Kunst für alle?: Kunst im öffentlichen Raum zwischen Partizipation, Intervention und Neuer Urbanität [1. Aufl.] 9783839402856

Kunst im öffentlichen Raum entwickelt sich verstärkt zum weichen Standortfaktor des Stadtmarketings. Es gilt nicht mehr

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Kunst für alle?: Kunst im öffentlichen Raum zwischen Partizipation, Intervention und Neuer Urbanität [1. Aufl.]
 9783839402856

Table of contents :
INHALT
Vorwort
1. Gesellschaftlicher Kontext
1.1 Die Theorie der Postmodeme bei Jameson
1.2 Die Theorie der Erlebnisgesellschaft bei Schulze
1.3 Debord und die Gesellschaft des Spektakels
2. Städtischer Kontext
2.1 Wachstumskoalition und Urban Political Economy
2.2 Neue Urbanität
Erlebnisräume und Festivalisierung
Kultur in der Stadt: Die Ökonomie der Symbole
Neue Urbanität am Beispiel Harnburg
Das Projekt "HafenCity"
2.3 Effekte der Neuen Urbanität
2.4 Öffentlichkeit und Öffentlicher Raum
3. Raumtheorie und städtischer Raum
3 .1 Henri Lefebvre
Die Krise der Stadt
Raumproduktion
Das Recht auf die Stadt und die Intellektuellen
3.2 Pierre Bourdieu
Sozialer Raum und physischer Raum
Die Intellektuellen als beherrschte Herrschende
3.3 Die Situationistische Internationale
Constant und der unitäre Urbanismus
Situationistischer Raum
4. Kunst im öffentlichen Raum
4.1 Historischer Abriß
Kunst in öffentlichen Räumen
Kunst als öffentlicher Raum
Kunst im öffentlichen Interesse
4.2 Zum Begriff der Ortsspezifität
Die Entfernung von "Tilted Are"
New Public Art
Battery Park in New York
New Genre Public Art
Die Institution als öffentlicher Raum
4.3 Projekte im öffentlichen Raum
Ayse Erkmen: "Shipped Ships"
Wochenklausur
Park Fiction
5. Abschließende Bemerkungen
6. Literatur

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Kunst für alle?

Uwe Lewitzky ist Kulturwissenschaftler und beschäftigt sich zurzeit mit künstlerischen Fragestellungen und Herangehensweisen bezüglich Stadtleben und -erleben.

UwE LEwrTZKY

Kunst für alle? Kunst im öffentlichen Raum zwischen Partizipation, Intervention und Neuer Urbanität

[transcript]

Der Druck dieser Publikation wurde gefördert vom Fachbereich III- Angewandte Kulturwissenschaften - der Universität Lüneburg.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:j jdnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Uwe Lewitzky Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-285-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:/ jwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT

Vorwort

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1. Gesellschaftlicher Kontext

13

1.1 Die Theorie der Postmodeme bei Jameson 1.2 Die Theorie der Erlebnisgesellschaft bei Schulze 1.3 Debord und die Gesellschaft des Spektakels

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2. Städtischer Kontext

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2.1 Wachstumskoalition und Urban Political Economy 2.2 Neue Urbanität Erlebnisräume und Festivalisierung Kultur in der Stadt: Die Ökonomie der Symbole Neue Urbanität am Beispiel Harnburg Das Projekt "HafenCity" 2.3 Effekte der Neuen Urbanität 2.4 Öffentlichkeit und Öffentlicher Raum

23 28 32

35 38 41 44

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3. Raumtheorie und städtischer Raum

53

3 .I Henri Lefebvre Die Krise der Stadt Raumproduktion Das Recht auf die Stadt und die Intellektuellen 3.2 Pierre Bourdieu Sozialer Raum und physischer Raum Die Intellektuellen als beherrschte Herrschende 3.3 Die Situationistische Internationale Constant und der unitäre Urbanismus Situationistischer Raum

54 55 58

60 63 64 67

70 72 73

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4. Kunst im öffentlichen Raum

77

4.1 Historischer Abriß

77 77

Kunst in öffentlichen Räumen Kunst als öffentlicher Raum Kunst im öffentlichen Interesse

4.2 Zum Begriff der Ortsspezifität Die Entfernung von "Tilted Are" New Public Art Battery Park in New York New Genre Public Art Die Institution als öffentlicher Raum

4.3 Projekte im öffentlichen Raum Ayse Erkmen: "Shipped Ships" Wochenklausur Park Fiction

81 84 88 88 90 93 95 101 104 104 108 113

5. Abschließende Bemerkungen

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6. Literatur

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VORWORT

In seinem Buch "Die Unwirtlichkeit der Städte" beschreibt Alexander Mitscherlieh in den 70er Jahren eine eintönige und inhumane Stadtgestaltung und einen entsprechend tristen Alltag der Bewohner. Inmitten von streng funktionellen Neubauten fallt es zusehends schwerer, die Ansprüche an eine funktionierende Alltagskultur einzulösen, stattdessen wächst bei den Anwohnern vielmehr das Gefühl von Entfremdung und Isolation. Um einer solchen Tendenz entgegenzuwirken entstehen damals in vielen deutschen Städten Programme zur Rückeroberung und Humanisierung von städtischen Lebensräumen, bei denen der Kulturbereich eine besondere Relevanz besitzt, und das von Hilmar Hoffmann geprägte Schlagwort einer "Kultur für alle" beschreibt diesbezüglich eine neue Form staatlicher Kulturpolitik, die die kulturelle Entwicklung des Individuums als einen demokratischen Prozeß begreift und die allen Bürgern die Möglichkeiten bieten sollte, unterschiedliche kulturelle Angebote wahrzunehmen. 1 Im Rahmen von Hoffmanns erweitertem Kulturbegriff sollte sich die Kultur von den Institutionen lösen und auch direkt und jenseits kompensatorischer Freizeitangebote innerhalb der Lebenswelt der Individuen wirken. Die geforderte Demokratisierung von Kultur und der Versuch einer Rückeroberung städtischer Räume durch die Schaffung kommunikativer Freiräume und Ruhepunkte sorgt daflir, daß sich damals auch der Bereich der Bildenden Kunst verstärkt und in Form von unterschiedlichen Strategien mit dem öffentlichen bzw. nichtinstitutionellen Raum beschäftigt. Knapp 25 Jahre nach diesen Diskussionen hat sich das Bild der Stadt stark gewandelt, zumindest wenn man den Bildern in Stadtführern, Informationsbroschüren und Verkaufsprospekten glauben darf. Die Stadt präsentiert sich dort als vitaler Ort der Unterhaltung, in dem es sich gut leben läßt und der seinen Bewohnernjede Wochenende ein neues Event Vgl. Hilmar Hoffmann: Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt/Main: Fischer-Verlag 1979, S. llff.

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KUNST FÜR ALLE?

anbietet. Auch der Kulturbereich ist heutzutage ein wichtiger Faktor bei der Produktion von städtischer Lebensqualität: Musicals und Museen sind neben Stadtmarathons, Strandbädern, etc. wichtige Bestandteile des Stadtmarketings und des erfüllten Lebens. Während für die Einen der städtische Raum nie interessanter und vielfaltiger war, ist es flir Andere dagegen immer schwerer ihn übehaupt zu betreten. Für diese Menschen ist die Stadt noch immer ein unwirtlicher Ort der Exklusion, der urbane Freiräume und Ruhepunkte nur noch denen anbietet, die sich sowas auch leisten können. Diese zunehmende Homogenisierung und Fragmentarisierung von städtischem Raum ist das Produkt einer profitorientierten Stadtentwicklung der Neuen Urbanität, in dessen Zusammenhang immer öfter auch vom Ende des öffentlichen Raums bzw. nach-öffentlichen Räumen gesprochen wird. Im Rahmen dieser Entwicklung von städtischem Raum hat sich auch die Kunst im öffentlichen Raum weiterentwickelt. Außerhalb der relativen Autonomie der Institutionen des Kunstbetriebs bieten sich neue Möglichkeiten bezüglich der Vermittlung, Inhalte und Produktion von Kunst, gleichzeitig aber auch neue Gefahren durch die drohende Instrumentalisierung als weicher Standortfaktor und Mittel zur Humanisierung und Kulturalisierung der Neuen Urbanität. Bei der Beurteilung von Kunst im öffentlichen Raum ist es daher notwendig, daß man neben ästhetisch-künstlerischen Kriterien auch den Kontext der Neuen Urbanität und seiner nach-öffentlichen Räume berücksichtigt, da ein erweiterter Kreis von Rezipienten nicht per se eine Form demokratischer oder gar emanzipatorischer Kunst für alle bedeutet. Heutzutage geht es vielmehr auch darum, einer Funktionalisierung der Kunst zu entgehen und aus einer kritischen Distanz heraus die Möglichkeiten des nicht-institutionellen Kontexts nutzt, indem man nicht bloß affirmative und freizeitorientierte Kompensationsangebote oder exklusive kulturelle Erlebnisräume schafft, sondern sich im Rahmen einer interventionistischen und partizipatorischen Praxis für die Menschen einsetzt, die, zusammen mit ihren Bedürfnissen und Problemen innerhalb des Erlebens der Neuen Urbanität zusehends aus unserer Wahrnehmung verschwinden. Da sich dieser Text nicht nur mit kunstspezifischen Fragestellungen auseinandersetzt, sondern auch den Kontext eines veränderten städtischen Raums und die Möglichkeiten einer interventionistischen künstlerischen Praxis näher erläutert, gliedert er sich in vier Themenbereiche, die sowohl sukzessiv aufeinander aufbauen, aber auch als eigenständige Blökke gelesen werden können

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VORWORT

Der erste Teil des Buches thematisiert den gesellschaftlichen Rahmen kultureller Produktion und künstlerischer Praxis. In diesem Zusammenhang wird Frederic Jamesons Essay "Postmoderne zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus" als Grundlage und Rahmen flir die weiteren Kapitel verwendet, da Jameson innerhalb seines Texts den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel im Zeitalter der Postmodeme mitsamt den Folgen flir die Bereiche Stadt und Kultur darstellt. Daneben entwickelt Jameson auch Modelle flir eine künstlerische bzw. kulturelle Praxis, die sich mit den entsprechenden Entwicklungen auseinandersetzt und auf die im letzten Kapitel als Merkmale einer sinnvollen Kunst im öffentlichen Raum noch einmal Bezug genommen wird. Neben der Schrift Jamesons werden innerhalb des ersten Kapitels auch die Arbeiten "Die Erlebnisgesellschaft" von Gerhard Schulze und "Die Gesellschaft des Spektakels" von Guy Debord näher vorgestellt, die sich, ebenso wie Jamesons Text, mit gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 50 Jahre und den damit einhergehenden notwendigen Neuorientierungen von staatlicher Kulturpolitik und künstlerischer Praxis beschäftigen. Auf die Arbeit Debords bzw. die von ihm mitbegründete Vereinigung der Situationistischen Internationale und deren Thesen zu einer neuen urbanen Praxis des Subjekts wird desweiteren auch im dritten Teil näher eingegangen. Im zweiten Abschnitt wird der städtische Kontext thematisiert, d.h. es werden die durch Prozesse der Ökonomisierung und Kulturalisierung veränderte Stadt und die damit einhergehende Veränderung des öffentlich-urbanen Raums auf baulicher und gesellschaftlicher Ebene eingehender erläutert. Unter den Begriffen Wachstumskoalition und Unternehmerische Stadt beschäftigt sich dieser Abschnitt zunächst mit den treibenden Kräften, die hinter einer solchen Entwicklung stehen, und erläutert danach unter dem Begriff der Neuen Urbanität die entstandenen Veränderungen für den städtischen Raum. Dabei werden u.a. auch stadtsoziologische Theorien wie die von Häussermann und Siebel proklamierte Festivalisierung der Stadtpolitik und der von Zukin entwickelte Begriff der Ökonomie der Symbole näher vorgestellt. Als ein konkretes Beispiel flir eine ökonomisch motivierte Stadtentwicklung wird im Anschluß die Stadt Harnburg mit ihrem formulierten "Leitbild der Wachsenden Stadt Hamburg" angeführt, deren Ansätze und Leitbilder den Vorgaben der Neuen Urbanität entsprechen. Danach erfolgt eine kurze Erläuterung der durch die baulichen Veränderungen ent-

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KUNST FÜR ALLE?

standeneu gesellschaftlichen Auswirkungen, wie z.B. die seitens der unternehmerischen Stadt forcierte Urbanisierung der Angst. Abschließend setzt sich das Kapitel dann mit den Begriffen Öffentlichkeit, Öffentlicher Sphäre und Öffentlicher Meinung sowie der von verschiedenen Theoretikern entwickelten These bezüglich dem Ende des öffentlichen Raums im Kontext der Neuen Urbanität auseinander. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Thesen der Theoretiker Henri Lefebvre und Pierre Bourdieu sowie der Bewegung der Situationistischen Internationale (S.l.) unter Leitung von Guy Debord. Er stellt gleichzeitig die Überleitung zum Bereich einer künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum dar, da sich die genannten Theoretiker in ihren Arbeiten nicht nur mit dem städtischen Raum beschäftigen, sondern auch entsprechende Ansätze einer partizipatorischen und interventionistischen Auseinandersetzung entwickeln, die als Maßstäbe für eine sinnvolle künstlerische Praxis im öffentlichen Raum vorgestellt und, in Bezug auf ausgewählte Kunstprojekte, innerhalb des letzten Kapitels auch angewendet werden. Der vierte Teil setzt sich dann mit der Kunst im öffentlichen Raum auseinander und beginnt mit einem kurzen Abriß der Entwicklungen des Diskurses2 und den entsprechend wechselnden Strategien künstlerischer Produktion, wobei auch näher auf den sich verändernden Begriff der Ortsspezifität bzw. Site-Specifity und den städtischen Raum im Kontext der Neuen Urbanität einegangen wird. Im Anschluß daran erfolgt eine Darstellung unterschiedlicher Ansätze einer ortspezifischen künstlerischen Praxis, inklusive den an ihnen vorgenommenen Bewertungen seitens der Kunstkritik. Mit den Projekten "Shipped Ships" von Ayse Erkmen, "Wochenklausur" von Wolfgang Zinggl u.a. und "Park Fiction" von Christoph Schäfer u.a. werden dann am Ende drei aktuelle Positionen einer künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum vorgestellt. Mit Hilfe der im Vorfeld erarbeiteten Merkmale einer sinnvollen künstlerischen Praxis wer2 Es ist in diesem Zusammenhang auch notwendig zu erwähnen, daß es, unabhängig von den Entwicklungen des Diskurses zu diesem Thema, immer auch Arbeiten von Künstlern wie z.B. Stephen Willats oder Adrian Piper gab, die entsprechenden kunsttheoretischen Erörterungen voraus waren und erst nachträglich als relevant wahrgenommen wurden. Im Rahmen meines Rückblicks auf die Kunst im öffentlichen Raum werde ich mich allerdings aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Darstellung des Ablauf des Diskurses, wie er u.a. von Kwon vorgenommen wird, beschränken.

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VORWORT

den diese Projekte, die sich von ihrem Konzept her als partizipatorisch bis interventionistisch beschreiben lassen, dann bezüglich ihrer Strategien und ihres Kontexts exemplarisch interpretiert und bewertet. Den Abschluß dieser Arbeit bildet eine zusammenfassende Analyse der vorgestellten künstlerischen Ansätze unter Bezug auf die im Vorfeld erörterten Diskurse und Theorien zu Stadtentwicklung, Raumtheorie und Kunst, sowie der Versuch einer Skizzierung einer sinnvollen partizipativen und interventionistischen Kunst im öffentlichen Raum, die sich ihrer Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren bewußt ist.

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1. GESELLSCHAFTLICHER KONTEXT 1.1 Die Theorie der Postmoderne bei Jameson Innerhalb diese Buches funktioniert der 1984 entstandete Text "Postmoderne - zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus" von Frederic Jameson als Grundlage einer Erörterung des gesellschaftlichen Kontexts zeitge-nössischer Kulturproduktion, da Jameson die Postmoderne, unabhängig von spezifischen ästhetisch-formalen, als sog. ,,kulturelle Dominante"1 beschreibt. Für ihn läßt sich die gesamte Kulturproduktion am Ende des 20. Jahrhunderts mit diesem Begriff erfassen, da sie seiner Meinung nach in direkter Beziehung zur Entwicklung des spätkapitalistischen Wirtschaftssystem steht und sich u.a. durch die Aspekte Popularisierung und Ökonomisierung definiert. 2 Neben dem Bereich der Kultur setzt sich Jameson auch mit der postmodernen Architektur auseinander, die flir ihn im Kontext des "Historizismus"3 aufgrund ihrer eklektizistischen und dekontextualisierten Korn-

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Frederic Jameson: "Postmoderne - zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus", in: Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe (Hg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1986, S. 47. Jameson bezieht sich hier auf den Ökonomen Ernest Mandel, der mit dem Begriff des "Spätkapitalismus" und unter Bezug auf Marx die letzte Stufe des Kapitalismus beschreibt, die durch eine Durchdringung aller Lebensbereiche durch das ökonom. Prinzips des umfassenden Warenkonsums gekennzeichnet ist (vgl. ebd., S. 78 u. Ernest Mandel: Der Spätkapitalismus. Versuch einer marxistischen Aufklärung, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1973, S. 353 u. 361/362.). Foster beschreibt diesen Zusammenhang wie folgt: "Mandel relates these technological developments to economic stages: from market capitalism to monopoly capitalism [ ...] to multinational capitalism in our millennial moment. Jameson in turn relates these economic stages to cultural paradigms [.. .]" (Hai Foster: The return of the real: the avantgarde at the end ofthe century, Cambridge/MA, London: MIT Press 2002, S. 206/207). F. Jameson: ,,Postmoderne", in: Huyssen/Scherpe, S. 63.

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bination historischer Baustile jegliche Form von Vergangenheit und Geschichte auslöscht. Das Ergebnis dieser Bauweise bezeichnet er unter Bezug auf Platon als Simulakrum, also als "eine identische Kopie von etwas, dessen Original nie existiert hat"4 und in Bezug auf Guy Debord als Spektakel und Pseudoereignis, entstanden aus dem Willen einer tauschwertorientierten Gesellschaft. 5 Jameson zieht diesen Vergleich in Zusammenhang mit seiner These, daß die Vergangenheit in der Postmodeme verschwindet und die Gesellschaft nicht länger von den Kategorien der Zeit, als vielmehr von denen des Raums beherrscht wird. 6 Der Bereich der kulturellen Produktion ist flir Jameson im Zeitalter der Postmodeme nicht länger als autonom anzusehen. Seiner Meinung nach kam es zu einer Aufhebung der Trennung zwischen Hoch- und Massenkultur, die sowohl zu einer Verflachung bzw. Popularisierung der Inhalte, als auch zu einer Integration der ästhetischen Produktion in die allgemeine Warenproduktion führte. 7 Die gegenseitige Durchdringung von Kultur und Ökonomie hat für Jameson zur Folge, daß der Kulturbereich zur Ästhetisierung der Lebens- und Warenwelt instrumentalisiert wurde, gleichzeitig hat das ökonomische Prinzip auch die Organisations- und Legitimationsstrukturen des Kulturbereiches verändert und entsprechend neue Maßstäbe zur Messung der Effektivität eingeführt. 8 Die neue gesamtgesellschaftliche Relevanz des Kulturbereiches und seiner ästhetischen Produktion hat für Jameson den Nachteil, daß dabei eine "kritische Distanz"9 verloren geht, die es ermöglicht, die Gesellschaft und die ihnen zugrunde liegenden Ideologien und Mechanismen anzugreifen; durch das Expandieren der Kultur und das Ankommen in

4 Ebd. 5 Vgl. ebd. 6 Vgl. ebd., S. 60/61. 7 Vgl. ebd., S. 46ff. 8 Behnke beschreibt diesen Vorgang als "Mikroökonomisierung" zur Schaffung des sog. "New Public Management" unter den Prinzipien der neoIiberalist. Wirtschaftspolitik. Das Ziel ist u.a. eine Reduzierung staatlicher Subventionen durch eine erhöhte Rentabilität und verbesserten Möglichkeiten der Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen in Form von sog. "Public-Private-Partnerships" (Christoph Behnke: "Der Homo Oekonomicus in der Kunst", in: Brigitte Oetker/Christiane Schneider (Hg.), Kunst in der Leipziger Messe, Köln: Oktagon Verlag 1997, S. 266). 9 F. Jameson: ,,Postmoderne", in: Huyssen/Scherpe, S. 94.

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GESELLSCHAFTLICHER KONTEXT

der Gesellschaft bieten sich aber auch neue Möglichkeiten und Aufgabenfelder flir die Kulturproduzenten. 10 Für Jameson bestehen die Aufgaben von postmoderner Kunst und Kultur darin, sich vom herrschenden Genie-Kult zu lösen und im Rahmen einer neuen Kulturpolitik eine "Ästhetik nach dem Muster der Kartographie"11 zu entwickeln, die sich auf eine pädagogisch-politische Art mit dem entfremdeten Subjekt und dessen Standort innerhalb des "neuartigen Welt-Raum des multinationalen Kapitals" 12 auseinandersetzt Diese Praxis beinhaltet flir ihn u.a. die Problematisierung des Subjektes innerhalb seiner Umgebung auf physischer und ideologischer Ebene, sowie eine Unterstützung bei der Rückeroberung eines Gefühls flir den Standort und der eigenen Position innerhalb der Gesellschaft. Es ist die Aufgabe des Künstlers, so Jameson, im Kontext einer postmodernen ästhetischen Praxis dem Bürger beim Prozeß des sog. "cognitive mappings",13 also dem Kartographieren der Wahrnehmung und der Erkenntnis im Alltag zu helfen, darüberhinaus ist es die Aufgabe von Künstlern und Kulturproduzenten "dem Subjekt eine situationsgerechte Repräsentation dieser endlosen und eigentlich nicht repräsentierbaren Totalität (zu) ermöglichen, die die Stadtstruktur als Ganzes ausmacht."14 Ziel dieser kulturellen Praktiken ist es, die Stadt flir ihre Bewohner wieder erfahrbar zu machen und dementsprechend Möglichkeiten flir eine individuelle Aneignung anzubieten, die dann in einem zweiten Schritt auch zum Wiedererlangen einer "Handlungs- und Kampfesfähigkeit" 15 fuhren können. Jameson beendet den Text ohne seine Forderungen nach einer neuen Kulturproduktion zu konkretisieren, er gibt allerdings einen Handlungsrahmen und Maßstäbe einer sinnvollen künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum vor, die sich in unterschiedlichem Maße auch in den Kunstprojekten widerspiegelt, die im letzten Kapitel des Buches vorgestellt werden. Seine Vorgaben werden später auch in Bezug auf die Gruppe der Situationistischen Internationale und Lefebvres Begriff des Abstract Space im dritten Kapitel des Buches noch einmal Erwähnung finden, da sich die von ihnen entwickelten Begrifflichkeiten zum Teil mit Jamesons I0 11 12 13 14 15

Ebd., S. 94 ff. Ebd., S. 95. Ebd., S. 100. Ebd., S. 96. Ebd., S. 97. Ebd., S. 100.

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KUNST FÜR ALLE?

Beschreibung des neu geschaffenen ahistorischhomogenisierten Raums des Kapitals decken.

1.2 Die Theorie der Erlebnisgesellschaft bei Schulze Neben Jameson beschäftigt sich auch der Soziologe Gerhard Schulze mit den Folgen einer zunehmenden Ökonomisierung der Gesellschaft im Laufe der letzten fiinfzig 1ahre. Schulze legt in der 1992 veröffentlichten Arbeit "Die Erlebnisgesellschaft" seinen Fokus allerdings auf das Subjekt und den Aspekt der klassenübergreifenden Tendenz zu Erlebnisorientierung und einer "innenorientierten Lebensauffassung" 16 des Einzelnen mit dem Ziel des "schönen Lebens". 17 Seiner Meinung nach ist die direkte Folge dieses neuen gesellschaftlichen Handlungsparadigmas eine Aufhebung von Klassen und Lebensstilen, und Schulze spricht diesbezüglich von unterschiedlichen sozialen Millieus als sog. "Erlebnisgemeinschaften"18. Im Folgenden wird auf diesen Aspekt jedoch nicht weiter eingangen, und stattdessen die von ihm diagnostizierten Folgen von Ökonomisierung und Erlebnisorientierung auf die Bereiche Kultur und Kulturpolitik erörtert. 19 Schulze beschäftigt sich in seiner Arbeit mit dem Erlebnis und den Folgen einer gesamtgesellschaftlichen Erlebnisrationalität, d.h. einer Systematisierung der Erlebnisorientierung, bei der Situationen zu Erlebniszwecken instrumentalisiert werden?0 Seiner Meinung nach findet daneben eine zunehmende Individualisierung der Subjekte statt, deren einzige Gemeinsamkeit der Versuch darstellt, sich durch konsumptive

16 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/Main: Campus-Verlag 1992, S. 35. 17 Ebd., S. 35. 18 Ebd., S. 59; vgl. ebd., S. 454ff. 19 Ich schließe mich diesbzgl. Claudia Bittners Meinung an, die an dem Modell individueller Lebensstile der einzelnen sozialen Klassen festhält In Bezug auf den Soziologen Pierre Bourdieu sagt sie, "daß die kulturelle Liberalisierung [die Schulze konstatiert, Anm. d. Verf.] nicht zu einem Verschwinden der ,feinen Unterschiede' kultureller Distinktion führt." (Regina Bittner: "Die Stadt als Event", in: Regina Bittner (Hg.), Die Stadt als Event, Frankfurt/Main: Campus Verlag 2001, S.l9). 20 Vgl. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 40.

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Aneignung der von ihm attestierten Devise "Erlebe dein Leben"21 gerecht zu werden. Das Erlebnis stellt filr Schulze im Rahmen einer hedonistischen Gesellschaft den Zweck allen individuellen Handeins dar und sorgt u.a. dafür, daß sich der Vorgang des Kaufens in einen Erlebnisvorgang transformiert hat, der heutzutage auch als Shoppinl 2 beschrieben wird. Beim Shopping kommt es weniger darauf an, ein Produkt aufgrund seines Gebrauchswertes zu erwerben, als vielmehr im Rahmen eines bewußt erlebten Erlebnisvorgangs ein Produkt zu kaufen, das aufgrund seines Äußeren und seiner Präsentation über einen Mehrwert verfugt, der flir das Ziel des schönen und ästhetisierten Lebens funktionalisiert werden kann. 23 Aufgrund dieser neuen innenorientierten Art der Nachfrage des Konsumenten verändert sich auch der Angebotsbereich, und filr Schulze kommt es zur Bildung eines sog. "Erlebnismarktes", 24 bei dem Anbieter ihre Produkte mit einem möglichst hohen Erlebnisgehalt versehen. So wird beispielsweise versucht, Waren durch eine spezielle Inszenierung oder Ästhetik mit einem kulturellen Mehrwert bzw. Image auszustatten, um dem Verlangen des Konsumenten nach Ästhetisierung und Kulturalisierung ihres Alltagslebens entgegen zu kommen. Eine andere Form der Inszenierung von Erlebnissen ist die sog. Festivalisierung von Ereignissen, also die Schaffung eines temporären Erlebnisraums zur Selbstinszenierung im Rahmen eines kommerziell geprägten kollektiven Erlebnisses.25 Wie bei Jameson, der eine gegenseitige Durchdringung von Kultur und Ökonomie in der Postmodeme attestiert, erfaßt der expansive Erlebnismarkt auch nach Schulzes Theorie den Kulturbereich, d.h. es kommt nicht nur zu einer Kulturalisierung der Alltags- und Warenwelt, sondern darüberhinaus auch zu einer Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Kulturbereichs. Für Schulze hat sich im Laufe der zunehmenden Ökonomisierung der Gesellschaft der Aspekt der Ökonomie als ein neues Leitmotiv der Kulturpolitik neben den Motiven Hochkultur, Demokratisierung und Sozio21 Ebd., S. 33. 22 Vgl. Klaus Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Jochen Becker (Hg.), BIGNES?, Berlin: b_books 2001 , S. 31. 23 Vgl. Schulzes Idee eines "Erlebnismehls" (G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 427). 24 G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 59/417ff. 25 Vgl. Kapitel2.2

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KUNST FÜR ALLE?

kultur etabliert,26 was seiner Meinung nach dazu geflihrt hat, daß staatliche Kulturangebote damit neben den Angeboten privater Anbieter auf dem nachfrageorientierten Erlebnismarkt um die Gunst einer erlebnisorientierten Gesellschaft konkurrieren. 27 Der damit verbundene Zwang zur Rentabilität sorgt dabei auch für eine verstärkte massenkompatible Vermarktung und Kommerzialisierung der Angebote staatlicher Institutionen unter dem Motto "Gut ist, was gut läuft". 28 Die Angebotsvielfalt staatlicher Kulturinstitutionen wird für Schulze durch eine Kulturpolitik, die u.a. als Strukturpolitik auf kommunaler Ebene und integraler Bestandteil des profitorientierten Erlebnismarktes funktioniert, 29 eingeschränkt. Darüberhinaus löst sich der Staat von einer anspruchsvollen Kulturpolitik, die mit ihren gesellschaftspolitischen und pädagogischen Zielen und einem aufklärerischen Ansatz für Schulze mit der Bildungspolitik vergleichbar ist. 30 Als überkommene Ziele der Kulturpolitik nennt Schulze das Initiieren von Prozessen der Reflektion, der Bewußtmachung und der Identitätsbildung auf Seiten des Subjekts, sowie dem Entgegenwirken einer zunehmenden Desintegration sozialer Randgruppen. Statt einer ehemals angestrebten Demokratisierung von Kulturangeboten kommt es durch deren kommerzielle Ausrichtung auf dem Erlebnismarkt flir Schulze zu einer Popularisierung und Aushöhlung ehemals kritischer Inhalte zugunsten des provokativ-oberflächlichen Schocks und der bloßen Bedürfnisbefriedigung des Publikums. 31 Schulze weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, daß dieses augepaßte Angebot seitens der staatlichen Kulturinstitutionen auch auf die innenorientierte Lebensauffassung der Menschen zurückzuführen ist: "Wirksame Opposition ist [auf Seiten der Kultur, Anm. d. Verf.] so lange nicht zu erwarten, wie im Publikum der Rationalitätstypus der Erlebnisnachfrage dominiert. " 32 Im Kontext von Jameson Theorie der postmodernen Gesellschaft läßt sich diesbezüglich feststellen, daß nach Schulze eine sog. kritische Distanz, die sich bewußt der Erlebnisnachfrage auf inhaltlicher oder formaler Ebene entzieht, heutzutage nicht mehr erwünscht ist, bzw. nicht mehr nachgefragt wird. 26 27 28 29 30 31 32

18

G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 496. Vgl. ebd., S. 449/450. Ebd., S. 505. Vgl. ebd., S. 497. Vgl. ebd., S. 496. Vgl. ebd., S. 516/517. Ebd., S. 519.

GESELLSCHAFTLICHER KONTEXT

In Bezug auf den Bereich der Kulturpolitik spricht sich Schulze dafiir aus, daß sich dieser nicht vollständig ökonomischen Aspekten unterordnen sollte. Es wäre stattdessen notwendig, durch eine stärkere Betonung der gesellschaftlich relevanten Aspekte die singuläre Position als "kulturpolitische Enklave im gesamtgesellschaftlichen Erlebnisangebot"33 und Gegengewicht zu einer privatwirtschaftlich und profitorientierten Vergnügungs und Erlebniskultur zu betonen.34 Als einen dieser relevanten und spezifischen Aspekte des Kulturbereichs nennt Schulze im folgenden das kulturpolitische Leitmotiv der Soziokultur. Der Begriff der Soziokultur bedeutet flir ihn, daß sich der Staat im Bereich der nichtkommerziellen und langfristigen Alltagskultur der Menschen engagiert und sich um den Erhalt und die Bildung kleinerer stadtteilinterner Szenen kümmert. Als einen der möglichen Effekte der Soziokultur nennt er diesbezüglich die Bildung "nachbarschaftlicher Enklaven"35 durch Kommunikationsangebote der Kulturläden oder Stadtteil- und Jugendzentren. 36 Zwar lehnt Schulze soziokulturelle Einrichtungen ab, da es flir sie seiner Meinung nach aufgrund ihres institutionellen Charakters und Teil des Erlebnismarktes unmöglich ist ihren emanzipatorischen Zielsetzungen gerecht zu werden, 37 dennoch sollte man an seiner These einer möglichen Entstehung nachbarschaftlicher Gemeinsamkeit und Identität durch kommunikative, nichtkommerzielle Erlebnisse festhalten. Zum einen, weil sie den unkonkreten Anforderungen Jamesons an eine sinnvolle postmoderne Kulturpolitik erste Konturen verleiht, und zum zweiten, weil mit dem Kunstprojekt "Park Fiction" im Ietzen Kapitel des Buches ein künstlerischer Ansatz vorgestellt wird, der sowohl Jamesons Forderungen nach einer Unterstützung des Einzelnen bei Prozessen der Reflektion, Verortung und Identitätsbildung, als auch Schulzes Paradigma

33 Ebd., S. 525. 34 Schulze weist diesbezgl. darauf hin, daß die Legitimation staatlicher Subventionen gerrau in der Förderung unkommerzieller oder vermarktungsfähiger Inhalte besteht (vgl. ebd, S. 525). 35 Ebd., 527. 36 Vgl. ebd., S. 527. Für Schulze selbst stellt der Bereich Soziokultur allerdings ein überholtes Leitmotiv kulturtheoretischer Debatten der 60er und 70er Jahre an, der sich damals als Versuch einer Wiederbelebung der Alltagskultur in Form von Kulturläden, und Stadtteilzentren und Gegenpol zu Erlebnismarkt und Hochkultur verstand (vgl. ebd, S. 539 ff.). 37 Vgl. ebd., S. 518/519.

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KUNST FÜR ALLE?

einer unkommerziellen Soziokultur mit dem Ziel der "Bildung lokaler Szenen"38 entspricht.

1.3. Debord und die Gesellschaft des Spektakels Guy Emest Debord (1932-1994) war Mitbegründer und Theoretiker der Situationistischen Internationale, einem Zusammenschluß von Künstlern, Architekten und anderen Kulturproduzenten, die sich mit den Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung befassten. Auf der Basis einer fundierten Gesellschafts- und Ökonomiekritik in der Tradition des Marxismus, war es das Ziel der Gruppe, mit Hilfe einer neuen Form von Kunst und Kultur zu einer Subversion des Alltags zu gelangen und so die ihrer Meinung nach trennungsschaffende Kraft des Kapitalismus inklusive ihres profitorientierten Urbanismus zu überwinden. Mit der Rückkehr zu echten Erlebnissen und Situationen innerhalb des städtischen Raums wollten die Situationisten die Kreativität der Menschen freisetzen und entwickelten diesbezüglich verschiedene Techniken und Strategien flir eine neue subjekt-und gebrauchswertbezogene Stadtwahmehmung. Innerhalb dieses Abschnitts wird Debords Schrift "Die Gesellschaft des Spektakels" vorgestellt, die 1967 erschien, und in der sich Debord in Form von über 200 Thesen mit der kapitalistischen Gesellschaft auseinander setzt. 39 Kennzeichnend für die Existenz des Menschen in der heutigen Gesellschaft ist für Debord dessen Abtrennung vom eigentlichen Leben bzw. dem unmittelbar Erlebten. Der entfremdete Mensch ist in einer Pseudowelt der Bilder gefangen, die Debord als Weltanschauung des Spektakels und "Negation des wirklichen Lebens"40 bezeichnet. Im Rahmen des Spektakels wird die sinnliche Welt durch eine "über ihr schwebende Auswahl von Bildem"41 ersetzt, die sich für Debord auf dem Prinzip des Warenfetischismus in der heutigen Gesellschaft begründet,42 parallel da38 Ebd., S. 526. 39 Die von den Situationisten entwickelten Techniken und Strategien werden in Kapitel3.3 näher erläutert. 40 Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin: Edition Tiamat, Verlag Klaus Bittermann 1996, S. 183. 41 Ebd.,S.31. 42 Vgl. ebd.

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GESELLSCHAFTLICHER KONTEXT

zu findet eine "negative Umformulierung des erlebten Wertes zum ausschließlichen Wert" statt, den er als "die Ware"43 bezeichnet [Herv. d. Autors]. Durch eine, wie auch von Jameson attestierte, ungebremste Ausdehnung des ökonomischen Prinzips ist für Debord der gesamte Lebensbereich des Individuums ein Teil dieses Warenprinzips und sein Leben selbst zum Produkt geworden. 44 Als Ergebnis dieser Entwicklung steht für ihn die absolute Entfremdung des Subjektes, das durch das allgegenwärtige Spektakel von seinem Leben getrennt wird. 45 Wie auch Schulze beschreibt Debord eine verstärkte passive Aneignung des Lebens der zum Konsumenten degradierten Bürger als Ursache eines verstärkten Gefühls der Entfremdung. Auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet diese Entfremdung auch ein Ende von erlebbarer Gemeinschaftlichkeit zwischen den Menschen, deren individuelle Isolation und Passivität die einzig verbliebenen Gemeinsamkeiten darstellen. Anders als bei Schulze, wo der Einzelne durch den Wunsch einer Inszenierung von Individualität eine Mitverantwortung übernimmt, hat dieser für Debordjedoch keine Mitschuld am Prozeß einer zunehmenden Entfremdung. Für ihn ist stattdessen der von ihm kritisierte Urbanismus als Teil der trennungsschaffenden Kräfte des Kapitalismus an einer verstärkten Entfremdung mitverantwortlich; er beschreibt den neuen städtischen Raum daher auch als ,,Neustrukturierung ohne Gemeinschaftlichkeit" [Herv. d. Autors]. 46 Die Herrschaft des Spektakels mit "der schrankenlosen Erfüllung des Willens der Warenvemunft"47 ist für Debord und die Situationisten die Grundlage bei der Erarbeitung möglicher Lösungen und der angestrebten Rückkehr zu einem unmittelbaren Erleben von Gemeinsamkeit. Wie auch bei den von mir bereits vorgestellten Positionen von Jameson und Schulze spielt der Bereich der Kulturproduktion dabei eine wesentliche Rolle, und auch hier ist es speziell der Bereich der Alltagskultur im öffentlich-urbanen Raum, der durch die von den Situationisten entwickelten kulturellen Techniken des detournement oder der psychogeographie als möglicher Ansatzpunkt für eine Überwindung der Entfremdung und Passivität funktionieren könnte. 48 43 44 45 46 47 48

Ebd. Vgl. ebd., S. 27. Vgl. ebd., S. 27. Ebd., S. 166. Ebd., S. 201. Vgl. Kapitel3.2.

