Schätzen und Entscheiden: Analyse, Kontrolle und Steuerung von Schätzverhalten in der betrieblichen Planung [1 ed.] 9783428482382, 9783428082384

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Schätzen und Entscheiden: Analyse, Kontrolle und Steuerung von Schätzverhalten in der betrieblichen Planung [1 ed.]
 9783428482382, 9783428082384

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Jan-Peter Lechner · Schätzen und Entscheiden

Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse Begründet von

Prof. Dr. Dres. h. c. Erich Kosiol t Freie Universität Berlin

Herausgegeben von

Prof. Dr. Ralf-Bodo Schmidt t

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.

und

Prof. Dr. Mareeil Schweitzer Eberbard-Karls-Universität Tübingen

in Gemeinschaft mit

Prof. Dr. Franz Xaver Bea Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Dr. Knut Bleicher Hochschule St. Gallen

Prof. Dr. Klaus Chmielewicz Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. Günter Dlugos Freie Universität Berlin

Prof. Dr. Erich Frese Universität zu Köln

Prof. Dr. Oskar Grün Wirtschaftsuniversität Wien

Prof. Dr. Jürgen Hauschildt Christian-Aibrechts-Universität Kiel

Prof. Dr. Wilfried Krüger Justus-Liebig-Universität Gießen

Prof. Dr. Hans-Ulrich Küpper Ludwig-Maximllians-Universität München

Prof. Dr. Siegfried Menrad Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Dr. Dieter Pohmer

Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Dr. Henner Schierenheck Universität Basel

Prof. Dr. Norbert Szyperski Universität zu Köln

Prof. Dr. Ernst Troßmann Universität Hohenheim

Prof. Dr. Dres. h. c. Eberhard Witte Ludwig-Maximllians-Universität München

Prof. Dr. Rötger Wossidlo Universität Bayreuth

Band 103

Schätzen und Entscheiden Analyse, Kontrolle und Steuerung von Schätzverhalten in der betrieblichen Planung

Von

Dr. Jan-Peter Lechner

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Universität der Bundeswehr Harnburg

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Lechner, Jan-Peter:

Schätzen und Entscheiden : Analyse, Kontrolle und Steuerung von Schätzverhalten in der betrieblichen Planung I von Jan-Peter Lechner. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse ; Bd. 103) Zugl.: Hamburg, Univ. der Bundeswehr, Diss., 1994 ISBN 3-428-08238-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0523-1027 ISBN 3-428-08238-9

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Nonn flir Bibliotheken

Vorwort Kaum eine Auseinandersetzung mit betriebswirtschaftliehen Fragestellungen führt an der Berücksichtigung subjektiver Einschätzungen vorbei. Der Blick in die Praxis zeigt zudem, mit welchem Nachdruck Entscheidungen in intuitiver Manier oftmals das Schicksal von Unternehmen befördern oder besiegeln. Als die intensive Bearbeitung des Themas für mich begann, spiegelte das Schrifttum eine, salopp ausgedrückt, modisch-destruktive Haltung wider, die jede Hoffnung auf eine auch noch so moderat formulierte analytische Bestandskraft subjektiver Urteile im Keim zu ersticken schien. Dieses Dilemma, auf subjektive Schätzungen angewiesen zu sein und von ihnen jedoch offensichtlich nichts oder nur zufällig Gutes erwarten zu dürfen, weckte mein Interesse, der interdisziplinären Problemstellung aus betriebswirtschaftlicher Perspektive näherzukommen. Über die Diskussion grundlegender informations- und entscheidungstheoretischer Konzepte sowie der Empirie von Schätzungen und ihrer Integration in die Entscheidungsvorbereitung hatte ich das Ziel vor Augen, menschliches Schätzvermögen nicht nur am Resultat sondern auch an den Voraussetzungen zu messen, die mit bestimmten Schätzproblemen verknüpft sind. Bei dem Versuch, zu deren Beschreibung die etablierten Instrumente aus Entscheidungs- und Wahrscheinlichkeitstheorie zu nutzen, schließt sich die Frage an, ob diese Hilfsmittel genügend leistungsfähig sind, um Entscheidungssituationen umfassend abzubilden, und folglich zur Kritik berechtigen, soweit es zur Mißachtung der dort verankerten Verhaltensnormen kommt. Wie die Untersuchung zeigt, sind selbst Laborstudien über diese Problematik nicht in jedem Fall erhaben und manche wahrscheinlichkeitstheoretisch widersprüchliche Vorgehensweise, etwa die differentielle Wahrscheinlichkeitsbetrachtung, erscheint aus empirischer Sicht durchaus zulässig. Erst durch Relativierung der zur Beurteilung herangezogenen Instrumente läßt sich daher klären, was subjektive Schätzungen im Kontext betrieblicher Planung leisten können und wie der Verantwortungsbereich des Urteilenden zu charakterisieren und von externen Einflüssen abzugrenzen ist. Eine Differenzierung dieser Art schafft die Voraussetzungen für die Diskussion spezifischer Eigenschaften subjektiver Urteile und wie diese Eigenschaften mit dem Ziel, Informationsverluste im Planungsprozeß zu vermindern, transparent gehalten werden können. Die hieraus abzulesende Rolle des Urteilenden macht Rahmenbedingungen sichtbar, die sowohl eine weitergehende theoretische Erfassung der Handhabung von Entscheidungsproblemen begründen als auch

VI

Vorwort

Hinweise für die Gestaltung von Instrumenten der Entscheidungsvorbereitung liefern. Daß diese Arbeit in der vorliegenden Form entstehen konnte, verdanke ich in erster Linie Herrn Professor Dr. Klaus Zoller. Die :.1itarbeit. an seinem Lehrstuhl hat mir einen außergewöhnlichen Rahmen geboten, um in einem facettenreichen Feld der Forschung und Lehre betriebswirtschaftliche Kernprobleme vertiefen zu können und gleichwohl Entfaltungsmöglichkeiten wahrzunehmen, die für die intensive Bearbeitung gerade der interdisziplinären Aspekte der Arbeit sehr förderlich waren. Nicht zuletzt zählt hierzu der wissenschaftliche Austausch, der mir durch eine Reihe von Auslandsaufenthalten, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, den Einstieg in eine hier bislang mit vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit verfolgte Thematik erleichtert hat. In wohl noch größerem Umfang bin ich meinem akademischen Lehrer jedoch für das Engagement verpflichtet. mit dem er sich den Problemstellungen meines Themas gewidmet hat. Der intensive Austausch und seine zahlreichen Anregungen haben die Arbeit in entscheidender Weise geprägt. Meinen besonderen Dank möchte ich zudem Herrn Professor Dr. Michael Gaitanides ausdrücken. Die vielfältigen Impulse aus Lehre und Forschung ebenso wie seine Bereitschaft, das Koreferat zu dieser Arbeit zu übernehmen, waren großer Ansporn für mich. Erst wenn sich zu denen, die tatkräftig helfen, dem Arbeitsfluß Richtung und neue Nahrung zu geben, auch jene gesellen, die notwendige Freiräume gewähren, läßt sich mit Zuversicht auf eine erfolgreiche Durchführung hoffen. Daß mir diese Zuversicht stets gegenwärtig war, verdanke ich insbesondere meinen Eltern, Kurt und Magdalena Lechner, sowie meiner Lebensgefährtin Kathryn Stecke. Sie haben mir großen Rückhalt geboten und mich durch die Selbstverständlichkeit, in der sie dies taten, nur zu leicht vergessen lassen, welche Geduld ich ihnen zuweilen abverlangte. Nicht zuletzt gilt mein Dank Herrn Professor Dr. :\Iarcell Schweitzer. der meiner Schrift durch die Aufnahme in die Grüne Reihe zu einem hervorragenden Platz verholfen hat. Anschließen möchte ich hier meinen Dank an Herrn Professor Sirnon und die Mitarbeiterinnen im Duncker & Humblot Verlag für die unkomplizierte und konstruktive verlegerische Betreuung sowie an den Fachbereich Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der Universität der Bundeswehr Harnburg für die technische und finanzielle Unterstützung zur Drucklegung der Arbeit. Hamburg, im Juli 1994

Jan-Peter Lechner

Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Erster Teil

Information und Planung 1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

1.1 Gestaltungsmerkmale der Planung . .. . . . ... . .... . .. , . . . . . . . . . . . . . . . .

16

1.2 Rationalität und Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Kohärenz und Konsistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Effektivität und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 35 43 50

1.3 Nutzen der Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

1.3.1 Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Kontingenzreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59 63

2. Modeliierung des Informationsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

2.1 Transformationsprozeß ..... ..................... .. ..................

67

2.2 Aggregationsprozeß. ·. .... ... .... . ....... . ....... .. .................. .

74

Zweiter Teil

Analyse und Bewertung von Schätz- und Entscheidungsverhalten 3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

3.1 Planungsumfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

3.2 Verhaltensmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

4. Likelihood-Schätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

4.1 Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

4.2 Maße der Schätzgüte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126

4.3 Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 143

4.3.2 Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148

VIII

Inhalt

4.3.3 Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154 162

4.3.5 Perzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

4.4 Gewinnung von Schätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

4.4.1 Gegenstand der Entschlüsselung . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

188 191

Dritter Teil

Entscheidungsvorbereitung in der Planung 5. Prinzipien der Entscheidungstindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

5.1 Transitivität und Unabhängigkeit . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200

5.2 Moment-Präferenzen und Erwartungsnutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

215

6.1 Informationsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

6.2 Stochastisches Risiko . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .

230

7. Computergestützte Verfahren der Entscheidungsvorbereit ung . . . . . . . . . . . . . . . .

237

7.1 Objektbindung .. . . . . . .. .. .. .. .. .. . .. . . .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. . . . .. .. . .

242

7.2 Methodenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

246

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

Tabellen 1-1. Transparenz und Konsonanz der Urteilsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

2-1. Relation problemlösender zu verfügbaren Handlungsalternativen in Abhängigkeit von Zugangsstruktur und Systembelastung . . . . . . . . . . . . . . .

82

4-1. Korrelationsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170

4-2. Selektion zusätzlicher Informationsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

5-1. Mehrfachzielsetzung und lexikographische Halbordnung . . . . . . . . . . . . .

206

5-2. Lotterien zum Allais-Paradox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207

5-3. Momente der geschätzten Verteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

5-4. Nutzenerwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214

6-1. Ergebnismatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216

6-2. Ergebnishäufigkeiten beim Dreierwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

6-3. Permutation über 12 Merkmale mit je 2 Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . .

232

6-4. Ergebnishäufigkeiten bei 12 Merkmalen mit je 2 Ausprägungen . . . . . .

233

6-5. Umfang der Entscheidungsbäume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

Abbildungen 1-1. Bezüge rationaler Planung . . . . . . .. . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . .

34

1-2. Dimensionen des Indikatorenmodells .. . . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . .. . . .. . . .

54

2-1. Modellbildung als fünfstellige Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

2-2. Sequenz der Teilentscheidungen . . . .. . .. . . .. . .. . . . .. .. .. . .. .. . .. . .. . .

79

3-1. Urteilsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

4-1. Konzeptualisierung von Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

4-2. Klassifikation der Abweichungen . . .. . . .. .. . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . . . . . .

113

4-3. Bewertung über semantische Differentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

4-4. Bestimmtheit und Zuverlässigkeit von Vorhersagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

4-5. Informationsgehalt und Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

124

4-6. Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

4-7. Kovarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129

4-8. Ebenen der Verankerung von Verzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140

4-9. Niveau-nivellierende Diskriminanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

4-10. Spektrum-nivellierende Diskriminanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

4-11. Reiz-, Reaktions- und sequentielle Kontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182

4-12. Reiz-Distanz- und -Häufigkeitsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

4-13. Glücksrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

4-14. Venn-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194

4-15. Thkey-Box-Plot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

5-1. Verteilungsform und Moment-Präferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212

6-1. Kreislauf der Entscheidungsanalyse . .. . . . . . . . . .. .. . . . . .. . .. . .. . .. . . .

219

6-2. Bayes-Ansatz des Decision Analysis .. . .. .. . . . . . .. . . . .. . . . . .. .. . . . . ..

220

6-3. Intuitive Formierung .. . .. . . . .. . .. .. .. . .. . . . . .. . .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .

221

6-4. Analytische Formierung . .. . . . . .. . . . .. .. . . . . . .. . . .. . .. . . .. . . .. . . . . . ..

222

6-5. Dichte der transformierten Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229

6-6. Verteilung bei optimalem u . . . . .. .. . .. .. .. . . .. . .. . . . .. . . . .. . .. . . .. . .

229

6-7. Relative Häufigkeiten beim Dreierwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

232

6-8. Erfolgserwartung und Vorteilhaftigkeit der Umwelt-Konstellation . . . .

235

Abbildungen

7-1. Programmvariable

XI

00000000000000000000000000000000 00 000000000

243

7-20 Eingabemaske im Daten-Modul 0000 0000 000 000 00000000 0000 0000 00 00 000

244

o o o o

o

o

o

7-30 Ausriß der Input-Matrix -

Investitionen durch ausländische Träger während der Betriebsphase 000 00 00 00 00000 0000 00000 0000 000 0000 0000 000

7-40 Einflußdiagramm -

Vorstudie 00 00 00 00 00 000 00000 00 00 000 00 000000 000 00

7-50 Entscheidungsbaum -

Vorstudie 00 0000 000000 00 00 000 00 0000 000 0000 000

7-60 Entscheidungsstrategie Vorstudie -

Erwartungswert 00000 000000000 o

o

7-70 Entscheidungsstrategie Vorstudie- Sicherheitsäquivalent 00

245 248 249 250

0

251

7-80 Sensitivität des Erwartungswertes 00000000000000000000000000000000000

251

o o

o o

o o o o

7-90 Informationsmaßnahmen 00000000000000000000000000000000 0 00000000

252

7-100 Entscheidungsbaum mit Informationsmaßnahmen 000000 0 000000000

253

7-110 Entscheidungsstrategie mit Informationsmaßnahmen 0000000000000000

255

7-120 Robustheit der Informationsentscheidungen 0000000000000000000000000

256

o

o

o

o

o o

Einführung Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage nach dem Beitrag subjektiven Schätz- und Entscheidungsverhaltens in der betrieblichen Planung. Der Unternehmensplanung insgesamt wird seit Anfang der siebziger Jahre vergleichsweise großer Raum sowohl in der Praktiker-Diskussion als auch im betriebswirtschaftliehen Schrifttum gegeben1 . Dieser Auseinandersetzung sind eine Reihe von Anhaltspunkten zu entnehmen, die zur Verdeutlichung der Rahmenbedingungen für die Charakterisierup.g subjektiver Urteile und ihres Ranges in der betrieblichen Planung beitragen. An diese Situationsbeschreibung werden sich die Formulierung der Problemstellung und eine Skizze zum Gang der Untersuchung anschließen. Aus der Vielzahl von Gründen, die zu wachsender Aufmerksamkeit gegenüber der Unternehmensplanung geführt haben 2 , tritt in der Zusammenführung zweier Sachverhalte ein Problemfeld besonders hervor: Zu beobachten ist eine ausgeprägtere zeitliche Verschiebung zwischen Aus- und Einzahlungsströmen - hohe zahlungswirksame Vorleistungen vor und im Zuge der Aufnahme von Produktion und Absatz gegenüber zeitlich gedehnten Rückflüssen über Umsatzerlöse3 - und eine weitgehende Ausdifferenzierung der Handlungsmöglichkeiten für Anbieter und Nachfrager4 . Als mittelbarer Effekt hat sich die Situation, aus der heraus Unternehmen eigenen und fremden Handlungsmöglichkeiten begegnen, wesentlich gewandelt: Wettbewerb und Dynamik des Leistungsangebots auf den Märkten haben mit der geographischen, informationstechnischen und internationalen wirtschaftspolitischen 1

Vgl. Derek F. Abell, Defining the Business, S. 3; Dietger Hahn u.a., Grenzen der Planung,

2

Vgl. u.a. Horst Albach, Beiträge zur Unternehmensplanung, S. 67ff.

s. 827f.

Die Kalkulation stützt sich regelmäßig auf die Prognose des vollständigen Produktlebenszykluses; vgl. z.B. lnvestitionsrechnungen, die von Automobilherstellern bei der Planung neuer Fahrzeugmodelle aufgestellt werden. Kennzeichnend ist die Einbeziehung des gesamtem Präsenzzeitraumsam Markt, wobei die geplante Amortisationsphase diesen weitgehend abdeckt; vgl. "The Big Gamble", Time International, 9. März 1992, S. 32-38. 3

Sowohl beschaffungs- und absatzmarktseitig als auch unternehmensintern, indem das zuvor zeitliche Auseinanderfallen der Zahlungsströme insbesondere im Bereich der Hochtechnologie selbst für Großunternehmen nur über die Kompensationseffekte eines abgestimmten Portfolios zu bewältigen ist; zu einer Cashflow-orientierten Differenzierung vgl. z.B. den PortfolioAnsatz der Boston Consulting Group, dargestellt bei Barry Hedley, Strategy ud the "Business Portfolio"; zur Theorie vgl. Clyde H. Coombs, Portfolio Theory ud the Measurement of Risk. 4

&~~gesprochene

1 Lec:hner

2

Einführung

Integration5 dazu beigetragen, räumliche und zeitliche Beschränkungen des Marktmechanismus abzubauen und damit den Einfluß der leistungsfähigsten Anbieterauf die Preisbildung zu verstärken. In der Konsequenz dieser kulturellen und technologischen Entwicklung wirken sich Fehler im Angebotsverhalten schwerwiegender und in kürzerer Frist auf die wirtschaftliche Lage betroffener Unternehmen aus6 . Für die Gestaltung unternehmerischer Aktivitäten, die Formulierung von Zielen und die Ermittlung von Handlungsalternativen, bedeutet dies höhere Anforderungen an das präzise Erkennen der Marktgegebenheiten. In der Verbindung mit einem weiter in die Zukunft verlagerten Planungshorizont, bedingt durch längere Amortisationszeiträume des Anlagevermögens7 , weiten sich diese Anforderungen auf die Präzision ausgedehnter Vorschau aus. Erkennbar ist, daß diese Veränderungen einen dauerhaften Wandel des Marktgeschehens beschreiben und daß in ihnen keine Veranlassung gesehen werden sollte, durch äußere Eingriffe Verlässlichkeit und Überschaubarkeit von Marktstrukturen der Vergangenheit zurückzugewinnen: Mit den höheren Anforderungen an erfolgreiches wirtschaftliches Handeln, denen die Agenten der Angebotsseite ausgesetzt sind, geht eine vorteilhafte Entwicklung des Systems Wirtschaft einher. Indem die Marktreaktion in geringerem Umfang von Ort und Zeit eines Angebots beeinflußt wird, zeichnet sich ab, was in seiner Vollendung den Klassikern der Nationalökonomie bereits als erstrebenswertes Fundament ihrer theoretischen Entwürfe galt: die uneingeschränkte Freiheit aller wirtschaftlich Handelnden8 . Durch sie wird eine Voraussetzung geschaffen, überlegene Preis-Leistungsrelationeil ebenso wie innovatives Streben durchgängig zu honorieren und Unternehmenserfolg so eng wie möglich an die Leistungsfähigkeit eines Anbieters zu koppeln. Der Ausweitung der Einflüsse auf das Unternehmen durch das Handeln anderer9 steht analog ein weiter aufgefächertes Spektrum unternehmerischer 5

Vgl. den Aus- und Rückblick bei Spyros Makridakis, Management in the 21st Century.

Vgl. auch die Differenzierung anspruchsloser gegenüber anspruchsvolleren (Wettbewerbs-) Situationen unter Hinweis auf Spiro J. Latsis bei John W.N. Watkins, Freiheit und Entscheidung, s. 88. 6

7

Vgl. Jürgen Wild, Grundlagen der Unternehmungsplanung, S. 21.

Den Tausch- und Preistheorien sowohl der individualistisch-atomistischen wie der universalistischen Volkswirtschaftslehre zu entnehmen und traditioneller Bestan.dteil der Absatzlehre: der vollkommene Markt, der sich u.a. durch vollständige Markttransparenz und vernachlässigbare Reaktionsgeschwindigkeiten auszeichnet. Vgl. Gerhard Stavenhagen, Geschichte der Wirtschaftstheorie, insb. Kapitel li; zur praktischen Bedeutung in der Makroökonomie vgl. z.B. Uwe Westphal, Makroökonomik, S. 227ff. 8

9 Für die Wettbewerbsperspektive vgl. z.B. die klassische Differenzierung der fünf Kräfte: Wettbewerber, Käufer, Lieferanten, Markteintritt Dritter und Substitute, die das Unternehmen gefährden können, bei Patrick B. McNamee, Tools and Techniques for Strategie Management, S. 4ff.

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Aktionen und Reaktionen gegenüber. Aus dem Bestreben, Unternehmerische Tätigkeiten zielgerichtet mit den Marktgegebenheiten abzustimmen, entstehen stärker differenzierte Anforderungsprofile des erfolgreichen wirtschaftlichen Handelns 10 . Dies betrifft nicht zuletzt Bemühungen, gestiegener Markttransparenz entgegenzuwirken und Instrumente der Produkt- und Preispolitik zu nutzen, um Angebotsvergleiche zwischen substitutiven Gütern und Dienstleistungen zu erschweren 11 , oder, in Gegenrichtung, die Herausforderung an die Marktkenntnis, die etwa ein Händler eingeht, wenn er seinen Kunden den jeweils günstigsten Kaufpreis für ein weithin erhältliches Markenprodukt garantiert und gegebenenfalls auch noch nachträglich Überzahlungen und einen Zusatz-Bonus zu erstatten hat 12 . Vor dem Hintergrund sich ausweitender Einflüsse und Handlungsoptionen wird in jüngerer Zeit häufig die Existenzsicherung als Gegenstand der Unternehmensplanung herausgestellt 13 . Ohne Ausführungen zum Kontext dieser Vorgabe weist ihr ökonomischer Gehalt auf eine notwendige, jedoch ergänzungsbedürftige Anforderung im Sinne betriebswirtschaftlicher Grundprinzipien. Markiert das Ziel der Existenzsicherung eine höhere Abstraktionsebene, der die Einhaltung erwerbswirtschaftlicher Prinzipien als Mittel zugeordnet ist, entsteht keine neue Sicht 14 • Ebenfalls dem traditionellen Verständnis der Betriebswirtschaftslehre zuzurechnen wäre die Konkretisierung als gleichberechtigt den Unternehmenszielen beigeordnetes Sicherheitsstreben, welches auf die Sicherung von Unternehmenspotential und Liquidität zielt 15 . Häufig dient die Einführung des Begriffs jedoch der Relativierung un10

Vgl. Jürgen Wild, Grundlagen der Unternehmungsplanung, S. 21.

Bspw. Rabattierungsformen, Verbundangebote innerhalb des eigenen Sortiments oder in Kooperation mit Anbietern anderer Produkte (z.B. Versicherungspolicen, die den Besitz einer bestimmten Kreditkarte voraussetzen) bis hin zu kurzzeitigen Sonderpreisen, die gewährt werden, wenn der Kunde einen Coupon aus einer bestimmten Tageszeitung vorlegt. 11

12 Gerade auf Märkten mit vielen Anbietern vergleichbarer Größe (z.B. Einzelhandel in der Unterhaltungselektronik) sind Strategien dieser Art anzutreffen . 13 Insbesondere in der systemtheoretisch orientierten Managementlehre wird dies hervorgehoben; vgl. z.B. unter dem Begriff Lebensfähigkeit (viable system): Stafford Beer, Decision and Control, S. 256ff; vorbereitend hierzu das Konzept des Gleichgewichts in Unternehmen über dimensionsverschiedene Kriterien bei Herbert A. Simon, Entscheidungsverhalten in Organisationen, S. 14lff. Sirnon verweist hierbei auf die Arbeit von Chester I. Barnard, The Functions of the Executive, S. 56-59 u. Kap. XI, XVI.

14 Eine solche Interpretation kann beabsichtigt sein, wie bei Wilhelm Hili, Unternehmungsplanung: .Zweck der Unternehmungsplanung ist die Sicherung der Unternehmungszukunft, die Erreichung der Unternehmungsziele und die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit" (S. 10), oder fälschlich nahegelegt werden:" ,Überleben' heisst hier nicht, am Rande des Existenzminimums dahinvegetieren, sondern eine Konfiguration aufrechterhalten, die sich in der gegebenen Umwelt längerfristig gesehen als optimal erwiesen hat." Peter Gomez, Modelle und Methoden des systemorientierten Managements, S. 111. 16 Vgl. Edmund Heinen, Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, Abschn. Il. Das Sicherheitsstreben, S. 135ff.

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ternehmerischer Zielsetzungen mit Blick auf die Komplexität, das heißt Art, Anzahl und Interdependenzen ökonomischer Erfolgskriterien 16 . Komplexität bedingt hierbei Unsicherheit in der Beschreibung und Projektion von Zusammenhängen zwischen den einzelnen Erfolgskriterien: Relationen können nur unvollständig angegeben werden oder sind in der Zeit, über die Auskunft gegeben werden soll, instabiP 7 . Offensichtlich ist dabei die Ambivalenz des Unsicherheitsphänomens, indem es eine logische Voraussetzung für freies Handeln bezeichnet und gleichzeitig die Vielfalt unbestimmter Einflüsse Unsicherheit und damit die Selbstbestimmung zu einem scheinbar unbezahlbaren Luxus werden läßt. Existenzsicherung erscheint aus dieser Perspektive als die Notwendigkeit, verlässliche Austauschbeziehungen aufzubauen und in diesem Umfang Selbstbestimmung im Anschluß preiszugeben. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung des Begriffes Existenzsicherung schließt den Kreis und begründet das spezifische Verständnis von Unternehmenserfolg. Die vielgestaltigen Anforderungen, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist 18 und denen es durch rechtzeitige Konversion erhaltener Beiträge in nach Art und Umfang spezifizierte Anreize19 zu begegnen versucht, bieten keinen Raum für eine gezielte, lediglich von gewissen Randbedingungen abhängige Maximierung einer Erfolgsgröße20 • Die Verwendung der allgemeineren Begriffe Anreiz und Beitrag, anstelle der traditionellen Gegenüber16 Aus Ansätzen des Portfolio-Managements ist diese Sprachregelung daher auch seit langem bekannt. Der Faktor der Unternehmens- bzw. Anlagesicherung erhält hier selbständiges Gewicht. Vgl. z.B. Aloys Gälweiler, Portfolio-Ma.nagement, in: Norbert Szyperski, Handwörterbuch der Planung, Sp. 1559-1568. 17 Als einfaches Beispiel wäre die veränderte Bewertung des Kriteriums "Firmenimage in der Öffentlichkeit" bei Unternehmen der Chemischen Industrie zu nennen: Ausgehend von einer Restriktion, i.S. der Vermeidung image-und damit geschäftsschädigender Publicity, vollzog sich über die vergangenen Jahre eine Wandlung zur Zielgröße, mit der das Image zum aktiv gestalteten Erfolgsfaktor im Wettbewerb avancierte. 18 Hierbei handelt es sich in aller Regel um (1) zeitabhängig weiche und zudem häufig (2) partiell substituierbare Anforderungen. Beispiel zu (1): Geringe Marktreaktion, wenn von einer Aktiengesellschaft ausnahmsweise eine sehr niedrige Dividende gezahlt wird; Orientierungspunkt, zumindest bei Standardwerten, ist eine mehrperiodige Renditeerwartung. Beispiele zu (2): Geringe Dividendenzahlung bei gleichzeitiger Aufstockung der Rücklagen; Kapitalstrukturrisiken werden vermindert, und der Anteilseigner verfügt über einen stärker abgesicherten Wert, der zukünftige Ausschüttungen wahrscheinlicher werden läßt und zu festeren Notierungen führt, oder: Einwilligung der Arbeitnehmer in relativ geringe Steigerungen des Arbeitsentgelts mit der Aussicht auf erhöhte Arbeitsplatzsicherheit durch vermehrte Modernisierungsinvestitionen. Allgemein: Sowohl der Umfang einer unschädlichen Verfehlung von Restriktionen als auch die Substitutionsmöglichkeiten sind dynamisch und orientieren sich an der Einßußstärke und dem tatsächlich ausgeübten Druck der in einer Leistungs- oder Wettbewerbsbeziehung zum Unternehmen stehenden Interessengruppen.

19 20

Vgl. Herbert A. Simon, Entscheidungsverhalten in Organisationen, S. 142.

Eine frühe Diskussion {1962) zum "komplex determinierten Optimum" findet sich z.B. bei Werner Kern, Gestaltungsmöglichkeit und Anwendungsbereich betriebswirtschaftlicher Planungsmodelle; vgl. auch die Übersicht zu den Ergebniskomponenten ökonomischer Entscheidungen bei Roland Gzuk , Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 10lff.

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stellung von Aufwand und Ertrag, soll hier verdeutlichen, daß in der Unternehmensrechnung dokumentierter Mitteleinsatz und -rückfluß lediglich den Ausschnitt periodisiert erfaßbarer Zahlungsvorgänge abdeckt. Bereits eine grobe Differenzierung innerhalb der Interessengruppen, denen rechtliche Anspruchsgrundlagen gegenüber einem Unternehmen zukommen, veranschaulicht die Breite der Anreizkategorien21 . Werden die hierdurch (noch) nicht erfaßten zielgerichteten Anreize auf freiwilliger Basis22 einbezogen, vervollständigt sich der Katalog durchzuführender Konversionen. Die Aufgabe besteht nun zunächst darin, mögliche Nachteile, die durch unzureichende Erfüllung verbriefter und anderweitig begründeter Ansprüche entstehen können, von der Unternehmung fernzuhalten. In diesem Szenario trägt die Maximierung des Erfolges das Gewand einer Minimierung imaginärer Verluste bezogen auf die Gegebenheiten beim Branchenprimus oder eine gedachte ldealsituation, da es letzteren zu überrunden gilt oder dieser seinen Vorsprung ausbauen möchte. Unternehmensziele treten hier in Gestalt abzugeltender Anreizkategorien auf. Unter der Annahme, daß Unternehmen nur selten die Höhe bestimmter zu gewährender Anreize selbst festlegen können23 , steht der Verteilungsschlüssel fortwährend zur Disposition. Unsichere Kategorien können lediglich über Bandbreiten möglicher Anforderungen erfaßt werden. Eine eindimensionale Residualgröße, deren Maximierung abgestrebt werden könnte, ist in dieser Perspektive nicht enthalten. Bei der Sicherung des ökonomischen Entwicklungspfades konkurriert der Periodenüberschuß gleichberechtigt mit übrigen Anreizkategorien, zum Beispiel Investitionen für Forschung und Entwicklung oder Mitarbeiterentlohnung. Erst bei Kenntnis der Totalperiode wäre es möglich, etwa über das Endvermögen oder den Entnahmestrom, eine hierarchisch höherrangige Größe zu definieren, deren Maximum angestrebt werden könnte. Einerseits ist damit die Problematik der Bestimmung von Erfolgswirksamkeit bestimmter Anreize beziehungsweise der unmittelbaren Zuordnung von Anreizen und Beiträgen im Sinne eines Saldos aus Aufwand und Ertrag gekennzeichnet, andererseits läßt sich ein differenzierteres Bild von der Handhabung knapper Ressourcen ableiten: Wird die oben bereits implizit getroffene Annahme eines bestehenden Tauschverhältnisses zwischen Kategorien von Anreizen und Beiträgen ergänzt um die Prämisse der Teilbarkeit, 21 Unter dem Schlüsselbegriff Verfügungsrechte - "künftige, und deshalb nur: vermutliche (unsichere) Herrschaft über Sachen und Dienstleistungen" - kennzeichnet dieser Ausschnitt der vom Unternehmen gebotenen Anreize die Grundlage des Property-rights-Ansatzes. Zitat: Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 514 (i.O. hvg.); vgl. auch z.B. die Beiträge von Eberhard Witte und Arnold Picot in: Dieter Ordelheide u.a., Betriebswirtschaftslehre und Ökonomische Theorie ( Jahrestagung 1990, Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre). 22 Zum Beispiel Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsplatz-Attraktivität, Sponsorenschaft, Beiträge zum Umweltschutz. 23

Vgl. Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 121.

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kann der Schluß gezogen werden, daß mit gesteigerter Verteilungsmasse auch die Chancen steigen, den Anforderungen insgesamt nachkommen zu können. In welchem Umfang die Chancen steigen, hängt nun davon ab, in welcher Dimension zusätzliche Beiträge erwirtschaftet und über welches Tauschverhältnis und welche Transaktionskosten diese in angeforderte Anreizkategorien konvertiert werden können. Ein in dieser Form ausgestaltetes Verständnis von Existenzsicherung im Wettbewerb über Kategorien von Anreizen und Beiträgen bezeichnet einen realitätsnahen Erfolgsbegriff: Erfolg wird nicht auf den Ausschnitt periodisierte Vermögensänderung begrenzt, und, basierend auf dieser mehrdimensionalen Konzeption, Erfolg ist davon abhängig, für welche Anreizkategorien die erwirtschafteten Beiträge wann aufgewendet werden 24 . Die größere Realitätsnähe geht zu Lasten einer situationsunabhängigen Bestimmung von Unternehmenserfolg und verdeutlicht gleichzeitig die Notwendigkeit, den Entwicklungspfad des Unternehmens in einem Interdependenzgeflecht zu beeinflussen, das bislang über weite Teile nur der subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Auch aus einem zweiten, nicht so eng an systemtheoretische Ansätze gebundenen Blickwinkel werden eindimensional aggregierbare Zielkonzepte in Frage gestellt. Verbunden mit den Schlagworten Unternehmenskultur und Unternehmensphilosophie wird in der Planung die Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung auf Basis einer durch Werthaltungen der Unternehmensführung geprägten Vision der zukünftigen Entwicklung hervorgehoben 25 .

Hahn u.a. sehen in dieser Leitidee sowohl ökonomische als auch außerökonomische Werthaltungen vereinigt. Um dennoch ökonomische Untersuchungen anstellen zu können, ist es erforderlich, dieses Aggregat zu zerlegen. Hierbei bedeutet die Trennung anhand der ökonomischen Analysierbarkeit, wie sie bei Anwendung operationaler Verfahren aus der Betriebswirtschaftstheorie vollzogen wird26 , einen willkürlichen Schnitt27 . Diese Bewertung wäre formal unschädlich, wenn die Abgrenzung des Forschungsgebietes 24 Konkretisiert wird damit eine abstrakte Konzeption, wie sie bereits von Karl M11n vertreten wurde. Danach " ... erwächst das Verhalten der kapitalistischen Unternehmer nicht aus originärer Gewinnsucht, sondern aus dem Zwang, der unter Wettbewerbsbedingungen den Unternehmen keine andere Re-Aktionsmöglichkeit läßt." Kar! Hom11nn I Franz Blome-Drees, Wirtschafts- und Unternehmensethik, S. 95, Fn. 103. 25

Vgl. Dietger H11hn u.a., Grenzen der Planung, S. 813, 819f.

Der Begriff ökonomische An11lyse sei hier zunächst im klassischen Sinn als Gegenüberstellung von (Opportunitäts-) Kosten und Nutzen verstanden. Zu den verfügbaren Instrumenten ökonomischer An11lyse vgl. z.B. die anband der Kriterien Analyse, Prognose, Bewertung und Entscheidung untergliederte Übersicht bei Joachim Hentze I PeterBrose I Andreas K11mmel, Unternehmensplanung, S. 92. 26

27 Vgl. z.B. die Differenzierung von Optima, die auf Grundlage der Anwendung bestimmter Verfahren erzielt werden, und dem .eigentlichen Optimum" bei Helmut Koch, Die betriebswirtschaftliche Theorie als spezielle Handlungstheorie, S. 92.

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der Betriebswirtschaftslehre über ihren gegenwärtigen Beitrag zu Beschreibung und Erklärung ökonomischer Vorgänge erfolgte28 . Demgegenüber steht die Differenzierung anband des originären Kriteriums, der ökonomischen Relevanz beobachtbarer Werthaltungen, Ziele und Handlungen. Letztere ist unabhängig von den augenblicklichen Möglichkeiten der Operationalisierung. Diese Perspektive trägt dem Umstand Rechnung, daß erwerbswirtschaftliche Ziele auch über Tauschbeziehungen verfolgt werden, die zu einem gegebenen Zeitpunkt weder monetärer Bewertung zugänglich sind noch volkswirtschaftlicher Quotierung unterliegen 29 • Nach der hier vertretenen Auffassung zählt die Abbildung dieser erweiterten Sicht zu den wesentlichen Zielen in der Fortentwicklung von Methoden und Verfahren der Analyse ökonomischer Zusammenhänge. Auf Grundlage der vorstehenden Argumentation sind zwei Kategorien innerhalb der nicht durch traditionelle Verfahren erfaßten Werthaltungen zu unterscheiden: faktisch außerökonomische Zielsetzungen30 und originär ökonomische Zielsetzungen, die mangels einzelweiser Zurechenbarkeit von Aufwendungen, gewährten Anreizen, und Erträgen, erwirtschafteten Beiträgen, mit den Darstellungsmitteln der klassischen Unternehmensrechnung nicht gehandhabt werden können31 . Zur Vorbereitung der weiteren Unterteilung soll zunächst die begriffliche Abgrenzung präzisiert werden: Schneider definiert den wirtschaftlichen Aspekt menschlicher Handlungen32 , mithin den Bezugspunkt ökonomischer 28 Eine solche Eingrenzung legt z.B. Dieter Schneider nahe, wenn er zu einer weitergefaßten Betrachtung von Austauschbeziehungen anmerkt: "In der Lehre vom Einkommensaspekt menschlichen Handeins sind Tauschverhältnisse etwas in quantitativen Begriffen Beobachtbares. Löhne, Dividenden, Mieten und andere Einkommensteile sind aus Marktpreisen ableitbare Beträge oder Quantitäten (Geldbeträge, Gütermengen), die durch staatliche Zuteilung Marktpreise ersetzen." Ders., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 191. 29 In der einfachsten Form kann es sich z.B. um die Betrachtung unvollständiger Tauschvorgänge handeln, bei denen in substantiell (noch) nicht begründeter Erwartung von Gegenleistungen Vorleistungen von einer Seite erbracht werden. 30 Beispiel: Die Unternehmensführung propagiert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft, unter der Voraussetzung, daß dieses keinen Einfluß auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens hat, z.B. über veränderte Absatzchancen oder Produktivität der Mitarbeiter.

31 Aus der Einschränkung, die im vorgenannten Beispiel gemacht werden mußte, ist abzulesen, daß nicht allein Pay-off-Dimensionen oftmals unzulänglich operationalisiert sind, sondern bereits das Identifizieren der Art möglichen ökonomischen Einflusses problematisch sein kann. Beispiele für diese Bewertungsfragen sind etwa in der Personalpolitik: Zahlung eines 14. Monatsgehalts, Betreiben einer Segelschule für Angehörige oder die Vergabe von Stipendien; oder im Marketing: Auslage von Werbeschriften einerseits oder Kultur-Sponsoring. Für den Produktionsbereich finden sich Beispiele bei Joachim Hentze I Peter Brose I Andreas Kamme!, Unternehmensplanung, S. 77f. 32 Dieter Schneider stellt aus empirischer Sicht fest, daß das Wirtschaften nicht als Teilmenge aller Tätigkeiten aufzufassen ist, sondern als ein Merkmal, das in unterschiedlicher Ausprägung jede menschliche Tätigkeit beeinflussen kann; vgl. ders., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 19. Zur theoretischen Perspektive im Umgang mit den nicht-interessierenden übrigen Merkmalen vgl. Vilfredo Pareto, Allgemeine Soziologie, S. 18ff.

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Relevanz, als "die Einkommenserzielung durch menschliches Handeln und die Einkommensverwendung bei menschlichem Handeln."33 Hieraus leitet er als Gegenstände der Wirtschaftstheorie die "Bestimmungsgründe[n] der Tauschverhältnisse zwischen Sachen und Diensten heute und in Zukunft" sowie die "Anwendungsmöglichkeiten von Tauschverhältnissen bei der Verteilung von Rechten und Pflichten"34 ab. Von wesentlicher Bedeutung für das hier zugrundeliegende Verständnis ökonomischer Relevanz ist die Ausdehnung auf zukünftiges Geschehen. Schneider gibt als Begründung: "Mit dem Zusatz ,heute und in Zukunft' werden Ansprüche auf künftige Sachen und Dienste berücksichtigt, also Rechte, Verpflichtungen, wirtschaftliche Vorteile (d.h. nicht allen zugängliches Wissen, das künftiges Einkommen verspricht) und wirtschaftliche Nachteile (d.h. drohende Einkommenseinbußen, die zur Zeit noch keine rechtlichen Verpflichtungen gegenüber anderen sind)."35 Ökonomische Relevanz ist demnach gegeben, wenn Werthaltungen, Ziele oder Handlungen bereits beobachtbar oder möglicherweise Einfluß auf den Erfolg des Unternehmens haben. Da die Anknüpfung beim Effekt und nicht bei der dahinterliegenden Absicht erfolgt, ist eine weitere Fallunterscheidung zu treffen: (1) Vergabe von Anreizen ohne die Annahme, im Gegenzug zusätzliche Beiträge erwirtschaften zu können36 , und (2) Vergabe von Anreizen mit der Erwartung, den ökonomischen Entwicklungspfad des Unternehmens zu unterstützen, das heißt zu späterer Zeit Beiträge vermehren zu können. Obgleich unter (1) der Erfolgseinfluß des Engagements ökonomische Relevanz begründet, sind Vorgänge dieser Art nicht Bestandteil einer Strategie zur Sicherung des Entwicklungspfades. Fallen die betrachteten Vorgänge in die Kategorie ökonomisch analysierbarer Zusammenhänge, liegt in der notwendigen Ausgrenzung kein Problem. Handelt es sich andererseits um Sachverhalte, die mit Instrumenten ökonomischer Analyse nicht abgebildet werden können, muß sich die Zuordnung auf ein subjektives Urteil stützen. Aufgabe des Urteilenden ist es hierbei, ökonomische Relevanz nach (2) zu erkennen, ohne auf bereits konkretisierte Aufwand-Ertragsrelationeil zurückgreifen zu können 37 . 33

Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 18 (i.O. hvg.)

Ebd. (i.O. hvg.) Ähnlich z.B. Ewald Wessling: "Ökonomik ist die . Wissenschaft des auf dem Tauschprinzip basierenden, von Kosten-Nutzen-Überlegungen geleiteten, menschlichen Handelns." Ders., Individuum und Information, S. 6 (i.O . hvg.) 34

35

Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre , S. 18.

Anonymes Mäzenatentum wäre als Beispiel zu nennen, soweit die Begünstigten keinen für das Unternehmen relevanten politischen oder wirtschaftlichen Einßuß ausüben. · 36

37 Eberhard Witte mußte im Rahmen seiner empirischen Untersuchung von Entscheidungen zur Einführung von EDV-Anlagen in Unternehmen konstatieren, daß die Praxis es ablehnt, Gewinn- oder Wirtschaftlichkeitsüberlegungen " ... auch nur approximativ mit einzuschließen, weil das Zurechnungsproblem unlösbar schien." Vgl. ders., Das Informationsverhalten in Entscheidungsprozessen, S. 24.

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Während unter dem zuvor herausgearbeiteten Begriff der Existenzsicherung lediglich unterstellt wurde, daß die Relationen zwischen einzelnen Anreiz- und Beitragskategorien nur unvollständig beschrieben werden können und Defizite durch subjektive Beurteilung überbrückt werden müssen, tritt in der Betrachtung der Vision zukünftiger Entwicklung als weiterer Faktor die zutreffende Erfassung ökonomisch relevanter Werthaltungen hinzu. Von dieser Rolle subjektiver Urteile bei der Erweiterung des ökonomischen Betrachtungsrahmens kann formal eine zweite abgegrenzt werden, die traditionell eher im Vordergrund steht: Subjektive Urteile dienen als Ersatz für fehlende Planungsdaten innerhalb des Anwendungs- und Aussagebereichs der Instrumente ökonomischer Analyse. In diese Kategorie fällt beispielsweise die Schätzung der zu erwartenden Perioden-Absatzmengen für ein neu einzuführendes Produkt bei der Planung und kostenrechnerischen Bewertung bereitzustellender Fertigungskapazitäten. In diesem Fall vervollständigt die Schätzung etwa die Datenbasis eines Verfahrens der dynamischen Investitionsrechnung. Inhaltlich gilt zur Charakterisierung der Bedeutung subjektiver Urteile auf dieser Ebene jedoch ebenfalls, daß sie außerhalb der Abbildungsmöglichkeiten der Analyseinstrumente gewonnen werden; anderenfalls wären sie aus diesen rekonstruierbar und der Rückgriff auf subjektive Urteile nicht notwendig. Unter der Annahme, daß die ökonomische Analyse als Entscheidungsgrundlage bei der ·Vorbereitung zielgerichteten Handeins im hier aufgezeigten Kontext dient, lassen sich die Erläuterungen in drei Schlußfolgerungen zusammenfassen und als Ausgangspunkt für die vertiefende Darstellung verwenden: (1) Die verfügbaren Instrumente ökonomischer Analyse durchdringen nur einen Teil der Gesamtheit ökonomisch relevanter Einflußfaktoren und ihrer Zusammenhänge. (2) Subjektive Urteile vervollständigen die Datenbasis der Analyseinstrumente und erhöhen damit die EntscheidungsfähigkeiL (3) Subjektive Urteile bilden die Entscheidungsgrundlage im erweiterten ökonomischen Betrachtungsrahmen und schaffen damit Entscheidbarkeit. Aus der Verknüpfung dieser Schlußfolgerungen resultiert als weiteres Ergebnis: Die Grenzen der Instrumente ökonomischer Analyse markieren zugleich die Beschränkungen bei der Überprüfung subjektiver Urteile zu einem gegebenen Zeitpunkt. Es entsteht damit das Problem, daß der auf subjektive Urteile gestützte Handlungseinfluß im Unternehmen einer direkten Kontrolle nur unzureichend zugänglich ist. Zur Präzisierung der Perspektive Kontrolle subjektiver Urteile ist es erforderlich, subjektive Urteile und Instrumente ökonomischer Analyse in der

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Unternehmung zuzuordnen: Das Individuum markiert die Untersuchungsebene subjektive Urteile, und die Organisation repräsentiert die Untersuchungsebene Instrumentarium ökonomischer Analyse38 . Hierauf aufbauend wird es Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sein, in der Gegenüberstellung von Individuum und Organisation, - die Bedeutung subjektiver Urteile bei der Lösung betrieblicher Planungsaufgaben zu untersuchen sowie Rahmenbedingungen und Kriterien der Bewertung ihres Beitrags zu identifizieren, - die Entstehung subjektiver Urteile zu analysieren und über eine Strukturierung der Einflußfaktoren differenziert abzubilden und - Gestaltungsalternativen der Einbeziehung subjektiver Urteile vor dem Hintergrund von Bedeutung und Entstehung des Schätz- und Entscheidungsverhaltens zu bewerten. Die Behandlung dieser Aufgabenstellung ist analog in drei Teile gegliedert. Im Ersten Teil wird die Abgrenzung von Subjekt- und Organisationsebene aus theoretischer Perspektive vertieft. Bei dieser entscheidungs- und modelltheoretisch angelegten Untersuchung bildet die Organisation den Bezugspunkt, um Voraussetzungen der Einbeziehung subjektiver Urteile in die Unternehmensplanung darzulegen. Die Organisation wird hierbei zunächst über die Anforderungen charakterisiert, die in einer normativen Konzeption dem Einsatz der Instrumente ökonomischer Analyse zugrundeliegen. Die Grenzen dieses normativen Ansatzes werden anhand deskriptiver Konzepte der Organisationstheorie verdeutlicht. In einem abschließenden Kapitel werden die Bezüge zwischen Individuum und Organisation verdichtet in der aufbau- und ablauforientierten Modellierung dargestellt. Der Zweite Teil stellt das Individuum in den Vordergrund und wird aus der Perspektive der Beobachtung des subjektiven Schätz- und Entscheidungsverhaltens den Bezugsrahmen für Ansatzpunkte der ökonomischen Bewertung einer Einbeziehung subjektiver Urteile aufbauen und strukturieren. Hierzu werden Ergebnisse aus dem Ersten Teil zunächst aufgegriffen, um die empirische Erscheinung der Organisation als Umfeld der Entstehung subjektiver Urteile und des Individuums in seinem Verhalten gegenüber der Organisation zu charakterisieren. Der Zweite Teil setzt fort mit der Analyse systematischer Beeinträchtigungen subjektiver Urteile. Zu diesem Zweck werden Erscheinungsformen subjektiver Urteile erläutert und Maße der Beurteilung 38 An diese Fokussierung knüpft sich eine instrumentale, sachbezogene Sichtweise der Organisation als Ordnungsrahmen, bestehend aus einem System formaler Regeln zur Steuerung betrieblicher Aktivitäten. Diese Perspektive erlaubt es, intervenierende organisationssoziologische Einßüsse nur insoweit zu berücksichtigen, als sie aus Sicht des Individuums zu einem gegeben Zeitpunkt ein Datum darstellen. Zur Abgrenzung vgl. Friedrich Hoffmann, Begiff der Organisation, in: Erwin Grochla, Handwörterbuch der Organisation, Sp. 1425ff.

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von Schätzgüte eingeführt. An die Behandlung der einzelnen Kategorien systematischer Beeinträchtigung schließt die Diskussion der Gewinnung von Schätzungen an. Der Dritte Teil führt die Schwerpunkte der beiden vorausgegangenen Teile zusammen. Es wird versucht, die in der theoretischen Befassung aufgezeigten Einsatzbedingungen der Instrumente ökonomischer Analyse und die Resultate empirischer Untersuchung subjektiver Urteile zu verbinden. Ziel ist es dabei, Formen der Darstellung und Verarbeitung subjektiver Urteile abzuleiten, die Transparenz hinsichtlich der Eigenschaften dieser Urteile bewahren.

Erster Teil

Information und Planung

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung In der Einführung wurde hervorgehoben, daß das Individuum über subjektive Urteile zur Gestaltung zielgerichteten Handeins der Organisation beiträgt. Ein Weg, zielgerichtetes Handeln vorzubereiten, ist Planung. Der Begriff Planung dient dabei zum einen der Objektbezeichnung und beschreibt die Vorausfestlegung eines Handlungsprogramms unter bewußter und rationaler Bezugnahme auf antizipierte Situationen, angestrebte Ziele und vorhandene Mitteil. Daneben beschreibt Planung den Vorgang, in dessen Verlauf die Auseinandersetzung mit den zuvor genannten Komponenten des Objektes stattfindet und der mit einem Handlungsentschluß, im Regelfall der Festlegung eines verbindlichen Plans abgeschlossen wird2 • Im Interesse begrifßicher Deutlichkeit soll der Handlungsentschluß fortan ausschließlich die einen Planungsvorgang abschließende Entscheidung über ein Handlungsprogramm bezeichnen3 . Planung setzt das Treffen von Entscheidungen voraus4 , entweder als Bestandteil des Planungsprozesses oder diesem vorgelagert 5 . Der Objektdefinition von Planung folgend, betreffen diese Entscheidungen 1

Vgl. z.B. Christoph LBu, Planungstheorie, S. 481.

Vgl. ,Handlungsentscheidung' und ,terminal decision' bei Wolfgang MBg, Entscheidung und Information, S. 243, sowie Joachim Hentze / Peter Brose, Unternehmensplanung, S. 15; dort jedoch in der Neuauftage als "Zwischenergebnis des Planungsprozesses'' definiert (S. 18). 2

3 Einschränkungen hinsichtlich des Gegenstandes des Handlungsprogramms werden hier nicht angenommen, so daß insbesondere unberücksichtigt bleibt, welche Durchführungsebene betroffen ist (z.B. Handlungsentschluß zur Detailplanung eines ökonomisch, jedoch konstruktiv noch nicht vollständig beschriebenen Projekts gegenüber einem Handlungsentschluß zur konkreten Ausführung von Realisationsschritten).

4 So erläutert Dieter Schneider Planen als das Anwenden von Entscheidungslogik. Vgl. ders., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 6. 5

Vgl. auch Jürgen Wild, Grundlagen der Unternehmungsplanung, S. 39.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

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- Ziele, - Mittel, aus den Umweltgegebenheiten, der Situation abgeleiteten

- Aufgabenstellungen, sowie

- Handlungsalternativen, und

- Bewertungen von Handlungsalternativen im Kontext von Zielen und Umweltgegebenheiten. In den Zielen konkretisieren sich Nutzenvorstellungen, so daß die Bewertung von Handlungsalternativen als Vergleich der Alternativen über Nutzenkategorien interpretiert werden kann. Ergebnis dieses Vergleichs der Vorziehenswürdigkeit ist eine Ordnung der Handlungsalternativen in Form eines Präferenzsystems. Anknupfend an die Definition von Planung als Vorgang, erstrecken sich die Entscheidungen zudem auf

- Verfahren, das heißt auf die Gestaltung von Aufbau und Ablauf des Planungsprozesses. Gemeinsam bezeichnen diese Elemente das Entscheidungsfeld6 •

Entscheidung ist definiert als bewußte Wahlhandlung. Zur Kennzeichnung der Bedingungen, die eine Wahlsituation konstituieren, leistet die Entscheidungstheorie Beiträge aus zwei Richtungen, denen Heinen bereits Anfang der siebziger Jahre nahezu vollständige Überschneidungsfreiheit bescheinigte7: die formale Entscheidungslogik mit normativem Anspruch einerseits und die deskriptiv orientierte sozialwissenschaftliche Entscheidungstheorie andererseits. Dieser Zustand hat sich über die Jahre eher verfestigt denn gelockert8 . Bemerkenswert ist das Nebeneinander vor allem, weil die Vertreter der normativen Entscheidungstheorie praktisch ohne Ausnahme konzedieren, in 6 Unter Hinweis auf Wolfram Engels definieren Günter Bamberg und Adolf G . Goenenberg Entscheidungsfeld als .die Menge und Art der Personen und Sachen, die durch Aktionen des Entscheidungsträgers direkt oder indirekt beeinßußt werden können, und die Zustände der Umwelt, die die Ergebnisse der Aktionen beeinflussen, selbst aber von den Aktionen des Entscheidungsträgers unabhängig sind." Dies., Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 14. 7 Vgl. Edmund Beinen, Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, S. 220. 8 Vgl. Wolfgang H. Staehle, Management, S. 485; R . Duncan Luce / Detlof von Winterfeldt, What Common Ground Exists for Descriptive, Prescriptive, and Normative Utility Theories?, S.

i.

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1. Teil: Information und Planung

ihrem theoretischen Rahmen weder reales Entscheidungsverhalten abbilden noch realitätsnahe Handlungsempfehlungen geben zu können9 , wobei zur selben Zeit umfangreiche Forschungsarbeit auf dem Gebiet der verhaltenswissenschaftlichen Beschreibung und Erklärung von Entscheidungsverhalten geleistet wurde, ohne damit nachhaltigen Anstoß für eine gemeinsame Fortentwicklung gegeben zu haben 10 . Schneider erkennt in dem Nebeneinander eine Notwendigkeit aufgrundder Rivalität beider Ansätze 11 • Rivalität impliziert, daß mit beiden Ansätzen gleiche oder zumindest vergleichbare Zwecke verfolgt werden. Aus der formalen Gegenüberstellung, in der die entscheidungstheoretischen Konzeptionen hier eingeführt wurden, ist dies zunächst nicht erkennbar: Normative Ansätze versuchen eine Antwort auf die Frage zu geben, wie unter bestimmten Voraussetzungen Entscheidungen getroffen werden sollten; deskriptive Ansätze konstatieren empirische Gegebenheiten, das heißt sie versuchen zu beschreiben, wie Entscheidungen tatsächlich getroffen werden. In Forschungsmethodik und Aussageziel sind beide Ansätze einander folglich wesensfremd. Jenseits dieser Abgrenzung ist beiden Forschungsansätzen jedoch gemeinsam, daß die durch sie gewonnenen Erkenntnisse Hilfestellung bieten sollen, vorteilhaftes Entscheidungsverhalten herbeizuführen12. Eine in diesen Sinne verankerte Rivalität bildet den Leitgedanken für Abgrenzung und Verbindung beider Ansätze im weiteren Verlauf der Untersuchung. Die wenigen Berührungspunkte, die zwischen Vertretern entscheidungslogischer und verhaltenswissenschaftlicher Ansätze auszumachen sind, legen die Vermutung nahe, daß die im Zuge der Mathematisierung entstandenen konkurrierenden Denkhaltungen auch heute noch von prägendem Einfluß sind. Seither sind die Vorbehalte unverkennbar, die wechselweise dem abzählbaren Weltbild der einen, normativen und der Mystik holistischer Betrach9 Eine vollständige und definitive Bestimmung des rationalen Verhaltens ist bisher nur für Zwei-Personen-Nullsummenspiele gelungen, und "die Annahme, daß der Verlust eines Spielers der Gewinn des anderen ist, und die Prämisse vollständiger Kenntnis aller Reaktionsmöglichkeiten, d .h. der Spielregeln, entsprechen nicht der wirtschaftlichen Realität." Edmund Beinen, Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, S. 47; vgl. auch Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 15, sowie weiterführend Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, S. 77ff. 10

Vgl. z.B. Werner Kirsch, Die Handhabung von Entscheidungsproblemen, S. 6.

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Vgl. Dieter Schneider , Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 190f.

Ein gutes Beispiel für mögliche Überschneidungen, die aus dieser übergeordneten Intention entstehen können, bietet das Modell des homo oeconomicus. Während es ursprünglich im Sinne der realtheoretischen Verankerung der Wirtschaftswissenschaften zum Zweck der Beschreibung und Ableitung präskriptiver Aussagen entwickelt wurde (vgl. Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 1, S. 42), handelt es sich dennoch um ein idealtheoretisches Konzept, das nicht nach dem empirisch orientierten deduktiv-nomologischen Erklärungsmuster gewonnen wurde. Vgl. Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. I, S. 86; zum zugrundeliegenden Hempel-Oppenheim-Schema vgl. Carl G . Hempel, Aspects of Scientific Explanation , S. 245ff. 12

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

15

tungender anderen, deskriptiven Seite entgegengebracht werden 13 . Gerade in den Wirtschaftswissenschaften, mit oftmals gänzlich verschiedenen Ansätzen, unter denen ein und dieselbe Spezielle Betriebswirtschaftslehre an Hochschulen gelehrt wird, kommt dies besonders deutlich zum Ausdruck. Den zentralen Anknüpfungspunkt in dieser Auseinandersetzung bildet die Frage, auf welche Weise der Forschungsgegenstand operationalisiert, das heißt wissenschaftlicher Beobachtung unterzogen werden soll. Der Haltung, wonach das Wesen des Menschen, seine Seele, per se nicht in Zahlen gefaßt werden könne 14 , liegt nach der hier vertretenen Auffassung eine methodologische Selbstbeschränkung zugrunde. Ihr zu folgen hieße zugespitzt, Arbeits-Abbilder von einem Erkenntnisobjekt ausschließlich über Modelle in materialer Angleichung 15 zu entwickeln. Damit könnte es bereits unzulässig sein, auch nur über den Forschungsgegenstand zu sprechen, denn auch die Kommunikation ist dem betrachteten Erkenntnisobjekt in beinahe jedem Fall in materialer Weise wesensfremd 16 . Soweit das Material selbst nicht zentral für den eigentlichen Abbildungszweck ist 17 , stehen Wege der strukturellen Angleichung offen, wie sie etwa auch durch Kommunikation beschritten werden. Erkennbar liegen die schwerwiegenderen Probleme bei dem Versuch, Erkenntnisse aus einem hochorganisierten Modell in der Mathematik zum Beispiel auf die Umgangssprache, als einem vergleichsweise schwach organisierten Medium, zu übertragen 18 . Während hier befürchtet werden muß, daß der kleinere Regelvorrat zur Verknüpfung von Aussageteilen erschöpft ist, bevor ein vollständiges Abbild der Aussage entsteht, liegt die Problematik bei der Übertragung in umgekehrter Richtung ausschließlich darin, die verwendeten Regeln zu identifizieren und ihr Pendant im höherorganisierten Medium zuzuweisen. Dieser Argumentation folgend, stützt sich die weitere Untersuchung auf die Prämissen, daß aussagefähige Modelle von Teilbereichen menschlichen Verhaltens in struktureller Angleichung entwickelt werden können und Modelle dieser Art sowohl dem Individuum zur Weitergabe eigenen Wissens dienen als auch zur Beobachtung individuellen Verhaltens genutzt werden können. 13 V gl. die Abgrenzung und Diskussion der vitalistischen, mechanistischen und holistischen Paradigmen bei John R. Battista, Information Holism: Toward an Integration of the Holographie and Analytic Models of Consciousness. 14

Vgl. die Diskussion bei Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie,

s. 18ff. 15

Vgl. Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, S. 140ff.

16

V gl. ebd., S. 225.

Z.B. könnten weder die verbale Beschreibung noch das Bild einer Lokomotive aus Sicht des Liebhabers akzeptabler Ersatz für die Modelleisenbahn sein. 17

18

Vgl. Werner Heisenberg, Physik und Philosophie, S. 140.

16

1. Teil: Information und Planung

1.1 Gestaltungsmerkmale der Planung Aus der Aufgabe, den Beitrag subjektiver Urteile in der Gegenüberstellung von Individuum und Organisation ZU untersuchen, leitet sich eine auf die Austauschbeziehung zwischen beiden Instanzen fokussierte Perspektive ab. Die Analyse der Gestaltungsmerkmale der Planung konzentriert sich daher auf die Fragen, (1) welcher Art der Beitrag subjektiver Urteile ist und (2) in welcher Form der Austausch stattfindet. Die Antwort auf die erste Frage läßt sich zunächst aus der Zielsetzung ableiten, mit der subjektive Urteile in die Planung einbezogen werden: Sie betrifft die Deckung des Informationsbedarfs für die Festlegung eines Handlungsprogramms. Diese von der Organisation 19 aufgenommenen Informationen entstammen dem Wissen des Individuums. Bevor auf die Merkmale der Beziehung zwischen Organisation und Individuum näher eingegangen werden kann, ist es erforderlich, die zentralen Begriffe des Wissens und der Information zu präzisieren. Mag 20 stützt sich bei der Definition des Informationsbegriffs auf die zeichentheoretische Systematisierung21 . In der klassischen Differenzierung werden danach drei Merkmale von Zeichen unterschieden und hierarchisch strukturiert: (1) die Beziehung von Zeichen untereinander auf der syntaktischen Ebene, (2) die Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem, einer begrifflichen oder konkreten Entität, auf der semantischen Ebene und (3) die Beziehung zwischen Zeichen und Zeichenverwender auf der pragmatischen Ebene.

Information kann in diesem Schema der pragmatischen Ebene zugeordnet werden. Ihr liegen nicht allein eine Grammatik, als Grundvoraussetzung für die Verarbeitung von Zeichenkombinationen, und Bedeutungsgehalt zugrunde, sondern darüber hinaus "absendende und empfangende Subjekte mit einer eindeutig bestimmten Zwecksetzung"22 . Die Zwecksetzung ist im hiesigen Kontext durch die Aufgabe, ein Handlungsprogramm festzulegen, gegeben und führt zu der im Schrifttum häufig verwendeten Kurzfassung von Information als zweck- oder entscheidungsorientiertem Wissen23 . Dieser Ansatzpunkt macht es erforderlich, Wissen außerhalb des Informationsbegriffs zu erklären. Für die Untersuchung der hier vorliegenden Problemstellung ist es demgegenüber sinnvoll, Information als wissenserzeugen19 Der begrifflichen Abgrenzung in der Einführung folgend, repräsentiert die Organisation die Instanz der Instrumente ökonomischer Analyse; vgl. S. 9.

20

Vgl. Wolfgang Mag, Entscheidung und Information, S. 5.

21

Zur Semiotik vgl. Charles W . Morris, Grundlagen der Zeichentheorie.

22

Vgl. Wolfgang Mag, Entscheidung und Information, S. 5.

23

Vgl. z.B. ebd.; Waldemar Wittmann, Information, Sp. 894.

L Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

17

den Vorgang zu deuten und damit Wissen als Ergebnis eines Informationsprozesses zu definieren24 • Unter der Annahme, daß zu einem Zeitpunkt der Beobachtung von Organisation und Individuum bereits Informationsprozesse stattgefunden haben, bedeutet Information damit die Veränderung vorhandenen Wissens. Der Wissensbestand 25 läßt sich im Sinne der semiotischen Betrachtung differenzieren in effektives Wissen, welches als Information weitergegeben wird, und latentes Wissen 26 , das ohne augenblicklichen Zweckbezug vorgehalten und der semantischen Ebene zugeordnet wird. In formaler Hinsicht ist damit die Art des Beitrags subjektiver Urteile vollständig beschrieben. Die inhaltliche Präzisierung zielt nun auf die Feststellung, daß in mangelndem Wissen die Ursache für Unsicherheit liegt 27 • Unvollkommenheit des Wissens kann dabei über zwei Merkmale strukturiert werden: die Vollständigkeit und die Bestimmtheit des Wissens 28 • Unvollständiges Wissen liegt vor, wenn das effektive Wissen nicht alle Elemente des Entscheidungsfeldes enthält 29 , das heißt zum Beispiel nicht sämtliche Handlungsalternativen oder Nutzenkategorien bekannt sind. Effektives Wissen ist unbestimmt, wenn die Ausprägung von Elementen des Entscheidungsfeldes nicht genau angegeben werden kann30 und zum Beispiel bei mehreren Zielen die eindeutige Bewertung über Nutzenaggregate nicht möglich ist oder ein Situationsmerkmal nur über ein Ausprägungsintervall beschrieben werden kann. In einer weiteren Differenzierung wird durch Einführung einer Beobachtungsperspektive ein auf die Instanz Organisation beziehungsweise Individuum bezogener Unsicherheitsbegriff in die Betrachtung aufgenommen. Das zuvor behandelte effektive Wissen ist hierbei als Objektwissen charakterisiert, das Organisation oder Individuum jeweils bezüglich der Aufgabenstellung, einen bestimmten Handlungsentschluß vorzubereiten, haben. Es erstreckt sich damit auf das Wissen hinsichtlich des angeführten Entscheidungsbedarfs der Planung31 . 24 Vgl. Ewald Wessling, Individuum und Information, S. 18f. Anm.: Da Information gemäß obiger Definition bereits das Prozeßmerkmal enthält, ganz im Sinne des lnformierens, müßte im weiteren auf Begriffe wie ,Informationsprozeß' verzichtet werden. Im Interesse sprachlicher Geläufigkeit wird hier jedoch von einer strengen Handhabung abgesehen. 25 Vgl. die Konzeptualisierung in Analogie zu Bestands- und Bewegungsgrößen in der Unter·nehmensrechnung ebd., S. 27ff.

26

Vgl. ebd., S. 23.

27

V gl. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 20lff.

28

Vgl. Ewald Wessling, Individuum und Information, S. 38ff.

29 Dieter

Schneider verwendet hierfür den Begriff Informationsrisiko und deutet ihn als Risiken über den Wissensstand. Vgl. ders., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 2. 30

Vgl. "Risiken bei gegebenem Wissensstand", ebd.

31

Vgl. S. 12f.

18

1. Teil: Information und Planung

Auf der zweiten, einer Meta-Ebene ist das Wissen anzusiedeln, welches Auskunft darüber gibt, wie das Wissen auf der ersten, der Objektebene beschaffen ist32 . Die Instanz erkennt Unsicherheit über den Vergleich von effektivem Objektwissen mit dem Wissen über Merkmalskategorien, die zur Beschreibung auf Objektebene dienen können. Wenn nicht bekannt ist, daß Elemente des Entscheidungsfeldes bislang unberücksichtigt geblieben sind oder Möglichkeiten bestehen, Objektwissen zu präzisieren33 , kann die Instanz die aufgrundmangelnden Wissens bestehende Unsicherheit nicht registrieren34 . Die bisherigen Ausführungen erstreckten sich gleichermaßen auf die Instanzen Organisation und Individuum. Zur abschließenden Klärung der Frage nach der Art des Beitrags subjektiver Urteile wird eine formale, in diesem Sinne vorläufige Abgrenzung von objektivem und subjektivem Wissen durchgeführt35. Die Organisation erzeugt, sammelt und verwertet Wissen, indem sie das Geschehen im Zeitablauf dokumentiert und über Instrumente ökonomischer Analyse verarbeitet. Die Dokumentation repräsentiert einen Datenbestand36 , der in mechanischen oder elektronischen Medien gespeichert ist. Wissen, das in dieser subjektunabhängigen Form vorgehalten wird und sowohl als Information zum Bestandteil der Anwendung eines Analyseinstrumentes werden kann als auch dem Individuum zugänglich ist, soll als objektives Wissen gekennzeichnet sein. Damit ergibt sich für die Organisation als Verkörperung des vom einzelnen Individuum unabhängigen Wissens die Kennzeichnung als objektive Instanz gegenüber dem Individuum als der subjektiven Instanz. Im Unterschied zum Datenbestand der Organisation, der nach intersubjektiv nachvollziehbaren Regeln, einer Syntax, bearbeitet werden kann, ist das subjektive Wissen auf dieser Ebene einer von außen nicht zugänglichen Struk32

Vgl. Ewald Wessling , Individuum und Information, S. 49ff.

Im Kontext quantitativer Elemente des Ent scheidungsfeldes kann dies vom Grundsatz her trivial sein: Die Absatzmenge eines Produktes über einen bestimmten Zeitraum beschreibt eine bestimmte Zahl. Im konkreten Fall jedoch ist offen, ob sie z.B. nachträglich exakt festgestellt werden kann oder mit welcher Präzision sie für einen Zeitraum in der Zukunft bestimmbar ist. 33

34 Beispiel für ein fehlendes Element könnte das Kriterium ,Absatzeinßuß von Subsituten' in der Marketingplanung sein, wobei auf der Meta-Ebene eine formale Strukturierung des Bereichs Wettbewerbsanalyse vorhanden ist und Informationsmaßnahmen ergriffen werden können, die zur Identifikation des Kriteriums beitragen. Beispiel für unbestimmtes Wissen könnte das Qualifikationsprofil des Arbeitskräftepotentials an einem möglichen neuen Fertigungsstandort sein. Auf der Ebene des Metawissens läge hier die Kenntnis der lnformationsq~ellen, Arbeitsämter, Personalberater usf., über die Unbestimmtheit verringert werden kann.

35

Vgl. die ausführliche Behandlung im Abschn. 1.3.

Daten können zeichentheoretisch der syntaktischen Ebene zugeordnet werden, soweit ihre Bearbeitung auch ohne Kenntnis ihrer Bedeutung möglich ist; ein Beispiel wäre das Sortieren von Sätzen einer Datenbank. Setzt die zielgerichtete Bearbeitung die Kenntnis der Bedeutung voraus, sind sie der semantischen Ebene zugeordnet. Vgl. S. 16. 36

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

19

tur unterworfen. Begrifflich sei dies verdeutlicht durch die Kennzeichnung digitales Wissen der Organisation und analoges Wissen des lndividuums37 . Unter Einbeziehung der Meta-Ebene ist es möglich, den Prozeß der Wissensveränderung, den Informationsprozeß zwischen Individuum und Organisation näher zu beschreiben und eine Antwort auf die zweite der oben gestellten Fragen zu geben: Die zweckgerichtete Aufnahme von Informationen, wie sie über das Ziel, den Informationsbedarf für einen Handlungsentschluß zu decken, angesprochen wurde, setzt voraus, daß Wissen über den Bedarf und potentielle Informationsquellen besteht. Erst wenn hieraus auf ein Wissensgefälle zwischen den beteiligten Instanzen geschlossen werden kann, ist ein Auslöser für den Informationsprozeß gegeben. In beiden Richtungen, das heißt bei der Abforderung von Informationen durch das Individuum ebenso wie durch die Organisation, sind Transformationen aufgrund des unterschiedlichen syntaktischen Charakters erforderlich. Hierbei kommt zum Tragen, daß Daten der Organisation nur dann zu einer Veränderung des effektiven Wissens des Individuums führen, wenn das Individuum sie in sein analoges Wissen integrieren und in diesem Sinne verstehen kann. Andererseits ist für die Organisation ausschließlich digitales Wissen effektiv. Um einen Beitrag zur Veränderung des objektiven Wissens zu erzielen, sind daher subjektive Urteile in Form digitaler Information erforderlich. Vor diesem Hintergrund werden die Transformationsprozesse im weiteren Verlauf der Untersuchung betrachtet. Mit wenigen Ausnahmen 38 ist den empirischen Studien auf diesem Gebiet zu entnehmen, daß das Individuum 39 nur mit erheblichen Einschränkungen in der Lage ist, digitale Informationen in der beabsichtigten Weise aufzunehmen und zum Beispiel Resultate aus Anwendungen der mathematischen Statistik oder Wahrscheinlichkeitsrechnung zutreffend zu interpretieren oder Informationen für den Einsatz betreffender Instrumente regelkonform bereitzustellen40 . Das Ziel der Untersuchung, Rahmenbedingungen und Kriterien der Bewertung des Beitrags subjektiver Urteile aufzuzeigen, läßt sich anhand der herausgearbeiteten Aspekte unterschiedlichen Wissensstandes und Übermitt37 Die Begriffsbildung ist an der modelltheoretischen Differenzierung ausgerichtet und wird unter diesem Aspekt im Abschn. 2.2 weiter ausgebaut.

38

Vgl. z.B. Cameron L. Petersen I Lee Roy Beach, Man as an Intuitive Statistican.

Der Begriff Individuum als subjektive Instanz erstreckt sich in diesem Kontext konkret sowohl auf einzelne Personen als auch auf kohäsive Gruppen (,Kollektivsubjekt'). Vgl. z.B. Ward Edwards I Detlof von Winterfeldt I David L. Moody, Sirnplicity in Decision Analysis, S. 443. Bspw. unter dem Rubrum Decison Conferencing werden die spezifischen Problemstellungen bei Gruppenentscheidungen unter Fortfall der Kohäsionsannahme eigenständig thematisiert. Vgl. u.a. Lawrence D. Phillips, People-centred Group Decision Support. Zu den Grundlagen der Gruppenproblematik vgl. Wolfgang H . Staehle, Management, Teil 3, Abschn. C, u. Teil 4. 39

40

Vgl. insb. die in Abschn. 4.3 gegebenen Verweise.

20

1. Teil: Information und Planung

lung von Wissen nun aufspalten in die Bewertungskategorien Wissensgefälle und Transformationsprozeß. Das zugehörige entscheidungslogische Konzept zur Steuerung von Verhalten unter diesen Gegebenheiten ist die Informationsökonomik 41 . Aufbauend auf der Theorie rationaler Wahlhandlung, die von einem vollständig determinierten Entscheidungsfeld ausgeht42 , und der Ungewißheitsökonomik, durch die Unsicherheit bezüglich der Umweltsituation als statisches Element in den Kalkül integriert wird, steht mit der Informationsökonomik ein normativer Ansatz zur Verfügung, der darüber hinaus Wahlverhalten bei einem veränderlichen Wissensstand erfaßt43 . Die Informationsökonomik geht bei der Beschreibung des Entscheidungsfeldes von folgenden Prämissen aus44 : (1) Präferenzen der Entscheidungsinstanz sind gegeben, zeitlich stabil und widerspruchsfrei. (2) Die Entscheidungsinstanz wählt die Handlungsalternative mit dem größten Zielbeitrag im Sinne der Präferenzen45 • Über diese generellen Vorbedingungen hinaus wird für die Charakterisierung eines konkreten Entscheidungsfeldes angenommen: (3) Handlungsalternativen sind vollständig bekannt. (4) Handlungskonsequenzen können für alle Kombinationen von Umweltzuständen und Handlungsalternativen bestimmt werden. (5) Unvollkommenes Wissen über den Umweltzustand ist beschrieben durch die Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Umweltzustände. (6) Eine Entscheidungsregel ist gegeben, nach der die Handlungsalternativen wenigstens schwach geordnet werden können46 . 41

Vgl. Günter Bamberg I Adolf G. Coenenberg , Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S.

132ff; weiterführend in der Abgrenzung von klassischem, Bayes- und Wald-Modell vgl. Gerhard

Marinell, Statistische Entscheidungsmodelle. 42

Vgl. Wolfgang Mag, Entscheidung und Information, S. 17.

Zu einer Untersuchung der Theorieentwicklung in dieser Sequenz vgl. Ewald Wessling, Individuum und Information, S. 56ff. 43

44 Vgl. z.B. Günter Bamberg I Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 14ff. 45 (2) wird häufig durch die Angabe präzisiert, daß genau eine Alternative gewählt werden muß, und erweitert über die Prämisse, daß der Auswahl die Umsetzung zwingend folgt. D.h. die entscheidungsorientierten Prämissen werden durch eine handlungsorientierte Annahme gegen unmittelbare Falsifizierung geschützt: Würde eine andere als die zielbeitragsmaximale Alternative realisiert, eingeschlossen das Nicht-Handeln, wäre (1) verletzt und in (2) entfiele das Kriterium. Zur Präzisierung der Prämissen vgl. z.B. ebd.

46 (6) ergänzt damit (1) durch Festlegung der Mindestanforderung an die Präferenzordnung: Die schwächste zulässige Relation zwischen zwei Handlungsalternativen a1 und az ist danach vom Typ ,a1 wird nicht geringer geschätzt als az' (a1 t az) .

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

21

(7) Wissen über Eintrittswahrscheinlichkeiten möglicher Umweltzustände ist veränderbar. (7a) Informationsalternativen sind vollständig bekannt. (7b) Die Entscheidungsinstanz wählt die Informationsalternative mit dem größten Zielbeitrag. Bamberg und Coenenberg betonen, daß das Ausmaß der Gewinnung zusätzlicher Informationen "selbst das Ergebnis zielorientierter Entscheidung"47 sein sollte. Insoweit enthält die Annahme (7) wiederum einen vollständigen Entscheidungsprozeß. Dieser ist jedoch über ein determiniertes Entscheidungsfeld charakterisiert. Würde die Annahme (7a) abgeschwächt und unvollkommenes Wissen über die Informationsalternativen zugelassen, stünden die Prämissen (4)- (6) sinngemäß an ihrer Stelle und (7) ersetzte (7b). Damit wäre ein unendlicher Informationsregreß formal strukturiert48 und der Ansatz nicht mehr lösbar.

Bevor der Erklärungsgehalt des entscheidungslogischen Ansatzes einer Gesamtbewertung unterzogen werden kann, ist es erforderlich, das zugrundeliegende Verständnis von Information und Unvollkommenheit des Wissens zu erläutern. Zwei Aspekte sollen hierzu näher ausgeführt werden: (a) die isotone Veränderung der Bestimmtheit des Wissens in Abhängigkeit vom Umfang zusätzlicher Information und (b) das Wissen über den Nutzen von Informationsmaßnahmen. (a) In der Informationsökonomik hat Information die Eigenschaft, stets Objektwissen zu präzisieren49 beziehungsweise Ungewißheit zu mindern 5°. Das Problem der. Wissensveränderung kann unter dieser Annahme auf die Untersuchung der Kosten, die mit der Gewinnung einer bestimmen Information verbunden sind, und der zugehörigen Veränderung der Nutzenerwartung für den Handlungsentschluß begrenzt werden. Der Einfluß von Information auf die Bestimmtheit läßt sich anhand der statistischen Testtheorie, mit der hierauf aufbauenden Sequential-Analyse51 , sowie mit Hilfe der lnformationstheorie52 darstellen. Bei der Untersuchung einer Grundgesamtheit mit Hilfe von Stichproben repräsentiert jede Stichprobe Information, und mit jeder zusätzlichen Stichprobe sinkt die Unbe47

Günter Bamberg / Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 15.

Vgl. die Verweise bei Helmut Koch , Gegenstand, Struktur und Kriterien der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsanalytik, S. 308. 48

49

Vgl. z.B. Wolfgang Mag, Planungsstufen und Informationsteilprozesse, S. 820ff.

50

Vgl. z.B. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 202.

51

Vgl. Abraham Wald , Sequential Analysis, S. 138ff.

