Schuldrecht des Burgerlichen Gesetzbuches [Reprint 2021 ed.]
 9783112447765, 9783112447758

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Grundrisse

Rechtswissenschaft Unter Mitarbeit der

Professoren Dr. v. Beling-München, Dr. Friedrich Ende­ mann-Heidelberg, Dr. Lans Fehr-Heidelberg, Dr. L. Gerland - Jena, Dr. Julius von Gierke-Lalle a. 6.„ Dr. Ledemann-Jena, Dr. Lehmann-Cöln a. Rh., Dr. FriSchulz-Göttingen, Dr. Freiherr von Schwerin - Freiburg i. B., Dr. Fritz Skier-Somlo-Cöln a. Rh. herausgegeben von den

Professoren Dr. Lans Fehr-Leidelberg, Dr. L. GerlandJena, Dr. Ledemann-Jena, Dr. Lehmann-Cöln a. Rh. und dem redattionellen Leiter Professor Dr. Fritz Skier-Somlo-Cöln a.Rh.

Zweiter Band

Berlin «nd Leipzig 1921

Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walker de Gruyker & Co. vormals G. I. Göschen'sche Verlag-Handlung :: I. Guttentag, Verlags­ buchhandlung :: Georg Reimer u Karl I. Trübner n Beit & Lowp.

Schuldrecht des

Bürgerlichen Gesetzbuches von

Dr. Justus Wilhelm Hedemann ordentlichem Professor der Rechte in Jena

Berlin und Leipzig 1921

Bereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. normal- G. I. Göschen scke BerlagSvandlnng :: I. Suttentaq, Verlags­ buchhandlung :: Georg Reimer :: Karl I. Trübner :: Beit A Eomp.

Copyright by Verelnigung tuiffenfd)af111cf)ei Verleger Walter de Gruytei L Berlttt utib Leipzig 1921.

Vorwort. Kein Teil des bürgerlichen Rechts ist so vielgestaltig wie das Schuldrecht. Hier quillt die bunte Fülle des Lebens, hier treffen sich die Menschen bei ihren rasch wechselnden Alltagsgeschäften.

Man braucht nur die Spruchsammlungen unserer

Gerichte zu überblicken.

Bei weitem der größte Teil der Prozesse

fällt auf das Cchuldrecht.

Sachenrecht, Familienrecht und Erb-

recht stehen im Verhältnis dazu weit zurück. Aber es ist noch ein anderes hinzugetreten, das diesen Stoff­ teil -fo unruhig macht. Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist er fast ganz

nach dem System der Pandektenlehrbücher des 19. Jahrhunderts aufgebaut worden. Schon damals paßte das nicht mehr zu deni 'mächtig vorwärts drängenden Wirtschaftsleben. Es zeigte

sich rasch genug, daß wichtige Lebensgebilde in dem Gefüge des

Gesetzbuchs kein rechtes Unterkommen fanden.

Man hatte sich

entweder gar nicht an sie herangewagt, oder man brachte sie in

besonderen Gesetzen, sog. Spezialgesetzen, unter.

Die uvermäßig

betonte Zerlegung des Rechtsstoffs in privates (bürgerliches) und öffentliche Recht und die dem Leben abgewandte Sucht, das

bürgerliche

Recht möglichst rein von „fremden" Einschlägen zu

halten, trug zur Versteifung dieses Zustands wesentlich bei.

Und

doch saß in diesen abgeschiedenen Materien schuldrechtlicher Stoff, der sich nicht niederhalten ließ, sondern immer wieder unruhcstiftend

an das alte „Recht der Schuldverhältnisse" herandrängte.

Schließ-

Borwort.

VI

lich ist noch die Fülle des neuen Rechtsstoffes hinzugekommen,

den uns die hastende Gesetzgebung der Kriegs - und Revolutions­ zeit vor die Füße gelegt hat. Wiederum ist kein anderer Teil des bürgerlichen Rechts auch nur annähernd so stark davon berührt worden wie das Schuldrecht.

So steht, wer das Schuldrecht einer arbeitsfreudigen und

lebensffischen Jugend darstellen will, vor der schweren Wahl, ob er auf dem alten Grund des 19. Jahrhunderts aufbauen oder ein neues System errichten will. letztere verlockend.

Für den Forscher ist das

Für den Lehrer aber ergibt sich die Pflicht,

sich von dem Bau des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht allzu weit zu entfernen, sonst geht die Festigkeit verloren.

Die vorliegende Bearbeitung des Schuldrechts ist darum an das Bürgerliche Gesetzbuch angeschlossen. Das soll dem Studieren­

den sicheren Anhalt gewähren.

Aber es ist alle Sorgfalt darauf

verwendet, überall, wo es irgend möglich ist, darüber hinaus die

Pfade, die in das Neuland der Wissenschaft führen, aufzudecken. Das soll dem jungen Anfänger die Freude der Arbeit mehren. An dem allmählichen Ausbau eines neuen Systems wird er auf diese Weise lebendigen Anteil nehmen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist den neuen großen Gedanken-

schichten, die deutlich genug emporwachsen, ohne sich um die Grenzen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu kümmern, dem Arbeits­

recht (vgl. S. 167 ff.)^dem Recht der Personenverbände (S. 208,

219 ff.) usw., in etwas vorgearbeitet.

Unter diesem Gesichtspunkt

ist ferner überall auf die kulturelle und wirtschaftliche Be­ deutung

der einzelnen

Erscheinungen des Schuldrechts, auf

ihr wirkliches Vorkommen im Leben draußen, auf ihr „Funktio­ nieren" Rücksicht genommen (vgl. z. B. S. 7 f., 46 f., 96 f., 121 ff.,

239 ff. usw.). Vor allem aber auch ist der Versuch gemacht worden, das neue revolutionäre Recht, wie es Krieg, Übergangs­

wirtschaft und politische Wünsche geschaffen haben, mit Vorsicht an das alte dogmatische Gefüge anzugliedern.

In der Tat ist es

heute fast ein Unding, etwa das Mietsrecht allein an den Maß.

Borwort.

VII

stäben des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu messen und die vielen,

freilich unruhigen Versuche, ihm von der öffentlichrechtlichen Seite her beizukommen (vgl. S. 98 ff.), außeracht zu lassen, oder etwa bei der Darstellung des Kaufrechts an der neuen Tönung der sog.

Lieferungsverträge (S. 68 ff.) vorüberzugehen und die besondere Note, itieL-bte Werklieferungsverträge der Industrie im Gegensatz zu den Lieferungsverträgen des Großhandels in jüngster Zeit empfangen haben (S. 181 a.E.), totzuschweigen.

Schwierig ist auch die Frage der Bezugnahme auf die Recht­ sprechung und auf die Historie. Leider war hier durch die RaumVerhältnisse des Buchs größte Beschränkung geboten. Aber ganz

kann sich der Lehrer des Schuldrechts, der seinen Stoff in den Lebenswirkungen darstellen möchte, doch nicht gelegentliche Seiten­ griffe auf die Judikatur und auf geschichtliche Parallelen oder Entwicklungen versagen.

Einen besonders herben Verzicht, ge­

messen an dem Wunsch, das Funktionieren der einzelnen Rechts­ einrichtungen mit zu veranschlagen, bedeutet die Ausschaltung des Handelsrechts.

Im Leben draußen webt es sich mit dem

Schuldrecht in Eins zusammen. Dies aber darzustellen, durfte, von Andeutungen abgesehen, im Hinblick auf die scharfe Fächer­

teilung und das Bevorstehen eines besonderen Grundrisses über das Handelsrecht nicht unternommen werden.

Die Handhabung des Grundrisses seitens des Studierenden ist so gedacht, daß er daneben ununterbrochen den Gesetzes text benützt.

Vergleicht er beides miteinander, den Grundriß und das

Gesetz, so wird er rasch genug ein klares Bild der einzelnen juristischen

Figuren erhalten.

Um ihm das Eindringen in die zum Teil nicht

leichte Materie gangbarer zu machen, sind die schwierigeren „All­ gemeinen Lehren" an den Schluß, die dem Leben geläufigen „besonderen" Schuldverhältnisse an den Anfang gestellt (vgl. S. 2

Biff. UI) Eines von ihnen, nämlich der Kauf ( etwa die Bestimmungen über Verzug (284 ff.),

über

Rücktritt

(346 ff.),

über

das

Zurückhaltungsrecht

(273 f.),

auch im güterrechtlichen Verkehr der Ehegatten (also einer Materie

des IV. Buchs) gelten oder etwa für einen Vertrag, der zwischen Miterben

über

die

Verwaltung

des

vorläufig

noch

ungeteilten

Erbvermögens zustande gekommen ist (§2038 im V. Buch), völlig

festgesetzt.

§3 1.

Einfluß des Krieges.

Indessen sind die Grenzen einer solchen Überpflanzung noch un­ bestimmt, namentlich, wenn es sich nicht um bloße schuldrechtliche „Ein­ sprengungen" rn den anderen Büchern (wie bei dem persönlichen Verhältnis zwischen Nießbraucher und Eigentümer) handelt, sondern um Rechtslagen, die ihrem Wesen nach nicht schuldrechtlich sind Zurzeit befinden wir uns noch im Stadium der Versuche. Erst allmählich, im Lauf von Jahr­ zehnten, werden die Richtlinien für eine solche Fernwirkung der all­ gemeinen Lehren des Schuldrechts klarer hervortreten.

IV. Die Überordnung vieler Regeln des öffentlichen Rechts wird besser erst im Zusammenhang mit den Einwirkungen des Krieges und der Revolution besprochen.

$ S.

Der Einfluß des Krieges und der Revolution. I. Tat bild. Daß der Krieg in diejenigen menschlichen Ver­ hältnisse, die der Regelung durch das Schuldrecht unterliegen, eingreifen würde, war vorauszusehen. Daß diese Einwirkung eine so ungeheuere werden würde, hatte niemand geahnt. Kaum ein Schuldverhältnis wurde etwa um 1916, 1917 abgeschlossen, das nicht an irgendeiner Stelle deutlich die Spuren des Krieges zur Schau trug. Die Millionen von Kauf- und Arbeitsverträger^ konnten nicht an der Neugestaltung der Wirtschaftsverhältnisse vorübergehen. So hat der Krieg bereits der Neuordnung in der Friedenszeit entscheidend vorgearbeitet. Drei große Züge heben sich aus der Fülle der Gesichte heraus. a) Zuerst stieg die große Frage empor, ob der Krieg die bestehenden Verträge auseinandersprenge, ob insbesondere vereine von beiden Vertragsteilen unter Hinweis auf die Kriegs­ verhältnisse die Lösung des Vertragsverhältnisses verlangen („kün­ digen", zurücktreten) könne. Im Lause der Zeit, noch in den Kriegs­ jahren, aber verstärkt in der revolutionären Zeit, hat sich die Frage dann dahin verschoben, ob die ungeheure Teuerung und die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Veränderungen die Berechtigung, sich von einem einige Zeit früher geschlossenen Vertrage loszusagen, Hervorrufen. Es ist ein hohes Verdienst der Juristen.welt, daß sie sich (grundsätzlich) für Aufrechterhaltung der Verträge ausgesprochen hat. Die am meisten verwerteten juristischen Figuren waren die „Un­ möglichkeit" und die „clausula rcbus sic stantibus“. Erstere ist fester Bestand des geltenden Rechts (vgl. unten § 42). Aber natür­ lich liegt die Schwierigkeit weniger im Haben des Begriffs als in seiner Auslegung (Was ist „unmöglich" im Rechtssmn?). Jene clausula hat in früheren Jahrhunderten eine große Rolle gespielt. Dem BGB. ist

8 3 Id.

Einfluß der Beschlagnahmemaßregeln.

17

sie als ausgesprochener Typus fremd. Nun ist versucht worden, sie wieder lebendig zu machen. Sie will besagen, daß der betreffende Vertrag nur unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden (!) Bedingung ge­ schlossen sei, daß sich in den wesentlichen Umständen nichts ändere. Und nun sollte durch den Krieg oder die bedeutenden Preissteigerungen eine solche den Vertrag kassierende Änderung hervorgerufen sein. (Näherer im §42 unter I »). Beide Figuren sind nicht schlechtlin von der Praxis als ungangbar behandelt, vielmehr bei besonderen Fällen mit Vorsicht doch als Lösungs­ gründe anerkannt worden. Aber bei dem Grundsatz, daß der Krieg und der Wirtschaftsumschwung als solcher keine Lösungsgründe sind, ist es doch geblieben. Einzelheiten unten beim Kauf (§7 Ziff.IV») Lnb beim Werkvertrag (§ 2311c).

b) Der zweite große Zug im Bilde ist die Beschränkung der Gütermengen geworden. Die Abschneidung der Seewege und int Innern die weitgreifenden Beschlagnahmemaßregeln, nach dem Kriege die Härten des Friedensvertrages und die all­ gemeine Weltknappheit, bisweilen auch Arbeitsunlust und TransPortschwierigkeiten haben bewirkt, daß für den „freien Handel" und damit für die schuldrechtliche Erfassung (im Wege des Kaufs und verwandter Typen) eine ungeahnt kleine Menge von Gütern übrig geblieben ist. Dies hatte auf der einen Seite die vom Staate verfolgte und von den sauberen Elementen des Staatsbürgertums gebilligte Tendenz einer möglichst gerechten Verteilung zur Folge. Auf der anderen Seite machten sich Spekulantentum, Schleichhandel und Wucher breit. In dem Wechselspiel dieser beiden Gewalten ist mehrmals der soziale Gedanke der Fürsorge für den schwächeren Teil deutlich hervorgetreten. Die juristischen Einzelfiguren dieser ganz neuen Welt liegen überwiegend außerhalb der bürgerlichen Rechtsordnung (verwaltungs­ rechtliche Maßregeln, Strafbestimmungen). Das bürgerliche Recht wird vor allem in der Negative getroffen, daß die privaten Geschäfte sich nur bis zu bestimmten Grenzen entwickeln dürfen (Höchstpreis; Verkauf nicht an beliebige Kunden, sondern an bestimmte Kreise oder gar nur an eine einzige monopolisierte Stelle), oder daß sie künstlich stillgelegt werden (Unterbrechung der Verjährung für Kriegsteilnehmer; Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit für den Vermieter durch Spruch des Mietseinigungsamts; Bewilligung von Zahlungsfristen für den in Bedrängnis geratenen Schuldner; näheres über diese Einzelerscheinungen später, vgl. Wortregister), oder daß sie wegen unsittlichen Gehaltes für nichtig erklärt wurden (große Schwierigkeiten bei der Feststellung, was ' unter „übermäßigem" oder „angemessenem" Gewinn zu verstehen sei).

Eine ganz neue Figur ist in der Richtung geschaffen worden, daß der Richter oder eine gerichtsähnliche Behörde den Inhalt geschlossener Verträge positiv umgestalten darf. Bisher ging man meist von der Meinung aus, der Richter dürfe zwar ein Hedemann, Da» Schnldrecht.

2

18

8 3 Id.

Höchstpreise.

Kriegsgesellschasten.

Geschäft im ganzen wegen Unsittlichkeit kassieren (unten § 6 Ziff. I c), aber es sei ihm versagt, im einzelnen an dem Bertragsinhalt Ände­ rungen zu vollziehen. Grundlegend die Frage, was aus einem Vertrage wird, der unter Nach der alten Theorie bleibt nichts übrig, als den ganzen Vertrag von der Tafel des Lebens zu tilgen. Der Krieg aber hat die äußerst fruchtbare (freilich noch bestrittene) ErkennMis gebracht, daß es genügt, den Preis aus die Höchstpreisgrenze herunterzusetzen, im übrigen aber den Vertrag auf­ recht zu erhalten (vgl. unten § 7 Zifs. I a Z). Auf der einmal beschrittenen Bahn sind dann noch wesentlich weiter gegangen die Verordnung vom 11. November 1915 über die EinwirUmg von Höchstpreisen auf laufende Verträge und die Bekanntmachung zum Schutze der Mieter vom 26. Juli 1917, nach denen unmittelbar in die Gestaltung (schon früher abgeschlossener!) Verträge durch diktatorischen Spruch von Schieds­ gerichten und Mieteinigungsämtern emgegrifsen werden kann, ein noch nie dagewesener Vorstoß in den Bereich des privaten Schuldrechts. Seitdem sind diese Fragen in ständigem Fluß. Eine.Fülle von Kriegs­ und Übergangsverordnungen haben, teilweise unklar und widerspruchs­ voll, dazu Stellung genommen. Und das ganze hat sich völlig abseits , von dem Text des BGB. vollzogen! — Gleichzeitig äußert sich hierbei jene soziale Idee, den hilfsbedürftigen Teil gegen die schrankenlose Ausnutzung der schuldrechtlichen Möglichkeiten in Schutz zu nehmen.

Überschreiten der Höchstpreise geschlossen worden ist.

c) Aus der Beschränkung der wirtschaftlichen Mittel ist dann als dritter Zug die Konzentration der Kräfte hereusgewachsen. Es haben sich Riesenbetriebe, ganz Deutschland überspannende Wirtschaftsorganisationen gebildet. Und auch das konnte nicht ohne Einfluß auf das Schuldrecht bleiben. Das ganze Gesellschaftsrecht, das allerdings nur in seiner Grund­ form im BGB. geregelt ist (§705ff; unten §28ff.), im übrigen dein Handelsrecht angehört, befindet sich dank der kriegs- und revolutions­ wirtschaftlichen Ereignisse im Stadium der Umwandlung (vgU sogleich unter d). Auch das Recht der Lieferungsverträge (im BGB so wie so nur kümmerlich behandelt) hat während des Krieges einen ausgesprochenen, juristisch noch nicht voll erfaßten Zug ins Große be­ kommen. Die „Unmöglichkeit" hat auch hier wieder die schon erwähnte (S. 16) Rolle gespielt, insofern als, unter beachtenswertem Widerstand der Gerichtspraxis, versucht worden ist, einmal geschlossene Lieferungs-. vertrage wegen Beschlagnahme der zu liefernden Waren oder ihrer Rohstoffe zu annullieren. Schließlich dursten auch im Gebiet des (privaten, nicht bloß des öffentlichrechtlichen) Arbeitsrechts die Erscheinungen des Krieges, bor allem die über Friedensbegriffe noch weit hinaus ge­ steigerte Massenwirkung und Mechanisierung der Arbeitsverhältnisse für die Wandlungen, die wir heute erleben, stark vorbereitend gewirkt haben.

d) Über dem Ganzen dieser unruhigen, oft gewaltsamen oder doch unorganischen Vorgänge erhebt sich nun, von manchen als oberster Gedanke bewertet und fast inbrünstig verehrt, die Toziali-

8 3 Id.

Einfluß der Sozialisierungsidee auf das Schuldrecht.

19

sieritlUsidee

Es ist zu prüfen, in w-lchen Beziehungen sie zum Schuldrecht steht. Darüber ein Urteil zu fällen, ist schwer. Es kann sich nur um Andeutungen handeln. Nicht nur die tatsächlichen Verhältnisse, die mittelst dieser Idee begeistert werden oder umgekehrt diese Idee tragen sollen, verschieben sich immer wieder, sondern vor allem ist diese Idee selbst bedeutenden Schwankungen und Wandlungen unterworfen. Das tritt gerade besonders deutlich in Erscheinung, wenn man der Frage nachgeht, wie diese Idee das Privatrecht beeinflussen könnte. Zuerst war sie durchaus überwiegend gegen den sachenrecht­ lichen Bestand gekehrt. Es drehte sich in den ersten Monaten der Revolution hauptsächlich um die Eigentumsfrage. Enteignung war damals durchaus der Kern der Sozialisierungsparole. Am Schuldrecht ging man zunächst vorüber. Dann aber bekam die Frage langsam ein anderes Gesicht. Man wandte sich den Organisationsfragen zu. Der Auf­ marsch der Parteien im Wirtschaftskampf nahm das hauptsächlichste Interesse in Anspruch. Das war die Zeit des Ringens um das Betriebsrätegesetz und um die Staffeln, die darüber aufgebaut werden sollten bis hinauf zu einem zentralen ReichsWirtschaftsrat. Das war die Zeit der Begründung immer neuer „Arbeitsgemeinschaften", neuer angeblicher „Selbstverwaltungskörper"und ähnlicher Gebilde. — Hierbei wird das Schuld­ recht bereits wesentlich stärker betroffen, oder vielleicht richtiger ausgedrückt: stärker herangezogen. Denn es muß bei diesen Forma­ tionen sehr stark mit Vertragsschlüssen gearbeitet werden, und wenn auch dabei vieles öffentlichrechtlichen Charakters, anderes überhaupt nicht rechtlicher, sondern nur tatsächlicher Natur sein mag, so bleibt doch unleugbar auch mancher privatrechtliche Einschlag. In diesem Zusammenhang ist auch auf die sog. Stufen der Soziali­ sierung hinzuweisen. Sie sind ein Produkt jener ersten Leitidee von der vollkommenen Enteignung und der späteren Wendung nach der organisatorischen Seite. Es hat sich eingebürgert, und selbst die Reichsverfassung gibt diese Vorstellung in ihrem Art. 156 wieder, 3 Formen oder Grade der Sozialisierung zu unterscheiden: 1. Der bloße gemeinwirtschaftliche Betrieb, bei dem die bisher schon vorhandenen Kräfte, vielleicht mit manchen Umformungen im einzel­ nen, aber doch nicht in ihrem lebenswichtigen Bestände gettoffen, zu gemein­ samer Arbeit an ihrem Werk oder einem ganzen Handels- oder Industrie­ zweig zusammengezogen werden. — Hier kann das private Schuldrecht in Gestalt von Tarifverträgen (darüber unten § 22 Ziff IIJ f) oder in Form des Ausbaues des Kartellgedankens (§31 Ziff. I und V)

20

§ 3 Id.

Schuldrecht und Sozialisierung.

Beachtenswertes beitragen, freilich meistens nur i nter gleichzeitiger Auf­ nahme öffentlichrechtlicher Elemente (vgl Zisf II b). 2. Die gemischt-wirtschaftliche Unternehmung, bei der die Einwirkung des Sozialisierungsgedankens, d. h. des irgendwie (am sinnfälligsten im Staat oder in den Gemeinden) verkörperten Allgemeinulteresscs schon um einen Grad schärfer zum Ausdruck kommt, insofern zwar die „alten" Kräfte noch bei Bestände bleiben, aber den Staat oder sonst eine Vertretung des öffentlichen Wohles als gleichgestellt oder gar übergeordnet neben sich dulden müssen. — Wieder kann hier das Schuld recht in mäßigen Grenzen beteiligt sein, indem sich die Umformungen in den Bahnen schuldrechtlicher Figuren (mit ösfentlichrechtlichem Ein­ schlag) abspielen. Vgl. unten § 31 Zifs. IV und VI. 3. Das „Gemeineigentum". Hierunter ist die Vollsozialisierung, jene Aussaugung des privaten Eigentums durch den Staat oder ent­ sprechende Verkörperungen des Allgemeininteresses zu verstehen. — Damit hat, wie schon erwähnt, das Schuldrecht zunächst nichts zu tun. Es wäre auch eine ganz falsche Vorstellung, daß es nach vollzogener Sozialisierung, etwa des Kohlenbergbaues oder der Elektrizitätswirtschast, überflüssig werden und absterben müßte. Denn der Staat als Herr gewisser Wirtschaftszentren muß auch wieder kaufen, pachten, Gesellschafts­ verträge abschließen und sich der Haftung aus (unten § 35) unerlaubten Handlungen unterwerfen. Es kann daher die Anwendungshäufigkeit des Schuldrechts verringert werden, aber ganz absterben oder auch nur zu einer juristischen Größe zweiter Ordnung werden wird es nie.

Die volle Bedeutung des Sozrallsierungsgedankens für die Materie des Schuldrechts wird sich aber überhaupt erst dann zeigen, wenn das Sozialisieren zum Abschluß gekommen ist. Wenn dann nämlich die neuen Wirtschaftskörper, wie sie auch werden mögen, fertig dastehen werden, etwa die „sozialisierte" oder „konstitutio­ nelle" Fabrik oder das den landwirtschaftlichen Boden erfassende Siedlungsunternehmen, und von dieser geklärten Basis aus wieder das Kaufen, Verpachten, Vermieten, das Haften aus ungerecht­ fertigten Bereicherungen (unten § 33) und aus unerlaubten Hand­ lungen (§ 35), das Einstellen und Entlassen von Arbeitern (§22 ff.) usw. einsetzt, dann erst wird man beurteilen können, wieviel im ganzen von dem Schuldrecht, so wie es zurzeit im BGB? nieder­ gelegt ist, Bestand behalten hat. II. Wirkung auf

den Gesamtcharakter

des

Schuldrechts.

Das Schuldrecht saugt seine Lebenskraft aus der Betätigung pri­ vater Personen. Es ist das Recht des Verkehrs (S. 3 a); es kenn­ zeichnet sich dadurch, daß zwei Personen in freiem Entschluß als grundsätzlich Gleichberechtigte aufeinander zukommen (S. 12 a); es zeichnet sich aus durch besondere Beweglichkeit (S. 5) und hat die ausgesprochene Neigung, die geographisch-politischen Grenzen zu überschreiten (S. 7 Ila).

§ 3 II,

öffentlichrechtliche Färbung des KriegSrechtS.

21

In all das haben der Krieg und seine Folgen abschwächend erngegriffen. Der Außenverkehr ist wesentlich verkürzt worden. Die Revolution hat keineswegs eine Lösung von der so geschaffenen Bindung gebracht. Vielmehr hat sie im Zuge ihrer „Sozialisierungs­ bestrebungen" auch den Außenhandel unter „gemeinwirtschaftliche" Kontrolle gestellt. Dadurch hat das Schuldrecht etwas von seinem internationalen Gepräge eingebüßt. Der Jnnenverkehr ist merklich gelähmt oder auf heimliche und darum rechtlich nicht gewährleistete Wege gewiesen oder aus dem Bereich des Privat­ rechts abgelenkt und in öffentlichrechtliche Bahnen geleitet worden. Faßt man das schärfer, so ergeben sich folgende grundlegenden Züge: a) Verkürzung der Bertragsfreiheit. Vertragsfreiheit ist der Lebensodem des Schuldrechts (S. 5). Er ist ihm nicht gänzlich abgeschnitten durch die Kriegsgesetzgebung und die Sozialisierungs­ erscheinungen. Aber sein Wehen ist schwächer geworden. Einzelheiten ergeben sich aus Ziff. I. Man ist nicht mehr grund­ sätzlich frei in der Wahl des Vertragsgegners (Kunden). Man ist nicht mehr frei in der Festsetzung von Preis und Lohn. Man muß sich nach geschlossenem Vertrage ein Hmemwirken, eine Korrektur durch Richter­ spruch oder Kontrollausschüsse gefallen lassen. Man ist in viel höherem Grade der „Nichtigkeit" seiner Geschäfte ausgesetzt. Siehe auch unter c.

b) Vordringen des ösfentlichrechtlichen Einschlags. Öffentlichrechtliche Grenzen für die schuldrechtliche Betätigung hat es schon immer gegeben. Dank unserer „Sozialpolitik" scheiterten z. B. alle Arbeits­ verträge, die auf übermäßige Ausnutzung von Frauen und Kindern hinausliefen. Im Bau verkehr hat ein eigenes Gesetz vom Jahre 1909 (Ges. über die Sicherung der Bauforderungen) den Bauunternehmer mit allerlei ösfentlichrechtlichen Pflichten, Führung emes Baubuchs usw , belastet, um dadurch die privatrechtlichen (schuldrechtlichen) Ansprüche aus dem Bauverhältnis sicher zu stellen. Usw.

Dazu kommt, daß für die Le be ns Wirkung der schuldrecht­ lichen Vorgänge überhaupt nicht das bürgerliche Recht allein ent­ scheidend ist, daß vielmehr daneben die mittelbaren und begleiten­ den Wirkungen etwa des Strafgesetzbuchs oder der Gewerbe­ ordnung veranschlagt werden müssen (S. 9 und 10). Wäh­ rend nun aber früher diese verschiedenen'Gesetze sich in ziem­ lich klarer Abgrenzung gegenüber standen, sind die Grenzen durch die neueste Periode unserer Gesetzgebung stark verwischt worden. Bei der sich überstürzenden Kriegs- und Revolutionsgesetzgebung hat man auf die juristische Sauberkeit, die technisch reine Grenzziehung keinen Bedacht mehr nehmen können. So wirbeln

22

8 3 ILe.

Kontrahierungszwang.

im Leben draußen eine Fülle von Verordnungen durcheinander, von denen zwar klar ist, daß sie die Abwicklung gewisser Sorten von Schuldverhältnissen treffen, von denen man aber nicht meh» mit Sicherheit sagen

kann,

wo

der

privatrechtliche Gehalt

der

Bestimmungen aufhört, und wo der öffentlichrechtliche Gehalt anfängt. Man denke z. B. an das Gebiet der Brotversorgung. Jeder Brockaus steht unter öffentlicher Kontrolle. Ist er übechaupt noch privat­ rechtlicher Kauf oder verwaltungsrechtlicher „Empfang" gegen Be­ zahlung? Das erstere ist im Grunde zwar noch richtig, aber, wenn man z. B. an die „Zuteilung" der Mehlvorräte durch die Reichszentrale an die Kommunalverbände herantritt, so verblaßt der Kausgedanke mehr und mehr. Ist z. B. das Mehl minderwertig, so wird man dem davon betroffenen Kommunalverband ein Recht zur „Wandlung" auf Grund des BGB. (unten § 7 Biss. II1 b 4) schwerlich einräumen können, während nichts im Wege steht, ihm den privatrechtlichen Minderungs­ anspruch (ebenda 5) zu belassen, eine merkwürdige, aus der allgemeinen Umwertung auch der juristischen Dinge zu erklärende Halbheit. Greifbar deutlich tritt ferner diese Mischung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts in die Erscheinung (unten §22), und ebenso ist^das Recht der Personenverbände stark in Mitleidenschaft gezogen. Demgegenüber mehren sich die Zweifel, ob überhaupt die durchlaufende und beherrschende Zerlegung des Rechtsstoffes in öffentliches und privates Recht aufrechtzuerhalten ist. Damit ruckt man natürlich dem ganzen „Schuldrecht" in seinem jetzigen Bestand zu Leibe, und muß der Frage scharf ins Gesicht sehen, ob nicht besser aus dem Schuldrecht Teilgebiete herausgenommen und mit dem zugehörigen öffentlichen Recht zu selbstän­ digen Materien verschmolzen werden. „Arbeitsrecht" und das „Recht der wirtschaftlichen Verbände" würden dabei im Vordergrund stehen. — In diesem Grundriß ist dem durch Gruppierung des Stoffes und viele Einzelhinweise in etwas vorgearbeitet.

c) Eine Sonderfigur aus diesem Zusammenhang ist der sog. Hier wird der Charakter eines privat, rechtlichen Vertrages allerdings noch festgehalten, sei es auch nur in der schließlichen Formgebung. Aber es steht ein Druck dahinter, und dieser Druck ist unzweifelhaft öffentlichrechtlich. Man kann dann bei den einzelnen Fällen schwanken, ob sie wirtlich noch ins Privatrecht gehören oder ob die vertragliche Einkleidung nicht nur eine Fiktion, ein Selbstbetrug des Gesetzgebers ist.

Äontrahierungszwang.

Besonders lebhaften Meinungsaustausch hatte das berühmte Hilfsdienstpslichtgesetz vom 5. Dez. 1916 hervorgerufen. Bekanntlich wurde es durch dieses Gesetz möglich gemacht, jeden Deutschen, der nicht sowieso schon in einem „kriegswichtigen" Betriebe tätig war, zum vater­ ländischen Hilfsdienst heranzuziehen. Man sah zunächst eine bloße Auf­ forderung zur Meldung vor. Wer daraufhin m einen kriegswichtigen Betrieb einsprang, schloß unzweifelhaft einen echten privatrechtlichen Arbeitsvertrag (unten § 24). Wer aber nicht freiwillig ging, wurde durch

8 S He.

Kontrahierungszwang.

23

eigens eingesetzte Ausschüsse einem geeigneten Betriebe „zur Beschäftigung überwiesen". Kommt dann auch noch ein „freier Arbeitsvertrag" zustande? Man könnte zweifeln. Das amtliche Material hat sich für Bejahung der Frage eingesetzt. Dabei haben politische Gründe mit­ gespielt. Man wollte eine Parallele zur (unzweifelhaft öffentlichrecht­ lichen) Wehrpflicht vermeiden. Man wollte bis zuletzt am Gedanken freier Arbeit der Hilfsdienstleistenden festhalten. Daneben aber sollte der Weg des zivilprozessualen Austrags von Streitigkeiten offen­ bleiben, z. B. über den Lohn. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn man das Verhältnis ganz ins öffentliche Recht hätte hinübergleiten lassen. Die Betrachtung, wo das in Rede stehende Verhältnis einmündet, wird ganz allgemein ein wertvoller Prüfstein für seinen Rechtscharakter sein. Läuft die Angelegenheit im Verwaltungs­ verfahren aus, so wird man sie als offentlichrechtlich ansprechen. Läuft sie dagegen in der Gerichtsbarkeit (der ordentlichen?) aus, kann sie als privatrechtlich gelten. Doch ist auch das unsicher. Es steht sehr häufig auch bei den danach „privatrechtlich" zu bewertenden, als „Verträge" formulierten Verhältnissen Druck durch (öffentlichrechtliche) Straf­ bestimmungen dahinter. Dazu kommt, daß der ganze Begriff der „Gerichtsbarkeit" im Zug der revolutionären Gesetzgebung stark ins Schwanken geraten ist.

Solcher Kontrahierungszwang kann verschieden stark ausgcbaut sein. Entweder wird nur bestimmt, daß man überhaupt einen Vertrag schließen, z. B. in ein Dienstverhältnis eintreten muß. Oder es wird auch sogleich bestimmt, mit wem man abschließen muß, so bei den bekannten „Kundenlisten" der Zwangswirtschaft (namentlich Lebensmittel) oder den „Mono­ polen" vieler Kriegsgesellschaften (die zum Teil noch in die Revo­ lutionszeit hinübergenommen worden sind). Oder es wird sogar der Inhalt des abzuschließenden Vertrages von außenher (gleich im Gesetzes text oder, was häufiger, durch die Behörde oder ein Schiedsgericht) beeinflußt, vielleicht sogar bis ins Einzelne fest­ gesetzt, also gleichsam „diktiert", wie namentlich bei den vom Mietseinigungsamt regulierten Mietsverträgen der „Zwangs mieter". Tic Beispiele zeigen bereits, daß Gegenstand und Ziel des ^Kontralperungszwanges Verträge ganz verschiedener Art, theoretisch*Verträge jeder Art sein können. In der Praxis spielen die Hauptrolle erzwungene Kaufverträge (Lebensmittel, Rohstoffe), nächstdem Mets- und Arbeitsverträge, letztere namentlich im Zu­ sammenhang mit der Demobilmachung. Vgl. unten § 10 Ziff Id („Mieterschutz").

24

§ 4 I.

Gegenstand der Schuldverhältnisse.

Kapitel 2.

Dir Elemente, aus beim sich rin Schuldverhältnis zusammrnsrtzt. Bei der Gegenüberstellung des Schuldrechts mit den anderen Rechts­ arten ist darauf hingewiesen worden, daß alle Teilgebiete des bürger­ lichen Rechts, also auch das Schuldrecht, von Personen, von Sachen und von der rechtlichen Verknüpfung beider handeln. Dies sind in der Tat die Elemente, aus denen sich jedes einzelne Schuldverhältnis auf­ baut. Ein Kaufvertrag verlangt Personen, die als Käufer und Verkäufer auftreten: er verlangt eine Ware, um die der Handel geht; und er verlangt emen Rechtsvorgang, der zwischen den beteiligten Personen und Gegen­ ständen eme Beziehung, eben die schuldrechtliche Beziehung herstellt.

§ 4.

Der Gegenstand deS Schuldrechts. I. Als Gegenstand des Schuldrechts kommen alle Güter des „geschäftlichen" BerkehrS (vgl. S. 4 b) in Betracht, Geld und Geldeswcrt, greifbare Sachen, unsichtbare Rechte (z. B. ein Patentrecht), die menschliche Arbeitskraft, ob sie sich nun rn Handarbeit ausdrückt oder in geistiger Betätigung niederschlägt, Genuß­ werte, die ebensogut in der positiven Darbietung (Theater, Konzert) wie in der Unterlassung von Störungen (Lärm, üble Gerüche) wurzeln können. a) Abscheidungen. Das Wort „geschäftlich" ist freilich reichlich unbestimmt. Immerhin kann es als Merkzeichen dienen, um fremde Dinge dem Schuldrecht fernzuhaltcn und dadurch das Wesen des Schuldrechts noch weiter zu klären. 1. Schon erwähnt ist die Abscherduiig des Familienverkehrs (S. 4 Ziff. 2). Nur müssen bie betreffenden Vorgänge aus der FanulienzugehörigTett als solcher Herfließen. Kauft der Mann der Frau em Jagdgewehr ab, das sich in einer der Frau angefallenen Erbschaft befindet, oder stellt der Vater seinen erwachsenen Sohn in seinem Handelsgeschäfte an, so fällt das in den Bereich des Schuldrechts, denn die Rollen könnten ebenso­ gut durch nicht verheiratete und nicht verwandte Personen ersetzt werden.

2. Es^ bleibt ferner außen, was nach den objektiven Be­ stimmungen der Rechtsordnung ungeschäftlich, außergeschäftkich bleiben soll. Dazu gehört das künftige Vermögen des Versprechenden oder auch nur ein Bruchteil davon (§ 310) und ebenso der künftige Nachlaß eines jetzt noch lebenden Dritten; solche Werte sind viel zu unbestimmt, als daß die Rechtsordnung ihre Einsaugung in ein Schuldverhältnis gestatten könnte. Vor allem aber gehört hierher der unsittliche Verkehr.

§ 4 la.

25

Ausschaltung der Unsittlichkeit.

Durch Absprache mit einer Lohndirne wird kein Schuldverhältnis begründet (Rückforderung des gezahlten Geldes? Darüber unten §33 Ziff. III d). Ebensowenig durch den Kauf und Verkauf eines Bordells.

Gitto eigenes,

interessantes,

aber

schwieriges

auch

Kapitel

entspringt aus der Vorstellung, daß die freie Persönlichkeit nicht zu stark gebunden werden dürfe. Zwar legt jedes Schuldverhältnis

Aber

der

den

beteiligten

Sprachgebrauch

Personen

unterscheidet

„Persönlichkeit" und versteht unter

eine

zwischen

Persönlichkeit

Bindung

auf.

„Person" und die

gehobenen, ethisch wertvollen Seiten des Menschen.

besonders Diese nun

sollen ihm frei von schuldrechtlicher Bindung bleiben, so daß ein etwa abgegebenes Versprechen rechtlich unverbindlich und jeder

Einklagung entzogen ist.

Ungültig ist darum der Verkauf der politischen Überzeugung. Ungültig z. B. auch ein Vertrag, in dem etwa der Mann auf seine (durch § 1354 gewährleistete) "Stellung als Haupt der Familie verzichtet. Un­ gültig eine Bindung in religiösen Dingen. In einem jüdischen Scheidungs­ fall traf die unschuldige Frau mit dem schuldigen Mann ein Abkommen, in dem sie ihrerseits auf die vermögensrechtlichen Begünstigungen des unschuldigen Teils verzichtete, während der Mann dafür zusagte, die zur rituellen Scheidung nach mosaischem Recht erforderlichen Erklärungen und Handlungen vorzunehmen. Als später der Mann sich weigerte, das seinerzeit durchaus ernstgemeinte Versprechen einzulösen, verurteilte ihn auf Klage der Frau die Unterinstanz, aber das Reichsgericht hob diesen Spruch mit der Begründung auf: „Tie Bindung der Willen aus dem Gebiete der Religion ist eine Bindung des Gewissens und des Herzens. Eine rechtliche Fesselung der Willen gibt es hier nicht und kann es nicht geben." Man kann den Hochstand oder Tiefstand eines Volkes u. a.

nach der Stellungnahme zu diesem Problem des Fesselns der freien

Persönlichkeit beurteilen.

3. Schließlich wird eine bedeutende Menge von Versprechen,

Zusagen, Verabredungen dadurch beiseite geschoben, daß sie nach der subjektiven Meinung der „Geschäftlichkeit" (im Sinne

sollen.

Beteiligten

außerhalb der des Schuldrechts) bleiben

Das gilt von den vielen Beziehungen der Freundschaft,

der Kollegialität, der Liebe und des geselligen Verkehrs (vgl. schon 2 4 b 1). Darum bleiben dem Schuldrecht fern die Verabredung einer Land­ partie, das Versprechen, einem erkrankten Freunde jeden Nachmittag vorzulesen, die Zusage eines Kusses, die feierliche Versicherung des Schwiegersohnes, nach der Hochzeit nie mehr seinen Klub zu besuchen. Usw.

Doch kann es im einzelnen Fall sehr schwer sein, die Grenze

zu finden.

26

§ 4 Ib.

Naturales obligationes.

Wenn beispielsweise ein Nachbar dem anderen verspricht künstighin das Ausgießen übelriechender Jauche zu unterlassen, so wiro das meist nur eine freundschaftliche, außerrechtliche Zusage sein. Indessen kann ein solches Versprechen im einzelnen Fall sehr wohl auch den Gegenstand eines echten Schuldverhaltnisses bilden.

Es werden dann an die Auslegungstätigkeit des Richters hohe Anforderungen gestellt. Denn er muß dem Willen der Be­ teiligten nachgehen, der oft nur sehr unbestimmt zum Ausdruck gekommen sein wird. Anhaltspunkte werden durch Fragenstellung gewonnen: Wollten die Beteiligten unter den Druck der Gesetze treten? Wollten sie rechtlichen Zwang? Würden sie die Unfolgsamkeit als Recbtsbruch empfinden?

Zu beachten ist, daß natürlich die Willensrichtung im Augenblick der Abmachung entscheidend ist, nicht etwa, was sich der eine öder der andere Beteiligte hinterher gedacht hat. b) Keine weiteren Erfordernisse. „Geschästlichkeit" in dem vorhergehend erläuterten Sinn genügt. 1. Nicht erforderlich ist Geldwert der versprochenen Leistung. Diese Erkenntnis bildet den Abschluß eines früher mit Nachdruck geführten Streits. 2. Nicht unbedingt erforderlich ist die Klagbarkeit. Es gibt Schuldverhältnisse, bei denen die Klage versagt ist. Freilich sind das dann sehr unvollkommene Schuldverhältnisse, aber ihr Dasein tarnt nicht bezweifelt werden. Man spricht von „naturales obligationes64, im Anschluß an die gemeinrechtliche Gelehrtensprache. Hauptbeispiel: der Spielvertrag. Daß aus ihm nicht auf Bezahlung der Spielschuld geklagt werden kann, ergibt das Gesetz; §762: „Durch Spiel oder durch Wette wird eine Ver­ bindlichkeit mcht begründet." Man könnte sogar nach dieser Redewendung annehmen, daß überhaupt kein Schuldverhaltnis entstanden sei. Aber der Text fährt fort: „Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden- hat." Diese Folgerung wäre unmöglich, wenn der Gesetzgeber nicht eben doch — trotz seiner Sprache — eine Verbindlichkeit, und damit ein (unvollkommenes) Schuldverhältnis anerkannt hätte. — Doch ist das Wesen dieser „natürlichen Verbindlichkeiten" sehr bestritten. Vgl. auch unten § 33 Ziff. II.

3. Nicht erforderlich ist die Bollstreckbarkeit. Es gibt Schuld­ verhältnisse bei denen die Klage zugelassen ist, aber ein Voll­ streckungsverfahren nicht zur Verfügung gestellt wird, die also gleich den unklagbaren im "Endergebnis doch wieder totlaufen,— wenigstens auf der geraden Linie. Aber sie können auf ein Neben­ gleis geleitet werden, nämlich auf das des Schadensersatzes (unten § 41 Ziff. H) und erweisen dann recht deutlich ihr Dasein.

§ 4 II.

Gütermassen als Gegenstand des Schuldrechts.

27

Das gilt vor allem von der großen Gruppe der Verträge auf Dienstleistungen. Wer in einem an sich durchaus verbindlichen Arbeits­ vertrag die Leistung irgendwelcher auf seine Person gestellter Dienste zugesagt hat, mögen es hauswirtschastliche, kaufmännische, fabrikmäßige, künstlerische sein, - muß sich eine Verurteilung gefallen lassen. Aber eine Exekution gibt es nicht, weder im Wege unmittelbaren Zwanges noch mittels Androhung von Geld- oder Haftstrafen. Vielmehr kommt nach § 888 Ziff. II ZPO. der Vollstreckungsapparat „im Falle der Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstverträge nicht zur Anwendung"; eine soziale Schutzmaßregel, die mit dem Gedanken, die freie Persönlichkeit mcht allzu stark zu binden (oben S. 25), eng zusammenhängt.

II. 8Ltermafsen. Der menschliche Geist pflegt nicht immer den Gegenstand seiner Betrachtung bis auf die kleinsten Einzel­ heiten auseinanderzulösen. Er denkt und redet oft in Sammel­ begriffen; von einer Erbschaft, einer Schafherde usw., ohne zu­ nächst an die einzelnen Stücke und Tiere zu denken, aus denen sich die Erbschaft (der „Nachlaß") oder die Herde zusammensetzt. Es fragt sich, ob diese Denkweise im Bereich des Schuldrechts anerkannt werden soll, ob also eine Gütermasse als solche, ohne Rücksicht auf ihre innere, vielleicht wechselnde Zusammensetzung, Gegenstand eines Kaufes, eines Gesellschaftsvertrages, einer Schenkung sein kann. Die Frage hat ihre praktische Seite. Werden von einer Herde die Stücke einzeln verkauft, so bekommt der Käufer auch wirklich nur gerade die beim Kaufabschluß vorhandenen Stücke, diese aber auch voll­ zählig. Ist dagegen Kaufgegenstand die „Herde" als solche, so ist der Vertrag dahin auszulegen, daß auch die inzwischen geworfenen Lämmer dem Käufer zufallen, während er umgekehrt den Abgang des einen oder anderen Mutterschafes „in den Kauf nehmen" muß.

Die Frage ist zu bejahen. Schuldrechtsverträge können auch auf ganze Vermögensmassen gestellt werden. Das verdient Betonung wegen des Gegensatzes zum Sachenrecht. Denn das Sachenrecht zwingt immer zur Zerlegung in die Einzelsachen, so daß z. B. Eigentum oder Pfandrechte nicht an einer Gütermasse „en bloc“ begründet werden können. Doch ist auch im Schuldrecht bei solchen Lagen Vorsicht am Platze. Es muß der Wille der Vertragschließenden genau geprüft werden (wieder­ um der Wille im Augenblick des Abschlusses, nicht etwa em später aus­ gekommener). Dazu treten gewisse gesetzliche Schutzmaßregeln, Form­ vorschriften, um den Schuldner vor Übereilung zu schützen (vgl. §§ 311, 312 II), oder Schutzmaßregeln im Interesse der Gläubigerschaft, um eine ihnen schädliche Verschiebung des Vermögens zu verhindern (§419).

In einem Punkt hat sogar der Gesetzgeber die Zusammengehörig­ keit an sich verschiedener Vermögensstücke selber betont und in

28

§ 4 in.

Die persönliche Gebundenheit des Schuldner-,

einer Auslegungsregel niedergelegt, nämlich wenn es sich um sog.

Zubehörstücke handelt. Sie werden „im Zweifel" mit in den Ver­ trag einbezogen, auch wenn ihrer nicht eigens gedacht worden ist, (§314). Wer em Klavier kauft oder enttäuscht, kaust den Schlussel mit, auch wenn der Schlüssel bei den Verhandlungen nicht „gesteckt" hat, sondern an einem anderen Orte lag und bei der Absprache überhaupt nicht er­ wähnt worden ist. Über den Begriff „Zubehör" vgl. Grundriß Allgem. Teil §51; im Gesetz §97 f.

' III. Das Verhalten des Schuldners. Im vorhergehenden ist von den Gütern und Gütermassen als Gegenstand der Schuld­ verhältnisse gesprochen worden. Aber eine unmittelbare Herrschaft über die Güter, insbesondere über die körperlich faßbaren Sach­ güter, vermag das Schuldrecht nicht zu gewähren. Es ist vielmehr die Aufgabe des Sachenrechts, die unmittelbare Verknüpfung zwischen Sache und Person herzustellen, während das Schuldrecht nur eine Bindung von Person zu Person hervorruft (oben S. 12 a). Seine Kraft erschöpft sich darin, den Schuldner persönlich darauf festzulegen, daß er in bestimmter Weise zur Gewinnung jener Herrschaft über die Güterwelt beiträgt. Darum ist der eigentliche unmittelbare Gegenstand des Schuldverhältnisses ein Verhalten des Schuldners. Diesen Gedanken spiegelt die Sprachwelse des Gesetzes wieder. Bei der Regelung des Mietsverhältrnsses sagt es nicht: Durch den Mietsvertrag erhält der Mieter den Gebrauch der Mietssache, sondern: „Durch den Mietsvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der vermieteten Sache während der Mietzett zu gewähren." Und weiter sagt es nicht, daß die Sache so oder so beschaffen sein müsse, sondern: „Der Vermieter hat die vermietete Sache dem Mieter in einem zu dem vertragsmäßigen Gebrauche geeigneten Zustande zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustande zu er­ halten". Und ebenso ist die Gegenpflicht des Mieters aus eine Betätigung, aus ein Verhalten abgestellt: „Ter Mieter ist verpflichtet, dem Ver­ mieter den vereinbarten Mietszms zu entrichten". (§§535, 536.) Indessen bekommt, wie ohne weiteres emleuchtet, das Ver­ halten des Schuldners seinen Inhalt erst durch die Beziehung zu den Gütern. Wenn daher für die einzelnen Schuldrechtstypen der „Gegenstand" bestimmt werden soll, so muß gleichzeitig vom Verhalten des Schuldners und von der Beziehung zur Güterwelt die Rede sein. Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich ein anschauliches System der einzelnen Schuldverhältnisse gewinnen. Es wird dem II. Teil als Rahmen dienen. Die oberste Gruppierung folgt bereits hier:

§5L

Gläubiger und Schuldner.

29

a) Gegenstand eines Schuldverhältnisses kann sein: das Überlassen von Gütern an den anderen Teil, sei es ein endgültiges Überlassen wie beim Kauf und Tausch, sei es ein zeitweiliges wie bei der Mete und beim Darlehn. b) Gegenstand eines Schuldverhältnisses kann sein: das Mitwirken bei der Gütererzeugung (und Gütererhaltung), sei es durch positive Tätigkeit, wie beim Arbeitsvertrag und bei der Verwahrung, sei es durch Unterlassen, z. B. des Lärms, wo­ durch das Gut der Ruhe ^sichergestellt wird. / c) Gegenstand eines Schuldverhältnisses kann sein das Wiederausgleichen einer Unrechtmäßigen Güterverschiebung, sei es eines schuldhaft herbeigeführten wie beim Schadensersatz wegen unerlaubter Handlungen, sei es einer auf andere Weise eingetretenen wie bei der Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Gerade, wenn man das Schuldrecht unter diesem Gesichts­ punkt eines auf die Güterwelt gerichteten Verhaltens betrachtet, offenbart es seine ungeheure Mannigfaltigkeit. Es zeigt in hellstem Licht, wie die Menschen in unablässigem Hin und Her durcheinanderwogen und wie sie in rastloser Tätigkeit die Welt der Güter im Flusse erhalten. Noch einmal erweist sich so, daß das Schuldrecht in ausgesprochenem Maße als das Recht des menschlichen Güterverkehrs zu gelten hat.

Die beteiligten Personen. I. Grund fall. a) Gläubiger und Schuldner. Das Schuldverhältnis setzt als Mindestmaß einen Gläubiger und einen Schuldner, also zwei Personen voraus. Wenn jemand eine herrenlose Sache verletzt, etwa einen weg­ geworfenen Zigarrenrest zertritt, so entsteht kein Schuldverhältnis; es würde an einem Gläubiger fehlen. Wenn der Wettersturm meine Bäume bricht, ist es nicht anders, denn es würde kein Schuldner vorhcmden fein. Über die merkwürdige Lage, die sich dann ergibt, wenn etwa durch Erbgang Gläubiger- und Schuldnerrolle sich vereinigen, s. unten Ziff. II d 3 (Konfusicn).

Die Ausdrücke „Gläubiger" und „Schuldner" sind in festem Sinne gebraucht und dem schuldrechtlichen Stoff (im Gegensatz zum Sachen- und Familienrecht) Vorbehalten. Dazu treten Sonder­ bezeichnungen bei den einzelnen Schuldverhältnissen, die zum Teil dem Volke geläufig sind (Käufer und Verkäufer usw.), zum Teil aber der juristischen Kunstsprache angehören und dann nötigen-

§ 5.

30

8 5 Id.

Geschäftsfähigkeit im Schuldrecht.

falls mittels Auslegung in die Partei erklärungen hineingetragen

werden müssen. Das Gesetz spricht nicht Dom „Dienstherrn"; es sollte jede An­ spielung aus ein Herrschaftsverhältnis vermieden werden, darum heißt es: der ..Dienstberechtigte" (§ 615, 618), woran sich der Volksmund niemals gewöhnen wird. Eine Verwechslung ist auch leicht möglich zwischen „Miete" und „Leche"; Miete ist entgeltlich (§ 535), Leihe unentgeltlich (§598), darum ist die Bezeichnung „Leihbibliothek" falsch, dagegen „Miets­ bücherei" richtig. Natürlich darf sich niemand hinter dem falschen Firmenschild verschanzen und etwa die Bezahlung des Mietsgeldes für die ent­ nommenen Bücher ablehnen; durch Auslegung wird aus der „Leihe" eben doch eine juristische Miete gemacht Vgl. auch unten § 23 Ziff. I über den Ausdruck „Unternehmer". b) Fähigkeit zur Beteiligung. Grundsätzlich kann sich jede Person an einem Schuldverhältnis beteiligen, sowohl auf der Aktiv- wie auf der Passivseite. Aber ob jemand „Person" im Rechts­ sinne ist, hängt von den Regeln des I. Buches ab. Darum ist z. B. dem nicht-rechtsfähigen Verein auch die Rolle als Käufer oder Verkäufer, als Bürge oder Gesellschafter verschlossen. Die unter diesem Titel angesponnenen Verhältnisse müssen vielmehr aufgelöst und Rechte und Pflichten auf die einzelnen Mitglieder ver­ teilt werden. Näheres, auch über die wichtige Ausnahme im Punkte „Verklagbarkeit", im Grundriß Allgemeiner Teil, S. 235, § 58 Ziff. VIT.

Weiler ist von der Fähigkeit, Gläubiger und Schuldner zu sein, die Fähigkeit zu unterscheiden, sich durch selbsttätiges Handeln zum Gläubiger oder Schuldner zu machen. - Auch hierüber ist das meiste im I. Buch, und zwar in der Lehre von der Geschäfts­ fähigkeit, enthalten. Erwähnenswert sind in schuldrechtlichem Zusammenhang die be­ deutenden Durchbrechungen des normalen Systems durch die §§ 112 Und 113. Denn die hier vollzogene Emanzipation der Jugendlichen, die ein selbständiges Erwerbsgeschäft betreiben oder in einem Arbeits­ verhältnis stehen, wirkt in derHauptsache auf dem Gebiete des Schuldrechts. Ein ganzes wichtiges Kapitel, nämlich das der unerlaubten Handlungen ist jedoch unter Sondernormen gestellt, die un­ abhängig von den Lehren des Allgemeinen Teils und im II. Buch selbst untergebracht sind (§827 ff.).

Danach beginnt z. B. die volle „Deliktsfähigkeit" bereits mit dem 18. Lebensjahr (§ 828 II), während die volle Geschäftsfähigkeit erst mit dem 21. Jahr emsetzt (§ 106 mit § 2). Während also ein junger. neunzehnjähriger Mensch beim Verkauf seines Hauses noch durchaus von der Einwilligung seiner Eltern oder seines Vormundes abhängig ist und sich nicht selber zum „Verkäufer" und zum „Gläubiger auf den Kauf­ preis" machen kann, kann er sich ohne weiteres zum Schuldner aus un­ erlaubter Handlung machen, wenn er eben diese Handlung, sei es mit, sei es ohne Willen seiner Eltern, begeht (vgl. unten § 35, Ziff. II b 1 y).

§ 5 II.

Personenmehrheit im Schuldrecht.

31

c) Ein Beitritt Dritter zum Schuldverhältnis ist in verschiedenen juristischen Formen vorgesehen. Dergleichen kann von vorn­ herein geplant.und deshalb sogleich in die Abrede zwischen Schuldner und Gläubiger mit hineingezogen sein. Ein Beispiel auf der Schuldnerseite bildet die Bürgschaft (unten §20), die gleichzeitig zu der unter II behandelten „Mehrheitsbeteiligung" über­ leitet. Ein Beispiel auf der Gläubigerseite ist der sog. Vertrag zu­ gunsten Dritter (unten §39 Ziff. IV; ein Beispielin §16Ziff.Ib). Oder es kommt erst später zum Einspringen eines Dritten, was namentlich für die Schuldnerseite Bedeutung hat, wenn ein Dritter, an den bisher vielleicht gar nicht gedacht wurde, statt des Schuldners bten Gläubiger auszahlt (abfindet). Darüber unten § 40*3ift- IHb. II. Mehrheitsbeteiligung. a) Beteiligung nebeneinander. Daß mehrere Personen mit ein- und derselben dritten Person inhaltlich gleichartige Schuld­ verhältnisse abschließen, ist zunächst nur eine zufällige Tatsache. Es ist keineswegs gesagt, daß sich daraus eine rechtliche Zu­ sammengehörigkeit der mehreren Abschlüsse ergibt. Beispiel: Eine ganze Reihe von Personen kaufen jede für sich in emer Erfrischungshalle em Glas Mineralwasser um 50 Pfennig; un­ ablässig wird dasselbe Geschäft geschlossen, ohne daß ein rechtlicher Zusammenschluß erfolgt. Ebenso, wenn Hunderte von Theaterbesuchern mit der Theaterleitung denselben Vertrag auf Gewährung der Vor­ stellung gegen Entgelt schließen.

Es kann nun aber beabsichtigt sein, daß die mehreren neben­ einander laufenden Vereinbarungen zu einem einzigen Schuld­ verhältnis verschmolzen werden. Dann treten die mehreren Personen der einen Seite zu einer „Partei" zusammen: sie nehmen gemeinsam die Gläubiger- oder Schuldnerposition ein. So ist es, wenn drei Studierende zusammen cm Ruderboot mieten. Sie wollen nicht drei gesonderte Mietverträge schließen, sondern einen einzigen. Das gleiche kann gemeint fern, wenn zwei Mädchen, etwa Schwestern, die die Schneiderei erlernt haben und sich dabei m die Hände arbeiten, zusammen tageweise m verschiedene Haushaltungen gehen, um dort die Kleidung der Familie in Stand zu setzen. Möglicherweise geht aber hierbei doch die Absicht dahin, daß jede für sich mit der Haus­ frau einen Arbeitsvertrag abschließt Durch Auslegung ist in jedem einzelnen Falle die Absicht der Beteiligten festzustellen.

Die Rechtsordnung erkennt derartige Erscheinungen aus­ drücklichen. Sie hat sogar mehrere Figuren zur Verfügung gestellt, insbesondere das sog. Gesamtschuldverhältnis, und hat der „Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern" einen eigenen Abschnitt im BGB eingeräumt (§ 420 ff.; näheres unten § 45).

32

§ 5 II.

Massenerscheinungen im Schuldrecht.

Die dabei geschaffenen Denkformen werden dann auch im Recht der unerlaubten Handlungen verwertet (§§ 830, 840 I), jedoch unter Einbeziehung von Sonderheiten dieses Stoffes. Vgl. unten § 35 Ziff. IV b.

b) Zentrale Beteiligung. Es gibt Schuldverhältnisse, bei denen von vornherein mit einer beliebigen Zahl von Teil­ nehmern gerechnet wird. Bei der Miete ist der Ausgangspunkt und das Regelmäßige die Zweizahl; wenn einmal drei zusammen als Mieter auftreten, so ist das eine Ausnahme, und jedenfalls gehört die Vielköpfigkeit nicht zum Wesen der Miete, ist vielmehr eine zufällige Erweiterung. Bei jenen Schuldverhältnissen liegt es dagegen gerade im Wesen begründet, daß die Personenzahl gleichgültig ist. Der Musterfall ist die „Gesellschaft", vom BGB. unter die einzelnen Schuldtypen eingereiht (§ 705 ff.), außerhalb des BGB., namentlich im Handelsrecht, zu großer Vielseitigkeit entfaltet „Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern"; damit 6e* ginnt das Gesetz, und es kommt schon in dieser Begriffsbestimmung zum Ausdruck, daß sich die Beteiligten hier nicht gegenüberstehen wie Mieter und Vermieter, Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner im üblichen Sinne, sondern daß über ihnen sich das gemeinsame Ziel erhebt. Dem sind sie verbunden, und in­ sofern handelt es sich um eine eigenartige Form des Nebeneinanderstehens; nicht eine Mehrheit von „Gläubigern" und „Schuldnern", denen dann eine andere Partei gegenüberstünde, son­ dern eine Mehrheit Zweckgebundener bildet den Kern. Innerhalb der Mehrheit braucht die Beteiligung keine gleichmäßige zu sein. Einer kann, nicht bloß tatsächlich, sondern von Rechts wegen, pie Führung haben. Näheres unten § 29 Ziff. IV a.

c) Neuerdings verschwindet der Einzelne auf vielen Gebieten, namentlich im Arbeitsrecht, immer mehr hinter der Masse. Wie von dem „Unternehmertum" und der „Arbeiterschaft" als einem unbestjmmten Quantum wirtschaftlich-persönlicher Kraft, könnte man auch von einer „Gläubigerschaft" und einer „Schuldnerschaft" als einer Summe juristisch-persönlicher Kräfte reden. Damit ist wieder (vgl. S. 6, 18c, 19) das Kapitel von den wirtschaft­ lichen Verbänden, das heute so viel von sich reden macht, be­ rührt (unten § 28 ff). In der Tat erscheint dann jedenfalls vom wirtschaftlichen Standpunkt aus nicht mehr der Einzelne mit seinem einzelnen winzigen Vertrag als „beteiligt" und als die ent-

§ 5 Ild. Gläubiger- und Schuldnerwechsel.

