Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits: Band III. 1976–1979 9783518584330, 9783518584347

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Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits: Band III. 1976–1979
 9783518584330, 9783518584347

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Michel Foucault Schriften in vier Bänden Dits et Ecrits Band IV

I98O-I988 Herausgegeben von Daniel Defert und François Ewald unter Mitarbeit von Jacques Lagrange Aus dem Französischen von Michael Bischoff, Ulrike Bokelmann, Horst Brühmanii, Hans-Dieter Gondek, Hermann Kocyba und Jürgen Schröder

Suhrkamp

Die Veröffentlichung der vierbändigen Ausgabe der Dits et Ecrits erfolgt mit Unterstützung des Französischen Ministeriums für Kultur - Centre National du livre und der Kulturabteilung der Französischen Botschaft in Berlin. Titel der Originalausgabe: Dits et écrits © 1994 Éditions Gallimard, Paris © Éditions Stock, 1980, für den Text 275 © Éditions du Seuil, 1979, und © Éditions Gallimard, 1994, für die Texte 277, 278 und 279 © Éditions de Minuit, Paris, 1981, und © Éditions Gallimard, 1994, für den Text 290 © The University of Utah Press, Salt Lake City, 1982 und 1983 für den Text 291 © The University of Chicago Press, 1982 und 1983 und © Éditions Gallimard, 1994, für die Texte 306 und 326 © Presses Universitaires de France, Paris, 1984, und © Éditions Gallimard, 1994, für den Text 345

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie http://dnb.ddb.de © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2005 Alle Rechte Vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner Umschlagfoto: Jerry Bauer Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany Erste Auflage 20051 1 2 3 4 5 6 - 10 09 08 07 06 05

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Inhalt 1980 275. Vorwort (zu Knobelspiess, R., Q.H.S.: quartier de haute sécurité, Paris 1980)......................................... 9 276. Einleitung (in: Barbin, Herculine, Recently Discovered Memoirs of a Nineteenth Century French Hermaphrodite, New York 1980)............................ 12 277. Der Staub und die Wolke......................................... 12 25 278. Diskussion vom 20. Mai 1978.................................. 279. Nachwort (in: Perrot, Michelle (Hg.), Ulmpossible Prison. Recherches sur le système pénitentiaire au XÎXe sciècle, Paris 1980)........................................... 44 280. Foucault untersucht die Staatsräson.......................... 47 281. Gespräch mit Ducio Trombadori.............................. 51 282. Immer noch das Gefängnis.................. .................... 119 283. Le Nouvel Observateur und die Vereinigte Linke . . . 124 284. Die vier apokalyptischen Reiter und das alltägliche Gewürm...................... 126 285. Der maskierte Philosoph................................ 128 286. Die Fantasien des 19. Jahrhunderts.......................... 137 287. Das wahre Geschlecht............................................... 142 288. Roland Barthes (12. November 1915 26. März 1980)........................................ 152 289. Von der Regierung der Lebenden ............................. 154 1981 290. Vorwort zur zweiten Auflage (von Vergés, J., De la stratégie judiciaire, Paris 1981)........................ 291. »Omnes et singulatim«: zu einer Kritik der politischen Vernunft................................................. 292. Brief an Roger Caillois............................................. 293. Freundschaft als Lebensform...................... 294. Das Dossier »Todesstrafe«. Sie haben dagegen geschrieben............................................................... 295. Sexualität und Einsamkeit (Vortrag)........................ 296. Ist es also wichtig, zu denken?................................. 297. Die Maschen der Macht......................................... .

160 16j 199 200 206 207 219 224

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298. Michel Foucault: Wir müssen alles überdenken, das Gesetz und das Gefängnis.................................. 299. Lacan, der »Befreier« der Psychoanalyse.................. 300. Gegen die Ersatzstrafen........................................... 301. Strafen ist die schwierigste Sache der Welt................ 302. Die Antworten von Pierre Vidal-Naquet und Michel Foucault....................................................... 303. Anmerkungen zu Dingen, die man liest und hört . . . 304. Subjektivität und Wahrheit....................................... 1982 305. Pierre Boulez, der durchstoßene Schirm ................... 306. Subjekt und Macht................................................... 307. Denken, Fühlen....................................................... 308. Gespräch mit Werner Schroeter................................ 309. Der erste Schritt zur Kolonisierung des Westens . . . . 310. Raum, Wissen und Macht......................................... 311. Gespräch mit M. Foucault....................................... 312. Der Kampf um die Keuschheit................................ 313. Der gesellschaftliche Triumph der sexuellen Lust: ein Gespräch mit Michel Foucault............................ 314. Zärtlichkeiten zwischen Männern als K unst............ 315. Die Maschen der Macht........................................... 316. Terrorismus hier und dort......................................... 317. Sexuelle Wahl, sexueller A kt..................................... 318. Foucault: Keine Kompromisse!................................ 319. Michel Foucault: »Neutralität ist nicht möglich«. . . . 320. »Wenn wir die Polen im Stich lassen, verzichten wir auf einen Teil unserer selbst«..................................... 321. Michel Foucault: »Die moralische und soziale Erfahrung der Polen kann nicht mehr ausgelöscht werden«.................................................................. 322. Das goldene Zeitalter der lettres de cachet................ 323. Die Hermeneutik des Subjekts................................ 1983 324. Arbeiten.................................... 325. Ein endliches System angesichts einer unendlichen Nachfrage.................................................................

Inhalt

245 248 249 252 255 256 258 265 269 294 303 314 324 341 353 369 376 379 380 382 402 405 408 412 421 423 439 440

Inhalt

326. Zur Genealogie der Ethik: Ein Überblick über die laufende Arbeit................................................... 327. Das interessiert mich nicht....................................... 328. Über die Macher der Geschichte............................... 329. Über sich selbst schreiben......................................... 330. Strukturalismus und Poststrukturalismus................ 331. Austausch mit Michel Foucault.............................. 332. Von seinen Lüsten träumen. Über das Traumbuch des Artemidor. . ....................................................... 333. Michel Foucault/Pierre Boulez: Die zeitgenössische Musik und das Publikum......................................... 334. Polen, und was danach? . . . ..................................... 335. »Sie sind gefährlich«................................................. 336. Michel Foucault, interviewt von Stephen Riggins . . . 337. ... sie haben verkündet ... über den Pazifismus: seine Natur, seine Gefahren, seine Illusionen. . . . . . . 338. Gebrauch der Lüste und Techniken des Selbst. . . . . . 1984 339. Was ist Aufklärung?................................................. 340. Vorwort zu Sexualität und Wahrheit................ 341. Politik und Ethik: ein Interview............................... 342. Polemik, Politik und Problematisierungen................ 343. Archäologie einer Leidenschaft................................. 34,T. Zur Genealogie der Ethik: Ein Überblick über die laufende Arbeit......................................................... 345. Foucault................................................................... 346. Was heißt Strafen?................................................... 347. Die Sorge um die Wahrheit....................................... 348. Der Stil der Geschichte............................................. 349. Interview mit Michel Foucault................................. 350. Die Sorge um die Wahrheit....................................... 351. Was ist Aufklärung?................................................. 352. An den Quellen der L u st......................................... 353. Interview mit Michel Foucault................................. 354. Die Rückkehr der Moral........................................... 355. Den Regierungen gegenüber: die Rechte des Menschen (Wortmeldung).................... 356. Die Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit. .

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461 498 499 503 521 556 561 594 604 638 641 657 658 687 707 715 724 734 747 776 782 795 799 807 823 837 848 848 859 873 875

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357. Eine Ästhetik der Existenz...................................... 358. Michel Foucault, ein Interview: Sex, Macht und die Politik der Identität................................................. 359. Der Intellektuelle und die Mächte............................ 360. Von anderen Räumen............................................... 361. Das Leben: Die Erfahrung und die Wissenschaft. . . . 362. Wahrheit, Macht, Selbst........................................... 363. Technologien des Selbst........................................... 364. Die politische Technologie der Individuen..............

Inhalt

902 909 924 931 943 959 966 999

Anhang 1: Besprechung von G. Deledalle, Histoire de la philosophie américaine............................... 1016 Anhang 2: Gespräch über Medizin, Gewalt und Psychiatrie...................................................... 1017 Anhang 3: Ein Brief von Michel Foucault.................... 1021 Anhang 4: Die unveröffentlichten Texte von Nietzsche. . . io22> Anhang 5: Zur Publikation der Nietzsche-Gesamtausgabe 1023 Register Namenregister......................................................... 1029 Werkregister.................................................................. 1052 Sachregister........................................................... 1069 Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände I-IV. .......................... 1124

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Vorwort Vorwort, in: Knobelspiess, R., Q.H.S.: quartier de haute sécurité, Paris 1980, S. 11-16. Roger Knobelspiess war seinerzeit wegen eines bewaffneten Raubes ein­ gesperrt worden, den er leugnete begangen zu haben. Nach einem neuen Urteil durch das Schwurgericht von Rouen wurde er 1981 nach acht Jahren Gefängnis freigelassen. Einem Komitee für die Revision seines Prozesses gehörte eine große Zahl von Intellektuellen an. M. Foucault nahm daran nicht teil, hatte aber zugestimmt, ein Vorwort zu seinem Buch über die vor kurzem erfolgte Einrichtung von Hochsicherheitstrak­ ten in den Gefängnissen zu verfassen.

»Hält sich für unschuldig und akzeptiert seine Strafe nicht.« Dies ist ein herbes Dokument. Es ist nicht als ein weiteres Zeugnis übjr das Kerkerleben geschrieben und nicht als ein solches ver­ öffentlicht worden. Seit gut zehn Jahren hat sich in Frankreich aber auch in anderen Ländern - eine vielstimmige Auseinander­ setzung herausgebildet. Einige vergehen vor Ungeduld: Sie wür­ den gern sehen, dass die Institution aus sich heraus und inmitten des Schweigens der Laien ihre eigene Reform vorlegt. Es ist gut, dass es nicht dazu kommt. Die wirklichen und tiefgehenden Um­ gestaltungen entstehen aus radikaler Kritik, sichtbarer Verweige­ rung und Stimmen, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Das Buch von Knobelspiess gehört zu dieser Schlacht. Es ist nicht das Buch eines Gefangenen über das Gefängnis im Allgemeinen: Es kommt von einem neuralgischen Punkt des Strafsystems her. Von einem genau bestimmten und neuen Punkt her: dem, was man die Hochsicherheitstrakte nennt. In Wirklich­ keit gibt es zweierlei: die 1975 eingerichteten »Häuser« und

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»Hochsicherheitstrakte« (sie sind für bestimmte verurteilte und für »gefährlich« gehaltene Häftlinge gedacht; die Verwaltung der Strafanstalt hält sich bei ihrer Entscheidung im Prinzip an die Ansicht des Richters bei der Strafzumessung; Lisieux ist eines dieser »Häuser mit erhöhter Sicherheit«, in dem Roger Knobelspiess eine gewisse Zeit verbracht hat) und die Trakte mit größerer Sicherheit, die die Direktoren der Untersuchungsgefängnisse zu ihrer Verfügung haben und in die sie auf eigene Entscheidung hin Häftlinge verlegen können (so in Fresnes, wo Knobelspiess eben­ falls einige Zeit verbracht hat). Diese »Reform« war 1975 als ein notwendiger Bestandteil für die Humanisierung des Strafapparates vorgestellt worden: Wenn man diesen geschmeidiger machen und in größerem Umfang Aus­ gangsgenehmigungen, Freilassungen auf Bewährung und Freigang gewähren will, muss man gleichzeitig die Risiken begrenzen. Und um ebenso das Strafpersonal wie auch die Öffentlichkeit zu be­ ruhigen, muss man, so hieß es, das Gefängnis mit einer speziellen und verstärkten Ordnung für diejenigen ausstatten, denen diese Erleichterungen nur Gelegenheiten zum Rückfälligwerden bieten könnten. Das ist doch logisch und vernünftig, nicht wahr? Und schließlich betreffen diese Hochsicherheitstrakte (HST) nur eine Hand voll von Ausgerasteten... Der Text von Roger Knobelspiess ist aus dieser Erfahrung ent­ standen. Und er zeigt ihre realen Auswirkungen. 1) Es taucht die alte Idee wieder auf, die man seit dem 19. Jahr­ hundert kennt: Man braucht zwei Bestrafungsarten, weil es in Wirklichkeit zwei Klassen von Kriminellen, zwei soziale, psycho­ logische, psychiatrische und - warum nicht? - biologische (wie manche glauben) Kategorien gibt: die armen Typen auf der einen Seite und auf der anderen die Harten, die Nicht-Resozialisierbaren. Diejenigen, bei denen man nichts machen kann und bei denen man etwas machen muss, damit sie nichts mehr sind. Im Prinzip kennen das Gesetz und die Gerichte nur eine kontinuierliche Ab­ stufung der Strafen. Das System der HST ermöglicht es, tatsäch­ lich die Teilung zwischen guten und schlechten Kriminellen zu vollziehen, von der man seit so langer Zeit träumt. Diejenigen, die man zurechtbiegt, und diejenigen, die man aus dem Verkehr zieht. 2) Und wie erfolgt diese Teilung? Durch die Art und Weise,

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wie der Häftling sich im Gefängnis verhält. Was der Verwaltung des Gefängnisses die Möglichkeit gibt, zu den Urteilssprüchen der Justiz ihre eigenen hinzuzufügen und de facto die vom Gericht verhängte Strafe zu modifizieren. Was es ihr weiter erlaubt, aus der Anpassung an das Gefängnis die Bedingung zu machen, um schnellstmöglich aus diesem herauszukommen: als ob das Gefäng­ nis auf irgendeine Weise eine Vorbereitung auf das wirkliche Le­ ben wäre. Sehen Sie sich den Fall Roger Knobelspiess an: Er wurde für ein Verbrechen verurteilt, das er heftig bestreitet. Konnte er mit dem Gefängnis einverstanden sein, ohne dass er sich selbst für schuldig hält? Aber man sieht den Mechanismus: Da er Widerstand leistet, schickt man ihn in den HST. Wenn er im HST ist, besagt das, dass er gefährlich ist. »Gefährlich« im Ge­ fängnis, also noch gefährlicher, als wenn er in Freiheit wäre. Er ist folglich fähig, das Verbrechen begangen zu haben, dessen er an­ geklagt wird. Es ist nicht so wichtig, dass er es bestreitet; er hätte es getan haben können. Der HST liefert die Beweise nach; das Gefängnis zeigt, was die staatsanwaltliche Untersuchung viel­ leicht unzureichend bewiesen hatte. 3) Indem der HST in den Gefängnissen einen doppelten Kreis errichtet, bildet er den famosen Ersatz aus, den man für die Todes­ strafe sucht. An dem Tag, da die Todesstrafe abgeschafft oder zumindest außer Gebrauch gesetzt sein wird, wird man mit dem HST das haben, was sie aufs trefflichste wird ersetzen können: die endlose und vollständige Einsperrung. Man lässt leben, aber in einer Zeit ohne Grenzen und an einem Ort, den man nicht ver­ lassen wird. Man muss die sehr schönen Seiten lesen, die Knobel­ spiess über diese »kubische Erstickung« geschrieben hat. Die tag­ tägliche Zerstörung tritt an die Stelle der Exekution. Sie wäre der wahre Ersatz für die Todesstrafe. Der Tod, den man nicht so leicht eliminiert, wird stets da sein: Aber es wird der Tod sein, den der Häftling über sich selbst verhängt. Wird er schließlich nicht dem Verurteilten Erlösung und dem Gewissen der anderen Erleichte­ rung bringen? Diese zumindest werden beruhigt sein, dass die Sache so sauber und durch die Hand des Schuldigen vonstatten gingTaleb Hadjadj, ein Insasse des HST, hat sich im vergangenen Jahr in seiner Zelle erhängt. Er schrieb zum Zeitpunkt seines To­ des: »Es bleiben mir vierzehn oder fünfzehn Jahre... All diese

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Jahre noch, wo ich nach fünf Jahren schon nicht mehr kann... Ich bin nicht feige oder mutig genug, um zu widerstehen. Bleibt nur der Uterus von Thanatos.« Roger Knobelspiess wurde schließlich einer flexibleren Haft­ ordnung überstellt: Melun. Die Diskussion über die Todesstrafe ist wichtig. Weil es um den Tod geht. Und weil es nicht darum geht, eine Tötung durch eine andere zu ersetzen. Die Eliminierung des Todes als Justizmaß­ nahme muss radikal sein. Sie verlangt, dass man das gesamte Sys­ tem der Strafen und sein wirkliches Funktionieren überdenkt. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

276 Einleitung » I n t r o d u c t i o n « , i n : Barbin, Herculine, Being the Recently Discovered Memoirs of a Nineteentb Century French Hermaphrodite, N e w Y o r k 1 9 8 0 , S . VII-XVII. S ie h e u n te n N r . 2 8 7 .

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Der Staub und die Wolke »La

p o u s s iè re

e t le

n u a g e « , in : P e r r o t , M ic h e lle

( H g .),

Recherches sur le système pénitentiaire au XIXe siècle,

L'Impossible Prison. P a r is

1 9 8 0 , S. 2 9 -3 9 .

( A n t w o r t a u f e in e n B e i tr a g v o n J a c q u e s L é o n a r d , » U h i s t o r i e n e t le p h i lo s o p h e . A

p ro p o s de

Surveiller et Punir. Naissance de la prison«, a . a .

O . , S . 9 - 2 8 .)

1976 veranstaltete die Historikerin Michelle Perrot eine Konferenz über die Geschichte der Gefängnisse im Jahre 1848 anlässlich der Jahrestagung der Gesellschaft fü r Geschichte der Revolution von 1848. Hieraus ergab sich auf Initiative der Gesellschaft eine ganze Reihe von Untersuchungen zum Strafsystem zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die in den Annales his­ toriques de la Révolution française (Nr. 2, 1977) veröffentlicht wurden. Jacques Léonard lieferte hierzu eine kritische Besprechung von Überwa­ chen und Strafen, das 1975 erschienen war, unter dem Titel »Der H isto­ riker und der Philosoph«, auf die »Der Staub und die Wolke« antwortet. Wenngleich Jacques Léonard Foucault als einen Historiker anerkennt,

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»dem wir Historiker unsere Aufmerksamkeit schenken sollten«, so setzt er der These von der »massiven Normalisierung den Staub der konkreten Tatsachen« entgegen und vergleicht Foucault mit einem »wilden Reiter, der mit hängenden Zügeln durch drei Jahrhunderte galoppiert«. Foucaults Beitrag greift die von Jacques Léonard formulierten Punkte auf.

Was die Stärke und Originalität des Artikels von Jacques Léonard unter anderem ausmacht, ist die Bestimmtheit, mit der er das Stereotyp des Gegensatzes zwischen »dem Historiker« und »dem Philosophen« aufkündigt. Dies erforderte zweifellos Mut und eine sehr genaue Sicht der Probleme. Dazu ist er auf zwei Weisen gelangt. Auf eine ernsthafte Weise, indem er, besser als ich dies selbst hätte tun können, die Möglichkeit einer historischen Analyse des Verhältnisses von Macht und Wissen begründet. Auf eine ironische Weise, indem er im ersten Teil seines Texts einen fiktiven Historiker, einen »Mann der Zunft«, wie er augenzwin­ kernd sagt, auftreten lässt. Mit einer gewissen Unnachsichtigkeit lässt er ihn die die großen undankbaren Rollen des Repertoires spielen: der Tugendritter der Präzision (»Ich habe vielleicht nicht viele Ideen, aber das, was ich sage, ist wahr«), den Doktor mit den unerschöpflichen Kenntnissen (»Sie haben dies nicht berücksich­ tig und jenes auch nicht, und auch dasjenige nicht, was ich zwar weiß, sich aber sicherlich Ihrer Kenntnis entzieht«), den Kron­ zeugen der Realität (»Keine großen Systeme, sondern das Leben, das wirkliche Leben mit all seiner widersprüchlichen Fülle«), den verzweifelten Gelehrten, der über sein kleines Gut weint, das wilde Horden gerade verwüstet haben: wie nach dem Durchzug Attilas wird dort kein Gras mehr wachsen. Kurz, alle Klischees: die kleinen wahren Tatsachen gegen die großen vagen Ideen - der Wettstreit zwischen Staub und Wolke. Ich weiß nicht, wie groß der Realitätsgehalt dieses Zerrbilds ist. Ich wäre, dies ist der einzige Vorbehalt, den ich gegen diesen amüsanten und zugleich bemerkenswerten Artikel habe, dessen tiefem Sinn ich unbedingt zustimmen würde, versucht, zu glau­ ben, dass Jacques Léonard ein wenig übertrieben hat. Indem er seinen erfundenen Historiker mit zu vielen Fehlern ausstattet, hat er mir die Aufgabe einer Erwiderung vielleicht allzu leicht ge­ macht. Aber diese Satire vom Ritter der Genauigkeit, der in seine eigenen Mutmaßungen verstrickt ist, ist intelligent genug, um

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noch die drei Punkte erkennen zu lassen, die zu debattieren er vorschlagen möchte. Diese scheinen auch mir als Ausgangspunkte der Diskussion geeignet: 1) Der Unterschied in der Vorgehensweise bei der Analyse ei­ nes Problems und bei der Untersuchung einer Epoche. 2) Der Gebrauch des Realitätsprinzips in der Geschichte. 3) Die Unterscheidung zwischen der These und dem Gegen­ stand einer Untersuchung.

Problem oder Epoche? Die Teilung des Kuchens Seit Beccaria haben die Reformer Strafprogramme ausgearbeitet, die durch Vielfalt, die Sorge um Besserung, die Publizität der Strafen, die sorgfältige Entsprechung zwischen der Natur des De­ likts und der Form der Strafe charakterisiert sind - eine ganze durch die Ideologie inspirierte Kunst des Strafens. Seit 1791 jedoch entschied man sich für ein monotones Straf­ system: die Einkerkerung, die hier auf jeden Fall vorherrschend ist. Erstaunen einiger Zeitgenossen, aber ein vorübergehendes Er­ staunen: Die Strafe der Einkerkerung wird rasch als Neuerung akzeptiert, die es eher zu perfektionieren als grundsätzlich abzu­ lehnen gilt. Und sie ist von langer Dauer. Hier stellt sich ein Problem: Warum dieser hastige Wechsel? Und warum wird er ohne Schwierigkeiten akzeptiert? Davon geht auch die Wahl der für die Analyse zentralen Ele­ mente aus. 1) Es handelt sich darum, die Gewöhnung an ein neues Strafsys­ tem zu untersuchen, das sofort dominant werden sollte. Dies ist der Gegenstand. 2) Es handelt sich darum, ein Phänomen zu erklären, dessen erste und wichtigste Manifestation in die letzten Jahrzehnte des 18. und die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts fällt. Daher der Hauptzeitraum der Untersuchung. 3) Es handelt sich schließlich darum, zu überprüfen, dass diese Vorherrschaft der Einsperrung und die Billigung ihres Prinzips

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sogar noch in der Phase der ersten deutlichen Feststellung von Misserfolgen (1825-1835) Bestand hatte. Dies zum Schlusspunkt der Analyse. Unter diesen Umständen sind die an eine solche Arbeit zu rich­ tenden Fragen nicht etwa: Wurde die Revolution von 1789 ent­ sprechend gewürdigt? Ist die Aufteilung zwischen dem 18. und dem 19Jahrhundert richtig ausbalanciert? Wurden die Spezialis­ ten für beide Epochen, die sich wie pausbäckige Kinder um einen Geburtstagskuchen drängen, gerecht behandelt? Viel vernünftiger wäre es zu fragen: 1) Welches sind die notwendigen und hinreichenden Dokumente, um die vorgesehenen Strafprogramme, die tatsächlich getroffenen Entscheidungen und die Überlegungen sichtbar zu machen, die die einen wie die anderen motivieren konnten? 2) Wo ist die Erklärung dieses Phänomens zu suchen? In dem, was ihm vorausging oder in dem, was darauf folgt? Sollten die Entscheidungen von 1791 durch die Art und Weise erklärt wer­ den, in der man bis zu diesem Zeitpunkt gedacht hatte oder durch die, aufgrund deren man in der Folgezeit tötete? 3) Auf welche Teile des Strafsystems haben sich die späteren Ereignisse (die Erfahrung der Volksgerichte, die ununterbrochen laufende Guillotine, die Septembermassaker von 1792) ausge­ wirkt? Auf die Organisation der Gerichtsinstitutionen? Auf die Verfahrensregeln? Auf die Schwere der von den Gerichten ver­ hängten Sanktionen? (Man kann das annehmen, denn all dies hat sich am Ende der Revolution verändert.) Aber wie verhält es sich mit der »Kerker-Zentriertheit« der vorgesehenen Strafen, die sich nicht geändert hat und die durch keinen der Urheber späterer Gesetzgebungen und Gesetzeswerke in Frage gestellt wurde? 4) Welche Elemente deuten im Gerichtswesen der Jahre 18151840 auf eine erneute Infragestellung der Haftstrafe hin? Wie wurde sie kritisiert? Aus welchen Gründen und innerhalb welcher Grenzen?

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In Bezug auf diese die Untersuchung leitenden Fragen kann der von Jacques Léonard erdachte Ritter der Genauigkeit, der Ge­ lehrte mit dem unendlichen Wissen, sehr wohl Vorwürfe der Un­ terlassung aufhäufen; sie manifestieren in Wirklichkeit: - das Fehlen chronologischer Strenge: Was hat die Aufhebung der Todesstrafe für politische Verbrechen im Jahre 1848 in einer Studie zu suchen, die 1840 endet? - eine konfuse Wahrnehmung des behandelten Gegenstands: Wie hängen die »Soziologie der Anwälte« oder die Typologie der Kriminellen unter Louis-Philippe mit den im Jahre 1791 ge­ wählten Formen der Bestrafung zusammen? - Unkenntnis der Regeln der Beweisrelevanz: Denn es geht nicht darum, Entwicklungen aufgrund der Septembermassaker zu »erwarten«, sondern darum, ihre möglichen Auswirkungen auf die Entscheidungen von 1791 oder jedenfalls auf deren spätere Umgestaltung zu präzisieren; - Lektürefehler (die »Abwesenheit« von Elementen, die vor­ handen sind), willkürliche Bewertungen (etwas ist nicht »ausrei­ chend« betont) und grober Widersinn (wenn unter Berufung auf einige Zeitgenossen, die diesen Eindruck gewonnen haben moch­ ten, behauptet wird, dass die Entscheidung für die Kerkerstrafe ein Taschenspielertrick gewesen sei; im gesamten Buch versuche ich zu zeigen, das dem nicht so war.) Und dennoch, was auf den ersten Blick als ein Durcheinander erscheinen mag, nimmt Form an, sobald man willens ist, darin die Prinzipien einer durchaus legitimen Arbeit zu erkennen, aber ei­ ner ganz anderen Arbeit als die einer Analyse eines Problems. Wer eine Periode oder zumindest eine Institution im Verlaufe einer Periode untersuchen möchte, für den sind unter anderem zwei Regeln unbedingt erforderlich: die erschöpfende Behand­ lung des gesamten Materials und eine angemessene chronologi­ sche Einteilung der Untersuchung. Wer hingegen ein Problem untersuchen will, das zu einem be­ stimmten Zeitpunkt auftrat, muss anderen Regeln folgen: Aus­ wahl des Materials nach Maßgabe der Gegebenheiten des Prob­ lems; Fokussierung der Analyse auf diejenigen Elemente, die zu seiner Lösung geeignet erscheinen; Herausarbeiten von Verbin­ dungen, die diese Lösung möglich machen. Und somit Gleich­ gültigkeit gegenüber der Forderung, alles zu sagen, und sei es auch

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nur, um die Jury der versammelten Spezialisten zufrieden zu stel­ len. Es handelt sich indes, wie ich zu Anfang erklärte, um ein Problem, das ich zu behandeln versuchte. Die so konzipierte Ar­ beit implizierte eine Einteilung entsprechend den bestimmenden Punkten und eine Ausdehnung, die den relevanten Beziehungen entspricht: Die Entwicklung der Praktiken der Dressur und der Überwachung in den Schulen des 18. Jahrhunderts schien mir un­ ter diesem Gesichtspunkt bedeutsamer als die Auswirkungen des Gesetzes von 1832 über die Anwendung der Todesstrafe. Man kann die »Lücken« einer Analyse nur dann kritisieren, wenn das Prinzip der vorkommenden Gegenstände begriffen hat, die darin eine Rolle spielen. Die Differenz, und das hat Jacques Léonard genau gesehen, ist also nicht die zwischen zwei Berufen, wobei der eine sich der nüchternen Aufgabe der Genauigkeit widmete und der andere dem großen Durcheinander ungefährer Ideen. Ist es nicht besser, anstatt zum tausendsten Mal dieses Stereotyp zu wiederholen, über die Grenzen und die Erfordernisse beider Vorgehensweisen zu diskutieren? Die eine, die darin besteht, sich einen Gegenstand vorzunehmen und die Probleme zu lösen versuchen, die dieser aufwerfen mag, und die andere, die darin besteht, ein Problem zu behandeln und davon ausgehend den Gegenstandsbereich zu bestimmen, den es zu seiner Lösung zu durchqueren gilt. Hier hat Jacques Léonard völlig Recht, sich auf einen sehr interessanten Beitrag von Jacques Revel1 zu beziehen.

Realität und Abstraktion - sind die Franzosen gehorsam? Worum geht es bei dieser »Geburt des Gefängnisses«? Um die französische Gesellschaft in einer bestimmten Epoche? Nein. Um die Kriminalität im 18. und 19.Jahrhundert? Nein. Um die Gefängnisse in Frankreich zwischen 1760 und 1840? Ebenfalls nicht. Es handelt sich um etwas Unscheinbareres: die reflektierte Absicht, die Art von Kalkül, die Ratio, die bei der Reform des Strafsystems umgesetzt wurde, wenn man sich entschied - nicht 1 »Foucault et les historiens«, in: Magazine littéraire, Nr. 101, Juni 1975, S. 10-13.

ohne Veränderungen -, hier die alte Praxis der Einsperrung wie­ dereinzuführen. Es handelt sich insgesamt um ein Kapitel in der Geschichte der »strafenden Vernunft«. Warum das Gefängnis und die Wiedereinführung der verrufenen Einsperrung? Man dazu kann zwei Haltungen einnehmen: - Man kann sich auf das Prinzip der »Bequemlichkeit-Trägheit« zurückziehen und sagen: Die Einsperrung war eine bereits seit langem bestehende Realität. Sie wurde sowohl außerhalb der re­ gulären Bestrafung als auch manchmal innerhalb derselben ver­ wandt. Es genügte also, sie vollständig in das Strafsystem zu in­ tegrieren, damit dieses von einer fertigen Institution profitieren und im Gegenzug diese Institution vom Vorwurf der Willkürlichkeit befreien konnte. Eine wenig befriedigende Erklärung, wenn man an die Ansprüche der Strafreform und an die Hoffnungen denkt, die mit ihr verbunden waren. - Man kann sich auf das Prinzip der »Rationalität-Innovation« beziehen. Welchem Kalkül gehorchte diese Neuerung der Haft­ strafe, die in der Tat als Neuerung betrachtet wurde? Was erwar­ tete man von ihr? Auf welche Modelle stützte sie sich? Aus wel­ cher allgemeinen Form des Denkens ging sie hervor? Man ahnt die Einwände: Mit dieser Methode einer Geschichte der strafenden Vernunft erfassen wir nichts oder nahezu nichts von der vollen, lebendigen und widerspruchsvollen Wirklichkeit. Es ist im besten Falle eine Geschichte der Ideen, und selbst als solche ist sie äußerst vage, da der reale Kontext nie auftaucht. Versuchen wir hier noch einmal, die Ungenauigkeiten zu ver­ meiden, zu denen uns der Gebrauch fertiger Schemata der Kritik verurteilt. Welchen Ansprüchen müsste also eine historische Ana­ lyse der strafenden Vernunft Ende des 18. Jahrhunderts genügen?i) i) Es bedarf keines Tableaus all dessen, was man heute über die Kriminalität der damaligen Epoche wissen kann; aber indem man das, was man heute wissen kann (dank der Arbeiten Chaunus und seiner Schüler), mit dem vergleicht, was die Zeitgenossen über die Notwendigkeit, die Ziele und die möglichen Mittel der Reform

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sagten, können diejenigen Elemente der Wirklichkeit dargestellt werden, die bei der Erstellung eines neuen Strafrechts eine opera­ tive Rolle gespielt haben. Kurz, es gilt die Ankerpunkte einer Strategie zu bestimmen. 2) Festzustellen wäre, warum diese und nicht jene Strategie, diese und nicht jene taktischen Instrumente gewählt wurden. Man muss daher die Bereiche erfassen, die solche Entscheidungen prägen konnten: - die Denkweisen, Begriffe und Thesen, die in der Epoche einen mehr oder minder zwingenden Konsens ausmachen konnten - ein theoretisches Paradigma (im vorliegenden Fall das der »Philoso­ phen« oder das der »Ideologen«); - die tatsächlich verwirklichten Modelle und die woanders um­ gesetzten (in den Niederlanden, in England und Amerika); - die Gesamtheit der rationellen Verfahren und reflektierten Techniken, mittels derer man in dieser Epoche das Verhalten der Individuen beeinflussen, sie dressieren und reformieren wollte... 3) Schließlich wäre zu zeigen, welche Rückschläge es dabei gab, welche Nachteile, Verwirrungen, Schäden, unvorhergesehene und unkontrollierte Konsequenzen erfahren wurden und in welchem Maße dieser »Fehlschlag« ein erneutes Überdenken des Gefäng­ nisses veranlassen konnte. Ich verstehe sehr gut und finde es ausgezeichnet, dass man eine historische Soziologie der Kriminalität betreibt, dass man den Alltag der Gefangenen und ihre Revolten zu rekonstruieren sucht. Aber da es sich hier um die Geschichte einer rationellen Praxis oder genauer um die Geschichte der Rationalität einer Praxis han­ delt, gilt es zu einer Analyse der Elemente voranzuschreiten, die bei seiner Genese und bei seiner Verwirklichung eine wichtige Rolle spielten. Es gilt die globale Instanz des Realen als einer wiederherzu­ stellenden Totalität zu entmystifizieren. Es gibt nicht »das« Reale, das man erreichen könnte, wenn man von allem spricht oder von bestimmten Dingen, die »realer« sind als andere, und das man verfehlen würde, wenn man sich darauf beschränkte, im Interesse

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haltloser Abstraktionen andere Elemente und andere Beziehun­ gen sichtbar zu machen. Man müsste vielleicht auch das oftmals implizit akzeptierte Prinzip in Frage stellen, dass die einzige Rea­ lität, die die Geschichte beanspruchen darf, die der Gesellschaft selbst ist. Ein bestimmter Rationalitätstyp, eine Denkweise, ein Programm, eine Technik, eine Gesamtheit von rationalen und koordinierten Anstrengungen, definierte und verfolgte Ziele, die Instrumente zu ihrer Erreichung usw., all dies ist real, auch wenn es nicht den Anspruch erhebt, »die Realität« oder »die« Gesell­ schaft als Ganzes zu sein. Und die Genese dieser Realität ist völlig legitim, sobald man hier die geeigneten Elemente einbezieht. Der von Jacques Léonard inszenierte Historiker versteht im strengen Sinne nicht. Für ihn gibt es nur eine Realität, die zugleich »die« Realität und »die« Gesellschaft ist. Wenn man von Programmen, Entscheidungen, Reglements spricht und sie ausgehend von den Zielen, die man ihnen zuord­ nete und den Mitteln, die sie ins Werk setzten, analysiert, dann glaubt er einen Einwand zu erheben, wenn er sagt: Aber diese Programme haben nie wirklich funktioniert, sie haben nie ihr Ziel erreicht. Als ob ich jemals etwas anderes gesagt hätte; als ob ich nicht jedes Mal unterstrichen hätte, dass es sich um Versuche, Instrumente, Dispositive, Techniken handelte. Als ob die Ge­ schichte des Gefängnisses, die in dieser Untersuchung zentral ist, nicht gerade die Geschichte von etwas wäre, das nie »funk­ tionierte«, zumindest wenn man seine erklärten Ziele betrachtet. Wenn ich von der »Disziplinargesellschaft« spreche, dann darf man dies nicht im Sinne einer »disziplinierten Gesellschaft« ver­ stehen. Wenn ich von der Ausbreitung der Methoden der Diszi­ plin spreche, dann nicht, um zu behaupten, dass »die Franzosen gehorsam sind«. In der Analyse von Verfahren, die zur Normali­ sierung eingesetzt wurden, gibt es keine »These einer massiven Normalisierung«. Als ob all diese Entwicklungen nicht genau in dem Maße stattfänden, in dem ihr Misserfolg sich beständig wie­ derholt. Ich kenne einen Psychoanalytiker, der, wenn man von der Präsenz von Machtbeziehungen spricht, dies als These von der Allmacht der Macht versteht, da er nicht sieht, dass ihre Vielfäl­ tigkeit, ihre Verschränkung, ihre Fragilität und ihre Reversibilität mit der Nichtexistenz einer allmächtigen und allwissenden Macht Zusammenhängen !

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Aber lassen wir all diese Irrtümer beiseite (man müsste jede ein­ zelne Zeile zitieren) und beschäftigen wir uns mit dem sehr schwie­ rigen Problem, das Jacques Léonard uns nahe bringt: Was für eine Realität stellt die Rationalität in den modernen westlichen Gesell­ schaften dar? Diese Rationalität, die nicht einfach nur Prinzip der Theorie und der wissenschaftlichen Techniken ist, die nicht einfach Formen der Erkenntnis oder Typen des Denkens hervorbringt, die vielmehr durch komplexe und zirkuläre Verbindungen mit For­ men der Macht verknüpft ist. Was hat es mit dieser Rationalität auf sich, wie kann man sie analysieren, sie in ihrer Formation, in ihrer Struktur erfassen?2 (All dies hat natürlich nichts zu tun mit einer Anklage gegen die Aufklärung: Welchen Leser würde ich überraschen, wenn ich behaupte, dass die Analyse der Disziplinarpraktiken des 18. Jahrhunderts kein heimlicher Versuch ist, Becca­ ria für den Gulag verantwortlich zu machen?)

Der Gegenstand und die These. Das Problem der Strategie Jacques Leonard hat genau begriffen, dass dies die wichtigsten Probleme sind, die er für diese Art von Untersuchung aufzuwer­ fen hatte. Und ich glaube, dass er ihre Hauptdimension mit großer Klarheit zutage treten ließ, indem er seinen imaginären Historiker zwji Serien von erheblichen Irrtümern begehen ließ. Von den bezeichnendsten hier zwei Beispiele: i) Lektüre des Textes. Er verwundert sich darüber, dass die Pro­ jekte der Reformer sich mit Verben im Infinitiv beschreiben las­ sen: »verschieben«, »definieren«, »setzen«, »vermindern«, so als ob es sich um anonyme und automatische Prozesse handelte reine Maschinen ohne Maschinisten. Was der Historiker jedoch nicht sagt, ist, dass die kritisierten zehn Zeilen die vorangehenden 15 Seiten zusammenfassen und die zehn folgenden Seiten vorbe­ 2 Man könnte auf das bemerkenswerte Buch von Georges Vigarello, Le Corps redressé. Histoire d'un pouvoir pédagogique, Paris 1978 verweisen. Hier findet sich keine globale Geschichte des Körpers, sondern eine spezifische Analyse einer Gesamtheit von strukturellen Techniken, die der Autor als Taktiken und Strate­ gien beschreibt.

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reiten. Auf diesen 25 Seiten sind die grundlegenden Leitgedanken der Reform des Strafsystems Ende des 18. Jahrhunderts charakte­ risiert, jeweils unter Angabe der Quellen und Autoren. (Es sind circa zwanzig.) Absenz einer Strategie? Auch hier ist eher die Überfülle zu beklagen. 2) Die Bedeutung der Wörter. Es wäre eine »seltsame Strategie«, die nicht nur »einen einzigen Ausgangspunkt« hätte, die »ganz verschiedenen Interessen« dienen könnte und »vielfältige Kämp­ fe« ermöglichte. Man stelle sich, so fordert er, eine solche Strategie vor! Ich sehe nur eine Antwort: Kann man sich eine Strategie vorstellen, die nicht genau so beschaffen wäre? Eine Strategie, die nicht aus mehreren Ideen hervorgeht, die aus verschiedenen Gesichtspunkten oder Zielen heraus formuliert oder vorgeschla­ gen wurde? Eine Strategie, deren Motiv nicht in mehreren gleich­ zeitig erforschten Ergebnissen bestünde, mit unterschiedlichen Hindernissen, die zu umgehen sind und unterschiedlichen mit­ einander zu kombinierenden Mitteln? Lässt sich eine (militä­ rische, diplomatische, geschäftliche) Strategie vorstellen, die ihren Wert und ihre Erfolgschancen nicht der Integration einer Reihe unterschiedlicher Interessen verdankt? Muss sie nicht prinzipiell Vorteile kumulieren und die Erträge vervielfachen? Gerade in diesem Sinne spricht eine ausgezeichnete Historikerin nicht weit von hier entfernt von der »Strategie der Besserung« im Denken der Philanthropen des 18. Jahrhunderts. In der Tat handelt es sich bei diesen unscheinbaren Irrtümern um eine bedeutsame Ebenenverwechslung: der Ebene der vorge­ schlagenen Mechanismen, die eine wirkungsvolle Unterdrückung durch Strafe sichern sollen, der Mechanismen, die auf der Grund­ lage bestimmter Dispositive zur Erreichung bestimmter Ziele die­ nen sollen, und der Ebene der Urheber der Projekte, die hierbei ganz unterschiedliche mehr oder minder sichtbare oder verborge­ ne, individuelle oder kollektive Motive haben konnten. Was also ist automatisch? Was funktioniert, ohne jemandes Zu­ tun oder ohne Maschinisten, deren Gesicht und Namen bedeu­ tungslos sind? Ebendie von ihnen, das heißt von Menschen mit einer präzisen und explizit genannten Identität konzipierten, vor­ gestellten, erdachten, vielleicht erträumten Maschinen. »Der Disziplinarapparat produziert Macht«; »gleichgültig, wer

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die Macht ausübt«; die Macht »hat ihr Prinzip in einer bestimm­ ten und aufeinander abgestimmten Verteilung der Körper, des Lichts und der Blicke«: keiner dieser Sätze bildet meine persön­ liche Machtkonzeption. Alle, und zwar auf eine sehr explizite Weise, beschreiben vorgestellte oder realisierte Projekte oder Ein­ richtungen, mitsamt der Ziele und Resultate, die man von ihnen erwartete; insbesondere handelt es sich um das, was sich Bentham vom Panoptikum3 erwartete, so wie er selbst es präsentierte (man möge sich doch auf den zitierten Text beziehen: ohne jede Zwei­ deutigkeit ist es die Analyse des Bentham’schen Programms). Der automatische Charakter der Macht, der mechanische Cha­ rakter des Dispositivs, in denen sie sich verkörpert, dies ist keines­ falls die These des Buches. Aber es ist die Idee des 18. Jahrhun­ derts, dass eine solche Macht möglich und wünschenswert wäre, ist die theoretische und praktische Untersuchung solcher Mecha­ nismen, ist der seitdem beständig bekundete Wille, entsprechende Dispositive zu organisieren, die das Objekt der Analyse bilden. Wenn man die Art und Weise untersucht, in der man die Macht rationalisieren wollte, in der man im 18. Jahrhundert eine neue »Ökonomie« der Machtbeziehungen begriff, wenn man die wich­ tige Rolle aufzeigt, die das Thema der Maschine, des Blicks, der Überwachung, der Transparenz usw. einnahm, dann bedeutet dies nicht, zu behaupten, dass die Macht eine Maschine ist, noch dass eine solche Idee maschinell erzeugt wurde. Es ist die Untersu­ chung der Entwicklung eines technologischen Themas, das ich innerhalb der Geschichte der großen Neubewertungen der Machtmechanismen im 18. Jahrhundert, in der allgemeinen Ge­ schichte der Machttechniken und allgemeiner noch der Beziehun­ gen zwischen Rationalität und Machtausübung für wichtig halte. Wichtig, um die der Geburt der den modernen Gesellschaften eigenen institutioneilen Strukturen und schließlich die Genese oder das Wachstum bestimmter Wissensformen wie insbesondere der Humanwissenschaften zu verstehen. Es versteht sich natürlich von selbst, dass eine ganze Reihe ver­ wandter Gebiete unberücksichtigt bleibt: Was waren die Folgen 3 Bentham, Jeremy, Panopticon, or the Inspection House, Containing the Idea of a New Principle of Construction Applicable to any Sort of Establishment; in which Persons of any Description are to be kept under Inspection; and in Particular to Penitentiary-Houses, Prisons, Houses of Industry and Schools, London 1791.

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dieser Technologie, als man versuchte, sie in die Tat umzusetzen? Oder aber wo waren die Menschen, die sie erdacht und vorgeschla­ gen haben? Welches war ihre soziale Herkunft, oder klassisch for­ muliert, »welche Interessen repräsentierten sie«? Historische Un­ tersuchungen zu diesem Punkt und allgemeiner zu all den Gruppen oder Individuen, die versuchten, weniger die rechtlichen Begründungen der Macht als vielmehr die detaillierten Techniken ihrer Ausübung neu zu denken, sind, so muss man nach wie vor sagen, dünn gesät. Aber zweifellos würden diese Untersuchungen einer historischen Soziologie eine präzise Analyse dieser Versuche der Rationalisierung der Macht selbst erfordern. Die Beziehungen zwischen einer Technologie der Macht und einer Genealogie der Wissensformen in einer bestimmten Weise zu untersuchen, bedeutet nicht, anderen die Analyse verwandter Gebiete zu verbieten; eher sie dazu einzuladen. Ich halte es aber nicht für legitim, von einer Arbeit eine erschöpfende Behandlung zu verlangen, wenn man nicht verstanden hat, wovon sie über­ haupt handelt. Ebenso wenig kann man ihr in Begriffen der »Rea­ lität« oder der »Wahrheit« Vorwürfe machen, wenn man ihre Aus­ sagen mit dem verwechselt, worüber sie spricht, ihre These mit ihrem Gegenstand. Aus diesem Grund müssen wir Jacques Léonard dankbar sein, dass er diese Probleme mit einer solchen Klarheit dargestellt hat. Er hat die methodologische Bedeutung einer ganzen Reihe von Begriffen genau erfasst, von denen man einen immer weiter ge­ henden Gebrauch macht: Strategie, Taktik, Ziel usw. Auch hierzu sollte das neue Buch von Georges Vigarello genau gelesen werden, das eine Ausweitung der Diskussion über das Gefängnis hinaus erlaubt. Wir sind sehr weit davon entfernt, alle Konsequenzen aus dem Gebrauch dieser Begriffe gezogen zu haben; ebenso wenig haben wir all das durchmessen, was sie implizieren. Aber mir scheint, es lohnt sich, ihren Gebrauch zu versuchen (und bereit zu sein, sie eines Tages wieder aufzugeben), wenn man eine Ana­ lyse 1) der Formationen praktischer Rationalitäten vorzunehmen, 2) der Genese des Wissens und der Techniken, die die Menschen auf ihr eigenes Verhalten anwenden (auf ihr eigenes Verhalten und auf das der anderen) und 3) ihres Platzes im Spiel der Beziehungen der Kräfte und der Kämpfe zu unternehmen versucht. Denn da­ von ausgehend konnten wir auch die konkrete Erfahrung der

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Grenzen des Begriffs der Ideologie machen. Das Prinzip der Intelligibilität des Verhältnisses von Wissen und Macht entspringt eher einer Analyse der Strategie als einer Analyse der Ideologien. Hierzu sollte man die Ausführungen von Paul Veyne lesen.4 Mir scheint, dass dieser Begriff der Strategie und sein möglicher Gebrauch nicht eine »interdisziplinäre Begegnung« zwischen »Historikern« und »Philosophen«, sondern eine gemeinsame Ar­ beit derer, die sich zu »ent-disziplinieren« trachten, möglich ma­ chen könnte. Übersetzt von Hermann Kocyba

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Diskussion vom 20. Mai 1978 »Table ronde du 20 mai 1978«, in: Perrot, Michelle (Hg.), Ulmpossible Prison. Recherches sur le système pénitentiaire au XIXe siècle, Paris 1980, S. 40-56. Ausgangspunkt des Treffens bildete die Diskussion zweier Texte, »L’historien et le philosophe« von Jacques Léonard und »Der Staub und die Wolke« von Michel Foucault.1 Teilnehmer waren Maurice Agulhon, N icole Castan, Catherine Duprat, François Ewald, Arlette Farge, Alexandre Fontana, Michel Foucault, Car­ lo Ginsberg, Remi Gossez, Jacques Léonard, Pascal Pasquino, Michelle Perrot und Jacques Revel. Der Text der Diskussion wurde von Michel Foucault durchgeseheri; zur Verdeutlichung haben wir die Beiträge der Historiker zu Fragen eines kollektiven Historikers zusammengefügt.

