedienen, wie z.B. Alice.38 Hier gibt es kreative Fan-Produktionen in der Form von Gedichten39, Skins40 und auch bildnerische Gestaltungen wie Zeichnungen und Malerei. Die surrealen Gothic-Elemente des Spiels bieten einen gestalterischen Freiraum, der unabhängig von zeitgenössischen Zuschreibungen und Entwürfen von Weiblichkeit ist. Als alternative Repräsentation einer weiblichen Heldin bietet Alice somit andersartige Identifikationsmöglichkeiten, die mehr sind als bloße Erweiterungen stereotyper Rollenzuschreibung. Im Unterschied zu Lara Croft, kann die Protagonistin hier mehr als handelndes Subjekt denn als Sexualobjekt „erspielt“ bzw. erlebt werden. Ihre Konstruktion verweigert sich einer sexistischen Rezeption und kommt somit in den Fan-Produktionen nicht zum Tragen. Alice wird häufig mit Humor und Ironie weitergedacht. Hierbei werden besonders die GothicElemente aufgenommen und verarbeitet.41 Konstitutiv für die Bedeutung der weiblichen Figur ist, dass sie eine Wandlung von Virtualität in Realität und zurück suggeriert. Gleichzeitig schwingt aber auch die Unmöglichkeit des Ebenenwechsels mit. „Tatsächlich hatte die ,Verlebendigung’ von Lara Croft eine Verkehrung des Verhältnisses von Original und Kopie bzw. Vorbild und Abbild zur Folge. Die realen Körper wurden in einer perversen Weise zu bloßen Abbildern, die das vermeintliche Original - die Traumfrau - nie erreichen konnten.“ 42 Deuber-Mankowsky berücksichtigt in ihrer Terminologie Original- KopieAbbild nicht, dass der weibliche Körper permanent an künstliche Originale, an Realitätsmodelle von Weiblichkeit, angepaßt wird. Die Unterschiede zwischen der computergeschaffenen Gestalt Laras und den medial propagierten Körpermodellen sind nur graduell. Die Model-Spiel- und FilmKonstellation taucht immer wieder auf, zuletzt im Film „Resident Evil“43, in dem das Model Mila Jovovich die Hauptrolle spielt (wie auch bereits in „Das fünfte Element“). Weiblichkeit zeigt sich immer wieder als Modell mit unterschiedlichen Virtualitätsgraden. Eine Voraussetzung für den Erfolg eines Spieles auf der RezipientInnenseite ist die Möglichkeit potentieller Extensionen in den medialen Be37 Der Artikel „Computerspiele. Die starken Frauen kommen" führt als Teaser zu „Soft-Porno-Seiten“. In: http://bz.berlin1.de/computer/spiele/ca23powerfrau.htm 38 Alice Fanprodukte: http://alice.stomped.com/fanart.html 39 http://alice.trinitee.net/community/fan/writing.shtml 40 http://aquatarkus.20m.com/alice.html 41 Alice-Demo auf offizieller Webseite: http://www.alice.ea.com 42 Astrid Deuber-Mankowsky: Lara Croft - Modell, Medium. Cyberheldin, Frankfurt am Main, 2001. S. 69. 43 Resident Evil. Regie: Paul W.S. Anderson, 2002. 97

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reich Film, Comic und in die Realität in Form der Body Doubles. Die immaterielle Figur erlebt im wahrsten Sinne des Wortes eine Inkarnation und tritt in das „real life“ ein. Die Verbindung von Model und Gamestar über künstliche Modelle von Weiblichkeit ist also kein Zufall, im Gegenteil: Der Austausch und die Übertragung verschiedener Künstlichkeitsmodelle sind system- und medienstrukturell immanent.

Virtuelles Schutzschild Die konkrete Handhabung der Computerspiele erfordert viel Geschick und Reaktionsvermögen von den UserInnen. Florian Rötzer skizziert die besondere und nicht mit vorhergehenden elektronischen Medien vergleichbare Rezeptionsweise der Computerspiele am Beispiel der Abenteuerspiele: „Adventure games stellen eine neue, erst durch interaktive Computersimulationen mögliche Gruppe von Spielen dar, die in einer dem Spieler anfangs noch unbekannten labyrinthischen Welt ein Verhalten der Exploration herausfordern, um nach und nach deren Regeln kennenzulernen. Diese Welt schaut man sich nicht von außen an, sie erschließt sich erst von innen - durch die Entscheidungen, die man trifft, indem man irgendwie, eine den Spieler repräsentierende Figur durch Szenarien steuert, ohne Überblick über das ganze und den Weg zu haben, der einen schließlich ans Ziel führt.“ 44 Diese Erschließung von innen mittels einer die Spielenden repräsentierenden Figur bzw. eines elektronischen Stellvertreters erfolgt in den analysierten Spielen durch eine weibliche Anführerin, so dass für alle das gilt, was hier nur für Lara Croft beschrieben wird: „Es ist ungewöhnlich, sich hinter einer (hyper-)weiblichen Figur so verstecken zu können wie hinter Lara: Sie steckt Schläge ein, und sie schlägt zurück. Ähnlich wie die Protagonistin eines Schauerromans oder eines Splatter Movie übernimmt Lara Stellvertreterinnenfunktion für ihre Rezipientinnen und Rezipienten. Sie testet ein gefährliches Terrain aus, dem die Spielenden an ihrer Stelle nicht gewachsen wären.“ 45 Die Wiederholung der Handlungen führt zu einer immer perfekteren Orientierung der Protagonistinnen innerhalb der Ebenen und bildet entwicklungspsychologisch ein wichtiges Timing für User: „Auf der einen Seite steht Lara als Archäologin zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit; auf der anderen Seite sind da die Spielerinnen - Jugendliche, die sich zwischen der Welt der Kinder und der der Erwachsenen orientieren müssen, zwischen dem Unwissen und dem neuen Wissen, zwischen dem Männlichen und dem 44 Florian Rötzer: Konturen der ludischen Gesellschaft im Computerzeitalter. In: ders. (Hg.): Schöne neue Welten? Auf dem Weg zu einer neuen Spielkultur, München 1995, S. 190. 45 Randi Gunzenhäuser: Darf ich mitspielen? A.a.O. S. 23. 98