33

scheidende „Person". Und die Juristen stehen nun vor der Frage, inwieweit sie das mitmachen, inwieweit sie also den Massenabschluß über den Kopf des einzelnen hinweg auch für juristisch verbindlich erklären sollen; Die Behandlung des sog. Tarif­ vertragsproblems in der revolutionären Gesetzgebung hat die Doktrin zu diesem Punkt mächtig angeregt und gefördert (unten §22 Ziff. IIIL). d) Beteiligung hintereinander. Es ist an ein zeitliches Hinter­ einander gedacht, daran, daß hinter dem bisherigen Gläubiger ein neuer kommt, daß also ein Wechsel in der Person eintritt. 1. Grundsatz der Zulässigkeit. Dem Römer lag der Gedanke nicht, daß an die Stelle eines obli­ gatorisch Gebundenen ein beliebiger anderer Mensch treten könne. Ihm war jedes einzelne Schuldverhältnis von vornherein auf zwei ganz be­ stimmte Bürger geprägt. Sempronius und Gaius hatten einen Darlehnskontrakl geschlossen, — unmöglich, daß sich dieses Geschäft auf der Aktiv­ oder Passivseite auf jemand anderes überschreiben ließe. Ihr Geschäft war ihr Geschäft, es konnte durch ihren gemeinsamen Entschluß ganz weggetilgt und em neues Geschäft an seine Stelle gesetzt werden, aber ein Übergang ihres Geschäfts aus dritte Personen wäre ihnen fast als ein Abbruch an ihrer Persönlichkeit erschienen.

Der altrömische Standpunkt, schon im späteren Kaiserrecht überwunden, wird auch vom deutschen BGB. nicht geteilt. Es läßt grundsätzlich den Personenwechsel zu, und zwar sowohl auf der Aktiv- wie auf der Passivseite. Der Gläubiger kann jemand anderes an seine Stelle treten lassen (sog. Abtretung, §398 ff.), für den Schuldner kann jemand anderes einspringen (sog. Schuldübernahme, §414ff.), aber das Schuldverhältnis selbst bleibt das gleiche. Freilich tauchen bei der Abwicklung solcher Verhältnisse eine Reihe von Fragen aus, zu deren Beantwortung besondere Rechts­ regeln ausgearbeitet werden mußten. Darüber unten §49. 2. Ausnahmen. In manchen Lagen tritt auch heute noch das persönliche Moment so stark in den Vordergrund, daß ein beliebiger Wechsel der Personen nicht am Platze ist. Das Schuld­ verhältnis ist aus zwei ganz bestimmte Menschen zugeschnitten, es würde seinen Charakter ändern, wenn ein neuer Gläubiger, ein neuer Schuldner einträte. ' Das gilt vor allem von den Arbeitsverträgen. Betraue ich einen Handwerker mit der Ausbesserung eines Kunstwerks, stelle ich in meiner Fabrik einen Maschinisten an, begebe ich mich zu einem Arzt, um mich operieren zu lassen, so will ich gerade diesen Handwerker, diesen Maschi­ nisten, diesen Arzt zum Partner. Dem kommt das Gesetz entgegen, indem Hedemann, Das Schuldrecht.

3

34

8 b II ä. Konfusion.

es im § 613 bestimmt: „Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat die Dienste im Zweifel in Person zu leisten." Allerdings fehlt es beim „Werkvertrag" (Fall des Handwerkers und des Arztes) an einer unmittelbar zutreffenden Gesetzesstelle, aber hier ergibt die Auslegung den „höchstpersönlichen" Charakter der Leistungspfticht. Übrigens ist auch auf der Gläubigerseite eine Bindung an den ursprünglichen Teilnehmer möglich. Beim Dienstvertrag stellt das der Gesetzgeber sogar als das Übliche hin: „Der Anspruch auf die Dienste ist im Zweifel nicht übertragbar". Darüber hinaus kann auch bei ganz anderen Lagen der Parteiwille aus Unübertragbarkeit gerichtet sein; nötigenfalls muß das durch Auslegung ermittelt werden.

3. Konfusion. Durch Erbgang oder ähnliche Vorgänge kann es sich ereignen, daß der bisherige^Gläubjger selbst in die Stelle des Schuldners einrückt oder umgekehrt. Mein Onkel hatte mir 200 Mk. geborgt; ich wurde sein Schuldner, er mein Gläubiger. Er stirbt, und ich beerbe ihn und erbe mit allen anderen Vermögensstücken auch das gegen mich selbst gekehrte Gläubigerrecht.

Es ist dann kein Platz mehr in der lebendigen Welt für dieses Schuldverhältnis. Es stirbt an seiner Überflüssigkeit; es „erlischt" in der juristischen Sprachweise. Der Gesetzgeber hat das nicht be­ sonders ausgesprochen; er hat es als selbstverständlich unterstellt, während im I. Entwurf des BGB. noch eine ausdrückliche Regel dafür ausgenommen war. In gewissen Fällen kann es jedoch zu einem Wiederaufleben kommen, wenn sich nämlich die Parteirollen nachträglich wieder zweien und dies in der Natur des betreffenden Schuldverhältnisses von vornherein begründet lag. Namentlich gilt das von Schuld­ verpflichtungen, die auf einen ständigen Wechsel, auf „Umlauf" zu­ geschnitten sind, wie etwa die Jnhaberschuldbriefe (unten §18). Kommen durch Umlauf (ober Vererbung) einige Stücke seiner Jnhaberschuldbriefe in das eigene Vermögen des Ausstellers hinein, so werden sie nicht wertlos oder nutzlos. Sie ruhen nur. Jeden Augen­ blick kann sie der Aussteller wieder weitergeben, und dann ist das Schuld­ verhältnis wieder in unverminderter Kraft vorhanden und der neue Gläubiger kann die in der Zwischenzeit ausgelaufenen Zinsen geltend machen, wenn er das Papier in diesem Sinne erworben hat, und der Aussteller hat wieder nur die Rolle des Schuldners.

III. Ungewißheit der Person. Die meisten Schuldverhält­ nisse sind so gedacht, daß ein für allemal feststeht, wer die geschuldete Leistung tätigen und wer sie empfangen soll. Aber schon die Mög­ lichkeit eines späteren, ursprünglich nicht geplanten Wechsels in der Person (oben d 1) bringt ein Moment der Unsicherheit hinein. Von dcr aus ist es nur noch ein Schritt zu Schuldverhältnissen, bei denen gleich am Anfang, d. h. bei ihrer Begründung damit

' 8 5 m. Ungewißheit der Person.

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gerechnet wird, daß man den endgültigen Träger der Rechte oder Pflichten — meist handelt es sich um eine Unbestimmtheit auf der Gläubigerseite — erst später wird feststellen können. • Solche Gebilde smd durchaus unrömisch. Wie der Römer ursprüng­ lich jeden Wechsel der Personen verwarf, weil ihm das Schuldverhältnis nur möglich schien in der starren Festlegung aus zwei bestimmte Köpfe, so konnte er noch viel weniger Schuldverhalmisse zulassen, bei denen von vornherein mit unbekannten persönlichen Großen gerechnet wurde. Diese Begrenztheit seines Denkens ist mit daran schuld, daß der Römer den Weg zu den Wertpapieren nicht gesunden hat.

Es gehört hierher u. a. der (auf die „Erben" gestellte) LebensVersicherungsvertrag (unten § 16), denn es kann int Augen­ blick seines Abschlusses noch gar nicht gesagt werden, wer dereinst der berechtigte Empfänger der Versicherungssumme sein wird. Weiter das Preisausschreiben (£25 Ziff. IVa. E.), denn, wer die aufgegebene Arbeit leisten und des Preises für würdig befunden werden wird, steht noch dahin. Bor allem rücken ganze Kategorien von Wertpapieren in diesen Zusammenhang, die Jnhaberpapiere (unten § 18) und in gewisser Weise auch die Orderpapiere. (Näheres im Grundriß Wertpapiere.) Wenn beispielsweise eine Großbrauerei 1 Million Mark Geld auf­ nimmt und dafür Schuldbriefe in Stücken von 1000 Mk. ausgibt, so könnte sie die Stücke auf feste Namen stellen, nämlich aus die Namen der verschiedenen Geldgeber. Meist aber wird in solchem Falle das Papier „auf den Inhaber" gestellt. Dadurch wird es umlaufssähiger, zumal wenn es zum Börsenhandel zugelassen wird. Die Zahlungsverpflichtung steht auf einige Jahre hinaus. Wer dann vielleicht nach 5 oder 10 Jahren gerade die einzelnen Stücke haben und sich zur Entgegennahme des Geldes melden wird, ist heute noch gar nicht abzusehen.

Wie die Beispiele zeigen, ist die Unbestimmtheit keine un­ begrenzte. Es ist immer ein Kennzeichen da, an Hand dessen der endlich Berechtigte (oder Verpflichtete) ermittelt werden kann: die Stellung als Erbe, die Anfertigung einer den Bedingungen entsprechenden Preisarbeit, die Jnhabung und Vorweisung des Papieres. Die Person des Gläubigers (oder Schuldners) kann also unbestimmt, muß aber „bestimmbar" sein.

IV. Hilfspersonen. Es ist unmöglich, in der heutigen Welt des hochgesteigerten Verkehrs, der Vermögensanhäufungen und der durchgreifenden Arbeitsteilung alle Geschäfte selber abzuschließen uttfr durchzuführen. Jener Druck des Massenhaften (S. 32 c) tritt noch dazu. Das Gesetz stellt deshalb eine Reihe von Rechtseinrichtungen und Denkformen zur Verfügung, um sich der Hilfe anderer Personen zu bedienen.

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§ 5 IV. Hilfspersonen im Schuldrecht.

a) Die wichtigste Einrichtung dieser Art ist die Stellvertretung. Ihr Kennzeichen ist, daß der Helfer unmittelbar in den Bereich der Rech)swelt eingreift. Denn er formt selbst die entscheidenden Willenserklärungen, auf die das rechtliche Wirken ^anf gepflanzt wird. Die Lehre von der Stellvertretung ist dem I. Buche des BGB. eingegliedert; (das einzelne ist daher im Grundriß Allgemeiner Teil §36 zu vergleichen). b) Der sog. Erfüllungsgehilfe bleibt dagegen auf tatsäch­ lichem Boden. Er rührt die Hände und die Füße, setzt auch sein Denken in Bewegung, aber nur innerhalb der rechtlichen Bahnen, die andere, nämlich die wirklichen Teilhaber am Schuldverhältnis (Gläubiger und Schuldner) vorgezeichnet haben.

Beispiel: Der Dienstmann, dessen ich mich bediene, um die geschuldete Wemkiste dem Gläubiger ms Haus zu bringen. Der Kaufvertrag liegt fertig vor. Der Dienstmann legt tein Gramm zu seinem jurifnschen Gehalt hinzu. 1 Aus der Unselbständigkeit dieses Helfers ergibt sich die recht­ liche Konstruktion des Verhältnisses: Der Helfer tritt nicht in den Schuldverband ein; gebunden bleibt dem Gläubiger allein der „Schuldner". Begeht daher der Helfer ein Versehen, so kann er nicht haftbar gemacht werden, wenigstens nicht aus dem Gesichts­ punkt des geschlossenen Vertrages. Dafür hat in weitgehendem Maße der Schuldner für das Versehen seines Helfers einzutreten, worüber noch in anderem Zusammenhänge (§41III c) zu be­ richten sein wird. Möglicherweise liegt allerdings in dem Verfahren des Helfers gleichL zeitig eine unerlaubte Handlung. So, wenn der Dienfimann, der mir einen verliehenen Koffer vom Entleiher zuruckbnngt, aus Wur jüber zu geringes Trinkgeld meinen Koffer mit den Füßen zertritt. Dann freilich haftet auch er, aber es ist ein ganz neues, zweites Schuldverhaltnis (aus § 823 BGB.) entstanden. Aus dem alten Schuldverhalttns der Leihe (§ 598 ff.) hastet nach wie vor nur der Freund, dem ich den Koffer »borgte. Übrigens ist auch das noch fraglich, denn vielleicht muß das Han­ deln des Dienstmannes als ganz aus dem Rahmen des Leihverttages chinausfallend bewertet werden. Näheres unten §35 1 a und 1V b 2.

Auch auf der Glaubigerseite können solche Hilfspersonen Vorkommen. Denn auch die Abnahme der geschuldeten Sache, die beispielsweise für den Kauf ausdrücklich vorgeschrieben ist (§ 433 II BGB.; unten § 7 Ziff. V b), erfordert oft allerlei Handreichungen, bei denen ein Gehilfe unentbehrlich ist. Man wird dann (im Anschluß an § 254 BGB.) den Gläubiger in gleicher Weise haften lassen wie den Schuldner, während der Gehilfe wiederum aus dem Vertrage heraus nicht belangt werden kann.

§6 1.

Der menschliche Wille im Schuldrecht.

37

c) Neben den beiden Hauptformen kennt das Gesetz noch andere, die aber geringere Bedeutung haben. Zu erwähnensind der sog. Leistungs­ empfänger, z. B. der Überbringer einer Quittung (nach §370 BGB.). Ferner der Schiedsmann (§317 ff.) und der nahe verwandte Preis­ richter (§ 661H). Diese Helfer sind selbständiger gestellt als der Erfüllungsgehilfe; sie greifen in gewissen Grenzen in die rechtliche Gestaltung des Schuldverhältnisses ein.

Die Verknüpfung. ' Dasein eines Schuldgegenstandes und Dasein von Schuld­ personen reichen nicht zu, um irgendein Schuldverhältnis ins Leben zu rufen. Es bedarf vielmehr einer Kraft, die sie zueinander in Beziehung setzt. Die so entstehende Verknüpfung ist in jedem Falle nur etwas Vorgestelltes, nichts körperlich Greifbares Bauherr und Kapitalist (die Personen) stehen sich zunächst ganz sfremd gegenüber; Geld (die Sache) liegt beim Kapitalisten. Eine Kraft, die im folgenden näher zu untersuchen ist, formt aus den beiden Ele­ menten ein Schuldverhältnis: das Darlehn. . Mit der Hingabe des Geldes an den Bauherrn kommt es zur Entstehung. Diese Hingabe swar noch etwas Wahrnehmbares. Aber das so geschaffene Schuld Verhältnis selbst — daß der Bauherr das Geld künftig zurückzahlen und inzwischen verzinsen muß — besteht nur in der Idee.

I. Die Wurzel der Verknüpfung. a) Die Bedeutung des menschlichen Willens.

Wenn zwei Menschen einen Kaufvertrag miteinander abschließen, wenn der Bauherr an den Kapitalisten mit der Bitte herantritt, ihm Geld für den Bau zu leihen, und der Kapitalist das zusagt, so sieht es aus, als wäre das Wollen der beiden Vertragsparteien die tiefste Wurzel ihres Schuldverhältnisses. In der Tat kommt dem menschlichen Willen gerade im Bereich des Schuldrechts eine ungeheure Bedeutung zu. Bei weitem das meiste in der Entstehung und Abwickelung der Schuldverhält­ nisse richtet sich nach dem, was die Beteiligten sich vornehmen. Sie haben darüber zu entscheiden, ob ein Gegenstand geschenkt oder gekauft sein soll, ihnen ist es anheimgcgeben zu bestimmen, ob sich die Pacht eines Bauerngutes auch auf die Bücherei miter­ strecken soll, die der Verpächter aus Liebhaberei zusammen gebracht hat, ihr Wunsch ist maßgebend, wenn statt der vom Gesetz (§246) ausgeworfenen 4 Prozent ein Zinssatz von 5 Prozent gewählt wird, sie sind es, die mehrere nebeneinanderlaufende Beziehungen zu einem einheitlichen Schuldverhältnis verschmelzen können (oben S. 3111). Bertragssreiheit steht als oberstes Zeichen über dem gesamten Schuldrecht (vgl. bereits S. 5).

38

§6 1. Menschlicher Wille im Cchusdrecht.

Damit hängt aufs engste zusammen, daß die meisten gesetz­ lichen Regeln des II. Buchs (und der Nebengesetze schuldrecht­

lichen Charakters) nur sog. dispofitives Recht enthalten, nur gleich, sam ein Vorschlag sind, der durch die Parteidispositionen geändert werden kann. Meist ergibt sich das obne weiteres aus dem Sinn der betreffenden Vorschriften. Nicht selten aber ist es auch ausdrücklichburch Zusatze gekenn­ zeichnet wie etwa „soweit im Vertrage nichts anderes bestimmt ist" oder dgl. Gewisser Vorliebe des Gesetzgebers erfreut sich auch der Zusatz '„im Zweifel". Meist macht er sog. AnSlegurrgSregeln kenntlich, die vom ins dispositivum unterschieden sind, aber eben das Zurückweichen vor dem wirklichen Willen der Parteien mit ihm gemeinsam haben. Beispiel §613. Mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit hängt schließlich der der Formlosigkeit aufs engste zusammen. Jede Form lähmt, hat also etwas Abschreckendes, Vertragerschwerendes an sich. Darum läßt der Gesetzgeber grundsätzlich auch in dieser Hinsicht dem Parteiwillen freien Lauf: er mag sich äußern, wie er will, flüchtige Worte, ja bloßes Kopfnicken oder sonstige Zeichen können genügen. Nur ganz selten wird für das gültige Zustandekommen eines Schuldverhältnisses Schriftform, oder etwa die noch schwerere Form der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung verlangt. Die Dogmatik dieser Dinge, über den Rahmen des Schuldrechts weit hinaustragend, wird im Allgemeinen Teil bebandelt. Vgl. Grund­ riß^ Na Teil § 30 („Erklärung"), § 31 („Form der Erklärung"). — Haupt­ beispiel der Schriftform im Schuldrecht: die Bürgschaft (§766; unten § 20). Hauptbeispiel der Beurkundung: die Grundstücksgeschäfte (§313; Näheres unten im §7 Ziff.I d).

b) Trotzdem ist die letzte Wurzel der schuldrechtlichen Verknüpfung nicht der Wille der Parteien, sondern die objektive Rechtsordnung. Auf den Befehlen der Rechtsordnung, freilich sehr.weitherzig gehaltenen Befehlen, beruht die wahre Kraft jedes einzelnen Schuldverhältnisses. Das äußert sich verschiedentlich. Es gibt Schuldverhältnisse, die gegen den Willen der Beteiligten ins Leben treten. Vor allem das ganze Gebiet der unerlaubten Handlungen (unten § 35). Oder,, wenn nicht gerade gegen einen Willen angegangen wird, so ist doch vielleicht der Wille gleichgültig, wie bei der sog. ungerechtfertigten Bereicherung (unten § 33). Wer mir meinen Koffer aus Wut zertrümmert, kann sich gewiß nicht der „actio ex delicto1' entziehen, indem er behauptet, ein Hasten für den Schaden entspräche nicht seinem Willen (§ 823). Und wer versehentlich dieselbe Schuld zweimal von mir bezahlt erhalten hat, muß mir den zweiten Betrag ganz unabhängig von dem, was in ihm dabei vor-

8^ Id.

Objektive Rechtsordnung imb Willensfreiheit.

39

gegangen ist, zurückgeben, weil er ohne Rechtsgrund bereichert wäre (§812). Es hat nicht an Versuchen gefehlt, auch diese Fälle auf einen „Willen" zurückzuführen und insbesondere die deliktische Haftung aus dem üblen „Wollen" des Täters abzuleiten. Aber das ist eine Künstelei. Es gibt umgekehrt mögliche Verknüpfungen, die aber auf Geheiß der Rechtsordnung nicht den Charakter eines Schuld­ verhältnisses annehmen dürfen. So die ganze Welt des unsittlichen Verkehrs (oben S. 24 Ziff. 2). So manche Einzeldeziehungen

innerhalb

eines

im

übrigen

zugelassenen

Schuldverhältnisses.

Als ein besonders mächtiger Regulator hat sich dabei die gesetzlich

sanktionierte Formel von Treu und Glauben erwiesen (näheres unten § 39 Ziff. I). Zinsen darf man nehmen. Insofern Vertragsfteiheit. Aber Zinses­ zins darf man sich nicht im voraus versprechen lassen. Hier schreitet die Rechtsordnung verbietend ein, die Grenze des Spielraums für den Partei­ willen ist überschritten (§ 248 Ziff. I). — Die Parteien dürfen grund­ sätzlich die beiderseitige Haftung schärfen oder mildern, so wie es ihnen gutdünkt. Aber, sagt der Gesetzgeber: „Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im voraus erlassen werden" (§ 276 II). — Unverzichtbarkeit der sozialen Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts, § 619, unten § 24 Zifs. II b. — Usw. Es wird schließlich jedes Schuldverhältnis, auch wenn der

Rahmen

vom

Parteiwillen

gezeichnet

worden

ist,

bei

seiner

Abwicklung von der Rechtsordnung getragen. Denn immer wieder können Überraschungen, ungeahnte Wendungen eintreten,

die der (ursprüngliche) Parteiwille nicht mit umfaßt hat.

Dann

immer greift die Rechtsordnung ergänzend, lückenfüllend ein. Ein besonders lebendiges Beispiel ist die Mängelhaftung. Wer denkt beim Vertragsschluß gleich an Mängel? Ein besonders Vorsichtiger vielleicht, jemand, der schon einmal in gleicher Lage schlimme Erfahrungen gemacht hat. Aber durchaus nicht die große Menge. Nun tauchen die Mängel auf. Wie wollte man behaupten, daß ihre Erledigung auf den Parteiwillen gebaut werden könnte Doch der Gesetzgeber hat an die Möglichkeit solcher Überraschungen gedacht und hat bei den gangbarsten Typen, dem Kauf (unten §7Zisf.III), der Miete (§10 Ziff. III dl), dem Werkvertrag (§ 23 Ziff. II b) Regeln dafüi bereit gestellt Die treten dann ein, auch wenn der belastete Teil durchaus nicht seinen Willen darauf gerichtet hat. Gewiß können die Parteien anderes vereinbaren, die Haftung mildern oder auch ganz wegstreichen Doch die Erfahrung lehrt eben, daß sie meist überhaupt nicht an solche Dinge denken, und dann offenbart sich, daß doch ihr ganzes Schuldverhältnis letzten Endes auf den Weisungen der Rechtsordnung beruht und nicht aus ihrem Willen. und

In ganz besonderem Maße haben bic Kriegswirtschaft die revolutionäre Gesetzgebung die Überlegenheit der

Recbtsvrdnung über den Einzelwillen bekundet, worüber bereits im § 3 Ziff. II a (S. 21) gesprochen worden ist.

40

8 6 le. Einfluß ieS Richters.

c) Zwischen die objektive Rechtsordnung und die subjektive Einwirkung der Parteien schiebt sich als Mittler der Richter ein, und es ist nun ein sehr wichtiges Problem, inwieweit der Richter an der Gestaltung der Schuldverhältnisse mitzuwirken hat. Die alte Überlieferung, die durchaus das BGB. beherrscht, geht dahin, daß dem Richter, wie überhaupt, so auch im Bereich der Schuld­ verhältnisse grundsätzlich nur eine feststellende Funktion zufalle. Das bedeutet, daß der Richter nur die beiden Grund­ faktoren, die vorhergehend (a und b) geschildert wurden, nämlich Parteiwille und Gesetzestext gegeneinander zu halten und festzustellen hat, wo die Grenze läuft, daß er dagegen an dem Inhalt des geschlossenen Vertrages aus eigener Machtvollkommenheit nichts ändern darf. Diese Lehre kreist vor allem um den Begriff der Nichtigkeit. Ergibt sich bei der richterlichen Prüfung, daß ein von den Parteien ge­ schlossener Vertrag gegen die objektive Rechtsordnung verstößt, so ist das ganze Geschäft kurzerhand nichtig, was u. a. die Folge hat, daß die inzwischen bereits gemachten Leistungen beiderseits restlos zurückgegeben werden müssen. Namentlich in den §§ 138 (unsittliche Geschäfte) und 134 (gesetzeswidrige Geschäfte) ist das niedergelegt. Wenn also z. B. bei einem Darlehn 9 Prozent Zinsen verabredet sind, und der Richter kommt zu der Überzeugung, daß dies wucherisch und darum unsittlich sei, so kann er nicht etwa bessernd in den Vertragsinhalt eingreifen und be­ stimmen, daß das Schuldverhältnis zu 7 Prozent oder 5 x/2 Prozent weiterlaufen solle, sondern er muß das ganze Geschäft für schlechthin ungültig erklären, ein nacktes Entweder-Oder.

Demgegenüber macht sich neuerdings ein wachsendes Be­ dürfnis nach einem richterlichen Gestaltungsrecht bemerkbar. Bescheidene Ansätze und damit den Beweis, daß dieser Weg gang­ bar ist, hat schon das BGB. selbst gebracht. So kennt es ein richter­ liches MSßigungsrecht bei allzu hohen Vertragsstrafen (BGB. § 343; unten § 4611 d) und ähnlich eine Herabsetzungsbefugnis, wenn eine zu hohe Mäklerprovision ausbedungen worden ist (BGB. §655; unten im §25 Ziff. III). In diesen Fällen wird also das plumpe Entweder-Oder (entweder glatte Ungültigkeit des ganzen Geschäfts oder völlig unveränderte Gültigkeit) zugunsten einer verbsssernden Umformung des Geschäftes überwunden. Im Zuge der Kriegs- und Übergangswirtschaft hat diese „Vertrags­ korrektur" bedeutend an Boden gewonnen, z. B. in der Spruch. Praxis zur« Höchstpreisgesetzgebung (vgl. S. 18). Vielleicht ist ihr eine große Zukunft beschieden. Der Gedanke verdient jeden­ falls Unterstützung. II Die Gestaltung der Verknüpfung. Im vorhergehenden

§ 6 ITa.

Zerlegung in Einzelbeziehungen.

41

ist vielfach kurzerhand vom „Schuldverhältnis" als dem Er­ gebnis jener Verbindung von Person und Gegenstand gesprochen worden. Aber dies ist ein Sammelbegriff, der schärferer Durch­ dringung bedarf.

a) Auflösung in die einzelnen Beziehungen. Jedes, selbst das einfachste Schuldverhältnis läßt sich in Einzelbeziehungen aus­ einanderlegen. Das wäre eine bloße Gedankenspielerei, wenn keine praktischen Folgen heraussprängen. Es wird sich aber zeigen, daß die rechtliche Bearbeitung der Schuldverhältnisse zum Teil nicht auf den Gesamtbegriff gelegt, sondern auf jene Einzel­ beziehungen gerichtet wird. Beim einfachen zinslosen Darlehen ist mindestens eine berech­ tigende und eine verpflichtende Beziehung da. Meist decken sich diese beiden „korrespondierenden" Beziehungen inhaltlich ganz genau: der Gläubiger kann genau so viel fordern, als der Schuldner ihm leisten muß. Indessen können sich Abweichungen ergeben, die eben beweisen, daß die gedankliche Auseinanderlegung durchaus nicht nutzlos ist. Ein Beispiel bietet die sog. facultas alternativa (Ersetzungsbefugnis). Sie ist allerdings selten. § 528 gibt einen Fall. Es handelt sich da um die spätere Verarmung eines Schenkers: der in Not geratene Schenker kann dann, noch nach langer Zeit, bis zu zehn Jahren, auf die früher gegebenen Geschenke, etwa das kostbare Böcklinbild zurückgreifen, das er seinem Neffen geschenkt bat (unten § 8 Zrff. in b 1). So der erste Satz des § 528. Bis hierhin decken sich Gläubigermacht und Schuldnerbindung voll­ kommen: Der Verarmte kann den Böcklin zurückverlangen, genau auf das gleiche ist der Beschenkte gebunden. Aber der Paragraph fährt fort: „Der Beschenkte kann die Herausgabe durch Zahlung des für den Unter­ halt erforderlichen Betrags abwenden." Dies ist eine einseitige Be­ stimmung zugunsten des Schuldners; ein entsprechendes Forderungsrecht des Gläubigers korrespondiert nicht damit. Anders ausgedrückt: Der Gläubiger kann nur die Leistung a verlangen (und einklagen),der Schuldner dagegen birgt in seiner Verpflichtung zwei Leistungen, a und b, zwischen denen er wählen kann. Also geht die Schuldnerverpflichtung andere Wege als die Gläubigerberechtigung. Zur Rechtslage bei solcher Er­ setzungsbefugnis vgl. unten § 37 Ziff III.

9 Natürlich sind die verschiedenen Schuldrechtstypen verschieden umfangreich. Darum erschöpft sich bei manchen die Zerlegungs­ möglichkeit sehr rasch. Andere können in eine unendliche Zahl von Einzelbeziehungen aufgelöst werden, schon deshalb, weil bei ihnen das Leisten nicht auf einen einmaligen Akt gestellt ist, sondern eine ganze Zeit hindurch fortgesetzt werden soll. Man spricht hier von Dauerschuldverhältnissen. Der Dienstvertrag, die Miete sind allbekannte Beispiele; hier muß, genau genommen, in jedem Augenblick geleistet werden, und sobald in einem Einzel­ augenblick ein (verschuldeter) Fehler unterläuft, entsteht in Gestalt

42

8 6 Hs. Zerlegung in Einzelbeziehungen,

einer Schadenersatzpflicht eine neue Einzelbeziebung. Weitere gangbare Beispiele sind die Renten- und die ZinsverpflichLungen, die sich jahraus jahrein aneinanderreihen, während ihr gemeinsamer Nährboden das „Schuldverhältnis" (der Leibrcntenvcrtrag, das verzinsliche Tarlehn) ist. Die rechtliche Selbständigkeit solcher Einzelbeziehungen tritt, wenn man erst näher zusieht, überraschend scharf hervor. Einmal in der Richtung, daß die Einzelbeziebungen sehr wohl absterben können, während im übrigen das „Schuldverhältnis" weiter besteht. Tas klassische Beispiel ist die Verjährung. Jeder einzelne Zinsanspruch verjährt für sich besonders, und zwar nach § 197 in 4 Jahren. Beispiel: Zunächst ist der Schuldner pünktlich gewesen, dann hört er mit dem Zinsenzahlen auf, zuerst am l.Jan. 1920, ebenso am 1. April 1920, am l.Juli 1920 usw. Der großmütige oder träge Gläubiger kümmert sich nicht darum. 1926 stirbt er. Sein Erbe denkt strenaer und greift zu. Die Verjährung tritt ibm in den Wea, aber nur eine Strecke lang. Die ältesten Zinsraten, so die von 1920 sind verjährt, die letzten, so die von 1925 dagegen nicht. Klar tritt hervor, daß die Einzelbeziehungen ihre selbständigen rechtlichen Schicksale haben. Im Gesetz ist übrigens die Verjährung an den Begriff des „An­ spruchs" angeschlossen (vgl Text des 194). Daraus entspringt eine schwierige, vielbesprochene, aber praktisch kaum bedeutungsvolle Frage, ob nämlich die einzelne schuldrechtlicke Forderung mit dem „Anspruch" zusammenfällt. So, wie im vorangehenden Text die Auflösung in Einzel­ beziehungen gemeint ist, muß bejaht werden.

Umgekehrt ist es auch möglich, daß das „Schuldverhältnis" längst erledigt und von der Tafel des Lebens weggewischt ist, während aus ihm entsprungene Einzelbeziehungen noch rege weiterleben, Gläubiger und Schuldner in Atem erhalten, den Gegenstand von Prozessen bilden, möglicherweise aus sich heraus wieder neue, vorher nicht geahnte Einzelbeziehungen gebären usw. Ein Mietvertrag über ein Haus wird gekündigt. Sobald die Kündi­ gungsfrist um ist, ist er erloschen. Er ist nicht mehr da. Wenn also am 1. Ok­ tober gültig auf 1. Januar gekündigt worden ist, so ist ab 1 Januar das zugrunde liegende „Schuldverhältnis" weggefallen. Aber natürlich behält der Vermieter seinen Anspruch auf den rückständigen Mietszins, und der Mieter seinen Anspruch auf Schadensersatz, wenn die Möbel infolge verheimlichter Feuchtigkeit gelitten haben, und der Vermieter seinen Anspruch auf Herausgabe der Schlüssel, und der Mieter seinen Anspruch auf. Wegnahme des eingesetzten eisernen Ofens (dazu § 547 II 2 und § 258); — jede dieser Einzelbeziehungen aber ist gesondert der Verjährung unterworfen, kannl für sich allein zum Gegenstand neuer Abmachung^ (z. B. Abschluß Zeines Vergleichs im Prozeß) gemacht werden, wechselt vielleicht durch Erbgang oder Abtretung ihren Träger und kann untergehen, während die anderen noch wetterlaufen.

§ Gilb.

Schuld gegen Schuld (Gegenseitiger Vertrag).

43

b) Schuld gegen Schuld. Mit der Isolierten Betrachtung der Einzelbeziehungen, aus denen sich ein Schuldverhältnis zusammenseht, ist jedoch noch nicht alles erfaßt, was über die Gestaltung der schuldrechtlichen Verknüpfung zu sagen ist. Die mehreren Beziehungen können nämlich sehr wohl auch in Wechselwirkung gesetzt oder umgekehrt besonders scharf auseinander ge­ schnitten werden. Dadurch ergeben sich weitere, sehr wichtige lfnb häufige Bilder. Im Vordergründe stehen die „gegenseitigen BertrSge". Bei ihnen übernehmen die Parteien beide zu gleicher Zeit die Rolle von Gläubiger und Schuldner. So ist es beim Kauf; denn der Käufer ist gleichzeitig'Gläubiger der Ware und Schuldner des Preises und der Verkäufer Schuldner der Ware und Gläubiger des Preises. Und ebenso bei der Miete und der Pacht, beim Tausch und beim Arbeitsvertrag, überhaupt bei den meisten bedeutenden, aller Welt geläufigen Verkehrsgcschäften. Dahinter treten die „einseitigen" Schuldverhältnisse zurück. Freilich stellen auch sie wichtige Typen ins Leben hinein, vor allem das Darlehn; auch das Schenkungsversprechen spielt eine gewisse Rolle. Doch können sie sich in ihrer Gesamtbedeutung mit den „zweiseitigen" nicht messen. Es kommt ein Zwischengebilde hinzu, das man entweder als abgeschwächtes zweiseitiges oder als erweitertes einseitiges Schuld­ verhältnis auffassen kann. Hierher gehört z. B. der unentgeltliche Berwahrungsvertrag. Wenn ich bei meinem Freunde einen Koffer einstelle, sind wir uns einig, daß dafür ein Entgelt nicht bezahlt werden soll. Das sieht nach einseitiger Verpflichtung aus: er allein ist Schuldner auf Aufheben und auf Rückgabe des Koffers, ich allein fern Gläubiger. Im Grunde genommen ist das auch richtig. Aber es können doch auch Verwickelungen im Rahmen des Verhältnisses eintreten, die mich als Schuldner, ihn als Gläubiger erscheinen lassen. Wenn etwa der Koffer gefährliche Säuren in zerbrechlichen Gesäßen oder Sprengstoffe enthält, so bin ich verpflichtet, den Freund hierauf aufmerksam zu machen; anderenfalls hafte ich ihm für allen daraus entstehenden Schaden Tre romanistische Doktrin sprach bei solchen Typen von Hauptverpslichtungen, die zum Begriffe gehören, und Nebenverpslich Lungen, die nur möglicher­ weise ein treten, und nannte da^ Ganze contractus bilaterales inaiquales. Deshalb werden diese Gebilde auch heute noch vielfach zu den zwei­ seitigen Schuldverhältnissen geschlagen. Es ist aber besser, sie als er­ weiterte einseitige aufzufassen. Tenn dann tritt das Wesen der wirklich „zweiseitigen", d.h. auf Schuld gegen Schuld gestellten Typen um so schärfer hervor. Man kann diese aber auch, um ganz sicher zu gehen, wie schon vorstehend geschehen, mit dem besonderen Namen der „gegen­ seitigen Verträge" belegen. Dies auch die Bezeichnung im BGB ; vgl. §320 ff.

Das Wesen der gegenseitigen Verträge besteht darin, daß jede der beiden hinüber und^ herüber geschuldeten Leistungen

44

§ 6 Üb.

Leisten „Zug um Zug".

ihren Charakter gerade durch die Abhängigkeit von der Gegen­ leistung empfängt'. Die Rückgabepslicht bei der (unentgeltlichen) Verwahrung kann man durchaus für sich allein denken. Nicht so die Käuferleistung. Für sich allein betrachtet schwebt sie in der Luft, erst durch die Verbindung mit der Verkäuferleistung bekommt sie ihr Wesen als das einer Kaufleistung. Diese gedankliche Verknüpfung bat wichtige praktische Folgen. Der Abhängigkeit in der Vorstellung entspricht eikte Abhängigkeit in der rechtlichen Behandlung. Auch rechtlich wird die Käuferleistung so behandelt, daß sie mit der Verkäuferleistung in Wechselwirkung bleibt. „Zug um Zug" muß geleistet werden, und der eine Vertragsteil darf seine Leistung so lange zurückhalten, bis auch die Gegenleistung von der anderen Seite her gesichert ist. Weitere sehr wichtige Fragen werden dadurch ausgelöst, daß viel­ leicht die Leistung des einen Teils verspätet eintrisft oder fehlerhaft ausfällt oder überhaupt unmöglich wird. Wie wirkt das dann auf die Gegenleistung? Ter Gesetzgeber hat diesen Fragen eine Reihe von Bestimmungen gewidmet (§ 320 ff.). Sie gehören zum allgemeinen Schuldrecht, sind also den einzelnen Typen übergeordnet und schieben sich in deren Sonderbestimmungen ein. Dadurch ent­ steht eine manchmal recht verwickelte Lage. Es kommt hinzu, daß jene allgemeinen Bestimmungen in ihrer Tragweite durchaus nicht zweifelsfrei sind. Tie Lehre von den gegenseitigen Verträgen ist deshalb eine der schwierigsten, aber auch wichtigsten innerhalb des Schuldrechts Das Nähere wird in §38 und § 42 III, 43 III dargestettt. Einzelanwendung beim Kauf als Beispiel § 7 Ziff. III a und b 2 3.

c) Das abstrakte Schuldverhältnis. Während das Wesen der gegenseitigen Verträge gerade darin besteht, eine bestimmte Leistung mit etwas anderem, nämlich der Gegenleistung, also, könnte man sagen, mit ihrer Umgebung zu verknüpfen, ist dem denkenden Geiste auch eine Vorstellung zugänglich, wonach eine aus irgendwelchen Beziehungen herausgewachsene Leistung von diesen Beziehungen isoliert, also von ihrer Umgebung gelöst wird. Das ist mehr als jene einseitigen oder erweiterten einseitigen 93er* Pachtungen. Denn sie standen von vornherein allein, brauchten also nicht erst gelöst zu werden, während es sich hier um eine auf geistigem Entschluß beruhende Trennung handelt

Zu einer solchen Maßregel würde nicht gegriffen werden, wenn sie nicht einen Vorteil böte. Ter Vorteil liegt auf feiten

des Gläubigers: ihm wird in dem sog. abstrakten Schuldverhältnis eine schärfere Waffe geboten? Denn die Abstreifung der „umgeben­ den" Beziehungen schneidet dem Schuldner allerlei Einwendungen und manche Ausflucht, ein Zurückgreifen auf das Drum und Ä)ran, ein Hilfeholen aus dem darunter gelagerten sog. Kausal­ verhältnis ab. K "Das gangbarste und kräftigste Beispiel ist der Wechsel. Dies ist ein Papier, in dem nichts anderes zu stehen pflegt, als daß an einem bestimmten Tage an eine bestimmte (oder bestimmbare) Person eine gewisse Geldsumme gezahlt werden wird. Man sieht diesem Papier nicht an, aus welchem Kausalverhältnis es entsprungen ist; es kann zur Deckung einer Kaufpreisjchuld oder einer Darlehnsschuld, zur Abgeltung einer Schuld aus unerlaubter Handlung oder einer durch Erbteilung überkommenen Zahlungsverpflichtung dienen. Gerade das, nämlich die Lösung vom ursprünglichen Schuld­ grund, ist die Absicht. Klagt jetzt der Gläubiger, so bieten sich ihm zwei Vorteile. Erstens braucht er weniger zu beweisen; die Vorlegung des Wechsels genügt, vom Beweise, daß der Kauf­ vertrag gültig zustande gekommen, oder daß die Erbteilung in Ordnung sei, ist er entbunden. Zweitens braucht er sich, wenn nun der Schuldner auf die „causa“ zurückgreifen, etwa Mängel der Kaufsache geltend machen will, nicht darauf einzulassen; er kann erwidern: ich klage nicht aus dem Kauf, sondern aus dem davon abstrahierten, zu einer selbständigen Größe gestalteten Wechselverhältnis. Schnelligkeit der Durchführung, stärkere Stellung des Gläu­ bigers, Schutzwehr gegen faule und ausredelustige Schuldner sind also die Kennzeichen des abstrakten Schuldverhältnisses. Aber man darf nicht verkennen, daß dadurch auch Gefahren herauf­ beschworen werden. Dem einfachen Volksgeist liegt jene Zerreißung fern. Er wird sich immer wieder an das Kausalverhältnis fest­ klammern. Darum bedeutet oft genug für den ehrlichen Schuldner, der nichtsahnend ein „abstraktes" Schuldverhältnis eingegangen ist (einen Wechsel unterzeichnet hat), die spätere Aufklärung eine bittere Enttäuschung. Die Gesetzgebung ist darum an dieses Gebilde stets mit Vorsicht herangegangen. Bisweilen verbot sie überhaupt ganz eine derartige Schuldgestaltung. Bisweilen ließ sie die unerfahrenen Elemente der Bevölkerung an solche Verkehrseinrichtungen nicht heran (besondere Wechjelsährglert). Zum mindesten suchte sie durch Bindung an schrift­ liche Form einer Unüberlegtheit emgegenzuwirken. Obwohl sich verwandte Erscheinungen schon im römischen Recht

46 "

§,6III. Zwarlß, Klage, Vollstreckung.

vorfanden (stipulatio), ist doch das heutige abstrakte Schuldverhältnis, namentlich seine Herübernahme aus dem Handels- ins allgememe bürgerliche Recht, »erst ein Ergebnis neuzeitlicher Ent­ wicklung. X Nach ausführlichem Streit in der gemeinrechtlichen Literatur hat das Bürgerliche Gesetzbuch sich entschlossen, dem abstrakten „Schuld­ versprechen" und „Schuldanerkenntnis" einen Platz einzuräumen (unten $ 17). Es hat dabei Schriftform vorgeschrieben. Das Schwergewicht dieses schuldrechtlichen Gebildes liegt jedoch nach wie vor in der Welt des Handelsrechts. Eine gedankliche Parallelerscheinung bietet die Abstraktion von der causa bei den sachenrechtlichen Vorgängen. Darüber im Grundriß „Sachenrecht" § 3 Ziff. II b. Vgl. ferner über die abstrakte Natur des Erlasses unten §40 Ziff. III a.

III. Die Starke der Verknüpfung. a) Zwang, Klage, Vollstreckung. Aus der Natur der schuldrechtlichen Verknüpfung als eines Ausflusses der Rechts­ ordnung (oben I d) folgt ihre Stärke. Denn die Verknüpfung wird begleitet von der Möglichkeit rechtlichen Zwanges. Dabei erfolgt die Anpassung wiederum Nicht an das „Schuld­ verhältnis" als Ganzes, sondern an jene Einzelbeziehungen („An­ sprüche"). Jede Emzelbeziehung wird von der Möglichkeit der Klage und der Vollstreckung begleitet.

Manche Gesetzgebungen sprachen das besonders aus, daß jedes Recht eine Klage erzeuge. Z. B. die Einleitung zum Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 in ihrem 89. Paragraphen: „Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann." Das BGB. schweigt. Es hat eine sehr wechselvolle Sprache. Ganz selten sagt es ausdrücklich, daß der Gläubger „klagen" könne (z. B. § 550). Meist drückt es sich dahin aus, daß der Gläubiger „berechtigt ist" (z. B. § 601II2), oder daß er „verlangen kann" (z. B. § 810), oder es wendet sich nach der Gegenseite hinüber und spricht davon, daß der Schuldner „verpflichtet ist" (z. B. § 433). Aber an dem Grundsatz, daß aus allen diesen Redesormen in der Praxis die Klage erwächst, ist auch für das BGB. nicht zu zweifeln. Das drückt dem Schuldrecht natürlich einen besonderen Stempel auf, zumal der Widerspenstige grundsätzlich mit seinem ganzen Vermögen für die Einlösung der schuldnerischen Verpflich­ tungen hastet. Dabei steht fast immer außer der eigentlichen ger schuldeten Leistung eine Schadensersatzpflicht im Hintergründe, die im praktischen Leben den Druck auf den Gläubiger wesentlich verstärkt (vgl. unten § 41 Ziff. II). I Immerhin gibt es Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Gestaltung. Das braucht dem Gewicht des Schuldrechts keinen Abbruch zu tun. Die Ausnahmen erklären sich sämtlich leicht aus

§ 6 Illa. Gläubigerkonkurrenz.

47

besonderen Gründen. Schon früher (S. 26) ist gezeigt worden, daß mitunter die Klage, mitunter die Vollstreckung verschlossen ist. Es kommt die tatsächliche Unvollstreckbarkeit hinzu, wenn beim Schuldner nichts zu holen ist, was durch die „Unpfändbarkeit" sehr vieler Objekte (S. 11) wesentlich gesteigert wird.

Schließlich fällt auch die Konkurrenz mit anderen Gläubigern ins Gewicht. Wenn freilich, was der Schuldner hat, ausreicht um alle Gläubiger zu decken, trilt keine Schwächung ein. Wohl aber, wenn es nicht zureicht. Denn entweder läuft dann der eine Gläubiger den anderen den Rang ab, so daß er alles, die anderen nichts (oder nur Bruchteile) bekommen, oder es wird eine gleich­ mäßige Berteilung in die Wege geleitet, wobei dann zwar keinem ein Vorzug zufließt, aber eben alle nur auf Bruchteile gesetzt sind. Die Rechtsordnung hat keineswegs die Gleichmäßigkeit zur un­ bedingten Richtschnur genommen. Sie laßt vielmehr zunächst den Gläubigern freie Hand: mögen sie sich kümmern um die Einbringung ihrer Schulden, wer'dabei säumig und trage ist, mag das Nachsehen haben. Erst, wenn eine gewljfe Zufpitzung eintritt oder unlautere Machen­ schaften zu befürchten sind, stellt die Rechtsordnung die Wassen der An­ fechtung und der Zufammensuhrung aller Gläubiger im sog. Konkurs­ vers ahr en zwecks gleichmäßiger Beteiligung zur Verfügung. Näheres im Grundriß „Einführung", S. 185, § 30 Ziss. 111. Dazu ist neuerdings eine eigentümliche Berteilungsmacht und Verteilungspsiicht des Schuld­ ners gekommen, wenn bestimmte (etwa durch Beschlagnahme geschwächte) Vorräte nicht mehr zur Deckung aller Gläubiger ausreichen; darüber im Kaujrecht, § 7 Zisf. IV c. b) Trennung der „Haftung" von der „Schuld"? Daß tatsächlich das Schuldigsein und das Haftungsergebnis aus­ einanderfallen können, haben die eben besprochenen Ausnahmen dargetan: nicht immer fließt dem Gläubiger zu (Haftungsergebnis), was ihm geleistet werden sollte (Schuldigsein). Daß in gewissem Maße diese Abweichungen auf der rechtlichen Regelung der Dinge beruhen, kann ebenfalls nicht geleugnet werden: Indem die Rechtsordnung bei der Spielschuld die Klage versagt, bei der Vollstreckung das Verzeichnis der unpsändbaren Sachen aufstellt, bei der Verpflichtung aus einem Arbeitsvertrag überhaupt keine Vollstreckung gewährt, verkürzt sie natürlich das Haftungs­ ergebnis. Daß schließlich auf solche Abweichungen eine begriff­ liche Scheidung der „Schuld" und der „Haftung" aufgebaut werden kann, ist nicht zu bestreiten. , Aber eine ganz andere Frage ist es, ob man diese mögliche begriffliche Zerlegung betonen und durch das ganze Gebiet des Rechts der Schuldverhältnisse wie einen Grundzug hindurchfuhren soll. Manche Gelehrte streben dahin.

48

§ 6 inb.

Schuld und Haftung.

Sie sind hierbei stark beeinflußt durch die Gedankengänge des alt­ germanischen Rechts. Hier löste die „Schuld", die als bloßes Leisten­ sollen empfunden wurde, für sich selbst noch kein „Haften" aus. Um dieHastung auszulösen, mußte vielmehr noch ein besonderes „Etwas" hinzu­ treten, entweder eine Pfandsapung oder ein TreugclöbniS (wadiatio); nur dadurch wurde das Leistensollen zu einem Leistenmüssen. Indessen liegt diese ganze Gedankenwelt der heutigen Zeit durchaus fern Sie ist durch den neuzeitlichen Verkehr überwunden.

Eine solche Zerspaltung paßt nicht zum heutigen Rechts­ system. Das BGB. ist in klarer Weise auf die grundsätzliche Identität von Schuld und Haftung, auf das regelmäßige Zusammenfallen von Leistensollen und Leistenmüssen aufgebaut. Das hat seine praktische Seite: Wo nämlich nicht ausdrücklich Beschränkungen vorgesehen sind, darf kein Gramm aus der Schale der Haftung weggenommen werden. Es hat aber nicht minder eine ethische Seite. Denn es bedeutet, daß an dem Ernst und der Gradlinigkeit der schuldrechtlichen Bindung nicht gerüttelt werden darf. Tie beteiligten Personen (§ 5) werden in gerader Linie auf den Gegenstand des Schuldverhältnisses (§ 4) hingeleitet. Wenn, wie ausgeführt worden ist, den eigentlichen Schuldgegen­ stand das Verhalten des Schuldners ausmacht(S. 28III), so wird die beste Verknüpfung zwischen diesem Schuldgegenstand und der beteiligten Personenschaft dadurch erreicht, daß der Schuldner grundsätzlich mit seiner vollen Persönlichkeit und seinem ganzen Vermögen zu „haften" hat.

Vorbemerkung vor § 7 ff. Typenbildung imb Vertiagsfreihcit.

49

II. Teil.

Einzelne Achnldverhältni^e. Aufgabe des zweiten Teils ist es, diejenigen Schuldverhält­ nisse in Einzelbildern vorzusühren, die sich im Verkehr am meisten eingebürgert haben. Eine solche Einbürgerung erklärt sich aus einem dem Menschen von Natur innewohnenden Beharrungs­ vermögen: Einmal Gedachtes und einmal Bewährtes wird bei­ behalten. So bilden sich immer festere Gedankenzusammenhänge. Die geschaffenen Gebilde prägen sich immer schärfer aus, sie be­ kommen Charakter, sie erstarren. Es entstehen Formulare, Musterbilder, Typen. Jedes solche Erstarren hat seine Gefahren. Es nimmt der Gedankenwelt ihre Beweglichkeit, es bleibt zurück hinter dem unablässig weiter drängenden Leben. Aber man kann der Gefahr geistig begegnen, indem man sich immer wieder daran erinnert, daß es nicht so sein muß, wie die Formulare es hinstellen, daß sie vielleicht sehr Gutes in sich ausgenommen haben, daß aber möglicherweise noch Besseres gefunden werden kann. Freilich findet solches Betrachten seine Grenzen an dem Befehl der Rechts­ ordnung. Stellt sie sich hinter das einmal Geschaffene, mit der Weisung, es als zwingend hinzunehmen, so muß bis auf weiteres die individuelle Selbständigkeit hinter dem Typischen zurücktreten. Indessen bietet gerade das Schuldrecht genügenden Raum für Bewegungsfreiheit. Seine Typenbildung hat nichts Zwingendes. Es sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Vor­ schläge, die der Gesetzgeber macht. Die Parteien können Ab­ weichendes vereinbaren, wenn das zu ihren Zwecken besser Paßt: Bertragsfreiheit steht über den typischen Bildern (vgl. S. 5, 37) Das sichert auch der wissenschaftlichen Behandlung aus­ reichenden Spielraum. Für die Zwecke des Unterrichts wird sie freilich sich möglichst an die Linien halten, die der Gesetzgeber Hedemann,. Das Schuldrecht.

4

§7 1.

50

Grnndzüge des Kaufs.

vorgezeichnet hat. Aber an geeigneten Punkten darf sie schon bei der ersten Einführung in die juristischen Dinge selbständige Bahnen einschlagen. Das gilt zunächst für die Systematik. Im BGB. sind die einzelnen Schuldrechtstypen hintereinander aufgereiht, ohne daß eine Ordnung nach höheren Gesichtspunkten erfolgt wäre. Dieser Grundriß weicht davon ab und stellt die einzelnen Bilder in Gruppen zusammen. Dadurch gewinnt das Ganze an Lebensfrische.

1

Abschnitt.

Schuldverhältnisse aus Überlassung von Gütern. Kapitel 1. Endgültige Gütrrüberlaffung. § 7.

Der Kauf (BGB. 8 433 ff.). Der Kauf wird besonders ausführlich dargestellt. Die Elemente, aus denen er sich aufbaut, werden tiefer verfolgt, Nebenabreden und besondere Figuren, die zu den Grundelementen hinzutreten können, werden stärker berücksichtigt als bei den folgenden Typen. .Auf diese Weise wird ein Beispiel für das innere Gefüge (den Organismus) eines Schuldverhältnisses geschaffen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich danach unschwer auf die anderen Typen übertragen.

I. Grundzüge des Kaufes. a) Der Rahmen. Der Kauf ist ein gegenseitiger Vertrag, in dem sich der eine Teil verpflichtet, dem anderen ein Gut end­ gültig zu überlassen, wofür der Vertragsgegner die Zahlung einer Geldsumme zusagt. 1. Bertragscharakter. .Käufer und Verkäufer müssen sich zusammenschließen. Einseitig kann niemandem ein Kaufvertrag ausgedrungen werden. Auch nicht Einzelheiten, z. B. die Höhe des Preises (©.52), der ^Erfüllungsort (©.54 c), die Annahme Unbestellt zugesandter Waren (S.53).—Die Kriegs- und Übergangswirtschaft hat allerdings Nötigung zum Verkauf in großem Umfange hervorgebracht (vgl. S. 22 c). Es läßt sich aber streiten, wo die Grenze zwischen dem privatrechtlichen Kauf und der ösfentlichrechtlichen Beschlagnahme anzusetzen ist. — Weiteres über die Kriegseinwirkungen S. 68 Zisf.IV.

Weil

der Kauf ein Vertrag (und damit auch ein „Rechts­

geschäft") ist, nimmt er an dem allgemeinen Bertragsrecht teil. Z. B. an den Regeln über Nichtigkeit wegen Sittenverstoßes (§ 138 BGB.; Berkaus eines Bordells; weggefallen die gemeinrechtlichen

§7 1.

50

Grnndzüge des Kaufs.

vorgezeichnet hat. Aber an geeigneten Punkten darf sie schon bei der ersten Einführung in die juristischen Dinge selbständige Bahnen einschlagen. Das gilt zunächst für die Systematik. Im BGB. sind die einzelnen Schuldrechtstypen hintereinander aufgereiht, ohne daß eine Ordnung nach höheren Gesichtspunkten erfolgt wäre. Dieser Grundriß weicht davon ab und stellt die einzelnen Bilder in Gruppen zusammen. Dadurch gewinnt das Ganze an Lebensfrische.

1

Abschnitt.

Schuldverhältnisse aus Überlassung von Gütern. Kapitel 1. Endgültige Gütrrüberlaffung. § 7.

Der Kauf (BGB. 8 433 ff.). Der Kauf wird besonders ausführlich dargestellt. Die Elemente, aus denen er sich aufbaut, werden tiefer verfolgt, Nebenabreden und besondere Figuren, die zu den Grundelementen hinzutreten können, werden stärker berücksichtigt als bei den folgenden Typen. .Auf diese Weise wird ein Beispiel für das innere Gefüge (den Organismus) eines Schuldverhältnisses geschaffen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich danach unschwer auf die anderen Typen übertragen.

I. Grundzüge des Kaufes. a) Der Rahmen. Der Kauf ist ein gegenseitiger Vertrag, in dem sich der eine Teil verpflichtet, dem anderen ein Gut end­ gültig zu überlassen, wofür der Vertragsgegner die Zahlung einer Geldsumme zusagt. 1. Bertragscharakter. .Käufer und Verkäufer müssen sich zusammenschließen. Einseitig kann niemandem ein Kaufvertrag ausgedrungen werden. Auch nicht Einzelheiten, z. B. die Höhe des Preises (©.52), der ^Erfüllungsort (©.54 c), die Annahme Unbestellt zugesandter Waren (S.53).—Die Kriegs- und Übergangswirtschaft hat allerdings Nötigung zum Verkauf in großem Umfange hervorgebracht (vgl. S. 22 c). Es läßt sich aber streiten, wo die Grenze zwischen dem privatrechtlichen Kauf und der ösfentlichrechtlichen Beschlagnahme anzusetzen ist. — Weiteres über die Kriegseinwirkungen S. 68 Zisf.IV.

Weil

der Kauf ein Vertrag (und damit auch ein „Rechts­

geschäft") ist, nimmt er an dem allgemeinen Bertragsrecht teil. Z. B. an den Regeln über Nichtigkeit wegen Sittenverstoßes (§ 138 BGB.; Berkaus eines Bordells; weggefallen die gemeinrechtlichen

§ 7 la.

51

Ware und Preis beim Kauf.

Sonderregeln für sog. laesio enormis) oder wegen Verstoßes gegen ein Berbotsgesetz (§134BGB.; besonders im Kriege praktisch ge­ worden; schwierige Lage bei Überschreitung der Höchstpreise; dar­ über unten Ziff. 3).

Der Kauf ist ferner „gegenseitiger" Vertrag (vgl. bereits S. 43). Daraus folgt, daß die sehr wichtigen Regeln über solche Verträge auch im Kaufrecht zur Geltung kommen. Es wird das namentlich praktisch, wenn die beiderseitigen Pflichten gegen­ einander gestellt werden (unten Zlff. II und V). Häufig ist der Kauf gleichzeitig ein „handelsrechtlicher Vertrag". Gleichzeitig, denn das BGB. ist keineswegs dabei ausgeschaltet, bleibt vielmehr überall entscheidend, wo nicht das HGB. besondere Bestimmungen ausstellt (vgl. S. 13). Dies ist nur für Einzelheiten geschehen, haupt­ sächlich in den §§ 373—382 des HGB. — Rahmen für die Zugehörigkeit in den handelsrechtlichen Bereich: „Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören" (§ 343 HGB.).

2. Die Ware. Das Gesetz spricht im ersten Paragraphen des Kaufrechts (§ 433) nur von „Sachen" (das sind nach § 90 körperliche Gegenstände) und von „Rechten" als Gegenstand des Kaufgeschäftes. Später behandelt es auch den Verkauf ganzer Vermögensmassen (so den Erbschaftskauf, § 2373). Daneben bringt das Leben noch andere Werte hervor, die einer käuflichen Behandlung zugänglich sind, namentlich Gewinnmöglichkeiten, die sich an eine gut beleumundete Firma, an eine feste Praxis, an ein Geschäftsgeheimnis knüpfen. Solche Kaufobjekte sind keineswegs deshalb ausgeschlossen, weil der Gesetzestext von ihnen schweigt. Es muß vielmehr, was im Gesetz über den Kauf von Sachen und Rechten gesagt ist, zweckentsprechend auf diese anderen Fälle übertragen werden. B eisp ieie: Berkaus eines Pferdes und Verkauf von 100 Zentnern Klee; hier wurzelt ein bedeutender Unterschied: das Pferd ist als ganz bestimmtes Emzelstück gekauft (sog. Spezieskauf), der Klee als ein zu­ nächst noch nicht ausgesondertes Quantum aus der Gattung „Klee" heraus (sog. GenuS- oder GattungSkauf). Näheres weiter unten § 36 Ziff.I. — Verkauf einer Hypothek; Gegenstand nicht der körperlich faßbare Hypothekenbrief, sondern das verbriefte Recht. Ebenso Verkauf eines Patents. — Berkaus eines Ladengeschäftes: Kaufobjekt dabei auch körperliche Gegenstände, z. B. die Nnrichtung des Ladens, aber Hauptsache die „Kundschaft" und die „Firma" und daran hängende Gewinnaussicht. Danach ist der Preis berechnet. Wichtig beinachttäglich hervortretenden Mängeln. — Ähnlich Verkauf einer ärztlichen Pra xis. (streifen an Sittenwidrigkeit; grundsätzlich jedoch zuzulassen. Strengere Beurteilung vielleicht beim Verkauf der Anwaltspraxis. Auch Verkauf einer fremden Sache ist zugelassen. Denn eigent­ licher Schuldgegenstand ist das „Verhalten des Schuldners" (S. 2 8 111).