Warum das Gefängnis? - Warum erscheinen Ihnen die Entstehung des Gefängnisses und insbesondere die »hastige Ersetzung«, von der Sie sprechen, die es zu Beginn des 19. Jahrhunderts ins Zentrum des Strafens rückt, so wichtige Phänomene zu sein? Haben Sie nicht die Tendenz, die Bedeutung des Gefängnisses 4 Veyne, Paul, Geschichtsschreibung - Und was sie nicht istyKapitel 9 »Das Bewußt­ sein steht nicht am Anfang des Handelns«, Frankfurt am Main 1990, S. 128-148. 1 Siehe oben Nr. 277.

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innerhalb des Strafens zu übertreiben, da während des gesamten 19. Jahrhunderts eine Reihe von anderen Formen des Strafens fortbestehen (Todesstrafe, Zuchthaus, Deportation...)? Auf der Ebene der historischen Methode scheint uns, dass Sie Erklärungen in Be­ griffen von »Kausalitäten« oder in Strukturbegriffen misstrauen, um den reinen Ereignischarakter eines Prozesses hervorzuheben. Was das »Soziale« angeht, so ist es zweifellos richtig, dass es das Feld der Historiker allzu sehr überwucherte. Aber muss man das Soziale, auch wenn man es nicht als alleinige Analyseebene be­ trachtet, völlig aus dem »Interpretationsdiagramm« streichen? - Ich möchte nicht, dass das, was ich geschrieben oder gesagt habe, als etwas erscheint, das in sich einen Totalitätsanspruch verkörpert. Ich will das, was ich gesagt habe, nicht universalisieren; und um­ gekehrt lehne ich das, was ich nicht sage, nicht zwangsläufig ab oder halte es für unwesentlich. Meine Arbeit bewegt sich zwischen Verknüpfungen und Auslassungen. Ich möchte eine Werkstatt er­ öffnen, etwas versuchen, und wenn ich scheitere, anders neu be­ ginnen. Über viele Punkte, ich denke dabei insbesondere an die Beziehungen zwischen Dialektik, Genealogie und Strategie, arbei­ te ich gegenwärtig und ich weiß nicht, ob ich damit zu Rande kommen werde. Was ich sage, ist als eine Reihe von Vorschlägen zu verstehen, als »Spieleröffnungen«, zu denen Interessenten zur Teilnahme eingeladen sind; es sind keine dogmatischen Behaup­ tungen, die en bloc zu übernehmen wären. Meine Bücher sind weder philosophische Abhandlungen noch historische Studien, sondern philosophische Fragmente in der Baustelle der Historiker. Ich werde versuchen, auf die Fragen, die mir gestellt wurden, zu antworten. Zunächst in Bezug auf das Gefängnis. Sie fragen sich, ob es, wie ich es behaupte, eine wichtige Sache war, und ob es wirklich der Fokus des Strafsystems ist. Ich wollte nicht sagen, dass das Gefängnis den Wesenskern des gesamten Strafsystems bildet; ebenso wenig sage ich, dass es unmöglich ist, sich den Prob­ lemen des Strafens - und stärker noch der Kriminalität im Allge­ meinen - auf anderen Wegen zu nähern als über das Gefängnis. Mit schien es aus zwei Gründen legitim, das Gefängnis als Gegenstand zu wählen. Zunächst deshalb, weil es bislang in den Untersuchun­ gen stark vernachlässigt worden war. Wenn man die Probleme der »Strafe« - übrigens ein konfuser Begriff - untersuchen wollte,

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dann wählte man vorzugsweise zwei Wege: entweder über das soziologische Problem der kriminellen Bevölkerung oder über das juristische Problem des Strafsystems und seiner Begründung. Die Praxis des Strafens selbst wurde kaum untersucht, mit Aus­ nahme von Rusche und Kirchheimer auf der Linie der Frankfurter Schule.2 Gleichwohl gab es Untersuchungen über die Gefängnisse als Institutionen; aber sehr wenig über die Einsperrung als allge­ meine Bestrafungspraxis innerhalb unserer Gesellschaften. Ich habe einen zweiten Grund, das Gefängnis zu untersuchen: um das Thema der Genealogie der Moral wiederaufzunehmen, aber entlang dem Faden von Transformationen, die man als die »moralischen Technologien« bezeichnen könnte. Um besser zu verstehen, wer bestraft wird und warum man straft, gilt es zu fragen: Wie straft man? Damit tue ich nichts anderes als dem in Bezug auf den Wahnsinn eingeschlagenen Weg zu folgen: Statt zu fragen, was in einer bestimmten Epoche als Wahnsinn betrachtet wurde und was als Nicht-Wahnsinn, als Geisteskrankheit und als normales Verhalten, frage ich, wie man die Einteilung vornimmt. Dies scheint mir keineswegs alles zu erhellen, aber doch eine recht fruchtbare Form der Intelligibilität zu liefern. Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich dies schrieb, gab es auch ein aktuelles Ereignis; das Gefängnis und allgemeiner zahlreiche As­ pekte der Strafpraxis fanden sich in Frage gestellt. Diese Bewe­ gung war nicht allein in Frankreich zu beobachten, sondern auch in den USA, in England und in Italien. In Klammern gesagt, es wäre interessant zu wissen, warum all diese Probleme der Ein­ sperrung, der Einschließung, der Abrichtung der Individuen, ihrer Verteilung, ihrer Klassifizierung, ihrer Objektivierung in Wissens­ formen sich mit einer solchen Eindringlichkeit stellten, und zwar vor 1968. Die Themen der Antipsychiatrie wurden zwischen 1958 und 1960 aufgebracht. Die Beziehung zur Praxis der Konzentra­ tionslager liegt auf der Hand - siehe Bettelheim.3 Man müsste jedoch genauer analysieren, was um i960 passierte. 2 Kirchheimer, Otto und Rusche, Georg, Punishment and Social Structure, New York 1939 [dt. Sozialstruktur und Strafvollzug, Frankfurt am Main 1974]. 3 Bettelheim, Bruno, Individual and Mass Behavior in Extreme Situation, Indiana­ polis 1943; The InformedHeart: Autonomy in a Mass Age, New York i960 [dt. Der Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesell­ schaft, München 1964].

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In dieser Arbeit über die Gefängnisse ebenso wie in anderen bestand das Ziel, der Angriffspunkt der Analyse nicht in den »Institutionen«, in den »Theorien« oder in einer »Ideologie«, son­ dern in den »Praktiken« - und zwar um die Bedingungen zu er­ fassen, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt akzeptabel machen: Die Hypothese war die, dass die Formen der Praktiken nicht allein durch die Institution befohlen, von der Ideologie vorge­ schrieben oder von den Umständen geleitet sind - welches auch immer deren Rolle sein mögen -, sondern dass sie bis zu einem bestimmten Punkt ihre eigenen Regelmäßigkeiten aufweisen, ihre Logik, ihre Strategie,, ihre Evidenz, ihre Begründung [raison]. Es handelt sich darum, die Analyse eines »Regimes von Praktiken« zu unternehmen -, wobei die Praktiken als Ort der Verknüpfung betrachtet werden zwischen dem, was man sagt und dem, was man tut, den Regeln, die man sich auferlegt und den Gründen, die man gibt, den Projekten und den Evidenzen. »Regimes von Praktiken« zu analysieren heißt, Programmie­ rungen des Verhaltens zu analysieren, die zugleich präskriptive Effekte in Bezug auf das haben, was zu tun ist (Effekte des »Rechtsprechens«), und kodifizierende Effekte in Bezug auf das, was zu wissen ist (Effekte des »Wahrsprechens«). Ich wollte daher nicht die Geschichte der Institution des Ge­ fängnisses schreiben, sondern die der »Praxis der Inhaftierung«, indem ich ihren Ursprung zeige oder, genauer, indem ich zeige, wie diese Art der Praxis, die gewiss viel älter ist, zu einem be­ stimmten Augenblick als Hauptbestandteil des Strafsystems ak­ zeptiert werden konnte, bis hin zu dem Punkt, dass sie als etwas ganz Natürliches, Evidentes und Unverzichtbares erscheinen. Es geht darum, ihre falsche Evidenz zu erschüttern, ihre Wider­ ruflichkeit zu zeigen, nicht ihre Zufälligkeit aufzuzeigen, sondern die komplexe Verbindung zwischen vielfältigen historischen Prozessen, die sich teilweise bis in die Gegenwart erstrecken. Un­ ter diesem Gesichtspunkt, so kann ich sagen, hat mich die Ge­ schichte der Strafhaft - über meine Erwartung hinaus - zufrieden gestellt. All die Texte, all die Diskussionen vom Beginn des 19. Jahrhunderts bezeugen dies; man wundert sich über die Tat­ sache, dass das Gefängnis als das allgemeine Mittel des Strafens benutzt wird, obgleich dies überhaupt nicht das war, was man im 18. Jahrhundert im Sinn hatte. Dieser abrupte Wechsel, der von

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den Zeitgenossen selbst wahrgenommen wurde, ist für mich kei­ neswegs ein Resultat, bei dem man stehen bleiben müsste. Ich bin von dieser Diskontinuität ausgegangen, die in gewisser Weise eine »phänomenale« Wandlung darstellte, und habe versucht, ihr Rechnung zu tragen, ohne sie abzumildern. Es handelt sich somit nicht darum, eine verborgene Kontinuität wiederzufinden, son­ dern darum, zu wissen, welche Transformation diesen hastigen Übergang möglich machte. Sie wissen sehr wohl, dass es keinen größeren »Kontinuisten« gibt als mich: Das Auffinden einer Diskontinuität ist nichts ande­ res als das Konstatieren eines zu lösenden Problems.

Zum Ereignis machen - Was Sie soeben gesagt habeny erhellt vieles. Nichtsdestoweniger fühlen sich die Historiker durch eine Art von Äquivokation ge­ stört, die in Ihren Analysen möglicherweise vorliegt, eine Art von Oszillation zwischen einem Hyperrationalismus auf der einen Sei­ te und einer Sub-Rationalität auf der anderen. - Ich versuche im Sinne eines »Zum-Ereignis-Machens« [événementalisation] zu arbeiten. Auch wenn das Ereignis eine Zeit lang eine von den Historikern wenig benutzte Kategorie war, so frage ich mich doch, ob nicht auf eine bestimmte Weise das Zum-Ereignis-Machen ein nützliches Verfahren der Analyse darstellt. Was ist darunter zu verstehen? Zunächst ein Bruch der Evidenz. Dort wo man versucht wäre, sich auf eine historische Konstante zu beziehen oder auf ein unmittelbar anthropologisches Merkmal, oder auch auf eine Evidenz, die sich allen auf die gleiche Weise aufdrängt, geht es darum, eine »Singularität« auftreten zu lassen. Zu zeigen, dass es gar nicht so »notwendig war, dass...«; dass es gar nicht so evident war, die Wahnsinnigen als Geisteskranke zu betrachten; dass es gar nicht so evident war, dass das Einzige, das man mit einem Delinquenten tun konnte, darin bestand, ihn ein­ zusperren; es war nicht so evident, dass die Ursachen der Krank­ heit in der individuellen Untersuchung des Körpers zu ermitteln waren usw. Der Bruch mit den Evidenzen, denjenigen Evidenzen, auf denen unser Wissen basiert, unser Konsens, unsere Praktiken.

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Dies ist die erste theoretisch-politische Aufgabe, die ich als ZumEreignis-Machen bezeichne. Das Zum-Ereignis-Machen besteht ansonsten darin, die Zu­ sammenhänge, die Zusammentreffen, Unterstützungen, Blocka­ den, Kraftspiele, Strategien usw. wiederzufinden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt dasjenige formierten, das anschließend als Evidenz, Universalität oder Notwendigkeit fungieren sollte. Nimmt man die Dinge in dieser Weise, dann gelangt man zu einer Art kausaler Demultiplikation. Was bedeutet dies? Dass man die Singularität als eine nur zu konstatierende Tatsache präsentiert, als grundlosen Bruch in einer trägen Kontinuität? Offenkundig nicht, denn dies hieße zugleich zuzugestehen, dass die Kontinuität als solche zu Recht besteht und dass sie in sich selbst den Grund ihrer Existenz trägt. 1) Die kausale Demultiplikation besteht darin, das Ereignis den vielfältigen Prozessen entsprechend zu analysieren, die es konsti­ tuieren. So bedeutet die Praxis der Strafhaft als »Ereignis« zu analysieren (und nicht als institutionelle Tatsache oder als ideo­ logischen Effekt), die Prozesse der Pönalisierung (das heißt der schrittweisen Eingliederung in die Form gesetzlicher Bestrafung) der früheren Praktiken der Einsperrung zu definieren; die Prakti­ ken der »Karzeralisierung« der Praktiken der Strafjustiz (das heißt die Bewegung, durch die die Einsperrung als Form der Bestrafung und als Technik der Besserung zu einem zentralen Bestandteil der Pönalität wurde); diese massiven Prozesse müssen selbst zerglie­ dert werden: Der Prozess der Pönalisierung der Einsperrung ist seinerseits aus vielfältigen Prozessen gebildet wie der Konstituie­ rung geschlossener pädagogischer Räume, die auf der Basis von Belohnung und Bestrafung funktionieren usw. 2) Die Abschwächung des kausalen Schwerefelds besteht somit darin, um das als Prozess analysierte singuläre Ereignis herum ein »Polygon« zu errichten oder vielmehr einen »Polyeder der Intelligibilität«, bei dem die Anzahl der Oberflächen nicht im Vor­ hinein definiert ist und niemals mit vollem Recht als endlich be­ trachtet werden darf. Es gilt durch schrittweise und notwendiger­ weise nie vollendete Sättigung vorzugehen. Und es gilt in Betracht zu ziehen, dass man, je mehr man das Innere des zu analysierenden

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Prozesses zergliedert, umso mehr externe Beziehungen der Intelligibilität konstruieren kann und muss (konkret: Je mehr man den Prozess der »Karzeralisierung« der Strafpraxis bis in seine kleins­ ten Details analysiert, umso mehr führt dies dazu, sich auf Prakti­ ken wie die der Verschulung oder der Militärdisziplin usw. zu be­ ziehen). Interne Zergliederung der Prozesse und Vervielfältigung der analytischen »Vorbauten« gehen Hand in Hand. 3) Diese Vorgehensweise impliziert folglich einen wachsenden Polymorphismus in dem Maße, wie die Analyse voranschreitet: - Polymorphismus der Elemente, die man in Beziehung setzt: Ausgehend vom »Gefängnis« bringt man die pädagogischen Prak­ tiken ins Spiel, die Herausbildung der Berufsarmeen, die Philoso­ phie des englischen Empirismus, die Technik der Feuerwaffen, neue Formen der Arbeitsteilung. - Polymorphismus der beschriebenen Beziehungen: Es kann sich um den Transfer technischer Modelle handeln (die Architek­ turen der Überwachung), oder um ein technisches Kalkül, das auf eine besondere Situation antwortet (Anwachsen des Banditen­ tums oder um Unruhen, die provoziert werden durch die öffent­ lichen Martern oder die Nachteile der Verbannung); es kann sich um die Anwendung theoretischer Schemata handeln (bezüglich der Genese der Ideen, der Bildung der Zeichen, der utilitaristi­ schen Konzeption des Verhaltens usw.). - Polymorphismus der Referenzbereiche (ihrer Natur, ihrer Allgemeinheit usw.): Es handelt sich gleichzeitig um technische Veränderungen in Einzelpunkten, aber auch um neue Techniken der Macht, die man in einer kapitalistischen Ökonomie und ent­ sprechend ihren Erfordernissen einsetzt. Verzeihen Sie diese lange Abschweifung. Aber ich kann nicht besser antworten auf ihre Frage des Hyper- und des Hyporatio­ nalismus, die man mir oft vorwirft. Bereits seit langem schätzen die Historiker die Ereignisse nicht mehr besonders. Und sie machen diese Löschung des Ereignischa­ rakters [désévénementalisation] zum Prinzip historischer Intelligibilität. Sie tun dies, indem sie den Gegenstand ihrer Analyse auf einen Mechanismus oder auf eine Struktur beziehen, die so ein­ heitlich und so notwendig wie möglich, so unvermeidlich und schließlich so weit außerhalb jeder Geschichte wie möglich zu sein

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haben. Ein ökonomischer Mechanismus, eine anthropologische Struktur, ein demographischer Prozess als Kulminationspunkt der Analyse: Das ist, grob skizziert, die ereignisfreie Geschichte. Es ist evident, dass meine Vorschläge, bezogen auf eine solche Untersuchungsachse, zu viel und zu wenig enthalten. Zu viele verschiedene Beziehungen, zu viele Linien der Analyse und gleichzeitig zu wenig einheitliche Notwendigkeit. Überfülle an Intelligibilitäten, Mangel an Notwendigkeit. Aber hier liegt für mich der gemeinsame Einsatz historischer Analyse und politischer Kritik. Wir haben und müssen uns nicht unter dem Zeichen einer einheitlichen Notwendigkeit platzieren.

Das Problem der Rationalitäten - Ich möchte einen Augenblick bei dem Problem des Zum-Ereignis-Machens verweilen, weil ich glaube, dass es im Zentrum einer Reihe von Missverständnissen in Bezug auf Sie liegt - ich greife nicht auf die Idee zurück, die aus Ihnen fälschlicherweise einen Denker der Diskontinuität machte. Hinter der Verortung von Brüchen und der detaillierten, sorgfältigen Inventarisierung des Zustandekommens dieser Ströme, die Reales oder Historisches hervorbringen, gibt es von einem Buch zum nächsten etwas, das eine dieser historischen Konstanten oder einen dieser anthropolo­ gisch-kulturellen Merkmalszüge bildet, die Sie gerade zurückge­ wiesen haben, und der seit drei oder vier Jahrhunderten in der Geschichte einer Rationalisierung oder möglichen Rationalisierun­ gen unserer Gesellschaften besteht. Es ist kein Zufall, dass Ihr erstes Buch zugleich eine Geschichte der Vernunft und eine Ge­ schichte des Wahnsinns war, und ich glaube, dass der Gegenstand aller anderen, die Analyse der verschiedenen Techniken des Iso­ lierern, der sozialen Taxinomien usw. sich auf diesen allgemeinen meta-anthropologischen oder meta-historischen Prozess beziehen, den Prozess des Rationalisierens. In diesem Sinne scheint mir Ihre Definition des Zum-Ereignis-Machens als Zentrum Ihrer Arbeit nur das eine Ende der Kette zu erfassen. - Wenn man als »Weberianer« diejenigen bezeichnet, die die mar­ xistische Analyse der Widersprüche des Kapitals durch die der

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irrationellen Rationalität der kapitalistischen Gesellschaft ablösen wollen, dann glaube ich nicht, dass ich Weberianer bin, denn mein Problem ist letzten Ende nicht das der Rationalität als einer an­ thropologischen Konstante. Ich glaube nicht, dass man von »Ra­ tionalisierung« als solcher reden kann, ohne auf der einen Seite einen absoluten Vernunftwert vorauszusetzen und ohne anderer­ seits alles Beliebige in die Rubrik der Rationalisierung hineinzu­ nehmen. Ich glaube, man muss dieses Wort auf eine instrumentelle und relative Bedeutung beschränken. Die Zeremonie der öffent­ lichen Hinrichtungen ist für sich genommen nicht irrationaler als die Inhaftierung in einer Zelle, aber sie ist irrational im Verhältnis zu einem Typus des Strafens, der eine neue Art und Weise zum Vorschein bringt, über die Strafe bestimmte Effekte anzustreben, ihre Nützlichkeit zu kalkulieren, sie zu rechtfertigen und abzu­ stufen usw. Es handelt sich sozusagen nicht darum, die Praktiken an der Elle einer Rationalität zu messen, durch die man sie als mehr oder weniger perfekte Formen der Rationalität bewerten würde; sondern eher darum, zu sehen, wie diese Formen der Ra­ tionalität sich in Praktiken oder Systemen von Praktiken niederschlagen, und welche Rolle sie in diesen spielen. Denn es gibt in der Tat keine »Praktiken« ohne ein bestimmtes Regime der Ra­ tionalität. Dieses jedoch möchte ich, statt es an einem Vernunft­ wert zu messen, entlang zweier Achsen analysieren: auf der einen Seite der von Kodifizierung und Vorschrift (hier bildet es ein Ensemble von Regeln, von Rezepten, von auf einen Zweck bezo­ genen Mitteln usw.), und auf der anderen Seite der der Formulie­ rung von wahr oder falsch (hier legt es einen Bereich von Objekten fest, in Bezug auf die es möglich ist, wahre oder falsche Aussagen zu formulieren). Wenn ich »Praktiken« wie jene der Einsperrung der Wahnsin­ nigen beschrieben habe oder der klinischen Medizin, der Organi­ sation der empirischen Wissenschaften oder der gesetzlichen Be­ strafung, dann deshalb, um diese Spiele zwischen einem »Code«, der die Weisen des Tuns regelt (der vorschreibt, wie man die Menschen zu sortieren hat, wie man sie prüft, wie man die Dinge und die Zeichen klassifiziert, wie man die Individuen abrichtet usw.), und einer Produktion von wahren Diskursen, die als Be­ gründung, als Rechtfertigung, als Existenzberechtigungen und als Transformationsprinzip dieser Weisen des Tuns dienen, zu unter-

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suchen. Sagen wir es deutlich: Mein Problem besteht darin heraus­ zufinden, wie die Menschen sich, und zwar sich selbst und die anderen; durch die Produktion von Wahrheit regieren. Unter Pro­ duktion von Wahrheit verstehe ich, wie ich nochmals wiederholen möchte, nicht die Produktion wahrer Aussagen, sondern die Ein­ richtung von Bereichen, in denen die Praktik von wahr und falsch zugleich reguliert und gültig sein kann. Was ich tun möchte, besteht, in sehr barbarischen Begriffen ausgedrückt, darin, singuläre Mengen von Praktiken zu »evenementalisieren«, in ihrer Ereignishaftigkeit herauszustellen, um sie als unterschiedliche Regimes des Rechtsprechens und des Wahr­ sprechens in Erscheinung treten zu lassen. Wie Sie sehen, geht es weder um eine Geschichte der Erkenntnisse noch um eine Ana­ lyse der unsere Gesellschaft beherrschenden zunehmenden Ratio­ nalität, noch um eine Anthropologie der Kodifizierungen, die, ohne dass wir es bemerkten, unser Verhalten regierten. Ich möchte das Regime der Produktion von »wahr« und »falsch« wieder ins Zentrum der historischen Analyse und der politischen Kritik stel­ len. - Sie sprechen von Max Weber. Das ist kein Zufall. Es gibt bei Ihnen, in einem Sinne, den Sie gewiss nicht akzeptieren würden, so etwas wie einen »Idealtypus«, der lähmt und verstummen lässt, sobald man sich von der Realität Rechenschaft geben will. Ist es nicht das, was Sie gezwungen hat, keine Kommentare zur Publi­ kation des Pierre Rivière abzugeben? - Ich glaube nicht, dass Ihr Vergleich mit Max Weber präzise ist. In schematischer Weise kann man sagen, dass der »Idealtypus« eine Kategorie der historischen Interpretation darstellt; es ist eine Struktur des Begreifens für den Historiker, der versucht, eine Reihe von Begebenheiten nachträglich miteinander zu verknüp­ fen; sie ermöglicht es, eine »Essenz« (des Calvinismus, des Staates oder des kapitalistischen Unternehmens) ausgehend von allgemei­ nen Prinzipien zu erfassen, die im Denken der Individuen nicht oder nicht mehr präsent sind, deren konkretes Verhalten sich nichtsdestoweniger von ihnen aus verstehen lässt. Wenn ich mich bemühe, die der Strafhaft eigene Rationalität zu analysieren oder die der Psychiatrisierung des Wahnsinns oder

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jene der Organisation des Bereichs der Sexualität - und ich insis­ tiere auf der Tatsache, dass sich die Institutionen in ihrem realen Funktionieren nicht darauf beschränken, dieses Schema im Rein­ zustand zu entfalten -, handelt es sich dann um eine Analyse in Begriffen des Idealtypus? Ich glaube nicht, und zwar aus mehre­ ren Gründen. 1) Das rationale Schema des Gefängnisses, des Hospitals oder des Asyls sind nicht allgemeine Prinzipien, die allein der Historiker durch retrospektive Interpretation wiederfinden könnte. Es sind explizite Programme; es handelt sich um Gesamtheiten kalkulier­ ter und durchdachter Vorschriften, denen gemäß man Institutio­ nen zu organisieren, Räume einzurichten oder Verhaltensweisen zu regeln hat. Wenn sie eine Idealität besitzen, dann ist es die einer Programmierung, die unabgeschlossen blieb und nicht weil es sich um eine allgemeine Bedeutung handelte, die entschwunden wäre. 2) Gewiss, diese Programmierung unterliegt Formen der Ratio­ nalität, die sehr viel allgemeiner sind als diejenigen, die sie direkt umsetzen. Ich habe versucht zu zeigen, dass die Rationalität, die man in der Strafhaft sucht, nicht das Ergebnis einer unmittelbaren Interessenkalkulation war (das Einfachste, das Kostengünstigste ist eben, sie einzusperren), sondern dass sie auf einer ganzen Tech­ nik der Menschendressur, der Verhaltensüberwachung, der Indi­ vidualisierung der Elemente des Sozialkörpers beruht. Die »Dis­ ziplin« ist nicht Ausdruck eines »Idealtypus« (des »disziplinierten Menschen«); sie ist die Verallgemeinerung und In-Beziehung-Setzung verschiedener Techniken, die selbst jeweils auf verschiedene lokale Erfordernisse bezogen sind (schulische Ausbildung, For­ mierung von Truppen, die fähig sind, mit Gewehren umzugehen). 3) Diese Programme gehen nie zur Gänze in die Institutionen ein; man vereinfacht sie, man wählt einiges aus und anderes nicht und es vollzieht sich nie so wie vorgesehen. Was ich jedoch zeigen möchte, ist, dass diese Differenz nicht die des Gegensatzes zwi­ schen dem reinen Ideal und der ungeordneten Unreinheit des Wirklichen ist; sondern dass tatsächlich die verschiedenen Strate­ gien beginnen, sich einander entgegenzusetzen, sich zusammen­ zusetzen, sich zu überlagern und dauerhafte und beständige Ef­

3Die Geburt der Klinik und so weiter. Methodologische Bücher: Archäologie des Wissens. Schließlich habe ich Sachen wie Überwachen und Strafen und Der Wille zum Wissen geschrieben. Methodologische Überlegungen stelle ich auch in Artikeln und Interviews an. Das sind dann eher Reflexionen über ein fertiges Buch, die mir helfen sollen, eine andere mögliche Arbeit einzu­ grenzen. Es sind sozusagen Baugerüste, die als Übergang dienen zwischen einer Arbeit, die ich gerade abgeschlossen habe, und einer weiteren. Das ist nicht eine allgemeine Methode, die für andere oder für mich definitiv gültig wäre. Was ich geschrieben habe, sind keine Rezepte, weder für mich noch für sonst jemand. Es sind bestenfalls Werkzeuge - und Träume. Was Sie sagen, bestätigt den exzentrischen Aspekt Ihrer Position und erklärt in gewissem Sinne die Schwierigkeiten, auf welche Kritiker; Kommentatoren und Exegeten stoßen, wenn sie versu­ chen, Ihre Position zu systematisieren oder Ihnen im Rahmen des gegenwärtigen philosophischen Denkens einen Ort zuzuweisen. Ich betrachte mich nicht als Philosoph. Weder betreibe ich eine bestimmte Art Philosophie, noch möchte ich andere davon ab­ halten, Philosophie zu betreiben. Die bedeutendsten Einflüsse, die - ich will nicht sagen: mich geprägt haben, sondern die es mir erlaubten, mich von meiner universitären Prägung zu befreien, gingen - abgesehen natürlich von einer Reihe persönlicher Erfah­ rungen - von Leuten wie Bataille, Nietzsche, Blanchot, Klossowski aus, die alle keine Philosophen im institutionellen Verständnis waren. Was mich an ihnen am meisten frappiert und fasziniert hat

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und ihnen diese zentrale Bedeutung für mich gegeben hat, war eben, dass ihr Problem nicht darin bestand, ein System zu kon­ struieren, sondern eine persönliche Erfahrung zu machen. An der Universität dagegen bin ich zur Aneignung jener großen philoso­ phischen Maschinerien angeleitet, ausgebildet, hingedrängt wor­ den, die da heißen: Hegelianismus, Phänomenologie... Sie sprechen von der Phänomenologie, aber das gesamte phäno­ menologische Denken beruht auf dem Problem der Erfahrung und stützt sich auf sie, um seinen eigenen theoretischen Horizont zu bezeichnen. In welchem Sinne unterscheiden Sie sich also davon? Die Erfahrung des Phänomenologen ist im Grunde eine be­ stimmte Weise, einen reflektierenden Blick auf einen beliebigen Gegenstand des Erlebens, auf das Alltägliche in seiner vergäng­ lichen Gestalt zu richten, um dessen Bedeutungen zu erfassen. Für Nietzsche, Bataille, Blanchot dagegen bestand Erfahrung in dem Versuch, an einen bestimmten Punkt des Lebens zu gelangen, der dem Nicht-Lebbaren so nahe wie möglich kommt. Gefordert wird das Äußerste an Intensität und zugleich an Unmöglichkeit. Die phänomenologische Arbeit liegt vielmehr darin, das gesamte Feld von Möglichkeiten zu entfalten, die mit der alltäglichen Er­ fahrung verbunden sind. Darüber hinaus bemüht sich die Phänomenologie, die Bedeu­ tung der alltäglichen Erfahrung zu erfassen, um herauszufinden, inwiefern das Subjekt, das ich bin, in seinen transzendentalen Funktionen tatsächlich grundlegend ist für diese Erfahrung und diese Bedeutungen. Dagegen dient die Erfahrung bei Nietzsche, Blanchot, Bataille dazu, das Subjekt von sich selbst loszureißen, derart, dass es nicht mehr es selbst ist oder dass es zu seiner Ver­ nichtung oder zu seiner Auflösung getrieben wird. Ein solches Unternehmen ist das einer Ent-Subjektivierung. Die Idee einer Grenzerfahrung, die das Subjekt von sich selbst losreißt - genau das war es, was bei meiner Lektüre Nietzsches, Batailles, Blanchots für mich wichtig war, und genau diese Idee hat mich dazu gebracht, meine Bücher - wie langweilig, wie ge­ lehrt sie auch sein mögen - stets als unmittelbare Erfahrungen zu verstehen, die darauf zielen, mich von mir selbst loszureißen, mich daran zu hindern, derselbe zu sein. Arbeit als Erfahrung in permanenter Entwicklung; äußerste Relativität der Methode; Spannung der Subjektivierung: Das sind,

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wenn ich Sie recht begriffen habey die drei wesentlichen Aspekte Ihrer Denkhaltung. Wenn man von diesem Ensemble ausgehty stellt sich jedoch die Fragey welche Glaubwürdigkeit die Ergebnis­ se einer Forschung beanspruchen können und welches letztlich das Wahrheitskriterium isty das aus gewissen Prämissen Ihrer Denk­ weise folgt. Das Problem der Wahrheit dessen, was ich sage, ist für mich ein sehr schwieriges, ja sogar das zentrale Problem. Auf diese Frage habe ich bisher niemals geantwortet. Gleichzeitig benutze ich je­ doch ganz klassische Methoden: die Beweisführung oder zumin­ dest das, was in historischen Zusammenhängen als Beweis gelten darf - Verweise auf Texte, Quellen, Autoritäten und die Herstel­ lung von Bezügen zwischen Ideen und Tatsachen; Schemata, die ein Verständnis ermöglichen, oder Erklärungstypen. Nichts davon ist originell. Insoweit kann alles, was ich in meinen Büchern sage, verifiziert oder widerlegt werden, nicht anders als bei jedem an­ deren historischen Buch. Trotzdem sagen die Leute, die mich lesen, und besonders dieje­ nigen, die von meiner Arbeit etwas halten, oft lächelnd: »Im Grunde weißt du genau, dass alles, was du sagst, nur Fiktion ist.« Ich antworte stets: »Natürlich; dass es etwas anderes wäre, davon kann gar keine Rede sein.« Wenn ich zum Beispiel die Geschichte der psychiatrischen In­ stitutionen in Europa zwischen dem siebzehnten und neunzehn­ ten Jahrhundert hätte schreiben wollen, hätte ich natürlich kein Buch wie Wahnsinn und Gesellschaft schreiben dürfen. Mein Problem bestand jedoch nicht darin, die professionellen Histori­ ker zufrieden zu stellen. Mein Problem bestand darin, selbst eine Erfahrung zu machen und die anderen aufzufordern, vermittelt über einen bestimmten historischen Inhalt an dieser Erfahrung teilzunehmen: nämlich an der Erfahrung dessen, was wir sind und was nicht nur unsere Vergangenheit, sondern auch unsere Gegenwart ausmacht; an einer Erfahrung unserer Modernität, derart, dass wir verwandelt daraus hervorgehen. Das bedeutet, dass wir am Ende des Buches zu dem, um das es geht, in neue Beziehungen treten können: dass ich, der ich das Buch geschrie­ ben habe, und diejenigen, die es gelesen haben, zum Wahnsinn, zu seinem heutigen Status und zu seiner Geschichte in der modernen Welt ein neues Verhältnis einnehmen können.

Die Wirksamkeit Ihres Diskurses entfaltet sich im Gleichge­ wicht zwischen seiner Beweiskraft und seiner Fähigkeit, auf eine Erfahrung zu verweisen, die zu einem Wandel der kulturellen Horizonte führt, innerhalb deren wir unsere Gegenwart beurtei­ len und erleben. Ich habe aber noch nicht verstanden, in welchem Verhältnis dieser Prozess Ihrer Ansicht nach mit dem steht, was wir oben »Wahrheitskriterium« genannt haben. Das heißt, inwie­ fern stehen die Veränderungen, von denen Sie gesprochen haben, in einem Verhältnis zur Wahrheit? Inwiefern erzeugen sie Wahr­ heitseffekte? Zwischen den Dingen, die ich geschrieben habe, und den Wir­ kungen, die sie hervorgerufen haben, besteht ein einzigartiges Ver­ hältnis. Nehmen Sie das Schicksal von Wahnsinn und Gesellschaft: Das Buch wurde sehr gut aufgenommen von Leuten wie Maurice Blanchot, Roland Barthes und so weiter; von den Psychiatern wurde es anfangs mit etwas Neugier und einer gewissen Sympa­ thie rezipiert, von den Historikern, für die es nicht interessant war, dagegen vollständig ignoriert. Dann allerdings erreichte die Feindseligkeit der Psychiater ziemlich rasch einen Punkt, an dem das Buch als Angriff auf die heutige Psychiatrie und als antipsy­ chiatrisches Manifest verstanden wurde. Nun war das ganz gewiss nicht meine Absicht, aus wenigstens zwei Gründen: Als ich das Buch schrieb, 1958 in Polen, gab es in Europa noch keine Anti­ psychiatrie; und um einen Angriff auf die Psychiatrie handelte es sich schon ganz einfach deshalb nicht, weil es bei Ereignissen en­ det, die im frühen neunzehnten Jahrhundert liegen - das Werk Esquirols wird gerade noch angeschnitten, aber nicht vollständig analysiert. Trotzdem wurde dieses Buch in der Öffentlichkeit im­ mer nur als Angriff auf die heutige Psychiatrie wahrgenommen. Warum? Weil das Buch für mich - und für diejenigen, die es ge­ lesen und benutzt haben - eine Veränderung unseres (histori­ schen, theoretischen, aber auch moralischen und ethischen) Ver­ hältnisses zum Wahnsinn, zu den Irren, zur psychiatrischen Institution und sogar zur Wahrheit des psychiatrischen Diskurses bedeutete. Es ist also ein Buch, das dem, der es schreibt, ebenso wie dem, der es liest, als eine Erfahrung dient, viel eher denn als Feststellung einer historischen Wahrheit. Damit man, vermittelt über dieses Buch, eine solche Erfahrung machen kann, muss das, was darin gesagt wird, natürlich im Sinne akademischer Wahrheit

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wahr sein, das heißt historisch verifizierbar. Genau das kann ein Roman nicht. Trotzdem liegt das Wesentliche nicht in der Serie solcher wahren oder historisch verifizierbaren Feststellungen, sondern eher in der Erfahrung, die das Buch zu machen gestattet. Nun ist diese Erfahrung jedoch weder wahr noch falsch. Eine Erfahrung ist immer eine Fiktion, etwas Selbstfabriziertes, das es vorher nicht gab und das es dann plötzlich gibt. Darin liegt das schwierige Verhältnis zur Wahrheit, die Weise, in der sie in eine Erfahrung eingeschlossen ist, die mit ihr nicht verbunden ist und sie bis zu einem gewissen Punkt zerstört. Ist dieses schwierige Verhältnis zur Wahrheit eine Konstante, die Ihre Forschung begleitet und die man auch in der Serie Ihrer Werke nach Wahnsinn und Gesellschaft wieder erkennen kann? Das gleiche ließe sich von Überwachen und Strafen behaupten. Die Untersuchung endet ungefähr mit dem Jahr 1830. Trotzdem haben auch in diesem Falle die Leser, die kritischen wie die zu­ stimmenden, das Buch als Beschreibung der gegenwärtigen Ge­ sellschaft als Gesellschaft der Einschließung aufgefasst. Ich habe das nirgendwo gesagt, auch wenn es richtig ist, dass das Schreiben dieses Buches mit einer gewissen Erfahrung unserer Moderne zu­ sammenhing. Das Buch stützt sich auf wahre Dokumente, aber so, dass es, über sie vermittelt, möglich wird, nicht nur Wahrheiten festzustellen, sondern zu einer Erfahrung zu gelangen, die eine Veränderung erlaubt, einen Wandel in unserem Verhältnis zu unr selbst und zur Welt dort, wo wir bisher keine Probleme sahen (mit einem Wort, in unserem Verhältnis zu unserem Wissen). So kann dieses Spiel zwischen Wahrheit und Fiktion - oder, wenn Sie möchten, zwischen Feststellung und Fabrikation - deut­ lich sichtbar machen, was uns manchmal völlig unbewusst mit unserer Modernität verbindet, und sie uns gleichzeitig verändert erscheinen lassen. Die Erfahrung, die es uns gestattet, bestimmte Mechanismen zu verstehen (zum Beispiel die Gefängnishaft, die Strafe usw.), und die Weise, in der wir fähig werden, uns von ihnen zu lösen, indem wir sie mit anderen Augen wahrnehmen, sind nur die beiden Seiten derselben Medaille. Dies ist in der Tat das Herz meines Unternehmens. Welche Konsequenzen hat das oder viel­ mehr welche Implikationen? Die Erste besteht darin, dass ich mich auf keinen gleich bleibenden und systematischen theoreti­ schen Hintergrund stütze; die Zweite lautet, dass es kein Buch

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gibt, das ich nicht, wenigstens zum Teil, aus einer unmittelbaren persönlichen Erfahrung heraus geschrieben hätte. Ich habe ein kompliziertes persönliches Verhältnis zum Wahnsinn und zur psychiatrischen Institution gehabt. Ich habe zur Krankheit und auch zum Tod ein gewisses Verhältnis gehabt. Ich habe über die Geburt der Klinik und die Einführung des Todes in das medizi­ nische Wissen zu einem Zeitpunkt geschrieben, zu dem diese Din­ ge für mich eine gewisse Bedeutung hatten. Dasselbe gilt, aus anderen Gründen, für das Gefängnis und die Sexualität. Dritte Implikation: Es handelt sich keinesfalls darum, persön­ liche Erfahrungen ins Wissen zu übertragen. Das Verhältnis zur Erfahrung muss im Buch eine Transformation gestatten, eine Me­ tamorphose, die nicht einfach meine ist, sondern die einen gewis­ sen Wert, gewisse Eigenheiten hat, die anderen zugänglich sind, so dass diese Erfahrung auch von anderen gemacht werden kann. Viertens schließlich muss diese Erfahrung bis zu einem gewis­ sen Grade mit einer kollektiven Praxis, mit einer Denkweise ver­ knüpft sein. Das war beispielsweise bei einer Bewegung wie der Antipsychiatrie oder der Gefangenenbewegung in Frankreich der Fall. Wenn Sie, wie Sie sagen, den Weg zu einer »Transformation« andeuten oder eröffnen, die an eine »kollektive Praxis« anzuknüp­ fen vermag, so bemerke ich bereits die Umrisse eine Methodologie oder einer bestimmten Art von Lehre. Glauben Sie nicht auch? Und wenn ja, scheinen Sie damit nicht in Widerspruch zu einer Forderung zu geraten, die Sie schon genannt haben, nämlich: den präskriptiven Diskurs zu meiden? Ich lehne das Wort »Lehre« ab. Lehren enthielte ein systemati­ sches Buch, das einer verallgemeinerbaren Methode folgen oder den Beweis einer Theorie liefern würde. Meine Bücher haben diesen Wert gerade nicht. Es sind eher Einladungen, öffentliche Gesten. Aber muss sich eine kollektive Praxis nicht auf Werte, auf Krite­ rien, auf Verhaltensweisen beziehen, welche die individuelle Er­ fahrung überschreiten? Eine Erfahrung ist etwas, was man ganz allein macht und den­ noch nur in dem Maße uneingeschränkt machen kann, wie sie sich der reinen Subjektivität entzieht und andere diese Erfahrung - ich will nicht sagen: exakt übernehmen, aber sie doch kennen lernen

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und nachvollziehen können. Kehren wir für einen Augenblick zu dem Buch über die Gefängnisse zurück. In gewissem Sinne ist es ein rein historisches Buch. Geliebt oder gehasst haben es die Leute aber, weil sie den Eindruck gewonnen hatten, es gehe darin um sie selbst oder um unsere jetzige, gegenwärtige Welt oder um ihre Beziehungen zur heutigen Welt in den Formen, in denen diese von allen akzeptiert wird. Man hatte das Gefühl, dass etwas Ak­ tuelles in Frage gestellt worden war. Und in der Tat habe ich dieses Buch erst zu schreiben begonnen, nachdem ich mehrere Jahre lang an Arbeits-, Diskussions- und Kampfgruppen gegen die Strafinstitutionen teilgenommen hatte. Eine komplizierte, schwierige Arbeit, die zusammen mit den Gefangenen, den Fami­ lien, dem Aufsichtspersonal, mit Richtern, Staatsanwälten und so weiter unternommen wurde. Als das Buch herauskam, haben verschiedene Leser - besonders Aufsichtsbeamte, Sozialarbeiter und so weiter - dieses sonderbare Urteil abgegeben: »Es ist lähmend; es mag ja richtige Beobachtun­ gen enthalten, aber es hat gewiss auch Grenzen, weil es uns blo­ ckiert, weil es uns daran hindert, in unserer Tätigkeit wie bisher weiterzumachen.« Ich antworte, dass genau diese Reaktion be­ weist, dass die Arbeit erfolgreich war, dass sie so funktioniert hat, wie ich es vorhatte. Man liest das Buch demnach als eine verän­ dernde Erfahrung, die es einem verwehrt, derselbe zu bleiben wie bisher oder zu den Dingen, zu den Anderen, das gleiche Verhältnis zu unterhalten wie vor der Lektüre. Das zeigt, dass sich in dem Buch eine Erfahrung ausdrückt, die über die meinige weit hinaus geht. Es hat nichts weiter getan, als sich in etwas einzuschreiben, das in Wirklichkeit schon in Gang war; sagen wir vielleicht: in die Veränderung des heutigen Menschen gegenüber der Vorstellung, die er von sich selbst hat. Andererseits hat dieses Buch an jener Veränderung mitgearbeitet. Es hat sie, ein Stückchen weit, voran­ getrieben. Genau das bezeichnet für mich ein Erfahrungs-Buch im Gegensatz zu einem Wahrheits-Buch oder einem Beweis-Buch. An dieser Stelle unserer Analyse würde ich gern eine Bemerkung machen. Sie sprechen von sich und Ihrer Forschung:, als ob diese fast unabhängig von dem historischen - und vor allem geistigen Zusammenhang stattgefunden hätte, in dem sie entstanden ist. Sie haben Nietzsche, Bataille, Blanchot erwähnt: Wie haben Sie sie entdeckt? Was war damals, in der Zeit Ihrer Ausbildung, ein In­