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Weiblichen; sie sind aufgefordert, zu einer eindeutigen sexuellen Identität zu finden: In dieser Situation nimmt Lara die Spielerinnen und Spieler quasi an die Hand und führt sie durch eine eindeutige und wenig komplexe Welt, in der sie sich auskennt und in der sie sehr machtvoll ist.“ 46 Eine der Thesen, die zur Klärung des Erfolges des ersten weiblichen Stars in Computerspielen, Lara Croft, dienen soll, ist die prinzipielle Kontrolle des Spielers über den virtuellen Avatar. Omnipotenzphantasien werden diagnostiziert, weil man die Figur mittels Tastatur den eigenen Wünschen entsprechend steuern kann. Vergleicht man jedoch Oni und Tomb Raider, so wirkt Lara Croft relativ „untalentiert“. Konoko zu steuern ist weitaus befriedigender, dies resultiert aus der eigenen Überraschung, wenn im Kampf gegen eine ganze Horde von Gegnern eine besonders gelungene Kombination aus Tritten, Würfen und Sprüngen entsteht. Im Wesentlichen aber schaut man sich selber zu, ohne hinterher zu wissen wie man dies genau bewerkstelligt hat. Festzuhalten ist also, dass die Illusion der Kontrolle über die Spielfigur durch die Gestaltung vermittelt wird. Eine wirkliche Transparenz der Steuerung ist oft nicht vorhanden und auch nicht gewünscht, denn nur durch schnelle Handlungsabfolgen kann die Immersion in das Spielgeschehen erreicht werden. Die Steuerbarkeit der Figur geht, zumindest im Falle Konokos, in einem Kontingenzspektrum möglicher Aktionen unter; es ist nicht mehr nur die SpielerIn, die spielt, sondern ebenso das Spiel, das die SpielerIn spielt. Wenn Lara Croft und mit ihr Xena, Julie, Cate und Alice also jeweils das Interface verkörpern und daher Trennschärfen zwischen der Userwelt und dem Universum des Spieles nicht mehr klar vorliegen, können sich Nutzer weniger deutlich von dem Spielgeschehen abtrennen. Ein Kunstgriff für die Immersion der Nutzer ist die appellative Darstellung im Spiegel und die direkte Ansprache durch die Spielfiguren wie bei Alice. Die virtuelle Heldin verstärkt den ohnehin immersiven Charakter eines Computerspieles, denn es ist in der Regel nicht die Perspektive Laras, aus der das Geschehen betrachtet wird, sondern dies geschieht aus der Perspektive der dritten Person. Wahlweise, durch Drücken einer Spezialtaste, kann der User zwar die Umschaufunktion zur direkten Orientierung im Raum zu Hilfe nehmen, aber dieses eigenständige Umherblicken kostet Zeit und verwirrt oft durch Nahaufnahmen. Da also die Stellvertreterfigur immer einen Teil der Sicht auf die Umgebung und herannahende Feinde verstellt, haben die Nutzer trotz allem Geschick keine absolute Kontrolle über die Bewegungen und das Geschehen im Abenteuerspiel. Die komplexe Vermittlerin-Funktion von virtuellen Heldinnen existiert daher auf mehreren Ebenen: Jede Protagonistin ist eine schützende Stellvertreterin der User in einem gefährlichen Spiel. Sie verkörpert das Interface und zieht die Spielenden weiter ins Geschehen hinein, sie paßt zudem in das Bild einer mütterlichen Matrix. Volker Grassmuck weist für das Science Fiction-Genre 46 Randi Gunzenhäuser: Womb Raider. In: Barth, Manuela: LaraCroftism, München 1999, S. 52f. 99

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auf eine Verschiebung in der symbolischen Ordnung hin: Vom paternalistischen Big Brother der 80er Jahre sei eine Verlagerung zum maternalen Mutter-Computer und Mutter-Schiff in den 90er Jahren zu beobachten.47 Dies deckt sich mit der mütterlichen Setzung, die Gunzenhäuser für den Datenraum insgesamt beobachtet hat und jetzt auf Lara Crofts Schutzfunktion überträgt: „Sie verkörpert das Interface - als einen ,anderen’ Raum, der den Spielenden entrückt ist, und der doch stets lockt. Sie ist das perfekte Bild für die Matrix, wie der Datenraum auch genannt wird, für den ,mütterlichen’ Raum. Wenn sie sich schützend vor die Spielerinnen und Spieler stellt und ihre Gestalt den gesamten Bildschirm einnimmt, wird sie denn auch zur allmächtigen Überfrau.“ 48 Lara verweist einmal auf die Konstruiertheit des weiblichen Körpers durch Bodysampling, auf der anderen Seite bestätigt sie vorhandene Weiblichkeitsmuster in ihrer hypersexualisierten Darstellung und untermauert so die Einschreibung des biologisch determinierten Geschlechts. Außerdem ist Lara Croft die allmächtige Führerin durch eine sexuell uneindeutige Welt, und sie vermittelt zwischen verschiedenen Zeitebenen, was den großen Erfolg miterklären könnte. Insgesamt laden die vermittelnden, digitalen Protagonistinnen die User dazu ein, die Heldinnen und die Spiele anhand von Körper- und Maschinentechnologien zu erobern. Zudem agieren die Spielfiguren als „multifunktionale digitale Körperwaffen“ und virtuelle Technologiefetische. Sie bieten den UserInnen als virtuelle Stellvertreterinnen Schutz durch die Einübbarkeit in die Handlungsformen und durch ihre Multimedialität verschiedene Identifikationsmöglichkeiten.

47 Vgl. Volker Grassmuck: Japanogames & Japanimation. Elektronische Spiele in Japan. S. 5. In: telepolis http://www.heise.de/deutsch/special/game/2353/1.html 48 Randi Gunzenhäuser: Darf ich mitspielen?, a.a.O., S. 24. 100

V. Zur Konstruktion der Sheroes

V. Zur Konstruktion der Sheroes Komm, spiel mit mir! Wartegesten Animierte Zwischensequenzen im Spiel schaffen einen wichtigen Freiraum für die Ausformulierung der Persönlichkeit der digitalen weiblichen Kunstfiguren. Die Sequenzen haben keinen direkten Einfluss auf den Spielverlauf. Als direkter Appell an die Spielenden tauchen so genannte Wartegesten bei Spielunterbrechungen auf. Diese sind unabhängig von den Aktionen der Benutzer und bieten die Möglichkeit der Herausarbeitung von individuellen Merkmalen. April Ryans (The Longest Journey) Wartegesten sind Zeichen der Verunsicherung: Sie führt Verlegenheitsgesten aus, richtet zum Beispiel ihre Frisur. Die Gesten zeugen vom Warten auf Beistand und die Konzentration auf das eigene Aussehen. Bei Alice (in American McGee´s Alice) fallen diese Gesten ganz anders aus: Die Kameraperspektive wechselt bei Spielunterbrechung. Alice steht den Spielenden gegenüber und gibt ihrem Unmut über die Unterbrechung Ausdruck. Ihre Wartegesten sind z.B. demonstrativ cooles Herumstochern mit dem Messer, Fingernägel reinigen oder auch lässige Wurfspiele mit dem Messer. Diese Gesten werden auf der Website besonders prägnant: Alice spricht die Betrachter an und bei der Betätigung eines bestimmten Buttons, kommt eine Spinne hinter einem Pilz hervor, die Alice mit einer lässigen Bewegung zertritt und aus dem Bild befördert. Das Ausscheren aus dem stereotypen Bild des arachnophob kreischenden Mädchens ist Ausdruck für ihren autonomen Subjektsstatus. Klischees von Weiblichkeit sind bei Alice nicht zu finden; sie zertritt die Spinne für deren Beseitigung andere weibliche Akteure eine männliche Unterstützung gebraucht hätten. Andere Formen der Individualisierung sind Triumphgesten z.B. bei Pai Chan und Sarah Bryant in Virtua Fighter bei dem Sieg über den Gegner, ebenso bei Xena: Beim Nahkampf stößt sie einen lauten Triumphschrei aus und dreht sich eindrucksvoll mehrmals um die eigene Achse. Eine ähnliche Individualisierungsfunktion haben Trainingssequenzen in verschiedenen Spielen. Neben der Einübung in Bewegungskombinationen dienen sie der Anbindung an die Stellvertreterfigur. Die animierten Sequenzen suggerieren bei der Protagonistin autonome Verhaltensweisen, obwohl sie vorgefertigt sind. Es zeigt sich, dass die Persönlichkeit der „Sheroes“ nur auf der audivisuellen Ebene in Form von Handlungen, Gesten oder ästhetischem Ausdruck in Erscheinung tritt. Der spezifischen Persönlichkeit wird Gestalt gegeben. Die Ebene der Narration, z.B. im mitgelieferten biographischen Rahmen, ist medienstrukturell wenig geeignet, die Figuren zu charakterisieren (Julie besitzt z.B. keine). Die Warte- und Triumphgesten statten die Protagonistin mit einer spezifischen Persönlichkeit aus. Überraschend ist vor allem, dass es vorgefertigte narrative Animationssequenzen sind, welche die Betrachter binden; sie sind repetitiv, nicht interaktiv und bieten doch maximales Immersionsund Identifikationspotential.

