»Segen des Meeres«: Hochseefischerei und Walfang im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik [1 ed.] 9783428536634, 9783428136636

Ole Sparenberg untersucht aus wirtschafts- und umwelthistorischer Perspektive wie Hochseefischerei und Walfang helfen so

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»Segen des Meeres«: Hochseefischerei und Walfang im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik [1 ed.]
 9783428536634, 9783428136636

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Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Band 86

„Segen des Meeres“: Hochseefischerei und Walfang im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik Von Ole Sparenberg

Duncker & Humblot · Berlin

OLE SPARENBERG

„Segen des Meeres“: Hochseefischerei und Walfang im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik

Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Herausgegeben von Margrit Grabas, Werner Plumpe, Reinhold Reith, Dieter Ziegler

Band 86

„Segen des Meeres“: Hochseefischerei und Walfang im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik

Von Ole Sparenberg

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 978-3-428-13663-6 (Print) ISBN 978-3-428-53663-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83663-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Danksagung Die vorliegende Studie ist die gedruckte Fassung meiner Dissertation, die ich 2010 an der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen eingereicht und verteidigt habe. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Jan-Otmar Hesse danke ich für die Betreuung dieser Arbeit. Für die Finanzierung danke ich zunächst meinen Eltern, die mich während des Studiums und noch bei den Druckkosten dieser Arbeit unterstützten. Nicht nur deshalb ist ihnen dieses Buch gewidmet. Des Weiteren danke ich für die Promo­ tionsförderung der FAZIT-Stiftung, dem DFG-Graduiertenkolleg „Interdisziplinäre Umweltgeschichte“ sowie der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Margrit Grabas und den Mitheraus­ gebern, insbesondere Prof. Dr. Reinhold Reith, für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe „Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte“. Außerdem bin ich zu Dank verpflichtet den Mitarbeitern der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, des Bundesarchivs in Berlin, der Staatsarchive Hamburg und Oldenburg, des Unilever-Firmenarchivs in Hamburg sowie der Bibliothek des Deutschen Schiffahrtsmuseums Bremerhaven. Für viele Kontakte und Informationen aus dem Bereich der Fischerei- und Walfanggeschichte schulde ich Prof. Dr. Ingo Heidbrink und Klaus Barthelmess Dank. Den Kollegen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Göttingen, Mark Jakob, Mathias Mutz und Laura Rischbieter danke ich für ihre Unterstützung ebenso wie Tobias Heine, Susanne Kaplan, Stefanie Krinninger und Reinhard Spiekermann. Ein ganz besonderer Dank geht an Léa Dieckhoff. Karlsruhe, im Mai 2012

Ole Sparenberg

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Lebensstandard und Ernährungswirtschaft u ­ nter dem Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 II. Das Meer in der Umweltgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Literaturstand zu Hochseefischerei und Walfang in der NS-Zeit . . . . . 25 IV. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 V. Aufbau der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Autarkiepolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Von der Weltwirtschaftskrise zum Vierjahresplan. . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Die Ernährungswirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Autarkie in Theorie und Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C. Das Versprechen des Meeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 I. „Das Meer als deutsche Kolonie“: Die Wahrnehmung als ideale devisenfreie Quelle von Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Beliebig zu steigern? Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände  . 69 III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit. . . . . . . . 89 D. Grenzen des Meeres. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Entstehung und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Die Fanggebiete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Vom Ersten Weltkrieg bis zum Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . 117 4. Weitere Betriebsformen der Fischerei: Küstenfischerei, Kleine Hochseefischerei und Große Heringsfischerei . . . . . . . . . . . . 121 II. Der Walfang bis in die 1930er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Grönlandfahrt und Südseefischerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Der moderne Walfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III. Der Ausbau der Hochseefischerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Grenzen der Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Fischimport. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Die geographische Ausweitung der deutschen Fischerei . . . . . . . 147 c) Ein deutscher Fischereihafen auf Fuerteventura. . . . . . . . . . . . . . 150 d) Fischereikonflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 e) Die Konservierung des Fisches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Weiterentwicklungen des bisherigen Verfahrens . . . . . . . . . . 161

8 Inhaltsverzeichnis bb) Tiefkühlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Fischkonserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 f) Materialmangel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 g) Mangel an Arbeitskräften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Die Grenzen des Absatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Der Pro-Kopf-Verbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Vorbehalte gegen Fisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Der Fischhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Verbrauchslenkung und „Seefischpropaganda“. . . . . . . . . . . . . . . 210 e) Der Fischtag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 f) Preise und Marktordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 g) Fleischknappheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 h) Die Gemeinschaftsverpflegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 i) Das Winterhilfswerk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 j) Neue Produkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 aa) Fischfilet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Fischwurst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 cc) „Wiking-Eiweiß“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 dd) Fischmehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 ee) Fischwolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 ff) Fischleder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 k) Fischexport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Der Deutsche Walfang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Der Weg zum deutschen Walfang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Die Entscheidung für den deutschen Walfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Die beteiligten Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Henkel und die Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft. . . . . . . . . 276 b) Walter Rau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Unilever und die Unitas Deutsche Walfang-Gesellschaft. . . . . . . 282 d) Unilever und das Hamburger Walfang-Kontor. . . . . . . . . . . . . . . 290 e) Drei nicht realisierte Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Ernst Wolgast und Carl Dietrich Hildisch. . . . . . . . . . . . . . . . 298 bb) Carl Rövers Interesse am Walfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 cc) Die Partenreederei „Der Hanseat“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 4. Der deutsche Walfang und die internationale Ebene. . . . . . . . . . . . . 311 a) Das Londoner Abkommen von 1937. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Die Deutsche Antarktische Expedition 1938 / 39. . . . . . . . . . . . . . 325 5. Öl und Nebenprodukte: Der Ertrag der deutschen Walfangflotten. . 328 a) Nebenprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Walöl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Inhaltsverzeichnis9 E. Krieg und Nachkriegszeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 I. Fischerei und Walfang im Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 1. Die deutsche Fischwirtschaft im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Die Walölversorgung im Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 II. Die Nachkriegszeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Wiederaufbau und Niedergang der Hochseefischerei in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 2. Neugründung der Hochseefischerei in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3. Die deutsche Beteiligung am Walfang nach 1945. . . . . . . . . . . . . . . 378 F. Schlussbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 I. Das unerschöpfliche Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 II. Die Zeit bis zum Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 III. Absatz und Verbraucherakzeptanz als Grenze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 IV. Kabeljau und Kanonen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 I. Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 II. Zeitschriften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 III. Nachschlagewerke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 IV. Literatur und gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Namen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Selbstversorgungsgrad in % bei wichtigen Nahrungsmitteln. . . . . . 45 Tabelle 2: Inlandsanteil der Fettversorgung in %, 1909–1936. . . . . . . . . . . . . 48 Tabelle 3: Heimathäfen deutscher Fischdampfer 1927 und 1936. . . . . . . . . . . 119 Tabelle 4: Gesamtertrag der deutschen Seefischerei im Jahr 1926 . . . . . . . . . 125 Tabelle 5: Gesamterträge der europäischen Seefischerei in 1000 kg, 1905–1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Tabelle 6: Gesamterträge der europäischen Seefischerei (1924 = 100), 1905–1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Tabelle 7: Durchschnittliche tägliche Versteigerungsmengen am Fischmarkt Wesermünde 1936. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Tabelle 8: Einheimische Produktion und Import von Fischmehl in t, 1935–1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Tabelle 9: Deutsche Fischexporte nach Großbritannien (ohne Hering) in cwt, 1934–1938. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Tabelle 10: Nationalität der Besatzungen im weltweiten Walfang, 1935–1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Tabelle 11: Gesellschafter des Ölmühlen-Walfang-Konsortiums . . . . . . . . . . . . 294 Tabelle 12: Ergebnisse der deutschen Walfangflotten in t, 1936–1939. . . . . . . 337 Tabelle 13: Deutscher Fettverbrauch 1936, umgerechnet auf t Reinfett . . . . . . 341 Tabelle 14: Import von Walöl, Fisch- und Robbentran in 1.000 t, 1932–1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Tabelle 15: Bilanz der Speisefette in 1.000 t (1936 und Prognose für 1942) 345 Tabelle 16: Gesamtfang europäischer Staaten in t, 1938–1944 . . . . . . . . . . . . . 358 Tabelle 17: Fischversorgung des deutschen Marktes in t und %, 1939–1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Verzeichnis der Diagramme Diagramm 1: Gold- und Devisenreserven der Reichsbank in Millionen RM, 1929–1934. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Diagramm 2: Verbrauch von Margarine, Butter, Schweinefett und Speiseöl in 1.000 t Reinfett, 1928–1936. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Diagramm 3: Verbrauch von Nahrungsfetten insgesamt in 1.000 t Reinfett, 1928–1936. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Diagramm 4: Produktion der deutschen Seefischerei in 1.000 t, 1890–1938 145 Diagramm 5: Neubauten deutscher Fischdampfer, 1919–1939. . . . . . . . . . . . . 178 Diagramm 6: Durchschnittliche Größe der neugebauten Fischdampfer in BRT, 1919–1939. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Diagramm 7: Bestand deutscher Fischdampfer, 1919–1939 . . . . . . . . . . . . . . . 179 Diagramm 8: Deutscher Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1890–1975. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Diagramm 9: Deutscher Fleisch- und Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1930–1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Diagramm 10: Deutscher Fleisch- und Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1890–1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Diagramm 11: Fischverbrauch, Arbeitseinkommen und Großhandelspreise für Seefisch (1928 = 100), 1928–1936. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Diagramm 12: Einzelhandelspreise in Pf. / kg, 1930–1938. . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Diagramm 13: Produktion und Preise der Dampfhochseefischerei 1936 und 1937 (ohne Hering). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Diagramm 14: Durchschnittspreis für Walöl (antarktische Produktion) in £ / t, 1929–1939. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Diagramm 15: Anteil der einzelnen Walarten am Ergebnis des antarktischen Hochseewalfangs, 1921 / 22–1936 / 37. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Diagramm 16: Ölausbeute im antarktischen Hochseewalfang in Tonnen pro Wal, 1921 / 22–1936 / 37. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Diagramm 17: Weltweit gefangene Wale, 1921 / 22–1939 / 40 . . . . . . . . . . . . . . . 325 Diagramm 18: Bundesdeutsche Trawlerflotte, 1949–1990. . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Diagramm 19: Größe der bundesdeutschen Trawlerflotte in BRT, 1949–1990. 369 Diagramm 20: Fangmenge der westdeutschen Hochsee- und Küstenfischerei in Tonnen, 1950–1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Diagramm 21: Deutscher Fleisch- und Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1890–1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

Abkürzungsverzeichnis BA

Bundesarchiv Berlin

BRT Bruttoregistertonnen BSP Bruttosozialprodukt cwt

Hundredweight (~ 50,8 kg)

DAF

Deutsche Arbeitsfront

ICES

International Council for the Exploration of the Sea

KdF

Kraft durch Freude

NSBO

Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation

NSDAP

Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands

OLG Oberlandesgericht RAM Reichsarbeitsministerium RFM Reichsfinanzministerium RGBl. Reichsgesetzblatt RM Reichsmark RMEL

Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft

RWM Reichswirtschaftsministerium SOPADE Sozialdemokratische Partei Deutschlands (im Exil) StAHH

Staatsarchiv Hansestadt Hamburg

StAO

Staatsarchiv Oldenburg

WHW Winterhilfswerk

A. Einleitung „ ‚Also, Elsbeth, Du kannst erzählen, was Du willst; das glaube ich nicht! Mantelknöpfe aus Fischleder? Nein Mädchen, das ist unmöglich!‘ – ‚Aber Mutter,‘ protestierte die Tochter, ‚Käte hat mir den Mantel doch selbst gezeigt. Die Verkäuferin hat ihr gesagt, es gäbe auch schon wunderschöne Gürtel aus Fischleder.‘ Frau Müller gab sich noch nicht zufrieden. ‚Vater, was meinst Du dazu?‘ Die Zeitung, hinter der sich Vater Müller verschanzt hatte, senkte sich. ‚Ja Mutter, Elsbeth hat recht. Du glaubst ja gar nicht, was unsere gescheiten Leute im Vierjahresplan alles erfunden haben. Siehst Du, Mutter, die Sache ist doch so. Unser Volk braucht Lebensmittel und Rohstoffe. Die eigene deutsche Erde liefert uns von beiden noch nicht genug. Unsere Kolonien, die uns in vielem hätten aushelfen können, haben uns im Versailler Diktat die Feinde genommen. Aber wir schlafen nicht, Mutter, wir gucken uns um, wo sonst auf der Welt für uns Lebensmittel und Rohstoffe zu finden sind, und da haben wir uns endlich darauf besonnen, welchen Reichtum das Meer birgt. Andere Völker, Amerika und England an der Spitze, haben schon längst das Meer gründlich ausgebeutet. Aber, glaube es mir, unter Adolf Hitlers Leitung holen wir alles nach. Das Meer ist augenblicklich unsere einzige Kolonie.‘ “1

In dem (fiktiven) Gespräch der Familie Müller aus einem zuerst 1939 veröffentlichten Schulbuch finden sich die meisten Aspekte des Gegenstandes dieser Arbeit: Da eine autarke Versorgung aus dem eigenen Gebiet heraus nicht möglich war, sollte die deutsche Volkswirtschaft in den Vorkriegsjahren des nationalsozialistischen Regimes und besonders im Rahmen des Vierjahresplanes ab 1936 zur Exportsubstitution verstärkt Nahrung und Rohstoffe aus dem Meer nutzen. In diesem Zusammenhang entstanden neuartige Ersatzstoffe wie das angesprochene Fischleder, und das Meer wurde der Öffentlichkeit vielfach als eine reiche, unerschöpfliche Kolonie präsentiert. Im Unterschied zur Landwirtschaft mit ihrer begrenzten Fläche konnte die Fischerei glaubhaft versprechen, praktisch ohne Devisenaufwand ihre Produktion innerhalb weniger Jahre zu verdoppeln. Nahrung und Rohstoffe aus dem staatsfreien, herrenlosen und oft als unerschöpflich gedachten Meer schienen somit eine Ideallösung zu sein für eine Wirtschaft, die Importe vermeiden wollte und doch aus dem eigenen Land heraus nicht leben konnte. Die Fischwirtschaft konnte sich dagegen von ihrem Beitrag zur Autarkiepolitik die Lösung ihrer chronischen Absatzprobleme und eine symboli1  Heinrich Hausmann, Das Meer als Ernährungs- und Rohstoffquelle (Schriften zu Deutschlands Erneuerung. Lese- und Arbeitsbogen für den Unterrichtsgebrauch; 112), 2. Aufl. Breslau 1941 (1. Aufl. 1939), S. 13.

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A. Einleitung

sche Aufwertung ihrer Branche erhoffen, während sich für die Interessenten an einem deutschen Walfang überhaupt erst unter den ökonomischen Rahmenbedingungen der NS-Zeit die Möglichkeit ergab, ihre Pläne zu realisieren. Obwohl die Übernutzung vieler mariner Ressourcen zu dieser Zeit bereits spürbar war, negierten die Veröffentlichungen der NS-Zeit derartige ökologische Grenzen oder spielten sie herunter und betonten die Steigerbarkeit der Erträge aus der „Kolonie“ Meer. Dennoch erwiesen sich innerhalb der kurzen Zeitspanne bis Kriegsbeginn Probleme beim Absatz der Fischprodukte wie die Verbraucherakzeptanz, das Vertriebsnetz und die Konservierungstechnik als das größte Hindernis bei dem Versuch, knappe und importierte Güter durch marine Ressourcen zu ersetzen. Diese Arbeit betrachtet die wirtschaftliche Nutzung des Meeres als Nahrungs-, aber auch als Rohstoffquelle in der nationalsozialistischen Zeit unter zwei Aspekten. Zum einen richtet sich die Fragestellung auf die Voraussetzungen, die Art und Weise sowie die Ergebnisse dieser Nutzung. Dabei werden neben der Seite der Produktion auch der Absatz und Verbrauch in den Blick genommen. Zum anderen untersucht die Arbeit die spezifische Wahrnehmung und Darstellung des Meeres im Kontext des Autarkiestrebens und die Erwartungen, die sich an die Nutzung mariner Ressourcen knüpften.

I. Lebensstandard und Ernährungswirtschaft ­unter dem Nationalsozialismus Vorliegende Arbeit ist als ein Beitrag zur Wirtschafts- sowie spezieller der Konsumgeschichte des Nationalsozialismus angelegt. Wenn hier dargestellt wird, wie in den Vorkriegsjahren versucht wurde, knappe und importierte Lebensmittel durch Fischprodukte zu ersetzen und in der Fettversorgung über den Walfang unabhängiger vom Ausland zu werden, geht es letztlich um das Problem „Butter oder Kanonen“,2 also die Frage, wie das NS-Regime die Anforderungen des privaten Konsums und der Aufrüstung gewichtete. Die immensen Rüstungsanstrengungen zogen für die Bevölkerung nicht nur einen Verzicht auf den Konsum bestimmter Güter nach sich, sondern vor allem auch Umstellungen im privaten Verbrauch hin zu verschiedenen, oft ungewohnten und minderwertigen Ersatzprodukten. Der staatlich angestrebte Mehrverbrauch von Fischprodukten stellte eine solche Umstellung dar, durch die indirekt ein Mehr an „Kanonen“ ermöglicht werden sollte. Die verstärkte Nutzung mariner biologischer Ressourcen im 2  Die Gegenüberstellung von Butter und Kanonen geht auf eine Gauparteitagsrede von Joseph Goebbels aus dem Januar 1936 zurück; Gustavo Corni / Horst Gies, Brot – Butter – Kanonen, Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers, Berlin 1997, S. 177.



I. Lebensstandard unter dem Nationalsozialismus15

Nationalsozialismus ist daher nicht lediglich Teil der Geschichte der volkswirtschaftlich gesehen eher randständigen Fischwirtschaft oder der Regionalgeschichte der Fischereistandorte an der Küste; sie steht vielmehr in dem größeren Zusammenhang der expansiven, militärischen Pläne des nationalsozialistischen Deutschlands und deren Auswirkungen auf die deutsche Bevölkerung in der Vorkriegszeit. Am Beispiel des Versuchs, über die verstärkte Ausbeutung des Meeres Versorgungslücken in der Ernährungswirtschaft zu schließen, will die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten zu der Debatte, welche Auswirkungen die Rüstungspolitik des NS-Regimes auf den Lebensstandard in Deutschland vor dem Krieg hatte, welche Opfer die Bevölkerung zu bringen bereit war und somit auch, was das Regime seiner Bevölkerung in Friedenszeiten glaubte, zumuten zu können. Tim Mason kam 1971 zu dem Schluss, dass das NS-Regime, insbesondere nachdem die Vollbeschäftigung wieder erreicht war, sich den Forderungen der Arbeiter nach einer Verbesserung ihres Lebensstandards nicht länger widersetzen konnte. Aus Sorge um die Stimmung der Bevölkerung habe das Regime, dessen Akteure stets die Revolution von 1918 vor Augen gehabt hätten, die Produktion von Konsumgütern nicht eingeschränkt und Verbesserungen des Lebensstandards zugelassen, obwohl der damit verbundene Verbrauch von volkswirtschaftlichen Ressourcen zulasten der Aufrüstung gegangen sei.3 Mason berief sich hierbei sowohl auf General Georg Thomas (1890–1946), den Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes, als auch auf Albert Speer (1905–1981), den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion. Noch im November 1939 ermahnte Thomas eine Gruppe deutscher Unternehmer, die Fertigung von Konsumgütern zugunsten der Kriegsproduktion einzustellen, „[d]enn mit Radioapparaten, Staubsaugern und Küchengeräten werden wir England niemals besiegen können.“4 Als Interpret seiner eigenen Geschichte schrieb Speer 1969,5 der NS-Staat habe bis in den Krieg hinein die eigene Bevölkerung u. a. bei der Versorgung mit Konsumgütern 3  Tim Mason, The Legacy of 1918 for National Socialism, in: Anthony Nicholls / Erich Matthias (Hrsg.), German Democracy and the Triumph of Hitler. Essays in Recent German History, London 1971, S. 215–239. Mason unterstreicht allerdings in Hinblick auf die Arbeiterschicht auch die Bedeutung des Polizei-Terrors für die Stabilität des NS-Regimes; ebd., S. 226. 4  Georg Thomas, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918– 1943 / 45), hrsg. v. Wolfgang Birkenfeld (Schriften des Bundesarchivs; 14), Boppard am Rhein 1966, S. 501. 5  Kritisch zu dem von Speer und seinen Mitarbeitern mitgestalteten Bild seiner Bedeutung für die deutsche Rüstungswirtschaft: Jonas Scherner / Jochen Streb, Das Ende eines Mythos? Albert Speer und das so genannte Rüstungswunder, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 93 (2006), S. 172–196.

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von Belastungen und Einschnitten weit mehr verschont als die westlichen Demokratien ihre Bürger. Die Ursache sah auch Speer in der Rücksicht auf die Stimmung in der Bevölkerung und der beständigen Sorge um die Popularität des Regimes vor dem Hintergrund der für Hitler prägenden Erfahrung der Revolution von 1918. Das NS-Regime sei zu schwach gewesen, um Opfer zu verlangen.6 Eine „fast ängstliche Sensibilität für die Stimmung innerhalb der Bevölkerung,“ die dazu geführt habe, dass das Regime den Lebensstandard auch auf Kosten der Rüstung gestützt habe, sah ebenfalls 1999 Werner Abelshauser.7 Das nationalsozialistische „Wirtschaftswunder“ habe sowohl die Aufrüstung als auch einen langsamen aber stetigen Anstieg des Lebensstandards ermöglicht. „Die Orientierung an der Formel ‚Kanonen und Butter‘ war neben Terror und Manipulation das solideste Fundament der Stabilität des Regimes.“8 Abelshausers Aufsatz forderte Christoph Buchheim zu einem entschiedenen Widerspruch heraus. Buchheim richtete sich in erster Linie gegen Abelshausers Thesen, der Aufschwung nach der Weltwirtschaftskrise sei der nationalsozialistischen Politik zu verdanken gewesen und die Rüstungswirtschaft der NS-Zeit habe positive Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik geschaffen. Daneben bezweifelte Buchheim jedoch auch, dass es der NS-Wirtschaftspolitik gelungen sei, die Aufrüstung und einen Anstieg des Lebensstandards der Bevölkerung miteinander zu vereinbaren.9 Er konnte hierbei auf die Arbeit Rüdiger Hachtmanns zu Reallöhnen und Lebenshaltungskosten verweisen. Hachtmann widerlegte die in der Forschung lange gängige Annahme, dass das NS-Regime die Lebenshaltungskosten auf niedrigem Niveau stabilisieren konnte und somit den Arbeitern trotz nur geringer Lohnzuwächse ein hohes durchschnittliches Realeinkommen zugestanden habe. Unbeachtet blieben dabei Beiträge an die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und Spenden an das Winterhilfswerk (WHW), die beide offiziell freiwillig, de facto aber kaum zu vermeidende zusätzliche Lohnabzüge darstellten. Darüber hinaus argumentierte Hachtmann, dass der amtliche Lebenshaltungskostenindex die wirklichen Preissteigerungen nicht widerspiegelte: Versorgungsengpässe beispielsweise bei Fleisch und Fett zwangen die Kunden, auf teurere Waren auszuweichen, wenn die sonst gän6  Albert

Speer, Erinnerungen, 5. Aufl. Frankfurt / Berlin 1969, S. 229. Abelshauser, Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder. Deutschlands wirtschaftliche Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg und die Folgen für die Nachkriegszeit, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 47 (1999), S. 503–538, hier S. 526. 8  Ebd., S. 525. 9  Christoph Buchheim, Die Wirtschaftsentwicklung im Dritten Reich – mehr Desaster als Wunder. Eine Erwiderung auf Werner Abelshauser, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 49 (2001), S. 653–654. 7  Werner



I. Lebensstandard unter dem Nationalsozialismus17

gigen Massenartikel nicht erhältlich waren. Überdies berücksichtigte der amtliche Index nicht die häufigen Qualitätsverschlechterungen etwa bei Textilien, wo minderwertige Ersatzstoffe die Lebensdauer eines Produktes verringerten, so dass die Ausgaben für den einzelnen Haushalt anstiegen.10 Dass die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik eben nicht in der Lage war, für „Kanonen und Butter“ zu sorgen, argumentierte auch Mark Spoerer 2005. Anknüpfend an Buchheims Kritik an Abelshauser verwies er auf die Verwendung und Verteilung des Nationaleinkommens. Die Werte zur Verwendung des Nationaleinkommens pro Kopf zeigen, dass der private Konsum seit 1933 im Vergleich zu den Staatsausgaben und den Investitionen deutlich langsamer anstieg und nie wieder die Werte der späten 1920er Jahre erreichte. Insbesondere nach Beginn des Vierjahresplans 1936 zog der Staat immer mehr Ressourcen an sich. Bei der Verteilung des verfügbaren Ein­ kommens ging von 1927 / 28 bis 1937 / 38 der Anteil der abhängig Beschäftigten um fünf Prozentpunkte zurück, während die Selbständigen ihren Anteil leicht und der Staat seinen Anteil beträchtlich steigern konnte. Von einem stetig steigenden Lebensstandard für die breite Bevölkerung kann also keine Rede sein angesichts einer rüstungsorientierten Staatskonjunktur.11 Während die Berechnungen Spoerers ergaben, dass der private Konsum nach der Weltwirtschaftskrise zwar wieder wuchs, aber nie wieder die höchsten Werte aus der Zeit der Republik erreichte, zeigten Jörg Baten und Andrea Wagner, dass der „Biologische Lebensstandard“ in der NS-Zeit sogar einen Rückgang gegenüber den Jahren der Weltwirtschaftskrise aufwies. Unter dem „Biologischen Lebensstandard“ wird dabei ein Faktorenbündel aus Gesundheitszustand, Sterberisiko und Ernährungsqualität verstanden. Die Ursachen sehen Baten und Wagner in der Vernachlässigung des öffentlichen Gesundheitswesens sowie in der Agrarmarktregulierung und der Autarkiepolitik, die beide die Versorgungslage in Großstädten und Importregionen beeinträchtigten.12 10  Rüdiger Hachtmann, Lebenshaltungskosten und Reallöhne während des „Dritten Reiches“, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 75 (1988), 1, S. 32–73. s. a. André Steiner, Zur Neuschätzung des Lebenshaltungskostenindex für die Vorkriegszeit des Nationalsozialismus, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 2005 / 2, S. 129–152. Steiner unternimmt aufbauend auf Hachtmanns Problematisierung der amtlichen Angaben den Versuch einer Neuschätzung des Lebenshaltungskostenindex’ und kommt bezüglich des privaten Konsums zu dem gleichen Ergebnis. 11  Mark Spoerer, Demontage eines Mythos? Zu der Kontroverse über das nationalsozialistische „Wirtschaftswunder“, in: Geschichte und Gesellschaft, 31 (2005), S. 415–438, hier S. 425 f. 12  Jörg Baten / Andrea Wagner, Mangelernährung, Krankheit und Sterblichkeit im NS-Wirtschaftsaufschwung (1933–1937), in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 2003 / 1, S. 99–123. Weniger eindeutig ist der Befund jedoch, wenn der Lebensstan-

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Im Kontrast zu dem Großteil der bisher genannten jüngeren Literatur, aber der Position Albert Speers nicht unähnlich, stellte Götz Aly 2005 in dem von der Öffentlichkeit viel beachteten Buch „Hitlers Volksstaat“ die soziale Bestechung der Bevölkerung durch das Regime in den Mittelpunkt seiner Interpretation des NS-Systems. Aly sah in dem Deutschland der ­Jahre 1933–1945 eine „Gefälligkeitsdiktatur“, deren Führer als „klassische Stimmungspolitiker“ sich die Zustimmung des Volkes täglich neu erkauft hätten. Daher hätte das Regime die Masse der deutschen Bevölkerung so wenig wie möglich belastet und auf Kosten entrechteter Minderheiten und später der besetzten Gebiete einen „nationalen Sozialismus“ errichtet. Die Deutschen seien Hitler, so Aly, bis Kriegsende bereitwillig gefolgt, weil es sich für die breite Masse der Bevölkerung in jeder Hinsicht – von ihrer finanziellen Lage bis zur Lebensmittelversorgung – unmittelbar ausgezahlt habe.13 Alys Thesen wurden von der Forschung jedoch ganz überwiegend abgelehnt. Hachtmann kritisierte, dass Aly die Politik der Spaltung und Terrorisierung gegenüber der Arbeiterschaft sowie die faktisch sinkenden Reallöhne nicht berücksichtigt habe.14 Einer „Geldillusion“ sei Aly, dem Urteil Buchheims zufolge, unterlegen, da er nur die Guthaben der Privathaushalte betrachtet habe, aber nicht das dem gegenüber stehende Angebot an realen Gütern.15 Eine 2005 geführte Debatte zwischen Aly und Adam Tooze drehte sich überwiegend um die Frage, ob die Finanzierung des Krieges durch Verschuldung auf dem deutschen Kapitalmarkt statt durch Steuern die Belastung, wie Aly annahm, in die Zukunft verschob, um sie dann den besiegten Völkern aufbürden zu können, oder ob diese Art der Finanzierung, so Tooze, über die Verdrängung des privaten Konsums und privater Investitionen dard mit dem Human Development Index, der Lebenserwartung, Bildung und Zugang zu Ressourcen umfasst, gemessen wird; s. Andrea Wagner, Ein Human Devel­ opment Index für Deutschland: Die Entwicklung des Lebensstandards von 1920 bis 1960, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2003 / 2, S. 171–202. 13  Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 2005; Zitate S. 36. 14  Rüdiger Hachtmann, Öffentlichkeitswirksame Knallfrösche, in: Sozial.Geschichte, 20 (2005), 3, S. 46–66. 15  Christoph Buchheim, Die vielen Rechenfehler in der Abrechnung Götz Alys mit den Deutschen unter dem NS-Regime, in: Sozial.Geschichte, 20 (2005), S. 67– 76. Weitere Rezensionen in diesem Band zu „Hitlers Volksstaat“ sind ebenfalls negativ. Michael Wildt vermutete, Aly ziele mit griffigen Formulierungen und dem Gestus des akademischen Außenseiters, der angeblich von der etablierten Wissenschaft ignorierte Tatsachen ans Licht hole, mehr auf die Medienöffentlichkeit als auf den wissenschaftlichen Diskurs; Michael Wildt, Alys Volksstaat. Hybris und Simplizität einer Wissenschaft, in: ebd., S. 91–97. Ebenfalls sehr skeptisch: Spoerer, Demontage eines Mythos, S. 435.



I. Lebensstandard unter dem Nationalsozialismus19

sehr wohl eine unmittelbar spürbare Belastung der Bevölkerung darstellte.16 Tooze führte in diesem Zusammenhang die Aufrüstung der Vorkriegsjahre seit 1933 ins Feld, die bis 1938, also bevor die Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung, der Zwangsarbeiter und der besetzten Gebiete zum Tragen kam, in vollem Umfang zu Lasten der deutschen Bevölkerung ging. Diverse Sozialleistungen und Steuergeschenke kompensierten dies nicht annährend. Tooze charakterisierte den NS-Staat daher als eine „fordernde Diktatur“ und nicht als „Gefälligkeitsregime“.17 Gegen den von Aly verbreiteten „Mythos vom Wohlleben“ der deutschen Zivilbevölkerung – mit Ausnahme der Partei- und Staatselite – wandte sich zuletzt noch ein 2010 erschienener Aufsatz Buchheims.18 Der Aufsatz ist in erster Linie der Nahrungsmittelversorgung im Krieg gewidmet, geht aber auch davon aus, dass der materielle Lebensstandard der Deutschen unmittelbar vor dem Krieg bereits unter dem der späten 1920er Jahre gelegen habe. Allerdings wäre es irreführend, das nationalsozialistische Deutschland nur als eine reine Austeritätsdiktatur zu beschreiben. General Thomas’ Klage über Staubsauger und Küchengeräte (s. o.) war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Wie Hartmut Berghoff 2007 in einem Aufsatz mit dem Titel „Gefälligkeitsdiktatur oder Tyrannei des Mangels“ darlegte, standen dem Absinken des ökonometrisch messbaren Lebensstandards oder dessen Verharren auf niedrigem Niveau und vielfältigen Versorgungsmängeln auch Felder gegenüber, auf denen es zu einer Konsumausweitung kam. Hierzu zählen die Ansätze zum Massentourismus, die zunehmende Zahl der Kinobesuche und die steigenden Verkäufe von Radios, elektrischen Haushaltsgeräten, Fotokameras und Möbeln. Gerade die bekanntesten Beispiele, der KdFWagen und die Kreuzfahrten der KdF, die bereits die Konsumgesellschaft der Bundesrepublik vorwegzunehmen schienen, waren jedoch vor allem Fälle eines virtuellen Konsums. Sie existierten für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung nur in der Propaganda und als Ankündigung, vermittelten aber die Botschaft, dass neue Formen des Konsums bald auch für die breiten Massen erreichbar sein würden. Letztlich verhinderten das polykratische Chaos an der Spitze des Regimes, nichtlösbare Zielkonflikte zwischen Auf16  Adam Tooze, Einfach verkalkuliert, in: Die Tageszeitung, TAZ Mag, 12. / 13.3. 2005, S. VII; Götz Aly, Nicht falsch, sondern anders gerechnet, in: Die Tageszeitung, 15.3.2005, S. 17; Adam Tooze, Doch falsch gerechnet – weil falsch gedacht, in: Die Tageszeitung, 16.3.2005, S. 16; Götz Aly, Wie die Nazis ihr Volk kauften, in: Die Zeit, Nr. 15, 6.4.2005, S. 45 f.; Adam Tooze, Stramme junge Männer in braunen Uniformen, in: Die Zeit, Nr. 18, 28.4.2005, S. 51. 17  Tooze, Stramme junge Männer, S. 51. 18  Christoph Buchheim, Der Mythos vom „Wohlleben“. Der Lebensstandard der deutschen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 58 (2010), 3, S. 299–328.

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rüstung und Loyalitätssicherung sowie das Eigeninteresse der Privatwirtschaft, die misstrauisch gegenüber der Rüstungskonjunktur immer den zivilen Markt im Blick behielt, eine widerspruchsfreie, in sich geschlossene Konsumpolitik. „Die Erfahrungen der Konsumenten“, so Berghoff, „waren von Entbehrung und Entgrenzung, von rückwärtsgewandten und modernen Impulsen, von großartigem virtuellen Konsum und erbärmlichen Alltagserfahrungen gekennzeichnet.“19 Die vorliegende Arbeit ist ein Beitrag zu dieser Debatte über „Butter“ und / oder „Kanonen“ bzw. über die Auswirkungen der Aufrüstungspolitik auf den privaten (Lebensmittel-)Konsum in den Vorkriegsjahren der NSZeit. Der Ausbau der Hochseefischerei und der Aufbau von Walfangflotten sollten in erster Linie dazu dienen, Lücken in der Eiweiß- und Fettversorgung – zwei besonders kritischen Bereichen der deutschen Ernährungswirtschaft – zu schließen. Der Lebensmittelkonsum besaß für die meisten Haushalte eine zentrale wirtschaftliche und psychologische Bedeutung. Die Betrachtung speziell dieses Bereichs des Konsums stärkt die Interpretation des nationalsozialistischen Deutschlands als einer Art Austeritätsdiktatur, also eines Systems, das der Bevölkerung beträchtliche Einschränkungen und Umstellungen in ihrem täglichen Leben zumutete. Das Beispiel des staatlich gewollten Mehrverbrauchs an Fisch zeigt aber zugleich die Grenzen der Verbrauchslenkung durch das NS-Regime auf, die nicht zuletzt das Beharrungsvermögen der Konsumenten auch in einem autoritären Staat setzte.

II. Das Meer in der Umweltgeschichte Im Folgenden wird nicht nur untersucht, warum die NS-Wirtschaft die Nutzung mariner biologischer Ressourcen ausbaute und welche Konsequenzen dies für den Verbraucher hatte, sondern die Arbeit nimmt auch die Art der Nutzung und das zugrunde liegende Bild, das die Zeitgenossen von diesen Ressourcen hatten, in den Blick. Die Substitution knapper und importierter Güter durch Hochseefischerei und Walfang setzte die verstärkte Nutzung der entsprechenden natürlichen Ressourcen voraus. Inwieweit ein signifikant gestiegener Beitrag von Hochseefischerei und Walfang zur deutschen Volksernährung für die damaligen Akteure vorstellbar war, hing zunächst einmal von der zeitgenössischen Wahrnehmung dieser Ressourcen ab. Inwieweit sich diese Pläne umsetzten ließen, war auch von der Belast19  Hartmut Berghoff, Gefälligkeitsdiktatur oder Tyrannei des Mangels? Neue Kontroversen zur Konsumgeschichte des Nationalsozialismus, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 58 (2007), S. 502–518, Zitat S. 516; ders., Methoden der Verbrauchslenkung, in: Dieter Gosewinkel (Hrsg.), Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur, Frankfurt a. M. 2005, S. 281–316, hier S. 283–289.



II. Das Meer in der Umweltgeschichte21

barkeit der marinen biologischen Ressourcen und der Art ihrer Nutzung abhängig. Indem die vorliegende Arbeit die Wahrnehmung und Nutzung natürlicher Ressourcen untersucht, verfolgt sie somit auch eine umweltgeschichtliche Frage­stellung.20 Die Wirtschaftsgeschichte hat lange Umweltfragen kaum thematisiert,21 was Reinhold Reith 1998 darauf zurückführte, dass sie sich traditionell an der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung orientierte, in deren Rahmen die Probleme von Ressourcenverfügbarkeit und Emissionen nicht erfasst, sondern als sogenannte externe Effekte ausgeklammert werden.22 Mathias Mutz und Hartmut Berghoff haben kürzlich speziell für die Unternehmensgeschichte ebenfalls auf dieses Desiderat hingewiesen und begonnen, eine Brücke zur Umweltgeschichte zu schlagen.23 Darüber hinaus behandelte aber auch die Umweltgeschichte das Meer bislang als Forschungsgegenstand eher stiefmütterlich. In zwei neueren, deutschsprachigen Einführungen in die Umweltgeschichte werden Seefischerei und Walfang praktisch nicht erwähnt.24 Der amerikanische Umwelthistoriker John R. McNeill bescheinigte der Disziplin 2003, sie habe einen „terrestrial bias“, und auch andere Autoren wiesen in den letzten Jahren auf diese Lücke hin.25 Von Seiten der 20  Für Definitionen von Umweltgeschichte, die auch die zeitgenössische Wahrnehmung als Untersuchungsebene betonen, siehe: Verena Winiwarter / Martin Knoll, Umweltgeschichte. Eine Einführung, Köln u. a. 2007, S. 14; Donald Worster, Appendix: Doing Environmental History, in: ders. (Hrsg.): The Ends of the Earth: Perspectives on Modern Environmental History, Cambridge u. a. 1988, S. 289–307, hier S. 293. 21  Siehe aber: Hans Pohl (Hrsg.), Industrie und Umwelt (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte: Beihefte; 69); Stuttgart 1993; Joachim Radkau, Technik und Umwelt, in: Gerold Ambrosius / Dietmar Petzina / Werner Plumpe (Hrsg.), Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, 2. überarb. u. erw. Aufl., München 2006, S. 135–154 (zuerst 1996). 22  Reinhold Reith, Internalisierung der externen Effekte. Konzepte der Umweltgeschichte und der Wirtschaftsgeschichte, in: Günther Bayerl / Wolfhard Weber (Hrsg.), Sozialgeschichte der Technik. Ulrich Troitzsch zum 60. Geburtstag (Cottbusser ­Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt; 7), Münster u. a. 1998, S. 15–24, hier S. 22 f. 23  Hartmut Berghoff  / Mathias Mutz, Missing Links? Business History and Environmental Change, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 2009 / 2, S. 9–22. s. a. die weiteren Beiträge in diesem Band. 24  Vgl. Frank Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte; Bd. 81), München 2007; Winiwarter / Knoll, Umwelt­ geschichte. Auch ein älterer Literaturüberblick von Radkau verzeichnet keine meerbezogene Veröffentlichungen: Joachim Radkau, Technik und Umweltgeschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 48 (1997), S. 479–496, und 50 (1999), S. 250–258, 356–384. 25  John R. McNeill, Observations on the Nature and Culture of Environmental History, in: History and Theory, Theme Issue 42 (December 2003), S. 5–43, hier

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Fischereibiologie warb Daniel Pauly 1995 für die Berücksichtigung historischer Quellen, die Hinweise auf Verbreitung und Bestandsdichte von Fischarten in der Vergangenheit enthalten, um so das Ausmaß anthropogener Eingriffe besser einschätzen zu können.26 Die geringe Beachtung des Meeres in der Umweltgeschichte erklärt sich auch aus der Geschichte des Faches. Da die Umweltgeschichte stark in der Umweltschutzbewegung verwurzelt ist, beschäftigte sie sich lange Zeit bevorzugt mit solchen Gegenständen, die den meisten Menschen (auch im wörtlichen Sinne) nahe liegen. Zum thematischen Kern der Umweltgeschichte gehören daher neben der Geschichte der Umweltbewegung Fragen der Energieversorgung, industrielle Emissionen sowie die Wald- und Forstgeschichte;27 also Felder, in denen die anthropogene Veränderung der Umwelt anschaulich und begreiflich ist, während der Anblick der Oberfläche des Meeres hingegen gerade den Eindruck einer überzeitlichen Unveränderbarkeit hervorruft.28 Alain Corbin zufolge galt das Meer in der Frühen Neuzeit noch als ein Überbleibsel aus der Zeit vor der Schöpfung,29 und diese Vorstellung scheint insofern nachzuwirken, als dass das Meer weiterhin vielfach als unveränderlich und als ein Raum ohne Geschichte wahrgenommen wird. Frank Zelko und W. Jeffrey Bolster forderten daher von einer „Marine Environmental History“, dass sie nicht nur die Frage bearbeiten sollte, wie die Ozeane zu unterschiedlichen Zeiten genutzt wurden, mit welchen Auswirkungen und welche wechselseitigen Beziehungen zwischen der Nutzung mariner Ressourcen und sozialen, politischen, technischen soS.  42. s. a.: W. Jeffrey Bolster, Opportunities in Marine Environmental History, in: Environmental History, 11 (2006), 3, S. 567–597, hier S. 567; Frank Zelko, Environmental History and the Oceans, in: Bulletin of the German Historical Institute, 35 (Fall 2004), S. 194–199, hier S. 194; Helen M. Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries. A Century of Marine Science Under ICES, Copenhagen / Seattle / London 2002, S. 5; Poul Holm / Tim D. Smith / David Starkey, Introduction, in: dies. (Hrsg.), The Exploited Seas. New Directions for Marine Environmental History, St. John’s 2001, S. XIII–XIX, hier S. XIV. 26  Daniel Pauly, Anecdotes and the Shifting Baseline Syndrome of Fisheries, in: Trends in Ecology and Evolution, 10 (1985), 10, S. 430. 27  Uekötter, Umweltgeschichte, S. 2. 28  Bolster, Opportunities, S. 574; Keith R. Benson / Helen M. Rozwadowski / David K. van Keuren, Introduction, in: Helen M. Rozwadowski  /  David K. van Keuren (Hrsg.), The Machine in Neptune’s Garden: Historical Perspectives on Technology and the Marine Environment, Sagamore Beach, Mass. 2004, S. XIII – XXVIII, hier S. XIV. Die lange Zeit geringe Beachtung mariner Themen ist jedoch vor diesem Hintergrund erstaunlich, da der Protest gegen den Walfang für die Umweltbewegung und Organisationen wie Greenpeace seit Beginn eine große Bedeutung besaß und entsprechende Aktionen offenbar bis heute öffentliche Aufmerksamkeit garantieren. 29  Alain Corbin, Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste, Berlin 1990, S. 14.



II. Das Meer in der Umweltgeschichte23

wie ökonomischen Entwicklungen bestanden, sondern auch wie das Meer von unterschiedlichen Menschengruppen wahrgenommen und „konstruiert“ wurde.30 Ein weiterer Grund für das geringe Interesse an Fischerei in der Naturschutzbewegung und somit auch lange in der Umweltgeschichtsschreibung liegt in der Tatsache, dass die menschliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung für bestimmte Tierarten von deren Aussehen und Lebensweise abhängt. Fische entsprechen nicht in dem Maße dem ästhetischen Empfinden der Menschen wie viele Säugetiere und Vögel, die überdies einfacher zu beobachten sind, und sie eignen sich kaum für eine vermenschlichende, emotionale Betrachtungsweise. Über ihren Nutzwert als Nahrungsquelle und eventuell als Objekt der Sportfischerei hinaus haben Fische lange Zeit kaum Interesse erregt, was sich auch direkt in fehlenden Schutzbemühungen niederschlug.31 Zur Umweltgeschichte der Zeit des Nationalsozialismus sind 2003, 2005 und 2006 zwei Sammelbände und eine Monographie erschienen, die insbesondere die Nähe der damaligen Naturschutzbewegung zum Nationalsozialismus diskutierten. Diese Veröffentlichungen gehen jedoch auf Fischerei und Walfang in dieser Epoche nicht ein, obwohl die verstärkte Nutzung mariner Ressourcen und besonders der Einstieg in den Walfang, als eines damals schon von Naturschützern eigentlich stark kritisierten Gewerbes, hierzu hätte Anlass geben können.32 Allerdings ist die Umweltgeschichte des Meeres bisher auch nicht vollständig unbearbeitet geblieben: Eine der ersten derartigen Arbeiten und die innerhalb der Disziplin am meisten beachtete ist Arthur McEvoys Studie zur Fischerei in Kalifornien zwischen 1850 und 1980.33 Auch zwei neuere Gesamtdarstellungen zur Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit von John F. Richards und des 20. Jahrhunderts von McNeill enthalten Abschnitte zu 30  Bolster, Opportunities, S. 571 f.; Zelko, Environmental History and the Oceans, S. 195. 31  Lissa Wadewitz, Are Fish Wildlife?, in: Environmental History, 16 (2011), 3, S. 423–427. Meeressäugetiere unterscheiden sich jedoch in der menschlichen Wahrnehmung deutlich von Fischen. 32  Vgl. Frank Uekötter, The Green and the Brown. A History of Conservation in Nazi Germany, Cambridge u. a. 2006; Franz-Josef Brüggemeier / Mark Cioc / Thomas Zeller (Hrsg.), How Green Were the Nazis? Nature, Environment, and Nation in the Third Reich, Athens, Ohio 2005; Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2003. s. a.: Anna Bramwell, Blood and Soil. Walther Darré and Hitler’s ‚Green Party‘, Bourne End 1985. 33  Arthur McEvoy, The Fisherman’s Problem. Ecology and Law in the California Fisheries, Cambridge 1986.

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A. Einleitung

Fischerei und Walfang.34 In jüngster Zeit veröffentlichte die Zeitschrift „Environmental History“ eine Serie von Aufsätzen, um die bisherige Lücke schließen zu helfen.35 Ebenfalls in dieser Zeitschrift untersuchte William M. Tsutsui 2003 die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs und der vorangegangenen wirtschaftlichen Mobilisierung auf die Umwelt im Fall Japans und berücksichtigte auch Fischerei und Walfang, wobei hierbei Parallelen zur gleichzeitigen Entwicklung in Deutschland erkennbar werden.36 Eine Geschichte der Fischerei als Verlustgeschichte, die die nicht erst im 20. Jahrhundert durch Überfischung verlorengegangene und heute kaum glaubhafte Dichte und Vielfalt des Lebens im Meer in Erinnerung rufen will, legte 2007 der Meeresbiologe Callum M. Roberts mit „The Unnatural History of the Sea“ vor.37 Marc Ciocs 2009 erschienene Untersuchung „The Game of Conservation“ über internationale Jagd- bzw. Artenschutzabkommen behandelt u. a. auch die Verträge zur Regelung des Walfangs im 20. Jahrhundert.38 Den Brückenschlag von Umwelt- zu Unternehmensgeschichte unternimmt ein ebenfalls 2009 veröffentlichter Aufsatz von Mansel G. Blackford, der die Auswirkungen der Überfischung auf die US-amerikanische Fischerei und Fisch verarbeitende Industrie seit den 1970er Jahren untersucht.39 Zudem bestehen seit einigen Jahren zwei Organisationen, die sich umwelthistorisch mit der Seefischerei beschäftigen. Während das 1999 gegründete „History of Marine Animal Populations“ (HMAP) in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Ökologen und Historikern in erster Linie auf die Bereitstellung quantitativer Daten über Fisch- und Walbestände der Vergangenheit weltweit abzielt,40 behandeln die seit 1995 stattfindenden Konferenzen der „North Atlantic Fisheries History Association“ (NAFHA) die Fischerei 34  John F. Richards, The Unending Frontier. An Environmental History of the Early Modern World, Berkeley u. a. 2003; John R. McNeill, Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. / New York 2003. 35  Bolster, Opportunities; Glenn M. Grasso, What Appeared Limitless Plenty: The Rise and Fall of the Nineteenth Century Atlantic Halibut Fishery, in: Environmental History, 13 (2008), 1, S. 66–91; Micah Muscolino, The Yellow Croaker War. Fishery Disputes Between China and Japan, 1925–1935, in: Environmental History, 13 (2008), 2, S. 306–324. 36  William M. Tsutsui, Landscapes in the Dark Valley, in: Environmental History, 8 (2003), 2, S. 294–311. 37  Callum Roberts, The Unnatural History of the Seas, Washington u. a. 2007. 38  Mark Cioc, The Game of Conservation. International Treaties to Protect the World’s Migratory Animals, Athens, Ohio 2009. Die Texte der wichtigsten internationalen Verträge zum Walfang sind bei Cioc abgedruckt. 39  Mansel G. Blackford, Fishers, Fishing, and Overfishing: American Experiences in Global Perspective, 1976–2006, in: Business History Review, 83 (Summer 2009), S. 239–266. 40  Zu HMAP: Holm / Smith / Starkey, Introduction, S.  XIII–XIX; s. a.: http: /  / hmap coml.org /  (Zugriff am 14.11.2011).



III. Literaturstand25

eines bestimmten Raumes aus sowohl umwelt- als auch wirtschafts-, sozialund regionalgeschichtlicher Perspektive.41

III. Literaturstand zu Hochseefischerei und Walfang in der NS-Zeit Birgit Pelzer-Reith und Reinhold Reith veröffentlichten 2009 einen Aufsatz, der bereits die Rolle von Fisch in der Autarkiewirtschaft angesichts von „Fett“- und „Eiweißlücke“ zum Gegenstand hat. Der Aufsatz behandelt auch die Vorkriegszeit, legt den Schwerpunkt aber auf die Versorgung in den Kriegsjahren.42 Zu Einzelfragen der Ernährungswirtschaft, die für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung sind wie die „Fettlücke“ und die „Eiweißlücke“, erschienen von beiden Autoren ebenfalls mehrere Untersuchungen.43 Der anvisierten Steigerung des Fischkonsums und dem Walfang in der NS-Zeit ist auch ein Unterkapitel in der Habilitationsschrift von Uwe Spiekermann gewidmet, die diesen Gegenstand in den Kontext der Durchsetzung eines Modells der stofflich definierten Nahrung in der Wissens- und Konsumgesellschaft von 1880 bis 2000 stellt.44 Vom gleichen Autor stammt ein Aufsatz über den Einzelhandel in der NS-Zeit, der ebenfalls die Bemühungen zur Steigerung des Fischverbrauchs thematisiert.45 Speziell zur deutschen Hochseefischerei seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart liegen zwei vergleichsweise neuere Monographien vor: Die geographische Dissertation von Roland Baartz aus dem Jahr 1991 41  Zu NAFHA: David J. Starkey / James E. Candow, Introduction, in: dies. (Hrsg.), The North Atlantic Fisheries: Supply, Marketing and Consumption, 1560–1990 (Studia Atlantica; 8), Hull 2006, S.  3–6; s. a.: http: /  / www.hull.ac.uk / nafha / index.htm (Zugriff am 14.11.2011). 42  Birgit Pelzer-Reith / Reinhold Reith, Fischkonsum und „Eiweißlücke“ im Nationalsozialismus, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 96 (2009), 1, S. 4–26. 43  Birgit Pelzer / Reinhold Reith, Margarine. Die Karriere der Kunstbutter, Berlin 2001; Birgit Pelzer-Reith / Reinhold Reith, „Fett aus Kohle“? Die Speisefettsynthese in Deutschland 1933–1945, in: Technikgeschichte, 69 (2002), 3, S. 173–205; Reinhold Reith, „Hurrah die Butter ist alle!“. „Fettlücke“ und „Eiweißlücke“ im Dritten Reich, in: Michael Pammer / Herta Neiß / Michael John (Hrsg.), Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2007, S. 403– 426. 44  Uwe Spiekermann, Künstliche Kost. Die Genese der modernen Ernährung in der Wissens- und Konsumgesellschaft Deutschlands 1880–2000, unveröffentlichte Habilitationsschrift Göttingen 2008. 45  Uwe Spiekermann, L’approvisionnement dans la Communauté du peuple. ­Approches du commerce ‚allemand‘ pendant la période nationale-socialiste, in: Le Mouvement Social, 206 (Januar-März 2004), S. 79–114.

26

A. Einleitung

bietet eine sehr detaillierte Darstellung der deutschen Hochseefischerei, widmet ihrer besonderen Rolle in der Autarkiepolitik der 1930er Jahre jedoch nur wenige Zeilen.46 Etwas breiteren Raum räumt die Habilitationsschrift des Historikers Ingo Heidbrink, „ ‚Deutschlands einzige Kolonie ist das Meer!‘ Die deutsche Hochseefischerei und die Fischereikonflikte des 20. Jahrhunderts“, der Expansion der Hochseefischerei in der NS-Zeit ein.47 Auch das Zitat aus dem Titel dieser Arbeit stammt aus dieser Zeit. Heidbrinks Hauptaugenmerk richtet sich jedoch auf die Fischereikonflikte im Nordatlantikraum und die Entwicklung des Seerechts in ihren Auswirkungen auf die deutsche Hochseefischerei, so dass der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Zeit nach 1945 liegt. Während diese Monographien fast ausschließlich die Seite der Produktion, also den Fang, betrachten, untersucht ein jüngerer Aufsatz von Hans Jürgen Teuteberg gleichermaßen Verarbeitung und Vertrieb von Fischen und Fischwaren von 1885 bis 1930 und damit vom Anfang der deutschen Hochseefischerei bis zum Beginn des zeitlichen Rahmens dieser Arbeit.48 Zur deutschen Beteiligung am modernen Walfang in den 1930er Jahren liegt ebenfalls vergleichsweise wenig Sekundärliteratur vor. Die Arbeiten sind älteren Datums, behandeln nur Teilaspekte oder es handelt sich um eher überblicksartige Aufsätze. Die 1974 erschienene Monographie von Edmund Winterhoff, der in verantwortlicher Position selbst im deutschen Walfang tätig war, ist fast schon eher als Quelle zu betrachten.49 Die Gesamtdarstellung des modernen Walfangs von den norwegischen Autoren Johan N. Tønnesen und Arne O. Johnsen ist selbst in der gekürzten englischen Fassung die umfangreichste Arbeit zum Thema und behandelt auch den deutschen Fall.50 Friedrich Bohmert vom Archiv der Firma Henkel veröffentlichte 1982 eine Studie zum Engagement dieses Unternehmens im deutschen Walfang.51 Schließlich liegen drei zwischen 1988 und 1991 er46  Roland Baartz, Entwicklung und Strukturwandel der deutschen Hochseefischerei unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für Siedlung, Wirtschaft und Verkehr Cuxhavens (Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg; 81), Stuttgart 1991. 47  Ingo Heidbrink, „Deutschlands einzige Kolonie ist das Meer“. Die deutsche Hochseefischerei und die Fischereikonflikte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2004. 48  Hans Jürgen Teuteberg, Hochseefischerei, Fischhandel und Fischkonservierung in der deutschen Hochindustrialisierung, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 95 (2008), 2, S. 135-156. 49  Edmund Winterhoff, Walfang in der Antarktis, Oldenburg 1974. 50  Johan N. Tønnesen / Arne O. Johnsen, The History of Modern Whaling, London 1982. 51  Friedrich Bohmert, Der Walfang der Ersten Deutschen Walfang-Gesellschaft. Ein Beitrag zur Geschichte des Unternehmens Henkel, Düsseldorf 1982; weitgehend identisch dazu: ders., Vom Fang der Wale zum Schutz der Wale. Wie Henkel Wale



IV. Quellenlage27

schienene Aufsätze von Lars Uwe Scholl vor.52 Diese Arbeiten liefern jedoch zusammen noch kein wirklich abschließendes Bild des deutschen Walfangs, der beteiligten Unternehmen und der volkswirtschaftlichen Bedeutung.

IV. Quellenlage Die Arbeit stützt sich auf archivalische und in besonderem Maße gedruckte Quellen.53 Genutzt wurden das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, das Staatsarchiv Hamburg, das Staatsarchiv Oldenburg und das Unternehmensarchiv von Unilever Deutschland in Hamburg. Der größte Teil der Arbeit beruht jedoch auf gedruckten Quellen, die es ermöglichen, die zeitgenössischen Diskurse und Vorstellungen sowie die Maßnahmen der Verbrauchslenkung und technische Entwicklungen nachzuzeichnen. Dabei spielen Veröffentlichungen der Fischwirtschaft unweigerlich eine große Rolle als Quellengrundlage. Neben verschiedenen Monographien, Sammelwerken, Fachzeitschriften und Broschüren werden insbesondere die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ und „Die Deutsche Fischwirtschaft“ intensiv ausgewertet. Beide Zeitschriften richteten sich an alle mit der Seefischerei zusammenhängenden Kreise, also an Vertreter der gesamten Wertschöpfungskette von den Reedereien, über die Fisch verarbeitende Industrie und den Großhandel bis zu den Einzelhändlern im Binnenland. Die vierzehntäglich erscheinende „Deutsche Fischerei-Rundschau“ war das offizielle Organ der Nordsee Deutsche Hochseefischerei Bremen-Cuxhaven AG sowie verschiedener Reederei- und Großhandelsvereinigungen und ging 1931 aus dem Zusammenschluss mehrerer Zeitschriften hervor.54 Erst im Frühjahr 1934 wurde im Zuge der Gleichschaltung der Nahrungsmittelwirtschaft im Reichsnährstand die Zeitschrift „Die Deutsche Fischwirtschaft“ durch die Umwandlung des Mitteilungsblattes des staatsnahen Deutschen SeefischereiVereins gegründet. Die neue Zeitschrift erschien wöchentlich und diente als fing und einen Beitrag zu ihrer Rettung leistete (Schriften des Werksarchivs der Henkel KGaA; 14), Düsseldorf 1982. 52  Lars U. Scholl, Whale Oil and Fat Supply. The Issue of German Whaling in the Twentieth Century, in: International Journal of Maritime History, 3 (1991), 2, S. 39–62; ders., Zwischen Kooperation und Konfrontation. Deutschland, Norwegen und die Walfangfrage in den 1930er Jahren, in: Sjøfartshistorisk årbok, 1990, S. 161–184; ders., German Whaling in the 1930s, in: Lewis R. Fischer (Hrsg.), Shipping and Trade in the Northern Seas. 1600–1939, Exeter 1988, S. 103–121. 53  Ich danke Klaus Barthelmess (†), Chris Reid und Uwe Spiekermann, die mir zusätzliches Quellenmaterial zur Verfügung stellten. 54  s. das Deckblatt der Zeitschrift. Die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ erschien nach Kriegsausbruch zunächst nicht mehr, dann nur noch monatlich und stellte 1943 ihr Erscheinen ganz ein.

28

A. Einleitung

offizielles Mitteilungsblatt des Reichsnährstandes für die Fischwirtschaft. „Die deutsche Fischwirtschaft“ war insgesamt etwas stärker politisch gefärbt und näher am Einzelhandel orientiert als die „Deutsche FischereiRundschau“.55 Man kann vermuten, dass die Fischwirtschaft in ihren Publikationen dazu neigte, bewusst und unbewusst ihre Bedeutung und ihren Beitrag zur Autarkiewirtschaft aus Eigeninteresse oder einem professionsbedingten Tunnelblick heraus zu hoch zu veranschlagen. Daher werden ebenfalls branchenfremde Quellen wie Zeitschriften und Monographien aus der Ernährungswirtschaft und -wissenschaft sowie der Autarkiepolitik allgemein ausgewertet. Hier ist beispielsweise das ganz dem Autarkiestreben gewidmete, mehrfach aufgelegte Standardwerk „Rohstoff-Fragen der deutschen Volksernährung“ von Wilhelm Ziegelmayer zu nennen, das Hochseefischerei und Walfang ausgiebig behandelt.56 Tageszeitungen sind ebenfalls wichtige Quellen, da sie Belege für die öffentliche Präsenz des Untersuchungsgegenstandes jenseits von Expertendiskursen bieten. Hierfür werden Zeitungsausschnittssammlungen der Staatlichen Pressestelle im Staatsarchiv Hamburg herangezogen. Materialien für den Schulunterricht und Jugendbücher dienen als Quelle dem gleichen Zweck. Schließlich verdienen neben anderen Veröffentlichungen der Exilpresse die „Deutschland-Berichte“ der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) im Prager (später Pariser) Exil besondere Beachtung.57 Versorgungsmängel und Maßnahmen zur Verbrauchslenkung nehmen in diesen 55  Vgl.: Zum neuen Jahr! An unsere Leser!, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 2.1.1938, S. 1 f.; s. a.: An unsere Mitglieder und Leser, in: Mitteilungen des Deutschen Seefischerei-Vereins, 49 (1934), 6, S. 230. Die Zeitschrift verwendete – anders als die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ – bis Ende Oktober 1935 die im Reichsnährstand beliebten altdeutschen Monatsnamen. Sie stellte ihr Erscheinen erst 1945 ein. 56  Wilhelm Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen der deutschen Volksernährung. Eine Darstellung der ernährungswirtschaftlichen und ernährungswissenschaftlichen Aufgaben unserer Zeit, Dresden 1936. Wilhelm Ziegelmayer war als „strategischer Kopf der deutschen Militär- und Gemeinschaftsverpflegung“ eine wichtige Figur in der deutschen Ernährungswirtschaft der NS-Zeit. Ab 1945 koordinierte Ziegelmayer die Ernährungspolitik in der Sowjetischen Besatzungszone und war der Spiritus Rector des späteren Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam. Sein Standardwerk „Rohstoff-Fragen der deutschen Volksernährung“ erschien von 1936 bis 1941 in vier Auflagen. Eine weitere, bearbeitete Auflage wurde 1947 in Dresden veröffentlicht; Uwe Spiekermann, Pfade in die Zukunft? Entwicklungslinien der Ernährungswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gesa Schönberger  /  Uwe Spiekermann (Hrsg.), Die Zukunft der Ernährungswissenschaft, Berlin  /  Heidelberg / New York 2000, S. 23–46, hier S. 33 f. 57  Deutschland-Berichte der Sopade, 7 Jge. (1934 ff.), neu hrsg. v. Klaus Behnken, Salzhausen 1980.



V. Aufbau der Arbeit29

Berichten einen breiten Raum ein. Ihre Bedeutung für die vorliegende Arbeit liegt darin, dass die „Deutschland-Berichte“ im Unterschied zu den anderen, regimekonformen Quellen einen Blick von außen auf das nationalsozialistische Deutschland werfen. Diese Berichte besitzen einen hohen Quellenwert, da die Vertrauensleute der Sopade unmittelbar im deutschen Alltagsleben standen und freiwillig arbeiteten, anders als die oft unter Zwang rekrutierten Informanten der NS-Behörden, die sich entsprechend in ihren Berichten oft an den Erwartungshaltungen der Sicherheitsorgane orientierten. Die Sopade besaß dagegen ein großes Interesse daran, die eigene Glaubwürdigkeit im Exil und gegenüber den Illegalen in Deutschland nicht zu gefährden, und war sich daher der Gefahr bewusst, in ein Wunschdenken zu verfallen und einzelne Unmutsäußerungen in der deutschen Bevölkerung allzu optimistisch als Beginn eines umfassenden Widerstands zu deuten.58

V. Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Nach der Einleitung legt Kapitel B. (Autarkiepolitik) die volkswirtschaftliche Ausgangslage dar, d. h. die Genese und Charakteristik der so genannten Autarkiepolitik der NS-Zeit von der Weltwirtschaftskrise über den Neuen Plan bis zum Vierjahresplan. Dabei wird die Ernährungswirtschaft mit den besonderen Problemfeldern der Fett- und Eiweißversorgung vertieft behandelt. Des Weiteren erörtert dieses Kapitel die Frage, inwieweit der Begriff „Autarkie“ das Ideal und die Praxis der damaligen Wirtschaftspolitik erfasst. An dieser Stelle soll also die wirtschaftspolitische Problemlage deutlich werden, zu deren Lösung die verstärkte Nutzung mariner Ressourcen in der NS-Zeit beizutragen hatte. Das Kapitel C. (Das Versprechen des Meeres) widmet sich den zeitgenössischen Wahrnehmungen und Erwartungen. Das erste Unterkapitel schildert, wie die Ausbeutung mariner Ressourcen in idealer Weise zu den Versorgungsproblemen des NS-Staates, insbesondere im Nahrungsmittelbereich, zu passen schien, da hier ein großes Wachstumspotential ohne Inanspruchnahme von Devisen oder der begrenzten landwirtschaftlichen Fläche versprochen werden konnte. Zudem wird dargestellt, in welchem Maße die Fischwirtschaft sich autarkistische Argumente aneignete und sich von der Autarkiewirtschaft die Lösung ihrer Absatzschwierigkeiten erhoffte. Ob und 58  Bernd Stöver, Loyalität statt Widerstand. Die sozialistischen Exilberichte und ihr Bild vom Dritten Reich, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 43 (1993), 3, S. 437–471, hier S. 445–448. Stöver zufolge wird in den Sopade-Berichten vor allem deutlich, dass sich weite Teile der Bevölkerung mit dem NS-System zumindest arrangierten. Statt Ausdruck von Wunschdenken waren für die Exilopposition „letztendlich die eigenen Meldungen, die Bankrotterklärung ihres Widerstandskonzeptes der massenhaften Auflehnung gegen das Regime“; ebd., S. 470.

30

A. Einleitung

inwieweit Hochseefischerei und Walfang einen signifikanten und wachsenden Beitrag zur Sicherung der deutschen Nahrungsversorgung leisten konnten, hing wesentlich von ihrem Steigerungspotential und damit von der Belastbarkeit der genutzten Fisch- und Walbestände ab. Daher taucht im Kontext der Autarkiepolitik der 1930er vielfach die Vorstellung auf, dass das Meer in dieser Beziehung quasi unerschöpflich und seine Nutzung unbegrenzt steigerbar seien. In dem zweiten Unterkapitel wird die Vorgeschichte und die Ausprägung dieser Vorstellung vom Meer und seinen biologischen Ressourcen beleuchtet. Schließlich geht das dritte Unterkapitel der Frage nach, welchen Stellenwert die verstärkte Nutzung des Meeres zur Nahrungs- und Rohstoffbeschaffung in der Öffentlichkeit der NS-Zeit besaß. Das Unterkapitel zeigt, wie es der Fischwirtschaft als einer bis dahin eher randständigen und wenig prestigeträchtigen Branche gelang, im Kielwasser von Autarkiestreben und Vierjahresplan öffentliche Anerkennung zu gewinnen. Während bis hierhin die zeitgenössische Wahrnehmung und Darstellung untersucht wurde, beschreibt Kapitel D. (Die Grenzen des Meeres) die Umsetzung bis zum Kriegsbeginn 1939. Die Leitfrage ist hierbei, an welche Grenzen ökologischer, technischer, völkerrechtlicher und wirtschaftlicher Art die Versuche stießen, durch den Aus- bzw. Aufbau von Hochseefischerei und Walfang die deutsche „Nahrungsfreiheit“ zu sichern, und inwieweit auf diesem Weg ein nennenswerter Beitrag zur Versorgungslage geleistet werden konnte. Die zum Verständnis dessen notwendige Vorgeschichte der Hochseefischerei und des Walfangs bis zur NS-Zeit wird in den Unterkapiteln I. und II. dargelegt. In Unterkapitel III. folgt dann getrennt nach Produktion und Absatz die Darstellung des Beitrags der Fischerei zur NS-Autarkiepolitik. Dabei wird deutlich, dass die Produktion der Hochseefischerei mannigfacher Hindernisse und Schwierigkeiten zum Trotz erheblich gesteigert werden konnte, während sich auf der Seite des Absatzes ungeachtet vielfältiger Maßnahmen zur Verbrauchslenkung und -steigerung das eigentlich entscheidende Problem zeigte. Anschließend folgt die Untersuchung der deutschen Walfangindustrie in den 1930er Jahren und ihres Beitrages zur deutschen Fettversorgung (Unterkapitel IV.). Das Unterkapitel III. über die Hochseefischerei fokussiert auf die Produktion und den Absatz und nicht auf die beteiligten Unternehmen – Ausnahmen wie Reemtsma und Unilever werden behandelt –, da hier im wesent­ lichen unverändert dieselben Unternehmen tätig waren wie bereits vor der NS-Zeit. Hingegen liegt beim Walfang (IV.) der Schwerpunkt der Darstellung neben der Produktion auf den beteiligten Unternehmen und ihren Motiven, da alle betreffenden Unternehmen bis dahin keine Beziehung zu Walfang, Fischerei oder Schifffahrt besaßen und erst unter den außenwirtschaftlichen und devisenrechtlichen Bedingungen der NS-Zeit sich veran-



V. Aufbau der Arbeit31

lasst sahen, selbst in Walfangschiffe zu investieren. Der Absatz war beim deutschen Walfang der 1930er Jahre wiederum – anders als bei der Hochseefischerei – vollkommen unproblematisch angesichts der „Fettlücke“, und da Walöl in der deutschen Margarine- und Seifenindustrie bereits seit langem verwendet wurde. Kapitel E. (Krieg und Nachkriegszeit) bildet den Ausklang und zeigt, dass die Expansion der Hochseefischerei und der Aufbau einer Walfangindustrie in vielen Aspekten nur den besonderen ökonomischen Rahmenbedingungen in den Vorkriegsjahren der NS-Zeit geschuldet waren. Das Unterkapitel I. skizziert hierfür die nur noch äußerst eingeschränkten Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Nutzung des Meeres nach Ausbruch des Krieges. Welche Tendenzen und Entwicklungen aus der NS-Zeit sich nach dem Krieg in der Bundesrepublik und der DDR fortsetzten und welche nicht, wird abschließend unter II. ausgeführt. Kapitel F. fasst schließlich als Schlussbetrachtung die Ergebnisse zusammen und stellt sie in einen breiteren Kontext.

B. Autarkiepolitik Dass Nahrung und Rohstoffen aus dem Meer in der nationalsozialistischen Vorkriegszeit in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaße die Aufmerksamkeit von Staat, Wirtschaft und Öffentlichkeit zuteil wurde, erklärt sich nur durch die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen dieser Zeit, denn der Nationalsozialismus besaß bekanntermaßen aus seiner Ideologie heraus keine Präferenz für Fischerei oder Seefahrt allgemein. Der Landwirtschaft kam dagegen über ihre (wehr-)wirtschaftliche Bedeutung hinaus ein hoher ideologischer Stellenwert zu, und die Landbevölkerung stellte überdies einen gewichtigen Teil der Anhängerschaft der NSDAP. Wie mussten die Rahmenbedingungen beschaffen sein, damit die Fischerei eine gesamtvolkswirtschaftliche Bedeutung beanspruchen konnte und damit Unternehmen und Staat bereit waren, in großem Stil in Walfangflotten zu investieren? Die notwendigen Rahmenbedingungen hierfür schuf erst eine Autarkie­ politik, die durch die (weitgehende) Abkoppelung vom Weltmarkt Versorgungslücken aufbrechen ließ, da die einheimischen Ressourcen wegfallende Importe in vielen Bereichen nicht vollständig ersetzen konnten. Das Autarkiestreben entsprach auch einem internationalen Trend und stellte eine nahe liegende Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise dar, im deutschen Fall war hingegen die politische Entscheidung, der Aufrüstung höchste Priorität zu geben, ausschlaggebend für Ausmaß und Gestaltung dieser Politik. Die Anfänge der Autarkiepolitik als einer restriktiven staatlichen Kontrolle des Außenhandels lagen gleichwohl in der Weltwirtschaftskrise. Im Folgenden wird zunächst die deutsche Außenwirtschaft von der Weltwirtschaftskrise über den Neuen Plan 1934 bis zum Vierjahresplan 1936 im Überblick dargestellt. Anschließend wird auf die Lage der Ernährungswirtschaft mit den Problemfeldern Fett und Eiweiß gesondert eingegangen. Die Nutzung der Ressourcen des Meeres bleibt hier zunächst unberücksichtigt, um stattdessen die mehr oder weniger konventionellen, landgebundenen Lösungsversuche darzustellen. Zuletzt wird die Frage behandelt, welchen Stellenwert der Begriff „Autarkie“ in der damaligen Diskussion besaß und inwieweit Deutschland in den 1930er Jahren eine Autarkie erreicht hat.



I. Von der Weltwirtschaftskrise zum Vierjahresplan33

I. Von der Weltwirtschaftskrise zum Vierjahresplan Deutschland war wie viele andere Industriestaaten auch – aber im Unterschied zu den USA – seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr zur Selbstversorgung in der Lage, d. h. das Land benötigte Importe von Nahrungsmitteln und Rohstoffen, um den Bedarf der gewachsenen Bevölkerung und der Industrie zu decken. Solche Importe zu finanzieren, stellte solange kein Problem dar, wie der Weltmarkt in ausreichendem Maße deutsche Industriegüter abnahm. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich die Bedingungen durch den Verlust von agrarischen Überschussgebieten und Erzlagerstätten durch den Versailler Vertrag sowie durch die Reparationszahlungen erschwert. Die notwendigen Importe konnten aber weiterhin finanziert werden, wenn auch nur mit Hilfe von ausländischen, vor allem US-amerikanischen Krediten, die die immer wieder auftretenden Zahlungsbilanzdefizite ausglichen.1 Für den Außenhandel waren Devisen von entscheidender Bedeutung und die staatliche Devisenbewirtschaftung bildete das prägende Merkmal und Werkzeug der Autarkiepolitik. Die Devisenproblematik war zumindest in Grundzügen auch der einfachen Bevölkerung vertraut. Daher nahm die nationalsozialistische Verbrauchslenkung in ihren Appellen an den Verbraucher immer wieder dieses Motiv auf und bewarb u. a. Fisch mit dem Hinweis auf die damit verbundene Devisenersparnis (siehe C. I.). Die mit der Devisenbewirtschaftung einhergehenden Schwierigkeiten, Gelder ins Ausland zu transferieren, spielten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung des britischniederländischen Unilever-Konzerns, sich am Aufbau der deutschen Walfangindustrie zu beteiligen [siehe D. IV. 3. c)]. Nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise begannen die deutschen Goldund Devisenreserven durch den Zusammenbruch der Exporteinnahmen und durch Kapitalflucht weg zu schmelzen, so dass die Finanzierung der Nahrungsmittel- und Rohstoffeinfuhren zunehmend schwierig wurde. Der Rückgang der Gold- und Devisenreserven der Reichsbank setzte etwa Mitte 1930 ein, wobei sich drei Phasen erkennen lassen – Sommer 1931, Frühjahr 1933 und Frühjahr 1934 –, in denen der Schwund sich besonders beschleunigte, bis die (offiziellen) Reserven im Sommer 1934 fast gänzlich aufgezehrt waren.2 Die Entwicklung machte schließlich einen freien Waren- und Kapi1  Dietmar Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan, Stuttgart 1968, S. 15 f. 2  Neben den offiziellen Gold- und Devisenreserven konnte die Reichsbank jedoch ab 1934 beträchtliche geheime Reserven aufbauen, die sich aus dem Verkauf deutschen Auslandsvermögens, der Ablieferung von privatem Gold und schließlich ab 1938 aus den Beständen der österreichischen und der tschechoslowakischen Nationalbanken speisten. Trotz eines chronischen Gold- und Devisenmangels drohte

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B. Autarkiepolitik

3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500

Sep 34

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Quelle: Statistische Jahrbücher des Deutschen Reiches. Diagramm 1: Gold- und Devisenreserven der Reichsbank in Millionen RM, 1929–1934

talverkehr mit dem Ausland unmöglich, so dass Deutschland schon seit Mitte 1931 zu einer sukzessive immer stärkeren staatlichen Regulierung des Devisenverkehrs und des Außenhandels überging, die 1934 im so genannten Neuen Plan gipfelte. Eine rechtliche Einschränkung der Verwendung und des Besitzes von Devisen war kein prinzipiell neues Phänomen der Weltwirtschaftskrise oder des Nationalsozialismus. Devisenrechtliche Einschränkungen bestanden schon von 1916 bis 1919 und von 1922 bis 1927. Daher besaß die Verwaltung 1931 bereits die notwendigen Begriffe und Erfahrungen, während die Bevölkerung Einschränkungen des Devisenverkehrs als vorübergehende Maßnahme in Krisenzeiten kannte und akzeptierte. Den Anlass für den Beginn der Devisenbewirtschaftung im Sommer 1931 bildete die Kapitalflucht aufgrund der Banken- und Währungskrise nach dem Zusammenbruch der Danat-Bank. Bis Frühjahr 1932 wurden in einer wenig planvollen Abfolge von Einzelnormen der gesamte Devisenverkehr bei der Reichsbank Deutschland somit zu keinem Zeitpunkt eine sofortige Zahlungsunfähigkeit; Ralf Banken, Die deutsche Goldreserven- und Devisenpolitik 1933–1939, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 2003 / 1, S.  49–78.



I. Von der Weltwirtschaftskrise zum Vierjahresplan35

zusammengefasst und zahlreiche Devisenzahlungen ins Ausland einer Genehmigungspflicht unterworfen. Insgesamt war diese Politik noch von der Erwartung der Verantwortlichen geprägt, dass es sich lediglich um eine vorübergehende Notlösung handele, auf die bald die Rückkehr zur freien Außenwirtschaft folgen werde.3 Die Gold- und Devisenreserven wurden nicht nur durch den Kapitalabfluss belastet, sondern gleichermaßen durch den unzureichenden Zufluss in Form von Deviseneinnahmen der deutschen Exportwirtschaft. Die Möglichkeiten, durch Exporte in den US-amerikanischen Markt Dollar einzunehmen, war für Deutschland und andere Staaten bereits durch den neuen protektionistischen Zolltarif der Vereinigten Staaten (Smoot-Hawley-tariff) ab 1930 deutlich eingeschränkt worden. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Exportwaren verschlechterte sich auch auf anderen Märkten, nachdem Großbritannien im September 1931 und die USA im April 1933 die Goldbindung aufgaben und ihre Währungen daraufhin abwerteten. Weitere Staaten folgten mit der Abwertung ihrer Währungen, und deutsche Unternehmen waren infolgedessen durch die nun im Vergleich überbewertete Reichsmark im Nachteil gegenüber ihren internationalen Wettbewerbern. In der Folge schwand der Handelbilanzüberschuss, den die Deflationspolitik von Reichskanzler Brüning seit 1929 unter hohen politischen und sozialen Kosten, nämlich nicht durch eine Exportsteigerung, sondern nur durch die reduzierte Nachfrage nach importierten Gütern, erwirtschaftet hatte.4 Somit blieb die Devisenlage der Reichsbank angespannt, und im ersten Quartal 1933 kam es als Reaktion auf die Machtergreifung der NSDAP zu einer weiteren Kapitalflucht aus Deutschland. Die neue nationalsozialistische Regierung reagierte mit Maßnahmen gegen Deutschlands ausländische Gläubiger und stellte per Gesetz vom 9.6.1933 alle langfristigen Zins- und Tilgungszahlungen gegenüber dem Ausland ein. Ausgenommen waren zunächst noch die Young- und Dawes-Anleihen, die Deutschland erst ab dem folgenden Sommer nicht mehr bediente. Deutsche Auslandsschuldner mussten nun ihre Verpflichtungen gegenüber dem Ausland (Zinsen, Tilgungen, Dividenden, Mieten usw.) an eine Konversionskasse zahlen. Die Reichsbank entschied dann nach den Bedürfnissen der deutschen Außenhandelspolitik über den Transfer ins Ausland. Als Monopolist fälliger deutscher Schulden gegenüber dem Ausland besaß das Reich eine starke Verhandlungsmacht 3  Ralf Banken, Das nationalsozialistische Devisenrecht als Steuerungs- und Diskriminierungsinstrument 1933–1945, in: Johannes Bähr / Ralf Banken (Hrsg.), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat des „Dritten Reichs“, Frankfurt a. M. 2006, S. 121–236, hier S. 122–137. 4  Adam Tooze, The Wages of Destruction. The Making and Breaking of the Nazi Economy, London 2006, S. 14, 17, 20 f.

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B. Autarkiepolitik

und konnte dementsprechend einen harten Kurs gegenüber den Gläubigern fahren. Die nicht transferierten Beträge wurden in zinslose Schuldscheine der Konversionskasse mit unbestimmter Fälligkeit, so genannte Scrips, umgewandelt. Das Reich nutzte diese Scrips in einem Verfahren zur Exportsubventionierung, indem es sie im Ausland weit unter Nennwert aufkaufte.5 Auf eine Stabilisierung der deutschen Gold- und Devisenreserven folgte jedoch im Laufe des Jahres 1934 erneut ein weiteres Absinken. Die Ursache lag nicht mehr wie bisher vor allem in der Kapitalflucht und dem Schuldendienst, sondern in der steigenden deutschen Wareneinfuhr. Da sich die deutsche Konjunktur inzwischen wieder erholte, stieg die Nachfrage nach importierten Rohstoffen, Halbwaren und Fertigprodukten, ohne dass sich die Nachfrage des Auslands nach deutschen Produkten und damit die Einnahme von Devisen ähnlich entwickelt hätte. In der Folge sanken die Reserven der Reichsbank wieder. Hjalmar Schacht (1877–1970), Reichsbankpräsident und seit 1934 auch Wirtschaftsminister, veranlasste vor diesem Hintergrund ein Maßnahmenbündel, das unter der Bezeichnung Neuer Plan bekannt wurde. Während bisher nur der Kapitalverkehr staatlichen Kontrollen unterworfen worden war, dehnte der Neue Plan die Bewirtschaftung auf sämtliche Güter aus. Als Vorbild dienten drei bereits 1930 bzw. 1933 eingerichtete so genannte Reichsstellen für mehrere Agrarprodukte,6 die ein staatliches Außenhandelsmonopol für die betreffenden Produkte ausübten. Der Zweck war zunächst jedoch nicht die Deviseneinsparung, sondern der Schutz der deutschen Landwirtschaft. Mit dem Neuen Plan wurde die Zahl der Reichs- oder Überwachungsstellen auf schließlich 25 ausgebaut, von denen jede für eine Warengruppe (Wolle, Baumwolle, Nichteisenmetalle usw.) zuständig war. Unternehmen hatten nun für jedes Importgeschäft einen Antrag an die zuständige Reichs- oder Überwachungsstelle zu richten, die den Antrag prüfte und je nach Priorität und den aktuell zur Verfügung stehenden Devisen gegebenenfalls dem Unternehmen eine Devisenbescheinigung ausstellte, gegen deren Vorlage die Reichsbank den für die Ausfuhr nötigen Devisenbetrag auszahlte. Auf diese Weise behielt der Staat zum einen die Kontrolle über sämtliche Devisenausgaben, zum anderen konnte er die Einfuhr rüstungsrelevanter Rohstoffe und Halbwaren gegenüber den Bedürfnissen der Konsumgüterproduktion bevorzugen. Als nicht intendierte Folge verstärkte der Neue Plan mit diesem Verfahren noch die Bürokratisierung des Außenhandels, die schon mit den ersten Maßnahmen 1931 begonnen hatte, und nun auf weite Teile des Wirtschaftslebens übergriff.7 5  Banken,

Das nationalsozialistische Devisenrecht, S. 146 f. (ab 1930), Reichsstelle für Getreide, Futtermittel und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse (ab 1933) und die Reichsstelle für Öle und Fette (ab 1933); ebd., S. 152. 7  Ebd., S. 151–162. 6  Reichsmaisstelle



I. Von der Weltwirtschaftskrise zum Vierjahresplan37

Zusätzlich zu dieser Kontrolle und selektiven Reduktion der Einfuhren versuchte das Reich mit dem Neuen Plan, den Export über ein neues, durch eine Umlage von der Industrie finanziertes Subventionssystem („Zusatzausfuhrverfahren“) zu steigern. Zudem verlagerte Deutschland seine Wirtschaftsbeziehungen schwerpunktmäßig auf solche Staaten, mit denen ein devisenloser Handel auf der Grundlage von Clearing-Abkommen möglich war. Dies waren vor allem Staaten in Südosteuropa und Südamerika, deren geringe Wirtschaftskraft allerdings das Volumen des Handels begrenzte und die auch nicht alle von Deutschland benötigten Rohstoffe liefern konnten. Für Deutschland vorteilhaft war jedoch, dass das Reich gegenüber diesen Staaten hohe Clearing-Schulden anhäufen konnte, also Waren zunächst ohne Gegenleistung erhielt.8 Die mit dem Neuen Plan geschaffenen Einrichtungen und Verfahren blieben in den folgenden Jahren bestehen und bildeten fortan die Grundlage der Außenhandelspolitik des NS-Regimes. Zwar konnte Deutschland mit dem Neuen Plan die Gold- und Devisenreserven nicht wieder auffüllen, aber es gelang dem NS-Regime zunächst die Situation zu stabilisieren, einer Zahlungsunfähigkeit zu entgehen, die nötigsten Importe zu finanzieren und die Aufrüstungspolitik weiterzuverfolgen. Nach dem Neuen Plan von 1934 markierte im Herbst 1936 der Vierjahresplan den nächsten Einschnitt in der NS-Wirtschaftspolitik und einen Schritt zu einer noch stärkeren Rolle des Staates und deutlich vermehrten Anstrengungen zur Importsubstitution. Der Neue Plan hatte zwar dem Regime eine Atempause verschafft, konnte aber nicht verhindern, dass der deutsche Importbedarf 1935 und 1936 den von den verfügbaren Devisen gesetzten Rahmen sprengte. Hierfür waren drei Entwicklungen verantwortlich: Erstens veränderten sich die weltweiten Terms of Trade zugunsten der Lieferanten von Rohstoffen und Agrarprodukten und zulasten der Produzenten von industriellen Fertigwaren, so dass Deutschland für die gleiche Menge Importe mehr exportieren musste als zuvor. Zweitens stieg der deutsche Bedarf an importierten Nahrungsmitteln, da die Ernten nach dem Rekordjahr 1933 schwächer ausfielen, die Politik des Reichsnährstandes zunächst stärker auf Einkommenssteigerungen für die Landwirte als auf die Erhöhung der Produktion zielte und schließlich die Nachfrage der Bevölkerung mit der sinkenden Arbeitslosigkeit zunahm. Drittens stieg der Importbedarf vor allem aufgrund der Aufrüstung, die immer größere Mengen an 8  Tooze, Wages of Destruction, S. 88  f., 92 f.; Hans-Erich Volkmann, Die NSWirtschaft in Vorbereitung des Krieges, in: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik (Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg; Bd. 1), hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart u. a. 1979, S. 177–368, hier S. 255 f., 362; Petzina, Autarkiepolitik, S. 17.

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B. Autarkiepolitik

Metallen, Kautschuk und Mineralöl verschlang. Gerade diese Rohstoffe konnte Deutschland kaum aus den Ländern beziehen, mit denen man Clearing-Vereinbarungen abgeschlossen hatten, sondern waren nur gegen Devisen auf dem Weltmarkt erhältlich. Das internationale Wettrüsten, das Deutschland durch den Ausbau seiner Streitkräfte seit 1933 losgetreten hatte, ließ nun das Tempo der deutschen Rüstung und damit die Forderungen der Militärs nach importierten Rohstoffen weit über das Maß steigen, welches Schacht noch 1934 vor Augen gehabt hatte. Das Reich befand sich somit 1936 erneut in einer Außenhandels- und Devisenkrise, obwohl die Importe bereits so weit gedrosselt worden waren, dass die Industrieproduktion aus Mangel an Rohstoffen einzubrechen drohte.9 Vor diesem Hintergrund sah sich Hitler selbst veranlasst, 1936 (wahrscheinlich im August) eine Art Memorandum zu verfassen, das später in der Forschung als Denkschrift zum Vierjahresplan bekannt wurde und in dem er ausgehend von seinem Weltbild ein Programm für die nächsten vier Jahre skizzierte. Kopien der Denkschrift gingen nur an Kriegsminister Werner von Blomberg und Hermann Göring, der einzelne Passagen am 4. September 1936 auf einer Sitzung des Preußischen Ministerrats verlas.10 Bezeichnenderweise begann Hitler seine wirtschaftspolitischen Ausführungen mit dem eschatologischen Szenario einer unausweichlichen Konfrontation der europäischen Zivilisation mit dem Bolschewismus, woraus sich für ihn die unbedingte Priorität der deutschen Rüstung ableitete. Diesem Ziel untergeordnet sah Hitler entsprechend das gesamte Wirtschaftsleben, dessen momentane Lage gekennzeichnet sei durch die Unmöglichkeit, Deutschland aus eigenen Quellen zu ernähren, die erhöhte Nachfrage nach Lebensmitteln infolge der schwindenden Arbeitslosigkeit sowie die kaum steigerbare landwirtschaftliche Produktion und die in vielen Fällen nicht ersetzbaren Rohstoffimporte. Für Hitler konnte eine endgültige Lösung nur in der Erweiterung des Lebensraumes bestehen. Für die unmittelbare Zukunft und den Weg zu diesem Ziel forderte er jedoch eine wirtschaftliche Mobilmachung analog zu der militärischen und eine vollständige Selbstversorgung auf den Gebieten, auf denen es möglich war, um die verbliebenen Devisen für die vorrangigsten Importe verwenden zu können. Daher verlangte Hitler, den Ersatz von Importen durch eigene Ressourcen zu forcieren, und nannte in der Denkschrift insbesondere die Synthese von Benzin, Kautschuk und industriellen Fetten aus heimischer Kohle sowie die Förderung auch geringwertiger deutscher Eisenerze. Die Frage der Wirtschaftlich9  Tooze,

Wages of Destruction, S. 207–209; Petzina, Autarkiepolitik, S. 30–39. Treue, Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan 1936, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3 (1955), S. 184–210, hier S. 184; Tooze, Wages of Destruction, S. 222. 10  Wilhelm



I. Von der Weltwirtschaftskrise zum Vierjahresplan39

keit habe hierbei zurückzustehen. Abschließend gipfelt die Denkschrift in den Vorgaben: „I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“11

Die Zurückweisung aller Vorschläge, die Rüstung zugunsten der Exporte einzuschränken oder stattdessen Rohstoffe oder Devisen zu bevorraten, bildete einen Leitgedanken der Denkschrift. Hitler legte sich somit auf einen Kurs fest, der eine in kurzer Zeit zu erreichende maximale Rüstung vorsah, unter Vernachlässigung aller anderen Aspekte und damit auch auf einen Krieg nach Ablauf der vier Jahre. Ein weiteres Thema, das sich durch die gesamte Denkschrift zieht, ist das Verhältnis zur Privatwirtschaft: Hitler stieß direkte Drohungen gegen Unternehmer aus, die Devisen zurückhielten, und betonte wiederholt, dass, falls die Privatwirtschaft nicht willens oder in der Lage sei, die von ihm gestellten Aufgaben zu lösen, sie ihre Existenzberechtigung verloren habe und der Staat selbst die Vorhaben ausführen werde.12 Wenn auch letztlich nicht die Privatwirtschaft in Deutschland abgeschafft wurde, begann doch mit dem Vierjahresplan eine neue Phase des Staatsinterventionismus. Im Fall der eisenarmen Erze des Salzgittergebiets enteignete der Staat tatsächlich die Rechte der privaten Stahlindustrie an diesen Vorkommen und gründete für Abbau sowie Verarbeitung dieser Erze die staatseigenen „Reichswerke Hermann Göring“.13 Als Folge dieser Denkschrift wurde am 9. September 1936 auf dem Nürnberger Parteitag der Vierjahresplan verkündet. Offiziell sprach man zunächst vom „zweiten Vierjahresplan“, indem die Politik seit 1933 rückwirkend zum „ersten Vierjahresplan“ erklärt wurde.14 Letztlich setzte sich jedoch die einfache Bezeichnung „Vierjahresplan“ durch. Die zentrale Aussage der Denkschrift, Militär und Wirtschaft müssten in vier Jahren kriegsDenkschrift ist abgedruckt in: Treue, Hitlers Denkschrift, S. 204–210. den Problemen bei der Kautschuksynthese bemerkte Hitler: „Entweder wir besitzen heute eine Privatwirtschaft, dann ist es deren Aufgabe, sich den Kopf über die Produktionsmethoden zu zerbrechen, oder wir glauben, dass die Klärung der Produktionsmethoden Aufgabe des Staates sei, dann benötigen wir keine Privatwirtschaft mehr“; zu der Verhüttung der eisenarmen Erze: „Wenn aber die Privatwirtschaft glaubt, dazu nicht fähig zu sein, dann wird der nationalsozialistische Staat aus sich heraus diese Aufgabe zu lösen wissen“; für den Fall, dass die Privatwirtschaft die Fettsynthese nicht voranbringe: „Aber dann wird nicht Deutschland untergehen, sondern es werden dies höchstens einige Wirtschaftler“; ebd., S. 208 f. 13  Tooze, Wages of Destruction, S. 234–238. 14  Ausdrücklich vom „ersten“ und „zweiten Vierjahresplan“ sprach beispielsweise Göring in seiner Sportpalastrede im Oktober 1936: Hermann Göring, Rede des ­Ministerpräsidenten Generaloberst Göring am 28. Oktober 1936 im Sportpalast, in: Der Vierjahresplan, 1 (1937), S. 31–36, hier S. 31. 11  Die 12  Zu

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B. Autarkiepolitik

bereit sein, verschwieg das Regime allerdings der Bevölkerung. An die Öffentlichkeit gerichtete Darstellungen und die Berichterstattung erklärten vielmehr, dass das verstärkte Streben nach Selbstversorgung der „Sicherung der deutschen Ehre und der Sicherung des deutschen Lebens“15 sowie der Befreiung „von den Fesseln des Auslandes“16 diene. Zudem wurde das Ausland verantwortlich gemacht, da es sich weigere, deutsche Waren abzunehmen.17 Zum Beauftragten für den Vierjahresplan ernannte Hitler am 18.10.1936 Hermann Göring, der bereits seit Anfang April die Position des Rohstoffund Devisenkommissars innehatte; ein Amt das bereits eine Vorstufe von Görings Funktion im Vierjahresplan darstellte. Allerdings war er zuvor noch nicht als Wirtschaftspolitiker in Erscheinung getreten. Mit seiner Ernennung erhielt Göring umfassende Kompetenzen wie das Recht, Verordnungen zu erlassen und allen Behörden sowie Parteidienststellen Weisungen zu erteilen. Indem er – neben seiner Stellung als Preußischer Ministerpräsident und Oberbefehlshaber der Luftwaffe – mithilfe dieser weit gefassten Vollmacht die gesamte Wirtschaftspolitik an sich reißen konnte, etablierte sich Göring zu dieser Zeit als zweiter Mann im Staate, während Schacht schließlich im November 1937 als Reichswirtschaftsminister zurücktrat.18 Göring konnte die ihm verliehenen Kompetenzen zu einer derartigen Machtstellung ausbauen, da für den Vierjahresplan im Unterschied zum Neuen Plan ein zentraler Behördenapparat aufgebaut und umfangreiche Investitionen getätigt wurden. Die neu geschaffene Vierjahresplan-Behörde entwickelte sich binnen weniger Monate zu einer Mammutbürokratie von mehr als 1.000 Personen, deren Aufgabenbereiche die Erzeugung und Verteilung von Roh- und Werkstoffen, Landwirtschaft, Arbeitskräfte, Preise sowie Devisenangelegenheiten umfassten.19 Unübersehbar überschnitten sich diese Aufgabenbereiche mit denen bereits bestehender Ministerien, Behörden und Parteidienststellen, so dass es unweigerlich zu Doppelarbeiten und Kompetenzstreitigkeiten kam. Die Vierjahresplan-Behörde bildete daher ein klassisches Beispiel für die das s. a. Tooze, Wages of Destruction, S. 223. Führer hat gesprochen, in: Zeitschrift für Volksernährung, 11 (1936),

15  Ebd.; 16  Der

S.  273 f. 17  Vgl. beispielsweise die an eine jugendliche, technisch interessierte Leserschaft gerichtete Darstellung in: Hans Kolb, Technik und Vierjahresplan, in: Das Neue Universum, 58 (1937), S. 159–171, hier S. 159. 18  Tooze, Wages of Destruction, S. 210, 223 f.; Petzina, Autarkiepolitik, S. 40, 58; s. a. 1. Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes, 18.10.1936, (RGBl. I S. 887). Schacht blieb zunächst Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Reichsbankpräsident. 19  Petzina, Autarkiepolitik, S. 58–67.



I. Von der Weltwirtschaftskrise zum Vierjahresplan41

NS-Regime kennzeichnende Polykratie rivalisierender Gewalten. Dieser Effekt wurde nur teilweise dadurch gemildert, dass nicht selten eine Personalunion zwischen den Leitern der Geschäftsgruppen in der VierjahresplanBehörde und den entsprechenden bereits bestehenden Stellen vorlag.20 Ein Beispiel hierfür bildete der Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Herbert Backe (1896–1947). Backe blieb Staatssekretär, auch nachdem er zum Leiter der Geschäftsgruppe Ernährung im Vierjahresplan ernannt worden war. Da die Vierjahresplan-Behörde den Ministerien gegenüber weisungsberechtigt war, wurde der Staatssekretär in seiner neuen Funktion im Endeffekt zum Vorgesetzten seines Ministers, R. Walther Darré (1895–1953), dessen Amt Backe später auch übernahm. Backe hatte somit seit dem Vierjahresplan die zentrale Position in der deutschen Ernährungswirtschaft inne und plante während des Kriegs zur Sicherstellung der deutschen Nahrungsversorgung den Hungertod von Millionen Menschen in Osteuropa bewusst mit ein.21 Die Vierjahresplanbehörde tätigte ab 1936 umfangreiche Investitionen in den Bereichen Chemie, Wasserstraßen, Hafen- und Schiffbau, Mineralöl (insbesondere Benzinsynthese), Energieerzeugung, Kautschuksynthese (Buna), Textilien (Zellwolle), Nichteisen-Metalle und Eisen. Das wichtigste Ziel war hierbei der Aus- und Aufbau einer einheimischen Roh- und Grundstoffindustrie, um sich in diesen Bereichen von Importen unabhängig zu machen, so dass das geringe Devisenaufkommen kein limitierender Faktor in der Aufrüstung mehr wäre. In einigen Bereichen der Ersatzstoffproduk­ tion wie der Benzinsynthese und der Produktion von Zellwolle waren die Anfänge bereits gemacht, während im Fall von Buna die Großproduktion erst im Vierjahresplan aufgebaut wurde. In Bezug auf ihr Volumen waren die Investitionen des Vierjahresplanes nicht vergleichbar mit den Ausgaben für Heer und Luftwaffe, aber sie waren doch beträchtlich, da die Vierjahresplan-Investitionen eines Jahres durchschnittlich 20–25 % der jährlichen deutschen Gesamtinvestitionen ausmachten.22 Alle diese Investitionen der Vierjahresplan-Behörde trugen jedoch nichts dazu bei, das unmittelbare Problem zu lösen, das darin bestand, die Aufrüstung kurzfristig mit der deutschen Zahlungsbilanz in Einklang zu bringen. 20  Volkmann, Die NS-Wirtschaft, S.  286; Petzina, Autarkiepolitik, S. 66; zur ­ olykratie im NS-Regime: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. P Vierter Band: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten, 1914–1949, München 2003, S. 623–635. 21  Götz Aly / Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die europäischen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt a. M. 1993, S. 366– 376; Corni / Gies, Brot – Butter – Kanonen, S. 275. 22  Petzina, Autarkiepolitik, S. 78–90; Tooze, Wages of Destruction, S. 225 f.

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B. Autarkiepolitik

Bevor die neuen Rohstoffe aus inländischen Ressourcen – wie das Erz aus dem Salzgitter-Gebiet oder der synthetische Kautschuk – in großen Quantitäten verfügbar sein würden, verschärften die Vierjahresplan-Investitionen zunächst vielmehr die Lage, da der Bau der neuen Fabriken und Anlagen weitere Rohstoffe verschlang und potentielle Exportgüter im Inland band. Der Rohstoff- und Devisenmangel bestand somit fort und zwang 1937 sogar dazu, das Rüstungstempo zu drosseln. Bis zum Zeitpunkt des Treffens mit den Spitzen der Wehrmacht am 5.11.1937, das in der Hoßbach-Niederschrift dokumentiert ist, war Hitler bereits gezwungen, von seinem Zeitplan, wie er ihn in der Vierjahresplan-Denkschrift entworfen hatte, abzuweichen und erst den Zeitraum 1943–1945 für den Krieg anzusetzen.23 Damit der Mangel an importierten Rohstoffen bei gleich bleibender oder wachsender Nachfrage nicht in steigende Preise und eine allgemeine Inflation umschlüge, blieb dem Regime nur der Weg einer zunehmenden bürokratischen Zuteilung von Rohstoffen. Ende Februar 1937 begann der Staat daher mit der Rationierung von Stahl – Nichteisen-Metalle bereits im Vormonat –, die sich, da jedes Bau- und Produktionsvorhaben direkt oder indirekt von der Stahlzuteilung abhing, für die Gesamtwirtschaft prägender erwies als der Vierjahresplan.24

II. Die Ernährungswirtschaft Die Entwicklung von Außenhandel und Rüstungspolitik seit dem Jahr 1933 stand in einer engen Wechselwirkung zur Ernährungswirtschaft, die den direkten Hintergrund für die Geschichte von Hochseefischerei und Walfang in der NS-Zeit bildete. Obwohl die Rüstungswirtschaft die treibende Kraft hinter der wirtschaftlichen Entwicklung in der NS-Zeit darstellte, besaß der private Konsum, der nicht nur, aber in hohem Maße aus Lebensmitteln bestand, aus dreierlei Gründen einen hohen Stellenwert: Erstens entfiel auf den privaten Konsum ein zwar sinkender aber weiterhin sehr hoher Anteil des Bruttosozialprodukts. Entsprach der private Konsum bis 1937 noch über ⅔ des BSP, so war es bis 1940 immer noch die Hälfte. Es handelte sich also um einen schrumpfenden aber nicht zu vernachlässigen23  Tooze, Wages of Destruction, S. 230, 232, 244; Niederschrift über die Besprechung in der Reichskanzlei am 5. November 1937 von 16,15–20,30 Uhr, in: Walter Bußmann (Hrsg.), Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie D (1937–1945), Band 1: Von Neurath zu Ribbentrop (September 1937 – September 1938), Baden-Baden 1950, S. 25–32, hier S. 29. Falls allerdings Frankreich durch eine interne Krise oder einen Konflikt im Mittelmeerraum an einem Eingreifen gehindert sei, sah Hitler bereits früher die Möglichkeit, die Tschechoslowakei und Österreich zu annektieren. 24  Tooze, Wages of Destruction, S. 230 f.



II. Die Ernährungswirtschaft43

den Sektor. Außerdem waren, zweitens, in den 1930er Jahren die Erinnerungen an die Blockade und den Hunger im Ersten Weltkrieg noch sehr präsent, so dass sich bei allen militärischen Überlegungen die Aufmerksamkeit sofort auch auf die Ernährungswirtschaft richtete. Drittens ließ sich das NS-Regime stets auch von einem innenpolitischen Kalkül leiten, in diesem Fall von der Furcht vor potentiell systemgefährdenden Verbraucherprotesten als Reaktion auf Konsumeinschränkungen. Hier spielte ebenfalls der Blick auf den November 1918 mit Kriegsende und Revolution eine Rolle.25 Da die deutsche Ernährungswirtschaft auf Importe angewiesen war, liefen ihre Interessen unweigerlich denen der Aufrüstung und der deutschen Zahlungsbilanz entgegen. Für die deutsche Handelsbilanz stellten die Agrarprodukte, die nicht nur aber überwiegend der Ernährung dienten, eine konstante Belastung dar: In den 1930er Jahren stand einem Exportüberschuss bei Industriewaren (einschließlich mineralischer Rohstoffe) stets ein Importüberschuss bei Agrarprodukten (einschließlich landwirtschaftlich erzeugter Rohstoffe) gegenüber, der überdies deutlich weniger schrumpfte als der Exportüberschuss der Industriewaren.26 Vertreter des Regimes sprachen den Konflikt zwischen Aufrüstung und Lebensmittelversorgung offen an. Goebbels erklärte in einer Rundfunkrede zu Silvester 1935  /  36: „Weil wir Rohstoffe für die Arbeitsschlacht und für die Wehrhaftmachung unseres Volkes nötig haben, mussten wir die Einfuhr von Lebensmitteln, vor allem Fetten und Fleisch zu einem Teil einschränken.“27 Auf einem Gauparteitag im folgenden Januar sprach er in griffiger Formulierung von der „Butter“, die man entbehren könne, während „Kanonen“ unverzichtbar seien.28 Zu einer konsequenten Einschränkung der Ernährungswirtschaft und des privaten Konsums allgemein kam es jedoch auch nicht; dem stand abgesehen von dem polykratischen Chaos des NSRegimes die Rücksichtsnahme auf die Loyalität der Bevölkerung und in den ersten Jahren auch auf die Beschäftigungslage entgegen.29 Allerdings waren die Auswirkungen staatlicher Eingriffe auf die Ernährungswirtschaft spürbar und in Friedenszeiten beispiellos.

25  Berghoff, Methoden der Verbrauchslenkung, S. 281 f. s. a. die in der Einleitung zitierten älteren Positionen von Mason und Speer: Mason, The Legacy of 1918; Speer, Erinnerungen, S. 229. 26  Hans von der Decken, Entwicklung der Selbstversorgung Deutschlands mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Berichte über Landwirtschaft, Sonderheft; N.F. 138), Berlin 1938, S. 130. 27  Zitiert nach: Corni / Gies, Brot – Butter – Kanonen, S. 177. 28  Ebd. 29  Berghoff, Methoden der Verbrauchslenkung, S. 290.

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B. Autarkiepolitik

Die Ernährungswirtschaft war ein kritischer und umkämpfter Bereich, in dem die Entlastung der Handelsbilanz, die Versorgung der Bevölkerung zu günstigen Preisen und die Einkommenssicherung für die Landwirte schwer mit einander in Einklang zu bringen waren. Das Regime ging dieses Problem von zwei Seiten an und versuchte, sowohl die heimische Erzeugung zu steigern als auch den Verbrauch zu steuern. Um die Selbstversorgung zu steigern und die Handelsbilanz zu entlasten, riefen Darré und Backe nach dem Vorbild der italienischen „Weizenschlacht“ auf dem zweiten Reichsbauerntag im November 1934 die „Erzeugungsschlacht“ aus; eine Kampagne, die mittels Schulungen und Propaganda die Erträge und damit den Grad der Selbstversorgung steigern sollte.30 Staatssekretär Backe betonte den Zusammenhang von „Erzeugungsschlacht“, Aufrüstung und Devisenlage, indem er 1939 rückblickend erklärte: „Ohne die frühzeitige Einleitung der Erzeugungsschlacht wäre zur Deckung des stark steigenden Verbrauchs an Nahrungsmitteln eine so starke Steigerung der Lebensmitteleinfuhr nötig geworden, dass es bei der knappen Devisendecke unmöglich gewesen wäre, gleichzeitig die für die Aufrüstung und für den Aufbau der neuen Vierjahresplanindustrien aus dem Ausland benötigten Rohstoffe in dem erforderlichen Umfange einzuführen.“31 Die Ausgangsbedingungen der „Erzeugungsschlacht“ waren ungünstig, da einer steigenden Nachfrage aufgrund der sinkenden Arbeitslosigkeit die Abwanderung von ländlichen Arbeitskräften in die Industrie und das Baugewerbe sowie ein Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch den Flächenbedarf von Militär und Industrie gegenüberstanden. Zudem ließ sich das Wetter nicht beeinflussen und die Getreideernten 1934 und 1935 fielen schon aus diesem Grund deutlich hinter das Rekordjahr 1933 zurück.32 Ende 1935 machte sich daher ein Mangel an Brotgetreide bemerkbar, durch die Knappheit an Futtermitteln auch an Fett. In dieser „Brotkrise“ wurde bereits diskutiert, Lebensmittelkarten einzuführen und Brot zu rationieren, wovor der Staat aber aufgrund der voraussehbaren negativen Wirkung auf die Stimmung der Bevölkerung schließlich doch zurückschreckte. Stattdessen wurde das Brot mit Maismehl und Kartoffelstärke gestreckt. Zudem importierte Deutschland zusätzliches Getreide und weitere Lebensmittel, was einen andauernden Konflikt zwischen Darré und Schacht über die Bereitstellung der nötigen Devisen zur Folge hatte.33 30  Corni / Gies,

Brot – Butter – Kanonen, S. 261. Backe, Bauerntum im Kampf um Deutschlands Nahrungsfreiheit, in: Der Vierjahresplan, 3 (1939), 1 / 2, S. 111–116, hier S. 111. 32  Corni / Gies, Brot – Butter – Kanonen, S. 261, 309, 589; Tooze, Wages of Destruction, S. 191. 31  Herbert



II. Die Ernährungswirtschaft45

Wenn auch eine Rationierung in Friedenszeiten politisch nicht opportun schien – eine Ausnahme bildete Fett (s. u.) –, so gab es doch andere Versuche, den Verbrauch einzuschränken oder gemäß der volkswirtschaftlichen Lage zu steuern. Hierzu zählten Kampagnen wie der im Oktober 1933 eingeführte „Eintopfsonntag“, mit dem man nicht nur Spendengelder für das Winterhilfswerk einwerben und das Ideal der Volksgemeinschaft propagieren wollte, sondern der auch den sonntäglich üblichen Fleischverzehr vermindern sollte.34 Mit der Aktion „Kampf dem Verderb“, die Mitte 1936 anlief, hoffte man dagegen Erzeuger, Händler und Verbraucher zu einem sorgfältigeren Umgang mit Nahrungsmitteln zu erziehen, um Verluste durch Schädlingsbefall und Verderb zu minimieren und so die der Volksernährung zur Verfügung stehende Menge zu erhöhen.35 33

Eine Vielzahl weiterer Kampagnen, die sich unter dem Begriff Verbrauchslenkung zusammenfassen lassen, dienten dazu, den Konsum so zu steuern, dass allgemein oder gerade saisonal knappe bzw. importierte Lebensmittel weniger und ausreichend verfügbare mehr verbraucht wurden [siehe D. III. 2. d.)]. Die Ergebnisse von „Erzeugungsschlacht“ und Verbrauchslenkung gehen aus folgender Tabelle hervor: Tabelle 1 Selbstversorgungsgrad in % bei wichtigen Nahrungsmitteln Nahrungsmittel

∅ 1927 / 28

∅ 1933 / 34

∅ 1938 / 39

Brotgetreide

 79

 99

115

Hülsenfrüchte (ohne Linsen)

 62

 50

 71

Kartoffeln

 96

100

100

Gemüse

 84

 90

 91

Zucker

100

 99

101

Fleisch

 91

 98

 97

Eier

 64

 80

 82

Fett

 44

 53

 57

Quelle: Petzina, Autarkiepolitik, S. 95. 33  Corni / Gies, Brot – Butter – Kanonen, S. 267–269; Tooze, Wages of Destruction, S.  192 f. 34  Reith, „Hurrah die Butter ist alle!“, S. 406; Corni / Gies, Brot – Butter – Kanonen, S. 358. Für die Rolle des Eintopfes in zeitgenössischen Kochbüchern siehe: Henry Notaker, Cookery and Ideology in the Third Reich, in: Food & History, 6 (2008), 1, S. 67–82, hier S. 70, 79. 35  Reith, „Hurrah die Butter ist alle!“, S. 409.

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B. Autarkiepolitik

Insgesamt kam das NS-Regime dem Ziel der Selbstversorgung ein Stück näher, aber es blieben drei, auch von zeitgenössischen Experten hervorgehobene „Erzeugungslücken“. Neben der hohen Einfuhrabhängigkeit bei Textilfasern waren dies vor allem Eiweiß und Fett im Ernährungsbereich, für deren Bereitstellung Deutschland weiterhin in erheblichem Maße auf Importe angewiesen blieb.36 Die Probleme mit der Fett- und Eiweißversorgung bildeten auch den direkten Hintergrund für die Entwicklung von Fischerei und Walfang in der NS-Zeit. Die Fischerei hatte hierbei in erster Linie die Aufgabe, die Eiweißversorgung zu verbessern, während der Walfang eine neue Fettquelle erschließen sollte. Eiweiß für die menschliche Ernährung ist entweder pflanzlichen (vor allem Erbsen, Bohnen, Linsen und Soja) oder tierischen Ursprungs (Eier, Milchprodukte, Fleisch, Geflügel und Fisch). Für Milch und Fleisch wies die Statistik im Gegensatz zu Eiern und Hülsenfrüchten einen hohen Selbstversorgungsanteil aus. Tatsächlich hing die Fleisch- und Milchproduktion aber unmittelbar von der Versorgung mit Futtermitteln ab. Sowohl bei pflanzlichem Eiweißfutter wie Ölkuchen und Futterhülsenfrüchten als auch bei tierischem wie Fleisch-, Fisch- und Blutmehl war die deutsche Landwirtschaft auf Einfuhren angewiesen. Das Eiweißproblem war also ein Problem der Futtermittel.37 Daher sahen Experten einen Lösungsweg darin, den Konsum tierischer Produkte zugunsten von pflanzlichen zurückzufahren und so die erheb­ lichen, bei der Veredelung auftretenden Verluste zu vermeiden.38 Andere Pläne, die auch teilweise umgesetzt wurden, sahen die Gewinnung von Eiweiß für die Futtermittelversorgung, aber auch die menschliche Ernährung aus Hefe vor. Hefe fiel als Abfallprodukt in Brauereien an, wurde aber auch eigens mit Hilfe von Holzzucker und Abfällen der Zuckergewinnung gezüchtet. Selbst Schimmelpilze, die mit Abwässern aus der Zellstoffproduktion genährt wurden, galten als mögliche Eiweißlieferanten.39 36  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 19; von der Decken, Entwicklung der Selbstversorgung, S. 129. Ziegelmayer nennt zudem die Textilfasern (also kein Lebensmittel) als dritte große „Erzeugungslücke“. Für eine populäre zeitgenössische Darstellung von Ersatzstoffentwicklungen auf dem Gebiet von Textilfasern s.: Anton Zischka, Wissenschaft bricht Monopole, Leipzig 1941, S. 106–145. 37  von der Decken, Entwicklung der Selbstversorgung, S. 59; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 20. 38  von der Decken, Entwicklung der Selbstversorgung, S. 58–62; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 37–42. 39  Reith, „Hurrah die Butter ist alle!“, S. 420–426; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 124–128, 224–237. Brotaufstrich aus Hefe ist allerdings heute noch in Großbritannien, Australien und Neuseeland unter den Markenbezeichnungen Marmite und Vegemite populär.



II. Die Ernährungswirtschaft47

Wenn auch laut Statistik bei der Fleischversorgung ein sehr hoher Inlandsanteil bestand, so schloss das nicht aus, dass das Angebot an Fleisch häufig nicht der gestiegenen Nachfrage entsprach. Vielmehr waren eine zeitweise Verknappung von Fleisch und lange Schlangen vor den Schlachterläden in der NS-Zeit eine häufige Erscheinung.40 Derartige Versorgungsengpässe bei Fleisch, Fett oder anderen Nahrungsmitteln bedeuteten vor dem Krieg jedoch nie Hunger und waren nicht die Folge eines Zusammenbruchs der Produktion, vielmehr spiegelte sich hier in erster Linie die mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit wachsende Nachfrage wider.41 Viele Haushalte hatten in der Wirtschaftskrise auch an grundlegenden Nahrungs­ mitteln sparen müssen und wollten nun wieder mehr Fleisch und Fett konsumieren. Das auch in der damaligen Diskussion am meisten beachtete Problem bildete die so genannte „Fettlücke“, also die hohe Auslandsabhängigkeit bei Fetten und Ölen. Der deutsche Verbrauch an Reinfett (bei Addition oder Vergleich verschiedener Fettsorten muss der unterschiedliche Wassergehalt berücksichtigt werden) betrug in den 1930er Jahren etwa 1,8–1,9 Mill. t jährlich. Davon entfiel mit etwa 1,5 Mill. t Reinfett der Großteil auf Nahrungsfette und zwar zu etwa 30 % auf das Fett von Schlachttieren (Speck, Schmalz und Talg), vor allem Schweinen, zu ebenfalls 30 % auf Butter und zu 40 % auf pflanzliche Fette und Öle sowie Margarine, die allerdings auch tierische Fette enthielt (vor allem Walöl). An Industriefetten wurden etwa 300.000 bis 400.000 t pro Jahr verbraucht. Etwa ⅔ hiervon verwendete die Seifen- und Waschmittelindustrie, während der Rest zur Herstellung von Ölfarben, Lacken, Linoleum usw. benötigt wurde. Die Industriefette waren überwiegend pflanzlichen Ursprungs und fast ausschließlich importiert.42 Das ohnehin ungünstige Bild, das der Selbstversorgungsgrad bei Fett abgab, verdüsterte sich noch etwas, wenn man in Rechnung stellte, dass die Inlandserzeugung ebenso wie beim Eiweiß teilweise auf importierten Futtermitteln beruhte. Der Agrarwissenschaftler von der Decken erstellte folgende Berechnung des Inlandsanteils vom Gesamtverbrauch mit und ohne Berücksichtigung der Futtermittelimporte: 40  s. beispielsweise: Deutschland-Berichte, 3 (1936), S. 326, 689; DeutschlandBerichte, 4 (1937), S. 1426; Deutschland-Berichte, 5 (1938), S. 1227; DeutschlandBerichte, 6 (1939), S. 627 f. 41  Tooze, Wages of Destruction, S. 193. 42  von der Decken, Entwicklung der Selbstversorgung, S. 62–65. Damit in etwa übereinstimmend gab Lübke 1938 den Verbrauch der Seifen- und Waschmittelindustrie mit 237.000 t an; Anton Lübke, Das deutsche Rohstoffwunder. Wandlungen der deutschen Rohstoffwirtschaft, 2. Aufl. Stuttgart 1938, S. 454.

48

B. Autarkiepolitik

1909–1913

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

Tabelle 2 Inlandsanteil der Fettversorgung in %, 1909–1936

ohne Berücksichtigung der Futtermittel

59

50

49

49

51

48

52

54

57

56

mit Berücksichtigung der Futtermittel

41

36

36

39

40

36

43

45

51

50

Quelle: von der Decken, Entwicklung der Selbstversorgung, S. 68.

Der vermehrte Futtermittelanbau in Deutschland steigerte den Anteil der „echten“ Selbstversorgung, aber 1936 betrug die Auslandsabhängigkeit bei Fett unter Berücksichtigung der Futtermittelimporte immer noch 50 %. Staatliche Eingriffe in den Markt für Nahrungsfette begannen bereits Ende 1932, aber sie nahmen ab 1933 erheblich an Intensität zu. Die bald auch als „Fettplan“ bekannten staatlichen Maßnahmen richteten sich zunächst gegen die Margarine und verwandte Produkte wie andere Kunstspeisefette, Speiseöle und gehärtete Fette, da für ihre Herstellung ganz überwiegend importierte Rohstoffe – pflanzliche Öle aus den Tropen aber auch Walöl – benutzt wurden. Zunächst zielte diese Politik jedoch nicht auf die Einsparung von Devisen, sondern auf den Schutz der deutschen Landwirtschaft.43 Margarine stellte aufgrund ihres günstigen Preises ein Problem für die Landwirte dar: Während Butter mittlerer Qualität 1932 etwa 2,75 RM / kg und Schmalz 1,25 RM  /  kg kostete, waren die mengenmäßig wichtigsten Margarinesorten für lediglich 0,70 RM  /  kg erhältlich. Bereits eine am 23.12.1932 erschienene Verordnung begründete daher einen Beimischungszwang, der die Hersteller und Importeure von Margarine verpflichtete, ihren Produkten einen gewissen Anteil Butter, Talg oder Schmalz – also Erzeugnisse der deutschen Landwirtschaft – hinzuzufügen.44 Bald nach der Macht43  Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront (Hrsg.), Die Ölund Fettlücke (DAF-Rohstoff-Dienst; 29), Berlin 1939, S. 989. Vgl. a. die Titel der unten zitierten Verordnungen. 44  Verordnung des Reichspräsidenten zur Förderung der Verwendung inländischer tierischer Fette und inländischer Futtermittel. Vom 23. Dezember 1932. RGBl. I, S.  575 f.



II. Die Ernährungswirtschaft49

ergreifung wurde per Verordnung vom 23.3.1933 die Reichsstelle für Öle und Fette geschaffen, die ein Monopol auf den Handel mit Ölen und Fetten besaß, d. h. alle Produzenten und Importeure mussten ihre entsprechende Ware der Reichsstelle zu staatlich festgelegten Preisen anbieten, die aber nicht alle ihr angebotenen Fette und Öle annehmen musste.45 Von der Reichsstelle abgelehnte Ware durfte nicht mehr in den Verkehr gebracht oder verarbeitet werden, so dass Margarinerohstoffe einer staatlichen Bewirtschaftung unterlagen. Hinzu kamen ebenfalls noch 1933 eine Ausgleichsabgabe (Fettsteuer) von 0,5 RM / kg auf Margarine und verwandte Produkte, erhöhte Zollsätze für einige Margarinerohstoffe sowie eine direkte staatlich angeordnete Drosselung der Produktion. Zusammen bewirkten diese Maßnahmen, dass sich der Preis für Margarine bis Ende 1933 innerhalb eines Jahres verdoppelt hatte.46 Damit stellte sich die Frage, wie Fett für die ärmeren Bevölkerungsschichten erschwinglich bleiben konnte, die das Regime mit weiteren Eingriffen in den Markt beantwortete. Arbeitlose, Kurzarbeiter, Rentner, kinderreiche Familien usw. – zusammen etwa ein Drittel der Bevölkerung – erhielten Fettverbilligungsscheine, die zum Kauf von Butter, Margarine, Speck und Wurst zu günstigeren Preisen berechtigten. Zudem verpflichtete der Staat die Industrie, ab 1.11.1934 nur noch drei Arten Margarine zu produzieren, nämlich eine Konsummargarine für 0,63 RM / Pfund, auf die ¾ der Gesamtproduktion entfallen mussten, sowie eine Mittelsorte für maximal 0,98 RM  /  Pfund und eine Spitzensorte für maximal 1,10 RM  /  Pfund, die jeweils nur ⅛ der Produktion ausmachen durften. Damit war der gesamte Markt für Margarine in ein enges Korsett staatlicher Regulierung eingezwängt.47 Bald rückte jedoch angesichts der zunehmend prekären Handelsbilanz die Frage der Reduktion des Fettverbrauchs in den Vordergrund der staatlichen Überlegungen, da die Landwirtschaft die Importe nicht ersetzen konnte. Es war zwar gelungen, den in der Weltwirtschaftskrise noch angestiegenen Margarineverbrauch deutlich zu drosseln, aber der Verbrauch an Nahrungsfetten insgesamt wuchs mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit und der gestiegenen Kaufkraft der Bevölkerung wieder an. Während das Regime 1935 aus politischen Rücksichten vor einer Rationierung von Brot zurückgeschreckt war, ließ sich angesichts der Größe der 45  Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Förderung der Verwendung inländischer tierischer Fette und inländischer Futtermittel. Vom 23. März 1933. RGBl. I, S. 143–145. 46  Pelzer / Reith, Margarine, S.  77–79; Werner Schüttauf, Die Margarine in Deutschland und in der Welt, 2. Aufl. Hamburg 1955, S. 15 f. 47  Pelzer / Reith, Margarine, S. 75–77; Schüttauf, Margarine, S. 16 f.

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B. Autarkiepolitik 520 470 420 370 320 270 220 170

1928

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1930

1931

1932

1933

Margarine Butter Schweinefett (Speck und Schmalz)

1934

1935

1936

Speiseöle und unvermischte Pflanzenfette

Quelle: v. d. Decken, Entwicklung der Selbstversorgung Deutschlands, S. 64. Diagramm 2: Verbrauch von Margarine, Butter, Schweinefett und Speiseöl in 1.000 t Reinfett, 1928–1936

1.600 1.550 1.500 1.450 1.400 1.350

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

Quelle: v. d. Decken, Entwicklung der Selbstversorgung Deutschlands, S. 64. Diagramm 3: Verbrauch von Nahrungsfetten insgesamt in 1.000 t Reinfett, 1928–1936



II. Die Ernährungswirtschaft51

„Fettlücke“ und des zu ihrer Deckung nötigen Devisenbedarfs eine Form der Zuteilung bei Fett nicht vermeiden. Die letztlich getroffene Regelung lief auf eine Einschränkung des Konsums und auf eine Bürokratisierung des Bezugs hinaus, nahm aber wieder auf sozial schwache Bevölkerungsteile Rücksicht. Bevor allerdings eine behördliche Regelung eingeführt wurde, begann die Rationierung im Winter 1935 / 36 bereits allmählich, dezentral und auf Initia­ tive der Händler, die irgendwie das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage organisieren mussten. Die im Exil erschienenen Deutschland-Berichte der Sopade meldeten im Oktober und Dezember 1935, dass Großhändler und Molkereien angewiesen waren, ihre knappen Vorräte gleichmäßig auf die Einzelhändler zu verteilen. Die Einzelhändler setzten dann diese Rationierung gegenüber ihren Kunden fort, z. T. indem sie eigene Fett- und Butterkarten ausgaben, um zu verhindern, dass sich Verbraucher in verschiedenen Geschäften eindeckten. Den Berichten der Sopade zufolge führte die Fleischerinnung in Berlin Anfang 1936 ein System von Kundenlisten bei jedem Fleischer ein, in die sich die Verbraucher eintragen mussten, um von einem Geschäft Schmalz und Speck beziehen zu können, während die Belieferung der Fleischer auf Grundlage ihres Vorjahresumsatzes bestimmt wurde.48 Im folgenden Winter 1936 / 37 institutionalisierte der Staat dieses System. Eine Anordnung vom 24.11.1936 legte zunächst reichsweit die Regelung des Butterbezuges über Kundenlisten ab dem 1.1.1937 formal fest. Jeder Einzelhändler erhielt fortan nur noch 80 % seiner Butterlieferungen vom Oktober1936 – unabhängig davon, wie viele Kunden sich beim ihm in die Liste eintragen ließen. Neue Kunden zu werben, ergab daher keinen Sinn, sondern hätte nur die für jeden Kunden verfügbare Menge Butter reduziert. Die Kunden waren jederzeit frei, sich bei einem Geschäft aus der Liste streichen und an anderer Stelle wieder eintragen zu lassen, um sich optimal auf die Geschäfte zu verteilen.49 Kurz darauf folgte ein Runderlass der entsprechenden Ministerien über „Maßnahmen der Reichsregierung zur Regelung des Fettbezugs“ vom 30.11.1936, der alle Speisefette betraf.50 Die Einleitung begründete den Erlass ausdrücklich mit der hohen Importabhängigkeit und den Anforderun48  Deutschland-Berichte, 2 (1935), S. 1138, 1395, 1401; Deutschland-Berichte, 3 (1936), S. 326. 49  Die Kundenlisten für Butter, in: Molkerei-Zeitung, 23.12.1936, S. 3171. 50  StAO Best. 136, Nr. 10074, Bl. 2–6, „Maßnahmen der Reichsregierung zur Regelung des Fettbezugs; Ausstellung von Haushalts- und Betriebsnachweisen. RdErl. d. RuPrMfEuL., d. RuPrMdI., d. RFM. u. d. RuPrAM. v. 30.11.1936,“ Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung 1936, Nr. 51, Sp. 1588–1596.

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B. Autarkiepolitik

gen des Vierjahresplanes. Die Bevölkerung werde daher „ihren Fettverbrauch so regeln müssen, wie es die Möglichkeiten des Auslandsbezuges im Rahmen des Vierjahresplanes erfordern.“ Dabei gelte es aber auch, den „Bezug von Fett durch die minderbemittelten Volksgenossen zu tragbaren Preisen“ sicherzustellen. Dem Erlass zufolge wurde der Bezug sämtlicher Fette ab dem 1.1.1937 über Kundenlisten und so genannte Haushaltsnachweise geregelt. Es gab zwei getrennte Kundenlisten, eine für Speck, Schmalz und Talg und eine weitere für alle übrigen Fette, also Butter, Speiseöl und die Mittel- und Spitzensorten der Margarine (die Konsummargarine wurde weiterhin nur gegen Berechtigungsscheine abgegeben). Jeder Haushalt durfte sich bei jeweils einem Einzelhändler seiner Wahl in die Listen eintragen lassen. Damit es zu keinen Doppeleintragungen kam, erfolgte die Aufnahme in die Liste nur gegen Vorlage des Haushaltsnachweises, auf dem vermerkt wurde, bei welchen Händlern sich der Haushalt hatte eintragen lassen. Aus dem Haushaltsnachweis gingen zudem die Zahl und das Alter der Haushaltsangehörigen hervor.51 Die Regelung des Fettbezugs mittels Kundenlisten wurde gewählt, um die Einführung der aus dem Ersten Weltkrieg verhassten Lebensmittelkarten zu vermeiden. Obwohl die Presse beteuerte, dass es sich um kein solches Kartensystem handele, sprach die Bevölkerung dennoch von der „Fettkarte“. Die Kunden erhielten, nachdem sie sich in die Listen eingetragen hatten, von dem Geschäft eine Karte mit ihrer Nummer. Der Händler gab dann jede Woche bekannt, welche Nummern diese Woche beliefert würden. Das System wurde im Dezember 1937 noch einmal modifiziert, um eine bessere Kontrolle der Händler und der Kunden gewährleisten zu können.52 Staatssekretär Backe rechtfertigte Anfang 1937 in einem Artikel unter dem Titel „Warum wurde eine Neuregelung des Fettverbrauchs und Fettbezuges notwendig?“ diesen in Friedenszeiten höchst ungewöhnlichen Eingriff in die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung, indem er die Leser vor die rhetorische Alternative stellte: Entweder das deutsche Volk bleibe bei seinem bisherigen Fettverbrauch und erschwere durch den damit verbundenen Devisenbedarf „die Durchführung des großen Aufbauwerkes, das seine Zukunft sichern soll“ oder „das deutsche Volk verzichtet auf einen Teil seines Fettkonsums und trägt damit zur Durchführung des Vierjahresplanes 51  Ebd. Der Runderlass enthielt in zwei Anhängen ein Merkblatt und Vordrucke. Analog zum Haushaltsnachweis gab es einen Betriebsnachweis für Gastwirtschaften, Bäckereien etc., die sich über den Einzelhandel versorgten. Selbst- und Teilselbstversorger wurden in dem Erlass ebenfalls berücksichtigt. 52  Deutschland-Berichte, 3 (1936), S. 1405  f.; Deutschland-Berichte, 4 (1937), S.  34–37, 1739 f.; s. a.: Herbert Backe, Warum wurde eine Neuregelung des Fett­ verbrauchs und Fettbezuges notwendig?, in: Der Vierjahresplan, 1 (1937), S. 4–8, hier S. 8.



II. Die Ernährungswirtschaft53

bei“.53 Überdies stelle diese Einschränkung – so versuchte Backe seine Leser zu überzeugen – eigentlich gar kein Opfer dar, sondern sei nur eine Rückführung zu den normalen Verbrauchswerten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, bevor man in der „Systemzeit“ aus wirtschaftlicher Not Zucker und Fleisch durch die damals billigen, importierten Fette ersetzt habe.54 Der Ernährungswissenschaftler Wilhelm Ziegelmayer argumentierte in dieselbe Richtung und erklärte, dass der gegenwärtige Fettverbrauch ohnehin weit über dem seiner Ansicht nach physiologisch völlig ausreichenden Maß von 40–50 g pro Tag liege, so dass Einsparungen ohne weiteres möglich seien.55 Göring schließlich konnte der Begrenzung des Fettverbrauchs ebenfalls etwas Positives abgewinnen; er erklärte öffentlich: „Zuviel Fett – zu dicke Bäuche. Ich habe selbst weniger Butter gegessen und habe zwanzig Kilo abgenommen.“56 Die Bestrebungen, die „Fettlücke“ zu schließen, beschränkten sich nicht auf die zwangsweise Einschränkung des Verbrauchs. Die Verbrauchslenkung und selbstverständlich der Versuch, die Produktion der Landwirtschaft zu steigern, sollten ebenfalls ihren Teil beitragen. Bei der landwirtschaftlichen Produktion schienen Milchviehhaltung und Schweinemast aufgrund des Futterproblems kaum ausbaubar. Mehr Potential versprach dagegen der Anbau von Ölsaaten (vor allem Raps), insbesondere da die Hektarerträge hier deutlich höher lagen als bei der Tierhaltung.57 Einen weiteren, neuartigen Weg zur Fettgewinnung bildete die Fettsynthese. Dieses Verfahren stand in einer Linie mit den wirtschaftlich bedeutenderen Syntheseverfahren für Benzin und Kautschuk, die als Ausgangsmaterial Kohle als einen der wenigen in Deutschland ausreichend vorhandenen Rohstoffe nutzten. Bei der Fettsynthese dienten Weichparaffine als Ausgangsmaterial, die bei der Benzinsynthese als Nebenprodukt anfielen. Produziert wurden sowohl Fette für die Seifenherstellung als auch für den menschlichen Verzehr. Synthetische Speisefette gewann man auf diese 53  Backe,

Neuregelung des Fettverbrauchs, S. 6. S. 7. 55  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 61–65. Heutzutage werden etwa 80 g empfohlen. Seit dem 19. Jh. veröffentlichten Wissenschaftler Ernährungsempfehlungen mit immer wieder verschiedenen Werten. Die empfohlene Fettzufuhr bewegte sich aber meist in der Größenordnung von 80 g / Tag, so dass der von Ziegelmayer angenommene Wert sich auch nach damaligem Wissensstand zumindest unterhalb der empfohlenen Menge bewegte. Vgl. Uwe Spiekermann, Ordnungsträume – Zur Geschichte der Ernährungsempfehlungen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Mathias Schwarz (Hrsg.), Fleisch oder Nudeln. Ernährungsempfehlungen auf Schlingerkurs?, Kassel 2005, S. 103–117, hier S. 107. 56  Göring, Rede, S. 35. 57  Backe, Neuregelung des Fettverbrauchs, S. 5 f.; von der Decken, Entwicklung der Selbstversorgung, S. 69; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 66. 54  Ebd.,

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B. Autarkiepolitik

Weise von 1939 bis 1945, allerdings stellte sich bald heraus, dass das Produkt gesundheitsschädlich war, weshalb es nur Häftlingen in Konzentra­ tionslagern und sowjetischen Kriegsgefangenen verabreicht wurde.58 An der hohen Auslandsabhängigkeit der Fettversorgung hatte sich trotz all dieser Maßnahmen bis Kriegsbeginn nicht wesentlich etwas geändert.

III. Autarkie in Theorie und Praxis Der Begriff „Autarkiepolitik“ ist heute gängig, um die von strikter Devisenbewirtschaftung, Streben nach hohem Selbstversorgungsgrad und Ersatzstoff-Industrien gekennzeichnete Wirtschaft des NS-Regimes zu beschreiben und er wird auch hier im Folgenden der Einfachheit halber verwendet. Im eigentlichen Sinne bezeichnet Autarkie in der volkswirtschaftlichen Bedeutung nach der Definition des „Brockhaus“ von 1929 „den Zustand der Selbstgenügsamkeit eines Landes, das alles erzeugt, was es verbraucht, aber nur so viel erzeugt, als es verbrauchen kann, so dass es weder auf die Einfuhr noch auf die Ausfuhr von Waren angewiesen ist.“59 Hierbei handelt es sich jedoch klar erkennbar um ein Ideal, das für kaum eine industriell entwickelte Gesellschaft erreichbar sein dürfte. Unter Autarkiepolitik wird daher meist schon die Annäherung an dieses Ideal verstanden. Petzina zählte in seiner Studie „Autarkiepolitik im Dritten Reich“, ohne eine eigentliche Definition des Begriffs zu bieten, schon den Merkantilismus des 18. Jahrhunderts und die Schutzzollpolitik des späten 19. Jahrhunderts zu den „autarkistischen Strömungen“.60 Autarkiestreben im weitesten Sinne war kein auf Deutschland und den Nationalsozialismus beschränktes Phänomen, vielmehr stand die Zwischenkriegszeit wirtschaftspolitisch auch international im Zeichen von Konzentration und Abschließung. Seit der Weltwirtschaftskrise waren die Ideen von Freihandel und Weltwirtschaft vielerorts diskreditiert. Überdies stellt das Autarkiestreben die dem Nationalismus entsprechende Wirtschaftsform dar. In Deutschland trug zudem die Erinnerung an die Blockade im Ersten Weltkrieg viel zur Attraktivität des Autarkiegedankens bei. Dass Autarkie innerhalb der überkommenen Grenzen kaum möglich sein würde, wurde meist erkannt. Dagegen versprachen bilaterale Wirtschaftsbeziehungen zwischen einem Industriestaat und einem ihm wirtschaftlich und machtpolitisch zu­ geordneten Großraum aus Agrar- und Rohstoffstaaten mehr Sicherheit und 58  Pelzer-Reith / Reith, Fett aus Kohle, S.  173–205; Lübke, Rohstoffwunder, S. 454–456. 59  Autarkie, in: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, 15. neu bearb. Aufl., Bd. 2 Asu-Bla, Leipzig 1929, S. 144. 60  Petzina, Autarkiepolitik, S. 9.



III. Autarkie in Theorie und Praxis55

Stabilität als der freie Welthandel. Autarkistisches Denken bezog sich daher in der Regel nicht auf die gegebenen Grenzen eines Staates, sondern auf eine derartige Großraumwirtschaft. In Deutschland richtete sich auf der Suche nach so einem Raum der Blick – nach dem Scheitern der Über­ seeprojekte des Kaiserreichs – fast automatisch nach Mittel- und Südost­ europa.61 Auch wenn die deutsche Autarkiepolitik einen Ausnahmefall bildete, so zerfiel doch die gesamte Weltwirtschaft in den 1930er Jahren in verschiedene Blöcke, die zwar nicht hermetisch abgeschlossen waren, innerhalb derer sich jedoch der Großteil des Handels abspielte und die sich meist um einen wirtschaftlich und politisch dominierenden Staat herum gruppierten. Nachdem in den 1920er Jahren noch versucht wurde, u. a. durch die Wiederherstellung des Gold-Standards die eng verknüpfte Weltwirtschaft der Vorkriegszeit wiederherzustellen, entstanden in den 1930er Jahren stattdessen mehrere getrennte Handelsblöcke: Der Dollar-Block um die USA umfasste vor allem lateinamerikanische Staaten. Die Länder, die ihre Währung an das britische Pfund gekoppelt hatten, bildeten den Sterling-Block. Eine kleine verbliebene Gold-Zone bestand aus Frankreich, Belgien, der Schweiz, der Tschechoslowakei, Polen und Rumänien. Schließlich war eine Gruppe von Staaten in Mittel- und Osteuropa zusammen mit Deutschland zur Devisenbewirtschaftung übergegangen.62 Obwohl somit die wirtschaftliche Abschottung und Blockbildung einer Zeitströmung entsprach, war Autarkie als Begriff und Ideal in der NS-Zeit durchaus umstritten. Eine Dissertation von 1937 wies auf die verschiedenen zeitgenössischen Ansichten hin, die bezüglich der Frage bestanden: „[I]st die Selbstversorgung entbehrlich, wünschenswert oder eventuell schädlich?“63 Die Autorin neigte nach Diskussion des Für und Wider schließlich dazu, eine weitgehende Autarkie zu befürworten. Erklärte Anhänger finden sich auch unter den Verfassern weiterer wirtschaftswissenschaftlicher Disserta­ tionen dieser Zeit, die mit Hinweis auf den Ersten Weltkrieg in einer weltwirtschaftlichen Verflechtung vor allem eine Ver61  Dirk van Laak, Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 126–129; Mark Mazower, Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2002, S. 188–194; Bernd-Jürgen Wendt, Nationalsozialistische Großraumwirtschaft zwischen Utopie und Wirklichkeit – Zum Scheitern einer Konzeption 1938  /  39, in: Franz Knipping  /  Klaus-Jürgen Müller (Hrsg.), Machtbewußtsein in Deutschland am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, Paderborn 1984, S. 223–245, hier S. 224–226. 62  Barry Eichengreen, Vom Goldstandard zum Euro. Die Geschichte des internationalen Währungssystems, Berlin 2000, S. 75, 123. 63  Liesel Manns, Deutschlands Selbstversorgung mit Speisefetten, Diss. Köln 1937, S. 4.

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B. Autarkiepolitik

wundbarkeit gegenüber feindlichen Mächten in Kriegs-, aber auch schon in Friedenszeiten s­ahen.64 In einem Sammelband mit dem für die Zeit bezeichnenden Titel „Weltwirtschaftsdämmerung“ erklärte der Volkswirt Karl Thalheim dagegen bereits 1934, das „Schlagwort der Autarkie ist überwunden“, und propagierte stattdessen die „Nationalwirtschaft“.65 Gemeint war damit ebenfalls eine möglichst weitgehende nationale Unabhängigkeit vor allem bei der Nahrungsmittelversorgung, wenn auch gewisse Rohstoffimporte als unvermeidbar angesehen wurden. Es handelte sich somit letztlich um eine realistischere Auffassung von Autarkiestreben und nicht um die Zurückweisung des Gedankens an sich. Schließlich gab es einflussreiche Stimmen, die die Autarkiepolitik als ein Deutschland von außen aufgezwungenes, notwendiges Übel betrachteten. In dem offiziösen Handbuch „Rohstoff-Fragen der Volksernährung“, das gänzlich dem Autarkiestreben in diesem Bereich gewidmet ist, schrieb der Ernährungsexperte Ziegelmayer: „Die Autarkie ist kein Ideal für uns; wir halten die wirtschaftliche Autarkie für unklug und schädlich. Aber unter dem harten Zwang der letzten Jahrzehnte wird sie ein Muß“.66 Ähnlich begründete Göring in seiner Sportpalast-Rede vom Oktober 1936 den Vierjahresplan mit dem feindseligen Verhalten des Auslandes, das dem deutschen Volk zuerst seine Kolonien und anschließend über die Reparationen sein Gold genommen habe, so dass Deutschland nun keine andere Wahl bleibe, als sich aus dem eigenen Boden zu ernähren.67 Vielfach wurden – auch in Äußerungen Hitlers – Bemerkungen ausländischer Beobachter über die deutsche Autarkiepolitik als Vorwurf aufgefasst und entschieden zurückgewiesen, da Deutschland zum Warenaustausch mit der Welt nur zu gerne bereit sei, das Ausland aber keine fairen Bedingungen hierfür böte.68 Hinter solchen Beteuerungen stand sicherlich auch die Furcht vor dem Einbrechen der verbliebenen deutschen Exporte, falls das Ausland auf die deutsche Autarkiepolitik mit protektionistischen Maßnahmen gegen Deutschland antwortete. 64  Erich Zorn, Die Speisefettversorgung Deutschlands, Diss. Düsseldorf 1936, S. 73; Hellmut Lüdecke, Die Sicherung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit Großdeutschlands. Ein Beitrag zur Klärung des Autarkieproblems, Diss. Würzburg 1939, S.  24 f., 29 f. 65  Karl Thalheim, Autarkie und Nationalwirtschaft, in: Karl Haushofer  / Walther Vogel (Hrsg.), Weltwirtschaftsdämmerung. Festschrift zum 10jährigen Bestehen des Weltwirtschafts-Instituts der Handelshochschule Leipzig, Stuttgart 1934, S. 96–105. 66  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 19. 67  Göring, Rede, S. 31 f. 68  Johannes Stoye, Die geschlossene deutsche Volkswirtschaft. Geopolitik – ­Autarkie – Vierjahresplan, 2. Aufl. Leipzig / Berlin 1937, S. 2–4, 113.



III. Autarkie in Theorie und Praxis57

Inwieweit konnte Deutschland bis Kriegsbeginn eine wirtschaftliche Autarkie realisieren? Von einer annähernd vollständigen Selbstversorgung konnte 1939 keine Rede sein, obwohl das beherrschte Territorium des deutschen Reichs durch die Annexion Österreichs, des Sudetenlandes und des verbliebenen Teils Tschechiens nicht unerheblich vergrößert worden war. In der Ernährungswirtschaft bestanden nicht zuletzt bei der Fett- und Eiweißversorgung weiterhin große Lücken (s. o.), und auch bei so wichtigen industriellen Rohstoffen wie Mineralöl und Kautschuk war Deutschland trotz der neuen Syntheseindustrien längst nicht autark. Dass die wirtschaftliche Verflechtung mit dem Ausland kaum zurückging, ist auch an dem von 1934 bis 1939 nur geringfügig sinkenden Anteil der Importe am Volkseinkommen ersichtlich.69 Der hauptsächliche Effekt der nationalsozialistischen Außenhandelspolitik bestand vielmehr in einer Entflechtung der deutschen Wirtschaft vor allem mit den USA und dem Britischen Empire, also Handelspartnern, die auf der Zahlung in Devisen – Pfund oder Dollar – bestanden. Der deutsche Handel mit den USA ging daher drastisch zurück, wozu allerdings auch von USamerikanischer Seite aus der protektionistische Smoot-Hawley-tariff beitrug: Standen im deutsch-amerikanischen Handel 1928 noch amerikanische Exporte im Wert von 2 Milliarden RM deutschen Exporten von 796 Millionen RM gegenüber, so waren es 1936 nur noch amerikanische Exporte von 232 Millionen RM und deutsche Exporte von 150 Millionen RM. Dieser Rückgang des deutsch-amerikanischen Handels wurde nicht nur durch Autarkiemaßnahmen, sondern auch durch die Verlagerung des Handels nach Südosteuropa und Lateinamerika kompensiert.70 Eine vollständige Selbstversorgung und Abkoppelung vom Handel mit anderen Staaten wurde also nie erreicht, aber wie oben dargestellt war dies auch nie das erklärte Ziel. Viel entscheidender als der Selbstversorgungsgrad war es für das Regime, ein Maximum an Aufrüstung mit einer Art der Versorgung der Bevölkerung, die zumindest deren Loyalität nicht gefährdete, in Einklang zu bringen. Hierzu dienten die Substitution von Importen durch heimische Ersatzstoffe und die Einschränkung des privaten Konsums ebenso wie der Außenhandel, wenn er unter für Deutschland günstigen Bedingungen stattfand. Im Endeffekt gelang Aufrüstung, ohne dass Frage stand. Allerdings Hitlers hybriden Zielen

dem NS-Regime in der Tat bis 1939 eine enorme die Loyalität der Bevölkerung jemals ernsthaft in war der Stand des deutschen Militärs gemessen an längst nicht ausreichend. Noch 1939 fiel die Muni-

69  Anteil der Importe am Volkseinkommen:1934: 8,5 %, 1935: 7,1 %, 1936: 6,4 %, 1937: 7,5 %, 1938: 6,7 %, 1939: 5,8 %; Petzina, Autarkiepolitik, S. 195. 70  Tooze, Wages of Destruction, S. 88 f.

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B. Autarkiepolitik

tionsbeschaffung aufgrund der Knappheit wichtiger Rohstoffe weit hinter die Planung zurück. Für die Verantwortlichen in Staat und Militär wurde offensichtlich, dass man in einem weiteren Wettrüsten gegen die Westmächte nur noch zurückfallen würde, so dass die Zeit gegen Deutschland spielte, insbesondere wenn man das Potential der USA in Rechnung stellte. Und auch die Entscheidung im Spätsommer 1939, nicht länger zu warten, Polen anzugreifen und damit den Krieg gegen Großbritannien und Frankreich in Kauf zu nehmen, wurde erst getroffen, nachdem sich Deutschland im HitlerStalin-Pakt dringend benötigte Rohstoff- und Nahrungsmittellieferungen aus der UdSSR gesichert hatte.71 Die Importabhängigkeit bei der Rohstoff- und Nahrungsversorgung spielte somit in der Wirtschaftspolitik des NS-Regimes bis zum Kriegsausbruch eine entscheidende Rolle. Nach Kriegsausbruch wurden – ganz im Sinne der Konzeption der Großraumwirtschaft – die besetzten Länder für die Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft entscheidend.

71  Ebd.,

S. 304–325.

C. Das Versprechen des Meeres Seit ihrem Beginn in den 1880er Jahren bildete die Dampfhochseefischerei einen wenig prestigeträchtigen und häufig von Absatzschwierigkeiten geplagten Wirtschaftszweig, während es einen deutschen Walfang seit den 1870ern nicht mehr gegeben hatte. Wieso wurde beiden Gewerben und damit dem Meer als Nahrungs- und Rohstoffquelle in der NS-Zeit in einem Maße die Aufmerksamkeit von Staat, Wirtschaft und Öffentlichkeit zuteil wie niemals zuvor oder später? Was ließ unter den Prämissen von „Nahrungsfreiheit“ und Autarkiewirtschaft Nahrung und Rohstoffe aus dem Meer für die Zeitgenossen attraktiv erscheinen, was versprach man sich innerhalb dieses wirtschaftspolitischen Rahmens von Fischerei und Walfang? Die Frage zielt auf das Alleinstellungsmerkmal der marinen Ressourcen in der zeitgenössischen Wahrnehmung.

I. „Das Meer als deutsche Kolonie“: Die Wahrnehmung als ideale devisenfreie Quelle von Ressourcen Besondere Vorteile, die das Meer als Quelle von Ressourcen böte, wurden vereinzelt schon vor 1933 hervorgehoben: 1909 wies ein Artikel aus dem Umfeld der damaligen Agitation für den Schlachtflottenbau auf das Meer auch als Quelle von Ressourcen hin: Während beispielsweise beim Bergbau die endliche Menge der im Lande befindlichen Bodenschätze genutzt und damit vermindert wird, würden bei der Hochseefischerei der Volkswirtschaft Werte von außerhalb zugeführt, welche sich überdies aus unerschöpflichen Quellen – dem Fischbestand der Hohen See – speisten.1 Nachdem der Weltkrieg trotz Schlachtflotte verloren gegangen war, forderte ein Büchlein mit dem Titel „Segen des Meeres“ von 1920 den Bau von Fang- statt Schlachtflotten, um das dem deutschen Volk fehlende Fleisch durch Nahrung aus dem Meer zu ersetzen und mittels Fisch-, Wal- und Robbenfang unabhängig von Importen zu werden.2 Es handelt sich also schon um die gleiche Vorstellung, die Mitte der 1930er Jahre vorherrschend wurde. 1  Die Lage der Hochseefischerei, in: Nauticus, Jahrbuch für Deutschlands See­ interessen, 11. Jg., Berlin 1909, S. 365–391, hier S. 365 f. 2  Ludwig Staby, Der Segen des Meeres, Leipzig 1920, S. 90 f. Staby verfasste populärwissenschaftliche Bücher über Jagd- und Naturthemen.

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C. Das Versprechen des Meeres

Die Fischerei stand wie praktisch alle Branchen in der Weltwirtschaftskrise vor der Notwendigkeit, begründen zu müssen, weshalb sie in besonderem Maße die Unterstützung des Staates und der Verbraucher verdiene. Die Vorstellung, dass die Nutzung des Meeres helfen könne, Deutschland vom ­Ausland unabhängig zu machen, wurde allerdings auch nach 1933 erst nach einiger Zeit von der Fischwirtschaft aufgenommen. Anfang der 1930er versuchte die Fischwirtschaft dagegen noch die Hilfe des Staates und der Verbraucher (in Form von höherem Konsum) zu gewinnen, indem sie mit ihrer Hilfsbedürftigkeit und der Notwendigkeit von Arbeitsbeschaffung in diesem Bereich argumentierte. Über einen so genannten Fischtag in Hamburg 1933 schrieb die „Deutsche Fischerei-Rundschau“, durch den erwarteten Mehr­ verbrauch erhielten „zehntausend deutsche Volksgenossen aus der Hochsee­ fischerei, dem Fischhandel und der Fischverarbeitungsindustrie ­sowie aus den Nebenbetrieben wie Stahldraht-, Netz- und Hanfindustrie usw. ständig mehr Arbeit, Lohn und Brot“.3 1934 hieß es, „Seefisch muß Volksnahrungsmittel werden“, da er erstens gesundheitlich wertvoll sei und zweitens durch Fang und Verarbeitung „viele Hände Beschäftigung finden.“4 Und noch 1935 schrieb eine Fachzeitschrift, es sollte „Aufgabe aller denkenden deutschen Menschen sein, durch Aufnahme der deutschen Fänge, die Existenz unserer Hochsee- und Küstenfischerei zu gewähr­leisten.“5 Die Fischwirtschaft verwies also auf ihre Hilfsbedürftigkeit und die Beschäftigungsfrage. Das war freilich kein Alleinstellungsmerkmal; fast alle Bereiche der Wirtschaft konnten in der Weltwirtschaftskrise mit Recht so argumentieren. Ein weiteres, wenig überzeugendes und eher anachronistisches Argument, das als Überhang aus dem Wilhelminismus gelegentlich noch in den 1930ern auftauchte, bildete der Verweis auf die deutsche „Seegeltung“, die auch einer starken Hochseefischerei und deutscher Walfangflotten bedürfe.6 3  W. Bretthofer, Die Bilanz der Fischtage in Hamburg, in: Deutsche FischereiRundschau, 27.9.1933, S. 432 f. 4  Friedrich Lücke, Der Seefisch als Volksnahrungsmittel, in: Die Deutsche Fisch­ wirtschaft, Mai 1934, S. 73 f. 5  Otto Brenning, Propagierung der Fischnahrung im Rahmen der deutschen Erzeugungsschlacht, in: Norddeutsche Fischerei-Zeitung, 27 (1935), S. 123 f. 6  Vgl.: Seefischmarkt A.G., Die Hochseefischerei an der Unterweser im Jahre 1933, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.1.1934, S. 3–5, hier S. 5; Seefischmarkt A.G. Wesermünde, Das Hochseefischereigewerbe Wesermündes 1935, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.1.1936, S. 5–9, hier S. 6. Beide Texte argumentieren sowohl mit „Seegeltung“, als auch mit Arbeitsbeschaffung. Den Bezug zum deutschen Anspruch auf „See- und Weltgeltung“ stellt auch eine Denkschrift der IHK Wesermünde über den Walfang vom Februar 1935 her; BA R-2 / 18357, „Industrie und Handelskammer zu Wesermünde an die beteiligten Ministerien. Betrifft: Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft“, 27.2.1935, Bl. 5.