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tellektueller in Frankreich, und welche theoretische Debatte stand im Vordergrund? Wie kamen Sie allmählich zu den wichtigsten Entscheidungen und Orientierungen Ihres Denkens? Nietzsche, Blanchot und Bataille sind die Autoren, die es mir erlaubt haben, mich von denen zu lösen, unter deren Zeichen meine Universitätsausbildung zu Beginn der fünfziger Jahre stand: von Hegel und der Phänomenologie. Philosophie treiben hieß damals, wie übrigens heute auch, vor allem Geschichte der Philosophie treiben; und der Gang dieser Geschichte war auf der einen Seite begrenzt durch die Systeme der Hegel sehen Theorie und auf der anderen durch die Philosophie des Subjekts, geprägt von den Gestalten der Phänomenologie und des Existentialismus. Letztlich dominierte Hegel. Für Frankreich handelte es sich in gewisser Weise, nach den Arbeiten Jean Wahls und den Vorlesun­ gen Hyppolites, um eine Neuentdeckung. Es war ein stark phä­ nomenologisch und existentialistisch geprägter Hegelianismus, in dessen Mittelpunkt das Thema des unglücklichen Bewusstseins stand. Und das war im Grunde alles, was die französische Uni­ versität zum Verständnis der gegenwärtigen Welt im weitesten Sinne anzubieten hatte, kaum dass die Tragödie des Zweiten Welt­ kriegs und die großen vorangegangenen Umwälzungen - die Rus­ sische Revolution, der Nazismus usw. - vorüber waren. Soweit sich der Hegelianismus als die Weise darstellen konnte, das Tra­ gische rational zu denken, das die Generation unmittelbar vor uns erlebt hatte und das außerhalb der Universität immer noch drohte, war Sartre mit seiner Philosophie des Subjekts Mode. Im Schnitt­ punkt von universitärer philosophischer Tradition und Phänome­ nologie entwickelte Merleau-Ponty den existentiellen Diskurs in einem speziell Bereich, dem der Erkennbarkeit der Welt, des Rea­ len. Das war das intellektuelle Panorama, in dem meine Entschei­ dungen heranreiften: die Entscheidung, kein Historiker der Phi­ losophie zu werden wie meine Professoren, sondern nach etwas ganz anderem zu suchen, das vom Existentialismus völlig ver­ schieden wäre: das war die Lektüre Batailles, Blanchots und, über sie vermittelt, Nietzsches. Was stellten sie für mich dar? Zunächst eine Einladung, die Kategorie des Subjekts in Frage zu stellen, seine Suprematie, seine fundierende Rolle. Dann die Überzeu­ gung, dass eine solche Operation keinen Sinn hätte, wenn sie auf Spekulationen beschränkt bliebe; das Subjekt in Frage stellen

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bedeutete, eine Erfahrung zu machen, die zu seiner realen Zer­ störung, seiner Auflösung, seinem Zerbersten, seiner Verkehrung in etwas anderes führen würde. War eine solche Orientierung einzig von der Kritik am herr­ schenden philosophischen Klima bedingt, oder entsprang sie darü­ ber hinaus einem Räsonnement über Aspekte der französischen Realität, wie sie sich am Ende des Krieges darstellte? Ich denke an die Beziehungen zwischen Politik und Kultur und an die Weise, in der die neuen Generationen von Intellektuellen die Politik er­ lebten und interpretierten. Für mich war die Politik Gelegenheit, eine Erfahrung à la Nietzsche oder à la Bataille zu machen. Für jemanden, der am Ende des Zweiten Weltkriegs zwanzig Jahre alt war und der sich von der Moral des Krieges nicht hatte mitreißen lassen - was konnte so jemandem die Politik bedeuten, wenn es darum ging, zwischen dem Amerika Trumans und der Sowjetunion Stalins zu wählen? Zwischen der alten SFIO und den christlichen Demokra­ ten? Der Gedanke, in einer solchen Welt ein bürgerlicher Intel­ lektueller zu werden, Professor, Journalist, Schriftsteller oder was sonst, erschien unerträglich. Die Erfahrung des Krieges hatte uns die Notwendigkeit und die Dringlichkeit einer Gesellschaft be­ wiesen, die radikal verschieden wäre von jener, in der wir lebten. Diese Gesellschaft, die den Nazismus zugelassen hatte, die vor ihm im Staub gelegen hatte und dann mit fliegenden Fahnen zu de Gaulle übergelaufen war. Gegenüber all dem empfand ein gro­ ßer Teil der französischen Jugend tiefen Abscheu. Die Welt und die Gesellschaft, die uns vorschwebte, wäre nicht nur eine andere gewesen, sondern eine, in der auch wir andere gewesen wären; wir wollten völlig andere sein in einer völlig anderen Welt. So konnte uns der Hegelianismus, der uns an der Universität angeboten wurde, mit seinem Modell durchgängiger Intelligibilität der Ge­ schichte nicht mehr genügen; und ebenso wenig Phänomenologie und Existentialismus, die am Primat des Subjekts und seinem grundlegenden Wert festhielten. Während umgekehrt das Nietz­ sche sehe Thema der Diskontinuität, eines Übermenschen, der im Verhältnis zum Menschen ein ganz anderer wäre, und dann bei Bataille das Thema der Grenzerfahrungen, in denen das Subjekt sich selbst überschreitet, an den Grenzen seiner eigenen Unmög­ lichkeit sich selbst als Subjekt auflöst, ganz wesentliche Bedeu-

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tung hatten. Das war für mich eine Art Ausweg zwischen dem Hegelianismus und der philosophischen Identität des Subjekts. Sie haben von dem »tragischen Erlebnis« des Zweiten Welt­ kriegs gesprochen und von der Unmöglichkeit, mit den spekulati­ ven Schemata der philosophischen Tradition davon Rechenschaft zu gehen. Warum aber soll sich dieses Unvermögen auch auf die Reflexionen Jean-Paul Sartres erstrecken? Verkörperte er als Re­ präsentant des Existentialismus vor allem in Frankreich nicht ebenfalls eine Abwendung von der theoretischen Tradition, einen Versuch, die Stellung des Intellektuellen zu seiner Zeit erneut in Frage zu stellen? In einer Philosophie wie derjenigen Sartres gibt das Subjekt der Welt Sinn. Dieser Punkt wurde nicht in Frage gestellt. Das Sub­ jekt schreibt seine Bedeutungen zu. Die Frage lautete: Kann man sagen, dass das Subjekt die einzige mögliche Existenzform ist? Kann es nicht auch Erfahrungen geben, in deren Verlauf das Sub­ jekt nicht mehr gegeben wäre in seinen konstitutiven Funktionen, in dem, was es an Identischem-mit-sich hat? Gäbe es nicht also Erfahrungen, in denen das Subjekt sich auflösen, das Verhältnis zu sich zerbrechen, seine Identität verlieren könnte? Bestand nicht genau darin Nietzsches Erfahrung mit der ewigen Wiederkehr? Wer außer den schon genannten Autoren beschäftigte sich denn damals kommentierend oder reflektierend mit den Werken Nietz­ sches? Nietzsche habe ich außerhalb der Universität entdeckt. Da ihn die Nazis benutzt hatten, war er vom akademischen Unterricht vollständig ausgeschlossen. Dagegen war eine kontinuistische Les­ art des philosophischen Denkens sehr in Mode, eine geschichts­ philosophische Haltung, die in gewisser Weise Hegelianismus und Existentialismus miteinander verknüpfte. Und offen gesagt, auch die marxistische Kultur teilte diese Geschichtsphilosophie. Sie erwähnen erst jetzt den Marxismus und die marxistische Kultur, als ob sie die große Abwesende gewesen wäre. Aber mir scheint, das kann man nicht sagen. Über die marxistische Kultur möchte ich erst später sprechen. Im Moment möchte ich auf eine eher kuriose Tatsache aufmerksam machen. Das Interesse an Nietzsche und Bataille bedeutete für uns keine Distanzierung vom Marxismus oder Kommunismus. Es war vielmehr der einzige Zugang zu dem, was wir vom Kommunismus

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erwarteten. Die Ablehnung der Welt, in der wir lebten, fand gewiss keine Erfüllung in der hegelianischen Philosophie. Wir waren auf der Suche nach anderen Möglichkeiten, uns zu jenem ganz Ande­ ren zu verhalten, das wir im Kommunismus verkörpert sahen. Das war der Grund, warum ich mich 1950 - ohne große Marx-Kennt­ nisse, aus Ablehnung des Hegelianismus und aus einem Gefühl des Unbehagens am Existentialismus - der französischen kommunis­ tischen Partei anschließen konnte. Ein »nietzscheanischer Kom­ munist« sein, das war natürlich nicht praktikabel und, wenn Sie so wollen, lächerlich. Ich wusste das wohl. Sie haben sich der KPF angeschlossen; Sie sind nach einem ei­ gentümlichen intellektuellen Weg bei der kommunistischen Partei angelangt. Inwieweit hatte diese Erfahrung Einfluss auf Sie und auf die Entwicklungen Ihrer theoretischen Forschung? Welche Er­ fahrung haben Sie als kommunistischer Aktivist gemacht? Wie sind Sie zu der Entscheidung gelangt, die Partei zu verlassen? In Frankreich ist die Durchlaufgeschwindigkeit der jungen Leute durch die kommunistische Partei sehr hoch. Viele sind ein­ getreten und viele haben sie verlassen, ohne dass mit einem sol­ chen Schritt jeweils ein definitiver Bruch verbunden gewesen wä­ re. Ich habe sie nach dem berühmten Komplott der Ärzte gegen Stalin im Winter 1952 verlassen, und zwar unter dem Eindruck eines anhaltenden Unbehagens. Kurz bevor Stalin starb, verbrei­ tete sich die Kunde, dass eine Gruppe jüdischer Ärzte ihm nach dem Leben getrachtet habe. André Wurmser hielt eine Versamm­ lung unserer studentischen Zelle ab, um uns zu erklären, wie diese Verschwörung abgelaufen sei. Obwohl wir nicht überzeugt wa­ ren, bemühten wir uns, daran zu glauben. Auch das gehört zu jener verhängnisvollen Art und Weise, zur Existenzweise von Parteimitgliedern: Die Tatsache, etwas vertre­ ten zu müssen, das in diametralem Widerspruch zu dem steht, was man für plausibel hält, war ein Teil jenes Exerzitiums der IchAuflösung und der Suche nach dem ganz Anderen. Stalin stirbt. Drei Monate später erfährt man, dass es nie ein Komplott der Ärzte gab. Wir schrieben an Wurmser und baten ihn, uns zu er­ klären, wie es sich damit nun verhielt. Wir bekamen keine Ant­ wort. Sie werden mir sagen: übliche Praxis, nebensächlicher Vor­ fall. .. trotzdem, das war der Moment, in dem ich die KPF verließ. Ich betrachte die Episode, die Sie mir da erzählen, in erster Linie

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als Darstellung eines Szenarios der Vergangenheit, einer Tragik, die durchaus auch ihre Entstehungsbedingungen hatte: kalter Krieg, Nervosität des Stalinismus, ein bestimmtes Verhältnis zwi­ schen Ideologie und Politik, zwischen Partei und Aktivisten. In vergleichbaren oder sogar noch schlimmeren Situationen wären andere trotzdem nicht den Weg gegangen, der von der Partei weg­ führt, sondern den Weg des Kampfes und der Kritik. Ich glaube nicht, dass Ihre Lösung die beste war. Ich weiß wohl, dass ich allen Kommunisten Argumente liefere, mich als ausgesprochen schlechten Kommunisten zu tadeln, als einen mit ganz schlechten und falschen Motiven, als einen drecki­ gen Kleinbürger. Aber ich sage diese Dinge, weil sie wahr sind und weil ich sicher bin, dass ich nicht der Einzige war, der in dieser Situation war, der aus schlechten Motiven dorthin gegangen ist, mit diesem etwas lächerlichen Bedürfnis nach Bekehrung, As­ kese und Selbstauspeitschung, das - in Frankreich auch heute noch - bei der Teilnahme vieler Studenten an der Tätigkeit der kommunistischen Partei eine wichtige Rolle spielt. Ich habe In­ tellektuelle gesehen, die in der Zeit der Tito-Affäre die Partei ver­ lassen haben. Aber ich kenne andere, die genau zu diesem Zeit­ punkt und genau aus diesem Grunde, gerade weil sich die Dinge so abgespielt haben, in die Partei eingetreten sind. Gewissermaßen sogar um denen zu antworten, die ihre Mitgliedskarte aus Ent­ täuschung zurückgegeben hatten. Nachdem diese kurze Erfahrung in der kommunistischen Partei zu Ende war, haben Sie nicht mehr an politischen Aktivitäten teil­ genommen? Nein, ich habe mein Studium abgeschlossen. Damals traf ich mich oft mit Louis Althusser, der in der KPF aktiv war. Übrigens bin ich ein wenig unter seinem Einfluss eingetreten. Und als ich die Partei verlassen hatte, gab es von seiner Seite aus keinen Bann­ fluch; er wollte seine Beziehungen zu mir darum nicht abbrechen. Ihre Verbindungen oder zumindest eine gewisse intellektuelle Verwandtschaft mit Althusser reichen weiter zurück, als man ge­ wöhnlich annimmt. Ich möchte vor allem die Tatsache erwähnen, dass in den Polemiken um den Strukturalismus, die im Frankreich der sechziger Jahre die Bühne der theoretischen Auseinanderset­ zung beherrschten, Ihr Name wiederholt mit dem Althussers ver­ knüpft wurde. Althusser war Marxist; Sie waren keiner; Lévi-

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Strauss und andere ebenso wenig; die Kritik hat Sie alle als »Strukturalisten« mehr oder weniger in einen Topf geworfen. Wie erklä­ ren Sie sich das? Und welches war der gemeinsame Boden Ihrer Forschungen, wenn es denn einen gab? Es gibt einen gemeinsamen Punkt zwischen all denen, die in den letzten fünfzehn Jahren als »Strukturalisten« bezeichnet wor­ den sind und - mit Ausnahme von Lévi-Strauss - trotzdem keine waren, nämlich Althusser, Lacan und ich. Worin lag der eigent­ liche Ronvergenzpunkt? In einem gewissen Nachdruck, die Frage des Subjekts neu und anders zu stellen, sich von dem Grund­ postulat zu befreien, das die französische Philosophie - seit Descartes und verstärkt durch die Phänomenologie - niemals aufge­ geben hatte. Aus psychoanalytischer Perspektive hatte Lacan die Tatsache ins Licht gerückt, dass die Theorie des Unbewussten nicht mit einer Theorie des Subjekts (im cartesianischen, aber auch im phänomenologischen Sinne) vereinbar ist. Sartre und Po­ litzer hatten die Psychoanalyse abgelehnt, eben weil sie die Theo­ rie des Unbewussten kritisierten, eben weil sie diese Theorie für unvereinbar mit der Philosophie des Subjekts hielten. Lacan zog dagegen den Schluss, dass man gerade deshalb die Philosophie des Subjekts aufgeben und von einer Analyse der Mechanismen des Unbewussten ausgehen müsse. Lévi-Strauss stützte sich auf ande­ re Quellen, um die Philosophie des Subjekts in Frage zu stellen; ihm dienten die Linguistik und die Analysen, die man an der Sprache vornehmen kann, als rationaler Ausgangspunkt, und das war ein ganz anderer als die - sagen wir: literarische oder spiri­ tuelle - Erfahrung eines Blanchot oder Bataille. Althusser hat die Subjektphilosophie in Frage gestellt, weil der französische Mar­ xismus von etwas Phänomenologie und etwas Humanismus ge­ prägt war und weil die Theorie der Entfremdung aus dem menschlichen Subjekt die theoretische Basis machte, die imstande war, die politisch-ökonomischen Analysen von Marx in eine phi­ losophische Terminologie zu übersetzen. Die Arbeit Althussers bestand darin, die Analysen von Marx wieder aufzunehmen und sich zu fragen, ob in ihnen diese Konzeption der menschlichen Natur, des Subjekts, des entfremdeten Menschen zum Ausdruck kommt, auf der die theoretischen Positionen bestimmter Mar­ xisten beruhten, etwa die Roger Garaudys. Wie man weiß, fiel seine Antwort völlig negativ aus.

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All das nannte man »Strukturalismus«. Doch der Strukturalis­ mus oder die strukturale Methode dienten allenfalls als Ausgangs­ punkt oder als Bestätigung für etwas viel Radikaleres: die Infra­ gestellung der Theorie des Subjekts. Sie lehnen es ab, sich als Strukturalist definieren zu lassen, und halten diese Etikettierung für unangemessen. Stattdessen nehmen Sie lieber Bezug auf das Thema der »Dezentrierung des Subjekts« und verweisen dabei vor allem auf die Idee der Grenzerfahrun­ gen, deren Abkunft sich von Nietzsche bis Georges Bataille ver­ folgen lässt. Und trotzdem ist nicht zu leugnen, dass ein großer Teil Ihrer Reflexion und die Herausbildung Ihres theoretischen Dis­ kurses sich einem kritischen Durchgang durch die Probleme der Epistemologie und der Wissenschaftsphilosophie verdanken. Es ist richtig, die Geschichte der Wissenschaften, mit der ich mich zu beschäftigen begann, liegt weit von dem entfernt, was ich bei Bataille, Blanchot und Nietzsche kennen gelernt hatte. Aber wie weit? Als ich Student war, befand sich die Geschichte der Wissenschaften mitsamt ihren theoretischen Debatten in einer strategischen Position. Wenigstens von einer Seite aus betrachtet, war die Phänomeno­ logie eine Kritik der Wissenschaft und zog deren Grundlage, de­ ren Rationalität, deren Geschichte in Zweifel. Den anderen Flü­ gel, der sich der eher existentiellen Phänomenologie des Erlebens entgegenstellte, verkörperten die großen Texte Husserls und Koyrés. In vieler Hinsicht versuchte das Werk Merleau-Pontys diese beiden Aspekte der Phänomenologie zusammenzuführen. Ein ähnlicher Diskurs kam auch aus dem marxistischen Lager, in dem Maße, wie der Marxismus in den Jahren nach der Befreiung nicht nur auf theoretischem Gebiet, sondern auch im Alltag der jungen Studenten und Intellektuellen erhebliche Bedeutung ge­ wonnen hatte. Der Marxismus beanspruchte in der Tat, eine Wis­ senschaft oder zumindest eine allgemeine Theorie der Wissen­ schaftlichkeit der Wissenschaften zu sein; eine Art Gerichtshof der Vernunft, der zu unterscheiden erlaubte zwischen dem, was Wissenschaft, und dem, was Ideologie war; mit einem Wort, er beanspruchte, ein allgemeines Rationalitätskriterium für jede Art Wissen anzugeben. Dieses ganze Amalgam von Problemen, dieses ganze Feld von Fragen drängte nach einer Untersuchung der Wis­ senschaft und ihrer Geschichte. Inwieweit konnte diese Geschieh-

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te die uneingeschränkt rationale Fundierung der Wissenschaft in Zweifel ziehen oder erweisen? Das war die Frage, welche die Ge­ schichte der Wissenschaften an die Phänomenologie richtete. Um­ gekehrt stellte sich der Marxismus die folgende Frage: Inwieweit kann der Marxismus, wenn er mit seinen Schemata eine Geschichte der Gesellschaft rekonstruiert, die Geschichte der Wissenschaften, die Entstehung und Entwicklung der Mathematik, der theoreti­ schen Physik und so weiter erklären? Dieses dichte Problemge­ flecht, das ich eben summarisch beschrieben habe - und in dem Wissenschaftsgeschichte, Phänomenologie und Marxismus mit­ einander verquickt waren-, stand damals absolut im Mittelpunkt; und dort brachen sich, gleichsam wie in einer kleinen Linse, die verschiedenen Probleme der Epoche. Und genau an diesem Punkt wurden Leute wie Louis Althusser, kaum älter als ich, oder Desanti, die meine Lehrer waren, für mich wichtig. In welcher Weise ging die wissenschaftsgeschichtliche Problema­ tik in die Ausbildung ihres Denkens ein? Paradoxerweise nicht viel anders als Nietzsche, Blanchot oder Bataille. Die Frage war: Inwieweit kann die Geschichte einer Wis­ senschaft deren Rationalität in Zweifel ziehen, sie beschränken, externe Elemente in sie einführen? Welche kontingenten Wirkun­ gen durchdringen eine Wissenschaft von dem Augenblick an, in dem sie eine Geschichte hat, in dem sie sich in einer historisch determinierten Gesellschaft entwickelt? Andere Fragen schlossen sich an: Kann man eine Wissenschaftsgeschichte betreiben, die rational wäre? Lässt sich ein Prinzip der Intelligibilität finden, das die verschiedenen Umwege und gegebenenfalls auch die irra­ tionalen Elemente erklärt, die sich in die Geschichte der Wissen­ schaften einschleichen? Das waren, schematisch betrachtet, die Probleme, wie sie sich dem Marxismus ebenso wie der Phänomenologie stellten. Für mich dagegen stellten sich die Fragen etwas anders. An dieser Stelle gewann die Nietzsche-Lektüre für mich große Bedeutung. Es genügt nicht, eine Geschichte der Rationalität zu schreiben; was wir brauchen, ist eine Geschichte der Wahrheit. Statt also eine Wissenschaft daraufhin zu befragen, in welchem Maße ihre Ge­ schichte sie der Wahrheit näher gebracht hat (oder ihr den Zugang zur Wahrheit verwehrt hat), müsste man sich nicht eher sagen, dass die Wahrheit in einem bestimmten Verhältnis besteht, die

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der Diskurs, das Wissen, zu sich selbst unterhält, und sich fragen, ob dieses Verhältnis seinerseits eine Geschichte hat oder nicht? An Nietzsche hat mich frappiert, dass für ihn eine Rationalität die einer Wissenschaft, einer Praxis, eines Diskurses - sich nicht nach der Wahrheit bemisst, die diese Wissenschaft, dieser Diskurs, diese Praxis hervorbringen können. Die Wahrheit ist selbst Teil der Geschichte des Diskurses und ist gleichsam ein Effekt inner­ halb eines Diskurses oder einer Praxis. Der Diskurs Nietzsches über die Geschichte der Wahrheit und die Grenzen des theoretischen Menschen bedeutet ganz zweifellos eine Horizontverschiebung und einen Perspektivenwechsel gegen­ über der klassischen Epistemologie, insofern er deren Prämissen aufhebt und die grundlegende »Unwahrheit des Erkennern« pro­ klamiert. Aber ich wüsste gern: Wie kamen Sie dazu, die Analyse der Entstehung der Wissenschaft mit derjenigen der Grenzerfah­ rungen beziehungsweise der Erfahrung als Transformation zu ver­ knüpfen? Könnte man eine Wissenschaft nicht letztlich als eine Erfahrung analysieren und auffassen, das heißt als ein Verhältnis, das so be­ schaffen ist, dass das Subjekt im Zuge dieser Erfahrung verändert wird? Darin wäre es die wissenschaftliche Praxis, die das ideale Subjekt der Wissenschaft und zugleich das Objekt der Erkenntnis konstituiert. Und ließe sich die geschichtliche Wurzel einer Wis­ senschaft nicht in dieser reziproken Genese des Subjekts und des Objekts finden? Welcher Wahrheitseffekt stellt sich auf diese Wei­ se ein? Es würde daraus folgen, dass es keine Wahrheit gibt. Was nicht heißt, dass diese Geschichte irrational und dass diese Wis­ senschaft trügerisch wäre, sondern dass sie im Gegenteil die Prä­ senz einer realen und intelligiblen Geschichte bekräftigt, die Prä­ senz einer Serie kollektiver rationaler Erfahrungen, die einer Gesamtheit präziser, angebbarer Regeln folgen und in deren Ver­ lauf sich ebenso wohl das erkennende Subjekt wie das erkannte Objekt herausbilden. Um diesen Vorgang zu verstehen, hielt ich es für das Beste, neue, nicht formalisierte Wissenschaften zu untersuchen, deren Konstitution noch nicht weit zurücklag, die ihren Ursprüngen noch nahe waren und bei denen der unmittelbare Bedarf, der sie herbeirief, noch spürbar war — Wissenschaften, deren Wissen­ schaftlichkeit in höchstem Maße fraglich schien und die das zu

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begreifen suchten, dessen Aufnahme in einen Bereich von Ratio­ nalität man am wenigsten erwartet hatte. Das galt für den Wahn­ sinn. Es ging darum, zu verstehen, wie der Wahnsinn in der abendländischen Welt erst vom achtzehnten Jahrhundert an ein präziser Gegenstand der Analyse und der wissenschaftlichen Er­ forschung werden konnte, während es vorher allenfalls medizini­ sche Traktate gab, die in einigen kurzen Abschnitten die »Krank­ heiten des Geistes« behandelten. Auf diesem Wege konnte man beweisen, dass im selben Augenblick, in dem das Objekt Wahn­ sinn Gestalt annahm, sich zugleich das Subjekt herausbildete, das imstande war, den Wahnsinn zu erkennen. Der Konstruktion des Objekts Wahnsinn entsprach die eines vernünftigen Subjekts, das den Wahnsinn zu erkennen vermochte und das ihn verstand. In Wahnsinn und Gesellschaft habe ich diese Art kollektiver, viel­ fältiger Erfahrung zu verstehen versucht, die - zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Jahrhundert - geprägt ist von der Wechselwirkung zwischen der Geburt eines vernünftigen Men­ schen, der es versteht, den Wahnsinn zu identifizieren und zu erkennen, und der Geburt des Wahnsinns als Objekt, das verstan­ den und näher bestimmt werden kann. Diese ursprüngliche Geste, welche die Trennung und Gegen­ überstellung von Vernunft und Unvernunft kennzeichnet, mit all den Konsequenzen für das Schicksal der abendländischen Kul­ tur, die Sie selbst analysiert haben, erschiene damit als wesentliche Vorbedingung für die geschichtliche Entwicklung beziehungsweise für die Entwicklung der Geschichte der modernen Vernunft. Hat sich diese Grenzerfahrung, welche die Möglichkeit der Geschichte eröffnet, in einer zeitlosen Dimension ereignet, außerhalb der Ge­ schichte selbst? Meine Arbeit bestand selbstverständlich nicht darin, den Wahn­ sinn gewissermaßen zu verklären; und es ging auch nicht um eine irrationalistische Geschichte. Ich wollte im Gegenteil zeigen, wie diese Erfahrung - die den Wahnsinn als Objekt und zugleich das Subjekt, das ihn erkennt, konstituiert hat - nur dann voll verstan­ den werden kann, wenn man sie rigoros mit bestimmten, durch­ aus bekannten historischen Prozessen in Zusammenhang bringt: mit der Entstehung einer gewissen Normalisierungsgesellschaft und ihren Praktiken der Einschließung; mit einer bestimmten ökonomischen und sozialen Situation, die der Phase der Urbani­

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sierung und der Geburt des Kapitalismus entspricht, und der Existenz einer umherziehenden, verstreuten Population, mit der die neuen Anforderungen der Ökonomie und des Staates nicht vereinbar waren. Ich habe also versucht, eine Geschichte der Konstitution eines Wissens zu schreiben, eine Geschichte, die so rational wie möglich ein neues Verhältnis zur Objektivität beschreibt, etwas, das man die »Wahrheit des Wahnsinns« nennen könnte. Das bedeutet natürlich nicht, dass es - vermittelt über diesen Wissenstyp - nun tatsächlich gelungen wäre, Kriterien zu bestim­ men, die es gestatten würden, den Wahnsinn in seiner Wahrheit zu entdecken; nein, es wurde vielmehr eine Erfahrung, die der Wahr­ heit des Wahnsinns, mit der Möglichkeit einer effektiven Erkennt­ nis und einer reziproken Entwicklung eines Subjekts versehen. Treten wir einen Schritt zurück. In der Darstellung Ihrer intel­ lektuellen Bildungsgeschichte, besonders was Ihre Beschäftigung mit epistemologischen Problemen angeht, haben Sie niemals den Namen Gaston Bachelard genannt. Und dennoch hat man - wie ich glaube, zu Recht - bemerkt, dass der rationale Materialismus Bachelards, gestützt auf die Dominanz einer wissenschaftlichen Praxis, welche die Objekte ihrer Analyse selbst zu konstruieren vermag, in gewisser Weise den Hintergrund der Forschungslinien abgibt, die Sie entfaltet haben. Meinen Sie nicht, dass es sich so verhält? Ich war kein direkter Schüler Bachelards, doch ich habe seine Bücher gelesen; in seinen Überlegungen zur Diskontinuität in der Geschichte der Wissenschaften und in dem Gedanken, dass die Vernunft, indem sie die Gegenstände ihrer Analyse selbst konsti­ tuiert, an sich selbst arbeitet, gibt es eine ganze Reihe von Elemen­ ten, von denen ich profitieren konnte und die ich aufgenommen habe. Auf dem Gebiet der Wissenschaftsphilosophie war jedoch Georges Canguilhem derjenige, der mich am meisten beeinflusst hat, wenngleich erst viel später. Er hat vor allem die Probleme der Wissenschaften vom Leben vertieft, indem er zu zeigen versuchte, wie sich der Mensch als lebendiges Wesen in dieser Erfahrung selbst in Frage gestellt hat. Mit der Begründung der Wissenschaften vom Leben, mit der Konstitution eines bestimmten Wissens hat sich der Mensch als

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lebendiges Wesen verändert, indem er zum rationalen Subjekt wurde und sich die Möglichkeit schuf, auf sich selbst einzuwir­ ken, die Bedingungen des Lebens und seines eigenen Lebens zu ändern; der Mensch konstruierte eine Biologie, die nichts anderes war als die Kehrseite einer Einbeziehung der Wissenschaften vom Leben in die allgemeine Geschichte der menschlichen Gattung. Dies ist bei Canguilhem eine äußerst wichtige Überlegung, die, wie ich glaube, eine Verwandtschaft mit Nietzsche erkennen lässt. Und mit dieser paradoxen Verwandtschaft stößt man, nicht zu­ fällig wieder im Umkreis Nietzsches, gleichsam auf einen Berüh­ rungspunkt zwischen dem Diskurs über die Grenzerfahrungen, in denen es für das Subjekt darum geht, sich selbst zu transformie­ ren, und dem Diskurs über die Transformation des Subjekts durch die Konstitution eines Wissens. Wie entsteht Ihrer Auffassung nach eine Beziehung zwischen den Grenzerfahrungen, die in gewisser Weise der Konstitution der Vernunft vorausgehen, und dem Wissen, das im Gegensatz dazu die historische Grenze eines kulturellen Horizonts markieren würde? Ich verwende das Wort »Wissen« in Abgrenzung von »Er­ kenntnis«. Mit »Wissen« ziele ich auf einen Prozess, der das Sub­ jekt einer Veränderung unterwirft, gerade indem es erkennt oder vielmehr bei der Arbeit des Erkennens. Es ist dieser Prozess, der es gestattet, das Subjekt zu verändern und gleichzeitig das Objekt zu konstruieren. Erkenntnis ist die Arbeit, die es erlaubt, die erkennbaren Objekte zu vermehren, ihre Erkennbarkeit zu ent­ wickeln, ihre Rationalität zu verstehen, bei der jedoch das for­ schende Subjekt fest und unverändert bleibt. Bei der Idee einer Archäologie geht es genau darum, die Kon­ stitution einer Erkenntnis, das heißt einer Beziehung zwischen einem starren Subjekt und einem Bereich von Objekten, an ihren historischen Wurzeln zu fassen, in der Bewegung des Wissens zu verfolgen, das die Erkenntnis ermöglicht. Im Grunde habe ich mich bis heute immer nur damit beschäftigt, wie die Menschen in den abendländischen Gesellschaften diese zweifellos grundle­ genden Erfahrungen wahrgenommen haben: in den Prozess der Erkenntnis eines Objektbereichs einzutreten und dabei gleichzei­ tig sich selbst als Subjekte mit einem festen und determinierten Status zu konstituieren. Zum Beispiel: mit der Erkenntnis des

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Wahnsinns sich als vernünftiges Subjekt zu konstituieren; mit der Erkenntnis der Krankheit sich als lebendiges Subjekt zu konsti­ tuieren; mit der Erkenntnis der Ökonomie sich als arbeitendes Subjekt zu konstituieren; in einer bestimmten Beziehung zum Gesetz sich als Individuum zu erkennen... Überall dieses Phäno­ men, dass der Mensch ins Innere seines eigenen Wissens eingeht. Ich habe mich vor allem bemüht zu verstehen, wie der Mensch bestimmte Grenzerfahrungen in Erkenntnisobjekte verwandelt hat: den Wahnsinn, den Tod, das Verbrechen. Hier stößt man wieder auf Themen Georges Batailles, aber aufgenommen in eine kollektive Geschichte, die Geschichte des Abendlands und seines Wissens. Immer geht es um Grenzerfahrungen und um eine Ge­ schichte der Wahrheit. Ich bin gefangen, gefesselt in diesem Knäuel von Problemen. Was ich sage, hat keinen objektiven Wert, kann aber vielleicht dazu dienen, die Probleme, die ich zu stellen versucht habe, und den Gang der Dinge zu erhellen. Eine letzte Bemerkung zu den Elementen Ihrer intellektuellen Bildungsgeschichte: Ich möchte von der phänomenologischen Anthropologie sprechen und von dem Versuch, Phänomenologie und Psychoanalyse zu verknüpfen. Eine Ihrer frühesten Schriften aus dem Jahre 1954 ^st e^ne Einführung in Binswangers Traum und Existenz. Sie nehmen dort den Gedanken auf dass der Traum beziehungsweise das Imaginäre den ursprünglichen konstitutiven Raum des Menschen darstellt... Die Lektüre dessen, was man »Existentialanalyse« oder »phä­ nomenologische Psychiatrie« genannt hat, war für mich in der Zeit wichtig, als ich in psychiatrischen Krankenhäusern arbeitete und nach etwas suchte, was sich von den traditionellen Rastern des psychiatrischen Blicks unterschied: ein Gegengewicht. Gewiss hatten diese herrlichen Beschreibungen des Wahnsinns als einzig­ artige, unvergleichliche Grunderfahrung ihre Bedeutung. Ich glaube übrigens, dass auch Laing von all dem beeindruckt war; auch er hat sich lange an der Existentialanalyse orientiert (er auf eine mehr sartresche und ich auf eine mehr heideggersche Weise). Aber wir sind dabei nicht stehen geblieben. Laing hat in seiner ärztlichen Tätigkeit eine gewaltige Arbeit geleistet: Er war, mit Cooper, der eigentliche Begründer der Antipsychiatrie, während ich nur eine kritische historische Analyse geliefert habe. Doch die

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Existentialanalyse hat uns geholfen, das Beklemmende und Unter­ drückende im Blick und im Wissen der akademischen Psychiatrie schärfer und deutlicher zu erkennen. Inwieweit haben Sie dagegen die Lehre Lacans aufgenommen und verarbeitet? Zweifellos hat das, was ich von seinen Werken erfassen konnte, für mich eine Rolle gespielt. Aber ich habe seine Lehre nicht aus hinreichender Nähe verfolgt, um von ihr wirklich durchdrungen zu sein. Ich habe manche seiner Bücher gelesen; doch um Lacan zu verstehen, muss man ihn bekanntlich nicht nur lesen, sondern auch an seinem Unterricht teilnehmen, seine Seminare besuchen, eine Analyse absolvieren. Ich habe nichts davon getan. Ab 1955, als Lacan den wesentlichen Teil seiner Lehre lieferte, war ich schon im Ausland... Haben Sie lange außerhalb Frankreichs gelebt? Ja, mehrere Jahre lang. Ich habe im Ausland als Assistent und Lektor an den Universitäten von Uppsala, Warschau, Hamburg gearbeitet. Das war genau in der Zeit des Algerienkrieges. Ich habe ihn ein wenig als Ausländer erlebt. Und da ich die Ereignisse als Ausländer beobachtete, fiel es mir leicht, ihre Absurdität zu erkennen und klar zu sehen, worauf dieser Krieg notwendig hi­ nauslaufen würde. Natürlich war ich gegen den Konflikt. Aber weil ich im Ausland war und nicht unmittelbar erlebte, was in meinem Land vorging, war es für mich zwar nicht schwierig, einen klaren Blick zu behalten, doch ich musste auch nicht viel Courage beweisen; ich habe an dieser Erfahrung, die zu den ent­ scheidenden des modernen Frankreich gehört, persönlich nicht teilgenommen. Als ich zurückkehrte, hatte ich gerade das Manuskript von Wahnsinn und Gesellschaft abgeschlossen. In gewisser Weise war das Buch ein Nachhall der unmittelbaren Erfahrung dessen, was ich in jenen Jahren erlebt hatte. Ich meine die Erfahrung der schwedischen Gesellschaft, einer übermedizinalisierten, beschütz­ ten Gesellschaft, in der alle sozialen Gefahren in gewisser Weise durch subtile und ausgeklügelte Mechanismen abgemildert wur­ den - und die Erfahrung der polnischen Gesellschaft, wo die Mechanismen der Einschließung von ganz anderer Art waren... Diese beiden Typen von Gesellschaften sollten in den kommen­ den Jahren zu einer Art Obsession der westlichen Gesellschaft

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werden. Aber für Frankreich lag das weitab; Frankreich war im Fieber des Krieges und wurde von den Problemen geschüttelt, die das Ende der Kolonialzeit aufwarf. Fern der französischen Reali­ tät entstanden und von dieser Ferne geprägt, wurde Wahnsinn und Gesellschaft von Blanchot, Klossowski, Barthes sofort günstig aufgenommen. Unter den Ärzten und Psychiatern waren die Reaktionen unterschiedlich: ein gewisses Interesse bei einigen li­ beral oder marxistisch orientierten, wie Bonnafé; völlige Ableh­ nung dagegen bei anderen, konservativeren. Doch wie ich Ihnen schon sagte, blieb meine Arbeit alles in allem unbeachtet: Gleich­ gültigkeit, Schweigen vonseiten der Intellektuellen. Wie reagierten Sie auf diese Haltung? Wenig später wurde Wahnsinn und Gesellschaft seihst von denen, welche die Thesen des Buches nicht teilten, als ein Werk ersten Ranges anerkannt Wie erklären Sie sich diese anfängliche Quasi-Gleichgültigkeit? Ich gestehe Ihnen, dass ich ein wenig überrascht war; aber ich hatte Unrecht. Das intellektuelle Milieu Frankreichs stand noch unter dem Eindruck anderer Erfahrungen. Es dominierten Debat­ ten über den Marxismus, über Wissenschaft und Ideologie. Ich glaube, die Rezeptionsvorbehalte gegenüber Wahnsinn und Ge­ sellschaft erklären sich folgendermaßen: Erstens war es eine Arbeit historischer Forschung, und damals richtete sich die Auf­ merksamkeit vor allem auf die Theorie, die theoretische Debatte; zweitens galt ein Gebiet wie das der Geisteskrankheiten, der psy­ chiatrischen Medizin, als marginal, gemessen an der Komplexität der laufenden Debatte; und waren schließlich der Wahnsinn und die Irren nicht etwas, das sich am Rande der Gesellschaft befindet, etwas Marginales? Das waren, glaube ich, mehr oder weniger die Gründe für das Desinteresse derer, die sich auf der Höhe der ernsthaften politischen Diskussion glaubten. Ich war überrascht: Ich hatte geglaubt, es gebe in diesem Buch Dinge, die hätten interessieren müssen, weil ich den Versuch unternommen hatte zu erforschen, wie sich ein Diskurs mit wissenschaftlichem An­ spruch, die Psychiatrie, aus historischen Situationen heraus bildet. Ich hatte immerhin versucht, eine Geschichte der Psychiatrie zu schreiben ausgehend von den Veränderungen, die sich in den Pro­ duktionsweisen vollzogen und die die Bevölkerung in solcher Weise berührten, dass sich Probleme der Pauperisierung stellten, aber auch Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Ka­

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tegorien der Armen, Kranken und Irren zeigten. Ich war über­ zeugt, dass all das die Marxisten interessieren müsste. Stattdessen herrschte völliges Schweigen. Was hat denn Ihrer Meinung nach das Interesse an Ihrem Text Wiederaufleben lassen und sogar, wie wir wissen, heftige Polemi­ ken ausgelöst? Rückblickend lässt sich diese Rezeptionsgeschichte wahr­ scheinlich nachzeichnen. Die Reaktionen und Einstellungen än­ derten sich und wurden radikaler, als sich allmählich die Ereignis­ se von 1968 abzeichneten und dann eintraten. Die Probleme des Wahnsinns, der Einschließung, der Normalisierungsprozesse in einer Gesellschaft wurden ein dankbares Thema, besonders in den Kreisen der extremen Linken. Jeder, der es für nötig hielt, auf Distanz zu dem zu gehen, was sich zusammenbraute, nahm mein Buch als Zielscheibe und wies darauf hin, wie idealistisch es sei und wie es am Wesentlichen des Problems vorbeigehe. So be­ schloß l'Évolution psychiatrique, eine sehr wichtige Gruppe von Psychiatern in Frankreich, acht Jahre nach Erscheinen des Buches, in Toulouse einen ganzen Kongress abzuhalten, um Wahnsinn und Gesellschaft zu »exkommunizieren«. Selbst Bonnafé, ein mar­ xistischer Psychiater, der einer von denen gewesen war, die mein Buch mit Interesse aufgenommen hatten, als es herauskam, verur­ teilte es 1968 als ideologisches Werk. In dieser Konvergenz von Polemiken und dem wieder auflebenden Interesse für bestimmte Themen gewann Wahnsinn und Gesellschaft eine gewisse Aktua­ lität. Welche Folgen hatte die Reaktualisierung Ihres Diskurses in den Kreisen der Psychiater? In jenen Jahren gewann eine regelrechte Protestbewegung gegen die traditionelle Psychiatrie an Breite und brachte ein ganzes System stabil austarierter kultureller Verhält­ nisse ins Wanken. Kurz vor dem Krieg und vor allem in der Nachkriegszeit gab es eine regelrechte Bewegung, die die psychiatrische Praxis in Frage stellte, eine Bewegung, die unter den Psychiatern selbst entstand. Diese jungen Psychiater stürzten sich nach 1945 in Analysen, Reflexionen und Projekte. Was man »Antipsychiatrie« genannt hat, hätte also durchaus zu Beginn der fünfziger Jahre auch in Frankreich entstehen können. Wenn das nicht geschah, so meiner Ansicht nach aus folgenden Gründen: Zum einen standen viele

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dieser Psychiater dem Marxismus sehr nahe, wenn sie nicht gar Marxisten waren, und wurden deshalb dazu gebracht, ihre Auf­ merksamkeit auf das zu konzentrieren, was in der Sowjetunion geschah, das heißt auf Pavlov und die Reflexologie, auf eine ma­ terialistische Psychiatrie und ein ganzes Bündel von theoretischen und wissenschaftlichen Problemen, mit dem sie natürlich nicht sehr weit kommen konnten. Wenigstens einer von ihnen unter­ nahm in den Jahren 1954-1955 eine Studienreise in die Sowjet­ union. Aber ich wüsste nicht, dass er danach über diese Erfahrung gesprochen oder über dieses Thema geschrieben hätte. Ich glaube auch, und ich sage das ohne Aggressivität, dass das marxistische Klima sie zunehmend in eine Sackgasse geführt hat. Andererseits glaube ich, dass der Status der Psychiater, die ja überwiegend in Institutionen angestellt sind, viele sehr rasch dazu gebracht hat, die Psychiatrie im Jargon der gewerkschaftlichen Verteidigung von Arbeitnehmerrechten in Frage zu stellen. So gerieten diese Leute, die von ihren Fähigkeiten, ihren Interessen und ihrer Of­ fenheit für so viele Dinge her imstande gewesen wären, die Pro­ bleme der Psychiatrie zu stellen, in Sackgassen. Als sich in den sechziger Jahren die Antipsychiatrie rapide ausbreitete, nahmen sie ihr gegenüber eine ablehnende Haltung ein, die immer schärfer wurde und sogar aggressive Züge annahm. In diesem Moment wurde mein Buch auf den Index gesetzt, als wäre es das Evange­ lium des Teufels. Ich weiß, dass man in bestimmten Kreisen heute noch über Wahnsinn und Gesellschaft mit unglaublichem Ab­ scheu spricht. Wenn wir an die Polemiken zurückdenken, die Ihre Schriften ausgelöst haben, möchte ich jetzt an diejenigen erinnern, die sich in den sechziger Jahren an die hitzige Strukturalismus-Debatte an­ schlossen. Es gab damals eine angespannte Diskussion, in deren Verlauf mit kühnen Behauptungen nicht gespart wurde, zum Bei­ spiel vonseiten Sartres. Aber ich möchte Sie an andere Urteile über Ihr Denken erinnern: Roger Garaudy sprach von »abstraktem Strukturalismus«, Jean Piaget von »Strukturalismus ohne Struktu­ ren«, Michel Dufrenne von »Neopositivismus«, Henri Lefebvre von »Neo-Eleatismus«, Sylvie Le Bon von »verzweifeltem Positi­ vismus«, Michel Amiot von »Kulturrelativismus« oder »historisie­ rendem Skeptizismus« und so weiter: ein ganzes Bündel von Be­ merkungen und ein Gewirr verschiedener, sogar gegensätzlicher

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Sprachen, die sich in der Kritik an Ihren Thesen trafen, ungefähr nach der Veröffentlichung der Ordnung der Dinge. Aber dieses überhitzte Klima der französischen Kultur war höchstwahrschein­ lich eine Folge der umfassenderen Auseinandersetzung um den Strukturalismus. Wie schätzen Sie heute diese Urteile und, allge­ meiner gesprochen, die Bedeutung dieser Polemik ein? Diese Geschichte des Strukturalismus ist schwer zu entwirren, obgleich das sehr interessant wäre. Lassen wir einstweilen eine ganze Serie polemischer Erregungen beiseite mit all den theatrali­ schen und manchmal grotesken Zügen in ihren Formulierungen. Dazu würde ich ganz obenan die bekannteste Äußerung Sartres über mich stellen, in der ich als »das letzte ideologische Bollwerk der Bourgeoisie« bezeichnet wurde. Arme Bourgeoisie, wenn sie nur mich als Bollwerk hätte, so hätte sie die Macht längst ver­ loren! Dennoch muss man sich fragen, was in der Geschichte des Strukturalismus die Emotionen zu solcher Erbitterung steigern konnte. Ich halte die Leute für durchschnittlich vernünftig, aber wenn selbst sie die Kontrolle über ihre Äußerungen verlieren, muss darin etwas Wichtiges enthalten sein. Ich habe dazu eine Reihe von Vermutungen angestellt. Gehen wir zunächst von einer Beobachtung aus. Als »Strukturalisten« wurden Mitte der sechzi­ ger Jahre Leute bezeichnet, die völlig unterschiedliche Forschun­ gen betrieben hatten, denen allerdings eines gemeinsam war: Sie versuchten einer Form der Philosophie, der Reflexion und der Analysen ein Ende zu setzen oder aus dem Wege zu gehen, die wesentlich um die Behauptung des Primats des Subjekts kreiste. Das reichte vom Marxismus, der damals ganz vom Begriff der Entfremdung beherrscht wurde, über den phänomenologischen Existentialismus, mit der gelebten Erfahrung im Mittelpunkt, bis zu jenen Tendenzen der Psychologie, die in dem Bemühen, sich der menschlichen Erfahrung anzuschmiegen - sagen wir: im Namen der Selbsterfahrung -, das Unbewußte ablehnte. Das konnte Zornesausbrüche hervorrufen. Aber ich glaube, dass hinter diesem Gerangel doch etwas Tie­ feres lag, über das man damals wenig nachgedacht hat. Nämlich dass der eigentliche Strukturalismus offenkundig keine Entde­ ckung der Strukturalisten der sechziger Jahre und schon gar nicht eine französische Erfindung war. In Wirklichkeit geht er auf eine



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ganze Reihe von Forschungen zurück, die in den zwanziger Jah­ ren in der Sowjetunion und in Mitteleuropa unternommen wor­ den waren» Diese große kulturelle Expansion, die auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft, der Mythologie, der Folklore usw. der Russischen Revolution von 1917 vorausgegangen war und gewis­ sermaßen mit ihr zusammenfiel, wurde von der stalinistischen Dampfwalze überrollt, von ihren Zielen abgelenkt und sogar un­ terdrückt. In der Folge zirkulierte die strukturalistische Kultur schließlich in Frankreich, vermittelt über mehr oder weniger un­ terirdische und jedenfalls kaum bekannte Netze: denken Sie an die Phonologie Trubetzkoys, an den Einfluss von Propp auf Dumézil und Lévi-Strauss und so weiter. Mir scheint also, dass in der Ag­ gressivität, mit der beispielsweise bestimmte französische Marxis­ ten sich den Strukturalisten der sechziger Jahre entgegenstellten, gleichsam ein historisches Wissen enthalten war, das wir nicht hatten: Der Strukturalismus war auf kulturellem Gebiet das große Opfer des Stalinismus gewesen, eine Möglichkeit, mit welcher der Marxismus nichts anzufangen gewusst hatte. Ich glaube, Sie setzen da eine bestimmte kulturelle Strömung allzu hoch an, wenn Sie sie als Opfer bewerten. Die »stalinistische Dampfwalze«, wie Sie sagen, hat nicht nur den Strukturalismus von seinen Zielen abgeschnitten, sondern gleichermaßen eine gan­ ze Reihe kultureller und ideologischer Tendenzen und Ausdrucks­ formen, denen die Oktoberrevolution Anstöße gegeben hatte. Ich glaube nicht, dass man da klar trennen könnte. Zum Beispiel wur­ de ja auch der Marxismus selbst auf ein doktrinäres Lehrgebäude reduziert, zum Nachteil seiner kritischen Beweglichkeit, seiner Offenheit... Trotzdem bleibt die erstaunliche Tatsache zu erklären, warum ein so spezielles Phänomen wie der Strukturalismus in den sech­ ziger Jahren solche Leidenschaften entfachen konnte. Und warum hat man eine Gruppe von Intellektuellen als Strukturalisten defi­ nieren wollen, die keine waren oder zumindest dieses Etikett ab­ lehnten? Ich bleibe dabei, dass man den Schwerpunkt der Analyse verschieben muss, um darauf eine befriedigende Antwort zu fin­ den. Letztlich war das Problem des Strukturalismus in Europa nichts weiter als die Nachwirkung von Problemen, die sich in den osteuropäischen Ländern viel schärfer stellten. Dabei wären vor allem die Anstrengungen vieler sowjetischer, tschechoslowa­

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kischer usw. Intellektueller zu betrachten, die sich in der Epoche der Entstalinisierung bemühten, eine gewisse Autonomie gegen­ über der politischen Macht zu gewinnen und sich von den offi­ ziellen Ideologien zu befreien. Dafür stand ihnen nun genau diese gleichsam okkulte Tradition der zwanziger Jahre zur Verfügung, die ich erwähnt habe und die aus ihrer Perspektive einen doppel­ ten Wert hatte: Einerseits handelte es sich um eine der großen Neuerungen, die der Osten der westlichen Kultur anzubieten hat­ te (Formalismus, Strukturalismus und so weiter); andererseits war diese Kultur unmittelbar oder mittelbar mit der Oktoberrevolu­ tion verbunden, und ihre Hauptvertreter hatten sich darin wieder­ erkannt. Der Nebel lichtet sich: Während der Entstalinisierung versuchten die Intellektuellen, ihre Autonomie wiederzugewin­ nen, indem sie an die Fäden dieser kulturell prestigereichen Tradi­ tion anknüpften, die aus politischer Sicht nicht als reaktionär oder westlich behandelt werden konnte. Sie war revolutionär, und sie war im Osten entstanden. Daher die Absicht, diese Tendenzen im Denken und in der Kunst wiederzubeleben und wieder zu ver­ breiten. Ich glaube, dass die sowjetischen Autoritäten die Gefahr ganz richtig gespürt haben und keine offene Konfrontation ris­ kieren wollten, während viele intellektuelle Kräfte gerade darauf setzten. Mir scheint, dass die Ereignisse in Frankreich ein wenig die blinde und unfreiwillige Nachwirkung all dessen gewesen sind. Die mehr oder weniger marxistischen Milieus, die kommunisti­ schen oder vom Marxismus beeinflussten, müssen geahnt haben, dass der Strukturalismus, so wie er in Frankreich praktiziert wur­ de, etwas enthielt, das ein wenig wie das Totenglöcklein der tra­ ditionellen marxistischen Kultur klang. Eine linke, nicht marxis­ tische Kultur war im Werden. So werden gewisse Reaktionen verständlich, die gegen jene Forschungen zuerst den Technokra­ te- und dann den Idealismusvorwurf zu erheben suchten. Das Urteil der Temps modernes ähnelte bis aufs Haar dem Urteil der letzten Stalinisten oder den Urteilen, die zu Zeiten Chruscht­ schows über den Formalismus und den Strukturalismus vorge­ bracht wurden. Ich glaube, dass Sie auch da wieder etwas zu weit gehen, inso­ fern eine Ähnlichkeit im Urteil noch nicht bedeutet, dass die kul­ turellen oder gar politischen Positionen konvergieren...