4*

52

§ 7 la.

Kaufpreis, insbesondere Höchstpreise.

Der Schuldner muß dann eben die fremde Sache beiziehen; jo auch Gejetzestext in § 433: „... zu verschaffen".

3. Der „Preis". Es muß dabei immer vom Gelde aus­ gegangen werden. Wer ein Buch „kauft" und mit einem Stück Butter „bezahlt", kauft in Wahrheit nicht, sondern tauscht (Über den Tausch S. 83 Villa).

Aber das Leben setzt sich darüber insofern ost genug hinweg, daß zunächst an Kauf gedacht ist, später aber statt des Geldes Geldeswert gegeben wird. Namentlich rn Gestalt von Wechseln (S. 45), ausländischen Devisen (S. 7), Gutschriften in den Büchern, aber eben auch Waren. Das Gesetz stellt für solche Fälle im allgemeinen Schuldrecht die be­ sondere Figur der „Hingabe an Erfüllungsstatt" zur Verfügung (§364 BGB.; unten §40 Zifs. I a 2). Dre Konstruktion bleibt also: nicht „Erfüllung" (solutio), sondern „datio in solutum". Praktisch wichtig wegen Mängelhaftung für die an Zahlungsstatt gegebene Ware. Nicht selten ist nichts über den Preis vereinbart.

Man

kauft in gutem Vertrauen, daß der Preis „normal" sein wird. Hier darf der Verkäufer nicht etwa hinterher einseitig den Preis diktieren (vgl. Ziff. 1).

Vielmehr ist nach dem Verkehrsüblichen

zu entscheiden.

Allerdings ist im § 316 (also im allgemeinen Schuldrecht) gesagt, daß dem Verkäufer „die Bestimmung über die Gegenleistung zusteht". Aber übergeordnet ist §315, wonach die Bestimmung „nach billigem Ermessen", zu treffen und nur in diesem Ausmaß für den Käufer „verbindlich" ist. Das gilt freilich nur „im Zweifel", beherrscht aber durchaus die große Masse aller Falle. — Auslegungsregel über „Marktpreis" in §453. — Betr. laesio enormis (übermäßig hoher Kaufpreis) oben unter 1. Ganz

außerordentliche

Bedeutung

haben

seit

der

Kriegs­

wirtschaft die staatlich festgesetzten Höchstpreise erlangt. Über sie darf nicht hinausgegangen werden. Lautet die Abrede doch auf einen höheren Preis, so ist er auf den Höchstpreis hinunterzusetzen,

während im übrigen der Vertrag unverändert weiter gilt.

Diese Methode der Regulierung stieß zunächst auf juristische Be­ deuten. Man glaubte auf Grund der §§ 134 und 138 (Verstoß gegen cm gesetzliches Verbot, Unsittlichkeit) das ganze Geschäft nichtig sprechen zu müssen (vgl. bereits S. 18). Dann hätte der Käufer von Brot und anderen lebenswichtigen Dingen das Nachsehen gehabt; seine Beschwerde über den überhöhten Preis hätte fern Darben zur Folge gehabt. Darum eben hat man sich von der Totalnichtigkeit gelöst. Dies geschah mittels folgender Argumentation. Den § 138 ließ man ziemlich beiseite und legte den Hauptton auf § 134. Bei § 134 aber stellte man auf den Zweck des Berbotsgesetzes ab und kam hinsichtlich der Höchstpreisgesetzgebung zu der Erkenntms, ihr Zweck bestehe nicht (oder nur nebenbei) darm, die'Verkäuserschaft übermäßiger Gewinne zu entkleiden, sondern darin, der Käuserschast, d. h. dem Verkehr die betr. Waren wirklich (unter an-

8 7 Id.

Unbestellte Zusendung.

Grundstückskauf.

83

nehmbaren Preisen) zuzuführen. Grundlegend war das Urteil des RG. v. 19. Mai 16 (Bd. 88, S. 250). Erste gesetzliche Unterlage für die fast unübersehbaren Einzel Verordnungen Ges. v. 4. August 1914 (Fassung vom 17. Dez. 1914). Später Abänderungen und Neufassungen. Fortwirkung in der revo­ lutionären Zeit. Probleme: Hat später festgesetzter Höchstpreis rückwirkende Kraft auf die laufenden Verträge? Für einen Kreis von Fällen durch die S. 18 erwähnte B. v. 11. Nov. 15 bejaht unter Verweisung an Schieds­ gerichte. — Kann das Mehr an schon bezahltem Kaufpreis wieder zurück­ gefordert werden (Ungerechtfertigte Bereicherung? Unten $33). —Ist mitunter doch das ganze Geschäft nichtig, wenn es ausgesprochener maßen unsittlichen Charakter an sich trug? Kann der Käufer erklären, er ziehe jetzt die Totalnicbtigkeit vor? — Was sind „Gegen­ stände des täglichen Bedarfs"? Auf sie bezieht sich die Höchstpreis­ gesetzgebung (und ebenso die im folgenden genannte Preistreiberei-V.). Reiche Kasuistik. Neigung zu sehr weitgehender Auslegung. Verwandte Erscheinungen, bei denen aber der Haupttvn im Straf­ recht liegt: Kampf gegen Preistreiberei und Kettenhandel (Kern: V. v. 8. Mai 1918).

b) Der Abschluß (und sein Gegensatz zur Erfüllung). RegelmäHrg ist der Abschluß frei von allen Formalitäten. Gespräch, Briefe, bloßes Zugreifen und Kopfnicken genügen. Nur müssen beiderseitig Erklärungen abgegeben sein. Darum schafft die ««bestellte Zusendung von Waren noch keinen * Kaufvertrag. Sendet mir also eine Firma ohne Aufforderung eine An­ sichtssendung ins Haus und läßt sie nach einem Vierteljahr die Rechnung folgert; so brauche ich mich auf nichts einzulassen. Muß ich die Maren zurücksenden? Grundsätzlich nein. Muß ich antworten? Grundsätzlich nein. Aber es kann sich aus den Umständen etwas anderes ergeben, und mit einem mäßigen Maß von Sorgfalt bei der Aufbewahrung (etwa nach dem Maßstabe des § 690) wird man mich doch wohl belasten müssen. Das Gesetz schweigt über alle diese Dinge. (Über die sog. culpa in contrahendo unten § 41 Zisf. IV).

Ausnahmsweise kann im Gesetz eine Form vorgeschrieben sein. Auch die Parteien können von dem Gedanken ausgegangen sein, daß nur Einhaltung bestimmter Formalitäten eine Bindung hervorrufen soll. Solange dann die betreffende Form nicht gewahrt ist, ist das Geschäft „nichtig" (§ 125). Der wichtigste gesetzliche Fall ist der des GnmdstückSverkaufS. Jeder Vertrag, durch den em Grundstück veräußert wird, „bedarf der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung". ($313) Vorher bindet er nicht. Der Bauer, der, vom Güterschlächter beschwatzt, diesem sein Heim zugesagt hat, kann beliebig zurücktreten, auch wenn er „unter­ schrieben" hat, solange dies nicht vor dem Notar oder dem Richter ge­ schehen ist. Eine sozialpolitische Maßregel. Der Boden soll nicht zu leicht ins Gleiten gebracht werden. Schwierigkeiten, wemi das Grundstück nur eme Nebenrolle spielt, nur „nntverkauft" ist, wie häufig beim Verkauf

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8 7 le. Erfüllungsort und Versendung.

ganzer Geschästsunternehmungen. Die Praxis wendet hier in überaus strenger Weise den § 139 an und läßt schonungslos das ganze Geschäft zusammenbrechen, auch wenn es sich nicht um beschwatzte Bauern, sondern um wohlerfahrene Kaufleute handelt. Auf diese Weise ist § 313 ost zur bloßen Ausflucht Vertragsbrüchiger Elemente geworden. Partetwtlle kann z.B. dahm gehen, daß Bindung nur „mit Bestätigungsbries" eintritt. Von dem Vorgang des Abschlusses ist der Vorgang des Erfüllens zu trennen. Theoretisch erscheint das selbstverständlich. Aber praktisch kann beides in denselben Zeitpunkt fallen, und das trübt dann den Blick des Unerfahrenen.

Wer auf dem Gemüsemarkt Obst, im Kaffeehaus ein Stück Kuchen, beim Buchhändler eine Zeitung kauft, greift nach der Ware und bezahlt sofort. Man nennt das Realtauf. Abschluß (liefere mir eine Zeitung, ich werde dir dafür 10 Pfennig bezahlen) und Erfüllung fallen in eins zusammen. Das bedeutet weiter, daß auch ein schuld rechtliches Er­ eignis (Kaufvertrag) und eine sachenrechtliche Verschiebung (Eigentums­ übergang) in eins zusammenfallen (vgl. S. 12 b). Aber sehr oft fallen die beiden Vorgänge zeitlich auseinander (man bestellt heute, geliefert wird nach 14 Tagen, Bezahlung erfolgt erst am Vierteljahresersten); das ist Kreditkauf. Und begrifflich sind die beiden Vorgänge immer, auch bei zeitlichem Zusammenfall, zu trennen; das ist wichtig, denn der eine Vorgang hat vielleicht andere Schicksale wie der zweite. Wird der „Kaufvertrag" wegen Mängeln gewandelt (darüber S. 62 Zifs.III b 1), so fällt er fort. Aber der Erfüllungstatbestand und die durch ihn hervor­ gerufene sachenrechtliche Verschiebung (Eigentumswechsel) bleibt vor­ erst bestehen, trotzdem beides sich in derselben Minute abgespielt hat.

c) Erfüllungsort und Versendung. Jede Schuldbeziehung soll grundsätzlich an einen Crt gebunden sein, sie soll eine Heimat haben, soll „domiziliert" werden. Dadurch kommt Straffheit in den Verkehr. Jeder Teil weiß jetzt, wo die Erfüllung sich abzuspielen hat, und braucht nicht darauf einzugehen, wenn der Gegner einen anderen Ort dafür aussucht. Diese Lokalisierung ist also zunächst für das materielle Recht be­ deutsam: nur das Leisten an dem vorgeschriebenen Ort ist rechtsgültige „Erfüllung". Daneben kann der so geschaffene feste Platz auch für das Prozeßrecht ausgenützt werden: die etwaige Klage ist an diesem Orte anzustrengen (sog. „Gerichtsstand des Erfüllungsorts", § 29 ZPO ). Aber es herrscht Bewegungsfreiheit auf breitester Grund­ lage. Die Parteien können sich selber den maßgebenden Ort wählen.

Einseitige Bestimmung ist wiederum nicht bindend, z. B. das be­ liebte Beilegen von Rechnungen mit dem Aufdruck: „Erfüllungsort für alle Rechtsstreitigkeiten Berlin" oder dgl. Allerdings entscheidet de facto oft der wirtschaftlich Stärkere oder Gewandtere; er setzt seine Wünsche auch in der Richtung durch, der andere fügt sich. Aber Bindung de jure erst^bel Einverständnis oder der ihr gleichstehenden Verkehrs­ üblichkeit.

§ 7 rtr Erfüllungszeit beim Kauf.

55

Das Gesetz greift ergänzend ein, indem es bei Fehlen einer Parteiabmachung den Wohnsitz des Schuldners zum Erfüllungs­ ort stempelt (§ 269). Natürlich nötigt das wiederum zur Auf­ lösung des Kaufvertrages in seine Einzelbeziehungen (vgl. S. 41a). Denn cs ist ja jeder von beiden Teilen „Schuldner", und möglicherweise zerfällt das Leistensollen des einen Teils wieder­ um in verschiedene Stücke (vgl. z. B. S. 73 Ziff. Vs und b) mit verschiedenen Erfüllungsorten. Immerhin wird oft genug der Parteiwille dahin gehen, daß für die beiderseitigen Leistungen derselbe Ort als Erfüllungsort gelten solle, und wenn es zu einem unmittelbaren Austausch der Leistungen kommt („Zug um Zug", vgl. sogleich unter d), so ist das sogar begriffsnotwendig. Vom „Erfüllungsort" ist der Ablieferungsort zu unterscheiden. Dies liegt dem Laiensprachgebrauch nicht. Aber die Gesetzessprache zwingt dazu. Wenn nämlich der Käufer sich die Ware nach auswärts schicken läßt, so verschiebt das nach dem gesetz­ lichen Gedankengang durchaus nicht den „Erfüllungsort". Vielmehr soll dann die Erfüllung schon damit vollzogen sein, daß die Ware in Bewegung gesetzt wird. Von da an trägt der Käufer die Ge­ fahr (§ 447, vgl. S. 75 Ziff. VI al). Und damit steht auch im Zusammenhang, daß im Zweifel der Käufer „die Kosten der Versendung der Sache nach einem anderen Orte als dem Erfüllungs­ orte" übernehmen muß (§ 448). Nach alledem pflegt man zu unterscheiden: 1. Holschulden, vom Gesetz als Normalfall gedacht' Erfüllungs­ ort der Wohnsitz des Schuldners, dort muß der Gläubiger die Ware holen. 2. Bringschulden: Der Wohnsitz des Gläubigers wird durch Parteiabrede zum Erfüllungsort gestempelt. 3. Schickschulden: „Erfüllungsort" bleibt der schuldnerische Wohn­ sitz, aber der Schuldner „übernimmt" das Versenden. Ter Ort, wohin versandt wird, ist dann der „Ablieferungsort".

d) Ersüllungszeit. Bindung des Schrtldverhältnisses (oder seiner einzelnen Beziehungen) an die Zeit kann ebenso bedeutungsvoll und empfehlenswert sein wie die Bindung an einen bestimmten Ort. Überflüssig ist das freilich bei den Realkäusen (S. 54). Aber wenn auch nur eine von beiden Leistungen, Warenlieferung oder Preiszahlung, nicht sogleich vollzogen wird, steigt sofort die Frage empor: wann soll denn nun geleistet werden? Das Gesetz hat als allgemeine Regel aufgestellt, daß dann der Gläubiger eben ^och sofortige Leistung verlangen darf. Und es fügt sogleich hinzu, daß auch der Schuldner das Recht habe, sofort zu leisten, weil möglicherweise auch sein Interesse auf

56

§ 7 Id.

Borleistungspflicht beim Kauf.

schnellste Abwicklung drängt (z. B. Räumung seines Lagers, um Platz für neue Waren zu bekommen). Doch ist auch das wieder nur eine ergänzende Regel. Durch Handelsgebräuche, ausdrückliche Parteibestimmungen, die be­ sonderen „Umstände des Falles", die als im Parieiwillen unaus­ gesprochen ruhend angenommen werden können, sind Abweichungen in allen erdenkbaren Spielarten möglich. Dazu kommen die Kriegs mOratorien und die ihnen nachgebildeten Erscheinungen (hierüber unten * § 39 Zisf. V). Die.Bedeutung der Bindung an einen bestimmten Zeitpunkt zeigt sich sogleich, wenn der Zeitpunkt nicht eingehalten wirdEs kommt dann der Säumige in „Verzug" und hat empfindliche Nachteile zu gewärtigen. Näheres später, § 43. Die Parteien können übrigens die Bindung an einen Zeitpunkt stärker oder schwächer betonen. Bei besonders starker Betonung, wenn die Leistung „genau" zu einer sestbestimmten Zeit bewirkt werden soll, redet man von „Fixgeschäften", und das Gesetz gibt in solchen Fällen bei Unpünktlichkeit dem anderen Teil neben den Berzugsmaßregeln noch ein „Rücktrittsrecht" (§361). — Interessante Rechtsfragen auch bei zu frühem Leisten. Dars Käufer, der früher als verpflichtet den.Kaufpreis zahlt, „Zwischenzinsen" abziehen? Grund­ sätzlich nein (§272). — Eigentümlicher, weitverbreiteter Handelsbrauch: Skontogewährung bei Zahlung innerhalb bestimmter Fristen. Wiederum ist für den Ansatz des entscheidenden Zeitpunkts Zerlegung in die Einzelbeziehungen nötig. Dabei ergeben sich neue rechtliche Figuren aus dem Gegenüberstehen de.r beiderseitigen Parteiverpflichtungen. Wer hat zuerst zu leisten? Die Frage fällt weg beim Realkauf. Ferner ist es der Grundgedanke des Gesetzes, daß auch bei Vertagung der Leistungen (Kreditkauf) künftig „Zug um Zug", d. h. im gleichen Augenblick von beiden Seiten geleistet, also Ware gegen Preis unmittelbar aus­ getauscht werden soll (unten '§ 38 Ziff. II e). Aber das braucht nicht so zu sein. Oft vereinbaren die Kaufparteien Abweichendes, daß nämlich der eine von beiden „vorzuleisten" hat (unten § 38 Ziff. III). Oder der eine leistet vor, auch ohne daß dies vereinbart wäre, bloß weil ine Verhältnisse es so mit sich bringen. Dieser ist dann in gefährdeter Lage, denn er gibt seine Leistung fort und muß abwarten, ob er die Gegenleistung hereinbekommt. Für schlimme Fälle gibt jedoch das Gesetz dem Vorleistungspflichtigen das Recht, die Vorleistung zu verweigern, bis er gesichert ist (BGB. § 321). Auch auf jeder Parteijeite für sich ist ost noch Zerlegung der Leistungs­ pflicht in Stücke mit verschiedenen Leistungszeitpunkten zu beobachten. Ratenzahlung auf der Käufer-, sog. Sukzessivlieferung aus der Berkäuferselte. Schwierige Frage: Macht Unpünktlichkeit nut einem Stuck das ganze Geschäft mangelhaft? Vgl. darüber unten § 43 Ille.

§ 7 Ila.

Berschaffungspflicht des BeMufers.

57

H- Die Bers chaffungspflicht des Verkäufers. Die Ur­ formel des Kaufes ist die, daß der Verkäufer die Ware zu liefern und der Käufer den Preis zu zahlen hat. Also „Berschaffungs­ Pflicht" des Verkäufers, Zahlungspflicht des Käufers. Aber im Leben erweitert sich diese Formel bedeutend. Es kommen allerlei 1 andere Pflichten hinzu, und namentlich verwickelt sich die Lehre von den Hilfsmitteln, die beim Pflichtverstoß gewährt werden (unten Ziff. III). Dazu tritt eine weitere Gedankenschicht, die dadurch ausgelöst wird, daß das Abwickeln eines Kaufgeschäfts Zeit beanspruchen kann und daß dabei möglicherweise neue Fragen auftauchen, wenn z. B. die Sache inzwischen beschädigt wird oder ganz verloren geht; über diese „Übergangsfragen" wird das Nähere in Ziff. VI (S. 75) zu sagen sein. Die Berschaffungspflicht des Verkäufers hat zwei Seiten, ein­ mal muß er in die Welt der Tatsachen hineinwirken, denn der Käufer will wirklich etwas „in die Hand bekommen"; aber außer­ dem will der Käufer „seine Ruhe haben", und darum muß ihm genügende Rechtssicherheit geboten werden. Das Gesetz geht von einer Sache als Gegenstand des Kaufes aus. Daneben gibt es Sonderregeln für den Verkauf eines Rechts und stellt schließlich den allgemeinen Satz aus, daß die Regeln über die Berschaffungs­ pflicht des Verkäufers „auf andere Verträge, die auf Veräußerung oder Belastung eines Gegenstandes gegen Entgelt gerichtet sind, ent­ sprechende Anwendung finden" (§ 445). —- Vgl. bereits S. 51 Ziff. 2.

a) Beschaffung der tatsächlichen Unterlagen. Der Käufer will in den ungetrübten Genuß der Sache gelangen. Dazu gehört, daß ihm der Verkäufer die Sache übergibt. Aber auch, daß er ihm den tatsächlichen Genuß in vollem Umfang ermöglicht. Sv erklären sich folgende-Nebenpflichten: 1. Mitübergabe des Zubehörs, Auskunftserteilung, Aushändigung zugehöriger Urkunden. Der Schrank ohne Schlüssel nützt mir nichts. Der Schlüssel muß mitgegeben werden. Er ist „Zubehör". (Begriff § 97, Lieserungspflicht §§314, 9261 2) Ein Grundstück, dessen Grenzen ich nicht kenne, hat fragwürdigen Wert für mich; darum muß mich der Verkäufer^ so genau aufklären als er kann (§ 444). Eine Hypothek ist in ihrer Ausübung lahm» gelegt, solange man nicht den Hypothekenbrief in den Händen hat (vgl. § 1160), darum kann der Käufer seine Aushändigung und auch die Bei­ fügung sonstiger Beweisurkunden verlangen (§444, 43312).

2. Fehlerfreiheit. Dies ist ein ganz besonders wichtiges Kapitel. Der Gesetzgeber hat dafür einen eigenen Abschnitt ge­ bildet (§ 459 ff.), wobei der Hauptton sogleich auf das „Gewähr­ leisten" (darüber unten Ziff. III) gerichtet ist. Doch geht das „Berschaffen-müssen" gedanklich voran.

58

§ 7 Ila. Fehler beim Kauf.

Erstens kann der Käufer verlangen, daß in der Sache nicht Fehler (vitia) ruhen Er will Haren Wem, nicht trüben, gesunde Gerste, nicht dumpfige, eine Uhr, die geht, ein Haus, das bewohnbar ist. Doch darf er nichts Überm ähiges verlangen. Das Maß wird einmal durch das VcrkehrSübliche bestimmt (Gesetz: „Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen Gebrauch"), doch kann auch aus der Lage des Falles sich eine Erweiterung ergeben (Gesetz: „Tauglichkeit zu dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Ge­ brauch"). Ganz ausgeschlossen sind minima (Gesetz: „unerhebliche Minderung des Werts oder der Tauglichkeit"). Der Wert selbst ist keine „Eigenschaft"; wer also hinterher erkennt, daß er ungünstig gekauft hat, daß die Sache viel weniger wert sei als er und vielleicht auch der (gutgläubige) Verkäufer annahm, kann das nicht als einen „Fehler" der Sache hinstellen. Schwierig ist die Abgrenzung zu den QuantitLtSfehlern. Wenn mir statt 100 Flaschen nur 50 geliefert werden, so ist das kein „Fehler der Sachet; es steht mir die einfache Erfüllungsklage (aus Nachlieferung des Restes) zu. Und wenn mir umgekehrt statt 100 Flaschen 200 ins Haus geschickt werden, so liegt zur Hälfte „unbestellte Zusendung" (oben S. 53) vor. Wenn aber in verschlossenen Büchsen (Sardinen, Zigaretten) weniger Stücke als verkehrsüblich untergebracht sind, so ist das unter dem Gesichts­ punkt der Mängelhaftung (also unten Ziff. III d) zu behandeln. Zweitens kaun der Käufer verlangen, daß die eigens zugeficherten Eigenschaften der Kaufsache ihm auch wirklich beschafft werden (dicta et promissa). Hier ist sogar, wie sich zeigen wird, die Haftung des Verkäufers schärfer als bei bloßen „Fehlern". Ost fällt das mit den „Fehlern" zusammen. Wenn mir vom Uhrmacher versichert wird, die Uhr gehe und brauche nur alle 24 Stunden aufgezogen zu werden, so liegt, wenn das unwahr ist und etwa alle 3 Stunden aufgezogen werden muß, sowohl ein (verkehrswidriger) Fehler wie ein Verstoß gegen das Zusichern vor. Wenn mir dagegen ein be­ stimmter Mietsertrag eines Zinshauses, ein Nettogewinn einer Fisch­ handlung zugesichert ist, so kann man beim Ausbleiben der Einnahmen nicht gleichzeitig sagen, daß in dem Kausgegenstand ein Fehler liege. Auch hier darf kein Übermaß beansprucht werden. Allgemeine Lobpreisungen („Sie werden mit dem Hause Ihr Glück machen"; „un­ zerreißbares Bilderbuch") bleiben außer Ansatz oder müssen aus ein ver­ nünftiges Maß heruntergesetzt werden. Sowohl für die Fehler wie für die zugesicherten Eigenschaften miß ein fester Zeitpunkt gewonnen werden, an dem die Haftung ^es Verkäufers ihr Ende erreicht. Tenn es versteht sich von selbst, )aß der Käufer,nicht Mängel ausspielen kann, die erst lange nach 'rem Kaufgeschäft entstanden sind; diese gehen bann vielmehr nif seine eigene Rechnung. Das BGB. hat als Basis nicht etwa den Vertragsschluß, sondern den „Zeitpunkt des GefahrübergangeS" gewählt. Nur Fehler, die damals schon vorhanden waren (in der Sache saßen), sind vom Verkäufer zu

§ 7 üb.

ElgenturnSverschassurig beim Kauf.

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vertreten, und ebenso hat er seiner Beschaffungspflicht genügt, wenn die zugesicherten Eigenschaften damals vorhanden waren (§ 459). Praktisch fällt der fiktive Punkt des Gefahrüberganges meist mit der Übergabe der Kaufsache zusammen (vgl..§ 446). — Der S. 62dl erwähnte Schadensersatzanspruch ist allerdings an das Dasein des Mangels im Augenblick des Bertragsschlusses gebunden.

Wenn Rechte verkauft werden, sind in ähnlicher Weise Fehler­ freiheit und zugesicherte Eigentümlichkeiten zu beschaffen. Doch ergeben sich dadurch, daß den Rechten ein Sachkörper fehlt, Besonderheiten. Schon die Römer unterschieden das Haften für „nomen (= Schuldposten, Forderungsrecht) verum esse“ und „nomen bonum esse“. Das erste darzureichen ist der Verkäufer ohne weiteres verpflichtet: „der Verkäufer haftet für den recht­ lichen Bestand" (§437). Bezüglich des letzteren, wird dagegen eine besondere Zusage abgewartet, ob also der Verkäufer „die Haftung für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners über­ nimmt" (§ 438). Wenn z. B. jemand eine Hypothek kauft, so hat der Verkäufer dafür einzustehen, daß die HyWthek wirklich als solche besteht, also nicht etwa erloschen ist. Ob dagegen im Falle einer Zwangsversteigerung des Grund­ stücks wirklich der Erlös ausreichen wird, um diese Hypothek zu decken, ist eine andere, durch etwaige Zusagen des Verkäufers zu regelnde Frage. \— Schwierige Abgrenzung zwischen Haftungsübernahme und bloßer Erteilung eines Rats (vgl. § 676 BGB.; unten § 27 Ziff. I»).

b) Verschaffung der rechtlichen Sicherheit. Das tat­ sächliche Haben des Kaufgegenstandes, mit dew Zubehör, den etwaigen Beweisurkunden, in fehlerfreiem Zustand und mit allen zugesicherten Eigenschaften, nützt dem Käufer nichts, solange er befürchten muß, daß Dritte mit Rechtsansprüchen hervor­ treten und ihm die Sache abstreiten oder ihn doch im Genusse schmälern. In erster Linie ist natürlich daran zu denken, daß der Dritte mit dem Eigentumsanspruch auftritt. Aber es können auch andere Positionen in Frage kommen, z. B. indem er sich als Pfand­ gläubiger oder Pächter meldet. Dagegen muß der Verkäufer den Käufer schützen. Das BGB. hat daher gleich neben die Übergabepflicht die Pflicht gesetzt, „dem Käufer das Eigentum an der Sache zu verschaffen" (8 433). Es handelt sich dabei um eine positive Verschaffungspslicht. Der Käufer braucht nicht, wie im römischen Recht (wo der Verkäufer nur das „Labere Leere“ zu vertreten hatte) abzuwarten, bis ihm ein Dritter die Sache mittels der Eigentumsklage abgenommen hat. Er kann vielmehr schon vorher den Verkäufer auf Beschaffung, also etwg Abfindung des Dritten, belangen. Nur der Schadensersatz-

60

§ 7 III.

Gewährleistungspflicht des Verkäufers

anspruch (darüber unten Illa) ist auf den Fall wirklicher Ent­ wehrung durch den Dritten beschränkt (§ 440 Zisf. II). Es ist aber natürlich durchaus die Regel, daß Verkäufer seiner Pflicht nachkommt. Denn in der großen Masse der Fälle ist er selbst Eigentümer. Die Berschaffung fällt dann bei beweglichen Sachen mit der tatsächlichen Übergabe zusammen (vgl. § 929). Bei Grundstücken muß allerdings der nach 88 873, 925 erforderliche Grundbuchakt getätigt werden, da daran der Eigentumsübergang geknüpft ist. Selbst wenn übrigens der Verkäufer nicht Eigentümer war, bekommt der Käufer in vielen Fällen das Eigentum auf Grund seines guten Glaubens (88 932, 892; näheres im Grundriß „Sachenrecht"). — Nicht selten will der Ver­ käufer das Eigentum nicht weglassen, ehe er nicht bezahlt ist. Ein solcher „Eigentumsvorbehalt"' ist zulässig, aber nicht durch spätere ein­ seitige Erklärung, sondern nur, wenn er dem Vertragsschluß eingegliedert worden ist (vgl. 3 455; Näheres S. 78 c).

Neben diese positive Verschaffungspflicht ist dann weiter der Satz gestellt: „Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Käufer den verkauften Gegenstand frei von Rechten zu verschaffen, die von Dritten gegen den Käufer geltend gemacht werden können" (§ 434). Scheinbar trifft das auch wieder den Streit ums Eigentum. Aber hier sind die bloß belastenden Rechte (Pfandrecht, Nießbrauch, Mieterrecht, Pächterrecht) gemeint. Ihre Fernhaltung kann natür­ lich für den Käufer mindestens so wichtig sein wie das Fernhalten eines körperlichen „Fehlers" der Sache. Besonderheiten beim Grundstücks- und Schisfskauf (88 435, 436). Beim Verkauf eines Rechts fällt übrigens die Rechtsbeschafsung mit der tatsächlichen Beschaffung (nomen verum esse, s. oben) in der Hauptsache zusammen. Pfandrechte usw. müssen aber auch hier ferngehalten werden.

III. Die Gewährleistungspflicht des Verkäufers. Wenn der Verkäufer seiner Verschaffungspflicht nicht nachkommt, so steht dem Käufer zunächst einmal die Erfüllungsklage zur Ver­ fügung (vgl. unten §41 Biff II). Wird nicht „übergeben", so klagt er aus Übergabe. Ist „Zubehör" vergessen worden, so klagt er auf Nachreichung. Verzögert der Haus­ verkäufer den Gang zum Grundbuchamt, so klagt er auf Vollzug der „Auflassung". Gibt beim Aktienverkauf der Verkäufer das Aktienpapier nicht heraus, so klagt er auf Herausgabe. Steht im Grundbuch ein stören­ des Recht, z. B. eine fremde Wegegerechtigkeit, eingetragen, so klagt er auf „Löschung". Alles das ist selbstverständliche Folge der schuldnerischen Leistungspflicht. Einer besonderen „Gewährleistung" bedarf es bis zu diesem Punkte nicht.

Indessen gibt es Lagen, wo dem Käufer mit der bloßen Erfüllungsklage nicht gedient ist, vor allem wenn sie von vorn­ herein aussichtslos erscheint; oder wo dem Gesetzgeber ein auf

§ 7 Illa. Haftung des Verkäufers für RechtSmSngel.

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unmittelbare Verschaffung gerichteter Druck nicht am Platze schien, z. B. bei Fehlerhaftigkeit einer Speziessache (unten b); oder wo der Verkäufer bei seinem bösen Willen bleibt, nicht zu erfüllen, oder beim besten Willen nicht erfüllen kann, z. B. weil der Untergang der Sache eine Übergabe ohne weiteres ausschließt. Es setzt dann ein sehr verwickeltes Netz von Haftungsvor­ schriften ein, die zum Teil aus den allgemeinen Lehren her­ geholt werden müssen, zum Teil im Kaufrecht selbst untergebracht sind. Für das Ganze kann man zwanglos den Ausdruck „Gewähr­ leistung" verwenden, obwohl ihn das Gesetz einem Teilstück des Haftungssystems, nämlich der Haftung für Sachmängel (nachfolgendXb) Vorbehalten hat.

a) Gewährleistung bei fehlender Übergabe und bei Wenn der Verkäufer die Ware nicht aus­ liefert, und zwar einschließlich der Nebenwerte (oben Ila 1, S. 57), wenn er das Eigentum nicht beschafft oder Drittrechte nicht weg­ räumt (oben IIb, S. 59),- kurzum, wenn er gegen seine Ber­ schaffungspflicht außerhalb des Gesichtspunktes der Fehlerfreiheit (oben Ila 2, S. 57) verstößt, so regelt sich sejne Haftung nach den allgemeinen Bestimmungen für „gegenseitige Ver­ träge" (vgl. S. 43). Das hat der Gesetzgeber durch ausdrückliche Rückverweisung festgelegt (§ 440).

Mängeln im Recht.

Über die Haftung bei gegenseitigem Vertrag werden die Einzelheilen im UI. Teil dargestellt werden (unten § 38 und §42 111, §43 Hl). Hier genüge ein kurzer Grundriß. Es wird unterschieden, ob die Leistung überhaupt nicht mehr erfolgen kann („Unmöglichkeit", 88323, 324, 325), oder ob der Verkäufer nur säumig damit ist („Verzug", 8 326). Bei beiden Lagen wird mit einer Schadensersatzpslicht des Verkäufers und einem Rücktrittsrecht des Käufers operiert. Zwischen beidem hat der Käufer die Wahl; nebeneinander darf er beides Nicht begehren. Die Schadensersatzpflicht ist beim Verkauf beweglicher Sachen eingeschränkt, wenn der Käufer auf Grund angeblicher Rechtsansprüche (z. B. des Eigentums) Dritter vorgehen will. Den Rücktritt kann er bei solcher Lage sofort erklären. Aber den Schadensersatzanspruch darf er erst wählen, nachdem der Schaden emgetreten ist, wenn er also die Sache dem Dritten herausgegeben hat oder ein verwandter Tatbestand vorliegl (oben S. bü. Im Gesetz 8 440 Ziff. II und III).

Aber dazu treten möglicherweise noch andere Rechts­ behelfe, auf die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich verwiesen hat. So kann die Handlungsweise des Verkäufers gleichzeitig den Tat­ bestand einer unerlaubten Handlung erfüllen. Dann wird eine Schadensersatzklage wach, die selbständig neben dem Rück­ tritt (nicht anstatt seiner) ernherlänft. Denn die Regeln vom gegen-

62

§ 7 III b.

Sachmängelhastung beim Kauf.

fettigen Vertrage wollen nur die Ansprüche aus nicht erfülltem Vertrage schlechthin regeln, nicht aber auch die selbständigen Delikts­ ansprüche. Beispiel: Betrügerische Verheimlichung einer Wegegerechtigkeit. Käufer hat schon Baumaterial angeschafft. Jetzt kann er nicht bauen. Rücktritt nach $325, aber außerdem Schadensersatz wegen der nutz­ losen Anschaffungen aus § 823 Zisf. II (Schutzgesetz ist der Betrugs­ paragraph des Strafgesetzbuchs).

Auch „Anfechtung wegen Irrtums und arglistiger Täuschung" (die im I. Buche des BGB. § 119, 123 geregelt ist) kann in Frage kommen. Doch läuft sie praktisch ungefähr auf den „Rücktritt" hmaus, und man wird sie nur wahlweise neben der Schadensersatzpflicht aus § 325 zulassen dürfen; sonst- würde die Wahlbefugnis" einfach umgangen werden. b) Gewährleistung für Sachmängel. Hier handelt es sich um das Eintreten des Verkäufers für „Fehlerfreiheit" in dem oben beschriebenen Umfang (S. 57 Ziff. 2). Dieses Gebiet ist im Anschluß an geschichtliche Vorbilder,, insbesondere das römische Recht, von der sonstigen Haftung des Verkäufers abgezweigt und unter eigenes Recht gestellt worden. Z. B. scheidet hier die ErsüllungsklageXoben S.60 Ziff.III) aus; sie würde auf Besei­ tigung des Mangels gehen müssen, aber das Kaufrecht (im Gegen­ satz zum Werkvertrag, § 633II) kennt das nicht, höchstens der gleich zu erwähnende Anspruch auf Ersatzlieferung bei Gattungs­ sachen ist einer Erfüllungsklage ähnlich. Doch mischen sich auch hier bei der Sachmängelhaftung in der Praxis die Hilfsmittel der allgemeinen Lehren des I. und II. Buches ein (darüber unter Ziff. 2). 1. Schutzmittel innerhalb des Kaufrechts. Das Gesetz kennt innerhalb des Kaufrechts im ganzen vier Ansprüche des Käufers: — Anspruch auf Wandelung, d. h. auf Rückgängigmachung des ganzen Geschäfts, näheres unter Ziff. 4. — Anspruch auf Minderung, h. h. auf Herabsetzung des Preises entsprechend der durch den Fehler verursachten Wertminderung der Ware, näheres unter Ziff. 5. — Anspruch auf Schadensersatz, und zwar „wegen Nicht­ erfüllung". — Anspruch auf Ersatzlieferung, d. h. auf Nachlieferung einer mangelfreien Sache gegen Rückgabe der mangelhaften. Diese vier verschiedenen Ansprüche sind jedoch nicht immer alle gangbar. Mindestens gegeben ist in jedem Falle der Wand-

8 7 nid.

Sachmängelhastung beim Kauf.

63

lungsanspruch. Fast immer (doch nicht beim Biehkauf, §487) begleitet ihn der Minderungsanspruch. Der Schadensersatzanspruch, der natürlich eine Verschärfung bedeutet, tritt nur dann hinzu, wenn eine eigens zugesicherte Eigenschaft ausge­ blieben oder der Fehler arglistig verschwiegen worden ist (§§463, 480II). Der Ersatzlieferungsanspruch schließlich kommt allein bei Gattungsschulden, nicht bei Speziesschulden zur An­ wendung (§ 480 I). Wer also ein bestimmtes Gemälde oder eine Villa gekauft hat (Speziesschuld), kann nicht Lieferung eines anderen Gemäldes oder Hauses ver­ langen, wenn das Gemälde eine Beschädigung oder die Billa eine gesund­ heitsschädigende Eigenschaft aufweist. Wohl aber kann man, wenn 100 Sack dumpfiges Mehl, geliefert werden (Gattungsschuld), statt dessen 100 Sack gesunden Mehls verlangen. — Alle 4 Ansprüche stehen nach obigem nur zur Verfügung, wenn es sich gleichzeitig um eine Gättungssache und um besondere Zusicherung oder Arglist handelt.

Weiter greifen in dieses System gewisse Erscheinungen auf feiten des Käufers und möglicherweise die Parteiabreden umgestaltend ein. Wenn nämlich der Käufer den Mangel gekannt hat, so ist kein Grund, ihm beizuspringen. Aber das Gesetz stellt auch die grobfahrlässige Unkenntnis gleich (§ 460). Ebenso ist kein Grund zu einer Gewährleistung des Verkäufers gegeben, wenn die Parteien ausdrücklich die Mängelhaftung weg bedungen haben; es herrscht insoweit Bertragsfreiheit. Indessen kreuzen sich damit nieder andere Gesichtspunkte, ins­ besondere erneut die Vorstellung, daß der Verkäufer, der eigens zugesichert oder arglistig verschwiegen hat, schärfer anzupacken ist. Ihm gegenüber bringt die bloße Fahrlässigkeit des Käufers das Hasten nicht in Wegfall (§ 460 am Schluß). Und an seiner Arglist scheitert auch jede entgegenstehende Parteiabrede (§ 476). Dabei ist das Reichs­ gericht in der Frage, was „Arglist" sei, sehr weit gegangen und hat den Verkäufer sogar für verpflichtet erklärt, seine bloßen Zweifel an der Fehlerlosigkeit dem Käufer zu offenbaren. Solchen Entscheidungen wohnt eine erzieherische Tendenz inne, über deren Wert und An­ spannung im Schrifttum lebhafte Bedenken laut geworden sind

2. Schutzmittel aus dem Bereich der allgemeinen Lehren. Beim Auftauchen von Sachmängeln handelt es sich jedes­ mal um eine Enttäuschung des Käufers. Um ein restloses Bild von seinen Ansprüchen zu gewinnen, muß daher die Frage auf­ geworfen werden, inwieweit die allgemeinen Schutzmittel gegen Enttäuschungen, deren es eine ganze Reihe gibt, Hilfsweise herangezoaen werden dürfen. Dabei ergeben sich bedeutende Schwierigkeiten und viel Streit, namentlich über die Konkurrenz der Jrrtumsanfechtung («). Das Reichs-

64

§ 7 III b. Jrrtumsanfechtung beim Kauf. gericht hat-meistens schon Stellung genommen, aber das Schrifttum ist ihm durchaus nicht in allem gefolgt. — Der Anfänger wird gut tun, beim ersten Lernen sich nicht allzu tief m diese Fragen zu versenken, sondern nur das wichtigste anzumerken und sich den Überblick zu sichern. Andererseits lernt er hier an einem besonders weittragenden und viel­ seitigen Beispiel die Macht der Auslegung und der Fortbildung des Rechts über das bloße Gefüge des Gesetzes hinaus kennen.

a) Anfechtung wegen Irrtums und arglistiger Täuschung. Daß der Käufer sich geirrt hat, wenn er eine Uhr in der falschen Annahme gekauft hat, daß sie ginge, leuchtet ein. Zweifellos ist das auch ein Irrtum „über solche Eigenschaften der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden" (§ 119II BGB.). Kann also wegen Irrtums angefochten werden? Nach dem Grund­ satz der Überordnung des Allgemeinen Teils (S. 14III) müßte die Frage bejaht werden. Aber dann würden sich unhaltbare Folgen ergeben, denn die Sonderansprüche des Kaufrechts (Wandlung, Minderung, Schadensersatz, Ersatzlieferung) verjähren mit kurzer Frist von 6 Monaten oder einem Jahre (§§ 477, 480; unten Ziff. 4 a.E.). Würde daneben die Jrrtumsanfechtung zugelassen, die der regelmäßigen Verjährung von 30 Jahren unterworfen ist (§ 195), so wäre die Bindung der „Wandlung" (praktisch ziemlich dasselbe wie Anfechtung) an die kurze Frist zwecklos. Darum ist für Sachmängel (im Gegensatz zu den RechtsMängeln) die Jrrtumsanfechtung ausgeschlossen. So auch das Reichsgericht. Es herrscht aber immer noch lebhafter Streit. Üher die Frage sind sehr viele Schriften und Aussätze geschrieben worden. Dabei wird viel mit-den Begriffen der „lex generalis“ und der ,,lex specialis“ operiert, um die alte, aber leere Formel: lex specialis derogat legi generali verwenden zu können. — Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123) braucht übrigens nicht aus­ geschaltet zu werden.

ß) Allgemeiner Schadensersatzanspruch wegen schuldhaften Parteiverhaltens. Ein solcher Anspruch ist im Gesetz nicht mit klaren Worten anerkannt. Aber man glaubt ihn aus § 276 ableiten zu können: „Der Schuldner hat, sofern nicht ein Anderes bestimmt ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit zu ver­ treten", indem man aus dem Vertreten-müssen eben eine allgemeine Schadensersatzpflicht ableitet. Nun ist die besondere Schadens­ ersatzpflicht des Kaufrechts, wie gezeigt wurde (S. 63) an Zu­ sicherung und Arglist gebunden. Das reicht nicht zu, um alle Fälle zu decken,in denen doch das praktische Bedürfnis eine Schadens­ ersatzpflicht erheischt. Deshalb ist jener allgemeine Schadens­ ersatzanspruch als Ergänzung des" Kaufrechts anzuerkennen.

8 7 III b. Schadensersatz für Sachmängel beim Kauf.'

65

Beispiel: Ungenügende Verpackung seitens des Verkäufers. Der Käufer ist dadurch zu Schaden gekommen. § 463 reicht nicht aus. Trotze dem mutz dem Käufer geholfen werden. — So auch Reichsgericht und überwiegende Lehrmeinung. Aber allgemein verlangt man, daß dieser Schadensersatzanspruch dann an die kurze Verjährungsfrist des Kausrechts gebunden werden müsse.

y) Schadensersatz aus unerlaubter Handlung ist ebenfalls neben den Sonderregeln des Kaufrechts anzuerkennen (wie bei Rechtsmängeln, S. 61). 6) Schließlich kommen noch die Lehren vom gegenseitigen Vertrage, insbesondere von der Unmöglichkeit, in Frage. Das Gebiet der Rechtsmängel beherrschen sie geradezu (S. 61). Bei den Sachmängeln ist ihre Heranziehung mindestens begrifflich möglich. ,Wenn der gekaufte Böcklin verbrennt, ist vosle Unmöglichkeit ge­ geben; das kommt für unsern Zusammenhang nicht in Frage. Wie aber, wenn er in fehlerhaftem Zustande (die Farben sind, da das Bild in der Nähe emes Stubenbrandes hing, teilweise ineinander gegangen) geliefert wird? Ist das nicht als teilweise Unmöglichkeit emzufchätzen? Das ist bestritten.

Die Frage dürfte, freilich mit Vorsicht, da im einzelnen noch vieles unsicher bleibt, zu bejahen sein. Es kommt also noch ein Schadensersatz, und ein Rücktrittsanspruch aus dem Bereich der §§ 320 ff. hinzu. Damit ist die Verwickelung n^ch nicht zu Ende. Denn es Mischt sich durchquerend der Gesichtspunkt der Gefahrtragung (unten Ziff. Via) hinein. Vermutlich wird das Netz von Einzelfragen, das auf bie Weise entsteht, nie mit allgemeiner Zustimmung ganz gelöst werden.

3. Verhältnis der mehreren Schutzmittel zueinander. Überblickt man, das Vorangegangene, so kommen im

ganzen 8 Schutzmittel in Frage, darunter allein vier Schadens­ ersatzansprüche; der Käufer kann nämlich verlangen. — Wandlung aus §§ 462, 480, 487; — Minderung aus §§ 462, 480; — Ersatzlieferung fehlerfreier Stucke aus §§ 480, 491; — Schadens­ ersatz aus §§ 463, 480; — Schadensersatz aus § 276; — Schadensersatz aus §§ 823 ff.; — Schadensersatz aus §§ 320 ff.; — Rücktritt aus §§ 320 ff.

Teilweise ergibt sich.schon aus dem Vorangegangenen (vgl. S. 62 a.E.), daß diese Ansprüche nicht immer alle gleichzeitig gangbar sind. Jeder ist an besondere Voraussetzungen gebunden, z. B. der Ersatzlieferungsanspruch daran, daß es sich um einen Gattungskauf gehandelt hat, der Schadensersatzanspruch aus § 823ff. daran, daß das Verhalten des Verkäufers die Kennzeichen einer unerlaubten Handlung aufweift. Es wird eine sehr seltene AusHedemann, Da» Schuldrecht.

b

§ 7 III b. Wandlung beim Kauf.

66

nähme sein, daß wirklich die Voraussetzungen aller acht Ansprüche gegeben sind. Andererseits ist es auch eine Ausnahme, daH gerade nur ein Anspruch (etwa die Wandlung bei einem durchaus schuld­ los abgewickelten Viehkauf) flüssig wird. Also ist immerhin von einer Mehrzahl flüssiger Ansprüche als dem Normalen auszugehen. In diesem Falle hat der Käufer grundsätzlich das Wahltecht. Von ihm allein hängt es ab, ob gewandelt oder gemindert oder eine Berechnung über den Schadensersatz aufgetan werden soll. Es wird ihm sogar, obgleich das im Gesetz nicht mit Laren Worten ausgedrückt ist, noch ein gewissesius variandi zugesprochen, d. h. die Befugnis von der in Aussicht genommenen Wandlung (oder Minderung) wieder abzugehen und statt dessen Minderung (oder Wandlung) zu wählen.

Doch ist Vorkehr gegen eine Übervorteilung des Verkäufers getroffen. Hat er dem erstenBorschlag zugestimmt,so ist es mit dem Wahlen zu Ende (§ 465). Auch kann er dem zögernden Käufer, der vielleicht auf seine Kosten spekulieren will (es schwebt ein Bebauungsplan, der das mangelhafte Grundstück mit erfaßt), eine Frist setzen (§ 466). — Wenn freilich hinterher neue Mängel auftauchen, setzt das Wahlrecht des Käufers von neuern ein (§ 475). Dieses Wahlrecht des Käufers bedeutet auf der anderen Seite, daß er grundsätzlich nur einen der mehreren Ansprüche erheben darf. Insbesondere versteht es sich von selbst, daß er nicht wegen der einen Schädigung viermal hinter- oder nebeneinander den Schäden berechnen darf.

Doch bestehen gewisse Abweichungen bei der gleichzeitigen Ver­ wertung der allgemeinen Schutzmittel. Insbesondere können der Schadensersatzanspruch wegen allgemeinen Verschuldens (oben (i) und der Schadensersatz aus unerlaubter Handlung (/) neben der Wandlung und Minderung und Ersatzlieferung geltend gemacht werden, so zwar, daß her entstandene Schaden rechnerisch nur einmal in voller Höhe gedeckt wird.

4. Die Wandlung im einzelnen. Es ist klar, welches wirt­ schaftliche Endziel bei der Wandlung erreicht werden soll. Aber eine „berüchtigte" Kontroverse besteht über die Konstruktion des Wandlungsanspruchs (und gleichzeitig auch des Minderungs­ anspruchs). Es stehen sich Vertragstheorie und Restitutionstheorie gegenüber, beide von namhaften Gelehrten und Praktikern vertreten und auf beachtenswerte Gründe gestützt. Die Bertragstheorie nimmt an, daß der Anspruch des Käufers nicht direkt auf Rückgewähr zielt, sondern aus „Vollzug" der Wandlung (§ 462: „ . kann verlangen"); und da nach § 465 die Wandlung (ebenso die Minderung) erst „vollzogen" ist, wenn sich beide Teile darüber geelnigt,haben, so muß der Käufer den

§ 7 IÜb.

Wandlung und Mindenmg beim Kauf.

67

I

Verkäufer erst zu dieser Einigung drängen (nötigenfalls daraus vertagen), u|tb erst dann — aus dem so geschlossenen neuen Vertrage — entspringt der direkte Anspruch auf Rückgewähr (oder Preisherabsetzung). Die Restitutionstheorie dagegen, die vorzuziehen ist, erachtet das Zwischen­ glied für ein zweckloses und gekünsteltes Gebilde und gibt dem Käufer sofort die Bahn für Anspruch und Klage auf Rückgewähr frei. Die Einzelabwicklung einer Wandlung kann neue Fragen auslösen, z. B. wenn die Sache inzwischen Veränderungen unter­ worfen war. Das Gesetz (§ 467) hat hierfür das meiste mittels Rückverweisung auf den Abschnitt über den „Rücktritt" (§ 346 ff.) geregelt ,gibt aber auch einige Sondervorschriften im Kaufrecht (§ 469 ff.). Die wichtigsten praktischen Sätze: Trotzdem die Sache inzwischen verschlechtert oder gar gänzlich untergegangen ist, kann der Käufer noch „wandeln". Er erhält dann unverkürzt seinen Kaufpreis wieder, während der Verkäufer nur die entwertete Sache oder im Falle des Untergangs gar nichts zurückerhält. Diese Regelung fordert zur Kritik heraus, muh aber einem klaren gesetzlichen Befehl entsprechend (§ 350) hingenommen werden. Menschlich macht man sich das Ergebnis verständlicher, wenn man sagt: der Verkäufer trägt noch, solange mit Fehlern und Wandlung gerechnet werden muß, die Gefahr. Übrigens ändert sich das Bild sofort, wenn der Käufer an der Verschlechterung oder dem Untergang schuld ist (§ 351). Auch kann durch Parteiabrede (beim Bertragsschluß) natürlich etwas anderes festgesetzt werden. Massenverkauf. Wenn eine ganze geschlossene Masse gekauft ist (100 Sack Gerste) und nur ein Teil ist schlecht, so beschränkt sich das Wandlungsrecht auf diesen Teil. Anders beim Einheitskaus (wenn die mehreren Stücke „als zusammengehörend" verkauft worden sind); dann nämlich kann jeder von beiden Teilen Gesamtwandlung beanspruchen; z. B. bei einem „Pärchen" Dachshunde (§§ 469, 471). Sukzessivlieferyng. Die Ware wird nicht auf einmal, sondern in Posten (z. B. „jeden Monat 10 Sack" oder „waggonweise auf Abruf") geliefert. Nur ein Posten ist zwischendurch mangelhaft. Grundsätzlich Wandlung nur wegen dieses Postens. Ausnahme, wenn auch der Wert der anderen Teillieferung dadurch in Frage gezogen wird.

Der Wandlungsanspruch darf nicht zu lange hinausgezögert werden. Die Verkäuferschaft hat ein Interesse, nach gewisser Zeit zur Ruhe zu kommen und vor Mängelansprüchen sicher zu sein. Darum ist das Wandeln an eine verhältnismäßig kurze (aber für die Praxis noch immerhin ziemlich lange) Verjährung gebunden; vgl. bereits S. 64 unter a. Bei beweglichen SachÄr 6 Monate, bei Gmndstücken 1 Jahr; beim Viehkauf 6 Wochen (§§ 477, 490).

5. Die Minderung im besonderen. Der wirtschaftliche Gedanke ist der, daß der Preis im Verhältnis zu dem gesamten Vertragsbild herabgesetzt werden, daß mit veranschlagt bleiben

5*

68

§ 7 111b. Insbesondere der Viehkauf.

soll, ob der Kaufpreis hoch oder niedrig, das Geschäft also für den Verkäufer günstig oder ungünstig abgeschlossen war. Dem der Gesetzgeber durch die ^Bestimmung entsprochen, daß in dem Ver­ hältnis herabgesetzt wird, „in welchem zur Zeit des Verkaufs der Wert der Sache in mangelfreiem Zustande zu dem wirklichen Werte gestanden hat" (§ 472). Beispiel: Es ist ein Jagdwagen für 1200 Mk. verkauft. Nachdem ein Mangel entdeckt ist, schätzen ihn Sachverständige aus 500. Hier darf der Käufer nicht etwa kurzerhand 700 absetzen oder, wenn er jchon ge­ zahlt hat, zurüctverlangen. Sondern nun wird erst geschätzt, wieviel der Wagen im (fingierten) mangelfreien Zustand seinerzeit wert gewesen wäre. Ergibt sich em Wert von 1000 Mk. (so daß also Verkäufer gut, näm­ lich mit 200 Mk. Gewinn, verkauft hatte), so wird im Verhältnis 1000 zu 500, also 2 zu 1, gemindert und Verkäufer behält 600 Mk., so daß ihm ein entsprechend geminderter Gewinn verbleibt. Ebenso bei Verlust (ungünstigem Berkaus).

Im übrigen ist die rechtliche Behandlung der Minderung der der Wandlung nachgebildet. Dieselbe

konstruktive Streitfrage,

dieselben

Berjährungsfristeii.

6. Biehkaus. Er ist im Anschluß an geschichtlich überkommenen deutschen Bolksbrauch besonders gestaltet. (§§ 481—492.) Der Kern ist Einschränkung der Haftung. Erstens wird nicht etwa für jeden Fehler, sondern für ganz bestimmte, in einer Tabelle eigens aufgezählte (die sog. Hauptmängel) gehaftet. Zweitens wird nur gehaftet, wenn der zugelassene Mangel innerhalb einer ebenfalls tabellarisch festgclegten Frist (der sog. Gewährsfrist, meist 14 Tage) hervorgetreten ist/ wozu noch eine an kürzeste Frist gebundene Anzeigepfllcht des Käufers tritt (§ 485). Drittens gibt es nur Wandlung (und beim Gattungskauf Ersatzlieferung), nicht Minderung. Viertens ist die Verjährungsfrist viel kürzer, nämlich aus 6 Wochen, angesetzt. P$)ie Einzelheiten hätten den Gesetzestext zu sehr ausgeweitet. Darum ist die Beschreibung der einzelnen Hauptmängel und Die gestlegung der einzelnen Gewahrftisten einer besonderen Kaiserlichen Verordnung vom 27. Marz 1899 überlassen worden.

IV. Störungen in der Abwicklung von Kaufverträgen durch Krieg, Revolution und damit zusammenhängende Wirt-

schastserschwernisse. Das, was hierzu auszuführen ist, ist nicht gerade auf Kaufverträge beschränkt. Aber die Kaufverträge spielen dabei durchaus die entscheidende .Rolle, übrigens innerhalb der Käufe wieder die Kaufe über Gattungs­ jachen (Rohstoffe, Halb- und Fertigsabrikate, Nahrungsmittel). Die Praxis Pflegt Die un folgenden zu besprechenden Erscheinungen mit dem Stichwort der „Lieserungsverträge" zu verbinden. Wieviel

3 7 IV. Einfluß des Krieges und der Revolution auf den Kauf.

69

von diesen besonderen Erscheinungen unserer unruhigen und unglücklichen Zeit dauernden Bestand haben wird, läßt sich zurzeit noch nicht über­ setzen. Jedenfalls ist die Doktrin schon jetzt stark dadurch befruchtet worden, (über die Wirkung der Höchstpreise bereits S. 52).

a) Abbruch der Lieferung wegen Leistungserschwernis, ins­ besondere wegen ungeahnter Preissteigerung. Es ist dabei nicht an den Käufer und dessen etwa gewachsene Preiszatzlungspflicht gedacht, sondern an das Steigen der Beschaffungspreise für den Verkäufer, der jetzt also selber viel höher einkaufen muß, als er seinerseits verkauft hat. Er ist dabei entweder Händler oder Fabrikant (in letzterem Fall Übergang in den unten § 23 behandelten Werkvertrag .und, ebenda Zisf. I b 2, Werklieferungsvertrag); in beiden Fällen bildet die bekannte alltägliche Erscheinung, daß er die zu liefernde Ware im Augenblick des Abschlusses noch gar nicht hat, den Ausgangspunkt. — Beispiele: 1. Der Verkäufer hat vor Kriegsbeginn einen Posten Zinn englischer Marke zum Preise von 300 Mk. für 100 kg verkauft, lieferbar Mitte Oktober 1914. Oktober ist der Preis auf 650 Mk. gestiegen. Nun will Verkäufer wegen der „Unerschwinglichkeit des von ihm selbst auf­ zubringenden Preises nicht mehr an den Berttag gebunden sein. — 2. Er hat 150000 Zinntuben eigener Fabrik zu liefern. Herstellung würde ihn wegen der inzwischen vollzogenen Steigerung aller Unkosten (Rohstoff, Arbeitslöhne, elekttische Kraft usw.) vielleicht das Vierfache kosten. Wiederum verweigert er Erfüllung. Juristisch mündet die Frage bei der Unm-gltchkeitslehre (Allgemeines unten §42) ein, der in manchen literarischen Er­

örterungen die clausula rebus sic stantibus (vgl. S. 16 a. E. und unten § 42 la) an die Seite getteten ist

1. Ist die Lieferung wirklich vollständig unmöglich, etwa weil sämtliche Vorräte beschlagnahmt sind und neue nicht mehr hereinkommen, dann tritt in der Tat für den Verkäufer die Befreiung aus §275 ein, während der Käufer natürlich eine etwaige Anzahlung aus dem Gesichtspunkt der „ungerechtfertigten Bereicherung" (unten § 33) zurückverlangen darf.

2. Wenn aber der „Markt" nur verengert ist, die Vorräte sich verringert haben und die (Einkaufs-) Preise bedeutend gestiegen sind, so liegt sttenggenommen keine „Unmöglichkeit" vor. Indessen setzt an dieser Stelle eine weit verbreitete Lehre ein, die die „Unerschwinglichkeit" der Unmöglichkeit gleichsetzcn und dem Ver­ käufer nicht eine „überobligationsmäßige Kraftan­ strengung" zumutcn will (unten § 42la). Tas Reichsgericht hat in sttenger Praxis diese (lange vor dem Kriege aufgekommene imb grundsätzlich von ihm selbst gebilligte) Lockerung des Unmöglichkeitsbegrifss auf die ungeahnte Preiserhöhung nicht überttagen Dem hat sich ein Teil der Literatur angeschlossen. Die Gründe sind

70

§ 7 IVa. Abbruch Von Lieferungen während des Krieges,

beachtlich, nämlich 1. Erschütterung des gesamten Ser« kehrslebens; die ohnedies vorhandene hochgradige Aufregung würde durch Zersprengung der wichtigsten und umfangreichsten Lieferungsverträge ungesund gesteigert werden; 2. die Verkäufer­ schaft (tnt Großhandel) ist daran gewöhnt, in ihren Kalkulationen ein gewisses Risiko mit zu veranschlagen, baut also sowieso die Ver­ träge in gewisser Weise nach der Seite der Spekulation aus; 3. auch wenn die Preissteigerung weit über das Erwartete hinaus­ geht, ist kein Grund vorhanden, das Risiko auf den Käufer ab­ zuwälzen, d. h. ihn ohne Lieferung sitzen zu lassen. !Die Judikatur hat sich bei diesen Entscheidungen (grundlegend RG. Bd. 88, S. 172 ff., Bd. 92, S. 322 ff.) an den Begriff des „Markts" und des „Marktpreises" angeklammert und ihre strenge Praxis auf den Großhandel beschränkt. Nur solange noch ein, wenn auch noch so hoch emporgegangener Marktpreis da ist, dauert die Verpflichtung zum Weiterliefern an. Das Ganze bezieht sich weiter nur auf die Gattungs schuld en, weil nur bei ihnen der Satz des § 279 verwendbar ist: der Schuldner hat sein persönliches Nichtleistenkönnen (sog. Unvermögen im Gegensatz zur allgemeinen „Unmöglichkeit") so lange zu vertreten, als Leistung aus der Gattung noch möglich ist. — Bedeutende Einschränkung für die sog. begrenzte Gattungsschuld, bei der unter der (die Leistungs­ basis bildenden) Gattung ein enger begrenztes Gebiet, etwa eben nur die beim Verkäufer vorhandenen Vorräte (wichtig beim Verkauf eigenen Fabrikats) gemeint waren. Schwierige Auslegungsfrage, ob dies der Sinn des Vertrages war.