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Heldin ohne Falten & monströse Metamorphosen zum dämonischen Frauenkörper Mit dem Diskurs weiblicher Schönheit ist die Abwehr des Alterns verbunden. Kathleen Westward, Direktorin des Center of Twentieth Century Studies in Wisconsin-Milwaukee, leitet ein Projekt mit dem Thema des „Aging“ und sieht die Kategorie des Alterns bzw. des Nichtalterndürfens für die heutige Gesellschaft als mindestens genauso bedeutend wie die des Gender: „Technological culture is a youth culture.“1 Dieses technisch machbare Jungsein findet sich in der Tatsache wieder, dass die weiblichen virtuellen Charaktere biografisch nicht altern. Lara Croft wird sogar in den Abfolgen der verschiedenen Spielversionen jünger, in Tomb Raider V sieht man sie als Jugendliche oder Kind im Rückblick. Das begehrte Nicht-Altern-Müssen in Zeiten von „Anti-Aging“Cremes und Schönheitsoperationen können nur die virtuellen Beauties garantieren. Würde jeglicher Alterungsprozess konsequent verfolgt, stiegen die Produktionskosten ins Unermeßliche. Die perfekte Gegenwärtigkeit und die trotz kleiner virtueller Tode grundsätzliche, anfängliche Unversehrtheit - hier wieder der Verweis auf den sublimen Körper als Phänomen, der auch in Comic, Film- oder TV-Serien anzutreffen ist - kennzeichnen die Kunstfigur und sichern das zeitlose Vergnügen. Die Spiele zeigen alterslose junge frische Körper - nur in einigen Fällen wird dieses Schema verlassen. Dies geschieht meist, indem Weiblichkeit in Form des unantastbaren und völlig umschlossenen Körpers der Herrscherin2 oder der weisen Alten gezeigt wird (Julie in ihrer Vorgeschichte, Ekatharina, Xena, Lady Alvane). Diese Figuren suggerieren zugleich unerreichbare Göttlichkeit und Zeitlosigkeit. Ältere Frauen existieren nur vereinzelt in Spielen: Bei Vampire ist es, neben der stereotypen Randfigur einer warzigen, verschlagenen Hexe, die zentrale, vollanimierte Figur Ekatharina die Weise, welche Gebieterin, Gelehrte und Ratgeberin ist. Sie ist keine Kriegerin, sondern mächtige Herrscherin. Ihre Macht wird mit einem Mütterlichkeits-Diskurs verschränkt: In Abwandlung der antiken Wölfin Roms, gibt sie ihr Blut den untergebenen Männern zur Kräftigung oder zur Bestechung der Feinde. Eine erotische Aufladung ihrer sonst streng geschlossenen Haltung wird erst wieder durch eine Verjüngung möglich, als eine Dämonin ihre Gestalt annimmt. Genau wie Ekatharina gekleidet, aber deutlich jünger und mit funkelnden Augen, kommt eine Dämonin auf Prinz Christian zu, um ihn zu verführen. Sie umschlängelt den verwirrten Helden, reißt schließlich unter Gelächter ihr Tuch aus dem Gesicht, man sieht ihre verkohlte Haut und große Reißzähne. Ein tierisches Schnaufen und Knurren, wie das eines Wolfs, ist 1 2

Kathleen Woodward: From Virtual Cyborgs to Technological Time Bombs: Technocriticism and the Material Body. In: Gretchen Bender & Timothy Druckrey (Hg.): Culture on the Brink. Ideologies of Technology, Seattle 1994, S. 63. Vgl. Barbara Vinken: Kultkörper, Verworfen und Heilig: Marie-Antoinette. In: Gerhard J. Lischka (Hg.): Mode-Kult, Köln 2002, S. 15-29. 102

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zu hören, und die Szene wird abgeblendet. Hier drückt sich eine Form von männlicher Furcht vor dem Alterungsprozess und Verfall des Begehren verheißenden weiblichen Körpers aus. Auch in The Nomad Soul findet sich eine ähnliche und dabei noch mehr ins Monströse gehende Szene, als die Komponenten Schönheit - Alter - Tod bei einer jüngeren Frau aufeinandertreffen. Die Kindfrau Tels kniet verwundet und schutzbedürftig mit gesenktem Kopf am Boden; die Kamera umrundet ihren blutverschmierten und nur noch spärlich mit weißer Unterwäsche bekleideten Körper. Als ihr Mann auf sie zuläuft, ruft sie: „Nimm mich in den Arm, Liebling ...“, um dann in lautes, hexenartiges Gelächter auszubrechen. Sie ist jetzt die Dämonin Tels, verdreht wie im Wahn ihren Körper; in der anschließenden schrägen Kameraperspektive sehen ihre Gliedmaßen absurd verlängert aus. Darauf sieht man ihren Oberkörper als verbrannten Torso, besonders Brüste und Gesicht sind schwarz wie bei einer Mumie. Sie bewegt sich jedoch und wird schließlich zu einer schnaubenden, kämpfenden Bestie. Es folgt eine Kickbox Sequenz mit dem Mann, den sie schnell, gezielt und gewalttätig attackiert. Aus der Seitenansicht sind ihre spitzen Brüste deutlich erkennbar, gleichzeitig wirkt die Dämonin Tels wie eine artistische Kampfmaschine, die tritt, schlägt und Salti macht. Als der Mann schreiend zu Boden fällt, zieht sie ihn vehement zu sich hoch, saugt schnaufend seine Energie bzw. „Seele“ aus seinem Körper und wirft ihn danach in hohem Bogen von sich. Die menschliche Agentin Kay`a, die alles im Verborgenen entsetzt beobachtet, bildet hierzu den Kontrast. Sie ist die schöne, junge, emotionale und mit weiblichen Reizen ausgestattete Gegenfigur, die am Ende versucht, dem Mann zu Hilfe zu eilen.