I. „Das Meer als deutsche Kolonie“61

Die Fischwirtschaft realisierte erst verhältnismäßig spät, welche Chancen sich für sie durch Devisenmangel und autarkistischem Denken boten. Überraschenderweise das „Deutsche Ärzteblatt“ machte seine Leser dagegen bereits im Juni 1934 in einem Artikel über die Auswirkungen der kurz zuvor verkündeten verschärften Devisenbewirtschaftung auf das Potential der Fischerei in dieser wirtschaftlichen Situation aufmerksam: „[…] mit deutschen Schiffen, durch deutsche Fischer und mit deutschen Fanggeräten kann Deutschland sich den Fischreichtum der Hochsee für seine Ernährung nutzbar machen, ohne auch nur einen Pfennig dafür an das Ausland zu zahlen.“7 Der Arzt habe dabei die Aufgabe, das deutsche Volk beratend an den volkswirtschaftlich notwendigen stärkeren Verbrauch von Seefisch heranzuführen, so der Artikel. Auch die ebenfalls nicht der Fischwirtschaft zuzurechnende populärwissenschaftliche Zeitschrift „Die Umschau“ würdigte schon 1934 die Devisenersparnis durch den seit der Zeit vor 1914 gestiegenen Fischverbrauch.8 Die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ erwähnte dagegen in ihren jährlich in der ersten Januar-Ausgabe erscheinenden Jahresrück- und ausblicken zum ersten Mal im Januar 1936 die Bedeutung der Fischerei für die deutsche „Nahrungs- und Rohstoffreiheit“,9 nachdem an dieser Stelle in den vorangegangenen Jahren nur von Absatzproblemen und Arbeitsbeschaffung die Rede war. Der entsprechende Artikel vom Januar 1937 stand schon ganz im Zeichen des Vierjahresplans.10 Spätestens seit dessen Verkündung im Oktober 1936 waren dann die Berichterstattung über Fischerei und Walfang sowie die Selbstdarstellung dieser Wirtschaftszweige ganz überwiegend von autarkistischen Argumenten geprägt. In diesem Bezugsrahmen entwickelte man eine Reihe von Argumenten, weshalb im Einzelnen die Nahrung aus dem Meer besondere Vorteile böte. Angesichts des deutschen Devisenmangels wurde hervorgehoben, dass die Nutzung des Meeres keine Devisen erfordere: Ein weiteres populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel „Segen des Meeres“, das 1939 erschien, sah in der „Rohstoffbeschaffung ohne Devisenverbrauch“ eines der vordringlichsten Ziele der Hochseefischerei.11 Gegenüber den Chefredakteuren 7  Hans Klepp, Der deutsche Arzt und die Volkswirtschaft, in: Deutsches Ärzteblatt, 30.6.1934, S. 683–685, hier S. 685. „Schwarzseher und Angsthasen“ sähen dem Artikel zufolge angesichts der Devisenzuteilung bereits wieder eine „KriegsZwangswirtschaft“ mit „Kohlrübenwintern“ voraus; ebd., S. 683. 8  Deutschlands Seefischverbrauch, in: Die Umschau, 38 (1934), S. 864. 9  August Dierks, Die deutsche Hochseefischerei im Jahre 1935 und ihre Aussichten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.1.1936, S. 3–5. 10  August Dierks, Die deutsche Seefischerei im Jahre 1936 und ihre Aussichten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.1.1937, S. 2–4.

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C. Das Versprechen des Meeres

der großen Tageszeitungen sagte ein Funktionär der Fischwirtschaft 1937 über die deutschen Hochseefischer: „Was sie ernten ist bestes Volksgut, für das wir kein Gold und keine Devisen geben müssen.“12 Dass sich dieses Argument nicht auf volkswirtschaftliche Diskurse beschränkte, sondern auch der einfachen Bevölkerung vertraut war, sieht man daran, dass die Fischgeschäfte des Unternehmens Nordsee in Werbeanzeigen Bezug darauf nahmen. Eine Annonce von 1937 enthielt als einzigen Text neben dem Firmennamen den Aufruf: „Deutscher, iß Fisch! Du sparst dem Reich Devisen“,13 und bereits 1935 schaltete dasselbe Unternehmen Anzeigen mit der Botschaft: „Seefische, die bekömmliche, gesunde und devisensparende Volksnahrung“.14 11

Der Grund, weshalb für Fischerei und Walfang keine Devisen benötigt wurden, lag in der traditionellen Freiheit der Meere, die das internationale Seerecht vor 1945 nur sehr geringfügig einschränkte. Für die Nutzung der See „bedurfte es nicht der Zustimmung anderer Völker. Die Weltmeere und ihre Randmeere, soweit sie außerhalb der Dreimeilenzone liegen, sind allen Nationen in gleicher Weise zugänglich.“15 Oder wie es die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ schon 1933 ausdrückte: „Der Hochseefisch ist herrenloses Gut; ein unerschöpflicher Quell, aus dem bisher Deutschland aus mancherlei Gründen nur in der bescheidendsten Weise geschöpft hat.“16 Im Vergleich mit der heimischen Landwirtschaft schien die Nutzung des Meeres zudem eine Reihe von weiteren Vorteilen zu bieten. Dass die landwirtschaftliche Produktion innerhalb der deutschen Grenzen kaum mehr Steigerungspotential bot, betonte schon Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan, die aber daraus den Schluss zog, mittelfristig diese Grenzen zu ändern.17 11  Albrecht Janssen, Segen des Meeres. Ein Buch von Deutschlands Hochseefischerei, Berlin 1939, S. 196. 12  Umfassende Fischwerbung im Vierjahresplan setzt ein, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 11.4.1937, S. 205–207, hier S. 206. Es handelte sich um eine Ansprache von Robert Ahlf, Direktor der Reederei Nordsee und Vorsitzender des Verbandes der deutschen Hochseefischereien, vor den „Hauptschriftleitern“ der großen deutschen Tageszeitungen im Hotel Kaiserhof. 13  Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 383. Die Anzeige ist hier im Original abgedruckt. 14  s. Anzeigenteil, in: Martin Bernhard Eisenbeck (Hrsg.), Der Arbeitsdienst im deutschen Wald, Frankfurt (Oder) 1935, o. S. 15  Hermann Fromm, Walfang – größerer Leistungsraum!, in: Die wirtschaftspolitische Parole. Mitteilungen der Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP, 3 (1938), S. 358–362, hier S. 358. 16  Hamburg-Altonaer Fischtage, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.9.1933, S. 412–414, hier S. 413. 17  „Das Ergebnis unserer landwirtschaftlichen Produktion kann eine wesentliche Steigerung nicht mehr erfahren“; Treue, Hitlers Denkschrift, S. 206.



I. „Das Meer als deutsche Kolonie“63

Kurzfristig versprachen jedoch Fischerei und Walfang hier einzuspringen, da die Begrenztheit der deutschen Anbaufläche für sie nicht galt. „Der Seefischerei“, so Staatssekretär Herbert Backe in einer Rede 1936, „sind eben nicht die Grenzen gezogen, die die Enge und Kargheit des deutschen Bodens der Erzeugungsschlacht der Landwirtschaft setzen.“18 Die Grenzen, die „die Enge des Lebensraums“ der „Erzeugungsschlacht“ setzte, bestanden für die Hochseefischerei nicht, so eine Dissertation von 1939.19 „Ohne Aufwendung von Devisen, ohne Inanspruchnahme von landwirtschaftlich genutztem Boden und landwirtschaftlichen Arbeitskräften“, schrieb die „Handels-Rundschau“ 1936, stelle die Fischerei hochwertige Nahrungsmittel bereit.20 Anders als die Fleischerzeugung war die Fischerei somit auch „unabhängig von der Knappheit der Futtermittel, die die Spannung der Ernährungsdecke weitgehend bestimmt“, sondern lieferte der Schweinezucht in Form von Fischmehl sogar noch wertvolles Futter, wie der „Völkische Beobachter“ hervorhob.21 Ebenso fiel bei der Nahrung aus dem Meer der beim Ackerbau nötige Aufwand für die Bearbeitung des Feldes und die Aussaat fort: „[…] Seefisch ist das einzige Lebensmittel, das wir niemandem in Ausland abzukaufen brauchen, das wir nicht zu säen, zu züchten, zu pflegen brauchen.“22 In der Fischerei brauchte man „nicht zu säen – nur zu ernten.“23 Unter dem gleichen Blickwinkel verglich die „Deutsche Handels-Rundschau“ den Walfang positiv mit der Viehzucht, da im Falle der Wale „das erhebliche Risiko für Aufzucht und Pflege“ wegfiel.24 18  Backes Rede ist abgedruckt in: Die Jubiläumshauptfeier, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 505–508, hier S. 507 f. Ähnlich: „Trotz Erzeugungsschlacht wird nun einmal bei beschränktem Grund und Boden eine 100prozentige Deckung des Fleisch- und Fettbedarfs aus Eigenerzeugung kaum gelingen“; Heinrich Hartwig, Die Fischwirtschaft im Vierjahresplan, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 6.12.1936, S. 821–823, hier S. 821; s. a.: Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront (Hrsg.), Fünf Jahre Aufbau der deutschen Rohstoffwirtschaft (DAF-Rohstoff-Dienst, 19), Berlin 1938, S. 466. 19  Harro Stolle, Neue Marktordnung in der Fischwirtschaft. Ihre Aufgaben und Ziele, Diss. Hamburg 1939. 20  Förderung des Seefischabsatzes durch Fischtage, in: Deutsche Handels-Rundschau, 29 (1936), S. 179 f. 21  Der Fisch in der Volkswirtschaft, in: Völkischer Beobachter, Nr. 160, 9.6.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 22  Adrian Mohr, Karfreitags-Fisch rollt durch die Nacht, in: Deutsche FischereiRundschau, 1.5.1935, S. 189–191, hier S. 191. 23  Hannes A. Keune / Wilhelm Ziegelmayer, Handbuch über Fische und Fischwaren für die Gemeinschaftsverpflegung, Berlin 1939, S. 9. Ähnlich: Das Meer, die freie Kolonie Deutschlands!, in: Die Genossenschaftsfamilie, 32 (1939), 3, S. 15. 24  Zukunft des Walfischs in der deutschen Fettversorgung, in: Deutsche HandelsRundschau, 30 (1937), S. 863.

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C. Das Versprechen des Meeres

Für den Fall von Fleischknappheit im Zuge der Autarkiepolitik – und diese Möglichkeit gestand das Regime offen ein – schien sich Fisch somit als idealer Ersatz anzubieten. Als Generalbevollmächtigter für den Vierjahresplan bereitete Göring am 28.10.1936 in einer Rede im Berliner Sportpalast die Bevölkerung auf solche zu erwartenden Versorgungsschwierigkeiten vor und bot zugleich Ersatz an: „Vor allem aber gibt es außer Fleisch noch etwas sehr Gutes: Es gibt Fisch, und wenn es nicht genügend Fleisch gibt, so werden wir dafür sorgen, dass in solchen Spannungszeiten genügend Fische vorhanden sind.“25 Analog zu der „Erzeugungsschlacht“ der Landwirtschaft wurde entsprechend auch die Nutzung des Meeres von einer militaristischen Rhetorik begleitet. Der Leiter der neu gegründeten Reichsstelle für Walforschung sprach mit Bezug auf die Fischgründe im Nordatlantik und den Walfangfeldern im Südpolarmeer von den „beiden friedlichen Fronten des laufenden Vierjahresplanes“26 und der Verband der deutschen Hochseefischereien bezeichnete in einer Anzeige den typischen Fischdampfer als „Schlachtschiff im Kampf um die Ernährungsfreiheit“.27 In der damaligen Rhetorik springt vor allem eine Metapher ins Auge: Ein außerhalb der eigentlichen Grenzen eines Staates gelegenes Gebiet, das diesem jedoch als Nahrungs- und Rohstoffquelle dient, ohne dass dies als Außenhandel gilt, würde man als Kolonie bezeichnen. Da das Meer im autarkistischen Denken dieser Zeit genau eine solche Rolle als ein Raum zur Ergänzung der eigenen Ressourcen einnahm, wurde die Gleichsetzung des Meeres mit einer deutschen Kolonie nach 1936 geradezu zu einem Gemeinplatz. „Vorläufig steht uns allerdings zur Ergänzung unseres engen Lebensraums nur eine Kolonie zur Verfügung, das ist das freie Meer“, erklärte Ernährungsminister Darré während der Feierlichkeiten zum 50jährigen Jubiläums der Fischmärkte Hamburg und Altona am 17.10.1937.28 Möglicherweise gehen die späteren Verwendungen dieses Topos auf Darré zurück,29 aber der Vergleich lag bereits vorher in der Luft.30 25  Göring, Rede, S. 32. Ähnlich Görings Rede wenig später in Wesermünde, abgedruckt in: Der große Sonntag, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 509–516. 26  Nicolaus Peters, Die biologischen Grundlagen des antarktischen Walfangs, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 19–28, hier S. 19. 27  Verband der deutschen Hochseefischereien, Schlachtschiff im Kampf um die Ernährungsfreiheit, in: Der Vierjahresplan, 3 (1939), S. 1058 (Anzeige). 28  Das 50jährige Jubiläum der Fischauktion, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.10.1937, S. 517–522, hier S. 521. s. a.: Großer Ausbau der Fischwirtschaft ist geplant, in: Hamburger Fremdenblatt, 18.10.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7343. 29  Mit ausdrücklichem Bezug auf Darré: K. M. Hoffmann, Deutschlands gegenwärtig einzige Kolonie – das Meer, in: Zeitschrift für Volksernährung, 14 (1939),



I. „Das Meer als deutsche Kolonie“65

In den folgenden Jahren erschien die Gleichsetzung des Meeres mit einer deutschen Kolonie immer wieder in vielfältigen Varianten: Das Meer galt als „augenblicklich unsere einzige Kolonie“,31 man sprach von „der uns verbliebenen Kolonie, dem freien Meere“,32 der „deutsche[n] Kolonie in der Antarktis“,33 „dem Walfang als kolonialer Rohstoffquelle“34, dem Südpolarmeer als der „weißen und nassen Kolonie“35 und sah im Meer die „neue deutsche Fettkolonie“36 oder auch eine „Rohstoffprovinz“,37 womit gegenüber der Kolonie ein noch höherer Grad der Aneignung impliziert wurde. 30

Der häufige Bezug auf das Thema Kolonien kontrastiert mit Hitlers Ablehnung einer überseeischen Kolonialpolitik zugunsten des „Lebensraums im Osten“; ein Gedanke, der bekanntermaßen einen Fixpunkt seiner Weltanschauung, angefangen bei „Mein Kampf“ bis hin zur tatsächlichen Politik S. 93–95, hier S. 93; ders., Die Bedeutung des Meeres für die Volkswirtschaft, in: Die Wehrmacht-Fachschule, 14 (1938), S. 182–192, hier S. 182. 30  So schrieb der „Völkische Beobachter“ bereits im April 1936 über den deutschen Walfang: „Man hat Deutschland bisher seine Kolonien verweigert, hat ihm die Möglichkeit der Gewinnung von Fettrohstoffen, wie Palmkerne, Erdnüsse usw. unmöglich gemacht. Um so mehr wird sich das Reich nunmehr der Arktis [sic!] bedienen“; Deutsche gehen wieder auf Walfang, in: Völkischer Beobachter, 30.4.1936, in: StAHH Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. Von der „Gewinnung einer deutschen Kolonie auf der See“ im Zusammenhang mit dem Walfang sprach auch bereits der Völkerrechtler Ernst Wolgast in einem Brief an Hjalmar Schacht: BA R-2 / 18357, Wolgast an Schacht, 8.12.1935. Ziemlich zeitgleich mit Darrés Rede erschien in der Oktoberausgabe 1937 der Zeitschrift „Der Vierjahresplan“ ein Artikel, der bereits ausdrücklich von den Weltmeeren als der „neuen, im Augenblick noch einzigen Kolonie Deutschlands“ spricht; Carl Christiansen, Die Wiedergeburt des deutschen Walfangs im Dritten Reich, in: Der Vierjahresplan, 1 (1937), S. 588–590. 31  Hausmann, Das Meer, S. 13. 32  Janssen, Segen des Meeres, S. 191. 33  Karl August Wegener, Einleitung. Die deutsche Kolonie in der Antarktis, in: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang. Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 1–5. 34  Walter Ludorff, Wal: Fang und Ausbeutung für die Volksernährung und Volkswirtschaft (Schriftenreihe des Reichsgesundheitsamtes; 7), Leipzig 1938, S. 1. 35  Kein Mangel an Walen im Südlichen Eismeer. Kapitän Christiansen berichtet über die Weiße Kolonie, in: Hamburger Fremdenblatt, 4.3.1938, in: StAHH Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. 36  Lübke, Rohstoffwunder, S. 447. Auf der folgenden Seite heißt es über den Beginn des deutschen Walfangs: „Deutschland hat mit diesem bedeutungsvollen Schritt die Eroberung einer neuen ‚Versorgungskolonie‘, die der Meere, begonnen“; ebd., S. 448. 37  Fromm, Walfang, S. 361.

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C. Das Versprechen des Meeres

der 1930er und 1940er Jahre, bildete.38 Im Kontext der Autarkiepolitik wurde dagegen häufig auf den Verlust der Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg verwiesen, der Deutschlands Rohstoffversorgung erst so prekär gemacht habe, dass man nun zu einer Ersatzstoffwirtschaft übergehen müsse. Göring widmete einen ganzen Abschnitt seiner Sportpalast-Rede 1936 den Folgen, die der Verlust der Kolonien für Deutschlands Versorgung habe.39 Auch Darré sowie der Autor eines Werkes über Rohstofffragen argumentierten in dieser Weise.40 Der Erfinder eines Fischeiweißkonzentrates als typischem Ersatzprodukt der Autarkiewirtschaft führte die Notwendigkeit, verstärkt Rohstoff aus dem Meer zu nutzen, ebenfalls auf den Verlust der Kolonien sowie angebliche Boykottbestrebungen des Auslands gegen Deutschland zurück: „Solange die Unvernunft anderer Nationen uns daran hindert Rohstoffe in ausreichender Menge aus eigenen oder fremden Kolonialgebieten zu beziehen, solange man bestrebt ist, deutsche Exportgüter im Austausch gegen Rohstoffe vom Weltmarkt auszuschalten, solange wird Deutschland bemüht bleiben müssen, für die Deckung der wirtschaftlichen Bedürfnisse seiner riesigen Bevölkerung auch diejenigen Rohstoffe zu erschließen, welche das Meer zu liefern imstande ist.“41 Der Kolonialismus bildete, wenn er auch in der Zielhierarchie der Reichsführung keinen Platz fand, in der NS-Zeit kein völlig randständiges Phänomen: Die öffentliche Position der NSDAP zur Kolonialfrage war nicht eindeutig ablehnend und das Regime machte in Verhandlungen mit Großbritannien taktischen Gebrauch von Forderungen nach der Rückgabe von Kolonialbesitz. In der Bevölkerung bestand weiterhin eine Kolonialbewegung, die sich dann 1940 nach der Besetzung Frankreichs, der Niederlande und Belgiens, die alle Kolonien besaßen, schon kurz vor ihrem Ziel wähnte.42 38  Vgl. beispielsweise die entsprechenden Stellen in „Mein Kampf“ und in der Hoßbach-Niederschrift von 1937: Adolf Hitler, Mein Kampf. 2. Band: Die nationalsozialistische Bewegung, München 1927, S. 305, 316, 326; Niederschrift über die Besprechung in der Reichskanzlei am 5. November 1937 von 16,15–20,30 Uhr, S.  27 f. 39  „Wenn wir nur einen Bruchteil der Kolonien hätten, die andere Länder im Überfluß besitzen, dann würden wir überhaupt nicht von Rohstoff- und Nahrungsmittelmangel zu reden brauchen“; Göring, Rede, S. 32. 40  Das 50jährige Jubiläum der Fischauktion, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.10.1937, S. 517–522, hier S. 520 f. Lübkes Buch zum „deutschen Rohstoffwunder“ enthält bei einer Reihe von Rohstoffen den Hinweis, dass eine Selbstversorgung Deutschlands mit Hilfe der alten Kolonien möglich wäre: Lübke, Rohstoffwunder, S. 22, 302, 314, 351, 447. 41  Peter Paul Hiltner, Das Meer als Rohstoffgebiet, in: Otto Mecheels / Peter Paul Hiltner, Das Fischeiweiß in Ernährung und Kleidung (Mitteilungen des Deutschen Forschungsinstitutes für Textilindustrie 1939; 5), M.-Gladbach 1939, S. 5–14, hier S. 5. 42  van Laak, Über alles in der Welt, S. 120 ff., 134–143.



I. „Das Meer als deutsche Kolonie“67

Wenn nun das Meer als „Kolonie“ oder „Rohstoffprovinz“ das Potential besaß, die deutschen Nahrungs- und Rohstoffprobleme zu lösen, war es folgerichtig, bei seiner Ausbeutung „in den nächsten vier Jahren bis an die äußerte Grenze des Möglichen zu gehen“, wie Göring es 1936 ausdrückte.43 Die Ziele wurden entsprechend hoch gesteckt, und die Aufgabe der Hochseefischerei im Vierjahresplan lautete daher, die Seefischanlandungen innerhalb der nächsten vier Jahre zu verdoppeln.44 Auch diese Vorgabe spiegelt die hohen Erwartungen an das Potential der Fischerei wider; die Landwirtschaft hätte kaum glaubhaft eine Verdoppelung der Getreideernte oder der Fleischproduktion in lediglich vier Jahren versprechen können. Was allerdings auch die überzeugtesten Anhänger von Hochseefischerei und Walfang nie versprachen, war die Blockadesicherheit, also die Fähigkeit noch Nahrung und Rohstoffe liefern zu können, wenn Großbritannien oder eine andere Seemacht Deutschland vom Zugang zum offenen Ozean abschnitte, wie es im Ersten Weltkrieg geschehen war. Was die Benzin- und Kautschuksynthese in der Autarkiewirtschaft gerade auszeichnete, konnten Hochseefischerei und Walfang nicht glaubhaft versprechen, da sie auf den freien Zugang zum Nordostatlantik und Südpolarmeer angewiesen waren (siehe Kap. E. I.). Die breite Literatur zur Nutzung des Meeres vermied es daher fast immer, diesen Punkt zu berühren. Die Möglichkeit einer Seeblockade sprach man nur im Zusammenhang mit der Küstenfischerei an, da im Fall einer Blockade – wie schon im Ersten Weltkrieg – die Versorgung mit Seefischen fast ausschließlich von der Küstenfischerei abhängen würde.45 Die Küsten- und auch die Binnenfische43  Der große Sonntag, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 509–516, hier S. 509. 44  Robert Ahlf, Die Hochseefischerei und ihre Verteilungs- und Lagerungsaufgaben, in: Der Vierjahresplan, 1 (1937), S. 396–402, hier S. 398; Herbert Backe, Vorwort, in: Hans Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft im Vierjahresplan. Steigerung der deutschen Seefischversorgung und ihre Grundlagen, Berlin 1938, S. 5 f.; s. a.: Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 33. Wer dieses Ziel aufgestellt hat, ist weniger klar. Dierks zufolge wurde es vom Verband der deutschen Hochseefischereien aufgestellt und von Göring genehmigt. In zwei Schreiben dieses Verbandes an Göring vom November 1936 zu den Aufgaben im Vierjahresplan wird das konkrete Ziel einer Verdoppelung jedoch nicht erwähnt; August Dierks, Die deutsche Hochseefischerei im Jahre 1938. Zwei Jahre Vierjahresplan, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 11.1.1939, S. 1–3, hier S. 1; StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e.  V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936; StAHH Best. Nr. 1133 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Ahlf an Ministerpräsident Generaloberst Göring, Betrifft: Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 29.11.1936. 45  Eberhard Eichelbaum, Ueber die ernährungspolitische Aufgabe der deutschen Fischerei, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 517–519, hier S. 518;

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C. Das Versprechen des Meeres

rei wurden jedoch im Kontext der Autarkiewirtschaft nur gelegentlich am Rande erwähnt. Einen nennenswerten Beitrag der Fischerei zur deutschen „Nahrungsfreiheit“ erwartete man mit guten Gründen in der Regel nur von der Hochseefischerei. Wenn der Verband der deutschen Hochseefischereien in einem Schreiben an Göring erklärte, dass „eine wesentliche Steigerung des mengenmässigen Anfalls aus der Binnenfischerei kaum, aus der Küstenfischerei ebenfalls nur in unerheblichem Masse zu erwarten sein“ dürfte, dann handelte es sich dabei nicht nur um Eigenwerbung des Verbandes.46 Tatsächlich waren die Größenverhältnisse der Fangerträge der Hochsee- gegenüber der Ostsee-, Küsten- und Binnenfischerei so, dass nur erstere eine wirklich gesamtvolkswirtschaftliche Bedeutung beanspruchen konnte (siehe Kap. D. I. 4.). Zudem bot auch nur die offene See und nicht Küsten- oder Binnengewässer – in der Realität und in der Imagination der Zeitgenossen – ein erhebliches Steigerungspotential. Binnen- und Küstengewässer unterscheiden sich hinsichtlich der Begrenztheit ihrer Fläche und ihrer Ressourcen nicht von der Landwirtschaft. Die Binnenfischerei war mengenmäßig noch unbedeutender,47 allerdings wurde in dem deutschen Autarkiestreben kaum eine potentielle Nahrungsquelle nicht in Betracht gezogen.48 Daher betrieb beispielsweise die KaiserWilhelm-Gesellschaft im Vierjahresplan zwei Forschungsanstalten für Binnenfischerei49 und auch die Aalräuchereien sollten ihren Beitrag zur SchlieErich Fischer, Die Bedeutung der deutschen Kutterhochsee- und Küstenfischerei in der Nord- und Ostsee, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 3.5.1939, S. 216 f. 46  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 1. 47  Hoffmann schätzt die Produktion der Binnenfischerei für 1925–1938 pauschal auf 40.000 t jährlich (Seefischerei 1938: ca. 730.000 t), wobei die statistische Erfassung der Binnenfischerei sehr unsicher ist. Teuteberg billigt dem Binnenfisch für das 19. und 20. Jh. nur den Status einer Luxusspeise ohne wirkliche Bedeutung für die Ernährungswirtschaft zu; Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin  /  Heidelberg  /  New York 1965, S. 329; Hans-Jürgen Teuteberg, Der Verzehr von Nahrungsmitteln in Deutschland pro Kopf und Jahr seit Beginn der Industrialisierung (1850–1975). Versuch einer quantitativen Langzeitanalyse, in: Archiv für Sozialgeschichte, 19 (1979), S. 331– 388, hier S. 379. 48  Wilhelm Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen der deutschen Volksernährung. Eine Darstellung der ernährungswirtschaftlichen und ernährungswissenschaftlichen Aufgaben unserer Zeit, 4. verbesserte und erweiterte Aufl., Dresden 1941, S. 156. 49  Susanne Heim, Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933–1945, Göttingen 2003, S. 63–72.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände69

ßung der Fettlücke leisten.50 Staatssekretär Eichelbaum forderte, bisher vernachlässigte Gewässer wie Talsperren, Kanäle und Waldseen ebenfalls fischwirtschaftlich zu nutzen,51 und der Verfasser des Buches „Das deutsche Rohstoffwunder“ sprach unter der Überschrift „Rohstoffe aus Abwässern“ die Möglichkeit an, Speisefische in städtischen Klärteichen zu züchten.52 Selbst den ebenfalls im Reichsnährstand organisierten Sportfischern wurde attestiert, dass sie der Volksernährung wertvolle Dienste leisteten.53 Letztlich waren dies alles aber randständige Phänomene, die entweder eher zum Bereich der Landwirtschaft zählten oder bei der Behandlung der Hochseefischerei der Vollständigkeit halber Erwähnung fanden. Die Nutzung des scheinbar unbegrenzten freien Meeres dagegen schien in idealer Weise zu der deutschen Autarkiepolitik zu passen. Für eine Volkswirtschaft, die auf Importe weitgehend verzichten wollte, aus den Ressourcen des eigenen Bodens jedoch nicht leben konnte, versprach die Nutzung des herrenlosen Meeres eine äußerst viel versprechende Option zu sein. Der Staat hatte in der Hochseefischerei und dem Walfang Wirtschaftszweige gefunden, die ohne Devisenaufwand und ohne Inanspruchnahme der heimischen landwirtschaftlichen Flächen und Bodenschätze ein erhebliches Steigerungspotential boten. Auf der anderen Seite hatte hiermit aber auch die Fischwirtschaft erstmals ein Alleinstellungsmerkmal gefunden, das ihr Absatzsteigerung, staatliche Förderung und öffentliche Anerkennung verschaffen konnte.

II. Beliebig zu steigern? Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände Auf der Feier zum 50jährigen Jubiläum der deutschen Hochseefischerei im Oktober 1936 sagte Staatssekretär Herbert Backe zu den Hochseefischern hinsichtlich ihrer Aufgaben im Vierjahresplan: „Ich zweifele nicht, dass sie 50  Dietmar Bartz, Räuchern bis zur Kapitulation, in: Die Tageszeitung (taz nord), 9.1.2007. 51  Eichelbaum, Ueber die ernährungspolitische Aufgabe, S. 519. 52  Lübke, Rohstoffwunder, S. 509 f. Die Fischzucht war nur ein Teil eines Nutzungskonzepts, das beispielhaft für das damalige Bestreben stehen kann, jede denkbare Ressource restlos zu nutzen. Andererseits wirkt das Interesse an geschlossenen Kreisläufen heute wieder aktuell. Lübke zufolge könne man in solchen Teichen 10 Zentner Fisch pro Jahr und ha produzieren. Um die Verkrautung der Wasserflächen zu verhindern, ließen sich Pekingenten halten, die 4–5 Zentner / Jahr / ha Ertrag brächten. An den Uferstreifen sah Lübke überdies die Möglichkeit, Gras für die Kleintierzucht zu ernten. 53  Hamburger Sportfischer fingen 1938 angeblich immerhin 58.300 kg; Was die Hamburger Angler leisten, in: Hamburger Fremdenblatt, 14.5.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346.

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C. Das Versprechen des Meeres

diese Aufgabe bewältigen werden. Denn ihnen steht es wie den Fischern jeder Nation frei, aus dem Meer in beliebiger Menge Seefische zu holen.“54 Die Vorstellung einer beliebigen Steigerbarkeit der Fangerträge der deutschen Hochseefischerei findet sich in den 1930er Jahren vielfach, hierin lag nicht zuletzt die besondere Attraktivität dieses Wirtschaftszweiges in der von Versorgungsengpässen gezeichneten deutschen Wirtschaft begründet. Die Vorstellung, dass die biologischen Ressourcen des Meeres praktisch unerschöpflich seien, besaß bereits eine lange Tradition, als in der NS-Zeit Hochseefischerei und Walfang ins Blickfeld von Staat und Öffentlichkeit gerieten. Sie konnte jedoch auch in den 1930er Jahren nicht als selbstverständlich gelten, da ihr ebenfalls seit langem gegenteilige Auffassungen und Erfahrungen gegenüber standen. Die Vorstellung des unerschöpflichen Meeres und Erfahrungen mit der Überfischung einzelner Bestände existierten lange Zeit nebeneinander. Unabhängig von der Wahrnehmung der historischen Akteure kann kein Zweifel daran bestehen, dass Menschen bereits sehr früh erheblichen Einfluss auf marine Ökosysteme genommen haben, so dass man noch deutlich hinter die umfangreiche Heringsfischerei der Hanse zurückgehen müsste, um für Nordeuropa den Zustand eines vom Menschen unbeeinflussten Meeres zu finden.55 Archäologische Funde deuten für Westeuropa auf eine relativ abrupte Expansion der Seefischerei im 11. Jahrhundert und einen Bedeutungsverlust der Binnenfischerei hin. Die Gründe hierfür scheinen in der Überfischung vieler Süßwasserfische gelegen zu haben, aber auch in der Beeinträchtigung ihres Lebensraums durch Wehre und Mühldämme einerseits sowie die Auswirkungen der mit dem Ausbau der Ackerbaufläche und der Entwaldung zunehmenden Bodenerosion auf die Flüsse andererseits.56 Für die der deutschen Küste vorgelagerten Teile der Nordsee lassen sich anthropogene Einflüsse seit prähistorischer Zeit und in beschleunigtem ­Maße seit dem Mittelalter nachweisen, die zum Verschwinden verschiedener Tierarten und auch submariner Lebensräume wie Austernbänke und Seegraswiesen führten.57 54  Die Jubiläumshauptfeier, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 505– 508, hier S. 507. 55  „Idealist like to posit the existence of an original nature, a state of ecological balance untouched by human action. But such a time has not existed for the European seas at least since the medieval herring fisheries of the Hanseatic League“; Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 1. 56  Roberts, Unnatural History, S. 17–27. 57  Heike K. Lotze, Radical Changes in the Wadden Sea Fauna and Flora over the last 2.000 Years, in: Helgoland Marine Research, 59 (2005), 1, S. 71–83; Wim J. Wolff, The South-Eastern North Sea: Losses of Vertebrate Fauna during the past 2000 Years, in: Biological Conservation, 95 (2000), S. 209–217.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände71

Auch Phänomene, die heute meist mit der industriellen, hochmechanisierten Fischerei der neuesten Zeit assoziiert werden, traten bereits im 19. Jahrhundert auf: Heilbutt beispielsweise galt amerikanischen Fischern an der Atlantikküste lange als wertloser Beifang bei der Kabeljaufischerei und wurde ungenutzt, aber zumeist tödlich verwundet wieder über Bord geworfen. Neue Konservierungstechniken und veränderte Präferenzen der Verbraucher schufen in den 1840er Jahren jedoch einen Markt für Heilbutt, allerdings nutzte man häufig nur die als Delikatesse geltenden Flossen und warf den restlichen Fisch zurück. Nachdem man zusätzlich begonnen hatte, die Jungtiere gezielt zu befischen, waren die Heilbuttbestände an der amerikanischen Atlantikküste bis 1880 bereits erschöpft.58 Trotz dieser erheblichen Einflussnahme des Menschen findet sich immer wieder die Vorstellung unerschöpflicher Fischbestände, die durch die menschliche Nutzung gar nicht beeinträchtigt werden könnten. Für die meisten Menschen sind Fischbestände verglichen mit der Umwelt an Land zu sehr der Anschauung entzogen, als dass die anthropogenen Eingriffe bemerkt würden, und auch die Fischer selbst besaßen vielfach kein institutionelles Gedächtnis, das sie längerfristige Veränderungen bemerken ließ.59 Fischereiwirtschaft und -wissenschaft sind bis heute geprägt von dem über Generationen andauernden Vergessen früherer Verhältnisse und der damit einhergehenden Akzeptanz eines neuen, bereits durch Überfischung geschaffenen Zustands, der somit aber als „natürlich“ und „normal“ wahrgenommen wird.60 Unter den Gelehrten der Aufklärung vertraten beispielsweise Montesquieu (1689–1755) und Lamarck (1744–1829) die Auffassung, dass mit einer Überfischung im Meer bei der Ausdehnung der Ozeane und der Fruchtbarkeit der Fische nicht zu rechnen sei.61 Die bis heute am meisten zitierte Autorität, die sich in dieser Richtung aussprach, war jedoch der einflussreiche britische Biologe Thomas Henry Huxley (1825–1895).62 Huxley saß in zwei, 1863 und 1883 eingesetzten Royal Commissions, die untersuchen sollten, ob die in den vorangegangenen Jahren expandierte Fischerei mit dem Grundschleppnetz („trawling“), bzw. die Verwendung eines solchen Geräts in Verbindung mit den neuen Fischdampfern im Fall der zweiten 58  Grasso,

What Appeared Limitless Plenty, S. 66–91. ebd., S. 84; Grasso zufolge betrachteten die Fischer in den 1920er und 1930er Jahren ihre Heilbutt-Fänge als durchaus zufrieden stellend, ohne zu realisieren, dass wenige Jahrzehnte zuvor die Ergebnisse noch deutlich besser waren. 60  Pauly, Anecdotes and the Shifting Baseline Syndrome, S. 430. 61  Bolster, Opportunities, S. 574. 62  Roberts, Unnatural History, S. 141 ff.; Bolster, Opportunities, S. 575; Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 28. 59  Vgl.

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C. Das Versprechen des Meeres

Kommission, die Fischbestände und insbesondere die Fischbrut dezimiere und anderen Fischern schade. Anlass waren genauso solche Klagen, die vielfach von Fischern erhoben wurden, die weiterhin mit Langleinen oder Reusen arbeiteten. Beide Kommissionen kamen trotz gegenteiliger Aussagen vieler befragter Fischer zu dem Ergebnis, dass Grundschleppnetze den Fischbeständen insgesamt und speziell der Fischbrut nicht schadeten. Die Kommission von 1863 empfahl in ihrem Abschlussbericht den Behörden daher einen laissez-faire-Ansatz in Fragen der Fischereiregulierung, da die Fischer jeden Bestandsrückgang auf einem bestimmten Fanggrund selbst als erste bemerken und daher das Fanggebiet wechseln würden lange bevor die Bestände dauerhaft Schaden nähmen, so dass die Fische in diesem Gebiet sich dann wieder ungestört rasch vermehren könnten. Jede staatliche Regulierung der Hochseefischerei stelle daher einen überflüssigen Eingriff dar.63 Anlässlich einer Fischereiausstellung äußerte sich Huxley erneut zur der Frage einer möglichen Überfischung: Die Möglichkeit einer Dezimierung von Fischbeständen durch die Fischerei schloss er nicht kategorisch aus; die Regelung der Lachsfischerei in den Flüssen hielt er daher für sinnvoll. Hering und Kabeljau hingegen, die lange die für Nordeuropa wichtigsten Seefische waren, kämen in derart gewaltigen Schwärmen vor und besäßen eine derart hohe Reproduktionsrate, dass das, was der Mensch entnimmt, nicht ins Gewicht falle.64 Huxley kam somit zu dem Schluss, „that this class of fisheries – cod, herring, pilchard, mackerel, & c. – might be regarded as inexhaustible“.65 Ein Bild, welches Huxley sowie vielen vor und nach ihm, die Vorstellung der Unerschöpflichkeit suggeriert hat, waren die gewaltigen Schwärme, die Hering und Kabeljau – allerdings lediglich zur Laichzeit – bildeten. Huxley hatte sich von äußerst dicht gepackten Kabeljauschwärmen berichten lassen: „[…] when the fishermen let down their loaded lines, they feel the weight knocking against the bodies of the codfish for a long time before it gets to 63  Roberts, Unnatural History, S. 140–157. Roberts betont hingegen die Schäden, die die Grundschleppnetzfischerei bereits in dieser Zeit verursachte durch die Zerstörung der Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen auf dem Meeresboden, auf die auch die kommerziell interessanten Fischarten angewiesen waren. Die Kommissionen schenkten dagegen den – in einzelnen zoologischen Details tatsächlich irrtümlichen – Aussagen der befragten Fischer keinen Glauben. Die Kommissionsmitglieder waren jedoch beeindruckt von dem Beitrag der Schleppnetzfischerei zu der Versorgung des Marktes mit preisgünstigem Fisch. Da keine systematischen Fangstatistiken zu dieser Zeit existierten, war es überdies einfach, alle Schwankungen im Ergebnis der Fischerei auf natürliche Fluktuationen zurückzuführen. 64  Thomas Henry Huxley, The Fisheries Exhibition, in: Nature, 28 (1883), S. 176– 177. 65  Ebd., S. 177.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände73

the bottom.“66 Eine 1885 erschienene populärwissenschaftliche Darstellung der Ozeane von Amand von Schweiger-Lerchenfeld schilderte Heringszüge, deren Ausmaß kaum glaubhaft scheine: „Und dennoch ist es wahr, daß solche Züge Meilen lang und breit sind, und Boote durch die wimmelnden Thiere viele Centimeter in die Höhe gehoben werden.“67 Mehrfach findet sich die Beschreibung von Heringsschwärmen, die so groß und dicht gedrängt seien, „dass eine in die sich drängende Masse gestoßene Stange einige Zeit stehen bleibt“, wie noch 1939 in der „Zeitschrift für Volksernährung“ zu lesen war.68 Die stereotype Art, in der sich diese Darstellung in verschiedenen Texten wiederholt, legt jedoch nahe, dass es sich eher um eine ungeprüfte Übernahme aus älteren Werken als um eigene Beobachtungen der Autoren handelte. Walter Ludorff, der 1937 ebenfalls von Fischschwärmen berichtete, in denen ein langes Ruder aufrecht stehen bleibe, behauptete zwar derartiges aus eigener Anschauung bestätigen zu können, nannte aber auch Alfred Brehm als Quelle.69 Bei Ludwig Stabys Darstellung von 1920 handelt es sich wieder um eine Stange statt eines Ruders, die in dem Heringsschwarm stehen blieb.70 Staby dürfte sich ebenfalls wie Ludorff auf Alfred Brehms (1829–1884) „Illustrirtes Thierleben“ gestützt haben, das bereits 1869 dieses Bild erwähnt.71 Aber auch Brehms Darstellung geht offensichtlich auf eine ältere Vorlage zurück, denn bereits Olaus Magnus (1490–1557) schrieb in seiner „Beschreibung der Völker des Nordens“ über die Heringsfischerei in Schonen (Südschweden), es gäbe dort bisweilen so viele Fische, „dass nicht alleyn die Garn davon zerreissen, sondern dass auch eyn Hellenbarth oder langer Spieß auffrecht darinnen stehen bleibt, wann man ihn darzwischen stecket.“72 66  Ebd.

67  Amand von Schweiger-Lerchenfeld, Von Ocean zu Ocean. Eine Schilderung des Weltmeeres und seines Lebens, Wien / Pest / Leipzig 1885, S. 15. Der Autor hatte bereits populärwissenschaftlich zu Themen wie Dampfkraft und Eisenindustrie geschrieben und hatte sich mit diesem Buch über das Meer zum Ziel gesetzt „ein anderes Wissenschaftsgebiet in ähnlicher Weise großen Kreisen zu vermitteln“; ebd. S. VII. 68  Hoffmann, Einzige Kolonie, S. 93. 69  Walter Ludorff, Heringsöl: Ein Beitrag zur Schließung der Fettlücke, in: Fette und Seifen, 44 (1937), 10, S. 416–420, hier S. 470. 70  Staby, Der Segen des Meeres, S. 31. 71  Alfred Edmund Brehm, Illustrirtes Thierleben. Eine allgemeine Kunde des Thierreichs, fünfter Band: Kriechthiere, Lurche und Fische, Hildburghausen 1869 (Faksimile-Ausgabe Stuttgart 1979), S. 723. 72  Olaus Magnus, Die Wunder des Nordens, erschlossen v. Elena Balzamo u. Reinhard Kaiser, Frankfurt a. M. 2006, S. 319. Olaus Magnus’ Beschreibung von Skandinavien erschien erstmals 1555 in Rom als „Historia de gentibus septentrionalibus“. Dem zitierten Band liegt die erste deutsche Übersetzung zugrunde, die 1567 in Straßburg gedruckt wurde.

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C. Das Versprechen des Meeres

Immerhin handelt es sich bei dem massenhaften Auftreten von Heringen nicht nur um einen literarischen Topos. Der Fischereibiologe Friedrich Heincke, der grundlegende Arbeiten für die Heringsforschung leistete, beschrieb 1898 ebenfalls heute kaum vorstellbare Szenen von dichten Heringsschwärmen, durch deren Bewegungen die Oberfläche des Meeres zu kochen schien und um die sich hungrige Delfine, Wale, Thunfische und Seevögel drängten.73 Heincke zählte den Menschen immerhin „zu den vornehmsten Feinden des Herings“, hielt aber die Gefahr einer Überfischung beim Hering für nicht sehr groß, „teils weil er ausser dem Menschen noch sehr viele andere Feinde hat und mit seinem grossen Vermehrungskoefficienten der Vernichtung durch diesselben erfolgreich Widerstand leistet, teils weil der Mensch einen erheblichen Teil des Schadens, der er dem Heringsbestande zufügt, wieder aufhebt durch die Vernichtung einer sehr grossen Menge seiner wichtigsten Konkurrenten.“74 Diese Auffassung ist insofern interessant, da Heincke durchaus in ökologischen Zusammenhängen denkt und gerade hierdurch zu einem heute abwegig erscheinenden Schluss kommt. Allerdings war die Vorstellung eines unerschöpflichen, unveränderbar quasi außerhalb der menschlichen Geschichte stehenden Meeres bereits im 19. Jahrhundert nicht unangefochten, und das Bewusstsein für die Gefahr von Überfischung nicht nur auf lokale Phänomene begrenzt, wie in der Forschungsliteratur manchmal angenommen wird.75 Alfred Brehm schilderte zwar in den 1860er Jahren wortreich die Menge und Reproduktionsfähigkeit von Hering und Kabeljau und forderte einen Ausbau der deutschen Fischerei,76 gleichwohl sah er zugleich die Auswirkungen der Fischerei auf die Natur skeptisch bis pessimistisch. So habe der Kabeljau der jahrhundertelangen intensiven Befischung – Brehm spricht von einem „Vernichtungskrieg“ – nur getrotzt, „weil seine unglaubliche Fruchtbarkeit die von dem habgierigen Menschen seinen unschätzbaren Heeren beigebrachten Lücken, bisher wenigstens, immer ausfüllte.“77 Hinsichtlich 73  Friedrich Heincke, Naturgeschichte des Herings. Teil 1: Die Lokalformen und die Wanderungen des Herings in den europäischen Meeren, Berlin 1898, S. 66. Solche Schwärme wurden als „Heringsberge“ bezeichnet. Zur Bedeutung von Heincke für die Fischereiforschung s.: Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 24. 74  Heincke, Naturgeschichte des Herings, S. 63. 75  Bolster, Opportunities, S. 567, 575; Blackford, Fishers, Fishing, and Overfishing, S. 242. 76  Brehm, Illustrirtes Thierleben, 5. Bd., S. 463 f. Als Pastorensohn, der im Vorfeld des Kulturkampfes schrieb, nutzte Brehm seine Ausführungen über Fische auch zu einem Angriff auf die „Dunkelmänner“ der katholischen Kirche, für den ihm die Fastengebote als Aufhänger dienten; vgl. ebd., S. 593. 77  Ebd., S. 595.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände75

der Heringsbestände wird Brehm deutlicher: „[…] denn nicht blos leichtfertig ausgesprochen, sondern wohl begründet ist die Furcht, dass das Meer, dem wir seit Jahrhunderten eine Ernte nach der anderen abgewonnen, verarmen kann, ja, wenn wir so fortfahren, wie wir es getrieben, verarmen muß.“78 Schon der Verstand sage uns, so Brehm, „dass auch Milliarden verbraucht werden können, wenn die Ausgabe fortgesetzt größer ist als die Einnahme. Und dass der Mensch im Stande ist, mehr Heringe zu fangen, als erzeugt und groß werden“.79 Hervorzuheben ist, dass Brehm sich nicht lediglich auf die Fischerei in einem bestimmten Gewässer oder an einer bestimmten Küste bezog, sondern ein Bewusstsein für die mögliche Übernutzung des gesamten Meeres bzw. ganzer Arten besaß.80 Brehms weit verbreitetes und einflussreiches „Thierleben“81 bildete wohl die wichtigste Quelle, aus der sich der bürgerliche Leser fern ab der Küste – sofern er sich überhaupt für solche Fragen interessierte – über Fischerei und Fischbestände informierte, aber auch andere (populär)wissenschaftliche Werke des 19. Jahrhunderts enthalten diesbezügliche Aussagen, die in die gleiche Richtung gehen wie bei Brehm. 1895 sah Conrad Keller in „Das Leben des Meeres“ gerade keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Fischerei und Landwirtschaft, da „das Meer genauso wie der Grundbesitz rationell bewirtschaftet werden muß, wenn die Erträge auf ihrer Höhe bleiben sollen.“82 Die elfte Auflage der „Encyclopædia Britannica“ von 1910 verband die Darstellung der Fischerei und ihrer wachsenden Bedeutung ebenfalls mit einem Hinweis auf die nicht nachhaltige Nutzung der zugrunde liegenden Ressourcen: „But it is to be noted that this wave of prosperi78  Ebd., 79  Ebd.

S. 720.

80  „Flüsse und Süßwasserseen hat er [= der Mensch] da, wo er zur Herrschaft gelangte, entvölkert und muß jetzt daran denken, sie künstlich wieder zu besamen; das Meer würde er entvölkern, wenn er es vermöchte, und – mit der Zeit entvölkert er es vielleicht wirklich!“; ebd., S. 463. „Man lernt eben einsehen, dass man doch wohl im Stande ist, auch das Meer zu leeren und für die Zukunft eine noch gegenwärtig ungemein wichtige Erwerbsquelle sich zu verschließen“; ebd., S. 726. 81  Die erste von vielen, später stark bearbeiteten Auflagen erschien von 1863– 1869. Übersetzungen in viele Sprachen folgten bald. Brehm und sein Werk genossen im Kaiserreich wie in der Weimarer Republik, dem NS-Staat, DDR und Bundesrepublik großes Ansehen aufgrund der volkstümlichen Darstellung zoologischen Wissens aber auch aufgrund des Sprachstils. Zu Person und Werk s. Andreas Schulze, „Belehrung und Unterhaltung“. Brehms Tierleben im Spannungsfeld von Empirie und Fiktion, München 2009. 82  Conrad Keller, Das Leben des Meeres, Leipzig 1895, S. 337. Das Zitat setzt sich fort: „Freilich ist vielfach die Wirtschaft noch so planlos, dass der Fischreichtum zurückgeht. An den ligurischen Küsten ist das ‚mare senza pesce‘ sprichwörtlich geworden, aber es ist dies kein Wunder, da die nur wenige Centimeter lange Brut centnerweise vernichtet wird.“

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C. Das Versprechen des Meeres

ty, as on previous occasions, has been attained by the application of in­ creased and more powerful means of capture and by the exploitation of new fishing grounds in distant waters, and not by any increase, natural or artificial, in the productivity of the home waters.“83 Damit hatte das Lexikon das Prinzip, das der Hochseefischerei zumindest vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute zugrunde liegt, bereits 1910 treffend auf den Punkt gebracht. Auf der wissenschaftlichen und rechtlichen Ebene hatte sich bis zur Jahrhundertwende ebenfalls die Ansicht durchgesetzt, dass die Meere keinesfalls unerschöpflich seien und dass die Fischerei einer genaueren Untersuchung und Regelung bedürfe. In Großbritannien begann schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine entsprechende Debatte, in deren Verlauf 1854 der Begriff „overfishing“ geprägt wurde.84 Nachdem sich die Nordseeanrainer (außer Norwegen) 1882 vertraglich auf die Festlegung ihrer Hoheitsgewässer sowie die Einführung von Fischereikontrollen einigten und England 1888 den „Sea Fishereries Regulation Act“ verabschiedete, wurde 1902 in Kopenhagen der „International Council for the Exploration of the Sea“ (ICES) von den Nord- und Ostseeanrainerstaaten gegründet.85 Aufgabe des ICES war neben hydrologischen Forschungen ausdrücklich die Untersuchung der als dringlich empfundenen Überfischungsfrage. Allerdings konzentrierte sich der ICES hierbei vor 1914 auf die Scholle, deren Bestände als ökonomisch wichtige Art für die Nordseefischerei deutliche Anzeichen für eine Überfischung zeigten, während auch die Wissenschaftler des ICES es zu dieser Zeit für unmöglich hielten, Hering zu überfischen.86 Während sich Ende des 19. Jahrhunderts somit hinsichtlich der Belastbarkeit von Fischbeständen gegensätzliche Vorstellungen gegenüberstanden, waren die Ansichten über den Walfang viel einheitlicher: Die meisten veröffentlichten Stimmen sprachen hier klar von Raubbau. Die Größe dieser Tiere und die Tatsache, dass es sich um Säugetiere handelt, trug sicher dazu bei, dass ihnen oftmals eine Empathie entgegen gebracht wurde, die gegenüber Fischen fast immer fehlte. Der französische Historiker Jules Michelet (1798–1874) schwelgte in dem 1861 erschienenen und sofort ins Deutsche übersetzten Buch „La Mer“ 83  Fisheries, in: Encyclopædia Britannica, Vol. X, 11. Aufl., New York 1910, S. 429–434, hier S. 430. Der Artikel ging auch auf Markierungsversuche mit Schollen ein, die den damals bereits hohen Fischereidruck auf die Bestände demonstrieren: „The percentage of marked plaice annually recaptured in the North Sea has been found to be remarkably high (from 25 to 50 %), and throws a significant light on the intensity of fishing under modern conditions“; ebd., S. 431. 84  Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 27. 85  Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 45–47; Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 13, 27, 40 ff. 86  Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 53 f., 178.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände77

(„Das Meer“) in Beschreibungen unerschöpflicher Fischschwärme,87 aber den Walfang verdammt er sowohl hinsichtlich der Auswirkungen auf die Natur als auch in moralischer Hinsicht: In weniger als einem Jahrhundert sei „das große Geschlecht der Walfische fast von der Oberfläche des Meeres verschwunden,“ der Mensch bereite „dem armen Thiere Qualen über Qualen,“ und beim Walfang handele es sich insgesamt um „Metzeleien“, die „eine schändliche Schule den Menschen depravirender Grausamkeit“ darstellen.88 Wenige Jahre später kam Brehm zumindest was die Auswirkung auf die Walbestände betrifft zu einem ganz ähnlichen Urteil: „An Altersschwäche stirbt gegenwärtig kein Bartenwal mehr; für jeden, welcher lebt, ist bereits eine Harpune geschmiedet.“89 Von einer zunehmenden Dezimierung der Bestände durch den Walfang gingen auch „Brockhaus’ Conversations-Lexikon“ in der Auflage von 188790 und „Meyers Konversations-Lexikon“ von 1897 aus.91 Der schweizerische Naturforscher und -schützer Paul Sarasin hatte vor dem Ersten Weltkrieg schon den modernen Walfang in der Antarktis vor Augen, als er Schutzmaßnahmen forderte, um die ihm unmittelbar scheinende Gefahr der Ausrottung der Wale abzuwenden.92 Sarasin sah Wale als in besonderem Maße edle Geschöpfe, die lediglich um der Dividenden einiger Kapitalgesellschaften willen einem rasch fortschreitendem Raubbau ausgesetzt seien. Ähnliche Stimmen, die die unmittelbar drohende Ausrottung der Wale beklagten, finden sich in der Weimarer Republik.93 Ende der 1920er 87  Jules Michelet, Das Meer, Leipzig 1861, S. 81–87; ein Bewusstsein für die Gefahren von Überfischung und ein Plädoyer für eine nachhaltige Nutzung findet sich allerdings auf den S. 257 f. 88  Ebd., S. 182, 251 f. 89  Alfred Edmund Brehm, Illustrirtes Thierleben. Eine allgemeine Kunde des Thierreichs, zweiter Band, Hildburghausen 1865 (Faksimile-Ausgabe Stuttgart 1979), S. 863. Die heutzutage in der Diskussion und den internationalen Regelungen bedeutende Unterscheidung zwischen industriellem Walfang und der Jagd durch indigene Völker (Inuit z. B.), die auch Naturschützer zu tolerieren bereit sind, findet sich bereits bei Brehm; vgl.: ebd. 90  Walfische, in: Brockhaus’ Conversations-Lexikon. Allgemeine deutsche RealEnzyklopädie, 16. Bd., 13. Aufl. Leipzig 1887, S. 406 f. 91  Walfisch, in: Meyers Konversations-Lexikon, 17. Bd., 5., gänzl. neubearb. Aufl., Leipzig / Wien 1897, S. 485 f. 92  Paul Sarasin, Über die Ausrottung der Wal- und Robbenfauna sowie der arktischen und antarktischen Tierwelt überhaupt, in: Verhandlungen des Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, 84. Versammlung zu Münster i. Westf. vom 15. bis 21. September 1912, erster Teil, Leipzig 1913, S. 117–137. Ähnlich wie Sarasin: Karl Sajó, Das Schwinden der großen Waltiere, in: Prometheus, 19 (1908), S. 812 f. 93  Vgl. ebenfalls moralisch argumentierend: Karl Ferdinand Finus, Eine deutsche Walfang-Reederei?, in. Die Umschau, 34 (1930), S. 611. Aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive: Gründung einer deutschen Walfangreederei unter Beteiligung des

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Jahre fragte auch der Enquete-Ausschuss zu den Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft einen Sachverständigen für die Ölmühlenindustrie, ob der Walfang als Quelle von Fetten überhaupt eine Zukunft habe oder ob die modernen, der Kriegstechnik vergleichbaren Fangmethoden nicht sehr bald zur Ausrottung der Tiere führen würden.94 Auffällig ist, dass in diesen Texten der Walfang nicht nur unter ökonomischen, sondern auch unter ethischen Gesichtspunkten abgelehnt wird. Der Walfang wird als eine nicht-nachhaltige Wirtschaftsform dargestellt, die sich in nächster Zukunft selbst ihre Existenzgrundlage vernichtet haben werde. Darüber hinaus galt aufgrund der Art der Jagd und der Tötung sowie aufgrund von Eigenschaften, die den Tieren zugeschrieben wurden wie besondere Intelligenz oder Mutterliebe, der Walfang als unvereinbar mit den Werten einer zivilisierten Gesellschaft. Die Argumente ähnelten somit bereits stark denjenigen, die seit den 1970ern von der zunehmend populären Anti-Walfang-Bewegung und Organisationen wie Greenpeace vorgebracht werden.95 Als in der NS-Zeit Hochseefischerei und Walfang bedingt durch die Anforderungen der deutschen Autarkiepolitik verstärkt ins Blickfeld von Staat und Öffentlichkeit gerieten, standen sich somit bereits seit langem teilweise sich widersprechende Auffassungen über die Belastbarkeit der marinen Ressourcen gegenüber. Die Vorstellung eines unerschöpflichen Meeres war keineswegs allgemein akzeptiert. Auch in der Zeit des Nationalsozialismus gab es trotz gleichgeschalteter Medien kein vollkommen einheitliches Bild. Vielmehr teilten sich die Aussagen bezüglich der Fischerei grob in zwei, sich nicht zwangsläufig ausschließende Positionen auf: Auf der einen Seite standen Äußerungen, die die Überfischung für begrenzte Seegebiete wie Nord- und Ostsee bereits als akutes Problem ansahen; auf der anderen Seite fand sich die These, dass sich die Fangerträge unbegrenzt steigern ließen. Reiches, in: Mitteilungen der Handelskammer Hamburg, 6.4.1929, S. 165–167. Der tatsächlichen technischen Entwicklung im Walfang hinsichtlich der Jagdmethoden sogar weit vorgreifend: Jack Away, Waljagd mit dem Flugzeug, in: Berliner Illustrierte Zeitung, Nr. 19, 1930, S. 851 f. 94  Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), Die deutsche Ölmühlenindustrie, (Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für allgemeine Wirtschaftsstruktur; 7), Berlin 1930, S. 494. Der Sachverständige (kein Biologe sondern ein Industrievertreter) antwortete jedoch vorsichtig optimistisch. 95  Karen Oslund, Protecting Fat Mammals or Carnivorous Humans? Towards an Environmental History of Whales, in: Historical Social Research, 29 (2004), 3 (Special Issue: The Frontiers of Environmental History), S. 63–81, hier S. 74–79; Richard Ellis, Mensch und Wal. Geschichte eines ungleichen Kampfes, München 1993, S.  381 ff.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände79

Für die Zeitgenossen ganz außer Zweifel stand der Rückgang bzw. das fast völlige Verschwinden der meisten anadromen Fische, also der Arten wie Stör, Lachs und Alse (Maifisch), die zum Laichen aus dem Meer in die Flüsse hinaufziehen.96 Besonders das Schicksal des bis zu vier Meter langen Störs, von dem die Fischer 1890 in der Elbe noch rund 2.800 Stück fingen, bevor der Fang bis zum Ersten Weltkrieg auf wenige Exemplare pro Jahr zusammengebrochen war, hatte man in den 1930ern noch vor Augen. Zu dieser Zeit war der Fisch bereits so selten, dass der Fang eines größeren Exemplars in den Tageszeitungen gemeldet wurde.97 Für die Fischerei auf diese Tiere, die in den eng begrenzten Flussmündungen betrieben wurde, war die Möglichkeit, ganze Bestände annähernd auszurotten, also unstrittig. Für die Fischerei in Nord- und Ostsee, also den seit langem stark befischten, vergleichsweise kleinen Randmeeren des Atlantiks, galt ähnliches. W. Bretthofer, der sich auf praktische Erfahrung als Kapitän berufen konnte, erklärte 1936 in der Zeitschrift „Hansa“, weshalb in der Nordsee überhaupt noch eine nennenswerte Fischerei existieren konnte: „Es gibt z. B. heute noch Stimmen, die allen Ernstes behaupten, dass eine wesentliche Abnahme der Fischbestände in der Nordsee überhaupt nicht zu verzeichnen sei. Man stützt sich hierbei auf die Anlandungsstatistiken oder die 96  Zu Lachs und Alse (oder Maifisch): J. R. Frey, Der Rückgang der Lachsfischerei am Oberrhein, in: Die Umschau, 37 (1933), 1, S. 33 f.; Janssen, Segen des Meeres, S. 117; Ernst Ehrenbaum, Naturgeschichte und wirtschaftliche Bedeutung der Seefische Nordeuropas (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. II), Stuttgart 1936, S. 27; Werner Schnakenbeck, Die Nordseefischerei (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. V, H. 1), Stuttgart 1928, S. 53, 81. Schnakenbeck erwähnt, ebenso wie Frey, aber mit deutlichem Vorbehalt „die schon stereotyp gewordene Geschichte“ von den Dienstboten, die einst verlangt hätten, nicht mehr als zweimal wöchentlich Lachs essen zu müssen (S. 53). Zu der Legende über Lachse und Dienstboten s. a.: Bernd Herrmann, „Auf keinen Fall mehr als dreimal wöchentlich Krebse, Lachs oder Hasenbraten essen müssen!“ Einige vernachlässigte Probleme der historischen Biodiversität, in: Hans-Peter Baum / Rainer Leng / Joachim Schneider (Hrsg.), Wirtschaft – Gesellschaft – Mentalitäten im Mittelalter. FS zum 75. Geburtstag von Rolf Sprandel, Stuttgart 2006, S. 179–207; Götz Kuhn, Die Fischerei am Oberrhein. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtiger Stand (Hohenheimer Arbeiten; 83), Stuttgart 1976, S. 24. Die Geschichte findet sich allerdings in der Tagespresse noch 2009, vgl.: Titus Arnu, Alles im Fluss. Nach mehr als 100 Jahren schwimmen wieder Lachse in der einst stark verschmutzten Ruhr, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 203, 4.9.2009, S. 9. 97  Max Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, 3. neu bearb. Aufl., Hamburg 1943, S. 3, 15; Janssen, Segen des Meeres, S. 114; W. Bretthofer, Störfang und Störvorkommen, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 7.11.1937, S. 710; ders., Störfang und Störvorkommen in der Deutschen Bucht und an der Nordseeküste, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 5.9.1937, S. 517 f.; Ehrenbaum, Naturgeschichte und wirtschaftliche Bedeutung, S. 4 f., 46; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 16, 46 f., 81.

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C. Das Versprechen des Meeres

mengenmäßige Produktion der einzelnen an der Nordseefischerei beteiligten Länder. Dabei lässt man aber die fangtechnische Entwicklung völlig aus dem Auge und kommt eben dadurch zu einer ganz falschen Auffassung über die tatsächlichen Verhältnisse. […] Wenn Fischdampfer und Hochseekutter heute noch mit den gleichen Mitteln und dem gleichen Antrieb wie vor 15 Jahren fischen würden, dann würden wir ungefähr ein richtiges Bild von der tatsächlichen Lage bekommen.“98 Aber auch für Schiffe mit den modernsten Fangeinrichtungen galt die südliche Nordsee mit den früher bedeutsamen Schellfischgründen vor den Nord- und Ostfriesischen Inseln bereits als leer gefischt.99 Dass die Fischerei für den Rückgang des Fischreichtums verantwortlich war, las Bretthofer auch daran ab, wie sich die Bestände während des Ersten Weltkrieges erholt hätten, als die Fischerei für vier Jahre kriegsbedingt stark reduziert worden war.100 Die Schuld für die fortlaufende Übernutzung der Fischbestände der Nordsee sahen einige Autoren insbesondere bei den niederländischen, belgischen, englischen und französischen Fischern, die mit engmaschigen Netzen auch die Jungfische fingen, während ihre deutschen und dänischen Kollegen schonender vorgehen würden.101 Das Eingeständnis, dass sich die Fischerei in der Nordsee bereits ihre eigene Grundlage entzogen hatte, hatte jedoch nicht unbedingt zur Folge, dass man das zukünftige Potential der Fischerei düster eingeschätzt hätte. Der Ministerialrat Eberhard Eichelbaum erwähnte in einer Rede ausdrücklich die Situation in der Deutschen Bucht und der Ostsee, erklärte jedoch weiter: „Mit einer Abnahme der Erzeugung durch Eintreten von Ueberfischung braucht bei der Dampfhochseefischerei kaum gerechnet zu werden, da nötigenfalls immer wieder neue ertragreiche Gründe aufgesucht werden können.“102 Damit hatte Eichelbaum das Entwicklungsprinzip der Hochseefischerei, das sie binnen weniger Jahrzehnte ihrer Geschichte aus der Deutschen Bucht bis Island und Nordnorwegen geführt hatte, treffend erfasst. Er 98  W. Bretthofer, Schonung der Fischbestände in der Nordsee, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, September 1936, S. 1916. 99  Ebd.; Janssen, Segen des Meeres, S. 191. 100  Bretthofer, Schonung der Fischbestände, S. 1916; ders., Bessert sich die Bankfischerei in der südlichen Nordsee?, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 16.1.1938, S. 35. 101  B., Ein Meer verliert seinen Fischreichtum, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 285a, 13.10.1936, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2; Bretthofer, Schonung der Fischbestände, S. 1916; U. Schmidt, Unerträgliche Vernichtung von Jungfischen in der deutschen Bucht, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 21.3.1937, S. 171–173; Die Schollenfischerei in der Nordsee bedroht! Eine warnende Stimme aus Dänemark, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 16.1.1938, S. 33–34. 102  Eichelbaum, Ueber die ernährungspolitische Aufgabe, S. 517.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände81

ging ebenso wie andere davon aus, dass die Suche nach immer neuen, noch produktiven Fanggründen sich beliebig fortsetzen lasse.103 Dagegen erklärte 1937 Bretthofer als – wie er sich selbst nannte – „alter Praktiker“, der in anderen Artikeln eindrücklich die Situation in der Nordsee beklagt hatte (s. o.), weshalb auf den wichtigsten Fangplätzen der Dampf­ hochseefischerei bei Island, Nordwestnorwegen und in der Barentssee anders als in der Nordsee niemals mit einer Überfischung zu rechnen sei, so dass die Fischerei dort weiterhin lohnend bleibe.104 Die Nordsee, so Bretthofer, sei an sich sehr produktiv, wobei sich die Fischbestände allerdings nicht aus dem Atlantik ergänzten. Da die Nordsee „auf jedem Quadratmeter befischt“ werde und „Jungfische in großen Mengen vernichtet“ würden, seien hier inzwischen „Fischdampfer gegenüber früher genauso dünn geworden […] wie die Fische“.105 Die Fischerei bei Island, Nordwestnorwegen und in der Barentssee finde hingegen nur auf eng umgrenzten Fanggründen statt, während die umgebenen gewaltigen Meeresgebieten, „in denen die Nordsee völlig verschwinden würde“, aufgrund des felsigen Meeresbodens nicht mit Grundschleppnetzen befischt werde.106 Dort könne sich die Fischbrut ungestört entwickeln, während auf den Fanggründen nur Alttiere gefangen würden. Somit schöpften die Fanggründe im Nordatlantik ihren „märchenhaften Fischreichtum aus einem unbefischbaren riesenhaften Reservoir“.107 Bretthofer erachtete somit die in der Nordsee gemachten negativen Erfahrungen für in keiner Weise auf die Fanggründe im Nordatlantik übertragbar. Der vorgesehenen Steigerung der deutschen Fischerei stünden ihm zufolge zumindest keine ökologischen Schranken im Weg: „Wir können also ganz beruhigt sein und getrost noch unsere Fischdampferflotte verdoppeln, wenn denn nur der Absatz damit Schritt hält.“108 Schließlich gab es eine Reihe von Äußerungen, die ohne Differenzierungen hinsichtlich der Fanggebiete die These vertraten, die deutsche Fischerei ließe sich unbegrenzt steigern. So konnte man in der „Deutschen FischereiRundschau“ lesen, die „deutsche Seefischproduktion läßt sich bei der Ergie103  Vgl.: Janssen, Segen des Meeres, S. 191; Fischfilet von Afrikas Küste nach Hamburg, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 182, 7.7.1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. Dagegen skeptisch, „[o]b noch eine wesentliche Vermehrung der Fangplätze möglich ist“: Seefischmarkt A.G., Das Hochseefischereigewerbe 1937, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 12.1.1938, S. 1–6, hier S. 2. 104  W. Bretthofer, Der Fischreichtum der nördlichen Fanggründe sichert größte Anlandungen, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 18.4.1937, S. 222. 105  Ebd. 106  Ebd. 107  Ebd. 108  Ebd.

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C. Das Versprechen des Meeres

bigkeit der Fangfelder heute beliebig steigern“ oder die deutsche Produktion an Fischen und Fischwaren sei „beliebig steigerungsfähig“.109 Dieses Versprechen findet sich insbesondere in Texten, die sich an Leser außerhalb der Fischereiwirtschaft wendeten. Der Ernährungsexperte Wilhelm Ziegelmayer schrieb in seinem mehrfach aufgelegten Standardwerk „Rohstoff-Fragen der deutschen Volksernährung“, dass das Meer „unerschöpfliche Quellen“ böte und dass mit dem Seefisch „ein hochwertiges Nahrungsmittel zur Verfügung [steht], dessen Gewinnung nahezu unbegrenzt betrieben werden kann, ohne dass hierfür Devisen ins Ausland fließen müssen.“110 Die „Zeitschrift für Volksernährung“ verwies auf die enorme Fruchtbarkeit von Hering und Kabeljau, weshalb es zu keinem Raubbau kommen könne.111 Peter Paul Hiltner – als Erfinder und Hersteller eines Fischeiweißkonzentrats an dieser Frage direkt materiell interessiert – sah sich veranlasst „Befürchtungen zu zerstreuen, welche mit Rücksicht auf einen etwaigen Raubbau an den Meeresbewohnern des öfteren geäußert werden. Handelt es sich um die Besorgnisse von Meeresbiologen, so möge diesen entgegengehalten werden, dass ihre Erkenntnisse des letzten schlüssigen Beweises entbehren. Es geht ihnen wie den Astrologen: dort, wo die Beobachtungsmittel versagen, tritt an deren Stelle die mehr oder weniger sichere Hypothese. Handelt es sich hingegen um die Unkenrufe anderer fischereitreibender Nationen, so gilt das Wort des in der deutschen Ernährungswirtschaft bekannten Ministerialdirektors Dr. Moritz: ‚Wenn andere Völker im Meere Raubbau betreiben, wollen wir am Raube zumindest mitbeteiligt sein!‘ “112 Allerdings hielt Hiltner die Gefahr eines Raubbaus gar nicht für gegeben und verwies ebenfalls auf die großen, bis heute noch unbefischten Weiten des Meeres, die ungeheure Fruchtbarkeit des Kabeljaus und darauf, dass der Anteil der vom Menschen gefangenen Fische „mikroskopisch klein“ sei verglichen mit dem, was die Natur selbst vernichte.113 Während diese Texte eher Teil eines Expertendiskurses über Fragen der Volksernährung waren, richteten sich die in verschiedenen Publikationen abgedruckten „15 Punkte, die für den Seefischgenuß sprechen“ an ein breites Publikum, und auch hier wurde „die Steigerung der deutschen Produktion an Seefischen, die beinahe beliebig ausgedehnt werden kann“ als Weg 109  Aufklärung und Werbung – die vordringlichsten Gebiete der deutschen Seefischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.7.1939, S. 361; Dierks, Die deutsche Hochseefischerei im Jahre 1935, S. 5. Beide Texte sehen dagegen das ­eigentliche Problem beim unzureichenden Fischabsatz. 110  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 100, 104. 111  Hoffmann, Einzige Kolonie, S. 93–95. 112  Hiltner, Das Meer als Rohstoffgebiet, S. 7. 113  Ebd., S.  6 f.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände83

zur Selbstversorgung Deutschlands angepriesen.114 Auch die „Düsseldorfer Nachrichten“ schrieben 1939 unter Berufung auf das Institut für Konjunkturforschung, dass die Fischwirtschaft unter den „Möglichkeiten zur Schließung der Eiweißlücke“ eine Sonderstellung einnehme, da ihre Produktion fast beliebig gesteigert werden könne.115 Eine 1938 im „Blut und Boden Verlag“ erschienene stark bearbeitete und ergänzte Ausgabe von „Brehms Tierleben“ unterschlug Brehms Warnungen vor einer Überfischung (s. o.) und griff nur die Aufforderung zum Ausbau der deutschen Fischerei auf. Damit hatte der Autor der Auflage von 1938 einen Aufhänger, um auf die aktuellen deutschen Bestrebungen zu verweisen, den „Acker Meer“ intensiver zu nutzen und den Fischverbrauch zu steigern, da die Fischerei Nahrung schaffe, ohne dass Boden und Futtermittel beansprucht werden müssten.116 Hinsichtlich der Walbestände und der Zukunftsfähigkeit des Walfangs waren auch in der NS-Zeit wie schon seit dem 19. Jahrhundert Skepsis und Pessimismus viel weiter verbreitet als in Bezug auf die Hochseefischerei, wenn auch die früher häufigen, eindeutig den Walfang verurteilenden Aussagen sehr selten waren, seitdem der Einstieg in den Walfang staatliche Politik geworden war. Beinahe alle Publikationen über den Walfang in der NS-Zeit nehmen zum Problem der Nachhaltigkeit des Walfangs oder der Belastbarkeit der Bestände Stellung. Zu der sich „aufdrängenden Frage nach der Ausrottung der Wale, die heute so viele Gemüter bewegt“,117 so eine Veröffentlichung des Reichsgesundheitsamtes, mussten sich die Autoren äußern. Es handelte sich um eine Frage, die aufgrund der Berichterstattung der vorangegangenen Jahrzehnte offenbar jeder Leser an einen solchen Text stellte. Die Leserschaft besaß eine gewisse Vorbildung in dieser Hinsicht, auf die die Autoren eingehen mussten. 114  15 Punkte, die für den Seefischgenuß sprechen, in: Köhlers illustrierter Flotten-Kalender, 37 (1939), S. 176–179, hier S. 176. Der Text findet sich auch einer Dissertation von 1939, die als Quelle eine Beilage der „Frankfurter Zeitung“ von 1937 angibt; Herbert Ilchmann, Die Wiedererringung der deutschen Nahrungsfreiheit im Vollzug des Vierjahresplanes, Diss. Berlin 1939, S. 117 f. 115  Preiswürdiger Fischverzehr, in: Düsseldorfer Nachrichten, Nr. 213, 28.4.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346. 116  Hans Bodenstedt, Alfred Edmund Brehms Tierleben für das Bauernhaus, ­Goslar 1938, S. 139 f. 117  Ludorff, Wal, S. 43. Für ähnliche Äußerungen vgl.: Heinrich Göhring, Walfang einst und jetzt, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, 16. Mai 1936, S.  1018 f.; Carl Christiansen, Rohstoffquelle Walfang, in: Der Vierjahresplan, 3 (1939), S. 128–131, hier S. 130; Nico Larsen, Walfang und Walfänger, Leipzig 1940, S. 24.

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C. Das Versprechen des Meeres

Eine Möglichkeit, auf die Frage nach der Belastbarkeit der Walbestände einzugehen, bestand darin, die Frage vorerst offen zu lassen: Carl Heinrich Hudtwalcker verwies in der Zeitschrift „Fette und Seifen“ 1938 darauf, dass es Anzeichen für eine übermäßige Bejagung der Wale gäbe ebenso wie Argumente, die dagegen sprächen. Ein abschließendes Urteil sei somit zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich.118 Eine optimistische Antwort auf diese Frage konnte verschiedene Formen annehmen. Edmund Winterhoff und Carl Kircheiß – beide für Walfangunternehmen tätig – vertraten in zwei Artikeln den eher vorsichtigen Standpunkt, dass eine Dezimierung der Bestände wohl möglich sei, nicht aber eine Ausrottung, da der Walfang lange vorher unwirtschaftlich werde.119 Verglichen damit deutlich optimistischer war der Verweis auf die „unvorstellbare Weite der südlichen Jagdgebiete“, „das unendlich große Südliche Eismeer“ oder „die unendlichen Weiten der Meere der südlichen Erdhalbkugel“, wo viele Gebiete „noch jungfräulich“ seien.120 Das Meer, so diese Argumentation, sei so groß, dass jeder menschliche Eingriff sich wirkungslos in der Weite verliere und man sich daher keine Sorgen machen brauche. Kircheiß und andere direkt am deutschen Walfang beteiligte Autoren warfen zudem den norwegischen Walfangunternehmen vor, seit langem Berichte über die drohende Ausrottung der Wale mit der Absicht zu lancieren, Deutschland aus dem Geschäft fernzuhalten und sinkende Preise zu verhindern: „Das waren alles Schreckschüsse des Auslands, die ihre besten Kunden, nämlich Deutschland, bange machen wollten, dass er um Gottes willen nicht auf die Idee käme, selbst Walfang zu treiben.“121 Schließlich finden sich auch in Bezug auf den Walfang Texte, in denen die Behauptung aufgestellt wurde, „der Reichtum des Meeres ist schier unerschöpflich“, wie es die Mitarbeiterzeitung der im Walfang engagierten Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufsunion ausdrückte,122 oder die „Jagdgründe in der Antarktis sind auf Jahrzehnte hinaus unerschöpflich“, 118  Carl Heinrich Hudtwalcker, Über die Walfangstatistik und ihre Probleme, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 108–111. 119  Edmund Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, in: Die Wirtschaftskurve, 17 (1938), S. 51–63, hier S. 63; Carl Kircheiß, Der neue deutsche Walfang, in: Odal, 7 (1938), S. 380–387, hier S. 385. 120  Christiansen, Rohstoffquelle Walfang, S. 130; Kircheiß, Der neue deutsche Walfang, S. 385; Göhring, Walfang einst und jetzt, S. 1018. 121  Kircheiß, Der neue deutsche Walfang, S.  385. Ähnlich auch: Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, S. 62; BA R-2 / 18357, „Industrie und Handelskammer zu Wesermünde an die beteiligten Ministerien. Betrifft: Erste Deutsche WalfangAktiengesellschaft“, 27.2.1935, Bl. 7. 122  Ferdinand Schraud, Vom Walfischfang, in: Die Betriebsgemeinschaft, Februar 1937, S. 8 f. Schraud war der „Betriebsführer“ der Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufsunion.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände85

wie die bereits früh an einem deutschen Walfang interessierte Industrie- und Handelskammer Wesermünde versicherte.123 „Ein Mangel an Walen ist nirgends festgestellt worden“, sie seien lediglich durch die Bejagung etwa scheu geworden, erklärte der Leiter des Hamburger Walfangkontors Carl Christiansen 1938 dem „Hamburger Fremdenblatt“.124 Die große Mehrzahl der Veröffentlichungen zum Walfang in der NS-Zeit ging jedoch davon aus, dass die Möglichkeit eines Raubbaus eine sehr reelle Gefahr darstellte, der man allerdings entgegenwirken könne. Die Geschichte das Walfangs war den Zeitgenossen präsent und sie stellte sich ihnen als eine Reihe von Epochen dar, die jeweils mit der Entdeckung eines bisher ungenutzten Walvorkommens begannen, worauf der Walfang dann rasch eine Blütezeit erfuhr bis er schließlich aufgrund der Übernutzung seiner Ressource zusammenbrach.125 Selbst das von Nicolaus Peters, dem Leiter der Reichsstelle für Walforschung, 1938 herausgegebene offizielle Handbuch „Der neue deutsche Walfang“ sah diese Vergangenheit dergestalt zumindest als Warnung auch für die aktuellen Walfangunternehmungen. Daher stellte Peters dem Kapitel über die geschichtlichen Grundlagen, das ganz dem Muster des oben beschriebenen boom-and-bust-cycle folgte, die Bemerkung voran, „daß die verschiedenen geschichtlichen Abschnitte des Walfangs einen durchaus ähnlichen und beinahe gesetzmäßigen Verlauf zeigen und daher in gewissem Sinne ein Urteil über die Zukunft der gegenwärtigen Periode gestatten.“126 Eine pessimistischere Prognose ist im Rahmen eines offiziellen Handbuchs der neuen Industrie kaum vorstellbar. Eine eher düstere Aussicht skizzierte auch Otto Kraul, der als einer von wenigen Deutschen schon seit dem Ersten Weltkrieg im antarktischen Wal123  BA R-2 / 18357, „Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit. Betrifft: Gründung eines deutschen Walfangunternehmens in Wesermünde“, 4.10.1934, Bl. 2. 124  Kein Mangel an Walen im Südlichen Eismeer. Kapitän Christiansen berichtet über die Weiße Kolonie, in: Hamburger Fremdenblatt, 4.3.1938, in: StAHH Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. 125  Erik Lynge, Der Walfang. Ein Beitrag zur Weltwirtschaft der Fettstoffe (Wandlungen in der Weltwirtschaft; 7), Leipzig 1936, S. 4 f.; W. Hoß, Die Bedeutung des Walfangs für Deutschland. Ein Beitrag zur Behandlung des Vierjahresplans im Unterricht, in: Württembergische Schulwarte. Mitteilungen der Württembergischen Landesanstalt für Erziehung und Unterricht, 13 (1937), S. 605 f.; Otto Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, mit einem Geleitwort von Gauleiter und Reichsstatthalter Carl Röver, Berlin u. a. 1939, S. 14. 126  Nicolaus Peters, Kurze Geschichte des Walfangs von den ältesten Zeiten bis heute, in: ders. (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang, Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 6–23, hier S. 6.

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C. Das Versprechen des Meeres

fang Erfahrung gesammelt hatte und nach 1936 als Fangleiter einer deutschen Walfangflotte tätig war. Kraul empfahl in seiner 1939 erschienenen Autobiographie eine mehrjährige Schonzeit, anderenfalls werde es in fünf bis zehn Jahren keinen rentablen Walfang mehr geben.127 Eine dem Margarineproduzenten Walter Rau nahestehende Veröffentlichung zählte zu den Risiken, die das Unternehmen vor seinem Einstieg in den Walfang zu erwägen hatte, auch die Frage, „ob der offenkundig betriebene Raubbau an den Walbeständen der Antarktis noch den zusätzlichen Einsatz deutscher Flotten gestattete.“128 Zumindest dass die damaligen Fangzahlen „eine auf Dauer nicht tragbare Belastung der Fangfelder“ darstellten, war die Auffassung, die 1939 in „Der deutsche Volkswirt“ zu lesen war.129 Ausdrücklich einen „Raubbau“ fürchteten angesichts der Abschusszahlen der letzten Jahre die „Deutsche Handels-Rundschau“, ein Organ des Einzelhandels, und die „Braune Wirtschafts-Post“,130 während andere Veröffentlichungen mit Sorge auf den sinkenden Anteil der aufgrund ihrer Größe bevorzugt gejagten Blauwale am Gesamtfang und auf den Rückgang des durchschnittlichen Ölertrags pro Wal hinwiesen.131 Beides galt als Anzeichen für eine Übernutzung, da die Walfänger zunehmend nur noch kleinere Arten als den Blauwal und jüngere Exemplare fanden. Der Tenor der Veröffentlichungen zu diesem Thema in der NS-Zeit war dennoch nicht der, dass der Walfang, in den gleichzeitig große Hoffnungen für die deutsche Fettversorgung gesetzt wurden, ein aussichtsloses oder gar von einem moralischen Standpunkt aus abzulehnendes Unternehmen gewesen wäre, obwohl in den Jahren zuvor viele Autoren zu genau diesem Schluss gekommen waren. Vielmehr wies man nun auf die Vorschriften zum Schutz der Wale und zu deren rationeller Verwertung hin. Deutschland war Mitunterzeichner des Londoner Walfangabkommens von 1937 und hatte im gleichen Jahr die Bestimmungen des Abkommens in das Gesetz zur Regelung des Walfangs übernommen, während zugleich die deutschen Walfangflotten in der Tat neue Wege bei der vollständigen Nutzung des Walkörpers beschritten [siehe Kap. D. IV. 5. a)]. Wie der sehr am Walfang interessierte 127  Otto Kraul, Käpt’n Kraul erzählt. 20 Jahre Walfänger unter argentinischer, russischer und deutscher Flagge in der Arktis und Antarktis, Berlin 1939, S. 220 f. 128  Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 58. 129  Wilhelm Schultze, Strukturwandel des Walfangs, in: Der deutsche Volkswirt, 13 (1939), 15, S. 718–722, hier S. 722. 130  Zukunft des Walfischs in der deutschen Fettversorgung, in: Deutsche HandelsRundschau, 30 (1937), S. 863; Fr. W. Landgraeber, Walfang und Walfettgewinnung einst und jetzt, in: Braune Wirtschaftspost, 6 (1937), S. 482–484, hier S. 484. 131  Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, S. 62; Helmuth Wohlthat, Walfang und Londoner Abkommen zur Regelung des Walfangs, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 13–16, hier S. 15. Wohlthat war im Reichswirtschaftsministerium u. a. für den Walfang zuständig.



II. Die Wahrnehmung der Fisch- und Walbestände87

Oldenburger Gauleiter Carl Röver ausführte, werde „mit der restlosen Ausbeutung aller Werte des Wales dem Raubbau an den Walbeständen praktisch entgegengewirkt“.132 Dass die 1937 durch Abkommen und Gesetz festgelegten Fangregelungen und -beschränkungen einen nachhaltigen Fang garantieren und jeder Vergeudung der Ressource vorbeugen würden, wurde auch im Schulunterricht detailliert vermittelt.133 Texte, die den Walfang aus einer ethischen Position heraus kritisierten oder verurteilten, konnten dagegen im gleichgeschalteten Publikationswesen der NS-Zeit kaum erscheinen. Dem stand die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung der neuen Industrie entgegen. Dieser auffällige Umschwung in der veröffentlichten Meinung zum Thema Walfang fiel auch dem im Exil erscheinenden sozialdemokratischen Wochenblatt „Neuer Vorwärts“ auf. Daher machte die Zeitung dem in Deutschland populären schwedischen Tierfotografen und Schriftsteller Bengt Berg (1885–1967) den Vorwurf, dass er sich zwar sonst als Tierfreund und Naturschützer gebe, aber aus Anbiederung an das NS-Regime zum neuen deutschen Walfang schweige, obwohl diese Tiere vom Aussterben bedroht seien. „Denn die Ehrfurcht vorm Tier hört auf, wo der Vierjahresplan und die Devisennot anfängt,“ so der „Neue Vorwärts“ 1937.134 Die wenigen kritischen Äußerungen zum Walfang, die es dennoch gab, scheinen durch das Raster gerutscht zu sein, da sie in Zusammenhängen erschienen, die nicht mit Ernährungsfragen, Volkswirtschaft oder Fischerei in Berührung standen. So druckte die Zeitschrift „Atlantis. Länder, Völker, Reisen“ Ende 1937 den Bericht eines norwegischen Medizinstudenten ab, der eine Reise auf einem Walfangschiff seines Landes mitmachte und die Jagd in der Antarktis als ein abstoßendes und grausames Gewerbe beschrieb, welches unweigerlich zur Ausrottung der für ihn bewundernswerten Tiere führen werde.135 Ebenfalls nicht im Zusammenhang mit Fischerei oder Ernährungsfragen finden sich derartige Äußerungen zum Walfang beim Staatsrechtler und 132  Carl Röver, Deutscher Walfang, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 5–7, hier S. 6. s. a.: Walther Darré, Rede zur Eröffnung der 1. Deutschen Fischerei- und Walfang-Ausstellung „Segen des Meeres“ am 29. April in Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 3.5.1939, S. 207–210, hier S. 209 f. 133  Heinrich Schüßler, „Wal! Wal! Deutschland muß wieder einen eigenen Walfang haben!“, in: Handreichungen für einen gegenwartsbetonten Unterricht, 7 (1937), 12, S. 177–196, hier S. 181–185; der Text geht detailliert auf die Schonvorschriften, die Durchsetzung der Normen und das Anreizsystem in der Entlohnung der Walfänger ein. s. a.: Hoß, Bedeutung des Walfangs, S. 605 f. 134  Bengt und die Wale, in: Neuer Vorwärts, Nr. 238, 31.12.1937, Beilage S. 3. 135  Gunnar Melle, Auf Walfang in der Antarktis, in: Atlantis. Länder, Völker, Reisen, 11 (1937), S. 637–645.

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politischen Denker Carl Schmitt (1888–1985) in der 1942 erschienenen Schrift „Land und Meer“. In diesem eigentümlichen geschichtsphilosophischen und geopolitischen (sowie antisemitischen) Text, der letztlich auf eine Sinnstiftung für den Zweiten Weltkrieg hinauslief, stellte Schmitt die Weltgeschichte als Gegensatz von Land- und Seemächten dar. Dabei habe sich England in der Frühen Neuzeit und dem Zeitalter der Entdeckungen durch die Entscheidung für eine maritime Existenz und die Seemacht auch die Weltherrschaft gesichert. Die technische Entwicklung seit der Industrialisierung bewirke jedoch, so Schmitt, eine Umwälzung der Raumvorstellungen, indem Funkwellen und Luftfahrzeuge Land und Meer gleichermaßen überbrücken können, so dass die Verbindung von Seemacht und Weltherrschaft wegfalle. Den Zweiten Weltkrieg sah Schmitt als ein Ringen, aus dem eine neue, den gegenwärtigen Raumvorstellungen gemäße Weltordnung hervorgehen werde. Schmitts Vorstellungen stehen in einem Kontext von geopolitischen Texten, die seit der Jahrhundertwende von dem damals dominierenden Navalismus Abschied nahmen und in Kategorien kontinentaler Großräume dachten. Damit fügte sich dieses Denken auch gut in die nationalsozialistische Expansionspolitik ein.136 Schmitt widmet ein ganzes Kapitel von „Land und Meer“ dem Walfang, dessen Bedeutung er darin sieht, dass die Seefahrer der Frühen Neuzeit sich erst für den Walfang weg von der Küste und auf das freie Meer gewagt hätten. Bei der Darstellung des Walfangs stützt sich Schmitt ausdrücklich auf Jules Michelets „La Mer“ von 1861 und übernimmt auch Michelets sehr emotionalen Blick auf Wale und Walfang (s. o.). Der von Michelet beklagte Walfang seiner Zeit schien Schmitt jedoch noch harmlos verglichen mit den Methoden der „maschinellen Walschlächter“ des 20. Jahrhunderts.137 Aber auch Schmitt verweist an dieser Stelle auf das Londoner Walfangabkommen von 1937, durch das „wenigstens der noch lebende Rest vor weiterer planloser Ausrottung geschützt werden kann“.138 Bei dem Vorhaben, die Versorgungslücken in der deutschen Ernährungswirtschaft der 1930er Jahre durch die verstärkte Ausbeutung der Meere zu schließen, musste die Frage aufkommen, ob die Gewinnung der notwendigen Mengen überhaupt dauerhaft möglich sei, insbesondere da zu dieser Frage bereits seit langem unterschiedliche Ansichten bestanden. In der NSZeit war der Diskurs über die Belastbarkeit der Fisch- und Walbestände 136  Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig 1942; s. a. Dirk van Laak, Von Alfred T. Mahan zu Carl Schmitt. Das Verhältnis von Land- und Seemacht, in: Irene Diekmann / Peter Krüger / Julius H. Schoeps (Hrsg.), Geopolitik. Grenzgänge im Zeitgeist, Bd. 1.1: 1890 bis 1945, Potsdam 2000, S. 257–282. 137  Schmitt, Land und Meer, S. 21. 138  Ebd.



III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit89

sichtbar durch die volkswirtschaftliche Bedeutung, die diesem Thema nun viel stärker als zuvor zukam, geprägt, d. h. die Aussagen waren insgesamt deutlich zuversichtlicher; der Zweckoptimismus von Staat und Industrie ließ explizit düstere Prognosen kaum zu. Im Bereich der Fischerei wurde die nicht zu leugnende Überfischung nahe der deutschen Küste eingestanden, aber auf die eine oder andere Weise wurde darzulegen versucht, weshalb ähnliches für die eigentliche Hochseefischerei nicht zu befürchten sei. Im Fall des Walfangs war die Ausgangslage anders, da hier bereits seit dem 19. Jahrhundert die öffentliche Wahrnehmung von Kritik und Ablehnung geprägt war. Die Autoren, die sich in der NS-Zeit zum Walfang äußerten und die sehr häufig entsprechenden Unternehmen zuzuordnen sind, konnten dieses Vorwissen der Leserschaft nicht ignorieren, sondern sie bemühten sich in der Regel darzustellen, weshalb die aktuelle Nutzung dieser Ressource durch Deutschland dennoch nachhaltig, also auf längere Sicht aussichtsreich, und verantwortbar sei.

III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit „In der deutschen Volkswirtschaft nimmt der Zweig Fischwirtschaft heute eine Stellung ein, an die noch vor ein paar Jahren niemand gedacht hat“, stellte eine Broschüre zu der 1939 in Hamburg gezeigten „1. Deutschen Fischerei- und Walfangausstellung“ fest.139 Die besonderen Erwartungen, die sich bedingt durch die Anforderungen der deutschen Autarkiepolitik an das Meer als Nahrungs- und Rohstoffquelle richteten, schlugen sich auch in einer neuartigen öffentlichen Präsenz von Fischerei und Walfang nieder. Die Fischwirtschaft gewann im Rahmen der Autarkiepolitik neben neuen Absatzmöglichkeiten auch eine öffentliche Anerkennung, die sie bis dahin entbehrt hatte. Ausstellungen, Feiern, Kampagnen und Publikationen brachten die Nutzung des Meeres in einem bisher nicht gesehenen Maße ins Bewusstsein der Bevölkerung. Allerdings gab es hier auch auffällige Grenzen: So fanden die Feiern und Ausstellungen nur an der Küste statt, wo die Bevölkerung bereits in gewissem Maße mit der Materie vertraut war, und nicht tiefer im Binnenland. Des Weiteren weist die Liste der NS-Größen, die in diesem Kontext auftraten, eine prominente Leerstelle auf: Einerseits unterstützten Hermann Göring, R. Walther Darré, Herbert Backe und die Gauleiter Otto Telschow (Ost139  „Segen des Meeres“ 1. Deutsche Fischerei- und Walfang-Ausstellung. Hamburg 1939 vom 28. April bis zum 29. Mai, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staat­ liche Pressestelle, Sign. 7346.

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Hannover) und Carl Röver (Weser-Ems) Fischerei und Walfang, indem sie entsprechende Veranstaltungen mit ihrer Anwesenheit aufwerteten, Schirmherrschaften übernahmen sowie Gruß- oder Vorworte beisteuerten. Von großer Bedeutung war hier Göring, der in den Quellen fast stets mit dem Titel „Ministerpräsident“ ohne die einschränkende Konkretisierung „Preußischer“ betitelt wurde, und der Ende der 1930er Jahre als zweiter Mann im Staat gelten konnte. Andererseits fehlte die Person Hitlers in diesem Zusammenhang in auffälliger Weise. Man kann sicher davon ausgehen, dass die Fischwirtschaft oder die Walfangreedereien jede Gelegenheit ergriffen hätten, ihren Anliegen mit einem passenden „Führerzitat“ oder der Anwesenheit Hitlers bei einer Feierlichkeit die höchsten damals erreichbaren Weihen zu verleihen. Der in Österreich geborene Diktator scheint aber keine Notiz von den Bemühungen an der Küste genommen zu haben. Carl Kircheiß gelang es im Vorfeld des Baus der deutschen Walfangflotten, einen von ihm gedrehten Werbefilm für den Walfang Hitler vorführen zu dürfen, offenbar jedoch ohne das Interesse Hitlers für diese Thematik erregen zu können.140 Hitler besuchte dagegen jährlich den Reichsbauerntag. Die Landwirtschaft bildete gemessen an Produktion und Beschäftigten einen viel größeren Wirtschaftszweig, sie besaß einen hohen Stellenwert in der NS-Ideologie und konnte auf eine lange Erfahrung der Verbandsarbeit und Interessenvertretung aufbauen. Die Hochseefischerei dagegen reichte nie an den Einfluss und das Prestige der Landwirtschaft heran. Dennoch gelang es ihr im Kontext von Autarkiewirtschaft und Vierjahresplan eine bisher nicht gekannte öffentliche Präsenz zu gewinnen. Den stärksten Ausdruck fand die neue Bedeutung des Meeres in drei Großveranstaltungen, die zwischen 1936 und 1939 in Wesermünde und Hamburg stattfanden. Alle drei nahmen Bezug zur Autarkiepolitik, besaßen werbenden Charakter für die Erzeugnisse der Fischerei und versicherten der Branche die Anerkennung durch höchste politische Stellen. Den Anfang machte 1936 Wesermünde, wo man vom 23. bis 26.10. 50 Jahre deutsche Hochseefischerei und 40 Jahre Fischereihafen Wesermünde feierte. Genau genommen jährte sich das erste Ereignis, auf das man sich hier bezog, nämlich die Indienststellung des ersten deutschen Fischdampfers im Jahr 1885, 1936 allerdings bereits zum 51. Mal. Die Verzögerung erwies sich aber als günstig, da die Feier nun direkt auf die Verkündung des Vierjahresplanes auf dem Reichsparteitag (8.–14.9.1936) und die Ernennung Görings zum Beauftragten für den Vierjahresplan (Verordnung vom 18.10.1936) folgte. Göring sprach somit in Wesermünde noch vor seiner 140  Kircheiß bekam diese Gelegenheit durch die Fürsprache des Gauleiters Carl Röver. Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 80; Bohmert, Walfang, S. 99.



III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit91

Sportpalast-Rede vom 28.10. zum ersten Mal öffentlich in seiner neuen Funktion.141 Göring, der auch die Schirmherrschaft übernommen hatte und bei dieser Gelegenheit die Ehrenbürgerschaft Wesermündes verliehen bekam, konnte jedoch erst am Sonntag, dem 25.10. an die Unterweser reisen, so dass auf der Hauptfeier am Sonnabend Staatssekretär Herbert Backe, der eigentliche starke Mann im Reichsernährungsministerium, in Vertretung von Darré als hochrangigster Redner auftrat. Auf dieser Feier, die der niederdeutsche Dichter Rudolf Kinau, der Bruder von Gorch Fock (eigentlich Johann Wilhelm Kinau), als Hochseefischer gekleidet mit einem längeren Gedicht einleitete, sprachen neben Backe Robert Ahlf, der Direktor der NordseeReederei und Vorsitzender des Verbandes der deutschen Hochseefischereien, ein Admiral, Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums, des Reichsnährstandes und der Deutschen Arbeitsfront sowie der Gauleiter von Ost-Hannover, Otto Telschow.142 Die Feier besaß auch eine regionalpolitische Bedeutung, da der Wesermünder Oberbürgermeister Walter Delius, der seit langem ein Verfechter der Neuordnung des Unterweserraumes gewesen war, Göring während dessen Besuch überzeugen konnte, der Eingliederung Bremerhavens in das preußische Wesermünde gegen den Widerstand der Stadt Bremen und des Reichstatthalters von Oldenburg und Bremen Carl Röver zuzustimmen. Dabei argumentierte Delius Göring gegenüber mit dem notwendigen Ausbau der Fischwirtschaft, der durch die Aufteilung des Gebietes auf zwei Gemeinden und Bundesstaaten erschwert würde.143 Zu den Höhepunkten der Feierlichkeiten in Wesermünde gehörten die Einweihung bzw. die Grundsteinlegung zweier Monumente: Das BusseEhrenmal sollte an Friedrich Busse, der 1885 mit der Sagitta den ersten deutschen Fischdampfer bauen ließ, erinnern; das Hochseefischer-Ehrenmal dagegen an alle auf See ums Leben gekommenen Fischer. Beide Denkmäler brachten ein neues Selbstbewusstsein der Hochseefischerei zum Ausdruck. 141  Vgl.: Die Festtage sind weit über den Rahmen einer Jubiläumsveranstaltung hinausgewachsen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 501–504, hier S. 501. 142  Zum Ablauf des Jubiläums s.: Die endgültige Festfolge der Jubiläumsfeiern, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 14.10.1936, S. 478; Die Jubiläumshauptfeier, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 505–508; Endgültige Festfolge für das Hochseefischerei-Jubiläum, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 18.10.1936, S. 670. 143  Buchard Scheper, Die jüngere Geschichte der Stadt Bremerhaven, Bremerhaven 1977, S. 312–316. Am 1.11.1939 trat schließlich die „Vierte Verordnung über den Neuaufbau des Reiches“ in Kraft, die Bremerhaven in Wesermünde eingliederte. Bremen behielt jedoch die Hoheit über den Überseehafen in Bremerhaven. Zudem kam eine Reihe von preußischen Gemeinden zu Bremen.

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Fritz Höger (1877–1949), der Architekt beider Denkmäler, war durch Werke des Backstein-Expressionismus, insbesondere das Chilehaus in Hamburg und das Anzeigerhochhaus in Hannover, in den 1920er Jahren zu Ansehen gelangt, worauf die Berichterstattung über die Wesermünder Feier mit Stolz hinwies.144 Andererseits hatte Högers Laufbahn trotz Anpassungswillen an und / oder ideologischer Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus in den 1930ern ihren Zenit klar überschritten. Er erhielt keine bedeutenden Staatsaufträge, auch da er nicht dem von der Parteispitze favorisierten Neoklassizismus folgte. Wesermünde hatte somit für die beiden Fischerei-Denkmäler mit Höger einen vor allem in Norddeutschland bekannten Architekten gewinnen können, der gleichwohl nicht zu den zu dieser Zeit am höchsten gehandelten Namen gehörte.145 Das bei den Feierlichkeiten am 24.10.1936 eingeweihte Busse-Ehrenmal befindet sich (bis heute) am Geestekai (Ecke An der Geeste / Ludwigstraße) und damit in etwa an der Stelle, von der aus 1885 Busses Sagitta ihre Jungfernfahrt begann.146 Das Denkmal, mit dem, wie der Oberbürgermeister Walter Delius erklärte, „in unser wenig ansprechendes graues Stadtbild ein glänzendes Schaustück eingefügt“ wurde,147 bildet eine in Klinker ausgeführte geschwungenen Rampe, die vom Kai zur Geestebrücke heraufführt, die Wesermünde und Bremerhaven verbindet. Die Mauerfläche zeigt ein Relief, das Fischer beim Einholen eines Netzes darstellt, verschiedene Fischmotive, sowie den Schriftzug: „Zäher Fleiss ringt es der Erde ab – gigantischer Mut dem Meere – unserm Volk gegen Hunger zur Wehre.“ Mit diesem Satz stellt das Denkmal die Fischerei selbstbewusst neben die gerade in der NS-Zeit im Zeichen von „Blut und Boden“ hochgeschätzte Landwirtschaft. Beide seien vereint in der existenziellen Aufgabe, den Hunger des eigenen Volkes zu bekämpfen. Hierbei stellt der Schriftzug sogar dem „Fleiss“ der Bauern den „Mut“ der Hochseefischer gegenüber. Das gleiche Bestreben, die Fischerei mit der Landwirtschaft gleichzusetzen, findet sich in dem Geleitwort des Gauleiters von Ost-Hannover Otto Telschow zu dem Wesermünder Jubiläum: „Der Fischer ist der Bauer des Wassers. So, wie der der Bauer in Niedersachsen dem Boden menschliche Nahrung abringt, so der Fischer dem Wasser.“148 144  Th. A. Schröter, Das Busse-Ehrenmal in Wesermünde, in: Deutsche FischereiRundschau, 12.8.1936, S. 383, 402. 145  Piergiacomo Bucciarelli, Fritz Höger. Der norddeutsche Backstein-Architekt (Schriftenreihe der Nordwestdeutschen Universitätsgesellschaft; 63), Wilhelmshaven 1994, S. 22–24; ders., Fritz Höger. Hanseatischer Baumeister. 1877–1949, Berlin 1992, S. 44–47. 146  Zum Busse-Ehrenmal s.: Schröter, Das Busse-Ehrenmal, S. 383, 402. 147  Die Jubiläumsfeier der deutschen Hochseefischerei, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Oktober 1936, S. 2160–2162, hier S. 2160.



III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit93

Högers Plan für das Hochseefischer-Ehrenmal kam dagegen anders als das Denkmal für Busse nicht wesentlich über die Grundsteinlegung durch Göring, Direktor Ahlf von der Reederei Nordsee und dem Architekten selbst am Sonntag, dem 25.10.1936 hinaus.149 An exponierter Lage auf der Mole an der Mündung der Geeste in die Unterweser sah der Entwurf einen „Andachtsraum“ mit „Vorhalle“ und „Ehrenhof“ vor, in dem ein Buch mit den Namen der 2.300 Toten der Hochseefischerei ausliegen sollte.150 Als prägender Teil des Denkmals war ein 43 m hoher Turm mit Aussichtsplattform und Glocke geplant, der einen weiten Blick über den Fischereihafen und die Wesermündung gestattet hätte, während die einlaufenden Fischdampfer ihn schon von weitem hätten sehen können.151 Eine Seite des Turmes war in dem Entwurf senkrecht gestaltet, die übrigen verjüngten sich leicht nach oben hin, so dass der Entwurf einen Betrachter an den Steven eines Wikingerschiffes erinnerte.152 Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung sowie der Einspruch der Luftwaffe, die in der Nähe einen Fliegerhorst betrieb, verhinderten nach der pompösen Grundsteinlegung schließlich jedoch den Bau des Ehrenmals.153 148

Die Konzeption des Hochseefischer-Ehrenmals setzte implizit die bei Stürmen, Unfällen und Schiffbrüchen ums Leben gekommenen Fischer den im Krieg gefallenen Soldaten gleich. Mit dem steil aufragenden Backsteinturm am Meeresufer und der Gedenkhalle lehnt sich der Entwurf an das ab 1927 gebaute Marine-Ehrenmal in Laboe bei Kiel an, das an die Gefallenen der Marine im Ersten Weltkrieg erinnert. August Dierks schrieb in einer Pressemitteilung von den 2.300 Seeleuten, „die in den verflossenen fünf Jahrzehnten im Kampf um die Ernährung des deutschen Volkes ihr Leben 148  Geleitworte zum Jubiläum, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 14.10.1936, S. 477; s. a.: Der Fischer ist der Bauer des Wassers, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 18.10.1936, S. 673. 149  Der große Sonntag, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 509–516, hier S. 510. 150  Zu Entwurf und Konzeption des Denkmals: Th. A. Schröter, Das Hochseefischer-Ehrenmal in Wesermünde, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 2.9.1936, S. 407 f. (hier Zitate); ders., Das Hochseefischer-Ehrenmal in Wesermünde, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, September 1936, S. 1788 f.; Den gebliebenen Kameraden!, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 25.10.1936, S. 684. Eine Abbildung des Entwurfs findet sich auch bei: Carl J. H. Westphal (Hrsg.), Fritz Höger. Der niederdeutsche Backstein-Baumeister, Wolfshagen-Scharbeutz 1938, S. 72. 151  Der Plan ist gleichwohl keinesfalls gigantomanisch; der alte Leuchtturm in Bremerhaven besitzt eine Höhe von etwa 40 m und der höchste Kirchturm der Stadt misst 86 m, so dass das Hochseefischer-Ehrenmal nicht die örtlichen Verhältnisse gesprengt hätte. 152  Schröter, Das Hochseefischer-Ehrenmal, (2.9.1936), S. 408. 153  Scheper, Bremerhaven, S. 298.

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hingaben“,154 und bei der Grundsteinlegung in Wesermünde spielte die Kapelle das bei keiner militärischen Trauerfeier fehlende „Ich hatt’ einen Kameraden“.155 Die in Friedenszeiten zu Tode gekommenen Fischer hätten, so die Aussage, indem sie dem Meer Nahrung abrangen, in gleichem Maße ihr Leben für das Vaterland gegeben wie die Soldaten des Weltkrieges. Während die Hochseefischer bislang eher als zweitklassige Seeleute gegolten hatten, versuchten die beiden Wesermünder Denkmäler sie gleichberechtigt neben die gerade im Nationalsozialismus prestigereichen Stände Landwirtschaft und Militär zu stellen.156 Die Feierlichkeiten in Wesermünde waren Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Fischwirtschaft und stellten den Versuch dar, kurzfristig durch den Festakt in der Gegenwart wichtiger Politiker und langfristig durch die beiden Denkmäler das Ansehen der Hochseefischerei aufzuwerten. Dem Beispiel des preußischen Wesermünde folgte fast genau ein Jahr später Hamburg, wo vom 15. bis 18.10.1937 das 50jährige Jubiläum der Fischmärkte Hamburg und Altona gefeiert wurde. Die Feier besaß auch hier einen regionalpolitischen Aspekt, da erst im April 1937 das ehemals preußische Altona mit seinem bedeutenden Fischereihafen durch das GroßHamburg-Gesetz zur Hansestadt gekommen war, während Preußen die hamburgische Exklave Cuxhaven, den nach Wesermünde größten Fischereihafen Deutschlands, hinzugewann.157 Beim Jubiläum der Fischmärkte Hamburg und Altona, das von diversen Konzerten, Folklore, Besuchen von Schiffen der deutschen Marine und ausländischen Fischereischutzbooten sowie der Einweihung einer neuen Auktionshalle begleitet wurde, trat als hochrangigster Redner neben Hamburgs Reichsstatthalter Kaufmann der Reichsernährungsminister Darré auf.158 Die größte Veranstaltung dieser Art war jedoch die Ausstellung „ ‚Segen des Meeres‘. 1. Deutsche Fischerei- und Walfangausstellung“, die vom 28.4. 154  August Dierks, 50 Jahre Deutsche Hochseefischerei, in Deutsche FischereiRundschau, 22.7.1936, S. 333 f. Dieser Text wurde deutschlandweit Zeitschriften und Zeitungen zur Verfügung gestellt. 155  Der große Sonntag, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 4.11.1936, S. 509–516, hier S. 510. 156  Vgl.: Ingo Heidbrink, Creating a Demand: The Marketing Activities of the German Fishing Industry, c. 1880–1990, in: David J. Starkey / James E. Candow (Hrsg.), The North Atlantic Fisheries: Supply, Marketing and Consumption, 1560– 1990 (Studia Atlantica; 8), Hull 2006, S. 136–152, hier S. 142. 157  Hierauf ging Reichsstatthalter Kaufmann in seiner Rede ein: Großer Ausbau der Fischwirtschaft ist geplant, in: Hamburger Fremdenblatt, 18.10.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7343. 158  Zum Ablauf des Jubiläums s.: Festfolge, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.10.1937, o. S.; Faltblatt und Zeitungsberichte in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7343.



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bis 31.5.1939 in Hamburg gezeigt wurde. Unter Einbeziehung der gesamten Hochsee-, Küsten- und Binnenfischerei sowie des Walfangs und mit ausdrücklichem Bezug auf den Vierjahresplan sollte die Ausstellung eine Übersicht über das bisher Erreichte bieten sowie die zukünftigen Aufgaben darstellen. Die Ausstellung richtete sich dabei sowohl an Fachleute als auch an ein breites Publikum, das auf diesem Weg für einen verstärkten Fischverbrauch gewonnen werden sollte, so dass die Veranstaltung als „Leistungsschau und Lehrschau, Rechenschaftsbericht und nicht zuletzt Messe“ gedacht war, wie es in einer Broschüre hieß.159 Für die vom Reichsnährstand und der Hansestadt Hamburg gemeinsam ­ etragene Ausstellung unter der Schirmherrschaft von Göring war zunächst g ein Termin im Spätsommer 1938 angekündigt worden, allerdings verschob man die Veranstaltung mehrfach, bis der endgültige Zeitraum, 28.4. bis 29.5. 1939, feststand.160 Schließlich wurde die Ausstellung noch um zwei Tage verlängert und endete am 31.5 mit einem Besuch Görings.161 Die Verschiebung sei notwendig geworden, so das Hamburger Tageblatt, da die gesamte Fischwirtschaft sich gegenwärtig in einer Entwicklung befände und eine Überblicksdarstellung erst möglich sei, wenn diese Entwicklung einen ge­ wissen Abschluss erfahren habe.162 Letztlich bedeutete die Verzögerung bis vier Monate vor Kriegsbeginn tatsächlich, dass die Ausstellung, ohne dass es den Organisatoren bewusst gewesen wäre, gleichsam die Summe der Entwicklung von Fischerei und Walfang unter dem Vierjahresplan präsentierte. Die Veranstaltung erstreckte sich über fünf Ausstellungshallen und Außenflächen auf dem ehemaligen Hamburger Zoogelände an der Tiergarten159  „Segen des Meeres“ 1. Deutsche Fischerei- und Walfang-Ausstellung. Hamburg 1939 vom 28. April bis zum 29. Mai, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staat­ liche Pressestelle, Sign. 7346. Zu den Zielen der Ausstellung s. a.: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346, Der Reichsstatthalter in Hamburg an Herrn Ministerpräsidenten Generalfeldmarschall Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan, 14.3.1939; Große Fischereiausstellung in Hamburg geplant, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 20.4.1938, S. 185 f.; Segen des Meeres. Ausstellung der deutschen Fischerei und des Walfangs in Hamburg vom 16. September bis 2. Oktober auf dem Zoogelände, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 18.5.1938, S. 218. 160  Große Fischereiausstellung in Hamburg geplant, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 20.4.1938, S. 185 f.; Segen des Meeres. Ausstellung der deutschen Fischerei und des Walfangs in Hamburg vom 16. September bis 2. Oktober auf dem Zoogelände, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 18.5.1938, S. 218; Fischerei-Ausstellung „Segen des Meeres“, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 29.6.1938, S. 295 f.; Erste deutsche Fischerei- und Walfang-Ausstellung nunmehr vom 28. April bis 21. Mai 1939, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.10.1938, S. 490. 161  Ueber 300.000 besuchten Ausstellung „Segen des Meeres“, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 7.6.1939, S. 330 f. 162  „Segen des Meeres“ verschoben, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 242, 5.9.1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346.

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straße, wo sich heute der Park Planten un Blomen und das Congress Center Hamburg befinden.163 Der Rundgang durch die Ausstellung war so konzipiert, dass der Besucher alle Facetten der Nutzung des Meeres unter dem Vierjahresplan vom Fang bis zur Herstellung neuartiger, auf Fisch basierender Ersatzprodukte kennen lernte, wobei großer Wert auf die Anschaulichkeit der Ausstellung gelegt wurde und viele Möglichkeiten zur Verkostung der Fischprodukte gegeben waren.164 Den Besucher begrüßte zunächst in Halle 1 in Kühlbecken und auf Eis gelagert eine Zusammenstellung von allem, was Meer und Binnengewässer dem Menschen zu bieten haben. Diese Halle war dem Fang der Meereslebewesen gewidmet: Von einer Schallplatte hörte man den Vortrag eines Kapitäns über die Hochseefischerei, wobei die Fanggebiete, die er erwähnte, jeweils bei ihrer Nennung auf einer großen Weltkarte aufleuchteten. Zudem standen in Halle 1 der Nachbau eines Fischdampfers sowie Stände und Vitrinen, die über Walfang und Binnenfischerei informierten. Mit Betreten der Halle 2 ging der Besucher einen Schritt weiter entlang der Wertschöpfungskette und sah große Modelle der deutschen Fischereihäfen sowie Stände zu den Fischmärkten und dem Handel. Anschließend konnte er sich in Halle 3 über Fischverarbeitung und -frischhaltung informieren. Hier ging es insbesondere um die Tiefkühltechnik, der im Vierjahresplan für die Fischwirtschaft große Bedeutung zugemessen wurde. Daneben gab es Kochvorführungen des Deutschen Frauenwerks und man konnte Fischverarbeitungsmaschinen im Betrieb sehen. In den kleineren Hallen 4 und 5 war vor allem die Fischindustrie vertreten, die die Herstellung von Marinaden, Räucherfischen und Konserven demonstrierte. Das Obergeschoss der Halle 5 beherbergte die „Sonderausstellung Vierjahresplan“, in der in erster Linie neue Ersatzstoffe auf der Basis von Fisch zur Substitution von Importen präsentiert wurden: Es gab das „Wiking-Eiweiß“ als ein Fischeiweißpulver zum Ersatz von Hühnereiern in Bäckereien und Konditoreien, das Fischleder aus Fischhäuten, das helfen sollte, die deutschen Lederimporte zu begrenzen, und die Fischwolle, eine mit Fischeiweiß veredelte Zellwolle. Entsprechende Produkte aus diesen neuen Rohstoffen konnten hier bewundert werden. Selbst der deutsche Robbenfang165 163  Vgl. den Lageplan in: Hamburgische Ausstellungs-Gesellschaft mbH (Hrsg.), Segen des Meeres. Führer durch die 1. Deutsche Fischerei- und Walfang-Ausstellung Hamburg 1939. 28. April–29. Mai, [Hamburg 1939], o. S. 164  Siehe im Folgenden Beschreibungen und Pläne in: Ebd.; Ausstellung „Segen des Meeres“, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.3.1939, S. 109–111. 165  Zum Zweck des Robbenfangs gründeten deutsche Pelzhändler, da sie keine Devisen für den Import von Robbenfellen aus Norwegen mehr zugeteilt bekamen, die Nordmeer Studien- und Reedereigesellschaft mbH. in Leipzig, die ab 1937 zwei



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im Eismeer sowie die deutsche Schwammfischerei166 und der deutsche Haifischfang167 als eher randständige Hervorbringungen der Autarkiewirtschaft wurden hier im Kontext des Vierjahresplans vorgestellt. Die gastronomischen Angebote zählen sicher stets zu den Publikumsmagneten in jeder Messe der Lebensmittelwirtschaft und auch die Ausstellung „Segen des Meeres“ bot ihren Besuchern in dieser Hinsicht vielfältige Möglichkeiten. Wer von den Kostproben an den verschiedenen Ständen noch nicht satt war, konnte in der „Aquarium-Gaststätte“, die als Dauereinrichtung über die Ausstellung hinaus geplant war, die Fische sowohl lebend hinter Glas, als auch zubereitet auf dem Teller begutachten Von den Verwendungsmöglichkeiten (und dem fehlenden Fischgeschmack) des neuen Fisch­ eiweißpulvers konnte sich der Besucher hingegen im „Wiking-Cafe“ mit frischem Gebäck aus der „Wiking-Schau-Konditorei“ überzeugen. Als besondere Attraktion wartete noch im Freigelände vor den Hallen ein lebensgroßes Modell eines Blauwales, in dessen Inneren eine Bar eingerichtet war. Schiffe zum Robbenfang ins Nordmeer entsandte; Deutsche Robbenfangexpedition im Kriege, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 1940, H. 8 (September), S. 170–172; Die deutschen Robbenfangpläne, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.8.1939, S. 450; Guter Fang des ersten deutschen Robbenschlägers, in: Deutsche FischereiRundschau, 7.6.1939, S. 333; Norwegische Aufregung über deutschen Robbenfang, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 11.1.1939, S. 21; Robbenfänger Sachsen bewährte sich, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 15.6.1938, S. 277; BA R-2 / 21682, RWM an Herrn Reichsminister der Finanzen. Betr. Reichszuschuß zu den Kosten des Baues eines Robbenfangschiffes, 28.2.1937; hieran schließt sich ein längerer Briefwechsel über die Förderungswürdigkeit des Projekts an. 166  Schwämme wurden in der Karibik gefischt. 80 % des deutschen Bedarfs gingen an Industrie und Handwerk. Zur deutschen Schwammfischerei, die explizit mit der Devisenproblematik begründet wurde und zu dem „ersten deutschen Schwammfangschiff Spongia“: Janssen, Segen des Meeres, S. 196 f.; Deutsche Schwamm­ fischerei? Ein Deutscher unter 19.000 Schwammfischern, in: Deutsche FischereiRundschau, 2.11.1938, S. 503 f.; Schiff für die Schwammfischerei, in: Deutsche ­Fischerei-Rundschau, 19.10.1938, S. 489. 167  Am Haifisch interessierte vor allem das Leder, daneben auch Tran und Fischmehl. Die 1938 gegründete Versuchsgesellschaft für Haifisch- und Hochseefang GmbH entsandte die Äquator zu einer Versuchsfahrt in mittelamerikanische Gewässer, deren Ergebnisse jedoch enttäuschten; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S.  563 f.; Janssen, Segen des Meeres, S. 192 f.; Start eines zweiten deutschen Haifang-Dampfers, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.3.1939, S. 126; Heimkehr vom Haifischfang, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.2.1939, S. 57; Start zum Haifang, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 15.6.1938, S. 277 f.; Deutschland beginnt Großfischerei auf Haie, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.9.1937, S. 428. Die sozialdemokratische Exilpresse beobachtete die deutsche Ersatzwirtschaft genau und registrierte auch den Haifischfang: „Die Goebbelspresse begeistert sich dafür, was er alles dem deutschen Volk bescheren werde: Leberöl, Haifischflossen und Haifischfleisch“; Haifisch muss es schaffen, in: Neuer Vorwärts, Nr. 262, 26.6.1938, Beilage S. 4.

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Nach dem Ende der Ausstellung, die angeblich über 300.000 Besucher zählte, am 31.5.1939 ging ein Teil der Exponate nach Leipzig, um in einer Wanderausstellung des Reichsnährstandes Verwendung zu finden, während ein anderer Teil nach Lüneburg zu der Ausstellung „Land zwischen Meer und Heide“ geschickt wurde.168 Außerhalb Hamburgs berichteten zumindest das „Berliner Tageblatt“, der „Völkische Beobachter“, die „Frankfurter Zeitung“, die „Düsseldorfer Nachrichten“ und die „Kölnische Zeitung“ über die Ausstellung „Segen des Meeres“.169 Auch die im Exil erscheinenden Deutschlandberichte der Sopade nahmen Notiz.170 Die Hamburger Presse schrieb ebenso wie die überregionalen Blätter über die volks- und besonders autarkiewirtschaftlichen Bezüge der Ausstellung, brachte daneben aber auch eine Reihe von Artikeln, die z. T. mit Karikaturen illustriert die Ausstellung auf eine unterhaltsame und humoristische Weise darstellten. Ein Artikel über den Besuch eines Vaters mit seinem Sohn endet z. B. damit, dass das Kind, nachdem es die verschiedenen Anwendungsgebiete der Fischwolle gesehen hat, vor sich hin singt: „Ich bin von Kopf bis zu den Füßen in Fische eingehüllt …“.171 Eine weitere, kleinere Ausstellung, die ausschließlich den Walfang zum Gegenstand hatte, zeigte ab August 1937 das „Deutsche Kolonial- und ­Ueberseemuseum“ in Bremen. Die Ausstellung spannte erneut den Bogen vom Walfang des 17. bis 19. Jahrhunderts zu der ab 1936 in Deutschland neu entstandenen Industrie und versuchte, deren Notwendigkeit für die deutsche Volkswirtschaft darzustellen.172 Auch abgesehen von solchen Jubiläen und Ausstellungen gewannen Fischerei und Walfang an Präsenz in der Öffentlichkeit. Die meisten Veröffentlichungen zur Fischerei ebenso wie Filme, Rundfunksendungen, Fischkochkurse und Kampagnen für so genannte Fischtage waren direkt Teil der Verbrauchslenkung, also dem Versuch von Staat und Fischereiwirtschaft, den deutschen Fischkonsum zu steigern [siehe Kap. D. III. 2. d)]. Über den Walfang wurde ebenfalls vielfältig auf verschiedenen Ebenen berichtet, obwohl in diesem Fall keine Werbung nötig war, da die Seifen168  Ueber 300.000 besuchten Ausstellung „Segen des Meeres“, in: Deutsche ­Fischerei-Rundschau, 7.6.1939, S. 330 f. 169  Siehe die Zeitungsausschnitte in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346. 170  Deutschland-Berichte, 6 (1939), S. 630 f. 171  Kinder stellen tausend Fragen …, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 131, 13.5. 1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346; für weitere Beispiele, s. ebd. 172  Walfangausstellung in Bremen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 11.8.1937, S. 355.



III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit99

und Margarineindustrie und nicht direkt der Verbraucher Abnehmer des Walöls waren. Die Jagd auf diese gewaltigen Tiere, die im fast wörtlichen Sinne am anderen Ende der Welt, am Rande des ewigen Eises stattfand, übte trotz der offenen Frage nach seiner Nachhaltigkeit eine hohe Faszination aus. Durch den ständigen Hinweis auf die lange Tradition deutscher Walfänger, an die jetzt wieder angeknüpft werde (siehe Kap. D. II.), passte die Berichterstattung über den Walfang gut in das propagandistische Bild, wonach der Nationalsozialismus auf allen Feldern Deutschland wieder in seine alten Rechte einsetze und alte Größe wiedergewinne. Über die deutschen Walfangflotten wurde in Tageszeitungen berichtet,173 und auch beispielsweise die Mitarbeiterzeitung der am Walfang beteiligten Unilever-Tochter Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufsunion hielt ihre Leser über die Arbeit der Kollegen im Südpolarmeer auf dem Laufenden.174 Ebenso enthielt die programmatische Zeitschrift „Der Vierjahresplan“ als offizielles Organ der Vierjahresplanbehörde regelmäßig Artikel, in denen Vertreter der entsprechenden Wirtschaftszweige die Beiträge von Walfang und Hochseefischerei zur autarken Nahrungs- und Rohstoffversorgung darlegten.175 Angesichts der großen Bedeutung für ihr Fachgebiet widmete 173  Vgl. die Zeitungsausschnitte in: StAHH Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. 174  Schraud, Vom Walfischfang, S. 8 f.; Olaf Larsson, Mit einem Walfangschiff unterwegs, in: Die Betriebsgemeinschaft, April 1937, o. S.; Stapellauf der Unitas, in: Die Betriebsgemeinschaft, Juli / August 1937, o. S.; Unitas – das größte Walfangschiff der Welt – auf See!, in: Die Betriebsgemeinschaft, November 1937, o. S.; Von der Unitas, in: Die Betriebsgemeinschaft, Februar 1938, S. 7; Das erste deutsche Walöl, in: Die Betriebsgemeinschaft, April 1938, o. S.; Tankschiff Brake kehrt heim, in: Die Betriebsgemeinschaft, Mai 1938, o. S.; Heimkehr der Unitas, in: Die Betriebsgemeinschaft, Juni 1938, S. 1; S.; Bericht über Fahrt, Fang und Arbeit unserer Walfangflotte Unitas, in: Die Betriebsgemeinschaft, Juni 1938, S. 4 f.; Otto Födisch, Ein Gruß an die Besatzung unserer Unitas-Fangflotte, in: Die Betriebsgemeinschaft, Juni 1938, S. 12; Die schwimmende Kolonie, in: Die Betriebsgemeinschaft, Juli / August 1938, S. 3 f.; Von der Unitas, in: Die Betriebsgemeinschaft, April 1939, S. 5; Olaf Larsson, Walfang vor 100 Jahren, in: Die Betriebsgemeinschaft, Mai 1939, S. 4. 175  Insgesamt erschienen im „Vierjahresplan“ von 1936 bis 1939 neun Artikel zu Hochseefischerei und Walfang. In chronologischer Reihenfolge: Ahlf, Die Hochseefischerei; Christiansen, Wiedergeburt; Robert Ahlf, Neue Wege in der Hochseefischerei, in: Der Vierjahresplan, 2. (1938), S. 142 f.; Carl Christiansen, Deutschlands Walfang im Aufstieg!, in: Der Vierjahresplan, 2 (1938), S. 269–270; Robert Ahlf, Vielseitige Aufgaben und Leistungen der Hochseefischerei, in: Der Vierjahresplan, 3 (1939), S. 125–127; Christiansen, Rohstoffquelle Walfang; Helmuth Wohlthat, Die Deutsche Antarktische Expedition 1938  /  39, in: Der Vierjahresplan, 3 (1939), S. 613–617; Hans Mosolff, Der Segen des Meeres. Aufgaben und Leistungen der deutschen Fischwirtschaft im Vierjahresplan, in: Der Vierjahresplan, 3 (1939), S. 618–625; Helmuth Wohlthat, Walöl im Weltmarkt, in: Der Vierjahresplan, 3 (1939), S. 726–731.

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C. Das Versprechen des Meeres

auch die ansonsten rein auf das Feld der Fettchemie ausgerichtete Zeitschrift „Fette und Seifen“ 1938 eine Ausgabe ausschließlich dem Walfang, wobei auch hier ein Beitrag zur Geschichte des Walfangs und Deutschlands Beteiligung seit der frühen Neuzeit nicht fehlte.176 Die Popularität des Walfangs steigerte sich soweit, dass Zeitgenossen von einem „Walfangfieber“ sprachen, welches sogleich Geschäftsleute auszunutzen versuchten, indem sie – wahrscheinlich mit unseriösen Absichten – um private Investoren für eine zu gründende Walfangreederei warben [siehe Kap. D. IV. 3. e) cc)].177 Für das – von Seiten des Staates und der Wirtschaft geförderte – Interesse der Öffentlichkeit an der neuen ökonomischen Bedeutung des Meeres sprechen auch die zahlreichen, an ein breites und z. T. jugendliches Publikum gerichteten Veröffentlichungen zu Hochseefischerei und Walfang, die sich zu dem auf dem damaligen Buchmarkt sehr erfolgreichen Genre der „Rohstoffromane“ rechnen lassen. Zu den bekanntesten Werken dieses Genres gehören die Bücher von Anton Zischka (z. B. „Wissenschaft bricht Monopole“, 1936) und Karl Aloys Schenzinger („Anilin“, 1937). Meist verbunden mit roman- oder reportagehaften Passagen wurden hier Themen der Autarkie- und Rohstoffwirtschaft, insbesondere die Entwicklung von neuartigen Produkten zur Importsubstitution, einer breiteren Leserschaft unter eindeutig nationalistischen Vorzeichen vermittelt, indem etwa gemeinwohlorientierter deutscher Erfindergeist eigennützigem britischen Spekulantentum gegenübergestellt wurde. Daneben betrieben diese Bücher oft auch Lobbyismus für die entsprechenden Industrieunternehmen wie im Fall von Schenzigers „Anilin“ und der IG-Farben.178 Zu den auf Fischerei und Walfang bezogenen Büchern dieser Art zählen die Werke von Albrecht Janssen „Tausend Jahre deutscher Walfang“ (1937),179 176  Vgl.: Fette und Seifen, 45 (1938), 1. Die Beiträge stammen von den üblichen, über den Walfang schreibenden Autoren wie Carl Christiansen, Nicolaus Peters und Carl Kircheiß, aber gerade der Artikel zur Geschichte des Walfangs wurde von dem Herausgeber der Zeitschrift, Hans Paul Kaufmann, geschrieben, einem Chemiker, der ansonsten nicht mit Veröffentlichungen zu diesem Thema hervorgetreten ist; vgl.: Hans Paul Kaufmann, Deutscher Walfang früherer Zeit, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 7–13. 177  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 88 f.; Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S.  75 f. 178  Christian Adam, Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Berlin 2010, S. 87–100; Ulrich Troitzsch, Technikgeschichte in der Forschung und in der Sachbuchliteratur während des Nationalsozialismus, in: Herbert Mehrtens / Steffen Richter (Hrsg.), Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie. Beiträge zur Wissenschaftgeschichte des Dritten Reiches, Frankfurt a. M. 1980, S. 215–242, hier S.  224 ff. 179  Albrecht Janssen, Tausend Jahre deutscher Walfang, Leipzig 1937. Das Werk wurde in „The Geographical Journal“ 1939 kurz besprochen, wobei der Rezensent sich eher ironisch über die angeblich tausendjährige deutsche Tradition äußert und



III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit101

das schon im Titel Anrecht und Verpflichtung auf diesem Feld historisch zu begründen versuchte, und „Segen des Meeres. Ein Buch von Deutschlands Hochseefischerei“ (1939), das dem Leser anekdotenreich die Fischerei gerade auch bezogen auf den Vierjahresplan näher bringen wollte.180 Otto Hugos „Deutscher Walfang in der Antarktis“ ist fast eine Werbeschrift für den Margarineproduzenten und Walfangreeder Walter Rau, während Wolfgang Franks stark erzählend geschriebenes „Waljäger. Auf Walfang im südlichen Eis“ auf einer Reise des Autors ins Südpolarmeer beruht, die ihm das Unternehmen Henkel auf ihrem Kochereischiff Jan Wellem ermöglicht hatte.181 Die Erfahrungen und Einblicke, die er auf dieser Fahrt gewonnen hatte, nutzte Frank zudem für ein Jugendbuch (s. u.) und er hielt einen Vortrag bei der Erstaufführung eines von Henkel produzierten Dokumentarfilms über den Walfang.182 Zu einem von dem Unternehmen herausgegebenen aufwändig mit teilweise farbigen Fotos und Karten illustrierten Band über die zweite Fangreise von Henkels Jan Wellem steuerte Frank einen Bericht bei.183 Erst 1940 erschien „Walfang und Walfänger“ von Nico Larsen, mit dem ein weiterer Autor, der mit auf Walfang gefahren war, ebenfalls versuchte, die Grundlagen des neuen deutschen Walfangs leicht verständlich und unterhaltsam darzustellen.184 Herbert Spengemann, dessen „Auf Walfang in der Antarktis“ 1938 gedruckt wurde, war anders als die bisher genannten Autoren ursprünglich kein Schriftsteller oder Journalist, sondern fuhr als Kommandant auf einem der Fangdampfer der Walter-Rau-Flotte. Sein illustriertes Büchlein (ca. 100 Seiten) richtete sich an ein breiteres Publikum und beschreibt detailliert Jagd und Verarbeitung sowie das Leben auf dem Fangdampfer.185 Zur populären Walfangliteratur zählten auch die 1939 erschienene Autobiographie von Otto Kraul („Käpt’n Kraul erzählt. 20 Jahre Walfänger unter argentinischer, russischer und deutscher Flagge in der Arktis und Antarktis“)186 sowie Carl Kircheiß’ Bericht über seine Fahrt mit einem norwegischen Walfänger im Südpolarmeer und eine anschließenanmerkt, dass die Bibliographie des Buches lediglich einen nicht-deutschen Titel enthält; G.C.L. B., Tausend Jahre Deutscher Walfang by Albrecht Janssen, in: The Geographical Journal, 93 (1939), 1, S. 90 f. 180  Janssen, Segen des Meeres. 181  Wolfgang Frank, Waljäger. Auf Walfang im südlichen Eis, Hamburg 1939. 182  Uraufführung des ersten deutschen Walfangfilms, in: Deutsche FischereiRundschau, 7.6.1939, S. 338. 183  Henkel & Cie. (Hrsg.), Der wiedererstandene deutsche Walfang. Dargestellt an der Entwicklungsgeschichte der Ersten Deutschen Walfang-Gesellschaft. In Verbindung mit einem Reisebericht über die 2. „Jan Wellem“-Expedition von Dr. Wolfgang Frank, Düsseldorf 1939. 184  Larsen, Walfang und Walfänger. 185  Herbert Spengemann, Auf Walfang in der Antarktis, Bühl-Baden 1938. 186  Kraul, Käpt’n Kraul erzählt.

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C. Das Versprechen des Meeres

de Vortragsreise durch Süd- und Nordamerika unter dem Titel „Polarkreis Süd – Polarkreis Nord“, der ursprünglich für einen deutschen Einstieg in den Walfang werben sollte und 1937, nachdem dies Ziel erreicht war, wiederaufgelegt wurde.187 Wolfgang Frank verfasste auch zwei Jugendbücher, die beide dem für das Genre typischen Muster einer Coming-of-Age-Geschichte folgen und von einem Jungen erzählen, der das erste Mal zur See fährt. „Fischdampfer auf hoher See“ von 1936 gab daneben einen Einblick in alle Aspekte der Hochseefischerei und war sicherlich auch mit der Absicht verfasst worden, Jungen für diesen Beruf zu begeistern.188 Das Buch richtete sich nicht nur an norddeutsche Leser, da die plattdeutschen Dialoge stets in Fußnoten übersetzt wurden. Franks zweites, 1939 veröffentlichtes Jugendbuch „Wal in Sicht!“ war auch eine Frucht der Reise des Autors mit der Jan Wellem und vermittelte neben der Rahmenhandlung im Text und mittels Fotos und Zeichnungen die technischen, biologischen, historischen und geographischen Grundlagen des Walfangs.189 An kleineren Kindern ging das Thema Walfang ebenfalls nicht vorbei. „Auerbachs Deutscher Kinder-Kalender“ von 1939 enthielt als Beilage das Brettspiel „Die Walfisch-Jagd“. Die Anleitung beginnt mit dem Satz: „Ihr habt gewiß alle schon von der großen Bedeutung der Walfisch-Jagd gehört, und deshalb wollen wir heute gemeinsam am Wettbewerb der WalfischjägerFlotte teilnehmen.“190 Abgesehen von solcher Freizeitlektüre begegnete Jugendlichen Ende der 1930er das Meer als Nahrungs- und Rohstoffquelle auch in der Schule. Verschiedene Werke für den Schulunterricht erschienen zu dieser Thematik in Reihen wie „Lese- und Arbeitsbogen für den Unterrichtsgebrauch“ oder „Handreichungen für einen gegenwartsbetonten Unterricht“, die stets den Zusammenhang mit Vierjahresplan, Devisenlage und Autarkiestreben be­ tonten.191 Im Ausland beobachtete die Exilpresse die Ersatzstoff-Wirtschaft und die Versorgungslage im NS-Deutschland genau. Es spricht ebenfalls für die 187  Carl Kircheiß, Polarkreis Nord – Polarkreis Süd. Als Walfisch- und Seelenfänger rund um die beiden Amerika, Leipzig 1937. Die erste Auflage erschien 1933. Die Auflage von 1937 erhielt ein neues Vorwort, das auf den inzwischen aufgenommenen Walfang durch Deutschland Bezug nahm. 188  Wolfgang Frank, Fischdampfer auf hoher See, Berlin 1936. 189  Wolfgang Frank, Wal in Sicht, Berlin / Leipzig 1939. 190  Albert Sixtus (Hrsg.), Auerbachs Deutscher Kinder-Kalender 1939, 57. Jg., Leipzig (1938), Beilage: „Die Walfisch-Jagd“. 191  Hoß, Bedeutung des Walfangs, S. 605 f.; Schüßler, Wal! Wal!; Hausmann, Das Meer; s. a. für die Fortbildung in der Wehrmacht: Hoffmann, Bedeutung des Meeres.



III. Die Präsenz von Fischerei und Walfang in der Öffentlichkeit103

Wahrnehmbarkeit und den Bekanntheitsgrad der Rolle des Meeres in der Autarkiepolitik, dass das sozialdemokratische Wochenblatt „Neuer Vorwärts“ sich in zwei Satiren mit dem Thema Walfleisch im Kontext von Autarkie und Vierjahresplan beschäftigte. Walfleisch erschien der Exilzeitung offenbar als der Gipfelpunkt oder Inbegriff der Zumutungen des Vierjahresplans an die Verbraucher. Ein Text unter dem Titel „Autarkie in Walfischen. Gigantische Vierjahresplanung Görings“, der einen typischen deutschen Bericht über die Autarkiewirtschaft in Inhalt und Stil parodierte, begann mit dem Satz: „Schon vor längerem hatte die nationalsozialistische Führung das deutsche Geduldsvolk auf die Vorteile des Verzehrs hochwertigen Walfischfleisches hingewiesen, das an Geschmack und Nährwert sogar über dem von Ratten, Krähen und Igeln steht.“192 Die Satire legte – zu Recht – den Finger auf die fehlende Blockadesicherheit des deutschen Walfangs und ließ Göring daher erklären, dass der Vierjahresplan „auch die Selbständigmachung Deutschlands von überseeischer Walfischzufuhr“ be­ inhalte, weshalb der Bodensee, das Stettiner Haff oder die Saale bei Halle als Zuchtbecken für Wale vorgesehen seien: „Durch Walfischautarkie zur Nahrungsfreiheit!“193 Die Vorstellung, dass von den Deutschen im Vierjahresplan verlangt würde, Walfleisch zu essen, beschäftigte die Redakteure des „Neuen Vorwärts“ weiterhin und schien ihnen geeignet, die gesamte Ernährungspolitik des Regimes zu karikieren. Im November 1937 veröffentlichte die Zeitung eine Umdichtung des Studentenliedes „Im Schwarzen Walfisch zu Askalon“: „Im Schwarzen Walfisch, da speist’ ein Mann, Just auf den Eintopf-Tag, Bis dass er krank vom Walfischfleisch Am Marmortische brach … Im Schwarzen Walfisch, am Eintopftag, Sprang aus der Kellner Schar Ein hurt’ger Mann ans Telefon: ‚Der Staat ist in Gefahr!‘ 192  M., Autarkie in Walfischen. Gigantische Vierjahresplanung Görings, in: Neuer Vorwärts, Nr. 196, 14.3.1937, Beilage S. 4. 193  Ebd. Der Bericht parodiert auch die Faszination mit hohen Zahlen, die in vielen Texten der NS-Zeit zum Ausdruck kommt: Die für die Walzucht notwendige Anreicherung der Saale mit Salz gäbe in Halle „87.345 Handwerkerexistenzen Nahrung und Brot“, der Bodensee benötige „2 Milliarden Tonnen, bezw. 2 Billionen Kilo Salz“ und insgesamt erfordere das Projekt „58.539,649.539 [sic!] Tagwerk Arbeit nebst einem Kapitalaufwand von 573 Milliarden Reichsmark.“ Karikiert wird auch der Antisemitismus: „Wer garantiert, dass die in den Bodensee eingesetzten Walfische nicht eines Tages von jüdischen Sommergästen des Schweizer und des österreichischen Ufers weggeangelt würden?“; ebd.

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C. Das Versprechen des Meeres

Im Schwarzen Walfisch, am Eintopftag, Da schlug die Uhr halb vier: Da kam die Gestapo und bracht den Fremden aufs Revier! Im Schwarzen Walfisch, am Eintopftag, Wird nicht privat gedeckt Man frisst Vierjahres-Walfischspeck Und wer nicht mag, verreckt.“194

Beide Parodien griffen der Realität voraus, da die deutschen Walfangflotten zwar Fleischkonserven für die menschliche Ernährung produzierten, aber Walfleisch vor dem Krieg nicht mehr auf dem regulären Markt eingeführt wurde [siehe Kap. D. IV. 5. a)]. Auch unter dem Vierjahresplan mussten die deutschen Verbraucher somit kein Walfleisch essen. Die beiden Texte des „Neuen Vorwärts“ zeigen jedoch, dass die verstärkte Nutzung des Meeres als Teil der deutschen Autarkiewirtschaft allgemein und auch im Ausland wahrgenommen wurde. Unabhängig von den Parodien der Exilpresse führte der neue Stellenwert, der der wirtschaftlichen Nutzung des Meeres im Rahmen der Autarkiepolitik zugewiesen wurde, zu einer ganz neuen Anerkennung und Präsenz der entsprechenden Wirtschaftskreise in der deutschen Öffentlichkeit. Die Vorstellung, dass Hochseefischerei und Walfang einen bedeutenden Beitrag zur deutschen „Nahrungsfreiheit“ leisteten, war über einen engen Expertenkreis und das Selbstbild der Akteure hinaus einer breiteren Öffentlichkeit vertraut.

194  Mucki, Im Schwarzen Walfisch …, in: Neuer Vorwärts, Nr. 233, 28.11.1937, Beilage S. 2.

D. Grenzen des Meeres Während bisher von den Erwartungen und Vorstellungen hinsichtlich der Hochseefischerei und des Walfangs unter dem NS-Regime die Rede war, wird im Folgenden die Umsetzung dargestellt. Die Leitfrage ist hierbei, inwieweit es gelang einen nennenswerten Beitrag zur deutschen Nahrungsund Rohstoffversorgung zu leisten und an welche Grenzen die Nutzung des Meeres im Rahmen der Autarkiepolitik stieß.

I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei Die deutsche Hochseefischerei wurde – anders als der moderne deutsche Walfang – nicht erst in den 1930er Jahren im Kontext des Autarkiestrebens gegründet. Vielmehr hatte diese Branche seit dem späten 19. Jahrhundert eine von schnellem Wachstum gekennzeichnete Entwicklung durchgemacht und bildete Anfang der 1930er Jahre eine umfangreiche und ausdifferenzierte Industrie, die an ihren Standorten an der Nordseeküste prägend für die Wirtschaftsstruktur war. Im Folgenden soll zunächst die Entstehung der deutschen Hochseefischerei dargestellt werden, gefolgt von einer Übersicht über die wichtigsten Fanggebiete. Anschließend wird die Entwicklung vom Ersten Weltkrieg bis zum Beginn der NS-Zeit skizziert, bevor die verschiedenen Betriebsformen der deutschen Fischerei gegeneinander abgegrenzt werden. Abschließend steht ein kurzer Vergleich der deutschen Entwicklung mit der anderer europäischer Staaten. 1. Entstehung und Grundlagen Ende Oktober 1936 feierte man in Wesermünde (heute Bremerhaven)1 in Anwesenheit von Hermann Göring und Staatssekretär Herbert Backe in 1  Die mit der Hochseefischerei eng verbundenen Stadt Bremerhaven besteht in dieser Form und unter diesem Namen erst seit 1947, da sie mehrere bremische und hannoversche, später preußische Gebiete vereint. Insgesamt ist die Stadt für mitteleuropäische Verhältnisse sehr jung. 1827 erwarb die Stadt Bremen vom Königreich Hannover ein Gebiet ca. 54 km stromabwärts der Hansestadt nördlich der Mündung des Flüsschens Geeste in die Unterweser. Hier wurde Bremerhaven als bremische Exklave angelegt, um einen Hafen zu schaffen, der für größere Schiffe leichter zugänglich ist als Bremen selbst. Angeregt durch den Erfolg Bremerhavens gründete Hannover 1846 ebenfalls einen Hafen an der Unterweser südlich der

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D. Grenzen des Meeres

groß angelegten Veranstaltungen – etwas verspätet – das fünfzigjährige Jubiläum der deutschen Hochseefischerei. Tatsächlich stach vom damals Geestemünde genannten Teil der Stadt aus am 7.2.1885 die Sagitta als erster deutscher Fischdampfer zu ihrer Jungfernfahrt in See und begründete damit die deutsche Hochseefischerei mit Dampfschiffen. Deutschland war ein Spätentwickler, was die Hochseefischerei betraf, und die Gründe hierfür liegen nicht zuletzt in den geographischen Ausgangsbedingungen. Zwar bietet die Nordsee als ein flaches Randmeer mit überwiegend weichem Meeresgrund gute Bedingungen für die Fischerei, aber die deutsche Nordseeküste ist weniger günstig gestaltet. Dem Festland ist fast durchgehend das Wattenmeer vorgelagert, so dass weite Strecken der Küste für die Seeschifffahrt kaum zugänglich sind. Die Nordseeinseln liegen frei zum Meer, sind dafür jedoch vom Festland isoliert. Ausfalltore vom Festland zum Meer bilden nur die Mündungen von Ems, Weser und Elbe (sowie eingeschränkt die Jade). Zudem besitzt das Gebiet des heutigen Deutschlands an der Nordsee eine mit etwa 300 km sehr kurze Küstenlinie, während das Binnenland mit seinen potentiellen Absatzmärkten hierzu im Vergleich sehr tief ist.2 Auf der britischen Insel ist dagegen fast jeder Punkt des Hinterlandes von der Küste auch mit primitiven Transportmitteln leicht zu erreichen und entsprechend kommt Seefisch in der Volksernährung dort traditionell ein höherer Stellenwert zu. Auch in Großbritannien konzentrierte sich die Hochseefischerei an wenigen Standorten – vor allem Grimsby and Kingston upon Hull –, aber die industriellen Zentren in Newcastle, Manchester, Liverpool, Sheffield und Birmingham liegen innerhalb eines 200 km-Ra­ dius’ um diese Häfen. In Deutschland sind dagegen selbst Berlin und das Ruhrgebiet als relativ nördliche Ballungsräume weiter entfernt von BreGeestemündung unter dem Namen Geestemünde. Beide Orte grenzten nur durch die Geeste getrennt aneinander. Während Bremerhaven für den Seehandel und die Auswanderung große Bedeutung erlangte, konzentrierte sich die Hochseefischerei in Geestemünde. Beide Städte besaßen zudem bedeutende Werften. 1924 wurde Geestemünde mit der nördlich von Bremerhaven gelegenen Stadt Lehe unter dem Namen Wesermünde vereinigt, so dass Bremerhaven landseitig vollständig von einer preußischen Stadt umfasst wurde. Die Aufteilung eines geschlossenen Siedlungs- und Wirtschaftsgebiets auf zwei Länder war für die weitere Entwicklung nicht zweckmäßig, so dass schließlich im November 1939 Bremen das Gebiet Bremerhavens abtreten musste und beide Unterweserstädte unter dem Namen Wesermünde vereinigt wurden. Zu seinem heutigen Namen Bremerhaven kam das aus Geestemünde, Lehe und (Alt-)Bremerhaven zusammengewachsene Stadtgebiet erst 1947, als es in Gänze dem Land Bremen zugeschlagen wurde. Scheper, Bremerhaven; Ursula Lutze, Bremerhaven. Werdegang und heutige Bedeutung eines Seehafens, Freiburg 1970. 2  Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 4 f.



I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei107

merhaven und Cuxhaven. Hamburg und London haben einen etwa vergleichbaren Zugang zur See. Bis zur Einführung des ersten Fischdampfers 1885 gab es in Deutschland (mit Ausnahme der Heringsfischerei, s. u.) nur eine eher handwerklich strukturierte Hochseefischerei. Hierfür kamen ausschließlich besegelte Fahrzeuge, insbesondere so genannte Ewer von allenfalls 20m Länge, zum Einsatz. Als Zentrum der deutschen Hochseefischerei unter Segeln galt im 19. Jahrhundert die (heute eingedeichte) Elbinsel Finkenwerder. Die Finkenwerder Fischer belieferten vor allem die Märkte von Hamburg und Altona, aber auch Geestemünde (für den Bremer Markt) und Häfen in den Niederlanden und Großbritannien.3 Der Geestemünder Fischhändler Friedrich Busse (1835–1898) nahm sich die noch nicht lange zuvor eingeführten englischen Fischdampfer zum Vorbild, als er die Sagitta und bald danach weitere Fischdampfer in Auftrag gab.4 Die Sagitta fischte im ersten Jahr noch mit Langleinen, im nächsten Jahr dagegen deutlich erfolgreicher mit einem Grundschleppnetz, wie es auch schon von Segelfahrzeugen vielfach verwendet wurde. Dieses über den Meeresboden geschleppte Netz wurde die fast ausschließliche Fangmethode der Fischdampfer, die daher nach dem englischen Begriff für Schleppnetz („trawl“) auch Trawler genannt wurden.5 Die Zahl der Fischdampfer wuchs vergleichsweise rasch: 1890, fünf Jahre nach der Jungfernfahrt der Sagitta, gab es bereits 18 Fischdampfer, und etwa 1897 war das erste Hundert überschritten.6 3  Zuvor gab es bereits auf großstädtische Märkte ausgerichtete Fischereien von Helgoland, Norderney und Blankenese aus, die jedoch überwiegend eingestellt wurden, als die Erträge zurückgingen und das entstehende Seebäderwesen bessere Verdienstmöglichkeiten bot. In Finkenwerder boten sich diese Möglichkeiten nicht, so dass die Fischerei intensiviert und auf den Winter ausgedehnt wurde, obwohl dies hohe Verluste an Menschenleben und Ewern zur Folge hatte. Allgemein zur Fischerei vor Einführung der Fischdampfer: Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 31 f.; Jobst Broelmann / Timm Weski, „Maria“ HF 31. Seefischerei unter Segeln, München 1992; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 110–139; Hermann Steinert, Die Fanggebiete der deutschen Hochseefischerei, in: Geographische Zeitschrift, 37 (1931), S. 30–37, hier S. 30; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 97 ff., 140 ff. 4  Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 32  ff.; Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S.  64 f. 5  Als in den 1950er Jahren mit den so genannten Heckfängern, die das Netz über eine Aufschleppe am Heck aussetzten und einholten, ein neuer, größerer Typ Fischereifahrzeug eingeführt wurde, setzte sich für die klassischen Fischdampfer oder Trawler auch die Bezeichnung Seitenfänger durch, da sie das Netz über die Bordseite aussetzten. 6  Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 177. Etwas höhere Zahlen nennt: Wolfgang Walter, Deutsche Fischdampfer. Technik, Entwicklung, Einsatz, Schiffsregister, Hamburg 1999, S. 64.