Inzwischen hat sich die Frage merklich verschoben. Mehr und mehr hat sich nämlich der Verkehr auf solche Preissteigerungen eingerichtet Sie sind also nicht mehr „ungeahnt". Um so weniger besteht Veranlassung, den Verkäufer von der übernommenen Verpflichtung loszusprechen. Es fehlt nicht an Judikaten, die rund­ weg aussprechen, daß der Verkäufer, der die Ware nicht auf Lager hatte, sondern sich auf die Beschaffungsmöglichkeit bei dritten verließ, das volle Risiko des Unmöglichwerdens zu tragen hätte. Teilweise hat aber die Gesetzgebung mit interessanten Abwälzungsgesetzen eingegriffen, die das Risiko cheiterschieben und dem Verkäufer gestatten, nun auch seinerseits den (früher fest verabredeten) Preis seinem Abnehmer gegenüber heraufzusetzen. Hierbei waren nicht juristische, sondern wirtschaftspolitische Gründe entscheidend. Die Fälle entfernen sich zum Teil vom Kaufrecht und gehen ins Miets- unb Pachtrecht und ins Recht der Werkverträge über. Erstes Beispiel die V. v. l.Febr. 1919 (geändert 11. März 1920) über die schiedsgerichtliche Erhöhung von Preisen bei der Lieferung von elektrischer Arbeit, Gas und Leitungswasser. Verall­ gemeinerung dahm, daß überhaupt alle „langfristigen Lieferungsverträge"

§ 7 IVb.

Verzögerung der Lieferungen in der KriegSzeit.

71

(z. B. Sukzessivlieserungsverträge, S. 67) durch Spruch von Schieds­ gerichten sollten abgeändert werden können, ist mehrfach erwogen worden, aber an lebhaftem Widerstand („Zermürbung jeder Vertragstreue") gescheitert. — Vielfach batte in den vor Krieg geschlossenen Vertrügen eine be­ sondere Ariegsklansel („Ktieg befreit" oder dgl.) gestanden. Dann galt ' natürlich das Vereinbarte; fteilich ergaben sich manche Auslegungs­ schwierigkeiten, wobei die Praxis im ganzen dem Verkäufer günstig war. Heute ist diese Klausel zurückgetreten. Indessen haben ähnliche (Liefersrei bei Transportkrisis, bei Beschlagnahme meiner Bestände usw.), ins­ besondere die Streikklausel eingesetzt. Alles das läuft in der Rechts­ systematik auf den Grundbegriff der „höheren Gewalt (force majeure) zurück. Vgl. unten § 41III a. — Neuerdings ist bei der Berkäuferschast sehr beliebt die ganz allgemeine Klausel „freibleibend", die in der Handelspraxis dahin ausgelegt wird, daß der Lieferant auch dann noch zurücktreten kann, wenn sein Kunde seinerseits „angenommen" hat.

b) Hinausschieben der Lieferung bis zur Rückkehr ge­ ordneter Verhältnisse. Kriegssage wiederum der Ausgangspunkt. Vereinbarung, daß die Lieferung „nach Friedensschluß" zu erfolgen habe, war häufig. Entweder war von vornherein eine solche Klausel in den,Vertrag eingestellt oder es trat, nachdem die Lieferung immer schwieriger oder unsicherer geworden war, eine Zusatzabrede dieser Art zum ursprünglichen Vertrag hinzu. Ähnliche Klauseln können auch jetzt Vorkommen („nach Aufhebung der Zwangswirtschaft", „nach Wiedereröffnung zollfreier Einfuhr- oder Ausfuhr bestimmter Stoffe"). Wie, wenn sich nun der erwartete Zeitpunkt unverhältnismäßig hinaus­ schiebt? Ist das Grund zur Aufsage des Geschäfts seitens des Verkäufers (im einzelnen Falle vielleicht auch seitens des Käufers)? Grundsätzlich zu verneinen. Aber das Bild kann sich bei der übermäßig langen Hinauszögerung doch so grundlegend verändert haben, daß „dem wahren Willen der Parteien" eine jetzt noch statt­ findende Abwicklung nicht mehr entspricht.

-

Die Praxis war hier der Auflösung im allgemeinen günstiger. Besonders kritischer Wendepunkt der Ein kitt Amerikas in den Krieg. Bei solcher „ungeahnten Umwälzung aller Verhältnisse" erscheint die Leistung „derart verändert, daß sie nicht mehr als die beim Vertragsschluß erwartete und gewollte zu erachten sein würde" (RG. in der maß­ gebenden Entscheidung v. 15. Okt 18, Bd. 94, S. 47). Ganz deutlich tritt die clausula rcbus sic stantibus hervor. Doch.wird statt dessen vorwiegend mit dem Begriff der „Unmöglichkeit operiert (übermäßig lange sich hinausziehendes Nichtleistenkönnen soll der dauernden Un­ möglichkeit gleichstehen). Der wahre Kern ist Bertragsauslegung in Anlehnung an die Verkehrsauffassung (vgl.unten §391).

e) Verteilung der Restbestiinde uüter die mehreren Kunden. Em interessantes Problem, ebenfalls zukunftsreich.

72

§ 7 IV d. Beschlagnahme verkaufter Waren.

Lage: der Lieferant hat mehrere Kunden, denen er durch Ver­ träge gebunden ist; bestimmte Quanten seiner Bestände zu liefern. Das Meiste wird beschlagnahmt, der Rest reicht nicht mehr für alle. Er darf verteilen, darf also den einzelnen, der das ganze ihm vertraglich versprochene Quantum haben will, mit beut Hin­ weis auf die anderen Bewerber auf einen verhältnismäßigen Anteil verweisen. Feststellung des Reichsgerichts schon aus der Friedenszeit (Fall einer Mißernte; das gesamte Geerntete reicht nicht für alle Besteller; Bd. 84, S. 125 ff.), aber im Zuge der Kriegs- und Revolutionsknappheit viel wichtiger geworden (wiederum Beschlagnahme, Abschneidung des Imports). Begründung mit „Treu und Glauben" (§ 242; unten §391) und Verkehrsauffassung. „Der Verkäufer konnte nicht mebr tun, als die gesamte Ernte der Gesamtheit seiner Käufer zur Verfügung zu stellen." Bloße Befugnis des Verkäufers, oder muß er sich auf eine solche Verteilung einrichten, also für die noch Ausstehenden ein entsprechendes Quantum „reservieren"? Man wird auch letzteres bejahen müssen. Die mehreren Käufer bilden eine Art unsichtbare, nicht verabredete, aber bei Zuspitzung der Verhältnisse voraussehbare Interessengemeinschaft" (eine parallele Erscheinung hinsichtlich der Gefahrtragung bei Sammelsendungen, unten § 36 Zifs. I a. E.). Die ganze Regelung entspricht nicht der alten überkommenen Lehre, wonach jeder Gläubiger (abgesehen vom Konkurs) ein von etwaigen anderen Gläubigern ganz, unabhängiges Recht besitzt (individualistische Auffassung), und unter den mehreren die nackte „Prävention" ent­ scheidet; vgl. S. 47.

d) Entschädigungssumme bei beschlagnahmten Waren. Gleich­ falls eine neue Erscheinung von Zukunftswert, gleichzeitig ein Beitrag zur Beobachtung der sog. Kriegsgewinne. Beispiel: Abschluß auf 500 Sack Kartoffelstärke vor dem Kriege, lieferbar Jahresschluß 1914, Preis pro Sack 22 Mk. Lieferung unmöglich, weil ganze Gattung beschlagnahmt. Also Befteiung des Verkäufers (§ 275; § 279 nicht zutreffend). Aber er bekommt nun den sog. Über­ nahmepreis von der Beschlagnahmestelle oder der betr. Kriegsgesell­ schaft, oder in anderen Fällen, wo die Methode der Enteignung angewandt ist, die Entschädigungssumme; diese meist weit höher als der ver­ einbarte Kaufpreis, z. B. 50 Mk. pro Sack.

Wem soll die Entschädigungssumme zufallen? Zunächst natürlich dem Verkäufer, denn ihm ist seine Ware weggenommen worden. Aber kann nun nicht der Käufer entgegenhalten: Unser Verttag schwebt noch, statt der Ware will ich die Entschädigungs­ summe, denn sie ist amdie Stelle der Ware,getreten (Surroqation)? Große Stteitfrage, viel Literatur. Praxis zurückhaltend, für die Hauptfälle (Gattungsschuld) verneinend. Juristischer Mittelpunkt § 281 BGB. Scheinbar ohne werteres zuttesfend. Aber hat der Verkäufer wirklich den Ersatz „für den geschuldeten

§ 7 V.

Pflichten des Käufers.

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Gegenstand" erhalten? War überhaupt schon ein bestimm ter Gegenstand geschuldet oder nur ein noch nicht konkretisiertes Quantum? Aus Grund dieser Frage hat das Reichsgericht den Anspruch des Käufers auf die Enteignungssumme (richtiger auf das Mehr über den vereinbarten Kaufvreis) nur für den Spezieskauf (Beschlagnahme einer bestimmten Tranladung: Bd. 91, S. 260) bejaht, dageaen für den Gattungskauf (obiges Beispiel der Kartoffelstärke: Bd. 88, S. 287) verneint. Anders bei begrenzter Gattungsschuld (S. 70); denn hier, saß der Leistungsgegenstand eben doch bereits, wenn auch nicht abgewogen, abgemessen, abgezählt, in dem beschlagnahmten Gesamtbestand.

e) Beschaffung des „Freischeins". Mitunter sind gewisse Quanten von der Beschlagnahme frei oder können im Wege der Beschaffung eines sog. Freischeins frei gemacht werden. Das bereitet erfahrungsgemäß Mühe? Kann Verkäufer sich auf die nun einmal vollzogene Beschlagnahme berufen, da er kein Jnter* esse mehr hat, oder muß er im Interesse seines Abnehmers alles daran' setzen, um das zulässige Quantum loszumachen? Grundsätzlich im letzteren Sinne zu entscheiden, Verschaffungspflicht (oben Ziff. U), allgemeiner: Verhalten als eigentlicher Gegenstand der Obligation (oben S. 28, ITT) Ausnahmen, wo den Käufer die Pflicht den Schein zu erwirken trifft, . können sich aus den Umständen ergeben (RG. Bd. 97, S. 268).

f) Abbruch der HeereSlieferungen. Verträge in Kriegsmaterial waren vielfach auf ganze Jahre oder sonstige längere Fristen abgeschlossen. Nach dem Waffenstillstand wurden sie vom wirtschaftlichen Standpunkt gegenstandslos. Juristisch blieben sie bindend. Interesse an der Lösung hatte hier der Besteller (Käufer), also das Reich. Es hat sich nicht auf den einfachen Macht­ standpunkt gestellt, sondern im Wege gesetzlichen Eingriffs em Abwi cklungsverfahren herbeigeführt. Wiederholung ähnlicher Vorgänge im Zuge der Sozialisierungsversuche nicht ausgeschlossen Hauptunterlaae: B. v. 21. Nov. 18 betr. Weiterarbeit in Kriegs­ material: Demobilmachungskommissare können neue Preise fest­ setzen (natürlich niedrigere gemeint). Also Vertragskorrektur. Bei etwaigem Abbruch Ausschluß des Ersatzes von „entgangenem Gewinn" (also Abweichung von § 252 BGB.). Ergänzend Abaeltungs-V. v. 4/Dez. 19. Besondere V. für die Auflösung der Grundstücks vertrage !v. 8. Aug.'19, wobei es sich allerdings weniger um käufliche Geschäfte als um Miets- und Pachtverhältnisse handelte.

V. Die Pflichten des Käufers sind viel einfacher gestaltet. Immerhin haben sich auch bei ihrer Erfassung bedeutende Streit­ fragen ergeben Es empfiehlt sich, einer alten Einteilung der Scholastiker folgend, zwischen essentialia, naturalia und accidentaha negotii zu unterscheiden. a) Wesentliche Pflicht (essentiale) ist nur die Pflicht zur

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§ 7 Vb. Die „Abnahmepflicht" des Käufers.

Preisbezahlung; sie ist begriffsnotwendiss für den Kauf (vgl. bereits »S. 52), ist „Hauptpflicht" (siehe sogleich unter b). Ein Verstoß gegen sie löst die vollen Wirkungen des gegenseitigen Ver­ trages, also insbesondere das Rechtfalls, nach erfolgloser Frist­ setzung zurückzu treten oder Schadensersatz zu verlangen (§ 326). Im Handelsverkehr sind vielfach Klauseln üblich, bei deren Auslegung sich der Jurist natürlich durchaus an den Berkehrsbrauch anzulehnen hat („Netto Kassa", verschiedene Formen der Skontogewähruna, „Kassa gegen Dokumente" usw). — Einziehung des Preises mittels Nachnahme ist noch nicht so einaebüraert, daß der Verkäufer sie sich ohne weiteres erlauben dürfte; Käufer kann also regelmäßig die Nach­ nahmesendung zurückweisen, kommt damit nicht in Verzug; Gefahr auf dem Rücktransport trägt Verkäufer. Über Verzinsung des Kaufpreises unter Zisf. Vic.

d) Regelmäßige Pflicht, in der Regel gegeben, aber doch nicht zum Wesen des Kaufes gehörend (naturale negotii), ist die

Abimhmepflichl des Käufers.

Sie ist dem Käufer eigens als Schuldnerverpflichtung auferlegt (§ 433) und darf nicht mit der Annahmepflicht des Käufers in seiner Rolle als Gläubiger verwechselt werden.

>Der Wortlaut hat also ungeahnte Wichtigkeit: „Abnahme" und „Annahme" stehen sich gegenüber. Jeder Gläubiger muß die gehörig angebotene Leistung „amrehmen". Tut er es nicht, so'kommt er in Verzug. Aber das ist Gläubig er Verzug (unten §44) mit viel milderen Wirkungen (§ 293 ff.). Wenn hingegen der Käufer nicht „abnimmt", so kommt er in den viellastenvolleren Schuldnerverzug (unten § 43). Schuldner­ verzug löst u. a. eine Schadensersatzpflicht aus (§286; „Gläubiger" ist hierbei der Berkäuser; er kann verlangen, daß abgenommen wird), wovon beim Gläubigerverzug nicht die Rede ist. Darum eben ist es wichtig, diese käuferische Abnahmepflicht als eine schuldnerische Pflicht zu erfassen. Weil es sich jedoch nicht um eine wesentliche, eine „Hauptpflicht" handelt, wird die Abnahme pflicht (im Gegensatz zur Preis ­ zahlungspflicht) > nicht in das Gefüge der „Gegenseitigkeit" hineingezogen. Unter diesem Zeichen stehen sich vielmehr nur Ware und Preis, nicht auch Ware und Abnahme gegenüber. Und das hat die Bedeutung, daß die Regeln vom gegenseitigen Ver­ trage bei einem bloßen Verstoß gegen die Abnahmepflicht außer Ansatz bleiben. Theoretisch gefunden durch Fortbildung des Rechtsstosfes, denn das Gesetz schweigt. Praktisches Ergebnis: der erweiterte Schadensersatzanspruch und vor allem das Rücktrittsrecht des § 326 stehen dem Verkäufer nicht zur Verfügung. — Ausnahme, wenn aus Partei­ absprache oder aus den Umständen des Falles entnommen' werden muß, daß das Abnehmen wesentlicher Vertragsbestandteil ist, z. B. bei Räumungsverkäusen.

§ 7 VI. Gefahrverteilung beim Kauf.

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c) Gelegenheitspflichten, die im einzelnen Fall noch als Besonderheiten hinzutreten (accidentalia negotii), können in ganz verschiedener Gestalt Vorkommen. Meist handelt es sich um eine Erweiterung der Abnahmepflicht oder um die Auflage, auch späterhin (nach Abwicklung des Kaufgeschäftes) mit der Ware in einer bestimmten Weise zu Verfahren. Beispiele. Es kaust jemand die Obsternte eines Gartens und über­ nimmt das Einsammeln und vielleicht auch die Bewachung des Gartens, also eine nicht unbedeutende Arbeitsleistung. Übergang 'in Typus Pacht? — Wichtig in der Praxis ist die Pflicht „nich t zu schleuoern" d. h. die Ware nicht unter einem festgesetzten Mindestpreis (etwa dem eigenen Einkaufspreis) in den Verkehr zu bringen. Berühmt ge­ worden im Buchhandel. Verstoß zu bekämpfen unter dem Gesichts­ punkt der „positiven Vertragsverletzungen"; darüber unten § 41 Ziff. V.

VI. Verpflichtungen der Übergangszeit. Die Ab­ wicklung eines Kaufgeschäfts kann Zeit in Anspruch nehmen. Vor allem kommt der Zwischenraum zwischen Bertrags­ schluß und Übergabe in Frage. In dieser Zwischenzeit kann sich allerlei ereignen. Die Sache ist Gefahren ausgesetzt. Es müssen Ausgaben gemacht werden, um sie in Stand zu halten (sog. Verwendungen); auch bei der Übergabe selbst und der Verschaffung des Eigentums können verschiedentlich Kosten entstehen. Andererseits wirft die Sache möglicherweise inzwischen Nutzungen ab. Alle diese Dinge wollen geregelt sein. Der Gesetz­ geber hat auch Regeln bereit gestellt. Es ist aber hier besonders stark auf den Parteiwillen und die Verkehrsüblichkeit zu achten, die sehr oft vom gesetzlichen Schema abweichen. a) Die Gefahrverteilung steht durchaus im Vordergründe. Ihre praktische Bedeutung leuchtet ein. Wenn der Käufer schon bezahlt hat, die gekaufte Sache verbrennt aber hinterher, so ist ihm der Kaufpreis verloren, falls er die Gefahr zu „tragen" hat; da­ gegen kany er das Geld zurückfordern, wenn der Verkäufer mit der Gefahr belastet ist. Es soll nun grundsätzlich der Zeitpunkt der Übergabe entscheiden. Erst von da an geht die Gefahr auf den Käufer über (§ 446). Wichtiger Gegensatz zum römischen Recht, das die Gefahr schon mit dem Vertragsschluß wechseln ließ. — Mehrere bedeutende Aus­ nahmen. 1. beim Versendungskauf (vgl schon S. 55 und unten §36 1b), 2. beim aufschiebend bedingten Kauf; praktisch namentlich beim Kauf auf Probe, unten Ziff. VII b. 3. bei anderem Parteiwillen; namentlich beim Kauf von Vermögens­ massen (einer Herde, aus deren Mitte dann einige Schafe eingehen.

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§ 7 VI.

Lasten- und Nutzungsverteilung beim Kauf.

eines Haufens Gerümpel, unter dem ein paar Stücke später in Schutt szerfallen), vgl. schon S. 27 II; 4. und selbstverständlich bei Verschulden des Käufers. Eigentümliche Verlängerung der Last für den Verkäufer, wenn später gewandelt wird (vgl.oben S.67). Eigentümliche Verkürzung beim Qkunbflü(f9uerlauj: wenn nämlich die Eintragung Jn6 Grund­ buch schon früher erfolgt als die Übergabe, so hört der Verkäufer schon in dem früheren Zeitpunkt auf die Gefahr zu tragen (§ 446II).

b) Lasten, Verwendungen und Kosten sind nach ähnlichem Gesichtspunkt verteilt. Solange die Sache noch im räumlichen Herrschaftsbereich des Verkäufers bleibt, hat er grund­ sätzlich die Obhut und die Pflicht, die entstehenden Aufwendungen zu decken; das reicht bis zu den Kosten, die durch das Zumessen und Abwägen der Ware entstehen. S3on da ab, angefangen mit den Kosten der „Abnahme" und Versendung, muß der Käufer einspringen. Vgl. § 446 („Lasten"), §448 („Kosten"), § 450 („Verwendungen"). — In der Praxis spielen die Grundbuch kosten einschließlich der Ab­ gaben vom Besitzwechsel (Wertzuwachssteuer!) eine besonders wichtige Rolle. Gesetzlicher Anhalt in § 449. Aber klare Absprache über alle Einzel­ heiten in der Praxis dringend zu empfehlen, da vielfach anderer Orts­ gebrauch.

c) Nutzungen. Hierbei ist namentlich auch an verkaufte Rechte zu denken, die in der Zwischenzeit durchlaufend Zinsen tragen. Stichpunkt auch hier grundsätzlich die Übergabe (§ 446). über die Verteilung vgl. § 101. — Unglückliche Regelung beim Versendungskauf. Nur die Gefahr geht dann schon früher (mit der Absendung) über; wenigstens setzt das Gesetz den Umschwung nur für die Gefahr fest (§ 447). Die Nutzungen sollen dagegen bis zur schließ­ lichen Übergabe auf Rechnung des Verkäufers weiterlaufen. Beispiel: Hühüertransport auf der Eisenbahn, 2 sterben, mehrere legen Eier; der Tod soll auf Rechnung des Käufers gehen, während die Eier noch dem Verkäufer zufallen würden. Unhaltbar; Auslegung auf anderen Parteiwillen empfehlenswert.

VII. Ausbau durch Rebenabreden. Die Vertragsfreiheit ermöglicht es den Parteien, dem Normalgefüge des Kaufes die verschiedensten Nebenabreden anzufügen Zum Teil gehören sie der Rüstkammer des allgemeinen Schuldrechts an. So, wenn sich eine Partei noch eine gewisse Zeitlang den „Rücktritt" vorbehält, etwa der Verkäufer, um nicht die Möglichkeit eines besseren Gebotes zu verscherzen, oder der Käufer, der noch nicht genau weiß, ob er für die Sache wirklich Verwendung haben wird. So, wenn sich die eine Partei gegen die Säumigkeit der anderen durch eine „Vertragsstrafe" sichern will, etwa der Käufer, der in

8 7 VII? Kauf nach Probe, Kauf auf Probe.

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größte Ungelegenheiten käme, wenn ihm die Waren nicht zu einem bestimmten Termin, vielleicht den Tagen eines Volksfestes, ge» liefert würden. So, wenn im Anschluß an den Volksbrauch gewisser Gegenden ein „Angeld", eine Draufgabe vom Käufer gegeben wird. Es werden dann die Regeln des allgemeinen Teiles in das Sonderrecht des Kaufes eingearbeitet, was im allgemeinen keine Schwierigkeiten macht. Rücktritt § 345ff. (unten § 50). Vertragsstrafe § 339 ff. (unten § 4611). Draufgabe $ 336 f. (unten § 46111).

Zum anderen Teil haben diese Nebenabreden ein so spezifisches Gepräge, daß sie wie selbständige Typen, wie Spielarten des Kaufes erscheinen und deshalb auch vom Gesetzgeber als Unter­ arten des Kaufvertrages aufgefaßt worden sind. a) Kauf nach Probe (§ 494). Hierbei handelt es sich um eine Ergänzung der Mängelhaftung. Dadurch, daß beim Abschluß des Geschäfts eine Probe gegeben wird, sollen die maßgebenden Eigenschaften der Ware festgelegt werden. Dem hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er die Eigenschaften der Probe als „zugesicherte" in dem früher erörterten Sinne gelten läßt. Danach setzt die dreifache, meist sogar (da Gattungssachen) vierfache Haftung ein. Oben S. 62 Zisf. 1. Auch minima sind dann beachtlich; doch muß vorsichtig geprüft werden, ob der Parteiwillen wirklich so weit ging und ob auch alle Eigenschaften oder yur bestimmte (z. B. nur die Farbe des Garns, nicht auch die innere Zusammensetzung) zugesichert jein sollten. Besonders häufig ist das Probengeben im.Meßverkehr und im Verkehr mit Reisenden. Hier wirkt es sehr vorteihaft, weil anerkannt viele Streitigkeiten Vorkommen. Ein praktischer Wink: Proben gut aufheben. Der Handelsmäkler ist gesetzlich (HGB. § W) gehalten, Proben über die von ihm vermittelten Geschäfte „so lange aufzubewahren, bis die Ware ohne Einwendung gegen ihre Beschaffenheit angenommen oder das Geschäft in anderer Weise erledigt wird".

b) Kauf auf Probe (8 495) und auf Umtausch. Beide Typen durchaus volkstümlich. Der Käufer behält Bewegungs­ freiheit. Er kann sich noch überlegen, kann noch wählen. Um dieser Wahlfreiheit willen verhielt sich das römische Reicht ablehnend. Man kann sich mcht binden (der Verkäufer), wenn der andere (Käufer) noch im freien Bereich der Willkür weilt; Pompomus: „Sub hac condicione, si volam ’ nulla fit obligatio. So noch die Herrschende Lehre des gemeinen Rechts. BGB. hat diesen übertrieben starren Stand­ punkt verlassen.

Tie Konstruktion des Probekaufs erfolgt unter Zuhilfe­ nahme der (im I.. Buch § 158 ff. allgemein geregelten) Figur bei

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§ 7 VIIc. Eigentumsvorbehalt beim Maus.

auf schiebenden Bedingn ng. Wenigstens wird sie „im Zweifel" zugrunde gelegt (§ 495). Das hat die wichtige praktische Folge, daß der Verkäufer die Gefahr trägt, bis endgültige Klärung eingetreten ist. Bücher werden mir zur Ansicht ms Haus geschickt. Sie verbrennen (ohne meine Schuld). Ich brauche sie nicht zu bezahlen. Vgl. bereits oben S. 75, Zifs. 2. — Solche Haftung legt es nahe, daß der Verkäufer ein Ende des unsicheren Zustandes herbeiführen kann: Fristsetzung nach § 496; Schweigen gilt als Annahme, wenn der Käufer die Sache schon in Händen hat, als Ablehnung, wenn sie noch beim Verkäufer lagert.

Der Kauf auf Umtausch ist mit dem auf Probe insofern ver­ wandt, als sich der Verkäufer dem Käufer bis zu gewissem Grade in die Hände gibt. Aber es empftehlt sich, hier mit einer auflösenden Bedingung zu operieren, da näch dem Rechtsgefühl die Gefahr bereits auf den Käufer zu legen ist. Der Gesetzgeber hat sich nicht geäußert. 1 Beispiel: Kauf eines Hochzeitsgeschenkes; die Erfahrung Lehrt, daß oft von zwei Seiten dasselbe geschenkt wird, darum Umtauschvor­ behalt; Diebstahl noch ehe die Überreichung ixn das Hochzeitspaar er­ folgt ist. Käufer muß bezahlen. — An die Bestimmungen über Wahl­ schulden (unten § 37) kann mit Vorsicht Anlehnung genommen werden; doch bleibt auch ihnen gegenüber ein (wiederum im Punkte der Gefahr­ tragung praktischer) Unterschied: bei der Wahlschuld sind alle Gegen­ stände, zwischen denen gewählt werden soll, schon bestimmt; bei der Umtauschklausel nur der eine vorläufig gewählte, während das etwa statt seiner später zu wählende Ersatzstück noch unbestimmt ist.

c) kigerrtumsvorbehalt und Abzahlungsgeschäft. Kauf nach Probe, Kauf auf Probe und Kauf auf Umtausch dienen im wesent« lichen den Interessen des Käufers. Dagegen ist der Eigentums­ vorbehalt (das pactum reservati dominii) auf das Interesse des Verkäufers zugeschnitten. Er bringt eine einschneidende Änderung in die Berschaffungspflicht (S.59 d) des Verkäufers hinein. Normalerweise soll er dem Käufer das Eigentum beschaffen. Hier dagegen hält er das Eigentum zurück. Und zwar zumeist im Gegensatz zur körper­ lichen Übergabe, mit der nicht zurückgehalten wird, so daß der Eigentumsvorbehalt die Sache gleichsam in die Hände des Käufers hinüber verfolgt. Ein solcher Eigentumsvorbehalt ist nur als etwas Vorübergehendes gedacht — schließlich soll das Eigentum doch an den Käufer gelangen —, er hat nur den Sinn, den Verkäufer so lange zu sichern, als er noch der Sicherung bedarf. Darum ist der Eigentumsvorbehalt meist Mit einer Stundung des Kaufpreises verbunden und erlischt, sobald der volle Preis erlegt ist.

§ 7 VII c. Kauf auf Abzahlung.

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So aber wirkt er als Waffe gegen unsichere und böswillige Schuldner. Seine juristische Kraft zieht er aus der Wirkung nach außen. Denn wenn das Eigentum noch beim Verkäufer bleibt, so muß das jeder Dritte grundsätzlich achten: dem Käufer ist damit das Abschieden der Ware unterbunden. Der Verkäufer hat im Konkurse des Käufers in seiner Rolle als Eigentümer ein sog. Aussonderungsrecht (§43 KO.), braucht sich also nicht wie die anderen Konkursgläubiger aus die „Dividende" veriveisen zu lassen. Freilich ist es dem Konkursverwalter unbenommen, durch Zahlung des noch ausstehenden Kaufpreises das Geschäft ordnungs­ gemäß abzuwukeln (§17 KP.). — Dem Dritten gegenüber, anden etwa der Käufer die Sache weitergab, hat der Verkäufer die Agentumsklage. Freilich schwächt der Gutglaubensschutz (näheres im Grundriß „Sachenrecht") diese Macht des Verkäufers beträchtlich ab.

Die juristische Konstruktion erfolgt wiederum unter Zuhilfenahme der Figur der aufschiebenden Bedingung. Außerdem wird dem Verkäufer bei Säumigkeit des Schuldners ein Rücktrittsrecht eingeräumt (§ 455). Doch hat sich der Gesetzgeber in dem $ 455 nur bezüglich beweg­ licher Sachen geäußert. Bei Grundstücken ist ein beding ter Ggentumswechsel nicht möglich (§92511). Aber das Bedürfnis ist auch geringer denn die körperliche Übergabe läßt hier so wie so nicht das Eigentum übergehen, so daß ein Vorbehalt nicht nötig ist; es toirtr dann einfach die zum Elgentumserwerb erforderte Auflassung und Eintragung (§ 9261) nicht vollzogen, d. h. erst vollzogen, wenn der Kaufpreis bezahlt ist.

In enger Fühlung mit dem Eigentumsvorbehalt stehen die Abzahlungsgeschäfte. Sie haben im Laufe der letzten Jahr­ zehnte einen bedeutenden Umfang angenommen und bilden einen beachtenswerten Faktor im Wirtschaftsleben der weniger bemittelten Bolkskreise, namentlich jüngerer, auf eine Lebensstellung zu­ schreitender Leute. Die wirtschaftliche Struktur ist so, daß die Ware (meist) sofortim ganzen geliefert wird, z. B. eme Nähmaschine an eine arme Näherin, ein Konversationslexikon an einen Lernbegierigen, eine Möbelausstattung an Verlobte oder an den Bauer, der in die Stadt zieht, während der Preis „etappenweise", in Raten (daher „Abzahlung") entrichtet wird. Danach kann das Gebilde sehr sozial wirken, wenn es in der Hand vertrauenswürdiger und möglichst nicht auf Gewinn erpichter Ver­ käufer bleibt, etwa einer gemeinnützigen Genossenschaft. Denn dann wird dem Unbemittelten ein „Schritt vorwärts" ermöglicht, den er nicht gehen könnte, wenn er den ganzen Kaufpreis sofort ausbringen müßte. Aber meist und namentlich am Anfang, als dieser Geschäftstypus aus­ kam, stand der nackte Geschäftssinn der Verkäuferschast im Vordergründe, in Kundenfang und Ausbeutung mündend, den Verkäufer ein­ seitig und übertrieben sichernd, vor allem durch Eigentumsvorbehalt und berüchtigte Verfallt lau seln. Dagegen mußte eingeschritten werden.

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§ 7 VII d.

Wiederkauf.

Um dem Gebilde einen festen juristischen Rahmen zu geben imd um Auswüchse zu bekämpfen, ist bereits kurz vor dem Inkrafttreten des BGB. ein besonderes Reichsgejetz betr. die Abzahlungsgeschäfte ergangen (15. Ma, 1894). Ausgeschlossen ist danach der „Verfall" der etwa schon gezahlten Raten. Wenn also überhaupt der Rücktritt ausgeübt wird, müssen diese Teilzahlungen wieder herausgegeben werden ($1), allerdings unter Abzug des Werts, den du Benutzung inzwischen für den Käufer gehabt hat, und eines Ersatzes für die Abnützung oder für Be­ schädigungen, die der Käufer verschuldet hat. Ferner smd die Klauseln über Fälligkeit der Restschuld bei Unpünktlichkeit gesetzlich reguliert (8 4II), und es ist Verkehr getroffen, daß nicht ein Abzahlungs­ geschäft hinter anderer Gejchäftsaujmachung (z. B. als Möbelmiete) versteckt wird (§a6). d) Wiederkauf und Wiederverkauf (§ 497 ff.). Grundsätzlich ist beim Kauf eine Güterverschiebung für immer geplant. Aber es kann zunächst einmal rein tatsächlich vorkommen, daß später der Verkäufer die Sache wiederhaben möchte, oder daß sie der Käufer wieder los fern und an den Verkäufer zurückbringen will.

Einigen sich die Parteien, so ist das ein ganz neuer Kauf, der mit dem früheren rechtlich m nichts zusammenhängt und beispielsweise unter ganz anderen Nebenabreden, mit ganz anderem Preis usw. zustande­ kommen kann. Es kann aber auch von vornherein den Parteien eine solche Möglichkeit vorgeschwebt haben, und dann eröffnet sich ihnen em Weg, gleich bei dem ursprünglichen Kauf die Wiederkaufs­ lage bindend festzulegen.

Dann ist die Rechtslage eine vollkommen andere. Denn der Teil, der sich den Wiederkauf (oder Wiederverkauf) Vorbehalten hat, hat dann em Recht auf Abschluß; er braucht sich nicht mehr zu „einigen", sondern die Einigung ist schon bei dem ersten Abschluß vorweggenommen.

Im Gesetz sind für den Fall dieser Ausgestaltung des Kauf­ vertrages eine Reihe von Einzelregeln gegeben, die sich nament­ lich auf den Preis beziehen, der vom Zurück-Käufer zu bezahlen

ist, und auf die Wandlungen, die in der Zwischenzeit ein­ getreten sein können (Verschlechterung oder gar Untergang, Weiter­ gabe an einen Dritten, Verwendungen auf die Sache usw.). Wichtig ist die zeitliche Begrenzung der Wirksamkeit (bei beweglichem Gut 3 Jahre, bei Grundstücken 30 Jahre); die Güter sollen nicht allzu lange festgelegt und dem freien Verkehr entzogen werden. Praktische Bedeutung für das Bodenrecht: Mittels der Wiederkaufsbesugnis ist es möglich, kleine Wirte anzusiedeln, aber in ständiger wirtschaftlicher Abhängigkeit zu erhalten. Es erinnert fast an das precanum römischer Kolonisatlonspraxis. Mittels der Vormerkung

§ 7 VHe. Vorkaufsrecht.

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im Grundbuch (§ 883 ff.; näheres im Grundriß „Sachemecht") kann sogar dingliche Wirkung gegen jeden erzielt werden, an den der Wirt das Bodenstück weitergibt. Die zeitliche Beschränkung wirkt dann natür­ lich besonders stark. — Praktisches Vorkommen des Wiederverkaufsrechts namentlich be­ züglich der Waren, die der Kleinhändler vom Großhändler bezogen hat. e) DaS Borkaufsrecht. Tas Leben bringt nicht selten Lagen hervor, wo jemand das Gut eines anderen gern käuflich an sich bringen oder doch diesem Gedanken näher treten möchte, während der andere vorläufig nicht gesonnen ist, die Sache wegzugeben. Es wohnt etwa jemand in der Villa eines anderen zur Miete. Vor­ erst ist die Vrlla dem Eigentümer noch nicht feil. Oder umgekehrt kann ' sich der Mieter vorläufig noch nicht zum Kauf entschließen. Aber er würde es höchst ungern sehen, wenn die Villa in dritte Hände überginge. Er möchte sich für alle Fälle die Vorhand sichern. Für solche Lagen ist das Vorkaufsrecht bestimmt. Es gibt dem Berechtigten nicht etwa (wie das Wiederkaufsrecht) die Möglichkeit, in jedem beliebigen Augenblick die Sache an sich zu ziehen. Sondern nur dann, wenn der andere Teil im Begriffe steht, die Sache an einen Dritten zu veräußern, kann der Berechtigte einspringen und erklären: wenn schon verkauft wird, dann nehme ich die Sache. Es leuchtet ein, daß dies für den kauflustigen Dritten eine unan­ genehme Überraschung fern kann; er hatte vielleicht sorgfältige Vor­

bereitungen getroffen, kostspielige Berechnungen aufgestellt, und nun, da er zugreifen will, schiebt sich ein anderer dazwischen und behauptet, ein „Vorkaufsrecht" zu haben. Darum ist einer der wichtigsten Punkte, ob das Vorkaufs­ recht auch den Dritten, der bei seiner Begründung gar nicht beteiligt war, bindet. Das BGB. hat eine Doppelregelung für angezeigt gehalten. Es regelt das Gebilde zunächst einmal im Schuldrecht (§ 504ff.); da hat es nur Wirkung inter partes, d. h. der Dritte braucht sich nicht darum zu kümmern und dem Vorkaufsberechtigten bleibt nur der Schadensersatzanspruch gegen den treulosen Verkäufer. Daneben aber gibt es, freilich nur bei Grundstücken, einen sachenrechtlichen Typus Vorkaufsrecht (§ 1094sf.) der ins Grundbuch eingetragen wird nnd dann von jedermann, also auch von dem kauflustigen Dritten beachtet werden muß. Wiederum ist dieser verdinglichte Typus sehr bedeutsam für die landwirtschaftlichen, vor allem die Siedelungsverhaltnisse. Denn er ermöglicht es, das Abfließen von Land an mißliebige Personen, z. B. Angehörige einer fremden Nationalität, zu verhindern. Hat beispiels­ weise eine Siedelungsgesellschast an allen Grundstücken ihres Bezirks das Vorkaufsrecht, so liegt es in ihrer Hand, bei jedem geplanten Verkauf an eine nicht genehme Person einzuspringen und das Land an sich selbst Hedcmann, Da- Schnldrecht.

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§ 7 VII e.

Vorkaufsrecht

zu bringen. Wird gar eine solche Siedelungsgesellschaft mit einem gesetz­ lichen Vorkaufsrecht ausgestattet, so wird damit eine starke Waffe der Siedelungspolitik geschaffen. Frühere Zeiten hatten gesetzliche Vorkaufsrechte (Näherrechte, Zugrechte), gerade am Grund und Boden, in weitem Ausmaß Das 19. Jahrhundert hielt solche „Bindung des Bodens" für kulturschädlich; es wollte möglichst freien Verkehr auch der Bodenwerte. Dem fiiib die meisten gesetzlichen Vorkaufsrechte zum Opfer gefallen. — Das BGB. kennt nur das gesetzliche Vorkaufsrecht der Miterben (§ 2034). Aber vertraglich können Vorkaufsrechte beliebig geschaffen werden. Und neuerdings kehrt auch die Gesetzgebung wieder stärker zur Verwertung dieses Gebildes zurück; so z. B. zugunsten der Siedlungsunternehmen uu Reichssiedlungsgesetz vom 11. Aug. 1919.

Für die Handhabung des Vorkaufsrechts sind drei Stadien zu unterscheiden: 1. Tas erste Stadium kennzeichnet sich durch das bloße (gleich, sam tote,' Bestehen einer Vorkaufsmöglichkeit. Der Berechtigte kann nicht etwa einen Verkauf, der nun sein Recht auslösen würde, erzwingen, muß vielmehr tatenlos abwarteü. Er kann auch gründ, fätzlich die Berechtigung nicht an jemand anderes abtreten, lind ebenso ist seine Berechtigung im Zweifel unvererblich, so daß sie vielleicht erlischt, ehe sie hätte praktisch werden können (§ 514). 2. Em Umschwung tritt ein, sobald der Verpflichtete mit einem Dritten abschließt. Dieser Vertrag mit dem Dritten muß fertig, insbesondere in der Form des §313 abgeschlossen sein. Gerade das wirkt lähmend. Der Dritte, vom Vorkaufsrecht bedroht, wird wenig Neigung haben, sich die Mühen und Kosten zu machen. Darum schreckt das bloße Dasein einer Vorkaufsberechngung erfahrungsgemäß Dritte von Kauf Verhandlungen ab, namentlich wenn der Grundbucheintrag der Berechtigung dingliche Kraft sichert.

Der Verpflichtete muß dem Berechtigten von dem Abschluß Mitteilung machen, und es setzt dann für den Berechtigen eine Überlegungsfrist (bei Grundstücken 2 Monate, sonst eine Woche) em (§ 510). 3. Des letzte Stadium wird durch die Entscheidung des Berech. tigten gekennzeichnet. Wenn er sich dafür entscheidet, von seiner Befugnis Gebrauch zu machen, so bedeutet das seinen Eintritt in den Kaufvertrag zu denselben Bedingungen, die mit dem Dritten vereinbart worden waren, während der Dritte ausscheidet. Ter Dritte hat es also in der Hand durch Bieten eines überhöhe« Preises den Vorkaüfsberechtigten abzuschrecken. Gefahr eines Schein­ preises. Gegen geschickte Vereitelungsversuche mittels Einbaues von Klauseln in den Vertrag will § 506 sichern. —

§ 7 VIII. Der Tausch und andere kausähnliche Beträge.

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Die Figur einer solchen Vorweg-Berechtigung ist auch für andere Schuldrechtstypen verwertbar und kraft der grund­ sätzlichen Vertragsfreiheit auch zugelassen. Z. B. als Bormiete. Doch wird in der Praxis wenig Gebrauch davon gemacht. VIII. Kaufähnliche Gebilde, insbesondere der Tausch. Wie das Vorhergehende gezeigt hat, ist der Kauf vom Gesetzgeber besonders sorgfältig behandelt worden. Man hat ihm über 80 Para­ graphen gewidmet. Aber die so geschaffenen Denkwerte sind dann auch für andere Gebilde verwertet worden, ein nicht ungeschicktes Mittel gesetzgeberischer Technik. a) Der Tausch (BGB. §515). Ursprünglich war er das Grundgeschäft des menschlichen Verkehrs. Nach dem Aufkommen des Geldes tritt er mehr und mehr in den Hintergrund. Heute spielt er neben dem Kauf eine sehr bescheidene Rolle. Doch hat der Krieg seine Bedeutung vorübergehend wieder gehoben, namentlich hinsichtlich der unmittelbaren Ge^auchsgegenstände des täglichen Lebens. Im Frieden ist der Tausch noch ziemlich verbreitet im Viehhandel. Auch Tausch von Grundstücken (Brauerei gegen Zins­ haus) ist nicht selten. Im kleineren Verkehr etwa: Hingabe von Lumpen gegen ein fertiges Paar Strümpfe.

Die rechtliche Behandlung beruht auf einem einzigen Gesetzesparagraphen: „Auf den Tausch finden die Vorschriften über den Kauf entsprechende Anwendung" (§51'5). Das gilt nament­ lich von der Mängelhaftung. Doch paßt keineswegs alles aus dem Kaufrecht; deshalb ist auch nur „entsprechende" Anwendung vorgeschrieben. Z. B. fällt das ganze Gebilde der Minderung fort. Denn mindern läßt sich nur Geld, und gerade der Geldpreis fehlt beim Tausch. b) Das Gesetz ist aber noch viel weiter gegangen in der Ver­ wertung des kaufrechtlichen Denkstofses. Alle anderen „Verträge, die auf Veräußerung oder Belastung einer Sache gegen Entgelt gerichtet sind" werden durch die bündigen Formeln der §§ 445 und 493 kurzerhand unter die Gewährleistungs­ pflicht des Verkäufers (oben S. 60 ff.) gestellt, eine sehr weit­ greifende Maßregel. Es gehört hierher vor allem die (entgeltliche) Einbringung von Ver­ mögensstucken m dasGellschaftsvermögen (vgl. unten § 29 8tff. II). Ferner der Vergleich (unten § 32), falls er so geschlossen wird, daß der eine Teil dem anderen zur Abfindung eine Sache überläßt. Dann der (persönliche, neben dem sachenrechtlichen Vorgang einhergehende) Verpfändungsvertrag. Für die sog. Hingabe an Erfüllungs­ statt (unten §40 I a2) vgl. § 365 BGB.

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§ 8. Die Schenkung.

Wenn also bei einem solchen Vertrage der weggebende Teil verabsäumt hat, dem anderen wirkliches Eigentum (oder etwa Pfandrecht) zu verschaffen, oder wenn die dargereichte Sache mit Fehlern behaftet ist oder der zugesicherten Eigenschaften ermangelt,

so kommen ganze Paragraphenschichten des Kaufrechts in Fluß.

8 8.

Schenkung und Schenkungsversprechen. (BGB. § 516 ff.).

' I. Begriff. Wie immer hat das BGB. diejenigen Sähe, die eine Begriffsbestimmung wiedergeben sollen, mit besonderer Sorgfalt zurechtgeschliffen. Trotzdem ist es ihm nicht gelungen, dem einfachen Leser von dem begrifflichen Gefüge des Schenkungs­ rechts ein klares Bild zu geben. Insbesondere tritt mcht deutlich genug hervor, daß das Gesetz in dem Titel über das Schenken (§ 516 ff.) zwei Typen geprägt hat, nämlich die eigentliche „Scheu * kung" und das „Schenkungsversprechen". Die zwiespältige Regelung erklärt sich daraus, daß man die Schenkung grundsätzlich als Realgeschäst aufgesaßt wissen wollte: Erst mit dem Vollzüge setzt die „Schenkung" ein; also, wenn eine bewegliche Sache geschenkt wird, mit deren Übergabe zu Eigentum (nach Maßgabe der § 929 ff.), wenn ein Grundstück geschenkt wird, mit der Auslassung (n. M. der §§ 925, 873), wenn eme Forderung geschenkweise erlassen wird, mit dem (grundsätzlich formlosen) Erlaßvertrag des § 397 usw. Nun konnte man sich aber nicht der Erkenntnis verschließen, daß auch das im voraus gegebene, ernst gemeinte Versprechen bereits einen gewissen Rechts­ charakter beanspruchen dürfe. Wenn ein Schwiegersohn vom Schwieger­ vater feste Zusicherungen bekommt, er werde ihm dies oder Mes zu­ wenden, wenn ein Institut solche Zusicherungen von einem Wohltäter erhält, so richten sich Schwiegersohn und Institut danach ein, machen Anschaffungen, entwerfen einen Wirtschaftsplan usw. Man kann sie nicht schutzlos der Laune des Zusicherers überlassen. Darum hat das Gesetz doch auch das (bloße) „Schenkungsversprechen" als Schuld­ typus anerkannt und damit klagbar gestellt; freilich mit einer bedeutenden Verkürzung seiner praktischen Wirksamkeit: um nämlich zu binden (um „rechtsgültig" zu sein) muß es vor einem Gericht oder Notar be­ urkundet werden (§ 518), was mancher Schenkungsbereite entrüstet ablehnen wird.

Im folgenden wird nur von der eigentlichen „Schenkung" gehandelt. Deren Rechtsregeln lassen sich unschwer auf das Schen­ kungsversprechen übertragen, z. B. die abgeschwächte Haftung des Schenkers. Der Schenker haftet nicht für jede Schuld,' sondern nur für Vorsatz' und grobe Fahrlässigkeit (§ 521). Das gilt auch vom bloßen Versprecher. Hat er leichtsahrlässig die pünkliche Erfüllung versäumt, kommt er nicht in „Verzug", denn er hat die leichte Fahrlässigkeit nicht „zu vertreten"

§ 8 II.

85

Voraussetzungen der Schenkung.

(§ 285). Darum kann ihn der Bedachte nicht auf Schadensersatz belangen (§ 286).). Für Verzugszinsen (§ 288) hastet er sowieso nicht, auch nicht bei grobsahrläjsiger oder absichtlicher Säumnis (8 522). — Einzel-regeln für das Schenkungsversprechen in §§ 519, 520.

Daß das Schenkungsversprechen als Vertrag gedacht ist, leuchtet ein. Aber dasselbe soll auch von der „Schenkung" gelten. Darum ist mit der einseitigen Zuwendung durch den Schenker noch immer nicht das Rechtsgebilde der Schenkung entstanden. Vielmehr bedarf es dazu noch der „Annahme". Das macht den Eindruck schlimmer Künstelei^ der durch die Frist­ setzung aus § 516II noch gesteigert wird, ist aber nicht ohne prak­ tische Wirkungen. — Beispiel: Ein Onkel erläßt dem Neffen schenk­ weise seine Schuld von 2000 Mk. Der Neffe erklärt: Nein, wenn ich irgend zu Geld komme, behalte ich mir Rückzahlung vor. Gegenüber der Steuerbehörde will der Onkel die ihm bisher geschuldeten 2000 Mk. als Aktivum absetzen, während der Neffe nach wie vor sie als Passivum anmeldet. Hier muß schließlich Entscheidung getroffen werden, ob die Schenkung durch „Annahme" zustande gekommen ist oder nicht. — Können ein sechsjähriges Kind, ein Geisteskranker gültig beschenkt werden oder scheitert das, weil sie die Willenserklärung der „Annahme" (in Ab­ wesenheit ibres gesetzlichen Vertreters) nicht abgeben können (§ 105)? Für Minderjährige vgl. § 107.

II. Borausseßungerr im einzelnen. a) Es muß sich um eine „Vermögenszuwendung" handeln. Allerlei, was Geschäftswert hat, kann zugewendet werden. Es wurde schon der Erlaß einer Forderung erwähnt. Auch Darreichung von Diensten kann Schenkungsgegenstand sein. Dagegen scheidet aus das bloße „Unterlassen eines Erwerbs". Denn das ist keine Zuwendung „aus dem Vermögen" des Schenkers (§ 517) Wichtigster Fall: Aus­ schlagung einer Erbschaft, die nunmehr dem nächsten Anwärter zufällt. b) Bereicherung des anderen Teils. Wer eine Schuld zahlt, an die sein Gläubiger nicht mehr geglaubt hat, überrascht den Gläubiger, macht ihm eine Freude, aber beschenkt ihn nicht. Wer die (ohne sein Eingreifen ganz aussichtslose) Ehrenschuld eines Verwandten einlöst, schenkt dem Verwandten, aber nicht dem Gläubiger. Deshalb kann nicht etwa wegen groben Undanks des Gläubigers (unten Ziff. III b 2) das gezahlte Geld später wieder zurückgefordert werden; es ist eine Mhuld bezahlt, nicht ein Geschenk gemacht worden.

c) Einigung

über

die

Unentgeltlichkeit.

'

Gleichgültig ist das „Motiv" (der Beweggrund) des Schenkers. Es feitet ihn vielleicht kühle Berechnung; hohe Weihnachtsgabe an An­ gestellte, damit sie zu Neujahr nicht kündigen. Oder sogar feindselige Stimmung; er schenkt den Kindern ein Lärminstrument, damit sie den Vater stören. Oder die Hoffnung auf eine „Gegendedikativn". Alles dies bleibt Schenkung, weil in den Geschäftsinhalt nur die beiderseitige Vorstellung von der Unentgeltlichkeit ausgenommen worden ist.

88

§ 8 III b.

Rückforderung von Schenkungen.

III. Rechtslage nach vollzogener Schenkung. Wir sahen: die „Schenkung" beginnt erst mit dem Vollzug; Begründung des Schuldverhältnisses und Erfüllung fallen in eins zusammen. Eigent­ lich müßte damit alles zu Ende sein. Aber es können nachträglich Erscheinungen hervortreten, die ein rechtliches Eingreifen nötig machen, und gerade das füllt die Mehrzahl der Paragraphen im Schenkungsrecht. a) Haftung des Schenkers. Es könnte wundernehmeu, daß man den Wohltäter, den Freigebigen überhaupt haftbar macht. Aber es muß mit arglistigem Verhalten gerechnet werden, und für diesen Fall, nur für diesen Fall ist eine Haftung sowohl für Rechts­ mängel (§ 523) wie für Sachmängel (§ 524) in Anlehnung an die Kaufregeln vorgesehen. Beispiel: A schenkt dem B, der sich an einem Pferderennen als Reiter beteiligen will, einen Sattel, dessen Gurt, wie er weiß, bei der nächsten stärkeren Anspannung platzen muß. B verliert das Rennen wegen Platzens des Gurts. A muß ihm den Schaden ersetzen. — Was ist „Arglist"? Dolus eventualis? (Verschenken von Lebensmitteln, die „vielleicht" nichts mehr taugen und wirklich schwere Schädigungen hervorrufen).

b) Rückforderung des Geschenks. Durch nichts kommt der Rechtscharakter der Schenkung so sehr zum Ausdruck als dadurch, daß sie grundsätzlich nicht zurückgefordert werden kann. Sie bindet rechtlich. Es ist durch sie ein „rechtlicher Grund" für die Zuwendung gesetzt worden. Deshalb kann sie auch nicht unter dem Gesichts­ punkt „ungerechtfertigter Bereicherung" (§ 812) herausverlangt werden. Aber in zwei Lagen ist doch ein Rückforderungsrecht anerkannt worden. 1. Bei spaterer Verarmung des Schenkers kann sich eine sozial unerfteuliche Lage ergeben: er selbst muß darben, der Beschenkte lebt sorglos, vielleicht üppig dahin. Um dem zu begegnen, gibt das Gesetz dem Schenker ein Rückforderungsrecht (§§ 528, 529). Nur auf die Bereicherung, d. h. auf das, was von dem Geschenke im Vermögen des Beschenkten noch nachweisbar ist (Beweis oft schwierig). Auch sonst ist das Rückforderungsrecht sehr verklausuliert und eingeschränkt. Wegfall bei selbstverschuldeter Verarmung, Wegfall, wenn die Schenkung schon über zehn Jahr zurück liegt, Wegfall bei gleichzeitiger Notlage des Beschenkten. Vor allem wird die ganze Einrichtung für die große Masse aller Schenkungen (die sog. Anstands- oder Pflicht­ schenkungen) durch den $ 634 wieder weggeräumt: „Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, unterliegen nicht der Rückforderung und dem Widerrufe." Übei die facultas alternativa des Beschenkten S. 41.

2. Bei grobem Undank des Beschenkten lehnt sich das sittliche^Empsinden dagegen auf, daß er das Geschenk behalten darf.

§ 8 IV.

Schenkung unter Auslage.

87

Das Gesetz stattet daher den Schenker mit einem „Widerrufs-" Recht aus. Praktisch läuft dieses Recht auf eine Rückforderung des geschenkten Gegenstandes hinaus. Auch hier weitgehende Einzelregelung (§ 530 ff.). Wer einmal verziehen hat, kann nicht nochmals auf den früheren Undank zurück­ greifen. Er muß sich auch binnen einem Jahre schlüssig machen. An die Erben des Undankbaren kann er überhaupt nicht mit seinem Widerrufsrecht herantreten. Und wiederum die große Ausnahme für alle Pflichtschenkungen. — Über Brautleute, deren Verlöbnis aus­ einandergegangen ist, vgl. $ 1301.

IV. Schenkung unter Auslage (§§ 525—527). Es handelt sich dabei um eine der Schenkung beigefügte Nebenabrede, ein Gebilde, das im Leben sehr häufig ist, aber der juristischen Er­ fassung besondere Schwierigkeiten macht. Der menschliche (wirtschaftliche) Ausgangspunkt ist der, daß die Ausnützung des Geschenks nicht in das reine Belieben des Beschenkten fallen soll, sondern daß ihm für die Behandlung oder Verwertung des Ge­ schenks vom Schenker Richtlinien gesetzt („auferlcgt") werden. Die Römer nannten bo5 modua, weil ein Maß für die Ausbeutung der Zuwendung beigegeben wird; darum hat man versucht, auch in die deutsche Rechtssprache den Ausdruck „Maßgabe" einzuführen. Das Gebilde kehrt bei den erbrechtlichen Zuwendungen wieder (§§ 1940, 2192 ff.), unterliegt aber im Erbrecht teilweise einer anderen Regelung. — Beispiele: Ein Bürger schenkt seiner Heimatstadt seinen schönen Garten mit der Bestimmung, daß er als Volkspark verwendet wird und seinen Namen bekommt. Eine alte adlige Dame schenkt ihrer Nichte den Familienschmuck mit der Auflage, ihn nicht zu „profanieren", sondern nur bei großen Familienfestlichkeiten zu tragen Em Nachbar schenkt dem verarmten Nachbar Lebensrnittel mit dem Zusatz, daß er natürlich auch seiner Frau und den Kindern etwas abgeben müsse. — Schwierig die Abgrenzung zum bloßen (als außerrechtlich empstmdenen) Wunsch oder Rat (vgl. S. 25 Ziff. 3)

Ter wichtigste praktische Satz aus der Lehre von der Auflage ist, daß die Erfüllung der Auflage eingeklagt werden kann (§ 525). Daneben stellt der Gesetzgeber dem Schenker ein Rückforderungsrecht zur Verfügung, wenn aus der Erfüllung der Auflage nichts wird, allerdings nur, wenn das an einem Ver­ schulden des Beschenkten liegt (§ 527). Die Klage auf Beachtung der Auslage wird praktisch selten sein; doch wirkt die Klagbarkeit immerhin als Druckmittel. Ebenso ist das bloße Drohen mit der Zurücknahme meist schon geeignet, den Beschenkten zur Erfüllung anzuspornen. — Verwickelung kommt dadurch hinein, daß möglicherweise auch der Tritte, dem die Auflage zugute kommen soll, ein Klagerecht besitzt, ivas nach den allgemeinen Regeln vom „Ver­ sprechen der Leistung an einen Dritten" (§ 328 ff.) zu beurteilen ist; das Rucksordernngsrecht steht immer nur dem Schenker selbst zu. —

88

§ 9.

Spiel und Wette.

Daß die Rückforderung an ein Verschulden des Beschenkten geknüpft ist, ergibt sich aus dem Hinweis aus die „für das Rücktrittsrecht bei gegenseitigen Verträgen bestimmten Voraussetzungen"; denn bei dieser Sorte von Verträgen kann der Rücktritt entweder nur auf schuld­ hafte Säumnis (Verzug, § 326) oder auf schuldhast herbeigeführte Unmögltchkett (§ 325) gestützt werden.

Theoretisch wichtig ist die Abscheidung vom gegen­ seitigen Vertrage (unten § 38). Denn bei der Auflage wird eine Leistung von dem anderen Teil erwartet, und es fragt sich nun, ob das nicht eine Gegenleistung ist, die gegen die Leistung des sog. „Schenkers" eingetauscht werden soll, so daß eben gar keine Schenkung vorliegt, sondern ein entgeltliches Geschäft. Ent­ scheidend dürfte sein, ob unter Berücksichtigung des Parteiwillens die auferlegte Leistung als ein selbständiger Wert, den man sich auch ohne die „Schenkung" denken könnte, empfunden wird; dann liegt ein gegenseitiger Vertrag vor. Oder ob die auferlegte Leistung gerade durch die Zuwendung ausgelöst, erst dadurch in den Gesichts­ kreis gerückt wird, dann liegt Schenkung unter Auflage vor. Beispiel: Wenn ich einem jungen Manne eine goldene Uhr schenke, mit dem Beifügen: Sie müssen mir aber, solange ich noch zu Bett liege, jeden Nachmittag zwei Stunden vorlesen, so kann die Leistung des Vorlesens ganz unabhängig von der Zuwendung der Uhr gedacht werden. Deshalb liegt (wenn überhaupt das Vorlesenmussen ui den Bereich rechtlicher Bindung gezogen wud) in der Hingabe der Uhr keine „Schenkung", sondern der Entgelt für die zu leistenden Dienste. Schwierig ist auch die Abgrenzung zur (aufschiebenden oder auslösen­ den) Bedingung. „Ich schenke dir diese Bücher unter der Bedingung, daß du das Examen bestehst" könnte allenfalls als Auflage der fleißigen Be­ nutzung der Bücher gedeutet werden, wird aber im Zweifel als Bedingung aufzufassen sein. Und das hat den praktischen Erfolg, daß nicht auf Voll­ zug geklagt, dafür aber auch bei unverschuldetem Nichtersüllen zurück­ gefordert werden kann. (Über die Bedingung handelt der Grundriß „Allgemeiner Teil".)