Zur Einordnung der Informationstheorie in die Informationswissenschaft vgl. Werner Kunz , Informationswissenschaft, Sp. 943f. 52

22

1. Teil: Information und Planung

stimmtheit des Wissens über die Verteilung des betrachteten Mermals in der untersuchten Population. In der Theorie der Nachrichtenübermittlung kommt ein ebenfalls auf die Statistik gestützter Interpretationsansatz zum Tragen: Betrachtet werden die Situationen vor und nach dem Empfang eines Zeichens aus dem Zeichenvorrat eines bestimmten, dem Empfänger bekannten Zeichensystems. Unabhängig vom Umfang der gesamten Nachricht wird mit jedem Übermittlungsvorgang Unsicherheit abgebaut, die vor Empfang über die Art des nachfolgenden Zeichens besteht. Entsprechend der Verwendungshäufigkeit einzelner Zeichen im Zeichensystem variiert der Umfang abgebauter Unsicherheit. Selten verwendeten Zeichen gegenüber besteht eine höhere Unsicherheit, so daß das Bekanntwerden ihrer Verwendung in einer Nachricht mehr zum Abbau der Unsicherheit bezüglich der Art der Nachricht beiträgt als im Falle des Empfangs eines häufiger verwendeten Zeichens. Beiden Konzeptionen ist gemeinsam, daß auf der Basis vollständigen Wissens der Merkmale des Entscheidungsfeldes - des untersuchten Merkmals in der Testtheorie beziehungsweise des verwendeten Zeichensystems in der Informationstheorie -jede Information zu wachsender Bestimmtheit des Wissens führt . (b) Zur Erklärung des Wissens über den Nutzen von Informationsmaßnahmen stützt sich die Informationsökonomik auf eine Differenzierung von Objekt- und Metawissen, ohne diese Ebenen jedoch explizit einzuführen: Eine nutzenmaximale Informationsmaßnahme kann nur identifiziert werden, wenn Kosten der Information und Veränderung des Zielbeitrages vor der Durchführung bekannt sind. Um einem logischen Zirkel zu entgehen und zumindest eine hilfsweise Interpretation des Steuerungsmechanismus für Informationsentscheidungen zu geben, muß sich die Argumentation auf die Existenz der Meta-Ebene stützen. Dort verankert ist die strukturelle Beschreibung des potentiellen Objektwissens, das mit bestimmten Informationsmaßnahmen erschlossen werden kann. Sind beispielsweise Umweltzustände im Entscheidungsfeld lediglich über Wahrscheinlichkeitsintervalle bestimmter Länge beschrieben und können Informationsmaßnahmen danach geordnet werden, in welchem Umfang sie diese Intervalle verkleinern, das heißt die Bestimmtheit des Wissens erhöhen, ist eine Bewertungsgrundlage vorhanden, ohne gleichzeitig bereits Kenntnis darüber zu haben, wo die verkleinerten Intervalle innerhalb der Ausgangsintervalle liegen werden 53 . Die Gesamtbewertung gilt nun der Frage, in welchem Umfang der entscheidungslogische Ansatz eine Analyse des Beitrags subjektiver Urteile prinzipiell ermöglicht. Zu berücksichtigen sind hierbei (a) formale Eigenschaften zur Abbildung der Entscheidungsvorbereitung und (b) inhaltliche Voraussetzungen, die an die Formulierung des Entscheidungsfeldes geknüpft sind. 53 Zu einem Kalkül in diesem Sinne vgl. z.B. Herbert Jacob /Rainer KarTenberg, Die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsintervallen für die Planung bei Unsicherheit.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

23

(a) Die Informationsökonomik identifiziert vollkommenes Wissen mit perfekter Kenntnis der relevanten Gegebenheiten und erkennt in jeder Informationsmaßnahme einen Beitrag zur Annäherung an diesen Wissensstand. Sowohl die implizite Annahme der Vollständigkeit des Wissens über die Umweltgegebenheiten - gemäß (5) kann lediglich Unvollkommenheit hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeiten bestehen - als auch die Prämisse der durch zusätzliche Information wachsenden Bestimmtheit des Wissens erweisen sich dabei als notwendige Voraussetzungen des informationsökonomischen Ansatzes: Die Differenz aus den Nutzenerwartungen vor und nach der Berücksichtigung zusätzlicher Information kann nur dann als Nutzeneffekt der lnformationsmaßnahme interpretiert werden, wenn gilt, daß die Beschreibung der Umweltgegebenheiten nach erfolgter Information bereits vollständig in der Ausgangsbeschreibung enthalten war. Enthielte die Beschreibung nach erfolgter Information nutzenverändernde Elemente, die in der Ausgangsbeschreibung nicht vorkommen, oder wäre die Ausgangsbeschreibung von größerer Bestimmtheit als die Beschreibung nach erfolgter Information, müßte die Ausgangsbeschreibung als fehlerhaft verworfen werden und ein auf ihrer Basis berechneter Nutzenwert könnte nicht als Referenz für die neuerliche Bewertung Verwendung finden. Die Mittel der Informationsökonomik genügten demzufolge nicht, um über Informationsmaßnahmen zu entscheiden. Die bereits im Zusammenhang mit der Auswahl der vorteilhaftesten lnformationsmaßnahme aus logischen Erwägungen notwendig gewordene Unterscheidung von Objekt- und Meta-Ebene des Wissens bietet gleichzeitig eine Möglichkeit, diese Einengung des Informationsbegriffs im entscheidungslogischen Ansatz teilweise zu lockern, ohne die intuitiv überzeugende Annahme eines stets positiven (Brutto-) Beitrags zusätzlicher Information aufzugeben: Jede Information trägt dazu bei, Unbestimmtheit auf der Ebene des Metawissens zu verringern. Sind die Ergebnisse aller Informationsmaßnahmen über alle auf der Meta-Ebene verankerten Informationsquellen bekannt, ist gleichzeitig das Metawissen vollkommen, unabhängig davon, ob mit einer einzelnen Informationsmaßnahme die Unbestimmtheit des Objektwissens vergrößert, mithin Unsicherheit zum Beispiel über die Berücksichtigung eines zuvor nicht bekannten Einflußfaktors tatsächlich als größer anzunehmen ist, oder verringert wird. (b) Unvollkommenheit des Wissens wird in der Informationsökonomik ausschließlich bezogen auf exogene Faktoren des Entscheidungsfeldes, das heißt die dem Einfluß der planenden Instanz entzogenen Umweltgegebenheiten, zugelassen. Endogene Faktoren, Ziele, Handlungsalternativen und Verfahren der Entscheidungsvorbereitung, unterliegen demgegenüber dem Einfluß der planenden Instanz und sind in diesem Sinne keiner Unsicherheit ausgesetzt. Diese Annahme wird abgesichert durch die Prämisse rationalen Verhaltens der planenden Instanz.

24

1. Teil: Information und Planung

In der Einführung wurden unter den Begriffen Existenzsicherung und Vision zukünftiger Entwicklung54 empirisch gewonnene Konzepte skizziert, die verdeutlichen, daß nicht allein Umweltgegebenheiten sondern auch Handlungsalternativen und selbst Präferenzen der planenden Instanz Wissensdefiziten und folglich Unsicherheit ausgesetzt sind. Es ist daher fraglich, ob die auf das Subjekt bezogene Rationalitätsannahme allein ausreicht, um eine deterministische Formulierung endogener Faktoren im normativen Ansatz abzusichern. Das Rationalitätspostulat prägt den entscheidungslogischen Ansatz auch in einem weiteren inhaltlichen Aspekt: Obgleich die Informationsökonomik einen subjektbezogenen Ansatz darstellt, wird subjektives Wissen nicht als eigenständige Kategorie des Wissens berücksichtigt. Die Rationalitätsannahme soll hier mögliche Differenzen überbrücken und erspart auf diese Weise die Formulierung des Transformationsprozesses. Indem subjektives Wissen wie objektives Wissen behandelt wird, ist es in der Informationsökonomik daher nicht erforderlich, die Analyse von Information in dieser Hinsicht zu problematisieren. Wird jedoch die Subjektivität, das heißt der Verzicht auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit zugelassen, muß gleichzeitig eingeräumt werden, daß die betreffenden Teile des Wissens der inhaltlichen Analyse und Kontrolle nicht zugänglich sind5 5 • Konsequenzen ergeben sich damit insbesondere für das hier im Vordergrund stehende Wissensgefälle vom Individuum zur Organisation: Die Existenz zusätzlichen Wissens auf Seiten des Individuums kann lediglich als Auslöser des Transformationsprozesses gedeutet werden, und die dann formale Bewertung kann erst nach Aufbereitung der Information zur Verwendung durch die objektive Instanz erfolgen. Diese formale Prüfung gewonnener Information auf Widerspruchsfreiheit gegenüber bereits vorhandenem Wissen mündet in einem Gesamturteil zu Wissensgefälle und Transformationsprozeß. Mögliche Unstimmigkeiten lassen sich nicht dem subjektiven Wissen oder der Transformation einzeln zuordnen. Hieraus ist zu folgern, daß die Bewertung des Wissensgefälles als eigenständige Komponente des Beitrags subjektiver Urteile zur Entscheidungsvorbereitung nicht möglich ist. Um nun zumindest den Transformationsprozeß als Gegenstand der Bewertung eigenständig erfassen zu können, muß eine Annahme getroffen werden, die als implizite Voraussetzung auch im entscheidungslogischen Ansatz enthalten ist: Wissen und Information beinhalten ausschließlich wahre Aussagen über das Entscheidungsfeld. Ließe etwa das Konstrukt der Bestimmtheit falsche Aussagen als Bestandteil des Wissens zu, müßte die Existenz "negativen Wissens" berücksichtigt werden, das heißt 54

Vgl. S. Jff.

55

Vgl. S. 9.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

25

die Möglichkeit, daß zuvor vollständiges und bestimmtes Wissen durch Information unbestimmt wird. Formal hat in einer solchen Situation zuvor kein Wissen im geäußerten Umfang bestanden. Lediglich unzutreffende Schlußfolgerungen aus effektivem Wissen aufgrund dessen Unvollständigkeit sind in der vorgestellten Konzeption abbildbar. Ziel der vorangegangenen Ausführungen war es, Information und Wissen als strukturelle Komponenten der Planung einzuführen. Aufbauend auf das normative Konzept der Informationsökonomik sind notwendige Erweiterungen in formaler Hinsicht durch die Unterscheidung von Objekt- und Meta-Ebene des Wissens ausgeführt worden. Weiterhin wurden erforderliche inhaltliche Ergänzungen mit Blick auf die endogenen Faktoren des Entscheidungsfeldes dargelegt und damit die Wirksamkeit der Rationalitätsannahme zur Absicherung des normativen Ansatzes in Frage gestellt. Um die Bestandskraft auch des modifizierten Konzeptes zu gewährleisten, mußte auf das Wahrheitspostulat verwiesen werden. Die Wahrheitsforderung stellt sich erkenntnistheoretisch nicht allein als logisches Problem, das heißt als Frage nach der Widerspruchsfreiheit sämtlicher Aussagen im betrachteten Aussagensystem, sondern inhaltlich, mit Blick auf die Verarbeitung zusätzlicher Information, deren Aussagegehalt nicht aus bereits vorhandenem Wissen analytisch rekonstruierbar ist. Während bis zum gegenwärtigen Stand der Untersuchung die erkenntnistheoretische Verankerung von Wissen und Information ausgespart bleiben konnte, wird sie in der vertiefenden Diskussion von Rationalität und Nutzen der Entscheidungsvorbereitung, Abschnitte 1.2 und 1.3, einen wesentlichen Anteil haben und die Voraussetzungen der Übertragung auf reale Entscheidungssituationen beschreiben helfen.

1.2 Rationalität und Planung In der Definition von Planung56 wurde die rationale Bezugnahme auf Handlungsrahmen und Präferenzen bei der Ableitung des Handlungsprogramms gefordert. Obwohl damit gegenüber anderen Definitionen im Schrifttum, die sich auf Rationalität des Handlungsentschlusses per se erstrecken5 7 , bereits eine vergleichsweise schwächere Gestaltungsanforderung zum Ausdruck kommt und der bereits angesprochenen Problematik formaler Beschreibung rationalen Verhaltens58 Rechnung getragen wird, kommt dennoch ein normativer Anspruch zum Ausdruck. Diese Perspektive wurde formal über das entscheidungslogische Grundgerüst dokumentiert. Der als bewußte Wahlhandlung eingeführte Begriff der Entscheidung ist in diesem Sinne um die 56

Vgl. S. 12.

57

Vgl. z.B. den Überblick bei Joachim Hentze / Peter Brose, Unternehmensplanung, S. 18ff.

58

Vgl. S. 13.

26

1. Teil: Information und Planung

Komponente der rationalen Bezugnahme auf Handlungsrahmen und Präferenzen ergänzt worden. Den Ausgangspunkt einer vertiefenden Diskussion der Rationalitätsprämisse bildet das grundlegende, philosophisch verankerte Begriffsverständnis. Danach bezeichnet Rationalität den Charakter " ... derjenigen menschlichen Denk- und Handlungsprozesse, sowie deren objektivierten Resultate, die durch Aktivitäten der menschlichen Vernunft (lat. ratio = Vernunft) zustande gebracht oder bedingt werden." 59 Die der Ratio60 zugedachten Wesensmerkmale unterlagen in der Geschichte vielfachen und einschneidenden Wandlungen. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften und dem beginnenden Rationalismus im 16. Jahrhundert 61 , setzte die Mathematisierung der Erkenntnisideale ein und gab der Methodologie der Philosophie und Wissenschaften die entscheidende Prägung bis weit in das 18. Jahrhundert 62 . Erst die durch Kant am Ende des 18. Jahrhunderts maßgeblich vorangetriebene Ablehnung eines verabsolutierten logisch-mathematischen Modells und Begründung eines ausgedehnten Begriffs, der in der Lage sein sollte, ethischmoralische und sozio-politische Probleme gleichfalls aufzunehmen 63 , gewann der Vernunftbezug wieder eine breitere Basis. Unter dem Aspekt des ablaufenden geistigen Prozesses kennzeichnet Rationalität die spezifisch menschliche Art der begrifflich-diskursiven Erkenntnis und ist daher deutlich vom Intellekt zu unterscheiden5 4 • In der Übertragung auf das spezifische Verständnis in den Wirtschaftswissenschaften ist eine vergleichbare Entwicklung abzulesen, versetzt um zwei Jahrhunderte und mit einer zügigeren Anreicherung des Verständnisses. Deutlich wird dies insbesondere bei der Betrachtung der Webersehen Dif59 Jindrich Zeleny, Rationalität, in: Hans J. Sandkühler, Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. 4, S. 26- 34, hier S. 26. 60 Von lat. reri: berechnen, meinen, dafürhalten; vgl. Alois Walde, Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen , S. 73ff; ausführlich zur Etymologie: Albert Yon , Ratio et !es mots de Ia famille de reor. 61

Vgl. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, Bd. 2, S. 377ff.

62

Kritische Auseinandersetzungen finden sich allerdings auch schon im frühen zeitgenössischen Umfeld, so bei Giovanni F . Pico della Mirandola, Nikolaus von Cues (Nicolaus Cusanus) und Giordano Bruno ("coincidentia oppositorum"). 63 Alberto Burgio, Verstand/Vernunft , in: Hans J . Sandkühler, Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. 4, S. 709- 716, hier S. 712f. Der Anstoß liegt mit Rene Descartes und seiner Konzeption der Bewußtseins- und Subjektphilosophie allerdings noch weiter zurück.

64 Verstandes- oder intellektuelle Erkenntnis vollzieht sich nicht notwendig in Begriffen, so können das Erfassen von Schönheit gä nzlich und die Erkenntnisweise der Mystik zumindest von der Begriffiichkeit losgelöst betrachtet werden. Vgl. Walter Brugger, Rational, in: ders. , Philosophisches Wörterbuch, S. 313. Zur Rückführung auf das Gegeneinandersetzen von Anschauung und diskursivem Denken vgl. lmmanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 74111".

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

27

ferenzierung in das Begriffspaar formale und materiale Rationalität 65 oder in der Gegenüberstellung von formaler Rationalität, die ihren Ausdruck im Handeln gemäß einem widerspruchsfreien Zielsystem findet, ohne Aussage über das Wesen des Zielsystems, und der substantiellen Rationalität, die die Kongruenz des vorliegenden Zielsystems und Entscheidungsverhaltens mit einem allgemein akzeptierten Referenzsystem zur Voraussetzung hat. Das Referenzsystem setzt sich dabei zusammen aus gesellschafts- oder organisationsspezifischen Rahmenbedingungen5 6 • Einen herausragenden Entwurf zum Konzept der Rationalität stellt das Modell des homo oeconomicus67 in seiner Ausformung zu den Varianten des ökonomischen Prinzips dar68 . In der Weiterentwicklung der Entscheidungstheorie veranlaßte die genauere Untersuchung von Entscheidungssituationen und Entscheidungsverhalten zu vielfältigen Abstrichen 69 , die das idealtheoretische Konzept für deskriptive aber auch verhaltensleitende Zwecke umgestalten sollte. Die präskriptive Entscheidungstheorie folgt seither dem abgeschwächten Postulat subjektiver Formalrationalität70. Es wurde gewonnen aus der " ... Theorie der , intendierten', jedoch beschränkten Rationalität (relative Rationalität) .. .'m, die seit den ersten Arbeiten von Sirnon zum Verhalten von Individuen in Organisationen einen dominanten Platz in der sozialwissenschaftliehen Entscheidungstheorie einnimmt 72 • Aus der Perspektive des Verhaltens von Organisationen als Ganzes entstand das ergänzende Konzept der adaptiven Rationalität 73 . Der Verzicht auf die strenge Fassung des Rationalitätsprinzips wurde ge65 In Michael Breheny I Alan J. Hooper, Rationality in Planning, werden die beiden Weberschen Rationalitätskonzepte, der /orma1-materia1-Differenzierung aus organisationaler Sicht und der Zweck- Wert-Differenzierung aus individualistischer Perspektive ausführlich in Wertungsfragen der Planungspraxis einbezogen. Zur Kritik aus handlungstheoretischer Sicht vgl. Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 274. 66

Vgl. Norbert Szyperski I Udo Winand, Entscheidungstheorie, S. 55.

Eine ausführliche Darstellung bietet Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 1, S. 27ff. 67

68 V gl. die Diskussion zum entscheidungslogischen Rationalprinzip in den Varianten statisches Maximierungs- oder Minimierungsproblem und Extremierung unter Variation der funktionalen Beziehung bei Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 66ff.

69 So versuchen Dietger Hahn u.a. den praktischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, indem sie noch weit über eine Abschwächung hinausgehen und Planung beschreiben als ". .. einen durch Zukunftsbezug und Rationalverhalten charakterisierten Entscheidungsprozeß, der jedoch auch durch emotionale Einflüsse bestimmt wird." Dies., Grenzen der Planung, S. 812. 70

Vgl. Günter Bamberg I Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S.

71

Edmund Heinen, Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, S.

4. 221.

72 Vgl. z.B. Robin M.

Hogarth, Judgement and Choice, S. 63ff.

Die adaptiv-rationale Unternehmung bei Richard M. Cyert I Jarnes G. March, A Behavioral Theory of the Firm, S. 99ff. 73

28

1. Teil: Information und Planung

wertet als erzwungenes Zugeständnis im Lichte des beobachteten Verhaltens von Entscheidungsträgern und Organisationen74 . Die schrittweise Rücknahme der Anforderungen erfolgte über die Ausdehnung des Rationalitätsbegriffs auf Verhalten, das bei gegebenen Anspruchsniveaus befriedigende Resultate erzielt und damit zumindest den Erfordernissen formaler und sozialer Rationalität gerecht wird, und mündet in der Feststellung, daß Handlungen als rational zu bezeichnen sind, wenn sie sich auf einen bewußt abwägenden Entscheidungsprozeß stützen15 . Die zähe Entwicklung hat ganz offensichtlich an den Anfang des hier eingangs skizzierten grundlegenden Verständnisses aus philosophischer Sicht zurückgeführt und kann zur Problemlösung keinen Beitrag leisten76 . Nur in Andeutungen sind demgegenüber Aspekte hervorgetreten, die eine sehr nützliche Differenzierung begründen: Lediglich mit dem Ziel strukturierter Darstellung wurde bislang zwischen individueller und sozialer oder organisationaler Rationalität unterschieden, zumeist basierend auf der bereits angeführten Begriffsbildung bei Weber. Tatsächlich stehen weitergehende Implikationen dahinter. Von Organisationen kann gesagt werden, daß sie durch Menschen gebildet und betrieben werden; jedoch besteht wenig Aussicht, die Behauptung erhärten zu können, daß ein vernunftgesteuerter Plan eines einzelnen oder einer Gruppe von Menschen die Entstehung dieser Institutionen vollständig erklärt17 • In diesen Erklärungsnöten gefangen, beantworten etwa Drazin und Sandelands die Frage denn auch mit der schlanken Definition: "Within an autogenetic perspective, organization occurs through the self-organizing capacities of individuals interacting in a so74 John W.N. Watkins geht noch darüber hinaus und leugnet selbst die Eignung als normatives Prinzip, vgl. ders., Freiheit und Entscheidung, S. 35; vgl. auch Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 29. 75

67.

Vgl. Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 1, S. 62f,

76 So sagt Herbert A. Sirnon den Sozialwissenschaften nach, sie " ... leiden bei ihrer Behandlung der Rationalität unter akuter Schizophrenie." Ders., Entscheidungsverhalten in Organisationen, S. 29; und Werner Kirsch beklagt, daß bislang keine Neuformulierung des Rationalitätsbegriffs stattgefunden habe, sondern im Gegenteil die Tendenz sichtbar wird, die Auseinandersetzung auf sich beruhen zu lassen und den Begriff schlicht zu meiden. Vgl. ders., Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 1, S. 67; ähnlich mit Hinweis auf die Notwendigkeit eines Filters auf dem Weg zu einer systematischen Betrachtung: Dietrich Bott, Allgemeine und historische Betrachtungen zum Entscheidungsbegriff, S. 11. 77 Norbert Elias beschreibt die logische Hürde in der Übertragung des Rationalitätsbegriffs auf Institutionen: "Diese fundamentale Verßechtung der einzelnen, menschlichen Pläne und Handlungen kann Wandlungen und Gestaltungen herbeiführen, die kein einzelner Mensch geplant oder geschaffen hat. Aus ihr, aus der Interdependenz der Menschen, ergibt sich eine Ordnung von ganz spezifischer Art, eine Ordnung die zwingender und stärker ist, als Wille und Vernunft der einzelnen Menschen, die sie bilden. ( ... )Diese Ordnung ist weder ,rational', wenn man unter ,rational' versteht: entstanden in der Weise einer Maschine aus der zweckgerichteten Überlegung einzelner Menschen, noch ,irrational', - wenn man unter ,irrational' versteht: entstanden auf unbegreißiche Weise." Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, Bd. 2, S. 314 (i.O. z.T. gesp.); vgl. auch Friedrich A. von Hayek, The Counter-Revolution of Science, S. 80.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

29

cial field. "78 Eine sachliche Trennung erscheint hier notwendig, so daß zumindest zwei Ebenen bezeichnet werden, die separate Rationalitätsbetrachtungen zur Identifikation von Unzulänglichkeiten erlauben. Unterschieden werden soll damit die Fehlbarkeit vernunftgeleiteter Urteile diesseits und jenseits der Schwelle zu den von Elias aufgezeigten Entwicklungslinien von Institutionen, denen eine vollkommen eigenständige, vom Menschen unabhängige Dynamik zukommt19 und die über spezifische rationale Funktionsprinzipien verfügen80 . Vor diesem Hintergrund erhält auch die von Churchman skizzierte Diskussion um mögliche Inhalte eines Rationalitätskonzeptes andere Züge81 . Während mit der Begrenzung auf die Präferenzordnung oder auch der Erarbeitung weitergehender, grundlegender Axiome rationalen Verhaltens82 noch keine Abkoppelung vom Individuum stattfindet, erfolgt dies zwingend, wenn der Versuch unternommen wird, Anleihen bei Ausschnitten der sogenannten Gesamtrationalität der Natur zu machen und mit einem evolutionären Rationalitätskonzept zu arbeiten, das die Entwicklung entlang bestimmten vorgeschriebenen Linien postuliert. Aus der Vernunft des Menschen heraus werden Organisationen damit quasi nachträglich rationalisiert und zwar in dem Umfang, den der Entscheidungsträger innerhalb des Gefüges anhand der Prämissen gestalten kann83 . 78

Robert Drazin I Lloyd Sandelands, Autogenesis: A Perspective on the Process of Organizing,

s. 231.

79 Vgl. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation , Bd. 2, S. 312ff; John W .N. Watkins gibt Hinweise in diese Richtung unter dem Aspekt Rationalprinzip vs. institutionelle "Irrationalität" sowie bei der Diskussion individualistischer und funktionalistischer Sichtweisen, vgl. ders .• Freiheit und Entscheidung, S. 38 u. 42f. 80 Hinsichtlich der beobachtbaren Eigenarten von Organisationen, die auf das Treffen von Entscheidungen spezialisiert sind (Bürokratien) - wie etwa die Neigung zum Wachstum nach innen, aufgrund der beliebigen Dekomponierbarkeit von Entscheidungen, oder die indirekte Expansion in die Außenwelt, indem sie den Kontakt nur denjenigen ermöglichen, die die Konventionen hierzu beherrschen - wird daher auch in Zweifel gezogen, ob der Gedanke an rationale Vorbereitung von Entscheidungen den richtigen Zugang beschreibt. Vgl. Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 288ff; John W .N. Watkins sieht in der Gegenüberstellung von rational handelnden Personen und der Rationalität sozialer Gebilde die Gefahr im "armseligen Kompromiß, der niemandem zusagt", vgl. ders., Freiheit und Entscheidung, S. 38. 81 Vgl. im folgenden C. West Churchman, Philosophie des Managements, S. 116ff; ders. , On Rational Decision Making, S. 72ff. • 82 Einen Versuch unternimmt z.B. Sidney Schoeffler, Towards a General Definition of Rational Action. 83 Vor dem Hintergrund dieser Vorgabe von Handlungsleitlinien sieht Dieter Schneider die Begriffe rational und zielentsprechend als gleichbedeutend verwendet an. Einzuwenden ist jedoch, daß auf die Kennzeichnung individueller Vernunftsteuerung über den Begriff der Rationalität nur dann verzichtet werden kann, wenn die Vorgaben jede Eventualität erfassen. Vgl. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 16; ähnlich auch: Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 157. Experimentell wird die Selektivität dieses Prozesses am Beispiel des Marketing behandelt bei Rashi Glazer I Joel H . Steckel I Russell S. Winer , Locally Rational Decision Making: The Distracting Effect of Information on Managerial Performance.

30

1. Teil: Information und Planung

Die zur rationalen Durchdringung notwendigen Entscheidungsprämissen wiederum sind durch das Unternehmen von außen übernommen oder selbst gegeben84 . Unternehmenseigene ebenso wie dem umgebenden Wirtschaftssystem entlehnte Entscheidungsprämissen repräsentieren wertende Bezüge zum Gegenstandsbereich. Sie trennen relevante von nicht-relevanten Aspekten und grenzen vorteilhaftes von unvorteilhaftem Handeln ab. In funktionaler Hinsicht ist das Resultat der Transformation von Unternehmensentscheidungen über Zwecke in Entscheidungsprämissen die Voraussetzung zur Kompensation eines anderenfalls bestehenden logischen Rationalitätsdefizits85 bei der Entscheidungsfindung. Insoweit ist die Einschätzung, derzufolge " ... Normen und Werte existieren, die ,rationales Verhalten' vorschreiben und sanktionieren"86 zu ergänzen um den wesentlichen Aspekt, daß sich die durch Organisationen gegebenen Vorschriften auch auf die Inhalte rationalen Verhaltens erstrecken und hierbei keineswegs nur Merkmale individueller Rationalität widerspiegeln. Die separate Behandlung führt damit zu weiteren lmplikationen, soweit der Ursprung der Begriffsbestimmung unangetastet bleiben soll: Rationales Handeln findet statt im Rahmen der Funktionsprinzipien von Organisationen, es existieren keine unterschiedlichen Formen von Rationalität87 . Die Vernunftsteuerung knüpft nicht an das an, was ehedem aus ihr selbst entstanden ist, sondern sie wird aus einem ,organischen' in ein künstliches Umfeld verlagert. Eine Kongruenz von realen und durch den Entscheidungsträger antizipierten Ursache-Wirkungs- beziehungsweise Mittel-Zweck-Beziehungen darf nicht mehr ohne weiteres unterstellt werden. Die Gegenüberstellung von Systemkomplexität und Fähigkeit zu komplexem Denken88 liefert hier ein Beispiel für vorhandene Divergenzen. Vernunft allein genügt damit nicht mehr, und die Tatsache, daß der Entscheidungsträger vernunftgesteuert eine Auswahl trifft, läßt keine Aussa84 Indem die betriebswirtschaftliche Organisationsforschung das Konzept der perfekten marktorientierten Konkurrenz verworfen hat, " ... gibt es im Betrieb keine einzig-richtigen und insofern optimalen Entscheidungen." Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 7. Michael D. Cohen I James G . March I Johan P. Olsen unterstützen diese Sicht, indem sie einräumen: "Often problems are resolved without recourse to explicit bargaining or to an explicit price system market ..." Dies., A Garhage Can Model of Organizational Choice, S . 295.

85 Vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 7. Andere Formen, die unabhängig von den hier betrachteten Institutionen Geltung haben, werden bspw. in den nicht-kooperativen strategischen Spielen nachgebildet (z.B. Gefangenen-Dilemma). Vgl. Donglas R. Hofstadter, Metamagical Themas, S. 715ff; John W.N. Watkins, Freiheit und Entscheidung, S. 95ff. 86

Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 1, S. 69.

Weniger mißverständlich wäre es daher, anstelle der bounded rationality den Begriff bounded reasoning einzuführen, und damit deutlich zu machen, daß der Mensch seine Vernunftsteuerung als Mitglied einer Organisation nicht zu Teilen einbüßt, sondern sowohl aufgabenspezifische Restriktion, z.B. Zeitvorgaben, als auch das Leistungsvermögen hinsichtlich der Breite und Tiefe des Räsonierens limitierend wirken. Zum Begriff des bounded reasoning vgl. Joseph Y. Halpern, Reasoning About Knowledge, S. 13. 87

88

Vgl. u.a. George A. Miller, The Magical Number Seven.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

31

ge über die Qualität der Entscheidung zu. Unabhängig vom Menschenbild und damit der Frage, welche Rolle die Vernunft im menschlichen Verhalten einnimmt89 , wird hier unterstellt, daß der Entscheidungsträger seine Aufgabe vernunftgesteuert wahrnimmt und gegebenenfalls entsprechende Anreize hierfür vorhanden sind90 . Gibt es jedoch kein Mehr oder Weniger an Vernunft, so ist zu folgern, daß dieses Kriterium für sich keinen Wert in einer differenzierenden Betrachtung hat91 . Vorteilhaftes von unvorteilhaftem Handeln zu unterscheiden, ist auf dieser Basis nicht mehr möglich. Ein Ansatzpunkt für Bewertungen ergibt sich jedoch grundsätzlich aus der Analyse der Entscheidungssituation. Watson und Buede tragen der Forderung nach Beobachtbarkeit und Diskriminanz von Entscheidungsverhalten Rechnung, indem sie auf die Vorgabe von Verhaltensregeln, wie etwa der Konsistenz von Präferenzordnungen, verzichten und lediglich fordern, der Entscheidungsträger möge die von ihm für adaptionswürdig gehaltenen Regeln zuvor explizit machen, so daß geprüft werden kann, ob er sich tatsächlich danach richtet92 . Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem Versuch, generelle Regeln für rationales Verhalten aufzustellen und diese dann zum Maßstab für die Beurteilung jedweden individuellen Verhaltens zu machen. Dieser Ansatzpunkt für Konzeption und Analyse der Rationalität steht im Zentrum der theoretischen Aufarbeitung von Simon: "Tatsächlich ( ... ) gibt es genau in dem Bereich, wo das menschliche Verhalten beabsichtigt rational, aber das nur begrenzt ist, Raum für eine eigenständige Theorie der Organisation und Verwaltung."93 In der von Watson und Buede vorgeschlagenen Freigabe der Entscheidungsprämissen und damit des gesamten Zielsystems liegt nun allerdings für Zwecke der Entscheidungsvorbereitung im betriebswirtschaftliehen Umfeld kein erfolgversprechender Weg. Es entstünde ein Szenario, in dem jede Entscheidung über die Handlungsverantwortung hinaus mit einer umfassenden Zielverantwortung verknüpft wäre und der Entscheidungsträger zudem bei der Prämissenbildung unmittelbar und fortdauernd dem Druck maßgeblicher Interessengruppen zu widerstehen hätte. Daraus folgt jedoch, daß nicht allein die Ent89 Eine detaillierte Studie, in der diese Thematik aus den Perspektiven des Kritischen Rationalismus und des Konstruktivismus behandelt wird, findet sich bei Bodo Abel, Grundlagen der Erklärung menschlichen Handelns. 90 Bei dem hier betrachteten Verhalten geht es vereinbarungsgemäß um Prozesse bewußten Handelns . Die weitere Diskussion wäre wertlos, wenn im selben Augenblick einkalkuliert werden müßte, daß sich der Entscheidungsträger aktiv darum bemühen könnte, die Vernunft zu umgehen. Zur Abgrenzungsproblematik vgl. Dietrich Bott, Allgemeine und historische Betrachtungen zum Entscheidungsbegriff, S. 2ff.

91 Vgl. die Auseinandersetzung mit Ludwig von Mises bei Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 64f. 92

Vgl. Stephen R. Watson / Dennis M. Buede, Decision Synthesis, S. 12.

93

Herbert A. Simon, Entscheidungsverhalten in Organisationen, S. 30.

32

1. Teil: Information und Planung

sprechung von Prämissen und Handlungsweise zu prüfen ist, sondern auch, ob die gegebenen Prämissen tatsächlich diejenigen des Entscheidungsträgers sind94 . Probleme entstehen insbesondere, wenn vom Entscheidungsträger gefordert ist, Widersprüche eines gegebenen Zielsystems rational zu verarbeiten. Einer streng am Erfolg der Unternehmung orientierten Handlungsweise95 kommt aus Sicht des Unternehmens, dessen Zielsetzungen und Präferenzen, das Prädikat rational zu, ohne daß es sich zwingend um vernünftiges Verhalten handeln müßte. Auch irrationales Verhalten, das den Erfolg steigert, wäre im Sinne des Unternehmens. Der große Coup, der aus einer gänzlich unüberlegten Handlungsweise und dazu vielleicht noch über eine Kette von Mißverständnissen zustande kam, ist dem Unternehmen genau so viel wert, wie ein in mühsamer Kleinarbeit durchgeführtes Projekt, wenn der Erfolgsbeitrag in beiden Fällen der gleiche ist96 . Obwohl das entscheidungslogische Prinzip aufgrundder zu erwartenden größeren ,Treffsicherheit' 97 apriorihöher bewertet wird als andere Formen der Entscheidungsfindung, hat dies nicht zur Folge, daß andere Entscheidungswege konsequent unterbunden werden. Der Orientierung am entscheidungslogischen Prinzip kommt lediglich instrumenteller Charakter bezüglich der primären Ziele des Unternehmens zu98 . Darüber hinaus ist ex post nicht zuverlässig zu bestimmen, wie das Resultat einer Folge rationaler Entscheidungen ausgesehen hätte. Ein Spekulant, der zufällig über einen längeren Zeitraum "die richtige Nase" hatte und große Erfolge für das Unternehmen verbuchen konnte, wird selten dafür bestraft, daß er möglicherweise fortgesetzt mit dessen Existenz gespielt hat 99 . Vielmehr ist zu vermu94 Vgl. zur Problematik der Inkongruenz offizieller Ziele der Unternehmung und der ihr von Funktionsträgern zugedachten bei Herbert A. Simon, Entscheidungsverhalten in Organisationen, S. 219ff sowie Werner Kirsch, Die Unternehmungsziele in organisationstheoretischer Sicht, S. 667ff.

95 Der wahrgenommene und operational faßbare Gehalt des Erfolgsbegriffs resultiert dabei aus dem Funktionsbereich und der hierarchischen Zuordnung des Entscheidungsträgers im Unternehmen. Vgl. ausführlich hierzu den Abschn. 1.2.1. 96 Vgl. auch zur Wahrnehmung der empirischen Erscheinung des Wirtschaftens: Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 17ff. 97 Diese Methapher verwenden z.B . Jürgen Berthel / Dieter Moews, Information und Planung in industriellen Unternehmungen, S. 170f; Heinz Teichmann, Die optimale Komplexion des Entscheidungskalküls, S. 519. 98 Auf dieses Unterordnungsprinzip läßt sich auch ein Teil der Akzeptanzprobleme bei der Durchsetzung von Reorganisationsmaßnahmen zu Zeiten guter geschäftlicher Bedingungen zurückführen. 99 Bei entsprechender Formulierung des Beurteilungskriteriums, ist eine Paradoxie unvermeidlich. So beschreibt Roland Gzuk eine Variante der Effizienz-Interpretation im Überlebens-Modell als das Ausmaß akuten Risikos, " ... das eine Entschlußfassung für die Betriebswirtschaft mit sich gebracht hat", und erläutert weiter, daß es den "Überlebensbeitrag" von Entscheidungen, nach deren Realisation, "Vollzug und Wirkung der Entscheidung', festzustellen gelte. Ders., Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 147f. Hieraus müßte gefolgert werden, daß Spekulationsgeschäfte

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

33

ten, daß Tantiemen und beruflicher Aufstieg die Erfolge für den einzelnen krönen werden 100 • In diesem Zusammenhang liegt ein Faktum, das weithin als Leitmotiv für jeden einzelnen fungiert: Gratifikation wie Sanktionierung wirtschaftlichen Handeins erfolgt ergebnisorientiert. Die näheren Umstände, aufgrund deren es zu wirtschaftlichen Erfolgen oder Mißerfolgen gekommen ist, mögen im konkreten Fall Belobigungen moderater oder Zurechtweisungen erträglicher ausfallen lassen; dessen ungeachtet wird gerade für die weitere Umgebung, die keine gerraue Kenntnis über die Entstehungszusammenhänge hat, einzig das Resultat Bewertungsmaßstab sein 101 . Es ist kaum in Frage zu stellen, daß genau diese Gegebenheiten in einen rationalen Kalkül des Entscheidungsträgers gehören und zu einem opportunistischen Urteil 102 führen. Von besonderer Bedeutung sind diese Zusammenhänge zweifellos für die Planung. Sie sind der Grund für die Forderung nach einer Trennung des Erfolgsbeitrags eines realisierten Planobjekts vom Erfolg der Planung. Für letzteren sind nicht allein eigenständige Maße zu finden, sondern auch Steuerungsinstrumente zu entwickeln, die Meßwerte in ebenso wirksame Anreize umsetzen wie dies bei der Orientierung an Objektergebnissen geschieht. Um nun das breite, zeitweilig an Beliebigkeit grenzende Begriffsverständnis wieder zu fokussieren: Rationalität ist ein erstes Prinzip103 • Was von ihm im Falle einer resultierenden Vermögensmehrung als Maßnahmen der Existenzsicherung zu deuten sind. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, indem die Risikobewertung in Abhängigkeit von der Höhe und der zeitlichen Ausdehnung des Risikos erfolgt (vgl. Abschn. 3.1). Letztere ka.nn z.B. in Anbetracht kaum wahrnehmbarer Transaktionszeiten im Börsenhandel auf einen vernachlässigbaren Wert schrumpfen. 100 Erstrecken sich die Spekulationen auf Finanzgeschäfte, steht der Umfang der Risikoexposition einer späteren Überprüfung gegebenenfalls offen; handelt es sich aber z.B. um den Verkauf von Anlagegütern und das Gespür des Verkäufers, der bereits lange vor dem rechtswirksamen Abschluß eines Kaufvertrages mit dem Kunden betriebliche Kapazitäten bindet und diese auch binden muß, um geforderte Termine des Kunden später einhalten zu können, sind Überprüfungen praktisch nicht möglich. Die zuweilen durch das Rechnungswesen in bestimmten Zeitabständen erhobenen Abschlußwahrscheinlichkeiten sich anbahnender Geschäfte können sich nur auf die Einschätzung des betreffenden Verkäufers stützen und spiegeln im Zweifel nur dessen Opportunitätsüberlegungen wider. 101 Anschaulich kommt diese univariate Verknüpfung bei Vilfredo Pareto zum Ausdruck, wenn er bei der Analyse von Gesellschaftsstrukturen eine Rating-Skala, R {0, 1, ... , 10}, vorschlägt, auf der die tatsächliche Leistung des Individuums in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen abgebildet werden kann: n Wer auf gute oder schlimme Weise Millionen zu erwerben wußte, wird 10 erhalten; wer tausend Franken, 6; wer auf dem Existenzminimum lebt 1; wer der öffentlichen Fürsorge anheimfä.llt, 0. ( ... ) Dem geschickten Betrüger, der dem Strafgesetz zu entgehen weiß, die Note 8, 9 oder 10 je nach Zahl der Betrogenen oder Menge ihnen abgenommenen Geldes; dem kleinen Dieb, der in den Gaststätten Eßgeschirr stiehlt und sich dazu noch von der Polizei festnehmen läßt, 1. Einem Dichter wie Musset geben wir je nach Geschmack 8 oder 9; einem Reimeschmied, der die Leute mit seinen Sonetten verfolgt, 0." Ders., Allgemeine Soziologie, S. 220f.

=

102

Floyd W. Matson, Rückkehr zum Menschen, S. 266.

Ein Prinzip(:: Ursprungsgrund) , welches innerhalb des betrachteten Systems keinem übergeordneten zugerechnet werden kann; vgl. Walter Brugger, Prjnzjp, Philosophisches Wörterbuch, S. 304f. In der Diskussion um den Vorwurf der Trivialität vis-ä.-vis der Notwendigkeit als Prämis103

3Lechner

34

1. Teil: Information und Planung

ausgeht, sei es dem Sein, dem Geschehen oder der Erkenntnis nach, bildet die Eigenschaft und ist virtuell im Prinzip enthalten. Gelingt es, ein Zielsystem widerspruchsfrei zu formulieren, ist logisch konsistent die zugehörige Eigenschaft, welche ihren Ausgangspunkt im Rationalprinzip hat. Für die Beschreibung und Interpretation auf der Objektebene werden folglich Informationsverluste und begriffliche Undeutlichkeiten in Kauf genommen, wenn in Kategorien des ersten Prinzips anstelle derjenigen nachgeordneter Prinzipien argumentiert wird 104 . Vor diesem Hintergrund soll hier auf die Benutzung der eingangs angeführten attribuierten Rationalitätsbegriffe zugunsten jeweils konkreter Eigenschaftskennungen verzichtet werden. Rationalität ./

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prämissen- und zielsystemorientiert

abbildungsorientiert

struktur- und prozeßorientiert

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logische Konsistenz ethische Kohärenz

Objektivität

Effektivität Effizienz

Abbildung 1-1. Bezüge rationaler Planung

Eine in diesem Sinne angelegte Differenzierung der Rationalität im Kontext der Entscheidungsvorbereitung führt zu den in Abb. 1-1 wiedergegebenen Kategorien. Das Zielsystem mit den dort verankerten Präferenzen sowie die hieraus abgeleiteten Prämissen zum Verfahren der Entscheidungsvorbereitung und zur Ableitung des Handlungsentschlusses, der Entscheidungsregel, unterliegen der Anforderung logischer Konsistenz. Darüber hinaus ist se schließt John W .N. Watkins mit dem Satz: "Wenn das Rationalprinzip notwendig ist, um aus Situationsbeschreibungen Handlungsprognosen abzuleiten, scheint es offensichtlich unter diese Kategorie (der unerläßlichen Prinzipien, A.d.V.) zu fallen ." Ders., Freiheit und Entscheidung, s. 37. 104 Begriffskreationen wie mittlere pragmatische Rationalität bei Josef Zeiger, Über die Aufgaben einer Handlungswissenschaft, S. 639, oder optimale Rationalität bei Niklas Luhmonn, Grundbegriffliche Probleme einer interdisziplinären Entscheidungstheorie, S. 471, bringen dies deutlich zum Ausdruck. Der vieldeutige Gebrauch verleitet dazu, Rationalität als eine vom Sachbezug und Subjekt losgelöste Größe zu betrachten, deren Ausprägung im Sinne einer Quantität gemessen werden könnte.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

35

das Zielsystem in begrenztem Umfang inhaltlichen Anforderungen ausgesetzt, die mit dem Begriff ethische Kohärenz umschrieben werden können. An die Beschreibung des Entscheidungsfeldes, die Problemrepräsentation wird die Forderung nach Objektivität geknüpft. Mit Blick auf das Problemlösungspotential sind die planende Instanz und die Gestaltung des Verfahrens unter den Kriterien Effektivität und Effizienz zu beurteilen. Diese aus dem Rationalprinzip abgeleiteten Anforderungen erfassen die Planung nach Maßgabe der eingeführten Komponenten 105 in sämtlichen Merkmalen 106 . Das Nebeneinander dieser formal zu trennenden Bezüge sollte dabei nicht von den inhaltlichen Zusammenhängen ablenken: Die Prämissen, unter denen die Entscheidungsvorbereitung durchgeführt wird, geben eine Orientierung für Inhalt und Form des zu schaffenden Abbildes, und das auf diese Weise entstehende Modell der Entscheidungssituation hat Einfluß auf die Gestaltung von System und Prozeß, innerhalb derer es abgearbeitet werden soll. Zur formalen und substantiellen Interpretation der Rationalitätsforderung konnten vier Aspekte herausgearbeitet werden: (1) die Fehlbarkeit auch vernunftgesteuerten Handelns, (2) die Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft als alleinigem Instrument zur rationalen Durchdringung von Entscheidungsprozessen, (3) die gegenseitige Unbedingtheit von ökonomischem Erfolg und Rationalität sowie (4) die Konkretisierung der Merkmale rationaler Entscheidungsvorbereitung. Dem Fortgang der Untersuchung lassen sich diese Ergebnisse wie folgt zuordnen: Direkt im Anschluß erfolgt eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Merkmalen der Rationalität und ihrer Zusammenhänge. Die empirische Untersuchung der Fehlbarkeit vernunftgesteuerten Handeins wird zentraler Gegenstand des Zweiten Teils, der Analyse und Bewertung von Schätz- und Entscheidungsverhalten sein. Ansatzpunkte und Bedingungen für die Ergänzung individueller Rationalität im organisationalen Rahmen und die Aufwertung rationalen Verhaltens im Entscheidungsprozeß im Anschluß an (3) beziehungsweise (4) werden im Dritten Teil der Arbeit behandelt. 1.2.1 Kohärenz und Konsistenz

Die Rationalitätsanforderung an das Zielsystem läßt sich differenzieren in die Abstimmung organisationaler Verhaltensregeln gegenüber der Umwelt und die unternehmensinterne Abstimmung der Gesamtheit dort festgelegter 105

Vgl. S. 12.

Unter dem Aspekt der strategischen Kontrolle weist der Arbeitskreis "Integrierte Unternehmungsplanung" (SG-DGfB) a.na.log auf drei Teilkomplexe hin: - Konsistenzkontrolle - Prämissenkontrolle - Durchführungskontrolle Vgl. Dietger Hahn u.a., Grenzen der Planung, S. 827. 106

3*

36

1. Teil: Information und Planung

Verhaltensregeln. Unter den Aspekt der Kohärenz fällt die erste Kategorie der Abstimmungsaufgaben. Sie erstreckt sich auf die Anforderungen, denen das Unternehmen aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Wirtschafts- und zum gesamten Gesellschaftssystem unterliegt und denen es zur Wahrung seiner ökonomischen Zielsetzungen genügen muß. Gegenstand der Betrachtung sind die Einwirkung des Unternehmens auf seine Umwelt und die Rückwirkungen aus der Umwelt aufgrund seines Verhaltens. Relevante Verhaltenserwartungen gehen sowohl von Personen und Institutionen aus, zu denen das Unternehmen in einer direkten Leistungsbeziehung steht, als auch von der übrigen, durch die Existenz des Unternehmens mittelbar betroffenen Umwelt. In dieser weit gefaßten Perspektive bezeichnen die Anforderungen Beiträge des Unternehmens zur Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüges, dem es angehört. Die Verhaltensweise muß sich in einem gewissen, inhaltlich zu bestimmenden Umfang in die Gepflogenheiten des umgebenden Systems fügen 107 . Die formal-logische Untersuchung des Verhaltens auf Widerspruchsfreiheit in Bezug auf Regeln des Systems kann dabei nur begrenzten Beitrag zur Bestimmung von Kohärenz leisten. Zwei Ursachen sind hier zu nennen: (1) Die Kohärenzforderung ist ökonomisch motiviert, das heißt formal widersprüchliches Verhalten, das keiner ökonomisch relevanten Sanktionierung ausgesetzt ist, beeinträchtigt die Kohärenz nicht 108 . (2) Um ökonomisch relevante Verhaltensanforderungen formal-logisch untersuchen zu können, müßten diese in einer Form vorliegen, die Widerspruch und Konformität eindeutig festlegen. Sobald Ermessensspielräume für die Bewertung des Verhaltens auf der Seite Betroffener angenommen werden können, ist Eindeutigkeit nicht mehr gegeben, und die Beurteilung ökonomischer Relevanz erfordert die Berücksichtigung weiterer Situationsmerkmale.

Homann und Blome-Drees fassen die Untersuchung ökonomischer Relevanz von Verhaltensanforderungen unter dem Begriff Restriktionenanalyse zusammen und verweisen auf die verschiedenen Ansätze zur ökonomischen Theorie der Moral, in denen ethische Vorgaben aufgefaßt werden als "öffentliches Kapital, das entsprechend der Theorie öffentlicher Güter besonderen 107 Die Begrifßichkeit veranschaulicht etwa die Analogie zur Kohärenztheorie mit der Forderung des "overall fit of mutual attunement" (Nicholas Rescher). Vgl. Karl Homann, Rationalität und Demokratie, S. 95. Vgl. auch mit dem Hinweis auf die synonyme Verwendung des Begriffes fair im entscheidungstheoretischen Kontext bei Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. IV, 1. Hbd. S. 445. 108 Die hieraus erwachsenden Konsequenzen sind sowohl unter konzeptionellen (formalen) wie ethischen (substantiellen) Gesichtspunkten Gegenstand der Werturteilsdiskussionen. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf die folgende Sequenz von Beiträgen: Dieter Schneider, Unternehmensethik und Gewinnprinzip in der Betriebswirtschaftslehre; Horst Steinmann /Albert Löhr, Wo die Betriebswirtschaftslehre unverantwortlich wird - Stellungnahme zu Dieter Schneider; Peter Ulrich, Schwierigkeiten mit der unternehmensethischen Herausforderung - Stellungnahme zu Dieter Schneider; Dieter Schneider, Wird Betriebswirtschaftslehre durch Kritik an der Unternehmensethik unverantwortlich? - Stellungnahme zu den Stellungnalimen von Horst Steinmann und Albert Löhr sowie Peter Ulrich.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

37

Produktions- und Erhaltungsbedingungen unterliegt, das die Rechtfertigung aber in den- i.w.S. ökonomischen- Vorteilen für alle hat." 109 Die Arbeitsteiligkeit gesellschaftlicher Prozesse ist hierbei selbst Ursache der Entstehung bestimmter Verhaltensanforderungen, und moralische Normen sind aus dieser Perspektive zu interpretieren als "Investitionen in die Kooperation zwischen Menschen, die außerordentliche Produktivitätsvorteile für alle bringen soll und kann." 110 Die Konsequenzen, die der ökonomische Kalkül aus Sicht des einzelnen Unternehmens hat, lassen sich am Beispiel der staatlich sanktionierten Verhaltensregeln präzisieren. Das Unternehmen ist gefordert, unter Beachtung der gültigen Gesetze und Vorschriften zu handeln. Hinsichtlich der oben unter (1) genannten Beschränkung ist hier, gerade mit Blick auf sogenannte Kavaliersdelikte des Wirtschaftsrechts, von ökonomisch begründeten Übertretungsspielräumen auszugehen. Inwieweit etwa unzulässige Absprachen zwischen Anbietern dem Risiko der Offenlegung ausgesetzt sind und im Falle der Ahndung ökonomische Relevanz für ein Unternehmen haben, wird wesentlich von situativen Gegebenheiten, etwa der Branche und dem Anbietergefüge auf dem betreffenden Markt abhängig sein. In ähnlicher Weise kann die Relevanz von Vorschriften auf den Gebieten des Arbeits- und Sozialrechts von der intendierten abweichen 111 . Demgegenüber stehen die unter (2) angeführten Toleranzen, die auch auf dem Gebiet gesetzlich geregelter Verhaltensanforderungeil zu beobachten sind. Ausgehend von der Formulierung einer gesetzlichen Vorschrift erstrecken sich Ermessensspielräume häufig sowohl auf Lockerungen als auch auf Ausweitungen der Verhaltensanforderungen. Damit sind nicht allein ökonomische Nachteile zu berücksichtigen, die entstehen können, wenn das Unternehmen Anlaß dazu gibt, Anforderungen zu verschärfen, sondern auch Vorteile, die durch mögliche Erleichterungen bewirkt werden können. Besonders untadeliges Verhalten zu einer Zeit, im Sinne einer für Betroffene vorteilhaften Übererfüllung der Konformitätsvoraussetzungen, wird möglicherweise mit einer vereinfachten Handhabung von Verwaltungsregularien zu späterer Zeit oder auf anderem Gebiet honoriert und mindert den Aufwand 112 . Das hier zur Erläuterung der Kohärenzanforderung herangezogene Gebiet gesetzlicher Regelungen ist ein Bestandteil der Gesamtheit der Konventionen im Sozial- und Wirtschaftsleben. Im Unterschied zu den übrigen Verhaltensregeln zeichnen sie sich dadurch aus, daß die zur Beurteilung ökonomischer Relevanz notwendigen Informationen zu einem wesentlichen Teil 109

Karl Homann / Franz Blome-Drees, Wirtschafts- und Unternehmensethik, S. 100.

110

Ebd.

Z.B. mit Blick auf Verletzungen des Gleichheitsgrundsatzes oder Umgehungen der Vorschriften zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen für behinderte Menschen. 111

112

Etwa Erleichterungen der Nachweispflichten gegenüber Finanzbehörden.

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1. Teil: Information und Planung

über ihre förmliche Grundlage gewonnen werden können. Bei der Analyse informeller Verhaltensregeln ist zu erwarten, daß der Berücksichtigung situativer Merkmale größere Bedeutung zukommt und in die Bewertung ökonomischer Relevanz noch vermehrt Informationen aus subjektiver Beurteilung einfließen 113 . Ohne an dieser Stelle die Untersuchung zu vertiefen 114, kann in Analogie zu den situativen Einflüssen, die bereits mit Blick auf die Gesetzestreue in Rechnung gestellt wurden, auch für die übrigen Konventionen angenommen werden, daß Maßstäbe zur Bestimmung kohärenten Verhaltens zu einem gegebenen Zeitpunkt lediglich unscharferfaßt werden können. Diese Unschärfe findet ihren Ausdruck in unvollkommenem Wissen über den ökonomischen Einfluß der Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln. In der zusammenfassenden Charakterisierung der Kohärenzanforderung kann daher lediglich das Ergebnis einer durch subjektive Urteile geprägten Analyse der Verhaltensanforderungen festgehalten werden: Unternehmensverhalten ist kohärent, wenn ökonomische Nachteile aus der Konfrontation mit maßgeblichen Interessengruppen vermieden und Vorteile aus der Befolgung bestimmter Verhaltensregeln genutzt werden. Diese Festlegung bildet eine Abgrenzung zu weitergehenden, ethisch motivierten Forderungen, die einer betriebswirtschaftliehen Analyse nicht zugänglich sind 115 . Während die Untersuchung unter dem Gesichtspunkt der Kohärenz das inhaltliche Erkennen und Bewerten externer Anforderungen an die Handlungsweise zum Gegenstand hat, liegt die Forderung nach Konsistenz unternehmensinterner Verhaltensregeln auf der Ebene formaler Analyse. Ausgangspunkt ist hierbei das Oberziel der Unternehmung. Im allgemeinen beschreibt die Forderung nach Gewinnmaximierung dieses Ziel 116 . Um das Oberziel operational beschreiben und in konkrete Verhaltensregeln überführen zu können, bedarf es der zeitlichen und sachlichen Spezifizierung von Teilzielen. Aufgabe eines solchen, gegebenenfalls in weitere Hierarchiestufen untergliederten Zielsystems ist es, das ökonomisch relevante Handeln im Unternehmen erfolgsmaximal im Sinne des Oberziels zu steuern. Diese Anforderung wird erfüllt, wenn das Zielsystem vollständig und widerspruchsfrei ist. Die 113 Beispielhaft für relevante Einflüsse aufgrund informeller Verhaltensanforderungen läßt sich auf Umweltschutzinitiativen auf privater wie staatlicher Ebene verweisen. So wurde bspw. von der Kommission der EG-Umweltminister im März 1993 die Einführung des sog. Öko-Audit beschlossen, wonach entsprechend eines jeweils unternehmensseitig festgelegten Zielkatalogs regelmäßige behördliche Prüfungen der umweltgerechten Fortentwicklung durchgeführt werden sollen. Ob und wie ambitioniert sich Unternehmen diesem Programm anschließen, wird von der Einschätzung der zu erwartenden öffentlichen Aufmerksamkeit abhängen. 114

Vgl. hierzu z.B. Artbur Lisowsky, Ethik und Betriebswirtschaftslehre.

115

Vgl. die ausführliche und kritische Auseinandersetzung ebd.

Vgl. z.B. die Orientierung am Endvermögen in der Finanzplanung bei Hermann Göppl / Klaus Zoller, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 2, S. 183ff. 116

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

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Bildung eines Zielsystems unter Einhaltung dieser Prämissen setzt vollkommenes Wissen über die Oberzielwirksamkeit jedes der Teilziele und ihrer Interdependenzen voraus. Anband der Kriterien zeitlicher Reichweite und sachlicher Differenzierung sollen im folgenden Ursachen und Konsequenzen einer notwendigen Lockerung der Annahme vollkommenen Wissens erläutert werden. Unter dem Aspekt zeitlicher Reichweite steht der Prämisse der Vollständigkeit entgegen, daß die umfassende und aussagefähigste Analyseebene, die Totalperiode, im Regelfall unbekannt ist. Ein natürlicher Horizont für die Unternehmensexistenz kann nicht bestimmt werden 117 • Konsistenz ist daher nur relativ zu einer zeitlich beschränkten Formulierung des Oberziels interpretierbar. Ökonomische Wirkungen, die durch Handeln bis zu einem solchen Horizont begründet sind, jedoch einer Periode nach überschreiten dieser Grenze zugerechnet werden müssen, bleiben unberücksichtigt. Je kürzer das Zeitintervall, das der Konsistenzbetrachtung zugrundegelegt wird, das heißt je länger der darüber hinaus verbleibende Zeitraum der Unternehmensexistenz, desto höher der Anteil vernachlässigter oberzielwirksamer Effekte aus gegenwärtigem Handeln. Erfolgt die Zielabstimmung zum Beispiel vor dem Hintergrund der Quartalsberichterstattung und -dividendenzahlung an Anteilseigner des Unternehmens, ist zu vermuten, daß die Konsistenz bei der Übertragung auf einen mehrjährigen Planungshorizont nicht gewahrt bleibt 118 • Allgemein läßt sich die mögliche Inkonsistenz über den Ergebnisvergleich zwischen einer Folge von Zeitintervallen ti mit einem Intervall T, das den Gesamtzeitraum dieser Folge umfaßt, veranschaulichen. Als Oberziel jeder Periode sei gegeben, die Entnahmen unter Einhaltung gewisser Restriktionen hinsichtlich Liquidität und Betriebsbereitschaft zu maximieren. Widerspruchsfreiheit mit dem Oberziel ist gewahrt, soweit der gesamte Mitteleinsatz bis zum Ende der jeweiligen Periode mit höchstmöglicher Produktivität, das heißt unter Ausgleich der Grenzproduktivitäten über alle Verwendungsarten erfolgt 119 . Die in den Perioden ti verfügbaren alternativen Mitteleinsätze sind in der Periode T vollständig enthalten. Darüber hinaus gilt jedoch für T, daß zusätzlich 117 Für personenbezogene Unternehmen verdeutlicht dies Dieter Schneider durch die Trennung von Planungszeitraum, als dem aktuellen ökonomischen Horizont ("Gesichtsfeld") , und gesamtem erwerbswirtschaftlichem Handlungszeitraum. Vgl. ders., Investition, Finanzierung und Besteuerung, S. 40ff. 118 Die in den vergangeneo Jahren hä.ufig beklagte Überalterung des Betriebsmittelbestande!t in den USA illustriert dies. Hä.ufig wird hier der Hinweis gegeben, da.ß die in besonderer Weise dem Zwang kurzfristiger Erfolgsausweise unterlegenen Unternehmen dazu neigen, produktivitätssteigernden Investitionen eine geringere Prioritä.t zuzuordnen, als dies aus der Perspektive längerfristigen Markterfolgs gerechtfertigt wä.re. Vgl. z.B. Erich Bloch, New World Order, S. 44ff. 119

Vgl. z.B. Günter Sieben/ Thomas SchildbBch, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre,

s. 42f.

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1. Teil: Information und Planung

alle Mitteleinsätze in den Kalkül einfließen, deren Produktivität nach Überschreiten der Periodenlänge t; und vor Erreichen von T größer oder gleich der für t1 gültigen Grenzproduktivitäteil ist. Existiert keine Verwendungsart mit höherer Produktivität, entspricht die Entnahme am Ende von T der Summe der mit den Grenzrenditen verbleibender Teilperioden aufgezinsten Entnahmen 120 über t;. In jedem anderen Fall wird die Entnahme in T größer sein und T ließe sich nicht unter Wahrung der Konsistenz durch die Betrachtung der Teilperioden t; ersetzten. Neben der Abstimmung für einen gegebenen Zeitrahmen sind daher mögliche Wirkungsüberhänge oder Anschlußwirkungen zu berücksichtigen. Identifikation und Bewertung solcher Wirkungen sowie die Anpassung der Zielabstimmung erfolgen wesentlich auf der Basis subjektiver Urteile. Der Darstellung möglicher Inkonsistenzen in der Zeit liegt die Annahme vollkommenen Wissens zugrunde. Aus ihr folgt die Prämisse, daß die Produktivität alternativer Mitteleinsätze bekannt ist, so daß nicht allein angegeben werden kann, welche Erfolgswirkung zum Beispiel eine bestimmte Ausdehnung des Marktanteils hat, sondern darüber hinaus, in welchem Umfang dieses Teilziel nach Maßgabe der Produktivität alternativer Mitteleinsätze verfolgt werden sollte. Wird die Annahme vollkommenen Wissens gelockert, das heißt zugelassen, daß Oberzielwirksamkeit und Interdependenzen, ausgedrückt über Grenzproduktivitäten, nicht vollständig bestimmt werden können, ist die Konsistenz eines gegebenen Zielsystems in strenger Form nicht mehr überprüfbar. An die Stelle eines genau bestimmten Zusammenhangs zwischen Teilzielen und einem Oberziel über den gegebenen Zeitraum tritt die laterale Betrachtung sachlich differenzierter Zielkategorien. Diesen Zielkategorien, die sich zum Beispiel auf Marktposition, technologischen Standard oder Jahresüberschuß beziehen, wird ein lediglich unpräzise beschriebenes Potential zur Erreichung größtmöglicher Produktivität insgesamt und über den konkret betrachteten Zeitraum hinaus eingesetzter Mittel zugemessen 121 . Das Zielsystem ist demzufolge auf der obersten Ebene mehrdimensional. 120 Um Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wird hier angenommen, da.ß die in den Teilperioden erwirtschafteten Überschüsse dem Unternehmen bis T zur Verfügung stehen. Die Grenzproduktivität in den verbleibenden Teilperioden t; drückt dabei die Rendite der zusätzlich eingesetzten Mittel aus. In der dynamischen Investitionsrechnung wird hilfsweise z.B. auf die Gesamtka.pitalRentabilität als Kalkulationszinsfuß bzw. die interne Verzinsung zurückgegriffen. Können die Entnahmen anderweitig angelegt werden, hängt die Vorteilha.ftigkeit der Endwertmaximierung zusätzlich von der Rendite alternativer Anlagemöglichkeiten des Anteilseigners ab: Werden beliebige Einzahlungsüberschüsse c über den Betra.chungszeitraum (T = t1 + · · · + t; + · · · + tn, mit n E IN) alternativ im Unternehmenzurreinvestiert oder nach Entnahme zum Kapitalmarktzins i angelegt, so gilt für den Endwert EWr = c;(l + r)n-j bei r > i: EWr > EW;. Vgl. auch Günter Altrogge, Investition, S. 55ff.

E7=l

121 Konzepte zur systematischen und formalisierten Erfassung, wie sie analog für die Unternehmensbewertung erforderlich wären, stehen noch in den Anfangen. Vgl. Günter Sieben/ Thoma.s Schildbach, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. l67ff.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

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Sowohl die mögliche Inkonsistenz in der zeitlichen Abgrenzung als auch der unbestimmte Zusammenhang zwischen Erfolgsdimensionen bei sachlicher Differenzierung führen zu einem mehrdeutigen Erfolgsbegriff122 . Bis an diese Stelle wurde zur Herleitung der Unbestimmtheit des Zusammenhangs zwischen Teilzielen und Oberziel die Annahme vollkommenen Wissens abgeschwächt. Die erzielbaren, individuell dimensionierten Erfolgsbeiträge aus den einzelnen Mitteleinsätzen galten dabei implizit als determiniert. Wird nun diese Prämisse gelockert und Unsicherheit hinsichtlich des zu erwartenden Erfolgsbeitrags berücksichtigt, erstreckt sich die formale Abstimmung des Zielsystems zusätzlich auf Risiken, die mit bestimmten Erfolgserwartungen verbunden sind. Zunächst sei hier von der Annahme ausgegangen, daß die Höhe des jeweiligen Risikos bekannt und zum Beispiel über eine Verteilung der Erfolgsgröße beschrieben ist. Die in der deterministischen Formulierung enthaltene Forderung nach Ausgleich der Grenzproduktivität wird daraufhin Bestandteil einer risiko-orientierten Bewertung des Mitteleinsatzes. Hierzu ist es erforderlich, einen Zusammenhang zwischen erwarteter Produktivität und Unsicherheit herzustellen. Das Problem kann auf verschiedene Weise gelöst werden. Eine Möglichkeit ist die Vorgabe einer Mindest-Wahrscheinlichkeit. Mitteleinsätze werden mit derjenigen Produktivität in den Kalkül einbezogen, die mit dieser Wahrscheinlichkeit erzielbar ist. Ebenso könnte der Zusammenhang von zu erwartender Produktivität und Risiko dynamisch erfaßt und zum Beispiel über die rechnerische Verknüpfung von Erwartungswert und Varianz ein Austauschverhältnis festgelegt werden 123 • In welchem Umfang Unsicherheit die erwartete Produktivität relativiert, hängt dabei von einem Urteil über die Risikoneigung ab. In diesem Urteil kommt, analog zu Oberziel beziehungsweise abgeleiteten Zielkategorien, eine Präferenz zum Ausdruck, die nicht aus dem Zielsystem selbst rekonstruierbar ist und folglich keiner formal-logischen Prüfung auf Widerspruchsfreiheit unterzogen werden kann. Ergänzend zur Annahme sicherer Kenntnis des Risikos sei nun unterstellt, daß der Zusammenhang zwischen erwarteter Produktivität und Unsicherheit operational beschrieben ist, zum Beispiel über eine Risikonutzen122 Mit vermutlich unfreiwilliger Prägnanz fördert z.B. Bernhard Dorn, Geschäftsführer der IBM Deutschland GmbH, diese Problematik zutage, wenn er mit Blick auf die Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung äußert: "Sie führen häufig dazu, daß nur wirtschaftlich sinnvolle Investitionen getätigt werden, während die strategisch wichtigen auf der Strecke bleiben. Nun wissen wir aber, daß es in vielen Fällen wenig nutzt, die Erbsen zu zählen. Qualitative Entscheidungen lassen sich eben nicht durch einfaches Abzählen quantifizieren." Ders., "Statt Erbsen zählen ... - Unternehmenskommunikation ist Chefsache", Frankfurter Allgemeine Zeitung, Verlagsbeilage CeBit '89, 7. März 1989, S. BJ. 123

Vgl. z.B. Günter Sieben/ Thomas Schildbach, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre,

s. 60ff.

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1. Teil: Information und Planung

Funktion mit den Parametern Erwartungswert und Standardabweichung124 . Danach ist der zu erwartende Erfolg als Risiko-Nutzen eindeutig bestimmt. Unter diesen Voraussetzungen kann das Zielsystem widerspruchsfrei formuliert werden. Unsicherheit führt nun zu Einschränkungen bei der Interpretation von Zielsystem-Konsistenz. Konsistenz bestimmt sich auf Grundlage des gegebenen Wissens. Ist das Wissen vollkommen, treten Veränderungen des Wissensbasis im Zeitablauf durch (Nicht-) Eintritt der Zufallsereignisse auf. Bei unvollkommenem und veränderbarem Wissen kommt hinzu, daß Information im Zeitablauf dazu führt, daß ein zum Zeitpunkt der Zielabstimmung vage erkanntes Risiko im Zeitablauf vollständiger und mit größerer Bestimmtheit beschrieben werden kann. Im Vergleich der Konsistenzbedingungen zu Beginn und am Ende des Betrachtungszeitraums lassen sich die Konsequenzen aufzeigen: Zu beiden Zeitpunkten gilt die Abstimmung dem angestrebten Erfolgsmaximum mit Ablauf der betrachteten Periode. Während zu Beginn das Risikokriterium interveniert und die einzigen verfügbaren Referenzen zum antizipierten Resultat mögliche Verteilungen der Erfolgsgröße sind, steht mit Ablauf der Periode nicht nur das tatsächliche Ergebnis fest, sondern es sind darüber hinaus die Gegebenheiten bekannt, unter denen es erzielt wurde. Die ex post erfolgsmaximale Abstimmung dient entsprechend als Referenz für die Bewertung des Ergebnisses, und Zielabstimmungen, die näher an diesen Wert führen als andere, erscheinen aufgrund des zugewachsenen Wissens in höherem Maße widerspruchsfrei. Während des Verlaufs der Periode, für die eine förmliche Zielabstimmung durchgeführt wurde, gilt analog, daß Wissensveränderungen eine d:;•namische Anpassung der Konsistenzbedingungen notwendig machen. Veränderungen der Unsicherheit bestimmter Erwartungen schlagen sich dabei auf dem informellen Weg über subjektive Urteile in Aktualisierungen der Zielabstimmung nieder. Aus der Untersuchung der Rationalitätsanforderung an die Handlungsvorgaben des Unternehmens sind folgende Ergebnisse hervorgegangen: (1) Zur Abstimmung des Verhaltens gegenüber der Umwelt ist die formale Ausrichtung am Kriterium der Widerspruchsfreiheit nicht ausreichend. Kohärenz setzt eine auf subjektive Urteile gestützte Situationsanalyse voraus. (2) Die Forderung nach einem vollständigen und widerspruchsfreien Zielsystem stößt auf eine Reihe von Beschränkungen, die zur Mehrdeutigkeit des Erfolgsbegriffs führen. Diese Beschränkungen betreffen - lnkonsistenzen bei der Ausdehnung des Bezugszeitraums, 124 Zum (J.L, u)-Prinzip vgl. z.B. Günter Bamberg / Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 82ff.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

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- Unvollständigkeit bei unvollkommenem Wissen über Oberzielwirksamkeit und Interdependenz von Teilzielen, das heißt bei Erfassung verschieden dimensionierter Erfolgsbeiträge, - Zeitpunktgebundenheit der Konsistenz unter Unsicherheit. Die mögliche sachliche und zeitliche Mehrdeutigkeit des Erfolgsbegriffs muß mit Hilfe subjektiver Urteile aufgehoben werden. Erst hierdurch sind die Voraussetzungen für eindeutige Handlungsvorgaben gegeben.

1.2.2 Objektivität Ziel rationaler Entscheidungsvorbereitung ist es, ein objektives Abbild des Entscheidungsproblems zu schaffen. Als objektiv gilt ein solches Abbild, wenn es ausschließlich vom Planungsgegenstand her bestimmt ist. Der Planungsgegenstand umfaßt die Elemente des Entscheidungsfeldes. Ausgenommen ist das dem Wesen nach stets subjektive Präferenzsystem. Die nachfolgende Untersuchung gilt nun der Frage, inwieweit dieses Ziel prinzipiell und insbesondere unter Berücksichtigung subjektiver Beiträge verwirklicht werden kann. Mit der Abgrenzung von Wissen der Organisation und des Individuums wurde ein erster Bezug zur Objektivität hergestellt125 . Daten auf der Ebene der Organisation erhielten dabei das Attribut ,objektiv'. Die Eigenschaft leitete sich aus der physikalischen Beschaffenheit und, darauf aufbauend, den unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen für das Wissen auf diesen beiden Ebenen ab. Im Gegensatz zur individuellen Grammatik des analogen Wissens, zeichnet sich das digitale Wissen durch eine unabhängig vom einzelnen Individuum gültige Syntax aus. Diese Eigenschaft markiert ein erstes Element der Bestimmung von Objektivität in der Abbildung des Entscheidungsfeldes. Zur Einordnung dieser Anforderung und Strukturierung der weiteren Elemente der Objektivität sei zunächst unterschieden zwischen Vorgang der Abbildung und Abbild oder Modell des Entscheidungsfeldes. Die erste Kategorie erfaßt den Wissensaustausch. Neben dem oben angesprochenen Kriterium syntaktischer Eindeutigkeit unter den Beteiligten des Abbildungsvorgangs, fallen hierunter analog die Anforderungen semantischer und pragmatischer Eindeutigkeit 126 . Die zweite Kategorie erfaßt den Gegenstand des Wissens und zielt auf den Wahrheitsgehalt der in das digitale Abbild aufzunehmenden subjektiven Information. Nachfolgend werden zunächst die Anforderungen zum Wissensaustausch erläutert und hinsichtlich möglicher Beschränkungen unter der Annahme unvollkommenen Wissens untersucht. Im Anschluß 125

V gl. S. 18.

Zur folgenden begrifflichen Auseinandersetzung vgl. Charles W . Morris, Zeichen, Sprache und Verhalten; ders., Grundlagen der Zeichentheorie. 126

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1. Teil: Information und Planung

erfolgt die Diskussion des Zusammenhangs von Objektivität und Wahrheit unter Berücksichtigung unterschiedlichen Wissensstandes. Bei dem Versuch, den Beitrag subjektiver Urteile formal zu charakterisieren127, ist deutlich geworden, daß der Austausch von Wissen eine Transformation analogen in digitales Wissen beziehungsweise umgekehrt notwendig macht. Kirsch bezeichnet den ersten Vorgang als Veröffentlichung der intraindividuell ablaufenden kognitiven Verarbeitung von Wissen 128 . Entsprechend läßt sich die Aufnahme von Information in den analogen Wissensbestand des Individuums und die damit verbundene Neu-Verschlüsselung als ,Privatisierung durch kognitive Prozesse' charakterisieren. Dem kognitiven Apparat steht als Ziel beziehungsweise Ausgangspunkt der Transformation ein Zeichensystem, eine Sprache gegenüber, in der das Wissen der Organisation abgelegt ist und ü her die Organisationsmitglieder Information austauschen 129 . Die Bedingungen fehlerfreier Übertragung von Wissen in ein Zeichensystem oder aus diesem in den kognitiven Bereich erstrecken sich zu einem Teil auf die Eigenschaften und die Kenntnis dieses Mediums selbst: Die Regeln der Zeichenverknüpfung müssen für alle Verwender gleich sein. Ist diese Voraussetzung gegeben, wie zum Beispiel in der Mathematik oder, mit unwesentlichen Einschränkungen, bei Umgangssprachen 130 , kann Unvollkommenheit des Wissens über die Anwendung von Regeln vollständig abgebaut werden. Das Ausmaß möglicher Wissensdefizite hängt dabei sowohl vom Schwierigkeitsgrad der Regeln als auch von der Einsatzhäufigkeit des Mediums ab. Unter dem Aspekt der Nutzungsintensität liegt hier die Vermutung nahe, daß umgangssprachliche Wissensübermittlung im geringsten Umfang regelbedingten Verlust- oder Verfälschungsrisiken ausgesetzt ist. Bereits außerhalb dieses formalen Rahmens liegt die Forderung nach semantischer Eindeutigkeit. Für die verwendete Sprache muß gelten, daß sie zu ·den Gegenständen, die bezeichnet werden sollen, eine intersubjektiv gültige Beziehung herstellt, das heißt eindeutig über alle Verwender ist. Diese Forderung wird, von Extrembereichen abgesehen, in der Mathematik erfüllt, so daß hier analog der syntaktischen Ebene vollkommenes Wissen erzielbar ist. Einschränkungen gelten für Umgangssprachen: Unabhängig von der Verwendung bestimmter Begriffe in einem sachlichen Zusammenhang können hier 127

Vgl. S. 19.

128

Vgl. Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 3, S. 93f.

Der überindividuelle Charakter der Instanz Organisation, wie er mit der Kennzeichnung als Ebene der Instrumente ökonomischer Analyse vorgegeben wurde, erlaubt es, Zeichensysteme einzeln zu betrachten. Dies soll nicht in Frage stellen, daß intersubjektiv, insbesondere wenn gewisse Intimität der Beteiligten gegeben ist, mehrere Kommunikationsmittel und -ebenen gleichzeitig auftreten können. 129

130 Der Begriff Umgangssprache schließt im hiesigen Kontext sog. Fachsprachen ein, soweit die Abgrenzung im wesentlichen auf eine fachspezifische Anreicherung des Vokabula.rs zurückgeführt werden kann.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

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Mehrdeutigkeiten auftreten. Dies veranschaulicht etwa die Gegenüberstellung der Adjektive ,voraussichtlich' und ,wahrscheinlich'. Ob beide Begriffe Unterschiedliches bezeichnen und für diesen Fall, welcher von beiden die schwächere Möglichkeitsform ausdrückt, ist nicht einer allgemeingültigen Vereinbarung zu entnehmen sondern verwenderspezifisch. Der Abbau von Wissensdefiziten hinsichtlich der Bedeutung von Zeichenkombinationen macht eine Kalibrierung zwischen den einzelnen Verwendern notwendig. Im Unterschied zur syntaktischen Ebene kann hier eine tendenziell größerer Zuverlässigkeit der Transformation mathematischer Ausdrücke angenommen werden. Die Forderung nach pragmatischer Eindeutigkeit erstreckt sich zusätzlich auf den Kontext der Nachrichtenübermittlung. Für eine bestimmte Information soll gelten, daß sie von allen Verwendern mit gleicher Zwecksetzung in gleicher Weise zu diesem Zweck in Beziehung gesetzt wird, das heißt zu einer eindeutigen Interpretation führt. Anknüpfend an das obige Beispiel wird die Aussage, ein bestimmtes Vorhaben sei ,voraussichtlich erfolgreich', nur dann verlust-oder verfälschungsfrei vermittelt, wenn sie von allen am Wissensaustausch Beteiligten mit den gleichen Konsequenzen in Verbindung gebracht wird. Hierzu reicht vollkommenes Wissen über das Medium nicht aus. Erforderlich ist ferner, daß das Objektwissen - bis auf die zu übermittelnde Information -identisch ist. Unter der Annahme, daß Informationsmaßnahmen nicht zu einem vollständigen Ausgleich des Wissensgefälles zwischen den Beteiligten führen, bleibt daher eine notwendige Voraussetzung pragmatischer Eindeutigkeit unerfüllt. Diese Schlußfolgerung stützt sich allein auf angenommene Unterschiede im Objektwissen, so daß die Wahl des Mediums im Unterschied zu syntaktischer und semantischer Ebene hier ohne Einfluß bleibt. Die Einbeziehung des Objektwissens führt zur zweiten Kategorie der Anforderungen, der Bewertung des Wahrheitsgehalts: Information soll objektive Erkenntnis vermitteln. Objektive Erkenntnis bezeichnet Eigenschaften, die einem Objekt innewohnen und in diesem Sinne wahr sind. Der zugehörige Prozeß der Erkenntnisgewinnung sei hier in der engen Deutung als Bekanntwerden empirischer Sachverhalte charakterisiert 131 . Objektive Erkenntnis wird demzufolge aus der Erscheinung des betrachteten Gegenstandes oder Sachverhalts gewonnen. Die Wahrnehmung der Erscheinung setzt ein erkennendes Subjekt voraus, sei es unmittelbar oder indem die Apparatur, die Ausprägungen einzelner Merkmale der Erscheinung feststellen soll, auf einen 131 Die weitere Interpretation, wie sie in der Erkenntnistheorie mit dem Ziel vorgenommen wird, abstrakte, verstandesmäßige (diskursive) Erkenntnis, z.B. im Sinne des in Theorien gebundenen Vermutungswissen, dem Objektivitätskriterium zuzuordnen, ist hier nicht angebracht. An dieser Stelle gilt das Interesse zunächst dem sog. Alltagsverstand, der sich auf reine Anschauung im Kantschen Sinne stützen soll. Zum Alltagsverstand und der Objektivität von Vermutungswissen vgl. u.a. die Kap I u. II bei Ka.rl R. Popper, Objektive Erkenntnis, Harnburg 1973 (Hoffma.nn und Ca.mpe).