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Die Darstellung der Metamorphosen der Protagonistinnen Alice und Tels zeigen Parallelen zur filmischen Präsentation des Motivs. Auch The Nomad Soul visualisiert die männliche Furcht vor dem körperlichen Altern der Geliebten, ähnlich wie dies z.B. sehr eindrucksvoll im Film The Shining3 bei einer Kußszene im Bad geschieht: Der begehrte jugendliche Körper altert vor dem entsetzten Helden urplötzlich, wird faulig und bricht in zahnloses Hohngelächter aus. Die Furcht vor dem modernden, sich zersetzenden Körper der Geliebten geht aber in The Nomad Soul über den Alterungs-Diskurs hinaus, indem er den Alptraum der im Grunde bösen, obszönen und gleichzeitig machtvollen Gefährtin ins Monströse verzerrt. Die überbetonte sexuelle Attraktivität der Frau verkehrt sich in eine mönströse Aktivität: Frau und Bestie vereinen sich im rohen Animalischen. Aber der Auftritt einer neuen, schönen jungen Frau signalisiert die weibliche Sorge um den verletzten Mann sowie die Aufgehobenheit des Guten in begehrenswerter Schönheit. So geschieht eine Abwehr des Alterns und aggressiver Weiblichkeit, wenn am Ende Jugend und Schönheit die weibliche Harmlosigkeit wiederherstellen. Die Darstellung von Tod und Verfall des weiblichen Körpers, der schon in jugendlichem Alter von Verfall und Fäulnis befallen wird, getreu dem christlich-paulinischen Thema der an den Tod gemahnenden weiblichen Körperlichkeit, erinnert an Darstellungen der bildenden Kunst4. Hier wird immer wieder thematisiert, dass weibliche Schönheit eine vergängliche Täuschung ist und hinter der lustvollen Verführung das Dämonische des weiblichen Körpers und damit der Tod lauert. Die Spielfiguren sind zudem in das phantasmatische Konstrukt des sublimen weiblichen Körpers eingebunden. Die Darstellung von Verwundung des weiblichen Körpers der virtuellen Stellvertreterin erfolgt nicht auf der visuellen Ebene. So ist das Blut auf Alice Schürze nicht ihr eigenes. Niederlagen werden eher durch den Ton, oder wie bei den Shootern üblich, in der Status-Leiste dargestellt. Hier zeigt sich eine neue Form der Visualisierung des de Sadsche Phantasmas, wie es z.B. auch im Zeichentrickfilm auftritt, der eine Fundgrube sadistisch-analer, „vorödipaler“ Verhältnisse ist, in denen es in gewisser Weise den Tod gar nicht gibt.5 „Von daher die schier unglaubliche Überlebenskraft, mit der Sade die Opfer der Mißhandlungen und Torturen begabt, die er in seinen fabulösen Geschichten an ihnen verübt. Der Augenblick ihres Todes scheint einzig durch das Bedürfnis motiviert, sie innerhalb einer Kombinatorik zu ersetzen, um derentwillen allein es mehrerer bedarf. [...] Indem sie das Objekt des Phantasmas darstellt und sich im Realen ansiedelt, aber kennt die Schar der Peiniger eher Variation (s. Juliette). Eine andere Bewandtnis hat es mit der Forderung, das Gesicht der Opfer müsse stets von unvergleichlicher (und im 3 4 5

The Shining. Regie: Stanley Kubrick, 1980. Motivgruppen wie „Der Tod und das Mädchen“ z.B. von Hans Baldung Grien oder „Der Verführer“ eine Skulptur im Straßburger Münster 15. Jahrhundert. Slavoj Zizek: Liebe dein Symptom wie dich selbst. In: Liebe dein Symptom wie dich selbst, Berlin 1991. S. 74. 104

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übrigen, s.o., unverwüstlicher) Schönheit sein. Und dieses Problem erledigt sich nicht durch eilig zusammengeklaubte Allgemeinplätze über den sexuellen Reiz.“6 Der doppelte Tod und die Welt zwischen den Toden sind ein zentrales strukturelles Merkmal in den Computerspielen. Während des Spiels finden mehrere kleine Tode statt, die am Ende einer Spielsession in einem finalen großen, dem absoluten Tod kulminieren.7 Eine medienstrukturelle Besonderheit der Spiele ist, dass das Ende immer wieder verhindert werden kann, durch die Abspeicherung des Spielstandes und die Wiederaufnahme als Fortsetzung eines Spielverlaufs. Der absolute Tod der Gegner und des Hauptfeindes, z.B. bei Alice der schwarzen Königin, ist gleichbedeutend mit dem Gewinn des Spiels. Die Sterblichkeit der Figur ist eine medienstrukturelle Notwendigkeit, sie ist Motivitation zu spielen, um zu gewinnen oder zu verlieren. Damit das Spiel irgendwo endet, wird der Tod als das Ende eingeführt. Gleichzeitig ist aber auch die Wiederholbarkeit der Aktionen von Bedeutung. Das zeigt sich besonders vor dem Hintergrund von Spielen, in denen keine Lebensgefahr für die Figur besteht. Dort, wo keine existentielle Bedrohung der Figur auftritt oder nicht visuell nachvollziehbar ist, entfällt ein Identifikationsgrund. Die erfolgreichen Protagonistinnen sind an ihrer körperlichen Kampfeskraft zu erkennen. Gleichzeitig dürfen sie auch Schwäche und höchste Anstrengung bekunden (Lara stöhnt zum Beispiel bei schweren Sprüngen, ebenso Alice). Diese punktuelle Schwächung ist jedoch vom grundsätzlich schwachen weiblichen Körper zu unterscheiden, den April Ryan in The Longest Journey beispielhaft ausfüllt. Symptomatisch für April Ryan ist die sphärische traumhafte Metamorphose von der weiblichen schwachen Figur in die starke männliche, die anzeigt, dass die männliche Figur gewinnt. Bei April ist Weiblichkeit konnotiert mit körperlicher Defizienz nur eine männliche Hand kann den entscheidenden Spielweg eröffnen. Andere Spiele setzen auf die punktuellen Veränderungen der Körperlichkeit, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben wurde, um Stärke und die Bereitschaft zu tödlicher Aggression auszudrücken. Nur in der „Verteufelung“ ist der weibliche Körper gewappnet, den Männern siegreich gegenüberzutreten. Die aggressive Markierung des weiblichen Körpers kann oft nur durch einen Kunstgriff erreicht werden: Der Körper der Frau durchlebt eine Metamorphose zur teuflischen Gestalt. Die plötzliche Verwandlung wird als schmerzhaft erlebt, Gesten, Körperhaltungen und Schreie drücken dies aus. Hier liegt die Vermutung der assoziativen Verknüpftheit mit dem Prozess der Geburt nahe. Das Mysterium einer weiblichen lebensspendenden „Natur“ wird hier einmal mehr in Bilder des Ge6 7

Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. In: Lacan, J.: Schriften Bd. I, 1973, S. 146. Zum virtuellen doppelten Tod und sublimer Körper siehe auch Birgit Richard: Todesbilder, 1995. 105

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bärens von Unheil umgeformt. Dies setzt die Vorstellung an die Vereinigung mit dem Bösen, wie im Hexenbild, voraus und verbindet es mit Praktiken wie drogenartigen Hexensalben und Fähigkeiten wie dem Fliegen. Die Metamorphosen lassen sich wiederum an Zustände im Traum zurückbinden. Dies passt gut auf eine Figur wie Alice; ihre Ermächtigungen durch Zauber haben jedoch keine sexuellen Konnotationen. Alice verwandelt sich also vom Mädchen in ein diabolisches gehörntes Wesen. Im Spiel Vampire läuft die Verwandlung in die andere Richtung, die alte weise Ekatharina mutiert zur körperlich jungen Dämonin. So wie bei der weiblichen Figur Tels in The Nomad Soul, demonstriert die Annahme der Gestalt eines Dämons die Verschmelzung von weiblichem Körper und Waffe.