••

Spiel und Wette. (BGB. § 762 ff.) I. Allgemeine Stellung der Rechtsordnung zum Spiel. Beim Kauf, beim-Tausch, bei der Schenkung, beim Arbeits­ vertrag, beim Darlehn usw. ist von vornherein die Bahn der Leistung und der etwaigen Gegenleistung festgelegt. Auch hier kann freilich Unerwartetes eintreten, kann der Zufall die Rechnung der Parteien durchkreuzen (daher die Lehre von der Gefahrtragung; vgl. z. B. oben S. 75 Via), aber in ihrem Plane hat das nicht gelegen. Beim Spiel dagegen nehmen von vornherein die Teilnehmer das Moment des Ungewissen, das Wirken des Zufalls in ihren Gedanken-

§9 1.

Unklagbarkeit der Spielverträge.

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kreis auf und bauen gerade darauf ihre Spielverabredung. Darum fehlt beim Spiel die vernünftige wirtschaftliche Grundlage. Die Rechtsordnung aber schützt grundsätzlich nur das Wirtschaftlich-Bernünftige. Darum verhält sie sich dem Spiel gegenüber ablehnend. Die Ablehnung geht nicht so weit, daß die Rechtsordnung aggressiv gegen den Spielvertrag vorginge und ihn etwa für null und nichtig erklärte (Ausnahme unten Ziff. Illa), sondern sie kümmert sich nur nicht um den Spielvertrag und auch nicht um alle anderen Vorgänge, die etwa nachträglich auf dem Boden des Praktisch kommt das in Gestalt einer BerJedoch nicht bloß, wenn der Gewinner die Spielschuld hereinholen will, schließen sich vor ihm die Pforten des Gerichts, sondern auch, wenn etwa der Ver­ lierer freiwillig gezahlt hat, nun aber sein Geld wieder zurückhaben möchte. Der Richter soll sich in alle diese Dinge nicht einmischen.

Spiels erwachsen sind.

wetgerung der Klage zum Ausdruck.

Gerade darauf, daß auch die Rückforderungsklage nicht angehört wird, beruht der Streit um die Konstruktion. Denn wenn der Ver­ lierer nicht zurückfordern kann, so war em „rechtlicher Grund" (vgl. § 812 BGB., unten § 33 Ziff. II) vorhanden; er hat eben doch eine Schuld bezahlt. Andererseits sagt das Gesetz, es werde „keine Verbindlichkeit durch das Spiel begründet" (§ 762) Lösung: es liegt eine unvoll­ kommene Verbindlichkeit (naturalis obligatio) vor. Vgl. bereits S. 26 Ziff. 2.

Umgehungen der Unklagbarkeit werden in Spielerkreisen immer wieder versucht. Es werden etwa nach Beendigung des Spiels „selbständige" Schuldscheine oder Wechsel ausgestellt, in denen nichts von dem Spiel als Untergrund gesagt ist, und es wird dann, um Klagbarkeit zu erzielen, die Figur des selbständigen („abstrakten") Schuldanerkenntnisses (unten § 17, im Gesetz §780) herangeholt. Doch auch dann verschließt sich die Rechtsordnung dem Klagebegehren (vgl. §762, II). Ebenso kann die Spielforderung nicht zur „Aufrechnung" (unten §»40 Ile) gestellt werden. Wie, wenn vorher ein Betrag gezahlt und bei einem Dritten als Treuhänder hinterlegt wird? Wie, wenn der Treuhänder daraufhin an den Gewinner gezahlt hat? Soll dann keine Ruckforderungsklage gewahrt werden? Damit wäre der Umgehung der Weg frei gemacht. Darum wird man hier doch eine Rückforderungs­ klage bewilligen müssen, eine vom echten Bedürfnis getragene Fort­ bildung über den Gesetzestext hinaus. II

Behandlung

der Wette.

Im römischen und gemeinen Recht war die Wette — im Gegen­ satz zum Spiel — grundsätzlich klagbar Das findet sich noch heute in anderen Rechtsordnungen, z. B im baltischen Provinzialrecht. Bei solcher verschiedener Behandlung war cm begrifflicher Unterschied zwischen

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§ 9 III.

Verbotenes und erlaubtes Spiel.

Spiel und Wette unentbehrlich. Man stritt (und streitet noch) über das Unterscheidungsmerkmal. — Das Richtige wird sein, davon auszugehen, was den Gesetzgeber dazu bewogen hat, die Wette in den Kreis der zu­ lässigen, also nicht „verrufenen" Verträge aufzunehmen. Das ist das Moment des an sich nicht verwerflichen Meinungsstreits, der durch das Wetten „erhärtet" werden soll. Dann also, wenn der „Einsatz" gemacht wird, um einer Behauptung größeren Nachdruck zu geben, wird man eine „Wette" anzunehmen haben. Danach ist z. B. das sog. Wetten am Totali­ sator „Spiel". (Es ist klagbar, unten Zisf. III b.) Die Unterscheidung ist heute noch von gewissem Wert für das Strafrecht, das einige seiner Gedanken nur gegen das „Spiel", nicht auch die Wette kehrt.

Im heutigen deutschen bürgerlichen Recht ist die Wette dem Spiel kurzerhand gleichgestellt. Sie ruht also ebenfalls auf dem Boden grundsätzlicher Unklagbarkeit. III. Besondere Lagen beim Spiel. Ter Grundsatz der Gleichgültigkeit des Gesetzes gegenüber den Spielverträgen erfährt eine zweifache Änderung, und zwar nach entgegengesetzten Polen hin. a) Das verbotene Spiel. Hier geht der Gesetzgeber zur aggressiven Tendenz über. Es handelt sich um Formen des Spiels, die.die Geldgier in besonderem Maße wecken oder fördern, um das sog. „Glücksspiel". Vor der starken Erschütterung der Moral, die Krieg und Revolution im Gefolge hatten, glaubte man, cs genüge ein Vorgehen gegen den, der aus solchem Glücksspiel ein Gewerbe macht. Ihn bedachte das Strafgesetzbuch (StrGB. § 284) mit Gefängnis- und Geldstrafe. Dann aber ist, um bcni wüsten Spielertreiben des Jahres 1919 entgegenzutreten, durch ein besonderes Gesetz gegen das Glücksspiel vom 23. Dez. 1919 schon die bloße „öffentliche Veranstaltung" eines Glückspiels, sei es auch klubmäßig hinter verschlossenen Türen, ja sogar die bloße Beteiligung unter Strafdruck gestellt lvorden. Und das hat dann eine zivilrechtliche Begleitwirkung: Jeder einzelne in solchem Rahmen abgeschlossene Spielvertrag ist zivilrechtlich nicht bloß außerhalb rechtlicher Klagbarkeit, sondern er ist schlechthin „nichtig" (§ 134 BGB ). Deshalb kann auch alles, was aus einem solchen Spielvertrag bereits gezahlt ist, wieder zurückgefordert werden Denn diese Beträge sind wirklich „ohne rechtlichen Grund" (§812) gezahlt worden. Einschränkung durch §817. — Verboten ist auch durch das Strafgesetz das unbefugte Halten von Glücksspielen an öffentlichen Orten (StrGB. § 360 Zifs. 14). Aber diese Maßregel hat polizeilichen Charakter. Darum sind die einzelnen Spielverträge nicht „nichtig"; vielmehr bleibt es bei der grundsätzlichen Regelung des § 762 BGB

b) Das staatlich genehmigte Spiel. Ganz zu beseitigen ist das Spiel doch nicht; es liegt nun einmal eine Neigung dazu im

§ 9 IV.

Spiel; Dlfferenzgeschäste.

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menschlichen Wesen. Diese Erkenntnis hat die Rechtsordnung veranlaßt, ein Spiel in geordneten, von der Rechtsordnung gleich­ sam kontrollierten Bahnen zuzulassen. Und die Rechtslage ist dann eine vollkommen andere: es liegt ein gültiges und klag­ bares Rechtsgeschäft vor. Der Veranstalter des Spieles kann ebenso auf Einzahlung des Einsatzes klagen wie später der Gewinner auf Herausgabe des Gewinns. Solches erlaubtes Spiel liegt vor, wenn es sich um eine staatlich genehmigte Lotterie oder Aus­ spielung handelt (§ 763). Den Gesetzgeber können bei der Genehmigung auch ganz andere Motive leiten. So ist es beim „Totalisator"; das Interesse an der Hebung der heimischen Pferdezucht soll dabei belebt, werden.

x

Schwierig ist das Los zu charakterisieren. Sein Erwerb vollzieht sich in der Form des Kaufs (natürlich auch Tausch, Schenkung möglich). Was wird gekauft? Die Gewinnchance. Wie, wenn das Los gewinnt? Ist das ein Gewinnabwurf des Loses im Sinne des Fruchtbegrisss (§99 BGB.)? Wichtig bei gespaltener Rechtslage: einer hat den Stamm des Vermögens (Ehefrau), einer die Nutzung (Ehemann). Wohin fällt der Gewinn? Doch wohl zum Stamm. Aber wie, wenn eine zeitliche Aufeinanderfolge vorliegt: A hat den Nießbrauch an einen: Vermögen, in dem sich u. a. mehrere Lose befinden, bis'zum 31. Dezember 1920; von da ab soll (etwa auf Grund Testaments) der Nießbrauch auf B übergehen. Das Los gewinnt im November 1920. Kann A den Gewinn vertun oder muß er ihn zum Stamm schlagen und dem B zusammen mit dem anderen Vermögen am 1. Januar 1911 herausgeben? Auch einen ganz unbedeutenden Gewinn?

IV. DisferenzgeschSste. Wenn Waren oder Wertpapiere in der Weise gehandelt werden, daß sich der eine Teil verpflichtet, an einem bestimmten Termin (z. B. ultimo Juli) dem anderen ein bestimmtes Quantum (100 Doppelzentner prima Gerste, 10 Aktien des Bergwerks Fridolin) zu liefern und zwar zu einem festgesetzten Preise (40 Mk. der Doppelzentner, 210 Mk. die Aktie), so liegt ein gewöhnliches Kaufgeschäft vor. Natürlich kann sich dabei Käufer wie Verkäufer „verspekuliert" haben. Denn wenn die Aktien Fridolin am 31. Juli auf dem Wert­ papiermarkt 220 stehen, so hat der Käufer, der sie für 210 bekommt und sofort für 220 absetzen kann, ein gutes Geschäft gemacht. Umgekehrt ist der Verkäufer der „Gewinner", wenn die Aktien nur 200 stehen. Aber das macht das Geschäft nicht zum Spiel, denn die Tendenz, gut ab­ zuschneiden, spielt natürlich bei tausenderlei Schuldverhältnissen mit.

Es hat sich nun aber :m Lauf der Zeiten ein eigentümlicher Geschäftstypus herausgebildet, der gar nicht auf wirkliche („effektive") Lieferung der betreffenden Waren oder Wert­ papiere hinaus will, sondern diese Waren- oder Wertpapierabrede

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§ 9 IV. Börsengeschäfte.

nur als rechnerischen Rahmen für einen Vorgang benützt, der unzweifelhaft ein Spielen darstellt und auch als solches gemeint ist. Es wird nämlich ausgemacht, daß am Stichtag „der Unter­ schied zwischen dem vereinbarten Preise und dem Börsen- oder Marktpreise von dem verlierendn an den gewinnenden gezahlt werden soll" (§ 764). Solche Geschäfte nennt man, weil eben nur die Differenz den wirklichen Leistungsgegenstand ausmacht (nicht etwa die Ware oder das Papier), Differenzgeschäfte. Im BGB. sind sie kurzerhand dem Spiel gleichgestellt. Aber das gilt nur für das gewöhnliche bürgerliche Leben; für den Börsen betrieb sind besondere Regeln aufgestellt, und diese zeigen, daß solche Differenz­ geschäfte doch in großem Umfange zugelassen, d.h.mit voller Klag­ barkeit ausgestattet sind (Wegfall des sog. Differenzeinwands). Grund: Der Staat hat ein Interesse an der Börse. Beseitigung der Differenzgeschäfte (auch Börsentermingeschäfte genannt) würde lähmend auf den Börsenbetrieb und damit auf den Handel wirken. — Beispiel: Der „Verkäufer" verkauft zu 210, weil er nut Fallen des Kurswerts bis 31. Juli rechnet (Spekulation ä la baisse); der „Käufer" bietet 210, wert er mit Steigen des Kurses rechnet (Spekulation ä la Hausse). Ist der Kurs am 31. Julj 200, so hat der Käufer, wenn jede Aktie Fridolin auf 1000 Mk. Nennwert steht, die Differenz zwischen 21000M. (dem „Kaufpreis") und 20000 (dem Kurswert am 31.), also 1000 Mk. zu zahlen. Ist der Kurs dagegen auf 220 hinausgegangen, so muß der „Verkäufer" dem „Käufer" 1000 Mk. leisten. Namentlich im letzteren Falle (der Verkäufer zahlt!) zeigt es sich, daß von wahrem Kauf nicht die Rede ist. Beide Teile denken gar nicht an wirkliches Liefern von 10 Stück Aktien. Gesetzliche Unterlage das Börsengesetz vom 8. Mai 1908. Grundgedanken: Die bett. Wertpapiere (oder Waren) müssen an der Börse zugelassen, die beiden Bertragsteile müssen ins Handelsregister eingettagene Kaufleute sein. Wenn das vorliegt, sind die Geschäfte voll wirksam. Sonderbestimmungen für Fabrik- und Bergwerksanteile (Aktten oder Kuxe) oder vom Bundesrat eigens benannte Kategorien; wenn hier nicht der Bundesrat eigens die Genehmigung zur Einführung m den Börsenterminhandel (also in die Spekulation) erteilt hat, ist es wie beim gewöhnlichen Spiel: keine Klage, aber auch keine Rückforderungs­ klage. Sonderbestimmungen auch für Getreide und Mühlenfabrikate. Börsenterminhandel in diesen Werten grundsätzlich verboten, Geschäfte nichtig, Rückforderungsklage binnen 2 Jahren. — Näheres im Handels­ recht.

2

Kapitel.

(

Gükerüberlssiung auf Zeit. Beim Kauf und den anderen Schuldverhältnissen des 1. Kapitels werden die zugesagten Güter endgültig in das Vermögen des anderen Teils überführt. Das bedeutet, daß grundsätzlich alle Beziebungen zwischeii dem bisherigen Inhaber und dem svrtgegebenen Gut abgebrochen

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§ 9 IV. Börsengeschäfte.

nur als rechnerischen Rahmen für einen Vorgang benützt, der unzweifelhaft ein Spielen darstellt und auch als solches gemeint ist. Es wird nämlich ausgemacht, daß am Stichtag „der Unter­ schied zwischen dem vereinbarten Preise und dem Börsen- oder Marktpreise von dem verlierendn an den gewinnenden gezahlt werden soll" (§ 764). Solche Geschäfte nennt man, weil eben nur die Differenz den wirklichen Leistungsgegenstand ausmacht (nicht etwa die Ware oder das Papier), Differenzgeschäfte. Im BGB. sind sie kurzerhand dem Spiel gleichgestellt. Aber das gilt nur für das gewöhnliche bürgerliche Leben; für den Börsen betrieb sind besondere Regeln aufgestellt, und diese zeigen, daß solche Differenz­ geschäfte doch in großem Umfange zugelassen, d.h.mit voller Klag­ barkeit ausgestattet sind (Wegfall des sog. Differenzeinwands). Grund: Der Staat hat ein Interesse an der Börse. Beseitigung der Differenzgeschäfte (auch Börsentermingeschäfte genannt) würde lähmend auf den Börsenbetrieb und damit auf den Handel wirken. — Beispiel: Der „Verkäufer" verkauft zu 210, weil er nut Fallen des Kurswerts bis 31. Juli rechnet (Spekulation ä la baisse); der „Käufer" bietet 210, wert er mit Steigen des Kurses rechnet (Spekulation ä la Hausse). Ist der Kurs am 31. Julj 200, so hat der Käufer, wenn jede Aktie Fridolin auf 1000 Mk. Nennwert steht, die Differenz zwischen 21000M. (dem „Kaufpreis") und 20000 (dem Kurswert am 31.), also 1000 Mk. zu zahlen. Ist der Kurs dagegen auf 220 hinausgegangen, so muß der „Verkäufer" dem „Käufer" 1000 Mk. leisten. Namentlich im letzteren Falle (der Verkäufer zahlt!) zeigt es sich, daß von wahrem Kauf nicht die Rede ist. Beide Teile denken gar nicht an wirkliches Liefern von 10 Stück Aktien. Gesetzliche Unterlage das Börsengesetz vom 8. Mai 1908. Grundgedanken: Die bett. Wertpapiere (oder Waren) müssen an der Börse zugelassen, die beiden Bertragsteile müssen ins Handelsregister eingettagene Kaufleute sein. Wenn das vorliegt, sind die Geschäfte voll wirksam. Sonderbestimmungen für Fabrik- und Bergwerksanteile (Aktten oder Kuxe) oder vom Bundesrat eigens benannte Kategorien; wenn hier nicht der Bundesrat eigens die Genehmigung zur Einführung m den Börsenterminhandel (also in die Spekulation) erteilt hat, ist es wie beim gewöhnlichen Spiel: keine Klage, aber auch keine Rückforderungs­ klage. Sonderbestimmungen auch für Getreide und Mühlenfabrikate. Börsenterminhandel in diesen Werten grundsätzlich verboten, Geschäfte nichtig, Rückforderungsklage binnen 2 Jahren. — Näheres im Handels­ recht.

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Kapitel.

(

Gükerüberlssiung auf Zeit. Beim Kauf und den anderen Schuldverhältnissen des 1. Kapitels werden die zugesagten Güter endgültig in das Vermögen des anderen Teils überführt. Das bedeutet, daß grundsätzlich alle Beziebungen zwischeii dem bisherigen Inhaber und dem svrtgegebenen Gut abgebrochen

§ 10 I. Begriff der Miele.

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werden. Der Verkäufer hört mit einem Schlage und vollständig aus, Herr der Kaufsache zu sein, und im gleichen Augenblick beginnt die alleinige Herrschaft des Käufers. Bei den Typen des 2. Kapitels, z B. beim Vermieten, wird das Gut dem anderen Teil nur für einen bestimmten Zeitraum, viel­ leicht für Stunden, vielleicht für Jahre, überlassen. Dann soll es wieder zu seinem alten Herrn zurückkehren. Und auch in der Zwischenzeit bleiben wichtige Beziehungen zwischen ihm und dem alten Herrn erhalten. Sie liegen vorzugsweise auf sachenrechtlichem Gebiet (Eigentum; die Hälfte vom Besitz, nämlich der sog. mittelbare Besitz; vgl. § 868, näheres im Grundriß „Sachenrecht"), wirken aber auch in das schuld­ rechtliche Verhältnis hinein (vgl. z. B. unten § 10 Ziff.II, S. 100). Eine weitere Besonderheit der Typen des 2. Kapitels (im Gegen­ satz zu denen des 1.) liegt darin, daß es sich bei ihnen um Dauerverhält­ nisse handelt. Der Kauf ist auf einen einzigen Zeitpunkt (höchstens, wenn die mehreren Kaufleistungen auseinanderfallen, auf mehrere Zeitpunkte) gestellt. Bei der Miete hingegen muß fortlaufend durch die ganze Mietszeit hindurch die vermietete Sache dem Mieter zur Ver­ fügung gehalten werden. Das gibt den Verpflichtungen aus dem Miets­ verhältnis (wenigstens einigen) ein ganz anderes Gepräge. Trotz dieser Gegensätze sind aber Miete und Kauf, endgültige und zeitweise Überlassung eng verwandt miteinander. Das Gemeinsame beruht eben auf dem Moment der Güterüberlassung. Dadurch werden für beide Arten von Schuldverhältnissen gleiche Vorstellungen ausgelöst, z. Br dann, wenn der überlassene Gegenstand fehlerhaft ist (Mängel­ haftung) oder wenn die Leistung durch Zufall oder Verschulden unmög­ lich wird.

Die Miete. (BGB. §535 ff.) I. Begriff.

Die Miete ist Überlassung einer Sache znm Ge­

brauch gegen Entrichtung eines Zinses als Entgelt. a) Auf Grund dieser Begriffsbestimmung ergibt sich die Abscheidung von anderen ähnlichen Typen. Zunächst von der Leihe: die Leihe ist iinentgeltlich, die Miete entgeltlich. Leihbibliothek ist daher irreführend; es muß heißen: Mietsbücherei. Das Leihen von Geld ist besonders erfaßt, und zwar unter der Be­ zeichnung „Darlehen" (unten § 15). Ferner von der Pacht: Bei der Miete wird nur der „Gebrauch" gewährt, bei der Pacht dagegen außerdem die „Früchte". Eine Milchkuh wird verpachtet, ein Zugochse vermietet. Ein Park wird vermietet, ein Obstgarten verpachtet. In der Sprache des I. Buches bekommt danach der Pachter die „Nutzungen" (Früchte + Gebrauch; § 100), während der Mieter nur die eine Schicht der Nutzungen (nämlich den Gebrauch) erhält — Wie werden Rechte an jemand anderen über­ lassen? „Gebrauchen" kann man sie nicht; sie haben keinen Sachkörper. Aber sie werfen Nutzungen (Früchte) ab; darum kann man sie pachten, so z. B. kann man dem Grundeigentümer das ihm vom Gesetz verliehene Jagdrecht abpachten.

§ 10.

94

§ 10 Ib.

Wirkung der Miete gegen Dritte

Mischgebilde, bei denen sich Bestandteile anderer Ber­ tragsarten mit einendMietsverhältnis verbinden, sind nicht selten. Für die juristische Behandlung ergeben sich Schwierigkeiten. Meist tritt die Mischung dadurch ein, daß der Mieter dem Vermieter statt Geld seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Musterbeispiel der Pförtnervertrag: Der Pförtner (Portier) übernimmt die Hausbereinigung usw. gegen „freie" Wohnung. Oder eine Villenkolonie nimmt einen Arzt „unentgeltlich" in eines ihrer Land­ häuser auf, wofür er die Wasserkontrolle und andere auf hygienischem Gebiet liegende Pflichten zu übernehmen hat. Schwierige Fragen: Richtet sich die Kündigung nach den Regeln der Miete oder des ArbeitsVertrages? Kann der Vermieter sein Pfandrecht (unten Zisf.IUe) bei jedem Anspruch geltendmachen oder nur bei denen, die aus den Miets-, beziehungen erwachsen sind? — Regelung dieser Fragen durch Tarif-' vertrag (z. B. seitens des deutschen Portierbundes und einer Hausbesiberorganisation) nicht ausgeschlossen.

b) Wirkung gegen Dritte. Der Normalfall ist der, daß der Vermieter bei Beginn des Mietverhältnisses Eigentümer und (Allein-) Besitzer der Mietssache ist. Ändert sich daran etwas durch den Abschluß des Mietsvertrages? Grundsätzlich nicht. Der Mieter wird weder Eigentümer noch „Besitzer". Erst wenn er die Mietssache tatsächlich übernimmt (was oft erst einige Zeit nach dem Vertragsschluß erfolgt), z. B. wenn er in die Woh­ nung einzieht, kommt es zu einer eigentümlichen, schon oben in der Vor­ bemerkung erwähnten Spaltung der Besitzlage. Er selbst bekommt den sog. unmittelbaren Besitz, wahrend der Vermieter den mittelbaren Besitz zurückbehält. Schon damit wird dem Mieter ein gewisser Schutz gegen Dritte, z. B. die Störungsklage aus § 862, verliehen. Daß dies aber durchaus nicht zureicht, wird das Folgende zeigen.

Grundsätzlich ist das Mietsverhältnis nur ein schuldrecht­ licher Vorgang, der die Person an die Person bindet (oben S. 12) und außenstehende Dritte nichts angeht. Es kommt also darauf an, ob ein außenstehender Dritter ein stärkeres Recht bekommen kann, so daß ihm der Mieter weichen muß. Dazu reicht nicht aus der Kauf. Denn der Kauf ist selbst auch nur ein schuldrechtliches Gebilde. Wenn also der Vermieter das vermietete Haus „verkauft", kann der Käufer als solcher den Mieter keinesfalls ausweisen. Das Bild ändert sich aber bedeutend, wenn (in Durchführung des Kaufvertrages, oben S. 59 unter b) der Vermieter dem Käufer das Eigentum überträgt. Denn das Ggentum ist eine sachenrechtliche Position, die von jedermann beachtet werden muß, und die der Gesetzgeber von dem fundamentalen Satze begleitet sein läßt: „Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgäbe der Sache verlangen" (§ 985).

§ 10 Ib.

Wirkung der Miete gegen Dritte.

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Danach hätte es der Käufer-Eigentümer also in der Hand, den Meter, trotzdem dessen Mietsvertrag vielleicht noch auf Jahre hinaus läuft, jederzeit aus die Straße zu weisen. Dies in der Tat der streng logische Standpunkt des römisch-gemeinen Rechts. Milderung nur durch mäßige „Räumungsfristen". Auch der I. Entwurf zum BGB. stellte sich auf diesen Boden. Stürmische Kritik unter dem Stichwort: „Soll Kauf Pacht und Miete brechen?" (juristisch falsch ausgedrückt; nicht der Kauf, sondern der Eigentumserwerd könnte die Miete brechen). Die Tageszeitungen beteiligen sich. Der II. Entwurf schwenkt ein: Kauf bücht nicht Miete. Aber das ist höchst verschroben zum Ausdruck ge­ bracht worden.

Der Grundsatz von der Überlegenheit des (neuen) Eigentümers bleibt theoretisch auch dem Mieter gegenüber erhalten. Aber er wird durch gewisse Einschränkungen nahezu in sein Gegenteil verkehrt. 1. Lage bei Grundstücken (von Wohnungen gilt das­ selbe wie von ganzen Grundstücken; so allgemein § 580). Hier muß unterschieden werden, ob der Mieter schon eingezogen ist („nach der Überlassung an den Mieter"), oder nicht. Im letzteren Falle ist der Mieter allerdings machtlos; der Käufer-Eigentümer geht ihm vor. Im ersteren Fall gilt dagegen der wichtige 8 571, der tatsächlich darauf hinausläuft, daß der Eigentümer nichts gegen den Mieter unternehmen kann, vielmehr den ganzen Mietsvertrag so durchhalten muß, als wäre er selbst der ursprüngliche Vermieter gewesen. Das Gesetz erreicht das durch eine Fiktion. Der Käufer „tritt an Stelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Metsverhaltnis ergebenden Rechte und Verpflichtungen ein." Ein merkwürdiges Gebilde — ein gesetzlich erzwungenes vertragliches Schuldverhaltms. Es tritt ipso iure ein. Auch der Mieter wird nicht gefragt, er bekommt durch gesetzliche Verwandlung einen anderen Partner. Doch haftet ihm außerdem in gewissen Grenzen der alte Vermieter weiter, wodurch das Bild noch eigenartiger wird. Einzelheiten in §§ 572 bis 576. (Dazu auch' zweitsolgender Absatz.) Das Gleiche gilt natürlich auch, wenn der „neue Herr" auf andere Weise als durch Kauf, z. B. durch Schenkung oder Tausch Eigen­ tümer geworden ist. Dagegen ändert sich das Bild bedeutend, wenn das Grundstuck durch Zwangsversteigerung in neue Hände kommt. Der Mieter bleibt allerdings auch hier an den laufenden Kontrakt ge­ bunden, der Ersteher aber, der gleichsam eine ganz neue Wirtschaft an­ fangen soll, kann ihm unter Wahrung der gesetzlichen Fristen (unten Ziss. III d, S. 108) kundigen. Hauptsächlich für den Fall der Zwangsversteigerung ist auch die Frage brennend, auf wie weit in die Zukunft hinein der Ver­ mieter bindend über den Mietszins verfugen kann. Es liegt nahe, daß der Vermieter-Eigentümer, der sich in Geldnot befindet, seine „Mieten" an einen Geldgeber abtritt; und wenn er seinen Zusammen­ bruch, d..h. die Zwangsversteigerung kommen sieht, liegt die Verlockung,

96

§ 10 Id.

Wirkung der Mete gegen Tritte.

rasch noch die künftigen Mieten auf lange Zeit hinaus abzuschieben, besonders nahe. Dadurch entgeht dem Ersteher des Grundstücks jede Ausbeutungsmöglichkeit für die entsprechende Zeit, Bietungslustige werden abgeschreckt, und mittelbar werden ungefähr im gleichen Sinne auch die Hypothekengläubiger getroffen (näheres im Sachenrecht). Dem hatten nun bereits die §§ 573, 574 und 1123, 1124 einen Riegel vorgeschoben: Nur für zwei Quartale, das gerade laufende und das folgende, hatte der (alte) Vermieter freie Hand. Nun ist im Kriege seine Versügungsmacht sogar auf ein einziges Quartal (das laufende) herabgesetzt worden (Ges. vom 8. Juni 1915). Jeder, der sich „Mieten" abtreten läßt oder auch, wer „Mieten" für sich pfänden läßt (nach herrsch. Mein, dem „Verfügen" des § 573 gleichzustellen), muß also sehr vor. sichtig fein. Ebenso der Mieter selbst, wenn er an seinen (jetzigen) Ver­ mieter im voraus zahlt; bei ihm wird jedoch der gute Glaube berück­ sichtigt: nur, jvenn er von dem Eigentumswechsel Kenntnis gehabt oder durch gerichtliche Benachrichtigung auf die bevorstehende Versteigerung hingewiesen worden ist (§ 57 b des Zwangsversteigerungsgesetzes), darf er nicht mehr in das folgende Quartal hinein an seinen alten Vermieter zahlen. 2. Lage beim Vermieten beweglicher Sachen (z. B. Möbel, ein Kraftwagen, eine Handschriftensammlung). Hier fehlt eine entsprechende Paragraphengruppe; § 571 redet nur luui Grundstücken. Aber an versteckter Stelle wird dem Mieter beweg­ licher Sachen ein ähnlicher Schutz zu teil. Der Ausgang ist auch hier davon zu nehmen, ob die Sache dem Mieter schon überlassen ist oder nicht. Ist sie ihm nämlich überlassen, so hat er damit den (unmittelbaren, oben unter b) Besitz bekommen. Und dann ist es ausgeschlossen, daß der Vermieter dem Käufer das Eigentum auf dem normalen Weg der „Übergabe" (§ 929) verschafft, viel­ mehr ist er auf den Hilfsweg der Abtretung des Herausgabeanspruchs (§ 931, Text folgt) angewiesen. Und gerade für diese Lage hat der Gesetzgeber (§ 98611, Text folgt) bestimmt, daß der Besitzer dem neuen Herrn genau das entgegenhalten kann, was er seinem Vermieter entgegenhalten durfte, also vor allem, daß das Mietsverhältnis noch nicht abgelaufen sei. § 931: „Ist ein Dritter [bet Mieter) im Besitze der Sache, so kann die Übergabe (vom Vermieter an den Käufer) dadurch ersetzt werden, daß der Eigentümer (Vermieter) dem Erwerber (Käufer) den Anspruch aus Herausgabe der Sache abtritt." § 986: „Der Besitzer Mieter) einer Sache, die nach § 931 durch Abtretung des Anspruchs aus Herausgabe veräußert worden ist, kann dem neuen Eigentümer (Käufer) die Einwendungen (Mietsvertrag läuft noch) entgegensetzen, welche ihm gegen den abgetretenen Anspruch zustehen."

c) Wirtschaftliche Funktion. Die Miete ist einer der wichtigsten Lebenswerte der Bevölkerung. Tausende und Aber­ tausende haben kein Eigenheim, sondern sind auf das Ermieten

97

tz 10 le. Mete als soziale Angelegenheit.

einer Behausung angewiesen. Sie genießen zwar, wie gezeigt wurde, gewissen Schutz gegen Dritte, aber sie sind doch nicht wirt­ schaftliche Herren des Flecks Erde, auf dem sich das meiste, mindestens das wichtigste ihres Tageslaufs abspielt. Diese Notwendigkeit^ür ungezählte Menschenmengen, sich im Wege des Vertragsschlusses eine Wohnung zu beschaffen, macht die Wohnungen zur Ware. Man kann, namentlich in den Großstädten, geradezu von einem Wohnungsmarkt reden. .Der Wucher mit allen seinen Gefahren stellt sich ein. Dabei lehrt die Äfahrung,daß im Durchschnitt die Vermieter -

schäft der wirtschaftlich stärkere Teil ist. Bor allem ist sie weit eher fähig und geneigt sich zu organisieren (Haus­ besitzervereine usw.), während die Mieterschaft (Mietervereine) nur in sehr beschränktem Maße zur Organisation geschritten ist. Wegen dieser Ungleichheit in der (durchschnittlichen) Kräfteverteilung kann die Fürsorge für das Wohnungswesen zu einer sehr wichtigen Ttaatsaufgabe, werden. Tritt dann ausgesprochener Wohnungs­ mangel .hinzu, so steigert sich die Pflicht des Staates einzugreifen. Dann verläßt das Mietsrecht die reinprivatrechtlichen Bahnen und bekommt einen öffentlichrechtlichen Einschlag. Schon vor dem Krieg hatte diese Erkenntnis immer breitere Kreise beschäftigt. Es war schon zu beachtenswerten Zusammen­ stößen der Mieterschaft und der Vcrmieterschaft gekommen. Dabei erscheinet übrigens vom Standpunkt geldlicher Nutzbar­ keit die Vermieter vielfach als Leute, die in der Mitte stehen; denn während sie Geld (den Mretszins) vom Mieter einnehmen, müssen sie umgekehrt fortlaufend Geld an eine ganz andere Schicht, nämlich die Hypothekengläubiger, abführen. Im Kriege und in dessen Folgezeit haben sich diese Verhältnisse merklich ver­ schärft. Es ist zu bedeutenden gesetzlichen Eingriffen gekommen, durch die das Gepräge des Mietsrechts stark verschoben worden ist. Eine Betrachtung, die allein auf das BGB. aufbaut, kann daher unmöglich ein richtiges Bild ergeben. Doch darf nicht vergessen werden, daß auch das BGB. bereits in manchen Zügen der sozialen Bedeutung des Mietsverhältnisses Rechnung zu tragen bemüht war. Folgende Züge sind kennzeichnend dafür. Das Kündigungsrecht wegen Gesundheitsgefahr (BGB § 544, unten S. 109 Zisf. 4), das als soziales Schutzmittel namentlich der ärmeren Mieterkrelse gedacht ist, praktisch freilich keine sehr große Rolle spielt. Das Pfandrecht des Vermieters an den Sachen (namentlich Möbeln iinb Kleidungsstücken) des Mieters, eine Waffe der Bermieterschaft, namentlich gegen das sog. „Rücken" der Mieterschaft; denn auch in Mieter­ kreisen gibt es natürlich recht unlautere Elemente, die bekämpft werden

Hedemann, Das schuld recht

1

98

§ 10 Id. Met-gesetzgebung der jüngsten Zeit. müssen. Sicherheit gegen allzu lange Bindung: Geringen prak­ tischen Wert hat allerdings der Satz, daß kein Mietsvertrag über Ä) Jahre ausgehalten zu werden braucht (§ 567); wichtiger dagegen der Satz, daß Mietsverträge, um über ein Jahr zu binden, schriftlich abgesagt werden müssen (§ H66). '— Doch werden gerade d,e schriftlichen Miets­ verträge nur zu leicht zu einer unbilligen Verstärkung der Vermieter­ macht auf Kosten der Mieterschaft ausgenützt (vgl. unten in Ziss. Illa). An Auslegungskunst, Lebenserfahrung und Takt des Richters werden dann hohe Anforderungen gestellt.

d) Die Ssferttliche Regelung der MietSverhältnisse in der neueren Gesetzgebung. In steigendem Maße ist in der Kriegs­ und Revolutionszeit das Mietswesen vor das öffentliche Forum gezogen wordene Eine vielgestaltige, durch Novellen immer wieder abgeänderte und in ihrer Rechtsgültigkeit teilweise lebhaft um­ strittene Gesetzgebung hat eingesetzt. Die Entwicklung dürfte noch nicht abgeschlossen sein. Gegenwärtig (Sommer 1920) gliedert sich die Gesetzgebung wie folgt: a) Mieterschutzverordnung vom 23. Sept. 18. (Änderungen vom 22. Juni 19 und 11. Mai 20; vorangegangen war schon eine MSchV. vom 26. Juli 17). Hauptinhalt: Die Emigungsämter (unten Ziss.1) . prüfen die Kündigungen nach und regulieren den Mietszins, können auch den Vermieter von Verträgen, die er mit neuen Metern geschlossen hat, lossprechen. L) Wohnungsmangelverordnung vom 23. Sept. 18. (Ände­ rungen vom 22. Juni 19 und 11. Mai 20 ) Hauptinhalt: Zwangs­ zuweisung von Mietern in unbenutzte Räume, Kamps gegen das Leer­ stehen, Beschlagnahme von Räumen. /) Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9. Dez. 19 (vorangegangen V. vom 15. Jan. 19). Hauptinhalt: Enteignung (also ein sachenrechtlicher Vorgang) von Bauland für Woh­ nungszwecke, gegebenenfalls statt dessen Wegnahme des Bodens im Wege zwangsweiser Auferlegung eines Erbbaurechtes. Nabe verwandt damit die Kleinpachtordnung vom 31.Juli 19 (namentlich §5). ö) Sammelheizungsverordnung vom 22. Juni 19 (voran­ gegangen V. vom 2. Nov. 17). Hauptinhalt: Verteilung der vorhandenen knappen Heizstofse auf Sie- einzelnen Wohnungen und Regulierung der durch Beschaffung des Heizmaterials entstehenden Kosten. f) Preußische Höchst Mietpreisverordnung vom 9. Dez. 19. Hauptinhalt: Bekämpfung übermäßiger Mietszinssteigefung (Wucher) durch verwickelte Festlegung von Höchstgrenzen. i?) Verordnung über das Verfahren vor den Einigungs­ ämtern vom 23 Sept. 18 (vorangegangen B. vom 15. Dez. 14^und 26. Juli 17). Hauptinhalt ergibt sich aus nachfolgender Zisf. 1.

Die Rechtsgültigkeit mancher daraufhin ergriffener Maß­ regeln, insbesondere hie Beschlagnahme von Wohnungen und die Zwangseinweisung von Mietern, wurde zeitweise bestritten. Zur Deckung der Gemeinden ist daraufhin cm eigenes Reichsgcsetz

§10 Id.

Mietseinigungsämter.

99

(im Gegensatz zu bloßen Verordnungen) am 11. Mai 1920 erlassen worden, das gleichzeitig die zurzeit letzten Änderungen der oben unter a und ß erwähnten Verordnungen gebracht hat. Auf dieser Basis ergibt sich gegenwärtig folgender RechtSzustand. 1. Es bestehen in allen größeren Gemeinden KinigUNgSSmter. Zunächst war ihre Einrichtung in das freie Ermessen der einzelnen Gemeinden gestellt, dann wurde mit wachsendem Nach­ druck von oben her die Errichtung durchgeführt (MSchV. § 10). Doch bestehen starke lokale Verschiedenheiten, so daß jedesmal zunächst das Ortsstatut einzusehen ist. — Zusammensetzung des Einigungsamtes: Ein richterlicher Vorsitzender, Beisitzer pari­ tätisch, d. h. zur Hälfte aus dem Hausbesitzer-, zur Hälfte aus dem Mieterkreis, meist nur je einer. Aufgaben des Gnigungsamtes ergeben sich aus den folgenden Ziffern. Seine Entscheidungen sollen „nach billigem Ermessen" getroffen werden. Sie sind un­ anfechtbar, binden die ordentlichen Gerichte und können nicht durch Parteivereinbarung ansgeschaltet werden. Etwa abgeschlossene Vergleiche sind vollstreckbare Titel. — Ist an einem Ort kein Emigungsamt errichtet, so hat das Amtsgericht seine Funktionen zu übernehmen. 2. Bor die Elmgungsämter kann durch Antrag des Mieters oder Vermieters oder auch der Gemeinde namentlich die Kün­ digungsfrage gebracht werden. Tas Einigungsamt kann eine Kündigung für ungültig erklären, kann dabei allerdings zugleich zugunsten des Vermieters einen höheren Zinssatz ansetzen (s. aber Ziff. 5) Weiter kann es den Vermieter, der etwa inzwischen schon an einen neuen Mieter weitervermietet hat, von diesem Vertrage mit dem neuen Mieter lossprechen. Im Ganzen ein bedeutender Eingriff in das private Mietsrecht. 3. Vor das Einigungsamt gehört auch die Entscheidung über die Zwangseniweisung. Allerdings soll vorher eine gütliche Einigung versucht werden. Wenn sie aber ausbleibt, „so setzt auf Anrufen der Gemeindebehörde das Einigungsamt einen Miet­ vertrag fest" (diktierter Vertragsschluß, siehe oben S. 23) Um dem Vermieter nicht einen bedenklichen, insbesondere vielleicht nicht zahlungsfähigen Mieter anzusinnen, kann das Einigungs­ amt anordnen, daß die Gemeinde als Zwischemmeter eintritt (MSchV. § 4) 4. In Großstädten spielt dre Heizungslast eine große Rolle. Hier ist Verteilung der Lasten vorgesehen. Das so geschaffene Verhältnis grenzt an den Typus Gesellschaft (s. unten § 29).

100

§ 10 II.

Der Vermieter als Herr der Meissache.

Eigentümliche Befugnisse: Einerseits kann der Meter Herab­ setzung des Mietspreises verlangen, wenn er weniger beheizt wird, als dem ursprünglichen Vertrag entspricht (vgl. unten S. 104 A und C) Andererseits kann der Vermieter Abwälzung eines Teiles der unerwarteten Mehrkosten für Heizung auf den »Mieter verlangen. 5. In Preußen bestehen in größeren Gemeinden Höchst­ preise für den Mietzins. Sie werden gemeindeweise nach An­ hörung eines paritätischen Ausschusses festgesetzt. Maximale Grenze: der Friedenspreis vom I.Juli 1914 + 20 Prozent Aufschlag. Bei besonderer Härte für den Vermieter (Reparaturlasten) ausnahmsweise Erhöhung des Zuschlags möglich. Rückwirkende Kraft der Höchstgrenze auf die laufenden Verträge und die durch Sprüche der Einigungsämter festgesetzten, etwa höher greifenden Miets­ preise. Umlage der Heizungskosten auf die einzelnen Quartiere für Zwecke der Berechnung der Höchstgrenze unter Kontrolle eines Mieterausschusses und der Gemeinde. II. Fortdauer der Herrenstellung deS Vermieters. (Vgl. Vorbemerk. S. 93). Die Darstellung wendet sich nunmehr wieder der Dogmatik des BGB. zu. Einen ihrer Grundpfeiler bildet es, daß die Herrenstellung des Vermieters durch das ganze Miets­ verhältnis hindiirch weiterbesteht. Zur Fortdauer des Eigentums und des (mittelbaren) Besitzes treten folgende schuldrechtliche Erscheinungen: a) Fortdauer der Belastung. An sich herrscht Vertrags­ freiheit. Mieter und Vermieter können sich also eigens darüber verständigen, wer die Lasten übernehmen soll, die auf der Sache ruhen, z B die Steuern, die Hypothekenzinsen. Aber das Gesetz gibt eine ergänzende Regel dahin, daß der Vermieter diese Lasten weiter tragen miiß (§ 546). Und daran wird, wenigstens in An­ sehung der Hauptlasten, der Vertrag nur selten etwas ändern. Ebenso hat der Vermieter grundsätzlich die laufenden Unter­ haltungskosten zu tragen, vor allem also die notwendigen Ausbesserungen aus seiner Tasche zu bezahlen. Kgl. §536: Fortlaufende Erhaltung in gebrauchsfähigem Zustand; § 547. Erstattungsanspruch des Mieters, wenn er vorläufig die Aus­ gaben selbst gedeckt hat Bedeutende Verschiebung in der jetzigen Praxis. Bestreben der Vermieter, die Reparaturlast aus den Mieter abzuwälzen. Ost erfolgreich. Die Ausbesserungsfrage wird immer eine Quelle vielen kleinen Zankes bleiben. Die allmähliche Abnutzung geht übrigens auch auf Kosten des Vermieters, als Folge seiner fortdauernden Herrenstellung. Umgekehrt darf der Mieter nicht wegen jeber Abnutzung sogleich Wiederausfrischen verlangen (vgl § 548)

8 10 lila.

Die Miete al- Vertrauensverhältnis.

101

b) Fortdauer der Gebrauchsmacht. Schon bet laufen­ dem Mietsverhältnis kann aus den Umständen folgen (Auslegung!), daß dem Vermieter ein gewisser Eigengebrauch neben dem Mieter zusteht. Vermieten eines Hausdaches zur Besichtigung eines Festzuges, eines Kellers als Zufluchtsstätte; Betreten der Mretswohnung, um mit den Handwerkern eine Ausbesserung zu besprechen oder um neuen Mietern die Wohnung zu zeigen.

Bor allem aber offenbart sich die Herrenstellung des Ver­ mieters in seinem Rückforderungsrecht nach beendetem Miets­ verhältnis. Nach Beendigung. Also nicht zwischendurch, mag dem Bermieter die Sache auch noch so notwendig geworden sein (Gegensatz zur Leihe, $ 605 Ziff. 1). Der Vermieter kann bei der Rückforderung fachenrechtlich vorgehen, indem er sich auf sein Eigentum stützt (Herausgabe nach § 985). Daneben aber hat er einen schuldrechtlichen Anspruch der sich sogar (trotzdem da eine unmittelbare vertragliche Verknüpfung gar nicht vorliegt!) gegen einen Dritten richtet, dem etwa der Mieter die Sache überlassen hat (§ 556).

III. Das eigentliche MietSverhiiltniS. Ties ist das Neue, das neben die Herrenstellung des Vermieters tritt und diese Herren stellung verkürzt, ohne sie ganz aufzuheben. Dabei ergeben sich wiederum Rechte und Pflichten auf beiden Seiten, die grund­ sätzlich im Verhältnis der „Gegenseitigkeit" zueinander stehen. Deshalb finden die Regeln vom gegenseitigen Vertrag (§ 320 ff.) Anwendung. Aber sie wirken doch nicht so stark in das Bertragsverhaltnis hinein wie etwa beim Kauf. Das hängt hauptsächlich damit zusammen, daß bezüglich der wichtigsten Pflichten ein unmittel­ barer Austausch gar nicht möglich ist. Denn der Bermieter hat den Gebrauch durchlaufend, d h. in jebeni einzelnen Augenblick zu gewähren (oben S 93, Dauerverhaltnis), während der Mieter seiner Zahlungspflicht normalerweise nur in einem Zeitpunkt (oder mehreren) Nachkommen kann. Daraus entspringt zugleich die praktisch sehr wichtige Frage, wer vorzuleisten hat. Ist der Mietszins postnumerando oder praenumerando zu zahlen? Das Gesetz für nachträgliche Zahlung (§ 551 ). Verkehrs­ sitte und Parteiabrede ändern das mitunter, aber es bleibt doch Ausnahme. So erklären sich mehrere im folgenden dargestellte Schutz­ maßregeln für den Bermieter.

Im übrigen kennzeichnet sich das Mietsverhältnis als ein Vertrauensverhältnis, ein Gebrauchsverhältnis, ein entgeltliches und ein vorübergehendes Verhältnis. a) Vertrauensverhältnis. Diese Seite kann nicht stark genug betont werden. In den Kleinständten ist sie oft noch deutlich wahr-

102

§ 10 Illa.

Die Miete als Vertrauensverhältnis.

nehmbar, in den Großstädten dagegen ist sie fast ganz im Ser-

blassen.

Die ideale Vorstellung ist die, daß der Mieter die Miets­

sache für den Vermieter in guter Treue verwaltet, und daß

der Vermieter seinerseits alles tut, um dem Mieter den Gebrauch zu einer Annehmlichkeit, insbesondere die Wohnung zu einem wirklichen Heim zu machen. Das Gesetz läßt im Rahmen des Mietsrcchts diesen Gedanken

mir

schwach in Gestalt einiger Einzelbestimmungen erkennen. Hierher gehört die Anzeigepflicht deS Mieters bei austauchenden Mängeln (näheres im § 545). Das ist ganz aus der Auffassung eines treuen Verwalters entsprungen. Auch die grundsätzliche ÜnzulSffigteU des Weitervermietens entspringt.einer gleichen Vorstellung: man sieht sich die Leute an, denen man seine Sachen mietsweise anvertraut. An­ dererseits kann es sehr hart sein, dem Mieter die Möglichkeit ganz zu verbauen, daß er die Mietssache durch Weitervermieten verwertet. Das Gesetz hat zu vermitteln gesucht (näheres § 549; vgl. auch § 553). Tie heutige öffentlichrechtliche Regulierung geht über den Widerstand des Vermieters hinweg; das Einigung samt ersetzt seine nach § 549 I nötige Einwilligung. Eine äußerst wichtige Ergänzung bringt jedoch neben der

neuerlichen

öffentlichen

Kontrolle

des

ganzen

Mietswesens

durch die Gemeinden und Einigungsämter der allgemeine Leit­

satz aller Schuldverhältnisse, der an der Schwelle des zweiten Buchs (§ 242)

ausgesprochen

ist:

„Der

Schuldner

ist

verpflichtet,

die

Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern".

(Vgl. § 157).

Dies bietet

eine Handhabe, um Mißbräuchen, namentlich einer übertriebenen Ausnützung der Vermietermacht entgegenzuwirken. In der Tat sind solche Mißbrauche, namentlich in den Großstädten, vielfach hervorgetreten. Sie verkörpern sich meist in äußerst einseitig ausgearbeiten Mietsvertragssormularen. Mit allerlei Gnzelverkürzungen des Mieters verbindet sich oft die sehr gefährliche, wenn auch im Kern nicht unberechtigte Generalklausel, daß jegliche münd­ liche Nebenabrede gegenüber dem schriftlichen oder gedruckten Ver­ trag ungültig sein solle, wodurch dem Mieter der Rückgriff auf alle die Zusicherungen genommen wird, die ihm der Vermieter gesprächsweise bei den Vorverhandlungen oder auch noch gelegentlich der Unterzeichnung des Mietsvertrages oder später gemacht hat Die Erfahrung lehrt, daß eine sehr große Zahl von Mietern das vorgalegte Formular unter­ schreibt, ohne es in seinen Einzelheiten zu lesen/ oder wenigstens ohne es bei seiner ost sehr verschleierten „juristischen" Ausdrucksweise zü verstehen. Übrigens darf Nicht übersehen werden, daß andererseits auch in der Mieter­ schaft sich viele üble Elemente finden, gegen die scharf vorgegangen werden muß, zumal den Vermieter die Borleistungspslicht (S. 101 unter III) trifft. Uber die sog Hausordnungen unten S. 104. Beispiele aus der Praxis. 1 Im Vertrage war die Gewähr­ leistungs- und Schadensersatzpflicht des Vermieters (vgl. unten bl)

§ LOHIb.

Die Miete als Gebrauchsverhältnis.

103

wegbedungen. Das Gericht erklärte: Damit fällt keineswegs, bte Gebrauchs-Berschasfungspslicht aus § 536 fort. Deshalb kann Mieter doch gegen einen unerträglichen Zustand, z. B. durchaus Ungenügende Heizung, vorgehen. 2. Im Vertrage stand, Mieter müsse jederzeit die Vornahme baulicher Veränderungen dulden, möchten sie auch einen Umfang haben, welchen sie wollen. Das Gericht erklärte: Trotzdem braucht sich der Mieter Änderungen, durch die der vertragsmäßige Gebrauch fast ganz unter­ bunden wird, nicht gefallen zu lassen. 3. Der Vertrag bestimmte: Mieter darf in der Mietswohnung keinerleiÄnderungen ohne Genehmigung des Vermieters vornehmen, ,u. a. keine größeren Haken emschlagen. Darauf gestützt wollte der Vermieter die Anbringung eines Telephon­ apparates verbieten. Gericht wies ihn damit ab. 4. Klausel herUngül 11g keit mündlicher Nebenabreden. Gerichte haben mehrfach auf das gemeine Recht (exceptio doli generalis) zurückgegriffen, z. B. wenn Vermieter gesagt hatte, „es sei nicht nötig, das alles hineinzuschreiben". Anderer konstruktiver Versuch: Weicht die Niederschrift erheblich von den mündlichen Verabredungen ab, so ist der schriftliche Vertrag gar nicht als solcher zustande gekommen, folglich gilt auch nicht die ihm eingegliederte Klausel. 5. Soll eine allgemeine Auslegungsregel an­ erkannt werden, daß im Zweifel zu ungunsten des Vermieters auszulegen sei? Gemeines Recht neigte dem zu. Dos ist jedoch abzulehnen.

b) Gebrauch-verhältnis. Dies Kern und juristisches Rück­ grat des Mietsvertrages. ' 1. Die Verschaffungspflicht des Vermieters. Ter Gesetzestext gibt nur einen unbestimmten Umriß dieser Pflicht im § 536. Alles übrige muß aus dem konkreten Vertrage (Normal­ mietverträge, Formulare!) und., da auch dieser oft genug nichts Bestimmtes enthält, ans der Verkehrssitte (Abmachun­ gen der beiderseitigen Verbände nicht ausgeschlossen) geschöpft werden Beispiel: Miete eines möblierten Zimmers. Müssen Hausschlüssel, Bettwäsche, Handtücher, Schlüssel zu den Schränken, Kaffeegeschirr, Tischtuch, Seife, Kleiderbürste gewährt werden? Wenn Frühstück und Bedienung mit zugesagt sind, ist dann Zucker, Butter, Aufschnitt zum Frühstück zu reichen, sind Stiefel und Kleider zu reinigen, Knöpfe an­ zunähen, Pakete auf die Post zu tragen? Usw Eine unübersehbare Fülle von Emzelfragen, von denen das Gesetz schweigt, em Muster­ beispiel von der geringen Bedeutung des Gesetzestextes in manchen * Rechtslagen. Praktischer Wink: die Bevölkerung anhalten, daß sie schon beim Abschluß möglichst alle Einzelheiten bespricht, sich nicht durch falsche Scham oder Lässigkeit davon abhalten läßt.

Zur' Gebrauchsgewährung gehört auch der Schutz nach außen, namentlich gegen Mitmieter und Nachbarn. Bekanntlich bleibt bad Mietsverhältnis im Grunde eine schuldrechtliche Position

(vgl. S. 94b). Zwar genießt der Mieter in seiner Rolle als un­ mittelbarer Besitzer darüber hinausgehend einen gewissen Schutz (ebenda). Aber das reicht nicht zu. Ta muß der Vermieter ein-

104

§ 10 111 b. Hausordnungen. Haftung des Vermieters.

springen und die ihm zustehenden stärkeren Waffen für seinen Mieter anwenden. Z. B. der Schutz gegen unzulässige Einwirkungen von den Nachbargrundstucken (Lärm, üble Dünste), der immer dann einsetzt, wenn die Einwirkung über das Ortsübliche hinausgeht (vgl. § 906), stchl dem Eigentümer, also nur dem Vermieter, nicht dem Mieter zu. — Innerhalb der Mieterschaft ist der Vermieter bis zu einem gewissen Grade entscheidende Instanz (Zuteilung des Gebrauchs an der gemein­ samen Waschküche usw.; jetzt in Großstädten planmäßige Verteilung der Heizstofse unter gemeindlicher Kontrolle und Bildung eines Mieter­ ausschusses). Häufig sind Hausordnungen. Verbindliche Kraft, wenn sie (ausdrücklich oder stillschweigend) Vertragsbestandteil geworden sind. Einseitiger Neuerlaß seitens des Vermieters bindet nicht. Die Sicherung dieser Verschafsungspflicht des Vermieters wird, ähnlich wie beim Kauf (S. 61 ff.), durch ein verzweigtes

Hastungsshstem erreicht.

Wiederum greifen die allgemeinen Schutzmittel, namentlich aus dem Bereich des gegenseitigen Ver­ trags, und die Sonderschutzmittel aus dem Mietsrecht ineinander. Es kommen danach folgende Schutzmittel für den Mieter in Betracht: oe) Die allgemeine Klage auf Erfüllung (§ 241, 536), und gegenüber dem Erfüllungsverlangen des anderen Teils die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§320). ß) Die allgemeine Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Verspätung (§§325, 286, 326). /) Das allgemeine Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung oder Berspätung (§§325, 326). 6) Der Anspruch auf (ganze oder teilweise) Befreiung vom Miets­ zins wegen Fehlerhaftigkeit der Mietssache (§537). b) Ein spezieller Schadensersatzanspruch aus dem Mietsrecht wegen Fehlerhaftigkeit (§ 538); damit verknüpft ein Selbstbeseitigungs­ recht des Mieters in Verbindung mit Ersatz dessen, was ihn die Be­ seitigung gekostet hat (Abs. II). Ein fristloses Kündigungsrecht bei Unpünktlichkeit, Fehler­ haftigkeit oder sonstigem Verstoß gegen die Verschaffungspflicht (§ 542). Die Verteilung dieser Schutzmittel auf die einzelnen Haftungslagen ist wiederum sehr verwickelt. In der Hauptsache gilt folgendes: A. Vermieter leistet überhaupt nicht, z..B. weil er das Haus vor Einzug des Mieters schon anderweit vermietet oder verkauft hat. Hier kommen hauptsächlich die Schutzmittel des allgemeinen Schuld­ rechts zur Anwendung, also a bis /; bemerkenswert, daß ß und y an Verschulden gebunden sind. Wird die Verschaffung ohne Schuld des Vermieters unmöglich (das Haus brennt ab), so braucht zwar der Mieter keinen Mietszins zu zahlen, doch weitergehende Ansprüche, insbes. auf Schadensersatz hat er nicht (§ 323) B. Vermieter leistet nicht punklich („kommt in Verzug"). In erster Linie wird hier der Mieter nach der Erfüllungsklage a greifen

§ 10 III b 1.

Haftung des Vermieters.

105

(wenn das noch nötig) und damit einen Schadensersatzanspruch wegen - Verspätung (£; § 286; z. B. Hotelrechnung, Speichergeld für die in» zwischen eingelagerten Möbel) verbinden. Wenn er aber an der Durch­ führung des Mietsverhälknisses kein Interesse, mehr hat (Tatftage, richterliche Würdigung), so kann er vom Vertrage zurücktreten (/, § 326) oder besser das Kündigungsrecht (?) ausnützen, das den Vorteil hat, daß es nicht an em Verschulden des Vermieters gebunden ist. Streit herrscht, inwieweit neben dem Rücktritts- und Kündigungsrecht Schadens­ ersatz verlangt werden kann. C. Der Vermieter leistet, aber er leistet mit Mängeln. Ähn­ liche Arten von Mängeln wie beim Kauf (Rechtsmängel, physische Mängel, zugesicherte Eigenschaften). Am nächsten liegt der Beseitigungs­ anspruch, der eine Unterart des Erfüllungsanspruchs («) darstellt. Selbstbeseitigung bei Säumnis des Vermieters (e). Daneben An­ spruch auf Herabsetzung oder gänzlichen Wegfall des Zinses für die mangelhafte Zeit^ä, § 537) und, wenn der Vermieter auf Zahlung klagen sollte, die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320; vgl. auch Zurückbehaltungsrecht aus §273). Statt dieses Minderungsanspruchs kann auch Schadensersatz gewählt werden, jedoch nur wenn die (er­ schwerenden) Umstände des § 538 vorliegen (e). Schließlich können auch hier alle weiteren Beziehungen abgebrochen werden, indem der Mieter dem Vermieter das Mietsverhältnis aussagt (?); es ist ihm un­ benommen, dann für die schon abgelausene Mietszeit Zinsminderung (ö) oder Schadensersatz (e) geltend zu machen.

Abwandlungen dieses Haftungssystems können durch Partei abrede geschaffen werden. Doch kann, wie beim Kauf, die Haftung wegen Arglist nicht wegbedungen werden (§540); auch das besondere Kündigungsrecht wegen Gesundheitsgefährdung (§544; vgl. bereits S. 97a.E.) ist unverzichtbar. Was gilt, wenn- der Mieter den Mangel gekannt hat? Vgl. §539. 2. Ordnungsgemäße Benutzung durch den Mieter ist das wichtigste Gegenstück zu der Verschaffungspflicht des Ver* Mieters. Der Inhalt dieser Mieterverpflichtung äußert sich haupt­ sächlich in der Negative: er darf nicht in unzulässiges Weise auf die Mietssache einwirken. Darum geht auch das Gesetz an den einschlagenden Stellen vom „vertragswidrigen Gebrauch" aus (z. B. § 550). — Es muß sich um Einwirkungen auf die Mietssache-handeln. Nicht hierher gehören persönliche Eigenschaften (der Mieter, der brieflich gemietet hat, eutpuppt sich als ein häßlicher Zwerg), auch nicht das persönliche Ver­ halten, soweit es sich außerhalb der Mietswohnung abspielt (Verkehr in schlechter Gesellschaft, mißliebige politische Betätigung); solchen Dingen gegenüber hat der Vermieter keinerlei Ansprüche. Im übrigen können aber die unzulässigen Einwirkungen sehr verschiedener Natur sein, phy­ sische (Zimmer als Hühnerstall eingerichtet, Kochküche als Waschküche benützt) oder ideelle (übermäßiges Lärmen, Entwicklung schlechter Gerüche, unzüchtiges Treiben in der Wohnung selbst; bei letzterem dürfte

106

§ 10 III b 2. Haftung "des Mieters. vorheriger Verzicht oder anfängliches Dulden seitens des Vermieters ihn nicht binden).