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1. Teil: Information und Planung

menschlichen Entwurf zurückgeht 132 . Die Hypothese, daß mit der Erscheinung wahre Eigenschaften des Objekts bezeichnet werden, läßt sich daher nicht überprüfen. Ein subjektunabhängiger Objektivitätsbegriff nach Maßgabe der eingangs formulierten Zielsetzung existiert in der Realität folglich nicht. Die Intention des Objektivitätsanspruchs läßt sich eingeschränkt über die Forderung nach intersubjektiver Nachvollziehbarkeit aufrechterhalten. Erkenntnis ist danach objektiv, wenn Individuen darin übereinkommen, daß die Wahrnehmung eines Sachverhalts zu einem bestimmten Erscheinungsbild führt . Eine solche Übereinkunft hat zur Voraussetzung, daß die Wahrnehmung unter jeweils gleichen Rahmenbedingungen erfolgt. Zu diesen Bedingungen zählt neben hinreichenden Wahrnehmungs- und geistigen Fähigkeiten der Individuen die Gleichheit des Wissensstandes, unter dessen Einfluß aus der Wahrnehmung ein Erscheinungsbild gewonnen wird. Unter der hier zentralen Annahme unterschiedlichen Wissensstandes bleibt folglich auch das Konzept intersubjektiver Nachvollziehbarkeit ein hypothetischer Ansatz, der nicht geeignet ist, den Objektivitätsanspruch bei der Abbildung des Entscheidungsfeldes zu präzisieren. Dieses Ergebnis läßt sich aus der Perspektive der Organisation folgendermaßen vertiefen: Unterschiedlicher Wissensstand, ausgedrückt als Wissensgefälle vom Individuum zur Organisation, löst die Aufnahme zusätzlicher Informationen in das Abbild des Entscheidungsfeldes aus. Übermitteltem Wissen kommt Informationscharakter zu, wenn es zuvor weder unmittelbar noch in rekonstruierbarer Form in der Abbildung des Entscheidungsfeldes enthalten war. Die Beziehung zwischen vorhandenem Wissen, Informationen und ihrer Verknüpfung zu Aussagen über das Entscheidungsfeld sei vereinfachend anhand der Aussageschemata analytischer und synthetischer Schlüsse verdeutlicht: Aussagen, die aus der logischen Verknüpfung von Teilen des vorhandenen Wissens abgeleitet werden, führen zu keiner Wissensveränderung, sie repräsentieren das Wissen lediglich in anderer Form. Diese auf analytischem Weg gewonnenen Aussagen sind logisch wahr und zeichnen sich durch denjenigen empirischen Bestätigungsgrad oder Wahrheitsgehalt aus, der bereits für die Wissensteile gilt. Für die Verknüpfung von vorhandenem Wissen und Information trifft dies nicht zu. Information liegt außerhalb des empirischen Bestätigungsraums vorhandenen Wissens. Der Wahrheitsgehalt von Information und einer unter ihrer Verwendung gebildeten synthetischen Aussage kann erst durch eine zusätzliche empirische Prüfung bestimmt werden 133 . Es ist nun anzunehmen, daß die Organisation keinen direkten Zugriff auf 132

4.3.5.

Die Art der Wahrnehmung bleibt an dieser Stelle unberücksichtigt. Vgl. hierzu den Abschn.

133 Zur Abgrenzung der Aussageschemata vgl. Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. II, S. 181ft'.

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die empirische Basis der subjektiven Information hat. Wäre dieser Zugriff gegeben, ginge die Information letztlich nicht als Beitrag zum Objektwissen in das Abbild des Entscheidungsfeldes ein, sondern gäbe lediglich den Anstoß, Informationsmaßnahmen an der empirischen Quelle selbst durchzuführen. Ist die empirische Basis jedoch ausschließlich über das Wissen des Individuums zugänglich, bleibt die Subjektivität unabhängig vom Umfang weiterer Veröffentlichung individuellen Wissens bestehen. Dieser Sachverhalt verdeutlicht, daß selbst ein praktikabler und folglich weiter eingeschränkter Objektivitätsanspruch, wie er etwa durch die ,mehrheitliche Auffassung unter Individuen mit zureichendem Objektwissen' errichtet werden könnte, das Problem der Bewertung eines individuellen Beitrags nicht lösen kann 134 . Es erscheint daher notwendig, den im Verlauf bereits mit wesentlichen Abstrichen versehenen Objektivitätsanspruch ganz aufzugeben und an seiner Stelle das Kriterium der Konsistenz zwischen Wissen und Information aufzunehmen. Diese Betrachtung erstreckt sich sowohl auf die formal-logische Prüfung der Information als auch auf eine substantielle Möglichkeitsprüfung. Über beide Merkmale kann ein Prüfschema gewonnen werden, das die Plausibilität zusätzlicher Information erfaßt. Folgende Bedingungen sind danach an die Aufnahme von Information geknüpft: (1) Erkenntnisse, die die Information vermittelt, sind prinzipiell möglich, (2) Erkenntnisse sind in sich widerspruchsfrei, (3) Erkenntnisse sind widerspruchsfrei bezüglich des vorhandenen Wissens. Das erste Kriterium hat sowohl formal-logischen als auch substantiellen Gehalt. Logische Voraussetzung des Erkenntnisprozesses ist die räumliche und zeitliche Einheit von erkennendem Subjekt und Sachverhalt. Erkennendes und informierendes Subjekt können sich jedoch unterscheiden. Die Information muß dementsprechend weitere Angaben zur Herkunft der Erkenntnis beinhalten. In substantieller Hinsicht sind die vermittelten Erkenntnisse an ihren empirischen Entstehungsvoraussetzungen zu messen. Das Urteil, ob die Erkenntnisse der Sache nach erzielbar waren, stützt sich auf das Wissen über Art und Funktionsweise von Erkenntnisprozessen im betrachteten Objektbereich. Die zum Bezugszeitpunkt gegebenen technischen Möglichkeiten bilden hier das Kriterium. Ist dieses Metawissen vollkommen, stellt es ein valides Diskriminanz-lnstrument dar. Unvollkommenheit führt dazu, daß Erkenntnisse, die aus einem gültigen, jedoch der prüfenden Instanz unbekannten Gewinnungsverfahren erzielt wurden, der Plausibilitätsforderung scheinbar nicht genügen. Die Menge der prinzipiell einbeziehbaren Informationen verkleinert sich entsprechend. Ein in diesem Sinne konservatives Ergebnis der 134 Diese logisch unabweisbare Konsequenz sei hier unterschieden von dem Wunsch, "natürliche" Konsonanz in der Beurteilung bestimmter Sachverhalte zu erzielen und damit auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit abzuheben. Verkürzend wird dies oft mit dem Begriff Objektivierung gekennzeichnet.

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1. Teil: Information und Planung

Möglichkeitsprüfung bei unvollständigem Metawissen schließt die Aufnahme von Information, die keine gültige Erkenntnis vermittelt, zuverlässig aus135 . Die Kriterien (2) und (3) behandeln allein formal-logische Aspekte. Da jedoch unter substantiellen Gesichtspunkten lediglich Ausschlußgründe festgestellt und keine positiven Aussagen über den Wahrheitsgehalt getroffen werden können, erweisen sich diese beiden Kriterien als zentral für die Bewertung subjektiver Beiträge. In Abhängigkeit von der Art des Beitrags lassen sich hierbei unterschiedlich weitgehende Prüfschemata entwickeln: Dient die Information der Ergänzung des Wissens innerhalb der Anwendung ökonomischer Analyseinstrumente, zum Beispiel einer Investitions- und Finanzierungsrechnung, steht ein Gerüst mit bereits in Teilen konkretisierten Größen und Relationen zur Verfügung. Das vorhandene Wissen zu Struktur und Werten bestimmter Größen, erlaubt es, fehlende Information zu präzisieren. Je detaillierter die Spezifikation ausfällt, desto zuverlässiger kann in sich und bezüglich vorhandenem Wissen widerspruchsfreie Information auf Robustheit in diesen beiden Eigenschaften geprüft werden. Hierzu werden logisch äquivalente Aussagen entweder durch das informierende Subjekt jeweils bestätigt oder, bei entsprechend abgewandelten Fragen, erneut als Antwort gegeben. Diese Tautologien erweisen sich im Fall der Bestätigung als redundant. Treten jedoch Inkonsistenzeil auf, so kann, unter der Voraussetzung eindeutiger Transformation, auf mangelnde Integrität der Information geschlossen werden. Die Möglichkeit, den Informationsbedarf aus einem vorhandenen Gerüst heraus zu präzisieren und damit insbesondere auf Konsistenz der Information mit vorhandenem Wissen zu prüfen, besteht im Falle der Erweiterung der ökonomischen Analyse nicht mehr. Da sich die Information hier auf Sachverhalte erstreckt, die nicht durch die vorhandenen Instrumente ökonomischer Analyse erfaßt werden, kann lediglich die Widerspruchsfreiheit der Erkenntnisse in sich einen wesentlichen Beitrag zur Plausibilitätsprüfung leisten. Anhaltspunkte für eine Bewertung nach (3) sind demgegenüber gering, da der abweichende Gegenstandsbereich Inkonsistenz unwahrscheinlich werden läßt und die Zuerkennung von Widerspruchsfreiheit einen vergleichsweise geringen Aussagegehalt hat. Die Behandlung der Objektivität des Abbildes des Entscheidungsfeldes orientierte sich an der empirischen Verankerung von Erkenntnis. Nicht135 Ob der Vorsichtseffekt der urteilenden Instanz bekannt ist, mithin Kenntnis über die Unvollkommenheit des Metawissens vorliegt, kann hierbei offen bleiben. Jedoch sei darauf hingewiesen, daß die Annahme bekannter Defizite im Metawissen eine weitere Hierarchie-Ebene einführt. Da sich die Beziehungen zwischen vor- und nachgelagerter Wissensebene nicht verändern, lassen sich zusätzliche Erkenntnisse über die Ausweitung der Metaisierung nicht gewinnen. Das Metawissen wird aus diesem Grunde hier stets a.ls vollkommen angenommen, unabhängig davon, ob dies der urteilenden Instanz lediglich so erscheint oder subjektunabhängig Gründe dafür angeführt werden können.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

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empirische Aussagen, zu denen insbesondere zukunftsbezogene Aussagen zählen, können auf dieser Basis nicht unmittelbar erfaßt werden. Unter der Beschränkung auf Plausibilität ist nun jedoch der Anknüpfungspunkt zur Aufnahme auch dieses Aussagetyps gegeben. Die erforderlichen Modifikationen des Prüfschemas lassen sich wie folgt skizzieren: Um die Entscheidbarkeit des ersten Kriteriums zu gewährleisten und zu verhindern das beliebige Vorhersagen, soweit sie (2) erfüllen, nach (3) akzeptiert werden müssen 136 , ist eine Annahme über den Zusammenhang von Wissen und zukünftiger Entwicklung erforderlich. Eine solche Annahme enthält die Zeitstabilitätshypothese137 . Wild kennzeichnet diese Hypothese als ein allgemeines Verhaltensprinzip, wonach "das Ursachensystem, das die in der Vergangenheit beobachteten Sachverhalte ,produziert' hat, sich zumindest bis zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Prognose bezieht, nicht wesentlich ändern wird." 138 Unter dieser Annahme kann das Wissen über bisherige Beobachtungen relevanter Sachverhalte, einschließlich der Erkenntnisse über mögliche Veränderungen von Ursachenoder Bedingungskonstellation, zu einer Vorhersage in Beziehung gesetzt werden. Damit ist sowohl ein Urteil über die prinzipielle Möglichkeit der Vorhersage als auch über die Konsistenz mit dem unterstellten Ursachensystem möglich. Dies gilt für Vorhersagen aus dem vorhandenen Wissen der Organisation ebenso wie für zusätzliche Information in Form subjektiver Beiträge. Auf die empirische Begründung, das heißt Erkenntnisse, die einer von außen zugeführten Vorhersage zugrundeliegen, ist analog die Plausibilitätsprüfung anzuwenden. Die vorangegangenen Ausführungen zur Objektivität der Abbildung des Entscheidungsfeldes haben gezeigt, daß der Prozeß des Wissensaustausches als Voraussetzung der Vervollständigung eines digitalen Abbildes durch unzureichende Kenntnis der Verknüpfungsregeln und Bedeutungen im verwendeten Zeichensystem beeinträchtigt wird. Der positive Zusammenhang von Einsatzhäufigkeit und Regelkenntnis begründet eine tendenzielle Überlegenheit der Umgangssprache gegenüber anderen Medien. Da jedoch semantische Eindeutigkeit durch sie nicht geleistet wird und erst über die Abstimmung unter den Verwendern zu erzielen ist, ergeben sich Vorzüge bei stärker formalisierten Medien wie der Mathematik. Die ausschließlich mediengebundenen Eindeutigkeitskriterien erlauben folglich kein allgemeingültiges Urteil über die Vorteilhaftigkeit der Wahl bestimmter Medien. Eine weitere Einschränkung mußte hinsichtlich der pragmatischen Eindeutigkeit gemacht werden. Unterschiedlicher Wissensstand zwischen Indivi136 Zwischen gegenwärtigem Wissen und zukünftigen Erscheinungen kann formal-logisch kein Widerspruch entstehen. 137

Vgl. im folgenden Jürgen Wild, Grundlagen der Unternehmungsplanung, S. 93ff.

138

Ebd., S. 93.

4 I.echnar

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1. Teil: Information und Planung

duum und Organisation impliziert die Möglichkeit abweichender Interpretation zusätzlicher Information. Mit der schwerwiegensten Einschränkung war jedoch die Wahrheitsanforderung zu belegen. Auch hier liegt die Problematik in der Basisannahme unterschiedlichen Wissensstandes unmittelbar begründet. Die Vervollständigung der digitalen Repräsentation bedeutet Aufnahme von Information, die nicht aus bereits vorhandenem, intersubjektivem Wissen rekonstruiert und folglich nicht auf den Wahrheitsgehalt der empirischen Basis vorhandenen Wissens zurückgeführt werden kann. In der Konsequenz erfolgt der Ausgleich des Wissensgefälles zwischen Individuum und Organisation unter der wesentlich abgeschwächten Anforderung der Plausibilität. Während Defizite in der Transformation von Objektwissen durch verbesserte Kenntnis im Umgang mit dem Medium sowie Intensivierung des Wissensaustausches selbst vermindert werden können, kennzeichnet die Beschränkung auf Plausibilität eine logisch festgeschriebene Grenze für die Bewertung zusätzlicher Information. Der mangelnden substantiellen Prüfbarkeit kann lediglich durch einen Ausbau der formal-logischen Prüfung begegnet werden.

1.2.3 Effektivität und Effizienz Die semiotische Untersuchung von Wissen und Information führte zur Differenzierung von latentem Wissen und Nachricht gegenüber effektivem Wissen und Information 139 . Kriterium der Effektivität ist der Zweckbezug des betrachteten Wissensausschnitts oder der übermittelten Nachricht 140 . Daran anknüpfend konnte für den Ansatz der Informationsökonomik das Effizienzkriterium der Informationsentscheidung angegeben werden. Wissensveränderung erfolgt danach in dem Umfang, der den erwarteten Nutzen weiterer Information gerade gleich den durch ihre Beschaffung und Verarbeitung verursachten Kosten werden läßt. Unter Lockerung der Annahme beliebiger Teilbarkeit von Informationsmaßnahmen ist der maximale erwartete NettoNutzen entsprechend über die bestmögliche Annäherung an den Ausgleich von Grenzkosten und -nutzen bestimmt. Die Ergebnisse der vorangegangenen Diskussion zu Vollkommenheit des Wissens und Objektivität von Information machen eine veränderte Interpretation beider Kriterien erforderlich und führen damit insbesondere zu einer 139

Vgl. S. 16.

140 Zur allgemeinen Begriffsbestimmung, im Sinne der grundsätzlichen Eignung einer Maßnahme zur Erreichung angestrebter Ziele, vgl. z.B. Martin Welge und Dieter Rüth, Empirische Studien zur Planungselfizienz, in: Norbert Szyperski, Handwörterbuch der Planung, Sp. 348f; llichard M. Hammer, Unternehmungsplanung, S. 109.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

51

Abgrenzung von der durch den informationsökonomischen Ansatz implizierten und im Schrifttum häufig hervorgehobenen Analogie zwischen Produktion und lnformationsverarbeitung141 • Entsprechend der bei vermehrtem Faktoreinsatz steigenden Ausbringung im Produktionsprozeß, gilt im Rahmen der Informationsökonomik Wissen nur dann als effektiv, wenn die Verwertung zu einer Steigerung des erwarteten (Brutto-) Nutzens führt. Dieser Betrachtungsweise liegen als Annahmen zugrunde, daß das bereits vorhandene Wissen vollständig ist und Informationsmaßnahmen stets die Bestimmtheit dieses Wissens erhöhen. Aus empirischer Perspektive wurden diese Prämissen hier abgelöst durch die abgeschwächte Annahme, daß sich Unvollkommenheit vorhandenen Objektwissens sowohl in Unvollständigkeit als auch Unbestimmtheit der Beschreibung des Entscheidungsfeldes niederschlägt. Auf dieser Basis schließt Wissensveränderung die Vervollständigung des Objektwissens, das heißt die Ergänzung des Entscheidungsfeldes um zuvor unberücksichtigte Einflußfaktoren ein und damit die Möglichkeit einer Abnahme der Bestimmtheit des Objektwissens sowie des erwarteten (Brutto-) Nutzen. Unter diesen Gegebenheiten kann Effektivität zusätzlichen Wissens nicht über das Kriterium eines positiven Beitrags zum erwarteten (Brutto-) Nutzen bestimmt werden. Information erfüllt die Anforderung des Zweckbezugs bereits dann, wenn sie der Vollständigkeit oder Bestimmtheit dient. Generelle Aussagen über die Richtung der hierdurch verursachten Änderung des (Brutto-) Nutzens sind im Zuge der Vervollständigung des Objektwissens nicht möglich. Zu prüfen ist nun weiterhin, ob die enge Deutung des Begriffs Wissen unter empirischen Gegebenheiten Bestand hat. Dem Begriff liegt die hier logisch implizierte Annahme zugrunde, daß Wissen nicht zugleich "NichtWissen", das heißt eine falsche Aussage über den Objektbereich umfassen kann. Diese Deutung begründet ein statisches Verständnis von Wissen und Objektbereich. Wissen über empirische Sachverhalte ist jedoch nur solange im obigen Sinn gültig, wie der Objektbereich unverändert fortbesteht. Wird den Veränderungen des Objektbereich andererseits Rechnung getragen und auf eine dynamische Wissensrepräsentation Bezug genommen, muß ein intermediärer Wissensstand definiert werden, der Informationen enthält, die sich zu späterem Zeitpunkt als nicht mehr zutreffend erweisen können, und auch die für die Meta-Ebene angenommene Vollständigkeit des Wissens über mögliche Informationsmaßnahmen als ein zeitabhängig veränderliches Merkmal erfaßt. Das erschließbare Wissen, charakterisiert als Informations141 Wolfgang Mag bezeichnet Informationen als "die materielle Substanz des Planungsprozesses"; vgl. ders., Planungsstufen und lnformationsteilprozesse, S. 803. Adolf Adam erkennt im Informationsbeschaffungs- und -veredelungsbetrieb die wesentlichen t echnischen und administrativen Merkmale stoffverarbeitender Industriebetriebe und spricht von lnformationsgütern, die " ... beschafft, gelagert, umgewandelt, abgesetzt, gebraucht, verbraucht und entwertet werden." Ders., Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, S. 12f.

,.

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1. Teil: Information und Planung

reservoir, setzt sich aus unterschiedlichen Informationsquellen zusammen und repräsentiert zu einem gegebenen Zeitpunkt einen idealen Wissensstand 142 . Das zu diesem Zeitpunkt nicht verbesserungsfähige Wissen und perfektes Wissen, das heißt vollkommenes Wissen im Zeitpunkt des Ereigniseintritts beziehungsweise der Realisation stimmen dabei möglicherweise überein. Die Bestimmtheit, mit der der Objektbereich zu einem Zeitpunkt beschrieben wird, kann sich danach aufgrundvon Veränderungen im Zeitablauf verringern. Folglich ist nicht allein bei Vervollständigung des Objektwissens, sondern bereits bei Aktualisierung vorhandener Information eine Abnahme der Bestimmtheit und damit ein negativer Einfluß der Informationsmaßnahme auf die Nutzenerwartung möglich. Der Logik für die Trennung von Wissen und "Nicht-Wissen" folgend, kann es bei enger begrifflicher Deutung auch kein "halbes Wissen" geben. Information besteht aus Aussagen beziehungsweise, bei unmittelbarer Beobachtung, aus Signalen, und die mehrmalige Übertragung dieser Aussagen oder Signale verursacht lediglich Redundanz. Demgegenüber muß aus empirischer Sicht berücksichtigt werden, daß Unzuverlässigkeit von Übertragung143 oder Informationsquelle sowie die Dynamik des Objektbereichs Anlaß zu wiederholter Aufnahme gleicher Information gibt. Auch hier wird die offensichtliche Zweckbezogenheit durch den engen Wissensbegriff nicht reflektiert. Der (Brutto-) Nutzen verändert sich nicht, so daß im Kalküllediglich Kosten der Informationsmaßnahme auftreten und der Nutzen sinkt. Das weitergefaßte Verständnis von Effektivität führt gleichzeitig zu veränderten Voraussetzungen der Bestimmung des Zielausmaßes. Während aus informationsökonomischer Sicht vollständige Zielerreichung bei Ausgleich zusätzlicher Kosten und Nutzen der Informationsmaßnahmen gegeben ist, kann sich das Zielausmaß im hiesigen Kontext nur auf den idealen Wissensstand beziehen, der sich aus sämtlichen Informationsquellen und -maßnahmen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt zugänglich sind, ergibt. Da unter empirischen Gegebenheiten nicht wie in der Informationsökonomik unterstellt werden kann, daß das Ergebnis einer Informationsmaßnahme vor ihrer Durchführung bekannt ist, verbleibt zur Bestimmung des Zielausmaßes lediglich ein Vergleich von potentiell erschließbaren Informationsarten und erschlossenen. Die im Metawissen verankerte Kenntnis noch erschließbarer Informationsarten erlaubt es, Maßnahmen anhand der Bedeutung mit ihnen zu gewinnender Information zu ordnen. Aussagen, welche zu Konsequenzen in Dimensionen führen können, die den Objektbereich als Ganzes betreffen, wären so denjenigen voranzustellen, die ebenfalls auf diese Dimensionen, jedoch begrenzt auf 142 Vgl. Rex V. Brown, lmpersonal Probability as. an Ideal Assessment Based on Accessible Evidence, S. lOff. 143

Vgl. die Eindeutigkeitsproblemat ik, Abschn. 1.2.2..

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

53

Ausschnitte des Objektbereichs Bezug nehmen. Der prinzipielle Ansatzpunkt zur Messung des Zielbeitrags liegt damit in der Relation von dem durch eine bestimmte Maßnahme erschließbaren zum insgesamt noch vorhandenen Informationsreservoir. Das Ordnungskriterium ist nicht stark genug, um einen operationalen Ausdruck für Effizienz des Mitteleinsatzes zu bilden. Hinzu kommt, daß dieser Effizienzausdruck stets auf das jeweils ideale Wissen zu beziehen wäre und damit vom Betrachtungszeitpunkt abhängig ist. Die empirisch orientierte Erörterung von Effektivität und Effizienz ist wesentlich durch die Aufgabe der sogenannten Nicht-Negativitäts-Annahme geprägt. Zusätzliche Information kann entgegen dieser Annahme dazu führen, daß die Unbestimmtheit von Wissen zunimmt und der erwartete Nutzen sinkt. In der Folge dieser erweiterten Betrachtung entfällt die Möglichkeit, Effektivität über eine Veränderung der Nutzenerwartung zu erfassen, und damit die Voraussetzung, Effizienz als in ihren Bestandteilen meßbare Größe zu definieren.

1.3 Nutzen der Planung In den vorangegangenen Erörterungen zur Rationalität wurden elementare Gestaltungsanforderungen an die Entscheidungsvorbereitung dargelegt. Sie bilden einen Kriterienkatalog der Beurteilung von Planungsvorgängen. Über die Möglichkeiten, diese zu einem Bewertungskonstrukt zu verdichten und damit Planung in aussagefähigen Nutzenkategorien zu erfassen, herrscht im Schrifttum Uneinigkeit. So erkennen Hentze und Brose, in der Planung keine meßbaren Erfolgskriterien144 . Eine gegenteilige Einschätzung bringt Gzuk zum Ausdruck, indem er eine weitreichende Analyse zur Effizienz von Entscheidungen vorlegt 145 und konsequent aus der Perspektive umfassender Beobachtung von Entscheidungsprozessen heraus argumentiert 146 . Den Ausgangspunkt zur Ableitung eines mehrdimensionalen Indikatorenmodells bildet bei Gzuk die Differenzierung in vier Wirkungsfelder, von denen aus theoretischer Sicht angenommen wird, daß sie bis zu einem bestimmten Grade voneinander unabhängige Effizienzdimensionen darstellen 147 : 144

Vgl. Joachim Hentze / Peter Brose, Unternehmensplanung, S. 44.

145

Vgl. Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen.

146 Auch für empirisch angelegte Studien der jüngeren Zeit ist dies nicht selbstverständlich. So beschreiben Peter Todd und Izak Benbasat ihren Zugang mit den Worten: "Decision quality is usually operationalized as the deviation of a particular solution from the solution that would be provided by a normative strategy, such as expected value maximization or utility maximization." Dies., An Experimental lnvestigation of the Impact of Computer Based Decision Aids on Decision Making Strategies, S. 89, Fn. 1. 147

Vgl. Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 53ff.

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1. Teil: Information und Planung

Erfüllungsausmaß hinsichtlich der angestrebten Ziele und einzuhaltender Verhaltensnormen (Ziel-Output-Relation) - Relation der ergebnisbezogenen Zielerreichung148 zum Umfang eingesetzter materieller und immaterieller Mittel (Input-Output-Relation) - Realisationspotential des Mitteleinsatzes gegenüber den angestrebten Zielen und umgekehrt (Ziel-Input-Relation) Umfang der für den Handlungsentschluß implementationsförderlichen Vorbereit ungsaktivi täten ( Realisationsvorsorge) Die Abb. 1-2 veranschaulicht das prozeßorientierte Untersuchungskonzept 149 .

Prozeß-Ziele Input vs. Prozeß-Ziele

Output VS.

Input vs. Output

L_____________________

Ergebnis-Ziele - - - - , Input vs. Entscheidungsergebnis-Ziele

.-------------------~

Input vs. Ziele der Realisationsvorsorge

Abbildung 1-2. Dimensionen des Indikatorenmodells

Gestützt auf eine breite Rezeptionsgeschichte aus Betriebswirtschaft und Organisationsforschung wählt Gzuk insgesamt 54 Effizienzkriterien aus, die er den vier Effizienzdimensionen als Indikatoren zuordnet 150 • In der ZielInput-Dimension wird weiterhin unterschieden zwischen dem Prozeßbezug und dem Ergebnisbezug der jeweiligen Indikatoren. Die Relevanz der dimensionalen Differenzierung sowie der Substrukturen innerhalb der Dimensionen untermauert Gzuk anhand einer Auswahl methodischer Ansätze zur Beurteilung von Handlungs- und Organisationseffizienz. Folgende Perspektiven werden dabei aufgegriffen 151 : 148 Roland Gzuk spezifiziert hier den Zielerreichungsgrad als bezogene Größe, wodurch das Maß allerdings unsensibel gegenüber dem in den angestrebten Zielen zum Ausdruck kommenden Projektumfang wird, als solches keine sinnvolle betriebswirtschaftliche Interpretation zuließe und begrifflich als Relation Input - relo.tiver Output gefaßt werden müßte. Vgl. ebd., S. 55. 149

V gl. ebd., S. 185.

150

V gl. ebd., S. lOOff.

151

Vgl. ebd., S. 115ff.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

55

(a) Entscheidungsobjekt - leistungsbezogener Ansatz (b) Entscheidungsträger - personenbezogener Ansatz (c) Ziele und Funktionen- Ziel-Ansatz, orientiert an empirisch ermittelten Zielen, und Funktional-Ansatz, Deduktion von Zielen (d) System und System-Mittel - aktions- und erhaltungsorientierte Ressourcenallokation in der Gesamtsicht eines geschlossenen Systems (e) Organizational Health- Adaptionsfähigkeit der Organisation (f) Rationalität - Zweckrichtung und Bewußtseinskomponente vernünftigen Handeins (g) Leistungspotential und Störgrößen - Integration der Perspektiven (c )-(f), effektives Aufgabenerfüllungspotential, sachorientierte Prozeß- und Ergebnisabweichungen (h) Managerial Effectiveness - personenorientiert, erwartungsgesteuerte Situationsangemessenheit des Handeins Die zum Teil mit verwandten Kriterien operierenden Ansätze bringen die Lösung vom Fokus auf das planungsgegenstandsbezogene Resultat deutlich zum Ausdruck 152 . Soweit eine Unterscheidung von Effizienzmerkmalen vorgenommen wird, folgt sie analog der Differenzierung in Prozeß- und Ergebnisbezug zumeist der Trennung von ökonomischen Erfolgsmaßen der Realisation und Maßen der subjektgebundenen Wahrnehmung von Angemessenheit der Entscheidungsvorbereitung. Entsprechend ergeben sich für die Messung der Effizienzindikatoren Operationalisierungsvarianten von dichotomer Erfassung bis zur Abbildung auf Verhältnisskalen 153 . Anhand einer empirischen Studie zur Ersteinführung automatisierter Datenverarbeitung in Unternehmen testet Gzuk die Operationalisierung der Effizienzindikatoren und findet über die faktoranalytische Aufbereitung der Erhebung wesentliche Annahmen des theoretischen Modells bestätigt 154 . Es zeigt sich insbesondere eine hohe Übereinstimmung mit der Differenzierung von Ziel-Input-Relation und Input-Output-Verhältnis. Die bereits in der Mo152 Roland Gzuk ordnet die Objektthematik mit dem Begriff Leistungs· bzw. Aktionsziel der Frage nach der Gesamteffizienz unter; vgl. ebd., S. 128. 153 Beispiele: Indikator Gelöste Problemkreise, gesamt: Summation von zugewiesenen Punkt· werten für gelöste Problembereiche; Indikator Aufgabenversäumnisrate: absolute Häufigkeiten mit Gewichtung; Indikator Schnelligkeit des Entscheidungsprozesses: Semantisches Differential unter Zuordnung von Ziffern; Indikator Terminsetzungsrealismus: zeitliche Abweichung zwischen Termin und Durchführung, additiv transformiert. Vgl. ebd., S. lOOff.

154 "Erklärtes Ziel unserer Operationalisierungen und Messungen von Effizienzvariablen ist es gewesen, daran anschließend generelle Effizienzdimensionen empirisch festzustellen" und " ... die Gesamtheit der operationalisierten Effizienzvariablen auf eine ihnen zugrundeliegende, direkt nicht meßbare Grundstruktur zurückzuführen." Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidun· gen, S. 278.

56

1. Teil: Information und Planung

dellkonzpetion angelegte Mehrschichtigkeit des Ziel-Output-Verhältnisses155 spiegelt die Faktorenanalyse durch Ladungen in zwei verschiedenen Faktoren wider. Für die Dimension der Realisationsvorsorge fand sich in keinem der extrahierten Faktoren Bestätigung156 . Das Modell veranschaulicht die Problemstellungen, die hier unter dem Gesichtspunkt der Rationalität aufgezeigt wurden: Im Unterschied zur strengen begrifflichen Fassung von Effizienz, wie sie in der Produktionstheorie 157 vorgenommen und in der Informationsökonomik abgebildet werden kann 158 , beschränkt sich Gzuk bei der Begriffsbestimmung auf eine Deutung, die zu keiner präzisen Trennung zwischen Zielwirksamkeit, das heißt Effektivität, und Input-Output-Relation führt 159 . Zum anderen tritt die Mehr-EbenenStruktur des Wissens hervor, indem die Beurteilung der Angemessenheit von Informationsaktivitäten und Entschlüssen nicht auf Objektebene, das heißt den schließliehen Konsequenzen der Aktivitäten, sondern auf der Ebene des Metawissens erfolgt 160 . Der Integration des gesamten Bewertungsgefüges aus unmittelbaren und abgeleiteten Erfolgsmaßen zu einer geschlossenen Wert- oder Nutzenfunktion sind enge Grenzen gesetzt 161 . Auch wenn es gelänge, Meßergebnisse auf niedrigeren Skalenniveaus zufriedenstellend zu integrieren und über eine sinnvolle Gewichtung bei der Aggregation einen Gesamtindex der Effizienz zu ermitteln 162 , kommt eine Verwertung für präskriptive Zwecke kaum in Frage. Ermittelte Unterschiede im Effizienzniveau lassen sich nur situativ vor dem Hintergrund der gelösten Aufgabenstellungen interpretieren. Die vollständige 155

V gl. oben.

156

Vgl. Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 278ff.

Vgl. z.B. Walther Busse 110n Colbe / Gert Laßmann, Betriebswirtschaftstheorie, Bd. 1, S. 81, 19J ff. 157

158

Vgl. Abschn. 1.2.3.

Die ausführliche Diskussion einiger Charakterisierungen der bedeutungsverschiedenen Begriffe Effizienz und efficiency einerseits und der ebenso nicht-synonym zu verwendenden Begriffe Ef!ekti11ität (eng!.: efficacy) und effecti11eness führt Roland Gzuk zu einer weitgefaßten Definition, die eher dem anglo-amerikanischen efficiency nahekommt als dem hier üblichen Verständnis von Effizienz (siehe Abschn. 1.2.3). Vgl. ders., Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 12ff; ähnlich auch Michael Gaitanide•, Planungsmethodologie, S. llf; Jürgen Wild, Grundlagen der Unternehmungsplanung, S. 15. 159

160 Diese Schlußfolgerung ergibt sich u .a. aus der Einbeziehung des Indikators Entscblußangemessenheit im Expertenurteil. 161 Roland Gzuk faßt dies in seiner Schlußbemerkung in der Frage zusammen: "Welche Folgerungen und Möglichkeiten lassen unsere Untersuchungsergebnisse für die quantitative Feststellung der Gesamt-Effizienz einer Entscheidung zu (Problem der Konstruktion eines Gesamt-Index für die Effizienzmessung)?'' Ders., Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 289. 162 Roland Gzuk verweist u.a. auf die Konstruktion eines Globalindex anhand der auf Lee J . Cronbach , und Goldine C. Gleser zurückgehenden Algorithmen. (Dies., Assessing Similarity Between Profiles.) Vgl. ebd., S. 290f.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

57

Beschreibung der Aufgabenstellungen wiederum setzt voraus, daß die Inhalte des Informationsreservoirs zu den betreffenden Zeitpunkten rückblickend bestimmt werden können. Die Dokumentation der Entscheidungsvorbereitung mit den tatsächlich in Anspruch genommenen Informationen und den Verarbeitungsvorgängen reicht hierzu nicht aus. Die Problematik einer Aggregation der Erfolgsmaße zu einem Gesamtindex und die Grenzen, die einer retrospektiven Bewertung des lnformationsreservoirs, mithin der Beurteilung alternativer Vorgehensweisen in der Entscheidungsvorbereitung gesetzt sind, legen nahe, Bewertungskriterien zu formulieren, die sichtbar machen, wie die Effizienz unterschiedlicher Vorgehensweisen von den im Planungsprozeß Beteiligten selbst wahrgenommen und durch Handeln zum Ausdruck gebracht wird. Sinha untersucht dies unter dem Aspekt der Nutzenerwartung, im Sinne eines zurechenbaren Beitrags zur Entscheidungsqualität, die mit der Einrichtung eines institutionalisierten strategischen Planungssystems verbunden ist. Die Fragestellung lautet dabei, welche spezifischen Charakteristika strategischen Entscheidungen zukommen, deren Vorbereitung in besonderer Weise vom Rückgriff auf das organisationale Instrumentarium profitiert 163 • Kerngedanke hierbei ist, daß Entscheidungsträgern regelmäßig Spielräume gegeben sind, innerhalb derer sie den Umfang, in dem das Planungssystem für die Problemlösung genutzt wird, beeinfl.ussen 164 • Die Hypothese lautet, daß Effektivität und Effizienz eines Planungssystems um so höher sind, je intensiver die Nutzung des Systems und je seltener es umgangen oder unterlaufen wird. Sinha operationalisiert die Güte des Planungssystems über das Surrogat relative Einsatzhäufigkeit, also über das beobachtbare, auf subjektive Einschätzungen zurückführbare Handeln der Entscheidungsträger 165 • Im Unterschied zum Gros früherer Untersuchungen, die die Effektivität unmittelbar an Veränderungen der Rentabilitäts-, Wachstums- und Marktwert-Kennzahlen festzumachen versuchten und dabei zu durchaus widersprüchlichen Resultaten kamen 166 , hat Sinha, ebenso wie Gzuk, vor Augen, daß die Bewertung aus dem Prozeß der Ent163 Vgl. Deepak K. Sinha, The Gontribution of Formal Planning to Decisions. Der Untersuchung liegen Fragebogen-Protokolle einer Feldstudie zugrunde, die sich auf 1.087 strategische Entscheidungen im Zeitraum 1982-86 in 129 der Fortune 500 Companies erstreckt; vgl. ebd., S. 482f. 164 Vgl. ebd., S. 48lf: Das Konzept variabler Planungswege stützt sich auf William R. King, Evaluating Strategie Planning Systems. 165

Vgl. Deepak K. Sinha, The Gontribution of Formal Planning to Decisions, S. 48lf.

Deepak K. Sinha verweist u.a. auf Arbeiten von David M. Herold/ Peter H. Grinyer u.a. und Leslie W. Rue u.a., die jeweils von positiven, neutralen bzw. gegenläufigen Verbindungen zwischen Unternehmenserfolg und Planung berichten; vgl. ebd., S. 480. Joachim Hentze und Peter Brose stellen fest, daß jenseits vager Annahmen zum Umfang positiver Planungseffekte keine nennenswerten Resultate erzielt worden sind; dies., Unternehmensplanung, S. 42ff. Zu einem Überblick vgl. Martin Welge und Dieter Rii.th, Empirische Studien zur Planungseffizienz, in: Norbert Szyperski, Handwörterbuch der Planung, Sp. 351ff. 166

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1. Teil: Information und Planung

Scheidungsvorbereitung heraus und insbesondere gestützt auf das Urteil der Entscheidungsträger erfolgen sollte167 . Anhand fünfwertiger semantischer Differentiale sind von den befragten Führungskräften Angaben zur Spezifikation der berücksichtigten Entscheidungen erhoben worden. Der Beitrag des Planungssystems wurde über die Merkmale Formulierung des Entscheidungsproblems und lmplementation des Lösungsprozesses charakterisiert. Die Art des gelösten Entscheidungsproblems fand Niederschlag in den Merkmalen Eingebundenheit in bereits bestehende Unternehmensaktivitäten, Bedeutsamkeit mit Blick auf die langfristige Entwicklung des Gewinnpotentials und Ausmaß des Risikos. Zusätzlich wurde eine sachliche Kennung der Entscheidungen erhoben, so daß neben der formalen Charakterisierung über die drei vorgenannten erklärenden Variablen zusätzlich Informationen über das Wirkungsfeld der Entscheidungen zur Auswertung herangezogen werden konnten 168 . In der statistischen Analyse konnte die Vermutung selektiver Nutzung der organisationalen Instrumente bestätigt werden. Eine vergleichsweise höhere Nutzungsintensität wurde bei der Lösung von Entscheidungsproblemen in den Bereichen Internationalisierung des Unternehmens und Deinvestition ausgewiesen. Ebenfalls positiv war die Verbindung von Bedeutsamkeit und Risiko mit der Nutzungsintensität. Insgesamt wurde allerdings auch festgestellt, daß die Inanspruchnahme des Planungssystems zur Problemlösung auf einem niedrigen Niveau lag169 . Die Einzelergebnisse spiegeln im wesentlichen die Erwartungen bei Würdigung der spezifischen Bedingungen für die Entscheidungstypen wider. Internationalisierungsvorhaben sind in besonderer Weise mit Informationsanforderungen verknüpft, die jenseits der Verwertung unternehmensinternen Wissens liegen und die aufgrund der fachlichen Breite relevanter Faktoren den Zugriff auf eine größere Anzahl von Informationsquellen bedingen. Deinvestitionsentscheidungen konfrontieren mit internen Interessenvertretern, denen als unmittelbar von Abbaumaßnahmen Betroffenen in besonderer Weise 167 Der Richtigstellung bedarf allerdings die von Deepak K. Sinha vertretene Haltung zu den originären Bezugsgrößen in der Bewertung von Planungsleistungen: " ... there is litt)e justification for the use of the economic objectives of a firm for the evaluation of planning." (Ders., The Contribution of Formal Planning to Decisions, S. 480.) Zur Erläuterung werden eine Reihe von Me6problemen angeführt (Innovationscharakter, Vergleichsbedingungen). Hier werden offensichtlich Schlußfolgerungen aus der Abbildungsproblematik und das eigentliche Erklärungsziel verwechselt. Jede Betrachtung unterhalb der Erfolgsdimensionen des Unternehmens ist als Hilfskonstruktion

zu werten.

168 Für den sachlichen Bezug der Entscheidungen wurden zunächst die Attribute Internationalisierung und Technologie gesetzt. Weitere sechs Attribute formierten sich über eine ClusterAnalyse: Strategische Allianzen, Akquisition, Kapazitätsausweitung, Desinvestition, Produktneueinführungund Organisation. Nicht zuordbare Entscheidungen wurden unter dem Rubrum Sonstige zusammengefaßt. Vgl. hierzu und zur statistischen Auswertung ehd., S. 483ff. 169 Das Mittel der Nennungen bei den Merkmalen Formulierung und !mplementation, die den Zugriff auf das System beschreiben, lag bei 3, 01 bzw. 2,68. Vgl. ehd., S. 484.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

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Rechenschaft über den Eingriff zu geben ist. Die Ausbreitung des Entscheidungsproblems und Ausschöpfung der formalisierten Planungswege gilt dabei als probates Mittel der Absicherung 170 . In gleicher Weise ist dieses Argument bei Entscheidungssituationen mit hoher Bedeutsamkeit für die langfristigen Erfolgserwartungen des gesamten Unternehmens und hohen Risiken maßgebend. Ursachen der Nutzung des Planungssystems lassen sich anhand grundlegender Merkmalskategorien systematisch erfassen. Diese betreffen die Ausprägungen von 171 (1) Zeitraum der Entscheidungsvorbereitung, (2) Art und Menge der Folge von Denkhandlungen, (3) personale oder institutionale Aufteilung der Abläufe, (4) Entwicklungsverläufe des Problemlösungsproduktes, der Meinungsund Willensbildung beziehungsweise der Willensdurchsetzung. Vorgaben und Anforderungen in diesen Kategorien führen entsprechend ihrer Zusammensetzung zu einer bestimmten Repräsentation der Strukturen von Problemstellung und Problemlösungsprozeß. Die Strukturen geben Aufschluß über die Gestalt von Informationsprozessen bei der Problemlösung. Wesensmerkmale dieser Prozesse sind Komplexität und Kontingenz. Hauptanliegen der nachfolgenden Untersuchung dieser beiden Aspekte ist es, den Einfluß auf die Leistungsfähigkeit der Entscheidungsvorbereitung und Ansatzpunkte der Steuerung herauszuarbeiten.

1.3.1 Komplexität Die ausgedehnte Behandlung der Komplexität findet insbesondere auf dem Feld der allgemeinen Systemtheorie statt. Hinter dem Versuch der integrativen Auseinandersetzung mit Strukturmerkmalen und Funktionsprinzipien physikalischer, biologischer und sozialer Systeme steht der Wunsch, gehaltvolle Aussagen über Gemeinsamkeiten machen zu können 172 . Mit dieser facettenreichen Auseinandersetzung verbindet sich allerdings auch, daß bislang kein Konsens über eine umfassende Begriffsdefinition erzielt wurde 173 . Als Arbeitsdefinition sei daher hier festgelegt, daß Komplexität das nichttriviale Zusammenwirken einer großen Zahl von Elementen in einem System 170

Vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 61.

171 Vgl. auch Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 23ff. 172

Vgl. Herbert A. Simon, The Architecture of Complexity, S. 467.

173

Vgl. Niklas Luhmann, Komplexität, S. 12; ders., Sozia.le Systeme, S. 45.

60

1. Teil: Information und Planung

beschreibt 174 . Die Erscheinung eines solchen Systems läßt sich über die Merkmale der Hierarchie und Zerlegbarkeit näher beschreiben. Dieser Aufsicht auf das System steht die Betrachtung aus der Perspektive des einzelnen Systemelementes und seiner Verbindung zu anderen Elementen gegenüber175 . Sie stützt sich insbesondere auf die Abgrenzung rein stochastischer Systemzusammenhänge gegenüber Prozessen denen Lenkungsmechnanismen zugrundeliegen176. Beide Perspektiven sollen hier aufgegriffen werden. Komplexität kristallisiert sich zum einen in der hierarchischen Gestalt der Problemlösungsprozesse. Zum anderen kommt sie in der Beziehung zwischen Entscheidungsträger und organisationaler Ebene zum Ausdruck. Zunächst wird die Perspektive der Aufsicht dazu dienen, die Repräsentation von Problemstellung und Lösungsprozeß näher zu untersuchen. Im Anschluß wird die Struktur der Verbindung zwischen urteilendem Individuum und Organisation erörtert. Die verfügbaren Kapazitäten einzelner Instanzen und die Verteilung von Fachwissen in der Organisation bedingen die Zerlegung des Planungsproblems in Teilaspekte. Vorhandene Komplexität des Problems wird mangels omnipotenter Entscheidungsinstanzen einerseits unterdrückt, indem Vorentscheidungen bei geringem problemspezifischen Wissensstand getroffen werden müssen, die das Zusammenhängende in nebeneinander ablaufende Teile zerlegen. Die bei der Zerlegung in Teilprobleme unterbrochenen Verbindungen stellen einen Komplexitätsverlust dar. Die Problemrepräsentation wird um die auf diese Weise absorbierte Komplexität verkürzt. Von diesem durch laterale Zerlegung ausgelösten Verlust, ist die Absorbtion durch sequentielle Anordnung von Teilproblemen abzugrenzen. Hier werden bestehende Abhängigkeiten zwischen Teilaspekten des Problems über die Zeitachse repräsentiert. Die Temporalisierung der Komplexitätsmuster177 reduziert den bei lateraler Repräsentation entstehenden Verlust vorhandener Problemkomplexität. Der auch bei sequentieller Anordnung verbleibende Verlustanteil erklärt sich aus der Begrenzung des Zeitraums178 , über den eine 174

Vgl. Herbert A. Simon, The Architecture of Complexity, S. 468.

"Als komplex wollen wir eine zusammenhängende Menge von Elementen bezeichnen, wenn auf Grund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann. Der Begriff ,immanente Beschränkung' verweist auf die für das System nicht verfügbare Binnenkomplexität der Elemente, die zugleich deren ,Einheitsfähigkeit' ermöglicht," Niklas Luhmann, Soziale Systeme, S. 46. Der erläuternde Nachsatz verdeutlicht, daß der Elementbegriff universell aufgefaßt wird und entgegen der hier im weiteren verfolgten Perspektive nicht funktional zwischen systemimmanenten Kommunikationsstrukturen- einer b estimmten Kapazität - und Instanzen, mit Merkmalen, die ihre Integrationsresp. Anschlußfähigkeit innerhalb eines Kommunikationsnetzes beschreiben, unterschieden wird. (vgl. auch Abschn. 3.) 175

176 Vgl. die Differenzierung von disorganized und organized complezity bei Warren Weaver, Science and Complexity, S. 537ff. 177

Vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 13f.

178

Lediglich in Ausnahmesituationen kann das Potential der Temporalisierung weitgehend aus-

61

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

Anordnung vorgenommen werden kann, und der im Regelfall ausgeschlossenen Einflußnahme auf zurückliegende Lösungsschritte. Mit der Verkürzung der Problemrepräsentation durch Unterdrückung von Komplexität kann die Aufgabenstellung verfälscht werden, so daß sich die Informationsprozesse über alle Teilproblemen durch verminderte Effizienz hinsichtlich der Lösung des Gesamtproblems auszeichnen. Die Verbindung zwischen urteilendem Individuum und organisationaler Ebene der Problemrepräsentation ist geprägt durch das Wissensgefälle. Aus dieser Perspektive stehen die nebeneinander ablaufenden Informationsprozesse einzelner Instanzen im Vordergrund. Unterschiedlicher Wissensstand bedeutet Diskongruenz in den Urteilsgrundlagen. Die Effekte lassen sich abstrakt an der Verbindung zwischen Handlung, hier im Sinne eines Urteils beziehungsweise einer Entscheidung zur Gestaltung des Entscheidungsfeldes, und ihrer Motivation, das heißt dem Wissen über die Zielsetzungen, die der Gestaltung zugrundeliegen, darstellen. Tabelle 1-1. Transparenz und Konsonanz der Urteilsgrundlagen

Klasse I: Logische Handlungen, Kongruenz von objektivem und subjektivem Zweck Klasse I!: Nicht-logische Handlungen, Diskongruenz von objektivem und subjektivem Zweck

Logische Verbindung von Handlung und Zweck objektiv subjektiv

I

Ja

Ja

II!

Nein Nein Ja Ja

Nein Ja Nein Ja

II2 IJ3(Q,ß )

II4(Q,ß)

In Anlehnung an Pareta gibt die Tab. 1-1 eine Systematik der möglichen Zusammensetzungen wieder 179 . Der Begriff Logik wird von Pareta empirisch gedeutet und bringt die Kongruenz zwischen Verhalten und empirischer Begründung, die ein solches Verhalten auslöst, zum Ausdruck. Die Klasse der nicht-logischen Handlungen bei Vorliegen eines objektiven Zwecks (IJ3, IJ4) sind dabei weiter aufzulösen in die Fälle, in denen der Urteilende bei Kenntnis geschöpft werden. Ja.mes E. Matheson gibt das Beispiel der Entscheidungsvorbereitung für die unbemannte Erkundung des Mars; der zweijährige Abstand zwischen den technisch möglichen Durchführungsterminen erlaubte hier eine ausgedehnte Zerlegung in der Zeit. Ders., Decision Analysis Practice: Exa.mples and lnsights, S. 123ff. 179

Vgl. im folgenden Vilfredo Pareto, Allgemeine Soziologie, S. 27ff.

62

1. Teil: Information und Planung

des objektiven Zweckes, diesem zustimmen oder ihn nicht befürworten würde. Mit dem zusätzlichen Index a respektive ß werden diese Lagen unterschieden. Die nicht-logischen Handlungen, denen kein subjektiver Zweck zugrundeliegt (I/ 1 , / / 3 ) charakterisieren eine reine Agentenfunktion des Subjekts, in der die von außen gegebene Zwecksetzung direkt übernommen und unverändert dem Verhalten zugrundegelegt wird. Im weiteren Sinn gehört zu ihnen das an Konventionen und Traditionen gebundene Sozialverhalten, dessen unreflektierte Übernahme durch // 1 und dessen Übernahme unter Berufung auf Beweggründe180 durch // 3 beschrieben ist. Voraussetzung dieser strengen Zuordnung ist die Unmittelbarkeit und Beobachtbarkeit des Zweckes. Auf der obersten Ebene der Zweck- und Zielsetzung sowie der Mittelwahl in der Entscheidungsvorbereitung werden die Verbindungen im größten Umfang explizit gemacht, so daß die Verknüpfung von Zweck und Mittel der Kategorie I zuzuordnen sind. Bei der nachfolgenden Bearbeitung herausgelöster Teilaspekte gilt diese globale Zuordnung fort, jedoch ist ihr Differenzierungsgrad nicht ausreichend, um die Handhabung des weiter konkretisierten Problemlösungsbedarfs wirkungsvoll zu unterstützen 181 . Der Prozeß gewinnt zusätzlich an Komplexität, indem die Aufteilung zwar im technischen Sinn zu überschneidungsfreien Teilproblemen führt, de facto jedoch erfordert, daß die jeweils ausgegrenzten Aspekte in irgendeiner Form mitgedacht werden müssen 182 , ohne daß die globale Zweck-Mittel-Zuordnung hierfür noch genügend konkrete Anhaltspunkte geben könnte 183 . In der Folge wird bei allen Teilprozessen in erheblichem Umfang mit Annahmen gearbeitet, die zur Kompensation noch nicht vorhandener oder nicht ausgetauschter Informationen notwendig sind. Aus dem begrenzten situativen Kontext einzelner Instanzen im Problemlösungsprozeß vorgenommene Deutungen zum gleichen Sachverhalt können demzufolge inkongruent ausfallen. Die Variationen zur objektiven, das heißt zu der aus der Konsolidierung sämtlicher Teilprozesse zu gewinnen180 Etwa durch Religionsgemeinschaften aufgestellte Verhaltensregeln, die auf logische Zwecke zurückführbar sind (z.B. in der christlichen Lehre das fünfte Gebot auf die Arterhaltung), oder entsprechend Festlegungen in Organisationen (z.B. Pünktlichkeit am Arbeitsplatz mit Blick auf Kontrollstrukturen und uniformes Verhalten zur Wahrung des sozialen Friendens). 181 Beispiel Produktentwicklung: Ausgehend von der Produktidee im Gesamtkontext des Entwurfs und der Absatzmöglichkeiten ist die Konstruktionsabteilung nachfolgend mit der Bereitstellung des kostengünstigsten Herstellungsverfahrens betraut. Eine verfaluen~technische Lösung ist gleichwohl nicht möglich, ohne eine Vielzahl detaillierter Annahmen zur marktseitigen Verwertung (z.B. Variationsmöglichkeiten, Qualitätsstandards), so daß die absatzseitige Planung abgeschlossen sein müßte, bevor ein Verfahrenskonzept entworfen wird. Andererseits begrenzen die verfahrenstechnischen Möglichkeiten das absatzseitig Machbare, und die Abfolge müßte sich danach umkehren. 182 "Entscheidungen müssen die Selektivität ihrer Beziehung zu anderen Entscheidungen mitthematisieren." Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 15. 183

V gl. die Konsistenz des Zielsystems, Abschn. 1.2.1.

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

63

den Urteilsgrundlage repräsentieren eine hochgradig komplexe Struktur184 . Das Neben- und Nacheinander der Prozesse bedingt damit einen Zuwachs an Komplexität, die nicht den Strukturen des zu lösenden Problems immanent ist, sondern Produkt der Unabhängigkeit beteiligter Instanzen bei der Detaillierung ihrer Urteilsgrundlagen 185 . Eingangs dieses Abschnitts wurden mit der problemimmanenten Komplexität Strukturen gekennzeichnet, deren möglichst verlustfreie Aufnahme in die Repräsentation Voraussetzung unverfälschter und effizienter Aufgabenlösung ist 186 • Demgegenüber wurde die aus der Beziehung zwischen Subjekt und organisationaler Ebene der Problemrepräsentation resultierende effizienzmindernde Komplexität im Prozeß der Entscheidungsvorbereitung skizziert. Die Bewältigung von Komplexität erhält in der Gesamtbetrachtung beider Aspekte ambivalente Züge: Komplexitätsabsorbtion durch Wiedergabe im Lösungsprozeß kann bei gegeben Kapazitäten und vorgegebenem Zeithorizont nur durch Ausweitung der lateralen und sequentiellen Repräsentation gesteigert werden. Mit der Vermehrung der Teilprozesse wächst jedoch die Anzahl nebeneinander existierender Urteilsbasen, deren unvollständige Formalisierung aus der Sicht des Gesamtprozesses den Anteil unverbundener Elemente erhöht.

1.3.2 Kontingenzreduktion In der Organisations- und Führungsforschung wird mit den Kennzeichnungen situativ oder kontingent in synonymer Weise gearbeitet. Neben dieser extensionalen Interpretation, im Sinne der Betrachtung im Kontext weiterer zeitlicher und räumlicher Gegebenheiten, der auch an dieser Stelle gefolgt wird, soll der intensionale Gehalt hier näher untersucht werden. Die wesentlichen Elemente zur Strukturierung dieser Diskussion gehen zurück auf die Erörterung der Komplexität. Grundlage ist damit auch hier die Differenzierung problemimmanenter und dem Lösungsweg immanenter Strukturen. Die Strukuren beschreiben die Art und Weise, in der sich eine Aufgabenstellung 184 "Situations of decision-making under goal ambiguity are common in complex organizations." Michael D . Cohen I James G. MBrch I Johan P. Olsen, A Garhage Can Model of Organizational Choice, S. 295. 185 Eines der zentralen Probleme bei der methodologischen Vorentscheidung zugunsten des klassischen Rationalitätsverständnisses wird damit besonders deutlich, geht es doch darum, eine Handlung " ... als vernünftig in bezug auf eine ,objektive' (das Psychologische ausklammernde) Entscheidungssituation ..." zu würdigen. "Ein so verstandenes Rationalprinzip ,reduziert Komplexität', indem es den subjektiven Suchprozeß des Handelnden nach Informationen und sein Finden einer Entscheidung vernachlässigt." Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 182. 186 Bezogen auf die rechnerische Vorbereitung der Entscheidungsfindung verweist Heinz TeichmBnn hier auf das Konstrukt des "isomorphen Kalküls", das den theoretischen Ausgangspunkt und die fortwährende Referenz für Abwandlungen sein muß. Vgl. ders., Die optimale Komplexion des Entscheidungskalküls, S. 522, 526, Fn. 8.

64

1. Teil: Information und Planung

aus Teilproblemen beziehungsweise der Problemlösungsprozeß aus einzelnen Aktivitäten zusammensetzt. Eine Struktur ist kontingent, wenn sie mindestens zwei Elemente enthält, deren Relation indeterminiert ist 187 . Die Planungsaufgabe weist bei vollständiger Wiedergabe im Prozeß der Entscheidungsvorbereitung, dem Ideal verlustfreier Absorbtion, alle Eventualitäten aus. Kontingenzreduktion verläuft auf dieser Basis über eine Differenzierung von Wirkungsfeldern, auf die das Zusammenspiel indeterminierter Faktoren Einfluß hat. Innerhalb dieser Wirkungsfelder führt die Analyse zur Identifikation komplementärer oder konkurrierender Effekte einzelner Kontingenzen 188 . Die Bündelung in den jeweiligen Wirkungsrichtungen und die Aggregation der potentiellen Einflußstärken ermöglicht es, die Kontingenzen bezogen auf einzelne Ziele strukturiert darzustellen 189 . Mit der weiteren Analyse wird angestrebt, die Verknüpfungen ausgewählter Elemente mit Hilfe des Gestaltungsinstrumentariums des Unternehmens so in die Planung einzubinden, daß Aggregate kontingenter Beziehungen in präzise Wenn-dannBeziehungen gefaßt werden können und die Assoziation bestimmter Merkmale dynamisiert und als Korrelation aufgefaßt werden kann 190 . Gibt es keinen Hinweis auf systematische Zusammenhänge, erfordert eine Abbildung die Berücksichtigung der Paarungen möglicher Ausprägungen durch Permutation 191 . Gelingt es hingegen, die Urteilsgrundlage so anzureichern, daß eine signifikante Korrelation offenbar wird, vermindert sich die Kontingenz und Paarungen können selektiv berücksichtigt werden192 . Jenseits des statistischen Kalküls kann auf eine zunächst indeterminierte Relation gegebenenfalls auch aktiv Einfluß genommen und eine künstliche Verbindungen fixiert werden 193 . Der Kerngedanke ist demnach, daß Kontingenz solange besteht, wie es nicht gelingt, die Unverbundenheit zwischen einzelnen Einflußgrößen zu ersetzen, in schwacher Form durch empirisch gestützte Hypothesen zur Relation oder in erschöpfender Weise durch Determinierung194 . 187 Im großräumigen Kontext eines Investitionsprojektes stehen in einer solchen Beziehung z.B. das erwartete Nachfragepotential und die staatliche Wirtschaftsförderung. 188 Zur Methodik einer Basisanalyse vgl. z.B. das Ätialprinzip bei Michael Gaitanides, Planungsmethodologie, S. 63ff, 84f u. 276ff, sowie den Hinweis bei Hans-Werner Sinn, Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit, S. 17. 189 Analog der Assoziation in der Statistik der Attribute läßt sich dies veranschaulichen als das Ermittlungsverfahren zur Aufstellung einer Kontingenz-Tafel. Vgl. z.B. Ernst P. Billeter-Frey / Vladimir Vlach, Grundlagen der statistischen Methodenlehre, S. 86ff. 190

Zur Methodik vgl. z.B. Michael Gaitanides, Planungsmethodologie, S. 287ff.

191

Zum Umfang dieser Repräsentationen vgl. die Beispiele im Abschn. 6.

Im Beispielfall träfe dies zu, etwa wenn zuverlässig eine antizyklische Wirtschaftspolitik unterstellt werden könnte. 192

193

Strategien des Hedging und der Portfolioselektion gehören u.a. dazu.

194

Mit der Festlegung kann der vormals kontingente Zusammenhang als Vorgabe in die wei-

1. Grundlagen der Entscheidungsvorbereitung

65

Für die problemorientierte Zerlegung folgt hieraus die Forderung nach größtmöglicher Bestimmtheit der Teilresultate. Dieses Höchstmaß an Bestimmtheit orientiert sich stets an der Urteilsgrundlage. Sind hieraus keine Schlüsse zu ziehen, die Kontingenz eindämmen, liegt die maximale Bestimmtheit in der ungekürzten Weitergabe der festgestellten und für die Zukunft als gültig angenommenen Varietätsmuster. Erkennbar wird, daß die Möglichkeit, in einem Teilprozeß problemorientierte Kontingenz zu reduzieren, wesentlich vom Inhalt der in dieser Partialbetrachtung zusammengefaßten Merkmale des Entscheidungsfeldes abhängig ist. Auf der untersten Hierarchieebene der Zerlegung führt aufgrund der notwendigen Spezialisierungen möglicherweise kein Weg an der ungekürzten Weitergabe des dort gültigen Feldes von Eventualitäten vorbei. Aber bereits auf den nachfolgenden Ebenen kann durch geeignete Aggregationsstrukturen gezielt das frühzeitige Aufdecken von Verbindungen im statistischen und determinierenden Sinn gefördert werden, so daß ein höherer Bestimmtheitsgrad nicht als Ergebnis willkürlicher Einengung des Möglichkeitsraums, sondern durch objektive Stützung entsteht. Ein wesentlicher Aspekt bei der system- und prozeßgerechten Zerlegung des Problems ist die Stabilität der Teileinheiten 195 . Ebenso wie es in der oben geschilderten Situation zum Vorteil der lösungsgerechten Problemrepräsentation ausfallen kann, wenn bestimmte Merkmale gemeinsam innerhalb eines Teilprozesses behandelt werden, ist auch der gegenteilige Effekt zu berücksichtigen. Nicht mehr dem Problem, sondern dem Lösungsweg ist in diesem Fall die Vermehrung kontingenter Strukturen zuzurechnen. Die Grenzziehung ist bis zu einem gewissen Grad willkürlich, da unterstellt werden könnte, daß derjenige Zerlegungsmodus als Referenz zu dienen hat, der das größtmögliche Potential zur Kontingenzreduktion eröffnet, und folglich jede Variante, die dieses Niveau nicht erreicht, zulasten des Lösungsweges, nicht aber zugunsten der Problemrepräsentation zu werten ist. Gegen diese Sicht ist einzuwenden, daß a priori keine hinreichenden Informationen vorliegen, aufgrund derer die tatsächlich vorteilhafteste Zerlegung bestimmt werden könnte.

tere Planung eingehen und ermöglicht so eine strukturelle Unsicherheitsabsorption. Vgl. Niklas Luhmann, Grundbegriffiiche Probleme einer interdisziplinären Entscheidungstheorie, S. 472. 195 Herbert A. Sirnon illustriert in einer Parabel die Hierarchisierung zur Bewältigung komplexer Probleme: Das Zusammenfügen einer großen Zahl von Einzelteilen bei der Herstellung einer Uhr kann durch suksessive Ergänzung des Werkstücks als Ganzes erfolgen oder durch den Zusammenbau auf der Ebene von Komponenten, die dann in einem zusätzlichen Arbeitsgang zum vollständigen Werkstück zusammengefaßt werden. Während im ersten Fall das ganze Werkstück bis zur endgültigen Fertigstellung in einem labilen Zustand verharrt, sind es im hierarchischen System nur die separat bearbeiteten Komponenten, und äußere Einwirkungen, die die bis zu diesem Zeitpunkt geleistete Montagearbeit zunichte machen könnten, hätten im letzteren Fall einen erheblich geringeren Verlust zur Folge. Übertragen auf die Lösung immaterieller Problemstellungen, schließt Simon: " ... a partial result that represents recognizable progress toward the goal plays the roJe of a stable subassembly." Ders., The Architecture of Complexity, S. 472.

5 Laclmer

66

1. Teil: Information und Planung

2. Modeliierung des Informationsprozesses In der Modellbildung wird generell zwischen der beschreibenden oder erklärenden und der entscheidungsvorbereitenden Aufgabe unterschieden. Der ersten Aufgabenstellung dient die Konzeption von Ermittlungsmodellen. Diese bilden gleichzeitig die logische Vorstufe des Entwurfs entscheidungsvorbereitender Modelle, die zum Beispiel als Optimierungsmodelle zur Gewinnung konkreter Handlungsvorschläge, orientiert an Zielfunktionen innerhalb eines definierten Lösungsraums, herangezogen werden 1 . Gemessen an dieser möglichen Reichweite der Aussagen von Modellen, müssen die Ansprüche, die hier an eine Modeliierung des Informationsprozesses gestellt werden können, vergleichsweise gering bleiben. Ursache ist die Beschaffenheit von Wissensgefälle und Transformation. Ihre vollständige Abbildung setzt die Beobachtung der Wissensaufnahme sowohl auf organisationaler Ebene als auch beim Subjekt voraus. Die kognitiven Prozesse beim Individuum entziehen sich jedoch der unmittelbaren Beobachtung. Auf sie wird lediglich über Äußerungen des Individuums zurückgeschlossen, das heißt nachdem bereits eine Transformation stattgefunden hat. Selbst ohne das Ziel, ein Entscheidungs- oder Optimierungsmodell zu entwerfen, müssen daher auch zur Ermittlung der Zusammenhänge zwischen Subjekt und Umwelt Annahmen über intrasubjektive Vorgänge gemacht werden. Besonders deutlich ist dies in der fachübergreifenden Auseinandersetzung mit dem Konzept des homo oeconomicus abzulesen 2 • Während in weiten Forschungsbereichen seiner Ursprungsdisziplin die Bereitschaft größer geworden ist, sich von klassischen Formulierungen zu lösen 3 , und feinere Dis1 Vgl. die Darstellung unter Bezugnahme auf mathematische Modelle bei Frederic de Moliere , Prinzipien des Modellentwurfs, S. 63ff, 92f. 2 Gebhard Kirchgässner spricht von einem Siegeszug durch die Sozialwissenschaften, den der homo oeconomicus in den vergangenen Jahrzehnten durchlebt hat, und verweist insbesondere auf die Konzepte zum rationalen Wahlverhalten (Rational Choice Approach). Vgl. ders., Homo Oeconomicus, S. ix, 2. Mit der Einschätzung, daß sich dieser Einßuß mittlerweile abschwächt, jedoch z.B. Jonathan St.B.T. Euans, Bias in Human Reasoning, S. vii.

3 Gebhard Kirchgässner zitiert als frühes Beispiel (1898) der kritischen Betrachtung Thorstein Veblens Karikatur zum homo oeconomicus: "Die hedonistische Konzeption des Menschen ist die eines blitzschnellen Berechners von Freuden und Leiden, der sich wie ein homogenes Elementarteilchen, welches ganz aus Streben nach Glückseligkeit besteht, unter dem Einßuß von Anstößen bewegt, die ihn in der Gegend herumschieben, selbst aber unversehrt lassen. Ihm geht nichts voraus und ihm folgt nichts nach. Er ist ein bestimmtes, isoliertes menschliches Datum, welches sich in einem stabilen Gleichgewicht befindet, sieht man einmal ab von den Stößen der auf ihn einwirkenden Kräfte, die ihn in die eine oder andere Richtung schieben. Auf sich selbst beschränkt im Elementarraum, wirbelt er symmetrisch um seine eigene geistige Achse, bis das Para.llelogramm der Kräfte auf ihn Einßuß nimmt ..." und ihm zwischenzeitlich, bis zur Rückkehr in die Ruhelage, einen veränderten Dra.ll gibt. Vgl. Gebhard Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 28; Thorstein Veblen , Why is Economics Not an Evolutionary Science, S. 389f.

2. Modeliierung des Informationsprozesses

67

kriminanzmuster zu entwickeln - verbunden mit der Hoffnung, bei höherem Erklärungsgehalt nicht minder präzise Verhaltensannahmen ableiten zu können - 4 , zeichnet sich in anderen sozialwissenschaftliehen Fachrichtungen eine umgekehrte Entwicklung ab. Die ökonomische Betrachtung hat hier dazu beigetragen, Verhalten besser erklären und prognostizieren zu können. An dieser Stelle wird nicht versucht, eine pauschale Rationalitätsannahme, wie etwa die relativer Rationalität 5 , bei der Abbildung zugrundezulegen, sondern auf die differenzierte Betrachtung des Abschnitts 1.2 zurückzugreifen. Ziel der Modelldarstellung ist es, über eine geeignete Strukturierung des Beobachtungsfeldes die Funktionsweise von Transformation und Einbeziehung von Information durch Aggregation sichtbar zu machen. Beide Merkmale des Informationsprozesses werden im folgenden getrennt behandelt. Zunächst wird die Problematik der Umformung zwischen analogem und digitalem Wissen aufgegriffen und daran anschließend erfolgt die Darstellung der Verknüpfung von Informationen zur Abbildung des Entscheidungsfeldes. Der Transformationsprozeß stellt dabei die Verbindung zur Rationalitätskomponente Objektivität her und über die Aggregation werden Effektivität und Effizienz in der Vervollständigung des Entscheidungsfeldes einbezogen.

2.1 Transformationsprozeß Ziel der Modeliierung des Transformationsprozesses ist die Erfassung relevanter Einflußfaktoren und ihrer Interdepenzen bei der Herausbildung und Weitergabe subjektiver Beiträge. Das entstehende Modell läßt sich formal als Relationen-System charakterisieren. Die Anzahl der Komponenten, die gemeinsam der Repräsentation des Transformationsprozesses dienen, entspricht dabei der Stellenzahl der Relation6 . In der Entscheidungstheorie wird der Entscheidungsprozeß üblicherweise als zweistellige Relation von Subjekt- und Objektsystem abgebildet 7 • Das Objektsystem umfaßt dabei die Beschreibung des Planungsgegenstandes (Q) über vorhandene Mittel, Aufgabenstellungen und Handlungsalternativen. Im Subjektsystem (A) sind Informationssystem, 4

Vgl. z.B. Jonathan Rosenhead, Rational Analysisfora Problematic World.

Vgl. Edmund Beinen, Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, S. 221. 5

6 Dieses in der Modelltheorie verwendete Merkmal läßt sich formal über die mengentheoretische Definition veranschaulichen, wonach mit einer "n-stelligen (n-ä.ren) Relation R in einer Menge M eine Beziehung, die zwischen je n Elementen z,, ... , Zn E M entweder besteht oder nicht besteht", zum Ausdruck gebracht wird. Il'ja N. Brönstein I Konstantin A. Semendjajew, Taschenbuch der Mathematik, S. 546. Vgl. analog für die Meßtheorie (Relationen-Strukturen) z.B. David H . Krontz u.a., Foundations of Measurement, Vol. 1, S. 8f. Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, S. 244ff. 7 Vgl. hierzu und im folgenden Günter Bamberg I Adolf G. Coenenberg , Betriebswirtschaftliehe Entscheidungslehre, S. lf.

68

1. Teil: Information und Planung

Zielsystem und Entscheidungslogik des Entscheidungsträgers vereinigt. Der Austausch zwischen Objekt- und Subjektsystem beschränkt sich auf die Aufnahme von Informationen in das Subjektsystem und die Gestaltung des Objektsystems durch das von einer Entscheidung ausgelöste Handeln A::Q8 • Vorgänge der Ergänzung oder Erweiterung des Entscheidungsfeldes zur Vorbereitung eines Handlungsentschlusses sind hierbei integraler Bestandteil des Subjektsystems. Die differenziertere Betrachtung des Transformationsprozesses macht eine Aufspaltung des Subjektsystems erforderlich. Zur Kennzeichnung der Intervention des Subjektes bei Übertragung des Gegenstandsbereichs in das Abbild des Entscheidungsfeldes werden zunächst Subjekt und Abbild der Entscheidungssituation voneinander gelöst und als eigenständige Komponenten modelliert 9 • Die drei Komponenten Gegenstandsbereich (9), Subjekt (A) und Abbild (E) bilden damit die Grundlage des Modellentwurfs. Erst über diese getrennte Erfassung ist es möglich, die vom Individuum hergestellte Verbindung zwischen Gegenstandsbereich und Abbild situativ zu deuten 10 und zu diesem Zweck auch die Einheit von Subjekt (A) und seiner Zielsetzung (Z) aufzulösen: A wählt den zu beschreibenden Gegenstandsbereich g und formt unter einer ZielsetzungZein empirisches AbbildE. Zur Vermittlung dieses Abbildes verwendet das Subjekt ein Medium .N, das die Beobachtung als intersubjektiv verwertbare Information zugänglich macht. Das Medium beziehungsweise die Sprache kennzeichnet damit die fünfte Komponente des Modellansatzes11 . Anhand der Interaktion der einzelnen Modellkomponenten läßt sich dieses Konstrukt modelltheoretisch einordnen 12 und näher ausführen: Input der Transformation ist die mentale Repräsentation der in g liegenden Aufgabenstellung beim Subjekt. Für diese innere Modellbildung wird im hiesigen Kontext angenommen, daß sie sich ausschließlich auf das subjektive Wissen stützt und daher als Wahrnehmungs- und Denkmodell interpretiert werden kann 13 . Zur Kommunikation dieser Modelle ist die äußere Modellbildung erforderlich 14 . Modelle zum Zweck der Weitergabe von Infor8 Auch auf der Ebene des Modellentwurfs wird häufig keine weitergehende Unterscheidung vorgenommen. Vgl. z.B. die Veranschaulichung in der Hierarchie von Modellkonstruktion (Metaebene) und. Objektsystem bei Walther Busse von Colbe / Gert Laftmann, Betriebswirtschaftstheorie, Bd. 1, S. 45ff. 9

Vgl. Frederic deMoliere, Prinzipien des Modellentwurfs, S. 25ff.

10

Vgl. zur formalen Diskussion der Trennung von Gegenstand und Erscheinung Abschn. 1.2.2.

11

Vgl. Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 30f.

12

Vgl. Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, S. 199ff.

13 Vgl. die Differenzierung der beiden Hauptklassen emotionaler semantischer Modelle und kognitiver semantischer Modelle ebd., S. 23lff. 14 Zur Unterscheidung von innerem und äußerem Modell vgl. z.B. Werner Kinch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 1, S. 63, 76ff.

2. Modeliierung des Informationsprozesses

69

mation sind an Medien gebunden, die der Wahrnehmung anderer Subjekte zugänglich sind. Die Kommunikation über äußere Modellbildung ist danach weiter aufzuspalten in Modelle, denen eine Zerlegbarkeit der Informationseinheiten aufgrundeiner Grammatik zukommt, sogenannte digitale Modelle, und jene, die nur auf der Basis willkürlicher, individuell festzulegender Regeln in Informationsteile zerfallen, sogenannte analoge Modelle 15 • Die weitere Aufschlüsselung analoger Modelle ist nur bei Existenz und Vermittelbarkeit der "urheberspezifischen ,Grammatik' "16 möglich.

/

l i

@] l i

@] Abbildung 2-1. Modellbildung als fünfstellige Relation

Über die bereits zur Charakterisierung von Information und Wissen herangezogene semiotische Untersuchung lassen sich zwei Betrachtungsebenen differenzieren 17 : die Ebene der Pragmatik sowie die Ebene von Semantik und Syntax der Transformation. In Abb. 2-1 sind diese Ebenen über die horizontale und die vertikale Verbindung zwischen den Modellkomponenten skizziert. Die Zeichen des gewählten Mediums .Af unterliegen bestimmten Verknüpfungsregeln, einer Syntax, die die bedeutungsunabhängige Interpretation von Zeichenverbindungen ermöglicht. In der semantischen Dimension erfolgt die Zuordnung von Beobachtungsgegenständen g über deren empiri15 Vgl. die Übersicht bei Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 19; ähnlich, mit stärkerer Ausdifferenzierung der digitalen (abstrakt-symbolischen) Modelle: Manfred Meyer , Operations Research- Systemforschung, S. 20.

16

Vgl. Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, S. 163f, Fn. 47.

Vgl. Charles W. Morris, Zeichen, Sprache und Verhalten; ders., Grundlagen der Zeichentheorie. Vgl. auch Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 2, s. 78ff. 17

70

1. Teil: Information und Planung

sehe Erscheinung t: zu den Zeichen des Modells 18 . Diese Zuordnung begründet die auf der Vertikalen dargestellte Wechselwirkung: g gestaltet t:, und t: gestaltet das sprachliche Modell N . Einflüsse verlaufen jedoch auch in Gegenrichtung. Sprache formuliert Modelle des Gegenstandsbereichs, über den kommuniziert werden soll19 . Die Ausdrucksmöglichkeiten des Sprachsystems wirken dabei in gestaltender Weise zurück auf die Wahrnehmung in t: und damit auch auf 9 20 . Die Horizontale in Abb. 2-1 spiegelt die Intention wider, mit der Beobachtung und Repräsentation durchgeführt werden. Sie kennzeichnet die pragmatische Dimension in der Verbindung von A und Objektbereich (9, t:, N) 21 . Die intervenierende Komponente, das Zielsystem, bildet eine Zusammensetzung aus subjektiven und organisationalen Zielen. Gemeinsam beeinflussen sie die Wahrnehmung des Entscheidungsfeldes und lösen den Einsatz bestimmter Strategien aus, die in N über entsprechende Methoden der Problemlösung repräsentiert sind. Anhand der Analyse des Modells aus syntaktisch-semantischer Perspektive lassen sich nun die Merkmale des Transformationsprozesses darstellen. Entscheidungsvorbereitung basiert auf digitalen Modellen und bedient sich dabei hauptsächlich der formalen numerischen Variante und hilfs-oder übergangsweise der umgangssprachlichen. Vielfach wird daher auch bei der Gegenüberstellung vom inneren Modell aus direkt auf das formalisierte mathematische oder statistische Modell eines Entscheidungsproblems Bezug genommen22. Numerische und gegebenfalls auch umgangssprachliche Repräsentationen des Gegenstandsbereichs stellen hierbei Messungen der Ausprägung beobachtbarer Merkmale, das heißt der empirischen Erscheinung dar. An die Repräsentation zu knüpfende Anforderungen lassen sich über den Aufbau eines meßtheoretischen Bezugsrahmens näher bestimmen. Ziel ist es, die durch den Urteilenden zu leistende Transformation analogen Wissens formal zu präzisieren und damit zur methodischen Ausgestaltung von Eindeutigkeits- und Plausibilitätsforderung beizut ragen 23 . Der Bezugsrahmen setzt sich aus den Eigenschaften des Meßmodells bezüglich des Abbildungsgegenstandes sowie der Charakterisierung der in18

Vgl. auch Adolf Adam, Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, S. 3.