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Fischdampfer setzten sich so rasch durch, da sie verglichen mit den gesegelten Ewern und Kuttern höhere Geschwindigkeiten fuhren und weniger vom Wetter abhängig waren. Daher konnten die Fischdampfer mit größerer Zuverlässigkeit eine höhere Anzahl von Fangreisen im Jahr durchführen. Durch die höhere Geschwindigkeit wurde auch die Fischerei mit dem Grundschleppnetz effektiver. Fischdampfer waren überdies sicherer als die Segler, von denen jedes Jahr besonders in den Wintermonaten viele mit ihren Besatzungen verloren gingen.7 Mit ihren Maschinenanlagen und der Stahlbauweise kosteten die Fischdampfer in Anschaffung und Unterhalt aber auch erheblich mehr als die Segler. Daher markierte der technische Wandel hin zum Fischdampfer – die „Industrialisierung der Hochseefischerei“8 – auch einen Wandel in der Unternehmensstruktur.9 Bis dahin gab es fast nur kleinbetriebliche Organisa­ tionsformen, so dass der Fischer auch Eigentümer seines Bootes war. Versuche von Hamburger und Bremer Aktiengesellschaften in den 1860er Jahren die Fischerei im größeren Stil zu organisieren, schlugen nach wenigen Jahren fehl.10 Mit der Einführung der Fischdampfer dagegen wurden die Funktionen von Schiffsführer und Eigentümer getrennt: Die gestiegenen Kosten konnten nur noch von kaufmännischen Reedern getragen werden und der Schiffsführer oder Kapitän wurde zum Angestellten. Die alten Segelfahrzeuge der Finkenwerder Fischer besaßen neben dem Schiffer, der auch Eigentümer des Ewers oder Kutters war, meist nur zwei weitere Besatzungsmitglieder, die wie Handwerksgesellen und Lehrlinge im Haushalt des Schiffers lebten.11 Die Bemannung eines Fischdampfers bestand dagegen aus anfangs zehn und bis in die 1920er Jahre in der Regel aus zwölf Mann nämlich dem Kapitän, zwei Steuerleuten, zwei Maschinisten, vier Matrosen, zwei Heizern und einem Koch.12 Später stieg die Besatzungsstärke auf über 20.13 Hinter den neuen Fischdampferreedereien standen in aller Regel keine Fischer aus der bisherigen Segelfischerei;14 diese besaßen nicht das Kapital, 7  Schnakenbeck,

Nordseefischerei, S. 177. Hochseefischerei, S. 138. 9  Ebd., S.  138 f.; Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 64. 10  Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 53; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 120–122. 11  Broelmann / Weski, „Maria“ HF 31, S. 66–68. 12  Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 198. 13  Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 92–94; s. a. die technischen Daten zu allen deutschen Seitenfängern: ebd., S. 131 ff. 14  Eine Ausnahme bildete Johann von Eitzen aus Finkenwerder, der zunächst dort Fischer war, dann als Kapitän für eine Fischdampferreederei fuhr und später eine eigene Reederei gründete. Es gab zumindest ein weiteres Unternehmen mit ähn­ 8  Teuteberg,



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den technischen Sprung zu vollziehen. Friedrich Busse war ursprünglich Fischgroßhändler und war für die Expansion seines Geschäftes an einer kontinuierlichen Belieferung interessiert, als er den ersten deutschen Fischdampfer bauen ließ.15 Busse finanzierte die Sagitta und seine folgenden Schiffe als Einzelreeder allein, aber in vielen Fällen gründeten mehrere Investoren Partenreedereien oder Aktiengesellschaften, um das Risiko zu streuen. Einige Reedereien, die den Fischmarkt Altona belieferten, entstanden in den kleinen Orten Cranz, Neuenfelde und Estebrügge im Alten Land (bei Hamburg). Diese Dörfer hatten in den 1880er Jahren ihre Blütezeit als Schifffahrtsorte mit einer Vielzahl von Kapitänen, die ihre eigenen Segelschiffe besaßen, bereits hinter sich. Da diese Kleinreedereien in der Frachtschifffahrt inzwischen von der ökonomischen und technischen Entwicklung überholt und nicht mehr rentabel waren, investierten die Kapitäne zusammen mit ortsansässigen Kaufleuten und Landwirten in das neue Gewerbe der Dampfhochseefischerei.16 Aus der Masse der Reedereien stach die Deutsche Dampffischerei-Gesellschaft Nordsee, die heute noch als Markenname im Einzelhandel existiert, durch ihre Größe und ihr Geschäftskonzept hervor. Die 1896 mit dem Kapital von drei Mill. Mark von einem Reeder und einem Bankier in Bremen gegründete Aktiengesellschaft vereinte im Unterschied zu allen anderen Unternehmen der Hochseefischerei von Beginn an in einem Drei-SäulenModell Fischfang, -verarbeitung und -verkauf. Die Nordsee umfasste als vertikal integriertes Unternehmen somit die gesamte Wertschöpfungskette vom Fischdampfer bis zum Einzelhandelsgeschäft im Binnenland. Zu den Hauptaktionären des Unternehmens, das nach der Übernahme einer Cuxhavener Reederei (s. u.) 1928 seinen Namen in Nordsee Deutsche Hochseefischerei änderte, gehörten die Berliner Danat-Bank und die Bremer Schröder Bank, die beide in der Weltwirtschaftskrise Bankrott gingen. Nach einer Zeit wechselnder Eigentümer übernahm der britisch-niederländische Unilever-Konzern bzw. dessen deutsche Tochter, die Margarine-Verkaufs-Union, etwas unter der Hälfte der Anteile, während die Bremer Bank, später Dresdner Bank, zum zweiten Großaktionär wurde.17 lichem Hintergrund; Johannes Bröhan, 50 Jahre Fischauktionen und Fischdampfer in Hamburg-Altona (Altonaische Heimatbücher; 10), Altona 1936, S. 25, 27. 15  Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 64. 16  Bröhan, 50 Jahre, S. 13 f., 23; Cranzer Fischdampfer-Aktiengesellschaft Hochseefischerei Hamburg-Cranz (Hrsg.), 1888–1938 Fünfzig Jahre Cranzer Fischdampfer. Ein Rückblick auf fünf Jahrzehnte Arbeit, Hamburg 1938. 17  Werner Beckmann, Die Reedereien der Hochsee- und Heringsfischerei in Bremerhaven, Bremerhaven 2003, S. 145–148; Wilfried Brandes, Einführung, in: ders. (Hrsg.), „Nordsee“. Geschichten über die größte deutsche Fischdampfer-Reederei,

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In Cuxhaven bestanden zwei weitere große Aktiengesellschaften, die allerdings 1928 in dem Unternehmen Nordsee aufgingen. Unter maßgeblicher Beteiligung von Albert Ballin, dem Generaldirektor der HAPAG-Reederei, und parallel zum Bau des Fischereihafens Cuxhaven wurde im Februar 1908 die Cuxhavener Hochseefischerei AG ins Leben gerufen. Nach dem Krieg trat in Cuxhaven noch die Deutsche Seefischerei AG hinzu als eine Gründung Berliner und Hamburger Großbanken, also ebenfalls mit Kapital, das nicht aus der Fischerei stammte. Diese beiden Cuxhavener Reedereien fusionierten im Januar 1927 und gingen im folgenden Jahr in den Besitz des Unternehmens Nordsee über.18 Mit der Industrialisierung der Hochseefischerei änderte der Vertrieb der Fische sich ebenfalls: Die Fischer hatten bisher ihren Fang zumeist im Hafen von Deck ihres Bootes aus an Verbraucher oder Kleinhändler verkauft. Daneben gab es in den 1880er Jahren auch bereits Fischhändler, die als so genannte Reiseaufkäufer den Fischern entgegenfuhren, um ihnen den kompletten Fang einer Reise abzukaufen. Praktisch zeitgleich mit den ersten Fischdampfern führte man dagegen nach ausländischem Vorbild die Fischauktionen ein. Die erste deutsche Fischauktion fand noch auf Initiative der Finkenwerder Fischer mit einem vom Magistrat bestellten Auktionator Ende 1886 in Hamburg statt; Altona, Geestemünde und Bremerhaven waren bis 1892 alle gefolgt. Die Auktion konzentrierte den Verkauf an einem Ort, schuf gleichen Marktzugang für große und kleine Händler und beschleunigte das Verfahren, was bei der schnellverderblichen Ware und den großen Anlandungen der Fischdampfer von besonderer Bedeutung war. Für die Fischer bzw. die Eigner bot das Verfahren eine Zeitersparnis, da der Auk­ tionator die Einziehung und Auszahlung der Gelder übernahm. Daneben liefen deutsche Fischdampfer von Anfang an auch Häfen in Großbritannien und den Niederlanden an, um ihren Fang anzulanden, da dort mitunter die Preise für den Fisch höher und die für Kohlen niedriger waren sowie die Wege von den Fanggründen unter Umständen kürzer waren.19 Die Fische, die von den Fischdampfern angelandet wurden, waren stets bereits auf See geschlachtet, d. h. getötet und ausgenommen worden und wurden anschließend auf Eis gelagert. Das aller Isolierung der Transporträume zum Trotz langsam schmelzende Eis ließ die Fische nicht gefrieren, Bremen 1998, S. 9–20; Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 69; Enno Wilhelm Müller-Waldeck, 40 Jahre „Nordsee“ Deutsche Hochseefischerei, BremenCuxhaven AG, Hamburg 1936. 18  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 199  f. Stahmer spricht nur vom Generaldirektor der Hamburg-Amerika Linie und verschweigt damit Ballins Name aufgrund dessen jüdischer Herkunft. 19  Teuteberg, Hochseefischerei, S. 145–147; Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 73–75; Steinert, Fanggebiete, S. 36.



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sondern hielt sie auf etwas über 0 °C, so dass Zersetzungsprozesse verlangsamt wurden und der Fisch länger genießbar blieb. Bei dem Eis handelte es sich sowohl um Natureis – im Winter aus Teichen geschnitten sowie aus Norwegen importiert und anschließend in isolierten Hallen gelagert – als auch in zunehmendem Maße um Kunsteis, das man mit Kältemaschinen in Eisfabriken erzeugte. Die Lagerung von Fisch auf Eis war seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA allgemein üblich und im englischen Fischereihafen Grimsby seit 1860 verbreitet. Die Finkenwerder Fischer führten diese Technologie wahrscheinlich ab 1868 ein. Die zuvor und auf den Segelfahrzeugen auch weiterhin viel genutzte Methode bestand darin, die Fische lebend in der Bünn, einem vom Meerwasser durchströmten und vom übrigen Schiffskörper wasserdicht abgetrennten Raum im Schiff, zu lagern. Der Fisch gelangte so lebend zum Verkauf, was auch ein Beweis der Frische war, während der auf Eis gelagerte tote Fisch zunächst vom Kunden nur skeptisch angenommen wurde.20 Neben dem Fang entwickelte sich im 19. Jahrhundert auch die Verarbeitung des Fisches, die in erster Linie dessen Haltbarkeit erhöhen soll, von den handwerklichen Anfängen zur späteren Fischindustrie. Zu den hier angewandten Techniken zählen sowohl das Salzen, Trocknen, Räuchern und Marinieren (Einlegen in einer Salz-Essig-Lösung), die alle darauf hinauslaufen, dem Fisch Wasser zu entziehen und das Eiweiß zum Gerinnen zu bringen, als auch die Herstellung von Vollkonserven also Konservendosen (luftdichter Verschluss der Ware mit anschließender Hitzesterilisierung). Deutschland blieb bei Vollkonserven immer auf den Import angewiesen und die entsprechende deutsche Fischindustrie entwickelte sich nur langsam.21 Die Fischdampfer der deutschen Hochseefischerei konzentrierten sich an wenigen Standorten an Weser und Elbe, wobei Geestemünde (später Wesermünde bzw. Bremerhaven) bald zum größten Fischereihafen Deutschlands und zeitweise Kontinentaleuropas aufstieg. Der preußische Staat förderte die Entwicklung Geestemündes und investierte zwischen 1891 und 1896 7,3 Mill. Mark in den Bau moderner Hafenanlagen mit Kais, Auktions- und Packhallen, Kohlenlager, Kontoren, Versandbahnhof, Raum für Fisch verarbeitende Unternehmen, Eisfabriken usw. Der von der Fischereihafen-Betriebs-Genossenschaft eGmbH betriebene Hafen wurde auch in den folgenden Jahren immer wieder ausgebaut. Ein Staatsvertrag zwischen Preußen 20  Teuteberg, Hochseefischerei, S. 142; Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 53; Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 53 f., 59; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 114. 21  Teuteberg, Hochseefischerei, S.  149–152. Vor allem bei Ölsardinen blieb Deutschland auf Importe angewiesen, da geeignete Fische kaum an der deutschen Küste vorkamen, anders als in Norwegen, Spanien oder Portugal, wo entsprechende Fischvorkommen die Entstehung großer, Export orientierter Industrien ermöglichten.

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und Bremen von 1904 untersagte dagegen den Ausbau der Fischerei im benachbarten Bremerhaven, das stattdessen als Überseehafen für Handel, Auswanderung und Passagierschifffahrt diente. Dennoch gab es dort weiterhin Unternehmen der Fischwirtschaft, da beide Unterweserstädte faktisch ein zusammenhängendes Wirtschaftsgebiet darstellten. Gegenüber Hamburg und Altona bildeten die Expansionsmöglichkeiten bei günstigen Bodenpreisen den Standortvorteil Geestemündes.22 Demgegenüber besaßen die damals noch getrennten Städte Altona – in Preußen gelegen – und Hamburg den Vorteil, dass ihr Großraum einen aufnahmefähigeren Markt als Geestemünde, Bremerhaven und Bremen bot.23 Der Eisenbahnanschluss Geestemündes relativierte diesen Vorteil jedoch ein Stück weit. Dagegen lagen Hamburg und Altona weiterhin günstiger für den Fischimport aus Skandinavien per Schiff und Eisenbahn. Den Standort Hamburg-Altona charakterisierte, dass er erstens das Zentrum der Fischindustrie (im Sinne von Fisch verarbeitender Industrie, vor allem Konserven) bildete, dass zweitens die meisten der im Trawlheringsfang (s. u.) eingesetzten Fischdampfer hier ihren Fang anlandeten und dass drittens sich hier der Handel mit hochwertigem Feinfisch entweder aus skandinavischen Importen oder aus den Anlandungen der deutschen Kleinen Hochsee- und Küstenfischerei konzentrierte.24 Die (konkurrierenden) Fischmärkte beider Elbstädte blieben auch für deutsche Fischdampfer von Bedeutung, sie ließen aber nur schwer eine Expansion zu, da am Stromufer kaum freie Flächen verfügbar waren. Die Stadt Hamburg wich daher auf ihre an der Elbmündung gelegene Exklave Cuxhaven aus. Hier baute man zunächst ab 1890 einen reinen Schutz- und Liegehafen für die Fischerei und ab 1908 einen Fischereihafen, der ähnlich wie Geestemünde alle Einrichtungen zum Anlanden, Verkauf, Verarbeitung und Versand der Fische sowie zur Ausrüstung der Fischdampfer enthielt. Cuxhaven bildete bald den nach Geestemünde wichtigsten Standort der deutschen Hochseefischerei.25 Neben Geestemünde, Cuxhaven, Hamburg und Altona waren Fischdampfer noch in Nordenham angesiedelt, einem Ort etwas südlich von Geestemünde, aber auf dem westlichen Weserufer. Die oldenburgische Regierung ließ hier ab 1896 einen Hafen ausschließlich für die neu gegründete Deut22  Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 66–68, 75–78; Lutze, Bremer­ haven, S. 25, 37; Zum Fischmarkt Bremerhaven: Stahmer, Fischhandel und Fisch­ industrie, S. 190–192. 23  Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 71, 76. 24  Otto Brenning, Groß-Hamburgs Stellung in der Fischwirtschaft, in: 50 Jahre Fischmärkte Hamburg-Altona. Beilage zum Hamburger Fremdenblatt, 16.10.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7343. 25  Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 72.



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sche Dampffischerei Gesellschaft Nordsee anlegen. Das Konzept des Unternehmens, die Wertschöpfungskette vom Fang bis zum Einzelhandel unter einem Dach zu vereinen, ließ sich gleichwohl nicht vollständig durchhalten, denn je nach Fangergebnis und Marktlage mussten Nordsee-Fischdampfer ihren Fang auch in Geestemünde anbieten oder die Nordsee-Filialen mussten Ware vom dortigen Fischmarkt beziehen. Die Bedeutung Nordenhams für die Nordsee sank infolgedessen schon vor dem Ersten Weltkrieg zugunsten von Geestemünde (seit 1924 Wesermünde). 1934 siedelte das Unternehmen Nordsee endgültig nach Wesermünde um.26 Der rasche Ausbau der Dampfhochseefischerei ging mit einer entsprechenden Entwicklung des Fischverbrauchs in Deutschland einher. Ursprünglich war Seefisch abseits der Küste ein kaum bekanntes Nahrungsmittel, was sich durch die geringe Produktion der deutschen Seefischerei und durch die schnelle Verderblichkeit dieser Ware erklärt.27 Die – allerdings nicht unbedeutende – Ausnahme bildeten Salzhering und Stockfisch, die seit der Hansezeit auch im Binnenland – oft als Fastenspeise – weit verbreitet waren.28 Beide Produkte waren längere Zeit haltbar und somit auch für weitere Transportwege geeignet: Der Hering wurde in Fässern eingesalzen, während es sich beim Stockfisch um luftgetrockneten Kabeljau insbesondere aus Norwegen handelt. Da die deutsche Heringsfischerei sich erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts langsam entwickelte (s. u.), wurde Salzhering zuvor seit dem 15. / 16. Jahrhundert vor allem aus den Niederlanden und später aus Großbritannien importiert. Erst ein immer dichteres Eisenbahnnetz und die Eiskühlung ermöglichten es, frischen – also nicht getrockneten, gesalzenen, geräucherten oder marinierten – Fisch auch in größerer Entfernung der Häfen anzubieten. In den rasch wachsenden Städten der Industria­ lisierung entstand gleichzeitig ein Bedarf nach kostengünstiger, proteinreicher Nahrung, zu dessen Deckung ab Mitte der 1880er die Fischdampfer mit ihren höheren und regelmäßigeren Fängen beitrugen. Die Nachfrage übertraf sogar die Leistungsfähigkeit der deutschen Fischdampferflotte, so dass um die Jahrhundertwende der Import von Fisch die Eigenproduktion übertraf.29 Allerdings ist Fisch nicht gleich Fisch und sowohl Angebot als auch Nachfrage schwankten im Laufe des Jahres. Während die Nachfrage nach bestimmten Arten zu bestimmten Jahreszeiten nur durch zusätzlichen Import 26  Ebd., S. 69 f. Zur Eröffnung des Nordsee-Betriebes in Wesermünde, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.8.1934, S. 387–392. 27  Teuteberg, Hochseefischerei, S. 136; Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 31. 28  Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2006, S. 131–149. 29  Steinert, Fanggebiete, S. 33.

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gedeckt werden konnte, fanden oftmals Massenfische wie Seelachs, Kabeljau, Rotbarsch und Leng aus den Fängen deutscher Fischdampfer keinen ausreichenden Absatz. Dieses Absatzproblem bestand schon bald nach dem Beginn der Dampfhochseefischerei und begleitete das Fischereigewerbe fortan als eine der schwerwiegendsten Sorgen. Verschiedenste Werbemaßnahmen sollten dem entgegenwirken, und schon Gustav Platzmann, der 1886 ernannte erste Hamburger Fischauktionator, trat mit kostenlosen Probelieferungen an das Militär und andere Großverbraucher wie Krankenhäuser, Gefängnisse, Bergwerke usw. heran, um den Seefischabsatz zu heben.30 Die Verteilung von Kochbücher sowie die Veranstaltung von Kochkursen und -vorführungen waren weiterere Versuche der Fischwirtschaft, die Vertrautheit des Verbrauchers mit dem Produkt Seefisch und dessen Zubereitung und somit letztlich den Absatz zu fördern.31 Der Aufstieg der deutschen Dampfhochseefischerei fiel in die Zeit der Flottenbegeisterung, die im Umfeld der Flottengesetze von 1898 und 1900 ihren Höhepunkt erlebte. In diesen Diskurs wurde die Fischerei ebenfalls integriert: Admiral Alfred von Tirpitz zählte die Fischerei in einem grundlegenden Dokument seiner Marinestrategie, der „Dienstschrift Nr. IX“ von 1894, nach Überseehandel und Kolonien zu den so genannten Seeinteressen, deren Schutz die verstärkte Marinerüstung erforderlich mache.32 Auch das populäre, unter dem Pseudonym „Nauticus“ vom Reichsmarineamt herausgegebene „Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen“ enthielt 1899, 1900, 1902, 1904 und 1909 fischereibezogene Artikel.33 In diesem Zusammenhang sah man die nationale Bedeutung der Seefischerei abgesehen von der Nahrungsversorgung darin, dass sie der Marine eine große Zahl seemännisch vorgebildeter Rekruten bereitstelle.34 Die gleiche Überlegung, die somit 30  Bröhan,

50 Jahre, S. 9 f.; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. XXV. Creating a Demand, S. 138; Jenny Sarrazin, War, Public Intervention and Structural Changes in the German Fishing Industry, 1914–1930, in: Randi Ertesvåg / David J. Starkey / Anne Tove Austbø (Hrsg.), Maritime Industries and Public Intervention. The Fourth North Sea History Conference, 18–20 August 1995, Stavanger, Norway, Stavanger 2002, S. 137–155, hier S. 141. 32  „Taktische und Strategische Dienstschrift des Oberkommandos der Marine“, Nr. IX vom 16. Juni 1894 über „Allgemeine Erfahrungen aus den Manövern der Herbstflotte“, in: Volker Berghahn / Wilhelm Deist (Hrsg.), Rüstung im Zeichen der wilhelminischen Weltpolitik. Grundlegende Dokumente 1890–1914, Düsseldorf 1988, S. 87–99, hier S. 87. 33  Zu „Nauticus“: Wolfgang Marienfeld, Wissenschaft und Schlachtflottenbau in Deutschland. 1897–1906 (Beiheft 2 der Marine-Rundschau), Frankfurt a. M. 1957, S. 79–81; Wilhelm Deist, Flottenpolitik und Flottenpropaganda. Das Nachrichten­ bureau des Reichsmarineamtes 1897–1914, Stuttgart 1976, S. 140 f. 34  Fischerei, in: Nauticus, Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen, Berlin 1899, S. 126–137, hier S. 126, 135. In einem späteren Band unter Bezug auf den rus31  Heidbrink,



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einen Zusammenhang zwischen der Stärke der Marine eines Landes und seiner Seefischerei sah, fand sich auch in Großbritannien.35 2. Die Fanggebiete Woher kamen die Fische, die in wachsenden Zahlen von der Hochseefischerei gefangen und von der deutschen Bevölkerung verzehrt wurden? Zwar ist ein Großteil der Erdoberfläche von Wasser bedeckt, aber die Fische sind keinesfalls gleichmäßig über das Meer verteilt. Nur in bestimmten, vergleichsweise wenigen Meeresgebieten entstehen Fischbestände in einer solchen Dichte, dass sie als Grundlage für eine Fischerei im größeren Maßstab dienen können.36 Eine Grundregel besteht darin, dass warme Meere zumeist eine große Artenvielfalt bei einer geringen Individuenzahl aufweisen, während in kalten Meeren wenige Arten in einer großen Anzahl von Exemplaren vorkommen.37 Die Entwicklung der deutschen Hochseefischerei beruhte auf einer geographischen Expansion auf immer weiter entfernte Fanggebiete, die im Prinzip bis zum Ende dieser Industrie in den 1970er Jahren andauerte. Im Unterschied zu den Fischern westeuropäischer Länder, die schon in der Frühen Neuzeit Kabeljau auf den Neufundlandbänken fingen,38 blieb die sisch-japanischen Krieg: „Um ein Beispiel dafür aus unserer Zeit anzuführen, so kann man wohl mit dem gleichen Recht, mit dem man dem preußischen Schulmeister den Sieger von Königgrätz genannt hat, einen Theil des Ruhmes von Tsushima dem japanischen Fischer zuerkennen“; Die Lage der Hochseefischerei, in: Nauticus, Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen, 11. Jg., Berlin 1909, S. 365– 391, hier S. 367. 35  John K. Walton, Fish and Chips and the British Working Class, 1870–1940, Leicester u.  a. 1992, S. 163; William Loftas, Bratfischhandel in Großbritannien (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. IX, H. 3a), Stuttgart 1931, S. 8. 36  Fischbestände konzentrieren sich in Gebieten mit einer ausreichenden Primärproduktion, das heißt der Bildung von Biomasse durch mikroskopisch kleine Algen, die hierfür Sonnenlicht und Nährstoffe benötigen. Die Algen stehen am Beginn der Nahrungskette, an deren oberen Ende die vom Menschen geschätzten Fischarten stehen. Günstige Bedingungen herrschen vor allem in den flachen Randmeeren und über dem Kontinentalschelf, da hier Flüsse Nährstoffe eintragen oder nährstoffreiches Tiefenwasser an die Oberfläche aufsteigt; Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S.  19 f.; Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 31. 37  Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 2. 38  Basken, Franzosen und andere fischten ab dem frühen 16. Jh. Kabeljau auf den Neufundlandbänken, der gesalzen nach Europa gebracht wurde; Richards, The Unending Frontier, S. 547–573; Michael M. Barkham, The Offshore and Distant-Water Fisheries of the Spanish Basques, c.1500–1650, in: David J. Starkey  /  Jón Th. Thór / Ingo Heidbrink (Hrsg.), A History of the North Atlantic Fisheries. Vol. 1: From Early Times to the Mid-Nineteenth Century, Bremen 2009, S. 229–249, hier S. 236.

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deutsche Fischerei bis in die 1890er Jahre im Wesentlichen auf die Deutsche Bucht beschränkt. Die neuen Fischdampfer operierten zunächst ebenfalls noch dort, aber bis zur Jahrhundertwende hatten rückläufige Fang­ erträge sie bereits gezwungen, ihr Aktionsfeld auf die gesamte Nordsee auszudehnen. Die Fischdampfer ermöglichten einerseits durch ihre größere Seetüchtigkeit und Geschwindigkeit die Ausweitung des Aktionsradius’, andererseits benötigten sie für einen rentablen Betrieb auch produktivere Fanggebiete als die alten Ewer. Auch wenn die mittlere und nördliche Nordsee weiter befischt wurde, folgte bald die Expansion auf die Fanggründe bei Island, die bis in die 1970er Jahre eine zentrale Bedeutung für die deutsche Hochseefischerei besaßen. Die ersten deutschen Fischdampfer erreichten die Insel bereits 1897, allerdings sprachen die lange Reisedauer, die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Konservierung des Fangs und die zunächst unbekannten Wetter-, Küsten- und Meeresbodenverhältnisse zunächst gegen diese Expansion. Letztlich gab aber die hohe Produktivität der dortigen Fanggründe den Ausschlag, und um 1908 fischten bereits über die Hälfte der deutschen Flotte bei Island.39 Noch weiter entfernt als Island liegt die Barentssee, nordöstlich von Norwegen zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja. Deutsche Fischdampfer erschienen ab 1905 in diesem Teil des Eismeeres, das sich nach 1918 zum wichtigsten Fanggebiet nach Island entwickelte. Weitere Fanggebiete wie die Norwegische Küste von Trondheim bis zu den Lofoten, die Bäreninsel, Spitzbergen und die Grönländische Küste kamen bis in die 1930er Jahre noch hinzu, ohne jedoch größere Bedeutung zu erlangen.40 Versuchsweise unternommene Fahrten ins Mittelmeer, vor die nordwestafrikanische Küste oder ins Schwarze Meer blieben weitgehend ergebnislos.41 Die Fischdampfer fingen vor allem Fische aus der Familie der Dorsche wie Schellfisch, Kabeljau, Köhler (Seelachs), Wittling und Leng. Bei Island ­wurde in großer Tiefe auch Rotbarsch gefangen. Heringe waren für die Fischdampfer nur in der Nordsee, saisonal (etwa Juli bis Oktober) von Bedeutung. Dieser so genannte Trawlheringsfang (im Unterschied zu der Treibnetz­ heringsfischerei, s. u.) entstand kurz vor dem Ersten Weltkrieg und lieferte Heringe als Rohstoff für die Konservenproduktion der Fischindustrie.42 Für eine populäre Darstellung der Neufundlandfischerei siehe: Mark Kurlansky, Kabeljau. Der Fisch, der die Welt veränderte, München 2000. 39  Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 161; Steinert, Fanggebiete, S. 33 f. 40  Baartz, Entwicklung und Strukturwandel, S. 158–167; Steinert, Fanggebiete, S. 32–35; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 184. Anfänglich lehnten Handel und Verbraucher die bei Island gefangenen Fische wegen ihrer Größe ab. Schnakenbeck datiert den Beginn der deutschen Fischerei bei Island bereits auf 1891. 41  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 193; Janssen, Segen des Meeres, S. 121; Schnakenbeck, Die Nordseefischerei, S. 185 f.



I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei117

3. Vom Ersten Weltkrieg bis zum Nationalsozialismus Der deutschen Hochseefischerei waren, als im Juli 1914 der Krieg ausbrach, ihre Fanggründe bei Island und in der Barentssee durch die britische Blockade versperrt, während die Fischerei in der Nordsee durch die Kriegshandlungen bald sehr gefährlich wurde. Hinzu kam, dass die Marine eine große Zahl von Fischdampfern für den Einsatz als Vorpostenboot, Minensucher u. ä. requirierte. Von den 263 im Juli 1914 vorhandenen Fischdampfern gingen schließlich 124 während des Krieges verloren, wobei die Verluste zu gleichen Teilen bei der Fischerei und im Einsatz bei der Kriegsmarine auftraten. Weitere 45 Fischdampfer waren nach dem Waffenstillstand als Verlust zu verzeichnen, vor allem aufgrund von Minenschäden. Die Fangergebnisse im Krieg bildeten entsprechend nur noch einen Bruchteil der Zahlen aus Friedenszeiten. Allerdings vervielfachte sich der Durchschnittpreis für den Fisch aufgrund der allgemeinen Nahrungsmittelknappheit, so dass der Betrieb trotz deutlich gestiegener Versicherungsprämien für die Reedereien lohnend war.43 42

Nach Ende des Ersten Weltkrieges glichen zwar mit staatlichen Hilfen finanzierte Neubauten die Schiffsverluste bald wieder aus, aber die anhaltende Minengefahr, der Kohlenmangel, ausländische Importe, erhöhte Eisenbahntarife und die beginnende Inflation belasteten das Gewerbe. Vor allem aber brach die Nachfrage weg: Fisch hatte – auch bei mangelhaftester Qualität – in den Hungerjahren des Krieges immer Abnehmer gefunden, nach dem Krieg und nach der Freigabe der Fleischwirtschaft Ende 1920 stürzte sich der Verbraucher auf die lange entbehrten Fleischprodukte und der Fischkonsum brach ein. Ein großer Teil der Flotte musste zeitweilig aufgelegt werden, während die Reedereien gleichzeitig ihre Fänge verstärkt im Ausland anlandeten, um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern. Nachdem die Reichsregierung nach Kriegsende den Wiederaufbau der Fischdampferflotte über den Vorkriegsstand hinaus gefördert hatte, bemühte sie sich jetzt, den Fischereiunternehmen beim Absatz der gestiegenen Fischproduktion unter die Arme zu greifen. Die staatlich geförderte Reichsfischwer42  Für Statistiken über den Anteil der verschiedenen Fischarten am Gesamtfang in den verschiedenen Meeresgebieten bezogen auf das Jahr 1925 s. Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 203  f. Zum Trawlheringsfang s.: Stahmer, Fischhandel und Fisch­industrie, S.  285  ff.; Steinert, Fanggebiete, S. 35; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 192–195. 43  Zur Fischerei im Ersten Weltkrieg: Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 178 f., 186 f.; Sarrazin, War, S. 142–150; Otto Senft, Die Entwicklung der deutschen Dampf-Hochseefischerei, in: Wilhelm von Flügge (Hrsg.), Die Fische in der Kriegswirtschaft (Beiträge zur Kriegswirtschaft; H. 34 / 38), Berlin 1918, S. 78–111. Während in Geestemünde 1913 noch 90,36 Mill. Pfund angelandet wurden, waren es 1915 nur noch 22,57 Mill. Pfund.

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D. Grenzen des Meeres

bung GmbH organisierte ab 1928 vielfältige Kampagnen mit Plakaten, Presseberichten und Rundfunksendungen.44 In der zweiten Hälfte der 1920er war zeitgenössischen Beobachtern bewusst, dass die deutsche Dampfhochseefischerei auf dem bisherigen Weg, immer weitere Fischdampfer zu bauen und die Fangmenge zu steigern, in eine Sackgasse geraten war, da der Markt die gesteigerte Produktion nicht mehr aufnahm. „Sich größeren Absatz zu verschaffen, darauf hat die Dampferfischerei zunächst zu sehen, erst dann kann sie daran gehen, die Produktion zu erhöhen,“ resümierte der Fischereibiologe Werner Schnakenbeck 1928.45 Dabei wies er darauf hin, dass der deutsche Verbrauch theoretisch noch ein hohes Steigerungspotential besaß, da Deutschland 1924 bei etwa 60 Mill. Einwohnern nur 218 Mill. kg Seefisch verbrauchte, während bei den 45 Mill. Briten ganze 1.119 Mill. kg jährlich auf den Tisch kamen.46 Bis zum Zweiten Weltkrieg sollte die Absatzfrage (oder die Überproduktion bzw. Überkapazität) das vordringliche Problem der deutschen Dampfhochseefischerei bleiben. Der neidvolle Blick auf die Britischen Inseln, als dem Land mit dem scheinbar unbegrenzten Fischverbrauch, entwickelte sich hierbei bis in die 1930er Jahre zu einem festen Topos in Texten des deutschen Fischereigewerbes [siehe Kap. D. III. 2. a)]. Freilich bildeten die 1920er auch für die britische Fischwirtschaft eine Krisenzeit, in der sie unter Überkapazitäten und fallenden Preisen litt. Zudem war nach 1918 der vor dem Krieg bedeutende Exportmarkt für britischen Salzhering auf dem Kontinent weggebrochen aufgrund der politischen Situation in der UdSSR und dem Auf- bzw. Ausbau eigener Heringsfischereien in Deutschland und Polen. Allerdings besaß die britische Fischdampferflotte in den zahlreichen Fried-Fish-Läden („Fish ’n’ Chips“) zumindest ein solides Fundament für ihren Absatz.47 Die Anzahl und die geographische Verteilung der deutschen Fischdampfer für 1927 und 1936 gehen aus der folgenden Tabelle hervor. Die Angaben 44  Heidbrink, Creating a Demand, S. 139; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 180, 188; s. a. zum Einbruch der Nachfrage nach dem Krieg: Brenning, Propagierung, S.  123 f. 45  Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 196  f. Werner Schnakenbeck (geb. 1887) war in den 1930er und 1940er Jahren Direktor des Instituts für See- und Küstenfischerei der Reichsanstalt für Fischerei in Hamburg-Altona; s. Prof. Dr. W. Schnakenbeck, Oberregierungsrat, in: Monatshefte für Fischerei, N. F. 8 (1940), 7, S. 84. 46  Ebd., S. 196. 47  Robb Robinson, War, Public Intervention and Structual Changes in the British Fishing Industry, 1914–1930, in: Randi Ertesvåg  /  David J. Starkey  /  Anne Tove Austbø (Hrsg.), Maritime Industries and Public Intervention. The Fourth North ­ Sea History Conference, 18–20 August 1995, Stavanger, Norway, Stavanger 2002, S. 124–136. Zur Bedeutung von Fried-Fish für die britische Fischerei: Walton, Fish and Chips, S. 6 f.



I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei119

für 1927 beinhalten 18 Trawler, die als Teil der Reparationsleistungen für Italien fuhren.48 Die hier angegebenen Heimathäfen sind nicht immer die Häfen, in denen die Fischdampfer regelmäßig ihren Fang anlandeten und neu ausgerüstet wurden. Tatsächlich liefen die Cranzer und überwiegend auch die Hamburger Altona an, während die Bremerhavener und Nordenhamer auf Wesermünde fuhren.49 Tabelle 3 Heimathäfen deutscher Fischdampfer 1927 und 1936 1927

1936

Wesermünde Cuxhaven Altona Bremerhaven Nordenham Hamburg Cranz

127 102  49  46  33  25   7

175  96  52  26  12

Gesamt

389

361

Quelle: Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 196 f.; Otto Höver, Deutsche Hochseefischerei, Oldenburg 1936, S. 309–322.

1936, also nach der Weltwirtschaftskrise und vor den Auswirkungen des Vierjahresplans, zählte die deutsche Dampfhochseefischerei 361 Fischdampfer, die für 39 Reedereien fuhren. Die Größenunterschiede zwischen den Reedereien waren beträchtlich: Die Nordsee Deutsche Hochseefischerei dominierte eindeutig das Feld mit 167 Fischdampfern, die nächst kleineren Unternehmen folgten nach weitem Abstand mit 20, 16 und 15 Dampfern. 23 Reedereien verfügten nur über fünf oder weniger Fahrzeuge, einschließlich 15 Reedereien, die nur je einen Fischdampfer betrieben.50 48  Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages sollte auch ein Viertel der Fischdampfertonnage an die Siegermächte abgeliefert werden. Letztlich wurden die Forderungen jedoch soweit gemildert, dass nur 40 Fischdampfer aus Beständen der Marine an Großbritannien, Frankreich und Belgien gingen. Die fehlende Tonnage sollte auf deutschen Werften neu gebaut werden. Dazu ist es nur im Fall von Italien gekommen. Die Mehrheit dieser Fischdampfer wurde von einer deutschen Reederei von Cuxhaven aus für Italien betrieben; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 179 f. 49  Ebd., S.  196 f. 50  Höver, Deutsche Hochseefischerei, S. 309–322.

120

D. Grenzen des Meeres

Die älteste Organisation auf dem Gebiet der Seefischerei bildete der teils staatlich finanzierte Deutsche Seefischerei-Verein (DSV), der 1894 aus dem Deutschen Fischerei-Verein hervorging und bis 1938 existierte. Der DSV widmete sich der Förderung der Fischerei, indem er sich um Subventionen und Absatzförderung bemühte und die Fischereiforschung vorantrieb.51 Die Reedereien der Dampfhochseefischerei begannen schon in der Gründungsphase sich zu organisieren. 1888 schlossen sich die Reeder aus Geestemünde und Bremerhaven zum Dampfseefischerei-Verein Unterweser zusammen. An der Elbe folgte man 1906 mit dem Fischdampferreedereiverein Elbe. Nicht Mitglied waren lediglich die großen Aktiengesellschaften, also die Deutsche Dampffischerei-Gesellschaft Nordsee und die Cuxhavener Hochseefischerei AG, die später in der Nordsee aufging. Als alle Reedereien umfassende, reichsweite Dachorganisation entstand bald nach dem Ersten Weltkrieg der Wirtschaftliche Verband der Deutschen Hochseefischereien, der später unter dem Namen Verband der deutschen Hochseefischereien weitergeführt wurde. Das Amt des Vorsitzenden des Verbandes der deutschen Hochseefischereien bekleidete Mitte der 1930er Jahre Robert Ahlf, der Direktor der Reederei-Sparte des Unternehmens Nordsee. Geschäftsführer war zu dieser Zeit August Dierks,52 der als Syndikus der Industrie- und Handelskammer Wesermünde in vielen Bereichen von Fischerei und Walfang aktiv war.53 In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Verband der deutschen Hochseefischereien am 8.5.1934 in den Reichsnährstand eingegliedert.54 Er blieb weiter für technische und nautische Fragen zuständig, während die 51  Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 21 f.; Gerd Wegner, Die Forschung sucht Fisch für die Praxis, in: Wilfried Brandes (Hrsg.), „Nordsee“. Geschichten über die größte deutsche Fischdampfer-Reederei, Bremen 1998, S. 21 f.; Paul Friedrich Meyer-Waarden, Aus der deutschen Fischerei. Geschichte einer Fischereiorganisation (Schriften der Bundesforschungsanstalt für Fischerei Hamburg; 10), Berlin 1970, S. 15 ff., 62–66; s. a. das monatlich bis 1934 erscheinende Organ des DSV: Mitteilungen des Deutschen Seefischerei-Vereins. 52  Dierks stand seit 1921 im Dienst der Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde, seit 1924 als stellvertretender Syndikus. Er organisierte maßgeblich die Jubiläumsfeiern der Hochseefischerei 1936. Nach dem Krieg wirkte Dierks weiterhin als Hauptgeschäftsführer der Kammer und fungierte noch 1967 als Vorsitzender des Kuratoriums für die Gründung des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven; Scheper, Bremerhaven, S. 229, 297, 436, 462. 53  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 139; Höver, Deutsche Hochseefischerei, S. 178. 54  Angliederung des Verbandes der deutschen Hochseefischerei an den Reichsnährstand, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, Mai 1934, S. 83. Der Reichsbauernführer konnte damit, so der Artikel mit drohendem Unterton, „die Einsetzung und Abberufung des Vorsitzenden, der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und des Geschäftsführers verlangen.“



I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei121

Neuordnung des Verbändewesens fast zeitgleich mit der „Verordnung über den Zusammenschluss der deutschen Fischwirtschaft“ vom 1.4.1935 zur Gründung der Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft führte.55 Diese Organisation des Öffentlichen Rechts umfasste die gesamte Fischwirtschaft (See- und Binnenfischerei, verarbeitende Industrie, Groß- und Einzelhandel) und besaß somit auch eine Fachschaft Hochseefischerei. Die Hauptvereinigung unterstand dem Reichsernährungsministerium und nahm Aufgaben der Preis- und Marktregelung wahr, beriet Betriebe, überwachte hygienische Anforderungen und regelte Fragen der Produktbezeichnungen, der Qualität und der Ausbildung. Ab 1933 verloren auch in der Fischereiforschung und -verwaltung Menschen ihre Positionen aufgrund von politischen und antisemitischen Säuberungen des NS-Regimes.56 4. Weitere Betriebsformen der Fischerei: Küstenfischerei, Kleine Hochseefischerei und Große Heringsfischerei Bislang war in erster Linie von der Hochseefischerei mit Fischdampfern die Rede, die auf Eis gekühlten (nicht gefrorenen) Frischfisch57 anlandete. Neben dieser auch als Dampfhochseefischerei bezeichneten Betriebsform, die sich seit 1885 entwickelt hatte, existierten ältere Zweige der Fischerei weiter. Es gab weiterhin (und gibt bis heute) eine deutsche Küstenfischerei, die neben Fischen auch Garnelen – norddeutsch auch Krabben oder Granat genannt – und Muscheln (früher Austern, später zunehmend nur noch Miesmuscheln) fing.58 In Abgrenzung zur Hochseefischerei lässt sich die Küstenfischerei dadurch definieren, dass sie mit kleineren Fahrzeugen – in den 1920ern meist unter 8 m Länge – gewöhnlich in Sichtweite der Küste, oft in Buchten und Flussmündungen betrieben wird, wobei die Fahrten selten über 24 Stunden ausgedehnt werden.59 Die Küstenfischerei in der Nordsee und die Ostseefischerei, die eine reine Küstenfischerei war, leisten mengen- und wertmäßig einen vergleichsweise geringen Beitrag zur deut55  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S.  XV–XXIV; Höver, Deutsche Hochseefischerei, S. 178. 56  Burkhard Watermann, Zum Schicksal einiger Meeresbiologen im National­ sozialismus, in: Historisch-meereskundliches Jahrbuch, 1 (1992), S. 109–138. 57  Der Ausdruck „Frischfisch“ bezieht sich stets auf Fisch, der zwar ausgenommen, aber ansonsten unverarbeitet ist, also nicht gesalzen oder getrocknet wurde. Über Alter und Erhaltungszustand ist damit nichts gesagt. 58  Einen guten Überblick der Entwicklung der Küstenfischerei bis 1928 inklusive solcher Randgebiete wie der Seemoos-, Salz-, Seetorf-, Muschelkalk- und Tanggewinnung bietet: Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 9–115. 59  Ebd., S. 6.

122

D. Grenzen des Meeres

schen Fischereiwirtschaft (s. u.), weshalb sie hier im Folgenden außer Betracht bleiben. Die Hochseefischerei, wie sie sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte, unterteilte man in die Kleine Hochseefischerei und die Große Hochseefischerei. Letztere zerfiel wiederum in die bereits thematisierte Dampfhochseefischerei und die Große Heringsfischerei. Die Kleine Hochseefischerei – auch Kutterhochseefischerei genannt – entstand aus der alten Hochseefischerei unter Segeln. Ihr Schwerpunkt lag Ende der 1920er weiterhin an der Unterelbe (vor allem Finkenwerder) mit weiteren Standorten an der Unterweser sowie der Nord- und Ostfriesischen Küste. Im Unterschied zu den Fischdampfern entwickelten sich die verwendeten Fahrzeuge im Wesentlichen bruchlos aus den alten Segelfahrzeugen, wobei bis in die 1920er Jahre hinein nach und nach Motoren installiert wurden. Die Kleine Hochseefischerei blieb auf die Deutsche Bucht beschränkt, wo sie sich auf den Fang hochwertiger Edelfische wie Seezunge und anderer Plattfische konzentrierte. Die ökonomische Nische der Kleinen Hochseefischerei bestand darin, dass sie mit kleineren Fahrzeugen und Besatzungen Fanggründe befischte, auf denen sich die Fischdampfer nicht rentiert hätten, und darin dass sie eine höherwertige und durch die kurzen Wege frischere Ware anlandete.60 Die Große Heringsfischerei bildete ein älteres Gewerbe als die Dampf­ hochseefischerei, von der sie sich durch ihr Produkt, die Fangmethode, die verwendeten Fahrzeuge und die Standorte unterschied. Bei ihrem ausschließlichen Produkt handelte es sich um Salzhering, das heißt um Heringe, die nach dem Fang auf See mit einem Kehlschnitt teilweise ausgenommen (also „gekehlt“) wurden und anschließend mit Salz in Fässer, so genannte Kantjes gepackt wurden. An Land erfolgten eine Sortierung und eine Umpackung ebenfalls mit Salz in andere Fässer. Der so entstandene Salzhering machte eine enzymatische Reifung durch und blieb für viele Monate haltbar. Salzhering muss vor Genuss erst gewässert werden und wurde im Haushalt meist zu Heringssalat, Brathering, Bismarckhering und anderen Zubereitungen weiterverarbeitet.61 Salzheringe galten als billiges Volksnahrungsmittel und wurden seit dem Mittelalter im deutschen Binnenland viel konsumiert. Im Unterschied zu dem Grundschleppnetz der Fischdampfer verwendete die 60  Fischer, Kutterhochsee- und Küstenfischerei, S. 216  f.; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 139 f., 166 f., 173 f. Standorte waren an der Unterelbe neben Finkenwerder Cuxhaven, Schulau, Blankenese und Cranz; an der Weser Bremerhaven und Wesermünde; in Nordfriesland Büsum; in Ostfriesland Norddeich, Neuharlingersiel, Carolinensiel und Norderney. 61  Der Matjes ist als ein nur mild gesalzener unreifer (d.  h. ohne Milch oder Rogen) Hering eine Sonderform des Salzherings.



I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei123

Große Heringsfischerei ein Treibnetz („Fleet“), das als eine drei bis fünf km lange Netzwand aufrecht stehend unter der Wasseroberfläche passiv trieb. Während die Dampfhochseefischerei ihren Aktionsradius fast kontinuierlich ausdehnte, blieb das Fanggebiet der Großen Heringsfischerei stets die Nordsee. Der Fang begann im Mai oder Juni etwa auf Höhe der Shetland Inseln, bewegte sich dann dem Auftreten der Heringsschwärme folgend nach Süden und endete im November oder Dezember auf der Höhe der englischen Ostküste oder der Doggerbank. Es handelte sich somit um eine saisonale Fischerei, bei der ungefähr für sechs Monate im Jahr der Betrieb ruhte. Die Fischdampfer der Dampfhochseefischerei dagegen fingen das ganze Jahr über, auch wenn Absatz- und Produktionsmöglichkeiten saisonal schwankten und Teile der Flotte zeitweise stillgelegt waren.62 Die für die Treibnetzheringsfischerei verwendeten Fahrzeuge nannte man Logger. Ab 1901 gab es in Deutschland Logger, die mit Dampfmaschinen – in geringerer Zahl auch mit Dieselmotoren – ausgestattet waren, aber reine Segellogger fuhren auch noch 1927. Die seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland üblichen Logger hatten Besatzungen von 15 Mann oder etwas mehr. Dies bedeutete zusammen mit den hohen Anschaffungskosten für die großen Treibnetze, dass die Große Heringsfischerei von Beginn an von Kapitalgesellschaften betrieben wurde. Lange Zeit dominierten die Niederlande, wo die beschriebene Konservierungsmethode entwickelt worden war, auch den deutschen Markt. Nach niederländischem Vorbild wurden seit dem 18. Jahrhundert verschiedene, meist nur kurzlebige Heringsfischereigesellschaften an der deutschen Küste gegründet. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert und damit parallel zum Aufbau der Dampfhochseefischerei etablierten sich dauerhaft derartige Gesellschaften an den Standorten Emden, Leer (beide an der Ems), Vegesack (Weser) und Glückstadt (Elbe). Mit diesem Wachstum der deutschen Heringsfischerei ging nicht unbedingt ein Anstieg des Verbrauchs einher, sondern er fand eher auf Kosten niederländischer und britischer Importe statt, die allerdings weiterhin den Großteil des deutschen Bedarfes deckten. Der Aufbau der deutschen Heringsfischerei war von beträchtlicher staatlicher Unterstützung in Form von Bauprämien und anderen Subventionen mitgetragen. 62  Zur Großen Heringsfischerei im Folgenden: Gerhard Köhn, Seegekehlt & seegesalzen. Loggerfischerei von der Nordseeküste. Zur Erinnerung an die vor 100 Jahren gegründete Glückstädter Heringsfischerei, Soest 1994; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 117–138; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 279–284, 319–335. Siehe als autobiographischen Bericht mit vielen Informationen zur Alltagsgeschichte der Besatzungen: Heinrich Winkler, Das war die Zeit der deutschen Loggerfischerei, in: Schiffahrt international, 1987, S. 338–363.

124

D. Grenzen des Meeres

Im Ersten Weltkrieg kam die Große Heringsfischerei zum Erliegen, aber auch die 1920er waren keine guten Jahre. 1925 stellte insofern einen Tiefpunkt dar, da nur noch 8 % des deutschen Salzheringverbrauchs von der einheimischen Fischerei gedeckt wurden verglichen mit 20  % im Jahr 1913.63 Wenn die Lage der deutschen Heringsfischerei 1928 eine „besorgniserregende Krisis“ genannt wurde,64 so lag dies, anders als bei der Dampfhochseefischerei, nicht an mangelndem Absatz, denn der deutsche Bedarf überstieg weiterhin die eigene Produktion. Vielmehr waren hohe Betriebskosten, die Kriegsfolgen und eine Reihe schlechter Fangjahre verantwortlich. Das Reich kam in dieser Situation erneut zur Hilfe, indem es Kredite bereitstellte und einen Schutzzoll erhob. Dennoch schrumpfte die Flotte der Großenheringsfischerei von 254 Fahrzeugen 1914 auf 182 im Jahre 1920 und nur noch 135 im Jahr 1927.65 1936 gab es dagegen bereits wieder 167 Logger unter deutscher Flagge, die aber nur noch sechs Gesellschaften an vier Standorten gehörten: Drei Gesellschaften operierten von Emden aus (zusammen 66 Logger), eine von Vegesack aus (67 Logger), eine von Leer aus (27 Logger) und schließlich arbeitete ein Unternehmen mit sieben Loggern in Glückstadt.66 Um die unterschiedlichen Formen der deutschen Seefischerei und ihre größenmäßigen Verhältnisse untereinander darzustellen, sei hier beispielhaft für das Jahr 1926 eine Übersicht der Anlandungen nach Gewicht und Wert gegeben, aus der die Dominanz der Fischdampfer (Dampfhochseefischerei) klar hervorgeht (siehe Tabelle 4). Im europäischen Vergleich war die deutsche Seefischerei eine bedeutende Größe, wurde aber von Norwegen, England und Schottland bei weitem übertroffen. Deutschland wies dagegen durch die späte Entwicklung seiner Seefischerei höhere Wachstumsraten auf als alle anderen Länder (eventuell mit Ausnahme Islands) (siehe Tabelle 5 und 6). Die deutsche Hochseefischerei war somit zu Beginn der 1930er Jahre ein vergleichsweise junger, rasch gewachsener Industriezweig, der einen im europäischen Vergleich beträchtlichen Umfang erreicht hatte. Indem die Dampfhochseefischerei ihren Aktionsradius von der Nordsee aus immer weiter ausdehnte, gelang es, die Produktion fast kontinuierlich zu steigern. Spätestens in den 1920er Jahren war jedoch deutlich geworden, dass das Hauptproblem der Branche der unzureichende Absatz für Frischfisch in Deutschland darstellte. 63  Schnakenbeck,

Nordseefischerei, S. 133. S. 217. 65  Ebd., S.  128 f. 66  Statistik der deutschen Logger-Heringsfischerei im Nordseegebiet für 1936, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.2.1937, S. 63. 64  Ebd.,



I. Die Vorgeschichte der deutschen Hochseefischerei125 Tabelle 4 Gesamtertrag der deutschen Seefischerei im Jahr 1926 Gewicht in 1000 kg / Wert in 1000 Mark % des Gesamtgewichts / % des Gesamtwertes 236.364 / 61.220 Küstenfischerei

Hochseefischerei

Nordsee

Ostsee

Kleine Hochsee­fischerei

23.000 / 4.000

35.000 / 11.500

10 % / 7 %

15 % / 19 %

58.000 / 15.000

Große Hochseefischerei Dampfhoch­ seefischerei

Große Heringsfischerei

2.500 / 1.250

160.000 / 38.500

15.500 / 6.400

1 % / 2 %

68 % / 63 %

6,5 % / 10 %

Quelle: Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 215 f. Prozentangaben nach eigener Berechnung. Tabelle 5 Gesamterträge der europäischen Seefischerei in 1000 kg, 1905–1924 1905

1910

1913

1924

 64.452

166.161

181.399

221.217

Dänemark

 42.117

 42.928

 64.430

 68.358

Schweden

 33.158

119.160

 72.832

 74.330

Norwegen

333.657

629.510

731.525

743.006

Deutschland

k. A.

 78.361

 92.170

157.868

Schottland

399.101

442.450

397.602

405.191

England

574.536

666.378

820.541

695.353

Holland

106.990

137.425

147.057

131.887

k. A.

230.417

193.150

214.654

Island

Frankreich (ohne Mittelmeer)

Quelle: Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 214.

126

D. Grenzen des Meeres Tabelle 6 Gesamterträge der europäischen Seefischerei (1924 = 100), 1905–1924

Deutschland Dänemark Schweden Norwegen Island Schottland England Holland Frankreich (ohne Mittelmeer)

1905

1910

1913

1924

29 62 45 45 – 98 83 81 –

 75  63 160  85  50 109  96 104 107

 82  94  98  98  58  98 118 112  90

100 100 100 100 100 100 100 100 100

Quelle: Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 214. Indexzahlen nach eigener Berechnung.

II. Der Walfang bis in die 1930er Jahre „70 Jahre hatte der deutsche Walfang geschlafen, aber jetzt ist das Kettenglied geschmiedet, das uns mit großer Tradition und alter ehrwürdiger deutscher Walfängerei verbindet;“67 so schrieb Carl Kircheiß, nachdem das nationalsozialistische Deutschland 1936 / 37 erstmals Walfangflotten in die Antarktis entsandt hatte. Es bestand zu dieser Zeit ein großes Interesse, die neue deutsche Walfangindustrie in eine historische Kontinuität zu stellen und auf deutsche Traditionen zu verweisen. Daher trug ein 1938 vom Reichsernährungs- und Reichswirtschaftsministerium herausgegebenes Handbuch den Titel „Der neue deutsche Walfang“, der Völkische Beobachter berichtete unter der Überschrift „Deutsche gehen wieder auf Walfang“68 und man schrieb über „die große Tradition der alten erfolgreichen deutschen Walfängerei“,69 die „Wiederaufnahme des deutschen Walfangs“,70 den „Wiedereintritt Deutschlands in den internationalen Walfang“,71 die „Wie67  Kircheiß,

Der neue deutsche Walfang, S. 382. gehen wieder auf Walfang, in: Völkischer Beobachter, 30.4.1936, Zeitungsausschnitt in: StA Hamburg Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle I–IV, Sign. 7341. 69  Christiansen, Rohstoffquelle Walfang, S. 128. 70  Wiederaufnahme des deutschen Walfangs. Auf den Spuren der Wikinger und Hansen, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Juni 1936, S. 1347. 71  Carl Röver, Geleitwort, in: Otto Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, mit einem Geleitwort von Gauleiter und Reichsstatthalter Carl Röver, Berlin u. a. 1939, S. 7–10, hier S. 8. 68  Deutsche



II. Der Walfang bis in die 1930er Jahre127

dergeburt des deutschen Walfangs im Dritten Reich“,72 das Anknüpfen an „gute alte Überlieferungen“ der friesischen Walfänger,73 Deutschlands „alte Geschichte im Walfang“ usw.74 Auf die Spitze trieb dies Albrecht Janssen, der 1937 ein populärwissenschaftliches Buch veröffentlichte unter dem Titel „Tausend Jahre deutscher Walfang.“75 Um eine reine invention of tradition handelte es sich dabei nicht, da der Walfang auf dem Gebiet des Deutschen Reiches in der Tat eine Vorgeschichte hatte. Dennoch handelte es sich bei den deutschen Unternehmungen ab 1936 / 37 um eine Neuschöpfung nach norwegischem Vorbild, die nicht auf deutschen Traditionen aufbaute und in erster Linie auf die besonderen Rahmenbedingungen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik zurückging. In diesem Unterkapitel werden die Entwicklung des Walfangs bis zu den 1930er Jahren sowie die deutsche Beteiligung daran umrissen. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf dem modernen Walfang seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, da die Walfangunternehmen der NS-Zeit direkt hierauf aufbauten. Deutscher Walfang fand fern der eigenen Küste statt. An den deutschen Küsten kamen (und kommen) regelmäßig nur verschiedene Kleinwalarten vor, die allenfalls gelegentlich von Fischern gefangen wurden, ohne dass hieraus ein Gewerbe mit mehr als sehr lokaler Bedeutung entstanden ­wäre.76 Die Geschichte des europäisch-westlichen Walfangs – ungeachtet der Entwicklung in Japan, bei den Inuit und präkolumbianischen Völkern – lässt sich in drei Epochen einteilen, an denen Deutschland bzw. deutsche Küstenstädte in unterschiedlichem Maße beteiligt waren und die sich in den vorwiegend bejagten Walarten, den Fang- und Verarbeitungstechniken und den erzeugten Produkten unterscheiden:77

72  Christiansen,

Wiedergeburt. Einzige Kolonie, S. 95. 74  Landgraeber, Walfang und Walfettgewinnung, S. 484. 75  Janssen, Tausend Jahre. 76  Schnakenbeck berichtet von einem Beispiel für einen regelmäßigen Kleinwalfang vor der deutschen Küste: Ein Fischer aus Westerland auf Sylt begann 1837 mit der Jagd auf Tümmler, die er in der Nähe des Strandes mit einem großmaschigen Netz fing. Im ersten Jahr sollen so im Sommerhalbjahr insgesamt 24 Tiere erbeutet worden sein, die 110 Kannen Tran ergaben. Noch um 1860 setzte man drei Boote von Westerland aus für diese Jagd ein, aber mit der Zunahme des Badebetriebes wurde der Fang eingestellt; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 14. 77  Vgl.: Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 32 ff.; Peters, Kurze Geschichte, S. 6; Lynge, Walfang, S.  6 f., 14 f., 23 f. 73  Hoffmann,

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1. Die Grönlandfahrt (Blütezeit etwa 1650–1750), 2. Die Südseefischerei (Blütezeit etwa 1820–1850), 3. Der moderne Walfang (Blütezeit etwa ab 1925). 1. Grönlandfahrt und Südseefischerei Als Grönlandfahrt bezeichnet man den Walfang, der von Niederländern und Briten, aber auch von deutschen Häfen aus ab dem frühen 17. Jahrhundert betrieben wurde. Das Jagdgebiet bildeten zunächst die Gewässer um die arktische Inselgruppe Spitzbergen, die damals als Teil Grönlands angesehen wurde. Später verlagerte sich der Fang in die Davis-Straße (westlich von Grönland). Die Jagd richtete sich vor allem auf Grönlandwale, deren Tran als Lampenöl, Schmiermittel, bei der Lederverarbeitung oder bei der Herstellung von Seifen und Lacken Verwendung fand. Daneben waren auch die Barten („Fischbein“) von erheblicher Bedeutung, die überall dort eingesetzt wurden, wo ein festes, aber leichtes und elastisches Material verlangt wurde (Korsettstangen, Schirmrippen,78 Angelruten, Hutfedern usw.). Deutsche Häfen beteiligten sich seit den 1640er Jahren in erheblichem Umfang am Walfang in der europäischen Arktis. Die Blütezeit endete bereits im 18. Jahrhundert, aber die letzten deutschen Grönlandfahrer stachen 1861 von Hamburg und 1872 von Bremen aus in See. Die Gründe für den ­Niedergang lagen eindeutig in der Übernutzung der Ressource.79 An der Geschichte der Grönlandfahrt lässt sich bereits ein Muster des Raubbaus an der Ressource erkennen, das sich in etwa in den späteren Epo78  Im Französischen bezeichnet „baleine de parapluie“ heute noch die Streben eines Regenschirmes, obwohl diese seit langem nicht mehr aus „baleine“ (= Fischbein oder Wal) hergestellt werden. 79  Zur Grönlandfahrt allgemein: Richards, The Unending Frontier, S. 589–616; Ellis, Mensch und Wal, S. 50–75; Peters, Kurze Geschichte, S. 6–9; Werner Schnakenbeck, Der Walfang (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. V, H. 4), Stuttgart 1928, S. 1–11; Balæna, in: Johann Heinrich Zedler (Hrsg.), Großes vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 3, Halle / Leipzig 1733 (photomechanischer Nachdruck Graz 1961), Sp. 171–175. Zur Beteiligung deutscher Häfen: Richards, The Unending Frontier, S.  597 f.; Ellis, Mensch und Wal, S. 67; Wanda Oesau, Die deutsche Südseefischerei auf Wale im 19. Jahrhundert, Glückstadt  /  Hamburg  /  New York 1939, S.  127 f.; Peters, Kurze Geschichte, S. 9; Wanda Oesau, Schleswig-Holsteins Grönlandfahrt auf Walfischfang und Robbenschlag vom 17.–19. Jahrhundert, Glückstadt 1937; Schnakenbeck, Walfang, S. 12–30. Gemälde, Karten, Stiche und andere Abbildungen zu dieser Epoche des Walfangs finden sich bei: Joachim Münzing, Der historische Walfang in Bildern (Sammlungen des Altonaer Museums in Hamburg; 13), Herford 1987; s. a. Klaus Barthelmess, Die Walknochen der Nordseeinsel Borkum. Kulturgeschichte bedeutsamer Denkmäler aus der Blütezeit des europäischen Arktiswalfangs mit Überlegungen zu ihrer Konservierung, Norderstedt 2008.



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chen wiederholte: Zunächst können die Wale mit vergleichsweise geringem Aufwand von der Küste aus mit Fangbooten gejagt und anschließend an Land verarbeitet werden. Nach relativ kurzer Zeit sind die Wale innerhalb der von Landstationen aus erreichbaren Gewässer so dezimiert, dass der Fang nicht mehr lohnt oder zumindest die Nachfrage nicht mehr gedeckt werden kann. Es folgt der Schritt zum Hochseewalfang oder pelagischen Fang, bei dem die Walfänger unabhängig vom Festland den Walen folgen können. Hierbei führt die Überfischung der Walbestände regelmäßig zu der Notwendigkeit, immer neue Gebiete aufzusuchen. Wenn dies nicht mehr möglich ist oder der steigende Aufwand nicht mehr vom sinkenden Ertrag gedeckt werden kann, beginnt der Niedergang des Gewerbes, auch wenn Entwicklungen auf der Nachfrageseite mitunter ebenfalls eine Rolle spielen.80 Unter der Bezeichnung Südseefischerei versteht man den von US-Amerikanern dominierten Walfang auf Pottwale, vorwiegend aber nicht ausschließlich im Pazifik (der „Südsee“). Es handelt sich um die Art des Walfangs, der Herman Melville 1851 mit „Moby-Dick“ ein literarisches Denkmal setzte. Ausgangspunkt war Ende des 18. Jahrhunderts die Küste von Neuengland, insbesondere die kleine Insel Nantucket, die zusammen mit New Bedford bis zuletzt das Zentrum des amerikanischen Walfangs bildete. Während die europäischen Walfänger die Wale zuerst auf Landstationen verarbeitet hatten und später den Speck zum Auskochen in Fässern nach Europa brachten, installierten die Neuengländer Kessel mit gemauerten Öfen an Bord ihrer Schiffe und machten damit Fang und Verarbeitung unabhängig vom Land. Somit wurden Fahrten von mehreren Jahren Dauer möglich. Als Blütezeit der Südseefischerei oder des amerikanischen Pottwalfangs gelten die Jahre etwa von 1820 bis 1860.81 Beim Pottwal, als der hauptsächlich gejagten Art, findet sich Öl (auch Spermöl genannt) nicht nur im Speck, sondern auch in einer großen Höhlung innerhalb des Kopfes. Aus diesem Kopföl, das in kalter Luft bald wachsartig erstarrt, lässt sich durch Abpressen eine feste, weiße, kristallinische Substanz gewinnen, der Walrat (oder Spermaceti)82, aus der hochwertige Kerzen herstellt wurden, während das aus dem Speck gewonnene Öl vor allem als Lampenöl diente.83 80  Peters,

Kurze Geschichte, S. 6 f. Mensch und Wal, S. 131–179; Kurt Schubert, Der Walfang der Gegenwart (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. XI, H. 6), Stuttgart 1955, S. 69 f.; Oesau, Die deutsche Südseefischerei; Peters, Kurze Geschichte, S. 10–12. 82  Die Bezeichnungen Spermaceti und Spermöl ebenso wie der englische Name Sperm Whale stammen daher, dass man früher glaubte, bei der Substanz im Kopfe handele es sich um das Sperma des Wales; Ellis, Mensch und Wal, S. 37. 83  Nicolaus Peters, Wal-Barten, Pottwalöl, Ambra, in: ders. (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang, Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, 81  Ellis,

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Herman Melville beschreibt in seinem Roman die Begegnung der Pequod mit der Jungfrau, einem Walfangschiff aus Bremen, das zum Zeitpunkt der Begegnung wirklich noch „rein“ war, also bislang keinen Wal gefangen hatte.84 Diese Szene war sicherlich satirisch gemeint, aber tatsächlich stellten deutsche Häfen nur einen sehr bescheidenen Anteil an der Südseefischerei. Für deutsche Häfen lassen sich von 1836 bis 1869 nur 60 Fangreisen in die „Südsee“ feststellen, die allerdings jeweils mehrere Jahre dauerten. Der Schwerpunkt lag hier in Bremen, aber auch andere Städte waren in geringem Maße beteiligt.85 Inwieweit die Übernutzung der Bestände für den Niedergang des Pottwalfangs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verantwortlich war, ist strittig.86 Eine andere Ursache bildete die sinkende Nachfrage nach Walratkerzen und Tran für Öllampen, nachdem mit Petroleum eine starke Konkurrenz entstanden war. Des Weiteren zog die Erschließung des amerikanischen Kontinents Kapital und Arbeitskräfte aus dem Walfang und der Schifffahrt allgemein ab.87 2. Der moderne Walfang Anders als bei den beiden vorangegangenen Epochen ist der moderne Walfang eindeutig mit dem Namen eines Erfinders und Unternehmers verbunden, nämlich dem des Norwegers Svend Foyn (1809–1894).88 Ab 1864 naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 203–207; G. von Krueger, Walprodukte für Beleuchtungszwecke und in der Stearinfabrikation, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 81–84. Für die Einheitlichkeit und Reinheit der Walratkerze spricht auch ihre Verwendung als „Normalkerze“ bei der Definition der physikalischen Einheit der Lichtstärke Candela; ebd. 84  s. „81. Kapitel. Die Pequod begegnet der Jungfrau“; Herman Melville, Moby Dick, Zürich 1977, S. 359 ff. 85  Schubert, Walfang, S. 69; Oesau, Die deutsche Südseefischerei; Peters, Kurze Geschichte, S. 12. 86  Für die These, dass die Pottwalbestände nicht übernutzt waren, s.: Lance E. Davis / Robert E. Gallman / Teresa D. Hutchins, The Decline of U.S. Whaling: Was the Stock of Whales Running Out?, in: The Business History Review, 62 (1988), S.  569–595. s. a.: Schubert, Walfang, S.  69 f. 87  Peters sah dagegen die Ursache hauptsächlich in der zu starken Bejagung und dem Rückgang der Bestände: Peters, Kurze Geschichte, S. 11. Auf attraktivere Arbeits- und Investionsmöglichkeiten bei der Erschließung des amerikanischen Kontinents verweisen: Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 12. 88  Svend Foyn (1809–1894) verkörperte den Typus des protestantischen Kapitalisten: Zeitlebens spendete er für religiöse Zwecke und vermachte den Großteil seines Vermögens der Heidenmission. Einige Zeit nachdem er seine Fangmethode



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legte Foyn die Grundlagen für die neue Industrie, indem er erstmals von Dampf getriebenen Fangbooten aus mit Harpunenkanonen Furchenwale jagte. Die Familie der Furchenwale und hier insbesondere die beiden größten Arten Blauwal und Finnwal waren bis dahin weitgehend vom Fang weitgehend verschont geblieben, da sie zu schnell schwimmen, um mit Ruderbooten gejagt zu werden, und da sie nach dem Tod absinken. Die neuen Fangdampfer dagegen waren schnell genug, um die Furchwale zu erreichen, und groß genug, um den toten Walkörper an der Oberfläche zu halten. Ab den 1880er Jahren pumpte man zu diesem Zweck zusätzlich vom Fangdampfer aus Pressluft in die erlegten Wale. Die Idee, Kanonen und Explosivgeschosse im Walfang einzusetzen, tauchte spätestens im 19. Jahrhundert mehrfach auf und führte auch zu verschiedenen mehr oder minder brauchbaren Lösungen. Aber erst Foyn kombinierte die Harpune, die den Wal mit der Leine sicherte, und eine Granate, die das Tier töten sollte, in einem einzigen Projektil und verband dieses mit einer geeigneten Kanone zu einem praxistauglichen Fanggerät.89 Deutsche Veröffentlichungen zum Walfang aus der NS-Zeit betonten nicht nur allgemein die deutsche Tradition, sondern erhoben auch den Anspruch, die von Foyn verwendete Harpunenkanone sei eine Erfindung des Bremers Philipp Rechten und des Bremerhavener Büchsenmachers Cordes gewesen.90 Von norwegischer Seite aus behandelte man diesen Punkt nicht minder als eine Angelegenheit des nationalen Prestiges und wies die deutschen Ansprüche entschieden und wohl mit Recht zurück. Foyn hatte tatsächlich mit Kanonen von Cordes experimentiert, diese verfeuerten jedoch aus einem Doppelrohr zwei getrennte Geschosse.91 Foyn stammte aus Tønsberg in der südnorwegischen Region Vestfold, die mit den Städten Tønsberg, Larvik und besonders Sandefjord bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg das weltweite Zentrum der Walfangindustrie blieb. Dass Norwegen der Ursprung und die klar dominierende Nation im modernen Walfang wurde, lag nicht nur an der Person Foyns: Norwegen verzeichnete im 19. Jahrhundert einen mit Irland vergleichbaren Bevölkehatten patentieren lassen, vergab er Lizenzen an andere Unternehmen unter der Auflage, dass diese 10 % ihres Nettogewinns ebenfalls an die Mission zahlten; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 26 f., 34. 89  Zur Geschichte des modernen Walfangs allgemein, s.: Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling; Schubert, Walfang; Peters, Kurze Geschichte, S. 12–19; Lynge, Walfang, S.  23 ff. 90  Peters, Kurze Geschichte, S. 13; Carl Kircheiß, Die Technik des Walfangs, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 29–34, hier S. 30. Cordes hatte seine Harpunenkanone von einem von ihm produzierten Seenotrettungsgerät abgeleitet, mit dem sich eine Leine zur Personenrettung auf in Not geratene Schiffe schießen ließ. 91  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 22 f.

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rungsanstieg, der nicht nur eine Auswanderungsbewegung auslöste, sondern auch viele Menschen in alle Bereiche der Schifffahrt drängte. Der bereits etablierte Robbenfang, wo auch Foyn zunächst sein Vermögen machte, gab der entstehenden Walfangindustrie die Kapitalgrundlage und Erfahrungen mit der Seefahrt in arktischen Gewässern. Foyn begann ab 1864 mit einer Landstation in der Finnmark im äußersten Nordosten Norwegens, wo es vor der Küste reiche Bestände an Blau- und Finnwalen gab. Nachdem die Anlaufschwierigkeiten überwunden waren und sich das Unternehmen als hoch profitabel erwiesen hatte, gründeten sich in den 1880er Jahren in einem regelrechten Boom mehrere Gesellschaften, um seinem Beispiel zu folgen, und entsprechend stieg die Zahl der gefangenen Wale steil an. Nach der Jahrhundertwende waren die Bestände bereits so weit reduziert, dass eine Fortsetzung des Fangs vor Finnmarken kaum noch Aussichten besaß. Das Ende kam jedoch durch eine Art Umweltressourcenkonflikt mit den lokalen Fischern, die irrtümlicherweise glaubten, der Walfang gefährde ihre Erwerbsgrundlage, da die Wale bisher die Fischschwärme auf die Küste zu getrieben hätten. Der Konflikt fußte eher auf sozialen und kulturellen Unterschieden zwischen den handwerklich strukturierten Fischern im hohen Norden und den kapitalstarken Walfangunternehmen aus Südnorwegen als auf ökologischen Zusammenhängen, aber die Regierung verbot schließlich 1904, nachdem es zu gewalttätigen Unruhen gekommen war, die Jagd auf Wale in Finnmarken. Für die Walfanggesellschaften war diese Entscheidung tragbar, denn sie erhielten von der Regierung Entschädigungen dafür, dass sie die Fanggründe aufgaben, die sie selbst praktisch schon erschöpft ­hatten.92 Zu diesem Zeitpunkt hatten die Walfänger bereits auf der Suche nach neuen ergiebigen Fanggründen im Nordatlantik expandiert und Landstationen auf Island, den Färöer-Inseln, den Shetlands, Neufundland usw. gegründet. Der entscheidende Schritt wurde allerdings mit der Errichtung der ersten Landstation in der Antarktis 1904 auf der Insel Südgeorgien – eine norwegische Gründung auf einer britischen Insel mit argentinischem Kapital – getan.93 Weitere Landstationen gründeten norwegische Walfänger ab 1908 in Afrika (Mozambique, Südafrika, Angola und Kongo). Die antarktischen Gewässer erwiesen sich jedoch als die bei weitem reichsten Fanggründe und prägten die weitere Entwicklung des Walfangs. Zunächst stützte sich der Fang auf Inseln wie Südgeorgien, den Südlichen Shetlandinseln S. 61–67; Lynge, Walfang, S. 25. Station Grytviken auf Südgeorgien bildete, wie alle frühen Walfangsta­ tionen, eine Art Mischung aus Goldgräbersiedlung und Abdeckerei unter primitivsten Bedingungen am Rande der Antarktis, die ringsum von den verwesenden Kadavern der lediglich abgespeckten aber sonst unverwerteten Wale umgeben war. Eine anschauliche Beschreibung findet sich bei: Kraul, Käpt’n Kraul erzählt, S. 23–39. 92  Ebd., 93  Die



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und den Südlichen Orkneyinseln, auf denen man Stationen zur Verarbeitung der Wale errichtete oder in deren Schutz Schiffe ankerten, auf denen Anlagen zum Auskochen des Walspecks installiert waren. Nachteilig hierbei war, dass die Fangdampfer nur innerhalb eines gewissen Radius’ um die Insel jagen konnten, in dem der Walbestand stets bald rückläufig war. Zudem konnte der Staat, zu dem die Inseln gehörten – in den meisten Fällen Großbritannien –, den Fang an eine Lizenzierungs- und Abgabenpflicht binden und gesetzlich regeln. Der nächste Durchbruch in der Entwicklung des modernen Walfangs war daher 1924 die Einführung des Fabrikschiffes – auch als Kochereischiff oder schwimmende Kocherei bezeichnet – mit einer so genannten Aufschleppe oder Walslip im Heck. Dabei handelte es sich um eine Art Rampe, über die der erlegte Wal durch eine Öffnung im Schiffskörper auf das Deck des Kochereischiffes gezogen wurde, um dort zerlegt und verarbeitet zu werden. Durch die Kochereischiffe mit Aufschleppe war es den Walfängern möglich, ihrer Beute unabhängig von Landstützpunkten überall hin zu ­folgen und insbesondere direkt an der Eisgrenze des Antarktischen Kontinents zu jagen und die Wale auf Hoher See zu verarbeiten. Sie unterlagen hierbei auch keiner Lizenz- und Abgabenpflicht mehr. Eine Walfangflotte bestehend aus einem derartig ausgestatteten Fabrik- oder Kochereischiff und mehreren Fangdampfern bildete von da an die Grundeinheit des Hochseeoder pelagischen Walfangs, wie er fast ausschließlich in der Antarktis betrieben wurde. In den 1920er Jahren erschienen neben norwegischen Kochereischiffen zunehmend solche unter britischer Flagge und sogar je eine U.S.-amerikanische und dänische. Tatsächlich blieb das fast vollständige Monopol der Norweger bei den Arbeitskräften jedoch ungebrochen, d. h, auf diesen Flotten fuhren überwiegend Norweger als Besatzung, während britisches Kapital häufig auch hinter Kochereischiffen unter norwegischer Flagge stand.94 Auf der Produktionsseite waren mit dem Beginn des pelagischen Fangs in den walreichen antarktischen Gewässern alle Voraussetzungen geschaffen für ein rasantes Wachstum der Industrie. Die Zahl der weltweit gefangenen Wale stieg von 1921 bis 1931 von 13.940 auf 42.874 Tiere pro Jahr, die Zahl der Kochereischiffe von zehn auf 43 und die Ölproduktion einer Saison von 108.249 t auf 624.328 t. In der folgenden Saison 1931 / 32 brachen die Fangzahlen dagegen plötzlich ein und erreichten nur noch etwas mehr als ein Viertel dieser Werte. Die Ursache lag nicht in dem Zustand der Walbestände begründet, sondern in einem Überangebot und fallenden Prei94  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 386 f.; Lynge, Walfang, S. 58, 60; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S. 489.

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sen aufgrund der Weltwirtschaftskrise und der hohen Produktion der vorangegangenen Jahre. Die meisten Walfangreedereien beschlossen daher, ihre Fangflotten diese Saison nicht ausfahren zu lassen. In der Saison 1932 / 33 wurden jedoch weltweit wieder 28.668 Wale erlegt, ein Wert, der den Ergebnissen der späten 1920er Jahre entsprach und in den folgenden Jahren weiter anstieg. Die Krise von 1931 / 32 leitete also keinen dauerhaften Niedergang der Industrie ein.95 Die technischen Möglichkeiten und die Entdeckung reicher Walbestände allein können das Wachstum der Walfangindustrie bis zur Weltwirtschaftskrise nicht erklären. Die Nachfrage muss entscheidend hinzutreten. Als Foyn mit dem Walfang in Finnmarken begann, war Waltran das billigste Fett auf dem Markt und nur für technische Zwecke zu verwenden. Abgesehen von Grubenlampen im Bergbau und Signallaternen einiger Eisenbahngesellschaften, war Tran als Lampenöl weitgehend verdrängt worden, aber man benutzte ihn weiterhin als Schmiermittel. Die schottischen und auch deutschen Jutespinnereien brauchten außerdem große Mengen, um die Fasern geschmeidig zu machen. Ein weiterer Abnehmer war die Seifenindustrie, sie nutzte Tran aufgrund des durchdringenden Fischgeruchs allerdings vor allem für billige Schmierseifen. Andere Anwendungsgebiete waren die Lederherstellung, das Härten von Stahl durch Abschrecken im Ölbad, Stiefelschmiere und ähnliches, d. h. kurz gesagt Felder, auf denen allein der Preis ausschlaggebend war, Geruch, Farbe oder gar Geschmack hingegen keine Rolle spielten.96 Unter diesen Umständen musste der Absatz von Waltran begrenzt bleiben. Das oben geschilderte rasche Wachstum der Walfangindustrie wurde erst dadurch möglich, dass der bislang ungenießbare und übel riechende Tran Anfang des 20. Jahrhunderts zum Grundstoff für die Margarineherstellung wurde. Die Grundlage hierfür legte der deutsche Chemiker Wilhelm Normann (1870–1939), als er 1901 das Verfahren der Fetthärtung oder -hydrierung erfand. Indem mittels eines Katalysators (Nickelpulver) Wasserstoff an die ungesättigten Fettsäuren angelagert wird, kann aus jedem natürlichen Öl 95  Hans Hoppe, Statistische Zahlentafel, in: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang, Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 208–221, hier S. 210; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 386–394. Die Auswirkungen für die Wirtschaft Norwegens waren schwerwiegend: Die Zahl der im Walfang beschäftigten Norweger fiel von 10.549 auf 1.884 und die Zentralbank verlor eine ihrer wichtigsten Devisenquellen. 96  Zur Verwendung von Waltran: Carl Heinrich Hudtwalcker, Der Walfang als volkswirtschaftliches Problem, Forchheim 1935, S. 94 f.; Lynge, Walfang, S. 39; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 10, 50 f.



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ein festes, haltbares und geruchloses Fett hergestellt werden. Dabei kann der Schmelzpunkt (und damit die Festigkeit bei Zimmertemperatur), je nach dem wie weit die Härtung getrieben wird, praktisch beliebig gewählt werden. Somit standen auf einmal alle pflanzlichen Öle für die Margarineherstellung zur Verfügung, aber eben auch der Tran oder das Walöl, wie man zunehmend sagte, als diese Substanz eine höhere Wertschätzung gewann. Auch die Seifenindustrie begann nun, gehärteten Tran oder Walöl als wichtigen Rohstoff auch für hochwertige Seifen zu verwenden.97 Margarine wurde 1869 von dem französischen Chemiker Hippolyte Mège-Mourièrs (1817–1880) entwickelt, nachdem die französische Regierung einen Preis für die Erfindung einer Kunstbutter ausgeschrieben hatte.98 Bis zur Jahrhundertwende bildeten amerikanische Importe von Rindertalg (bzw. dem daraus hergestellten Oleomargarin) und Schweineschmalz die wichtigsten Rohstoffe in der europäischen Margarineherstellung. Pflanzenöle wurden nur zugesetzt, um den Schmelzpunkt zu senken und damit die Streichfähigkeit zu erhöhen. Mit der Erfindung der Fetthärtung standen dagegen Pflanzenöle (also bei Zimmertemperatur flüssige Fette) wie vor allem Öle aus Kopra (Kokospalme), Erdnüssen, Sesam, der Ölpalme (Palmund Palmkernöl), Soja und Baumwollsaat als Rohstoffe für die Margarine uneingeschränkt zur Verfügung und wurden ab 1909 auch in großem Umfang genutzt. Margarine war aufgrund der Preisdifferenz zur Butter zwar schnell ein sehr verbreitetes Lebensmittel geworden, gleichzeitig hing ihr als industriell hergestellter Nahrung auch ein schlechter Ruf an, den die Vertretern der um ihren Butterabsatz besorgten Landwirtschaft nach Kräften förderten.99 Ab 1911 verwendeten die Margarineproduzenten neben gehärteten Pflanzenölen auch gehärteten Tran. Zunächst wurde die Verwendung von Tran bzw. Walöl geheim gehalten, da die Hersteller angesichts der ohnehin bestehenden Vorbehalte gegen Margarine mit der Abneigung des Verbrauchers gegen 97  Pelzer / Reith, Margarine, S. 34; Wilhelm Normann, Die Härtung von Walöl und die Verwendung von gehärtetem Walöl in der Margarine-Herstellung, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 73–76. Gehärtetes Walöl wurde unter Handelsnamen wie Talgol, Talgit, Candelit oder Margarit geführt. 98  Im Folgenden allgemein zu Margarine: Pelzer / Reith, Margarine, S. 29 ff.; Adolf Beythien / Ernst Dreßler (Hrsg.), Merck’s Warenlexikon für Handel, Industrie und Gewerbe, 7. Aufl. Leipzig 1920 (Nachdruck Waltrop / Leipzig 2004), S. 265 f. 99  Pelzer / Reith, Margarine, S. 24–28. Dieser Ruf beruhte auf der Möglichkeit, Butter mit Margarine zu verfälschen oder Butter vorzutäuschen und auf Fällen, in denen ungeeignete, gesundheitsschädliche Rohstoffe bei der Margarineherstellung Verwendung fanden. Verkauf und Produktion wurden daher in den meisten europäi­ schen Ländern und den USA durch Margarinegesetze geregelt, so in Deutschland 1887 und 1897.

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alles, was Tran hieß, rechnen mussten.100 Waltran oder -öl stand in einem schlechten Ruf, da der Rohstoff erst durch eine vergleichsweise komplizierte industrielle Verarbeitung überhaupt genießbar wurde, so dass Walöl vielfach als „Kadaverfett“ verschrien war.101 Offiziell ging gehärtetes Walöl daher zunächst nur in die Seifenfabrika­ tion. Dennoch setzte sich Walöl in der Margarineproduktion rasch durch, allerdings nicht als alleiniger Rohstoff, sondern als eines von verschiedenen gehärteten Fetten, die weitgehend austauschbar waren und je nach Verfügbarkeit und Preis verwendet wurden. 1928 deckten die deutschen Margarineproduzenten ihren Rohstoffbedarf zu 78 % aus pflanzlichen Ölen, zu 16 % aus Walöl und zu 6 % aus dem Fett von Schlachttieren, wobei die Tendenz beim Walöl in ganz Europa steigend war.102 Die Seifenindustrie war ebenfalls ein Abnehmer, aber 84 % des für Europa – dem bei weitem wichtigsten Markt – bestimmten Walöls ging in die Produktion von Margarine.103 Angesichts des steigenden Margarinekonsums der 1920er Jahre war somit eine gewaltige Nachfrage entstanden, die die Expansion der Walfangflotten im südlichen Polarmeer vorantrieb. Der Handel mit Walöl war seit Ende der 1920er Jahre sehr übersichtlich strukturiert, da sich auf Käufer- und Verkäuferseite zwei Kartelle gegenüberstanden: 1928 bildete sich der so genannte Welttranpool aus den wichtigsten Margarine- und Seifenherstellern. Neben den Gesellschaften aus denen wenig später Unilever hervorging (Lever Bros., Jurgens, van den Bergh und Georg Schicht) gehörte hierzu die amerikanische The Procter & Gamble Co. Der Welttranpool nahm ca. 80–90 % der weltweiten Walölproduktion auf und kontrollierte zudem die meisten Fetthärtungsanlagen und die zum Löschen und Lagern des Walöls nötigen Tankanlagen. Lever Bros. besaßen darüber hinaus auch selbst ein Walfangunternehmen, die The South­ern Whaling & Sealing Co. Die norwegischen Walfangreedereien, auf die ein Großteil der weltweiten Walölproduktion entfiel, hatten ihrerseits 100  Pelzer / Reith, Margarine, S. 34; Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront, Die Öl- und Fettlücke, S. 1008; Normann, Die Härtung von Walöl, S. 74. 101  Lynge, Walfang, S.  42 f. 102  Zorn, Speisefettversorgung, S. 4. 1924 betrug der Walöl-Anteil noch 9,8 %, 1933 dagegen bereits 39,1 %. Der steigende Anteil spiegelt auch die technische Entwicklung wider: Bis 1928 / 29 konnte man Walöl nur bis zu einem Schmelzpunkt von 38–40 °C härten, so dass die Mischung mit anderen Fetten, die einen niedrigeren Schmelzpunkt besaßen, notwendig war, um die Streichfähigkeit der Margarine bei Zimmertemperatur zu erreichen. Erst als gehärtetes Walöl mit einem Schmelzpunkt von ca. 30 °C hergestellt werden konnte, wurde es möglich den Anteil an der Margarine theoretisch bis auf 100 % zu steigern; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S.  367 f.; Lynge, Walfang, S. 74. 103  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 367. Die Zahl bezieht sich auf 1934.



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bereits seit 1912 nacheinander verschiedene Zusammenschlüsse gebildet, die sich bis Ende der 1920er Jahre zunehmend erfolgreich bemühten, auch unter Einschluss nicht-norwegischer Gesellschaften, auf der Angebotsseite ein Kartell zu errichten.104 Deutschland spielte im modernen Walfang vor 1936 kaum eine aktive Rolle, obwohl es durchaus Ansätze und Initiativen gegeben hat. Auch war der alte Walfang nicht vollständig in Vergessenheit geraten: Eine „WalfischAusstellung“ 1884 in Hamburg zeigte neben Exponaten des zeitgenössischen, modernen norwegischen Walfangs auch Zeugnisse der früheren eigenen Fahrten. Der Ausstellungskatalog verwies zudem auf Überreste dieser Epoche, die in Hamburg und Umgebung um 1884 noch zu sehen waren.105 Einem breiteren Publikum wurde der moderne norwegische Walfang in Deutschland bekannt, als Kaiser Wilhelm II. 1892 auf einer seiner Nordlandfahrten als besondere Attraktion eine Fahrt auf einem Walfangdampfer mitmachte. Der damals berühmte Marinemaler Carl Saltzmann verewigte diese Jagd auf einem großformatigen Ölgemälde. Die Darstellung wurde auch als Kunstdruck verbreitet und vielfach für Illustrierte und Werbezwecke adaptiert.106 Da die Jagd auf Wale somit in Deutschland durchaus bekannt war bzw. blieb, gab es früh Interesse an einem Einstieg in den modernen Walfang. Bereits 1872, als Svend Foyn gerade seine Walfangstation in Finnmarken erfolgreich etabliert hatte, plante eine deutsche Gesellschaft, in unmittelbarer Nachbarschaft seine Methode zu kopieren. Foyn konnte dies jedoch 104  Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S.  490 f.; Hudtwalcker, Walfang, S. 84–88, 98 ff.; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 306. Hudtwalcker bietet auch Angaben zu Struktur, Einnahmen und Dividenden der Walfangindustrie. 105  Heinrich Bolau, Führer durch die Walfisch-Ausstellung im Zoologischen Garten zu Hamburg, Hamburg 1884. Zu den 1884 noch sichtbaren Überresten gehörten zwei alte Walfangschiffe, die jetzt als Warenlager oder Landungsbrücke an der Elbe lagen, ebenso wie Torbogen aus Walkiefern, von denen sich im Hamburger Stadtgebiet immerhin einer in Billwerder erhalten hatte. Ein großer, an der Reeperbahn aufgestellter Walkiefer sei dagegen laut Ausstellungsführer erst Anfang des Jahres 1884 entfernt worden. Gezeigt wurden auch diverse Walskelette, Walprodukte (darunter auch Walfleischkonserven) und ethnographische Exponate. Die Harpunenkanonen stellte der Büchsenmacher Cordes (s. o.) zur Verfügung. 106  Klaus Barthelmess, Carl Saltzmann. Kaiser Wilhelm II an Bord der „Duncan Grey“ 15. Juli 1892, 1893, Öl auf Leinwand, in: Bernd Henningsen u. a. (Hrsg.), Wahlverwandtschaft. Skandinavien und Deutschland, 1800–1914, Berlin 1997, S. 104. Das Gemälde befindet sich bis heute im Besitz des Kieler Yacht-Clubs. Saltz­mann fertigte nach dieser Reise ein weiteres, heute verschollenes Gemälde mit der Darstellung zweier Fangdampfer an, das im Berliner Stadtschloss hing. Ein später im Krieg zerstörtes Wandgemälde im Berliner Museum für Meereskunde war an Saltzmanns Darstellung der kaiserlichen Walfangfahrt angelehnt.

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D. Grenzen des Meeres

verhindern, indem er sich von der norwegischen Regierung ein Patent erteilen ließ, das ihn für die Dauer von zehn Jahren vor Nachahmern schützte. 1891 gründete sich mit dem Kapital von Ruhrgebiet-Industriellen die Nordische Hochseefischerei-Gesellschaft, deren Tätigkeitsfeld Walfang, Fischerei und Tourismus von Nordnorwegen aus sowie den Kohleabbau auf Spitzbergen umfassen sollte.107 Das Geschäftskonzept bewährte sich nicht, die Gesellschaft betrieb nur in einer Saison Walfang und löste sich bereits 1907 wieder auf. Deutsche Pläne um 1900 bezüglich einer Nutzung der Bäreninsel in der Barentssee, die auch Walfang vorsahen, scheiterten ebenfalls. Etwas erfolgreicher war die Germania Walfang- und Fischindustrie AG, die ab 1903 unterstützt von Zuschüssen des Deutschen Reiches eine Landstation auf Island betrieb. Der Fangbetrieb der Deutschen dort endete jedoch schon 1905 und die Gesellschaft wurde 1908 liquidiert. Da ab 1908 die Fanggründe vor den Küsten von Französisch Kongo, Portugiesisch Westafrika (Angola), Südafrika und Portugiesisch Ostafrika (Mozambique) erschlossen wurden – es handelte sich um die Winterquartiere der antarktischen Walpopulationen –, lag es nahe, auch in Deutsch Südwest-Afrika eine Walfangstation zu betreiben. Eine erste Initiative von 1911 kam nie bis zur Realisierung, aber im folgenden Jahr konstituierte sich in Bremen die Deutsche Walfang-Gesellschaft „Sturmvogel“ m.b.H., an der neben Deutschen auch Norweger und Südafrikaner Anteile hielten. Die beiden in Norwegen – woher auch die Besatzungen kamen – gebauten Fangdampfer fingen von der Landstation nahe der Lüderitzbucht aus 1913 ihre ersten Wale, aber die Besetzung Südwestafrikas durch südafrikanische Truppen 1914 beendete auch dieses Unternehmen nach kürzester Zeit.108 Gegen Ende der Weimarer Republik entstanden unter dem Eindruck des spektakulären Wachstums der norwegischen Walfanggesellschaften eine Reihe von Projekten in Deutschland, die alle zu keinem Erfolg führten, aber doch ein öffentliches Interesse fanden. Im April 1927 versammelte in Berlin der Präsident des Deutschen Seefischerei-Vereins, Freiherr von Maltzahn, interessierte Kreise aus der Schifffahrt, um den Bau einer Walfangflotte mit einem Kochereischiff und vier Fangbooten sowie einem Flugzeug zum Auffinden der Wale anzuregen. Das wesentliche Motiv hinter der Initiative stellten die z. T. sehr hohen Dividenden der norwegischen Gesellschaften dar, die laut Berechnungen des Deutschen Seefischerei-Vereins auch den Investoren dieses deutschen Projektes winken würden. Dennoch, und ob107  Klaus Barthelmess, A Century of German Interest in Modern Whaling, 1860s–1960s, in: Bjørn L. Basberg / Jan Erik Ringstad / Einar Wexelsen (Hrsg.), Whal­ ing and History. Perspectives on the Evolution of the Industry, Sandefjord 1993, S. 121–138, hier S. 123 f.; Scholl, Zwischen Kooperation und Konfrontation, S. 165 f. 108  Barthelmess, A Century, S. 121–127; Scholl, Zwischen Kooperation und Konfrontation, S. 165–168; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 31 f., 81 f.



II. Der Walfang bis in die 1930er Jahre139

wohl das Reich eine Ausfallbürgschaft von zwei Millionen RM bereitstellte, fand sich für eine Realisierung nicht genügend privates Kapital.109 Zu der reservierten Haltung möglicher Geldgeber trug sicherlich eine sehr kritische Stellungnahme bei, die die Handelskammer Hamburg im April 1929 veröffentlicht hatte.110 Die Kammer riet nicht nur von jeder staatlichen Beteiligung ab, sondern kam auch zu dem Urteil, dass „eine von Deutschland aus betriebene Walfanggesellschaft nicht die geringste Sicherheit für eine hinreichende Rentabilität zu bieten vermag.“111 Insbesondere wurde moniert, dass in den Berechnungen des Deutschen Seefischerei-Vereins die Kosten zu niedrig und die Einnahmen zu hoch veranschlagt seien, dass die florierenden norwegischen Gesellschaften eine deutsche Neugründung jederzeit aus dem Geschäft drängen könnten und dass die Zukunftsaussichten angesichts des Raubbaus der vorangegangenen Jahre nicht günstig seien. Zudem sei man bei Absatz und Preisgestaltung der Margarine Unie (Jurgens und van den Bergh; ab 1929 Teil Unilevers) ausgeliefert, die den Großteil des Margarinemarktes und alle Fetthärtungsanlagen in Deutschland kontrollierte. Ohne oder gegen die Margarine Unie war ein deutscher Walfang zu diesem Zeitpunkt nicht aussichtsreich. Es ist sogar vermutet worden, dass die Margarine Unie, die in Hamburg stark vertreten war, selbst hinter dem ablehnenden Gutachten der Hamburger Handelskammer stand.112 Im Zusammenhang mit den Plänen des Deutschen Seefischerei-Vereins wurde auch auf die mögliche Arbeitsbeschaffung für deutsche Werften verwiesen, ohne dass dieses Argument alle Zeitgenossen überzeugt hätte.113 Es hätte sich nur um ein größeres Schiff gehandelt und die Werften erhielten derartige Aufträge auch bereits von britischen und norwegischen Gesellschaften. Hamburger und überregionale Tageszeitungen berichteten im Frühjahr 1929 ausgiebig über die Walfangpläne des Deutschen Seefischerei-Vereins und die Reaktion der Handelskammer, wobei sich die Artikel überwiegend für ein deutsches Walfangunternehmen aussprachen.114 109  Barthelmess, A Century, S. 129; Scholl, Zwischen Kooperation und Konfrontation, S. 170–172; Schubert, Walfang, S.  141 f.; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S. 489 f. 110  Gründung einer deutschen Walfangreederei unter Beteiligung des Reiches, in: Mitteilungen der Handelskammer Hamburg, 6.4.1929, S. 165–167. 111  Ebd., S. 166. 112  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 75. 113  Gründung einer deutschen Walfangreederei unter Beteiligung des Reiches, in: Mitteilungen der Handelskammer Hamburg, 6.4.1929, S. 165–167, hier S. 167; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S. 490. 114  Zwischen dem 29.3. und dem 3.5.1929 erschienen mindestens 14 Artikel in verschiedenen Tageszeitungen, die auf die Stellungnahme der Handelkammer Bezug

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D. Grenzen des Meeres

Weitere Projekte in der Weimarer Republik kamen ebenfalls nie so weit, einem Wal gefährlich zu werden: Eine in Brake an der Unterweser beheimatete Deutsche Hochsee-Walfang-Gesellschaft Tobias & Co scheint nach der Gründung im Dezember 1928 keine Aktivitäten mehr entfaltet zu haben.115 Der Gedanke, eine Walfangflotte unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsbeschaffung für notleidende Werften zu bauen, kam Ende 1929 auch dem Oberpräsidenten der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Er unterbreitete den Vorschlag dem Reichswirtschafts- und dem Reichsfinanzminister, die sich aber außerstande sahen, die notwendigen Mittel als staatliche Unterstützung bereitzustellen.116 Mit dem Fortschreiten der Weltwirtschaftskrise war Arbeitsbeschaffung für die Werftindustrie ein Argument, das sich zunehmend aufdrängte, so dass auch Leonhard R. Müller von der Dewag Deutsche Walfang-Industrie und Reederei-Gesellschaft m.b.H. diese Karte spielte, als er im November 1930 beim Reichsfinanzministerium um einen Baukostenzuschuss von 3–3,5 Millionen RM (70 % der Baukosten) nachsuchte.117 Dieses Unternehmen blieb gleichfalls für die Meeressäugetiere folgenlos, da nie eine Fangflotte ausgerüstet wurde. Immerhin bewies Leonhard R. Müllers Gesellschaft einen langen Atem, da das Projekt noch auf einer Besprechung im Reichsernährungsministerium am 14.3.1935 als eines von mehreren deutschen Walfangvorhaben vorgestellt wurde.118 Allerdings ist kein Zusammenhang mit den dann ab 1936 realisierten Walfangprojekten erkennbar. In dem Schreiben vom November 1930 verwies Müller auf den in dieser Angelegenheit schon zwei Jahre laufenden Schriftverkehr. Demnach hätte die Dewag also mindestens von 1928 bis 1935 ihr Vorhaben – letztlich ergebnislos – verfolgt. Vor allem zwei Männer, Carl Kircheiß und Otto Kraul, bemühten sich Anfang der 1930er Jahre, die Öffentlichkeit für die Idee eines deutschen Walfangunternehmens zu gewinnen. Kircheiß diente im Ersten Weltkrieg als Erster Offizier unter Felix Graf von Luckner auf dem bekannten Hilfskreunahmen; s. Zeitungsausschnitte in: StA Hamburg Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. 115  Barthelmess, A Century, S.  129; Walfisch-Fang, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 271, 12.4.1929, Zeitungsausschnitt in: StA Hamburg Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. 116  BA R-2  / 18357, RWM an RFM, 26.1.1930; BA R-2 / 18357, RFM an RWM, 7.2.1930. 117  BA R-2  / 18357, Leonhard R. Müller (DEWAG) an RFM, RMEL und RAM, 15.11.1930. s. a.: Walfang mit Reichshilfe?, in: Hamburger Echo, Nr. 193, 15.7.1930, Zeitungsausschnitt in: StA Hamburg Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. 118  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935.



II. Der Walfang bis in die 1930er Jahre141

zer Seeadler und unternahm nach dem Krieg eine Weltumsegelung in einem Fischkutter, die er als „Propagandareise um die Welt gegen die Kriegsschuldlüge“ verstand.119 Er war somit bereits eine prominente Person und lebte von Vorträgen, Filmen und Artikeln, in denen er über seine Erlebnisse berichtete. Als der Deutsche Seefischerei-Verein für seinen Walfangplan keine ausreichende Unterstützung hatte finden können, schlug der Verein Kircheiß vor, den Walfang zu seinem neuen Thema zu machen. Nach einer Reise in die Antarktis und nach Südamerika, bei der Kircheiß einen Film über den Walfang drehte, begann er in Deutschland mit Vorträgen und Filmvorführungen, Werbung für einen deutschen Walfang zu machen.120 Während Kircheiß auf einer Reise mit einer norwegischen Fangflotte einige Einblicke in das Gewerbe gewonnen hatte, war Kraul vor 1936 der einzige Deutsche, der den Walfang von Grund auf gelernt hatte.121 Hierzu kam Kraul eher zufällig, da er als Seemann 1914 im neutralen Argentinien vom Kriegsausbruch überrascht wurde. Ohne Möglichkeit, nach Deutschland zurückzukehren, nahm er stattdessen Arbeit auf der argentinisch-norwegischen Walfangstation Grytviken (Südgeorgien) auf und erlernte in den folgenden Jahren das Handwerk des Walfangs. Nachdem eine Walfangsta­ tion in Argentinien, für die er als Fangleiter gearbeitet hatte, Bankrott gegangen war, kehrte Kraul nach Deutschland zurück und warb dort 1930 mit Vorträgen für einen deutschen Einstieg in den Walfang.122 Als Deutschland in der NS-Zeit tatsächlich Walfangflotten aufbaute, gelangten sowohl Kircheiß als auch Kraul in leitende Positionen und waren auch publizistisch weiter auf diesem Feld aktiv.123 119  Carl Kircheiß, Meine Weltumsegelung mit dem Fischkutter Hamburg, Berlin 1928, S. 4; Es handelte sich um ein heute noch vertrautes Konzept, bei dem durch eine Aufsehen erregende sportliche Leistung auf ein politisches Anliegen aufmerksam gemacht wird. 120  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 423; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 75–80, 84, 114; Schubert, Walfang, S. 143; s. a. autobiographisch: Carl Kircheiß, Wal hooo! Weltreisen mit Harpune, Angelhaken und Netzen, Rendsburg 1950. 121  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 422 f., 451; Auskunft von Klaus Barthelmess, in dessen Besitz sich Teile des Nachlasses befinden. s. a. die Autobiographie von 1939: Kraul, Käpt’n Kraul erzählt. 122  Vgl. zu Vorträgen Krauls: Deutschland und der Walfang in der Antarktis, in: Weser Zeitung, Nr. 706, 1.12.1930; Deutschland und der Walfang. Warum nimmt Deutschland nicht aktiv teil?, in: Schiffahrt-Zeitung der Hamburger Börsenhalle. Beilage zum Hamburgischen Correspondenten, Nr. 594, 20.12.1930; beide als Ausschnitte in: StAHH Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341. 123  Kircheiß war anfangs im Vorstand der im Oktober 1934 gegründeten Ersten Deutschen Walfang-Aktiengesellschaft. Diese Position verlor er im Dezember 1935, als Henkel die Gesellschaft übernahm. Ab 1936 arbeitete Kircheiß an dem Aufbau der Walfangflotte für den Margarineproduzenten Walter Rau. Von dort wechselte er

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D. Grenzen des Meeres

Auch wenn man nicht von „1000 Jahren deutscher Walfang“ reden kann, so hat es doch auf dem Gebiet des Deutschen Reiches seit dem 17. Jahrhundert immer wieder Walfangunternehmungen oder wenigstens Ansätze hierzu gegeben. Im internationalen Vergleich erwähnenswert war der deutsche Walfang vor der NS-Zeit aber nur im 17. und 18. Jahrhundert. Während der Weimarer Republik – und damit den 1920er Jahren als der ersten Blütezeit des modernen Walfangs – spielte Deutschland allerdings in erster Linie nur als Absatzmarkt für Walöl eine Rolle. Gegen eine direkte Beteiligung sprachen gute Gründe, die von zeitgenössischen Beobachtern auch erkannt wurden: Erstens wäre der Wettbewerb gegen die norwegischen (und britischen) Unternehmungen, die bereits über Reserven, abgeschriebenes Schiffsmaterial, reichhaltige Erfahrung und qualifiziertes Personal verfügten, für jede deutsche Neugründung sehr schwierig geworden. Zweitens war der Absatz des Walöls als Margarinerohstoff in Deutschland ohne oder gegen Unilever (bzw. deren Vorläufer), die den Margarinemarkt beherrschte, kaum möglich.124 Daher fand sich nie ausreichend privates Kapital für die riskante Investition in eine deutsche Walfangflotte. Es bedurfte eines grundlegenden Wandels der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, wie er in den Jahren nach 1933 eintrat, damit Deutschland sich am modernen Walfang beteiligte.

III. Der Ausbau der Hochseefischerei 1. Grenzen der Produktion Angesichts des erklärten Ziels, die Fangmenge der Hochseefischerei innerhalb von vier Jahren zu verdoppeln und somit einen substantiellen Beitrag zum Erreichen der deutschen „Nahrungsfreiheit“ zu leisten, stellt sich die Frage, inwieweit sich dies umsetzen ließ oder ob sich auf der Produktions- oder Absatzseite Hindernisse auftaten, die dies verhinderten. Obgleich es auf der Seite der Produktion verschiedene ökologische, seerechtliche und ökonomische Hindernisse gab, lag letztlich das eigentliche Problem der im April 1938 zum Hamburger Walfang-Kontor. Für das Hamburger Walfang-Kontor fuhr Kircheiß in der Saison 1938 / 39 als Kapitän auf der Wikinger. Kraul fuhr zwei Saisons als Fangleiter für die Jan Wellem-Flotte; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 423, 451; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 114; Kircheiß, Wal hooo!, S. 197–217. 124  Vgl. Gründung einer deutschen Walfangreederei unter Beteiligung des Reiches, in: Mitteilungen der Handelskammer Hamburg, 6.4.1929, S. 165–167; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S. 489 f., 497; Hudtwalcker, Walfang, S. 117–120.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei143

Fischwirtschaft auch unter dem Vierjahresplan darin, die steigenden Fangmengen abzusetzen. Auf der Seite der Produktion liegt es aus heutiger Sicht nahe, zunächst an ökologische Grenzen zu denken: Ein Hindernis hätten die Fischbestände gewesen sein können, deren Zustand infolge von Überfischung eine deut­ liche Ausweitung des Fangs möglicherweise nicht zuließ. „Wo sind die Heringe? Diese Frage beherrscht gegenwärtig die Gemüter in der gesamten Fischwirtschaft,“ schrieb im August 1939 die „Deutsche Fischerei-Rundschau“: In der gesamten Branche „macht man sich mit mehr oder weniger Besorgnis Gedanken darüber, wie es kommt, dass in diesem Jahr bisher weniger Anlandungen an Heringen erfolgten, als man es sonst in diesen Wochen gewohnt ist.“125 Die Heringsschwärme in der Nordsee, denen die Logger der Großen Heringsfischerei und die beim Trawlheringsfang eingesetzten Fischdampfer nachstellten, waren in diesem Sommer nur spärlich erschienen, so dass insbesondere der Fischindustrie (Marinieranstalten, Räuchereien und Konservenfabriken) der Rohstoff fehlte. Überfischung als mögliche Ursache für dieses Phänomen, das die Heringsfischerei anderer Nordseeanrainer ebenso betraf, wurde in dem Artikel nicht angesprochen. Fischdampferkapitäne verwiesen der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ zufolge auf das ungewöhnlich zahlreiche Auftreten von natürlichen Feinden wie Haien und Tintenfischen, das die Heringe aus ihren gewohnten Bahnen gescheucht habe, während die Wissenschaft in Gestalt von Prof. Werner Schnakenbeck vom Fischereibiologischen Institut in Hamburg dagegen daran erinnerte, dass starke Schwankungen beim Hering nicht unüblich seien.126 Die Ursachen für schlechte Heringsjahre lägen eher in starken oder schwachen Jahrgängen der Heringsbrut und in hydrographischen Bedingungen wie Strömungen und Temperatur, die das Auftreten der Heringe beeinflussten. Eine natürliche Ursache, wie Schnakenbeck sie nahe legte, ist nicht unwahrscheinlich. Starke Schwankungen und ein plötzliches Verschwinden oder Wiedererscheinen der Heringsschwärme an einer Küste – mit schwerwiegenden ökonomischen Folgen für die Region – waren seit langem bekannte Phänomene.127 Erst 1936 waren große Herings- und Sprottenschwär125  Wo sind die Heringe? Ein schlechtes Heringsjahr? – Gespräch mit Professor Schnakenbeck, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 30.8.1939, S.  457–459, hier S. 457. 126  Ebd., S. 458. 127  Ein häufig zitiertes Beispiel bildet die westschwedische Region Bohüslan, wo eine Mitte des 18. Jh.s begonnene Periode des Heringsfangs um 1800 relativ abrupt mit dem Ausbleiben der Schwärme endete, so dass die stark auf diese Fischerei angewiesene Region verarmte. 1877 erschienen die Heringe wieder so plötzlich, wie

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D. Grenzen des Meeres

me wieder direkt an der deutschen Nordseeküste erschienen, wo sie sich zuletzt 1917 / 18 in nennenswertem Umfang gezeigt hatten.128 Dem oben zitierten Artikel vom 30.8.1939 zufolge hatte sich die Situation in den Tagen zuvor bereits gebessert. Als zwei Tage nach Veröffentlichung des Artikels der Krieg ausbrach, musste die Hochseefischerei jedoch eingestellt werden, so dass sich nicht sagen lässt, ob sich die Saison in den folgenden Wochen normal entwickelt hätte. Die Probleme des Heringsfangs im August 1939 scheinen aber der einzige Fall gewesen zu sein, in dem ein Mangel an Fischen auf den Fanggründen die deutsche Hochseefischerei daran hinderte, die erwarteten und angestrebten Mengen anzulanden. Zwar war eine stark gesunkene Produktivität bei vielen Arten in der Nordsee seit längerem von den Zeitgenossen zweifelsfrei festgestellt worden,129 aber insgesamt hatten die Erschließung neuer Fanggründe und die technische Effizienzsteigerung der Fischerei dies stets mehr als kompensiert. Auch wenn damit über den Zustand einzelner Fischbestände nichts gesagt werden kann, war eine Steigerung der Anlandungen für die deutsche Seefischerei bis zum Kriegsausbruch stets möglich gewesen: Die Fangmenge stieg von 417.000 t im Jahr 1933 auf 730.000 t im letzten Friedensjahr 1938.130 Von 1934 bis 1936 waren sogar jährliche Wachstumsraten von 16,6 % und 23 % erzielt worden, die das Ziel einer Verdoppelung der Fangmenge im Vierjahresplan als nicht unrealistisch erscheinen ließen. In der Tat scheint es, als ob man einfach angenommen habe, dass die exzeptionell hohe, von 1935 auf 1936 erfahrene Wachstumsrate konstant beibehalten werden könnte. Unter dieser Annahme wäre für 1940 eine jährliche Produksie verschwunden waren. Robb Robinson, The Fisheries of Northwest Europe, c.1100–1850, in: David J. Starkey / Jón Th. Thór / Ingo Heidbrink (Hrsg.), A History of the North Atlantic Fisheries. Vol. 1: From Early Times to the Mid-Nineteenth Century, Bremen 2009, S. 127–171, hier S. 153 ff.; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 117; Heincke, Naturgeschichte des Herings, S. 1. 128  Die Heringsfänge an der Nordseeküste, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Januar 1936, S. 263. 129  Vgl. beispielsweise: Janssen, Segen des Meeres, S. 191; Die Schollenfischerei in der Nordsee bedroht! Eine warnende Stimme aus Dänemark, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 16.1.1938, S. 33–34; Bretthofer, Bessert sich die Bankfischerei, S. 35. 130  Hoffmann, Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 329 f. Andere Quellen kommen auf geringfügig abweichende Zahlen: Die internationale Statistik des ICES nennt für das Jahr 1938 643.085 t. Mögliche Ursachen sind die Einbeziehung der Ostsee- und der Küstenfischerei oder der Anlandungen im Ausland; Gerhard Meseck, Seefischerei Nord- und Westeuropas während des Krieges 1940 bis 1944, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.), Jahresbericht über die deutsche Fischerei 1949, Berlin 1950, S. 87–101, hier S. 97.



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Quelle: Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin / Heidelberg / New York 1965, S. 329 f. Diagramm 4: Produktion der deutschen Seefischerei in 1.000 t, 1890–1938

tion von etwa 1.410.000 t zu erwarten gewesen und somit mehr als eine Verdoppelung gegenüber 1936. Obwohl sich dies nicht erfüllte und die Wachstumsraten ab 1936 etwas geringer ausfielen, blieb die Produktionssteigerung beachtlich genug. August Dierks erklärte im Januar 1939 zufrieden die Plansollübererfüllung, da die Fangmenge von 1935 bis 1938 bereits um mehr als 50 % gewachsen sei.131 a) Fischimport Trotz der deutlichen Steigerung der Produktion in der deutschen Fischwirtschaft importierte Deutschland weiterhin große Mengen Fisch und Fischwaren, obwohl solche Einfuhren kaum mit dem erklärten Ziel von Staat und Wirtschaft, über die Fischerei die Importabhängigkeit zu reduzieren, vereinbar zu sein scheinen. 1938 stand einer deutschen Produktion von 718.285 t Seefisch im Wert von 103,8 Mill. RM ein Import von 220.700 t (45,8 131  Dierks,

Die deutsche Hochseefischerei im Jahre 1938, S. 1–3.

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Mill. RM) gegenüber.132 Beim Import handelte es sich traditionell und unverändert in erster Linie um Hering: 1938 betrug der Einfuhrüberschuss bei Heringen 182.000 t, und für die ersten zehn Monate des Jahres 1936 wurde die Einfuhr mit 15.000 t Frischfisch, 50.000 t Salzhering und 111.000 t frischer Heringe angegeben. Die Gründe für den Heringsimport lagen zum einen in der Natur der Heringsfischerei, zum anderen in der Handelspolitik.133 Heringe traten in nennenswerten Schwärmen und geeigneter Qualität von etwa November bis Juni nicht in internationalen (oder deutschen) Hoheitsgewässern auf und waren daher für die deutsche Fischerei nicht zugänglich.134 Da die deutsche Fischindustrie jedoch im Interesse eines möglichst kontinuierlichen Betriebes das ganze Jahr über frische Heringe für die Herstellung von Vollkonserven sowie geräucherten und marinierten Fischwaren benötigte, importierte sie erhebliche Mengen vor allem aus Großbritannien und Norwegen. Bei Salzheringen – einem lange lagerfähigen Produkt – war es theoretisch möglich, in den Monaten, in denen die Heringe der deutschen Fischerei zugänglich waren, eine für die Selbstversorgung ausreichende Menge zu produzieren. Dies wurde im Rahmen des Vierjahresplanes durch den Ausbau der Großen Heringsfischerei und des Trawlheringsfang auch angestrebt.135 Allerdings standen hinter dem Import von Salzhering (und geringerer Mengen Frischfisch) auch handelspolitische Gründe. Deutschland hatte sich in Handelsverträgen mit Großbritannien, den Niederlanden, Island, Norwegen und Schweden, deren Heringsfischerei z. T. stark auf das Exportgeschäft angewiesen war, verpflichtet, Fisch – in erster Linie Salzhering – abzunehmen. Diese Importe sah die Fischwirtschaft teilweise als Überschwemmung des deutschen Marktes und Absatzhindernis für die deutsche Salzheringsproduktion, aber offensichtlich hatte beim Abschluss von Handelsverträgen die Fischerei gegenüber den Interessen anderer, exportorientierter Industrien zurückzustehen.136 Ansonsten importierte Deutschland Ende der 1930er Jahre noch Fischvollkonserven in einer Menge von über 14.000 t jährlich.137 Dabei handelte 132  Stärkere Eigendeckung des deutschen Seefischverbrauchs, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 7.6.1939, S. 331. 133  Ebd.; Dierks, Die deutsche Seefischerei im Jahre 1936, S. 2–4. 134  Unser Titelbild, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 29.3.1933, S. 149; Seefische: 12 kg Kopfverbrauch, in: Die Deutsche Volkswirtschaft, 6 (1937), S. 275–276. 135  StAHH Best. Nr.  113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Ahlf an Ministerpräsident Generaloberst Göring, Betrifft: Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 29.11.1936, S. 2. 136  Seefische: 12 kg Kopfverbrauch, in: Die Deutsche Volkswirtschaft, 6 (1937), S. 275–276; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 322. 137  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 486 f.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei147

es sich zu etwa 75 % um Ölsardinen, einem Produkt, das die deutsche Fischindustrie nicht herstellen konnte, da die Sardine regelmäßig nur im ­ Mittelmeer und an den westeuropäischen Küsten bis zum Englischen Kanal vorkommt. Die importierten Fischvollkonserven stammten ganz überwiegend aus Spanien und Portugal und damit aus Ländern, mit denen das Deutsche Reich günstige, devisenlose Handelsbeziehungen unterhielt.138 Der weiterhin bestehende Fischimport, den man für die Pflege von Handelsbeziehungen in Kauf nahm oder mit befreundeten Ländern devisenlos abwickeln konnte, zeigt ebenfalls, dass eine vollständige Autarkie weder erreicht noch angestrebt wurde. Zugleich spiegeln sich hier ökologische Beschränkungen der deutschen Fischerei wider, da bestimmte Arten für sie nicht oder saisonal nicht erreichbar waren. b) Die geographische Ausweitung der deutschen Fischerei Die Entwicklung der deutschen Hochseefischerei ging seit ihrem Beginn einher mit einer Ausweitung der Fanggebiete bzw. des Aktionsradius’ auf neue, produktivere oder noch nicht überfischte Fanggründe (siehe Kap. D. I. 2.). Der deutliche Ausbau der Fischerei, wie im Vierjahresplan vorgesehen, machte daher auch einen weiteren Schritt über die bisher befischten Gebiete in der Nordsee, bei Island, in der Barentssee und bei der Bäreninsel notwendig. Dieser Expansion standen mögliche technische und völkerrechtliche Hindernisse entgegen. Auf der 1939 in Hamburg gezeigten Fischerei- und Walfangausstellung „Segen des Meeres“ waren auf einer großen Weltkarte neben den Fangebieten der deutschen Fischerei auch Seegebiete bei Neufundland, den Kanarischen Inseln sowie den Küsten von Marokko und Kamerun als mögliche künftige Fanggründe eingezeichnet ebenso wie die Karibik als Feld der deutschen Haifisch- und Schwammfischerei.139 Es gelang jedoch in den wenigen Jahren bis zum Ausbruch des Krieges nicht, die deutsche Fische138  Die aus Spanien bezogene Menge wuchs seit 1936 (deutsches Engagement im Spanischen Bürgerkrieg) stark an. Norwegische, auf Hering basierende Vollkonserven wurden 1930 noch in bedeutenden Mengen importiert, anschließend aber von deutschen Produkten verdrängt. Ebenso gingen Importe aus Frankreich und den USA ab 1930 stark zurück. Deutlich zugenommen hatten seit Mitte der 1930er die Importe aus sonstigen Ländern, darunter Belgien, Japan und die Türkei; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 486 f. 139  Hamburgische Ausstellungs-Gesellschaft mbH, Segen des Meeres, S. 19; s. a. Hans Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft im Vierjahresplan. Steigerung der deutschen Seefischversorgung und ihre Grundlagen, Berlin 1938, S. 18; Fischfilet von Afrikas Küste nach Hamburg, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 182, 7.7.1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2.

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D. Grenzen des Meeres

rei, abgesehen von vereinzelten Versuchsfahrten, auf diese Fanggründe auszudehnen. Die Neufundlandbänke boten sich aufgrund ihres Fischreichtums an und spielten auch nach 1945 eine große Rolle für die deutsche Fischerei. Westeuropäische Nationen befischten die Neufundlandbänke schon seit Jahrhunderten, wobei der Fang allerdings nicht als Frischfisch, sondern gesalzen und / oder getrocknet in der Heimat angelandet wurde. Die bisherigen deutschen Fischdampfer konnten die Entfernung bis Neufundland indes kaum überbrücken, so dass ein neuerer, größerer Typ benötigt wurde. Anfang 1938 lief für die Reederei Hasselhorst & Fock der bisher größte deutsche Fischdampfer unter dem Namen Neufisch vom Stapel, der eigens für die Neufundlandfischerei entworfen worden war. Die größere Entfernung (und Fahrzeit) erforderte auch eine neue Konservierungstechnik – eine Tiefkühleinrichtung (s. u.) –, damit der Fang beim Eintreffen im Heimathafen noch genießbar war. Für auf Eis gelagerten Frischfisch war die Distanz nach Deutschland zu groß und für den gesalzenen Kabeljau gab es in Deutschland keine Nachfrage. Statt Tiefkühleinrichtungen besaß das Schiff aber nur eine Fischmehlanlage zur Verwertung der Fänge. Lediglich die in den letzten Tagen vor der Heimreise gefangenen Fische sollten wie üblich auf Eis gelagert werden und somit für die menschliche Ernährung und nicht nur als Viehfutter in Form von Fischmehl genutzt werden.140 Ende der 1930er Jahre geriet auch Afrika – und hier besonders die ehemaligen deutschen Kolonien, deren Wiedergewinnung den Anhängern der Kolonialidee nun in greifbare Nähe gerückt schien141 – ins Blickfeld der Fischerei. Ausgehend von der Prämisse, Afrika sei „die übervolle Rohstoffkammer Europas“, erörterte Heinrich Sachers im Juli 1939 in der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ die Fischereiverhältnisse in verschiedenen europäischen Kolonien und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Tag nicht mehr fern sei, an dem Deutschland seine Kolonien wieder in Besitz nähme und dort auch der Fischereifachmann beim Aufbau der kolonialen Wirtschaft seine Aufgabe finde.142 Das wurde nicht als abstraktes, fern liegendes 140  Neuer Fischdampfertyp für Neufundlandfang, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 20.4.1938, S. 186; s. a.: Deutschland und die Neufundlandfischerei; in: Hamburger Anzeiger, Nr. 24, 28.1.1939; Fischfilet von Afrikas Küste nach Hamburg, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 182, 7.7.1938, beide Artikel in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2; Janssen, Segen des Meeres, S. 192. 141  van Laak, Über alles in der Welt, S. 136. 142  Heinrich Sachers, Afrikas Fischreichtum – eine unerschlossene Rohstoffquelle, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.7.1939, S. 385–390. Sachers hebt besonders die italienischen Kolonien hervor: „Die deutsche Fischerei, die eines Tages für unsere Kolonien einsatzbereit dastehen muß, kann aus den Erfolgen der italienischen Hochseefischerei wertvolle Anregungen und Erfahrungen sammeln;“ ebd., S. 388.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei149

Projekt verstanden, denn die Redaktion der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ fügte im Anschluss an den Artikel hinzu, dass sie Interessenten gerne weitere Auskunft erteile. Auch der Hamburger Fischereibiologe Werner Schnakenbeck referierte im März 1939 über „Die fischereiliche Nutzung in den Kolonien“.143 Zur Fischerei vor (ehemaligen) deutschen Kolonien kam es aufgrund des tatsächlichen Verlaufs der politischen Entwicklung nicht mehr. Nur in Hinblick auf die näher gelegene westafrikanische Küste unternahmen Staat und Fischwirtschaft konkrete Schritte. Die deutsche Hochseefischerei hatte schon früh die Küste Marokkos, wo vor allem Seehecht interessierte, in den Blick genommen: Nach einer ersten Reise im Jahr 1902 erschienen einige deutsche Fischdampfer ab 1906 regelmäßig vor der marokkanischen Küste. Sie löschten ihren Fang aufgrund der großen Entfernung, und da die gefischten Arten in Deutschland unbekannt und somit schwer verkäuflich waren, nicht in Geestemünde oder Cuxhaven, sondern im portugiesischen Lissabon und Porto. Ein Verbot für fremde Anlandungen (oder ein Schutzzoll) der portugiesischen Regierung zugunsten der eigenen Fischerei beendeten jedoch 1912 die deutschen Aktivitäten vor Marokko. Ein zweiter Versuch im Jahr 1924 scheiterte dagegen daran, dass die französische Protektoratsverwaltung deutschen Reedereien keine Lizenz zum Fischen in den marokkanischen Hoheitsgewässern ausstellte, die angeblich allen anderen Nationen gegen eine geringe Gebühr gewährt wurde. Auf die Genehmigung der französischen Verwaltung war man allerdings nur für die Fischerei innerhalb der Hoheitsgewässer des Protektorats angewiesen. Daher stellte die Ausdehnung der Hoheitsgewässer bzw. der Fischereigrenze hier – wie häufig in Fischereifragen – den entscheidenden Punkt dar, insbesondere nachdem Frankreich seine Ansprüche von der international üblichen Dreimeilenzone auf sechs Seemeilen ausgedehnt hatte. 1925 wurden drei deutsche Fischdampfer vor Marokko von Frankreich aufgebracht, da sie – zumindest nach französischer Auffassung – innerhalb der Hoheitsgewässer gefischt hatten. Die deutsche Fischerei gab darauf ihre Aktivitäten vor Westafrika erneut auf.144 Das Interesse an den Fanggründen vor Marokko blieb jedoch bestehen. Die Reederei Deutsche Dampffischerei-Gesellschaft Nordsee fragte daher Ende 1932 über die Industrie- und Handelskammer Oldenburg beim Auswärtigen Amt nach, ob weiterhin eine Sechsmeilenzone gelte. Die Reederei glaubte, von einer Änderung erfahren zu haben, und plante für diesen Fall 143  Fische

aus den Kolonien, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.3.1939, S. 103 f. in Marokko, in: Mitteilungen des Deutschen SeefischereiVereins, 41 (1925), 7, S. 123; Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 185; ders., Die deutsche Seefischerei in Nordsee und Nordmeer, Hamburg 1953, S. 345 f.; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 193; Janssen, Segen des Meeres, S. 121. 144  Fischereigrenze

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D. Grenzen des Meeres

wieder Fischdampfer zu entsenden. Tatsächlich war die Fischereigrenze ­allerdings, so die Auskunft des Auswärtigen Amtes, unverändert.145 c) Ein deutscher Fischereihafen auf Fuerteventura 1938 unternahm man von Deutschland aus angesichts der nun anvisierten Produktionssteigerungen einen neuen Versuch, die Seegebiete vor Westafrika fischereilich zu nutzen. Inzwischen hatten sich allerdings durch die deutsche Intervention im Spanischen Bürgerkrieg neue Möglichkeiten ergeben: Vom 14. Juli bis zum 14. August 1938 untersuchte eine Expedition mit dem Fischdampfer Richard Ohlrogge und einer Segeljacht die Möglichkeiten des Fischfangs südlich von Marokko vor der spanischen Kolonie Rio de Oro (heute Westsahara) und zum Bau eines Fischereihafens auf Fuerteventura. Das Problem der französischen Hoheitsgewässer wollte man so durch das Ausweichen auf die weiter südlich gelegene spanische Kolonie vermeiden, während sich die Schwierigkeiten, die aus der weiten Entfernung von Deutschland resultierten, durch einen Hafen in der Region verringern würden. Dem von Hans Mosolff angefertigten „Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandía auf Fuerteventura)“ zufolge bestand die Möglichkeit, dort „einen Stützpunkt für die deutsche Fischerei zu errichten.“146 Unter der Voraussetzung, dass die Halbinsel Freihafengebiet und eine Nutzung ohne wesent­ lichen Devisenaufwand möglich sei, sah der Bericht in der Landstation für Deutschland „volkswirtschaftlich ein besonderes Interesse.“147 Die Expedition sollte daher die Fanggründe an der westafrikanischen Küste und „die wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer fischereiwirtschaftlichen Verwertung für Deutschland“ untersuchen, auf der Halbinsel Jandía „die günstigste Lage für den Bau eines Fischereihafens und die Errichtung fischindustrieller Anlagen“ ermitteln und ein den dortigen „Verhältnissen entsprechendes Hafen- und Industrieprojekt“ entwerfen.148 Die Liste der beteiligten Personen und ihrer Funktionen gibt zugleich einen Überblick über die an dem Projekt interessierten Institutionen: Dr. rer. 145  StAO Best. 265, Nr. 1880, Die Industrie- und Handelskammer an die Vertretung Oldenburgs beim Reich, 21.12.1932; Industrie und Handelskammer Oldenburg an die „Nordsee“ Deutsche Hochseefischerei Bremen-Cuxhaven A.G. Nordenham, 21.1.1933. Die Reederei Nordsee operierte zu diesem Zeitpunkt noch vom oldenburgischen Hafen Nordenham aus. 146  BA R-26 IV / 6, Hans Mosolff, Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938, Bl. 131. 147  Ebd. 148  Ebd.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei151

pol. Hans Mosolff von der Vierjahresplanbehörde, Geschäftsgruppe Ernährung, der auch verschiedentlich zum Thema Fischerei, Vierjahresplan und Tiefkühlwirtschaft publizierte, hatte im Auftrag von Staatssekretär Herbert Backe (Reichsernährungsministerium und Vierjahresplanbehörde) die Leitung der Fischereiexpedition inne. Das Stabsamt von Ministerpräsident Generalfeldmarschall Göring war durch den Oberjägermeister Menthe auf der Expedition vertreten. Vom Oberkommando der Kriegsmarine nahm Marine-Oberbaurat Dr. Trittler teil, der die Fragen des Hafenbaus untersuchte. Für die fischereibiologischen und -technischen Angelegenheiten war Dr. Kahl von der Fischereibiologischen Abteilung des Zoologischen Staatsinstituts in Hamburg zuständig. Ein Herr Seidlitz (oder Seydlitz) von der Rowak (Rohstoff-Waren-Kompensation Handelsgesellschaft), die die ökonomischen Gegenleistungen für die deutsche Intervention zugunsten der Nationalen im Spanischen Bürgerkrieg abwickelte, begleitete die Expedition nur bis Las Palmas und organisierte im Wesentlichen die Verpflegung und Unterkunft auf den Kanaren.149 Ein weiterer Teilnehmer war der Ingenieur Gustav Winter.150 Bei dem seit langem auf den Kanarischen Inseln ansässigen Deutschen handelte es sich um eine zentrale Figur in dem Projekt, da Winter – zumindest eigenen Angaben zufolge151 – Pächter der Halbinsel Jandía auf Fuerteventura war. Marine-Oberbaurat Trittler kam zu einer zwiespältigen Bewertung der Person Winters:152 Bei den in Las Palmas lebenden Deutschen sei Winter „im allgemeinen nicht gut beleumdet“. Inwieweit er nur „nationale Belange“ verfolge, ließe sich in den zwei Wochen nicht feststellen, aber Trittler ging davon aus, „dass Herr Winter nicht so selbstlos ist, keine persönlichen Be149  Ebd.,

Bl. 132 f. Gustav Winter: BA R-26 IV / 6, Hans Mosolff, Bericht über die FischereiExpedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938, Bl. 133; BA R-26 IV / 6, Marine-Oberbaurat Trittler, Reisebericht über die Studienfahrt nach den Kanarischen Inseln (Halbinsel Jandia auf Fuerteventura) vom 19. Juli bis 7. August 1938, 15.8.1938, Bl. 103 f.; Robert H. Whealey, Hitler and Spain. The Nazi Role in the Spanish Civil War 1936–1939, Lexington 1989, S. 126; Rainer Schauer, Das Geheimnis des Gustav W. Legenden ranken sich um eine einsam gelegene deutsche Villa auf Fuerteventura, in: Frankfurter Rundschau, Nr. 290, 13.12.1997, S. M3. 151  Die Einschränkung, dass die Angaben Winters in dieser Hinsicht noch zu überprüfen sind, macht: Hans Mosolff, Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938, Bl. 131. Zumindest nach 1945 sollen sich 2.300 ha auf der Halbinsel in Winters Besitz befunden haben; Schauer, Das Geheimnis des Gustav W., S. M3. 152  Folgende Zitate aus: Marine-Oberbaurat Trittler, Reisebericht über die Stu­ dienfahrt nach den Kanarischen Inseln (Halbinsel Jandia auf Fuerteventura) vom 19. Juli bis 7. August 1938, 15.8.1938, Bl. 103 f. 150  Zu

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lange mit der Auswertung [des Projekts] zu verbinden.“ Da Winter sehr mitteilsam sei, hielt Trittler „[h]insichtlich weiterer Einzelplanungen“ Zurückhaltung ihm gegenüber für angebracht. Allerdings habe sich Winter in der Vergangenheit als Ingenieur bei der Errichtung eines Elektrizitätswerkes in Las Palmas Verdienste erworben und Trittler gewann im persönlichen Umgang den Eindruck, dass „der Charakter des Herrn Winter besser wäre als sein Ruf.“ Schließlich gehörte zur Expedition Kapitän Tiedemann von der Reederei Nordsee, der den diesem Unternehmen gehörenden Fischdampfer Richard Ohlrogge führte. Der (national-) spanische Generalstabs­ offizier Capitano Girona habe zudem die Expedition vor Ort unterstützt. Der Fischdampfer Richard Ohlrogge – ein für Langstreckenfahrten besonders geeignetes Schiff153 – lief, nachdem er Cuxhaven am 14.7.1938 verlassen hatte, in der Nacht zum 23. Juli in Las Palmas ein, wo die Mehrheit der Expeditionsteilnehmer zwei Tage später mit einem Postdampfer der Deutschen Afrika-Linie eintraf.154 Noch am 25. Juli stach die Richard Ohlrogge zusammen mit Gustav Winters Segeljacht Arktur, die man zur näheren Untersuchung der Küste nutzen wollte, in See mit Kurs auf die Halbinsel Jandía auf Fuerteventura. Vom 26. bis 28. Juli blieb die Jacht bei Jandía mit Menthe, Trittler und Winter, die auf Landausflügen die nähere Umgebung des Ankerplatzes erkundeten. Hier wurde eine Bucht westlich des Punta Morro de Jable, in der auch ein einfaches Fischerdorf lag, als geeigneter Ort für die Anlage eines Hafens ausgemacht. Währendessen unternahm die Richard Ohlrogge mit Mosolff an Bord Fischereiversuche vor der afrikanischen Küste („Boca Barlovento“). Hier wurden vor allem verschiedene Brassen, Adlerfisch und Seehecht gefangen.155 Am 28. Juli traf der Fischdampfer wieder bei Jandía ein und nach einem weiteren Landausflug fuhren die Expeditionsteilnehmer zurück nach Las Palmas, wo die Expedition offenbar eher zufällig zwei modernen, mit Gefrieranlagen ausgerüsteten italienischen Trawlern begegnete, die bereits regelmäßig und mit der für die Erhaltung der Fänge notwendigen Technologie vor Westafrika fischten. Von 153  Die Richard Ohlrogge wurde 1925 als erster deutscher Fischdampfer mit Dieselmotor statt Dampfmaschine gebaut (insofern streng genommen kein Fischdampfer). Der neuartige Antrieb ermöglichte eine Verdoppelung des Aktionsradius’ (bis zu 60 Tagen) und versprach geringere Betriebskosten. Dennoch blieb die Richard Ohlrogge ein Einzelstück. Dampfmaschinen wurden bis in die 1960er Jahre beibehalten, da sie sehr wartungsarm und robust sowie gut geeignet für die unterschiedlichen Anforderungen beim Fischereibetrieb waren (hohe Drehzahlen bei An- und Heimreise, niedrige Drehzahl beim Fischen mit dem Schleppnetz); Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 212; Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 65. 154  Zum Verlauf der Expedition: Hans Mosolff, Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938, Bl. 133–139. 155  Zu den Ergebnissen der Versuchsfischerei: Ebd., Bl. 140–146., 159–161.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei153

den italienischen Fischern erhielten die Deutschen wertvolle und detaillierte Angaben zu den Fangplätzen, auf deren Grundlage die Richard Ohlrogge anschließend für drei Tage erneut vor der Küste des Kontinents („Leven Head“ bis „Puerto Durnford“) fischte. Der deutsche Fischdampfer trat am 3. August die Heimreise an und versuchte in Oporto den Fang zu verkaufen, wofür aber keine Genehmigung der portugiesischen Regierung vorlag. Die Richard Ohlrogge traf daher am 14.8.1938 in Cuxhaven mit einer inzwischen verdorbenen Ladung ein. Dennoch zog Mosolff hinsichtlich der fischereilichen Versuche ein positives Fazit: Die Ergebnisse der Richard Ohlrogge und die Angaben der Italiener sprachen dafür, „dass bei den Fangplätzen der Westafrikanischen Küste das ganze Jahr über reichliche Fischbestände guter Qualität auszubeuten sind, die einen Fischfang nach modernsten Gesichtspunkten wirtschaftlich lohnend gestalten können.“156 Es handele sich um Fanggründe, deren Produktivität „mindestens der Ergiebigkeit der Fanggründe der nordischen Gewässer gleichkommt“.157 Im Vergleich zu den bisherigen Fanggründen im Nordatlantik waren jedoch hier die Entfernung nach Deutschland weiter und die Luft- sowie Wassertemperaturen beträchtlich höher. Beides machte es unmöglich, die gefangenen Fische auf herkömmliche Weise durch die Lagerung auf Eis bis zur Ankunft im Heimathafen frisch zu halten. Diese Fanggründe konnten Mosolff zufolge nur sinnvoll genutzt werden, wenn man dem italienischen Beispiel folgend Fischdampfer mit Tiefkühlanlagen einsetze, die ihre Fänge als gefrorene Ware auf regelmäßig zwischen dem Heimatland und den Kanaren verkehrenden Gefrierschiffen umladen könnten. Für ein solches Vorhaben sei eine deutsche Landstation auf der Halbinsel Jandía nicht zwingend erforderlich, aber vorteilhaft. Ein Hafen in der Nähe der Fanggründe biete zudem Schutz bei Sturmlagen und ermögliche eine Vervielfachung der Fangleistung, indem die Fischdampfer nicht selbst die lange Hin- und Rückreise antreten müssten, sondern in der Region verbleiben und ihre Fänge auf Transportschiffe umladen könnten. Zudem sah Mosolff die Möglichkeit, neben Lager- und Packhallen, Ölbunker, Fischmehl- sowie Gefrieranlagen fischindustrielle Anlagen zur Herstellung von Langusten- und Thunfischkonserven in der Landstation auf Jandía zu errichten. Für den Bau eines Hafens gab es bereits ungefähre Pläne, die die Schaffung eines Hafenbeckens von 120 × 25 m mittels Sprengungen aus Kostengründen gegenüber dem Bau von Molen und Wellenbrechern vor­ zogen.158 156  Ebd., 157  Ebd.

Bl. 144.

158  BA R-26 IV / 6, Mappe I, Hafenbau auf Jandia. Einsprengung eines Hafenbeckens auf Land, 22.7.1939. Als Kosten für die Einsprengung eines Hafenbeckens

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D. Grenzen des Meeres

Die Pläne bezüglich der Halbinsel Jandía gingen über die Entsendung einiger Fischdampfer weit hinaus. Durch die Art, wie die deutschen Expeditionsteilnehmer glaubten, über das Gebiet und dessen Einwohner frei verfügen zu können, glich das Projekt einem kolonialen Vorhaben. Mosolff sprach in seinem Bericht von einem „Fischereihafen-Industrieprojekt.“159 Darüber hinaus dachte man an die landwirtschaftliche Nutzung der Halbinsel zur Versorgung der Station und sogar für den Export nach Deutschland.160 Die Entwicklung der Landwirtschaft auf Jandía, die vor allem eine Frage der Bewässerung war, galt jedoch nur als zusätzliche Option und nicht als eine Voraussetzung für den Betrieb des Hafens. Dennoch war vorgesehen, die Verhältnisse von einem Fachmann der Landwirtschaftlichen Hochschule Leipzig untersuchen zu lassen.161 Die auf 220 bis 250 Personen geschätzte Einwohnerschaft des Fischerdorfes bezogen Mosolff und Trittler mit großer Selbstverständlichkeit in die Pläne mit ein: Sie galten als „billige Arbeitskräfte“ für die Fischerei und den Betrieb der Landstation,162 und Trittler ging davon aus, dass mit ihnen „gut zu arbeiten ist, solange durch keine fremden Einflüsse die heutigen guten Eigenschaften der Fischer verdorben werden“.163 Ihr Dorf sollte abgerissen werden, einmal um Platz für das Hafenbecken und die Fabrikanlagen zu schaffen, zum anderen da der Betrieb einer Konservenfabrik „eine peinliche Sauberkeit der Belegschaft“ erfordere, während die Fischerhütten „durch Ungeziefer verseucht“ seien.164 werden hier nur 500.000,– RM angesetzt gegenüber 4–6 Mill. RM für den Bau von Molen und Wellenbrechern, den die Siemens Bau-Union vorgeschlagen hatte. 159  BA R-26 IV / 6, Hans Mosolff, Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938, Bl. 158. 160  Die Expedition untersuchte auch die Landwirtschaft auf Gran Canaria und kam zu dem Schluss, dass die dortigen Kulturen (Bananen, Tomaten, Luzerne, Kartoffeln, Mais usw.) bei entsprechender Bewässerung auch auf Jandía möglich seien. Aber: „Für Deutschland hat lediglich der Anbau von Tomaten und von Luzerne zur Herstellung stapelfähiger Ware in Form von Tomatenpulp und getrocknetem Eiweißfutter Bedeutung“; ebd., Bl. 152 f. 161  BA R-26 IV / 6, Marine-Oberbaurat Trittler, Reisebericht über die Studienfahrt nach den Kanarischen Inseln (Halbinsel Jandia auf Fuerteventura) vom 19. Juli bis 7. August 1938, 15.8.1938, Bl. 100. 162  BA R-26 IV / 6, Hans Mosolff, Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938, Bl. 156. 163  BA R-26 IV / 6, Marine-Oberbaurat Trittler, Reisebericht über die Studienfahrt nach den Kanarischen Inseln (Halbinsel Jandia auf Fuerteventura) vom 19. Juli bis 7. August 1938, 15.8.1938, Bl. 98. 164  BA R-26 IV / 6, Mappe I, Hafenbau auf Jandia. Einsprengung eines Hafenbeckens auf Land, 22.7.1939, S. 6. Es war der Neubau von Siedlungshäusern geplant. Die Einsprengung eines Hafenbeckens galt diesem Bericht als beste Option, da an-



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Außerdem sprechen Anzeichen dafür, dass der Stützpunkt auf Fuerteventura nicht nur für eine wirtschaftliche Nutzung vorgesehen war. Der Vertreter der Vierjahresplanbehörde, Mosolff, betonte, dass die tatsächliche Durchführung von Fischereiversuchen wesentlich dazu beigetragen habe, „argwöhnischen Gerüchten über andere als wirtschaftliche deutsche Interessen auf der Halbinsel Jandía von vornherein den Nährboden zu entziehen,“165 aber er und Marine-Oberbaurat Trittler vom Oberkommando der Kriegsmarine sprachen beide in ihren Berichten unbestimmt von den „Belange[n] der Marine“, die in dem Projekt mit denen der Fischerei zu vereinen seien.166 Zudem wies Mosolff in seiner Zusammenfassung nachdrücklich, aber nebelhaft auf nicht näher genannte Vorteile hin, die sich abgesehen von wirtschaftlichen Aspekten mit dem Betrieb eines Hafens unter rein deutscher Regie verbinden würden.167 Ungewöhnlich für die Planung eines Fischereihafens und einer Konservenfabrik mutet auch an, dass die Berichte von Mosolff und Trittler als „Geheime Reichssache“ bzw. „Geheim! Kommandosache!“ eingestuft wurden. Offensichtlich hatte die Kriegsmarine bei dem Vorhaben zumindest ihre Interessen geltend gemacht, um den geplanten Hafen später in irgendeiner Form als Stützpunkt nutzen zu können. In der neueren Forschungsliteratur zu den deutsch-spanischen Beziehungen vor und während des Zweiten Weltkrieges gilt die Expedition der Richard Ohlrogge sogar in erster Linie als Tarnung für die Einrichtung eines Stützpunktes zur Versorgung von U-Booten. Bereits 1934 hatte das Oberkommando der Marine den so genannten Etappendienst gegründet, um für U-Boote und andere Kriegsschiffe geheime Versorgungspunkte außerhalb des Reiches zu schaffen, und in diesem Zusammenhang gewannen Spanien und insbesondere auch die Kanaren aufgrund der geographischen Lage am Atlantik eine besondere Bedeutung. Während des Krieges wurden neben einer umfangreichen nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit tatsächlich deutsche U-Boote regelmäßig vom spanischen Festland und den Kanarischen Inseln aus mit Öl, Torpedos und Proviant versorgt, allerdings ohne dass die Halbinsel Jandía hierbei eine Rolle spielte.168 ders als zumeist in Deutschland auf keine an Land befindliche Infrastruktur Rücksicht genommen werden müsse. 165  BA R-26 IV / 6, Hans Mosolff, Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938, Bl. 133. 166  Ebd., Bl. 158; BA R-26 IV  / 6, Marine-Oberbaurat Trittler, Reisebericht über die Studienfahrt nach den Kanarischen Inseln (Halbinsel Jandia auf Fuerteventura) vom 19. Juli bis 7. August 1938, 15.8.1938, Bl. 105. 167  BA R-26 IV / 6, Hans Mosolff, Bericht über die Fischerei-Expedition nach der Westafrikanischen Küste und den Canarischen Inseln (Halbinsel Jandia), in der Zeit vom 14. Juli bis 14. August 1938, August 1938.

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Allerdings spricht einiges dafür, dass es sich bei dem Fischereiprojekt auf Fuerteventura nicht nur um eine Tarngeschichte handelte: Das Projekt fügt sich sinnvoll in die Expansion der deutschen Fischerei dieser Zeit ein und es bestand bereits ein lang anhaltendes Interesse an den westafrikanischen Fischgründen (s. o.), für deren Ausbeutung bei dem damaligen Stand der Technik ein nahe gelegener Hafen zumindest sehr hilfreich war. Auch gehen die von Mosolff geleiteten Fischereiversuche und ihre Auswertung über das für eine Tarnung notwendige Maß hinaus. Ein Fischereihafen zur Versorgung des deutschen Marktes eignete sich zudem wenig als U-Bootstützpunkt, da die Verbindung des Hafens nach Deutschland zu offenkundig wäre. Die britische Marine hätte einem solchen auffälligen, von deutschen Unternehmen betriebenen Hafen ungeachtet der formellen Neutralität des Gastlandes Spanien eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 168

Das Projekt auf Fuerteventura wurde zumindest bis in den Sommer 1939 hinein verfolgt, als noch Hafenpläne gezeichnet und vor Ort Lotungen vorgenommen wurden.169 In zeitgenössischen Publikationen fand das geheime Vorhaben keinen Niederschlag, lediglich ein 1942 erschienener Aufsatz Alfred Willers und ein Buch von Max Stahmer von 1943 berichteten kurz über die – ihnen zufolge stark enttäuschende – Versuchsfahrt der Richard Ohlrogge vor der westafrikanischen Küste im Sommer 1938, ohne das Hafenund Industrieprojekt auf Fuerteventura zu erwähnen.170 Auf Seiten der britischen Regierung war man bereits im Juli 1938 informiert.171 Die Durchdringung der Kanarischen Inseln mit deutschen Interessen wurde zu dieser Zeit im Ausland genau beobachtet. Schon im Dezember 1937 berichtete die deutsche Exilpresse in Frankreich unter Berufung auf ein republikanisches, spanisches Regierungsblatt von deutschen Aktivitäten auf der Inselgruppe, die bereits vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges bemerkbar gewesen seien und sich nun intensiviert hätten. Der Bericht kommt zu dem Schluss: „Praktisch sind diese Inseln bereits von Hitler okkupiert!“172 168  Stanley G. Payne, Franco and Hitler. Spain, Germany, and World War II, New Haven / London 2008, S.  56 f.; Manuel Ros Agudo, La guerra secreta de Franco (1939– 1945), Barcelona 2002, S. 72–78, 327; Whealey, Hitler and Spain, S. 122, 126 f. 169  Vgl. BA R-26 IV / 6, Mappe I, Hafenbau auf Jandia. Einsprengung eines Hafenbeckens auf Land, 22.7.1939; BA R-26 IV / 6, Mappe II, Kapitän von MS Eider an den Norddeutschen Lloyd, Fruchtfahrt Kanarische Inseln, Betreff: Lotungen und navigatorische Erkundungen an der Küste von Jandia-Fuerteventura, 13.7.1939. Whealey vermutet, Göring habe zwischenzeitlich das Interesse an dem Projekt verloren, nachdem die internationale Lage sich mit dem Abschluss des Münchener Abkommens zunächst entspannt hatte. Whealey, Hitler and Spain, S. 127. 170  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 129; Alfred Willer, Die deutsche Hochseefischerei und ihre Fanggründe, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1942, 5 / 8, S. 207–238, hier S. 237. 171  Whealey, Hitler and Spain, Anm. 245.



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Diese Darstellung geht über die tatsächliche Entwicklung weit hinaus und muss im Zusammenhang mit dem von der Propaganda beider Bürgerkriegsparteien erhobenen Anspruch, die spanische Unabhängigkeit gegen eine ausländische Intervention zu verteidigen, gesehen werden.173 Es wird aber deutlich, dass das deutsche Interesse an den Kanarischen Inseln, zu dem auch die Fischerei-Expedition mit der Richard Ohlrogge gehörte, im Ausland früh registriert worden war. 172

Gustav Winter blieb auf den Kanaren und ließ nach dem Krieg (1946 oder 1958) eine Villa auf der Halbinsel Jandía bauen, die bis heute als Anknüpfungspunkt vielfältiger Legenden um eine deutsche Nutzung der Halbinsel im Krieg Interesse bei Touristen sowie in den spanischen und deutschen Medien findet. Winter selbst verstarb 1971 auf Gran Canaria.174 d) Fischereikonflikte Die Metapher vom Meer als deutscher Kolonie deutet schon die Besitzergreifung einer Ressource an und wirft ebenso wie die tatsächlichen Bestrebungen zur geographischen Ausweitung der deutschen Fischerei die Frage auf, ob Deutschland in den 1930er Jahren mit anderen Staaten in Konflikt geriet, die ebenfalls Ansprüche auf diese Ressource erhoben. In der Nachkriegszeit waren Konflikte mit den Uferstaaten – vor allem Island („Kabeljaukriege“) –, die Besitzansprüche auf die Fanggründe vor ihren Küsten erhoben, ausschlaggebend für die Entwicklung und schließlich das Ende der deutschen Hochseefischerei (siehe Kap. E. II. 1.). Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es gelegentlich Zwischenfälle, bei denen die Marine oder Küstenwache eines Uferstaates deutsche Fischdampfer aufbrachte, da diese innerhalb der Fischereigrenze – also üblicherweise näher als drei Seemeilen vor der Küste – gefischt hätten.175 In der Regel wurden in solchen Fällen Geldstrafen verhängt und der Fang beschlagnahmt. Nachdem Island 1920 eine eigene Küstenwache aufgebaut hatte, nahmen 172  F. E. Roth, „Gauleitung Kanarische Inseln“, in: Neuer Vorwärts, Nr. 234, 5.12.1937, S. 3. Der Bericht berührt nicht das Thema Fischerei, zählt aber auch die KdF-Fahrten und den Privaturlaub des Generalfeldmarschalls v. Blomberg zur deutschen Durchdringung der Kanaren. 173  Payne, Franco and Hitler, S. 8. 174  Die Gerüchte über die Villa reichen von unterirdischen U-Bootbunkern über die Entwicklung von Geheimwaffen bis zu einem Sprungbrett für die geplante Flucht von Adolf Hitler und Eva Braun nach Südamerika. Ein Artikel der „Frankfurter Rundschau“ von 1997 weist diesen Gerüchten immerhin eine positive Wirkung auf den Tourismus in der Region zu; Schauer, Das Geheimnis des Gustav W. 175  Ebd., S. 47 f., 53–59.