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2. STÄDTISCHER KONTEXT Auch flir den Bereich der Stadtentwicklung spielt der von Jameson beschriebene Prozeß der Ökonomisierung eine Rolle, indem er flir eine Neuausrichtung stadtentwicklerischer Planungsprozesse zugunsten einer verstärkten Profitmaximierung verantwortlich ist. Die Folgen einer ökonomisch motivierten Stadtentwicklung werden von verschiedenen Stadtsoziologen als sog. Neue Urbanität beschrieben, die innerhalb dieses Kapitels eingehender vorgestellt wird. Daneben wird sich dieser Abschnitt auch mit den Begrifflichkeiten Öffentlichkeit und Öffentlicher Raum beschäftigen, da sie direkt von den Effekten der Neuen Urbanität betroffen sind.

2.1 Wachstumskoalition und Urban Political Economy Mit dem Begriff der Wachstumskoalition beschreibt der Stadtsoziologe Kirchberg eine Kooperation der Immobilienwirtschaft mit Vertretern aus der städtischen Verwaltung, zu denen neben Grundstücks- und Gebäudeeigentümern u.a. auch städtische Angestellte aus den Bereichen Tourismus und Stadtmarketing gehören. 1 Zur näheren Eingrenzung ihrer gemeinsamen Ziele wählt Kirchberg den Begriff der Urban Political Econom/ als Beschreibung für eine profitorientierte Stadtentwicklung durch die W achstumskoalition. Im Rahmen dieserneuen städtischer Vermarktungspolitik lassen sich zwei Zielgruppen definieren: zum einen gilt es, innerstädtischen Raum als Konsum- und Erlebnisstandort für ein Publikum, das sich im Zuge einer Suburbanisierung verstärkt im Umland ansiedelt,3 interessant zu Volker Kirchberg: "Stadtkultur in der Urban Political Economy", in: Albrecht GöscheVYolker Kirchberg (Hg.), Kultur in der Stadt. Stadtsoziologische Analysen zur Kultur, Opladen: Leske+Budrich 1998, S. 42. 2 Ebd., S. 41. 3 Vgl. Uwe Rada: "Stadt am Rande", in: Die Tageszeitung vom 30.8.1996, S. 23.

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machen; zum anderen geht es im Rahmen eines Konkurrenzkampfes zwischen den Metropolen auch darum, mit dem Verweis auf ein vorhandenes Publikum von Konsumenten und dem Image urbaner Angebotsvielfalt, Unternehmen als potentielle Investoren für kommerzielle Großprojekte in die Städte zu locken. Im Rahmen eines diagnostizierten "postindustriellen Stmkturwandels"4 hin zur Dienstleistungsgesellschaft mit einer verstärkten Nachfrage an Inszenierungsmöglichkeiten und Erlebnisangeboten ist der städtische Raum als Instrument der Vermarktung von besonderer Bedeutung, denn er funktioniert als Visitenkarte und sog. weicher Standortfaktor flir Publikum und Investoren. Für den Stadtforscher Ronneberger bedeutet der Strukturwandel auch eine Umorientierung der Lokalpolitik Diese fokussiert ihre Ausgaben zugunsten der Schaffung eines Angebots an Freizeit- und Konsumdienstleistungen, und der damit verbundene anvisierte Umbau innerstädtischer Regionen zu publikumsorientierten multifunktionalen Erlebnislandschaften, ist nur mit Hilfe finanzstarker Investoren möglich. 5 Problematisch ist in diesem V erbund die Rolle der Städte und Kommunen, die sich aufgmnd fehlender Finanzen und im globalen Wettstreit um potentielle Investoren und Unternehmen in ihren Städteplanerischen Entscheidungen verstärkt von ökonomischen Aspekten leiten lassen. Becker benutzt zur Beschreibung der kommunalen Neuorientierung den Begriff der "Unternehmerischen Stadt",6 der neben ökonomisch motivierten Initiativen zur Re-Urbanisierung innerstädtischer Bereiche auch Prozesse der bereits erwähnten Mikroökonomisierung beinhaltet. Ranneberger weist auf die Gefahren einer solchen Entwicklung hin, da eine investorenorientierte Stadtentwicklungspolitik u.a. finanzielle Ressourcen der Kommunen auf Jochen Becker: "Bignes?. Kritik der unternehmefischen Stadt", in: Jochen Becker (Hg.), BlGNES?, Berlin: b_books 2001, S. 7. 5 Vgl. Ronneberger: "Raumpatrouillen und Konsumfestungen", in: Becker, S. 32/33. Als ein Beispiel wäre das Ruhrgebiet zu nennen, das als ehemaliger Industriestandort diesen Wandel vollzieht und mit dem Bau der größten deutschen Shopping Mall, dem "Centro" in Oberhausen auf diese Entwicklung reagiert. Desweiteren kam es im Rahmen der Neupositionierung des Ruhrgebiets auch zu einer touristischen und kulturellen Nutzung des Gasometers in Oberhausen, der zum einen als Ausstellungsort fiir eine Installation des bekannten Künstlers Christo fungierte, gleichzeitig den Besuchen aber auch "Industriegeschichte erlebbar machen" soll (Zitat: http://www.gasometer.de vom 31.5.2003). 6 J. Becker: "Bignes?", in: Becker, S. 7.

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Kosten nachhaltiger und sozialer Vorhaben an Großprojekte bindet, desweiteren entsprechen sowohl Höhe der Einnahmen als auch Beschäftigungseffekte oft nicht der Sunune vorab gezahlter Subventionen. 7 Marcuse attestiert im Zusammenhang mit der Umorientierung der kommunalen Lokalpolitik den Abschied vom staatlichen Wohlfahrtsmodell und der Idee einer staatlich kontrollierten Nutzungsmischung. 8 Im Rahmen der Nutzungsmischung versuchte der Staat bisher u.a. durch sozialen W ahnungsbau und Mietpreisgrenzen unterschiedliche Einkommensschichten innerhalb eines Stadtviertels anzusiedeln und somit eine Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten in städtische Randgebiete zu verhindern. Im Kontext der Urban Political Economy und in Kooperation mit privaten Investoren in sog. Public-Private-Partnerships hat sich staatlicher Wohnungsbau vom Konzept der Mischnutzung gelöst und die innerstädtischen Bereiche werden stattdessen durch Prozesse der Gentrifizierung in Form von Luxussanierungen oder auch kultureller Veredelung durch eine Ökonomie der Symbole 9 aufgewertet und für mittlere und obere Einkonunensschichten hergerichtet. Heinz schreibt diesbezüglich: "Die häufige Vernachlässigung der Stadtbevölkerung oder einzelner Bewohnergruppen ist kein Zufall, sondern Kennzeichen gegenwärtiger Vermarktungspolitik [... ) Potentielle Adressaten sind daher vor allem außerhalb der jeweiligen Städte zu finden: bei Investoren und hochqualifizierten Arbeitskräften, bei Touristen und einkommensstarken Bevölkerungsgruppen."10

7 Vgl. Klaus Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Becker, S. 32/33. So wurde z.B. das Gelände am Potsdamer Platz von der Stadt so billig an den Investor Daimler-Benz verkauft, daß die EUKommission dieses als unerlaubte Subvention wertete und den Konzern zu einer nachträglichen Zahlung von 34 Mio.DM an die Stadt verpflichtete (vgl. Frank Roost: Die Disneyfizierung der Städte, Opladen: Leske+ Budrich 2000, S. 147). 8 Vgl. Peter Marcuse: "Wohnen in New York: Segregation und Obdachlosigkeit in einer viergeteilten Stadt", in: Hartmut Häußermann/Walter Siebel (Hg.), New York. Struktmen einer Metropole, Frankfurt/Main: Suhrkamp-Verlag, S. 205ff. 9 Vgl. Kapitel2.2. I 0 Wemer Heinz: Stadtentwicklung und Strukturwandel, Stuttgart, Berlin, Köln: Verlag W .Kohlhammer/Deutscher Gemeindeverlag 1990, S. 285.

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Auch für Ranneberger funktioniert die kommunale Politik nicht mehr nach dem Modell einer langfristigen "Daseinsvorsorge" 11 für die Allgemeinheit, vielmehr setzt sie verstärkt auf ökonomische Rationalisierungs- und Privatisierungskonzepte, deren Ergebnis eine zunehmende Homogenisierung innerstädtischer Bereiche im Sinne Jamesons "neuartigem Welt-Raum des Kapitals" 12 bedeutet. Für Rada wird als Folge städtebaulicher Monostrukturen echte Lebendigkeit verhindert, da sich die unter ökonomischen Gesichtspunkten produzierte Urbanität in ihrer Inszenierung als reine Simulation erschöpft. 13 Smith weist darüberhinaus darauf hin, daß sich das Problemverständnis der untemehmerischen Stadt gewandelt hat: nicht länger sind Armut, Obdachlosigkeit oder Segregation Probleme, die mit sozialpolitischen Maßnahmen bekämpft werden, vielmehr sind es Arme, Obdachlose und andere Randgruppen, deren Präsenz ein Schmutzfleck auf der innerstädtischen Visitenkarte darstellt. Aus angeblichen Sicherheitsgründen werden diese Randgruppen zunehmend mit ordnungspolitischen Verdrängungsmaßnahmen seitens einer "revanchistischen Stadt" 14 konfrontiert, die den öffentlichen Raum als sicheren und sauberen Ort des Konsums und Stadterlebens etablieren möchten. 15 Die Fokussierung auf Publikum und Investoren sowie Tauschwert und Profit seitens städtischer Kommunen bedeutet parallel auch die Abkehr von einer anwohner- und gebrauchswertorientieren Stadtentwicklungspolitik. Kirchberg spricht diesbezüglich von "antagonistischen Zielvorstellungen" 16 zwischen der untemehmerischen Stadt und den Bewohnern bezüglich der Nutzung von städtischem Raum, und Heinz weist auf das entsprechende Ergebnis einer Studie hin: 11 K. Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen" in: Becker, S. 29. 12 F. Jameson in: Huyssen/Scherpe, S. lOO. 13 Uwe Rada: ,,Kann man in der Passage küssen?", in: Die Tageszeitung vom 2.8.1996, s. 24. 14 Neil Smith: "Kontinuum New York: Revanchismus vor und nach dem 11. September", in: Bittner, S. 72. Vgl. auch K. Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Becker, S. 38. 15 Als Beispiel einer repressiven Verdrängungsmaßnahme kann u.a. die versuchte Durchsetzung der sog. "Gefahrenabverordnungen" angesehen werden, die von verschiedenen Städten angestrebt wird und Obdachlosen Betteln oder Schlafen aufGehwegen und öffentlichen Plätzen untersagt. 16 V. Kirchberg "Stadtkultur in der Urban Polical Economy", in: Göschel/Kirchberg, S. 41.

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"[ ... ] die Städte mit den höchsten Wirtschaftsförderungs- und Kulturausgaben bzw. -aktivitäten [sind] keineswegs auch am attraktivsten ftir ihre Bewohner. [... ] Außenwirksame ,corporate identity' und an Merkmalen wie Überschaubarkeit, Gemütlichkeit und Stadtteilqualität orientierte , stadtinterne Identifikation der städtischen Bewohner' sind keinesfalls notwendigerweise gleichzeitig eintretende Ergebnisse kommunaler Entwicklungspolitik.'" 7 Scholz hat festgestellt, daß die Umorientierung der Lokalpolitik auch Folgen für den Kulturbereich hat und zu einer Reduzierung öffentlicher Infrastrukturleistungen führt: Mit den zur V erfligung stehenden Mitteln werden nicht länger diverse kulturelle Non-Profit-Angebote wie Bürgerhäuser oder Kulturzentren finanziert, sondern zunehmend wenige kommerzielle Großprojekte der Wachstumskoalition wie Shopping-Malls oder Multifunktionsarenen subventioniert. 18 Auch Häussermann und Siebel stehen der Ökonomisiemng der Kulturpolitik und einer Instrumentalisierung des Kulturangebots kritisch gegenüber, da diese lediglich auf den Bereich der Freizeit fokussiert ist und dabei eine alltagsorientierte bzw. alternative Kulturpolitik übergangen wird, die mit ihren Effekten alle Lebensbereiche durchdringt und damit dem von Schulze angeführten Begriff einer alltagsorientierten Soziokultur ähnelt. Kirchberg kommt im Rahmen seiner Untersuchung der Effekte von Kulturalisiemng und Ökonomisierung zu dem Ergebnis, daß der Kulturbereich zu einem "Mitspieler"19 der Wachstumskoalition werden muß, um langfristig überleben zu können, während alternative Kulturprojekte, die sich durch ihre "Gegnerschaft"20 zu Wachstumskoalition und Prozessen der Wertsteigerung von städtischem Boden definieren, verschwinden werden? 1 Ähnlich kritisch wie Schulze, schätzt auch Kirchberg dabei die zuneh-

17 W. Heinz: Stadtentwicklung und Strukturwandel, S.285. Vgl. Roger Keil: "Handlungsräume/Raumhandeln", in: Martin Wentz (Hg.), Stadt-Räume, Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 1991, S. 206. 18 Scholz nach K Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Becker, S. 32/33. Zu den Folgen einer solchen Entwicklung siehe Kapitel2.3 19 V. Kirchberg: "Stadtkultur in der Urban Political Economy", in: Göschel/Kirchberg, S. 43. 20 Ebd., S. 44. 21 Ebd., S. 43ff.

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mende Ökonomisierung des Kulturbereiches in Bezug auf den Anspruch einer "moralisch besseren"22 staatlichen Kulturpolitik ein. Zusammenfassend bedeuten diese Entwicklungen eine Umverteilung staatlicher Unterstützung zugunsten kultureller Einrichtungen und Veranstaltungen, die sich ökonomisch rentieren, während gleichzeitig kritische oder unrepräsentative Projekte wie z.B. soziokulturelle Einrichtungen oder gegenkulturell-alternative Veranstaltungen weniger Unterstützung erhalten. 23

2.2 Neue Urbanität "Die urbane Stadt ist ein Ort, wo verschiedene Lebensweisen, Anschauungen und Kulturen nebeneinander existieren können und zugleich in produktivem Austausch zueinander treten."24 In seinem Aufsatz "Die Stadt und die Fremden" entwickelt der Soziologe Siebel einen Begriff von Urbanität, bei dem sich das spezifisch Urbane einer Stadt nicht durch bauliche, sondern soziale Aspekte definiert, und Merkmale wie Heterogenität, Interaktion und Anonymität als grundlegende Basis von Urbanität funktionieren. 25 Auch für den Soziologen Feldtkeller entspricht der Begriff der Urbanität der Idee eines offenen städtischen Raums, der sich durch bestimmte soziale Merkmale wie Vielfalt, Toleranz und kultureller Dichte definiert. 26 Die urbane Situation ist kein fertiges Produkt, sondern entsteht seiner Meinung nach durch Faktoren wie Räumlichkeit, Vielfalt und freier Interaktion permanent neu. Das Städtische funktioniert dabei als Medium der Solidarität und 22 Volker Kirchberg: "Kultur als Standortfaktor", in: Hartmut Salzwedel/Ingeborg Siggelkow (Hg.), Kultur und Sozialstruktur, Frankfurt/Main: Europäischer Verlag der Wissenschaften 1999, S. 27. 23 Zur Legitimation der Mittelkürzung wird von Seiten des Staats auf die Möglichkeit hingewiesen, Gelder von Sponsoren zu akquirieren, ohne dabei, bewußt oder unbewußt, zu berücksichtigen, daß auch Sponsoren im Rahmen eines erhofften Imagetransfers hauptsächlich populäre und temporäre Veranstaltungen bzw. Events finanziell unterstützen. 24 Walter Siebet: "Die Stadt und die Fremden", in: Stefan Ballmann (Red.), Kursbuch Stadt: Stadtleben und Stadtkultur an der Jahrtausendwende, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999, S. 84. 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. Andreas Feldtkeller: Die zweckentfremdete Stadt, Frankfurt/Main, New York: Campus-Verlag 1994, S. 37.

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der Emanzipation. Er versteht es als spezifisches Handlungsangebot an das Subjekt, das sich im anonymen städtisch-öffentlichen Raum, innerhalb der Gesellschaft und im Austausch mit ihr produziert, repräsentiert und verortet. 27 Feldtkeller widerspricht der gängigen Meinung der Sozialwissenschaftler, die darauf hinweisen, daß Urbanität ähnlich dem Begriff der Öffentlichkeit als eine historische Kategorie mit dem Ende des klassischen Bürgertums verschwinden mußte. Mit Verweis auf Lefebvre, für den Urbanität weniger einen Zustand als ein Ziel bzw. eine Utopie beschreibt,28 hält auch Feldtkeller an der Idee einer Urbanität fest, deren Ziele auch nach dem Ende des Bürgertums Gültigkeit besitzen, jedoch aufgrundeines gewandelten gesellschaftlichen Paradigmas schwer zu erreichen sind.Z9 Anders als fur Feldtkeller ist fur die Stadtsoziologen Häussermann und Siebel der Begriff der Urbanität im Kontext einer zunehmenden globalen Ökonomisierung und des Eintritts in die postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr anwendbar, denn aufgrund des Wandels von Stadtkultur und -entwicklung ist eine traditionelle urbane Lebensform fur sie heute nicht mehr möglich; Sie wählen stattdessen den Begriff der Neuen Urbanität zur Beschreibung des segregierten städtischen Raums einer exklusiven Stadt der wohlhabenden Integrierten und einer Stadt der Unterprivilegierten und Marginalisierten.30 Für Häussermann und Siebel ist die profitorientierte Stadtentwicklung der Neuen Urbanität bei der Herstellung von echter Urbanität kontraproduktiv, denn die Aufteilung der Stadt in verschiedene Zonen bedeutet gleichzeitig das Ende einer allgemeinen Öffentlichkeit, die heutzutage im Rahmen der Neuen Urbanität auf eine sog. qualifizierte Ö.f fentlichkeit31 der Mittel- und Oberschicht reduziert wird. Sie weisen darauf hin, daß eine urbane Situation der Interaktion und Nutzungsmischung gerade an jenen Orten entsteht, die nicht einer ökonomischen

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Vgl. ebd., S. 34/35. Zu Lefebvres Begriff des Städtischen s.a. Kapitel 3.1 Vgl. A. Feldtkeller: Die zweckentfremdete Stadt, S. 35ff. Vgl. Hartmut Häussermann/Walter Siebe!: Neue Urbanität, Frankfurt/M.: Suhrkamp-Verlag 1987, S. 8ff. 31 Vgl. Helmut Draxler "Zum Begriff Öffentlichkeit", in: Helmut Draxler (Red.), Öffentlicher Raum Salzburg-Lehen, Salzburg: Verlag Anton Pustet 1998, S. 11.

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Verwertung unterworfen sind und das dieser urbane Moment nicht baulich hergestellt, sondern nur simuliert werden kann. 32 Im Rahmen der Neuen Urbanität ist es das Ziel der Wachstumskoalition, städtischen Raum den Bedürfnissen eines qualifizierten Publikums entsprechend zu gestalten bzw. zu vermarkten und der geplante und produzierte Raum kommt dabei in Form von Erlebnisräumen und temporären Events33 der von Schulze auf Seiten der Bevölkerung diagnostizierten Erlebnisorientierung entgegen. Desweiteren entspricht dieser Raum in seiner baulichen und ideologischen Form auch Jamesons erwähnter ahistorischen Tendenz einer postmodernen Warenförmigkeit und der Fokussierung auf eine rein ästhetische, dekontextualisierte Oberflächlichkeit. Der Stadtsoziologe Roost setzt sich in diesem Zusammenhang mit der Stadtentwicklung in den USA auseinander und kommt zu dem Urteil, daß die tourismus- und publikumsorientierte Stadtgestaltung dort seit Mitte der 90er Jahre zum wichtigsten planerischen Instrument der Stadtentwickler geworden ist. 34 Während es zu einer Stagnation von Büroneubauten und zunehmendem Leerstand von Büroflächen in innerstädtischen Bereichen gekommen ist, gilt der Bereich der konsum- und freizeitorientierten Dienstleistungen noch immer als Wachstumsbranche der postindustriellen Erlebnisgesellschaft.35 Roost benutzt den Begriff der "Disneyfizierung"36 zur Beschreibung der Zurichtung der Stadtkerne zu sog. "Urban Entertainment Destinations"37 oder ,,Festival Market Places" [Herv. d. Autors], 38 die als Public-Private-Partnerships in direkter Zusammenarbeit zwischen Stadt und privaten Investoren entwickelt und gebaut werden. Als Beispiel fuhrt Roost die Neugestaltung des Times Square in New York an, bei der es unter der Leitung des DisneyKonzems u.a. zum Neubau von Kinos, Unterhaltungszentren und Musi-

32 Vgl. Uwe Rada: "Freiraum oder bloße Kulisse", in: Die Tageszeitung vom 19.7.1996, s. 23. 33 Vgl. Kapitel2.2. 34 Roost bezieht sich bei seinen Untersuchungen auf die USA, betont aber durch Beispiele wie den Potsdamer Platz in Berlin, daß eine solche Entwicklung auch in Europa bevorsteht (vgl. F. Roost: Die Disneyfizierung der Städte, S.l55). 35 Vgl. F.Roost: Die Disneyfizierung der Städte, S. 64ff. 36 Ebd., S. 146. 37 Ebd., S. 14. 38 Ebd., S. 20.

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caltheatern kam. 39 Als Urban Entertainment Destinations sind in Deutschland Einkaufszentren wie das Centro in Oberhausen, Corporate Image Center wie das Sony-Center am Potsdamer Platz zu nennen. Roost beschreibt die Urbanisierungsstrategien der Wachstumskoalition in Anlehnung an die These von Häussermann und Siebel u.a. als "Reduzierung von Urbanität auf ein bestimmtes bauliches Programm",40 ohne Berücksichtigung relevanter sozialer und kultureller Merkmale, und als eine "Mystifizierung und Aneignung der Geschichte des Ortes",41 bei der dessen Image als ehemals öffentlicher Raum betont wird und damit auch auf Jamesons Kritik einer Stadtgestaltung im Sinne Platons Idee des Simulakrums verweist. 42 Zu den Merkmalen von Neuen Urbanität zählt Ranneberger neben der verstärkten Kommerzialisierung und Überwachung auch die Aspekte Privatisierung und Internalisierung ehemals öffentlicher Räume durch Shopping-Malls und Urban Entertainment Center. Er widerspricht gleichzeitig aber auch Roosts Kritik an einer Disneyfizierung als das Ende des ehemals öffentlichen Raums und weist darauf hin, daß der öffentliche Raum immer schon den Aspekt einer Ausgrenzung bestimmter Gruppen beinhaltet hat. Desweiteren widerspricht er auch der Kritik an der menschen- und kommunikationsfeindlichen Kommerzialisierung innerstädtischer Einrichtungen zu Orten der Entfremdung: "Die bauliche und symbolische Umwelt von Malls oder Urban Entertainment Centers entspricht zwar nicht dem Bild eines traditionellen Stadtverständnisses, aber wer den Transformationsprozeß nur in Kategorien des Verlusts definiert, verschließt sich gegenüber neuen Formen der Alltagspraxis und verklärt überkommene städtische Formen der bürgerlichen Öffentlichkeit. [... ] Eine Kritik an der lnstrumentalisierung des Erlebnisses für die Ziele der Kulturindustrie ist zwar angebracht, aber die Denunziation von Malls und Themenparks als ,Amerikanisierung' oder ,Disneyfizierung' der ,Europäischen Stadt' 39 Vgl. ebd., S.35ff. Als Urban Entertainment Destinations sind in Deutschland Einkaufszentren wie das Centro in Oberhausen und sog. Corporate Image Center wie das Sony-Center am Postsdamer Platz zu nennen. 40 Ebd., S. 147. 41 Ebd. 42 Während man in New York versucht, an die Geschichte des Times Square als "Symbol für großstädtische Kultur und Abwechslungsreichtum" (F. Roost: Die Disneyfizierung der Städte, S. 40) anzuknüpfen, wird am Potsdamer Platz in Berlin die erste Verkehrsampel Deutschlands rekonstruiert, um an den "Mythos vom ,Platz an dem der Puls der Stadt schlug'" zu erinnern (ebd., S. 152).

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entspricht letztlich einer konservativelitären Kritikfigur, die Phänomene einer kommerziellen Massenkultur zu nationalen Eigenheiten erklärt und nicht als Ausdruck eines dominanten Gesellschaftsmodells versteht [... ]."43

Renneberger akzeptiert das neue gesellschaftliche Paradigma einer zunehmenden Ökonomisierung und das neue "Wertesystem von Konsum und Kultur"44 als Mittel zur Identitätsbildung. Er deutet das angepasste Freizeitverhalten von Jugendlichen oder älteren Menschen in Einkaufszentren als eine neue Form sozialer Interaktion und urbaner Kultur jenseits überholter Vorstellungen von klassischer Urbanität, ähnlich der von Schulze diagnostizierten Erlebnisgesellschaft und ihren neuen Handlungs- und Wahrnehmungsmustern. 45 Für Renneberger ist im Zusammenhang eines veränderten städtischen Lebens vielmehr die Frage der Macht- und Gewaltverhältnisse im privatisierten städtischen Raum interessant,46 wobei für ihn die neuen korporativen Kontrollmodelle sowie die repressive Verdrängungspraxis der revanchistischen Stadtpolitik die wahren Probleme der Neuen Urbanität darstellen. Er ist diesbezüglich der Ansicht, daß sie die bestehenden sozialen Polarisierungs- und Verdrängungsprozesse innerhalb der Gesellschaft forcieren, statt ihnen beispielsweise durch eine angestrebte heterogene Einwohnerstruktur m staatlich subventionierten Mischquartieren entgegenzuwirken.47 Erlebnisräume und Festivalisierung

Im Rahmen einer publikums- und investorenorientierten Neugestaltung der Innenstädte versucht die Unternehmerische Stadt in Kooperation mit privaten Unternehmen und u.a. in Form von multifunktionalen Urban Entertainment Centern der Nachfrage von Konsumenten zu entsprechen und die Innenstädte in Einkaufs-, Kultur- und Dienstleistungsstandorte 43 K. Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Becker, S. 35. 44 Ebd., S. 39. 45 Die Akzeptanz einer neuen urbanen Kultur ändert allerdings meines Erachtens nichts an den damit verbundenen Problemen einer erlebnis- und konsumorientierten Gesellschaft bzgl. Aspekten wie Solidarität und zivilisiertem Umgang miteinander, deren Fehlen beispielsweise Kirchberg beklagt (vgl. Kapitel2.3). 46 Vgl. K. Ranneberger "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in Becker, S. 34ff. 47 Vgl. Kapitel2.3.

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zu transformieren. Um die erlebnisrationale Nachfrage seitens des Publikums erfüllen zu können, kommt es zur Gestaltung sog. Erlebniswelten, sowie zu verschiedenen temporären Events im städtischen Außenraum, die von den Soziologen Häussermann und Siebel auch als Festivalisierung beschrieben werden. 48 Kagelmann definiert die Erlebniswelt diesbezüglich als "künstlich geplanter, kommerzieller Freizeit- (oder Urlaubs-)Bereich, in dem gezielt versucht wird, den dafür i.d.R. Eintritt zahlenden Menschen besonders viele Funktionen zu vermitteln und dabei als besondere Dienstleistung emotionale Erlebnisse flir einen begrenzten Zeitraum zu verschaffen. Es geht um eine Angebotsvielfalt, es geht aber auch um Gefühle - Spaß, Freude, Glückszustände usf. "49 Der Designer Mau hat vier wesentliche Aspekte herausgearbeitet, die für einen Erlebnisraum kennzeichnend sind: 5° • die kommerzielle Prägung, d.h. der Raum unterliegt der Logik des Marktes und des Verkaufens • die Verbreitung von Marken wie Disney, IMAX oder Guggenheim, die als Garant für Qualität und Sicherheit stehen51 • der Zustand der permanenten Überwachung zur Vermittlung von Sicherheit und Kontrolle • der Hochgeschwindigkeitszustand, der eine Orientierung an Marken und Images statt an Inhalten und Besonderheiten notwendig macht52 48 Vgl. Hartmut Häussermann/Walter Siebe!: "Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik", in: Hartmut Häußermann/Walter Siebel (Hg.), Festivalisierung der Stadtpolitik: Stadtentwicklung durch große Projekte, Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1993, S. 7-31. 49 Jürgen H. Kagelmann: "Erlebniswelten. Grundlegende Bemerkungen zum organisierten Vergnügen", in: M. Rieder/R. Bachleitner/J.H.Kagelmann (Hg.), ErlebnisWelten. Zur Kommerzialisierung der Emotionen in touristischen Räumen und Landschaften, München, Wien: Profil Verlag 1998" S. 61. 50 Vgl. John Hannigan: "Zur Konstruktion von Orten in der Erlebnisstadt", in: Bittner, S. 133-135. 51 Mau spricht diesbzgl. auch vom ,Regime des Logos und seines Images' und einer Image-Infragstruktur, auf die der neue urbane Raum zugeschnitten ist (vgl. ebd., S. 135).

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Diesen Merkmalen entsprechend stellt der sog. Ereignisraum damit den Versuch dar, einen öffentlich-urbanen Raum zu produzieren, der aufgrund seiner kommerziellen Prägung als homogener und exklusiver Ort nicht den Merkmalen des "alten" Urbanismus entspricht, sondern sich stattdessen lediglich an eine qualifizierte Öffentlichkeit richtet. Auch bei temporären Events im städtischen Außenraum geht es um eine massenkompatible Produktion von Erlebnissen. Häussermann und Siebel kommen im Rahmen einer diagnostizierten Festivalisierung der Stadtpolitik zu dem Ergebnis, daß das Festival, u.a. in Form von Kultursommern, Filmfestspielen oder Stadtmarathons, das Image der dynamisch-abwechslungsreichen Stadt sowohl zu potentiellen Touristen als auch Investoren transportieren soll. 53 Zum einen funktioniert das Festival auf städtischer Ebene als Inszenierung von Gemeinsinn fl.ir die Erlebnisgesellschaft und einer angestrebten Identifikation des Bürgers mit seiner Stadt, 54 darüberhinaus funktioniert es aufgrund seines mediengerechten und temporären Charakters auch als Instrument des Stadtmarketings im Rahmen globaler Städtekonkurrenz. Mit Hilfe von Großereignissen und der Produktion von Bildern, die dem Image vitaler Urbanität und hoher Lebensqualität entsprechen, verspricht sich die Stadt ein verbessertes Ansprechen großer Wirtschaftsunternehmen, die mit ihren Investitionen städtisches Wachstum sichern sollen. Festivals sind als "Politik der großen Ereignisse"55 integraler Bestandteil mediengerechten Stadtmarketings und präferiertes Instrument zur Innenstadt-Revitalisierung, bei dem aufgrund ihres telegen-temporären Charakters auch, anders als bei langfristigen Projekten, Kooperationen mit Sponsoren aus der Wirtschaft möglich sind. 56

52 Mau beschreibt als Folge des Hochgeschwindigkeitszustandes eine Reduzierung von spez. Merkmalen zugunsten einer massenkompatiblen Monokultur (vgl. ebd.). 53 H. Häussermann/W. Siebe!: "Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik", in: Häussermann/Siebel, S. !Off. 54 Vgl. ebd., S. 23ff. 55 Ebd., S. 8. 56 Als Beispiel ftir den Versuch, mit Hilfe temporärer Events Impulse ftir die Stadtentwicklung zu produzieren sei hier auf das Projekt "Ab in die Mitte" hingewiesen, eine Kooperation des Städtetages NRW und dem Einzelhandel, bei dem u.a. in Form von Lichtkunstboulevards eine kommerzielle Revitalisierung der Innenstädte erreicht werden soll (vgl. http://www. abindiemitte.de vom 17.6.2003).

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Problematisch ist bei dieser verstärkten Projektorientierung seitens der unternehmefischen Stadt, daß diese temporären Events und Festivals für Häussermann und Siebel als "Subventionsumleitungsmaschinen"57 nicht nur eine langfristige Stadtentwicklung ersetzen, sondern darüberhinaus auch finanzielle Mittel an sich binden um eine kurzfristige und profitorientierte Handlungskompetenz zu beweisen, während gleichzeitig zeitintensive gesellschaftliche Probleme verdrängt oder auf ordnungspolitischer Ebene gelöst werden. 58 Durch eine solche staatliche Vergabepolitik fehlen dann die entsprechenden Mittel für Investitionen in Bereiche wie Soziokultur und städtische Infrastruktur, die sich nicht medienkompatibel als Imagestrategie vermarkten lassen, d.h. die Tendenz der Festivalisierung wirkt einer langfristigen und gesamtgesellschaftlich orientierten Stadtpolitik kontraproduktiv entgegen. 59 Kultur in der Stadt: Die Ökonomie der Symbole

Im Rahmen des Wettbewerbs zwischen den Metropolen um Investoren und qualifizierte Arbeitskräfte spielt das Image einer Stadt eine wichtige Rolle, und so wird durch eine zunehmende Festivalisierung und Ästhetisierung der Innenstädte versucht, urbane Lebensqualität und Einzigartigkeit zu inszenieren. Der Stadtsoziologe Rada setzt sich mit der Idee der Inszenierung durch Symbole auseinander und stellt diesbezüglich fest: "Je enger der Spielraum der Politik in Zeiten der Deregulierung wird, desto wichtiger wird es, die politische Botschaft über Symbole zu formulieren, die man in den öffentlichen Raum setzt. " 60 Zu den Symbolen von vitaler Urbanität gehört neben Festivals und Erlebniswelten auch der Kulturbereich, der auf baulicher und inhaltlicher Ebene eine wichtige Rolle bei Stadtmarketing und Stadterleben spielt. Die Soziologin Zukin beschreibt mit dem Begriff der Ökonomie der Symbole eine Strategie der Wachstumskoalition, bei der im Rahmen der Imagekonstruktion von städtischer Kultur, Räume mit spezifischen Symbolen und kulturellen Attributen belegt werden. Kulturelle und ar57 H. Häussermann/W. Siebe!: "Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik", in: Häussermann/Siebel: Neue Urbanität, S. 16. 58 Vgl. ebd., S. 24. 59 Vgl. ebd. 60 Uwe Rada: "Waschzwang in den Abstiegskampf', in: Die Tageszeitung vom 15.8.1996, S. 23.

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chitektonische Faktoren und Symbole verdichten sich dabei zu einem bestimmten visuellen Image von Stadt und Stadtkultur: "In diesem diskursiven Sinne ist Manhattan riesige Wolkenkratzer, Neonreklamen und Gemälde von unschätzbarem Wert im Metropolitan Museum, und Paris ist Straßencafes, kleine bunte Läden mit großen Schaufenstern und Gemälde von unschätzbarem Wert im Louvre. [Herv. d. Autors]"6 1 Um eine solche eigene Identität zu bewahren bzw. zu erlangen, versuchen die Städte durch global verständliche kulturelle, historische, architektonische und geographische Symbole wie Museen, Wolkenkratzer, Museen oder Hafenanlagen ihre Einzigartigkeit zu betonen und ihr vielfaltiges Unterhaltungsangebot um exklusive Erlebniskulissen zu bereichern. Wie schon bei der von Schulze diagnostizierten Inszenierung von Waren durch die Instrumentalisierung des Kulturbereichs, finden diese Prozesse auch auf städtebaulicher Ebene statt, steht der Kulturbereich doch stellvertretend für Begriffe wie Dynamik, Kreativität und Veränderung. Er hilft somit bei der Konstruktion von öffentlichen Orten, in denen sich die Zielgruppe der neuen flexibelen Mittel- und Oberklasse wiedererkennen kann und der ihrer konsumistischen Nachfrage nach kulturalisierten und ästhetischen Inszenierungsmöglichkeiten entspricht. Der Bereich der Kultur funktioniert somit durch die Produktion von Einzigartigkeit und Bildern der Dynamik und des Fortschritts im öffentlichen Raum als integraler Bestandteil einer ökonomischen Verwertungslogik von städtischem Raum durch die Wachstumskoalition. Im Kontext der Ökonomie der Symbole vermarkten sich die Kulturinstitutionen auch entsprechend mit zielgruppenspezifischem Image und Angebot, sowie repräsentativen Neubauten. 62 Darüberhinaus wird eine Instrumentalisierung der Institutionen der Hochkultur durch den zunehmenden Zwang zur Rentabilität noch forciert, da dieser eine Publikumsbzw. Nachfrageorientierung erfordert, die häufig zu einer inhaltlichen 61 Sharon Zukin: "Städte und die Ökonomie der Symbole", in: Göschei/Kirchberg, S. 29. 62 Dies erklärt auch die Beliebtheit des Architekten Frank Gehry, dessen einzigartig-wiedererkennbare Museumsneubauten weltweit gefragt sind. Gehry ist u.a. für den Museumsbau in Bilbao verantwortlich und soll auch in Herford die Neugestaltung des dortigen Museums übernehmen, nachdem ein großer Neubau in New York aufgrundfehlender finanzieller Mittel abgesagt wurde.

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Fokussierung auf bekannte Namen unter dem Motto "Gut ist was gut läuft" führt. 63 Diese Konzentration auf etablierte Positionen und deren spektakuläre Inszenierung entspricht wiederum als Standortmarketing den Absichten der Unternehmerischen Stadt. Im Rahmen dieser neuen Relevanz des Kulturbereichs erhält auch die Kunst im öffentlichen Raum durch die zunehmende Instrumentalisierung von städtischen Raum durch die Wachstumskoalition einen hohen Stellenwert, da sie im Kontext der Neuen Urbanität zu einem ästhetischen Mehrwertproduzenten und als ein Bestandteil des profitorientierten Stadtmarketings funktionalisiert werden kann. Bevor im weiteren Verlauf dieses Kapitels näher auf die gesellschaftlichen Folgen der Neuen Urbanität eingegangen wird, sollen an dieser Stellen noch kurz die Effekte der lnstrumentalisierung von städtischen Außenraum erwähnt werden. Die symbolische Inbesitznahme von Räumen hat nach Meinung verschiedener Stadtsoziologen eine Vielzahl negativer Auswirkungen und wird daher desöfteren auch kritisch als symbolische Gewalt und "kulturelle Technik der Verdrängung"64 bewertet, bei der durch die Fokussierung auf die qualifizierte Öffentlichkeit der Mittel- und Oberschicht eine neue exklusive Stadtkultur produziert wird. Diesbezüglich funktioniert die Inszenierung von Urbanität durch spezifische Symbole und Merkmale, zu der auch Kulturinstitutionen zählen, gleichzeitig als sog. symbolische Schwelle. 65 Solche Schwellen kontrollieren bzw. reglementieren den Zugang zu innerstädtischen Räumen und sorgen durch die dominante Aneigung des Ortes anband spezifischer Symbole für den Ausschluß unerwünschter Personengruppen und verstärkter Seperation, so daß im Rahmen einer zielgruppengerechten Vermarktung gleichzeitig das Gefühl von Sicherheit für das suburbane Publikum vermittelt werden kann. Kirchberg weist darauf hin, daß dieser Vorgang mit dem der Privatisierung vergleichbar ist, da mit Hilfe symbolischer Schwellen ein Prozeß der Verdrängung stattfmdet und ehemals heterogene öffentliche Räume flir eine exklusive Zielgruppe angeeignet und homogenisiert werden. 66 63 Dementsprechend galt die Van Gogh-Ausstellung, die 2002 in Bremen stattfand, allein aufgrund ihrer hohen Besucherzahl als ein Erfolg. 64 Uwe Rada: "Die Urbanisierung der Angst", in: Göschei/Kirchberg, S. 105. 65 Vgl. Kapitel 3.2 66 Vgl. V. Kirchberg: "Stadtkultur in der Urban Political Economy" in: Göschel/Kirchberg, S.46±I.