Vgl. Werner Heisenberg, Physik und Philosophie, Kap. X, insb. S. 143ff. Herbert Stachowiak: "Der gesprochene Satz als Modell des zur Mitteilung vorgesehenen Gedankens." Ders., Allgemeine Modelltheorie, S. 225. 19

°

2 Können bspw. relevante Umweltmerkmale über das Medium nicht vermittelt werden, bleibt ihre empirische Repräsentation verborgen und der Gegenstandsbereich wird in diesem Umfang verkürzt. Ohne Intention nimmt daraufhin der Handlungsentschluß ggf. Einfluß auf die Ausprägung dieser Merkmale im Gegenstandsbereich.

21

Vgl. Gerd Gigerenzer , Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 26.

22

Vgl. u.a . Michael Gaitanides, Planungsmethodologie, S. 20.

23

Vgl. Abschn. 1.2.2.

2. Modeliierung des Informationsprozesses

71

nerhalb des Modells gültigen Abbildungsregeln zusammen. Zunächst sei die Beziehung zum Abbildungsgegenstand hier erläutert: Während traditionell der instrumentelle Charakter von Meßmodellen hervorgehoben und ihnen die Rolle neutraler Hilfsmittel zur Darstellung empirischer Zusammenhänge zugedacht wird 24 , betont Gigerenzer die modellbildende Funktion numerischer Systeme. "Der Zugriff der Methode verändert ihren Gegenstand, beide sind nicht mehr voneinander zu trennen."25 • Danach besteht keine Identität zwischen E und N. Coombs u.a. stellen hierzu die These auf, daß mit der Verwendung einer bestimmten Skala, das heißt der Festlegung von Abbildungsregeln eine Theorie über den Gegenstandsbereich und seine Erscheinungsformen errichtet wird 26 . Für die Wiedergabe des über N erschließbaren Ausschnitts von E gilt weiterhin die Bedingung, daß Messung nur dann möglich ist, "wenn die Gesetzmäßigkeiten, welche die spezifische Struktur eines numerischen Systems beschreiben, als empirische Gesetzmäßigkeiten auch in dem durch E modellierten Gegenstandsbereich gelten." 27 Neben der prinzipiellen Einflußnahme auf E, die sich in der Wahl eines bestimmten numerischen Modells niederschlägt, ist daher die Frage nach der Validität von Messungen, das heißt nach möglichen Divergenzen zwischen den zu messenden Zusammenhängen und den durch die Messung tatsächlich abgebildeten 28 , zu berücksichtigen. Zur Charakterisierung der innerhalb eines Meßmodells gültigen Regeln werden nachfolgend der Meßvorgang und daran anknüpfend die Bedingungen, denen das Modell genügen soll, allgemein skizziert. Messung setzt die Definition eines Argumentbereichs E, das sind die zu messenden Objekte, sowie einer Klasse von Zahlen als Wertebereich, zum Beispiel IR, und der Verfahrensregeln zur Abbildung der Objekte im Wertebereich voraus. Können im betrachteten empirischen System zum Beispiel die Relationen der Äquivalenz, der schwachen Präferenz und der Addition 29 auf die Objekte angewendet werden, läßt sich dieses als RelationensystemE = (E, "', t, +)kennzeichnen. Analog ist ein numerisches System über die Angabe von Definitionsbereich und gültigen Relationen zwischen den Elementen beschrieben: N = (IR,::::, 2:, +). Für die Abbildung der Objekte in das numerische System, f: E--+ IR, werden Zu24 In diesem Sinne die Definition Adolf Adams: "Messungen sind physische und Bewertungen psychische Operationen, die an den Sachen als Träger von Verhalten vorgenommen werden, um diese Sachen als Dinge von entsprechenden Ordnungssystemen zu erkennen und zu gebrauchen." Ders., Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, S. 14 (i.O. hvg.) 25

Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 15.

Vgl. Clyde H. Coombs I Howard Raiffa I Robert M. Thrall, Some Views on Mathematical Models and Measurement Theory, S. 144. 26

27

Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 32.

28

Zum Divergenz-Artefakt vgl. ebd., S. 98ff.

29

Vereinfachend wird hier Addition im arithmetischen Sinn unterstellt.

72

1. Teil: Information und Planung

ordnungsregeln benötigt. Zuordnungsregeln definieren eine Skala, (E,N, j), so daß für beliebige a, b E A gilt: a ?: b +-+ f(a) ~ f(b), mithin dem Repräsentationstheorem, hier durch die Annahme einer schwachen Ordnung, Rechnung getragen wird 30 • Die allgemeinen Voraussetzungen des Messens sind zusammengefaßt in den von Menger aufgestellten Postulaten 31 . An die Übertragung der mathematischen Strukturen schließen sich spezifische Fragen im Umgang mit Quantitäten an, die Körner in vier speziellen Bedingungen des Messens zusammenfaßt32 : (1) Die Entscheidung über die Zugehörigkeit eines bestimmten Objektes zu dem Argumentbereich einer Klasse von Quantitäten setzt exakte Klassen voraus; (2) da empirische Methoden nicht geeignet sind, um eine transitive Gleichheitsrelation zu konstituieren, muß die nicht-transitive empirische Beziehung der Ununterscheidbarkeit durch eine transitive, ideale Äquivalenzrelation ersetzt werden; (3) Wiederholbarkeit von Messungen am gleichen oder äquivalenten Objekt beziehungsweise mit dem gleichen oder einem äquivalenten Meßverfahren; (4) Äquivalenz zweier Resultate des gleichen Typs von Messung: Meßwertdivergenzen bei der wiederholten Messung des gleichen Objektes mit dem gleichen Meßverfahren werden betrachtet als gestreut um einen relevanten - auch als wahren bezeichneten- Wert. Ohne die Hilfskonstruktion nach (4) wäre das Auftreten inkonsistenter Klassen von Quantitäten unvermeidlich. Mit dieser Formulierung der Bedingungen des Messens werden Anforderungen gestellt, deren Einhaltung bei der Betrachtung menschlicher Beurteilungsvorgänge nicht als gegeben unterstellt werden kann. Um subjektives 30 Vgl. David H. Krantz u.a., Foundations of Measurement, Vol. 1, 1.2.2 Homomorphismus of Relational Structures: Representation Theorems, S. Sff.

31 Kar! Menger stützt sich auf die Darstellung des Messens bei Hermann L. F. von Helmholtz und formuliert sie in der nachstehenden Weise neu: Für beliebige Quantitäten A, B , C, D soll gelten

=

(1) Reflexivität: A A (2) Symmetrie: A B -+ B A (3) Transitivität: A :: B II B :: C -+ A :: C (4) additive Transformationseindeutigkeit: A B-+ (A El1 C) (5) Kommutativitä.t: (A El1 B) (B El1 A) (6) Assoziativitä.t: (A E11 (B E11 C)):: ((A E11 B) E11 C) (7) A ~ B -+ 3D : (A E11 D) :: B V (B E11 D) :: A (8) (A EI1 B)~A VA,B (9)VA 3A1 A::2A'vA'::!A (10)VA,B 3(mEIN),C mA::(B EI1 C)

=

=

=

=

=

(B El1 C)

Durch die Postulate (1)-(10) - Helmholtz-Menger-Bedingungen - ist eine positive Verhältnisklasse definiert, in der ebenso die Bedingungen für Messungen im Sinne des linearen Ordnens, d.h. für Messungen auf niedrigerem Skalenniveau, erfüllt sind. Vgl. Stephan Körner, Erfahrung und Theorie, S. 186ff; Kar! Menger, Mensuration and Other Mathematical Connections of Observable Material, S. 98ff; Zum Komplement der algebraisch-axiomatischen Definition geeigneter Körper vgl. Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. II, S. 241ff. 32

Vgl. hierzu und im folgenden Stephan Körner, Erfahrung und Theorie, S. 190ff.

2. Modeliierung des Informationsprozesses

73

Urteilsvermögen grundsätzlich als Instrument der Messung deuten zu können, ist es erforderlich den Beriff der Messung mit einer weitergefaßten Interpretation zu versehen. Die wohl stärkste Ausdehnung geht auf Stevens zurück, der fordert, den Begriff Messung auf jede Form der Zuordnung von Zahlen zu Objekten anzuwenden33 . Von diesem Ausgangspunkt läßt sich eine Hierarchie über mögliche Meßniveaus anlegen 34 • Die grundlegende Einteilung der Zuordnungsvarianten sieht vier Skalentypen vor35 : - Klassifikation, Nominalskala (E, =),eindeutig bis auf eine symmetrische Transformation, x __... x', so daß x; =I= xj V x; =I= x1 Rangreihung, Ordinalskala (E, =, > ), eindeutig bis auf eine monoton wachsende Transformation, x __... f(x), so daß x; > x1 :::} f(x;) >

f(xi)

1\

x; =

Xj:::}

f(x;) = f(xi)

- Intervallskala (E, =, >,+),eindeutig bis auf eine lineare Transformation des Typs x __... ax + ß, mit a > 0 Verhältnisskala (E, =, >,+),eindeutig bis auf eine multiplikative Transformation mit einer positiven Konstante, x __... ax, mit a > 0 Für Klassifikationen und Rangreihungen gilt, daß die Zuordnung einzelner Meßobjekte nur in Abgrenzung gegenüber anderen Meßobjekten interpretiert werden kann 36 . Bleibt die Aussage über eine monotone Transformation hinaus erhalten, liegt eine metrische Skalierung vor und Meßobjekten können Meßwerte direkt zugeordnet werden. Aus dieser Basiseinteilung lassen sich Mischformen sowie kombinierte Skalen ableiten. Hierzu zählen Rating- oder Hyperordinalskalen, bei denen Differenzen zwischen Objekten auf dem Niveau einer Intervallskala interpretiert werden können 37 , und Skalen, bei denen eine lineare Ordnung über die Objekte angelegt werden kann und Differenzen geordneter Paare über eine partielle Ordnung repräsentiert sind. 33 " ... the mostliberal and useful definition of measurement is ... ,the assignment of numerals to things so as to represent facts and conventions ab out them.'" Stanley S. Stevens, On the Theory of Scales of Measurement, S. 680. 34 Vgl. Adolf Adam, Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, S. 2ff; einen ausführlichen Überblick mit umfangreicher Bibliographie bietet Joseph L. Zinnes, Scaling. 35 V gl. Sidney Siegel IN. John Castellan, Nonparametrie Statistics for the Behavioral Sciences, S. 21ff; Stanley S. Stevens, On the Theory of Scales of Measurement, S. 678ff. 36 Im Sinne der Betrachtung von Lage im Raum werden diese Zuordnungen auch als topologische Skalen bezeichnet. Vgl. die Klassifikation nach der Begriffsbildung Rudolf Carnaps bei Adolf Adam, Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, S. 20f sowie die weitere terminologische Aufspaltung im Anhang, S. 173.

37 V gl. Clyde H. Coombs I Howard Raiffa I Robert M. Thrall, Some Views on Mathematical Models and Measurement Theory, S. 143; Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 116.

74

1. Teil: Information und Planung

Coombs u.a. betonen, daß Meßbarkeitsanforderungen, die im empmschen System nicht eingelöst werden können, eine Einschränkung der Möglichkeiten zur Erkenntnisgewinnung darstellen 38 • Andererseits sind zumindest den Erkenntnisfortschritten durch mathematische Repräsentation von empirischen Zusammenhängen enge Grenzen gesetzt, wenn die Beobachtungen nur auf einem niedrigen Skalenniveau geordnet werden können 39 • Erkennbar ist die Konkurrenz von Abschwächung der Meßbarkeitsanforderungen zugunsten einer weitgehenden Ausschöpfung des subjektiven Wissens und Wahrung eines metrischen Skalenniveaus zum unbeschränkten Einsatz der Verarbeitungs- und Analyse-Instrumente. Die Anforderungen der Transformation an das Subjekt und die Risiken der Verfälschung von Information steigen mit höherem Skalenniveau. Um diesen Risiken entgegenzuwirken, bedarf es einer intensiven Prüfung der Einhaltung von Regeln des numerischen Systems. An die Stelle des Beobachters, wie sie hier die Aufsicht auf das Modell repräsentiert, tritt ein Moderator. Die Moderation 40 verkörpert dabei das Objektivierungsziel im Transformationsprozeß. Die Einflußnahme richtet sich dabei auf die in der Sprache N und der Übertragung E --+ N verankerte Eindeu tigkeitspro blematik41 .

2.2 Aggregationsprozeß Das Verteilen und Umverteilen von Entscheidungsleistungen verhält sich 1m Hinblick auf den Alternativenraum nicht neutral. Im Kommunikationsnetz wird in der Regel nur die Synopsis eines einzelnen Informationsverarbeitungsprozesses, die aus ihm hervorgegangene Entscheidung, weitergegeben. In der Zuspitzung auf den Handlungsentschluß erstreckt sich diese dann möglicherweise ausschließlich auf eine Spezifikation der Handlungsalternative mit der höchsten Annahmewahrscheinlichkeit, den sogenannten confirmation candidate 42 • Für die übergeordnete Instanz selbst bleiben damit als Alternativen, die Lösung zu akzeptieren oder zu verwerfen. Eine Entschlußvorlage zwecks Nachbesserung zurückzuverweisen, kann dabei erst in Betracht kom38

V gl. dies., S.

144.

"When parametric techniques of statistical inference are used with such data, any decision about hypotheses are doubtful. Probabilitystatements derived from the application of parametric statistical tests to ordinal data are in error to the extend that the structure of the method of the collecting the data is not isomorphic to arithmetic." Sidney Siegel/ N. lohn Castellan, Nonparametrie Statistics for the Behavioral Sciences, S. 26. · 39

40 Über die umgangssprachliche Interpretation hinaus kommen hier die Grundbedeutungen aus dem lateinischen Wortstamm zum Tragen: lat. modus: messen; moderare: in Schranken halten, beherrschen. 41

Vgl. Abschn. 1.2.2.

42

Vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 62.

2. Modeliierung des Informationsprozesses

75

men, wenn ein Aufschub der Entscheidung möglich ist und darüber hinaus der im Entscheidungsprozeß nachgelagerten Instanz Informationen zugänglich sind, die Zweifel an der Qualität der Vorarbeit rechtfertigen 43 . In Abhängigkeit vom Planungsgegenstand sind den Möglichkeiten, vorausgegangene Entscheidungen sachlich zu hinterfragen, enge Grenzen gesetzt: Bei genügendem Problemumfang ebenso wie bei Problemlagen, die ausgedehntes Wissen auf unterschiedlichen Fachgebieten erfordern, kann arbeitsteilige Planung und damit lokal begrenzte Zuständigkeit für Teilentscheidungen unausweichlich sein. Im ersten Fall sind es die Kapazitätsgrenzen einzelner Planungsinstanzen, im letzten die mangelnde Qualifikation übriger Planungsinstanzen, die die Weitergabe von mehr als einer knapp kommentierten Entscheidung oder Entschlußvorlage nutzlos werden ließe. Aus der Perspektive des Zusammenwirkens und der Austauschbeziehungen zwischen Planungsinstanzen erkennt Luhmann in dieser fortlaufende Reduktion und Verdichtung von Urteilsgrundlagen eine Erleichterung im Durchlaufen sozialer und zeitlicher Distanzen44 • Die synoptische Weitergabe von Informationen im System liefert hierbei die Voraussetzung für deren friktionslose Verwendung als Prämisse beim Fällen von Anschlußentscheidungen. March und Sirnon charakterisieren diesen Mechanismus als Unsicherheitsabsorbtion45. Entsprechend der Systematik der Komplexitätsabsorbtion 46 bezeichnet dieser kommunikations- und zeitbezogene Effekt eine repressive Absorbtion von Vorgangskomplexität. Die praktische Relevanz dieser Sachverhalte wurde von Gzuk bestätigt. Aus der Auswertung der Indikatorenzusammenhänge seines Modells zur Effizienz von Entscheidungen geht hervor, daß der Umfang funktionaler Arbeitsteilung negativ korreliert ist mit Umsicht, Reifeniveau der Willensbildung, Zielbedachtsamkeit und Handlungsrationalität im Entscheidungsprozeß47 . Eine Zerlegung in lokal zu verantwortende Teilentscheidungen kann daher auch unter der Annahme zureichenden Wissens nach- oder nebengeordneter lnstanzen dazu führen, daß einzubeziehende Teilentscheidungen unreflektiert im Sinne der unmittelbaren Übernahme als Prämisse für selbst zu treffende Entscheidungen verwendet werden. Für das Vorgehen bei der Zerlegung einer Planungsaufgabe ergibt sich hieraus die Forderung, Austauschbeziehungen zwischen einbezogenen Entscheidungsinstanzen zu minimieren. Diese an der sachlichen Bewältigung der 43

Vgl. Robert T. Giemen, Combining Overlapping Information, S. 379.

44

Vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 63.

Vgl. James G. March/ Herbert A. Simon, A Behavioral Theory of the Firm, S. 118ff; dies ., Organizations, S. 165f. 45

46

Vgl. Abschn. 1.3.1.

47

Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 207, 448ff.

76

1. Teil: Information und Planung

Planungsaufgabe orientierte Anforderung ergänzt damit die Organisationale Zielsetzung größtmöglicher Reduzierung des Koordinationsaufwands48 . Anhand der formalen Abbildung der Informationsbeziehungen zwischen den Instanzen läßt sich die Zielsetzung illustrieren. Wild schlägt hierzu die Durchführung einer Input-Output-Analyse vor, auf deren Basis der lnformationsprozeß im weiteren untersucht werden kann49 . In der Aufbaustruktur sind hierbei Entscheidungsinstanzen und Informationen festgelegt. Zur Beschreibung des Vorgangs der Problem- und Alternativenkonkretisierung werden die zu treffenden Teilentscheidungen über die verantwortliche Instanz sowie benötigte Information - authentisch oder in Form von Teilentscheidungen anderer Instanzen - bestimmt. Die Zusammenhänge lassen sich wie folgt formal darstellen 50 : A; Entscheidungsinstanz (ggf. einzelner Entscheidungsträger) (i = 1, 2, ... , 7)

I 1 Information, gestützt auf instanzinterne Gewinnung oder von außen bezogen - der Zugang ist begrenzt auf eine Auswahl der beteiligten Instanzen (j 1,2, ... , 8)

Dk Teilentscheidung (k = 1, 2, ..., 6)

Die Ausgangsverteilung des Wissenspotentials 'Ii unter den beteiligten Entscheidungsinstanzen Ai sowie der Informationsbedarf für die Entschlußfassung in Teilaspekten des Entscheidungsproblems (Vk) geben die Matrizen AI und ID wieder.

Al

:r,

A2

A3

0 0

As

1

AI= A.

Ao

A1

o

0 0

I2 0 0

1 0 0 0 0

I3 0

0 1 0 0 0 0

r. x. x.

I1

0 0 0 0 1 0

0 0 0 1 0 0

0

1 0 0 0 0

1

0

0 0 0 0 0 0 1

Is

0

Tl

'D,

I2

1)

I3 ID = I•

Is

Io I1 Is

1 0

o 0 1 0 0

'D2 0

0 1 0 1 0 0

'D3 1 0 0 0 0 0

'D. 0 1 0 1 0 1 0 0

'Ds 0 0 0 1 0 1 0 0

'Do

!l

Die Verteilung Entscheidungsaufgaben unter den Instanzen ist in DA abgelegt. Der Informationsbedarf der Entscheidungsinstanzen entsprechend den zu lösenden Aufgaben ist durch ID · DA = lA bestimmt. 48 Vgl. Herbert A. Simon, The Architecture of Complexity; ders., Wie lösen wir schlechtstrukturierte Probleme?

49 Vgl. Jürgen Wild betrachtet die Analysethematik vor dem Hintergrund der konzeptionellen Grundlagen für die Entwicklung von Management-Informations-Systemen und stellt der Erläuterung des Analysemodells eine ausführliche Diskussion der Kosten-Nutzen-Aspekte von Informationssystemen voran. Vgl. ders., Input-, Output- und Prozeßanalyse von lnformationssystemen. 50

Vgl. ebd., S. 67ff.

"T

A,

DA=

1)2 Va

v. Vs v.

0 1 0 0 0

A2 0 0 0 0 0 0

Aa 1 0 0 0 0 0

77

Modeliierung des Informationsprozesses

2.

~

0 0 0 1 0 0

As 0 1 0 0 0 0

0 0 0 0 1 0

I)

Il

A,

Aa A1

lA =

I2 Ia

0 0

Is

0 0 1 1

o

z.

Io I1 z.

A2 0 0 0 0 0 0 0 0

Aa 0 1 0 0 0 1 0 0

Aa A 1

As 0 0 1 0 1 0 0 1

~

0 1 0 1 0 1 0 0

!l

0 0 0 1 0 1 0 0

Über die Modifikation von IA und AI läßt sich das Kommunikationsgefüge ermitteln: Aus der Instanz-Informationen-Zuordnung und dem Bedarf für anstehende Entscheidungen werden die von einer der übrigen Instanzen zu beziehenden Informationen extrahiert. Über die Differenz von InformationsInstanzen-Matrix und transponierter Matrix der Instanz-Informations-Zuordnung können bereits bei den Instanzen vorhandene Informationen eliminiert werden (IA - AlT = IA'). Für den Fall, daß die Subtraktion zu einem negativen Eintrag führt, mithin eine Entscheidungsinstanz über Informationen verfügt, AlT-Eintrag~ 1, die zur eigenen Problemlösung nicht benötigt werden, lA-Eintrag~ 0, verbleibt an dieser Stelle eine Null. Um die verfügbaren Informationen unter Kennzeichnung ihrer Herkunft in die Matrix aufnehmen zu können, wird AI multipliziert mit der I-Diagonalmatrix (AI· I= A!) Für die Elemente Yik der Diagonalmatrix gilt: Yik = 0, V i "I k, beziehungsweise Yik =Ij, Vi = k, mit i,j,k = 1, 2, ... ,8.

Il

A,

lA' =

I2 Ia

z. Is Io I1

Is

0 0

o 0 0 1 0

A2 0 0 0 0 0 0 0 0

Aa 0 0 0 0 0 1 0 0

~

0 1 0 1 0 1 0 0

As 0 0 1 0

1

0 0 0

!l

0 0 0 1 0 1 0 0

Al

z,

Aa A1

A!=

A2 Aa A4

0 0 0 I, 0 0

As

Aa

A1

I2 0 0 I2 0 0 0 0

z.

Ia

0 0 Ia 0 0 0 0

0

z. 0 0 0 0

z.

Is 0 0 0 0 0 Is 0

Io 0 0 0 0 0 0

Is

I!)

I1 Is 0 0 0 0

I1 Is 0 0

Is 0

Aus der Verknüpfung von A! und IA1 resultiert die Beschreibung der hinreichenden Kommunikation hinsichtlich der lnformationsweitergabe. Gebildet wird das Produkt A! · IA1 = AAz. Die abgebenden Instanzen sind zeilenweise aufgenommen, der Informationsempfang ist anhand der Spalteneinträge abzulesen. A, A2 A, ( A3

AAz= ~ As

Aa

A1

o0 0

o

I , +I1 0 0

A2 0 0 0 0 0 0 0

Aa 0 0 0 0 0 0

z.

~

0

z.

I2 0

0 0

z.+Is

As 0 0 Ia 0 0

Aa

A1

z.

z, )

0

I• + Is

z.

0

0 0 0 0

I1

!z.

Is 0

78

1. Teil: Information und Planung

Redundanzen können durch Streichung der betreffenden Einträge eliminiert werden. Mit dem Verfahren der Elimination kann als weiteres Kriterium die Minimierung des Kommunikationsaufwands aufgenommen werden 5 1 , so daß in der spaltenweisen Betrachtung Streichungen unter Maximierung der pro Instanz bezogenen Informationen erfolgen. A1 A2 ( A,

A3 AAI' = A• Ao .4,;

A1

0o

o 0

I1 +I1 0

o

A2 0 0 0 0 0 0 0

A, 0 0 0 0 0 0

Is

A., 0 0

I, 0 0 0

I• +Is

A, 0 0

I, 0 0

I, 0

.4,; 0 0 0 0 0 0

I• +Is

A1

r,Ir.)

In der hier gewählten Vereinfachung werden alternative Aufwandsrelationen, die beim Vorantreiben der Entscheidungsvorbereitung über unterschiedliche Pfade entstehen nicht berücksichtigt. Diese sind insbesondere dann relevant, wenn Informationen nicht mehr als voneinander unabhängige Einheiten betrachtet werden können und die Berücksichtigung formaler und inhaltlicher Überlagerungen dazu führt, daß die Einbeziehung einer nächsten Information in verschiedenen Stadien der Entscheidungsvorbereitung unterschiedliche Kosten auslöst 5 2 . Die zugehörige Auswertung führt zur Identifikation der vorteilhaftesten Abfolge in der Ausweitung der lnformationsbasis53 . Wird die Sequenz der Teilentscheidungen, wie sie in Abb. 2-2 wiedergegeben ist, als gegeben angenommenen, kann die Analyse nun wie folgt ergänzt werden: Matrix DD enthält als zeilenweisen Eintrag diejenigen Entscheidungen, deren Kenntnis für das Treffen weiterer Entscheidungen gegebenenfalls notwendig ist. Entsprechend ist aus den Spalteneinträgen abzulesen welche Informationen über Entscheidungen benötigt werden. Das Produkt DD·DA führt zur Matrix DA, die Auskunft darüber gibt, welche Entscheidungsinstanz über welche vorausgegangenen Teilentscheidung zu unterrichten ist. Damit kann DA als vertikale Verlängerung der Matrix IA betrachtet werden 5 4 . Angegeben ist damit die Vervollständigung zum gesamten Informationsbedarf der Instanzen. 51

Vgl. ebd., S. 69f.

52

Zur Fundierung der Entscheidung über die verfahrenstechnische Lösung eines Fertigungsproblems werden sowohl Informationen zu anderenorts industriell genutzten Verfahren als auch problemspezifische Entwürfe berücksichtigt. Unabhängig von der Abfolge wird die Beurteilung des jeweils zweiten Sachverhalts unter Rückgriff auf den zuvor durchgeführten Informationsschritt geringeren Aufwand verursachen, es ist jedoch anzunehmen, daß die Relation asymmetrisch ist. 53 Zur kostenorientierten Gestaltung über die Kriterien nächstbester Ausweitungsschritt, le:z:ikographische Ordnung und Optimalität vgl. z.B. Po L. Yu / Dazhi Zhang , Optimal Expansion of Competence Sets and Decision Support, S. 71ff. 54

Vgl. Jürgen Wild, Input-, Output- und Prozeßanalyse von Informationssystemen, S. 70.

79

2. Modeliierung des Informationsprozesses

Abbildung 2-2. Sequenz der Teilentscheidungen

PT

v, v2 v3 v.

v2 DD = V3 v. Vs Vs

o o 0 0 0

0 0 1 1 0 0

1 0 0 0 0 0

1 0 0 0 0 0

Vs 0 1 0 0 0 0

pl !)

!)

A, A2 AJ A• As As A1

Vs

v2 DA= v3 v. Vs Vs

o o

0 0 0

0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0

1 0 0 0 0 0

0 0 1 1 0 0

0 1 0 0 0 0

Analog der Modifikation von AI wird nun zunächst die V- Diagonalmatrix gebildet. Für die Elemente Yii gilt entsprechend: Yii = 0, Vi i= j, beziehungsweise Yii = Vk, Vi = j, mit i,j,k = 1,2, ... ,6. Aus der Verknüpfung V· DAT resultiert die Matrix Q.AT, in der nun die in die Zuständigkeit einer bestimmten Instanz fallenden Entscheidungen durch indizierte Einträge kenntlich gemacht sind. Die Multiplikation von Q.AT mit DA führt zur Matrix AAv, der entnommen werden kann, welche Entscheidungsinstanz welche Teilentscheidungen an welche andere Instanz weiterzugeben hat.

Al

A2 A3 Q.AT = A. As As

A1

v, v, V3 v. Vs Vs 0 V3 0 0 o 0 0 0 0 v, 0 0 0 0 0 0 0 v. 0 0 v2 0 0 0 0 0 0 0 v. 0

0

0

0

0

Al

A2 A3 AAv = A. As

D

As

A1

A, A2 AJ A. A, As A1 0 0 0 V3 0 o 0 0 0 0 0 V, 0 0 v, 0 0 o 0 0 0 v. 0 0 0 0 0 0 v2 0 0 0 0 0 0 Vs 0

0

0

0

0

0

J.) 0

Die Addition von AAr' und AAv führt schließlich zur vollständigen Abbildung der Austauschbeziehungen (AAv,r) .

80

1. Teil: Information und Planung At A2 A, ( 0 Aa 'D, AAv,I = At o As It +I1 A., 0 A1 0

A2 0 0 0 0 0 0 0

Aa 0 0 0 0 0 0

Is

At

As 'Da

'Dt + I 2

Ia v.

0 0

0 0 0

I•+Is

0

A., 0 0 0 0

0

'D2

0

z. +Is

Is

0

". L.) A1

'Ds 0

Geschlossen läßt sich die Verknüpfung der Ausgangsinformationen zur Prozeßcharakeristik in folgender Gleichung darstellen: AAv,I

=I · Al· (ID ·DA- AlT)+ (V· DAT) · (DD ·DA)

Das Modell geht von einer gegebenen und im Verlauf des Planungsprozesses unveränderten Informationsmenge I aus. Dieser Weg der Modellierung ist grundsätzlich konform mit der Deutung der Informationsbasis als dem optionalen Zugang zu verschiedenen Informationsreservoirs55 • Darüber hinaus sind jedoch auch die getroffenen und weitergegebenen Teilentscheidungen als Information für nachfolgende Instanzen zu interpretieren. Die Verwendung dieser Entscheidungen als Prämissen für den weiteren Entscheidungsprozeß führt zu einer Beschränkung der zu erschließenden und einzubeziehenden Informationen . Die hierdurch ausgelöste Selektivität des Informationsprozesses bei nachfolgenden Instanzen verdeutlicht die Funktionsweise der Anschlußrationalität im Entscheidungsprozeß56 • Über die im Vorgangspfeilnetz dargestellten Ebenen repräsentiert das Modell die Zerlegung der Planungsaufgabe in der Zeit. Die Chronologie erfaßt in dieser Form noch keine Bewertung über die Zeitdimension, so daß Rückschlüsse auf die zeitliche Abkoppelung einzelner Planungsabschnitte in der Basisform der Informationsprozeßanalyse nicht möglich sind. Durch Ausbau des Ablaufschemas (Abb. 2-2) zu einem Netzplan kann dies aufgenommen sowie durch Überlagerung der Kommunikationsmatrizen mit einem Zeitraster in der formalen Darstellung ergänzt werden. Zu unterscheiden sind hierbei die Vorgabe der Prozeßdauer- Verzögerungen auf dem kritischen Pfad verschieben den Abschlußtermin um den betreffenden Zeitraum- und die Angabe von Obsoleszenzzeitpunkten, unter der Annahme, daß eine verspät~t verfügbare Information oder Teilentscheidung nicht in jedem Fall zur Aussetzung angeschlossener Prozeßteile führt, sondern Folgeentscheidungen auch unter Vernachlässigung noch nicht vorhandener Information getroffen werden können. 55

Vgl. Abschn. 1.2.3.

Vgl. zur Dependenz der Entscheidungsgrundlagen S. 60 u. S. 62 sowie weiterführend Abschn. 3.2 Verhaltensmuster. 56

2. Modeliierung des Informationsprozesses

81

Einen entsprechenden Ansatz zur dynamischen Abbildung der Sequenzen von Entscheidungsproblemen und Lösungsalternativen sowie der Systemressourcen haben Cohen u.a. mit dem Garbage Can Model entwickelt57 . Sie gehen von den Annahmen aus, daß Entscheidungsalternativen als mehrdeutige Stimuli gedeutet werden können und in Organisationen unter anderem Verhaltensmuster anzutreffen sind, nach denen Organisationsmitglieder ihre eigene Tätigkeit beobachten und interpretieren können 58 . Das vorgestellte Modell zielt auf die Abbildung der Wechselwirkungen zwischen Entstehung von Problemstellungen, Problemlösungsverhalten von Organisationsmitgliedern, Entwicklung von Problemlösungen und auftretendem Handlungsbedarf. Entscheidungsprobleme binden Aufmerksamkeit von Organisationsmitgliedern. In welchem Umfang sich ein Organisationsmitglied einem bestimmten Problem widmet und dessen Lösung vorantreibt, hängt von der individuellen Kapazität und dem Anteil der durch andere Problemstellungen gebundenen Aufmerksamkeit ab. Problemlösungen bilden ein Potential, das auch unabhängig von bestimmten Problemstellungen entsteht und fortbesteht. Handlungsbedarf führt zu Entscheidungen unter Rückgriff auf vorhandene Problemlösungen. Cohen u.a. verwerfen damit die Chronologie von Erkennen des Handlungsbedarfs, Problemdefinition, Ermittlung sowie Bewertung der Handlungsalternativen und Handlungsentschluß. Zur Formalisierung des Ansatzes in einem mehrperiodigen Zeitrahmen wird eine Folge von Handlungsbedarfenunter Angabe des jeweiligen Eintrittszeitpunktes und der zur Beteiligung am Handlungsentschluß zugelassenen Organisationsmitglieder festgelegt. Definiert wird weiterhin eine Folge von Problemstellungen, denen jeweils der Zeitpunkt, zu dem sie für die Organisation erkennbar werden, sowie die zur Erzielung des erforderlichen Handlungsentschlusses einzusetzende Kapazität und die Anzahl der auf das Problem anwendbaren Handlungsalternativen zugeordnet·werden. Problemlösungen werden ebenfalls als Folge unter Angabe des jeweiligen Verfügbarkeitszeitpunktes definiert. Zur Abbildung der Verknüpfung zusammenpassender Problemstellungen und -Iösungen gilt die vereinfachende Annahme, daß der Erfolg des Verknüpfungsprozesses von der Anzahl der Problemlösungen, die pro Periode in das System gelangen, sowie von der Effizienz, mit der Problemlösungen von Organisationsmitgliedern aufgefunden und den Problemstellungen zugeordnet werden, abhängt. Der Erfolg bei der Lösung eines Problems ist damit bestimmt durch Gegebenheiten zum Zeitpunkt, in dem das Problem erkannt wird. 57 Vgl. Michael D. Cohen / James G . March/ Johan P. Olsen, A Garhage Can Model of Organizational Choice. 58 "From this point of view, an organization is a collection of choices looking for problems, issues and feelings looking for decision situations in which they might be aired, solutions for issues to which they might be the answer, and decision makers looking for work." Ebd., S. 296.

6Lechner

82

1. Teil: Information und Planung

In der Simulation steuert eine Zufallszahlenreihe, unter Einhaltung jeweils konstanter Eintrittsraten pro Periode, wann welches Problem oder welche Lösung auftritt. Zur Abbildung des Erfolgs in der Verknüpfung von Problemen und Lösungen werden Organisationale Ressourcen, das heißt die Problemlösungskapazität periodenbezogen für jedes Organisationsmitglied festgelegt. Über einen Lösungskoeffizienten im Intervall [0, 1] wird bestimmt, mit welchem Wirkungsgrad die Problemlösungskapazität eingesetzt werden kann. Anhand der Differenz von Kapazitätsbedarf für eingespeiste Problemstellungen und effektiv verfügbarer Kapazität ist ein Belastungsmaß definiert. Cohen u.a. haben diesen Ansatz programmiert und Simulationsläufe zu unterschiedlichen Konstellationen durchgeführt. Die Konstellationen berücksichtigen idealtypische Muster der Koppelung von Entscheidungsproblemen und Handlungsalternativen sowie des Zugangs der Entscheidungsträger zu einzelnen Alternativen. Behandelt werden die Varianten

- vollständige Koppelung: jedem vorliegenden Problem kann jede vorhandene Handlungsalternative potentiell zugeordnet werden, - hierarchisierte Koppelung: bei abnehmender Bedeutung des Problems sinkt die Anzahl zuordbarer Alternativen. Für den Zugang des Entscheidungsträgers gelten die Idealtypen (1) vollständiger Zugang: jedem Entscheidungsträger stehen alle Handlungsalternativen offen, (2) hierarchischer Zugang: sowohl Entscheidungsträger als auch Handlungsalternativen sind in einer Rangordnung gefaßt, so daß erst ranghöheren Entscheidungsträgern auch die bedeutsameren Handlungsalternativen offenstehen, (3) spezialisierter Zugang: ein-eindeutige Zuordnung einzelner Entscheidungsträger zu einzelnen Handlungsalternativen59 • Tabelle 2-1. Relation problemlösender zu verfügbaren Handlungsalternativen in Abhängigkeit von Zugangsstruktur und Systembelastung

Lastniveau niedrig mittel hoch gesamt

vollständig

0,38 0,04 0,35 0,26

Zugangsstruktur hierarchisch

0,61 0, 27 0,23 0,37

spezialisiert

0,65 0, 60 0,50 0,58

gesamt

0,55 0,30 0, 36 0,40

Simuliert wurden die drei Lastsituationen (a) hoher Überschuß der verfügbaren Leistung gegenüber der angeforderten: geringe Belastung des Systems, (b) deutlicher Überschuß: mittlere Belastung und (c) Ausgleich: hohe Belastung. Auf der Basis von vier alternativen Sequenzen des Problem- und 59

V gl. ebd., S. 300ft'.

2. Modeliierung des Informationsprozesses

83

Alternativeneintritts ergab die Simulation eine deutliche Überlegenheit des spezialisierten Zugangs. Tabelle 2-1 gibt die Resultate im einzelnen wieder60 . Während der hierarchische Zugang bei geringer Systembelastung noch zu einer vergleichbaren Relation der Anzahl problemlösender Handlungsalternativen zur Gesamtzahl eingespeister Alternativen führt, fällt dieser Ansatz bereits bei mittlerer Belastung weit gegenüber dem spezialisierten Zugang zurück. Die Organisation nach dem Prinzip vollständigen Zugangs dominiert bei keiner Lastsituation. Sowohl unter dem spezialisierten als auch bei hierarchischem Zugang führt die Erhöhung der Systembelastung zu einer monotonen Verringerung der Lösungsrate. Der vollständige Zugang zeigt in dieser Simulation bei mittlerer Last die geringste Ausbeute. Die Analyse dieser idealtypischen Formen organisationaler Ausdifferenzierung von Entscheidungsleistungen bietet einen Ansatzpunkt, den Einfluß der Transparenz in Entscheidungsprozessen auf Zeitbedarf und Effektivität von Problemlösungsvorgängen abzubilden und in begrenztem Umfang Effizienzbetrachtungen anzustellen61 . Die umfassende Abbildung des Aggregationsprozesses läßt sich über die Verknüpfung des eingangs behandelten InputOutput-Modells mit der Dynamisierung von Informations-, Entscheidungsund Instanzenzuordnung erzielen. Ching u.a. betrachten diese Verknüpfung als wesentliche Anforderung zur vollständigen Erfassung des zu lösenden Koordinationsproblems und dehnen ihren Kriterienkatalog über die Differenzierung Entscheidungsträgern, Aufgaben und Handlungsalternativen hinaus auf Funktionenteilung, Dekompositionsregeln für Aufgabenstellungen sowie Dynamik von Ressourcenallokation und Wissensstand aus62 . Die Funktionenteilung wird dabei über die jeweiligen Qualifikationsmerkmale, die den einzelnen Funktionen zugewiesen sind, charakterisiert und führt damit auf die formale Zerlegung anhand der Wissensverteilung im Input-Output-Modell zurück. Anhand der erörterten Varianten des Aggregationsprozesses konnte die durch Organisationale Gegebenheiten sowohl gezielt als auch unbeabsichtigt eingeführte Selektivität der Wissensverarbeitung illustriert werden. Die organisational gesteuerte Aggregation schließt an die Betrachtung des subjektorientierten Transformationsprozesses an und vervollständigt die Abbildung dabei in zwei Richtungen. Zum einen über die Weiterverarbeitung subjektiver Beiträge nach deren Umsetzung in digitale Information und zum anderen durch die Kennzeichnung des Aggregationsprozesses als mögliche Informationsquelle bei der Formierung subjektiver Urteile. Diese drei Ansatzpunkte werden im folgenden zur Strukturierung von Beobachtungen zum subjektiven Schätz- und Entscheidungsverhalten dienen. 60

Vgl. ebd., S. 310.

61

Vgl. auch Eberhard Witte, Die Organisation komplexer Entscheidungsverläufe.

62 Vgl. Chee Ghing I Clyde W . Holsapple I Andrew B. Whinston, Reputation, Learning and Coordination in Distributed Decision-Making Contexts.

Zweiter Teil

Analyse und Bewertung von Schätz- und Entscheidungsverhalten 3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten Unter dem Gesichtspunkt der Rationalität von Planung wurden Funktionen und Eigenschaften subjektiver Beiträge zur Entscheidungsvorbereitung untersucht 1 . Als Ergebnis der formalen Betrachtung konnte festgehalten werden, daß neben der subjektiven Information für Ergänzungen und Erweiterungen des Entscheidungsfeldes Beiträge zur Überwindung von Mehrdeutigkeiten in der Zweckorientierung vorzubereitender Handlungsentschlüsse sowie zur Bewältigung der Komplexität von Planungsgegenstand und Planungsprozeß geleistet werden. Die Analyse der Eigenschaften führte auf die Eindeutigkeitsproblematik in der Transformation subjektiven Wissens und die Beschränkung auf Plausibilität als prinzipielle Voraussetzung zur Aufnahme zusätzlicher Information. Mit der Abgrenzung vom informationsökonomischen Ansatz ging dabei implizit ein Perspektivwechsel einher: An die Stelle einer auf das Subjekt bezogenen Betrachtung der Verarbeitung zusätzlicher objektiver Information trat die Untersuchung des Einflusses subjektiven Wissens auf die intersubjektive und in diesem Sinne als objektiv gedeutete Abbildung des Entscheidungsfeldes. Ziel der empirischen Analyse des Schätz- und Entscheidungsverhaltens ist es, diese Perspektive zu vertiefen. Anhand der Maßgaben durch Funktionen und Eigenschaften subjektiver Beiträge sollen dabei die subjektbezogenen und organisationalen Rahmenbedingungen für möglichst verlust- und verfälschungsfreie Einbeziehung herausgearbeitet und Organisationale Voraussetzungen für eine durchgängige Honorierung vernunftgesteuerten Han1

V gl. Abschn. 1.2 u . 1.3.

85

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

delns kenntlich gemacht werden. Hierbei wird nicht angestrebt, das gesamte Spektrum verhaltensbestimmender Einflüsse zu berücksichtigen2 , sondern diejenigen Aspekte herauszuarbeiten, die unmittelbaren Einfluß auf Transformations- und Aggregationsvorgänge haben. Die Ausrichtung zielt auf die Technik der Formierung subjektiver Urteile und bezeichnet damit eine Gestaltungsaufgabe3. Urteil

Feststellung Vermutung

Tatsachenvermutung Vorhersage

Prognose Prophezeiung

Abbildung 3-1. Urteilsformen

Anhand der formal-logischen Unterscheidung möglicher Urteilsformen soll zunächst das Begriffsfeld näher bestimmt werden. Abb. 3-1 faßt die Struktur zusammen: Ein Urteil liefert eine Aussage zur Beschreibung eine Sache oder Situation. Diese Aussage ist als Feststellung zu kennzeichnen, wenn sie sich auf die unmittelbare Wahrnehmung von Merkmalsausprägungen stützt oder einen analytisch ableitbaren und damit logisch wahren Schluß aus solchen Wahrnehmungen darstellt. Erfüllt die Aussage diese Voraussetzungen nicht, handelt es sich um eine Vermutung oder synonym eine Schätzung. Vermutungen können sich auf Tatsachen, das heißt determinierte Sachverhalte erstrecken oder in Form einer Vorhersage Angaben über einen zukünftigen Sachverhalt enthalten. Vorhersagen, ebenso wie Tatsachenvermutungen, repräsentieren Hypothesen, die über das Gewicht der sie stützenden empirischen Evidenzen näher charakterisiert werden können. Um das mögliche Spektrum kenntlich zu machen, sei der Begriff Prognose hier einer Vorhersage zugeordnet, die aus Daten, das heißt objektivem Wissen gewonnen wurde4 . Als Bestandteil des objektiven Wissens sind dabei auch die Verfahren der Auswertung und der Anfertigung rechnerischer Projektionen zu 2 Einen ausführlichen Überblick zu den verhaltenswissenschaftlichen Ansatzpunkten bietet Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse.

3 Zur Abgrenzung gegenüber der theoretisch verankerten Erklärungsaufgabe vgl. Edmund Heinen, Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, S. 409.

4 Vgl. die Charakterisierung von Prognose (i.e.S.) bei Jürgen Wild, Grundlagen der Unternehmungsplanung, S. 92.

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2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

werten 5 . Der Prognose gegenübergestellt wird die Prophezeiung, die lediglich die Anforderung erfüllt, zum gegebenen Zeitpunkt logisch und empirisch nicht-widerlegt zu sein. Obgleich der gesamte Ast der Vermutung bei Beobachtung des Schätzverhaltens relevant ist, kann an dieser Stelle die analog vorzunehmende Differenzierung des Stützungsgrades von Tatsachenvermutungen unterbleiben: Die Betrachtung erfolgt jeweils aus der Perspektive des gegebenen Wissens; hierbei ist zunächst unbeachtlich, ob ein betrachteter Sachverhalt faktisch indeterminiert ist oder der tatsächliche Zustand aufgrund unzureichenden Wissens nicht bestimmt werden kann6 . Dabei bleibt unberührt, daß die aus logischer Perspektive unüberwindliche lndeterminiertheit zukünftiger Sachverhalte zu einem Unsicherheitsbegriff führt, der auf die Beurteilung unvollständig bekannter empirischer Sachverhalte nicht anwendbar ist 7 . Zwischen den über die Begriffe Prognose und Prophezeiung markierten Randausprägungen zukunftsbezogener Schätzungen liegt ein AussagenSpektrum, das sich durch ein Kontinuum möglicher Stützungsgrade charakterisieren läßt. Die Merkmale, aus denen der Stützungsgrad einer Schätzung abgeleitet werden kann, beziehen sich auf den Gegenstand der Schätzung sowie auf das schätzende Subjekt. Der Umfang des über einen Gegenstand vorliegenden Wissens, das heißt die Anzahl der Beobachtungen und die Länge des Zeitraums, in dem Beobachtungen durchgeführt werden konnten, bezeichnet die Erfahrungsdistanz. Aus der zeitlichen Entfernung des zu schätzenden Sachverhalts vom Zeitpunkt der Vorhersage sowie der Zeitdauer, auf die sich die Vorhersage erstreckt, resultiert die zeitliche Distanz: Mit der Vorausverlagerung des Zeitpunktes oder Ausweitung des Zeitraumes, für den eine Vorhersage Gültigkeit haben soll, geht danach eine sich abschwächende Ausstrahlung der Gegenwart in ihrer faktischen Gestalt einher8 . Bezogen auf das schätzende Subjekt wird der Stützungsgrad durch Beeinträchtigungen der Wahrnehmung beeinfiußt. Diese perzeptive Distanz erfaßt mögliche Verzerrungen in der unmittelbaren Aufnahme von Beobachtungen. Demgegenüber stehen mögliche Defizite in der Wahrnehmungsverarbeitung, die hier über den Begriff kognitive Distanz gekennzeichnet werden. In diese Kategorie fallen die geistigen Prozesse der Verknüpfung direkter 5 August-Wilhelm Scheer beschreibt die Abgrenzung quantitatiuer Prognoset echniken mit den Worten: "Hier ist der Prognosevorgang formalisiert und so dokumentiert, daß er unabhängig von der prognostizierenden Person nachvollzogen werden kann. Dieses bedeutet, daß bei gleicher Datensituation und festgelegtem Prognoseverfahren einschließlich benötigter Modellparameter jede Person zu den gleichen Prognosewerten gelangt." Ders., Absatzprognosen, S. 7. 6 Vgl. die Illustration am Kartenspiel bei Dieter Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, S . 349!. 7

Vgl. die Diskussion des Wahrscheinlichkeitsbegriffs in Abschn. 4.

8

Vgl. die Zeitstabilitätshypothese, Abschn. 1.2.2.

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

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Beobachtungen oder sprachlich vermittelter Erkenntnisse. Die kognitive Distanz wird dabei insbesondere durch Verarbeitung zeitlich oder kontextual zusammenfallender Informationen beeinflußt: Das gemeinsame Auftreten als solches kann zur Annahme eines tatsächlich nicht gegebenen kausalen Zusammenhangs führen, so daß eine aus dieser Verknüpfung abgeleitete Stützung einer Schätzung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Für die Analyse des subjektiven Schätzverhaltens werden Erfahrungsund zeitliche Distanz als gegeben angenommen. Untersuchungsgegenstand sind die perzeptive und die kognitive Distanz. Den Ansatzpunkt bildet hierbei die Annahmen, daß Schätzungen sowohl mit Hilfe formaler Verfahren der Plausibilitätsprüfung als auch durch inhaltliche Analyse des vom Urteilenden zu ihrer Stützung herangezogenen Wissens bewertet werden können. Ziel der Analyse ist es, die Transparenz von Schätzungen zu erhöhen und damit den Einfluß perzeptiver und kognitiver Distanz zu verringern sowie den in einer Schätzung enthaltenen subjektive Beitrag im engen Sinn zusätzlicher, daß heißt aus dem objektiven Wissen der Organisation nicht rekonstruierbarer Information möglichst genau einzugrenzen. In dem Maße, in dem das analoge Wissen des Urteilenden beobachtet und auf Wissensteile der Organisation zurückgeführt werden kann, sind die Methoden der Wissensverknüpfung einer objektiven Prüfung zugänglich. Bestehen nun Erkenntnisse über bestimmte Verhaltensmuster, die potentielle Abweichungen vom intendierten Einsatz des Regelwerks markieren, so gewinnt die Aufgabe, subjektives Wissen aufzuschlüsseln, konkrete Strukturen. Ein solcher Katalog von Verhaltensmustern ist im Verlauf der vergangeneu rund dreißig Jahre über die Auswertung einer Vielzahl empirischer Studien aufgestellt worden und hat insbesondere durch die Veröffentlichungen von Tversky und Kahneman einen fachübergreifenden Brennpunkt des Forschungsinteresses entstehen lassen9 . Bereits mit erheblich längerer Tradition versehen und gedanklicher Wegbereiter der psychologischen Forschung zum Urteilsvermögen ist die Psychophysik. Die Aufbereitung ihrer spezifischen meßtheoretischen Probleme in einer selbständigen, von den Naturwissenschaften losgelösten Form 10 hat die ideelle Basis geschaffen, um komplexere Konstrukte, zum Beispiel aus der Nutzentheorie, im Feld zu testen. Eine Darstellung anhand dieser Beobachtungskonzepte erfordert zunächst weitere Eingrenzungen des Untersuchungsbereichs. Hierzu werden in den beiden nachfolgenden Abschnitten die für den betriebswirtschaftliehen Kontext spezifischen Eigenschaften des Planungsumfeldes und der Verhaltensmuster ausgeführt. 9 Einen weitgefaßten Überblick, der u.a. eine Reihe dieser frühen Publikationen enthält gibt das Sammelwerk Daniel Kahneman I Paul Slovic I Amos Tversky, Judgment Under Uncertainty: Heuristics and Biases.

10

Diese Bemühungen gehen wesentlich auf Stanley S. Stevens zurück; vgl. Abschn. 2.1.

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2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverha.lten

3.1 Planungsumfeld Planung bezeichnet die antizipative Analyse möglicher Gegebenheiten zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über einen bestimmten Zeitraum in der Zukunft. Auf die lndeterminiertheit des Analysegegenstandes gründet sich der zentrale Unterschied zu betriebswirtschaftliehen Analysen gegenwärtiger oder vergangener Gegebenheiten11 . Die Bewertung von Eventualitäten bildet damit eine spezifische Eigenheit, die Planung von anderen Informationsprozessen im Rahmen der Unternehmensführung unterscheidet 12 . Das Ausmaß zu berücksichtigender Eventualitäten wird anschaulich gemacht über eine Risikoanalyse 13 • In diese Analyse gehen sowohl die Höhe des Risikos (RH), ausgedrückt über die lnvestitionsumme, als auch die zeitliche Ausdehnung der Risikoexposition (Rr) ein. Ein vereinfachendes Beispiel illustriert dies: Gegeben sei die Investition eines Geldbetrages in ein risikobehaftetes Projekt (A), zum Beispiel Erdölexploration, mit einer Laufzeit von zwei Jahren; als Alternativen stehen eben dieses Projekt, jedoch mit einer Laufzeit von einem Jahr (B) beziehungsweise einem halben Jahr (C) zur Verfügung14 . Abgesehen von der Laufzeit seien damit die periodisierte Renditeerwartung des Risikokapitals und alle übrigen Bedingungen für die drei Projekte identisch 15 . In der zeitorientierten Risikoanalyse ist danach eine eindeutige Rangreihung der Projekte in der Form Rr(A) ~ Rr(B) ~ Rr(C) abzuleiten. Da die Höhe des Risikos als konstant in der Zeit unterstellt wird, 11 Es ist an dieser Stelle nicht erforderlich, Indeterminiertheit a.ls Wesenheit der Welt oder aber a.ls Ausdruck mangelnden Wissens über diese Welt zu charakterisieren. Da keine häufigkeitstheoretische Deutung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs angestrebt wird - diese würde faktische Determiniertheit ausschließen - , reicht es aus, als Horizont den Kenntnisstand des Entscheidungsträgers bzw. innerha.lb des Systems der Entscheidungsvorbereitung zu verwenden. Vgl. auch John W.N. Watkins , Freiheit und Entscheidung, S. 13lff.

12 Zu den Informationsprozessen, die nahezu vollständig auf ex post Ana.lysen gestützt werden , zählt das Rechnungs- und Berichtswesen mit den hierauf aufbauende Steuerungsfunktionen zur Effizienzsteigerung in der betrieblichen Leistungserstellung, unter sonst gleichbleibenden Bedingungen. Vgl. auch die Differenzierung von Entscheidung$informationsprozeß und Kontrollinformationsgewinnung bei Helmut Koch, Gegenstand, Struktur und Kriterien der betriebswirtschaftliehen Entscheidungsana.lytik, S. 330. 13

V gl. J. Frank Yates / Eric R. Stone, The Risk Construct , S. 16ff.

Zeitliche Diskrepanzen werden durch mündelsichere Anlage der freien Beträge ausgeglichen und gehen in die Ana.lyse a.ls risikofreie Anlage ein. 14

15 Allgemein werden im Risikoka.lkül identische Risiken in ferner Zukunft höher bewertet a.ls in der kürzerfristigen Projektion, z.B. durch Dynamisierung des Diskontierungsfaktors. Diese zusätzliche Absicherung fußt dem Wesen nach auf einer deterministischen Sicht der Umweltentwicklung, wonach das Wissen über die Zukunft mit zunehmender Entfernung vom Planungszeitpunkt geringer wird. Die Problematik wird an dem Beispiel der Erdölexploration deutlich: Zeigen geotektonische Ana.lysen, daß ein bestimmtes Area.l für Ölfunde prädestiniert ist, ohne daß weitergehende Differenzierungen vorgenommen werden können, bestünde kein Anlaß dazu, die Erfolgsaussichten von Probebohrungen zeitabhängig zu relativieren.

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

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lassen sich aus den Relationen durch Proportionalisierung Äquivalenzen bilden: Rr(A) ,. . ., 2 · Rr(B) ,. . ., 4 · Rr(C). Während die Relationen der Beispielvarianten zu einer sinnvollen Bewertung zu führen scheinen, ändert sich das Bild, wenn die Proportionalisierung auf extreme Konstellationen ausgedehnt wird. Mit der Wahl kleinerer Zeitinkremente, zum Beispiel einer tageweisen Erfassung, und Annäherung an sehr kleine oder sehr große Projektlaufzeiten, zeigt die zeitliche Ausdehnung der Risikoexposition entweder vernachlässigbaren oder aber dominierenden Einfluß auf die Risikobewertung 16 . Mit der Betrachtung aus wahrscheinlichkeitstheoretischer Perspektive wird die Problematik noch deutlicher: Die Höhe des Risikos (RH) unterscheidet sich bei allen drei Projekten nicht. Bei der Bewertung wäre nun beispielsweise ein Urteil darüber abzugeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Rückzahlungsquote von c ~ c zu erwarten ist, mit c = 1 + r und r := Rendite risikofreier Anlage. Unter der Annahme, daß zum Beispiel C vierfachdurchgeführt werden kann, gilt RH(C< 4 l) -< RH(B) ,. . ., RH(A), soweit, wie hier unterstellt, die Projekte voneinander unabhängig sind und damit die Produktregel angewandt werden kann 17 . Die Relation zu RH(C Tj)· 17 Die Wahrscheinlichkeit für da.s gemeinsame Auftreten ist dann gleich dem Produkt der Einzelwa.hrscheinlichkeiten. Für zwei beliebige Projektdurchführungen C mit i, j E T und i "I j gilt: p(c; ~ c II Cj ~ c) = p(c; ~ Clci ~ c) . p(cj ~ c) = p(c; ~ c) . p(cj ~ c), da. Unabhängigkeit p(c; ~ clci 2: c) = p(c; 2: c) impliziert. Vgl. Andrej N. Kolmogoroff, Grundbegriffe der Wa.hrstheinlichkeitsrechnung, Kap. I, S. 6, §5 Unabhängigkeit, S. 8ff; Da.vid H. Krantz u .a.., Founda.tions of Measurement, Vol. 1, S. 238ff.

18

Bspw. eine Projektalternative C' mit vervierfa.chter lnvestitionssumme.

Im Beispiel der Erdölexploration können damit die Ergebnisse von Probebohrungen identifiziert werden. Für das Gros der Investitionsalternativen ist eine Rückführung auf Ereignisse dieser Art nicht praktikabel. Das Absatzrisiko als Aggregat aus Markt- und unternehmensspezifischem Risiko ist auf die einzelne Absatzeinheit, den einzelnen Auftrag heruntergebrochen formal-statistisch, jedoch nicht betriebswirtschaftlich sinnvoll zu interpretieren: Die Wahrscheinlichkeit, eine Produkteinheit eines Konsumgutes zu marktgängigen Konditionen abzusetzen, wird mit 1 anzunehmen sein. Erst im Kontext einer Grenzbetra.chtung, d .h. unter Vorgabe einer Basis19

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2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

bestimmten Merkmals, c im obigen Beispiel, über die gewählte Zeiteinheit20 . In jedem Fall wäre die Festlegung des Einheitszeitintervalls willkürlich und würde sich auf die Höhe des berechneten Gesamtrisikos auswirken 21 • Ein entsprechender Einfluß geht von der Aufteilung in Einzelprojekte aus; die obigen Ausführungen gelten analog. Damit ist eine weitere Quelle von Mehrdeutigkeiten im Umgang mit dem ökonomischen System identifiziert, die vorläufig gleichsam als Entschuldigung für die mangelnde Berücksichtigung im Anreizsystem der Unternehmung gelten kann. K eeney und Raiffa geben implizit zu verstehen, daß sowohl die Möglichkeiten, überhaupt eine genügend konkrete Vorstellung von dem abzubildenden Sachverhalt zu erlangen, als auch die Wege der handhabbaren mathematischen Formulierung, bislang zu keinem überzeugenden Resultat geführt haben 22 • Ebenfalls keine Hilfe bietet in diesem Zusammenhang die Orientierung an Marktmechanismen zur Bewertung von Risiken. Sie stellen im wesentlichen eine Regulation anhand des bereits Geschehenen dar23 . Die gängigen Analyseverfahren approximieren das Risiko über die registrierten Renditeschwankungen und nutzen diese Information zur Beschreibung und Projektion des durchschnittlichen Risikos, das mit dem Erwerb bestimmter Unternehmensauteile verbunden ist24 . So fließen in den Erklärungsansatz des Capital Asset Pricing Model 25 ausschließlich Informationen des Wertpapiermarktes ein, deren statistische Auswertung in die Bestimmung der Beta-Faktoren mündet. Unter Berücksichtigung des hier gewählten ereignisorientierten Risikobegriffs, überrascht es daher nicht, wenn Untersuchungen ergeben, daß Absatzmenge, könnte z.B. die bedingte Wahrscheinlichkeit für den Absatz zusätzlicher Mengeneinheiten eine verwertbare Aussage liefern. 20 Zum gleichgelagerten Problem der räumlichen Ausdehnung der Grundgesamtheit bei der Definition eines Zufallsprozesses vgl. das Beispiel bei Robin M. Hogarth , Judgement and Choice, s. 44. 21 Neben diesem pragmatischen Aspekt sind mit der theoretischen Herleitung Probleme verbunden: Von Einheiten in Zeit oder Raum kann nur gesprochen werden, wenn diese austauschbar sind, d.h. die anteiligen absoluten Häufigkeiten, die auf die Einheiten entfallen, äquivalent sind (vgl. die Weiterführung in Abschn. 4.3.4). Zu einer kritischen Auseinandersetzung u.a. mit den Thesen von Johannes von Kries (Die Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung) vgl. John M. K eynes , A Treatise on Probability, S. 79ff. 22 Vgl. mit dem Hinweis auf "schlaflos verbrachte Nächte" zur hilfsweisen Operationalisierung bei Ralph L. K eeney I Howard Raiffa, Decisions with Multiple Objectives, S. 509ff.

23 Vgl. zu den alternativen Informationsannahmen im Marktmodell Dieter Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, S. 462ff. 24 "Das tatsächlich eingegangene systematische Risiko entspricht nur dann dem historischen, wenn das Beta des gesamten Portefeuilles im Zeitablauf stabil bleibt." Manfred Steiner I Christoph Bauer, Die fundamentale Analyse und Prognose des Marktrisikos deutscher Aktien, S. 348. 25 Vgl. William F. Sharpe, Capital Asset Prices; John Lintner, Security Price, Risk, and Maximal Gains from Diversification. Grundlegend zur Beziehung von Risiko und Erfolg vgl. die Erwartungswert-Varianz-Theorie von Harry M. Markowitz, Portfolio Selection.

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

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die zusätzliche Analyse von Unternehmenskennzahlen zu einer verlässlicheren Prognose des Anlagerisikos führt 26 • Mit der Ausdifferenzierung des wirtschaftlichen Handeins ist nicht allein eine weitere Aufspaltung der traditionellen Erfolgskriterien in ein umfangreicheres Bündel hierarchisch strukturierter Kenngrößen verbunden. Hinzu kommt eine Vielzahl von Bewertungsfaktoren, die nur in mittelbarem Zusammenhang mit der traditionellen Periodenrechnung des Unternehmens steht 27 . Es ist nicht erkennbar, daß sich diese Anreicherung auf tatsächlich neuartige Bezüge des Unternehmens zur Umwelt erstreckt oder daß diese Bezüge vormals nahezu bedeutungslos gewesen wären. Signifikant hat sich einzig der Umgang mit ihnen verändert. Während ihre Implikationen bislang in wenig konkreter Form in die globale Bewertung von Handlungsalternativen einfloß - bedingt einerseits durch Meßprobleme und erwartete Inkompatibilitäten zum eigentlichen Projektkalkül und andererseits durch Zweifel an der Notwendigkeit ihrer expliziten Aufnahme, mit Blick auf die Gepflogenheiten im gesamten Wirtschaftssystem -, ist das Problembewußtsein heute geschärft, und die Vorteile einer planvollen und transparenten Analyse zur Ausschöpfung vorhandener Optionen sind offenkundig geworden 28 . Nicht zuletzt aus dem Wunsch zur Integration verschieden dimensionierter Erfolgsgrößen in einen umfassenden Ansatz der Unternehmensplanung ist die intensive Auseinandersetzung mit systemtheoretischer Modeliierung entstanden. Die Forschung auf diesem Sektor liefert bislang im wesentlichen eine Leitidee zu den Zielen in der Beobachtung und Beschreibung von Unternehmen. In Anbetracht der Probleme, die allein mit dem Versuch der holistischen Darstellung von Entscheidungssituationen gegenwärtig verbunden sind, findet sich das systemtheoretische Motiv in der Wiedergabe operationaler Problemlösungsansätze nur in rudimentärer Form wieder 29 und markiert eher die Aufforderung zur Kultivierung eines wünschenswerten Denkstils auf der Führungsebene30 . Was den Ansatz jedoch bereits gegenwärtig auszeichnet und wertvolle Orientierungspunkte in der Analyse liefert, ist 26 Zu den Ergebnissen vgl. Manfred Steiner I Christoph Bauer, Die fundamentale Analyse und Prognose des Marktrisikos deutscher Aktien, S. 353ff. 27 Ein Beispiel bilden die von Großunternehmen parallel zur Bilanz erstellten sogenannten Sozialbilanzen, deren Rechtfertigung zweifellos nicht aus der Erkenntnis gewonnen wird, das Unternehmen hätte originär sozialpolitische Zielsetzungen zu verfolgen, sondern vielmehr daraus, daß die Erfüllung sozialer Aufgaben direkte Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit hat; z.B. am Arbeitsmarkt oder hinsichtlich der Förderbereitschaft durch kommunale und andere staatliche Stellen.

28 Vgl. auch Eberhard Witte, Geleitwort zu Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. V. 29

Vgl. Wolfgang H. Staehle, Funktionen des Management, S. lOf.

30

Vgl. z.B. Richard 0. Ma&on I lan I. Mitroff, Challenging Strategie Planning Assumptions,

s. 287.

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2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

die abstrakte Sicht der Austauschbeziehungen im Sinne der System- UmweltDifferenzen31. Nachempfunden wird auf diese Weise die Selektivität im realen Problemlösungsverhalten, die sich einerseits auf das heuristische Vorgehen bei der Suche nach Lösungen stützt32 und andererseits über erfahrungsbezogene Analogieschlüsse zur Beschleunigung von Lösungsprozessen führen soll33 . Besonders deutlich werden die Konsequenzen dieser erweiterten Perspektive in der Abgrenzung von den traditionell hervorgehobenen, positiven Wirkungen, die Planung erzielen soll34 : Über die problemorientierte Differenz zwischen Ausgangslage und Lösung des Entscheidungsproblems hinaus, treten weitere zu überwindende Differenzen auf. Sie resultieren aus dem Verhältnis von Entscheidungsträger und Organisation vor dem Hintergrund der gegebenen Aufgabenstellung. Luhmann erkennt hier neben dem Gros der sachorientierten Entscheidungen im Planungsprozeß Abläufe, denen vollkommen andere Mechanismen zugrunde liegen35 . Ausgehend von dem Verständnis, daß jede Entscheidung die Unbestimmtheitssituation in eine Risikosituation überführt36 , leisten diese Mechanismen eine Transformation der Erwartungen gegenüber dem Entscheidungsträger. An die Stelle sachorientierter Problembewältigung, die vom Entscheidungsträger eine Bestimmung des Risikos erfordert und ihn folglich mit einem kritikfähigen Tatbestand identifiziert, ermöglichen sie, Erwartungen zu entschärfen und Gefährdungen der Akzeptanz und Anerkennung des Verhaltens zu einem bestimmten Zeitpunkt zu umgehen. So verstärkt der Entscheidungsdruck den Einfluß gespeicherter Entscheidungen oder Entscheidungselemente auf den Planungsprozeß. Der wiederholte Gebrauch von vormals erfolgreichen Komponenten tritt auch beim Vorhandensein sachlicher Differenzen in den Vordergrund und bewirkt über den Verweis auf ,gute Referenzen' Entlastungseffekte37 . "Was haben wir schon?, 31 Vgl. z.B. die Gegenüberstellung bei Geoff Walsham, Organizational Metaphors and Information System Research, S. 84ff. 32 Vgl. die methodischen Umsetzungen z.B. bei Paul Ablay, Optimieren mit Evolutionsstrategien; George E.P. Box/ Norman R. Draper, Evolutionary Operation.

33

Vgl. Herbert A. Simon, The Architecture of Complexity, S. 473.

34

Vgl. Abschn. 1.3.

35

Vgl. Niklas Luhmatm, Organisation und .Entscheidung, S. 60ff.

Luhmann knüpft hier an die Sichtweise von Donald A. Schon an, der innovatives Entscheiden charakterisiert als "converting uncerta.inty to risk." Ders., Technology and Change, S. 25. Vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 10. Um Mißverständnissen vorzubeugen, ist entgegen Luhmanns Vorschlag an dieser Stelle von vorausgehender Unbestimmtheit anstelle von Unsicherheit die Rede, zumal sich der Bestimmtheitsgrad in seiner Korrespond~nz zur Varietät nahtlos in die informationstheoretische Begriffsbildung fügt. 36

37 "When we examine the sources from which the problem-solving system ( ... ) derives its selectivity, we discover that selectivity can always be equated with some kind of feedback of information from the environment." Herbert A. Simon, The Architecture of Complexity, S. 473.

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

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ist die Leitfrage, und nicht: Welche Alternativen gibt es für die konkret anstehende Entscheidung."38 Im Unterschied zu Problemlösungen, deren Wirkungen unmittelbar erfahren und die zudem über Sequenzen von Versuch und Irrtum verbessert werden können, spielt das Risiko, vorausgegangene Erfahrungen in fälschlicher Annahme von Ähnlichkeit zu übertragen, bei einmaligen Aufgabenstellungen eine erheblich größere Rolle. Die Entscheidungserwartung an den Entscheidungsträger kann erwidert werden durch die Zurück- oder Vorausverlagerung39 der Entscheidung in der Zeit. Neben der Einflußnahme auf die zeitliche Zuordnung kann es ebenso zu Verschiebungen innerhalb des Organisationsgefüges kommen: Proliferation der Entscheidungsinstanzen, sei es durch sachliche Differenzierung oder zum Beispiel durch die Vergabe von Parallelgutachten. In der Summe wird die eigenständige und damit auch eigenverantwortliche Suche nach Entscheidungsalternativen abgelöst durch das Aufspüren von Restriktionen, die den Entscheidungsraum in einer Weise einengen, die der Fremdbestimmung des zu treffenden Entschlusses gleichkommt 40 . Aus psychologischer Sicht werden präventiv die Angriffspunkte möglicher Dissonanzen zu späterem Zeitpunkt vermindert41 . Unwillkürlich, jedoch zumeist nicht unerwünscht, führen diese Funktionen zu Transparenzeinbußen 42 • Luhmann geht bei seiner Interpretation noch darüber hinaus und erkennt anstelle der durch Präferenzen begründeten Entscheidung - im Sinne eines besser oder schlechter - eine Steuerung durch Verhaltenserwartungen, denen die Differenz zwischen konform und abweichend zugrunde liegt43 . Eine ganze Reihe dieser Effekte faßt das Konzept des Inkrementalismus zusammen44 . Auf eine diametrale Position gegenüber 38 Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 61; vgl. auch das Garhage Can Model, Abschn. 2.2.

39 Amitai Etzioni sieht die positive Seite des procrasting-Ansatzes: Zusätzliche Informationen können verfügbar werden, das Entscheidungsproblem kann sich als nichtig herausstellen usw. Vgl. ders., Humble Decision Making, S. 125; ähnlich Robin M. Hogarth, Beyond Discrete Biases: Functional and Dysfunctional Aspects of Judgmental Heuristics, S. 201.

40 So stellt Terry W . Rothermel (Geschäftsleitung Athur D . Little) ein Simulationsmodell zur Planung von Preisen und Vorräten in der Industrie mit den Worten vor: "Das Modell geht freilich nicht davon aus, daß der Wettbewerb rationalen Regeln folgt - täte es das, würde es nicht funktionieren. Tatsächlich stimmen die Vorhersagen nur, weil das Modell gerade unterstellt, daß sich Wettbewerber in Pawlowscher Manier verhalten, indem sie ohne hinreichendes Nachdenken über die·Konsequenzen auf Außenreize reagieren. Kurz gesagt: Investitionsentscheidungen von Unternehmen, die miteinander konkurrieren, fallen als Reaktion auf Entscheidungen anderer ..." Ders., Prognosen im Aufwind, S. llf. 41 John W.N. Watkins führt analog unter Hinweis auf die Dissonanztheorie von Leon Festinger die ex post Absicherungsstrategien an; vgl. ders., Freiheit und Entscheidung, S. 39. 42 So wirft Werner Kirsch der traditionellen Planungstheorie auch vor, daß allzu leicht der Eindruck entsteht, " ... als würden sich in Planungsprozessen nur Aktivitäten der Aufklärung befinden." Der$., Planung, S. 34.

43

Vgl. Nildas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 281.

44

Ganz im Sinne des Konformitätsgedankens faßt C. West Churchman zu einer Kernthese aus

94

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

der Zweckorientierung von Planung gebracht, kann dem Taktieren mit organisationalen Mitteln der Verschleierung die Zuspitzung gegeben werden: "Wenn nicht feststeht, was auf einen zukommt, kann man nur versuchen, in der Gegenwart mit vorhandenen Mitteln Sicherheit zu akkumulieren. Mag in Zukunft auch anders entschieden werden: Im gegenwärtigen Zeitpunkt muß man sich so verhalten, daß künftig nicht festgestellt werden kann, man habe falsch entschieden."45 Zum Ausdruck kommt die situative und dabei zweifellos vernunftgesteuerte Handhabung von Entscheidungsproblemen. Inkongruenzen zum organisationsseitig gebildeten Modell rationaler Entscheidung bestehen in dem Umfang, in dem die dort unterstellte unbedingte Kapazität und Weisheit des Entscheidungsträgers46 nicht eingelöst werden kann. Es geht damit nicht um eine generelle Neigung des Menschen, sich auf den nicht-exponierenden Weg inkrementaler Entscheidungen zurückzuziehen oder aber blindlings zu entscheiden, als dem alternativen "Rat der Verzweißung"47 . Vielmehr ist anzuerkennen, daß Problembeschreibungen oftmals keinen Anhaltspunkt für umfassende Lösungsverfahren bieten 48 • Bestätigungen für die These, daß anfänglich wahrgenommene Undurchschaubarkeit von Aufgabenstellungen adaptive Prozesse in Richtung auf das Modell rationaler Entscheidung auslösen und damit auf eine im Sinne der Organisation konstruktive Weiterentwicklung schließen lassen, sind vielfach erzielt worden. So konnte Lant die zunehmende Konsistenz des Verhaltens mit den Annahmen des Rationalitätsprinzips bei der Simulation von Entscheidungssituationen in einem Planspiel feststellen 49 und damit den Hinweis georganisationaler Sicht zusammen: "Die Kunst des lnkrementalismus besteht darin, jene kleinen Schritte des Wandels zu erfühlen, für die die Organisation oder eine Gesellschaft bereit ist, und sie dann gerade in dem Maße des zulässigen Schritts auszuführen." Ders., Philosophie des Managements, S. 236. Vgl. auch z.B. Charles F . Lindblom, The Science of "Muddling Trough"; Amitai Etzioni, Humble Decision Making; Russell L. Ackoff , The Art and Science of Mess Management. 45

Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 63.

46

Vgl. Amitai Etzioni, Humble Decision Making, S. 123.

47

Zum sog. go-for-it approach als Variante des council of dispair vgl. ebd.

48

"Half the choices you make every day are, in theory, impossibly complex." Ebd., S. 123. Eine plastische Illustration, die die Forderung nach korrespondierender Varietät von Problem und Lösungsansatz hervorhebt, gibt Stafford Beer in der Wiedergabe eines Gesprächs zwischen ihm und Ross Ashby, dem Vater des Varietätsgesetzes: Befragt nach den Grün!ien für die spontane Einwilligung in das Angebot von Urbana an das Heinz von -Farrester Laboratorium in England zu wechseln gab Ross Ashby zu verstehen, daß selbst einige Jahre des Analysierens nicht genügen würden, um das Problem vollständig abzubilden, und folgert: "In the absence of requisite variety, the most rational course is to obey hunch. In the absence of hunch, the most rational course would be to toss a coin." Ders. zitiert nach Stafford Beer, Introduction: Questions of Quest, S. 3. 49 Das verwendete Planspiel, Markstrat, modelliert ein dynamisches Umfeld für strategisches Marketing. Es wurde über sieben Perioden mit je zehn Teams aus Praktikern und MBA-Studenten eines Marketing Strategie Kurses an der Stanford GSB durchgeführt. Vgl. Theresa K. Lant, Aspiration Level Adaption: An Empirical Exploration, S. 629.

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

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ben, daß Entscheidungsträger in vergleichsweise übersichtlichen Situationen5° durchaus anstreben, Entscheidungsprobleme im Einklang mit den Rationalitätspostulaten zu lösen.

Etzioni sieht die Gegebenheiten des Planungsumfelds gespiegelt durch die Anlehnung an variable Prüfmuster, die einerseits auf übergreifende Leitlinien Bezug nehmen und in denen - aufbauend auf diese Vorentscheidungen -andererseits kleinschrittige Sachentscheidungen Platz finden 51 . Neben der sachbezogenen Aufspaltung traditioneller Erfolgskriterien, wie sie hier unter dem Aspekt der Risikobewertung ausgeführt wurde, stellen damit insbesondere die in Organisationen zu beobachtenden Mechanismen der Handhabung von Entscheidungsproblemen eine wesentliche Beschränkung für die Formulierung von Rationalitätsanforderungen dar.

3.2 Verhaltensmuster Die Untersuchung von Schätzverhalten im betriebswirtschaftliehen und insbesondere planungsbezogenen Kontext ist bislang in vergleichsweise wenig systematischer Form betrieben worden 52 . Demgegenüber ist offensichtlich, daß das ökonomische Umfeld spezifische Gegebenheiten aufweist, die bisher gewonnene Erkenntnisse zum Schätzverhalten in einer verwertbaren Weise relativieren. An drei Merkmalen lassen sich diese Gegebenheiten aufzeigen: - Zielsystem - Entscheidungsinterdependenz - Ergebnisbindung Im konsolidierten Zielsystem gehen organisationale sowie individuelle Komponenten unterschiedlichen Konkretisierungsgrades auf53 . Während auch für Entscheidungen im privaten Verantwortungsbereich gilt, daß Kriterien, abgeleitet aus individuellen Zielen oder Bedürfnissen, in unterschiedlichem 50 Theresa K. Lant räumt daher auch ein, daß das festgestellte Verhalten nur unter Berücksichtigung der Eigenheiten der Simulation gedeutet werden darf: ". .. the system is complex but the rules are stable, feedback is not ambiguous, and subjects had a limited number of periods in which to learn." Ebd., S. 642 (Hv.d.V.) 51 "Mixed scanning ( ... ) involves two sets of judgments: the first are broad, fundamental choices about the organization's basic policy and direction; the second are incremental decisions that prepare the way for new, basic judgments and that implement and particularize them once they have been made." Amitai Etzioni, Humble Decision Making, S. 124. 52 Eine Ausnahme bildet das Marketing mit einer traditionell engen Anhindung an psychologische Forschungsmethoden, etwa im Bereich der Werbeerfolgskontrolle. Vgl. z.B. Robert Nieschlag f Erwin Dichtlf Hans Hör.chgen, Marketing, S. 573ff. 53

Vgl. auch Robin M. Hogarth /Spyros Makridakis, Forecasting and Planning: An Evaluation,

s. 116.