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die Intensität der Überwachung und damit auch die Zahl der aufgebrachten Fischdampfer zu, wobei die Rechtmäßigkeit des isländischen Vorgehens von deutscher Seite aus oftmals bestritten wurde. Die Frage, ob ein Fischdampfer die Fischereigrenze tatsächlich verletzt hatte, war aufgrund der schwierigen Positionsbestimmung auf See naturgemäß nicht immer eindeutig zu klären. In deutschen Fischereikreisen beklagte man die finanziellen Verluste durch das Vorgehen der isländischen Küstenwache, das angeblich deutsche Fischdampfer stärker betraf als die anderer Nationen.176 Gelegentlich erreichten die Meldungen über die Beschlagnahme deutscher Fischdampfer und das robuste Agieren der isländischen Küstenwache hierbei – „Kleiner Seekrieg bei Island“ schrieb die „Vossische Zeitung“ – auch die Tagespresse.177 Generell jedoch bestritten weder die Uferstaaten noch die deutsche Seite das Prinzip einer Fischereigrenze in drei Seemeilen Abstand von der Küste, und die Zwischenfälle stellten keine merkliche Einschränkung der Fischerei insgesamt dar. Solche Fischereikonflikte gab es nicht nur im Nordatlantik oder im Zusammenhang mit Deutschland. In den 1920er und 1930er Jahren versuchten beispielsweise chinesische Fischer vergebens, von ihrer Regierung Hilfe gegen die Konkurrenz durch die technisch besser ausgestatteten japanischen Trawler zu erlangen. Chinas politische und militärische Unterlegenheit schloss jedoch effektive Schritte wie eine Ausweitung der Hoheitsgewässer aus und die chinesischen Bestrebungen, die eigene Fischerei konkurrenzfähig zu machen, beschleunigten nicht zuletzt die Übernutzung der umstrittenen Fischbestände.178 Trotz der Expansion der deutschen Hochseefischerei im Nationalsozialismus kam es in dieser Zeit jedoch zu keinem Fischereikonflikt und auch zu keiner Häufung von Zwischenfällen. Dennoch beobachtete man in Deutschland jede Veränderung der Fischereigrenzen genau. Als Norwegen 1935 176  August Dierks, Zur Aufbringung deutscher Fischdampfer unter Island, in: Die Fischwirtschaft, 3 (1927), 3, S. 36 f. Der Autor schreibt unter Berufung auf die amtliche isländische Statistik, dass 1926 73 % aller aufgebrachten Fischdampfer aus Deutschland kamen (35 von insgesamt 48). Als Grund hierfür sieht er den fehlenden Schutz, da der einzige Fischereikreuzer der deutschen Marine bislang nur einmal unter Island eingesetzt wurde, während die Marinen von Großbritannien und Frankreich dort deutlich stärkere Präsenz zeigten. Eine andere mögliche, hier nicht diskutierte Erklärung wäre allerdings auch das Verhalten der deutschen Fischdampfer, die eventuell häufiger die isländische Fischereigrenze verletzt haben könnten als die anderer Nationen. 177  Wie deutsche Fischdampfer unter Island beschlagnahmt werden, in: Hamburger Echo, Nr. 87, 28.3.1931, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2; Kleiner Seekrieg bei Island, in: Vossische Zeitung, Nr. 80, 3.4.1931, in: ebd. 178  Muscolino, Yellow Croaker War, S. 306–324.



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durch eine Neudefinition der Basislinie179 seine 4-Seemeilengrenze, die international ohnehin nicht anerkannt war, weiter ins Meer hinausschob, ­ berichtete die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ ausführlich und befürchtete eine schwere Beeinträchtigung der deutschen Fischerei.180 Im folgenden Jahr erschien ein Artikel in der „Zeitschrift für Völkerrecht“ über die isländischen Bestrebungen, ihre Fischereigrenze weiter ins Meer hinauszuschieben.181 Die Herausgeber der Zeitschrift stellten in einem Vorwort zu dem Beitrag ausdrücklich den Bezug zu der von Göring im Vierjahresplan geforderten Steigerung der Fischerei her und betonten dieses Ziel sei gefährdet, „solange es nicht gelingt, der Tendenz entgegenzutreten, dem offenen Meer, dem Tätigkeitsbereich der Hochseefischerei immer größere Meeresgebiete durch Hinausrücken der Fischereigrenze zu entziehen“.182 In der Sache ging es hier noch nicht um einen isländischen Anspruch auf mehr als drei Seemeilen, sondern wie im norwegischen Fall um die Festlegung der Basislinie, wobei insbesondere die Behandlung der Buchten strittig war und das isländische Vorgehen auf eine Verschiebung der Fischereigrenze auf das offene Meer hinauslief. Dem Artikel zufolge habe Island allerdings auf einer Konferenz bereits eine 4-Seemeilenzone vorgeschlagen. Die 1930er Jahre sahen auch Fortschritte bei der internationalen Zusammenarbeit in Fischereifragen. Die Wissenschaftler im International Council for the Exploration of the Sea (ICES), einer 1905 gegründete internationale Organisation für Fischereiwissenschaft und Ozeanographie im Nordatlantikraum, empfanden dies Jahrzehnt als Blütezeit und waren optimistisch in Bezug auf die einvernehmliche internationale Regelung von Fischereifragen. Als der ICES seine jährliche Tagung im Mai 1939 in Berlin abhielt, war das Treffen von der drohenden Kriegsgefahr überschattet, aber der Ausbau der deutschen Hochseefischerei scheint für die internationalen Wissenschaftler kein Thema gewesen zu sein.183 179  Als Basislinie bezeichnet man die Linie, von der ab die Hoheitsgewässer gemessen werden. Bei einer einfachen geraden Küstenlinie ist die Basislinie durch den Wasserstand bei mittlerem Niedrigwasser bestimmt. Bei einer stark zerklüfteten Küste mit vielen Inseln und Buchten wird die Basislinie als eine gerade Linie über Buchten und die äußersten natürlichen Punkte wie Inseln und Landzungen gezogen. In diesem Fall kann die Festlegung kontrovers sein; Wolfgang Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Aufl., Berlin / New York 2001, S. 379–468, hier S. 404 f. 180  Schwere Beeinträchtigung der deutschen Fischerei durch neue norwegische Fischereigrenze, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 18.9.1935, S. 429–435. 181  Viktor Böhmert, Die isländische Fischereigrenze, in: Zeitschrift für Völkerrecht, 20 (1936), S. 385–433; s. a.: Wie steht es um die isländische Fischereigrenze?, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 11.4.1937, S. 207 f. 182  Böhmert, Die isländische Fischereigrenze, S. 386.

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Maßgeblich auf Forschungen und Empfehlungen des ICES basierte das am 23.3.1937 in London unterzeichnete Abkommen („Convention on the Regulation of Meshes of Fishing Nets and Size Limits of Fish“), das erstmals international Mindestlängen für Fische und die Maschenweite der Netze für die Fischerei im Nordatlantik festlegte.184 Deutschland gehörte zu den Unterzeichnern ebenso wie praktisch alle an der Hochseefischerei im Nordatlantik beteiligten europäischen Länder. Da allerdings der Kriegsausbruch den Ratifikationsprozess unterbrach, hatten bis 1941 lediglich Dänemark, Norwegen, Polen und Schweden das Abkommen ratifiziert, so dass es nie in Kraft getreten ist.185 183

Versuche der Uferstaaten, durch eine Neufestlegung der Fischereigrenzen ausländische Fischer von Fanggründen vor ihrer Küste fernzuhalten und das alleinige Nutzungsrecht für diese Ressourcen zu erlangen, schritten auch in den 1930er Jahren voran und wurden von deutscher Seite als Bedrohung der eigenen Fischerei wahrgenommen. Dennoch war die Zahl der Zwischenfälle in den 1930er Jahren geringer als im vorangegangenen Jahrzehnt. Grundsätzlich neue völkerrechtliche Ansprüche (Fischereizonen von mehr als drei Seemeilen), die dann zu einem Konflikt mit den Fischereinationen wie Deutschland und Großbritannien führten, erhob Island dagegen erst ab 1952 (siehe Kap. E. II 1.). Auf der Seite des Seerechts oder in Form von konkurrierenden Ansprüchen anderer Fischereinationen stellten sich der Expansion der deutschen Fischerei somit bis 1939 noch keine relevanten Hindernisse entgegen. Deutschlands Mitarbeit im ICES und die Unterzeichnung des FischereiÜbereinkommens von 1937 lassen – ebenso wie beim Londoner Walfangabkommen aus dem gleichen Jahr – ebenfalls keinen konfrontativen Kurs der deutschen Fischereipolitik erkennen. Vielmehr ist die Kooperationsbereitschaft des nationalsozialistischen Deutschlands in diesem Bereich der internationalen Beziehungen bemerkenswert. Hierzu trug sicher bei, dass ein Fischerei-Übereinkommen nicht als sicherheitspolitisch relevante Prestigefrage galt. Überdies dürften in erster Linie Experten mit einem unpoliti183  Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 77, 99, 103; Tim D. Smith, Scaling Fisheries. The Science of Measuring the Effects of Fishing, 1855–1955, Cambridge u. a. 1994, S. 235. Zu der Konferenz s. a.: Wissenschaft im Dienst der Fischerei, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1939, S. 306–308. 184  Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 98 f.; Smith, Scaling Fisheries, S. 234; Internationales Abkommen regelt Maschenweite und Mindestmaße für die Hochseefischerei, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 4.4.1937, S. 193 f. 185  Manley O. Hudson (Hrsg.), International Legislation. A Collection of the Texts of Multipartite International Instruments of General Interest, Vol. VII, Wash­ ington 1941, S. 642–650. Hier finden sich der Vertragstext ebenso wie Angaben zu Unterzeichnung, Ratifikation und Inkrafttreten.



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schen Selbstverständnis in die Verhandlungen involviert gewesen sein. Im Ausland dagegen nahm man die Expansion der deutschen Fischerei unter der Autarkiepolitik nicht oder nicht als Bedrohung eigener Interessen wahr. Hierzu trug sicherlich bei, dass die deutsche Fischerei schon seit der Jahrhundertwende stets wesentlich dynamischer wuchs als die anderer Staaten (siehe Kap. D. I.). Zudem blieb vieles beim Ausbau der deutschen Hochseefischerei bis Kriegsausbruch im Projektstadium und konnte allenfalls ansatzweise verwirklicht werden. Deutschland und den anderen europäischen Staaten gemeinsam war schließlich ein grundsätzliches Vertrauen in die prinzipielle Steigerbarkeit der Fangmengen. e) Die Konservierung des Fisches Mit der Erschließung neuer Fischgründe und der Steigerung der Fangmenge war es nicht getan, da der Fisch dem Verbraucher in einer akzeptablen Qualität zugeführt werden musste. Bei einer schnellverderblichen Ware wie Fisch stellt sich im besonderen Maße die Frage der Frischhaltung bzw. Konservierung. Das Nahrungsmittel Fisch konnte nur dann die ihm in der Autarkiepolitik zugedachte Rolle, Fleisch teilweise zu ersetzen, erfüllen, wenn es gelang, möglichst viele Verbraucher auch fern der Küste regelmäßig mit qualitativ akzeptablem Fisch zu versorgen. Auf dem Feld der Konservierung stand die Fischwirtschaft in der zweiten Hälfte der 1930er vor dem Sprung von der bisherigen begrenzten Frischhaltung mit Eis zur Tiefkühl- bzw. Schnellgefriertechnik, die Transport und Lagerung von Fisch grundlegend veränderte. aa) Weiterentwicklungen des bisherigen Verfahrens Die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gängige Methode bestand darin, dass die Fischer den geschlachteten – also ausgenommenen – Fisch auf dem Fischdampfer in einem Lagerraum in Fächern immer abwechselnd mit einer Lage Eis schichteten, so dass der Fisch auf einer Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt (als ideal galten +2° bis 3°C) gehalten wurde. Das gemahlene Eis, das möglichst in Eisfabriken keimfrei aus Trinkwasser hergestellt wurde, hatte der Fischdampfer vor der Reise in seinem Heimathafen geladen. Nach der Auktion im Hafen wurde der Fang anschließend mit frischem Eis für den Versand – üblicherweise in speziellen Eisenbahnwaggons – in Weidenkörbe verpackt.186 186  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 136–138; Ziegelmayer, RohstoffFragen (1936), S. 244.

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Max Stahmer, ein Verbandsfunktionär mit langjähriger Erfahrung in der Fischwirtschaft, stellte dieser erprobten Verfahrensweise ein gutes Zeugnis aus: „Wenn alle Beteiligten hygienisch einwandfrei arbeiten und die in Jahrzehnten erworbenen Erfahrungen von Wissenschaft und Praxis als Richtschnur gelten lassen, können alle Verbraucher im ganzen Reichsgebiet und in den angrenzenden europäischen Ländern Fische in einer Qualität erhalten, die von der, die man im Küstengebiet gewohnt ist, nicht augenfällig abweicht.“187 Zu einem ganz anderen Urteil über die Qualität der Fische, die im äußerten Fall beim Eintreffen im Laden an die drei Wochen alt waren, kam der Ernährungsexperte Wilhelm Ziegelmayer 1936: Da „autolytische und bakterielle Prozesse“ im Fischfleisch durch die Beeisung verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden, könnten die „heute im Inland verbrauchten Seefische […] deshalb normalerweise gerade noch als ‚genuss­ tauglich‘, keineswegs als ‚frisch‘ bezeichnet werden.“188 Die Lagerung auf Eis war also erprobt und bewährt, hatte als Technik zur Frischhaltung aber auch enge Grenzen: Nach der Anlandung im Hafen musste der Fisch binnen weniger Tage verbraucht werden, eine Vorratswirtschaft, die bei dem unter dem Einfluss von Saison, Wetter und Fangglück stark schwankenden Angebot eine gleich bleibende Versorgung und konstante Preise ermöglicht hätte, war unmöglich, und schließlich blieb der Aktionsradius der Fischdampfer im Wesentlichen auf die bis zu den 1930er Jahren erschlossenen Fanggebiete beschränkt, da bei längeren Reisen der Fisch schon großteils verdorben gewesen wäre, wenn der Fischdampfer in seinen Hafen zurückkehrte. Es gab durchaus Versuche und Möglichkeiten, die bisherige Frischhaltetechnik anstelle oder ergänzend zu der Einführung des Tiefgefrierverfahrens zu verbessern. Auf dem Gebiet des Schiffbaus ermöglichten bis zu einem gewissen Grad eine höhere Fahrtgeschwindigkeit und eine verbesserte Fangleistung in demselben Zeitrahmen wie bisher auch weiter entfernte Fanggebiete zu nutzen.189 Größere Fischdampfer wurden außerdem mit einer kleinen Kühlanlage ausgerüstet, die das Schmelzen des Eises verlangsamte, aber den Fisch austrocknen ließ.190 Weiterhin war es denkbar, die Eigenschaften des Eises zu verbessern: Die Kühl- und Lagerhaus Bremerhaven AG, Wesermünde-Geestemünde veröffentlichte Anfang November 1936 ein „Preisausschreiben für das Auffinden geeigneter Zusätze zum Eis für die Vereisung von Fischen“, wobei man sich ausdrücklich auf den kurz zuvor verkündeten Vierjahresplan („[e]in wichti187  Stahmer,

Fischhandel und Fischindustrie, S. 399. Rohstoff-Fragen (1936), S. 244. 189  Ahlf, Die Hochseefischerei, S. 402. 190  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 244. 188  Ziegelmayer,



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ger Frontabschnitt des Vierjahresplanes ist hiermit eröffnet“) und die daraus sich ergebende Notwendigkeit, neue Fanggründe zu erschließen, bezog.191 Die wesentliche Forderung an den gesuchten Zusatz bestand darin, dass „Aussehen, Beschaffenheit sowie Erhaltungszustand“ der Fische noch nach drei Wochen dem fangfrischen Fisch zu gleichen hätten. Einsendern, die allerdings die Patentrechte abzutreten hatten, winkte ein Gewinn von 15.000 RM für den ersten und 10.000 RM für den zweiten Preis.192 Das Preisausschreiben scheint freilich keine praktikablen Vorschläge hervorgebracht zu haben. In verschiedenen Ländern ist in dieser Zeit mit ­desinfizierenden Zusätzen zum Eis wie Chlor, Natriumhypochlorit, Wasserstoffperoxid (s. u.), Ozon, Kohlensäure, Benzoesäure usw. experimentiert worden, ohne dass dies bis 1940 zu einem gängigen Verfahren geführt hätte.193 Da insbesondere das Wachstum von Bakterien die Zersetzung des Fischfleisches verursachte, konnte man auch an die Desinfizierung des Fangs denken. 1937 / 38 führte man zu diesem Zweck Wasserstoffperoxid in der Fischwirtschaft ein. Indem die wie bisher auf Eis gelagerten ausgenommenen Fische oder Filetstücke im Hafen vor dem Versand in einer Wasserstoffperoxid-Lösung gewaschen wurden, sollte sich die Haltbarkeit um drei bis sechs Tage verlängern.194 Die Deutsche Gold- und Silber Scheideanstalt (DEGUSSA) brachte ein entsprechendes Produkt unter dem Namen Tysox zu dieser Zeit in den Handel und bewarb es z. B. in der „Deutschen Fischerei-Rundschau“.195 Offenbar fand die Behandlung mit Wasserstoffperoxid bald eine größere Verbreitung, und an sich ging hiervon keine Gesundheitsgefahr aus, allerdings bot sich mit dieser Methode die Möglichkeit, den Verbraucher über Alter und Qualität der Fische zu täuschen. „Im Hinblick auf die gesundheitlichen Gefahren, die die hierdurch ermöglichte Aufarbeitung verdorbener Fische nach sich ziehen“, so das Reichsgesundheitsministerium 1939, „muß vor der Anwendung von Wasserstoffperoxyd zur Auffri191  Auf neuen Wegen zur Frischerhaltung von Fischen, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, November 1936, S. 2281 (hier das Zitat); Um die Qualitätserhaltung bei Seefischen. Appell zur Mitarbeit durch großes Preisausschreiben, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 2.12.1936, S. 563–565. 192  Um die Qualitätserhaltung bei Seefischen. Appell zur Mitarbeit durch großes Preisausschreiben, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 2.12.1936, S. 563–565, hier S. 564. 193  Keimtötende Zusätze zum Eis zur Frischhaltung von Fischen, in: Monatshefte für Fischerei, N. F. 8 (1940), 7, S. 82. 194  Fischwirtschaft auf der Tagung des Forschungsdienstes in Hannover, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 6.10.1937, S. 439–441. 195  Seefische fangfrisch durch Tysox, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 12.1.1938, S. 20. Vgl. auch den Anzeigenteil dieser Zeitschrift.

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schung von Fischen dringend gewarnt werden.“196 Auf dem gleichen Prinzip der Desinfizierung des Fisches oder des Eises beruhten auch das „Caporit“und das „Katadynverfahren“ sowie die Anwendung von „ozonisiertem Meerwasser“,197 ohne dass diese Behandlungen breitere Anwendung gefunden zu haben scheinen. Ein weiteres Verfahren, das 1936 die Nordsee Deutsche Hochseefischerei und die Reichsbahn nach guten Erfahrungen in den USA und Großbritan­ nien sowie längeren eigenen Experimenten einführten, war die Verwendung von Trockeneis also gefrorenem CO2. Auch hier wurde das normale Eis nicht ersetzt, sondern man verpackte die Fische wie bisher für den Eisenbahntransport mit Eis und hängte jedoch zusätzlich mit Schnüren Trockeneispakete an die Decke des Bahnwaggons. Das beim Auftauen entstehende gasförmige CO2 sank nach unten und verdrängte die Luft in und um die Fischbehältnisse, womit es erstens durch die Kühlung das Schmelzen des Eises verhinderte und zweitens durch die Verdrängung des Luftsauerstoffes den Fisch vor Bakterienwachstum, Fliegen und Oxidation schützte. Trockeneis galt als relativ teuer und stand Mitte 1936 nur im Fischereihafen Wesermünde zur Verfügung, aber die Einführung in Cuxhaven und Hamburg-Altona war vorgesehen.198 bb) Tiefkühlverfahren Trotz dieses (begrenzten) Verbesserungspotentials der bisherigen Frischhaltetechnik bestand in den Publikationen zur Fischwirtschaft der späten 1930er Jahre ein weitgehender Konsens darüber, dass die Tiefkühltechnik den Schlüssel für einen weiteren Ausbau von Produktion und Absatz darstelle. „Das Problem einer möglichst langen Frischhaltung von Seefischen mittels geeigneter Tiefkühlverfahren ist“, so die „Deutsche Fischerei-Rund196  Auffrischung mit Wasserstoffsuperoxyd gefährlich, in: Deutsche FischereiRundschau, 8.3.1939, S. 102. 197  Keimfreies Eis, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.11.1933, S. 519; Ahlf, Die Hochseefischerei, S. 401; Haltbarkeitsverlängerung von Frischfisch durch Ozon, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 7.4.1937, S. 158; Hoffmann, Einzige Kolonie, S. 93–95. 198  Trockeneis als Kühlmittel für leicht verderbliche Lebensmittel in England, in: Fische und Fischwaren, Juni 1933, S. 91; Trockeneis beginnt sich durchzusetzen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.6.1936, S. 287–289; Kampf dem Verderb durch Trockeneiskühlung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.10.1937, o. S. [= Anzeige des Kohlensäure-Werkes „Hannover“, Rethen (Leine)]; Tiefkühlverfahren setzt sich durch, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11.1938, S. 525 f.; Hans Mosolff, Der Aufbau der deutschen Gefrierindustrie. Handbuch der Tiefkühlwirtschaft, Hamburg 1941, S. 44 f. Hier werden bereits zehn Hersteller von Trockeneispackungen für die Lebensmittelwirtschaft aufgelistet.



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schau“ 1938, „zur Zeit wohl das brennendste Problem der deutschen Seefischwirtschaft überhaupt, denn nur bei einer ganz einwandfreien frischen Seefischqualität ist es möglich, den Absatz in Deutschland weiter zu steigern und den Seefisch mit Aussicht auf Erfolg an immer neue Verbraucherkreise heranzuführen und Gegenden zu erschließen, die bisher infolge ihrer Abgelegenheit von der Küste für den Seefischabsatz nicht in Frage kamen.“199 Wilhelm Ziegelmayer formulierte 1936 drei Aufgaben, zu deren Lösung die Tiefkühltechnik beitragen sollte:200 1. auch im Binnenland eine dem fangfrischen Fisch gleichwertige Qualität im Einzelhandel anbieten zu können, 2. die in der Hochsaison gefangenen Fische so konservieren zu können, dass der Bedarf das ganze Jahr über ohne Einfuhr gedeckt werden kann, 3. solche Fangplätze nutzen zu können, die aufgrund zu großer Entfernung zu den deutschen Häfen bisher nicht befischt werden konnten. Der zweite Punkt stand in Zusammenhang mit dem Bemühen, mit einer Vorratswirtschaft Angebot und Nachfrage über das ganze Jahr in Einklang zu bringen, neben dem Import (bei mangelndem Angebot) auch die Verarbeitung von nicht-absetzbarer Ware zu Fischmehl (bei übermäßigem Angebot) zu reduzieren und ein Festpreissystem (s. u.) an die Stelle der bisher stark schwankenden, unvorhersehbaren Preise zu setzen.201 Da es sich hierbei also um eine Schlüsseltechnologie für den weiteren Ausbau der Fischerei handelte – eine Einschätzung, die sich in der Nachkriegszeit voll bestätigte –, wurde der Tiefkühltechnik im Vierjahresplan eine hohe Bedeutung zugemessen. Robert Ahlf, Direktor der ReedereiSparte der Nordsee Deutsche Hochseefischerei und Vorsitzender des Verbandes der deutschen Hochseefischereien, behandelte das Thema ausgiebig in der Zeitschrift „Der Vierjahresplan“, ebenso Hans Mosolff von der Vierjahresplanbehörde in seiner Veröffentlichung „Die deutsche Fischwirtschaft im Vierjahresplan“.202 Auch die 1939 gezeigte Ausstellung „Segen des Meeres“ hob das Tiefkühlverfahren hervor und versuchte, es dem Verbraucher nahe zu bringen.203 Allerdings fehlte dieser Punkt in den ersten Ver199  Tiefkühlverfahren setzt sich durch, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11. 1938, S. 525. 200  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 236. 201  Ahlf, Die Hochseefischerei, S. 401; Großkundgebung der deutschen Fischwirtschaft am 24. Mai 1939 in den Sagebiel’schen Festsälen in Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1939, S. 277–281, hier S. 279; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. XXXIf. 202  Ahlf, Die Hochseefischerei; ders., Neue Wege, S. 142 f.; Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 24. 203  Segen des Meeres. Die 1. Deutsche Fischerei- und Walfangausstellung in Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 3.5.1939, S. 238–250.

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einbarungen zwischen Göring und dem Verband der deutschen Hochseefischereien im November 1936 noch.204 Dass Kältegrade konservieren, ist Menschen schon sehr früh bekannt gewesen; die Besonderheit beim Tiefkühl- oder Schnellgefrierverfahren liegt dagegen darin, dass durch ein schnelles Gefrieren die Gewebestruktur weitgehend geschützt und ein Wasserverlust vermieden wird. Bei langsamem Sinken der Temperatur friert zuerst das Wasser in den Zwischenzellräumen, da dort die Salzkonzentration niedriger ist als in den Zellen. Indem in den Zwischenzellräumen Eiskristalle wachsen, steigt dort allerdings die Konzentration, so dass Wasser durch Osmose aus den Zellen herausgezogen wird. Durch diesen Wasserverlust der Zellen verlieren Lebensmittel an Geschmack, Aussehen und Nährwert. Durch das rasche Gefrieren bei hohen Minusgraden versucht man zu erreichen, dass sich die Eiskristalle im gesamten Gefriergut möglichst gleichmäßig bilden.205 Die Fischwirtschaft des Auslandes war Deutschland bei der Einführung der Tiefkühlung bereits voraus. Zwischen 1910 und 1911 entwickelte der dänische Fischimporteur A. J. A. Ottesen erstmals ein praktikables Verfahren zum Tiefgefrieren von Fischen durch Eintauchen in eine auf ca. –21 °C gekühlte Sole. Fleisch von Schlachttieren wurde schon seit den 1870er Jahren tiefgekühlt z. B. von Südamerika nach Europa transportiert, aber die verwendeten Verfahren trocknete das weniger feste Fischgewebe in inakzeptabler Weise aus. Den nächsten Schritt tat der US-Amerikaner Clarence Birdseye in den 1920er Jahren, indem er ein Verfahren erfand, das Fischfilet, aber auch Obst und Gemüse, in haushaltsgerechten Verpackungen ohne direkten Kontakt mit der Sole zwischen Platten oder Fließbändern, die von der kalten Sole durchströmt werden, tiefkühlt. Birdseyes Technik und die von ihm gegründete General Seafood Corporation begründeten die moderne Tiefkühlindustrie. Bereits in den frühen 1930ern produzierte das Unternehmen in großem Maßstab tiefgekühlte Lebensmittel, allerdings vorwiegend für Großkunden statt privater Haushalte.206 204  Vgl. StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936; StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Ahlf an Ministerpräsident Generaloberst Göring, Betrifft: Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 29.11.1936. 205  Zu den lebensmitteltechnischen Aspekten des Tiefkühlverfahrens: Paul Joseph­ son, The Ocean’s Hot Dog. The Development of the Fish Stick, in: Technology and Culture, 49 (January 2008), S. 41–61; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 244. 206  Zu den verschiedenen Tiefkühlverfahren und ihrer Entwicklung: Teuteberg, Hochseefischerei, S. 152–154; ders., Zur Geschichte der Kühlkost und des Tiefgefrierens, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 36 (1991), 3, S. 139–155; Er-



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Obwohl die Tiefkühlung von fangfrischen Fischen direkt auf dem Fischdampfer oder auf Fabrikschiffen, denen kleinere Fischereifahrzeuge zuarbeiteten, sich erst in der Nachkriegszeit durchsetzte, gab es schon vor dem Krieg in verschiedenen Staaten – beginnend mit der norwegischen Karmøy  – derartig ausgestattete Schiffe.207 Die auf Tiefkühlung gestützte italienische Hochseefischerei, auf die auch die deutsche Expedition bei Fuerteventura traf (s. o.), wurde in Deutschland mit Interesse verfolgt,208 und Wilhelm Ziegelmayer wies 1936 auf die Gefrierhäuser der Fischwirtschaft in der UdSSR, Skandinavien und den USA als Vorbilder.209 In Deutschland interessierte sich die Fischwirtschaft schon lange vor dem Vierjahresplan für die neue Technologie des „Schnellgefrierverfahrens“, aber die ersten Anläufe endeten entmutigend. Als erstes Unternehmen entstand 1924 in Bremerhaven die Deutsche Ottesen Gefrieranlagen-Lizenzgesellschaft (abgekürzt: Oliz), die im folgenden Jahr für den praktischen Betrieb die Kühlfisch AG gründete. Gesellschafter der von Walter Schlienz geführten Gesellschaften waren neben einer weiteren Reederei und dem Maschinenbauunternehmen Humboldt aus Köln-Deutz die Reederei Nordsee, die bereits an den Bau eines Tiefkühlschiffes gedacht hatte, diesen Plan aber zurückstellte, um mit einer technisch weniger aufwändigen Landanlage zunächst Erfahrungen zu sammeln. Da die Haushalte zu dieser Zeit über keine Kühlanlagen verfügten, wurde der Fisch auf- oder angetaut verkauft. Obgleich sich die Kühlfisch AG halten konnte, blieb sie doch bis zum Ende der 1930er Jahre der einzige Anbieter in Deutschland.210 Theoretisch waren Fischdampfer mit Tiefkühlanlagen dem Betrieb von solchen Anlagen an Land vorzuziehen, da die Qualität des Fisches bis zur Anlandung bereits gelitten hatte und nur Anlagen auf den Schiffen eine längere Fahrtdauer und somit die Nutzung weiter entfernter Fanggründe möglich machten. Dennoch wagte keine deutsche Reederei, in ein Versuchsschiff zu investieren, so dass der erste derartig ausgestattete Fischdampfer erst 1929 mit einem Darlehen der Reichsregierung gebaut werden konnte.211 win Hilck / Rudolf auf dem Hövel, Jenseits von minus null. Die Geschichte der deutschen Tiefkühlwirtschaft, Köln 1979, S. 14, 26–29. 207  Ingo Heidbrink, Weser und Hamburg. Zwei frühe Fischereifabrikschiffe, in: Deutsche Schiffahrt. Informationen des Fördervereins Deutsches Schiffahrtsmuseum, 22 (2000), 1, S. 13–15. 208  Italien. Neubau von Hochseefischerei-Motorschiffen, in: Deutsche FischereiRundschau, 4.1.1933, S. 12 f.; Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 24. 209  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 109. 210  Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 20 ff. 211  Ebd., S.  23 f.; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 406; ritz-, Tiefkühlen von Seefischen seit über 30 Jahren in Deutschland, in: Monatshefte für Fischerei, N. F. 9 (1941), 6, S. 80 f.

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In Fachkreisen scheint angesichts mangelnder Erfahrungen und der unklaren Absatzaussichten die Skepsis gegenüber diesem Projekt überwogen zu haben.212 Das Volkswohl getaufte und von der Nordsee Deutsche Hochseefischerei bereederte Schiff war mit 500 BRT und 52 m Länge deutlich größer als die zeitgenössischen Fischdampfer und auch die Bau- und Betriebskosten lagen erheblich höher. „Mit großem Tam-Tam wurde seinerzeit die erste Fangreise angetreten,“213 so ein Bericht von 1932, der Erfolg blieb hingegen aus: Die Anlage, die nach dem Ottesen-Verfahren mit dem Eintauchen in tiefgekühlter Sole arbeitete und für den Betrieb auf einem bei Seegang rollenden und stampfenden Schiff vollkommen neu konstruiert worden war, befriedigte nicht und brachte nur stark deformierte Fische hervor.214 Zudem ließ sich die Tiefkühleinrichtung nicht an die täglich schwankenden Fangergebnisse anpassen,215 und schließlich war die Rentabilität nicht gegeben.216 Obwohl eine Anlage nach dem Birdseye-Verfahren wohl bessere Ergebnisse gezeigt hätte, erstarb, nachdem die Volkswohl „gründlich Fiasko“ gemacht hatte,217 das Interesse der deutschen Reedereien an dieser Technologie. Die Nordsee griff erst etwa 30 Jahre später 1960 / 61 die Tiefkühlung an Bord von Schiffen wieder auf.218 Nach zehn Jahren Tiefkühlung in der deutschen Fischwirtschaft kam 1935 ein Artikel in der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ zu dem Urteil, das Tiefkühlverfahren sei in Deutschland „auf dem toten Punkt angekommen.“219 Der entscheidende Grund, so zumindest der Artikel, läge dabei nicht auf der technischen Seite, da alle Tests dem gefrorenen Fisch eine einwandfreie Qualität in Aussehen und Geschmack bescheinigen würden. Problematisch sei vielmehr die Einstellung der Verbraucher und Händler, wonach Tiefkühlware deutlich billiger zu sein habe als frische. Tatsächlich kämen jedoch die Kosten für die Tiefkühlung noch hinzu. Auch ordere der Einzelhandel Tiefkühlfisch nur ausnahmsweise, wenn die Preise für Frischfisch außergewöhnlich hoch seien. Ein solch seltener, stoßweiser Absatz führe jedoch zu langen 212  „Da die Erfahrungen mit dem Ottesenschen Kühlverfahren noch nicht abgeschlossen sind, vor allem noch höchst unklar ist, ob sich der Kühlfisch in Deutschland einbürgern wird, sieht man in Fachkreisen diesem Versuch mit einigen Zweifeln entgegen und hält ihn für verfrüht“; Kühlfischdampfer, in: Die Fischwirtschaft, 3 (1927), 2, S. 28. 213  Was ist mit dem Dampfer „Volkswohl“?, in: Fische und Fischwaren, 5.5.1932, S. 123. 214  Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 24. 215  Ahlf, Die Hochseefischerei, S. 402. 216  ritz-, Tiefkühlen von Seefischen, S. 81. 217  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 407. 218  Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 24. 219  Hat gefrorener Fisch eine Zukunft?, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.10. 1935, S.  480 f.



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Lagerzeiten, unter denen auch bei Tiefkühlware die Qualität leide. Derart überlagerte Ware bringe wiederum das gesamte Verfahren in Misskredit. Außerdem besitze der Verbraucher generell ein „erhebliches Vorurteil gegen gefrorene Lebensmittel“, das eventuell auf frühere schlechte Erfahrungen mit Gefrierfleisch zurückgehe.220 Eine „schier unüberwindliche Abneigung“ gegen den gefrorenen Fisch beklagten zu dieser Zeit auch andere Beobachter.221 Widerstände bestanden aber auch bei den betreffenden Unternehmen. Hans Mosolff von der Vierjahresplanbehörde führte 1941 die noch fünf Jahre zuvor dominierende Ablehnung der Fischwirtschaft gegen die Tiefkühltechnik auf die Furcht vor der Entwertung des bereits in andere Verfahren investierten Kapitals und die Scheu vor den notwendigen Investitionen zurück.222 Man schien sich somit Mitte der 1930er Jahre nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Tiefkühlverfahren in einer Sackgasse zu befinden. Der Generaldirektor der Nordsee AG, Wilhelm Roloff, schrieb 1940 rückblickend über die Einschätzung dieser Technik in der Fischwirtschaft Mitte der 1930er ­Jahre: „Noch vor drei Jahren hätte man wahrscheinlich in Wesermünde nicht wagen dürfen, das Wort ‚Schnellgefrieren‘ öffentlich auszusprechen, ohne Gefahr zu laufen, aus Wesermünde hinausgeworfen zu werden.“223 Dennoch stellte die Zeit 1935 / 36 den Wendepunkt dar, von dem an der Aufbau einer Tiefkühlwirtschaft – nicht nur im Bereich der Fischerei – energisch in Angriff genommen wurde. Um die wissenschaftlichen Grundlagen zu stärken, entstand im November 1935 in Wesermünde eine Außenstelle des kältetechnischen Instituts der Technischen Hochschule Karlsruhe. Das Institut selbst wurde im folgenden Jahr zur Reichsanstalt für Lebensmittelfrischhaltung aufgewertet und bekam als erste Aufgabe die Forschung an der Tiefkühlung von Fischfilet zugewiesen.224 Offen war weiterhin die Frage, ob man in Zukunft an Bord des Fischdampfers direkt nach dem Fang (wie auf der Volkswohl) oder erst an Land im Fischereihafen (wie im Fall der Kühlfisch AG) tiefkühlen sollte. Die meisten Stimmen sprachen sich für Gefrieranlagen an Bord der Schiffe aus, da die Qualität beim fangfrischen Fisch am Besten ist und nur so die Nut220  Ebd.,

S. 480. Ahlf, Die Hochseefischerei, S. 402; vgl. auch: Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 402; Teuteberg, Hochseefischerei, S. 152. 222  Mosolff, Der Aufbau, S. 9. 223  Wilhelm Roloff, Die Bedeutung des Schnellgefrierverfahrens in der deutschen Seefischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8 (September), 1940, S. 161– 167, hier S. 162. 224  Hilck /  auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 32; Eröffnung der Außenstelle des kältetechnischen Instituts der TH Karlsruhe, in: Völkischer Beobachter. Norddeutsche Ausgabe, 24.11.1935, S. 10. 221  Zitat:

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zung weiter entfernter Fanggründe möglich wurde.225 Wilhelm Ziegelmayer sah das einzige Hindernis in dem Zögern der Reedereien, in die Technik zu investieren.226 Auf das Debakel mit der Volkswohl verwies dagegen Robert Ahlf von der Nordsee und sah bei den konventionellen Fischdampfern und ihrer Wassereiskühlung noch Verbesserungspotential (s. o.), während Tiefkühlanlagen an Land ihm überlegen schienen, da sie einfacher und sicherer als solche an Bord seien.227 Max Stahmer stellte schließlich noch 1943 die Argumente für beide Verfahren gleichberechtigt nebeneinander und glaubte, dass erst die langjährige Praxis eine Klärung bringe.228 Tatsächlich wurden beide Wege beschritten, indem sich die Reederei Andersen & Co. mit der Hamburg sowie die Gefriertechnische Gesellschaft deutscher Hochseefischereien mit der Weser für die Tiefkühlung an Bord entschieden, während die Nordsee Deutsche Hochseefischerei einen landgestützten Betrieb aufbaute. Die Hochseefischerei Hamburg Andersen & Co. KG wurde Ende 1938 eigens für die Umsetzung des Tiefkühlverfahrens in enger Abstimmung mit der Vierjahresplanbehörde und der Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft gegründet.229 Den Gesellschaftern – dem Reeder Otto Andersen und dem Fischgroßhändler Eduard Biedermann – stand ein Arbeitsausschuss bestehend aus dem Hamburger Senatsdirektor Essen, Robert Ahlf und Philipp Reemtsma zur Seite, wobei der Tabakunternehmer Reemtsma der Finanzier des Unternehmens war. Angeblich forderte Göring Reemtsma, mit dem er als Kriegskamerad gut bekannt war, auf, in die Tiefkühlwirtschaft zu investieren, da die Zigarettenherstellung angesichts des Autarkiestrebens und Hitlers Nikotinfeindschaft kaum Zukunft habe.230 In jedem Fall sah Reemtsma im Vierjahresplan die Chance, sein bisher ganz auf Tabak konzentriertes Geschäft zu diversifizieren, und expandierte in den folgenden Jahren in die Sektoren Schifffahrt, Lebensmittel und Rohstoffe. In diesem Zusammenhang stand Reemtsmas Engagement bei der Hochseefischerei Hamburg Andersen & Co. KG, an der er 1938 eine Beteiligung erwarb und die er 1940 ganz übernahm.231 225  Hat gefrorener Fisch eine Zukunft?, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.10. 1935, S. 480 f.; Tiefkühlverfahren setzt sich durch, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11.1938, S. 526. 226  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 245 f. 227  Ahlf, Die Hochseefischerei, S. 402. 228  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 408 f. 229  Ausbau der Hamburger Fischerei, in: Hamburger Nachrichten, Nr. 285, 15.10. 1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 230  Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 31, 38 f. 231  Hartmut Rübner, Unternehmensinteresse und Vierjahresplan. Der ReemtsmaKonzern im „Dritten Reich“, in: Sozial.Geschichte, 22 (2007), 3, S. 13–42, hier S.  22 f.



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Andersen & Co. plante den fangfrischen Fisch auf See einzufrieren, aber anders als bei der Volkswohl sollten nicht Fang und Tiefkühlung auf einem Schiff kombiniert werden, sondern mehrere konventionelle Fischdampfer sollten ähnlich wie beim Walfang einem großen Fabrikschiff zuarbeiten. Ein Frachter wurde unter dem Namen Hamburg zum Fabrikschiff umgebaut und mit Anlagen zur Filetierung, Fischmehlproduktion sowie Tiefkühl­ einrichtungen nach dem in Deutschland entwickelten Heckermann-Verfahren232 ausgestattet. Die Hamburg wurde allerdings erst 1940 fertig gestellt, so dass sie kriegsbedingt nicht mehr in der vorgesehenen Rolle in der Hochseefischerei zum Einsatz kam. Stattdessen arbeitete das Schiff nach der deutschen Besetzung Norwegens fest verankert als stationäre Fischfabrik bei Svolvær auf den Lofoten, bevor es dort 1941 bei einem britischen Angriff zerstört wurde.233 Um der Hamburg im Rahmen einer „Tiefkühlflotte“ zuzuarbeiten, gab Andersen & Co. drei weitgehend konventionelle Fischdampfer unter den passenden Namen Harvestehude, St. Georg und Bahrenfeld in Auftrag, von denen zumindest noch einer im August 1939 abgeliefert wurde.234 Ein weiteres Schiff mit Tiefkühleinrichtungen, die Weser, gehörte der Gefriertechnischen Gesellschaft der deutschen Hochseefischereien, einem Zusammenschluss fast aller deutscher Reedereien und Fisch verarbeitenden Betriebe. Auch hier kam der Kriegsbeginn dem eigentlich vorgesehenen Einsatz des Schiffes auf weit entfernt liegenden Fanggründen im Nordatlantik zuvor. Die Weser entstand sogar erst als Umbau aus einem im November 1939 durch Minentreffer beschädigten Fischdampfer und wurde nur in der Ostsee eingesetzt, wo der Einsatz eines Tiefkühlschiffes angesichts der geringen Distanzen zwischen Häfen und Fanggründen eigentlich nicht lohnend war. Anders als die Hamburg als reines Fabrikschiff fing die Weser selbst, und im Unterschied zur Volkswohl von 1929 verfügte die Weser auch über Fischmehl- und Filetieranlagen, so dass sie statt einfachen gefrorenen Fischen tiefgekühlte 1-kg-Portionspackungen produzierte. Die Weser entsprach damit vom Prinzip her schon den – allerdings wesentlich größeren – FangFabrikschiffen, die die deutsche Hochseefischerei ab den 1960er Jahren einführte.235 232  Bei diesem ursprünglich von einem Bremer Bäckermeister entwickelten Verfahren durchläuft die Ware einen Gefriertunnel, in dem sie von einem kalten Luftstrom bei hoher Luftfeuchtigkeit gefroren wird. Der Vorteil dieses von der Firma Borsig zur Serienreife gebrachten Verfahrens gegenüber dem Plattenfroster nach Birdseye lag in der Möglichkeit eines kontinuierlichen Fließbandprozesses; Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 33, 39; Stolle, Neue Marktordnung, S. 62. 233  Heidbrink, Weser und Hamburg, S. 13–15. 234  Erster Fangdampfer der Tiefkühlflotte in Dienst gestellt, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 30.8.1939, S. 470.

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Im Fall der Tiefkühlunternehmungen der Nordsee war ähnlich wie bei Reemtsma der Kapitalgeber hinter der Reederei von Bedeutung, in diesem Fall der britisch-niederländische Unilever-Konzern. Seit November 1937 besaß Unilever einen bedeutenden Anteil der Nordsee Deutsche Hochseefischerei und strebte nach einer Mehrheitsbeteiligung, die jedoch von der deutschen Regierung abgelehnt wurde, so dass Unilevers Anteil 1941 nur 49 % des Kapitals entsprach. Der Hintergrund dieser Beteiligung lag ähnlich wie ­ beim Walfang in erster Linie in dem Bedürfnis des ausländischen Konzerns, Sperrmarkguthaben in Deutschland anzulegen [siehe Kap. D. IV. 3. c)].236 235

Unilever erkannte, dass der Aufbau einer groß angelegten Kälteindustrie in Deutschland aufgrund des staatlichen Interesses an der Vorratswirtschaft leichter sein würde als in anderen Staaten, und ging zugleich davon aus, dass man hierfür erprobte und für die Großserienproduktion geeignete Anlagen brauchte. Da sich das Birdseye-Verfahren in den USA seit fast zehn Jahren für das Tiefkühlen von in Karton verpackter Obst-, Gemüse- und Fischprodukte bewährt hatte, erwarb Unilever nach einer USA-Reise von Nordsees Generaldirektor Wilhelm Roloff im Herbst 1938 die Lizenz für die Birdseye-Anlagen von Frosted Foods, der für das Auslandsgeschäft zuständigen Tochter des Patentinhabers General Foods. Die ersten Plattenfroster für Nordsee-Betriebe wurden im Frühjahr 1939 aus den USA geliefert, weitere ließ man in Lizenz bei der Firma Linde herstellen. Sowohl Import als auch Lizenz dürften nicht unbeträchtliche Devisenbeträge erfordert haben. Ebenfalls 1939 gründete Unilever zur Konzentration seiner deutschen Tiefkühlinteressen, die Fisch ebenso wie Obst und Gemüse umfassten, die Solo Feinfrost GmbH, auf deren Verpackungen neben dem Markennamen Solo Feinfrost aufgrund der Lizenzbedingungen auch das Birdseye-Emblem zu sehen war. Da in der Regel weder der Handel noch gar die Haushalte Kühltruhen besaßen, kamen die meisten Produkte jedoch aufgetaut zum Verkauf und nur ein kleinerer Teil der Produktion wurde in Form von gefrorenen Haushaltspackungen angeboten.237 Nachdem in der Weimarer Zeit die ersten Versuche, das Tiefkühlverfahren in der deutschen Fischerei einzuführen, ernüchternde Ergebnisse zeigten, 235  Beckmann, Die Reedereien, S. 91; Heidbrink, Weser und Hamburg, S. 13–15; Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 60; Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 25. 236  Ben Wubs, Unilever Between Reich and Empire 1939–1945. International Business and National War Interests, Diss. Rotterdam 2006, S. 62. Polemisch gegen Unilevers Beteiligung an Nordsee: Wilhelm F. Beese, Das Eindringen des interna­ tionalen Unilever-Trustes (Jurgens-Van den Bergh Margarine-Verkaufsunion) in die deutsche Wirtschaft, Berlin 1938, S. 18–22. 237  Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 33–35, 39; Roloff, Die Bedeutung des Schnellgefrierverfahrens, S. 161–167.



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kam es somit zeitgleich mit dem Vierjahresplan zu neuen Anläufen, da dieses Verfahren sowohl für die Erschließung neuer Fanggründe als auch für eine Vorratswirtschaft entscheidende Vorteile bot. Bis Kriegsbeginn war die deutsche Tiefkühlwirtschaft jedoch erst in Ansätzen realisiert. cc) Fischkonserven Neben der Tiefkühlung gab es selbstverständlich noch die Fischkonserven der seit langem bestehenden Fischindustrie. Hier kamen für eine Vorratswirtschaft nur die Vollkonserven – also die sterilisierten Konservendosen – in Betracht und nicht die nur kurze Zeit haltbaren Halbkonserven, die durch Räuchern, Marinieren oder Einlegen in Gelatine hergestellt werden. Staat und Wirtschaft sahen bei den Fischkonserven ein Potential, zu den Zielen der Fischwirtschaft im Vierjahresplan beizutragen. Die vom Verband der deutschen Hochseefischereien mit Göring abgestimmten Programmpunkte für die Fischerei im Vierjahresplan aus dem November 1936 erwähnten erstaunlicherweise nicht die Tiefkühlwirtschaft, dafür aber die Konservenindustrie.238 Fischvollkonserven hielten sich zu dieser Zeit bereits jahrelang, auch wenn der Inhalt nach längerer Lagerung einen metallischen Geschmack annehmen konnte. Da somit kein schneller Verderb drohte und das Angebot keinen saisonalen Schwankungen unterlag, bildeten sie für die Ernährungswirtschaft insgesamt, den Handel und den einzelnen Verbraucher, aber auch für die Wehrmacht eine sehr vorteilhafte Form der Fischzubereitung.239 Die schwerpunktmäßig, aber nicht ausschließlich im Raum HamburgAltona angesiedelte Fischindustrie (im Sinne von Fisch verarbeitender Industrie) war überwiegend sehr kleinteilig organisiert. 1936 zählte Ziegelmayer 428 Betriebe, von denen über die Hälfte nur einen bis fünf Arbeiter beschäftigte, etwas über ein Viertel besaß sechs bis 20 Arbeiter. Nur acht Betriebe verfügten über 200 Beschäftigte oder mehr, so dass Ziegelmayer nur neidvoll „an die riesigen Fischanlagen und -werke des Kaspischen Meeres“, also der UdSSR, denken konnte, denen gegenüber die deutschen Verhältnisse allzu klein wirkten.240 Daher sah Ziegelmayer die Notwendigkeit, dieses Gewerbe umzuorganisieren, zu mechanisieren, seine Ausbildung zu professionalisieren, um somit überhaupt erst zu einer wirklichen Industrialisierung zu kommen. 238  StAHH Best. Nr.  113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936. 239  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 480 f. 240  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 103–109, Zitat: S. 108.

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Als Rohstoff dienten der Fischindustrie für die Konserven ganz überwiegend Heringe sowie die eng verwandten Sprotten (beides so genannte Fettfische). Das war insofern ungünstig, als dieser Heringsbedarf für den Löwenanteil des deutschen Fischimports verantwortlich war (s. o.). Dagegen bestanden die Fänge, die die Fischdampfer außerhalb der Nordsee – beispielsweise bei Island – machten und die häufig schwer abzusetzen waren, überwiegend aus so genannten Magerfischen wie Kabeljau, Schellfisch und Seelachs, die sich zur Herstellung von Vollkonserven wenig eigneten.241 Konserven von Magerfischen wären zur Ausweitung und Verstetigung des Absatzes für die Branche sehr vorteilhaft gewesen, allerdings gelang es nie, ein erfolgreiches Produkt dieser Art zu entwickeln. Versuche mit Konserven von Magerfischen fanden bereits um 1911 statt, ohne dass sich solche Erzeugnisse auf dem Markt etabliert hätten. Angesichts der Krise der Hochseefischerei seit den 1920er Jahren arbeitete das Institut für Seefischerei in Wesermünde an der Herstellung von Magerfischkonserven und hatte bis 1932 angeblich geeignete Produkte entwickelt.242 Eine wirkliche Lösung des Problems scheint man jedoch nicht gefunden zu haben, denn die „Herstellung von schmackhaften Mager-Fischkonserven“ [Hervorhebung im Original] zählte 1936 noch ausdrücklich zu den Aufgaben der Fischerei im Vierjahresplan.243 Schließlich gelang es bis in den Krieg hinein nicht, eine Magerfischkonserve zu produzieren, „die Aussicht hat, sich die Gunst weiter Verbraucherkreise zu erwerben.“, wie Stahmer 1943 resümierte.244 Somit konnte die Konservenindustrie gerade bei den wichtigsten Fischarten der Dampfhochseefischerei nicht dazu beitragen, die Probleme, die aus der schnellen Verderblichkeit und dem schwankenden Angebot herrührten, im Sinne einer Vorratswirtschaft zu lösen.

241  Magerfische tragen den Großteil ihres Körperfettes in den Organen, vor allem der Leber, welches in Form von Lebertran gewonnen werden kann, während das Fleisch praktisch fettfrei ist. Bei Fettfischen wie Hering, Sprott, Makrele und Lachs befindet sich das Fett im Muskelgewebe eingelagert. 242  Peter Biegler, Konserven aus Magerfischen, in: Fische und Fischwaren, 20.3.1932, S. 78–80. Der Artikel betont die „Absatzkrisis“ und die „spekulativen Preisschwankungen“, denen man mit der Herstellung solcher Konserven entgegenwirken wollte. Zum Misserfolg mag beigetragen haben, dass als Rohstoff Abfälle aus der Filetherstellung und aus Räuchereien verwendet werden sollten. 243  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Ahlf an Ministerpräsident Generaloberst Göring, Betrifft: Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 29.11.1936, S. 2; s. a. Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 106. 244  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 470.



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f) Materialmangel Ein weiteres mögliches Hindernis beim Ausbau der Fischwirtschaft bildete die Versorgung mit den nötigen Materialien und Rohstoffen. Dies betraf einmal die Verpackungen der Fischindustrie und zum anderen insbesondere den Neubau von Fischereifahrzeugen. Im Fall der Herstellung von Fischkonserven bereiteten nicht nur die Rohstoffversorgung in Bezug auf den Fisch Probleme (s. o.), sondern auch bezogen auf die Verpackung, also die Dosen selbst.245 Üblicherweise stellte (und stellt) man Lebensmitteldosen aus Weißblech her, also aus Stahlblech, welches zum Korrosionsschutz mit Zinn beschichtet wurde. Bei Zinn bestand jedoch eine hohe Importabhängigkeit, während Stahl, wie ein Bericht sich ausdrückte, „für andere Zwecke“ – also nicht zuletzt für die Rüstung – benötigt wurde.246 Die Suche nach Ersatzstoffen wurde dadurch erschwert, dass viele der in Deutschland üblichen Fischzubereitungen stark salz- und säurehaltig waren und somit hohe Ansprüche an die Korrosionsbeständigkeit des Materials stellten. Obwohl die Verwendung dieses Metalls auch einige Probleme aufwarf, setzte man die größten Hoffnungen auf Aluminium, das in der deutschen Ersatzstoffwirtschaft als „Metall der Zukunft“ vielfach an die Stelle von Eisen, Kupfer, Zink und Zinn trat.247 Dosen aus Stahlblech ohne Zinnauflage (so genanntes Schwarzblech) oder aus Aluminium waren allerdings bis 1940 immer noch nicht in der Fischindustrie eingeführt.248 Auch bei der Gestaltung der Dosen bestanden Möglichkeiten der Rationalisierung im Sinne einer Rohstoffersparnis. Ende 1937 ließ der Reichsernährungsminister „Dosenschlüssel für Fischkonserven“ – also ein der Dose beigegebenes Werkzeug zum Aufdrehen des Deckels – verbieten, da hierfür „jährlich etwa 2000 Tonnen Rohstahl nutzlos vergeudet“ würden und man ebenso gut normale Dosenöffner verwenden könne.249 Die sozialdemokratische Exilpresse griff das Verbot der Dosenschlüssel als ein charakteristi245  Aluminium, ein neues Dosenmaterial der Fischkonservenindustrie, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 20.12.1936, S. 854 f.; Friedrich Lücke, Neue Behältnisse für Fischzubereitungen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 28.7.1937, S. 313–316. 246  Lücke, Neue Behältnisse, S. 313. 247  Zitat: Aluminium, ein neues Dosenmaterial der Fischkonservenindustrie, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 20.12.1936, S. 855. Zur damaligen Bedeutung von Aluminium: Lübke, Rohstoffwunder, S. 145–162. 248  Vgl. Zinnfreie Dosen auch für die Fischindustrie?, in: Deutsche FischereiRundschau, H. 3 (April), 1940, S. 60; 5 Millionen Aluminiumdosen für die Fischindustrie, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, H. 7 (August), 1940, S. 154. 249  Einsparen von Dosenschlüsseln, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.11.1937, S.  583 f.

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sches Beispiel für den Mangel in der Autarkiewirtschaft gerne auf und bemerkte: „Kanonen sind wichtiger als Konserven.“250 An den Fischhandel wie an alle anderen Kaufleute richtete sich im selben Jahr der Aufruf der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, „eine volks- und privatwirtschaftlich unrationelle Verwendung von Verpackungsmaterial (Einwickelpapier, Tüten, Kartons, Holzwolle usw.) zu vermeiden“.251 Wenn schon aus heutiger Sicht die volkswirtschaftliche Relevanz der durch den Verzicht auf Dosenschlüssel eingesparten Rohstoffmengen – die jährliche Stahlproduktion betrug 1939 21.528.000 t252 – schwer nachzuvollziehen ist, so übertraf eine Meldung aus dem Frühjahr 1938 dies noch: „Um Rohstoff (hochwertigen Stahl) zu sparen,“ einigten sich die Hersteller von „Preishalternadeln“ – also „Stahlnadeln mit büroklammerähnlich gebogener Klammer zum Einschieben des Preisschildes“ – darauf, statt der bisherigen vielfältigen Formen nur noch vier genormte Größen anzubieten.253 Falls es sich hierbei nicht lediglich um den Aktionismus untergeordneter Stellen handelte, lag die Bedeutung solcher Einsparungen wohl vor allem darin, bei Handel, Industrie und Verbrauchern ein Bewusstsein für die Rohstofflage zu schaffen. Letztlich konnte man unter dem Aspekt der Rationalisierung angesichts der Versorgungsengpässe unter dem Vierjahresplan die gesamte Fischindustrie in Frage stellen: Stahmer berichtete von dem Vorschlag, in der Fischwirtschaft durchzusetzen, „dass mindestens die Großverbraucher – Verpflegungsämter des Heeres, der Marine, des Arbeitsdienstes, Krankenhäuser, Gefängnisse usw. – aber auch Hausfrauen in Zeiten größerer Fänge eine größere Menge von Fischen einkochen, einbraten oder einsäuern, um auf die längere Zeit versorgt zu sein.“254 Als langjähriger Mitarbeiter in diversen Verbänden der Fischindustrie weist Stahmer255 dies selbstverständlich als undurchführbar zurück, denn selbst bei solchen Halbkonserven wie Bratheringen und Kaltmarinaden, deren Herstellung nicht grundsätzlich im 250  K. K., Aus großer Zeit, in: Neuer Vorwärts, Nr. 234, 5.12.1937, S. 4. Dem Bericht zufolge habe die Fischindustrie vergeblich gegen das Verbot protestiert, da sie den Absatz von Fischkonserven in Gefahr sah. 251  Hans Hayler, Seid sparsam mit Packmaterial, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.6.1937, S. 249. 252  Tooze, Wages of Destruction, S. 641. 253  Nur noch vier genormte Preishalternadeln!, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 23.3.1938, S. 138. 254  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 393. 255  Der ehemalige Lehrer Max Stahmer arbeitete nach dem Ausscheiden aus seinem erlernten Beruf als Generalsekretär des Vereins der Fischindustriellen und in diversen weiteren verwandten Verbänden. 1933 blickte Stahmer auf eine 30-jährige Tätigkeit im Verein der Fischindustriellen zurück; Ein Vorkämpfer für die deutsche Fischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.9.1933, S. 442 f.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei177

Privathaushalt fehlende technische Anlagen erfordere, müsse „bei aller Hochachtung vor der Kochkunst der Hausfrau […] doch betont werden, dass die gewerbliche Zubereitung der Fische der küchenmäßigen weit überlegen ist.“256 Was hinter dieser Episode durchscheint, ist das Bestreben der NS-Wirtschaftspolitik, möglichst viele Tätigkeiten in die Haushalte zurückzuverlagern. Indem man die Hausfrauen anhielt, Kleidungsstücke zu flicken oder umzuarbeiten anstatt neue zu kaufen, Früchte zu sammeln und einzumachen anstatt Margarine als Brotaufstrich zu verwenden, hoffte die Regierung, dass die Auswirkungen von Lohnstopp und Steuererhöhungen weniger spürbar würden.257 Indem der NS-Staat auf diesem Weg zwar nicht Hausfrauen in die Industrie, aber die Produktion von Konsumgütern in den Haushalt verlagerte, wurden Arbeitskräfte und industrielle Kapazitäten für militärisch relevante Industrien frei. Am Beispiel der Halb- und Vollkonserven der ­Fischindustrie werden allerdings die Grenzen dieser Politik sofort sichtbar, weshalb in diesem Fall keine wirklichen Schritte in diese Richtung unternommen worden zu sein scheinen. Das Thema Materialmangel betraf selbstverständlich nicht nur die Verpackung von Fischprodukten, sondern nicht zuletzt den Bau von Fischereifahrzeugen. Die anvisierte Steigerung der Fischerei setzte einen Ausbau der Fangflotte voraus. Tatsächlich gelang es, der Dampfhochseefischerei eine beachtliche Zahl von Neubauten zuzuführen. 1937 und 1938 ließen deutsche Reedereien 35 respektive 44 Fischdampfer neu bauen. Eine Zahl, die nur 1920 und 1921 (50 und 68 Neubauten) übertroffen worden war, als es galt, die beachtlichen Kriegsverluste wettzumachen. Ähnliche Zahlen erreichte man daher auch 1950 und 1951 (31 und /  38 prägten dagegen Überkapazitäten 44) aus dem gleichen Grund. 1937  statt Kriegsverlusten die Ausgangslage, d. h. vor dem Bau neuer Schiffe waren zunächst die stillgelegten Fischdampfer wieder in Fahrt gebracht worden. Zudem waren die Neubauten, die Ende der 1930er auf Kiel gelegt /  21 gebauten wurden, deutlich größer und leistungsfähiger als die 1920  Fahrzeuge, wie auch der Verband der deutschen Hochseefischereien gegenüber Göring mit Recht betonte.258 256  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 393; nötig seien „Kenntnisse und Erfahrungen“, die über „die gelegentlich erworbenen Erfahrungen der Hausfrau und das Studium eines Kochbuches“ hinausgingen. 257  Nancy R. Reagin, Sweeping the German Nation. Domesticity and National Identity in Germany, 1870–1945, Cambridge u. a. 2007, S. 144–180. 258  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 2. Hier wird die Leistungsfähigkeit (nicht nur die

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Während die durchschnittliche Tonnage der Neubauten 1920 / 21 noch 230 bzw. 235 BRT betrug, wurden die neuen Fischdampfer der Jahre 1937 / 38 im Schnitt mit 462 / 500 BRT vermessen, auch wenn dies nicht das Ergebnis eines Sprunges war, sondern eher einer konstanten, evolutionären Entwicklung. Der gesamte Bestand an Fischdampfern entwickelte sich nicht ähnlich deutlich wie die Zahl der Neubauten, da gleichzeitig überalterte Schiffe abgewrackt wurden, so dass die Neubauten insbesondere zu einer Verjüngung der Flotte führten. Die 403 im Jahre 1939 vorhandenen Fischdampfer waren daher in Größe und Leistungsfähigkeit den 401 Dampfern des Jahres 1924 deutlich überlegen. Die obige Statistik, die die Größe der Fischdampferflotte nur an der Zahl der Schiffe und nicht an der Gesamttonnage misst, gibt insofern ein täuschendes Bild. Abgesehen von der Einführung der Tiefkühltechnik, die vor 1939 noch nicht wirklich zum Tragen kam, gab es in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre allerdings keinen technologischen Sprung im Bau oder der AusstatGröße) der neuen Fischdampfer mit dem zwei- bis dreifachen der Neubauten der Nachkriegszeit angegeben.



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Quelle: Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 64. Diagramm 6: Durchschnittliche Größe der neugebauten Fischdampfer in BRT, 1919–1939 450 400 350 300 250 200 150 100 50

Quelle: Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 64. Diagramm 7: Bestand deutscher Fischdampfer, 1919–1939

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tung der Fischdampfer: Funksender und -empfänger sowie Echolot waren bereits seit Ende der 1920er Jahre üblich, Radar kam erst nach dem Krieg hinzu. Beim Antrieb blieb es bis in die 1960er Jahre bei Kolben-Dampfmaschinen, die mit Steinkohle befeuert wurden (statt Heizöl oder Diesel­ maschinen).259 Beim Heringsfang, der von den Loggern der Großen Heringsfischerei mit Treibnetzen und saisonal von Fischdampfern mit Schleppnetzen (Trawlheringsfang) ausgeübt wurde, begann man dagegen jetzt als neuen Schiffstyp einige kombinierte Fahrzeuge einzuführen, die für beide Fangmethoden ausgestattet und somit flexibler einzusetzen waren.260 Im Vierjahresplan war der Bau von 15 bis 20 solcher Fahrzeuge bis 1938 vorgesehen, also eine recht kleine Zahl, so dass die traditionelle Teilung der Hochseefischerei in die Fischdampfer der Dampfhochseefischerei und die Logger der Großen Heringsfischerei im Wesentlichen bestehen blieb. Diese Erweiterung und Verjüngung der Fischereiflotte fand in einem wirtschaftlichen Umfeld statt, das durch Kapazitäts- und Materialmangel geprägt war. Insbesondere die Versorgung mit Stahl, der für praktisch jede zivile und militärische Investition benötigt wurde, setzte Grenzen. Nachdem die Regierung im November 1936 mit Blick auf die rasch schwindenden Erzvorräte eine 15-prozentige Kürzung der Stahlproduktion angeordnet und zugleich alle Preiserhöhungen verboten hatte, waren Marktmechanismen bei der Ressourcenallokation ausgeschlossen und eine staatliche Zuteilung von Stahl alternativlos geworden. Die am 23.2.1937 eingeführte Stahlrationierung wirkte sich für das Wirtschaftsleben tief greifender aus als der kurz zuvor verkündete Vierjahresplan.261 Im November 1936 ging der Verband der deutschen Hochseefischereien noch davon aus, dass die für den Fischdampferbau in Frage kommenden Werften zwar voll ausgelastet seien und die Neubauten „durch die Schwierigkeiten der Materialheranschaffung“ deutlich verzögert würden, dass aber die Bauzeiten „noch annehmbar“ seien.262 Beim Bau der deutschen Walfangflotten machten sich die Grenzen, die die Stahlzuteilung und die Auslastung der Werften durch Militär- und Exportaufträge setzten, dagegen 259  Walter,

Deutsche Fischdampfer, S. 65. Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 2; Noch mehr kombinierte Schiffe in der deutschen Hochseefischerei, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 30.1.1938, S. 74. Ähn­ liche Fahrzeuge gab es in kleiner Zahl jedoch schon länger: Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 130, 137 f. 261  Tooze, Wages of Destruction, S. 231. 262  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 6. 260  StAHH



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Ende Februar 1937 deutlich bemerkbar.263 Ersatzstoffe wurden allerdings beim Bau von Fischdampfern – etwa Holz anstelle von Stahl für weniger stark beanspruchte Teile des Schiffes – in der Vorkriegszeit nie diskutiert. Trotz der angespannten Versorgungslage scheint der Materialmangel dennoch dem Ausbau der Fischdampferflotte nicht ernsthaft im Weg gestanden zu haben. Zumindest konnten die erklärten Ziele weitgehend erreicht werden: Im November 1936 kündigte der Verband der deutschen Hochseefischereien gegenüber Göring als Teil des Vierjahresplanes für das kommende Jahr 34 Neubauten an,264 und ein Bericht des „Völkischen Beobachters“ aus dem Juni 1937 nannte für das laufende Jahr die Zahl von 40 Neubauten,265 während tatsächlich 35 vom Stapel liefen. Somit wurden die Erwartungen in etwa erfüllt. Von den realen Möglichkeiten weit entfernt waren nur die 200 Fischdampfer, die dem „Berliner Tageblatt“ zufolge der Hamburger Senator Ahrens Anfang 1938 in einer NSDAP-Ortsgruppenversammlung für die nächsten zwei Jahre ankündigte.266 Stahl war nicht der einzige Rohstoff, den die Fischerei benötigte und bei dem es zu Engpässen kommen konnte. Für die Herstellung der Netze war beispielsweise importierter Manilahanf unersetzbar.267 Ebenso mussten die Fischer trotz des Mangels an Textilfasern offenbar nicht fürchten, dass ihre Troyer und andere Strickwaren demnächst aus minderwertiger Zellwolle produziert würden. Zumindest versprach die Industrie- und Handelskammer Wesermünde 1937, sich an zuständiger Stelle dafür einzusetzen, dass die Kleidung der Hochseefischer nach wie vor aus reiner Wolle hergestellt werde.268 Neben der Rohstoffzuteilung spielten auch die finanziellen Mittel eine – wenn auch durch die Ausschaltung von Marktmechanismen geringer wer263  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl.  4 f. 264  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 2. 265  Der Fisch in der Volkswirtschaft, in: Völkischer Beobachter, Nr. 160, 9.6.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 266  200 neue Fischdampfer. Ausbau der deutschen Ozeanfischerei, in: Berliner Tageblatt, Nr. 95 / 96, 26.2.1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 267  StAHH Best. Nr.  113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Ahlf an Ministerpräsident Generaloberst Göring, Betrifft: Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 29.11.1936, S. 4. 268  Hochseefischerkleidung aus reiner Wolle, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.2.1937, S. 89.

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dende – Rolle. Der Verband der deutschen Hochseefischereien gab Ende 1936 den Finanzbedarf für den Ausbau der Fischereiflotte (ohne Küstenfischerei, Vertriebsnetz, Hafenanlagen u. ä.) mit 40 Mill. RM für die nächsten zwei Jahre an und erklärte erstaunlicherweise, „dass das Programm von der Wirtschaft auch finanziell durchzuführen ist und Reichsdarlehen, Subven­ tionen oder sonstige Zuschüsse von Reichs wegen unterbleiben sollten.“269 Faktisch flossen jedoch auf die eine oder andere Weise durchaus Subven­ tionen.270 Ein Ausbau der Fangflotte erforderte zwangsläufig eine entsprechende Erweiterung der Fischereihäfen. Während Cuxhaven und Wesermünde ausreichende Kapazitäten und Ausbaumöglichkeiten boten, war für HamburgAltona ein vollkommen neuer Fischereihafen geplant, der allerdings auch im Zusammenhang mit der anvisierten großen städtebaulichen Umgestaltung des Elbufers stand.271 Für den nicht mehr realisierten, neuen Fischereihafen war ein Standort am Köhlfleet, nahe Finkenwerder, vorgesehen. Zumindest das große Fabrikgebäude für die Herstellung des „Wiking“-Fischeiweißes (s. u.) stand dort im Januar 1939 bereits kurz vor der Fertigstellung.272 g) Mangel an Arbeitskräften Schwerwiegender als der Materialmangel machten sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre fehlende Arbeitskräfte bemerkbar. Dies betraf sowohl die Schiffsbesatzungen, als auch die zumeist weiblichen Arbeitskräfte in der Fischindustrie. „Fischdamperlüd – nu is Schanz!“, überschrieb das „Hamburger Fremdenblatt“ einen Artikel im Februar 1937.273 Als „Schanz“ wurden Anstellungen in der Seefahrt bezeichnet, und während die Heuerstellen für Fisch269  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 7. 270  Von der „Bereitstellung von Darlehen aus Reichsmitteln“ sprach der „Völkische Beobachter“: Der Fisch in der Volkswirtschaft, in: Völkischer Beobachter, Nr. 160, 9.6.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. Einen direkten Zusammenhang zwischen Neubauten und Subventionen sieht auch: Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 64. 271  Erste Einzelheiten über die großzügige Planung des neuen Fischmarktes Hamburg-Altona, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 6.2.1938, S. 83. 272  Deutschland und die Neufundlandfischerei, in: Hamburger Anzeiger, Nr. 24, 28.1.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 273  Fischdamperlüd – nu is Schanz! Mannschaftsmangel in der Hochseefischerei, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 59, 28.2.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2.



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dampferbesatzungen („Fischdamperlüd“) bis dahin meist von Männern belagert wurden, die oftmals bereits ein Jahr oder länger vergeblich auf Arbeit warteten, hatte sich nun die Lage in der Seefahrt allgemein, aber besonders in der Hochseefischerei gewendet angesichts „eines Mangels an Nachwuchs, wie er in einem solchen Umfang überhaupt noch nie bestanden hat.“274 Diese Situation war wenige Jahre zuvor unvorstellbar gewesen, denn die Misere der mehr als acht Millionen Arbeitslosen bildete Anfang der 1930er Jahre die vordringlichste innenpolitische Aufgabe. Daher hat kaum etwas den Nimbus Hitlers so nachhaltig gesteigert wie das Ende der Massenarbeitslosigkeit.275 Dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit wurde nicht nur damals, sondern wird teilweise bis heute der Regierung Hitler zugeschrieben, die selbst immer wieder diesen Erfolg für sich in Anspruch nahm. Allerdings deutet vieles darauf hin, wie Christoph Buchheim argumentierte, dass sich unter jeder Regierung ab 1933 ein nachhaltiger, Arbeitsmarkt wirksamer Aufschwung ergeben hätte, sofern staatlicherseits ein gewisses Maß an Deficitspending als Initialzündung betrieben worden wäre, wozu zu diesem Zeitpunkt wohl jede Regierung bereit gewesen wäre. Die Weltwirtschaftskrise hatte als Reinigungskrise die Bedingungen des Wirtschaftens für die deutsche Industrie deutlich verbessert, so dass die Konjunktur im Lauf des Jahres 1932 bereits die Talsohle durchschritten hatte. Anfangs profitierten die Nationalsozialisten, die überdies die Statistiken schönten, zudem von den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Regierungen Papen und Schleicher, die erst zeitverzögert Wirkung zeigten. Man kann mit Buchheim annehmen, dass es auch ohne die Regierung Hitler zu einem Wirtschaftsaufschwung gekommen wäre, der sich aber im Unterschied zur nationalsozialistischen Staats- und Rüstungskonjunktur auch befördernd auf den Lebensstandard der Bevölkerung ausgewirkt hätte.276 Schon bevor schließlich im Sommer 1938 die Vollbeschäftigung erreicht war, ließ der Aufschwung einen Wettbewerb um die Arbeitskräfte entstehen, in dem die rüstungsrelevanten Branchen sich trotz staatlich verordneten Lohnstopps durch versteckte Gehaltserhöhungen, schnellere Aufstiegsmöglichkeiten u. ä. gegenüber anderen Bereichen der Wirtschaft durchsetzten. Hauptsächlich die Landwirtschaft gehörte zu den Leidtragenden, wo der Abfluss von Arbeitskräften schon seit dem Kaiserreich ein vieldiskutiertes 274  Ebd.

275  Wehler,

Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 644. Buchheim, Zur Natur des Wirtschaftsaufschwungs in der NS-Zeit, in: ders. / Michael Hutter / Harold James (Hrsg.), Zerrissene Zwischenkriegszeit. Wirtschaftshistorische Beiträge. Knut Borchardt zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 1994, S. 97–119. 276  Christoph

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Problem darstellte und nun durch den Boom der Rüstungsbetriebe und Großbaustellen 1938 Ausmaße annahm, die als Bedrohung für die Ernährungslage wahrgenommen wurden.277 Das Gleiche galt für den Arbeitskräftemangel in der Fischwirtschaft, der sich zu einem ernsthaften Hemmnis für den Ausbau der Hochseefischerei und ihren anvisierten Beitrag zur deutschen Ernährungswirtschaft entwickelte. Das Problem wurde bereits vom Verband der deutschen Hochseefischereien in dessen Denkschrift zu den Aufgaben im Vierjahresplan angesprochen.278 Wenig später im Januar 1937 sagte die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ in einem Jahresrückblick voraus, dass „künftig ein Mangel an Arbeitskräften zu erwarten sein“ werde.279 Dieser Mangel trat dann tatsächlich ein, und rückblickend auf das Jahr 1938 hieß es, dass „[i]nfolge der wesentlichen Vergrößerung der Flotte […] die Besatzungsfrage allgemein auf nicht unerhebliche Hindernisse“ stieß.280 Gesucht wurden Besatzungen aller Art aber neben einfachen Decksmannschaften besonders die qualifizierten Maschinisten und Steuerleute. Nicht nur der zusätzliche Bedarf durch die Expansion der Fischereiflotte stellte ein Problem dar, sondern auch, wie eine Fachzeitschrift feststellte, die „Neigung zum Abwandern aus diesem Beruf“.281 „Arbeitsdienst, Militär und Flotte, und nicht zum wenigsten auch das Bestreben älterer Fischdampferleute, sich eine Stellung an Land in ihren Kenntnissen entsprechenden Betrieben zu besorgen“,282 wurden in der Presse für den Mangel verantwortlich gemacht: „Die einen bleiben bei der Wehrmacht, andere sehen zu, dass sie nach Beendigung der Dienstzeit eine Stellung an Land bekommen.“283 Die Arbeit an Land oder der Dienst beim Militär wurden als leichter emp277  Corni / Gies, Brot – Butter – Kanonen, S. 280–297; Tooze, Wages of Destruction, S. 260–264. Das tatsächliche Problem hinter dem Mangel an landwirtschaft­ lichen Arbeitskräften war jedoch deren geringe Produktivität und der Mangel an Kapital und Technologie; ebd., S. 266. 278  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 5. 279  Seefischmarkt A.-G., Das Hochseefischereigewerbe 1936, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.1.1937, S. 4–8, hier S. 5. 280  Seefischmarkt A.-G. Wesermünde, Das Hochseefischereigewerbe Wesermündes 1938, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 11.1.1939, S. 3–8, hier S. 3. 281  Nach wie vor starker Mangel an Arbeitskräften in der Fischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.3.1939, S. 125. 282  Fischdamperlüd – nu is Schanz! Mannschaftsmangel in der Hochseefischerei, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 59, 28.2.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 283  Nach wie vor starker Mangel an Arbeitskräften in der Fischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.3.1939, S. 125.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei185

funden als das Leben auf den Fischdampfern. Trotz ihres Ausbaus bot die Hochseefischerei immer noch nur eine vergleichsweise unsichere und saisonal schwankende Beschäftigung und kein garantiertes, kontinuierliches Einkommen.284 Zu dieser Entwicklung trug sicherlich bei, dass die Decksmannschaften der Hochseefischerei sich nicht traditionell aus einer bestimmten Region rekrutierten. Anders als die alte, in Finkenwerder verwurzelte Segelhochseefischerei oder die Große Heringsfischerei, auf deren Loggern vor allem Männer aus dem Gebiet der Mittelweser (Kreise Minden, Nienburg, Bückeburg, Stadthagen und Grafschaft Schaumburg) fuhren,285 stützte sich die Dampfhochseefischerei in erster Linie auf Personengruppen, die ebenso gut bereit waren, jede andere abenteuerliche oder gut bezahlte Arbeit anzunehmen. Es handelte sich überwiegend um ungelernte junge Männer, die aus allen Teilen Deutschlands kamen. Der Verdienst war gemessen an den Arbeits- und Lebensverhältnissen auf den Fischdampfern und ausgedrückt als Stundenlohn immer kärglich, aber an Bord benötigten sie kein Geld und in der kurzen Zeit an Land zwischen zwei Reisen konnte der Fischdampfermatrose doch über für seine Verhältnisse ansehnliche Summen verfügen.286 Das gesellschaftliche Ansehen dieses Berufsstandes war nicht eben hoch. Die Jubiläumsfeierlichkeiten 1936 in Wesermünde und andere Aktivitäten dieser Zeit, die die Fischerei verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit brachten, verfolgten daher auch den Zweck, das Ansehen der Hochseefischer als hart arbeitende „Volksgenossen“ zu heben.287 Man versuchte auf verschiedene Weise dem Arbeitskräftemangel in der Hochseefischerei abzuhelfen: Kaum aussichtsreich war der Versuch, qualifiziertes Personal einzusparen, indem der Fischdampfer nur mit einem statt zwei Steuerleuten besetzt wurde. Einige Reedereien gingen dazu über, selbst in die Qualifikation ihres Personals zu investieren und Seeleute weiter zu bezahlen, während sie auf der Seefahrtsschule ihr Steuermannspatent mach284  Ebd.; Sorge wegen Mannschaftsmangel in der Hochseefischerei, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 30.1.1938, S. 74 f. 285  Aus diesen binnenländischen Regionen gingen seit dem 17. Jh. viele Männer im Rahmen einer saisonalen Arbeitsmigration in die Niederlande („Hollandgängerei“). Einige gewannen dort Erfahrungen in der Heringsfischerei, woraus dann im 19. Jh. die bis in die Bundesrepublik reichende Tradition der Arbeit auf den deutschen Loggern entstand; Köhn, Seegekehlt & seegesalzen, S. 291–306. 286  Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 95. „Sucht man außerhalb der Welt der Seitenfänger nach vergleichbaren Arbeitsbedingungen und vor allem Wertvorstellungen über menschliches Verhalten untereinander, so gibt es erstere an Land gar nicht, letztere angenähert nur in Strafanstalten“, ebd. 287  Heidbrink, Creating a Demand, S. 142.

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ten.288 Ein Weg, den schon der Verband der deutschen Hochseefischereien Ende 1936 Göring gegenüber vorschlug, war die Übernahme von Fischern von der Ostseeküste. Diese waren grundsätzlich mit der Fischerei vertraut, und da die dortige Küstenfischerei in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und überbesetzt war, boten sich diese Fischer für die Fischdampferreedereien an, ohne dass damit ein Produktionsrückgang der Ostseefischerei verbunden gewesen wäre.289 Obgleich die Idee bereits früh formuliert wurde, konnte sie doch den Mangel an Besatzungen nicht beheben. Noch nahe liegender war es, diese Beschäftigung attraktiver zu gestalten: Dem „Hamburger Fremdenblatt“ zufolge wurde auf den Fischdampfern „heutzutage auch wieder ganz anständig verdient“, denn mit Heuer, Gewinnbeteiligung „und ein bisschen Glück“ kämen die Fischer 1937 auf ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 200 bis 300 RM.290 Dass einfache Besatzungsmitglieder – auch mit viel Glück – ein solches Jahreseinkommen von 2.400,– RM oder mehr erreicht haben sollen, erscheint aber unglaubhaft.291 Die möglichen Einkommenssteigerungen werden angesichts des staatlichen Lohnstopps, der der drohenden Inflation einen Riegel vorschieben sollte, auch begrenzt gewesen sein. Der „Neue Vorwärts“, ein Organ der sozialdemokratische Exilpresse, berichtete im Januar 1939 hingegen sogar von einer Kürzung der monatlichen Heuer um 10,– RM. Die Besatzungen der in Hamburg liegenden Fischdampfer hätten allerdings mit einem fünfstündigen Streik erreichen können, dass die Kürzung rückgängig gemacht wurde.292 Über solche spontanen Arbeitskämpfe berichteten die in Deutschland erscheinenden Fachzeitschriften selbstredend nicht. Es gab noch andere Wege, den Beruf des Hochseefischers attraktiver zu gestalten wie etwa Fortschritte bei Verpflegung, Ausbildung und Urlaubs­ ansprüchen oder Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf den Fischdampfern. Solche Veränderungen hatte sich das Amt „Schönheit 288  Fischdamperlüd – nu is Schanz! Mannschaftsmangel in der Hochseefischerei, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 59, 28.2.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 289  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 5 f.; s. a.: Fischdamperlüd – nu is Schanz! Mannschaftsmangel in der Hochseefischerei, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 59, 28.2.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 290  Fischdamperlüd – nu is Schanz! Mannschaftsmangel in der Hochseefischerei, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 59, 28.2.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 291  1936 erzielten nur 17  % aller deutschen Steuerzahler Einkommen von 2.400,– RM oder höher. Das Durchschnittsjahreseinkommen eines (männlichen) Arbeiters betrug lediglich 1.761,– RM; Tooze, Wages of Destruction, S. 142. 292  Erfolgreicher Streik, in: Neuer Vorwärts, Nr. 290, 8.1.1939, Beilage S. 4.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei187

der Arbeit“ der Deutschen Arbeitsfront zumindest auf die Fahnen ge­ schrieben.293 Neue Wohnungen in der Nähe der Fischereihäfen zu bauen, war einerseits eine Notwendigkeit, die mit dem Ausbau der Fangflotte und der Fischindustrie einher ging, andererseits lag hierin, wie ein Artikel von 1936 es ausdrückte, eine Möglichkeit für verdiente Arbeitskräfte „ohne Lohnerhöhungen bessere Lebensbedingungen“ zu schaffen.294 Daher wurde im Süden Wesermündes ab Anfang 1937 die auf 1.000 Häuser angelegte und nach dem Gauleiter von Ost-Hannover benannte Otto-Telschow-Stadt als „Stadt der Hochseefischer“ in Angriff genommen.295 Fertig gestellt wurden schließlich nur 175 Siedlungshäuser für je eine Familie in der damals üblichen Satteldachbauweise.296 Auch in Cuxhaven als dem zweitgrößten Standort der Hochseefischerei wurde eine ähnliche Siedlung begonnen.297 Alle diese Maßnahmen erwiesen sich jedoch als unzureichend, um den akuten Besatzungsmangel in der Hochseefischerei zu beheben, so dass Arbeitskräfte aus dem Ausland herangezogen werden mussten. Deutsche Reeder wandten sich offenbar zum ersten Mal für die Trawlnetzheringssaison (etwa Juli bis Dezember) 1938 mit Genehmigung des deutschen Arbeitsund Wirtschaftsministeriums an die Niederlande und warben 380 (oder 400) Seeleute für die deutsche Hochseefischerei an.298 „Da der Bedarf der deutschen Hochseefischerei an Arbeitskräften immer noch nicht gedeckt“ war, wurde im Juni 1939 über die Entsendung weiterer Niederländer noch für diesen Sommer verhandelt.299 Gleichzeitig fuhren auch bereits ca. 180 Dä293  Seefischer auch am Fangerlös beteiligt, in: Der Angriff, 12.5.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346; A. K. von Hübbenet, Schönheit der Arbeit auf deutschen Seeschiffen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 18.11.1936, S. 538–540; Der Fisch in der Volkswirtschaft, in: Völkischer Beobachter, Nr. 160, 9.6.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 294  1000 Siedlungshäuser sollen gebaut werden, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 30.12.1936, S. 610. 295  Die Stadt der Hochseefischer steht, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 30.8.1939, S. 459 f.; Bauträger waren die DAF, die Stadtverwaltung, das Arbeitsamt und staatliche Behörden. 296  Lutze, Bremerhaven, S. 131; Scheper, Bremerhaven, S. 292. Die Siedlung wurde nach dem Krieg in Siedlung Surheide umbenannt. 297  Siedlung für Hochseefischer in Cuxhaven, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 6.2.1938, S. 90. 298  Anmusterung holländischer Fischarbeiter für deutsche Fischdampfer, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.7.1938, S. 328 f.; Holländer für die deutsche Hochseefischerei, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 189, 14.7.1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 299  Holländische Fischer für deutsche Dampfer, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 7.6.1939, S. 333.

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D. Grenzen des Meeres

nen auf deutschen Fischdampfern.300 Die Seeleute wurden offenbar durch die wirtschaftliche Lage in der Fischerei ihres Heimatlandes bewogen, das Angebot deutscher Reedereien anzunehmen. Zumindest in den Niederlanden scheint es auch Widerstände gegen die Entsendung von Arbeitskräften gegeben zu haben, die in der deutschen Presse mit der „Einwirkung einer systematischen antideutschen Stimmungsmache der roten und schwarzen Gewerkschaften“ aber auch mit Bedenken der niederländischen Fischwirtschaft gegen eine weitere Abwanderung erklärt wurden.301 In Bezug auf die Beschäftigung von Ausländern verlief die Entwicklung der Fischerei ebenso wie bei dem Arbeitskräftemangel mit einer gewissen Verzögerung parallel zu der der Landwirtschaft. Obwohl es den ideologischen Vorgaben zu Rasse und Bauerntum diametral entgegenlief, sah sich das Regime gezwungen, bereits ab April 1937 die Grenzen für ausländische Landarbeiter wieder zu öffnen und entsprechende Abkommen mit Herkunftsstaaten wie Italien und Polen abzuschließen.302 Ganz ähnlich wie bei den Fischdampfern entwickelte sich die Beschäftigungssituation in der Fischindustrie, also bei der Herstellung der Halb- und Vollkonserven, von Arbeitslosigkeit zu Personalmangel, allerdings mit dem Unterschied, dass in diesem Bereich anders als in der eigentlichen Fischerei im großen Umfang Frauen beschäftigt wurden. Im November 1933 rief die Kreisleitung der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) Wesermünde die Arbeitgeber der Fischindustrie noch auf, die im Sommer eingestellten Arbeiter nun am Ende der Heringssaison nicht wieder in die Arbeitslosigkeit zurückfallen zu lassen, sondern statt dessen Arbeiterinnen zu entlassen.303 „Dem Zustand“, so die NSBO, „dass die Frau mit schwerer Industriearbeit belastet und ihren natürlichen Aufgaben damit entzogen wird, während der Mann die häuslichen Arbeiten verrichtet, muß noch in diesem Jahr in der Fischindustrie ein Ende gemacht werden.“304 Dieser Vorschlag folgte einer Linie, die in Deutschland in der Weltwirtschaftskrise in allen 300  Dänische Hochseefischer auf deutschen Fischdampfern haben sich bewährt, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 21.6.1939, S. 355 f. Dem Artikel zufolge mussten die Dänen, die bislang nur auf kleineren Kuttern gefahren waren, erst auf den Fischdampfern eingearbeitet werden. Dennoch seien die Erfahrungen mit den Dänen, die man nach Möglichkeit jeweils zu zweit einem Fischdampfern zuteilte, insgesamt gut. 301  Hollands Gewerkschaften fürchten die Wahrheit über das Dritte Reich, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 21.9.1938, S. 443. 302  Corni / Gies, Brot – Butter – Kanonen, S. 295. Auch vor 1937 war die deutsche Agrarwirtschaft nie ganz ohne ausländische Arbeitskräfte ausgekommen. 303  NSBO Kreisleitung Wesermünde, Aufruf! An sämtliche Arbeitgeber des Fischereigewerbes!, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.11.1933, S. 491. 304  Ebd.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei189

Bereichen nicht erst seit der nationalsozialistischen Machtübernahme, aber danach verschärft, verfolgt wurde und die sowohl dem ideologisch vorgegebenen Mütter-Ideal geschuldet war, als auch dem Zweck diente, das als vordringlich empfundene Problem der männlichen Arbeitslosigkeit zu lösen.305 Mit dem wachsenden Arbeitskräftebedarf der Rüstungskonjunktur wurde von dieser Linie in allen Bereichen der Wirtschaft jedoch bald wieder abgewichen. Bis Mitte 1939 hatte sich die Einstellung gegenüber berufstätigen Frauen so weit geändert, dass die Fischindustrie „[z]ur Behebung des Arbeitskräftemangels, der sich nach wie vor in der Fischwirtschaft stark fühlbar macht,“ eigens Halbtagsschichten einführte, „um die ortsansässigen weib­ lichen Arbeitskräfte noch mehr zu erfassen;“ also ein direkt an Hausfrauen gerichtetes Angebot, eine Halbtagsstelle anzunehmen.306 Mit der allgemein wachsenden Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften boten sich jedoch auch attraktivere Beschäftigungsmöglichkeiten als solche in der Fischindustrie. Traditionell forderte die Cuxhavener Fischindustrie in der Hochsaison weibliche Arbeitskräfte von den Arbeitsämtern im Ruhrgebiet an. Bereits 1937 meldeten sich jedoch nur noch wenige Frauen für diese Arbeit, da sie bessere Angebote in der Nähe ihrer Wohnorte finden konnten.307 Spätestens Ende des Jahres 1938 zeichnete sich daher auch in der Fischindustrie ein Mangel an Arbeitskräften ab, der aus dem deutschen Arbeitsmarkt weder mit Männern noch mit Frauen zu decken war. 300 Arbeiter und Arbeiterinnen für die Fischindustrie kamen daher aus Dänemark Mitte 1939 nach Hamburg, wo sie von der DAF in Privatquartieren untergebracht wurden.308 Neben Dänen wurden zu dieser Zeit auch Arbeitskräfte aus der unlängst vom Deutschen Reich zerschlagenen Tschechoslowakei, also aus dem so genannten Protektorat Böhmen und Mähren und aus der Slowakei, herangezogen, so dass im Sommer 1939 Unterkünfte für 200 tschechische Arbeiterinnen in Hamburg errichtet wurden und 150 Slowakinnen in Wesermünde eintrafen.309 305  Wehler,

Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 755 f. in der Fischindustrie, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 2.8.1939, S. 425. 307  Hinein in die Familie, hinaus aus der Familie, in: Neuer Vorwärts, Nr. 214, 18.7.1937, S. 4. Dieser Artikel der Exilpresse nimmt schon im Titel den Widerspruch zwischen den ideologischen und den rüstungswirtschaftlichen Vorgaben bezüglich der Frauenarbeit aufs Korn. 308  Weiterhin großer Mangel an Arbeitskräften in der Fischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 25.1.1939, S. 38; Dänische Arbeiter für die Fischindustrie, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.7.1939, S. 377. 309  Tschechische und dänische Arbeitskräfte für die Hamburger Fischindustrie, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.8.1939, S. 450; Slowakische Arbeiter in der deutschen Fischindustrie, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.7.1939, S. 377. 306  Halbtagsschichten

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D. Grenzen des Meeres

Während es sich bei der Anwerbung von Männern und Frauen aus Dänemark und den Niederlanden, die in der Industrie oder auf Fischdampfern arbeiteten, um eine vergleichsweise normale Arbeitsmigration zwischen souveränen Staaten handelte, stellten die Arbeitskräfte aus dem besetzten Tschechien und der von Deutschland abhängigen Slowakei bereits ein Vorspiel für den Einsatz von Fremd- und Zwangsarbeitern im Krieg dar. Die deutsche Fischwirtschaft sah sich somit auf verschiedensten Gebieten einer Reihe von Schwierigkeiten gegenüber, die ihrer vorgesehenen Ausweitung unter dem Vierjahresplan entgegenstanden. Auch wenn sich das ehrgeizige Ziel einer Verdoppelung der Erträge von 1936 bis 1940 wohl nicht hätte erreichen lassen, ließen sich wesentliche Produktionssteigerungen dennoch realisieren. Ökologische, seerechtliche und ökonomische Faktoren bildeten keine Hindernisse, die einen erheblichen Ausbau hätten verhindern können. 2. Die Grenzen des Absatzes Bei dem Bestreben, über die Hochseefischerei Deutschlands Importabhängigkeit zu verringern, traten die schwerwiegendsten Probleme nicht beim Angebot, sondern auf der Absatzseite auf. Zwar stieg der Pro-KopfVerbrauch in den 1930er Jahren deutlich, aber weit verbreitete Vorbehalte der Verbraucher gegen Fisch und das unzureichende Vertriebsnetz im Binnenland standen einer weiteren Verbrauchssteigerung entgegen. Staat und Fischwirtschaft versuchten, über verschiedene Werbemaßnahmen der Verbrauchslenkung und über eine neue Preis- und Marktordnung den Absatz zu stimulieren. Neben solchen Versuchen, den Verbraucher zu überzeugen oder zu beeinflussen, wurde Fisch verstärkt über das Militär und andere Formen der Gemeinschaftsverpflegung abgesetzt, also in einem Kontext, in dem die Menschen nicht selbst über ihre Nahrung entscheiden konnten. Die Einführung neuer, teilweise nicht als Fisch erkennbarer Produkte und der Export waren weitere Wege, auf denen Staat und Fischwirtschaft versuchten, den Absatz zu steigern. „[W]ir können jetzt nicht mehr auf eine Absatzsteigerung warten oder sie nur wollen, nein, wir werden sie bereits als bestimmten und festen Faktor einstellen müssen, und wir haben zu erreichen, dass der Absatz den Bedürfnissen dieser stark anwachsenden Produktion gerecht wird.“310 Dies sagte Robert Ahlf, Vorsitzender des Verbandes der deutschen Hochseefischereien, im Frühjahr 1937 im Hotel Kaiserhof zu den „Hauptschriftleitern“ der großen Tageszeitungen. Die gleiche Logik, nämlich dass der Absatz sich am 310  Umfassende Fischwerbung im Vierjahresplan setzt ein, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 11.4.1937, S. 205–207, hier S. 205.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei191

Angebot auszurichten habe, vertrat Ende 1938 auch die „Deutsche FischereiRundschau“, indem sie nach einer kurzen Schilderung der gestiegenen Fangmengen die rhetorische Frage stellte: „Was ist natürlicher, als dass der Verbrauch dieser gesteigerten Erzeugung angepasst werden muß?“311 Die Aufgaben des Vierjahresplanes lagen, wie Hans Mosolff von der Vierjahresplanbehörde betonte, somit „auf den beiden großen Gebieten der Erzeugung und des Verbrauchs. Erzeugungsmaßnahmen bedingen entsprechende Absatzmaßnahmen.“312 Schon seit dem Kaiserreich und im besonderen Maße in der Weimarer Republik stellte der Absatz das größte Sorgenkind der deutschen Fischwirtschaft dar (siehe Kap. D. I.). Die Produktion ließ sich bis Kriegsbeginn stets steigern, aber in einer paradox erscheinenden Weise blieb auch in der von vielfältigen Mängeln geprägten Wirtschaft der NS-Zeit das Absatzproblem bestehen. „Die deutsche Seefischproduktion“, so ein Artikel von 1939, „lässt sich bei der Ergiebigkeit der Fangfelder heute beliebig steigern. Die Steigerung des Seefischabsatzes dagegen ist nicht ohne weiteres möglich.“313 Bereits Anfang 1934 beklagte die Wesermünder Seefischmarkt AG diese Verweigerung des Verbrauchers gegenüber Fisch, denn es sei „auf die Dauer nicht tragbar, dass die fast unerschöpf­ lichen Quellen der nordischen Meere für ein auf engem Raum gesiedeltes Volk nicht voll nutzbar gemacht werden können, weil sich die gegebenen Nutznießer dieses Reichtums selbst der willigen Annahme dieser großen Naturschätze verschließen“.314 Dagegen versprach die Einordnung der Fischerei in den Vierjahresplan nicht nur der deutschen Volkswirtschaft unbegrenzte, devisenfreie Ressourcen, sondern die Fischwirtschaft sah hierin vor allem die Chance, sich endlich und endgültig eine zuverlässige, wachsende Nachfrage zu schaffen: „Es wird hier besonderer Maßnahmen bedürfen, um der rasch und stark steigenden Fangmenge eine sichere und gesunde Absatzbasis zu geben und dem Seefisch nun ein für alle Mal die Bedeutung für den Küchenzettel des deutschen Volkes zu geben, die er verdient hat und unsere Ernährungswirtschaft erfordert,“ wie es die Denkschrift des Verbandes der deutschen Hochseefischereien zu den Aufgaben im Vierjahresplan ausdrückte.315 Die Frage 311  In dreißigfacher Verwandlung …, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.8. 1938, S. 372 f., hier S. 373. 312  Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 8. 313  Aufklärung und Werbung – die vordringlichsten Gebiete der deutschen Seefischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.7.1939, S. 361. 314  Seefischmarkt AG, Die Hochseefischerei an der Unterweser im Jahre 1933, S.  3 f. 315  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 5.

192

D. Grenzen des Meeres

von Absatz bzw. Verbrauch blieb bis zuletzt die Achillesferse und brachte den gesamten Ausbau der Fischerei oder zumindest das vorgesehene Tempo in Gefahr, wie August Dierks von der Industrie- und Handelskammer Wesermünde im Januar 1939 eingestand: „Da nämlich der Absatz mit der steigenden Produktion leider nicht ganz Schritt hält, ist anzunehmen, dass das Neubauprogramm für 1939 / 40 nicht mit den Riesenschritten vorwärts geht wie 1937 / 38 und dass die Hochseefischerei gegebenenfalls zu einem stärkeren Abwracken veralteter Fischdampfer übergehen wird.“316 Ein prägnantes Beispiel für die Schwierigkeiten, die man sich durch die Ausweitung der Produktion schuf, stellte die Lage auf dem Markt für Salzheringe im Herbst 1937 dar. Dass es sich bei diesem Fall von Überproduktion ebenso um Hering handelt wie in dem zu Beginn des vorangegangenen Kapitels geschilderten Fall, wo es ausnahmsweise an Fischen mangelte, führt noch mal die Unwägbarkeiten vor Augen, die die Fischerei wohl noch stärker als die Landwirtschaft auszeichneten. In der Saison (etwa Juni bis November) 1937 hatten die Logger der Großen Heringsfischerei 727.733 Fässer Salzhering produziert gegenüber 576.366 Fässern im Vorjahr, das schon eine leichte Steigerung gegenüber 1935 aufwies.317 Hinzu kamen noch Restbestände von 1936 und ein warmer Sommer, der den Appetit des Verbrauchers auf Salzhering verminderte.318 Dieses erhöhte Angebot konnte der Markt nicht ohne weiteres aufnehmen, insbesondere da weiterhin Salzheringe importiert wurden [siehe Kap. D. III. 1. a)]. Noch vor Ende der Saison fand am 2.9.1937 in der Vertretung des Landes Oldenburg in Berlin eine Besprechung zu dieser Frage mit Vertretern zuständiger Ressorts sowie Wirtschafts- und Parteiorganisationen statt.319 Der Bezug zu Oldenburg ergab sich, da im Gau Weser-Ems, dessen Leiter Carl Röver auch Reichsstatthalter von Oldenburg war, mit Emden und Leer das Zentrum der Großen Heringsfischerei lag. Die auf der Besprechung geäußerten Vorschläge, um die angeblich 150.000 unverkauft bei den Unternehmen der Heringsfischerei liegenden Fässer dem Verbrauch zuzuführen, umfassten den erhöhten Heringskonsum bei Militär und Reichs­ 316  Dierks,

Die deutsche Hochseefischerei im Jahre 1938, S. 2. Steffen, Die Große Heringsfischerei, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 3.5.1939, S. 213 f. 318  Ueber 20 Prozent Mehrfang an Treibnetz-Heringen, in: Deutsche FischereiRundschau, 12.1.1938, S. 9 f. Weitgehend identischer Text: Hilker, Rekordfangergebnis der Loggerfischerei, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 2.1.1938, S. 5–6. 319  StAO Best. 136, Nr. 3998, Bl. 67–71, Besprechung in der Vertretung Oldenburgs in Berlin, 2.9.1937. Vertreten waren die Gauleitung, das RMEL, die Geschäftsgruppe Ernährung der Vierjahresplanbehörde durch Hans Mosolff, die Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft, die Fachgruppe Einzelhandel, die DAF Gau Weser-Ems, das Reichspropagandaamt und die Leerer Heringsfischerei AG. 317  Walther



III. Der Ausbau der Hochseefischerei193

arbeitsdienst [siehe Kap. D. III. 2. h)], der allerdings bereits sehr hoch war, sowie die Abgabe über das Winterhilfswerk [siehe Kap. D. III. 2. i)] und die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt.320 Der Preis, so der Vertreter der Leerer Heringsfischerei AG, sei schon niedriger als im Vorjahr, werde aber von den niederländischen Importen noch unterboten.321 An diesen Importen war jedoch aus handelspolitischen Gründen kaum etwas zu ändern. Hans Mosolff wies schließlich noch auf die Gefahr hin, dass eine allzu erfolgreiche Werbekampagne unter Umständen eine Nachfrage wecken könnte, die dann wiederum nicht mehr durch das Angebot gedeckt werden könne.322 Schließlich starteten das Reichspropaganda-Amt Weser-Ems und – bezeichnenderweise – die Reichsarbeitsgemeinschaft Schadenverhütung im Oktober 1937 eine „große Salzherings-Verbrauchs-Aktion“ unter Mithilfe von Presse, Film, Rundfunk und NS-Frauenschaft, die im November auf sieben Gaue in Nordwest- und Westdeutschland ausgedehnt wurde.323 Trotz dieser Aktion waren allerdings im Frühjahr 1939 immer noch Restbestände des Rekordfangs von 1937 auf Lager, worin ein Artikel einerseits einen Beweis für die gute Haltbarkeit des deutschen Salzherings sah, andererseits aber auch einen Hinweis auf den immer noch unzureichenden Verbrauch.324 Die Lehren, die man hieraus zog, waren unterschiedlich: Die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ stand im Januar 1938 nach der Schilderung der Absatzschwierigkeiten ungerührt weiterhin zum Credo der unbedingten Produktionssteigerung: „Die deutschen Logger-Heringsfischereien werden auch in diesem Jahre alles daran setzen, eine weitere Steigerung der deutschen Erzeugung an Salzheringen zu erreichen. Sie erfüllen damit eine Aufgabe, die ihnen im Rahmen des Vierjahresplans zufällt.“325 Die Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft hingegen war vorsichtiger: Um eine Überproduktion wie im Vorjahr zu vermeiden und um weniger der zu Saisonbeginn noch minderwertigeren Heringe zu fangen, begrenzte sie zu Beginn der Saison 1938 die Zahl der Logger, die im Juni auslaufen durften, und die von ihnen auszubringenden Netze.326

320  Ebd.,

Bl. 68 f. Bl. 68. 322  Ebd., Bl. 70. 323  Ueber 20 Prozent Mehrfang an Treibnetz-Heringen, in: Deutsche FischereiRundschau, 12.1.1938, S. 9 f.; s. a.: Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 1742. 324  Steffen, Die Große Heringsfischerei, S. 214. 325  Ueber 20 Prozent Mehrfang an Treibnetz-Heringen, in: Deutsche FischereiRundschau, 12.1.1938, S. 9 f., hier S. 10. 326  Vermeidung zu großem Frischfangs an Heringen, in: Deutsche FischereiRundschau, 1.6.1938, S. 261. 321  Ebd.,

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D. Grenzen des Meeres

a) Der Pro-Kopf-Verbrauch Dass das Hauptproblem auf der Absatzseite lag, bedeutete allerdings nicht, dass der Fischverbrauch in den 1930er Jahren überhaupt nicht gestiegen wäre. Richtig ist vielmehr, dass der Pro-Kopf-Verbrauch zu dieser Zeit vorangegangene und nachfolgende Jahrzehnte übertraf. Die Friedensjahre des Nationalsozialismus stechen in der Verbrauchsstatistik eindeutig heraus. Wenn man die Entwicklung des Fischverbrauchs für die 1930er Jahre mit den entsprechenden Werten für verschiedene Fleischsorten vergleicht, wird deutlich, dass nur der Fischverbrauch eine klar steigende Tendenz aufwies. Die Entwicklung bei Rind- und Schweinefleisch scheint vielmehr politisch gedeckelt zu sein. Der höchste in der NS-Zeit erreichte Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch insgesamt – 53,46 kg im Jahr 1938 – lag nur geringfügig höher als die 51,37 kg pro Kopf von 1928, die den höchsten in der Weimarer Republik erreichten Wert darstellten.327 Um (Futter-)Importe zu vermeiden und die Versorgungssicherheit zu erhöhen, war ein Stagnieren oder ein Rückgang des Fleischkonsums staatlicherseits erwünscht, und es wurde betont, dass hierin keinesfalls ein Hinweis auf einen sinkenden Lebensstandard zu sehen sei, sondern nur eine Anpassung an ein normales Niveau, das auch in europäischen Nachbarländern vorherrsche.328 Auch wenn man in Rechnung stellt, dass der Fischverbrauch seit dem 19. Jahrhundert tendenziell kontinuierlich gestiegen war, bilden die Vorkriegsjahre der NS-Zeit einen auffälligen Abschnitt in der Verbrauchsstatistik des 20. Jahrhunderts. Ein Vergleich der Nachkriegsentwicklung beim Verbrauch von Fisch und Fleisch (alle Sorten) demonstriert zudem, dass der erhöhte Fischverbrauch vor dem Zweiten Weltkrieg nicht das Ergebnis eines gestiegenen Lebensstandards oder der Präferenz der Verbraucher war, da die Verbraucher in der Bundesrepublik – nur auf sie beziehen sich die Nachkriegsdaten – unter den Bedingungen einer Marktwirtschaft und bei ausreichendem Angebot mit wachsendem Lebensstandard eindeutig für Fleisch statt Fisch optierten.

327  Teuteberg, Verzehr, S. 347. Die Werte beziehen sich auf Fleisch von Rind, Schwein, Kalb, Schaf, Ziege und Geflügel sowie Innereien zusammengerechnet. 328  Ilchmann, Wiedererringung, S. 24 f. Herbert Backe forderte die Reduktion des Fleischverbrauchs auch noch für die Zeit nach dem (siegreichen) Kriegsende, um die dann zu errichtende kontinentaleuropäische Großraumwirtschaft unabhängig von Futtermittelimporten zu machen. In zweiter Linie nennt er auch gesundheitliche Gründe; Herbert Backe, Um die Nahrungsfreiheit Europas. Weltwirtschaft oder Großraum, Leipzig 1942, S. 232.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei195 16 14 12 10 8 6 4 2

1890 1893 1896 1899 1902 1905 1908 1911 1914 1917 1920 1923 1926 1929 1932 1935 1938 1941 1944 1947 1950/51 1953/54 1956/57 1959/60 1962/63 1965/66 1968/69 1971/72 1974/75

0

Quelle: Teuteberg, Verzehr, S.  347 ff. Diagramm 8: Deutscher Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1890–1975

35 30 25

Fisch Schweinefleisch Rindfleisch Geflügel

20 15 10 5 0

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

Quelle: Teuteberg, Verzehr, S.  347 ff. Diagramm 9: Deutscher Fleisch- und Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1930–1938

196

D. Grenzen des Meeres

90 80 70 60 50

Fisch Fleisch

40 30 20 10

1974/75

1970/71

1966/67

1962/63

1958/59

1954/55

1946

1950/51

1942

1938

1934

1930

1926

1922

1918

1914

1910

1906

1902

1898

1894

1890

0

Quelle: Teuteberg, Verzehr, S.  347 ff. Diagramm 10: Deutscher Fleisch- und Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1890–1975

Staat und Fischwirtschaft hatten bei ihrem Bemühen, der Nahrung aus dem Meer einen höheren Stellenwert auf den deutschen Esstischen zuzuweisen, also durchaus Erfolge vorzuweisen und diese Erfolge wurden in den zeitgenössischen Veröffentlichungen vielfach wie Siegesmeldungen verbreitet. Neben Texten der Fischwirtschaft hoben auch R. Walther Darré bei der Eröffnung der Ausstellung „Segen des Meeres“ 1939, sein Staatssekretär und Nachfolger Herbert Backe in der Zeitschrift „Der Vierjahresplan“ und beispielsweise der Autor einer Dissertation über die „Wiedererringung der deutschen Nahrungsfreiheit“ diesen Anstieg des Pro-Kopf-Verbrauches hervor.329 Selbst die im Exil erschienenen Deutschlandberichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) sahen sich veranlasst, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.330 329  Darré, Rede zur Eröffnung, S. 207; Backe, Neuregelung des Fettverbrauchs, S. 8; Ilchmann, Wiedererringung, S. 46. 330  Deutschland-Berichte, 6 (1939), S. 630 f. Der Bericht der Sopade bezog sich auf Darrés Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung in Hamburg und nahm fälschlicherweise an, dass das von Darré gewählte Ausgangsdatum 1932, dem er den



III. Der Ausbau der Hochseefischerei197

Die Hände zufrieden in den Schoß legen wollten die Vertreter von Staat und Wirtschaft angesichts des erzielten Erfolges allerdings nicht, denn die Verbrauchszahlen blieben weiterhin deutlich unterhalb des Wertes von 20 kg pro Kopf und Jahr, der verschiedentlich als Ziel des Vierjahresplanes genannt wurde.331 Das bisher Erreichte war also unzureichend. Viele Autoren, die den erhöhten deutschen Fischkonsum lobend hervorhoben, verbanden dies mit dem mahnenden Hinweis, dass der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in England mit 25 kg und in Japan mit 50 kg – einige schrieben auch 60 oder gar 100 kg – erheblich höher läge.332 Die Verbrauchszahlen dieser Länder wurden als Beleg dafür herangezogen, „dass der Sättigungsgrad des Fischverbrauchs in Deutschland noch lange nicht erreicht ist“,333 bzw. sie schienen zu zeigen, „dass auch bei uns noch eine bedeutende Absatzausweitung möglich sein muß“.334 Insbesondere Japan, mit dem das Deutsche Reich seit 1936 über den Antikominternpakt verbunden war, schien ein geeignetes Vorbild, um die Deutschen zu höherem Fischkonsum anzuhalten. So führte man die körperliche Überlegenheit des Japaners gegenüber dem Chinesen, die sich in dem damals aktuellen Krieg beider Nationen gegeneinander gezeigt hätte, die außergewöhnlichen Marschleistungen japanischer Soldaten und sogar das angeblich rasche Verheilen von Schusswunden bei Japanern auf deren Ernährungsweise zurück, in der Seefisch eine hervorragende Rolle spielte.335 b) Vorbehalte gegen Fisch Weshalb haben die Deutschen – gemessen an den Vorstellungen von Staat und Fischwirtschaft – nicht in ausreichendem Maße Fisch gegessen? Eine grundsätzliche Schwierigkeit lag beim Fisch wie bei allen Versuchen, das Verbrauch von 1939 entgegenstellte, aufgrund der Wirtschaftskrise einen besonders niedrigen Verbrauch aufgewiesen habe. 331  Der Fisch in der Volkswirtschaft, in: Völkischer Beobachter, Nr. 160, 9.6.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2; Janssen, Segen des Meeres, S. 194; Das Meer, die freie Kolonie Deutschlands!, in: Die Genossenschaftsfamilie, 32 (1939), 3, S. 15. 332  August Dierks, Die deutsche Fischwirtschaft im neuen Vierjahresplan, in: Wirtschaftsblatt Niedersachsen, 16 (1936), S. 637–638; Hoffmann, Bedeutung des Meeres, S. 188; Lübke, Rohstoffwunder, S. 453  f.; Janssen, Segen des Meeres, S. 194; Hoffmann, Einzige Kolonie, S. 94; Hausmann, Das Meer, S. 6; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1941), S. 159. 333  Hoffmann, Einzige Kolonie, S. 94. 334  Stolle, Neue Marktordnung, S. 8. 335  Fisch statt Fleisch in Japan, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11.1938, S.  539; s. a.: Olaf Larsson, Eßt mehr Fisch! Ein Wort zum Vierjahresplan, in: Die Betriebsgemeinschaft, Juni 1937, S. 3 f.; Hausmann, Das Meer, S. 6.

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Konsumverhalten zu beeinflussen, „in der Gewohnheit und Trägheit des Menschen, vom bisherigen Essen nicht abzuweichen“, wie die Zeitschrift „Volksgesundheitswacht“ 1939 konstatierte.336 Ein altes Problem bildete vor allem im Binnenland die fehlende Vertrautheit vieler Verbraucher mit diesem Nahrungsmittel, die schon ein Fischkochbuch von 1896 beklagte: „Viele Haushaltungen wissen sich den Nutzen der werthvollen Fische, namentlich der Seefische, noch nicht anzueignen. Die Fische erscheinen auf dem Markte fast wie eine fremde Waare, der man nicht traut […].“337 Etwa 40 Jahre nach der Veröffentlichung dieses Kochbuchs und damit ungefähr 50 Jahre nach dem Beginn der Dampfhochseefischerei in Deutschland kam ein Handbuch für die Fischzubereitung in Großküchen 1939 zu einem ähnlichen Schluss, nämlich dass „das nicht völlige Vertrautsein mit der Zubereitung des Fisches bei der binnenländischen Bevölkerung“ für den geringen Verbrauch verantwortlich sei.338 Der geringere Fischverbrauch im Binnenland, der direkt mit der Verbreitung von Fischgeschäften (s. u.) sowie den bereits oben angesprochenen Transport- und Konservierungsproblemen zusammenhing, ließ sich auch statistisch erfassen: 1927 / 28 verbrauchten städtische Haushalte in Ostpreußen 11,9 und in Norddeutschland 10,34 kg pro Vollperson, während am unteren Ende der Skala erwartungsgemäß Bayern mit 2,94 und BadenWürttemberg mit 2,76 kg pro Vollperson standen, wobei der süddeutsche Verbrauch überdies zu einem Großteil aus Süßwasserfisch bestanden haben dürfte.339 Bei der Vermarktung von Seefisch musste man in Süddeutschland, insbesondere in ländlichen Gebieten, vielfach bei Null anfangen.340 Da der Konsum von Seefisch in Süddeutschland bisher so wenig verbreitet war, stellten die Deutschland-Berichte der Sopade 1937 mit Erstaunen fest: „Um der ständigen Fleischknappheit abzuhelfen, will man jetzt auch die Bayern zu Fischessern erziehen.“341 Noch weiter südlich, in Österreich betonte ein regimekritischer Spottvers sogar den von oben aufgedrängten Fischkonsum als Kennzeichen der Verknappung von bestimmten Lebensmitteln nach dem „Anschluss“ ans Reich: „Unter den Sozialdemokraten – gab es noch Schweinebraten, unter der Regierung Rotweißrot – gab es immerhin noch Butterbrot, unter dem Regime Hitler und Göring – gibt es nur noch Hering.“342 336  Der

Fisch, die beste Abendmahlzeit, in: Volksgesundheitswacht, 1939, S. 184. Fischerei-Verband (Hrsg.), Anleitung zur Bereitung von Fischgerichten, Hannover 1896 (photomechanischer Nachdruck Rostock 1997), S. 3. 338  Keune / Ziegelmayer, Handbuch Gemeinschaftsverpflegung, S. 8. 339  Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 34 f. 340  Vgl.: Seefisch – Einführung im südbayrischen Landgebiet macht Fortschritte, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.12.1937, S. 624. 341  Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 1430. 337  Westdeutscher



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Aber auch dort, wo Seefisch traditionell bekannt und erhältlich war, bestanden beim Verbraucher häufig bestimmte Vorbehalte gegen diese Nahrung. Hier kommt man an ein Quellenproblem, da die Verbraucher, die wenig Fisch konsumierten oder sogar eine ausdrückliche Abneigung hegten, mit ihren Motiven in den Veröffentlichungen, die dem Staat oder Fischwirtschaft zumindest nahe stehen, nicht zu Wort kommen. Allerdings bemühen sich diese Quellen gelegentlich, Vorbehalte gegen Fisch anzusprechen und zu widerlegen, so dass sich die Motive derjenigen, die sich dem staatlich erwünschten Mehrverzehr verweigerten, indirekt erschließen lassen. 342

In dem für den Schulunterricht vorgesehenen Heft „Das Meer als Ernährungs- und Rohstoffquelle“ findet sich in Erzählform eine vermutlich nicht realistische, jedenfalls aber idealtypisch gemeinte Schilderung eines Kurses in einer „Fischkochlehrküche“, in dem die Leiterin die Teilnehmerinnen, die Frauen verschiedenen Alters aus allen Schichten des Volkes repräsentieren, zu Beginn nach ihren Gründen fragt, weshalb sie bisher kaum Seefisch kauften.343 Es meldete sich zuerst die Frau eines Maurers, der, wenn seine Frau Fisch auftischt, „schon nach einer halben Stunde […] wieder ein Loch im Magen“ habe,344 woraufhin die Kursleiterin empfahl, mehr Fisch sowie reichlich Gemüse und Kartoffeln als Beilage zu servieren. Den Hinweis einer anderen Hausfrau auf die gefährlichen Gräten parierte sie, indem sie grätenfreies Filet sowie Konserven empfahl und riet, vorsichtig zu essen ohne zu reden. Eine ältere Frau fragte als nächstes, ob der Fisch im Sommer angesichts der langen Transportwege nicht bei Ankunft im Laden bereits verdorben sei. Die durchgehende Lagerung auf Eis, versicherte die Kursleiterin, verhüte dies jedoch. „Das Reinigen der Fische ist oft eine so schmutzige Arbeit; und manchmal riecht er,“345 wandte dann ein Mädchen ein, woraufhin die Kursleiterin vorschlug, das Ausnehmen und Entschuppen vom Fischhändler vornehmen zu lassen und Salz, Zitrone oder Essig gegen den Geruch zu verwenden. Ein letzter Einwand der Teilnehmerinnen betraf den hohen Preis von Fisch. Dies konnte die Kursleiterin nicht einfach vom Tisch wischen, aber sie gab zu Bedenken, dass die Fischer auch leben müssten, und appellierte an den Patriotismus der Teilnehmerinnen mit dem Hinweis: „Fische kosten kein fremdes Geld, keine Devisen.“346 Das Problem der geringen Sättigung durch Fisch, dem durch ausreichende Beilagen – vor allem Kartoffeln – abzuhelfen sei, findet sich auch an anderen Stellen verbunden mit dem Hinweis, dass dies an der leichten nach: Reith, „Hurrah die Butter ist alle!“, S. 414. Das Meer, S. 2 f. 344  Ebd., S. 3. 345  Ebd. 346  Ebd. 342  Zitiert

343  Hausmann,

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Verdaulichkeit von Fisch liege, insofern eigentlich ein Vorteil sei.347 Ein weiterer Punkt war der geringe soziale Status vor allem von Hering, der als eine Art „Proletarier-Sonnabend-Mahlzeit“ galt, wobei Verfechter eines höheren Fischverbrauchs gelegentlich auf das (angebliche) Bismarck-Zitat verwiesen, demzufolge Hering als Delikatesse gelten würde, wenn er nicht so billig wäre.348 Von den oben angesprochenen Punkten waren es jedoch die Vorbehalte gegen Fischgenuss während der warmen Jahreszeit, die der Fischwirtschaft am meisten Kopfschmerzen bereiteten, da im Sommer regelmäßig der Absatz zusammenbrach.349 „Prompt mit den ersten warmen Sonnenstrahlen pflegt bei uns das alte Wort ‚Fischvergiftung‘ herumzuspuken. Zumeist handelt es sich hierbei um eine in nichts begründete Behauptung, dem Fisch wird einfach für irgendwelche Erkrankungen die Schuld in die Schuhe geschoben. […] Solche Gerüchte stehen also in krassem Widerspruch zu dem im Rahmen des Vierjahresplans angestrebten erhöhte Fischverbrauch […]“, schrieb die „Deutsche Fischerei-Rundschau“.350 Ein in „Die Deutsche Fischwirtschaft“ erschienener Artikel unter der Überschrift „Noch immer Diffamierung des Fisches!“ beklagte, dass es weiterhin Wochenmärkte gäbe, deren Marktordnungen aus hygienischen Gründen den Verkauf von Seefisch im Sommer untersagten.351 Dieses Misstrauen steigere sich manchmal „bis zu einer Greuelpropaganda gegen den Fischgenuß“, wenn Zeitungen im Sommer über „Fischleichengift“, „Fäulnis“ usw. schrieben, so dass man sich nicht wundern dürfe, „daß, wie es häufig geschieht, jede leichte oder ernste Magenverstimmung gedankenlos auf dem Genuß von angeblich mangelhaften Fischen und Fischerzeugnissen zurückgeführt wird.“352 Wie real das Problem von verdorbenem, gesundheitsschädlichem Fisch im Sommer tatsächlich war, lässt sich schwer sagen. Angesichts der bereits dargestellten Defizite des Konservierungsverfahrens und nicht seltener hygienischer Mängel in den Fischläden (s. u.) scheinen solche Sorgen zumin347  Kurze Einzelhinweise auf den Seefischgenuß, in: Zeitschrift für Volksernährung, 11 (1936), S. 79; Keune / Ziegelmayer, Handbuch Gemeinschaftsverpflegung, S.  8 f. 348  Der Fisch in der Volkswirtschaft, in: Völkischer Beobachter, Nr. 160, 9.6.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. Das Bismarck-Zitat galt schon dem Verfasser des Artikels als zweifelhaft. 349  „Die ersten Frühlingsblüten sind kaum aufgegangen – da fliegen zum Fischgroßhändler auch schon Abbestellungen laufender Aufträge ins Kontor“; Der Sommer, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 26.4.1933, S. 209 f. 350  Wieder eine „Fischvergiftung“, die keine war, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.7.1939, S. 402 f. 351  Noch immer Diffamierung des Fisches!, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 23.1.1938, S. 49–51. 352  Ebd.



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dest nicht vollständig aus der Luft gegriffen. Die Fischwirtschaft bemühte sich jedenfalls mit beträchtlichem Aufwand, diese Bedenken zu zerstreuen, die sie allenfalls für die „Zeit der Postkutsche und des Frachtwagens“ anerkennen wollte,353 aber nicht in der Gegenwart, in der die Fische gut beeist in den Fischzügen der Reichsbahn „mit D-Zuggeschwindigkeit von der Küste ins Binnenland rollen.“354 Um die „Vorurteile gegen den Fischverzehr im Sommer“355 zu beseitigen, erließen die Fischwirtschaft und der Reichsnährstand einen „Mahnruf an die deutschen Fischhändler zur Förderung des Fischverbrauchs im Sommer!“ mit Ratschlägen für Werbung im Sommer,356 man verwies erneut auf die Engländer, die „dem Aberglauben, daß in den Monaten ohne ‚r‘ Fische nicht schmackhaft seien“, nicht anhingen,357 und beispielsweise die Leipziger Fischgeschäfte veranstalteten 1938 eine eigene „Sommerwerbung“ mit Lautsprecherwagen in den Straßen der Stadt.358 Zumindest in einem Fall kann man doch den Verbraucher selbst zu Worte kommen lassen und zwar einen Leser des „Hamburger Fremdenblattes“, der nicht Fisch generell ablehnte, sehr jedoch Rotbarsch; einen Fisch, der in sehr großen Mengen vor allem bei Island gefangen wurde und deshalb bei Massenanlandungen verstärkt beworben wurde. Als Reaktion auf einen solchen Aufruf zum Kauf von Rotbarsch schrieb er einen Leserbrief, den die Redaktion allerdings nicht veröffentlichte. In diesem Brief legte er dar, weshalb er keinen Rotbarsch kaufe: „Er stinkt, frisch schon stinkt er im Fischladen, auf der Fischfrauen-Karre!! […] Der Rotbarsch hat einen dicken, grossen Kopf, den Bauch voll Eingeweide und dazu stinkt er gegen den Wind: – die Fischfrau bestätigt das.“359 Tatsächlich wurde Rotbarsch üblicherweise anders 353  Der Sommer, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 26.4.1933, S. 209  f., hier S. 210. 354  Ein neues Rezeptheft der Reichsfischwerbung GmbH, in: Deutsche FischereiRundschau, 29.6.1938, S. 307. 355  Der Fisch, die beste Abendmahlzeit, in: Volksgesundheitswacht, 1939, S. 184. 356  Mahnruf an die deutschen Fischhändler zur Förderung des Fischverbrauchs im Sommer!, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, Juni 1934, H. 6, S. 100 f. Vgl. auch folgenden mahnenden Artikel, der sich an Händler wandte, die im Sommer überhaupt keinen Fisch anboten: Einige passende Worte an „Nur im Winter“-Fischhändler, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.8.1939, S. 443 f. 357  Die Monate ohne r, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, Mai 1934, H. 5, S. 85. 358  Bemerkenswerte Sommerwerbung der Leipziger Fischgeschäfte, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.8.1938, S. 372. Die Lautsprecherwagen waren mit einem „Fischfahrplan“ beschriftet, der die Verbraucher darüber informierte, dass der Fisch, der um 19.00 Uhr Wesermünde per Bahn verließ, morgens um 5.00 Uhr in Leipzig ankam, um 8.00 Uhr das Fischgeschäft erreichte und um 12.00 Uhr auf den Mittagstisch kam. 359  StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337, Hamburger Fremdenblatt an die Staatliche Pressestelle Hamburg, 25.10.1933. Die Redaktion des

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als die meisten übrigen Arten nicht an Bord der Fischdampfer ausgenommen, sondern mit den – rasch faulenden – Eingeweiden zum Verkauf gebracht, da dieser Fisch Rückenstacheln besitzt, die bei den Besatzungen schwer heilende Verletzungen an den Händen verursachen können.360 Dass Fisch in weiten Kreisen eine wenig beliebte Speise war, verrät sich auch dadurch, dass in zeitgenössischen Texten Fischzubereitungen gelegentlich gerade dafür gelobt wurden, dass sie nicht nach Fisch schmeckten und von Fleisch kaum zu unterscheiden waren.361 c) Der Fischhandel Der Einzelhandel schließt die Kette vom Fang irgendwo im Nordostatlantik und dem Verbraucher im Binnenland und nimmt somit für den Fischabsatz eine Schlüsselstellung ein. Eine Steigerung des Fischkonsums in ganz Deutschland setzte ein flächendeckendes, leistungsfähiges Netz an Verkaufsstellen voraus. Gleichzeitig besaß die Art, wie der Fisch dem privaten Kunden angeboten und verkauft wurde, Einfluss auf die wichtige Frage der Verbraucherakzeptanz. In den 1930er Jahren erwiesen sich Anzahl und Zustand der Fischgeschäfte jedoch als ein Hindernis auf dem Weg zu einem höheren Fischkonsum. Der „Das Meer als Ernährungs- und Rohstoffquelle“ betitelte „Lese- und Arbeitsbogen für den Unterrichtsgebrauch“ enthält auch die erzählende Beschreibung eines Fischladens, die idealtypisch zu verstehen ist und somit beschreibt, wie es sein sollte: Die Rahmenhandlung der Erzählung bildet der Besuch eines Tischlermeisters in der Stadt, wo er einige Möbel abgeliefert hat und anschließend bei einem Rundgang auf ein Fischgeschäft stößt, welches er neugierig geworden betritt. Zunächst fällt ihm das überraschend vielfältige Angebot auf, das der Fischladen bereithält: „Und daneben Goldbarsch, Rotzunge, Steinbeißer! Noch nie hatte er von diesen Tieren gehört […].“ Überdies gibt es „Hering in Tomatentunke, Hering in Burgunder, Hering in Champignontunke, Hering in Südwein, Brathappen.“ Als nächstes Hamburger Fremdenblattes sandte den Leserbrief an die Staatliche Pressestelle weiter anstatt ihn abzudrucken. 360  Walter, Deutsche Fischdampfer, S. 83. 361  Über einen Fischtag an allen Universitäten hieß es, die Studenten „fragten mehrmals, was denn nun Fleisch- und was Fischgerichte wären“, und über Fischfrikadellen in einer Großküche konnte man lesen, sie seien „so zubereitet, dass sie sich hinsichtlich des Geschmacks von Fleischfrikadellen kaum unterscheiden“; Vom Fischtag der Studenten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.2.1937, S. 67; Großküchen als Bahnbrecher für höheren durchschnittlichen Fischverbrauch. Bei Marine wöchentlich zwei Mittags-Mahlzeiten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.4.1939, S. 140–142, hier S. 142.



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springt die vorbildliche Hygiene ins Auge: „Hm, sauber war es hier, das musste man sagen. Die Wände waren weiß gekachelt.“ Auch die Fische machen auf ihn einen entsprechend frischen Eindruck und sehen aus, „als hätte man sie eben erst gefangen.“ Dass sich die Kunden an dem Verkaufstisch drängen und vor dem Laden stauen, verwundert daher nicht. Dieser vorbildliche Zustand des Fischeinzelhandels wird als eine Neuerung der jüngsten Zeit beschrieben: „Wie hatten sich die Fischgeschäfte in den letzten Jahren verändert! So viele Verwendungsmöglichkeiten für Fische waren früher nicht bekannt. Die Leute waren auf dem Posten, das mußte er sagen. Wie leicht wurde es heute den Hausfrauen gemacht!“362 Ein Schlaglicht auf die Selbsteinschätzung der Fischhändler – „den um seine Existenz ringenden Kleinhandel“ – in der Weltwirtschaftskrise und während der Etablierung der nationalsozialistischen Herrschaft wirft dagegen ein Artikel in der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ vom Mai 1933.363 Unter der Parole der „Neuorientierung des Wirtschaftslebens im nationalsozialistischen Sinne“ erhebt der Autor verschiedene Forderungen im standespolitischen Interesse, die auf Konkurrenzausschluss und Monopolisierung hinausliefen.364 So sollten statt Warenhäusern, Straßenverkäufern und Marktfrauen künftig nur noch Fischhändler mit dreijähriger Lehrzeit Fische verkaufen dürfen. Ebenso müssten die Filialgeschäfte von Fischereigesellschaften – es kann eigentlich nur die Nordsee Deutsche Hochseefischerei gemeint gewesen sein – „verschwinden“, denn durch ihre Kapitalkraft „vernichten sie in noch höherem Maße die Existenz des Mittelstandes als die Vampyre des Mittelstandes Warenhäuser und Kolonialwarenfilialen.“365 Eine staatliche Konzessionierung und eine strenge Arbeitsteilung zwischen Fischfang, Fischverarbeitung und Kleinhandel sollten hier Abhilfe schaffen. Damit wäre, obwohl der Artikel dies nicht ausspricht, das Geschäftsmodell der Nordsee, die diese drei Sparten in sich vereinigte, ausgeschlossen. Weitere Forderungen bezogen sich auf die Reduzierung des kaufmännischen Risikos durch die Festsetzung von Preisen und garantierten Gewinnspannen, auf staatliche Maßnahmen zur Absatzförderung in etwa in der Art, wie sie später auch erfolgten, und auf günstige Kredite für den Handel. Zum Abschluss verlangte der Autor die „Ausschaltung aller jüdischen Elemente aus dem Fischhandel“.366 362  Hausmann,

Das Meer, S. 7 f. Orientierung der Fischwirtschaft im nationalsozialistischen Sinne, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1933, S. 249–251, hier S. 249. Der nicht genannte Autor ist „binnenländischer Fischeinzelhändler“; ebd. 364  Ebd., S. 249. 365  Ebd., S. 250. 366  Ebd., S. 251. Wohl weil Juden in der Fischwirtschaft kaum eine Rolle spielten, handelt sich hierbei um eines der ganz wenigen Beispiele für eine offen antise363  Die

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Spezifisch für den Fischhandel ist an diesem Forderungskatalog eigentlich nichts. Fast alle diese Forderungen nach der Einschränkung des Berufszugangs, Regelung des Wettbewerbes, Verminderung der Konkurrenz und gesicherten Handelsspannen gehörten zu dem festen Kanon der Mittelstandspolitik, wie sie von Ladenbesitzern und Handwerkern spätestens seit der Weimarer Republik und verstärkt in der Wirtschaftskrise vertreten wurde.367 Neben den Einzelhandelsgeschäften lief der Fischvertrieb zu dieser Zeit auch über Wochenmärkte, den Verkauf von Handkarren aus und in Warenhäusern, aber den ersteren kam die größte Bedeutung zu.368 Für 1939 wurde die Zahl der reinen Fischgeschäfte mit 14.000 angegeben, zu denen noch ca. 30.000 Lebensmittelgeschäfte mit Fischabteilung hinzukamen, während Fischkonserven auch darüber hinaus in vielen Geschäften erhältlich waren.369 Eine weitere, eher unbedeutende Form des Fischverkaufs bildeten die so genannten Fischbratküchen, die ab 1924 nach dem Vorbild britischer Fried Fish Shops (heute vor allem als „Fish ’n’ Chips“ bekannt) gegründet worden sind, ohne die in sie gesetzten Erwartungen für den Fischabsatz erfüllen zu können.370 Das Bild, das in den Organen der Fischwirtschaft selbst vom Einzelhandel gezeichnet wurde, entsprach dem oben beschriebenen Idealzustand kaum. Gemessen an der Rolle, die man dem Meer in der deutschen Ernährungswirtschaft zugedacht hatte, gab es zu wenig Fischgeschäfte. Insbesondere in Süddeutschland war das Verkaufsnetz sehr dünn. Die bestehenden Fischläden entsprachen überdies vielfach nicht den Anforderungen. Darré bedauerte noch 1939, die Erhöhung des Fischverbrauchs stoße mancherorts auf das Hindernis, „daß keine oder nicht genügend geeignete Fischläden vorhanden sind, die jederzeit qualitativ einwandfreien Fisch zur Verfügung stellen.“371 Auch Hans Mosolff verwies auf die – insbesondere im Vergleich zu Großbritannien – unzureichende Zahl der deutschen Fischgeschäfte,372 mitische Stelle in der „Deutschen Fischerei-Rundschau“; vgl. aber auch: Juden räumten ein Heringslager aus, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.2.1939, S. 57. 367  Adelheid von Saldern, Mittelstand im „Dritten Reich“. Handwerker – Einzelhändler – Bauern, Frankfurt / New York 1979, S. 58–67. 368  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 252–276. 369  Arbeitstagung des Fischeinzelhandels am 15. Mai im Hotel Esplanade, Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1939, S. 282–288, hier S. 282. Fischindustrielle Produkte (vor allem Konserven) führten insgesamt 180.000 Lebensmittelgeschäfte. 370  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 276–279. 371  Darré, Rede zur Eröffnung, S. 209. 372  Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 36.



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ebenso wie der Verband der Deutschen Hochseefischereien in seiner Denkschrift zu den Aufgaben im Vierjahresplan.373 Wie in dem Zitat von Darré schon anklang, entsprach auch der Zustand der Geschäfte vielfach nicht den damaligen Anforderungen. Die Mängel im Einzelhandel sprachen die Veröffentlichungen der Fischwirtschaft in großer Deutlichkeit an. So wurde die Einhaltung „hygienischer Mindestanforderungen“ beim Fischverkauf wiederholt eingefordert.374 Ein hiermit eng verbundenes Problem der Fischläden oder ihrer öffentlichen Wahrnehmung bildete der Geruch. So war es offenbar nicht ungewöhnlich, dass die Eröffnung eines Fischgeschäftes in guter Lage am Widerstand des Hausbesitzers, anderer Mieter, benachbarter Geschäfte oder selbst der Stadtverwaltung scheiterte, die alle eine unzumutbare Geruchsbelästigung fürchteten.375 Auch ein Verwaltungsgericht bestätigte, dass eine Bauordnung, die in einer Straße ein Fischgeschäft untersagte, einen Schlachter dagegen zuließ, rechtens sei, da die Nachbarn durch den Fischgeruch belästigt werden könnten, woraufhin ein Bericht in einer Branchenzeitschrift „die durch nichts begründete Diffamierung der Fischhandlungen“ anprangerte.376 Dieser Bericht forderte energisch eine Gleichbehandlung mit anderen Lebensmittelgeschäften, da moderne Fischgeschäfte in demselben Maße praktisch geruchlos seien wie gut geführte Schlachterläden. Der Artikel von 1939 war etwas vorsichtiger und schloss, indem er die Leser mit einer detaillierten Beschreibung noch einmal an die zur Vermeidung von übermäßigen Gerüchen notwendigen Hy­ gienemaßnahmen erinnerte.377 Dass mit der hygienischen und damit auch der geruchlichen Situation noch nicht alles zum Besten stand, lässt auch ein Artikel des „Hamburger Tageblattes“ vom Mai 1939 durchblicken, in dem anlässlich der großen Fischereiausstellung in Hamburg u. a. ein Musterstand für Wochenmärkte vorgestellt wurde: Unter der Überschrift „Fischhändler werden – das lohnt 373  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 5. 374  Stolle, Neue Marktordnung, S. 56; s. a.: Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 37; Arbeitstagung des Fischeinzelhandels am 15. Mai im Hotel Esplanade, Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1939, S. 282–288, hier S. 283. 375  Frischer Geruch im Fischladen – ein Werbefaktor, in: Deutsche FischereiRundschau, 2.8.1939, S. 415 f. 376  Noch immer Diffamierung des Fisches!, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 23.1.1938, S. 49–51, hier S. 50. Wenn nur diese Diskriminierung beseitigt sei, so der Artikel, sei mit einem Schlag auch der Weg frei, „diejenige Zahl neuer Fischgeschäfte zu errichten, die zur Verdoppelung des Fischabsatzes gemäß dem Vierjahresplan notwendig ist“; ebd. 377  Frischer Geruch im Fischladen – ein Werbefaktor, in: Deutsche FischereiRundschau, 2.8.1939, S. 415 f.

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sich!“ folgte der Untertitel „Nur noch saubere Verkaufsstände“.378 Selbst auf der Arbeitstagung des Fischeinzelhandels im Mai 1938 gestand man offen ein, dass die Standesorganisation zwar tausenden Betrieben den Weg „zur Beachtung hygienischer Mindestanforderungen“ beim Frischfischverkauf gewiesen habe, aber „[g]roße Lücken“ seien geblieben.379 Man dürfe eben „bei einem Berufsstand der durch Not und Elend in der Systemzeit hin und her geworfen worden ist, nach sechs Jahren Aufbauarbeit nicht erwarten, daß hundertprozentig alles in Ordnung ist.“380 Wenn diese Schwierigkeiten bei der Ansiedlung von Fischgeschäften schon einen Hinweis auf deren sozialen Status geben, so wird dies noch deutlicher bei der Frage des beruflichen Nachwuchses. Angesichts des allgemein stark gestiegenen Arbeitskräftebedarfs Ende der 1930er Jahre litt auch der Fischhandel unter Nachwuchsmangel.381 Die Fischhändler empfanden aber selbst, dass ihr gesellschaftliches Ansehen es ihnen darüber hinaus besonders schwer mache, „das nötige Menschenmaterial zum Aufbau einer großzügigen Fischversorgung heranzubekommen“, denn „[g]erade von jungen, strebsamen Leuten sei der Fischhandel bisher nicht für voll angesehen worden.“382 „Wir sind auch psychologisch gegen allen anderen Berufsarten im Nachteil“, so die Fischhändler auf einer Arbeitstagung, „weil man es jahrelang geschickt verstanden hat, die Arbeit des Fischeinzelhandels zu diffamieren.“383 Ein Vertreter des Fischhandels forderte bereits im Frühjahr 1933: „Der Fischhändler darf nicht ein Stand zweiter Klasse sein und eine beliebte Figur der Witzblätter bleiben.“384 Diffamierung dürfte weniger die Ursache für das geringe Ansehen der Fischhändler gewesen sein, als die oben angesprochenen Mängel mancher Läden und die Tatsache, dass es sich beim Fischhandel nicht um einen 378  Fischhändler werden – das lohnt sich!, in: Hamburger Tagblatt, Nr. 150, 12.5. 1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346. 379  Arbeitstagung des Fischeinzelhandels am 15. Mai im Hotel Esplanade, Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1939, S. 282–288, hier S. 283. Der Bericht zitierte den Arbeitsbericht der Fachabteilung Fische der Fachgruppe Nahrungs- und Genussmittel der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel. 380  Ebd. 381  Ebd., S. 284; Was will der Förderungsdienst des Fischeinzelhandels?, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 2.1.1938, S. 2–5, hier S. 4. 382  Großkundgebung der deutschen Fischwirtschaft am 24. Mai 1939 in den Sagebiel’schen Festsälen in Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1939, S. 277–281, hier S. 280. 383  Arbeitstagung des Fischeinzelhandels am 15. Mai im Hotel Esplanade, Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1939, S. 282–288, hier S. 284. 384  Karl Dyballa, Der deutsche Fischhandel und der Tag der nationalen Arbeit, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.5.1933, S. 223 f.



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Beruf mit geordneter Ausbildung handelte.385 Vor 1933 konnte jedermann ein Fischgeschäft eröffnen ohne Fachkenntnisse vorweisen zu müssen, und da man für den Einkauf der nur wenige Tage haltbaren Ware wenig Kapital benötigte, gab es viele schlecht vorbereitete, wenig lebensfähige Gründungen. Solche Geschäfte verfügten über wenig mehr als ein angemietetes Ladenlokal sowie die nötigsten Geräte und brachten somit letztlich die Branche und das Nahrungsmittel Fisch in Misskredit.386 Mit dem Gesetz zum Schutz des Einzelhandels vom 12.5.1933 (RGBl. I S. 262) schuf die Regierung ein generelles Verbot der Einrichtung neuer Einzelhandelsgeschäfte und entsprach damit den oben geschilderten Forderungen des Mittelstandes. Allerdings sah das Gesetz bereits Ausnahmen unter bestimmten Voraussetzungen (Zuverlässigkeit, Befähigungsnachweis und Bedürfnisprüfung) vor, die von mehreren Durchführungsverordnungen noch ausgeweitet wurden, so dass die zuständigen Berufsstandesorganisa­ tionen schließlich eine große Flexibilität bei der Regelung des Berufszugangs besaßen.387 Eine Begrenzung der Zahl der Geschäfte lag aber weiterhin sowohl im Interesse der Ladenbesitzer als auch des Staates und seiner Förderung der rüstungsrelevanten Wirtschaft. Die Zahl der Einzelhandels­ betriebe, die während der Weimarer Republik gestiegen war, sank daher von 1933 bis 1939 geringfügig.388 Fischgeschäfte bildeten in dieser Hinsicht einen Sonderfall, da hier die Ausweitung des Einzelhandelsnetztes ausdrücklich angestrebt war, um den Fischkonsum deutschlandweit zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund entstand im April 1937 der Förderungsdienst des Fischeinzelhandels.389 Die Aufgaben des Förderungsdienstes, den die Hauptvereinigung der Deutschen Fischwirtschaft durch Abgaben auf jedes Pfund angelandeten Seefisch finanzierte, umfassten die Gewährung von Darlehen für die Errichtung und Modernisierung von Verkaufsstellen sowie die technische und bauliche Beratung. Gefördert wurden sowohl Fischfachgeschäfte als auch entsprechende Abteilun385  Was will der Förderungsdienst des Fischeinzelhandels?, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 2.1.1938, S. 2–5, hier S. 4. 386  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 260 f. 387  von Saldern, Mittelstand, S. 60. 388  1925 zählte man 768.618 Einzelhandelsbetriebe, diese Zahl stieg bis 1933 auf 843.611 an. 1939 hatte sie sich auf 833.192 reduziert: Uwe Spiekermann, Rationalisierung, Leistungssteigerung und „Gesundung“. Der Handel in Deutschland zwischen den Weltkriegen, in: Michael Haverkamp  /  Hans-Jürgen Teuteberg (Hrsg,), Unterm Strich. Von der Winkelkrämerei zum E-Commerce, Bramsche 2000, S. 191– 210, hier S. 197. 389  Was will der Förderungsdienst des Fischeinzelhandels?, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 2.1.1938, S. 2–5. Stahmer nennt als Gründungsdatum den Oktober 1936: Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 268.

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gen in allgemeinen Lebensmittelgeschäften und der ambulante Handel mit Verkaufswagen. Insgesamt vergab der Förderungsdienst bis 1939 930 Darlehen in einer Gesamthöhe von über 2,7 Mill. RM.390 Dabei folgte der Förderungsdienst dem Grundsatz keine neuen Geschäfte dort zu fördern, wo bereits eine ausreichende Versorgung gewährleistet ist, sondern nur an Standorten, wo dies noch nicht der Fall ist. Eines der großen Themen für mittelständische Ladenbesitzer bildete die Agitation gegen Warenhäuser und Konsumgenossenschaft.391 Staatliche Maßnahmen zulasten dieser Großbetriebe im Einzelhandel, die bereits 1930 einsetzten, nahmen 1933 deutlich an Intensität zu. Obwohl diese Politik ein Jahr später schon viel an Schwung verloren hatte, dämmte das nationalsozialistische Regime doch die Entwicklung der Kaufhäuser ein.392 Bei den Fischhändlern war es das Unternehmen Nordsee Deutsche Hochseefischerei Bremen-Cuxhaven AG, das man mit seinem ausgedehnten Netz an Einzelhandelsgeschäften als übermächtige Konkurrenz empfand (s. o.). Im April 1933 sprach ein Redner auf einer vom „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes“ organisierten Versammlung der Hamburger Fischhändler mit Bezug auf Nordsee von einer „Konzern- und Trustbildung“ durch die „jüdischen Privat-Großbanken Warburg-Bleichröder“.393 Der Fischreferent beim Amt für Agrarpolitik der NSDAP, A. R. Giese, stellte im Mai 1933 die kategorische Forderung auf, die Nordsee AG „muß und wird […] die Neuerrichtung von Einzelhandel-Vertriebsstellen im Binnenland in Zukunft unterlassen.“394 Er begründete diese Forderung damit, dass die NordseeFilialen keine erzieherische Wirkung in Hinblick auf einen höheren Fischkonsum hätten, sondern nur eine Bedrohung der mittelständischen Einzelhändler darstellten. Da im Interesse eines erhöhten Fischkonsums das Einzelhandelsnetz ausgebaut werden sollte, sah das Reichswirtschaftsministerium jedoch keine 390  Davon wurden 924.907,– RM für die Errichtung von 259 neuen Fischfachgeschäften gewährt; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 269. Für die Beschreibung eines mit Hilfe des Förderungsdienstes eingerichteten musterhaften Geschäftes siehe: ebd., S. 269 f.; Verbesserte Fischläden – erhöhter Umsatz. Das Einheitsfischfachgeschäft des Förderungsdienstes des Fischeinzelhandels, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 30.11.1938, S. 552–554. 391  von Saldern, Mittelstand, S. 61–65. 392  Spiekermann, Rationalisierung, S. 199. 393  Hamburg-Altonaer Fischwirtschaft verlangt Umbau der deutschen Fischwirtschaft im nationalsozialistischen Wirtschaftssinne, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 26.4.1933, S.  207 f. 394  A. R. Giese, Die Grundbedingungen für die Neugestaltung unserer Seefischwirtschaft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.5.1933, S. 219–221, hier S. 220. Die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ war u. a. das offizielle Organ der Nordsee A.G., musste aber diesen Text eines Parteimannes abdrucken.



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Veranlassung, den Nordsee-Konzern in seiner Entwicklung einzuschränken.395 Ein erster Erlass des Ministeriums vom 18. Februar 1936 führte ein Vorprüfungsverfahren ein, das bei Anträgen auf Eröffnung neuer Filialen den Bedarf prüfte. Das Verfahren erwies sich aber als zu zeitraubend, so dass schon am 11. November 1936 ein neuer Erlass herauskam. Die Begründung des Erlasses nahm ausdrücklich auf die „Ernährungslage des Reiches in Verbindung mit der Devisenlage“ Bezug sowie die Notwendigkeit, „daß die Fleischnahrung in passender Weise durch andere Nahrungsmittel ergänzt und in gewissem Umfang auch ersetzt wird.“396 Bei dem Erlass handelte es sich faktisch um eine lex Nordsee, da die Eröffnung einzelner neuer Fischgeschäfte bereits vorher bei persönlicher Eignung des Antragstellers weitgehend problemlos war. Die Einrichtung neuer Filialen knüpfte der Erlass nun nur noch an die Bedingung, dass neutrale Werbung für den Fischkonsum insgesamt betrieben werde und dass der Ort mindestens 30.000 Einwohner habe. Die Bedürfnisfrage war dem Erlass nach regelmäßig zu bejahen, wenn es in dem Ort weniger als ein Fischgeschäft pro 3.000 Einwohner gab und wenn das Geschäft in einer Hauptgeschäftsstraße errichtet werden sollte. Die verglichen mit der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ mittelständisch orientierte, vom Reichsnährstand herausgegebene Zeitschrift „Die Deutsche Fischwirtschaft“ warf Nordsee jedoch weiterhin vor, Filialen bevorzugt an Standorten zu errichten, an denen bereits Fischgeschäfte vorhanden waren und damit den kapitalschwächeren selbständigen Handel zu erdrücken.397 Der Nordsee-Konzern würde also gerade nicht neue Gebiete für den Fischkonsum erschließen, so dass die Bedürfnisfrage nach dem Gesetz zum Schutz des Einzelhandels eigentlich zu verneinen sei. Der Erlass des Wirtschaftsministeriums vom November 1936 habe dagegen zur Folge, dass die Genehmigung neuer Filialen praktisch nicht mehr versagt werden könne. Die Zeitschrift kritisierte später den Erlass erneut und forderte das Genehmigungsverfahren mit der Planungsarbeit des Förderungsdienstes des Fischeinzelhandels in Übereinstimmung zu bringen.398 Die Lage der Fischhändler unterschied sich insofern vom Einzelhandel insgesamt, als dass ihr Netz insbesondere tief im Binnenland und auf dem Land noch große Lücken aufwies und eine Vermehrung der Verkaufsstellen 395  Siehe im Folgenden: Neuregelung der Eröffnung von Fischspezialgeschäften, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 2.12.1936, S. 557–559. 396  Ebd., S.  557 f. 397  Wo sind neue Fischgeschäfte am Platze?, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 28.11.1937, S. 751–753. Der gleiche Vorwurf findet sich bei: Beese, Das Eindringen, S. 20. 398  Was will der Förderungsdienst des Fischeinzelhandels?, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 2.1.1938, S. 2–5, hier S. 4.