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Auch Häussermann und Siebel kritisieren die Produktion symbolischer Schwellen und segregierter Räume, an der sich auch die Kunst im öffentlichen Raum beteiligt: "Die stillste und zugleich effektivste Weise, Herrschaft zu sichern, besteht darin, unliebsame Themen aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit auszuschließen. Eben das ist die latente politische Funktion der Ästhetisierung der Stadt. Sie betreibt die Dethematisierung gesellschaftspolitischer Probleme, indem sie eine Stadtstruktur fördert, die jenen auf der Sonnenseite der Stadt es leicht macht, die Schattenseiten nicht zur Kenntnis zu nehmen."67

Neue Urbanität am Beispiel Harnburg Als Beispiel für die sog. Urban Political Economy einer unternehmerischen Stadt wird an dieser Stelle das "Leitbild: Metropole Harnburg Wachsende Stadt" aus dem Jahr 2002 vorgestellt, da sich an den dort formulierten Stadtentwicklungsvorgaben, insbesondere auch bezüglich der Planung der sog. HafenCity gut die Strategien und Ziele einer ökonomisch motivierten Stadtentwicklung im Kontext der Neuen Urbanität erläutern lassen. Im Kontext von Globalisierung, Strukturwandel und Standortwettbewerb platziert das Leitbild die Stadt Harnburg in internationaler Konkurrenz zu Städten wie Barcelona und Seattle und formuliert das entsprechende Ziel "Hamburg durch einen Entwicklungsschub wieder zu einer wachsenden und pulsierenden Metropole mit internationaler Ausstrahlung zu entwickeln."68 Den erwähnten Entwicklungsschub erhofft sich die Stadt durch große Events wie die Durchführung der Olympiade 2012 und der Internationalen Gartenbauausstellung 2013, die als "Schlüsselprojekte" 69 die nötigen Investitionen und Subventionen für den Bau der HafenCity erbringen sollen. Die Stadt Harnburg erkennt die Relevanz weicher Standortfaktoren als Wettbewerbsparameter an und benennt sie u.a. mit den Begriffen Sauberkeit, Sicherheit, einem breiten Kulturangebot und hoher Lebensquali67 H. Häussennann/W. Siebe!, Neue Urbanität, S. 209. 68 Pressestelle der Stadt Hamburg: Leitbild: Metropole Harnburg - wachsende Stadt, Harnburg 2002, S. 4. 69 Ebd. Die Olympiahewerbung ist allerdings gescheitert, es kommt damit lediglich zur Durchfiihrung der Gartenbauausstellung.

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tät in einem attraktiven städtebaulichen Gesamtbild. 70 Auch die Zielgruppe der Stadt wird im Rahmen ihres Leitbildes näher angeflihrt: Man versucht durch eine zielgruppenorientierte Marketingstrategie die Einwohnerstruktur in Bezug auf Ernpfauger von Sozialhilfe, Erziehungshilfe oder Wohngeld so zu gestalten, daß "von einem unterdurchschnittlichen Anteil dieser Personengruppen an den Zuziehenden" 71 ausgegangen werden kann. Daneben geht es den Verantwortlichen bei der Neuausrichtung Hamburgs darum, "die Stadt für ihre Einwohner sowie für potentielle Investoren und kreative Köpfe aus dem In- und Ausland so attraktiv und lebenswert zu gestalten wie nur irgend möglich."72 Die Stadt Harnburg entspricht der von Schulze diagnostizierten Konsum- und Erlebnisorientierung des Publikums durch die Schaffung privatisierter Erlebniswelten, denn für sie bedeutet Lebensqualität diesbezüglich auch das "Erleben von Urbanität im Sinne von Identifikation und Teilhabe am öffentlichen Leben"73 die u.a. durch den Neubau der sog. Europapassage als privatisierte Shopping-Mall in der Hamburger Innenstadt produziert werden soll. 74 Im Rahmen der Forderung nach mehr Lebensqualität für Mittel- und Oberklassen soll es im städtebaulichen Bereich u.a. durch den Bau der HafenCity zu einer Betonung der Lage Hamburgs als Stadt am Wasser kommen, desweiteren wird auch eine "qualitative Aufwertung vorhandener Wohnungsbestände" u.a. durch Abriß, Neubau, Modemisierung oder Nachverdichtung angestrebt, was einen erheblichen Anstieg der Mietpreise zur Folge hätte? 5 70 71 72 73 74

Vgl. ebd., S. 10. Ebd., S. 12. Ebd., S. 10. Ebd., S. 62. Vgl. ebd., S. 63. Die Europa-Passage ist mit je 30.000 m2 Büro und Handelsfläche nach eigenen Angaben die größte innerstädtische Passage Hamburgs. Sie bewirbt sich selbst als "Lifestyle-City" in der jedes Geschäft, so formuliert es die Broschüre, "eine unique Erlebniswelt [verkörpert], die dem Kunden wertvolle Inspirationen vermittelt." (Zitat: lnformationsbröschüre der Europa-Passage) 75 Ein Mittel zur qualitativen Aufwertung ist u.a. die Aufhebung der sog. Sozialen Erhaltens- und Umwandlungsverodnung, die Mitte der 90er Jahre erlassen wurde und Anwohner einzelner Bereiche vor einer Verdrängung durch Luxussanierung und eine zunehmende Umwandlung von Miet- in Eigentumswohungen schützen soll. Die Verordnung sind teilweise befristet und dementsprechend entscheidend ftir die Entwicklung innerstädtischer Bereiche wie beispielsweise die südliche Neustadt, die aufgrund ih-

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Neben einer Betonung Hamburgs als Einkaufs- und Dienstleistungsmetropole ist auch die Wachstumsbranche Städtetourismus flir das Leitbild der Stadt Harnburg interessant, wobei durch ein effizienteres Starrdortmarketing eine Steigerung der internationalen Attraktivität erreicht werden soll. 76 Neben dem Kulturbereich, vertreten durch Theater, Museen und Musical, ist hierbei eine gesteigerte Vermarktung touristischer Ziele wie Landungsbrücken und Reeperbahn erwünscht. Ein Abschnitt des Leitbilds beschäftigt sich mit dem Versuch einer partizipativen Einbeziehung der Öffentlichkeit in den Prozeß der Stadtentwicklung. Hierbei verweist der Text allerdings lediglich auf die Vorstellung der Studie "Hamburg Vision 2020" des Unternehmens McKinsey&Company in den Medien. Eine Erörterung der Studie fand nur unter 100 Führungskräften statt,77 was weniger einer einer proklamierten Beteiligung der ganzen Bevölkerung als vielmehr der einer qualifizierten Öffentlichkeit entspricht. Zur Initiierung eines Bürgerdialogs ist auch die Gründung des sog. Harnburg Konvent geplant, der als ständiges Diskussionsforum bestehen, und mit allen relevanten städtischen Interessengruppen besetzt sein soll, allerdings zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Buches noch nicht eingerichtet wurde. Durch die Etablierung sog. "E-Govemmet-Strukturen [sic!]"78 ist desweiteren eine internetgestützte, öffentliche Diskussion zur Thematik der wachsenden Stadt geplant, in deren Rahmen Vorschläge und Interessen der Bevölkerung bei Planungsprozessen Berücksichtigung finden sollen. Hierbei stellt sich die Frage, inwiefern in einer Diskussion, die einen Internetzugang erfordert und durch Online-Beiträge stattfindet, die Interessen einer breiten Öffentlichkeit Erwähnung bzw. Berücksichtigung finden sollen. Eingesandte Vorschläge wie Event- und Wohnbrükken oder innerstädtische Beleuchtungsprojekte, die im Rahmen eines Wettbewerbs vom Hamburger Senat prämiert wurden, lassen eher die Vermutung einer Fokussierung auf die Interessen von Mittel- u. Oberklasse zu. 79

76 77 78 79

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rer direkten Nähe zu Eibe und Hafen-City ein begehrter Wohnort für Mittel- und Oberklassen darstellt (vgl. Hanna Kastendieck: "Luxus-Sanierung? Ohne uns! ", in: Hamburger Abendblatt vom 24.10.2002, S. 13.). Vgl. Pressestelle StadtHamburg, S. 61ff. Vgl. ebd., S. 69ff. Ebd., S. 71. Vgl. http://www.wachsende-stadt.hamburg.de vom 28.6.2003

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Das Projekt "HafenCity" "Im zunehmend schärferen Wettbewerb der europäischen Metropolen spielt die Anziehungskraft der Innenstädte auf Bewohner, Beschäftigte und Besucher eine wichtige Rolle. [... ] Mit der HafenCity wird Harnburg um eine aufsehenerregende Attraktion reicher.[ ... ] Am Hafen zu wohnen oder zu arbeiten wird ,chic' sofern ,arbeiten' nicht heißt, daß man sich damit die damit die Finger schmutzig macht." 80 Roost beschreibt die Urbanisierungsstrategien der Wachstumskoalition u.a. als "Reduzierung von Urbanität auf ein bestimmtes bauliches Programm",81 ohne Berücksichtigung sozialer und kultureller Merkmale, sowie als "Mystifizierung und Aneignung der Geschichte des Ortes",82 bei der das Image des Ortes als ehemals öffentlicher Raum betont wird. Diese Inszenierung von Urbanität als "Landschaften der Simulation"83 findet im städtischen Raum der Neuen Urbanität auf baulicher Ebene durch eine spezifische Architektur und die Kulturalisierung von städtischem Außemaum statt, die sich im Rahmen des Leitbildes der Wachsenden Stadt in Harnburg am Projekt HafenCity beobachten läßt. Das Prestige-Projekt HafenCity ist als Erweiterung der Innenstadt auf stillgelegten Hafenflächen von 155 Hektar Größe und 60 Hektar NettoBauland geplant und stellt eine sog. waterfront revitalisation dar, um das Image Hamburgs als Stadt am Wasser zu stärken. Das gesamte Areal wurde von der Stadt und der Deutschen Bahn AG verkauft und die zu bebauende Fläche ihren Partnern aus der Wachstumskoalition, bzw. Investoren aus der freien Wirtschaft übertragen, welche die Flächen möglichst gewinnbringend vermarkten. Im Zeitalter des postindustriellen Strukturwandels dienen die stillgelegten Hafenanlagen und die denkmalgeschützte Speicherstadt des Hamburger Freihafens als sog. "Millieugeber"84 . Sie sollen durch Neugestaltung und unter Berücksichtigung architektonischer Vorgaben und verwendeter Materialien zu einem lebendigen Innenstadtbereich "mit mari-

80 Gesellschaft ftir Hafen- und Standortentwicklung mbH: HafenCity, 2002, 81 82 83 84

S.4u.59. F. Roost: Die Disneyfizierung der Städte, S. 147. Ebd. Ebd., S. 13. Gesellschaft fur Hafen- und Standortentwicklung mbh: HafenCity, 2002, S. 6.

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timem Ambiente" werden, "das Wohnen, Freizeit, Tourismus, Handel und Dienstleistungen verbindet. " 85 Neben dem Erhalt einer authentischen Kulisse ist beabsichtigt, auch durch geplante Freizeiteinrichtungen wie einem Science-Center, der Philharmonie auf dem ehemaligen Kaispeicher A und einem Schifffahrtsmuseum potentielle Bewohner, Investoren und Touristen in die HafenCity zu locken. 86 Durch weitere geplante Kultur-, Handels- und Dienstleistungseinrichtungen soll die Trennung von Hafen und Innenstadt überwunden und das Bild Hamburgs als Stadt am Wasser wieder erlebbar gemacht werden. Als besonderes Ereignis ist daneben im Kontext der Festivalisierung die Durchführung eines jährlichen HafenCityV alksfestes geplant.87 Ähnlich wie beim Neubau des Potsdamer Platzes in Berlin ist die Beteiligung der Bevölkerung beim Projekt HafenCity auf passives Konsumieren der Planungsvorhaben und virtuelle Simulationen zukünftigen Stadtlebens reduziert. Statt in einer sog. Info-Box, wie sie am Potsdamer Platz errichtet wurde um den Neubau Berlins als Erlebnis und Architainment ansprechend zu vermarkten, hat man in Harnburg im HafenCity InfoCenter im Kesselhaus die Möglichkeit, den Masterplan der HafenCity zu betrachten. Dieser sieht neben der Kombination der denkmalgeschützten Hafenanlagen mit einer Reihe von zukunftsorientierten städtebaulichen Entwürfen auch den Aspekt der Nutzungsvielfalt vor, der die HafenCity als Standort für Wohnen, Arbeiten und Tourismus nutzbar machen soll. Eine Nutzungsmischung im Sinne einer heterogenen Be85 Zitiert nach: Jelka Plate: "Einleitung", in: tetrapak (Hg.), ready2capture, Berlin: b_books 2003, S.7 .. 86 Der Kaispeicher sollte ursprünglich zum sog. MediaCityPort und "Leuchtturm für die Medienbranche" (http://www.hafencity.com vom 12.5.2003) umgebaut werden und Hamburgs Stellung als führenden Medien- und ITStandort betonen, es fanden sich allerdings nicht genügend Investoren um den geplanten Umbau zu finanzieren. Aufgrund der fehlenden Eigenmittel hat der Hamburger Senat daher auch nicht den Bau der spektakulären Philharmonie beschlossen, sondern verspricht lediglich, sich ftir diese einzusetzen und das Gelände dafür zur Verfügung zu stellen. Gleichwohl wurde im Sommer 2004 bereits eine Anzeigenkampagne gestartet, bei der u.a. die Konzerthalle zusammen mit dem Motto ich wachse in Hamburg" abgebildet wurde. 87 Ulf Treger: "Feuer und Flamme - Kurze Betrachtung der Entwicklung eines großformatigen Stadtentwicklungsprojekts", in: tetrapak (Hg.), ready2capture, Berlin: b_books 2003, S. 10.

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völkerungsstruktur scheint dabei allerdings nicht geplant zu sein, da die Stadt Harnburg neben den groben Vorgaben einer möglichst repräsentativ-multifunktionalen Umgestaltung des Hafengebietes, sowie wenigen infrastrukturellen Maßnahmen, keine Einflußnahme auf die Planung der HafenCity nimmt. Die Hamburger Künstlergruppe tetrapak stellt diesbezüglich fest, daß sich der geplante Neubau von ca. 5.500 Wohnungen an ein exklusives Publikum richtet, da es aufgrund der privatwirtschaftliehen Investoren keine staatlichen Vorgaben zu Nutzungsmischung oder Mietpreisgrenzen gibt. Rieck kommt in seiner Untersuchung zu potentiellen Bewohnern der HafenCity zu dem Ergebnis, daß sich nur eine kleine Gruppe von Menschen den dortigen W ohmaum leisten kann, denn "[ ...] neben den hohen Grundstückspreisen führen erhebliche Gebäudegründungskosten ftir Fundamente und ein aufwendiger Hochwasserschutz zu einem besonderen Anstieg der Baukosten, die wiederum an die späteren Eigentümer weitergereicht werden. " 88 Die Planungsleitung übernimmt auf städtischer Seite die Entwicklungsgesellschaft GHS 89 (Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung mbH), die auch alle Entscheidungen hinsichtlich der Durchführung von Veranstaltungen auf dem HafenCity-Areal kontrolliert, was einer Privatisierung und Normierung des städtischen Raums gleichkommt. Entsprechend beurteilt auch Haarman die Arbeit der GHS im Kontext der Neuen Urbanität und einer Ökonomie der Symbole: "Gruppen, die sich auf dem Terrain der zukünftigen HafenCity mit dieser auseinandersetzen wollen, durchlaufen einen Kontroll- und Normalisierungsprozess [.. .].Es gibt keinen Ort auf dem Areal der zukünftigen HafenCity, der ohne Genehmigung der privatwirtschaftliehen organisierten GHS genutzt, bespielt oder belagert werden kann. Jede Form der Zwischennutzung [... ] wird auf den imagebildenden Mehrwert hin überprüft, den sie für eine positive Standortpolitik schöpfen kann."90 Abschließend sollte noch darauf hingewiesen weden, daß die Pläne für den Bau der HafenCity aufgrund der wirtschaftlichen Situation immer wieder ins Stocken geraten. Treger kommt im Rahmen seiner Analyse zu dem Ergebnis, daß lediglich eine erfolgreiche Bewerbung für die Olym88 Johannes Rieck: "Wo WirWohnen-Mit dem Schiff ins Heim", in: tetrapak, S. 22. 89 Die GHS wurde inzwischen in HafenCity Harnburg GmbH umbenannt. 90 Anke Haarrnann: "Künstlerischer Urbanismus - Mode oder Notwendigkeit", in: tetrapak, S. 20.

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pischen Spiele 2012 als Großereignis und Subventionsumleitungsmaschine im Kontext der von Häussermann und Siebel attestierten Festivalisierung der Stadtpolitik91 flir die nötigen Impulse und Investitionen hätte sorgen können. 92 Man wird abwarten müssen, wie sich der Bebauungsprozeß dieses Areals ohne ein imageträchtiges Großereignis wie die Olympiade entwickeln wird, oder ob Harnburg sich auch flir die folgenden Olympiaden bewerben wird.

2.3 Effekte der neuen Urbanität Im Rahmen einer zunehmenden Funktionalisierung und Rückeroberung des öffentlichen Raums flir Publikum und Konsumenten durch eine revanchistische Stadtpolitik, unterbindet die Neue Urbanitätaufgrund ihrer Fokussierung auf eine spezifische Zielgruppe genau jene Möglichkeiten des sozialen Austausches zwischen heterogenen Nutzergruppen, die flir die Stadtsoziologie den Begriff Urbanität definiert. Die Person des Fremden als Zeichen flir städtische Anonymität spielt in diesem Zusammenhau flir Siebel bei der Konstitution von Urbanität eine wichtige Rolle. Er bezeichnet ihn als "Ferment einer produktiven Stadtkultur"93 und "Kern aller soziologischen Definitionen von Urbanität",94 da er durch seine Andersartigkeit gängige kulturelle Selbstverständlichkeiten in Frage stellt. Unter Bezug auf Bahrdt nennt Siebel die "resignative Toleranz"95 als eine urbane Tugend, die durch den Kontakt mit dem Fremden vom Stadtbewohner verlangt wird und ihm hilft, den Fremden zu akzeptieren und ihm eine gleichwertige Identität zu zugestehen.96 Kirchberg spricht im Rahmen der Interaktion mit der Person des Fremden von einem Sozialisationsprozeß, der grundlegend flir die Herausbildung eines zivilisierten Umgangs der Menschen untereinander ist und wirft der Neuen Urbanität vor, diesen Prozeß durch eine zielgruppengerechte Aufteilung von städtischem Raum zu unterbinden: "Der ,zivilisierte Umgang' kann nicht mehr nur erschwert eingeübt werden, sondern wird im Rahmen der Schaffung besserer Rahmenbedingungen flir 91 92 93 94 95 96

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Vgl. Kapitel 2.2. Vgl. U. Treger: "Feuer und Flamme", in: tetrapak, S. 12. W. Siebe!: "Die Stadt und die Fremden", in: Bollmann, S. 84. Ebd., S. 85. Ebd., S. 86. Vgl. ebd., S. 86ff.

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die Ziele der Ökonomie der Symbole im städtischen Raum von Vomherein verhindert.'m Er kritisiert diesbezüglich auch die Schaffung symbolischer Schwellen durch spezifische bauliche Merkmale, die einen segregierten öffentlichen Raum schaffen, der den Kontakt zwischen heterogenen Nutzergruppen unterbindet und echte Urbanität bzw. eine urbane Situation lediglich durch die entsprechenden Symbole simuliert. Während der Fremde im Kontext der alten Urbanität eine konstituierende Rolle spielt, gilt er flir die Neue Urbanität der Wachstumskoalition als Störfaktor bei der Inszenierung von urbanem Leben. Hierbei spielt die bereits erwähnte "Urbanisierung der Angst",98 bei der das Bild des Fremden durch unterschiedliche Strategien kriminalisiert wird, eine große Rolle. Durch eine entsprechende Berichterstattung in den Medien wird der Fremde als Gefahr für die Öffentlichkeit dargestellt und mit der Forderung nach stärkeren Kontrollmechanismen zur Sicherheit der Allgemeinheit verbunden, die gleichzeitig aber auch die Verdrängung von Randgruppen forcieren. Ranneberger spricht in diesem Zusammenhang von einer "Renaissance der öffentlichen Ordnung"99 und der Durchsetzung spezifischer Verhaltensstandards sowie hoher Kontrolle, die darauf ausgerichtet ist, Gruppen wie Obdachlose, Bettler, Migranten, Drogenabhängige, etc. aus den Innenstädten zu vertreiben und dieses als "Wiedereroberung des öffentlichen Raums'" 00 zum Wohle der Öffentlichkeit darzustellen. Die Maßnahmen der revanchistischen Stadt sind für Ranneberger an eine veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung sozialer Probleme gekoppelt, die ein ordnungspolitisches Vorgehen gegen Randgruppen und das Einschränken ihrer Rechte legitimieren: "Als Reaktion auf Deregulierungs- und Flexibilisierungsprogramme verstärken sich autoritär-populistische Strömungen, die den befürchteten Verlust bestimmter Normalitätsstandards durch ,harte' Grenzziehung und rigide Narrnativität zu bearbeiten versuchen. An die Stelle von ,Einschluß' und ,soziale Gerechtigkeit' treten deshalb in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zunehmend ,Exklusion' und ,Bestrafung' ... tot

97 V. Kirchberg: "Kulturerlebnis Stadt", in: Göschel/Kirchberg, S. 91. 98 U. Rada: "Die Urbanisierung der Angst", in: Göschel/Kirchberg, S. lOlff. 99 K. Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Becker, S. 37. I 00 Ebd., S. 39. 101 Ebd., S. 38.

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Die von Ranneberger beschriebene Exklusion fUhrt für Siebel auch aufgrund fehlender staatlicher Interventionen zugunsten heterogener Einwohnerstrukturen, zur Entstehung einer sog. new-urban-underclass bestehend aus Bevölkerungsgruppen, denen eine Teilnahme am öffentlichen Leben in innerstädtischen Bereichen vorenthalten wird. Daneben kommt es aufgrund der Angst vor dem Fremden auch auf Seiten der Ober- und Mittelschicht zu einem freiwilligen Rückzug in überwachte Wohnanlagen, sog. Gated Communities, in der das Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität durch pem1anente Überwachung und Kontrolle befriedigt wird. 102 Der erzwungene oder freiwillige Rückzug in homogene Gruppen läßt sich nicht länger mit dem Begriff der Urbanität oder einer urbanen städtischen Kultur beschreiben, denn statt einer heterogenen kulturellen Dichte unterschiedlicher Nutzer kommt es im Rahmen inszenierten Stadterlebens zu einer homogenen sozialen Dichte und einer "Simulation heilen Kleinstadtlebens mit Marktplatz und Hauptstraße [ ...]." 103 Durch eine zunehmende Provinzialität innerstädtischer Bereiche als Aufenthaltsort einer exklusiven Öffentlichkeit läßt sich, wie bereits dargelegt wurde, keine Zivilisiertheit durch den Kontakt mit dem Fremden erlernen, was u.a. zu einem Verlust von Solidarität innerhalb der Gesellschaft fuhrt. Statt der Entwicklung von resignativer Toleranz und Akzeptanz durch die Begegnung mit dem Fremden im öffentlichen Raum, kommt es zu einer verstärkten Angst vor dem Fremden und dem Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle. Und während es früher die Aufgabe des Staates war, sich näher mit einer solchen negativen Entwicklung auseinandersetzen und dieser durch die vermehrte Durchmischung von Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken, wird diese gesellschaftszersetzende Tendenz und soziale Polarisierung bzw. Segregation durch die unternehmerische Stadt, einer revanchistischen Stadtpolitik und der Zweckentfremdung von städtischem Raum jedoch zusätzlich forciert.

102 Vgl. K. Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Becker, S. 40. Nach Rötzer kommt es besonders in den USA zu einer verstärkten Nachfrage nach überwachten Wohnanlagen, die 80% der neuerrichteten Wohnsiedlungen in den USA ausmachen (vgl. Florian Rötzer: "Überwachte Siedlungen und der Auszug aus den Städten", http:// www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/13700/l .html vom 3.6.2003). I 03 Klaus Ronneberger: "Disneyfizierung der europäischen Stadt?", in: Bittner, S. 92.

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Die Tendenz der gesellschaftlichen Segregation durch eine profitorientierte Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik macht es für den Kulturbereich beinahe unmöglich, eine Durchmischung von Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Entsprechende Versuche einer alternativen Kulturpolitik, die Schulzes Begriff der Soziokultur ähneln und auf die Schaffung verstärkter Kommunikation und Interaktion zwischen heterogenen Bevölkerungsgruppen abzielen, räumt Kirchberg keine großen Erfolgschancen ein: "Es besteht kaum Hoffnung, daß Verwaltung und Politiker aus den Kulturoder Stadtentwicklungsdezernaten dieser Entwicklung in der Stadt etwas entgegenstellen können und wollen. Ihre mögliche Aufgabe, Urbanität [als bürgerliches Ideal von Zivilisiertheit, Anm. d. Verf.] in das städtische Leben und damit Öffentlichkeit [Herv. d. Autors] zurückzubringen, können sie nicht gegen die Wachstumskoalition formieren geschweige denn durchsetzen (man vergleiche nur einmal die Budgets von Kultur respektive Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung in deutschen Kommunen)."104 Unter dem von Schulze proklamierten neuen kulturpolitischen Leitmotiv der Ökonomie kann man im Kontext der Ökonomie der Symbole darüberhinaus sogar von einer aktiven Teilnahme des Kulturbereichs am Prozeß der Verdrängung sprechen, da sich kulturelle Institutionen unter dem Druck der Rentabilität zielgruppengerecht und repräsentativ vermarkten müssen. Dabei kommt es zur Produktion entsprechender Symbole bzw. symbolischer Schwellen, d.h. die kulturellen Institutionen werden vom "Mitspieler" 105 der Wachstumskoalition zum Mittäter einer zunehmenden Homogenisierung und Segregation von innerstädtischen Raum und funktionieren dementsprechend nicht länger als Medium der Aufklärung, sondern als Medium der Verdrängung. Die Neue Urbanität sorgt nicht nur für eine verstärkte Verdrängung von Randgruppen und dem Niedergang urbaner Interaktion mit dem Fremden, aufgrund der Zurichtung der Innenstädte zu Erlebniswelten des Konsums forciert sie, im Rahmen der von Schulze diagnostizierten Tendenz zur Individualisierung, auch die Isolation des Einzelnen. In diesem Zusammenhang sorgt u.a. der von Debord attestierte Warenfetischismus durch eine passiv-konsumistische Teilnahme am städtiI 04 V. Kirchberg: "Kulturerlebnis Stadt? Money, Art and Public Places" in: Göschei/Kirchberg, S. 92. I 05 V. Kirchberg: "Stadtkultur in der Urban Political Economy" in: Göschel/Kirchberg, S. 43.

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sehen Leben für eine zunehmende Entfremdung und dem Ende von erlebbarer Gemeinschaftlichkeit zwischen den Individuen. Die von den Situationisten beschriebene trennungsschaffende Kraft des Kapitalismus bzw. des Warenkonsums sorgt diesbezüglich für einen Verlust der integrativen Funktion städtischer Öffentlichkeit. Durch den Versuch einer Inszenierung von Urbanität durch baulichästhetische Maßnahmen funktioniert für Rada die Stadt als "Bühne flir die Selbstinszenierung der individualisierten Objekte", 106 die diese allerdings nicht als allgemeine Öffentlichkeit miteinander, sondern nebeneinander bespielen. Die Stadt gilt für ihn als Ort "der Identitätssuche durch Individualisierung und lnszenierung",107 bei der es weniger um Integration oder gemeinschaftliches Erleben geht, als vielmehr darum, sich durch den Konsum spezifischer Erlebnisse und Produkte von anderen Personen zu unterscheiden. Das Ergebnis einer solchen "Identitätspolitik" 108 ist die Entstehung einer neuen pluralen Stadtkultur der Individuen, und unter Bezug auf Sewing schreibt Rada, daß "es gerade nicht das Verschwinden von Pluralität städtischer Lebensweisen ist, sondern deren Zunahme, die die Krise des öffentlichen Raums der Stadt und die Konflikte um die Nutzung dieser Ressource befördere." 109 Zum Überwinden von Entfremdung und Isolation, verfügt der Kulturbereich als ein Bestandteil der Neuen Urbanität und somit zunehmend den Zielen der Wachstumskoalition verpflichtet, nicht mehr über die entsprechenden Mittel bzw. die von Jameson genannte kritische Distanz zu den gesellschaftlichen Entwicklungen. Stattdessen forciert er die Entfremdung nach Schulze erlebnisrational handelnden Individuen von ihrem eigentlichen Leben: "Der kulturelle Konsum wird zum Medium nicht mehr der Bewältigung von Wirklichkeit, sondern ihrer mentalen Verdrängung. ,Der öffentliche Raum' beurteilt Wemer Sewing diese Kultur der Urbanisierung, werde zur Bühne, ,auf der die Bürger, offensichtlich durchaus lustvoll, Statisten in ihrer eigenen Stadt sind.' (Sewing 1996). Statisten aber können nicht mehr handeln. Erst recht nicht, wenn sie noch nicht einmal wissen, in welchem Kontext, welcher Realität überhaupt gehandelt werden könnte." 110 106 107 108 109 110

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U. Rada: "Die Urbanisierung der Angst", in: Göschel/Kirchberg, S. 103. Ebd., S. 104. Ebd., S. 105. Ebd., S. 105. Ebd., S. 106.

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Die von Rada geforderte Befreiung des passiv-konsumierenden Bürgers ähnelt Jamesons Forderung nach einer postmodernen kulturellen Praxis zur Unterstützung des cognitive mappings und des Bewußtwerdens der Bevölkerung, was allerdings aufgrund der konsumistischen und erlebnisorientierten Nachfrage und einem entsprechend unkritisch-populärem Kulturangebot im Kontext des Erlebnismarkts nur schwer zu erfüllen ist.

2.4 Öffentlichkeit und öffentlicher Raum

Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt wurde, hat durch die Funktionalisierung und lnstrumentalisierung des städtischen Raums ein Prozeß der Segregation und Verdrängung stattgefunden, so daß sich dieser aufgrund fehlender sozialer Aspekte nicht mit dem Begriff der Urbanität beschreiben läßt. Daneben hat die zunehmende Homogenisierung innerstädtischer Bereiche auch Folgen für Begriffe wie Öffentlichkeit, öffentlicher Raum und öffentliche Sphäre. Während der Begriff der Urbanität eine Form von Interaktion und kultureller Dichte beschreibt, wird unter dem Begriff der Öffentlichkeit unter Bezug auf Habermas und seine 1962 erschienene Arbeit "Strukturwandel der Öffentlichkeit", der öffentliche Raum auch als Ort von Meinungsbildung und -äußerung und der Erörterung gesellschaftlicher Probleme verstanden. Habermas selbst beschreibt diesen Ort als öffentliche Sphäre innerhalb einer bürgerlich-liberalen Gesellschaft, in der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie das Fehlen ökonomischer Interessen vorausgesetzt werden und bei dem sich durch die Erörterung gesellschaftlicher Probleme zwischen Privatpersonen die sog. öffentliche Meinung formte, die zwischen Staat und Gesellschaft vermittelte. 111 Für das Verschwinden von Öffentlichkeit bzw. der Habermasseheu öffentlichen Sphäre gibt es innerhalb des soziologischen Diskurses verschiedene Gründe, die an dieser Stelle allerdings nicht näher erläutert werden, 112 da es in diesem Zusammenhang primär um die Tatsache geht, daß sich der städtische Außenraum von einem öffentlichen Ort des Konflikts und der Diskussion zu einem umkämpften und exklusiven Ort der III Vgl. Nancy Fraser: "Rethinking the Public Sphere: A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy", in: Craig Calhoung (Hg.), Habermas and the public sphere, Cambridge, MNLondon: MIT Press 1992, s. 110.

112 Habermas führt dabei u.a. die Rolle der Massenmedien und die Zunahme unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen an.

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Verdrängung gewandelt hat, der auf die Funktionen Transport, Konsum und Repräsentation reduziert wurde. Fraser hat sich in ihrer Arbeit "Rethinking the Public Sphere" mit dem Begriff der öffentlichen Sphäre auseinandergesetzt und in Bezug auf Habermas und Ryan festgestellt, daß der habermassche Begriff der bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit immer auch ein Ort der Exklusion ist, d.h. flir sie stellt die offizielle Öffentlichkeit den anerkannten Diskurs der herrschenden Macht dar, der als sog. "öffentliches Interesse" Begrifflichkeiten und Standpunkte für alle anderen Teilöffentlichkeiten festlegt. m Die verschiedenen Teilöffentlichkeiten, die Fraser als "subaltern counterpublics"114 bezeichnet, sind parallele diskursive Orte, an denen deren Mitglieder miteinander diskutieren und Meinungen und Begrifflichkeiten, die ihren privaten Alltag betreffen formulieren, wobei diese den Begrifflichkeiten und Standpunkten der herrschenden Öffentlichkeit oft auch oppositionell entgegenstehen. Fraser unterscheidet im Rahmen ihrer Untersuchungen zwischen schwachen und starken Öffentlichkeiten, die einen entsprechend schwierigen Zugang zur herrschenden öffentlichen Meinung haben. Der Ort der Bildung dieser öffentlichen Meinung hat sich, und so sieht es auch Habermas, zunehmend in den Bereich der Massenmedien verlagert, was einen Zugang für schwächere Teilöffentlichkeiteil durch die ökonomischen Interessen privatwirtschaftlicher Medienuntemehmen zusätzlich erschwert. 115 Mit ihrer Forderung nach "interpublic relations"116 verlangt Fraser folgerichtig die Etablierung eines offenen Austauschs zwischen den Teilöffentlichkeiten, der es ermöglichen soll, daß bestimmte Problematiken und Begriffe Eingang in den herrschenden Diskurs finden können, und so die Zuschreibung von "Öffentlichkeit" auch wirklich gegeben ist. 117 Auf den städtischen Bereich übertragen, läßt sich feststellen, daß das sog. öffentliche Interesse ein herrschender Diskurs ist, und der Wunsch 113 114 115 116 117

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V gl. N. Fraser: "Rethinking the Public Sphere", in: Calhoun, 117. Ebd., S. 122. Vgl. ebd., S. 121. Ebd., S. 122. Als Beispiele für die Übernahme aus teilöffentlichen Diskursen nennt Fraser u.a. die Begriffe Date-Rape und Sexism, die in spezifisch feministischen Diskursen aus privaten Erfahrungen heraus entstanden sind und durch ein funktionierendes Netzwerk aus Bücherläden, Verlagen, Vorträgen, Konferenzen etc. Zugang in den maskulin geprägten herrschenden Diskurs fanden (vgl. ebd., S. 123).

STÄDTISCHER KONTEXT

nach sicheren innerstädtischen Bereichen lediglich den Wünschen einer Teilöffentlichkeit entspricht, die über die entsprechenden Mittel verfügt, diese Ziele mittels der Ökonomie der Symbole, den Massenmedien sowie städtischen und privatwirtschaftliehen Vertretern der Wachstumskoalition durchzusetzen. Ranneberger spricht diesbezüglich davon, daß der innerstädtische Bereich noch immer als "zentraler Demonstrationsraum einer kritischen Gegenöffentlichkeit" und wichtiger "Aufenthalts- und Reproduktionsraum" 118 von Teilöffentlichkeiten unterschiedlicher sozialer Milieus dient. Nur an diesen Orten kann durch Präsenz eine öffentliche Aufmerksamkeit hergestellt werden, um auf die Existenz bestimmter Bevölkerungsgruppen wie z.B. Obdachlose, Drogenabhängige oder Migranten, soziale Probleme und negative gesellschaftliche Effekte der herrschenden spätkapitalistischen Ideologie hinzuweisen. Während eine solche Präsenz von Gegenöffentlichkeiten flir die Aufnahme ihrer Belange in den herrschenden Diskurs notwendig wäre, ist es dagegen das erklärte Ziel der Unternehmerischen Stadt diese Randgruppen als potentielle Gefahr zu stigmatisieren und mit dem Rückhalt der qualifizierten Öffentlichkeit und der herrschenden öffentlichen Meinung in städtische Randbezirke zu vertreiben. Zusammenfassend kann man konstatieren, daß es im Rahmen der Neuen Urbanität und den ökonomischen Motiven der Unternehmerischen Stadt zu einem konsequenten Unterbinden der Begegnungsfunktion heterogener Nutzergruppen im städtischen Außemaum kommt, das seitens der herrschenden öffentlichen Meinung unterstützt wird. Es kann daher bei der Analyse von städtischem Raum eigentlich weder von Urbanität noch von öffentlichem Raum gesprochen werden. Zur Etablierung echter Urbanität und dem Wiedererlernen eines zivilisiert-toleranten Umgangs miteinander ist es notwendig, innerstädtische Bereiche für unterschiedliche Teilöffentlichkeiten zugänglich zu machen. Desweiteren muß es schwächeren Teil- bzw. Gegenöffentlichkeiten möglich sein, Zugang zum herrschenden Diskurs bzw. der öffentlichen Sphäre zu erhalten. Auf den städtischen Bereich übertragen bedeutet dies, daß neutrale Räume für eine heterogene Interaktion geschaffen werden müssen, die eine Präsenz unterschiedlicher Gruppen ermöglichen, damit deren Interessen und Probleme von einer breiten Öffentlichkeit rezipiert werden können. 118 Klaus Ronneberger: "Symbolische Ökonomie und Raumprofite", in: Hedwig Saxenhuber/Georg Schöllhammer (Hg.), OK. Ortsbezug: Konstruktion oder Prozeß?, Wien: Edition Selene 1998, S. 13.