Gegenüber Verstößen des Mieters (über Nichtzahlung" des Mretszinses erst unter c) stehen dem Vermieter mehrere Schuh« mittel zur Verfügung: (t) Ein Schadensersatzanspruch nach allgemeinen Regeln (wegen der Dirnenwirtschaft sind andere Mieter ausgezogen). Theoretische Begründung bestritten. Praktische Geltung allgemein anerkaniit. .V) Klage auf Beseitigung unzulässiger Veränderungen (Gerüst zum Fenster hinausgebaut). Abzuleiten aus a oder 7) Klage aus Unterlassung des vertragswidrigen Verhaltens (§550). Abmahnung soll voraufgehen. Ist sie unterblieben, muß nach einer strengeren Meinung Abweisung der Klage erfolgen; richtiger ist wohl gegebenenfalls den Vermieter nur mit den Prozeßkosten zu belasten. d) Kündigung ohne Frist (also sofortige Ausweisung), § 553. Das schärfste Mittel. Gewisse Zurückhaltung empfehlenswert. , .Nicht jeder kleine Verstoß reicht aus. Gesetz verlangt ein „erhebliches Maß" von Verletzung. Auch wird man es hier mit der „Abmahnung" als Voraussetzung genauer nehmen müssen. — Kollision mit der Nach­ prüfung der Kündigungen durch das Einigungsamt (S. 99 Zisf. 2). e) Pfandrecht. Hauptsächlich dient es zur Deckung des Anspruchs auf den Mietszins (näheres deshalb unter c), aber es ist dem Vermieter schlechthin „für feine Forderungen aus dem Mietsverhältnis" zugesprochen (§ 559).

Diese ganze vielgestaltige Haftung belastet den Mieter nicht bloß hinsichtlich seines eigenen Verhaltens, vielmehr hat er auch für das Verhalten seiner Gehilfen und Gäste einzustehen. Gesetzesstellen: §§ 278 und 549 II. Grenzziehung in der Praxis schwer. Wenn meine Gäste übermäßig lärmen, meine Dienstboten aus dem Hose Unfug treiben, ist das ein „bei dem Gebrauche" der Miets­ jache eingetretenes Verschulden (§ 549 II)? Oder habe ich mich in diesem Augenblick dieser Personen „zur Erfüllung meiner Verbindlich­ keit" bedient (§ 278)? Selbstverständlich muß die Haftung Wegfällen bet Untermietern, die dem Mieter im Wege der Zwangs ein Weisung (S V Ziff. 3) aufgedrungen worden sind.

c) Tie Miete wird gegen Mielsjins gewährt, ist also drittens ein entgeltliches Verhältnis. Meist besteht das Entgelt in Geld (vgl. S. 94 oben), das bei längerer Dauer zeitabschnitts­ weise gezahlt wird. Zerlegung in „Grundmiete" und Kosten für Heizung und Warmwasserversorgung in den Großstädten gebräuch­ lich, für die Höchstmietspreisberechnung bisweilen sogar notwendig (vgl. oben S. 99 Ziff. 4). Abschnittsweise Zahlung ist deshalb wichtig, weil das Gesetz die Kündigungsfristen an die Zeitabschnitte angepaßt hat (§565, unten d) Dabei ist im Zweifel postnumerando zu zahlen (S. 101). Wirtschaftlich hängt natürlich die ZahlungSpflicht mit der Gebrauchsgewährung (b) aufs engste zusammen:

§ 10 IIIc.

Das Vermieterpfandrecht.

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man will nur bezahlen, wenn und soweit man den Gebrauch auch wirklich bekommt. Dem ist auch das rechtliche Gefüge angepaßt. Methodisch wird das wiederum durch Heranziehung der Regeln vom gegenseitigen Vertrag erreicht, wobei alles unter den wenig glücklichen Begriff der „Unmöglichkeit" gezogen werden muß. 1 Liegt der Grund, weshalb der Mieter nicht in den Gebrauch kommt, beim Vermieter, so' braucht der Mieter nicht zu bezahlen (vgl. S. 104 A); bei teilweiser Unmöglichkeit entsprechende Minderung (S. 105 C; § 537). 2. Hat aber der Mieter selbst die Unmöglichkeit verschuldet, so muß er den Mietszins entrichten (und außerdem Schadensersatz geben). Er erschoß das Mietspferd; Zahlungspflicht: Wert des Pferdes und Mietszins (§ 324, 823). 3. Ist keiner von beiden schuld (das Haus brennt ab), so greifen auch zunächst die allgemeinen Regeln ein (§ 323); danach braucht der Mieter nicht zu zahlen. Aber wichtige Sonderregel hes Mietsrechts, wenn die Unmöglichkeit des Gebrauchs „einem in der Person des Mieters liegenden Grunde" entspringt (§ 562); dann wird er nämlich entgegen der allgemeinen Bertragslehre nicht von der Mietszinszahlung frei Beispiele: Krankheit, Ausweisung. Einerseits nicht Verschulden nötig (da liegt Fall 2 vor); andererseits nur, wenn der Grund „in seiner Person" liegt; also nicht beim Abbrennen des Hauses. Einzelheiten vgl. im Text des § 552.

Als Schutzmittel stehen dem Vermieter gegenüber dem Mieter, der nicht zahlte die Klage auf Erfüllung (einschl. Verzugs­ zinsen nach § 288), gegebenenfalls ein Schadensersatzanspruch (etwa aus § 286) und außerdem ein 'fristloses, jedoch an gewisse Einschränkungen gebundenes Kündigungsrecht (vgl. § 554) zur Verfügung, das aber wie jede vom Vermieter ausgehende Kündi­ gung der Kontrolle durch das Einigungsamt unterliegt. Daneben hat er als Druckmittel und Deckungsmittel für den Erfüllungsnnd Schadensersatzanspruch ein gesetzliches Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters (§ 559 ff.).

.

Gesetzliche Pfandrechte sind selten. Dieses ist dem römischen Recht entlehnt und wurde trotz lebhafter Warnung („unsozial") in das BGG. übernommen. Es hat als Sachenrecht dingliche Wirkung auch gegen Außenstehende: das kann sich namentlich im Konkurse des Mieters äußern (KO. § 49 Zifs 2). Besonders bedenklich ist seine Erweiterung zi;r Selbsthilsebefugnis; wenn der Mieter sich mit den Sachen ent­ fernen will, kann ihn der Vermieter daran „auch ohne Anrufen des Gerichts verhindern" und die Sachen „in seinen Besitz nehmen" (§ 561). Das bedeutet, daß er nötigenfalls auch Gewalt anwendrn darf; er handelt dann nicht „widerrechtlich" im Sinne des § 227, begeht keine „verbotene Eigenmacht" i S. des § 858, so daß der Mieter sich nicht wehren darf, weder unter dem Gesichtspunkt der Notwehr (§ 227) noch unter dem des Besitzschutzes (§ 859). Folgende Einschränkungen sind jedoch zu beachten: Gilt nur bei Grundstücks- (Wohnungs-) Miete. Erfaßt nur die nach Maßgabe

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8 10 IIId. Kündigungen Miete. der Prozeßgesetze „pfändbaren" Sachen (vgl. S. 11). Und erstreckt sich nur auf die eigenen Sachen des Mieters; insbesondere werden nicht die Möbel, Kleidungsstücke usw. der Ehefrau ergriffen, die oft das Meiste der eingebrachten Werte ausmachen; dies der Hauptgrund, wes­ halb dre Vermieter, auf „Mitunterzeichnung" des Mietsvertrages durch Die Frau dringen. Weitere Einzelheiten im Text § 559 ff.

d) Schließlich ist die Miete ein vorübergehende- BerhiUtni-. Deshalb ist eine rechtliche Festlegung des Endpunkts nötig. Grund­ sätzlich herrscht Vertragsfreiheit. Es bleibt also den Parteien überlassen, wie sie den Endpunkt berechnen wollen. Aber das Gesetz gibt ergänzende Regeln, und die soziale Mieterschutz­ methode schaltet vielfach alle vorangegangenen Abmachungen aus. Es sind drei Methoden der Berechnung zu unterscheiden. Entweder ist von vornherein ein festes Zeitmaß vorgesehen. Oder das Mietsverhaltnis beginnt zunächst zu laufen, ohne daß ein fester Eüdpunkt ausgemacht wäre, es steht aber jedem Teil frei, das Mietsverhältnis mit sofortiger Wirkung auf. zu sag en. Oder das Ende wird von einem solchen Aufsagen ab. hängig gemacht, jedoch muß dabei eine Frist, die sog. Kündigungs. frist eingehalten werden. Das letztere ist durchaus das häufigste, namentlich bei der Wohnungsmiete. Tas Gesetz hat dafür „gesetzliche Kündigungisristen" aufgestellt, die aber nur gelten, wenn nichts anderes Dereinbart ist, wobei das Mieten auf feste Zeit (z. B. auf drei Jahre) natürlich den Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit innerhalb dieses Zeitraums bedeutet. Gesetzliches Schema: 1. Bel Grundstücke« (Wohnungen) kann, wenn der Mietszins nach Tagen bemessen ist (Hotelzimmer) an ledemTag für den folgenden gekündigt werden; bestr., ob der „folgende" Tag dann noch mit als Mietstag gilt, also noch bezahlt werden muß. Ist der Mietszins nach Wochen berechnet (m Pensionen), so kann nur für den Schluß einer Kalenderwoche (b. i Sonnabend, nicht Sonntag; vereinzelt vestr.) gekündigt werden. Ist der Mietszins nach Monateii berechnet, so kann nur für den Schluß des Kalendermonats gekündigt werden, und zwar spätestens am 15. des Monats. Ist der Mielszins nach Vierteljahren berechnet, so.kann immer auf den Schluß jedes Kalenderviertels und zwar spätestens am 3. Werktag des Viertels (also wenn 1. April Karfreitag, 3. und 4. April Osterferertage sind, spätestens am 6. April) gekündigt werden. — 2. Bei bewegliche« Sache« muß im Falle der Mietszinsberechnung nach Tagen „für den folgenden Tag" (also wie bei Grundstücken), sonst spätestens am 3. Tag vor dem in Aus­ sicht genommenen Endtag gekündigt werden. Diese „gesetzlichen Fristen" finden auch in den weiter untsn be­ sprochenen Fällen der Kündigung wegen Todesfalls nnb der Kündigung eines versetzten Beamten Anwendung.

8 10 nid.

Kündigung der Miete.

109

Fraglich ist, ob ein fester Berkehrsbrauch dem gesetz­ lichen Schema vorgeht. Praktisch wird die Frage erst dann, wenn der eine Teil behauptet, ihm sei dieser Berkehrsbrauch nicht bekannt gewesen. Denn, wenn er ihm als etwas Festes, allgemein Geübtes bekannt war, hätte er beim Abschluß zur Sprache bringen müssen, daß er nicht daran gebunden ju sein wünsche. Im allgemeinen wird man in solchen Fällen doch wohl auf die gesetzlichen Fristen zurückgrqifen müssen. Touderregel« gelten: 1. Für mündlich geschlyssene Verträge. Sie können, auch wenn )ic aus längere Zeiten geschlossen sind, schon aus den Schluß deS ersten Jahres (Berttagsjahres, nicht Kalenderjahres) gekündigt werden, doch unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (566). 2. Für den Todesfall des Mieters (nicht des Vermieters). Beide Parteien "können dann sofort unter Wahrung der gesetzlichen Fristen aussagen. Beispiel: Der Mann stirbt am 13. Juli, der Mietszins wurde vierteljahrsweise bezahlt; die Witwe (als Erbin) kann auf 31. Dezember kündigen, sie muß die Kündigung spätestens am 3. Oktober aussprechen. — Schwierig, wenn die Frau den Vertrag mitunterzeichnet hat. Praxis unterscheidet, ob das als bloßes Mithasten für die Mietszinsschuld oder als volles Miteintreten in das Mietsverhältnis gemeint war Im letzteren Fall hat sie nicht das Kündigungsrecht aus § 569. 3. Versetzte Beamte (ebenso Militärpersonen, Geistliche, Lehrer an öffentlichen Unterrichtsanstalten) können gleichfalls, auch wenn der Konttakt noch auf Jahre hinaus fernst, unter Wahrung der gesetzlichen Fristen kündigen. Grund: die schwere Wahl zwischen beruflichem Fort­ schritt und pekuniärer Schädigung durch doppeltes Mietezahlen soll ihnen erspart werden. Daneben fiskalisches Interesse, salls der Staat dem versetzten Beamten für die „Umzugskosten" in solchem Umfange aufkommen muß. Vertraglicher Verzicht ist möglich. 4. Fristlose Kündigung bei Bertragsverstößen und bei Gesundheitsgefährdung wurde schon früher behandelt (S. 106ö, 104^, 107,97).

Oft sind die Parteien nt ein Mietsverhältnis eingetreten mit der Absicht, es nach einer bestimmten Zeit endigen zu lassen, oder sie haben sich den vorläufig festgesetzten Zeitraum als eine Art Probe gedacht, oder der Zeitraum sollte nur das Höchstmaß ihrer vorläufigen Bindung darstellen. Ist dann aber der Zeitraum um, denken sie nicht mehr an die Beendigung. Weder zieht der Mieter aus noch fordert ihn der Vermieter dazu auf. Eine unsichere Lage entsteht. Soll jetzt der Vertrag auf unbestimmte Zeit weiter­ laufen, so daß jeder von beiden Teilen noch später in jedem beliebigen Zeitpunkt erklären kann, jetzt halte, er das Ende für gekommen? Oder tritt eine neue Bindung auf einen neuen festen Zeitrauni ein? Möglicherweise ist darüber im Mietsverträge etwas gesagt. Wenn nicht, so greift eine ergänzende Gesetzesregel em: das Miets-

110

8 11. Die Pacht.

Verhältnis gilt als verlängert, und zwar mit den gesetzlichen Kündigungsfristen (sog. relocatio tacita). War also ab 1. Januar 1920 aus 1 Jahr gemietet und bleibt der Mieter unwidersprochen in das Jahr 1921 hinein wohnen, so kann er (Mictszahluug nach Jahresvierteln vorausgesetzt) frühestens wieder am 1. April aus 30. Juni kündigen. — Das Gesetz gibt jedoch noch eine zwei­ wöchige Überlegungssrist in den neuen Zeitraum hinein (vgl. Text § 568). Dies ist nicht unbedenklich, da inzwischen die Aussichten anderweit unteizukommen oder anderweil zu vermieten stark vermindert sein können. Die Auslegung wird oft ergebe::, daß das Wohnenbleiben als ein Verharren nn Missverhältnis für mindestens eine weitere Zinszahlungspenode (Vierteljahr) gemeint ist, so daß also nicht mehr am 13. oder 14. Januar plötzlich der Mieter seinen Auszug erklären oder der Ver­ mieter d:e Räumung verlangen kann.

Alle diese Regeln über die Kündigung haben jedoch gegenüber der diktatorischen Stellung der Einigungsämter (S. 99) gegen­ wärtig nur- beschränkten Wert. §11.

Die Pacht. (BGB. 8 581 ff.)

I. Tas Wesen der Pacht. Sie ist ihrem juristischen Wesen nach aufs engste mit der Miete verwandt (oben § 10 la). Deshalb hat auch das Gesetz den Leitsatz vorangestellt, daß auf die Pacht „die Vorschriften über die Miete ntsprechende Anwendung finden", sofern nicht durch die nachfolgenden Paragraphen eine Ausnahme oder Besonderheit festgelegt sei (§ 581 II). Der Unterschied beruht, wie schon erwähnt, auf der Frucht ziehung, wodurch der Rahmen der Pacht einerseits verengert wird(es kommen nur fruchtbringende Gegenstände in Frage),während andererseits der weite Fruchtbegriff des BGB. (§ 99 II) eme Aus­ dehnung der Pacht auf Rechte (z. B. ein Jagdrecht) ermöglicht. Dieser scheinbar unbedeutende Unterschied gibt jedoch der Pacht ein ganz anderes wirtschaftliches Gepräge. Hier verbindet sich mit dem Gebrauchen, einem mehr passiven Verhältnis, die Arbeit des Pächters. Und überwiegend ist es so, daß es sich nm seine Hauptbeschäftigung, um seine Berufstätigkeit handelt (oder doch eine Lieblingstätigkeit wie bei der Jagd). Während also die Miete mehr oder minder nur als ein notwendiges Übel erscheint, dient dem Pächter die Pachtsache dazu, um über ihre bloße Benutzung hinaus zu einem höheren Ziele hindurchzudringen. Es ergeben sich daraus wertere Folgeerscheinungen. Im Durch­ schnitt verwächst der Pächter mit der Pachtsache viel mehr als der Mieter mit der Mietssache Er wird weit stärker aus die Pflege der Sache, z. B. des Ackerbodens, der Obstbaiimanlagen, des Milch-

§ 11II.

Der Pächter als Wirtschafter.

111

Viehs bedacht sein, da davon sein ganzes Leben abhängt. Im Durch­ schnitt wird aus dem gleichen Grunde die Pacht auf weit längere Zeit­ räume, nicht selten auf Jahrzehnte, angesetzt; Abmachungen für bloße Stunden, wie sie beim Meten tausendfach vorkommen, sind bei der Pacht höchst selten.

Aus diesem Wesen der Pacht erklären sich jene Einzelheiten, die anders geregelt sind wie bei der Mete. Es heben sich über­ dies aus der Menge der möglichen Pachtverhältnisse die PachLungen'pon Landgütern oder einzelnen landwirtschaftlichen Grundstücken als eine besondere Schicht heraus (so wie im Rahmen der möglichen Mietsverhältnisse die Wohnungsmiete eine besondere Rolle spielt). Bon den 17 Paragraphen des Pachtrechts beziehen sich 2 auf „Land­ güter", 6 weitere aus „landwirtschaftliche Grundstücke", außerdem 6 auf „Grundstücke" schlechthin, wobei es sich aber in der Praxis auch wieder durchaus überwiegend um landwirtschaftliche Grundstücke bandelt.

II. Der Pächter als Wirtschafter. Der Pächter kommt, da ihm die wirtschaftliche Ausbeute überlassen ist, viel näher an die Sache heran. Daraus entspringen folgende Einzelgesichtspunkte: a) Maß der Ausnutzung Oberster Grundsatz: „nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft" (§581). So muß bis zum Schlüsse gewirtschaftet werden. Die Rückgabe hat tn einem Zustande zu erfolgen, „der sich bei einer während der Pachtzeit bis zur Rückgewähr fortgesetzten ordnungsmäßigen Bewirtschaftung Ergibt" (§ 591; sonst Schadensersatzpflicht). Damit hängt zusammen, daß die grundsätzliche wirtschaftliche Bestimmung (z. B. als Acker­ land) nicht geändert werden darf (z. B. durch Anforsten) oder daß mindestens am Schluß der alte Zustand wiederhergestellt sein^muß (§ 583). Besondere Vorschriften für die Übergabe nach beendeter Pacht' Zurücklassung von Saatgetreide, Dünger usw, Verrechnung dieser Werte zwischen Pächter und Verpachter (592, 593). — Der Pachtgegen­ stand erscheint hierbei als ein geschlossener, doch aber wandlungsfähiger Wirtschaftsblock.

Die Fernhaltung Dritter ist bei der Pacht noch stärker ausgeprägt. Die Pacht ist noch weit mehr ein Vertrauensverhältnis (S. 101 a) als die Miete; man sieht sich noch sorgfältiger an, an wen man verpachtet, als an wen man vermietet. Das spiegelt sich in einem Emzelgedanken wieder. Der Mieter, dem das Untervermieten vom Vermieter nicht erlaubt wird, kann das ganze Verhältnis durch Kündigung (mitgesetzlicher Frist) lösen; § 54912. Für die Pacht ist dieser Satz ausdrücklich weggestrichen (5961). Der Pachter miiß sich also von vornherein sagen, daß Unterverpachten ohne Genehmigung des Perpächters ausgeschlossen ist.

112

§11.

Die Pacht.

b) Der tägliche Wirtschaftsbetrieb ist in der Hauptsache in die Hand des Pächters gelegt. Darum hat er (bei landwirtsch. Grundstücken) im Gegensatz zur Miete die gewöhnlichen Aus­ besserungen selbst zu übernehmen (8 582). Das gilt auch als Norm für die unvermeidliche Auffrischung des Inventars. Das Inventar (keine gesetzliche Begriffsbestimmung, Verkehrs­ sitte von maßgebendem Einfluß) spielt bei den Grundstücksverpachtungen eine besondere Rolle. Das Gesetz beschäftigt sicb damit in § 586 bis 590. Ausgangspunkt allerdings, daß der Verpächter die unverschuldet in Abgang gekommenen Jnventarstücke zu ergänzen hat. Aber oft andere Bertragsbestimmung; auch aus der Verkehrssitte kann das Gegenteil entnommen werden, jedoch mit Vorsicht. Häufiger Sonderfall: Über­ nahme zum Schätzungswert. Wirtschaftlich sehr zu empfehlen. Die Stellung des Pächters kommt hierbei besonders klar zum Ausdruck. Bei der juristischen Durchführung interessante Figur des Eigentums­ erwerbs auf Grund von Handlungen eines anderen (§ 588II 2). Er­ weiterung des Gedankens: Das ganze Landgut wird auf Grund einer Schätzung übernommen (§ 594).

c) Bezüglich der Beendigung ist ebenfalls das Mietsrecht nicht ohne Änderungen übernommen worden. Es wird mit längeren Fristen für die Kündigung gerechnet (§ 595; auch für Zinszahlung, § 584). Das Beamtenkündigungsrecht kommt ganz in Wegfall; es paßt in der Tat nicht für den, der sich auf Pachtungen eingelassen hat (§ 596III). Ferner ist das gesetzliche Kündigungsrecht bei Todesfall aufgehoben, jedoch nur einseitig für den Verpächter,, während es den Erben des Pächters unbenommen ist, das Pacht-" Verhältnis zu lösen, wobei sie jedoch die längere Kündigungsfrist des Pachtrechts einhalten müssen (§ 596 II, § 595 II). ITI. Einwirkung der revolutionären Gesetzgebung auch hier, wenngleich nicht so durchgreifend wie bei der Miete (S. 98 d). Hauptgesetz die Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung vom 31. Juli 1919. Wre der Name erkennen läßt, der pachtweisen Ansiedlung und dem Schutz des kleinen Mannes dienstbar. Grundzuge: ä) Ausschaltung des Zwischenhandels. Gemeinnützige Körperschäften sollen das Verpachten im Großen (Laubenkolonien usw.) in die Hand bekommen. Entgegenstehende Verträge gelten nicht, schwebende werden (gegen Entschädigung der bisherigen Zwischenpächter) aufgehoben. b) Zwangsweise Entziehung von geeignetem Land zwecks pachtweiser Ausgabean Kleingärtner und Kleinlandwirte. c) Entscheidung der Einigungsämter über die Kündigungs­ frage in ähnlicher Welse wie beim Mieksverhältnis (S. 99 Ziss. L). d) Möglichkeit der Festsetzung von Höchstpreisen für das Klein­ land durch die untere Verwaltungsbehörde oder das Einigungsamt und automatische Einwirkung dieser Höchstpreise aus die laufenden Verträge.

§ 12.

Die Leihe.

113

Die Leihe. (BGB. §598 ff.)

812.

I. Begriff. Die Leihe ist ein Gegenstück zur Miete. Sie unterscheidet sich von ihr nur durch dieUnentgeltlichkeit(S.93Ia). Dieses Moment der Unentgeltlichkeit rückt die Leihe dicht an die Schenkung (S. 84ff.) heran. Verleihen ist unentgeltliches (wenn man will: schenkweises) Überlassen des Gebrauchs. Und wenn man außer dem Gebrauch auch die Fruchtziehung über­ läßt, so entsteht eine wirkliche „Schenkung", und das Verhältnis hört auf „Leihe" zu sein. Es gibt also nur zur Miete ein selbständiges unentgeltliches Ge­ schwister, nicht auch zur Pacht. Unentgeltliches Verpachten geht in den allgemeinen Typus der Schenkung über. Dabei dürfte als Gegen­ stand der Schenkung nicht das Recht, die Früchte zu ziehen, sondern die Früchte selbst aufzufassen sein.

Die Annäherung an die Schenkung kommt auch in der gesetz­ lichen Technik deutlich zum Ausdruck. Mehrere Bestimmungen aus dem Leiherecht sind dem Schenkungsrecht, teilweise in wörtlicher Anlehnung, nachgebildet. So der Satz, daß der freigibige Teil (Schenker, Verleiher) nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat (§§ 599, 521), und daß er für Mängel im Rechte und Fehler der Sache nur bei arglistigem Verschweigen einzustehen hat (§8 600, 5231 und § 5241). Auch das Rückforderungsrecht des Schenkers wegen eigenen Notbedarfs (oben § 8 III bl) findet eine gewisse Parallele in dem sog. Kündigungsrecht des Verleihers bei unvorhergesehenem Eigenbedarf (§605 Ziff. 1, §§ 528 und 519). II. Einzelregelung. Soweit nicht derartige Anlehnung an das Schenkirngsrecht in Frage kommt, hat sich das Gesetz durch­ aus an die technische Formung der Miete angeschlossen. Es wird mit den gleichen Begriffen und Redewendungen wie im Mietsrecht gearbeitet, so daß das Verständnis des Leiherechts sich ganz von selbst ergibt, wenn das Mietsrecht erfaßt ist. Aus der Unentgeltlichkeit ergeben sich allerdings inhaltliche Abweichungen. Sie sind bereits in der Hauptsache unter I erwähnt. Dazu tritt eine noch stärkere Betonung des Vertrauensverhält nisses (vgl. oben S. 101 a). Der Verleiher hat ein sofortiges Rück, forderungsrecht (Kündigungsrecht), wenn der Entleiher „die Sache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet" (§ 605 Ziff. 2.). Auch die Belastung des Entleihers mit den „gewöhnlichen Erhaltungskosten" (§ 601) entspringt gleich. Rebern an ii. Das «chnldreäit

'

8

114

§ 13. Der Trödlervertrag

zeitig diesem ans Freundschaftliche grenzenden Ausbau des Ver­ trauensverhältnisses und dem Gesichtspunkt der Unentgeltlichkeit. §13.

Der BertrieLSVertrag. (Trödelvertrag.) I. Wesen. Durch den Vertriebsvertrag werden einem Händler seitens eines Lieferanten Sachen zum Vertriebe mit der Be­ stimmung übergeben, daß der Händler nach Ablauf einer Frist entweder die Sachen zurückgibt (die er also bei seinen Kunden nicht untergebracht, nicht vertrieben hat) oder einest von vornherein festgelegten Preis dafür bezahlt, der unabhängig von dem Erlös ist, den der Händler seinerseits bei seinen Kunden erzielt. Solche Vertriebsverträge kommen in den verschiedensten Ab­ wandlungen vor. Die beiden praktisch bedeutsamsten, freilich wirt­ schaftlich ziemlich weit voneinander abliegenden Erscheinungs­ formen sind der Trödelvertrag und der bnchhänkerische Sor­ timentexvertrag. Ein Trödelvertrag kann etwa folgendes Gepräge haben. Ein Fabrikant gibt an ein Reihe von Trödlern Hosenträger, das Stück zu 1,50 Mk. ab. Der Trödler geht mit einem Posten von 300 Stück auf die „Tour". Er bemüht sich natürlich, teurer, vielleicht zu 2,20 Mk., zu verkaufen. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit ist Abrechnung. Hat der Trödler 200 Stück losgeschlagen, so bezahlt er zunächst 200 x 1,50 Mk. an den Fabrikanten und behält 200 x 0,70 Mk. als seinen Verdienst Die übriggebliebenen 100 Stuck gibt er an den Fabrikanten zurück, wenn sie ihm nicht sogleich für die neue Tour belassen werden. Im Buchhandel, und zwar gerade in Deutschland besonders blühend, hat sich zwischen den Verleger (Verlagsbuchhändler, der Bücher hi Verlag nimmt, Herstellen läßt und für den Vertrieb bereit hält; vgl unten § 25 Ziss. II) und das Publikum der SortirnmtsbuchhLrrdlcr eingeschoben. Er kann nun freilich auch Bücher vöm Veileger auf feste Rechnung übernehmen; daun liegt ein gewöhnlicher Keus vor. Aber in größtem Umfang (so wenigstens in der ruhigen Wirtschaftslage vor Krieg und Revolution) bezieht er Bücher nur ,,ä uondition“ (Konditionsgeschäfte), d h er behält die Berechtigung, üe Bücher bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (meist bis zur Ostermesse) zurückzusendeu Bei der Preisgestaltung ist allerdings der Sortimenter nicht so frei gestellt ivic der Trödler; fast immer bestimmt der Verleger den Ladenpreis, für den der Sortimenter weiter verkaufen muß Insbesondere ist vier auch das Verkaufen unter diesem Preis („das Schleudern") verboten, übrigens ein Hauptbeispiel für die berühmten „positiv'n Vertrags Verletzungen" (unten § 41 V)

Tie wirtschaftliche Bedeutung dieser Einnchtung liegt für den Lieferanten (Fabrikant, Großhändler, Veileger) darin, daß er nicht selbst die mühevolle Kleinarbeit des Vertriebs, des

§ 13 II.

Die Eigentums läge beim Trödlervertrag.

115

Aufsuchens und Bearbeitens des Publikums übernehmen muß, freilich dafür mit dem ganzen Risiko, daß die Ware nicht „geht", also auf ihm „sitzen" bleibt, belastet ist. Für den Händler (Trödler, Sortimenter) bildet die Einrichtung zumeist die Basis für seinen Lebensunterhalt. Er entledigt sich des Risikos und begnügt sich dafür mit einem etwas mäßigeren Gewinne am Einzelstück; sein Gewinn baut sich auf dem Mehr, das er selber über den eigenen Berechnungspreis hinaus erzielt, auf, und natürlich muß er sich bestreben, so viele Abschlüsse wie möglich zu zeitigen, wodurch wiederum auch dem Lieferanten in die Hände gearbeitet wird. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieses wirtschaftliche Verhältnis in Zukunft breiteren Boden gewinnt und weiter ausgebaut wird II. Rechtliche Behandlung. Tas Gesetz schweigt? Der Ver­ triebsvertrag ist nicht geregelt worden. Als Grund wurde bei der Abfassung des BGB. angeführt, das Gebilde trete in zu verschiedenen ttlestalten auf, als daß sich das Einspannen in ein gesetzliches Schema empfehle. So beruht also das Gebilde ausschließlich auf der Willens­ bildung der Parteien (Vertragsfreiheit), allerdings greift, wie immer, die Verkehrssitte (der Handelsbrauch) stark ergänzend ein. Systematisch tvirb der Bertnebsvertrag am besten zu den Ver­ trägen auf zeitweilige Güterüberlassung gestellt, vor allem wegen der gleich nn folgenden erwähnten Eigentumsverhältnisse. Man könnte freilich auch das Tätigwerden des Händlers als das entscheidende bewerten und dann das Gebilde, wie es z B. die Motive zum BGB (II S 516) getan haben, etwa neben dem Mäklervertrag unterbringen

Ter Kernpunkt für die praktische Rechtsgestaltung ist die Lagerung des Eigentums. Es ist nun beim Trödelvertrag Geschäfts brauch, daß das Eigentum beim Lieferanten bleibt Deshalb eben handelt es sich, mindestens bei Beginn des Verhältnisses, um Güter­ überlassung aus Zeit mit allen den schon bekannten Folgerungen Pflicht des Händlers zu pfleglicher Behandlung Tie Gefahr tragt der Lieferant. Zm Konkurse des Händlers hat der Lieferant das Aussonderungsrecht des EigentunierS. Weitergabe an Drille wird im Zweifel als ausgeschlossen zu gelten haben. Es bestehen auch keine Bedenken, den unmittelbar gegen den Dritten zielenden schuld rechtlichen Ruckga beanspruch der 556 111, 604 111 (vgl oben S. 101 Ende der Zljf. II) auf den Bertriebsvertrag 511 übertragen. Bei Eigen bedarf im Zweifel kein Nückforderungsrecht

Allerdings tritt eine grundlegende Wendung in dem Augen­ blick ein, wo der Händler ein einzelnes Stück an seinen Kunden abstößt. Tann wird das Gebilde nachträglich zum Kauf (Bei käufer der Lieferant, Käufer der Händler), wiederum mit den bekannten Folgen des Kaufrechts

116

Schlußbemerkung zum 2. Kapitel.

Vor allem Mängelhaftung. Da es sich meist um Gattungssachen handeln wird, kommt auch der Nachlieserungsanspruch des $ 480 (oben S. 63) zum Zuge. Der Kaufpreis gilt bis zum Abrechnungstermin als gestundet, und zwar im Zweifel ohne Verzinsung. — Interessante Verschiebung.des Eigentums. Wird erst noch der Händler seinerseits zwischendurch Eigentümer, oder überträgt er unmittelbar das Eigentum des Lieferanten als dessen Stellvertreter auf den Kunden? Handelt er hierbei als Beauftragter, so daß sich auch noch die Normen des Typus „Auftrag" (oder der entgeltlichen „Geschäftsbesorgung" des § 675) ernmischen?

Unterbleibt solches Weiterverkäufen, so zeigt sich wieder das Gesicht der Gebrauchsüberlassung. Die Rückgabe pflicht tritt mit Ablauf des (nach Vertrag oder Verkehrssitte bestimmten) ZeitraiiMs ein.

Lchlutzbemertung zum 2. Kapitel. Durch die vorangehenden Paragraphen ist die Reihe der Schuldrechtsverhältnisse, bei denen es zu einer Überlassung von Gütern auf Zeit kommt, nicht erschöpft. Ein solches Überlassen spielt auch in manche sonstige Typen hinein. Aber es schiebt sich bei diesen eine andere Zutat so start in den Vordergrund, daß sie besser einem anderen Zusammenhänge emverleibt werden. "Es gehört hierher der Berwahrungsvertrag (im BGB. § 688 ff, im Grundriß unten § 26). Beispiele: Mein Freund hebt mir meine Bücher auf, während ich verreise; ich stelle meine Möbel in einem Lager­ hause ein; der Bankier nimmt die Wertpapiere seines Kunden ms Depot Gewiß begegnen hier ähnliche Erscheinungen wie etwa bei der Miete (eigenes Schrankfach in der Stahlkammer des Bankiers, sog. Safe, wird meist als wirkliche Miete zu bewerten sein); so die eigentümliche Zerlegung des Besitzverhältnisses (vgl. oben S. 93, 94b), der Rückforderungs­ anspruch, gewisse Bruchteile der Haftung für schadenstiftende Fehler (vgl. 8694BGB) Aber der entscheidende Grundzug ist doch der der Mithilfe: es hilft mir jemand bei der Wahrung meinet Güter. Darum wird das Gebilde richtiger den Arbeitsverträgen angegliedert. Tas Gesetz kennt ferner einen Typus „Vorlegung von Sachen" (BGB 809; unten im Grundriß § 34) Der Verpflichtete muß hierbei allerdings dem anderen Teil eine Sache, meist nur für ganz kurze Zeit, überlassen, und zwar kann man allenfalls von einer Überlassung zum Gebrauch reden. Aber der Kern liegt in einer ganz anderen Vorstellung, daß nämlich die augenblickliche Lagerung eines Gutes (sein Ruhen in den Händen des Verpflichteten) zur Unbilligkeit für den anderen Teil fuhrt. Deshalb schreitet das Gesetz von sich aus ein und wartet nicht erst eine Einigung, also eine Einwilligungserklärung des Verpflichteten, ab. Aus diesem Grunde wird das Gebilde unter dem Gesichtspunkt einer „Ausgleichung unbilliger Güterverschiebung" zu betrachten sein. Schließlich ist das Darlehn zu erwähnen (im Gesetz 607ff., im Grundriß § 15) Hier wird ebenfalls ein Gut überlassen (meist Geld);

§ 14 L

Begriff des Kredits.

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der Empfänger soll es auch gebrauchen, um es später wieder zurückzugeben; also ein ausgesprochenes Dauerverhältnis mit Rückgabepflicht. Aber der Charakter des Darlehns ist doch ein ganz anderer Es ist nicht auf eine bestimmte Sache konzentriert; die für das 2. Kapitel so kenn­ zeichnende Eigentums- und Beschläge fällt fort, von pfleglicher Behand­ lung, Sachmängeln und dgl. kann nicht die Rede sein Darum wird auch das Darlehn abgeschieden. Es wächst sich unter Hinzunahme verwandter Erscheinungen sogar zu einem eigenen, dem folgenden Kapitel aus.

& a p i t e l 3.

Kreditgewährung.

Einführung. (Wirtschaftliche Bedeutung.

Rechtliche Fassung.)

I. Der Begriff des Kredits. Der einfachste Typus des Kreditgeschäft ist das gewöhnliche Darlehn. Hierbei gibt einer dem anderen eine Geldsumme auf Borg; der erste will und soll sie später wieder zurückhaben, er schenkt so lange dem anderen Teil Vertrauen, er gewährt ihm „Kredit". Um diese einfache Vorstellung gruppieren sich bedeutende* Erweiterungen. Schließ­ lich bekommt der Begriff bei den Nationalökonomen, unter denen übrigens im einzelnen viel Streit herrscht, eine solche Ausdehnung, daß er für die Zwecke der juristischen Lehre unbrauchbar wird. Für diese Zwecke ist also eine Einengung unentbehrlich. a) Kredit im weiteren Sinne. Nimmt man vom sprach­ lichen Gehalt des Wortes Kredit seinen Ausgang (credere = Vertrauen schenken), so liegt eine Kreditgewährung überall vor, wo eine Leistung erst in der Zukunft erfolgen soll. Das ist schon bei Millionen von Käufen gegeben, bei denen nicht sofort auf beiden Seiten erfüllt wird Habe ich beim Buchhändler em Buch bestellt, das er nicht aus Vorrat hat, so vertraue ich auf sein künftiges Leisten: und ebenso vertraut er auf mein künftiges Leisten, wenn er mir, wie das \a vielfach gebräuchlich ist, die Rechnung erst am Vierteljahres­ schluß zuschickt (Stundung). In der Tat spricht man auch in solchem Falle vom „Kreditkauf" und setzt ihn zum „Realkauf" in Gegensatz (S 54). Mit der Kreditgewährung im Sinne des 3. Kapitels hat das nichts zu tun. Vgl. jedoch^c.

Das Maß des einzusetzenden Vertrauens steigert sich dadurch^ daß der andere Teil in der Zwischenzeit über den Schuldgegenstand die Verfügungsgewalt besitzt. Namentlich tritt das sinnfällig hervor, wenn ihm früher die Verfügungsgewalt nicht zu stand Hierher gehört z. B. die Miete .Da grundsätzlich Postnumerando» Zahlung gilt (S. Pli), so bedeutet nnmmerhin ein erhebliches Maß

§ 14.

§ 14 L

Begriff des Kredits.

117

der Empfänger soll es auch gebrauchen, um es später wieder zurückzugeben; also ein ausgesprochenes Dauerverhältnis mit Rückgabepflicht. Aber der Charakter des Darlehns ist doch ein ganz anderer Es ist nicht auf eine bestimmte Sache konzentriert; die für das 2. Kapitel so kenn­ zeichnende Eigentums- und Beschläge fällt fort, von pfleglicher Behand­ lung, Sachmängeln und dgl. kann nicht die Rede sein Darum wird auch das Darlehn abgeschieden. Es wächst sich unter Hinzunahme verwandter Erscheinungen sogar zu einem eigenen, dem folgenden Kapitel aus.

& a p i t e l 3.

Kreditgewährung.

Einführung. (Wirtschaftliche Bedeutung.

Rechtliche Fassung.)

I. Der Begriff des Kredits. Der einfachste Typus des Kreditgeschäft ist das gewöhnliche Darlehn. Hierbei gibt einer dem anderen eine Geldsumme auf Borg; der erste will und soll sie später wieder zurückhaben, er schenkt so lange dem anderen Teil Vertrauen, er gewährt ihm „Kredit". Um diese einfache Vorstellung gruppieren sich bedeutende* Erweiterungen. Schließ­ lich bekommt der Begriff bei den Nationalökonomen, unter denen übrigens im einzelnen viel Streit herrscht, eine solche Ausdehnung, daß er für die Zwecke der juristischen Lehre unbrauchbar wird. Für diese Zwecke ist also eine Einengung unentbehrlich. a) Kredit im weiteren Sinne. Nimmt man vom sprach­ lichen Gehalt des Wortes Kredit seinen Ausgang (credere = Vertrauen schenken), so liegt eine Kreditgewährung überall vor, wo eine Leistung erst in der Zukunft erfolgen soll. Das ist schon bei Millionen von Käufen gegeben, bei denen nicht sofort auf beiden Seiten erfüllt wird Habe ich beim Buchhändler em Buch bestellt, das er nicht aus Vorrat hat, so vertraue ich auf sein künftiges Leisten: und ebenso vertraut er auf mein künftiges Leisten, wenn er mir, wie das \a vielfach gebräuchlich ist, die Rechnung erst am Vierteljahres­ schluß zuschickt (Stundung). In der Tat spricht man auch in solchem Falle vom „Kreditkauf" und setzt ihn zum „Realkauf" in Gegensatz (S 54). Mit der Kreditgewährung im Sinne des 3. Kapitels hat das nichts zu tun. Vgl. jedoch^c.

Das Maß des einzusetzenden Vertrauens steigert sich dadurch^ daß der andere Teil in der Zwischenzeit über den Schuldgegenstand die Verfügungsgewalt besitzt. Namentlich tritt das sinnfällig hervor, wenn ihm früher die Verfügungsgewalt nicht zu stand Hierher gehört z. B. die Miete .Da grundsätzlich Postnumerando» Zahlung gilt (S. Pli), so bedeutet nnmmerhin ein erhebliches Maß

§ 14.

118

S 14 1. Kredit im weiteren und engeren Sinn. von Vertrauen, von „.Kredit", wenn der Vermieter seine Sache tage* oder monatelang dem Mieter zur Benutzung überläßt . Doch auch diese Fälle sind vom laufenden Zusammenhang abzuscheiden.

In jedem Falle ist das Kreditverhältnis nur zweiseitig zu denken: einer gibt den Kredit und der andere nimmt ihn. Dahinter steht eine Zweiseitigkeit des wirtschaftlichen Interesses. Der Kreditnehmer entbehrt der flüssigen Mittel; um sie sich zu verschaffen, oder um die vorhandenen aufzufrischen, wendet er sich an den anderen Teil Dieser andere Teil, der Kreditgeber, hat Mittel der gesuchten Art verfügbar; er möchte sie unterbringeii und überläßt sie deshalb (gegen spätere Rückgabe) dem Suchenden. Beim Kreditnehmer ist also das Bedürfnis, beim Kreditgeber der Wunsch nach „Anlage" seiner Mittel die Triebkraft. Beim Kreditnehmer kommt werter die Frage hinzu, wie erbte Mittel verwenden will Entweder sollen sie die Lücken seines lausenden Ge­ brauchs (seines „Einkommens") füllen, oder er will sie sich als Stamm erhalten („Betriebskapital"). Daraus beruht der Unterschied voti kon­ sumtivem und produktivem Kredit; vgl. unten IId Für den Kreditgeber ist zweierlei von Wichtigkeit, daß nämlich seine „Anlage" möglichst sicher ist, und daß sie ihm einen möglichst hohen Nutzen (msbes. Zinsen) abwirst.

Aus den drei erwähnten Elementen, Vertrauen auf künftiges Leisten, Verfügendürsen in der Zwischenzeit, Zweiseitigkeit des Verhältnisses, baut sich der wirtschaftliche Begriff des Kredits auf. Und in diesem Sinne stehen sich Kreditverkehr und Barverkehr gegenüber. b) Einengung de- Begriffs. Theoretisch wäre es möglich, das ganze Schuldrecht auf diesen Gegensatz aufzubauen. Aber das entspricht der heutigen juristischen Formung des Schuld­ rechts nicht. Kauf und Miete usw. bleiben, auch wenn sie als Kredit­ geschäfte erscheinen, in ihren eigenen Typen haften, bleiben „Kauf" und „Miete" und bekommen durch den Krediteinschlag grundsätz­ lich kein anderes Gepräge. Gerade dadurch treten sie zu den eigent­ lichen Kreditgeschäften in Gegensatz. Für diese eigentlichen Kreditgeschäfte wird der (engere) Rahmen durch eine dreifache Abscheidung gewonnen. 1. Ter kreditierte Wert muß aus dem Vermögen des Kreditgebers hergcnommen und in das Vermögen dös Kredit­ gebers übergeführt werden So ist es z. B. beim gewöhnlichen Darlehn. Anders dagegen beim bloßen „Stunden". Z. B. dem Stunden des Kaufgelds. Denn hier ist der geschuldete Wert (das Kaufgeld) von Anfang an im Vermögen des Schuldners (des Käufers) und ist keineswegs aus dem Vermögen des anderen Teils (des Verkäufers) hinübergewandert.

8 14

L

Kredit tut melieren und engeren Sinn.

118

2. Ter kreditierte Wert muß ins Eigentum (Vollrecht) des Kreditnehmers übergehen. Das „Berfügendürfen" ist also in diesem kräftigeren Sinne gemeint. Auf diese Weise werden die Typen des II. Kapitels abgeschieden, z. B. die Miete. Während beim Darlehn die 1000 Mk. ins Vollrecht: des Borgers übergehen, bekommt bei der Miete der Mieter bekanntlich nur eine sorgfältig abgegrenzte Gebrauchsbefugnis (vgl. S. 105 Zisf. 2), und die Herrenstellung des Vermieters dauert fort (S 100 II). — Begleit­ erscheinung nn Konkurse: Der Vermieter kann die hingegebene Sache (seine Sache) aus der Konkursmasse aussondern; der Darlehnsgeber hat wegen Je niet 1000 Mk. kein solches Aussonderungsrecht, sondern muß mit der Konkursdividende vorlieb nehmen. Auch das zeigt, daß das Maß des „Vertrauens" bei den echten Kreditgeschäften stärker an­ gespannt ist.

3. Der kreditierte Wert muß in vertretbaren Sachen („fungiblen" Gittern) bestehen, Sachen also, bei denen die einzelnen Stücke gleichgültig sind (gesetzliche Definition in § 91 BGB ), so daß es nur auf die Masse ankommt. Geld steht dabei durchaus im Vordergrund. Auf „Geld oder andere vertretbare Sachen" sind ausdrücklich gestellt das Darlehn (BGB. § 607, unten § 15), die An Weisung (BGB. § 783, unten § 19); auf „eine be­ stimmte Geldsumme" der Scheck (Scheckgesetz §1, unten § 19IV b). Andere Typen sind allerdings nicht begriffsnotwendig auf vertret­ bare Sachen gestellt, haben aber in der Praxis fast ausnahmslos vertret­ bare oder von den Parteien als vertretbar Empfundene Leistungen zum Gegenstand; so die Versicherungen (z. B. Zahlung der Lebens­ versicherungssumme; unten §161), die Leibrente (unten § 1611), die Jnhaberschuldbriefe (unten §18), die sog. abstrakten Schuld­ versprechen und Schuldanerkenntnisse (unten §17). — Bürg­ schaft^ 20) und Pfandvertrag (§ 21) dienen allerdings als Deckungs­ mittel für Verbindlichkeiten jeder Art, aber, sobald die Haftung des Bürgen oder Verpfänders realisiert werden soll, wird sie sich so gut wie immer in einer Geld Verpflichtung ausdrücken.

c) Grenzverwischung in der Praxis. Vermöge der allgemeinen Vertragsfreiheit ist es den Parteien unbenommen, Übergänge zwischen den verschiedenen Typen zu schaffen und einen ursprünglich anders gedachten Typus hinterher in ein Kredit­ geschäft umzuwandeln. Ties ist hänftg. Namentlich verlockt die größere Flüssigkeit der Kreditgeschäfte zu solcher Umwandlung; das Gläubigerinteresse ist dabei wohl meistens dre treibende Kraft Ter Gesetzgeber hat sich dem nicht in den Weg gestellt. „Wer Geld oder andere ver­ tretbare Sachen aus einem anderen Grunde schuldet, kann mit dem Gläubiger vereinbaren, daß das Geld oder die Sachen als Darlehn geschuldet werden sollen", bestimmt Abs. II des § 607,

120

8 14 le. Das depositum irreguläre.

So kann also der Roßkäufer mit seinem Verkäufer ausmachen, daß er den Kaufpreis für das verkaufte Pferd eben nicht als Senf* gelb, sondern wie geborgtes Geld schulden soll. Darüber hinaus ist ein Ausbau möglich, indem nun die neugeschaffene Darlehnsschuld wieder in eine der verfeinerten Kreditformen, z. B. in einen Scheck (oder einen Wechsel) oder in ein abstraktes Schuldversprechen umgegossen wird. Es wird dann, wie es der Verkehr­ kurz auszudrücken pflegt, „für die Kauffchuld ein Wechsel gegeben".

,

Der Gesetzgeber geht von einer Fiktion aus: es solle so gehalten werden, als hätte Hingabe einer Darlehnsvaluta stattgefunden. Der Verkehr denkt sprunghafter; ihm liegt die Vorstellung einer Ersatz­ leistung näher. Damit kommt der Vorgang mit einer Figur des all­ gemeinen Schuldrechts, nämlich der „Hingabe an Erfüllungs­ statt" (BGB. §364; Grundriß §401 »2) in Berührung, pnd daran schließt sich wieder die praktisch sehr bedeutsame Frage, ob neben dem neugeschaffenen Kreditverhältnis auch das alte Schuldverhaltnis noch weiter bestehen soll. Für den Gläubiger ist das natürlich von Vorteil, weil er dann zwei „Rechtsgründe" und zwei Klagemöglichkeiten hat; er kann sowohl die Kauffchuld aus §433 wie die darauf gepflanzte Scheckschuld geltend machen, natürlich nur so, daß er den Betrag im ganzen nur einmal erhält. Nach dem Gesetz (364II) soll im Zweifel der Fortbestand auch der alten Schuld angenommen werden. Wird dagegen (nach der Parteiabsicht) die alte Schuld fallen gelassen, so daß die neue ganz an ihre Stelle tritt, so spricht man von Novation.

Eine andere Art der Grenzverwischung ergibt sich dann, wenn Sachen in Verwahrung gegeben werden, aber unter der Abrede, das nicht dieselben Sachen zurückgegeben zu werden brauchen, sondern nur das gleiche Quantum. Auch das ist häufig. Namentlich werden dem Bankier nicht selten Geld oder Wertpapiere in dieser Form ins „Depot" gegeben Nach dem Gesetz soll dann der Fall in der Hauptsache als Darlehn, also als Kreditgeschäft, behandelt werden

BGB. § 700. Vgl. im Grundriß § 26III. Die normale Verwahrung sichert natürlich dem, der zur Verwahrung gibt (z. V. seinen Mantel), das Eigentum; es fehlt also an dem Übergang des Bollrechts (oben b 2). Gerade das aber ändert sich beim sog. depositum irreguläre, und eben deshalb erfolgt grundsätzlicher Übergang zum Typus Darlehn; § 700: „Werden vertretbare Sachen in der Art hinterlegt, daß das Eigen­ tum auf den Verwahrer übergehen und dieser verpflichtet sein soll, Sachen von gleicher Art, Güte und Menge zurückzugewähren, so finden die Vor­ schriften über das Darlehn Anwendung".

Verschiebungen des Grundgedankens der Kreditgeschäfte er­ geben sich ferner dadurch, daß bei gewissen Figuren nicht genau derselbe Wert zurückerstattet werden soll, der hingeaeben worden ist.

§ 14 II a.

Personalkredit und Realtredit.

121

Dies gilt namentlich von der Versicherung (unten § 16), bei der der Versicherungsanstalt fortlaufend Prämien gezahlt (kreditiert) werden, während sie nach Eintritt des Bersicherungsfalls (z. B. bei der Lebens­ versicherung des Todesfalles) ein ganz anders berechnetes Kapital zu erstatten hat. Umgekehrt ist es bei der (entgeltlichen) Leibrente, denn hier wird normalerweise ein Kapital hingegeben, während die Rück­ zahlung in Gestalt einer ganz anders berechneten, fortlaufenden Rente erfolgt. — Vgl. auch S. 127 über den sog. contractus mohatrae.

II.

Arten deS Kredits.

a) Personattredit n«d Realtredit. Jedes Kreditgeschäft baut sich auf Vertrauen auf. Je nachdem nun das Vertrauen in die Persönlichkeit des Schuldners gesetzt wird oder in ein zur Haftung gestelltes Wertobjekt, unterscheidet man Personalund Realkredit. Für die beiden Fälle werden ganz verschiedene puristische Figuren bereitgehalten. Das Darlehn ist die Normal­ figur des Personalkredits; der Realkredit wird am besten durch den Pfandvertrag verkörpert. Beides kann vereinigt fein. Wenn Reakkredit vorliegt, ist sogar frist immer auch Personalkreoit gegeben, allerdings nicht gerade immer Personalkredit in dem unter Ib gegebenen engeren Sinn. Wird für geborgtes Geld ein Ring zu Pfand gegeben, so hastet erstens der Borger persönlich aus Darlehn (Personalkredit), zweitens haftet der Ring als Pfand (Reallredit). Ist für eine Kausgeldschuld ein Pfand gesetzt, ist es ähnlich.

Beide Kreditarten haben eine ungeheure Ausdehnung gewonnen. Zum Personalkredit gehören u. a. die Freundschafts* darlehn, die Bankeinlagen, die Staatsanleihen; man ver­ traut auf die Zuverlässigkeit des Freundes, auf die Güte der Bank, auf die Sicherheit des Staates. Zum Realkredit gehört vor allem das große Gebiet des Hypothekenverkehrs, bei dem Grund­ stücke für eine Schuld eingesetzt werden, und der Lombardkredit, bei dem Mobilien, vornehmlich Wertpapiere oder Kleinodien, zu Pfand gegeben werden. Der Personalkredit ist in der Hauptsache schuldrechtlich aufgebaut, d. h. in der Bahn einer Bindung von Person zu Person (S. 12a). Der Realkredit dagegen ist in der Hauptsache sachenrechtlich geformt, d. h. so, daß die entscheidende.Bindung zwischen einer Person und einer Sache läuft (S. 12 b). Danach ist der Realkredit stärker der Tiefe nach. Er dringt in das haftende Wertobjekt ein und sichert dem Kreditgeber eine bevorzugte Befriedigung; „gewöhnliche" Gläubiger müssen vor ihm zurücktreten. Der Personalkredit geht demgegenüber mehr in die Breite, denn es haftet hier die schuldnerische Person mit allem, was sie hat, aber ohne irgendwelche Bevorzugung vor anderen Gläubigem.

122

§ 14 Ilb. Anstallskredit. Amortisation.

Die Grundsiguren des Personalkredits gehören nach dem obigen in den Bereich dieses Grundrisses (der.Ausbau fällt allerdings zum Teil ms Handelsrecht und ins Recht der Wertpapiere). Die Figure^ des Realkredits fallen dagegen m den Bereich des Grundrisses über Sachenrecht.

b) Öffentlicher und privater Kredit. Diese Unter­ scheidung stellt auf hen Kreditgeber ab. Es macht nämlich wirtscbaftlich einen gewissen Unterschied aus,db man von einem Pri vatmann Kredi-t bekommt oder von einer öffentlichen Anstalt, z. B. citier Hypothekenbank. Dem Privatmann schweben ganz andere Gesichtspunkte, namentlich hinsichtlich der Rückzahlung, vor wie der Anstalt, die nicht ein einzelnes Darlehn ausgibt, sondern tausende. Praktisch zeigt sich der Unterschied namentlich bei der sog. Amorti­ sation, d. h. d?r allmählichen Rückzahlung in kleinen, meist gleichzeitig

nut den Zinsen abgeführten Teilbeträgen (Amortisationsquoten). Der private Darlehnsgeber ist nur höchst selten in der Lage und geneigt, sich darauf einzulassen. Die Anstalt (Darlehnskasse, Hypothekenbank, . Siedelungsgesellschaft, Staat) kann dagegen unbedenklich darauf ein­ gehen und tut es in ständig wachsendem Umfang.

In der juristischen Lehre ist dieser Unterschied bisher fast gar nicht berücksichtigt worden. Sie ist durchaus einseitig auf den Privatkredit zugeschnitten. Dies ist eine Schwäche, die bei künf­ tiger Gesetzgebung vermieden werden muß, zumal die Tendenz der heutigen Entwicklung entschieden auf Verdrängung des Privat­ kredits gerichtet ist. c) Anlagekredit und Um^laufskredit. Hierbei ist mehr an die Person des Kreditnehmers als an die des Kreditgebers zu denken. Es handelt sich im wesentlichen darum, ob der Kredit für längere Zeit gewährt wird (Anlagekredit) oder für kürzere (Umlaufskredit). Natürlich gibt es dafür keine feste Grenze. Für die juristische Behandlung ist der Unterschied nicht bedeutungslos. Die Figuren, die dem Umlaufskredit dienen sollen, werden im allgemeinen auf schnellere Abwicklung, größere BcMöglichkeit gestimmt sein; das bedingt z. B. andere Formen der Entstehung, leichtere Möglichkeit der Übertragung. Die Figuren des Anlagekredrts werden dafür auf größere rechtliche Sicherheit, auf Planmäßigkeit in der Abwicklung zugeschnitten sein. Zum Anlagekredit gehören z. B. die Hypotheken und die Staatsanleihen; Entstehung nur unter MitwirUmg staatlicher Organe, Rückzahlung nur nach Kündigung (mit meist ziemlich langen.Fristen) oder nach einem allgemeingültigen Plane. Zum Umlaufskredit gehört z. B. der Wechsel- und Scheckkredit; Entstehung bleibt durch­ aus der Privatinitiative überlassen, einfache Schriftform genügt (bei

§ 14 IId. Konsumtiver und produktiver Kredit.

123

der Hypothek dagegen Eintragung im Grundbuch), Weitergabe durch einfaches Indossament, Beteiligung einer beliebigen Zahl von Per­ sonen, sog. Sprungregreß usw. — Die Beispiele zeigen, daß, wenn auch eine scharfe Grenzziehung unmöglich ist, doch eben für die beiden ver­ schiedenen Zweckrichtungen verschiedene juristische Figuren verfügbar sind, d) Konsumtiver und'produktiver Kredit. Der „kon­ sumtive" Kredit ist die ursprüngliche und einfachere Form; hier fehlt es dem Schuldner an Mitteln für seinen, laufenden, augenblicklichen Bedarf; was er deshalb auf Borg erhält, gibt er gleich wieder für seine Bedürfnisse aus, er „konsumiert" den empfangenen Wert. Der „produktive Kredit" dagegen benutzt den empfangenen Wert, um ihn arbeiten zu lassen, um ihn entweder unmittelbar (Spekulation mit dem erborgten Geld) oder mittelbar (Anschaffung von Maschinen, Erweiterung des Geschäfts) zur Erwerbsquelle zu gestalten.

Seine volle Entfaltung konnte der produktive Kredit erst im Zeit­ alter des SapitaUSnmS finden. ^Man denkb sich zwei Geschäftsleute desselben Geschäftszweiges, z. B. Filmfabrikanten. Der eine hat Kapital, der andere nicht (oder einer hat viel Kapital, der andere wenig). Rasch genug wird der erstere den Konkurrenten überflügeln. Hier setzt der produktive Kredit ein Der Kapitallose pimmt Kapital aus Kredit, nicht um das Geld zu „konsumieren", sondern um es arbeiten zu lassen. — Auch vom Standpunkt des Kreditgebers sieht sich der produktive Kredit oftmals ganz anders an wie der konsumtive; der Kreditgeber ^beteiligt" sich gleichsam, wenn auch nur im Hintergrund, am Betriebe des Pro­ duzenten. In der juristischen Welt hat dieser Unterschied bisher zu keiner klaren Ausprägung geführt. Er ist aber doch auch für das Rechtsleben von großer Bedeutung. Bor allem wird er die Aus­ legung der getroffenen Abmachungen wesentlich beeinflussen.

Z. B. jener Gedanke einer „Beteiligung" am Betriebe rückt gegebenenfalls die rechtliche Stellung des Kreditgebers in ein ganz anderes Licht; gewisse Kontrollrechte werden ihm in Auslegung der konkreten Parteiabreden zuzubilligen sein, von denen beim konsumtiven Kredit nicht oder nur unter ganz anderen Voraussetzungen die Rede sein kann. Dazu kommt, daß die unerhörte Anspannung des produktiven Kredits im letzten Jahrzehnt zu ganz neuen Versuchen geführt hat, die aus dem alten Denkschatz der Jurisprudenz nicht voll gedeckt werden konnten. Man hat versucht, um sich weiteren Kredit flüssig zu machen, das ganze Warenlager zu verpfänden; man ist sogar zur sog. Diskontierung der Buchforderungen übergegangen, und hat dadurch die Juristen vor ganz neue rechtliche Probleme gestellt. Den wirtschaftlichen Untergrund für diese noch nicht genügend geklärten Erscheinungen bilder die vielbesprochene „Kreditnot". Man versteht darunter die Tatsache, daß viele Leute, die (produktiven) Kredit

124

§ 14 III.

Kredit und Gesetzgebung.

suchen, nicht genug finden können. Das veranlaßt dann solche recht be­ denklichen ^perimente. In ganz anderer Richtung treibt die Kreditnot den Genossenschaftsgedanken hervor. Kreditgenossenschaften spielen im Volksleben eine außerordentliche Rolle; "sie stehen auf rechtlicher Basis, so daß also auch hier wieder das Juristische (Handelsrecht) ge­ troffen wird.