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staatlicherseits ausdrücklich erwünscht war. An attraktiven Standorten fühlten sich die mittelständischen Ladenbesitzer jedoch ebenfalls von einem kapitalstarken Großbetrieb, der Nordsee A.G., bedrängt, dessen Ausdehnung der Staat jedoch anders als im Fall der Warenhäuser nicht behinderte. Die im Frühjahr 1933 geäußerten diesbezüglichen Hoffnungen oder Forderungen der mittelständischen Fischhändler blieben somit weitgehend folgenlos. Allerdings hatte angesichts eines in den 1930er Jahren insgesamt gewachsenen Marktes für Seefisch die Konkurrenz zwischen der Nordsee A.G. und dem Mittelstand bis 1939 an Schärfe verloren. Insgesamt wies der Fischeinzelhandel trotz geförderter Neugründungen und Modernisierungen sowohl quantitativ als auch qualitativ bei Kriegsbeginn noch große Defizite auf, die der Steigerung des Fischkonsums im Weg standen. d) Verbrauchslenkung und „Seefischpropaganda“ Angesichts des politischen Willens, den Fischkonsum zu steigern, des bislang unzureichenden Verbrauchsanstiegs und der vielfachen Vorbehalte gegen Fisch wurde dieses Nahrungsmittel Gegenstand umfangreicher Werbe- oder Propagandabemühungen. Absatzschwierigkeiten und verschiedene, auch staatlich subventionierte Versuche, den Fischverbrauch zu steigern, oder im damaligen Sprachgebrauch „Seefischpropaganda“ gab es bereits seit dem Kaiserreich und verstärkt in der Weimarer Republik (siehe Kap. D. I. 3.). Bis etwa 1936 wurde bei der Werbung für Seefisch allerdings neben geschmacklichen und gesundheitlichen Aspekten vorwiegend mit der Hilfsbedürftigkeit der Fischerei und der von ihr abhängigen Branchen argumentiert; erst danach wurde die Nahrung aus dem Meer als Mittel zum höheren Zweck der nationalen „Nahrungsfreiheit“ propagiert (siehe Kap. C. I.). Solche Bemühungen beschränkten sich keinesfalls auf Fisch. Der Lenkung des privaten Verbrauchs mit dem Ziel, Ressourcen für die Rüstung und (rüstungsbedingte) Investitionen frei zu machen, kam vielmehr in der NS-Zeit insgesamt eine große Bedeutung zu. Der Staat bemühte sich über diese Verbrauchslenkung erstens die Nachfrage von Mangelgütern auf reichlich vorhandene umzulenken, zweitens den Verbrauch von importierten Waren einzuschränken, drittens den Verbrauch an das Angebot anzupassen, um sichtbare Mangellagen gar nicht erst aufkommen zu lassen, und viertens höherwertige durch geringwertigere Güter zu ersetzen. Am Einfachsten hätten sich diese Ziele über die Rationierung bestimmter Güter oder über die Preise, also eine deutliche Verteuerung der betreffenden Waren erreichen lassen. Eine Rationierung bereits in Friedenszeiten wagte das Regime jedoch in Hinblick auf die Stimmung im Volk nicht, wobei Fett eine Ausnahme bildete, da die Versorgungslage hier kaum eine Alternativen offen ließ (siehe Kap. B. II.). Vor deutlichen Preiserhöhungen schreckte man ebenfalls



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zurück, um die Inflationsgefahr nicht zu erhöhen und nicht einseitig Einkommensschwache zu belasten. Es blieb somit nur der Weg der Verbrauchslenkung über die Propaganda offen, deren Richtlinien seit 1937 von einer Arbeitsgemeinschaft für Verbrauchslenkung jeden Monat je nach Saison und Marktlage festgelegt wurden.399 Im Wesentlichen versuchte die Verbrauchslenkung unter den oben genannten Gesichtspunkten im Vierjahresplan den Konsum von Lebensmitteln in fünf Richtungen zu steuern:400 1. ein höherer Verbrauch von Zucker, da durch den Zuckerrübenanbau Deutschland Selbstversorger war. In Form von Sirup und Marmelade sollte Zucker Fett als Brotaufstrich (Butter und Margarine) zurückdrängen; 2. mehr Kartoffeln; 3. Vollkorn- statt Weißbrot, Roggen statt Weizen; 4. mehr entrahmte Milch und Quark, also Produkte bei denen der Fettanteil der Milch bereits zur Buttererzeugung genutzt wurde und die bislang vor allem zur Schweinemast verwendet wurden;401 5. Fisch anstelle von Fleisch. Die (wehr)wirtschaftlichen Zwänge, die darauf drängten, die im eigenen Land vorhandenen und jeweils saisonal verfügbaren Lebensmittel zu bevorzugen, wurden dem Verbraucher einerseits mit Stichworten wie „Vierjahresplan“, „Nahrungsfreiheit“ und „Devisen“ vermittelt, andererseits aber auch zusätzlich ideologisch eingekleidet. So predigten Kochbücher eine Rückkehr zur „Bindung an den Boden, an die Gesetze des Jahreszeitenablaufs“402 und 399  Petzina,

Autarkiepolitik, S.  175 f. jede Quelle erwähnt genau diese fünf Punkte, aber sie stellen den Tenor dar: Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 37; Richtlinien für unsere Arbeit, in: Zeitschrift für Volksernährung, 11 (1936), S. 274; Herbert Backe, Verbrauchslenkung, in: Der Vierjahresplan, 1 (1937), S. 203 f.: Ilchmann, Wiedererringung, S. 111– 115; die Sopade fasste die Verbrauchslenkung in der Parole zusammen: „Mehr Kohl – mehr Fisch – mehr Zucker – mehr Kartoffeln verbrauchen“; Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 43. Vgl.: Reith, „Hurrah die Butter ist alle!“, S. 408; Petzina, Autarkiepolitik, S. 176; Uwe Spiekermann, Vollkorn für den Führer. Zur Geschichte der Vollkornbrotpolitik im „Dritten Reich“, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 16 (2001), 1, S. 91–128. 401  Ilchmann, Wiedererringung, S. 28. 402  Reichsausschuß für volkswirtschaftliche Aufklärung (Hrsg.), Was essen wir heute zum Abendbrot? Kartoffelgerichte, Resteverwertung, Fischgerichte, Suppen, Brotaufstriche, Süß- und Mehlspeisen, hrsg. in Verbindung mit der Reichsfrauenführung, Leipzig [1937], S. 2. Zu Kochbüchern dieser Zeit s.: Notaker, Cookery and Ideology, S. 70. 400  Nicht

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priesen „unsere bodenverwurzelte kraftspendende, fast zwei Jahrtausende alte Nahrung“.403 Auch Fisch sollte die Bedeutung wiedergegeben werden, „die er schon bei unseren Vorfahren seit Jahrtausenden hatte“,404 obwohl tatsächlich der mit großem technischem Aufwand im Nordatlantik, ca. 1.250 km von Deutschland entfernt gefangene Fisch diesem Kriterium ebenso wenig entsprach wie Kartoffeln oder Rübenzucker. Da diese Vorgaben nicht mehr bloß Fragen der privaten Haushaltsführung oder einer gesunden Ernährung betrafen, sondern für das Regime aufgrund der Notwendigkeit, den privaten Konsum zu steuern, eine hohe volkswirtschaftliche und letztlich militärische Bedeutung besaßen, wurden sie auf allen Ebenen und durch alle Kanäle der Bevölkerung mitgeteilt. „Hausfrauensorgen und Haushaltsfragen“, bemerkten die Deutschland-Berichte der Sopade 1937, „fristen nicht mehr bloß in den Frauenbeilagen der Zeitungen ein kaum beachtetes Dasein, sondern werden auf einmal für würdig befunden, in den Reden der Führer und in den Spalten selbst der größten Tageszeitungen einen breiten Raum einzunehmen.“405 Eine zeitgenössische Zusammenstellung zeigte das breite Instrumentarium der Verbrauchslenkung:406 „Schulpropaganda“, „Kinopropaganda“ bereits mit dem, was man heute als Product Placement bezeichnen würde,407 „Branchenpropaganda“ (Werbung für eine bestimmte Produktgruppe),408 „Zeitungspropaganda“, „Ausstellungen“, „Vortragsdienst“ am wirkungsvollsten von privaten Organisationen durchgeführt statt vom Staat,409 „Preiszettelpropaganda“, „Plakatpropaganda“ mit Slogans wie „… hilf auch du mit, daß …“ und schließlich der Rundfunk. Zur Förderung des Fischabsatzes organisierte man bereits in der Weimarer Republik groß angelegte Veranstaltungen wie die „Reichsfischwerbewochen“, die mit Ausstellungen, Kochvorführungen usw. im Frühjahr 1928 und 1929 in Berlin sowie den 100 größten Städten des Reiches stattfan403  Gertrud Hanse, Das neuzeitliche deutsche Kochbuch. Schollengebunden, jahreszeitlich bedingt und biologisch wertvoll, Stuttgart / Leipzig 1937, S. 5. 404  Ebd., S. 66. 405  Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 43. 406  Ilchmann, Wiedererringung, S. 118–120. 407  „Ansätze dieser Art finden wir beispielsweise manchmal in den Wochenschauen, in denen innerhalb der Bildfolge sich eines dieser Wochenereignisse plötzlich als Propaganda für die Verbrauchslenkung entpuppt“; ebd., S. 119. 408  Genannt werden als Beispiel „Eßt mehr Fisch!“, „Eßt mehr Kohl!“ und „Trinkt deutschen Wein!“ (um weniger Getreide für die Bierproduktion zu verbrauchen); ebd. 409  „Die Abneigung gegen alles das, was von staatlicher Seite in die Sphäre des einzelnen eingreift, ist noch zu sehr – als Folge der liberalistischen Wirtschaftsepoche – im Individuum verwurzelt“, ebd. S. 120.



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den.410 Eine weitere öffentlichkeitswirksame Aktion bildete „das größte Seefischessen überhaupt, was je stattgefunden hat“, die „Speisung von 3376 Berliner Erwerbsloser und Minderbemittelter“ vor Weihnachten 1932 im Berliner Konzerthaus „Clou“.411 Träger der Seefischpropaganda war seit der Weimarer Republik der Reichsseefischausschuss, der sich durch eine Umlage der Reedereien sowie durch Zuschüsse vom Reich finanzierte.412 Daneben betrieben die Seefischmärkte Wesermünde, Cuxhaven und Hamburg-Altona in der Republik und auch nach 1933 Werbung, die in erster Linie der Förderung des jeweils eigenen Standortes dienen sollte. Nach der Verkündung des Vierjahresplanes trat 1937 an die Stelle des bisherigen Reichsseefischausschusses die neu gegründete Reichsfischwerbung GmbH. Die neue Gesellschaft bedeutete auch eine stärkere Integration der Fischwerbung in die allgemeine Ernährungswirtschaft und das System des Reichsnährstandes, da nun der Vorsitzende des Verwaltungsrates der Reichsfischwerbung GmbH vom Reichsnährstand und lediglich dessen Stellvertreter von der Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft gestellt wurde. Ein wichtiges Element der Seefischwerbung bildeten Lehrküchen, in denen durch entsprechende Lehrgänge Hausfrauen, Personal von Großküchen und Multiplikatorinnen (z. B. Lehrerinnen) mit Seefisch vertraut gemacht und für dieses Lebensmittel gewonnen werden sollten. Die Reichsfischwerbung GmbH verfügte reichsweit über 21 stationäre und eine fahrbare Lehrküche, die vor allem auf dem Land Proben und Rezepte verteilte.413 Jede Lehrküche wurde angeblich von 400 bis 500 Hausfrauen im Monat besucht.414 Im August 1939 – und damit vermutlich zu spät für eine praktische Umsetzung – wurde beschlossen, die Finanzierung bereits bestehender und 410  StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337, Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft an die Senatskommission für die Reichsund auswärtigen Angelegenheiten, 7.2.1928; Heidbrink, Creating a Demand, S. 139. Die Veranstaltung fand über zwei Wochen Ende März / Anfang April zumindest 1928 und 1929 statt. 411  Eine einzigartige Seefisch-Propaganda-Veranstaltung, in: Deutsche FischereiRundschau, 4.1.1933, S. 3–6. Serviert wurde „gebackenes Fischfilet mit Tunke und Kartoffelsalat“ sowie Bier, das die Brauerei Löwenbräu gespendet hatte. Jeder Teilnehmer erhielt zudem einen Weihnachtsteller mit Äpfeln und Fischkonserven. Weihnachten 1933 und 1934 wurde die Veranstaltung, diesmal im Rahmen des Winterhilfswerkes wiederholt; Weihnachtsseefischspeisung von 3500 Bedürftigen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.1.1934, S. 9; Die Fischspeisung von Viertausend, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 9.1.1935, S. 11. 412  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. XXVI. 413  Ebd., S. XXVII. Eine idealisierte Beschreibung eines Kurses in einer Fischlehrküche findet sich bei: Hausmann, Das Meer, S. 2–6. 414  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. XXVII.

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neu zu errichtender Fischlehrküchen in größeren Städten auf die örtlichen Fischhändler umzulegen.415 In Wesermünde unterhielt die dortige Seefischmarkt AG ebenso eine Lehrküche, in der viertägige Kurse mit praktischem Kochunterricht, Vorträgen, Filmvorführungen und Besichtigungen durchgeführt wurden.416 Die Teilnehmer, die dort bei kostenloser Unterkunft und Verpflegung „das geistige Rüstzeug für ihre Mitarbeit im Kampfe um die Freundschaft des deutschen Volkes für den Seefisch“ erhielten, waren Großverbraucher, Lehrküchenleiterinnen, Lehrerinnen, Gastwirtsfrauen, Beraterinnen von Gas- und Elektrizitätswerken sowie Vertreter der Truppenverpflegung der Wehrmacht.417 Ähnliche mehrtägige Kurse für Teilnehmer mit Multiplikatorfunktion gab es in Cuxhaven.418 Klassisches Werbematerial wie Plakate, Handzettel, Kochrezepte usw. spielten eine große Rolle ebenso wie Presseanweisungen, auf die ersichtlich ein großer Teil der fischbezogenen Artikel außerhalb der Fachpresse zurückging. Solche Presseanweisungen liefen über den Reichsnährstand und enthielten Stichworte wie „Fisch ist auch Fleisch“, „vollwertiges Eiweiß“, „Pflicht eines jeden Deutschen ist es, wöchentlich mindestens einmal ein warmes Fischgericht als Hauptmahlzeit zu essen“ oder „keine Devisen erforderlich“.419 Ein weiteres Werbemittel bildeten die „Kulturfilme“, die überwiegend von der Reichsfischwerbung GmbH produziert mit Titeln wie „Grundstoffe der Ernährung“, „Gesundheit und Kraft aus dem Meer“, „Aus Neptuns Reich“, „Ist heute Freitag?“ und „Wikinger von heute“ verstärkt 1939 erschienen.420 Der im Berliner Ufapalast am Zoo uraufgeführte und mit den 415  Neue Fischlehrküchen und örtliche Werbegemeinschaften, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.8.1939, S. 451 f. 416  Ein Urteil über die Wesermünder Seefischkochkurse, in: Deutsche FischereiRundschau, 4.1.1933, S. 12; Praktische Seefischwerbung, in: Deutsche FischereiRundschau, 21.6.1939, S. 346 f. 417  Praktische Seefischwerbung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 21.6.1939, S.  346 f. 418  Wirkungsvolle Seefischpropaganda durch die NS-Frauenschaft, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Februar 1936, S. 301. 419  Verstärkte Propaganda für den Seefisch, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.2.1936, S.  76 f. 420  Die Seefischpropaganda des staatlichen Fischereihafens Wesermünde-Bremerhaven Seefischmarkt A.G., in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Juli 1936, S. 1525–1526; Ein neuer Kulturfilm aus der Hochseefischerei, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 9.2.1938, S. 55 f.; „Grundstoffe der Ernährung“. Ein neuer Kulturfilm der Reichsfischwerbung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.3.1939, S. 103; „Grundstoffe der Ernährung“. Der erste Kulturfilm der Reichsfischwerbung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.3.1939, S. 111 f.; Fischwerbeveranstaltungen anläßlich der Neueinrichtung von Fischgeschäften, in: Deutsche Fischerei-Rundschau,



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Prädikaten „staatspolitisch wertvoll“ und „volksbildend“ ausgezeichnete Film „Grundstoffe der Ernährung“ propagierte entsprechend den autarkiewirtschaftlichen Vorgaben die Senkung des Fett- zugunsten des Eiweißverzehrs und – auch unter Verweis auf die britischen und japanischen Verbrauchswerte – eine Verdoppelung des deutschen Fischkonsums.421 Andere dieser Filme widmeten sich der Darstellung der harten Arbeitswelt in der Hochseefischerei und versuchten somit auch den sozialen Status dieses Berufes zu heben. Neben solchen Filmen ließ die Reichsfischwerbung auch farbige Dias herstellen, die sie Fischhändlern für die Werbung im örtlichen Kino zum Selbstkostenpreis anbot mit der Möglichkeit, den eigenen Firmennamen hinzuzufügen.422 Neben Presse und Film war der Rundfunk ein wichtiges Medium, das die Seefischpropaganda nicht außer Acht lassen durfte.423 Nicht alle Maßnahmen richteten sich auf ganz Deutschland; vielmehr gab es auch Kampagnen, die sich auf eine Region konzentrierten wie die „Werbewelle Sachsen“ im Januar 1939, die vom Seefischmarkt Wesermünde, der Reichsfischwerbung, dem Deutschen Frauenwerk und dem sächsischen Einzelhandel getragen wurde.424 Auch die Jubiläumsveranstaltungen in Wesermünde 1936 und HamburgAltona 1937 sowie die „Erste Deutsche Fischerei- und Walfangausstellung“ in Hamburg 1939 waren nicht zuletzt in der Absicht veranstaltet worden, für einen höheren Fischverbrauch zu werben (siehe Kap. C. III.). Daneben nutzte die Reichsfischwerbung 1939 eine vollständige Halle auf der „Grünen Woche“ in Berlin, um die Fischerei und ihre Produkte vorzustellen.425 Eine der bekanntesten Kampagnen des Nationalsozialismus auf dem Sektor der Ernährungswirtschaft war der „Eintopfsonntag“ (siehe Kap. B. II.), den die Fischwirtschaft bereits kurz nach seiner Einführung im Oktober 5.7.1939, S. 361 f.; Neuer Seefischwerbefilm: „Wikinger von Heute“, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 30.8.1939, S. 472; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. XXVII. Für den Film „Gesundheit und Kraft aus dem Meer“ wird die Spieldauer mit 20 Minuten angegeben. 421  „Grundstoffe der Ernährung“. Ein neuer Kulturfilm der Reichsfischwerbung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.3.1939, S. 103; „Grundstoffe der Ernährung“. Der erste Kulturfilm der Reichsfischwerbung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.3.1939, S.  111 f. 422  Fischwerbung in Lichtspieltheatern, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, s. 10.8. 1938, S.  370 f. 423  Reichssender Hamburg auf Heringsfang, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.3.1939, S.  102 f.; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. XXVII. 424  Werbewelle Sachsen erfolgreich gestartet, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.2.1939, S. 50. 425  Reichsfischwerbung auf der „Grünen Woche“, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.2.1939, S. 49 f.

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1933 für sich entdeckte. Die Fischlehrküche in Wesermünde versuchte auf diesen Zug aufzuspringen und ließ daher Rezepte wie „Wesermünder Allerlei“ oder „Fisch mit Weißkohl und Kartoffeln“ veröffentlichen.426 Was in Privathaushalten konsumiert wurde, entschieden zunächst die Hausfrauen, weshalb die Verbrauchslenkung und auch die Seefischpropaganda dieser Gruppe besondere Beachtung schenkten. Einen direkten Weg, um die Hausfrauen zu erreichen, stellten die beiden von der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink geleiteten Organisationen dar: das Deutsche Frauenwerk als gleichgeschalteter Nachfolger der vorherigen Frauenvereine und die NS-Frauenschaft als Gliederung innerhalb der NSDAP. Die beiden Organisationen gemeinsame Abteilung Volkswirtschaft-Hauswirtschaft veranstaltete beispielsweise 1938 fast 7.800 Kurse zum Thema Fisch, die von einigen Stunden bis mehreren Tagen dauerten und meist zwischen 18 und 20 Teilnehmerinnen zählten.427 Zusammen mit anderen Kochkursen gehörten diese Fischlehrgänge sogar zu den populärsten Angeboten des Deutschen Frauenwerks.428 Direkt an die Hausfrauen richteten sich ebenfalls Kochbücher, die, auch wenn sie alle Lebensmittel abdeckten, einen breiten Raum Fisch widmeten.429 Die Berichterstattung über die Fischerei bot ebenso die Möglichkeit, Kochrezepte im Sinne der Verbrauchslenkung zu verbreiten. So enthielt die Titelseite einer Beilage des „Hamburger Fremdenblattes“ zum 50jährigen Jubiläum der Fischmärkte Hamburg und Altona ein Rezept in Form einer humoristischen kurzen Erzählung über eine Hausfrau, die haus- und volkswirtschaftlich gleichermaßen sparsam eine Suppe aus Haut, Kopf und Gräten vom Rotbarsch zubereitet und diese ihrem wählerischen Gatten als echte Krebssuppe auftischt.430 Diesem schmeckt es vorzüglich, und die 426  Eintopfgerichte von Seefisch, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.11.1933, S. 492. 427  Reagin, Sweeping the German Nation, S. 155. Für vergleichbare Zahlen (4870 Kurse mit 112.000 Teilnehmerinnen) für das erste Halbjahr 1937 siehe: Das Deutsche Frauenwerk erfasste über 112.000 Teilnehmerinnen durch Fischkochkurse, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 2.1.1938, S. 8. s. a.: Wirkungsvolle Seefischpropaganda durch die NS-Frauenschaft, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Februar 1936, S. 301. 428  So die Tätigkeitsberichte der Ortsgruppen des Deutschen Frauenwerkes. Die Angabe erscheint Reagin glaubwürdig, da in diesen Quellen durchaus auch das Desinteresse der Hausfrauen gegenüber anderen Angeboten angesprochen wird; Reagin, Sweeping the German Nation, S. 155. 429  Vgl. Hanse, Das neuzeitliche deutsche Kochbuch; Reichsausschuß für volkswirtschaftliche Aufklärung, Abendbrot. 430  R. St., Wer probt, der lobt!, in: 50 Jahre Fischmärkte Hamburg-Altona. Beilage zum Hamburger Fremdenblatt, 16.10.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7343.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei217

Hausfrau behält ihr Geheimnis für sich: „Es ist eine alte Erfahrung, und jede junge Hausfrau macht sie wieder: Wenn’s nur schmeckt. Man muß seine Küchengeheimnisse nicht jedem preisgeben …“.431 Da die Seefischwerbung bei Hausfrauen und zukünftigen Hausfrauen einen solchen Umfang angenommen hatte und der Anstieg des Fischverbrauchs aber immer noch zu wünschen übrig ließ, lag es nahe, wenn man keinen Fehlschlag eingestehen wollte, die Ursache an anderer Stelle zu suchen. Daher betonte im September 1939 ein Artikel in der „Deutschen Fischerei-Rundschau“, dass die Kurse, die „Tausende und Abertausende deutscher Hausfrauen und solche, die es werden wollen,“ durchlaufen haben, zweifellos gute Früchte trügen, dass es nun jedoch Zeit wäre „mehr als bisher die Ehemänner und Väter der Hausfrauen und Mädchen, die Kochkurse durchmachen, zu bearbeiten, dass sie diese Fischgerichte auch tatsächlich essen. Sonst nützt die ganze Kochkunst nichts! Immer und immer wieder bringen Kochkursteilnehmerinnen zur Sprache, dass sie selbst gern Fisch essen und zubereiten, dass aber ihre Männer nichts davon wissen wollen.“432 Zwar fehlten selten volkswirtschaftliche Appelle wie der Hinweis in einem Kochbuch, dass Fisch den Fleischmarkt entlaste, „ohne dem Reich Devisen zu kosten“,433 aber die Fischwerbung argumentierte daneben – wie sie es bereits zuvor tat und bis heute tut – auch mit dem Anspruch, dass Fisch besonders gesund sei. Die leichte Verdaulichkeit des Fischeiweißes wurde hervorgehoben ebenso wie der hohe Anteil an Jod, Kalk, Phosphor, Vitaminen, Lezithin und Cholesterin, das in der damaligen Diskussion noch ein positiv besetzter Begriff war.434 e) Der Fischtag Die Deutschen aßen – immer gemessen an den Erwartungen von Staat und Fischwirtschaft – nicht nur zuwenig Fisch, sie hatten überdies die Angewohnheit, den Großteil an einem einzigen Tag der Woche zu verzehren, dem Freitag. Obwohl katholische Fastenvorschriften, die den Ursprung 431  Ebd.

432  Seefischpropaganda bei Männern!, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.9. 1939, S.  493 f. 433  Hanse, Das neuzeitliche deutsche Kochbuch, S. 66. 434  Vgl. Kurze Einzelhinweise auf den Seefischgenuß, in: Zeitschrift für Volksernährung, 11 (1936), S. 79; Hoffmann, Bedeutung des Meeres, S. 184; 15 Punkte, die für den Seefisch-Genuß sprechen, abgedruckt in: Ilchmann, Wiedererringung, S. 117 f., (auch in: Köhlers illustrierter Flotten-Kalender, 37 (1939), S. 176–179); Fisch essen heißt gesund leben, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.3.1939, S. 125; Hoffmann, Einzige Kolonie, S. 93 f.

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D. Grenzen des Meeres

dieses Brauchs bildeten, längst ihre Bedeutung verloren hatten, hielt (z. T. auch hält) sich der Freitag als Fischtag selbst in evangelischen Gebieten, so dass zumindest in den 1930er Jahren Fischgeschäfte oft die Hälfte ihres wöchentlichen Umsatzes an diesem Tag erzielten.435 Organisatorisch stellte diese Konzentration des Absatzes auf einen Tag bei einer (vor der flächendeckenden Einführung von Tiefkühleinrichtungen) so wenig lagerfähigen Ware wie Fisch ein gewaltiges Problem dar.436 Die Menge Fisch, die durchschnittlich an jedem Wochentag am Fischmarkt Wesermünde 1936 angelandet wurde und zur Auktion kam lässt die starken Schwankungen klar erkennen: Tabelle 7 Durchschnittliche tägliche Versteigerungsmengen am Fischmarkt Wesermünde 1936 Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

1.102 t

818 t

654 t

598 t

508 t

769 t

Quelle: Mehr Regelmäßigkeit im Fischabsatz, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 255a, 15.9.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337.

Alle Einrichtungen des Fischereihafens und der für den Versand zuständigen Reichsbahn mussten somit für die Spitzenauslastung am Beginn der Woche ausgelegt sein und wurden dementsprechend während der übrigen Tage der Woche nicht voll ausgelastet. Zugleich wird hier deutlich, dass das vielfach vermittelte Bild, wonach der Fisch abends angelandet und am nächsten Mittag beim Händler im Binnenland verkauft wird, nicht ganz stimmen kann. Vielmehr steht der Verbrauchsspitze am Freitag die größte Auktionsmenge am Montag und Dienstag gegenüber, so dass der Fisch offenbar doch bis zu vier Tage von der Anlandung bis zum Verzehr brauchte. Um die Nachfrage gleichmäßiger auf die Woche zu verteilen und um insgesamt den Fischverbrauch zu steigern, schien die Einführung eines so genannten zweiten Fischtages in der Woche neben Freitag ein Erfolg versprechender Weg zu sein. Der zweite Fischtag wurde zum ersten Mal 1933 ausgehend von Hamburg in Norddeutschland propagiert und erneut, diesmal reichsweit, im Jahr 1936. Als der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann Ende August 1933 das damals hamburgische Cuxhaven besuchte, machte ein Vertreter der 435  Stahmer,

Fischhandel und Fischindustrie, S. 273. Handbuch Gemeinschaftsverpflegung, S. 49 f.

436  Keune / Ziegelmayer,



III. Der Ausbau der Hochseefischerei219

dortigen Fischwirtschaft den Vorschlag, einen „Reichsfischtag“ einzuführen, für den Deutschland in sechs Bezirke aufzuteilen sei, die jeweils einen bestimmten Wochentag zugewiesen bekämen, an dem dort in besonderem Maße Fisch gegessen werden solle.437 Dieses Grundprinzip, das die Steigerung und gleichmäßigere Verteilung des Fischkonsums anstrebte, ließ sich nicht sofort deutschlandweit umsetzen, aber Hamburg reagierte schnell oder es gab bereits seit längerem ähnliche Pläne in der Hamburger Verwaltung. Schon am 1. September 1933 wurde ein Beschluss des Hamburger Senats zur Einführung eines Fischtages veröffentlicht, der erstens an die Bevölkerung die „Empfehlung“ richtete, an diesen Tagen Fischgerichte zu bevorzugen, zweitens die Hamburger Behörden und städtischen Betriebe anwies, in den Kantinen Fisch anzubieten und drittens den ersten Fischtag auf Dienstag, den 5. September 1933 legte.438 Der Senat betonte eigens, dass der Beschluss „zunächst nur eine Anregung“ an die Bevölkerung und kein Eingriff in den Handel sei. Die Begründung des Senates und der folgenden Berichterstattung über die Fischtage 1933 / 34 bewegte sich im Rahmen der seit der Weimarer Republik üblichen Argumentation: Fischerei wurde noch nicht als Weg zu Devisenersparnis und „Nahrungsfreiheit“ propagiert, sondern die Fischwirtschaft und die von ihr abhängigen Gewerbe galten als besonders Not leidende Branchen, die an der Küste vielen Menschen Arbeit gaben. Der Hamburger Senat traf somit seinen Beschluss zur Einführung des Fischtages „im Hinblick auf die besondere wirtschaftliche Bedeutung von Fischfang und Fischhandel für den hamburgischen Staat und die hamburgische Stadt Cuxhaven sowie in Würdigung des gesundheitlichen Wertes der Fischnahrung.“439 In Hamburg ging es nicht nur darum, den Fischkonsum, der bereits deutlich über dem Reichsdurchschnitt lag, weiter zu erhöhen, sondern die Aufmerksamkeit des Verbrauchers sollte auch auf bestimmte Sorten gerichtet werden. Bislang verlangten die Hamburger Hausfrauen vor allem Scholle 437  Wünsche der Cuxhavener Fischwirtschaft gehen in Erfüllung, in: Cuxhavener Zeitung, Nr. 201, 29.8.1933, in: in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 438  Fischtage in Hamburg, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 249, 1.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. s. a.: StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 50–51, NSDAP Gauleitung Hamburg, Abt. Gauleiter an Carl Röver, 12.9.1933. 439  Fischtage in Hamburg, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 249, 1.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. s. a.: Morgen Fischtag!, in: Hamburger Anzeiger, 27.11.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staat­ liche Pressestelle, Sign. 7337; StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 47, Deutsche Arbeitsfront. Deutscher Arbeitgeberverband der öffentlichen Betriebe im Gesamtverband der deutschen Arbeiter. Verbandskreisverwaltung Unterweser an den Herrn Reichsstatthalter C. Röver, 8.9.1933.

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D. Grenzen des Meeres

und Schellfisch, zwei Arten, die schon traditionell aus der Zeit der Segel­ hochseefischerei bekannt waren, während die von den Fischdampfern angelandeten großen Mengen Kabeljau, Seelachs, Rotbarsch (s. o.) und Wittling weniger nachgefragt wurden, so dass hier oft ernste Absatzschwierigkeiten bestanden. Scholle und Schellfisch mussten hingegen zusätzlich importiert werden. Am Fischtag ging daher der Aufruf an die Bevölkerung, sich nach dem jeweiligen Angebot zu richten und nicht auf bestimmte Fischarten zu bestehen.440 Während von nun an in Hamburg jeder Dienstag als Fischtag begangen wurde, verbreitete sich die Idee über die Grenzen der Hansestadt, wenn auch noch nicht reichsweit, wie der Hamburger Senat in seinem Beschluss gehofft hatte. Als erstes scheint Pommern auf den Zug aufgesprungen zu sein, oder eventuell ging Pommern Hamburg sogar voraus.441 Bereits Mitte September verkündete die dortige Gauleitung, dass der Fischtag bisher ein großer Erfolg gewesen sei und dass man nun aber vom „Fischtag zum Fischplan“ übergehe, nämlich einem System bei dem innerhalb Pommerns jedem Kreis und jeder Stadt ein Wochentag zugewiesen wurde.442 Die entsprechenden Daten des „Fischplans“, der am 26. September 1933 begann, wurden in einem „Fischkalender“ zusammengestellt und über die Tagesund Fachpresse veröffentlicht. Im Gau Weser-Ems schlug die Deutsche Arbeitsfront, Verbandskreisverwaltung Unterweser, schon am 8. September 1933 Reichsstatthalter und Gauleiter Röver die Einführung von Fischtagen vor, damit „weite Berufszweige wieder zu Arbeit und Brot kommen.“443 Erst nach zwei Besprechungen in Bremen und Hamburg am 4. und 16. Oktober 1933 war es dagegen soweit, dass in „Niedersachsen und der Nordmark“, also in allen nord­ westdeutschen Gauen ein System von Fischtagen eingeführt wurde, das am 440  Otto Brenning, Der Sinn des ersten Groß-Hamburger Fischtages, in: Hamburger Nachrichten, Nr. 413, 5.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. Angeblich wurden in dieser Hinsicht große Erfolge erzielt, indem der Verbraucher Rotbarsch und Seelachs zu schätzen lernte: Zum 25. Male Hamburger Fischtag, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 62, 4.3.1934, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 441  Hamburg-Altonaer Fischtage, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.9.1933, S. 412–414. Hier wird Pommern als Vorbild genannt. 442  Vom „Fischtag“ zum „Fischplan“, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.9. 1933, S. 414; Der pommersche Fischplan, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.9. 1933, S. 441. 443  StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 47, Deutsche Arbeitsfront. Deutscher Arbeitgeberverband der öffentlichen Betriebe im Gesamtverband der deutschen Arbeiter. Verbandskreisverwaltung Unterweser an den Herrn Reichsstatthalter C. Röver, 8.9. 1933.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei221

24. Oktober 1933 beginnen sollte und jeden Wochentag von Dienstag bis Freitag einem Gau zuordnete.444 Diese norddeutschen Fischtage waren ausdrücklich als „Generalprobe für eine allgemeine Einführung im ganzen Reichsgebiet“ gedacht.445 Stürmisches Wetter und die Auslastung der Fischdampferflotte im Trawlheringsfang machten es jedoch erst einmal zweifelhaft, ob Ende Oktober überhaupt genügend Fisch für einen Fischtag hätte angeboten werden können, was leicht zu einer paradoxen, aber für die Unwägbarkeiten in der Fischerei bezeichnenden Situation hätte führen können.446 Der Beginn der Fischtage wurde daher kurzfristig auf den 29. November 1933 verschoben, so dass der Gauleiter von Ost-Hannover schließlich in einem Aufruf verkünden konnte: „In der letzten Novemberwoche ergeht an Euch niedersächsische Volksgenossen in Stadt und Land der Ruf des Fischtages.“447 Im Verlauf der Fischtage machte sich bald eine gewisse Kampagnenmüdigkeit der Bevölkerung bemerkbar, wenn auch die Berichterstattung die Erfolge hervorhob. Am Vorabend des dritten Fischtages schrieb der „Hamburger Anzeiger“ vom „durchschlagenden Erfolg der beiden ersten Fischtage“ und davon, dass die Hamburger „den sozialen Sinn dieser Aktion“ – also die Arbeitsbeschaffung für das Fischereigewerbe – voll erkannt hätten.448 Ende November hingegen beklagte die Presse bereits „gewisse Ermüdungserscheinungen“ und richtete ein „Mahnwort an die Hausfrauen“, dass es an ihnen und ihrer Beteiligung am Fischtag läge, eine neue Arbeitslosigkeit in der Fischerei zu verhindern.449 444  Dienstag: Hamburg und Altona, Mittwoch: Ost-Hannover und Weser-Ems, Donnerstag: Süd-Hannover, Freitag: Schleswig-Holstein und Lübeck. Fischtage in Niedersachsen und der Nordmark, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 11.10.1933, S. 451; StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 61 f., Vermerk, Oldenburg, den 17. Oktober 1933. 445  Fischtage in Niedersachsen und der Nordmark, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 11.10.1933, S. 451. 446  Verschiebung der Fischtage in Niedersachsen und der Nordmark, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 25.10.1933, S. 480; Fischtage in Niedersachsen und der Nordmark, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.11.1933, S. 511. Die Industrie- und Handelskammer Oldenburg hatte schon am 5.10.1933 empfohlen, mit den Fischtagen bis November zu warten, um sicherzustellen, dass es ein ausreichendes Angebot zu günstigen Preisen gäbe: StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 57 f., Oldenburgische Industrie- und Handelskammer für die Landesteile Oldenburg und Lübeck an den Minister des Inneren, Oldenburg, Betr.: Einführung von Fischtagen, 5.10.1933. 447  Fischtage in Niedersachsen und der Nordmark, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 22.11.1933, S. 511. 448  Morgen 3. Hamburger Fischtag, in: Hamburger Anzeiger, Nr. 218, 18.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 449  Morgen Fischtag!, in: Hamburger Anzeiger, 27.11.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. Sehr ähnlich und offensichtlich

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D. Grenzen des Meeres

Schon vorher sah man in Hamburg die Notwendigkeit, die Werbung für den Fischtag zu intensivieren, und daher veranstaltete der Fischhandel am 24. September 1933 einen großen Werbeumzug mit fast 200 geschmückten Wagen, Spielmannszug, Lautsprecheranlagen, einem fünf Meter langen Fischmodell auf Rädern usw.450 Die Presse meldete erwartungsgemäß einen großen Erfolg: Das Publikum zählte der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ zufolge „Hunderttausende.“451 Das „Hamburger Tageblatt“ versicherte (scherzhaft), dass am kommenden Dienstag, dem nächsten Fischtag, „selbst die Goldfische in den Teichen und Tierhandlungen werden daran glauben müssen, nur den Backfischen wird gnädigst Pardon gewährt, denn diese haben ein besseres Los verdient.“452 Eine betriebswirtschaftlich nahe liegende, der Intention der Veranstalter jedoch zuwiderlaufende Folge der erhöhten Nachfrage an den Fischtagen waren Preiserhöhungen. Der Hamburger Senat, der das Problem früh erkannt hatte, ließ noch vor dem ersten Fischtag verlautbaren, er habe Vorsorge getroffen, „dass mit dem plötzlichen Mehrbedarf an Seefischen keine Preissteigerung, weder im Großhandel, noch im Kleinverkauf, erfolgt.“453 Mitte September wurde der Senat etwas deutlicher und ließ wissen, er kenne Mittel und Wege, „um bei ungerechtfertigten Preissteigerungen die Sache selbst in die Hand zu nehmen und für niedrige Preise zu sorgen. Er würde sich notfalls auch nicht scheuen, selbst als Fischhändler aufzutreten.“454 Zu derartigen interventionistischen Maßnahmen kam es nicht, aber es scheint auch nicht gelungen zu sein, Preiserhöhungen am Fischtag vollständig zu verhindern. Jedenfalls schrieb Hamburgs Regierender Bürgermeister Carl Vincent Krogmann Ende September an den Oldenburger Ministerpräsidenauf der gleichen Vorlage beruhend: Warum heute wieder Fischtag? Ein Mahnwort an die Hamburger Hausfrau, in: Hamburger Nachrichten, Nr. 555, 28.11.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 450  Werbeumzug der Hamburgischen Fischhändler, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.9.1933, S. 440 f.; Fische ziehen durch Hamburgs Straßen, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 230, 23.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337; Fische rollen durch die Straßen, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 232, 25.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 451  Werbeumzug der Hamburgischen Fischhändler, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.9.1933, S. 440 f. 452  Fische rollen durch die Straßen, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 232, 25.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. Die Aufschrift auf einem der Festwagen lautete: „Hest Du mool ’n Koter, /  Und fallt Di nix in, /  Denn hol Di man Hering, /  Denn is ’d nich so slimm“, ebd. 453  Reichsfischtag geplant. Ein Vorschlag Hamburgs, in: Vossische Zeitung, Nr. 418, 1.9.1933, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 454  Hamburg-Altonaer Fischtage, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.9.1933, S. 412–414, hier S. 413.



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ten Georg Joel: „Leider hat sich gezeigt, dass ein Teil der an der Fischwirtschaft beteiligten [Betriebe], insbesondere die ‚Nordsee‘ Deutsche Hochseefischerei Bremen-Cuxhaven AG die allgemeine volkswirtschaftliche Seite weniger beachtet, als das eigene Interesse. Es waren am Dienstag voriger Woche erhebliche Preissteigerungen zu verzeichnen, die inzwischen durch Ankündigung drakonischer Maßnahmen wieder beseitigt sind.“455 Ob die Nordsee AG tatsächlich als einziges Unternehmen oder im besonderen Maße auf den Fischtag mit Preiserhöhungen reagiert hat, ist zweifelhaft. Sicherlich spielte bei diesem Vorwurf auch der schlechte Ruf eine Rolle, den die Nordsee als einziges Großunternehmen der Fischwirtschaft angesichts der stark von Mittelstandspolitik geprägten Atmosphäre dieser Zeit besaß (s. u.). Verantwortlich für das vorläufige Ende der Fischtage waren allerdings nicht die Preiserhöhungen des Fischhandels oder die Kampagnenmüdigkeit der Hausfrauen. Vielmehr scheint es der Widerstand der Landwirtschaft gewesen zu sein, die sich früh gegen das Projekt zu Wort meldete. Im Land Oldenburg sprach sich die Landwirtschaftskammer bereits am 12. Oktober 1933 gegenüber dem Innenministerium gegen Fischtage aus.456 Wenig später erfuhr die staatliche Pressestelle in Hamburg von der Redaktion des „Hamburger Fremdenblattes“, dass das Reichsernährungsministerium die Presse gebeten habe, „künftig nicht mehr soviel Reklame für einen Reichsfischtag zu machen, da sonst alle möglichen Erzeuger kommen und die Einführung von bestimmten Reichsernährungstagen fordern könnten.“457 An dieser Stelle wird überdies die offenbar vollkommen fehlende Koordination zwischen Berlin und der Küste in dieser Angelegenheit deutlich. Als ein Artikel in der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ im Januar 1935 das vergangene Jahr Revue passieren ließ, stellte der Autor mit Bedauern fest, dass es 1934 nicht gelungen war, einen allgemeinen Fischtag zu etablieren trotz der viel versprechenden Propagierung von Fischtagen in Nordwestdeutschland 1933 / 34:458 „Dieser unumgänglich notwendigen Werbetätigkeit stand die Ansicht gewisser landwirtschaftlicher Kreise wie auch des Schlachtergewerbes wenig freundlich gegenüber,“459 fasste der Rückblick die Gründe für Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 54 f., Der Regierende Bürgermeister an den Herrn Ministerpräsidenten Joel, Oldenburg, 25.9.1933. 456  StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 60, Oldenburgische Landwirtschaftskammer an den Minister des Inneren, Oldenburg, Betrifft: Einführung von Fischtagen, 12.10.1933. 457  StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337, Haper, Hamburger Fremdenblatt an staatliche Pressestelle Hamburg, 23.10.1933. 458  Seefischmarkt A.G., Das Hochseefischereigewerbe im Jahre 1934, in: Deutsche-Fischerei-Rundschau, 9.1.1935, S. 8–10. 459  Ebd., S. 10. 455  StAO

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D. Grenzen des Meeres

das Scheitern zusammen. Lediglich in Hamburg bestand der Fischtag auch in den folgenden Jahren fort.460 Da die Fischtage 1933 / 34 nur unter dem Gesichtspunkt der Hilfe für die Fischerei standen, geriet die Veranstaltung zwangsläufig in Konflikt mit den Interessen der Landwirtschaft, die zu dieser Zeit mit dem gleichen Recht für sich beanspruchen konnte, in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage zu stehen und die aber letztlich als der deutschlandweit erheblich größerer Erwerbszweig politisch am längeren Hebel saß. Zu dieser Zeit und in diesem wirtschaftlichen Umfeld fehlte der Fischwirtschaft noch als Argument das Alleinstellungsmerkmal, dass sie anders als die Landwirtschaft in einer Mangelsituation unbegrenzt steigerbar und ohne Devisenaufwand Nahrungsmittel produzieren könne. Dies änderte sich einige Jahre später. Die Idee des Fischtages als Mittel zur Absatzsteigerung und -verstetigung, die es in ähnlicher Form zumindest auch in der Türkei gegeben zu haben scheint,461 war nach dem Scheitern 1934 jedoch nicht tot. Anfang 1936 wurden, diesmal unter der gemeinsamen Ägide des Reichsnährstandes – also nicht gegen die Bauern – und der Hauptvereinigung der Deutschen Fischwirtschaft erneut Fischtage eingeführt und zwar nun reichsweit aber nur für die Monate März und April, in denen man mit Massenfängen rechnete, deren Absatz zu sichern war.462 Wieder lag dem Fischtag das Prinzip zugrunde, dass jede Region einen Wochentag zugewiesen bekam und da der Reichsnährstand beteiligt war, richtete man sich bei der Einteilung nach den Landesbauernschaften.463 460  Vgl.: Ein Jahr Hamburger Fischtag, in: Hamburger Tageblatt, Nr.  243, 3.9.1934, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337; Ein Jahr Hamburger Fischtag, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.9.1934, S. 445; Mehr Regelmäßigkeit im Fischabsatz, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr.  255a, 15.9.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 461  Zwei Fischtage wöchentlich in der Türkei, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 26.12.1937, S. 825. Hier sollte per Regierungsverordnung ein höherer Konsum einer Art Thunfisch („Torik“) erreicht werden, der von der türkischen Fischerei in großen Mengen gefangen, von der Bevölkerung jedoch wenig nachgefragt wurde. 462  Zusätzliche Fischtage im ganzen Reich, in: Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, 46 (1935 / 36), S. 248; Förderung des Seefischabsatzes durch Fischtage, in: Deutsche Handels-Rundschau 29 (1936), S. 179 f.; Verstärkte Propaganda für den Seefisch, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.2.1936, S. 76 f.; Der „zusätzliche“ Fischtag, in: Zeitschrift für Volksernährung, 11 (1936), S. 80; Deutschland-Berichte, 3 (1936), S. 321. 463  Montag: Baden, Württemberg, Bayern, Schlesien; Dienstag: Westfalen, Rheinland, Sachsen-Anhalt; Mitwwoch: Kurhessen, Hessen-Nassau, Kurmark einschließlich Berlin; Donnerstag: Hannover, Sachsen, Thüringen; Freitag: Oldenburg, Schleswig-Holstein; Samstag: Pfalz-Saar, Braunschweig. Zusätzliche Fischtage im ganzen Reich, in: Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, 46 (1935 / 36), S. 248; Förderung des Seefischabsatzes durch Fischtage, in: Deutsche Handels-Rundschau 29



III. Der Ausbau der Hochseefischerei225

Die zeitgenössische Berichterstattung legte großen Wert darauf, dass es sich um einen zusätzlichen, zweiten Fischtag handelte neben dem traditionellen Freitag.464 Dennoch wurde der Freitag erstaunlicherweise zwei Regionen als Fischtag zugewiesen, allerdings handelt es sich hierbei um überwiegend protestantische Regionen, in denen der Fischverzehr am Freitag vermutlich weniger verbreitet war als bei den Katholiken. Die Reaktion der Bevölkerung auf diese neue Kampagne zur Verbrauchslenkung entsprach offenbar auch diesmal nicht ganz den Erwartungen der Initiatoren. Die „Zeitschrift für Volksernährung“ schrieb noch – aber eventuell doppeldeutig – der Fischtag habe „überall dort Zustimmung und freudige Aufnahme gefunden, wo man die volkswirtschaftliche Bedeutung der restlosen Aufnahme der reichlichen Seefischfänge und den Nährwert des Seefisches für die menschliche Ernährung erkennt.“465 Eine Dissertation von 1939 sprach dagegen davon, dass angesichts der Vorteile der Fischnahrung „der Einführung des zweiten Fischtages in der Woche weniger Widerstände entgegengesetzt werden sollten“,466 was auf eine geringe Popularität dieses Tages schließen lässt. Dennoch lancierte August Dierks im September 1937 erneut die Idee eines reichsweiten Fischtages.467 f) Preise und Marktordnung Alle bisher genannten Wege, den Fischverbrauch zu erhöhen, liefen darauf hinaus, dass Staat und Wirtschaft in irgendeiner Weise an den Verbraucher appellierten, Fisch gegenüber anderen Lebensmitteln vorzuziehen. Jenseits aller Appelle hinsichtlich Arbeitsbeschaffung oder „Nahrungsfreiheit“ spielte der Preis bei der Entscheidung der Hausfrau für oder gegen ein bestimmtes Produkt eine Rolle. Preise waren allerdings im Verlauf der NSZeit in zunehmendem Maße nicht das Ergebnis von Marktgeschehen sondern von politischen Setzungen. Als Teil des staatlichen Dirigismus diente die Preispolitik damit indirekt der Aufrüstung und letztlich dem Ziel der Gewinnung von Lebensraum. (1936), S. 179 f.; Verstärkte Propaganda für den Seefisch, in: Deutsche FischereiRundschau, 19.2.1936, S. 76 f. 464  Der „zusätzliche“ Fischtag, in: Zeitschrift für Volksernährung, 11 (1936), S. 80; Förderung des Seefischabsatzes durch Fischtage, in: Deutsche Handels-Rundschau, 29 (1936), S. 179 f. 465  Der „zusätzliche“ Fischtag, in: Zeitschrift für Volksernährung, 11 (1936), S. 80. 466  Ilchmann, Wiedererringung, S. 45, s. a. S. 110. 467  Mehr Regelmäßigkeit im Fischabsatz, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 255a, 15.9.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337.

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D. Grenzen des Meeres

160 140 120 100 Fischverbrauch

80

Arbeitseinkommen Großhandelspreis für Seefisch

60 40 20 0

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

Quelle: Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 28. Diagramm 11: Fischverbrauch, Arbeitseinkommen und Großhandelspreise für Seefisch (1928 = 100), 1928–1936

Bei einer freien Preisbildung hätten der Ressourcenbedarf der Rüstung, die Geldschöpfung zu deren Finanzierung und die Warenverknappung als Folge der Autarkiebestrebungen zu einer inflationären Entwicklung führen müssen. Allerdings verlangte der 1933 verkündete Lohnstopp, der über die Drosselung der privaten Kaufkraft und damit der Konsumgüterindustrie Produktionsfaktoren für die Rüstung frei machen sollte, eine weitgehende Preisstabilität, wenn das Regime die Loyalität breiter Schichten nicht verlieren wollte. Das System hatte somit eine Situation geschaffen, die zwingend nach einer staatlichen Regulierung der Preise verlangte. Jedoch bildete sich ein klares, auf die Verhinderung oder Minimierung jeder Preissteigerung zielendes Konzept erst ab 1936 heraus, nachdem der Vierjahresplan verkündet und der Reichskommissars für die Preisbildung ernannt worden war. Vorher zeigte sich die Preispolitik weniger abgestimmt und teils widersprüchlich, da gegensätzliche Interessen gegeneinander arbeiteten: Auf der einen Seite standen das Reichsernährungsministerium und der Reichnährstand, die sich im Interesse der Landwirte für die Hebung der Lebensmittelpreise einsetzten, und auf der anderen die Treuhänder der Ar-



III. Der Ausbau der Hochseefischerei227

250

200

150 Fisch Rindfleisch

100

Schweinefleisch

50

0

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

Quelle: Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 586 f. Diagramm 12: Einzelhandelspreise in Pf. / kg, 1930–1938

beit, die den Lohnstopp und dessen Auswirkungen auf die Beschäftigten im Auge hatten.468 Hans Mosolff von der Vierjahresplanbehörde wies 1938 auf den Zusammenhang von Arbeitseinkommen, den Preisen für Seefisch und dem Fischverbrauch hin:469 Bis 1934 entwickelten sich die Arbeitskommen und die Großhandelspreise für Seefisch (die Mosolff nicht zur Verfügung stehenden Einzelhandelspreise vermutlich ebenfalls) weitgehend parallel. Nach 1934 jedoch öffnete sich die Schere, die Arbeitseinkommen stiegen weiter, während die Seefischpreise zunächst sogar leicht sanken, und genau zu diesem Zeitpunkt begann der Fischverbrauch steil anzusteigen. Der Anstieg des deutschen Fischverbrauchs scheint somit nicht zuletzt ein Ergebnis der Preispolitik gewesen zu sein. 468  André Steiner, Umrisse einer Geschichte der Verbraucherpreispolitik unter dem Nationalsozialismus der Vorkriegszeit, in: Werner Abelshauser / Jan-Otmar Hesse / Werner Plumpe (Hrsg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. FS für Dietmar Petzina zum 65. Geburtstag, Essen 2005, S. 279–303. 469  Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 28.

228

D. Grenzen des Meeres

50 45 40 35 30

Produktion in 1000 t 1936

25

Preis Pfennig/kg 1936

20

Produktion in 1000 t 1937

15

Preis Pfennig/kg 1937

10 5

Ja

nu Fe ar br ua r M är z A pr il M ai Ju ni Ju l A i ug Se us t pt em be O kt r ob N ov er em D ber ez em be r

0

Quelle: Stolle, Neue Marktordnung, S. 29. Diagramm 13: Produktion und Preise der Dampfhochseefischerei 1936 und 1937 (ohne Hering)

Auch der Vergleich der Einzelhandelspreise von Fisch und Fleisch zeigt, dass die Nahrung aus dem Meer unter finanziellen Gesichtspunkten für den Verbraucher an Attraktivität gewann. Ebenso wie bei landwirtschaftlichen Produkten ab 1933 eine Marktordnung mit der Tendenz zu Festpreisen für die meisten Lebensmittel eingeführt wurde,470 bemühte sich auch die Fischwirtschaft, Festpreise einzuführen. Beim Fisch waren allerdings bisher Angebot und Preis starken Schwankungen ausgesetzt. Die Produktion war am Höchsten in der Zeit von Januar bis März, während im Sommer schon dadurch eine Verknappung im Frischfischangebot eintrat, dass ein Teil der Fischdampfer im Trawlheringsfang eingesetzt war. Da im Sommer sehr wenig Fisch nachgefragt wurde (s. o.), wurden zusätzlich Fischdampfer für diese Zeit stillgelegt und dennoch gingen Teile des Fangs als unverkäuflich in die Fischmehlproduktion. Erst ab September stieg die Nachfrage wieder, ohne dass es Anlandungen in der entsprechenden Menge gab, und die Preise zogen an. 470  Steiner,

Umrisse, S. 282 f.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei229

Diese Darstellung ist insofern vereinfacht, da das Angebot an den verschiedenen Fischsorten jeweils ebenfalls saisonalen Schwankungen unterlag. Dies schuf auch Schwierigkeiten für die Verbrauchslenkung, wenn zum Verbrauch einer bestimmten Art aufgerufen wurde und die regionalen Instanzen jedoch aus Zeitmangel und Unkenntnis die Werbemaßnahmen so lange verzögerten, bis der beworbene Fisch nicht mehr in großen Mengen auf dem Markt war und eine erhöhte Nachfrage nun volkswirtschaftlich unerwünscht war.471 Die Marktordnung zielte darauf ab, diese jahreszeitlichen Schwankungen, zu denen witterungsbedingte noch kurzfristig hinzutreten konnten, zu unterbinden, um Produktion und Verbrauch gleichermaßen zu steigern. Für die Fischerei sollte damit der Anreiz geschaffen werden, ganzjährig alle Fischdampfer einzusetzen.472 Ebenso waren stabile Preise notwendig, damit der gewünschten möglichst gleichmäßig hohen Produktion auch ein entsprechender Verbrauch gegenübersteht. Man ging davon aus, dass die Hausfrauen Produkte scheuten, deren Preis sie nicht im voraus einplanen können und dass sie bei ungewöhnlich niedrigen Preisen der Qualität misstrauten, zumal schwankende Preise zur Spekulation einlüden und damit tatsächlich zu Qualitätsminderungen führen könnten, die der Verbraucher bei Fisch schnell verallgemeinere.473 Die besondere Schwierigkeit bei der Ware Fisch lag neben der stark saison- und wetterabhängigen Produktion darin, dass eine Vorratswirtschaft zum Ausgleich dieser Schwankungen geeignete Konservierungsmöglichkeiten erforderte. Daher war das Thema Marktordnung eng verknüpft mit der Einführung der Tiefkühlwirtschaft [siehe Kap. D. III. 1. f)].474 Obwohl die Tiefkühlung bis Kriegsbeginn noch nicht flächendeckend eingeführt wurde, etablierte man doch eine Marktordnung, die schrittweise ein System von Festpreisen einführte. Während in der – im nationalsozialistischen Sprachgebrauch – „liberalistischen Zeit“ vor 1933 Angebot und Nachfrage den Preis regulierten, wurde dieser nun vom Vorsitzenden der Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft „autoritär festgelegt“ und sei somit jeder „privatwirtschaftlichen eigennützigen Beeinflussung“ ent­zogen.475 471  Hanns Keune, Fischwerbung ahoi!, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 21.3.1937, S. 165–167. Keune nennt als Beispiel einen Aufruf, im August und September Kurse für die Zubereitung von Grünen Heringen (frischen ungesalzenen Heringen) durchzuführen. Einige Gaue hätten diese Kurse aus Zeitmangel bis Dezember aufgeschoben und somit in einer Zeit für den Verzehr dieser Sorte geworben, als es kaum noch ein Angebot an Grünen Heringen gab. 472  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1941), S. 154 f. 473  Lücke, Der Seefisch, S. 73 f. 474  Stolle, Neue Marktordnung, S. 9; Mosolff, Die deutsche Fischwirtschaft, S. 24; Großer Ausbau der Fischwirtschaft ist geplant, in: Hamburger Fremdenblatt, 18.10.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7343.

230

D. Grenzen des Meeres

Die Erzeugerpreise entwickelten sich ab 1935 in drei Stufen hin zu einer stärkeren Reglementierung:476 Für die wichtigsten Konsumfische (Hering, Kabeljau, Seelachs und Rotbarsch), die den Löwenanteil der Fänge der Dampfhochseefischerei ausmachten, galten ab 1935 Höchst- und Mindestpreise bei den Auktionen in den Fischereihäfen. Zugleich wurde ein Ausgleichsstock eingeführt, der sich aus Abgaben aus den Auktionen speiste und mit dem die Fischmehlproduktion subventioniert wurde. Ziel war es, im Sommer trotz geringer Nachfrage nach Fisch die Fischerei in unvermindertem Maße weiter zu betreiben, um verstärkt Fischmehl als Futtermittel zu produzieren und um die saisonal bedingte Stilllegung von Fischdampfern zu verhindern. Da es weiterhin Preisschwankungen gab, die als zu hoch empfunden wurden, beendete man im Juni 1938 das seit fast genau 50 Jahren bestehende System der Fischauktionen. Von nun an erhielten die bisher zur Auktion zugelassenen Firmen aus Großhandel und Fischindustrie die Ware zu einem Festpreis zugeteilt, wobei die Zuteilung nach einem Schlüssel erfolgte, der auf den Umsätzen des vorangegangenen Quartals beruhte. Die Festpreise waren allerdings nicht vollkommen starr sondern nach Jahreszeit gestaffelt und nach Art und Qualität differenziert. Eine neue Anordnung der Hauptvereinigung vom 28. März 1939 ließ auch noch die jahreszeitliche Staffelung der Festpreise wegfallen. Auktionen (mit Höchstpreisen) gab es lediglich noch für den größenmäßig beschränkten Markt der besonders frischen Nordsee-Ware und der Feinfische (z. B. Seezunge), also ein Segment das vor allem von den Kuttern der Kleinen Hochseefischerei und der Küstenfischerei bedient wurde und nicht von den Fischdampfern. Für den Weiterverkauf durch den Großhandel und den Einzelhandel gab es eine ähnlich starke Reglementierung mit Höchst- und Mindestaufschlägen sowie später Festpreisen, die allerdings noch nicht für den Einzelhandel galten. 475

g) Fleischknappheit Allerdings ließ nicht nur der zunehmend stabile und im Vergleich zum Fleisch günstige Preis die Verbraucher verstärkt zu Fisch greifen; Fleisch war häufig einfach nicht in ausreichender Menge am Markt verfügbar, wie nicht nur aus den oppositionellen Sopade-Berichten immer wieder hervorgeht.477 Auch innerhalb des Regimes selbst gestand man die Schwierigkeiten offen ein: In einem 1942 erschienenen Buch schrieb Herbert Backe rückblickend 475  Stahmer,

Fischhandel und Fischindustrie, S. XVIf. im Folgenden: Stolle, Neue Marktordnung, S. 31–35, 54 f.; Keune /  Ziegelmayer, Handbuch Gemeinschaftsverpflegung, S. 43 f. 477  s. beispielsweise: Deutschland-Berichte, 3 (1936), S. 326, 689; DeutschlandBerichte, 4 (1937), S. 1426; Deutschland-Berichte, 5 (1938), S. 1227; DeutschlandBerichte, 6 (1939), S. 627 f. 476  Siehe



III. Der Ausbau der Hochseefischerei231

auf die Jahre 1938 und 1939 von „zeitweisen Verknappungen“ bei der Versorgung mit Fleisch, Fett und Eiern.478 Wilhelm Ziegelmayer schrieb 1941 über die seiner Ansicht nach in den letzten Jahren überwundenen Absatzschwierigkeiten bei Seefisch: „Auch die zeitweise Knappheit anderer Lebensmittel hat die Ausbreitung der Fischnahrung entschieden begünstigt.“479 Aber auch bereits in den späten 1930er Jahren wurde der Fleischmangel im Zusammenhang mit Fisch als dem sich anbietenden Ersatz offen thematisiert. Schon Hermann Göring sprach 1936 in einer Rede im Sportpalast unumwunden davon, dass Fisch künftig bei Fleischknappheit als Ersatz zu dienen habe.480 August Dierks als Vertreter der Fischereiwirtschaft berührte diesen Punkt bereits Anfang des Jahres 1936 und vertrat dabei allerdings zugleich die Position seiner Branche, dass Fisch kein Ersatz für Fleisch, sondern ebenfalls vollwertiges Fleisch sei: „Die deutsche Hochseefischerei hat heute die Aufgabe, das, was an Fleisch von Warmblütern fehlt, durch Fleisch von Seefischen zu ersetzen. Fleischlose Tage braucht es nicht zu geben. Wohl aber kann man Tage einführen, an denen es anstelle von Fleisch von Warmblütern nur Fleisch von Fischen gibt.“481 Im September 1939 vermittelte die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ die gleiche Botschaft in einem (fiktiven) Dialog zwischen einer Hausfrau und einem Fischhändler auf dem Wochenmarkt: Die Hausfrau ist verzweifelt darüber, dass sie bei ihrem Fleischer seit Wochen schon kein Rind- oder Schweinefleisch mehr bekommen kann, worauf der Fischhändler ihr erklärt, dass es ja nicht immer Schwein oder Rind sein müsse, da Fisch mindestens ebenso gut sei: „Das sollten alle wissen, die unwirsch den Fleischerladen verlassen und von Lebensmittelknappheit reden. Die gibt es nicht – und wird es nie geben.“482 Neben Fisch boten sich auch die eiweißreichen Erzeugnisse aus entrahmter Milch, die als Nebenprodukt der Buttererzeugung reichlich vorhanden war, als Fleischersatz an. In der „Molkerei-Zeitung“ erschien 1936 unter Berufung auf den Vierjahresplan folgender Liedtext (zur Melodie von „Horch, was kommt von draußen rein“), der offensiv den zeitweiligen Mangel an Fleisch eingestand, aber Quark als adäquaten Ersatz empfahl: „Hochverehrtes Publikum, Publikum, Publikum, meckre nicht am Essen rum, nicht am Essen rum, wenn es etwas mal nicht gibt, mal nicht gibt, mal nicht gibt, was dein Magen so sehr liebt, Magen so sehr liebt! 478  Backe,

Um die Nahrungsfreiheit, S. 19. Rohstoff-Fragen (1941), S. 154; s. a.: Reagin, Sweeping the German Nation, S. 156; Heidbrink, Creating a Demand, S. 143. 480  Göring, Rede, S. 32. 481  Dierks, Die deutsche Hochseefischerei im Jahre 1935, S. 5. 482  Wenn Rind- und Schweinefleisch knapp sind, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.9.1936, S. 440. 479  Ziegelmayer,

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D. Grenzen des Meeres

Kauf dir Quarg [sic!] statt Fleisch vom Schwein, Fleisch vom Schwein, Fleisch vom Schwein, er macht stark und mundet fein, stark und mundet fein!“483

Auch wenn die Vertreter der Fischwirtschaft Fisch gerne als eigenständiges, hochwertiges Lebensmittel bewarben, kam Fisch für den Verbraucher vielfach die Bedeutung eines Fleischersatzes zu, so dass der Anstieg des Fischverbrauches auch schlicht das Ergebnis einer Fleischknappheit war. h) Die Gemeinschaftsverpflegung „Die Gemeinschaftsverpflegung nimmt im deutschen Volk seit der Machtübernahme Adolf Hitlers einen breiten Raum ein. […] Wenn die Verwertung bestimmter Verbrauchsgüter z. B. von Fischen nur schwerlich in den breitesten Volksschichten sich durchsetzen kann und manche technische Schwierigkeiten dem entgegenstehen, so kann hier die deutsche Großküche aber ganz anders einspringen;“ schrieb die Leitung der Ausstellung „Die deutsche Großküche“ im September 1937 zutreffend über die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung für die Verbrauchslenkung.484 Die Gemeinschaftsverpflegung gewann in dieser Zeit zunehmende Bedeutung. Dies lag nicht nur am rasanten Aufbau der Wehrmacht sondern auch an dem Lager als spezifischer Lebensform des Nationalsozialismus: Neben den Straf-, Konzentrations- und Vernichtungslagern für die zu Feinden des Regimes erklärten Menschen, gab es auch vielfältige Lager als Erziehungseinrichtung des Nationalsozialismus, denen sich kaum ein „Volksgenosse“ entziehen konnte. Dort sollte jenseits von bürgerlicher Privatheit, in einheitlichen Uniformen, mit dem kameradschaftlichen „Du“, ohne erkennbare Standesunterschiede und in Unterordnung unter dem Lagerführer die Volksgemeinschaft erlebbar gemacht werden.485 483  Betriebsfeier der Württ. Milchverwertung AG, in: Molkerei-Zeitung, 23.12. 1936, S. 3171. Das Lied wurde auf der Betriebsfeier von einem Männerchor dargeboten und in der Zeitung „seiner Originalität wegen“ abgedruckt und weil es „im Sinne der im Rahmen des Vierjahresplans eingeleiteten Verbrauchslenkung abgefasst wurde“. 484  Die Deutsche Großküche, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.9.1937, S.  395 f. 485  Jürgen Schiedeck  / Martin Stahlmann, Die Inszenierung „totalen Erlebens“. Lagererziehung im Nationalsozialismus, in: Hans-Uwe Otto / Heinz Sünker (Hrsg.), Politische Formierung und soziale Erziehung im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1991, S. 167–202. Angefangen mit HJ und BDM gab es „Vorbereitungslager für angehende Studenten“, „Berufsschulungslager“, „Ernteeinsatzlager“, „Reichslager für Beamte“, „Referendarlager für Juristen“ usw., so dass praktisch jede Sparte der Bevölkerung mit dieser speziellen Lebensform erfasst wurde.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei233

Gemeinsam war allen Formen der Gemeinschaftsunterbringung u. a., dass der Einzelne nicht selbst über seine Verpflegung entscheiden konnte. Hinzu kamen überdies die unverändert bestehenden Großküchen in Betrieben, Behörden, Krankenhäusern usw. Die Gemeinschaftsverpflegung widersprach zwar dem Ideal der Mahlzeit im Kreise der Kernfamilie, bot jedoch der staatlichen Rationierung und Verbrauchslenkung – nicht nur in Bezug auf Fisch – in der Tat weit bessere Möglichkeiten, Zutaten und Dosierung der Portionen genau zu kontrollieren, als dies bei der Nahrungszubereitung im Privathaushalt der Fall war.486 Der Fischwirtschaft kam bereits früh der Gedanke, Fisch auch gezielt dort abzusetzen, wo die Endverbraucher zu essen hatten, was ihnen aufgetischt wurde. Schon der erste Hamburger Fischauktionator trat in den 1880er Jahren an Militär, Bergwerke, Krankenhäuser und Gefängnisse heran, um den regelmäßigen Fischabsatz zu erhöhen.487 Neu war in der nationalsozialistischen Zeit lediglich, dass der Bereich der Gemeinschaftsverpflegung deutlich expandierte. Der Reichsseefischausschuss erkannte die Entwicklung schnell: Nachdem der Ausschuss im Juli 1933 in einem Schreiben an die Innenministerien sämtlicher Länder gebeten hatte, bei der Verpflegung der Polizei Fisch stärker zu berücksichtigen,488 richtete er im August ebenfalls an die Innenministerien ein Schreiben mit der Aufforderung, „auch in den Konzentrationslagern für die Hauptmahlzeit regelmässig warme Fischgerichte […] und für die Abendmahlzeit Räucherfische, Fischmarinaden und andere Fischzubereitungen“ auszugeben.489 Den Großküchen wurde für die Seefischpropaganda große Bedeutung zugemessen, weshalb deren Personal zur Zielgruppe der Seefischlehrküchen zählte (s. o.). Zwei – inhaltlich weitgehend identische – Handbücher für Fisch in der „Gemeinschaftsverpflegung“ und in der „Truppenküche“ erschienen mit dem einflussreichen Ernährungswissenschaftler Wilhelm Zie486  Berghoff, Methoden der Verbrauchslenkung, S. 296; Gunther Hirschfelder, Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute, Frankfurt a. M. 2001, S. 230 f. 487  Bröhan, 50 Jahre, S. 9 f.; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. XXV. 488  StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 33–34, Reichs-Seefischausschuß an die sämtlichen Ministerien des Inneren, 21.7.1933. 489  StAO Best. 136, Nr. 3963a, Bl. 35–36, Reichs-Seefischausschuß an die sämtlichen Ministerien des Inneren, 16.8.1933. „Bei Verwendung von frischen Seefischen (auch Fischfilet) und Fischkonserven wird es stets möglich sein, innerhalb des verhältnismässig niedrigen Verpflegungssatzes den Insassen der Konzentrationslager reichliche Mahlzeiten vorzusetzen. Abgesehen davon bietet die Fischkost auch eine willkommene Abwechselung im Küchenzettel“; ebd. Fisch in den „Arbeits- und Konzentrationslagern“ wird auch erwähnt in: Das Problem der Massenspeisung mit Seefischen. Kochkurse bei Reichswehr und Schutzpolizei, in: Deutsche FischereiRundschau, 13.9.1933, S. 417.

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D. Grenzen des Meeres

gelmayer als Koautor.490 Die Fischwirtschaft vergaß auch die Universitäten nicht, und somit wurde in deren Mensen reichsweit am 3. Februar 1937 der erste „Fischtag der deutschen Studenten“ begangen.491 Besonders das Militär trug das Seine zur Steigerung des Fischverbrauchs bei und führte ab 1936 dauerhaft zwei Fischtage in der Woche ein.492 Angeblich kamen die Soldaten 1938 auf einen jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 24,5 kg, womit sie die Gesamtbevölkerung um etwas mehr als 10 kg übertrafen und die Vorgabe des Vierjahresplanes von 20 kg Fisch pro Kopf übererfüllten.493 Vor 1933, so „Die Deutsche Fischwirtschaft“, seien beim Absatz von Fisch über die Großküchen von Militär, Polizei und Justiz nur magere Erfolge erzielt worden, danach jedoch sei der Bedarf „[a]llein schon durch die ständig steigende Zahl der Wehrmachtsangehörigen und des Arbeitsdienstes“ gewaltig gestiegen und die „regelmäßige Verabreichung der Seefischkost durchgedrückt“ worden.494 Abschließend kommt der Autor zu dem Urteil, dass hierin „mit in erster Linie der Grund für die Zunahme des Seefischabsatzes zu suchen“ sei.495 Die Einschätzung dieses Artikels, dass der gestiegene Fischverbrauch in der NS-Zeit in sehr hohem Maße nur auf dem quasi unfreiwilligen Konsum in Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst beruhte, ist, auch wenn es sich nicht genau quantifizieren lässt, durchaus plausibel. Sie enthält aber auch indirekt ein vernichtendes Urteil über die Wirksamkeit der mit hohem Aufwand an den privaten Haushalt gerichteten Maßnahmen der Verbrauchslenkung. Ob mit dem Absatz großer Mengen Fisch über die Gemeinschaftsverpflegung allerdings ein langfristiger, werbender Effekt zugunsten des Fischverzehrs erreicht wurde, ist eine andere Frage, denn die Zufriedenheit des Verbrauchers mit Qualität und Geschmack der von Großküchen zubereiteten Speisen dürfte ein überzeitliches Problem sein. In dieser Beziehung bestand 490  Vgl. Hannes A. Keune  / Wilhelm Ziegelmayer, Handbuch über Fische und Fischwaren für die Truppenküche, Berlin 1938; dies., Handbuch Gemeinschaftsverpflegung. 491  Vom Fischtag der Studenten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.2.1937, S. 67; Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 373. Zu den zusätzlichen Anreizen gehörte ein Preisausschreiben für die beste Werbeparole, wobei als Hauptgewinn eine Reise mit einem Fischdampfer nach Island winkte. 492  Deutschland-Berichte, 3 (1936), S. 321; Umfassende Fischwerbung im Vierjahresplan setzt ein, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 11.4.1937, S. 205–207, hier S. 206; Großküchen als Bahnbrecher für höheren Fischverbrauch. Bei Marine wöchentlich zwei Mittags-Mahlzeiten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.4.1939, S. 140–142. 493  24,5 Kilogramm jährlicher Fischverbrauch des deutschen Soldaten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 7.9.1938, S. 416 f. 494  Fisch in der Truppenküche, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 6.2.1938, S. 84 f. 495  Ebd.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei235

bei den Akteuren in der Fischwirtschaft der 1930er Jahre durchaus ein Problembewusstsein: „Wenn der junge Mann zum Heere eingezogen wird, hat er meist sehr wenig, oft noch keinen Fisch gegessen. Gibt es nun beim Heere Fisch und ist dieser schlecht zubereitet, so wird aus diesem Deutschen ein Fisch-Gegner. […] Der junge Mann kommt zurück zu seiner Familie oder gründet selbst eine Familie und wird dann die Geschichte vom schlechten Fisch, den er bekommen hat, über das ganze Land verbreiten.“496 Bei Beendigung der Dienstzeit sollte der Soldat also nicht „Gott danken, dass er nun, da er sich nach seinem eigenen Geschmack verpflegen kann, keinen Seefisch mehr zu essen braucht, sondern er muß sich schon während seiner Dienstzeit so an den Seefisch gewöhnt haben, dass er nun auch zu Hause Seefischgerichte verlangt.“497 Das „Handbuch über Fische und Fischwaren für die Truppenküche“ enthielt daher als einen von acht Leitsätzen die Mahnung an das Küchenpersonal, dem Soldaten im Interesse einer nachhaltigen Fischwerbung zu beweisen, wie gut Seefisch schmecken kann.498 i) Das Winterhilfswerk Einen weiteren Weg, Fisch der zurückhaltenden Reaktion des Verbrauchers zum Trotz abzusetzen, bot das 1933 gegründete Winterhilfswerk des Deutschen Volkes. Das Winterhilfswerk (WHW) verteilte seit dem Winter 1933 / 34 Lebensmittel, Kleidung und Brennstoffe an Bedürftige und entwickelte sich in den folgenden Jahren als eine Stiftung bürgerlichen Rechts unter der Führung Joseph Goebbels zu einer Massenorganisation beträcht­ licher Größe. Mit ihren – offiziell immer freiwilligen, faktisch aber schwer zu umgehenden – Geld- und Sachspendensammlungen gehörte sie zu den bekanntesten Phänomenen im Alltag der NS-Zeit.499 Die Verteilung von Fisch an Hilfsbedürftige über das Winterhilfswerk konnte an zugleich werbende und karitative Aktionen wie das Berliner Seefischessen zu Weihnachten 1932 (s. o.) und an die Einbeziehung von Seefisch bei der Abgabe verbilligter Lebensmittel durch die Reichsregierung im Winter 1932 / 33 anknüpfen.500 Die Fischwirtschaft 1935 sah den Zweck der Verteilung von Fisch über das Winterhilfswerk erstens in der Hilfe für Not leidende „Volksgenossen“, zweitens in der Arbeitsbeschaffung für die Fi496  Keune,

Fischwerbung ahoi, S. 167. in der Truppenküche, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 6.2.1938, S. 84 f. 498  Keune / Ziegelmayer, Handbuch Truppenküche, S. 106. 499  Herwart Vorländer, NS-Volkswohlfahrt und Winterhilfswerk des deutschen Volkes, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 34 (1984), 3, S. 341–380. 500  Seefischbezugsscheine der Winterhilfe, in: Fische und Fischwaren, Januar 1933, S.  11 f. 497  Fisch

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D. Grenzen des Meeres

scherei und drittens in der Absatzwerbung.501 Durch die kostenlose Verteilung hoffte man, „alte und unberechtigte Vorurteile gegen den Seefischgenuß zu überwinden“ und die Hilfsbedürftigen „zu ständigen Fischessern [zu] erziehen“.502 Die Verteilung von Fisch über das WHW dürfte ebenso wie die Militärverpflegung nicht unerheblich zu dem gestiegenen Pro-KopfVerbrauch beigetragen haben.503 Aufgrund einer Abmachung zwischen dem Reichsbeauftragten für das Winterhilfswerk und der Hauptvereinigung der Deutschen Fischwirtschaft wurden ab 1934 / 35 10 % der Anlandungen von November bis März dem WHW zu verbilligten Preisen überlassen.504 Dies betraf aber nur die in großen Mengen angelandeten Konsumfische wie Kabeljau, Schellfisch, Seelachs und Rotbarsch und hierbei nur solche Ware, die sonst auf dem Fischmarkt unverkauft liegen geblieben wäre. Der Zeitraum November bis März kam zudem der Fischwirtschaft entgegen, da zu dieser Zeit des Jahres die Fangmengen groß und die Preise niedrig waren (s. Grafik oben). Zur Verteilung kam insbesondere Fischfilet, also kochfertige Portionen ohne Haut, Kopf, Flossen und Gräten; zu dieser Zeit in Deutschland ein relativ neues Produkt (s. u.), das in der Zubereitung weniger Kenntnisse erforderte als der lediglich ausgenommene, ansonsten vollständige Fisch. Für einen geringen, eher symbolischen Preis erhielten die Hilfsbedürftigen Päckchen von etwa zwei Pfund in Pergamentpapier, denen Rezepte beilagen, damit die Empfänger in küstenfernen Teilen Deutschlands wussten, was sie mit der unvertrauten Gabe anfangen sollten.505 501  Die Belieferung des Winterhilfswerkes 1934 / 35 mit frischen Seefischen vom Fischmarkt Wesermünde-Bremerhaven, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 1.5.1935, S. 195–197, hier S. 197. 502  Seefischmarkt AG, Das Hochseefischereigewerbe Wesermündes 1935, S. 6; Stimmen aus dem Binnenlande zu den Fischlieferungen des WHW, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 25.12.1935, S. 601 f. 503  „An der Erhöhung des Seefischverbrauchs war vor allem auch das Winterhilfswerk beteiligt“; Stoye, Geschlossene deutsche Volkswirtschaft, S. 102. 504  Stolle, Neue Marktordnung, S. 58; Die Belieferung des Winterhilfswerkes 1934  /  35 mit frischen Seefischen vom Fischmarkt Wesermünde-Bremerhaven, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 1.5.1935, S. 195–197; Altonaer Fischmarkt beliefert vier Gaue, in: Norddeutsche Nachrichten, 21.2.1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I– IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337. 505  Die Belieferung des Winterhilfswerkes 1934 / 35 mit frischen Seefischen vom Fischmarkt Wesermünde-Bremerhaven, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 1.5.1935, S. 195–197, hier S. 196; Die Belieferung des Winterhilfswerkes des Deutschen Volkes 1935 / 36 mit frischen Seefischen von Wesermünde aus, in: Deutsche FischereiRundschau, 13.5.1936, S. 215–217; Altonaer Fischmarkt beliefert vier Gaue, in: Norddeutsche Nachrichten, 21.2.1938, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7337.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei237

„Bei den binnenländischen Empfängern wurde dieser Segen des Meeres überall dankbar begrüßt“, so dass viele Dankschreiben – gerade aus Südund Südostdeutschland – beim Winterhilfswerk eingegangen seien, las man 1939 in der Fachpresse.506 Den Deutschland-Berichten der Sopade zufolge waren die Fische jedoch häufig schon schlecht und konnten nur mit Mühe vor dem völligen Verderben noch einer Nutzung zugeführt werden.507 Aber auch bei der Verwaltung der Fischmärkte Altona und Hamburg ging 1936 ein Schreiben eines Fischhändlers ein, der von Missständen bei Verteilung von Fisch durch das Winterhilfswerk in Schlesien berichtete: Beklagt wurde, dass die dortigen Fischhändler auf ihrer Ware sitzen blieben, „weil die vom WHW betreuten Volksgenossen mit dem Fisch gerade überschüttet wurden.“508 Eine „derartige Übersättigung“, so das Schreiben weiter, sei gerade keine Werbung für den Fischverbrauch, zumal häufig nicht über die Zubereitung informiert worden sei.509 Einige der Empfänger hätten daher „entweder den Fisch verschenkt, oder ihn in die Bäche geworfen und auf die Felder verstreut, ja, mir ist sogar berichtet worden, dass ganze Pakete Fischfilet in Abortgruben gefunden worden sind.“510 Die für die Belieferung des WHWs in Schlesien zuständige Marktverwaltung von Altona und Hamburg sandte daraufhin den Fischereidirektor Becker nach Schlesien, der in dem Bericht über seine Reise allerdings dieses düstere Bild nicht bestätigen wollte und einen durchaus positiven Eindruck von der Reaktion der Empfänger sowie der Organisation der Verteilung gewonnen hatte.511 Eine gewisse Überversorgung – einige Orte erhielten dreimal in 14 Tagen Fischlieferungen – stellte jedoch auch Becker fest. Die harsche Kritik in dem Schreiben des Fischhändlers mag auch darin motiviert gewesen sein, dass die Händler vor Ort in der Verteilung durch das WHW weniger eine Werbung für Fisch als eine Konkurrenz sahen.512

506  WHW wirbt für Fischverzehr, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.4.1939, S. 150. 507  Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 51. 508  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 14, Fischereidirektor Becker, Bericht über eine Informationsreise nach OberSchlesien vom 15. bis 19. März 1936, Bl. 2–4, hier Bl. 2. 509  Ebd. 510  Ebd., Bl. 3. 511  Ebd., Bl. 3 f. 512  Vgl.: Die Belieferung des Winterhilfswerkes 1934 / 35 mit frischen Seefischen vom Fischmarkt Wesermünde-Bremerhaven, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 1.5.1935, S. 195–197, hier S. 197.

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D. Grenzen des Meeres

j) Neue Produkte Das Bestreben, die Bedeutung des Meeres als Nahrungs- und Rohstoffquelle für die deutsche Volkswirtschaft zu erhöhen, führte auch zu einer Reihe von neuen Produkten. Sie dienten als Ersatz für andere, nun knappe Güter und sollten helfen, Fisch in veränderter, teilweise nicht mehr erkennbarer Form auf dem Markt abzusetzen. Hierbei kann man unterscheiden zwischen neuen Darreichungs- und Zubereitungsformen, Produkten, die in Aussehen und Geschmack nicht mehr an Fisch erinnern, einem indirekten Beitrag von Fisch zur Ernährung durch die Verwendung als Futtermittel und schließlich Rohstoffen aus Fisch für den Nicht-Lebensmittelbereich. Auch in diesem Fall gab es Vorläufer: Bereits in der Weimarer Republik stellte die Weiterentwicklung der Konservenindustrie und die Ausweitung ihrer Produktpalette auch eine Reaktion auf die Absatzprobleme dar.513 Das heute noch unter den Bezeichnungen „Seelachs in Öl“ oder „Lachsersatz in Öl“ erhältliche Produkt entstand beispielsweise nach dem Ersten Weltkrieg, da Betriebe, die vor 1914 amerikanischen Pökellachs verarbeitet hatten, aufgrund des Krieges und der folgenden wirtschaftlichen Lage Deutschlands diesen Rohstoff nicht mehr importieren konnten. Statt dessen entwickelten sie ein Ersatzprodukt, indem sie den von der Hochseefischerei in großen Mengen angelandeten, aber wenig nachgefragten Fisch namens Köhler aufgriffen, der mit Lachs keineswegs näher verwandt ist, aber nun den attraktiven Handelsnamen Seelachs erhielt. Geräuchert, rot gefärbt und in Öl eingelegt entstand ein überraschend erfolgreiches Produkt, das sich bis heute am Markt gehalten hat.514 aa) Fischfilet Eine weitere Innovation, die sich gehalten hat und heute den Markt für Frischfisch ganz eindeutig dominiert, ist das Filet, das bereits im Zusammenhang mit der Tiefkühlwirtschaft und dem Winterhilfswerk angesprochen wurde. Fischfilet war in Großbritannien bereits um 1931 die gängige Form, 513  Heidbrink,

Creating a Demand, S. 140. Fischhandel und Fischindustrie, S. 391; Heidbrink, Creating a Demand, S. 140. Zumindest ein Hersteller von gesalzenen Lachskonserven in Kalifornien exportierte vor dem Ersten Weltkrieg 90 % seiner Produktion nach Deutschland; McEvoy, The Fisherman’s Problem, S. 139. „Lachsersatz in Öl“ ist vielleicht das einzige, heute allgemein erhältliche Produkt, das noch die für das Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jh.s so typische Bezeichnung „Ersatz-“ trägt. Zur weiteren Geschichte der Fischerei gehört auch, dass dieses Produkt inzwischen aus AlaskaSeelachs hergestellt wird, da der Seelachs aus dem Nordost-Atlantik zu teuer geworden ist. 514  Stahmer,



III. Der Ausbau der Hochseefischerei239

in der Frischfisch (also nicht gesalzener, geräucherter oder eingelegter Fisch) vom Einzelhandel verkauft wurde.515 In Deutschland begann die industrielle Produktion von Fischfilet 1926 unter der Bezeichnung „Tütenfisch“. Der Grundgedanke war auch hier, dass die geringe Vertrautheit der meisten Hausfrauen mit der Zubereitung von ganzen Fischen ein wesentliches Hindernis bei der Ausweitung des Seefischkonsums sei. Zudem würden viele Haushalte nicht über hinreichend scharfe Küchenmesser verfügen, und die Fischabfälle (Kopf, Haut und Gräten) seien gerade in der Großstadt nur schwer geruchsneutral zu entsorgen. Die Herrichtung des Fisches durch den Händler sei aber vielerorts unüblich oder unmöglich. Ein Fischfilet ist dagegen ein gebrauchsfertiges Stück reines Fischfleisch. Im Frühjahr 1926 begannen daher zwei eng verbundene Firmen, die Filetfisch GmbH als Produktions- und die Tütenfisch AG als Vertriebsgesellschaft, Herstellung und Verkauf von Filets aus Kabeljau, Leng, Rotbarsch u. ä., die in Portionen von etwa einem Pfund einzeln in wasserdichtes Pergamentpapier gewickelt wurden. Die Anregung zu diesen Unternehmungen kam von der Firma Nordischer Maschinenbau Rudolf Baader aus Lübeck, die zuvor bereits für die Herstellung von Klipp- und Stockfisch Maschinen zum Köpfen und Enthäuten von Fischen geliefert hatte und auch für die Filetproduktion die nötigen Anlagen entwickelt hatte.516 Durchzusetzen begann sich das Filet in Deutschland hingegen erst in den 1930er Jahren. Experten wie Ahlf und Ziegelmayer sahen gerade im Kontext der Autarkiewirtschaft eine Reihe von Vorteilen: Das Filet war, da Haut und Gräten bereits entfernt sind, deutlich bequemer zuzubereiten und eignete sich daher besonders für die Erschließung neuer Verbraucherkreise. Es ließ sich besser einfrieren als ganze Fische, weshalb die im Aufbau befindliche Tiefkühlwirtschaft vom Filet ausging, und die bei der Filetierung anfallenden Abfälle (Haut, Kopf etc.) konnten industriell genutzt werden (s. u.), während sie bei der Zubereitung ganzer Fische im Haushalt in der Regel im Abfall landeten.517 515  Loftas,

Bratfischhandel, S. 8, 12. Wege im Fischhandel, in: Mitteilungen des Deutschen SeefischereiVereins, 42 (1926), 5, S. 132–134; Gründung der Fisch-Filet, GmbH, und der Tütenfisch, AG, in: Die Fischwirtschaft, 2 (1926), 4, S. 76. Mehrere solche Filets in Pergamentpapier wurden in eine Blechdose verpackt. Für den Versand kam die Blechdose in eine Versandkiste und der Zwischenraum zwischen Dose und Kistenwand wurde mit Eis gefüllt. Man hoffte, dass dieser „Tütenfisch“ auch von Geschäften, die bisher keinen Fisch verkauft hatten, vertrieben werden würde, da keine speziellen Ladeneinrichtungen benötigt würden und kein Fischgeruch zu befürchten sei. 517  Ahlf, Neue Wege, S. 142; Keune / Ziegelmayer, Handbuch Gemeinschaftsverpflegung, S. 36; Heidbrink, Creating a Demand, S. 141. 516  Neue

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D. Grenzen des Meeres

bb) Fischwurst Weitere neue Produkte, die zu dieser Zeit zumindest vorgeschlagen wurden, waren „Fischklöße“ und „Fischpuddings“,518 aber die relativ größte Bedeutung kam der Fischwurst zu, einem Produkt, dem die Herkunft aus Fisch bereits nicht mehr anzumerken war. Wurstähnliche Zubereitungen aus Fisch gab es gelegentlich bereits vor 1914 und im Ersten Weltkrieg erschienen sie als unpopuläres Ersatzprodukt.519 Die Idee tauchte erneut in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre auf, als die Fischwurst angesichts der Fleischknappheit zumindest der Lebensmittelindustrie als Ausweichlösung attraktiv schien. Zugleich werden am Fall der Fischwurst aber auch die Grenzen der „Ersatz“-Produkte im Nahrungsbereich deutlich. Im Dezember 1936 berichtete ein Artikel über Versuche des Instituts für Seefischerei in Wesermünde, eine Wurst aus reinem Fisch her­ zustellen, denen die Geschäftsgruppe Ernährung der Vierjahresplanbehörde größtes Interesse entgegengebracht habe.520 Solche Versuche wurden auch von privater Seite nicht nur mit Fisch als ausschließlichem Rohstoff verschiedentlich betrieben. Im März des folgenden Jahres sah sich ein Autor schon veranlasst, Mischungen von Fisch mit (Warmblüter-)Fleisch oder Milcheiweiß zu kritisieren, die damit beworben würden, dass kein Fischgeschmack mehr vorhanden sei: Wenn die Wurst wirklich gut, haltbar und billig sei, werde sie auch mit dem spezifischen Fischgeschmack Kunden finden, während es bei einer Fischwurst, die nicht von einem Fleischprodukt zu unterscheiden ist, nahe liegend sei, an „Irreführung des Verbrauchers“ zu denken.521 Aus Mischungen hergestellte und / oder nicht eindeutig deklarierte Fischwürste erschienen aber im Laufe des Jahres offenbar verstärkt auf dem Markt, so dass sich das Reichs- und Preußische Innenministerium veranlasst sah, im September 1937 einen Runderlass zu veröffentlichen.522 Bei dem Gegenstand des Erlasses handelte es sich „um Bockwürste, Bratwürste oder 518  Ziegelmayer,

Rohstoff-Fragen (1936), S. 106 f. Fischwurst, in: Allgemeine Fischerei-Zeitung, 4.7.1894, S.  251; Fischwurst, in: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, Bd. 6, 15. Aufl., Leipzig 1930, S. 279; Sarrazin, War, S. 146; Teuteberg, Hochseefischerei, S. 151. 520  Fischwurst aus Fischfleisch, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Dezember 1936, S. 2473. 521  Fischwurst – aber nur, wenn sie wirklich gut, haltbar und billig ist, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 14.3.1937, S. 159 f. 522  Abgedruckt in: Untersuchung von aus Fischfleisch hergestellten Würsten und Wurstwaren in den Veterinäruntersuchungsanstalten, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 6.10.1937, S. 447 f. 519  Dg.,



III. Der Ausbau der Hochseefischerei241

um Bratklopse, Gulaschfleisch und ähnliches in Dosen, ausnahmsweise auch um lose Wurstwaren, ja sogar um hackfleischähnliche Zubereitungen. Daneben kommen auch vereinzelt leberwurst- und blutwurstähnliche Fischwürste in den Handel.“ Diese Produkte, so der Erlass weiter, waren z. T. nicht einwandfrei bezeichnet, „die ausschließliche oder teilweise Verarbeitung von Fischfleisch wird dagegen nur unklar, kaum erkennbar oder gar nicht erwähnt“, so dass diese Erzeugnisse vielfach als „verfälscht, nachgemacht oder irreführend“ im Sinne des Lebensmittelgesetzes anzusehen waren. Zudem bestände bei zerkleinertem Fischfleisch eine erhöhte Gefahr des Verderbs. Wenig später folgte eine Entscheidung des Innenministeriums und des Reichsgesundheitsamtes über einen konkreten Einzelfall, in der die Be­ hörden festlegten, dass die Bezeichnungen „Neptun-Bratwurst“ und „Neptun-Bockwurst“ für Fischerzeugnisse in Därmen unzulässig seien, da sie die Herkunft des Produktes nicht erkennen ließen, woran auch der Hinweis auf Fisch im Kleingedruckten des Etikettes nichts ändere.523 Die Bezeichnung „Neptun-Fisch-Bratwurst“ sei dagegen zulässig, so die Entscheidung. Angesichts der Fleischknappheit konnten derartige Rückschläge und Bedenken jedoch die Attraktivität der Fischwurst – zumindest für die Hersteller – nicht schmälern. Im Januar 1938 erschien ein euphorischer Artikel unter der Überschrift „Fischwurst – der große Artikel der Zukunft“ über die Arbeiten einer nicht namentlich genannten aber angeblich international renommierten Braunschweiger Fleischfabrik auf diesem Gebiet. Die Fabrik hatte verschiedene Produkte entwickelt wie „Würstchen“, „Geräucherte Leberwurst“, „Dampfwurst nach Münchener Art“, „Jagdwurst“ usw., die alle neben Fisch 10–50 % Rinder- oder Schweinefleisch, Blut (auch um die „Blutüberschüsse der Schlachthöfe“ zu verwerten), Fettflocken oder Leberwurstmasse enthielten.524 Betont wurde in dem Artikel die Kostenersparnis durch diese Rezepturen, da die Würste ungefähr ein Drittel billiger als konventionelle Erzeugnisse sein sollten. Der Fabrikant plante – wohl in Reaktion auf die vorangegangenen Entscheidungen – ausdrücklich, den Fischgeschmack nicht zu kaschieren und das Produkt klar als Fischerzeugnis zu kennzeichnen. Der Artikel schloss mit der damals häufiger zu lesenden Beteuerung, bei der Fischwurst „handelt es sich eben um ein neues, billiges und gutes Volks­ nahrungsmittel, nicht um einen ‚Ersatz‘ im schlechten Sinne.“525 523  Kennzeichnung von Fischwurst, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 21.11.1937, S. 741; Kennzeichnung von Fischwurst, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.11. 1937, S. 583. 524  Fischwurst – der große Artikel der Zukunft, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 26.1.1938, S.  86 f. 525  Ebd., S. 27. Offenbar gestützt auf die gleiche Vorlage berichtete auch eine sozialdemokratische Exilzeitung über dieses neue Produkt der deutschen ErsatzWirtschaft: Fischwurst, in: Neuer Vorwärts, Nr. 239, 17.1.1938, S. 4.

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D. Grenzen des Meeres

Obwohl diese Pläne in idealer Weise die Interessen des Wurstfabrikanten, der Fischerei und der Autarkiepolitik zu vereinen schienen, machte nur wenige Monate später die Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft einen Strich durch die Rechnung. Mit ihrer Richtlinie vom 24. März 1938 über „die Herstellung, Beschaffenheit und Kennzeichnung von Würsten oder wurstähnlichen Erzeugnissen aus Fischfleisch und Fleisch von Schalen- und Krustentieren (Kaltblüterfleisch)“ verbot die Hauptvereinigung jegliche Mischung mit Warmblüterfleisch oder -blut und erlaubte lediglich den Zusatz von maximal 5 % Speck oder Fett.526 Zudem legte die Richtlinie fest, dass die Wörter „Fisch“, „Krabben“ oder „Muschel“ Bestandteil der Bezeichnung des Produktes sein müssen.527 In den Grenzen dieses von der Richtlinie gesetzten Rahmens wurde die Idee weiterverfolgt. Zumindest eine Hamburger Fischkonservenfabrik – also keine eigentliche Wurstfabrik wie das Braunschweiger Unternehmen – nahm die Produktion auf,528 und der Fachpresse zufolge traf die Fischwurst auf eine rege Nachfrage.529 Neben der Fischwurst gab es zumindest auch eine Krabbenwurst, die u. a. vom Winterhilfswerk verteilt wurde. Den Rohstoff bildeten die auch Krabben oder Granat genannten Nordseegarnelen. Der Gedanke hinter diesem Produkt war in erster Linie die Hilfe für die Krabbenfischerei. Den SopadeBerichten zufolge nahm man in Süddeutschland, wo kaum jemand das Ausgangsmaterial gekannt haben dürfte, die Ankündigung der Krabbenwurst mit Verwunderung und Humor auf.530 Eine Fischwurst und ähnliche Produkte wurden zu dieser Zeit auch in Norwegen entwickelt.531 Fisch besaß in dem skandinavischen Land jedoch traditionell einen viel höheren Stellenwert als in Deutschland, so dass es sich nicht um ein Ersatz-Produkt gehandelt haben dürfte. Der Brite George Orwell kannte die Fischwurst dagegen nur aus der Zeitung, und sie galt ihm als Inbegriff der deutschen Ersatz-Wirtschaft, aber auch als Kennzeichen einer Moderne, in der nichts ist, was es zu sein scheint.532 526  Verlautbarungen der Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft. Richt­ linien für die Herstellung, Beschaffenheit und Kennzeichnung von Würsten oder wurstähnlichen Erzeugnissen aus Fischfleisch und Fleisch von Schalen- und Krustentieren (Kaltblüterfleisch), in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 20.4.1938, S. 184 f. 527  Ebd. 528  Stolle, Neue Marktordnung, S. 10. 529  Fischbratwurst setzt sich durch, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.3.1939, S. 103. 530  WHW verteilt Krabbenwurst – Eine Neuerung auf dem Lebensmittelmarkt, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.11.1937, S. 583; Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 1743. 531  Norwegische Heringswurst, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 23.3.1938, S. 138 f.; vgl. ebenfalls mit Bezug auf Norwegen: Fischmakkaroni, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.1.1934, S. 11.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei243

Das Beispiel der Fischwurst macht die Grenzen der durch das Autarkiestreben motivierten Nahrungsmittelinnovationen deutlich. Obwohl volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Gründe dafür sprachen, klassische Wurstarten ohne ausreichende Deklaration mit einer Fischbeimischung zu strecken, behaupteten sich hergebrachte lebensmittelrechtliche Vorstellungen und führten zu dem Verbot derartiger Erzeugnisse.533 Einen parallelen Fall bildete insofern später im Krieg die mit aus Schimmelpilzen ­gewonnenem Eiweiß hergestellte „Biosyn-Vegetabil-Wurst“, die von Vete­ rinärämtern als gesundheitsschädlich eingeschätzt und aus dem Verkehr gezogen wurde, obwohl diese Entwicklung unter dem Gesichtspunkt der Fleischeinsparung vielversprechend war.534 532

cc) „Wiking-Eiweiß“ Noch einen klaren Schritt weiter als mit der Fischwurst ging man mit dem „Wiking-Eiweiß“ genannten Eiweiß-Präparat aus Fisch. Dieses kam als reines, konzentriertes Eiweiß in der Lebensmittelherstellung an der Stelle von Hühnereiweiß zum Einsatz, so dass die Herkunft der Substanz für den Verbraucher nicht zu erkennen war und das Endprodukt in keiner Weise an Fisch erinnerte. Die Idee hinter der Entwicklung des „Wiking-Eiweißes“ war wie in den meisten hier angesprochenen Projekten eine zweifache: Einmal sollte der Hochseefischerei eine Verwertung von am Markt nicht abzusetzenden Fischen ermöglicht werden, und zum anderen ging es um die Einsparung von Hühnereiern bzw. Eiprodukten. Indem Großverbraucher wie das Bäckereigewerbe auf Fischeiweiß umgestellt werden sollten, hoffte man, Eier für den Verbrauch in Privathaushalten freizumachen und den Devisen beanspruchenden Import von Eiprodukten zu verringern.535 Hauptlieferant von Ei532  „I remembered a bit I’d read in the paper somewhere about these food-factories in Germany where everything’s made out of something else. Ersatz, they call it. I remembered reading that they were making sausages out of fish, and fish, no doubt, out of something different“; George Orwell, Coming up for Air (The Complete Works of George Orwell, Vol. 7), London 1986, S. 24 [zuerst 1939]; s. a.: Pelzer / Reith, Margarine, S. 85. 533  Inwieweit solchermaßen gestreckte Wurstprodukte dennoch illegal in den Handel kamen, lässt sich nicht sagen. 534  Reith, „Hurrah die Butter ist alle!“, S. 422–426. In Konzentrationslagern wurde dieses – tatsächlich gesundheitsschädliche – Erzeugnis jedoch weiter verabreicht. 535  Hiltner, Das Meer als Rohstoffgebiet, S. 9; ders., Ein wichtiges deutsches Forschungsergebnis: Trocken-Eiweiß aus Seefischen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.1.1936, S. 1–3; Janssen, Segen des Meeres, S. 195; Ziegelmayer, RohstoffFragen (1941), S. 160.

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produkten in den 1930er Jahren war China, von wo Deutschland jährlich 100.000 Doppelzentner Eiprodukte bezogen habe.536 Als Ausgangsmaterial für das „Wiking-Eiweiß“ diente angeblich ausschließlich Fischfilet und nicht Abfallmaterial wie Kopf, Schwanz und Gräten, die wie bisher in die Fischmehlgewinnung gingen.537 Die Verwendungsmöglichkeiten für das „Wiking-Eiweiß“ sowohl für die Lebensmittelherstellung als auch im technischen Bereich waren vielfältig: An erster Stelle stand das Bäckerei- und Konditoreigewerbe, wo Vollei, Eigelb und Eiweiß zu ersetzen waren. Hier sollte sich durch die Verwendung von Fischeiweiß auch eine Einsparmöglichkeit für Fett ergeben. Ebenfalls an die Stelle von Eigelb und Fett sollte der neue Rohstoff bei der Herstellung von Mayonnaisen, Teigwaren und Soßen treten sowie in der pharmazeutischen Industrie. Als Emulgator und Bindemittel bot es sich für Margarine, Wurst, Speiseeis usw. an. Im technischen Bereich dachte man an die Herstellung von Albuminpapieren, Kunstseide, Seidenpapier, photochemischen Erzeugnissen, Kunstharzstoffen, Schaumlöschmittel und Lacken sowie an die Verwendung in der Lederindustrie.538 Eine immer wieder hervorgehobene Eigenschaft des „Wiking-Eiweißes“ war, dass es in keiner Weise nach Fisch schmeckte oder roch; „[…] eine Voraussetzung, die für die Ausnützbarkeit der Fabrikate außerhalb der fischverzehrenden Konsumentenschaft wesentlich ist“, wie Peter Paul Hiltner, der Erfinder und Geschäftsführer der Herstellerfirma selbst betonte.539 Der Name „Wiking-Eiweiß“ sei daher auch „lediglich gewählt worden, um das Wort Fischeiweiß zu vermeiden.“540 Während die Behörden im Fall der Fischwurst auf eine eindeutige Kennzeichnung bestanden, entschied das Innenministerium 1937 „im Hinblick auf die derzeitige Versorgungslage“, dass zwar das reine Fischeiweiß, das die Großverbraucher einkauften, als solches gekennzeichnet werden müsse, dass aber Lebensmittel, die mit Fisch- statt Hühnereiweiß zubereitet wurden, keiner Kennzeichnung be­ dürften.541 536  Hiltner, Das Meer als Rohstoffgebiet, S. 8 f. Für diesen Import wurden angeblich Devisen im Wert von 10 Mill. RM benötigt. 537  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 558. 538  Hiltner, Das Meer als Rohstoffgebiet, S. 8 f.; Von den Nahrungsmittelmärkten, in: Deutsche Margarine-Zeitschrift, 27 (1938), 3, S. 33; Stolle, Neue Marktordnung, S. 11; Janssen, Segen des Meeres, S. 195; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1941), S.  160 f. 539  Hiltner, Ein wichtiges deutsches Forschungsergebnis, S. 3. 540  Janssen, Segen des Meeres, S. 195. 541  Deutsches Reich. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern, betr. Fischeiweiß. Vom 6. Juli 1937 – IV B 2980 / 37 / 4216. (Ministerialbl. d.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei245

Dennoch machten zumindest der Hersteller und die Fischwirtschaft den Versuch, das neue Eiweiß bewusst als einen neuartigen Rohstoff aus Fisch dem Verbraucher näher zu bringen. Auf der 1939 gezeigten Hamburger Fischerei- und Walfangausstellung „Segen des Meeres“ gab es eine „Sonderschau des neuen deutschen Rohstoffes ‚Wiking-Eiweiß‘ “. Hier konnte man in einer „Feinkost-Abteilung“ die Herstellung von Mayonnaisen und Remouladen mit „Wiking-Eiweiß“ betrachten und im „Wiking-KonzertKaffee mit Terrasse“ Kuchen und Torten („[w]ahre Meisterwerke der süßen Kunst“) genießen, die auch „den schärfsten Kritiker und den verwöhn­ testen Gaumen“ von der universellen Verwendungsfähigkeit des neuen Fischeiweißes überzeugen sollten.542 Ein anlässlich der Ausstellung erschienener Zeitungsbericht trug den Untertitel: „Ein Kabeljau wandelt sich zur Sandtorte“.543 Entwickelt hatten das „Wiking-Eiweiß“ Herbert Metzner und Peter Paul Hiltner544 1935 in Hamburg. Dort hatte auch die Deutsche Eiweiß-Gesellschaft mbH ihren Sitz, als deren Geschäftsführer Hiltner und Johannes Arnold Wilhelm Krüß zeichneten.545 Für die Produktion des „Wiking-Eiweißes“ gründete die Gesellschaft Anfang 1936 eine Niederlassung in Wesermünde, aber Verwaltung, Versand, Versuchskonditorei und Kundenschulung waren im „Wiking-Haus“ im Hamburger Kontorviertel angesiedelt.546 Für die Herstellung im großen Maßstab errichtete das Unternehmen Anlagen im RahReichs- u. Pr. Min. d. Inn. Sp. 1140.), in: Reichs-Gesundheitsblatt, 12 (1937), S. 552; Fischeiweiß nicht kennzeichnungspflichtig, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 11.8.1937, S. 354. 542  Hamburgische Ausstellungs-Gesellschaft mbH, Segen des Meeres, S. 82–84; siehe auch: Segen des Meeres. Die 1. Deutsche Fischerei- und Walfangausstellung in Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 3.5.1939, S. 238–250, hier S. 249. 543  Besuch im Wiking-Haus. Ein Kabeljau wandelt sich zur Sandtorte, in: Hamburger Anzeiger, Nr. 159, 11.7.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346. 544  Der Hamburger Kaufmann Hiltner hatte zuvor 1933 eine Arbeitsgemeinschaft von Garnelenfischern, Garnelentrocknungsbetrieben, Großhandel und Geflügelfutterherstellern gegründet, um die bisherigen Schwankungen bei Produktion, Absatz und Preisen zu reduzieren. Die Arbeitsgemeinschaft lief unter dem Namen „Deutsche Kontrollgesellschaft der an der Krabbenfischerei interessierten Wirtschaftsgruppen G.m.b.H.“ (Deuko); Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 552 f. 545  Handelsgerichtliche Eintragungen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.1. 1936, S. 16; Hiltner, Ein wichtiges deutsches Forschungsergebnis, S. 1; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 558. 546  Handelsgerichtliche Eintragungen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 8.1. 1936, S. 16; Besuch im Wiking-Haus. Ein Kabeljau wandelt sich zur Sandtorte, in: Hamburger Anzeiger, Nr. 159, 11.7.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346. Der Schriftzug „Wiking-Haus“ befindet sich heute noch an dem Kontorgebäude (Adresse: Schopenstehl 22).

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men des geplanten neuen Hamburger Fischereihafens bei Finkenwerder, die 1939 kurz vor der Fertigstellung standen.547 Die Produktion des „Wiking-Eiweißes“ begann bereits 1936. Den publizierten Angaben zufolge lief die Produktion in den ersten Jahren langsam an und steigerte sich dann beträchtlich: Nachdem 1936 und 1937 zusammen lediglich 31.148 kg hergestellt worden seien, habe die Produktion im ersten und zweiten Quartal 1938 bereits jeweils 52.438 kg und 69.463 kg betragen.548 Stahmer nannte 1943 eine jährliche Vorkriegsproduktion von 500.000 kg, die im Krieg noch habe gesteigert werden können.549 Wenn man zugrunde legt, dass für ein kg Eiweiß 22 kg Fischfleisch benötigt wurden,550 entspricht die Menge von 500 t Eiweiß 11.000 t Fischfleisch, was bei einer jährlichen Anlandung (1938) von über 700.000 t (Anlandungsgewicht, nicht reines Fischfleisch) zumindest keine unrealistische Größenordnung ist. In Fachzeitschriften für das Bäckereigewerbe finden sich Werbeanzeigen für das „Wiking-Eiweiß“ von 1937 bis zumindest 1944 und erneut 1948,551 so dass davon auszugehen ist, dass dieses Erzeugnis längerfristig in größerem Stil erfolgreich produziert wurde. Dem Ersatz von Hühnereiweiß im Konditorgewerbe und in der Süßwarenindustrie dienten neben dem „Wiking-Eiweiß“ auch die Milcheiweißprodukte „Albugen“ und „Milei“.552 Hier stand ebenfalls der Gedanke im Vordergrund, Importe durch eine bisher nicht voll ausgenutzte heimische Ressource zu ersetzen, denn den Rohstoff für das Milcheiweiß bildete Magermilch, die in den Molkereien bei der Buttererzeugung als Nebenprodukt anfiel und deren Verwertung geradezu ein „Restmilchproblem“ bildete.553 Nach dem Krieg wurde in den USA Ende der 1960er Jahre ein ähnliches „Fish Protein Concentrate (FPC)“ bis zur Markteinführung gebracht. Durch das lager- und transportfähige Konzentrat sollte Protein aus der Fischerei zur Ernährung der rasch wachsenden Weltbevölkerung herangezogen wer547  Deutschland und die Neufundlandfischerei, in: Hamburger Anzeiger, Nr. 24, 28.1.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7329 Band 2. 548  Neue Verwertungsmöglichkeiten für Fischeiweiß – Steigende Produktion, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.10.1938, S. 491. 549  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 559. 550  Janssen, Segen des Meeres, S. 195. 551  Vgl. beispielsweise: Ca. 60  % Sahne-Ersparnis durch Wiking-Eiweiss, in: Mehl und Brot, 37 (1937), 1, S. 9; Überall hilft Wiking Eiweiss, in: Mehl und Brot, 44 (1944), S. 15; Wiking Eiweiss. Ein Lichtblick für das Backgewerbe, in: BäckerZeitung für Nord-, West- und Mitteldeutschland, 2 (1948), 49, S. 22. 552  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 156; Pelzer-Reith / Reith, Fischkonsum, S. 8. 553  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 140 ff.; s. a.: Ilchmann, Wiedererringung, S. 28.



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den, aber der Hersteller dachte auch an die Verwendung als Zusatzstoff für Fertignahrung in den Industrieländern. Dies scheiterte jedoch – anders als in der Mangelwirtschaft der NS-Zeit – am Widerstand der Milchlobby.554 Auf dem deutschen Markt erschienen eine Reihe von Eiweißpräparaten bereits in den 1880–90er Jahren als zum Teil stark beworbene Markenartikel, die auf Eiweiß basierten, das sowohl aus pflanzlichen (Überreste der Reisund Weizenstärkeproduktion sowie Leguminosen) als auch aus tierischen Quellen (Fleisch- und Fischabfälle sowie Magermilch) stammte. Die Hersteller bewarben diese Produkte im Kaiserreich als Nahrungsergänzungsmittel zur Krankenernährung sowie – ähnlich wie „Functional Food“ heute – zur allgemeinen Kräftigung, also für eine Optimierung der Ernährung.555 Das nicht an den Endverbraucher gerichtete „Wiking-Eiweiß“ stand lebensmitteltechnisch in der Tradition dieser Produkte, jedoch unterschied sich die Argumentation des Herstellers: Die Werbung für das „Wiking-Eiweiß“ behauptete nur die Gleichwertigkeit zu den bisher verwendeten Eiprodukten und betonte einen autarkiewirtschaftlichen statt eines gesundheitlichen Mehrwert. dd) Fischmehl Einen indirekten Beitrag zur menschlichen Ernährung leistet Fischmehl, das aus unverkäuflichen Fischen und Fischabfällen durch den Entzug von Wasser und Fett hergestellt wird. Fischmehl war in den 1930er Jahren kein gänzliches neues Produkt, aber die deutsche Produktion sollte im Rahmen der Autarkiewirtschaft erheblich ausgebaut werden. Es handelte sich um ein im Vergleich mit dem „Wiking-Eiweiß“ primitives und unreines Fischeiweißkonzentrat, das die Landwirtschaft schon seit etwa 1900 als Futter in der Schweine- und auch Hühnerzucht verwendete, wobei damals schon bekannt war, dass man die Beimischung zum Futter einige Zeit vor dem Schlachten zu verringern hatte, um einen Fischgeschmack des Fleisches zu verhindern.556 554  1970 betrieb das Unternehmen Alpine Marine Protein Industries, Inc. in New Bedford die kommerzielle Herstellung von konzentriertem Fischeiweiß, das sowohl im Einzelhandel für Haushalte als auch für Großverbraucher angeboten wurde. Die Verwendung als Zusatz in industriell hergestellten Lebensmitteln wie Cerealien, Getränken, Süßigkeiten, Saucen usw. wurde von der U.S. Food and Drug Administration untersagt; W. C. Beckmann, „Instant Protein“. A Progress Report on Fish Protein Concentrate, in: Hans Ulrich Roll (Hrsg.), Interocean ’70. Internationaler Kongreß mit Ausstellung für Meeresforschung und Meeresnutzung, Bd. 2: Originalbeiträge, Düsseldorf 1970, S. 7–9. 555  Uwe Spiekermann, Die gescheiterte Neugestaltung der Alltagskost. Nähr- und Eiweißpräparate im späten Kaiserreich, in: Technikgeschichte, 78 (2011), 3, S. 187– 209. 556  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 543–551.

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D. Grenzen des Meeres

Wie Darré in einer Rede zum Jubiläum der Fischmärkte Hamburg und Altona darlegte, bestand ein enger Zusammenhang zur „Erzeugungsschlacht“ der Landwirtschaft, da die gestiegenen Kartoffelernten nur dann erfolgreich in der Schweinemast verwertet werden könnten, wenn auch entsprechende Mengen Fischmehl als Eiweißfutter bereitständen.557 Trotz Deutschlands umfangreicher Fischerei bestand jedoch bei Fischmehl eine erhebliche Importabhängigkeit: Tabelle 8 Einheimische Produktion und Import von Fischmehl in t, 1935–1938 1935

1936

1937

1938

Eigene Erzeugung Einfuhr

 31.829 109.000

 43.111  75.975

 54.690  58.404

 74.789  89.811

Gesamt

140.829

119.086

113.094

164.600

Quelle: Johannes Krüß, Wachsende volkswirtschaftliche Bedeutung der deutschen Fischmehlindustrie, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 3.5.1939, S. 223–226, hier S. 225. (Leicht abweichende Zahlen bei: Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 545.)

Die Ursache für die Importabhängigkeit lag vor allem in den niedrigen Preisen für Fischmehl, weshalb sich eine Fischerei, die sich hauptsächlich auf die Erzeugung dieses Futtermittels richtete, für die deutschen Fischer nicht rentierte.558 Die neue Markt- und Preisordnung (s. o.) sah daher einen Ausgleichsstock vor, der – finanziert durch Abgaben auf die Fischverkäufe – die Fischmehlgewinnung subventionierte.559 Derartig bezuschusst war es möglich, nicht wie bisher einen Teil der Fischdampfer im Sommer aufgrund der mangelnden Nachfrage nach Fisch stillzulegen, sondern die Flotte in diesen Monaten teilweise für die Fischmehlgewinnung arbeiten zu lassen. Auch die wachsende Bedeutung von Fischfilet (s. o.) führte zu einer gesteigerten Fischmehlproduktion, da bei der industriellen Filetierung die Abfälle (Kopf, Haut usw.) zentral anfielen und den Fischmehlfabriken zu557  Die Rede ist wiedergegeben in: Das 50jährige Jubiläum der Fischauktion, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.10.1937, S. 517–522, hier S. 522. 558  Eichelbaum, Ueber die ernährungspolitische Aufgabe, S. 518. 559  Stolle, Neue Marktordnung, S. 33; s. a.: StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Verband der deutschen Hochseefischereien e. V., Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 16.11.1936, S. 4; Eichelbaum, Ueber die ernährungspolitische Aufgabe, S. 518.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei249

geführt werden konnten. In die gleiche Richtung wirkte sich die Einführung der Tiefkühltechnik (s. o.) aus, da hier ebenfalls der Fisch zu Filet verarbeitet wurde. Anfang 1938 stach die Kehdingen als erster Fischdampfer in See, der eigens in Hinblick auf die Fischmehlgewinnung ausgerüstet worden war. Bei der Kehdingen handelte es sich um die alte Volkswohl, den 1929 gebauten, erfolglosen ersten deutschen Fischdampfer mit Tiefkühlanlage [siehe Kap. D. III. 1. f)]. Auf der Kehdingen sollten nur die hochwertigsten Fischarten und die Fänge der letzten Reisetage auf Eis gelagert werden, während der Großteil der Fische und der gesamte Beifang zu Fischmehl verarbeitet wurde. Das Schiff sollte somit einerseits die deutsche Versorgung mit diesem Futtermittel verbessern und andererseits ausschließlich besonders frische und hochqualitative Ware für den menschlichen Verzehr anlanden.560 Ein ähnliches Konzept verfolgte man mit der Neufisch, um die ergiebigen Fischgründe bei Neufundland trotz der der großen Entfernung nutzen zu können [siehe Kap. D. III. 1. b)]. ee) Fischwolle Während die bisher genannten Produkte direkt oder indirekt einen Beitrag zur menschlichen Ernährung leisteten, suchte man daneben auch Wege, Fisch als technischen Rohstoff nutzbar zu machen, bzw. in diesem Bereich der Fischereiwirtschaft Absatzmöglichkeiten zu erschließen. Ein solches Produkt bildete die Fischwolle, eine mit Fischeiweiß veredelte Zellwolle. Die Deutsche Eiweiß-Gesellschaft – der Hersteller des „Wiking-Eiweißes“ – entwickelte ebenfalls eine Faser aus reinem Fischeiweiß, aber größere Bedeutung kam einer Verbindung aus 80 % Zellulose und 20 % Fischeiweiß zu.561 Dabei wurde die Zellwollfaser von „einem Panzer von Fischeiweiß umhüllt“, der ähnlich wie bei natürlichen Fasern Fett aufnehmen kann, so dass die Faser ähnliche Eigenschaften wie Baumwolle oder Schafwolle erhält.562 Da man Zellulose und damit letztlich auch Zellwolle aus Holz ge560  Fischdampfer wird für die Fischmehlerzeugung eingerichtet, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 16.1.1938, S. 40; Fischmehlfabrik an Bord von Fischdampfern, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 26.1.1938, S. 39; Schwimmende Fischmehlfabrik „Kehdingen“ erfolgreich heimgekehrt, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 15.6.1938, S. 278; Ahlf, Neue Wege, S. 142 f. 561  Otto Mecheels, Die mit Fischeiweiß animalisierte Faser, in: Otto Mecheels  /  Peter Paul Hiltner, Das Fischeiweiß in Ernährung und Kleidung (Mitteilungen des Deutschen Forschungsinstituts für Textilindustrie 1939; 5), M.-Gladbach 1939, S. 15–27; Stolle, Neue Marktordnung, S. 11. 562  Erlauschtes um die Fischzellwolle, in: Hamburger Tageblatt, 10.5.1939, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I–IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7346.

250

D. Grenzen des Meeres

wann, nannte ein Ausstellungsführer diesen neuen Rohstoff „im wirklichen Sinne eine Verbindung von deutschem Meer und deutschem Wald“.563 Faserstoffe bildeten neben Fett und Eiweiß die größten Schwachstellen in der deutschen Autarkiepolitik, weshalb die deutsche Industrie die Herstellung der im Vergleich zu Baumwolle oder Wolle allerdings minderwertigen Zellwolle in großem Umfang betrieb.564 Mit Hilfe des Fischeiweißes schien es nun möglich aus der Zellwolle ein der Schafwolle in Dauerhaftigkeit und Wärmehaltung vergleichbares Material zu gewinnen. Auf diese Weise sollte auch auf dem Gebiet der Textilfasern „der Fischsegen des Meeres Rohstoffquelle von bisher nicht entfernt geahnter Bedeutung“ werden.565 Die Produktion der Fischwolle war im Rahmen des Vierjahresplanes vorgesehen, lief aber aufgrund des Kriegsbeginns nicht mehr an.566 1942 berichtete eine im britischen Exil erscheinende deutschsprachige Zeitung von Plänen, ein Werk für Fischwolle in Norwegen zu errichten.567 Dem Bericht zufolge war Fischwolle zu diesem Zeitpunkt vor allem als Verbandsstoff vorgesehen. Inwieweit der Bericht zutrifft und ein solches Werk gebaut wurde, ist unklar. Obgleich die Fischwolle ein charakteristisches Produkt des deutschen Autarkiestrebens darstellte, gab es doch im Ausland ähnliche Entwicklungen von mit Protein verstärkten Kunstfasern: In Großbritannien nutzte man Eiweiß aus Erdnüssen, in Italien gab es eine mit dem Milcheiweiß Kasein hergestellte Faser namens „Lanital“ und in Japan verwendete man Soja für den gleichen Zweck.568 ff) Fischleder Mit der Fischwolle waren jedoch die Möglichkeiten der Ersatzstoffwirtschaft aus dem Meer und damit auch der Absatzmöglichkeiten für Fisch 563  Hamburgische

Ausstellungs-Gesellschaft mbH, Segen des Meeres, S. 84. Geschlossene deutsche Volkswirtschaft, S. 103–112; Tooze, Wages of Destruction, S. 130–132. 565  Walter Obst, Der Fischsegen des Meeres als Rohstoffquelle, in: Zeitschrift für Volksernährung, 13 (1938), S. 164. 566  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 559; Dietmar Riedel, Fischzellulose, in: Ferdinand Pax (Hrsg.), Meeresprodukte. Ein Handwörterbuch der marinen Rohstoffe, Berlin 1962, S. 103. 567  Neues aus der „Ersatz“-Wirtschaft, in: Die Zeitung, Nr. 257, 6.2.1942, S. 11. „Wie immer bei solchen Anlässen wird behauptet, dass der neue Textilstoff alle früheren an Festigkeit übertrifft. Vor allem soll er sich für Verbandsstoff eignen, weil Fischwolle sich angeblich leicht sterilisieren lässt“; ebd. 568  Hoffmann, Bedeutung des Meeres, S. 187; Lübke, Rohstoffwunder, S. 353; Zischka, Wissenschaft, S.  138 f.; Schüttauf, Margarine, S. 28. 564  Stoye,



III. Der Ausbau der Hochseefischerei251

noch nicht erschöpft; Erwähnung verdient noch das Fischleder. Die Lederversorgung bildete ein weiteres Feld, auf dem eine hohe Importabhängigkeit bestand. Deutschland importierte Anfang der 1930er Jahre insgesamt 60 % der benötigten Rohhäute und beim Bedarf der Schuhindustrie, auf die ¾ des deutschen Lederverbrauchs entfiel, betrug der Importanteil sogar 70 %. Den Großteil des deutschen Bedarfs lieferten Argentinien, Brasilien und Indien.569 Wohl um der Idee etwas von ihrer Fremdartigkeit zu nehmen, verwiesen zeitgenössische Texte gelegentlich darauf, dass Naturvölker schon lange Fischhäute nutzten und auch die Soldaten Friedrichs des Großen die Zöpfe ihrer Perücken mit Futteralen aus Aalhäuten geschützt hätten.570 Im Deutschland der 1930er Jahre begannen Versuche, Fischleder herzustellen, spätestens 1936 bei einer Wesermünder Firma.571 Nachdem die Fachpresse bereits 1933 über Fischleder berichtete, zeigte die Lederbranche 1938 ernsthaftes Interesse, als sie das Kaiser-Wilhelm-Institut für Lederforschung in Dresden beauftragte, die Verarbeitung von Fischhäuten zu prüfen.572 Das Ausgangsmaterial für das Fischleder, das bald als „ein großer Devisensparer im Sinne des Vierjahresplanes“ gepriesen wurde,573 bildeten die Häute, die in den Fischereihäfen als Abfallprodukt erst in großen Mengen anfielen, seitdem die Fischwirtschaft zunehmend Fisch als Filet ins Binnenland versandte (s. o.).574 Ähnlich wie beim Fischmehl war auch hier die Etablierung des Filets als verbraucherfreundliche, stärker verarbeitete Dar569  Anne Sudrow, Das „deutsche Rohstoffwunder“ und die Schuhindustrie. Schuhproduktion unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik, in: Blätter für Technikgeschichte, 60 (1998), S. 63–92; dies., Vom Leder zum Kunststoff. Werkstoff-Forschung auf der „Schuhprüfstrecke“ im Konzentrationslager Sachsenhausen 1940 bis 1945, in: Helmut Maier (Hrsg.), Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften, Göttingen 2002, S. 214–249. 570  Janssen, Segen des Meeres, S. 196; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 560. Die Gerbung von Fischhäuten wurde angeblich 1916 von einem belgischen Buchbinder erfunden; Lübke, Rohstoffwunder, S. 364. 571  Aus Fischhäuten feinstes Leder. Vom Versuch zur Fabrikation, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11.1938, S. 526–528. In Hamburg soll schon vorher eine „Gesellschaft für Fischhautverwertung Feldhusen & Co“ Versuche angestellt haben; Janssen, Segen des Meeres, S. 196. 572  Sudrow, Rohstoffwunder und Schuhindustrie, S. 76; dies., Vom Leder zum Kunststoff, S. 227. 573  Aus Fischhäuten feinstes Leder. Vom Versuch zur Fabrikation, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11.1938, S. 526–528, hier S. 527; s. a.: Hausmann, Das Meer, S. 14. 574  Janssen, Segen des Meeres, S. 196; Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront (Hrsg.): Die Schließung der Lederlücke (DAF-RohstoffDienst; 38), Berlin 1942, S. 1401.

252

D. Grenzen des Meeres

reichungsform Voraussetzung für eine verstärkte Gewinnung von Nebenprodukten. Fischleder bot sich für die Herstellung einer Vielzahl von Produkten an; als mögliche Anwendungsgebiete genannt wurden Oberleder für Schuhe, Handtaschen, Gürtel, Bucheinbände und selbst Lederjacken.575 Kleine Kinderschuhe aus Fischleder sandte die Stadt Wesermünde ihrem Ehrenbürger Hermann Göring anlässlich der Geburt von dessen Tochter Edda.576 Aufgrund des Aussehens und der Struktur aber auch der geringen Größe der Häute ersetzte Fischleder insbesondere Reptilienleder bei Luxusgütern.577 Der Ersatz einer Importware durch die bisher – abgesehen von der Fischmehlerzeugung – wertlosen Fischhäute erscheint ideal, aber tatsächlich ergaben sich in der Umsetzung ernste Schwierigkeiten: Die Offenbacher Lederindustrie klagte 1938 über die Qualität des Rohmaterials, da mangelnde Sorgfalt beim Abziehen der Fische zu rissigen und löchrigen Häuten führten, so dass die Weiterverarbeitung mit sehr viel Ausschuss und damit hohen Kosten verbunden war.578 Die Belieferung der Gerbereien mit geeignetem Material hing nicht zuletzt von der Festlegung der Preise ab, die hoch genug sein mussten, damit sich für die Fischwirtschaft das sorgfältige Abziehen und Lagern der Häute lohnte und ausreichend niedrig, um dem Ledergewerbe ein rentables Arbeiten zu ermöglichen.579 Unabhängig vom Erhaltungszustand des Materials lassen sich Fischhäute einfach aufgrund der meist länglichen Form und der geringen Größe schlechter zuschneiden als die Häute von Rindern oder Schafen.580 Ein Problem bildete zudem die Akzeptanz durch den Verbraucher, der in dem Fischleder in erster Linie einen minderwertigen Ersatzstoff sah.581 575  Aus Fischhäuten feinstes Leder. Vom Versuch zur Fabrikation, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11.1938, S. 526–528; Hoffmann, Bedeutung des Meeres, S. 186; Lübke, Rohstoffwunder, S. 364; Janssen, Segen des Meeres, S. 196. 576  Schuhe aus Fischleder für Edda Göring, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.7.1938, S. 348. 577  Janssen, Segen des Meeres, S. 196; Sudrow, Vom Leder zum Kunststoff, S. 227; Ein Pressebericht erwähnte ausdrücklich „Automobil-, Golf- und Polohandschuhe“; Hamburger Fischleder besteht die Probe. Eine Sonderschau zum Fischmarktjubiläum, in: Hamburger Tageblatt, 18.10.1937, in: StAHH Best. Nr. 135-1 I– IV Staatliche Pressestelle, Sign. 7343. 578  Die Lederstadt über das Fischleder, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 30.11. 1938, S. 73. 579  Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 563. 580  Ebd., S. 566. 581  Gerhard Krefft, Gewinnung und Verwertung der Haut sowie der Schuppen und sonstiger Hartgebilde von Fischen (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas; Bd. IX, H. 6), Stuttgart 1956, S. 25; Riedel, Fischleder, S. 95 f.; Sudrow, Rohstoffwunder und Schuhindustrie, S. 77.



III. Der Ausbau der Hochseefischerei253

Solchen Hindernissen zum Trotz wurde Fischleder zu dieser Zeit und noch später auch in anderen Ländern hergestellt.582 Nachdem die Produk­ tion in Deutschland 1938 / 39 begonnen hatte, wurde sie im Krieg – auch durch die Verlagerung nach Dänemark und Norwegen nach deren Besetzung – weiter betrieben und ausgedehnt.583 Die Menge des produzierten Fischleders lässt sich nicht mehr feststellen. Die wirtschaftliche Relevanz dürfte jedoch bei weitem geringer gewesen sein als die propagandistische Bedeutung als Beispiel für die Erfindungskraft und Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.584 Die wirklich relevanten Ersatzstoffentwicklungen in der Schuhindustrie stellten Sohlen aus Buna oder Lederfaserwerkstoffen dar.585 Im Unterschied zu diesen Werkstoffen, die die Schuhindustrie nach 1945 weiter verwendete, erwies sich Fischleder als situationsbedingter zweitklassiger Ersatzstoff und die deutsche Produktion brach nach der Währungsreform mit dem erneuten Import von Säugetierhäuten rasch ein.586 Die Idee taucht nichtsdestoweniger unter anderen, meist rein modischen Vorzeichen bis heute gelegentlich wieder auf.587

582  Vgl. Dänemark nimmt Fischledererzeugung auf, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 9.1.1938, S. 28; Auch Italien verwertet Fischhäute, in: Deutsche FischereiRundschau, 28.12.1938, S. 613. In den 1950ern gab es eine begrenzte Fischlederproduktion in Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und den USA; Krefft, Gewinnung und Verwertung, S. 25. 583  Sudrow zufolge wurde die Produktionsreife 1939 erreicht, worauf die Vorstellung der ersten Kollektion von Kleidung und Schuhen aus Fischleder im Januar 1940 vom Frankfurter Modeamt vorgestellt wurde. Die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ berichtete dagegen vom Produktionsbeginn einer „Spezial-Fischlederfabrik“ im Juli 1938. Sudrow, Vom Leder zum Kunststoff, S. 227 f.; Aus Fischhäuten feinstes Leder. Vom Versuch zur Fabrikation, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 16.11.1938, S. 526–528, hier S. 527. Zur Produktion im besetzten Dänemark und Norwegen: Sudrow, Rohstoffwunder und Schuhindustrie, S. 77 f. 584  Sudrow, Rohstoffwunder und Schuhindustrie, S. 78 f. 585  Sudrow, Vom Leder zum Kunststoff, S. 218 f.; 224 f. 586  Krefft, Gewinnung und Verwertung, S. 23; Riedel, Fischleder, S. 95. 587  Ein Berliner Mode-Label bot 2009 Kleidung aus Fischleder an. Das „Zeitmagazin“ betonte den Aspekt von Ökologie und Tierschutz, da keine Tiere eigens für die Lederherstellung sterben, sondern Häute von Zuchtlachsen verwendet werden, die bislang nur für die Fischmehlherstellung Verwendung gefunden haben. Das Magazin geht zudem auf die Produktion von Fischleder als Ersatzstoff in der NS-Zeit ein; Tillmann Prüfer, Die neue Haut der Frau, in: Zeitmagazin, Nr. 36, 27.8.2009, S. 37; s. a. mit grafischer Darstellung der Produktion: Viola Keeve, Diese Hose war ein Lachs, in: Stern, 12 / 2010, 18.3.2010, S. 93 f.

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D. Grenzen des Meeres

k) Fischexport Eine weitere Möglichkeit, Fisch abzusetzen, bildete zumindest theoretisch der Export. Die autarkistische Politik des NS-Regimes bedeutete keineswegs, dass man auf Exporte grundsätzlich verzichtete. Da Devisen für bestimmte Einfuhren benötigt wurden sowie im Rahmen von Clearing-Abkommen, versuchte man, weiterhin, soweit möglich, Waren auszuführen. Die deutsche Fischwirtschaft hatte seit dem Entstehen der Dampfhochseefischerei vor allem in der Form exportiert, dass Fischdampfer in erster Linie britische Häfen anliefen und ihre Fänge dort anlandeten. In Großbritannien fand der Fisch häufig besseren Absatz als in Deutschland und die britischen Häfen lagen näher an den Fanggründen bei Island und der Barentssee, so dass die deutschen Fischdampfer durch kürzere Wege Betriebskosten sparten. In Großbritannien liefen die deutschen Hochseefischer mit Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg und die ersten Nachkriegsjahre insbesondere Aberdeen und Grimsby an.588 Der einzige Zweig der deutschen Hochseefischerei, der fast ausschließlich für den Export arbeitete, war die Produktion von Klippfisch, also gesalzener und getrockneter Kabeljau. Die „Erste Deutsche Stock- und Klippfischwerke GmbH“ gründeten 1909 mehrere Reedereien an der Unterweser gemeinsam, um Fische zu verwerten, die bei den Auktionen nicht abgenommen wurden. Die Herstellung von Klippfisch sollte somit in erster Linie den Markt stützen. Der aufgrund der klimatischen Verhältnisse in Deutschland nicht an der freien Luft, sondern in beheizten Trockenkammern hergestellte Klippfisch wurde bis auf ganz geringe Mengen exportiert. Die Hauptabsatzgebiete bildeten Spanien und Portugal, aber auch Lateinamerika wurde beliefert.589 Eine Ausweitung des Exports von Klippfisch wurde in der NS-Zeit offenbar nicht ins Auge gefasst, aber Robert Ahlf vom Verband der deutschen Hochseefischereien nannte Göring gegenüber den Ausbau des Exports nach Großbritannien als eine der Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan.590 588  Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 186. Außerhalb Großbritanniens scheinen nur IJmuiden in den Niederlanden und zu Beginn des Jahrhunderts Stavanger in Norwegen regelmäßiger angelaufen worden zu sein. Im Rahmen der begrenzten deutschen Fischerei vor Marokko (s. o.) wurden Fänge in Portugal gelöscht; ebd. 589  Ebd., S. 198; Stahmer, Fischhandel und Fischindustrie, S. 417–419. Die Produktion war nicht unbedeutend. In Wesermünde waren zeitweilig bis 1.800 Personen in dem Klippfischwerk beschäftigt, das in den 1920ern zu den größten Empfängern staatlicher Kredite für die Fischwirtschaft zählte. 590  StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Ahlf an Ministerpräsident Generaloberst Göring, Betrifft: Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 29.11.1936, S. 3 f. Ahlf erwähnt insbesondere die



III. Der Ausbau der Hochseefischerei255 Tabelle 9 Deutsche Fischexporte nach Großbritannien (ohne Hering) in cwt, 1934–1938

1933 (21.8.–31.12.) 1934 1935 1936 1937 1938

Importquote

Tatsächliche Anlandungen

108.000 666.000 666.000 666.000 666.000 666.000

 34.303 331.012 267.443 122.083  86.426  73.022

Ungenutzte Quote  73.697 334.998 398.557 543.917 579.574 592.978

68 % 50 % 60 % 81 % 87 % 89 %

Quelle: Ministry of Agriculture and Fisheries, Report on Sea Fisheries for the Year 1933, London 1934, S. 73; ders., Report on Sea Fisheries for the Year 1934, London 1935, S. 78; ders., Report on Sea Fisheries for the Year 1935, London 1936, S. 77; ders., Report on Sea Fisheries for the Year 1936, London 1937, S. 68; ders., Report on Sea Fisheries for the Year 1937, London 1938, S. 71; ders., Report on Sea F ­ isheries for the Year 1938, London 1939, S. 66.

Auf britischer Seite hatte man 1933 im „Sea-Fishing Industry Act“ verschiedene Maßnahmen zur Produktionsbegrenzung verabschiedet, um der eigenen, unter Überproduktion, fallenden Preisen und Protektionismus auf ausländischen Märkten leidenden Fischwirtschaft zu helfen. Teil dieser Maßnahmen war auch die Begrenzung der Importe nach Großbritannien auf 90 % der Durchschnittswerte der Jahre 1930 bis 1932. Die somit Deutschland zugestandene Quote betrug 666.000 cwt pro Jahr (ca. 34.000 t) für alle Fische außer Hering und 27.000 cwt (ca. 1.372 t) für Hering. Damit besaß Deutschland nach Norwegen die größte Quote für den Import von Fischwaren auf den britischen Markt.591 Während die deutsche Fischwirtschaft die Quote für Heringsimporte fast gar nicht nutzte, schöpfte sie auch die Quote für sonstige Fische, wie aus der Tabelle hervorgeht, von 1933 an nur in sehr geringem Maße aus. Im Kontrast zu Ahlfs Ankündigung gegenüber Göring entwickelte sich der tatsächliche Export nach Großbritannien in der Zeit des Vierjahresplans sogar rückläufig. Die Gründe hierfür lagen nicht auf Seiten des britischen großen Frühjahrsfänge bei Island, die aufgrund ihres Umfanges und der Sortenzusammensetzung auf dem deutschen Markt nur unzureichend Absatz fanden. 591  Ministry of Agriculture and Fisheries, Report on Sea Fisheries for the Year 1933, London 1934, S. 70–73. s. a.: Einigung über den deutschen Fischabsatz in England, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.5.1933, S. 261.

256

D. Grenzen des Meeres

Marktes, da die skandinavischen Länder ihre Quoten zu 75 % und mehr ausnutzten. Vielmehr handelte es sich um Nachwirkungen der britischen Pfundabwertung von 1931 bzw. der deutschen Währungspolitik. Deutsche Anlandungen waren somit auf dem britischen Markt stark verteuert, während die Staaten, die mit ihren Währungen dem Pfund gefolgt waren, ihre Waren weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten konnten.592 Obwohl das Problem der deutschen Fischwirtschaft bewusst war, unternahm man, anders als in anderen Bereichen der Wirtschaft, keine Versuche, über Exportsubventionen die eigenen Ausfuhren konkurrenzfähiger zu machen. Im Vergleich zur Gesamtproduktion der deutschen Seefischerei, die sich in den 1930er Jahren von ca. 400.000 t auf über 700.000 t entwickelte, war die deutsche Quote für Fischexporte nach Großbritannien von 666.000 cwt (ca. 34.000 t) überdies eher gering. Der Export bot somit keine Lösung für das vordringlichste Problem der Fischwirtschaft, das auch in der von Mangel geprägten Autarkiewirtschaft der NS-Zeit fortbestand, nämlich dem unzureichenden Absatz. Zwar stieg der Pro-Kopf-Verbrauch von ca. 10 kg im Jahr 1933 auf fast 14 kg 1938, aber die Schwierigkeiten, die deutlich stärker wachsende Produktion abzusetzen, blieben das bestimmende Thema in der Fischwirtschaft bis zum Kriegsausbruch. Vorbehalte der Verbraucher gegen Seefisch, eine fehlende Vertrautheit mit diesem Lebensmittel vor allem fern der Küste und ein in mehrfacher Hinsicht unzureichendes Einzelhandelsnetz standen der von Staat und Fischwirtschaft angestrebten Verbrauchssteigerung entgegen. Dass der Pro-Kopf-Verbrauch dennoch anstieg, ging weniger auf die Überzeugungsarbeit der „Seefischpropaganda“ zurück, sondern war in erster Linie der Preisgestaltung, dem unzureichenden Angebot an Fleisch und dem von oben angeordneten Konsum beim Militär und in anderen Formen der Gemeinschaftsverpflegung sowie dem Winterhilfswerk zuzuschreiben.

IV. Der Deutsche Walfang Der Walfang bildete das sichtbarste Ergebnis der verstärkten Nutzung mariner Ressourcen unter dem Nationalsozialismus, da hier anders als im Falle der Fischerei eine Industrie in wenigen Jahren vollständig neu ge592  Ahlf nannte 1936 die Auswirkungen „ungünstiger Preis- und Valuta-Verhältnisse“ als Ursache für die bislang geringen Exporte. Das britische Landwirtschaftsund Fischereiministerium schrieb schon 1933: „The comparatively small importation from certain countries which are still on the gold standard was largely due to adverse exchanges […]“; StAHH Best. Nr. 113-3 Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, Sign. II 5, Ahlf an Ministerpräsident Generaloberst Göring, Betrifft: Aufgaben der Hochseefischerei im Vierjahresplan, 29.11.1936, S. 3; Ministry of Agriculture and Fisheries, Report on Sea Fisheries for the Year 1934, S. 73.



IV. Der Deutsche Walfang257

schaffen wurde. Die Walfangflotten entstanden nicht im Rahmen des Vierjahresplanes – auch wenn dies manchmal in der Presse so zu lesen war593 –, sondern bereits zuvor aus privatwirtschaftlichen Initiativen heraus, die ihren Anlass in der Außenhandelskrise des Jahres 1934 hatten. Der starke nationale und wehrwirtschaftliche Rahmen, in den die gesamte Wirtschaft zu dieser Zeit gezwängt wurde, schloss dabei nicht aus, dass ein britisch-niederländischer Konzern einen Großteil der deutschen Walfangaktivitäten kontrollierte. Handelspolitische Rücksichten auf Norwegen bildeten die schwerwiegendsten Bedenken gegen den Aufbau eines deutschen Walfangs, während die ökologischen Grenzen, die der Nutzung dieser Ressource gesetzt waren, zwar erkannt wurden, aber einen Ausbau dieser Industrie noch nicht verhinderten. Im Endeffekt gelang es, durch den Walfang direkt und indirekt einen beträchtlichen Beitrag zur deutschen Fettversorgung zu leisten. Beim Walöl bestand im Gegensatz zur Hochseefischerei kein Problem in Hinblick auf den Absatz und die Verbraucherakzeptanz, da nur industrielle Großverbraucher, die diesen Rohstoff bereits seit langem verarbeiteten, Walöl direkt abnahmen. 1. Der Weg zum deutschen Walfang Nachdem es schon seit dem Ende der 1920er Jahre in Deutschland erfolglose Anläufe gegeben hatte, eine Walfangflotte nach norwegischem Vorbild für die Jagd in der Antarktis aufzubauen, setzten sich diese Initiativen auch in der NS-Zeit fort. Das Interesse nahm sogar zu, so dass am 14. März 1935 einer Besprechung aller beteiligten Ressorts im Reichs- und Preußischen Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft bereits von sechs verschiedenen Seiten Projekte vorlagen:594 • mit Unterstützung der Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde hatten Wirtschaft und Verwaltung aus der Region 1934 die Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft gegründet595 • die Firma Walter Rau, Neußer Ölwerke AG, eine Margarinefabrik aus Neuss am Rhein 593  Von einem „Entschluß“ und einer „Aufgabe“ im Rahmen des Vierjahresplanes sprechen: Der Mut zur Tat, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 357, 17.9.1937, in: StAHH Best. 135-1 I–IV, Staatliche Pressestelle, Sign. 7341; Carl Christiansen, Der Wiederaufbau des deutschen Walfangs, in: Hamburger Tageblatt, Nr. 323, 27.11.1937, in: ebd. 594  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935. 595  s. a. BA R-2 / 18357, Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an RFM, 27.2.1935.

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D. Grenzen des Meeres

• die Deutsche Walfang-Industrie und Reederei-Gesellschaft mbH (DEWAG) unter Leitung von Leonhard R. Müller596 • der britisch-niederländische Unilever-Konzern beabsichtigte, unter deutscher Flagge Walfang zu betreiben • die freie deutsche Margarineindustrie, die sich nicht dem Vorhaben Walter Raus anschließen wollte • Lübecker Interessenten unter der Leitung des Gesandten Daitz.597 Nicht alle Projekte konnten umgesetzt werden, aber tatsächlich begann der moderne deutsche Walfang in der Saison – dem antarktischen Sommer – 1936 / 37 mit drei Flotten und endete mit der Saison 1938 / 39, in der schließlich sieben Fangflotten aus je einem Kochereischiff und bis zu zwölf Fangbooten für die deutsche Wirtschaft eingesetzt wurden.598 Es handelte sich einmal um die Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft, die 1935 von dem Waschmittelhersteller Henkel & Cie. aus Düsseldorf übernommen worden war, der so das bislang fehlende Kapital beisteuerte.599 Das nun Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft mbH genannte Unternehmen bereederte für Henkel als dessen Tochtergesellschaft das Kocherei- oder Walfangmutterschiff Jan Wellem,600 das als Umbau aus dem ehemaligen HapagDampfer Württemberg entstand, sowie die acht neugebauten Fangboote Treff I bis Treff VIII. Die beiden anderen Flotten der Saison 1936 / 37 um die 596  s.  a. BA R-2  /  18357, Leonhard R. Müller (DEWAG) an RFM, RMEL und RAM, 15.11.1930. 597  s. a. BA R-2 / 18357, RMEL: „Niederschrift über die Ressortbesprechung, betr. Waltranbeschaffung am 28. Mai ds. Js.“, 29.5.1934. 598  Ein tabellarischer Überblick über die einzelnen Fangflotten, ihre Eigentümer, Charterer, Reedereien und technische Daten findet sich bei: Eduard Gramcko, Die Organisation der deutschen Walfangunternehmungen, in: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang. Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 46–54, hier S. 48–54; Schubert, Walfang, S. 144–150; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 117–123. 599  BA R-2 / 21682, Henkel an RWM und RMEL, 16.10.1935. Zu Henkels Walfangaktivitäten insgesamt: Bohmert, Walfang; ders., Vom Fang. 600  „Jan Wellem“ nannte der Volksmund Johann Wilhelm von der Pfalz (1658– 1716), dessen Reiterstandbild auf dem Düsseldorfer Rathausplatz steht. Der Name verweist also auf die Heimatstadt von Henkel; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 85. Keines der deutschen Walfangschiffe trug einen Namen, der in irgendeiner Form einen nationalen oder nationalsozialistischen Bezug hatte. Die Namen der aus Norwegen übernommenen Schiffe wurden beibehalten (C. A. Larsen, Skytteren) oder ins Deutsche übersetzt (Südmeer, Wikinger). Die auf deutschen Werften als Neuoder Umbau entstandenen Schiffe erhielten Namen, die sich auf das jeweilige Unternehmen bezogen (Jan Wellem, Walter Rau, Unitas).



IV. Der Deutsche Walfang259

Kochereischiffe C. A. Larsen und Skytteren waren lediglich von Norwegen gechartert und behielten ihre norwegischen Besatzungen sowie die Flagge ihres Heimatlandes.601. Für Deutschland war entscheidend, dass das Walöl von den gecharterten Flotten gegen Reichsmark erhältlich war, d. h. das produzierte Walöl ging vollständig nach Deutschland und die norwegische Seite erhielt für die Charter der Schiffe als Kompensationsgeschäft Güter aus Deutschland. Als Charterer von C. A. Larsen und Skytteren agierte die neu gegründete MargarineRohstoff-Beschaffungs-Gesellschaft, Berlin, während die Bereederung von deutscher Seite aus das Hamburger Walfang-Kontor GmbH übernahm. In der nächsten Saison – 1937 / 38 – kamen zwei neu gebaute Walfangmutterschiffe und ein Ankauf aus Norwegen für Deutschland hinzu: Der Margarinehersteller Walter Rau hatte sich bereits im März 1935 für den Walfang interessiert, hatte jedoch sein Kochereischiff – die Walter Rau – als Neubau in Auftrag gegeben.602 Damit erhielt Rau ein großes Schiff mit Verarbeitungsanlagen auf dem neuesten technischen Stand, konnte allerdings erst eine Saison später als Henkel und die gecharterten Flotten die Jagd aufnehmen. Der zweite Neubau war die Unitas mit der Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union GmbH, Berlin, der deutschen Tochter des britisch-niederländischen Unilever-Konzerns, als Eigentümerin.603 Die Reederei dieses größten deutschen Walfangmutterschiffes war die Unitas-Deutsche Walfang-Gesellschaft. Außerdem stieß noch das norwegische Kochereischiff Sydis unter dem neuen Namen Südmeer mit ihren Fangbooten zur deutschen Walfangflotte, nachdem es von dem Ölmühlen-Walfang-Konsortium, einem Zusammenschluss verschiedener Ölmühlen, 1937 aufgekauft worden war, die es vom Hamburger Walfang-Kontor bereedern ließ. Die Fangzeit 1938 / 39 war die letzte Saison für den Walfang unter deutscher Flagge, da im Herbst des folgenden Jahres die Flotten kriegsbedingt 601  Zu diesen beiden Flotten s.: BA R-2 / 21682, „Ergebnis der Besprechnung im RWM am 8. April 1936, betreffend Walfangunternehmungen“, 9.4.1936; BA R-2  /  21682, „Über das Ergebnis der Besprechung im RWM am 13. Mai 1936“, 16.5.1936; BA R-2 / 21682, Fachuntergruppe Margarine-Industrie an RWM, 25.5.1936; BA R-2 / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl. 3 f. 602  s. zu Walter Raus Walfangplänen: BA R-2  /  21682, „Niederschrift. Betrifft: /  18357, „Niederschrift über die Besprechung im Walfang“, 27.2.1936; BA R-2  Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl. 4. 603  Zum Walfang der Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union: BA R-2 / 21682, RWM an RMEL, RFM, RVM, AA und RKM, 9.5.1936; BA R-2 / 21682, „Über das Ergebnis der Besprechung im RWM am 13. Mai 1936“, 16.5.1936; BA R-2 / 21682, RWM an Jurgens-van den Bergh-Margarine Verkaufs-Union, 20.5.1936.