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2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Maße präsent und handhabbar sind, zeichnet sich das zu adaptierende Zielsystem des Unternehmens darüber hinaus durch eine unvollständige hierarchische Verkettung potentiell aufeinander bezogener Ziele aus. Nachgeordnete Zielsetzungen in den Bereichen Fertigung, zum Beispiel Steigerung der Produktqualität, oder Marketing, zum Beispiel Erhöhung der Präsenz angebotener Produkte, leisten potentiell Beiträge zu unterschiedlichen Zielen auf höherer Ebene: Marktanteil, Umsatz, Periodengewinn. Die zwischen diesen nachgelagerten Zielen aus Sicht des Unternehmens bestehende flüchtige, das heißt nur situativ bestimmbare Arbitrage wirkt fort bei der Verfolgung vorgelagerter Ziele54 . Im Gegensatz zu Interventionsmöglichkeiten im Rahmen eines individuellen Orientierungsschemas, durch die Widersprüche zumindest psychisch kaschiert werden können, erfordert der organisationale Rahmen eine offene Handhabung, die nur bedingt Raum für Konsonanzgewinn auf der Grundlage intuitiver Rationalisierung läßt. Daneben besteht gegenüber der Zugehörigkeit und der Art der Verpflichtungen bei anderweitigen Organisationen im Unternehmen ein expliziter Zusammenhang zwischen erwerbswirtschaftlich motivierter Teilnahmeentscheidung des einzelnen und erwerbswirtschaftlicher Zielsetzung des Unternehmens.

Entscheidungsinterdependenz weist auf die Funktionsprinzipien im arbeitsteiligen Prozeß und knüpft an die Öffentlichkeit des Entscheidungsprozesses an. Das Entscheidungsverhalten wird nicht allein beobachtet, sondern dessen Resultate stützen sich auf Vorentscheidungen und steuern über ein Netzwerk von Anschlußentscheidungen die Fortentwicklun~ des Unternehmens. Vorentscheidungen mindern hierbei den Grad der Verantwortlichkeit bei gegebener Bedeutung einer Entscheidung, und die Relevanz und Breite der nachfolgenden Nutzung als Prämisse für Anschlußentscheidungen erhöht sie. Das generelle Phänomen .der Anschlußrationalität ist zwar in Organisationen per se verhaftet55 , jedoch ergeben sich deutliche Unterschiede im Gewicht. Während in Bürokratien mit vorwiegend verwaltenden Aufgaben die zeitliche Folge rückwärtig aufeinander bezogener Entscheidungen regelmäßig durch einen engmaschigen und für alle Angehörigen maßgeblichen Katalog von Richtlinien gedeckt ist, kann sich in der Unternehmensorganisation auch auf nachgeordneten Führungsebenen weitreichende Eigendynamik entwickeln. Das Merkmal Ergebnisbindung zielt auf die Spitze einer Hierarchie von Qualitäten, die mit einer Entscheidung auf der Basis von Schätzungen in Verbindung gebracht werden: Den Grundstein bildet die Güte der Schätzung 54 Zu fragen wäre z.B., ob eine Verbesserung der Produktqualität oder der Ausbau des Distributionsnetzes ausschließlich oder zu einem (bestimmten?) Anteil der weiteren Verbreitung des angebotenen Produktes (Marktanteils-, ggf. Umsatzsteigerung) oder zur Verbesserung des Jahresergebnisses beitragen soll. Vgl. hierzu die Ambiguität des Erfolgsbegriffs im Abschn. 1.2.1. 55

Vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 17.

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

97

relativ zum Gehalt der Urteilsgrundlage. Auf der zweiten Betrachtungsebene ist die absolute Güte der Vorhersage, das heißt ihre Kongruenz mit den tatsächlichen Gegebenheiten im Bezugszeitpunkt, angesiedelt. Mit der dritten Ebene wird die formale Beurteilung durch eine substantielle Bewertung des Vorhergesagten ersetzt. Die vierte und höchste Ebene stellt nun den Zusammenhang zwischen Schätzung und Resultat der Umsetzung einer anhand dieser Schätzung getroffenen Entscheidung. Mit Ausnahme der Basisebene handelt es sich auf allen Hierarchiestufen um virtuelle Relationen zwischen Schätzung und Gütekriterium, sofern der zu schätzende Sachverhalt zum Zeitpunkt der Schätzung indeterminiert beziehungsweise dem möglichen Wissen zufolge unsicher war. Die Relevanz der einzelnen Aspekte ist abhängig vom Sachverhalt beziehungsweise dem Umfeld, in dem mit Schätzungen gearbeitet wird. Im Vergleich mit zwei anderen Fachgebieten wird dies besonders deutlich: Für Wettervorhersagen gelten einzig die Ebene der relativen und der absoluten Güte. Der Meteorologe wird regelmäßig nicht mit dem Inhalt seiner Vorhersage identifiziert, das heißt in die Beurteilung fließt nicht ein, ob Regen oder Sonne avisiert wird, und selbst die der formalen Ebene zuzurechnende Diskriminanz in der Vorhersage gilt nur bedingt als Gegenstand der Beurteilung56 . Für Schätzungen im ökonomischen Umfeld zeigt sich ein abweichendes Bewertungsgefüge. Eine Wettervorhersage des Typs "Teils heiter, teils bewölkt, strichweise Regen, Temperaturen zwischen 10° und l9°C", würde sich in eine ökonomische Projektion übersetzt etwa wie folgt lesen: "Der Nachfrageverlauf wird sich positiv oder gleichbleibend bis negativ entwickeln, und in einzelnen Regionalmärkten muß mit einem gänzlichen Zusammenbruch gerechnet werden". Zusammengefaßt als Aussage über Absatzchancen und -risiken wäre zu konstatieren, daß sich Erwartungen in keiner Weise eingrenzen lassen. Ist beispielsweise über die vorzuhaltende Kapazität für einen geplanten Markteintritt zu entscheiden, deckt diese Projektion möglicherweise unterschiedliche Fertigungsverfahren ab, die jeweils nur innerhalb eines Bruchteils des vorhergesagten Entwicklungsspektrums wirtschaftlich zu betreiben wären. Sind diese Bruchteile genügend klein, gilt für jede der Handlungsmöglichkeiten, daß sie sich in der Mehrzahl der möglichen Nachfragesituationeil als unvorteilhaft erweisen wird. Der impliziten Gleichverteilungsannahme folgend, könnte auch die Bildung des Erwartungswertes, der hier dem bislang beobachteten Marktvolumen gleichzusetzen wäre, zu 56 Die vergleichsweise hohe Präzision meteorologischer Vorhersagen wird im Schrifttum generell auf die Vertrautheit im Umgang mit Wahrscheinlichkeiten und die gute Informationslage bzw. den reichen Erfahrungsschatz zurückgeführt; vgl. z.B. Günther Haedrich I Horst Kleinert I Peter Naeve, Untersuchungen zum subjektiven Schätzvermögen des Managers, S. 433; Allan H . Murphy I Robert L. Winkler, Diagnostic Verification of Probability Forecasts, S. 454. Zumindest hinsichtlich der Gütemaße Kalibrierung und Diskriminanz (vgl. Abschn. 4.2) ist dies entsprechend der obigen Ausführungen zu relativieren.

7 Lechner

98

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

keiner Fokussierung der Projektion beitragen. Für Gestaltungsszenarien dieser Art bietet eine solche Projektion daher keinen verwertbaren Beitrag zur Entscheidungsgrundlage57 • Unter der Voraussetzung, daß konkreter Entscheidungsbedarf den Auslöser für eine Schätzung gab, ist gleichzeitig eine Untergrenze des erforderlichen Diskriminanzniveaus determiniert. Sie verhindert, daß die Handlungsweise beliebig wird58 . In der medizinischen Diagnose sind dagegen stärkere Parallelen zu Rahmenbedingungen betriebswirtschaftlicher Schätzaufgaben abzulesen, indem der Ebene substantieller Bewertung gleichermaßen hohes Gewicht zukommt. Berücksichtigt wird nicht allein, ob die Beurteilung der Anamnese und der vorliegenden Symptome zutreffend ist. Es besteht zudem eine Abhängigkeit des Schätzvorgangs von der substantiellen Günstigkeit der Projektion59 , und es fließt ein, ob die hieraus abgeleiteten therapeutischen Maßnahmen die richtigen sind. So schließt sich auf der vierten Betrachtungsebene der Kreis mit der Frage, ob der Patient im Anschluß an die Behandlung beschwerdefrei ist, das heißt Wohlbefinden in einer unbedingten Form erreicht wird, unbesehen der Frage, woher Beeinträchtigungen im einzelnen rühren; ärztliche Behandlung hat in diesem Sinne die physische und psychische Befindlichkeit als Ganzes zum Gegenstand, analog den Erfolgskriterien auf der Oberzielebene im Unternehmen. Den Bewertungsebenen kommt keine gleichrangige Bedeutung zu. Die formalen Aspekte der Kongruenz von Schätzung und Urteilsgrundlage sowie der Stimmigkeit im Lichte des nachfolgenden Geschehens sind letztlich als vernachlässigbare Randfaktoren zu werten, da die bestmögliche und darüber hinaus richtige Schätzung des wahren Wertes einer Größe für sich keinen Nutzen hat und erst in der substantiellen Würdigung der Resultate einer hierauf fußenden Handlungsweise ihre Vorteilhaftigkeit zeigt60 . Ebenso wie im betriebswirtschaftliehen Umfeld gilt damit im medizinischen Bereich eine 57 Hiermit soll nicht ausgeschlossen werden, daß eine solche Projektion das vorhandene Wissen mit höchstmöglicher Bestimmtheit bei gegebenem Zuverlässigkeitsniveau widerspiegeln kann. 58 Zur Illustration vgl. z.B. Herbert lacob / Rainer Karrenberg, Die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsintervallen für die Planung bei Unsicherheit, sowie zu den entscheidungstheoretischen lmplikationen von Intervallwahrscheinlichkeiten Dieter Schneider, Meßbarkeitsstufen subjektiver Wahrscheinlichkeiten als Erscheinungsformen der Ungewißheit, S. 121.

59 So wie jeder Arzt es vorziehen wird, an seine Diagnose eine hoffnungsvolle Perspektive zu knüpfen, gilt auch im ökonomischen Bereich, daß ein möglicherweise als destruktiv gedeutetes Urteil vermieden wird; und die hierin zum Ausdruck kommende Präferenz hat zweifellos ein weitaus höheres Gewicht als bei der Frage der Witterungsaussichten. 60 Vgl. hierzu den instrumentellen Charakter des entscheidungslogischen Vergehens im Absehn. 1.2 sowie das richtige Handeln aus falschem Grund im Abschn. 1.3.1. Robin M. Hogarth und Spyros Makridakis stellen hierzu treffend fest, daß das Interesse an der Schätzgüte von der Richtung des Fehlers abhängig ist und gänzlich schwindet, wenn, wie über die 60er Jahre zu beobachten, der günstige wirtschaftliche Verlauf das Geschehen überstrahlt. Vgl. dies ., Forecasting and Planning: An Evaluation, S. 22.

3. Beobachtung von Schätz- und Entscheidungsverhalten

99

weitreichende Ergebnisorientierung. Unterschiedlich sind jedoch die Tendenzen im Grad Entschlossenheit, der als Indikator für die verläßliche Stützung nachfolgender Entscheidungen und Handlungen dient. Während das Risiko irreparabler Schäden durch Fehldiagnosen generell zu moderater Formulierung und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Erkenntnissen zwingt, unterliegt die ökonomische Würdigung dem gegenteiligen Effekt: Zunächst unabhängig von der Bestimmtheit einer Schätzung gilt dem Vertrauen in sie, das heißt der zuverlässigen Nutzung für alle sich anschließenden Entscheidungen und Handlungen, oberste Priorität. Ist einem therapeutischen Fehlschlag notwendig durch Neuformulierung der Diagnose mit entsprechender Anpassung der Behandlung zu begegnen, so spielen der mögliche Gesichtsverlust und gegebenenfalls übergreifende wirtschaftliche Erwägungen im ökonomischen Umfeld eine nicht zu vernachlässigende Rolle61 . Für den hiesigen Kontext zusammengefaßt, zielt die Ergebnisbindung damit auf die Frage, ob der Entscheidungsträger mit den Konsequenzen der Plandurchführung in universeller Weise identifiziert wird und der Entscheidungsträger mithin nicht allein für die Schlußfolgerungen aus seiner Urteilsgrundlage verantwortlich zeichnet, sondern darüber hinaus für den unternehmerischen Erfolg. Die Vertiefungsaspekte markieren ein Erkenntnisgebiet, dessen Abgrenzung gegenüber psychologischer und psychophysischer Forschung ebenso deutlich hervortritt wie in der Gegenüberstellung von Organisationstheorie und Soziologie. Einen weiteren Aspekt der formalen Differenzierung liefern die unterschiedlichen Aufgabenstellungen, die zu Entscheidungen führen. Zu trennen sind Situationen der Auswahl, der Evaluierung und der Gestaltung62 . Mit der Auswahl ist die klassische Darstellungsweise in der Entscheidungstheorie beschrieben: Aus einer begrenzten Anzahl möglicher Handlungsalternativen sind, abhängig von der Stufigkeit des Entscheidungsprozesses, eine oder mehrere herauszugreifen. Ein für alle Alternativen gültiges Kriteriengerüst dient der Bewertung. Besteht dieses Gerüst aus lediglich einem Kriterium, genügt die ordinale Skalierung zur Rangreihung der Alternativen: fließen mehrere Kriterien in die Bewertung ein, ist deren Messung auf dem Niveau einer Intervallskala erforderlich und die gewichtete Aggregation beziehungsweise die Festlegung der Präferenz über eine lexikographische Ordnung. 61 "Pumping enough resources, dedication, and ingenuity into the course they have fixed on can make it work, can render an underprocessed decision right." Amitai Etzioni, Humble Decision Making, S. 124. Insbesondere wenn die Abschrift des bisherigen Aufwands, den sog. sunk cost, sanktioniert wird - z.B. durch die Wahlbevölkerung beim Stop eines bereits mit Milliardenbeträgen finanzierten öffentlichen Bau- oder Entwicklungsvorhabens - , kann die Gesamtbetrachtung den Abschluß eines für sich gesehen unwirtschaftlichen Investitionsprojektes rationalisieren. Vgl. Robyn M. Dawes, Rational Choice in an Uncertain World, S. 31. Zu einer weitergehenden Analyse vgl. z.B. Barry M. Staw / Jerry Ross, Understanding Behavior in Escalation Situations.

62

7•

Vgl. auch J . Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 3ff.

100

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Kennzeichen der Evaluierung ist das Vorliegen einer einzelnen Handlungsalternative, neben der Möglichkeit nicht zu handeln. In diesem Fall ist zu differenzieren zwischen der Bildung eines alternativenspezifischen Kriteriengerüsts und dem Einsatz eines universellen Bewertungsschemas nach dem Muster der Auswahlentscheidung63 . Bei abstrakter Sicht beschreibt die Evaluierung Auswahlentscheidungen in der Zeit, wobei die Festlegung von Referenzgrößen auf den Maßstäben beziehungsweise der Aggregatdimension zur Überwindung der zeitlichen Distanz dient und die Vorteilhaftigkeit der Alternative zum gegebenen Zeitpunkt isoliert bestimmen hilft. Bei der Gestaltung entfällt grundsätzlich die Möglichkeit des NichtHandelns, das heißt die Verpflichtung zum Handeln ist extern oder durch eine Vorentscheidung im Unternehmen begründet. Auf der Basis der verfügbaren Ressourcen ist eine Allokationsaufgabe zu lösen. Abhängig von der Verfügbarkeit und den Einsatzmöglichkeiten im Rahmen der spezifischen Aufgabe zielt die Gestaltung auf eine vorteilhafteste Zu- und Verteilung der Mittel über simultane Lösungsverfahren oder heuristische, zum Beispiel an Evolutionsprinzipien gebundene, Simulationsverfahren. Die Entscheidungstypen stehen sowohl aus praktischer als auch theoretischer Sicht in engem Zusammenhang. Die Lösung einzelner Entscheidungsprobleme kann aus einer Kombination der Typen bestehen, bedingt etwa durch die hierarchische Gestalt des Zielsystems64 . Nicht nur in der zeitlichen Abfolge, sondern auch sachlich kann es durch die Funktionenteilung zu einer kombinierten Vorgehensweise kommen. Aus theoretischer Perspektive sind sowohl Evaluierung als auch Gestaltung Sonderfälle einer Auswahlsituation. Die Schematik der Auswahl unter Alternativen als Grundprinzip tritt in jeder der Varianten mehr oder weniger stark hervor: Die Hinzunahme einer Referenzgröße im Falle der Evaluierung mündet in einem PräferenzurteiL Wird eine Gestaltungsaufgabe gelöst, so soll die vorgenommene Ressourcenallokation von keiner anderen möglichen Formierung in ihrem Zielgrößenbeitrag übertroffen werden können. Zu erwarten ist, daß eine Alternative, die im Auswahlprozeß einer anderen vorgezogen wurde, auch bei einer Evaluierung besser beurteilt wird und umgekehrt. Analog besteht der Zusammenhang zwischen Auswahlprozeß und Szenarienpräferenzen bei der Simulation. Gleichwohl übt die Festlegung des Entscheidungstyps Einfluß auf die Wahrnehmung 63 Im ersteren Fall handelt es sich um eine Evaluierung i.e.S. der Begriffsbildung, da die Bewertung aus Eigenschaften der betrachteten Alternative heraus erfolgt. Kommt ein standardisiertes Schema zur Anwendung, d .h. wird eine Alternative aufgrund vorgegebener Kriterien analysiert, findet häufig der Begriff assessment Anwendung. 64 Eine unternehmenspolitische Projektentscheidung, zum Beispiel einen bestimmten Auslandsmarkt über eine dort zu errichtende Produktionsstätte zu versorgen, führt zu einer Gestaltungsaufgabe, die zunächst als typisches Auswahlproblem etwa hinsichtlich des Standorts formuliert werden kann und in fortgeschrittenen Stadien der Detaillierung wieder reinen Gestaltungscharakter erhält.

4. Likelihood-Schätzungen

101

der Aufgabenstellung aus65 und mündet in abweichenden Vorgehensweisen bei der Formierung von Urteilsgrundlagen.

4. Likelihood-Schätzungen Der Rückgriff auf subjektive Wahrscheinlichkeiten in der Entscheidungsvorbereitung wird häufig als Behelf gedeutet, der zum Zuge kommt, wenn objektives Wissen über die Vergangenheit und Erkenntnisse zum abzubildenden Prozeß dem Einsatz statistischer Verfahren nicht genügen 1 . Darüber hinaus bestehen unbesehen des Gewinnungsverfahrens für Vorhersagen in der Praxis der Unternehmensführung weiterhin hartnäckige Vorbehalte: Der Eindruck der Undurchschaubarkeit, bedingt durch fehlende Kausalität zwischen Vorhergesagtem und tatsächlichen Gegebenheiten im Anschluß, gibt den zu beobachtenden Fehlschlägen eine besondere Prominenz, und Resignation oder generelles Mißtrauen verbannen das Thema Projektionen vielfach in ein stiefmütterliches Dasein2 . Mit Blick auf die Fachpublikationen zum subjektiven Schätzvermögen seit Ende der sechziger Jahre bis zum Beginn des vergangenen Jahrzehnts, wurde diesen Vorbehalten weiterer Nachdruck gegeben3 . Die überwiegend pessimistischen Stimmen zu den Möglichkeiten der Verbesserung subjektiver Schätzungen und teilweise unbefriedigende Resultate vorhersageorientierter Unternehmensführung täuschen jedoch nicht darüber hinweg, daß es zur antizipativen Steuerung keine rationale Alternative gibt, mithin der Analyse und der Entwicklung geeigneter Verfahren zur Gewinnung von Schätzungen zentrale Bedeutung zukommen. Daß dies gerade auch für subjektive Schätzungen gilt, belegen eine Reihe jüngerer Untersuchungen4 • Als herausragende Leistungsmerkmale subjektiver Schätzungen gegenüber Prognosen gelten nicht allein die zunächst geringeren Anforderungen hinsichtlich der Aufbereitung von Datenbasis und Erklärungsmodell sowie das Potential zum Umgang mit Beschreibungen patho65 Die grundlegende Auseinandersetzung mit Einflüssen der Problemformulierung auf das Lösungsverhalten findet unter dem Begriff framing statt; vgl. Abschn. 4. 1 Vgl. Jürgen Wild, Unternehmerische Entscheidungen, Prognosen und Wahrscheinlichkeit, S. 84f; M. Granger Morgan I Max Henr-ion , Uncertainty, S. 102; Günther Haedrich I Horst Kleinert I Peter Naeve, Untersuchungen zum subjektiven Schätzvermögen des Managers, S. 432.

2 In diesem Sinne Peter F. Drucker, für den "... Vorhersagen keine menschliche Tätigkeit sind, die Respekt verdient." Zitiert nach Terry W. Rothermel, Prognosen im Aufwind, S. 58. 3

Vgl. Abschn. 4.3.

Vgl. z.B. Robin M. Hogarth, Beyond Discrete Biases: Functional and Dysfunctional Aspects of Judgmental Heuristics; Lee Roy Beach I Valerie E. Barnes I Jay J.J. Ghristensen-Szalanski, Beyond Heuristics and Biases: A Contingency Model of Judgemental Forecasting. 4

102

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

logischen Systemverhaltens5 , sondern auch die dynamischen Verarbeitung eines sich wandelnden Wissensstandes6 . Zeitreihenbasierte Prognoseverfahren sind bezogen auf die Zeitspanne der Entscheidungsvorbereitung als statische Vorhersagemodelle zu deuten. Wird zudem in Rechnung gestellt, daß gegenwärtig etwa 70% der im betriebswirtschaftliehen Umfeld verwendeten Vorhersagen das Resultat subjektiver Schätzung sind7 und bislang nur wenige empirische Arbeiten auf dieses Anwendungsfeld Bezug nehmen8 , so besteht aller Anlaß, der Thematik einen zentralen Platz zu geben. Subjektive Urteile sind dadurch gekennzeichnet, daß ihnen sowohl Informationen zum aktuellen Sachverhalt, auf der Grundlage von Daten der Organisation, als auch das effektive subjektive Wissen des Urteil~nden zugrundeliegen9. Information wird vor dem Hintergrund vorhanden Wissens interpretiert, und Wissen in Anbetracht neuer Evidenzen relativiert. Beide Prozesse bedingter Wissensveränderung stehen im Mittelpunkt der Untersuchung subjektiver Urteile. Zur begrifßichen Hervorhebung dieses Zusammenhangs ist der 4. Abschnitt mit Likelihood-Schätzungen überschrieben 10 . Für die Eingliederung der Likelihood-Schätzung in den Prozeß der Entscheidungsvorbereitung bedürfen zunächst zwei Aspekte der Klärung: (1) die Interpretation von Ungewißheit, verbunden mit einer Deutung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs, wie er im Entscheidungskalkül zugrundeliegen soll, und (2) die Definition der Güte von Schätzungen. Ungewißheit beschreibt ein lnformationsdefizit . Unvollkommene Information liegt begründet in Mangelzuständen hinsichtlich des Bewußtseins über die verfolgten Ziele, der Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten sowie sämtlicher Zukunftslagen, die bei heute gegebenen Umweltbedingungen zu 5 "When a series is weil behaved in that its characteristics satisfy certa.in stat.istical properties, complex and sophisticated mathematical models can accurately predict future values. ( ...) when series are ,ill behaved' ... the predictive ability of the more complex models deterioriates. Instead, simpler models provide more accurate forecasts. These results are significant in that the simple models require neither much computational abilities nor memory capacity and, in this respect, are within human capabilities." Robin M. Hogarth, Beyond Discrete Biases: Functional and Dysfunctional Aspects of Judgmental Heuristics, S. 208.

308

6

Zu den Effekten des feedback vgl. ebd., S. 200ff.

7

Vgl. Robert H . Edmund•on, Decomposition: A Strategy for Judgemental Forecasting, S.

8 Vgl. Martin Weber, Neue Verhaltensannahmen als Basis für Modell der Investitions- und Finanzierungstheorie?, S. 316. 9 Vgl. Wolfgang Mag, Entscheidung und Information, S. 19, sowie die Illustration am Beispiel des Wirtschaftsprüfers bei Günter Bambery I Adolf G. Coenenbery, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 127.

10 Vgl. z.B. J . Frank Yates, Judgment and Decision Making. In der Entscheidungstheorie wird zumeist auf die engere Definition des statistischen Likelihoods Bezug genommen.Vgl. z.B. Günter Sieben I Thomas Schildbach, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 77, 80f.

4. Likelihood-Schätzungen

103

erwarten sind 11 . Hiervon ausgehend kann unvollkommene Information ihren Ausdruck in einer inexakten Problembeschreibung finden, so daß das Modell eine unzulängliche Abbildung des Sachverhalts darstellt, ohne die notwendige Strukturähnlichkeit12 . Im Fortgang der Untersuchung steht daher zunächst im Vordergrund, welche Mechanismen im Schätzverhalten zu problemverfälschenden Repräsentationen führen, wie diese Einflüsse sichtbar gemacht werden können und welche Konsequenzen sich für die Entscheidungstindung ergeben. Unter Einbeziehung der methodologischen Ebene ist daraufhin der Dritte Teil alternativen Abbildungsformen des Problemlösungsprozesses aus übergeordneter Perspektive gewidmet. Die Brücke zum Basisbegriff der Wahrscheinlichkeit läßt sich anband der frühen Konzeptualisierungen des Unsicherheitsphänomens aufbauen. Die auf Knight zurückgehende Differenzierung der Unsicherheit in Entscheidungssituationen unter Ungewißheit und Risikosituationen 13 folgt einer theoretischen Analyse, für die es in strengem Sinne keine Entsprechung in der realen Planung gibt 14 . Raiffa, der dieses Konzept zunächst aufgegriffen hatte und über eine Reihe von Jahren durch die weitere Ausgestaltung wesentlich zur Popularisierung beitrug, hat sich aufgrund der Tragweite praktischer Einschränkungen hiervon gelöst 15 . Vorrangig ging es hierbei um die wahrscheinlichkeitstheoretische Interpretation der beiden Kategorien, der objektiven Unsicherheit bei bekannter Grundgesamtheit, das heißt zuverlässiger Kenntnis der Unsicherheit, und subjektiver Unsicherheit, bei der keine verlässlichen Angaben über die Beschaffenheit der Basis gemacht werden können. In diesem Sinn waren einzig Risikosituationen einer Anwendung des Wahrscheinlichkeitskalküls zugänglich. Neben der klassischen Wahrscheinlichkeit16, abgeleitet aus der Grenzrate relativer Häufigkeiten, sind eine Reihe alternativer Interpretationen auf Basis der personalistischen Perspekti11 Vgl. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 201ff; Ewald W essling gliedert hier unter den Abweichungen von der Annahme vollständiger Information zusätzlich den ProzeP des Entscheidensund Handeins als ein Kriterium aus. Vgl. ders., Individuum und Information, S. 36, 38ff.

12 Vgl. Michael Gaitanides, Konstruktion von Entscheidungsmodellen und "Fehler dritter Art"; Robin M. Hogarlh I Spyros Makridakis , Forecasting and Planning: An Evaluation, S. 129. 13 Vgl. Frank H. Knight, Risk, Uncertainty, and Profit, S. 20 u. Kap. X. Anm.: Die Begriffsbildung in der deutschsprachigen Literatur erfolgt mehrheitlich in der hier aufgegriffenen Weise. Das Begriffspaar Unsicherheit und Risiko verwenden u.a. Wilhelm Krelle, Präferenz- und Entscheidungstheorie, S. 176ff; Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. IV, S. 288.

14

Vgl. M. Granger Morgan I Ma.x Henrion, Uncertainty, S. 48f.

16

V gl. z.B. R. Duncan Luce / Howard Raiffa, Games and Decisions, S. 13f.

Zur nachfolgend verwendeten Symbolik: p wird zur Kennzeichnung der klassischen oder theoretischen Wahrscheinlichkeit verwendet. Pr steht für Proportionen und p für das Likelihood, d.h. die subjektive Wahrscheinlichkeit. 16

104

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

ve vorangetrieben worden 17 . Das Spektrum der Theorieentwürfe vor diesem gemeinsamen Hintergrund ist facettenreich und wechselweise von dem Bemühen gekennzeichnet, das deskriptive Anliegen zu präzisieren und den theoretischen Rückhalt zu stärken18 . Hinsichtlich des Schwerpunktes im hiesigen Kontext ist zu berücksichtigen, daß die Wahrscheinlichkeit ein unterstützendes Konzept ist, dessen Eignung wesentlich davon abhängt, in welchem Umfang es zur getreuliehen Offenlegung vorhandener Unsicherheit beiträgt. Die hier im Vordergrund stehende Auseinandersetzung mit der theoretische Fundierung jenseits der Axiomatik zur Bildung und Verarbeitung von Wahrscheinlichkeitswerten dient damit nicht der Klärung von Grundfragen zum Wahrscheinlichkeitsbegriff, sondern der Gestaltung und Deutung aus der Anwendungsperspektive 19 . Unumgänglich sind dabei zeitweilige Überlagerungen beziehungsweise parallele Betrachtungen aus klassischer und subjektivistischer Blickrichtung. Der Rahmen, wie er im ersten Teil abgesteckt wurde, hat dabei über die Formulierung von Komplexität und Kontingenz den Rekurs auf theoretische Wahrscheinlichkeiten vorgezeichnet20 . Darüber hinaus ist die Mehrzahl der subjektivistischen Konzepte im klassischen Modell der theoretischen oder objektiven Wahrscheinlichkeit verwurzelt und führt unter der Annahme eines homogenen Ereignisraumes lediglich auf unterschiedlichen Wegen zu der Laplaceschen Gegenüberstellung der Anzahl günstiger zur Anzahl gleichmöglicher Fälle21 . Erlaubt der zugrundegelegte Gegenstandsbereich keine Benennung jedes möglichen Falles, sei es aufgrundseiner Unendlichkeit oder aufgrundbeschränkten Zugangs, so kann 17 Vgl. den Überblick bei Jürgen Wild, Unternehmerische Entscheidungen, Prognosen und Wahrscheinlichkeit. 18 Vgl. zu den Schulen frequentistischer oder nuhentheoretischer bzw. komparatistischer Ausrichtung exemplarisch John Venn, The Subjective Side of Probability; Frank P. Ramsey, Truth and Probability; Bernard 0. Koopman, The Axiomsand Algebra of Intuitive Probability. 19 Zur grundlagentheoretischen Betrachtung vgl. Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorieund analytischen Philosophie, Bd. IV, 2. Hbd., S. 16ff; zur zentralen Frage der theoretischen Fundierung der Wahrscheinlichkeit von Einzelereignissen bzw. der Gegenüberstellung frequentistischer Theorien und Propensitäts-Deutung insb. S. 245ff u. Kar! R. Popper, The Propensity Interpretation of Probability; ders., Probability Magie or Knowledge out of Ignorance. Einen kritischen Abriß zur Entwicklungsgeschichte der personalistischen Sicht vermittelt John M. Keynes, A Treatise on Probability, S. 79ff.

20 Wolfgang Stegmül!er belegt dieses Vorgehen mit dem Begriff probabilutischer Dualismus und wählt diese Perspektive für die Auseinandersetzung mit personellen Wahrscheinlichkeiten. Vgl. ders., Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. IV, 1. Hbd., S. 69. 21 Vgl. Pierre S. de Laplace, A Philosophical Essay on Probabilities, S. 6f. Daniel Kahneman und Dan Lovallo etwa entziehen sich einem möglichen Disput über ihre Ausführungen mit dem Hinweis: " ... we assume that probabilities exist as a fact about the world. Readers who find this position shocking should transpose the formulation to a more complex one, according to their philosophical taste." Dies., Timid Choices and Bold Forecasts: A Cognitive Perspective on Risk Taking, S. 25, Fn. 7.

4. Likelihood-Schätzungen

105

dieses Verhältnis nicht bestimmt werden. Hilfsweise dienen relativen Häufigkeiten in einer Stichprobe oder dem beobachtbaren Teil des Gegenstandsbereichs zur Schätzung des Grenzwertes beziehungsweise des repräsentativen Verhältnisses22 . Vorausgesetzt wird dabei, daß die beobachteten Regelmäßigkeiten im nicht abgebildeten Teil des Gegenstandsbereichs fortgelten. Anscombe und Aumann konzipieren einen Ausdruck für die subjektive Wahrscheinlichkeit auf der Basis häufigkeitstheoretischer Begriffe und verknüpfen in ihrem Theorem die nutzentheoretische Bewertung der Gewinnchancen im Glücksspiel mit den Erwartungen hinsichtlich des Eintritts eines singulären Ereignisses23 • Sie unterstellen dabei, daß sowohl hinsichtlich des Geschehens im Zufallsprozeß als auch über die möglichen Ausprägungen des Einzelereignisses jeweils eine Präferenzordnung angelegt werden kann 24 . Unterstützung bietet dieses Konzept damit bei der Umsetzung bestimmter Erwartungen in Wahrscheinlichkeitswerte, wobei die Nähe zum formal gesicherten Fundament des theoretischen Wahrscheinlichkeitsbegriffs besondere Aufmerksamkeit auf die für die subjektivistische Theorie nicht minder zentrale Kohärenzanforderung lenkt25 . Gleichzeitig geht das Konzept mit der Annahme vorliegender Präferenzordnungen in beiden Dimensionen auf Distanz zur Charakteristik realer Schätzaufgaben. Diese sind gerade dadurch gekennzeichnet, daß die inhaltliche Herausbildung der Erwartungen in einer danach formal verwertbaren Weise das weitaus gewichtigere Problemfeld beschreibt.

Die Auseinandersetzung mit den materiellen lmplikationen der Gewinnung von Wahrscheinlichkeits- beziehungsweise Präferenzurteilen mündete zum Beispiel für Wild in der Einschätzung, daß von subjektiven Wahrscheinlichkeitstheorien des von ihm referierten Zuschnitts keine Lösung der Probleme betrieblicher Vorhersage zu erwarten seien 26 . Als zentrale Einwände macht Wild geltend, daß sich die Wahrscheinlichkeitsurteile nicht auf eine explizite Erfahrungsbasis stützen und damit von außen weder Modifikationskriterien für den Fall der Inkohärenz oder einer veränderten Informationslage, 22 'Die formale Lösung des Begrenzungsproblems stützt sich auf die mengentheoretische Axiomatik von Andrej N. K olmogoroff, Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 2ff. Zu den Einwänden gegen die inhaltliche Interpretation als durchschnittliche Ausprägung auf lange Sicht vgl. Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. IV, 2. Hbd., S. 32ff. 23 Die kombinierten Lotterien bauen auf der Konzeption des Roulette-Spiels auf, wobei es sich bei den Gewinnen wiederum um Pferdewetten handelt. Vgl. Francis J. Anscombe / Robert J . Aumann, A Definition of Subjective Probability, S. 200ff. 24

Vgl. ebd., S. 201, 204.

25

"The theory seeks to distinguish between coherent behavior and blunder, ordernonstrahle incoherence, in the face of uncertainty." Leonard J. Savage, Difficulties in the Theory of Personal Probability, S. 306. 26 Vgl. im folgenden Jürgen Wild, Unternehmerische Entscheidungen, Prognosen und Wahrscheinlichkeit, S. 86f.

106

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

noch Relevanzkriterien für den Einsatz der Erfahrungsdaten beigebracht werden und darüber hinaus keine Möglichkeiten der rationalen Rekonstruktion bestehen. Hinsichtlich der Gewinnungsverfahren gilt seine Kritik einerseits dem möglichen störenden Einfluß psychischer Momente auf Meßergebnisse und andererseits dem Umstand, daß die Quantifizierung von Schätzungen, im Sinne einwertiger Erwartungen, den Urteilenden überfordern würde 27 . Die von Wild verfolgte Fragestellung richtet sich gezielt auf die Beiträge der Theorie, und zumindest ein Aspekt macht deutlich, warum auf Fortschritte in dieser Richtung nur bedingt gehofft werden kann: Der Strukturkern einer Theorie subjektiver Wahrscheinlichkeit müßte eine objektive Relation zwischen zwei subjektiven Konstituenten herstellen: der Urteilsgrundlage des Entscheidungsträgers und seinen hieraus gewonnenen Schlußfolgerungen. Neben den Theorien, die nur zwischen objektiven Gegenständen Relationen bilden, und hierzu zählen die Theorien der mathematisch-statistischen und der logischen Wahrscheinlichkeit, sind - zumindest in den Sozialwissenschaften - bislang einzig Theorien entstanden, bei denen lediglich eine Seite des Erklärungsmusters mit subjektiven Sachverhalten identifiziert wird 28 • In der Summe hat Wild daher auch den Katalog der Herausforderungen umrissen, der angenommen werden muß, um überhaupt die Voraussetzungen für die Theoriebildung nach diesem Verständnis zu schaffen. An der Notwendigkeit eines subjektiven Wahrscheinlichkeitskonzepts bestehen aufgrund der praktischen Relevanz der Schätzung von Einzelereignissen unter Unsicherheit keine Zweifel 29 . Verbunden mit der Zielsetzung, diese nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeitsrechnung verarbeiten zu können, steht damit im Vordergrund, auf welche Weise Entscheidungsträger Unsicherheit wahrnehmen und in ein vermittelbares Urteil transformieren.

Williams löst das Unsicherheitsphänomen in ein Begriffsschema mit den Elementen Wahrheit, Glaubwürdigkeit, Wahrscheinlichkeit und Überzeu27 Vgl. ebd. u. Herbert Jacob f Rainer Karrenberg, Die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsintervallen für die Planung bei Unsicherheit, S. 674.

28 Das Erklärungsziellautet verkürzt: Sind bestimmte Voraussetzungen gegeben, so stellen sich Konsequenzen bestimmter Art ein. Entweder die Antecedensbedingungen des Explanans oder das Explanandum können subjektive Kategorien zum Gegenstand haben, wobei in diesem Fall eine als empirisch gültig erachtete objektivierende Hilfskonstruktion an die Stelle der originär subjektiven Dimension tritt. Bsp.: Arbeitsbedingungen 0 --+ H Arbeitsleistungo --+ Arbeitszufriedenheit,. In dieser Skizze wird die subjektive Dimension der Arbeitszufriedenheit, an deren Erklärung z.B. im Hinblick auf die Kontinuität des Arbeitseinsatzes Interesse besteht, durch die Hilfskonstruktion beobachtbare Arbeitsleistung operationalisiert, d.h . objektiviert. Sodann kann eine Hypothese (H) aufgestellt werden, die einen bestimmten Zusammenhang zwischen objektiven Merkmalen der Arbeitsumgebung und der zu erwartenden Arbeitsleistung postuliert. Zur Rolle der Testbarkeit der Hypothese vgl. u .a . Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 601f. 29 Vgl. Dieter Schneider in einer Stellungnahme zu den Gründen, die Eduard Kofier und Günter Menges die subjektive Wahrscheinlichkeit eine Irrlehre nennen lassen; ders., Meßbarkeitsstufen subjektiver Wahrscheinlichkeiten als Erscheinungsformen der Ungewißheit, S. 9lf.

107

4. Likelihood-Schätzungen

gung auf30 . Jedem dieser Konzepte zur Abbildung von Unsicherheit ordnet Williams eine Skala zu und setzt sich mit den Fragen der Unabhängigkeit dieser Konzeptualisierungen untereinander sowie der Universalität beziehungsweise der Relativität jedes einzelnen dieser Konzepte bezüglich des Urteilenden auseinander. In Abb. 4-1 sind diese Maße skizziert. Wahrheit betrifft die Präzision in der Entsprechung von objektiver Situation und ihrer Beurteilung. Diese Zuordnung erstreckt sich sowohl auf faktische als auch potentielle objektive Gegebenheiten31 . Obgleich letztere Propositionen im Gegensatz zu der realen Situation stehen, das heißt nicht vorliegen, sind die ihr zugrundeliegenden Mechanismen hinreichend objektiv, um empirisch wahre Aussagen über sie zu machen. Aussagen über potentielle objektive Situationen stützen sich auf die Strukturen des faktisch Gegebenen 32 • Für die Interpretation der Wahrheitsskala hat dies die Konsequenz, daß bei Betrachtung einer einzelnen Proposition lediglich die Pole besetzt werden können: Entweder kann das Attribut wahr mit absoluter Zuverlässigkeit vergeben werden oder aber es gilt das komplementäre Urteil, wonach die Proposition falsch ist beziehungsweise ihr Gegenteil das Attribut wahr erhält. Wahrheit

0%

100% Glaubwürdigkeit

O%

50%

100% Wahrscheinlichkeit

0% 8%

92% 100%

0% 8%

92% 100%

Überzeugung

Abbildung 4-1. Konzeptualisierung von Unsicherheit

Mit der Glaubwürdigkeit ist die Bereitschaft des Urteilenden gekennzeichnet, eine bestimmte Proposition als gegeben zu akzeptieren oder aber 30

Vgl. im folgenden Gardner Williams, Absolute Truth and the Shadow of Doubt, S. 212ff.

Zur Illustration faktischer Zuordnungen gibt Gardner Williams an: " ... if paleozoic fish were actual ancestors of men, then the assertion that we are descended from such fish is true." Propositionen potentieller Art haben dagegen die Form: .(I) If the rear axle of my car breaks the car will not run, and (II} 1f one of the spark plugs breaks, the car may still run, - when the axle is not broken and all of the plugs are functioning properly." Ebd., S. 212. (Anm.: Williams weist selbst darauf hin, daß sich in der Verbindung potentielle objektive Situation Objektivität ausschließlich auf die faktische, d.h. reale Basis bezieht.) 31

32 Bezogen auf die vorgenannten Propositionen I und II erläutert Gardner Williams : "The difference in the potentials is created by a difference in real existences." Ebd.

108

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

sie abzulehnen. Der Mittelpunkt dieser Skala beschreibt eine Situation, in der sich der Entscheidungsträger außerstande sieht, ein Urteil abzugeben~:\. Zu jeder Proposition, die dem Urteilenden gegenwärtig ist, besteht eine bestimmte Einstellung hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit, das heißt, sie zu einem gegeben Zeitpunkt für wahr oder aber für falsch zu halten. Bestehen qualitative Zweifel werden Einstellungen demgegenüber nicht in nennenswertem Umfang gebildet. Über die Wahrscheinlichkeitsskala wird das Gewicht der Evidenzen berücksichtigt, die der Urteilende zur Begründung der Wahrheit einer bestimmten Proposition heranziehen kann. Hier geht es erstmals um den Grad der Stützung bezüglich der Attribute wahr oder falsch 34 • Die 100%-Marke kennzeichnet absolute rationale Sicherheit hinsichtlich der Wahrheit der Proposition35. Am entgegengesetzten Ende der Skala gilt dies für das Attribut falsch. Ergänzend definiert Williams Intervalle an den Polen der Skala, innerhalb derer es rational gerechtfertigt ist, von der Wahrheit beziehungsweise Falschheit einer Proposition auszugehen. Mit den in Abb. 4-1 markierten 8%- und 92%-Punkten ist dies beispielhaft angedeutet; diese Festlegung variiert in Abhängigkeit vom abzubildenden Sachverhalt. Das Konzept der Überzeugung stellt der Wahrscheinlichkeitsskala die subjektive Einschätzung der Plausibilität angeführter Gründe für ein bestimmtes Wahrscheinlichkeitsurteil gegenüber36 . Vertraut der Urteilende in die Gründe, so spiegelt der Grad der Überzeugung das Wahrscheinlichkeitsurteil wider. Die Akzeptanz-Intervalle um die Pole der Skala sollten denen der Wahrscheinlichkeitsskala entsprechen, so daß oberhalb und unterhalb dieser Grenzen der Urteilende tatsächlich von der Wahrheit beziehungsweise Falschheit der Proposition ausgeht. Die Standards für die Annahme- und Ablehnungsintervalle werden jedoch vielfach nicht mit denen der Wahrscheinlichkeitsskala übereinstimmen. Einerseits kann eine besonders skeptische Betrachtungsweise zu verengten Intervallen führen, andererseits leistet ausgeprägte Gutgläubigkeit einer Ausdehnung Vorschub, wobei der jeweilige Ausschlag nicht notwendig eine kon33 Gardner Williams belegt diese Situation mit dem Begriff qualitative doubt im Unterschied zu quantitative doubt, der bei dem nachfolgend skizzierten Überzeugungsgrad zur Anwendung kommt. Vgl. Ebd. 34 Durch die Interpretation des Stützungsschlusses als Wahrscheinlichkeitsurteil zeigen sich Parallelen zu den Konzeptionen etwa bei Hans Reichenbach , Bruno de Finetti und Rudolf Carnap . V gl. die Übersicht bei Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. IV, 2. Hbd., S. 237. 35 I.G.z. einer nicht erreichbaren unbedingten absoluten Sicherheit über den Wahrheitsgehalt. Leonard J. Savage etwa verwendet als einschränkenden Begriff strong relative certainty; ders., Difficulties in the Theory of Personal Probability, S. 309. 36 V gl. auch den sinnverwandten Differenzierungsvorschlag zur Charakterisierung der Zuverlässigkeit einer Vermutung bei Georg P6lya, Mathematik und plausibles Schließen, S. 179ff.

4. Likelihood-Schätzungen

109

sistente Eigenschaft der betrachtenden Person ist, sondern auch situationsabhängig - insbesondere aufgabenbezogen - entsteht. Im Gegensatz zur Wahrscheinlichkeitsskala markieren die Pole den subjektiven Eindruck absoluter Sicherheit bezüglich der Wahrheit oder Falschheit einer Proposition. Diesseits der Extreme wird dokumentiert, daß der Prozeß des Abwägens zwischen für- und gegensprechenden Evidenzen quantitative Zweifel zur Folge hat. Obgleich sich in einem idealisierten Umfeld die Einträge auf allen vier Skalen im Gleichklang um einen der beiden Pole gruppieren sollten, unterstreicht Williams, daß hierzu weder aus logischer noch aus psychologischer Perspektive eine zwingende Notwendigkeit besteht37 , so daß, mit Ausnahme der Korrespondenz von subjektivem Eindruck absoluter Sicherheit und Glaubwürdigkeit, generell von gegenseitiger Abhängigkeit in einer abgeschwächten Form auszugehen ist. Im einzelnen ergeben sich hinsichtlich der Fragen nach interner Unabhängigkeit innerhalb des Gesamtkonzeptes und Universalität der einzelnen folgende Konsequenzen: Das Urteil über die Wahrheit bezieht sich auf eine objektive Situation und ist konform mit ihr, indem sie diese abbildet. Es ist absolut im Sinne seiner Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit38 . Eine Klasse von Propositionen - das sind Propositionen, vertreten durch verschiedene Personen auf der Grundlage einer bestimmten objektiven Situation - kann nur entweder wahr oder falsch sein, unabhängig davon, welche Person hierüber ein Urteil fällt. Propositionen setzten andererseits ein Individuum voraus, durch welches sie gebildet werden. In diesem Sinne können Evidenzen, die einer Person erst bekannt werden, dazu führen, daß eine bislang nicht vertretene wahre Proposition aufgegriffen wird; andererseits ist es möglich, daß eine falsche Proposition ausgiebig gestützt ist, bis hin zur absoluten rationalen Sicherheit. Für die Glaubwürdigkeit ist demgegenüber zu unterstellen, das sie sowohl unabhängig von der Wahrheit einer Proposition als auch vollständig subjektiv begründet ist. Die Einordnung der Wahrscheinlichkeit wurde implizit bereits angesprochen: Sie ist unabhängig von der Wahrheit einer Proposition; umfangreiche Stützung ist kein Garant hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes. Ebenso können Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit auseinanderfallen. Obwohl Evidenzen auf das Zutreffen einer Proposition weisen, kann der Urteilende zu einer gegenteiligen Einschätzung der Glaubwürdigkeit gelangen. Im Regelfall werden diese Abweichungen unbeabsichtigt sein, insbesondere wenn unterstellt wird, daß der Urteilenden sich darum bemüht, die Stützungskraft der vorliegenden Evidenzen rational zu ermitteln. Es wäre jedoch nicht gerechtfertigt, 37

Vgl. Gardner Williams, Absolute Truth and the Shadow of Doubt, S. 214.

38

",Almost true' is absolutely false." Ebd., S. 215.

110

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

auszuschließen, daß Menschen selbst im Lichte unumstößlicher Beweise Propositionen ablehnen und umgekehrt: An die Stelle der Wahrscheinlichkeitsskala, wie sie hier definiert wurde, treten in diesem Fall Derivate etwa eines persönlichen Glaubensbekenntnisses, der Intuition, der empfundenen eigenen Maßgeblichkeit oder von Wünschbarkeiten. Auch auf diesen Ersatzskalen gelten Intervallgrenzen analog den Akzeptanz- und Ablehnungsmarken auf der ursprünglichen Wahrscheinlichkeitsskala. Im Zuge der Überlagerung reihen sich jedoch nicht stützende Evidenzen zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß zusammen, sondern Zielbeiträge anderer Kategorien, die dann ein bestimmtes Urteil opportun erscheinen lassen. Auch in diesen Fällen bleibt der rationale Maßstab, das heißt die eigentliche Wahrscheinlichkeitsskala, bestehen. Unter dem Einfluß der zugehörigen Evidenzen kann es auf diese Weise zu Umbewertungen auf der urteilsleitenden Ersatzskala kommen 39 • Auch im Falle eines abweichenden Orientierungsschemas gehen daher Einflüsse von Veränderungen in der originären Stützung aus; ihr Effekt ist jedoch verzerrt. Williams verdichtet die ultimative Rechtfertigung für das Vertrauen in Gründe auf zwei Facetten: Gutgläubigkeit und Pragmatismus. Sie bilden gemeinsam mit der hieraus abgleiteten Kohärenzforderung die Basis. Danach gilt für die Wahrscheinlichkeit in dem Sinne Universalität, daß sie sich auf dem Wesen nach einheitliche Wege vernunftgesteuerter Interpretation von Evidenzen stützt 40 . Der Überzeugungsskala kommt demgegenüber unter keinem Gesichtspunkt Universalität zu. Sie beschreibt die subjektive Perspektive des Urteilenden vor dem Hintergrund der gegebenen Evidenzen. Abweichungen des Überzeugungsgrads von der Wahrscheinlichkeit weisen auf eine Fehlinterpretation der Urteilsgrundlage. Gleichzeitig ist sie das quantitative Gegenstück zum GlaubwürdigkeitsurteiL Während das Glaubwürdigkeitsmaß im Sinne einer diskreten Funktion keine marginalen Sprünge kennt, wird auf der Überzeugungsskalader Weg nachgezeichnet, der von qualitativem Zweifel zu einem zustimmenden oder ablehnenden Glaubwürdigkeitsurteil führt 41 . Der Differenzierung von Williams folgend, gibt der Urteilende als Likelihood seine subjektive Überzeugung an. Im Prozeß der Objektivierung ist von vorrangigem Interesse, zusätzlich die Wahrscheinlichkeit zu identifizieren und damit einerseits Aufklärungsbedarf, bedingt durch mögliche Differenzen, 39 Gardner Williams nennt als möglichen formalen Einwand, zugunsten einer Unterordnung der Ersatzskalen unter die Wahrscheinlichkeitsskala, daß die Validität und die Stärke des psychologischen Einßusses dieser Ersatzkriterien ebenfalls auf Gründen beruhen, deren Nachhaltigkeit auf der Wahrscheinlichkeitsskala abzubilden wäre. Vgl. ebd., S. 217.

40 " ...

s. 219.

experience indicates pretty clearly that right reason is exactly similar for everyone." Ebd.,

41 Die Mehrzahl der empirischen Studien zu Laien-Schätzungen stützt sich implizit auf diese Differenzierung, indem durch ein zweistufiges Verfahren zunächst über die Glaubwürdigkeit für wahr gehaltene Proposit ion herausgefiltert und anschließend Überzeugungsgrade ermittelt werden. Vgl. J . Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 9lf.

4. Likelihood-Schätzungen

111

zu spezifizieren und andererseits den Stützungsgrad zu überprüfen, das heißt näheren Aufschluß zu gewinnen über den einzig verfügbaren Weg, um Hypothesen über den Wahrheitsgehalt der fraglichen Proposition aufzustellen.

Ramsey, der seine Theorie subjektiver Wahrscheinlichkeit analog den klassischen Konzeptionen auf Präferenzurteile und das Prinzip der Maximierung des erwarteten Nutzens aufbaut, verzichtet auf die Einführung von Wetten zur Gewinnung von Likelihoods und setzt an deren Stelle das Konzept der hypothetischen Anstrengung, die der Urteilende auf sich zu nehmen bereit wäre, um sein Zutrauen in das eigene Urteil zu erhöhen42 . Während Ramsey diese Alternative hauptsächlich vor dem Hintergrund der möglichen Ungenauigkeiten bei der Übertragung in Wettsysteme sieht43 , bietet diese Deutung hier den zentralen Anknüpfungspunkt zum Informationsverhalten bei der Lösung von Schätz- und Entscheidungsaufgaben in der Planung44 . Hypothetische Anstrengung hat in diesem Kontext ein faktisches Pendant, und die Vergegenwärtigung empfundener Zuverlässigkeit einer Schätzung mündet in eine von zwei Konsequenzen: sie löst den Zugriff auf das Informationsreservoir über verfügbare Informationsmaßnahmen aus oder sie relativiert die Zuverlässigkeit. Letztere stellt das Resultat der situationsabhängigen Ressourcenallokation und Begrenzungen des Reservoirs einer isolierten Idealkonstellation gegenüber, in der ein maximal erreichbares Absicherungsniveau wiedergegeben ist. Die Frage nach Gütekriterien für Schätzungen wirft zunächst ein grundsätzliches Problem auf, das bereits eingangs der Auseinandersetzung mit dem Nutzen der Planung angesprochen und im Zusammenhang mit den Verhaltensmustern weiterverfolgt wurde45 : der virtuelle Bezugspunkt einer Schätzung, der wahre Wert einer unsicheren Größe steht als Referenz erst zur Verfügung, wenn eine Entscheidung auf Basis der Schätzung bereits gefällt worden ist. Als Gütekriterium in einer ex post Analyse liefert diese Relation daher bedingt verwertbares Lehrmaterial für vergleichbare Situationen in der Zukunft. Ein Qualitätsurteil im absoluten Sinn 46 steht daher zur Kontrolle 42 Zur Illustration schildert Frank P. Ramsey die Situation eines Wanderers, der, an einer Weggabelung angelangt, nicht sicher ist, welche der beiden Richtungen ihn an sein Ziel führt. Er kann sich entweder vor Ort unmittelbar entscheiden oder aber in der näheren Umgebung Informationen bei Ortsansässigen einholen. Vgl. ders., Truth and Probability, S. 73ff. 43 Frank P. Ramsey führt die Konkavität monetärer Nutzenfunktionen sowie die individuelle Ausprägung der Spielerleidenschaft an . Vgl. ebd.

44 Zur formalen Illustration der Verknüpfung von Nutzenerwartung (Wünschbarkeit) und Likelihood sowie der auf Ludwig Wittgenstein zurückgehenden Konzeption handlungsneutraler Propositionen als Ausgangspunkt für die Bestimmung kardinaler Präferenzmaße bei Frank P. Ramsey vgl. z.B. R.ichard C. Jeffrey, The Logic of Decision, S. 4lff. 45

Vgl. Abschn. 1.3, 3.2.

Vgl. Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. IV, 2. Hbd., S. 192. 46

112

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

und Steuerung während der Entscheidungsvorbereitung nicht zur Verfügung. Die zweite Bedeutung der Schätzgüte zielt auf die Urteilsgrundlage, die eine bestimmte Schätzung rechtfertigen soll47 . Für die Handhabung dieses Problems in Rahmen der statistischen Schätzungstheorie gilt ebenso wie im Falle des Planungserfolgs, daß die Analyse " ... unter dem Gesichtspunkt der Optimalität auf lange Sicht betrachtet"48 wird. Stegmüller nimmt eine weitere Differenzierung vor, so daß als Mündungsbereiche nebeneinander die Überzeugung und die Handlung stehen49 . Mit dem Handeln auf der Basis einer Schätzung sind andere, im wesentlichen zusätzliche Wertgesichtspunkte verbunden, die eine Kongruenz bestenfalls zufällig entstehen lassen und damit insbesondere Rückschlüsse aus beobachteten Handlungen auf die Überzeugung der betreffenden Person erschweren. Die formale Bewertung der Präzision erfolgt in den Dimensionen Bestimmtheit und Zuverlässigkeit der Schätzung. In der meßtechnischen Interpretation sind die Komponenten den Maßen der Diskriminanz beziehungsweise der Kalibrierung zugeordnet5°. Diese abstrakte Darstellung des Begriffs der Schätzgüte bildet den Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit potentiellen Verzerrungen oder Bias, entsprechend der verbreiteten Übernahme des angelsächsischen Begriffs. In der Literatur hat der Begriff Bedeutungen über ein weitgestecktes Feld von Anwendungsgebieten erhalten51 • Als gemeinsamer Nenner tritt lediglich der Aspekt systematischer Abweichung hervor. 47 Eine Schätzung kann für gut befunden werden, " ... weil gute Gründe dafür vorliegen, anzunehmen, der Schätzwert liege nahe beim wahren Wert." Ebd. Bei der Betrachtung einer einzelnen Schätzung ist diese Interpretation die einzig mögliche: "Denn entweder lernen wir den wahren Wert niemals kennen; dann können wir auch niemals einen Vergleich zwischen Schätzwert und wahrem Wert anstellen und niemals beurteilen, ob die Schätzunggut im ersten {absoluten, A.d.V.) Sinn war. Oder aber wir lernen den wahren Wert zwar einmal kennen. Doch haben wir dann die Schätzung sicher vorgenommen, bevor wir ihn kennenlernten; ansonsten wäre sie ja überflüssig gewesen." Ebd., S. 193. 48

Ebd. (i.O. hvg.)

Vgl. im folgenden ebd., S. 192, 194ff. Vgl. auch die Differenzierung von (1) Moment der Beurteilung des Unsicheren und (2) Moment des Wagens aufgrund der Beurteilung bei Kar! Menger, Das Unsicherheitsmoment in der Wertlehre, S. 484. 49

50

Vgl. Ab.s chn. 4.2.

Einen Eindruck von der Breite geben exemplarisch die folgenden Definitionen: " ... discrepancy when the magnitudes of forecast errors in one direction exceed those in the other direction; also refered to as Systematic Error." Spyros Ma~ridakis I Steven C. Wheelwright, The Handbook of Forecasting, S. 565; "... we (... ) define bias as statistically measured performance difference between subgroups, which is a common approach in the literature." Yufei Yuan I Abraham Mehrez I Amiram Gafni, Reducing Bias in a Personnel Assignment Process Via Multiplicative Utility Solution, S. 228; " ... systematische Verhaltensabweichungen, die von nicht im llisikonutzenmodell berücksichtigten Größen erklärt bzw. beschrieben werden können." Rüdiger von Nitzsch I Martin Weber, Die verläßliche Bestimmung von Nutzenfunktionen, S. 848; "Unter Bias werden systematische Abweichungen des tatsächlichen Verhaltens von dem axiomatisch als ,rational' postulierten Verhalten verstanden." Dies., Bandbreiten-Effekte bei der Bestimmung von Zielgewichten, S. 972, Fn. 5. 51

113

4. Likelihood-Schätzungen

Im hiesigen Kontext ist es sinnvoll, den Begriffsinhalt stärker einzuengen und Bias zur Kennzeichnung einer Untergruppe systematischer Abweichungen zu verwenden. Die Definition nimmt dabei Rekurs auf die Interpretation in der Stichprobentheorie52 . Hiermit kommt ein zentraler Aspekt implizit zum Ausdruck: die Verzerrung ist unbeabsichtigt. Wird hingegen an einem bestimmten Urteil festgehalten, obwohl der Beurteilende auf die Hintergründe einer offensichtlichen Verzerrung aufmerksam gemacht wurde, handelt es sich nicht mehr um ein Bias in der Urteilsfindung53 . Die Abweichung zu einer Schätzung auf der Grundlage des intersubjektiven Informationsstandes und der konsistenten Anwendung von Verknüpfungsregeln dient in diesem Fall als Referenz. Aufgabe des Beurteilenden beziehungsweise des Moderators ist es, daraufhin die Abweichungen im Urteil zu objektivieren54 . Da es sich bei den Verknüpfungen um ein System vollständig objektivierter Verarbeitungsregeln handelt, konzentriert sich die Objektivierung auf die Herausbildung der Urteilsgrundlage. Es wird behandelt, welche Informationen aufgenommen und in welcher Weise sie als Argumente des Regelwerks genutzt werden.

Abweichungen

Repräsentation

systematisch

Manipulation

unsystematisch

Zufall

Abbildung 4-2. Klassifikation der Abweichungen

52 Vgl. z.B. Ernst P. Billeter-Frey / Vladimir Vlach, Grundlagen der statistischen Methodenlehre, S. 152{. Hierzu die allgemeine Formulierung bei der Ereignisschätzung durch mehrere Urteilende, wie sie z.B. von Robert H. Ashton gegeben wird:

I

Bias= (xt; !L)

I•

wobei (xt- !L) die Differenz aus wahrem Wert und Mittelwert der Schätzungen bezeichnet und u die Standardabweichung über die abgegebenen Schätzungen. Vgl. ders., Combining the Judgment of Experts: How Many and Which Ones?, S. 407. 53

Vgl. Robin M. Hogarth, Judgement and Choice, S. 224.

54 In den empirischen Untersuchungen zum Schätzverhalten (vgl. u.a. die in den Unterabschnitten zu 4.3 angeführten Literaturhinweisel ist dieser Schritt zumeist nicht enthalten. Die Mehrzahl der Studien berichtet lediglich darüber, daß ein großer Teil der Urteilenden an inkonsistenten Schätzungen festhält, auch nachdem sie mit dieser Sachlage konfrontiert wurden.

8 Lachner

114

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Die ergänzende Komponente der Definition stützt sich auf die zwar nicht im Begriff Verzerrung explizit enthaltene, wohl aber dem Bias zukommende Zweitbedeutung als Vorurteil. Während sich der wertende Gehalt in der umgangssprachlichen Verwendung auf das objektbezogene ,Urteilen ohne genügende Kenntnis des Sachverhalts' erstreckt, geht es hier um die darüberliegende Ebene der methodologischen Voreinstellungen, unter denen Entscheidungsträger Informationen verarbeiten, das heißt neue Erkenntnisse in ihren Wissensfundus aufnehmen und Erfahrungen verwerten. Die Konsequenzen hinsichtlich der Einschätzung eines Gegenstandes sind damit als Resultat des Einflusses der vorgelagerten Ebene situationsunabhängiger Urteilsschemata zu deuten. Beide Aspekte in dieser Definition führen zu einem Leitgedanken, der den nachfolgenden Untersuchungen zugrundeliegt und in einer Hypothese zusammengefaßt werden kann: Systematische Verzerrungen in der Urteilsfindung werden verursacht sowohl durch unvollständige oder inkonsistente Formierung als auch durch intuitive Konzepte, die über die Abbildungsmöglichkeiten innerhalb des numerischen Systems hinausgehen. Der zweite Teil dieser Hypothese bringt zum Ausdruck, daß Verzerrungen nur bezogen auf den objektivierten Teil der Urteilsgrundlage festgestellt werden können und sich die Aufgabe im Prozeß der Gewinnung von Schätzungen um die geeignete Umsetzung im numerischen System erweitert. Diese erweiterte Aufgabenstellung gilt ebenso für systematische Verzerrungen außerhalb von Bias, das heißt für die Formen bewußter Abweichung. Ihnen ist Systematik immanent, soweit vernunftgesteuerte Handlungsweise beim Entscheidungsträger unterstellt wird. Die beiden Verzweigungen im oberen Ast der Abb. 4-2 weisen auf die für Bias und die bewußten Abweichungen relevanten Kategorien der Verzerrung hin 55 .

4.1 Erscheinungsformen Bislang zielte die Auseinandersetzung im wesentlichen auf die subjektive Wahrnehmung von Unsicherheit und auf Konzeptionen, die dabei helfen können, im abstrakten Sinn genauere Vorstellungen darüber zu gewinnen, wie sich Likelihood herausbildet. Von gleichermaßen hohem Stellenwert ist die Frage der Vermittlung einer solchen Überzeugung. Unterstellt worden ist, daß dies auf einer der Wahrscheinlichkeitsskala kongruenten Überzeugungsskala geschieht56 . Auf die Relevanz dieses Aspekts und die Vorstufen und 55 Zu der analogen Strukturierung anband der mentalen Funktionen Akquisition und Verarbeitung von Informationen sowie den zusätzlichen Aspekten der Kommunikation und des feedback von Schätzvorgängen vgl. Robin M. Hogarth I Spyros Ma.l:ridakis, Forecasting and Planning: An Evaluation; Spyros Makridakis I Steven C. Wheelwright / Victor E. McGee, Forecasting - Methods and Applications, S. 852ff. 56

Vgl. S. 106.

4. Likelihood-Schätzungen

115

Varianten, in denen eine solche Skala repräsentiert werden kann, soll nun näher eingegangen werden. In der Beschreibung von Überzeugungen kommen sowohl sprachliche als auch mathematische und graphische Ausdrucksformen57 zum Zuge. Während die Frage der semantischen Begriffsinhalte systemimmanent nur im Rahmen des sprachlichen Ausdrucks Klärungsbedarf entstehen läßt, bestehen Ambivalenzen hinsichtlich der Pragmatik unabhängig vom Medium58 Der Sophismus des Haufenschlusses 59 illustriert die erste der zu lösenden Aufgaben und führt in der Verallgemeinerung zu einer Skizze wie sie Cicero gab: "Nicht nur für den Getreidehaufen ... , sondern auch für irgend anderes, Reichtum und Armut, Helligkeit und Dunkel, Viel und Wenig, Groß und Klein, Lang und Kurz, Breit und Schmal, kommen wir in Verlegenheit, wenn man uns nach unmerklichem Mehr oder Minder fragt."60 Während Cicero die Bedeutung der Begriffe ontologisch verankert sah, gibt Pareto den Hinweis auf die subjektiven Bedeutungsinhalte, zu denen es kein Pendant in der beobachtbaren Wirklichkeit gibt61 . Nicht überraschend ist die Schlußfolgerung: Präzision im Urteil erfordert Präzision in der Definition von Urteilskriterien62 . Auf die Frage nach dem Haufen ließe sich durch Festlegung der konstituierenden Anzahl Einheiten problemlos eine Antwort geben. Ebenso offensichtlich ist jedoch, daß dies den einfachsten der denkbaren Fälle, namentlich den einer einfachen Unbestimmtheit beschreibt. Weiterreichende Probleme treten auf, wenn neben der Entscheidbarkeit des Vorliegens oder Nicht-Vorliegens auf der Aggregatebene (Haufen) auch die Elementeigenschaft (Getreidekorn) 57 Die graphische Repräsentation ist eine Vorstufe der quantitativen Formulierung; sie wird im Zusammenhang mit den Gewinnungsverfahren, Abschn. 4.4, separat aufgegriffen. 58

Vgl. Abschn. 1.2.2.

Von einem einzelnen Getreidekorn ausgehend bedeutet das Hinzufügen eines weiteren noch nicht, daß ein Haufen entstanden ist; auch jede weitere Ergänzung um ein einzelnes Korn konfrontiert mit eben diesem Problem. Umgekehrt bietet das Entfernen eines einzelnen Korns von einem Haufen keine Rechtfertigung, das Übrige nicht mehr als Haufen zu bezeichnen; dieses gilt ebenso fort, bis nur noch ein letztes Korn zurückbleibt, das dann offensichtlich als Haufen zu bezeichnen ist. 59

60 Marcus Tullius Cicero, Academicae Quaestiones II. - Ulpian, de verbarum significatione, S. 177; zitiert nach Vilfredo Pareto, Allgerneine Soziologie, S. 180f.

61 "Wenn aber nicht Dinge, sondern nur Empfindungen diesen Ausdrücken entsprächen? Dann träfe die Dame Natur keine Schuld, und es wären wir, die unsere Empfindungen nicht mit hinreichender Genauigkeit auszudrücken verstünden." Vilfredo Pareto, Allgemeine Soziologie, S. 181. 62 "Man definiere, was man unter dem Ausdruck Haufen (oder Anhäufung oder ähnliches) verstehen will, dann werden wir urteilen. So sagt man z.B. der Haufen soll aus 1.000 Körnern bestehen, sind wir dann bei 999 angelangt und man fügt noch 1 hinzu, werden wir sagen: Da. ist der Haufen. Definiert ma.n aber nicht gena.u die Ausdrücke, die man in seinem Beweis zu verwenden beliebt, so belieben wir auch nicht zu antworten. Wer eine Antwort haben will, der soll eine klare Frage stellen." ViiCredo Pareto, Allgemeine Soziologie, S. 182.

116

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

und die zulässigen Relationen in einem empirischen System (Körner, ;::::, +) zunächst zu definieren sind. In der verbalen Umschreibung wirken die immanenten Normen 63 , die den Vokabeln zur Beschreibung von Maßgrößen sowohl semantisch als auch im Kontext ihrer Verwendung64 eine bestimmte Bedeutung geben. Dies geschieht in einer von außen nicht erkennbaren Weise. Erst die Beurteilung von mehr als einem Sachverhalt mit qualifizierenden Ausdrücken und die Strukturierung des verwendeten Begriffsapparats können eine subjektive Ordinalskala externalisieren55 . Ordinale Skalierung sagt dabei definitionsgemäß weder etwas aus über Differenzen zwischen benachbarten Rangstufen noch über die absolute Lage des Begriffsspektrums, bezogen auf ein objektiviertes Intervall von schwacher bis starker Ausprägung eines Merkmals. Die letztgenannte Relation kann im Vergleich mit Beobachtungen hergestellt werden. Für die Feststellung von Differenzen ist daneben vorauszusetzen, daß das zu schätzende Merkmal intervallskaliert gemessen werden kann, es sich demzufolge um eine Quantität handelt. Winterfeldt und Edwards 66 heben jedoch hervor, daß die Ambiguität wesentlichen Zwecken dient und daher in bestimmten Situationen bewußt angestrebt wird: zum einen wenn sich der Urteilende zu keiner stärkeren Präzisierung in der Lage sieht, und zum anderen zur Charakterisierung eines komplexen Unsicherheitsgefüges67 . Besteht die Aufgabe in der Bildung einer Rangfolge unter den vermuteten Ausprägungen eines Merkmals in verschiedenen Situationen, resultiert die Ordnung über eine Sequenz paarweiser Vergleiche. Während es sich in diesem Fall um eine explizite Gegenüberstellung handelt, ist die Beurteilung auf einen singularenSachverhalthin als impliziter Vergleich zu deuten, analog der 63 Vgl. Roland Gzuk, Messung der Effizienz von Entscheidungen, S. 78; Jonathan St.B.T. Evans, Bias in Human Reasoning, S. lOOff.. 64

Vgl. Abschn. 1.2.2.

Detlof von Winterfeldt und Ward Edwards geben als Beispiel die Untersuchungen zur Ambiguität der Unsicherheitskomponente in Aufklärungsberichten der NATO: Für eine Menge von 16 Attributen kam es bei den befragten Offizieren u.a. zu folgenden Zuordnungen auf der Wahrscheinlichkeitsskala: Rang 2: highly likely, (0.5, 0.95); Rang 5: likely, (0.3, 0.875); Rang 16: chances are slight, (0.125, 0.45). Vgl. dies., Decision Analysis and Behavioral Research, S. 98ff; mit vergleichbaren Resultaten: Ruth Beyth-Marom, How Probable Is Probable? - A Numerical Translation of Verbal Probability Expressions; Peter G. Moore, The Manager's Struggles with Uncertainty, S. 133f; ders., Howard Thomas, The Anatomy f Decisions, S. 127f. 65

66

Vgl. Detlof von Winterfeldt /Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research,

s. 98ff.

67 Es ist zweifelhaft, ob die Aussichten auf einen erfolgreichen Geschäftsverlauf in einer anstehenden Periode über eine Wahrscheinlichkeit beziffert werden sollten. Die Schätzaufgabe ist aus wahrscheinlichkeitstheoretischer Sicht nicht operational, im einzelnen ist weder bekannt, was Erfolg ausmacht, noch, welche Komponenten der Geschäftsverlauf hat. Dennoch besteht Bedarf an Einschätzungen dieser Art, und verbale Ausdrücke sind in der Lage, diese Information zu vermitteln.

4. Likelihood-Schätzungen

117

Differenzierung von Auswahl und Evaluierung bei den Entscheidungstypen. Eine Sonderstellung nimmt die Vorgabe eines semantischen Differentials68 bei der Abfrage von Schätzgrößen ein. Sie markiert den Übergang zu einer Hyperordinalskala. Die in der Abb. 4-3 gegebenen Beispiele illustrieren die Annäherung an eine differenzenorientierte Darstellung69 • Einfluß hat hierbei neben der graphischen Aufbereitung, die optisch Gleichgewichtigkeit in den Relationen zwischen den Antwortmöglichkeiten signalisiert, insbesondere die Formulierung. Bei der Frage nach dem zu erwartenden Wahlausgang tritt die Symmetrie des Aussagenschemas deutlich hervor. Die Suggestion lautet auf gleiche Abstände von der unsicheren Position aus zu den schwächeren beziehungsweise stärkeren Überzeugungen in beiden Richtungen. Häufig werden in Befragungen dieser Art zusätzlich Codeziffern für die statistische Analyse, im Beispiel etwa die Ziffern 1 bis 5 oder 2 bis -2, bei den Antwortmöglichkeiten vermerkt und verstärken den Eindruck der Äquidistanz 70 . Das Antwortschema zur Frage nach den konjunkturellen Gegebenheiten ist von vornherein als Kontinuum gestaltet, dessen verbal beschriebene Randausprägungen über eine aufsteigende äquidistante Zahlenfolge miteinander verbunden sind. Besonderheit dieser Skala ist, daß auf ihr keine völlige Unentschlossenheit abgebildet werden kann. Bei jeder der möglichen Antworten verpflichtet sich der Urteilende mehr oder weniger stark in einer der beiden Richtungen. Im Unterschied zum ersten Beispiel zielt die Betonung auf das subjektive Zutrauen ab, über den angegebenen Sachverhalt zuverlässig urteilen zu können. Neben Ereignisräumen mit einfacher Differenzierung, nach Art der obigen Beispiele, nimmt die Schätzung von Quantitäten einen wesentlichen Platz in ökonomischen Projektionen ein. Liegt der Schätzaufgabe eine stetige Dimension zugrunde, so kennzeichnet das Diskriminanzniveau, auf dem der Urteilende eine Schätzung geben kann, den maximal zulässigen Differenzierungsgrad der Skala71 . Sind bei Verwendung von Ratingskalen Zwischenwerte oder die arithmetische Mittelung zugelassen, wird implizit unterstellt, daß 68

Vgl. Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Bd. 2, S. 118.

Zur Unterscheidung bezifferter und verbal bezeichneter Kategorien eines Differentials vgl. auch E. Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 41. 69

70 Ebenso könnte der Punkteschlüssel auch andere Akzente setzen und bspw. die Hürde zur Benennung von Randwerten, d.h. den Ausdruck besonderer Sicherheit in einer der beiden Richtungen, durch eine größere Differenz zur benachbarten Aussage erhöhen. Vgl. E . Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 182. (Siehe hierzu allerdings auch die informationstheoretische Bewertung weiter unten.)

71 Dies kann ebenso mit Blick auf die Nutzer einer Schätzgröße oder anderweitiger Bewertungen geschehen. J . Frank Yates weist z.B. auf den Standard & Poor's Bonitätsindex hin, bei dem die begutachteten Unternehmen einer der zehn Klassen AAA, AA, A, BBB, BB. B, ccc. cc, C, D zugeordnet werden. Vgl. Ders., Judgment and Decision Making, S. 18. Neben Schätzungen zur Zahlungsmoral bzw. prospektiven Zahlungswilligkeit, liegen den Analysen regelmäßig auch Unternehmenskennzahlen zugrunde, so daß stärker differenziert werden könnte. Praktikabilität und Zuverlässigkeit sprechen demgegenüber für die gewählte grobe Typisierung.

118

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Bitte geben Sie durch Ankreuzen einer der nachfolgenden Aussagen Ihre Meinung über die Chancen der Wiederwahl von Bill Clinton an:

0 0 0 0 0

Sehr sicher, daß Bill Clinton wiedergewählt wird Ziemlich sicher, daß er gewinnt Unsicher, ob er gewinnen oder verlieren wird Ziemlich sicher, daß er verliert Sehr sicher, daß Bill Clinton die Wahl verlieren wird

Bitte markieren Sie diejenige Nummer im unten angegeben Feld, die Ihrer Einschätzung zu der folgenden Aussage entspricht: "In einem halben Jahr wird die konjunkturelle Lage günstiger sein als gegenwärtig."

IAuf jeden Fall

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Auf keinen Fall !

Abbildung 4-3. Bewertung über semantische Differentiale

diese Restriktion unbeachtlich ist. Die obigen Erläuterungen zum symmetrischen Aufbau und der Suggestion gleicher Distanzen zwischen den Ausprägungen schwächen diesen Einwand in gewisser Weise ab; hinreichend für den theoretisch abgesicherten Einsatz statistischer Verfahren ist dies jedoch nicht. Die Problematik wird von den zulässigen Rechenoperationen auf das Diskriminanzvermögen des Urteilenden verlagert, wenn kardinale Skalen der Schätzung zugrundeliegen. Sowohl das Aggregat als auch die möglichen Inkremente respektive Elemente nach dem eingangs aufgegriffenen Schlußschema sind formal definiert. In der Anwendung auf Quantitäten ist gleichzeitig die inhaltliche Interpretation gegeben. Diese eindeutige Identifikation von Zahl und Objekt gilt jedoch nicht für abstrakte Maße, wie dem Likelihood eines bestimmten Ereignisses. Eine Konzeption zur Abbildung des Likelihoods ist die Bildung von Wettquotienten. Die Aussage liegt in dem Verhältnis von Auszahlungsbetrag und Einsatz. Sie ist gewahrt bis auf eine multiplikative Verknüpfung mit einer Konstanten. Die beiden Situationen, in denen eine eindeutige Identifikation von Zahlenwert und abzubildendem Sachverhalt vorgenommen werden kann, das heißt bereits objektiv das Eintreten oder Ausbleiben eines Ereignisses festgestellt worden ist beziehungsweise der Überzeugungsgrad dieses Niveau widerspiegelt, führen nicht zum Abschluß von Wetten 72 • In allen übrigen Fällen ist die Identifikation der Merkmale einer Unsicherheitssituation mit 72 Vgl. auch Detlof von Winterfeldt /Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research, S. 102.

4. Likelihood-Schätzungen

119

einer Gewinnquote im subjektiven Abgleich verankert13 . Ein Wettquotient oder ein System von Wetten wird dabei als konsistent bezeichnet, wenn keine Übervorteilung einer der beiden Seiten auftritt, das heißt weder dem Wetter noch dem Buchmacher gegenüber ein sogenanntes Dutch book entsteht. Für einen fairen Wettquotienten gilt, daß der Urteilende indifferent ist gegenübe1 der Situation des Wetters und des Buchmachers74 . Der faire Wettquotient wird danach auch bezeichnet als das Likelihood einer gegebenen Proposition aus der Sicht eines Urteilenden zu einem gegebenen Zeitpunkt75 . Neben der Vermutung, daß die Regeln des Wettszenarios durch Entscheidungsträger leichter aufgefaßt werden als die Axiomatik der Wahrscheinlichkeitsrechnung, hat insbesondere die Lösung von häufigkeitstheoretischen Interpretationen dieser Form der Operationalisierung von Präferenzurteilen eine wesentliche Rolle verschafft16 . Hinzu kommt, daß dieser Weg den oftmals gegenüber den Aussagemethoden bevorzugten Handlungsansatz unmittelbar in den Vordergrund rückt77 . Da das dezidiertere Urteilen in Anbetracht direkter Handlungskonsequenzen zusätzlichen Einflüssen, wie der Wettleidenschaft, ausgesetzt ist, können allerdings Diskrepanzen zur einfachen Äußerung einer Schätzung auftreten, die mit dem zu beurteilenden Sachverhalt in keinerlei Zusammenhang stehen78 . Eine Alternative zur Abbildung einer Unsicherheitssituation in Wettsystemen bildet die direkte Schätzung von Wahrscheinlichkeiten. Auch sie erfolgt auf der Basis einer Verhältnisskala. Im Unterschied zu Wettquotienten sind hier allerdings die eindeutigen Randwerte Bestandteil der Skala79 . 73 In klassischen Risikosituationen, z.B. Lotterien mit bekannter Verteilung der möglichen Ausgänge, bringt die akzeptierte Gewinnquote die Risikoneigung des Urteilenden zum Ausdruck. In schwächer strukturierten Unsicherheitssituationen, in denen die Grundgesamtheit nur unvollständig bekannt ist bzw. die Elemente in Form möglicher Ereignisse nicht gleichwahrscheinlich sind, z.B. Pferderennen, kommt die subjektive Bewertung der Konstituenten des Risikos hinzu.