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Ich will Ihnen zwei Anekdoten erzählen. Ich bin mir nicht völlig sicher, ob die erste authentisch ist; sie wurde mir 1974/75 von einem tschechischen Emigranten erzählt. Einer der größten westlichen Philosophen wurde Ende 1966 oder Anfang 1967 zu einem Vortrag nach Prag eingeladen. Die Tschechen erwarteten ihn wie den Messias; es handelte sich um den ersten großen nicht­ kommunistischen Intellektuellen, der in der Epoche heftiger kul­ tureller und sozialer Unruhe unmittelbar vor dem Prager Frühling eingeladen worden war. Man erwartete von ihm, dass er über das sprechen würde, was in Westeuropa mit der traditionellen mar­ xistischen Kultur nicht konform ging. Und dafür machte nun dieser Philosoph von Beginn seines Vortrages an jene Intellektuel­ lengruppen verantwortlich, die Strukturalisten, die im Dienste des Großkapitals stünden und versuchten, sich der großen ideologi­ schen Tradition des Marxismus in den Weg zu stellen. Wahr­ scheinlich glaubte er damit den Tschechen zu gefallen, indem, er ihnen eine Art ökumenischen Marxismus anbot. In Wirklichkeit untergrub er, was die Intellektuellen jenes Landes zu tun versuch­ ten. Gleichzeitig lieferte er den tschechischen Behörden eine au­ ßerordentlich wirksame Waffe, indem er es ihnen erlaubte, einen Angriff gegen den Strukturalismus zu lancieren, der nun sogar von einem nichtkommunistischen Philosophen als reaktionäre und bürgerliche Ideologie entlarvt worden war. Wie Sie sich den­ ken können, war die Enttäuschung groß. Ich komme jetzt zu der zweiten Anekdote. Deren Hauptperson war ich selbst, als ich 1967 eingeladen wurde, eine Reihe von Vor­ trägen in Ungarn zu halten. Ich hatte vorgeschlagen, die Themen der Debatte zu behandeln, die im Westen über den Strukturalis­ mus in Gang war. Alle Themen wurden akzeptiert. Alle Vorträge fanden im Audimax der Universität statt. Als jedoch der Moment kam, in dem ich über den Strukturalismus hätte sprechen müssen, wurde mir mitgeteilt, dass der Vortrag diesmal im Büro des Rek­ tors stattfinden solle; es sei ein so hochgestochenes Thema, sagte man mir, dass man nicht mit großem Interesse rechnen könne. Ich wusste, dass das eine Lüge war. Ich sprach darüber mit meinem jungen Dolmetscher, der mir sagte: »Es gibt drei Dinge, über die wir an der Universität nicht reden können: der Nazismus, das Horthy-Regime und der Strukturalismus.« Ich war bestürzt. Das ließ mich verstehen, warum das Problem des Strukturalismus

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ein Problem des Ostens ist und dass die hitzigen und wirren Diskussionen, die in Frankreich zu diesem Thema stattfanden, nur die indirekte, gewiss von niemandem recht begriffene Nach­ wirkung eines viel ernsteren und viel härteren Kampfes waren, der in den Ländern des Ostens geführt wurde. In welchem Sinne sprechen Sie von Nachwirkung? Hatte denn die Debatte, die in Frankreich geführt wurde, keine Eigenständig­ keit, die über die Frage des Strukturalismus hinausginge? All das macht besser verständlich, worum es bei der westlichen Debatte über den Strukturalismus eigentlich ging und warum sie mit solcher Heftigkeit geführt wurde. Mehrere wichtige Fragen wurden berührt: eine bestimmte Art, theoretische Probleme zu formulieren, in deren Mittelpunkt nicht das Subjekt stand; Ana­ lysen, die - obwohl völlig rational - doch keine marxistischen waren. Es war die Geburt eines theoretischen Reflexionstyps, der sich von der großen marxistischen Gehorsamspflicht löste. Die Werte, die im Osten umkämpft waren, und die dortigen Auseinandersetzungen wurden auf das übertragen, was im Westen stattfand. Ich verstehe noch nicht recht den Sinn dieser Übertragung. Das wieder erwachende Interesse an der strukturalen Methode und ihrer Tradition in den östlichen Ländern hat doch sehr wenig mit der Linie des theoretischen Antihumanismus zu tun, dessen Repräsentanten die französischen Strukturalisten waren... Was sich im Osten und was sich im Westen abspielte, war durchaus miteinander verwandt. Es ging um Folgendes: Inwieweit lassen sich Formen der Reflexion und der Analyse entwickeln, die weder irrational noch rechts sind, aber ebenso wenig dem mar­ xistischen Dogma gehorchen? Das war die Problematik, die von denen, die sich davor fürchteten, mit dem groben, Unterschiede verwischenden und Verwirrung stiftenden Ausdruck »Struktura­ lismus« diffamiert wurde. Und warum tauchte dieses Wort auf? Weil eben in der Sowjetunion und in den östlichen Ländern der Strukturalismus im Mittelpunkt der Debatte stand. Dort wie hier ging es darum, herauszufinden, inwieweit es möglich war, eine rationale, wissenschaftliche theoretische Forschung außerhalb der Gesetze und der Dogmatik des dialektischen Materialismus zu begründen. Das spielte sich im Osten wie im Westen ab. Mit jenem Unter­

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schied allerdings, dass es sich im Westen nicht um Strukturalismus im strengen Sinne handelte, während es in den Ländern des Ostens ebender Strukturalismus war, den man versteckt hat und den man nach wie vor versteckt. Das macht gewisse Bannflüche verständlicher... Seltsamerweise trafen diese Bannflüche aber auch Louis Althus­ ser; obwohl dessen Forschung sich uneingeschränkt mit dem Mar­ xismus identifizierte und sogar dessen getreueste Deutung zu sein beanspruchte. Wie erklären Sie sich dann, dass ein marxistisches Werk wie Das Kapital lesen und Ihr Buch Die Ordnung der Din­ ge, beide Mitte der sechzigerJahre veröffentlicht, aber ganz unter­ schiedlich orientiert, zur Zielscheibe ein und derselben antistrukturalistischen Polemik werden konnten? Was Althusser angeht, kann ich es Ihnen nicht genau sagen. Was mich betrifft, glaube ich, dass man mir die Veröffentlichung von Wahnsinn und Gesellschaft heimzahlen wollte, indem man statt dessen Die Ordnung der Dinge angriff. Wahnsinn und Gesell­ schaft hatte ein gewisses Unbehagen geweckt: Das Buch lenkte die Aufmerksamkeit von würdigen Themen auf minderwertige ab; statt von Marx zu sprechen, analysiert es so belanglose Dinge wie die Praktiken in Irrenhäusern. Der Skandal, zu dem es damals hätte kommen müssen, brach dann 1966 bei Erscheinen der Ord­ nung der Dinge los: Man bezeichnete das Buch als einen rein formalen, abstrakten Text. So etwas hätte man über mein erstes Buch über den Wahnsinn niemals sagen können. Hätte man sich wirklich aufmerksam mit Wahnsinn und Gesellschaft und danach mit der Geburt der Klinik beschäftigt, dann hätte man gemerkt, dass Die Ordnung der Dinge für mich keinesfalls ein »totales« Buch darstellte. Das Buch nahm eine bestimmte Perspektive ein, um eine Reihe von Fragen zu beantworten. Ich hatte weder meine ganze Methode dort hineingelegt noch alle Fragen darin behan­ delt, die mich beschäftigten. Im Übrigen bekräftige ich am Schluss des Buches wiederholt, dass es sich um eine Analyse auf der Ebe­ ne von Transformationen des Wissens und der Erkenntnis handelt und dass die ganze Arbeit auf der Ebene einer tiefen kausalen Erklärung noch zu tun bleibt. Hätten meine Kritiker meine frü­ heren Arbeiten gelesen oder sie nicht wenigstens vergessen wol­ len, so hätten sie erkennen müssen, dass ich dort einige dieser Erklärungen geliefert habe. Zumindest in Frankreich ist es eine

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fest verwurzelte Gewohnheit, ein Buch zu lesen, als wäre es gleichsam ein Absolutum; jedes Buch soll ganz für sich allein stehen. Dagegen habe ich meine Bücher als Serie verfasst: das Erste lässt Probleme offen, auf denen das Zweite gründet und die ein drittes anregen, ohne dass eine gerade Linie vom einen zum anderen führte. Sie kreuzen sich, sie schneiden sich. Sie würden also ein methodologisches Buch wie Die Ordnung der Dinge an explorative Bücher wie das über den Wahnsinn und das über die Klinik anschließen? Welche Probleme gaben Ihnen den Anstoß, zu einer systematischeren Erkenntnis überzugehen aus der Sie den Begriff der Episteme gewonnen habenyjener Ge­ samtheit von Regeln, welche die diskursiven Praktiken in einer gegebenen Kultur oder einer bestimmten historischen Epoche be­ herrschen? In der Ordnung der Dinge habe ich eine Analyse der Klassifikations-, Tabellierungs- und Koordinationsverfahren im Bereich des Erfahrungswissens entwickelt. Ein Problem, auf das ich schon hingewiesen hatte, als ich ihm bei der Arbeit an der Geburt der Klinik begegnet war, und das die Probleme der Biologie, der Me­ dizin und der Naturwissenschaften betraf. Auf das Problem der klassifikatorischen Medizin war ich dagegen schon gestoßen, als ich an Wahnsinn und Gesellschaft arbeitete, weil man begonnen hatte, eine analoge Methodologie im Bereich der Geisteskrankhei­ ten zu verwenden. All diese Dinge verwiesen aufeinander, äh­ nelten ein wenig einer Figur auf einem Schachbrett, die man von Feld zu Feld schiebt, manchmal im Zickzack, manchmal springend, doch immer auf demselben Schachbrett: Deshalb ent­ schloss ich mich, in einem Text den komplexen Rahmen systema­ tisch darzustellen, der im Zuge meiner Forschungen aufgetaucht war. So entstand Die Ordnung der Dinge: ein sehr technisches Buch, das sich vor allem an Techniker der Geschichte der Wissen­ schaften richtete. Ich hatte es im Anschluss an Diskussionen mit Georges Canguilhem verfasst und wollte mich hauptsächlich an Forscher wenden. Doch eigentlich waren das nicht die Probleme, die mich am meisten in Atem hielten. Ich habe Ihnen von Grenz­ erfahrungen erzählt: Das ist das Thema, das mich wirklich faszi­ nierte. Wahnsinn, Tod, Sexualität, Verbrechen sind für mich erre­ gendere Dinge. Die Ordnung der Dinge hingegen war für mich eine Art formaler Übung.

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Trotzdem werden Sie mir nicht weismachen wollen, Die Ord­ nung der Dinge sei für Sie nicht wichtig gewesen; mit diesem Text sind Sie in der Entwicklung Ihres Denkens einen großen Schritt vorangekommen. Das Untersuchungsfeld war nicht mehr die ur­ sprüngliche Erfahrung des Wahnsinns, sondern es ging um die Kriterien und die Organisation der Kultur und der Geschichte... Ich sage das nicht, um mich von den Ergebnissen zu distanzie­ ren, zu denen ich in dieser Arbeit gelangt bin. Aber Die Ordnung der Dinge ist nicht mein zentrales Buch, sondern eher ein margi­ nales, wenn ich an die Leidenschaft denke, die den anderen zu­ grunde liegt. Merkwürdigerweise ist Die Ordnung der Dinge je­ doch das Buch, das beim Publikum den größten Erfolg erlebte. Die Kritik war, von einigen Ausnahmen abgesehen, unglaublich heftig, und es hat sich besser verkauft als irgendeines meiner an­ deren Bücher, obwohl es das schwierigste ist. Ich sage das, um auf das Missverhältnis zwischen dem Konsum theoretischer Literatur und der Kritik dieser Bücher in den französischen Intellektuellen­ zeitschriften hinzuweisen, wie es für die sechziger Jahre typisch war. Mir ging es in diesem Buch darum, drei wissenschaftliche Prak­ tiken zu vergleichen. Unter wissenschaftlicher Praxis verstehe ich eine bestimmte Art, Diskurse zu regeln und zu konstruieren, die einen bestimmten Objektbereich definieren und zugleich den Platz des idealen Subjekts festlegen, das diese Objekte erkennen soll und kann. Ich fand es recht eigentümlich, dass drei unter­ schiedliche Bereiche, die in keinem praktischen Verhältnis zu­ einander stehen - Naturgeschichte, Grammatik und politische Ökonomie -, was ihre Regeln betrifft, mehr oder weniger im glei­ chen Zeitraum entstanden sind, Mitte des siebzehnten Jahrhun­ derts, und am Ende des achtzehnten die gleiche Art von Trans­ formation erfahren haben. Das war eine Arbeit des reinen Vergleichs zwischen heterogenen Praktiken. Es sollte also zum Beispiel nicht darum gehen, das Verhältnis zu charakterisieren, das möglicherweise zwischen dem Auftauchen der Analyse der Reichtümer und der Entwicklung des Kapitalismus besteht. Das Problem lag nicht darin, herauszubekommen, wie die politische Ökonomie entstand, sondern gemeinsame Punkte zwischen ver­ schiedenen diskursiven Praktiken zu finden: eine komparative Analyse der Prozeduren, die innerhalb des wissenschaftlichen

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Diskurses ablaufen. Das war ein Problem, für das man sich damals, abgesehen von einigen Wissenschaftshistorikern, wenig interes­ sierte. Grob gesagt, lautete und lautet bis heute die entscheidende Frage: Wie kann ein bestimmter Wissenstyp mit wissenschaft­ lichem Anspruch innerhalb einer realen Praxis auftauchen? Das ist auch heute noch ein aktuelles Problem, während die anderen nebensächlich erscheinen. Das entscheidende Problem ist die Herausbildung eines Wissens aus einer sozialen Praxis, die in der Ordnung der Dinge gleich­ wohl im Schatten blieb. Zu den schärfsten Spitzen der Kritik an dem Buch gehört, wie mir scheint, der Vorwurf des strukturalen Formalismus oder der Reduktion des Problems der Geschichte und der Gesellschaft auf eine Serie von Diskontinuitäten und Brüchen innerhalb der Struktur des Erkennens. Denen, die mich tadeln, dass ich dieses Problem nicht gestellt und mich ihm nicht gestellt habe, antworte ich, dass ich Wahnsinn und Gesellschaft geschrieben habe, damit man weiß, dass ich es nicht ignoriere. In der Ordnung der Dinge war davon nicht die Rede, einfach weil ich ein anderes Thema gewählt hatte. Man kann sich über die Berechtigung der Vergleiche streiten, die ich zwischen den verschiedenen diskursiven Praktiken angestellt ha­ be, aber man muss dabei im Auge behalten, dass es mir darum ging, eine Reihe von Problemen sichtbar zu machen. In der Ordnung der Dinge reduzieren Sie den Marxismus letzt­ lich auf eine Episode innerhalb der Epistemologie des neunzehnten Jahrhunderts. Es habe bei Marx keinen epistemologischen Bruch gegeben, der den Horizont einer ganzen Kultur verwandelte. Die­ se Unterbewertung des Marx’scben Denkens und seiner revolutio­ nären Tragweite rief lebhafte kritische Reaktionen hervor. .. Über diesen Punkt gab es in der Tat eine heftige Auseinander­ setzung: das war gleichsam eine Verletzung. In einer Zeit, in der es so sehr Mode geworden ist, Marx zu den schlimmsten Verant­ wortlichen der Gulags zu rechnen, könnte ich Anspruch darauf erheben, einer der Ersten gewesen zu sein, der das gesagt hat. Aber das trifft nicht zu: Ich habe meine Analyse auf die Marx’sche politische Ökonomie beschränkt. Ich habe niemals vom Marxis­ mus gesprochen, und wenn ich diesen Ausdruck gebraucht habe, so um damit die Theorie der politischen Ökonomie zu bezeich­ nen. Im Grunde glaube ich nicht, dass ich eine große Dummheit

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begangen habe mit der Behauptung, die marxistische Ökonomie gehöre - was ihre Grundbegriffe und die allgemeinen Regeln ihres Diskurses angeht - zu einem Typ diskursiver Formationen, der sich ungefähr zur Zeit Ricardos herauskristallisiert hat. Marx je­ denfalls hat selbst gesagt, dass seine politische Ökonomie in ihren Grundprinzipien in der Schuld Ricardos steht. Was war das Ziel dieser eigentlich nur marginalen Bezugnahme auf den Marxismus? Haben Sie nicht den Eindruck, dass es ein bisschen zu hastig war, das Urteil über den Marxismus im be­ schränkten Rahmen einer Abschweifung von höchstens zehn oder zwölf Seiten zu fällen? Ich wollte auf eine gewisse hagiographische Verherrlichung der marxistischen politischen Ökonomie reagieren, die sich aus dem historischen Schicksal des Marxismus als einer politischen Ideolo­ gie erklärt, die im neunzehnten Jahrhundert entstand und ihre Wirkungen im zwanzigsten hatte. Dennoch gehorcht der ökono­ mische Diskurs von Marx den Formationsregeln, die für wissen­ schaftliche Diskurse im neunzehnten Jahrhundert eigentümlich waren. Das zu sagen ist nichts Ungeheuerliches. Es ist merkwür­ dig, dass die Leute das nicht ertragen haben. Die traditionellen Marxisten wollten nicht im Mindesten dulden, dass man irgend­ etwas sagte, das Marx womöglich nicht die Position eines Grün­ dervaters zugebilligt hätte. Aber sie waren damals gar nicht einmal die aggressivsten Kritiker; ich glaube sogar, dass diejenigen Mar­ xisten, die sich am meisten für Fragen der ökonomischen Theorie interessierten, über meine Behauptungen gar nicht so empört wa­ ren. Wirklich schockiert waren die Neomarxisten, die sich damals gerade formierten und das im Allgemeinen gegen die traditionel­ len Intellektuellen der französischen kommunistischen Partei ta­ ten. Verstehen wir darunter diejenigen, die in den Jahren nach 1968 zu Marxisten-Leninisten oder gar Maoisten werden sollten. Für sie war Marx Gegenstand eines höchst wichtigen theoreti­ schen Kampfes, der natürlich gegen die bürgerliche Ideologie, aber auch gegen die kommunistische Partei geführt wurde, an der man ihre theoretische Trägheit und ihr Unvermögen kritisier­ te, irgendetwas außer Dogmen zu vermitteln. Das war bei dieser ganzen Generation KP-oppositioneller Mar­ xisten so, dass sie Marx als das Höchste verherrlichten und als Schwelle absoluter Wissenschaftlichkeit bewerteten, mit der sich

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die Weltgeschichte verändert habe. Sie haben mir nicht verziehen und schickten mir beleidigende Briefe... Wenn Sie von Marxisten-Leninisten oder von Maoisten spre­ chen, an wen denken Sie insbesondere? An diejenigen, die nach dem Mai 68 hypermarxistische Diskur­ se führten und dafür sorgten, dass die Maibewegung in Frankreich ein von Marx erborgtes Vokabular verbreitete, wie man es vorher nie gehört hatte, und die dann nach ein paar Jahren alles fallen ließen. Mit anderen Worten, den Ereignissen des Mai 68 ging eine maßlose Marx-Begeisterung voraus, eine umfassende Hypermarxisierung, für die das, was ich schrieb, unerträglich war, und sei es auch nur die eng begrenzte Feststellung: dass es sich um eine politische Ökonomie ricardianischen Typs handelt. Trotzdem war diese Verweigerungshaltung unter den schon auf­ gezählten anscheinend die letzte, wenn man sie der Reihe nach betrachtet: das Thema Strukturalismus, die Widerstände einer be­ stimmten marxistischen Tradition, die Dezentrierung der Philoso­ phie des Subjekts... Und, wenn Sie so wollen, auch die Tatsache, dass man einen im Grunde nicht allzu ernst nehmen konnte, der sich einerseits mit dem Wahnsinn beschäftigte und andererseits eine Geschichte der Wissenschaften auf eine so bizarre und merkwürdige Weise re­ konstruierte, gemessen an den Problemen, die man für wertvoll und wichtig hielt. All diese Gründe kamen zusammen und führten zu der großen Exkommunikation, dem Bannfluch, der von allen Seiten gegen Die Ordnung der Dinge geschleudert wurde: von Les Temps modernes, Esprit, Le Nouvel Observateur, von rechts, von links, von der Mitte. Von allen Seiten gab es Prügel. Eigentlich hätten sich von dem Buch nur zweihundert Exemplare verkaufen dürfen; tatsächlich waren es Zehntausende. Die zweite Hälfte der sechziger Jahre stellt einen entscheiden­ den Punkt in der Geschichte der europäischen Kultur dar, wenn man an die Umwälzungen denkt, die damals in der Luft lagen. Von einem historischen Verständnis dieser Zeit sind wir heute noch weit entfernt. War der Hypermarxismus wirklich ein Zeichen da­ für, dass Marx für bestimmte Zwecke eingespannt wurde, oder eine authentische Wiederaufnahme des Marx sehen Diskurses? Welche realen Prozesse liefen damals ab? Welcher Werthorizont tauchte damals auf? All das sind offene Probleme, die vielleicht

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noch nicht in den Begriffen formuliert worden sind, die man dafür braucht Wenn man gründlicher verstehen will, was sich vor und nach 1968 abgespielt hat, muss man gewiss auch Überlegungen anstel­ len, wie Sie sie angedeutet haben. Ich würde sagen, wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dass die damaligen Ereignisse nicht ihre richtige Theorie, ihr richtiges Vokabular gefunden hatten. Die Veränderungen, die im Gang waren, betrafen eine bestimmte Art Philosophie, eine bestimmte Art allgemeiner Reflexion, sogar eine bestimmte Art Kultur, grob gesagt: die der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Die Dinge lösten sich auf, und es gab kein geeignetes Vokabular, um diesen Prozess auszudrücken. Vielleicht war es so, dass die Leute in der Ordnung der Dinge etwas wieder­ erkannt haben, das irgendwie anders war, während sie gleichzeitig empört darüber waren, dass es nicht das Vokabular der aktuellen Ereignisse war. Und was ereignete sich? Zum einen erlebte Frankreich das En­ de der Kolonialepoche; und dass Frankreich im Machtgefüge der Weltordnung nur noch Provinz war, ist ein Punkt, den man nicht vernachlässigen darf in einem Land, dessen Kultur so stark auf nationale Begeisterung ausgerichtet war. Zum anderen die Desil­ lusionierung über die Sowjetunion; immer deutlicher trat all das hervor, was man seit Tito, seit der Entstalinisierung, seit Budapest möglichst hatte vertuschen wollen. Es vollzog sich eine fortschrei­ tende Umwälzung der Schemata und Werte, vor allem in den Milieus der Linken. Schließlich ist an den Algerienkrieg zu er­ innern. Die meisten derer, die den Krieg am radikalsten bekämpf­ ten, waren bei uns Mitglieder der kommunistischen Partei oder standen ihr zumindest sehr nahe. Aber sie wurden bei diesen Aktionen von der Partei nicht unterstützt, die sich während des Krieges uneindeutig verhielt. Und dafür zahlte sie einen hohen Preis: indem sie zunehmend die Kontrolle über die jungen Leute, die Studenten, verlor, so dass es schließlich zu den großen Oppo­ sitionsbewegungen 1968-1970 kam. Mit dem Algerienkrieg ging übrigens in Frankreich eine lange Periode zu Ende, in der man auf der Linken naiv geglaubt hatte, kommunistische Partei, gerechter Kampf und gerechte Sache seien ein und dasselbe. Bis dahin kam man, selbst wenn man die Partei kritisierte, trotz allem zuletzt doch immer zu einer positiven Bilanz. Und das galt, alles in allem,

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auch für die Sowjetunion. Nach Algerien wurde diese Art un­ bedingter Gefolgschaft brüchig. Natürlich war es nicht einfach, diese neue kritische Position zu formulieren, weil es an einem geeigneten Vokabular fehlte, sofern man nicht dasjenige überneh­ men wollte, das die Kategorien der Rechten anboten. Vor diesem Problem stehen wir noch immer. Und das ist einer der Gründe dafür, dass so viele Fragen durcheinander gerieten und dass die theoretischen Debatten ebenso hitzig wie konfus geführt wurden. Ich will damit sagen: den Stalinismus, die Politik der Sowjetunion, die Schwankungen der KPF in kritischen Be­ griffen zu denken, ohne dabei in die Sprache der Rechten zu ver­ fallen - das war keine einfache Sache. Ich würde Ihnen zustimmen. Aber was das Vokabular angeht: Mit der Archäologie des Wissens nahmen Sie an der bis dahin erarbeiteten Begrifflichkeit der Episteme und der diskursiven For­ mationen eine nachträgliche Verschiebung vor.; und zwar durch die Einführung des Begriffs der Aussage als der materiellen oder in­ stitutioneilen Bedingung des wissenschaftlichen Diskurses. Glau­ ben Sie nicht, dass dieser spürbare Orientierungswechsel - der auch Ihr gegenwärtiges Forschungsfeld noch zu bestimmen scheint - sich in gewisser Weise auch dem Klima., den theoretischen und praktischen Umwälzungen verdankt, die sich in den Jahren 196819/0 vollzogen haben? Nein. Ich habe die Archäologie des Wissens vor 1968 geschrie­ ben, auch wenn sie erst 1969 veröffentlicht wurde. Diese Arbeit war ein Echo auf die Diskussionen über den Strukturalismus, der - wie mir schien - in den Köpfen arge Verwirrung angerichtet hatte. Sie haben etwas weiter oben die Kritik Piagets an mir er­ wähnt. Nun, ich erinnere mich, dass gerade damals ein Schüler Piagets mir einen seiner Texte zusandte, in dem er darlegte, inwie­ fern bei mir eine Theorie des Strukturalismus fehle, auch wenn ich durchaus eine strukturale Analyse durchgeführt hätte. Einige Mo­ nate später veröffentlichte Piaget seinerseits ein Buch, in dem er von mir als einem Theoretiker des Strukturalismus sprach, bei dem freilich die Analyse der Strukturen fehle. Also genau das Gegenteil dessen, was sein Schüler meinte. Sie sehen, wenn nicht einmal ein Lehrer und sein Schüler sich darüber einigen können, was Strukturalismus und Struktur bedeuten, dann geht die Dis­ kussion in die Irre und wird nutzlos. Selbst die Kritiker meiner

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Arbeiten wussten nicht recht, wovon sie redeten. Dabei habe ich selbst zu zeigen versucht, wie sich meine sämtlichen Arbeiten um eine Reihe ganz ähnlicher Probleme drehten: nämlich wie es mög­ lich wäre, dieses eigenartige Objekt - die diskursiven Praktiken im Bezugssystem ihrer internen Regeln und der Bedingungen ih­ res Auftauchens - zu analysieren. So entstand die Archäologie des Wissens. Mit dem Jahr 1968 gewann eine andere theoretische Strömung an Wert und behauptete sich als Bezugspunkt von beträchtlicher Bedeutung für die Kultur der Jugend. Ich meine die Frankfurter Schule - Adorno, Horkheimer und vor allem Marcuse standen mit ihren Werken im Mittelpunkt der ideologischen Auseinanderset­ zungen der Studenten. Kampf gegen die Repression, AntiautoritarismuSy Flucht aus der Zivilisation, radikale Negation des Systems: lauter Schlagworte, mit denen die Massen der jungen Leute in mehr oder weniger konfusen Debatten um sich warfen. Ich wüßte gern, wie sich Ihr Denken zu dieser theoretischen Strömung stellt, nicht zuletzt weil mir scheinty dass Sie diesen Punkt niemals direkt behandelt haben. Man müsste genauer in Erfahrung bringen, wie es geschehen konnte, dass die Frankfurter Schule in Frankreich so lange igno­ riert werden konnte, obwohl mehrere ihrer Vertreter in Paris ge­ arbeitet haben, nachdem der Nazismus sie von den deutschen Universitäten vertrieben hatte. Erst im Zusammenhang mit dem Marcuse'schen Denken und mit seinem »Freudomarxismus« begann man mit einem gewissen Nachdruck von der Frankfurter Schule zu reden. Was mich be­ trifft, wusste ich wenig darüber. Ich hatte einige Texte von Hork­ heimer gelesen, die aus einem breiteren Diskussionszusammen­ hang hervorgegangen waren; ich begriff nicht recht, worum es dabei ging, verspürte darin aber eine gewisse Nachlässigkeit im Umgang mit dem analysierten historischen Material. Ich begann mich für die Frankfurter Schule zu interessieren, nachdem ich ein sehr bemerkenswertes Buch von Otto Kirchheimer über die Me­ chanismen der Bestrafung gelesen hatte, das in den USA geschrie­ ben worden war. Heute habe ich begriffen, dass die Repräsentanten dieser Schule - früher als ich - Thesen vertraten, die auch ich seit Jahren geltend zu machen versuche. Das erklärt sogar eine gewisse Irritation bei

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einigen Leuten, als sie sahen, dass in Frankreich wenn nicht die gleichen, so doch ganz ähnliche Dinge getan wurden; schon um der Aufrichtigkeit und der theoretischen Fruchtbarkeit willen hätte man die Frankfurter Schule in Frankreich viel gründlicher zur Kenntnis nehmen und studieren müssen. Was mich betrifft, so glaube ich, dass die Philosophen dieser Schule Probleme gestellt haben, mit denen wir uns noch immer abmühen: insbesondere das der Machteffekte in Verbindung mit einer Rationalität, die sich historisch, geographisch, im Abendland vom sechzehnten Jahr­ hundert an definiert hat. Ohne die Einübung dieser bestimmten Form von Rationalität hätte das Abendland seine eigentümlichen ökonomischen und kulturellen Erfolge nicht haben können. Wie wäre nun aber diese Rationalität von den Mechanismen, den Pro­ zeduren, den Techniken, den Effekten der Macht zu trennen, die mit ihr einhergehen und die uns so unerträglich sind, dass wir sie als typische Form der Unterdrückung in den kapitalistischen und vielleicht auch in den sozialistischen Gesellschaften bezeichnen? Könnte man daraus nicht schließen, dass sich das Versprechen der Aufklärung, durch Ausübung der Vernunft die Freiheit zu gewin­ nen, sich in eine Herrschaft ebendieser Vernunft verkehrt hat, die immer mehr den Platz der Freiheit usurpiert? Das ist ein Grund­ problem, mit dem wir uns alle herumschlagen, das sich vielen stellt, ob es nun Kommunisten sind oder nicht. Bekanntlich war es Horkheimer, der vor allen anderen dieses Problem herausge­ arbeitet und kenntlich gemacht hat; und es war die Frankfurter Schule, die von dieser Hypothese aus die Frage gestellt hat, wie sich Marx dazu verhält. Hat nicht Horkheimer behauptet, die klassenlose Gesellschaft, wie Marx sie sich vorgestellt habe, ähnele einer riesigen Fabrik? Sie legen dieser Denkströmung große Bedeutung bei Worauf führen Sie es zurück, dass die Frankfurter Schule die theoretischen Resultate, die Sie eben kurz zusammengefasst haheny vorwegneh­ men beziehungsweise diese Einsichten gewinnen konnte? Ich glaube, die Philosophen der Frankfurter Schule hatten bes­ sere Möglichkeiten in Deutschland, das, was in der Sowjetunion geschah, ganz aus der Nähe zu erkennen und zu analysieren. Und das im Rahmen eines heftigen und dramatischen politischen Kampfes, als der Nazismus die Weimarer Republik zu Grabe trug, in einer kulturellen Welt, in welcher der Marxismus und die theo­

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retische Reflexion über Marx mehr als fünfzig Jahre lang Tradition hatten. Wenn ich die Verdienste der Philosophen der Frankfurter Schu­ le anerkenne, so tue ich es mit dem schlechten Gewissen von jemandem, der ihre Bücher früher hätte lesen, sie früher hätte verstehen sollen. Hätte ich ihre Bücher gelesen, so hätte ich eine Menge Dinge nicht sagen müssen, und mir wären Irrtümer erspart geblieben. Vielleicht wäre ich, wenn ich die Philosophen dieser Schule in meiner Jugend kennen gelernt hätte, von ihnen so be­ geistert gewesen, dass ich nichts weiter hätte tun können, als sie zu kommentieren. Man weiß nicht, soll man sich nun über solche retrospektiven Einflüsse freuen oder betrübt sein, über Leute, die man erst nach der Zeit entdeckt, in der sie Einfluss auf einen hätten ausüben können? Bis jetzt haben Sie mir nur gesagt, was Sie an der Frankfurter Schule so fasziniert; doch ich wüsste gern, wie und warum Sie sich von ihr unterscheiden. Zum Beispiel stammt von den Frankfurter Philosophen und ihrer Schule eine deutliche Kritik am französi­ schen Strukturalismus - ich erinnere Sie etwa an die Schriften von Alfred Schmidt zu Lévi-Strauss, zu Althusser und auch zu Ihnen, in denen Sie als jemand bezeichnet werden, der alles in allem »die Geschichte leugnet«. Gewiß gibt es Differenzierungen. Schematisch und vorläufig könnte man behaupten, dass die Konzeption des Subjekts, welche die Frankfurter Schule vertrat, eine ziemlich traditionelle, ihrem Wesen nach philosophische war; sie war weitgehend geprägt vom marxistischen Humanismus. Auf diese Weise erklärt sich ihre spe­ zielle Anknüpfung an bestimmte Freud'sche Begriffe, etwa das Verhältnis zwischen Entfremdung und Repression, zwischen Be­ freiung und der Aufhebung von Entfremdung und Ausbeutung. Ich glaube nicht, dass die Frankfurter Schule zugeben könnte, dass wir nicht unsere verlorene Identität wiederzufinden, unsere gefangene Natur zu befreien, unsere fundamentale Wahrheit her­ auszustellen haben, sondern vielmehr auf etwas ganz anderes zu­ gehen müssen. Wir umkreisen da einen Satz von Marx: Der Mensch erzeugt den Menschen. Wie ist das zu verstehen? Meiner Ansicht nach ist das, was erzeugt werden soll, nicht der Mensch, so wie ihn die Natur vorgezeichnet hat oder wie sein Wesen es vorschreibt; wir

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haben etwas zu schaffen, das noch nicht existiert und von dem wir nicht wissen können, was es sein wird. Ich stimme, was das Wort »erzeugen« [produire] angeht, nicht mit denen überein, welche die Produktion des Menschen durch den Menschen nach dem Muster der Produktion des Wertes, der Produktion des Reichtums oder eines ökonomischen Gebrauchs­ gegenstands verstehen würden; es geht ebenso sehr um die Zer­ störung dessen, was wir sind, und um die Schöpfung von etwas ganz anderem, einer völligen Innovation. Nun scheint mir, dass die Vorstellung, die sich die Vertreter der Frankfurter Schule von dieser Erzeugung des Menschen durch den Menschen machten, wesentlich darin bestand, zu meinen, es müsse all das befreit wer­ den, was in einem System, das Rationalität mit Repression ver­ bindet, oder in einem Ausbeutungssystem, das mit einer Klassen­ gesellschaft verbunden ist, den Menschen von seinem eigentlichen Wesen entfremdet hat. Der Unterschied liegt wahrscheinlich in der 'Weigerung oder in der Unfähigkeit der Philosophen dieser Schule, den Ursprung des Menschen in einem historisch-genealogischen Sinne statt in meta­ physischen Begriffen zu denken. In Frage steht dabei das Thema beziehungsweise die Metapher vom Tod des Menschen. Wenn ich vom Tod des Menschen spreche, möchte ich allem ein Ende setzen, das dieser Erzeugung des Menschen durch den Men­ schen eine feste Erzeugungsregel, ein wesentliches Ziel vorgeben will Als ich in der Ordnung der Dinge diesen Tod als etwas dar­ gestellt habe, das sich in unserer Epoche vollzieht, habe ich mich getäuscht. Ich habe zwei Aspekte miteinander verwechselt. Der Erste ist ein eher untergeordnetes Phänomen: die Feststellung, dass in den verschiedenen Humanwissenschaften, die sich entwi­ ckelt haben - eine Erfahrung, in die der Mensch seine eigene Subjektivität hineingelegt und in der er diese Subjektivität zu­ gleich transformiert hat-, der Mensch am Ende seiner langen und verschlungenen Wege niemals sich selbst begegnet ist. Wenn es das Versprechen der Humanwissenschaften war, uns den Men­ schen zu entdecken, so haben sie es gewiss nicht gehalten; es handelte sich dabei eher um eine allgemeine kulturelle Erfahrung, nämlich die Konstitution einer neuen Subjektivität, vermittelt durch eine Operation, die das menschliche Subjekt auf ein Er­ kenntnisobjekt reduziert.