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nicht mehr ausliefen. Das Ölmühlen-Walfang-Konsortium kaufte rechtzeitig für die Saison 1938 / 39 noch die Wikinger (ex Vikingen) von Norwegen, die ebenfalls vom Hamburger Walfang-Kontor bereedert wurde. Damit arbeiteten zuletzt insgesamt sieben Kochereischiffe, darunter zwei von Norwegen gecharterte, mit zusammen 56 Fangbooten für Deutschland. Im internationalen Vergleich stand Deutschland 1939 nach der Anzahl der Kochereischiffe gerechnet an dritter Stelle hinter Norwegen und dem britischen Empire.604 Da es bereits früh Initiativen zu deutschen Walfangunternehmen gegeben hatte und der Gedanke, sich auf diesem Feld vom Ausland unabhängig zu machen, an sich nahe lag – zumal man Walöl traditionell in harten britischen Pfund handelte –, überrascht es zunächst, dass die Pläne erst ab 1936 in die Tat umgesetzt werden konnten. Interessierte Kreise brachten eine Vielzahl von Argumenten zugunsten eines deutschen Walfangs vor, die jedoch lange Zeit die zuständigen staatlichen Stellen, auf deren finanzielle und administrative Unterstützung alle Initiativen stets angewiesen waren, nicht zu überzeugen vermochten. Beispielhaft für die Argumente der am Walfang Interessierten sind zwei Eingaben der Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsfinanzministerium und das Preußische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit vom Oktober 1934 und Februar 1935, die aber auch der Öffentlichkeit zugänglich waren.605 Die Kammer, 604  Norwegen verfügte ohne die an Deutschland vercharterten Schiffe über 13 Kochereien und das Empire ebenfalls über 13. Japan, das kurz vor Deutschland mit dem modernen Walfang begonnen hatte, besaß vier. Zusätzlich unterhielten diese Nationen aber auch Landstationen auf Inseln in der Antarktis, im Nordatlantik, Nordpazifik und Südafrika. Andere beteiligte Staaten waren Argentinien (je eine Kocherei und Landstation), Dänemark (eine Landstation auf den Färöer und ein Fangdampfer in Grönland), Island (eine Landstation), Panama (eine Landstation auf Südgeorgien und zwei Kochereien, offensichtlich Ausflaggung britisch-norwegischer Unternehmen), Sowjetunion (eine Kocherei im Nordpazifik), USA (drei Kochereien, zwei Landstationen in Alaska). Die Zuordnung der Unternehmen zu einzelnen Staaten ist aufgrund der internationalen Verflechtung dieser Industrie allerdings nicht immer eindeutig. Tatsächlich war die norwegische Prägung der Industrie deutlich stärker, als es scheint, wenn nur die Registrierung der Flotten betrachtet wird. Unter den Besatzungen aller in der Antarktis eingesetzten Walfangflotten und vieler Landstationen dominierten Norweger eindeutig; Verzeichnis der Walfangunternehmungen der Welt, in: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang. Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 222–226; Schubert, Walfang, S. 159. 605  BA R-2 / 18357, „Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit. Betrifft: Gründung eines deutschen Walfangunternehmens in Wesermünde“, 4.10.1934; BA R-2 / 18357, „Industrie und Handelskammer zu Wesermünde an die beteiligten



IV. Der Deutsche Walfang261

die hinter der Gründung der Ersten Deutschen Walfang Aktien-Gesellschaft stand, wies zuerst auf die mögliche Deviseneinsparung hin, die durch eine eigene Walölerzeugung möglich sei, da Deutschland bei seiner Fettversorgung bislang zu 50 % auf Importe angewiesen sei. Der Walfang böte sich hier als Abhilfe besonders an, da sich eine leistungsfähige Flotte in wenigen Jahren aufbauen lasse. Weiterhin, so die Wesermünder Industrie- und Handelskammer, schafften Bau, Ausrüstung und Betrieb von Kochereischiffen und Fangbooten in großem Umfange Arbeitsplätze, die „gerade den heute besonders notleidenden Hafenstädten“ zugute kämen;606 in ganz ähnlicher Weise hatte bereits 1930 der Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein den Bau einer Walfangflotte als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Kieler Werftindustrie vorgeschlagen.607 Die Wesermünder Kammer dachte an die Ansiedlung der Flotte in ihrer Stadt, für die das geeignete Arbeitskräfteangebot in Gestalt der arbeitslosen Fischdampferbesatzungen und die bereitstehende Infrastruktur mit den Werften und dem Fischereihafen sprächen. Ein weiteres Argument lässt einen wehrwirtschaftlichen Aspekt durchscheinen: Da Walöl praktisch unbegrenzt haltbar ist, eigne es sich in hohem Maße für eine Einlagerung als nationale Fettreserve, was „bei der gegebenen außenpolitischen Lage“ von besonderer Bedeutung sei.608 Der Walfang sei außerdem besonders kostengünstig, verglichen mit dem vermehrten Anbau von Ölsaaten, und werde – so die optimistische Einschätzung – sich ohne Zuschüsse selbst tragen oder sogar Gewinne abwerfen. Ein weiterer wichtiger Punkt waren mögliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft: Die Industrie- und Handelskammer betonte, dass der Walfang keine Konkurrenz darstelle, da es der Landwirtschaft allein gar nicht möglich sei, den deutschen Fettbedarf zu decken. Die Landwirtschaft werde vielmehr sogar profitieren, indem eine deutsche Fangflotte für die Bauern Walmehl – ein proteinreiches Futtermittel aus Walfleisch – als Ersatz oder Ergänzung importierten Kraftfutters bereitstellen könne. Die Vorstellung von Walöl als Bedrohung der einheimischen, landwirtschaftlichen Fetterzeugung, wie sie in der Vergangenheit nicht ganz ohne Grund verbreitet worden war, habe in der gegenwärtigen Lage ihre Berechtigung verloren. Die Wesermünder Ministerien. Betrifft: Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft“, 27.2.1935. Erwähnt werden die Gutachten auch bei: Lynge, Walfang, S.  89 f. 606  BA R-2 / 18357, „Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit. Betrifft: Gründung eines deutschen Walfangunternehmens in Wesermünde“, 4.10.1934, Bl. 2. 607  BA R-2 / 18357, RWM an RFM, 26.1.1930. 608  BA R-2 / 18357, „Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit. Betrifft: Gründung eines deutschen Walfangunternehmens in Wesermünde“, 4.10.1934, Bl. 2.

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Kammer versuchte noch ein weiteres Gegenargument zu widerlegen, das in den Überlegungen der Verwaltung einen großen Raum einnahm, nämlich handelspolitische Rücksichten auf Norwegen: Da der bisher deutliche deutsche Exportüberschuss bereits im Sinken begriffen sei, sei eine Rücksichtnahme auf Norwegen nicht mehr in dem Maße nötig, zumal das Reich auch nach Aufnahme eines eigenen Walfangs auf absehbare Zeit nicht vollständig auf norwegische Walölimporte werde verzichten können. Schließlich sah die Kammer noch die Notwendigkeit, Befürchtungen über die Walbestände auszuräumen und zu versichern, dass die Jagdgründe „auf Jahrzehnte hinaus unerschöpflich“ seien, so dass der Walfang auch längerfristig betrieben werden könne. Ein eher flankierendes Argument, das die Wesermünder Kammer vorbrachte, war der Hinweis auf die „deutsche Geltung in der Welt“ und die Tatsache, dass alle großen seefahrenden Nationen sich am Walfang beteiligten, darunter inzwischen Japan und bald auch die UdSSR.609 Deutschland habe zudem ein moralisches Anrecht, da viele Walverarbeitungseinrichtungen auf deutsche Erfinder zurückgingen. Mit einer Beteiligung am Fang im südlichen Eismeer würde das Reich auch „seine volle Gleichberechtigung“ und „seine Ansprüche in Bezug auf nationale See- und Weltgeltung“ demonstrieren.610 Derartige Argumente standen sicherlich an der Peripherie des Entscheidungsprozesses, sie waren allerdings nicht nur als propagandistischer Zierrat für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern wurden an dieser Stelle auch gegenüber der Ministerialverwaltung vorgebracht. Immerhin erklärte der Vertreter des Reichsverkehrsministeriums auf einer Sitzung aller beteiligten Ressorts im März 1935, dass er unter „dem Gesichtspunkt der deutschen Seegeltung“ ein deutsches Walfangunternehmen begrüßen würde, fügte jedoch hinzu, dass sein Ressort in dieser Angelegenheit ansonsten wenig interessiert sei.611 Im Rückblick von 1974 aus bewertete Edmund Winterhoff, der bei den Walfangaktivitäten von Walter Rau in leitender Stellung tätig gewesen war, solche Hinweise auf See- oder Weltgeltung als „schmückendes Beiwerk […], das an das Geltungsbedürfnis der Politiker gerichtet war und deren unerläßliche Zustimmung fördern sollte.“612 Ähnlich randständig und weit in die Zukunft gedacht war schließlich der Hinweis auf die Möglichkeit, auf den Walfangschiffen Wetterbeobachtungs609  BA R-2 / 18357, „Industrie und Handelskammer zu Wesermünde an die beteiligten Ministerien. Betrifft: Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft“, 27.2.1935, Bl. 4 f. 610  Ebd., Bl. 5. 611  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935, Bl. 4. 612  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 76.



IV. Der Deutsche Walfang263

stationen einzurichten in Hinblick auf den Flugverkehr über die Polgebiete.613 Zusammenfassend kam die Wesermünder Industrie- und Handelskammer zu der Schlussfolgerung, die Aufnahme des Walfangs bedeute für das Problem der deutschen Fettversorgung „eine innerdeutsche autarke Lösung, die bei der Rohstofflage, in der Deutschland sich befindet, die einzig mögliche ist“.614 Als die Henkel & Cie. GmbH im Oktober 1935 gegenüber den Ministerien für Wirtschaft und Ernährung ihre Absicht, die Erste Deutsche Walfang A.G. zu übernehmen, ankündigte, fasste sie die Argumente für einen deutschen Walfang in ähnlicher Weise zusammen: An erster Stelle stand die Devisenersparnis, sodann der Autarkiegedanke („Rohstoff-Freiheit Deutschlands“), die Überwindung der bisherigen Abhängigkeit von den norwegischbritischen Walölproduzenten und schließlich die Arbeitsbeschaffung.615 Veröffentlichungen, die nach Beginn des deutschen Walfangs erschienen, nannten mit Devisenersparnis, Schaffung einer eigenen Rohstoffgrundlage und Unabhängigkeit von der „internationalen Spekulation“ auf dem Fettrohstoffmarkt im Wesentlichen die gleichen Motive.616 Die Einstellung der beteiligten Ministerien gegenüber den Walfangplänen war zunächst wenig enthusiastisch. Eine Besprechung aller beteiligten Ministerien am 28. Mai 1934 fasste Ministerialdirektor Dr. Bose vom Ernährungsministerium so zusammen, dass „erhebliche Bedenken gegen jegliches Entgegenkommen“ gegenüber den interessierten Unternehmen bestünden.617 Welche Überlegungen standen auf Seiten der Ministerialverwaltung dem Aufbau von Walfangflotten entgegen? Die Zurückhaltung bei den verschiedenen Ressorts – aber vor allem beim Ernährungsministerium – hatte verschiedene Gründe: Zunächst forderten alle am Walfang interessierten Unternehmen in irgendeiner Form eine Abnahmegarantie für das zu produzierende Walöl. Wenn jedoch das Reich eine Abnahmegarantie für eine deutsche Walfangflotte bekannt gäbe – so fürchteten das Reichsernährungs- und das Reichswehrministerium –, würden die Importeure mit der Einfuhr von Fett613  „(…) von Wichtigkeit für den internationalen Flugverkehr, bei dem der Weg über die Pole wegen der Abkürzung der Wege immer mehr an Bedeutung gewinnt“; BA R-2 / 18357, „Industrie und Handelskammer zu Wesermünde an die beteiligten Ministerien. Betrifft: Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft“, 27.2.1935, Bl. 5. 614  BA R-2 / 18357, „Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit. Betrifft: Gründung eines deutschen Walfangunternehmens in Wesermünde“, 4.10.1934, Bl. 3. 615  BA R-2 / 21682, Henkel an RWM und RMEL, 16.10.1935, Bl. 2. 616  Carl Christiansen, Die deutschen Walfangreedereien, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 39–41, hier S. 39 f.; Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, S. 60 f. 617  BA R-2  /  18357, RMEL: „Niederschrift über die Ressortbesprechung, betr. Waltranbeschaffung am 28. Mai ds. Js.“, 29.5.1934, Bl. 6.

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D. Grenzen des Meeres

rohstoffen sehr zurückhaltend sein, so dass sich die gewünschten Lagerbestände in Deutschland eher verringern würden.618 Außerdem schien der Bedarf an Walöl insgesamt unklar, da die Margarineproduktion stark gedrosselt worden war (siehe Kap. B. II.), sowohl aus Autarkiegründen, als auch zur Stützung der deutschen Landwirtschaft und ihrer Butterproduktion. Der Rückgang der Margarineproduktion hatte zur Folge, dass die Ölmühlen nur zu 50–60 % ausgelastet waren und somit weniger Ölkuchen aus der Verarbeitung von Ölsaaten in den Mühlen anfielen. Die Ölkuchen wiederum brauchte jedoch die Landwirtschaft als Futtermittel bei der Buttererzeugung. Da Walöl und Ölsaaten als Margarinerohstoffe direkt austauschbar sind, hätte eine vermehrte Einfuhr von Walöl – so die Bedenken des Reichsernährungsministeriums – den Anfall von Ölkuchen noch weiter senken und über diesen Weg die Buttererzeugung zusätzlich belasten können.619 Weiterhin war eine Beeinträchtigung des staatlich gewünschten deutschen Ölsaatenanbaus denkbar, und das Reichsernährungsministerium sorgte sich um den Bezug von Ölsaaten aus den Balkanländern, die diese im Austausch gegen deutsche Industriegüter lieferten. Ähnliche Geschäfte mit Sojabohnen aus China waren geplant. Solche handelspolitischen Argumente waren vom Ernährungsministerium eventuell auch nur vorgeschoben, da das Auswärtige Amt diese Bedenken nicht teilte.620 Bei dem angesprochenen Geschäft mit dem Balkan dürfte sich das Ernährungsministerium auf die so genannten Soja-Verträge bezogen haben, in denen sich IG Farben verpflichtete, den Anbau von Soja in Rumänien und Bulgarien für den Export nach Deutschland zu veranlassen. Im Gegenzug durfte die IG Farben mindestens die Hälfte der durch diese Ausfuhr ermöglichten rumänischen und bulgarischen Import- und Transferbewilligungen für den Export von Waren und die Begleichung bestehender Forderungen nutzen. Nach dem Abschluss des ersten Soja-Vertrages im April 1935 wurden diese Verträge unbeeinflusst vom deutschen Walfang bis Kriegsbeginn jährlich erneuert.621 618  BA R-2  /  18357, RMEL: „Niederschrift über die Ressortbesprechung, betr. Waltranbeschaffung am 28. Mai ds. Js.“, 29.5.1934, Bl. 2. 619  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935, Bl. 2 f. Das RMEL sprach sich noch im Februar 1936 für die Einfuhr von Ölsaaten statt eigenem Walfang aus: BA R-2 / 21682, „Niederschrift. Betrifft: Walfang“, 27.2.1936. 620  Ebd., Bl. 3 f. 621  Joachim Drews, Die „Nazi-Bohne“. Anbau, Verwendung und Auswirkung der Sojabohne im Deutschen Reich und Südosteuropa (1933–1945), Münster 2004, S. 226–234.



IV. Der Deutsche Walfang265

Die schwerwiegendsten Bedenken gegen einen deutschen Walfang rührten jedoch aus dem Verhältnis zu Norwegen her. Schon die Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde hatte sich 1934 / 35 veranlasst gesehen, ausgiebig auf diesen Punkt einzugehen (s. o.), und auch die Ministerialverwaltung widmete ihm große Aufmerksamkeit. „Kaum eine Frage werde in Norwegen so empfindlich von der gesamten Bevölkerung behandelt“ – führte Ministerialdirektor Wohlthat vom Wirtschaftsministerium noch im Februar 1937 aus –, „wie die Frage des Walfangs und der Walölgeschäfte“.622 Angesichts der großen ökonomischen Bedeutung des Walfangs für das skandinavische Land fürchtete ein Vertreter des Ernährungsministeriums schon 1934, jede deutsche Initiative auf diesem Gebiet werde dazu führen, „dass wir Norwegen den Engländern in die Arme treiben könnten“.623 Die Sorgen um das Verhältnis zu Oslo gründeten in den ausgedehnten und von deutscher Seite aus sehr günstig bewerteten Handelsbeziehungen, die über ein Verrechnungsabkommen abgewickelt wurden, in dessen Rahmen Norwegen für Deutschland ein wichtiger Absatzmarkt für Industrieprodukte war, während das Reich dringend benötigte Rohstoffe erhielt. Man habe also – bemerkte Wohlthat – „allen Anlaß, unsere wirtschaftspolitischen Beziehungen zu Norwegen pfleglich zu behandeln.“624 So verwies ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums im Mai 1934 auf zwei größere Aufträge bei der Werft Blohm & Voss und auf ein Kabelprojekt der Firma Felten und Guillaume, die zur Zeit auf dem Spiel stünden, wenn das Reich norwegisches Walöl nicht mehr abnehme.625 Des Weiteren bezog das Reich über Norwegen Erz, worauf das Heeresverwaltungsamt im Februar 1937 besonders hinwies.626 Außerdem blieb man später auch trotz eigenem Walfang weiterhin auf Walölimporte angewiesen, um den Bedarf zu decken, so dass dem Reich auch hier für eine günstige Preisgestaltung über das Verrechnungsabkommen an dem Wohlwollen der norwegischen Regierung gelegen war.627

622  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl. 10. 623  BA R-2  /  18357, RMEL: „Niederschrift über die Ressortbesprechung, betr. Waltranbeschaffung am 28. Mai ds. Js.“, 29.5.1934, Bl. 4. 624  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl. 2. 625  Ebd., Bl. 3. 626  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl. 11. 627  Am 23.2.1937 schloss Deutschland mit Norwegen einen Vertrag über 60.000 t Walöl zu 21 £ pro t. Dieser Vertrag sei mit Unterstützung der Regierung in Oslo

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D. Grenzen des Meeres

Schließlich bedurfte Deutschland auch bei dem Versuch, Norwegen Konkurrenz zu machen oder sich von diesem Lieferanten ein Stück weit unabhängig zu machen, einer gewissen Hilfe der Pioniernation und Führungsmacht im modernen Walfang, denn qualifiziertes, erfahrenes Personal – insbesondere die Harpunenschützen – waren kaum außerhalb Norwegens zu rekrutieren. Zwar wandte Ministerialdirektor Wohlthat auf einer Besprechung im RWM ein, man könne Walfänger auch aus den „Orkney-Inseln, Südafrika, Alaska“ anwerben,628 tatsächlich war man jedoch von den Norwegern abhängig, da diese seit Beginn des antarktischen Fangs praktisch ein „Arbeitsmonopol“ besaßen und beispielsweise in der Saison 1936 / 37 7678 von weltweit 9321 im industriellen Walfang tätigen Arbeitskräften stellten.629 Es gab zumindest zwei Möglichkeiten eines norwegischen Boykotts in der Frage der Arbeitskräfte:630 Zum einen sah das Walfanggesetz Norwegens von 1935 die Möglichkeit vor, norwegischen Besatzungen die Arbeit auf ausländischen Flotten zu verbieten, wenn diese nicht die norwegischen Fangbestimmungen einhielten. Zum anderen konnten die Gewerkschaften einen Boykott gegen die deutschen Unternehmungen verhängen, was im Sommer 1936 auch geschah. Insbesondere für Henkel als dem ersten deutschen Walfangunternehmen gestaltete sich somit die Anwerbung von Spe­ zialisten zunächst als schwierig.631 Der Boykott ließ sich jedoch nicht aufrechterhalten, da viele norwegische Walfänger dennoch in Deutschland anheuerten. Dass arbeitslose einfache Seeleute zu der deutschen Konkurrenz wechselten, ließ sich noch entschuldigen, aber mit Empörung reagierte die norwegische Presse, als hoch bezahlte Fangleiter und Harpunenschützen ihre Verträge beendeten oder brachen, um für Deutschland zu arbeiten. Norwegischen Zeitungsberichten zufolge erhielt Lars Andersen als Fangleiter der Walter Rau-Expedition die immense Summe von 16.500 £, während Harpunenschützen das Doppelte oder Dreifache der sonst üblichen Bezahlung gezahlt wurde.632 zustande gekommen, die Forderung der norwegischen Unternehmen hätte anfangs bei 25 £ gelegen; ebd., Bl. 1 f. 628  BA R-2 / 21682, „Niederschrift. Betrifft: Walfang“, 27.2.1936, Bl. 2. 629  Lynge, Walfang, S.  60 f.; Schubert, Walfang, S. 159. 630  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 424. 631  Bohmert, Walfang, S. 57–59. 632  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 429. Winterhoff zufolge erhielt Larsen lediglich 7.000 £, die aber in Norwegen bereits als „Judaslohn“ empfunden wurden. Nach dem Krieg galt Andersen in Norwegen als Kollaborateur und wurde mit einer Geldstrafe belegt. Er blieb zunächst ohne Anstellung und arbeitete in den 1950er Jahren für die Olympic Challenger-Flotte. Dieses Gemeinschaftsunternehmen von Aristoteles Onassis und der Henkel-Tochter Erste Deutsche Walfang Gesellschaft erwarb sich aufgrund der Nichteinhaltung von Fangbestimmungen bald einen zweifelhaften Ruf; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 115, 205.



IV. Der Deutsche Walfang267 Tabelle 10 Nationalität der Besatzungen im weltweiten Walfang, 1935–1939 Insgesamt

1935 / 36 1936 / 37 1937 / 38 1938 / 39

  7 186   9 321 11 227 12 705

Anteil in % Groß­ britannien

Deutschland

Japan

Norwegen

Andere

0 4,87 6,01 6,82

0  2,74  7,89 10,91

 5,15  8,98 16,89 21,98

93,7 82,3 67,8 59,1

1,18 1,04 1,88 1,13

Quelle: Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 742.

Auch wenn es letztlich gelang, Norweger für die deutschen Flotten anzuwerben, war es doch das Ziel, sich in diesem Bereich unabhängig zu machen: Während in der Fangzeit 1937  /  38 in den Flotten unter deutscher Flagge (nicht den beiden gecharterten Flotten) der Anteil deutscher Staatsbürger an den Besatzungen 61,5 % betrug, konnte ihr Anteil bis zur nächsten Saison schon auf 73,5 % gesteigert werden.633 Um die Ausbildung deutscher Harpunenschützen auch außerhalb der antarktischen Saison zu fördern, ­wurden im Sommer 1939 zwei Fangboote von einer Landstation auf den Färöer-Inseln aus zum Fang eingesetzt.634 Bei den eigentlichen Walfangspezialisten, den Fangleitern und den Harpunenschützen, blieb aber trotz der Ausbildung von Deutschen in diesem Bereich eine Abhängigkeit bestehen. Insgesamt sank der Anteil der Norweger an der Zahl der im Walfang Beschäftigten während der 1930er stark, so dass das skandinavische Land seine annähernde Monopolstellung bei den Arbeitskräften verlor. Die absolute Zahl der norwegischen Walfänger stieg in dieser Zeit hingegen sogar, da die Industrie insgesamt deutlich wuchs. Über das Zusammenarbeiten und -leben der deutschen und norwegischen Seeleute auf den deutschen Schiffen berichten die meisten Quellen nichts. 633  Schubert,

Walfang, S. 151. S. 152; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 441. Im Nordatlantik wurde zu dieser Zeit weiterhin Walfang von Landstationen aus betrieben, aber die Walbestände und damit die mögliche Ölproduktion waren deutlich geringer als in der Antarktis. In den 1930er Jahren entstammten stets 67–93 % der globalen Walölproduktion der Antarktis. Die Färöer Inseln waren also für Deutschland nur als Übungsfeld lohnend. 634  Ebd.,

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Herbert Spengemann, der 1937 / 38 als Kommandant auf dem Fangdampfer Rau VI gefahren war, schrieb in seinem 1938 erschienenen Buch dagegen über Konflikte und politische Differenzen, die zwischen den sechs deutschen und neun norwegischen Besatzungsmitgliedern des Fangdampfers zu Tage getreten seien, wenn sich keine Wale zeigten und die Männer zur Untätigkeit verdammt waren: „Bei der allgemeinen Gereiztheit und Ungeduld machte sich auch die Spannung zwischen der deutschen und norwegischen Besatzung bemerkbar, denn die politischen Meinungen waren eben zu grundverschieden. Von Sympathie für Deutschland – für das nationalsozialistische Deutschland – merkte man bei den Norwegern nicht viel. – Wenn man natürlich seine Weisheiten nur aus ausländischen Zeitungen schöpft, ist der Mangel an Verstehen erklärlich. Aber in dem Trubel und Hochbetrieb der sonst immer auf den Fangbooten herrschte, blieb einem auch keine Zeit zu politischen Erörterungen.“635 Die Rücksichtnahme auf die Beziehungen zu Norwegen blieb über die gesamte Entwicklung des deutschen Walfangs hinweg ein Punkt, den die deutsche Seite im Auge behielt. Dies betraf auch die weitere Entwicklung und die Frage des endgültigen Umfanges der deutschen Walfangaktivitäten, die spätestens das Röver-Programm (s. u.) aufwarf. Nach außen hin versuchten deutsche Stellen ebenfalls, deutlich zu machen, dass der deutsche Walfang sich nicht gegen Norwegen richte. Ein Vertreter des Amtes für deutsche Roh- und Werkstoffe betonte 1937 in der „Braunen Wirtschafts-Post“, es wäre verfehlt, im deutschen Walfang „eine störende Maßnahme gegenüber anderen Volkswirtschaften zu sehen, die seit längerer Zeit Walfang betreiben“, denn der „deutsche Markt wird aufnahmefähig für ausländische, insonderheit norwegische Erzeugnisse in Walöl bleiben.“636 Auf der gleichen Linie lag Otto Hugos Veröffentlichung zur Walter Rau-Flotte.637 Landwirtschaftsminister R. Walther Darré versicherte 1937 in einer Rede anlässlich des Jubiläums der Fischmärkte Hamburg-Altona ebenfalls, es bestehe „keinerlei Anlaß zur Beunruhigung für andere am Walölabsatz interessierte Länder“, verknüpfte dies aber mit der Einschränkung, dass solche Geschäfte auch die Abnahme entsprechender Mengen deutscher Industrieprodukte voraussetzen, also nur unter den Bedingungen von Kompensation und 635  Spengemann, Auf Walfang, S. 63; zur Zusammensetzung der Besatzung, die sich zuerst auf Englisch und später auf Deutsch und Norwegisch verständigte: ebd., S. 11. Als man auf der Heimreise im Ärmelkanal dem KdF-Dampfer Wilhelm Gustloff begegnete, konnte sich Spengemann es sich nicht versagen, „den Nor­ wegern mit Genugtuung unter die Nase zu reiben, daß Deutschland für seine Arbeiter dieses Schiff gebaut hatte, und zwar mit allen modernen Anlagen und Einrichtungen“; ebd. S. 97. 636  Landgraeber, Walfang und Walfettgewinnung, S. 484. 637  Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 80–84.



IV. Der Deutsche Walfang269

Clearing möglich seien.638 Ganz ähnlich unterstrich Ministerialrat Karl August Wegener vom Ernährungsministerium in seinem Vorwort zu dem offiziellem Handbuch „Der neue deutsche Walfang“, dass die deutschen Aktivitäten „in keiner Weise eine Störung der handelspolitischen Beziehungen zu Norwegen“ bedeuteten, und verband damit jedoch gleichzeitig den Vorbehalt, dass Deutschland nur bis zu der Summe Walöl kaufen könne, „für die Norwegen von Deutschland Waren abnimmt“, und nur so lange, wie „das Walöl zu Preisen angeboten wird, die der Weltmarktlage an Fettrohstoffen entsprechen“.639 Man wollte also in Deutschland die eigenen Walfangunternehmungen nicht als Kampfansage an das skandinavische Land erscheinen lassen und war an einem weiterhin engen wirtschaftlichen Verhältnis interessiert. Nichtsdestoweniger formulierten deutsche Stellen auch die Voraussetzungen, die ihrer Sicht nach hierfür gegeben sein mussten. Das Interesse an guten Beziehungen zwischen Deutschland und Norwegen war allerdings nicht vollkommen einseitig. Seit 1933 lag der gesamte Walöleinkauf Deutschlands in der Hand der Reichsstelle für Öle und Fette, die somit den Unilever-Konzern von der Position des größten Einkäufers von Walöl in Norwegen verdrängte und folglich über eine erhebliche Marktmacht verfügte.640 Überdies bestanden für Norwegen gute Gründe, mit Deutschland auf dem Gebiet des Walfangs zu kooperieren, nachdem Henkel durch den Bau einer eigenen Flotte bewiesen hatte, dass sich Deutschland auf Dauer aus dem Walfang nicht würde heraushalten lassen.641 Die norwegische Regierung und Industrie waren nun bemüht, den durch den neuen Konkurrenten ihr entstehenden Schaden gering zu halten. Indem man die Schiffe C.A. Larsen, Skytteren, Südmeer und Wikinger an Deutschland vercharterte bzw. verkaufte, konnte Norwegen diese älteren und weniger leistungsfähigen Kochereien mit Gewinn abstoßen, bevor sie durch die zunehmende Konkurrenz auf den südlichen Fangfeldern ohnehin unrentabel geworden wären. Auch für viele norwegische Seeleute wurde auf diese Weise die Beschäftigung zunächst gesichert. In der begrenzten Kooperationsbereitschaft Norwegens gegenüber Deutschland dürften sich auch die Erfahrungen der Skandinavier mit Japan niedergeschlagen haben. Während sich Deutschland in der Besatzungsfrage 638  Das 50jährige Jubiläum der Fischauktion, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 27.10.1937, S. 517–522, hier S. 521. Ähnlich: Vor der Ausrüstung einer deutschen Walfangflotte, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 15.5.1935, S. 217–219. 639  Wegener, Einleitung, S. 3. Ganz ähnlich: Karl August Wegener, Die Bedeutung des Walfangs für die deutsche Ernährung, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 17–18, hier S. 18. 640  Bohmert, Walfang, S. 16, 61. 641  Ebd., S. 53–55.

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und bei der Übernahme älterer Schiffe an Norwegen anlehnte, hatte Japan kurz zuvor einen anderen Weg eingeschlagen.642 Die Fälle Japan und Deutschland sind insofern parallel, da beide Staaten vor dem Hintergrund einer auf Rüstung ausgerichteten Wirtschaftspolitik in den 1930er Jahren – Japan bereits in der Saison 1934 / 35 – in den antarktischen Walfang einstiegen und ihre Fischereiflotten ausbauten. Da Japan nur sein erstes Kochereischiff, die Tonan Maru (ex-Antartic), von Norwegen kaufte und fünf weitere vor dem Krieg im eigenen Land baute und da die japanischen Flotten von Beginn fast vollständig auf norwegisches Personal verzichteten, bewies das asiatische Land, dass der Aufbau einer modernen Walfangindustrie ohne Zusammenarbeit mit den Norwegern möglich war.643 Letztlich war es für Deutschland der einfachere, Zeit und Kosten sparende Weg – anders als die Japaner –, auf Spezialisten und teilweise auf gebrauchtes Schiffsmaterial aus Norwegen zurückzugreifen. Eine ähnliche Abhängigkeit, wie sie in der Personalfrage bestand, könnte man beim Know-how der Schiffe und der Verarbeitungsanlagen vermuten. Um Öl aus dem Speck, dem Fleisch und den Knochen zu gewinnen und dieses aufzubereiten, waren aufwändige Anlagen an Bord der Kochereischiffe nötig. Tatsächlich stellte sich hier dem Aufbau einer deutschen Walfangindustrie keine Hürde in den Weg, da die deutsche Industrie in den 1930er Jahren bereits eine führende Position in der Produktion solcher Anlagen innehatte. Die Firma Hartmann aus Berlin-Rudow produzierte bereits seit 1911 Kocher zur Ölgewinnung aus dem Speck, Knochen und Fleisch der Wale für die norwegischen und britischen Walfänger. Mit ihren rotierenden Kochern – so genannte Hartmann-Apparate – war das Berliner Unternehmen sogar weltweit Marktführer vor dem norwegischen Konkurrenten Kvaerner Brug.644 Alle deutschen Neubauten besaßen Hartmann-Apparate ebenso wie die meisten der von Norwegen übernommenen Schiffe. Bei den Separatoren – also Zentrifugen zur Reinigung des Öles auf den Kochereischiffen – dominierten schwedische Geräte der Firma De Laval. Daneben 642  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 415–422; Tsutsui, Landscapes, S. 298. Die japanischen Neubauten entstanden nach britischen Plänen und erhielten Anlagen zur Ölgewinnung aus Deutschland; ebd. S. 419. Die japanischen Bestrebungen, sich von Norwegen unabhängig zu machen, wurden auch in Deutschland registriert, s.: Japanischer Wettbewerb im Walfang, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Mai 1936, S. 946; Japanische Aktivität im Walfängerbau, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Juni 1936, S. 1278. 643  Anders als Deutschland besaß Japan allerdings eine jahrhundertealte ununterbrochene Tradition im Küstenwalfang. Nichtsdestoweniger stellte der moderne pelagische Walfang in der Antarktis Herausforderungen, die auch für Japan ganz neu waren. 644  Nach Nicolaus Peters waren mehr als 80 % der weltweiten Walfangflotten mit Anlagen von Hartmann ausgestattet; Peters, Kurze Geschichte, S. 20.



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gab es auch deutsche Walölseparatoren der Marke Westfalia von der Ramesohl & Schmidt AG aus Oelde (Westf.). Die Jan Wellem führte WestfaliaÖlseparatoren mit sich, während die übrigen Flotten mit De Laval-Geräten ausgestattet waren. Zumindest im Fall der Walter Rau und der Unitas waren diese bei der Bergedorfer Eisenwerke AG in Hamburg-Bergedorf unter Lizenz hergestellt worden, so dass hier keine Anlagen importiert werden mussten. Für die Herstellung von Walmehl als Viehfutter aus Walfleisch führte ein norwegisches Kochereischiff bereits ab 1932 eine Anlage der Wiesbadener Firma Fauth mit sich, die auch die Walmehlanlagen für Jan Wellem, Walter Rau und Skytteren stellte. Die Unternehmen Schlotterhose aus Bremerhaven und Hartmann produzierten – neben Kvaerner Brug und Nygaard aus Norwegen – ähnliche Anlagen. Die Unitas besaß eine Walmehlanlage von Schlotterhose.645 Beim Bau der neuen deutschen Kochereischiffe konnte man also für die Einrichtungen zur Gewinnung von Öl und Walmehl auf Anlagen von deutschen Herstellern zurückgreifen, die z. T. bereits lange Erfahrung in der Ausrüstung von Walfangflotten besaßen. Das bedeutet auch, dass das bisherige Walfanggeschäft nicht, wie es die deutsche Seite oft darstellte, als einseitige Abhängigkeit Deutschlands von den norwegischen Produzenten gesehen werden kann, sondern dass es sich vielmehr um eine internationale Arbeitsteilung handelte, bei der – vereinfacht gesagt – Deutschland die Technologie, Großbritannien das Kapital und Norwegen die Arbeitskräfte stellte. Ein weiteres Unternehmen mit Erfahrung in diesem Bereich waren die Harburger Ölwerke Brinckmann & Mergell, die sich seit Anfang der 1930er Jahre mit Möglichkeiten beschäftigte, die Walölgewinnung zu optimieren und die Walkörper restlos zu verwerten. Dabei erwog sie auch selbst die Gründung eines Walfangunternehmens. Nachdem zunächst ein Chemiker des Unternehmens auf einem norwegischen Kochereischiff mitgefahren war, stellte man weitere Versuche in Harburg an. Um im größeren Maßstab mit der Verarbeitung von Walspeck experimentieren zu können, betrieb Brinckmann & Mergell 1935 und 1936 eine Versuchsanlage auf einer Walfang645  Schubert, Walfang, S. 121–125, 144–150; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 256–259, 709, 716; C. Keysler, Die Bearbeitung und Verwertung der Wale an Bord der Kocherei, in: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang, Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 152–167; August Sommermeyer, 40 Jahre Erfahrung im Bau von Apparaten zur Verwertung von Walen, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 42–45; s. a. den Anzeigenteil in: Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang, S. 237–263 mit Anzeigen fast aller genannten Firmen.

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landstation in Lopra auf den Färöer-Inseln. In den folgenden Jahren setzte das Unternehmen diese Versuche dann auf einem deutschen Kochereischiff fort.646 Deutschen Werften war der Walfang ebenfalls zumindest nicht ganz unbekannt, da norwegische Kochereien bereits für Reparatur- und Umbauarbeiten Werften in Deutschland aufgesucht hatten.647 Eine britische Walfangreederei hatte zudem bereits im Mai 1935, also noch vor den ersten Neubauten für Deutschland, den Auftrag für das bis dahin weltgrößte Kochereischiff – die 1936 vom Stapel gelaufene Terje Viken – an die Bremer Werft Deschimag vergeben.648 Insofern war auf den Werften das Know-how für den Bau der deutschen Walfangflotten vorhanden. 2. Die Entscheidung für den deutschen Walfang Im Laufe des Jahres 1935 neigte sich in der Ministerialverwaltung trotz aller bisher geäußerten Bedenken die Waage zugunsten des deutschen Walfangs. Am 14. März erklärte Ministerialdirektor Dr. Bose vom Ernährungsministerium immerhin schon, „daß gegen 1 bis 2 deutsche Walfangunternehmen keine Bedenken bestünden“, und auch das Wirtschaftsministerium hatte seine „frühere ablehnende Stellungnahme (…) gemildert“:649 „Die handelspolitischen Rücksichten auf Norwegen spielten bei der derzeitigen Entwicklung der deutsch-norwegischen Handelsbilanz nicht mehr die Rolle wie früher.“650 Freilich war man nur zu sehr begrenzten Zusagen gegenüber Walfanggesellschaften bereit, was Preis- und Abnahmebedingungen betraf, 646  F. Benz, Walfang und Walölgewinnung, in: Fette und Seifen, 44 (1937), 7, S. 280–283; Peters, Kurze Geschichte des Walfangs, S. 20; vgl. die in Lopra entstandene Arbeit: Karl-Heinz Wagner, Vitamin A und β-Carotin des Finn-, Blau- und Spermwals, Leipzig 1939. 647  Vgl.: Umbau eines Walfangschiffes in Hamburg, in: Deutsche FischereiRundschau, 5.9.1934, S. 420. Es wurden bei diesem Werftaufenthalt Anlagen von Fauth installiert. Die Kieler Germaniawerft hatte die später von Deutschland gecharterte Skytteren 1928 von einem Passagierschiff zu einem Kochereischiff umgerüstet; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 374; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 123. 648  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 426; Norwegisch-schwedischer 10 Millionen-Mark-Auftrag für die Deschimag Bremen, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 13.7.1935, S. 568; Der Großauftrag für die Deschimag, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 17.8.1935, S. 644; Carl Herbert, Die deutsche Handelsschiffahrt 1936 / 1937, in: Köhlers illustrierter Flotten-Kalender, 36 (1938), S. 39–44. 649  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935, Bl. 4 f. 650  Ebd.



IV. Der Deutsche Walfang273

und der Staat – so die beteiligten Ressorts – müsse stets die Möglichkeit in der Hand behalten, Zahl und Umfang dieser Unternehmen zu begrenzen.651 Die nächste Besprechung am 23. Oktober 1935 fand erstmals nicht mehr im Reichsernährungs- sondern im Reichswirtschaftsministerium unter Vorsitz von Ministerialdirektor Dr. Wohlthat statt, der zu einer zentralen Figur beim Aufbau des deutschen Walfangs werden sollte.652 Helmuth Wohlthat (1893–1982) kam ursprünglich aus der Privatwirtschaft, wo er umfangreiche Kenntnisse über den internationalen Handel mit Fettrohstoffen erwarb, und besetzte nach seinem Wechsel in den Staatsdienst mehrere Schlüsselposi­ tionen in der Fettversorgung, dem Außenhandel und der Devisenbewirtschaftung, in dem er zunächst die Leitung der Reichsstelle für Öle und Fette innehatte und 1934 zum Generalreferenten für den Neuen Plan im Reichswirtschaftsministerium und schließlich im Dezember 1934 zum Leiter der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung ernannt wurde neben seinem Hauptamt als Ministerialdirektor der Abteilung Devisenbewirtschaftung im Reichswirtschaftsministerium.653 Mit dem Wechsel in der Federführung ging der endgültige Stimmungsumschwung zugunsten des deutschen Walfangs einher: Das Wirtschaftsministerium erklärte nun am 23. Oktober 1935 unter Zustimmung der übrigen Ressorts, es könne „die Gründung einer derartigen Gesellschaft nur warm unterstützen“, dagegen sei die Rücksichtnahme auf Norwegen weiterhin 651  „Eine Beschränkung der Entwicklung der Gesellschaften muß die Reichsregierung unbedingt in der Hand behalten“, so das RWM; ebd, Bl. 5. 652  „Helmut Wohlthat thus emerges as perhaps the ‚godfather‘ to the revival in German whaling“; Scholl, German Whaling, S. 121. 653  Wohlthat war 1920 bis 1929 als Prokurist und alleiniger Geschäftsführer der Firma Franz Hesemann Wwe., Düsseldorf-Neuss, tätig. 1931 erwarb er an der Columbia-University in New York den Master of Arts und arbeitet anschließend im Ölsaaten- und Speiseölhandel in New York. Auf Empfehlung von Reichskriegsminister v. Blomberg, der Wohlthat als Soldaten im Ersten Weltkrieg kennen gelernt hatte, wurde dieser 1933 in den Staatsdienst geholt, um die Reichsstelle für Öle und Fette aufzubauen. Neben den Tätigkeiten in den Reichsstellen für Fette und Öle sowie für Devisenbewirtschaftung handelte Wohlthat als Ministerialdirektor z. b. V. im Vierjahresplanamt Ende der 1930er verschiedene Handelsverträge aus und führte Verhandlungen über die Emigration deutscher Juden. Mit Billigung Görings verhandelte er im Sommer 1939 mit britischen Regierungsvertretern über einen möglichen Interessenausgleich. Zwischen Mai 1940 und Februar 1941 versah er das Amt des Beauftragten bei der Niederländischen Bank. Anschließend wurde er im April 1941 Leiter der deutschen Wirtschaftsdelegation in Japan. Nach dem Krieg trat Wohlthat in die Aufsichtsräte der Vereinigten Glanzstofffabriken, der Mannesmann AG und des Bankvereins Westdeutschland ein; Christoph Kreutzmüller, Händler und Handlungsgehilfen. Der Finanzplatz Amsterdam und die deutschen Großbanken (1918– 1945), Stuttgart 2005, S. 342 f.; Willi A. Boelcke, Die deutsche Wirtschaft 1930–1945. Interna des Reichswirtschaftsministeriums, Düsseldorf 1983, S. 88, 363; Bohmert, Walfang, S. 9, 15 f.; ders., Vom Fang, S. 30.

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wichtig, wie das Auswärtige Amt darlegte, könne aber nicht so weit gehen, Aktivitäten auf diesem Gebiet ganz zu unterbinden.654 Was hatte sich inzwischen geändert? Henkel hatte die Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft übernommen und damit schien dem Reichswirtschaftsministerium zum ersten Mal die Gewähr geboten, dass ein Walfangunternehmen ausreichend Eigenkapital besäße.655 Vor allem aber hatte sich das wirtschaftpolitische Umfeld geändert: Die Außenhandelskrise von 1934 mit den stetig schwindenden Devisenreserven zog die unter dem Begriff „Neuer Plan“ zusammengefassten Maßnahmen zur Devisenbewirtschaftung nach sich. Damit war auch der Import von Ölen und Fetten deutlich schwieriger geworden. Es war in der Besprechung vom 23. Oktober 1935 nicht mehr die Rede von der Schonung der deutschen Landwirtschaft und Ölmühlen, sondern nur noch von der deutschen Importabhängigkeit. Das Wirtschaftsministerium spekulierte hier auf einen indirekten Effekt einer deutschen Walfangflotte: Zwar falle die erwartete Ausbeute der Henkel-Unternehmung von 16.000 t nicht sehr ins Gewicht bei einem jährlichen Import von 200.000 t Walöl, aber wenn Deutschland einmal mit dem Fang begonnen habe, würden die Norweger deutlich geneigter sein, in ausreichenden Mengen und zu angemessenen Preisen zu liefern.656 Statt der Rücksichtnahme auf Norwegen hielt man nun einen gewissen Druck für angebracht. Neben der deutschen wirtschaftlichen Lage hatte sich allerdings auch die Situation auf dem internationalen Markt für Fettrohstoffe geändert: Im Laufe des Jahres 1935 hatte sich der Preis für Walöl deutlich erhöht. Die bislang relativ reibungslosen deutschen Walölgeschäfte mit Norwegen und Unilever (s. u.) über Clearing und gegen Bezahlung durch Schiffe und Sperrmarkguthaben kamen durch den Preisanstieg 1935 an ihr Ende.657 Die Ursache für die Verteuerung lag nicht auf dem Gebiet des Walfangs, sondern in einem allgemeinen Angebotsmangel auf dem Fettmarkt:658 Da die verschiedenen 654  BA R-2  / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 1 f. 655  Ebd., Bl. 1. Die Übernahme der Ersten Deutschen Walfang Aktiengesellschaft durch Henkel erfolgte erst durch Gesellschafterbeschluss vom 10.12.1935, aber die Einigung zwischen beiden Gesellschaften erfolgte schon im Oktober, und bereits am 16.10.1935 setzte Henkel das Wirtschafts- und das Ernährungsministerium von seiner Bereitschaft in Kenntnis, die Erste Deutsche Walfang Aktiengesellschaft zu übernehmen; Bohmert, Walfang, S. 35; BA R-2 / 21682, Henkel an RWM und RMEL, 16.10.1935. 656  BA R-2  / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 1 f. 657  Scholl, Zwischen Kooperation und Konfrontation, S. 181. 658  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 422, 424; Lynge, Walfang, S. 100– 102; Bohmert, Walfang, S. 11.



IV. Der Deutsche Walfang275 35,00 30,00 25,00 20,00 15,00 10,00 5,00 0,00

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Quelle: Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 741. Diagramm 14: Durchschnittspreis für Walöl (antarktische Produktion) in £ / t, 1929–1939

Fettrohstoffe für die meisten Zwecke austauschbar sind, folgte der Walölpreis der Entwicklung anderer Öle und Fette. Für den Preisanstieg 1935 war insbesondere die Entwicklung in den USA bestimmend, wo man im Rahmen des New Deal den Anbau von Baumwolle (aus deren Saat Öl gewonnen wird) und die Schweinemast drosselte. Eine Dürre 1934 in den USA verstärkte diesen Effekt noch. In Indien und der Mandschurei beeinträchtigten ebenfalls ungünstige Wetterverhältnisse die Ernte von Sojabohnen, Erdnüssen, Sesam und Raps. Die bei einzelnen Transaktionen gezahlten Preise konnten allerdings je nach aktueller Marktlage sowie den genauen Liefer- und Zahlungskonditionen über den in der Grafik angegebenen Jahresdurchschnittswerten am Londoner Markt liegen. Während der Durchschnittspreis für die Tonne Walöl 1935 £ 12.7.0 betrug, zahlte das Deutsche Reich im Frühjahr 1935 schon £ 15.0.0 an die norwegische Jahre-Gruppe, und im Dezember des Jahres schloss Deutschland einen Kaufvertrag ab über 75.000 t zu je £ 15.5.0.659 Nachdem zu Beginn von 1935 der Preis noch bei £ 8.10.0 ge659  Das neue deutsch-norwegische Walöl-Abkommen, in: Deutsche FischereiRundschau, 17.4.1935, S. 181; Neues vom Walfang, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 26.12.1935, S. 611 f.

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legen hatte, wurde Walöl während des Jahres zwischenzeitlich auch für £ 20.0.0 gehandelt.660 Angesichts der steigenden Nachfrage der deutschen Verbraucher nach fetthaltigen Lebensmitteln und der prekären Lage der deutschen Devisenreserven kam der Preisanstieg auf dem Weltmarkt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. 3. Die beteiligten Unternehmen Die veränderte Versorgungslage, die immer eine Devisenfrage war, lässt sich an der Art der Unternehmen ablesen, die sich nun für den Walfang interessierten. Bei Henkel, Walter Rau und den folgenden Gesellschaften handelte es sich um Großverbraucher von Walöl, die den Walfang in erster Linie für ihre eigene Rohstoffversorgung betreiben wollten, die im Rahmen der staatlichen Fettkontigentierung und Einfuhrkontrollen problematisch geworden war. Die vorangegangenen Initiativen hatte hingegen direkte Profite oder eine regionale Wirtschaftsförderung und Arbeitsbeschaffung zum Ziel. Die norwegischen Walfangunternehmen waren ebenfalls nicht aus der Fett verarbeitenden Industrie, sondern aus Schifffahrt und Fischerei hervorgegangen.661 a) Henkel und die Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft Henkel hatte 1907 mit Persil das erste selbsttätige Waschmittel auf den deutschen Markt gebracht und stieg zwischen den Weltkriegen zum führenden Waschmittelhersteller in Deutschland auf. Da man für die Seifenproduktion natürliche Fette und Öle benötigte, war Henkel entscheidend auf diesen Rohstoff angewiesen. Schon im Ersten Weltkrieg führten die Schwierigkeiten in der Fettversorgung zur Einstellung der Persil-Produktion, die Henkel erst 1920 wieder aufnahm. In der Folgezeit spiegelte der für die Qualität des Waschmittels entscheidende Fettsäureanteil von Persil die deutsche Devisenlage wider: Nach dem Ende der Inflation stieg der Anteil von 30 % auf 40 % und wurde 1934 infolge der Devisenbewirtschaftung wieder auf 32 % gesenkt. Ein deutlicher höherer Anteil wäre zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zulässig gewesen, da der Reichsbeauftragte für die industrielle Fettversorgung am 1. September 1934 den Fettsäuregehalt von Seifenpulver auf höchstens 35 % begrenzte. Auf dem Höhepunkt der Außenhandelskrise schien es sogar, dass Devisen demnächst nur noch für Öle und Fette zur Verfügung stünden, die für die menschliche Ernährung bestimmt seien.662 660  Tønnesen / Johnsen,

Modern Whaling, S. 422; Lynge, Walfang, S.  100 f. Strukturwandel, S. 719. 662  Zu Henkels Hintergrund und Motiven: Bohmert, Walfang, S. 13–18. 661  Schultze,



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Vor diesem Hintergrund beschloss Henkel wahrscheinlich Ende des Jahres 1934, eine wie auch immer geartete Beteiligung am Walfang zu prüfen, was schließlich – nach der Prüfung verschiedener Optionen – laut Gesellschafterbeschluss vom 10. Dezember 1935 zur Übernahme der Ersten Deutschen Walfang Aktiengesellschaft führte.663 Bereits am 16. Oktober 1935 erklärte Henkel gegenüber dem Wirtschafts- und dem Ernährungsministe­ rium seine Bereitschaft, unter bestimmten Bedingungen durch die Übernahme der Ersten Deutschen Walfang Aktiengesellschaft eine Fangflotte auszurüsten, und am 19. November 1935 entsprach das Wirtschaftsministerium diesem Antrag.664 Die Erste Deutsche Walfang Aktiengesellschaft, deren Aktien sich im Besitz der Städte Wesermünde und Bremerhaven befanden, war erst am 30. Oktober 1934 auf Initiative von August Dierks, dem Syndikus der Industrieund Handelskammer Wesermünde, gegründet worden.665 Dierks Engagement lag nicht daran begründet, dass er selbst einer alten Borkumer Walfängerfamilie entstammte, sondern ging von der wirtschaftlichen Lage des Unterweserraums aus:666 Fischereiindustrie, Werften und Reedereien lagen nach der Weltwirtschaftskrise am Boden und die besonders unter der NS-Regierung zunehmend autarkistische Tendenz der Wirtschaftspolitik ließ für den stark auf Seeschifffahrt und Außenhandel angewiesenen Raum BremerhavenWesermünde keine baldige Besserung erwarten. Dierks suchte daher nach einem Konzept, das im Einklang mit der staatlichen Wirtschaftspolitik und Ideologie stand und zugleich die Interessen der Region förderte. Der Walfang schien diese Voraussetzung zu erfüllen, indem er sowohl Devisenersparnis und Unabhängigkeit von Importen als auch Arbeitsplätze und Investitionen für Wesermünde versprach. Mit der Übernahme der Ersten Deutschen Walfang-Aktiengesellschaft durch Henkel war aus der bisherigen Studiengesellschaft ein Unternehmen geworden, das tatsächlich die Kapitalkraft besaß, eine Walfangflotte aufzubauen. Henkel konnte auf die bereits geleisteten Vorarbeiten aufbauen, aber für Dierks und die beiden Städte an der Unterweser erfüllten sich die Erwartungen nicht: Zwar wurde die Jan Wellem mit Wesermünde als Heimathafen registriert, aber Henkel verlegte den Sitz des nun als Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft firmierenden Unternehmens nach Hamburg – dem tradi­ 663  Ebd.,

S. 17, 35. R-2 / 21682, Henkel an RWM und RMEL, 16.10.1935; BA R-2 / 21682, RWM an Henkel, 19.11.1935. 665  Die Gründung bestand in der Umwandlung einer bereits bestehenden Luftverkehr Unterweser Aktiengesellschaft in die Erste Deutsche Walfang-Aktiengesellschaft, zu deren Vorständen Dierks und Carl Kircheiß bestellt wurden; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 77 f.; Bohmert, Walfang, S. 26, 35. 666  Scholl, German Whaling, S. 109. 664  BA

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tionellen Einfuhrhafen für Walöl in Deutschland –, da hier die notwendigen Tanklager und Verarbeitungseinrichtungen bereits vorhanden waren. Die Stadt Wesermünde erhob daher vor Gericht die Klage, dass Henkel mit der Verlegung gegen die Kaufvereinbarung verstoßen habe. Der Prozess ging im Folgenden durch alle Instanzen bis zum Reichsgericht, ohne dass bis Kriegsausbruch eine endgültige Entscheidung gefällt worden war.667 Anders als die Großverbraucher wie Henkel, die sich jetzt anschickten, ihren Rohstoff Walöl selbst zu gewinnen, hatten die ersten Interessenten am Walfang noch vom Staat eine bevorzugte und garantierte Abnahme des Walöls gefordert: Gemäß den Vorstellungen der Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde vom Oktober 1934 hätte das Reich dem Unternehmen das Öl zu einem angemessenen Preis abnehmen und durch einen Beimischungszwang bei der Margarineproduktion für die Verwertung sorgen sollen.668 Interessenten aus Lübeck forderten im selben Jahr ebenfalls eine staatliche Abnahmegarantie und ein Monopol ihrer Gesellschaft für die gesamte deutsche Walöleinfuhr.669 Solchen Privilegierungen standen die staatlichen Stellen allerdings sehr skeptisch gegenüber und befürchteten Auswirkungen auf andere Bereiche der Fettwirtschaft. Die Firma Henkel dagegen war um den Absatz des Öles nicht besorgt, sie stellte vielmehr die Forderung auf, 50 % des von ihrer Flotte gewonnenen Walöls unter Anrechnung auf ihr Fettkontingent selbst verarbeiten zu dürfen, wobei ihr gesamtes Fettkontingent um 20 % erhöht werden sollte, soweit die oben erwähnten 50 % dazu ausreichten.670 Das Öl von Pottwalen, die in wesentlich geringeren Zahlen auf der Hin- und Rückreise vor allem 667  Wesermünde oder Hamburg? Um den Sitz der Ersten Deutschen Walfang GmbH, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 24.8.1938, S. 386 f.; Wesermünde oder Hamburg? – Walfangprozeß geht weiter, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.10. 1938, S. 452, 459; Um den Sitz der Ersten Deutschen Walfang-GmbH, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 5.4.1939, S. 154; Scholl, German Whaling, S. 115. Nachdem die erste Instanz der Klage Wesermündes stattgegeben hatte, entschied das OLG Hamburg in zweiter Instanz zugunsten von Henkel. Wesermünde legte daraufhin Revision beim Reichsgericht ein und erreichte, dass der Fall im Frühjahr 1939 an das OLG Hamburg zur nochmaligen Verhandlung zurückverwiesen wurde. Henkel argumentierte in dem Verfahren, dass eine Rückverlegung nach Wesermünde wirtschaftlich unzumutbar wäre und dass die Anliegen des Vierjahresplanes, um die es beim Walfang gehe, höher rangierten als die Interessen Wesermündes. 668  BA R-2 / 18357, „Industrie- und Handelskammer zu Wesermünde an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit. Betrifft: Gründung eines deutschen Walfangunternehmens in Wesermünde“, 4.10.1934, Bl. 3. 669  BA R-2  /  18357, RMEL: „Niederschrift über die Ressortbesprechung, betr. Waltranbeschaffung am 28. Mai ds. Js.“, 29.5.1934, Bl. 1 f. 670  BA R-2 / 21682, Henkel an RWM und RMEL, 16.10.1935, Bl. 3.



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vor Peru, aber auch in der Antarktis gejagt wurden (auch Spermöl genannt), sollte sogar vollständig an Henkel fallen, wenn die Menge nicht 25 % der Gesamtölproduktion der Flotte überstieg. In Bezug auf Pottwalöl besaß Henkel ein besonderes Interesse, da das Unternehmen über seine Tochter, die Deutsche Hydrierwerke AG in Berlin, der größte Verbraucher dieses Öls in Deutschland war.671 Nach Auffassung des Reichswirtschaftsministeriums lag in dieser Erhöhung des Fettkontingents für Henkel „zweifellos der hauptsächliche Vorteil, den sich die Firma von dem Geschäft verspricht“, da die Firma auf diesem Weg in die Lage versetzt würde, „den Vorsprung, den sie ihrer Konkurrenz gegenüber bereits behauptet, noch zu vergrössern.“672 Mit der Einschätzung, dass die Erhöhung des Kontingents – also die Verbesserung der eigenen Rohstoffbasis und nicht der Verkaufserlös – das Entscheidende war, hatte die Verwaltung tatsächlich den Kern von Henkels Interesse am Walfang erfasst.673 Gegenüber der Kontingentfrage – so das Wirtschaftsministerium weiter über Henkels Motive – „dürfte die Frage der Rentabilität des neuen Unternehmens – für sich betrachtet – zurücktreten.“674 Aus Rücksicht auf die Mitwettbewerber von Henkel wollte man daher versuchen, die Erhöhung des Kontingents auf 10 % zu drücken. Bezüglich des für Ernährungszwecke nicht geeigneten Pottwal- oder Spermöls gab es keine Einwände, da auf Unternehmen der Henkel-Gruppe bereits ca. 80 % des in Deutschland verarbeiteten Pottwalöls entfielen.675 Eine Wettbewerbsverzerrung fürchtete das Ministerium hier also nicht. Schließlich bekam Henkel die Verfügung über 50  % des anfallenden Walöls und über das gesamte Pottwalöl (bis zu 25 % der Gesamtölproduktion) wie erbeten zugebilligt.676 Bei der Erhöhung des gesamten Fettkontingents traf man sich in der Mitte bei 15 %. Allerdings beschränkten sich die Hilfen der Reichsregierung an Henkel nicht hierauf. Henkel wurde außerdem ein Zuschuss auf die Bau- und Umbaukosten von 20 % – höchstens aber 960.000 RM – gewährt, was der Hälfte dessen entsprach, was Henkel gefordert hatte. Hinzu kamen noch Zusagen bei Steuer- und Devisenfragen. Von derartigen Zuschüssen profitierten auch die anderen Unternehmen, wenn auch in je unterschiedlichem Ausmaße: Während Henkel 671  Schultze,

Strukturwandel, S. 719. R-2 / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 2. 673  Bohmert, Walfang, S. 44, 100. 674  BA R-2  / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 2. 675  Bohmert, Walfang, S.  109 f. 676  BA R-2 / 21682, RWM an Henkel, 19.11.1935. 672  BA

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Zuschüsse von 20 % bekam, billigte der Staat Walter Rau und der Jurgensvan den Bergh Margarine Verkaufs-Union 30 % zu.677 Allerdings verpflichtete sich Jurgens-van den Bergh, dass das Unternehmen oder eine andere Unilever-Tochter bei der Kontingentierung keinerlei Sonderstellung verlangen würde.678 b) Walter Rau Walter Rau (1874–1940) hatte seit 1903 aus einfachen Anfängen eine Margarinefabrik unter seinem Namen aufgebaut, die bis 1933 zum größten konzernfreien Hersteller in Deutschland gewachsen war. Konzernfrei bedeutete in diesem Zusammenhang, dass Walter Rau nicht direkt oder indirekt zum damals den Margarinemarkt dominierenden Unilever-Konzern bzw. den Vorläuferunternehmen Jurgens und van den Bergh (s.  u.) gehörte. Rau stammte aus einem sächsischen Pastorenhaushalt und hatte nach einer landwirtschaftlichen Lehre, der Arbeit als Gutsverwalter und dem Besuch der Molkereischule 1903 einen landwirtschaftlichen Betrieb in Hilter am Teutoburger Wald erworben, dem eine kleine Molkerei mit einer Anlage zur Margarineproduktion angeschlossen war. 1924 trat Rau erstmals öffentlich in Erscheinung, als er als Wortführer der kleineren deutschen Margarineproduzenten einen Zolltarifentwurf bekämpfte, der die niederländischen Unternehmen Jurgens und van den Bergh begünstigt hätte. Rau trat anschließend an die Spitze der „Vereinigung der freien deutschen Margarineindustrie“. 1929 erwarb Rau eine Ölmühle in Neuss am Niederrhein, um sich in der Rohstoffversorgung von den Unilever-Vorläuferunternehmen unabhängig zu machen, die auch einen Großteil des Handels und der Verarbeitung von Margarinerohstoffen kontrollierten. Walter Raus – publikumswirksame und politisch opportune – Stoßrichtung gegen Unilever als „ausländischen Trust“ wurde auch in der Werbung des Unternehmens und in Walter Rau nahe stehenden Veröffentlichungen hervorgehoben.679 Nachdem Rau mit dem Erwerb der Ölmühle, der er eine Härtungsanlage für Walöl angliederte, die Aufbereitung der Fettrohstoffe in sein Unternehmen integriert hatte, plante er auch, die Gewinnung dieser Rohstoffe in die 677  BA R-2 / 21682, RWM an RFM, 16.6.1937. Die Begründung für diese Baukostenzuschüsse war die Preisdifferenz jeweils zum Zeitpunkt der Bewilligung zwischen den Preisen deutscher gegenüber ausländischer Werften; ebd. 678  BA R-2 / 21682, RWM an Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union, 20.5.1936. 679  Otto Hugo, Walter Rau. Sein Leben und Werk, in: Walter Rau zum Gedächtnis. † 6. Mai 1940, Dissen 1940, S. 27–41; ders., Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 52 f. Vgl. auch die Unternehmensfestschrift: Hermann Pentermann, 100 Jahre Walter Rau Lebensmittelwerke, Hilter a. T. W. 2003.



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eigene Hand zu nehmen, und beschritt hierbei mehrere Wege. Zusammen mit Erwin Baur vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung arbeitete Rau an der Züchtung einer neuen Sorte von Lupinen, um eine dem Soja vergleichbare, aber für Böden und Klima in Deutschland geeignete Ölpflanze zu erhalten. Rau stellte seine landwirtschaftlichen Güter für Anbauversuche zur Verfügung, allerdings beanspruchte die Züchtung einer solchen Öllupine Zeit und kam bis Kriegsbeginn zu keinem erfolgreichen Ergebnis.680 Diese Versuche standen im Zusammenhang mit der 1933 eingeführten, neuen bitterstofffreien Lupinenrasse (Süßlupine), die der Öffentlichkeit als großer Beitrag der Pflanzenzüchtung zur Autarkiewirtschaft präsentiert wurde, da somit die bisher nur als Gründünger verwendete Lupine nun auch als Eiweißfutter dienen konnte und entsprechende Importe zu ersetzen versprach.681 Rau erwog außerdem die Möglichkeit, selbst in den Anbau oder zumindest den Ankauf von Ölfrüchten in den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika einzusteigen. Solange diese Gebiete nicht wieder unter deutscher Kontrolle standen, erschien dies Vorhaben aber als aussichtslos.682 Ein anderer Weg, den Rau früh ins Auge fasste, war der Aufbau einer Walfangflotte. Am 5. März 1935 – und damit noch vor Henkels Einstieg in das Walfanggeschäft – gründete Rau die Deutsche Walfang Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin, die sich vollständig im Besitz der Walter RauNeußer Ölwerke befand. Dennoch stach die Walter Rau erst Ende 1937 – ein Jahr nach Henkel – in See, da Rau sich für den Neubau eines Schiffes entschieden hatte, was mehr Zeit beanspruchte.683

680  Hugo,

Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 53 f.; ders., Walter Rau, S. 38. wurden in Deutschland schon länger als Zwischenfrucht und Gründünger angebaut, da sie mittels Wurzelbakterien Stickstoff im Boden fixieren. Aufgrund des Anteils an Bitterstoffen (Alkaloiden) sind sie in größeren Mengen toxisch und somit trotz hohem Eiweißgehaltes nicht als Tierfutter geeignet (bzw. nur nach aufwändiger Entbitterung). Die Züchtung einer bitterstofffreien Süßlupine galt daher als erster großer Erfolg des 1928 von Erwin Baur gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung. Obwohl Anbaufläche und wirtschaftliche Bedeutung bis Kriegsbeginn sehr begrenzt blieben (und es bis heute sind), schrieb die populäre Autarkieliteratur der Süßlupine eine revolutionäre Bedeutung wie früher der Kartoffel und der Zuckerrübe zu. Zugleich schien die neue Pflanzensorte die Allmacht der auf genetischen Erkenntnissen aufbauenden Züchtungstechnik zu beweisen. Thomas Wieland, Die Süßlupine. Natürlicher Organismus, technisches Artefakt oder politisches Manifest, in: Technikgeschichte, 66 (1999), 4, S. 295–309. Vgl.: Zischka, Wissenschaft, S.  69 f. 682  Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 54. 683  Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 52 ff.; ders., Walter Rau, S. 38; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 75–78. 681  Lupinen

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Für Raus Einstieg in den Walfang kann die Konkurrenz zu Unilever nicht mehr ausschlaggebend gewesen sein, obwohl auf das populäre AntiTrust-Argument gerne weiter verwiesen wurde.684 In der NS-Zeit war der Margarinemarkt staatlich eng kontrolliert und die Produktion begrenzt, während der Import von Rohstoffen durch die Reichsstelle für Öle und Fette monopolisiert war (siehe Kap. B. II.). Es gab somit kaum Wettbewerb auf diesem Feld mehr. Rau litt jedoch in der Autarkiewirtschaft wie alle industrielle Verbraucher von Ölen und Fetten unter dem Rohstoffmangel, der sein Geschäft zunehmend einschränkte. Daher investierte das Unternehmen in die Produktion typischer fettfreier Ersatzstoffe wie Harzer Käse (einem Magermilchprodukt) und einer Backzutat unter der Bezeichnung „Wara-Kreme“.685 Diese Produkte sollten somit nicht nur für den Verbraucher Fett ersetzen, sondern auch für den Produzenten, dessen Margarinegeschäft aufgrund der Rohstoffversorgung zwangsläufig rückläufig war. Mit dem Aufbau der Walfangflotte versuchte Rau daher, seine Versorgungslage zu verbessern. c) Unilever und die Unitas Deutsche Walfang-Gesellschaft Unilever bzw. deren Tochter die Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union stellte in Bezug auf die Motive des Unternehmens wie auch in anderer Beziehung einen Sonderfall dar. Ministerialdirektor Wohlthat vom Wirtschaftsministerium bewertete die Pläne der Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union am 13. Mai 1936 als „ungewöhnlich günstig“ für das Reich, denn nichtdeutsche Konzerngesellschaften waren bereit, die nötigen Devisen für den Bau der Flotte (etwa für Material aus dem Ausland) und deren Betrieb (vor allem Treibstoff) vorzustrecken gegen spätere Rückzahlung durch Walöllieferungen.686 Das Motiv für dieses günstige Angebot des Unilever-Konzerns sah die Ministerialverwaltung in dem Bestreben, die hohen, in Deutschland festliegenden Reichsmarkbestände anzulegen. 684  Vgl.: Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 69. Hugo betont jedoch auch den volkswirtschaftlichen Aspekt des Devisenmangels und dessen Folgen für die Fettversorgung. 685  „Wara“ war ein Markenname für Margarine von Walter Rau. Die von 1938 bis 1944 produzierte „Wara-Kreme“ enthielt jedoch vor allem verschiedene Zucker (Glucose, Maltose, Dextrine), Magermilchpulver, Süßlupinenmehl (s. o.) und Sojamehl. Harzer Käse als ein fettarmes Magermilchprodukt wurde zu dieser Zeit als Ersatz für fetthaltige Brotbeläge propagiert; Pentermann, 100 Jahre Walter Rau, S. 39–41. 686  BA R-2 / 21682, „Über das Ergebnis der Besprechung im RWM am 13. Mai 1936“, 16.5.1936; das Angebot erschien Wohlthat so vorteilhaft, dass er die Annahme empfahl auch auf die Gefahr hin, dass Norwegen auf den Bau dieser zusätz­ lichen Flotte mit dem Scheitern der Charterverträge reagieren würde; ebd.



IV. Der Deutsche Walfang283

Für Unilever als britisch-niederländischem Konzern stellte sich das gleiche Problem wie für alle ausländischen Unternehmen im nationalsozialistischen Deutschland: Zwar konnten diese Betriebe mit dem wirtschaftlichem Aufschwung gute Gewinne in Deutschland machen, aber diese Gewinne waren in Reichsmark und ließen sich unter den Bedingungen der Devisenbewirtschaftung nur mit erheblichen Abschlägen in ausländische Währungen umtauschen, um sie an die Konzernzentrale transferieren zu können.687 Einige Unternehmen versuchten daher ihre deutschen Töchter zu einem ­ Bruchteil des ursprünglichen Preises zu verkaufen, andere trösteten sich mit der Möglichkeit, immerhin innerhalb Deutschlands Kapital zurücklegen und investieren zu können. Unilever war in den 1930er Jahren eines der größten, wenn nicht das größte Unternehmen in Europa und somit auf dem Kontinent nur noch der IG-Farben vergleichbar.688 Der Konzern entstand durch die im September 1929 – noch vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise – beschlossene Fusion der Margarine Union, dem in Großbritannien und Zentraleuropa führenden Margarineproduzenten, und der Lever Brothers Ltd., deren Kerngeschäft Seife – „Sunlight“ bzw. „Sunlicht“ als bekannte Marke – war. Die Margarine Union ging wiederum auf die beiden Niederländer Anton Jurgens und Simon van den Bergh zurück, die seit dem 19. Jahrhundert zunächst in Konkurrenz und dann in immer weitergehender Kooperation zwei, nicht zuletzt den deutschen Markt dominierende Margarineunternehmen aufgebaut hatten. Nach ihrer Fusion im November 1927 zur Margarine Union gingen noch weitere Margarine- und Seifenproduzenten durch Kauf oder Fusion in der Margarine Union auf.689 Lever Brothers und die Margarine Union nutzten denselben Rohstoff – pflanzliche Öle und Fette ebenso wie Walöl – und hatten begonnen, in das Geschäftsfeld des jeweils anderen einzudringen, weshalb zunächst Verhandlungen begonnen worden waren, um durch den Austausch von Unternehmensbereichen Konflikte zu vermeiden. Letztlich erwies sich eine Fusion als einfachere Lösung und es entstanden als Struktur des neuen Unternehmens zwei Dachgesellschaften, die bis heute stets identische Vorstände besitzen: die in London registrierte Unilever Ltd. und Unilever NV in Rotterdam. 687  Zur Situation ausländischer Unternehmen in Deutschland nach 1933: Tooze, Wages of Destruction, S. 132 ff. 688  Zur Vorgeschichte von Unilever: Wubs, Unilever, S. 16  ff.; William Joseph Reader, Fifty Years of Unilever. 1930–1980, London 1980, S. 1 ff. 689  Letztlich gingen in Unilever sechs Familienunternehmen auf: Jurgens, van den Bergh, Schicht und Lever Brothers sowie die im Verhältnis kleineren niederländischen bzw. niederländisch-französischen Unternehmen Hartog und Calvé-Delft; Wubs, Unilever, S. 17.

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Da die Seifen- und Margarineproduktion unabdingbar auf Fette und Öle als Ausgangsmaterial angewiesen war, waren Unilever und die Vorläuferunternehmen neben dem Handel und Anbau von tropischen Ölpflanzen bereits früh im Walfang engagiert.690 Im Sommer 1928 hatten die kurze Zeit später in Unilever aufgegangenen Unternehmen zusammen mit dem amerikanischen Seifenhersteller The Procter & Gamble Co. den so genannten Welttranpool gegründet, der 80–90 % der weltweiten Walölerzeugung aufnahm, und so annähernd ein Einkaufsmonopol errichtet. Dass sich die meisten Ölhärtungsanlagen und Tankanlagen im Besitz von Unilever befanden, untermauerte diese Position zusätzlich. Unilevers Engagement im deutschen Walfang war eine Antwort auf die Schwierigkeiten, denen sich der Konzern bzw. seine deutsche Tochter die Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union als ausländisches Unternehmen im Nationalsozialismus gegenüber sah. In Deutschland bestand Unilevers Geschäft ganz vorwiegend aus Margarine, während der Konzern bei Seife nur einen Marktanteil von 6 % besaß (hier dominierte Henkel mit 50 %).691 Deutschland stellte auch für Unilever insgesamt einen Markt von großer Bedeutung dar, da das britisch-niederländische Unternehmen hier 1930 44 % seiner gesamten Margarine- und Speisefettproduktion absetzte. Auf dem deutschen Margarinemarkt standen Unilever mit einem Marktanteil von 68,8 % (1930) nur eine Vielzahl deutlich kleinerer Wettbewerber (darunter Walter Rau) gegenüber, aber der eigentliche Konkurrent war Butter. Somit geriet Unilevers Deutschlandgeschäft schon durch die politisch gewollte Drosselung der Margarineproduktion und die Förderung der Milchbauern unter Druck.692 Zudem wurde Unilever als Monopolist und „ausländischer Trust“, der noch dazu unter jüdischer Kontrolle stände, nach 1933 in Deutschland öffentlich vielfach angegriffen.693 Das Unternehmen war in dieser Hinsicht bereit, mit dem Strom zu schwimmen, und zog das nach damaliger Diktion 690  Wubs, Unilever, S. 21, 25; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 59; ders., Deutschlands neuer Walfang, S. 56; Lynge, Walfang, 67 f.; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S. 490. Seit 1919 gehörte The Southern Whaling and Sealing Company zu Lever Brothers. 691  Wubs, Unilever, S. 34–48. 692  Unilevers Margarineabsatz in Deutschland sank von 344.000 t im Jahre 1932 auf 252.000 t 1938. Der Anteil des Konzerns an dem insgesamt schrumpfenden Markt zeigte sich leicht rückläufig: Während der Marktanteil 1932 noch 68,8 % betragen hatte, waren es 1938 60,0 %; ebd., S. 45. 693  Ebd., S. 52 f. Ein Beispiel für solche Angriffe ist: Beese, Das Eindringen. Als Beispiel für die gegen Unilever gerichtete Stimmung, s. a. die Eingabe des Völkerrechtlers Ernst Wolgast (s. u.): BA R-2 / 18357, Wolgast an Bruns, 8.12.1935, S. 15. Vgl. auch die konzerneigene Festschrift: Manfred Bissinger (Hrsg.), Die Geschichte der Markenmacher. 75 Jahre Unilever in Deutschland, Hamburg 2005, S. 58–60.



IV. Der Deutsche Walfang285

nicht-arische Führungspersonal aus dem Deutschlandgeschäft zurück. Umgekehrt zeigte Göring angesichts der großen wirtschaftlichen Bedeutung Unilevers ebenfalls Entgegenkommen und erklärte 1938 Unilever zu einem „arischen Unternehmen“, obwohl der Vorstand der britisch-niederländischen Dachgesellschaften diesem Maßstab nicht entsprach.694 Das schwerwiegendste Problem stellte jedoch die deutsche Devisenbewirtschaftung dar, die den Gewinntransfer an die Muttergesellschaft und den Bezug von Rohstoffen aus dem Ausland zu ersticken drohte. Einschränkungen beim Kapitalexport bestanden bereits ab 1931 und verschärften sich nach der Machtergreifung, aber bis Mitte 1934 war es noch möglich, den Großteil der Gewinne an die Unilever NV in Rotterdam zu transferieren. Seitdem stand die Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union als deutsche Konzerntochter vor dem Problem, dass sie einerseits sehr große geblockte RM-Guthaben (Sperrmark) besaß und andererseits keine Devisen zum Bezug von Rohstoffen für die deutschen Fabriken bekommen konnte. Eine Lösung bot der Bau von Schiffen auf deutschen Werften und auf Rechnung von Unilever, wobei die Bezahlung teils in Sperrmark und teils in Rohstoffen (z. Bsp. Palmöl oder Walöl) erfolgte.695 Für die deutsche Volkswirtschaft lag der Vorteil darin, dass auf diese Weise Rohstoffe ohne Devisenverbrauch ins Land kamen und dass die Werften Aufträge erhielten. Unilever dagegen konnte Kapital in Form von Schiffen ins Ausland transferieren, wo der Konzern die Schiffe entweder selbst verwendete (z. Bsp. für Unilevers Westafrikahandel) oder gegen Devisen verkaufte. Eine gegen Unilever als internationalen „Trust“ gerichtete Veröffentlichung von 1938 argwöhnte hinter den Schiffbauaufträgen eine Übervorteilung deutscher Interessen, es scheint allerdings, dass Unilever für diese Art des Gewinntransfers große Verluste in Kauf nehmen musste.696 In jedem Fall kam der Ge694  Wubs,

Unilever, S. 69 f. S.  59 f.; Reader, Fifty Years, S. 44. Insgesamt wurden auf diese Weise zwischen 1934 und 1936 17 Frachter, 26 Tanker und 19 Trawler gebaut. Als Beispiel für die Einzelheiten dieser Geschäfte kann der Vorschlag Unilevers vom April 1936 dienen, wonach der Konzern zwei Tanker zum Stückpreis von 2,75 Mill. RM ordern wollte, deren Zahlung zu 35 % in Palmöl und zu 65 % in Sperrmark erfolgen sollte. Käufer sollte in diesem Fall die kanadische Konzerntochter Lever Brothers, Toronto sein; Wubs, Unilever, S. 60. 696  Beese, Das Eindringen, S. 7 f. Beese weist zudem auf die Wettbewerbsverzerrung zulasten deutscher Kaufleute und Reedereien im Westafrikageschäft hin, die dadurch entstünde, dass die mit Gewinnen aus dem deutschen Margarinegeschäft gebauten Schiffe von der Unilever-Tochter United Africa Company eingesetzt würden. Von hohen Verlusten, die Unilever in diesen Geschäften in Kauf nehmen musste, gehen dagegen Tønnessen und Johnsen aus, da der Konzern über den Verkauf der Schiffe 25 RM für 1 £ bezahlt habe, während der Kurs bei Clearing-Geschäften lediglich 16,50 RM / £ betragen habe; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 430. 695  Ebd.,

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winntransfer über Schiffsbauten 1936 zu einem Ende. Vermutlich da der Arbeitsbeschaffungsaspekt zu dieser Zeit nicht mehr von Bedeutung war, forderte die deutsche Regierung eine Änderung der Zahlungsmodalitäten, so dass das Geschäft für Unilever nicht mehr lohnend gewesen wäre.697 Für Unilever blieb somit nur noch die Möglichkeit, verstärkt die Gewinne in Deutschland anzulegen zur Ausweitung des Kerngeschäfts oder auch in ferner liegenden Branchen: Auf diesem Weg engagierte sich Unilever in Geschäftsfeldern wie der Elbeschifffahrt, dem Besitz von Immobilien, der Produktion von Zellwolle, Käse, Eiscreme (Langnese) und Haarfärbemittel sowie in der Hochseefischerei.698 Eine weitere Option war der Bau einer Walfangflotte, in die nicht nur gesperrte Reichsmarkguthaben angelegt werden konnten, sondern die darüber hinaus direkt zur Lösung des Rohstoffproblems der deutschen Margarineproduktion des Konzerns beitragen konnte. Von der Absicht Unilevers, unter deutscher Flagge auf Walfang zu fahren, war bereits auf einer Besprechung im Reichsernährungsministerium im März 1935 die Rede.699 Beschlüsse wurden dagegen erst im Mai 1936 gefasst: Konzernintern fiel die Entscheidung am 7. Mai,700 zwei Tage später lag bereits ein Antrag der Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union beim Wirtschaftsministerium vor, das am 13. eine Besprechung zu diesem Thema abhielt.701 Hier beurteilte Wohlthat wie bereits erwähnt das Vorhaben als „ungewöhnlich günstig“ für das Reich und führte aus, dass auch aus der Zugehörigkeit zu einem ausländischen Konzern „Bedenken nicht hergeleitet werden können“, da die zu bauende Walfangflotte unter deutscher Flagge fahren und damit auch deutscher Gesetzgebung unterstehen werde.702 Somit gab das Wirtschaftsministerium dem Antrag am 20. Mai 1936 statt.703 In den Mai 1936 fiel auch ein Treffen von Hermann Göring und Georg Schicht. Schicht gehörte zum engeren Führungskreis von Unilever; Schicht, Jurgens, van den Bergh und Lever waren die vier großen in dem Konzern aufgegangenen Familienunternehmen. Auf diesem Treffen stellte Schicht 697  Wubs,

Unilever, S. 60. S. 60–62. 699  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935. 700  Wubs, Unilever, S. 67. 701  BA R-2 / 21682, „Über das Ergebnis der Besprechung im RWM am 13. Mai 1936“, 16.5.1936. 702  Ebd. 703  BA R-2 / 21682, RWM an Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union, 20.5.1936. 698  Ebd.,



IV. Der Deutsche Walfang287

das Walfang-Projekt Göring vor, der das Vorhaben begrüßte, da es sich passgenau in die Autarkiebestrebungen einfügte. Das Unternehmen lud Göring im Mai 1937 zum Stapellauf der Unitas ein, zu dem führende Vertreter von Unilever erschienen waren, darunter – als ein für Göring interessanter Gesprächspartner – Lord Trenchard, der nicht nur Marshal of the Royal Air Force, sondern auch Vorstand der United Africa Company, einer Handelsgesellschaft von Unilever, war. Ungeachtet der Probleme von Devisenbewirtschaftung und Kapitaltransfer herrschte zwischen Göring und Unilever eine Atmosphäre gegenseitigen Wohlwollens, die auch Teil deutscher Ausgleichsbemühungen mit Großbritannien bzw. eines britischen ökonomischen Appeasements war.704 Ebenso wie im Falle von Henkel und Walter Rau war für Jurgens-van den Bergh bzw. Unilever somit die Entscheidung, eine Walfangflotte aufzubauen, durch den neuen wirtschaftspolitischen Rahmen bedingt. Insofern unterschieden sich diese Vorhaben in der Motivation der Unternehmen grundlegend von den nicht realisierten vorangegangenen Projekten, die noch in einem anderen wirtschaftspolitischen Umfeld angesiedelt waren. Für die Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union ergab sich aus der Zugehörigkeit zu Unilever ein Startvorteil gegenüber den übrigen deutschen Walfangunternehmen:705 Während der Walfang vom Bau und Ausrüstung der Flotte bis zu dem eigentlichen Fangbetrieb für die anderen Unternehmen vollkommenes Neuland bedeutete, konnte Jurgens-van den Berg auf das Wissen der bereits vielfältig im Walfang engagierten Konzernmutter zurückgreifen. Eine seit 1919 mit Lever Brothers bzw. Unilever verbundene britische Gesellschaft, die The Southern Whaling & Sealing Company Ltd., instruierte die Hamburger Reederei der Unitas, so dass diese beim Fangbetrieb nicht bei Null anfangen musste.706 Ähnliche Vorteile ergaben sich bei der Rekrutierung norwegischer Spezia­ listen und beim Bau der Schiffe. Als Bevollmächtigter der Jurgens-van den Berg Margarine-Verkaufs-Union führte ein Kapitän N. C. Watts von der The Southern Whaling & Sealing Company Ltd. die Probefahrten und Abnahmeprüfungen der neu gebauten Fangboote der Unitas im Sommer 1937 auf der Ostsee durch.707 704  Wubs,

Unilever, S. 66 f. Walfang in der Antarktis, S. 86, 96, 115. 706  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 306, 432; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 96. Hierfür wurden allerdings £ 10.000,– in Rechnung gestellt. 707  Unilever-Archiv Hamburg, N. C. Watt, The Southern Whaling and Sealing Company an Simon Thomas, Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union, 6.8.1937; N. C. Watt, The Southern Whaling and Sealing Company an Simon Thomas, Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union, 31.8.1937. 705  Winterhoff,

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D. Grenzen des Meeres

Die Unitas, das größte der deutschen Kochereischiffe, gab Jurgens-van den Bergh bei der Bremer Werft Deschimag in Auftrag, die hierfür auf die Baupläne der kurz zuvor auf derselben Werft fertig gestellten Terje Viken zurückgriff.708 Auftraggeber dieses Schiffes war die britische United Whalers Ltd., ein neu gegründetes Walfangunternehmen, an dem Unilever beteiligt war. Dass der Auftrag für die unter britischer Flagge fahrende Terje Viken an die Bremer Werft ging, sah „Die Deutsche Fischwirtschaft“ – eine Zeitschrift des Reichsnährstandes – als Beweis „für das wachsende Vertrauen des Auslandes zu deutscher Wertarbeit und nicht zuletzt auch zur Stabilität der deutschen Verhältnisse.“709 Tatsächlich erklärt sich die Auftragsvergabe ebenfalls aus der deutschen Devisenbewirtschaftung: Die schwedische Svenska Handelsbanken finanzierte den Bau mit ihren in Deutschland geblockten Guthaben und übertrug das Schiff anschließend an die eigens neu gegründete United Whalers Ltd., eine Tochter der Hector Whaling Company, an der wiederum Unilever bedeutende Anteile hielt.710 Bei aller Kooperationsbereitschaft, die beide Seiten zeigten, war der Bau der Unitas ähnlich wie die Schiffbauprogramme zuvor auch eine Art Tauziehen zwischen dem deutschen Staat und Unilever. Daher stellt sich auch hier die Frage, wie günstig oder ungünstig das Ergebnis für den Konzern ausfiel. Hier ist es interessant, dass die Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufs-Union zwar der Eigentümer der Unitas und der dazugehörigen Fangdampfer war, dass die Schiffe jedoch an die Unitas-Deutsche WalfangGesellschaft m.b.H. aus Hamburg verchartert waren, die als Reederei für den tatsächlichen Betrieb des Schiffes verantwortlich war. Jurgens-van den Bergh stellte von den 1 Millionen RM Kapital der Unitas-Deutsche Walfang-Gesellschaft jedoch nur 486.000,– RM und von den sieben Vorstandmitgliedern nur drei.711 Die Mehrheit des Kapitals und der Vorstandsmitglieder einschließlich des Vorsitzenden entfiel auf zwei andere Firmen. Jurgensvan den Bergh besaß somit keine Mehrheit in der Gesellschaft und keinen bestimmenden Einfluss auf den Betrieb der Unitas-Flotte. Es ergibt sich ein für Unilever eher ungünstiges Bild, bei dem der Konzern gezwungenerma708  Tønnesen / Johnsen,

Modern Whaling, S. 431; Schubert, Walfang, S. 148. 10 Millionen-Mark-Auftrag für die Deschimag Bremen, in: Die Deutsche Fischwirtschaft, 13.7.1935, S. 568. In diesem Artikel gilt eine in Gründung befindliche norwegisch-schwedische Walfanggesellschaft als Auftraggeber, ohne dass die Beteiligung Unilevers erkennbar wird. 710  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 426  f. Vgl. Lynge, Walfang, S. 86. Lynge zufolge war zunächst nicht sichtbar, dass auch hinter der Terje Viken und der United Whalers Ltd. letztlich Unilever stand. 711  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 431; BA R-26 IV / 28 Bd. II 3, „Geschäftsgruppe Ernährung. Vermerk. Betr.: Deutsche Walfanggesellschaft Unitas des Unilever-Konzerns“, 5.8.1942, Anlage 1. 709  Norwegisch-schwedischer



IV. Der Deutsche Walfang289

ßen eine Organisationsform akzeptiert hatte, die seine Verfügung über sein Eigentum einschränkte. Eine ähnliche organisatorische Begrenzung des Einflusses von Unilever findet sich noch ausgeprägter auf der Ebene der gesamten deutschen Margarineindustrie: Die 1934 als Selbstverwaltungsorgan der Industrie mit weitreichenden Vollmachten gegründete Wirtschaftliche Vereinigung der Margarine- und Kunstspeisefettindustrie besaß einen neunköpfigen Vorstand, und die von Unilever kontrollierten Unternehmen stellten bei über 60 % Marktanteil712 lediglich zwei Vorstandsmitglieder.713 Eine zeitgenössische Dissertation konstatierte befriedigt, durch diese und ähnliche Maßnahmen sei es „zu einer vollständigen Unterordnung der Trustindustrie unter den Willen der Staatsführung“ gekommen.714 Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man einer Aufstellung der Geschäftsgruppe Ernährung in der Vierjahresplanbehörde folgt, die 1942 im Zusammenhang mit der geplanten deutschen Übernahme Unilevers nach der Besetzung der Niederlande entstand und sämtliche deutsche Walfangbeteiligungen Unilevers auflistet.715 Demnach waren die anderen beiden Teilhaber der Reederei Unitas-Deutsche Walfang-Gesellschaft die „Mohr-Gruppe“ (41,48 % Anteil) und die „Loh-Gruppe“ (9,88 % Anteil). Da Unilever wiederum an diesen Gesellschaften beteiligt war, gibt die Aufstellung von 1942 den Anteil Unilevers an der Reederei letztendlich mit 60,69 % an. Gemeint waren vermutlich die A. L. Mohr GmbH, Altona-Bahrenfeld, die Mohr & Co. GmbH, Hamburg-Steinwärder, und die Schmitz & Loh AG, Duisburg, die alle von Unilever kontrolliert wurden.716 Letztlich war somit der Einfluss des Konzerns deutlich größer, als es zunächst den Anschein hat.

712  Wubs,

Unilever, S. 45. Busch, Der Unilevertrust und seine Stellung in der deutschen Volkswirtschaft, Bottrop 1937, S. 97–99. 714  Ebd., S. 99. Eine solche auf den ersten Blick Unilever-feindliche Äußerung dürfte letzten Endes dem Konzern sehr gelegen gekommen sein, impliziert die Aussage doch, dass keine weiteren staatlichen Maßnahmen zur Einschränkung des „Trustes“ nötig seien. 715  BA R-26 IV / 28 Bd. II 3, „Geschäftsgruppe Ernährung. Vermerk. Betr.: Deutsche Walfanggesellschaft Unitas des Unilever-Konzerns“, 5.8.1942, Anlage 1. 716  Die A. L. Mohr GmbH und die Mohr & Co. GmbH gehörten bereits 1928 zu 100 % zur Jurgens-Gruppe (die dann mit van den Bergh und anderen Unilever bildete). 1929 erwarb der Konzern 50 % der Anteile der Schmitz & Loh AG. Noch im September 1929 betonte Schmitz & Loh aber, dass mit der Margarine-Union von Jurgens und van den Bergh nur ein Rohstofflieferungsabkommen bestehe und keine kapitalmäßige Beteiligung; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S. 56 f.; Wubs, Unilever, S. 46 u. Appendix A4. 713  Georg

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D. Grenzen des Meeres

d) Unilever und das Hamburger Walfang-Kontor Neben den in Deutschland gebauten bzw. umgebauten Schiffen von Henkel, Walter Rau und der Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union gab es, wie bereits erwähnt, vier weitere aus Norwegen gecharterte oder angekaufte Kochereien (C. A. Larsen, Skytteren, Südmeer und Wikinger), die alle vom Hamburger Walfangkontor bereedert wurden.717 Bei den Betreibern dieser vier Schiffe handelte es sich um Gemeinschaftsunternehmen der Margarine- und Ölmühlenindustrie und ähnlich wie bei der Kontrolle der Unitas lässt sich bei diesen Unternehmen die Rolle von Unilever erst auf den zweiten Blick erkennen. Daher verbinden die Unterlagen der Ministerialverwaltung und die zeitgenössische Literatur – sofern sie Unilever oder Jurgens-van den Bergh überhaupt erwähnen – fast immer nur die Unitas mit dem britisch-niederländischen Konzern und nicht die vier angekauften und gecharterten Schiffe. Ausnahmen, die die Beteiligung Unilevers ansprachen, gab es nur wenige: Eine dezidiert gegen Unilever als „internationalem Trust“ gerichtete Veröffentlichung von 1938 zählte vier deutsche Walfangexpeditionen (die fünfte, Wikinger, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht angekauft) zu den deutschen Beteiligungen Unilevers.718 Die Mitarbeiterzeitung der deutschen Unilever-Töchter sprach im Februar 1937 von zwei gecharterten norwegischen Kochereischiffen – gemeint waren C. A. Larsen und Skytteren –, an denen der Konzern zu rund 50 % beteiligt sei.719 Schließlich nannte 1939 ein Artikel in „Der deutsche Volkswirt“ Unilever den größten Anteilseigner an den Gesellschaften, die die vier ehemals norwegischen Fangflotten gechartert bzw. gekauft hatten, so dass „der Unilever-Konzern das größte Walfangunternehmen in Deutschland“ sei.720 In der ersten Saison unter deutscher Beteiligung – der Fangzeit 1936 / 37 – fuhren auf deutsche Rechnung neben Henkels Jan Wellem die beiden von Norwegen gecharterten Kochereischiffe C. A. Larsen und Skytteren.721 Als 717  Ein tabellarischer Überblick über die einzelnen Fangflotten, ihre Eigentümer, Charterer, Reedereien und technische Daten findet sich bei: Gramcko, Organisation, S. 48–54; Schubert, Walfang, S. 144–150; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 117–123. 718  Beese, Das Eindringen, S. 27. Gemeint waren Unitas, C. A. Larsen, Skytteren und Südmeer. Die Wikinger wurde erst nach Abschluss des Textes von Deutschland übernommen. 719  Schraud, Vom Walfischfang, S. 8 f. Schraud war „Betriebsführer“ der Jurgensvan den Bergh Margarine-Verkaufs-Union. 720  Schultze, Strukturwandel, S. 719. 721  Siehe im Folgenden: Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 444 f.



IV. Der Deutsche Walfang291

bereits 1913 bzw. 1901 gebaute und 1928 zum Walfang umgerüstete Schiffe gehörten beide einer älteren Generation von Kochereien an und konnten sich in mehrfacher Hinsicht nicht mit den Neubauten der 1930er Jahre messen. Ursprünglich war von deutscher Seite aus dennoch beabsichtigt gewesen, ausschließlich gebrauchte Schiffe aus Norwegen zu kaufen und keine Neubauten selbst auf Kiel zu legen. Da das norwegische Walfanggesetz den Verkauf von Kochereien ins Ausland verbot, kam die Möglichkeit ins Spiel, Schiffe zu chartern. Henkel hatte ebenfalls Interesse an den beiden Schiffen C. A. Larsen und Skytteren gezeigt, bevor die Entscheidung zum Umbau der Jan Wellem fiel.722 Die norwegische Regierung erklärte im Frühjahr 1936, dass eine Vercharterung von Kochereien möglich wäre unter den Bedingungen, dass erstens die Schiffe ausschließlich norwegische Besatzungen hätten und zweitens dass Deutschland für die Dauer der Charter keine weiteren Walfangflotten (zusätzlich zur Jan Wellem) bauen würde.723 Diese letztere norwegische Forderung schien allerdings keinen großen Eindruck auf deutscher Seite zu hinterlassen, denn das Protokoll einer Besprechung im Wirtschaftsministerium am 13. Mai 1936 vermerkte, dass Ministerialrat Wohlthat die Unterstützung der Baupläne der Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union – also die Unitas – „selbst dann empfehle, wenn dadurch das Charterprojekt scheitere, was er aber noch gar nicht für sicher halte.“724 Wohlthat sollte Recht behalten, denn als die norwegischen Eigner die C. A. Larsen und die Skytteren mit jeweils sechs Fangbooten Ende 1936 an Deutschland vercharterten, wurde zwar die erste Bedingung bezüglich der Besatzung erfüllt, aber das skandinavische Land war nicht in der Lage, die zweite Bedingung gegenüber dem Deutschen Reich durchzusetzen. Andererseits schätzte die norwegische Seite den finanziellen Aspekt der Charterverträge als sehr vorteilhaft ein.725 Angesichts der Möglichkeit, mit den gecharterten Kochereien Walöl auf Reichsmarkbasis zu produzieren, fiel die Höhe der Charterkosten aus deutscher Sicht nicht so sehr ins Gewicht. Die Zahlung der Charter erfolgte allerdings auch nicht in bar, sondern als Kompensationsgeschäft. Ende Mai 1936 schlug die Fachuntergruppe Margarineindustrie hierfür den Neubau von zwei Tankern zu je £ 150.000,– sowie eines Frachtschiffes (£ 95.000,–) und Reparaturarbeiten an C. A. Larsen und Skytteren (je £ 12.500,–) vor.726 Man einigte sich zur Finan722  Bohmert,

Walfang, S. 29, 32 f. Modern Whaling, S. 444 f. 724  BA R-2 / 21682, „Über das Ergebnis der Besprechung im RWM am 13. Mai 1936“, 16.5.1936, Bl. 3. 725  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 444. 726  BA R-2 / 21682, Fachuntergruppe Margarine-Industrie an RWM, 25.5.1936. 723  Tønnesen / Johnsen,

292

D. Grenzen des Meeres

zierung letztlich auf die Lieferung von vier neu gebauten Frachtschiffen an die Londoner Hambros Bank, die diese dann an norwegische Reedereien verkaufte.727 Eigentümer der beiden gecharterten Flotten waren die in Oslo ansässigen Firmen Blaahval AS bzw. Finnhval AS, die eigens vor der Vercharterung mit 40 % deutschem und 60 % norwegischem Kapital gegründet worden waren.728 Der Charterer für beide Flotten war die Margarine-Rohstoff-Beschaffungs-Gesellschaft, Berlin, und die Bereederung übernahm das Hamburger Walfangkontor. Wie der Name erkennen lässt, stand die auf Walöl dringend angewiesene deutsche Margarineindustrie hinter dem Charterer. Die Eigentumsverhältnisse dieser Margarine-Rohstoff-Beschaffungs-Gesellschaft waren fast identisch wie im Fall des oben erläuterten Reeders und Charterers der Unitas. Wiederum teilten sich die Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union (48,65 %), die Mohr-Gruppe (41,47 %) und die Loh-Gruppe (9,88 %) die Anteile, so dass die Aufstellung der Geschäftsgruppe Ernährung aus dem Jahr 1942 hier auf einen Anteil Unilevers von 60,62 % kam.729 In der Saison 1937 / 38 stieß neben der Unitas und der Walter Rau auch die ehemals norwegische Sydis unter dem neuen Namen Südmeer zu den deutschen Walfangflotten. Inzwischen widersetzte man sich in Norwegen einem Verkauf nicht mehr. Der hohe Preis von £ 140.000,– für ein vergleichsweise kleines und betagtes Schiff erklärt sich wieder einmal aus der Dringlichkeit, die eigene deutsche Walölproduktion zu erhöhen.730 Als Reeder agierte auch hier das Hamburger Walfangkontor.

727  Tønnesen / Johnsen,

Modern Whaling, S. 444. Schubert, Walfang, S. 147; Verzeichnis der Walfangunternehmungen der Welt, S. 222, 224; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 87. Während für die C. A. Larsen stets die Blaahval A.S. als Eigner genannt wird, erscheint bei der Skytteren statt der Finnhval A.S. in der Literatur auch die Hvalfangstselskapet Skytteren A.S. aus Tönsberg, Norwegen. Vermutlich handelt es sich um den vorherigen Eigentümer vor Gründung der Finnhval A.S.; vgl. die tabellarische Darstellung der einzelnen Kochereischiffe bei: Gramcko, Organisation, S. 53. Von dort wurde die Angabe offenbar in ähnliche tabellarische Übersichten in späteren Werken übernommen; vgl.: Schubert, Walfang, S. 147 (unten); Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 123. 729  BA R-26 IV / 28 Bd. II 3, „Geschäftsgruppe Ernährung. Vermerk. Betr.: Deutsche Walfanggesellschaft Unitas des Unilever-Konzerns“, 5.8.1942, Anlage 4a. In der graphischen Darstellung des Unilever-Konzerns bei Wubs wird die Marga­rineRohstoff-Beschaffungs-Gesellschaft ebenfalls – allerdings ohne Angabe der Be­ teiligungsverhältnisse – als Tochterunternehmen aufgeführt; Wubs, Unilever, Appendix A4. 730  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 450. 728  Ebd.;



IV. Der Deutsche Walfang293

Zuletzt kaufte Deutschland noch die Wikinger rechtzeitig für die Saison 1938 / 39, die somit vor Kriegsausbruch nur noch eine Saison für die deutsche Wirtschaft fuhr. Dieses Schiff wurde zusammen mit fünf Fangbooten unter seinem ursprünglichen Namen Vikingen von der Viking Corporation aus Panama erworben, hinter der jedoch die Johan Rasmussen-Gruppe aus dem Zentrum der norwegischen Walfangindustrie, der Stadt Sandefjord bei Oslo, stand.731 Die deutsche Presse gab den Kaufpreis für das recht neue Schiff – Baujahr 1929 – mit £ 275.000,– an, wobei die Bezahlung hauptsächlich durch den Bau eines Tankers erfolgen sollte, den die norwegische Seite anschließend beabsichtigte weiterzuverkaufen.732 Südmeer und Wikinger gehörten dem Ölmühlen-Walfang-Konsortium, einem Zusammenschluss von Firmen, die Öle hydrierten (härteten) und raffinierten.733 Irrigerweise oder grob vereinfachend findet sich in Teilen der Literatur die Angabe, Eigner der Südmeer sei die Deutsche ÖlmühlenRohstoffe GmbH gewesen und nur die Wikinger habe zum Ölmühlen-Walfang-Konsortium gehört.734 Tatsächlich handelte es sich bei der Deutsche Ölmühlen Rohstoffe GmbH um eine staatlich kontrollierte Gesellschaft, die ab 1933 zentral den Rohstoffeinkauf der Ölmühlen im Ausland abwickelte.735 Die Deutsche Ölmühlen Rohstoffe GmbH war jedoch Gesellschafter des Ölmühlen-Walfang-Konsortiums und übte die Geschäftsführung aus. Die Gesellschafter des Konsortiums waren im Einzelnen:

731  Ebd.

732  Deutschland erwirbt weitere Walkocherei im Auslande, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 6.4.1938, S. 167. 733  Die Mehrzahl der Quellen (s.  u.) rechnen die Südmeer bzw. Südmeer und Wikinger zum Ölmühlen-Walfang-Konsortium: Peters, Kurze Geschichte, S. 21; Fromm, Walfang, S. 360; Christiansen, Walfangreedereien, S. 40; Schultze, Strukturwandel, S. 719; BA R-3601 / 1737, Deutsche Oelmühlen-Rohstoffe GmbH an RMEL, 23.12.1937; BA R-2 / 21682, „Der Reichswirtschaftsminister an den Herrn Reichsminister der Finanzen. Betr.: Kriegshilfe für die deutschen Walfangreeder“, 14.4.1942; BA R-26 IV / 28 Bd. II 3, „Geschäftsgruppe Ernährung. Vermerk. Betr.: Deutsche Walfanggesellschaft Unitas des Unilever-Konzerns“, 5.8.1942, Anlage 4b. 734  Vgl.: Gramcko, Organisation, S. 51. Ausgehend von dieser überblicksartigen Darstellung wurde die Angabe offenbar in die Nachkriegsliteratur übernommen. Vgl.: Schubert, Walfang, S. 144–150; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 117– 123. 735  Wubs, Unilever, S. 81. Wubs zufolge unterstand das Unternehmen der Reichsgetreidestelle, was insofern unwahrscheinlich ist, da die Reichsstelle für Öle und Fette nahe liegender wäre.

294

D. Grenzen des Meeres Tabelle 11 Gesellschafter des Ölmühlen-Walfang-Konsortiums

Gesellschafter

Kapitalbeitrag

%

3.450.000,– RM

  69 %

Harburger Ölwerke Brinckmann & Mergell, Harburg-Wilhelmsburg

900.000,– RM

  18 %

Noblee & Thörl GmbH, HarburgWilhelmsburg

350.000,– RM

  7 %

Holtz & Willemsen GmbH, Uerdingen

100.000,– RM

  2 %

Gustav Hubbe – G. W. Farenholtz GmbH., Magdeburg

100.000,– RM

  2 %

Stettiner Ölwerke AG, Züllchow b. Stettin

100.000,– RM

  2 %

•  Margarine-Verkaufs-Union, Berlin • F. Thörl’s Vereinigte Harburger Ölfabriken A.G., Harburg-Wilhelmsburg •  Ölwerke Germania GmbH, Kleve •  Clivia Ölwerke GmbH, Kleve

Deutsche Ölmühlen Rohstoffe GmbH, Berlin Insgesamt

UnileverKonzern





5.000.000,– RM

100 %

Quelle: Gesellschaftervertrag vom 7.1.1937 und Übersetzung (undatiert) des norwegischen Kaufvertrages für die Sydis / Südmeer in: Unilever-Archiv Hamburg, Mappe „Anglo Norse. Charterung einer Walfangflotte“.

Unilever kam somit auf einen Anteil von 69 %,736 allerdings erscheint der Gesellschaftsvertrag des Konsortiums in mehrfacher Hinsicht für Unilever als größten Gesellschafter nicht günstig. Zum einen lag die Geschäftsführung ausschließlich bei der Ölmühlen Rohstoffe GmbH, also einer staat­ lichen Gesellschaft, die selbst kein Kapital zu dem Konsortium beisteuerte. Zum anderen war zwar das Stimmrecht auf der Gesellschafterversammlung nach dem Beitrag zum Gesellschaftskapital ausgerichtet, aber für eine Beschlussfassung waren die Stimmen der Unilever-Unternehmen sowie 60 % der übrigen Stimmen nötig, so dass den kleinen Gesellschaftern ein über736  Auf einen Konzernanteil von 69 % kommt auch die weniger detaillierte Übersicht in: BA R-26 IV / 28 Bd. II 3, „Geschäftsgruppe Ernährung. Vermerk. Betr.: Deutsche Walfanggesellschaft Unitas des Unilever-Konzerns“, 5.8.1942, Anlage 4b.



IV. Der Deutsche Walfang295

proportionaler Einfluss zukam. An eine Gewinnausschüttung war erst bei Auflösung des Konsortiums gedacht. Hier stand also, wie bei den anderen Walfangunternehmungen auch, der Zugang zu dem Rohstoff für die beteiligten Unternehmen im Zentrum des Interesses. Im Vorfeld des Kaufs der Wikinger war eine Erhöhung des Gesellschaftskapitals um 4 Millionen RM vorgesehen.737 An dem Hamburger Walfang-Kontor schließlich, das die vier gecharterten oder zugekauften Flotten (C. A. Larsen, Skytteren, Südmeer und Wikinger) bereederte, waren die Margarine-Rohstoff-Beschaffungs-Gesellschaft, die Unitas-Deutsche Walfang-Gesellschaft und das Ölmühlen-Walfang-Konsortium zu je einem Drittel beteiligt, so dass auch hier wieder Unilever indirekt die Mehrheit der Anteile hielt.738 Allerdings war der Geschäftsführer des Hamburger Walfang-Kontors, Carl Christiansen, ein Mann Görings und besaß weder einen Hintergrund bei Unilever noch handelte es sich um einen Fachmann. Christiansen war zwar Kapitän, hatte nach 1933 aber eine etwas unstete politische Karriere gemacht: Nachdem er im März 1933 zum Polizeipräsidenten im HarburgWilhelmsburg ernannt worden war, wechselte er im Dezember des folgenden Jahres auf den gleichen Posten in Magdeburg. Dort war er im September 1937 in den Ruhestand versetzt worden, bevor er auf ausdrücklichen Wunsch Görings das Hamburger Walfang-Kontor übernahm.739 Christiansen besaß einen prominenten älteren Bruder, Friedrich Christiansen, der als Fliegerheld im Ersten Weltkrieg und den 1920er Jahren einige Bekanntheit erlangt hatte, bevor er im Reichsluftfahrtministerium, also ebenfalls unter Göring, aufstieg und schließlich von 1940 bis 1945 die Position des Befehlshabers der Wehrmacht in den Niederlanden innehatte.740 Von den sieben deutschen Walfangflotten waren somit letztlich nur die Unternehmungen von Walter Rau und Henkel frei von Verbindungen zu dem britisch-niederländischen Konzern. Diese starke Beteiligung eines aus737  Unilever-Archiv Hamburg, Mappe „Walfang Konsortium“, Niederschrift über die Sitzung des Oelmühlen Walfang-Konsortiums am Mittwoch, 23.2.1938 zu B ­ erlin. 738  Ebd., Anlage 5. 739  Bohmert, Walfang, S. 98; Erich Stockhorst, Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, Velbert u. a. 1967, S. 92. 740  Friedrich Christiansen erhielt als Seeflieger im Ersten Weltkrieg das Pour le Mérit und kommandierte das Großflugboot Do-X auf seinem viel beachteten Amerikaflug 1931. Als Befehlshaber in den Niederlanden ließ er als Repressalie das Dorf Putten niederbrennen und die männlichen Einwohner in KZs deportieren. Nach der Kapitulation folgte in den Niederlanden die Verurteilung zu zwölf Jahren Haft. Christiansen wurde jedoch bereits 1951 entlassen; Hermann Weiß, Friedrich Christiansen, in: ders. (Hrsg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2002, S. 74.

296

D. Grenzen des Meeres

ländischen Konzerns widerspricht dem für die Öffentlichkeit gezeichneten Bild eines rein deutschen, nur nach volkswirtschaftlichen Bedürfnissen ausgelegten Walfangs. Unilever und deren deutsche Töchter dagegen half die Beteiligung am Walfang, in einer für sie äußerst ungünstigen Umwelt weiter zu bestehen, allerdings war die Kontrolle über die mit seinem Kapital gebauten Walfangflotten für den Konzern sehr eingeschränkt. Für die Fett verarbeitende Industrie in Deutschland stellte der Bau und Betrieb von Walfangflotten ein vollkommen neues Geschäftsfeld dar, in das zu investieren, sie vor und nach der NS-Zeit nicht bereit war (siehe Kap. D. II. 2. und E. II. 3.). Im Unterschied zu einigen anderen Projekten der Autarkie- und Rüstungswirtschaft übte das Regime in diesem Fall keinen Zwang aus, sondern die Initiative ging von der Privatwirtschaft aus, die Bedingungen formulierte, unter denen sie bereit war, in diesen Bereich zu investieren. Dennoch kann der deutsche Walfang nicht als weiterer Beleg für die Neubewertung des Verhältnisses von NS-Regime und Privatunternehmen dienen, wie sie Christoph Buchheim und Jonas Scherner vorgenommen haben. Buchheim und Scherner argumentieren anhand von Fallstudien aus der Rüstungs- und Autarkiewirtschaft, dass in der Regel weder direkte Drohungen – etwa mit Verstaatlichung – noch indirekte Steuerung durch das Setzen bestimmter makroökonomischer Rahmenbedingungen für private Investitionen in diesen Bereichen ausschlaggebend gewesen seien. Vielmehr seien die Unternehmen als autonom handelnde Organisationen dem Staat in gleichberechtigten Verhandlungen gegenübergetreten, in denen sie vielfach ihre Interessen hätten durchsetzen können. Da die Unternehmen mittel- oder langfristig mit dem Ende der Autarkiewirtschaft und des Rüstungsbooms rechneten und fürchteten, dass Investitionen in diese Bereiche somit später unrentabel werden würden, hätten sie die vom Regime gewünschten Investitionen nur getätigt, wenn der Staat hinreichende Anreize in Form von hohen Gewinngarantien oder der Übernahme des Investitionsrisikos bot. Anderenfalls hätten sich die Unternehmen verweigert, ohne dass dies Repressalien nach sich gezogen habe. Insgesamt, so Buchheim und Scherner hätte der NS-Staat gegenüber der Privatwirtschaft ganz überwiegend auf, „Zuckerbrot“ statt „Peitsche“ gesetzt und die Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen seien weitgehend innerhalb des schon vor 1933 gesetzten Rahmens geblieben.741 741  Christoph Buchheim, Unternehmen in Deutschland und NS-Regime 1933– 1945. Versuch einer Synthese, in: Historische Zeitschrift, 282 (2006), S. 351–390; Jonas Scherner, Das Verhältnis zwischen NS-Regime und Industrieunternehmen – Zwang oder Kooperation?, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 51 (2006), 2, S. 166–190; ders., Die Logik der Industriepolitik im Dritten Reich. Die Investitionen



IV. Der Deutsche Walfang297

Die Entwicklung der deutschen Walfangunternehmen passt nur insofern in das von Buchheim und Scherner gezeichnete Bild, als dass der Staat keinen Zwang anwendete. Auch das „Röver-Programm“ (s. u.) von 1937, das eine Pflichtgemeinschaft der an Walöl interessierten Unternehmen vorsah, war lediglich ein aussichtsloser Alleingang eines ehrgeizigen Gauleiters und nicht vergleichbar mit der erzwungenen Industriebeteiligung an der 1934 gegründeten Braunkohle-Benzin AG (BRABAG). Allerdings bestanden die von Buchheim und Scherner betonten staatlichen Anreize im Fall des Walfangs neben Baukostenzuschüssen vor allem in der Erhöhung der den Unternehmen zugewiesenen Fettkontingente, bzw. im Fall von Unilever war die Sperrmarktproblematik entscheidend (s. o.). Der gewährte Anreiz bedeutete also lediglich eine gewisse Lockerung der zuvor durch den Staat geschaffenen Restriktionen. Durch die Devisenbewirtschaftung und die verschiedenen staatlichen Maßnahmen, die vom Rohstoffimport über die Produktion und die Preisgestaltung bis zum Bezug durch den Endverbraucher beinahe alle Aspekte des Margarine- und ähnlich des Seifengeschäftes festlegten (siehe Kap. B. II.), hatte der Staat der Handlungsfreiheit der entsprechenden Unternehmen sehr enge Grenzen gesetzt. Vor diesem Hintergrund bildete der Bau von Walfangflotten für einige Unternehmen einen Weg, um gegenüber der staatlichen Einschränkung ihres Geschäftsfeldes etwas Spielraum in der Rohstoffbeschaffung zurück zu gewinnen. Damit fügt sich der deutsche Walfang bzw. die Ausgangslage der beteiligten Unternehmen besser in die Sichtweise von Peter Hayes ein, der Buchheims und Scherners Betonung weitgehender kapitalistischer Normalität im Verhältnis von NS-Staat und Wirtschaft entschieden widerspricht. Hayes schätzt einerseits die Bedeutung staatlicher Zwangsmaßnahmen – direkt und indirekt durch den Abschreckungseffekt – deutlich höher ein; andererseits verweist er auf das von 1933 / 34 bis 1938 sukzessiv ausgebaute System staatlicher Bewirtschaftung für alle Produktionsfaktoren, durch welches die Unternehmen hinsichtlich ihrer Produktions- und Investitionsentscheidungen zunehmend ihre Autonomie verloren.742 e) Drei nicht realisierte Projekte Die erfolgreich umgesetzten deutschen Walfangprojekte gingen von Walöl verbrauchenden Unternehmen der Privatwirtwirtschaft aus und lehnten sich technisch – z. T. direkt durch die Übernahme von Material und Persoin die Autarkie- und Rüstungspolitik und ihre staatliche Förderung, Stuttgart 2008, S. 21, 282. 742  Peter Hayes, Corporate Freedom of Action in Nazi Germany, in: Bulletin of the German Historical Institute, 45 (Fall 2009), S. 29–41.

298

D. Grenzen des Meeres

nal – an das norwegische Vorbild an. Daneben verdienen noch drei nicht realisierte Initiativen Aufmerksamkeit. An diesen drei, an sich sehr unterschiedlichen Projekten wird sichtbar, dass die Idee des Walfangs zu dieser Zeit gewissermaßen in Mode war und auch Kreise beschäftigte, die bislang an dem Handel und der Verarbeitung von Fettrohstoffen nicht beteiligt oder interessiert gewesen waren. Das mit den Namen Wolgast und Hildisch verbundene Vorhaben sah vor, anstelle der Übernahme des bewährten norwegischen Systems den Walfang auf eine komplett neue technische und wirtschaftliche Grundlage zu stellen. Die Initiative von Carl Röver, des Gauleiters von Weser-Ems, hingegen strebte eine Organisationsform des deutschen Walfangs an, die die Rolle der Privatwirtschaft zugunsten des Staates und die der traditionellen Ministerial­ bürokratie zugunsten der Vierjahresplanbehörde beschränkt hätte. Schließlich versuchte die Partenreederei „Der Hanseat“ Kapital von Anlegern einzuwerben, um ein Walfangunternehmen unabhängig von der Öl verarbeitenden Industrie zu gründen. aa) Ernst Wolgast und Carl Dietrich Hildisch Unter den nicht realisierten deutschen Initiativen zur Aufnahme des Walfangs in den 1930er Jahren sticht der Vorschlag des Würzburger Völkerrechtsprofessors Ernst Wolgast hervor durch seinen utopischen Überschuss.743 Dabei lässt er sich nicht einfach als Idee eines etwas überspannten, realitätsfernen Professors abtun, da Wolgast nur den Kontakt zu hochrangigen staatlichen Stellen herstellen wollte für den mit ihm befreundeten Generalkonsul Carl Dietrich Hildisch in Oslo, dessen – Wolgast zufolge – den Walfang revolutionierende Erfindung es für Deutschland zu sichern gelte. Hildisch war immerhin in der Walfangindustrie keine unbedeutende Figur: Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er im norwegischen Fredrikstadt eine der ersten Härtungsanlagen für Walöl, die „De Nordiske Fabriker“ (De-No-Fa) 743  Ernst Johannes Christoph Wolgast, 1888 in Kiel geboren, war nach seiner Promotion ab 1917 zunächst als Referendar, dann als Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Oslo tätig. Nach einem Wechsel in die Wissenschaft erhielt er sein erstes Ordinariat 1929 in Rostock, wo er das öffentliche Recht vertrat. Von 1934 bis 1945 hatte Wolgast einen Lehrstuhl in Würzburg inne, und 1948 lehrte er an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg. Seine Arbeitsschwerpunkte bildeten das Völkerrecht und Rechts vergleichende Studien mit Skandinavien. Eigenen Angaben zufolge beschäftigte er sich seit seiner Tätigkeit in Oslo mit Fragen von Fischerei und Walfang und verfolgte unter dem Gesichtspunkt der Nutzung arktischer und antarktischer Meere den dänisch-norwegischen Rechtsstreit um Grönland; Walter Habl (Hrsg.), Wer ist Wer? Das deutsche Who’s Who, Berlin 1958, S. 1396; BA R-2 / 18357, Wolgast an Bruns, 8.12.1935.



IV. Der Deutsche Walfang299

gegründet, die zu einem wichtigen Lieferanten der deutschen Margarine­ industrie wurde.744 Wolgast wandte sich in einem Schreiben vom 8. Dezember 1935 direkt an Hjalmar Schacht.745 Er erlaubte sich, an den Reichsbankpräsidenten und Reichswirtschaftsminister heranzutreten, da Schachts Sohn einmal bei Wolgast in der Vorlesung gesessen habe und somit Schacht der Name des Professors vielleicht bekannt sei. Kurz gefasst handelte es sich bei der Erfindung von Hildisch, die Wolgast Schacht für die deutsche Volkswirtschaft dringend ans Herz legte, um ein neuartiges Konservierungsverfahren, mit dem es möglich sei, Walspeck und -fleisch aber auch Fisch durch Einlegen in eine Art Lake – über deren genauen Charakter Wolgast nichts aussagt – direkt nach dem Fang praktisch unbegrenzt zu lagern und zu transportieren, so dass jede Art Nutzung und Verarbeitung bequem im Heimatland und ohne Zeitdruck durchgeführt werden könne. Hildischs Entwicklung ging von dem Problem aus, dass bislang abgesehen von etwas Futtermehl­ gewinnung von dem Wal nur das Öl genutzt wurde, wofür überdies der Betrieb eines aufwändigen Fabrikschiffes oder einer Landstation in den antarktischen Fanggründen nötig war. Das neue Präparierungsverfahren hingegen – das versprach Wolgast – mache es möglich, Speck und Fleisch in Holzfässern ohne Qualitätsverlust nach Deutschland zu verbringen; statt eines komplizierten Kochereischiffes genüge nun „etwa ein ausrangierter Hapagdampfer“.746 Das Auskochen des Specks würden Ölwerke in Deutschland übernehmen, während die präparierten „Fleischbriketts“ vom Wal „sich auf einfache Weise von der Hausfrau auswässern, aufweichen und zu Beefsteaks usw. verarbeiten“ ließen.747 Die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Konservierungsverfahrens hätten norwegische Lebensmittelchemiker bereits durch Versuche an Menschen und jungen Füchsen, die bekanntlich besonders empfindlich seien, bestätigt. Als Vorteile eines Walfangs nach dem neuen Verfahren von Hildisch nannte Wolgast die höhere Rentabilität durch die zusätzliche Nutzung des 744  Zu Hildisch: Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 57–59; Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen, Ölmühlenindustrie, S. 490. 745  Wolgast wandte sich in einem Schreiben vom 8.12.1935 direkt an Schacht. In diesem Schreiben umreißt er kurz sein Anliegen und erläutert sein Verhältnis zu Hildisch. Die eigentliche Darlegung von Hildisch Erfindung und ihrer potentiellen Bedeutung für Deutschland folgt in einem beigelegten zweiten, wesentlich umfangreicheren Schreiben. Das zweite Schreiben erhielt Schacht als Abschrift, da es – offenbar dem für Wolgast als Völkerrechtler vorgeschriebenen Dienstweg folgend – an Prof. Victor Bruns gerichtet ist, dem Vorsitzenden des Völkerrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht; BA R-2 / 18357, Wolgast an Schacht, 8.12.1935; BA R-2 / 18357, Wolgast an Bruns, 8.12.1935. 746  BA R-2 / 18357, Wolgast an Bruns, 8.12.1935, S. 11. 747  Ebd.

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Fleisches für die menschliche Ernährung, das kontinuierliche Arbeiten in den Verarbeitungsanlagen in der Heimat, das durch die unbegrenzte Lagerfähigkeit des Rohstoffes ermöglicht wird, die dadurch herbeigeführte Preisstabilisierung und die Devisenersparnis. Als Neueinsteiger im Walfang habe Deutschland zudem nicht die Entwertung von bereits in die konventionelle Technologie getätigten Investitionen zu fürchten. Abgesehen von der Einsparung von harter Währung im Allgemeinen, versprach sich Wolgast vom deutschen Walfang des Weiteren die Unabhängigkeit von fremden Einflüssen und von tropischen Pflanzenölen, denn der eigene Fang von Walen bedeute auch die „Befreiung vom jüdischen (die Lever- und die Van den Bergh-Gruppe) und vom katholischen (Jürgensgruppe [sic!]) Kapital (…) ferner Unabhängigkeit von den Tropen und damit von den Farbigen einerund von den Engländern, Franzosen und Holländern andererseits“.748 Da Unilever aus den Unternehmen Lever, Jurgens und van den Bergh hervorgegangen war, hatte Wolgast insbesondere diesen Konzern im Visier mit seiner Aussage, die eines von wenigen Beispielen für Antisemitismus in den Quellen zu marinen Ressourcen darstellt, während die Vorstellung eines „katholischen Kapitals“ allgemein rar gewesen sein dürfte. Für Wolgast stand die Angelegenheit Ende 1935 unter einem gewissen Zeitdruck, da es einmal galt, die Saison 1936 / 37 noch ausnutzen zu können, und da andererseits Hildisch nicht unbegrenzt warten könne: Noch stände er „aus seiner deutschfreundlichen Gesinnung heraus zur Verfügung“, aber er werde sich irgendwann auch an andere Länder wenden.749 Hildisch habe auch bereits mit Henkel in Verbindung gestanden, der zeitgleich sein Walfangunternehmen vorbereitete, aber ohne eine Zusammenarbeit vereinbaren zu können. Ein Kontakt zu Ministerialdirektor Wohlthat vom Reichswirtschaftsministerium sei ebenfalls folgenlos geblieben, da dieser eine staat­ liche Unterstützung abgelehnt habe. Hildisch und Wolgast bezweifelten jedoch, dass die Angelegenheit der Privatinitiative überlassen bleiben sollte; schließlich handele es sich um nichts weniger „dem Ausmaße nach als um die Gewinnung einer deutschen Kolonie auf der See“, und somit käme wie früher in der Kolonialpolitik durchaus eine Staatsbeteiligung in Frage, „schon um die ungeheuren Gewinne angemessen in der Hand behalten und die Veränderungen der Volkswirtschaft kontrollieren und gegebenenfalls lenken zu können, welche eintreten werden“.750 Als Rechtsform böte sich daher – in Anlehnung an die Kolonialpolitik – eine staatlich privilegierte Gesellschaft wie die Ostindische Kompagnie oder die Deutsche Neu-Guinea-Gesellschaft von 1885 an.751 748  Ebd.,

S. 15. S. 22. 750  BA R-2 / 18357, Wolgast an Schacht, 8.12.1935, S. 3. 749  Ebd.,



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Eine derartige Verbindung zur Gedankenwelt des Wilhelminismus zeigte Wolgast (Jahrgang 1888) auch an anderer Stelle: Seinen Ausführungen schickt er als Motiv für sein Engagement einige Bemerkungen zum Verhältnis zwischen dem Meer und dem Nationalcharakter eines Volkes voraus, die direkt den Schriften der Flottenbewegung um 1900 entnommen sein könnten:752 Deutschland sei – was Wolgast „als Kind der Küste“ bedauerte – „von der See so gut wie abgeschnitten“, so dass „unser Volk wieder auf die See zu führen“, ihm „zum beherrschenden Wunsch geworden“ sei.753 Dies würde nicht nur der Ernährungs- und Devisenlage, sondern „dem gesamten nationalen Ethos ein entscheidendes Surplus verleihen“.754 Wolgast verwies dann – ganz dem Muster von 1900 folgend – auf das in maritimen Dingen verhasst-bewunderte Vorbild England und den schillernden Begriff der „Freiheit der See“, der nach seiner Ansicht „die Kernfrage für das menschlich-ursprüngliche Freiheitsgefühl unseres Volkes bildet. Freiheitsgefühl ist ohne Großräumigkeit nicht möglich; s. England einer- und Deutschland anderseits. Großräumigkeit gibt es für Deutschland in Europa nicht mehr. Nur Kolonien bleiben – und die See.“755 Auf dem Meer – so schloss Wolgast seine Ausführungen zu diesem Punkt – „können wir Großräumigkeit, können wir eine Kolonie erreichen“.756 So wie die Flottenprofessoren um 1900 nicht einfach mehr Schlachtschiffe forderten, sondern sich von der maritimen Expansion einen neuen Aufbruch der Nation im Inneren mit der Überwindung alter Verkrustungen und trennender Gräben erhofften, so dachte Wolgast auch nicht nur an Wale und Margarine, aber es bleibt im Unklaren, welche Art Freiheitsgefühl er sich im NS-Staat von einer Kolonie im Meer erwartete. 751

Ob durch die Fürsprache von Wolgast oder auf anderen Wegen, jedenfalls bekam Hildisch Ende 1936 Gelegenheit, Walfleisch Vertretern von Partei, Staat und Wehrmacht zu servieren. Wie die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ am 14. Oktober 1936 berichtete, fand auf Einladung des Stabsamtsführers des Reichsnährstandes im Berliner Hotel Kaiserhof ein Walfleisch-Probe­ 751  Ebd.; ganz ähnlich in dem umfangreicheren, ursprünglich an Bruns gerichteten Schreiben: „… etwa in Form einer Gesellschaft nach Art der Deutschen NeuGuinea-Gesellschaft, da es sich wie damals um die Gewinnung einer Kolonie zu Lande, so heute um die Gewinnung einer Kolonie zur See handelt“; BA R-2 / 18357, Wolgast an Bruns, 8.12.1935, S. 23. 752  Auch die Titel einiger späterer Veröffentlichungen von Wolgast lassen ihn als Wiedergänger aus der Tirpitz-Ära erscheinen; vgl. Ernst Wolgast, Seemachtslehre als Staats- und Gestaltlehre, Tübingen 1961; ders., Seemacht und Seegeltung, Berlin 1944. 753  BA R-2 / 18357, Wolgast an Bruns, 8.12.1935, S. 1 f. 754  Ebd., S. 2. 755  Ebd. 756  Ebd.

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essen mit geladenen Gästen aus der NSDAP, dem Reichsernährungsministerium, dem Auswärtigen Amt, dem Reichskriegsministerium, dem Reichsarbeitsdienst und der SS statt, bei dem auch Hildisch anwesend war, den der Artikel als Erfinder der Methode zur Nutzbarmachung des Walfleisches nennt.757 Dem Artikel zufolge hätten sich die Gäste von der Güte des Walfleisches überzeugt, dem keinerlei traniger Geschmack angehaftet habe. Dennoch scheint Hildischs Projekt von den Ministerien nicht weiter verfolgt und bald zu den Akten gelegt worden zu sein. Zwar gelangte eine Abschrift von Wolgasts Schreiben zum Reichsfinanzministerium, aber in den Besprechungen der verschiedenen in den Walfang involvierten Ressorts taucht das viel versprechende Projekt von Hildisch nie auf. In einer Veröffentlichung des Reichsgesundheitsamtes von 1938 ist dagegen erneut von Hildisch die Rede und hier werden auch anders als bei Wolgast Einzelheiten zu seiner Methode der Fleischkonservierung mitgeteilt:758 Demnach hatte Hildisch 1935 in Großbritannien ein Patent angemeldet für die Behandlung von Walfleisch mit einer wässerigen Glyzerinlösung unter Zusatz geringer Mengen Gelatine oder Agar-Agar, Salz und Salpeter. Anders als – zumindest der „Deutschen Fischerei-Rundschau“ zufolge – die Gäste im Kaiserhof, war das Reichsgesundheitsamt von Hildischs Methode nicht überzeugt: Das Fleisch blieb zwar jahrelang haltbar, aber es war „von braunroter Farbe und wenig appetitlichem Aussehen“, ihm haftete ein „säuerlich-traniger Geruch“ an und jegliches Fleischaroma fehlte.759 Der Methode ging man daher auch nicht weiter nach. Ganz ungewöhnlich waren Hildischs Versuche allerdings nicht: Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hatte man bereits verschiedentlich – und mit ähnlichen Ergebnissen – versucht, Walfleisch mit Zusätzen wie Borax, Borsäure, Salicylsäure, Kaliumpermanganat, Ammoniak oder Salzsäure für den menschlichen Genuss nutzbar zu machen.760 Ernst Wolgast verfolgte dessen ungeachtet das Thema Walfang weiter und blieb auch in Kontakt mit Hildisch. Ein völkerrechtlicher Aufsatz Wolgasts von 1937 unter dem Titel „Walfang und Recht“ weist am Rande auf die potentiell revolutionäre Wirkung einer vollständigen Auswertung des Walfleisches auf die gesamte Industrie hin, fügt aber die Einschränkung 757  Walfleisch-Probeessen, 758  Ludorff, 759  Ebd.

Wal, S. 34.

in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 14.10.1936, S. 493.

760  Vgl. die Rezepturen bei: Hans Schmalfuß  / Hans Werner, Walfleischverwertung, in: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang. Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 183–189.



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hinzu, dass die Frage technisch und wirtschaftlich noch nicht vollständig gelöst sei.761 bb) Carl Rövers Interesse am Walfang Das zweite ergebnislose Projekt verbindet sich mit dem Namen des Gauleiters von Weser-Ems und Oldenburgischen Reichsstatthalters Carl Röver (1889–1942) und schlug auf der Besprechung der beteiligten Ressorts im Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937 einige Wellen.762 Dieses so genannte „Röver-Programm“763 entsprang dem Boden der nationalsozialistischen Polykratie, denn während der Aufbau der tatsächlich in Dienst gestellten Walfangflotten von den zuständigen Ministerien – vor allem Wirtschaft und Ernährung – begleitet wurde, entstanden Rövers Pläne parallel ohne Billigung und Wissen der Ressorts zunächst selbständig und dann auf dem Weg über Göring und dessen Vierjahresplan, also letztlich auf dem kurzen Dienstweg zwischen zwei alten Kämpfern der Partei. 761  Ernst Wolgast, Walfang und Recht, in: Zeitschrift für Völkerrecht, 21 (1937), S. 151–172, hier S. 171. Wolgast dankt Hildisch in den Fußnoten des Aufsatzes für die Bereitstellung norwegischer Quellen und erwähnt dessen Vorschlag, Krill für die menschliche Ernährung zu nutzen. 762  Carl Röver (1889–1942), geboren in Lemwerder, war nach Mittelschule und kaufmännischer Lehre zuerst in einer Bremer Kaffeehandelsfirma und von 1911– 1913 in Kamerun tätig. 1923 trat er als selbständiger Kaufmann in Oldenburg in die NSDAP ein, in der er bald aufstieg: Auf die Wahl in den oldenburgischen Landtag 1928 und die Ernennung zum Gauleiter des Gaus Weser-Ems folgte 1930 ein Reichstagsmandat. Als Röver am 16.9.1932 zum Ministerpräsidenten des Freistaates Oldenburg gewählt wurde, war er reichsweit erst der zweite Nationalsozialist an der Spitze einer Landesregierung. Nach der Machtergreifung wurde Röver zum Reichsstatthalter für Oldenburg und Bremen ernannt. Auf seinen plötzlichen Tod im Mai 1942 folgten bald gerüchteweise Zweifel an der offiziellen Todesursache (Lungenentzündung). Heute scheint unstrittig, dass kurz vor dem Tod bei Röver eine Progressive Paralyse („Gehirnerweichung“) als Folge einer älteren Syphilisinfektion ausbrach. Harms legt – auch im Zusammenhang mit einer Anfang 1942 verfassten kritischen Denkschrift Rövers über die Situation von Staat und Partei – eine Ermordung des Gauleiters durch SS und Parteileitung nahe. Rademacher hält dagegen einen krankheitsbedingten Tod für glaubhaft angesichts der Paralyse, einem lebenslangen Malarialeiden aus der Kamerunzeit und den Spätfolgen eines Autounfalls von 1937; Michael Rademacher, Die Kreisleiter der NSDAP im Gau Weser-Ems, Marburg 2005, S. 158–160; Ingo Harms, Der plötzliche Tod des Oldenburger Gauleiters Carl Röver, in: Das Land Oldenburg. Mitteilungsblatt der Oldenburgischen Landschaft, 102 (I. Quartal 1999), S. 1–7; Karl Höffkes, Hitlers politische Generale. Die Gauleiter des Dritten Reiches. Ein biographisches Nachschlagewerk, Tübingen 1986, S.  275 f. 763  BA R-2 / 18357, „D.R.d.F. Vermerk über die Besprechung im RWM am 25. Februar 1937. Betrifft: Stand der deutschen Walölversorgung. Stellungnahme zu der norwegischen Anregung einer Konferenz in Oslo im März 1937,“ 1.3.1937, Bl. 1.

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Auf der Besprechung am 25. Februar 1937 verlas Ministerialdirektor Rodenberg von der Vertretung Oldenburgs in Berlin eine Erklärung, in der Röver mit dem Titel eines „Sonderbeauftragten für den deutschen Walfang“ angesprochen wurde, der von Göring mit der Aufgabe betraut sei, den Bau deutscher Walfangflotten zu organisieren.764 Über den Umfang von Rövers Vorhaben herrschte freilich Unklarheit, und da Rodenberg sich für nicht befugt erklärte, genauere Ausführungen zu machen, gab Wohlthat vom Wirtschaftsministerium seinen Wissensstand bekannt: Demnach solle eine Pflichtgemeinschaft der am Bezug von Walöl interessierten Industrien wie Ölmühlen, Margarine- und Seifenhersteller gegründet werden, die zur Finanzierung von acht bis neun – oder neun bis zehn – Walfangflotten zusätzlich zu den drei in der Saison 1936 / 37 bereits für Deutschland arbeitenden dienen sollte.765 Röver wünschte nun die Veröffentlichung einer entsprechenden von Göring unterzeichneten Verordnung und einer Pressenotiz. Dagegen regten sich aus zwei Gründen Widerstände in den Ministerien: Zum einen gab es Zweifel an der Verordnung an sich bzw. ihrer Gültigkeit; im Vermerk des Finanzministeriums über diese Besprechung findet sich sogar die Formulierung, es gehe um die Veröffentlichung einer „angeblich von Herrn Ministerpräsidenten Göring bereits unterschriebenen Verordnung.“766 Wohlthat bestritt für das Wirtschaftsministerium die alleinige Kompetenz Görings für eine solche Verordnung, der Schacht – entgegen der Behauptung des Oldenburgischen 764  Zum Röver-Programm s.: BA R-2  /  18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937; BA R-2 / 18357, „D.R.d.F. Vermerk über die Besprechung im RWM am 25. Februar 1937. Betrifft: Stand der deutschen Walölversorgung. Stellungnahme zu der norwegischen Anregung einer Konferenz in Oslo im März 1937,“ 1.3.1937. 765  Die Kenntnisse der Pläne und vielleicht auch diese selbst waren recht vage, und die beiden Quellen zu dieser Besprechung widersprechen sich in dem Punkt, ob von acht bis neun oder neun bis zehn neuen Flotten geredet wurde. Unklarheiten bestanden auch bei der Größe der geplanten Schiffe, die einmal mit „je 30.000 t“ angeben wurde und das andere Mal mit „8 bis 10.000 to“, wobei jeweils unklar blieb, ob diese Größenangaben sich auf den Rauminhalt der Schiffe (Bruttoregistertonnen = BRT) oder auf ihre Tragfähigkeit bezogen. Verglichen mit den Daten damals neu gebauter Kochereischiffe klingt nur die Angabe von 30.000t sinnvoll, wenn man sie als Tragfähigkeit interpretiert (Walter Rau: 13.750 BRT, 22.000t Tragfähigkeit; Unitas: 21.846 BRT, 30.000 t Tragfähigkeit); BA R-2 / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, S. 6; BA R-2 / 18357, „D.R.d.F. Vermerk über die Besprechung im RWM am 25. Februar 1937;“ technische Daten von Walter Rau und Unitas nach: Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 118 f. 766  BA R-2  / 18357, „D.R.d.F. Vermerk über die Besprechung im RWM am 25. Februar 1937. Betrifft: Stand der deutschen Walölversorgung. Stellungnahme zu der norwegischen Anregung einer Konferenz in Oslo im März 1937,“ 1.3.1937.



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Vertreters Rodenberg – noch gar nicht zugestimmt habe.767 Schacht habe – Wohlthat zufolge – lediglich allgemein die Zusammenarbeit von Vierjahresplan und Wirtschaftsministerium in Fragen des Walfangs gebilligt. Gegen einen freiwilligen Zusammenschluss der Industrie beständen keinerlei Einwände – so Wohlthat –, eine Pflichtgemeinschaft allerdings sei eine Frage von allgemeiner wirtschaftlicher Bedeutung, weshalb die Verordnung der Billigung durch Schacht bedürfe, der sich noch mit Göring in Verbindung setzen werde. Zum anderen sprach aus der Sicht der beteiligten Ministerien ein inhalt­ licher Grund gegen das Röver-Programm und dessen Veröffentlichung. Dabei ging es um die Belastbarkeit der Walbestände und erneut um die Rücksichtsnahme auf Norwegen. Die Ministerialverwaltung besaß eine durchaus realistische Einschätzung der Walpopulation in der Antarktis, man ging daher davon aus, dass eine so deutliche Erhöhung der Fangkapazität, wie sie das Röver-Programm vorsah, nicht einfach zu der bestehenden britisch-norwegischen hinzugefügt werden könne, „ohne dass allgemein ein wilder Fang einsetzte, der zur Folge haben müßte, dass in wenigen Jahren die Walfische ausgerottet sein würden“.768 Die Angelegenheit berührte also unmittelbar das Interesse der anderen Walfangnationen. Eine Pressenotiz über Görings Verordnung wurde daher nach Einspruch des Wirtschaftsministeriums nicht veröffentlicht; „sie hätte eine offene Kampfansage an die Norweger bedeutet,“ so das Ministerium, und auch das Auswärtige Amt hatte mit Blick auf die deutsch-norwegischen Beziehungen „gegen jede propagandistische Aus­ wertung der Röver’schen Pläne die größten Bedenken.“769 Vor dem Hintergrund der von der deutschen Seite insgesamt sehr günstig beurteilten Wirtschaftsbeziehungen zu dem skandinavischen Land (s. o.) bildete ein kurz vor der Besprechung am 25. Februar 1937 abgeschlossenes Geschäft über den Kauf von 60.000 t Walöl durch das Reich den konkreten Anlass für den Einspruch des Wirtschaftsministeriums. Bei diesem Geschäft erfolgte die Bezahlung nicht nur devisenlos über das Verrechnungsabkommen, sondern die norwegische Regierung hatte überdies bei den Walfanggesellschaften auf einen günstigeren Preis für Deutschland gedrungen. Ministerialdirektor Rodenberg als der Vertreter Rövers stellte sich auf den Standpunkt, dass nun nach Abschluss des Geschäfts einer Veröffentlichung von Görings Verordnung nichts mehr im Wege stünde. Während das Ernährungsministerium es immerhin für möglich hielt, eine ent767  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, S. 14. 768  Ebd., S. 6. 769  Ebd., S. 7, 9.

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sprechende Pressenotiz so zu formulieren, dass Norwegen keine Bedrohung seiner Interessen erblicken könnte, und das Auswärtige Amt sowie das Reichskriegsministerium eine Stellungnahme vom Wortlaut abhängig machten, blieb das Wirtschaftsministerium bei seinem Einspruch gegen eine Veröffentlichung von Rövers Plänen. Das Wirtschaftsministerium sprach überdies Göring, wie bereits erwähnt, in dieser Angelegenheit überhaupt die Kompetenz ab. Es scheint, dass sich in diesem Fall das Wirtschaftsressort als Vertreter der überkommenen staatlichen Verwaltung gegen die Parallelstruktur von Görings Vierjahresplan durchsetzte; zumindest findet sich von dem RöverProgramm und einer entsprechenden Pflichtgemeinschaft der Walöl verarbeitenden Industrie später keine Spur mehr. Überdies hatten auch bereits in der Besprechung vom 25. Februar 1937 die Vertreter des Reichsverkehrsministeriums daran erinnert, dass die Kapazitäten der deutschen Werften ohnehin bis in den April 1939 ausgelastet seien.770 Der Neubau von acht oder neun Kochereischiffen wäre also zumindest mittelfristig gar nicht durchführbar gewesen. Rövers Engagement im deutschen Walfang beschränkte sich nicht auf diese Episode. Die Industrie- und Handelskammer Wesermünde hatte bereits im Januar 1935 Röver als eine Person ins Auge gefasst, an die es heranzutreten gelte, um dem damaligen Walfangprojekt der Kammer Protektion von höherer Stelle zu verschaffen.771 Insbesondere aber bestanden schon früh enge Kontakte zwischen dem Gauleiter und Walter Rau, der sein Unternehmen mit einer Margarinefabrik in Hilter am Teutoburger Wald und damit im Gau Weser-Ems begonnen hatte. Beim Stapellauf der Walter Rau erschien Röver als Ehrengast und Redner, zudem verfasste er das Geleitwort für ein populär aufgemachtes Buch von 1939 über eine Fangreise der Walter Rau sowie einen Beitrag für die Fachzeitschrift „Fette und Seifen“, die 1938 eine Ausgabe dem Thema Walfang gewidmet hatte.772 Als „alter Kampfgenosse von Walter Rau“, wie sich Röver an dieser Stelle selbst bezeichnete, stellt er in dem Beitrag Rau als alleinigen Initiator des neuen deutschen Walfanges heraus, ohne Henkel oder gar Unilever auch nur zu erwähnen.773 770  Ebd.,

S. 6. German Whaling, S. 113. Auf einer Sitzung der Kammer am 21.1.1935 wurden als Adressaten für ein gezieltes Lobbying genannt neben Röver Hjalmar Schacht, Herbert Göring (ein Beamter im RWM und Neffe Hermann Görings), Herbert Backe vom RMEL und Rudolf Hess. 772  Röver, Deutscher Walfang, S. 5–7; ders., Geleitwort. 773  Röver, Deutscher Walfang, S. 6. Röver kritisiert allerdings den Kauf bzw. die Charter norwegischer Flotten als eine nur für die Übergangszeit akzeptable Lösung, da auf Dauer nur Neubauten von deutschen Werften für die Gewinnung von Nebenprodukten geeignet seien; ebd. 771  Scholl,



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Als Rau 1940 starb, hielt Röver eine Trauerrede auf dessen Beerdigung.774 Rau hingegen hatte Röver in den Jahren zuvor bei der Finanzierung der Freilichtbühne und Gedenkstätte „Stedingsehre“, einem Lieblingsprojekt des Gauleiters, helfen können.775 Der Margarinefabrikant konnte sich beim Aufbau seines Walfangunternehmens also auf die Hilfe des Gauleiters stützen, auch wenn sich die Interessen beider hinsichtlich des staatlichen Einflusses auf den Walfang nicht deckten. Röver hatte mehrfach erklärt, dass er für dieses Gewerbe statt der freien Unternehmerinitiative, wie sie Rau und Henkel hoch hielten, einen staatskapitalistischen Charakter anstrebe, dem auch das oben geschilderte Projekt entsprach.776 Eine direktere Beteiligung am Walfang hätte sich für Röver fast noch ergeben, denn am 11. April 1938 wurde unter seinem Vorsitz das Unternehmen Bremer Walfangkontor gegründet, das allerdings zu Kriegsbeginn noch im Aufbau begriffen war ohne über Schiffe zu verfügen oder den Fang aufgenommen zu haben.777 Das Bremer Walfangkontor war eher ein Neuansatz als eine Umsetzung der oben genannten Pläne des Vorjahres, denn von einer Pflichtgemeinschaft der Walöl verarbeitenden Industrie war in diesem Zusammenhang nicht mehr die Rede. Ein Artikel nannte als Aufgabe des Unternehmens, die „Belange des bremischen Wirtschaftsraumes auf dem Gebiete des Walfangs“ zu vertreten.778 Geschäftsführer war Ernst Glässel, ein erfahrener Reedereikaufmann und bis 1932 stellvertretender Direktor des Norddeutschen Lloyd, der sich schon 1934 / 35 vergeblich bei Henkel als Leiter einer Walfanggesellschaft angeboten hatte.779 Entsprechend dem Au774  Walter Rau zum Gedächtnis. † 6. Mai 1940, Dissen 1940, S. 10–16. Die Rede war streckenweise sehr persönlich gehalten: „Du warst in Deinem Herzen so weich wie Deine Butter, die Du in Deinem Betriebe gemacht hast.“, ebd., S. 13. 775  Ebd., S. 12, 15. Die Gedenkstätte und Freilichtbühne „Stedingsehre“ in Bookholzberg (nordwestlich von Bremen) sollte an die Niederlage der freien Stedinger Bauern gegen den Erzbischof von Bremen im Jahr 1234 erinnern. Ab 1934 ließ Röver eine „Thingstätte“ errichten, die zum „Oberammergau des Nordens“ werden sollte; Catrin Finsterhölzl, Die Einweihung der „Niederdeutschen Gedenkstätte Stedingsehre“. Ein Beispiel nationalsozialistischer Selbstinszenierung im Gau WeserEms, in: Oldenburger Jahrbuch, 99 (1999), S. 177–205. 776  Zu Rövers staatskapitalistischen Vorstellungen und seiner Beziehung zu Rau: Bohmert, Walfang, S. 98. 777  Fromm, Walfang, S. 360; Fromm war Gauwirtschaftsberater in Rövers Gau Weser-Ems. Das Unternehmen selbst wird außerdem erwähnt bei: Walfangkontor Bremen gegründet, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 20.4.1938, S. 189 f.; Peters, Kurze Geschichte, S. 22; Verzeichnis der Walfangunternehmungen der Welt, S. 222; Bohmert, Walfang, S. 54; Schubert, Walfang, S. 151. 778  Walfangkontor Bremen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 1.6.1938, S. 262. 779  Glässel verlor 1932 seine Position an der Spitze der neben Hapag größten deutschen Reederei, als das Unternehmen in der Weltwirtschaftskrise in Schwierig-

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genmerk auf bremische Belange umfasste der Aufsichtsrat neben Röver – Bremen war Teil des Gaues Weser-Ems und Röver auch Reichsstatthalter für Bremen – fast nur Vertreter der bremischen Verwaltung, Wirtschaft und Partei. Daneben saßen auch der mit Röver eng verbundene Walter Rau im Aufsichtsrat und Ernst Wöhlke, der Direktor der Delespa (Delmenhorster Seifen- und Parfümerie-Fabrik).780 Es scheint jedoch nie Raus Absicht gewesen zu sein, seine bereits bestehende Walfanggesellschaft in das Bremer Walfangkontor einzubringen. Bei der Delespa handelte es sich um eine eher kleine Seifenfabrik aus dem bei Bremen gelegenen Delmenhorst.781 Somit scheinen bei diesem letztlich erfolglosen Walfangunternehmen Interessen der regionalen Wirtschaftsförderung und der Ehrgeiz eines Politikers als Motive überwogen zu haben. Die Gründung dürfte daher auch eine Reaktion auf die Tatsache gewesen sein, dass alle deutschen Walfangunternehmen bis dahin ihren Sitz in Hamburg genommen hatten und Bremen leer ausgegangen war.782 Der Fall des Bremer Walfang-Kontors bestätigt damit die These, dass nur die Projekte erfolgreich waren, hinter denen finanzkräftige Großabnehmer von Walöl standen. cc) Die Partenreederei „Der Hanseat“ Die Walöl verarbeitenden Unternehmen wollten sich durch Gründung eigener Fangflotten in erster Linie den Zugang zu dem für sie existentiell wichtigen Rohstoff sichern und hatten weniger das Erzielen von Gewinnen durch den Walfang selbst im Auge. Anders dagegen die geplante Walfangreederei „Der Hanseat“, für die die Hamburger Firma von Oesterreich & Schmidt im April 1937 um liquide Anleger warb. Potentielle Investoren, die als „die urteilsfähigen Kreise der Industrie, des Handels und der Wirtkeiten geriet und der Staat die bisherige Unternehmensleitung durch einen Treuhänder ersetzte; Christian Ostersehlte, 1918–1945: Zwischen den Zeiten, in: Dirk J. Peters (Hrsg.), Der Norddeutsche Lloyd. Von Bremen in die Welt, Bremen 2007, S. 61–74, hier S. 64, 68; Bohmert, Walfang, S.  19 f. 780  Im Aufsichtsrat saßen neben Rau und Röver: Heinrich Böhmcker (Regierender Bürgermeister in Bremen), Bernhard Blanke (Kreisleiter NSDAP Bremen), Karl Schmidt (Hauptbearbeiter des Gauwirtschaftsberaters), Carl Bollmeyer (Präses der Industrie- und Handelskammer Bremen), Otto Behr (Kaufmann), Ernst Wöhlke (Direktor Delespa, Delmenhorst) und Otto Heinrich Bernhard (Bremer Senator für Wirtschaft); Walfangkontor Bremen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 1.6.1938, S. 262. 781  Siehe zu diesem Unternehmen: H. Koch / K. Rochow (Hrsg.), Delespa. Unsere Seifen- und Parfümfabrik (Schaffendes Delmenhorst und die Welt; 5), Delmenhorst 1955. 782  Für den Sitz der Walfangreedereien s.: Christiansen, Walfangreedereien, S. 40. Vgl. auch den Streit zwischen Henkel und Wesermünde um den Sitz der Ersten Deutschen Walfang-Gesellschaft; s. o.



IV. Der Deutsche Walfang309

schaft“ angesprochen wurden, bekamen eine Art Informationspaket, das aus einem zweiseitigen Faltblatt „Kurze Ausführungen über den normalen Verlauf eines Walfanges und die Verarbeitung des erlegten Wales“ bestand sowie einem Zeichnungsschein für Parten à 5.000,– RM, den Satzungen der geplanten Walfangreederei und einer als vertraulich bezeichneten vierseitigen „Einladung zur Partenzeichnung für die Errichtung der Hamburger Walfang-Reederei ‚Der Hanseat‘ in Hamburg“.783 In letzterer „Einladung“ fanden die Interessenten zunächst die bekannten Argumente für den deutschen Walfang dargelegt:784 Angefangen bei der Tradition des Walfangs in Deutschland („über 75 Jahre hat der deutsche Walfang geruht“), die nun wieder belebt wurde, über die wirtschaftlichen Argumente wie „Nahrungsfreiheit und Rohstofffreiheit“, die „Schaffung einer nationalen Fettreserve“, Devisenersparnis und Arbeitsbeschaffung bis hin zu einem ­moralischen Anrecht, da Deutschland der größte Walölverbraucher sei und vieles der Technik im Walfang „deutsche Erfindungen, deutsches geistiges Eigentum“ seien. Zuletzt folgte noch der Hinweis auf die „See- und Welt­ geltung“ Deutschlands, die ebenfalls den Walfang erfordere. Anschließend kam der Text zu der technischen und geschäftlichen Seite:785 Geplant war der Neubau eines Kochereischiffes von „etwa 15–18.000 BRT“ und sechs bis sieben Fangbooten, für die zusammen acht bis zehn Millionen RM erforderlich seien. Statt eines Umbaus (wie im Fall von Henkels Jan Wellem) oder dem Kauf eines Schiffes aus Norwegen hatte man also eine Kocherei nach dem neuesten Stand, größenmäßig zwischen der Walter Rau (13.750 BRT) und der Unitas (21.846 BRT) angesiedelt, ins Auge gefasst. Um das erforderliche Kapital zusammenzutragen, sollten die Anleger Parten – also Reedereianteile – à 5.000 RM zeichnen. Eine bestimmte Rendite garantieren konnte das Unternehmen naturgemäß nicht, aber man verwies auf die norwegischen Gesellschaften, die in der vergangenen Saison Dividenden von 25 % oder gar 45 % ausgezahlt hätten. Eine grobe Rentabilitätsrechnung für das neue Unternehmen ergab einen erwarteten Gewinn von über zwei Millionen RM für die erste Saison. Die Frage nach den Walbeständen in der Antarktis war den Verfassern einen eigenen Absatz wert.786 Offensichtlich erwarteten die Initiatoren hier 783  Die Unterlagen finden sich in: StAO Best. 265, Nr. 1764, Industrie- und Handelskammer Oldenburg. Überwachungsstelle für Baumwolle. 784  Siehe im Folgenden: Einladung zur Partenzeichnung für die Errichtung der Hamburger Walfang-Reederei „Der Hanseat“ in Hamburg, o. S. in: StAO Best. 265, Nr. 1764, Industrie- und Handelskammer Oldenburg. Überwachungsstelle für Baumwolle. 785  Ebd. 786  Ebd.