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Dem Kulturbereich käme dabei, unter Bezug auf Jameson und Schulze die eher soziokulturelle Aufgabe zu, die Kommunikation Individuen zu fördern, so daß diesen innerhalb unterschiedlicher Teilöffentlichkeiten evtl. ermöglicht werden kann, eigene Begrifflichkeiten und Standpunkte zu entwickeln. Es wäre die Aufgabe für Kulturproduzenten bzw. Künstlern, die Forderungen der Teilöffentlichkeiten durch spezifische Visualisierungs- und Umsetzungspraktiken öffentlich zu repräsentieren, ihnen Zugang zum herrschenden öffentlichen Diskurs zu ermöglichen und partizipativ Möglichkeiten zur Schaffung alternativer urbaner Räume einer heterogenen und gleichberechtigten Interaktion zu entwickeln. Diesbezüglich werden im nächsten Kapitel mit Lefebvre, Bourdieu und der Gruppe der Situationistischen Internationale drei Positionen vorgestellt, die sich mit einer entsprechenden Funktionalisierung von Intellektuellen bzw. Kulturschaffenden auseinandergesetzt haben.

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3. RAUMTHEORIE UND STÄDTISCHER RAUM

Nachdem sich das letzte Kapitel mit den Bereichen Stadt, Stadtentwicklung und städtischem Erleben auseinandergesetzt hat, wird innerhalb dieses Abschnitts versucht, die Neue Urbanität als "neue Ordnung gesellschaftlicher Räumlichkeit", 1 und die Prozesse einer zunehmenden Ökonomisierung mit der ihnen zugrunde liegenden herrschenden Ideologie des (Spät-)Kapitalismus zu verbinden. Anhand des Soziologen Henri Lefebvre und seiner Theorie zur Raumproduktion wird zu Beginn der von ihm konstatierte Zusammenhang zwischen Stadtentwicklung, gesellschaftlicher Reproduktion und herrschender Ideologie erörtert. Als zweites wird die von Pierre Bourdieu entwickelte Raumtheorie mit den Begrifflichkeiten von sozialem und physischen Raum sowie deren Interdependenzen in Zusammenhang mit Bourdieus Habitus-Konzept und den symbolischen Schwellen des innerstädtischen Raums näher vorgestellt. Sowohl Lefebvre als auch Bourdieu setzen sich im Rahmen ihrer soziologischen Untersuchungen mit der Funktion bzw. Positionierung des Intellektuellen innerhalb gesellschaftlicher Strukturen auseinander und entwickeln diesbezüglich ähnliche Ansätze einer interventionistischen Praxis der Intellektuellen und Kulturarbeiter. Es werden auch diese Aspekte innerhalb ihres Werkes eingehender beschrieben, da dort ähnlich wie bei Jameson Ansätze formuliert werden, die sich in bestimmten künstlerischen Arbeiten im öffentlich-städtischen Raum wiederfinden lassen bzw. als Bewertungskriterien einer nicht-institutionellen Kunst funktionieren. Im Kontext von künstlerischer Produktion im städtischen Raum wird abschließend auch näher auf die Gruppe der Situationistischen Internationale eingegangen, die sich inhaltlich u.a. mit dieser Thematik auseinandersetzt und unter dem Begriff des unitären Urbanismus dabei auch spezifische künstlerische Handlungsansätze und Strategien formulieren. Der Situationistische Architekt Constant hat desweiteren mit seiner utopischen Stadt "New Babylon" ein Modell entwickelt, auf das sich nicht Walter Prigge: "Die Revolution der Städte lesen", in: Wentz, S. 107.

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nur Lefebvre bei der Formulierung seines gesellschaftlichen Ideals bezieht, sondern dessen soziale Leitmotive auch innerhalb einer interventionistischen und partizipativen Kunst von Bedeutung sind.

3.1 Henri Lefebvre Henri Lefebvre ( 1901-1991) arbeitete u.a. als Professor für Soziologie in Frankreich und lernte im Rahmen dieser Tätigkeit seinen damaligen Studenten Guy Debord, den Mitbegründer der Situationistischen Internationale (S.I.) kennen. Aufgrund ähnlicher Interessen und politisch-ideologischer Ansichten arbeitete Lefebvre, ein langjähriges Mitglied der kommunistischen Partei, häufig mit der S.I. zusammen und bezog sich im Rahmen seiner Arbeiten häufig auf deren Thesen. Lefebvre kommt im Rahmen seiner Untersuchungen von städtischem Raum und dessen Transformationen zu dem Ergebnis, daß dieser im Rahmen des Übergangs von der industriellen in die urbane Phase und einer zunehmenden Verräumlichung der Herrschaft, wie sie auch von Jameson erwähnt wird, eine zentrale Bedeutung flir den Fortbestand des Kapitalismus besitzt. 2 Für ihn gilt der gesellschaftliche Raum unter Bezug auf Marx als ideologischer Ort der Reproduktion von Gesellschaft und sozialen Verhältnissen/ d.h. die Herrschaft über den Raum stellt flir ihn die privilegierteste Form der Machtausübung dar, die gleichzeitig auch eine Kontrolle über gesellschaftliche (Reproduktions-)Prozesse möglich macht. 4 Bei dem Versuch einer dominierenden Aneignung von Raum mit Hilfe des Urbanismus als neue Organisationsform städtischen Lebens, kommt es für Lefebvre zu einem Kampf zwischen Herrschenden und Beherrschten um städtischen Raum und dessen Nutzungsrechte. Er positioniert sich diesbezüglich bei seinen Forschungen auf der Seite der Bevölkerung und setzt sich für deren Belange und ihrem Recht auf die Stadt als Form einer urbanen Praxis ein. 5 2 Prigge spricht diesbezüglich auch von einem "Zusammenhang von sozialer Macht und Repräsentation in der Verräumlichung gesellschaftlicher Beziehungen" (ebd., S. 101). 3 Rosalyn Deutsche: "Uneven Development:Public Art in New York City", in: October Nr. 47 (1988), S. 28/29. 4 Vgl. David Harvey: "Geld, Zeit, Raum und die Stadt", in: Wentz, S. 158. 5 Diesbezüglich kam es auch in den 80er Jahren unter der Teilnahme Lefebvres auch zur Gründung der Graupe de Navarrenx, die es sich zum Ziel

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Lefebvres Theorie einer kapitalistisch-profitorientierten Stadtentwicklungspolitik der herrschenden Ideologie und deren negativen sozialen Implikationen entsprechen weitgehend der im vorherigen Kapitel dargelegten Neugestaltung des städtischen Raums im Sinne der Neuen Urbanität durch die Wachstumskoalition; Bei Lefebvre setzt sich diese allerdings nur aus einem Netzwerk aus Banken, Wirtschaftszentren und großen Unternehmen zusammen,6 während die Rolle des Staates im Rahmen seiner Analyse noch nicht vollständig den Prinzipien der unternehmerischen Stadt entsprach. Darüberhinaus stellt Lefebvre auch einen größeren Zusammenhang zwischen Neuer Urbanität, einer zunehmenden Ökonomisierung und der herrschenden Ideologie des (Spät-)Kapitalismus her. Er entwickelt diesbezüglich auch kritische Ansätze einer oppositionellen Stadtentwicklung zugunsten einer urbanen Praxis und echtem städtischen Erleben, wobei er sich u.a. auf den Situationistischen Architekten Constant und einem von ihm entwickelten utopischen Stadtmodell bezieht.

Die Krise der Stadt "Das Urbane ist reine Form: der Punkt der Begegnung, der Ort einer Zusammenkunft, die Gleichzeitigkeit. Diese Form hat keinerlei spezifischen Inhalt, aber alles drängt zu ihr, lebt in ihr. [... ] Sie schafft die urbane Situation, in der unterschiedliche Dinge zueinander finden und nicht länger getrennt existieren, und zwar vermöge ihrer Unterschied!ichkeit. [... ] Dieser städtische Raum unterscheidet sich jedoch radikal vom industriellen Raum, und zwar weil er diff erentiell [Herv. d. Autors] ist."7 Unter Bezug auf Lefebvre kommt es ftir Prigge im Rahmen einer räumlichen Neuorganisation des Kapitalismus zu einem Transfer der fordistischen Verhältnisse aus dem industriellen auf den urbanen Bereich, d.h. zu einer Ökonomisierung und Funktionalisierung der Stadt als Ort des Profits und der Reproduktion von Kapital. 8 Die technokratische Utopie einer neuen städtischen Organisation zur Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Bewohner durch Rationalisierung und Homogenisierung gesetzt hatte, eine neue Idee von Bürgertum und einer direkteren Form der Demokratie zu entwickeln. 6 Henri Lefebvre: The Production ofSpace, Cambridge/MA, Oxford: Blackwell Publishers 1991 , S. 53. 7 Henri Lefebvre: Die Revolution der Städte, München: List Verlag 1972, S. 128/136.

8 Vgl. W. Prigge: "Die Revolution der Städte lesen", in Wentz, S. 107ff.

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erweist sich seiner Meinung nach als eine Fehleinschätzung seitens der verantwortlichen Stadtplaner, denn im Rahmen dieser Prozesse ensteht vielmehr eine neue städtische Realität unter den Vorgaben der herrschenden Ideologie des Kapitals, die Lefebvres Idee einer urbanen Praxis widerspricht und darüber hinaus auch verhindert. Wie auch für Siebel ist nach Lefebvre der Aspekt der sozialen Interaktion heterogener Nutzergruppen bei der Konstitution echter Urbanität entscheidend. Und während die Entwickler des Urbanismus die Stadt als Produkt betrachten, benutzt Lefebvre zur Beschreibung der Stadt den Begriff des Ouevre, auch um auf die Aspekte Kreativität, Dynamik und die gewachsenen Stadtstruktur durch Begegnung und nichtkommerzielle Interaktion der Nutzer hinzuweisen. 9 Die Stadt ist nicht nur Ort der urbanen Praxis der Begegnung und Interaktion, die das Erlernen von Zivilisiertheit und Toleranz ermöglicht, sondern verfUgt nach Lefebvre in ihrem ursprünglichen Sinne aufgrund einer permanenten Dynamik über einen "schöpferischen Überschuß", 10 der ein abwechslungs- und ereignisreiches Leben jenseits passiv-konsumistischer Aneignung ermöglicht. 11 Der Begriff des Städtischen funktioniert diesbezüglich bei ihm nicht als überkommene historische Kategorie, sondern besitzt als eine Art Idealvorstellung von gesellschaftlichem Miteinander vielmehr einen utopischen Charakter. Für Lefebvre beschreibt das Städtische, unter Bezug auf die Utopie eines "New Babylon" des Architekten Constant, 12 eine verstädterte Gesellschaft, welche die kapitalistischen Interessen eines tauschwertorientierten Raumhandels überwunden hat und bei der sich die Stadtgestal-

9 Vgl. Henri Lefebvre: Writings on Cities, Cambridge/MA, Oxford: Blackwell Publishers 1996, S. 147. Unter Betonung der Dynamik und des ErIebens des städtischen Raum als Ouevre beschreibt er die urbane Praxis der Anwohner Desweiteren auch als Ia fete: "a celebration which consumes unproductively" (ebd., S. 66). I 0 Lefebvre nach K. Ronneberger: "Konsumfestungen und Raumpatrouillen", in: Becker, S.40. II Lefebvre nannte diese Erlebnisse "Moments", die Gruppe der S.I. sprach dagegen von sog. "Situationen" (vgl.: Kristin Ross: "Lefebvre on the Situationists", in: OctoberNr.79 (1997), S. 72). 12 Vgl. Kapitel3.3.

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tung aufgrund direkter politischer Beteiligung der Bewohner nach deren Wünschen richtet. 13 Der Versuch, eine gewachsene urbane Praxis durch den Urbanismus zu ersetzen, scheitert für Lefebvre an der Tatsache, daß dieser als Organisationsform der herrschenden Ideologie das Leben nach seinen Vorgaben kontrolliert und aufgrund seiner dezidiert ökonomischen Leitmotive eine dynamische urbane Praxis heterogener und nichtkommerzieller Interaktion unterbindet. 14 Die Krise der Stadt ist für Lefebvre das Ergebnis der "Illusion des Urbanismus" 15 und einer von Technokraten und privaten Investoren anhand abstrakter Modelle entworfenen tauschwertorientierten Neustrukturierung von städtischem Raum, der in direkter Opposition zu einer von ihm geforderten urbanen Praxis steht: "city and urban reality are related to use value. Exchange value and the generalization of commodities by industrialization tend to destroy it by subordinating the city and urban reality [... ]." 16

Der tauschwertorientierte Handel mit dem Lebensraum der Menschen und die Folgen einer verstärkten Fragmentierung und Hierarchisierung von städtischem Raum begreift Lefebvre als letzten Schritt der menschenfeindlichen Ideologie des Kapitalismus, denn die neue städtischen Realität sorgt für das Ende des gewachsenen städtischen Lebens und sorgt für den Rückzug des passiven Menschen in die Sphäre des Privaten und des Konsums. Aufgrund der Kontrolle des städtischen Raums durch das Programm des Urbanismus dominiert die herrschende Ideologie nicht nur den Raum, sondern steuert aufgrund der erwähnten Reproduktionsprozesse auch die gesellschaftliche Entwicklung. Lefebvre spricht in diesem Zusammenhang von einer Finalität der Prozesse/ 7 da die gesellschaftlichen Folgen des menschenfeindlichen Urbanismus aufgrund einer konditionierten Passivität der Individuen nur schwer umkehrbar sind: "Die Phan-

13 V gl. Elonore Kofman/Elizabeth Lebas: "Lost in Transposition - Time, Space, and the City", in: Henri Lefebvre: "Writings on Cities", Cambridge/MA, Oxford: Blackwell Publishers 1996, S. 19. 14 Vgl. H. Lefebvre: Die Revolution der Städte, S. 174. 15 Ebd., S. 163. 16 H. Lefebvre : Writings on Cities, S. 67. 17 Vgl. H. Lefebvre : Die Revolution der Städte, S. 164.

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tasie hat keine Flügel mehr. [... ] Die Entfaltung der Welt der Ware ergreift das die Objekte enthaltende Gefaß" 18 Raumproduktion

Bei der W ahmehmung von Raum gibt es flir Lefebvre unterschiedliche Kategorien, von denen sich zwei auf die antagonistischen Interessen der jeweiligen Nutzergruppen beziehen. Der Bewohner als Nutzer des Gebrauchswerts nimmt den städtischen Raum im Rahmen einer räumlichen Praxis (pratique spatiale) als sozialen Raum der Produktion und Reproduktion wahr, während die tauschwertorientierten Nutzer diesen dagegen nur vermittelt als Repräsentation von Raum (representation de l'espace) wahr. Der repräsentierte bzw. konzeptualisierte Raum ist nach Lefebvre der Raum der Planer, Wissenschaftler und Technokraten, die für eine Entwicklung von städtischen Raum unter den Vorgaben der herrschenden Ideologie verantwortlich sind. Für Lefebvre stellt dieser Raumbegriff das Leitbild der dominanten Form der Raumproduktion durch den Urbanismus dar und wird in Form von Architektur und Stadtplanung repräsentiert und wahrgenommen.19 Den durch den Urbanismus produzierten Raum bezeichnet Lefebvre als sog. abstrakten Raum (abstract space) im Rahmen einer profitorientierten Raurnnutzung. Der abstrakte Raum stellt einen instrumentellen Raum dar und funktioniert als Ort der Kontrolle und des Profits für die sog. "capitalist ,utilizers"'?0 Unter dem Aspekt des Gebrauchswertes defi18 Ebd., S. 191. 19 Vgl. Edward Dimendberg: "Henri Lefebvre on Abstract Space", in: Andrew Light/Jonathan M. Smith (Hg.), Philosophy and Geography ll. The Production of Public Space, New York, Oxford, Landham, Boulder: Rowman & Littlefield Publishers Inc. 1998, S. 20/21. Es läßt sich hier auch eine Verbindung zu Debords These der Gesellschaft des Spektakels herstellen, die in ihrer Diagnose einer Abtrennung der herrschenden Bilder und Spektakel vom eigentlichen Leben der Vorstellung des Lebens innerhalb Lefebvres Repräsentationen von Raum (statt im erlebtem Raum) ähnelt. Debords Formulierung einer "Bewegung des Unlebendigen (G. Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, S. 13) kann man diesbezüglich mit Lefebvres Feststellung der ökonomisch motivierten Stadtentwicklung vergleichen. 20 H. Lefebvre: The Production of Space, S. 360.

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niert Lefebvre den umkämpften öffentlichen Raum dagegen als sozialen Raum (social space) flir die "community ,users"'. 21 Das Ziel des produzierten abstrakten Raums ist dessen Homogenisierung bzw. Nivellierung, wobei der damit beschriebene Raum dem Begriff des "Welt-Raum des multinationalen Kapitals"22 der postmodernen Gesellschaft bei Jameson ähnelt. Sowohl Jamesons als auch Lefebvres Raumbegriff stehen fur eine Zerstörung gewachsener Strukturen und Kontexte, sowie eklektizistische historische Bezüge, die durch ökonomische Interessen begründet sind. 23 Lefebvre beschreibt den abstrakten Raum aufgrund seiner kapitalistischen Ideologie als "disintegrating integration",24 da er zum einen alle gesellschaftlichen Bereiche unter seiner Herrschaft vereinnahmen will, dabei aber gleichzeitig durch Prozesse der Rationalisierung und Fragmentierung eine gesellschaftliche Trennung bzw. Hierarchisierung auf räumlicher Ebene produziert. Dieser Widerspruch stellt fur Lefebvre den Ausgangspunkt eines dritten Raumbegriffes dar, den sog. differentiellen Raum (differential space): "I shall call that new space ,differential space', because, inasmuch as abstract space tends towards homogenity, towards the elimination of existing differences or pecularities, a new space cannot be born (produced) unless it accentuates differences. "25 Der differentielle Raum muß flir Lefebvre als alternativer Ort in Opposition zum herrschenden abstrakten Raum und dessen Prozessen der Separation produziert bzw. angeeignet werden und er bezeichnet diese nichtdominante Aneignung von Raum unter dem Aspekt seines Gebrauchswerts fur die Bevölkerung als Appropriation oder auch Cooptation. 26 Für 21 Ebd. 22 F: Jameson: "Postmoderne" in: Huyssen/Scherpe, S. 100. 23 Ygl. hierzu auch den in Kapitel2.2 erwähnten Erhalt historischer Gebäude als sog. Millieugeber. 24 H. Lefebvre: Writings on Cities, S. 145. 25 H. Lefebvre: The Production of Space, S. 52. 26 Vgl. ebd., S. 167, 368/369. Der Architekturkritiker lain Borden nennt diesbezüglich das Skateboardfahren als Beispiel einer nichtdominanten Raumaneignung, bei der sich der Skateboarder geeignete architektonische Elemente wie Treppengeländer oder Parkbänke sucht, um an diesen unterschiedliche Manöver auszufl.ihren. Im Rahmen der Logik einer profitorientierten Nutzung und dem Ziel der Homogenisierung und der Kontrolle von städtischem Raum versuchen die herrschenden Kräfte allerdings, eine solche individuell-oppositionelle Nutzung, u.a. in Form sog. ,Skatestopper',

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Lefebvre ermöglicht der augeeignete differentielle Raum den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sowohl einen Rückzug in die private Sphäre, als auch einen Zugang zur herrschenden Öffentlichkeit bzw. eine urbane Praxis der Interaktion mit unterschiedlichen Nutzergruppen. Lefebvres Idee des differentiellen Raums als herrschaftsfreien bzw. nichtdominierten Ort entspricht dabei Habermas Ideal einer allgemein zugänglichen Öffentlichkeit und eines herrschaftsfreien Diskurses. Für Kilian ähnelt er gleichzeitig auch Frasers Konzept der Teil- bzw. Gegenöffentlichkeiten und ihrer Forderung nach der Schaffung eines sog. Counter-Space, der Möglichkeiten des Rückzugs aber auch des Zugangs zur herrschenden öffentlichen Meinung und ein Einbringen der entwikkelten Begrifflichkeiten und Standpunkte ermöglicht. 27 Im Rahmen seiner These zur Raumproduktion betont Lefebvre auch die Relevanz einer spezifischen Dynamik der oppositionellen Prozesse, da es nur so möglich ist, die permanenten gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse unter den Vorgaben der herrschenden Ideologie zu unterbinden. Er verlangt diesbezüglich nach der Schaffung von Alternativen zur herrschenden Raumgestaltung des Urbanismus, da es nur durch eine Veränderung der baulichen Umwelt auch zu gesellschaftlichen Veränderungen kommen kann. "Sooner or later, however, the existing centre and the forces of homogenization must seek to absorb all such differences, and they will succeed if these retain a defensive posture and no counterattack is mounted from their side."n

Das Recht auf die Stadt und die Intellektuellen "The right to the city [... ] can only be formulated as a transformed and renewed right to urban l{fe [Herv. d. Autors]."29 Im Rahmen seiner kritischen Analyse des städtischen Raums und der Theorie des differentiellen Raums entwickelt Lefebvre Möglichkeiten, um einer Homogenisierung des Raums entgegenzuwirken, sich eigene Räume und Repräsentationsmöglichkeiten anzueignen und das Recht auf zu unterbinden (vgl. Borden, Iain: Skateboarding, Space and the City, London, Berg-Press 2001). 27 Vgl. T. Kilian: "Public and Private, Power and Space", in: Light/Smith, S. 128. Vgl. Kapitel2.4. 28 H. Lefebvre: The Production ofSpace, S. 373. 29 H. Lefebvre: Writings on Cities, S. 158.

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die Stadt als ein Recht auf eine urbane Praxis einzufordern. Er positioniert sich dabei auf Seiten der Nutzer bzw. Bewohner und versteht seine Untersuchungen als sog. Science of Use, d.h. als eine Theorie, die die sozialen Aspekte der Stadt und ihren Gebrauchswert betont. Die Theorie soll als Basis fur die Praxis der Alleignung funktionieren, indem sie ein Verstehen der lebensfeindlichen Prozesse, Ziele und Folgen des Urbanismus innerhalb eines größeren gesellschaftlichen Zusammenhangs ermöglicht und ein entsprechend kritisches Bewußtsein auf Seiten der Bevölkerung schafft. 30 Ähnlich Jamesons Forderungen nach einem neuen gesellschaftsdienlichen Kultur- und Kunstbegriff im Zeitalter der Postmodeme ist es auch das Ziel Lefebvres, die Bevölkerung bei Prozessen der Erkenntnis über ihre gesellschaftliche Stellung zu unterstützen. Für ihn ist es dabei erforderlich, die Menschen durch Information aus ihrer forcierten Passivität zu erwecken, damit es ihnen möglich ist, der fortschreitenden Homogenisierung des abstrakten Raums entgegenzuwirken und eigene Interessen geltend zu machen. Lefebvre fordert diesbezüglich die Gruppe der Intellektuellen auf, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen, da es flir ihn nur mit ihrer Hilfe zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Zustände kommen kann. 31 Er velangt von ihnen eine radikale Kritik am Staat und die Forderung nach einer Revision staatlicher Zielvorstellungen jenseits ökonomischer Maßstäbe und zugunsten seiner Utopie einer neuen Gesellschaft: "Indem sie [die Kritik, Anm. des Verf.] also zeigt, daß die Förderung der Verstädterung [Herv. d. Autors] nur möglich ist, wenn das (quantitative) Wirtschaftswachstum nicht mehr Selbstzweck ist, wenn die Produktion nach anderen Zwecken ausgerichtet wird, wenn Entwicklung wichtiger wird als Wachstum, wenn der Staat (das reduzierende Agenspar excellence) auf eine untergeordnete Funktion reduziert wird, wenn also Staat und Politik einer radikalen Kritik unterzogen werden."32 Darüberhinaus ist es flir Lefebvre von besonderer Relevanz, daß sich die Bevölkerung aktiv an der alternativen Neugestaltung des städtischen Raums beteiligt und ihre Forderungen dementsprechend öffentlich macht. Dieses soll zum einen dadurch erreicht werden, daß man vom Staat mehr Engagement zugunsten der schwächeren Bevölkerungs30 Vgl. H. Lefebvre: The Production ofSpace, S. 368. 31 Vgl. ebd., S. 380. 32 H. Lefebvre: Die Revolution der Städte, S. 173.

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schichten einfordert, desweiteren aber auch durch Prozesse der Aneignung bzw. Kooptation von städtischem Raum, um dort eigene Vorstellungen einer urbanen Praxis durchzusetzen und zu (re)präsentieren: "This state defends class interests while simultaneously setting itself above society as a whole, and its ability to intervene in space can and must be tracked back agairrst it, by grass-roots opposition, in the form of Counterplans and counter-projects designed to thwart strategies, plans and programmes imposed from above."33 Neben der Aufgabe der Intellektuellen, die laut Lefebvre versuchen sollen, der herrschenden Form des Urbanismus alternative Modelle urbaner Praxis entgegenzustellen, spielt flir ihn auch der Bereich der Vorstellungen und der verdrängten Kreativität bei der Entwicklung einer neuen Stadt eine wichtige Rolle: "Why should the imaginery enter only outside the real instead of nurturing reality? [... ] the imaginery is a social fact. " 34 Im Rahmen seiner Utopie einer verstädterten Gesellschaft erwähnt Lefebvre den durch eine integrative urbane Praxis und in Form von sog. moments35 entstehenden schöpferischen Überschuss, der für ihn im erweiterten Sinne eine künstlerische Praxis darstellt: "To put art at the service of the urban does not mean to prettify urban space with works of art. [... ] Leaving aside representation, omamentation and decoration, art can become praxis and poiesis on a social scale: the art of living in the city as work of art. Coming back to style and to the oeuvre, that is, to the meaning ofthe monument and the space appropriated in thefete, art can create ,structures of enchantement'. [... ] In other words, the futurte of the art is not artistic, but urban[ .. .]" (Herv. d. Autors). 36 Abschließend läßt sich feststellen, daß Lefebvre mit der Erweiterung der künstlerischen Praxis auf den Bereich alltäglicher sozialer Prozesse und seiner Theorie einer kritischen science of use Jamesons Forderungen nach einer sinnvollen künstlerischen Praxis im Zeitalter der Postmodeme entspricht, die sich nach dem Verlust von Autonomie und kritischer Distanz mit den gesellschaftlichen Prozessen beschäftigen soll. Desweiteren formuliert Lefebvre eine Idee von Kunst im öffentlichen Raum, auf

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H. Lefebvre: The Production ofSpace, S. 383. H. Lefebvre: Writings on Cities, S. 167. Vgl. K. Ross: "Lefebvre on the Situationists", in: October Nr.79, S. 74. H. Lefebvre: Writings on Cities, S. 173.

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die im Rahmen der Vorstellung des Projekts "Park Fiction" im fünften Kapitel noch einmal eingegangen wird. 37

3.2 Pierre Bourdieu Wie Lefebvre setzt sich auch der Soziologe Pierre Bourdieu (1932-2002) u.a. mit dem Begriff des Raums auseinander, und auch er diagnostiziert im Rahmen seiner Untersuchungen dabei die Relevanz des Raums und dessen Kontrolle als Herrschaftsinstrument Auch Bourdieu stützt sich auf die marxistische Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion innerhalb des Raums, die ihn u .a. zu der Entwicklung seines Habitus-Modells bringt. 38 Desweiteren überwindet er durch Einflihrung seiner Feld-Theorie und unterschiedlicher Kapitalbegriffe die auf ökonomische Aspekte reduzierte marxistische Theorie und entwickelt mit der Position des mit einem spezifischen kulturellen Kapital ausgestatteten Intellektuellen ein mögliches Bindeglied zwischen dem Feld der Macht und der davon isolierten Bevölkerung. Kapital stellt in diesem Zusammenhang flir Bourdieu unterschiedliche Formen akkumulierter Arbeit und eine Menge spezifischer Ressourcen dar, die die Position des Subjektes innerhalb eines spezifischen Feldes und auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auch die Position des jeweiligen Feldes in Bezug zum Feld der Macht bestimmt. Er geht diesbezüglich von der "tendenzielle(n) Dominanz des ökonomischen Feldes"39 aus, das dem Feld der Kultur und seinen mit kulturellem Kapital ausgestatteten Akteuren überlegen ist, und beschreibt die Intellektuellen entsprechend als beherrschte Herrschende. 40 In Bezug auf die später vorgestellten künstlerischen Projekte muß allerdings auch darauf hingewiesen, daß die eigenständige Logik des kulturellen Feldes und das kulturelle 37 Vgl. Kapitel4.3. 38 Im Rahmen dieses Modells entsteht nach Schwingel ein "habituelle[s] Dispositionssystem [das] Wahrnehmungs-, Denk und Handlungsschemata bereithält, welche zur Orientierung innerhalb der sozialen Welt und zur Hervorbringung angemessener Praktiken dienen [... ]." (Markus Schwingel: Bourdieu zur Einführung, Hamburg: Junius-Verlag 1995, S. 57). 39 Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und Klassen, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1991, S. 11. 40 Vgl. M. Schwingel: Bourdieu zur Einführung, S. 122. Vgl. Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 1998, S. 51.

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Kapital der Intellektuellen, insbesondere als institutionalisiertes bzw. symbolisches Kapital, für Bourdieu eine Möglichkeit zur Überwindung dieser Dominanz darstellen. 41 Sozialer und physischer Raum "Wie der physische Raum durch die wechselseitige Äußerlichkeit der Teile bestimmt ist, so ist es der soziale Raum durch die wechselseitige Ausschliessung (oder Distinktion) der ihn konstituierenden Positionen, das heißt als eine Struktur des Nebeneinanders von sozialen Positionen."42 Ähnlich wie Lefebvre entwickelt Bourdieu ein dialektisches Raummodell, wobei sich dessen Raumbegriffe allerdings an anderen Aspekten orientieren. Während Lefebvre Nutzungs- und Wahmehmungsarten von Raum unterscheidet, bezieht sich die von Bourdieu vorgenommene Klassifizierung von Raum auf eine Unterscheidung zwischen physischbaulichem und sozialem Raum der gesellschaftlichen Akteure und deren individuellen Dispositionen und Relationen zueinander. Wie auch bei Lefebvre stellt der Aspekt der Reproduktion spezifischer individueller Dispositionen bzw. des individuellen Habitus innerhalb des sozialen Raums flir Bourdieu die dominante Form gesellschaftlicher Entwicklung dar. Diese orientiert sich durch die Reproduktion des individuellen Habitus u.a. an den Vorgaben des physischen Raums, d.h. der gebaute städtische Raum bestimmt partiell seinen Gebrauch, seine Wahrnehmung und die räumliche Praxis der Individuen in ihm. 43 Andererseits stellt der physische Raum für Bourdieu eine bestimmte soziale Struktur in ihrem objektiviertem Zustand dar, d.h. es handelt sich bei städtischem Raum um einen von einer Gruppe mit spezifischer Kapitalstruktur angeeigneten Raum, die diesen ihren Wünschen, Ansprüchen und Möglichkeiten nach gestalten und dieses als öffentliches Interesse deklarieren.

41 Vgl. Kapitel4.3 .. 42 P. Bourdieu: "Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum", in: Wentz, S. 26. 43 Schwingel spricht diesbzgl. auch von einer "transformierende[n] Verinnerlichung der äußeren [...] materiellen und kulturellen Existenzbedingungen", die konstituiv für die Bildung des spezifischen Habitus ist (M. Schwingel: Bourdieu zur Einführung, S. 67).

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Im Kontext der Herrschaft über den Raum als privilegierte Form der Machtausübung kommt es für Bourdieu zu einem Kampf um sog. "Raumprofite".44 Durch den Besitz von spezifischem Kapital ist es dabei möglich, den augeeigneten Raum zu dominieren und dessen Art von Gebrauch sowie dessen potentielle Nutzergruppen zu kontrollieren. 45 Zur näheren Beschreibung der Raumprofite nennt Bourdieu sog. "Situationsrenditen",46 die sich durch eine Nähe zu begehrten Dingen oder Personen definieren, sowie "Okkupations- oder Raumbelegungsprofite",47 die durch den Besitz von Räumen u.a. das Eindringen unerwünschter Personen verhindem oder auch die unverbaute Aussicht auf die umgebende Landschaft ermöglichen. Auf gesellschaftlicher Ebene fuhren dieses Kämpfe nicht nur zu einer Kontrolle von Reproduktionsprozessen, sondem desweiteren auch zur Verdrängung unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen durch den exklusiven Gebrauch bestimmter Räume durch privilegierte Gruppen. 48 Die gesellschaftlichen Folgen einer solchen Raumpolitik bzw. der damit verbundenen Segregation von städtischem Raum bezeichnet Bourdieu als Klub- bzw. Ghetto-Effekt: "Der Ghetto-Effekt ist das genaue Gegenteil des Klub-Effekts: Während das Nobelviertel wie ein auf aktiven Ausschluß unerwünschter Personen beruhender Klub funktioniert und jeden seiner Bewohner symbolisch erhöht, indem es ihm erlaubt, am akkumulierten Kapital aller in ihm Wohnenden zu partizipieren [s.a. Situationsrendite, Anm. d. Verf.], degradiert das Ghetto symbolisch seine Bewohner, indem es in einer Art Reservat Akteure sammelt, die, aller Trümpfe ledig, deren es bedarf, um bei den diversen sozialen Spielen mitmachen zu können, nichts anderes gemeinsam haben als ihre gemeinsame Exkommunikation. "49 Im Zusammenhang mit dem Kampf um Räume bzw. deren Belegung und Kontrolle ist auch der von Bourdieu benutzte Begriff der symbolischen Schwelle relevant, der im zweiten Kapitel dieses Buches bereits als stadtplanerisches Instrument im Kontext der Ökonomie der Symbole 44 P. Bourdieu: "Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum", in: Wentz, S. 30. 45 Vgl. ebd., S. 30/31. 46 Ebd., S. 31. 47 Ebd. 48 Dieses läßt sich auch anhand der von mir in Kapitel 2.3 erörterten Effekte der Neuen Urbanität der Wachstumskoalition belegen. 49 Ebd., S. 32/33.

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erwähnt wurde. Da sich der individuelle Habitus u.a. durch die Wahrnehmung bzw. Inkorporation der Struktur des physischen Raums bildet, entsteht daraus gleichzeitig auch ein spezifischer Lebensstil oder Geschmack, der durch die alltägliche Wahrnehmung des physischen und sozialen Raums reproduziert wird. Aufgrund dieser Feststellungen ist es nach Bourdieu möglich, durch eine Gestaltung des physischen Raums mit spezifischen Symbolen, wie beispielsweise Kunst als stummes Gebot architektonischer Räume, bestimmten Bevölkerungsgruppen den Zugang zu erschweren. 5° Bourdieu bezeichnet den Prozeß der Exklusion mit Hilfe symbolischer Schwellen auch als "Naturalisierungseffekt"51 der durch das Einwirken auf den individuellen Habitus funktioniert und bei dem die symbolische Schwelle von entsprechenden Personen unbewußt als Grenze akzeptiert wird, und so über die potentiellen Nutzergruppen von augeeigneten Räume entscheidet. Problematisch ist in diesem Zusammenhang für Bourdieu die Tatsache, daß das relativ autonome Feld der Kulturproduktion bzw. die Gruppe der Intellektuellen aufgrund der Menge an vorhandenen kulturellem Kapital als kulturell-herrschende im privilegierten Feld der Macht positioniert ist. Dieses hat zur Folge, daß die künstlerische Praxis der Hochkultur im Rahmen einer klassenspezifischen Rezeption relativ exklusiv ist, d.h. daß sich Kunst im öffentlichen Raum meist an ein Publikum richtet, daß sich aus der Gruppe der Herrschenden rekrutiert. Gleichzeitig kann die Kunst aber darüberhinaus für andere Bevölkerungsschichten bzw. Teilöffentlichkeiteil durch ein spezifisches Formenrepertoire als symbolische Schwelle funktionieren. 52 Nach Bourdieus Theorie des Kampfes um Raumprofite ist es demzufolge möglich, Kunst im öffentlichen Raum unabhängig ihrer kunstfeldspezifischen Diskurse durch eine Instrumentalisierung seitens der Wachstumskoalition im Interesse der herrschenden öffentlichen Meinung als symbolische Schwelle zur Sicherung von Okkupationsrenditen einzusetzen. Kunst ist somit in der Lage, einen u.a. von Fraser geforderten Zugang zum innerstädtischen Raum als Ort der Repräsentation und Artiku-

50 Vgl. ebd., S. 28. Die Soziologin Löw spricht diesbezgl. auch von einem "Selbstausschluß von Habituspreferenzen" (Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2001, S.215). 51 Pierre Bourdieu: "Ortseffekte", in: Göschel/Kirchberg, S. 18. 52 Vgl. Markus Schwingel: "Kunst, Kultur und Kampf um Anerkennung", in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Band 22/Heft2 (1997), S. 144ff.

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lation für schwache, d.h. mit wenig Kapital ausgestattete, Teilöffentlichkeiten zu verhindem bzw. zu erschweren.

Die Intellektuellen als beherrschte Herrschende "Der Intellektuelle ist ein bi-dimensionales [Herv. d. Autors] Wesen. Um den Namen Intellektueller zu verdienen, muß ein Kulturproduzent zwei Voraussetzungen erfüllen: zum einen muß er einer intellektuell autonomen, d.h. von religiösen, politischen, ökonomischen usf. Mächten unabhängigen Welt (einem Feld) angehören und deren besondere Gesetze respektieren; zum anderen muß er in eine politische Aktion, die in jedem Fall außerhalb des intellektuellen Feldes in engerem Sinn stattfindet, seine spezifische Kompetenz und Autorität einbringen, die er innerhalb des intellektuellen Feldes erworben hat." 53 Für Bourdieu ist der Intellektuelle aufgrund seiner Qualifikationen und Kapitalressourcen eine wirksame Gegenmacht zur herrschenden Ideologie und ihrer Kontrolle über gesellschaftliche Reproduktionsmechanismen. Mit Hilfe der "reflexiven Soziologie"54 , bei der die Intellektuellen eine Homologie der Positionen mit der Klasse der Arbeiterschaft als Beherrschte erkennen und ihre "Komplizenschaft mit den herrschenden ökonomischen und politischen Mächten" 55 überwindet, strebt er die "Überflihrung der theoretisch-objektiven Klasse der Geistesarbeiter [... ] in eine politisch motivierte ,Klasse' von Intellektuellen"56 an. Dieses geschieht einerseits zum Wohl des Feldes, dessen Autonomie gewahrt werden soll, zum anderen verlangt Bourdieu aber auch das politischintervenierende Wirken der Intellektuellen zum Wohle der Allgemeinheit. "Die Arbeiter beispielsweise haben viel zu sagen, aber oft fehlen ihnen die Instrumente, die Mittel, es auszudrücken, zu explizieren. Und da liegt die hauptsächliche Aufgabe der Intellektuellen in diesem Verhältnis: bei der Explizitwerdung zu assistieren, Ausdruckshilfen zu geben. [... ] Wirklich politische Arbeit würde zur Voraussetzung haben, daß man in der Lage ist zuzuhören, abzuwarten, still zu sein, zuzugucken, Fragen zu stellen, ohne jedoch dem eigenen Wissen abzuschwören. Man müßte sagen: Ich bin hier, um Fragen zu

53 Pierre Bourdieu: "Der Korporativismus des Universellen", in: Irene Dölling (Hg.), Pierre Bourdieu- Die Intellektuellen und die Macht, Hamburg: VSA Verlag 1991, S. 41. 54 Irene Dölling: "Vorwort", in: Dölling, S. 10. 55 Ebd., S. 9. 56 M. Schwingel: Bourdieu zur Einführung, S. 137.