74 Zur Kritik an den Varianten des Kohärenz- bzw. Rationalitätsaxioms und der Konstruktion fairer Wettquoten vgl. z.B. Patricia Baillie, Confirmation and the Dutch Book Argument. 75 Brian Ellis weist nach, daß diese Gleichsetzung nicht zulässig ist im Falle eines Systems ex post nur teilweise entscheidbarer Propositionen. Vgl. ders., The Logic of Subjective Probability, s. 133f.

76 Diese Lösung von einer frequentistischen Sicht betrifft die äußeren Merkmale der Unsicherheitssituation, intern wird zur Gewinnung des Wettquotienten grundsätzlich auf ein sich im Mittel einstellendes Ergebnis bei gedanklichen Wiederholungen z.B. des Ablaufs eines Pferderennens rekurriert. 77 "Degree of belief, and thus subjective probability, can be inferred from the choice behavior of an individual. It is not from what one says, but rather from the choices that one makes, that a measure of subjective probability can be gained. ( ... ) Sufflee it to say that if an individual's behavior is consistent in the ways specified by these axioms ['of coherence'J, then probabilities inferred from individual behavior can be treated by the full machinery of probability theory." William L. Hays, Statistics, S. 30f.

78

Vgl. auch die Differenzierung von Überzeugung und Handlung im Abschn. 4.

19 Ungeachtet der theoretischen Mehrdeutigkeit, wonach für eine beliebige Ausprägung eines

120

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Bei der Schätzung einzelner Wahrscheinlichkeiteil wird, bezogen auf die Verteilung des Merkmals, eine Vorhersage über eine der typischen Maßzahlen der Lage, Erwartungswert, Modus oder Median, ermittelt. Die Verteilungsschätzung bildet damit die implizite Basis für die Schätzung von Einzelwahrscheinlichkeiten. An die Beschränkung auf die Angabe etwa des Erwartungswertes in Auswahlsituationen sowie bei der Betrachtung von Aggregaten aus mehreren Likelihoods muß die Bedingung geknüpft werden, daß die zugrundeliegenden Verteilungen symmetrisch oder ihre Variauzen gleich sind80 . Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, bieten die die Erwartungswerte keine zuverlässige Entscheidungsgrundlage, und es müssen weitere Momente einbezogen werden. Bei der Schätzung von Verteilungen sind neben der freien Entwicklung81 zwei Konzeptionen zu unterscheiden82 , (1) Vorgabe von Wahrscheinlichkeitsintervallen, denen Ausprägungsintervalle des zu schätzenden Merkmals zugeordnet werden, (2) Vorgabe von Intervallgrenzen für Merkmalsausprägungen, denen Wahrscheinlichkeiteil zuzuordnen sind. Die Systematik, mit der der Entscheidungsträger jeweils zu einem Urteil gelangt, unterscheidet sich wesentlich: während unter (1) der Ausgangspunkt sachneutral dem Analyseinstrumentarium entlehnt ist und der Entscheidungsträger die Abstraktionsstufe der wahrscheinlichkeitstheoretischen Modeliierung aufgreifen und mit der Objektebene verknüpfen muß, verläuft das Vorgehen unter (2) in umgekehrter Richtung. Hier wird der Entscheidungsträger zunächst mit unmittelbar objektbezogenen Größen konfrontiert und bildet den Sachzusammenhang anschließend im wahrscheinlichkeitstheoretischen Modell ab. Die Implikationen für den praktischen Einsatz lassen sich an einem Beispiel verdeutlichen. Das Schätzobjekt sei das Nachfragevolumen für ein neu einzuführendes Produkt. Als Aussagevarianten sind damit zu unterscheiden, stetig verteilten Merkmals X gilt p(x} = 0, jedoch der Umkehrschluß p(-,x} = 1 unzulässig ist. Vgl. die Erläuterung am Beispiel der Axiomatik der geometrischen Wahrscheinlichkeit von Georges L.L. Buffon (Nadelproblem) bei Gabor J . Sdkely, Paradoxes in Probability Theory and· Mathematical Statistics, S. 43. 80 Anspielend auf die axiomatisch abgesicherte Vorgehensweise der Entscheidungstheoretiker äußern George A. Diamond und James S. Forrester: "Thus, a 0.6 chance that some probability is 0.7 and a 0.4 chance that it is 0.9 is reduced- in their view, without loss- to a single point estimate: 0.6 x 0.7 + 0.4 x 0.9 = 0.78." Dies., Metadiagnosis: An Epistemologie Model of Clinical Judgment, S. 134. 81 Wird auf die Einführung von Vorgaben verzichtet, geht es zumeist um den graphischen Entwurf einer Verteilung; vgl. Abschn. 4.4.

82 Vgl. Carl S. Spetzler / Cari-Axel S. Stael von Hol3tein, Probability Encoding in Decision Analysis.

4. Likelihood-Schätzungen

121

(1) mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf mehr oder weniger Nachfrage zu stoßen und (2) ein bestimmtes Nachfragevolumen für mehr oder weniger wahrscheinlich zu halten. Unter (1) könnte dann die Aufforderung verkürzt lauten: "Geben Sie die Höhe der jährlichen Nachfrage an, bei der zu erwarten ist, daß sie mit einer Wahrscheinlichkeit von (1a) 90%, (1b) 50%, (1c) 10% überschritten wird." Die Vorgabe nach (2) könnte die Form haben: "Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß die Nachfrage (2a) 10.000 ME, (2b) 15.000 ME, (2c) 20.000 ME überschreiten wird?" Diese hier zunächst formal zu konstatierende Unterscheidung der Aufgabenstruktur83 kann in abweichenden Schätzergebnissen resultieren und wird daher in der Auseinandersetzung mit den Gewinnungsverfahren näher zu betrachten sein84 • Der Schätzung einzelner Wahrscheinlichkeiten respektive Merkmalsausprägungen liegt ein iterativer Prozeß zugrunde, sei er explizierter Gestalt oder auch nur der gedanklichen Aufbereitung immanent. Ohne diese Annahme könnte unterstellt werden, daß der Entscheidungsträger ohne Überlegung ad hoc zu einem Resultat gelangt, welches sein höchstes Zutrauen genießt. Die Iterationsschritte repräsentieren einen Kalibrierungsprozeß. In beiden Varianten der Schätzaufgabe wird der Entscheidungsträger daher versuchen, sich an die Intervallgrenzen seines höchsten Zutrauens anzunähern. Die Orientierung am eigenen Zutrauen in die Richtigkeit einer Schätzung wird dabei beeinfl.ußt durch den zumeist von außen vorgegebenen Bestimmtheitsgrad, mit dem ein Urteil über Wahrscheinlichkeiten oder Merkmalsausprägungen vorgenommen werden soll, und dem ebenfalls von außen oder aber subjektiv geforderten Zuverlässigkeitsniveau der Schätzung. Bestimmtheit und Zuverlässigkeit sind negativ korreliert. Maximale Bestimmtheit liegt vor bei einer einwertigen Schätzung, und die Zuverlässigkeit erreicht ihr Maximum bei einer Aussage, die den Möglichkeitsraum unbeschränkt läßt respektive die Menge aller objektiv möglichen Ereignisse umfaßt. Das Zutrauens des Entscheidungsträgers zu seiner eigenen Schätzung wird damit um so höher sein, je geringer der Grad der Festlegung ist. Andererseits hängt jedoch vom Grad der Einengung die Verwertbarkeit der Information ab. Unzureichende Diskriminanz auf dieser Ebene bedingt, daß auch hierauf aufbauende Kalküle nicht auf dem für begründete Entscheidungen erforderlichen Diskriminanzniveau getroffen werden können85 . 83 Wolfgang Mag verweist analog auf die typische Abfolge bei betrieblichen Planungsüberlegungen; den Bedingungsteil nimmt üblicherweise die unsichere Konstellation der Umweltzustände ein, auf die hin geplant wird: "Wenn die Situation z eintritt, dann zeigt Handlungsalternative a die vorteilhaftesten Konsequenzen", im Gegensatz zu "Wenn gemäß der Handlungsalternative a vorgegangen wird, dann führt die Situation z zum größtmöglichen Erfolg''. Vgl. ders., Entscheidung und Information, S. 53.

84

Vgl. Abschn. 4.4.2.

Bei der Investitionsentscheidung für die industrielle Fertigung eines neuartigen Produkts ist die Schätzung der zu erwartenden Perioden-Nachfrage nicht allein im Sinne einer Entschei85

122

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten Bestimmtheit

0

Zuverlässigkeil

Abbildung 4-4. Bestimmtheit und Zuverlässigkeit von Vorhersagen

Bestimmtheit und Zuverlässigkeit stehen daher in einem Substitutionsverhältnis86. Die Abb. 4-4 stellt den Zusammenhang schematisch dar. Die unterbrochenen Linien kennzeichnen externe oder subjektiv gegebene Schwellenwerte, bei deren Unterschreitung eine Schätzung nicht verwertbar wäre beziehungsweise der Urteilende sich außerstande sieht eine begründete Vermutung anzustellen. Diese Zustand entspricht der Interpretation 50%-Punktes auf der Glaubwürdigkeitsskala. Die Krümmung der Isoquante, durch die unterschiedliche Aufbereitungsformen eines gegebenen Informationstandes widerspiegelt werden, deutet an, daß die Austauschproportionen nicht konstant

dung für oder gegen das gesamte Projekt wesentlich, sondern auch für die Eingrenzung der in Frage kommenden Fertigungsverfahren. Hinter einer Schätzung, die auf Gleichverteilung im Intervall [10.000, 80.000Jlautet, können sich bereits mehrere kostenverschiedene verfahrenstechnische Lösungen verbergen, die dem Vorhaben unterschiedliche Attraktivität geben. 86 In der Würdigung der Konzeptualisierung unscharfer Urteilsgrundlagen für Entscheidungen konstatiert Michael Gaitanides: "Ein hoher Präzisionsgrad ist in der Regel unverträglich mit einem hohen Komplexitätsgrad des Originals, da Komplexität und Präzision dergestalt miteinander invers verknüpft sind, daß mit zunehmender Problemkomplexität Abbildungsprozesse auf unexakte Begriffe angewiesen sind. Unter dieser Prämisse ist es methodologisch unbefriedigend, vage konzeptualisierte Modelle in analytischer Weise zu behandeln." Ders., Planungsmethodologie, S. 127. (Anm.: Der Präzision entspricht in der hiesigen Begriffsbildung die Bestimmtheit; die Problemkomplexität zielt konkret auf die einer zuverlässigen Aussage entgegenwirkenden Effekte der Varietät durch Kontingenz.)

4. Likelihood-Schä.tzungen

123

sind. Der dargestellte konkave Verlauf stellt sich ein für den idealtypischen Fall, daß die einwertige Schätzung auf den Erwartungswert einer eingipfligen und symmetrischen Verteilung lautet: Mit der Verminderung der Bestimmtheit durch konzentrische Ausdehnung der Intervalle um diesen Wert verringert sich der Zugewinn an Zuverlässigkeit durch jede weitere Ausdehnung. Die Werte der Verteilungsfunktion für die betreffenden zentralen Konfidenzintervalle bilden diesen Zusammenhang ab. Die Normierung beider Skalen in der Skizze auf das Intervall [0, 1] erfolgt ebenfalls aus der wahrscheinlichkeitstheoretischen Perspektive: Wird ein abzählbares Merkmal unterstellt, so kann das Bestimmtheitsmaß als Kehrwert des Verhältnisses benannte Intervallbreite zu Einheitsintervall interpretiert werden und das Zuverlässigkeitsmaß als Wert der zugehörigen Zähldichte. Die schematische Darstellung trägt jedoch zumeist nur in einem abstrakten Sinn zur Verdeutlichung des Zusammenhangs bei; ohne den Ort auf der objektiven Verteilung lokalisieren zu können, sind die Differenzrelationen zwischen Einengungen oder Ausweitungen des Schätzintervalls nicht zu bestimmen87 . Unabhängig von diesem Austauschverhältnis, das heißt auf jedem beliebigen Punkt einer gegebenen Isoquante, ist darüber hinaus die formale Variation des Bestimmtheitsgrades zu berücksichtigen. Diese findet ihren Ausdruck in der Informationshaltigkeit einer Verteilungsschätzung88 . Während die Diskussion der beiden methodischen Alternativen zur Bildung des Likelihoods die Vorteilhaftigkeit des merkmalsorientierten Ansatzes nahegelegt hat, begründet die wahrscheinlichkeitstheoretische Perspektive die umgekehrte Vorgehensweise: Der maximale lnformationsgehalt, definiert als Kehrwert der Entropie, stellt sich ein bei gleichmäßiger Verteilung der gesamten Wahrscheinlichkeitsmasse auf die Intervalle. In Abhängigkeit von der Anzahl der gewünschten Stützstellen stehen damit die Intervallgrenzen, zu denen Merkmalsausprägungen zu schätzen sind, fest 89 . Die Zusammenhänge lassen sich graphisch anhand der in Abb. 4-5 wiedergegeben Entropiefunktion 87 Jürgen Wild weist auf die Problematik der Bestimmung eines optimalen Verhältnisses von Bestimmtheit und Zuverlässigkeit hin und folgert: "Es kann dazu lediglich als vernünftiger Grundsatz ( ... ) die Regel formuliert werden: Informationsgehalt soviel als für die Problemlösung nötig, Sicherheit(sgrad) soviel wie (dann noch} möglich." Ders., Unternehmerische Entscheidungen, Prognosen und Wahrscheinlichkeit, S. 77 (i.O.m .Hv.) 88 Vgl. zur Illustration des informationstheoretischen Konzepts z.B. Samuel K otz/ Donna E. Stroup, Educated Guessing: How to Copein an Uncertain World, Ch. 4. 89 Für die festzustellenden Werte der Verteilungsfunktion F(:r) gilt: Xs = {:r; I F(:r;} = n~l ·i mit i = 1, ... , n} . In Abhängigkeit von der Anzahl Stützstellen (n) ergeben sich folglich: n = 4 -+ F(x) = (0.2, 0.4, 0.6, 0.8}, n = 3 -+ F(x} = (0.25, 0.5, 0.75}, n = 2 -+ F(x) = (!, ~ ). Obgleich für eine Verteilungsschätzung ohne zusätzliche Informationen auszuschließen, verdeutlicht der spezielle Fall einer einzigen Stützstelle die informationstheoretische Grundannahme: Zu wählen ist der Erwartungswert F(:r} = 0.5, mit der Konsequenz, daß die Beobachtung einer Merkmalsausprä.gung oberhalb wie unterhalb dieses Schwellenwertes gleichermaßen (un}erwartet bzw. "überraschend" wäre.

124

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

veranschaulichen 90 . Der parabelförmige Verlauf der Funktion läßt erkennen, daß die Substitution zweier Werte an genau einer Stelle p durch Werte, die in gegensätzlicher Richtung gleichweit von diesem Abszissenwert entfernt liegen (P-.ö., P+.ö.), in der Summe zu einem niedrigeren Funktionswert führen , mithin die Informationshaltigkeit eines so beschriebenen Systems geringer ist. Zugespitzt auf ein extremes Beispiel: Die Angabe eines Likelihoods für die zu erwartende Absatzmenge der folgenden Periode von p(x p(e 1 ) + p(e 2 ) - p(e 1 /\ e 2 ). An254

Vgl. J . Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 143{.

"When uncertainty is assessed in terms of propensities, arguments, or confidence, it is less obvious that the probabilities should add up to unity - even if it is known with certainty that one of the alternatives is correct." Daniel Kahneman I Amos Tversky, Variants of Uncertainty, S. 519. 255

256 Vgl. Baruch Fischhoff I Paul Slovic / Sarah Lichtenstein, Fault Trees: Sensitivity of Estimated Failure Probabilities to Problem Representation, S. 333ff. 257 Vgl. Chester L. Olson, Some Apparent Violations of the Representativeness Heuristic in Human Judgment, S. 600ff.

u•

164

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

dererseits führt die direkte Gegenüberstellung häufig dazu, p(e1 V e2 ) niedriger zu schätzen als den Eintritt eines der Ereignisse. Sind dagegen Ereigniskonjunktionen zu schätzen, wird entgegen der Bedingung p(e 1 1\ e2 ) S min{p(et), p(e2 )} oftmals das gemeinsame Auftreten für wahrscheinlicher gehalten als der Eintritt eines der Einzelereignisse258 . Aus Untersuchungen zu Schätzaufgaben dieses Typs berichten Beach u.a., daß die Probanden mehrheitlich versuchten, ihr Urteil aus einer kausalen Interpretation abzuleiten259 . Für die bislang aufgezeigten systematischen Abweichungen ergeben sich notwendige Korrekturen unmittelbar aus dem WahrscheinlichkeitskalküL Die Bildung und Verarbeitung bedingter Wahrscheinlichkeiten kann daneben zu Beeinträchtigungen aufgrund der Fehlinterpretation regelkonform bestimmter Likelihood-Schätzungen führen. Yates weist auf die verbreitete Neigung hin, zwischen den als gegeben unterstellten Ereignissen und denjenigen, die aufgrund dieser Beschränkung des Ereignisraumes betrachtet werden, keinen Unterschied zu machen und p(ede2 ) = p(e 2 1et) zu setzen260 . Äquivalenz ist hier nur gegeben, wenn p(e 1 ) = p(e 2 ) gilt. Darüberhinaus kommt es analog der bereits angesprochenen Verzerrung bei hierarchisch verknüpften Ereignissen zu Überschätzungen der Wahrscheinlichkeit für gemeinsames Auftreten 261 , so daß p(e 1 1\ e 2 ) > p(e 1 le 2 ) • p(e 2 ). Auch die Wahrscheinlichkeit für das gemeinsame Auftreten unabhängiger Ereignisse wird typischerweise überschätzt 262 und nicht in vollem Umfang der multiplikativen Verknüpfung gemäß nachgeführt. Während lnkohärenzen in letzterem Fall nur selten auf die Intervention kausaler Erklärungsmuster deuten, sind die Abweichungen vom normativen Kalkül bei der Anpassung aufgrund zusätzlicher Informationen diesem Einfluß in besonderer Weise ausgesetzt. Die beobachteten Differenzen der Wahrscheinlichkeiten a priori und a posteriori weisen in der Gegenüberstellung mit der nach dem Bayes- Theorem bestimmten Korrektur dabei sowohl auf ausgeprägt konservative als auch übersteigerte Anpassungen 263 . Die Relation der zu verknüpfenden Likelihoods erfährt offensichtlich Verstärkung oder Dämpfung entsprechend vermuteten kausalen Hintergründen. Die methodisch bedingten Verzerrungen zeigen die Abhängigkeit des subjektiven Unsicherheitsgrades von der Problemstruktur. Eine allgemeine 258 259

I Daniel Kahneman, Judgments of and by Representativeness, S. 90ft'. Vgl. Lee Roy Beach I Valerie E. Barnes /Jay J.J. Christensen-Szalanski, Beyond Heuristics Vgl. Amos Tversk'!!

and Biases: A Contingency Model of Judgemental Forecasting, S. 149. 260

Vgl. J. Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 129.

261

Vgl. Amos Tversky I Daniel Kahneman, Causa! Schemas in Judgments Under Uncertainty,

262

Vgl. J . Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 130f.

s. 122ft'.

Vgl. Ward Edwards, Conservatism in Human Information Processing, S. 360ft'; J. Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 136. 263

165

4. Likelihood-Schätzungen

Beschreibung für die Kategorie hierarchisch verknüpfter Wahrscheinlichkeiten gibt das Ellsberg-Paradox264 . Am Beispielzweier Urnen, auf die verschiedenfarbige Kugeln verteilt sind, lassen sich die Voraussetzungen für die Entstehung des Effekts simulieren265 : In der ersten Urne befindet sich eine Mischung aus 200 weißen Kugeln und 100 roten Kugeln. Bei der Ziehung einer Kugel aus dieser Urne (ZI) entfällt damit auf die Farbe Weiß eine Wahrscheinlichkeit von ~ und auf das Ziehen einer roten Kugel die Wahrscheinlichkeit ~- Eine zweite Urne weist genau die gleichen Relationen auf, wobei anstelle weißer Kugeln schwarze verwendet werden.

zl

= {weiß, rot,

mit p- ~ 3 mit p- - !3

z2 =

{schwarz, rot,

mit p~ -3 mit p

=

~

Der Ziehung aus einer der beiden Urnen wird ein Münzwurf vorgeschaltet, der darüber entscheiden soll, welche der Urnen zum Zuge kommt, es gilt damit p(Z;) = 0, 5. Zur Teilnahme an dieser mehrstufigen Lotterie wird der Versuchsperson die Auswahl unter zwei Losen (a 1 , a 2 ) angeboten. Das eine verspricht einen Gewinn (x) im Fall der Ziehung einer roten Kugel, anderenfalls erhält der Spieler nichts. Bei dem zweiten Los erhält der Spieler bei Ziehung einer weißen Kugel den Gewinn und in den übrigen Fällen nichts. In einer zweiten Runde werden die Lose mit folgenden Gewinnchancen ausgegeben:

x,

a~ = { 0,

x,

bei weiß bei schwarz bei rot

a; =

{

x,

x,

0,

bei weiß bei schwarz bei rot

Obwohl die Wahrscheinlichkeiten eines Gewinns innerhalb der Losalternativen a und a' äquivalent sind, kann es im Urteil des Entscheidungsträgers hier zu einer Umkehrung der Präferenzen kommen. Für die Darstellung dieses Ambiguitäts-Effekts wird häufig auch eine andere Konstellation gewählt 266 . Es handelt sich um Lotterien mit zwei möglichen Ausgängen, wobei für die eine Variante bekanntgegeben wird, daß beide Ausgänge gleichwahrscheinlich sind, und für die andere, daß die Ereigniswahrscheinlichkeit unbekannt ist. Typischerweise fallen die angebotenen Einsätze zur Teilnahme an der ersten Lotterie höher aus als für die zweite, analog der Präferenzen a 1 >- a2 und a~ >- a~ . Während sich jedoch die Argumentation zugunsten der Indifferenz 264

Vgl. Daniel Ellsbery, Risk, Ambiguity, and the Savage Axioms.

265

Vgl. David H. Krantz u.a., Foundations of Measurement, Vol. 1, S. 210!.

Vgl. z.B. Hans-Werner Sinn, Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit, S. 24ff; J. Frank Yates , Judgment and Decision Making, S. 32f; Robyn M. Dawes, Rational Choice in an Uncertain World, S. 165ff. 266

166

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

beim letztgenannten Lotteriepaar auf das Prinzip des unzureichenden Grundes stützen muß und die Kritik der Beobachtungen damit von der Anerkennung dieses Prinzips als Entscheidungsprämisse abhängt 267 , lassen die ersten beiden Lotterien eine Interpretation ausschließlich auf Basis der Struktur des Entscheidungsproblems zu. Zur Illustration der Verletzung der Produktregel für unabhängige Ereignisse ist es sinnvoll, die Verknüpfung der Ereigniswahrscheinlichkeiten sowohl bezogen auf einen Zufallsprozeß als auch im Hinblick auf verschiedene Prozesse zu betrachten. Das bereits im vorangegangenen Abschnitt vorgestellte Beispiel zur Statistik der Flugzeugabstürze wird den ersteren Fall näher beleuchten. Dawes legt dar, daß mit Hilfe wahrscheinlichkeitstheoretischer Analyse der Zufallscharakter der festgestellten Häufungsmuster einwandfrei festzustellen ist 268 : Gegeben die Wahrscheinlichkeit Pr für den Eintritt eines Unglücksfalles an einem beliebigen Tag, läßt sich zeigen, daß die Wahrscheinlichkeit für j aufeinanderfolgende unglücksfreie Tage größer ist, als für eine längere Folge, an deren letztem Tag sich ein Unglücksfall ereignet269 . Die Basis dieses Kalküls führt zurück auf die Diskussion der Risikobewertung270 und verleiht der dort festgestellten Ambiguität Nachdruck. Die Disjunktion von Ereignisräumen führt zu einer Interpretation der Unabhängigkeit. Dawes legt der Berechnung der Unglückswahrscheinlichkeit an einem beliebigen Tag die registrierte Ereignishäufigkeit während eines Zeitraums von 20 Jahren zugrunde 271 . Definiert ist damit die Grenzrate einer absoluten Häufigkeit, normiert auf ein Zeitintervall272 . Das Zeitraster kann nun auch anders gewählt werden: Wird auf das Zeitintervall Stunde normiert, läßt sich die Wahrscheinlichkeit nach neuer Ereignisdefinition verkürzt als Pstd = ~ darstellen. Der Produktregel für unabhängige Ereignisse folgend, beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen Flugzeugabsturz während eines Tages Pr = (1 - Pstd? 3 • Pstd· 267

Zur Kritik vgl. weiter unten.

268

Vgl. Robyn M. Dawes, Rational Choice in an Uncertain World, S. 81ff.

Zur Begründung nennt Robyn M. Dawes die Relation (1- p)1 > (1- p)k · p, für j < k. Vgl. ebd. S. 82. Anm.: Jede Verlängerung einer beliebigen Folge unabhängiger Ereignisse vermindert die Eintrittswahrscheinlichkeit des Ganzen, gegeben p < 1. Eher zu der oben dargestellten Situation scheint die Beziehung (1- p)1 > (1- pjJ- 1 · p, für p < 0, 5, zu passen. 269

270

Vgl. Abschn. 3.1.

Robyn M. Dawes und Russe! Vaught untersuchten die Anzahl Tage zwischen den Unglücksfällen und definierten ihr Zufallsmodell über die Festlegung einer konstante Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Unglücksfalles an einem beliebigen Tag. Kontrollrechnungen anband kürzerer Intervalle innerhalb dieses Zeitraums ergaben, daß kein Trend zu berücksichtigen war und ein konstantes p nahezu perfekte Vorhersagen ermöglichte. Anm.: In Anbetracht der starken Zunabme des Flugverkehrs im betrachteten Zeitraum (1950 - 1970) deutet dies darauf hin, daß sich die Ereigniswahrscheinlichkeit deutlich verringert hat. 271

272 Durch Kürzen des Ausgangsverhältnisses oder über die Grenzrate relativer Häufigkeit nach dem allgemeinen Disjunktionsprinzip (~=~= I p;- (n-~+1 )pn- i+l, mit n :=durchschnittliche Anzahl Flüge je Tag) kann diese direkt gewonnen werden.

4. Likelihood-Schätzungen

167

Bei maximalem p erreicht dieser Ausdruck sein Maximum 273 . Da PT < 1 vorausgesetzt werden kann, ist p~ in jedem Fall kleiner. Oberflächlich scheinen sich die Aussagen von PT und p~ nicht zu unterscheiden. Beide bringen jedoch auf sehr unterschiedliche Weise zum Ausdruck, wie groß das Absturzrisiko an einem beliebigen Tag ist. Während PT nur angibt wie wahrscheinlich es ist, daß das betrachtete Ereignis eintritt, stellt p~ eine Angabe zum spezifischen Verlauf dar, namentlich des Umstands, daß sich innerhalb beliebiger 24 Stunden 23 befinden, in denen es zu keinem Unglück kommt, und eine, während derer ein Absturz registriert wird. Indem Ereignisse auf der Zeitachse definiert werden und nicht dimensionsgleich in Relation zur ihrer Grundgesamtheit, ergeben sich sowohl zusätzliche Probleme Konzeptualisierung der Aufgabenstellung als auch bei der unverfälschenden Definition von Ereignissen 274 . So lehnt es Knight in einer vergleichbaren Situation strikt ab, von gültigen Wahrscheinlichkeiten im Sinne einer mathematisch traktablen a priori Konstellation zu sprechen 275 . Die Ambiguität ist daher sachlich begründet; sie findet ihren Niederschlag in Anwendungsgrenzen der Methodik und weniger in mangelnder Fertigkeit der Urteilenden. Unter Vernachlässigung der Frage des dimensionsverschiedenen Bezugs einer Wahrscheinlichkeit tritt als weiterer Aspekt die Relevanz und Interpretation von Verkettungen unabhängiger Ereignisse eines Zufallsprozesses hervor. Ebenfalls am Beispiel des Absturzrisikos, diesmal jedoch unter Verwendung der Ereigniswahrscheinlichkeit, das heißt der Grenzrate relativer Häufigkeit, hebt Dawes hervor, daß dem Ereigniseintritt mit Verlängerung der Folge eine geringere Wahrscheinlichkeit zukommt 276 . Diese Darstellung führt offensichtlich in die Irre: Das Absturzrisiko auf einem beliebigen Flug ist unabhängig davon, an welcher Stelle einer Sequenz von Ereignissen diese Betrachtung angestellt wird; einzig die Folge als Ganze hat, wie oben bereits formal dargestellt, mit zunehmender Länge eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit. Die Neigung, beide Interpretationen zu vermischen und Wahrscheinlichkeitsremanenz auszulösen, läßt sich an einer einfachen Konstruktion darlegen. 273 Es gilt dabei 0 :$ PT :$ 1. Allgemein formuliert: Das Maximum der Funktion f(p) = {1- ~Dn-l !i ist im Bereich n > 1 unabhängig von der Aufteilung in Zeitintervalle (n). Anhand der ersten Ableitung f'(p) = (1- !iln-2 · ~ ist ersichtlich, daß p = 1 zu einem Extremwert führt. Da f"(p) < 0 bei n > 1, handelt es sich um ein Maximum.

·

274 Die alternative Normierung im Beispielfall bringt letzteres deutlich zum Ausdruck: Könnte nicht auf Zeitverschiebungen rund um den Erdball verwiesen werden, ließe sich die Annahme einer im Laufe des Tages konstanten Wahrscheinlichkeit in jeder Stunde nicht rechtfertigen. 275 " ... no one would assert confidently that the chance of a particular building burning on a particular day is ,really' {a priori, A.d .V.) of any definite assigned value." Frank H. Knight , Risk, Uncertainty, and Profit, S. 211. 276 " ... the most probable flight on which the next fatality occurs is the very next flight." Robyn M. Dawe•, Rational Choice in an Uncertain World, S. 311.

168

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Audley entwirft die Versuchsbedingungen für den Nachweis dieses überkonservativen Schätzverhaltens wie folgt 277 : Zwei Taschen sind gefüllt mit einer großen Anzahl Poker-Chips; in der einen befinden sich im Verhältnis 7 : 3 rote und blaue Chips, für die andere gilt das umgekehrte Verhältnis der Farbanteile. Es ist eine Stichprobe von zwölf Chips aus einer der beiden Taschen gezogen worden, darunter acht rote und vier blaue Chips. Welche Wettquote bildet nun die Chance, daß die Stichprobe aus der Tasche mit dem höheren Rot-Anteil stammt, in geeigneter Weise ab? Eine repräsentative Antwort auf die Frage lautet drei zu eins gegen die Tasche mit dem höheren Blau-Anteil, die richtige Antwort lautet auf dreißig zu eins, also einer berechneten Wahrscheinlichkeit von 0, 97 gegenüber 0, 75 als durchschnittlicher Schätzung278 • Ein Weg, um Abweichungen in der subjektiven Einschätzung auf die Spur zu kommen, liegt in der Differenzbetrachtung: Welches sind die Chancen, von einem Resultat, das beide Taschen gleichwahrscheinlich erscheinen ließe (6 : 6), zu einem Ziehungsergebnis zu gelangen, das die Hypothese zugunsten einer der beiden Taschen rechtfertigt? Zu berücksichtigen ist in diesem Fall die Relation der Chancen, einen oder zwei rote Chips entweder aus der Tasche "blau" oder "rot" zu ziehen. Diese Relation lautet auf rund 2 : 1 beziehungsweise 5 : 1. Während wahrscheinlichkeitsrechnerisch die Berücksichtigung der gesamten Sequenz von Ziehungen gefordert ist, werden auf diese Weise Teile des Zufallsprozesses ausgeblendet. Im extremen Fall einer Ziehung von zwölf roten Chips lautet die Quote 26.045 : 1 zugunsten der Tasche "rot", entsprechend einer Wahrscheinlichkeit von 0.99999. Selbst nach strengen Maßstäben besteht an dem Urteil zugunsten der Tasche "rot" kein Zweifel. Dennoch ist anzunehmen, daß die Neigung, eine oberflächliche, im günstigsten Fall nach dem obigen Differenzschema begründete Beziehung zwischen den Objekten herzustellen, keine derart deutliche Diskrepanz plausibel erscheinen läßt. Die geforderte Analyse von Verhältnissen relativer Häufigkeiten wird daher überlagert durch die isolierte Betrachtung relativer Häufigkeiten.

Die verzerrte Wahrnehmung in Verknüpfungen unsicherer Ereignisse insbesondere der Überschätzung von Ereigniskonjunktionen gegenüber den vereinzelten Ereigniswahrscheinlichkeiten -kristallisiert sich in der Anfälligkeit gegenüber materiellen Fallen, dem sogenannten Dutch book279 • Wetten, 277 Konstruktionen nach diesem Schema sind von Ward Edwards und Howard Raiffa neben anderen verwendet worderi und führten zu vergleichbaren Resultaten. Vgl. Ward Edwards, Conservatism in Human Information Processing, S. 361; Bruce F. Baird, Managerial Decisions under Uncertainty, S. 250ff. Zu einer erweiterten Variante, dem Vergleich von diskreten Verteilungen mit drei Ausprägungen, vgl. Maya Bar-Hillel, Studies of Representativeness, S. 70ff. 278

V 1R b J A dl Wh Mak U M' d? S (A . g · o ert · U ey, at es Pa ln ·' · 45 · nm ..

8xrotA4xblau Taoeherot _ aache au -

p 8xrotA4Xb au

g:;::g:~: ~ 30, Audley gibt als richtige Lösung 33:1 an.) 279 Vgl. z.B. J. Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 138ff; Detlof von Winterfeldt / Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research, S. 101.

4. Likelihood-Schätzungen

169

die in eine materielle Falle führen, können auf zweierlei Weise entstehen280 : eine Partei wird (1) mit Sicherheit verlieren oder (2) möglicherweise einen Verlust hinnehmen müssen, jedoch in keinem Fall gewinnen. Sollen bei der Konstruktion eines Dutch book bedingte Wetten berücksichtigt werden, so geht es im Regelfall um Wetten des Typs (2), der die Situation der Unentscheidbarkeit einschließt. Danach erhält die Wette folgende Struktur: Q(e) bezeichnet den Wettquotienten, das heißt das Verhältnis des Einsatzes zum Auszahlungsbetrag im Falle des Eintretens von e. Divident und Divisor sind endlich, und der Auszahlungsbetrag ist größer Null. Hiernach gilt stets ein Wettquotient mit 0 ~ Q( e) ~ 1. Für jede beliebige Menge von Wetten existiert eine zugehörige Menge möglicher Auszahlungsbeträge. Ist die Summe der Einzahlungen nicht geringer als irgendeiner der möglichen Auszahlungsbeträge, jedoch größer als einige der möglichen Auszahlungen, so besteht das Dutch book gegenüber dem Wetter; ist die Summe der Einzahlungen nicht größer als irgendeiner der möglichen Auszahlungsbeträge und kleiner als einige der möglichen Auszahlungen, gilt das Dutch book dem Buchmacher281 • Die Aussagekraft dieser klassischen Analyse zum Überzeugungsgrad des Urteilenden ist jedoch geschwächt durch die Strenge der impliziten Annahmen. So bedeutet der Ausschluß eines sicheren Verlusts einer Partei strenge Kohärenz, das heißt der sichere Gewinn auf einer Seite muß ebenfalls ausgeschlossen werden, um die Kohärenz des Wettsystems zu gewährleisten eine Beschränkung, die aus Sicht der einzelnen Partei offensichtlich nicht plausibel ist 282 • Wie Baillie betont, ist auch mit der "schwachen" Kohärenzanforderung noch kein hinreichender Aufschluß über den Überzeugungsgrad des Wetters zu erzielen283 • Bei der unter "fairen" Bedingungen geforderten Umkehrbarkeit erhält daneben das bereits angesprochene Negations-Axiom der Wahrscheinlichkeitstheorie, p( ....,e) = 1 - p( e), Gewicht: Soll nicht das zu Ergründende bereits als Annahme in den Kalkül aufgenommen werden, steht es dem Urteilenden zweifellos frei, indifferent gegenüber beliebigen Paarungen von Wettquotienten zu sein284 . Schneider nimmt sich unter anderem dieser Einwände an und muß konstatieren, daß sie zwar durch methodologische Vorentscheidungen überwunden werden können285 , jedoch außerhalb des 280

Vgl. Brian Ellis, The Logic of Subjective Probability, S. 131.

281

Vgl. ebd.

282

Vgl. Patricia Baillie, Confirmation and the Dutch Book Argument, S. 395.

because of considerations of stake, fortune, temperament, a man's betting behaviour does not uniquely mark out his degree of belief." Ebd., S. 396. 283 " . ..

284 Ebd. Zur Gültigkeit des Vollständigkeitsaxiom vgl. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 234. 285 Danach ist der rationale Wettquotient " ... nichts anderes als der Marktpreis auf einem atomistischen vollkommenen Markt für Wetten." Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, s. 235.

170

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

theoretischen Diskurses damit kein Weg zur Lösung der Meßbarkeitsprobleme subjektiver Unsicherheitsgrade gefunden ist. Tabelle 4-1. Korrelationsdaten Verteilung 1

2 3

el\z 50 0 50

e 1\ -,z 0 50 0

-.e 1\ z 50 50 0

-,eA •Z

0 0 50

Pr(zle)- Pr(zl-.e)

0 -1 1

Bei der Ermittlung von Korrelationen aus Rohdaten kann es zur Anwendung irreführender Prüfschemata kommen. Typische Situationen entstehen, wenn anhand beobachtbarer Charakteristika des Zustandsraumes auf unbeobachtbare Eigenschaften geschlossen wird oder zeitlich vorausgehende Ereignisse als Indikatoren für das zukünftige Vorliegen eines bestimmten Zustandes verwendet werden. Ein extremes Beispiel stellen die Untersuchungsergebnisse von Smedslund dar 286 • Die in Tab. 4-1 wiedergegebenen drei Verteilungen zur Häufigkeit von Ereignis und Zustand waren in der Studie mit einem Symptom und einer Diagnose identifiziert. Auf die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen Symptom und Krankheit bestehe, stellten sich folgende Ja/NeinKombinationen zu den drei Verteilungen ein: (1) 31 : 4, (2) 4 : 31 und (3) 34 : 1. Die Differenz der Proportionen in der rechten Spalte zeigt, daß aus den Verteilungen (2) und (3) jeweils ein perfekter positiver beziehungsweise negativer Zusammenhang abzulesen ist, wohingegen die erste Verteilung keinerlei Hinweis auf eine Korrelation von e und z enthält. Diese Resultate bestärken die Schlußfolgerungen aus Untersuchungen zur Handhabung logischer Kalküle 287 • Fehlgeleitete Interpretationen treten verstärkt auf, wenn sich Rückschlüsse lediglich auf einen Ausschnitt der Kombinationsmöglichkeiten stützen. Einhorn und Hogarth führen die überoptimistische Einstellung hinsichtlich der Stärke wahrgenommener Korrelationen zudem auf den sogenannten Behandlungseffekt zurück288 . Beide Faktoren fördern die Illusion der Gültigkeit angenommener Korrelationen. Den Aspekt des partiellen Zugangs zu relevanten Informationen veranschaulicht das Beispiel Bewerberauswahl: Ein bestimmtes Verhältnis der durch eingestellte Bewerber gezeigten Leistung zur Leistungserwartung läßt keinerlei Rückschlüsse auf 286 Vgl. Jan Smedslund, The Concept of Correlation in Adults; zitiert nach J. Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 164ff. 287 Vgl. die Studien von Jonathan St.B.T. Evans (Abschn. 4.3); Dennis L. Jennings I Teresa M. Amabile I Lee Ross, Informational Covariation Assessment: Data.-based Versus Theory-based Judgments, S. 212ff. 288 Vgl. Hillel J. Einhorn I Robin M. Hogarth, Confidence in Judgment: Perstistence of the Illusion of Validity.

4. Likelihood-Schä.tzungen

171

eine positive Korrelation von Kriterien des Auswahlverfahrens und nachfolgender Leistung zu. In ähnlicher Weise stellen sich die Wirkungen des Behandlungseffekts ein. Das Beispiel der Vergabe von Stipendien und anderen Förderungsmitteln veranschaulicht dies: Produktivitätsvergleiche werden regelmäßig zwischen ausgewählten und geförderten gegenüber abgelehnten und nicht-geförderten Kandidaten angestellt. Die Produktivität ist dabei korreliert mit der Förderung, das heißt die Güte des Auswahlprozesses für die Vergabe von Förderungsmitteln wäre erst festzustellen, wenn um den positive Einfluß der Förderung bereinigt werden könnte. Die Problematik der Stützung von Korrelationsannahmen über Ausschnittsbetrachtungen kommt besonders deutlich in der Tendenz zum Ausdruck, bei der Erschließung des Informationsreservoirs auf konsonante Sachverhalte zu prüfen, das heißt Informationen zur Gegenhypothese außer acht zu lassen 289 . Eine typische Situation läßt sich wie folgt skizzieren: Vom Eintritt eines der beiden Zustände z1 und z2 wird sicher ausgegangen. Bislang konnten die Zustände gleichermaßen häufig beobachtet werden, Pr(zl) = Pr(z2 ) = 0, 5, so daß diese Information als Wahrscheinlichkeit a priori Verwendung findet. Im vorhinein zu beobachten sind die Indikatoren e 1 und e2 . Zu prüfen ist, ob die Hypothese zugunsten eines der beiden Zustände über die Korrelation mit den als Indikatoren bezeichneten Ereignissen gestützt werden kann. Tabelle 4-2. Selektion zusätzlicher Informationsfelder ZJ

(Pr= 0.5) ei ""ei e2 ""e2

68% 32%

? ?

Z2

(Pr= 0.5) ? ? ? ?

Wie die Tabelle 4-2 zeigt, ist in der Ausgangssituation lediglich bekannt, in wieviel Prozent der beobachteten Fälle sich das Ereignis e 1 zuvor eingestellt hatte beziehungsweise nicht aufgetreten war. Ohne weitere Information zu den übrigen Häufigkeitswerten tendiert der Urteilende dazu, den Zustand z 1 für wahrscheinlicher zu halten 290 • Zusätzliche Informationen sollen nun in der Rangfolge ihrer Wichtigkeit für die zu treffende Entscheidung eingeholt werden. Sucht der Entscheidungsträger im nächsten Schritt die Information Pr(e 2 jz1 ), kommt es zu einem Positiv-Test, das heißt es werden konsonante 289

Vgl. Jonathan St.B.T . Evans, Bias in Human Reasoning, S. 60ff.

Analog hierzu das Problem unvollständiger Ermittlung von Handlungskonsequenzen Vgl. Wolfgang Mag, Entscheidung und Information, S. 121f. 290

Xij .

172

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Informationen gesammelt, die geeignet sind, die zunächst durch Pr(e 1 lz1 ) scheinbar offenbarte Tendenz zu bestätigen. Würde durch die Information aufgedeckt werden, daß wiederum in mehr als der Hälfte der Beobachtungen der Indikator e2 vorlag, käme es zu einer Pseudobestätigung. Anhand des Bayes- Theorems291 läßt sich der Informationsbedarf analytisch bestimmen: Die vollständige Anpassung der Verteilung a priori mit Hilfe der Indikatorausprägungen erfordert die Kenntnis von Pr(e 1 I\ e 2lz1) sowie Pr(e 1 I\ e2lz2) und führt zu folgendem Kalkül:

Vorhanden ist demgegenüber nur die Information Pr(edzt), und es sei unterstellt, daß die oben angeforderte Randverteilung von e1 und e2 in Abhängigkeit von z nicht zur Verfügung steht. Aus dem Bayes- Theorem ergibt sich damit folgende Lösung für die Reihenfolge zu beschaffender Informationen:

=

0.68 · 0.50 + Pr(e 1\z2) · 0.50 --------~~~~-----

Gesucht ist damit zunächst Pr(edz2 ) und erst in weiteren Informationsschritten kommt die Einbeziehung von e2 zum Zuge. Die Ergebnisse zugehöriger Feldstudien sind nicht einheitlich. Während etwa Yates auf ein ausgeprägtes Ungleichgewicht zugunsten bestätigender Informationssuche stieß292 , berichtet Fox über ein ausgewogenes Verhältnis bei der Einbeziehung potentiell bestätigender und widerlegender Informationsfelder293 . Der am Bayes-Kalkül orientierten Analyse von Wahrscheinlichkeitsimplikationen eines veränderten Informationsstandes wird große Bedeutung beigemessen294, andererseits ist offensichtlich, daß dieser Weg strenge Anforderungen an den Formalisierungsgrad der Informationen und die Begrenzung 291

Thoma.S Bayes, Versuch zur Lösung eines Problems der Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 6ff.

J. Frank Yate• führt die Ergebnisse einer empirischen Studie an, bei der Ärzte aufgefordert wurden, dasjenige Feld Zll benennen, dessen Information ihnen am wichtigsten für die Stützung einer Diagnose der einen oder anderen Krankheit (z1,z2) wäre. e1 und e2 bezeichneten die Symptome Fieber bzw. Hautausschlag. Die Fehlerhäufigkeit bei jeweils drei zu lösenden Problemen verteilte sich wie folgt: kein Fehler: 24%, ein Fehler: 29%, zwei Fehler: 33%, drei Fehler: 14%. Vgl. ders., Judgment and Decision Making, S. 177. 292

293

Vgl. John Fo:z:, Making Decisions Under the lnfluence of Memory.

"In particular, Bayes' theorem occupies a central place in the theory of how an individual's subjective probabilities change in the face of accumulating information." William L. Hays, Statistics, S. 41. 294

4. Likelihood-Schä.tzungen

173

des Informationsraumes stellt. Eine alternative Konstellation veranschaulicht dies: Um eine anstehende Entscheidung zu treffen, sei zu prüfen, ob ein für die Entscheidung günstiges Szenario oder aber ein negatives Szenario glaubwürdig beziehungsweise mit einem höheren Überzeugungsgrad versehen ist. Es kann dabei nicht davon ausgegangen werden, daß diese Szenarien gemeinsam das sichere Ereignis repräsentieren. In gewissem Umfang sind Ausgangsinformationen vorhanden, so daß ein erstes Bild von den Evidenzen (e;) zur Stützung des einen oder anderen Szenarios (z;) gegeben ist. Die zur Lösung des Entscheidungsproblems verfügbare Zeit sowie die Ressourcen sind in einer Weise begrenzt, die das Erreichen vollständiger Information ausschließen 295 . Zwei idealtypische Vorgehensweisen zur Ausschöpfung der zugewiesenen Mittellassen sich hierbei unterscheiden: (1) Paritätische Ergänzung der Informationsbasis zur Beurteilung beider Szenarien oder (2) Auswahl eines Szenarios durch Aufstellen einer Hypothese anband der Eingangsinformationen und Begrenzung der Informationsbeschaffung auf potentiell konsonante Evidenzen. Im Gegensatz zu der engen Betrachtung im vorgenannten Beispiel steht hier das Problem im Vordergrund, überhaupt eine Begründung für das Ergreifen einer bestimmten Handlungsalternative zu finden, das heißt sie in einem absoluten Sinn und nicht allein in Bezug auf andere Alternativen zu rechtfertigen. Als typisches Beispiel für eine solche Entscheidungssituation kann die Personalauswahl gelten. Dies gilt aus zweierlei Gründen: hinsichtlich der Einengung des Kandidatenkreises aufgrundvon Teilinformationen296 , so daß im obigen Sinn entsprechend der Stufung des Verfahrens Hypothesen aufgestellt werden, sowie mit Blick auf die Strategie zur Verfeinerung des Urteilsrasters während der persönlichen Befragung. Hier geht es um die Diskriminanz, und die Parallelen zum hierarchischen Vorgehen im satisficing Ansatz sind unübersehbar. Werden nach dem Paritätsmuster über die gesamte Interviewzeit mit gleichem Zeitaufwand Evidenzen gesucht, die Vorzüge und Unzulänglichkeiten eines Kandidaten hinsichtlich zweier, möglicherweise kaum verwandter Persönlichkeitsprofile aufdecken helfen, so wird die Entschlossenheit, mit der ein Kandidat daraufhin akzeptiert oder abgelehnt werden kann, stets schwächer sein müssen, als für den Fall, daß ab einem bestimmten Zeitpunkt während des Interviews ein Persönlichkeitsszenario in den Vordergrund tritt 295

Verstanden als vereinfachte Abbildung eines grenznutzenorientierten Ressourceneinsatzes.

Die Situation wä.re anders zu bewerten, stellten die Vorinformationen, z.B. Ausbildungs- und Arbeitszeugnisse, ein materielles Dominanzkriterium dar. Bei genügender Bewerberzahl handelt es sich de facto jedoch um ein rein formales Kriterium, indem - "von oben heruntergezählt" eine Anzahl Kandidaten ausgewählt wird, die in der anschließenden Begutachtungsphase mit den verfügbaren Kapazitäten bewältigt werden kann. 296

174

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

und gezielt konsonante Evidenzen gesucht werden. Unsicherheit wird in diesem Sinne als reines Informationsproblem aufgefaßt, das heißt es ist nicht die Absicht des Urteilenden, eine statistische Aussage über die zu erwartende Arbeitsleistung aufzustellen, sondern in einer Reihe von Einzelaspekten297 qualitativ festzustellen, ob gewisse Voraussetzungen erfüllt sind 298 . Daß das einzelne Urteilletztlich statistisch gedeutet werden muß, hängt nach diesem Verständnis einzig damit zusammen, daß der Katalog kausal interpretierter schlußfolgernder lndikatoren 299 unvollständig ist 300 und gegebenenfalls sogar das zur Prüfung vorgegebene Eignungsprofil nicht mit dem Anforderungsprofil korrespondiert. Über einer Rangreihung von Kandidaten führt dies entsprechend zu einer kausalen Interpretation, indem Differenzen als Ausdruck faktischer Unterschiede betrachtet werden. Hervorgehoben ist daher der Erklärungsgehalt des Ursache-WirkungsModells, dem der Urteilende folgt. Eine probabilistische Formulierung über Relationen zu bestimmten Stereotypen scheint aufgrund der Annahme kausaler Verknüpfung sachlich nicht gerechtfertigt zu sein. Die Strukturmerkmale der geschilderten Situation sind repräsentativ für die Art der Schätzaufgaben, wie sie hier im Vordergrund stehen. Ihre Wahrnehmung ist wesentlich von dem subjektiven Eindruck geprägt, eine Ausschnittsbetrachtung aus sich heraus und damit auf kausalem Weg für ein tragfähiges Urteil aufbereiten zu müssen. Werden die Relationen des Schätzobjekts zu dessen Grundgesamtheit übergangen, sind durch den Ausschluß eines wesentlichen Teils des methodischen Instrumentariums verzerrte Urteile zu erwarten301 Ein Vorgehen nach dem Prinzip des unzureichenden Grundes kann über die Methodik des Einsatzes zu Verzerrungen führen, da keine Invarianz gegenüber Transformationen auf der Merkmalsskala besteht302 . Winterfeldt und 297 Daniel Kahneman und Amos Tversky differenzieren zwischen singular (,inside view' ) und distributional information (.outside view') , die in Abhängigkeit von der Einzigartigkeit des Schätzgegenstandes unterschiedliche Relevanz erhalten. Vgl. dies., Intuitive Prediction: Biases and Corrective Procedures, S. 414f; dies., Variants of Uncertainty, S. 516. 298 Während es bei der Ablehnung eines Bewerbers, zumindest aus förmlicher Perspektive, darum geht, Gründe anzugeben, die unvollständige Kongruenz mit dem Anforderungsprofil dokumentieren, erfolgt die Annahme weder explizit noch implizit durch Auflistung von Gründen, denenzufolge der Kandidat nicht abgelehnt wurde, sondern aufgrund einer Argumentationsbasis, die durch das positive Testen maximiert werden kann. 299

Vgl. Abschn. 1.3.

Der sog. halo-effect: Überbewertung einzelner Indikatoren, indem diese genutzt werden, um wiederum auf andere, nicht erhobene zu schließen. Vgl. Baruch Fischhoff, Judgmental Aspects of Forecasting, S. 333; Scott Plous, The Psychology of Judgment and Decision Making, S. 44ff. 300

301 Vgl. Daniel Kahneman / Amos Tversky, Intuitive Prediction: Biases and Corrective Procedures, S. 416f. 302 Auf die Diskussion der empirisch zumeist nicht zu erfüllenden Anwendungsvoraussetzungen wird hier verzichtet. Vgl. jedoch z.B. Hans-Werner Sinn, Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit, Abschn. 3.1.3 Eine Rehabilitation des Prinzips des unzureichenden Grundes, S. 32ff; zur

4. Likelihood-Schätzungen

175

Edwards skizzieren folgendes Beispiel303 : Vom Anteil der alkoholischen Ingredienz eines Gin-Tonic sei lediglich bekannt, daß er zwischen 25% und 75% liegt. Dem Prinzip des unzureichenden Grundes folgend, könnte nun die Dichte als gleichverteilt angenommen werden und, vereinfachend in diskreter Darstellung, die Wahrscheinlichkeit jedes der möglichen Prozentsätze mit festgelegt werden. Mit gleicher Berechtigung könnte jedoch auch das Mengenverhältnis zwischen Gin und Tonic zur Beschreibung des Problems genutzt werden. Hierbei wäre das Intervall 3) zu betrachten, so daß entgegen der eingangs aufgestellten Hypothese- p(Gin>Tonic) = p(Tonic>Gin) nunmehr das Überwiegen des Gin-Anteils mit dreifach höherer Wahrscheinlichkeit zum Tragen kommt.

lo

O,

4.3.5 Perzeption

Die Berücksichtigung elementarer Reizverarbeitungsfunktionen im Kontext des Schätzverhaltens hat zu einer wesentlichen Vervollständigung auch der Analyse hierarchisch höherstehender kognitiver Konzepte geführt 304 . Gegenstand psychophysischer Untersuchungen ist generell die Messung der wahrgenommenen Ausprägungsstärke sensorischer Reize. Mit ihren Wurzeln in der Repräsentationstheorie305 war die Psychophysik bis zum Ende der sechziger Jahre wesentlich geprägt durch das Bemühen, die Tradition naturwissenschaftlicher Meßverfahren aufzunehmen und den Anforderungen metrischer Skalierung in ihren Versuchsaufbauten gerecht zu werden306 . Vorangetrieben durch die Arbeiten von Stevens 301 , ist diese Orientierung gelockert worden, so daß auch schwächere Skalierungsformen in das Forschungsinstrumentarium aufgenommen wurden. Das zentrale Anliegen der metrischen Erfassung von Wahrnehmungen ist damit nicht verdrängt worden 308 , vielmehr wurde eine Voraussetzung zur Modeliierung der Wechselwirkungen zwischen Urteilendem und Schätzobjekt geschaffen. Während das zuvor verwendete zweigliedrige Modell den Kritik der Annahmen vgl. die Diskussion Karl R. Poppers Paradox idealer Evidenz bei Richard C. Jeffrey, The Logic of Decision, S. 196ff; Frank H. Knight, Risk, Uncertainty, and Profit, S. 219. 303

s.

Vgl. Detlof von Winterfeldt f Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research,

110.

304

Vgl. z.B. Baruch Fischhoff, Judgmental Aspects of Forecasting, S. 335.

305

Vgl. Abschn. 2.1.

Vgl. R. Duncan Luce, On the Possible Psychophysical Laws, S. 82f; Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 32. 306

307 Vgl. Stanley S. Stevens, On the Theory of Scales of Measurement; ders., Measurement, Psychophysics, and Utility, sowie die dort gegebenen Literaturhinweise. 308 Hugo Schmale spitzt dieses Anliegen auf die Formel zu: "Es kommt darauf an, herauszufinden, welche Korrekturen anzusetzen sind, wenn wir physikalische Phänomene subjektiv beurteilen." Ders., Psychologie der Arbeit, S. 101.

176

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Urteilenden als ein "Meßinstrument" auffaßte, das im Sinne der klassischen Physik außerhalb des physikalischen Systems steht und insoweit ohne Einwirkung auf dieses System Messungen vornimmt309 , ermöglicht die explizite Aufnahme des Urteilenden und damit auch dessen subjektiver Wahrnehmung von Maßstäben eine sachgerechtere Abbildung und Interpretation der Beobachtungen310 . Das Modell zum Transformationsprozeß hat diese Perspektive veranschaulicht311 . In der Nachfolge Stevens' hat diese vollständigere Formulierung des Untersuchungsgegenstandes daher auch die scharfe Abgrenzung gegenüber der psychologischen Forschung mehr und mehr schwinden lassen 312 . Die Psychologie andererseits verwendet in ihren Versuchsplänen traditionell sensorische Wahrnehmungen als Vehikel der Untersuchung mentaler Prozesse höherer kognitiver Ebenen. Die notwendige Ergänzung der Interpretation beobachteter Reaktionen um die Analyse von Aussagen der Probanden zu ihrer persönlichen Einschätzung und Motivation hinsichtlich der durchgeführten Experimente ist dabei lange Zeit mit wenig Aufmerksamkeit bedacht worden313 . Ebenso sind die Erkenntnisse der Psychophysik zur systematischen Versuchsanordnung erst über die Jahre in der psychologischen Forschung zur Geltung gekommen 314 . Das Erkenntnispotential einer effektiven Verzahnung beider Disziplinen in der Erforschung des Schätz- und Entscheidungsverhaltens kann daher nicht als endgültig abgesteckt gelten. Nicht zuletzt muß dabei in Rechnung gestellt werden, daß die gemeinschaftliche Lösung meßtheoretischer Probleme315 keine Antwort auf die Grundsatzfrage nach den substantiellen Voraussetzungen der Meßbarkeit in beliebigen Bereichen der menschlichen Psyche gibt316 . In der Konsequenz richtet sich die Erörterung der nachfolgenden Konzeptionen vornehmlich auf die Frage, ob und zu welchem Teil die Erkenntnisse auf den 309

Vgl. Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 92.

"Light gives rise to brightness and money gives rise to utility only because both these stimuli interact with human beings." Stanley S. Stevens, Measurement, Psychophysics, and Utility, S. 52 (Hv.d.V.) 310

311

Vgl. Abschn. 2.1.

So schrieb E . Christopher Poulton im Jahr 1968: "Central processes involving judgment cannot be understood entirely in terms of the behavior of the sense organs. The mechanisms of response learning and of response bias must be included in any adequate description." Ders., The New Psychophysics: Six· Models for Magnitude Estimation, S. 17. 312

313 Vgl. R.ichard E . Nisbett I Timothy DeCamp Wilson, Telling More Than We Can Know: Verbal Reports on Mental Processes, S. 233ff. 314 Vgl. z.B. Neil A. Macmillan I C. Donglas Creelman, Response Bias: Characteristics of Detection Theory, Threshold Theory, and "Nonparametric" Indexes, S. 401. 315

V gl. Abschn. 3.1.

Zu einem Abriß der erkenntnistheoretischen Positionen in der Diskussion der Messung psychischer Vorgänge vgl. z.B. Hugo Schmale, Psychologie der Arbeit, S. 96ff. 316

4. Likelihood-Schätzungen

177

höheren Ebenen der kognitiven Verarbeitung mit Hilfe elementarer Wahrnehmungsmodelle untermauert werden können 317 . Ausgelöst durch die festgestellten Eigenheiten bei der Abbildung von Reizstärken auf vorgegebene oder subjektiv gebildete Skalen, hat sich die psychophysische Forschung ausgedehnt in den Bereich abstrakter Aufgabenstellungen, wie etwa den Umgang mit Zahlen318 . Hiermit und ebenso mit der Messung sensorischer Wahrnehmung auf vorgegebenen Skalen sind die offensichtlichen Brücken zur Problemstellung bei der Gewinnung von Nutzen- und Wahrscheinlichkeitswerten durch direkte Bezifferung geschlagen319 • Über die Filterung der aufgenommenen Informationen wirkt die Perzeption einerseits auf die Gestalt des Erfahrungsschatzes und damit auf die Urteilsgrundlage und andererseits auf die Handhabung alternativer Ausdrucksformen, mit denen Erfahrungen rückgewonnen und verdichtet in LikelihoodSchätzungen geäußert werden 320 . Die Perspektive der Rückgewinnung durch einen von außen aktiv gestalteten Informationsprozeß ist Gegenstand des im nachfolgenden Abschnitt zu behandelnden Entschlüsselungsprozesses. Unter der Annahme, daß das Gewinnungsverfahren selbst keine verzerrenden Einflüsse auf die Urteilsfindung hat, lassen sich aus der Beobachtung des Schätzverhaltens Rückschlüsse auf die Verarbeitung elementarer Reize ziehen und damit Hypothesen zu typischen Diskrepanzen zwischen objektiver Ausprägung und subjektiver Repräsentation aufstellen. In diesem Sinne hat die Auseinandersetzung mit perzeptiver Verarbeitung eine Komplementfunktion zu den bislang behandelten kognitiven Konzepten: Durch sie wird es möglich, die Differenzierung zwischen Schätzvorgang und Entschlußfassung hervorzuheben. Dem Probanden ist das Ziel gesetzt, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Beurteilung auszuschöpfen, ohne daß er einen persönlichen Zweck mit dem Resultat der Schätzung verfolgen könnte321 . 317 Detlof von Winterfeldt und Ward Edwards gehen einen Schritt weiter und betonen, daß der Decision Analysis Ansatz mit seinen wesentlichen Merkmalen einen Ausschnitt der Psychophysik repräsentiert. Vgl. dies., Decision Analysis and Behavioral Research, S. 112f. 318 Vgl. z.B. die Versuche zur Bildung arbiträrer Zahlenfolgen bei E. Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 125ff. 319 " .. . utility, like brightness, is the name for a response of a human organism to an external configuration of the environment." Stanley S. Stevens, Measurement, Psychophysics, and Utility, s. 52. 320 Baruch Fischhoff u.a. differenzieren in die Kategorien Organismus, Reiz-Prä..entation, Response-Modus und situative Rahmenbedingungen. Während die Reiz-Präsentation gezielt auf den Dialog abhebt, sind die übrigen drei Kategorien gleichermaßen auf die Zuordnung von Erfahrungsinhalten zu intrinsischen Mallstäben bezogen. Vgl. Barucb Fischhoff I Paul Slovic ISarah Lichtenstein, Knowing What You Want: Measuring Labile Values, S. 40lf. 321 Erforderlich ist die zusätzliche Annahme, daß der Urteilende keine destruktiven Absichten bezüglich des Versuchsaufbaus hat.

12 Leclmer

178

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Poulton faßt die Beobachtungsergebnisse zur Schätzung von kategorieHer Zugehörigkeit und direkter Bezifferung mit Hilfe von sechs Klassen verzerrender Diskriminanzeffekte zusammen322 : (a) Niveau-nivellierende Diskriminanz (b) Spektrum-angleichende Diskriminanz (c) Reiz-, Response- und sequentielle Kontraktion (d) Lokale Kontraktion (e) Reiz-Distanzen- und -Häufigkeiten-Angleichung (f) Logarithmische Repräsentation von Reizspektren Die Abb. 4-9 bis 4-12 geben eine graphische Veranschaulichung der vier im Vordergrund stehenden Abweichungsarten 323 • Formallassen sich die Konzepte anhand zweier Merkmale gruppieren: (1) Bei den Diskriminanzeffekten (a)- (c) handelt es sich im Gegensatz zu den verbleibenden um lineare Verzerrungen. (2) Die Kontraktionseffekte nach (c) und (d) spiegeln die Neigung zu konservativer Schätzung wider324 , während die ersten und letzten beiden Effekte Relationen von Stimulus- und Response-Intervall zum Gegenstand haben. Letztere rühren im wesentlichen von mangelnder Kenntnis oder Routine in der Zuordnung von Reizspektrum und Skala der Schätzung325 • SbmuluS/ Response

Response/ Sbmulus

StimuluS/ Response

Abbildung 4-9. Niveau-nivellierende Diskriminanz

322

Vgl. E. Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 21ff.

323

Vgl. ders., Models for Biases in Judging Sensory Magnitude, S. 778.

324

Vgl. ders., Bias in Quantifying Judgments, S. 21.

325

Vgl. ebd.

179

4. Likelihood-Schätzungen

Allen Varianten der Verzerrung gemeinsam ist der Nivellierungseffekt innerhalb eines wahrgenommenen Spektrums von Merkmalsausprägungen sowie bezogen auf einen subjektiven Referenzmaßstab. Dieses Ergebnis bildet zunächst einen deutlichen Kontrast zu den bislang angeführten Urteilsschemata, denenzufolge das Diskrimanzverhalten vielfach weit stärker ausgeprägt ist, als dies die Urteilsgrundlage rechtfertigen kann. Die nähere Auseinandersetzung wird jedoch verdeutlichen, daß insbesondere lokal wirksame Nivellierung eher verstärkend auf die Diskriminanz in den komplexeren kognitiven Prozessen wirkt. Ein Abriß zum Gefüge der Mechanismen soll in die Erläuterung einzelner Effekte einführen: In der Systematik der Prüfung auf Verzerrungen 326 bildet die Frage nach der Vorgabe des Ausprägungsintervalls den Ausgangspunkt. Ist die Bandbreite bekannt, besteht die Tendenz einen gegeben Reiz zu nahe am Mittelpunkt dieses Intervalls zu plazieren. Ohne Vorgabe eines Spektrums nähert sich der Schätzwert zu stark einem intrasubjektiven Standard des Merkmals. Im zweiten Schritt gilt die Prüfung der Folge von Beobachtungen durch den Urteilende. Wirken die zu schätzenden Reize unmittelbar nacheinander ein, ist damit zu rechnen, daß die Ausprägung des jeweils nächstfolgende zu dicht am vorangegangenen geschätzt wird. Dieser Effekt entfällt, wenn die Sequenz im Wechsel eines zu schätzenden Reizes und des Referenzreizes gebildet wird.

Stimulus/ Response

Response/ Stimulus

Stimulus/ Response

Abbildung 4-10. Spektrum-nivellierende Diskriminanz

Ist die Dimensionierung der Schätzgröße vertraut und kann sich die Beurteilung auf entsprechende Routine im Umgang mit der klassifikatorischen oder metrischen Skalierung stützen, sind keine zusätzlichen Verzerrungen zu 326

12°

Vgl. ebd., S. 23.

180

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

erwarten. Vergleichsweise klein werden die Abweichungen sein, wenn der Urteilende lediglich ungeübt in der Handhabung der Skala ist. Soweit die Dimensionierung der Reizausprägung dem Urteilenden fremd ist oder keine gegeben werden kann und bei der Bezifferung von Urteilen verschiedeosteilige Zahlen genutzt werden, ist mit dem Effekt der logarithmischen Repräsentation zu rechnen. Sind die Voraussetzungen für Verzerrungen aufgrund der Dimensionierung gegeben, können auch die übrigen Effekte auftreten: Nutzt der Urteilende das gegebene Response-Intervall in seiner vollen Breite zur Abbildung der wahrgenommenen Reizausprägungen, gibt dies den Hinweis auf eine spektrum-angleichende Diskriminanz, das heißt Reiz- und Response-Intervall werden als deckungsgleich behandelt. Finden alle möglichen Antworten zu etwa gleichen Anteilen Verwendung, ist die Wirkung zentrierender Effekte, das heißt niveau-nivellierender Diskriminanz, sowie der Reiz-Distanzen- oder Reiz-Häufigkeiten-Angleichung zu vermuten. Während auf das Vorliegen von Verzerrungen unter Berücksichtigung der genannten Kriterien mit hoher Zuverlässigkeit geschlossen werden kann, ist es bislang nicht möglich, die situationsspezifisch zu erwartenden Ergebniseffekte dem Ausmaß nach zu bestimmen327 • Diese als Orientierungshilfe für Entwurf und Ergebnisanalyse bei Laborstudien aufgestellte Prüfsystematik bietet jedoch Anhaltspunkte, um potentielle Einflüsse auf die Lösung von Schätzaufgaben außerhalb des experimentellen Rahmens festzustellen und über die Gestaltung der Aufgaben einzugrenzen. Der durch niveau-nivellierende Diskriminanz 328 beschriebene Rekurs auf eine subjektive Skala ist gekoppelt an die Existenz eines durch Erfahrung gebildeten Standards beim Urteilenden. Auf diesen im Zuge weiterer Erfahrungen gleitenden Durchschnittswert werden die Einschätzungen der jeweils jüngsten Ausprägungsspektren ausgerichtet 329 • In einem hierarchischen Gefüge kann auf diesen Effekt bewußt zurückgegriffen werden. So ist zu erwarten, daß sich hinter der Einschätzung "Für den folgende Monat wird mit einer geringen Absatzmenge gerechnet" immer noch eine größere Menge verbirgt als hinter der Einschätzung "Wir erwarten einen guten Verkaufserfolg", wenn sich erstere Aussage auf ein bislang hohes Absatzniveau und letztere auf einen mäßigen Geschäftsverlauf stützt. Eine verzerrungsfreie Interpretation auf der Basis des Gesamtspektrums, im Beispielfall der Skala der Absatzeinheiten, ist daher nur möglich wenn die Lage einer bestimmten Ausschnittsvergrößerung lokalisiert werden kann. 327

Vgl. ebd., S. xix.

328

Vgl. ebd., S. 105ff.

329

Vgl. ebd., S. 116.

4. Likelihood-Schätzungen

181

Zur spektrum-nivellierenden Diskriminanz 330 hat Olson mit seinen Befragungen zur Häufigkeitsverteilung der Geburten von Jungen ein eindrucksvolles Beispiel gegeben 331 : Die Probanden waren aufgefordert, die Streuung des Anteils Jungen um der Erwartungswert von etwa 50 bei insgesamt 100 Geburten pro Tag in einer bestimmten Region durch Angabe der prozentualen Häufigkeit vorgegebener Klassen zu schätzen. Vorgegeben wurden elf Klassen, wobei eine Gruppe die Abstufung ( 54) erhielt und die andere ( 95). Die Resultate beider Gruppen waren kaum zu unterscheiden, so daß unter Vernachlässigung der Klassenaufteilung nahezu ausschließlich orientiert an der Anzahl der Klassen Prozentangaben nach dem Schema der Glockenkurve jeweils abnehmend zu den beiden Randklassen vergeben wurden. Subtilere Einflüsse der Spektrum-Nivellierung sind aus den Analysen von O'Connor und Lawrence abzulesen. Sie stellen in ihren Untersuchungen zur Schätzung von Konfidenzintervallen in der Zeitreihenanalyse fest, daß Informationen zu Trend und Saisonalität unvollständig von zufälligen Störungen getrennt werden 332 . Die aufgetretenen Korrelationen signalisieren einen maßgeblichen Einfluß der Saisonalität und ebenso eine Abhängigkeit vom Trend bei der Festlegung der Breite von Konfidenzintervallen. Lediglich 15% der Varianz in den Schätzungen konnte durch deren zufällige Störungen erklärt werden333 . 0 'Connor und Lawrence folgern, daß die Auffassung von Zufälligkeit selbst bei statistisch vorgebildeten Entscheidungsträgern schwerwiegende Mängel aufweist und sich in der Praxis erst durch gegebenenfalls lange Sequenzen von Versuch und Irrtum in einem bestimmten Kontext adäquate Abgrenzungen gegenüber den anderen Einflüssen einstellen334 . Die Kritik der generellen Neigung zu konservativer, das heißt hier: großzügiger, Schätzung ist jedoch in einem wesentlichen Punkt zu relativieren: Die Systematik der Trennung von Signal-Anteil und Störung ist originär methodisch und keineswegs substantiell bedingt, das heißt eine perfekte Kalibrierung auf das Regressionsmodell würde nur dann eine optimale Strategie markieren, wenn der Erklärungsgehalt nahe 100% läge. Kann diese Forderung nicht erfüllt werden, ist die Annahme von Verzerrungen durch Adaption des vollen Spektrums nur schwach gestützt. 330

Vgl. ebd., S. 207ft".

Vgl. Chester L. Olson, Some Apparent Violations of the Representativeness Heuristic in Human Judgment, S. 600ft". 331

332 Vgl. Marcus O'Connor /Michael J . Lawrence, Time Series Characteristics a nd the Widths of Judgemental Confidence Intervals, S. 418f.

333 Insgesamt konnten Marcus O'Connor und Michael J. Lawrence mit ihrem Regressionsmodell, zusammengesetzt aus Metriken zu zufälliger Störung, Saisonalität und Trend, 57% der beobachteten Varianz erklären; ein erheblicher Teil der Abweichungen war demnach nicht über die gewählten Metriken zu reproduzieren. Vgl. ebd. 334

V gl. ebd., S. 418.

182

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Stimulus

Response

-

Referenzlnlensitäl

Abbildung 4-11. Reiz-, Reaktions- und sequentielle Kontraktion

Foulton illustriert den Effekt der Kontraktion auf der Reizskala anband einer Studie von Slovic, in der die Abhängigkeit der Risikowahrnehmung von der Relation der Ereigniswahrscheinlichkeit zur Schadenshöhe untersucht worden ist 335 . Gegenübergestellt wurden Alternativen mit jeweils gleichem Erwartungswert. Die Befragten entschieden darüber, welche der insgesamt fünf Risiken durch eine angebotene Versicherung mit konstanter Prämie abgedeckt werden sollten. Es zeigte sich ein deutliches Gefälle in der Wahrnehmung der Schadenserwartung: Geringe Verluste mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit wurden weitaus häufiger abgesichert als die umgekehrte Kombination der Risikofaktoren. Die Skala der zu erwartenden Schadenshöhe war dabei in stärkerem Maße dem Kontraktionseffekt ausgesetzt als die Wahrscheinlichkeitsskala336 . Kontraktionen auf der Response-Skala haben die zur Erläuterung der Gütemaße von Schätzungen angeführten Untersuchungen veranschaulicht 337 . Versuchspersonen erhielten dort zur Beantwortung allgemeiner Wissensfragen jeweils zwei Alternativen vorgegeben, wählten die für zutreffend gehaltene aus und gaben auf einer Skala von 0, 5 bis 1 ihr Zutrauen in die Richtigkeit an. Resultiert aus der Zuordnung von Schätzung (Pi) und Eintrittsraten (di) ein Graph mit einer Steigung von weniger als 45°, liegt eine Kontraktion der Response-Skala vor338 . Der Schnittpunkt mit der Ursprungsdiagonale trennt hierbei den oberhalb liegenden Bereich zu geringen Zutrauens vom 335

Vgl. Paul Slovic u.a., Preference for lnsuring Against ProbableSmall Losses.

336

Vgl. E . Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 164f.

337

Vgl. Abschn. 4.2; Abb. 4-6, 4-7.

338

Vgl. E. C hristopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 178f.

4. Likelihood-Schätzungen

183

überhöhten Zutrauen unterhalb der Geraden. Der analoge Effekt der Kontraktion der Reiz-Skala, das heißt die Abbildung über einen Ausschnitt, zum Beispiel die Klassen f.Jo,s und p 0 ,6 , wäre an einer Verkürzung des Graphen und, soweit die Kontraktion die Klassen geringeren Zutrauens betont, einer Steigung von mehr als 45° abzulesen 339 . Offenbar im Gegensatz zu den hier behandelten Kontraktionseffekten scheinen die Erkenntnisse über mangelnde Regression auf den Erwartungswert zu stehen340 . Eine mögliche Erklärung ergibt sich aus der Annahme, daß bei den betreffenden Schätzungen die Referenzfunktion des Erwartungswertes nicht wahrgenommen wird. Es kommt in diesem Fall zu einer Polarisierung um die bekannten Ausprägungen an den beiden Enden der Skala und das Kontinuum zerfällt in zwei separat behandelte Teilstücke, wobei diese Annahme- und Ablehnungsskalen dann wiederum isoliert den Kontraktionseffekten unterliegen. Hierbei kommen insbesondere die lokalen Kontraktionseffekte in Betracht: Ausgehend von einem hohen Reizniveau ist der Wahrnehmungsunterschied bei der Erhöhung der Reizstärke um einen bestimmten Wert größer als bei entsprechender Verminderung. In umgekehrter Richtung gilt dies für das untere Ende der Reizskala. Dementsprechend wird die Konzentration um die Randausprägungen gefördert, und es entsteht eine Art Vakuum an der Bruchstelle des Gesamtspektrums. Situationen, die zu einer Vernachlässigung des Erwartungswertes führen, sind zumeist durch ein Vorgehen nach kausalen Erklärungsschemata geprägt, so daß die jeweils favorisierte Hypothese, zum Beispiel über die Eignung eines Bewerbers, den Pol bildet und das dann noch gültige Teilstück der Skala bestenfalls bis an die Stelle der Unentschiedenheit reicht.

---

Stimulus

. .

.

Response r-

r-

......

,__ ,__

======== ...... '-

Abbildung 4-12. Reiz-Distanz- und -Häufigkeitsangleichung

339 Vgl. die Ergebnisse bei Baruch Fischhoff /Don MacGregor, Subjective Confidence in Forecasts, S. 169f. 340

Vgl. Abscbn. 4.3.3.

184

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Bei den berichteten Effekten des Austarierensund des Vorrang-Effektes handelt es sich um Beispiele sequentieller Kontraktion 341 • In der Folge der Präsentation von Informationen findet eine Regression auf die jeweils zuvor erhaltenen Daten statt. Neben dem Beispiel zur Schätzung des Produktes aufsteigender gegenüber absteigender Zahlenfolgen haben insbesondere die Regression auf unverbundene Ausgangsinformationen und der halo-effect die Funktionsweise veranschaulicht. Die Reiz-Distanzangleichung342 beschreibt einen Effekt, der bei der Verwendung semantischer Differentiale zur Steigerung der Aussagefähigkeit genutzt wird343 : Die vorgegebenen Abstufungen der zu beurteilenden Aussage werden als äquidistant interpretiert. Während hier gezielt im Einklang mit der beobachteten Neigung gearbeitet wird, treten Verzerrungseffekte auf, wenn die Distanzen voneinander abweichen: Wird etwa die Qualifikation von Bewerbern oder die Eignung von Teilen einer Geräteausstattung für bestimmte Zwecke bewertet, können vergleichsweise geringfügige Unterschiede innerhalb der Gruppe der besten durch Distanzangleichung über das gesamte Spektrum so gedehnt abgebildet werden, daß die eigentlich gebotene Schlußfolgerung, anhand weiterer Kriterien zu einer begründeten Diskriminanz zu gelangen, nicht zum Zuge kommt 344 . In Form der Reiz-Häufigkeitenangleichung345 wirkt dieser Effekt bei asymmetrischer Ausdifferenzierung von Zustandsbeschreibungen346. Das Beispiel des Fehlerbaumes möglicher Ursachen eines Startdefektes im Fahrzeug hat dies illustriert347 : Bei Vorgabe eines beschnittenen Baumes war die Nivellierung in der Verteilung relativer Häufigkeiten auf die jeweils ausgewiesenen Fehler-Kategorien zu beobachten348 . Die logarithmische Repräsentation von Reizspektren hat vorrangige Bedeutung im Kontext der anschließend zu behandelnden Gewinnungsverfahren. Dieses Phänomen der Stauchung steht jedoch in enger Verbindung mit allgemeiner zu fassenden Degressionseffekten in der Wahrnehmung über ein Spektrum anwachsender Ausprägungsstärken. Die von Fechner aufgegriffene 341

Vgl. E. Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 155ff.

342

V gl. ebd., S. 63ff.

343

Vgl. Abschn. 4.1.

344

Vgl. E. Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 95.

Vgl. ebd., S. 96ff; Richard K. EymanfP.J. Kim, A Model for Partitioning Judgement Error in Psychophysics, S. 46. 345

346

Vgl. E. Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 102.

347

Vgl. Abschn. 4.3.3.