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D. Grenzen des Meeres

Bedenken möglicher Anleger, die es mit den bekannten Argumentationsmustern zu zerstreuen galt: Genaue Bestandsschätzungen seien „bei der ungeheuren Ausdehnung des Fanggebietes“ kaum möglich, aber eine „pessimistische Auffassung steht jedenfalls mit der Tatsache im Widerspruch, dass in der Saison 1935 / 36 größere Mengen von Walen als in der vorhergehenden Saison vorgefunden wurden.“ Man bejahte aber die Notwendigkeit internationaler Fangregelungen, um einen Raubbau zu verhindern. Zum Abschluss appellierte die Firma von Oesterreich & Schmidt mit Göring-Zitaten und Verweis auf den Vierjahresplan, zu dem beizutragen jedermanns Pflicht sei, an das patriotische Gewissen der zukünftigen Anteilseigner.787 Diesen versicherte die Firma auch, dass das Vorhaben die Rückendeckung der Behörden habe, die bereits Zuschüsse in Aussicht gestellt hätten. Die Zeichnung von Anteilen „in möglichst größeren Beträgen“ sei – so das Schlusswort – somit „ein Schritt weiter zum Erfolg des Vierjahresplans.“ Es folgt noch die Liste der fünf Beiratsmitglieder mit ihren Vertrauen erweckenden und Eindruck heischenden Titeln, Namen und ­Adressen.788 Das weitere Schicksal des Unternehmens ist unklar, zumindest hat eine Partenreederei „Der Hanseat“ nie eine Walfangflotte ausgerüstet und auch keine Beteiligung an einer der anderen Flotten ist erkennbar. Die Rentabilitätsrechnung war zumindest sehr optimistisch: Während dieser Rechnung ein Walölpreis von £ 20.0.0 zugrunde gelegt worden war, fiel der Durchschnittspreis tatsächlich 1938 auf £ 13.0.0. Zwar war dieser Preissturz für die Initiatoren des Projekts möglicherweise nicht vorhersehbar gewesen, allerdings scheint das Vorhaben insgesamt nicht seriös gewesen zu sein und sich zumindest an der Grenze zum Anlagebetrug bewegt zu haben. Wenn in der Literatur bereits 1939 und nach dem Krieg die Rede war von einem „Walfangfieber“ in der Öffentlichkeit, das Spekulanten anheizten, indem sie mit phantastischen Gewinnkalkulationen Anteile an einer zu gründenden Partenreederei bewarben, dann war hiermit vermutlich die Partenreederei „Der Hanseat“ gemeint.789

787  Ebd.

788  Ebd. Der Beirat bestand aus einem Korvettenkapitän a. D., einem Konteradmiral a. D., einem Kaufmann, einem Graf von Schlieffen und einem Notar, die alle aus Hamburg bzw. Hamburg-Altona, -Groß-Flottbek oder -Blankenese stammten. Diese Namen sind jedoch sonst nie im Zusammenhang mit dem Walfang in Erscheinung getreten. 789  Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 75 f.; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S.  88 f.



IV. Der Deutsche Walfang311

4. Der deutsche Walfang und die internationale Ebene Während zeitgenössische Publikationen die antarktischen Walgründe gelegentlich als eine quasi unendliche Wasserfläche oder eine „deutsche Kolonie“ bezeichneten, handelte es sich tatsächlich um eine begrenzte, von mehreren Nationen genutzte und zunehmend übernutzte Ressource. Die deutschen Aktivitäten in diesem Bereich berührten daher automatisch die Interessen anderer Staaten. Deutschland beteiligte sich mit dem Londoner Walfangabkommen an einem – gemessen an dem politischen Umfeld der Zeit – bemerkenswert kooperativen, multilateralen Versuch zur Regelung dieses Interessenskonfliktes. Die Deutsche Antarktische Expedition dagegen verfolgte einen stärker unilateralen, kompetitiven, aber ebenfalls völkerrechtskonformen Weg, deutsche Interessen in der Antarktis zu sichern. a) Das Londoner Abkommen von 1937 Ein Punkt, der auch in die Diskussion der Pläne von Gauleiter Röver hineinspielte, war die Anfrage der norwegischen Regierung, ob Deutschland bereit wäre, an einer internationalen Konferenz zur Regelung des Walfanges teilzunehmen, für die die Norweger Oslo als Verhandlungsort und den März 1937 als Termin vorschlugen.790 Den Anlass bildete Deutschlands Eintritt in den Kreis der am antarktischen Walfang beteiligten Länder mit der Saison 1936 / 37 und die Einsicht der Norweger, dass sich die Gesamtmenge des gewonnenen Walöls kaum noch würde steigern lassen, ohne dass man auf die Ausrottung der Tiere zusteuerte. Wenn sich nun also die Zahl der Walfang treibenden Nationen erhöhte – auch Japan war in den dreißiger Jahren hinzutreten –, war eine Absprache nötig, um die anderenfalls drohende Vernichtung der Ressource zu verhindern. Die Idee einer Walfangregulierung war zu dieser Zeit nicht neu. Bereits ab 1863 hatte die norwegische Regierung Regelungen bezüglich des Walfangs vor der eigenen Küste erlassen, und bald nach Beginn des Walfangs in der Antarktis, als der Fang noch ausschließlich von Landstationen aus betrieben wurde, erließen die Staaten, in deren Hoheitsgebieten sich diese Stationen befanden – also vor allem Großbritannien –, nationale Gesetze, die eine Lizenzpflicht und eine zahlenmäßige Beschränkung dieser Lizenzen vorsahen. Solche Gesetze, wie sie Großbritannien ab 1906 für die Falklands, die Südlichen Shetlandinseln, die Südlichen Orkneyinseln, Südgeorgien und die Südlichen Sandwichinseln erließ, dienten zunächst fiskalischen Zwecken und demonstrierten den Besitzanspruch auf diese Inseln, hatten aber auch 790  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, S. 2.

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D. Grenzen des Meeres

eine gewisse regulierende Wirkung auf den Fangbetrieb. Mit dem Übergang zum pelagischen Fang, also dem Einsatz von Kochereischiffen, die außerhalb der Hoheitsgewässer auf hoher See operierten, verloren solche Bestimmungen an Bedeutung, wenn auch die Landstationen weiterarbeiteten.791 Obgleich die Hochsee eine Allmende darstellt, also von jedermann beliebig genutzt werden kann, lässt sich die Situation im antarktischen Walfang nicht uneingeschränkt als eine „tragedy of the commons“ beschreiben.792 Der Unterschied liegt darin, dass der antarktische Walfang lange Zeit von sehr wenigen Staaten – vor allem Norwegen und Großbritannien – betrieben wurde, deren Aktivitäten überdies stark verflochten waren. Der Walfang ließ sich also zunächst durchaus durch nationale Gesetze der beiden dominierenden Staaten regulieren. Norwegen erließ 1929 ein Gesetz, das für alle norwegischen Unternehmen und Bürger bindend war und den Fang von Glattwalen,793 Jungtieren und Muttertieren in Begleitung eines Jungtieres verbot sowie eine möglichst vollständige Verwertung der Wale vorschrieb, allerdings weder die maximale Fangmange noch die Zahl der Kochereischiffe begrenzte. Wenig später führte Norwegen zudem noch Mindestlängen für Blau- und Finnwale ein. Nachdem Initiativen des Völkerbundes in den zwanziger Jahren noch gescheitert waren, unterzeichneten am 24. September 1931 26 Staaten das 791  Cioc, The Game of Conservation, S. 124 f.; Bernhard Ahlbrecht, Internationale Walfangabkommen, Deutsches Walfanggesetz und Reichstarifordnung, in: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang. Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938, S. 24–45, hier S. 27. 792  Garrett Hardin prägte 1968 diesen in der Umweltgeschichte einflussreichen Begriff. Er beschrieb das Phänomen am Beispiel eines Bauern, der seine Herde auf die allen Dorfbewohnern zugängliche Allmende treibt und sich bewusst oder unbewusst fragt, ob er seine Herde vergrößern soll. Wenn er ein weiteres Tier anschafft, gewinnt er – theoretisch ausgedrückt – einen Vorteil von +1 aus der Nutzung des zusätzlichen Tieres. Die damit einhergehenden Kosten durch die zusätzliche Beoder Überweidung der Allmende teilen sich alle Bauern des Dorfes. Sie betragen also für den Bauern, der seine Herde um ein Tier vergrößert hat, nur einen Bruchteil von -1. Die rationale Entscheidung für jeden einzelnen Bauern ist also die Vergrößerung der Herde, obgleich dies am Ende zur Zerstörung der Ressource durch ihre Übernutzung führt: „Ruin is the destination toward which all men rush, each pursuing his own best interest in a society that believes in the freedom of the commons. Freedom in a commons brings ruin to all“; Garret Hardin, The Tragedy of the Commons, in: Science, 162 (1968), S. 1243–1248, Zitat S. 1244. 793  Zur Familie der Glattwale gehören die am längsten durch den Menschen bejagten Arten (Grönlandwal und Nordkaper), auf die sich auch die alte Grönlandfischerei in der frühen Neuzeit richtete. Glattwale kommen auch in der Antarktis vor (Südkaper), spielten für den dortigen Walfang aber nie eine große Rolle; Schubert, Walfang, S. 35, 55.



IV. Der Deutsche Walfang313

Genfer Abkommen, das zur Saison 1934 / 35 in Kraft trat. Deutschland gehörte zu den Unterzeichnern, ratifizierte das Abkommen aufgrund seines 1933 erklärten Austrittes aus dem Völkerbund aber nicht mehr. Obwohl es Bestrebungen nach weitergehenden Schutzbestimmungen gab, erreichten Norwegen und Großbritannien, dass das Genfer Abkommen auf dem eher walfangfreundlichen norwegischen Gesetz aufbaute und nur wenige weitere Bestimmungen hinzufügte. So sollte sich die Erfolgsprämie der Fangbootbesatzungen nicht mehr nach der Anzahl der erlegten Wale, sondern nach der gewonnenen Ölmenge richten, um einen Anreiz zu schaffen, jüngere Tiere zu schonen. Außerdem sah das Abkommen die Erhebung und Weitergabe von statistischen Daten an das Internationale Büro für Walfangstatistik im norwegischen Sandefjord – dem weltweiten Zentrum der Industrie – vor, so dass dem Abkommen eine große Bedeutung für die Wissenschaft zukam; eine fühlbare Einschränkung des Fangs bedeutete das Abkommen nicht.794 Zu weitergehenden Begrenzungen der Jagd führte nicht die Situation der Walbestände, sondern der Zusammenbruch der Walölpreise nach der Fangzeit 1930 / 31, als die produzierte Menge auf dem Weltmarkt nicht mehr abzusetzen war. Die norwegischen Gesellschaften beschlossen daher in der Saison 1931 / 32 nicht auszufahren, um das Überangebot nicht noch weiter zu erhöhen. Für die beiden folgenden Fangzeiten vereinbarten die norwegischen Gesellschaften und ein Teil der englischen freiwillige Absprachen über eine mengenmäßige Fangbeschränkung. Ziel dieser Absprachen war nicht der Walschutz, sondern die Stützung des Preises. Als ein solches Produktionsabkommen für 1934 / 35 nicht zustande kam, griff wieder die norwegische Regierung ein, schränkte den Fang zeitlich (1. Dezember 1934–31. März 1935) und geographisch ein und verfügte, dass Norwegern der Dienst in ausländischen Flotten, die nicht dieselben Schonmaßnahmen beachteten, verboten werden könne. Ein Teil der britischen Unternehmen übernahm daraufhin die norwegischen Bestimmungen. Für die folgende Fangzeit 1935 / 36 gab es weitere gesetzliche Bestimmungen in Norwegen und erneut ein Produktionsabkommen der norwegischen und britischen Unternehmen. Eine Vereinbarung der britischen und norwegischen Regierung schränkte für die Saison 1936 / 37 den Fang auf den Zeitraum 8. Dezember 1936–7. März 1937 ein. Zuletzt wurde auch die Zahl der Fangboote, die für jedes Kochereischiff arbeiteten begrenzt.795 Das Deutsche Reich hatte, wie bereits erwähnt, das Genfer Abkommen unterzeichnet, als es noch nicht aktiv am Walfang beteiligt war; unter den 26 Unterzeichnern waren sogar Binnenstaaten. Die Ratifizierung unterblieb 794  Cioc, The Game of Conservation, S. 127–130; Schubert, Walfang, S. 44–47; Ahlbrecht, Internationale Walfangabkommen, S. 27–32. 795  Cioc, The Game of Conservation, S. 131–133.

314

D. Grenzen des Meeres

wohl in erster Linie, weil Deutschland aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 ausgetreten war und nicht in Hinblick auf zukünftige eigene Walfangunternehmungen. Mit dem zunehmenden deutschen Interesse an der Nutzung dieser Ressource wurde aber auch die Frage aktuell, wie sich das Reich zu den bestehenden bilateralen und multilateralen Fangbeschränkungen stellen sollte. Auf der Sitzung im Ernährungsministerium am 14. März 1935 (s. o.) herrschte unter den beteiligten Ressorts Übereinstimmung, „daß bei der augenblicklichen politischen Lage der Beitritt zu diesem vom Völkerbund geschaffenen Abkommen nicht zweckmäßig erscheint und die hier geregelten Fragen auch ohne Beitritt zu diesem Abkommen entweder durch Verordnung oder bei der Konzessionserteilung berücksichtigt werden sollten.“796 Hier richtete sich die Ablehnung also gegen den Völkerbund und nicht gegen eine Regelung an sich. Für die interessierten Unternehmen sah die Angelegenheit naturgemäß anders aus, da jede Fangbeschränkung die Rentabilität der Fangflotten gefährdete, was auf die noch unerfahrenen deutschen Unternehmen in besonderem Maße zutraf. Als Henkel im Oktober 1935 die Voraussetzungen formulierte, unter denen die Firma bereit war, eine eigene Fangflotte aufzubauen, gehörte zu den Forderungen an das Reich auch, dass Deutschland das Genfer Abkommen nicht ratifizieren solle bzw. dass Henkel zumindest für eine Anlauffrist von drei Jahren von den Bestimmungen ausgenommen sei.797 Ganz so weit wollte das Wirtschaftsministerium nicht gehen, aber immerhin sicherte es Henkel und der Jurgens-van den Bergh MargarineVerkaufs-Union vor dem Bau ihrer Flotten zu, man werde im Falle internationaler Abkommen die „Interessen deutscher Walfangunternehmen gebührend berücksichtigen und ihnen vorher Gelegenheit zur Stellungnahme geben.“798 Ähnlich wie diese Unternehmen lehnte auch Gauleiter Röver in der anlässlich der Besprechung am 25. Februar 1937 verlesenen Erklärung jegliche Einschränkung des deutschen Walfanges ab, da die Voraussetzungen der deutschen Flotten nicht mit denen der etablierten ausländischen Unternehmen zu vergleichen seien:799 Die norwegischen Walfangflotten seien bereits weitgehend abgeschrieben und hätten geringere Lohnkosten als die deutschen, die überdies erst unter finanziellen und zeitlichen Verlusten 796  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935, S. 8. 797  BA R-2 / 21682, Henkel an RWM und RMEL, 16.10.1935, S. 3. 798  BA R-2 / 21682, RWM an Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union, 20.5.1936, S. 2; ganz ähnlich: BA R-2 / 21682, RWM an Henkel, 19.11.1935, S. 3. 799  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, S. 12.



IV. Der Deutsche Walfang315

Erfahrungen sammeln müssten. Die deutschen Fangflotten – darauf bestand Röver – könnten Einschränkungen erst akzeptieren, wenn sie durch Abschreibungen rentabler geworden seien und sie hinreichend Erfahrung gewonnen hätten. Im Endeffekt sprach jedoch für Deutschland einiges dafür, sich nicht einfach über alle Fangbeschränkungen hinwegzusetzen. In der für Deutschland ersten Fangzeit 1936 / 37 waren die beiden von Norwegen gecharterten Kochereien C. A. Larsen und Skytteren mit ihren Fangbooten ohnehin an die norwegischen Bestimmungen gebunden. Auch Henkels Jan WellemFlotte hielt sich freiwillig an die Fangbeschränkungen, schon um das Anheuern norwegischer Spezialisten nicht zu erschweren. Eine Ausnahme bildete allerdings die zeitliche Begrenzung der Jagd, die Henkel in Hinblick auf die Schwierigkeiten einer weitgehend unerfahrenen und nicht eingearbeiteten Besatzung nicht akzeptierte.800 Eine gewisse Bereitschaft, sich in das bestehende System der Fangregulierung einzuordnen, bestand in Deutschland also. Allerdings kam die norwegische Einladung zu einer Konferenz im März 1937 zu früh für die Vertreter der am deutschen Walfang beteiligten Ressorts.801 Erstens müsste – so Ministerialdirektor Wohlthat – man auf deutscher Seite vor einer solchen Konferenz zunächst unter sich klären, welche weiteren Bauabsichten man denn habe, was Anfang 1937 noch nicht geschehen war, wie die Diskussion über das Röver-Programm zeigte. Zweitens lag der Märztermin zu früh, da die Erfahrungsberichte der ersten deutschen Walfangunternehmungen erst nach Rückkehr der Flotten im April oder Mai vorliegen sollten. Die Vertreter der beteiligten Ministerien kamen daher zu dem Ergebnis, „die norwegische Einladung zur Walfangkonferenz dilatorisch zu behandeln.“802 Das bedeutet allerdings nicht, dass man auf Seiten der deutschen Verwaltung keine Notwendigkeit einer internationalen Übereinkunft gesehen hätte. Für eine solche Übereinkunft sprach schon erneut die Rücksichtnahme auf Norwegen, in Sonderheit weil Norwegen seinen Harpunenschützen und anderen Spezialisten, auf die Deutschland zunächst noch angewiesen war, verbieten konnte, auf ausländischen Flotten anzuheuern, die nicht die norwegischen Vorschriften beachteten.803 Wichtiger war noch, dass unter den betei800  Winterhoff,

Walfang in der Antarktis, S. 96; Schubert, Walfang, S. 47. R-2 / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937. 802  BA R-2  /  18357, „D.R.d.F. Vermerk über die Besprechung im RWM am 25. Februar 1937. Betrifft: Stand der deutschen Walölversorgung. Stellungnahme zu der norwegischen Anregung einer Konferenz in Oslo im März 1937,“ 1.3.1937. 803  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl. 10. 801  BA

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D. Grenzen des Meeres

ligten Ressortvertretern ein Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressource Wal und den zunehmend kritischen Zustand der Bestände existierte und somit auch für die Notwendigkeit, den Fang zu regulieren, um eine dauerhafte Nutzung sicherzustellen. Denn die bisherige Walölproduktion – dessen war sich Wohlthat bewusst – ließ sich nicht wesentlich erhöhen, „ohne dass die Gefahr der Ausrottung der Wale heraufbeschworen würde, wie sie auf diese Weise im nördlichen Eismeer schon eingetreten sei.“804 Der Kuchen würde also nicht größer werden, auch wenn er nun nach dem Eintritt Deutschlands und Japans in mehr Stücke zu teilen war. Deutschland werde sich, wie Ministerialdirektor Walter vom Ernährungsministerium ausführte, „auf die Dauer einer internationalen Konferenz nicht entziehen können, denn letzten Endes sollten diese Verhandlungen diese Rohstoffbasis für möglichst lange Zeit erhalten.“805 Walter fügte hinzu, dass zum Zeitpunkt des Genfer Abkommens – also 1931 – das Motiv, die Wale vor der Ausrottung zu schützen, wohl nur vorgeschoben worden sei (gegenüber der Sorge um den Preis des Walöls), inzwischen jedoch habe sich die Lage zugespitzt, „so dass der damals vorgeschobene Grund heute tatsächlich bestehe.“806 Ein Hinweis auf die Übernutzung der Bestände, den Wohlthat erwähnte, war der sinkende Anteil ausgewachsener, geschlechtsreifer Tiere unter den gefangenen Walen, d. h. die Walfänger töteten immer mehr Wale, bevor sie das für die Reproduktion nötige Alter erreichten.807 Zusätzlich registrierte man zu dieser Zeit schon einen Rückgang des Blauwals – der größten und bislang wirtschaftlich wichtigsten Art –, so dass die Walfänger verstärkt auf den Finnwal – die nächst kleinere Art – auswichen.808 Beide Entwicklungen waren auch der interessierten Öffentlichkeit bekannt.809 Der geringere Anteil des Blauwals an den gefangenen Walen wie der bei allen Arten feststellbare Rückgang des durchschnittlichen Alters und damit der Größe schlug sich in einer geringeren Ölausbeute je gefangenem Wal nieder, nachdem die aus einem Wal gewonnene Menge Öl durch immer effizientere Verarbeitungsmethoden und -anlagen über lange Jahre hatte gesteigert werden können. Eine Alternative zu einer Verständigung – dessen war man sich bewusst – war ein wilder Raubbau, bei dem alle beteiligten Nationen noch einmal 804  Ebd., 805  Ebd., 806  Ebd.

807  Ebd.,

S. 2. S. 8.

S. 2. Walfang, S. 48. 809  Die Größe der gefangenen Wale nimmt ab. Nur etwa 71 % geschlechtsreife Tiere, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 19.8.1936, S. 388; Weniger und kleinere Wale, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 18.5.1938, S. 237; Hoppe, Statistische Zahlentafeln, S.  214 f. 808  Schubert,



IV. Der Deutsche Walfang317

40.000 35.000 30.000 25.000 20.000

Blauwal Finnwal Buckelwal

15.000

Gesamt

10.000 5.000

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19

36

5

/3

19

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/3

19

34

3

/3

19

33

2

/3

19

32

1

/3

19

31

0

/3

19

30

9

/3

19

29

8

/2

19

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7

/2

19

27

6

/2

19

26

5

/2

19

25

4

/2

19

24

3

/2

19

23

/2

22

19

19

21

/2

2

0

Quelle: Hoppe, Statistische Zahlentafel, S. 215. Diagramm 15: Anteil der einzelnen Walarten am Ergebnis des antarktischen Hochseewalfangs, 1921 / 22–1936 / 37

versuchen würden, kurz vor Toresschluss so viel wie möglich für sich herauszuholen, bevor die Bestände endgültig zusammenbrächen. Wohlthat deutete dies im Zusammenhang mit dem Röver-Programm an, wenn er erklärte, man müsse überlegen, „wo die Grenze liege, bis zu der England und Norwegen überhaupt zu Verhandlungen bereit seien, und jenseits derer das norwegische Interesse an einer Erhaltung des Walbestandes aufhöre.“810 Für den Fall, dass alle Bemühungen zur Begrenzung des Walfangs scheitern würden, war eine weitere Möglichkeit, die man in Norwegen tatsächlich diskutierte, der uneingeschränkte Fang mit allen verfügbaren Schiffen, um die Ölpreise und die Walbestände so weit zu drücken, dass die neuen Konkurrenten Deutschland und Japan aufgeben müssten.811 Eine Zerstörung der Ressource hätte für Deutschland nicht nur die Entwertung aller bislang in den Walfang getätigter Investitionen, die im Gegen810  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, S. 6. 811  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 442.

318

D. Grenzen des Meeres

20 18 16 14 12 10 8 6 4 2

7 /3

6

36

/3

19

5

35 19

4

/3

/3

34 19

3 /3

33 19

2 /3

32 19

1

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/3

19

0

30 19

9

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/2

29 19

8 /2

28 19

7

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/2

19

6

26 19

5

/2

/2

25 19

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23 19

22

21 19

19

/2

2

0

Quelle: Hoppe, Statistische Zahlentafeln, S. 214. Diagramm 16: Ölausbeute im antarktischen Hochseewalfang in Tonnen pro Wal, 1921 / 22–1936 / 37

satz zu den ausländischen Flotten noch nicht abgeschrieben waren, bedeutet; wichtiger war noch, dass damit die deutsche Fettversorgung auf die beschränkten Kapazitäten der eigenen Landwirtschaft zurückgeworfen worden wäre – oder eben auf den Import von Pflanzenölen bzw. Ölsaaten gegen Devisen. Obwohl Deutschland zu diesem Zeitpunkt – Februar 1937 – gerade erst mit dem Walfang begonnen hatte, hing für die deutsche, auf Devisenersparnis gerichtete Volkswirtschaft vielleicht mehr von dieser Industrie ab als im Falle Großbritanniens, das immer noch auf die pflanzlichen Fette aus den Tropen zurückgreifen konnte. Legationsrat van Scherpenberg vom Skandinavien-Referat der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes erkannte dies deutlich: „(…) wenn es zu einem Konflikt in der Walfangfrage und damit zu einer Aufreibung des Walbestandes käme, dann sei für uns vielleicht die letzte Möglichkeit, uns auf dem Gebiete der Fettversorgung selbständiger zu machen, vorbei.“812 Letztlich willigte das Deutsche 812  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, S. 9. Albert Hilger van Scherpenberg (1899–1969) leitete das Skandinavien-Referat



IV. Der Deutsche Walfang319

Reich in eine internationale Konferenz ein, die im Frühsommer 1937 in London stattfand und zur Unterzeichnung eines Abkommens am 8. Juni 1937 führte. Die Argumente der Ministerialverwaltung, die zu der deutschen Beteiligung führten, finden sich inhaltlich ähnlich und zeitlich parallel auch in öffentlichen Darstellungen; es handelte sich also nicht um rein regierungsinterne Überlegungen. Ein Artikel von Wohlthat in der Fachzeitschrift „Fette und Seifen“ nannte als Gründe für die Unterzeichnung des Londoner Abkommens das deutsche Interesse, „die durch den Walfang seiner Fettversorgung erschlossene Rohstoffquelle zu erhalten“, sowie den relativen Rückgang der Blauwalfänge und sinkende Durchschnittslängen der gefangenen Wale als Belege für die Unzulänglichkeit der bisherigen Schonmaßnahmen.813 Auch Ministerialrat Wegener erklärte in der „Deutschen FischereiRundschau“, dass Deutschland am Abkommen mitgewirkt habe, da man „als größter Walölverbraucher ein besonderes Interesse an der Erhaltung der Walbestände“ habe.814 Oder wie es Wegener ebenfalls in der „Fette und Seifen“ ausdrückte: „weil wir als die größten Walölverbraucher der Welt an der Erhaltung dieser ‚Kolonie‘ zur Erweiterung unserer Rohstoffbasis lebhaftestes Interesse haben.“815 Wie in diesen Erwägungen sichtbar wird, hatte die Ministerialverwaltung offenbar einen deutschen Walfang auf längere Sicht im Blick. Wenn es den Beteiligten nur darum gegangen wäre, für eine kurze Zeitspanne – tatsächlich waren es letztlich nur drei Fangsaisons – bis zum Kriegsausbruch die Fettlücke zu stopfen, hätte man der Gefahr eines wilden Raubbaus an der Ressource Wal ruhigen Auges entgegen gesehen, da ohnehin während eines größeren Konfliktes kein deutscher Walfang möglich war und nach dem der Handelpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes. Kontakte zum Widerstand führten 1944 zu seiner Verhaftung. Nach dem Krieg war er ab 1945 im bayrischen Wirtschaftsministerium tätig, bevor er 1949 ins Bundeswirtschaftsministerium wechselte. 1953 übernahm van Scherpenberg die Leitung der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes. Die Ernennung zum Staatssekretär 1958 und die Jahre 1961–1964 als Botschafter im Vatikan bildeten den Schlusspunkt seiner Laufbahn; Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, München 1998, S. 613 f. 813  Wohlthat, Walfang und Londoner Abkommen, S. 15. 814  Karl August Wegener, Der deutsche Walfang, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 3.5.1939, S. 218  f., hier S. 219. Ähnlich: Wolgast, Walfang und Recht, S. 151–172; als Anhang zu dem Aufsatz wurden im selben Band das Genfer Abkommen und die wichtigsten norwegischen Bestimmungen abgedruckt; ebd., S. 207–229, 506. 815  Wegener, Bedeutung des Walfangs, S. 17. Ein weiterer, untergeordneter oder rein rhetorischer Grund für das Abkommen, den Wegener anführt, ist, dass „unserer Auffassung von Jagd und Fischerei nur eine weidmännische oder fischereigerechte Art des Fanges“ entspräche; ebd.

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D. Grenzen des Meeres

Krieg in jedem Falle die Karten der europäischen Rohstoffwirtschaft neu verteilt worden wären. Für einen Zeitraum von nur wenigen Jahren wäre eine Mitarbeit an dem Londoner Abkommen von 1937 nicht nötig gewesen. Diese langfristige Planung der mit dem Walfang betrauten Stellen steht insofern im Widerspruch zu den Entscheidungen an der Spitze des Regimes, die längst auf einen baldigen größeren Konflikt hinsteuerte, wie an Hitlers Vierjahresplan-Denkschrift deutlich wird. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch der Zeithorizont der Unternehmer, also die Betriebsdauer, die sie ihren wirtschaftlichen Berechnungen vor dem Bau der Flotten zugrunde gelegt hatten. Im Reichsernährungsministerium ging man 1935 davon aus, dass die Abschreibung einer Walfangflotte wenigstens zehn Jahre erfordere.816 Freilich war, wie bereits dargelegt wurde, das Erwirtschaften von Gewinnen mit dem Walfang selbst nie das Ziel, es ging den Eigentümern der deutschen Walfangschiffe um den Zugang zu einem für ihr eigentliches Geschäftsfeld – Seife oder Margarine – kaum zu ersetzenden Rohstoff. Die Initiative zum Londoner Abkommen ging von Norwegen und Großbritannien aus, da das bisherige Verfahren, das Genfer Abkommen durch nationale Gesetze und Absprachen zwischen den Unternehmen beider Staaten zu ergänzen, durch den Einstieg Japans und Deutschlands an ein Ende gekommen war. Am Londoner Abkommen von 1937 und der vorangegangenen Konferenz waren neben Großbritannien und Norwegen Deutschland, Irland, Südafrika, Australien, Neuseeland, die USA sowie Argentinien beteiligt. Japan dagegen blieb der Konferenz fern. Das Abkommen trat am 7. Mai 1938 in Kraft, nachdem es u. a. von Norwegen, Großbritannien und Deutschland ratifiziert worden war. Im Sommer 1938 verlängerte eine zweite Konferenz, bei der weitere Staaten, darunter diesmal auch Japan, beitraten, das Abkommen und baute es geringfügig aus. Weitere Verhandlungen fanden noch 1939 statt.817 Helmuth Wohlthat agierte auch hier als die zentrale Figur im deutschen Walfang und vertrat Deutschland bei beiden Konferenzen. Am Rande der Verhandlungen (oder unter deren Deckmantel) führte er weitergehende Gespräche über einen deutsch-britischen Interessenausgleich.818 816  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935. 817  Cioc, The Game of Conservation, S. 135-137; Schubert, Walfang, S. 48–50; Ahlbrecht, Internationale Walfangabkommen, S. 32–38. 818  Josef Henke, England in Hitlers politischem Kalkül 1935–1939, Boppard 1973, S. 279 f. Diese allgemeinpolitischen Gespräche gingen Henke zufolge auf die Initiative Großbritanniens, des Auswärtigen Amtes oder Görings zurück, auf jeden Fall nicht auf die Hitlers, der die Gespräche wieder auf die rein wirtschaftliche Ebene verwies.



IV. Der Deutsche Walfang321

Die Schonbestimmungen des Londoner Abkommens bauten auf den vorangegangenen Vereinbarungen auf, dehnten aber das bisherige Fangverbot für Glattwale und Muttertiere sowie deren Junge auf Grauwale aus, die allerdings ebenso wie Glattwale im modernen Hochseewalfang nie eine ­ Rolle gespielt hatten. Ebenfalls aus dem Instrumentarium vorangegangener Regelungen übernahm das Londoner Abkommen die Idee der Mindestlängen, die nun erhöht und für einige Arten neu eingeführt wurden, und die Begrenzung der Fangzeit, die man jetzt weiter verkürzte. Bekannt seit dem Genfer Abkommen von 1931 war auch die in London verschärfte Forderung nach einer restlosen Verwertung der gefangenen Wale. Als einzige bedeutende Neuerung gegenüber bisherigen Vereinbarungen beschränkte das Londoner Abkommen den Fang im Wesentlichen auf die antarktischen Gewässer südlich von 40° S sowie den Nordpazifik.819 Ausnahmen galten für Pottwale, die überall bejagt werden durften, und für den Fang von Landstationen aus, deren wirtschaftliche Existenz die Unterzeichnerstaaten nicht zerstören wollten. Letztlich verbot man somit nur den Hochseewalfang auf Bartenwale mit Kochereischiffen außerhalb der Antarktis. Da in der Fangzeit 1936 / 37 67 % der gefangenen Wale sowie 82,6 % der Walölproduktion auf das südliche Eismeer entfielen820 und Landstationen in den gemäßigten Breiten weiterhin betrieben werden durften, fiel diese Einschränkung wenig ins Gewicht. Das Abkommen untersagte letztlich nur den pelagischen Fang – also den Betrieb von Kochereischiffen auf hoher See – in Gebieten, in denen er ohnehin praktisch nie stattgefunden hatte.821 Deutschland erließ als Folge des Londoner Abkommens schon am 6. Oktober 1937 das „Gesetz zur Regelung des Walfangs“, das zusammen mit einer Ausführungsverordnung die Bestimmungen des Londoner Abkommens in deutsches Recht umsetzte.822 Bereits im August 1937 wurde eine Reichs­ 819  Die biologische Begründung hinter dieser Beschränkung des Fanges auf die Antarktis war die Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Bartenwale, die im südlichen Eismeer ihre Nahrungsgründe haben und die tropischen und subtropischen Meere zur Paarung und zum Gebären aufsuchen. Infolge des besseren Ernährungszustandes ergeben die in der Antarktis gefangenen Wale eine deutlich höhere Ölausbeute als die in den Tropen und Subtropen gefangenen, bzw. für dieselbe Menge Öl müssen außerhalb der antarktischen Nahrungsgründe erheblich mehr Wale geschossen werden; Schubert, Walfang, S. 49. 820  Ebd., S.  156 f. 821  „It seems strange that it should have been so easy for the conference to agree on a step of such significance, which has been maintained in all subsequent agreements, but the explanation is extremely simple: it was easy to bar pelagic whaling from oceans where hardly any pelagic whaling took place“; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 453. 822  RGBl. I, S. 1097; auch abgedruckt in: Schubert, Walfang, S. 161–163. Die zughörige Ausführungsverordnung vom 6.10.1937 findet sich in: ebd., S. 164–167.

322

D. Grenzen des Meeres

tarifordnung für den deutschen Walfang erlassen, die dem Abkommen folgend eine leistungsbezogene Entlohnung vorsah, die zudem für die Be­ satzungen Anreize für die Einhaltung der Schonbestimmungen schuf.823 Neben den verschiedenen Fangbeschränkungen, deren Verletzung mit Strafe bewehrt war, legte das Gesetz den Unternehmen umfangreiche Dokumentationspflichten auf. Zusätzlich waren die Kochereischiffe verpflichtet, mindestens einen vom Wirtschaftsministerium besoldeten Walfanginspektor mit auf die Fangreise zu nehmen, der bei Fang und Verarbeitung der Wale die Einhaltung der Bestimmungen überwachte und Verstöße dokumentierte. Ebenfalls auf das Londoner Abkommen ging die Gründung eines Forschungsinstituts zurück, das den deutschen Walfang wissenschaftlich begleiten sollte, die gesammelten Daten auszuwerten hatte und die Walfanginspektoren ausbildete.824 Das Institut begann seine Tätigkeit 1937 als Zentrale für Walforschung am Hamburgischen Zoologischen Museum und Institut. Im folgenden Jahr erhielt es die Bezeichnung Reichsstelle für Walforschung, bevor es dann im Frühjahr 1939 unter dem Namen Institut für Walforschung in die Reichsanstalt für Fischerei eingegliedert wurde. Die Leitung des stets in Hamburg ansässigen Instituts übernahm der Biologe Nicolaus Peters, der bereits die Jan Wellem auf ihrer ersten Reise begleitet hatte.825 Peters gab auch 1938 im Auftrage des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums das Handbuch „Der neue deutsche Walfang“ heraus, das die naturwissenschaftlichen, technischen und rechtlichen Grundlagen der neuen Industrie zusammenfasste.826 Obgleich die Arbeit der Reichsstelle für Walforschung insgesamt auf die praktische Anwendung bezogen war, wurde daneben als Mit823  Ahlbrecht,

Internationale Walfangabkommen, S. 45. für Walforschung in Hamburg, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 10.11.1937, S. 562; Wegener, Der deutsche Walfang, S. 218 f.; Institut für Walforschung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 7.6.1939, S. 338; Hamburgische Ausstellungs-Gesellschaft mbH, Segen des Meeres, S. 98; Schubert, Walfang, S. 51. Das Institut saß in Hamburg zunächst am Steintorwall 1, später in der Kirchenallee 47. 825  Nicolaus Peters (1900–1940) wurde auf der Elbinsel Finkenwerder geboren und legte neben seinem Biologiestudium in Hamburg und Marburg das Steuermannsexamen für große Fahrt ab. Er war insofern für fischereibiologische Arbeiten als auch für Walforschung prädestiniert, veröffentlichte als Mitarbeiter des Hamburgischen Zoologischen Museums und Instituts jedoch auch zu vielfältigen anderen Themen. Peters fiel 1940 als Leutnant z. S. der Kriegsmarine; Alfred Willer, Dr. Nikolaus Peters †, in: Monatshefte für Fischerei, N. F. 8 (1940), 10, S. 120; Berthold Klatt, Gedenken, in: Mitteilungen aus dem Hamburgischen Zoologischen Museum und Institut, 50 (1950), S. 1–7. 826  Vgl.: Nicolaus Peters (Hrsg.), Der neue deutsche Walfang. Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, hrsg. im Auftrag des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums, Hamburg 1938. 824  Reichsstelle



IV. Der Deutsche Walfang323

arbeiterin für die historische Forschung zum deutschen Walfang die Glückstädter Volksschullehrerin Wanda Oesau beschäftigt, die bereits zuvor zu diesem Thema publiziert hatte.827 Während es somit eine Ausbildungsstätte für die Walfanginspekteure gab, bereitete die Rekrutierung geeigneten Personals einige Schwierigkeiten. Zunächst schrieb im August 1937 das Wirtschafts- an das Finanzministerium mit der Bitte, vier geeignete Zollinspektoren zu benennen, die man für diese Aufgabe in einem einwöchigen Kursus umschulen wollte. Die Zollverwaltung beim Finanzministerium sah sich zu ihrem Bedauern allerdings außerstande, dieser Bitte nachzukommen, da die dünne Personaldecke und die vielen unbesetzten Stellen in der Zollverwaltung es nicht gestatteten, Beamte abzugeben. Schlussendlich musste das Wirtschaftsministerium mit drei Angestellten der Hamburgischen Hafenverwaltung und einem Hamburger Lehrer vorlieb nehmen.828 Die Vorbildung dieser Inspektoren und die Art ihrer Vorbereitung in einwöchigen Schnellkursen legt die Frage nahe, wie effektiv die Umsetzung der durch das Londoner Abkommen und das Walfanggesetz vorgeschriebenen Fangbeschränkungen wirklich war. Inwieweit waren die Walfanginspektoren in der Lage, beispielsweise die Einhaltung der Mindestlängen zu überwachen? Waren sie einem, vielleicht indirekten Druck von Seiten der Unternehmen oder der Mannschaften ausgesetzt, mit denen sie als einzige Vertreter der Obrigkeit monatelang an Bord zusammenlebten? Man liest hierüber sehr wenig. Bekannt sind massive Verletzungen der internationalen Abkommen lediglich für die Flotte um das Kochereischiff Olympic Challenger, die nach dem Krieg ab 1950 / 51 für fünf Saisons als Kooperation zwischen dem „Tankerkönig“ Aristoteles Onassis (1906–1970) und der Henkel-Tochter Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft mit ganz überwiegend deutscher Besatzung Walfang betrieb.829 In diesem Fall war eine staatliche Kontrolle durch die Registrierung des Kochereischiffes und der Fangboote in Panama bzw. Honduras bewusst erschwert worden bzw. es war fraglich, inwieweit die Abkommen überhaupt für Schiffe unter diesen Billigflaggen bindend waren. Im Fall der deutschen Vorkriegsflotten sprechen die oben 827  Vgl.: Oesau, Schleswig-Holsteins Grönlandfahrt; dies., Die deutsche Südseefischerei; dies., Deutscher Walfang – seine Bedeutung für Großdeutschland, in: Deutschtum im Ausland. Zeitschrift des Deutschen Auslands-Instituts Stuttgart, 23 (1940), S. 98–102. 828  Siehe im Folgenden: BA R-2  / 21682, RWM an RFM, 18.8.1937; RFM an RWM, 6.9.1937; Vermerk des RFM, 6.10.1937; RWM, „Antrag auf Erteilung der Zustimmung zu einer außerplanmäßigen Haushaltsausgabe im Rechnungsjahr 1937“, 8.11.1937. 829  Klaus Barthelmess, Olympic Challengers Verstöße gegen Walfangbestimmungen, 1950–1956, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv, 19 (1996), S. 67–86.

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D. Grenzen des Meeres

dargelegten Überlegungen der Ministerialverwaltung dafür, dass staatlicherseits zumindest der Wille bestand, den Walfang im Interesse einer langfristigen Nutzung der Ressource Regelungen zu unterwerfen. Eindeutiger zu beantworten ist die Frage, welche Auswirkungen das Londoner Abkommen auf die Zahl der gefangenen Wale hatte.830 Die internationale Statistik weist für 1937 / 38 noch einmal einen Anstieg gegenüber der vorangegangenen Fangzeit auf, und erst 1938  /  39 lagen die Fangzahlen niedriger. Der deutliche Rückgang in der folgenden Saison war bereits auf den Kriegsausbruch zurückzuführen. Die Vereinbarungen im Londoner Abkommen hinsichtlich der Mindestlängen waren ebenfalls nicht ausreichend, um den Fang noch nicht geschlechtsreifer Tiere zu verhindern. Obwohl die damals verfügbaren Daten nahe legten, dass die Geschlechtsreife bei Blauwalen erst bei einer Länge von 74 Fuß bei männlichen und 78 Fuß bei weiblichen Tieren eintritt, erlaubte das Abkommen den Abschuss von Blauwalen bereits ab einer Länge von 70 Fuß (21,34 m). Die für Finnwale vereinbarte Mindestlänge (55 Fuß /  16,76 m) lag noch deutlich niedriger als der Wert, ab dem man von der Geschlechtsreife ausgehen konnte (64 bzw. 66 Fuß).831 In Hinblick auf die Beschränkung des Fangs und die Schonung der Bestände hat das Abkommen somit weitgehend versagt. Möglicherweise überstieg in dieser Zeit der Fang den maximalen nachhaltigen Ertrag (Maximum Sustainable Yield / MSY) soweit, dass sich die Bestände seitdem nicht mehr erholen konnten.832 Solange keine festen Fangquoten vorgeschrieben waren, sondern neben den Mindestlängen der Fang im wesentlichen nur zeitlich und geographisch eingeschränkt wurde, reagierten die Walfangunternehmen zwangsläufig mit einer Erhöhung des technischen Aufwandes und einer Intensivierung der Jagd. Da das Londoner Abkommen die Zahl der Fangboote, die für ein Kochereischiff arbeiten durften, nicht begrenzt hatte, lag hier für die Walfangunternehmen die einfachste Möglichkeit, die Verkürzung der Saison auszugleichen. Tatsächlich boomte 1936 und 1937 der Bau von neuen Fangdampfern.833 Allerdings stiegen die Anzahl, die Größe und die Motorleistung der Fangboote in der gesamten Hochzeit des antarktischen Walfangs von den zwanziger bis in die fünfziger Jahre kontinuierlich.834 Auch die 830  Bohmert,

Walfang, S. 65. Modern Whaling, S. 453.

831  Tønnesen / Johnsen, 832  Ebd.

833  Ebd.,

S.  455 f. durchschnittliche Größe der Fangboote stieg von 1925 bis 1937 von 205 BRT auf 282 BRT und die Motorleistung von 692 PS auf 1028 PS. Entsprechend nahm auch die Höchstgeschwindigkeit zu; Schubert, Walfang, S. 88. 834  Die



IV. Der Deutsche Walfang325

60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000

1939/40

1938/39

1937/38

1936/37

1935/36

1934/35

1933/34

1932/33

1931/32

1930/31

1929/30

1928/29

1927/28

1926/27

1925/26

1924/25

1923/24

1922/23

1921/22

0

Quelle: Hoppe, Statistische Zahlentafeln, S. 210; Schubert, Walfang, S. 156. Diagramm 17: Weltweit gefangene Wale, 1921 / 22–1939 / 40

deutschen Unternehmen sahen innerhalb der nur drei Fangzeiten, in denen Deutschland vor dem Krieg Wale jagte, die Notwendigkeit, die Zahl der Fangboote pro Flotte zu erhöhen, um genügend Wale für einen rentablen Betrieb des jeweiligen Kochereischiffes zu schießen.835 b) Die Deutsche Antarktische Expedition 1938 / 39 Während das Londoner Abkommen versuchte, die Nutzung der Walbestände in einem staatsfreien Gebiet zwischen allen beteiligten Nationen einvernehmlich zu regeln, sollte die Deutsche Antarktische Expedition von 1938 / 39 helfen, deutsche Besitzansprüche bei einer künftigen territorialen Aufteilung der Antarktis durchzusetzen.836 835  Siehe die Auflistung der Kochereien und ihrer Fangboote bei: Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 124 f. Alle deutschen Flotten fügten nach den ersten Reisen zwei bis drei Fangboote als Neubauten oder Charter aus Norwegen hinzu. Die letzten 1939 gebauten Fangboote waren bereits größer und stärker motorisiert als die ersten deutschen Fangboote von 1936. 836  Zur Deutschen Antarktischen Expedition allgemein: Cornelia Lüdecke, In geheimer Mission zur Antarktis. Die dritte Deutsche Antarktische Expedition 1938 / 39 und der Plan einer territorialen Festsetzung zur Sicherung des Walfangs, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv, 26 (2003), S. 75–100. Die Deutsche Antarktische Expedition und das von ihr untersuchte, Neuschwabenland genannte Gebiet haben zu noch mehr fantastischen und unseriösen Veröffentlichungen Anlass gegeben als die

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D. Grenzen des Meeres

Das deutsche Interesse an der Antarktis war in erster Linie durch den Walfang in den umgebenden Gewässern begründet, durch den diese Region der Erde überhaupt zum ersten Mal einen wirtschaftlichen Wert bekommen hatte. Der Leiter der Expedition Alfred Ritscher (1879–1963), ein Kapitän und ehemaliger Marineflieger, der von einer gescheiterten Spitzbergen-Expedition im Jahr 1912 / 13 her Polarerfahrung besaß, umschrieb den Auftrag der Expedition 1942 rückblickend folgendermaßen: „Ihr Ziel war, durch einen Erkundungsvorstoß in die antarktischen Gewässer und in das Innere des antarktischen Kontinentes, Deutschland ein Mitbestimmungsrecht und seinen gebührenden Anteil bei der kommenden Aufteilung der Antarktis unter den Großmächten zu sichern und damit die Voraussetzungen für das ungeschmälerte Recht des Reiches auf ungestörte Ausübung des für seine 80 Millionen Menschen lebenswichtigen Walfangs zu schaffen.“837 Ebenso betonte Helmuth Wohlthat bereits 1939 im Anschluss an die Expedition in einem Artikel für die Zeitschrift „Der Vierjahresplan“ den Walfang als das treibende Interesse hinter dieser Forschungsreise.838 Wohlthat, der im Reichswirtschaftsministerium maßgeblich den Aufbau des deutschen Walfangs unterstützt hatte, war nun als Ministerialrat z. b. V. in der Vierjahresplanbehörde auch federführend für die Organisation der Expedition verantwortlich. Als Eislotse diente der Expedition Otto Kraul, der zuvor Fangleiter der Jan Wellem-Fangflotte gewesen war. Die Expedition führte verschiedene ozeanographische, meteorologische und biologische Forschungen durch und fing sogar eine Gruppe Pinguine für den Berliner Zoo, aber die wichtigste Aufgabe bildete die Kartografierung eines möglichst großen Gebietes des antarktischen Festlandes. Daher hatte man als Expeditionsschiff die Schwabenland gewählt, ein Flugzeugkatapultschiff der Deutschen Lufthansa, das zwei Flugboote vom Typ Dornier Wal trug, die aus der Luft das Gelände erkunden und fotografieren sollten.839 Villa Winter auf Fuerteventura. Für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Literatur und den dort vertretenen Thesen siehe: Colin Summerhayes / Peter Beeching, Hitler’s Antarctic Base: The Myth and the Reality, in: Polar Record, 43 (2007), 224, S. 1–21. 837  Alfred Ritscher, Organisation, Vorbereitung und Verlauf der Expedition, in: ders. (Hrsg.), Deutsche Antarktische Expedition 1938  /  39 mit dem Fugzeugstützpunkt der Deutschen Lufthansa A. G. M. S. „Schwabenland“, Kapitän A. Kottas. Ausgeführt unter der Leitung von Kapitän A. Ritscher, 1. Bd: Textteil (Deutsche Forschung, N. F., Bd. 3), Leipzig 1942, S. 1–114, hier S. 2. s. a.: ders., Von der Deutschen Antarktischen Expedition 1938  /  39, in: Deutschtum im Ausland. Zeitschrift des Deutschen Auslands-Instituts Stuttgart, 23 (1940), S. 103 f. 838  Wohlthat, Die Deutsche Antarktische Expedition, S. 613–617. 839  Die Deutsche Lufthansa betrieb solche Katapultschiffe im Südatlantik für ihre Postverbindung zwischen Europa und Südamerika. Auf der Strecke von Westafrika nach Brasilien landeten die Flugboote zum Auftanken in der Mitte des Ozeans neben



IV. Der Deutsche Walfang327

Das Schiff verließ Hamburg am 17. Dezember 1938 und erreichte den Eisrand der Antarktis am 19. Januar 1939. Anschließend unternahmen die beiden Flugboote bis zum 5. Februar 1939 Erkundungsflüge über der Antarktis, durch die das Gebiet etwa zwischen 11° W und 20° O erstmals kartografiert werden konnte. Um das überflogene Gebiet zu kennzeichnen und damit eine Vorbedingung für eine spätere Besitzergreifung zu schaffen, warfen die Flugzeuge alle 20–30 km ca. 1,5 m lange Metallpfeile mit eingeprägtem Hakenkreuz ab. Außerdem hissten die Besatzungen bei Außenlandungen an verschiedenen Punkten der Küste die deutsche Flagge. Bevor die Schwabenland am 11. April 1939 wieder Deutschland erreichte, untersuchte die Expedition auf der Rückreise gemäß einem geheimen Zusatzauftrag zwei unbewohnte Inseln im Atlantik nordwestlich von Rio de Janeiro, Trinidade und Martim Vaz, hinsichtlich ihrer Eignung als Stützpunkt für Hilfskreuzer und U-Boote.840 Nach der Rückkehr der Schwabenland plante man umgehend eine Folgeexpedition für 1939 / 40, die in gleicher Weise wie die erste Expedition und ebenfalls in Hinblick auf künftige Besitzansprüche ein Gebiet im pazifischen Sektor der Antarktis (zwischen 80° W und 130° W) untersuchen sollte. Der Kriegsbeginn verhinderte schließlich diese Expedition, die im Oktober 1939 hatte auslaufen sollen.841 Die Deutsche Antarktische Expedition blieb nicht ohne internationale Reaktion: Norwegen stellte durch königliches Dekret vom 14. Januar 1939 und damit wenige Tage vor der Ankunft der Schwabenland einen Sektor der Antarktis zwischen 20° W und 45° O – der also das deutsche Untersuchungsgebiet einschloss – unter seine Souveränität. Das deutsche Auswärtige Amt beantwortete die entsprechende norwegische Note mit einem Vorbehalt. Der norwegische Anspruch – wie die Besitzansprüche anderer Staaten in der Antarktis auch – ist von der Staatengemeinschaft bis heute völkerrechtlich nicht anerkannt worden. Dennoch hätte der rechtzeitig geltend gemachte konkurrierende Anspruch Norwegens eine spätere völkerrechtliche Durchsetzung der deutschen Forderungen zumindest deutlich erschwert. Die für 1939 / 40 geplante Folgeexpedition sollte daher einen anderen Sektor der dem Schiff, wurden mit einem Kran an Bord genommen, aufgetankt, gewartet und anschließend mit einem Dampf getriebenen Katapult vom Deck des Schiffes aus gestartet. Der Start vom Katapult aus gestattete ein höheres Startgewicht (also mehr Fracht und Treibstoff), als es bei einem Start aus eigener Kraft von der Wasseroberfläche aus möglich gewesen wäre. 840  Lüdecke, In geheimer Mission, S. 81. 841  Ebd., S. 86 f. Für die Folgeexpedition waren drei Schiffe vorgesehen: Neben der Schwabenland auch die Wal I, einer der Fangdampfer der C. A. Larsen, und der Fischdampfer Kehdingen, der bereits eine Karriere als Versuchsschiff für Tiefkühltechnik und Fischmehlgewinnung hinter sich hatte.

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D. Grenzen des Meeres

Antarktis untersuchen, aber auch hier wäre Deutschland eventuell zu spät gekommen, da die USA für 1939 / 40 in demselben Gebiet eine Expedition unter dem Polarforscher Richard E. Byrd (1888–1957) planten und auch erfolgreich durchführten.842 Inwieweit es dem Deutschen Reich hätte gelingen können, Besitzansprüche auf dem antarktischen Kontinent rechtlich durchzusetzen, und inwieweit dies für den Walfang, der häufig an der Eisgrenze aber in weiter Entfernung vom Festland stattfand, von Bedeutung gewesen wäre, lässt sich nicht sagen. Obwohl bis heute sieben Staaten Sektoren (quasi „Tortenstücke“ ausgehend vom Südpol bis zum 60. Breitengrad) in der Antarktis beanspruchen, werden diese Forderungen international nicht anerkannt. Im Antarktisvertrag von 1959 haben alle relevanten Staaten die Frage der Gebietshoheit gewissermaßen auf Eis gelegt und nur das Geltendmachen neuer Ansprüche untersagt.843 Vom deutschen Griff nach der Antarktis und der Verbindung zum Walfang sind bis heute nur einige international gebräuchliche geographische Namen geblieben: Das von der Deutschen Antarktischen Expedition 1938 / 39 untersuchte Gebiet wird nach dem Namen des Expeditionsschiffes als Neuschwabenland bezeichnet, während die damals entdeckten Gebirge in dieser Region Namen wie Wohlthat-Massiv (nach Helmuth Wohlthat) und KraulBerge (nach Otto Kraul) tragen. 5. Öl und Nebenprodukte: Der Ertrag der deutschen Walfangflotten Die letztlich entscheidende Frage im Zusammenhang mit dem deutschen Walfang war, ob die Ergebnisse den beträchtlichen Aufwand lohnten. Während die Gewinnung von diversen Nebenprodukten technisch innovativ und manchmal auch zukunftsweisend, aber in den meisten Fällen kaum rentabel war, erfüllten die deutschen Walfangflotten bei ihrer eigentlichen Aufgabe – der Produktion von Walöl – im Wesentlichen die Erwartungen.

842  Ebd., S. 81, 87; vgl. a.: Wohlthat, Die Deutsche Antarktische Expedition, S. 614, 617. 843  Dass die Frage der Gebietshoheit bis heute dauerhaft offen ist, liegt auch daran, dass es zumal nach dem Ende des Walfangs keine praktisch umsetzbaren wirtschaftlichen Interessen in dieser Region gibt. Die Bundesrepublik Deutschland erhebt keine territorialen Ansprüche, ist aber Unterzeichner des Antarktis-Vertrages und unterhält eine Forschungsstation in dem bereits 1938 / 39 untersuchten Gebiet. Zum völkerrechtlichen Status der Antarktis: Vitzthum, Raum und Umwelt, S. 429– 432.



IV. Der Deutsche Walfang329

a) Nebenprodukte Eine Forderung, die schon früh im Zusammenhang mit der Schonung der Walbestände aufgestellt wurde, richtete sich auf die möglichst vollständige Verwertung der Wale. Eine entsprechende Bestimmung erschien auch im Londoner Abkommen (Art. 11) und als § 3 im deutschen Walfanggesetz. Während sich die Forderung zunächst nur auf die Ölgewinnung bezog, bei der neben dem Speck auch Knochen und andere Körperteile genutzt werden sollten, war im deutschen Walfang von Anfang an auch die Gewinnung von Nebenprodukten vorgesehen. Solche Nebenprodukte wie Walmehl als Viehfutter, Vitamine aus der Leber, Fleisch für die menschliche Ernährung, Leim, Fasern aus Speck oder Barten, Hormone aus verschiedenen Drüsen usw. waren in Deutschland, wie bereits dargestellt, Teil der Hoffnung auf die Rohstoffe aus dem Meer. Diese Nebenprodukte erschienen in deutschen Veröffentlichungen unter den beiden Gesichtspunkten der Linderung der deutschen Rohstoffnot und der verantwortungsbewussten Nutzung der Walbestände. „Einmal wird mit der restlosen Ausbeutung aller Werte des Wales dem Raubbau an den Walbeständen praktisch entgegengewirkt“, so Gauleiter Röver in einem Aufsatz von 1938, „und andererseits werden der deutschen Volkswirtschaft dadurch wertvolle Stoffe zugeführt.“844 In diesem Sinne betonte das Vorwort zu dem offiziellen Handbuch „Der neue deutsche Walfang“ das deutsche Interesse an der Erhaltung „dieser Rohstoffkolonie“, zu der „die restlose Auswertung der gefangenen Wale, die in dem bisherigen Walfang leider noch sehr vernachlässigt wurde“ in bedeutendem Maße beitrage.845 Oder wie es ein populärwissenschaftliches Buch ausdrückte: „Den wertvollsten Beitrag für den Walschutz leistet der deutsche Walfang praktisch durch sein Arbeitsprogramm, besser gesagt, durch sein Verarbeitungsprogramm.“846 Wenn Landwirtschaftsminister Darré 1939 in einer Rede erklärte, Deutschland sei, „in der restlosen Verwertung der Wale führend in der Reihe der walfangtreibenden Nationen,“ dann war damit nicht nur der Anspruch auf die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit verbunden, sondern auch der auf einen besonders verantwortungsbewussten Umgang mit der Ressource.847 In Anspielung an die damalige Kampagne zur Verhütung von Verlusten in der Nahrungsmittelwirtschaft bemerkte eine Veröffentlichung des Reichsgesundheitsamtes in diesem Zusammenhang: „Also auch in der Antarktis ‚Kampf dem Verderb!‘ “848 844  Röver,

Deutscher Walfang, S. 6. Einleitung, S. 4. Vgl. ähnlich: Kircheiß, Der neue deutsche Walfang,

845  Wegener,

S. 386. 846  Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 91. 847  Darré, Rede zur Eröffnung, S. 209.

330

D. Grenzen des Meeres

Vollkommen schlüssig war diese Argumentation freilich nicht, da die neuartigen Nebenprodukte unter Umständen dem wirtschaftlichen Ergebnis der Fangflotte und der Autarkiewirtschaft nützten, nicht aber den Walbeständen: Letztlich bestimmte die Nachfrage nach dem Hauptprodukt Walöl die Zahl der gefangenen Wale, so dass die Gewinnung von Nebenprodukten hierauf keinen Einfluss besaß. 848

In Bezug auf die „totale Walauswertung“,849 wie es damaligen Sprachvorlieben folgend manchmal hieß, war Deutschland tatsächlich führend und beschritt mit der Gewinnung einer möglichst breiten Palette an Nebenprodukten Neuland.850 Lediglich die Gewinnung von Walmehl also einem Fleischmehl als Viehfutter war bereits zu Beginn der 1930er Jahre im norwegisch-britischen Walfang eingeführt worden, als die ab 1931 stark fallenden Preise für Speisefette ein zweites ökonomisches Standbein für die Walfangunternehmen erforderten. Landstationen nutzten zu dieser Zeit bereits die abgespeckten Walkadaver in einer sehr rudimentären Weise, um eine Art Guano als Stickstoff- und Phosphordünger zu gewinnen, während die Kochereischiffe nur den Speck sowie gegebenenfalls andere ölhaltige Körperteile nutzen und den Rest des Kadavers wieder dem Meer überließen. 1932  /  33 liefen erstmals Walmehlanlagen zur vollständigeren Verwertung der Kadaver probeweise auf einigen Kochereischiffen und drei Saisons später waren bereits vier Flotten für die Produktion von Walmehl im großen Maßstab ausgerüstet. Die Entwicklung im Walfang lief insofern parallel zu der des Sojaanbaus, da hier die Rückstände der Ölproduktion ebenfalls zunächst nur als Dünger und dann erst als Futtermittel genutzt wurden.851 Bei den übrigen Nebenprodukten handelte es sich allerdings vorwiegend um typische Erscheinungen der deutschen „Ersatz“-Wirtschaft, also häufig um Lösungen für Probleme, die sich anderen Volkswirtschaften nicht in dem Maße stellten, da die entsprechenden Rohstoffe aus anderen, konventionellen Quellen hinreichend zur Verfügung standen.852 Nach dem Krieg setzten sich dennoch einige dieser Innovationen im internationalen Walfang 848  Ludorff, Wal, S. 24. Zu „Kampf dem Verderb“ und den Millionenwerten, die der Volkswirtschaft durch Verderb und Schädlinge verloren gegangen seien: Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 257–260. 849  Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 91, 101. Ähnlich drückte sich auch Carl Röver im Geleitwort zu diesem Buch aus: „totale Verarbeitung des Wales“; Röver, Geleitwort, S. 9. 850  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 133; Schubert, Walfang, S. 135. 851  Lynge, Walfang, S. 92. 852  Otto Hugo räumte 1939 offen ein, dass bei vielen Nebenprodukten nur die „deutsche Rohstofflage und der Devisenmangel“ eine Gewinnung lohnend machen, während andere Staaten sich die entsprechenden Stoffe billiger auf dem Weltmarkt verschaffen können; Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 91 f.



IV. Der Deutsche Walfang331

durch und trugen dazu bei, die Wirtschaftlichkeit der Flotten bei steigenden Kosten und sinkendem Walölpreis noch einige Jahre weiter zu gewährleisten, bis die Erträge aus den Nebenprodukten in den 1960er Jahren sogar die aus der Ölgewinnung überstiegen.853 Norwegische Experten erkannten damals und später unumwunden an, wie vollständig und technisch hochwertig die neuen deutschen Kochereien in Hinblick auf eine vollständige Verwertung der Wale ausgerüstet waren.854 Dafür dass die norwegischen und britischen Unternehmen in den 1930er Jahren noch nicht diesen Weg beschritten, gab es – abgesehen davon, dass diese Länder keine Autarkie- und „Ersatz“-Wirtschaft verfolgten – noch weitere Gründe. Zum einen waren die meisten ihrer Kochereien bereits längere Jahre im Betrieb und ließen sich schon aus Raumgründen nicht einfach mit Anlagen für die neuen Produkte nachrüsten; Deutschland dagegen konnte seine Neubauten von Beginn an für die Gewinnung einer breiteren Produktpalette auslegen (derartige Anlagen fehlten somit auch weitgehend auf den von Norwegen gekauften oder gecharterten älteren Kochereischiffen). Zum anderen – und darauf wies Edmund Winterhoff, ein leitender Angestellter von Walter Rau, in einem sehr nüchternen Artikel von 1938 hin – stellten sich der vollständigen Verwertung vielfältige und für den Walfang spezifische Hürden in den Weg:855 Die zahlreichen und zum Teil sehr aufwändigen Anlagen, die man hierfür benötigte, mussten alle in dem beschränkten Raum und unter den besonderen Verhältnissen (Seegang, Vibrationen) eines Schiffes untergebracht werden. Ein Testbetrieb der Installationen vor der Ausreise in Europa war kaum realistisch möglich, weil das Ausgangsmaterial – Wale eben – in Deutschland praktisch nicht vorhanden war.856 Im Fanggebiet dagegen konnten auch kleinere technische Pannen die 853  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 216–218. Das wichtigste Nebenprodukt war gegen Ende des europäischen Walfangs schon Walfleisch für den japanischen Markt. 854  Tønnesen und Johnsen schrieben über die Jan Wellem: „She was in fact as well equipped as German thoroughness allowed“; eine zeitgenössische norwegische Publikation nannte die Walter Rau „a technical marvel“; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 424, 428. 855  Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, S. 61. 856  Rohstoffe für den Testbetrieb von Anlagen zu bekommen war möglich, aber kompliziert: Als die Firma Brinckmann & Mergell in Harburg Anfang der 1930er Jahre an neuen Methoden zur Walöl- und Walmehlgewinnung arbeitete, führte man die Versuche zunächst mit Schweinespeck durch, bis Generalkonsul Hildisch einige Fässer Walspeck aus Norwegen zur Verfügung stellte. Dennoch sah das Unternehmen die Notwendigkeit, eine Versuchsanlage bei der Walfangstation Lopra auf den Färöer-Inseln unter primitiven und widrigen Bedingungen zu errichten. Die Wiesbadener Firma Fauth ließ sich dagegen Anfang der 1930er zur Erprobung ihrer Walmehlanlage einen zerkleinerten Wal in zehn Kühlwagen aus Norwegen kommen. Eine praxisnahe Erprobung von Walverarbeitungsanlagen in Mitteleuropa oder in

332

D. Grenzen des Meeres

entsprechende Anlage für die gesamte weitere Reise lahm legen, da anders als an Land oder in europäischen Gewässern keine technische Hilfe von außen herbeigeholt werden konnte. Obwohl – oder gerade weil – Winterhoff die Gewinnung von Nebenprodukten bei Walter Rau vorantrieb und sogar selbst Patente auf diesem Gebiet angemeldet hatte,857 konnte er die Entscheidung der Briten und Norweger gut verstehen, die Verarbeitungsanlagen an Bord der Kochereischiffe möglichst robust und primitiv zu belassen: „[E]s ist eben außerordentlich riskant, komplizierte Fabriken fern jeder Hilfe in stürmischen Gewässern arbeiten zu lassen.“858 Der innovativen, vollständigen Nutzung der marinen Rohstoffquelle Wal waren somit auch Grenzen gesetzt. Entsprechend war die Gewinnung, wie sich am Ende herausstellte, bei vielen dieser Produkte nicht wirtschaftlich lohnend. Jan Wellem und Unitas besaßen Anlagen zur Gewinnung von Fasermaterial aus Speck, aus dem sich Kunstleder oder Wurstdärme herstellen ließen, aber die wirtschaftlichen Ergebnisse befriedigten nicht. Nach dem Krieg wurde das Verfahren noch einmal aufgenommen und aus den gleichen Gründen bald wieder eingestellt.859 Die Bemühungen um Leder vom Wal oder ein Pergament aus dem Herzbeutel waren gleichermaßen technisch erfolgreich, blieben aber „ein Hobby ohne finanziellen Ertrag“.860 1940 berichtete ein Artikel rückblickend von den weitgehend ungelösten Schwierigkeiten der Ledergewinnung vom Wal, wobei man „auch an die Magenhaut und an die Haut von anderen Körpergliedern wie beispielsweise vom Geschlechtsteil des männlichen Walfisches“ gedacht hatte, die „infolge der bei diesem Tier herrschenden Größenverhältnisse äußerst beachtliche Ledermengen ergeben“ würden.861 Die Gewinnung von Hormonen und Vitaminen aus den Drüsen und anderen Organen der Wale erbrachte gemischte Resultate: Interessant schien hier vor allem die Hypophyse, allerdings gestaltete sich das Auffinden der 20–30 Gramm schweren Drüse in dem riesigen Schädel als schwierig, wesdessen Nähe stellte sich also zumindest als sehr schwierig dar; Benz, Walfang und Walölgewinnung, S. 282; Phillip L. Fauth, Walverarbeitung, in: Fette und Seifen, 45 (1938), 1, S. 58–60. 857  Der promovierte Philologe Winterhoff hatte sich Verfahren zur Gewinnung von Vitaminen aus dem Leberöl der Wale sowie von Fleischextrakt patentieren lassen, ersteres gelangte allerdings kriegsbedingt nicht mehr zur Anwendung; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 138, 145. 858  Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, S. 61. 859  Ebd., S.  134 f.; Schubert, Walfang, S.  137 f. 860  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 134 f., Zitat: S. 135. 861  Fischleder aus Walfischhaut? Über die Wirtschaftlichkeit des Wal- und Haifischfangs vom Standpunkt einer rationellen Fischhautverwertung, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, H. 7 (August), 1940, S. 138–142, hier S. 138.



IV. Der Deutsche Walfang333

halb die Walfänger sie nur ausnahmsweise sammelten und konservierten. Lohnend waren dagegen die Ovarien des weiblichen Wals. Bei anderen Drüsen und Hormonen war die pharmazeutische Forschung noch nicht so weit, dass sie in größerem Stil hätten genutzt werden können. Der britische und norwegische Walfang nahm nach 1945 diesen Faden wieder auf, ohne jedoch zu wirtschaftlich lohnenden Ergebnissen zu kommen. Bei der Gewinnung von Vitamin A und B aus der Leber des Wales besaß die englische Industrie bereits Erfahrungen. Die Unitas lieferte von ihren beiden Fangreisen insgesamt ca. 685 t Leberflocken an die pharmazeutische Industrie in Großbritannien – ein weiterer Hinweis auf die internationale Verflechtung dieser Flotte im Unilever-Konzern.862 Ambra, eine seltene krankhafte, wachsartige Absonderung im Darm des Pottwals, war als Grundstoff der Parfumherstellung begehrt. In den meisten Fällen unterschlugen die Lemmer – die Arbeiter, die den Wal auf dem Schlachtdeck zerlegten – die Ambra zum Verkauf auf eigene Rechnung, – so zumindest Winterhoffs Eindruck.863 Die Barten, die zur Zeit der alten Grönlandfischerei im 17. und 18. Jahrhundert nicht selten den Haupterlös ausmachten, sammelten auch die deutschen Walfänger in den 1930er Jahren in gewissem Unfang. Allerdings besaßen die zu dieser Zeit bejagten Furchenwale (Blau- und Finnwal) kleinere und weniger wertvolle Barten als die Glattwale, auf die sich der Fang in früheren Jahrhunderten richtete. Zum Teil wurden die Barten in den 1930er Jahren traditionell als Fischbein zur Verstärkung in Mützen, Miedern, Büstenhaltern und ähnlichem verarbeitet, zum Teil als Fasern für Bürsten, Schrubber etc. genutzt; in jedem Fall trugen sie nicht nennenswert zum Erlös der Fangreise bei.864 Von einer gewissen ökonomischer Bedeutung war dagegen das Walmehl, das man aus dem mageren Fleisch oder aus den Graxe genannten festen Rückständen der Ölgewinnung gewann. Es diente als eiweißreiches Kraftfutter, so dass der Walfang auf diesem Weg indirekt auch einen Beitrag zur Butter- und Schweinefetterzeugung leistete.865 Die Gewinnung eines Fleischextraktes ähnlich dem Liebig’schen Rindfleischextrakt gelang erst nach Schwierigkeiten. Die deutschen Walfangflotten leisteten hier Pionierarbeit, aber die gesamte deutsche Produktion blieb unter 100 t. Nach 1945 862  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 143–145; Schubert, Walfang, S.  136 f., 138; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 723 f., 726 f. 863  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 144. 864  Ebd., S. 145; Schubert, Walfang, S. 139. 865  Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, S.  135–137; Schubert, Walfang, S. 132–134; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 713–720.

334

D. Grenzen des Meeres

spielte Fleischextrakt bis in die 1960er Jahre eine gewisse Rolle für die norwegischen Fangflotten.866 Einen weiteren Weg zur vollständigen Verwertung bildete der direkte Verzehr des Fleisches durch den Menschen. Prinzipiell ist Walfleisch genießbar, allerdings ist die Verbraucherakzeptanz kulturell stark unterschiedlich ausgeprägt. Ob eine Gesellschaft Walfleisch als normales Nahrungsmittel betrachtet, hängt selbstverständlich auch davon ab, inwieweit Wale traditionell verfügbar waren, aber selbst auf europäischen und amerikanischen Walfangschiffen des 19. Jahrhunderts und früher galt das Fleisch für die Besatzung nie als regulärer Bestandteil der Ernährung, anders als bei vielen außereuropäischen Kulturen oder bis heute in Japan, Norwegen, auf Island und den Färöern.867 Die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ äußerte sich im November 1936 entsprechend skeptisch: Wahrscheinlich werde der Wal nur indirekt über das Walmehl als Futtermittel einen Beitrag zur deutschen Fleischversorgung leisten.868 Andererseits waren Erfahrungsberichte zum Geschmack von Walfleisch meist positiv und es wurde immer wieder gesagt, dass es an bestes 866  Winterhoff, Deutschlands neuer Walfang, S.  137–139; Schubert, Walfang, S. 137; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 724–726. 867  Berichte von Reisen auf amerikanischen Walfängern im 19. Jh. beschreiben häufig den Verzehr von Walfleisch. Eine Erwähnung findet sich auch bei Melville, Moby Dick, Kap. 64, 65. Allerdings wird dies ganz überwiegend als eine Art seltenes kulinarisches Abenteuer dargestellt, ohne dass man das reichlich vorhandene Walfleisch (für das es sonst keine Verwendung gab) als Teil des regulären Speiseplans angesehen hätte. Obwohl der Geschmack zumeist positiv überraschte, galt Walfleisch als Nahrung für unzivilisierte Völker, das in Nordamerika und Zentraleuropa stets nur in Notzeiten oder allenfalls als exotisches Kuriosum vermarktbar war. Entsprechend stieß auch in der Anti-Walfang-Bewegung seit den 1970er Jahren bei Nordamerikanern und Westeuropäern die Forderung indigener Völker, Wale als Teil ihrer traditionellen Subsistenzwirtschaft zu jagen, auf Verständnis; der Walfleischverzehr der hoch entwickelten und wohlhabenden Japaner, Norweger und Isländer dagegen fiel aus diesem Raster heraus. In der Folge wurde und wird deren Gewohnheit, Wale zu verspeisen, in Nordamerika und Westeuropa erbittert bekämpft. Die japanische Seite antwortet darauf mit dem Vorwurf des Rassismus, des Ethnozentrismus und der Heuchelei. Zu den kulturellen Aspekten des Verzehrs von Walfleisch, s.: Nancy Shoemaker, Whale Meat in American History, in: Environmental History, 10 (2005), S. 269–294; Oslund, Protecting Fat Mammals, S. 63–81. 868  Walfleisch-Probeessen auch in Frankfurt a. M., in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 18.11.1936, S. 357. Der Artikel berichtet zunächst über einen Frankfurter Fischhändler, der anlässlich seines Firmenjubiläums einen kleinen, zufällig in der Nordsee gefangenen Wal im Schaufenster ausstellte und das Fleisch anschließend tatsächlich an die Frankfurter verkaufen konnte. „Daß ‚gebratener Wal mit Zwiebeln‘ auf der Speisekarte erscheint,“ so der Artikel weiter, „wird aber wohl eine Ausnahme bleiben;“ ebd.



IV. Der Deutsche Walfang335

Rindfleisch erinnere.869 Walfleisch verwendete man im 20. Jahrhundert auch als Tierfutter – für Haustiere wie Katzen und Hunde sowie auch in Pelztierfarmen –, aber im deutschen Walfang scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein.870 Vor dem Verzehr des Fleisches standen jedoch zunächst die Erzeugung und der Transport. Da der Fang in diesem Fall in der Antarktis – also in beträchtlicher Entfernung vom Markt – stattfand stellte sich in noch stärkerem Maße als beim Fisch die Frage der Konservierung als das Hauptproblem heraus. So einfach, wie sich Hildisch und Wolgast (s. o.) die Angelegenheit vorgestellt hatten, war es jedenfalls nicht. Im deutschen Walfang der 1930er Jahre ging man davon aus, dass nur das magere Rückenfleisch junger Finnwale von Farbe und Geschmack her für einen mitteleuropäischen Verbraucher annehmbar sein würde. Aber auch das Fleisch dieser Wale ließ sich nur dann für die menschliche Ernährung nutzen, wenn die Verarbeitung möglichst rasch erfolgte. Da die Walkörper aufgrund ihrer Größe und der isolierenden Fettschicht nach dem Tod nur sehr langsam auskühlen, setzen schon kurze Zeit nach der Tötung Zersetzungsprozesse ein, die das Fleisch ungenießbar machen. Es konnten also nur solche Tiere genutzt werden, die man in relativer Nähe zum Kochereischiff erlegt hatte und somit zeitnah verarbeiten konnte. Insgesamt kam also nur noch ein geringer Anteil der gefangenen Wale für die Fleischgewinnung in Frage. Weitere Probleme stellten sich bei der Konservierung, da das Walfleisch auch in tiefgekühltem Zustand sich unter dem Einfluss von Sauerstoff von den äußeren Schichten her schwarz verfärbt und einen unangenehmen Geschmack annimmt. Diese Kruste ließ sich zwar wegschneiden, aber entsprechend groß waren die Verluste.871 Eine bessere Lösung als die Tiefkühlung fand man bei Walter Rau, indem man das Fleisch sofort an Bord des Kochereischiffes zu einer Fleischkon869  „Zwischen frischem Magerfleisch des Wales und Rindfleisch ist kaum ein Unterschied zu bemerken“; Landgraeber, Walfang und Walfettgewinnung, S. 483; ganz ähnlich: das Fleisch von jungen Walen sei „von Rindfleisch kaum zu unterscheiden“; Fromm, Walfang, S. 358; „Blau- und Finnwal haben rosiges, dem Rindfleisch ähnliches, wohlschmeckendes, zartes Fleisch“, Janssen, Tausend Jahre, S. 210; s. auch: Kraul, Käpt’n Kraul erzählt, S. 211. „Von allen Kennern wird übereinstimmend der angenehme an Rindfleisch erinnernde Geschmack des Bartenwalfleisches hervorgehoben“; Schubert, Walfang, S. 134. 870  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 720  f.; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S.  139 f.; Hudtwalcker, Walfang, S. 106. 871  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 139–143; Schubert, Walfang, S.  134 f. Die Nutzung von Walfleisch warf auch neue gesundheitspolizeiliche Probleme auf, da der Umgang mit dem Fleisch warmblütiger Seetiere bis dahin mangels Anlass rechtlich nicht geregelt war; Ludorff, Wal, S.  35 f.

336

D. Grenzen des Meeres

serve in Dosen verarbeitete, die das Etikett „Walfleisch Polaris, frisch im Eismeer in Dosen gefüllt“ trugen. Auf der ersten Fangreise produzierte die Walter Rau ca. 115.000 und auf der zweiten Reise ca. 175.000 Dosen à 800 g Inhalt. Allerdings durften die Dosen mit der Begründung, dass sie die Marktordnung stören würden, nicht in den freien Verkauf gebracht werden und wurden stattdessen von Wehrmacht, Krankenhäusern, Strafanstalten und Arbeitsdienstlagern abgenommen.872 Neben Walter Rau war nur Henkels Jan-Wellem-Flotte in der Fleischgewinnung engagiert. Henkel belieferte die Konservenfabrik E. Gräfe aus Hamburg-Altona, die 1938 auf einer „Dauerwarenprüfung des Reichsnährstandes“ Auszeichnungen für ihre Walfleischkonserven „Walgulasch“, „Walrauchfleisch, gepökelt und geräuchert“, „Walsauerbraten“ und sogar „Walschnitten mit Trüffeln in Madeira-Gelee“ erhielt.873 Diese Produkte scheinen jedoch nicht auf den Markt gekommen zu sein. Somit wurde in Deutschland vor dem Krieg offenbar nie der Versuch unternommen, ob das Walfleisch sich beim Verbraucher auf dem freien Markt würde etablieren können. Als Japan in der Saison 1934 / 35 den antarktischen Walfang aufnahm, war Walfleisch das Hauptprodukt für den heimischen Markt, während das Öl ausschließlich für den Export – große Mengen endeten in Deutschland – vorgesehen war.874 Das Fleisch wurde zunächst gesalzen, bevor man anfing, mit Tiefkühlung zu experimentieren. In der Saison 1939 / 40 betrieb Japan ein spezielles Tiefkühlschiff, um das Fleisch von der Fangflotte zu übernehmen und in die Heimat zu transportieren. Die technischen Probleme der Fleischkonservierung waren also lösbar; entscheidend war, ob der Markt Walfleischzubereitungen akzeptierte und nachfragte. Da die Japaner seit Jahrhunderten vor ihrer eigenen Küste Wale für den menschlichen Verzehr fingen, war in Japan anders als in Zentraleuropa ein Markt für derartige Produkte vorhanden. b) Walöl Das Hauptprodukt der deutschen und aller westlichen Walfangflotten und ihr eigentlicher Daseinsgrund war jedoch Walöl als Rohstoff für die Margarine- und Seifenherstellung. An der Walölproduktion misst sich daher die Relevanz dieses Wirtschaftszweiges für die deutsche Volkswirtschaft und S. 142; Keune / Ziegelmayer, Handbuch Gemeinschaftsverpflegung, S. 89. Handbuch Gemeinschaftsverpflegung, S. 88 f.; Preisträger der Dauerwarenprüfung des Reichsnährstandes 1938 in Leipzig, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 7.9.1938, S. 140. Gräfe scheint mit tiefgekühltem Fleisch als Rohmaterial gearbeitet zu haben. 874  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 415–418, 720 f. 872  Ebd.,

873  Keune / Ziegelmayer,

1.241,50

Quelle: Schubert, Walfang, S. 148 ff., Tabellen 55–57.

89.934,20

1.734,50

77.982,00

31.460,10

Deutsche Produktion insgesamt

5.899,00

16.566,50

15.945,15

9.533,00

9.110,46

12.093,00

Walöl

8.834,48

34,00

78,50

239,70

669,80

365,50

347,00

Pottwalöl

5.279,83

243,80

241,40

1.283,50

1.608,20

864,00

524,93

514,00

Pottwalöl

1938 / 1939

Wikinger

10.194,90

Südmeer

15.446,20 19.975,00

1.066,00

Unitas

11.705,00

Skytteren

14.620,00

11.452,00

Walöl

18.246,10

9.598,60

C. A. Larsen

175,50

Pottwalöl

1937 / 1938

Walter Rau

10.156,50

Jan Wellem

Walöl

1936 / 1937

Tabelle 12 Ergebnisse der deutschen Walfangflotten in t, 1936–1939 Durchschnitt / Saison

207.631,72

9.078,28

16.369,30

37.903,50

36.039,15

39.284,00

34.219,49

34.738,00

69.210,57

9.078,28

8.184,65

18.951,75

18.019,58

13.094,67

11.406,49

11.579,34

Wal- u. Pottwalöl

Insgesamt

IV. Der Deutsche Walfang337

338

D. Grenzen des Meeres

zeigt sich, inwiefern der Walfang den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht werden konnte. Die Tabelle zeigt die Produktionszahlen der einzelnen für deutsche Rechnung arbeitenden Kochereischiffe für das eigentliche Walöl, das man aus Furchenwalen (ganz überwiegend Blau- und Finnwal) gewann, und für das in deutlich geringeren Mengen produzierte Pottwal- oder Spermöl, das nicht zur Margarineherstellung, sondern ausschließlich für technische Zwecke geeignet ist.875 Was zunächst auffällt, sind die höchst unterschiedlichen Ergebnisse der einzelnen Flotten: Die Unitas produzierte mit durchschnittlich fast 19.000 t pro Fangsaison das beste Ergebnis, während die Südmeer mit rund 8.000 t das Schlusslicht bildete. Insgesamt schnitten die neuen Kochereischiffe besser ab als die alten, und Neubauten waren den Umbauten überlegen. Daher stellten die 1937 als Neubau entstandenen Walter Rau (13.750 BRT) und Unitas (21.846 BRT) alle anderen deutschen Kochereien in den Schatten. Gemessen an der Größe der Schiffe sticht das Ergebnis der Walter Rau verglichen mit der deutlich größeren Unitas positiv hervor, während Skytteren (Baujahr 1901, umgebaut für den Walfang 1928, 12.358 BRT) trotz Alter und relativ geringer Größe ein beachtliches Ergebnis erreichte. Henkels Jan Wellem (11.776 BRT) konnte sich mengenmäßig kaum von den älteren aus Norwegen angekauften oder gecharterten Flotten absetzen, allerdings führten die moderneren Anlagen auf dem erst 1936 umgebauten Schiff zu einer höheren Ölqualität und einer größeren Ausbeute an Nebenprodukten als auf den älteren Kochereien.876 Die Gründe für das bessere oder schlechtere Abschneiden einer Flotte lagen einerseits in der Effektivität der Verarbeitungsanlagen, die vom Alter und Größe der Kocherei abhing, andererseits in dem Können und der Erfahrung des Fangleiters und der einzelnen Harpunenschützen sowie in der Anzahl und Leistungsfähigkeit der Fangboote. Ferner war die Produktionskapazität der Kochereischiffe schon durch ihr unterschiedliches Ölfassungsvermögen beschränkt, d. h. die größeren Schiffe konnten entsprechend mehr Öl aufnehmen.877 875  Pottwalöl diente zu dieser Zeit nicht mehr wie im 19. Jh. als Ausgangsmaterial für Kerzen und Lampenöl, sondern für die Herstellung von seifenlosen Waschmitteln, Hautcremes, kosmetischen Produkten und hochwertigen Schmiermitteln; Schubert, Walfang, S. 132; Peters, Wal-Barten, Pottwalöl, Ambra, S. 206. 876  Bohmert, Walfang, S. 71. 877  Die Spannbreite reichte von einem Fassungsvermögen von 10.000 t bei der Südmeer bis zu 25.000 t bei der Unitas; Ludorff, Wal, S. 18. Es bestand aber die Möglichkeit, während der Fangzeit das bereits produzierte Öl an einen Tanker abzugeben, so dass ein Kochereischiff durchaus über sein eigenes Fassungsvermögen hinaus Öl produzieren konnte, wenn denn entsprechend viele Wale gefangen wurden und die Produktionskapazität der Verarbeitungsanlagen an Bord dies gestattete.



IV. Der Deutsche Walfang339

Die Entscheidung von Walter Rau und der Jurgens-van den Bergh Margarine-Verkaufs-Union, Neubauten in Auftrag zu geben, statt Schiffe umzurüsten oder gebrauchte Kochereien aus Norwegen zu nutzen, hatte sich insofern gelohnt, als dass die Walter Rau und die Unitas mit Abstand die besten ­Ergebnisse erzielten. Der Preis, den sie dafür zahlen mussten, war jedoch Bauzeit bedingt der Verzicht auf die Fangzeit 1936 / 37. Da es nur drei Fangzeiten bis Kriegsausbruch gab, hatten die drei von 1936 / 37 an operierenden Flotten (Jan Wellem, C. A. Larsen und Skytteren) letztendlich jeweils fast die gleiche Menge Öl gewonnen wie die beiden modernen, großen Neubauten. Die Unterlegenheit der umgebauten und angekauften Schiffe war vor­ hersehbar, aber diese Möglichkeit bot Vorteile volkswirtschaftlicher Art, da bereits ein Jahr früher eine zusätzliche Fettquelle aufgeschlossen bzw. Devisen gespart werden konnten, und in betriebswirtschaftlicher Hinsicht, da die betreffenden Unternehmen schon 1937 ihre Rohstoffversorgung und damit Umfang und Qualität ihrer Produktion sichern konnten. Ihren Anteil an der weltweiten Walölproduktion konnten die deutschen Unternehmen von 5,77 % in der ersten Fangzeit auf 14,59 % in 1937 / 38 und 15,29 % in 1938 / 39 steigern.878 Da die deutschen Unternehmen Neueinsteiger in dieser Industrie waren, scheinen sie allerdings pro Kochereischiff gerechnet schlechtere Ergebnisse erzielt zu haben, als die erfahrenen norwegischen Flotten.879 Dies legt zumindest der Vergleich zwischen den rein norwegisch bemannten gecharterten Flotten C. A. Larsen sowie Skytteren und den von Baujahr und Größe ähnlichen ex-norwegischen Flotten Südmeer und Wikinger nahe, die überwiegend deutsch bemannt waren. Allerdings waren, wie bereits erwähnt, auf allen deutschen Walfangflotten viele der Spezialisten angeworbene Norweger. Nur die Jan Wellem besaß mit Otto Kraul zunächst einen deutschen Fangleiter, den Henkel aufgrund des klar unterdurchschnittlichen Abschneidens der Flotte freilich auch nach zwei Fangzeiten durch einen Norweger ersetzte.880 878  Berechnet aufgrund der Daten aus: Schubert, Walfang, Tabelle 62. Leicht abweichend geben Tønnesen und Johnsen folgende Zahlen an für den Anteil an der antarktischen Walölproduktion in der Saison 1938 / 39: Großbritannien 31,6 %, Norwegen 29,6 %, Japan 17,1 % und Deutschland 13,3 % Der deutsche Anteil an der Zahl der gefangenen Wale betrug 1937  /  38 10,2 % und 1938  /  39 12,4 %; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 422, 330. 879  Ein Artikel vom Mai 1936 nennt im Rückblick auf die vorangegangene Fangzeit für die später von Deutschland übernommenen Kochereien, die damals noch norwegisch waren, Produktionszahlen, die über dem lagen, was dieselben Schiffe unter deutscher Leitung erzielten. Allerdings liegen die Verhältnisse in jeder Fangzeit unterschiedlich, so dass Ergebnisse unterschiedlicher Jahre schwer zu vergleichen sind; Das Ergebnis der Walfangsaison 1935 / 36, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, Mai 1936, S. 904. 880  Bohmert, Walfang, S. 89.

340

D. Grenzen des Meeres

Neben dem Verhältnis der Produktionszahlen der einzigen Flotten untereinander und im Vergleich mit dem Ausland ist ebenfalls interessant zu sehen, wie sich die Ergebnisse des deutschen Walfangs zu den Erwartungen verhielten. Wilhelm Ziegelmayer war in der ersten Auflage seines Standardwerkes „Rohstoff-Fragen der deutschen Volksernährung“ von 1936 – also vor der ersten Fangreise der deutschen Flotten – noch von 20– 25.000 t pro Fangflotte ausgegangen.881 Das war etwas hoch gegriffen, da letztlich nur die Unitas in einer Saison über 19.000 t kam; der Durchschnitt aller deutschen Flotten lag bei rund 13.000 t. Helmuth Wohlthat vom Wirtschaftsministerium dagegen rechnete im Oktober 1935 – also ein Jahr vor der ersten Fangreise – damit, dass die Henkel-Flotte in etwa 16.000 t in einer Saison produzieren würde.882 Im Februar 1937, als die Schiffe von ihrer ersten Fangreise noch nicht zurückgekehrt waren, hatte er seine Erwartung schon auf 10.000 t heruntergeschraubt, zu denen jetzt allerdings noch einmal 25.000 t von den beiden gecharterten Kochereien hinzukamen, so dass insgesamt mit 35.000 t zu rechnen sei.883 Diese Zahl lag immer noch leicht über dem tatsächlich erzielten Ergebnis von rund 31.500 t (ohne Pottwalöl). Bereits im Februar 1936 erörterte Geheimrat Pieszczek vom Reichskriegsministerium die Frage, wie viel Walöl überhaupt gebraucht werde, und kam zu dem Ergebnis, dass eine eigene Produktion von 100.000 t bei einem jährlichen Bedarf von 200.000 t, wozu jedoch noch die erwünschte Bildung einer Reserve von 150.000 t käme, anzustreben sei.884 Dazu stellte Wohlthat fest, dass die zu diesem Zeitpunkt bereits geplanten vier Flotten zusammen eher nur 60.000 t gewinnen könnten. Verglichen mit dem besten tatsächlich erzielten Ergebnis einer Fangzeit – rund 90.000 t mit sechs Kochereischiffen – waren die Vorstellungen Wohlthats und Pieszczeks keineswegs utopisch, wenn sie auch nicht ganz erreicht wurden. Für die Fangzeit 1937 / 38 rechnete Ministerialrat Wegener in einem im Januar 1938 veröffentlichten Beitrag für die Fachzeitschrift „Fette und Seifen“ mit einer Produktion von 85–90.000 t, was dem tatsächlichen Ergebnis am Ende der Saison von knapp 90.000 t ziemlich genau entsprach.885 Der deutsche Walfang wurde also zumindest den von der Ministerialverwaltung kurz- und mittelfristig gesteckten Zielen in etwa gerecht. 881  Ziegelmayer,

Rohstoff-Fragen (1936), S. 67 f. R-2 / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 1. 883  BA R-2  / 18357, „Niederschrift über die Besprechung im Reichs- und Preuß. Wirtschaftsministerium am 25. Februar 1937. Gegenstand: Walfang“, 25.2.1937, Bl.  3 f. 884  BA R-2 / 21682, „Niederschrift. Betrifft: Walfang“, 27.2.1936, Bl. 1. 885  Wegener, Bedeutung des Walfangs, S. 18. 882  BA



IV. Der Deutsche Walfang341 Tabelle 13 Deutscher Fettverbrauch 1936, umgerechnet auf t Reinfett Butter Schweinefett (Speck und Schmalz) Margarine Speiseöle Unvermischte pflanzl. Speisefette Talg Nahrungsfette insgesamt Industrieller Fettverbrauch (davon ⅔ für Seifenherstellung) Gesamter Verbrauch

486.000 428.000 374.000 135.000 50.000 35.000 1.508.000 368.000 1.876.000

Quelle: v. d. Decken, Entwicklung der Selbstversorgung, S. 64 f.

In einer vertraulichen Denkschrift des Stabsamtes des Reichsbauernführers findet sich als Teil einer „Bilanz der Speisefette“ allerdings für 1942 und 1947 eine prognostizierte Eigenerzeugung von Walöl in Höhe von 200.000 t, wobei vermutlich hier der Bedarf der Seifenindustrie nicht einmal enthalten ist.886 Diese Zahl scheint sehr hoch gegriffen in Anbetracht dessen, dass die weltweite Produktion 1938 / 39 ca. 510.000 t betrug. Da die Walbestände eine weitere Produktionssteigerung kaum mehr zuließen – schon die Beibehaltung des damaligen Niveaus war höchst fraglich –, hätte sich eine solche Ausweitung des deutschen Walfangs nur über die teilweise Verdrängung der Briten und Norweger aus dem Walfanggeschäft erreichen lassen. Um etwas über die Relevanz des Walfangs für die deutsche Fettversorgung sagen zu können, ist der Vergleich mit anderen Fettquellen und dem Bedarf notwendig. Zunächst ist offensichtlich, dass die deutsche Walölgewinnung keine dominierende Stellung in der gesamten Fettversorgung einnahm. Angesichts eines Gesamtverbrauchs von über 1.800.000 t Reinfett ist offensichtlich, dass der deutsche Walfang mit einer maximalen Produktion von etwa 90.000 t allein nicht die Versorgungsprobleme in diesem Bereich lösen konnte. Das Fettkontingent allein der Firma Henkel (das nicht zwangs886  BA R-16  / 1, Stabsamt des Reichsbauernführers, Wie kann die Lücke in der deutschen Speisefettversorgung geschlossen werden? Vertrauliche Denkschrift, Februar 1938, S. 93.

342

D. Grenzen des Meeres Tabelle 14 Import von Walöl, Fisch- und Robbentran in 1.000 t, 1932–1938 Einfuhr von Walöl

1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938

Einfuhr von Walöl sowie Fisch- und Robbentran zusammengerechnet

Einfuhr von Fisch- und Robbentran

234,4 180,3 150,4 253,3 118,3 125,3 120,1

43,2 44,0 33,9

Quelle: Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 45.

läufig nur aus Walöl bestehen musste) umfasste 1935 40.000 t.887 Der jährliche Bedarf der gesamten deutschen Wirtschaft an Walöl allein wurde für 1935 / 36 mit 200.000 t angegeben.888 Deutschland blieb daher nicht nur auf Fettimporte insgesamt sondern auch auf die Einfuhr von Walöl – in erster Linie aus Norwegen – angewiesen. Abgesehen von der erstaunlich großen Menge an Fisch- und Robbentran – vermutlich vor allem ersterem –, der für technische Zwecke bestimmt gewesen sein dürfte, fällt auf, dass die deutschen Walfangaktivitäten zumindest keinen deutlichen Einbruch bei den Walölimporten zur Folge hatten. Die immer wieder von deutscher Seite vorgebrachte Beteuerung, dass sich der eigene Walfang nicht gegen Norwegen richte, da man weiterhin norwegisches Öl abnehmen werde (s. o.), erfährt hier erst einmal eine Bestätigung. Das Bild ändert sich, wenn man auch die Preise für Walöl in den Blick nimmt. Mit dem Aufbau einer eigenen Walfangindustrie verband die deutsche Seite von Beginn an das Kalkül, sich durch die Brechung des norwegisch887  Bohmert, Walfang, S. 38; BA R-2 / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 2. 888  BA R-2  / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 1; BA R-2 / 18357, „D.R.d.F. Vermerk über die Besprechung im RWM am 25. Februar 1937. Betrifft: Stand der deutschen Walölversorgung. Stellungnahme zu der norwegischen Anregung einer Konferenz in Oslo im März 1937,“ 1.3.1937, Bl. 1. Scholl nennt einen Gesamtbedarf von 200.000 bis 250.000 t; Scholl, Zwischen Kooperation und Konfrontation, S. 183.



IV. Der Deutsche Walfang343

britischen Monopols in eine stärkere Verhandlungsposition bei künftigen Walölkäufen zu bringen und über die zusätzliche deutsche Produktion die Preise auf dem gesamten Markt für Fettrohstoffe zu drücken (s. o.).889 Diese Rechnung ging auf, denn der jährliche Durchschnittspreis sank von £ 20.7.0 im Jahr 1937 auf £ 13.0.0 im folgenden Jahr.890 Die Ausdehnung des Walfangs durch die beiden Neueinsteiger Deutschland und Japan, das sein Walöl vollständig exportierte, war eine Ursache, daneben spielte, wie bereits beim Preisanstieg 1935, der allgemeine Markt für Öle und Fette eine Rolle: Erneut war es der US-amerikanische Markt der – diesmal durch eine Rekordernte bei Ölsaaten und insbesondere Soja – die weltweite Preisentwicklung entscheidend mit beeinflusste.891 Die somit durch den Bau deutscher Walfangflotten mit angestoßene Entwicklung bedeutete eine merkliche Entlastung für den deutschen Außenhandel, da bei in etwa gleich bleibenden Mengen der Walölimport 1938 nur mit umgerechnet 19,932 Mill. RM zu Buche schlug gegenüber 31,553 Mill. RM im Vorjahr.892 In Hinblick auf die Preisentwicklung wird man also der Beteuerung, der deutsche Walfang beeinträchtige keine norwegischen Interessen, nicht zustimmen können. Für die deutsche Fettwirtschaft hingegen bedeutete der eigene Walfang einen Gewinn, der über die selbst produzierte Menge Walöl hinausging. Für die norwegisch-britische Walfangindustrie waren 1937 und 1938 keine guten Jahre.893 Zwölf Unternehmen mit der gleichen Zahl an Kochereischiffen – sieben norwegische, drei britische und zwei formal unter panamaischer Flagge – versuchten im Oktober 1937 mit der Bildung eines Kartells („Sales Pool“) gegenzusteuern. Das Kartell vereinbarte, sechs Kochereischiffe stillzulegen, und führte die Verkaufsverhandlungen – vor allem mit dem Deutschen Reich und Unilever – gemeinsam. Dennoch musste der Sales Pool im Mai 1938 ein Geschäft mit dem Preis von £ 13.2.0 abschließen, und damit zu einem Preis, der noch etwas unter den Betriebskosten der Unternehmen lag. Die Bilanzen für 1937 / 38 waren entsprechend schlecht, die Aktienkurse der norwegischen Unternehmen fielen und die Stilllegung weiterer Flotten stand zur Diskussion. Die wirtschaftliche Lage der Unternehmen besserte sich in der folgenden Saison mit leicht steigenden Preisen wieder etwas, aber der Anteil Norwegens und Großbritanniens an der welt889  Vgl. BA R-2 / 21682, „Vermerk über die Besprechung im RWM am 23. Oktober 1935 über die Gründung einer Walfang A.G.“, 26.10.1935, Bl. 1 f. 890  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 741. 891  Ebd., S. 457; Scholl, German Whaling, S. 116. 892  Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront, Die Öl- und Fettlücke, S. 1012. 893  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 458–460; s. a.: Die Ursachen des wenig gewinnbringenden Walfanges 1937 / 38 für Norwegen, in: Deutsche FischereiRundschau, 5.10.1938, S. 468 f.

344

D. Grenzen des Meeres

weiten Walölproduktion sank von 1936 / 37 bis Kriegsausbruch zugunsten der Neueinsteiger aus Deutschland und Japan.894 Entgegen dem sonst üblichen Tenor, dass Deutschlands Walfang Norwegens Interessen nicht schaden würde (siehe Kap. D. IV. 1.), prognostizierte die Zeitschrift „Der deutsche Volkswirt“ 1939 mit einer gewissen Berechtigung, dass die bislang dominierenden Walfangindustrien Norwegens und des britischen Empires in Zukunft nicht nur relativ, sondern auch in absoluten Zahlen einen Bedeutungsverlust erfahren würden. Zwar werde Deutschland weiterhin in der Höhe, in der Norwegen deutsche Waren über Clearing abnimmt, Walöl hinzukaufen, so dass Norwegen es letztlich selbst in der Hand habe, seinen Walölabsatz zu sichern, mittelfristig jedoch würden Deutschland und Japan an die Spitze des internationalen Walfangs treten.895 Für die nähere Zukunft war noch eine größere Rolle des Walöls in der deutschen Speisefettversorgung geplant. Zumindest geht dies aus einer Berechnung des Stabsamtes des Reichsbauernführers vom Februar 1938 hervor, die die unterschiedlichen Fettquellen für 1936 und Prognosen für 1942 miteinander vergleicht. Der eigentliche Zweck der Berechnung war darzustellen, welche Ausdehnung des Rapsanbaus zur Bedarfsdeckung nötig wäre je nach dem, wie sich die Produktion anderer Fettquellen und der Verbrauch entwickelten. Ganz abgesehen von der Frage des Walöls – diese Quelle aus der Landwirtschaft spricht noch veraltet von „Waltran“ – ergibt sich aus der Tabelle, dass die Rechnung eigentlich nur aufgehen und die Fettversorgung sichergestellt werden konnte, wenn sowohl die Entwicklung der eigenen Landwirtschaft günstig verliefe (die „Erzeugungsschlacht“) und außerdem der Verbrauch deutlich gesenkt würde. Ein Ausbau der Rapsanbaufläche auf zusätzliche 244.100 ha und eine zusätzliche Produktion von 148.900 t Rapsöl waren errechnete Ziffern und keine praktisch umsetzbare Option.896 894  Der norwegische Anteil an der Weltwalölproduktion sank von 1936  / 37 bis 1938 / 39 kontinuierlich von 37 % auf 28,35 %, im Fall Großbritanniens (oder eigentlich des britischen Empires) von 40 % auf 33,44 %; eigene Berechnung auf Grundlage von: Schubert, Walfang, Tab. 65. 895  Schultze, Strukturwandel, S. 721. 896  Die gesamte Anbaufläche für Ölsaaten betrug 1878 in Deutschland 300.000 ha und ging durch den Import kolonialer Ölsaaten bis 1913 auf 45.000 ha zurück. Als Reaktion auf die Blockade wurde der Anbau im Ersten Weltkrieg wieder auf 168.000 ha gesteigert, bevor die Anbaufläche unter den Bedingungen eines freien Welthandels bis 1932 auf 10.000 ha sank. Bis 1936 war erneut ein Anstieg auf 104.000 ha zu verzeichnen, und ein weiterer Ausbau war angestrebt. Die Pflanzenölproduktion ganz Europas ergab 1938 328.000 t. Ein kurzfristiger Zuwachs von 148.900 t Rapsöl und eine zusätzliche Anbaufläche von 244.100 ha ist somit kaum realistisch; s. für die Vergleichszahlen: Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront, Die Öl- und Fettlücke, S. 1005; Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1941), S. 112 f.



IV. Der Deutsche Walfang345 Tabelle 15: Bilanz der Speisefette in 1.000 t (1936 und Prognose für 1942) 1936

1942 (Prognose) Die Erwartungen der Erzeugungsschlacht erfüllen sich: Ganz

Butter Talg Schweinefett Heutige Eigenerzeugung an Rapsöl

Halb

gar nicht

498,0 51,9 508,4 25,0

639,3 54,6 582,0 25,0

548,1 53,2 545,2 25,0

479,7 51,9 508,4 25,0

1.083,3

1.300,9

1.171,5

1.065,0

200,0

150,0

1.083,3

1.500,9

1.321,5

1.065,0

Einfuhr von: Butter Schmalz u. Speck Waltran Öl (rein u. in Saaten)

75,4 39,8 117,0 430,7

75,0 40,0 50,0 10,0

75,0 40,0 50,0 10,0

40,0 20,0 25,0 5,0

C. Einfuhr für Nahrungszwecke

662,9

175,0

175,0

90,0

1.746,2

1.675,9

1.496,5

1.155,0

A. Eigenerzeugung Waltran (eigener Fang) B. Eigenerzeugung einschl. Tran

D. Zur Verfügung (B+C)





Bei einem Fettverbrauch je Vollverbraucher, der im ersten Fall dem von 1936 entspricht, im 2. Fall ihn um 10 % und im 3. Fall um 25 % unterschreitet, muß folgende Fettmenge durch Ausdehnung des Rapsanbaues über seinen heutigen Stand hinaus erzeugt werden, wozu folgende Rapsanbauflächen nötig sind (1 ha Raps erzeugt 0,61 t Öl.) 1. Fall Fettverbrauch wie 1936 Fehlbedarf (1.000 t) Rapsanbaufl. (1.000 ha)

148,9 244,1

328,3 538,2

669,8 1.098,0

+33,7* –

145,7 238,9

487,2 798,7

+307,4* –

+128,0* –

213,5 350,0

2. Fall Fettverbrauch 1936 um 10 % gekürzt Fehlbedarf (1.000 t) Rapsanbaufl. (1.000 ha) 3. Fall Fettverbrauch 1936 um 25 % gekürzt Fehlbedarf (1.000 t) Rapsanbaufl. (1.000 ha) * = Überschuss Quelle: BA R-16 / 1, Stabsamt des Reichsbauernführers, „Wie kann die Lücke in der deutschen Speisefettversorgung geschlossen werden? Vertrauliche Denkschrift,“ Februar 1938, S. 93. (Die Erläuterungen in der Tabelle entstammen dem Original.)

346

D. Grenzen des Meeres

Deutlich wird in der Bilanz für 1936, dass Walöl mengenmäßig nicht mit der deutschen Butter- oder Schweinefetterzeugung konkurrieren konnte, allerdings ziemlich genau der Einfuhr von Butter, Schmalz und Speck entsprach. Den größten Anteil am Fettimport besaßen 1936 pflanzliche Öle bzw. Ölsaaten. Die prognostizierte oder angestrebte Bilanz für 1942 zeigt für den Fall, dass sich die Erwartungen der „Erzeugungsschlacht“ erfüllen, gewisse Steigerungen in der eigenen landwirtschaftlichen Produktion und vor allem eine sehr hohe eigene Walölproduktion von 200.000 t, was sehr optimistisch erscheint. Der hier veranschlagte Fettertrag des deutschen Walfangs macht selbst für den günstigsten Fall – die Erwartungen der „Erzeugungsschlacht“ erfüllen sich ganz – ungefähr die Hälfte des Zugewinns der eigenen Erzeugung gegenüber 1936 aus. Der Walfang sollte also nach dieser Rechnung eine bedeutende Rolle in der Steigerung der Eigenerzeugung spielen, bzw. er musste es, da das Steigerungspotential der Landwirtschaft begrenzt war. Im Hinblick auf die Einfuhren für 1942 wird deutlich, dass bei den Ölfrüchten ein radikaler Einschnitt vorgesehen war, während der Walölimport um etwas mehr als die Hälfte gekürzt wurde und die Einfuhr anderer tierischer Fette praktisch konstant blieb. Der Stellenwert von Walöl (Import und eigener Fang zusammengerechnet) hätte sich bis 1942 gemäß den beiden günstigeren Szenarien deutlich erhöht: Während in der Bilanz für 1936 das Walöl nur 6,7 % der insgesamt zur Verfügung stehenden Speisefette ausmachte, war für die drei Szenarien 1942 ein Anteil von 14,92 %, 13,36 % und 2,16 % prognostiziert. Dem Walfang kam somit – zumindest in den Berechnungen des Stabsamtes des Reichsbauernführers – eine wachsende Bedeutung für die deutsche Speisefettversorgung zu. Insbesondere sollte die erwartete Walölproduktion einen großen Teil der weitgehend wegfallenden Ölfrüchteeinfuhr kompensieren, bei der es sich zum Großteil um Produkte aus den Kolonien anderer Staaten (Palmfette, Sojabohnenöl, Erdnussöl, Baumwollsaatöl, usw.) gehandelt haben dürfte, die überwiegend mit Devisen zu bezahlen waren.897 Auf diesen Zusammenhang von deutschem Walfang und Ölsaatenimport hatte schon Ministerialrat Wegener in einem Beitrag von 1938 hingewiesen: Während der Import von Walöl aus Norwegen über Clearing lief und damit weitgehend problemlos für Deutschland war, mussten Ölsaaten – abgesehen von der damals geringen deutschen Rübölernte – gegen Devisen importiert werden.898

897  Einer Aufstellung zufolge importierte Deutschland 1936 an pflanzlichen Fettrohstoffen: 138.000 t Erdnüsse, 133.000 t Kopra und 73.000 t Sojabohnen; Hugo, Deutscher Walfang in der Antarktis, S. 30. 898  Wegener, Bedeutung des Walfangs, S. 18.



IV. Der Deutsche Walfang347

An dieser Fettbilanz bestätigt sich auch die Auffassung, dass die nationalsozialistische Autarkiepolitik weniger auf ein Streben nach vollkommener Selbstversorgung hinauslief, sondern im Endeffekt auf einen Rückzug aus dem freien Handel in Dollar und Pfund, während gleichzeitig bilaterale, devisenlose Handelsbeziehungen über Clearing, für die hier das norwegische Walöl sowie Butter und Speck aus europäischen Agrarstaaten stehen, weiter gepflegt oder ausgebaut wurden.899 Insgesamt konnte der deutsche Walfang bis Kriegsausbruch die in ihn gesetzten Erwartungen in etwa erfüllen. Direkt und indirekt über die Auswirkungen auf den Weltmarktpreis bedeutete der Walfang eine deutliche Entlastung für die angespannte deutsche Fettversorgung. Allerdings erreichte Deutschland auf diesem Weg weder bei Fetten allgemein noch bei Walöl eine vollkommene Selbstversorgung. Für die nähere Zukunft war ein weiterer Ausbau geplant, was jedoch angesichts der von allen Beteiligten auch erkannten ökologischen Grenzen allenfalls nur auf Kosten der anderen Walfangnationen möglich gewesen wäre. Im Unterschied zur Hochseefischerei gab es keine Probleme mit einer unzureichenden Verbraucherakzeptanz und Absatzschwierigkeiten, da das Walöl von industriellen Großverbrauchern abgenommen wurde, die bereits seit vielen Jahren Walöl als einen von mehreren Rohstoffen nutzten. Auch die teilweise Substitution von pflanzlichen Fetten und Ölen durch Walöl hatte keine für den Endverbraucher spürbaren Auswirkungen auf die Margarine oder das Waschmittel. Ebenfalls im Unterschied zur Hochseefischerei handelte es sich bei den deutschen Walfangunternehmen ausschließlich um Neugründungen, die erst vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Bedingungen der NS-Zeit, aber auf private Initiative entstanden. Des Weiteren war der Grad der internationalen Verflechtung höher als im Fall der Hochseefischerei. Dies betraf die Rolle von Unilever, die Bedeutung des Londoner Abkommens sowie die Abhängigkeit von Schiffsmaterial und Besatzungen aus Norwegen.

899  Vgl.

Tooze, Wages of Destruction, S. 86–89.

E. Krieg und Nachkriegszeit I. Fischerei und Walfang im Krieg „Schwer betroffen ist dagegen das eigentliche Rückgrat unserer Seefischwirtschaft, die Fischerei im Nordseegebiet, die durch den Kriegsausbruch und die damit verbundene Sperrung ihrer Fangfelder zum großen Teil zur Untätigkeit gezwungen ist“, schrieb die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ am 13. September 1939 und erklärte zugleich, ihr Erscheinen bis zur Wiederaufnahme der Hochseefischerei einzustellen.1 In der Tat endete die deutsche Hochseefischerei auf ihren traditionellen Fanggründen bei Island, nördlich von Norwegen und in weiten Teilen der Nordsee mit Kriegsausbruch. Die britische Marine und Luftwaffe sowie die Seeminen, die bald von beiden Seiten gelegt wurden, machten Fangreisen außerhalb der unmittelbaren Küstengewässer zu gefährlich, und zudem requirierte die Kriegsmarine einen Großteil der Fischdampfer, um sie als Vorpostenboote und ähnliches im Krieg einzusetzen.2 Die deutschen Walfangflotten, die ursprünglich im Oktober wieder in die Antarktis aufbrechen sollten, blieben ebenfalls im Hafen. Das Meer als „deutsche Kolonie“, Nahrungs- und Rohstoffquelle war somit mit dem Kriegsausbruch weitgehend verschlossen und diese Entwicklung kam nicht unvorhergesehen, sondern bedeutete nur eine Wiederholung der Situation im Ersten Weltkrieg (siehe Kap. D. I. 3.). Dass die wirtschaftliche Nutzung der Hochsee im Kriegsfall – zumindest in einem Konflikt mit Großbritannien – nicht möglich sein würde, ist vor 1939 auch vereinzelt vorsichtig öffentlich angesprochen worden.3

1  Schriftleitung und Verlag, Kriegsausbruch und Seefischwirtschaft. „Deutsche Fischerei-Rundschau“ unterbricht ihr Erscheinen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, 13.9.1939, S.  477 f. 2  In Wesermünde seien bis Anfang 1940 131 von 211 Fischdampfern von der Marine herangezogen worden und in Cuxhaven etwa 70 von 100; Heinz Boberach (Hrsg.), Meldungen aus dem Reich 1938–1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, Bd. 3, Herrsching 1984, S. 592. 3  Eichelbaum, Ueber die ernährungspolitische Aufgabe, S. 518; Fischer, Kutterhochsee- und Küstenfischerei, S. 216 f.



I. Fischerei und Walfang im Krieg349

1. Die deutsche Fischwirtschaft im Krieg Dennoch bedeutete der Kriegsbeginn nicht das vollständige Ende der deutschen Fischwirtschaft, da die Fischerei in den Küstengewässern und in der Ostsee weiterhin möglich war und da die Besetzung weiter Teile Europas durch die Wehrmacht auch für die deutsche Fischversorgung neue Möglichkeiten schuf sowie vor allem weil der allgemeine Nahrungsmittelmangel im Krieg dazu zwang, alle Quellen auszunutzen. Die Fischwirtschaft stellte sich somit auf die neue Situation ein und im April 1940 erschien auch die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ in reduziertem Umfang wieder.4 Das alte Absatzproblem, das die deutsche Fischwirtschaft auch noch in den Zeiten der Autarkiepolitik hartnäckig geplagt hatte, war mit Beginn der Kriegswirtschaft immerhin Vergangenheit: Mit Kriegsausbruch, stellte die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ fest, setzte sehr bald eine Entwicklung ein, „die ganz plötzlich alle bis dahin unternommenen Werbemaßnahmen für einen erhöhten Fischverzehr überflüssig machte. Ausgang 1939 wurde durch die Kartenbewirtschaftung das Interesse für Frischfische plötzlich so rege, dass fast an allen Orten die Nachfrage bei weitem das gesunkene Frischangebot übertraf.“5 Die Fachzeitschrift machte sich allerdings keine Illusionen, dass diese Beliebtheit in Friedenszeiten andauern würde. Wie bereits im Ersten Weltkrieg und schon in begrenztem Maße in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre nahmen viele Verbraucher Fisch erst an, wenn Fleisch kaum verfügbar war.6 Frische Fische waren nicht in die allgemeine Rationierung über Lebensmittelkarten einbezogen, aber der Verkauf wurde bald über Kundenlisten und ab dem Oktober 1940 über örtliche Bezugsausweise geregelt. Anders als in der Vorkriegszeit, als das Angebot die Nachfrage übertraf, machten Staat und Fischwirtschaft nun keine Versuche mehr, Seefisch in Regionen einzuführen, in denen er bisher kaum verlangt worden war. Stattdessen beschränkte sich die Fischversorgung im Krieg im Wesentlichen auf die küstennahe Gebiete Deutschlands und Berlin.7 Welche Möglichkeiten boten sich der deutschen Fischwirtschaft, nachdem kriegsbedingt die Hochseefischerei als eigentliches Standbein weggefallen war? Man kann drei Kennzeichen der deutschen Fischwirtschaft im Krieg festhalten: Erstens die Intensivierung der Fischerei auf den verbliebenen 4  Die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ erschien erneut ab April 1940, jedoch nur noch monatlich statt wie bisher 14täglich. 5  Verstärktes Interesse für Fische, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, H. 8 (August), 1941, S. 145 f. 6  Heidbrink, Creating a Demand, S. 138, 143. 7  Pelzer-Reith / Reith, Fischkonsum, S. 15 f.

350

E. Krieg und Nachkriegszeit

zugänglichen Fanggebieten, zweitens die Nutzung bisher ungenutzter Produkte und Arten sowie drittens die Ausbeutung der besetzten Gebiete. Weiterhin zugänglich waren der deutschen Fischerei die Küstengewässer und die Ostsee, die nun verstärkt befischt wurden. Durch eine Typenbereinigung bei den Boots- und Motorentypen versuchte man, bei der dort eingesetzten deutschen Kutterflotte eine Rationalisierung zu erreichen. Der Arbeitskräftemangel stellte im Krieg ein besonderes Problem dar, aber es hieß, die Wehrmacht habe bei den Einberufungen auf die Anforderungen der Fischerei Rücksicht genommen. Darüber hinaus gab es auch „Arbeitsurlaub“ für eingezogene Fischer und den Einsatz von Kriegsgefangenen in einigen Bereichen.8 Das schon in der Vorkriegszeit deutliche Bestreben, den Fisch möglichst vollständig zu nutzen und neue Produkte einzuführen, setzte sich fort. Um dem Mangel an Brotaufstrichen entgegenzuwirken, weitete man die Herstellung von verschiedenen Fischpasten aus. Zudem sammelten die Fischer im Krieg systematisch Milch und Rogen der Fische, während in Friedenszeiten nur bei bestimmten Arten der Rogen als Kaviarersatz genutzt worden war.9 Auch Muscheln waren eine ab 1939 zunehmend beachtete Ressource, die unmittelbar vor der Küste zugänglich war und die man in Friedenszeiten kaum, im Ersten Weltkrieg dagegen bereits ausgiebig genutzt hatte. Abgesehen von den schon seit frühen Zeiten sehr geschätzten Austern, deren Bestände zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der deutschen Nordseeküste durch Übernutzung allerdings bereits weitgehend ausgerottet worden waren,10 kannte man Muscheln als Nahrungsmittel in Deutschland kaum. Lediglich im Westen Deutschlands wurden Miesmuscheln nach niederländisch-belgisch-französischem Vorbild gegessen, die man überwiegend von dort importierte. Eine eigene Muschelfischerei gab es nur an der ostfriesisch-oldenburgischen Küste, wo man die Miesmuschel erst seit den 1890er Jahren für die menschliche Ernährung, traditionell aber als Dünger in den Moorgebieten nutzte. Im Ersten Weltkrieg dagegen begann man angesichts der Fleischknappheit ab 1915 an der deutschen Nordseeküste in größeren Mengen Miesmuscheln als Lebensmittel zu ernten, und die hohe Nachfrage mit dem einhergehenden Preisanstieg zwang zur Gründung einer „Überwachungsstelle für Seemuscheln“ im Dezember 1916.11 8  Alfred Willer, Die deutsche Fischerei im Kriegsjahr 1943, in: Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift, 81 (1944), S. 16–18, hier S. 16 f. 9  Ebd., S. 17. 10  Schnakenbeck, Nordseefischerei, S. 20, 33 f., 81–85. 11  Ebd., S. 27, 58, 85  f.; Heidrich, Die Fischerei auf Muscheln, Strandaustern und Krabben während des Krieges, in: Wilhelm von Flügge (Hrsg.), Die Fische in



I. Fischerei und Walfang im Krieg351

In der Zwischenkriegszeit beschränkte sich der Konsum von Miesmuscheln wieder auf Westdeutschland, bis sich die Geschichte im Zweiten Weltkrieg wiederholte. Wie die „Deutsche Fischerei-Rundschau“ 1940 betonte, lagen die Muschelbänke „dicht an der Küste, z. T. in der Wattensee, so dass ihre Ausnutzung trotz der Kriegsläufte gesichert ist.“12 Die Zeitschrift druckte in dem Artikel vier Rezepte ab, da man das Wissen um die Zubereitung nicht voraussetzen konnte. Ab 1943 hoben die Behörden die traditionell aus gesundheitlichen Gründen bestehende Regel auf, wonach Muscheln nur in den kalten Monaten angeboten werden durften, und gaben den Verkauf für das ganze Jahr frei.13 Noch stärker auf Zeiten von Krieg und Mangel beschränkt war die Nutzung der Klaffmuschel (auch Sandmuschel oder Sandklaffmuschel genannt (Mya arenaria)), auf die man sich besann, als auch die Miesmuschelbänke Zeichen einer Übernutzung zeigten. Die im Wattenmeer verbreitete Klaffmuschel wurde erstmals im Ersten Weltkrieg kommerziell genutzt und nach dem in der Fischwirtschaft vertrauten Muster (vgl. die Bezeichnung Seelachs für Köhler) mit dem wohlklingenden Namen Strandauster geadelt. Da sich das Fleisch der Strandauster im Haushalt nicht vollständig verwerten ließ, verarbeiteten drei Fabriken in Hamburg, Büsum und Heide diese Muscheln während des Ersten Weltkrieges zu einer Art Wurst. Auch im Fall der Strandauster oder Klaffmuschel nahm man die Gewinnung nach 1939 wieder auf. Solange die Lebensmittelknappheit anhielt, wurde die Produk­ tion nach der Kapitulation fortgesetzt, aber mit der Währungsreform von 1949 verschwand diese für Notzeiten charakteristische Meeresfrucht wieder aus der deutschen Volksernährung.14 Das größte Potential bot sich für die deutsche Fischwirtschaft – wie für die gesamte deutsche Nahrungsversorgung im Krieg – durch die Ausbeutung der besetzten Staaten Europas und hier in erster Linie Norwegens, das vor dem Krieg die größte Fischerei Europas besessen hatte und dessen Fanggründe nahe der Küste lagen und damit trotz Seekrieg weitgehend zugänglich waren. „Infolge der erheblichen Störungen für die eigene deutsche Fischerei“, so eine deutsche Fachzeitschrift im März 1941, „und den durch die Kriegsernährungswirtschaft gesteigerten Bedarf an Fischen und Fischwaren konnte seit Kriegsbeginn die Nachfrage in Deutschland nicht der Kriegswirtschaft (Beiträge zur Kriegswirtschaft; 34 / 38), Berlin 1918, S. 112– 124, hier S. 112–115. 12  Die Miesmuschel, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, H. 11 (Dez.), 1940, S. 236. 13  Willer, Kriegsjahr 1943, S. 18. 14  Schnakenbeck, Deutsche Seefischerei, S.  140  f.; ders., Nordseefischerei, S.  26 f.; Heidrich, Muscheln, Strandaustern und Krabben, S. 119.

352

E. Krieg und Nachkriegszeit

mehr befriedigt werden. Die Erfassung der norwegischen Fischanlandungen und der Erzeugnisse der norwegischen fischverarbeitenden Industrie für die Versorgung Deutschlands war deshalb eine der ersten und wichtigsten Aufgaben, die seitens der wirtschaftspolitischen Stellen nach der Besetzung Norwegens in Angriff genommen wurden.“15 Die norwegische Fischereiflotte bestand aufgrund der küstennahen Fanggründe statt aus Fischdampfern überwiegend aus sehr kleinen Fahrzeugen, und die Fischer betrieben zumeist außerhalb der Saison noch Landwirtschaft. Trotz dieser eher handwerklichen, kleinteiligen Struktur war die norwegische Fischerei gemessen an den Fangmengen die größte in Europa und produzierte in hohem Maße für den Export. Da Deutschland nach der Besetzung Norwegens im April 1940 theoretisch mindestens den bisher exportierten Teil der norwegischen Fangmenge allein für sich abschöpfen konnte, bot sich hier für die deutsche Nahrungsmittelwirtschaft ein gewaltiges ­Potential. Für die umfangreiche norwegische Produktion an Salzhering, die bereits vor dem Krieg zu einem Teil nach Deutschland ging, gab es im Reich eine hohe Nachfrage. Allerdings bestand der norwegische Export vor dem Krieg auch zu einem großen Teil aus Stockfisch, also luftgetrocknetem Kabeljau, der vor allem nach Italien und Afrika ging und für den in Deutschland kaum ein Markt bestand.16 Die Besatzungsmacht musste somit zuerst Produktion und Infrastruktur der norwegischen Fischerei an die deutschen Bedürfnisse anpassen. Den Weg hierzu öffnete die bereits im Vierjahresplan als zukunftsweisend für die Fischwirtschaft erkannte Tiefkühltechnik, die erst während des Krieges im besetzten Norwegen im großen Maßstab zum Einsatz kam. Tiefkühlkost spielte in der deutschen Kriegswirtschaft insgesamt eine große Rolle und war nicht auf die Fischwirtschaft beschränkt. Sowohl bei der Versorgung der Wehrmacht als auch bei der Deckung des zivilen Bedarfs kam der Transport- und Lagerfähigkeit von Lebensmitteln im Krieg eine große Bedeutung zu. Aufgrund eines Mangels an Weißblech bzw. Zinn setzte Deutschland im Krieg bei der Konservierung von Lebensmitteln stark auf Tiefkühlkost statt auf Konservendosen.17 15  Karl Vogt, Die Fischwirtschaft Norwegens, in: Monatshefte für Fischerei, N. F.) (1941), 3, S. 31 f. 16  Bjørn-Petter Finstad, The Frozen Fillet: The Fish that Changed North Norway?, in: International Journal of Maritime History, 16, 1 (Juni 2004), S. 27–41, hier S. 28–30; ders., The Norwegian Fisheries during the German Occupation: Change and Continuity, in: NETwerk. Jaarboek Visserijmuseum, 15 (2004), S. 113–119, hier S.  114 f. 17  Wubs, Unilever, S. 126; Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 44.



I. Fischerei und Walfang im Krieg353

Insgesamt ließ Deutschland vier Fabriken zur Herstellung tiefgekühlter Fischfilets in Norwegen errichten, zu denen noch das Fabrikschiff Hamburg hinzuzurechnen ist, das bis zu seiner Versenkung 1941 stationär bei den Lofoten arbeitete [siehe Kap. D. III. 1. f)]. Bereits am 22. September 1939 und damit vor dem deutschen Angriff auf Norwegen, aber nachdem deutsche Fischdampfer nicht mehr in den Atlantik auslaufen konnten, wurde ein Vertrag über den Bau einer Tiefkühlfabrik in Trondheim geschlossen. Betreiber der zufällig genau am 9. April 1940, dem Tag des deutschen Angriffs, eröffneten Fabrik war die Frostfilet AG, eine Tochter der Solo Feinfrost, die zum deutschen Zweig des Unilever-Konzerns gehörte und daher eng mit der ebenso zum Konzern gehörigen Nordsee AG zusammenarbeitete. Frostfilet errichtete Ende 1940 eine weitere Fabrik in Bodø nahe den für die Kabeljaufischerei wichtigen Lofoten. Auf dieser Inselgruppe, in Melbu, befand sich eine weitere Fabrik, die zu der Hochseefischerei Andersen & Co gehörte, einer von dem Tabakunternehmer Philipp Reemtsma Ende 1938 eigens für die Produktion von Tiefkühlfisch gegründeten Firma. Die vierte deutsche Fabrik gründete 1940 in der nördlichsten Stadt Norwegens, in Hammerfest, die Vereinigte Tiefgefriergesellschaft Lohmann & Co, die 1940 aus dem Zusammenschluss mittelständischer Fischgroßhändler hervorgegangen war.18 Beliefert wurden diese Fabriken von der Fischeinkaufsgemeinschaft Norwegen, die als Gemeinschaftsunternehmen des deutschen Fischgroßhandels ein Monopol für den Aufkauf der Fänge der norwegischen Fischer besaß. Da in Norwegen während der Okkupation ein Mangel an Arbeitskräften herrschte, arbeiteten vor allem in den Fabriken in Bodø und Hammerfest osteuropäische Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen.19 Unter der deutschen Besatzung konnte die norwegische Lofotenfischerei, die vor allem Kabeljau fing, ihr Vorkriegsniveau bis 1944 in etwa halten, d. h. die Fangmengen schwankten von Jahr zu Jahr, bewegten sich aber in derselben Spannbreite wie zu Friedenszeiten. Bei der Heringsfischerei hingegen, für die die Fischer teilweise die sicheren Küstengewässer verlassen mussten, gingen die Erträge während der Okkupation deutlich zurück. Die Aufteilung der Fangmenge zwischen dem Export nach Deutschland und dem norwegischen Eigenverbrauch legten die Besatzungsbehörden 1941 18  Finstad, The Norwegian Fisheries, S. 113–116; Robert Bohn, Reichskommissariat Norwegen. „Nationalsozialistische Neuordnung“ und Kriegswirtschaft (Beiträge zur Militärgeschichte; 54), München 2000, S. 276; Hilck / auf dem Hövel, Jenseits von minus null, S. 42–44. 19  In der Fabrik in Bodø waren ca. 1000 männliche und weibliche Zwangsarbeiter eingesetzt und in Hammerfest etwa 300 Zwangsarbeiterinnen. In Trondheim und Melbu arbeiteten dagegen vor allem Norweger. Deutsche besetzten die leitenden Positionen; Finstad, The Norwegian Fisheries, S. 115.

354

E. Krieg und Nachkriegszeit

zunächst im Verhältnis 60 % für Norwegen und 40 % für Deutschland fest. Bis Ende 1942 hatte sich der von Deutschland geforderte Teil jedoch schon auf 65 % vergrößert. Für die norwegische Bevölkerung, die bereits von den in Friedenszeiten üblichen Lebensmittelimporten weitgehend abgeschnitten war, bedeutete dies eine zunehmende Einschränkung ihrer Proteinversorgung. Letztlich konnte die norwegische Fischerei jedoch nicht die Erwartungen der Besatzungsmacht erfüllen. Der Mangel an Treibstoff, Ausrüstungsgegenständen und Salz, die Gefährdung durch Seeminen und Luftangriffe sowie die Requirierung von Booten durch das Militär schränkten die Fischerei ein.20 Neben der offiziellen Ausfuhr von tiefgefrorenem Filet und Salzhering über den Großhandel gab es eine inoffizielle Ausfuhr durch die deutschen Soldaten, die Salzhering als Feldpostpäckchen an ihre Familien sandten oder bei einem Heimaturlaub im Gepäck mitbrachten. Da die Reichsmark aufgrund der von Deutschland festgelegten Wechselkurse in den besetzten Staaten eine sehr hohe Kaufkraft besaß, wurden diese Länder durch die umfangreichen privaten Einkäufe deutscher Soldaten indirekt ausgebeutet und die kriegsbedingte Inflation aus dem Reich ein Stück weit ausgelagert. Da die norwegische Bevölkerung selbst auf Nahrungsmittelimporte angewiesen war, versuchten die Besatzungsbehörden diese private Heringsausfuhr zu begrenzen, aber insgesamt tolerierten und unterstützten die deutschen Behörden und die Wehrmacht das Bestreben der Soldaten, die Versorgung ihrer Familien aufzubessern.21 Solche Päckchen können für die einzelnen Familien der jeweiligen Soldaten von großer Bedeutung gewesen sein, der Effekt für die deutsche Gesamtbevölkerung ist allerdings schwer zu beziffern. Da für die individuellen Einkäufer nur das auf dem (Schwarz-) Markt verfügbar war, was nach der offiziellen Ausbeutung des Landes durch die Besatzungsbehörden noch übrig war, dürften die Mengen insgesamt zu gering gewesen sein, um die Versorgungslage in Deutschland substantiell zu verbessern.22 Zeitgenössische deutsche Berichte stellten die Eingriffe in die norwegische Fischwirtschaft und deren Ausrichtungen auf die deutschen Bedürfnisse als eine längst fällige Modernisierung und einen Segen für die norwegi20  Bohn,

Reichskommissariat Norwegen, S. 282–285. Hitlers Volksstaat, S. 114–132, speziell zu Norwegen, S. 123. s. a. den autobiographischen Bericht eines Maschinisten auf einem Vorpostenboot und ehemaligen Fischdampfer, der während des Krieges in einem Geleitzug von Bergen nach Emden fuhr: „Ich nahm ein paar Eimer Salzheringe mit auf die Reise, denn zu Hause war so etwas schon eine Rarität“; Albrecht Wiemken, Marinesoldat auf Vorpostenboot 1104, in: Wilfried Brandes (Hrsg.), „Nordsee“. Geschichten über die größte deutsche Fischdampfer-Reederei, Bremen 1998, S. 72–74. 22  Buchheim, Mythos, S. 314 f. 21  Aly,



I. Fischerei und Walfang im Krieg355

sche Volkswirtschaft dar, auch da Großbritannien nach dem Krieg kein zahlungskräftiger Kunde mehr sein würde.23 Robert Bohn dagegen beschrieb die von Deutschland kontrollierte Fischwirtschaft in dem skandinavischen Land als eine „reine Ausbeutung, wie sie auf keinem anderen Feld der norwegischen Wirtschaft während der fünfjährigen Okkupation deutlicher zutage trat.“24 Was auf der volkswirtschaftlichen Ebene ein Geschäft ohne Gegenleistung war, lohnte sich für die einzelnen Fischer jedoch insofern, als dass diese von steigenden Preisen profitierten und vielfach sich in diesen Jahren entschulden konnten.25 Die Auswirkungen der deutschen Besatzungszeit auf die Struktur der norwegischen Fischerei nach dem Krieg waren begrenzt, obwohl für die deutsche Kriegswirtschaft in Nordnorwegen einige der damals modernsten fischindustriellen Anlagen entstanden. Von den 1945 in ganz Europa vorhandenen 13 Filetieranlagen befanden sich neun in den deutschen Gefrierfischfabriken in Nordnorwegen. Auf die kleinteilige, handwerkliche Struktur der norwegischen Fischerei hatte dieser Industrialisierungsschub jedoch keine Auswirkung: Ausschließlich die Küstenfischerei und nicht moderne, kapitalintensivere Fischdampfer belieferten diese Fabriken. Nach dem Krieg besaß Norwegen keine Verwendung für die meisten der deutschen Anlagen, nur die Fabrik in Melbu wurde weiter betrieben. Die Fabriken waren zu groß und zu sehr auf die Erfordernisse der Kriegswirtschaft zugeschnitten, als dass sie sich wirtschaftlich hätten weiter betreiben lassen. Zudem beruhten die Fabriken der Frostfilet AG auf dem amerikanischen Birdseye-Verfahren, für das Norwegen eine Lizenz hätte erwerben müssen. Mit dem „Finotro-Plan“ von 1948 entstand dagegen nach dem Krieg ein neues, staatlich betriebenes Netz von Fischgefrierfabriken in Nordnorwegen.26 Neben Norwegen trugen in geringerem Umfang auch andere Länder zur deutschen Fischversorgung bei. In Dänemark, das für Deutschland vor allem aufgrund seiner Agrarprodukte eine große Bedeutung besaß, bestand ähnlich wie in Norwegen eine ausgedehnte Küstenfischerei, die in Friedenszeiten viel für den Export gearbeitet hatte und nun zum zweitwichtigsten 23  Willer, Kriegsjahr 1943, S. 18; Eine neue Epoche für Norwegens Fischwirtschaft eingeleitet, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, H. 11 (Nov.), 1941, S. 203 f.; Zukunftspläne in Norwegen, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, H. 3 (März), 1941, S.  41 f. 24  Bohn, Reichskommissariat Norwegen, S. 286. 25  Finstad, The Norwegian Fisheries, S. 118. 26  Ebd.; ders., The Frozen Fillet, S. 29. Unilever als Mutterkonzern der Frostfilet AG hatte vor dem Krieg eine Lizenz für das Birdseye-Verfahren erworben allerdings nur für Deutschland und Osteuropa. Der Einsatz dieser Technologie durch eine Unilever-Tochter im besetzten Norwegen führte nach dem Krieg zu Rechtsstreitigkeiten; Wubs, Unilever, S. 127 f.

356

E. Krieg und Nachkriegszeit

Lieferanten Deutschlands wurde.27 Aufgrund der geographischen Nähe zu Deutschland gelangten die Erzeugnisse der dänischen Fischerei als Frischfisch auf den deutschen Markt und nicht als gefrorenes Filet wie der norwegische Fisch. Einer Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes von Ende 1943 zufolge, die den dänischen Beitrag zur deutschen Fleisch-, Butter-, Fischund Zuckerversorgung zusammenfasste, entfiel auf Dänemark 90 % der deutschen Frischfischversorgung.28 Im besetzten Frankreich forcierte Deutschland die Herstellung von Fischkonserven in der Bretagne und der Normandie, wobei vor allem der Bedarf der Besatzungstruppen und der an der Atlantikküste stationierten U-Boote gedeckt werden sollte. Ab 1943 schränkten jedoch die zunehmenden Kampfhandlungen in der Biskaya und die Abwehrmaßnahmen für die erwartete Invasion die Arbeitsmöglichkeiten für die Fischerei immer mehr ein.29 Aufgrund der Nähe zu Großbritannien unterlagen die französischen Fischer einer besonderen Überwachung durch die deutschen Besatzungstruppen, die ein Artikel mit dem Titel „Fischfang an der Kanalküste im Schutze deutscher MGs und Flak“ von 1941 ambivalent, aber in erster Linie beschönigend als Schutz darstellte.30 Alfred Willer erwähnte 1943 neben den Niederlanden und Belgien, wo die deutsche Besatzung marktordnend eingegriffen habe, noch Estland und Lettland. „Ganz besonders straff“ sei dort die Fischwirtschaft von Deutschland organisiert worden, da beiden Ländern für die Versorgung der Wehrmacht – die Nähe zur Ostfront – große Bedeutung zukäme.31 Fischwirtschaftliche Kontakte bestanden darüber hinaus zumindest zu dem verbündeten Italien, von wo man Sardellen, Thunfisch und auf Fisch basierende Brotaufstriche bezog, sowie zu den neutralen Staaten Türkei und Portugal. Frischer, gesalzener und gefrorener Thunfisch stellte den Hauptexportartikel der türkischen Fischerei dar, während die deutsche Fischwirtschaft aus Portugal vor allem Ölsardinen bezog, ein Produkt, das die Wehr27  Pelzer-Reith / Reith,

Fischkonsum, S. 21. des Gesandten I. Klasse Schnurre, 26.12.1943, in: Walter Bußmann (Hrsg.), Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie E: 1941– 1945, Bd. 7, Göttingen 1979, S. 280–283. Der Text betont den dänischen Beitrag zur Kriegswirtschaft, um stärkeren Eingriffen des Militärs in die Verwaltung und der Behandlung des Landes wie ein besetztes feindliches Gebiet entgegenzuwirken. 29  Pelzer-Reith / Reith, Fischkonsum, S. 21 f. 30  Vor jedem Auslaufen wurden die Papiere kontrolliert, es dufte nur bei klarer Sicht sowie in Begleitung eines deutschen Marinebootes gefischt werden und einige Fischerboote bekamen deutsche Soldaten an Bord; Ernst Grunwald, Fischfang an der Kanalküste im Schutze deutscher MGs und Flak, in: Deutsche Fischerei-Rundschau, H. 12 (Dez.), 1941, S. 222–224. 31  Willer, Kriegsjahr 1943, S. 18. 28  Aufzeichnung



I. Fischerei und Walfang im Krieg357

macht aufgrund seiner Haltbarkeit besonders schätzte. Großbritannien versuchte den portugiesischen Export von Ölsardinen nach Deutschland zu unterbinden, konnte aber nicht verhindern, dass Portugal und Deutschland 1941 ein Geheimabkommen schlossen, dass im Wesentlichen die Lieferung von Ölsardinen im Austausch gegen Waffen vorsah.32 Die statistischen Daten über die nach 1939 verfügbaren Mengen Fisch sind aufgrund der Kriegsumstände in besonderem Maße mit Schwierigkeiten behaftet und daher teilweise widersprüchlich. Zudem zeigten sich auch im Krieg die üblichen natürlichen Schwankungen, so dass die Fangmengen nicht vollständig ein Produkt der Kriegsverhältnisse und der Besatzungs­ politik sind. Dennoch lassen sie mit gewisser Unschärfe erkennen, wie die deutsche Produktion durch den Wegfall der Hochseefischerei eingebrochen ist und in welchem Maße durch die Ausbeutung der besetzten Länder Ersatz geschaffen werden konnte. Die unterschiedlichen Angaben bezüglich der deutschen Fangmengen erklären sich vermutlich dadurch, dass die internationale Statistik die gerade im Krieg umfangreiche deutsche Fischerei in der Ostsee nicht berücksichtigte.33 In jedem Fall wird bei Deutschland und anderen auf die Hochseefischerei angewiesenen Länder der dramatische Rückgang im Krieg sichtbar. Belgien und Dänemark konnten dagegen ihre Vorkriegsproduktion teilweise sogar übertreffen, während die norwegischen Fänge trotz Rückgang immer noch eine dominierende Größe darstellten. Einen erheblichen Rückgang verzeichnete auch die Fischerei Großbritanniens, obwohl die Fanggründe für die britischen Fischdampfer im Wesentlichen zugänglich waren. Hier dürfte vor allem die Requirierung von Schiffen und Besatzungen durch die Marine die Fischerei eingeschränkt haben. Island dagegen profitierte von der Situation und landete seine wachsenden Fänge vor allem in Großbritannien an, wodurch der Rückgang der britischen Fischerei ein Stück weit kompensiert wurde. Theoretisch besaß somit das Deutschen Reich in den besetzten Staaten Zugriff auf Fangmengen, die den kriegsbedingten Ausfall der eigenen Hochseefischerei mehr als ausglichen. Tatsächlich muss von diesen Summen noch der Eigenbedarf der entsprechenden Länder abgezogen werden, während Schwierigkeiten bei Transport und Konservierung ebenfalls die für Deutschland nutzbare Menge verringerten. Folgende zeitgenössische Tabelle zur deutschen Fischversorgung, die von den deutschen Behörden in Norwegen erstellt wurde, enthält zudem nur den Fisch für die menschliche Ernährung und nicht die Fischmehlproduktion. Auch ist unklar, inwieweit der Verbrauch der Wehrmacht in den Angaben eingerechnet ist. 32  Pelzer-Reith / Reith, 33  Ebd.,

S. 98.

Fischkonsum, S. 22 f.

327.347

Frankreich

153.006

1.201.922

Niederlande

Norwegen

Quelle: Meseck, Seefischerei, S. 97 f.

300.792

Island

1.063.651

718.000

Deutschland (eigene Statistik)

Großbritannien

643.085

85.453

Dänemark

Deutschland (Internationale Statistik)

37.875

Belgien

1938

1.199.867

99.917

291.464

798.216

150.421

543.000

395.192

99.597

37.267

1939 –

1.203.328

15.384

391.923

318.546

117.433

137.000

51.519

118.295

1940

928.409

24.417

296.237

249.315

95.342

164.000

67.110

155.262

2.071

1941

Tabelle 16 Gesamtfang europäischer Staaten in t, 1938–1944

868.214

22.030

384.971

309.568

79.830

142.000

69.797

162.187

20.785

1942

739.508

24.052

430.195

313.970

70.814

150.000

72.786

191.076

60.443

1943

749.011

11.526

523.361

329.106

49.319

124.000

63.743

171.600

49.875

1944

358 E. Krieg und Nachkriegszeit

 99.670

 21.239

164.963

878.629

Norwegen

Dänemark

Andere Länder

Insgesamt

100

18,8

 2,4

11,3

67,5

%

443.737

 66.621

 52.920

139.846

184.350

t

1939 / 40

100

15,0

12,0

31,5

41,5

%

572.871

 36.194

 96.058

307.143

133.476

t

1940 / 41

100

 6,3

16,8

53,6

23,3

%

1941 / 42

566.062

 50.347

100.341

264.702

150.672

t

Quelle: Bohn, Reichskommissariat Norwegen, S. 286 (Prozentangaben: eigene Berechnung).

592.757

t

1938 / 39

Deutschland

Herkunftsland

Tabelle 17 Fischversorgung des deutschen Marktes in t und %, 1939–1943

100

 8,9

17,7

46,8

26,6

%

552.000

 93.000

 97.000

210.000

152.000

t

1942 / 43

100

17,0

17,5

38,0

27,5

%

I. Fischerei und Walfang im Krieg359

360

E. Krieg und Nachkriegszeit

Diesen Zahlen zufolge gelang es auch durch die Ausnutzung der besetzten Gebiete nicht, die für den deutschen Markt verfügbare Menge Fisch auf dem Vorkriegsniveau zu halten. Dennoch war die Bedeutung der besetzten Gebiete und hier besonders die Norwegens absolut zentral für die deutsche Fischversorgung während des Krieges, da der Beitrag der deutschen Fischerei zu der auf dem deutschen Markt verfügbaren Menge ab 1940 nur noch etwa ein Viertel betrug. Nachdem in der Vorkriegszeit das Wachstum der deutschen Fischerei nur durch die Absatzmöglichkeiten begrenzt zu sein schien und Fisch als reichlich vorhandener Ersatzstoff in den verschiedensten Bereichen der Nahrungs- und Rohstoffwirtschaft eingesetzt werden sollte, war Fisch im Deutschland des Zweiten Weltkrieges eine Mangelware wie die meisten anderen Lebensmittel auch. Obwohl die Idee, Fisch als Fleischersatz zu propagieren, aus der (Devisen-)Not der nationalsozialistischen Vorkriegsjahre geboren worden war, hielt man zumindest in bestimmten Kreisen der deutschen Ernährungswirtschaft auch für die Nachkriegsplanungen hieran fest. Das 1942 von Herbert Backe – oder in seinem Namen – veröffentlichte Buch „Um die Nahrungsfreiheit Europas. Weltwirtschaft oder Großraum“ sah für die Zeit nach einem deutschen Sieg eine tendenziell autarke europäische Großraumwirtschaft unter Einschluss Russlands aber ohne Großbritannien vor. Für dieses Szenario zeichnete das Buch nicht in rosigen Farben das Bild einer völkischen Konsumgesellschaft, sondern die Ernährungswirtschaft in diesem kontinentaleuropäischen Großraum wurde in bemerkenswerter Kontinuität als Fortsetzung der deutschen Autarkiewirtschaft der Vorkriegsjahre gedacht: Neben der Steigerung der Agrarproduktion sollte weiterhin die Reduktion des Fett- und Fleischverbrauchs stehen, um eine weitgehende Selbstversorgung Europas zu ermöglichen. Somit war für Backe 1942 auch in der Zeit nach dem Sieg „die Verbrauchsverlagerung von Fleisch zu Fisch in Kontinentaleuropa von entscheidender Bedeutung“, denn die „europäische Fischwirtschaft verfügt – bei entsprechender Orientierung und Neuorganisation – über praktisch unbegrenzte Möglichkeiten und ist in der Lage, nicht nur die infolge mangelnder Futtermittelzufuhr entstehende Fleischlücke zu schließen, sondern auch große Mengen an eiweißhaltigen Futtermitteln bereit­ zustellen.“34

34  Backe, Um die Nahrungsfreiheit, S. 232 f. Der Text spricht auch das Problem des bislang geringen Fischverbrauchs im Binnenland an, sieht aber in der Durchsetzung der Tiefkühlwirtschaft das geeignete Mittel, um Fisch überall Akzeptanz zu verschaffen und die Fleischversorgung zu entlasten.



I. Fischerei und Walfang im Krieg361

2. Die Walölversorgung im Krieg Im Fall der Versorgung mit Walöl stellte sich die Lage im Krieg noch schwieriger dar als bei der Fischerei. Angesichts der britischen Seeherrschaft war Deutschlands Situation ab September 1939 dadurch geprägt, dass erstens an einen deutschen Walfang nicht mehr zu denken war und dass zweitens Großbritannien auch die norwegischen Walöllieferungen nach Deutschland kontrollierte. Nach deutscher Auffassung hätte Norwegen als neutrales Land weiterhin unparteiisch mit allen Kriegsparteien Handel treiben müssen und hätte somit auch die vor dem Krieg übliche Menge Walöl – noch 1938 über 100.000 t – als rein norwegisches Erzeugnis weiterhin an Deutschland verkaufen können. Großbritannien hingegen war entschlossen, dies zu verhindern und wollte nur die Einfuhr einer für den Eigenbedarf ausreichenden Menge nach Norwegen gestatten, während der Großteil der Ölproduktion außer Reichweite Deutschlands verkauft oder gelagert werden sollte. Da es die Seewege kontrollierte, saß Großbritan­ nien am längeren Hebel, so dass Norwegen zuerst am 22. Februar 1940 einen neuen Handelsvertrag mit dem Vereinigten Königreich abschloss. Erst anschließend am folgenden Tag kam es zum Vertragsabschluss mit Deutschland, nachdem in dem ersten Vertrag geklärt worden war, welche Lieferungen die britische Seite erlauben würde. Norwegen durfte somit letztlich nur 55.000 t in das eigene Land einführen und maximal 18.000 t Fette und Öle (Walöl, Fisch- und Robbentran) an Deutschland verkaufen, davon höchstens 12.360 t Walöl.35 Zum Zeitpunkt des deutschen Angriffs auf Norwegen am 9. April 1940 befanden sich die norwegischen Walfangflotten noch auf der Rückreise von der Antarktis nach Europa. Hätte der deutsche Einmarsch einige Wochen später stattgefunden, wären die norwegischen Flotten mit 55.000 t Walöl in deutsche Hände gefallen. So wurden sie jedoch wie andere norwegische Schiffe auch von der Exilregierung requiriert und auf alliierter Seite eingesetzt. Die Kochereischiffe fanden zunehmend als Tanker für Mineralöl Verwendung und die Fangboote als U-Bootjäger, Minenräumer usw. Nachdem in der Saison 1939 / 40 nur die deutschen Flotten (inklusive der gecharterten) ausgefallen waren, während Norwegen, Großbritannien und Japan weiterhin in der Antarktis jagten, waren in der folgenden Fangzeit 1940 / 41 nur noch sechs japanische, drei (exil-)norwegische und zwei britische Walfangflotten am Fang beteiligt. Die Jagd in der Antarktis kam danach vollständig zum Erliegen und wurde erst 1943  /  44 mit einer norwegischen Flotte wieder aufgenommen.36 35  Tønnesen / Johnsen, 36  Ebd.,

S. 473–480.

Modern Whaling, S. 472 f.