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Der zweite Aspekt, den ich mit dem ersten verwechselt habe, besteht darin, dass die Menschen im Laufe ihrer Geschichte nie­ mals aufgehört haben, sich selbst zu konstruieren, das heißt ihre Subjektivität beständig zu verschieben, sich in einer unendlichen und vielfältigen Serie unterschiedlicher Subjektivitäten zu konsti­ tuieren. Diese Serie von Subjektivitäten wird niemals zu einem Ende kommen und uns niemals vor etwas stellen, das »der Mensch« wäre. Die Menschen treten ständig in einen Prozess ein, der sie als Objekte konstituiert und sie dabei gleichzeitig ver­ schiebt, verformt, verwandelt - und der sie als Subjekte umge­ staltet. Das war es, was ich sagen wollte, als ich undeutlich und vereinfachend vom Tod des Menschen sprach; aber ich gebe nichts Grundsätzliches auf. An dieser Stelle besteht eine Unvereinbar­ keit mit der Frankfurter Schule. Wie schlägt sich der Abstand zu den Vertretern der Frankfurter Schule, der sich im Verhältnis zum antihumanistischen Diskurs äußerty in der Art des Geschichtsverständnisses und in der Art der historischen Analyse nieder? Das Verhältnis zur Geschichte ist etwas, was mich an den Ver­ tretern der Frankfurter Schule enttäuscht hat. Mir schien, dass sie wenig Geschichte im eigentlichen Sinne treiben, dass sie sich auf Forschungen beziehen, die andere unternommen haben, auf die bereits vorliegende und beglaubigte Geschichtsschreibung einer Reihe guter, vorwiegend marxistisch gesinnter Historiker, die sie als Erklärungshintergrund anbieten. Einige von ihnen behaupten, ich leugnete die Geschichte. Sartre behauptet das, glaube ich, eben­ falls. Man könnte ihnen entgegnen, dass sie die Geschichte gierig verschlingen, die ihnen andere zubereitet haben. Sie verschlingen sie unzerkaut, als fertiges Produkt. Ich will damit nicht sagen, jeder müsse selbst die Geschichte konstruieren, die seinen Bedürfnissen entspricht; aber tatsächlich ist es so, dass ich mit den Arbeiten der Historiker nie ganz zufrieden war. Auch wenn ich auf viele histo­ rische Studien Bezug genommen und mich ihrer bedient habe, habe ich mir immer Vorbehalten, in den Bereichen, die mich inte­ ressierten, die historischen Analysen selbst vorzunehmen. Ich glaube, dass die Philosophen der Frankfurter Schule dage­ gen einem anderen Gedankengang folgen, wenn sie von der Ge­ schichte Gebrauch machen; und zwar nehmen sie an, dass die Arbeit des Berufshistorikers ihnen gewissermaßen das materielle

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Fundament liefert, das Phänomene eines anderen Typs zu erklären vermag, solche zum Beispiel, die sie als soziologische oder psy­ chologische bezeichnet haben. Eine derartige Haltung unterstellt zweierlei: Zum einen fällt das, worüber die Philosophen sprechen, nicht unter dieselbe Kategorie wie die erlebte Geschichte (was sich im Kopf von jemandem abspielt, ist ein soziales Phänomen, das ihm nicht zugehört); andererseits hat eine historische Darstel­ lung, sobald man eingeräumt hat, dass sie gut gemacht ist und von der Ökonomie spricht, von sich aus bereits den Wert einer Er­ klärung. Eine solche Argumentation ist jedoch allzu bescheiden und gleichzeitig allzu leichtgläubig. Zu bescheiden, denn letztlich ge­ hört das, was sich im Kopf eines Einzelnen oder einer Reihe von Individuen abspielt und was in ihren Diskursen geschieht, ebenso wohl zur Geschichte: Etwas sagen ist ein Ereignis. Einen wissen­ schaftlichen Diskurs halten, das ist nichts, was in einen Bereich oberhalb oder außerhalb der Geschichte fiele, sondern gehört zur Geschichte ebenso wie eine Schlacht, die Erfindung einer Dampf­ maschine oder eine Epidemie. Natürlich sind das Ereignisse un­ terschiedlichen Typs, aber es sind Ereignisse. Wenn irgendein Arzt dummes Zeug über den Wahnsinn äußert, gehört das ebenso zur Geschichte wie die Schlacht von Waterloo. Zudem scheint mir - welche Bedeutung ökonomischen Analy­ sen auch immer zukommen mag - die Annahme naiv, eine Ana­ lyse. die sich auf Veränderungen der ökonomischen Basis stützt, habe als solche bereits den Wert einer Erklärung (nebenbei gesagt, eine typische Naivität von Leuten, die keine Berufshistoriker sind). Das muss absolut nicht so sein. Ich nehme ein Beispiel: Vor einigen Jahren hat man sich mit einem gewissen Interesse gefragt, warum sich während des achtzehnten Jahrhunderts die Verbote auf sexuellem Gebiet so sehr vermehrt haben, insbeson­ dere Verbote, welche die Masturbation bei Kindern betreffen. Manche Historiker wollten das Phänomen mit dem Hinweis da­ rauf erklären, dass sich seinerzeit das Heiratsalter verschoben ha­ be und die jungen Leute länger zölibatär leben mussten. Nun ist diese demographische Tatsache, die natürlich mit ökonomischen Gründen eng zusammenhängt, gewiss wichtig, sie erklärt aber nicht das Verbot: Warum sollte man einerseits im Jahr unmittelbar vor der Heirat mit der Masturbation beginnen? Und selbst wenn

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man zugibt, dass die Verschiebung des Heiratsalters große Massen junger Leute jahrelang zur Ehelosigkeit zwang, versteht man an­ dererseits nicht, warum die Reaktion darauf eine Verschärfung der Repression sein musste und nicht etwa größere sexuelle Freiheit. Es mag sein, dass das spätere Heiratsalter nebst allem, was diese Verzögerung mit der Produktionsweise verbinden mag, unent­ behrlich ist, wenn es darum geht, das Phänomen verständlich zu machen. Doch wenn es sich um so komplexe Phänomene wie die Produktion eines Wissens oder eines Diskurses mit seinen inneren Mechanismen und Regeln handelt, ist eine solche Verständlichkeit viel schwieriger herzustellen. Wahrscheinlich wird man nicht zu einer einzigen, ausschließlichen Erklärung gelangen, die mit dem Begriff der Notwendigkeit operiert. Es wäre schon viel, wenn man eine Verbindung zwischen dem, was man zu analysieren ver­ sucht, und einer ganzen Serie damit zusammenhängender Phäno­ mene nachweisen könnte. Meinen Sie denn, dass die Ausführung einer theoretischen Re­ flexion immer mit einer bestimmten Ausarbeitung des historischen Materials verknüpft ist? Wäre Denken also nichts anderes als eine Weise, Geschichte zu schreiben oder zu interpretieren? Die Art von Verständlichkeit, die ich herstellen möchte, lässt sich nicht auf die Projektion einer Geschichte - sagen wir: einer ökonomisch-sozialen Geschichte - auf ein kulturelles Phänomen reduzieren, etwa so, dass dieses Phänomen als notwendiges und äußeres Produkt jener Ursache erkennbar würde. Es gibt keine einseitige Notwendigkeit: Auch das kulturelle Produkt ist Teil des historischen Gewebes. Das ist der Grund, warum ich mich auch gehalten fühle, selbst historische Analysen anzustellen. Mich als jemanden darstellen, der die Geschichte leugnet, ist wirklich amü­ sant. Ich schreibe nichts als Geschichte. Die Geschichte zu leug­ nen heißt für sie, nicht jene unantastbare, heilige und alles erklä­ rende Geschichte zu verwenden, die sie in Anspruch nehmen. Natürlich hätte ich, wenn ich gewollt hätte, in meinen Arbeiten auch die eine oder andere Seite eines Mathiez oder eines anderen Historikers zitieren können. Ich habe es nicht getan, weil ich nicht dieselbe Art von Analyse praktiziere. Das ist alles. Diese Vorstel­ lung, ich lehnte die Geschichte ab, stammt weniger von Fachhis­ torikern als aus philosophischen Kreisen, wo man nicht sonder­ lich viel von dem gleichzeitig distanzierten und respektvollen

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Verhältnis versteht, das eine solche historische Analyse erfordert. Da sie ein solches Verhältnis zur Geschichte nicht gutheißen kön­ nen, ziehen sie den Schluss, ich leugnete die Geschichte. Während des Mai 68 und unmittelbar danach nahmen in Paris zahlreiche französische Intellektuelle an den studentischen Kämp­ fen teil; eine Erfahrung, welche die Frage des Engagements, des Verhältnisses zur Politik, der Möglichkeiten und Grenzen kultu­ reller Aktivitäten erneut und in neuen Begriffen stellte. Unter diesen Intellektuellen taucht Ihr Name nicht auf Zumindest bis 1970 nahmen Sie an der Debatte nicht teil, die andere Gestalten der französischen intellektuellen Welt damals sehr berührte. Wie haben Sie den Mai 68 erlebt, und was hat er für Sie bedeutet? Im Mai 68 war ich, ebenso wie während des Algerienkrieges, nicht in Frankreich: immer ein bisschen zeitversetzt, am Rande. Wenn ich nach Frankreich zurückkehre, dann immer mit einem etwas fremden Blick, und was ich sage, findet nicht immer An­ klang. Ich erinnere mich, dass Marcuse einmal in tadelndem Ton fragte, was Foucault während der Barrikaden des Mai gemacht habe. Nun, ich war in Tunesien. Und ich muss hinzufügen, dass das eine wichtige Erfahrung war. Ich hatte im Leben Glück: In Schweden sah ich ein gut funk­ tionierendes sozialdemokratisches Land; in Polen eine schlecht funktionierende Volksdemokratie. Ich habe die Bundesrepublik Deutschland während ihrer ökonomischen Expansion Anfang der sechziger Jahre unmittelbar erlebt. Und schließlich habe ich, zweieinhalb Jahre lang, in einem Land der dritten Welt gelebt, in Tunesien. Eine beeindruckende Erfahrung: Kurz vor dem franzö­ sischen Mai gab es dort sehr heftige Studentenrevolten. Es war März 1968: Streiks, Vorlesungssprengungen, Festnahmen und Ge­ neralstreik der Studenten. Die Polizei drang in die Universität ein, knüppelte zahlreiche Studenten nieder, verletzte mehrere von ih­ nen und warf sie ins Gefängnis. Manche wurden zu acht, zehn und sogar vierzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Einige sind immer noch dort. In meiner Stellung als Professor, als Franzose, war ich in gewisser Weise vor den örtlichen Autoritäten sicher, was es mir leicht gemacht hat, eine Reihe von Aktionen zu unternehmen und gleichzeitig aufmerksam zu beobachten, wie die französische Re­ gierung auf all das reagierte. Ich hatte eine genaue Vorstellung von dem, was in den Universitäten der Welt geschah.



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Ich war tief beeindruckt von diesen Mädchen und diesen Jun­ gen, die sich erheblichen Risiken aussetzten, wenn sie ein Flug­ blatt verfassten, es verteilten oder zum Streik aufriefen. Das war für mich eine wirkliche politische Erfahrung. Wollen Sie sagen, dass Sie eine direkte politische Erfahrung ge­ macht haben? Ja. Von meiner Mitgliedschaft in der KPF ist mir an politischer Erfahrung - über all die Ereignisse hinweg, die im Laufe der Jahre folgten und über die ich mit Ihnen sprach - nur ein bisschen höchst spekulative Skepsis geblieben. Ich verhehle es nicht. Auch während des Algerienkrieges habe ich nicht direkt an politischen Aktionen teilnehmen können, und wenn ich es getan hätte, dann hätte ich damit nicht meine persönliche Sicherheit aufs Spiel ge­ setzt. In Tunesien dagegen sah ich mich veranlasst, den Studenten Unterstützung zu leisten, aus nächster Nähe etwas ganz anderes kennen zu lernen, etwas, das sich von all dem Brummen der In­ stitutionen und der politischen Diskurse in Europa unterschied. Ich denke beispielsweise an das, was der Marxismus bedeutete, die Art, wie er bei uns funktionierte, als wir in den Jahren 19501952 Studenten waren; ich denke an das, was er in einem Land wie Polen darstellte, wo ihn die meisten jungen Leute (unabhängig von ihren sozialen Verhältnissen) total verabscheuten, wo man ihn als Katechismus lehrte; ich erinnere mich auch an die kalten akademischen Diskussionen über den Marxismus, an denen ich Anfang der sechziger Jahre in Frankreich teilgenommen habe. In Tunesien dagegen beriefen sich alle auf den Marxismus, mit radikaler Gewalt und Intensität und mit beeindruckendem Elan. Für die jungen Leute stellte der Marxismus nicht nur eine bessere Weise dar, die Realität zu analysieren, sondern zugleich eine Quelle moralischer Energie, das Bekenntnis zu ihm war gleichsam ein existentieller Akt von außerordentlicher Tragweite. Ich fühle mich überwältigt von Bitterkeit und Enttäuschung, wenn ich an die Diskrepanz dachte zwischen der Art, wie die tunesischen Stu­ denten Marxisten waren, und dem, was ich vom Funktionieren des Marxismus in Europa (in Frankreich, Polen und in der Sow­ jetunion) wusste. Sehen Sie, das bedeutete Tunesien für mich: Ich musste in die politische Debatte eintreten. Nicht im Mai 68 in Frankreich, son­ dern im März 68 in einem Land der dritten Welt.

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Sie räumen dem Charakter eines existentiellen Akts, der mit einer politischen Erfahrung verbunden ist, große Bedeutung ein. Warum? Haben Sie vielleicht den Eindruck, dass darin die einzige Gewähr für Authentizität liegt, und glauben Sie nicht, dass für die jungen Tunesier eine Verbindung zwischen ihrer ideologischen Wahl und der Entschlossenheit bestand, mit der sie handelten? Was kann in der heutigen Welt bei einem Individuum die Lust, die Neigung, die Fähigkeit und die Möglichkeit zu einem unbe­ dingten Opfer wecken? Ohne dass man darin den geringsten Ehr­ geiz oder den geringsten Wunsch nach Macht und Gewinn ver­ muten könnte? Das war es, was ich in Tunesien gesehen habe, den Beweis für die Notwendigkeit des Mythos, einer Spiritualität, die Unerträglichkeit bestimmter Situationen, die Kapitalismus, Kolo­ nialismus und Neokolonialismus hervorrufen. In einem solchen Kampf war die Frage des direkten, existentiel­ len, ich möchte sagen: physischen Engagements unumgänglich. Ich glaube nicht, dass die theoretische Bezugnahme dieser Kämp­ fe auf den Marxismus das Entscheidende war. Ich will sagen: Die marxistische Schulung der tunesischen Studenten reichte nicht sehr tief, und sie bemühten sich auch nicht um deren Vertiefung. Die eigentliche Debatte zwischen ihnen über die Wahl von Taktik und Strategie, über das, wofür sie sich entscheiden mussten, ging an den verschiedenen Deutungen des Marxismus vorbei. Wichtig war etwas ganz anderes. Ohne eine politische Ideologie oder eine politische Weltanschauung wäre der Kampf zweifellos nicht aus­ gebrochen; dagegen waren die Exaktheit der Theorie und ihre Wissenschaftlichkeit völlig zweitrangige Fragen, die eher als Trug­ bild dienten denn als Anweisung zu korrektem und richtigem Verhalten. Fanden Sie nicht auch in Frankreich die Zeichen dieser leben­ digen und unmittelbaren Teilnahme, die Sie in Tunesien erfahren hatten? Welche Beziehungen haben Sie zwischen diesen beiden Erfahrungen hergestellt? Was brachte Sie nach dem Mai zu dem Entschluss, mit den studentischen Kämpfen in Kontakt zu treten, einen Dialog zu entwickeln, Vergleiche zu ziehen, die Sie schließ­ lich dazu veranlassen sollten, bei verschiedenen Gelegenheiten Stellungnahmen abzugeben und sich direkt in Bewegungen wie derjenigen der Groupe d'information sur les prisons über die Situation in den Gefängnissen zu engagieren - an der Seite von

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Intellektuellen wie Sartre, Jean-Marie Domenach und Maurice Clavel? Als ich im November-Dezember 1968 nach Frankreich zurück­ kehrte, war ich eher überrascht, erstaunt und sogar enttäuscht, gemessen an dem, was ich in Tunesien erlebt hatte. Wie gewalt­ sam, wie leidenschaftlich die Kämpfe auch geführt worden sein mögen, sie hatten doch niemals denselben Preis, kosteten niemals dieselben Opfer. Es gibt keinen Vergleich zwischen den Barrika­ den des Quartier Latin und dem realen Risiko, wie in Tunesien, fünfzehn Jahre Gefängnis zu bekommen. In Frankreich war die Rede von Hypermarxismus, von Entfesselung der Theorien, von Verdammungen, von Sektenbildung. Das war genau das Gegen­ teil, das Umgekehrte, der Gegensatz zu dem, was mich in Tune­ sien so leidenschaftlich erregt hatte. Das erklärt vielleicht die Einstellung, mit der ich von da an die Dinge zu betrachten versucht habe, meinen Abstand zu jenen unendlichen Diskussionen, jener hypertrophen Marxisierung, je­ ner nicht zu stillenden Diskursivität, die 1969 das universitäre Leben kennzeichnete, vor allem in Vincennes. Ich habe versucht, Dinge zu tun, welche ein persönliches, physisches und reales En­ gagement voraussetzten und die Probleme in konkreten, präzisen, situativ definierten Begriffen stellten. Erst aus dieser Perspektive könnte man sich an die erforder­ lichen Analysen machen. Ich habe mit der Arbeit in der G.I.P. über die Probleme der Gefangenen versucht, eine Grunderfahrung zu machen. Ein bisschen war es für mich auch die Gelegenheit, an dem weiterzuarbeiten, was mich in Untersuchungen wie Wahn­ sinn und Gesellschaft, Die Geburt der Klinik und während meiner Erfahrungen in Tunesien beschäftigt hatte. Wenn Sie den Mai 68 ins Gedächtnis zurückrufen, sprechen Sie darüber immer in einem Ton, der dazu neigt, die Tragweite dieses Ereignisses herunterzuspielen; Sie scheinen an ihm nur die groteskey ideologisierende Seite zu sehen. Auch wenn es richtig ist, seine Grenzen zu betonen, vor allem die Beschränktheiten der Sektenbildungy glaube ich doch nicht, dass man das Phänomen dieser Massenbewegung, die sich in fast ganz Europa gezeigt hat, unter­ bewerten dürfte. Der Mai 68 hat, ohne jeden Zweifel, ganz außerordentliche Bedeutung gehabt. Ohne den Mai 68 hätte ich gewiss niemals

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geschrieben, was ich über das Gefängnis, die Delinquenz, die Se­ xualität geschrieben habe. In dem Klima vor 1968 war das nicht möglich. Ich wollte nicht sagen, der Mai 68 habe für mich keine Bedeutung gehabt; aber manche seiner besonders ins Auge ste­ chenden, ganz oberflächlichen Aspekte Ende 1968 und Anfang 1969 waren mir völlig fremd. Was wirklich im Spiel war und was die Dinge wirklich verändert hat, war in Frankreich und in Tunesien im Grunde das Gleiche. Nur endete die Sache in Frank­ reich damit, dass der Mai 68 sich gewissermaßen gegen sich selbst kehrte und verschüttet wurde unter der Bildung von Sekten und der Pulverisierung des Marxismus in kleine Dogmengebäude, die einander in Grund und Boden verdammten. Aber letztlich hatten sich die Dinge in einer solchen Weise geändert, dass ich mich bei der Rückkehr nach Frankreich diesmal wohler fühlte als in den Jahren 1962 und 1966. Die Sachen, mit denen ich mich beschäf­ tigte, begannen Gemeingut zu werden. Probleme, die in der Ver­ gangenheit kein Echo gefunden hatten, allenfalls in der englischen Antipsychiatrie, gewannen Aktualität. Doch um weiterzukom­ men, um den Diskurs zu vertiefen, musste ich zuerst diese zugleich harte und zerspaltene Kruste der Grüppchen und der unendlichen theoretischen Diskussionen durchstoßen. Mir schien künftig eine neue, veränderte Art von Beziehungen und von gemeinsamer Ar­ beit zwischen Intellektuellen und Nicht-Intellektuellen möglich. Aber auf welchen Grundlageny mit welchen Diskursen und wel­ chen Inhalten wurde dieses Verhältnis hergestellt, nachdem es kei­ ne gemeinsame Sprache mehr gab? Es stimmt, ich habe nicht das Vokabular benutzt, das damals am meisten en vogue war. Ich bin anderen Wegen gefolgt. Und trotz­ dem gab es in gewissem Sinne Berührungspunkte: es gelang, sich auf der Ebene konkreter Sorgen, realer Probleme verständlich zu machen. So kam es, dass sich eine Menge von Leuten leidenschaft­ lich erregten, wenn von den Irrenanstalten, vom Wahnsinn, von den Gefängnissen, von der Stadt, von der Medizin, vom Leben, vom Tod, von all den ganz konkreten existentiellen Aspekten die Rede war, die so viele theoretische Fragen aufwarfen. Ihre Inauguralvorlesung am College de France, die danach un­ ter dem Titel Die Ordnung des Diskurses veröffentlicht wurde, datiert von 1970. Ausgehend von einer Analyse der Ausschlie­ ßungsverfahren, die den Diskurs kontrollieren, beginnen Sie in

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dieser akademischen Abhandlung damit, deutlicher als zuvor das Verhältnis zwischen Wissen und Macht zu bestimmen. Die Frage der Herrschaft, welche die Macht auf die Wahrheit ausübt, also die Frage nach dem Willen zur Wahrheit, bezeichnet eine neue, wich­ tige Etappe Ihres Denkens. Wie kamen Sie dazu, dieses Problem in diesen Begriffen zu stellen oder vielmehr zu lokalisieren? Und wie, glauben Sie, traf sich die Thematik der Macht, so wie Sie sie entwickelt haben, mit den Bestrebungen der Bewegung der jungen Leute von 1968? Worum ging es mir während meines ganzen bisherigen Lebens? Was bedeutete dieses tiefe Unbehagen, das ich in der schwedi­ schen Gesellschaft verspürte? Und das Unbehagen, das ich in Polen empfand? Viele Polen gaben durchaus zu, dass die materiel­ len Lebensbedingungen gegenüber früheren Zeiten besser gewor­ den seien. Ich frage mich auch, was dieser Elan einer radikalen Revolte bedeuten sollte, den die Studenten von Tunis gezeigt hat­ ten. Worum ging es dabei jedes Mal? Um die Art und Weise der Machtausübung, nicht nur der Staatsmacht, sondern auch derje­ nigen, die sich über andere Institutionen oder Formen des Zwangs durchsetzt, eine Art permanenter Unterdrückung im Alltagsle­ ben. Was man kaum ertrug, was unablässig in Frage gestellt wur­ de, was jenes Unbehagen hervorrief und worüber man seit zwölf Jahren nicht gesprochen hatte, das war die Macht. Und nicht nur die Staatsmacht, sondern diejenige, die im Inneren des Gesell­ schaftskörpers ausgeübt wird, über ganz unterschiedliche Kanäle, Formen und Institutionen. Man wollte nicht mehr regiert werden - im weiten Sinne des Wortes Regierung. Ich spreche nicht von der Staatsregierung in dem Sinne, den der Ausdruck im öffent­ lichen Recht hat, sondern von jenen Menschen, die unser alltäg­ liches Leben mit Hilfe von Befehlen, Anweisungen, direkten oder indirekten Einflüssen - etwa denen der Medien - lenken. Als ich Wahnsinn und Gesellschaft schrieb, als ich an der Geburt der Klinik arbeitete, glaubte ich eine genealogische Geschichte des Wissens zu schreiben. Aber der eigentliche rote Faden war dieses Problem der Macht. Im Grunde habe ich nichts anderes unternommen als den Ver­ such, zu verfolgen, wie eine bestimmte Anzahl von Institutionen, die im Namen von Vernunft und Normalität zu funktionieren

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beginnen, ihre Macht auf Gruppen von Individuen ausgeübt ha­ ben, auf deren Verhaltensweisen, Seinsweisen, Weisen des Han­ delns und Sprechens, die als Anomalie, Wahnsinn, Krankheit und so weiter konstituiert werden. Im Grunde habe ich nichts anderes geschrieben als eine Geschichte der Macht. Heute sind sich alle einig, dass es sich beim Mai 68 um eine Rebellion gegen eine ganze Reihe von Formen der Macht gehandelt habe, die mit be­ sonderer Intensität auf bestimmte Altersklassen in bestimmten so­ zialen Milieus ausgeübt wurde. Aus all diesen Erfahrungen, meine eigenen eingeschlossen, tauchte ein Wort auf, ähnlich denen, die mit unsichtbarer Tinte geschrieben wurden und auf dem Papier sichtbar werden, wenn man es mit dem richtigen Reagens behan­ delt: das Wort Macht. Seit Beginn der siebziger Jahre bis heute haben Sie Ihren Dis­ kurs über die Macht und die Machtbeziehungen in Artikeln, Inter­ views, Dialogen mit Studenten, jungen linksradikalen Aktivisten, Intellektuellen präzisiert. Diese Serie von Reflexionen haben Sie dann auf einigen Seiten des Buches Der Wille zum Wissen zusam­ mengefasst. Ich möchte Sie fragen, ob wir hier ein neues Erklä­ rungsprinzip des Realen vor uns haben, wie viele bemerkt haben, oder ob es sich um etwas anderes handelt. Es gab grobe Fehldeutungen, vielleicht habe ich mich aber auch schlecht ausgedrückt. Ich habe niemals behauptet, die Macht sei das, was alles erklärt. Mein Problem bestand nicht darin, an die Stelle einer ökonomischen Erklärung eine Erklärung durch die Macht zu setzen. Ich habe versucht, die verschiedenen Analysen, die ich zur Frage der Macht angestellt habe, zu koordinieren, zu systematisieren, ohne ihnen das zu rauben, was an ihnen noch empirisch, das heißt, was an ihnen gewissermaßen noch blind war. Für mich ist die Macht das, was es zu erklären gilt. Wenn ich mir die Erfahrungen vergegenwärtige, die ich in den heutigen Ge­ sellschaften gemacht habe, oder die historischen Forschungen, die ich durchgeführt habe, stoße ich immer wieder auf die Frage der Macht. Kein theoretisches System - sei es die Geschichtsphiloso­ phie, die allgemeine Theorie der Gesellschaft oder sogar die poli­ tische Theorie - vermag diese Frage angemessen zu behandeln, jene Machttatsachen, Machtmechanismen, Machtbeziehungen zu erklären, die im Problem des Wahnsinns, der Medizin, des Ge­

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fängnisses und so weiter am Werk sind. Mit den Machtbeziehun­ gen, diesem Bündel empirischer Tatsachen, auf die noch wenig Licht gefallen ist, habe ich mich herumzuschlagen versucht: als etwas, was erklärungsbedürftig war, und gewiss nicht als Erklä­ rungsprinzip für alles andere. Doch ich bin erst am Anfang meiner Arbeit, ich bin damit natürlich noch nicht fertig. Auch deshalb verstehe ich nicht, wie man hat sagen können, für mich sei die Macht eine Art abstraktes Erklärungsprinzip, das sich als solches aufzwingt, für das ich aber selbst wiederum keinerlei Rechen­ schaft gebe. Aber das hat bisher niemand getan. Ich gehe schrittweise vor, prüfe nacheinander verschiedene Bereiche, um zu sehen, wie sich eine allgemeine Konzeption der Beziehungen zwischen der Kon­ stitution eines Wissens und der Ausübung von Macht entwickeln ließe. Ich stehe erst ganz am Anfang. Eine der Bemerkungen, die man über die Art und Weise machen könnte, wie Sie das Thema der Macht angehen, lautet folgender­ maßen: Die extreme Parzellierung oder Lokalisierung der Fragen führt letztlich dazu, dass jeder Übergang von einer; sagen wir.; korporativen Dimension in der Analyse der Macht zu einer Ge­ samtschau, in der das spezielle Problem seinen Platz findet, un­ möglich wird. Das ist eine Frage, die mir häufig gestellt wird: Sie werfen be­ grenzte Probleme auf, beziehen aber niemals Stellung zu Gesamt­ entscheidungen. Gewiss, die Probleme, die ich formuliere, betref­ fen immer begrenzte und spezielle Fragen. Das gilt für den Wahnsinn und die psychiatrischen Institutionen oder auch für die Gefängnisse. Wenn wir Probleme streng, präzise und in einer Weise stellen wollen, in denen sie sich ernsthaft untersuchen las­ sen, muss man sie dann nicht gerade in ihren eigentümlichsten und konkretesten Formen aufsuchen? Mir scheint, dass keiner der vor­ liegenden großen Diskurse über die Gesellschaft überzeugend ge­ nug ist, dass man ihm vertrauen könnte. Wenn man andererseits wirklich etwas Neues errichten will oder jedenfalls möchte, dass sich die großen Systeme einer Reihe von realen Problemen öffnen* muss man die Gegebenheiten und die Fragen dort suchen, wo sie sind. Und im Übrigen bezweifle ich, dass der Intellektuelle mit seinem Buchwissen und seiner akademisch-gelehrten Forschung allein die wirklichen Probleme der Gesellschaft, in der er lebt,

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formulieren kann. Im Gegenteil, eine der ersten Formen der Zu­ sammenarbeit mit Nicht-Intellektuellen besteht gerade darin, ihre Probleme anzuhören und mit ihnen an der Formulierung dieser Probleme zu arbeiten: Was sagen die Irren? Wie sieht das Leben in einem psychiatrischen Krankenhaus aus? Welche Arbeit tut ein Krankenpfleger? Wie reagieren sie? Vielleicht habe ich mich schlecht ausgedrückt, Ich bestreite nicht die Notwendigkeit, begrenzte und, wenn es sein muss, sogar radi­ kal begrenzte Probleme zu stellen. Erst recht bin ich empfänglich für das, was Sie über die intellektuelle Arbeit sagen. Trotzdem scheint mir, dass eine gewisse partikularisierende Behandlungswei­ se der Probleme am Ende die Möglichkeit beseitigt, sie mit ande­ ren zu einem Gesamtbild einer bestimmten historischen und poli­ tischen Situation zusammenzufügen. Man kommt aus theoretischen und politischen Gründen nicht darum herum, die Probleme zu lokalisieren. Aber das bedeutet nicht, dass sie keine allgemeinen Probleme wären. Was wäre letzt­ lich in einer Gesellschaft allgemeiner als die Art, wie sie ihr Ver­ hältnis zum Wahnsinn bestimmt? Wie sie sich als vernünftig re­ flektiert? Wie sie der Vernunft und ihrer Vernunft Macht verleiht? Wie konstituiert sie ihre Rationalität, und wie bringt sie es fertig, diese für die Vernunft schlechthin auszugeben? Wie etabliert sie im Namen der Vernunft die Macht der Menschen über die Dinge? Immerhin eine der allgemeinsten Fragen, die man einer Gesell­ schaft nach ihrem Funktionieren und ihrer Geschichte stellen kann. Oder: Wie grenzt man das, was legal ist, von dem ab, was es nicht ist? Die Macht, die dem Gesetz verliehen ist, die Effekte der Aufteilung, die das Gesetz in eine Gesellschaft einführt, die Zwangsmechanismen, die das Funktionieren des Gesetzes stüt­ zen, gehören ebenso zu den allgemeinsten Fragen, die man einer Gesellschaft stellen kann. Es ist gewiss richtig, dass ich die Pro­ bleme in lokalen Begriffen formuliere; aber ich glaube, dass es mir dadurch möglich wird, Probleme sichtbar werden zu lassen, die mindestens ebenso allgemein sind wie diejenigen, die man als solche zu betrachten gewohnt ist. Ist die Herrschaft der Vernunft letztlich nicht ebenso allgemein wie die Herrschaft der Bourgeoi­ sie? Wenn ich von einem Gesamtbild sprach, so meinte ich damit im Wesentlichen die politische Dimension eines Problems und seine

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notwendige Eingliederung in eine Aktion oder in ein Programm, die einerseits breiter angelegt, andererseits mit bestimmten histo­ risch-politischen Kontingenzen verbunden sind. Die Allgemeinheit, die ich sichtbar zu machen versuche, ist von anderer Art. Und wenn man mir vorwirft, nur lokale Probleme zu formulieren, so verwechselt man den lokalen Charakter meiner Analysen, die Probleme sichtbar machen sollen, mit einer be­ stimmten Allgemeinheit, die gewöhnlich die Historiker, die So­ ziologen, die Ökonomen und so weiter ansetzen. Die Probleme, die ich formuliere, sind nicht weniger allgemein als jene, die von den politischen Parteien oder von den großen theoretischen Institutionen formuliert werden, die festlegen, wel­ ches die großen gesellschaftlichen Probleme sind. Es ist zum Bei­ spiel nie vorgekommen, dass die kommunistischen oder die so­ zialistischen Parteien bei ihrer Arbeit die Analyse der Macht der Vernunft über die Unvernunft auf die Tagesordnung gesetzt hät­ ten. Vielleicht ist das nicht ihre Aufgabe. Aber wenn das nicht ihr Problem ist, ist das Ihre nicht unbedingt meines. Was Sie sagen, ist völlig akzeptabel Aber mir scheint, Sie be­ stätigen eine gewisse Abgeschlossenheit oder einen gewissen Un­ willen dagegen, Ihren Diskurs genau zur Ebene der Politik hin zu öffnen... Aber wie kommt es, dass die großen theoretisch-politischen Apparate, welche die Kriterien für den Konsens in unserer Ge­ sellschaft festlegen, niemals auf so allgemeine Probleme reagiert haben, wie ich sie formuliere? Wenn ich das Problem des Wahn­ sinns aufgeworfen habe, das ein generelles Problem in jeder Ge­ sellschaft und ein besonders wichtiges in der Geschichte der unsrigen ist: Wie kommt es, dass man darauf zuerst mit Schweigen und dann mit ideologischer Verdammung reagiert hat? Wenn ich, neben anderen, versucht habe, in Zusammenarbeit mit denen, die aus dem Gefängnis kamen, in Zusammenarbeit mit Bewährungs­ helfern und mit den Familien von Inhaftierten, das Problem des Gefängniswesens in Frankreich konkret zu stellen -- wissen Sie, wie die KPF darauf geantwortet hat? Eine ihrer lokalen Tages­ zeitungen aus der Pariser Banlieue hat die Frage gestellt, warum wir noch nicht ins Gefängnis gesteckt worden seien, wir, die wir diese Arbeit taten, und welche Beziehungen wir zur Polizei haben müssten, wenn diese uns tolerierte.

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Darum sage ich: »Wie kann man mir vorwerfen, keine allge­ meinen Probleme zu formulieren, niemals Stellung zu beziehen zu den großen Fragen, die von den großen politischen Parteien auf­ geworfen werden?« In Wirklichkeit formuliere ich allgemeine Probleme, und man überhäuft mich mit Bannflüchen; und wenn man dann merkt, dass Bannflüche nichts bewirken, oder wenn man vielmehr zugestehen muss, dass die aufgeworfenen Probleme eine gewisse Bedeutung haben, dann hält man mir vor, nicht im­ stande zu sein, eine ganze Reihe von Fragen eben in allgemeinen Begriffen zu stellen. Aber ich lehne diese Art von Allgemeinheit ab, die im Übrigen, so wie sie angelegt ist, in erster Linie dazu dient, entweder mich in die Probleme einzumauern, die ich for­ muliere, oder mich von der Arbeit auszuschließen, die ich tue. Ich bin es, der ihnen die Frage stellt: Warum verweigert ihr euch den Problemen, die ich aufwerfe? Ich kenne die Episode nicht, die Sie mir eben über Ihre Arbeit an den Problemen des Gefängniswesens berichtet haben. Jeden­ falls ging es mir nicht um Ihre Beziehungen zur französischen Politik, insbesondere zur Politik der KPE Meine Frage war allge­ meiner. Jedes lokalisierte Problem erfordert stets Lösungen, seien sie auch provisorisch und nicht von Dauer; in politischen Begriffen. Daraus erwächst die Notwendigkeit, die Sichtweise einer be­ stimmten Analyse am Maßstab der realen Möglichkeiten zu über­ prüfen, so dass sich zwischen beiden ein Veränderungs- und Trans­ formationsprozess entwickeln kann. In dieser Balance zwischen lokalisierter Situation und allgemeinem Rahmen liegt die Aufgabe der Politik. Auch das ist eine Bemerkung, die mir gegenüber oft gemacht wird: »Sie sagen nie, was Ihre konkreten Lösungen für die Pro­ bleme wären, die Sie formulieren; Sie machen keine Vorschläge. Die politischen Parteien sind dagegen gezwungen, sich zu dieser oder jener Situation zu verhalten; Sie, mit Ihrer Haltung, helfen ihnen dabei nicht.« Ich werde darauf antworten: Aus Gründen, die zutiefst mit meiner politischen Wahl - im weiten Sinne des Wortes - Zusammenhängen, will ich auf keinen Fall die Rolle von jemandem spielen, der Lösungen vorgibt. Ich bin der Ansicht, dass die Rolle des Intellektuellen heute nicht darin besteht, das Gesetz zu machen, Lösungen vorzuschlagen, zu prophezeien; denn in dieser Funktion trägt er zwangsläufig dazu bei, eine be­

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stimmte Machtsituation zu zementieren, die meines Erachtens kritisiert werden muss. Ich verstehe, warum die politischen Parteien es vorziehen, Be­ ziehungen zu Intellektuellen zu unterhalten, die Lösungen anbie­ ten. Auf diese Weise können sie mit ihnen Beziehungen von Gleich zu Gleich herstellen; der Intellektuelle macht einen Vor­ schlag, die Partei kritisiert ihn oder formuliert einen anderen. Ich lehne das Funktionieren des Intellektuellen als Alter Ego, als Double und zugleich als Alibi der politischen Partei ab. Aber glauben Sie nicht, dass Ihnen - mit Ihren Schriften, Ihren Artikeln, Ihren Interviews - eine Rolle zukommt, egal welche, und welche wäre das? Meine Rolle besteht darin, effektiv und möglichst rigoros Fra­ gen zu stellen; Fragen, die so komplex und so diffizil sind, dass eine Lösung nicht mit einem Schlag aus dem Kopf irgendeines reformerischen Intellektuellen oder aus dem Kopf des Politbüros einer Partei entspringen kann. Die Fragen, die ich zu stellen ver­ suche und die so verwickelt sind wie das Verbrechen, der Wahn­ sinn, der Sex, Dinge zudem, die unser alltägliches Leben berühren, sind nicht leicht zu lösen. Es bedarf jahrelanger, jahrzehntelanger Arbeit an der Basis mit den direkt Betroffenen, die das Recht haben müssen, selbst das Wort zu ergreifen, und es bedarf politi­ scher Phantasie. Vielleicht wird es dann gelingen, eine Situation zu erneuern, die - so, wie sie heute formuliert wird - nur in Sackgas­ sen und Blockaden führt. Ich hüte mich, Gesetze zu geben. Ich versuche eher, Probleme zu formulieren, sie wirken zu lassen, sie in einer Komplexität darzustellen, welche die Propheten und die Gesetzgeber zum Schweigen bringt, all jene, die für die anderen und vor den anderen sprechen. Folglich kann auch erst dann die Komplexität des Problems in seiner Verbindung mit dem Leben der Leute sichtbar werden, und erst dann kann sich auch die Legitimität einer gemeinsamen Arbeit erweisen - über konkrete Fragen, schwierige Fälle, Revolten, Reflexionen, Zeugnisse der Betroffenen. Es geht darum, wenn nicht Lösungen zu finden, so doch Schritt für Schritt spürbare Modifikationen zu bewirken, zumindest die Gegebenheiten des Problems zu verändern. Es ist eine gesellschaftliche Arbeit, der ich den Weg bahnen möchte, eine Arbeit innerhalb des Körpers der Gesellschaft und an der Gesellschaft. Ich möchte selbst an dieser Arbeit teilneh-

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men, ohne Verantwortung an irgendeinen Spezialisten zu delegie­ ren, an mich so wenig wie an andere. So handeln, dass sich im Inneren der Gesellschaft selbst die Gegebenheiten des Problems verändern und die Sackgassen sich öffnen. Kurz, Schluss machen mit den Wortführern. Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel nennen. Vor zwei oder drei Jahren war die italienische Öffentlichkeit erschüttert über den Fall eines Jungen, der seinen Vater getötet und damit einer tragischen Geschichte von Schlägen und Erniedrigungen ein Ende gesetzt hatte, denen er und seine Mutter ausgesetzt waren. Wie wäre über diesen Mord zu urteilen, in diesem Falle begangen von einem Minderjährigen auf dem Höhepunkt einer Serie unerhörter väter­ licher Gewalttaten? Ratlosigkeit der Richter und Staatsanwälte, die öffentliche Meinung tief gespalten, hitzige Diskussionen. Das ist eine Situation, in der man eine Lösung finden muss, gewiss eine vorläufige, für ein höchst delikates Problem. Und da kommt es nun darauf an, Gegensätzliches abzuwägen und eine politische Wahl zu treffen. Der minderjährige Mörder erhielt, gemessen an den geltenden Strafbestimmungen, eine verhältnismäßig niedrige Strafe; und natürlich streitet man immer noch darüber. Müsste man nicht in derartigen Situationen Stellung beziehen? Ich wurde von Italien um Erklärungen zu dieser Affäre gebe­ ten. Ich habe geantwortet, dass ich die Situation nicht kenne. Aber etwas Ähnliches ist in Frankreich passiert. Ein junger Mann von dreißig Jahren hatte zuerst seine Frau getötet, dann ein zwölf­ jähriges Mädchen zum Analverkehr gezwungen und ihm dann mit Hammerschlägen den Rest gegeben. Nun hatte der Mörder mehr als fünfzehn Jahre in psychiatrischen Anstalten verbracht (ungefähr vom zehnten bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr): Die Gesellschaft, die Psychiater, die medizinischen Institutionen hatten ihn für unzurechnungsfähig erklärt, indem sie ihn in Ver­ wahrung nahmen und ihn sein Leben unter abscheulichen Bedin­ gungen führen ließen. Er kam heraus und beging zwei Jahre später jenes schreckliche Verbrechen. Also jemand, der, bis gestern für unzurechnungsfähig erklärt, nun mit einem Mal verantwortlich sein soll. Aber das Erstaunlichste an dieser Affäre ist, dass der Mörder erklärte: »Es stimmt, ich bin verantwortlich; ihr habt aus mir ein Ungeheuer gemacht, und da ich ein Ungeheuer bin, schlagt mir folglich den Kopf ab.« Er wurde zu »lebenslänglich«

verurteilt. Nun war es so, dass ich in meinem Seminar am Collège de France mehrere Jahre lang die Probleme psychiatrischer Gut­ achten behandelt hatte; einer der Anwälte des Mörders, der mit mir zusammengearbeitet hatte, bat mich, in der Presse zu inter­ venieren und zu diesem Fall Stellung zu nehmen. Ich habe abge­ lehnt, ich hätte mich nicht wohl dabei gefühlt. Welchen Sinn hätte es gehabt, Prophezeiungen zu machen oder den Richter zu spie­ len? Ich habe meine politische Rolle gespielt, indem ich das Pro­ blem in seiner ganzen Komplexität sichtbar gemacht habe, indem ich Zweifel geweckt und Unsicherheiten hervorgerufen habe, so dass sich heute kein Reformer, kein Präsident einer psychiatri­ schen Standesvereinigung mehr hinstellen und sagen kann: »Das und das ist zu tun.« Heute stellt sich das Problem unter Bedin­ gungen, wie sie noch über Jahre hinweg wirken und Unbehagen schaffen werden. Dabei werden viel radikalere Veränderungen herauskommen, als wenn man mich gebeten hätte, an der Aus­ arbeitung eines Gesetzes mitzuwirken, das die Frage der psychia­ trischen Gutachten regelt. Das Problem ist komplizierter und reicht tiefer. Es hat den An­ schein einer technischen Frage; aber dabei ist nicht nur das ganze Problem der Beziehungen zwischen Medizin und Justiz im Spiel, sondern auch das der Beziehungen zwischen dem Gesetz und dem Wissen, das heißt der Art und Weise, wie ein wissenschaftliches Wissen innerhalb eines Systems, des juristischen Systems, funk­ tionieren kann. Ein gewaltiges, ungeheures Problem. Ich meine: Was bedeutet es, wenn man die Tragweite dieses Problems darauf reduziert, dass man irgendeinem Gesetzgeber - handele es sich um einen Philosophen oder einen Politiker - die Aufgabe zuweist, ein neues Gesetz abzufassen? Entscheidend ist, dass der kaum überwindliche Konflikt zwischen dem Gesetz und dem Wissen so lange durchgespielt und im Innersten der Gesellschaft ausge­ tragen wird, bis sie ein anderes Verhältnis zum Gesetz und zum Wissen definiert. Ich wäre nicht so optimistisch, was die Chancen eines solchen Automatismus angeht, den Sie sich wünschen und der dazu führen müsste, die Balance zwischen dem Gesetz und dem Wissen neu auszutarieren, vermittelt durch eine Bewegung innerhalb der bür­ gerlichen Gesellschaft. .. Ich habe nicht von bürgerlicher Gesellschaft gesprochen. Ich

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halte den theoretischen Gegensatz zwischen Staat und bürgerli­ cher Gesellschaft, an dem die politische Theorie seit hundertfünf­ zig Jahren laboriert, für nicht sonderlich fruchtbar. Einer der Gründe, die mich dazu bewogen haben, die Frage der Macht ge­ wissermaßen in ihrem eigenen Milieu zu stellen, dort, wo sie aus­ geübt wird, ohne nach einer allgemeinen Formel oder nach den Grundlagen der Macht zu suchen, ist gerade der, dass ich den Gegensatz zwischen einem Staat, der als Besitzer der Macht seine Souveränität über die bürgerliche Gesellschaft ausübt, und einer Gesellschaft, die eigentlich nur Inhaber solcher Machtprozesse ist, ablehne. Nach meiner Hypothese ist die Opposition zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft nicht relevant. Wie dem auch seifürchten Sie nicht, dass Ihr Vorschlag, indem er in gewisser Weise der politischen Dimension ausweicht, letztlich eine Art Ablenkung von den kontingenten und komplexen Ein­ sätzen darstellt, die sich in der Gesellschaft stellen, die sich aber auch auf der Ebene der Institutionen und der Parteien unmittel­ bar niederschlagen? Ein alter Tadel linker Sekten: Wenn Sie nicht dasselbe tun wie wir, betreiben Sie ideologische Diversion. Die Probleme, mit de­ nen ich mich beschäftige, sind allgemeine Probleme. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Bildung, die Zirkulation und Kon­ sumtion des Wissens eine fundamentale Gegebenheit sind. Wenn die Kapitalakkumulation eines der Grundmerkmale unserer GeseFschaft war, so verhält es sich mit der Wissensakkumulation nicht anders. Nun sind aber die Anwendung, die Produktion, die Akkumulation des Wissens nicht zu trennen von den Mecha­ nismen der Macht, mit denen sie komplexe Beziehungen unter­ halten, die analysiert werden müssen. Seit dem sechzehnten Jahr­ hundert hat man stets angenommen, dass die Entfaltung der Formen und Inhalte des Wissens eine der größten Freiheitsgaran­ tien für die Menschheit sei. Dies ist eines der großen Postulate unserer Zivilisation, die sich über die ganze Welt verbreitet hat. Dennoch hat bereits die Frankfurter Schule festgestellt, dass die Formulierung der großen Wissenssysteme auch Unterwerfungs­ effekte hatte und Herrschaftsfunktionen ausübte. Das führt zu einer vollständigen Revision des Postulats, dem zufolge die Ent­ wicklung des Wissens einen Garanten der Freiheitdarstellt. Ist das etwa kein allgemeines Problem?

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Glauben Sie, Probleme dieser Art zu stellen heiße, von denen abzulenken, welche die politischen Parteien stellen? Zweifellos lassen sie sich demjenigen Typus von Allgemeinheiten, welche die politischen Parteien formulieren, nicht ohne weiteres assimi­ lieren. Die Parteien akzeptieren im Grunde nur Allgemeinheiten, die so kodiert sind, dass sie in ein Programm eingehen können, um die herum sich ihre jeweilige Klientel sammeln kann und die zu der Wahltaktik der betreffenden Partei passen. Aber man kann nicht hinnehmen, dass Probleme als marginal, als lokal betrachtet und der ideologischen Diversion verdächtigt werden, nur weil sie nicht im Filter der von den politischen Parteien akzeptierten und kodifizierten Allgemeinheiten hängen bleiben. Wenn Sie die Frage der Macht behandeln, nehmen Sie offenbar nicht direkt Bezug auf den Unterschied zwischen den Wirkungen, in denen sich die Macht im Inneren der Staaten und der verschie­ denen Institutionen äußert. In diesem Sinne ist behauptet worden, die Macht habe für Sie kein Gesicht, sei allgegenwärtig. Sollte es also keinen Unterschied etwa zwischen einem totalitären Regime und einem demokratischen Regime geben? In Überwachen und Strafen habe ich zu zeigen versucht, wie ein bestimmter Machttyp, der über die Erziehung und über die Persönlichkeitsbildung auf die Individuen wirkt, im Abendland nicht nur mit der Geburt einer Ideologie, sondern auch einer Regierungsform liberalen Typs einhergeht. In anderen politischen und sozialen Systemen - in der bürokratischen Monarchie oder im Feudalsystem - wäre keine derartige Ausübung von Macht über die Individuen möglich gewesen. Ich analysiere stets sehr genaue und genau lokalisierte Phänomene: zum Beispiel die Bil­ dung von Disziplinensystemen im Europa des achtzehnten Jahr­ hunderts. Ich tue das nicht, um zu sagen, die westliche Zivilisation sei in jeder Hinsicht eine Zivilisation der Disziplinierung. Die Disziplinensysteme werden von bestimmten Leuten auf bestimm­ te andere angewandt. Ich mache einen Unterschied zwischen Re­ gierenden und Regierten. Ich bemühe mich zu erklären, warum und wie diese Systeme in welcher Zeit, in welchem Land, zur Erfüllung welcher Bedürfnisse entstanden sind. Ich spreche nicht von Gesellschaften, die weder Geographie noch Kalender haben. Ich sehe wirklich nicht, wie man mir Vorhalten könnte, ich träfe keine Unterscheidung beispielsweise zwischen totalitären Regi-

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mes und solchen, die es nicht sind. Im achtzehnten Jahrhundert gab es keine totalitären Regimes im modernen Sinne. Wenn man aber Ihre Forschung als eine Erfahrung der Moder­ nität betrachten wollte, welche Lehre könnte man daraus liehen? Denn indem die großen Fragen des Verhältnisses zwischen Wissen und Macht - als in den demokratischen Gesellschaften und in den totalitären Gesellschaften gleichermaßen ungelöste Fragen - reformuliert werden, würde letztlich keine substantielle Unterschei­ dung zwischen diesen und jenen getroffen. Anders gesagt, die Machtmechanismen, die Sie analysieren, sind in allen Gesell­ schaftstypen der modernen Welt dieselben oder fast dieselben. Wenn man einen solchen Einwand gegen mich erhebt, muss ich an jene Psychiater denken, die nach der Lektüre von Wahnsinn und Gesellschaft - ein Buch, das Argumente aus dem achtzehnten Jahrhundert behandelt - sagten: »Foucault greift uns an.« Es ist nun wahrlich nicht meine Schuld, wenn sie sich in dem, was ich geschrieben hatte, wiedererkannten. Das beweist ganz einfach, dass sich eine ganze Reihe von Dingen nicht geändert hat. Als ich das Gefängnisbuch schrieb, machte ich selbstverständ­ lich keinerlei Anspielung auf die Gefängnisse der Volksdemokra­ tien oder der Sowjetunion; mein Thema war das Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts, genau gesagt: zwischen 1760 und 1840. Die Analyse endet im Jahre 1840. Trotzdem wird mir entgegen­ gehalten: »Sie machen keinen Unterschied zwischen einem totali­ tären Regime und einer demokratischen Regierungsform!« Wie kommen Sie darauf? Eine solche Reaktion beweist nur, dass das, was ich sage, letztlich als aktuell betrachtet wird. Sie können es in die Sowjetunion oder in ein westliches Land verlegen, darauf kommt es nicht an, das ist Ihre Sache. Ich dagegen bemühe mich zu zeigen, wie sehr es sich um historische, in einer bestimmten Epoche situierte Probleme handelt. Davon abgesehen glaube ich allerdings, dass die Techniken der Macht im Laufe der Geschichte übertragbar sind, von der Armee zur Schule und so weiter. Ihre Geschichte ist relativ autonom gegenüber der Entwicklung der ökonomischen Prozesse. Denken Sie an die Techniken, die in den Sklavenkolonien in Latein­ amerika eingesetzt wurden und die man im Frankreich oder im England des neunzehnten Jahrhunderts wieder finden kann. Es besteht also eine relative, keine absolute Autonomie der Macht-

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techniken. Aber ich habe niemals behauptet, dass ein Machtme­ chanismus genüge, um eine Gesellschaft hinreichend zu charakte­ risieren. Die Konzentrationslager? Man sagt, sie seien eine englische Er­ findung; aber das heißt nicht und legitimiert nicht die Behaup­ tung, England sei ein totalitäres Land. Wenn es in der europäi­ schen Geschichte ein Land gibt, das nicht totalitär war, dann gerade England. Aber es hat die Konzentrationslager erfunden, die eines der wichtigsten Instrumente der totalitären Regimes wa­ ren. Da haben Sie ein Beispiel für eine Übertragung von Macht­ techniken. Aber ich habe nie gesagt und nie auch nur mit dem Gedanken gespielt, die Existenz von Konzentrationslagern in de­ mokratischen wie in totalitären Ländern könne bedeuten, es gebe zwischen diesen und jenen keine Unterschiede. Einverstanden. Aber denken Sie einen Augenblick an die poli­ tische Funktionalisierung, an die Rückwirkungen Ihres Diskurses auf die Bildung des gesunden Menschenverstandes. Führt nicht vielleicht die strenge, aber derart begrenzte Analyse der Technolo­ gien der Macht zu einer Art »Indifferentismus« gegenüber den Werten, den großen Entscheidungen zwischen den verschiedenen politischen und sozialen Systemen unserer Zeit? Es gibt eine gewisse Tendenz, ein bestimmtes politisches Regime im Namen der Prinzipien, von denen es sich leiten lässt, von allem freizusprechen, was es zu tun imstande ist. Die Demokratie oder vielmehr ein bestimmter, im neunzehnten Jahrhundert entstande­ ner Liberalismus hat Techniken extremen Zwangs entwickelt, die gewissermaßen das Gegengewicht zu der ansonsten eingeräumten ökonomischen und sozialen Freiheit bildeten. Natürlich konnte man die Individuen nicht befreien, ohne sie zu dressieren. Ich sehe nicht, wieso man die Besonderheit einer Demokratie verkennen sollte, wenn man sagt, wie und warum sie diese Techniken brauch­ te. Dass diese Techniken von Regimes totalitären Typs verein­ nahmt wurden, die sie in einer bestimmten Weise einsetzten, ist möglich und führt nicht dazu, den Unterschied zwischen den bei­ den Regimes zu nivellieren. Man kann nicht von einem Unter­ schied der Werte sprechen, wenn dieser sich nicht in einer analy­ sierbaren Differenz äußert. Es geht nicht, zu sagen: »Dies ist besser als jenes«, wenn man nicht sagt, worin dies besteht und worin jenes.