III. Stellung der Gesetzgebung. Schon das Vorhergehende hat erkennen lassen, wie zerrissen die Stellung der Gesetzgebung zu den Erscheinungen der Kreditwelt ist. Es fehlt an irgendwelcher zusammenfassenden Behandlung. Nur ganz vereinzelt läßt sich ein Satz nachweisen, der allgemeine Bedeutung für das ganze Gebiet des Kreditwesens hat; z. B. die Bestimmungen, die gegen den Kreditwucher gerichtet sind. Vgl. §302a StrafGB.: „Wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines anderen mit Bezug aus ein Darlehn oder auf die Stundung einer Geldforderung [also Kredit im weiteren ©inne] cDer aus ein anderes zweiseitiges Geschäft, welches denselben wirtschaftlichen Zwecken dienen soll lz. B. abstraktes Schuld­ versprechen], sich oder einem Dritten Bermögensvorteile verspreche:! läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles oie Bermögensvorteile in auffälligem Miß­ verhältnis zu der Leistung stehen, wird wegen Wuchers mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe bis zu 3000 Mk. bestraft. Auch" kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden."

Besonders deutlich wird die Zersplitterung, wenn man vom Standpunkt des Kreditgebers aus die verschiedenen Möglichleiten der Kapitalsanlage auf ihre Einpassung in das gesetz­ liche Gefüge untersucht. Es ergibt sich dabei etwa folgendes Bild: 1. Anlage in Staatspapieren und verwandten Werten. — Regelung im Handelsrecht. 2. Anlage in Hypotheken. — Regelung im Sachenrecht. 3. Anlage in Form der Einlage in das Geschäft eines anderen. — Einfachste Form das verzinsliche Darlehn, geregelt im Schuldrecht. Falls die Einlage beim Bankier in Form des sog. Depositengeldes erfolgt, greift das Handelsrecht Platz. Ebenso wenn der Kreditgeber bei bm Einlegen „Gesellschafter" (stille Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) wird; aber dann wird doch gleichzeitig das Gesellschastsrecht des BGB. (Grundriß § 29) verwertet. 4. „Beteiligung" mittels selbständig verkörperten Forderungs­ rechts. Die Verkörperung wird durch Ausstellung eines Dokuments erzielt, das für den Verkehr bestimmt ist. — Auch hier die Zersplitterung. Werden den Kreditgebern z. B. gewöhnliche Jnhaberschuldbriefe aus­ gehändigt, so treten sie in den Rechtskreis des BGB.; bekommen sie Aktien, so fällt ihr Verhältnis in den Rechtskreis des HGB. usw.

haft.

Ob die Zukunft eine Umgestaltung bringen wird, ist zweifel­ Sie wäre nur zu erwarten, wenn der gesamte Rechtsstoff

125

§ 15 I. Begriff 5e6 DarlehnS.

nach) den leitenden wirtschaftlichen Ideen umgeknetet, z. B. gleichzeitisg auch das Arbeitsrecht (vgl. § 22, insbesondere Ziff. II b 4)

das

und

Recht der

Personenderbände (unten § 28ff.)

zu

einer

gesckhlossenen Darstellung gebracht würden.

§ 15.

Darlehn vnd Geldgebevertrag. (BGB. § 607 ff.)

I. Wesen des Darlehns. Darlehn ist die Hingabe von Geld

(odeer

anderen

vertretbaren

Sachen) mit der Bestimmung, daß

spätter zwar nicht dieselben Münzen (oder Sachen) wiedergegeben zu wertden brauchen, wohl aber eine gleiche Menge. Das Darlehn ist Volks tümtlich und in seiner wirtschaftlichen Bedeutung allgemein bekannt.

Geld steift durchaus im Vordergrund. Aber auch dann, wenn eilte Hausfrau von einer anderen 10 Eier oder 1 Liter Petroleum borgt, kommt juristisch ein „Darlehn" zustande. Im Krieg und seiner Folgezeit 'sind diese Waren-Darlehn wieder bedeutsamer geworden. Wie die Par­ teien ihre Abmachung bezeichnen, ist unerheblich. Das Woijt Darlehn ist der Volkssprache nicht sehr geläufig. Statt dessen wird von „Borgen", von „Vorschuß" usw. gesprochen. Das Gesetz nennt den Kreditgeber „Darleiher", den Kreditnehmer bezeichnet es nur mit der allgemeinen Vokabel „Schuldner". Die zu Darlehn gegebene Summe pflegt man im Geschäftsleben „Valuta" zu nennen. Die große Masse der Darlehn, namentlich, wenn es sich um

gröfßere Summen handelt, sind verzinslich gestellt. Es begegnet sich, eben die Kreditbedürftigkeit des Schuldners mit dem Anlage­ inteeresse des Gläubigers.

Das Zinsennehmen ist auch, entgegen

gescchichtlichen Vorgängen, grundsätzlich gestattet.

Es bestehen auch

keime ziffernmäßig festgelegten Zinsmaxima mehr.

Nur an der

allgemeinen Wucherschranke findet das Zinsmaß seine Grenze.

Jahrhundertelang stand man dem Zinsennehmen mit Mißtrauen gegenüber, verbot es gesetzlich oder belegte es mit gesellschaftlicher Ächtung. Dem römischen Senator stand es nicht an, Geld auf Zinsen auszuleihen; im übrigen arbeitete man mit Höchstmaßen (bis zu Alexander Severus 12 Proz.). Das altjüdische Recht verbot das Zinsennehmen ganz allgemein. Später bemächtigte sich die christliche Kirche des Zins­ verbots. (Zuerst auf der Synode von Aachen 789, unter Billigung Karls des Großen; später in dem kodifizierten Recht der Päpste; sog. kanonisches Zinsverbot). Das alte deutsche Reich übernahm die kanonische Theorie, ohne sie praktisch durchzusetzen. Seit 1654 wurde das Zinsennehmen von Reichswegen ausdrücklich gestattet, dafür Höchstwaße (5 Proz. als Norm) eingeführt. Auch letztere fielen unter Mit­ wirkung liberalistischer Gedankengänge, als das neue Reich beraufzog (R.Ges. vom 14. Nov. 1867). ' Theoretischer Widerstand (vr. Eck, der bekannte Luthergegner, verteidigte, von den Fuggern veranlaßt, das Zinsennehmen in öffent­ licher Disputation zu Bologna) und praktische Umgehungsversuche

126

8 15 II.

Darlehnsvaluta und Verrechnungsverkehr.

(Renten statt Zinsen; Annahme von „Geschenken"; Borweg-Abzug am hinzugebenden Kapital usw.) haben nie gefehlt. Heute ist das Zinsennehmen für gewährten Kredit im Geschästsleben zur Selbstverständlichkeit geworden. Man läßt eben sein Geld „arbeiten"

Das eigentliche „Tarlehn" fängt erst an, wenn das Geld wirklich hingegeben ist. Einfachen Verhältnissen kann das genügen. Aber bei fortgeschrittenem Verkehr muß für die bloße Zusage, demnächst (z. B. zum nächsten Vierteljahresersten) Geld darlehnsweise zut Verfügung stellen zu wollen, auch schon eine rechtliche Bindung bereitgehalten werden, genau so, wie ein Miets­ vertrag regelmäßig schon bindet, wenn die Einräumung der Miets­ sache zugesagt ist, obwohl die Übergabe erst später erfolgt. Trotzdem konstruiert das BGB. das Dartehn als sog. Realvertrag, der erst durch Hingabe der res zustande kommt. Daneben läßt es, noch deutlich zurückhaltend, einen bloßen Borvertrag („Wer die Hin­ gabe eines Darlehns verspricht", § 610) zu. Dem schließt sich die nachfolgende Darstellung (vgl. insbes. Ziff.IV) an.



Die Zwiespältigkerl stammt aus dem römischen Recht. Dort standen sich Konsensualverträge (z. B.> Miete) und Realkontrakte (Leihe, Ver­ wahrung, Darlehn) gegenüber, aus Gründen, die heute nicht mehr entscheidend ins Gewicht fallen können. Ab.er schon die Römer konnten sich nicht ganz der theoretischen Möglichkeit einer auf einen künftigen Zeitpunkt gestellten Geldzusage entzrehen (mutuum im Gegensatz zum pactum de mutuo dando). Heute muß dieser Typus, da das Gesetz nur einen kümmerlichen Anhalt gibt, wissenschaftlich ausgebaut werden. Einige Fingerzeige unter IV und V. Manche sprechen von „Konsensualdarlehen"; „Geldgebevertrag" ist sinnsälliger. — Bgl. übrigens die ähn­ liche Erscheinung im Schenkungsrecht (S. 84).

II. Die Hingabe ist danach rechtsbegründender Fektor für das eigentliche Darlehn. Außerdem aber muß natürlich ver­ tragliche Einigung vorliegen, die der ganzen allgemeinen Lehre von den Willenserklärungen untersteht. Wird sie z. B. wegen Irrtums angefochten, so ist — troß der vollzogenen Hingabe — kein Darlehn zustande gekommen (Rüchforderung wegen ungerecht­ fertigter Bereicherung-aus § 812; unten § 33II). Mit der Hingabe selbst wird es nicht so genau genommen, als man nach dem grundsätzlichen Festhalten) an dec Konstruktion als Realvertrag erwarten sollte. Als Urform hat man sich allerdings die unmittelbare körperliche Hingabe (etwa in ein Päckchen gepackt oder auf den Hisch gezählt) zu denken. Aber der fortschreitende Berrechnungsverkehr hat verschiedene Ersatzformen für die körperliche Hingabe erzwungen, insbesondere ui der Art, daß ein Dritter (z. B. ein Bankhaus) als Vermittler benutzt wird.

§ 15 III. Pflichten deS Darlehnsnehmers.

127

Danach ist es „Hingabe" und echte Darlehusbegründung, wenn meine Bank dem Darlehnsnehmer den Betrag gütschreibt, den ich ihm borgen will, also mein Konto entsprechend belastet und das Konto des anderen gleichmäßig erhöht. Praktische Folge: bei ZahlunFsumfähigkeit der Bank hat bereits der andere die Gefahr zu tragen, muß sich also mit der Konkursdividende absinden lassen, während er mir (später) die volle Darlehnsvalnta zurückzahlen muß. Auch das ist Darlehnsbegründung, wenn der Kreditgeber nicht an den Kreditnehmer, sondern auf dessen Weisung an einen Dritten zahlt. Weise ich z. B. eine Bank an, meinen Schneider für seine Forderung an mich 500 Mk. zu zahlen, so bedeutet das, wenn ich bei der Bank kein flüssiges Guthaben besitze, sie soll mir die 500 Mk. „vorschießen". Im Augenblick nun, wo sie dem Schneider den Betrag auszahlt (oder in ihren Büchern Mtbringt), hat sie mir die Valuta „hingegebeu" und ist meine echte Darlehnsgläubigerin geworden. Wie durch Niederlegen einer solchen „Anweisung" in einem Schriftstück ein Sondertypus entsteht, wird tm § 19 zu zeigen sein. , Schließlich kann auch die Valuta in der Weise beschafft werden, daß dem Darlehnsnehmer Waren zu einer Schatzung („in Anrechnung auf die Valuta") überlassen werden, um deren Vertrieb er sich selbst, will er Bargeld haben, kümmern muß. Ein beliebter Wuchertrick; liegt Wucher vor, Nichtigkeit nach § 138 BGB. — Spielart: Die Waren werden dem Darlehnssucher zur Verwertung noch auf Rechnung des Kreditgebers überwiesen: Er soll die Waren verkaufen und den Erlös in seiner effektiven Höhe als Darlehnsvalnta behalten. Beginn des Darlehns erst mit Empfang des Kaufgeldes, Risiko des Untergangs der Waren bis dahin beim Kreditgeber. Dieser Fall hat, als sog. con = tractus möhatr&e, bereits die römischen Juristen beschäftigt; sie neigten jedoch dazu, die Gefahr schon mit der Hipgabe der Sache auf den Kreditnehmer übergehen zu lassen. Ausnahmsweise kann das auch heute gewollt sein, wird aber selten Vorkommen. —Ähnlicher Fall: Über­ weisung von Außenständen (z. B. Mietszinsen) zur Einziehung, um den einkassierten Betrag als Darlehnsvalnta zu behalten. Beginn des Darlehns im Zweifel erst mrt der Einkassierung; Uneinbringlichkeit geht noch auf Rechnung des Kreditgebers

III. Die Pflichten des Kreditnehmers. Im allgemeinen hat der Empfänger des Darlehns, eben weil er „Empfänger" ist, eine günstige Stellung. Es hat die Valuta zur Verfügung, hat sogar das Eigentum daran bekommen, kann allo frei damit schalten und walten und sich die in der Valuta ruhende wirtschaftliche Kraft dienstbar machen. Das Eigentum erwirbt er auch dann, wenn ihm der Kreditgeber gestohlenes , §330 BGB.).

K 17.

Schuldanerkeuirtrris und Schuldverstzrechen. (BGB. § 780 ff.).

I. Wesen und Geschichte. Wenn A von B ein Pferd um 1000 Mk. gekauft hat, so schuldet er ihm die 1000 Mk. zunächst als Kaufgeld. Er kann nun aber dem B auch einen Schein ausstellen, in dem diese Schuld ohne Bezugnahme auf das Kaufgeld niedergelegt ist, und weiter kann die Parteiabsicht dahin gehen, daß das ganze Kaufverhältnis zurücktreten und das Schuldverhältnis fortan sich auf den bloßen Schein aufbauen soll. Dabei kann entweder die Form eines Anerkenntnisses gewählt werden („hierdurch bekenne ich, Herrn B 1000 Mk, zahlbar am 1. April 1920, schuldig zu sein"), oder die Form eines gleichsam neuen Versprechens („hierdurch verpflichte ich mich, Herrn B am 1. April 1920 1000 Mk. zu zahlen"). Je nachdem entsteht der Typus eines „Schuldanerkenntnisses" oder eines „Schuldversprechens" Praktisch besteht jedoch zwischen diesen beiden Gebilden kaum ein Unterschied. Das Wesen dieser Gebilde beruht also in einer Lösung. Man pflegt sie deshalb als Musterbeispiel sog. abstrakter Verpflichtungen zu bezeichnen. Das, wovon losgelöst wird, ist das ursprüngliche, das „Grundverhältnis", das „Kausalverhältnis", die „causa“. Keineswegs braucht die causa immer ein Kaufvertrag zu fein, sondern auch auf alle anderen schuldrechtlichen Beziehungen, z. B.

§ 17.

Schuldanerkcnutms und Schuldvn spuchen.

137

ein Darlehn, ja selbst auf erbrechtliche oder famillenrcchtliche Schuld­ verhältnisse kann ein abstraktes Schuldversprechen aufgepflanzt werden. Die Unterlage eines solchen ist also nicht immer Kredit i.e.S., durch die Abstraktion bekommt aber das Gebilde den Charakter eines Kreditgeschäfts. Der allgemeine Wert eines solchen Gebildes und die Bedürfnisse, bte zu seiner Einstellung in das Rechtssystem geführt haben, sind schon in anderem Zusammenhang dargestellt worden (S. 44 c). Hier ist daran zu erinnern, daß die Vorteile "auf feiten des Gläubigers liegen, nämlich: 1. Beweiserleichterung, insofern er zur Begründung seiner Klage eben nur die Abgabe des abstrakten Versprechens zu beweisen hat. 2. Abschneidung der Einreden aus dem Grundverhältnis. Doch muß gleich hier betont werden, daß die Verkürzung des Beklagten mit seinen Einreden immer nur begrenzt ist.

II. Geltendes Recht. Das BGB. hat den abstrakten Versprechungen einen eigenen Titel (§ 780 ff.) gewidmet, der allerdings sehr dürftig ist. Es geht aus ihm nur soviel hervor, daß eben eine losgelöste „selbständige" Verbindlichteil geschaffen, und daß Niederlegung in einem Schein (praktisch wichtige Ausnahme bei Abrechnung und Vergleich, § 782) erfordert wird. Über das Wichtigste, nämlich die Frage: wie kann der Be­ klagte den gegen ihn geltend gemachten Schein ent­ kräften?, schweigt das Gesetz. Es herrscht infolgedessen auch heute noch viel Streit zu diesem Punkte. Im großen und ganzen ist die heutige Rechtslage dem Beklagten nicht allzu ungünstig. Man wird zu unterscheiden haben zwischen Einreden aus dem Inhalt des Kausalverhältnisses und Einreden, die überhaupt das (gültige) Dasein des Kausalverhältnisses leugnen. Mit ersterem wird der Beklagte grund­ sätzlich nicht gehört z. B. mit dem Einwand, daß er seine Gegenleistung noch nicht bekommen habe, oder daß das verkaufte Pferd Mängel ge­ habt habe; gerade die Abschneidung solcher Einwendungen soll ja der Hauptzweck der „Lösung" sein. Dagegen wird man den Beklagten mit dem Einwand, es fehle überhaupt ein Kausalverhältnis, hören müssen. Es mündet dann der Streit (namentlich in der Theorie) bei der Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung (über dieses Gebilde unten § 33) ein, in­ sofern ein ohne Kausalunterlage abgegebenes Schuldversprechen des „recht­ lichen Grundes" i. S. des § 812 entbehrt und zurückgefordert werden kann. Ein Kausalverhältnjs fehlt auch dann, wenn es zwar ursprünglich eingegangen war oder werden sollte, aber durch eine Einwendung, z. B. die Zahlung, völlig entkräftet oder wegen Unsittlichkeit (Wucher) nichtig ist. Auch als Deckmantel für die vom Gesetz mißbilligten Verpflichtungen, wie Spielschuld und Ehemaklerlohn, soll das Schuldanerkenntnis nicht ausgenutzt werden (vgl. § 762II, § 656II).

Selbst soweit Einwendungen zugelassen sind, bleibt das ab­ strakte Versprechen eine scharfe Wasfe in der Hand des Gläubigers,

138

§ 18. Jnhaberschuldverschrcibungen.

denn in jedem Falle nimmt es ihm die Beweislast ab und bürdet

diese Last dem beklagten Schuldner auf.

Abstrakte Versprechen

sind also stets ein gefährlich Ding, vor dem geschäftsungewandte Schuldner gewarnt werden müssen.

818.

Jnhaberschuldverschreibungen. (BGB. § 793 ff.) 1. Wesen. Normalerweise ist das Schuldverhältnis auf be­ stimmte Personen abgestellt (S. 34 Ziff. III), es trägt den Namen eines bestimmten Gläubigers und eines bestimmten Schuld­

ners.

Allerdings ist grundsätzlich ein Wechsel in der Person zu-

gelassen (S. 33 d 1).

Insbesondere kann der Gläubiger sein For-

derungsrecht „abtreten" (ebd. und unten § 491); er läßt dadurch einen neuen Gläubiger an seine Stelle rücken.

Aber für gewisse

Berkehrsbedürfnisse, die sich namentlich im letzten Jahrhundert in

immer wachsender Stärke bemerkbar gemacht haben, reicht diese Art der Beweglichkeit des Schuldverhältnisses noch nicht aus.

Man braucht Forderungsrechte mit erhöhter „Umlaufsfähigkeit", bei denen die Person des Gläubigers gleichsam Nebensache und der

rollende Wert, der von einer Hand in die andere gleitet, die Haupt­ sache ist.

So ist der Gedanke aufgetäucht, Schuldversprechungen

in einer Urkunde niederzulegen und diese Urkunde ohne jede Namennennung des Gläubigers kurzerhand ruf den „Inhaber" zu stellen

(vgl. bereits

das

Beispeil

S. 35).

Damit verbindet sich dann

ganz von selbst die Rechtsregel, daß das Recht aus dem Papier (das darin verkörperte Forderungsrecht) einfach dem Papier folgt,

d. h. mit der Weitergabe des Papiers auch selbst ohne weiteres

in eine neue Hand übergeht, also einen neuen Gläubiger bekommt. Die Verwertung dieser Idee hat einen ungeheuren Umfang angenomnen. Milliarden von Werten sind in solchen Jnhaberpapieren, oder wie das BGB. sagt: „Schuldverschreibungen auf den Inhaber" (§ 793 ff.), niedergelegt. So stellen vor allem eine fast unübersehbare Masse von Staatspapieren solche Schuldverschreibungen auf den Inhaber dar. Aber auch die Privatwirtschaft bedient sich der Ein­ richtung in größtem Ausmaß. Das „Publikum" zeigt eine erstaunliche Bereitwilligkeit, diese äußerst umlaufsfähigen Papiere aufzunehmen. Die Bereitwilligkeit ist sogar so stark, daß der Staat das Publikum vor Unvorsichtigkeiten schützen zu müssen geglaubt hat. Deshalb darf keineswegs jede beliebige Firma oder Einzelperson Jnhaberschuldverschreibungen auf den Markt bringen; vielmehr ist dafür (in den Grenzen des $ 795) grundsätzlich staatliche Genehmigung vorgeschrieben. Das Gesagte zeigt, daß dasJnhaberschuldpapier seinem entscheidenden Zweck nach zu den Kreditgeschäften gehört. Es deckt hingegebenes Geld; dies ist wenigstens durchaus der normale Fall (vgl. S. 119 Ziff. 3).

8 18.

Jnhaberschuldverschreibllngen.

189

Dabei kann es sich mit einem Stück Realkredit (S. 121II a) verbinden, indem dem (wechselnden) Gläubiger neben der persönlichen Haftung des Ausstellers der Urkunde gewisse Wertobjekte zu Pfand gesetzt werden. Namentlich ist Beigabe einer hypothekarischen Sicherheit nichts seltenes. Gerade dabei entstehen freilich rechtliche Schwierigkeiten. Denn oaS Sachenrecht, das den Realkredil in sich ausgenommen hat, ist ganz auf Bestimmtheit zugeschnitten und muß eine Hypothek, bei der man wegen des raschen Wechsels („Inhaber") nicht weiß, wer im einzelnen Augenblick der berechtigte Gläubiger ist, wie einen Fremdkörper empfinden. Trotzdem hat das BGB. sich im Sachenrecht an solche Gebilde heran­ gewagt (§ 1187 ff.) und insbesondere durch Schaffung der Figur eines Treuhänders, der die (wechselnden und unbestimmten) Gläubiger „vertritt", zu helfen gesucht ($ 1189). Für den Verkehr stehen, wie schon die Beispiele erkennen lassen, Massenausgaben von Jnhaberschuldverschreibungen, von denen jede einzelne ein Teilstück einer großen Schuld verkörpert, im Vordergrund. Doch geht dann grundsätzlich jedes einzelne Teilstück, jedes einzelne Papier seine eigenen Wege, und erst bei der späteren Einlösung der Schuld finden sie sich im ganzen oder „serienweise" wieder an der Kasse des Schuldners zusammen. Über den Fall, daß sie schon vorher durch seine eigne Hand laufen, vgl. S. 34 Ziff. 3.

II. Die Rechtslage, die sich nach Ausgabe einer Inhaber­ schuldverschreibung ergibt, erfaßt man am besten vom Stand­ punkt des Schuldners aus. Er schickt ein Versprechen in die Welt hinaus, ohne seinen Lauf verfolgen zu können, er verab­ schiedet es gleichsam und muß nun warten, wer sich am Einlösungs­ tage als Träger der Forderung melden wird. Bon vornherein ist dafür gesorgt, daß er nicht in ewige Zeiten hinein warten muß. Er hat ein berechtigtes Interesse, nach Ab­ lauf einer Reihe von Jahren, vom Einlösungstage an gerechnet, wieder Herr seiner geschäftlichen Dispositionen zu sein. Darum ist eine (keineswegs kurze) „Vorlegungsfrist" eingeführt; das Gesetz bestimmt, daß jeder Anspruch aus der Schuldverschreibung erlischt, wenn sie nicht binnen 30 Jahren zur Einlösung vor­ gelegt wird (vgl. § 801). Im übrigen kann der Schuldner recht verschiedenen Lagen gegenüberstehen. Es kann das Papier noch in den Händen des ersten Gläubigers sein, es kann statt dessen eine kürzere oder längere Wanderung durch mehrere Hände angetteten haben, es kann schließlich auch in die Hände eines Unberechtigten, eines Diebes oder Betrügers, gekommen sein, der es nun vorweist und sich aus seine Stellung als „Inhaber" stützt. Allen diesen Persor en gegenüber erhebt sich die Frage, wie ihnen der Schuldner zu be­ gegnen hat und welche etwaigen Verteidigung-möglichkeiten ihm gegen den „Präsentanten" des Papiers zustehen.

140

S 18 Ilb.

Jnhaberschuldverschreibringen, Beschränkmtg der Einreden.

a) Ist das Papier noch in den Händen des ersten Inhabers, werden meistens keinerlei Besonderheiten vorliegen. Es ist dann ein gewöhnliches Schuldverhältnis da, der Schuldner hat ins­ besondere alle gewöhnlichen Verteidigungsmöglichkeiten, kann sich z. B. daraus berufen, daß er, trotzdem im Text der Urkunde der 1. Januar 1927 als Einlösungstermin genannt ist, bei der „Begebung" des Papiers an den ersten Inhaber mit diesem ausgemacht habe, es solle seine Rückzahlungspflicht erst nach einer vorgängigen sechsmonatigen Kündigung einsetzen. b) Sobald nun aber das Papier weitergewandert ist, ändert sich das Bild. Der zweite Inhaber (und ebenso jeder folgende) kann nicht mit dem Hinweis auf das alte Gläubigerrecht deS ersten Gläubigers abgespeist werden. Vielmehr ist sein Gläubigerrecht als ein selbständiges neues Gläubigerrecht gedacht. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der am Eingang des Paragraphen erwähnten gewöhnlichen „Abtretung" eines JorderungSrechts, denn diese ist so gedacht, daß der neue Gläubiger eben nur daS schon vorhandene Gläubigerrecht des Bormannes zu sich herübernimmt. Der praktische Erfolg dieses Unterschieds in der Konstruüion zeigt sich bei der Berteidigungsmöglichkeit des Schuldners. Während nämlich bei der gewöhnlichen Abtretung der Schuldner alle die Einwendungen, die er gegen den ersten Gläubiger hatte, ohne weiteres auch dem späteren Gläubiger entgegenhalten kann, weil sie eben dem hinübergegebenen Gläubiger­ recht innewohnen (§ 404), beginnt bei dem Jnhaberschuldbrief gleichsam bei jedem neuen Inhaber eine neue Rechnung. Nur drei Sorten von Einwendungen können ihm ent­ gegengehalten werden (§ 796): 1. die, die sich aus dem Text des Papiers ergeben; denn diese mußte er kennen; 2. die, die auf seinem eigenen besonderen Verhältnis zum Schuldner beuchen, z. B. eine von ihm bewilligte Stundung; 3. die, „welche die Gültigkeit der Ausstellung betreffen", insbesondere, daß die Urkunde gefälscht sei; denn hier ist von Rechts wegen überhaupt keine Schuldverschreibung zustande gekommen.

Dagegen versagen die Einwendungen, die nur den besonderen Beziehungen zu dem ersten Gläubiger (oder sonst einem anderen Gläubiger als dem, der jetzt das Papier präsentiert) entspringen. Namentlich kann sich der Schuldner auch nicht mit dem Hinweis lösen, daß er an den ersten Gläubiger bereits bezahlt habe, denn dieser Einwand fällt unter keine der drei zugelassenen Kate­ gorien. Als Ausgleich dafür ist dem Schuldner die Schutzvorschrift

6 18 Ile. Jnhaberschuldverfchreibungen, Zahlung befreit

141

des § 797 gewidmet, daß er nur gegen Aushändigung deS

Papiers -u zahlen braucht; so sichert er sich gegen eine zweite

Präsentation. c) Alles Vorangegangene gilt nur für den Inhaber, der das

Papier auf ordentlichem Wege erhalten hat. Nicht aber für den Dieb. Darum setzt der §793, der das Forderungsrecht des In­

habers aufstellt, sogleich hinzu: „es sei denn, daß er zur Ver­ fügung über die Urkunde nicht berechtigt ist". ES ergibt sich also, daß „Gläubiger" und „Inhaber" keines­ wegs zusammenzufallen brauchen. Der Angestellte, der Inhaber­ papiere unterschlagen hat und sie zur Einlösung präsentiert, ist zwar „Inhaber", keineswegs aber (berechtigter) Gläubiger. Andererseits umfassen die zitierten Gesetzesworte „daß er zur Ver­ fügung über die Urkunde nicht berechtigt ist" keineswegs alle Nicht­ gläubiger. Es gibt Nichtgläubiger, die sehr wohl zur Verfügung berechtigt sind, nämlich alle die, die der wirkliche, Gläubiger mit der Verfügung betraut, die er insbesondere zu seinem Jnkassomandatar bestellt hat. Nach dem bisherigen dürfte der ^Schuldner an einen solchen

„nichtberechtigten" Inhaber nicht zahlen.

Anderenfalls liefe er

Gefahr, daß hinterher der wahre Gläubigem kommt und noch ein­ mal Zahlung von ihm verlangt. Aber gerade hier setzt nun die wichtigste Eigentümlichkeit der Jnhaberschuldverschreibungen ein: Der Schuldner wird nämlich „auch durch die Leistung

an einen nicht zur Verfügung berechtigten Inhaber befreit". Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, als ob der Schuldner, der Präsentanten als offenbaren Betrüger erkannt hat, kühlen

den

Herzens an diesen zahlen und dann dem echten Gläubiger seine „Befreiung" von der Schuld aus § 793 12 entgegenhalten dürfte

(vielmehr wird-er in solchem Falle mit einer Schadensersatz­ pflicht aus § 826 zu belasten sein).

Wohl aber soll damit gesagt

werden, daß der Schuldner von jeder Prüfungspflicht befreit ist, und gerade darin liegt wiederum deutlich der hohe Grad von

„Verkehrsfähigkeit",

der

den

Jnhaberschuldverfchreibungen inne»

wohnt, ausgedrückt: Man darf zahlen auf bloße Vorweisung des Papiers (an den bloßen „Inhaber") und ist damit ein für allemal der Schuld ledig geworden.

Immerhin hat der Gesetzgeber auch

da- Interesse des Gläubigers nicht ganz außer acht gelassen. Er gibt ihm die Möglichkeit, das verloren gegangene Papier im Wege

eines öffentlichen Aufgebots für kraftlos erklären zu lassen (§799), und das muß dann auch der Schuldner beachten (Verschärfung im

Handelsrecht, HGB. § 367). d) Es bleibt noch die Möglichkeit, daß die Schuldverschreibung ohne

den Willen

ihres

Ausstellers in

den Verkehr ge-

142

§ 18II d. In Haberschuldverschreibungen, Areationstheorie

kommen, daß sie beispielsweise ihm selber, noch bevor er sie an die Börse gebracht oder sonst „begeben" hat, gestohlen worden ist. In solchem Falle ist er trotzdem zur Einlösung verpflichtet (§ 794). Es handelt sich um eine sehr seltene Möglichkeit. Aber sie ist vor­ gekommen und hat im Zeitalter des gemeinen-Rechts zu einet berühmten Kontroverse geführt, die von einigen hartnäckigen Köpfen noch in die Zeit des BGB. fortgesponnen worden ist. Man ging dabei von dem im gemeinen Recht sehr stark betonten Willensmoment aus: keine (schuldrechtliche) Bindung ohne eine dahingehende, vom wahren Willen getragene Willenserklärung. Diese fehlt nun beim gestohlenen Inhaber­ schuldbrief, und ebenso bei dem (vom BGB. gleichfalls sicherheitshalber geregelten, aber noch viel ferner liegenden) Fall, daß der Aussteller der Urkunde noch vor der „Begebung" gestorben oder in Geisteskrankheit verfallen ist. Wer also auf den Willen als allein entscheidendes Moment abstellt (so die „Bertragstheorie"), der muß in solchen Fällen jede Haftung des Ausstellers der Urkunde leugnen. Dem stellt sich ftdoch das Berkehrsinteresse entgegen. Gewiß will niemand den Dieb selbst schützen. Wohl aber bedarf der gutgläubige Erwerber solcher (doch nun einmal in den Verkehr geratener) Papiere des Schutzes. Darum läßt die „Kreationstheorie", die das BGB. mit klaren Sätzen Über­ nommen hat, den Aussteller schon aus dem einseitigen Akt der Schaffung (Schöpfung) des Papiers haften. Man kann diese Regelung juristisch nicht voll erfassen, ohne gleich, zeitige Verwertung einer sachenrechtlichen Bestimmung. Sie hat es zunächst nicht mit dem (schuldrechtlichen) Forderungsrecht, sondern mit dem (sachenrechtlichen) Eigentum am Papier zu tun. Da aber, wer rechtsgültiger Eigentümer des Papiers ist, im Zweifel auch im Sinne des § 793 „zur Verfügung über die Urkunde berechtigt" ist, so hängt beides aufs engste zusammen. Der Gntglaubensschntz beim Eigentumserwerb ist nun so gestaltet, daß grundlegend geschieden wird zwischen Sachen, die der (bisherige) Eigentümer selbst aus der Hand, z. B. jemandem in Verwahrung oder zum Ausbessern gegeben hat, und solchen Sachen, die ihm -gestohlen oder sonstwie gegen seinen Willen abhanden gekommen sind. Bei der ersten Gruppe setzt oer Gutglaubensschutz ein (§§ 932 bis 934), bei der zweiten fällt er dagegen fort (§ 9351). Wer also ein gestohlenes Pferd kaust, kann, auch wenn er selbst im besten Glauben war, nicht Eigentümer werden. Aber nun ist gerade für (Geld und) Inhaber­ papiere eine Ausnahme gemacht: an ihnen wird auch dann Eigentum kraft guten Glaubens erworben, wenn sie dem (bisherigen) Eigentümer gestohlen worden sind (§ 935II). Dies muß man also hinzunehmen, um das Haften des Ausstellers aus § 7941 ganz zu ersassen. Doch gilt dieser aus sachenrechtlicher Unterlage fußende Gutglaubensschutz keineswegs bloß, wenn der Aussteller bestohlen wird, sondern auch wenn beim späteren Umlauf das Papier einmal durch Diebstahl aus der ordentlichen Bahn gebracht wird: Auch hier erwirbt etwa der 5. Inhaber, der das Papier von einem Diebe (4. Inhaber) gutgläubig gekauft hat, kraft seines guten Glaubens Eigentumsrecht am Papier und Forderungsrecht aus dem Papier aus Kosten des (bestohlenen) 3 Inhabers. Auch dieser weit­ gespannte^ Gutglaubensschutz entspricht der hohen „Verkehrsfähigkeit" der Jnhaberpapiere.

8 18 DI. Jnhaberfchuldverschreibungen, ZinSscheine.

143

III. Starnmpapter und Nebenpapiere. Es ist denkbar, aber höchst selten, daß das von einem Jnhaberschuldbrief gedeckte Geld unverzinslich hingegeben ist. In der großen Masse der Fälle steht das Geld gegen Zinsen aus; der Kapitalist hat sich Inhaber­ schuldverschreibungen als „Anlage" für sein Geld gekauft (vgl. S. 125, 122 c, 124 Zisf. 1 ff.). Hier könnte nun für das Eintreiben der Zinsen der Weg gewählt werden, daß der Gläubiger (Inhaber) an jedem einzelnen Zinstermin dem Schuldner die Schuldver­ schreibung in natura vorlegt, sich dadurch ausweist und cuf diese Weise die Zinsen abhebt. Ein viel zu umständlicher Weg. Bei den marktgängigen Jnhaberpapieren, die über hundert Plätze ver­ breitet sind, wohnen die vielen Gläubiger nur zu geringem Bruch­ teil am gleichen Platz wie der Schuldner. Versendung des Stamm­ papiers brächte Belästigungen und Gefahren. So ist der Gedanke aufgetaucht und als das durchaus Regelmäßige in die Tat umgesetzt worden, die Zinsverpflichtungen in selbständigen Urkunden (meist viel kleineren Formats) niederzulegen, und zwar für jeden einzelnen künftigen Zinstermin besonders. Diese Schaffung selbständiger

AiuHchetne üble Nachrede, unter­ nommen wird. Dem industriellen Leben ziemlich fremd. Dafür ist auf dessen Boden eine immerhin verwandte Ascheinung erwachsen, nämlich die Pflicht, Geschäftsgeheimnisse zu wahre«. Gesetzliche Sonderregel dafür in § 17 Ges. geg. unlaut. Wettbewerb vom 7.6.09: „Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe bis zu 5000 Mk. oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer als Angestellter, Arbeiter oder Lehrling eines Geschäftsbetriebs Geschäfts- oder Betriebsgeheim nisse, die ihm vermöge des Dtenswerhältnisses anvertraut oder sonst zugänglich geworden sind, während der Geltungsdauer des Dienst.

8 24 He. Dienstvertrag, Lohnzahlung.

189

Verhältnisses unbefugt an andere zu Zwecken des Wettbewerbe­ oder in der Absicht, dem Inhaber des Geschäftsbetriebs Schaden zu­ zufügen, mitteilt." Das bürgerliche Recht ergänzt diese Sttasregel mittelst Schadensersatzpflicht (§17 Unlaut.WG.-Schutzgesetz i. S. von $ 823II BGB.; unten § 35III b; vgl. überdies §19 Unlaut.WG.), greift aber möglicherweise nach Lage des Falles noch weiter, insofern sich aus dem Bertragsverhältnis eine absolute Schweigepflicht, d. h. auch da, wo weder'Wettbewerb noch Lust an der Schädigung hinein­ spielen, ergeben kann. Dann: Schadensersatzpflicht und fristlose Kündigung gemäß § 626 (unten Ziff. IV). — Schwierige Lage nach Auflösung des Dienstverhältnisses. In gewissen Grenzen auch hier noch Straft barkeit nach einem II. Abs. des § 19. Schadensersatzpflicht kann sich aus Berttag, äußerstenfalls (Praxis sehr zurückhaltend) aus § 826 BGB. (darüber unten § 26III c) ergeben.

e) Entlohnung (Gesetz: „Vergütung"). Begriffsnotwendia, sonst liegt „Auftrag" vor (S. 167 Illa). Mitunter ist nichts ver­ einbart. Daraus folgt keineswegs Unentgeltlichkeit, vielmehr setzt die Auslegung ein, gestützt auf Berkehrssitte und § 612 BGB. In Geld braucht die Entlohnung nicht zu bestehen. Natural­ leistungen statt Geldes oder neben Geld sind häufig. Auch Arbeit gegen Arbeit kann gewährt werden. Übet verschiedene Lohnarten vgl. S. 168. Grundsätzlich post­ numerando (S. 184 Ziff. 2), gegebenenfalls abschnittsweise (§ 614, 2). Kecht-vafiS zunächst freie Vereinbarung. Vollkommen ver­ schoben durch das Institut der Tarifverträge, das individuelle Bereinbarungen nicht mehr zuläßt, sondern nur noch Massenvereinbarungen (oben S. 173 f). Verstärkt wird dabei das Gewicht der Arbeitnehmer­ schaft durch ihr Mitbestimmungsrecht (BetriebsräteG. § 78 Ziff. 2). Gesetzliche Regulierung,der Löhne nur vereinzelt und nur mittelbar; so bezüglich der Wiedereingestellten, denen nach der Verordnung vom 12. Febr. 1920 (S. 1665) gesetzlich derselbe Lohn zugesichert ist wie den gleichartigen anderen Arbeitern des Betriebes. Einzelstreitfragen der Gegenwart: Müssen die Streiktage bezahlt werden? (Vgl. S. 173 Ziff. 1 a. E.) Kann Lohn gefordert werden, wenn Kohlen kn appheit Stillegung des Betriebes herbeiführt? (Grenzt an § 616 BGB., darüber unten III a). Am Lohnwesen besteht übrigens auch ein klares öffentliches Interesse. Bei vielen Menschen hängt ihr Dasein von pünktlicher und unverkürzter Lohnzahlung ab. Deshalb besteht schon seit 1869 ein eigenes Lohnbeschlagrrahmegefetz (später mehrfach geändert), das den Arbeits­ lohn (genauer: die Forderung darauf) in weitgehendem Maß der Pfän­ dung entzieht; vgl. ZPO. § 850 Ziff. 1. Näheres tm Grundriß über Zivilprozeß (vgl. auch schon oben S. 11). Folgeerscheinung: Wenn der Arbeiter seinen Lohn einklagt, gibt es demgegenüber keine Ausrech­ nung (§ 394 BGB.; unten § 40IIc 4/?). Ob auch kein Zurück­ behaltungsrecht, bestr. (unten §38Vc).

III. Haftung. Die Haftungsverhältnisse sind beim Dienst­ vertrag, abgesehen von Einzelheiten (s. unten), nicht besonders

190

6 24 III.

Dienstvertrag, Haftung.

geregelt. Der Vertragsbruch, also die Verweigerung der Lohn« zahlung, die Unpünklichkeit im Dienst, das Davonlaufen, der Berstoß gegen die Treupflicht, das Versagen in vertraglich übernommenen Neben Pflichten, z. B. das Beschädigen der anvertrauten Maschinen, die Zumutung, ein ungesundes oder sonst tote vertrags­ widriges Quartier zu beziehen usw., ist in. der Hauptsache nach dem allgemeinen Bertragsrecht, insbesondere nach den Kategorien der „Unmöglichkeit" und des „Verzuges" beim gegenseitigen Vertrag (unten § 41 ff.), zu beurteilen. Doch schieben sich zwei wichtige 'Sonderbestimmungen ein. Beide haben einen wertvollen Gedanken gemeinsam: das bloße Bereithalten der Arbeitskraft gilt schon als selbständiger, des Lohnes würdiger Wert (vgl. bereits S. 184). a) § 615. Er schneidet in die Lehre vom Gläubigerverzug (unten § 44) ein und betrifft den Fall, daß der Dienstherr mit Entgegennahme der Dienste säumig ist, wobei es aus Ver­ schulden seinerseits nicht ankommt. Schon nach allgemeinem Vertragsrecht behält dabei der Dienstverpflichtete seinen Lohn­ anspruch, aber er müßte nun auch seinerseits noch ein entsprechendes Quantum Arbeit nachliefern; er hätte auf Grund des § 322II nur die Klage ans Leistung „nach Empfang der Gegenleistung". Statt dessen gibt ihm § 615 den Lohnanspruch ohne eigene Nach, leistungspflicht, nur unter Anrechnung des dabei Ersparten oder Ersparbaren. Schwierige Abgrenzung von der „Unntöglichlett" (unten $42, im BGB. § 323), z. B. wenn der Arbeitgeber die Dienste deshalb nicht annehmen kann, weil (ohne fein Verschulden) GaS und Elektrizitöt ab­ geschnitten sind.

b) §616. Er greift ändernd in die Unmöglichkeitslehre ein und trifft den Fall, daß der Dienstverpflichtete eine kurze Zeit lang nicht arbeiten kann, weil er durch einen Persönlichen Grund, etwa Krankheit oder öffentliche Dienstpflicht oder von ihm nicht verschuldeten und nicht gewollten Streik (S. 173 Zisf. 1 a.E.) verhindert, und zwar ohne seine Schuld verhindert ist. Geschähe es schuldhaft, so bliebe er haftbar nach § 325. So, da ihn keine Schuld trifft, müßte eigentlich § 323 zur Anwendung kommen, und damit verlöre er seinen Lohnanspruch (für den betreffenden Zeitraum). Statt dessen geht er kraft § 616 seines Lohnanspruches „nicht verlustig"; allerdings wiederum unter einer gewissen Anrechnungspslicht, nämlich betr. die Gelder, die er inzwischen aus der öffentlichen Versicherung gegen Unfall und Krankheit bezogen

§ 24IV.

Dienstvertrag, Beendigung.

191

hat. Hier wird also nicht nur die Arbeitsbereitschaft, sondern sogar der bloße Wille zu arbeiten als Unterlage für den Lohnanfpruch bewertet. Erweiterung für Handlungsgehilfen in § 63 HGB. In viel größerem Ausmaß will bekanntlich die öffentliche Arbeits­ losenversicherung diesem Gedanken nachgehen. Bgl. die Sätze der Reichsverfassung: „Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt (Art. 163II)." Doch gehört das nicht hierher: Kein Lohnanspnich, sondern Unterhaltsanspruch; kein Privatrecht, sondern reinstes öffentliches Recht.

IV. Beendigung. Da das Dienstverhältnis gleich der Miete ein Dauerverhältnis ist (vgl. S. 184 Ziff. 2), so ergeben sich Parallelen zum Metsrecht (über dieses S. 108d): Entweder ist ein festes Zeit­ maß oder ein beliebiges sofortiges Auseinandergehen vereinbart, oder es greifen vertragliche oder gesetzliche Kündigungsfristen ein. Auch die „stillschweigende Verlängerung" begegnet'wie bei der Mete (S. 110) so auch beim Dienstvertrag; nur muß man sich hier „unverzüglich" entscheiden (§ 625), während bei der Miete eine zweiwöchige Überlegungsfrist vorgesehen ist. a) Kündigung auf der Grundlage des BGB. Durchaus im Vordergrund steht in der Praxis die Auflösung durch Äittbigttttfl. Das Gesetz kennt auch ein „Kündigen" ohne Kündigungsfrist (so in § 626); aber im Bolkssprachgebrauch wird zur „Kündigung" immer eine Zwischenfrist hinzugedacht. Länge der Frist sehr verschieden. Die Kündigungsfristen bilden einen wichtigen Punkt in den Arbeitskämpfen und Tarifverträgen. Ergänzende Regeln im Gesetz (§ 621 ff.), ähnlich abgestuft wie bei der Miete (S. 108). Besonderheiten bei „höheren" und „erschöpfenden" Dienstleistungen (S. 186 Ziff. 3 und 4). Sehr bedeutsam, weil das gesamte System durchbrechend, $ 626: Kündigung ohne jede Frist bei Borliegen eines „wichtigen Grundes". Was sind wichtige Gründe? Biel Streit, Entscheidung liegt beim Richter. In Spezialgesetzen vielfach besondere Aufzählung der wichtigsten Gründe, die fristlose Auflösung rechtfertigen; neuerdings mehr negativ gewandt: * Aufzählung von Gründen, aus denen nicht gekündigt werden darf oder bei deren Borliegen wenigstens eine Nachprüfung verlangt werden kann (z. B. §84 des Betriebsrätegesetzes; inten b). Meist mischt sich Streitum die tatsächlich en Vorgänge ein (ob wirklich eine so hochgradige Untauglich­ keit, eine so schlimme Beleidigung, eine so starke Änderung der Wirtschafts­ lage vorliegt). Bei Kriegsausbruch wurde viel gefragt, ob der Krieg als solcher Lösungsgrund sei; das mußte grundsMich verneint werden. Verwandt mit § 626 ist § 627. In beiden Fällen schwierige LohnVerrechnung; näheres in § 628. — Beachtenswert, wenn auch selten praktisch werdend, § 624, wonach niemand seine Arbeitskraft über fünf Jahre lang einem anderen bindend verschreiben kann; deshalb

192

§ 24 IV.

Dienstvertrag, Beendigung.

kann z. B. ein junger genialer Techniker, trotzdem er sich vertraglich auf zehn Jahre fest gebunden und um deswillen eine höher angesetzte Jahresvergütung bezogen hat, nach fünf Jahren kurzerhand (Kündigungs­ frist sechs Monate) zu einem anderen Werk übertreten. Muß er das Mehr an Vergütung, das ihm im Hinblick aus die geplante längere Bindung geboten war, falls es sich überhaupt nachweisen und berechnen läßt, für die ersten fünf Jahre zurückzahlen? Im Zweifel zu verneinen. b) Kontrolle der Kündigung durch Betriebsrat und Schlichtungsausschuß. Auf ganz neue Grundlagen ist das Entlassen (Kündigen) durch das BetriebsrStegesetz gestellt worden. In ziemlich willkürlicher Weise sind hier (im § 84) einige Rich tu ngslinien, meist negativen Charakters, ausgestellt worden. 1. In jedem Fall kann der Entlassene Angabe von Gründen verlangen (§ 84 Ziff. 2). 2. Er soll nicht entlassen werden nur wegen der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder sonst einer Organisation (Ziff. 1). 3. Er soll nicht entlassen werden, wenn das für ihn eine unbillige Härte darstellen würde (Ziff.4). 4. Er soll nicht entlassen werden, wenn er sich geweigert hat, andere als die ursprünglich vereinbarte Arbeit zu übernehmen (Ziff.3).

Aber der Arbeitnehmer hat auf dieser Basis kein eigentliches Recht aus Weiterbeschäftigung, er würbe vor dem ordentlichen Ge­ richt mit solchen Gründen nicht gehört werden. Vielmehr kann er nur die Vermittelu-ng des Betriebsrats und hinter diesem eine Entscheidung im Schlichtungsverfahren nachsuchen (vgl. S. 176). Das Ergebnis ist sehr eigentümlich, wenn die Schlich­ tungsinstanz die Kündigung verwirft, also sich auf . die Seite des Arbeitnehmers stellt: Es wird dann gleichzeitig eine Entschädi­ gungssumme festgestellt, und nun hat der Arbeitgeber die Wahl, ob er den Arbeiter behalten will (war er schon ausgeschieden, Wiedereintrittunter Nachzahlung des Lohne s'für die Zwischen zeit nach § 88), oder ob er die Entschädigung zahlen Jpill (§87). Besonderes gilt für die „Wiedereinstellung" der Kriegsteilnehmer. Ihnen darf fftihestens nach einer „Eperrzett" von 3 Monaten gekündigt werben. Gleichzeitig ist vorgesehen, daß möglichst auch die anderen Ar­ beiter, die etwa während der Abwesenheit der Kriegsteilnehmer an deren Stelle getreten sind, „weiterbeschästigt" werden müssen, nötigenfalls unter „Streckung" der Arbeitszeit. Näheres darüber in der B. vom 12. Febr 1920 (S. 166 ö). §25.

verwandte Gebilde. (Verlagsgesetz v. 19. Juni 1901. BGB.

§§ 652 ff., 657 ff.).

I. Bedürfnis nach Abspaltungen. Ein gewisses Maß von Sondergebilden neben dem allgemeinen Arbeitsvertrag wird immer notwendig sein (vgl. bereits ©. 185c). Namentlich, wo sich ein

g 251.

193

Arbeit-vertrag, besondere Formen.

kaufmännisches Element in das Arbeit-Verhältnis einschiebt, wie beispielsweise beim Berlagsvertrag (Ziff. II), kommt man mit reinem Arbeitsrecht nicht durch. Aber auch innerhalb des wirklichen Arbeitsrechts treten immer wieder Zerlegungen an die Oberfläche. Sie wechseln im Laufe der Zeit, aber ganz derschwinden sie nie. Die Gegenwart ist ein besonders ergiebiges Be­ trachtungsfeld dafür. Man hat mit recht starker Betonung alte Unterschiede hinweggeräumt, so vor allem das Gesinderecht (f. im folgenden). Aber im selben Augenblick, da man den ganz gleichmäßig durchgeführten allgemeinen Arbeitsvertrag (S. 166 Ziff. 4) bereits gekommen wähnte, setzten neue Spaltungen ein. Insbesondere ist der Versuch, Arbeiter und Angestellte genau in das gleiche Arbeitsverhältnis zu zwängen, sofort gescheitert. Doch gehört das meiste hiervon überhaupt nicht in das „reine" Privatrecht, sondern in den öffentlichrechtlichen Anbau. Das Gesindeverhältnis war jahrhundertelang Gegenstand be­ sonderer rechtlicher Regelung (S. 161 Ziff. 3). Daran wurde seit einigen Jahrzehnten gerüttelt. Bei der Schaffung des BGB. war eS die Sozialdemokratie, die das Aufgehen des Gesinderechts im allgemeinen Arbeits­ recht forderte (S. 166 Ziff. 4a). Allerdings stand damals der Kampf gegen die par tikuläre Zersplitterung, also die Trennung nach einzelnen Landes» rechten, im Vordergrund des Angriffs. Nun hat die Revolution den Schlußstein gebracht. Bereits der Aufruf des sog. Rats der Volks­ beauftragten vom 12. November (der Aufruf wurde im Reichsgesetzblatt veröffentticht) verkündete als 8. Punkt: „Die Gesindeordnungen werden aüßer Kraft gesetzt", und dabei ist es dann geblieben. Aber die Wandlung war nicht mehr gar so groß. ES hatte nämlich bereits das EG. zum BGB., obwohl es grundsätzlich im Art. 95 das Landesrecht aufrecht erhielt, im selben Artikel eine ganze Reihe von Sätzen des BGB. und damit des allgemeinen Arbeitsrechts auf das Gesinderecht überttagen, ins­ besondere gerade die „sozialen" Schutzbestimmungen der $ 617 bis 619 (oben ©.187 b), und hatte weiter noch eigens hervorgehoben: „Ein Züchtigungsrecht steht dem Dienstberechtigten nicht zu". Das also hatte schon seit zwei Jahrzehnten gegolten, und umgekehrt werden auch jetzt noch, nach jenem Novemberaufruf, Normalverttäge für Gesinde (in den Städten „Hausangestellte") entworfen und angewandt, die gewisse Sonderwünsche erkennen lassen. Für die Abschichtung der Arbeiter und Angestellten ist die vor­ läufige Basis im Betriebsrätegesetz gelegt worden. Die Frage wird brennend, wenn in einem Betrieb gleichzeitig Arbeiter und Angestellte beschäftigt sind. Allerdings ist dann ein gemeinsamer „Bettiebsrat" zu bilden (BetriebsräteG. § 1), aber darin bilden die Arbeiter und die Angestellten gettennte Gruppen (§ 16), und dementsprechend wird auch gettennt gewählt (§18). Aber außerdem werden noch ein besonderer Arbeiterrat" und ein besonderer „Angestelltenrat" ausgestellt, die dann die besonderen Interessen der Gruppen wahrzunehmen haben (§84), während der „Betriebsrat in allen gemeinsamen Angelegenheiten hervorHedemann, Da» Schuldrecht

13

194

§ 25 II.

Der VerlagSverttag.

tritt ($ 66). Das Ganze ein aus Meinungsgegensätzen hervorgegangenes Kompromiß.

II. Der verlagSvertrag. Ein Sondergebilde des Buch- und Kunsthandels, verwandt mit dem Vertriebsvertrag (§ 13, S. 114), aber boot) weit stärker nach der Seite der Arbeitsverträge schlagend. Den Namen hat das Gebilde vom Verleger. Dieser schiebt sich zwischen den Schriftsteller und das Publikum ein (wobei möglicher­ weise der Sortimenter als weitere Zwischenperson noch zwischen den Verleger und das kaufende Publikum tritt, S. 114). Der Autor oder Künstler könnte zwar auch selbst fein Werk an das Publi­ kum heranzubringen suchen (Selbstverlag). Aber das ist selten und entspricht auch nicht der meist wenig geschäftsmäßigen Ver­ anlagung der Dichter, Zeichner und Musiker. Statt dessen be­ dienen sie sich des Verlegers für den geschäftlichen Ausbau ihrer Beziehungen zum Publikum, oder auch umgekehrt veranlaßt der Verlegör, der die Bedürfnisse und die Aufnahmefähigkeit der Bevölkerung besser kennt, den Autor ein bestimmtes Werk zu ver­ fassen. So entsteht ein zweiseitiger Arbeitsvertrag, der teils nach Werkvertrag, teils nach Dienstvertrag orientiert ist. Pflichten des Autors: Herstellung des verabredeten Werke(Schriftwerk, Tonstück, vervielsältigungsfähige Kunstblätter, Ansichts­ karten). Herstellung innerhalb der festgesetzten Frist. Ordnungsgemäße Herstellung. Rücktrittsrecht, wenn er die Lust an diesem Werke verloren hat? Grundsätzlich zu verneinen. Vermeidung jeder Konkurrenz, etwa durch Abgabe noch an einen zweiten Verleger oder durch Abfassung eines zweiten ganz ähnlichen Werkes, durch das das erste lotgemacht wird; Grenze und Auslegung schwierig. Pflichten des Verlegers: Herstellung der festgesetzten Zahl von Exemplaren (meist Gliederung nach sog. „Auflagen"), Abgabe von Frei­ exemplaren an den Autor, Vertrieb, und zwar ordnungsgemäßer Vertrieb. Zahlung des Honorars (nicht begrifsswesentlich; mitunter kein Honorar, bisweilen sogar Pflicht des Autors zuzuzahlen).

Die rechtliche Erfassung des Veclagsvertrages ist außerhalb des BGB. erfolgt. Lange Zeit fehlte überhaupt eine gesetzliche Unterlage, das ganze Gebilde stand auf gefestigtem und recht gut lausendem Verkehrsgebranch und Musterformularen. Bei Schaffung des BGB. blieb öds inzwischen erwachsene Landesrecht zunächst unberührt (Art. 76 EG.). Aber es war damals bereits ein Reichsgefetz in Vorbereitung. Dieses erging als Reichsgesetz über den Verlagsvertrag am 19. Juni 1901. Das BGB. greift jedoch ergänzend ein; z. B. dürfen die Regeln vom gegenseitigen Ver­ trage mit Vorsicht ins Verlagsrecht übertragen werden. Nach wie vor spielt die Vertragspraxis eine große Rolle, da der Gesetzes-

§ 25 III.

Der Mäklervmtrag.

195

stoss fast durchgängig nachgiebiges Recht (dispositiveS Recht, vgl. S. 38) enthält. Auf beiden Seiten stehen Verbände, so auf feiten der Verleger der mächtige „Börsenverein deutscher Buchhändler" (1825 gegründet), auf feiten der Autoren gewisse Schutzverbände. Dabei ist die Verlegerschaft, durchschnittlich betrachtet, der stärkere und gewandtere Teil. Deshalb empfielt es sich, bei unklarem Ver­ tragsinhalt eher den Schutz des Autors als des Verlegers zu betonen. III. Der MäNervertrag (BGB. § «52 ff.). Der Mäkler nimmt ebenfalls eine vermittelnde Stellung ein. Doch so, daß die Personen, zwischen denen er vermittelt, schließlich selber die Vertragschließenden werden. Während nämlich beim Verlag zunächst der Verleger mit dem Autor abschließt und dabei schon ein erstes Mal wirkliche Vertragspartei wird, um dann später, rechtlich ganz unabhängig davon, seine Verkaufsverträge mit den Sortimentern oder dem Publikum wiederum als Eigenpartei abzuschließen, handelt es sich bei der Mäkelei nur um das Zustande­ kommen eines einzigen Vertrages, und der Mittelsmann, der Mäkler, bereitet allerdings den Vertragsschluß vor, zieht sich aber gerade im letzten Augenblick vor den selbstabschließenden Parteien zurück. Im übrigen kann seine vermittelnde Rolle stärker oder schwächer ausgeprägt sein, er kann, wie das Gesetz (§ 652) es ausdrückt, ent­ hebet nur „den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluß" des Vertrages oder die „Bermittelung des Vertrages selbst" (also die Durchsprechung, vielleicht auch Formulierung der Einzelheiten) übernehmen. Natürlich hängt davon, da die Mühe verschieden ist, regelmäßig auch die Höhe der Entlohnung ab. Für den Stoff des BGB. kommen namentlich die Grundstücks- und Hypotheken­ mäkler, ferner die Stellenvermittler und neuerdings in verstärktem Maße die Wohnungsnachweisbureaus in Frage. Piederum sind dem Gesetz nur einige wenige Leitsätze zu entnehmen. Daneben greifen Handelsbräuche ein, teilweise in den Gutachten von Handelskammern oder anderweitig ziemlich fest formuliert. Durch den Zusammenschluß der verschiedenen Sorten von Mäklern zu Ver­ bänden hat diese neben dem Gesetz einhergehende Praxis noch festere» Boden bekommen. Das BGB. regelt wie immer nur die privatrechtliche Seite (wobei aber auch bereits das Verhältnis'der sog. HandelsmLller abgeschieden und ins HGB-, dort § 93 ff., verwiesen ist). Daneben kommen öffentlichrechtliche, insbesondere gewerbepolizeiliche Vorschriften, z. B. über den Geschäftsbetrieb der Stellenvermittler, zur Anwendung.

Im BGB. ist, was den Mäkler und seinen Anspruch auf Ent­ lohnung („Provision") anbelangt, ein recht strenger Ton an­ geschlagen. Im Anschluß an ein altes Rechtssprichwort „Mäklers 13*

Müh' ist oft umsonst", wird bestimmt, daß der Mäkler erst dann seinen Lohn verlangen darf, wenn aus dem Geschäft wirklich etwas geworden ist (§ 652). Und das ist nicht nur im zeitlichen Sinne verstanden. Vielmehr bedeutet es, daß der Mäkler beim Abbruch der Verhandlungen, sei es auch nach monatelangem Mühen seiner­ seits und auf Grund eines bloßen Launenwechsels seines Auftraggebers, keinerlei Ansprüche auf Vergütung, etwa verhältnismäßig berechnete Vergütung (vgl. als Gegensatz § 615 oder 649) erheben darf. Nicht einmal seine baren Aufwendungen, Reisespesen, Tele­ grammkosten und dgl., werden ihm erstattet (§ 652 II). Er hat also in der Tat in solchem Falle „umsonst" gearbeitet. In einem besonderen Falle, nämlich der LheverMittl««-, wird über­ haupt keine klagbare Berpslichtung begründet, also auch dann, wenn „aus der Sache etwas geworden", die Ehe also wirklich zustandegekommen ist. Der Gesetzgeber will ein so heiliges Ding wie den Eheschluß nicht als Artikel geschäftsmäßiger Vermittlung anerkannt wissen unb verweist darum diese Sorte von Mäklern ganz auf den guten Willen des Bräuttgams (oder der Braut). Ist allerdings einmal gezahlt, so kann das Gezahlte nicht wieder zurückgefordert werden ($ 656), und so entsteht auch hier, wie beim Spiel (S.26 Ziff. 2, S. 89), eine sog. naturalis obligatio. — In einem anderen Falle, der Stellenvermittlung, wird wenigstens allzu hohen Provisionen der Müller entgegengetreten und dem Richter ein, im Zuge des BGB. sehr seltenes (vgl. S.40o) Herabsetzungsrecht emgeräumt (§ 655). Verwicklung bei Doppeltätigkeit des Mäklers im Dienste beider Parteien. Grundsätzlich ist das nicht statthaft, und dann verliert der Müller jeden Anspruch (§ 654). Doch kann Abmachung oder Handelsbrauch etwas anderes ergeben. — Eine Pflicht, tätig zu werden, also sich wirklich um den Abschluß zu bemühen (und damit eine Klage auf Tätigwerden und etwaigen Schadensersatz) ist für den Mäklervertrag nicht begriffs­ notwendig, Auslegung wird aber oft eine solche positive BetätigungSpfncht ergeben.