362

E. Krieg und Nachkriegszeit

Welche Möglichkeiten boten sich vor diesem Hintergrund für Deutschland, um weiterhin gewisse Mengen Walöl zu beschaffen? Die deutsche Wirtschaft benötigte weiterhin dringend Walöl, da der schon vor dem Krieg spürbare Fettmangel sich nun deutlich verschärfte und Margarinehersteller aufgrund fehlender Rohstoffe schon 1940 zeitweise die Produktion einstellen mussten.37 Auch außerhalb des Ernährungssektors wurde Walöl weiterhin nachgefragt. Eine Besprechung der Reichsstelle für industrielle Fette und Waschmittel im April 1941 beschäftigte sich beispielsweise mit Spermöl, dem Fett des Pottwals, da die IG Farben „dauernd mit zusätzlichen Forderungen für Spermöl zur Igelitherstellung“, einem Weich-PVC und Lederersatzstoff, vorstellig wurde.38 Ein Erwerb von norwegischem Walöl war vor dem deutschen Angriff aufgrund der geschilderten britischen Politik kaum möglich. Nennenswerte Vorräte fand die Wehrmacht bei ihrem Einmarsch in das skandinavische Land dort nicht vor. Ebenso wenig war in den von Deutschland besetzten Staaten ein Küstenwalfang von wirtschaftlicher Bedeutung möglich. Die einzige mehr oder weniger europäische Bezugsquelle bildete die zum neutralen Portugal gehörende Inselgruppe der Azoren, deren Bewohner in begrenztem Umfang und nach den Methoden des 19. Jahrhunderts Pottwale jagten. 1942 verhandelte der inzwischen in Kontinentaleuropa von Deutschland kontrollierte Unilever-Konzern zumindest über die Lieferung von 1.200 t Spermöl von den Azoren.39 Japan hatte in den 1930er Jahren ebenfalls den antarktischen Walfang aufgenommen und hatte, da für die japanische Ernährung vor allem das Fleisch von Interesse war, das Öl exportiert, nicht zuletzt nach Deutschland. Noch bis in die Saison 1940 / 41 betrieb Japan im vollen Umfang mit sechs Kochereischiffen Walfang im südlichen Eismeer. Die Ware war somit in großen Mengen vorhanden, die Bereitschaft, an Deutschland zu verkaufen auch, was fehlte, war die Möglichkeit des Seetransports. Gewisse Mengen wurden daher vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion per Eisenbahn von der japanisch besetzten Mandschurei über Sibirien nach Deutschland geschickt.40 37  Pelzer / Reith,

Margarine, S. 93–96; Schüttauf, Margarine, S. 18. R-8 V / 97, Besprechung am 16.4.1941 in der Reichsstelle für industrielle Fettversorgung über den Einsatz von Spermöl, 13.5.1941. 39  Wubs, Unilever, S. 159  f.; s. a.: Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 476. Die Spermölproduktion der deutschen Walfangflotten betrug vor dem Krieg: 1936 / 37: 1.241,5  t, 1937 / 38: 1.734,5  t, 1938 / 39: 5.279,83  t. 40  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 470; s.  a. die „Bahnamtlichen Gewichtsnoten“ für diese Transporte, in: BA R-8 V / 425, Reichsstelle für industrielle Fette und Waschmittel, 1940. 38  BA



I. Fischerei und Walfang im Krieg363

Den vielleicht ungewöhnlichsten Weg, im Krieg Walöl für Deutschland zu beschaffen, stellte die Kaperung von drei (exil-)norwegischen Kochereischiffen, der Solglimt, der Ole Wegger und der Pelagos, in der Antarktis durch den Hilfskreuzer Pinguin am 14. / 15. Januar 1941 dar. Es gelang der deutschen Marine, diese drei Kochereischiffe zusammen mit einigen Fangbooten unversehrt nach Bordeaux zu bringen, so dass die deutsche Kriegswirtschaft 23.626 t Walöl gewann. Der Coup ließ sich allerdings nicht wiederholen, da die Alliierten in den folgenden beiden Fangzeiten die Jagd in den antarktischen Gewässern aufgaben und erst 1943  /  44 wieder eine Walfangflotte dorthin entsandten, als mit deutschen Marineoperationen in diesem Teil der Welt nicht mehr zu rechnen war.41 Weder der Import von den Azoren noch der Eisenbahntransport aus Japan oder der einmalige Erfolg des Hilfskreuzers konnten etwas an der Tatsache ändern, dass Walöl – abgesehen von eventuellen Vorräten aus der Vorkriegszeit – zur Deckung des deutschen Fettbedarfes im Krieg nicht nennenswert beitrug. Allerdings plante man im Krieg schon für die Zeit danach, und auch nach dem (siegreichen) Ende des Konflikts sollte der Walfang eine tragende Säule der deutschen und europäischen Fettversorgung bilden. Prof. Rolf Wagenführ,42 der leitende Statistiker in Albert Speers Rüstungsministerium, ging in einem Vortrag am 23. Juli 1943 über die kontinentaleuropäi­ sche Fettwirtschaft davon aus, dass nach der erzwungenen Schonzeit der Kriegsjahre wieder mit steigenden Erträgen im Walfang zu rechnen sei. Der europäische Walfang werde sich unter deutscher Führung zusammenschließen und auch die deutschen Unternehmen würden in einer Gesellschaft vereinigt werden.43 In den Plänen für die Fettwirtschaft der Nachkriegszeit kam Unilever weiterhin eine zentrale Bedeutung zu. Daher war es kein Zufall, dass Wagenführ diesen Vortrag im Berliner Hotel Adlon im Rahmen einer Tagung des Beirates beim Reichskommissar für den Unilever-Konzern hielt. Nach41  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 480–484; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 181. 42  Wagenführ kam vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zum Planungsamt des Reichswirtschaftsministeriums und wurde dann zum wichtigsten Statistiker im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Als gefragter Experte konnte er seine Laufbahn ab 1945 fast bruchlos in führenden Positionen fortsetzen u. a. beim Statistischen Amt der Britischen Besatzungszone, beim Deutschen Gewerkschaftsbund, als Generaldirektor des Statistischen Amtes der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für Kohle und Stahl und schließlich auf dem Lehrstuhl für Internationale Statistik in Heidelberg; Scherner / Streb, Das Ende eines Mythos, S. 175; Adam Tooze, Statistics and the German State, 1900–1945. The Making of Modern Economic Knowledge, Cambridge u. a. 2001, S. 262, 273, 284 f. 43  BA R-26 IV / 24, Manuskript des Vortrages von Prof. Wagenführ am 23.7.1943 vor dem Beirat beim Reichskommissar für den Unilever-Konzern.

364

E. Krieg und Nachkriegszeit

dem der kontinentaleuropäische Zweig von Unilever mit der Zentrale in Rotterdam 1940 durch die Besetzung der Niederlande unter deutsche Kontrolle gekommen war, wurde der Konzern aufgrund von unklaren und widersprüchlichen Vorstellungen in der deutschen Führung nicht umgehend zerschlagen oder germanisiert. Da aber die deutsche Seite Zweifel an der Loyalität der Konzernführung besaß und ihr Wirtschaftsspionage zugunsten Großbritanniens vorwarf, ernannte Göring am 23. Juni 1941 Hans-Ernst Posse, einen Staatssekretär aus dem Reichswirtschaftsministerium, zum Reichskommissar für den Unilever-Konzern.44 Obwohl Göring sich selbst bei der Ernennung des Reichskommissars festgelegt hatte, Unilever nicht zu verstaatlichen oder zu zerstückeln und an deutsche Konkurrenzunternehmen zu verteilen, unterstützte er 1942 / 43 genau solche Bestrebungen. Begehrlichkeiten der Firma Henkel, die mit Unilever auf dem Gebiet der Waschmittel konkurrierte, konnte der Reichskommissar noch abschlagen, aber ein Binnenschifffahrtsunternehmen Unilevers ging an die Reichswerke Hermann Göring. Der gut mit Göring bekannte Hamburger Tabakunternehmer Reemtsma, der bereits mit der Hochseefischerei Andersen & Co. in das Geschäft mit Tiefkühlfisch eingestiegen war, sicherte sich zudem Ende 1941 25 % der Nordsee-Aktien, als Unilever seinen 49 %-Anteil an dem Unternehmen zwangsweise verkaufen musste.45 In ähnlicher Weise versuchte Carl Christiansen, der Leiter des Hamburger Walfang-Kontors [siehe Kap. D. IV. 3. d)] 1942 die Unitas-Deutsche Walfang-Gesellschaft m.b.h., die für das gleichnamige Kochereischiff Unilevers als Charterer und Reederei fungierte, unter seine Kontrolle zu bringen. Bis dato hatte das Hamburger Walfang-Kontor, zu dessen Leiter Göring Christiansen gemacht hatte, nur im Auftrag anderer Eigentümer bzw. Charterer Schiffe bereedert und das Kontor befand sich überdies zu einem Drittel im Besitz der Unitas Deutsche Walfang-Gesellschaft. Christiansen erklärte jedoch im Sommer 1942, dass Göring entschieden habe, ihm die Unitas zu unterstellen, hatte aber keinen schriftlichen Bescheid hierüber in der Hand. Die Geschäftsgruppe Ernährung der Vierjahresplanbehörde unter Herbert Backe verwies demgegenüber darauf, dass es bei der Ernennung des Reichskommissars für Unilever Görings eigene Intention gewesen war, den Konzern nicht zu zerteilen, sondern ihn zum Mittelpunkt einer künftigen kontinentaleuropäischen Fettwirtschaft unter deutscher Kontrolle aufzubauen. Backe sprach sich auf der Beiratssitzung am 25. November 1942 deutlich 44  Wubs, Unilever, S. 129, 134 f.; BA R-26 IV / 24, Stichworte für die Rede von Staatssekretär Backe auf der Sitzung des Großdeutschen Beirats der MargarineVerkaufs-Union und der deutschen Board-Mitglieder von Unilever NV, Rotterdam, 27.6.1941. 45  Wubs, Unilever, S. 146–151; Rübner, Unternehmensinteressen, S. 38–40.



I. Fischerei und Walfang im Krieg365

gegen eine Herauslösung der Unitas Deutsche Walfang-Gesellschaft aus dem Unilever-Konzern aus, aber er bot zugleich Christiansen an, im Rahmen des Konzerns die Sammlung und Zusammenfassung aller Walfanginteressen zu betreiben und ihn in den Beirat des Reichskommissars für Unilever zu berufen, – ein Vorschlag, dem Christiansen zugestimmt habe.46 Die Geschäftsgruppe Ernährung unter Backe hatte sich somit, wie Ben Wubs hervorhob, im Fall von Unilevers Walfangunternehmen gegen Görings Günstlingswirtschaft durchgesetzt. Christiansen schien allerdings dennoch ein Karrieresprung von der kleinen Reederei in den Unilever-Beirat geglückt zu sein. Obwohl der deutsche Walfang 1939 vollständig hatte eingestellt werden müssen, galt er im Krieg noch als lohnendes Feld für Machtkämpfe und Zukunftspläne. Vom Meer als deutscher Rohstoffkolonie konnte ab dem September 1939 nicht mehr die Rede sein. Da Fischerei und Walfang aller Nationen stark behindert waren, bedeutete der Zweite Weltkrieg ebenso wie bereits der Erste für die Fisch- und Walbestände gewissermaßen eine Schonzeit.47 Die deutsche Hochseefischerei fiel unmittelbar nach Kriegsausbruch vollkommen aus, auch wenn die Fischwirtschaft durch die Küstenfischerei und vor allem durch die Ausbeutung der besetzten Länder weiterhin einen reduzierten Beitrag zur deutschen Nahrungsmittelversorgung leistete. Die deutschen Walfangflotten waren in noch stärkerem Maße auf den sicheren Zugang zum Atlantik angewiesen, so dass von dieser Seite kein Beitrag zur deutschen Fettversorgung während des Kriegs kommen konnte. Eine verstärkte Nutzung des Meeres, um ohne Devisenaufwand die Basis der eigenen Nahrungs- und Rohstoffversorgung zu erweitern, war für Deutschland von vornherein nur in Friedenszeiten möglich.

46  BA R-26 IV  / 28 Bd. II 3, Vermerk für Staatssekretär Backe, 29.7.1942; Vermerk Betr. Deutsche Walfanggesellschaft „Unitas“ des Unilever-Konzerns, 5.8.1942; Vermerk, 10.8.1942; Ministerialdirektor Riecke (Geschäftsgruppe Ernährung) an Ministerialrat Görnnert im Stabsamt des Reichsmarschalls, 10.8.1942; Vermerk Betr. Walfangunternehmungen des Unilever-Konzerns, 28.11.1942; BA R-26 IV / 24, Niederschrift über die Tagung des Beirates beim Reichskommissar für den UnileverKonzern am 25.11.1942, 27.11.1942. 47  Britische Fischereiwissenschaftler plädierten daher schon im Krieg dafür, anders als nach 1918 die Gelegenheit nicht zu verpassen und mit geeigneten Fangregelungen nach dem Krieg die wieder gewachsenen Fischbestände auf der neuen Höhe zu halten. Die Gelegenheit wurde aber ebenso wie beim Walfang nach 1945 nicht genutzt; Rozwadowski, The Sea Knows no Boundaries, S. 106 f., 159.

366

E. Krieg und Nachkriegszeit

II. Die Nachkriegszeit Was blieb von den ehrgeizigen Plänen der 1930er Jahre, nachdem Deutschland den Krieg verloren hatte? Inwieweit haben sich Entwicklungen, die zu dieser Zeit angestoßen wurden, fortgesetzt? Nach der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 standen der deutschen Fischerei von den zu Kriegsbeginn vorhandenen knapp 400 Fischdampfern nur noch 58 zur Verfügung. Die Hafenanlagen in Wesermünde  /  Bremerhaven und Hamburg waren erheblich durch Bomben zerstört worden, Cuxhaven blieb allerdings fast völlig verschont. Vielfach fehlte es an Kohlen und Ausrüstungsgegenständen. Dennoch liefen einige Fischdampfer schon wenige Tage nach der Kapitulation wieder zum Fang aus. Alliierte Vorschriften setzten der deutschen Fischerei in den ersten Nachkriegsjahren enge Grenzen, indem sie deutsche Fischdampfer von bestimmten Fanggebieten ausschlossen, zunächst Neubauten verboten und anschließend bis 1949 deren Größe begrenzten.48 1. Wiederaufbau und Niedergang der Hochseefischerei in der Bundesrepublik Die traditionellen Standorte der deutschen Hochseefischerei liegen alle auf dem Gebiet der westlichen Besatzungszonen bzw. der alten Bundesrepublik, so dass die westdeutsche Hochseefischerei direkt an die Vorläufer anschloss, während die DDR einen solchen Wirtschaftszweig vollständig neu aufbaute (s. u.). Neben den bestehenden Häfen für Fischdampfer in Bremerhaven (vorher Wesermünde), Cuxhaven und Hamburg kam in der Bundesrepublik noch Kiel hinzu, das geographisch ungünstiger zu den Fanggründen im Nordostatlantik lag und nur deshalb als Standort für die Hochseefischerei gewählt wurde, um nach dem Ende der Kriegsmarine dort Arbeitsplätze zu schaffen. Die Heringsfischereigesellschaften in Emden, Leer, Bremen-Vegesack und Glückstadt waren der Zweig der deutschen Hochseefischerei, der als erster verschwand. Die Unternehmen in Emden, Leer und Bremen-Vegesack stellten 1969 den Betrieb ein, die Heringsfischerei von Glückstadt aus hielt sich noch bis 1976. Dieser Zweig der Fischerei litt insbesondere unter der Überfischung der Heringsbestände in der Nordsee, da die Logger – von einem verzweifelten Versuch 1968 abgesehen49 – anders als die Fisch48  Baartz,

Entwicklung und Strukturwandel, S. 187–197. Sommer 1968 operierten zehn (oder 14) westdeutsche Logger von der Inselgruppe Saint Pierre et Miquelon aus bei Neufundland. Saint Pierre et Miquelon gehört, obwohl direkt vor Neufundland gelegen, zu Frankreich und war somit ein Hafen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, den die deutschen Fischer, an49  Im



II. Die Nachkriegszeit367

dampfer nicht auf weiter entfernte Fanggründe ausweichen konnten. Veränderungen im Konsumverhalten der Bevölkerung waren von ebenso großer Bedeutung: Den klassischen Salzhering, der im Kaufmannsladen aus einem Holzfass verkauft und von der Hausfrau weiterverarbeitet wurde, fragten die Verbraucher in der Bundesrepublik immer weniger nach. Weiterhin gefragt waren und sind nur höherwertige, stärker verarbeitete Heringskonserven (z. Bsp. Rollmops, Gabelbissen, Dosen mit Hering in Tomatensauce etc.). Als Rohstoff für diese Erzeugnisse der Fisch verarbeitenden Industrie dienten jedoch auf Eis gelagerte oder später tiefgekühlte Heringe, die die Trawler anlandeten, und nicht die gesalzenen Fänge der Logger.50 Bis Ende 1949 hatte die Zahl der westdeutschen Fischdampfer bereits wieder die Zahl von 224 Schiffen mit seiner Gesamttonnage von 76.641 BRT erreicht. In der Folgezeit sprach man zunehmend, wie teilweise auch schon zuvor, von Trawlern statt von Fischdampfern, da sukzessive die Dampfmaschinen als Antriebsanlage bei Neubauten von Dieselmotoren oder Dampfturbinen ersetzt wurden, während die Fangtechnik – das Grundschleppnetz oder Trawlnetz – grundsätzlich beibehalten wurde. Die Zahl der westdeutschen Trawler erreichte, wie aus der ersten Grafik hervorgeht, nie wieder die Vorkriegszahlen (403 Schiffe Ende 1939) und ging seit Anfang der 1960er Jahre kontinuierlich zurück. Dem entsprach aber zu diesem Zeitpunkt noch kein Niedergang der westdeutschen Hochseefischerei, denn die Größe der Flotte gemessen in BRT nahm tendenziell noch bis in die 1970er zu und überschritt den Wert aus der NS-Zeit leicht. Zunächst fand also eine Modernisierung der Flotte durch die Einführung immer größerer Trawler statt. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts setzte jedoch ein rascher Niedergang ein, der die westdeutsche Hochseefischerei bis 1990 in die Bedeutungslosigkeit führte. Dieses Größenwachstum ging einher mit dem technologischen Schritt von den bisherigen Seitenfängern zu den Heckfängern und von den Frischfischfängern zu den Fang-Fabrikschiffen. Während die traditionellen Fischdampfern als so genannte Seitenfänger das Netz über die Bordseite – in der Regel Steuerbord – ausbrachten und einholten, lehnten sich die neuen Heckfänger konstruktiv an die Walfangschiffe an und besaßen für das Netz eine große Öffnung im Heck. Fang-Fabrikschiffe konnten den Fisch bereits direkt nach dem Fang zu Filet verarbeiten und tiefgefrieren anstatt wie ders als die kanadische Häfen, zu dieser Zeit als Stützpunkt nutzen konnten. Der Einsatz der Logger vor der amerikanischen Ostküste endete in einem wirtschaftlichen Misserfolg: Der Transport des Fangs nach Deutschland war zu teuer, die nicht fachgerechte Behandlung beim Transport minderte die Qualität, und die Heringe waren aufgrund ihrer Größe in Deutschland schwer zu vermarkten; Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 115–117; Köhn, Seegekehlt & seegesalzen, S. 97. 50  Köhn, Seegekehlt & seegesalzen, S. 93–105.

368

E. Krieg und Nachkriegszeit

250

200

150

Anzahl davon Seitenfänger davon Heckfänger

100

50

1949 1951 1953 1955 1957 1959 1961 1963 1965 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989

0

Quelle: Jahresberichte über die deutsche Fischerei, 1949–1990. Diagramm 18: Bundesdeutsche Trawlerflotte, 1949–1990

bisher leicht verderblichen Frischfisch auf Eis zu lagern. In der NS-Zeit war mit der Weser lediglich ein solches Fang-Fabrikschiff gebaut worden, das jedoch kriegsbedingt nicht mehr in der vorgesehenen Rolle zum Einsatz kam. Der Vorteil der Fang-Fabrikschiffe bestand darin, dass die Dauer der Fangreisen nicht mehr durch die Haltbarkeit des Frischfisches begrenzt war. Es konnten nun also längere Reisen zu weiter entfernten Fanggründen unternommen werden. Die 1957 als erster westdeutscher Heckfänger in Dienst gestellte Heinrich Meins war bereits wie die meisten Trawler dieser Bauart auch als Fang-Fabrikschiff ausgestattet. Den technologischen Schritt zum Fang-Fabrikschiff, der bereits in den Planungen der NS-Zeit eine große Rolle einnahm, vollzog die westdeutsche Fischwirtschaft somit erst ab 1957 und auch dann erst allmählich.51 Ähnlich wie die Größe der Trawlerflotte entwickelte sich die Fangmenge der westdeutschen Hochsee- und Küstenfischerei. Hier ist bei insgesamt seit etwa 1955 fallender Tendenz ebenfalls ein Einschnitt ab 1970 zu erkennen. 51  Heidbrink,

Deutschlands einzige Kolonie, S. 84 f.



II. Die Nachkriegszeit369

160.000 140.000 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000

19 49 19 51 19 53 19 55 19 57 19 59 19 61 19 63 19 65 19 67 19 69 19 71 19 73 19 75 19 77 19 79 19 81 19 83 19 85 19 87 19 89

0

Quelle: Jahresberichte über die deutsche Fischerei, 1949–1990. Diagramm 19: Größe der bundesdeutschen Trawlerflotte in BRT, 1949–1990

Die westdeutsche Fischerei, zu der die Produktion der DDR noch hinzuzurechnen ist (s. u.), konnte somit das Niveau der letzten Vorkriegsjahre (um 700.000 t) noch lange halten. Das vergleichsweise rasche Ende der durchaus modernen westdeutschen Hochseefischerei seit den späten 1970er Jahren erklärt sich durch die Entwicklung des Seerechts und damit dem Zugang zu den Fanggründen. Die Ausweitung der Fischereigrenzen durch die Uferstaaten des Nordatlantiks, wobei Island eine Schlüsselrolle einnahm, schloss die westdeutschen Trawler sukzessive von den Fanggründen aus. Der Begriff Hochseefischerei ist insofern irreführend, da diese Fischerei nicht fernab vom Festland stattfand, sondern zwar in großer Entfernung vom Heimatland, aber zumeist relativ nah an der Küste eines anderen Landes. Die Hochseefischerei beruhte also darauf, dass industrialisierte Staaten wie Deutschland und Großbritannien Ressourcen vor der Küste anderer, weniger entwickelter Länder ausbeuten konnten. Dieser Wirtschaftszweig stand und fiel mit dem freien Zugang zu der genutzten Ressource, und dieser war solange gegeben, wie das Meer außerhalb von schmalen Hoheitsgewässern – traditionell bis 3 Seemeilen vor der Küste – frei war. Dass Island, Grönland und Neufundland erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgreich Ansprüche auf die Ressourcen vor ihren Küsten über 3 sm hinaus erhoben, lag daran, dass sie bis dahin einerseits wirtschaftlich

370

E. Krieg und Nachkriegszeit

900.000 800.000 700.000 600.000 500.000 400.000 300.000 200.000 100.000

88

86

19

84

19

82

19

80

19

78

19

76

19

74

19

72

19

70

19

68

19

66

19

64

19

62

19

60

19

58

19

56

19

54

19

52

19

19

19

50

0

Quelle: Statistische Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland. Diagramm 20: Fangmenge der westdeutschen Hochsee- und Küstenfischerei in Tonnen, 1950–1989

zu rückständig waren, um eine eigene, große, Export orientierte Fischerei aufzubauen und andererseits keine volle politische Unabhängigkeit besaßen. Man kann die Nationalisierung der Fanggründe im Nordatlantik somit auch als Dekolonisationsprozess verstehen.52 Der junge Staat Island, der erst 1944 die volle Unabhängigkeit von Dänemark erklärt hatte und dessen Wirtschaft stark von der Fischerei abhing, erweiterte seine Fischereizone 1952 auf ein Gebiet von vier Seemeilen Breite, gemessen von der Küste (genauer gesagt: der Basislinie) aus. 1958 erfolgte die Ausdehnung auf 12 sm, 1972 auf 50 sm und 1975 auf 200 sm. Hierüber kam es zu handfesten, nicht nur diplomatischen Konflikten mit Sach- und Personenschäden zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik einerseits und Island andererseits („Kabeljaukriege“). Da aber die allgemeine Entwicklung des Völkerrechts, wie sie sich in den drei Seerechtskonferenzen der Vereinten Nationen 1958, 1960 und 1973–1982 niederschlug, in dieselbe Richtung ging, konnte sich der kleine Inselstaat gegen 52  Ebd.,

S. 187–189.



II. Die Nachkriegszeit371

den Widerstand großer Fischereinationen durchsetzen. Schließlich setzte sich im Seerecht in den 1970er Jahren eine so genannte Ausschließliche Wirtschaftszone von 200 sm allgemein durch, in der dem Uferstaat u. a. die Fischereirechte zustehen. Damit waren zuletzt praktisch alle lohnenden Fanggründe für deutsche Trawler unzugänglich.53 Mit dem Verlust der Fanggründe und dem Schrumpfen der Flotte ging ein Konzentrationsprozess bei den Reedereien einher. 1966 zählte man noch 153 Schiffe im Besitz von 15 Reedereien, aber 1972 waren nur noch vier Reedereigruppen mit 97 Trawlern übrig geblieben. An dreien dieser vier Unternehmen war jeweils ein großer Nahrungs- bzw. Genussmittelkonzern – Unilever, Oetker und Jacobs – maßgeblich beteiligt. Für die Privatwirtschaft war die Hochseefischerei immer weniger interessant, so dass die weitere Entwicklung in den 1980er Jahren von dem Bestreben der Landespolitik gekennzeichnet war, den Niedergang aufzuhalten und die Standorte mit ihren Arbeitsplätzen zu erhalten. Mit Finanzhilfen durch den Bund gründeten sich Ende 1985 in Bremerhaven und Cuxhaven zwei Gesellschaften, die die verbliebenen Trawler zusammenfassten und die Hochseefischerei an beiden Standorten in reduziertem Umfang weiterführten. Bei den Gesellschaften waren das Land Bremen bzw. das Land Niedersachsen jeweils der größte Anteilseigner. 100 Jahre nach ihrem Beginn im Jahr 1885 existierte die deutsche Hochseefischerei somit nur noch aufgrund staatlicher Standortpolitik und bildete keine rein privatwirtschaftliche Unternehmung mehr.54 Für die seit dem Beginn des Jahrhunderts von der Hochseefischerei maßgeblich geprägten Standorte Bremerhaven und Cuxhaven bedeutete dies einen tiefen Einschnitt und den Verlust vieler Arbeitsplätze. Beide Orte sind Zentren der Fisch verarbeitenden Industrie geblieben, die ihr Ausgangsmaterial allerdings nicht mehr von einer deutschen Fischereiflotte, sondern aus einem zunehmend globalen Markt für tiefgekühlten Fisch bezieht.55 53  Ebd.,

S. 90–102, 126–159. Entwicklung und Strukturwandel, S. 290–296. In Cuxhaven entstand die Deutsche Fischfang-Union GmbH & Co. KG (DFFU) und in Bremerhaven die Hochseefischerei Bremerhaven GmbH & Co. KG (HFB), später Deutsche Seefischerei GmbH & Co. KG (DSB). Eigentümer der DFFU waren die bisherigen Reedereien Nordsee GmbH und Nordstern AG (je 27 %), die landeseigene Seefischmarkt Cuxhaven GmbH (41 %) und die Stadt Cuxhaven 5 %. Bei der HFB waren es mittelständische Unternehmen der Fischwirtschaft (ca. 50 %) und die Beteiligungs­ gesellschaft der landeseigenen Fischereihafen-Betriebsgesellschaft Bremerhaven (ca.  50 %). 55  Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 169–181; W. Teichert, Deutsche Fischfang-Union Cuxhaven, in: Wilfried Brandes (Hrsg.), „Nordsee“. Geschichten über die größte deutsche Fischdampfer-Reederei, Bremen 1998, S. 216. 54  Baartz,

372

E. Krieg und Nachkriegszeit

90 80 70 60 50 40

Fisch Fleisch

30 20 10

1974/75

1970/71

1966/67

1962/63

1958/59

1954/55

1946

1950/51

1942

1938

1934

1930

1926

1922

1918

1914

1910

1906

1902

1898

1894

1890

0

Quelle: Teuteberg, Verzehr, S.  347 ff. Diagramm 21: Deutscher Fleisch- und Fischverbrauch in kg pro Kopf und Jahr, 1890–1975

Im Bezug auf den Fischverbrauch wiederholte sich nach 1945 die Geschichte aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg: In den ersten Jahren nach dem Krieg führte der Mangel an Fleisch zu einer erhöhten Fischnachfrage, die aber mit der Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse – insbesondere mit der Währungsreform 1949 – wieder einbrach.56 Der Vergleich der Pro-Kopf-Verbrauchszahlen von Fisch und Fleisch (alle Sorten Warmblüterfleisch zusammengerechnet) für die Bundesrepublik macht deutlich, dass der deutsche Verbraucher ganz überwiegend für Fleisch statt Fisch optierte, wenn Kaufkraft sowie Angebot es zuließen. So zeigt sich noch einmal, dass die gegenläufige Entwicklung in den Vorkriegsjahren der NS-Zeit, als der Fischkonsum anstieg, nur auf die Autarkiepolitik zurückging. Der im Vierjahresplan angestrebte Pro-Kopf-Verbrauch von 20 kg ließ sich in Deutschland unter den Bedingungen einer Marktwirtschaft und Wohlstandsgesellschaft nicht erreichen.

56  Heidbrink,

Creating a Demand, S. 144.



II. Die Nachkriegszeit373

Wie schon in der Weimarer Republik und der NS-Zeit sah man auch in der Bundesrepublik den Bedarf für eine staatlich geförderte Fischwerbung. Hierfür entstand zunächst die Deutsche Fischwerbung und ab 1969 das Fischwirtschaftliche Marketinginstitut (FIMA). Während diese Werbemaßnahmen für den schrumpfenden Sektor der Fischwirtschaft, der Frischfisch verkaufte, weiterhin wichtig war, sah dies für den wachsenden Tiefkühlbereich anders aus. Solange Frischfisch dominierte, war die Konkurrenz zwischen den einzelnen Unternehmen begrenzt, da über die Auktionen jedes Unternehmen den gleichen Zugang zu Frischfisch besaß und die Ware im Einzelhandel nicht als Markenprodukt verkauft wurde. Tiefkühlfisch wurde dagegen nicht über Auktionen gehandelt, überwiegend als verarbeitetes Produkt (vor allem Fischstäbchen u. ä.) in den Handel gebracht und als Markenprodukt beworben. Es handelte (und handelt) es sich dabei um Marken, die nicht spezifisch für Fisch sind, sondern unter denen unterschiedslos verschiedenste Tiefkühlprodukte bzw. Fertiggerichte vertrieben werden. Entsprechend bauten die Tiefkühlunternehmen ihr eigenes Marketing aus und besaßen kein Interesse an staatlich unterstützten, aber durch Abgaben von der Fischwirtschaft finanzierten Werbemaßnahmen, die Fisch an sich zum Gegenstand hatten. Sie setzten daher die Abschaffung dieser Art Werbung durch, die es seit der Weimarer Republik gegeben hatte.57 In der Zeit des nationalsozialistischen Vierjahresplanes galt das Tiefkühlverfahren bereits als Schlüsseltechnologie für die weitere Entwicklung der Fischwirtschaft. Diese Erwartung hat sich in der Bundesrepublik vollkommen erfüllt, wie der Siegeszug der Fang-Fabrikschiffe und der Fall des Fischmarketings zeigen. Indem in der Nachkriegszeit eine ununterbrochene Tiefkühlkette vom Trawler bis zum Einzelhandel und bald auch in den Privathaushalt entstand, wurde auch die Voraussetzung geschaffen für den Erfolg von Fischstäbchen und ähnlichen Produkten, auf die bald ein Großteil des Fischverbrauchs entfiel. Seit den 1920er Jahren und verstärkt in der NS-Zeit suchte die Fischwirtschaft als Reaktion auf Absatzschwierigkeiten nach neuen, einfach zuzubereitenden Produkten, mit denen sich Kundenschichten erschließen ließen, die bislang kaum Fisch kauften. Dies führte zu einem langfristig erfolgreichen Produkt wie dem Filet, aber auch zu der Fischwurst u. ä., die der Verbraucher nur als minderwertigen Ersatz wahrnahm [siehe Kap. D. III. 2. j)]. Fischstäbchen sind dagegen in dieser Hinsicht ein fast ideales Produkt, da die Zubreitung kaum einfacher sein kann und da sie in erster Linie nach der Panade statt nach Fisch schmecken. Wenn auch die Fischstäbchen nicht zu einem Anstieg des Fischverbrauchs führten, so etablierten sie sich doch 57  Ebd.,

S. 147 f., 151.

374

E. Krieg und Nachkriegszeit

schnell als eines der wichtigsten Produkte der westdeutschen Fischwirtschaft. Erfunden und ab 1953 sehr erfolgreich auf dem Markt eingeführt wurden Fischstäbchen in den USA, und auch hier bildeten die Absatzprobleme und der technologische Schritt zum Fang-Fabrikschiff und der Tiefkühlung in der Nachkriegszeit die entscheidenden Anstöße für die Entwicklung.58 Dass Fischstäbchen sich sehr weit von dem Ausgangsmaterial Fisch entfernt haben, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die verwendete Fischart ausgetauscht werden konnte, ohne dass die Verbraucher daran Anstoß genommen hätten. Ursprünglich war Kabeljau das Ausgangsmaterial. Als dieser zu teuer wurde, ersetzte man ihn durch Seelachs und diesen später wiederum durch Alaska-Seelachs aus dem Nordpazifik, der heute die Grundlage der meisten tiefgekühlten Fischprodukte bildet. Die seit Beginn der Hochseefischerei zu beobachtende Bewegung hin zu immer weiter entfernten, noch nicht überfischten Fanggründen und Arten setzt sich bis heute fort, auch wenn der Import an die Stelle der eigenen Fischerei getreten ist. Längst kommt Fisch nicht mehr nur aus dem Nordatlantikraum, und der einst billige Massenfisch Kabeljau zählt heute zu den teureren Arten im Angebot. Neben dem erst ab 1984 auf dem westdeutschen Markt erschienenen Alaska-Seelachs bietet der Handel in den letzten Jahren zunehmend Hoki aus dem Südpazifik und tropische Süßwasserarten wie Pangasius und Viktoriasee-Barsch an. Neben der Globalisierung der Fischwirtschaft spiegeln die heute verfügbaren Fischarten – wie die beiden letztgenannten Spezies aber auch Lachs – den Trend zu einer immer größeren Bedeutung der Aquakultur wider.59 2. Neugründung der Hochseefischerei in der DDR Das bisher Gesagte bezog sich nur auf die Bundesrepublik, wo die Entwicklung weitgehend nahtlos an die Geschichte der Hochseefischerei im Kaiserreich, der Weimarer Republik und der NS-Zeit anschloss. Da die Standorte der Hochseefischerei ausschließlich im Westen lagen, ergab sich hier eine Kontinuität der Infrastruktur, des Schiffmaterials, der Personen und der Unternehmen. Anders stellte sich die Situation im Osten dar: Hier bestand lediglich eine ausgeprägte Küstenfischerei in der Ostsee; eine 58  Josephson, Ocean’s Hot Dog; Heidbrink, Creating a Demand, S. 146–148; ders., Fish Fingers. An Exhibition and Research Project at the German Maritime Museum, Bremerhaven, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv, 30 (2007), S. 427–440. 59  Für einen Überblick über die heute angebotenen Arten s.: Fisch-Informationszentrum e. V. (Hrsg.), Fisch. Was sie schon immer wissen wollten, 3. Aufl. Hamburg 2005, S. 48–67. Zu Pangasius s. a.: Barbara Hardinghaus, Tod eines Fischstäbchens, in: Der Spiegel, Nr. 11 / 2009, 9.3.2009, S. 126–129.



II. Die Nachkriegszeit375

Hochseefischerei für den Einsatz im Nordatlantik baute dagegen erst die DDR an den Standorten Sassnitz und Rostock neu auf.60 Der Aufbau einer modernen Hochseefischerei besaß für die DDR-Führung eine hohe Priorität. Die Gründe lagen sowohl im Bereich der Strukturpolitik als auch der Nahrungsmittelwirtschaft: Ebenso wie Handelsschifffahrt und Werften sollte die neue Hochseefischerei das wirtschaftliche und soziale Gefälle vom industriell entwickelten Süden zum strukturschwachen Norden in der DDR einebnen. Die Staatsführung wollte zudem den Fischbedarf unabhängig von Importen decken, der Bevölkerung ein breites Lebensmittelangebot anbieten und – ähnlich wie in der NS-Zeit – bestehende Lücken in der Fleischversorgung mit Fisch decken.61 Bei der Hochseefischerei vollzog die DDR weitgehend parallel zur Bundesrepublik den Schritt zum Fang-Fabrikschiff. Daneben besaß die DDR wie andere Ostblock-Staaten, aber anders als die westdeutsche Fischereiflotte reine Fabrikschiffe, die auf See die Fänge von kleineren Trawlern übernahmen und verarbeiteten (so genannte Verbund- oder Flottillenfischerei). Die Hochseefischerei der DDR konnte ihre Fangmenge von ca. 89.000 t im Jahr 1960 bis 1970 auf rund 276.000 t steigern und somit Importe weitgehend überflüssig machen.62 Die Fischereiflotten beider deutscher Staaten hatten somit 1970 mit zusammen ca. 870.000 t das höchste Ergebnis der Vorkriegeszeit (1938) um mehr als 100.000 t übertroffen. Dies zeigt, dass die Produktion der deutschen Fischerei in der NS-Zeit noch nicht an prinzipielle ökologische oder technische Grenzen gestoßen war. Allerdings waren der technische Aufwand und das befischte Gebiet 1970 ungleich größer als in der Vorkriegszeit. 60  Zur Hochseefischerei der DDR s.: Burghard Ciesla, Eine sich selbst versorgende Konsumgesellschaft? Industrieller Fischfang, Fischverarbeitung und Fischwarenkonsum in der DDR, in: Thomas Lindenberger (Hrsg.), Herrschaft und EigenSinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln u. a. 1999, S. 205–233; Dietrich Strobel / Wulf-Heinrich Hahlbeck, Hiev up. So war die Hoch/ Ingo Fiedler, Die seefischerei der DDR, 2. Aufl. Hamburg 1995; Rolf Burbach  deutsche Fischereiflotte. Stand 31.12.1990 unter besonderer Berücksichtigung der Seefischerei in der früheren DDR, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.), Jahresberichte über die deutsche Fischwirtschaft 1990 / 91, Bonn 1991, S. 123–132. 61  Insgesamt lag der Schwerpunkt der Investitionen in den 1950er Jahren zwar klar bei Metallurgie und Schwermaschinenbau, aber von den Gesamtinvestitionen für die Lebensmittelindustrie entfielen im ersten Fünfjahresplan (1951–1955) rund 35 % auf die Fischwirtschaft. Weitere rund 20 % nahm der Bau von Kühlhäusern in Anspruch, die nicht ausschließlich, aber auch nicht zuletzt der Fischwirtschaft dienten. Ciesla, Konsumgesellschaft, S. 210–212. 62  Ebd., S. 212; Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 86 f.

376

E. Krieg und Nachkriegszeit

Die Trawler aus beiden Teilen Deutschlands befischten dieselben Gebiete im Nordatlantik, so dass die DDR im gleichen Maße von dem Rückgang der Bestände durch Überfischung und von der Nationalisierung der Fanggründe betroffen war. Aufgrund von übergeordneten Interessen des Warschauer Paktes an guten Beziehungen zu Island beteiligte sich die DDR allerdings nicht an den „Kabeljaukriegen“ und akzeptierte die Ausweitung der isländischen Fischereizone.63 Während die Reedereien in der Bundesrepublik Ende der 1970er Jahre, nachdem die Fanggebiete zunehmend versperrt waren, sukzessive aus der Hochseefischerei ausstiegen, behielt die DDR ihre Fischereiflotte bei. Die hohen, bereits getätigten Investitionen und die Bedeutung für die wirtschaftliche Struktur an der Ostseeküste sprachen für die Staatsführung dagegen, diese Industrie aufzugeben. Die DDR musste nun ihre Trawler weltweit dort einsetzen, wo sie Fanglizenzen von den Uferstaaten erwerben konnte. Die z. B. vor Afrika oder im Pazifik gefangenen Fischarten ließen sich häufig jedoch in der DDR nicht absetzen oder waren verarbeitungstechnisch nicht zu verwerten, so dass man die Fänge auf dem Weltmarkt verkaufte, um mit dem Erlös Fanglizenzen für andere Sorten oder direkt Fisch für den eigenen Markt einzukaufen. Derartige Geschäfte betrieb die DDR Ende der 1970er u. a. mit Namibia, Bangladesh, Argentinien, Marokko, Japan und Frankreich. Daneben gab es Joint Ventures, in denen die DDR die Schiffe und Besatzungen einbrachte. Auf solchen Wegen, die in geringerem Unfang auch von der Bundesrepublik genutzt wurden, konnte die DDR weiterhin ihre Fischversorgung decken und ihre Hochseefischereiflotte beschäftigen. Der Preis war allerdings hoch, denn die Kosten je Tonne Fisch verfünffachten sich von 1965 bis 1978, während das Verhältnis von Schiffstonnage und Fangergebnis sich im gleichen Zeitraum um die Hälfte verschlechterte. Der Subventionsbedarf stieg entsprechend.64 Bis in die 1970er Jahre war die Hochseefischerei der Bundesrepublik stets größer als die der DDR. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung standen jedoch einer verbliebenen westdeutschen Hochseefischereiflotte von nur noch zehn Schiffen mit zusammen 18.402 BRT auf ostdeutscher Seite 28 Schiffe mit 59.736 BRT gegenüber.65 Auch in der DDR stieß Fisch nicht ohne weiteres auf eine starke Nachfrage. Wie in der Vorkriegszeit waren das Angebot und die Nachfrage nach bestimmten Sorten und Produkten saisonal nur schwer in Deckung zu bringen. Hinzu kamen Probleme beim Transport und hinsichtlich der Qualität 63  Heidbrink,

Deutschlands einzige Kolonie, S. 93 f. Konsumgesellschaft, S. 212–215. 65  Burbach / Fiedler, Deutsche Fischereiflotte, S. 131 f.; Heidbrink, Deutschlands einzige Kolonie, S. 88. 64  Ciesla,



II. Die Nachkriegszeit377

von Konserven. Die Fischwerbung im Osten Deutschlands griff auf das aus der Vorkriegszeit bekannte Instrumentarium von Anzeigen, Fischkochbüchern, Messeveranstaltungen zurück und setzte sogar eine mobile Fischlehrküche wie in den 1930er Jahren ein. Darüber hinaus trat als Innovation der Werbeleiter der Vereinigung Volkseigener Betriebe Hochseefischerei, Ru­ dolph Kroboth, ab Mai 1960 unter dem Titel „Der Fischkoch“ regelmäßig in einer eigenen Fernsehsendung auf, die über viele Jahre durchaus populär war. Die explizite Botschaft der Fischwerbung in der DDR folgte dem aus der Vorkriegszeit bekannten Muster: Die mit dem Ausbau der Fangflotte stetig steigenden Erträge, so der Appell, dürften nicht ungenutzt bleiben und die Verbraucher sollten ihren Fett- und Fleischverzehr zugunsten von Fisch einschränken. Dieser Versuch der Verbrauchslenkung blieb letztlich erfolglos, da die Bevölkerung hinter dieser und ähnlichen Kampagnen für den Mehrkonsum eines Lebensmittels stets irgendeine wirtschaftliche Notlage vermutete. Die Verbraucher blieben entsprechend skeptisch. Als sich in den 1970er Jahren durch die Entwicklung des Seerechts der Zugang zu den Fanggründen erschwerte, reduzierte die DDR die Fischwerbung wieder.66 Der in den späten 1930ern eingesetzte Trend zur Tiefkühltechnik setzte sich in der Fischwirtschaft der DDR weiter fort. Verglichen mit der Bundesrepublik hinkten allerdings sowohl Einzelhandel als auch die Haushalte bei der Ausstattung mit Tiefkühleinrichtungen hinterher. Die Produktion der „Rostocker Fischstäbchen“ und ähnlicher tiefgekühlter Gerichte lief 1968 an und damit ebenfalls erst mehrere Jahre nach ihren westdeutschen Pendants. Anders als die westlichen Vorbilder erfreuten sich die „Rostocker Fischstäbchen“ keines Erfolges bei den Verbrauchern. Sie waren nicht nur im Vergleich zum normalen Tiefkühlfilet überteuert, sondern zeigten auch eine mangelhafte Qualität, während die unzureichende Tiefkühlkapazität bei Transport und Einzelhandel zusätzlich dem Durchbruch des Produktes im Wege stand.67 Der DDR gelang es eine moderne und leistungsfähige Hochseefischereiflotte von Grund auf neu aufzubauen. Der Verbrauch hielt allerdings ähnlich wie in den 1930er Jahren mit der steigenden Produktion nicht Schritt, und auch in der DDR war für Fisch die Rolle vorgesehen, Lücken in der Fleischversorgung zu schließen. Nachdem die Nationalisierung der Fanggründe in den 1970er Jahren abgeschlossen war, behielt die DDR anders als die Bundesrepublik ihre Hochseefischerei bei, obwohl ihr Betrieb immer unwirtschaftlicher wurde.

66  Ciesla, 67  Ebd.,

Konsumgesellschaft, S. 216–219, 230. S. 220–226.

378

E. Krieg und Nachkriegszeit

3. Die deutsche Beteiligung am Walfang nach 1945 Walfang unter deutscher Flagge hat es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben, obwohl es an Bestrebungen in diese Richtung in der Nachkriegszeit nicht gefehlt hat. Letztlich stützte sich jedoch der griechische Großreeder Aristoteles Onassis für sein Walfangunternehmen in den 1950er Jahren auf die in der NS-Zeit gewonnene Erfahrung eines deutschen Unternehmens und deutscher Seeleute. Von den sieben für Deutschland fahrenden Kochereischiffen, die ab 1939 als Frachter oder stationäre Wohnschiffe verwendet worden waren, überlebten nur vier den Krieg. Diese teilten die Siegermächte untereinander auf und setzten sie teilweise bereits in der Saison 1945 / 46 wieder für den Walfang ein.68 Die Niederlande versuchten nach Kriegsende Ansprüche auf die Unitas geltend zu machen, da letztlich Unilever und damit ein niederländisches Unternehmen Eigentümer des Schiffes gewesen war. Das britische Prisengericht wies die Klage jedoch zurück und stellte sich auf den Standpunkt, dass die Unitas die deutsche Flagge führte und von britischen Streitkräften erbeutet worden war; sie sei somit Feindeigentum und eine rechtmäßige Prise.69 Für Unilever zahlte sich somit die Beteiligung am deutschen Walfang in dieser Hinsicht nach dem Krieg nicht aus. Angesichts der dramatischen Ernährungslage – insbesondere des Mangels an Fett – erhoben sich im Nachkriegsdeutschland bald Stimmen, die den Wiederbeginn eines deutschen Walfangs forderten. Hierfür war allerdings das Einverständnis der Besatzungsmächte notwendig, schon allein weil das Potsdamer Abkommen Seefahrt und Schiffbau enge Grenzen setzte. Dafür dass die Besatzungsmächte eine solche Zustimmung geben könnten, gab 68  Jan Wellem brannte im April 1940 nach Beschuss in Narvik aus und sank. Sie wurde später gehoben und nach Deutschland geschleppt, aber bald nach Kriegsende als irreparabel endgültig abgewrackt. Die norwegische Besatzung der Skytteren versuchte im April 1942 mit dem Schiff aus dem deutschen Machtbereich nach Großbritannien zu entkommen und versenkte die Skytteren, als sie von der Kriegsmarine gestellt wurden. Bei einem britischen Luftangriff sank 1944 die Südmeer in Nor­ wegen. Wikinger, C. A. Larsen, Walter Rau und Unitas wurden bei Luftangriffen schwer beschädigt, aber wieder instand gesetzt. Da die C. A. Larsen von Deutschland nur gechartert war, ging sie 1945 zurück an Norwegen und wurde in Antarctis umbenannt. Großbritannien setzte Wikinger in der ersten Nachkriegssaison unter dem Namen Empire Venture ein, bevor das Schiff der Sowjetunion zugesprochen wurde. Mit der in Slava umgetauften Wikinger begann der sowjetische Walfang in der Antarktis. Die Unitas fuhr als Empire Victory 1946 / 47 für Großbritannien, später als Abraham Larsen für Südafrika. Die USA bekamen die Walter Rau zugesprochen und gaben sie jedoch an Norwegen weiter, wo sie als Kosmos IV fuhr; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 515; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 182, 184. 69  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 515.



II. Die Nachkriegszeit379

Japan das Beispiel, auf das man sich in Deutschland sofort berief. Um die vollkommen unzureichende Nahrungsmittelversorgung in Japan zu verbessern und die Besatzungskosten zu verringern, hatte der amerikanische Oberbefehlshaber Douglas MacArthur den Japanern bereits in der Saison 1946 / 47 die Erlaubnis gegeben, Walfang in der Antarktis zu betreiben. Großbritannien und Norwegen protestierten energisch gegen das erneute Auftreten dieses Konkurrenten, für die japanische Ernährungslage war jedoch das so gewonnene Walfleisch, das angeblich 34 % der Fleischproduktion der Landwirtschaft Japans entsprach, von großer Bedeutung.70 In (West-)Deutschland sprachen sich Politiker, Gewerkschaften und humanitäre Organisationen für die Wiederaufnahme des Walfangs aus. Hinzu kamen noch die vor dem Krieg beteiligten Unternehmen und Personen wie Dietrich Menke von Henkels Walfangunternehmen (Erste Deutsche WalfangGesellschaft) und Edmund Winterhoff von Walter Rau. Presseartikel zu diesem Thema erschienen gehäuft im Spätsommer 1947, als die britischen und amerikanischen Besatzungsbehörden einen Antrag des Verwaltungsamtes für Wirtschaft der Bizone auf die Zulassung einer Walfangflotte ablehnten.71 Die damals von deutscher Seite angeführten Argumente fasste eine im November 1947 erschienene Denkschrift zusammen, die der „WalfangAusschuß der Industrie- und Handelskammern deutscher Seestädte“ verfasst hatte. In diesem Ausschuss vertreten waren Bremen, Bremerhaven, Emden, Hamburg, Kiel und Lübeck. Die Denkschrift verwies auf die von den USA Japan gewährte Erlaubnis und forderte, Deutschland müsse im gleichen Maße gestattet werden, selbst zu seiner Nahrungsmittelversorgung beizutragen. Angesichts von Unterernährung und Mangelkrankheiten sei es zudem ein Gebot der Menschlichkeit, Deutschland durch eine Walfangflotte seine Fettversorgung verbessern zu lassen. Während wenige Jahre zuvor die Gleichsetzung des Meeres mit einer deutschen Kolonie noch ein Gemeinplatz gewesen war, berief sich die Denkschrift von 1947 auf das Völkerrecht und die Atlantik-Charta, um darzulegen, dass die Ressourcen des Meeres – „der internationalen Nahrungsreserve“ – allen Nationen offen stehen sollten. Auch der schon aus den 1930er Jahren bekannte Anspruch auf ein historisches Recht auf den Walfang, das sich aus der Beteiligung deutscher Seestädte seit dem 17. Jahrhundert herleite, wurde in der Denkschrift erneut erhoben.72 70  Ebd.,

S. 529–532. S. 532–34; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 198–200; s. a.: Walfett schwimmt oben, in: Der Spiegel, Nr. 27 / 1947, 5.7.1947, S. 8. 72  Walfang-Ausschuß der Industrie- und Handelskammern deutscher Seestädte, Deutscher Walfang. Stellungnahme des Walfang-Ausschusses der Industrie- und Handelskammern deutscher Seestädte, Hamburg 1947. 71  Ebd.,

380

E. Krieg und Nachkriegszeit

Anders als im japanischen Fall erteilten die Besatzungsmächte nie eine Erlaubnis. Ausschlaggebend war der Widerstand Großbritanniens und Norwegens, die in Bezug auf Deutschland einen größeren Einfluss besaßen als auf Japan, wo die USA die wesentlichen Entscheidungen allein trafen. Norwegen und Großbritannien als die eng kooperierenden führenden Staaten im Walfang konnten kein Interesse an einem Wiederaufstieg Deutschlands als Mitbewerber besitzen. Ende 1946 führte eine Konferenz in Wash­ ington (ohne Beteiligung Deutschlands und Japans) zum Internationalen Übereinkommen zur Regelung des Walfangs („International Convention for the Regulation of Whaling“ (ICRW)), das u. a. den Fang in der Antarktis auf 16.000 Blauwaleinheiten (BWU) pro Saison begrenzte.73 Je mehr Staaten sich beteiligten, so geringer würde der Anteil für jeden ausfallen. Da die Japaner nach dem Krieg bereits wieder eingestiegen waren, auch die Niederlande und die Sowjetunion sich ab 1946 erstmals am modernen Walfang beteiligten und eine Reihe weiterer Staaten derartige Pläne hegten, kam viel darauf an, Deutschland vom Walfang fern zu halten. Nachdem 1951 die Beschränkungen des Potsdamer Abkommens hinsichtlich der Seefahrt und des Schiffbaus gefallen waren, wäre zumindest die Bundesrepublik frei gewesen, eine Walfangflotte auszurüsten. Im März dieses Jahres gründete August Dierks, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Bremerhaven, die Gesellschaft für deutschen Walfang mbh mit der Absicht, das Walfanggeschäft zur Förderung des Hafens und der Werften in seiner Stadt anzusiedeln. Damit wiederholte sich gewissermaßen die Geschichte, denn Dierks hatte mit der gleichen Absicht bereits 1934 eine solche Gesellschaft gegründet, die dann den Kern für Henkels Walfangunternehmen bildete, allerdings ohne dass die Wirtschaft der Unterweser davon profitiert hatte [siehe Kap. D. IV. 3. a)]. 1951 war dagegen Unilever mit im Boot und auch Unilevers Interessenslage ähnelt der der 1930er: Aufgrund weiterhin bestehender Devisenbestimmungen besaß der Konzern nach wie vor Guthaben in Deutschland, die sich nicht transferieren ließen. Da die Rentabilität einer deutschen Walfangflotte nicht gesichert schien, verlangte das Bremerhavener Unternehmen von der Bundesregierung eine Preisgarantie für das zu produzierende Walöl und weitere Unterstützungen. Die Regierung war jedoch hierzu nicht bereit. Die Forderungen des Unternehmens und die staatliche Reaktion glichen somit der Situation Ende der 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre.74

73  Eine BWU = 1 Blauwal = 2 Finnwale = 2,5 Buckelwale = 6 Seiwale; Cioc, The Game of Conservation, S. 139–142; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 314, 499–506. 74  Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 207–209.



II. Die Nachkriegszeit381

Dass zu diesem Zeitpunkt die Rentabilität eines Walfangunternehmens sehr in Frage gestellt war und sich kein Investor ohne staatliche Hilfen zum Bau einer Flotte entscheiden konnte, lag einerseits an der inzwischen stark gewachsenen internationalen Konkurrenz auf diesem Gebiet und andererseits vor allem an dem wieder sinkenden Weltmarktpreis für Walöl. Mit dem Wiederaufbau der westdeutschen Industrie stieg zudem wieder der deutsche Export, die Zahlungsbilanz verbesserte sich und damit die Möglichkeit, Fettrohstoffe aus dem Ausland zu beziehen.75 Für viele deutsche Seeleute und Henkels Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft hatte sich allerdings bereits die Gelegenheit ergeben, wieder am Walfang teilzuhaben. Ermöglicht hatte dies der Großreeder Aristoteles Onassis (1906–1975), der mit dem Kochereischiff Olympic Challenger und zwölf Fangbooten von 1950 / 51 bis 1955 / 56 in der Antarktis und vor Peru Wale jagen ließ. Onassis’ Walfangflotte lässt sich anders als die meisten anderen Unternehmungen auf diesem Feld keinem Herkunftsland eindeutig zuordnen: Er selbst war griechischstämmiger Bürger Argentiniens, die von ihm gegründete Olympic Whaling Co. bildete eine Tochtergesellschaft einer seiner US-amerikanischen Reedereien, während das Kochereischiff sowie einige der Fangboote die panamaische und andere Fangboote die honduranische Flagge führten. Onassis war aufgrund des Ende der 1940er Jahre sehr hohen Preises für Walöl auf dieses Geschäftsfeld aufmerksam geworden und versuchte zunächst, norwegische Besatzungen anzuwerben. Da es Norwegern gesetzlich verboten war, sich am Aufbau neuer Walfangflotten im Ausland zu beteiligen, konnte Onassis nur einige Harpunenschützen und den Fangleiter in Norwegen anheuern. Eine Reederei mit Erfahrung im Walfang und entsprechende Besatzungen fand Onassis stattdessen in Deutschland. Der Waschmittelhersteller Henkel besaß immer noch sein Tochterunternehmen, die Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft, die den Großteil der Bereederung der Olympic Challenger übernahm und über 500 Besatzungsmitglieder der deutschen Walfangschiffe aus der Vorkriegszeit stellte. Ebenfalls in Deutschland, auf der Howaldt-Werft in Kiel, entstanden die Olympic Challenger und ihre Fangboote aus dem Umbau eines Tankers bzw. ehemaliger britischer Korvetten.76 Der deutsche Anteil an der Besatzung der Olympic Challenger und ihrer Fangboote betrug über 90 % und war damit höher als bei den Walfangexpe75  Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 533  f.; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 211. 76  Klaus Barthelmess, Die Gegner der „Olympic Challenger“. Wie amerikanische Geheimdienste, Norweger und Deutsche das Walfangabenteuer des Aristoteles Onassis beendeten, in: Polarforschung, 79 (2009), 3, S. 155–176; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 534–538; Bohmert, Walfang, S. 141–156; Winterhoff, Walfang in der Antarktis, S. 204 f.

382

E. Krieg und Nachkriegszeit

ditionen der NS-Zeit.77 Aufgrund der Verbindungen von Onassis’ Walfangexpedition zur Bundesrepublik wurde diese in der Öffentlichkeit und bei offiziellen Stellen vielfach als ein deutsches Unternehmen oder zumindest als Schritt in diese Richtung verstanden. Wie in den 1930er Jahren begleitete ein deutscher Biologe im staatlichen Auftrag die Fangreise und veröffentlichte anschließend ein Handbuch.78 Auch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete zwischen 1950 und 1956 viermal über diese von Deutschen bemannte und in Kiel entstandene Walfangflotte.79 Die Olympic Challenger machte zuerst im November 1954 Schlagzeilen, als sie auf Pottwaljagd vor der südamerikanischen Küste eine von Peru, Ecuador und Chile einseitig erklärte Fischereizone von 200 Seemeilen missachtete, von der peruanischen Marine aufgebracht wurde und erst nach Zahlung einer Geldstrafe frei kam. Da die Olympic Challenger systematisch gegen die Fangbeschränkungen des Washingtoner Walfangübereinkommens von 1946 verstieß (Abschuss von geschützten Arten und Jungtieren) und zur Vertuschung ihre Fangstatistiken fälschte, verklagte der norwegische Walfangverband Onassis wegen des Schadens, der den norwegischen Unternehmen entstanden sei. Nach einer außergerichtlichen Einigung verkaufte Onassis 1956 die Olympic Challenger für 8,5 Millionen $ an ein japanisches Unternehmen, das sie mit rein japanischer Besatzung weiterhin zum Walfang einsetzte. Die Fangzeit 1955 / 56 war die fünfte Saison der Olympic Challenger – 1953 / 54 war sie aufgrund des niedrigen Walölpreises nur als Tanker gefahren – und damit zugleich die letzte Saison in der Deutschland in nennenswerter Weise am Walfang beteiligt war.80 In der sowjetischen Besatzungszone und später der DDR scheint es im Unterschied zum energischen Aufbau der dortigen Hochseefischerei keine 77  Barthelmess,

Olympic Challengers Verstöße, S. 69. Schubert fuhr für die Bundesanstalt für Fischerei auf der Olympic Challenger so wie Nicolaus Peters die erste Fangreise der Jan Wellem mitgemacht hatte. Vgl.: Schubert, Walfang. 79  Vgl.: Neidische Kollegen, in: Der Spiegel, 3 / 1950, 19.1.1950, S. 29; Erblaßte Tinte, in: Der Spiegel, 48 / 1954, 24.11.1954, S. 21–25; Ei, ei, Peer Gynt!, in: Der Spiegel, 7 / 1956, 15.2.1956, S. 38–40; An die Kette gelegt, in: Der Spiegel, 18 / 1956, 2.5.1956, S. 23 f. Am Rande erwähnt wird die Walfangflotte und ihre fast rein deutsche Besatzung auch in einem weiteren Artikel über Onassis: Regime der Schwiegersöhne, in: Der Spiegel, 11 / 1954, 10.3.1954, S. 16–21. Onassis war in der Bundesrepublik der 1950er nicht nur als schillernde Gestalt der High-Society sondern auch aufgrund von wichtigen Großaufträgen für westdeutsche Werften allgemein bekannt. 80  Barthelmess, Gegner der „Olympic Challenger“; ders., Olympic Challengers Verstöße; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 552–560; s. a.: José Luis de Azcárraga, Walfänger Onassis und der völkerrechtliche Begriff der Hoheitsgewässer, in: Archiv des Völkerrechts, 6 (1956), 1, S. 41–50. 78  Kurt



II. Die Nachkriegszeit383

Anläufe in Richtung einer Walfangflotte gegeben zu haben. Diese wären auch in Konkurrenz zur sowjetischen Expansion auf diesem Gebiet in der Nachkriegszeit getreten. Walfleisch, das sicherlich von der Walfangflotte der UdSSR produziert wurde, scheint allerdings in der DDR in größerem Umfang auf den Markt gebracht worden zu sein, da es in einem an Privathaushalte gerichteten Kochbuch behandelt wurde.81 Aber auch in Westdeutschland kam aus Norwegen importiertes Walfleisch zumindest in Kantinen auf den Tisch.82 Das Ende des (west-) deutschen Engagements im Walfang fiel nicht mit einem Niedergang dieser Industrie insgesamt zusammen. Vielmehr konnten die Fangzahlen im Südpolarmeer noch bis 1960 gesteigert werden und übertrafen zuletzt sogar das höchste Vorkriegsergebnis. Die norwegischen, britischen und niederländischen Gesellschaften stellten jedoch von 1963 bis 1968 alle den Walfang in der Antarktis ein, so dass nur noch Japan und die Sowjetunion übrig blieben. Zugleich setzte sich in der 1946 in Washington gegründeten International Whaling Commission (IWC) die Auffassung durch, dass der Fang stärker reguliert werden müsse. Buckelwale und Blauwale wurden 1963 bzw. 1964 vollkommen geschützt. Seit Beginn der 1970er Jahre wurde zudem der Walschutz in den westlichen Industrienationen als Teil der Umweltschutzbewegung zu einem populären und emotional besetzten Thema. Der Beitritt der Bundesrepublik zum IWC 1982 und einer Reihe weiterer Staaten ging allein auf die große öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Walfang zurück. Das Engagement für den Walschutz in der IWC ist für Regierungen aus Staaten ohne Bezug zum Walfang ein einfacher und kostengünstiger Weg, mit Blick auf die eigene Wählerschaft eine populäre Umweltschutzpolitik zu vertreten. Aufgrund der neuen Teilnehmerstaaten und des öffentlichen Drucks beschloss die IWC 1982 ein Moratorium, das den Walfang weltweit ab 1986 beenden sollte. Tatsächlich werden seitdem nur noch in sehr geringen Zahlen Wale gefangen.83 81  Zumindest enthält ein Kochbuch von 1968 drei Rezepte für Walfleisch: „Walfleischgulasch“, „Walfleischrouladen“ und „Walfleischschnitten“; Verlag für die Frau (Hrsg.), Wir kochen gut. Mehr als 1000 Rezepte für den Haushalt, zusammengestellt unter Berücksichtigung der modernen Ernährungslehre, Leipzig 1968, S. 127. 82  Walfleisch bringt Abwechslung, in: Kochpraxis & Gemeinschaftsverpflegung, 3 (1955), 7, S. 14. Der Artikel spricht von „manchen Anstalts- und Werkküchen sowie in vielen Küchen der BGS-Einheiten“. 83  Karl-Hermann Kock, Walfang und Walmanagement in den Polarmeeren, in: Historisch-meereskundliches Jahrbuch, 3 (1995), S. 7–34. Walfang betreiben seit 1986 nur noch bestimmte indigene Völker (vor allem Inuit) mit Erlaubnis der IWC zur Selbstversorgung, sowie Japan, Norwegen, die Färöer und Island. Japan fängt als einziges Land weiterhin in der Antarktis. Dieser Fang ist nach den Bestimmungen der IWC als wissenschaftlicher Walfang erlaubt, allerdings ist der wissenschaftliche Charakter dieses Fangs international umstritten. Norwegen betreibt Walfang im

384

E. Krieg und Nachkriegszeit

Der Druck der Öffentlichkeit in den westlichen Industrienationen und die neuen Mehrheitsverhältnisse besiegelten jedoch nur eine Entwicklung, die lange vorher eingesetzt hatte und größtenteils bereits abgeschlossen war. Bereits Anfang der 1960er Jahre endete der Fang großer Bartenwale (Blauund Finnwal) in der Antarktis aufgrund von ökonomischen Faktoren weitgehend: Die immer geringeren Walbestände erhöhten die Kosten für die Jagd, während der Erlös aus dem Verkauf des Walöls durch das steigende Angebot pflanzlicher Fette und Öle zurückging. Nachdem Norwegen, Großbritannien und die Niederlande deshalb in den 1960er Jahren den Fang eingestellt hatten, blieben nur Japan und die Sowjetunion im pelagischen Fang aktiv, da sie andere Walarten für andere Produkte als die Westeuropäer zuvor bejagten. Im Fall Japans richtete sich das wirtschaftliche Interesse auf das Fleisch statt auf das Öl. Die Japaner fingen (und fangen bis heute) in erster Linie die vor den 1960er Jahren kaum bejagten Zwergwale. Die sowjetischen Fangflotten konzentrierten sich hingegen auf Pottwale, deren spezielles Öl für Schmierstoffe weiterhin nachgefragt wurde. Auch der japanische und sowjetische Fang waren jedoch seit den 1960er Jahren stark rückläufig.84 An der Nachkriegsentwicklung wird deutlich, dass der Walfang in den 1930er Jahren, als Deutschland dieses Feld betrat, – anders als auch von Zeitgenossen z. T. angenommen – noch nicht vor dem Ende stand. Zweifellos handelte es sich stets um Raubbau, aber dieser ließ sich noch einige Jahrzehnte betreiben, bevor die Wale so selten wurden, dass der Fang Kosten verursachte, die Walöl gegenüber pflanzlichen Ölen nicht mehr wettbewerbsfähig machten. Die deutsche Investition in die Walfangflotten wäre also nicht, wie schon in den 1920er Jahren gelegentlich befürchtet wurde, schon nach wenigen Jahren Betrieb durch die Erschöpfung der Ressource entwertet worden. Die deutschen Walfangschiffe hätten, wenn der Krieg nicht gekommen wäre, wahrscheinlich noch lange genug betrieben werden können, um die Investitionen zu rechtfertigen. Zufällig war es eines der in der NS-Zeit gebauten deutschen Fabrikschiffe, die Walter Rau, die eine norwegische Reederei unter dem Namen Kosmos IV bis 1968 als letztes westeuropäisches Walfangschiff in der Antarktis einsetzte.85 Nordostatlantik. Dies ist völkerrechtlich legal, da Norwegen gegen den Moratoriumsbeschluss der IWC von 1982 Einspruch erhoben hat. Island hat 1992 die IWC verlassen und ist somit nicht an die Beschlüsse gebunden. Alle drei Länder fangen fast ausschließlich Zwergwale, eine Art, die im antarktischen Walfang bis in die 1970er aufgrund ihrer geringen Größe nicht bejagt wurde. In Japan und auf den Färöern werden darüber hinaus kleinere Zahnwalarten gejagt, die nicht in die Zuständigkeit der IWC fallen. 84  Viktoria Schneider / David Pearce, What saved the whales? An economic analysis of 20th century whaling, in: Biodiversity and Conservation, 13 (2004), S. 543– 562.



II. Die Nachkriegszeit385

Die Bestrebungen nach 1945, eine deutsche Walfangflotte aufzubauen, erklären sich in erster Linie aus einer Pfadabhängigkeit: Für Unternehmen und Personen, die im Walfang ab 1936 ein besonderes Fachwissen auf diesem Gebiet erworben hatten, lag es schon allein deshalb nahe, sich nach 1945 für den Wiederaufbau einer solchen Industrie einzusetzen, um wieder eine Nachfrage nach ihrer Qualifikation zu schaffen. Da nach der NS-Zeit die Expertise in Deutschland vorhanden und der Beweis erbracht war, dass Deutschland in relativ kurzer Zeit in den Walfang einsteigen konnte, drängte sich jedoch auch persönlich nicht interessierten Kreisen die Idee auf, die prekäre Fettversorgung in den Jahren nach dem Krieg auf diesem Wege zu verbessern. Darüber hinaus wird an der Entwicklung in der Nachkriegszeit wie schon zuvor in den 1920er und 1930er Jahren deutlich, dass deutsche Walfangpläne in wirtschaftlich normalen Zeiten keine Aussichten besaßen, realisiert zu werden. So wie in der NS-Zeit erst die Abkoppelung vom Weltmarkt den geeigneten Rahmen schuf, war es in der Nachkriegszeit die Wiedereingliederung (West-) Deutschlands in den Weltmarkt, die den Plänen für einen deutschen Walfang die Grundlage entzog. Walöl wurde dagegen in der Bundesrepublik als Margarinerohstoff weiterhin verarbeitet und konsumiert.86 In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, als angesichts eines weltweiten Mangels an Fettrohstoffen auch die traditionell auf den Weltmarkt ausgerichteten Niederlande erstmals in den modernen Walfang einstiegen,87 hätte allerdings auch für (West-) Deutschland ein Zeitfenster bestanden. Dem stand jedoch bis 1951 das Veto der Siegermächte entgegen. 85

85  Tønnesen / Johnsen,

Modern Whaling, S. 631. den 1950er Jahren machten bei den Margarinerohstoffen in Deutschland Pflanzenöle 70 %, Walöl 20 % und Fischöl 10 % aus; Schüttauf, Margarine, S. 23a. 87  Die Niederlande betrieben ab der Saison 1946  / 47 das Kochereischiff Willem Barendsz. Dem niederländischen Engagement im Walfang lag die Annahme zugrunde, dass Niederländisch-Ostindien durch den Krieg so gelitten hatte, dass es Jahre dauern würde, um den dortigen Anbau von Ölpflanzen wieder auf das Vorkriegsniveau zu bringen. Norwegen versuchte auch hier – allerdings vergeblich – das Aufkommen eines Konkurrenten zu verhindern. Der niederländische Staat förderte das Unternehmen noch in den 1950ern massiv; Tønnesen / Johnsen, Modern Whaling, S. 521–525. 86  In

F. Schlussbetrachtung Der Zusammenbruch der Weltwirtschaft seit 1929 und dann ab 1933 in erster Linie die Politik der gezielten Kriegsvorbereitung durch das NS-Regime ließen Deutschland zu einer von Devisenbewirtschaftung und Importsubstitution gekennzeichneten Wirtschaftspolitik übergehen, die man annäherungsweise als Autarkiepolitik bezeichnen kann. Trotz großer Anstrengungen ließen sich jedoch nicht alle Rohstoff- und Nahrungsmittelimporte mit Gütern aus heimischen Ressourcen ersetzen. Ebenso wenig konnte man den Importbedarf ausschließlich mit Einfuhren aus solchen Ländern decken, mit denen Deutschland devisenlose Handelsbeziehungen unterhielt. Es blieben somit spürbare Lücken. Nahrung und Rohstoffe aus dem freien, herrenlosen Meer schienen in dieser Lage eine ideale Lösung für eine Volkswirtschaft zu sein, die Importe vermeiden wollte und doch aus dem eigenen Land allein nicht leben konnte. Während sich die landwirtschaftliche Produktion – ohne zusätzlichen Import von Futtermitteln und Dünger – nur noch wenig steigern ließ, konnte die Hochseefischerei praktisch ohne Devisenaufwand glaubhaft eine Verdoppelung ihrer Anlandungen innerhalb von vier Jahren versprechen. Mit dem Aufbau einer deutschen Walfangindustrie entstand – ebenfalls ohne Belastung der Devisenreserven und der landwirtschaftlichen Kapazitäten – eine neue Quelle von Fetten für die Margarine- und Seifenindustrie. Die Attraktivität der marinen biologischen Ressourcen lag vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Bedingungen der NS-Zeit darin, dass es sich gewissermaßen einerseits nicht um Importe handelte, andererseits hingegen doch: Ökonomisch betrachtet stellten die von deutschen Schiffen aus inter­ nationalen Gewässern gewonnenen Güter keine Importe dar, weil Material und Arbeitskräfte (ganz überwiegend) aus dem eigenen Land stammten und die Kosten in RM anfielen. Bezogen auf die realen Stoffströme muss man dagegen durchaus von Einfuhr sprechen, da Güter aus einem Einzugsgebiet außerhalb der deutschen Grenzen ins Land gebracht wurden. Ebenso wie die Nutzung des Meeres eine passende Lösung für die spezifischen Probleme der Autarkiepolitik zu bieten schien, verhieß das neue wirtschaftspolitische Umfeld auf der anderen Seite eine Lösung für die konstant von Absatzschwierigkeiten bzw. Überproduktion geplagte Fischwirtschaft. Die Autarkiepolitik versprach der Fischwirtschaft massenhafte Nachfrage, staatliche Förderung und gesellschaftliche Anerkennung. Wäh-



I. Das unerschöpfliche Meer387

rend die Fischwirtschaft noch in der ersten Hälfte der 1930er Jahre nur mit recht allgemeinen, für andere Branchen ebenso geltenden Argumenten wie Hilfsbedürftigkeit und Arbeitsbeschaffung um Unterstützung und Aufmerksamkeit warb, konnte sie im Rahmen der Autarkiewirtschaft für sich das Alleinstellungsmerkmal beanspruchen, zusätzliche Nahrungsmittel ohne Devisenaufwand bereit stellen zu können. Für die Fürsprecher eines deutschen Walfangs schuf erst die zunehmende Abkapselung Deutschlands vom Weltmarkt die Bedingungen, unter denen sie ihre Pläne verwirklichen konnten. Während die Interessenten zuvor meist wenig mehr als eine Idee und die Hoffnung auf hohe Dividenden mitbrachten, machten der chronische Devisenmangel und die Einfuhrbeschränkungen der NS-Zeit das Thema Walfang erstmals für kapitalstarke Unternehmen der deutschen Margarineund Seifenindustrie attraktiv.

I. Das unerschöpfliche Meer Unter diesen Umständen waren die Diskurse über die Nutzung mariner biologischer Ressourcen – also von Fisch- und Walbeständen – durch eine spezifische Wahrnehmung gekennzeichnet: Das Meer erschien in diesem Zusammenhang als ein brachliegender, kaum genutzter, herrenloser und anzueignender Raum. Dem entsprach das vielfach in den Quellen verwendete Bild des Meeres als deutscher „Kolonie“ oder „Rohstoffprovinz“ (siehe Kap. C. I.). Deutschland könne sich – so die Vorstellung – aus diesem Raum erhebliche Mengen Nahrung und Rohstoffe wie aus einem beherrschten Gebiet aneignen. Breitenwirksame Texte aus der NS-Zeit steigerten die Hoffnungen auf das Meer noch zusätzlich, indem sie die utopische Vorstellung unerschöpflicher Bestände und beliebiger Steigerungsfähigkeit der Erträge verbreiteten (siehe Kap. C. II.). Dies war keine auf Deutschland oder die NS-Zeit beschränkte Auffassung. Noch in den 1960er Jahren konnte ein einflussreicher US-amerikanischer Biologe und Berater von Fischereiunternehmen erklären, die weltweite Fischerei ließe sich praktisch unbegrenzt steigern, um den Eiweißbedarf der wachsenden Weltbevölkerung zu decken.1 Allerdings war schon in den 1930er Jahren Fachleuten aus Praxis und Wissenschaft die Überfischung vieler Fanggründe lange bekannt, und auch populärwissenschaftliche Texte wie die von Alfred Brehm zeigten seit dem 19. Jahrhundert ein hohes Bewusstsein für die begrenzte Belastungsfähigkeit der marinen Umwelt. Zumindest im deutschen Sprachraum war die Vorstellung des unveränderlichen, unerschöpflichen und somit ahistorischen Meeres nicht unbekannt, aber somit weniger selbstverständlich und unhinterfragt, als Jeffrey Bolster 2006 annahm.2 1  McEvoy,

The Fisherman’s Problem, S. 190.

388

F. Schlussbetrachtung

Andererseits hatte die deutsche Fischerei in der Vergangenheit hohe Wachstumsraten aufgewiesen und durch die Erhöhung des technischen Aufwandes sowie durch die Ausweitung des geographischen Radius’ bestand tatsächlich noch ein erhebliches Steigerungspotential. Auffällig ist, dass im Kontext der NS-Autarkiepolitik die Belastbarkeit der Walbestände verglichen mit den Fischbeständen sowohl unter Experten als auch in der Öffentlichkeit zumeist deutlich kritischer – und damit realistischer – eingeschätzt wurde. Nichtsdestoweniger versuchten einige Stimmen unter Hinweis auf die unvorstellbare Weite des Südpolarmeeres alle Bedenken vom Tisch zu wischen, aber der Tenor der meisten auch offiziellen Texte war es dennoch, einzugestehen, dass die Bestände durchaus durch den Walfang dezimiert werden könnten. Allerdings versicherten die Autoren aus Presse, Staat und Wirtschaft dem Leser zugleich, dass der deutsche Walfang – wie man heute sagen würde: – nachhaltig sei, so dass ein Versiegen dieser Rohstoffquelle nicht zu befürchten sei. 2

Die Vorstellung, einen Teil der bisherigen deutschen Nahrungsmittel- und auch Rohstoffimporte durch eine verstärkte Nutzung des Meeres zu ersetzen, war nicht von vornherein utopisch. Angesichts eines deutschen ProKopf-Verbrauchs an (Warmblüter-)Fleisch von etwa 50 kg  /  Jahr in den 1930er Jahren, hätte die im Vierjahresplan vorgesehene Steigerung des Pro-Kopf-Fischverbrauchs von etwa 11 auf 20 kg eine erhebliche Reduktion des Fleischverbrauchs und damit eine Entlastung der Landwirtschaft bzw. des Imports ermöglicht. Dass ein Pro-Kopf-Verbrauch von 20 kg kein per se unerreichbarer Wert war, zeigten die noch deutlich höheren Verbrauchszahlen in beispielsweise Großbritannien und Japan. Diese Länder konnten (und können) durch ihre intensive Fischerei einen erheblichen Beitrag zu ihrer Proteinversorgung leisten und somit die Landwirtschaft sowie den Import entlasten und / oder die Menge des zur Verfügung stehenden Proteins erhöhen. Um ein Bild von der potentiellen Bedeutung der Fischerei zu bekommen, ist der von dem Ernährungswissenschaftler Georg Borgstrom in den 1960er Jahren entwickelte Begriff „fish acreage“ hilfreich. Borgstrom beschäftigte sich mit der damals aktuell gewordenen malthusianischen Frage, wie die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden könne. Für ihn war die Fixierung auf Getreideproduktion und Kalorien als Maßstab der Ernährung irreführend, da der wahre Mangel bei der Versorgung mit (tierischem) Eiweiß läge. Fisch trage, so Bergstrom, selbst in Japan nur mit knapp 3 % zur Kalorienversorgung bei; der Fischanteil bei der Versorgung mit tierischem Eiweiß betrage dagegen 70 %. Als „fish acreage“ bezeichnete Borgstrom die 2  Vgl.: Bolster, Opportunities, S. 574  f., s. a. Blackford, Fishers, Fishing, and Overfishing, S. 242.



I. Das unerschöpfliche Meer389

landwirtschaftliche Fläche, die ein Land theoretisch bräuchte, um die Menge an Protein, die es aus der Fischerei bezieht (einschließlich des indirekten Beitrages von Fisch als Futtermittel), durch landwirtschaftliche Produktion zu ersetzen. Als Vergleichsmaßstab diente ihm hierbei die Fläche, die für Milchwirtschaft als der effizientesten Form der agrarwirtschaftlichen Eiweißproduktion benötigt wird. Ausgedrückt in Prozent der tatsächlich genutzten landwirtschaftlichen Fläche betrug die „fish acreage“ in den 1960ern für Westdeutschland 28 %, für Großbritannien 38 %, für die Niederlande 69 % und für Japan 154 %.3 Der Versuch der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, die zur Selbstversorgung Deutschlands unzureichende landwirtschaftliche Produktion durch den Ausbau der Fischerei zu ergänzen, besaß im Rückblick unter dem Aspekt „fish acreage“ betrachtet durchaus ein erhebliches Potential. Über eine deutliche Vergrößerung des deutschen „fish acreage“ hätte die Nutzung des Meeres die „Eiweißlücke“ schließen und damit zu einer Minderung der Importabhängigkeit beitragen können. Das Beispiel der deutschen Autarkiepolitik bestätigt auch insofern Borgstroms Konzept, da im deutschen Fall die Selbstversorgung mit den mengenmäßig wichtigsten Nahrungsmitteln Getreide und Kartoffeln durchaus möglich war, während sich die empfindlichen Lücken – abgesehen von Fett, wo man ähnliche Berechungen aufstellen könnte – bei der Fleischversorgung, also beim Protein auftaten. Wenn sich konkrete „fish acreage“-Zahlen für das Deutschland der 1930er Jahre berechnen ließen, könnte man retrospektiv die durch den Ausbau der Fischerei erzeugten Zuwächse mit den zeitgleich durch Landgewinnung und Melioration neu gewonnen Flächen vergleichen.4 Auch ein Vergleich mit den Flächen, die das NS-Regime durch Annexion und kriegerische Gewalt dem Reich angliederte böte sich an. Allerdings stellte die verstärkte Nutzung mariner Ressourcen trotz der immer wieder verwendeten KolonieMetapher zu keiner Zeit eine Alternative zur gewaltsamen territorialen Expansion dar; dem standen die tief verwurzelten Intentionen der Machthaber entgegen und auch das tatsächliche Potential der Fischerei verglichen mit der geplanten Ausbeutung ganz Osteuropas. 3  Georg Borgstrom, The Hungry Planet. The Modern World at the Edge of Famine, New York / London 1965, S. 25–34. Borgstrom fasste den Beitrag von Fischerei und Importen zusammen unter dem Begriff „ghost acreage“. Dabei ging es ihm darum zu zeigen, dass hochentwickelte Länder sich nicht nur aufgrund der effizienten Nutzung ihrer landwirtschaftlichen Fläche ernähren können, sondern dass sie in hohem Maße Ressourcen außerhalb ihrer Landesgrenzen in Anspruch nehmen. 4  Leider gibt Borgstrom nicht an, wie er zu seinen Ergebnissen kommt. Somit lassen sich für die tatsächlich umgesetzte und die geplante Expansion der Fischerei in der NS-Zeit keine „fish acreage“ berechnen.

390

F. Schlussbetrachtung

Beim Ausbau der Nahrungsversorgung aus dem Meer in der NS-Zeit handelte es sich also um eine eher improvisierte Zwischenlösung für die Probleme der deutschen Wirtschaft in der Vorkriegszeit. Das neue Interesse der Ernährungswirtschaft am Meer stand in deutlichem Kontrast zu dem geopolitischen Denken dieser Zeit, das sich von der in der Zeit des Navalismus um die Jahrhundertwende so populären Idee der Seemacht als Schlüssel zur Weltmacht längst entfernt hatte. Der britische Geograph Halford J. Mackinder erklärte bereits 1904, dass die neuen leistungsfähigen Eisenbahnverbindungen den jahrhundertealten Vorteil des Seetransports über den Landtransport aufhöben und damit auch die Dominanz der Seemacht über die Landmacht.5 Zur Eisenbahn kam bald die Luftfahrt hinzu. Um 1910 konnte man bereits in populären Zukunftsentwürfen von künftigen Kriegen lesen, in denen Luftschiffe über die gewaltigen Schlachtflotten triumphierten, die wenige Jahre zuvor noch als ultimativer Maßstab staat­ licher Macht gegolten hatten.6 Der tatsächliche Verlauf des Ersten Weltkrieges bestätigte derartige Szenarien, die heute an Pearl Harbor denken lassen, noch nicht, trug aber zur Entzauberung des Seemachtskonzepts in Deutschland bei. In der NS-Zeit griff Carl Schmitt in der geschichtsphilosophischen Erzählung „Land und Meer“, aber auch in zwei wissenschaftlich gehaltenen Texten, diese Gedanken auf.7 Schmitt schrieb zwar enthusiastisch über das Meer und die Seeherrschaft, er sah die Epoche der Seemächte jedoch schon als überwunden an. Die Entwicklung von Verbrennungsmotoren, Luftfahrt und Funktechnik hob für Schmitt in einer neuen „planetarischen Raumrevolution“ die bisherige Trennung der Welt in Land und Meer auf. Damit entfalle auch die Grundlage für die globale Vorherrschaft der Seemacht, womit in diesem Kontext stets Großbritannien gemeint war, und der Weg zur Hegemonie der Kontinentalmacht Deutschland sei frei.8 Die Vorstellung, dass die (deutsche) Luftmacht den Vorteil der britischen Insellage und 5  Halford J.Mackinder, The Geographical Pivot of History, in: The Geographical Journal, Vol. XXIII, 4 (April 1904), S. 421–444. 6  Rudolf Martin, Der Krieg in 100 Jahren, in: Arthur Brehmer (Hrsg.), Die Welt in 100 Jahren, Berlin 1910 (Nachdruck Hildesheim / Zürich / New York 1988), S. 63– 76; Frederik Wolworth Brown, Die Schlacht von Lowestoft, in: ebd., S. 91–104. 7  Schmitt, Land und Meer; ders., Das Meer gegen das Land, in: ders., Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg., mit einem Vorwort. u. Anmerkungen versehen von Günter Maschke, Berlin 1995, S. 395–398 (zuerst in: „Das Reich“, 9.3.1941, S. 1–2); ders., Staatliche Souveränität und freies Meer. Über den Gegensatz von Land und Meer im Völkerrecht der Neuzeit, in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S. 401–430 (zuerst in: Fritz Hartung u. a., Das Reich und Europa, Leipzig 1941, S. 79–105). s. a.: van Laak, Von Alfred T. Mahan zu Carl Schmitt. 8  Dass Deutschland unter den neuen Umständen in dem damals gegenwärtigen Zweiten Weltkrieg Großbritannien als Hegemon beerben werde, deutet Schmitt in zwei dieser drei Texte nur an. Deutlich ausgesprochen dagegen in: Schmitt, Staatliche Souveränität und freies Meer, S. 422.



I. Das unerschöpfliche Meer391

Seeherrschaft entwerte, beschränkte sich nicht auf das Denken Schmitts, sondern stellte eine gängige Überzeugung in der geopolitischen Literatur der NS-Zeit dar.9 Wie der Blick auf Schmitt und andere Autoren zeigt, stand die verstärkte wirtschaftliche Nutzung des Meeres in den Vorkriegsjahren somit beziehungslos neben dem deutschen geopolitischen Denken dieser Zeit, das dem Meer überwiegend keine besondere Bedeutung mehr zuwies. Lediglich bis Mitte der 1930er Jahre finden sich gelegentlich in Texten, die für Fischerei und Walfang warben, vereinzelte Verweise auf die bereits weitgehend außer Mode geratenen Begriffe „See-“ oder „Weltgeltung“ (siehe Kap. C. I.). Ende des 19. Jahrhunderts dagegen fuhr die Entstehung der deutschen Hochsee­ fischerei noch im Kielwasser einer starken öffentlichen und staatlichen ­Aufmerksamkeit für Kriegsflotte und Handelsmarine (siehe Kap. D. I. 1.). Die Rolle, die der Fischerei im Vierjahresplan für die Eiweißversorgung zugedacht war, besaß eine gewisse Plausibilität. Es kann nicht von einem von vornherein hybriden und realitätsfremden Projekt gesprochen werden. Hierfür spricht auch, dass Japan etwa zeitgleich in einer in ähnlichem Maße von Devisenmangel geprägten Aufrüstungsphase ebenfalls die Ausbeutung mariner biologischer Ressourcen intensivierte. Da Fisch in der japanischen Ernährung bereits einen sehr hohen Stellenwert besaß, diente der Ausbau der Hochseefischerei vor allem dazu, den Export in die USA zu steigern. Der antarktische Walfang Japans produzierte Walfleisch für die eigene Bevölkerung, während das Öl überwiegend in den Export, nicht zuletzt nach Deutschland ging. Im Unterschied zu Deutschland dienten die japanischen Investitionen in diesen Bereich also nicht dazu, Außenhandel zu reduzieren, sondern auszubauen.10 In vielen Veröffentlichungen der NS-Zeit zu diesem Thema wird allerdings über das tatsächliche ökonomische Potential hinaus ein utopischer Überschuss erkennbar. Die scheinbar unendliche Weite des Meeres verleitete zu dieser Zeit – ebenso wie zuvor und später – Autoren dazu, ein gleichermaßen unbeschränktes, grenzenloses Potential mariner Ressourcen zu imaginieren. Angesichts der vorgestellten Unendlichkeit dieses Raumes fiel es leicht, die Endlichkeit und Begrenztheit vieler Ressourcen auszublenden. 9  Vgl.: Otto Graf, Imperium Britannicum. Vom Inselstaat zum Weltreich, Leipzig 1937, S. 301: „Der Wert der Flottenüberlegenheit hat sich verändert. Die Lufthornissenschwärme stören die bisher unumschränkte Herrschaft der See-Elefanten“; Johannes Stoye, Das Britische Weltreich. Sein Gefüge und seine Probleme, 2. Aufl. München 1937, S. 329: „Denn seit dem Kriege ist England vom geopolitischen Standpunkt aus gesehen keine Insel mehr“; Wulf Siewert, Krise der britischen Seemacht, in: Zeitschrift für Geopolitik, 18 (1941), 1, S. 1–4; Hans Niemetz, Die Geopolitik der Luftwaffe, in: Zeitschrift für Geopolitik, 18 (1941), 2, S. 381–388. 10  Tsutsui, Landscapes, S. 298.

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F. Schlussbetrachtung

Gleiches galt für die Möglichkeit von Konflikten zwischen konkurrierenden Nutzern mariner Ressourcen, von der man bei der Vorstellung einer deutschen Kolonie im Meer vollkommen absah. Die Realität zeigte demgegenüber meist sehr bald, dass die für eine wirtschaftliche Nutzung interessanten Räume auch in den scheinbar endlosen Ozeanen ebenso wie die dort befindlichen Ressourcen begrenzt sind. Solche Vorstellungen der Endlosigkeit des Meeres sind keinesfalls auf die 1930er Jahre oder Deutschland begrenzt, aber eventuell konnten sie in einer traditionell wenig maritimen Nation wie Deutschland leichter Fuß fassen als in Ländern, in denen die Nutzung des Meeres von jeher präsenter und selbstverständlicher gewesen ist. In Deutschland waren schon die Marinebegeisterung im Wilhelminismus der Jahrhundertwende aber auch im Vormärz und 1848 mit utopischen Vorstellungen des Meeres und seiner, in diesem Fall politischen Nutzung verbunden. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts trieben die Vorstellung unerschöpflicher Ressourcen und einer darauf aufbauenden neuen Weltwirtschaftsordnung auf der internationalen Ebene das Projekt des Tiefseebergbaus voran.11 Zu dem im Kontext von Fischerei und Walfang in der NS-Zeit immer wiederkehrenden Bild vom Meer als deutscher Kolonie scheint die deutsche Bereitschaft, sich an multilateralen Abkommen zu beteiligen, zunächst im Widerspruch zu stehen. Deutschlands Eintritt in den Walfang bildete den Anlass für das Londoner Abkommen zur Regelung des Walfangs von 1937 und der Folgekonferenz 1938. Die deutsche Regierung saß von Beginn an mit am Verhandlungstisch und setzte die Bestimmungen des Abkommens umgehend in das eigene Recht um [siehe Kap. D. IV. 4. a)]. Das ebenfalls 1937 in London unterzeichnete Fischereiabkommen („Convention on the Regulation of Meshes of Fishing Nets and Size Limits of Fish“) entfaltete dagegen keine praktische Bedeutung mehr, da die meisten Unterzeichnerstaaten einschließlich Deutschlands es bis Kriegsbeginn nicht mehr ratifizierten [siehe Kap. D. III. 1. e)]. Bei der Unterzeichnung galt das Abkommen unter Fischereiwissenschaftlern jedoch als Durchbruch auf dem Weg zu einer rationalen Bewirtschaftung der Fischbestände. Diese Kooperationsbereitschaft bildet gewissermaßen einen Kontrast zu der aggressiven, Besitz ergreifenden Rhetorik. Allerdings schloss das nationalsozialistische Regime trotz des demonstrativen Austritts aus dem Völkerbund im Oktober 1933 später auf verschiedenen Gebieten bilaterale und multilaterale Abkommen, wie z. B. das deutsch-britische Flottenabkommen von 1935, auch wenn es sich in vielen Fällen nicht an den Grundsatz des pacta sunt servanda gebunden fühlte. Somit sind die beiden Abkommen zu marinen biologischen 11  Vgl.: Ole Sparenberg, The Oceans: A Utopian Resource in the 20th Century, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv, 30 (2007), S. 407–418.



II. Die Zeit bis zum Krieg393

Ressourcen keine Sonderfälle. Hinter der Beteiligung am Londoner Walfang­ abkommen stand bei der Ministerialbürokratie die ernste Sorge, dass die gerade neu erschlossene Rohstoffquelle bald wieder versiegen könnte, wenn es zu einem ungeregelten Raubbau käme. Hinzu kam die Rücksichtsnahme auf das gute Verhältnis zu Norwegen, das Deutschland mit Blick auf die Walölimporte und andere wirtschaftliche Fragen nicht riskieren wollte. Daher war eine Übereinkunft mit den anderen am Walfang beteiligten Staaten unumgänglich. Bei dem Fischereiabkommen handelte es sich um eine eher technische und im Unterschied zu dem Walfangabkommen nur in Fachkreisen bekannte Vereinbarung, die der geplanten Expansion der deutschen Fischerei aber auch nicht im Wege stand. Internationale Bezüge ergaben sich hinsichtlich des deutschen Walfangs auch beim Schiffsmaterial, dem spezialisiertem Personal und den beteiligten Unternehmen. Obgleich der Öffentlichkeit gegenüber stets der deutsche Charakter des neuen Industriezweiges betont wurde, war man stark auf Personal und angekaufte oder gecharterte Schiffe aus Norwegen angewiesen, während der britisch-niederländische Konzern Unilever auf direktem und indirektem Weg hinter fünf der sieben für Deutschland fahrenden Walfangflotten stand. Ohne die Autarkiepolitik hätte es, wie an der Entwicklung vor 1933 und nach 1945 deutlich wurde, keinen deutschen Walfang gegeben, jedoch bestanden auch in der NS-Zeit vielfältige internationale Verflechtungen auf diesem Gebiet.

II. Die Zeit bis zum Krieg Ein Punkt, der im Rückblick auf Hochseefischerei und Walfang der NSZeit ins Auge springt, ist die Tatsache, dass beide Wirtschaftsformen nur im Frieden betrieben werden konnten. Nicht zuletzt durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges war schon den Zeitgenossen bewusst, dass in einem Konflikt mit jeder größeren Seemacht Deutschland der Zugang zur hohen See zumindest für die zivile Schifffahrt versperrt sein würde. Indem sie halfen, Importe zu vermindern und somit Devisen zu sparen, boten Hochseefischerei und Walfang Lösungen für die Probleme der Autarkiewirtschaft in Friedenszeiten; im Krieg waren die in diesen Bereichen getätigten Investitionen allerdings weitgehend wertlos (siehe Kap. E. I.). Ein nennenswerter Beitrag zur Kriegswirtschaft war von der Nutzung mariner Ressourcen somit nicht zu erwarten. Die bekannteren Großprojekte des Vierjahresplans zur Importsubstitution (Kautschuk- und Benzinsynthese sowie der Eisenerzabbau bei Salzgitter) versprachen dagegen, sowohl in der Vorkriegszeit Devisen einzusparen als auch im Kriegsfall unter Blockadebedingungen die Versorgung sicherzustellen. Zumindest bei einigen Syntheseprojekten trat

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F. Schlussbetrachtung

angesichts der gewaltigen Investitionskosten die Bedeutung der Devisenfrage eindeutig hinter dem Aspekt der Blockadesicherheit im Kriegsfall zurück.12 Angesichts der omnipräsenten Erinnerungen an die Blockade im Ersten Weltkrieg, und da für die Spitzen des Regimes nur das „Wann“ und nicht das „Ob“ eines neuen großen Krieges in Frage stand, war die Schwerpunktsetzung auf den Kriegsfall nur folgerichtig. Hingegen passen die Investitionen in die nicht-blockadesichere Nutzung mariner Ressourcen nicht in dieses Bild. Diese Investitionen stellten keine zu vernachlässigende Größenordnung dar. In den verschiedenen Entwürfen zum Vierjahresplan bildeten die Ausgaben für „Wasserstraßen, Hafen- und Schiffbau“ mit je nach Entwurf 16– 21,2 % Anteil an den Gesamtausgaben stets den zweit- oder drittgrößten Einzelposten. Allerdings waren in diesem Posten in einer Höhe von 1.567 Mill. RM (Entwurf vom Mai 1937) neben Fischerei und Walfang auch andere Ausgaben für die See- und Binnenschifffahrt enthalten.13 Im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch ist die Frage nahe liegend, welchen Zeithorizont die Verantwortlichen vor Augen hatten, als sie in Hochseefischerei und Walfang investierten. Die Frage stellt sich insbesondere beim Walfang, da Deutschland hier insgesamt nur für drei Saisons (1936 / 37 bis 1938 / 39) aktiv war. Die großen, 1937 vom Stapel gelaufenen Neubauten Unitas und Walter Rau fuhren nur zwei und das noch 1938 angekaufte Kochereischiff Wikinger sogar nur eine Fangzeit für Deutschland. Im März 1935, als die staatlichen Stellen dem Walfang noch skeptisch gegenüber standen, ging ein Vertreter des Reichsernährungsministeriums davon aus, dass die Abschreibung von Walfangflotten mindestens zehn Jahre in Anspruch nähme.14 Angesichts des großen Mangels an Fetten und Ölen traten herkömmliche Rentabilitätsüberlegungen allerdings in den Hintergrund gegenüber der Aussicht, Zugriff auf den knappen Rohstoff zu bekommen. Überdies waren die Walfangflotten teilweise mit Unilevers Sperrmark finanziert, für die es innerhalb Deutschlands nicht viele lohnende Anlagemöglichkeiten gab. Aber auch die deutschen Unternehmen akkumulierten nach 1933 durch den Rückgang der ausländischen Konkurrenz, steigende Preise und Nachfrage sowie 12  So für die Fettsynthese und Buna: Pelzer-Reith / Reith, Fett aus Kohle, S. 200; Petzina, Autarkiepolitik, S.  84 f. 13  Tooze, Wages of Destruction, S. 226; Petzina, Autarkiepolitik, S.  83 f., 89 f. Zum Vergleich: Die Posten „Buna“ und „Mineralöl“ schlugen mit 687 bzw. 1.989 Mill. RM zu Buche. 14  BA R-2  /  18357, „Der Reichs- und Preußische Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Vermerk über die Sitzung vom 14. März 1935 zu der Frage der Errichtung deutscher Walfangunternehmen“, März 1935.



II. Die Zeit bis zum Krieg395

stabile Löhne große finanzielle Reserven, die sie aufgrund gesetzlicher Bestimmungen fast nur für Investitionen im eigenen Unternehmen verwenden konnten.15 Es stand somit auf Seiten der Unternehmen reichlich Kapital zur Verfügung, um auch unkonventionellere und riskantere Investitionen wie den Bau einer Walfangflotte zu tätigen. Nicht reichlich zur Verfügung standen jedoch Stahl und andere für den Bau der Schiffe benötigte Rohstoffe. Freie Kapazitäten auf den Werften waren in der zweiten Hälfte der 1930er ebenfalls zunehmend knapp. Die Kosten für die gebrauchten Schiffe und für die Besatzungsmitglieder aus Norwegen konnten zwar devisenfrei über Clearing beglichen werden, aber hierfür musste Deutschland im Gegenzug hochwertige Industriegüter liefern. Die Walfangflotten stellten somit volkswirtschaftlich gesehen in jedem Fall bedeutende Investitionen dar, da sie knappe Ressourcen in Anspruch nahmen. Wenn es nur darum gegangen wäre, die Versorgung mit Fettrohstoffen für wenige Jahre bis zum Ausbruch des Krieges zu sichern, wäre es wahrscheinlich günstiger gewesen, statt der Walfangschiffe beispielsweise Tanker zu bauen und diese im Clearingverkehr gegen Walöl zu tauschen oder Schiffe gegen Devisen zu verkaufen und anschließend Ölsaaten auf dem Weltmarkt zu erwerben. Ungeachtet der internen, sehr konkreten Kriegspläne in der Spitze des Regimes, wie sie etwa in der Vierjahresplan-Denkschrift und der HoßbachNiederschrift zum Ausdruck kamen, gingen die in der Industrie und der Ministerialbürokratie für den Aufbau der Walfangflotten Verantwortlichen offenbar davon aus, viele Jahre in der Antarktis Wale jagen zu können. Das Stabsamt des Reichsbauernführers ging 1938 bei der Berechnung von verschiedenen Szenarien für die Fettversorgung im Jahr 1942 ebenfalls noch von einem deutschen Walfang zu diesem Zeitpunkt aus [siehe Kap. D. IV. 5. b)], und auch die deutsche Beteiligung am Londoner Walfangabkommen 1937 spricht für ein langfristiges Interesse an der Nutzung der Ressource [siehe Kap. D. IV. 4. a)]. Die Politik der verstärkten Nutzung mariner biologischer Ressourcen als partieller Ersatz von Agrarprodukten war in Deutschland nur aus der (Devisen-)Not der Vorkriegsjahre geboren worden, aber dennoch gab es im Krieg durchaus Pläne, auch nach einem (siegreichen) Ende des Konfliktes diesen Kurs weiter zu verfolgen. Maßgebliche Kreise der deutschen Ernährungswirtschaft gingen davon aus, dass die Zeit nach dem Sieg weiterhin von einem Fleisch- und Fettmangel geprägt sein würde, so dass Hochsee­ 15  Tooze, Wages of Destruction, S. 109. Die Möglichkeit, Profite an die Aktionäre auszuschütten, war im Frühjahr 1934 staatlich begrenzt worden. Ziel dieser Regelung war es, die Gewinne in Richtung Rüstung und Autarkie bezogener Investitionen zu lenken.

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F. Schlussbetrachtung

fischerei und Walfang ihre in den Vorkriegsjahren erworbene Bedeutung für die deutsche Ernährungswirtschaft beibehalten würden (siehe Kap. E. I.). Insofern mögen die in diesen Bereichen getätigten Investitionen den Zeitgenossen bei Kriegsausbruch nicht als verloren erschienen sein. Obwohl dieser Punkt für die Akteure in den 1930er Jahren selbstverständlich keine Rolle spielen konnte, kann man heute fragen, ob die vor dem Krieg in Walfang und Hochseefischerei getätigten Investitionen die Grundlagen für die Nachkriegsentwicklung legten oder diese nennenswert beeinflussten. Für die gesamte deutsche Rüstungswirtschaft und den Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft hat Werner Abelshauser von einem solchen Zusammenhang gesprochen. Ihm zufolge seien in der Aufrüstungs- und Kriegszeit unter dem Nationalsozialismus wichtige Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg der Nachkriegszeit gelegt worden. Die Industriezweige, die am meisten von der Aufrüstung profitierten, hätten auch die Grundlage für das Wirtschaftswachstum nach 1945 gelegt, da sie trotz aller Kriegszerstörungen nach der Kapitulation immer noch über mehr und modernere Maschinen und Anlagen verfügten als zu Beginn der 1930er Jahre.16 Die These ist jedoch auf Widerspruch gestoßen.17 Die Beispiele von Hochseefischerei und Walfang – zwei sicherlich nicht für die Gesamtwirtschaft repräsentative Industrien – können zumindest Abelshausers These nicht bestätigen. Die in der NS-Zeit für Fischerei und Walfang gebauten Schiffe, die den Großteil des Kapitalstocks der entsprechenden Unternehmen bildeten, überlebten den Krieg ganz überwiegend nicht oder wurden von den Siegermächten beansprucht, so dass sie für den Wiederaufbau in Deutschland nicht zur Verfügung standen. Von den deutschen Walfangflotten der NS-Zeit blieb nur das Humankapital. Die erfahrenen Besatzungen aber auch die Reedereiangestellten nutzte daher in den 1950er Jahren Onassis für die Olympic Challenger-Flotte, ohne dass dies für die westdeutsche Fettwirtschaft oder Seeschifffahrt eine größere Bedeutung gehabt hätte. Da es nach dem Krieg keinen deutschen Walfang mehr gab, blieben auch technische Innovationen aus der Vorkriegszeit für Deutschland folgenlos. Im Fall der Hochseefischerei wirken die im Vierjahresplan verfolgten Entwicklungen hin zu Fang-Fabrikschiffen, Tiefkühltechnik und der Nutzung weiter entfernter Fanggründe rückblickend modern, da diese Trends tatsächlich nach dem Krieg die Fischwirtschaft in beiden deutschen Staaten 16  Abelshauser,

Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder, S. 535 f., 538. Wirtschaftsentwicklung, S. 653, 662 f. Buchheim spricht für die NS-Zeit von einem deformierten Wachstum und hält es für wahrscheinlich, dass ohne die NS-Herrschaft bereits 1933 und nicht erst 1948 eine lang anhaltende Phase mit hohem Wachstum und steigendem Lebensstandard eingesetzt hätte. 17  Buchheim,



III. Absatz und Verbraucherakzeptanz als Grenze397

prägten. Allerdings handelte es sich um Entwicklungen, die bereits vor 1933 angestoßen worden waren: Versuchsfahrten über Island und die Barentssee hinaus unternahmen deutsche Fischdampfer schon in den 1920er Jahren. Mit der Volkswohl entstand bereits 1929 ein, wenn auch erfolgloser, Trawler mit Tiefkühleinrichtung [siehe Kap. D. III. 1. f)]. Nach dem Krieg knüpfte die Hochseefischerei nicht nahtlos an die Entwicklungslinien unter dem Vierjahresplan an, sondern begann erst ab 1957 in der Bundesrepublik und ab 1960 in der DDR allmählich Fang-Fabrikschiffe einzuführen (siehe Kap. E. II.). Überdies blieben die meisten Vorhaben der Fischwirtschaft vor 1939 noch im Projektstadium. Eine Tiefkühlwirtschaft bezogen auf Fisch entstand im großen Maßstab erst im besetzten Norwegen (siehe Kap. E. I. 1.). Die dort errichteten Anlagen wurden nach 1945 auch von der norwegischen Fischwirtschaft überwiegend nicht weiter verwendet. Die in der Autarkiewirtschaft entwickelten Ersatzprodukte auf Fischbasis konnten sich, obwohl das „Wiking-Eiweiß“ noch Ende der 1940er Jahre erhältlich war, auf dem freien Markt der Bundesrepublik nicht halten. Die mit hohem Aufwand betriebene „Seefischpropaganda“ und Verbrauchslenkung haben zudem keinen erkennbaren Einfluss auf die deutschen Ernährungsgewohnheiten hinterlassen.

III. Absatz und Verbraucherakzeptanz als Grenze Bevor der Kriegsbeginn Walfang und Hochseefischerei ein Ende setzte, stieß die Nutzung mariner Ressourcen als Teil der Autarkiepolitik bereits auf deutliche Grenzen. Obgleich Fischerei und Walfang keineswegs nachhaltig betrieben wurden und das Versprechen unerschöpflicher Ressourcen utopisch war, scheiterte diese Politik nicht an ökologischen Hindernissen. Eine Steigerung der Produktion der Hochseefischerei (eingeschränkt auch des Walfangs) war bis 1939 möglich und blieb auch noch nach dem Krieg lange Zeit möglich (siehe Kap. E. II.). Freilich konnte diese Steigerung nur durch einen erhöhten technologischen Aufwand und die Erschließung immer neuer Fanggründe erreicht werden. Es handelte sich somit in aller Regel letztlich um Raubbau, aber die Nutzung stets neuer, noch produktiver Bestände und die Effizienzsteigerung beim Fang verhinderten, dass die Erträge einbrachen. Der Mangel an Material und Arbeitskräften erschwerte die Expansion der deutschen Hochseefischerei im Vierjahresplan, hierin lagen aber keine unüberwindlichen Hindernisse [siehe Kap. D. III. g) u. h)]. Aus dem Widerstand oder der Konkurrenz anderer Interessengruppen und aus dem polykratischen Chaos des Regimes gingen ebenfalls keine entscheidenden Hindernisse hervor. Landwirtschaftliche Interessen bildeten zwar seit den 1920er Jahren einen starken Gegner aller Walfang-Projekte in

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F. Schlussbetrachtung

Deutschland, da die Milchbauern in dem Walöl als Margarinerohstoff eine Gefahr für ihren Butterabsatz sahen (siehe Kap. D. II. 2.); allerdings schwand nach 1933 dieser Widerstand – oder das Verständnis hierfür auf staatlicher Seite – in dem Maße, in dem sich die „Fettlücke“ durch den Devisenmangel immer weiter auftat. Da die Nachfrage nach Fetten das Angebot weit übertraf, verlor die Konkurrenz von Butter und Margarine an Bedeutung, zumal staatliche Maßnahmen seit der Weltwirtschaftskrise den Margarinemarkt stark reguliert hatten. Im Fall der Hochseefischerei trat die Landwirtschaft anlässlich der ersten Fischtage 1933 ebenfalls als durchsetzungsfähigerer Konkurrent auf, der das Ende dieser Werbemaßnahme für die Fischerei bewirkte. Aber auch hier schwand der Gegensatz beider Branchen angesichts des zunehmenden Fleischmangels, und der zweite Anlauf zur Einführung von Fischtagen wurde 1936 vom Reichsnährstand, also den Vertretern der Landwirtschaft, mitgetragen [siehe Kap. D. III. 2. e)]. Die Hochseefischerei besaß zudem spätestens ab 1936 die Unterstützung von Hermann Göring, R. Walther Darré und Herbert Backe, die die entscheidenden Figuren in der Ernährungswirtschaft darstellten (siehe Kap. C. III.). Das Hauptproblem, das das gesamte Vorhaben in Frage stellte, bildete dagegen eindeutig der unzureichende Absatz von Fisch, in erster Linie also die zu geringe Akzeptanz durch den Verbraucher (siehe Kap. D. III. 2.). So kam es zu der paradoxen Situation, dass in der schon zu Friedenszeiten von Versorgungsschwierigkeiten geprägten Ernährungswirtschaft der NS-Zeit ein Überangebot an Fisch herrschte. Auch wenn Fleisch und Fett Mangelwaren darstellten, wich der Verbraucher nur widerwillig und in unzureichendem Maße auf Fisch aus. Trotz umfangreicher Verbrauchslenkung, der Preisgestaltung und dem Ausbau des Einzelhandels blieb die Absatzfrage bis Kriegsbeginn das bestimmende Problem. Die Statistik verzeichnete zwar durchaus einen Anstieg des Pro-Kopf-Verbrauchs, dieser blieb aber weit unter den Vorgaben und ging überdies in hohem Maße auf den verordneten Konsum bei der Wehrmacht und anderen Formen der Gemeinschaftsverpflegung zurück. Während Fleisch und Fett in der von Hartmut Berghoff vorgenommen Einteilung der nationalsozialistischen Konsumpolitik zum Bereich des „unterdrückten Konsums“ zählten, ist Fisch ein Beispiel für den „forcierten Konsum“.18 Im Unterschied zu beispielsweise Möbeln oder Elektrogeräten, die von der Bevölkerung stets prinzipiell nachgefragt wurden und deren Anschaffung der NS-Staat vor dem Krieg förderte, um private Kaufkraft 18  Berghoff, Methoden der Verbrauchslenkung, S. 284–289. Neben dem forcierten und unterdrückten Konsum wird hier noch der virtuelle Konsum unterschieden, der nicht real sondern nur als Versprechen auf die Zukunft existierte, wie z. B. der „KdF-Wagen“.



III. Absatz und Verbraucherakzeptanz als Grenze399

abzuschöpfen, diente Fisch allerdings als Ersatz für gewohnte und vertraute Produkte. Der „Segen des Meeres“ stieß bei den Konsumenten daher überwiegend auf wenig Nachfrage. Vergleichbare Fälle von Absatzproblemen in der Mangelwirtschaft, bei denen die Verbraucher Lebensmittel nicht annahmen, stellten, wenn auch in kleinerem Maßstab, Soja und südländische Gemüsearten dar. Soja wurde in der NS-Zeit zunächst als Ölpflanze, dann vor allem als Eiweißlieferant in den Blick genommen. Die Bevölkerung lehnte Sojamehl, das ab 1937 auf dem Markt erschien, jedoch überwiegend ab, obwohl es rein physiologisch betrachtet als Proteinlieferant geeignet war, Fleisch und Eier zu ersetzen. Daher wurde Soja – wiederum ähnlich wie Fisch – viel in der Gemeinschaftsverpflegung und besonders in der Wehrmacht verwendet, für deren Versorgung im Krieg Sojamehl große Bedeutung besaß. Die Einführung auf dem zivilen Markt in Friedenszeiten erfolgte jedoch anders als bei Fisch von vornherein nur in geringem Umfang.19 Südländische Gemüsesorten wie Paprika und Auberginen lieferten in den ersten Kriegsjahren Deutschlands süd- und südosteuropäische Verbündete in erheblichen Mengen. Da die deutschen Hausfrauen und der Einzelhandel diese Gemüsesorten kaum kannten und keine Kenntnisse über die Zubereitung besaßen, sei die unverkäufliche Ware einem Bericht des Sicherheitsdienstes zufolge kistenweise im Rinnstein geendet.20 Ähnliche Berichte gab es vor dem Krieg über die Fischlieferungen des Winterhilfswerkes [siehe Kap. D. III. 2. i)]. Für den unzureichenden Fischabsatz – gemessen an den Anforderungen der Autarkiewirtschaft – gab es nahe liegende Gründe: Der Verzehr von Seefisch (mit Ausnahme von Salzhering) besaß fern der Küste kaum Tra­ dition – die Dampfhochseefischerei war erst seit den 1880er Jahren entstanden – und aufgrund der begrenzten Konservierungstechnik sowie des in vielen binnenländischen Regionen lückenhaften Netzes von Fischgeschäften war Fisch in hinreichender Qualität vielerorts kaum erhältlich. Dennoch lässt sich die Frage, warum Menschen an einer bestimmten Ernährungsweise festhalten, gewisse neue Nahrungsmittel bereitwillig annehmen und andere dagegen kaum essen wollen, häufig nicht restlos klären.21 Es bleibt „Geschmackssache“. 19  Drews,

Nazi-Bohne, S. 190 f., 285–287. Methoden der Verbrauchslenkung, S. 296. 21  „Wir wissen, um es in gedanklicher Verkürzung einprägsamer zu sagen, schon hinreichend genau, was und wie viel Menschen essen (bzw. essen sollten), aber nur wenig darüber, warum die Menschen das essen, was sie essen“; HansJürgen Teuteberg, Die Ernährung als psychosoziales Phänomen: Überlegungen zu einem verhaltenstheoretischen Bezugsrahmen, in: ders. / Günter Wiegelmann, Unsere 20  Berghoff,

400

F. Schlussbetrachtung

Das Hauptproblem bei allen staatlichen Versuchen, den Nahrungsmittelverbrauch zu lenken – sei es aus volks- bzw. wehrwirtschaftlichen Motiven wie in der NS-Zeit oder aus gesundheitlichen Gründen heute – bildet daher immer „der eigensinnig handelnde und essende Mensch.“22 Auch unter den Bedingungen der NS-Diktatur nahm daher die Wirksamkeit der staat­ lichen Verbrauchslenkung mit zunehmender Nähe zum Konsumenten ab.23 Eingriffe auf der Ebene der Rohstoffeinfuhr und des Produktionsprozesses waren vergleichsweise leicht durchzuführen, während sich die Menschen gegenüber Versuchen, ihre tägliche Ernährungspraxis zu ändern, widerspenstig zeigten. Im Fall der marinen Ressourcen bedeutete dies, dass der zunehmende Ersatz von importierten pflanzlichen Fetten und Ölen durch die verstärkte Verwendung von Walöl auf keine Schwierigkeiten stieß, da die Rohstoffe in den Margarinefabriken verarbeitet wurden und sich das Endprodukt hierdurch für den Verbraucher nicht merklich änderte. Ebenso war das aus Fisch hergestellte „Wiking-Eiweiß“ ein Erfolg: Nur Konditoreien und die Lebensmittelindustrie verwendeten es, und der Ersatz von Hühnereiern durch ein Fischprodukt wirkte sich offenbar tatsächlich geschmacklich nicht auf das Endprodukt aus, selbst auf feine Torten nicht. Wenn dagegen die Hausfrau Kabeljau oder Rotbarsch statt Schweinebraten auf den Tisch bringen sollte, bedeutete dies einen massiven Eingriff in die Ernährungsgewohnheiten der Familie, auch wenn in diesem Fall der Ersatz hinsichtlich des Nährwertes eventuell keinerlei Verschlechterung bedeutete (anders als beispielsweise die Substitution von Baumwolle durch Zellwolle in der Textilwirtschaft). Schon der Ernährungsexperte Wilhelm Ziegelmayer war sich 1936 bewusst, dass eine erfolgreiche Verbrauchslenkung im Sinne einer Verhaltens­ umstellung auch mit den Mitteln eines autoritären Staates kurzfristig kaum möglich war, sondern dass es eines längeren Atems bedürfe: „Es muß nun aber betont werden, dass mit Zwangseingriffen eine Umgestaltung der Verbrauchsgewohnheiten auf keinen Fall erreicht werden wird. Das geschieht nur – wie der Verfasser seit langen Jahren immer wieder hervorgehoben hat – durch eine Erziehung der jungen Generation.“24 Zur Lösung der akuten Probleme der deutschen Devisen- und Versorgungslage tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung, Münster 1986, S. 1–19, hier S. 2; s. a.: ders., Homo edens. Reflexionen zu einer neuen Kulturgeschichte des Essens, in: Historische Zeitschrift, 265 (1997), S. 1–28, hier S. 26. 22  Uwe Spiekermann, Historischer Wandel der Ernährungsziele in Deutschland – Ein Überblick, in: Ulrich Oltersdorf (Hrsg.), Ernährungsziele unsere Gesellschaft. Die Beiträge der Ernährungsverhaltenswissenschaft, Karlsruhe 2001, S. 97–112, hier S. 97. 23  Berghoff, Methoden der Verbrauchslenkung, S. 315. 24  Ziegelmayer, Rohstoff-Fragen (1936), S. 38.



IV. Kabeljau und Kanonen401

in den 1930er Jahren trug die Hoffnung auf kommende Generationen allerdings nichts bei. Die Verbrauchslenkung im NS-Staat stieß somit an Grenzen, da das Regime in Friedenszeiten nicht zu einer kriegsmäßigen Bewirtschaftung sämtlicher Güter – also eine Rationierung über ein Kartensystem etwa – übergehen wollte. Allerdings lässt sich aus der Tatsache, dass in der NS-Zeit an gewissen Merkmalen einer Marktwirtschaft festgehalten wurde, nicht schließen, dass der NS-Staat auf ökonomischem Gebiet ein schwacher Staat gewesen wäre. Über die seit dem Neuen Plan von 1934 umfassend ausgebaute Devisenbewirtschaftung hatte der Staat die gesamte Gütereinfuhr und damit indirekt alle Bereiche der Wirtschaft, die auf Importe angewiesen waren, unter seine Kontrolle gebracht. Darüber hinaus konnte der NS-Staat, wenn es ihm nötig schien, bereits vor dem Krieg auch gegenüber dem Endverbraucher zu einer direkten Rationierung knapper Güter übergehen, wie die Fettrationierung über Kundenlisten ab Januar 1937 zeigte (siehe Kap. B. II.).

IV. Kabeljau und Kanonen Das eigentlich Bemerkenswerte an der Verbrauchslenkung im Nahrungsmittelbereich ist jedoch nicht ihr Misserfolg. Bemerkenswert sind vielmehr die relativen Erfolge, und die Tatsache, dass das nationalsozialistische Regime mit solchen Ansprüchen an das Volk herantreten konnte. Das Regime konnte die Alternative „Butter oder Kanonen“ stellen bzw. die Umstellung auf Ersatzprodukte wie Fisch statt Fleisch fordern, ohne die Stimmung und Loyalität der Bevölkerung zu gefährden. Schon die Deutschland-Berichte der Sopade bemerkten über die Verbrauchslenkung 1937 resigniert: „Und das Volk lässt sich auch auf diesem Gebiet ‚lenken‘; nicht ganz ohne Widerstand, aber doch bereitwilliger, als man früher angenommen hätte. Gewiß: man hamstert, wo man kann, aber wo man nicht kann, findet man sich ab. Wenn das Volk genau nach dem Gegenteil von dem verlangen würde, was jeweils im amtlichen Küchenzettel vorgesehen ist, dann wäre es mit der Verbrauchslenkung bald nicht mehr weit her.“25 Wenn es um eigene Verpflegung ging, versuchte jeder, über oder auch unter dem Ladentisch weiterhin die gewohnte Mettwurst statt einer Fischwurst zu ergattern, und ebenso beklagte man sich über die Qualität vieler Ersatzprodukte. Dennoch untergrub das Murren und Hamstern nicht die Loyalität zum NS-Staat. Die für das Regime geltenden Sagbarkeitsregeln erlaubten es, Mangel und Versorgungslücken einzugestehen, ohne dass hiermit ein Gesichtsverlust 25  Deutschland-Berichte,

4 (1937), S. 133.

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F. Schlussbetrachtung

für Staat und Partei verbunden gewesen wäre. Vielmehr scheint in vielen dieser Äußerungen eine Art Stolz auf die eigene Armut durch. Das Sprechen über die Devisen- und Versorgungslage förderte eine Wagenburgmentalität, bei der man sich von Feinden und Widrigkeiten umgeben innen umso fester zusammenschloss. Das Regime konnte daher schon vor dem Krieg den Verzicht auf Gewohntes und die Umstellung auf Ungewohntes (wie Fisch) fordern, ohne dass die Mehrheit der Bevölkerung ihre Gefolgschaft aufgekündigt hätte. Die Bevölkerung nahm es nicht als Offenbarungseid einer gescheiterten Wirtschaftspolitik auf, wenn Göring im Oktober 1936 öffentlich verkündete, der neue Vierjahresplan bringe es mit sich, dass Fleisch knapp werden könne, aber für diesen Fall stünde genügend Fisch zur Verfügung.26 Dafür diene der Plan eben „der Sicherung der deutschen Ehre und der Sicherung des deutschen Lebens“, versicherte Göring seinen Zuhörern.27 Auch an anderen Stellen wurde ein zeitweiliger Fleischmangel keineswegs peinlich verschwiegen, sondern direkt angesprochen, auch wenn nur um Ersatzprodukte wie Fisch oder Quark zu bewerben [siehe Kap. D. III. 2. g)]. Diese Offenheit ist insofern bemerkenswert, da der Verfügbarkeit von Fleisch offenbar für die meisten Menschen ein hoher emotionaler und symbolischer Wert zukommt. In Polen und der Sowjetunion schlugen sich in den 1970 / 80er Jahren das Fleischangebot und die Länge der Schlangen vor den entsprechenden Geschäften direkt auf die politische Stimmung der Bevölkerung nieder, und die Staatsführungen nahmen daher hohe volkswirtschaft­ liche Kosten in Kauf, um den Fleischmarkt zu subventionieren und Futter­ getreide auf dem Weltmarkt einzukaufen. Dabei konnte von einer allgemeinen Unterernährung oder einem Proteinmangel in Polen und der UdSSR zu dieser Zeit keine Rede sein; die Bevölkerung legte nur größten Wert darauf, zu jeder Zeit soviel Fleisch kaufen zu dürfen, wie sie wollte.28 Fisch wurde in der NS-Zeit nicht nur mit Hinweisen auf Nährwert, Geschmack oder Preis beworben, also Vorteilen, die dem Verbraucher zugute kämen, sondern Anzeigen enthielten den ausdrücklichen Appell: „Deutscher, iß Fisch! Du sparst dem Reich Devisen.“29 Allgemein wurde in der NSZeit in der Hauswirtschaft ein Kult der Sparsamkeit entwickelt, der in erster Linie volkswirtschaftlich und nicht in Hinblick auf die Haushaltskasse begründet wurde. Dies betraf die intensive Beschäftigung mit der Dicke von 26  Göring,

Rede, S. 32. S. 31. 28  Zu diesem Beispiel und allgemein zur Kulturen und Epochen übergreifenden Präferenz des Menschen für Fleisch s.: Marvin Harris, Wohlgeschmack und Widerwillen. Die Rätsel der Nahrungstabus, 4. Aufl. Stuttgart 2005, S. 13 ff. 29  Deutschland-Berichte, 4 (1937), S. 383. 27  Ebd.,



IV. Kabeljau und Kanonen403

Kartoffelschalen und dem darin liegenden Einsparpotential ebenso wie das Sammeln von Ernterückständen, Küchenabfällen, Eicheln und Kastanien für die Schweinezucht, um somit die „Fettlücke“ zu schließen.30 Schließlich erging an die Hausfrauen die Forderung, Kochlöffel aus Metall statt Holz zu verwenden, da die hölzernen Fett aufsögen, das auf diese Weise der Volksernährung verloren ginge.31 Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Es blieb allerdings nicht bei diesen heute mitunter bizarr anmutenden Ratschlägen: Die 1936 / 37 eingeführte Rationierung von Butter und anderen Speisefetten stellte einen in Friedenszeiten beispiellosen Eingriff in die Ernährung der Bevölkerung dar. Dieser Eingriff betraf sowohl die Ebene der Konsumgewohnheiten als auch die Nährstoffversorgung der Bevölkerung. Hieran änderte auch nicht, dass das Regime sich bemüht zeigte, beispielsweise mittels „Fettverbilligungsscheinen“ den Mangel sozial gerecht zu verteilen. Der von Jörg Baten und Andrea Wagner festgestellte Rückgang des biologischen Lebensstandards in den Vorkriegsjahren sogar gegenüber der Zeit der Weltwirtschaftskrise ging ihnen zufolge auch auf derartige Auswirkungen der Autarkiepolitik auf den Ernährungssektor zurück.32 Die Konsumpolitik unter dem Nationalsozialismus war sicherlich inkohärent und erratisch. Ein in sich geschlossenes Konzept verhinderten das zunehmende polykratische Chaos widerstreitender Instanzen im Regime sowie nicht lösbare Zielkonflikte angesichts von maßlosen Zielen und begrenzten Ressourcen. Hinzu kamen ein Nachholeffekt durch bereits vor 1933 entstandene – aber durch die wirtschaftliche Lage aufgestaute – Konsumbedürfnisse sowie das Eigeninteresse der Privatwirtschaft, die immer den zivilen Markt im Auge behielt, da der Rüstungsboom nicht ewig andauern konnte.33 In einigen Bereichen lässt sich eine Ausweitung des Massenkonsums feststellen – beispielsweise bei Möbeln, Haushaltsgeräten und Tourismus –, aber in dem für die meisten Privathaushalte zentralen Bereich der Ernährungswirtschaft stellte das NS-Regime schon in Friedenszeiten eine das Volk fordernde Austeritätsdiktatur dar. Wenn die Jahre vor 1939 dennoch später von Menschen in lebensgeschichtlichen Interviews als die „guten 30  Hanse, Das neuzeitliche deutsche Kochbuch, S. 99; Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront, Die Öl- und Fettlücke, S. 1004. Vgl. für die gewerbliche Wirtschaft die in Kap. D. III. 1. g) angesprochenen Beispiele der Dosenschlüssel und Preishalternadeln. 31  Reagin, Sweeping the German Nation, S. 158. 32  Baten / Wagner, Mangelernährung, S. 123. Andere Ursachen bildeten die Vernachlässigung des öffentlichen Gesundheitswesens und Eingriffe in den Preismechanismus bei Agrarprodukten, die zu einer Marktdesintegration und damit einer schlechteren Versorgung der Großstädte führten. 33  Berghoff, Gefälligkeitsdiktatur, S. 516 f.

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F. Schlussbetrachtung

Jahre“ erinnert wurden, erklärt sich dies durch die vorangegangene Massenarbeitslosigkeit und den folgenden Weltkrieg, die in der Rückschau die beiden Bezugspunkte für das Urteil der Menschen bildeten.34 Diese Befunde über die Ernährungswirtschaft sind kaum in Einklang zu bringen mit dem von Tim Mason und Albert Speer gezeichneten Bild eines Regimes, das in ständiger Sorge vor einer neuen Novemberrevolution davor zurückschreckte, dem eigenen Volk Belastungen aufzulegen.35 Es lässt sich auch nicht bestätigen, dass sich die Machthaber in den 1930er Jahren an der „Formel ‚Kanonen und Butter‘ “ orientiert hätten, wie Werner Abelshauser annahm.36 In noch höherem Maße gilt dies für Götz Alys Vorstellung einer „Gefälligkeitsdiktatur“, in der „Stimmungspolitiker“ die Loyalität der Bevölkerung mit materiellen Wohltaten täglich neu erkauft hätten.37 Dass der Nationalsozialismus als eine „fordernde Diktatur“38 trotz aller Versorgungsmängel, Einschränkungen und Umstellungen bei einer breiten Mehrheit des deutschen Volkes auf Zustimmung oder wenigstens Passivität stieß, muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass materielle Entbehrungen für die Zeitgenossen keine neue Erfahrung darstellten. Schon im „Steckrübenwinter“ 1916 / 17, den Anfangsjahren der Weimarer Republik und in der Weltwirtschaftskrise hatte wirtschaftliche Not das Leben vieler Deutscher bestimmt.39 Demgegenüber rechnete man den auch im interna­ tionalen Vergleich relativ schnellen Rückgang der Arbeitslosigkeit dem Nationalsozialismus – wohl zu Unrecht40 – hoch an. Zudem produzierte die Diktatur, so Mark Spoerer, ungeachtet der materiellen Einschränkungen „immaterielle Kollektivgüter“ wie militärische Sicherheit bzw. Stärke, Gemeinschaftsgefühl und Nationalstolz, die für große Teile der Bevölkerung auch den Verlust essenzieller Grundrechte mehr als aufwogen.41 Adam Tooze ging noch einen Schritt weiter und stellte die These auf, dass Rüstung und Konsum im Deutschland der 1930er Jahre eigentlich keinen Gegensatz bildeten wie das Schlagwort „Kanonen oder Butter“ nahe legt. Vielmehr müsse man in der Aufrüstung als einer Form unproduktiver 34  Ulrich Herbert, „Die guten und die schlechten Zeiten.“ Überlegungen zur diachronen Analyse lebensgeschichtlicher Interviews, in: Lutz Niethammer (Hrsg.), „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll.“ Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet, 2. Aufl. Berlin u. a. 1986, S. 67–96, hier S. 92 f. 35  Vgl.: Mason, The Legacy of 1918, S. 226, 231; Speer, Erinnerungen, S. 229. 36  Abelshauser, Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder, S. 525. 37  Vgl.: Aly, Hitlers Volksstaat, S. 36. 38  Tooze, Stramme junge Männer, S. 51. 39  Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 73. 40  Buchheim, Natur des Wirtschaftsaufschwungs. 41  Spoerer, Demontage eines Mythos, S. 434.



IV. Kabeljau und Kanonen405

öffentlicher Ausgaben eine eigene Form kollektiven Konsums sehen. Auch wenn die zivilen Konsumgüter begrenzt waren, kamen viele junge Männer in der Wehrmacht zum ersten Mal mit den Errungenschaften der Moderne wie Radiotechnik, Automobilen und sogar Flugzeugen in Kontakt. Angesichts des von weiten Teilen der Bevölkerung getragenen Nationalismus und Militarismus sei die Aufrüstung eine höchst populäre Form des Massenkonsums gewesen, die nicht erst von oben gegen eine Bevölkerung durchgesetzt werden musste, die „Butter“ statt „Kanonen“ bevorzugt hätte.42 Man muss nicht soweit gehen, Aufrüstung und Konsum gleichzusetzen, aber die Außen- und Rüstungspolitik des Regimes war wesentlich für seine Popularität. Die Bevölkerung brachte daher auch Verständnis auf für die Eingriffe in ihre Konsumgewohnheiten und die Einschnitte in ihren Lebensstandard, die mit der Aufrüstungspolitik einhergingen. Dieses Verständnis hätte sicherlich nicht zeitlich unbegrenzt angehalten, aber es handelte sich von der Machtergreifung bis zum Kriegsbeginn nur um wenige Jahre, und innerhalb dieser kurzen Frist konnte die NS-Führung auf eine Serie von Erfolgen und – letztlich selbst geschaffenen – außenpolitischen Krisen verweisen, die vor dem Hintergrund des Militarismus und Nationalismus die Konsumeinschränkungen gerechtfertigt erscheinen ließen. Es handelte sich in den Augen der meisten Deutschen somit nicht um leere Versprechungen, für die Opfer eingefordert wurden, zumal das Regime eine nicht allzu ferne Zukunft in Aussicht stellte, in der sich die neu gewonnene Größe der Na­tion auch für die breite Mehrheit des Volkes in einem bisher nicht gekannten Lebensstandard hätte auszahlen sollen. Da jedoch ebenso wie heute mitunter eine Diskrepanz zwischen politischer Überzeugung und persönlichem Handeln als Verbraucher besteht, schloss das prinzipielle Einverständnis mit der staatlichen Konsumpolitik nicht aus, dass man bei seiner individuellen, konkreten Einkaufsentscheidung dann doch soweit wie eben möglich an den traditionellen, persönlichen Präferenzen festhielt, statt den Vorgaben der Verbrauchslenkung folgend Quark, Vollkornbrot oder eben Fisch zu wählen. Daher verhinderte die prinzipielle Akzeptanz von Konsumeinschränkungen und -umstellungen nicht, dass der anvisierte Beitrag der Fischerei zu einer tendenziell autarken deutschen Volksernährung in erster Linie an der mangelnden Nachfrage durch die eigenwilligen Verbraucher scheiterte, die sich beim Einkauf weiterhin sofern möglich nach ihren Vorlieben und Gewohnheiten richteten.

42  Tooze, Wages of Destruction, S. 162–165, 659; ders., Stramme junge Männer, S. 51.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BA) Staatsarchiv Hamburg (StAHH) Staatsarchiv Oldenburg (StAO) Unilever-Archiv Hamburg

II. Zeitschriften Bäcker-Zeitung für Nord-, West- und Mitteldeutschland Der Spiegel Deutsche Fischerei-Rundschau Deutsche Handels-Rundschau Deutsche Margarine-Zeitschrift Die Betriebsgemeinschaft Die Deutsche Fischwirtschaft Die Deutsche Volkswirtschaft Die Fischwirtschaft Die Genossenschaftsfamilie Die Umschau Die Zeitung Fische und Fischwaren Hansa. Deutsche Schiffahrtszeitschrift Kochpraxis & Gemeinschaftsverpflegung Köhlers illustrierter Flotten-Kalender Mehl und Brot Mitteilungen der Handelskammer Hamburg Mitteilungen des Deutschen Seefischerei-Vereins Molkerei-Zeitung Monatshefte für Fischerei



III. Nachschlagewerke407

Nauticus. Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen Neuer Vorwärts. Sozialdemokratisches Wochenblatt Reichs-Gesundheitsblatt Reichsgesetzblatt Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung Völkischer Beobachter Volksgesundheitswacht Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene Zeitschrift für Volksernährung

III. Nachschlagewerke Beythien, Adolf / Dreßler, Ernst (Hrsg.): Merck’s Warenlexikon für Handel, Industrie und Gewerbe, 7. Aufl., Leipzig 1920 (Nachdruck Waltrop / Leipzig 2004). Brockhaus’ Conversations-Lexikon. Allgemeine 16 Bde., 13. Aufl., Leipzig 1882 ff.

deutsche

Real-Enzyklopädie,

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434

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Namen- und Sachverzeichnis Absatzprobleme der Fischwirtschaft  114, 117, 190, 349, 397 Ahlf, Robert  62, 91, 93, 120, 165, 190, 239, 254 Alaska-Seelachs  374 A. L. Mohr GmbH  289 Alse  79 Altona  Siehe Hamburg Aluminium  175 Ambra  333 Andersen, Lars  266 Äquator (Schiff)  97 Arbeitslosigkeit  183 Azoren  362 Backe, Herbert  41, 44, 52, 63, 69, 89, 91, 151, 196, 230, 360, 364, 398 Bäckerei- und Konditoreigewerbe  244 Bäreninsel  116, 147 Barentssee  116, 147 Barten  128, 333 Baur, Erwin  281 Bergedorfer Eisenwerke AG  271 Binnenfischerei  68, 70 Birdseye, Clarence  166 Blaahval AS  292 Blohm & Voss  265 Blue Whale Unit (BWU)  380 Borgstrom, Georg  388 Brehm, Alfred  73, 74, 77, 83, 387 Bremerhaven  90, 105, 110, 111, 119, 182, 252, 277, 366, 371 –– Bremerhaven, Stadtgeschichte  106 –– Otto-Telschow-Stadt  187 Bremer Walfangkontor  307 Brinckmann & Mergell  271

Brüning, Heinrich  35 Buna  41, 253 Busse, Friedrich  91, 107 Busse-Ehrenmal  91 Byrd, Richard E.  328 C. A. Larsen (Schiff)  259, 269, 290, 315, 339, 378 Christiansen, Carl  85, 295, 364 Christiansen, Friedrich  295 Cuxhaven  110, 112, 182, 187, 189, 366, 371 Dänemark –– dänische Fischdampferbesatzungen  188 –– Fischerei unter deutscher Okkupation  355 Darré, R. Walther  41, 44, 64, 66, 89, 91, 94, 196, 204, 248, 268, 329, 398 Delespa (Delmenhorster Seifen- und Parfümfabrik)  308 Delius, Walter  91, 92 Delmenhorst  308 De Nordiske Fabriker (De-No-Fa)  298 Deschimag  272, 288 Deutsche Antarktische Expedition 1938/39  325 Deutsche Arbeitsfront  16, 187 Deutsche Demokratische Republik  374 Deutsche Hydrierwerke AG  279 Deutsche Lufthansa  326 Deutsche Ottesen GefrieranlagenLizenzgesellschaft  167 Deutscher Seefischerei-Verein  120, 138 Deutsches Frauenwerk  96, 216

436

Namen- und Sachverzeichnis

Devisenbewirtschaftung  33, 285, 297, 401 Deviseneinsparung  61, 82, 199, 214, 243, 251, 261, 263, 277, 285, 309, 386, 402 Dierks, August  93, 120, 145, 192, 225, 231, 277, 380 Dornier Wal (Flugboot)  326 Eichelbaum, Eberhard  69, 80 Eintopfsonntag  45, 215 Einzelhandel  202 –– Beschäftigte  206 –– Hygiene  205 Eis, Lagerung auf  110, 153, 161 Eisenbahn  113, 161, 164, 201, 218 Eiweißkonzentrat  Siehe Wiking-Eiweiß Eiweißversorgung  46 Emden  123, 366 Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft  257, 276, 323, 381 Erster Weltkrieg  117, 124, 240, 349, 393 Erzeugungsschlacht  44, 344 Fang-Fabrikschiff  171, 367, 374, 396 Färöer-Inseln  267, 272 Fasern aus Walspeck  332 Felten und Guillaume  265 Fetthärtung  134, 298 Fettsynthese  53 Fettversorgung  47, 261, 274, 341, 344, 360, 378, 394, 398, 403 –– Fettplan  48 –– Fettrationierung  49, 401, 403 Film  214 Finkenwerder  107, 110, 122, 182, 185, 246 Finnhval AS  292 Fischauktion  110, 218, 230 Fischbein  Siehe Barten Fischbratküche  204

Fischdampfer –– Besatzung  108, 182 –– Besatzungen, niederländische u. dänische  187 –– Bestand  178, 366 –– Bestand, Bundesrepublik  367 –– Einführung  107 –– Neubauten  177 –– Reedereien  371 Fischdampferreedereien  108, 119 –– Nordsee  Siehe Nordsee (Unternehmen) Fischeiweißkonzentrat  Siehe WikingEiweiß Fischereiabkommen  160 Fischereigrenze  369 Fischereikonflikte  369, 382 Fischfilet  236, 238, 248, 354, 367, 373 Fischindustrie  111, 112, 146, 173 –– Arbeitskräfte  188 –– Arbeitskräfte, ausländische  189 Fischkonserven  96, 111, 146, 173 –– Magerfischkonserven  174 Fischleder  13, 96, 250 Fischlehrküche  199, 213, 377 Fischmehl  148, 171, 228, 230, 247 Fischstäbchen  373, 377 Fischverbrauch  194, 388, 398 –– in der Bundesrepublik  372 –– Regionale Unterschiede  198 –– Saisonale Schwankungen  200, 228 Fischvergiftung  200 Fischwirtschaftliches Marketinginstitut (FIMA)  373 Fischwolle  96, 98, 249 Fischwurst  240, 373, 401 Fish Acreage  388 Fleischextrakt  333 Fleischversorgung  47, 64, 194, 230, 240, 349, 350, 360, 375, 377, 398, 402 Flottenbewegung  Siehe Navalismus Foyn, Svend  130, 137



Namen- und Sachverzeichnis437

Frank, Wolfgang  101, 102 Frankreich –– Fischerei unter deutscher Okkupation  356 Fried Fish („Fish ’n’ Chips“)  118, 204 Fuerteventura  150 Futtermittel  46, 63, 247, 264, 271, 330, 333, 360 Garnelen  121, 242 Geestemünde  Siehe Bremerhaven Glässel, Ernst  307 Glückstadt  123, 366 Goebbels, Joseph  14, 43, 235 Goldreserven  33 Göring, Hermann  38, 40, 53, 56, 64, 66, 67, 89, 90, 93, 95, 103, 166, 173, 231, 252, 286, 295, 304, 364, 398, 402 Granat  Siehe Garnelen Greenpeace  78 Grönland  116, 128, 369 Großbritannien –– deutsch-britisches Verhältnis  287 –– deutscher Fischexport nach Großbritannien  254 –– Fischverbrauch  197 Großküchen  233 Großraumwirtschaft  55 Haifischfang  97, 147 Hambros Bank  292 Hamburg  94, 107, 110, 112, 119, 182, 218, 222, 245, 366 Hamburg (Schiff)  170, 353 Hamburger Walfang-Kontor  259, 260, 290, 364 Hanseat (Partenreederei)  308 Harpunenkanone  130 Hartmann-Apparate  270 Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft  121, 213, 230 Hausfrauen  177, 189, 216, 217, 221

Heckfänger  367 Hector Whaling Company  288 Heincke, Friedrich  74 Heinrich Meins (Schiff)  368 Henkel & Cie.  101, 258, 263, 266, 274, 276, 284, 291, 300, 314, 315, 323, 336, 338, 339, 341, 364, 380, 381 Hering  72, 73, 174, 200, 230 Heringsfischerei  143, 180, 353 –– Große Heringsfischerei  122, 185, 192, 366 –– Trawlheringsfang  112, 116, 187, 228 Hildisch, Carl Dietrich  298 Hilter am Teutoburger Wald  280, 306 Hiltner, Peter Paul  82, 244 Hitler, Adolf  38, 62, 65, 90, 183 Hochseefischer-Ehrenmal  93 Hochseefischerei-Jubiläum, Wesermünde (1936)  90, 106, 185 Höger, Fritz  92, 93 Hoki  374 Hormone  332 Hoßbach-Niederschrift  42, 395 Hühnereier  243 Huxley, Thomas Henry  71 IG Farben  264, 362 Industrie- und Handelskammer Wesermünde  85, 192, 257, 260, 277, 306 International Council for the Explora­ tion of the Sea (ICES)  76, 159 International Whaling Commission (IWC)  383 Island  116, 147, 157, 369 –– Fischerei im Zweiten Weltkrieg  357 –– Fischereigrenze  157, 369, 376 Jan Wellem (Schiff)  101, 102, 258, 271, 315, 332, 336, 338, 339, 378 Jandía  150 Janssen, Albrecht  100, 127

438

Namen- und Sachverzeichnis

Japan –– Fischerei  391 –– Fischverbrauch  197 –– Walfang  269, 336, 362, 379, 384, 391 Joel, Georg  223 Jubiläum der Fischmärkte Hamburg und Altona (1937)  94, 216 Jurgens-van den Bergh Margarine Verkaufsunion  Siehe Unilever Kabeljau  72, 74, 114, 116, 174, 220, 230, 239, 353, 374, 400 Kabeljaukriege  157, 369, 376 Kältetechnisches Institut, TU Karlsruhe  169 Kampf dem Verderb  45 Kanarische Inseln  147, 150 Kartoffeln  199, 211, 248 Kaufmann, Karl  94, 218 Kehdingen (Schiff)  Siehe Volkswohl (Schiff) Kiel  366 Kircheiß, Carl  84, 90, 101, 126, 140 Kleine Hochseefischerei  122 Kochbücher  198, 211, 217, 383 Köhler Siehe Seelachs Kolonialismus  64, 154, 281, 387 –– ehemalige deutsche Kolonien  148 Konservendosen  111, 175, 352 –– Dosenschlüssel  175 Konzentrationslager  233 Krabben  Siehe Garnelen Krabbenwurst  242 Kraft durch Freude  19 Kraul, Otto  85, 101, 140, 326, 328, 339 Kraul-Berge  328 Kroboth, Rudolf  377 Krogmann, Carl Vincent  222 Kühlfisch AG  167 Küstenfischerei  121, 350

Lachs  72, 79, 238, 374 Lachsersatz in Öl  238 Lamarck, Jean-Baptiste de  71 Langnese  286 Lebensstandard  14 Leder –– aus Fischhaut  Siehe Fischleder –– aus Walhaut  332 Leer  123, 366 Leng  114, 116, 239 Logger  123, 193, 366 –– Kombinierte Logger  180 Loggerfischerei  Siehe Heringsfischerei Lopra  272 Luckner, Felix Graf von  140 Lupine  281 MacArthur, Douglas  379 Mackinder, Halford J.  390 Magermilch  211, 231, 246, 282 Maifisch  Siehe Alse Margarine  48, 135, 264, 282, 385, 398, 400 Margarine-Rohstoff-BeschaffungsGesellschaft  259, 292 Marokko  147, 149 Mège-Mourièrs, Hippolyte  135 Melville, Herman  129 Michelet, Jules  76, 88 Mohr & Co. GmbH  289 Montesquieu  71 Mosolff, Hans  150, 165, 169, 191, 204, 227 Müller, Leonhard R.  140, 258 Muscheln  121, 350 Navalismus  59, 88, 114, 301, 392 Neuer Plan  32, 34, 36, 273, 274, 401 Neuer Vorwärts  102, 175, 186 Neufisch (Schiff)  148, 249 Neufundland  115, 147, 148, 249, 369 Neuschwabenland  328



Namen- und Sachverzeichnis439

Neuss  280 Neußer Ölwerke AG  Siehe Walter Rau Norddeutscher Lloyd  307 Nordenham  112, 119 Nordsee (Unternehmen)  27, 62, 109, 113, 119, 120, 149, 152, 164, 167, 168, 170, 172, 203, 208, 223, 353 Normann, Wilhelm  134 Norwegen –– Ansprüche in der Antarktis  327 –– deutsch-norwegisches Verhältnis  265, 272, 274, 305, 393 –– Fischereigrenze  158 –– Fischerei unter deutscher Okkupation  351 –– norwegische Walfangbesatzungen  266, 267 –– Walfang  130, 343, 384 –– Walfanggesetze  312 NS-Frauenschaft  193, 216 Oesau, Wanda  323 Olaus Magnus  73 Oldenburg (Land)  112, 192, 223 Ole Wegger (Schiff)  363 Ölmühlen-Walfang-Konsortium  259, 293 Ölsaaten  264, 275, 318, 343, 346 Ölsardinen  356 Olympic Challenger (Schiff)  323, 381, 396 Onassis, Aristoteles  323, 378, 381, 396 Orwell, George  242 Ost-Hannover (Gau)  90, 221 Ottesen, A. J. A.  166 Pangasius  374 Pelagos (Schiff)  363 Persil  276 Peters, Nicolaus  85, 322 Pinguin (Schiff)  363 Posse, Hans-Ernst  364

Potsdamer Abkommen  378, 380 Preishalternadeln  176 Raps  53, 344 Rau, Walter  86, 101, 280, 306, 308  Siehe auch Walter Rau Reemtsma, Philipp  170, 353, 364 Reichsanstalt für Lebensmittelfrisch­ haltung  169 Reichsarbeitsdienst  193, 234, 336 Reichsfischwerbung GmbH  213 Reichsnährstand  27, 98, 120, 213, 224, 226 Reichsseefischausschuss  213 Reichsstelle für Öle und Fette  49, 269, 273, 282 Reichsstelle für Walforschung  64, 85, 322 Reserven der Reichsbank  33 Richard Ohlrogge (Schiff)  150, 156 Ritscher, Alfred  326 Robbenfang  96 Roloff, Wilhelm  169, 172 Rostock  375 Rotbarsch  114, 116, 201, 216, 220, 230, 239, 400 Röver, Carl  87, 90, 91, 192, 220, 303, 314, 329 –– Röver-Programm  268, 297, 303 Sagitta (Schiff)  106, 107 Salzhering  113, 122, 146, 352, 354, 367 –– Import  146, 193 –– Überangebot  192 Sassnitz  375 Schacht, Hjalmar  36, 38, 40, 299 Schellfisch  80, 116, 174, 220 Schenzinger, Karl Aloys  100 Schicht, Georg  286 Schimmelpilze  243 Schlesien  237 Schlienz, Walter  167 Schlotterhose  271

440

Namen- und Sachverzeichnis

Schmitt, Carl  87, 390 Schmitz & Loh AG  289 Schnakenbeck, Werner  118, 143, 149 Scholle  76, 219 Scholz-Klink, Gertrud  216 Schuhindustrie  250 Schwabenland (Schiff)  326 Schwammfischerei  97, 147 Schweiger-Lerchenfeld, Amand von  73 Seegeltung  262, 391 Seelachs  114, 116, 174, 220, 230, 238, 374 Seerecht  62, 157, 369, 382 Seezunge  122 Segen des Meeres (Fischerei- und Walfangausstellung, 1939)  94–98, 147, 245 Skytteren (Schiff)  259, 269, 271, 290, 315, 338, 339, 378 Soja  264, 330, 343, 346, 399 Solglimt (Schiff)  363 Sopade  28, 51, 98, 196, 198, 212, 230, 237, 242, 401 Speer, Albert  15, 363 Spermaceti  129 Spermöl  Siehe Walöl, Pottwalöl Spitzbergen  116, 128 Spongia (Schiff)  97 Sprotte  174 Stahl  42, 175, 180 Stahmer, Max  162, 170, 174, 176 Stedingsehre  307 Stockfisch  113, 239, 254, 352 Stör  79 Streik  186 Südgeorgien  132, 141, 311 Südmeer (Schiff)  259, 269, 292, 338, 378 Süßlupine  Siehe Lupine Svenska Handelsbanken  288 Sydis (Schiff)  Siehe Südmeer (Schiff) Telschow, Otto  89, 91, 92 Terje Viken (Schiff)  288

The Procter & Gamble Co.  284 The Southern Whaling and Sealing Company Ltd.  287 Thomas, Georg  15 Tiefkühlung  96, 153, 164, 229, 367, 373, 377, 396, 397 –– Birdseye-Verfahren  166, 168, 355 –– Heckermann-Verfahren  171 –– im Zweiten Weltkrieg  352 –– Ottesen-Verfahren  166, 168 –– Solo-Feinfrost  172, 353 Tirpitz, Alfred von  114 Tragedy of the Commons  312 Tran –– Fischtran  342, 361 –– Robbentran  342, 361 –– Waltran  128, 134  Siehe auch Walöl Trawler  Siehe Fischdampfer Trockeneis  164 Überfischung  24, 69, 143, 147, 366, 374, 376, 387 Überseemuseum, Bremen  98 Umweltgeschichte  20 Unilever  33, 84, 99, 109, 136, 139, 142, 172, 258, 259, 269, 274, 280, 282, 300, 314, 333, 339, 343, 353, 362, 363, 371, 378, 380, 393, 394 Unitas (Schiff)  259, 271, 287, 288, 332, 338, 378, 394 Unitas-Deutsche Walfang-Gesellschaft  259, 288, 364 United Whalers Ltd.  288 Universitäten  234 Vegesack  123, 366 Verband der deutschen Hochseefischereien  120, 166, 173, 177, 181, 182, 184, 186, 191 Verbrauchslenkung  45, 210 Versailler Vertrag  33 Vierjahresplan  13, 17, 32, 37, 95, 96, 174, 191, 197, 402 –– Hitlers Denkschrift  38, 62, 320, 395



Namen- und Sachverzeichnis441

Viking Corporation  293 Vikingen (Schiff)  Siehe Wikinger (Schiff) Viktoriasee-Barsch  374 Vitamine  332 Völkerbund  313, 314 Volkswohl (Schiff)  167, 249, 397 Vollkornbrot  211 von Oesterreich & Schmidt  308 Wagenführ, Rolf  363 Wale –– Blauwal  131, 316, 324, 333, 383, 384 –– Buckelwal  383 –– Finnwal  131, 316, 324, 333, 335, 384 –– Grauwal  321 –– Grönlandwal  128, 312 –– Nordkaper  312 –– Pottwal  129, 362, 384 –– Südkaper  312 –– Zwergwal  384 Walfangabkommen  311 –– Genfer Abkommen 1931  313 –– Internationales Übereinkommen zur Regelung des Walfangs 1946  380 –– Londoner Walfangabkommen 1937  86, 311, 392 Walfang-Ausschuss der Industrie- und Handelskammern deutscher Seestädte  379 Walfanggesetz, deutsches, 1937  321 Walfanginspektoren  322 Walfleisch  103, 299, 301, 334, 379, 383, 384 Walforschung, deutsche  322 Walmehl  261, 271, 330, 333 Walöl  48, 134, 330, 336, 361, 384, 385, 398, 400 –– Pottwalöl  129, 279, 338, 362, 384 –– Preisentwicklung  274, 342

Walrat  129 Walter Rau  257, 259, 266, 280, 332, 335, 339 Walter Rau (Schiff)  259, 271, 281, 306, 336, 338, 378, 384, 394 Walverarbeitungsanlagen  270 Wasserstoffperoxid  163 Wegener, Karl August  269, 319, 340, 346 Wehrmacht  192, 214, 232, 234, 256, 336, 354, 356, 405 Weißblech  175 Weser (Schiff)  170, 171, 368 Weser-Ems (Gau)  90, 192, 220 Wesermünde  Siehe Bremerhaven Wiking-Eiweiß  96, 182, 243, 400 Wikinger (Schiff)  260, 269, 293, 378, 394 Wilhelm II. (Deutscher Kaiser)  137 Willer, Alfred  356 Winter, Gustav  151, 157 Winterhilfswerk  16, 193, 235, 256, 399 Winterhoff, Edmund  26, 84, 262, 331, 333, 379 Wittling  116, 220 Wohlthat, Helmuth  266, 273, 282, 286, 291, 300, 304, 315, 319, 320, 326, 328, 340 Wohlthat-Massiv  328 Wohnungsbau  187 Wolgast, Ernst  298 Wurst  Siehe Fischwurst Zellwolle  41, 96, 181, 249, 286, 400 Ziegelmayer, Wilhelm  28, 53, 56, 82, 162, 165, 170, 173, 231, 234, 239, 340 Zinn  175 Zischka, Anton  100 Zucker  211 Zwangsarbeit  190, 350, 353