Durchschlagend weiblich: Die Körper-Waffe im tödlichen Einsatz Die Sexualisierung des Körpers der Spieleprotagonistinnen steigert sich in ihrem Fetischcharakter oft noch durch ein hinzukommendes Waffenpotential. Um die Gefährlichkeit der Spielheldinnen zu inszenieren, steht oft ein Arsenal an Waffen zur Verfügung. So besitzt Xena ihr todbringendes Wurf-Chakram aus Metall und kämpft manchmal mit einem Schwert. Über die Figur der Millennia löst der User jede Menge tödlicher Fallen, wie Bomben, Speere, Felsblöcke und elektrische Stühle aus. Lara Croft benutzt innerhalb aller Tomb Raider Folgen wahlweise Maschinenpistolen, Granaten, Schnellfeuergewehre, Harpunen, etc.. Die Literaturwissenschaftlerin Randi Gunzenhäuser behauptet zum einen, dass sich eine Waffenausstattung bei fast allen Protagonistinnen findet und dass zum anderen Laras extremer Körpereinsatz ihre große Popularität bewirkt hätte: „Laras stärkste Waffe ist ihr Körper. Und sie setzt ihn buchstäblich als Waffe gegen all diese Gefahren ein, die sie im Laufe des Spiels bedrohen. Deshalb trainieren die Spielerinnen und Spieler zu Anfang des Spieles nicht nur den Umgang mit Feuerwaffen, sondern auch den mit Laras Renn-, Sprung- und Schwimmeigenschaften. [...] Lara geht nicht, sie rennt. Ihre Sprungkraft ist olympiareif, ihre technische Ausstattung perfekt.“ 8 Zunächst muß festgehalten werden, dass längst nicht alle Protagonistinnen Feuerwaffen o.ä. zur Verfügung haben. Dem Argument Gunzenhäusers, Lara Crofts großer Körpereinsatz sei einzigartig, muß ebenfalls entschieden widersprochen werden. Nicht nur, dass bei Xena ein sehr vergleichbarer Einsatz zu finden ist; Frauenfiguren ohne Waffen setzen ihren Körper sogar noch extremer ein. Die Kickbox-Fighterinnen Pai und Sarah kämpfen ausschließlich und sehr trickreich mit ihrem Körper, auch Leeloo muß Salti einsetzen, um zu überleben. Die 12 Frauencharaktere aus The No8

Randi Gunzenhäuser: Darf ich mitspielen? A.a.O. S. 22. 106

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mad Soul kämpfen nicht direkt mit Waffen, führen aber zahlreiche körperliche Kämpfe in Kickbox-Sequenzen aus. Daher kann Gunzenhäusers Beobachtung abgewandelt werden: Die stärkste Waffe von Spieleheldinnen ist ihr Körper, und zwar im Sinne einer multifunktionalen digitalen Körper-Waffe. Es sind übermenschlich perfekte, an ihre Umgebung optimal angepasste virtuelle Figuren, welche die bestmöglichen Wege durch Gefahren suchen. Wichtig ist festzuhalten, dass bei den typisierten Gestalten der digitalen Computerheldinnen Körper, Waffen und Technik ins Begehren übergehen. Sie stellen eindeutig virtuelle Technologiefetische dar und verknüpfen damit Technik und Begehren. Thomas Foster deutet den Zusammenhang von Technologie und weiblichem Körper als Synthese imaginärer Beherrschbarkeit im Sinne männlicher Furchtabwehr: „In this representational framework, the analogy between technology and female sexuality confirms that both represent a threat to masculine power, while the conflation of the two in the form of the female robot allows for a specifically disavowal of both threats.“ 9 Leeloo ist eine reine Körperwaffe, sie setzt ihre besondere Beweglichkeit als Kampfmittel ein. Xena kämpft über die Körperbewegungen und hat außerdem spezielle Waffen. Millenia besitzt nur indirekte Waffen: Sie stellt Fallen, die Kettenreaktionen verursachen und die Gegner unschädlich machen. Auch Pai Chan und Sarah Bryant beschränken sich auf ihren Körper. Dies ist bei Kampfspielen nicht selbstverständlich, in Mortal Kombat bekommen die KämpferInnen zusätzliche Waffen, das Schleudern von Blitzen oder Feuer. Konoko kämpft sowohl mit ihrem Körper als auch mit Waffen. Cate Archer setzt, wie James Bond, ein raffiniertes Waffenarsenal ein. Man kann diese charakterisieren als „Waffen der Frauen“, da sich die tödliche Gefahr in weiblichen Accessoires wie Handtasche oder Lippenstift versteckt. Hier stellt sich aber die Frage, ob ihre technische Aufrüstung wirklich als Hinweise auf Feminisierung des Waffenarsenals zu lesen ist oder vielmehr als eine geschickte Tarnung und Integration der Gadgets, wobei das Geschlecht keine Rolle spielt. Cate Archer versteckt ihre zielgerichtete Aggressivität hinter einer Fassade aus Charme und „Sophisticatedness“. Ihre Waffen werden offensiv eingesetzt, sind aber gleichzeitig „Style Accessoires“, die ihre „fashion victim“ Posen unterstützen, ohne die Stärke der Figur ähnlich wie beim Helden James Bond abzumildern. Als weiteres Charakteristikum kommt bei Cate Archer hinzu, dass diese sehr gezielt kämpft und für den Tod von unschuldigen Zivilisten Punkteabzug bekommt. Der gezielte Kampf und nicht das „Herumballern“ kann

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Thomas Foster: The Sex Appeal of the Inorganic: Posthuman Narratives and the Construction of Desire. In: Robert Newman (Hg.): Centuries Ends, Narrative Means, Stanford CA 1996, S. 289f. 107

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auch als ein Merkmal weiblicher Heldinnen gesehen werden; umsichtige männlichen Helden wären noch zu suchen. Diametral entgegengesetzt präsentiert sich Julie Strain mit ihren Waffen und ihrer Körper-Panzerung. Julie aus Heavy Metal ist hier als Prototyp der phallischen Frau zu nennen. Sie macht gemäß des narrativen Aufbaus eine visuelle Wandlung von der guten Mutter mit dem „Körper der Herrscherin“ bis hin zur übersexualisierten Rächerin durch. Ihre Posen mit archaisch modernen Waffen zeigen Aggression nicht als Notwehr, sondern als Absicht. Die Hyperwaffen entsprechen dem Hyperkörper. Besonders hervorzuheben sind die spielerischen Spezialwaffen von Alice. Sie kann mit dem Flamigo-Croketschläger schlagen oder den elektrifizierten Ball spielen, den Teufelswürfel werfen oder einen kleinen Teufel für sich kämpfen lassen. Dann hat sie spezielle Fähigkeiten: Als eine Art „böse Marilyn“ kann sie auf dem Dampf, der ihren Rock aufbläst, durch die Luft schweben oder unter Wasser atmen. Das Werfen oder Zustechen mit dem Messer ist ihr in jeder Spielsituation möglich. Besonders in der Mutation wird ihr gesamter Körper zur Waffe. Alice bezieht einen Teil ihrer Kraft zum Besiegen ihrer Feinde aus dem Töten. Die Waffen werden bei den starken Heldinnen nicht durch eine geschlechtsspezifische Konnotation entschärft, die ihnen die Aggressivität nimmt: Julies Waffen zeigen ungezügelte Aggressivität, selbst ihre spärliche Kleidung hat Widerhaken, Alice Spezialwaffen haben den Charakter von gotischen gadgets; das immer präsente Messer ist der Hinweis auf die offensive Komponente. Die Charaktere unterscheiden sich also in Bezug auf den Einsatz von Waffen. Die schwachen Spielfiguren besitzen keine und setzen auch den Körper nicht als Waffe ein. Nur die alten Frauen Lady Alvane und Ekatharina sind die Ausnahme: Sie kämpfen ebenfalls nicht; dies ist aber kein Ausdruck von Schwäche, sondern Überlegenheit, denn sie lassen kämpfen. Die starken Figuren hingegen präsentieren ihre Waffen kampfbereit mit einem offensiven herausfordernden Blick, direkt auf den Betrachter gerichtet. Der Motivkomplex Frau und Waffe kann aber auch anders gedeutet werden, als graduelle Abschwächung: Den Blick kann man auch als verführenden und auffordenden deuten, was der These, Weiblichkeit diene selbst als Waffe und die wirklichen Waffen seien nur Dekoration und eigentlich gar nicht notwendig, entsprechen würde. Der geheimnisvolle weibliche Körper wäre demnach Waffe genug und reagiere als Teil der Jungesellenmaschine, die steuerbar bleibt. Weitere Abschwächungstendenzen in der Gestaltung der Spiele lassen sich in den Gegnern der Heldinnen finden: Die Frauen werden in vielen Spielen von mutierten Naturformen attackiert, z.B. Alice von bombenwerfende Käfern, Julie von mutierten Känguruhs, Insekten oder giftspeienden Pflanzen, Lara von Monstern, wilden Tieren und Dämonen. Sie sind verschärft irrationalen Kräften ausgesetzt, nicht technischer oder zivilisatorischer Bedrohung. Hier wird wieder einmal stereotyp auf die ur-