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Als Intellektueller will ich weder Prophezeiungen machen noch den Moralisten spielen und verkünden, die westlichen Länder seien besser als die des Ostens oder dergleichen. Die Leute sind politisch und moralisch erwachsen geworden. Es ist ihre Sache, individuell und kollektiv eine Wahl zu treffen. Es ist wichtig zu sagen, wie ein bestimmtes Regime funktioniert, worin es besteht, und eine ganze Reihe von Manipulationen und Mystifikationen zu verhindern. Aber die Wahl müssen die Leute selbst treffen. Vor zwei oder drei Jahren hat sich die Mode der »neuen Philo­ sophen« in Frankreich ausgebreitet: eine kulturelle Strömung, die man mit einem Wort vielleicht so charakterisieren könnte, dass sie sich auf einer Linie der Politikverweigerung ansiedelt. Wie stan­ den Sie zu ihnen? Wie beurteilten Sie sie? Ich weiß nicht, was die neuen Philosophen vertreten. Ich habe nicht viel von ihnen gelesen. Man schreibt ihnen die These zu, es gebe keinen Unterschied: Die Herren blieben immer die Herren, und wir säßen in der Falle, was auch immer geschehe. Ich weiß nicht, ob das wirklich ihre These ist. Jedenfalls ist es absolut nicht meine. Ich versuche, möglichst präzise und differenzierte Analy­ sen vorzunehmen, um zu zeigen, wie sich die Dinge verändern, transformieren, verschieben. Wenn ich die Machtmechanismen studiere, versuche ich sie in ihrer Spezifität zu studieren; nichts ist mir fremder als der Ge­ danke eines Herrn, der Ihnen sein eigenes Gesetz aufzwingt. Ich akzeptiere weder die Vorstellung der Herrschaft noch der Univer­ salität des Gesetzes. Ich bin vielmehr bestrebt, Mechanismen der effektiven Machtausübung zu erfassen; und ich tue es, weil dieje­ nigen, die in diese Machtbeziehungen eingebunden sind, die in sie verwickelt sind, in ihrem Handeln, in ihrem Widerstand und in ihrer Rebellion diesen Machtbeziehungen entkommen können, sie transformieren können, kurz, ihnen nicht mehr unterworfen sein müssen. Und wenn ich nicht sage, was zu tun ist, so nicht, weil ich glaubte, es gebe nichts zu tun. Im Gegenteil, ich denke, dass es tausend Dinge zu tun, zu erfinden, zu planen gibt von denen, die - in Kenntnis der Machtbeziehungen, in die sie ver­ wickelt sind - beschlossen haben, ihnen zu widerstehen oder ih­ nen zu entkommen. So gesehen beruht meine gesamte Forschung auf dem Postulat eines unbedingten Optimismus. Ich unternehme meine Analysen nicht, um zu sagen: Seht, die Dinge stehen so und

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so, ihr sitzt in der Falle. Sondern weil ich meine, dass das, was ich sage, geeignet ist, die Dinge zu ändern. Ich sage alles, was ich sage, damit es nützt. Ich möchte Sie jetzt an den Inhalt eines Briefes erinnern, den Sie am 1. Dezember i$y8 an UUnità geschickt haben; Sie äußern da­ rin vor allem Ihre Bereitschaft zu einer Begegnung und einer Diskussion mit italienischen kommunistischen Intellektuellen über eine ganze Reihe strittiger Fragen. Ich zitiere aus Ihrem Brief: »Funktionsweise der kapitalistischen und der kommunistischen Staaten,, die Gesellschaftstypen, die diesen verschiedenen Ländern eigen sind, das Ergebnis der revolutionären Bewegungen in der Welt, die Organisation der Strategie der Parteien in Westeuropa, die Entwicklung der Repressionsapparate, die mehr oder weniger überall stattfindet, der Sicherheitsinstitutionen, das schwierige Verhältnis zwischen lokalen Kämpfen und globalen Einsätzen...« Eine solche Diskussion solle nicht polemisch sein und auch nicht dazu dienen, Gräben zwischen den Lagern und den Rednern auf­ zureißen, die Differenzen, die sie trennen, hervorzukehren und folglich die unterschiedlichen Dimensionen ihrer Forschung ins Licht zu rücken. Ich möchte Sie fragen, ob Sie den Sinn Ihres Vorschlags präzisieren könnten. Es handelt sich um Themenvorschläge als Grundlage einer möglichen Diskussion. Mir scheint in der Tat, dass sich hinter der gegenwärtigen ökonomischen Krise und den großen Gegen­ sätzen und Konflikten, die zwischen reichen und armen Nationen (industrialisierten und nichtindustrialisierten Ländern) absehbar werden, eine Krise der Regierung abzeichnet. Unter Regierung verstehe ich die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mit­ tels deren man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung. Diese Gesamtheit von Prozeduren, Techniken, Me­ thoden, welche die Lenkung der Menschen untereinander ge­ währleisten, scheint mir heute in die Krise geraten zu sein, und zwar sowohl in der westlichen wie in der sozialistischen Welt. Auch dort empfinden die Leute die Weise, wie man sie lenkt, immer unbehaglicher, schwieriger, unerträglicher. Dieses Phäno­ men äußert sich in Formen des Widerstands, manchmal der Re­ volte, und richtet sich auf Fragen, die ebenso wohl alltägliche Dinge wie große Entscheidungen betreffen: den Bau von Atom­ fabriken oder die Einordnung der Leute in einen ökonomisch­

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politischen Block, in dem sie sich nicht wiedererkennen. Ich glau­ be, dass man in der Geschichte des Abendlands eine Periode fin­ den kann, die der unseren ähnelt, auch wenn sich die Dinge natür­ lich nicht wiederholen, nicht einmal die Tragödien in Form der Komödie: nämlich das Ende des Mittelalters. Vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert bemerkt man eine völlige Reorga­ nisation der Regierung der Menschen, jenen Aufruhr, der zum Protestantismus geführt hat, zur Bildung der großen National­ staaten, zur Konstitution der autoritären Monarchien, zur Vertei­ lung der Territorien unter der Autorität der Verwaltungen, zur Gegenreformation, zu der neuen weltlichen Präsenz der katholi­ schen Kirche. All das war gewissermaßen eine große Umgestal­ tung der Art und Weise, wie die Menschen regiert wurden, sowohl in ihren individuellen wie in ihren sozialen, politischen Beziehun­ gen. Mir scheint, dass wir uns erneut in einer Krise der Regierung befinden. Sämtliche Prozeduren, mit denen die Menschen einan­ der führen, sind erneut in Frage gestellt worden, natürlich nicht von denen, die die Führung innehaben, die regieren, selbst wenn sie nicht umhinkönnen, die Schwierigkeiten zur Kenntnis zu neh­ men. Wir stehen vielleicht am Beginn einer großen krisenhaften Neueinschätzung des Problems der Regierung. Bei solcher Art Forschung sind, wie Sie bemerkt haben, »die Instrumente der Analyse unzuverlässig, wenn sie nicht gar feh­ len«. Und die Ausgangspunkte, von denen aus bestimmte Analy­ sen durchgeführt, von denen aus Orientierungen gewonnen und Urteile getroffen werden können, sind völlig unterschiedlich. An­ dererseits wünschen Sie sich eine Konfrontation, die über Polemi­ ken hinausginge. Ich war Zielscheibe manchmal heftiger Angriffe vonseiten fran­ zösischer und italienischer kommunistischer Intellektueller. Da ich nicht Italienisch spreche und oft nicht verstehe, worauf ihre Kritiken hinauswollen, habe ich ihnen nie geantwortet. Aber heu­ te, da sie den Willen erkennen lassen, auf bestimmte stalinsche Methoden in den theoretischen Diskussionen zu verzichten, möchte ich ihnen vorschlagen, jenes Spiel aufzugeben, in dem der eine etwas sagt, was der andere als Aussage eines Ideologen der Bourgeoisie, eines Klassenfeindes denunziert, und stattdessen eine ernsthafte Debatte zu beginnen. Wenn man zum Beispiel an­ erkennt, dass das, was ich über die Krise der Technik des Regie-

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rens [gouvernementalité] sage, ein wichtiges Problem darstellt, warum sollte man das nicht als Ausgangspunkt einer vertieften Debatte benutzen? Davon abgesehen glaube ich, dass die italieni­ schen Kommunisten mehr als die französischen bereit sind, eine ganze Reihe von Problemen aufzunehmen, die beispielsweise die Medizin, die lokale Verwaltung der ökonomischen und sozialen Probleme, also konkrete Probleme betreffen, die auf das allge­ meinere Problem des Verhältnisses zwischen Gesetzgebung und Normalisierung, Gesetz und Norm, Justiz und Medizin in den gegenwärtigen Gesellschaften verweisen. Warum sollte man dar­ über nicht miteinander sprechen? Aber noch einmal zur Frage der Polemik: Sie haben gleichfalls darauf hingewiesen, dass Sie jene Art von Diskussionen nicht lie­ ben und nicht hinnehmen wollen, »die den Krieg imitieren und die Justiz parodieren«. Können Sie genauer erklären, was Sie damit meinen? Das Modell des Krieges sitzt wie ein Parasit auf den Diskus­ sionen über politische Themen: Wer abweichende Ideen hat, wird als Klassenfeind identifiziert, gegen den man kämpfen muss bis zum Sieg. Dieses große Thema des ideologischen Kampfes bringt mich zum Lächeln, wenn ich bedenke, dass die theoretischen Bin­ dungen eines jeden, in ihrer Geschichte betrachtet, eher konfus und schwankend sind und nicht die Klarheit einer Grenze haben, hinter die man den Feind zurücktreiben möchte. Dieser Kampf, den man gegen den Feind zu führen versucht, dient er nicht letzt­ lich dazu, den kleinen, eher belanglosen Reibereien ein wenig Ernst zu verleihen? Ist es nicht so, dass sich die Intellektuellen vom ideologischen Kampf ein politisches Gewicht erhoffen, das ihre reale Bedeutung übersteigt? Bestünde Ernsthaftigkeit nicht vielmehr darin, dass alle sich der Forschung widmen, einer neben dem anderen, ohne dass sich die Standpunkte genau decken? Wer lange genug proklamiert: »Ich kämpfe gegen einen Feind«, wird der diesen »Feind« dann nicht auch als solchen behandeln, wenn es - was jederzeit geschehen kann - tatsächlich zu einer kriege­ rischen Situation kommt? Diese Bahn führt geradewegs in die Unterdrückung, sie ist gefährlich. Ich verstehe durchaus, dass ein Intellektueller den Wunsch hegen kann, von einer Partei oder in einer Gesellschaft ernst genommen zu werden, indem er gegen einen ideologischen Gegner Krieg spielt. Aber das scheint mir

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gefährlich. Man sollte lieber annehmen, dass diejenigen, mit denen man uneinig ist, sich getäuscht haben oder dass man selbst nicht verstanden hat, worauf sie hinauswollten. Übersetzt von Horst Brühmann

282 Immer noch das Gefängnis »Toujours les prisons«, in: Esprit, 37. Jg., Nr. 1, Januar 1980, S. 184-186, »Correspondance«. Paul Thibaud, N achfolger des M itbegründers der G ruppe Gefängnisin­ form ation G.I.P. Jean-M arie Dom enach in der Leitung der Zeitschrift Esprity hatte in der N ovem bernum m er 1979 eine K ritik an der G.I.P. ver­ öffentlicht, in der er meinte, die G ruppe habe es nicht verstanden, ein Reform program m für das Gefängnis vörzuschlagen. Schuld daran w ar in seinen Augen die Tatsache, dass die G ruppe von dem radikalen Intellek­ tuellen M. Foucault geführt würde. Solch eine Intellektuellenschelte w ar damals M ode, und zu den Anhängern dieser M ode gehörte auch der Journalist Georges Suffert.

Der Artikel über das Gefängnis, mit dem Sie ihre Novembernum­ mer eröffnet haben, bedarf einiger Klarstellungen. Denn er befasst sich mit einer Arbeit, die von einer Gruppe geleistet wurde. 1. Eine Gruppe, wie die G.I.P. es war, nämlich bunt zusammen­ gewürfelt, in weiten Teilen spontan, ohne Hierarchie oder feste Organisation, basiert auf einer elementaren Moral: Wenn man nach Beendigung der Arbeit Rolle oder Einfluss einzelner Perso­ nen betrachten, kritisieren oder in Frage stellen will, so kann man das tun. Aber man tut es gemeinsam mit jenen, welche die Arbeit getan haben, und vor allem mit jenen, welche man kritisieren möchte. Mit den Fingern auf andere zu zeigen hat ja einen ge­ wissen Reiz, aber man macht es sich recht leicht, und es hat etwas Kindisches, Rechthaberisches und wenig Elegantes. 2. In der G.I.P. kamen Menschen ganz unterschiedlicher Her­ kunft zusammen. Wir haben uns dort nicht getroffen, weil wir bei unterschiedlicher Sichtweise dieselbe Empörung teilten, sondern weil wir in der gemeinsamen Diskussion tastend eine Aktions-

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form samt Zielen und Mitteln bestimmt und dieser Aktion eine bestimmte Richtung gegeben haben. Jeder war frei, zu reden, zu schreiben, zu bleiben oder zu gehen. Die zwei oder drei Mitarbei­ ter von Esprit, die den Weg gemeinsam mit uns gegangen sind und deren Hilfe kostbar für uns war, haben diesen Grundkonsens niemals in Frage gestellt. 3. Eines unserer Prinzipien besagte, dass die Gefangenen und eine ganze Reihe von Menschen aus ihrem Umfeld ihre Ansichten zum Ausdruck bringen können sollten. Die Texte der G.I.P. waren keine Elaborate eines gefährlichen Intellektuellen, sondern Ergeb­ nis dieser Bemühung. Deshalb hat die G.I.P. sich niemals ver­ pflichtet gefühlt, Reformvorschläge zu machen. Und deshalb auch hat die G.I.P sich (wie von Anfang an vorgesehen) aufgelöst, als ehemalige Gefangene ihre eigene Bewegung aufbauen konnten. All das war die Folge unserer Zielsetzung und nicht das Ergebnis von Widersprüchen. 4. Bin ich einer dieser intellektuellen »Theoretiker«, die eine schädliche Faszination auf allzu folgsame »Aktivisten« und allzu naive »Sozialarbeiter« ausüben - und die nun gerade bei einigen Wochenzeitschriften in die Kritik geraten sind? Vielleicht. Aber sehen Sie, nach den Erfahrungen mit der G.I.P habe ich mein Buch über das Gefängnis begonnen und fertig gestellt. Mich betrübt nun nicht, dass Sie auf die abseitige Idee kommen, meinen schäd­ lichen Einfluss auf die G.I.P. aus diesem Buch abzuleiten, das sie, wie ich fürchte, nicht richtig verstanden haben; vielmehr betrübt mich, dass Sie nicht auf den einfachen Gedanken gekommen sind, dieses Buch könnte der G.I.P vielleicht manches verdanken, und falls es denn zwei oder drei zutreffende Ideen enthält, könnten diese Ideen vielleicht von dort stammen. Sie sagen, Sie hätten über all das diskutieren wollen. Aber dann hätten Sie es mich nur wissen lassen müssen.1 Sie hätten mir Ihre Kritik nur mitzuteilen und mir nur zu sagen brauchen, welchen schlimmen Eindruck Sie nachträglich von einer Aktion gewonnen haben, an der teilzunehmen Sie selbst keine Gelegenheit hatten. Es hätte genügt, mich um eine Diskussion über diese Dinge zu bitten, wie es damals üblich war, als die Leute von Esprit mit uns disku1 Es stimmt, dass Sie mich über Dritte gebeten haben, von meinen Erfahrungen mit der G.I.P. zu berichten. Aber das hat nichts mit einer Diskussion über Ihre Kritik und Ihre Einwände zu tun, zu der ich durchaus bereit war und immer noch bereit bin.

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tierten. Dann wären wir vielleicht zu etwas interessanteren Er­ gebnissen gelangt als dieser Schuldzuweisung an einzelne Perso­ nen, die doch immer etwas mies klingt. Immerhin hat Esprit nicht mit dem Teufel gespeist. Da ist Magendrücken sieben Jahre später eigentlich unnötig. Michel Foucault Es ist schon richtig, dass meine Ansichten in dieser Frage nicht mit denen von Michel Foucault übereinstimmten, wie Paul Thibaud in seinem Leitartikel zur Nummer Toujours les prisons an­ merkt. Aber der Grund lag nicht darin, dass die G.I.P. »sich vor jedem Vorschlag gehütet hat«. Von Anfang an waren Michel Fou­ cault und ich gemeinsam mit den übrigen Mitbegründern der G.I.P der Auffassung, dass wir kein Reformprogramm vorlegen und unseren Diskurs nicht an die Stelle des Diskurses der Gefan­ genen setzten sollten. Daran haben wir uns gehalten, und für mich war dieses Engagement die positivste Erfahrung seit der Résis­ tance - eine spontane Aktion ohne ständige Mitglieder und ohne »Organisation«, dennoch ganz auf ihr Ziel ausgerichtet und kei­ neswegs der Sieg einer Ideologie über eine andere, sondern freier und würdiger Ausdruck einer Minderheit, die einer unmenschli­ chen Behandlung ausgesetzt war. Jean-Marie Domenach Jean-Marie Domenach hat Ihren Brief über meine Einleitung zur Gefängnis-Nummer des Esprit an mich weitergeleitet. Zumindest in einem Punkt muss ich Ihnen Recht geben. Es wäre besser gewesen, Ihnen meine Einwände vorab zur Kenntnis zu bringen. Im Übrigen glaube ich, dass Sie sich irren, wenn Sie meinen, ich hielte Sie für den Teufel und gäbe Ihnen die Schuld an einem gewissen Scheitern der Bewegung zur Reform des Gefängnisses, für die Sie so viel Zeit und Kraft aufgewendet haben. Das Problem liegt nicht dort, sondern in der dramatischen Blockade der Re­ formkräfte, die wir heute beobachten. Warum sind die großen Kritiken nach 68 (die von Illich oder die von Ihnen) mit all ihrer Kraft und Wahrheit über uns hinweggegangen, ohne eine ähnliche Welle der Kreativität auszulösen? Mir scheint, diese Tatsache zwingt uns, gemeinsam gewisse Fragen nach der Funktionsweise

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der Kultur und der Politik in unserem Land zu stellen. Die Land­ schaft, die wir vor Augen haben - und die eher mutlos und be­ drückt wirkt als reaktionär - verpflichtet uns, einige schmerzhafte Fragen zu stellen, ob wir nun wollen oder nicht. So viel zum Hintergrund der Überlegungen, die ich etwas über­ spitzt in meinem Leitartikel vorgetragen habe. Der darin zum Ausdruck kommende Zorn zielte nicht speziell auf Sie, sondern auf uns. Und neben Ihnen geradeso auf die »Reformisten« der G.I.P., denen es ebenso wenig wie den anderen gelungen ist, einen Ausweg aus der gegenwärtigen Sackgasse zu finden. Ich bin dankbar für Ihren Hinweis, dass Sie bereit sind, über diese grundlegenden Dinge zu diskutieren. Das wünsche ich mir ebenfalls. Denn die entscheidende Frage ist für mich die Entwick­ lung nach 68, also die Tatsache, dass die Kritiken und Utopien dieser Zeit in Vergessenheit geraten und dass man dem ungestört reaktionären und zynisch entwürdigenden Diskurs »unserer« Mi­ nister das Feld überlassen hat. Paul Thibaud Ich danke Ihnen für Ihren Brief. Und ganz besonders freue ich mich darüber, dass er, wie ich glaube, einen großen Schritt vor­ wärts bedeutet. Sie schreiben in Ihrem Artikel: Die Bewegung zur Reform der Gefängnisse »stieß auf eine radikale Kritik. Tatsächlich übte den herrschenden Einfluss auf die Aktivisten und manche Sozialarbei­ ter damals M.F. aus.« Heute sagen Sie mir, sie gäben mir nicht »die Schuld an einem gewissen Scheitern der Bewegung zur Reform des Gefängnisses«. Den Hinweis, dass dort ein Widerspruch liegt, wol­ len wir einmal statischen Geistern überlassen. Ich glaube an Ent­ wicklung und sehe darin einen ganz und gar positiven Fortschritt. Sie schreiben mir außerdem: »Mein Zorn zielte nicht speziell auf Sie, sondern auf uns.« Dieses »uns« freut mich natürlich sehr. Nachdem ich als möglicher Gesprächspartner nicht in Betracht gezogen wurde, bin ich glücklich, wenigstens als Teilobjekt Ihres Zorns wieder ins Spiel zu kommen. Der Eindruck, dass Sie heftig an die Brust eines anderen schlagen, verflüchtigt sich sogleich. Offensichtlich haben Sie ganz zufällig an die Brust Ihres Nach­ barn geschlagen, und das hat nun kaum noch Bedeutung, da wir jetzt wissen, dass Sie ihren eigenen Fehler korrigieren wollten.

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Sie sagen weiter - und das ist das Kostbarste an Ihrem Brief -, Sie wollten »gemeinsam gewisse Fragen stellen« und hätten den Wunsch, »über diese grundsätzlichen Dinge zu diskutieren«. Will man Ihrem Artikel glauben, lag dieser Grund in der verheerenden »Faszination«, die damals die »Intellektuellen« und insbesondere die theoretisierenden Intellektuellen ausübten. Manche mögen sa­ gen, wenn das der letzte Grund der Dinge sei, handle es sich doch um einen recht platten Grund. Aber ich bin nicht dieser Meinung. Mir scheint, die Erklärung mag zwar nicht besonders interessant sein, aber es ist sehr interessant, dass Sie sie anführen. Es ist ein altes Thema, das sich gegenwärtig in den Medien immer größerer Beliebtheit erfreut und das Sie tatsächlich »gemeinsam« mit Leu­ ten wie G. Suffert benutzen. Ich glaube, J.-M. Domenach hat es Ihnen gesagt: Wir wünschen sehr, dass unsere beiden Texte zu Ihrem »Leitartikel« vom No­ vember so bald wie möglich erscheinen. Ihr sehr gemäßigter Ton vermeidet (und wird auch, wie ich hoffe, vermeiden), dass es zu einem endlosen Abtausch polemischer Antworten und Gegenant­ worten kommt. Wenn Sie Ihren so erhellenden Brief und das vor­ liegende Schreiben noch dazustellen, werden die Leser des Esprit sehen können, welchen Fortgang die Bemühungen um eine offene Diskussion nach den bisher veröffentlichten Artikeln nehmen. Und was die allgemeinere Debatte angeht, die Sie großzügig an­ bieten, möchte ich Sie auf einen kleinen Text hinweisen: »Sur la dénonciation des intellectuels théoriciens: étude d'un genre.« Michel Foucault In der Einleitung, auf die Michel Foucault sich bezieht, hatte ich keineswegs die Absicht, demagogisch jegliche Theorie zu kritisie­ ren, sondern auf die Tatsache hinzuweisen, dass es in Frankreich nicht gelungen ist, in der Frage des Gefängnisses und auf anderen Gebieten ein produktives Gleichgewicht zwischen grundsätz­ licher Kritik und militanter Reform herzustellen. Grund dafür ist die Verdunklung der Frage von Recht und Gesetz, über die ich in dem Text geschrieben habe, in dem Michel Foucault nur einen persönlichen Streit erblickt. Paul Thibaud Übersetzt von Michael Bischoff

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Le N ouvel Observateur und die Vereinigte Linke »Le Nouvel Observateur e VUnione délia sinistra«y Gespräch mit J. Daniel, in: Spirali, Giornale internazionale di culturay 3.Jg., Nr. 15, Januar 1980, S. 53-55. (Auszug aus einer Diskussion über J. Daniel, in: UÈre des ruptures, Paris 1979, unter Leitung von D. Richet, Les Lundis de Vhistoirey France-Culture, 23. Juli 19790

Ich möchte auf den Begriff des Bruchs zurückkommen. In der Tat sieht man nicht recht, wie man heute von einem Bruch sprechen könnte, da doch Mitterrand immer noch da ist, die Kommunisti­ sche Partei sich bei 20% Stimmenanteil hält, der Gaullismus leicht schrumpft und ein Liberalismus Pinay’scher Prägung zu florieren scheint. Nichts wirkt unbeweglicher als das politische Leben Frankreichs. Wir sollten nicht von Bruch, sondern lieber von Brüchen in der Mehrzahl sprechen. Sie finden sich in mehr oder weniger tiefen, mehr oder weniger verborgenen, mehr oder weniger unsichtbaren geologischen Schichten. Unter der marmornen Glätte des politi­ schen Lebens in Frankreich hat es beträchtliche Veränderungen gegeben, eine Veränderung in unserem Bewusstsein von der Zeit und in unserem Verhältnis zur Geschichte. Die geschichtliche Dynamik, in der die Menschen des Westens sich befinden, hat sich tief greifend verändert. Wir erleben die Zukunft nicht mehr wie vor zwanzig Jahren. Auch die Geographie hat sich verändert. Die Stellung Europas und das Bewusstsein der Europäer von der Geographie ihres Kontinents haben sich tief greifend verändert. In L’Ère des ruptures können wir verfolgen, wie die historisch-geo­ graphische Landschaft des Westens sich nach Ansicht Jean Daniels Stück für Stück, Schicht für Schicht und Mosaikstein für Mosaik­ stein erneuert hat. Das macht das Buch so interessant. Früher war unser Verhältnis zur Politik durch einige historische und geographische Universalien bestimmt. Das waren die Rechte der Geschichte und die Rechte der Geographie. All das ist gegen­ wärtig im Schwinden begriffen. Deshalb wirken die Menschen, auf die ich eben hingewiesen habe, immer mehr wie Marionetten. Ich frage mich, ob wir nicht zu streng mit den Ereignissen im Mai 68 umgehen, wenn wir sie auf die Alternative zwischen einer

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etwas archaischen Ideologie, die sich in einer Überbewertung des marxistischen Wortschatzes äußerte, und einer Volksfeststim­ mung reduzieren. Mir scheint, etwas anderes war damals bedeut­ sam: die Entdeckung oder Entstehung neuer politischer Objekte, einer ganzen Reihe von Lebensbereichen, gesellschaftlichen Ni­ schen und Erlebnisfeldern, die bis dahin vollkommen vergessen oder vom politischen Denken gänzlich disqualifiziert worden wa­ ren. Weil eine Reihe von Aspekten des alltäglichen Lebens nun thematisiert wurden, wenn auch in einem etwas allzu marxisti­ schen Wortschatz, konnten wir uns der Schwächen des politischen Diskurses bewusst werden. Und wenn wir in der Diskussion über diese Phänomene, diese unmittelbaren Aspekte des Daseins eine andere Sichtweise erfanden und die Möglichkeit schufen, trotz des politischen Diskurses bestimmte Rechte der Subjektivität einzu­ fordern, so war das weitaus wichtiger als der Volksfestcharakter oder das diskursive Moment. Diese Erfindung neuer Objekte über die Politik, trotz der Politik und in einer Weise, die das politische Denken umwälzte, war sehr wichtig. Die Arbeit Jean Daniels und des Nouvel Observateur hat in den Monaten nach dem Mai 68 bei dieser Bewusstwerdung eine Rolle gespielt. Mendès France und de Gaulle, die beiden von Jean Daniel und dem Nouvel Observateur so bewunderten Gestalten, sind - Men­ dès ganz explizit, de Gaulle insgeheim - dadurch charakterisiert, dass der eine der Politik entgeht, weil er eine geschichtliche Sicht der Politik hat, also in der Politik Geschichte macht, während der andere die Moral in die Politik einführt. Es ist nun interessant, warum eine Zeitung, die sich als links versteht, zur Zeit des Gaul­ lismus nicht zu erkennen vermochte, dass es bei de Gaulle und in dem, was er tat, so etwas wie eine historische Sichtweise gab, die ihm eine ganz andere Statur verlieh, als Mitterrand sie zu bieten vermag. Anders gesagt, hatte der Nouvel Observateur nicht ein großes Problem, das in der Identifikation mit der Linken und durch die Linke bestand? Ich bin links, wir sind links, und der Beweis, dass wir links sind, liegt darin... Hat Sie nicht gerade das gehindert, bestimmte tiefer greifende historische Entwicklung vorauszusehen? Ich frage mich, ob eine Zeitung ihre Leser als ihre »Basis« be­ zeichnen kann. Wenn ich dem Nouvel Observateur einen einiger­ maßen gewichtigen Vorwurf machen wollte, beträfe der das Ver-

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hältnis der Zeitung zur Vereinigten Linken. Interessant am Jour­ nalismus und an der Rolle des Journalisten bezüglich der Politik ist es nicht, eine politische Rolle in der Politik zu spielen. Journa­ listen sollten nicht so tun, als wären sie Politiker. Vielmehr geht es darum, die Politik über einen anderen Filter zu entschlüsseln: über den der Geschichte, der Moral, der Soziologie, der Ökono­ mie oder sogar der Ästhetik. Ich glaube, eine Zeitung hat die Aufgabe, solche außerpolitischen Filter auf den Bereich der Poli­ tik anzuwenden. Sobald eine Zeitung Politik zu machen versucht, wie der Nouvel Observateur es im Blick auf die Vereinigte Linke tun wollte, tritt sie aus ihrer eigentliche Rolle heraus und begibt sich in den Bereich der Parteipresse. Übersetzt von Michael Bischoff

284 Die vier apokalyptischen Reiter und das alltägliche Gewürm »Les quatres chevaliers de l'Apocalypse et les vermisseaux quotidiens«, Ge­ spräch mit B. Sobel, in: Cahiers du cinéma, Nr. 6, hors série: Syberberg, Feb­ ruar 1980, S. 95-96. (Über den Film Hitler.; ein Film aus Deutschland, von H.J. Syberberg, 1977.) Die Ästhetik von Hitler ; ein Film aus Deutschland, wurde nicht besonders gut aufgenommen, weil man sie in der Bundesrepublik und in den Ver­ einigten Staaten als zu gefällig einstufte. Das Gespräch mit dem Theater­ regisseur Bernard Sobel gehört zu einer Reihe von Beiträgen, in denen Susan Sontag, Heiner Müller, Douglas Sirk und Francis Coppola den Film verteidigten. Foucault war mit Syberbergs gesamtem filmischen Schaffen vertraut.

B. Sobel: Als ich den Film zum ersten Mal in Deutschland sah, war ich verzaubert, wie man von einer Hexe verzaubert wird. Ich war berührt, weil ich Deutschland und seine Kultur ein wenig kannte. Und ich war beunruhigt. Ich dachte, dieser Film hat etwas Perverses. Tatsächlich erregt der Film überall ein gewisses Miss­ trauen. Wie haben Sie reagiert? Haben Sie sich gesagt: »Ja, das musste man machen«?

284 D ie vier apokalyptischen Reiter und das alltägliche Gewürm

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M. Foucault: Nein, denn es gibt nicht nur eine Sache, die man im Blick auf das Geschehen von 1930 bis 1945 tun muss, sondern tausenderlei Dinge und letztlich unendlich viele. Der Mantel des Schweigens, in den man den Nazismus nach 1945 aus politischen Gründen gehüllt hat, ist so beschaffen, dass man gar nicht um­ hinkann, die Frage zu stellen: »Was ist daraus in den Köpfen der Deutschen geworden? Was ist daraus in ihren Herzen geworden? Was ist daraus in ihrem Körper geworden?« Schließlich musste irgendetwas daraus werden, und man beobachtete mit einer ge­ wissen Besorgnis, was da wohl am anderen Ende des Tunnels herauskommen mochte. In Gestalt welchen Mythos, welcher Ge­ schichte, welcher Wunde mochte das hervorkommen? Syberbergs Film ist ein schönes Monstrum. Ich sage »schön«, weil mich das am meisten erstaunt hat - und vielleicht meinen Sie das, wenn Sie vom perversen Charakter des Films sprechen. Ich will nicht über die Ästhetik des Films sprechen, denn davon verstehe ich nichts. Es ist dem Film gelungen, eine gewisse Schönheit dieser Ge­ schichte sichtbar zu machen, ohne deren schmutzige, niederträch­ tige, alltäglich widerwärtige Seiten auch nur im Geringsten zu verbergen. Darin erfasst der Film vielleicht das eigentlich behe­ xende Moment des Nazismus, seine schillernde Mittelmäßigkeit, die ohne Zweifel das verführerische Moment des Nazismus dar­ stellte. B. Sobel: Als ich den Film sah, hatte ich auch ein befremdliches Gefühl. Mir wurde plötzlich klar, inwiefern die jungen Menschen den Nazismus als Utopie, als reale Utopie erlebt haben. Ich finde es sehr wichtig, dass Syberberg nicht urteilt und verurteilt, son­ dern sichtbar macht, dass ein Mensch, der nach den klassischen Normen als »normal« galt, dennoch ein Nazi gewesen sein konn­ te. M. Foucault: Simone Veil hat zu dem Film über Braun, der kürzlich im Fernsehen gezeigt worden ist, gesagt, er »banalisiert den Schrecken«. Das ist vollkommen richtig, und genau deshalb war der Film über Eva Braun, der von Franzosen gemacht worden ist, ganz und gar verblüffend. Syberbergs Film macht genau das Gegenteil, dort wird das Niederträchtige banal. In der Banalität einer bestimmten Denk- und Lebensweise, einer Reihe alltägli­ cher Träume des Europäers der dreißiger Jahre, lässt er eine po­ tentielle Niedertracht aufscheinen. In diesem Sinne ist Syberbergs

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Film das genaue Gegenteil der von Simone Veil zu Recht kritisier­ ten Filme. Ich wünschte mir, man könnte einmal den Film über Eva Braun zwischen bestimmte Teile des Films von Syberberg einschieben. Er scheint mit einer alten, schicklichen, netten und langweiligen Postkarte einer bürgerlich ehrbaren europäischen Familie aus dem Urlaub irgendwann in den dreißiger Jahren ge­ macht zu sein. Das Besondere an Syberbergs Film ist gerade die Aussage, dass der Schrecken banal ist, dass Banalität stets Dimen­ sionen des Schreckens in sich birgt, dass zwischen Schrecken und Banalität ein direktes Wechselverhältnis besteht. Die tragische Li­ teratur und die Philosophie werfen das Problem auf, welchen Status man den vier apokalyptischen Reitern geben soll. Sind sie prunkvolle schwarze Heroen, die auf das Ende der Welt warten, um hereinzubrechen? Und in welcher Form, mit welchem Ge­ sicht werden sie hereinbrechen? Als Pest, als die großen Massaker des Krieges, als Hungersnot? Oder sind sie vier kleine Würmer, die wir alle im Gehirn, tief im Kopf und tief im Herzen tragen? Das ist, wie ich glaube, die Stärke des Films von Syberberg. Er macht sehr wohl deutlich, dass wir es damals in Europa, in der Zeit von 1930 bis 1945, mit den vier apokalyptischen Reitern zu tun hatten, aber dann zeigt er auch die gleichsam biologische Ver­ wandtschaft dieser vier Reiter mit dem alltäglichen Gewürm. Übersetzt von Michael Bischoff

i8 5 Der maskierte Philosoph »Le philosophe masqué«, Gespräch mit C. Delacampagne, Februar 1980, in: Le Monde, Nr. 10.945, 6. April 1980: Le Monde-Dimanche, S.I und XVII. Im Januar 1980 bat Christian Delacampagne Michel Foucault um ein großes Interview für Le Monde, dessen Hauptteil der Diskussion von Ideen gewidmet sein sollte. M. Foucault willigte sogleich ein, stellte aber die Bedingung, dass dieses Gespräch anonym erschien, sein Name also ungenannt bleiben sollte und alle Hinweise, die eine Identifizierung er­ möglichen konnten, getilgt würden. M. Foucault begründete diese For­ derung mit dem Hinweis, die intellektuelle Szene sei zum Spielball der Medien geworden, die Stars seien wichtiger als die Idee, auf die Gedanken

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komme es gar nicht mehr an, und was gesagt werde, zähle weniger als die Person dessen, der etwas sagt. Und selbst solch eine Kritik an der Vereinnahmung durch die Medien laufe Gefahr, entwertet zu werten - näm­ lich zu stärken, was sie beklagt - , wenn sie von jemandem geäußert wird, der, ohne es zu wollen, schon seinen Platz in den Medien hat, wie es bei M. Foucault der Fall war. Wer dieser Pervertierung entgegentreten und einem Gedanken ganz unabhängig von der Frage, wer ihn vorträgt, Gehör verschaffen wolle, der müsse beschließen, anonym zu bleiben. D ie Idee gefiel C. Delacampagne. Man kam überein, das Gespräch als Interview mit einem »maskierten Philosophen« auszuweisen, dessen Identität im Unklaren blieb. Nun mussten sie nur noch Le Monde überzeugen - die ein Interview mit M. Foucault haben wollte - , sich mit einem Text zu begnügen, der von einem »Niemand« stammte. Das war nicht leicht, aber Foucault zeigte sich unnachgiebig. Das Geheimnis blieb bis zu Foucaults Tod gewahrt. Offenbar gelang es nur wenigen, dahinter zu kommen. Später veröffentlichten Le Monde und La Découverte dieses Gespräch zusammen mit anderen Interviews aus derselben Reihe in Buchform. Wie so oft in solchen Fällen beschloss Le Monde einseitig, den wahren Namen des »maskierten Philosophen« zu enthüllen. Der Text des Gesprächs geht vollständig auf Michel Foucault zurück, der sogar die Fragen gemeinsam mit C. Delacampagne formu­ lierte und seine Antworten mit größter Sorgfalt überarbeitete.

G Delacampagne: Zunächst möchte ich Sie fragen, warum Sie anonym bleiben wollen. M. Foucault: Sie kennen doch sicher die Geschichte von den Psychologen, die in einem Dorf im tiefsten Afrika einen kurzen Testfilm vorführten. Anschließend baten sie die Zuschauer, die Ge­ schichte so zu erzählen, wie sie sie wahrgenommen hatten. An der ganzen Story, an der drei Personen beteiligt waren, hatte sie nur eines interessiert: wie Licht und Schatten über die Bäume strichen. Bei uns stehen Personen im Mittelpunkt der Wahrnehmung. Unsere Augen heften sich mit Vorliebe auf die Figuren, die kom­ men und gehen, auftauchen und verschwinden. Warum habe ich Ihnen vorgeschlagen, das Gespräch anonym zu veröffentlichen? Aus wehmütiger Erinnerung an die Zeit, als ich noch unbekannt war und die Dinge, die ich sagte, noch eine Chance hatten, verstanden zu werden. Die Berührungsfläche zum späteren Leser war faltenlos. Das Buch entfaltete an ganz unerwarteten Orten Wirkungen und zeichnete Formen, an die ich nie gedacht hatte. Der Name tut nichts zur Sache.

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Ich möchte hier ein Spiel vorschlagen: das Spiel des »Jahres ohne Namen«. Ein Jahr lang werden alle Bücher ohne Angabe der Autoren veröffentlicht. Die Kritik müsste sich an einer voll­ kommen anonymen Produktion abmühen. Aber vielleicht hätten die Kritiker dann gar nichts zu tun, weil alle Autoren mit der Veröffentlichung ihrer Bücher bis zum nächsten Jahr warteten... C. Delacampagne: Finden Sie, dass die Intellektuellen von heu­ te zu viel reden? Dass sie uns ihre Meinung zu jedem Thema aufdrängen und meist noch am Thema vorbeireden? M, Foucault: Ich finde die Bezeichnung »Intellektueller« merk­ würdig. Ich bin noch nie einem Intellektuellen begegnet. Ich habe Leute getroffen, die Romane schreiben, und Leute, die Kranke pflegen. Leute, die ökonomische Forschung betreiben, und sol­ che, die elektronische Musik komponieren. Ich habe Leute ge­ troffen, die lehren, und Leute, die malen, und Leute, von denen ich nicht recht verstand, was sie taten. Aber Intellektuelle habe, ich noch nie getroffen. Dagegen bin ich vielen Leuten begegnet, die von Intellektuellen reden. Und aus dem, was sie sagten, habe ich mir ein Bild von diesem sonderbaren Tier gemacht. Die Sache ist ganz einfach. Der Intellektuelle ist der Schuldige. Und zwar aus allen erdenklichen Gründen: weil er spricht, weil er schweigt, weil er nichts sagt, weil er sich überall einmischt... Kurz gesagt, der Intellektuelle ist der Urstoff des Schuldspruchs, des Schuldurteils, der Verdammung, des Ausschlusses... Ich finde nicht, dass die Intellektuellen zu viel reden, denn in meinen Augen gibt es sie gar nicht. Aber das Gerede über die Intellektuellen finde ich ziemlich geisttötend und reichlich zwei­ felhaft. Ich habe eine unangenehme Angewohnheit. Wenn die Leute so dahinreden, versuche ich mir vorzustellen, wie es wäre, wenn das Wirklichkeit würde. Wenn sie jemanden »kritisieren«, wenn sie seine Ideen »anprangern«, wenn sie »verurteilen«, was er sagt, dann stelle ich mir vor, diese Leute hätten tatsächlich einmal alle Macht über den so Kritisierten. Und ich nehme die von ihnen benutzten Ausdrücke in ihrer ursprünglichen, wörtlichen Be­ deutung: »Zugrunderichten«, »Abschlachten«, »Zum Schweigen bringen«, »Begraben«. Dann sehe ich die strahlende Stadt vor mir, in der die Intellektuellen ins Gefängnis geworfen und aufgehängt

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werden, vor allem, wenn es sich um Theoretiker handelt. Gewiss, wir leben nicht in einer Weltgegend, in der man die Intellektuellen auf die Reisfelder schickt. Aber Sie haben doch sicher schon ein­ mal von einem gewissen Toni Negri gehört?2 Befindet der sich nicht im Gefängnis, weil er ein Intellektueller ist? C. Delacampagne: Aber was veranlasst Sie nun, in die Anony­ mität zu flüchten? Der Gebrauch, den manche Philosophen heute in den Medien von ihrem Namen machen oder machen lassen? M. Foucault: Das schreckt mich nicht. Auf den Fluren meines Gymnasiums habe ich früher die Gipsbüsten großer Männer ge­ sehen. Und heute sehe ich unten auf der Seite der Zeitungen ein Foto des Denkers. Ich weiß nicht, ob die Ästhetik besser gewor­ den ist. Die ökonomische Rationalität allemal... Mich berührt sehr ein Brief, den Kant geschrieben hat, als er schon recht alt war. Darin heißt es, er beeile sich gegen das vor­ rückende Alter, die abnehmende Sehkraft und das schwindende Vorstellungsvermögen ein Buch noch vor der Buchmesse in Leip­ zig abzuschließen. Ich erzähle das, um zu zeigen, dass solche Dinge gar keine Bedeutung haben. Ob Reklame in den Medien oder Buchmesse, das Buch ist etwas anderes. Man wird mich nie glauben machen, ein Buch sei schlecht, weil sein Autor nicht im Fernsehen zu sehen war. Aber auch nicht, dass es allein deshalb schon gut wäre. Ich habe mich nicht für die Anonymität entschieden, um diesen oder jenen zu kritisieren. So etwas tue ich nie. Ich möchte anonym bleiben, weil ich mich auf diese Weise unmittelbarer an den Leser wenden kann, die einzige Person, die mich hier interessiert. »Da du nicht weißt, wer ich bin, wirst du nicht in Versuchung kom­ men, nach den Gründen zu fragen, weshalb ich sage, was ich hier sage. Sage du dir einfach: Das ist wahr, das ist falsch. Das gefällt mir, das gefällt mir nicht. Ein Punkt, mehr nicht.« C Delacampagne: Aber erwartet das Publikum nicht, dass die 2 Italienischer Philosoph, Professor an der Universität Padua, Vordenker der links­ extremen Arbeiterautonomie. Verbrachte wegen bewaffneten Aufstands gegen den Staat, subversiver Tätigkeit und Bildung bewaffneter Banden vier Jahre und drei Monate in Vorbeugehaft. Wurde am 8. Juli 1983 freigelassen, nachdem er als radikaler Abgeordneter ins Parlament gewählt worden war. Als das Parlament seine Immunität aufhob, wurde erneut Haftbefehl gegen ihn erlassen, und er flüchtete nach Frankreich. Nach seiner Rückkehr nach Italien 1997 wurde er in Haft genommen; derzeit ist er Freigänger des Gefängnisses Rebibbia in Rom.