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stellen, um Verbindungen zwischen den Antworten zu ziehen, um Interpretationen anzubieten[ ...]. Das ist politische Arbeit."57

Unter Bezug auf die marxistische Tradition versteht Bourdieu die Gruppe der Intellektuellen insofern als "von außen herangetragenes Bewußtsein",58 die sich entsprechend ihrer Möglichkeiten und ihrer spezifischen Kapitalressourcen mit der beherrschten Klasse solidarisieren soll, um deren Interessen mit ihrem kulturellen Kapital zu unterstützen. Vonaussetzung für politische Aktionen bzw. Interventionen ist es für Bourdieu, daß das Feld der Intellektuellen seinen autonomen Status und damit einhergehende Werte wie "moralische Kraft, Interesselosigkeit, Uneigennützigkeit, Kompetenz usf."59 betont. Diese Autonomie, die sich auch mit Jamesons Begriff der Kritischen Distanz vergleichen läßt, soll sich, u.a. in Form einer von Bourdieu geforderten Internationale der Intellektuellen, als kritische Instanz mit der Analyse politischer und gesellschaftlicher Prozesse und dem Etablieren ",gewaltfreier Diskurse"',60 im Sinne einer allen Gruppen offenstehenden Auseinandersetzung über gesellschaftliche Sachverhalte61 beschäftigen Ähnlich den von Jameson und Lefebvre entwickelten Begrifflichkeiten des cognitive mappings bzw. der Science of use und entsprechenden Aufgaben der Intellektuellen bzw. Kulturarbeiter, hat der Intellektuelle auch im Rahmen der von Bourdieu entwickelten Habitus- und Raummodelle somit eine aufklärerisch-politische Funktion; Auch ihm geht es um eine Positionierung der Intellektuellen auf Seiten der Bevölkerung sowie dem Vermitteln von Wissen und Begrifflichkeiten, die ein Erkennen und Überwinden bestehender gesellschaftlicher Mechanismen ermöglichen können. 62 57 Piene Bourdieu/Jeanne Pachnicke : "ich bin dazu da, die intellektuellen nicht in Ruhe zu lassen", in: Dölling, S. 17/22. 58 P. Bourdieu: Sozialer Raum und Klassen, S. 31. 59 P. Bourdieu: "Der Korporativismus des Universellen", in: Dölling, S. 41. 60 1. Dölling: "Vorwort", in: Dölling, S. 10. 61 Vgl. P. Bourdieu: "Der Korporativismus des Universellen", in: Dölling, S. 58ff. 62 Vgl. Bourdieu, 1991, S.18/19 Bezüglich des Habitus als Wahrnehmungs und Handlungsmuster betont Bourdieu, daß dieser zwar als sog. "2. Natur" (Bourdieu: "Rede und Antwort", zitiert nach: Schwingel, S.62) funktioniert und somit die wahrgenommene Realität auf physischer und sozialer Ebene verinnerlicht und reproduziert, es aber durchaus Möglichkeiten zur

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Wie auch bei Lefebvres Forderung nach der Schaffung eines kritischen Bewußtseins bezüglich gesellschaftlicher Prozesse, betont auch Bourdieu die Notwendigkeit einer Vermittlung von Wissen über die herrschenden Mechanismen, da nur so eine Veränderung von Strukturprinzipien, Wahrnehmungsmustern und der eigenen sozialen Position innerhalb der Gesellschaft erreicht werden kann. Damit es nach Bourdieu auf breiter gesellschaftlicher Ebene zu einer oppositionellen Bewegung kommen kann, reicht die Information über bestimmte gesellschaftliche Prozesse allerdings nicht aus, seiner Meinung nach ist daneben auch ein spezifisches Kapital notwendig, daß den Zugang zum Feld der symbolischen Kämpfe und der politischen Äusserungen ermöglicht. In diesem Zusammenhang stellt flir Bourdieu die politische Macht der Benennung ein wichtiges symbolisches Kapital für der Wahrnehmung und Konstruktion der sozialen Welt dar. Er erwähnt desweiteren die Relevanz der Möglichkeit zur Repräsentationsarbeit, d.h. zur Präsenz innerhalb der öffentlichen bzw. herrschenden Meinung, als einen integralen Bestandteil flir die Identität und die sozialen Stellung der jeweiligen Gruppe. 63 Ähnlich Frasers Theorie der verschiedenen Teilöffentlichkeiten und den unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zum herrschenden Diskurs, stellt die Klasse der Beherrschten für Bourdieu eine Teilöffentlichkeit dar, die nicht über das nötige symbolische Kapital verfügt, um die für sie und ihre Situation relevanten Diskurse bzw. Benennungen zu entwickeln. Daneben verfügt sie aufgrund der pennanenten Reproduktion der spezifischen Kapitalstrukturen nicht über das entsprechende Kapital, das einen Zugang zur herrschenden Meinung ermöglicht. Homolog zu den Positionen von Jameson und Lefebvre bezüglich der Rolle des Intellektuellen bzw. des Kulturproduzenten, setzt sich daher auch Bourdieu dafür ein, daß dieser aus einer kritischen Distanz heraus der Allgemeinheit sein Wissen und sein spezifisches Kapital zur Verfügung stellt. Das Ziel ist dabei, neben der Entwicklung eines kritischen Bewußtseins auch der Zugang zum Feld der Macht, als auch die Überwindung der tendenziellen Dominanz des ökonomischen Kapitals zugunsten einer demokratischeren Gesellschaftsform. Bourdieu nennt in Überwindung dieses deterministischen Modells gibt. Er beschreibt den Determinismus diesbezüglich als schwer kontraHierbare "erste Neigung des Habitus", (Bourdieu/Wacquant, zitiert nach: Löw, S.l87), die allerdings durch Reflexion überwunden werden kann. 63 Vgl. Bourdieu: Sozialer Raum und Klassen, S. 18/19.

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diesem Zusammenhang den Kulturarbeiter, der sich im Rahmen seiner Fähigkeiten und Kapitalressourcen ftir die Belange der Allgemeinheit einsetzt, und es werden im vierten Kapitel verschiedene Beispiele künstlerischer Praxis im öffentlichen Raum erörtert, die sich mit den Möglichkeiten eines solchen Kapitaltransfers auseinandersetzen. 64

3.3 Die Situationistische Internationale

Die Situationistische Internationale (S.l.) unter der Leitung Guy Debords ist ein Zusammenschluß verschiedener europäischer Künstler und Theoretiker und entstand aus der sog. Lettrisehen Internationale. Sie wurde 1957 gegründet und setzt sich bis zu ihrem Ende 1972 aus verschiedenen Mitgliedern, wie u.a. dem Künstler Asgar Jorn und dem Architekten Constant, zusammen. Die S.l. versteht sich weniger als klassische Künstlergruppe, vielmehr geht es im Rahmen ihrer Arbeit um eine soziologisch-fundierte Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen, sowie darüberhinaus auch um eine Suche nach Möglichkeiten und Praxisformen zur Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Zum Erreichen ihrer Ziele setzen sich die Mitglieder der S.I. in ihren Schriften und Aktionen u.a. mit den Bereichen Alltagswelt und Stadtentwicklung auseinander und versuchen, die kreativen Potentiale kultureller Produktion in den Alltag der Bevölkerung zu übertragen und mit deren Unterstützung und Kreativität die Gesellschaft zu revolutionieren. Ausgangspunkt ist dabei die Schrift Debords zur Gesellschaft des Spektakels und seine Thesen zum Spektakel als konkrete Verkehrung des Lebens und eine ins materielle übertragene Weltanschauung der herrschenden Ideologie des Kapitalismus. Als Ergebnis des ökonomischen Prinzips der Warenwirtschaft und seiner Ausdehnung auf alle Lebensbereiche sind die Individuen nach Ansicht der S.l. voneinander isoliert, von ihrem eigentlichen Leben entfremdet und innerhalb der herrschenden Bilder des Spektakels in ihren Wünschen und Vorstellungen gefangen. Homolog zur Position Lefebvres kritisiert die S.I. auf städtischer Ebene diebezüglich den herrschenden Urbanismus als menschenfeindliche Regierungstechnik:

64 Vgl. Kapitel4.3.

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"This society, with its new towns, is building the sites that accurately represent it, combining the conditions most suitable for its proper functioning, while at the same time translating into spatial terms, in the clear language of the organization of everyday life, its fundamental principle of alienation and constraint. "65 Wie auch Lefebvres utopische Idee einer Urbanität, die sich durch soziale Aspekte der Differenz und Interaktion definiert, setzt sich die S.l. für eine Überwindung des herrschenden Urbanismus zugunsten einer urbanen Praxis der Subjekte ein. Ihr erklärtes Ziel ist dabei die Schaffung von Situationen, die "die Momente äußerster Forcierung von Subjektivität (,das Erlebte'), der Verbindung zu anderen (Kommunikation in , wirklicher Anwesenheit'), der neuen Zeitlichkeit (blitzartig gelingender Moment), der Geste (des nicht-sprachlichen Verhaltens in Reaktion auf andere) und des Spiels"66 verbinden. Die Situation wird von der S.l. auch als der "Aufbau einer vorübergehenden Mirkoumgebung und eines Satzes von Ereignissen für einen einzigen Moment im Leben einiger Personen"67 definiert. Sie entwickeln in diesem Zusammenhang unter dem Begriff des Unitären Urbanismui8 diverse Strategien und Gestaltungsvorschläge einer neuen baulichen Umwelt zur Konstruktion von Situationen und einer individuellen Aneignung von städtischem Raum. Desweiteren entstehen durch das Zusammenbringen von Theorie und Praxis spezifische Methoden zur individuellen Aneignung und Erfahrung von städtischem Raum, die von der S.l. auch als Psychogeographie bezeichnet werden und Lefebvres Ideen der Produktion von differentiellen Raums konkretisieren.

65 Internationale Situationiste Nr. 6, 1961: Editorial Notes: "Critique ofUrbanism", in: October Nr.79 (1997), S. 113. 66 Maitin Reuter: "Phantastisch leben mit Ästhetik und Politik", in: Wolfgang Dreßen (Hg.), Nilpferde des höllischen Urwalds: Situationistische Internationale, Gruppe SPUR, Korrunune I, Gießen: Werkbund Archiv Bd.24, Anabas-Verlag 1991, S. 27. 67 Situationistische Internationale 1958-1969, Bd I, Hamburg, 1977, S.72, zitiert nach: M. Reuter: "Phantastisch leben mit Ästhetik und Politik", in: Dreßen, S. 27. 68 Der Begriff des "unitären Urbanismus" wurde in den 50er Jahren von der Lettristischen Internationale geprägt, einer Vereinigung von Künstlern und Theoretikern, die später teilweise in der S.I. aktiv waren und weiterhin mit diesem Begriff arbeiteten.

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Constant und der unitäre Urbanismus

"Until it merges with a general revolutionary praxis, urbanism is necessarily the first enemy of of all possibilities for urban life in our time"69 Für die Situationisten funktionieren die durch den Urbanismus formulierten Ziele von Zufriedenheit, Komfort und einem einheitlichrationalisierten Stadtbild zum Wohle der Bevölkerung lediglich als Instrument zur Vertuschung der wahren gesellschaftlichen Zustände bzw. der Herrschaft des Spektakels und seinen profitorientierten, menschenfeindlichen Zielen. Damit eine neue, den Vorstellungen der S.I. entsprechende, Gesellschaft entstehen kann, ist es notwendig, zu einer neuen Art von Stadtentwicklung und neuen baulichen Formen zu gelangen, die sich an sozialen Aspekten und den wahren Wünschen der Bevölkerung zu orientieren hat und als unitärer Urbanismus bezeichnet wird. Diesbezüglich haben der öffentlich-urbane Raum und die Architektur flir die S.l. eine ähnlich wichtige Bedeutung bei der Produktion bzw. Reproduktion der gesellschaftlichen Zustände, wie auch bei den von Lefebvre und Bourdieu entwickelten Raumtheorien. Im Bereich der Architektur ist dabei besonders die Position des Situationistischen Architekten Constant relevant, für den Architektur "das einfachste Mittel [ist], Zeit und Raum ineinanderzufügen, die Wirklichkeit zu modulieren, träumen zu lassen ... Es wird Räume geben, die einen besser träumen lassen als Drogen, und Häuser, in denen man nur lieben kann."70 Die von Constant entwickelten Modelle einer neuen Stadt entsprechen einem Funktionalismus, der sich an den sozialen Aspekten menschlichen Zusammenlebens orientiert. Die von ihm entworfenen Städte sind in ihrer jeweiligen Größe variabel, sie bestehen aus mehreren Ebenen, die klar zwischen dem Bereich Transport und Verkehr und dem Bereich eines neuen öffentlichen Lebens der Interaktion und des Erlebnisses getrennt sind. Constants Entwürfe sind auch für Lefebvres Forderungen nach einer Aneignung von städtischem Raum im Kontext von urbaner Praxis und 69 Internationale Situationiste Nr. 6, 1961: Editorial Notes: "Critique of Urbanism", in: OctoberNr.79 (1997), S.113. 70 Situationistische Internationale 1958-1969, Bd I, Hamburg, 1977, S.21 /24; zitiert nach: M. Reuter: "Phantastisch leben mit Ästhetik und Politik", in: Dreßen, S. 28.

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der Nutzung des schöpferischen Überschusses durch den Prozeß der Verstädterung relevant. Er bezieht sich diesbezüglich auf Constants Text von 1953 "Pour une architecture de situation" und dessen Stadtmodell New Babylon, das sich durch die Schaffung wechselnder Zonen des Spiels und der Interaktion den Raumwünschen der Nutzer anpasse 1 und somit Lefebvres Forderungen nach einer alltäglichenfeie und der Schaffung von Momenten entspricht. Im Rahmen von Constants Planungen ist desweiteren erwähnenswert, daß dessen Forderungen nach einer von professionellen Situationisten produzierten Vielfalt von Sensationen72 den bereits erwähnten Erlebnisräumen im Kontext der Neuen Urbanität entsprechen. Während Constant jedoch bei seiner Idee des Raums von einem Moment der Integration in eine heterogene Öffentlichkeit ausgeht, funktionieren die heutigen, von der Wachstumskoaltion produzierten, kommerziellen Erlebnisräume und Situationen dagegen zur Befriedigung der von Schulze diagnostizierten erlebnisrationalen Nachfrage privilegierter Teilöffentlichkeiten nach der Logik des Spektakels, das es flir die S.l. gerade zu überwinden gilt. Situationistischer Raum "Situationist ,experimental behaviour', their practice of ,inhabiting', were operations in dominated space meant to contest the retreat of the directly lived into the realm of representation3 and thereby to contest the organization of the society of the spectacle itself. ,a Neben der Theorie des unitären Urbanismus zur Überwindung der herrschenden Urbanität hat die Gruppe der S.l. auch verschiedene Methoden einer subjektiven Aneignung des bestehenden städtischen Raums entwickelt. Der Kritiker McDonough beschreibt diesen Akt der Aneignung unter Bezug auf die Raumtheorie Lefebvres auch als Produktion von Situationist Space, also eines Situationistischen Raums, der, wie Lefebvres Idee eines differentiellen Raums, der Homogenisierung durch den abstrakten Raum entgegenläuft.

71 Vgl. E. Kofman/E. Lebas: "Lost in Transportation", in: Lefebvre, 1996, S. 12. 72 Vgl. Constant: "A Different City foraDifferent Life", in: October Nr.79 (1997), S. 111/112. 73 Thomas F. McDonough: "Situationist Space", in: October Nr. 67 (1994), S. 70.

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"But abstract space is riddled with contradictions; most importantly, it not only conceals difference, its acts of division and exclusion are productive of difference. Distinctions and differences are not eradicated, they are only hidden in the homogeneaus space ofthe Plan [Herv. d. Autors]."74 Als Beispiel für die von den Situationisten entwickelten Ideen zur Überwindung der herrschenden Raumvorstellungen und einer neuen Form der subjektiven Kartographierung, die auch als Psychogeographie bezeichnet werden, nennt McDonough einen 1957 von Debord entwikkelten Stadtplan von Paris mit dem Namen "The Naked City". In ihm befinden sich 19 aus einem Pariser Stadtplan ausgeschnittene Sektionen, die untereinander mit Pfeilen verbunden sind. Sie verweisen auf die spontanen Bewegungen des Menschen und widersetzen sich den universelllesbaren Vorgaben eines normalen Stadtplans. Die Einführung eines subjektiv-narrativen Elements in das Konzept des Plans stellt dabei für die Situationisten eine Überwindung der Einschränkungen durch die universelle Karte dar, bei der sich der Mensch, ähnlich einer Lokomotive, auf vorgegebenen Schienen und auf dem kürzesten Weg durch den städtischen Raum bewegt. 75 Unter Bezug auf Lefebvre können diese Karten auch als Versuch verstanden werden, von der dominanten Vorstellung städtischen Raums als Repräsentation von Raum und seiner Darstellbarkeit durch universelle Karten zu einem direkt erlebbaren Raumbegriff einer urbanen Praxis zu gelangen. Für die S.l. stellt das freie Bewegen durch die Stadt nach McDonough eine Möglichkeit dar, die Brüche und Prozesse der Fragmentierung des abstrakten Raums, die Lefebvre auch als "disintegrating integration"76 beschreibt, aufzudecken. Die Situationisten benennen die ziellose Technik des Umherschweifens als derive oder sog. pededestrian speech act, der im Kontext der Aneignung und Transformation von abstrakten in differentiellen Raum eine politisch motivierte urbane Praxis zur Re-Etablierung subjektiver Wahrnehmung von städtischen Raum darstellt. 77 Der von Debord attestierte Zustand der Entfremdung des Individuums innerhalb der Gesellschaft des Spektakels äußert sich McDonoughs 74 75 76 77

74

Ebd., S. 65. Vgl. ebd., S. 60. H. Lefebvre: Writings on Cities, S. 145. Vgl. T. McDonough: "Situationist Space", in: October Nr.67 (1994), S. 75.

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Meinung nach u.a. als räumliche Konfusion innerhalb des nach profitorientierten Vorgaben entwickelten fragmentierten städtischen Raums. 78 Er wird von ihm mit Jamesons Begriff des "neuartigen Welt-Raums des multinationalen Kapitals" 79 verglichen, innerhalb dessen Totalität eine Verortung des Subjekts nur noch schwer möglich ist. Jameson verlangt dabei nach einer gesellschaftlichen Kartographie bzw. einer neuen Art der Repräsentation von Raum, denn "nur so wäre eine neue Handlungs und Kampfesfähigkeit zu gewinnen, die zur Zeit in der herrschenden räumlichen wie gesellschaftlichen Konfusion neutralisiert worden ist. " 80 Neben dem Aufzeigen vorhandener Parallelen zwischen den Theorien der S.I. und denen Lefebvres, betont McDonough desweiteren die Verbindung zwischen der von der S.l. entwickelten Technik des derive und Jamesons Begriff des cognitive mappings; und aufgrund eines auf beiden Seiten bestehenden marxistischen Hintergrundes und den politisch motivierten Ideen der S.I. kommt er diesbezüglich zu dem Ergebnis, daß die Strategie der Psychogeographie bzw. des derive ein Beispiel einer nach Jameson sinnvollen postmodernen kulturellen Praxis der Individuen darstellt. 81

78 79 80 81

Vgl. ebd., S. 69. F. Jameson: "Postmoderne" in: Huyssen/Scherpe, S. 100. Ebd. Vgl. T. McDonough: "Situationist Space", in: October Nr. 67 (1994), S. 68/69.

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4. KUNST TM ÖFFENTLICHEN RAUM Bevor innerhalb dieses Kapitels die spezifischen Problematiken, Diskurse und Ansätze aktueller künstlerischer Produktion im öffentlichen Aussenraum erläutert werden, beginnt dieser Abschnitt mit einem Abriß der geschichtlichen Entwicklung seit den 50er Jahren, bezogen auf den deutschen und nordamerikanischen Raum. Zur übersichtlichen Gliederung wird einleitend die von der Kunstkritikerirr Kwon aufgestellte Unterscheidung dreier sukzessiv entstandener Paradigmen bezüglich der Kunst im öffentlichen Raum 1 als Grundlage vorgestellt, bevor dann näher auf die Ausstellung "Aussendienst" eingegangen wird, die sich einer solch linearen Entwicklung bewußt widersetzt. Innhalb des folgenden Teils werden dann unter dem Titel "Zum Begriff der Ortsspezifität" aktuelle Positionen künstlerischer Praxis im öffentlichen und institutionellen Raum präsentiert, die mit verschiedenen ortsspezifischen Ansätzen arbeiten und zu entsprechend unterschiedlichen Resultaten kommen. Im dritten Teil dieses Abschnitts werden dann abschließend mit "Shipped Ships", "Wochenklausur" und "Park Fiction" drei partizipativ oder interventionistisch angelegte Projekte im öffentlichen Raum näher erläutert.

4.1 Geschichtlicher Abriß Kunst in öffentlichen Räumen Bezüglich der von Kwon vorgenommenen Unterscheidung der einzelnen Entwicklungsphasen des Diskurses zum Thema Kunst im öffentlichen Raum, definiert sie das erste Paradigma als art-in-public-places2 und beschreibt damit das Aufstellen modernistischer, abstrakter Skulpturen, oft

2

Vgl. Miwon Kwon: One place after another: site specific art and locational identity, Cambridge/MA, London: MIT Press 2002, S. 60. Vgl. ebd.

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auch vergrößerte Kopien der in Museen oder Galerien präsentierten Originale, im öffentlichen Raum. Der Begriff der Öffentlichkeit bezieht sich dabei lediglich auf den nichtinstitutionellen Standort und der Möglichkeit des freien Zugangs zum jeweiligen Werk. Für Kwon hat dieses Paradigma von der Mitte der 60er bis zur Mitte der 70er Jahre bestand, und sie bezieht sich dabei auch auf entsprechende Förderrichtlinien der staatlichen Einrichtungen in den USA wie dem National Endowment for the Arts (NEA) und der General Service Administration (GSA). 3 Die Entwicklung in der BRD unterscheidet sich in Folge der spezifischen Situation nach dem Ende des 2. Weltkriegs zu der in den USA, da der Kultur- bzw. Kunstbereich zunächst keinen großen Stellenwert innerhalb staatlicher Förderprogramme hat und in Anbetracht der zerstörten Städte als "unzeitgemäßer Luxus"4 gilt. Aufgrund der Notlage der bildenden Künstler entschließt sich der Staat jedoch 1950 durch das "Kunst am Bau"-Programm Künstler zu unterstützen. Das entsprechende Förderprogramm sieht, ähnlich wie das amerikanische Modell, das Miteinbeziehen von Künstlern bei staatlichen Neubauten vor, indem es vorschreibt, das bei zivilen Baumaßnahmen des Bundes bis zu 2% der Bausumme für Kunst ausgegeben werden sollen. Desweiteren werden auch Aufträge an Künstler für Freiskulpturen im Außenraum vergeben, die als Verschönerung der modernistischen Architektur oder, in Form von Denk- und Mahnmalen, als pädagogische Maßnahme der Erinnerung und der ästhetischen Erziehung der Bevölkerung funktionieren sollen. Problematisch sind in diesem Zusammenhang die Auswahlkriterien bzw. unqualifizierte Auswahljurys, bestehend aus Kommunalpolitkern und Architekten, die dem Bildungsauftrag des Staates und einer angestrebten Konfrontation der Bevölkerung mit relevanter Kunst entgegen läuft; entsprechend gilt das Programm retrospektiv auch

3 Während das NEA bis 1974 ein spezifisches Art-in-Public-Places Programm betrieb, sorgte ein Programm der GSA seit 1963 dafür, daß zwischen 0,5-1% der Kosten staatlicher Neubauten für Kunst, u.a. in Form von Wandmalereien oder Skulpturen ausgegeben werden sollte (vgl. ebd. S.180). 4 Beate Mielsch: "Die historischen Hintergründe der ,Kunst-am-Bau' Regelung" in: Volker Plagemann (Hg.), Kunst im öffentlichen Raum: Anstöße der 80er Jahre, Köln: DuMont-Verlag 1989, S. 39.

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hauptsächlich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für regionale Künstler.5 Im Rahmen eines staatlichen Bildungsauftrags kommt es seit den 50er Jahren daneben auch zu unterschiedlichen Ausstellungen im öffentlichen Raum, wobei der öffentliche Außenraum, in den meisten Fällen ein Park, als erweiterter Ausstellungsraum des Museums funktioniert. Im Rahmen von Ausstellungen wie "Plastik im Freien" (1953) werden Kunstwerke ausgestellt, die wegen ihrer modernistischen Ideologie als autonome und kontextlose Arbeiten innerhalb des öffentlichen Raums ähnlich museal wie innerhalb der Institutionen präsentiert werden. Aufgrund eines von Plagemann diagnostizierten Nachholbedarfs an Kunst nach dem Ende des Nationalsozialismus, herrscht bezüglich Ausstellungen im öffentlichen Raum eine große Nachfrage, desweiteren funktioniert der Park aufgrund seines öffentlichen Charakters und der Möglichkeit einer beiläufigen Rezeption als idealer Präsentationsort großer Plastiken. 6 Während sich die Kunst am Bau anfangs häufig den Vorgaben der Architektur unterzuordnen hat und aufgrund ihres eher dekorativen Charakters oft auf bloßes Kunsthandwerk reduziert wird, kommt es nach Mielsch im Laufe der 50er Jahre zu einer zunehmenden Emanzipation der Kunst. Aufgrund ihres abstrakten Formenvokabulars, das den "Anspruch der westlichen Demokratien auf geistige Freiheit"7 betont, kommt es in Deutschland, auch aufgrund seiner geographischen Nähe zu den sozialistischen und kommunistischen Staaten, zu einem verstärkten Aufstellen von Skulpturen im öffentlichen Raum. Desweiteren erhofft man sich sowohl in Deutschland als auch in den USA, durch die Kunst eine Verschönerung der zunehmend eintönigeren Architektur der durchrationalisierten Stadt zu erreichen, doch dieser Versuch der Kompensation ist nach Grasskamp, auch aufgrund der oft mediokren Kunst, allerdings zum Scheitern verurteilt:

5 Mielsch schreibt diesbezgl.: "Der Anspruch auf besonders ,hochrangige' künstlerische Qualität mußte, von Ausnahmefällen abgesehen, im Bermudadreieck zwischen bemühter Verwaltung, regionaler Architektur und regionaler Kunst untergehen." (ebd., S. 41). 6 Vgl. Volker Plagemann: "Kunst außerhalb der Museen", in: Plagemann, S. 14. 7 B. Mielsch: "Die historischen Hintergründe der ,Kunst-am-Bau' Regelung", in: Plagemann, S. 42.

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"Denn die um sich greifende Abstraktion setzte die Bildhauerei in eine oft rein formale Korrespondenz mit Gebäuden und Plätzen, deren aggressive Funktionalität und nüchterne Gestaltung sie weder kompensieren noch erhöhen konnte: Abstraktion in der Bildhauerei und eine auf Wirtschaftlichkeit reduzierte Funktionalität in der Architektur formten oft keinen visuellen Zweiklang, sondern dokumentierten eine Beziehungslosigkeit, die auch die urbanen Situationen in Mitleidenschaft zog, die sie eigentlich artikulieren helfen sollten."8 Grasskamp diagnostiziert einen "narrativen Bedeutungsverlust von Architektur und Außenplastik",9 d.h. daß weder Gebäude noch Kunst mangels figurativer Formen flir den normalen Nutzer dechiffrierbar sind. Dieser Verlust der Narration äußert sich in der Ablehnung von moderner bzw. abstrakter Kunst im öffentlichen Raum auf Seiten der größtenteils ungeschulten Bevölkerung und dem damit verbundenen Rückzug der Kunst in die Institutionen. 10 Kwon diagnostiziert flir die USA im Laufe der 70er Jahre eine ähnlich zunehmende Ablehnung gegenüber dem Aufstellen von Skulpturen und mit dem Begriff Drop-Sculpture entwickelt sich diesbezüglich ein Begriff zur Beschreibung der Kontextlosigkeit modernistisch-abstrakter Kunst im öffentlichen Raum. Der Begriff funktioniert diesbezüglich seit den 70er Jahren als Bezeichung flir eine überholte bzw. unreflektierte künstlerische Praxis, da die autonome Skulptur den veränderten Ansprüchen und Vorstellungen einer Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum nicht mehr entspricht. 11 8

Walter Grasskamp: "Kunst in der Stadt", in: Florian Matzner (Hg.), Public Art: Kunst im öffentlichen Raum, Ostfildem: Hatje-Cantz Verlag 2001, S. 507. 9 Walter Grasskamp: "Kunst und Stadt", in: Klaus BuBmann/Kasper König/Florian Matzner (Hg.), Skulptur. Projekte in Münster 1997, Stuttgart: Verlag Gerd Hatje 1997, S. 10. 10 Für Grasskamp stellen die geäusserten Vorwürfe an die Kunst einen Stellvertreterkrieg dar, da sich der Unmut der Bewohner eigentlich gegen die rationalisierte Stadtgestaltung richtet, die aber als gegeben akzeptiert wird und man stattdessen die abstrakte und funktionslose Kunst als Schuldigen angreift und von den Künstlern eine kompensatorische Kunst verlangt (vgl. Walter Grasskamp: "Invasion aus dem Atelier. Kunst als Störfall", in: Walter Grasskamp (Hg.) Unerwünschte Monumente: Modeme Kunst im Stadtraum, München: Verlag Silke Schreiber 1989, S. 145); ein Beispiel hierfür ist auch die Skulptur "Tilted Are", auf die ich in Kapitel 4.2 näher eingehen werde. II Kwon nennt als Bsp. für sog. Drop Sculptures u.a Arbeiten von Moore oder Calder (vgl. M. Kwon: One place after another, S. 60).

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Kunst als öffentlicher Raum "Many critics and artists argued that autonomaus signature-style art works sited in public places functioned more like extensions of the museum, advertising individual artitsts and their accomplishments [... ] rather than making any genuine gestures towards public engagement. It was further argued that [ ... ] the prevalent style of modemist abstraction remained indecipherable, uninteresting, and meaningless to a general audience. [... ] One of the key solutions to these interconnected problems of public art's public relations and its ineffectual influence on the urban environment was the adoption of sitespecific principles for public art.'d 2

Aufgrund einer Weiterentwicklung der künstlerischen Diskurse kommt es in den 70er Jahren sowohl in den USA als auch in der BRD zu einem Paradigmenwechsel bezüglich der Kunst im öffentlichen Raum. Zum einen wächst bei den Verantwortlichen die Erkenntnis, daß das Aufstellen autonomer Skulpturen im öffentlichen Raum den Zielen einer angestrebten Verschönerung der Stadt nicht gerecht wird, darüberhinaus funktionieren solche Arbeiten auch nicht zur ästhetischen Erziehung der Bevölkerung, da es ohne die Vermittlung näherer Informationen nicht möglich ist, die abstrakte Kunst zu verstehen. Mit Minimal-, Land- und Concept-Art entstehen neue künstlerische Diskurse jenseits des modernistischen Kunstverständnisses, und mit der Entwicklung der Theorie einer Ortsspezifztät (site-specifity) kommt es zur Überwindung der Kontext- bzw. Ortlosigkeit modernistischer Kunst. Ortsspezifisch arbeitende Künstler sind dementsprechend bemüht, den umgebenden Ort und dessen Besonderheiten bei der Konstitution des Werkes miteinzubeziehen, um zu einer neuen Erfahrbarkeit von Werk und Ort zu gelangen: "In the minds of those intimately engaged with the public art industry at the time [ ... ] establishing a direct fonnal link between the material configuration of the art work and the existing physical conditions of the site [ ... ] seemed like a very good idea. Such an approach was advocated as an important step toward making art works more accessible and socially responsible, that is, more public." 13

In diesem Zusammenhang kommt es 1974 auch zu einer Veränderung der Richtlinien des Förderprogramms des NEA für Kunst im öffentli12 Ebd., S. 65. 13 Ebd., S. 66.

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chen Raum, die sich den Vorgaben des physischen Ortes möglichst integrativ anpassen soll/ 4 was auch der Forderung Grasskamps entspricht, der Stadt mit Hilfe von Kunst ihren narrativen bzw. erlebbaren Charakter zurück zu geben. 1977 wird innerhalb der Förderrichtlinien des Programms der Liveahle Cities der NEA mit der eingeforderten Berücksichtigung sozialer und kommunikativer Aspekte ein weiterer Aspekt für Kunst im öffentlichen Raum relevant, den Kwon als zweites Paradigma und "Kunst als öffentlicher Raum" (art as public spaces) bezeichnet. 15 Ziel dieser Neuorientierung, die u.a. durch die von Allan Kaprow entwickelte Idee des partizipatorischen Happenings Aufnahme in den Kunstdiskurs findet, ist neben der ästhetischen Erfahrung des Ortes auch eine allgemeine Erhöhung der Lebensqualität der Bewohner, indem eine künstlerische Praxis, die den Betrachter in das Werk integriert, die Schaffung kommunikativer Orte unterstützt. 16 Im Rahmen dieser konsensfähigen Kunst im öffentlichen Raum entwickelt sich gegen Ende der 70er Jahre mit Künstlern wie Scott Burton oder Siah Arrnanjani künstlerische Positionen, die in gleichberechtigter Kooperation mit den Stadtentwicklern die Gestaltung öffentlicher Plätze übernehmen. Ziel dieser künstlerischen Praxis der sog. New Public Art (NPA) 17 ist dabei weniger das vom Künstler geschaffene Werk oder das nachträgliche Hinzufügen von Kunst zum Gebäude bzw. Ort, sondern das direkte Einbringen künstlerischer Ideen in Prozesse der Stadtentwicklung und das Initiieren kommunikativer Prozesse zwischen Benutzern bzw. Anwohnern. Auch in Deutschland kommt es nach Büttner im Laufe der 70er Jahre zu einem Paradigmenwechsel im Bereich der Kunst im öffentlichen Raum. 18 Diese programmatischen Veränderungen stehen für sie zum einen im direkten Zusammenhang mit einem veränderten bzw. erweiterten

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Vgl. ebd., S. 65. Vgl. ebd., S. 60. Vgl. ebd., S. 181. Vgl. Kapitel4.2. Vgl. Claudia Büttner: Art goes public: von der Gruppenausstellung im Freien zum Projekt im nicht-institutionellen Raum, München: Verlag Silke Schreiber 1997, S. 141.

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Kulturbegriff, als auch der Rezeption kritischer Thesen zum Zerfall der Öffentlichkeit und des städtischen Lebensraums. 19 Auch von Seiten der Künstler wächst diesbezüglich die Kritik an den bestehenden Richtlinien des Kunst-am-Bau-Programms, an den geringen Möglichkeiten der Einflußnahme und an der Qualität der Arbeiten, so daß es 1973 in Bremen mit dem "Kunst im öffentlichen Raum"Programm zu einer neuen Art der staatlichen Förderung von Kunst kommt, deren Ziel es ist Ziel die aktuellen Entwicklungen bezüglich Ortsspezifität und einer partizipativen künstlerischen Praxis zu berücksichtigen und zu unterstützen. Unter Berücksichtigung des spezifischen Aspektes des Alltags und der kommunalen Soziokultur soll Kunst im öffentlichen Raum jenseits einer exklusiven Hochkultur-Klientel gesamtgesellschaftliche Bedeutung erlangen. Unter dem Motto "Kunst für alle" werden dem Kulturbereich diesbezüglich pädagogische und politische Aufgaben übertragen in deren Rahmen es zur Durchfl.ihrung partizipatorisch-pädagogischer Projekte wie Performance-Festivals, der Bemalung von Häuserwänden zur Schaffung einer Identifikation mit dem städtischen Lebensraum und der Einrichtung von Künstler-Werkstätten und Graphotheken kommt. 20 "Die Stadt muß als Ort begriffen werden, der Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht. Kultur in der Stadt bedeutet daher- die Kommunikation zu fördern und der Vereinzelung entgegenzuwirken, - Spielräume zu schaffen und damit ein Gegengewicht gegen die Zwänge des heutigen Lebens zu setzen, - die Reflexion herauszufordern und damit bloße Anpassung und oberflächliche Ablenkung zu überwinden." 21 Kunst funktioniert zu diesesm Zeitpunkt nach Neuffer als "Inbegriff einer freien Lebenswelt"22 zur Steigerung der Lebensqualität der Bevölkerung und es kommt ,auch in der Hoffnung auf die Re-Etablierung des narrativen Charakters der Stadt, zu einer verstärkten Dekoration des städtischen Raums durch Kunst.

19 Büttner nennt diesbezüglich Habermas 1962 erschiene Arbeit "Strukturwandel der Öffentlichkeit" und Mitscherliebs "Die Unwirtlichkeit der Städte" von 1965 (vgl. ebd., S. 137). 20 Vgl. V. Plagemann: "Kunst außerhalb der Museen" in: Plagemann, S. 16. 21 Vorbericht des Arbeitskreis Bildung und Kultur der 17. ordentl. Hauptversammlung des deutschen Städtetages 1973; zitiert nach: C. Büttner: Art goes public, S. 137. 22 Neuffer, zitiert nach: C. Büttner: Art goes public, S. 138.