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wüchsige Verbindung des Weiblichen mit der Natur hingewiesen. Deutet sich hier unterschwellig die Behauptung an, dass die Heroinen von ihrem eigenen natürlichen Ursprung angegriffen werden, der sich durch ihre „unweibliche“ Aggressivität gegen sie wendet? Hinzu tritt eine nicht so offensichtliche Strategie der Abschwächung weiblicher Stärke - die übersexualisierte Darstellung. Die Bedrohlichkeit des kämpfenden weiblichen Körpers wird durch die Überbetonung der weiblichen Körpermerkmale neutralisiert. Der weibliche Hyperkörper, der im Sinne des „double drag“ (Ann Marie Schleiner) gestaltet ist, überdeckt die Stärke. Der weibliche Hyperkörper ist eigentlich Hindernis im Kampf und thematisiert in der Entblößung seine Verletzlichkeit. Die Brüste sind hierbei bewußt als primäres biologisches Merkmal von Geschlecht in den Vordergrund gestellt, der Genitalbereich und die Vagina werden weniger hervorgehoben, um nicht das Schreckensbild der „Vagina Dentata“ heraufzubeschwören. Hier äußert sich die Ambivalenz der simultanen Wahrnehmung des weiblichen Körpers als Verlockung und unergründlicher bedrohlicher Waffe. Die Ambivalenz präsentiert sich mehrstufig: Der Motivkomplex Frau und Waffe zeigt sich einmal in der Ausformung Körper als Waffe, dann in der Mutation zur Waffe mit körpereigenen Mitteln und in der einfachen nicht minder bedeutungsvollen Variante: Die Waffe wird dem Körper als Attachment hinzugefügt.

Spielgenre und „openness“ Das Identifikationsangebot an die Spielenden hängt auch vom Spielgenre ab, das strukturell Interaktionen und den Grad der Immersion vorzeichnet. Diese erlaubt entweder die mechanische Wahl einer weiblichen Figur als Design- bzw. Skinoption in einem reinen Kampfspiel (Konoko in Oni) oder die aktive Ausgestaltung des Charakters durch Erleben und Projektion in die Figur. Das Spielgenre spielt eine entscheidende Rolle für die Entwicklungsfähigkeit eines weiblichen Charakters. Bei dem Point&Click Adventure Longest Journey wird April Ryan die Spielentscheidung geraubt. Die Protagonistin kann nicht „erspielt“ werden und bietet auch durch ihre Gestaltung keine Projektionsfläche für weitere Aneignungen. Dies ist vor allem auf die „gewaltfreie“ Spielstruktur zurückzuführen, die keinen Ausbruch aus weiblichen Rollenvorgaben verlangt. Der Grad der Immersion und die Identifikation mit der weiblichen Figur hängt also auch vom Grad der körperlichen gewalttätigen Auseinandersetzung ab. Dabei ist zu beachten, ob die Heldinnen permanent gewalttätig und aggressiv sind oder nur punktuell dazu befähigt sind, u.a. durch eine Metamorphose. Im Shooter Genre kann die aktive, starke, kämpferische Seite der Protagonistin erlebt werden. Bei dem „Beat ´em up“-Spiel Oni ist die Protagonistin Konoko durch direkten kämpferischen Körpereinsatz charakteri109

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siert. Daraus resultiert funktionale und vollständige Kleidung. Ihr Geschlecht steht hier nicht im Vordergrund, Weiblichkeit ist eine DesignOption. Die naturalistische Körperdarstellung, simulierte Bewegungsabläufe, tiefe Körperschwerpunkte, breite Standfläche, Anlauf für die Umlenkung von Energie zu bestimmten Würfen, ergeben sich ebenfalls aus dem Genre. Auch Heldin Alice tritt in grundlegender Modifikation der literarischen Vorlage in bedrohlichen Situationen immer körperlich aktiv in einen Kampf, ohne einem naturalistischen Prinzip zu folgen. Festzustellen ist weiterhin, dass die interessanten Heldinnen „open characters“ sind. Dies ist nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. Sie sind vielschichtig gestaltet und lassen im Sinne von Umberto Ecos Begriff der Doppelkodierung verschiedene Rezeptionsebenen zu. Bei Lara Croft ist die maximale Offenheit erreicht, diese schlägt bei April Ryan ins Nichtssagende um. Die Doppelkodierung wichtiger „Sheroes“ lässt auch die Aneignung durch spezielle Rezipientengruppen, wie z.B. Jugendkulturen, zu. Alice bedient vor allem die Phantasiewelt der Jugendkultur Gothic (zu den Symbolen der Gothic Punks, siehe Richard 1995 und 1997). Xenia The Warrior Princess ist dem Bilduniversum der Musikkultur des Heavy-Metal entstiegen, zugleich bedient sie lesbische Fantasien. Julie Strain, die Bodybuilding- Amazone, ist einem kulturellen Spektrum zuzuordnen, das von Heavy Metal bis zu den Rockern reicht. Zudem bedient sie das spezielle Feld heterosexueller sadomasochistischer Fantasien. Ihre Fantasieoutfits, die einen eklektizistischer Mix aus verschiedenen Jahrhunderten darstellen, ermöglichen eine selbstbewusste und kämpferische Zurschaustellung des sexualisierten Körpers. Dies verdeutlicht, dass es bei den RezipientInnen zu beachten gilt, dass die HeldInnen auch jeweils bestimmte Zielgruppen adressieren. Die Offenheit des Charakters bis hin zu einer absoluten Blankness der Figur ist strukturell in virtuellen Figuren angelegt, aber auch in Stars aus Fleisch und Blut. Konstituierend für das „Image“ von künstlichen und „realen“ Idolen ist die Unabgeschlossenheit, die Lückenhaftigkeit, die die Fans dazu herausfordert, mehr Material und Produkte über die Figur zu bekommen und zugleich die bewunderte Figur als Projektionsfläche zu nutzen. Die Figur muss vielschichtig besetzbar, reichhaltig erscheinen. Hier bietet sich besonders die Möglichkeit der Ergänzung bzw. Umgestaltung der Figur durch Skins. In der Transformation wird Geschlecht zur gestaltbaren Oberfläche, die von beiderlei Geschlechtern „getragen“ werden kann. So können sich männliche Gamer Laras Skin im metaphorischen Sinne überstreifen, um ihre Erfahrung im Gender Switching zu machen oder um sich durch die Übernahme der Frauenrolle Vorteile im Spiel zu verschaffen. In Nomad Soul ist dies dem Spiel implizit. Interessant ist zu beobachten, dass der frei flottierende für die UserInnen nicht beinflußbare Gender-Shift nicht gewünscht, sondern mittels „Body-Switcher“ wieder in eine Kontrollierbarkeit des eigenen Skins zurückgeführt wird.