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Kritik ihr eine präzise Einschätzung des Werts eines Werkes lie­ fert? M. Foucault: Ich weiß nicht, ob das Publikum erwartet, dass Kritiker über Werke oder Autoren urteilen. Ich denke, die Richter waren da, bevor es sagen konnte, was es will. Ich glaube, Courbet hatte einen Freund, der eines Nachts auf­ wachte und schrie: »Urteilen, ich will urteilen.« Es ist verrückt, dass die Menschen so gerne urteilen. Überall wird ständig geur­ teilt. Ohne Zweifel gehört das Urteilen zu den einfachsten Din­ gen, die den Menschen gegeben sind. Und der letzte Mensch wird sich, wenn die letzte Strahlung endlich seinen letzten Feind in Asche verwandelt hat, hinter einen wackligen Tisch setzen, um dem Schuldigen den Prozess zu machen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich stelle mir eine Kritik vor, die nicht zu urteilen versucht, sondern einem Werk, einem Buch, einem Satz, einer Idee zum Dasein verhilft; die ein Licht entzün­ det, dem Gras beim Wachsen zusieht, dem Wind lauscht und den Schaum im Fluge ergreift, um ihn zu zerstreuen. Sie vermehrte nicht Urteile, sondern Zeichen des Daseins; sie riefe sie und weck­ te sie aus ihrem Schlaf. Und falls sie solche Zeichen gelegentlich erfände - umso besser. Die auf Urteilssprüche fixierte Kritik lang­ weilt mich. Ich wünschte mir eine vor Fantasie sprühende Kritik. Sie wäre nicht souverän und kleidete sich nicht in rote Roben. Sie trüge den Blitz möglicher Gewitterstürme. G Delacampagne: Es gibt so viel Wissenswertes und so viele interessante Arbeiten, dass die Medien ständig über Philosophie sprechen sollten... M. Foucault: Natürlich besteht von jeher ein unglückliches Ver­ hältnis zwischen der »Kritik« und denen, die Bücher schreiben. Die einen fühlen sich nicht richtig verstanden, und die anderen meinen, man wolle ihnen ans Leder. Aber so ist nun einmal das Spiel. Ich glaube, wir befinden uns heute in einer ganz besonderen Situation. Wir haben Mangelinstitutionen, obwohl wir im Über­ fluss leben. Wir kennen alle die Übertreibungen, die heute die Veröffent­ lichung (oder Wiederveröffentlichung) von Werken begleiten, welche ansonsten durchaus interessant sein mögen. Sie sind nie etwas Geringeres als der »Umsturz aller Codes«, das »Gegenteil der zeitgenössischen Kultur«, die »radikale Infragestellung all un-

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serer Denkweisen«. Ihr Autor muss eine verkannte Randfigur sein. Umgekehrt werden die anderen natürlich in eine Dunkelheit verwiesen, aus der sie nie hätten hervortreten sollen. Sie waren nur die Schaumkrone einer »kurzlebigen Mode«, das bloße Pro­ dukt der Institution usw. Man sagt, das sei eine oberflächliche Erscheinung, wie sie ty­ pisch für Paris ist. Ich sehe darin eher die Folge einer tief grei­ fenden Verunsicherung. Des Gefühls »kein Platz«, »er oder ich«, »jeder für sich«. Man steht Schlange, weil der Ort, an dem man hören und sich Gehör verschaffen kann, extrem eng ist. Daraus resultiert eine Angst, die sich in zahlreichen lustigen und weniger lustigen Symptomen äußert. Etwa das Ohnmachts­ gefühl der Schreibenden gegenüber den Medien, denen sie vor­ werfen, die Welt der Bücher zu beherrschen und zum Durchbruch zu verhelfen, was ihnen gefällt, oder verschwinden zu lassen, was ihnen missfällt. Oder das Gefühl der Kritiker, kein Gehör zu finden, wenn sie nicht lautstark auftreten und jede Woche ein Kaninchen aus dem Hut zaubern. Oder die Pseudopolitisierung, die vorgibt, den »ideologischen Kampf« führen oder »gefährliche Ideen« entlarven zu müssen, aber unter dieser Maske nur die Angst verbirgt, nicht gelesen oder gehört zu werden. Oder die krankhafte Angst vor der Macht: Wer schreibt, übt eine beun­ ruhigende Macht aus, der man ein Ende oder zumindest Grenzen setzen muss. Oder auch die wie eine Beschwörungsformel wieder­ holte Behauptung, heute sei alles leer, trostlos, uninteressant und unwichtig. Sie stammt offensichtlich von Leuten, die selbst nichts tun und deshalb meinen, auch alle anderen seien überflüssig. C. Delacampagne: Aber glauben Sie nicht auch, dass es unserer Zeit tatsächlich an Geistern fehlt, die auf der Höhe der heutigen Probleme stehen, und an großen Schriftstellern? M. Foucault: Nein, ich glaube nicht an das ständige Gerede von Dekadenz, nicht vorhandenen Schriftstellern, sterilem Denken, verbauten Horizonten und trübseligen Aussichten. Ich glaube vielmehr an Überfluss. Wir leiden nicht unter Leere, sondern unter unzureichenden Mitteln, mit denen wir die Fülle des Geschehens denken könnten. Es gibt unzählige Dinge, die wir wissen sollten: wesentliche oder schreckliche, großartige oder lä­ cherliche, große und kleine zugleich. Und dann gibt es da eine

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gewaltige Neugier, das Bedürfnis und den Wunsch nach Wissen. Immer wieder wird darüber geklagt, die Medien stopften die Köpfe der Leute voll. Darin liegt eine gewisse Misanthropie. Ich glaube dagegen, dass die Menschen reagieren. Je mehr man sie zu überzeugen versucht, desto mehr fragen sie. Der Geist ist kein weiches Wachs. Er ist eine reaktionsfähige Substanz. Und der Wunsch nach mehr, nach besserem, nach anderem Wissen wächst im selben Maß, wie die Köpfe voll gestopft werden. Wenn Sie das zugeben und außerdem noch bedenken, dass an den Universitäten und anderswo zahllose Menschen ausgebildet werden, die als Vermittler zwischen dieser Vielzahl von Dingen und diesem Wissensdurst dienen können, wird Ihnen rasch klar, wie absurd die Arbeitslosigkeit der Hochschulabsolventen ist. In Wirklichkeit geht es darum, die Zahl der Kanäle, Brücken und Kommunikationsmittel, der Radio- und Fernsehsender, der Zei­ tungen und Zeitschriften noch zu vergrößern. Die Neugier ist ein Laster, das nacheinander vom Christentum, von der Philosophie und sogar von einem bestimmten Wissen­ schaftsverständnis stigmatisiert wurde. Neugier wurde als etwas Nichtiges verstanden. Aber das Wort gefällt mir. Es lässt mich an etwas ganz anderes denken: an »Sorge« und »Sorgfalt«; an die Sorgfalt, die man auf die Dinge verwendet, die existieren oder existieren könnten; an ein geschärftes Gespür für die Wirklichkeit, die aber davor nicht in Bewegungslosigkeit verfällt; an die Bereit­ schaft, alles um uns herum als merkwürdig und einzigartig zu empfinden; an den Willen, uns von Vertrautem zu lösen und die­ selben Dinge ganz anders zu sehen; an den brennenden Wunsch, zu erfassen, was vor sich geht und vor unseren Augen geschieht; an eine gewisse Nachlässigkeit gegenüber den traditionellen Hie­ rarchien zwischen dem Wichtigen und dem Wesentlichen. Ich träume von einem neuen Zeitalter der Neugier. Die techni­ schen Möglichkeiten dazu haben wir. Der Wunsch ist vorhanden. Es gibt unendlich viel zu wissen. Und die für diese Arbeit nötigen Menschen sind ebenfalls da. Worunter leiden wir? An zu wenig: an zu engen, nahezu monopolistischen, unzureichenden Kanälen. Wir brauchen keinen Protektionismus, der »schlechte« Informa­ tion hinderte, die »guten« zu überschwemmen und zu erdrücken. Wir müssen vielmehr die Wege und Möglichkeiten des Austauschs vermehren. Wir brauchen keinen Colbertismus auf diesem Gebiet.

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Das bedeutet keineswegs Gleichmacherei und Nivellierung auf niedrigem Niveau, wie oft behauptet wird, sondern Differenzie­ rung und ein Nebeneinander unterschiedlicher Netzwerke. G Delacampagne: Ich stelle mir vor, auf dieser Ebene könnten die Medien und die Universität einander eines Tages ergänzen, statt gegeneinander zu arbeiten. M. Foucault: Erinnern Sie sich an den wunderbaren Ausspruch von Sylvain Lévi: Man lehrt, wenn man einen Hörer hat. Sind es zwei, handelt es sich um Vulgarisierung. Bücher, Universität und Fachzeitschriften sind gleichfalls Medien. Wir sollten uns hüten, nur solche Informatiönskanäle als Medien zu bezeichnen, zu de­ nen wir keinen Zugang haben können oder wollen. Entscheidend ist die Frage, ob wir eine Schutzzone, einen »Kulturpark« für die gefährdeten Arten unter den Wissenschaftlern einrichten sollen, die von den großen Raubvögeln der Information bedroht werden, während der ganze übrige Raum ein riesiger Markt für Schund wäre. Solch eine Aufteilung scheint mir nicht der Realität zu ent­ sprechen. Und vor allem scheint sie mir nicht wünschenswert zu sein. Für eine nützliche Differenzierung wäre solch eine Auftei­ lung schädlich. G Delacampagne: Wagen wir doch ein paar konkrete Vorschlä­ ge. Wenn alles im Argen liegt, wo sollen wir dann anfangen? M. Foucault: Aber nein, es liegt nicht alles im Argen. Jedenfalls meine ich, dürfen wir nützliche Kritik an den Dingen nicht mit Jeremiaden gegen Personen verwechseln. Konkrete Vorschläge kön­ nen nur als Spielmaterial wirken, falls man sich nicht zuvor zu eini­ gen allgemeinen Grundsätzen bekennt. Vor allem aber darf das Recht auf Wissen nicht einem bestimmten Lebensalter und be­ stimmten Gruppen von Menschen Vorbehalten bleiben. Vielmehr sollte man es ohne Ende und in vielfältigen Formen ausüben können. G Delacampagne\ Ist diese Lust auf Wissen nicht auch etwas zweischneidig. Schließlich fragt sich, was die Leute denn mit all dem Wissen anfangen werden und wozu sie es nutzen können. M. Foucault: Zu den Hauptfunktionen des Bildungswesens ge­ hört neben der Bildung des Einzelnen die Bestimmung seiner ge­ sellschaftlichen Stellung. Heute müsste man diese Funktion so ausgestalten, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, sich nach seinen Wünschen zu verändern, und das ist nur möglich, wenn Bildung zu einem »permanenten« Angebot wird.

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G Delacampagne\ Letztlich wünschen Sie sich eine Wissensge­ sellschaft ? M. Foucault: Ich sage, die Verbindung der Menschen zur Bil­ dung sollte so dauerhaft und vielfältig wie möglich sein. Es darf nicht auf der einen Seite die Ausbildung geben, die man erfährt, und auf der anderen die Information, der man ausgeliefert ist. G Delacampagne: Was wird in dieser Wissensgesellschaft aus der ewigen Philosophie? Ist da überhaupt noch Bedarf für sie, für ihre Fragen, die ohne Antwort bleiben, und für ihr Schweigen angesichts des Unerkennbaren? M. Foucault: Was ist denn Philosophie anderes als Nachdenken, und zwar nicht so sehr über Wahres und Falsches, sondern über unser Verhältnis zur Wahrheit? Oft wird geklagt, es gäbe in Frankreich keine herrschende Philosophie. Umso besser. Es gibt keine herrschende Philosophie, wohl aber eine Philosophie oder eher noch Philosophien in Aktion. Die Bewegung, in der wir uns nicht ohne tastende Versuche, Träume und Illusionen von dem lösen, was als wahr gilt, und nach anderen Spielregeln suchen diese Bewegung ist Philosophie. Die Verschiebung und Transfor­ mation des Denkrahmens, die Veränderung der überkommenen Werte, die ganzen Bemühungen, anders zu denken, zu handeln und zu sein - all das ist Philosophie. So gesehen waren die letzten drei Jahrzehnte von intensiven philosophischen Aktivitäten ge­ prägt. Es bestand durchgängig eine ganz beträchtliche Wechsel­ wirkung zwischen Analyse, Forschung, »wissenschaftlicher« oder »theoretischer« Kritik und den Veränderungen im realen Verhal­ ten der Menschen, ihrer Art zu sein, ihrem Verhältnis zu sich selbst und zu den anderen. Ich habe eben gesagt, die Philosophie sei eine Form des Nach­ denkens über unser Verhältnis zur Wahrheit. Das wäre zu ergän­ zen, denn sie fragt zugleich auch: Wenn das unser Verhältnis zur Wahrheit ist, wie müssen wir uns dann verhalten? Ich glaube, es gab und gibt immer noch beträchtliche und vielfältige Bemühun­ gen, die unser Verhältnis zur Wahrheit und zugleich auch unser Verhalten verändern. Und das im komplexen Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Forschungen und einer ganzen Reihe sozialer Bewegungen. Genau das ist lebendige Philosophie. Man versteht ja, dass manche sich über die heutige Leere bekla­ gen und sich im Reich der Ideen ein wenig Monarchie wünschen.

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Aber wer einmal in seinem Leben einen neuen Ton gefunden, eine neue Sichtweise, einen neuen Weg, etwas zu tun, der wird, glaube ich, niemals mehr das Bedürfnis verspüren, darüber zu lamentieren, dass die Welt ein Irrtum und die Geschichte voller inexistenter Dinge sei. Es ist an der Zeit, dass die anderen schweigen, damit wir ihre Missfallensbekundungen nicht mehr hören müssen. Übersetzt von Michael Bischoff

28 6 Die Fantasien des 19. Jahrhunderts »Uimmaginazione dell’Ottocento«, in: Corriere delia sera, Bd. 105, Nr. 223, 30. September 1980, S. 3.

Der von P. Boulez dirigierte und von P. Chéreau inszenierte »Jahrhunderi-Ring« hat gerade seine fünfte und letzte Spielzeit been­ det. Anderthalb Stunden Applaus, nachdem Walhalla ein weiteres Mal in den Flammen untergegangen ist und die Inszenierung ihre einhunderterste Aufführung erlebt hat. Vergessen die Buhrufe des ersten Jahres, die Kündigung mehrerer Musiker, die schlechte Stimmung im Orchester und bei manchen Sängern. Vergessen auch das Aktionskomitee für die Rettung des Wagner’schen Wer­ kes die Flugblätter und anonymen Briefe, in denen zur Ermor­ dung des Dirigenten und des Regisseurs aufgefordert wurde. Gewiss, immer noch spuken auf den Hängen des grünen Hü­ gels einige nicht ausgetriebene Geister. Dieser unerwartete, von Ausländern auf die Bühne gebrachte Ring hat sie möglicherweise geweckt. In den Bayreuther Buchhandlungen findet sich unter Hunderten von Werken über, für oder gegen Wagner (nach Jesus Christus scheint ihm alljährlich die umfangreichste Bibliographie gewidmet zu sein) ein kleines Bändchen, dessen Umschlag eine seltsame Fotografie zeigt: Winifred Wagner, die Schwiegertochter, reicht hochmütig einem kleinen Mann die Hand, der respektvoll den Kopf neigt, um ihr die Hand zu küssen. Man sieht nur den Rücken des Mannes, doch das verlorene Profil lässt die Haarlocke und den kleinen Schnauzbart erahnen. Wer erweist hier wem die Ehre? Die regierende Erbin dem Maler und Diktator oder umge­

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kehrt? Mir scheint, solchen Fragen haben nur recht wenige ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Die Zeiten haben sich verändert. Heute fragt man sich kaum noch: Was haben jene Leute mit Wagner gemacht, die einst die blonde Kriegerrasse, die hingeschlachteten Schlächter, ins Gemet­ zel schickten? Man fragt sich nicht einmal mehr, was Wagner ge­ tan hat, um sie zu ermutigen. Stattdessen fragt man, was wir heute mit dem unvermeidlichen Wagner tun sollen. Was sollen wir vor allem mit dieser Tetralogie tun, die Wagners Gesamtwerk beherrscht und von allen Werken am stärksten kon­ taminiert wurde? Wenn es den Ring nicht gäbe, hätten die Regis­ seure ein leichteres Leben. Und leichter fiele uns auch das Ver­ hältnis zu unserer allernächsten Kultur. Unmittelbar nach dem Krieg fand man eine elegante Lösung: die von Wieland Wagner vorgenommene symbolische Entklei­ dung, die nahezu unveränderlichen Formen der alters- und hei­ matlosen Mythen. Dann gab es die schmucklose politische Lö­ sung von Joachim Herz, die für Ostdeutschland bestimmt war und den Ring entschieden in den historischen Gefilden der Revo­ lutionen von 1848 verankerte. Und schließlich gab es die »raffi­ nierte« Lösung: Peter Stein entdeckte das Geheimnis des Rings im Theater des 19. Jahrhunderts. Wenn sein Walhalla sich öffnet, er­ weist es sich als Tanzsaal der Pariser Oper. All diese Lösungen vermeiden den direkten Umgang mit der für Wagner typischen Mythologie, diesem Pech, diesem gefährlich entzündlichen, aber auch ziemlich lächerlichen Stoff. Boulez, Chéreau und der Bühnenbildner Peduzzi gingen ein größeres Wagnis ein. Sie wollten sich ganz direkt auf diese My­ thologie einlassen. Gegen jegliche Evidenz rief die alte Bayreuther Garde Verrat. Obwohl es sich doch um eine Rückkehr zu Wagner handelte. Zum Wagner des »Musikdramas« im Unterschied zur Oper. Zu dem Wagner, der die Fantasien des 19. Jahrhunderts auf­ zeigen wollte. Und der sich keine Gedenkfeiern wünschte, son­ dern ein Fest, bei dem das Ritual ein immer wieder neues Ereignis sein sollte. Boulez, der strengste und kreativste Erbe der Wiener Schule, einer der bemerkenswertesten Vertreter jener formalistischen Strö­

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mung, welche die gesamte Kunst des 20. Jahrhunderts (und nicht nur die Musik) durchzogen und erneuert hat - Boulez dirigierte die Tetralogie so, als wollte er Szenen voller Lärm, Raserei und Bilder »begleiten«. Manche dachten: Ein so langes Leiden für die reinen musikalischen Strukturen, nur um sich in den Dienst solch einer Bildwelt zu stellen... Aber gerade weil Boulez Wagner aus der Sicht der Musik des 20. Jahrhunderts neu gelesen hat, konnte er den Sinn des Musik­ dramas wiederfinden. Begleitung? Aber ja, sagt Boulez, denn genau das wollte Wag­ ner. Dennoch gilt es zu begreifen, um welche Art von Begleitung es sich handelt. Seine Interpretation ist nicht bloß klarer und hel­ ler, weniger massiv und pathetisch - intelligenter und intelligibles Wenn er dem Orchester solche Zurückhaltung auferlegt, so tut er das nicht, um die Musik auf eine sekundäre Rolle zu beschränken. Ganz im Gegenteil. Er will sie gerade nicht auf die Funktion reduzieren, zu unterstreichen, zu verstärken oder anzukündigen, was auf der Bühne geschieht, und in ihrem Anschwellen nur der Resonanzkasten dieses Geschehens zu sein. Boulez nimmt die Wagner’sche Idee eines Dramas ernst, in dem Musik und Text einander nicht wiederholen und nicht nur auf unterschiedliche Weise dasselbe sagen, sondern in dem das Orchester, der Chor, das Spiel der Sänger, die Tempi der Musik, die Bewegungen auf der Bühne und das Bühnenbild wie Teile zusammenfinden und gemeinsam die Darstellungszeit, eine einzige Form, ein einzigar­ tiges Ereignis bilden. Boulez ging von der einfachen Feststellung aus, dass die Zuhö­ rer nicht taub, die Zuschauer nicht blind sind. Wenn er »alles« zu Gehör bringen möchte, so nicht, um dem Ohr zur Kenntnis zu bringen, was das Auge auch allein zu sehen vermag, sondern weil es in der Musik eine dramatische Entwicklung gibt, die mit der des Textes verschränkt ist. Für Boulez lag Wagners Motiv nicht in einem klanglichen Doppelgänger der Person, einer musikalischen Verzierung, die sie begleitet, sondern stellt selbst ein Individuum dar - aber ein musikalisches Individuum. Keine strenge, répétitive Figur, sondern eine geschmeidige, vieldeutige, reiche Struktur, ein Entwicklungsprinzip der Klangwelt. Wenn das Drama auch in der Musik sein und die Musik nicht nur das Drama wiederholen soll, dann muss man so dirigieren, wie Boulez es getan hat: eine Inter­

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pretation, die in jedem Augenblick analysiert, formt, detailliert Nietzsche sprach von Wagner’schen »Miniaturen« - und dabei die immer komplexere Dynamik des Werkes zu einer einzigen Bewe­ gung zusammenfasst. Man muss die Interpretation gehört haben, die Boulez an die­ sem letzten Abend von der Götterdämmerung gegeben hat. Un­ willkürlich erinnerte man sich an seine frühere Aussage über die Tetralogie: ein »gewaltiges Bauwerk« und Wagners »intimes Tage­ buch«. Indem Boulez, bis zur Beruhigung am Ende mit so außer­ ordentlicher Präzision diesen riesigen musikalischen Wald errich­ tete, zeichnete er gleichsam noch einmal seinen eigenen Weg nach. Und zugleich die gesamte Entwicklung eines Jahrhunderts mo­ derner Musik, die bei Wagner begonnen hatte und nach dem gro­ ßen formalistischen Abenteuer nun wieder zur Intensität und Be­ wegtheit des Dramas zurückfand. Die vollkommen entschlüsselte Form verschränkte sich mit dem Bild. In diesem Ring finden sich auch die für Chéreaus Inzenierungen typischen Spannungen: eine unausweichliche Logik in den Bezie­ hungen zwischen den Personen, eine Intelligibilität aller Elemente des Textes, Sinn und Bedeutung in jedem Augenblick und jeder Geste, so dass jegliche Beliebigkeit fehlt; und schließlich eine ge­ wollte Ungewissheit hinsichtlich Zeit und Ort, eine extreme Zer­ streuung aller Elemente der Realität. Die Rheintöchter sind Pros­ tituierte, die sich vor einem Wehr herumtreiben. Mime, ein kleiner alter Jude mit Brille, sucht in seinen Schubladen nach dem heiligen Schwert, das in Zeitungspapier eingewickelt ist. Die Götter dre­ hen ihre Runden bald wie Fürsten im Exil eines melancholischen 18. Jahrhunderts, bald wie eine nach allzu großen Unterschlagun­ gen vom Bankrott bedrohte Unternehmerfamilie. Die Walküre trägt einen Helm, doch Siegfried heiratet im Smoking. Dasselbe gilt für Peduzzis Bühnenbild: große unbewegliche Bauten, wie uralte Ruinen steil aufragende Felsen, riesige Räder, die sich durch nichts in Bewegung versetzen ließen. Aber die Räder befinden sich mitten im Wald, zwei Puttenköpfe sind in den Fels gehauen, und ein unerschütterlich dorisches Kapitell fin­ det sich an den Wänden dieses Walhalla, über dem Feuerbett der Walküre oder im Schloss der Gibichungen, das er bald wie einen von Claude Lorrain gemalten Hafen in der Abenddämmerung,

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bald im Stil der neoklassizistischen Palais der wilhelminischen Bourgeoisie erscheinen lässt. Dabei ging es Chéreau und Peduzzi keineswegs im Sinne Brechts um ein Spiel mit den verschiedenen Zeitbezügen (der Zeit, auf die das Stück sich bezieht, seiner Entstehungszeit oder der Zeit, in der es aufgeführt wird). Auch sie wollten Wagner ernst nehmen, selbst auf die Gefahr hin, die Kehrseite seines Projekts sichtbar zu machen. Wollte Wagner dem 19. Jahrhundert eine My­ thologie geben? Mag sein. Stellte er diese Mythologie nach eige­ nem Belieben aus den Bruchstücken der indoeuropäischen Legen­ den zusammen? Mag ebenfalls sein. Wollte er damit seiner Zeit die Bildwelt geben, die ihr fehlte. Und da nun sagt Chéreau nein. Denn das 19. Jahrhundert war voll von Bildern; sie waren der eigentliche Daseinsgrund all der mythologischen Rekonstruktio­ nen, die sie verwandelten und verdeckten. Chéreau hatte nicht die Absicht, den Basar der Wagner’schen Mythologie in den Himmel der ewigen Mythen zu versetzen. Er wollte die wirklich leben­ digen Bilder ausgraben, die ihm seine Kraft verliehen. Chéreau musste also diese äußerst disparaten Bilder unter Wag­ ners Text hervorholen: Bruchstücke einer Utopie, Teile von Ma­ schinen, Elemente von Stichen, soziale Typen, Ansichten von Traumstädten, Drachen für Kinder, Szenen aus dem bürgerlichen Heim im Stile Strindbergs, das Profil eines Juden aus dem Getto. Doch die eigentliche Tour de force, die ihm gelungen ist, liegt darin, dass er all diese Elemente vollständig in das Beziehungsge­ flecht zwischen den Personen und in die gewaltigen Bildvisionen ^eingefügt hat, die Peduzzi ihm vorschlägt. Chéreaus Inszenierung ist immer voller Humor. Sie ist niemals auf bösartige Weise reduk­ tiv. Er sagt nicht, wie gelegentlich behauptet: »Wagners Mytholo­ gie war doch nur dieser ganze Schund für bourgeoise Parvenüs.« Er unterwirft das gesamte Material der Verwandlung durch Schönheit und der Kraft der dramatischen Spannung. In gewisser Weise kehrt er zur Wagner’schen Mythologie mit ihren vielfälti­ gen, lebendigen Bildern zurück und macht aus diesen Bildern, deren paradoxen Glanz und totale Logik er aufzeigt, einen My­ thos, aber diesmal für uns. Auf der Bayreuther Bühne, auf der Wagner eine Mythologie für das 19. Jahrhundert erschaffen wollte, lassen Chéreau und Peduz­ zi die für das 19. Jahrhundert typische Bildwelt erstehen, die Wag-

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ner ohne Zweifel mit Bakunin, Marx und Dickens, mit Jules Verne und Böcklin, mit den Erbauern der Fabriken und der bürgerlichen Palais, den Illustratoren von Kinderbüchern und den Verfechtern des Antisemitismus teilte. Und sie lassen sie erstehen als die ganz nahe Mythologie, die uns heute beherrscht. Sie verleihen diesen Fantasien des 19. Jahrhunderts - von denen wir immer noch so stark geprägt und so schwer verwundet sind - die schreckliche Größe einer Mythologie. Boulez entfaltete das enge Gewebe der Entwicklung der zeitge­ nössischen Musik. Zugleich ließen Chéreau und Peduzzi das Wagner'sche Universum in den Himmel einer Mythologie aufsteigen, die wir als unsere eigene erkennen müssen. So kann Wagner in der wiedergefundenen Aktualität der Musik nicht mehr gebieterisch seine Mythologie auf uns übertragen, denn er ist ein Teil von uns geworden. Wolfgang Wagner fragte sich am letzten Abend dieses Rings, welcher andere Ring nun noch möglich sei. Das können wir nicht wissen, denn Bayreuth muss nun nicht mehr Stätte der Bewah­ rung eines mythisch sich selbst gleich bleibenden Wagner sein während Tradition bekanntlich im »Laisser-aller« besteht. In Zu­ kunft wird Bayreuth der Ort sein, an dem man Wagner endlich selbst als einen der Mythen unserer Gegenwart behandeln wird. Übersetzt von Michael Bischoff

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Das wahre Geschlecht »Le vrai sexe«, in: Arcadie, 27. Jg., Nr. 323, November 1980, S. 617-625. Bei dem Artikel handelt es sich um den geringfügig erweiterten französi­ schen Text des Vorworts zur amerikanischen Ausgabe von Barbin, dite Alexina B .1 Im Anhang dieser Ausgabe ist eine Erzählung von Panizza, »Ein skandalöser Fall«, abgedruckt, zu der sich der Autor durch Alexinas Fall hatte inspirieren lassen. Wahrscheinlich kannte Panizza den Fall aus der medizinischen Literatur der Zeit. In Frankreich erschienen die Le1 Dt. Über Hermaphrodismus, Frankfurt am Main 1998.

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benserinnerungen der H erculine Barbin bei Gallimard, und Panizzas Text findet sich in einer Sammlung von Erzählungen, die unter dem Titel Un scandale au couvent bei den Editions de la Différence erschienen. René de Céccaty hat mich auf die Verbindung zwischen Panizzas Erzählung und der Geschichte der Alexina B. hingewiesen.

Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht? Mit einer an Hals­ starrigkeit grenzenden Beharrlichkeit haben die modernen Gesell­ schaften des Westens diese Frage mit Ja beantwortet. Hartnäckig stellen sie das Problem des »wahren Geschlechts« in einen Kon­ text, in dem man meinen könnte, allein die körperliche Realität und die Intensität der Lust spielten eine Rolle. Doch lange Zeit hat man solche Forderungen nicht gestellt. Das beweist die Geschichte des Status, den Medizin und Recht den Hermaphroditen zuwiesen. Denn es dauerte sehr lange, bis man postulierte, dass der Hermaphrodit ein einziges, wahres Ge­ schlecht haben müsse. Jahrhundertelang hatte man ganz einfach angenommen, dass er zwei Geschlechter besaß. Eine Monstrosi­ tät, die Schrecken erregte und nach Buße verlangte? In Wirklich­ keit stellt die Situation sich weitaus komplizierter dar. Es gibt in der Tat aus der Antike und dem Mittelalter einige Zeugnisse für die Tötung von Hermaphroditen. Es findet sich aber auch eine umfangreiche Rechtsprechung ganz anderer Art. Das kanonische und bürgerliche Recht des Mittelalters ist in der Frage ganz klar. Als Hermaphroditen galten Menschen, die in unterschiedlichen Proportionen beide Geschlechter in sich vereinigten. In diesem Fall war es Aufgabe des Vaters oder des Paten (der dem Kind den Namen gab), bei der Taufe das Geschlecht festzulegen, das Geltung haben sollte. Im Zweifelsfall riet man, das Geschlecht zu wählen, das zu überwiegen schien, weil es »die größere Stärke« oder »die größere Wärme« besaß. Aber später, an der Schwelle zum Erwachsenenalter, wenn die Frage der Heirat sich stellte, durfte der Hermaphrodit selbst entscheiden, ob er das ihm zuge­ wiesene Geschlecht behalten wollte oder dem anderen Geschlecht den Vorzug gab. Einzige Bedingung: Er durfte nicht nochmals wechseln, sondern musste sich bis an sein Lebensende an die ein­ mal getroffene Entscheidung halten, wenn er nicht als Sodomit gelten wollte. Solche Meinungsänderungen und nicht die anato­ mische Vermischung der Geschlechter waren Anlass für die meis­

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ten Verurteilungen von Hermaphroditen, die uns in Frankreich aus dem Mittelalter und der Renaissance überliefert sind. [Seit dem 17. Jahrhundert]2 führten die biologischen Theorien der Sexualität, die rechtliche Stellung des Individuums und die Formen staatlicher Kontrolle in den modernen Staaten nach und nach zur Ablehnung des Gedankens einer Mischung beider Ge­ schlechter in ein und demselben Körper und damit auch zur Einschränkung der Entscheidungsfreiheit für Personen mit unge­ wissem Geschlecht. Von nun an hatte jeder nur ein einziges Ge­ schlecht. Jeder besaß ein eigentliches, tief verwurzeltes, bestimmtes und bestimmendes Geschlecht. Die möglicherweise auftretenden Elemente des jeweils anderen Geschlechts konnten nur nebensäch­ lich, oberflächlich oder sogar bloße Täuschung sein. Für die Medi­ zin heißt das, bei einem Hermaphroditen geht es nun nicht mehr darum, ein Nebeneinander oder eine Vermischung beider Ge­ schlechter zu unterstellen und herauszufinden, welches der beiden überwiegt, sondern das wahre Geschlecht zu ermitteln, das sich unter den verwirrenden Erscheinungsformen verbirgt. Der Arzt muss gleichsam die irreführende Anatomie abheben und hinter den Organen, die möglicherweise das entgegengesetzte Geschlecht Vortäuschen, nach dem einzig wahren Geschlecht suchen. Wer zu sehen und zu untersuchen versteht, für den ist die Vermischung der Geschlechter nur eine Verkleidung der Natur. Hermaphroditen sind stets »Scheinhermaphroditen«. So jedenfalls lautet die These, die sich im 18. Jahrhundert über eine Reihe spektakulärer und lei­ denschaftlich diskutierter Fälle durchzusetzen beginnt. Aus rechtlicher Sicht verschwindet damit natürlich die Grund­ lage für die Wahlfreiheit. Nun darf nicht mehr der Einzelne selbst entscheiden, welches Geschlecht er juristisch und sozial haben will. Vielmehr müssen Fachleute entscheiden, welches Geschlecht die Natur ihm zugewiesen hat, und die Gesellschaft darf von ihm verlangen, dass er sich daran hält. Wenn die Justiz angerufen wird (etwa wenn jemand im Verdacht steht, nicht unter seinem wahren Geschlecht zu leben und missbräuchlich eine Ehe eingegangen zu sein), muss sie die Legitimität einer bislang nicht hinreichend erkannten Natur herstellen oder wiederherstellen. Aber wenn die Natur den Beobachter mit ihren Fantasien und Zufällen zu 2 Die in eckige Klammern gesetzten Textteile fehlen in der amerikanischen Ausgabe.

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»täuschen« und das wahre Geschlecht eine Zeit lang zu verbergen vermag, kann auch der Einzelne in den Verdacht geraten, er ver­ berge das tiefgründige Wissen um sein wahres Geschlecht und nutze ein paar anatomische Absonderlichkeiten, um den eigenen Körper so zu gebrauchen, als gehörte er dem anderen Geschlecht an. Kurz, die Trugbilder der Natur können auch den Verirrungen der Libertinage dienen. Daher das moralische Interesse an der medizinischen Feststellung des wahren Geschlechts. Ich weiß, dass die Medizin des 19. und 20. Jahrhunderts man­ ches an dieser simplen reduktionistischen Erklärung verändert hat. Niemand würde heute mehr sagen, alle Hermaphroditen seien »Scheinhermaphroditen«, auch wenn man den Bereich, in dem man früher eine Vielzahl unterschiedlicher anatomischer Anomalien ohne jede Ordnung zusammenfasste, beträchtlich ein­ gegrenzt hat. Heute gibt man dem Einzelnen die Möglichkeit, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, ein Geschlecht anzu­ nehmen, das nicht sein biologisches Geschlecht ist. Dennoch ist die Vorstellung, wonach jeder Mensch letztlich ein wahres Geschlecht besitzt, keineswegs vollständig verschwunden. Unabhängig von den Ansichten der Biologen zu dieser Frage findet man nicht nur in der Psychiatrie, der Psychoanalyse und der Psychologie, sondern auch in der öffentlichen Meinung die diffuse Vorstellung, dass zwischen Geschlecht und Wahrheit ein komplexes, dunkles, aber wesenhaftes Verhältnis besteht. Ganz sicher ist man toleranter gegenüber Praktiken, die gegen die Ge­ setze verstoßen. Aber man glaubt auch weiterhin, dass manche von ihnen eine Beleidigung für »die Wahrheit« seien. Ein »passi­ ver « Mann, eine »virile« Frau, gleichgeschlechtliche Liebe - man ist zwar bereit, darin keinen gravierenden Verstoß gegen die herr­ schende Ordnung zu erblicken, aber man ist doch auch bereit, sie gleichsam für einen »Irrtum« zu halten. Einen Irrtum im traditio­ nell philosophischen Sinne als etwas, das der Realität nicht ange­ messen ist. Die geschlechtliche Unregelmäßigkeit wird mehr oder weniger dem Reich der Schimären zugeordnet. Deshalb kommt man nur schwer von dem Gedanken los, dass es sich um ein Ver­ brechen handele; und noch schwerer von dem Verdacht, dass es sich um nachsichtige3, aber letztlich doch nutzlose »Erfindungen« 3 In der amerikanischen Ausgabe heißt es: »ungewollte oder nachsichtige ... Erfin­ dungen«.

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handelt, die man besser aufgäbe. Erwacht aus eurer illusorischen Lust, ihr jungen Leute, legt eure Verkleidung ab, und erinnert euch an euer wahres Geschlecht! Außerdem glaubt man, dass man in der Geschlechtlichkeit nach den geheimsten und tiefsten Wahrheiten des Individuums suchen müsse, dass man dort am ehesten entdecken könne, was ein Mensch ist und was ihn bestimmt. Und während man jahrhunder­ telang meinte, alles Geschlechtliche aus Gründen der Scham ver­ bergen zu müssen, wissen wir heute, dass gerade das Geschlecht die geheimsten Bereiche des Individuums verbirgt: die Struktur seiner Träume, die Wurzeln seines Ich, die Formen seiner Bezie­ hung zur Realität. Am Grunde der Geschlechtlichkeit liegt die Wahrheit. Am Kreuzungspunkt dieser Vorstellungen - wonach wir uns über unser Geschlecht nicht täuschen dürfen und unser Ge­ schlecht das Allerwahrste in uns enthüllt - entfaltet die Psycho­ analyse ihre kulturelle Wirkung. Sie verspricht uns unser wahres Geschlecht und zugleich die ganze Wahrheit über uns selbst, die insgeheim darin ruht. Die Lebenserinnerungen der Alexina B. sind ein Dokument dieser merkwürdigen Geschichte des »wahren Geschlechts« - nicht das einzige, aber doch eines von ganz wenigen. Sie sind das Tagebuch oder eher die Erinnerungen eines jener Menschen, die von der Medizin und Justiz des 19. Jahrhunderts intensiv nach ihrer wah­ ren sexuellen Identität befragt wurden. Herculine Barbin wuchs als armes, fleißiges Mädchen in einer nahezu vollkommen weiblichen und stark religiös geprägten Um­ gebung auf. Dort erhielt sie den Beinamen Alexina. Man erkannte schließlich, dass sie »in Wahrheit« ein Junge war, und zwang sie, nach einem Gerichtsverfahren und der Abänderung ihres Zivil­ standes, das männliche Geschlecht anzunehmen. Da sie sich in ihrer neuen sexuellen Identität nicht zurechtfand, beging sie schließlich Selbstmord. Ich wäre versucht, die Geschichte als ba­ nal zu bezeichnen, wären da nicht zwei oder drei Dinge, die ihr eine besondere Intensität verleihen. Da ist zunächst die Zeit. Die Jahre von 1860 bis 1870 gehören zu den Zeiten, in denen man die Identität mit größter Intensität

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im Bereich des Sexuellen sucht: das wahre Geschlecht der Herm­ aphroditen, aber auch die Identifizierung, Klassifizierung und Be­ schreibung der verschiedenen Perversionen, kurz, das Problem des Individuums und der Gattung im Bereich der sexuellen Ano­ malien. Unter dem Titel »Question d'identité« erschien denn auch 1860 in einer medizinischen Zeitschrift der erste Artikel über A. B.4 Und in einem Buch mit dem Titel Question médico-légale de Videntité veröffentlichte Tardieu den einzigen Teil seiner Er­ innerungen, der erhalten geblieben ist.5 Herculine-Adelaide Bar­ bin oder Alexin Barbin oder auch Abel Barbin, die sich in ihren eigenen Aufzeichnungen Alexina oder Camille nannte, war einer jener unglücklichen Helden der Identitätssuche. Mit jenem eleganten, gezierten, anspielungsreichen, ein wenig pathetischen und altmodischen Stil, den man damals in den Mädchenpensionaten nicht nur als Schreibstil, sondern als Lebenswei­ se pflegte, entzieht sich der Text jeder eindeutigen Identifizierung. Das harte Wahrheitsspiel, dem die Ärzte Alexinas ungewisse Ana­ tomie später unterzogen, hatte niemand spielen wollen in jener vornehmlich von Frauen geprägten Umgebung, in der sie bis zu einer Entdeckung lebte, die von allen nach besten Kräften hinaus­ gezögert und schließlich von zwei Männern, einem Priester und einem Arzt, erzwungen wurde. Diesen etwas schlaksigen, gar nicht anmutigen und inmitten all der jungen Mädchen immer stärker abweichenden Körper scheint man zwar gesehen, aber nicht wahrgenommen zu haben. Dennoch übte er auf alle oder fast alle einen gewissen Zauber aus, der den Blick trübte und Fragen im Keim erstickte. Die Wärme, die dieses fremdartige We­ sen in die liebkosenden Blicke zwischen den Heranwachsenden legte, wurde von allen mit großer Zärtlichkeit aufgenommen, zu­ mal sie frei von jeder Neugier war. Junge Mädchen mit falscher Naivität und ältliche Lehrerinnen, die sich auszukennen glaubten, waren so blind, wie man es aus griechischen Fabeln kennt, wenn sie diesen schmächtigen, in ihrem Mädchenpensionat versteckten Achill sahen, ohne ihn zu sehen. Man hat den Eindruck - zumin4 Chesnet, »Question d'identité; vice de conformation des organes génitaux ex­ ternes; hypospadias; erreur sur le sexe«, Annales d’hygiène publique et de médecine légale, Bd. XIV, 1. Teil, Juli 1860, S. 206-209. 5 A. Tardieu, Question médico-légale de l’identité dans ses rapports avec les vices de conformation des organes sexuels, Paris, 2. Ausg., 1874.

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dest wenn man Alexinas Darstellung glaubt-, als geschähe all das in einer Welt aus Aufwallungen, Vergnügungen, Betrübnissen, aus milden, sanften und bitteren Gefühlen, in der die Identität der Partner und insbesondere die der rätselhaften Person, um die sich alles drehte, keine Rolle gespielt hätte.6 [In der Kunst der geistigen Lenkung benutzt man oft den Aus­ druck »Diskretion«. Ein ganz eigentümliches Wort, das die Fähig­ keit bezeichnet, Unterschiede zu erkennen, Gefühle bis in die kleinsten Regungen der Seele hinein zu differenzieren, das Unrei­ ne im Reinen ausfindig zu machen und in den Anwandlungen des Herzens zu unterscheiden, was von Gott kommt und was der Verführer eingeflüstert hat. Diskretion unterscheidet, wenn es sein muss, bis ins Unendliche. Sie muss »diskret« sein, weil sie in die geheimen Winkel des Bewusstseins eindringt. Doch mit diesem Wort bezeichnen die Lenker des Geistes auch die Fähigkeit, Maß zu halten, nicht zu weit zu gehen, nicht über Dinge zu spre­ chen, die besser ungesagt bleiben, und im Dunkeln zu belassen, was gefährlich werden könnte, wenn man es ans Tageslicht holt. Man kann sagen, Alexina konnte lange in der »Diskretion« leben, die typisch für Klöster, Pensionate und die christlich-weibliche Eingeschlechtlichkeit war. Und dann geriet sie - das war ihr Un­ glück - in den Bereich einer ganz anderen »Diskretion«. In den der Staatsverwaltung, der Justiz und der Medizin. Die Nuancen und feinen Unterschiede, auf die man im Pensionat achtete, waren dort belanglos. Und worüber man im Pensionat schwieg, das wurde dort klar und deutlich ausgesprochen. Hier kann eigentlich nicht mehr von Diskretion die Rede sein; es geht vielmehr um Analyse.] Die Erinnerungen an dieses Leben schrieb Alexina auf, als ihre neue Identität entdeckt und festgeschrieben worden war. Ihre »wahre« und »endgültige« Identität. Aber es ist klar, dass sie nicht aus der Sicht dieses endlich gefundenen oder wiedergefundenen Geschlechts schrieb. Hier spricht nicht endlich der Mann, der sich an seine Empfindungen und an sein Leben in jener Zeit zu er­ innern versucht, als er noch nicht »er selbst« war. Als Alexina ihre Lebenserinnerungen niederschreibt, ist sie ihrem Selbstmord nicht mehr fern. Für sie selbst ist sie immer noch ohne bestimmtes Ge­ schlecht. Aber sie ist nun des Genusses beraubt, den sie einst em­ 6 In der amerikanischen Ausgabe heißt es: »Es scheint...

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pfand, weil sie nicht oder nicht ganz dasselbe Geschlecht hatte wie die Menschen, unter denen sie lebte, die sie liebte und die sie so sehr begehrte. Wovon sie aus ihrer Vergangenheit berichtet, ge­ hört zu jenen glücklichen Rändern einer Nichtidentität, die para­ doxerweise von dem Leben in diesen engen, warmen, geschlosse­ nen Gesellschaften geschützt wurde, in denen man das seltsame, zugleich obligatorische und verbotene Glück genoss, nur ein ein­ ziges Geschlecht zu kennen. [Das macht es möglich, dessen Ab­ stufungen, Moirierung, Halbdunkel und Färbungen aufzuneh­ men, die ebenso wechselhaft sind wie die Natur seiner Natur. Das andere Geschlecht mit seinen Teilhabe- und Identitätsforde­ rungen ist nicht da und kann so auch nicht sagen: »Wenn du nicht genau und identisch du selbst bist, dann bist du ich. Ob Anma­ ßung oder Irrtum, spielt keine Rolle. Du wärst zu verdammen, wenn du dabei bliebest. Kehre in dich selbst zurück, oder gebe auf und akzeptiere, ich zu sein.« Mir scheint, Alexina wollte weder das eine noch das andere. Sie empfand nicht diesen heftigen Wunsch, sich dem »anderen Geschlecht« anzuschließen, wie an­ dere es taten, die sich von ihrer Anatomie verraten oder in einer falschen Identität gefangen fühlten. Ich glaube, es gefiel ihr, in dieser eingeschlechtlichen Welt, der all ihre Gefühle und all ihre Liebe galten, »anders« zu sein, ohne dem »anderen Geschlecht« angehören zu müssen. Sie war weder eine Frau, die Frauen liebte, noch ein Mann, der sich unter Frauen verbarg. Alexina war das identitätslose Subjekt eines großen Verlangens nach den Frauen. Und diesen Frauen war sie ein Anziehungspunkt ihrer Weiblich­ keit und für ihre Weiblichkeit, ohne dass sie gezwungen waren, aus ihrer vollkommen weiblichen Welt herauszutreten.] Die meisten Menschen, die über den Wechsel ihres Geschlechts berichten, gehören einer ausgeprägt zweigeschlechtlichen Welt an. Das Unglück ihrer Identität findet seinen Ausdruck in dem drän­ genden Wunsch, auf die andere Seite zu wechseln - auf die Seite des Geschlechts, das sie haben möchten oder dem sie angehören wollen. Hier dagegen dient die ausgeprägte Eingeschlechtlichkeit des religiösen und schulischen Lebens als Grundlage für jene zärt­ lichen Freuden, zu denen die sexuelle Identitätslosigkeit findet, wenn sie sich inmitten all dieser einander ähnlichen Körper be­ wegt.