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Rückblickend spricht Könneke in diesem Zusammenhang kritisch von einem "Aktionsfetischismus, bei dem das kritische Potential durch einen umgreifenden Werbe- und Amüsiereffekt verdrängt wurde. " 23 Daneben beschreibt er eine verstärkte Instrumentalisierung der Kunst durch die W achsturnskoalition: "Auch die ,Kunst im öffentlichen Raum' wurde vielerorts vor allem in ihrem Nebennutzen entdeckt und geriet in den Sog neuer, nun ökonomischer Indienstnahmen. Das sogenannte, neue Interesse an der Kultur' in den 80ern war neu, insofern es eines der Wirtschaft und des Kapitals war. "24 Im Rahmen des Versuchs, die Stadt mit Hilfe der Kunst erlebbarer zu gestalten, geraten im Laufe der 80er Jahre die guten Intentionen und das soziale Engagement des Staates zunehmend in den Hintergrund und die Kunst im öffentlichen Raum funktioniert verstärkt als reiner Standortund Imagefaktor für Städte und Kommunen. Die Idee einer Ästhetisierung der Gesellschaft beschränkt sich zunehmend auf die künstlerischdekorative Gestaltung innerstädtischer Räume des Konsums und einer Ästhetisierung der Warenwelt zugunsten des Profits, bei der der Aspekt der Ortsspezifität zur Produktion von singulären Orten im Interesse des Stadtmarketings funktionalisiert wird. 25

Kunst im öffentlichen Interesse "Während aktuelle politische Fragen, soziale Konflikte und Interessen von Minderheiten von Künstlern als Themen der Kunst aufgegriffen worden waren, wurden sie in den achtziger Jahren vielen zum Anlaß, über die bisherigen Formen künstlerischer Arbeit und deren Präsentationskontext nachzudenken."26 Innerhalb des Kunstdiskurses formt sich, auch in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die 1989 abgerissene Skulptur "Tilted Are" von Richard Serri7 seit dem Ende der 80er Jahre, die Meinung, daß Kunst-

23 Achim Könneke: "Wege aus der Erstarrung. Entwicklung und Perspektiven der Kunst im öffentlichen Raum", in: Kulturamt Jena (Hg.), KunstRaum-Perspektiven, Jena 1997, S. 20. 24 Ebd., S. 21. 25 Vgl. Kapitel4.2. 26 C. Büttner: Art goes public, S. 161. 27 Vgl. Kapitel4.2.

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objekte im öffentlichen Raum auch als "Vandalismus von oben"28 eine physische Besetzung des Ortes und symbolische Dominanz des öffentlichen Raums darstellen können. Trotz der Berücksichtigung der integrativen Ortsspezifität und dem Wunsch nach einer Verschönerung des funktionalisierten städtischen Raums wird Kunst im öffentlichen Raum von Künstlern und Kritikern zusehens als symbolische Schwelle und affirmative Dekoration innerstädtischer Erlebniswelten wahrgenommen. Diese Erkenntnis, zusammen mit den gesellschaftlichen Prozessen in den USA unter der konservativen Regierung Reagans und der Etablierung von Cultural- und Gender-Studies führen gegen Ende der 80er Jahre zur Entwicklung neuer, interdisziplinärer Ansätze innerhalb des Kunstdiskurses, die von Kwon, bezogen auf eine künstlerische Praxis im öffentlichen Raum auch als drittes Paradigma und "Kunst im öffentlichen Interesse" (art-in-thepublic-interest) bezeichnet werden?9 Im Rahmen dieses neuen Ansatzes, der von Kwon unter dem Verweis auf Lacy, auch als New Genre Public Art (NGPA) subsumiert wird, 30 entwickelt sich eine politisch engagierte Kunst, bei der es u.a. zu einem Rückgriff auf aktivistische, interventionistische oder prozessuale Ansätze kommt, die sich seit den 70er Jahren als hybride kulturelle Form entwickelt hatten, und bei denen die Künstler mit neuen inhaltlichen und formalen Strategien aus Bereichen wie Werbung oder Massenmedien experimentierten und sich im Rahmen ihrer Arbeit gezielt mit spezifischen sozialen und politischen Kontexten auseinandersetzten.31 28 Benjamin Buchloh: "Vandalismus von oben", in: W. Grasskamp (Hg.), Unerwünschte Monumente: Moderne Kunst im Stadtraum, München: Verlag Silke Schreiber 1989, S. 104. 29 Vgl. M. Kwon: One place after another, S. 60. 30 Vgl. Kapite14.3. 31 Nach Felshin kommt es in Laufe der 60er Jahre zu ersten aktivistischen Formen des Protests. Sie nennt dabei u.a. die Gtündung der Artist Worker Coalition im Jahre 1969 als Anfang einer aktivistischen und politischengagierten Kunstpraxis. Dieser Gruppe gehörten u.a. Künstler aus dem Umfeld der Konzept-Kunst wie Hans Haake oder Jospeh Kosuth an (vgl. Nina Felshin: "Introduction", in: Nina Felshin (Hg.), But is it Art? The Spirit of Art as Activism, Seattle: Bay Press 1996, S. 17). Seit dem Ende der 80er Jahre entwickelt sich daraus neben der NGPA auch eine dezidiert politische Kunst mit unterschiedlichen Praktiken und Ansätzen, zu denen u.a. Künstler und Gruppen wie Barbara Kruger, Group Material oder Gran Fury gezählt werden. In Deutschland kam es diesbezüglich 1997 zur Durchführung der sog. Innen-Stadt-Aktionen, die sich mit dem Themengebiet

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Die NGPA definiert sich als ein prozessorientiertes Arbeiten mit lokalen Bevölkerungsgruppen und arbeitet dementsprechend mit einer neuen Art von Ortsspezifität, die sich nicht länger nur nach den physischen Vorgaben richtet, sondern auch den sozialen Kontext des Ortes berücksichtigt. Darüberhinaus fUhrt die künstlerische Auseinandersetzung mit dem sog. öffentlichen Interesse neben der Entstehung der NGPA zu weiteren Varianten künstlerischer Praxis im öffentlichen Interesse: Unter der Berücksichtigung des proklamierten Endes der Öffentlichkeit und einer gesellschaftlichen Aufspaltung in Teilöffentlichkeiten, wie sie auch von Fraser diagnostiziert wird, kommt es so beispielsweise auch zu einem Rückzug öffentlicher Kunst in die lnstitutionen. 32 Eine andere Entwicklungslinie stellt im Kontext des sozialen Raums verschiedener Teilöffentlichkeiten auch die Akzeptanz pluraler künstlerischer Ansätze dar, die aufgmnd spezifischer Formen und Inhalten unterschiedliche Rezipientengruppen ansprechen. Mit dem Projekt "Aussendienst" entwickelte die Kulturbehörde der Stadt Harnburg in Zusammenarbeit mit dem dortigen Kunstverein im Jahr 2000 in diesem Zusammenhang eine Ausstellung, die unterschiedliche Ansätze einer Kunst im öffentlichen Raum präsentiert und dementsprechend unterschiedliche Zielgruppen bedient. Im Rahmen der Ausstellung werden dabei neben prozeßorientierten und interventionistischen Arbeiten außerhalb und innerhalb kultureller Institutionen auch skulpturale Arbeiten präsentiert, die, als eine eigentlich überholt geltende künstlerische Praxis im öffentlichen Raum, mit dem Verweis auf eine entsprechende Klientellegitimiert wird: "Noch vor kurzem wäre man verleitet gewesen eine gerade Entwicklungslinie von Kunst im öffentlichen Raum zu ziehen, die in einer materielosen, interventionistischen Kunst geendet hätte. Wenn man, wie Aussendienst [Herv. d. A.], von der Frage ausgeht, wie solche künstlerischen Beiträge Subjekte positionieren, Öffentlichkeiten formieren, dann macht eine solche Bewertung keinen Sinn mehr: Eine Bronzeskulptur kann genauso Resonanz bei einer speziellen Interessengruppe finden wie das künstlerisch-soziale Engagement bei einer gesellschaftlichen Randgruppe. "33

des städtischen Raums auseinandersetzten (vgl. Holger Kube-Ventura: Politische Kunst Begriffe, Wien: Edition Selene 2002, S. 174). 32 Vgl. Kapitel4.2. 33 Achim Könneke/Stefan Schmidt-Wulffen: "Vorwort'', in: Kulturbehörde Harnburg (Hg.), Aussendienst, Harnburg 2000, S. 10/ 11.

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Die Kuratoren von "Aussendienst" legitimieren ihr Ausstellungskonzept damit, den Diskurs und die damit verbundenen Problematiken zu kennen34 und diesen mit der Fokussierung aufunterschiedliche Nutzergruppen und entsprechend plurale Wahrnehmungsmuster unter dem "Aspekt der Subjektbildung [um] neue Arbeitsfelder öffentlicher Kunst jenseits der hegemonialen Konflikte zwischen Herrschern und Beherrschten"35 zu erweitern. Die mit dem Verweis auf existierende Teilöffentlichkeiten durchgeführte Re-Etablierung der Skulptur als zeitgemäße künstlerische Praxis im öffentlichen Raum, stellt aber in diesem Zusammenhang keine Fortführung des Diskurses zur Kunst im öffentlichen Raum dar. Die Aufsplittung in plurale Teilöffentlichkeiten wird von den Ausstellungsmachern nicht kritisch hinterfragt, sondern lediglich bedient, d.h. die Ausstellung begibt sich so in eine Position, die den Anforderungen der unternehmerischen Stadt entspricht. 36 Während man dem Wunsch nach Außenattraktivität und Lebensqualität mit Arbeiten wie einem spektakulär-funktionellen Schrottautokino von Fiona Tan entgegenkommt, werden gleichzeitig interventionistisch-politische Projekte wie Eintritt Frei von Jens Haaning, das den kostenlosen Besuch für Ausländer in Schwimmbädern vorsah, aufgrund fehlender Genehmigungen seitens der Verantwortlichen nicht durchgeführt. Es werden damit gerade jene benachteiligten Teilöffentlichkeiten bzw. kritischen Diskurse von der Ausstellung ausgeschlossen, für die sich eine künstlerische Praxis im öffentlichen Raum aufgrund ihr spezifischen Möglichkeiten einsetzen sollte, während Gruppen wie "Jogger im Alsterpark oder die Filmfreunde der Hansestadt"37 berücksichtigt bzw. bedient werden. 38 34 Durch Ausstellungsprojekte wie z.B. weitergehen (1997/98) war das Hamburger "Kunst im öffentlichen Raum"-Programm auch maßgeblich an der Entwicklung des Diskurses beteiligt. 35 Stefan Schmidt-Wulffen: "Kunst im öffentlichen Raum - Eine Revision", in: Achim Könneke/Stefan Schmidt-Wulffen (Hg.), Aussendienst, Freiburg: Modo-Verlag 2002, S. 98/102. 36 Die Aufstellung der Skulpturen wird von dem Kurator auch mit die Forderung seitens der Stadt nach einer repräsentativen Aufwertung der sog. Kunstmeile begründet (vgl. A. Könneke: "Aussendienst", in: Könneke/Schmidt-Wulffen, S. 87). 37 A. Könneke/S. Schmidt-Wulffen: "Vorwort", in: Kulturbehörde Hamburg, S. 9. 38 Das das kostenlos zu besuchende Schrottautokino laut Kurator SchmidtWulffen Anlaß geben soll "über die Abhängigkeiten des eigenen Verbal-

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Darüberhinaus wurde ein interventionistisch-partizipatorisches Projekt wie Park Fiction, auf das später noch näher eingegangen wird, aufgrund angeblich fehlender Weiterentwicklung nicht präsentiert, was eine unzulängliche Reduzierung interventionistisch-prozessualer Kunst darstellt, bei der der Aspekt eines möglichen Transfers kulturellen Kapitals zugunsten der symbolischen Macht der Bevölkerung nicht berücksichtigt wird.

4.2 Zum Begriff der Ortsspezifität Im Verlauf des Diskurses zur künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum haben sich drei unterschiedliche ortsspezifische Ansätze herauskristallisiert, die sich alle durch die Ablehnung einer dominanten Nutzung oder der bloßen Dekoration des öffentlichen Raums, zugunsten einer nutzer- und anwohnerorientierten künstlerischen Praxis definieren. In folgenden Abschnitten werden diese drei Ansätze und die entsprechenden künstlerischen Praktiken aber auch die an ihnen von Seiten der Kunstkritik geübten Vorwürfe vorgestellt. Einleitend wird zunächst die Skulptur "Tilted Are" von Richard Serra näher erläutert, da die Entfernung der Arbeit 1989 eine Krise für die damalige Vorstellung von Kunst im öffentlichen Raum darstellte und diesbezüglich zu einem Paradigmenwechsel und einer Weiterentwicklung der Ortsspezifik innerhalb des Kunstdiskurses führte.

Die Entfernung von "Tilted Are" "I am not interested in work which is structurally ambigious, or in sculpture which satisfies urban design principles. [...]I am interested in sculpture which is non-utilitarian, non-functional ... any use is a misuse. [... ] Works which are built within the contextual frame of govemmental, corporate, educationial, and religious institutions run the risk of being read as tokens of those institutions. [... ] In such cases it is necessary to work in Opposition to the constraints of the context so that the work cannot be read as an affirmation of questionable ideologies and political power."39

tens als Kinogäuger von den Marktgesetzen nachzudenken", funktioniert in diesem Zusammenhang meines Erachtens mehr als Konstrukt denn als wirkliche Interpretation. (S. Schmidt-Wulffen: "Kunst im öffentlichen Raum- Eine Revision", in: Könneke/Schmidt-Wulffen, S. 103. 39 Serra, zitiert nach: M. Kwon: One place after another, S. 72/74-75.

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1981 wird im Auftrag der General Service Administration die Skulptur "Tilted Are" von Richard Serra auf dem Federal Plaza in New York aufgestellt. Bei der Skulptur handelt es sich um eine ca. 36 Meter lange und 3,6 Meter hohe rostige Metallplatte, leicht konkav und mit einer geringen Neigung zur Seite der Gebäude, auf dessen Vorplatz sie installiert war. 1989 wird die Arbeitaufgrund des starken Protests von Anwohnern bzw. Passanten entfernt, da die Skulptur als unästhetische Blockade der täglichen Arbeitsroute empfunden wird. Für Serra kommt die Entfernung der Arbeit ihrer Zerstörung gleich, da er sie flir diesen spezifischen Ort konstruiert hatte. Anhand der Diskussion um die Entferung der Arbeit lassen sich gut die unterschiedlichen Anforderungen nach einer sinnvollen Kunst im öffentlichen Raum darlegen, da Serras Arbeit und seine Absichten im Kontext einer modernistischen Auffassung von Kunst stehen, bei der sich die ortsspezifische Arbeit den öffentlichen Raum aneignet, aber gleichzeitig auch ihren autonomen Status sowie ihren kritischen Anspruch zu bewahren versucht. Serras Idee einer Besetzung des Ortes durch die Skulptur widersetzt sich, u.a. aufgrundihrer spezifischen Form, den Forderungen nach einer ästhetischen Gestaltung des öffentlichen Raums. Statt einer angestrebten Kaschierung des wahren nicht-öffentlichen Charakters des Platzes, der den Ansprüchen als öffentlicher Ort sozialer Interaktion von heterogenen Nutzergruppen aufgrund einer funktionalisierten und rationalisierten Stadtentwicklungspolitik nicht mehr entspricht, versucht Serra, den Forderungen Lefebvres nach einem Aufdecken der Inhumanität einer ökonomisch motivierten Stadtplanung entsprechend, auf diesen Status aufmerksam zu machen, indem er den Ort durch die Skulptur besetzt, und auch Kwon weist auf diesen Aspekt der Arbeit hin: "Tilted Are literalized the social divisions, exclusions, and fragmentation that manicured and aesthetically tamed public space generally disguise. In destroying the illusion of Federal Plaza as a coherent spatial totality, Serra underscored its already dysfunctional status as a public space."40

Für Kwon, wie auch flir Buchloh stellt der Akt der Entfernung der Arbeit einen Stellvertreterkrieg dar, bei der es zu einer unzulässigen Instrumentalisierung der Skulptur durch ihre Gegner kommt. Statt gegen eine inhumane und entfremdende Architektur zu demonstrieren, richtet sich der Zorn der Anwohner bzw. Benutzer des Platzes lediglich gegen Serras 40 Ebd., S. 74.

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Arbeit, die als "Vandalismus von oben"41 und aggressiver Eingriff des Staates in den öffentlichen Raum - den sie als ihren Lebensraum deklarieren- aufgefasst wird: "Wo Unterdrückung, Ausbeutung und Entfremdung alltäglich praktiziert und als Normalität hingenommen werden, muß die bloße Erscheinung der Differenz, der Abweichung und des symbolischen Widerstandes mit jener Gewalt verfolgt werden, die man nur der Ausnahme zuteil werden lassen kann. " 42 Deutsche merkt bezüglich der Verhandlung über die Entfernung der Arbeit an, daß es verpasst wurde, Begriffe wie Öffentlichkeit, öffentliches Interesse oder öffentliche Nutzung näher zu definieren, da man so in der Lage gewesen wäre, die wahren Interessen des Staates und die Intentionen Serras besser zu verstehen. Stattdessen erscheint die Entfernung von "Tilted Are" als ein Sieg der Anwohner und Benutzer, die es erreicht haben, den pseudo-öffentlichen Platz vor dem Gebäude gegenüber den egoistischen Ansprüchen der Künstler zu verteidigen. New Public Art

"The decision agairrst Tilted Are was not a ruling agairrst public art in general. On the contrary, the verdict coincided and was perfectly consistent with a widespread movement by city governments, real-estate developers, and corporations to promote public art, especially something called the ,new public art', which was celebrated precisely because of its ,usefulness' . The new public art was defined as art that takes the fonn of functional objects placed in urban spaces r... ] or as art that helps to designurban spaces themselves [Herv. d. Autors]."4~ Die Entfernung von Serras Skulptur "Tilted Are" und die ihr vorangegangene Diskussion fUhrt zu einer Änderung der Förderrichtlinien für Kunst im öffentlichen Raum in den USA, parallel dazu wird auch innerhalb des Kunstbereichs über alternative künstlerische Praktiken im städtischen Raum diskutiert. Nachdem man anhand der Diskussion um Serras Arbeit erkannt hatte, das ein modernistisch-aufklärerischer Handlungsansatz im öffentlichen Raum nicht länger unumstritten ist, ging es dabei auch um eine stärkere Berücksichtigung der Interessen und Ansprüche der Benutzer des jeweiligen Ortes.

41 Ebd., S. 103. 42 B. Buchloh: "Vandalismus von oben", in: Grasskamp, S. 113. 43 Rosalyn Deutsche: Eviction. Art and spatial politics, Cambridge/MA, London: MIT Press 1998, S. 259.

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Der Kurator Ammann ist einer der Verfechter einer Ortsspezifität, bei der es nicht zu einer Dominanz über den Ort durch die Kunst kommt. Seiner Meinung nach hat sich diese vielmehr integrativ und zurückhaltend an die Vorgaben des Ortes anzupassen und dabei den öffentlichen, d.h. nicht-institutionellen Raum und die veränderten Ansprüche der Nutzer zu berücksichtigen. Für Ammann definiert sich gute Kunst im öffentlichen Raum durch Aspekte wie Funktionalität und eine unaufdringliche Ästhetik. Er nennt diesbezüglich Künstler wie Scott Burton oder Siah Armajani und deren Installationen unterschiedlicher, kommunikationsfördernder Sitzgelegenheiten als Vertreter einer entsprechenden künstlerischen Praxis, die "künstlerisch gut gelöst ist und nicht als Kunst auftritt, sondern sich unterhalb dieser Wahrnehmungsschwelle ansiedelt"; die zum einen "machtvoll präsent" ist, aber auch "verschwinden" kann.44 Burton selbst betont in diesem Zusammenhang den nutzerorientierten Aspekt seiner Arbeiten: "The social questions interest me more than the art ones ... Communal social values are now more important. What office workers do in their lunch hour is more important than my (sie!) pushing the Iimits of my self-expression. " 45 Obwohl Künstler wie Burton oder Armajani mit ihrem funktionalistischen Ansatz von der Idee einer bloßen affirmativen Dekoration des städtischen Raums Abstand genommen haben und den kommunikativen bzw. partizipatorischen Aspekt ihrer Arbeiten, die oft in gleichberechtigter Zusammenarbeit mit den Architekten entstehen, betonen, ist ihr Vorgehen starker Kritik seitens des Kunstdiskurses ausgesetzt. Kwon spricht diesbezüglich von einer Domestizierung und Kooptation der Ideen von physischer Ortsspezifität und funktionaler Kunst durch die Unternehmerische Stadt zur Vertuschung der durchrationalisierten und profitorientierten Stadtentwicklungpolitik: "The incorporation of site specifity as a programmative imperative [...] encouraged the development of a design team approach in which artists were asked to collaborate with architects in producing or refurbishing public spaces, such as urban plazas, waterfront promenades, neighborhood parks, and office lobbies. [... ] Meant to equalize the creative authority of artists and architects in the design of public spaces, this mode of site specifity presumed the humanizing intluence ofart over the inhumanity ofurban architecture."46 44 Ammann: "Kunst im öffentlichen Raum", in: Grasskamp, S. 1251126. 45 Burton, zitiert nach: M. Kwon: One place after another, S. 184. 46 Ebd., S. 5.

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Auch für die Kritikerirr Rosalyn Deutsche stellt das NPA-Paradigma eine falsche Aneignung der in der Land- und Minimal-Art entwickelten Idee der physischen Ortsspezifität dar. Während Land-Art Künstler wie Walther de Maria ihre Arbeiten auch als Kritik an der ökonomischen Verwertungslogik des Kunstmarktes sehen und stattdessen versuchen, durch die Schaffung ortsspezifischer, nicht-institutioneller Arbeiten eine Form von Authentizität und Einmaligkeit zu erlangen, wird dieser Ansatz heutzutage durch die Unternehmerische Stadt instrumentalisiert indem man Kunst im öffentlichen Raum als weichen Standortfaktor in die ökonomische Verwertungslogik reintegriert. Sie dient der ästhetischen Aufwertung der Ware Stadt und hilft als ein Teil des Unterhaltungs- und Kulturangebots beim Ansprechen potentieller Touristen, Investoren oder qualifizierter Arbeitskräfte: "What has been eliminated from the new ,site-specific' art is not ,individualism' as opposed to teamwork, but political radicalism in favor of collaboration with the forces ofpower."47 Im Rahmen einer Kooperation mit staatlichen und privatwirtschaftliehen Stadtentwicklern, hat die NPA die von J ameson eingeforderte kritische Distanz verloren und funktioniert als integraler Bestandteil der Neuen Urbanität, die für Deutsche in direktem Zusammenhang mit der weltweiten spätkapitalistischen Wirtschaftsordnung steht. Sie bezieht sich bei ihrer Analyse auch auf Lefebvres Theorie zur Raumproduktion und diagnostiziert, daß die NPA diesbezüglich die Produktion von profitorientiertem abstrakten Raum unterstützt und sich gegen die Interessen der Benutzer bzw. der Bevölkerung wendet. 48 Für Deutsche besitzt Kunst im öffentlichen Raum auch eine politische Funktion und ähnlich wie Bourdieu fordert sie von den Künstlern, daß sie sich über die Bedeutung einer künstlerischen Praxis im Kontext profitorientierter Stadtentwicklung bewußt werden und sich dementsprechend nicht als ästhetischer Mehrwertproduzent instrumentalisieren lassen. Während eine ihrer Meinung nach sinnvolle Kunst im öffentlichen Raum als oppositionelle urbane Praxis funktionieren sollte, die sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Neugestaltung des städtischen Raums auseinandersetzt und dessen Konsequenzen aufzeigt,49 funktioniert die 47 R. Deutsche in: OctoberNr. 47 (1988), S. 21. 48 Vgl. ebd., S. 25ff. 49 Vgl. ebd., S. 16. Deutsche nennt diesbezüglich die Arbeit "Homeless Vehicle Project" von Krzysztof Wodiczko als Beispiel einer künstlerischen

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NPA eine als affirmative künstlerische Praxis zur Ästhetisierung und Naturalisierung der Effekte der Neuen Urbanität: "This is the real social function of the new public art: to reify as natural the conditions of the Iate capitalist city into which they hope to integrate us."50 Die Frage nach einer sinnvollen Praxis im öffentlichen Raum läßt sich damit unter Bezug auf Deutsche und Kwon mit der Gegenfrage beantworten, wessen Interessen Kunst im öffentlichen Raum repräsentieren und unterstützen will bzw. wem sie eine Identität geben will. Während Kunstkritiker und Soziologen wie Deutsche, Jameson, Lefebvre oder Bourdieu von einer sinnvollen künstlerischen Praxis ihre Positionierung auf Seiten der Bevölkerung verlangen, dient die NPA nach Deutsche den Interessen der Wachstumskoalition, indem sie versucht, der fragmentiert-technokratischen Stadt durch die Schaffung ortsspezifischer Räume eine Identität zu verleihen, die sich zielgruppengerecht vermarkten läßt. Die NPA folgt dabei nicht der Idee von Öffentlichkeit im Sinne einer heterogenen Nutzungsmischung, sondern schafft funktionelle und kommunikationsfördernde Aufenthalts- und Erlebnisräume ftir privilegierte Nutzergruppen in privatisierten nach-öffentlichen Räumen, während anderen Nutzergruppen mit Hilfe dieser symbolischen Schwellen der Zugang erschwert wird. Battery Park in New York "Killed as culture, the local and the everyday can be revived as simulacrum, a ,theme' foraparkor a ,history' in a mall, and site-specific work can be drawn into this zombification of the local and everyday, this disney version of the site-specific."51 Als Beispiel der Aneignung der Idee der Ortsspezifität fuhrt Deutsche u.a. das Neubauviertel Battery Park in New York an. Dieses war gegen Ende der 60er Jahre ursprünglich als Siedlung fiir Menschen aus unterschiedlichen Einkommensschichten geplant, wurde allerdings 1979 aufgrundeiner Privatisierung des Geländes und der Vorgaben des verantwortlichen Planungsstabs als reines Luxusviertel gebaut und stellt nach Deutsche ein exklusives Wohnviertel im innerstädtischen Bereich dar, Praxis, die innerhalb des städtischen Raums die Folgen einer profitorientierten Stadtentwicklung aufzeigt. 50 Ebd., S. 19. 51 H. Foster: The retum of the real, S. 197.

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das sich u.a. durch symbolische Schwellen von ärmeren Stadtvierteln abgrenzt. 52 In Zusammenhang mit dem Bauprojekt kam es in den 80er Jahren zu einem Kunst-im-öffentlichen-Rawn-Programm, bei der die teilnehmenden Künstler von Beginn an in die Planung einzelner Plätze einbezogen wurden. Im Rahmen eines ortsspezifischen Ansatzes war es ihre Aufgabe, "Kunst zu schaffen, die sich auf die Geschichte oder Natur des Ortes bezieht und dabei zugleich eine bestimmte Funktion, etwa als Sitzplatz oder Aussichtspunkt, erflillt."53 Es entstanden dabei u.a. vier von Scott Burton entworfene Granitbänke, eine "konzeptuelle Anordnung von Sitzgelegenheiten"54 von Richard Artschwager sowie ein von Siah Armajani entworfener Geländerzaun aus grünem Email und polierter Bronze, in das Verszeilen von Gedichten Walt Whitmans und Frank O'Haras eingraviert wurden. 55 Während die Gestaltung des öffentlichen Raums von der Presse als "Triumph städtischer Landschaftsarchitektur und interdisziplinärer Zusammenarbeit"56 gefeiert wurde, kritisieren Deutsche und Wagner das seitens der Künstler durchgeflihrte Design der öffentlichen Räume. Wagner beschreibt die Sitzgelegenheiten aufgrund der verwendeten Materialien als Versuch der Grenzziehung und Produktion eines Erlebnisraums für privilegierte Nutzergruppen. Die Arbeiten von Burton und Artschwager werden flir sie im Kontext des öffentlichen Raums und "in Verbindung mit erlesenen Naturspolien und den Kostbarkeit signalisierenden Architekturhüllen aus Naturstein zum Zeichen sozialer Exklusivi52 V gl. R. Deutsche in: October Nr. 47 (1988), S.30ff. Nachdem diese künstlich angelegte Landschaft aufgrund ihrer Lage auch als "Riviera des Hudsons" bezeichnet wurde (ebd., S. 34), kann man in diesem Zusammenhang auch von Bourdieus Begriff einer "Situationsrendite" sprechen, die eine Nähe zu erwünschten Dingen (in diesem Falle einer Nähe zum Ufer) beschreibt und einem exklusiven Nutzerkreis mit der entsprechenden Kapitalmenge vorbehalten ist (vgl. Kapitel 3.2). 53 Unsoo Kim: "Die Dynamik der ,Public Art' in New York City", in: Heinz Schütz (Hg.), Stadt.Kunst, Regensburg: Lindinger+Schmid Verlag 2001, S. 182. 54 Ebd., S. 183. 55 Abbildungen der Arbeiten im Internet unter http//www.batterypark.org/ public 56 Zitiert nach: U. Kim: "Die Dynamik der ,Public Art' in New York City", in Schütz, S. 182.

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tät und eines gehobenen Lifestyles." und stellen somit "ganz konkret die Möbliemng eines öffentlichen Raums her, deren Pendant sich im Flair ,junger' Küchen mit Granittischen und marmorfurnierten Kühlschränken wiederfinden läßt. " 57 Statt auf die Geschichte bzw. Entstehung der Siedlung und die damit verbundenen Änderungen bezüglich einer ursprünglich angestrebten Mischnutzung einzugehen, setzen sich die dortigen ortsspezifischen Arbeiten für Deutsche nur mit den physischen Vorgaben auseinander. Ihrer Meinung nach fugt sich die Gestaltung des Battery Parks damit in das neue, unter den Vorgaben der Neuen Urbanität produzierte, New York und dessen privatisiertem städtischen Außenraum ein, während es gleichzeitig durch die funktionale Kunst und ihrem Mehrwert als symbolische Schwelle zur Verdrängung unerwünschter Teilöffentlichkeiten und der Verschleierung sozialer Ungleichheiten kommt. "Andin accord with Lefebvre's evaluation of urban planning, the spatial design of Battery Park suppresses this contradiction [zwischen abstraktem Raum und urbaner Praxis, Anm. d. Verf.] by substituting an image that presents the area's abstract space as, instead, natural, traditional, diverse, and functionally integrated with the entire city. [... ] In the end, Battery Park City's art and design do try to integrate the area with New York, but with a redeveloped New York- ghettoized and exclusionary. " 58

New Genre Public Art "Unlike much of what has heretofore been called public art, new genre public art - visual art that uses both traditional and nontraditional media to communicate and interact with a broad and diversified audience about issues directly relevant to their lives- is based on engagement."59

57 Monika Wagner: "Die Kunst der Grenzziehung", in: Oetker/Schneider, S. 244. 58 R. Deutsche in: October Nr.47 (1988), S. 44/45. Sie weist in diesem Zusammenhang auch auf die häufige Bezeichung einer Communitygeförderten Kunst im öffentlichen Raum hin. Diese Bezeichung ist ihrer Meinung nach unzulässig, da durch die NPA eine gewachsene heterogene Nachbarschaft zerstört und durch eine homogen-provinzielle Gruppe von Anwohnern ersetzt wird (vgl. ebd., S. 20). 59 Suzanne Lacy: "Cultural pilgrimages and metaphoric joumeys", in: Suzanne Lacy (Hg.), Mapping the Terrain: New Genre Public Art, Seattle: Bay Press 1996, S. 19.

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Der BegriffNew Genre Public Art (NGPA), wird Anfang der 90er Jahre von der Künstlerin Suzanne Lacy geprägt und stellt eine konsequente Entwicklung der von Ammann im Bezug auf die New Public Art entwickelten Forderungen nach einer sinnvollen bzw. nützlichen künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum dar. Im Rahmen der NGPA kommt es zu einer Loslösung von typischen kunstspezifischen Ansätzen und einer stärkeren Betonung des politischen Aspekts der Öffentlichkeit als Ort des Diskurses bzw. der Meinungsbildung. 60 Während die NPA aufgrund ihres objektbezogenen Handlungsansatzes eher als Produzent einer spezifischen Ortsdifferenz im Sinne der Neuen Urbanität funktioniert, setzt sich die häufig prozessual angelegte NGPA mit dem sozialen Kontext auseinander und versucht dementsprechend, nicht der Stadt, sondern dessen Bewohnern eine eigene Identität zu verleihen. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zur NPA ist der Kreis der Rezipienten: Während die NPA als Dienstleistungskunst innerstädtische Erlebnisräume flir privilegierte Teilöffentlichkeiten gestaltet, engagieren sich NGPA-Künstler hauptsächlich flir unterprivilegierte Communities. Die NGPA läßt sich in diesem Zusammenhang auch als oppositionelle Praxis mit dem Ziel der Produktion öffentlicher und sozialer Räume flir schwache Teilöffentlichkeiten und der Nivellierung der Zugangsmöglichkeiten zum herrschenden Diskurs begreifen. Das Interesse am gesellschaftlichen Kontext, daß Kwon auch als drittes Paradigma und Kunst im öffentlichen Interesse beschreibt, entstand aus einer Weiterentwicklung der physischen Ortsspezifität und wird von ihr als soziale bzw. institutionelle Ortsspezifität bezeichnet. Sie verweist dabei auf künstlerische Positionen der 60er und 70er Jahre und Künstler wie Marcel Broodthaers, Hans Haake oder Daniel Buren, die, anders als die Künstler der Minimal-Art, den umgebenen (Ausstellungs-)Raum nicht anband seiner räumlichen sondern seines institutionellen Kontexts in ihre Arbeit mit einbezogen. Die NGPA entwickelte sich aus unterschiedlichen Kunstdiskursen und im Kontext eines wiederentdeckten Interesses der Künstler an gesellschaftlichen Prozessen und Fragestellungen. Die Kunstkritikerin Astrid Wege spricht diesbezüglich von einer Rückbesinnung des Künstlers auf seine soziale und politische Verantwortung im Rahmen gesell60 Büttner betont dabei, daß Ammann den politischen bzw. gesellschaftlichen Kontext des öffentlichen Raums in seinem Entwurf einer neuen Kunst im öffentlichen Raum nicht mitgedacht hat und zu sehr an einem klassischen Kunst- und Werkbegriff festhält (vgl. Büttner: Art goes Public, S.l75).

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schafdieher Veränderungen, und dem Interesse interventionistisch auf diese Prozesse zu reagieren. Wege beschreibt den Begriff der Intervention dabei als Schritt aus dem Bereich einer autonomen, funktionslosen Kunst heraus und als "Vorgehensweise bzw. Strategie, [um] auf bestehende (soziale, politische, institutionelle, urbanistische) Strukturen aufmerksam zu machen und diese umzugestalten. " 61 Neben dem interventionistischen Moment ist auch der Aspekt des Aktivismus relevant, der als dezidiert politisch motivierte künstlerische Praxis in den 60er Jahren in den USA entstand und durch Künstlergruppen wie Gran Fury oder Group Material zur Zeit der Reagan-Regierung und deren rigiden Kürzungen staatlicher Sozialausgaben wieder aktuell wurde. Auch der aktivistische Ansatz versteht sich als prozessual angelegte interventionistische Praxis im öffentlichen Raum und bedient sich unterschiedlicher Strategien um auf Mißstände hinzuweisen und entsprechende Forderungen zu stellen. So gibt es im Rahmen der Aktionen u.a. öffentliche Demonstrationen oder Werbekampagnen in unterschiedlichen Medien, die darauf ausgerichtet sind, die entsprechenden Informationen und Standpunkte zu vermitteln um ein öffentliches Interesse bzw. Bewußtsein zu diesen Problemen zu generieren. Ein weiteres Merkmal der NGPA ist der Aspekt der Partizipation der gewählten Community bei der Entwicklung des Projekts, wobei Kwon die Relevanz einer größtmöglichen Beteiligung der Gruppe bei der Erarbeitung eines sie betreffenden Themas betont. 62 NGPA-Künstler verfugen über einen aufklärerischen Anspruch, der sich, anders als im Falle der Arbeit "Tilted Are" von Richard Serra oder den Happenings von Allan Kaprow nicht aufkunst- bzw. werkimmanente Aufklärung oder Partizipation beschränkt. sondern sich stattdessen im Rahmen der Arbeit mit der Community mit gesellschaftlichen Fragestellungen beschäftigt, die den Lebensalltag der Teilnehmer betreffen. Sie entsprechen so den Forderungen von Jameson und Bourdieu an eine 61 Astrid Wege: ",Eines Tages werden die Wünsche die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen': Zu interventionistischer und aktivistischer Kunst", in: Schütz, S.23. 62 Vgl. M. Kwon: One place after another, S. 96. Sie kritisiert diesbezgl. auch die egoistischen Interessen von Künstlern und Ausstellungsmachern, die mit konkreten Vorgaben pseudo-partizipative Projekte entwickeln, bei denen nicht auf die spez. Situation der entsprechenden Community eingegangen wird, sondern man sie stattdessen zu Erftlllungsgehilfen der Arbeit und zur Steigerung des eigenen Ruhmes funktionalisiert (vgl. M. Kwon: One place after another, S. 123/124).

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sinnvolle Praxis der Künstler und Kulturarbeiter, gleichzeitig funktionieren ihre Arbeiten auch im Sinne des von Schulze erwähnten kulturellen Leitmotivs der Soziokultur. Zum einen versuchen die Künstler mit Hilfe unterschiedlicher Strategien ein Verstehen gesellschaftlicher Prozesse zu em1öglichen, gleichzeitig ist es, auch entsprechend der Forderungen Lefebvres, ihr Ziel, kreative Potentiale auf Seiten der Community zu stimulieren und diese für eine mögliche Verbesserung der Lebenssituation zu kanalisieren. "The point is not just to produce another thing for people to admire, but to create an opportunity - a situation - that enables the viewers to Iook back at the world with renewed perspectives and clear angles ofvision."63 Um zu einer neuen Perspektive und einem entsprechend erweiterten Handlungsradius auf Seiten der Community zu gelangen, ist es für Lacy notwendig, daß die Künstler ein interdisziplinäres Instrumentarium sowie eine allgemein verständliche Formensprache entwickeln, die unterschiedliche Ansätze wie Performances, Installationen, Workshops, Demonstrationen, etc. umfassen und somit die größtmögliche Partizipation auf Seiten der Community zu ermöglichen 64 NGPA-Künstler entsprechen mit ihrem gewählten Ansatz dem Modell des Kulturarbeiters, der die Kommunikation bzw. den Diskurs innerhalb der Gruppe fördert und stimuliert. Gleichzeitig vermittelt er gesellschaftliche Zusammenhänge und versucht darüberhinaus mit Hilfe unterschiedlicher Techniken und der partizipativen Einbindung der Gruppe, die erarbeiteten Fragestellungen und Forderungen wirksam öffentlich zu präsentieren und durchzusetzen. Übertragen auf die Raumtheorien von Bourdieu und Lefebvre kommt es im Rahmen dieser Praxis zur Produktion sozialer Räume, d.h. zur Schaffung bestimmter Identitäten und Netzwerke, die darüberhinaus auch zur Aneignung physischer Räume bzw. der Produktion von differentiellem Raum fuhren können. Ähnlich der NPA ist auch die NGPA trotz ihrer guten Intentionen unterschiedlicher Kritik von Seiten des Kunstbetriebes ausgesetzt. Ein Kritikpunkt ist dabei identisch mit dem Vorwurf mit dem auch die NPA konfrontiert wird, und der eine lnstrumentalisierung durch die Unternehmerische Stadt kritisiert. Den NGPA-Künstlem wird vorgeworfen, daß der 63 Patricia C. Phillips: "Public Constructions", in: Lacy, S. 70. 64 Vgl. S Lacy: "Cultural pilgrimages and metaphoric joumeys", in: Lacy, S. 20.