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Zu viel Gegenwart verhindert Identifikation Auffällig ist, dass besonders die Spiele mit wenig Gegenwartsbezug das Phänomen der weiblichen Körperidentität als kulturelles Konstrukt hervortreten lassen. Umgekehrt gilt, je zeitgemäßer die Protagonistin erscheint, desto weniger werden geltende gesellschaftliche Geschlechterbilder in Frage gestellt. Die Verschleierung von Weiblichkeit als Konstrukt lässt sich insbesondere bei The Longest Journey nachweisen: Die ängstliche April Ryan trägt zeitgenössische Mode, z.B. bauchfreie T-Shirts. Einkaufen, die Beschäftigung mit ihrem Aussehen und der Blick in den Spiegel sind wichtige Begleithandlungen. Ihr mangelndes Selbstbewusstsein schließt eine offensive Präsentation des Körpers oder gar eine aggressive Sexualität aus. Der Realitätseffekt soll bei April Ryan über die Adaption einer Mode für junge Frauen herbeigeführt werden. Wie der Ausgang des Spieles zeigt, ist die Anpassung an den Zeitgeschmack eine Sackgasse der Unterordnung. Des Weiteren sind die unterschiedlichen Zeitebenen von grosser Bedeutung für die Konstruktion der Spiele, denn fast alle der untersuchten Games enthalten Zeitsprünge in der Narration; oftmals werden sie in Form einer Rückblende erzählt.10 Es sind speziell die weibliche Handlungsträgerinnen, die etwas aus der Vergangenheit aufzuarbeiten haben. Auf der Ebene der Darstellung zeigen die verschiedenen Zeitkontexte (Mittelalter, Gegenwart) meist keine Veränderung des Stereotyps der vollbusigen Hyperfrau. Die collagierten Körperbilder der Gegenwart ziehen sich durch die Jahrhunderte, so dass von einem Bodysampling mit verschiedenen Zeitebenen ausgegangen werden kann. Bei Lara treten Kleidung und Kontext in einen Gegensatz, denn Lara taucht in zeitgenössischer Kleidung in die Vergangenheit ein. Auch bei Cate Archer wird die Distanz durch die Retro-Kleidung etabliert. Festzuhalten bleibt also, dass die Stärkung der Position des weiblichen Charakters in den untersuchten Spielen vor allem durch ein Verlassen der zeitgenössischen Kultur auf der optischen Ebene stattfindet. Hier deutet sich zwar keine direkte Umsetzung der Gleichstellung der Geschlechter an, aber eine Machbarkeit in der Zukunft wird suggeriert. Auf der Rezeptionsebene hat das folgende Auswirkungen: Ein chronologischer Rück- bzw. Vorgriff ist die Bedingung für das Zurücktreten der User von lebensgeschichtlicher Wirklichkeit und Zeitgeschehen. Dieser Vorgang ist konstitutiv für die subjektive Aneignung der Figur. Entscheidend ist also der Grad der Fiktionalität, der gleichzusetzen ist mit dem Grad der Freiheit in der Besetzung der Figur. Das Ziel der „Natürlichkeit“ in der Darstellung zum Erreichen des Realitätseffekts ist kontraproduktiv für eine Identifikation.

10 April Ryan bewegt sich in zwei Welten einer futuristischen und einer vergangenen, ihre Geschichte wird von einer anderen Figur in der Rückblende erzählt. 111

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Den gleichen Effekt der Distanzierung erzielt die Positionierung der Figur in einem Zwischenzustand zwischen Mädchen und Frau. Ein historisierender Infantilismus11 ist eine subversive Möglichkeit des Ausbruchs aus dem heterosexuellen Genderspiel. Alice ist weiblich, aber „noch nicht ganz Frau“, also bewusst abgesetzt von „Lolita-Figuren“. Körperbau und Kleidung (mädchenhaftes, blaues Kleid mit Puffärmeln) widerstreben der Fetischisierung. Der Blick unter den Rock der Protagonistin - in vielen anderen Spielen eine beliebte Perspektive - enttäuscht den konditionierten männlichen Blick, der solche Standards erwartet. Je deutlicher sich Figur und Kontext aus dem Bilderreservoir des Phantastischen, Futuristischen oder dem Fundus des Historischen bedienen, d.h. je mehr sie sich dem Realitätseffekt in Richtung Artifizialität entziehen, desto besser kann die Differenz zur heterosexuellen Geschlechtermetaphysik konstruiert werden. Das Spiel Alice mit seiner „mittelalterlich“ düsteren Atmosphäre und der Verwendung von gruseligen Gothik- Elementen befreit die Heldin Alice von zeitgenössischen Formenzwängen. Die Ferne zur Gegenwart, verbildlicht durch Surreale- und Gotik-Elemente, schafft einen gestalterischen Freiraum, der unabhängig von zeitgenössischen Zuschreibungen und Entwürfen von Weiblichkeit ist und der die stereotype heterosexuelle Geschlechtermetaphysik erweitert. Dies bestätigen auch die Fanwebsites, die als weiterer Indikator für die Einschätzung des Identifikationsangebots einer Protagonistin dienen. Nur die aussage11 Vgl. infantilistischen Tendenzen in Jugendkulturen, girlie in der Techno-Kultur, siehe Birgit Richard: Why does it hurt when the beat misses my heart? Tanz, Raum und Mode der Techno- und House Szene. In: Jürgen Zinnecker & Hans Merkens (Hg.): Jahrbuch der Jugendforschung, Opladen 2001. 112

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kräftigen Charaktere erhalten im Web ein eigenes Universum und regen zu weiteren Bildproduktionen an (Alice, Lara, Julie, Cate, Xena).12 Die selbstgemachten Skins zeigen alternative Versionen der Heldinnen, ohne Bilder zu reproduzieren, die gezielt für den männlichen Blick konstruiert worden sind. Aber es gibt auch Fälle in denen Charaktere resexualisiert und stereotypisiert werden, wie im Falle der Figur Alice aus dem Spiel American McGees Alice. Einige der im Netz angebotenen Skins für Alice sind eindeutig als Rückschritt anzusehen. Alice ambivalenter Charakter und Gestalt sind ursprünglich frei von sexuellen Konnotationen. Plötzlich bekommt sie ein sexy Outfit und frauliche Körperformen, ihre großen Brüste (die sie weder im Spiel und auf der Packung hat) werden mittels eine dekolletierten Kleides „hochgepushed“. Hier sind die Skins kontraproduktiv für die Erstellung virtueller weiblicher Gegenbilder. Generell zeigen die beiden erwähnten Formen, Body Double/Lookalike und die „Art of Skinning” den aktiven Part einer User- Programm Interaktion im Spiel, der außerhalb der komplexen Ebene des Programmierens liegt. Dies geht bis zum Re-Imaging von Geschlecht im Rahmen von Rezeptionshaltungen, die sich zwischen purer Konsumption und Subversion bewegen. Beide sind Mittel, die Hin- und Rückprojektionen der verschiedenen Konstruktionen von Weiblichkeit zu transportieren, die zwischen dem virtuellen Modell weiblicher Macht und dem realen Modus eines konventionellen Mädchen- und Frauseins hin- und herpendeln. Eine autonome Kultfigur wie Lara Croft ist nach wie vor als Ausnahme zu betrachten. Dieser Kultstatus wird aber durch verschiedene Faktoren infragegestellt. Im Film wird Lara Croft in einen sozialen Kontext zurückgestellt; die Narration beschneidet die Autonomie der Figur. Der Transfer vom Spiel in den Film scheitert in der Übertragung des künstlichen Körpers, des Body Samples: Laras Körper, seine Digitalität, widerstrebt dem Medium Film. Die offensive Künstlichkeit des Double-Drag Körpers erscheint als Störung, seine Form kann nicht in den narrativen Kontext integriert werden. Der Körper erscheint jedoch unabhängig vom Kontext immer leicht bekleidet, sogar im winterlichen Sibirien. Es handelt sich um einen unverwundbaren sublimen Körper, wie im Spiel. In „Tomb Raider VI - Angel of Darkness“, das im Herbst 2002 erschien, wurde Lara Crofts Kultstatus als einsame Kämpferin, dadurch außer Kraft gesetzt, dass sie einen männlichen Begleiter bekam. Der Film Tomb Raider bereitet mit der Umschreibung des Konzepts der weiblichen Heldin bereits den Boden für eine veränderte Spielkonstellation. Es gilt nun nochmals zusammenzufassen, welche der Heldinnen sich besonders für die Identifikation eignen und welche Merkmale den Prozess der individuellen emanzipatorischen Besetzung befördern. Die Heldinnen vollführen virtuos mediale Sprünge zwischen Spiel, Film Comic und zwischen den Virtualitätsebenen - Helden haben dagegen keine Body12 Alice Skins: http://aquatarkus.20m.com/alice.html http://alice.stomped.com/fanart.html 113