IV. Die AuSlobung (»Gv. § 657 ff.). Das Wort Auslobung ist gutdeutsch, jedoch in der Sprache des Volkes nicht eingebürgert. Trotzdem ist das Gebilde selbst durchaus volkstümlich. Es gehören hierher die vielen öffentlichen Ankündigungen, namentlich in der Tagespresse, in denen jemand für irgendeine Leistung eine „Be­ lohnung" aussetzt, etwa für das Wiederbringen einer verlorenen Sache, für die Besiegung eines Ringkämpfers, die Lösung eines Rätsels, die Herstellung einer wissenschaftlichen Arbeit oder sonst dergleichen. Ein solches Angebot kann den Charakter eines Vertrags antrages annehmen. Wenn sich dann ein Partner einfindet, z. B. ein Detektiv, der sich bereit erklärt, gegen ein bestimmtes Honorar die gewünschten Ermittelungen zu machen, so würde damit

8 86 T.

197

Der Verwahrung-vertrag.

die gewöhnliche Bahn des Bertragsschlusses (z. B. eines Werk­ oder Dienstvertrages) beschritten sein.

So aber hat sich der Gesetz­

geber die „Auslobung" als ein selbständiges schuldrechtliche- Gebilde

nicht gedacht. dadurch,

Vielmehr charakterisiert sich die Auslobung gerade

daß eine

Bindung unabhängig

von

einem

aus­

ausdrücklichen Bertragsschluß platzgreift, schon auf Grund der

bloßen einseitigen Bekanntgabe.

Das wird praktisch, wenn jener

andere die betreffende, unter Belohnung gestellte Tätigkeit ganz

ohne Kenntnis der Auslobung vollzogen hat.

Er kann dann die

Belohnung verlangen, auch wenn er, wie es das Gesetz (§ 657) ausdrückt, „nicht mit Rücksicht auf die Auslobung gehandelt hat". Wer also einen verloren gegangenen Hund wiederbringt, kann über den gesetzlichen Finderlohn hinaus ($ 971) den „au-gelobten" Betrag verlangen, auch wenn er zunächst keine Kenntnis von der Zeitungs­ anzeige hatte, sondern erst hinterher von der Auslobung erfuhr. — Einzel­ heiten im Gesetz. Besondere Abart das Preisausschreiben (§661).

Der Verwahr» »gsvertr«g und die Siabriaguag -ei Gastwirten 8 86. (BGB. § 688 ff., 701 ff ).

I. Begriff.

Wer für einen anderen eine Sache aufhebt („in

Verwahrung nimmt"), leistet ihm einen Dienst, und wenn man an den Zeitpunkt der Rückgabe denkt, kann man sich die Verwahrung

auch al- ein abgerundetes Werk vorstellen. Berwahrungsvertrag

zu

Insofern gehört der

den Dienst- und Werkverträgen.

In­

dessen hat ihn das Gesetz, im Anschluß an das PandeAensystem, als selbständigen Typus aufrecht erhalten.

Zwei Gründe lassen

da- als gerechtfertigt erscheinen. Einmal ist der Berwahrungsvertrag nicht notwendig

als

Lohnverträg gedacht, der gesetzliche Typus

(§688 ff.) deckt vielmehr im Gegensatz zum vertrag, gleichzeitig

die entgeltliche

Dienst- und Werk­

wie

die

unentgelt­

liche Betätigung als Verwahrer.

Darum ist es „Verwahrung" sowohl, wenn ich meinen Schirm gegen 50 Pfennig in der „Garderobe" abgebe, als auch, wenn ich meinen Mantel bei meinem Freuiwe ein paar Tage hängen lasse. Nimmt mein Freund meinen Hund auf einen Spaziergang mit, so wird er (wenn nicht Leihe vorliegt) ebenso Verwahrer wie der Besitzer eines Hundepensionats, dem ich meinen Liebling während einer Reise anvertraue. Zwingend ist dieses Argument der Doppelgestalt für den Gegensatz zum Dienstund Werkvertrag allerdings nicht. Denn der Berwahrungsvertrag ist nach seiner gesetzlichen Prägung begrifflich auf bewegliche Sachen beschränkt. Wenn also jemand ein Grundstück für einen anderen in Obhut nimmt, so muß man eben doch zum Typus Dienstvertrag greifen, oder, wenn kein Entgelt gegeben wird, zum Auftrag (unten $ 27). Auch sonst noch starke Vvschetdrmgeir. So ist abgezweigt die Einbringung

198

8 26 I.

Der BerwahrungSvertrag.

bei Gastwirten (unten Ziss. IV), die öffentliche Hinterlegung (Ziff. V), die Verwahrung, die dem Finder (§966 BGB.) und dem Pfand­ gläubiger (§1215) obliegt (dazu unten Ziff. III), und vor allem die 5andelsrechtliche Einlagerung von Gütern bei einem Lager­ alter (darüber HGB. §416ff.: „Lagergeschäft"). Im einzelnen ergeben sich Unterschiede, je nachdem entgeltlich oder unentgeltlich verwahrt wird, vor allem im Hastungsmaßstab. Der Entgeltliche haftet 'voll (nach § 276 BGB., unten § 41III b 4), der Unentgeltliche, z. B. der Freund, der seine Wohnung nicht genügend sicherte und nun zugleich um meinen und seinen Überzieher bestohlen wurde, nur für die sog. diligentia quam in suis (§690; beachte §277).—

Ein zweiter Punkt, in dem die Verwahrung von den reinen Arbeitsverträgen abrückt, ist das Überlassen einer (fertigen) Sache auf eine bestimmte Zeit. Umgekehrt nähert sich der Berwahrungsvertrag dadurch der Mete (S. 93 ff.), und der Leihe (S. 113ff.), und manches, was von diesen Verträgen gilt, gilt auch von der Verwahrung. Fortdauer der (sachenrechtlichen) Herrenstellung des Hinterlegers, (vgl. S. 100 II). Vertrauensverhältnis (vgl. S. 101 a). Bei gewerbsmäßiger Verwahrung größeren Stils Abschluß nach Formularen (vgl. S. 102). Rückforderung nach Ablauf der vorher vereinbarten Zeit oder schon früher (vgl. S. 108 d). Unmittelbares Rückforderungsrecht auch gegen den Dritten, an den der Verwahrer die Sache weitergegeben hat (analoge Anwendung des § 556III unbedenklich). — Unterschied: Miete und Leihe sind vor allem Gebrauchsverhältnisse (vgl. S. 103 b); daS Hauptinteresse dafür, daß die Sache in die Hände des Mieters kommt, liegt beim Mieter selbst. Dagegen hat bei der Verwahrung normaler­ weise nur der Hinterleger ein Interesse daran, daß er sich selbst der Obhut über die Sache entschlagen kann. Darum ist unanwendbar, was über die Berschaffungspflicht des Vermieters und seine damit zusammen­ hängende Haftung gesagt worden ist (S. 103 Ziff. 1), während die „ordnungsgemäße Benutzung" seitens des Mieters (S. 105 Ziff. 2) wieder ihre, freilich noch gesteigerte Parallele in der Obhutspflicht (unten Ha) des Verwahrers findet.

II. Durchführung des Berwahrungsverhältnisses. a) Die Stellung des Verwahrer-. Er hat sich auf die Interessen des Hinterlegers einzustellen. Die „vereinbarte Art der Auf­ bewahrung" bindet ihn; er darf sie nicht beliebig ändern, nur, wenn dies voraussichtlich dem Willen des Hinterlegers entsprechen würde, wie bei Gefährdung des bisherigen Aufbewahrungsorts durch Hochwasser, gesteigerte Diebstahlsgefahr oder ähnliches (§ 692). Ändert er ohne solche Veranlassung, so trägt er das Risiko und hat auch bei Zufallsschaden, der der Sache am neuen Ort zustößt (unten § 41III a), vollen Ersatz zu leisten. Noch besonders hervorgehoben ist, daß er die Sache im Zweifel nicht bei einem Driften unterbringen darf, sondern in eigene Obhut nehmen

8 28 III.

Verwahrung-verträge.

199

muß (5 691). Weiter fehlt ihm jede Gebrauchsmacht, im Gegen­ satz zum Mieter oder Pächter (s. schon unter I), und wiederum steht eine scharfe Schadensersatzpflicht und daneben bei Geld eine Berzinsnngspflicht (§ 698) dahinter. So ist das Verfahren für ihn eine sichtliche Last. Um deswillen kann er grundsätzlich „jederzeit die Rücknahme verlangen", freilich nur, wenn nicht eine bestimmte Aufbewahrungsdauer vercinbart war. Doch auch im letzteren Fall kann er aus „wichtigem Grund" (er ver­ zieht, will heiraten, hat Konflikte mit der Polizei zu gewärtigen) schon vor der Zeit Wiederabnahme der Sache verlangen. b) Stellung des Hinterlegers. Er bleibt Herr der Lage. Da die Sache in seinem Interesse bei dem anderen untergebracht ist, kann er bei geändertem Interesse oder auch bei bloßem Stimmungswechsel in jedem Augenblick die Sache wieder abhvlen, auch wenn sie der Verwahrer (z. B. einen liebgewonnenen Hund) recht gern noch länger behalten möchte (§ 698). Doch kann er nicht Transport an seine Wohnstätte verlangen, vielmehr ist die Rückgabe einer verwahrten Sache sog. „Holschuld" (vgl. S. 55). — Für die Zwischenzeit sind dem Verwahrer die etwa nötig gewordenen Aufwendungen zu erstatten und die vereinbarte oder den Um­ ständen nach übliche (§689) Vergütung zu bezahlen. Außerdem muß der Hinterleger auf die Interessen des Verwahrers auch insofern Rücksicht nehmen, daß er ihm keine ansteckenden oder sonstwie gefährlichen Sachen ohne gehörige Warnung ins Haus bringt (§ 694). III. Übergang in andere Typen. Die Berwahrungspflicht ist vielfach eine bloße Begleiterscheinung anderer SchuldVerhältnisse. Oft bittet man den Verkäufer den Kaufgegenstand noch eine geraume Zeit aufzuheben, und beim Verpfänden be­ weglicher Sachen (S. 155) ist das Verwahren auf feiten des Pfand­ gläubigers geradezu begriffsnotwendig, da ein echtes Pfandrecht überhaupt erst durch Aushändigung der Pfandsache an den Gläu­ biger zustande kommt (§ 1205). In solchen Fällen bleibt das nebenhergehende Verwahren grundsätzlich unter dem Zeichen des be­ treffenden anderen Schnldverhältnisses stehen. Prakttsch bedeutsam. Z. B. richtet sich die Pflicht zum Ersah von Verwendungen, die inzwischen nötig geworden sind, nach Kaufrecht (vgl. S. 76 b), nicht nach dem § 693. Und vor allem kann nicht etwa der mildeHaftungsmaßstab des § 690 mit der Begründung ausgespielwerden, es sei für das „Aufheben" der Kaufsache kein besonderes Entt gelt gezahlt worden und dämm liege unentgeltliches Verwahren vor. — Doch kann lAuslegungsfrage) das Aufheben nach geschlossenem Kauf-

200

§ 26 IV.

Einbringung bei Gastwirten.

vertrag auch so gedacht sein, daß sich als zweiter selbständiger Vertrag eine Verwahrung, z. B. ein handelsrechtliches Lagergeschäft (oben S. 198), anschließen soll; dann kommen natürlich die besonderen Regeln des Berwahrungsverhältnisses zur Anwendung. Auch beim Darlchn (S. 125) hebt der Borgende gleichsam das Geld, das ihm anvertraut wird, für den Geldgeber auf, und oft spielt dieser Gedanke der Geborgenheit, etwa in dem feuer, sicheren Geldschrank eines Bankhauses, bei dem Geldgeber keine unwichtige Rolle. Hier nun verwischt sich die Grenze zwischen reiner Verwahrung und echtem Darlehnsge schäft so stark, daß sich der Gesetzgeber (wiederum in Anlehnung an die Pandektenlehre) veranlaßt gesehen hat, eigens ein Mittelgebilde in Gestalt des sog. depositum irreguläre („unregelmäßige oder unechte Ver­ wahrung") im § 700 einzuschieben. Juristisch^ Kennzeichen der Eigentumsübergang. Mischt er sich ein, wie bei der großen Masse der sog. Depositengelder, so ist es zu Ende mit der echten Verwahrung. Statt dessen kommt grundsätzlich Darlehnsrecht zur Anwendung. Praktisch wichtigster Punkt: im Konkurs des Verwahrers (Bankiers) hat der Kunde kein Aussonderungsrecht, weil er sich eben seines Eigentumsrechtes begab, vielmehr muß er sich unter die Masse bei gewöhnlichen Konkursgläubiger einreihen lassen. Doch hat der Gesetzgeber andererseits auch nicht eine vollkommene Ab­ stempelung als „Darlehn" für gut befunden. Vielmehr sollen sich „Zeit und Ort der Rückgabe" auch hier nach Verwahnmgsrecht richten, so daß also der Hinterleger sich sein Geld selbst abholen (bzw. Kosten und Risiko der Verschickung tragen) muß, andererseits sein Geld jederzeit ($ 695) zurückverlangen kann, ohne an die Kündigungsfristen des Darlehns (vgl. § 609) gebunden zu sein. Praktisch spielt dieser Unterschied deshalb keine große Rolle, weil meist die Einzelheiten, z. B. die Frage der sofortigen oder befristeten Rückzahlung (im ersteren Falle meist niedrigerer Zinsfuß; sog. „tägliches Geld") sowieso verttaglrch geregelt sind.

IV. Einbringung lei Gastwirten (§ 701 ff.). Wer im GastHaus absteigt, pflegt meist in den Bereich mehrerer Schuldverhält­ nisse einzutreten. Er „mietet" das Zimmer und „kauft" Speisen und Getränke. Dazu tritt ein Stück „Vetwahrung" hinsichtlich der Sachen, die der Reisende mit sich führt. Hier hatte das römische Recht mit einer sehr strengen, über Verschulden und Verschuldens­ nachweis'hinausgehenden Haftung des Gastwirts eingesetzt, und das BGB. hat das kotz lebhaften Protestes der Gastwirte bei behalten. Andererseits ist dem Gastwirt zur Deckung seiner Ansprüche ein Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Gastes eingeräumt worden, das mit dem Bermieterpsandrecht (S. 107) aufs nächste verwandt, aber ausdrücklich über die aus der Quartiergewährung entspringenden Ansprüche hinaus auch auf die sonstigen Leistungen an den Gast, z. B. seine Rechnung für Zehrung, erstreckt ist (§ 704).

8 27 I.

Der Auftrag

201

Die Haftung tritt grundsätzlich auch bei Zufallsschäden ein, z. B. bei einem im Betrieb des Hotels entstandenen Brand oder (der häufigste Fall) bei Diebstahl. Ihre Grenze findet sie erst bei der sog. höheren Gewalt". Grenze schwierig zu bestimmen (näheres unten § 41IIIä). Weitere Einzelheiten im Gesetz, das die ganze Haftung mit allerlei Klauseln umgeben hat.

V. Öffentliche Hinterlegung. Bei den bisherigen Fällen handelte es sich um eine private Angelegenheit des Hinterlegers. Das Rechtsleben kennt nun aber eine Reihe von Lagen, wo die Unterbringung von Wertgegenständen an einer Verwahrungs­ stelle gewissen über das bloße Aufheben hinausreichenden Zwecken dienen, z. B. eine Sicherheitsleistung des Schuldners zwecks Abwendung der ihm drohenden Zwangsvollstreckung dar­ stellen soll. Hier kann nicht bei irgendeinem beliebigen Mit­ bürger, in irgendeinem beliebigen Speicher oder Bankgeschäft hinterlegt werden. Vielmehr sind für solche Zwecke vom Staate eigene öffentliche Hinterlegungsstellen eingerichtet worden, und das ganze Berwahrungsverhältnis rückt damit aus dem Privat­ recht hinaus und ins öffentliche Recht hinüber. Hauptlagen: Hinterlegung zwecks Schuldbefteiung (unten §40 giss. II a; im Gesetz § 372 ff.), Hinterlegung zwecks Sicherheitsleistung auf Grund privatrechtlicher Tatbestände (Grundriß Allgemeiner Teil § 17 gift. 3, S. 55; im Gesetz § 232 ff.), Hinterlegung zur Durchführung prozessualer Sicherheitsleistungen oder der im Konkursrecht, Wechselrecht, Handelsrecht vorgesehenen Sicherheitsleistungen. Ordnung des Verfahrens und Bestimmung der zuständigen Behörden dem Landesrecht überlassen (Art. 144 bis 146 EG ). Viel­ fach eigene Hinterlegungsordnungen, z. B. in Preußen vom 21. April 1913; danach zuständig die Amtsgerichte, die dabei natürlich keinen privat­ rechtlichen VerwahrungSvertrag schließen,sondern freiwillige Gerichtsbarkeil (Grundriß Einführung §32, S. 190 ff.) ausüben. Damm sind auch die Einzelheiten, z. B. der Herausgabeanspruch, die Haftung der Behörde nach erfolgter Herausgabe an einen formell Legitimierten usw., lmabhängig vom BGB. nach öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten geregelt.

Sefchöfttbeforgung mit oder ohne Auftrag. (BGB. §662 ff., §677 ff.)

I. Der Auftrag. a) Begriff. Der „Auftrag" des BGB. ist kein Arbeits­ vertrag im volkswirtschaftlichen Sinn, denn es fehlt das eine der beiden Gründelemente: der Lohn. Der Auftragstypus des BGB. ist nämlich seinem Begriff nachuuentgeltlich(vgl. bereits S. 167a). Im übrigen freilich stimmt er ourchaus zum Dienst- und Werk­ vertrag; alles was deren Gegenstand sein kann, fortlaufende Dienste wie Herstellung eines bestimmten Werkes, Dienste höherer

§ 27.

202

§ 27 I.

Auftrag und Vollmacht

Art wie niedrigste Handreichungen, kann ebensogut auch den Inhalt eines Auftrags ausmachen, wenn nur die Bezahlung dafür in Weggfall kommt und statt dessen bloße Gefälligkeit, Hoffnung auf Gegendienste oder ähnliche Motive den Helfer in Bewegung setzen (beachte übrigens S. 25 Zjfs, 3). Das Gesetz hat denn auch selbst eine weitreichende technische Verknüpfung zwischen dem „Auftrag" und dem Dienst- und Werkvertrag hergestellt, und zwar durch den wichtigen § 675, über den das Nähere unter HI zu sagen sein wird. So bildet der Auftrag gleichsam das unentgeltliche Geschwister zu den eigentlichen Arbeitsverträgen. Als Kern der Betätigung im Dienst eines anderen ist dabei das „Besorgen eines ihm von dem anderen übertragenen Geschäfts" gedacht (§ 662). Oft führen solche Geschäfte den Beauftragten in den Außenverkehr hinaus, er muß mit Dritten in Berührung treten, wenn er z. B. für seinen Auftraggeber etwas einkaufen, eine Wohnung mieten, Rechnungen bezahlen oder ein schweben­ des Verhältnis kündigen soll. Dann ist scharf zwischen dem Jnnenverhältnis und der Außenbeziehung zu unter­ scheiden. Der „Auftrag" hat es als echtes Schuldverhältnis lediglich mit der Jnnenlage zwischen dem Auftraggeber (Mandant) und dem Beauftragten (Mandatar) zu tun. Aus dem Auftrag allein können danach Rechtsbeziehungen zwischen dem Auftrag, geber als dem „Geschäftsherrn" und dem außenstehenden Dritten niemals abgeleitet werden. Solche Beziehungen entspringen vielmehr den Rechtsfiguren der „Bollmacht" und der darauf aufgebauten „Stellvertretung" (BGB. § 164ff.; vgl. Grundriß Allgemeiner Teil § 36 Ziff. IV 3 S. 150). Vollmacht und Auftrag fallen freilich meistens zusammen, werden auch oft in ein und^demselben Akt ins Leben gerufen, insofern der erteilte Auftrag gleich, zeitig auch als Bevollmächtigung gedacht ist. Aber es können auch die beiden Rechtsverhältnisse auseinanderfallen, etwa in der Weise, daß die Vollmacht (und damit die Außenwirkung) noch weiter besteht, während der Auftrag bereits zurückgenommen, also das Jnnenverhältnis erloschen ist. In jedem Falle müssen die beiden Figuren begrifflich auseinander gehalten werden. Eine Abzweigung vom Auftrag stellt die Ratertetluug dar. Wer einem, anderen auf dessen Ersuchen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, daß er beispielsweise sein Geld in diesen oder jenen Wertpapieren anlegen solle, daß er ein bestimmtes Haus unbedenklich kaufen, daß er dem X Kredit geben, daß er es ruhig auf einen Prozeß mit dem Y ankommen lassen könne, besorgt gewissermaßen auch die Geschäfte des Beratenen.

§ 27 I,

Der Auftrag.

203

Darum hat das Gesetz diesen Tatbestand im unmittelbaren Anschluß an das Auftragsrecht geregelt (§ 676). Dabei geht es jedoch von der Vor­ stellung aus, daß grundsätzlich eine Haftung für die Güte des Rats und die Stichhaltigkeit der Empfehlung nicht übernommen wird, daß also im Zweifel solche Vorgänge in der „außerrechtlichen" Welt (S. 25 Ziff. 3) verbleiben. Indessen wird durch oen Zusatz Unbeschadet der sich aus einem Bertragsverhältnis ergebenden Verantwortlichkeit" doch wieder alles in die Bahn der Auslegung verschoben. Bertragsverhält­ nisse dieser Art sind überaus häufig: Rechtsanwalt, Arzt, Bankier, Aus­ kunftei werden ihre Ratschläge meist im Rahmen eines Vertrages (Dienst­ oder Werkvertrag; auch der Mäkler hat oft neben seiner Vermittlung Rat zu erteilen) abgeben; dann eben haften sie nach dem das betreffende Verhältnis beherrschenden Haftungsmaßstab (also fast immer nach § 276). Umgekehrt ist nun aber in der Praxis ebenso häufig ein ausdrücklicher Ausschluß der Haftung („ohne jede Gewähr", „ohne Verbindlichkeit"); dann bleibt höchstens das Haften unter deliktischem Gesichtspunkte, nämlich wegen emer mit dem falschen Rat begangenen „unerlaubten Handlung" (über diese unten § 35). Beachtenswert außerdem § 276II: Die Klausel „ohne Gewähr" ist wirkungslos bei vorsätzlich falsch erteiltem Rat. — Im übrigen ist zum § 676 und den einzelnen Raterteilungsverhältnissen eine reiche Spruchpraxis (im ganzen ziemlich streng) ergangen, worüber die Kommentare Auskunft geben.

b) Durchführung des Auftragsverhältnisses. Trotzdem der Auftrag unentgeltlich ausgeführt wird und insofern an die Schenkung (S. 84), die Leihe (S. 113), den Fall unentgeltlicher Verwahrung (S. 197) erinnert, steht er im Gegensatz zu diesen Schuldverhält­ nissen doch nicht unter dem Zeichen eines abgeschwächten Haftungs­ maßstabs. Vielmehr hat der Beauftragte (entsprechend § 2761) jeden Grad der Sorgfalt zu vertreten und darf insbesondere nicht etwa nach Art des § 690 seine eigene Sorglosigkeit oder Lieder­ lichkeit auch bei den Geschäften seines Auftraggebers walten lassen. Im übrigen tritt dem Leser des Gesetzestextes eine Skala von Einzelpflichten entgegen, die dann, wie unter III zu zeigen sein wird, ganz oder stückweise auf eine Reihe von anderen Rechts­ verhältnissen überpflanzt werden und insofern sich geradezu den Lehren des „allgemeinen" Schuldrechts nähern. Die Skala wird durch folgende Stichworte gekennzeichnet: 1. Ablehnungspflicht (§663), wenn man sich öffentlich (in der Zeitung, durch Zirkulare oder auch im besonderen Anschreiben an den einzelnen) zur Besorgung gewisser Geschäfte erboten hat oder öffentlich dafür bestellt ist (wie der Rechtsanwalt); Nachdruck: Schadensersatz­ pflicht, wenn man das Ersuchen unbeantwortet ließ. Hauptanwendung nur in Verbindung mit § 675 (so beim Rechtsanwalt). Erweiterung im HGB. §362; hier gilt sogar das Schweigen als „Annahme des Antrags." 2. Grundsätzlich keine Substitutionsbefugnis, sondern persön­ liche Erledigung; § 664. (Btzl. S.184 Ziff. 3). 3. Bindung an die Weisungen des Auftraggebers; §665.

204

8 27 II. -Geschäftsführung ohne Auftrag.

4. Nachrichtenpflicht, Auskunftspflicht, Rechenschaftsablegung: $666. 5. Herausgabe des Geschäftsabwurss; $ 667. 6. Verzinsung eigenverwendeten Geldes; $668.

7. Vorschuß für Aufwendungen; § 660. 8. Ersatz der Aufwendungen; $670. 9. Jederzeitiger Widerruf von seilen des Austraggebers (im Gegen­ satz z. B. zum Gesellschaftsrecht, unten $ 29 Zisf. IV a 3), aber auch jederzeitige Kündigung von feiten des Beauftragten (ähnlich wie bei der Verwahrung, S. 199); nähere Regulierung durch die Begriffe „nicht zur Unzeit" und „Borliegen eines wichtigen Grundes"; $671. 10. Tod des Auftraggebers; grundsätzlich ist das Geschäft (nun­ mehr zugunsten der Erben, doch auch zu ihren Lasten) weiterzusühren; $ 672. 11. Tod des Beauftragten; umgekehrt: grundsätzliches Er­ löschen des Auftrags, doch Pflicht zu sorgsamer Überleitung; $ 673. 12. Fiktion des Fortbestandes zugunsten des nichts ahnenden Beauftragten; $ 674.

Mit dieser gesetzlichen Aufzählung sind keineswegs alle Fragen gelüst, die die Abwilllung eines Auftragsverhältnisses. mit sich bringen kann. Wie so häufig, ist Wichtiges vom Gesetzgeber nn. berührt gelassen. Hier muß Auslegung und Anlehnung an die allgemeinen Grundbegriffe des Schuldrechts helfen. Oft bringt beispielsweise die Befolgung des Auftrags den Beauftragten in gefährliche Lagen, Schaden kann ihm erwachsen. Inwieweit hat ihm dafür der Auftraggeber einzustehen? Manchmal wird man noch von „Aufwendungen" (oben Ziff. 8) reden können. Ferner kann § 618 (S. 187 b) mit Vorsicht in das Auftragsrecht hinüber­ genommen werden. Schließlich muß eben mit Ermittelung des Parteiwillens und mit der allgemeinen Berschuldenslehre (§ 276), gelegentlich auch mit dem Gesichtspunkt „konkurrierenden Ber« schuldens" (unten § 41III e) geholfen werden. II. Geschäftsführung 8 *77 ff.).

ohne Auftrag

(negotiorum gestio;

a) Grundsatz. Es versteht sich von selbst, daß sich gründsätzlich niemand ungerufen in die Geschäfte eines anderen ein­ mischen darf. Tut er es dennoch, fo läuft er Gefahr, eine „un­ erlaubte HaMung" (unten § 35) zu begehen und sich entsprechend haftbar zu machen. Aber dieser Grundgedanke läßt sich nicht restlos durchführen. Bisweilen verlangt die Lage des anderen geradezu, daß man einspringt und für ihn, den Abwesenden oder Bewußt­ losen, rettet, was noch zu retten ist. Wollte man hier das ganze Verhältnis auf den Boden eines unerlaubten Handelns und einer von vornherein einsetzenden Haftbarkeit bringen, so würde man

8 27 II.

Geschäftsführung ohne Anftrng.

205

den Menschenfreund von jeder noch so dringlichen Hilfeleistung

abschrecke» und den Interessen des anderen gerade zuwider handeln.

Deshalb ist seit den Tagen der Römer eine eigene schuldrechtliche Figur für solche Verhältnisse vorgesehen, die sich bemüht, den beiderseitigen Interessen gerecht zu werden, d.h. auf

der einen Seite den Handelnden nicht allzu peinlicher Nachprüfung au-zusetzen, auf der anderen Seite den anderen vor allzu un­ angenehmen Überraschungen sicher zustellen.

Aber die Grenze ist schwer zu finden. Es ist vor allem schwierig einen obersten Richtungspunkt zu finden, nach dem sich das Handeln des

„Geschäftsführers"

zu

es hinterher gemessen werden kann.

bestimmen

hat und woran

Der Gesetzgeber hat sich von

der Vorstellung leiten lassen, daß das Geschäft unbedingt ein Ge­

schäft des anderen (es nennt ihn auch muß.

„Geschäftsherr")' bleiben

Darum setzt es einen subjektiven, auf die Person des

Geschäftsherrn abgestellten Maßstab an die Spitze.

Das

Geschäft ist so zu führen, „wie das Juteresse des Geschäft-Herrn

mit Rücksicht auf dessen wirkliche« oder mutmaßliche« Bilk« es erfordert" {§ 677). Und daran werden nun die beiden Angel­ punkte augesetzt, um die sich die Abwicklung einer solchen nego­

tiorum gestio dreht, der Schadensersatz und von der anderen

Seite her (der Seite des Geschäftsführers) der Ersatz der Auf-

Wendungen:

hat

der

Geschäftsführer

gegen

jene. Richtungs-

linie verstoßen, so setzt seine Schadensersatzpflicht ein; hat er sich hingegen innerhalb dieser Linie gehalten, so kann er seine Aus­ lagen und sonstigen Aufwendungen erstattet verlangen (§ 683).

Zu der Schadensersatzpflicht ist jedoch zu bemerken, daß sie nicht etwa eine absolute, von Verschulden gekäste ist. Vielmehr be­ wendet es auch hier bei dem allgemeinen $ 276. Flößt also der barm­ herzige Samariter dem Bewußtlosen Medikamente ein, die diesem schaden oder die er als Naturheilfreund entschieden abgelehnt haben würde, so ist nicht ohne weiteres eine Schadensersatzpflicht des Barmherzigen gegeben, sondern es muß jetzt erst untersucht werden, ob ihn ein Ver­ schulden trifft. Das Schwergewicht liegt also fast noch mehr nach der anderen, der negativen Seite hin, daß beim Einhalten jener Richtungs­ linie keine Haftpflicht in Frage kommt, auch wenn das Ergebnis der Geschäftsführung sich durchaus zum Schlimmen gewandt hat. Insofern kann man also sagen, daß innerhalb der RichtunMinie das Risiko des Ausgangs beim Herrn des Geschäftes bleibt. Zu dem Ersatzanspruch des Geschäftsführers ist zu bemerken, daß er nur zum Zuge kommt, wenn damaE (nicht hinterher) der Geschäfts­ führer vom Gedanken, Ersatz zu heischen, geleitet war (§ 685).

b) A-wandüm-rlt genügt.

Der eine oberste Grundsatz hat nicht Bei manchen Lagen sind andere Bestimmungspunkte

206

8 27 n,

Geschäftsführung ohne Auftrag.

nötig geworden, die teils auf eine Milderung, teils auf eine Verschärfung hinauslaufen. 1. Zunächst ist die nachträgliche Genehmigung durch den Geschäftsherrn dem „wirklichen oder mutmaßlichen Willen" des § 677 gletchgesetzt (§ 664, 2) und der anständig gesinnte Geschästsherr wird oft in diesem Sinne „genehmigen", auch wenn er in seinem wirklichen Willen sich die Sache ganz anders gedacht hatte; der Richter aber wird bei etwaigen Prozessen hier einsetzen und etwa einen Vergleich (unten § 32) in Amegung bringen. 2. Wenn der Geschäftsführer den abweichenden Willen des Herrn erkennen mußte, so verschäft sich seine Haftung; int Gegensatz zu dem am Schlüsse von a Gesagten haftet er in solcher Lage auch ohne weiteres Verschulden um seiner bloßen fahrlässigen Einmischung willen (§ 678). 3. Wußte er sogar, daß er sich ein ftemdes Geschäft anmaße, und hat er es trotzdem betrieben, wie wenn es sein eigenes wäre, so gilt das gleiche (§ 678II), aber noch verstärkt durch die möglicherweise nebenher einsetzende Haftung aus unerlaubter Handlung. 4. Andererseits mildert sich die Haftung und verstärkt sich der An­ spruch auf Ersatz der Auslagen, wenn ein öffentliches Interesse hineinspielt. Hier kann über den anders gerichteten Willen des Geschäfts­ herrn hinweggegangen werden; der objektive Maßstab bürgerlicher Tüchtigkeit entscheidet hier (§ 679, 683 Satz 2). 5. Wieder anders ist die Lage, wenn es sich um die Abwehr einer dringenden Gefahr gehandelt hat. Hier kann von dem Menschenfreund nicht kühles Rechnen und peinlichste Prüfung aller Möglichkeiten er­ wartet werden. Er ist zwar nicht schlechthin haftfrei, muß sich auch das Weitergelten der allgemeinen (subjektiven) Richtungslinien gefallen lassen; aber der Haftungsmaßstab wird abgeschwächt: Vorsatz und grobe Fahr­ lässigkeit (§ 680). 6. Wieder anders der Fall, daß ein Jugendlicher geschäftssührend einspringt; hier werden überhaupt nur die außerhalb der negotiorum gestio liegenden Maßstäbe der „unerlaubten Handlung" und der „un­ gerechtfertigten Bereicherung" zur Anwendung gebracht (§682).

c) Die Durchführung eines Geschäftsführungsverhältnisses ist einfach, nachdem erst einmal die bestimmende Linie gesunden ist. Es genügt dann im wesentlichen Anlehnung an das Auftragsrecht (oben Ziff. I; im Gesetz vgl. § 681). d) Irrtümliche Einschätzung der Lage seitens des Geschäftsführers berücksichtigt der Gesetzestext in verschiedener Gestalt. 1. Irrtum über die Person des Herrn; der Geschäftsführer glaubte etwa, es handle sich um einen seiner Bekannten, während sich nachher herausstellt, daß er für einen Fremden tätig geworden ist; § 686; alles geht auf Rechnung des wirklichen Herrn. 2. Der Geschäftsführer wußte nicht, daß es sich um eine fremde Angelegenheit handle, er hielt sie für seine eigene. Dann ist der Fall nicht nach dem Typus „Geschäftsführung ohne Auftrag" zu behandeln ($ 6871). Aber der Geschäftsführer kann Gewinn gemacht haben, und

§ 21 HI.

Auftrag und „Geschäftsbesorgung".

207

es taucht damit der Typus „Ungerechtfertigte Bereicherung" tunten $ 33) auf, daneben kann auch noch eine fahrlässige „unerlaubte Handlung" (unten $35) in Frage kommen. Über böswillige Anmaßung fremder Geschäftsherrenstellung vgl. bereits oben unter 53. 3. Umgekehrt: Er hielt das Geschäft für ein fremdes, es war sein eigenes. Das ist natürlich gegenstandslos, mit sich selbst kann er nicht in ein Schuldverhältnis kommen.

III. Gefchöstsbesorgurrg al» Bestandteil anderer Rechts­ verhältnisse. An -en verschiedensten Stellen der bürgerlichen Rechtsordnung, bei der Abwicklung einer ganzen Reihe von Rechts­ verhältnissen kommt es dazu, daß jemand Geschäfte für andere in die Hand nimmt. Das tut der Geschäftsführer einer Gesellschaft (BGB. $ 713; unten § 29IVa) wie der Borstand eines Vereins (BGB. § 27III), der Erbe, der es später zur Nachlaßverwaltung kommen läßt (BGB. $1978), wie der Testamentsvollstrecker (BGB. $ 2218). Das tun in tausenden von Fällen Dienstverpflichtete oder Werkunternehmer (vgl. BGB. $ 675). In der „Übergangszeit" beim Kauf (vgl. S.76 5), im Verlauf des Mietsverhältnisses (vgl. S. 100IIa) kann die Berwendüng, die der Verkäufer oder der Mieter machen, den Charakter einer Geschästsbesorgung für den anderen Teil annehmen (vgl. BGB. $ 450II, 547 II1). Im Eigentumsprozeß können sich ganz ähnliche Lagen ergeben (vgl. BGB. $ 994II), und, wenn ein Erbe die ihm angefallene Erbschaft hinterher ausschlägt, sie aber inzwischen schon eine Zeitspanne hin­ durch verwaltet hat, so hat er damit gleichsam für den, der nun statt seiner wirklicher Erbe wird, Geschäfte besorgt (vgl. BGB. 19591).

In fast allen solchen Lagen hat sich der Gesetzgeber einer Berweisung auf das Auftragsrecht (oder das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag) bedient. Derart bekommen diese beiden Typen Bedeutung weit über ihren eigenen Rahmen hinaus, und das praktische Funktionieren jener Skala von Einzel­ pflichten, die für den „Auftrag" geschaffen worden ist(S. 203f.), liegt dank solcher Überpflanzung weit mehr außerhalb der (unent-

geltlichen) Auftragsverhältnisse als bei ihnen selbst. Bor allem ist der § 675 herauszuheben, der, wie schon erwähnt (S. 202), das meiste des Auftragsrechts nach ganzen Gruppen von Dienstund Werkverträgen hinübernimmt. Die Hinübernahme ist jedoch keine vollständige und gleichmäßige. Es werden immer nur Stücke überpflanzt; manches paßt nicht für das betreffende andere Rechtsverhältnis und muß daher beiseite bleiben. Die Befugnis, ausnahmsweise von den Weisungen des Auftraggebers abzuweichen, wenn dieser vermutlich „bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde" (§ 665) paßt wohl für den leitenden Gesell­ schafter und den Vereinsvorstand (darum Heranziehung des § 665 in $ 713 und $ 27III), nicht aber für den Testamentsvollstrecker, der allerdings im allgemeinen die Erben als „Geschäftsherren" anzuerkennen, aber im

208

8 28.

Bedeutung der Persouenverböude.

übrigen doch ein Amt wahrzunehmen und den letzten Witten deS Toten zu erfüllen hat (vgl. $ 2216) und deshalb nicht ohne weiteres den vermut­ lichen oder gar offen geäußerten Willen der Erben als oberste Richtschnur hinnehmen darf; darum fehlt bei der Heranziehung des Auftragsrechts gerade jener §665 (s. § 2218). Es folgt daraus, daß in jedem Falle besonders zu prüfen ist, wieviel vom Austragsrecht Über­ tragbar ist, wieviel nicht. Allen diesen Fällen gemeinsam ist der Begriff der „Geschäftsbesorgmrg". Nur wenn wirkliry Geschäftsbesorgung in Frage steht, ist z. B. der, der sich öffentlich angeboten hat (S. 203 Zisf. 1), gemäß § 675 in Verbindung mit § 663 zu einer ausdrücklichen Ablehnung ver­ pflichtet. Gerade die Ausdeutung dieses Wortes ist jedoch lebhaft um­ stritten. Eine Reihe von Theonen sind aufgestellt. Man wird den Begriff nicht zu weit fassen dürfen. Das „Geschäft" eines anderen besorgt nur, wer unmittelbar in seine wirtschaftliche Lage einwirkt, z. B. der Rechts­ anwalt, nicht aber oer Arzt. Und ein Geschäft „besorgt" nur, wer dabei ein gewisses Maß von Selbständigkeit hat, z. B. der Gutsinspektor, nicht aber der Fabrikarbeiter

Kapitel 2. Schuldverhällniffe mit zentraler Tendenz. 28.

Die Bedeutung der Perloueuver-ilude.

I. Wenn es gilt, Güter zu erzeugen oder die erzeugten Güter festzuhalten, reicht die Kraft des Einzelnen nicht immer aus. Dann vereinigt er sich mit anderen, und für die Wissenschaft ent. steht nunmehr die Frage, wie solche Vereinigungen behandelt werden sollen. Man kann einmal einen derartigen Vorgang als ein rein persönliches Nebeneinandertreten bewerten. Dann beläßt man es bei der sonstigen Reihe von Schuldverhältnissen, den Kauf-, Miet-, Darlehnsverträgen, Werkverträgen usw. und stellt nur in dem einzelnen Fall fest: diesmal sind an dem Kauf (der aber unverändert Kauf bleibt) mehrere als Käufer (oder daS nächste Mal vielleicht als Verkäufer) beteiligt. Das bedeutet also lediglich eine Änderung im Subjekt des Schuldverhältnisses, nicht in seiner Substanz. Diese Auffassung ist nicht nur möglich, sondern im geltenden Rechtssystem anerkannt. Sie ist bei den allgemeinen Lehren des Rechts der Schuldverhältnisse untergebracht, weil es sich eben um eine Erscheinung handelt, die über den ein­ zelnen Schuldtypen steht (vgl. unten § 45). Man kann aber auch den Zusammentritt der Mehreren wieder­ um als einen selbständigen Vorgang bewerten, insbesondere an seine juristische Bewertung herantreten, noch ehe die Zusammen-

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8 28.

Bedeutung der Persouenverböude.

übrigen doch ein Amt wahrzunehmen und den letzten Witten deS Toten zu erfüllen hat (vgl. $ 2216) und deshalb nicht ohne weiteres den vermut­ lichen oder gar offen geäußerten Willen der Erben als oberste Richtschnur hinnehmen darf; darum fehlt bei der Heranziehung des Auftragsrechts gerade jener §665 (s. § 2218). Es folgt daraus, daß in jedem Falle besonders zu prüfen ist, wieviel vom Austragsrecht Über­ tragbar ist, wieviel nicht. Allen diesen Fällen gemeinsam ist der Begriff der „Geschäftsbesorgmrg". Nur wenn wirkliry Geschäftsbesorgung in Frage steht, ist z. B. der, der sich öffentlich angeboten hat (S. 203 Zisf. 1), gemäß § 675 in Verbindung mit § 663 zu einer ausdrücklichen Ablehnung ver­ pflichtet. Gerade die Ausdeutung dieses Wortes ist jedoch lebhaft um­ stritten. Eine Reihe von Theonen sind aufgestellt. Man wird den Begriff nicht zu weit fassen dürfen. Das „Geschäft" eines anderen besorgt nur, wer unmittelbar in seine wirtschaftliche Lage einwirkt, z. B. der Rechts­ anwalt, nicht aber oer Arzt. Und ein Geschäft „besorgt" nur, wer dabei ein gewisses Maß von Selbständigkeit hat, z. B. der Gutsinspektor, nicht aber der Fabrikarbeiter

Kapitel 2. Schuldverhällniffe mit zentraler Tendenz. 28.

Die Bedeutung der Perloueuver-ilude.

I. Wenn es gilt, Güter zu erzeugen oder die erzeugten Güter festzuhalten, reicht die Kraft des Einzelnen nicht immer aus. Dann vereinigt er sich mit anderen, und für die Wissenschaft ent. steht nunmehr die Frage, wie solche Vereinigungen behandelt werden sollen. Man kann einmal einen derartigen Vorgang als ein rein persönliches Nebeneinandertreten bewerten. Dann beläßt man es bei der sonstigen Reihe von Schuldverhältnissen, den Kauf-, Miet-, Darlehnsverträgen, Werkverträgen usw. und stellt nur in dem einzelnen Fall fest: diesmal sind an dem Kauf (der aber unverändert Kauf bleibt) mehrere als Käufer (oder daS nächste Mal vielleicht als Verkäufer) beteiligt. Das bedeutet also lediglich eine Änderung im Subjekt des Schuldverhältnisses, nicht in seiner Substanz. Diese Auffassung ist nicht nur möglich, sondern im geltenden Rechtssystem anerkannt. Sie ist bei den allgemeinen Lehren des Rechts der Schuldverhältnisse untergebracht, weil es sich eben um eine Erscheinung handelt, die über den ein­ zelnen Schuldtypen steht (vgl. unten § 45). Man kann aber auch den Zusammentritt der Mehreren wieder­ um als einen selbständigen Vorgang bewerten, insbesondere an seine juristische Bewertung herantreten, noch ehe die Zusammen-

8 28.

Pkrsonenver-ände im allgemeinm.

LOS

geschlossenen überhaupt nach außen, etwa als Käufer, Auftrag­ geber, Meter oder dergl., in Erscheinung getreten sind, und kann auf diese Weise zu einem eigenen neuen Schuldrechtsverhält­ nis oder sogar zu mehreren gelangen. Diese zweite Betrachtungs­ weise ist ebenfalls in der geltenden Rechtsordnung heimisch. Sie' spielt sogar eine ganz bedeutende Rolle. Und dies ist innerlich durchaus begründet. Denn die Beziehungen, die die Mehreren untereinander haben, mögen vielleicht später auf einen Kauf, Arbeit, Kreditgeben usw. hinauslaufen. Aber sie verdienen auch um ihrer selbst willen als kameradschaftliche, als Wechselbeziehungen, d. h. eben als schuldrechtliche Vorgänge (Beziehungen von Person zu Person, (BGB. §362 ff.)

1. Die „Erfüllung" der Leistungspflicht, bei Geldschulden meist Zahlung genannt, ist die normale Art des Leistungsvollzuges. Daneben kennt das Gesetz andere Methoden, um den Gläubiger zu befriedigen oder sogar ohne wirkliche Abführung der Leistung

8 401».

Erfüllung.

295

an ihn das Schuldverhältnis erlöschen zu lassen (Zisf. II ff.). Die praktische Hauptwirkung der Erfüllung und ihrer „Surrogate" ist die Befreiung des Schuldners: von jetzt ab hat der Gläubiger nichts mehr von ihm zu fordern. Gerade deshalb aber muß es mit der Erfüllung genau genommen werden. Oberster Grundsatz ist, daß sie bis in die Einzelheiten hinein genau dem Inhalt der Leistungspflicht entsprechen muß. Im folgenden ist die freiwillige Erfüllung zugrunde gelegt. Über die Begleitung jeden Schuldverhältnisses durch Ecsüllungszwang, durch Klage und Vollstreckbarkeit, über Ausnahmen davon und über die Schwächung des Erfüllungszwanges durch die „humane" Ausgestaltung unseres Vollstreckungswesens ist bereits ftüher gebandelt (S. 46III a, 26 Zisf. 2, 106).

a) Der Grundsatz, daß sich Lei stungsvollzug und Leistungs­ inhalt decken sollen, tritt folgendermaßen in Erscheinung: I. In persönlicher Beziehung. Es muß das Schuldver­ hältnis zwischen denselben Personen abgewickelt werden, auf die es gestellt worden ist, also muß der „Schuldner" an den „Gläubiger"leisten. Irrtümliche Leistung an jemand anderen wirkt dem wahren Gläubiger gegenüber keine Befreiung und gibt dem falschen Gläubiger gegenüber die condictio (oben § 33; meh ere Ausnahmen, u. a. BGB. § 407, worüber unten § 49 le 1). Doch kommt es zu bedeutenden Abweichungen: a) Oft genug ist von vornherein im Vertrage niedergelegt, daß die Leistung nicht unmittelbar an den Gläubiger, sondern in die Hand eines Dritten gelangen soll, wobei sich der weitere Unterschied ergibt, ob der Dritte „bloßer" Empfänger oder selbst „Berechtigter" ist (darüber S. 291IV). ß) Oder der Gläubiger bezeichnet hinterher eine andere Person, an die die Leistung abgeführt werden soll. Häufig im Handels, verkehr: der Zwischenhändler hat beim Grossisten gekauft und weist ihn später an, an welche seiner Unterabnehmer die Ware gehen soll (Ketten­ handel, Schiebergcschäfte, aber natürlich auch in einwandfreier Weise denkbar). Schuldner braucht sich solche Umdisposition nicht ohne weiteres gefallen zu lassen. So, wenn ihm das Erschwerungen (verstärktes Risiko, mehr Arbeit, mehr Kosten) bringt. Sonst freilich kann es wider Treu und Glauben (§391) sein, wenn er sich weigert. — Eine ganz andere Basis (völliges Ausscheiden des bisherigen „Gläubigers") bei der Abtretung; darüber unten § 491. — Über die gesetzliche Legitimation des Quittungs­ bringers unten giss. IV e 2. y) Oder der Schuldner führt von sich aus die Leistung an jemand anderen ab (falls irrtümlich s. oben Zisf. 1). Das darf er natürlich nicht. Aber der Gläubiger kann es genehmigen (BGB. § 362II). Dann ist es echte „Erfüllung" mit befreiender Wirkung. ö) Auch das ist möglich, daß statt des Schuldners ein anderer die Erfüllung Übernimmt. Dann liegt entweder „Schuldübernahme"

296

§ 40 I a.

(unten $ 49II) oder 3iff.HI b) vor.

Hingabe an Erfüllungsstatt. „Einspringen" eines Dritten (darüber untern

2. In sachlicher Beziehung. Es muß genau so viel und genam in der Art geleistet werden, wie vereinbart war. Waren die Beneinbarungen nicht klar, so kommt es zunächst zur Auslegung. Gesetzliche Auslegungsregeln greifen ergänzend ein, wie die, dach bei Gattungsschuld Ware „mittlerer Art und Güte" zu leisten isst (S. 268 a). Fehlt es in irgendeinem Punkt, ist z. B. am falschem Ort geleistet,so ist das keine Erfüllung und der Schuldner noch nickt „befreit" (©. 54c). Dabei grenzt die Erfüllungsvflicht an bte Mängelhaftung (©.57 Ziff. 2), doch muß beides aus theoretischen Gründen (mangelhafte Ware kann eben doch „Erfüllung" sein) wie aus praktischen Gründen (Unterschied B. in der Beweis last) getrennt gehalten werden. Die Beweislast trifft beim Streit, ob etwas wirklich „Erfüllung" sei, grundsätzlich den Schuldner. Wenn aber der Gläubiger die „ihm als Erfüllung angebotene Leistung" unbeanstandet, d. h. „als Erfüllung" angenommen hat, so muß er seine spätere Bemängelung der „Erfüllung" durch eigenen Beweis decken (§363).

Auch in sachlicher Beziehung erfährt der Grundsatz der Identität von Leistungsinhalt und Leistungsvollzug beträchtliche Abschwächungen. Sie gruppieren sich um die Vorstellung einer „Ersatzleistung" (heute mehr beliebt als je). a) Wenn sich beide Teile darüber verständigen, daß eine andere Leistung statt der eigentlich geschuldeten angenommen werden soll, so ist nlles in Ordnung. Das Schuldverhältnis erlischt auch dann, und der Schuldner wird frei. Die Doktrin hat daraus eine eigene Rechtsfigur gemacht, die sog. Hingabe an Erfüllungsstatt (datio in solutum). Praktisch außerordentlich häufig. Massenanwendung bei den Geldzahlurgen, wo statt des „Geldes" im eigentlichen Sinn (Zwangskurs) Geldersatz tag­ täglich in Hunderten von Fällen genommen wird (S.271f.). Dogmatischer Ausbau in der Richtung eines verkaufsähnlichen Vorgangs: der Hin­ gebende haftet für Mängel im Recht (die an Zahlungsstatt abgetretene Forderung gegen einen Dritten besteht gar nicht) öder Mängel der Sache (die an Zahlungsstatt gegebenen Waren sind dumpfig) wie ein Ver­ käufer (§365, S. 83 b). Abgezweigte selbständige Figur: Übernahme einer neuen Verbindlichkeit neben der alten (§36411); praktisch häufigster Fall Hingabe eines Wechsels für irgendeine Geldschuld, z. B. Kaufpreisschuld; Auslegungsfrage, ob dann nur noch aus dem Wechsel gehaftet werden soll („an Zahlungsstatt" gegeben), oder ob eben die neue Verbindlichkeit neben die alte treten soll („zahlungshalber" ge­ geben). Treu und Glauben (oben §391) werden meist mindestens erfordern, daß der Gläubiger erst Deckung aus der neuen Verbindlichkeit versucht und nur im Notfall aus die alte zurückgreist. Eine Parallele der doppelten Gestaltungsmöglichkeit im Prozeßrecht: Pfändung von

§ 40 I a.

Erfüllung; Teilleistungen.

297

Ford erungen kann entweder „zur Einziehung" oder „an Zahlungs­ statt" erfolgen (ZPO. §835). — Zur Konstruktion der Hingabe an Erfüllungsstatt noch unten S. 298 Zlsf. 2. ß) Abgesehen von dieser starren Figur eines besonderen Ersatzhin­ gabegeschäftes werden Auslegung und Berkehrssitte nicht selten er­ geben, daß der Schuldner statt des „in erster Linie" in Aussicht genommenen Schuldgegenstandes ähnliche Ware liefern darf („gleichwertige Ersatz­ ware Vorbehalten"). Gesetzliche Eingriffe im Zuge der Zwangswirtschaft nicht selten. Erstes Beispiel im Anschluß an die Ausmahlvorschriften für Brotgetreide: „Soweit ein Verkäufer von Roggenmehl infolge dieser Verordnung nicht vertragsmäßig liefern kann, ist er verpflichtet (besser: berechtigt), Mehl, das im Verhältnis von 72 v.H. ausgemahlen ist, zu liefern", allerdings mit entsprechender Minderung des Kaufpreises (§ 3 B. v. 28.10,14). Auch die Kassation der Goldklausel (S. 273 Ziff. 4) schloß gesetzliche Ermächtigung zu einer Ersatzleistung-in sich. Richterliche Zubilligung von Ersatz­ leistungen auf der Basis von Treu und Glauben nicht ausgeschlossen. y) Verwandt mit Ersatzleistung ist die Schadenserfatzpflicht. Deutlich wird der Zusammenhang namentlich bei BGB. § 281 (Beispiel schon S. 726, Näheres über diesen § 281 unten § 4211c; Dogmatik des Schadensersatzes unten § 48). Doch ist hier von eigentlicher „Erfüllung" nicht mehr die Rede, sondern, weil die Erfüllung nicht mehr möglich ist, gerade von einem Gegenbegriff.

3. Eine Folge der grundsätzlichen Anpassung der gültigen (befveienden) Erfüllung an den Leistungsinhalt ist ferner das Verbot der Teilleistungen. (§266). Gilt auch für Geldschulden (kleine Teilposten nicht so gut verwendbar als der große Gesamtposten). Ausnahme im Wechselrecht (WO. Art. 38). In der Praxis übet* dies bedeutende Abschwächung durch Bereitwilligkeit des Gläubigers. 4. Verrechnung auf mehrere Schulden wird nötig, wenn eine Erfüllungsleistung zwar zu den mehreren Schulden paßt, aber nicht alle deckt. Leitsatz: Bestimmungsrecht des Schuldners; schweigt er, verwickelte Auslegungsregel in § 366. Kann praktisch wichtig werden. Beispiel: A hat von B 5000 Mark geborgt, wofür sich C verbürgt hat, ferner schuldet er dem B 3000 Mark Kaufgeld für eine Kuh, weiter ist er aus einer Sachbeschädigung dem B haftbar auf 4000 Mark. Wie er gerade bei Kasse ist, schickt er dem B 3000 Mark „zur Verrechnung auf seine Schulden". Wird die Summe auf die Darlehnsschuld verrechnet, so erfährt der Bürge entsprechende Er­ leichterung, sonst nicht, was auch für B wichtig ist, da er vielleicht lieber zuerst die nich t durch einen Bürgen (also doppelt) gesicherten Forderungen abgebaut sehen möchte. Bei der Kaufpreissorderung hat A vielleicht noch die exceptio non impleti (S. 280); er würde deshalb vielleicht zuerst die anderen Forderungen aus der Welt schaffen wollen. Die Deliktsforderung verjährt in 3 Jahren; wurden die 3000 Mark kurz vor Ablauf der Frist gezahlt, wird Schuldner hinterher natürlich dazu neigen, die 3000 Mark als auf die anderen Forderungen gezahlt hinzustellen, da er die Delikts­ schuld ohnedies durch Verjährung los geworden ist.

298

§ 40 I b.

Erfüllung, Konstruktion als Vertrag.

b) Eine beliebte Streitfrage ist die nach der Konstruktion der Erfüllung. 1. Daß sie in etwas vom Willen getragen sein muß, ist klar. Beispiel: ®erlauft ist ein Wagen Kohle. Durch Verwechslung bet Bahnverwaliung wird ohne Weisung des Verkäufers einer von dessen Waggons dem Käufer zugerollt. Keine „Erfüllung". (Doch könnte der Rückforderungsklage des Verkäufers möglicherweise die exc. doli generalis, S. 285, entgegengehalten werden). — über Erlöschen der Obligation durch Zweckerreichung unten Ziff.IVo3.

Danach ist mindestens ein auf „Erfüllen" gerichtetes Wollen des Schuldners erforderlich. 2. Brennpunkt des Streits ist nun aber, inwieweit eine MitWirkung des Gläubigers erforderlich ist. Es liegt nahe, auch von seiner Seite einen 'entsprechenden Annahmewillen vorauszufetzen und dann die Erfüllung als einen Vertrag (Grundriß Allgem. Teil § 33) zu konstruieren. Dies wird viel vertreten. Es ist annehmbar für gewisse Fälle: z. B. gehört zur „Erfüllung" der Berkäuferpflicht Eigentumsverschassung (S. 59 b), zu dieser aber gehört bei beweglichen Sachen die „Einigung" aus § 929, und diese ist sicher auf beiderseitige rechtsgeschäftliche (darum Geschäfts­ fähigkeit erforderlich!) Willenserklärung aufgebaut. Namentlich aber wird die datio in solutum ('S.296a), die ja einem Kaufvertrag angenähert ist, stets als Vertrag zu konstruieren sein. 3. Aber andere Tatbestände verlangen überhaupt keine Mit­ wirkung des Gläubigers, noch viel weniger kann dann von einer Annahme-Willenserklärung seinerseits die Rede sein, so die fort­ laufende Arbeit des Industriearbeiters an der Maschine, so vor allem schuldnerische Verpflichtungen auf ein Unterlassen (Nicht­ lärmen). Das zwingt zu einer Prüfung von Fall zu Fall, ob die Erfüllung unter rechtsgeschäftliche Gesichtspunkte zu bringen ist oder nicht. 4. Ein Protest des Gläubigers ist daher keineswegs schlecht­ hin geeignet, die „Erfüllung" als einen rechtlichen Vorgang mit der Wirkung des Erlöschens und der Befreiung aufzuhalten. Nur hält es von ihm die Beweisbelastung aus § 363 fern. Eine Erfüllung unter Vorbehalt des Schuldners (meist in dem Sinne, daß er.nur zahle unter der Voraussetzung wirklich schuldig zu sein) ist verschieden zu beurteilen; insbesondere wird hier nach Lage des Falles dem Gläubiger ein Ablehnungsrecht zuzusprechen sein; er braucht sich aus derartige Ungewißheit ähnlich wie auf Teil­ leistungen (oben S. 297 Ziss. 3) nicht einzulassen. Treu und Glauben auch hier der letzte Maßstab.

§ 40II a.

Hinterlegung.

299

II. Mittelbare Leistung. a) Hinterlegung (BGB. § 372 bis 382). Die „Erfüllung" soll sich

genau zwischen den vorgesehenen Personen abspielen (S. 295 Ziff. 1). Das stößt unter gewissen Umständen auf Schwierigkeiten, nämlich: 1. wenn der Gläubiger die Leistung nicht annimmt, fester formuliert: wenn er im Annahmeverzug (unten § 44) ist;

2. wenn aus einem anderen „in der Person des Gläubigers liegenden Grunde" der Schuldner nicht eine unmittelbare Er­ füllung .vollziehen kann, wenn z. B. Gläubigerin eine in der Auf. lösung begriffene Gesellschaft (©. 218 c) ist, für die noch keine Liquidatoren bestellt sind; 3. wenn über die Person des Gläubigers Ungewißheit herrscht, ohne daß der Schuldner dies verschuldet hätte, wenn z. B. der Gläubiger gestorben und ein Erbenstreit ausgebrochen ist. Jv diesen drei Süllen ist ein sog. Hinterlegungsgrund ge­ geben, und der Schuldner kann nun (muß aber nicht) die Leistung in det^Weise von sich abschieben, daß er sie an die im Behörden­ apparat der einzelnen Länder vorgesehene öffentliche Hinter­ legungsstelle bringt (darüber schon S 201V). Davon wird keineswegs sehr häufig Gebrauch gemacht. Meist wartet der Schuldner einfach ab. Gründe, die ihn veranlassen, den Weg der Hintrrleguna zu beschreiten, sind etwa besondere Ordnungsliebe