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von ihnen gewählte Arbeitsansatz, der auf die Identitätsbildung bzw. Ausdifferenzierung der einzelnen Bevölkerungsgruppen abzielt, letztendlich nur als Produktion von Differenz bzw. Authentizität und affirmative Standortwerbung funktioniert, die gesellschaftliche Prozesse der Segregation verstärkt. Die Kritiker werfen den Künstlern diesbezüglich vor, daß die flir die partizipierende Community die Gefahr einer möglichen Vertreibung durch Prozesse der Gentrifizierung besteht, nachdem sie für ihr Stadtviertel eine eigenständige Identität entwickelt hat. Kwon weist auf die Gefahren einer bloßen affirmativen Kultivierung der Community zugunsten einer kapitalistischen Verwertungslogik hin, erwähnt aber auch, u.a. unter Bezug auf die Soziologen Harvey und Lefebvre, die Relevanz einer solchen künstlerischen Praxis bei der möglichen Produktion differentieller Räume als oppositionelle Praxis gegenüber Prozessen der Homogenisierung und Ökonomisierung des öffentlichen Raums. 65 Auch der Soziologe Wuggenig schätzt die Gefahr einer ökonomischen Verwertung der NGPA durch die Unternehmerische Stadt als gering ein und verweist diesbezüglich auf den weitaus höheren Imagegewinn einer Stadt durch Museumsneubauten als Orte der etablierten Hochkultur. 66 Ein Aspekt der NGPA, der ein größeres Problem darstellt, ist die Gefahr des Paternalismus. Kwon bezieht sich dabei auf den Kunstkritiker Kester, der vor einer Stigmatisierung der Community warnt, sobald eine sozial engagierte künstlerische Praxis auf die Formel "Künstlerin + Community + soziales Anliegen = neue kritische Public Art"67 reduziert wird. Diese Verkürzung könnnte dazu führen, daß die Situation der Individuen als eigenes Versagen wahrgenommen wird und man gleichzeitig übersieht, daß die herrschende spätkapitalistische Logik für diese sozialen Mißstände mitverantwortlich ist. Solche urneflektierten künstlerischen Praktiken sorgen für Kester als "neue Formen des städtischen

65 Kwon verweist dabei exemplarisch auf die Ausstellung "Piaces with a Past" von 1991 in Charleston/USA, in dessen Rahmen sich Künstler mit der Geschichte der Stadt und ihrer Bevölkerung auseinandergesetzt haben (vgl. Miwon Kwon: "Ein Ort nach dem anderen: Bemerkungen zur Site Specifity", in: Saxenhuber/Schöllhammer, S. 35ff.). Vgl. Kapitel4.3. 66 Vgl. Ulf Wuggenig: "Kunst im öffentlichen Raum und ästhetischer Kommunitarismus", in: Achim Könneke/Christian Philipp Müller (Hg.), Kunst aufSchritt und Tritt, Hamburg: Kellner Verlag 1997, S. 88. 67 Miwon Kwon: "Im Interesse der Öffentlichkeit", in: Springerin, Band 2/Heft 4 (1996), S. 34.

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Primitivismus"68 zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen der Community und der Gesellschaft und einer Erhöhung des Künstlers auf Kosten der Gruppe, deren benachteiligte gesellschaftliche Position als selbstverschuldet dargestellt wird. Die NPGA funktioniert in einem solchen Fall nicht als Mittel der Erkenntnis und Produktion eigener kreativer Energien auf Seiten der Gruppe, sondern wird zu einer affirmativen sozialpolitischen Maßnahme degradiert, um Potentiale und Energien dieser Randgruppen zu kanalisieren. 69 Der Kunstkritiker Höller hat in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung verschiedener NGPA-Projekte in Kategorien Störungsdienste und Entstörungsdienste vorgenommen: "auf der einen Seite steht die Störung obrigkeitsverordneter, kapitalistischer Verhältnisse (Einwanderungsgesetze, Erwerbsarbeit, Geldherrschaft); auf der anderen der karitative Impuls, Randgruppen mit künstlerischen Zuwendungen unter die Arme zu greifen, kurzum, das Funktionieren des sozialen Räderwerks zu entstören. " 70 Während sich der Störungsdienst ftir Höller durch eine interventionistische Praxis zur Schaffung oppositionellgegenöffentlicher Räume definiert und marginalisierte Positionen bzw. Diskurse öffentlich macht, funktionieren entstörend-paternalistische Projekte lediglich als pragmatische Sozialarbeit im Interesse des Staates und helfen bei der Verschleierung gesellschaftlicher Mißstände. Ein Kritikpunkt Höllers an der affirmativ-entstörenden künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum ist, wie auch schon in Bezug auf die NPA, der Vorwurf des Verlusts einer kritischen Distanz bzw. einer relativen Autonomie der NGPA, denn die Nähe einer solchen künstlerischen Praxis zur Sozialarbeit hat in den USA bereits dazu geflihrt, daß es zu einer Umwidmung staatlicher und privatwirtschaftlicher Fördergelder flir Projekte im öffentlichen Raum gekommen ist. 71 So werden beispielsweise Fördermittel, die den öffentlichen Raum betreffen, oft nur noch an Künstler vergeben, die dezidiert mit Communities arbeiten, teilweise werden ganze Etats sogar direkt an bürgernahe Organisationen zur 68 Ebd. 69 Kwon verweist dabei aufprivate Stiftungsprojekte wie z.B. PACT (Project

against Community Tension), die als eine Art Ventil, dafür sorgen sollen, daß die Spannungen innerhalb gesellschaftlicher Randgruppen nicht in sozialen Unruhen eskalieren (vgl. ebd.). 70 Christian HöHer: "Störungsdienste", in Springer Band I/Heft I (1995), S. 22. 71 Vgl. ebd., S. 26.

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Durchführung bürgernaher Projekte übertragen. 72 Neben einer Reduzierung der unterschiedlichen Ansätze künstlerischer Praxis im öffentlichen Raum durch die Fokussierung auf soziokulturelle Projekte bei der Vergabe von Fördergeldern, ist diesbezüglich auch die Konzentration der Sponsoren auf affirmativ-entstörende Projekte problematisch, da diese das Bewahren einer kritischen Distanz zusätzlich erschweren. Die Künstler Dias und Riedwig weisen in diesem Zusammenhang auf das Schreiben einer Bank hin, die ihre Verweigerung von Fördermitteln mit dem kritischen Ansatz des Projekts begründen: "Das Projekt hat interessante Seiten- die handwerklichen Workshops, die Beschäftigung, die Mahlzeiten, all das ist recht und gut. Nur ist das Projekt grundsätzlich gefährlich, weil es die Kinder ihre eigene Situation gewahrwerden läßt. Dies führt zu Konflikten. Die Kinder werden unter dem Bewußtsein der eigenen Situation leiden. Deswegen ist das Projekt von uns als gefährlich eingestuft und wird[ ... ] nicht unterstützt."73

Die Institution als funktionaler Ort "Die topografische Definition der ,Kunst im öffentlichen Raum' ist Vergangenheit, ein Museum ist ebenso öffentlicher Raum wie das Internet und vielleicht mehr als die Straße."74 Aufgrund der Angst vor der Aneignung durch die Unternehmerische Stadt hat sich, im Kontext des von Kwon attestierten Kunst im öffentlichen lnteresse-Paradigmas/ 5 neben der New Genre Public Art ein zweiter Handlungsansatz im öffentlichen Raum entwickelt, der sich durch einen Rückzug aus dem öffentlichen Raum definiert und sich stattdessen innerhalb der Institution mit gesellschaftlichen Fragestellungen und Prozessen auseinandersetzt Ähnlich wie die NPGA beruft sich dieser Ansatz auf die Existenz unterschiedlicher Teilöffentlichkeiten, wobei die Institution, u.a. unter Bezug auf Bourdieu und Lefebvre, als sozialer Raum einer spezifischen Teilöffentlichkeit und zur Produktion eines differentiellen bzw. gegenöf72 Vgl. Kwon in: Springerin Band 2/Heft 4, S. 31. 73 Zitiert nach: Mauricio Dias/Walter Riedwig: "Alles andere interessiert mich", in: Stella Rollig/Eva Sturm (Hg.), Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum: Art, Education, Cultural Work, Communities, Wien: Turia und Kant 2002, S. 72. 74 Achim Könneke: "weitergehen", in: Könneke/Müller, S. 18. 75 Vgl. Kapitel4.1.

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fentlichem Raums funktionalisiert werden kann. Unter Bezug auf die von James Meyer entwickelte Theorie desfunktionalen Ortes76 attestiert Kwon einer solchen künstlerischen Praxis eine diskursive Ortsspezfitität,77 bei der der institutionelle Ausstellungsraum aufgrund seiner relativen Autonomie anders als der öffentlich-städtische Raum, der den profitorientierten Interessen der untemehmerischen Stadt ausgesetzt ist, als neutraler Ort flir gesellschaftlich relevante Diskurse genutzt werden kann. Für Meyer funktioniert die Institution nicht als ein authentischer Raum, sondern setzt sich durch eine spezifische Nutzung - in diesem Falle der Erörterung gesellschaftlicher Thematiken - in Relation zu jenen Räumen bzw. Themen. Die Institution wird um spezifische Diskurse erweitert und funktioniert als prozessualer Ort des Austausches von Informationen über bestimmte Fragestellungen, die auch den öffentlichen Raum betreffen können. 78 Als Beispiel flir ein Ausstellungsprojekt, das sich eines solchen Ansatzes bedient, läßt sich die Ausstellung "If you lived here" von Martha Rosler nennen, die 1989 in der Dia-Art Foundation in New York stattfand. 79 Im Rahmen der Ausstellung thematisiert Rosler die neuen ökonomisch motivierten innerstädtischen Entwicklungstendenzen und ihre gesellschaftlichen Folgen am Beispiel der Stadt New York. Das Projekt umfaßt neben künstlerischen Arbeiten zu entsprechenden Themen auch Workshops und Vorträge, bei denen u.a. Stadtsoziologen und Aktivisten ihre Arbeit vorstellen und mit dem Publikum diskutieren. Durch die Ausstellung produziert Rosler einen sozialen Raum flir eine spezifische Teilöffentlichkeit und initiiert damit einen kritisch-oppositionellen Diskurs zu Themen wie Stadtentwicklung und Obdachlosigkeit. Sie nutzt die Institution als funktionalen Ort um "das ,Betriebssystem Kunst' mit einem sozialpolitischen Aktivismus"80 zu verbinden, dessen autonomabgekop-

76 Vgl. James Meyer: "Der funktionale Ort", in: Springerirr Band 2!Heft 4, S. 44-47. 77 Vgl. M. Kwon: One place after another, S. 5. 78 Vgl. J. Meyer in: Springerirr Band 2!Heft 4 (1996), S. 44/45. 79 Als Beispiele anderer Ausstellungen, die sich innerhalb der Institution mit dem öffentlichen Raum auseinandersetzen wären u.a. "Dream City" in div. Institutionen in München, 1999 oder auch "Non-Piaces" im Frankfurter Kunstverein, 2001 zu nennen. 80 Nina Möntmann: Kunst als sozialer Raum, Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König 2002, S. 105.

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pelte Position zu überwinden und es für gesamtgesellschaftliche Probleme zu sensibilisieren. In Bezug auf die Forderung Frasers nach der Unterstützung von Diskursen und Begrifflichkeiten sog. schwacher Teilöffentlichkeiten, schafft es Rosler, daß Probleme unterprivilegierter bzw. -repräsentierter Bevölkerungsgruppen, wie z.B. Obdachlose, Zugang zu einem vergrößerten Kreis von Rezipienten bekommen. Gleichzeitig entstehen durch das Zusammenbringen unterschiedlicher Gruppen und Personen innerhalb des neutralen sozialen Raums der Institution neue Netzwerke zur Stärkung spezifischer Teilöffentlichkeiten und ihrer Anliegen. Im Rahmen einer solchen künstlerischen Praxis im öffentlichen Interesse gibt es von Seiten der Kunstkritik zwei Kritikpunkte bezüglich des gewählten institutionellen Rahmens. Zum einen kommt es bei diesem Ansatz nicht zu einer Beteiligung der Betroffenen, sondern zu einer Erörterung bzw. Repräsentation der Probleme unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen, d.h. der Künstler entspricht durch den institutionellen Kontext und dessen spezifischem Publikum nicht der von Jameson formulierten Aufgabe der Unterstützung des Bewußtwerdens über die eigene Position innerhalb gesellschaftlicher Prozesse und Möglichkeiten zu ihrer Überwindung. Ein weiteres Problem bezüglich der institutionellen Kunst im öffentlichen Interesse ist die Gefahr einer Aneignung bzw. Institutionalisierung durch den Kunstbetrieb, die man im Rahmen der vorherigen Entwicklung einer künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum überwinden wollte. Ähnlich der von Kwon beschriebenen Domestizierung des ortsspezifischen Ansatzes durch die Unternehmerische Stadt, kommt es durch den institutionellen Kontext zu einer möglichen Assimilation des kritischen Ansatzes und der Reduzierung der künstlerischen Praxis auf die Produktion und Ausstellung von Objekten bzw. Waren. Jan Avgikos prägt in diesem Zusammenhang die Redewendung "sleeping with the enemy" zur Beschreibung der Gefahr der Vereinnahmung eines kritischen Ansatzes der Künstlergruppe Group Material durch die Institution: "Did it matter whether or not social relations changed as a direct result of Democracy [Titel der Ausstellung von Group Material Anm. d. Verf.]? In the eyes of Dia [der Institution in der die Ausstellung stattfand, Anm. d. Verf.], probably not. Dia got exactly what it bargained for: a highly original and innovative contemporary art, and in a market that places utmost value on origi-

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nality and innovation, the Group Material product was a very hot commodity indeed."B 1 Auch HöHer kritisiert im Rahmen seiner Unterscheidung zwischen oppositionellen Störungs- und affirmativen Entstörungsdiensten die Rückkehr einer Kunst im öffentlichen Interesse in die Institution, da sie zu einer Schwächung der Kritik und der "folgenlosen Umwandlung außerinstitutioneller Marginalität in institutionalisierte Marginalität"82 führt.

4.3 Projekte im öffentlichen Raum In den folgenden Abschnitten werden Beispiele flir eine künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum anhand von drei Projekten vorgestellt, die alle einen proklamierten partizipativen bzw. interventionistischen Ansatz verfolgen, aufgrundjeweiligen ihrer Zielsetzung, Herangehensweise und spezifischen Kontexte jedoch unterschiedlich bewertet werden müssen. Als Kriterien werden diesbezüglich die in den vorherigen Kapiteln erörterten Diskurse zu Raumtheorie und Neuer Urbanität, sowie die Forderungen von Jameson, Lefebvre und Bourdieu an die Gruppe der Intellektuellen und Kulturarbeiter genutzt.

Ayse Erkmen: "Shipped Ships" "Selten war ein Kunstprojekt menschlicher, kommunikativer und sowohl in der Begeisterung aller Beteiligter als auch dem Erlebnischarakter in dieser Weise öffentlich und für alle da. [... ] Der Augenblick der Faszination dieser neuen Erfahrung[ ... ] löst einen Moment des Glücks aus, wie er von Kunst im öffentlichen Raum wohl noch nie erzielt worden ist."B 3 Die Arbeit "Shipped Ships" der Künstlerin Ayse Erkmen war das erste Projekt im Rahmen der von der Deutschen Bank entwickelten Ausstellungsserie "Moments" und fand im Mai 2001 in Frankfurt am Main statt. Sie stellt eine Erweiterung des Engagements der Deutschen Bank im Kunstbereich dar, und ist, anders als die bankeigene Sammlung zeitgenössischer Kunst, im öffentlichen Raum angesiedelt. Desweiteren ver81 Jan Avgikos: "Group Material Timeline: Activism as a Work of Art", in: Felshin, S. 113. 82 Vgl. C. Höller in: Springer Band I /Heft 1, S. 24. 83 Friedrich Meschede: "Frankfurt on Bosphorus", in: Deutsche Bank (Hg.), Ayse Erkmen/Shipped Ships, Frankfurt/Main 2001, Bd.1, S. 115/116.

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fügt das Projekt über einen prozessualen, temporären und partizipativen Anspruch bei der Konstitution der jeweiligen Arbeit: "Die Kunstreihe der Deutschen Bank eröffnet mit Projekten internationaler Künstler Perspektiven, die ein Bild, eine Idee oder eine Situation bewußt werden lassen. So entstehen ,Momente', die nicht reproduzierbar sind. [... ] Jeder Beteiligte bringt sich in seiner Einzigartigkeit mit ein, jeder erfahrt subjektiv einen anderen Teil des Ganzen."84 Nach Aussage der Deutschen Bank soll die Ausstellungsreihe Tendenzen aktueller Kunst aufgreifen und präsentierten, gleichzeitig allerdings auch die "Entwicklungen des zunehmend virtueller werdenden Bankgeschäftes"85 widerspiegeln. Das Konzept von Erkmens Projekt besteht in der Überflihrung von drei Passagierbooten aus lstanbul (Türkei), Venedig (Italien) und Shingu (Japan) nach Frankfurt, wo sie, unter Leitung ihrer heimischen Crew, und als Ergänzung zu den bestehenden Fährschiffen, für ca. einen Monat den Fährbetrieb zwischen verschiedenen Stationen von Frankfurt bis Offenbach aufnehmen. Der Passagier auf einem solchen Boot bekommt beim Kauf der Eintrittskarte eine Broschüre überreicht, die ihn, sofern er es noch nicht weiß, über den Kunst-Kontext seiner Fahrt aufklärt und zum Teilnehmer des Projektes macht. Neben der eigentlichen Arbeit Erkmens sind auch die verschiedenen Interpretationen durch die Autoren der Katalogtexte, sowie der Katalog selbst zur Beurteilung der Arbeit interessant, die den ursprünglichen Intentionen Erkmens oft entgegen laufen. Während Erkmen im Interview den konzeptuellen Charakter des Projekts, dessen skulpturale und dysfunktionale Aspekte beim Transport der Fährschiffe durch ein zweites Schiff betont und nach eigener Aussage weniger an lokalen, globalen oder historischen Aspekten interessiert ist,86 widmet sich der Katalog ausführlich jeder einzelnen Anlegestelle entlang der Route der Fährschiffe und gibt einen kurzen historischen Abriß des jeweiligen Stadtteils. 87 84 Deutsche Bank (Hg.): Ayse Erkmen/Shipped Ships, Bd.l , Innenseite Katalogumschlag. 85 Ebd. 86 Vgl. Vanessa Joan Müller: "Interview Ayse Erkmen", in: Deutsche Bank, Bd.2, S. 24ff. 87 Vgl. Deutsche Bank, Bd.l, S. 8-72.

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Für Erkmen stellt das Projekt eine subtile Dienstleistung dar, das neben dem funktionalen Aspekt beim Betrachter bzw. Passagier ein bestimmtes körperliches Empfinden und eine neue Wahrnehmung evozieren soll; 88 Dagegen betont der Katalogbeitrag von Meschede weniger die Erfahrung des Betrachters, sondern vielmehr den Effekt flir die Stadt Frankfurt. Für ihn entsteht aufgrundder neuen Wahrnehmung Frankfurts vom Fluß aus, eine Ähnlichkeit zur amerikanischen Finanzmetropole New York, die Stadt selbst wird für ihn als Skulptur und Raum erfahrbar. Desweiteren interpretiert Mesche den Aspekt der unterschiedlichen Boote als interkulturellen Austausch, bei dem die Schiffe als "zeitgenössisches trojanisches Pferd [ ... ] unser Bewußtsein über kulturelle Zusammenhänge [aufbrechen]."89 Meschede sieht beim Projekt Erkmens Parallelen zur Arbeit "7000 Eichen" von Joseph Beuys und auch die Verantwortlichen für das Projekt ziehen in einem "möglichen Gespräch" in Bezug auf die beim Betrachter initiierten Bewußtseins- und Reflexionsprozesse einen Vergleich ihres Projektes zu Beuys und dessen Begriff der sozialen Plastie° Für Burioni ist der partizipative Aspekt des Projektes dagegen nicht mit Beuys' Idee einer sozialen Plastik, die im Kontext seines Erweiterten Kunstbegriffs die kommunikative Situation innerhalb einer Gruppe beschreibt, vergleichbar. Er spricht stattdessen von einem "erweiterten Museumsbegriff", 91 der lediglich den physischen Raum der Institution überwindet. Insgesamt läßt sich feststellen, daß das Projekt "Shipped Ships" durch seinen Kontext als Teil einer Ausstellungsreihe der Deutschen Bank für deren Zwecke instrumentalisiert wurde. Dies läßt sich besonders anhand des aufwendig gestalteten zweiteiligen Katalogs belegen, der durch seine Konzentration auf ästhetische Fotos und die umfassende Darstellung der einzelnen Fährhaltestellen als Standortwerbung für potentielle Arbeits-

88 Vgl. V. J. Müller in: Deutsche Bank, Bd.2, S. 23/29. 89 F. Meschede: "Frankfurt on Bosphorus", in: Deutsche Bank, Bd.1, S. 115. Meschede scheint nicht darüber informiert zu sein, daß es einen regulären Fährbetrieb auf dem Main zwischen Frankfurt und Offenbach gibt, der eine Wahrnehmung der Stadt vom Wasser aus jederzeit ermöglicht. 90 Vgl. "Fremde Ufer- Ein mögliches Gespräch zwischen Britta Färber, Ariane Grigoteit und Friedhelm Hütte" in: Deutsche Bank, Bd.1 , S. 131. 91 Matteo Burioni: "Übersetzen fi.lrs Übersetzen. VerschachteJung als Gestaltungsmittel in Ayse Erkmens ,Shipped Ships'", in: Deutsche Bank, Bd.2, S. 64.

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kräfte, Touristen oder Investoren gesehen werden kann.92 Die Betonung der Lebensqualität der Stadt durch den Katalog ähnelt einer Strategie, die auch 1991 im Rahmen der Ausstellung "Places with a past" in Charleston (USA) angewandt wurde. Für Kwon funktionieren solche Ausstellungen durch die Wahl spezifischer künstlerischer Praktiken und entsprechender Gestaltung des Katalogs im Kontext eines globalen Metropolenwettstreits um Investoren und Arbeitskräfte als Teil des Stadtmarketings der untemehmerischen Stadt, indem sie bei der Produktion von Identität und Authentizität behilflich sind.93 Ein weiterer Aspekt der im Rahmen der Ausstellungsreihe "Moments" flir die Deutsche Bank relevant sein dürfte, ist der Wunsch nach einem verbesserten Imagetransfer durch die Unterstützung künstlerischer Projekte, die eine größere Öffentlichkeit ansprechen sollen. Wie, u.a. in Zusammenhang mit einer Ökonomie der Symbole bereits erörtert wurde, stellen Kunst und Kultur wichtige Faktoren des untemehmerischen Marketings und der Imageproduktion dar und bieten spezifische Repräsentationsmöglichkeiten zum Ansprechen ausgewählter Öffentlichkeiten. Die Künstler und Kunstkritiker Creischer und Siekmann sprechen diesbezüglich von der firmeneigenen Kunstsammlung als überholtes Paradigma der untemehmerischen Kunstförderung, die im Kontext eines angestrebten corporate image aufgrund mangelnder öffentlicher Präsenz nicht über die nötige Sichtbarkeit verfugt. 94 Davies diagnostiziert in diesem Zusammenhang eine Verschiebung des mäzenatisch-philanthropischen somethingfor nothing hin zur Entwicklung sog. hands-on Beziehung, bei 92 Als Beispiel sei hier die Beschreibung der Haltestelle Griesheimer Ufer zitiert: "Noch Anfang der achtziger Jahre war das Mainufer zwischen Autobahnbrücke und Staustufe [... ] alles andere als romantisch. Das nahe gelegene Industrieareal ließ keinen Gedanken an Erholung in der Natur aufkommen, doch tummeln sich hier mittlerweile Enten, Reiher, Schwäne und bisweilen Hunderte Komorane. [... ] Und auch den übrigen Besuchern bietet das Griesheimer Ufer heute ein übenaschendes Idyll." (Zitiert nach: Deutsche Bank, Bd.l, S. 11 ). 93 Vgl. M. Kwon: One place after another, S. 54/55. Frankfurt ist gleichzeitig auch der Firmensitz der Deutschen Bank. 94 Alice Creischer/Andreas Siekmann: "Sponsorship und neoliberale Kultur", in: Stefan Dillemuth, (Hg.), The Academy and the corporate public, unter: http://www.societyofcontrol.com/research/criessiekm_dtll.htm vom 4.7.2003. Die Deutsche Bank verfügt über eine der größten Sammlungen zeitgenössischer Kunst in Deutschland und betreibt in Kooperation mit dem Guggenheim Museum den Ausstellungsraum "Deutsche Guggenheim Berlin."

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der Unternehmen eigene kulturelle Initiativen entwickeln, die eine direkte und repräsentative Vernetzung von Kultur und Wirtschaft erlauben. 95 Der Aspekt der Partizipation ist bei Erkmens Arbeit nicht wirklich mit der Idee der sozialen Plastik von Joseph Beuys vergleichbar, vielmehr funktionieren die Schiffe lediglich als kulturell aufgeladene Erlebnisräume für eine privilegierte Öffentlichkeit im Kontext der Erlebnisgesellschaft und ihrem Wunsch nach Inszenierung. Der konstruierte Bezug zu Künstlern wie Beuys, funktioniert in diesem Zusammenhang eher als eine weitere Form der lnstrumentalisierung, bei der von den Kuratoren versucht wird, dem Projekt einen möglichst hohen Stellenwert innerhalb des Kunstbetriebs einzuräumen um die Reputation ihrer Ausstellungsreihe zu steigern. 96

Wochenklausur "Was ist, wenn mich als Künstler[ ... ] die Veränderung der Welt mehr interessiert als die Veränderung von totem Material? Wenn unter Kunst auch die aktive Mitgestaltung unseres Zusammenlebens verstanden werden könnte, die kreative Beteiligung bei der Beseitigung offensichtlicher Unzulänglichkeiten [... ] ? [... ] angesichts von Mißständen, die mit etwas Einfallsreichtum durchaus zu beseitigen wären, können wir in der Kunst nur schwerlich zur selbstreferentiellen Tagesordnung übergehen.'m Wochenklausur ist eine Gruppe von Künstlern, die seit ihrer Gründung 1993 einen interventionistischen Arbeitsansatz im öffentlichen Raum

95 Vgl. Anthony Davis: "Vom Wunsch, Kultur und Wirtschaft zu verbinden", in: Derive Nr.6 (2001 ), S. 11. Interessant ist in diesem Zusammenhang, das die Deutsche Bank "aufgrund der Umstrukturierung der Bank" (Zitat: Danielle Pippardt in einer Email vom 15.6.04) die gesamte Ausstellungsreihe nach der Durchführung des Projekts "Wordsearch" von Karin Sander im Jahr 2002 abgebrochen hat und geplante Projekte mit den Künstlern Tobias Rehherger und Jenny Holzer nicht durchgeft.ihrt werden. 96 Neben der Aneigung des Begriffs der Sozialen Plasitk und dessen Konnotationen, könnte auch der Titel der Ausstellungreihe eine unzulässige Aneignung darstellen, beschreibt doch Lefebvre mit dem Begriff der Momente emotionale Erfahrungen einer urbanen Praxis im Kontext eines herrschaftsfreien urbanen Raums der Interaktion heterogener Nutzergruppen und nicht der spezifischen Klientel der Deutschen Bank (vgl. K. Ross in: October Nr.79, S. 72). 97 Wolfgang Zinggl: "Der Aktivismus der Wochenklausur", in: Rollig/Sturm, S. 212.

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vertritt. Ihr proklamiertes Ziel ist die Durchführung "kleiner gesellschaftspolitischer Veränderungen"98 zur Verringerung "realpolitische[r] Defizite". 99 Die Gruppe, die bis 1997 von Wolfgang Zinggl geleitet wurde und mittlerweile von einer festen Kerngruppe geführt wird, operiert aus einem institutionellen Rahmen heraus, d.h. sie wird durch Einladung der jeweiligen Institutionen aktiv. Diese konfrontiert sie entweder mit einer spezifischen Problematik, oder aber die Gruppe erarbeitet selbst Problemstellungen im Umfeld der Institution und entwickelt dann in Kooperation mit Experten aus den entsprechenden Bereichen spezifische Lösungsmöglichkeiten. Wochenklausur beruft sich bei ihrem Ansatz auf die historischen Positionen des Bauhaus und der russischen Konstruktivisten, denen es im Rahmen ihrer Arbeit um eine Überwindung der autonomen künstlerischen Produktion und dem direkten Einwirken zugunsten einer Verbesserung der Gesellschaft ging. Darüber hinaus nutzt die Gruppe aktivistische bis partizipative Methoden, die sich seit dem Ende der 60er Jahre entwickelt haben, betont dabei aber eine Abkehr von den damaligen idealistisch-utopischen Zielen: "Im Unterschied zu den Vorstellungen in den Siebzigerjahren geht es bei den heute tätigen Aktivisten nicht mehr um eine generelle Weltveränderung. [... ] Die aktivistische Kunst am Ende des Jahrhunderts überschätzt sich nicht mehr. [... ] Sie trägt einen bescheidenen Teil bei." 100 Dem Vorwurf, daß die Kunst im Rahmen der von ihnen gewählten Praxis auf den Aspekt der affirmativen Sozialarbeit reduziert wird, entgegnen sie offensiv. Ihnen geht es bei ihrer Arbeit um Effektivität und nicht Genialität und um eine konkrete Veränderung statt bloßer kritischer Repräsentation der Probleme unterprivilegierter Randgruppen oder auch der umfassenden Veränderung bestehender Herrschaftsverhältnisse. "Alle Probleme können auf grundsätzlichere zurückgefiihrt werden. Die Überzeugung, eines Tages werde es möglich sein, das Grundsätzliche schlechthin zu verändern, wenn nur diese kleinen Hilfsmaßnahmen diesen Tag nicht hinauszögerten, bleibt also eine lllusion, die kleine Schritte verändert.

98 Pascale Jeannee: "Die Arbeitsweise der Wochenldausur", in: Peter Weibel (Hg.), Offene Handlungsfelder, Köln: DuMont Verlag 1999, S. 226. 99 Ebd. 100 Wolfgang Zinggl: "Vom Objekt zur Intervention", in: Wochenklausur Homepage, http://www.wochenklausur.at vom 17.6.2003.

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[... ]Die agitatorische Kunst macht es sich manchmal ein bisschen zu einfach, indem sie nur anprangert."101 Wochenklausur arbeitet nach eigenen Angaben an der Erweiterung des Kunstbegriffs um den Aspekt eines konsequent ergebnisorientierten und pragmatischen Arbeitsansatzes bezüglich sozialer Mißstände und an einer entsprechenden Politisierung des Kunstbetriebs, was sich auch in der konsequenten Ablehnung der Produktion von Kunstwerken oder Dokumentationsmaterialien als "Fetische" für den Kunstmarkt äußert. Diese Verweigerungshaltung bezüglich der Produktion von Kunstwaren schützt die Projekte ihrer Meinung nach vor der Vereinnahmung und lnstitutionalisierung durch den Kunstbetrieb, die auf Kosten der gesellschaftlichen Relevanz gehen würde. 102 Anstatt sich vereinnahmen zu lassen, sind es Wochenklausur, die die Möglichkeiten der gastgebenden Institution ausnutzen und diese neben ihren eigenen Möglichkeiten in die Realisierung eines Projektes integrieren, und so desöfteren undogmatische Lösungsmöglichkeiten jenseits der klassischen Form von Sozialarbeit entwickeln. 103 Man kann, unter Bezug auf die von Bourdieu entwickelten Kapitalsorten, auch von einer bestimmten Menge an symbolischem Kapital der Institution sprechen, das die Künstler nutzen und, zusammen mit ihrem eigenen Kapital, zugunsten kapitalschwacher Bevölkerungsgruppen einsetzen: "Das Agieren aus dem Kunstkontext heraus bringt Vorteile, wenn es darum geht, soziale und bürokratische Hierarchien zu umgehen und Verantwortungsträger der politischen Ebene, der öffentlichen Verwaltung oder der Medien kurzfristig zu mobilisieren und in konkrete Maßnahmen einzubinden." 104 Exemplarisch für die unterschiedlichen Ansätze der Tätigkeit von Wochenklausur werden im Folgenden zwei Projekte vorgestellt, bei der es 101 Ebd. 102 Dieser Aspekt läßt sich allerdings auch als Streben nach Originalität aus egoistischen Gründen bzw. nach Bourdieu zur Steigerung des kulturellen Kapitals der Gruppenmitglieder auslegen. I 03 Als Beispiel wäre hier die "Intervention zur Ausländerbeschäftigungspolitik" zu nennen, bei der die Gruppe Flüchtlingen "Aufträge zur Erstellung von Kunstwerken in Form sog. sozialer Plastiken" besorgte, die diese durch ihren erworbenen Status als Künstler vor der Abschiebung bewahrte (Wochenklausur: "Zehn Interventionen", in: Weibel, S. 238). 104 P. Jeannee: "Die Arbeitsweise der Wochenklausur", in: Weibel, S. 227.

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zu einem unterschiedlichen Einsetzen des Kapitals der Gruppe und der Institution kommt. 1994 setzte sich Wochenklausur im Rahmen einer Ausstellung in der Shedhalle in Zürich mit den Problemen von drogenabhängigem Prostituierten auseinander, die unter der Kürzungen staatlicher Sozialleistungen litten. 105 Die Gruppe lud daraufhin Experten aus verschiedenen Bereichen zu Treffen ein und es gelang, langfristig eine Pension als Notschlafstelle anzumieten. Als Beispiel einer partizipativen und interventionistisch angelegten künstlerischen Praxis ist die Einrichtung eines Treffpunktes fiir die ältere Dorfbevölkerung in einem kleinen Ort in Italien zu nennen. 106 Wochenklausur informierte in der örtlichen Zeitung über ihr Projekt und tätigte Spendenaufrufe, daneben kam es auch zur Besetzung eines leerstehenden Gebäudes und der Durchfiihrung einer Fundraising-Aktion zusammen mit den Senioren, die das nötige Geld zum Betreiben eines Lokals und dem Bau einer Boccia-Bahn erbrachte. Am Ende des Projekts einigte man sich mit der Kommune auf ein Finanzierungsmodell, das den langfristigen Erhalt der Institution sowie die Durchfiihrung verschiedener Aktionen dadurch sichert, daß die älteren Bewohner im Gegenzug Aufgaben des öffentlichen Gemeinwesens übernehmen. Bezüglich der gewählten Ansätze von Wochenklausur zugunsten einer Bevölkerungsgruppe läßt sich ein unterschiedliches Vorgehen beim Einbringen des kulturellen Kapitals der Gruppe und der Institution diagnostizieren. In diesem Zusammenhang stellt die Einrichtung einer Pension als Ort fiir drogenabhängige Prositutierte "an dem sie tagsüber Kraft schöpfen und zur Ruhe kommen können" 107 eine rein soziale Dienstleistung im Sinne einer affirmativen und patemalistischen New Genre Pubhe Art dar. Diese Art der Intervention wird von staatlicher Seite akzeptiert, da sie als eine Form von Krisenmanagement die Probleme der Randgruppe lindert, ohne sich näher mit ihnen zu beschäftigen oder die staatliche Sozialpolitik fiir ihre Mängel direkt zu kritisieren. Daneben versucht Wochenklausur auch nicht, die jeweilige Gruppe partizipativ in die Arbeit zu integrieren, Prozesse der Bewußtwerdung zu initiieren oder Möglichkeiten zur Überwindung ihrer Situation zu entwickeln, die nach 105 Wochenklausur: "Zehn Interventionen", in: Weibel, S. 233. Intervention zur Drogenproblematik, Shedhalle Zürich, 1994/95 . 106 Intervention zum sozialen Status älterer Menschen, Progetto Civitella d' Agliano, Italien, 1994. 107 Wochenklausur: "Zehn Interventionen" in: Weibel, S. 233.

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J ameson oder Bourdieu Merkmale einer sinnvollen künstlerischen Praxis darstellen. Wochenklausur verzichtet diesbezüglich auf das Einbringen einer autonomen Distanz der Kunst, die eine differenziertere Betrachtung der Situation und eine politische Gesellschaftskritik ermöglichen könnte, sondern reduziert ihre Arbeit auf eine reine Hilfsmaßnahme. Auch kommt es bei diesem Projekt nicht zur Schaffung eines sozialen oder physischen Raums, der eine Erörterung bzw. eine Repräsentation der Probleme der Randgruppe eröffnet, wie es die institutionelle Kunst im öffentlichen Interesse versucht. Das zweite Projekt funktioniert dagegen weniger affirmativ, sondern vielmehr als Auslöser kommunikativer Prozesse zwischen den beteiligten Gruppen und eröffnet eigene Handlungsspielräume innerhalb der Gesellschaft. Unter Bezug auf Lefebvre kommt es im Rahmen dieser Intervention durch die Aneignung leerstehender Räume zur Produktion eines differentiellen Raums, in dem sich eine bestimmte Teilöffentlichkeit treffen und austauschen kann. Die Gruppe pensionierter Senioren erreicht mit Hilfe der Fundraising-Aktion eine breitere Öffentlichkeit und wird durch das Übernehmen öffentlicher Aufgaben in die Dorfgemeinschaft reintegriert.