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Doubles. Die künstlichen Modelle von Weiblichkeit sind den Spielen system- und medienstrukturell immanent. Materialisierung und De-Materialisierung in beide Richtungen gehören zu ihren flexiblen Eigenschaften. Weitere Eigenschaften der kraftvollen Heldinnen sind ihre Fähigkeiten zur visuellen Transformation. Sie durchleben eine zeitweise Metamorphose, um den weiblichen hypersexualisierten (Nomad Soul) oder kindlichen Körper (American McGees Alice) mit Macht und Kraft auszustatten. Zudem zeichnen sich die Heldinnen durch Autonomie aus: Sie sind nicht in die üblichen sozialen Netze eingebunden und haben keinen Fixpunkt z.B. in Form eines festen Standorts (April Ryan kehrt immer wieder zum Grenzhaus zurück), eine „homebase“, zu der sie immer wieder zurückkehren. Die Emanzipation ist immer durch den Verlust der Familie bedingt. Das Ergebnis einer vergleichenden Analyse der Wartegesten lässt weitere Qualitäten der weiblichen Figuren hervortreten: April Ryan zeigt Verlegenheitsgesten. Dagegen weisen die Gesten von Alice auf eine „gothische“ Ausformulierung eines emanzipatorisch angelegten girlie-Typus.13 Im Unterschied zu Lara Croft kann die Protagonistin hier mehr als handelndes Subjekt, denn als Sexualobjekt erlebt werden. Zusätzlich gilt das Konstrukt des sublimen Körpers der virtuelle Tode und Schmerz durchleidet, als wichtiger Faktor, um die SpielerInnen an eine starke Figur zu binden. Ebenso wichtig im Spiel sind Perspektivenwechsel, welche z.B. über Spiegelungen herbeigeführt werden und der Rückversicherung der Stellvertretung dienen. Die Verkörperung des Zeitgeistes führt in der kommerziellen Spielewelt zu einer verdeckten Rekonstituierung traditioneller Weiblichkeitsbilder. Emanzipatorische Angebote sind nur in Spielen möglich, die sich deutlich vom zeitgenössischen Design in Umgebung und weiblicher Figur entfernen, sei es in historische, futuristische Kontexte oder surreale Welten. Multimediale und funktionale Bodysamples, Patchwork- Identitäten aus verschiedenen Zeiten und ästhetischen Welten und schließlich die Offenheit für Einschreibungen sind die Charakteristika der „Sheroes“, die eine gelungene Identifikation ermöglichen. Dabei ist Vorgang der aktivaneignenden Rezeption, welche die vorhandenen Markierungen wie Überbetonung des Weiblichen transformiert, konstituierend.

13 Dies lässt sich anhand der Verpackung nachweisen, auf der Alice gleichzeitig mädchenhaft zurückhaltend, weiblich verlockend und psychopathisch aggressiv dargestellt wird. 114

Literatur

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Literatur

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Abbildungsverzeichnis: Abb 1: Lara Croft im Abendkleid, grossformatiges Werbeplakat für Tomb Raider III Abb 2: Xena The Warrior Princess Still aus der TV-Serie Abb 3: Konoko Abb 4: Cate Archer Screenshot aus No One Lives Forever und die Geheimwaffen Abb 5: April Ryan Screenshot aus The Longest Journey und Ausschnitt Abb 6: Alice, Spielverpackung Cover Abb 7: Banner von der www.grrlgamer.com Website Abb 8: Nomad Soul Screenshot Verwandlung Abb 9: Julie Strain Abb 10: Alice Fan Art

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Die Titel dieser Reihe:

Gerhard Schweppenhäuser »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur (Cultural Studies 10, hrsg. von Rainer Winter) November 2004, ca. 250 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 3-89942-250-3

Birgit Richard Sheroes Genderspiele im virtuellen Raum (Cultural Studies 8, hrsg. von Rainer Winter) September 2004, 124 Seiten, kart., 15,00 €, ISBN: 3-89942-231-7

Christoph Jacke Medien(sub)kultur Geschichten – Diskurse – Entwürfe (Cultural Studies 9, hrsg. von Rainer Winter)

Kerstin Goldbeck Gute Unterhaltung, schlechte Unterhaltung Die Fernsehkritik und das Populäre (Cultural Studies 7, hrsg. von Rainer Winter)

Oktober 2004, 354 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-275-9

Juli 2004, 362 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-233-3

Brigitte Hipfl, Elisabeth Klaus, Uta Scheer (Hg.) Identitätsräume Körper und Geschlecht in den Medien. Eine Topografie (Cultural Studies 6, hrsg. von Rainer Winter)

Ruth Mayer, Brigitte Weingart (Hg.) VIRUS! Mutationen einer Metapher (Cultural Studies 5, hrsg. von Rainer Winter)

September 2004, ca. 280 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-194-9

April 2004, 318 Seiten, kart., 26,00 €, ISBN: 3-89942-193-0

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Die Titel dieser Reihe: Ulrich Beck, Natan Sznaider, Rainer Winter (Hg.) Globales Amerika? Die kulturellen Folgen der Globalisierung (Cultural Studies 4, hrsg. von Rainer Winter) Übersetzt von Henning Thies

Rainer Winter, Lothar Mikos (Hg.) Die Fabrikation des Populären Der John Fiske-Reader (Cultural Studies 1, hrsg. von Rainer Winter) Übersetzt von Thomas Hartl

2003, 344 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-172-8

2001, 374 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-933127-65-3

Jannis Androutsopoulos (Hg.) HipHop Globale Kultur – lokale Praktiken (Cultural Studies 3, hrsg. von Rainer Winter) 2003, 338 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-114-0

Udo Göttlich, Lothar Mikos, Rainer Winter (Hg.) Die Werkzeugkiste der Cultural Studies Perspektiven, Anschlüsse und Interventionen (Cultural Studies 2, hrsg. von Rainer Winter) 2001, 348 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-933127-66-1

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de