Die Latenz des Effektes konnte E. Christopher Poulton z.B. bei der Beobachtung der Aussonderungsquote in der Qualitätskontrolle belegen: Unter dem Einfluß von Stress und sinkender Konzentration kam es verstärkt zu einer Annäherung von Ausschuß- und FreigabeanteiL Vgl. E. Christopher Poulton, The Effect of Fatigue Upon Inspection Work. 348

4. Likelihood-Schätzungen

185

psychophysische Fundamentalformel W ebers349 hat hier wesentlich zu einem differenzierteren Verständnis des Wahrnehmungsprozesses beigetragen350 und fand, begrenzt auf mittlere Intensitätsbereiche, empirische Bestätigung351 . Andererseits bietet die von Fechner abgeleitete Verallgemeinerung des Satzes von der Konstanz der relativen Unterschiedlichkeitsempfindlichkeit keine tragfähige Grundlage für die Erklärung der absoluten Lage eines Reizes auf der subjektiven Skala352 . Wenn auch für die Gültigkeit dieses streng formalen Erklärungsversuchs keine überzeugenden Belege vorgewiesen werden können353 , ist mit der Hypothese, daß nicht allein die Unterschiedsschwelle in Relation zur absoluten Höhe der Reizstärke steht, sondern auch an verschiedenen Stellen des ansteigenden Kontinuums abgegriffene konstante Differenzen einer degressiven Bewertung unterliegen, ein empirisches Faktum, das sich von der sensorischen Wahrnehmung bis hin zur Nutzenbewertung als gültig erwiesen hat354 . Ein Sachverhalt, der bislang durch keines der psychophysischen Modelle erfaßt wurde, betrifft die Unterschätzung kleiner und die Überschätzung großer Wahrscheinlichkeiten, mit der Konsequenz übersteigerten Zutrauens in Eintritt oder Nicht-Eintritt eines Ereignisses. Die hier abgebildeten Effekte der Kontraktion über eine gegebene Ausdehnung der betrachteten Skala weisen auf das Gegenteil. Ein Erklärungsversuch schließt an die Diskussion des gerade wahrnehmbaren Unterschieds an: Für Ausprägungen in den Randbereichen der Wahrscheinlichkeitsskala kommt es danach zur Unterschreitung einer Sensitivitätsschwelle, so daß die Reize als äquivalent wahrgenommen werden355 . Die viergliederige Interpretation des Unsicherheitsphänomens veranschaulicht dies inhaltlich durch die Abbildung von Annahme- und Ablehnungsintervallen auf der Überzeugungsskala sowie über das Glaubwürdigkeitskonzept. 349 Danach ist der gerade noch wahrnehmbare Unterschied in der Intensität zwischen einem Ausgangsreiz und einem zweiten Reiz proportional zur Stärke des Ausgangsreizes. Vgl. u.a. zur Differenzierung relativer und absoluter Schwellenwerte Hans-Werner Sinn, Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit, S. 134ff. 350

Robyn M. Dawes, Rational Choice in an Uncertain World, S. 38f.

Vgl. Hugo Schmale, Psychologie der Arbeit, S. 103. Vgl. auch zur Abbildung vollständiger Reizspektren die Intervallordnungshypothese bei Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 188f. 351

352 Gustav T. Fechner deutete die Fundamentalformel als Grenzbetrachtung und führte sie durch Integration auf den allgemeinen Ausdruck der Wahrnehmungsstärke zurück. Vgl. Hugo Schmale, Psychologie der Arbeit, S. 104, sowie die Diskussion bei R. Duncan Luce /Ward Edwartls The Derivation of Subjective Scales from Just Noticeable Differences. 353

Vgl. E. Christopher Poulton, Bias in Quantifying Judgments, S. 88f.

Zur Nutzenbewertung vgl. z.B. den historischen Abriß bei Kar! Menger, Das Unsicherheitsmoment in der Wertlehre, S! 464ff. 354

355

Vgl. Adolf Adam, Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, S. 20.

186

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverha.lten

In der Gesamtsicht der durch psychophysische Modelle veranschaulichten Verzerrungseffekte lassen die Einflußfaktoren über drei Schlüsselkriterien zusammenfassen356 : - Referenzausprägungen, - Randwerte der Skalen, - kategoriale Differenzierung. Erfaßt sind hiermit sowohl die Aufnahme eines Ausprägungsspektrums als auch die Zuordnung wahrgenommener Reizstärken auf einer vorgegebenen Skala.

4.4 Gewinnung von Schätzungen Zur Frage potentieller Beeinträchtigungen sind gerichtete wie ungerichtete, bewußte und unbewußte Abweichungen des Urteils betrachtet worden. Die durch Wahrnehmungsfunktionen und heuristische Verdichtung ausgelösten Verzerrungen in der Aufbereitung der Urteilsbasis beschreiben dabei einen intrasubjektiven Sachverhalt. Wird die Kommunikation des Urteils einbezogen, sind zusätzliche Effekte zu berücksichtigen: Bei der Weitergabe einer Schätzung werden nicht allein mögliche Verzerrungen aus der individuellen Formierung transportiert, hinzu kommen potentielle Inkongruenzen in intendierter und intersubjektiv wahrgenommener Deutung der Schätzung. Pareta beschreibt den Sachverhalt in allgemeiner Form: "Ein Ausdruck, der in einem Syllogismus mehrere Bedeutungen annehmen kann, kann in diesen Syllogismus mehr als drei Termini einführen und ihn so verfälschen. Sehr oft ist es der Mittelterminus, der durch seine Unbestimmtheit den Syllogismus verfälscht. Am einen Extrem steht der einfache Kalauer, den niemand ernst nimmt, am andern ein Beweis, der tiefsinnig scheint, gerade weil er dunkel und unbestimmt ist. Nehmen wir den Beweis: A =X, X= B, also A = B. Wenn X zwei Bedeutungen hat, die unverwechselbar sind, z.B. Kanone in der Artillerie und Kanone in der Kirche, so kann ein einfacher Scherz daraus werden. Bezeichnet X ein komplexes und unbestimmtes Gefühlsaggregat, so überwiegen in dem A =X gewisse Gefühle, in dem Satz X = B gewisse andere. Folglich handelt es sich in Wirklichkeit um zwei verschiedene X ."357 Die geschilderte Situation beschreibt den Aspekt intersubjektiver Transitivität und lenkt damit auf die Frage nach geeigneten Medien zum Ausdruck von Äquivalenz und Präferenz. 356

Vgl. Detlof von Winterfeldt f Ward Edwards, Decision Ana.lysis and Behaviora.l Research,

s. 352.

357 Vilfredo Pareto, Allgemeine Soziologie, S. 178{. Anm.: Die ian der ita.lienischen Sprache bestehende schrift- u. lautsprachliche Identität der Beispielbegriffe besteht im Deutschen nicht; gram. korrekt: Kanones (Einzelbestimmungen des kath. Kirchenrechts).

4. Likelihood-Schätzungen

187

Da der Gegenstand der Kommunikation regelmäßig nicht die Kommunikation selbst ist und Meta-Kommunikation erst einsetzt, wenn die Gefahr des Mißverstehens von einer Seite bewußt wahrgenommen wird, ist die Herstellung und Wahrung von Bedeutungsidentität im Austausch zwischen denjenigen, die Urteilsgrundlagen schaffen, und denen, die sie auswerten, von zentraler Bedeutung358 . Indem Pareta von Gefühlsaggregaten spricht, kommt er dem Wesen der Unsicherheit sehr nahe: Die Aufgabe wird erschwert, da der Unsicherheit keine originäre einwertige Dimensionierung inhärent ist, vergleichbar etwa physikalischen Längenmaßen359 . Der Unsicherheitsgrad resultiert aus der Koppelung einer Vielzahl von Ursachen und deren Auswirkung auf die antizipative Bestimmung der fraglichen Größe. Das Ergebnis einer solchen Auswertung potentieller Einflüsse erhält eine Dimension durch die Abbildung in einen Wahrscheinlichkeitsausdruck. Der Begriffsbildung Schneiders folgend, deckt dieser Ausdruck nicht allein die Risiken bei gegebenem Kenntnisstand ab, sondern auch die Risiken über den Kenntnisstand 360 . Bereits diese notwendige Unterscheidung vermehrt die einzubeziehenden Dimensionen. Zu den Grundannahmen zählt daher auch, daß mit der Gewinnung nicht das Freilegen einer beim Urteilenden vorhandenen Metrik, sondern der Transfer eines analogen Situationsbildes auf eine Skala zu bewältigen ist 361 . Aus formaler Perspektive sind zunächst zu unterscheiden die Ausdrucksform und die Verbindlichkeit. Als Medien stehen zur Verfügung Sprache und Mathematik sowie graphische Ausdrucksformen. Die weitere Differenzierung von Aussageansatz und Handlungsansatz zielt auf die Möglichkeit, über die Abfrage einer Schätzung hinaus durch Einführung zusätzlicher Entscheidungssituationen, etwa zu hypothetischen Lotterien, den Unsicherheitsmaßstab stärker herauszuarbeiten 362 . Die Varianten werden gekennzeichnet als 358 Craig W. Kirkwood illustriert den Sachverhalt anband des folgenden Dialogs zwischen einem Marketing-Experten und dem für den Produktbereich verantwortlichen CEO. Die Aufgabe Kirkwoods war es, als Entscheidungsanalytiker die jüngsten Planungen zur Einführung eines neuen Produktes zu bewerten, und er schloß mit dem Kommentar: "The conclusion out of all of this, after working with your marketing people, is that there is a forty percent chance this product will be a success." Der CEO lehnte sich zurück, rang erkennbar nach Luft und wandte sich an seinen obersten Marketing-Mann: "I don't understand. You told me it was 11ery likely that this would be a success, and now I hear it's a forty percent chancer' Der Angesprochene: "Yeah, it's very likely. This is a very competitive market, and a forty percent chance is very likely to be successful." Erwiderung des CEO: "There's no way I would have approved this thing if I had realized that's what you meant by very likely." Vgl. Glenn G . Shephard I Craig W. Kirkwood , The Process of Eliciting a Judgmental Probability Distribution, S. 11. 359

Vgl. E. Christopher Poulton, Models for Biases in Judging Sensory Magnitude, S. 777.

360

Zur Begriffsbildung vgl. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 2.

361

Vgl. Detlof von Winterfeldt I Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research,

362

Zur Kritik vgl. Abschn. 4.

s. 35lf.

188

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

direkte beziehungsweise indirekte Methoden der Gewinnung von Schätzungen363. Der indirekte Weg weist damit auf Ramseys Konzept der hypothetischen Anstrengung364 und verläuft in der Umsetzung mit faktischer materieller Verpflichtung des Urteilenden analog der Zielrichtung organisationaler Anreizkonzepte365 . Die Diskussion um direkte oder abgeleitete Entschlüsselung von Wahrscheinlichkeitsurteilen ist wesentlich mit der Existenz zweier Schulen verknüpft, die ihre Wurzeln einerseits in der Meßtheorie und andererseits in der Psychophysik und den psychologischen Skalierungsverfahren sehen. Für Anhänger der ersteren führt daher der Weg über Präferenz- und Indifferenzurteile, letztere dagegen favorisiert die direkte Messung366 . Der Rückgriff auf abgeleitete Messungen ist dabei unweigerlich mit dem Risiko weiterer Verzerrungseffekte verknüpft. Am Beispiel des Abschlusses von Wetten und der kritischen Würdigung der Dutch book-Argumentation ist dies aufgezeigt worden. Andererseits kann durch die Übertragung auf einen einfach strukturierten Zusammenhang die Wahrnehmung von Unsicherheit höhere Transparenz erhalten. Da aus den empirischen Befunden bislang kein klares Bild zur Überlegenheit des einen oder anderen Vorgehens abzulesen ist, sprechen sich Edwards u.a. dafür aus, der Vermehrung möglicher Verzerrungsursachen entgegenzuwirken und direkte Messungen anzustellen 367 . In den beiden folgenden Unterabschnitten sollen nun über den Begriff der Intuition der Bezugsrahmen des Gewinnungsprozesses dargelegt und die Vorgehensweise bei der Entschlüsselung konkretisiert werden.

4.4.1 Gegenstand der Entschlüsselung Die bei der Abbildung des Transformationsprozesses getroffene Unterscheidung von Urteilendem und Moderator hat die Rollenverteilung im Gewinnungsverfahren abstrakt umrissen. Urteilender kann dabei sowohl der für den Einsatzbereich der Schätzgrößen verantwortlicher Manager als auch ein 363 Zu direct response mode und indirect response mode vgl. Carl S. Spetzler I Carl-Axel S. Stael von Holstein, Probability Encoding in Decision Analysis, S. 348ff. 364

Vgl. Abschn. 4.

Eine andere Illustration gibt J. Frank Yates arn Beispiel alternativer Werbestrategien: Einerseits kann ein Anbieter versichern, seine Produkte entsprächen in jeder Hinsicht den E rwartungen des Kunden, andererseits kann er diese Überzeugung mit dem Angebot verknüpfen, während eines bestimmten Zeitraumes nach dem Kauf die Ware gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzunehmen. Auf den konkreten Fall eines Verschleißartikels bezogen, wäre die Festlegung einer Rücknahme- oder Gewährleistungsfrist zudem als Indikator für den Grad dieser Überzeugung zu sehen. Vgl. ders., Judgment and Decision Making, S. 15f. 365

366

Vgl. Detlof von Winterfeldt I Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research,

s. 218.

367 Vgl. Ward Edwards I Detlof von Winterfeldt I David L. Moody, Simplicity in Decision Analysis, S. 460f.

4. Likelihood-Schätzungen

189

Experte sein, der gezielt zur Beurteilung bestimmter Sachverhalte hinzugezogen wird. In beiden Fällen darf unterstellt werden, daß der Urteilende über eine hohe fachliche Qualifikation verfügt, wohingegen sein Pendant, der Moderator, im Normalfalllediglich grundlegend mit der Thematik vertraut ist und im wesentlichen methodische Expertise beisteuert. Die Erkenntnisse zum Schätzverhalten weisen darauf hin, daß ein intuitives oder summarisches Urteil der analytischen Bewertung vorausgeht und letztere steuert368 • Dies hat in der subjektiven Sphäre zunächst zur Folge, daß die vorhandene Überzeugung den Detaillierungsgrad der analytischen Bewertung beeinfiußt. Die Attribute intuitiv und analytisch bilden daher Begrenzungen eines Kontinuums. Von objektiver Warte aus gesehen, sind Schätzungen ihrem Anteil intuitiver Fundierung entsprechend eine Mischung aus Prognose und Prophezeiung369 . Im Kontext antizipativer Aussagen gibt der Begriff Prophezeiung eine treffende extensionale Deutung von Intuition. Die Definition des intensionale Gehalts stellt vor größere Probleme: Jenseits der Feststellung, daß sich Intuition auf die Selektionsmechanismen in den Gedächtnisfunktionen sowie Prozessen der Rückgewinnung und Verknüpfung von Erfahrungsinhalten stützt370 , gibt es kaum Anhaltspunkte für die Konkretisierung wirksamer Einfiußfaktoren. Abgesehen von diesem eher technischen Grundkonsens, laufen die Definitionsvorschläge weit auseinander und bieten zumeist nur eine Sammlung von einzelnen, selbst nicht präzise definierten Konstrukten 371 • Gefolgt werden soll hier der Hypothese Simons, wonach es keine Unterschiede in der Logik intuitiver oder aber expliziter, das heißt bewußter, Problemlösungsverfahren gibt372 • Die Entstehung intuitiven Potentials ist unter dieser Annahme eng verbunden mit dem Ausmaß fachlicher Erfahrung, das heißt effektiven Wissens hinsichtlich der gegebenen Aufgabenstellung373 . Die Erkenntnisse zur Wirkungsweise unterschiedlicher Qualifikation in gleichen Entscheidungssituationen haben diesen Zusammenhang bestätigt374 . Ackoff und Emery fassen aus dieser Perspekti368

Vgl. Jonathan St.B.T. Evans, Bias in Human Reasoning, S. 65ff.

369

Vgl. Abb. 3-1. Analog gilt die Interpretation als spezifische Form der Tatsachenvermutung.

370

Vgl. die erlebnisgebundenen Präsumptionen in Abschn. 4.3.3.

Vgl. die Auswertung von Orlando Behling /Norman L. Eckel, Making Sense out of Intuition. Exemplarisch für die Charakterisierung über Persönlichkeitsmerkmale und die Funktionsweise von linker und rechter Gehirnhälfte sowie die Messung über den Myers-Briggs Type lndicator bzw. den Kiersey Temperament Sorter vgl. Weston H. Agor, The Logic of Intuitive Decision Making; ders., Using Intuition in Public Management. 371

372

s. 61.

Vgl. Herbert A. Simon, Making Management Decisions: The Role of Intuition and Emotion,

373 Ähnlich bereits bei Frank H. Knight: " ... in the main it seems that we ,infer' largely from our experience of the past as a whole ..." Ders., Risk, Uncertainty, and Profit, S. 211. 374 Herbert A. Sirnon illustriert intuitives Problemlösungsverhalten über das Schachspiel. Der Umfang vollständig analytischer Entscheidungsverläufe vis-a-vis der von Schachgroßmeistern in

190

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

ve die Abgrenzung von expliziter und intuitiver Vorgehensweise zusammen: "Die Differenz liegt in den Verfahren, nicht im Wesen oder in der Qualität ihrer Ergebnisse. ( ... ) [Intuition] scheint [Denk-]Schritte zu überspringen und geht von Prämissen zu Schlußfolgerungen, ohne bewußt die dazwischenliegenden Schritte zu durchlaufen, die der Denkprozeß durchläuft."375 Diese Interpretation als alternative Verfahrensweise bei der Ausschöpfung effektiven Wissens impliziert die Möglichkeit, intuitive Schlüsse zu analysieren und denkend zurückzuverfolgen beziehungsweise intersubjektiv nachzuvollziehen 376 . Dabei wird unterstellt, daß die Analysemethoden der Moderation sowohl die Detaillierung der Schätzaufgabe unterstützen377 als auch die Bereitschaft des Urteilenden fördern, Denkschritte zu explizieren378 .

Sirnon zieht eine Trennlinie zwischen intuitiver Formierung der Urteilsgrundlage und der weiterhin analytischen Schlußweise bei der konkreten Problemlösung. Der Verzicht auf eine explizite Annahme hinsichtlich der Entstehung beziehungsweise Beschaffenheit der intuitiven Basis spiegelt die aus der Objektivitätsbetrachtung hervorgegangene Beschränkung auf Plausibilität wider379 . Erkenntnisse aus der Beobachtung des Schätzverhaltens legen hier den Schluß nahe, daß diese Basis nicht vollständig analytisch zusammengesetzt ist. Anderenfalls wären Fehlentscheidungen in Situationen, zu deren Bewältigung das angesammelte Wissen ausreicht, im wesentlichen als Resultat zufälliger Störungen zu deuten. Die Charakterisierung als Verfahren der Ausschöpfung effektiven Wissens hat jedoch deutlich gemacht, daß Intuition keinen Gegenbegriff zur Rationalität bildet380 , und die zentrale Aufgabe der Wettkämpfen oder Simultanspielen aufgewendeten Entscheidungszeit für einzelne Züge signalisiert, daß es nicht zu einem bewußten, systematischen Abprüfen der Möglichkeiten kommt. Von welcher Art die Denkvorgänge sind, zeigt Herbert A. Sirnon mit folgendem Versuch: Experten und Anfängern wird ein Schachbrett gezeigt, das eine beliebige Spielsituation mit etwa 25 Figuren aufweist. Nach fünf bis zehn Sekunden Betrachtungszeit wird das Brett entfernt und die Versuchspersonen werden aufgefordert, die vorgefundene Spielsituation zu reproduzieren. Im Normalfall wird es dem Experten gelingen, etwa 23 bis 24 Figuren dem jeweils richtigen Platz zuzuordnen, Anfängern hingegen gelingen im Durchschnitt lediglich sechs richtige Zuordnungen. Eine Gegenprobe offenbart nun genaueres zum Wesen der Intuition: Der Versuch wird wiederholt unter Verwendung eines Schachbrettes, auf dem sich etwa 25 Figuren in zufälliger Anordnung befinden. Während die Erfolgsquote der Anfänger unverändert bleibt, büßen die Experten ihren Vorsprung vollständig ein und erzielen im Durchschnitt ebenfalls nur sechs richtige Zuordnungen. Vgl. Herbert A. Simon, Making Management Decisions: The Role of Intuition and Emotion, S. 59f. 375

Russell L. Ackojj / Fred E . Emery, Zielbewußte Systeme, S. 116.

376

Vgl. ebd., S. 115ff.

377

Vgl. den nachfolgenden Abschnitt.

378 "Indeed, really effective experienced persans in any field typically operate in a largely intuitive manner and view with impatience attempts to make their methods explicit." William T. Morris , On the Art of Modelling, S. B-707. 379

Vgl. Abschn. 1.2.2.

380

Vgl. Daniel J . lsenberg, How Senior Managers Think, S. 530ff. Eher irreführend z.B. die

4. Likelihood-Schätzungen

191

Moderation in einer Entflechtung bestimmter intuitiver Zusammenfassungen liegt 381 . Die mit der Entflechtung verbundene detaillierte Wiedergabe der Einflußgrößen einer Schätzung identifizieren dabei den anhand von Daten der Organisation nachprüfbaren empirischen Gehalt und präzisieren den lediglich auf Plausibilität prüfbaren subjektiven Beitrag.

4.4.2 Verfahren Die Verfahren der Gewinnung von Likelihood-Schätzungen sind im Zuge der detaillierten Untersuchung systematischer Verzerrungen zu einem Forschungsschwerpunkt des Decision Analysis geworden382 . Von Spetzler und Stael von Holstein wurde Mitte der siebziger Jahre ein erster systematischer Überblick zur Vorgehensweise und den Instrumenten vorgestellt 383 . Ihr Konzept dient seither als Standard, und Ergänzungen und Verfeinerungen sind vornehmlich im Hinblick auf breitere Einsatzmöglichkeiten vorgenommen worden. Zu den Erweiterungen zählen insbesondere entscheidungsanalytische Ansätze der Strukturierung umfangreicher Projekte384 und Integrationsansätze zur Beurteilung der Gestaltung von Entscheidungsprozessen in Gruppen385 . Die Grobstruktur des Gewinnungsprozesses läßt sich in der folgenden Sequenz zusammenfassen386 : (a) Motivationale Vorbereitung, (b) Strukturierung der Schätzaufgabe, (c) Formulierung des Bedingungsgefüges, (d) Entschlüsselung der Erfahrungsbasis, (e) Überprüfung der Schätzresultate. Charakterisierung bei Philipp Pott: .,Der intuitive Entscheider denkt und handelt seiner inneren Eingebung gemä.ß. Im Gegensatz zum rotionalen Entscheider orientiert er seine Entscheidungsbindungen auch an Vergangenheitsgrößen." Ders., Entscheidungsrevision, S. 335. 381 Zu einer weiteren Aufspaltung des hier gewählten Intuitionsbegriffs vgl. Detlof von Winterfeld! I Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research, S. 552ff. 382 Zu einem Abriß des theoretischen Rahmens vgl. z.B. Baruch Fischhoff I Paul Slovic ISarah Lichtenstein, Knowing What You Want: Measuring Labile Values, S. 403ff. 383 Vgl. Carl S. Spetzler I Carl-Axel S. Stael von Holstein, Probability Encoding in Decision Analysis. 384 Vgl. z.B. Ward Edwards I Detlof von Winterfeldt Analysis.

I David L.

Moody, Simplicity in Decision

385 Vgl. z.B. Patricia Reagan-Girincione, Combining Group Facilitation, Decision Modeling, and Information Technology to Improve the Accuracy of Group Judgment. 386 Vgl. Glenn G. Shephard 1Craig W . Kirkwood, The Process of Eliciting a Judgmental Probability Distribution, S. 4. Konzeptionelle Auseinandersetzungen zu Struktur und Technik der Befragung finden sich z.B. bei Ola Svenson, Eliciting and Analysing Verbal Protocols in Process Studies of Judgement and Decision-Making; ders., Illustrating Verbal Protocol Analysis: Individual Decisions and Dialogues Preceding a Joint Decision.

192

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverha.Iten

Diese ursprüngliche Gliederung des am Stanford Research Institute entwickelten Gewinnungsprotokolls erweitert Merkhafer um die Schritte387 : (f) Überwindung möglicher Differenzen bei Schätzungen mehrerer Experten, (g) Diskretisierung stetiger Verteilungsschätzungen. In den Stufen (a) und (b) steht die inhaltliche Vorbereitung aus der Perspektive des umfassenden Problemumfelds im Vordergrund. Sie zielen damit auf die Offenlegung potentieller gerichteter Abweichungen auf den Ebenen Organisation und Entscheidungsträger. Obwohl das Problem des überhöhten Zutrauens in Expertenschätzungen generell weniger zum Tragen kommt 388 , ist es erforderlich, den Grad der persönlichen Eingebundenheit des Entscheidungsträgers in den Kontext der Schätzung zu prüfen und gegebenenfalls Gefährdungen durch organisational bias oder expert bias in das Bewußtsein des Urteilenden zu rücken. Fragen an den Entscheidungsträger zielen in der ersten Kategorie zum Beispiel auf das Vorliegen offizieller Projektionen oder Plandaten und die Existenz eines Anreizsystems im Kontext des Schätzgegenstandes. In der zweiten Kategorie bilden Fragen zur notwendigen Qualifikation in der Beurteilung des Sachverhalts und die bislang registrierte Güte von Schätzungen in diesem Zusammenhang den Kern der Bewußtseinsschärfung389. Die anschließende Strukturierung der Aufgabenstellung dient einer präzisen Bestimmung der Schätzgröße und gegebenenfalls der Zerlegung in andere Variable. Unzulängliche Definitionen werden zumeist über den "Clairvoyance-Test" offenbar390 , das heißt selbst bei sicherer Kenntnis der Zukunft könnte kein exakter Wert für die fragliche Größe angegeben werden 391 . Im weiteren sind die Annahmen, von denen sich der Entscheidungsträger bei der Gewinnung leiten läßt, explizit zu machen. Insbesondere die bisherige Entwicklung und Perspektiven im groBräumigeren Kontext der Geschäftsund Marktentwicklung stehen hier im Vordergrund. Einengungen durch unbegründete Kohärenz mit der Vergangenheit392 können beseitigt werden. In einem letzten Schritt wird geprüft, ob der Urteilende vollständig mit statistischer Methodik vertraut ist oder gegebenenfalls auf eine andere Skalierung 387 Vgl. Miley W. Merkhofer, Quantifying Judgmenta.l Uncertainty: Methodology, Experiences, and Insights, S. 742. 388

Vgl. M. GrangerMorgan I Max Henr'ion, Uncertainty, S. 136.

Vgl. zum Ablauf Glenn G. Shephard I Craig W. Kirkwood, The Process of Eliciting a Judgmenta.l Probability Distribution, S. 12ff. 389

390 Vgl. Miley W. Merkhofer, Quantifying Judgmenta.I Uncertainty: Methodology, Experiences, and Insights, S. 742f. 391

"Der Benzinpreis am 10. August 1998''

"We do not want to invalidate the past ..." Robyn M. Dawes, Rationa.l Choice in an Uncertain World, S. 24. 392

4. Likelihood-Schätzungen

193

ausgewichen werden muß. Mit der Formulierung des Bedingungsgefüges wird die Aufmerksamkeit des Urteilenden auf die unsichere Größe konzentriert und der potentielle Einfluß sämtlicher Kategorien von Verzerrungseffekten erörtert. Phase (c) dient damit insbesondere dazu, das Situationsbild des Entscheidungsträgers einer probabilistischen Analyse zugänglich zu machen und sicherzustellen, daß die erforderliche Vertrautheit mit den Abbildungsmethoden gegeben ist 393 . Im Regelfall gilt die Entschlüsselungsphase der Schätzung einer vollständigen Verteilung394 . Begonnen wird dabei mit Fraktilsschätzungen an den Rändern der Verteilung (0, 01; 0, 99), um Koppelungseffekte des Tarierens zu vermeiden. Bevor es zur Bezifferung von Ausprägungen kommt, werden Szenarien, die in diese Randbereiche führen können, erörtert. Im folgenden Schritt findet durch wechselweise Vorgabe von Ausprägungen oder Fraktilen eine Entschlüsselung mittlerer Bereiche der Verteilung statt. Auch hier werden begleitend Szenarien diskutiert, die die angenommenen Schätzwerte begründen helfen. Die Entschlüsselung von außen nach innen mit häufigen Wechseln zwischen oberem und unterem Bereich beugt Verzerrungen vor, die Fraktilsschätzungen in aufsteigender Folge mit sich bringen können: Häufig werden abschließende Intervalle im Bewußtsein der geforderten Kohärenz "passend" gemacht. Am Ende dieser Phase steht eine vorläufige Verteilungsschätzung, beschrieben über zumeist fünf Fraktilswerte, so daß neben den Randfraktilen die Ausprägungen zu 0, 25, 0, 5 und 0, 75 vorliegen. In der Überprüfungsphase wird der Urteilende durch abgeleitete Fragestellungen einer Reihe von Kohärenztests ausgesetzt. Hierbei geht es zum Beispiel um die Gewinnung von Wahrscheinlichkeiten oder Ausprägungen nach der Halbierung der Verteilung und isolierter Analyse auf einem der Teilstücke.

GG Abbildung 4-13. Glücksrad

393 Vgl. auch Lee Roy Beach I Valerie E. Bames I Jay J.J . Christensen-Szalanski, Beyond Heuristics and Biases: A Contingency Model of Judgemental Forecasting, S. 153. 394 Vgl. z.B. Glenn G. Shephard I Cra.ig W . Kirkwood, The Process of Eliciting a Judgmental Probability Distribution, S. 12ff.

13 Lechner

194

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Als graphische Hilfsmittel bei der Entschlüsselung von Einzelwahrscheinlichkeiten dienen das Glücksrad395 sowie Venn-Diagramme und Wahrscheinlichkeitsbäume396. Bei der Gewinnung von Verteilungsschätzungen kommen die Graphen von Dichte- und Verteilungsfunktion sowie reduzierte Darstellungen auf der Basis zentraler Momente und ausgewählter Fraktile zum Einsatz. In Abhängigkeit vom Schätzgegenstand können Reduktionen, zum Beispiel nach Art des in Abb. 4-15 gezeigten Box-Plot397 , die Aufmerksamkeit gezielt auf ein bestimmtes Profil charakteristischer Merkmale einer Verteilung lenken.

Abbildung 4-14. Venn-Diagramm

An diesem Verlaufsprotokoll wird erkennbar, in welchem Umfang die Moderation mit ihren formalen Vorgaben und der sachlichen Steuerung Einfluß auf Meinungsbildung des Urteilenden nimmt. Der Ansatz lautet auf eine Sensibilisierung gegenüber möglichen Verzerrungen und eine Erweiterung der Perspektive des Urteilenden. Dieses soll gelingen, ohne durch die Ausformung der Schätzaufgabe wiederum selbst Verzerrungseffekte auszulösen. Die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung von Seaver u.a. etwa deuten darauf hin, daß insbesondere für die Randbereiche zu entschlüsselnder Verteilungen in der Kombination von Schätzungen zu Wahrscheinlichkeit und Wettquotienten sowie dem Verzicht auf Fraktilsschätzungen die geringsten Verzerrungseffekte zu erwarten sind398 . Den häufig zu eng ausfallenden sub395 Die farblieh abgesetzten Segmente der in Abb. 4-13 skizzierten Scheibe lassen sich beliebig gegeneinander verschieben und dienen zur Visualisierung vorzugebender Wahrscheinlichkeiten mit ihrem Komplement (eine entsprechende Skala ist für den Moderator auf der Rückseite angebracht} oder, bei Anpassung an eine gegebene Ausprägung der Schä.tzgröße, der Justierung durch den Urteilenden anband der Flä.chenrelation. Die Pfeilspitze symbolisiert das Zufallsereignis. 396

Vgl. Bruce F. Baird, Managerial Decisions under Uncertainty, S. 3lff.

397

Vgl. John W . Tukey, Exploratory Data Analysis.

398 Vgl. David A. Seaver I Detlof von Winterfeldt I Ward Edwards, Eliciting Subjective Probability Distributions on Continuous Variables, S. 383ff.

195

4. Likelihood-Schätzungen

jektiven Verteilungen bei Wahrscheinlichkeits- und Fraktilsschätzungen soll hier durch die gegenteilige Einflußrichtung bei Gewinnung von Wettquotienten für Randausprägungen entgegengewirkt werden. Seaver u.a. weisen allerdings darauf hin, daß dieser Kompensationseffekt nicht durchgängig beobachtet werden konnte399 , so daß auch hier insbesondere mit der logarithmischen Repräsentation von Reizspektren gerechnet werden muß400 .

• ---i 10%

Min

75%

25%

'--- --'----------'

X

Median

Abbildung 4-15. Tukey-Box-P!ot

Der Entwurf von Szenarien und die Auseinandersetzung mit Ursachen für das Zustandekommen bestimmter Konstellationen bildet den Kern der Objektivierung des Erfahrungsschatzes. Während der Rekurs auf Gründe und Ursachen einer Schätzung generell als Mittel der Validierung anerkannt wird401 , zeigen verschiedene Studien sehr geringe Sensitivität der Zuverlässigkeit von Schätzungen gegenüber argumentativer Unterstützung. So deuten die Untersuchungsergebnisse von Fischhoff und MacGregor darauf hin, daß argumentative Stützung per se nicht zu einer wesentlichen Verringerung des überhöhten Zutrauens führt. In einer Serie ähnlich angelegter Studien wurden jeweils drei Gruppen mit einem Katalog von Schätzaufgaben zu bevorstehenden Ereignissen konfrontiert. Der ersten Gruppe war aufgetragen, unter den bei jeder Frage zur Auswahl gestellten zwei Ereignissen, zum Beispiel Wahlgewinn durch einen bestimmten Politiker und das Komplement, das für wahrscheinlicher gehaltene auszuwählen, einen Grund für die Entscheidung zu nennen und sodann das Likelihood zu beziffern. In der zweiten Gruppe war anstelle des stützenden Grundes ein konträrer Grund verlangt, und die dritte Gruppe war aufgefordert, sowohl einen für- als auch einen gegensprechenden Grund vor der Likelihood-Schätzung zu benennen 402 . Kontrastiert wurden die Resultate mit den Ergebnissen, die die betreffende Gruppe in einem weiteren 399

Vgl. ebd., S. 384, 387.

400

Vgl. Abschn. 4.3.5.

Vgl. z.B. Lennart Sjöberg, Aided and Unaided Decision Making: lmproving Intuitive Judgement, S. 352. 401

402

Vgl. Baruch Fischhoff /Don MacGregor, Subjective Confidence in Forecasts, S. 159ff.

196

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

Katalog von Schätzaufgaben, ohne Anforderung einer Begründung, erzielte. Systematische Abweichungen gegenüber Studien, bei denen LikelihoodSchätzungen in Form von Tatsachenvermutungen anzustellen waren, konnten nicht festgestellt werden. Die durch Einführung des argumentativen Elements erzielten Effekte waren generell unbedeutend, so daß selbst die Einbeziehung konträrer Argumentation ohne maßgeblichen Einfluß auf Eintrittsrate (d) und Distanzindex (Po) blieb. Fischhoff und MacGregor räumen allerdings ein, daß die extensivere Nutzung dialektischer Begründungsmuster zu deutlich verbesserter Kalibrierung führt 403 . Signifikante Abweichungen konnten hinsichtlich eines Ausschnitts der Teilnehmer identifiziert werden: Urteilende, die konsequent darauf verzichteten, vollkommene Sicherheit zu äußern, mithin der Richtigkeit ihrer Schätzung stets ein p(e) < 1 zuordneten, vermieden dadurch nicht allein die typischerweise in dieser Klasse größten Abweichungen durch überhöhtes Zutrauen, sondern erwiesen sich als durchgängig besser kalibriert 404 • In der Auswertung von Dokumentationen publizierter Studien mit vergleichbarem Versuchsaufbau kommen Fischhoff und MacGregor zu dem Ergebnis, daß lediglich drei Verfahrensansätze zu einer signifikanten Verminderung überhöhten Zutrauens führen 405 : (1) ausgiebiges Training der Urteilenden vor dem Hintergrund des Phänomens, verbunden mit persönlichem feedback, (2) Aufforderung zur Konfrontation der Schätzung mit widersprechenden Gründen und (3) Vereinfachung der Schätzaufgabe. Während die erste Möglichkeit außerhalb einer konkreten Entscheidungsvorbereitung liegt, sind sowohl die dialektische Strukturierung einzelner Schätzaufgaben als auch der vom Aggregationsgrad und der Aufgabenformulierung abhängige Schwierigkeitsgrad im konkreten Fall beeinfl.ußbar406 . Als wesentliche Ursache für die häufig indifferenten Ergebnisse bislang durchgeführter Untersuchungen und die hierdurch veranlaßte Annahme geringer Sensitivität des Schätzverhaltens gegenüber expliziter argumentativer Stützung muß die bislang wenig fortgeschrittene Auseinandersetzung mit 403 Vgl. ebd., S. 170. Zu einer ausführlichen Beschreibung eines solchen Ansatzes vgl. z.B. das Konzept des !tmtegic assumption surfacing and testing mit seinen Komponenten Hypothese, Begründung, Stützung, Zurückweisung und schlußfolgernde Hypothese bei Richard 0 . Mason I Ian I. Mitroff, Challenging Strategie Planning Assumptions, S. 2llff; William J. Altier, The Power of Negative Thinking. 404 Vgl. ebd., S. 169f. Anm.: Der über alle drei Studien aggregierten graphischen Darstellung ( ebd., S. 170) folgend, gilt keine Dominanz in der Klasse 0, 50 ~ p ~ 0, 59 bei den argumentativ ergänzten Schätzungen und in der Klasse 0, 60 ~ p ~ 0, 69 bei den Kontrollschätzungen. Aus den Relationen ist jedoch ersichtlich, daß sich bei Zusammenführung beider Versuchsteile strenge Dominanz einstellt. 405

Vgl. Baruch Fischhoff I Don MacGregor, Subjective Confidence in Forecasts, S. 158.

"One reHection of people's insensitivity to how much they know is the fact that their mean confidence changes relatively slowly in response to changes in the difficulty of the tasks they face." Ebd. 406

4. Likelihood-Schätzungen

197

Begründungsmustern in der gedanklichen Formierung von Urteilen gewertet werden. Forschungsansätze auf diesem Sektor bilden die Voraussetzung, um die zu beobachtende Fokussierung auf reine Meß- und Skalierungsvorgänge im Gewinnungsprozeß zu überwinden407 . Ein Weg zur Systematisierung möglicher Begründungsformen liegt in der Übertragung rhetorischer Gestaltungsmuster. Als Folgerungsvarianten werden hierbei unterschieden408 : - kausale Verbindung, - kovariate Verbindung, - hierarchische Verbindung, - Ähnlichkeits-Verbindung, - Verbindung zu externen Sachverhalten. Die Analyse anband dieser Begründungstypologie liefert unabhängig vom aufgabenspezifischen Gegenstand der Schätzung Anhaltspunkte zu intersubjektiver, das heißt hier der Moderation zugänglicher Bewertung der subjektiven Wissensbasis. Mit der kausalen Verbindung ist die Argumentation über Ursache-Wirkungs-Ketten bezeichnet. Wissen über das Vorliegen bestimmter Gegebenheiten führt dabei zu Schlußfolgerungen entweder hinsichtlich ihrer Konsequenzen oder auf die Existenz auslösender Sachverhalte. Auf die nicht konkretisierbare, jedoch implizit enthaltene Annahme eines zugrundeliegenden kausalen Zusammenhangs stützt sich die kovariate Verbindung. Anhand der unterstellten Symptomatik kommt den bekannten Symptomen eine Indikatorfunktion zu. Aus dem Wissen über Ausprägungen dieser Indikatoren werden Rückschlüsse auf weitere Symptome gewonnen. Die Argumentation über hierarchische Verbindungen kann Fall-Unterscheidungen im Sinne einer Klassifikation oder ein Zerlegungsschema für einen betrachteten Sachverhalt zum Gegenstand haben. Mit der Ähnlichkeits- Verbindung werden gegenstandsbezogene Analogieschlüsse erfaßt. Der Urteilende unterstellt die Homogenität von bekannten und zu schätzenden Sachverhalten. Demgegenüber stützen sich Schlußfolgerungen aus der Verbindung zu externen Sachverhalten lediglich auf Analogien in der Art der Beziehung zwischen Bestandteilen über inhaltlich verschiedene Sachverhalte hinweg. In der Folge der aufgeführten Begründungstypen steigen die kognitiven Anforderungen bei der Bildung von Argumentationsketten. Höhere Anforderungen entstehen dabei durch den Verlust des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem Gegenstand vorhandenen Wissens und zu schätzendem Sachverhalt. Der Ausgleich erfolgt dabei zum einen über eine wachsende Anzahl gleichzeitig zu berücksichtigender Einflußfaktoren und zum anderen über 407 Vgl. Sha.wn P . Curley u.a.., Arguments in the Pra.ctica.l Rea.soning Underlying Constructive Probability Responses, S. lf. 408

V gl. ebd., S. 5ff.

198

2. Teil: Schätz- und Entscheidungsverhalten

eine Verlängerung der Argumentationskette zwischen bekannten Sachverhalten und Schätzgegenstand. Die empirischen Untersuchungen Curleys u.a. zeigen dementsprechend eine ausgeprägte Neigung der Urteilenden, insbesondere kausale Erklärungsmuster zur Begründung von Schätzungen heranzuziehen409. Weitergehende Bedeutung haben die wachsenden Anforderungen an die Moderation im Gewinnungsverfahren. Insbesondere die Argumentation anband von hierarchischen Verbindungen und Analogien bedeutet gleichzeitig höhere Anforderungen an die Vertrautheit des Moderators mit den Objektbereichen der Schätzung und der durch den Urteilenden einbezogenen Sachverhalte. Der Erfolg der Moderation, das heißt der Hilfestellungs- und Kontrollfunktionen bei der Transformation subjektiven Wissens in organisationsseitig verwertbare Information hängt damit ebenso vom Umfang der bereits intersubjektiv verfügbaren Wissensbasis wie von der Vermittlung und Aufnahme der Handhabung des sprachlichen Mediums ab.

409

Vgl. die Auswertung der empirischen Untersuchung ebd., S. 50f.

Dritter Teil

Entscheidungsvorbereitung in der Planung

5. Prinzipien der Entscheidungstindung Die Bildung subjektiver Wahrscheinlichkeiten stützt sich wesentlich auf präferenztheoretische Konzepte1 . Die Urteilsfindung bei einer Schätzung läßt sich gleichermaßen als Auswahl- oder Evaluierungsvorgang interpretieren. Im Unterschied zur Schätzung basiert die Nutzenmessung jedoch aus theoretischer Sicht auf einem vorhandenen oder potentiellen Objekt, das in seinen nutzenbegründenden Eigenschaften vollständig beschrieben ist. Diese Vollständigkeit ist in der empirischen Betrachtung nicht immer gegeben. Die Nutzenbestimmung ist ein Vorgang der Beurteilung empirischer oder prospektiver Gegebenheiten. Soweit das Nutzenkriterium intersubjektiv beoachtbar ist und geeignete objektive Meßverfahren zur Anwendung kommen, lassen sich Aussagen zum Nutzen direkt über die Systematik der Urteilsformen charakterisieren2 . Gilt als Kriterium der monetäre Wert und sieht das Meßverfahren eine proportionale Veränderung des Nutzens mit dem Geldbetrag sowie die Gleichheit des Nullpunktes vor, kann der potentielle Nutzen für jeden beliebigen Betrag angegeben werden. Der Nutzen erlangt faktische Kraft und läßt sich als Feststellung ausdrücken, wenn die urteilende Instanz über den betreffende Geldbetrag tatsächlich verfügt. Ist das Wissen über die Höhe eines bereits erhaltenen Geldbetrages oder einer in der Zukunft erwarteten Zahlung unvollkommen, kann das Urteil über den Nutzen lediglich als Vermutung geäußert werden. Im Unterschied zu Vermutungen über empirische Sachverhalte oder Vorhersagen zu einem empirischen Objektbereich, hängt die Güte der Schätzung bei der Nutzenbetrachtung nicht allein von Informationen zur Ausprägung des Nutzenkriteriums ab, sondern ebenso von 1 Zu einem konsequenten Aufbau anband des Nutzenkonzepts vgl. z.B. Richard C. Jeffrey, The Logic of Decision; Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. IV, 1. Hbd., S. 310ft".

2 Vgl. S. 85.

200

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

der Validität des Nutzenkriteriums hinsichtlich des betrachteten empirischen Objekts und des Meßverfahrens zur Abbildung der empirisch verankerten Quantität in eine Nutzengröße. Unvollständige Erfassung und eingeschränkte Meßbarkeit von Nutzenkriterien bilden ein Problemfeld, daß die Untersuchung möglicher Beeinträchtigungen in der Beobachtung des Objektbereichs systematisch ergänzt. Diese Ausweitung möglicher Ursachen für systematische verzerrte Messungen gibt zunächst Anlaß dazu, die Leistungsfähigkeit der Ergebnisbewertung über Nutzenfunktionen grundsätzlich zu prüfen, das heißt die Vorteilhaftigkeit dieser Transformation mit Blick auf den Informationsgehalt der Abbildung des Entscheidungsfeldes zu untersuchen. Edwards u.a. führen als generelles Argument gegen eine Differenzierung zwischen Entscheidungskonsequenzen und Nutzen an, daß das eigentliche Anliegen, Nutzenfunktionen als vollständiges und authentisches Bild der Beweggründe des Entscheidungsträgers zu konstruieren, unerreichbar bleibt und zudem über die Argumentwerte der Nutzenfunktion eine gegenüber der Bewertung originärer Entscheidungskonsequenzen nicht minder willkürliche Strukturierung in einem komplexen Entscheidungsumfeld erfolgt3 . Die Konsequenzen einer verkürzten Abbildung des Nutzens zeigen sich insbesondere durch Unvereinbarkeiteil beobachtbarer Einschätzungen des Nutzens im Alternativenvergleich gegenüber den Resultaten nutzentheoretischer Bewertung. Nachfolgend werden diese Situationen unter den Aspekten Transitivität und Unabhängigkeit in der Alternativenbewertung behandelt. Die Berücksichtigung der Unsicherheit alternativer Nutzenerwartungen erstreckt sich aus nutzentheoretischer Perspektive auf die Verarbeitung einwertiger Wahrscheinlichkeitsschätzungen oder von Verteilungsschätzungen, die über eine Anzahl von Fraktilen beschrieben sind. In beiden Fällen wird Risiko lediglich über Eintrittswahrscheinlichkeiteil zum Ausdruck gebracht. In einer sich anschließenden Erörterung soll die differenziertere Repräsentation des Risikos über die ersten drei Verteilungsmomente auf Verträglichkeit mit der Bewertung anband des Erwartungsnutzens untersucht werden.

5.1 Transitivität und Unabhängigkeit Für die Beständigkeit einer linearen Ordnung4 , muß neben der Transitivität der Präferenzrelation auch die Indifferenzrelation transitiv sein5 . Diese

3 Vgl. Ward Edwards I Detlof von Winterfeldt I David L. Moody, Simplicity in Decision Analysis, S. 459f.

5. Prinzipien der Entscheidungstindung

201

Anforderung führt unmittelbar auf die Aporie des Sorites zurück6 . Eine Sequenz von Vergleichen etwa zur Länge verschiedener Objekte veranschaulicht dies: Zwischen den Objekten A, B und C bestehen meßbare Unterschiede, so daß in der genannten Abfolge die ~-Relation bezüglich des Kriteriums gelte. In der subjektiven Wahrnehmung der Längenrelationen ergebe sich aufgrund der Geringfügigkeit der Differenzen jedoch A,...., B, B ,...., C und erst beim Vergleich des ersten mit dem letzten Gegenstand die Relation A ~ C. Ein Widerspruch zum Transitivitätsaxiom entsteht7 , der nicht ausgeräumt, bestenfalls durch Schulung des Urteilenden auf ein höheres Diskriminanzniveau verlagert werden kann8 . Die Wahrnehmung von Ausprägungsunterschieden läßt sich demnach nicht infinitesimalisieren9 , und die Existenz von Reizschwellen 10 muß als Faktum akzeptiert werden. Edwards schlägt als theoretische Lösung vor, Präferenzen und Indifferenzen in einem statistischen Sinn zu deuten. Diesem Verständnis folgend, würde sich in einer langen Serie von Wiederholungen des Wahlvorgangs selbst ein kaum merkbarer Unterschied zwischen den Alternativen in einer Präferenzrelation ausdrücken, da die bevorzugte Alternative geringfügig häufiger gewählt würden . Die Vermutung liegt nahe, daß

4 In der Prä.ferenzterminologie: Der Urteilende bevorzugt beim paarweisen Vergleich entweder eines der beiden Ergebnisse gegenüber dem anderen oder er ist indifferent gegenüber beiden. Im Falle der schwachen Ordnung gilt zusätzlich die Relation t (... wird nicht geringer eingeschätzt als ... ) 5

Vgl. John W.N. Watkins, Freiheit und Entscheidung, S. 45.

6

Vgl. Abschn. 4.1.

Vgl. Stephan Körner, Erfahrung und Theorie, S. 188f; grundlegend hierzu Kar! Menger , Mensuration and Other Mathematical Connections of Observable Material. 7

8 Vgl. etwa die Darstellung am Beispiel des musikalischen Gehörs bei Gerd Gigerenzer , Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 5lff. 9 Daß dies nicht allein auf der elementaren Ebene der Perzeption Gültigkeit hat, sondern auch im organisationalen Kontext zu beachten ist, d.h. z.B. zu Untergrenzen für den Umfang wirksamer Steuerungsinkremente führt, folgt zwingend für alle Belange, in denen Menschen an der Interaktion beteiligt sind. Ein gescheiterter Versuch wird Pierre S. de Laplace zugeschrieben : Der vormalige Mathematik-Lehrer Napoleons wurde von diesem 1799 zum Innenminister berufen. Nur sechs Wochen später fiel der Entschluß, im weiteren auf seine Dienste zu verzichteten, da er . den Geist der Infinitesimalrechnung in die Verwaltung einführte" und die Kontrolle über seine Amtsgeschäfte verloren hatte. B. Blanshard, Reason and Goodness, zitiert nach Dietrich Bott, Allgemeine und historische Betrachtungen zum Entscheidungsbegriff, S. 27; Jacques Presser, Napoleon, Harnburg 1979, S. 26.

10 Vgl. Abschn. 4.3.5. 11 Vgl. Ward Edwards, The Theory of Decision Making, S. 24. Vgl. alternativ das Konzept der Indifferenzbänder in der Nutzenbetrachtung bei Wilhelm Krelle, Präferenz- und Entscheidungstheorie, S. 14f.

202

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

Edwards hierbei auf Thurstones Gesetz vergleichender Schätzung abhebt, wonach keine fixierten Ununterscheidbarkeitsschwellen existieren, sondern vielmehr über Versuchsreihen statistische Aussagen gebildet werden können, die Schwellen in Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen repräsentieren 12 . Wie Watkins darlegt, hängt die Überzeugungskraft dieser Argumentation wesentlich davon ab, ob es gerechtfertigt erscheint, unterhalb der Wahrnehmungsschwelle sublimale Einflüsse zu unterstellen 13 , die dann nicht allein unbewußt wirken sondern, um der Häufigkeitsdeutung zu folgen, auch zu unterschiedlichen Signalen führen und erst über eine genügende Anzahl Versuche stabilisierte Diskriminanzmuster ermöglichen. Zunächst wäre die Frage zu klären, ob die konsequente Einhaltung des Transitivitätsaxioms und weiterer entscheidungstheoretischer Anforderungen notwendig ist, um das empirische System der Unternehmung auf der hier betrachteten Ebene zweckgerichtet im numerischen System abzubilden. Zu erwarten ist, daß das numerische System bei weitem das beobachtbare Diskriminanzniveau überschreitet. Als zweite Frage wäre dann zu klären, ob es gerechtfertigt ist, die Rückwirkungen des numerischen Systems auf das empirische zu nutzen und gegebenenfalls auszubauen, um auch dort eine höhere Sensitivität zu erzielen. Diese Frage müßte bejaht werden, wenn der Erfolgseffekt einer feineren Steuerung gegenüber dem Ausbau Instrumente im numerischen System und deren Wirkungsintensität auf die Gestalt des empirischen Systems einen Netto-Nutzen verspricht. Bei den Steuerungsimpulsen aus der Controlling-Funktion, insbesondere in größeren Unternehmen, läßt der gezielte Ausbau darauf schließen, daß dieser Netto-Nutzen für Zwecke der ex-post Analyse und der kurz- bis mittelfristigen Allokationssteuerung als gegeben betrachtet wird 14 . Hinsichtlich der Planung ist dieses Urteil nicht mit gleicher Bestimmtheit möglich. Wenn das Disaggregieren von festgestellten Sachverhalten im Unternehmen auch möglicherweise in Spekulationen mündet, bleibt dennoch die Informationsbasis mit ihrer faktischen Qualität erhalten und kann zur Identifikation nicht-abgesicherter Induktionen genutzt werden; die Ergebnisse einer Kontrolle stehen der objektiven Überprüfung offen. Eine andere Situation ergibt sich in der Planung: Welchen Wert hat die weitere Detaillierung und die Erhöhung der Bestimmtheit einzelner Hypothesen, wenn die Urteils12

Vgl. Gerd Gigerenzer I David J . Murray, Cognition as Intuitive Statistics, S. 36ff, 42.

Vgl. John W.N. Watkins , Freiheit und Entscheidung, S. 45. In der Psychologie wird der Begriff sublimal allgemein verwendet, um eine Situation zu kennzeichnen, in der faktische Wahrnehmung verbunden ist mit dem Unvermögen, diese zu artikulieren. Vgl. z.B. fuchard E. Nisbett I Timothy DeCamp Wilson, Telling More Than We Can Know: Verbal Reports on Mental Processes, S. 239. 13

14 Vgl. z.B. das operational auditing und die (quasi) ex-ante Prüfung, d .h. Prüfung nach Abschluß der Spezifikation und vor Freigabe eines Projektes, bei Peter Horvath, Controlling, S. 717f.

5. Prinzipien der Entscheidungstindung

203

grundlagelediglich einen vagen Rahmen bietet? Die vorhandene Unsicherheit kann in diesem Fall nur erhaltend absorbiert werden, das heißt ohne Unterdrückung, bei Detaillierung über das gesamte Spektrum möglicher Entwicklungen, wobei jede der dann verwendeten Hypothesen einen immer schmaleren Ausschnitt der Gesamtperspektive umfaßt und damit an Glaubwürdigkeit einbüßt. Ein zweiter Aspekt zur Intransitivität von Präferenzurteilen läßt sich an dem häufig gebrauchten Beispiel der Rangreihung eines Getränkeangebots darstellen, etwa Katfee >- Fruchtsaft, Fruchtsaft >- Bier, gefolgt von der Präferenz Bier>- Kaffee15 . Um diese Präferenzäußerungen deuten zu können, werden sie im experimentellen Rahmen behandelt, als sei für alle der zu bewertenden Objekte aus empirischer Sicht ein ganz bestimmter Maßstab und ausschließlich dieser relevant. Wendet der Urteilende sein Präferenzfunktional auf die zur Wahl stehenden Alternativen an, entsteht eine konsistente Ordnung, rationales Verhalten vorausgesetzt. Tatsächlich gilt dieser einheitliche Maßstab jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen, so für den Fall, daß der Beurteilende zwischen Geldbeträgen unterschiedlicher Höhe eine Präferenz bildet. Hier kann zuverlässig unterstellt werden, daß der Geldwert als einziger Maßstab zum Zuge kommt 16 und das Transitivitätsaxiom unverletzt bleibt. Im vorher skizzierten Fall legt der Experimentator den relevanten Maßstab fest, dieser könnte hier gelautet haben Geschmack von Getränken, die regelmäßig in Portionen von mehr als 0, ll genossen werden. Ein zweites Beispiel soll der zu ziehenden Schlußfolgerung vorab einen stärkeren Akzent geben: Der Urteilende ist aufgefordert seine Nutzenpräferenzen zwischen den folgenden brennbaren Substanzen anzugeben: Heizöl, Benzin, Spiritus. In den jeweils verfügbaren Mengen sind die Stoffe monetär gleichwertig. Weiter sei unterstellt, daß die Versuchsperson sowohl über ein Haus mit Ölheizung als auch über ein Auto und einen Gartengrill beziehungsweise Fensterscheiben verfügt, so daß für alle drei Stoffe potentiell Verwendung besteht. Hier wird deutlich, daß bereits auf der empirischen Seite kein gemeinsamer Maßstab gedacht werden kann. Für den konsumierenden Haushalt käme bei Heizöl der Brennwert in Frage, beim Benzin die zurücklegbare Fahrtstrecke und beim Spiritus die Häufigkeit mit der ein Grill angezündet werden kann oder wieviele Fenster geputzt werden könnten17 . 15 Vgl. z.B. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 251; unter Hinweis auf die hier vorzutragende Kritik: Leonard J. Savage, Elicitation of Personal Probabilities and Expectations, S. 785; am Beispiel von Lotterien: Glenn Shafer, Savage Revisited, S. 207ff. Zur Abbildung über Dominanzmatrizen vgl. z.B. Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 200ff.

16 Unter bestimmten Bedingungen ist selbst diese Annahme zu relativieren. Vgl. die folgenden Erläuterungen zum sure thing principle. 17 Konkret hieße dies etwa eine Auswahl zu treffen zwischen den Alternativen, drei Monate ein Haus im Winter zu beheizen oder über Generationen einmal wöchentlich Fenster putzen bzw.

204

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

Ganz offensichtlich hängen Validität und Reliabilität der Erhebung von Präferenzurteilen zentral von der Gültigkeit genau einer Bewertungsfunktion und damit einer konsistenten Dimensionierung über alle zu bewertenden Objekte ab. Sind Objekte in ihren relevanten Eigenschaften unvereinbar und dienen sie daher auch der Erfüllung verschiedener Zwecke, kann die durch Zusammenfassung unter einem technischen Kriterium, wie etwa der Trink- oder Brennbarkeit, künstlich gewonnene Homogenität keine verläßliche Grundlage zur Aufstellung einer linearen Ordnung bilden 18 . Präferenzurteile im paarweisen Vergleich stehen in dieser Situation immer unter dem Vorzeichen einer flüchtigen Arbitrage in der Relation zweierobjektspezifischer Nutzendimensionen und sind daher nur für die jeweils betrachtete Paarung gültig19 . Kommen in einem solchen Fall widerspruchsfreie Präferenzen zustande, müßte dies eher als Zufall, denn als Beweis der Rationalität des Urteilenden gewertet werden. Rückschlüsse auf die Vernünftigkeit des Handeins wären nur zulässig, wenn die zuvor bereits mehrfach karikierte Existenz einer "Einheitsfunktion" als konsistente und invariante Klammer um alle Präferenzmaßstäbe postuliert würde 20 • Unter diesem Blickwinkel ist auch der zuweilen scharf geführten Diskussion um das Beibehalten oder Verwerfen einer hochplausiblen Prämisse, wie sie das Transitivitätsaxiom darstellt, die Spitze genommen 21 , und es wäre zu überdenken, ob bei dem vielfach unternommenen Versuch, lntransitivität explizit in die rechnerische Analyse einzubeGriUkohle anzünden zu können . Auf die gleichen gedanklichen Wurzeln, namentlich die Existenz eines universellen Bewertungsmaßstabs, weist Gary S. Becker mit seiner Karikatur des homo oeconomicus: .... he would read in bed at night only if the value of reading exceeded the value (to him) of the loss in sleep suffered by bis wife." Ders., A Theory of Social Interactions, S. 1078. 18 Zu den im Versuchsaufbau unzulänglich berücksichtigten Bedeutungsfacetten eines Wertbegriffs formuliert Gerd Gigerenzer allgemein: "Stimmt der Komplexitätsgrad der vom Forscher vorgegebenen Bedeutungsträger mit dem Komplexitätsgrad der von den untersuchten Individuen abgegrenzten Objekte nicht überein, so ist intransitives Verhalten zu erwarten." Ders. , Messung und Modellbildung in der Psychologie, S. 193. 19 Ein geeigneter Weg, um die Unvermeidbarkeit von Intransitivitäten zu verdeutlichen, liegt in der Übertragung von Illustrationen zum Unmöglichkeitstheorem von Kenneth J . Arrow. Die Rolle des Gremiums mit seinen Präferenzprofilen und die Inkonsistenz einer Folge von Stichwahlen (Paarvergleichen) lassen sich identifizieren mit Vergleichsoperationen, bei denen einzelnen Präferenzkriterien wechselnde Bedeutung zukommt. Zum Unmöglichkeitstheorem vgl. Günter Barnberg I Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 193ff; R. Duncan Luce I Howard Raiffa, Gamesand Decisions, S. 333ff; Gebhard Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 104ff, hier zusätzlich mit dem Hinweis auf die weiter zurückliegenden Untersuchungen des Marquis de Condorcet (Marie Jean A.N. Caritat) zu dessen Condorcet-Paradoz .

20 Analoge Fragestellungen im Kontext Präferenzunabhängigkeit bei Herauslösung oder Ergänzung einzelner Komponenten aus einem nutzenbegründenden situativen Zusammenhang werden aufgeworfen bei Christopli Schneeweiß, Planung, Bd. 1, S. 961f. 21 Vgl. z.B. die Diskussion bei Wolfgang Mag, Entscheidung und Information, S. 98f; Dieter Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, S. 352; ders., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 226f.

5. Prinzipien der Entscheidungstindung

205

ziehen, nicht an einem Symptom laboriert wird, dessen Ursachen bereits im Vorfeld, der Systematik der Problemrepräsentation zu finden ist22 . Zu einer konstruktiven Lösung des Problems der lntransitivität ist es in jedem Fall erforderlich, in zweierlei Hinsicht zu präzisieren23 : (1) Liegt das Ziel in der Durchsetzung der theoretisch hergeleiteten Präferenzmaßstäbe, geben beobachtete Intransitivitäten Anlaß zu einer intensiveren Vermittlung dieser Maßstäbe, anderenfalls gilt die Schlußfolgerung, daß das Modell bestehende Abgrenzungsprobleme nicht gelöst hat und dementsprechende Modifikationen erforderlich sind. (2) Diskriminanzschwellen: Ist die gewählte Rasterung der Schätzgröße arbiträr, können Kollisionen mit festgestellten Diskriminanzschwellen durch entsprechende Vergröberung vermindert werden 24 , anderenfalls bietet vermehrtes Training die einzige Möglichkeit, Unterscheidungsvermögen zu verbessern. Das Problem kann im Beispielfall ausgeräumt werden, wenn es gelingt, für die Aufstellung der Ordnung eine Transformation auf einen eindimensionalen Maßstab vorzugeben. Der Urteilenden könnte etwa aufgefordert werden, die Rangreihung anhand des monetären Äquivalents vorzunehmen. Im zweiten Beispiel wurde hier Gleichheit unter den Alternativen unterstellt, so daß ein Indifferenzurteil zu erwarten ist. Im ersten Beispiel könnte sich der Beurteilende an durchschnittlichen Restaurantpreisen orientieren und etwa mit ~(Bier) > ~(Fruchtsaft) > ~(Kaffee) antworten. Soweit seine Informationslage unverändert bleibt, ist auszuschließen, daß auf eine erneute Frage hin, das Glas Bier für geringerwertig gehalten wird als die Tasse Kaffee. Gelingt die explizite Erfassung weiterer Nutzeneinflüsse lediglich auf ordinalem Skalenniveau, ist die Gesamtbewertung immer noch unangreifbar hinsichtlich möglicher lntransitivitäten: "Eine Funktion von zwei (oder mehr) Variablen wird unbestimmt, wenn eine (oder mehrere) dieser Variablen nur ordinal meßbar ist; denn wenn sich eine davon in einer Weise ändert, die für sich allein den Wert der Funktion mindert, während die andere sich in einer Weise ändert, die ihn erhöht, dann können wir das Nettoergebnis nicht 22 Ja.mes S. Dyer u.a. verweisen in ihrer Biographie und dem Ausblick auf zukünftige Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Mehrziel-Entscheidungen (MCDM) und MehrattributNutzen (MAUT) auf eine der jüngeren Errungenschaften, wonach Systeme für Mehrziel-Entscheidungauch intransitive Präferenzen des Entscheidungsträgers verarbeiten können. Vgl. dies ., Multiple Criteria Decision Making, Multiattribute Utility Theory: The Next Ten Years, S. 649. Zur Anwendung eines solchen Systems vgl. z.B. Gerd lslei u.a., Modeling Strategie Decision Making and Performance Measurements at ICI Pharmaceuticals. 23 Vgl. die Interpretation aus der Perspektive der Verhaltensforschung und therapeutischer Maßnahmen bei Gerd Gigerenzer, Messung und Modellbildung in der Psychologie, 194f.

24 Der Verzicht auf Abstufungen -letztlich bis hin zur Fage des Skalenniveaus -läßt sich nur mit Blick auf eine bestimmte Aufgabenstellung begründen. In jedem Fall besteht die Problematik für Ausprägungen nahe der verbleibenden Klassengrenzen fort . Zu den Implikationen vgl. auch Stephan Körner, Erfahrung und Theorie, S. 190f.

206

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

berechnen, es sei denn wir wüßten, um wieviel sie sich in bezug zueinander verändern. So scheint die Antwort zu sein, daß ich in diesem Fall nicht rational zwischen A und B entscheiden kann: Ich muß mich einfach entscheiden."25 Tabelle 5-l. Mehrfachzielsetzung und lexikographische Halbordnung

Alternative a1

a2 a3

Marktanteil (%)

Jahresgewinn

30 25 20

100 150 200

Ein Hilfsverfahren, um dennoch eine Rangfolge über alle Nutzenkategorien zu erhalten, liegt in der Aufstellung einer lexikographischen Ordnung26 • Tab. 5-l zeigt die Daten für ein Anwendungsbeispiel dieser Heuristik: Beim paarweisen Vergleich ist derjenigen Alternative der Vorzug zu geben, die den höheren Jahresüberschuß verspricht, es sei denn, die Differenz beim Kriterium Gewinn beträgt lediglich 50 oder weniger Geldeinheiten. Ist letztere Bedingung gegeben, wird die Alternative mit dem höherer Marktanteil vorgezogen. Die gegebenen Informationen führen zu folgenden Präferenzen: a 1 >- a 2 , a 2 >- a 3 und a 3 >- a 1 • Das Beispiel illustriert, daß Restriktionen dieser Art dazu führen können, daß die Wahl der Alternative beim Beginn des paarweisen Vergleichs das Ergebnis beeinfl.ußt. Luce und Raiffa zeigen analog, wie eine Entscheidung anhand der Plazierung über mehrere Entscheidungskriterien in eben diese Problematik führen kann 27 . Eine Verletzung des Unabhängigkeitsprinzips liegt vor, wenn der Entscheidungsträger auf die Hinzunahme oder den Wegfall einer Handlungsalternative mit einer Veränderung der Rangordnung unter den Alternativen reagiert28 • Das Allais-Paradox beschreibt eine solche Situation29 • Krantz u.a. 25 John W.N. Watkins, Freiheit und Entscheidung, S. 46. Dieter Schneider faßt es drastischer und warnt seine Leser davor, dem Aberglauben zu verfallen," ... den mikroökonomische Lehrbücher verbreiten: Ordinale Meßbarkeit reiche für vernünftige Entscheidungen aus! Dies gilt nur für die grob vereinfachte Welt der einperiodigen Preistheorie, in welcher jeder Entscheidende von vornherein genau weiß, zwischen welchen sich gegenseitig ausschließenden Güterbündeln er seine Konsumsumme aufteilt, und in der keine Ungewißheit zu berücksichtigen ist, natürlich exakte Problembeschreibungen vorliegen und keinerlei Zweifel hinsichtlich der Vollständigkeit des eigenen Informationsstandes auftreten." Ders., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 251 (i.O. m. Hv.)

26

Vgl. Sirnon F'rench, Interactive Multi-Objective Progra.mming, S. 831.

27

Vgl. R. Duncan Luce / Howard Rai!Ja, Gamesand Decisions, S. 285f.

28

Vgl. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 242f.

Vgl. Maurice Allais, Le comportement de l'homme rationnel devant risque: Critique des postulats et a.xiomes de l'ecole America.ine. 29

207

5. Prinzipien der Entscheidungsfindung

Tabelle 5-2. Lotterien zum Allais-Paradox Auszahlungen p

0,9 0,09 0,01

Xal 0 1 1

Xa 2 0 10 0

X'a1 1 1 1

X~,

1 10 0

geben das in Tab. 5-2 aufgeführte Beispiel30 . Typischerweise lauten die Präferenzen auf a 2 >- a1 und a~ >- a~, womit sich die Ergänzung um einen für beide Handlungsalternativen gleichen Ergebnisausgang als relevant für die Rangreihung zeigt 31 . Der Auftakt für die Diskussion um das Paradox von Allais war spektakulär, mußte doch der Vater des Unabhängigkeitsaxioms, Savage, zugestehen, selbst widersprüchlich gehandelt zu haben32 . Im Ersten Teil wurde bei der Diskussion der Zielsetzung normativer Modelle eingeräumt, daß erst aus der Verknüpfung theoretisch, zum Beispiel entscheidungslogisch, abgeleiteter und empirisch gewonnener Prämissen für die Realität maßgebliche Schlüsse gezogen werden können. Das Unabhängigkeitsaxiom veranschaulicht dies in besonderer Weise: Während es im mathematischen Modell der Wahrscheinlichkeit keine Möglichkeit gibt, einer 0 oder einer 1 andere Eigenschaften bei Verknüpfungsoperationen zu geben, als sie jeder anderen Zahl im Intervall (0, 1) zukommen, deutet im empirischen System einiges darauf hin, daß zwischen einem sicheren oder unmöglichen und einem in beliebiger Weise unsicheren Ereignis zudem qualitativ unterschieden wird33 . Die wahrscheinlichkeitstheoretische Darstellung kennt und benötigt jenseits der mathematisch formulierten Annahmen keine weiteren. Das sichere Ereignis ist sicher; bei einer häufigkeitstheoretischen Wahrscheinlichkeit von 0, 5 ist die Anzahl der günstigen Ereignisse halb so groß wie die der gleichmöglichen. Nahezu jeder Versuch, wahrscheinlichkeitstheoretische Zusammenhänge am Beispiel zu erläutern, bringt dies unweigerlich zum Ausdruck: Ein Würfel 30

Vgl. David H . Krantz u.a., Foundations of Measurement, Vol. 3, S. JOf.

"Zumindest dieses Axiom darf damit für eine weite Klasse von Fä.llen als empirisch widerlegt gelten." Gebhard Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 147. 31

32 Anlä.ßlich der Vorstellung der Paradoxie wurde Leonard J . Savage von Maurice Allais mit einem kleinen Experiment auf die Probe gestellt. Die Entscheidung war prompt unverträglich mit dem Unabhängigkeitsaxiom und Leonard J. Savage mußte sie später im Sinne seiner Axiomatik richtigstellen. Vgl. Gebhard Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 145f. 33 Friedrich Thießen betont, daß die Rationalität des Handeins hierdurch nicht beeinträchtigt sei. Vgl. ders., Das Paradoxon von Maurice Allais, S. 158. In der prospect theory ist versucht worden, diesen Abweichungen Rechnung zu tragen. Vgl. Daniel Kahneman / Amos Tversky, Prospect Theory: An Analysis of Decision Under Risk.

208

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

ist nicht einfach ein Würfel, sondern ein fairer oder idealer Würfel. Der ideale Würfel gewährleistet nicht allein, daß jede seiner Seiten die gleiche Chance hat, nach einem Wurf oben zu liegen, sondern er wird auch niemals auf einer Kante zu liegen kommen, das Spielfeld verlassen oder beim Flug durch die Luft gestohlen werden34 . Wenn auch manche der ausgegrenzten Anomalien als bedeutungslose gewertet werden mögen, bleibt dennoch zu berücksichtigen, daß im empirischen System keine Sicherheit darüber bestehen kann, daß die unterstellten Eigenschaften dem betrachteten Zufallsprozeß tatsächlich zukommen. Ein Würfel mag so aussehen und sich so anfühlen, als ob er einem empirisch idealen Würfel äquivalent sei35 , ein vollständiger Nachweis fehlt jedoch regelmäßig. Hieran kann eine qualitative Unterscheidung festgemacht werden, die sich auch im Erfahrungsbereich der handelnden Person widerspiegelt: Ein sicheres Ereignis wird kategorisch interpretiert; es hat die unbedingte Kraft des Faktischen und ist greifbar ohne Berücksichtigung irgendeines intervenierenden Mechanismus. Wird ein Ereignis hingegen als unsicher beschrieben, muß von der Existenz eines solchen Mechanismus ausgegangen werden, der möglicherweise so funktioniert, wie es der Person gegenüber durch die Bezifferung von Wahrscheinlichkeiten zum Ausdruck gebracht wurde36 . Genau diese Diskrepanz liegt im formalen Sinn der Differenzierung von Überzeugungs- und Wahrscheinlichkeitsskala zugrunde. Die Bewertung der Versuchsanordnung für eine Laborstudie läßt sich so auf den Punkt zuspitzen, daß es in dem Bemühen um wissenschaftlich relevante Messungen 37 darum geht, einen theoretischen, das heißt exakten Ausdruck empirisch zu bemänteln, ohne daß die hierzu verwendeten empirischen Kategorien den Exaktheitsanspruch tangieren. Diese Zwitterlage zwischen quasi-realem Szenario und Bewahren des exakten Ausdrucks kann zu schwer interpretierbaren Resultaten führen . Es ist damit zu rechnen, daß Entscheidungsträger zwar generell in der Lage sind, sich auch in der um unrealistische Spezifikationen erweiterten Beschreibung eines ansonsten empirischen Sachverhalts zurechtfinden, hierbei jedoch weder vollständig realisieren, daß sie mit einem 34 Vgl. Dieter Schneider, Meßbarkeitsstufen subjektiver Wahrscheinlichkeiten als Erscheinungsformen der Ungewißheit, S. 98. 35 Der ideale Würfel hat Eigenschaften, wie oben skizziert, die zu keiner Zeit im empiris~hen System gültig sein können. Der empirisch ideale Würfel erfüllt im wesentlichen nur die Anforderung gleicher Wahrscheinlichkeit für jede seirier Seiten. 36 An der Wendung "Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach" sind diese lmplikationen gut abzulesen: Um die Chancen festzulegen, die Taube zu fangen, müssen diverse Annahmen gemacht werden. Im günstigsten Fall sind die Prozesse, die das mögliche Entkommen oder Fangen beschreiben, sachlich korrekt und vollständig erfaßt, so daß dann für eine durchschnittlich reaktionsschnelle Taube z.B. erwartet werden kann, daß sie im Durch3chnitt in zwei von drei Fällen entkommen wird. 37

Vgl. Stephan Körner, Erfahrung und Theorie, S. 186ff.

5. Prinzipien der Entscheidungsfindung

209

verbrämten theoretischen Ausdruck umgehen, noch sich aufgrundder künstlichen Elemente vollständig auf eine empirische Interpretation konzentrieren38 . Auch unter dem Aspekt der Unabhängigkeit spielt die unvollständige Integration einzelner Nutzendimensionen zu einer Gesamtdimension eine wesentliche Rolle, um der Ursache von Intransitivitäten näher zu kommen 39 . Unter der Annahme, daß es auf Unternehmensebene lediglich ein unvollständiges, teilweise Operationales Zielsystem gibt 40 und auch der Urteilende nicht über ein Wertesystem verfügt, aus dem inhaltlich und zeitlich konsistente Nutzenfunktionen abgeleitet werden können, ist der Schluß zu ziehen, daß eine eindimensionale, monetäre Skala das Nutzenaggregat unvollständig abbildet und keine Grundlage für die Kritik hierauf bezogener lntransitivitäten gegeben ist41 . Stehen beispielsweise zur Auswahl der verbindliche Händedruck eines Unbekannten (a 1) oder die Entgegennahme eines Sackes, gefüllt mit 1.000 Groschen von eben diesem Unbekannten (a 2 ), besteht an der Präferenz a 2 >- a 1 wenig Zweifel. Stockt der Unbekannte jedoch die Geschenkeliste auf und verspricht ein Bündel mit einhundert 1.000 DM Scheinen zusätzlich bei jeder der beiden Alternativen 42 , ist eine Umkehrung der Präferenz denkbar. Der zusätzliche Nutzen von weiteren 100 DM über die sicheren 100.000 DM hinaus wird möglicherweise nicht ausreichen, um die Unbequemlichkeit des Transports von 1.000 Groschen auszugleichen. Ein solches Szenario stellt nicht die Isotonie der Bewertung von Zahlungen in Frage, sondern die Vollständigkeit der angenommenen Nutzenfunktion. Im Gegensatz zu den empirischen Gegebenheiten bleibt die Axiomatik auf die Definition abstrakter Dimensionen beschränkt. Dort sind Dimensio38 Gebhard Kirchgässner verweist auf die Unterschiede, die beim Vergleich des Entscheidungsverhaltens in realen Entscheidungssituationen mit dem in entsprechend nachgebildeten Laborsituationen festgestellt werden konnten: "Interessanterweise scheinen die gleichen Leute aus der Wirtschaft, die bei ,echten' Auktionen diese Faustregeln (zur Vermeidung überhöhter Gebote, A.d.V.) erfolgreich anwenden, nicht in der Lage zu sein, dies auch in Experimentalsituationen zu tun." Ders., Homo Oeconomicus, S. 157. 39

Vgl. Glenn Shafer, Savage Revisited, S. 214ff.

40

Vgl. Robin M. Hogarth / Spyros Makridakis, Forecasting a.nd Pla.nning: An Evaluation, S.

116. 41

Hans-Werner Sinn etwa. zitiert ein von Allais zur Illustration dessen Kritik am Una.bhängig-

keitsa.xiom verwendetes Beispiel: (1) Bauernschrank -< Rokkokokommode..!... (2) Bauernscbrank, derber Tonkrug-< Rokkokokommode, derber Tonkrug. Zum Automatismus einer fortbestehenden Präferenz nach (1) äußert Sinn: "Sicher nicht! Möglicherweise verkehrt sich die Präferenzrelation sogar in ihr Gegenteil. Ein erstes Befremden läßt sich aber zerstreuen: Mit dem Una.bhängigkeitsa.xiom werden nämlich keine Einrichtungsgegenstände, sondern, um im Bild zu bleiben, Chancen auf den Erhalt eines einzigen Gegenstandes nebeneinandergestellt. Der unangenehme Anblick des Tonkruges auf der Rokkokokommode bleibt in jedem Fall erspart." Ders., Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit, S. 29f. 42 Das sure thing principle kennt keine Einschränkung, die besagt, daß die geordneten Objekte in einem bestimmten Verhältnis zu der konstanten Ergänzung stehen müssen. Vgl. z.B. Hans Schneeweiß, Theorie der rationalen Entscheidungskriterien bei Ungewißheit, S. 507.

14 Lechner

210

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

nierungen einwertig, Geldeinheiten können nicht schwerer oder leichter sein, und das Modell des Entscheidungsträgers umfaßt nur diejenigen Aspekte, die bei gegebener Dimensionierung der Zielfunktion aufgenommen werden können43 • Der Umstand, daß Einflußfaktoren im quantitativen Modell nur selektiv, entsprechend ihrer Operationalisierbarkeit erfaßt werden können, hat die informelle Abbildung von Teilen des Entscheidungsproblems zur Folge44 • Die vorangegangene Erörterung der Forderungen nach Transitivität und Unabhängigkeit hat verdeutlicht, daß subjektive Urteile erst unter Zuhilfenahme weiterer, außerhalb der Axiomatik liegender Annahmen interpretiert werden können. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit ist ohne diese weiteren Prämissen nur erzielbar, wenn (1) eine empirisch verankerte und damit intersubjektiv zugängliche Bewertungsdimension zugrundeliegt, (2) bei mehrdimensionaler Abbildung ein operationaler Zusammenhang zwischen den Bewertungskriterien besteht, (3) die Beschaffenheit der Vergleichsobjekte und die Definition von Meßbereichen eine Kollision mit Diskriminanzschwellen zuverlässig ausschließen.