Während die Projekte der Gruppe Wochenklausur von Seiten der Kunstkritik aufgrund ihres affirmativen Handlungsansatzes und ihrer Nähe zur Sozialarbeit häufig pauschal kritisiert werden, 108 ist es bei einer differenzierteren Betrachtung aufgrund unterschiedlicher Projekte und Handlungsansätze schwer ein eindeutiges Urteil über die Arbeit von Wochenklausur zu fällen. Anhand der beiden exemplarisch angeführten Projekte, die zwischen den Polen einer systemstabilisierenden Sozialarbeit und einer kritischoppositionellen Intervention oszillieren, zeigt sich, daß sich eine klare Kategorisierung in Störungs- bzw. Entstörungsdienst bezüglich der Arbeit von Wochenklausur nicht vornehmen läßt. Auch die von Jameson, Bourdieu und Lefebvre entwickelten Maßstäbe einer sinnvollen Praxis werden bei den verschiedenen Projekte der Gruppe unterschiedlich stark erfüllt.

108 Höller bezeichnet die Arbeit von Wochenklausur als "Wohlfahrtsservice", der dabei hilft "die Leerstellen im liberalistischen Wohlfahrtsstaat" auszufüllen (C. Höller in: Springer Band 1/Heft 1, S.21 /26).

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Park Fiction

"Park Fiction ist Kunst im öffentlichen Raum als praktische Kritik an Stadtplanung als Ausdruck und Mittel staatlicher Macht und wirtschaftlicher Interessen aus einer Benutzerinnenperspektive heraus." 109 Park Fiction ist ein Projekt von verschiedenen Künstlern, das sich seit 1995 zusammen mit der Bürgerinitiative "Hafenrandverein e.V." für den Bau eines von Bürgern gestalteten Parks im Hamburger Stadtteil St.Pauli einsetzt, dessen Realisierung im Mai 2003 begonnen hat. Die Bebauung des Pinnasberg, dem Gelände auf dem der Park errichtet wird, war seitens der Stadt Harnburg schon seit Anfang der 80er Jahre geplant. 1981 protestiert die Kirchengemeinde St.Pauli, deren Grundstück direkt an das Gelände anschließt, gegen diese Pläne, und 1991 entsteht zusammen mit dem gegründeten Hafenrandverein die Forderung nach einem von den Anwohnern gestalteten Park am Pinnasberg. Nachdem die Kulturbehörde die Künstler Cathy Skene und Christoph Schäfer 1995 eingeladen hatte, ein Projekt für den öffentlichen Raum zu entwickeln, entschlossen sich diese zur Unterstützung der bereits bestehenden Initiative des Hafenrandvereins, um gemeinsam für die Durchsetzung des Parks zu kämpfen, was zur Enstehung des Projekts "Park Fiction" und der Durchführung von Aktionen wie Straßenfesten, Umfragen und Diskussionsveranstaltungen führte. In Zusammenarbeit mit den Anwohnern kommt es zur Erarbeitung eines öffentlichen und kollektiven Planungsprozesses, aber auch zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen Kulturbehörde, Hafenrandverein und der Stadtentwicklungsbehörde, die sich flir eine Bebauung des Geländes einsetzt. Gegen Ende des Jahres kommt es schließlich zu einem Rückzug der Kulturbehörde und der zugesagten Fördergelder. Park Fiction und Hafenrandverein veranstalten allerdings weiterhin Aktionen, die sich im Rahmen eines permanenten Sozialabbaus in St. Pauli, auch parallel auf den Widerstand gegen die Schließung des Hafenkrankenhauses ausweiten und letztendlich dazu fUhren, daß die Gespräche zwischen dem Hamburger Senat und den Anwohnern bezüglich des Parks wieder aufgenommen werden. 1997 gründet Park Fiction, auf Einladung der Kulturbehörde und im Rahmen der Ausstellung "weitergehen", vor Ort ein Planungsbüro und initiiert unter Bezug auf die Theorien von Deleuze/Guattari eine "kollektive Wunschproduktion",unter den Anwohnern I 09 Arbeitsgruppe Park Fiction: ,,Aufruhr in Ebene p" in: Park-Fiction Homepage, http://www.parkfiction.org vom 29.8.2004.

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bzw. den "interventionistischen AnrainerInnen" .110 Diese können dort mit Hilfe unterschiedlicher Tools bzw. Planungsinstrumente, Parkplänen, Bibliothek, Fragebögen, Diskussions und Informationsveranstaltungen etc., ihre eigenen Vorstellungen zur Parkgestaltung einbringen. Die verantwortlichen Bezirksgrünausschüsse lehnen allerdings die Pläne, an deren Erarbeitung neben Experten auch über 1000 Anwohner miteinbezogen wurden, kurzfristig ab, da sie ein "Sicherheits- und Ordnungsproblem" darstellen. 111 Letztendlich kommt es im Jahr 2001 bei einer Präsentation des Parkmodells zur Zusage des verantwortlichen Senators flir Stadtentwicklung und die Realisierung des Modells beginnt mit einiger Verzögerung im Mai 2003, nachdem Park-Fiction ihre Arbeit u.a. auf der Documenta 11, einer der wichtigsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, vorgestellt hatte. Im Rahmen des ersten Bauabschnitts ensteht u.a. der sog "Fliegende Teppich", eine wellenförmige Begrünung des Daches der neu gebauten Turnhalle, weitere Elemente, wie Boule-Platz und der "SeeräuberinnenBrunnen", sind geplant und sollen bis zum Ende des Jahres 2004 fertiggestellt werden. Durch die Entwicklung eines partizipatorischen Ansatzes, der versucht, der Community einen größtmöglichen Handlungsspielraum bei der Parkgestaltung einzuräumen entspricht die von Park Fiction gewählte Art der künstlerischen Auseinandersetzung der New Genre Public Art, wobei gleichzeitig auch mögliche Vorwürfe einer patemalistischen Kunstpraxis entkräftet werden. Schäfer sieht die Aufgabe der Gruppe dementsprechend in der Motivierung der kreativen Potentiale der Anwohner zugunsten der Überwindung der herrschenden ökonomisch motivierten und technokratischen Stadtplanung. "Weil uns klar war, daß viele Anwohnerinnen durch die Schule einer entmündigenden Stadtplanungspolitik frustriert, in Anhörungen abgefertigt werden, erfanden wir den Action Kit- einen Alukoffer voller Pläne zum ausfüllen, mit Stiften, selbsthärtender Knetmasse, Diktaphon [... ], einem ausklappbaren Hafenpanorama mit Maßstabsfiguren, um Gegenstände oder Entwürfe davor auszuprobieren[ ... ], einer Polaroidkamera um diese Arbeiten zu fotografieren, und Fragebögen. Damit wurden mehr als 200 Wohnungen [... ] besucht. Parallel zu diesen direkt planerischen Werkzeugen gab es Park Fiction lnfotain-

110 Christoph Schäfer in: Park-Fiction Homepage, http://www.parkfiction. org vom 29.6.2003. 111 Ebd.

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ment Veranstaltungen [... ], Ausflüge [... ], Pflanzaktionen und Videoprojekte mit Erwachsenen und Kindem." 112 Entsprechend den Vorstellungen der Situationisten bezüglich eines unitären Urbanismus will man eine alternative und narrative Stadtplanung initiieren, die sich nach den Wünschen und Anforderungen der Anwohner richtet. Gleichzeitig läßt sich eine solche Praxis nach Lefebvre auch als Aneignung von abstraktem Raum zugunsten seines nicht-profitorientierten Gebrauchswertes beschreiben. Zum Erreichen einer gewissen Effektivität bezüglich der Forderung nach einem Park, war es laut Schäfer notwendig, die gesellschaftliche Fragestellung in den Bereich der Kultur zu importieren, denn "für einen Moment hatten wir dadurch einen Raum eröffnet, wo wir die Regeln des Spiels stärker bestimmen konnten und die Politiker als die ewigen Verhinderer und langweiligen Nörgler dastanden, die sie eigentlich sind." 113 Park Fiction entspricht mit diesem formulierten Ansatz den Forderungen Bourdieus nach einer sinnvollen politischen Arbeit des Intellektuellen als Kulturarbeiter, der sein spezifisches Wissen und Kapital zugunsten der Bevölkerung einsetzt. Mit Hilfe der Befragungsinstrumente konkretisiert Park Fiction die Wünsche und Forderungen der Anwohner nach mehr Lebensqualität und unterstützt sie bei ihren Forderungen gegenüber dem Feld der Macht bzw. den herrschenden ökonomischen Interessen, d.h. sie verleihen mit ihrem kulturellen und symbolischen Kapital den Anliegen der kapitalschwachen Anwohner mehr Bedeutung. Nach Bourdieu kann eine solche Strategie damit auch als Versuch des Etablierens eines demokratischen bzw. gewaltfreien Diskurses bezeichnet werden. Gleichzeitig entspricht die Schaffung eines Parks durch und für die Anwohner, dem von Schulze erwähnten kulturellen Leitmotiv der Soziokultur zur Unterstützung kommunikativer Prozesse zwischen den Anwohnern, die seiner Meinung nach eine sinnvolle kulturelle Praxis im Kontext der individualisierten und konsumorientierten Erlebnisgesellschaft darstellt. Mit Hilfe unterschiedlicher Aktionen wie Straßenfesten, Partys, Ausstellungen und anderen Veranstaltungen gelingt der Gruppe das Zusammenbringen unterschiedlicher Benutzergruppen bzw. Teilöffentlichkeiten zur Bildung einer starken oppositionellen Gegenöffentlichkeit, die sich den ökonomisch motivierten Stadtentwicklungsprozes112 C. Schäfer: Park-Fiction Hornepage 113 Ebd.

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sen entgegenstellt. Darüberhinaus gelingt es der Gruppe auch, durch die Aktionen eine Medienpräsenz zu generieren, die einen erweiterten Publikumskreis auf das Projekt aufmerksam macht und die Arbeit der Bürgerinitiative in den Medien, als Ort der Bildung der sog. öffentlichen Meinung, repräsentiert. Aufgrund der Teilnahme an unterschiedlichen Ausstellungen beschränkt sich die Arbeitsweise von Park Fiction allerdings nicht auf den Aspekt einer reinen partizipativen künstlerischen Praxis im öffentlichen bzw. nicht-institutionellen Raum. Durch die Teilnahme an unterschiedlichen internationalen Ausstellungen und Kongressen funktioniert das Projekt auch als Kunst im öffentlichen Interesse innerhalb der Institutionen. Man nutzt den Ausstellungsraum diesbezüglich als funktionalen Ort der Repräsentation und produziert einen sozialen Raum, der seiner eigentlichen Nutzung als relativ autonomer Ort der Hochkultur entgegenläuft und stattdessen eine spezifische Teilöffentlichkeit in einen Diskurs über soziale Probleme unterprivilegierter Gruppen mit einbezieht. Im Rahmen der Parkeröffnung kam es diesbezüglich 2003 auch zu dem von der Gruppe organisierten Kongreß "Unlikely Encounters", an dem ähnlich arbeitende Künstler und Gruppen aus verschiedenen Ländern teilnahmen, die ihre Projekte eines experimentellen Urbanismus vorstellten, gleichzeitig aber auch ein internationales Netzwerk knüpften und die Möglichkeit hatten, sich untereinander auszutauschen Im Rahmen ihrer Arbeit widerlegt Park Fiction die von der Gruppe Wochenklausur vertretene Einstellung des Verzichts auf jegliche Dokumentationsmaterialien zum Entgehen einer Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb. Vielmehr erhöht sich, unter Bezug auf Bourdieu, durch Ausstellungsteilnahmen, wie u.a. an der Documentall, sowie einer entsprechenden Resonanz in den Medien, das eigene symbolische kulturelle Kapital, das man direkt zugunsten der Bürgerinitiative und ihrem Kampf gegen die tendenzielle Dominanz des ökonomischen Kapitals transferiert. Indem man die Interessen von Anwohnern bzw. Bürgerinitiative unterstützt und repräsentiert, schafft es Park Fiction auch, die Sicht auf den Elbhang zu verändern, so daß der vorhandene Platz nicht länger unter dem tauschwertorientierten Blickwinkel als Baulücke, sondern entsprechend den Forderungen der Anwohner und unter dem Aspekt des Gebrauchswerts als wirklicher Freiraum genutzt und gestaltet wird. Auf die Forderungen Jamesons übertragen bedeutet dies eine Unterstützung beim cognitive mapping, also dem Erkennen der eigenen Position und

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dem Formulieren eigener Ansprüche gegenüber der herrschenden Ideologie und der dominanten öffentlichen Meinung. Der Freiraum Park als Ergebnis einer kreativen und kollektiven Wunschproduktion und der politischen Arbeit der Bürgerinitiative entspricht dem von Lefebvre entwickelten Begriff des augeeigneten differentiellen Raums als Ort der Interaktion zwischen den heterogenen ortsansässigen Bevölkerungsgruppen. Entsprechend des von Lefebvre formulierten Rechts auf die Stadt und der Beschreibung von urbaner Praxis als Moment von Interaktion und Kommunikation, kann der Park aufgmnd seiner spezifischen Gestaltung daher als Modell einer sozialorientierten Stadtplanung gesehen werden. Auf Bourdieus Unterscheidung zwischen physischen und sozialen Raum übertragen, funktionieren Bürgerinitiative, Park Fiction und der gebaute Park als soziale und physische Räume, die eine exemplarische Überwindung des eigenen Habitus bzw. inkorporierter Wahrnehmungsund Handlungsmuster der Anwohner darstellen, und somit als emanzipatorische Praxis gegenüber den Prozessen gesellschaftlicher Reproduktion angesehen werden können. 11 4 Anders als das Projekt Wochenklausur funktioniert Park Fiction nicht als eine soziale Dienstleistung, sondern betont die Möglichkeiten der gemeinschaftlichen Kreativität aller am Projekt Beteiligten, wie sie auch von Lefebvre eingefordert wird. Unter dem Motto "Eines Tages werden die Wünsche die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen" betont die Gruppe den utopischen Aspekt ihrer Kooperation mit der Bürgerinitiative, die auch als eine exemplarische Überwindung Debords Gesellschaft des Spektakels und eine Rückkehr zu echten Situationen bzw. Momenten ermöglichen kann. Park Fiction berücksichtigt daneben auch die Forderung Lefebvres nach dem Einbringen der Kreativität der Bevölkerung bei der Stadtgestaltung, um dem von ihm formulierten utopischen Ideal der verstädterten Gesellschaft zu entsprechen. "Gärten haben schon häufiger in der Geschichte eine Rolle als Experimentallabor gespielt, haben im Kleinen Utopien und Ideale der Gesellschaft formuliert und zukünftige Entwicklungen der Städte vorweggenommen. Was die Demokratisierung von Planungsverfahren und den Aufbau von Beteiligungs114 Modelmag spricht diesbezüglich auch von der Entstehung eines gegenkulturellen Raums bzw. einer Gegenkultur, die sich als "ein zur Dominanzkultur gegenläufiges Geschehen" definiert, das "durch Reflexivität, aber auch Neugier, Leidenschaften oder Imaginationen ausgelöst werden kann (M. Löw: Raumsoziologie, S. 185/186).

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KUNST FÜR ALLE? strukturen betrifft, ist der kleine Park am Pinnasberg Teil einer Umwälzung, deren Ausmaße und Konsequenzen noch gar nicht abzusehen sind." 115 Bezüglich der Folgen einer bürgernahen Stadtgestaltung des Elbufers ist allerdings der Kontext der Unternehmerischen Stadt und die damit verbundene Zurichtung der Räume zu konsumistischen Erlebnis- und Inszenierungsräumen im Rahmen der von Schulze diagnostizierten Erlebnisgesellschaft problematisch. St. Pauli funktioniert aufgrund seiner Lage am Fluß, seinen historischen Sehenswürdigkeiten und der AmüsierstraBe Reeperbahn als innerstädtisches Vergnügungs- und Tourismusviertel und stellt damit einen wichtigen Imagefaktor für das Hamburger Stadtmarketing dar. Der Stadtteil ist deswegen unterschiedlichen Strategien der Gentrifizierung durch die Unternehmerische Stadt ausgesetzt, um diesen für eine neue, besserverdienende Nutzergruppe attraktiv zu machen, was eine Vertreibung der bisherigen Anwohneraufgrund gestiegener Mietpreise zur Folge hätte. 11 6 Obwohl der partizipative Ansatz von Park Fiction nicht zu einer Produktion symbolischer Schwellen fuhrt, funktioniert das Projekt im Kontext der Neuen Urbanität möglicherweise nicht nur als Erholungsraum für die jetzige Bevölkerung, sondern auch als Imagefaktor und kulturalisiertem Ereignisraum für anvisierte Zielgruppen. Es besteht daher die Gefahr, daß der Park langfristig nicht als Modell einer anwohnerorientierten Stadtplanung funktioniert, sondern durch die unternehmerische 115 Zitiert nach: Claudia Herstatt "Der Park kommt! Interview mit Christoph Schäfer", in: Clandia Herstatt (Hg.), weitergehen/Heft 2, Hamburg: Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Harnburg 1997, S. 4. 116 Als Beispiele einer solchen Strategie ist die Schließung mehrer sozialer Einrichtungen in St. Pauli und der vermehrte Neubau von Büro- und Wohnflächen zu nennen, der unter dem Motto "Wohnen und arbeiten auf dem Kiez macht Spaß" eine spezifische Nutzergruppe von Besserverdienenden ansprechen soll. Daneben kam es zu dem Versuch, sich mit dem Bau einer monumentalen Arbeit des Künstlers Jeff Koons über bestehende Planungen einer anwohnerorientierten Nutzung des zentralen Spielbudenplatzes hinwegzusetzen. Das spektakuläre Kunstwerk, das als Wahrzeichen des Stadtteils bzw. der Stadt funktionieren sollte, dabei aber auch eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Modell hatte, das der Künstler Andreas Siekmann früher bereits für Park Fiction entworfen hatte, hätte den Erlebnisraum St. Pauli fllr Publikum, potentielle Anwohner und Investoren ästhetisch und kulturell aufgewertet, gleichzeitig aber auch als symbolische Schwelle funktioniert.

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Stadt als Erlebnisraum instrumentalisiert wird. Die Fördergelder der Kulturbehörde würden dementsprechend nicht nur zur Erhöhung der Lebensqualität beitragen, sondern auch als Investition der Stadt zugunsten einer Aufwertung des Stadtteils funktionieren und so eventuell Prozesse der Verdrängung der Anwohner noch beschleunigen. Das Projekt Park Fiction wäre somit letztendlich kein Störungsdienst zur Etablierung einer alternativen Gegenkultur, sondern würde im Interesse der unternehmensehen Stadt zu einem affirmativen Entstörungsdienst transformieren, der sich aktiv an einer ökonomischen Aufwertung des Stadtteils beteiligt. Der Stadtteil verfügt allerdings dank eines funktionierenden Netzwerks aus den Bewohnern der ehemals besetzten Häusern der Hafenstraße, Betreibern des örtlichen "Golden Pudel Klubs" sowie anderen Aktivisten über eine "feine Tradition sturer Unerbittlichkeit gegenüber dem staatlichen Kontrollanspruch" in dessen Rahmen man sich immer wieder gegen die Tendenzen der Veredelung des Stadtteils zur Wehr setzt und mit unterschiedlichen Aktionen die Pläne der Wachstumskoaltion durchkreuzt. Am Beispiel von Park Fiction, dessen Vollendung immer wieder aufgrundbürokratischer Hindernisse und den Einsprüchen örtlicher Investoren ins Stocken gerät, wird sich zeigen, ob der Park als Anfang einer narrativen Stadtgestaltung und neue Form städtischen Erlebens von der Gesellschaft angenommen und fortgeführt wird, oder ob es langfristig beim Kampf um die Situationsrendite eines innerstädtischen Elbblicks zu Prozessen von Gentrifizierung und Verdrängung kommt, die einen Sieg des ökonomischen Feldes und den herrschenden Interessen der unternehmerischen Stadt bedeuten würde.

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5. ARSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN Zum Abschluß des Buches sollen an dieser Stelle noch einmal zusammenfassend die Entwicklungen und Theorien in den Bereichen Gesellschaft, Stadtentwicklung und Kunst erörtert werden, gleichzeitig wird hier auch versucht, diese als Bewertungskriterien bezüglich einer künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum zu bündeln. Der öffentliche Raum funktioniert nach Jameson im Kontext der Postmodeme und einer neuen spätkapitalistischen Ordnung als Herrschaftsinstrument, diese These wird auch von Bourdieu und Lefebvre mit dem Verweis auf gesellschaftliche Reproduktionsmechanismen im physischen (Außen-)Raum unterstützt. Der öffentliche Raum funktioniert dabei nicht nach dem Habermasschen Ideal als neutraler Ort der Meinungsbildung einer allgemeinen Öffentlichkeit, die diesen zur gleichberechtigten Erörterung gesellschaftlicher Fragestellungen nutzt, sondern vielmehr als umkämpftes Gut zwischen hierarchisierten Nutzergruppen mit unterschiedlichen Interessen. Im Kontext der Neuen Urbanität und unter Bezug auf Lefebvres Theorie der Raumproduktion läßt sich eine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Nutzern und ihren antagonistischen Interessen vornehmen. Zum einen gibt es die herrschende Gruppe der Wachstumskoalition, bestehend aus staatlichen und privatwirtschaftliehen Einrichtungen, die städtischen Boden im Kontext einer urban political economy unter dem Aspekt des Tauschwertes betrachtet und eine entsprechende Stadtentwicklungspolitik betreibt. Ihre Handlungen sind zunehmend von ökonomischen Interessen geleitet, und produzieren damit, unter Bezug auf Lefebvre, einen abstrakten Raum, der durch Homogenisierung und Fragmentarisierung gekennzeichnet ist. Die zweite Nutzergruppe sind die Bewohner des städtischen Raums, die diesen im Rahmen ihrer alltäglichen sozialen Praxis unter dem Aspekt seines Gebrauchswerts wahrnehmen. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung sind sie allerdings häufig nicht in der Lage, ihre entsprechenden Interessen gegenüber den ökonomischen Zielsetzungen der Unternehmerischen Stadt durchzusetzen.

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Als Folge von Ökonomisierung und Homogenisierung von städtischem Raum kommt es zu einer zunehmenden Segregation und Marginalisierung sog. schwacher Teilöffentlichkeiten wie Obdachlosen, Erwerbslosen oder Migranten. Desweiteren wird versucht, innerstädtische Räume in privatisierte, abgeschottete Zonen des Konsums für eine qualifizierte und exklusive Teilöffentlichkeit zu verwandeln, denen der Kontakt mit unerwünschten Teilöffentlichkeiten und gesellschaftlichen Mißständen erspart werden soll. Soziologen wie Kirchberg weisen auf die negativen Effekte einer solchen Entwicklung hin, da die zunehmende Segregation in homogene Teilöffentlichkeiten zu einem Verlust einer sozialen Kompetenz fuhrt, die im Kontext einer multikulturellen Gesellschaft von besonderer Relevanz ist, da sie einen zivilisierten Umgang zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ermöglicht. Neben einer verstärkten Segregation kommt es nach Jameson im Zeitalter der Postmodeme auch zu einer verstärkten Kulturalisierung, die flir ihn zu einem Verlust der kritischen Distanz künstlerischer Produktion in Bezug auf gesellschaftliche Prozesse führt. Schulze spricht diesbezüglich auch von einem Erlebnismarkt, in dem der Bereich der Kultur ein Angebot unter anderen darstellt, ausgerichtet auf eine erlebnisorientierte Nachfrage und den innenorientierten Konsumenten und seinem Wunsch nach Inszenierung des eigenen Lebens. Jameson erwähnt bezüglich dieser Entwicklung auch die erweiterten Möglichkeiten einer postmodernen Kultur, und Theoretiker wie Bourdieu und Lefebvre fommlieren entsprechende Handlungsansätze für Künstler und Wissenschaftler, um sich direkt in gesellschaftliche Prozesse einzumischen. Alle drei Theoretiker arbeiten an entsprechenden Theorien zur Überwindung der herrschenden gesellschaftlichen Ideologie. Da sie desweiteren auch von der Prämisse des (Außen-)Raums als Instrument der Herrschaft ausgehen und entsprechende Theorien einer interventionistischen Praxis innerhalb des öffentlich-urbanen Raums entwikkeln, lassen sich diese auch als Richtlinien begreifen, die aufgrund des spezifischen Kontexts der Kunst im öffentlichen Raum neben kunstinternen Interpretationsansätzen und Bewertungskriterien künstlerischer Produktion berücksichtigt werden müssen. Der Kulturbereich hat im Kontext des postindustriellen Strukturwandels, der Ökonomie der Symbole und eines globalen Konkurrenzkampfes zwischen einzelnen Metropolen einen neuen Stellenwert erhalten, der u.a. die permanente Gefahr der Instrumentalisierung durch die unter-

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ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN

nehmerische Stadt bedeutet. Kunst und Kultur funktionieren dementsprechend auch als Standortfaktoren und Imageproduzenten, die der Stadt eine spezifische Identität verleihen und sie mit Attributen ausstatten, die Wachstum und Fortschritt suggerieren sollen. Das Schlagwort von einer Kultur für alle beschreibt demnach heutzutage meistens lediglich ein ausdifferenziertes und distinguiertes Angebot an Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung für eine qualifizierte Teilöffentlichkeit und ihrem Wunsch nach einem ästhetischen und mit einem kulturellem Mehrwert versehenen Leben. Der Bereich der Kunst im öffentlichen Raum verbindet sich im Rahmen der allgemeinen Kulturalisierung und Ästhetisierung des Stadtbildes mit dem Bereich der Architektur zum städtischen Design und ist nach Ansicht unterschiedlicher Kritiker wie Deutsche oder Kwon ein Instrument zur Vertuschung und Humanisierung der spätkapitalistischen Ideologie. Es ist daneben auch möglich, Kunst im öffentlichen Raum als sog. symbolische Schwelle zu instrumentalisieren, da sie aufgrund einer spezifischen Formensprache ein Mittel zur Verdrängung unerwünschter und unterprivilegierter Randgruppen und zur Absicherung der innerstädtischen nach-öffentlichen Räume des Konsums darstellen kann. Aufgrund einer diagnostizierten Kooptation der Idee der physischen Ortsspezifität gilt dieser affim1ative Status auch für ortsspezifische und funktionale Skulpturen, da sie, neben ihrer Gestaltung kulturell aufgeladener Kristallisationspunkte bzw. Ereignisräume für meist privilegierte Teilöffentlichkeiten, auch eine vermarktbare Identität oder Differenz für die jeweilige Stadt produzieren. Kunst im öffentlichen Raum muß sich diesen Tatsachen bewußt sein und sich entsprechend entscheiden, ob sie sich außerhalb der Institutionen von den herrschenden Kräften der profitorientierten Wachstumskoalition funktionalisieren läßt, oder ob sie sich als kritische Instanz und im Rahmen ihrer Möglichkeiten interventionistisch für vernachlässigte Teilöffentlichkeiten einsetzt. Am Beispiel der Arbeit "Shipped Ships" von Ayse Erkmen kann man erkennen, daß auch partizipatorisch angelegte Arbeiten für die Produktion vermarktbarer Authentizität und Differenz instrumentalisiert werden können. Eine Arbeit wie "Shipped Ships", bei der, unabhängig von ihrer Aneignung durch den Sponsor, der partizipatorische Aspekt als bloßes Stilmittel auf eine freizeitorientierte und konsumistisch-passive Teilnahme an einer Schiffahrt reduziert wird, funktioniert dabei exemplarisch als Kunst im öffentlichen Raum, unter Bezug auf Schulze und De-

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bord, als spektakuläres Angebot auf dem Erlebnismarkt eingestuft werden muß. Eine künstlerische Praxis im öffentlichen Raum, die sich der Gefahr einer Vereinnahmung durch profitorientierte Interessen der Stadt entziehen will, arbeitet daher meist prozessual und partizipativ mit spezifischen unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen, d.h. sie nutzt den von Jameson attestierten Verlust ihrer relativen Autonomie als Zugewinn neuer gesellschaftlicher Spielräume zugunsten schwacher Teilöffentlichkeiten. Es ist das Ziel einer solchen interventionistischen Kunst, die auch als New Genre Public Art bezeichnet wird, eine Nivellierung der Zugangsmöglichkeiten zum Feld der Macht bzw. der sog. öffentlichen Meinung, sowie weitere gesellschaftliche Veränderungen zugunsten unterprivilegierter Teilöffentlichkeiten zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte eine solche Praxis aber auch einen emanzipatorischen Moment beinhalten, d.h. es sollten soziale oder physische Räume für schwache Teilöffentlichkeiten geschaffen werden, in denen diese Gruppen eigenständig als oppositionelle Gegenöffentlichkeit Probleme, Begriffe und Lösungsmöglichkeiten erörtern und diese auch gegenüber der herrschenden öffentlichen Meinung vertreten können. Unter Bezug auf die entwickelten Maßstäbe von Jameson, Bourdieu und Lefebvre reicht es nicht aus, daß Künstler wie z.B. die Gruppe Wochenklausur dabei den Rahmen ihrer Möglichkeiten häufig auf den Aspekt der paternalistischen Sozialarbeit beschränken. Eine solche Forn1 künstlerischer Intervention, die sich lediglich auf das Erarbeiten von Problemlösungen beschränkt, funktioniert als affirmatives Krisenmanagement im Interesse des Staates und sichert damit ein Fortbestehen gesellschaftlicher Ungleichheiten, statt alternative gesellschaftliche Räume zu öffnen. 1 Wochenklausur schafft es nicht, eine Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, d.h. der Gruppe ein kritisches Bewußtsein oder emanzipatorische Handlungsmöglichkeiten bezüglich der gesellschaftlichen Zusammenhänge und herrschenden Ideologie zu vermitteln, wie es Jameson und Bourdieu in Bezug auf eine sinnvolle künstlerische Praxis verlangen. Der gewählte Handlungsansatz von Wochenklausur entspricht auch nicht den von Lefebvre entwickelten Vorstellungen einer künstlerischen Praxis, da sie In Anbetracht der Tatsache, daß die Gruppe Wochenklausur im Rahmen ihrer Arbeit wahrscheinlich bereits mehrere Leben gerettet bzw. verlängert hat, sei an dieser Stelle auf die bereits öfters angeflihrte kritische Distanz verwiesen, die ein solches Urteil ermöglicht und rechtfertigt.

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häufig nicht auf eine mögliche Produktion von differentiellem Raum hin arbeitet, der seinem utopischen Ideal eines allgemeinen Rechts auf die Stadt entspricht. Das Projekt Park Fiction funktioniert diesbezüglich als Beispiel für eine sinnvolle interventionistische Kunst im öffentlichen Raum, da es durch den Versuch einer Aneignung von Raum Lefebvres Forderung nach einer Gegendynamik entspricht, mit der man auf die Prozesse einer zunehmenden Homogenisierung und Fragmentarisierung von städtischem Raum reagieren sollte. Darüber hinaus entspricht das Projekt auch Lefebvres Forderung nach dem Einbringen kreativer Ideen zugunsten seines utopischen Ideals der verstädterten Gesellschaft, indem man im Rahmen der kollektiven Wunschproduktion die Kreativität der Anwohner stimuliert und sinnvoll zugunsten der Gestaltung des Parks nutzt. Bei dem Versuch einer Stadtgestaltung, die den ökonomischen Interessen der Stadt entgegenlaufen, erhält die beteiligte Gruppe des weiteren direkte Einblicke in gesellschaftliche Prozesse und Strukturen, die u.a. den Forderungen Jamesons nach der Unterstützung des Subjektes bei Prozessen des cognitive mappings entsprechen. Im Rahmen der Arbeit von Park Fiction werden den Anwohnern auch die Mittel zur Verfugung gestellt, die ein Formulieren eigener Wünsche und Probleme ermöglichen. Dieser Aspekt entspricht den Forderungen Bourdieus an die Intellektuellen bezüglich politischer Arbeit und der Positionierung auf Seiten der Beherrschten; gleichzeitig unterstützt die Gruppe Prozesse zur Verortung des Subjekts innerhalb des städtischen Raums und der Gesellschaft. In Bezug auf die Effektivität einer interventionistischen Kunst, die an der Schaffung alternativer bzw. gegenöffentlicher Räume interessiert ist, betonen Lefebvre und Bourdieu den Stellenwert der Bevölkerung, mit denen Künstler bzw. Intellektuelleaufgrund ihrer homologen Positionen als Beherrschte verbunden sind. Für sie ist es nur im Rahmen einer Zusammenarbeit beider Gruppen möglich, die hegemoniale Reproduktion zu überwinden und gesellschaftliche Alternativen zu entwickeln. Das Projekt Park Fiction verweist neben einer größtmöglichen partizipativen Einbindung in die interventionistischen Prozesse daneben auch auf die Notwendigkeit, die eigene Arbeit und dessen Kontext innerhalb eines institutionellen Rahmens zu repräsentieren. Der Vorwurf einer Abschwächung der Kritik, der den künstlerischen Projekten im öffentlichen Interesse gemacht wird, die innerhalb einer Institution verortet sind, ist in diesem Falle nicht zulässig. Vielmehr gelingt es im Fall von Park Fic-

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tion, durch eine Präsenz bei internationalen Ausstellungen, neben der Generierung eines allgemeinen Medieninteresses, auch, das eigene symbolische Kapital zu steigern und dieses zugunsten der Anwohner dem symbolischen und ökonomischen Kapital städtischer Instanzen und Unternehmen entgegenzustellen. Anband der Arbeit von Park Fiction läßt sich feststellen, daß eine sinnvolle interventionistische Kunst im öffentlichen Raum nicht nur darauf abzielen sollte, soziale oder physische Räume für schwache Teil bzw. Gegenöffentlichkeiteil zu initiieren. Zum Erreichen einer möglichst hohen Effektivität sollte sie im Rahmen ihrer Aktionen die Interessen verschiedener Gruppen ansprechen, bündeln und diese somit in das Projekt integrieren, d.h. sie sollte im Sinne des von Schulze entwickelten kulturellen Leitmotivs der Soziokultur die Kommunikation zwischen den einzelnen Anwohnergruppen fördern. Gleichzeitig müssen allerdings auch mögliche Arten von Funktionalisierung bzw. Kooptation dieser Räume durch die ökonomischen Interessen und dem gesellschaftlichen Wunsch nach konsumistischer Aneignung von Erlebnissen, wie sie Schulze attestiert, berücksichtigt werden. Um die Interessen der Community gegenüber denen der unternehmerischen Stadt in Bezug auf die Aneignung innerstädtischer Räume effektiv zu vertreten, ist es aufgrund einer tendenziellen Dominanz des ökonomischen Kapitals wichtig, über eine entsprechend große Menge an kulturellem und symbolischen Kapital zu verfugen. Es gilt dabei, verschiedene Möglichkeiten zu nutzen, um eine möglichst breite Öffentlichkeit mit den spezifischen Anliegen zu konfrontieren, d.h. das von Lefebvre erwähnte kritische Bewußtsein muß nicht nur auf Seiten der Gruppe, sondern auch auf Seiten anderer Teilöffentlichkeiten produziert werden, damit es zu Veränderungen kommen kann. Aufgrund dieser Tatsachen läßt sich eine sinnvolle bzw. effektive künstlerische Praxis im öffentlichen Raum nicht per se durch zuordnen in Kategorien New Genre Public Art (Intervention) oder institutioneller Kunst im öffentlichen Interesse (Repräsentation) bestimmen. Eine sinnvolle Praxis funktioniert vielmehr als ein Zusammenspiel dieser beiden Ansätze, da es durch eine Repräsentation in einem institutionellen Rahmen möglich ist, das notwendige Kapital flir eine effektive interventionistische Praxis zu akkumulieren. Das produzierte Kapital läßt sich dann auf das Anliegen der Gruppe transferieren und dient somit beispielsweise der Schaffung differentieller Räume, die sich einer ökonomischen Verwertungslogik widersetzen und exemplarisch eine alternative urbane Si-

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tuation schaffen, in der heterogene Nutzergruppen das Recht auf Zutritt und integrativer Partizipation haben. Es ist in diesem Zusammenhang auch notwendig, den exemplarischen Charakter eines Projekts wie Park Fiction zu betonen, da es im Rahmen einer interventionistischen Praxis nicht um eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft gehen kann, sondern lediglich um das Aufzeigen alternativer Modelle von gesellschaftlichem Zusammenleben und dem Angebot, sich aktiv und kreativ an deren Realisierung zu beteiligen. Ob solche Modelle langfristig und auf breiter Ebene auch in Bezug auf andere umkämpfte Räume genutzt werden, entscheidet sich nur daran, ob die herrschende Macht die Idee einer kollektiven und demokratischen Gestaltung öffentlicher Räume akzeptiert, sondern ist auch abhängig von den Nutzungsarten der Bevölkerung. Auch sie muß die Chancen einer partizipatorischen Stadtgestaltung erkennen und gängige Verhaltensmuster einer passiv-konsumistischen Aneignung überwinden, d.h. es entscheidet sich anhand der Mitarbeit des Einzelnen, inwiefern ein Ort wie der Park am Hamburger Pinnasberg seinen utopischen Aspekt einer lebenswerten Stadt fiir alle mit Hilfe einer Kunst von allen einlösen kann.

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Weitere Titel zum Thema: Frank Eckardt Soziologie der Stadt Juni 2004. 132 Seiten. kart., 12,oo €, ISBN 3-89942-145-0 Die soziologische Befassung mit der Stadt hat in den vergangenen Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Die von der Stadtsoziologie in den Blick genommenen Raumbezüge eröffnen wichtige Zugänge zum urbanen Leben der globalisierten (Post-)Moderne. Zur Disposition steht hier die Stadt mit ihren eigenen Spielregeln: ihren ethnischen und geschlechtsbezogenen Trennungslinien und vielfältigen Vergemeinschaftungsprozessen. Wie diese theoretisch einzuordnen sind, diskutiert der Band mit Bezug auf traditionelle und postmoderne Urbanitätskonzeptionen. Gegenwärtig formt insbesondere die Einbindung der Städte in die Globalisierung die urbane Gesellschaft. Die Interdependenz mit dem »globalen Strom« von Menschen, Gütern und Ideen erzeugt eine globalisierte Urbanität, die die Stadtsoziologie vor n eu e Herausforderungen stellt.

Rolf Eickelpasch, Claudia Radem acher Identität Juli 2004, 138 Seiten. kart., 12,oo €, ISBN 3-89942-242-2 Die Einführung gibt einen Einblick in die aktuelle sozial- und kulturwissenschaftliche Identitätsdebatte, die weit über diesen Bereich ausstrahlt. Nach einem orientierenden Überblick werden im ersten Teil Modelle »dezentrierter