5.2 Moment-Präferenzen und Erwartungsnutzen Die normative Theorie bei Mehrziel-Entscheidungen unter Unsicherheit geht von der Annahme aus, daß der Entscheidungsträger über eine Nutzenfunktion verfügt, mit deren Hilfe die zu erwartenden objektbezogenen Zielausmaße bewertet werden können, so daß über der Alternativenmenge A = { a 1 , ... , an I n E IN} zumindest eine schwache Präferenzordnung angelegt werden kann 45 . Vorausgesetzt wird damit einerseits, daß der Entscheidungsträger die Nutzenfunktion u(x) explizit machen kann und die Konsequenzen Xa;j der Alternativen bezogen auf die möglichen Zustandskonstellationen Zj in Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen bekannt sind. 43 Im Beispielfall wäre das Kriterium der erlangten Bequemlichkeit in eine Barwertrechnung zu integrieren. Im betriebswirtschaftliehen Kontext zählen hierzu neben Opportunitätskriterien ebenso die immateriellen, d.h. zum gegebenen Zeitpunkt nicht monetär bewertbare Aspekte einer Entscheidung. 44 " ... die Bewertung einer Chance kann in besonderen Fällen durchaus davon abhängen, ,was einem sonst noch passieren kann'. Immer dann, wenn das Chancenbündel weit auseinanderfallende Einzelchancen enthält, ist die Annahme des Axioms 9A (Unabhängigkeitsaxiom, A.d .V.) nicht selbstverständlich." Wilhelm Krelle, Präferenz- und Entscheidungstheorie, S. 139. 45

s.

14.

Vgl. Karl C. Mosler, Entscheidungsregeln bei Risiko: Multivariate stochastische Dominanz,

5. Prinzipien der Entscheidungstindung

211

Obgleich die Probleme beim praktischen Einsatz dieses Konzepts sowohl die Bestimmung der Nutzenfunktion46 als auch die Ermittlung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen für mögliche Konsequenzen betreffen, wird in der Literatur insbesondere auf die Situation unvollständig beschriebener Nutzenfunktionen bei bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Konsequenzen abgehoben. Aus dieser Perspektive werden Untersuchungen angestellt, die lediglich von einer dem Typ nach bekannten Nutzenfunktion ausgehen. Deren differentialanalytische Eigenschaften dienen als Kriterien in der Analyse stochastischer Dominanz innerhalb der den Alternativen zugeordneten Wahrscheinlichkeitsverteilungen47 . Zu den entscheidngstheoretischen Grundannahmen zählt die Monotonität der Bewertung in den Dimensionen Nutzen und Risiko48 , wobei sich allgemeines Monotonitätsprinzip und das Prinzip stochastischer Dominanz gegenseitig implizieren49 . Die umfangreichen empirischen Untersuchungen im betriebswirtschaftliehen Kontext 50 belegen, daß risikoaverse Approximationen bei positiver Ergebniserwartung die größte Realitätsnähe aufweisen 51 , so daß isokonkave Nutzenfunktionen den vornehmliehen Untersuchungsgegenstand bilden52 . Auch wenn das Gros der Studien dem Validitätsvorbehalt der Laborsituation unterliegt, bedingt die vergleichsweise einfachere Struktur bei der Beschränkung auf die Bewertung von ermittelten Handlungskonsequenzen, ist die Annahme eines monotonen Verlaufs gemäß dem Bernoulli-Prinzip gerechtfertigt. Während aus empirischer Sicht im Übergang von Handlungskonsequenzen auf subjektive Bewertungen vornehmlich die Problematik der Generie46

Vgl. Ralph L. Keeney, Howard Raiffa, Decisions with Multiple Objectives, S. 299ff.

47

Vgl. z.B. ebd. , S. 49ff; Jürgen Böttcher, Stochastische lineare Programme mit Kompensation,

s. 35f.

48 Vgl. u.a. Günter Bamberg, Adolf G . Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 32f; J. Frank Yates, Judgment and Decision Making, S. 308f. 49

Vgl. David E. Bell, Howard Raiffa, Risky Choice Revisited, S. 100f.

Im weiteren Sinn können sämtliche Entscheidungssituationen hierunter geführt werden, die monetäre Einsätze und Erlöserwartungen zum Gegenstand haben, d.h. Lotterien, Wetten etc. 50

51 Die Risikoneigung ist den empirischen Befunden zufolge abhängig davon, ob es um Entscheidungen bei Verlust- oder Erfolgserwartung geht. Demnach führen verlustträchtige Entscheidungssituationen eher zu risikofreudigem und erfolgsträchtige eher zu risikoaversem Verhalten.Vgl. Daniel Kahneman, Amos Tuersky, Prospect Theory: An Analysis of Decision Under Risk; Robin M. Hogarth, Judgement and Choice, S. 104. Eine Laborstudie mit gegenteiligem Resultat legen Dan J. Laughhunn u.a. vor: Bei der Untersuchung des Entscheidungsverhaltens von 224 Managern dominierten risikofreudige Strategien, solange keine Existenzgefährdung drohte. Erst unter Einbeziehung des Firmenbankrotts als möglicher Konsequenz einer Entscheidung, kehrte sich da.s Entscheidungsverhalten zu risikoaversen Strategien. Vgl. Dies., Managerial Risk Preferences for Below-Ta.rget Returns. Einen Überblick zu den Möglichkeiten der Approximation geben z.B. Günter Bamberg, Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 70ff. 62 Vgl. Da.e Joo Lee, Stocha.stic Dominance Rules in Multicriteria Decision Making Under Uncertainty, S. l77ff.

212

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

rung geeigneter Nutzenfunktionen gesehen wird 53 , ist die Frage der Verträglichkeit von wahrscheinlichkeitstheoretischer Repräsentation der Handlungskonsequenzen und Nutzenerwartungen bislang wenig thematisiert worden. Bei der Untersuchung des Schätzverhaltens im Abschnitt 4 wurde hervorgehoben, daß die informationshaltigste und zugleich mit dem höchsten Zuverlässigkeitsgrad versehene Form der Schätzungen in der Konstruktion einer Wahrscheinlichkeitsverteilung liegt54 . Diese Beschreibung vorhandener Unsicherheit dient als Informationsbasis für die weitere Interpretation über die wesentlichen statistischen Maße55 . In der Abb. 5-1 ist beispielhaft die Lage dreierstetiger Verteilungen gleichen Erwartungswertes und gleicher Varianz bei variierender Schiefe skizziert, so daß in Abhängigkeit vom abgebildeten Merkmal Präferenzen am dritten Moment festgemacht werden können.

l~ 0

Abbildung 5-l. Verteilungsform und Moment-Präferenzen

Die Charakterisierung von Nutzenfunktionen stützt sich dabei häufig explizit oder implizit auf die Annahme eines theoretischen Zusammenhangs mit Ausprägungen einzelner Momente oder deren Konstellation 56 . Damit entsteht der Eindruck, daß Verteilungsannahme und Nutzenfunktion analoge Schlußfolgerungen ermöglichen. Wie die nachstehenden Beispiele zeigen, können jedoch unter den stochastisch undominierten Alternativen widersprüchliche Aussagen entstehen. In beiden Illustrationen werden eingipflige Verteilungen unterstellt. Im ersten Beispiel sind für die Alternativen des Handlungsraums A = { a 1 , a 2 } folgende zufallsabhängige Konsequenzen ermittelt worden: 53 Vgl. Ralph L. Keeney, Value-Focused Thinking and the Study of Values, S. 478ff; J. Frank Yates, Judgrnent and Decision Making, S. 264ff.

54

Vgl. S. 123.

55

Vgl. Haim Levi, Stochastic Dominance and Expected Utility: Survey and Analysis, S. 557.

Vgl. z.B. James R. Booth, Richard L. Smith, An Examination of the Small-Firm Effect on the Basis of Skewness Preference, S. 79. 56

213

5. Prinzipien der Entscheidungsfindung

a1 = {

1, 16, 6, 10,

p = 0,25 p=0,7 p= 0,05

a2

=

0, { 5, 10,

p= 0,1 p= 0,8 p= 0,1

Der symmetrischen Verteilung der Ergebniserwartungen bei a 2 steht ein flacherer, linksschiefer Verlauf bei der Handlungsalternative a 2 gegenüber. Im zweiten Szenario A' = { a~, a;} sind die Formunterschiede noch stärker hervorgehoben. Der rechtsschiefen Ergebnisverteilung von a~ steht eine flachere, linksschiefe unter a~ gegenüber: I

a1 =

{

1, 18, 6, 9,5,

p = 0,25 p = 0,55

p=0,2

a~ = {

0, 5, 10,

=

0,1 p= 0, 7 p= 0,2

p

Anband dieser Angaben werden für die Analyse die ersten drei Momente der Verteilungen berechnet. In der nachfolgenden Tabelle sind die Resultate dargestellt. Die Handlungsoptionen a 1 und a~ sind ihren konkurrierenden Alternativen in allen drei Maßen unterlegen, so daß hinsichtlich der MomentPräferenzen a 2 >- a 1 und a; >- a~ gilt57 . Tabelle 5-3. Momente der geschätzten Verteilungen

II-I

XI

Xz X'I

X~

4,99 5 5,49 5,5

ll-2

5,64 5

8

7,25

ll-3

-7,04 0 -7,17 1,5

Als Nutzenfunktionen werden exemplarisch drei häufig verwendete Varianten der Approximation risikoaversen Verhaltens herangezogen: die exponentielle Bemoulli-Nutzenfunktion u1 (x) = 1- exp(-ax), mit a = 1, die logarithmische Darstellung über u2 (x) = ln(1 + x) und u3 (x) = xa, mit

57 Generell wird die Annahme gemacht, daß eine Verteilung mit einem Schiefemaß 'Y '# 0 c.p. gegenüber einer symmetrischen Verteilung präferiert wird. Bei der Abbildung eines Nutzenmerkmals läßt sich dies genauer spezifizieren: Diesseits und jenseits des Erwartungswertes gruppiert sich unabhängig vom Verteilungstyp in gleichem Umfang Wahrscheinlichkeitsmasse. Für eine rechtsschiefe Verteilung gilt, daß das Intervall möglicher Ausprägungen Zr < l'r kleiner ist bzw. die Wahrscheinlichkeitsmasse näher an P.r liegt als dies bei der symmetrischen Verteilung der Fall ist. Es besteht ein geringeres Risiko, daß Merkmalsausprägungen deutlich unterhalb von l'r eintreten. Die umgekehrte Argumentation gilt für linksschiefe Verteilungen, die aufgrund der Begrenzung im obereren Bereich z.B. bei der Schadensabschätzung im Versicherungswesen weniger problematisch sind als die rechtsschiefen Risikoverteilungen.

214

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

!

a = als Exponent58 . Über den letztgenannten Funktionstyp werden ebenso Abbildungen subjektiv wahrgenommener Reizstärken nach Stevens durchgeführt59. Für alle Funktionstypen gilt u' 2: 0, u" 0 und u"' ;::: 0, so daß Isotonie und Risikoaversion abgebildet werden60 .

s

Tabelle 5-4. Nutzenerwartungen

XI

x2

X'I X'2

Eu1(x) 0,92 0,9 0,92 0,9

Eu2(x) 1,68 1,67 1, 74 1, 73

Eu3(x) 2,14 2,11 2,24 2,2

Die Berechnung des erwarteten Nutzens führt bei allen drei Funktionen zu einer Umkehrung der zuvor auf der Basis von Moment-Präferenzen ermittelten Rangfolge61 . Tabelle 5-4 gibt die Resultate der Nutzenberechnung wieder. Obwohl sich die Alternativen a 1 und a~ über alle berechneten Momente als unterlegen erwiesen haben, lauten die Nutzenpräferenzen Eu;(a 1 ) > Eu;(a2) und Eu;(aD > Eu;(a~). Risikoaversion in den Varianten, wie sie hier über drei Funktionstypen approximiert wurde, kann daher bedeuten, eine Alternative vorzuziehen, welche sich gegenüber einer anderen gleichermaßen durch einen niedrigeren Erwartungswert, eine größere Varianz und ein geringer geschätztes Schiefemaß auszeichnet. Brockett und Kahane weisen insbesondere auf die potentiellen Fehlerquellen bei der Bestimmung von Sicherheitsäquivalenten hin. In ihrem Beispiel fiel das Sicherheitsäquivalent 50% höher aus. Für die hier verwendeten Daten liegen die Differenzen zwischen 10 und 15%. Vordergründig hat dieser Vergleich der Risikobewertung über Nutzenfunktionen und Moment-Präferenzen die theoretisch zu erörternde Frage nach der Kompatibilität von Unsicherheitsmaßen aufgeworfen. Für den hiesigen 58 Vgl. z.B. Günter Bamberg, Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 77; Wolfgang Mag, Entscheidung und Information, S. 119f. Gemeinsam ist diesen Funktionstypen, daß sie in einer Umgebung von :z: beliebig oft differenzierbar sind und in Form einer (abgeschnittenen) Taylor-Reihe zusammengesetzt werden können. Vgl. Il'ja N. Bromtein, Konstantin A. Semendjajew, Taschenbuch der Mathematik, S. 525f. 59

Vgl. Stanley S. Steven•, Measurement, Psychophysics, and Utility, S. 53.

Vgl. Kar! Borch, Utility and Stochastic Dominance, S. 197; Vijay S. Bawa, Optimal Rules for Ordering Uncertain Prospects, S. 108. 60

61 Haim Levi zeichnet diese Probleme in abgeschwächter Form für die ersten beiden Momente gegenüber einer Klasse von Nutzenfunktionen nach, die u' ~ o, u" :5 o erfüllen. Vgl. Der•., Stochastic Dominance and Expected Utility: Survey and Analysis, S. 567ff.

6. Repräsentation von Entscheidungsproblem~n

215

Kontext gewinnen die Ergebnisse aus einer grundsätzlichen Perspektive zentrale Bedeutung: Die Wahrnehmung von Unsicherheit und Risiko hängt unmittelbar von der Art ihrer Abbildung ab. Mit der Wahl des Instrumentariums und der aufgabenspezifischen Festlegung von Anwendungsmodalitäten entsteht eine bestimmte Sichtweise. Sie stellt einen Ausschnitt der möglichen Repräsentationsformen dar. Die Wahl einer anderen oder die Ergänzung alternativer Repräsentationsformen in der Analyse beeinfl.ußt die Bewertung des Risikos und kann zu abweichenden Schlußfolgerungen führen. Eine vom betrachteten Objekt her zu bestimmende zutreffende Abbildung des Risikos ist nicht möglich. Vielmehr kann lediglich Konsistenz in der Betrachtung über mehrere risikobehaftete Sachverhalte angestrebt werden, indem Urteilende die Form der Repräsentation vereinbaren.

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen Die Untersuchung von Planungsumfeld, individuellen Verhaltensmustern sowie den potentiellen Beeinträchtigungen auf Seiten des Entscheidungsträgers und im Gewinnungsprozeß hat verdeutlicht, daß Präzision in der Wiedergabe des objektiven Unsicherheitsgrades durch eine Vielzahl von Mechanismen beeinfl.ußt werden kann. Ist die Möglichkeit genommen, den Gesamteffekt durch wiederholte Beobachtung des Schätzverhaltens in ähnlichen Situationen einer prospektiven statistischen Korrektur zu unterziehen, und wird gleichzeitig eingeräumt, daß die verfügbaren Analyseinstrumente keine vollständige Objektivierung der Urteilsgrundlage erlauben, müssen in der Vorbereitung des Entscheidungskalküls Vorkehrungen zur Kompensation getroffen werden. Für Hogarth und Makridakis mündet dies zunächst in die einfache Feststellung, daß Planung die Präzision von Schätzungen nicht unterstellen kann 1 . Wie die Auseinandersetzung mit den operationalen Nutzenkonzepten gezeigt hat, gilt diese Feststellung mit gleicher Berechtigung für die Invarianz von Präferenzordnungen: Mangelnde Präzision aus normativer Sicht drückt sich hier in der Ambiguität objektiv beschriebener Handlungskonsequenzen aus, sowohl in der Zeit als auch lateral. In beiden Fällen ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß eine vollständige Abbildung nicht gelingt. Das klassische Schema, demzufolge weitgehend unabhängig voneinander zunächst die Instrumente des rechnerischen Kalküls eingesetzt werden und anschließend eine globale Bewertung erfolgt, durch die zwar nicht die interne Validität der partiellen Modeliierung in Frage gestellt wird, jedoch häufig die 1

Robin M. Hogarth / Spyros Makridakis, Forecasting and Planning: An Evaluation, S. 128.

216

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

Diskussion entsteht, ob diese Formen der Modellierung überhaupt genügend Relevanz hinsichtlich des zu lösenden Problems haben, gilt es zu überwinden. Die großräumigen Plausibilitätsüberlegungen, gestützt auf die Intuition des Verantwortlichen, bieten die volle Angriffsfläche für alle Formen der Verzerrung. Die Entscheidungsvorbereitung muß diesen Gegebenheiten Rechnung tragen, indem sie die expressive Repräsentation der Problemkomplexität und damit von Unsicherheit ermöglicht. Hierin liegt die Voraussetzung, um zu Entscheidungen zu gelangen, die nicht allein zufällig unter veränderten externen wie internen Bedingungen Bestand haben. In der Konsequenz bedarf es der expliziten Modeliierung sowohl des Planungsgegenstandes als auch der Konzeptualisierung dieses Gegenstandes durch den Entscheidungsträger. Ersteres hat der Erste Teil in seinen wesentlichen Zügen dargelegt 2 , für letzteres werden in diesem und in Abschnitt 7 Lösungsansätze aufgegriffen, die der im Modell des Transformationsprozesses veranschaulichten Integration Rechnung tragen können3 . Die grundlegenden Struktur des Kalküls, zu dessen Vervollständigung Schätzungen benötigt werden, ist in der Entscheidungstheorie beschrieben durch die Matrixdarstellung möglicher Handlungsalternativen a;, mit a E A, und Umweltzustände zi, mit z E Z. Die Kombination von Handlungsalternativen und Umweltzuständen führt zu Handlungskonsequenzen X;j, mit xEX. Tabelle 6-1. Ergebnismatrix Handlungsalternativen

zl

zi

Zm

al

X!l

X!j

X!m

a;

Xil

Xij

Xim

a"

Xnl

Xnj

Xnm

Umweltzustände

Die Beschreibung des Zustandsraumes Z umfaßt dabei die ergebnisre:levanten exogenen Variablen ek, mit ek E Ek. Abgebildet wird damit die Gesamtheit der berücksichtigten Merkmale in ihren möglichen Ausprägungskombinationen. Der Ereignisraum E ist definiert über das kartesische Produkt4 2

Vgl. die Abschn. 1 u. 2.2.

3

Vgl. Abschn. 2.1.

Vgl. David H. Krantz u .a., Foundations of Measurement, Vol. 1, Ch. 6: Additive Conjoint Measurement, S . 245ff; für den Fall l > 2 insb. S. 30lff. 4

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen

217

E=E1 x ··· x E, = {(e11 ... ,ek, ... ,e,) I ek E Ek} und es gilt der Zusammenhang

wobei die Teilmengenrelation in eine Äquivalenz der Mengen Z und E übergeht, wenn die Kombination der Merkmale über alle Ausprägungen möglich ist 5 . Der Ereignisraum kann untergliedert werden anhand der drei Kriterien Erklärungsgehalt, Beobachtbarkeit und Verfügbarkeit. Während der Erklärungsgehalt die Frage der Authentizität beziehungsweise der Unmittelbarkeit des Einflusses betrifft, geht es bei der Beobachtung um eine meßtheoretische Systematisierung6 . Die Verfügbarkeit beinhaltet sowohl den generellen Zugang zum relevanten Informationsreservoir als auch die zeitliche Abfolge, in der sich Informationen über relevante Ereignisse einstellen. Sie zielt dabei insbesondere auf den Umstand ab, daß ein Teil der Merkmalsausprägungen, die den zum Zeitpunkt der Umsetzung eines Planentscheids vorliegenden Umweltzustand charakterisieren, bereits im Zuge der Entscheidungsvorbereitung bekannt sein können. Allein aus der Unmöglichkeit faktischen Wissens über die Zukunft gilt allerdings, daß die vorgelagerte Information über Merkmale, seien sie authentisch oder nicht, ausschließlich potentiellen Charakter hat. In diese Struktur läßt sich das Informationssystem der Entscheidungsvorbereitung eingliedern 7 . Bamberg und Coenenberg charakterisieren das System einerseits über die Nachrichten, die Auskunft zur gegenwärtigen Konstellation von Indikatoren der Umweltlage geben, und andererseits durch die Struktur des Informationssystems, der entnommen

5 Der normativen Entscheidungstheorie liegt das Amalgam der Merkmalsausprägungen bereits zugrunde. Sie baut auf der Menge aller sich gegenseitig ausschließender Konstellationen auf und sieht darüber hinaus vor, das Tableau zu verdichten, indem Zustandskonstellationen, denen jeweils gleiche Ausprägungen des Zielkriteriums über sämtliche Alternativen zugeordnet sind, iaeA,j = iaeA,i'• mit j "# j', als Klasse äquivalenter Zustände in Form eines einzigen Eintrags Berücksichtigung finden. So unter Hinweis auf das Substitutionsariom von John von Neumann und Oskar Morgenstern bei Amos Tversky I Daniel Kahneman, Rational Choice and the Framing of Decisions, S. 168. Vgl. auch R. Duncan Luce I Howard Raiffa, Games and Decisions, S. 295; Günter Bamberg, Wieviel dürfen Informationen kosten?, S. 206; Heinz Teichmann, Die Bestimmung der optimalen Information, S. 751. Diese rechentechnischen Vereinfachungen, ebenso wie die Prämisse verfügbarer Szenarien nach obiger Spezifikation, verkürzen die Problemsicht um jenen Aspekt, der hier im Vordergrund steht. 6 Ein klassisches Beispiel für beide Aspekte: Bei der Planung für die Einführung eines konkurrierenden Produktes stellt die Höhe der Nachfrage in dieser Produktgattung ein zustands- und damit entscheidungsrelevantes, jedoch generell nicht beobachtbares Merkmal dar. Hilfsweise wird das beobachtbare und ebenso meßbare Absatzvolumen herangezogen, welches nicht authentisch ist, jedoch als nahezu kongruent angenommen wird.

7

Vgl. Abschn. 1.1.

218

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

werden kann, welche Auswirkungen der Empfang einer bestimmten Nachricht auf die Glaubwürdigkeit desVorliegenseines bestimmten Zustandes hat beziehungsweise, aus entgegengesetzter Perspektive, welche bedingte Wahrscheinlichkeit dem Erhalt einer bestimmten Nachricht zukommt unter der Voraussetzung, daß ein bestimmter Umweltzustand vorliegt oder eintreten wird 8 . In zwei Richtungen hat dieses Grundkonzept prominenten Widerhall gefunden: Zum einen mit der Extension in die Informationstheorie, unter der Prämisse eines unvollkommenen, jedoch variablen Informationsstandes, wie sie von Mag ins Zentrum gerückt wird 9 , und zum anderen in der Formulierung als verhaltens- und organisationstheoretische Problemstellung, wie sie Kirsch mit dem lnformationsverarbeitungs- und Systemansatz herausarbeitet 10 . Die theoretischen Analysen des Ersten Teils, ebenso wie die Erörterungen zum Umfeld und individuellen Verhaltensmustern im Planungsprozeß, haben gezeigt, daß sich die Untersuchung des Schätz- und Entscheidungsverhaltens, zumal aus dem Blickwinkel der Kontrolle und Steuerung, zentral auf beide Erweiterungen des entscheidungstheoretischen Konzepts stützen muß. Der aus E abzuleitende Zustandsraum kann im Rohzustand als Indikatormodell interpretiert werden 11 . Ziel des systematischen Aufbaus ist es, unter Berücksichtigung der Kapazitätsschranken die Auswahl der Merkmale so zu treffen, daß eine möglichst effektive Anreicherung der Urteilsgrundlage erwartet werden kann und dabei möglichst effizienter Gebrauch von den Ressourcen gemacht wird. Bezogen auf die durch den Entscheidungsträger auszuführenden Schätzaufgaben bedeutet dies konkret, daß sowohl die Schätzgrößen als auch die potentiellen Informationen, die eine Schätzung erleichtern, spezifiziert sind 12 . Anderenfalls können Wege, um bestimmte Informationen zu erhalten, und ebenso der unaufgeforderte Empfang bestimmter Nachrichten unbeachtet bleiben. Aus der Zusammenfassung der Indikatoren folgt zunächst ein Abbild der mengentheoretisch abgeleiteten möglichen Umweltzustände (E). Dieser Ereignisraum ist zu kürzen um Kombinationen von Indikatorausprägungen, denen keine faktische Bedeutung zukommt 13 . Damit ist Z der Komponenten8

Vgl. Günter Bamberg f Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S.

9

Vgl. Wolfgang Mag, Entscheidung und Information.

24.

Vgl. Werner Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse. Anm.: Auch Kirsch stützt sich in Teilen auf das informationstheoretische Konzept, vgl. Bd. 2, S. 78ff; kritisch hierzu: Niklas Luhmann, Grundbegriffliche Probleme einer interdisziplinären Entscheidungsthe bezeichnet. Der Entscheidungsträger hat Zugang zu einer Anzahl Informationsbeschaffungsmaßnahmen AI, unter denen zu Beginn und gegebenenfalls im weiteren Verlauf der Entscheidungsvorbereitung eine Auswahl getroffen wird. Mit Hilfe der Informationsentscheidungen erschließt der Entscheidungsträger 22

Vgl. Abschn. 2.1.

Vgl. James C. Moore f Andrew B. Whimton, A Model of Decision-Making with Sequential Information-Acquisition. 23

223

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen

Ausschnitte des verfügbaren Informationsreservoirs, Ma mit a E AI. Die sowohl zur Steuerung der Informationsbeschaffung als auch zur finalisierenden Entschlußfassung dienenden Entscheidungen faßt die Menge V zusammen. In der Ergebnisfunktion w• : Z x V x R werden neben den Konsequenzen einer bestimmten Entscheidung unter dem Einfluß möglicher Umweltkonstellationen auch die Ergebniseffekte der Ressourcennutzung (R) eingestellt. R setzt sich zusammen aus den Kosten der einzelnen Informationsbeschaffung, c(a), mit a E A, und einem Zähler r, über den bei wiederholter Informationsbeschaffung das Kostenaggregat gebildet wird. Zusammengeiaßt ist der Handlungsentschluß definiert über das Entscheidungssystem

D

= (Z, ~.V, w•, A, {Ma I a E A}, c, r).

Die konstituierenden Relationen lauten: Zustandsraum

g(e) =

L ~(c, e)

Randverteilung

eEEu

ha : Eu

(0, 1] mit ha(c, ea) = p(ealc) X

E:

bedingte Dichte

-+

Dient E 0 zur Beschreibung des Konglomerats naEA EZ' so ist die durch die Aktion a und das resultierende Signal y bewirkte Informationslage beschrieben durch

Iay = { e E Eo I ea = y}

mit

y E

Ya = {1, ... , n(a)}

Va E A Die Ergebniserwartung (w) des Entscheidungsträgers hängt von der gewählten Handlungsalternative, den Kosten der Informationsbeschaffung und dem zum Realisationszeitpunkt des Handlungsentschlusses gegebenen Zustand (c) ab24 . Bevor der Entscheidungsträger einen Handlungsentschluß trifft, stehen ihm eine Anzahl Informationsentscheidungen (r) offen. Mit jeder dieser Entscheidungen erschließt der Entscheidungsträger einen Ausschnitt des Informationsreservoirs (Ya) in Form von Signalen oder Ergebnissen durch24 Vgl. im folgenden Varghese S. Jacob / James C. Moore, Andrew B. Whin•ton, An Analysis of Human and Computer Decision-Making Capabilities, S. 251f.

224

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

geführter Experimente (y). Wird das Experiment a unternommen und y aus der Menge Ya beobachtet, ist der wahre Zustand Element der Menge Eu xiay· Auf dieser Basis ist erneut zu entscheiden, ob der Handlungsentschluß getroffen oder aber weitere Informationen beschafft werden sollen, gemäß den verfügbaren Maßnahmen (A) und dem zugehörigen Aufwand c(a) . Jacob u.a. setzen die Erfolgsgröße zusammen aus der Ergebniserwartung einer gewählten Strategie, das heißt der Folge von Informations- und abschließender Handlungsentscheidung, und den mit ihr verbundenen Kosten 25 • Zielkriterium ist das Auffinden einer nicht-dominierten Strategie26 . Über diese Modellstruktur zeigen Jacob u.a. die Angriffspunkte verzerrender Wahrnehmung auf27 . Die in der Menge A enthaltenen Vorgehensweisen differenzieren sie über die Bildungdreier Klassen: (1) Informationsbeschaffung im umgebenden System, Unternehmen, Umwelt, (2) Einsatz des Erfahrungsschatzes, Rückgriff auf Erinnerung, kausale Orientierung, und (3) statistische Auswertung. In den Kategorien (1) und (2) spiegelt sich die Ebene kontextualer Verzerrungen wider und Kategorie (3) zielt auf die methodisch begründeten Beeinträchtigungen des Schätzverhaltens. Ausgerichtet auf Informationsmaßnahmen, die unmittelbar vom Entscheidungsträger durchgeführt werden, ist damit ein zentraler Ausschnitt der Anknüpfungspunkte für systematische Abweichungen umrissen. Unter (1) fallen Verzerrungen aufgrund selektiver Wahrnehmung, mit der Konsequenz, daß die objektiv erschließbare Informationsmenge Iay und ebenso das Mengenprodukt May eine Obermenge zum tatsächlich realisierten Gehalt der Mengen bildet. Verzerrungen auf der Ebene der Gewichtung wahrgenommener Informationen, Kategorie (2), nehmen Einfluß auf p(c:je), gesteuert durch das Rückbesinnungsvermögen und den primacy-effect. Die Vernachlässigung von a priori Wahrscheinlichkeiten und die unzutreffende Annahme von Korrelationen zwischen Indikator und zu schätzendem Zustand, wie sie der dritten Kategorie zuzurechnen sind, schlagen sich ebenfalls in Abweichungen bei der subjektiv wahrgenommenen bedingten Wahrscheinlichkeit p(c:je) nieder. 25

Vgl. ebd.

Voraussetzung für die Schätzung der Ergebniswirkung bestimmter zusätzlicher Informationen, die über Elemente aus A zugänglich gemacht werden können, ist, daß die noch zu erschließenden Ausschnitte des Reservoirs der Struktur und Sache nach bekannt sind ( vgl. zum Metawissen Abschn. 1). Bedingt auf die Relevanz für die Handlungsentscheidung und eine bereits vorhandene Schätzung der interessierenden Indikatoren stützt sich die Bewertung dann auf den Nutzen-Effekt höherer Präzision. Anderenfalls - bei Unkenntnis des Gehalts zusätzlicher Information - kann keine Berechnung angestellt werden. Das Problem optimaler Komplexion ist damit angesprochen: "Aus der Logik von Entscheidungsmodellen heraus ist ein solches Optimum ( .. ) undefinierbar, weil Nachdenken über die Kosten des Nachdenkens zwangsläufig in Widersprüche führt." Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 200; vgl. auch Heinz Teichmann , Die optimale Komplexion des Entscheidungskalküls. 26

27 Vgl. Va.rghese S. Jacob I Ja.mes C. Moore I Andrew B. Whinston, An Analysis of Human and Computer Decision-Making Capabilities, S. 252ff.

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen

225

Gesteuert wird der Formalisierungsprozeß über die Sensitivität der Zielgröße gegenüber Variationen der betrachteten Merkmale und der Variabilität der Schätz-Präzision für diese Merkmale. Zu beantworten sind daher die Fragen: Welche Bedeutung hat die Vorhersage einer bestimmten Größe?, und welcher Präzisionsgrad der Vorhersage wird mit den Eingangsinformationen erzielt?28 Erst festgestellte Diskrepanzen, im Sinne hoher Ergebnissensitivität bei geringer Präzision vorliegender Schätzungen, führen zu einer Überprüfung der Möglichkeiten für die Verbesserung der Informationslage. Neben der generellen Option, die Informationsbeschaffung durch weiteren Zugriff auf das Informationsreservoir auszudehnen, kommt ebenso die Anwendung stärker differenzierender Analyseverfahren auf die bereits einbezogenen Informationen zum Zuge29 • Die neuerliche Dekomposition des Entscheidungsproblems transformiert kontrolliert, das heißt im gerade notwendigen Umfang, Prahlernkomplexität in Komplexität des Lösungsprozesses. Erst mit der Berücksichtigung des Entscheidungsträgers eröffnet sich eine zusätzliche Sensitivitätsebene der Schätzgüte. "Die Unsicherheit der Planungslage ... äußert sich in einer objektiven Unbestimmtheit ( = es bestehen Wissenslücken hinsichtlich verfügbarer Alternativen und deren Konsequenzen) und einer subjektiven Unbestimmtheit ( = das individuelle Empfinden von Unsicherheit beeinfiußt die Planungsbeteiligten)."30 Diese Differenzierung steht in einer langen Tradition. So unterschied Poisson (1837) zwischen ,raison de croire' und ,chance' und Carnap (1945) stützte sich sich auf die nebeneinander bestehenden Konzepte des ,degree of belief' und der ,relative frequency' 31 . Im einen Extremfall kann der Urteilende in einer Situation mit Feststellungscharakter Unsicherheit empfinden, im anderen zeigen sich umgekehrt die Wirkungen des überhöhten Zutrauens. Da beide Unsicherheitsphänomene jedoch regelmäßig gemeinsam auftreten und ihre Wesensverschiedenheit zu jeweils anderen Schlußfolgerungen im Prozeß der Entscheidungsvorbereitung führen, liegt in der differenzierten Erfassung ein wesentliches Kriterium für die gezielte Steuerung. Unsicherheit über den Kenntnisstand erfordert informationelle Maßnahmen, wohingegen die Unsicherheit bei gegebenem Kenntnisstand eine geeignete Plattform zur probabilistischen Modellierung darstellt. Nachfolgend werden diese beiden Elemente subjektiver Schätzungen ausgeführt.

28 Vgl. z.B. die Kurzformel in den Planungsrichtlinien der GTZ : "wichtig+ unwahrscheinlich =tödlich". Gesellschaft für Techni.che Zu.sammenarbeit, ZOPP, S. 26. 29 .A !arge, messy problern is divided into a set of smaller and presumably easier judgments." H.V. Ra11inder I Don N. Kleinmuntz I James S. Dyer, The Reliability of Subjective Probabilities Opta.ined Through Decomposition, S. 187.

30

Vgl. Dietger Hahn u.a ., Grenzen der Planung, S. 815f.

31

Vgl. Gerd Gigerenzer u.a., Empire of Chance, S. 274.

15 Lechner

226

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

6.1 Informationsrisiko Verglichen mit der Aufmerksamkeit, die den nur ex post zu bestimmenden Gütemaßen für Schätzungen gegeben wird, hat die Frage der Selbsteinschätzung und Motivation des Urteilenden bislang als eines unter vielen Strukturelementen des Gewinnungsprotokolls nur wenig Beachtung gefunden. Zum Zeitpunkt der Vorhersage bildet diese Kategorie jedoch den einzigen Zugang zur Bewertung der informationeilen Basis32 . Entsprechend der zuvor getroffenen Unterscheidung, sind hierbei noch zusammengefaßt der probabilistische Gehalt antizipierter Umweltlagen, repräsentiert durch die Urteilsgrundlage des Entscheidungsträgers, und das Verhältnis dieser Urteilsgrundlage zum erschließbaren lnformationsreservoir33 • Bemühungen zu einer differenzierenden Anpassung des normativen Wahrscheinlichkeitskalküls an die subjektiven Gegebenheiten sind vereinzelt, so zum Beispiel von Good 34 und Dempster 35 , angestellt worden. Bamberg und Coenenberg 36 verweisen auf ein Konzept von Hodges und Lehmann, demzufolge ein Vertrauensparameter zur Gewichtung von Erwartungswert und erwarteter minimaler Ausprägung der Zielgröße die empfundenen Unsicherheit bezüglich benannter Wahrscheinlichkeiten zum Ausdruck bringen soll. Über das Stadium der theoretischen Formulierung sind diese Versuche der Flexibilisierung des Kalküls und der Abbildung unterschiedlich gesicherter probabilistischer Information allerdings bislang nicht in nennenswertem Umfang hinausgegangen37 . Die Entscheidungstheorie hat das Problem über die methodologische Vorentscheidung, subjektive Wahrscheinlichkeiten bei der Beschreibung von Risikosituationen zuzulassen, aus ihrem Zuständigkeitsbereich quasi ausgegrenzt und beherbergt nun, ähnlich wie zuvor unter dem Rubrum der Ungewißheit, zwei fundamental verschiedene Basisbegriffe in einer Kategorie. Die Lösung praktischer Aufgabenstellungen konfrontiert jedoch unweigerlich mit 32 Vgl. Lee Roy Beach I Valerie E. Harnes I Jay J.J. Christensen-Szalanski, Beyond Heuristics a.nd Bia.ses: A Contingency Model of Judgemental Foreca.sting, S. 149f. 33 Emile Bore! hebt hervor, daß mit der Anerkennung dieser Konstituenten einer Wahrscheinlichkeit die klassischen Maße der Zuverlässigkeit und Bestimmtheit einer Schätzung nicht mehr a.nwendba.r sind. Vgl. ders., Apropos of a Treatise of Probability, S. 51. 34

lrving J. Good, Rational Decisions.

"Consumers of probability a.ssessments a.re fa.miliar with the notion that some numerical probabilities a.re harder, or more certa.in, and others a.re softer, or more uncerta.in. ( ... ) The sta.ndard normative Baysia.n theory recognizes only probability, not sha.des of probability ..." A.P. Dempster, Probability, Evidence, a.nd Judgment, S. 289. 35

36

Günter Harnberg I Adolf G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, S. 114.

37

Vgl. ebd.

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen

227

den substantiellen Unterschieden 38 . Zwei Möglichkeiten der Berücksichtigung können grundsätzlich unterschieden werden: (1) der Ersatz der LikelihoodSchätzung durch die Angabe eines Intervalls oder (2) die Erfassung der Unsicherheitskomponenten über separate Wahrscheinlichkeitsausdrücke.

Dempster befürwortet den Ersatz der einzelnen Likelihood-Schätzung durch einen Ausdruck, der aus einer unteren und einer oberen Wahrscheinlichkeit besteht. In diesem Funktional bildet erstere unter der Bezeichnung Wahrscheinlichkeit das Urteil über einen nicht-unterschreitbaren Vertrauensgrad ab und letztere, bezeichnet als Plausibilität, das Komplement auf eins zum nicht-unterschreitbaren Vertrauensgrad der Gegenhypothese39 . Diese Methode ist verwandt mit dem Verfahren der Angabe eines ToleranzIntervalls um den geäußerten Schätzwert, innerhalb dessen der Urteilende eine abweichende Ausprägung des vorhergesagten Merkmals akzeptieren würde. Die Verwendung separater Ausdrücke kristallisiert die Unterschiedlichkeit beider Perspektiven noch stärker heraus. Diamond und Forrester kennzeichnen die Abgrenzung des Zutrauens in eine Schätzung vom objektbezogenen Glaubwürdigkeitsgrad daher konsequent als Metakonzeption40 . Auch mit diesem Akzent auf Zweistufigkeit sind theoretische Formulierungen unternommen worden41 . In der Literatur ist die Ambivalenz der Unsicherheit vielfach nur indirekt thematisiert; wenn jedoch konkret darauf Bezug genommen wird, daß " ... Risiken über den Wissensstand und Risiken bei gegebenem Wissen ..."42 bestehen, ist in der deskriptiven Analyse die Auseinandersetzung mit einer Form zweiteiliger Wahrscheinlichkeiten vorgezeichnet. Hierdurch werden das Informationsrisiko und entscheidungslogisch handhabbare Ungewißheit voneinander getrennt, wobei das Informationsrisiko nach Schneider bestimmt ist durch die "offene unbekannte Menge der nicht in ein Planungsmodell aufgenommenen Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und zukünftigen Umweltlagen"43 . 38 "Confidence about probabilities is importa.nt because it controls decisions." Daniel Kahneman I Amos Tverd:y, Variants of Uncerta.inty, S. 520.

39 Bsp.: Gegeben die Likelihood-Schätzung p(e) = 0, 4, seien die nicht-unterschreitbaren Vertrauensgrade Pb(e) = 0, 3 und Pb(,e) = 0, 45. Gemäß pc(e) = 1- Pb(,e) resultiert r.>c (e) = 0, 55 als Plausibilitätsmaß für e. Vgl. A.P. Dempster, Probability, Evidence, a.nd Judgment, S. 290f. 40 Vgl. George A. Diamond I Ja.mes S. Forrester, Metadiagnosis: An Epistemologie Model of Clinical Judgrnent, S. 130ff.

41

So z.B. von Stefan Vail, der die subjektive Wahrscheinlichkeit definiert als die Wahrnehmung

(1/Jp.) der zugrundeliegenden mathematischen Wahrscheinlichkeit p. bzw. unter Bezugnahme auf

eine objektive Häufigkeit

f die Wahrnehmung dieser Frequenz ausgedrückt durch die Funktion

1/J/; ders., Alternative Calculi of Subjective Probabilities, S. 92f. 42

Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 2 {i.O. hvg.)

43

Ebd.

115*

228

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

Die subjektive Basis eines Urteils über den Wissensstand läßt sich wie folgt veranschaulichen: Neben dem Fachwissen zur Beurteilung einer Planungslage verfügt der Entscheidungsträger über Wissen hinsichtlich der Kompetenz, die ihm aus genereller und problemspezifischer Sicht zukommt. Letztere Wissensteile repräsentieren Erfahrungen des Urteilenden mit Blick auf die Erfolgsrate bei zuvor angestellten Schätzungen in sachlich oder methodisch verwandten Situationen. Diese Erkenntnisse sind demnach Ergebnis von Reflexionen auf einer Metaebene44 . Über den aktiven, für konkrete Frohlernlösungen verfügbaren Kenntnisstand, das heißt das Objektwissen hinaus, ist eine Fachkraft in der Lage, in abstrakteren Kategorien ein Wissensgebiet abzuschätzen und die eigene Kompetenz hierzu in Beziehung zu setzen. Zweifellos stellt ein Transparenzgewinn auf dieser Ebene hohe Anforderungen an die Bereitschaft des Urteilenden zur Aufrichtigkeit 45 , andererseits liegt die wesentliche Aufgabe darin, eine aussagefähigere Basis für Informationsentscheidungen zu schaffen und damit den Urteilenden gezielt zu entlasten. Eine praktische Illustration für die Anwendung zweiteiliger Wahrscheinlichkeiten gibt Brown im Kontext der Projektplanung46 : Unsicherheit erster Ordnung, die factual assessment uncertainty zielt auf die probabilistische Bewertung zum Beispiel des Ausfallrisikos einer bestimmten Systemkomponente. Hierbei liefert die technische Spezifikation eine präzise beschriebene Basis zur Kalkulation des Risikos. Unsicherheit zweiter Ordnung, das uncertainty assessment beschreibt das Problem vollständiger Erfassung von Kriterien, die Ungewißheit erster Ordnung begründen könnten. Aus Sicht der Ingenieurwissenschaften ist diese Problematik konzentriert auf neuartige und aufgrund ihres Umfangs seltene oder einmalige Konstruktionen. Auf diesem Feld fehlen nicht allein Erfahrungswerte, sondern auch die abstrakte Durchdringung ist noch in Anfängen begriffen. Eine weitere Möglichkeit, mehrstufig bei der Analyse der Urteilsgrundlagen vorzugehen und durch methodische Verfeinerungen zur Steigerung der Sensibilität des Entscheidungsträgers beizutragen, ergibt sich aus der getrennten Analyse von Lage und Form47 einer geschätzten Verteilung. Grundgedanke ist hierbei, daß die Fluktuation in der Merkmalsausprägung, zum Beispiel der erwarteten Nachfrage für ein Produkt, bestimmten Mustern folgt und damit in der statistischen Repräsentation zu typischen Formattributen führt, die unabhängig vom Erwartungswert sind. Nach Gewinnung der Verteilung durch Fraktilsschätzungen und graphischer Approximation, sind mit der 44 Dies wäre als qualitatives oder intuitives Pendant gegenüber dem feedback durch regelmäßige Information über den Distanzindex zu interpretieren. 45

Vgl. das ezpert bias, Abschn. 4.3.2.

Vgl. Rex V. Brown, Assessment Uncertainty Technology for Making and Defending Risky Decisions. 46

47

I.S. einer Zusammenfassung von 2. und 3. Moment der Verteilung.

229

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen

Abbildung 6-5. Dichte der transformierten Normalverteilung

Varianz und dem Erwartungswert zwei abgeleitete Schätzgrößen vorhanden, auf die der Urteilende möglicherweise mit unterschiedlichem Überzeugungsgrad reagiert. Entsprechend der obigen Hypothese wäre nun zu prüfen, ob die Dichte, das heißt die Vorstellung über Wirkungen und Wahrscheinlichkeiten der Konstellation genereller Einflußfaktoren mit höherem Zutrauen versehen sind, als die Schätzung des Prozeßniveaus48 •

1.0

. . .. . .•..•. .

0.8 0.8 0 .4 0.2 X

0

Abbildung 6-6. Verteilung bei optimalem u

Bei entsprechender Einweisung in Handhabung und Interpretation dieser statistischen Maße, kann die separate Analyse zum Beispiel über folgenden Kalkül durchgeführt werden: Um die Länge eines vom Entscheidungsträger 48 Mit dem Grad der Median- Ver$chiebung findet sich hierzu ein Hinweis bei David A. Seauer I Detlof von Winterfeldt I Ward Edwarrls, Eliciting Subjective Probability Distributions on Continuous Variables, S. 389.

230

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

benannten Toleranzintervalls wird die geschätzte Verteilung nach links oder rechts verschoben. Daraufhin wird die Form der geschätzten Ursprungsverteilung über die Veränderung der Varianz so angepaßt, daß es zu einer maximalen Überlagerung der verschobenen Verteilung kommt49 . Diese Betrachtungsweise soll den Urteilenden in differenzierter Form gegenüber Verzerrungen aufgrund überhöhten Zutrauens, das heißt der wichtigsten Ursache für zu enge und zu stark akzentuierte Verteilungsschätzungen sensibilisieren. Der detaillierte methodische Rahmen erfüllt hierbei didaktische Aufgaben. Die Abwandlung der Ursprungsverteilung erfolgt nicht beliebig sondern durch eine präzise Reaktion auf das ToleranzintervalL Vergleiche zwischen der Ursprungsverteilung und der neu berechneten können damit einen Korrekturprozeß zugunsten einer stärker streuenden Verteilung auslösen. Die jeweiligen Dichten und Verteilungen zu einem solchen Versuch sind in den Abb. 6-5 und 6-6 beispielhaft wiedergegeben.

6.2 Stochastisches Risiko Objektive und damit entscheidungslogisch handhabbare Unsicherheit charakterisiert die Kontingenz zukünftigen Geschehens. Die Approximation als Zusammensetzung einer Vielzahl von Eventualitäten kann dabei als eine konzeptionelle Hilfestellung zur Überbrückung der Unkenntnis über die Zusammenhänge interpretiert werden5°. Hierzu ist es nicht erforderlich, von einem kategorischen Determinismus auszugehen 5 1 , hinreichend ist die Annahme, daß das Aggregat als indeterminiert unterstellter Ereignisse bestimmten Ausprägungsklassen zugeordnet werden kann 52 . 49 Die zu maximierende Fläche der Ursprungsverteilung über dem Intervall [l'o- .,.,, l'o + '1] ist durch folgendes Integral bestimmt:

~(O', !'o)

= l"/o+~1-0'

(X-1'•) dx = max

(o,!) - 0'

I

1039 o.N.·

• geringfügig niedriger als unverdichtet

Das so beschriebene stochastisches Risiko in der Ergebniserwartung bestimmter Handlungsalternativen ist ein Datum der Planungssituation, es kann zum gegebenen Zeitpunkt nicht vermindert, jedoch entsprechend der Detaillierung in unterschiedlichen Transparenzgraden dargestellt werden58 . 57 Vgl. James E. Matheson, Decision Analysis Practice: Examples and Insights, S. 123ff. Zur Handhabung von Szenarien dieser Art vgl. auch Herbert Moskowitz I Rakesh K. Sann, lmproving the Consistency of Conditional Probability Assessments for Forcasting and Decision Making, S. 745ft'. 58 Vgl. z.B. die hierarchische Steuerung der Präzisionsanforderung durch Fragenkataloge bei Lee Roy BeachiValerie E. Barnes I Jay J .J. Christensen-Szalanski, Beyond Heuristics and Biases: A Contingency Model of Judgemental Forecasting, Appendix, S. 154.

234

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

In der Konsequenz beschränkt sich der Einfluß auf die mögliche Reaktionen, das heißt die Gestaltung der Handlungsalternativen. Hierbei sind zwei Kriterien zu unterscheiden: Sensitivität der Zielgröße im Spektrum möglicher Zustände, Flexibilität des Handlungsrahmens über eine Sequenz von Handlungsentscheidungen. Gemeinsam bilden diese Kriterien eine Aussage über die Robustheit der betrachteten Lösungsalternative. Die Sensitivität läßt sich dabei am einfachsten über das Konzept in der beschreibenden Statistik genauer erfassen59 . Die Stabilität einer gegebenen Approximation des Zusammenhangs zwischen unabhängigen und abhängigen Variablen soll dabei möglichst wenig durch die Existenz von Ausreißern beeinträchtigt werden. Das heißt der differenzierte Einsatz dieses Kriteriums zielt nicht auf eine pauschale, an der durchschnittlichen absoluten oder quadratischen Abweichung orientierten Minimierung der Differenzen, sondern stützt sich zusätzlich auf eine Hierarchie bei der Bewertung möglicher Konstellationen von Zuständen und erwartetem Zielgrößenbeitrag. Die mögliche Realisation besonders hoher Zielgrößenbeiträge unter bestimmten Gegebenheiten wird gezielt beschnitten zugunsten einer Anhebung, etwa auf ein gegebenes Mindestniveau, unter anderen Bedingungen5°. Diesen Nivellierungseffekt veranschaulicht die Abb. 6-8 schematisch, wobei x die Zielgröße und z die Konstellation der relevanten Ereignisse symbolisiert. Die Skala auf der Abszissenachse erfaßt die Zustände in absteigender Folge ihrer Günstigkeit, gewogen mit den jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten beziehungsweise der Anzahl unterschiedlicher Ereigniskombinationen, die zu gleichen Zielgrößenbeiträgen führen. Die skizzierten Verläufe spiegeln eine Situation gradueller Veränderung der Erfolgserwartung wider61 ; ebenso ist vorstellbar, daß starke Dispersion im Erfolgspotential der Konstellationen Unstetigkeit bedingt und der Zielgrößenbeitrag für bestimmte Handlungsalternativen abrupt einbricht5 2 . Das zweite Kriterium setzt die dynamische Betrachtung voraus und richtet sich auf den Verpflichtungsgrad, der mit der Wahl einer Handlungsal59

Vgl. z.B. Frank R. HtJmpel, Robuste Schätzungen: Ein Anwendungsorientierter Überblick.

"In the event that markets follow the course marked out by expectation schedules, such a plan will yield lower net receipts than would a plan based on the assumption that expectations were certain to be fulfilled. But in exchange the firm will have higher net receipts in the more likely event that it has to adapt itself to markets better or worse than expectations. How far it is worth sacrificing the former advantage to the latter will obviously depend both upon the technical opportunities for flexibility and upon the degree of dispersion of market anticipations about the expectation." Albert G. HtJrt, Anticipations, Uncertainty, and Dynamic Planning, S. 62. 60

61 Vgl. z.B. die Modeliierungzweier unterschiedlich sensitiver Organisations- und Fertigungsstrukturen gegenüber Schwankungen des Preisverhältises im Zwei-Produkt-Mix bei Neil B. NimtJn, Modeling Coordination in Organizations and Markets, S. 1820ff. 62

Vgl. ebd., S. 62, Fn. 8.

235

6. Repräsentation von Entscheidungsproblemen X

---

z

Abbildung 6-8. Erfolgserwartung und Vorteilhaftigkeit der Umwelt-Konstellation

ternative vor dem Hintergrund des zukünftigen Geschehens und der dann möglichen Reaktion durch weitere Handlungsentscheidungen verbunden ist. Hammer beschreibt in diesem Sinne Robu.stheit als den Grad der Flexibilität, über den ein Entscheidungsträger hinsichtlich zukünftiger Entscheidungen noch verfügt, nachdem eine Ausgangs- oder Basisentscheidung getroffen wurde63 . Ziel ist es, Situationen zu vermeiden, in denen bereits getroffene Entscheidungen die vorteilhafte Reaktion auf Umweltlagen verhindert, die erst nachträglich bekannt geworden sind64 • Unter diesem Aktivitätsaspekt ist der Ansatz der flexiblen Planung von Hax und Laux zu verstehen; er zielt auf ein reagibles Planungskonzepts, welches (Teil-) Entscheidungen in der Zeit so anordnet, daß eine prospektive Festlegung erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt zur Freigabe kommt und dann bestätigt oder in Abwandlung endgültig implementiert wird. In dieser allgemeinen Form, ohne Spezifikation der Gegebenheiten, für die Handlungsoptionen bereit gehalten werden sollen, kennzeichnet das Kriterium ein grundlegendes Planungsprinzip, wonach die verbindliche Weichenstellung nicht früher erfolgen sollte, als für die Zielerreichung notwendig65 . Kann das Planungsprojekt dagegen als eine auf vorgege-

63

Vgl. Richard M. Hammer, Unternehmungsplanung, S. 109.

n··· selling-market uncertainty ( ... ) will make it desirable to keepdown holdings of durable equipment, to avoid long-term buying-contracts, to choose processes under which the intermediate products are of unspecialized form and capable of storage, and to choose processes under which the bulk of the service input for output of given date is postponed until that date comes near." Albert G. Hort, Anticipations, Uncertainty, and Dynamic Planning, S. 62. 64

65

Vgl. zur Diskussion des Ansatzes der ftexiblen Planung Herbert Jochum, Flexible Planung

236

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

bene oder variable Zeitpunkte verteilte Folge präzise umrissener Einzelentscheidungen interpretiert werden, so ist es möglich, die Effekte der jeweils vorangegangenen Entscheidung auf die Realisationserwartungen nachfolgender in den Kalkül einzubeziehen. Ein typisches Beispiel adaptiver Problemlösung geben Gupta und Rosenhead mit der Expansionstrategie eines Unternehmens bei der geographischen Erschließung eines Marktes66 . Hier etwa läßt sich ein Mengen- und Wertgerüst als interdependentes Gefüge entwickeln und gezielt gegenüberstellen, welche Voraussetzungen für den nächsten Ergänzungsschritt durch eine bestimmte Entscheidung geschaffen würden67 . In der Analyse über alle vorgesehenen Expansionsschritte läßt sich dann eine Strategie ermitteln, die aus der Menge der vorteilhaftesten Expansionspläne bei unterschiedlichen Umweltgegebenheiten diejenigen Elemente zuerst auswählt und realisiert, die am häufigsten auftreten68 . An dieser Stelle kann die Abgrenzung zum Ansatz der flexiblen Planung deutlich gemacht werden. Nach der oben gegebenen Charakterisierung liegt es zunächst nahe, das Robustness-Konzept hier unterzuordnen. Durch die Auswahlkriterien kommt jedoch einen wesentlicher Unterschied zum Tragen: Die einzelne Teilentscheidung wird in der flexiblen Planung nach herkömmlichen Planungsansätzen getroffen, wohingegen ,robuste nächste Schritte' nicht nur einen Entscheidungsprozeß flexibilisieren, sondern darüber hinaus die Teilentscheidungen selbst mit erhöhter Zukunftssicherheit ausstatten. Während die flexible Planung aufgrund der Anwendung von Extremierungsvorschriften an die Annahme der Unabhängigkeit der einzelnen Teilentscheidungen gebunden ist, kann das Konzept der Robustheit gezielt auf die Interdependenzen reagieren.

Luhmann, der den Gedanken der Robustheit im Sinne des Überdauerns auch widriger Umstände zurückverfolgt bis auf gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Konzeptionen Fichtes69 , sieht die Möglichkeit anderer als robuster Planungsweisen aufgrund der Verflechtungen als überhaupt genommen. Luhmann konzentriert seine Formulierung der Robustheitsanforderung als Grundlage unternehmerischer lnvestitionsentscheidungen; Dieter Schneider, Flexible Planung als Lösung der Entscheidungsprobleme unter Ungewißheit?; ders., Anpassungsfähigkeit und Entscheidungsregel unter Ungewißheit; Herbert Haz /Helmut Laux, Flexible Planung- Verfahrensregeln und Entscheidungsmodelle für die Planung bei Ungewißheit. 66 Die konkrete Anwendung des Robustness-Konzepts bezog sich auf die Ergänzung von Abfüllund Lagereinrichtungen einer Brauerei in verschiedenen Bundesstaaten bei der Erschließung des US-amerikanischen Marktes.

67 Vgl. Shiv K. Gupta/ Jonathan Rosenhead, Robustness in Sequential Investment Decisions; Jonathan Rosenhead / Martin Elton / Shiv K. Gupta, Robustness and Optimality as Criteria for Strategie Decisions.

68 " ... strategies should be computed in terms of stability, rather than naked power ..." Stafford Beer, lntroduction: Questions of Quest, S. 5. 69 Vgl. Johann G. Fichte, Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, in: Ausgewählte Werke, Bd. IV, Darmstadt 1962, S. 617.

7. Computergestützte Verfahren der Entscheidungsvorbereitung

237

auf die substantielle Absicherung und die Konsequenzen wettbewerbsorientierter Unternehmensstrategien. Chancen zu nutzen, die sich aus der konkreten Wettbewerbssituation ergeben, setzt genaue Kenntnis der Strategien konkurrierender Unternehmen voraus. Eine intensive Markt- und Konkurrenzbeobachtung ist daher erforderlich, und die Richtigkeit eigener Entscheidungen erklärt sich stets aus dem Gesamteffekt, den die unterschiedlichen Entscheidungen der Wettbewerber haben. Quintessenz ist, daß die Beobachtung untereinander die Grundlage für rationales, das heißt optimierendes Entscheiden nimmt1°. Luhmann folgert: "nicht Sicherheit, sondern nur Unsicherheit läßt sich auf Dauer stellen. Die Konsequenz wäre dann aber: daß die Rationalität nicht in irgendwelchen Effizienzkriterien oder Optimierungen zu suchen ist, sondern in der Robustheit: in der Fähigkeit, fremde und eigene Irrtümer zu überstehen. Oder provozierender gefragt: welche Strategien bewähren sich, auch wenn sie oder sogar weil sie falsch sind?"71 Erkennbar ist jedoch, daß die Gesamtbetrachtung der für sich genommen unberechenbaren Fremdeinflüsse keine Schlußfolgerungen in dieser Strenge notwendig macht. Die hier eingangs skizzierte Abbildung indeterminierter Ereignisse in Allsprägungsklassen rechfertigt die Annahme einer gewissen Verlässlichkeit, mit der über die Verflechtung der Einflüsse hinweg operiert werden kann. Erwartungen können danach in der Einzelbetrachtung beliebig sein, ohne ein sie mit umfassendes Urteil größerer Bestimmtheit auf höherer Ebene auszuschließen.

7. Computergestützte Verfahren der Entscheidungsvorbereitung Perspektive und historische Entwicklungslinien des Computereinsatzes weisen auf das Ziel der Nachbildung immer komplexerer kognitiver und mentaler Vorgänge. Das Potential hinsichtlich Speichervolumen und Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen, wie es derzeit von Rechnern nicht allein im Hochleistungsbereich, sondern bereits auf der Ebene des breiten kommerziellen Marktes vorgehalten wird, deckt einen weiten Bereich der Anforderungen ab1 . Der Repräsentation des digitalen Wissensstandes und 70

V gl. Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der GeseUschaft, S. 118ff.

71

Ebd. , S. 12lf.

Dies gilt selbst wenn in Rechnung gesteßt wird, daß mit Ausgang der achtziger Jahre die größten Hocbleistungsrechner, z.B. im Design einer Cray 3, den Gegenwert des ein Gramm schweren Gehirns einer Maus repräsentieren und Entwicklungsmaschinen in Forschungslaboratorien etwa die Leistungsfähigkeit des Nervensystems eines Insekts erreichen. Hans Moro11ec erläutert zu den von ihm über die Maßgrößen Verarbeitungsgeschwindigkeit (bits per second) und Arbeitsspeicherkapazität (bits) angesteUten Berechnungen, daß bei Extrapolation des bisherigen Entwicklungspfades in der Hochleistungssparte bereits im Jahre 2010 und in der breiten Anwen1

238

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

der Analyse über Verknüpfungen von Wissensteilen sind daher nur geringe Beschränkungen auferlegt. Durch vergleichsweise geringe Leistungsfähigkeit zeichnen sich jedoch die Schnittstellen zum Anwender aus. Die Schnittstellen lassen sich aus dem Verständnis der Transformation von Wissen charakterisieren. Zu betrachten sind dabei die Übertragung aus dem organisationalen Instrumentarium der Abbildung in das subjektive Wissen und die Aufnahme subjektiver Information in das digitale Wissen der Organisation. Die Spezifikation von Eingabe- und Ausgabe-Schnittstellen erstreckt sich auf den Gegenstand der zu übermittelnden Information und deren Codierung, das heißt deren syntaktische Gestalt nach Maßgaben des verwendeten Zeichensystems. Traditionell handelt es sich dabei sowohl für Eingaben als auch Ausgaben um Ausdrücke in einer Programmiersprache, die die Abbildung numerischer Operationen und einen mehr oder weniger stark an Umgangssprachen angelehnten Begriffsvorrat umfassen. In der Fortentwicklung zeichnet sich insbesondere mit Blick auf die Codierung von Ausgaben eine Ausdehnung auf graphische Ausdrucksformen ab. Informationen werden über symbolische Sprachen2 und Diagramme aufbereitet. Obgleich auch diese Ausdruckformen Varianten digitaler Wissensrepräsentation beschreiben, indem der Abbildungsvorgang einer subjektunabhängigen Syntax folgt, nähern sie sich der durch ganzheitliche Betrachtungsweisen gekennzeichneten analogen Wissensrepräsentation des Subjektes an. Anschauliche Repräsentation trägt damit zu einer Vereinfachung des Transformationsprozesses in beiden Richtungen bei. Als vorrangiges Ziel computergestützter Verfahren der Entscheidungsvorbereitung gilt aus dieser Perspektive, subjektive und organisationale Wissensrepräsentation möglichst weitgehend anzunähern und auf diesem Weg einen Beitrag zur Bewältigung der unter dem Begriff der Objektivität erörterten Eindeutigkeitsproblematik zu leisten. French faßt die Zielsetzung pragmatisch in einem Leitmotiv zusammen: Gute Entscheidungsunterstützung sollte dem Entscheidungsträger nicht allein dabei helfen, das Problem zu ergründen, sondern darüber hinaus auch sich selbst3 . Dieser Forderung wird Rechnung getragen, wenn das organisationale Instrumentarium dazu geeignet ist, Strukturen des analogen Wissens sichtbar zu machen und sich der Urteilende in diesem Sinne selbst beobachten kann. dung um 2030 Maschinen angeboten werden, die dem menschlichen Potebtial ebenbürtig sind. Vgl. ders., Mind Children, S. 60f, 68. 2 Ein Beispiel gibt Tom Hemming mit der Definition einer Meso-Sprache, die den Übergang von der Problemwahrnehmung durch den Entscheidungsträger zur mathematischen Formulierung des Problems erleichtern soll. Vgl. ders., Structured Modelling of Multicriterion Problems. Die Konzeption des Modells geht zurück auf Reiner Müller-Merboch , Entwurf von Input-OutputModellen.

3 Vgl. Sirnon French, Interactive Multi-Objective Programming: lts Aims, Applications and Demands, S. 833.

7. Computergestützte Verfahren der Entscheidungsvorbereitung

239

Die durch diese Instrumente repräsentierten Modelle des Abbildungsbereichs prägen die Wahrnehmung der Aufgabenstellung. Dem theoretisch in der Modellbildung zum Transformationsprozeß erörterten und in seinen empirischen Auswirkungen dargestellten Rahmen-Effekt kommt in Anbetracht des Einflusses entscheidungsunterstützender Instrumente auf die Wissensaufbereitung eine wesentliche Bedeutung zu4 • Hieraus leitet sich als weitere Zielsetzung ab, daß rechnerbasierte Entscheidungsunterstützung in möglichst geringem Maße selbst Angriffspunkte für mögliche Verzerrungen in der Urteilsfindung bietet. Zur Einordnung bislang entwickelter Ansätze rechnerbasierter Entscheidungsunterstützungssysteme gibt die folgende Darstellung einen Überblick. Der Begriff selbst folgt bislang keiner allgemein akzeptierten Abgrenzung5 . Mitverantwortlich ist die breite interdiziplinäre Fundierung des Forschungsgebiets. Irrbesondere bei der Gestaltung des Anwendungsrahmens fließen unterschiedliche Schwerpunkte in den Systementwurf ein6 • Vier tragende Forschungsrichtungen, sämtlich mit Ursprung im angloamerikanischen Raum, haben sich dabei herauskristallisiert: Decision Analysis, Decision Calculus, Decision Research und lmplementation Process. Für das in den Grundelementen der Entscheidungstheorie verankerte Decision Analysis stehen präskriptive Modelle der Entscheidungstindung nach dem Basis-Schema der Zustands-Handlungs-Kombinationen und -Ketten, bei dynamischer Modellierung, im Vordergrund. Rechnergestützte Systeme erleichtern damit Entwurf und Handhabung formalisierter Beschreibungen des Entscheidungsproblems. Sie zielen auf die Phase der Problemdefinition und Strukturierung von Teilaspekten. Mit Fokussierung auf bestimmte Einsatzgebiete sind Unterstützungssysteme aus dem Decision Calculus entstanden. Little rief diese Konzeption ins Leben als Antwort auf den schleppenden oder teilweise inadäquaten Einsatz traditioneller Ansätze des Operations Research bei Entscheidungsprozessen7 . Die Ausrichtung des Konzepts bedingt, daß nicht allein Vollständigkeit und Anpassungsfähigkeit im abgebildeten Bereich, sondern insbesondere einfache Strukturierung, leichte Bedienung und Robustheit vorrangig sind. Mit der bewußten Begrenzung auf eng umrissene Fragestellungen, zum Beispiel 4 Vgl. z.B. Kenneth J . AfTOw, Behavior Under Uncertainty and lts lmplications for Policy, S. 505; David E. Bell I Howard Raiffa I Amos Tversky, Descriptive, Normative, and Prescriptive lnteractions in Decision Making, S. llff; Günther Haednch I Horst Kleinert I Peter Naeve, Untersuchungen zum subjektiven Schätzvermögen des Managers, S. 434ff.

5

Vgl. M.B. Ayati, A Unilied Perspective on Decision Making and Decision Support Systems,

s. 615.

6 Vgl. im folgenden Charles 8 . Stabell, Decision Support Systems: Alternative Perspectives and Schools, S. 173ff. 7

Vgl. Peter G.W. Keen, Adaptive Design for Decision Support Systems.

240

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

die am Werbebudget orientierte Simulation im Marktanteil-Marktvolumen Modell8 , werden Argumentationshilfen zu Teilaspekten einer Aufgabenstellung verfügbar gemacht, die aufgrund des Rechenaufwands anderenfalls selten herangezogen werden. Durch Nachverfolgen und Bewerten der Ergebnisse des Entscheidungsrechenverfahrens ist der Anwenderinder Lage, sowohl das Modell als auch die Schätzungen der Modellparameter schrittweise zu verbessern. Im Vordergrund stehen damit die Phasen der Bewertung und Auswahl, weniger die Problemspezifikation9 . Bezogen auf die beiden Übermittlungsrichtungen in der Transformationsaufgabe, zielt der Ansatz hauptsächlich darauf ab, digitales Wissen der Organisation dem Urteilenden verfügbar zu machen. Unterstützungssysteme aus dem Decision Research beinhalten zumeist mehrere Modelle, mit denen einerseits das tatsächliche Entscheidungsverhalten abgebildet werden kann und die andererseits über präskriptive Konzepte eine Anpassung des bestehenden Entscheidungsprozesses an vorteilhafte Strategien ermöglichen sollen10 . Im Zentrum steht hier die Analysephase mit sämtlichen organisationalen Bezügen, System und Prozeß, und Objektbezügen, Informationsbeschaffung und Bewertung. Das Ziel, Lösungen in unmittelbarer Anhindung an die vorhandenen Strukturen zu gewinnen, läßt nur den individuellen Entwurf zu. Systeme, die nach den Maßgaben des Implementation Process gestaltet werden, sind auf die dynamische Perspektive im Zusammenwirken von Entscheidungsträger und Programm gerichtet. Lerneffekte einerseits und Anpassung und Ausbau der Funktionen des Systems andererseits stehen im Vordergrund. Auch hier fließt der Gesamtkontext organisationaler Strukturen wesentlich mit ein. Sowohl in den Ansätze des Decision Research als auch in der Perspektive des lmplementation Process nehmen die Funktionen der Transformation analogen Wissens und dessen Integration in das Entscheidungsfeld eine Hauptrolle ein. Bei Problemlösungen des Decision Research führt der Weg über die Vielfalt vorgegebener Methoden, und im lmplementation Process erhalten die Funktionen durch Flexibilisierung der Methodenentwicklung ihren herausgehobenen Stellenwert. In beiden Fällen sind die Wirkungen auf die Problemsicht erst im Kontext der individuellen Systemgestaltung und des gesamten Prozesses der Entscheidungsvorbereitung analysierbar. Aufgrund des situativen Bezuges der einzelnen Systementwürfe entziehen sie sich jedoch einer allgemeinen Charakterisierung unter dem Schnittstellen- beziehungs8 Vgl. John D.C. Little, Modelsand Managers: The Concept of a Decision Calculus, S. B-471ff, sowie die Diskussion des ABDUG-Modells z.B. bei Josef Mazanec, Das Konzept des "Decision Calculus''. 9 Vgl. Charles B. Stabell, Decision Support Systems: Alternative Perspectives a.nd Schools, S. 176.

10

Vgl. Charles B. Stabell, A Decision-Oriented Approach to Building DSS, S. 232ff.

7. Computergestützte Verfahren der Entscheidungsvorbereitung

241

weise Transformationsaspekt. Dieser Einschränkung unterliegen die an das Decision Analysis angelehnten Konzepte nicht. Sie zeichnen sich durch einen festgelegten methodischen Rahmen und weitgehend standardisierte Hilfsmittel der Repräsentation von Problemstellung und Lösung aus. Die Situationsunabhängigkeit dieser Systementwürfe erlaubt es, sie an späterer Stelle hier am Beispiel einzuführen und gegenüber traditionellen Aufbereitungsformen abzugrenzen. Im Unterschied zur Verbreitung von Anwendungen in der Massendatenverarbeitung und bei der Bewältigung von Routine-Aufgaben, hält sich der Einfluß computergestützter Systeme im Bereich individuell zu lösender und vergleichweise selten auftretender Problemstellungen, wie etwa strategischen Unternehmensentscheidungen, bislang noch in engen Grenzen 11 . Unter Vernachlässigung der vielfältigen Hemmnisse, die generell bei der Einführung technischer Innovationen zu überwinden sind, konzentriert sich hier die Frage nach der Akzeptanz auf die Effekte abweichender Problemrepräsentation unter Einsatz von Unterstützungssystemen. Näher untersucht werden sollen zwei Programmpakete, die unterschiedlich weit von der manuellen Vorgehensweise wegführen. Aus der Eingrenzung auf die Objektdimension, das heißt Informationsgewinnung und Bewertung, ergeben sich allgemeine Strukturmerkmale, die zu folgender Differenzierung genutzt werden können: Unmittelbar angrenzend an den manuellen Entwurf einer im quantitativen System der Unternehmung, das heißt für die Instrumente ökonomischer Analyse verwertbaren Repräsentation der Problemstellung, ist die Ebene der Objektbindung anzusiedeln. Hier ist das Modell definiert bis auf die Variablen und deren Verknüpfung. Damit sind sowohl Annahmen zur Problemstruktur als auch zur Methodik der Lösung in unveränderbarer Weise enthalten. Auf der darüberliegenden Ebene wird lediglich ein Lösungsverfahren vorgegeben, so daß der Lösungsansatz bis auf die Art der Repräsentation von Entscheidungsproblem und Wissen für einen Handlungsentschluß definiert ist. Das System enthält damit eine Methodenbindung. Der Systematik folgend schließt sich eine oberste Stufe an: die Bindung auf der Ebene der Problemstruktur. In diesem Fall ist auch die Methodik freigegeben und der Entscheidungsträger ermittelt über die Beschreibung des Problems sowohl das geeignete Lösungsverfahren als auch die formalen Charakteristika der Lösung. Das Modell des General Problem Solver repräsentiert eine solche Bindung an die Problemstruktur12 • Es verbleiben hier einzig instrumentelle Begrenzungen, indem Leistungsmerkmale des Systems, zum Beispiel der dort verwendeten Sprache, die Flexibilität in der Problemrepräsentation einengen können. Der 11 Vgl. Gerd blei u.a., Modeling Strategie Decision Making and Performance Measurements at ICI Pharmaceuticals, S. 5. Zu einer Übersicht vgl. z.B. Don Crabb, Financial Modeling Packages; Gary H-eeman, PC modeling with Encore Plus, IFPS; Shawn Bryan, PC modeling programs.

12

Vgl. z.B. Herbert A. Simon, Search and Reasoning in Problem Solving, S. 22ff.

16 Lechner

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3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

Vergleich dieser Abstraktionsstufe mit den vorgelagerten Ebenen knüpft an elementare logische Kalküle an. Erst auf der Basis einer hieraus abzuleitenden Klassifikation möglicher Problemstellungen und der in den weiteren Ausbauschritten erfolgenden Methoden-Generierung setzt die Wirkung möglicher Rahmen-Effekte ein, das heißt erst das methodische Vorgehen, die Festlegung eines bestimmten Lösungsverfahrens konfrontiert mit der Problematik des Austausches von Objektwissen. Daher werden in den beiden folgenden Unterabschnitten beispielhaft zwei Systemkonzeptionen zu den Ebenen der Objekt- und Methodenbindung im Anwendungskontext dargestellt.

7.1 Objektbindung Ziel der Vorgabe eines objektbezogenen Rahmens für das Entscheidungsproblem ist die vollständige Erfassung inhaltlicher Kriterien des Kalküls. Ein allgemeines Schema zur hierarchischen Ableitung des Mengen- und Wertgerüstes der Aufgabenstellung13 bildet dabei die Grundlage für standardisierte Einträge. Die Definition der Eingabewerte und deren Verknüpfung bei der Ermittlung von Zielgrößen sind dem Entscheidungsträger damit vorgegeben. Es obliegt dem Entscheidungsträger, die Relevanz der Variablen bei der Lösung einer konkreten Aufgabenstellung zu prüfen und d.as Modell gegebenenfalls entsprechend zu verkürzen. Erweiterungsmöglichkeiten bestehen nicht. Daneben bleibt es dem Entscheidungsträger überlassen, den Detaillierungsgrad der vorgegebenen Repräsentation zu bestimmen und auf diesem Weg durch Zusammenfassungen das Modell mehr oder weniger stark zu vergröbern. Das Computer Model for Feasibility Analysis and Reporting ( COMFAR) spiegelt eine solche Vorgabe in der Anwendung auf Investitionsentscheidungen wider 14 . Wertansätze der Projektbeschreibung nimmt das Programm im Daten-Modus über separat anzusteuernde Eingabezellen in eine Tabellenkalkulation auf. Abb. 7-1 gibt eine Übersicht zu den berücksichtigungsfähigen Projektvariablen und -konstanten, mit deren Hilfe ein Planungshorizont von maximal 15 Rechnungsperioden abgebildet werden kann. Die Vorstrukturierung der Projektbeschreibung dient der Vollständigkeit und Ausgewogenheit aus der Perspektive der Kapitalgeber und ist daher eng an die Datenanforderungen der Rechnungslegung geknüpft. Dessen ungeachtet besteht jedoch die Möglichkeit, mit unvollständigen Angaben erste Analysen durchzuführen. Neben der Standardisierung in abschließenden Stadien der Evaluierung soll 13 Vgl. z.B. Detlof von Winterfeldl f Ward Edwards, Decision Analysis and Behavioral Research, S. 36ff.

14 Die Illustrationen zu diesem Programmpaket der UNIDO stützt sich auf die Version 2.1. Die betriebs- und volkswirtschaftliche Konzeption des Programms ist angelehnt an United Nations Industrial Development Oryanization, Manual for the Preparation of Industrial Feasibility Studies.

7. Computergestützte Verfahren der Entscheidungsvorbereitung

(1) General Variables (1.1) Duration of construction (1.2) Planning-interval (1.3) Cashflow discounting rate (1.4) Equity and subsidy conditions (1.5) Loan and overdraft conditions (2) Initial / Current Fixed Investment (2.1) Land (2.2) Site preparation and development (2.3) Structures and civil engineering (2.4) Incorporated fixed assets - construction, transport, - technology, - others (2.5) Plant, machinery and equipment (2.6) Auxiliary and service facilities (2.7) Pre-production expenditures (2.8) Inventory

(4) Production and Sales (4.1) Quantity produced/sold - turnover (4.2) Sales price per unit (4.3) Sales tax, total (4.4) Other direct sales costs, total (4.5) Other non-variable costs, total (4.6) _- Labour costs [incl. in (4.5)] (5) Work.ing Capital Requirements (5.1) Accounts receivable (5.2) Cash in hand (5.3) Raw material (5.4) Utilities (5.5) Energy (5.6) Spareparts (5.7) Work in progress (5.8) Finished products (5.9) Accounts payable (6) Source of Finance (6.1) Equity, ordinary shares (6.2) Equity, preference shares (6.3) Subsirlies and grants (6.4) - Loans, - overdrafts

(3) Production Costs (7) Income, Tax and Cashflow (-+ Standard Production Costs) (7.1) General: (3.1) Raw material (-+ quantity) - Income tax (dyn.), (3.2) -+ Unit cost - tax rate, - tax holidays, (3.3) Utilities - deduction of Iosses (3.4) Energy against future periods, (3.5) Labour- direct - tax credit, (3.6) Maintenance, repairs - tax on transfered profit (3.7) Spareparts (7.2) Periodical: (3.8) Factory overheads - Investment allowance, (3.9) Administration: - labour - Depreciation allowance, costs, - non-labour - Income tax adjustment, (3.10) Marketing: - Variable tax rate - labour cost [ind. cost], (7.3) Profit distribution - non-labour [ind. cost] [ref. (6.1), (6.2)]

Abbildung 7-1. Programmvariable

I&•

243

244

3. Teil: Entscheidungsvorbereitung in der Planung

auf diese Weise zu einer Flexibilisierung des Einsatzes beitragen werden. Ziel ist es, auch im Stadium erster Entwürfe mit wenig detaillierter Information Ergebniserwartungen grob bestimmen zu können. Als Ergebnisgrößen sind neben Kapitalwert und interner Verzinsung der Amortisationszeitraum und diverse weitere Rentabilitätskennzahlen vorgegeben. Ungeachtet der Vollständigkeit eingegebener Information, erstreckt sich die Wiedergabe von Eingabe- und Ausgabetableau stets auf den vollen Umfang der standardmäßig angeforderten Daten. Auch nach Übergehen bestimmter Eingaben bleibt das Schema der Projektbeschreibung daher stets erhalten und beugt der Gefahr von Auslassungen in der endgültigen Projektformulierung wirkungsvoll vor 15 .

- - - - - - - - - - - - - - - - - - COMFARDaten - Initial FIXed Investment • foreign C 1 L 20

position (L 20. C 1)

Depreciation rate in % Plant machinery and equipment (a)

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