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Weder Alexinas Fall noch ihre Lebenserinnerungen scheinen da­ mals größere Aufmerksamkeit erregt zu haben.7 A. Dubarry, ein Vielschreiber, der Abenteuergeschichten und pornographische Arztromane verfasste, wie man sie damals so sehr liebte, über­ nahm aus der Geschichte der Herculine Barbin offenbar einige Elemente für seinen Roman Hermaphrodite.8 In Deutschland da­ gegen fand Alexinas Leben ein bemerkenswertes Echo. Und zwar in einer Erzählung von Panizza, die den Titel »Ein skandalöser Fall«9 trägt. Dass Panizza über Tardieus Buch Kenntnis von Alex­ inas Text erhielt, ist nicht weiter erstaunlich, denn er war Psychia­ ter und hielt sich 1881 in Frankreich auf. Dort interessierte er sich mehr für Literatur als für Medizin, und wenn er nicht bei dieser Gelegenheit auf das Buch über die Question médico-légale de l'identité stieß, fand er es wahrscheinlich in einer deutschen Bib­ liothek, als er 1882 zurückkehrte und sich eine Zeit lang als Ner­ venarzt betätigte. Die imaginäre Begegnung zwischen der jungen Französin mit ungewissem Geschlecht und dem leidenschaftli­ chen Psychiater, der später in einer Bayreuther Nervenklinik ster­ ben sollte, ist dagegen sehr erstaunlich. Auf der einen Seite die flüchtigen, namenlosen Freuden, die in der Wärme katholischer Institutionen und Mädchenpensionate aufkommen, auf der ande­ ren die antiklerikale Raserei eines Mannes, in dem sich ein ag­ gressiver Positivismus auf bizarre Weise mit einem Verfolgungs­ wahn verband, in dessen Mittelpunkt Wilhelm II. stand. Auf der einen Seite seltsame heimliche Liebesbeziehungen, die schließlich durch eine Entscheidung von Ärzten und Richtern unmöglich gemacht wurden; auf der anderen ein Arzt, der zu einem Jahr

7 In der amerikanischen Ausgabe heißt es weiter: »In seinem umfangreichen Ver­ zeichnis bekannter Fälle von Hermaphrodismus fasst Neugebauer den Fall zusam­ men und führt ein längeres Zitat an.« Dem folgt die Fußnote: »Neugebauer (F. L. von), Hermaphroditismus beim Menschen, Leipzig 1908, S. 748. Der Herausgeber setzt dort irrtümlich den Namen Alexina unter ein Porträt, das offensichtlich nicht ihres ist.« 8 So hat A. Dubarry eine ganze Reihe von Erzählungen unter dem Titel Les Dés­ équilibrés de Vamour geschrieben; außerdem Les Invertis (le vice allemand), Paris 1896; U Hermaphrodite, Paris 1897; Coupeur de nattes, Paris 1898; Les Femmes eunuques, 2. Ausg. Paris 1899; Le Plaisir sanglant, Paris 1901. 9 O. Panizza, »Ein skandalöser Fall«, in ders., Visionen der Dämmerung, Leipzig 1893.

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Zuchthaus verurteilt wurde, weil er Das Liebeskonzil,10 eines der »skandalösesten« antiklerikalen Werke einer an solchen Büchern keineswegs armen Zeit, geschrieben hatte, und der später aus der Schweiz, wo er Zuflucht gesucht hatte, ausgewiesen wurde, weil er eine Minderjährige verführt haben sollte. Das Ergebnis ist recht bemerkenswert. Panizza bewahrte einige wichtige Elemente des Falls, sogar den Namen Alexina B. und die Szene der ärztlichen Untersuchung. Aus Gründen, die ich nicht ganz nachvollziehen kann, veränderte er dagegen die medizi­ nischen Berichte (vielleicht hatte er Tardieus Buch nicht zur Hand und stützte sich daher auf seine Erinnerung an die Lektüre oder auf einen anderen Bericht, den er zur Hand hatte und der sich mit einem ähnlichen Fall befasste). Und er veränderte die gesamte Handlung: die Zeit, zahlreiche inhaltliche Elemente und die ganze Atmosphäre. Vor allem aber wechselte er von einer subjektiven zu einer objektiven Erzählweise. Das Ganze erinnert nun eher an das 18. Jahrhundert. Diderot und Die Nonne sind nicht fern. Ein rei­ ches Kloster für Mädchen aus der Aristokratie; eine sinnliche Oberin, die ihrer jungen Nichte eine zweifelhafte Zuneigung zu­ kommen lässt; Intrigen und Rivalitäten unter den Nonnen; ein gebildeter, skeptischer Priester; ein leichtgläubiger. Landpfarrer und Bauern, die nach ihren Mistgabeln greifen, um den Teufel zu vertreiben - eine überreizte Libertinage und ein halb naives Spiel nicht ganz unschuldiger Glaubensvorstellungen, die ebenso weit entfernt sind von Alexinas provinziellem Ernst wie von der barocken Gewalttätigkeit des Liebeskonzils. Doch durch die Erfindung dieser pervers-galanten Landschaft lässt Panizza in der Mitte seiner Erzählung eine große dunkle Fläche entstehen, und genau dort befindet sich Alexina. Schwes­ ter, Maitresse, beunruhigendes Unschuldslamm, vom Weg abge­ kommener Cherubim, Geliebte, Geliebter, durch die Wälder streifender Faun, Inkubus, der sich in die heißen Schlafsäle schleicht, Satyr mit behaarten Beinen, Dämon, den man austreibt - Panizza zeigt nur ihr flüchtiges Profil, das die anderen wahr­ nehmen. Sie, der Mädchenjunge, das keineswegs ewig MännlichWeibliche, ist nichts anderes als das, was des Abends durch die Träume, Begierden und Ängste eines jeden geistert. Panizza woll10 O. Panizza, Das Liebeskonzil Eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen, Zürich 1895 (zuerst 1894).

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te sie zu einer namenlosen Schattenfigur ohne jede Identität ma­ chen, die sich am Ende der Erzählung verflüchtigt, ohne eine Spur zu hinterlassen. Er wollte sie nicht einmal durch einen Selbstmord fixieren, in dem sie wie Abel Barbin zu einer Leiche würde, der neugierige Arzte schließlich kleinlich ein Geschlecht zuwiesen. Ich habe diese beiden Texte nebeneinander gestellt und meine, dass sie gemeinsam publiziert werden sollten, weil sie jenem Ende des 19. Jahrhunderts angehören, das sich so stark vom Thema des Hermaphroditen faszinieren ließ - etwa wie das 18. Jahrhundert vom Thema des Transvestiten. Aber auch weil dadurch deutlich wird, welche Spur diese kleine, kaum skandalöse Chronik aus der Provinz in der unglücklichen Erinnerung der Hauptperson, im Wissen der beteiligten Ärzte und in der Fantasie eines Psychiaters hinterließ, der auf seine Weise dem eigenen Wahnsinn entgegenging*

Übersetzt von Michael Bischoff

288 Roland Barthes (12. November 1915 - 26. März 1980) »Roland Barthes (12 novembre 1915-26 mars 1980)«, in: Annuaire du College de France, 1980, S. 61-62.

Nun muss ich schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit zu Ihnen über Roland Barthes sprechen. Als ich Ihnen vor einigen Jahren den Vorschlag machte, ihn hier als Kollegen aufzunehmen, enthob mich die Bedeutung und Ori­ ginalität eines seit mehr als zwanzig Jahren anerkannt glanzvoll verfolgten Werkes der Notwendigkeit, zur Stützung meines Vor­ schlags auf die Freundschaft zu verweisen, die mich mit ihm ver­ band. Ich brauchte sie nicht zu vergessen, aber ich konnte davon abstrahieren. Denn das Werk war da. Dieses Werk ist nun allein. Es wird auch weiterhin sprechen. Andere werden es sprechen lassen und darüber sprechen. Erlau­ ben Sie mir darum bitte, heute Nachmittag nur über die Freund­ schaft zu sprechen. Die Freundschaft, die mit dem ansonsten von

288 Roland Barthes (12. N ovem ber 1915 - 26. März 1980)

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ihr verachteten Tod zumindest gemein hat, dass sie nicht ge­ schwätzig ist. Als Sie ihn wählten, kannten Sie ihn. Sie wussten, dass Sie sich für das seltene Gleichgewicht zwischen Intelligenz und Schöp­ fung entschieden. Sie wählten jemanden - und wussten das sehr wohl -, der die paradoxe Fähigkeit besaß, die Dinge so zu ver­ stehen, wie sie sind, und sie zugleich in unvergleichlicher Frische ganz neu zu erfinden. Es war Ihnen bewusst, dass Sie einen gro­ ßen Schriftsteller wählten, also einen Schriftsteller, der keiner wei­ teren Qualifikation bedarf. Und einen erstaunlichen Lehrer, des­ sen Lehre für alle, die ihrer teilhaftig wurden, kein Unterricht, sondern eine Erfahrung war. Aber ich glaube, im Laufe dieser wenigen, mehrfach unterbro­ chenen Jahre hat mehr als einer von Ihnen bei diesem Mann, der für seinen Ruhm auch mit einer gewissen Einsamkeit bezahlte, Qualitäten der Seele und des Herzens entdeckt, die Freundschaft versprachen. Ich möchte Ihnen nur eines sagen. Er hat Freundschaft für Sie empfunden. Anfangs haben Sie ihn eingeschüchtert. Alte Wun­ den, ein Leben, das nicht immer leicht war, eine Universitätslauf­ bahn, die unter widrigen Umständen und gelegentlich auch hart­ näckigem Unverständnis litt, hatten ihn misstrauisch gegen die Institutionen gemacht. Aber er war erstaunt und - ich kann das sagen, weil er es mir gesagt hat - sogar bezaubert von der Art, wie Sie ihn aufgenommen haben: aufmerksam, großzügig, mit Sympa­ thie und wechselseitigem Respekt. Er liebte die Heiterkeit dieses Hauses. Er war Ihnen dankbar dafür, dass er es durch Sie kennen lernen konnte und dass Sie es verstanden, diese Institution lebendig zu erhalten. Dafür war er dankbar - vor allem Herrn Horeau - und Ihnen allen. Auch der Verwaltung, wie ich hervorheben möchte, und all denen, die in irgendeiner Funktion hier arbeiten und mit denen er in Berührung kam. Ja, er empfand Freundschaft für Sie, für uns. Das Schicksal hat gewollt, dass die dumme Gewalt der Dinge die einzige Realität, die er zu hassen vermochte - all dem ein Ende bereitet, und das gleich vor dem Haus, in das einzutreten ich ihn gebeten hatte. Die Bitterkeit wäre unerträglich, wenn ich nicht wüsste, dass er glücklich war, hier zu sein, und wenn ich

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mich nicht berechtigt fühlte, Ihnen von ihm bei aller Trauer doch ein leicht lächelndes Zeichen der Freundschaft zukommen zu lassen. Übersetzt von Michael Bischoff

289 Von der Regierung der Lebenden »Du gouvernement des vivants«, in: Jahrbuch des College de France, 80. Jahr­ gang, Geschichte der Gedankensysteme, akademisches Jahr 1979-1980, 1980, S. 449-452.

Die diesjährige Vorlesung stützte sich auf Analysen aus den vo­ rangegangenen Jahren zum Begriff der »Regierung«: Dieser Be­ griff wurde in einem weiten Sinne von Techniken und Verfahrens­ weisen verstanden, die den Zweck haben, das Verhalten der Menschen zu steuern. Regierung der Kinder, Regierung der Seelen oder des Gewissens, Regierung eines Hauses, eines Staats oder von sich selbst. Innerhalb dieses sehr allgemeinen Rahmens haben wir das Problem der Gewissensprüfung und des Bekenntnisses untersucht. Tomaso de Vio nannte das Bekenntnis der Sünden im Hinblick auf das Sakrament der Buße »Akt der Wahrheit«.1 Behalten wir diese Bezeichnung mit demjenigen Sinn bei, den Cajetan ihr ver­ lieh. Es stellt sich dann folgende Frage: Wie kommt es, dass in der westlichen christlichen Kultur die Regierung der Menschen von den Regierten außer Akten des Gehorsams und der Unterwerfung »Akte der Wahrheit« verlangt, die die Besonderheit haben, dass die betreffende Person nicht nur die Wahrheit sagen soll, sondern die Wahrheit über sich selbst, über ihre Fehler, ihre Begierden, ihren Seelenzustand etc.? Auf welche Weise hat sich eine Art der Regierung der Menschen gebildet, bei der man nicht einfach gehorchen, sondern aufdecken soll, was man ist, indem man es ausspricht. Nach einer theoretischen Einleitung zum Begriff der »Herr­ 1 De Vio (Pater T.), De confessione questiones, in: Opuscula, Paris, F. Régnault, 1530.

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schaft der Wahrheit« war der längste Teil der Vorlesung den Ver­ fahrensweisen der Seelenprüfung und des Bekenntnisses im pri­ mitiven Christentum gewidmet. Zwei Begriffe, die jeweils einer bestimmten Praxis entsprechen, sind in Betracht zu ziehen: die Exbomologese und die Exagoreusis. Die Untersuchung der Exhomologese zeigt, dass dieser Begriff häufig in einem sehr weiten Sinne verwendet wird: Er bezeichnet eine Handlung, die das Ziel hat, sowohl eine Wahrheit als auch die Anerkennung dieser Wahr­ heit durch das Subjekt aufzuzeigen; eine Exhomologese seines Glaubens ablegen, bedeutet nicht nur, dass man einfach bekräftigt, was man glaubt, sondern dass man die Tatsache dieses Glaubens bekräftigt; dass man aus dem Akt der Bekräftigung einen Gegen­ stand der Bekräftigung macht und ihn so entweder vor sich selbst oder vor den anderen beglaubigt. Die Exhomologese ist eine nach­ drückliche Bekräftigung, bei der der Nachdruck sich vor allem darauf bezieht, dass die Person sich selbst an diese Bekräftigung bindet und deren Konsequenzen akzeptiert. Die Exhomologese als »Glaubensakt« ist für den Christen un­ verzichtbar, für den die offenbarten und gelehrten Wahrheiten nicht bloß eine Sache von Glaubensinhalten sind, die er akzep­ tiert, sondern von Verpflichtungen, durch die er sich bindet - die Verpflichtung an den Glaubensinhalten festzuhalten, die Autorität zu akzeptieren, die sie beglaubigt, gegebenenfalls ein öffentliches Bekenntnis abzulegen, in Übereinstimmung mit ihnen zu leben etc. Sehr bald jedoch tritt noch ein anderer Typ von Exhomolo­ gese auf: die Exhomologese der Sünden. Auch hier müssen wir Unterscheidungen treffen: Anzuerkennen, dass man gesündigt hat, ist eine Pflicht, die den Katechumenen, die die Taufe erbitten, oder den Christen obliegt, die sich für bestimmte Schwächen an­ fällig zeigten: Diesen schreibt die Didaskalie2 vor, eine Exhomo­ logese ihrer Fehler vor der Gemeinde abzulegen. Dieses »Be­ kenntnis« scheint nun damals noch nicht die Form einer öffentlichen und detaillierten Äußerung der begangenen Sünden gehabt zu haben, sondern vielmehr die eines kollektiven Ritus, bei 2 Didaskalie: Lehre der zwölf Apostel und ihrer Schüler, Kirchendokument des 3. Jahrhunderts, dessen griechisches Original verschollen ist. Übrig geblieben ist nur eine Neubearbeitung in den ersten sechs Büchern der apostolischen Konsti­ tutionen. Didaskalie, d. h. die katholische Lehre der zwölf Apostel und der heiligen Schüler unseres Erlösers (übers, v. Abbé F. Nau), Paris, Firmin Didot, 1902.

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dem jeder sich vor sich selbst und vor Gott als Sünder bekannte. Die Exhomologese nimmt einen besonderen Charakter an bei schweren Sünden, insbesondere bei Götzendienst, bei Ehebruch, bei Totschlag, sowie anlässlich von Verfolgungen und Abtrünnig­ keiten: Sie wird zu einer Bedingung der Reintegration und ist an einen komplexen öffentlichen Ritus gebunden. Die Geschichte der Bußpraktiken vom 2. bis 5.Jahrhundert zeigt, dass die Exhomologese damals nicht die Form eines ver­ balen Bekenntnisses hatte, das die verschiedenen Fehler nebst ih­ ren Umständen angab; und dass sie nicht die Vergebung der Schuld deshalb erwirkte, dass sie in kanonischer Form vor demje­ nigen vollzogen wurde, der die Macht zur Vergebung erhalten hatte. Die Buße war ein Status, den man nach einem Ritual er­ reichte und der (manchmal auf dem Totenbett) nach einem zwei­ ten Zeremoniell vollendet wurde. Zwischen diesen beiden Mo­ menten legte der Büßer die Exhomologese seiner Fehler durch die Selbstkasteiung, Bußübungen, seine Lebensweise, seine Klei­ dung, die offen zur Schau gestellte Einstellung zur Buße ab kurz, durch ein ganzes Schatispiel, in dem die sprachlichen Äuße­ rungen nicht die Hauptrolle spielten und bei dem jede analytische Aufzählung der Fehler in ihrer Besonderheit fehlte. Es ist gut möglich, dass vor der Versöhnung ein besonderer Ritus stattfand und dass man diesen in spezifischerer Weise mit »Exhomologese« bezeichnet hat. Aber selbst dann handelte es sich immer um einen dramatischen und synthetischen Ausdruck, durch den der Sünder vor allen die Tatsache anerkannte, gesündigt zu haben; er brachte diese Anerkennung in einem Schauspiel zum Ausdruck, das ihn zugleich sichtbar mit seinem Status als Sünder verband und seine Erlösung vorbereitete. Die Verbalisierung des Sündenbekenntnis­ ses tritt systematisch erst später in der kanonischen Buße auf, und zwar zuerst mit der Praxis der Bußzölle und dann ab dem 12.13. Jahrhundert, als das Sakrament der Buße eingesetzt wird. In den Klostereinrichtungen hat die Praxis des Bekenntnisses ganz andere Formen angenommen (was nicht den Rückgriff auf Formen der Exhomologese vor der versammelten Gemeinschaft ausschloss, wenn ein Mönch Fehler eines bestimmten Schwere­ grades begangen hatte). Um diese Bekenntnispraktiken im klös­ terlichen Leben zu untersuchen, haben wir uns auf die ausführ­ lichere Untersuchung in den Institutions cénobitiques und den

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Conférences von Cassian3 berufen, die unter dem Blickwinkel von Techniken zur geistlichen Leitung betrachtet wurden. Es wurden vor allem drei Aspekte analysiert: der Modus der Abhängigkeit gegenüber dem Kirchenältesten oder dem Meister, die Art und Weise der Prüfung des eigenen Gewissens und die Pflicht, über alle gedanklichen Regungen erschöpfend zu berichten: die Exagoreusis. In diesen drei Punkten treten beträchtliche Unterschiede zu den Verfahrensweisen der Gewissensleitung in Erscheinung, die sich in der antiken Philosophie finden lassen. Schematisch kann man sagen, dass in der klösterlichen Institution die Bezie­ hung zum Lehrmeister die Form eines unbedingten und ständigen Gehorsams annimmt, der sich auf alle Aspekte des Lebens bezieht und dem Novizen keinerlei Spielraum für Eigeninitiative lässt; auch wenn der Wert dieser Beziehung von der Kompetenz des Lehrmeisters abhängt, so ist es doch ebenso wahr, dass die Form des Gehorsams, gleichgültig auf welchen Gegenstand er sich be­ zieht, zu einem positiven Wert wird; schließlich reicht der Alters­ unterschied alleine nicht aus, um diese Beziehung zu rechtferti­ gen, wenn unbedingter Gehorsam von den Novizen verlangt wird und die Meister im Prinzip älter sind, und zwar sowohl, weil die Fähigkeit zur Leitung ein Charisma ist, als auch, weil der Gehor­ sam in Form der Demut eine ständige Beziehung zu sich selbst und den anderen sein soll. Die Gewissensprüfung unterscheidet sich auch sehr von der­ jenigen, die in den philosophischen Schulen der Antike empfohlen wurde. Wie diese umfasst sie zwei große Formen: die abendliche Vergegenwärtigung des vergangenen Tages und die ständige Wachsamkeit gegenüber sich selbst. Diese zweite Form ist vor allem im Mönchswesen wichtig, wie Cassian es beschreibt. Seine Verfahrensweisen zeigen deutlich, dass es nicht darum geht zu bestimmen, was man tun muss, um keinen Fehler zu begehen oder auch nur zu erkennen, ob man keinen Fehler in dem beging, was man tun konnte. Es geht darum, die Bewegung des Denkens zu erfassen (cogitatio = logismos), es genau zu prüfen, um seinen Ur­ sprung zu erfassen und herauszubekommen, wo es herkommt (von Gott, von einem selbst oder vom Teufel), und es dann zu 3 Cassian, J., Institutions cénobitiques (übers, v. J.-C. Guy), Paris, Éditions du Cerf, 1965. Conférences (übers, v. dom Pichery), Paris, Éditions du Cerf, Bd. I, Nr. 42, 1966; Bd. II, Nr. 54, 1967; Bd. III, Nr. 64, 1971.

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sortieren (was Cassian durch den Gebrauch mehrerer Metaphern beschreibt, von denen die wichtigste wahrscheinlich die des Geld­ wechslers ist, der die Münzen prüft). Cassian widmet der »Beweg­ lichkeit der Seele« eine der interessantesten Vorlesungen - er gibt dort die Ausführungen des Abts Serenus wieder -, die den Gel­ tungsbereich einer Gewissensprüfung darstellt, wobei deutlich wird, dass ihre Funktion darin besteht, die Einheit und die Be­ harrlichkeit der Kontemplation zu ermöglichen.4 Was das von Cassian vorgeschriebene Bekenntnis betrifft, so handelt es sich dabei weder um die bloße Aufzählung der began­ genen Fehler noch um eine allgemeine Beschreibung des Seelen­ zustands; alle Bewegungen des Denkens sollen ständig verbalisiert werden. Dieses Bekenntnis gestattet es dem Leiter, Ratschläge zu erteilen und eine Diagnose zu stellen: So berichtet Cassian über Beispiele von Beratungen; mehrere der Ältesten nehmen daran teil und geben ihre Meinung kund. Aber die Verbalisierung umfasst auch intrinsische Wirkungen, die sie der alleinigen Tatsache schuldet, dass sie die Bewegungen der Seele in Äußerungen ver­ wandelt, die an einen anderen gerichtet sind. Insbesondere wird das »Sortieren«, das eines der Ziele der Prüfung ist, durch die Verbalisierung vollzogen, und zwar dank des dreifachen Mecha­ nismus der Scham, die einen bei der Formulierung jedes schlech­ ten Gedankens erröten lässt, der materiellen Umsetzung dessen, was in der Seele vor sich geht, in die ausgesprochenen Wörter und der Unvereinbarkeit des Dämons (der verführt und täuscht, in­ dem er sich in den Windungen des Bewusstseins versteckt) mit dem Licht, das die Gedanken enthüllt. Es handelt sich also bei dem so verstandenen Bekenntnis um ein ständiges Veräußerlichen der »Geheimnisse« des Bewusstseins durch die Sprache. Der unbedingte Gehorsam, die ununterbrochene Prüfung und das erschöpfende Bekenntnis bilden also eine Gesamtheit, von der jedes Element die beiden anderen impliziert; die sprachliche Ma­ nifestation der Wahrheit, die sich auf dem Grunde des eigenen Selbst versteckt, erscheint wie ein unverzichtbares Element für die Regierung der Menschen untereinander, wie es etwa in den klösterlichen - und vor allem den koenobitischen - Institutionen ab dem 4. Jahrhundert realisiert wurde. Man muss jedoch betonen, 4 Cassian, J., Premiere Conférence de Vabbé Serenus, De la mobilité de Pâme et des esprits du mal, in: Conférences, a. a. O., Bd. I, Nr. 42, S. 242-277.

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dass diese Manifestation nicht zum Ziel hat, eine souveräne Selbstbeherrschung zu begründen; was man im Gegenteil erwar­ tet, ist Demut und Erniedrigung, eine Selbstablösung und die Herstellung einer Beziehung zu sich selbst, die auf die Zerstörung der Form des Selbst abzielt. Das diesjährige Seminar war bestimmten Aspekten des liberalen Denkens im 19. Jahrhundert gewidmet. Die folgenden Referate wurden gehalten: von N. Coppinger über die wirtschaftliche Ent­ wicklung am Ende des 19. Jahrhunderts, von D. Deleule über die schottische historische Schule, von P.Rosanvallon über Guizot, von E Ewald über Saint-Simon und die Saint-Simonisten, von R Pasquino über die Rolle Mengers in der Geschichte des Libe­ ralismus, von A. Schutz über Mengers Erkenntnistheorie und von C. Mevel über die Begriffe des allgemeinen Willens und des allge­ meinen Interesses. Übersetzt von Jürgen Schröder

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290 Vorwort zur zweiten Auflage »Préface à la deuxième édition«, in J, Vergés, De la stratégie judiciaire, Paris 1981, S. 5-13. In diesem Buch entwickelt Jacques Vergés eine Typologie des Strafpro­ zesses und unterscheidet zwischen zwei Formen, die er durch die Begriffe »Zustimmung« oder »Bruch« charakterisiert. Bei der einen akzeptieren Angeklagte und Verteidigung den Rahmen der bestehenden Gesetze, bei der anderen bestreiten sie die Rechtmäßigkeit der Gesetze und des Ge­ richts im Namen eines anderen Rechts. Als Anwalt inhaftierter algeri­ scher Nationalisten untersucht J. Vergés deren politische Forderung, als Kriegspartei behandelt zu werden.

Was könnte in Zeiten einer Wiederaufrüstung des Strafrechts nützlicher sein als das Bemühen, die Justiz als eine Welt zu be­ greifen, »die nicht grausamer und nicht weniger grausam ist als der Krieg oder das Geschäftsleben«, sie als »Schlachtfeld« wahr­ zunehmen, sie zu vermessen und so zu analysieren wie sie ist? Die einzig richtige Antwort auf diese Politik, deren jüngsten Ab­ kömmling das Gesetz über Sicherheit und Freiheit darstellt,1 liegt nicht in lamentierenden Überlegungen, sondern in einer Wieder­ aufrüstung der Verteidigung. Das Gesetz ist niemals gut. Es gibt keine glückliche Vergangenheit und keine bessere oder beunruhi­ gende Zukunft, sondern nur eine tote oder lebendige Verteidi­ gung. La stratégie judiciare kam erstmals im November 1968 heraus, während einer Welle der Repression gegen militante Linke. Damit 1 [Das von Justizminister Alain Peyrefitte eingebrachte und 1980 verabschiedete Gesetz über Sicherheit und Freiheit {Loi sécurité et liberté) brachte Veränderungen im Strafrecht wie auch im Strafverfahrensrecht und wurde von der linken Op­ position heftig kritisiert, weil es wichtige Zuständigkeiten von den Strafgerichten auf die Polizei verlagerte. Das Gesetz wurde im Mai 1983 von der Linken aufge­ hoben.]

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begannen vier oder fünf Jahre, in denen man ein paar einfache Prinzipien ganz frei von unseren a priori gegebenen moralischen und politischen Vorstellungen hätte zur Anwendung bringen kön­ nen. Aber die Zeit wurde vertan. »Zustimmung oder Bruch« war nur ein Schlagwort. Dank seiner Vergangenheit und seines Anse­ hens besaß Vergés eine gewisse Autorität, doch um seine eigent­ lichen Aussagen besser missachten zu können, reduzierte man alles auf Kriterien des PublikumsVerhaltens. Für den »Bruch« stand neben Dynamik, Aggressivität, Deklamation und Lautstär­ ke ein aus einigen Rechtsanwälten im Umkreis derselben Fälle gebildeter Ersatz der Défense collective.2 Aber vielleicht waren auch Kämpfer, Ziele und Kämpfe damals nicht auf der Höhe der Zeit. Dann verlangsamte sich der Absatz des Buches, als wollte man es gemeinsam mit dem Algerienkrieg verdrängen, da beides eine allzu außergewöhnliche und allzu radikale Erfahrung darstellte. In den Jahren 1976 und 1977 kam es dann wieder stärker in Um­ lauf. Dafür sorgten die Aktivisten des Comité d’action des pri­ sonniers* die aus den Gefängnissen kamen und die Prozessfüh­ rung, die Urteile und die Strafen attackierten, wie auch die Vertreter der Boutiques de droit,3 denen angesichts der alltägli­ chen Ungerechtigkeit bewusst war, dass die »armen Leute« ver­ loren sind, wenn sie sich auf »Zustimmung« einlassen. In der Stagnation der späten Linken entwickelte sich erneut eine juristi­ sche Aktionsfront, die sich gegen die alltägliche Praxis der ge­ wöhnlichen Strafverfahren wandte. Zahlreiche mehr oder weniger bedeutsame Prozesse wurden damals geführt, gegen Ausweisun­ gen, gegen Strafverfahren wegen Ladendiebstahls in Kaufhäusern oder gegen die Hochsicherheitstrakte in den Gefängnissen. Worin bestehen die wichtigsten Merkmale solch einer Verteidi­ gung? Zunächst einmal hängt alles von der Einstellung des Ange­ klagten ab. Nicht von einem Anwalt oder Richter, selbst wenn sie der Linken angehören sollten, darf man eine auf den Bruch set­ zende Verteidigung erwarten. Es gibt keine militanten Anwälte 2 [Name eines Anwaltskollektivs, das militante Linke nach dem Mai 68 verteidigte.] 3 [Juristische Beratungsstellen, oft in den Hinterzimmern von Buchhandlungen eingerichtet, die kostenlos oder gegen einen geringen Unkostenbeitrag die anwalt­ liche Vertretung in Konflikten des alltäglichen Lebens übernahmen. Der Rechts­ anwalt Christian Revon hatte an deren Einrichtung mitgewirkt.]

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oder Richter, auf die man sich stützen könnte. Zweitens verbirgt sich in jedem Prozess eine politische Konfrontation, und der Jus­ tiz geht es immer um die Verteidigung der bestehenden Ordnung. Drittens schließlich haben individuelle Moral, die Tugendhaftig­ keit der Justiz, Schuld oder Unschuld eines Menschen oder sein gutes Recht nur entfernt etwas mit einer juristischen Auseinander­ setzung zu tun, in der es allein um die Gesellschaft geht. Sich auf vermintem Gelände zu verteidigen, sich auf eine andere Moral, ein anderes Gesetz zu beziehen heißt nicht, alledem zu entgehen - das sagt Vergés uns immer wieder. Michel Foucault, Jean Lapeyrie vom Aktionskomitee Prison-Justice und verant­ wortlich für die Zeitschrift Cap,4 Dominique Nocaudie von den Boutiques de droit, Christian Revon vom Netzwerk Défense libre5 und andere nehmen wieder Kontakt zu Vergés auf und stellen ihm einige Fragen: D. Nocaudie: Aus welchen Gründen sind Ihrer Ansicht nach Anwälte und Juristen grundsätzlich gegen die auf einen Bruch zielende juristische Verteidigung? /. Vergés: Sie haben die Aufgabe, soziale Konflikte zu lösen und nicht zu verschärfen. Nur wenn die Maschine aussetzt, fühlen sie sich veranlasst, einen Augenblick über Sinn und Zweck des Ge­ setzes nachzudenken. Aber da diese Götzenanbeter glauben oder zumindest zu glauben vorgeben, an die Heiligkeit der Justiz zu glauben, währen solche Fragen in der Regel nur kurz. C. Revon: In Anlehnung an den Titel Ihrer Einleitung möchte ich Sie fragen: »Was sind Sie? Ein Bilderstürmer?« /. Vergés: Tatsächlich hasse ich fertige Bilder. Wer einmal der Zusammenfassung einer Vernehmung am Ende einer Voruntersu­ chung beigewohnt hat, wenn der Untersuchungsrichter Ordnung in sein Puzzle bringt wie ein Regisseur beim Schnitt seines Films, um dem Gericht (also der schweigenden Mehrheit) den Fall ver­ ständlich (das heißt tödlich) zu machen, und dabei die Anklage 4 [Zeitschrift des aus der G.I.P. hervorgegangenen Comité d'action de prisonniers.] 5 [Name einer 1980 vor allem auf Initiative von Christian Revon gegründeten Bewegung zur Unterstützung von Menschen, die aus wirtschaftlichen oder kultu­ rellen Gründen keinen Zugang zum Rechtswesen haben. Mehrere vorbereitende Besprechungen mit den Teilnehmern dieses Gesprächs fanden in M. Foucaults Wohnung statt, der auch weitgehend die Plattform für den Kongress der Bewegung vom 23. bis 26. Mai 1980 in der Sainte-Baume verfasste.]

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auf Gemeinplätzen aufbaut, der spürt, wie menschenfresserisch solche Gemeinplätze sind. J. Lapeyrie: Sie glauben nicht an den guten Richter? J. Vergés: Gute Richter gibt es ebenso wenig wie die Helden der Frauenillustrierten. Es sei denn, man spricht von guten Richtern im selben Sinne, wie man von Napoleon sagt, er sei ein guter General gewesen. Aus dieser Sicht gibt es tatsächlich effiziente Richter, vor allem wenn sie ihre Qualität als Richter, das heißt als Polizisten, vergessen machen. M. Foucault: Wie lassen sich die Strategien des Bruchs, die Sie in Ihrem Buch beschrieben haben, an die neue juristische Praxis anpassen, die das Gesetz über Sicherheit und Freiheit vorschreibt? J. Vergés: Viele Richter, die heute gegen dieses Gesetz protes­ tieren, haben während des Algerienkriegs die Folter gedeckt. Ken­ nen Sie einen einzigen Folterprozess, der zu einem Ergebnis ge­ führt hätte? Und viele meine Kollegen überbrachten damals dem Justizminister eine Petition, in der sie Sanktionen gegen die An­ wälte der FLN forderten. Der Gesetzestext ist nicht so wichtig wie der Blick darauf oder wie die Kommunikation mit der öffentli­ chen Meinung, und zwar in ihrer Entwicklung betrachtet und nicht zu einer Meinungsumfrage versteinert. Isorni6 hat es nicht deshalb schlimmer getroffen als mich, weil die Gesetzestexte sich zwischen den FLN-Prozessen und den OAS-Prozessen verändert hätten und auch nicht weil sein Tun skandalöser gewesen wäre, sondern weil ich Sieger verteidigt habe und er Besiegte. J. Lapeyrie: Für uns gewöhnliche Strafgefangene war Ihr Buch vor allem deshalb so wichtig, weil Sie darin die Unterscheidung zwischen einem politischen und einem gewöhnlichen Strafprozess ablehnten und an deren Stelle die Unterscheidung zwischen Zu­ stimmung und Bruch setzten. Ist das immer noch Ihre Ansicht? /. Vergés: Ich bin der Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und politischen Verbrechen immer mit Misstrauen begegnet, selbst als die Umstände mich zu einem Anwalt machten, der sich nahezu ausschließlich mit politischen Fällen befasste, denn diese Unter­ scheidung gibt keinerlei Aufschluss über den Ablauf der Verfah­ ren. Sie spielt die politische, soziale und moralische Bedeutung 6 [Verteidigte nach dem Krieg Marschall Pétain und später Mitglieder der terroristi­ schen Vereinigung Organisation armée secrète (OAS), die für ein französisches Algerien kämpfte.]

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herunter, die ein gewöhnliches Strafverfahren haben kann, und sie verdunkelt das Sakrileg, das ein politisches Verbrechen von einiger Bedeutung möglicherweise darstellt. Sobald Blut vergossen wird, verliert das politische Verbrechen seinen politischen Charakter und fällt unter die Repression des gewöhnlichen Strafrechts. M. Foucault: Ihr Buch ist in einer bestimmten historischen Kon­ stellation entstanden, und auch wenn das Vorhaben weit über den Rahmen des Algerienkriegs hinausgeht, ist dieses Geschehen darin dennoch sehr gegenwärtig und bestimmte gewiss einen Teil Ihrer Analysen. Meinen Sie nicht, dass die praktische Entwicklung einer neuen juristischen Strategie eine umfassende Analyse und Kritik der gegenwärtigen Funktionsweise der Justiz voraussetzt? Und wie, glauben Sie, könnte man diese Aufgabe kollektiv angehen? /. Verges: Der Bruch zeichnet sich heute dadurch aus, dass er nicht mehr Sache einer kleinen Zahl von Menschen unter außer­ gewöhnlichen Umständen ist, sondern eine Angelegenheit vieler in den vielfältigen Problemen des Alltags. Das erfordert eine um­ fassende Kritik der Funktionsweise der Justiz und nicht mehr nur ihres strafrechtlichen Zweigs wie noch vor zwanzig Jahren. Das erfordert auch, dass wir ein auf den Regeln des demokratischen Zentralismus basierendes Kollektiv durch ein Netzwerk ersetzen, das den freien Austausch von Erfahrungen und eine Begegnung zwischen den bestehenden Gruppen ermöglicht, die ihnen ihre Autonomie und Initiative belässt. Genau diese Aufgabe hat sich das am 26. Mai 1980 in der Sainte-Baume gegründete Netzwerk Défense libre gestellt. D. Nocaudie: Haben Sie sich vorgestellt, dass man einmal die Technik, die Verteidigung des Bruchs auf die Verteidigung der Rechte des alltäglichen Lebens ausdehnen würde? /. Verges: Nein, aber ich freue mich darüber. Das beweist, dass die juristische Strategie nicht mehr nur meine und nicht mehr nur Angelegenheit der Robenträger, sondern der Jeansträger ist. G Revon: Der Titel Ihres Schlusskapitels führt mich zu der Frage: »Was ist Ihr Gesetz?« /. Vergés: Mein Gesetz ist, gegen die Gesetze zu sein, weil sie vorgeben, die Geschichte zum Stillstand zu bringen. Meine Moral ist, gegen die Moralvorstellungen zu sein, weil sie vorgeben, das Leben erstarren zu lassen. Übersetzt von Michael Bischoff

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»Omnes et singulatim«: zu einer Kritik der politischen Vernunft »>Omnes et singulatimc Towards a Criticism of Political Reason« (»>Omnes et singulatimc vers une critique de la raison politique«; übers, v. R E. Dauzat; Universität Stanford, 10. und 16. Oktober 1979), in: S. McMurrin (Hg.), The Tanner Lectures on Human Values, Bd. II, Salt Lake City 1981, S. 223-254.

I Der Titel erscheint gestelzt, ich weiß. Aber die Vernunft ist durch­ aus ihre eigene Entschuldigung. Seit dem 19. Jahrhundert hat das westliche Denken ständig an der Kritik der Rolle der Vernunft in den politischen Strukturen - oder des Mangels an Vernunft - ge­ arbeitet. Folglich ist es völlig fehl am Platze, sich noch einmal in ein so umfangreiches Projekt zu stürzen. Die Vielzahl der voran­ gegangenen Versuche ist jedoch der Garant dafür, dass jede neue Unternehmung genauso von Erfolg gekrönt sein wird wie die vorherigen - und dass sie jedenfalls wahrscheinlich ebenso gelun­ gen sein wird. So befinde ich mich denn in der Verlegenheit von jemandem, der nur unvollendbare Skizzen und Entwürfe vorzuschlagen hat. Es ist schon lange her, dass die Philosophie auf den Versuch ver­ zichtet hat, die Ohnmacht der wissenschaftlichen Vernunft zu kompensieren, und dass sie ihr Gebäude nicht mehr zu vollenden versucht. Eine der Aufgaben der Aufklärung bestand darin, die politi­ schen Fähigkeiten der Vernunft zu vermehren. Aber die Menschen des 19. Jahrhunderts sollten sich bald fragen, ob die Vernunft nicht im Begriff war, in unseren Gesellschaften zu mächtig zu werden. Sie begannen sich über die Beziehung zu beunruhigen, die sie un­ deutlich zwischen einer Gesellschaft erahnten, die zur Rationali­ sierung neigt, und bestimmten Bedrohungen, die auf dem Indivi­ duum und seinen Freiheiten, auf der Spezies und ihrem Überleben lasten. Mit anderen Worten, seit Kant bestand die Rolle der Philoso­

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phie darin, die Vernunft daran zu hindern, die Grenzen dessen, was in der Erfahrung gegeben ist, zu überschreiten; aber seit jener Epoche - d. h. mit der Entwicklung der modernen Staaten und der politischen Organisation der Gesellschaft - bestand die Rolle der Philosophie auch darin, die Missbrauche der Macht der politi­ schen Rationalität zu überwachen - was ihr eine ziemlich vielver­ sprechende Lebenserwartung verleiht. Jeder kennt diese Banalitäten. Aber die Tatsache, dass es sich um Banalitäten handelt, bedeutet nicht, dass sie nicht existieren. Angesichts banaler Tatsachen liegt es an uns, die besonderen und vielleicht originellen Probleme zu entdecken - oder zu entdecken zu versuchen -, die mit ihnen verbunden sind. Die Verbindung zwischen der Rationalisierung und den Miss­ bräuchen der politischen Macht ist offensichtlich. Und man braucht keineswegs auf die Bürokratie oder die Konzentrations­ lager zu warten, um die Existenz dieser Beziehungen zu erkennen. Das Problem ist dann jedoch, zu wissen, was man mit einer so offensichtlichen Gegebenheit anfangen soll. Sollen wir der Vernunft den »Prozess« machen? Meiner Mei­ nung nach wäre nichts unfruchtbarer. Zunächst, weil es in diesem Bereich weder um Schuld noch um Unschuld geht. Dann, weil es absurd ist, die »Vernunft« als der Unvernunft entgegengesetzte Entität zu beanspruchen. Schließlich, weil ein solcher Prozess uns in eine Falle führen würde, indem er uns dazu verpflichtete, die willkürliche und langweilige Rolle des Rationalisten oder des Irrationalisten zu spielen. Sollen wir jene Art von Rationalismus untersuchen, der für unsere Kultur spezifisch zu sein scheint und auf die Aufklärung zurückgeht? Das ist glaube ich die Lösung, die manche Mitglieder der Frankfurter Schule gewählt haben. Ich möchte keine Diskus­ sion über ihre Werke eröffnen - es gibt wichtigere und wertvol­ lere: Ich schlage meinerseits eine andere Weise der Untersuchung der Verbindungen zwischen Rationalisierung und Macht vor: 1) Es ist wohl umsichtig, wenn man die Rationalisierung der Gesellschaft oder der Kultur nicht wie ein Ganzes behandelt, sondern diesen Prozess in mehreren Bereichen analysiert - wobei jeder in einer grundlegenden Erfahrung wurzelt: Wahnsinn, Krankheit, Tod, Verbrechen, Sexualität etc. 2) Ich halte das Wort »Rationalisierung« selbst für gefährlich.

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Wenn irgendwelche Leute versuchen, irgendetwas zu rationalisie­ ren, besteht das wesentliche Problem nicht darin, zu prüfen, ob sie mit den Prinzipien der Rationalität übereinstimmen oder nicht, sondern herauszufinden, auf welchen Typ von Rationalität sie sich beziehen. 3) Selbst wenn die Aufklärung eine äußerst wichtige Phase in unserer Geschichte und in der Entwicklung der politischen Tech­ nologie war, glaube ich, dass wir uns auf viel weiter zurückliegen­ de Prozesse beziehen müssen, wenn wir verstehen wollen, wie wir uns von unserer eigenen Geschichte in die Falle führen ließen. Das war meine »Leitlinie« in meiner früheren Arbeit: die Be­ ziehungen zwischen Erfahrungen wie der des Wahnsinns, des To­ des, des Verbrechens oder der Sexualität und verschiedenen Machttechnologien zu untersuchen. Meine Arbeit wird sich künf­ tig auf das Problem der Individualität beziehen - oder, wie ich auch sagen könnte, auf das Problem der Identität im Zusammen­ hang mit dem Problem der »individualisierenden Macht«. Jeder weiß, dass die politische Macht in den europäischen Gesell­ schaften sich zu immer mehr zentralisierten Formen hin entwi­ ckelt hat. Seit mehreren Jahrzehnten studieren Historiker diese Staatsorganisation mit ihrer Verwaltung und ihrer Bürokratie. Ich möchte hier auf die Möglichkeit hinweisen, eine andere Art von Wandel zu untersuchen, der mit diesen Machtverhältnissen zu tun hat. Dieser Wandel ist vielleicht weniger bekannt. Ich glaube jedoch, dass er nicht von geringerer Bedeutung ist, vor allem für die modernen Gesellschaften. Augenscheinlich ist diese Entwick­ lung der Entwicklung auf einen zentralisierten Staat hin entgegen­ gesetzt. Ich denke dabei an die Entwicklung der Machttechniken, die auf die Individuen ausgerichtet sind und den Zweck haben, sie kontinuierlich und permanent zu leiten. Wenn der Staat die poli­ tische Form einer zentralisierten und zentralisierenden Macht ist, können wir die individualisierende Macht das Pastorat nennen. Mein Vorschlag ist hier, in groben Zügen den Ursprung dieser pastoralen Modalität der Macht, oder zumindest bestimmte As­ pekte ihrer Frühgeschichte, zu untersuchen. In einer zweiten Vor­ lesung werde ich versuchen zu zeigen, wie dieses Pastorat sich mit seinem Gegenteil, dem Staat, verbunden hat.

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Die Vorstellung, dass die Gottheit, der König oder der Führer ein Hirte ist, dem eine Schafherde folgt, war den Griechen und Rö­ mern nicht vertraut. Es gab Ausnahmen, ich weiß - die allerersten in der homerischen Literatur und dann in bestimmten Texten des spätrömischen Reiches. Ich werde im Folgenden darauf zurück­ kommen. Grob gesprochen können wir sagen, dass die Metapher der Herde in den griechischen oder römischen politischen Texten nicht vorkommt. Das ist jedoch nicht der Fall bei den antiken orientalischen Ge­ sellschaften in Ägypten, Assyrien und Judäa. Der ägyptische Pha­ rao war ein Hirte. Am Tag seiner Krönung empfing er rituell den Hirtenstab; und der Monarch von Babylon hatte neben anderen Titeln Anrecht auf den eines »Menschenhirten«. Gott war jedoch ebenfalls ein Hirte, der die Menschen auf ihre Weide führt und für ihre Nahrung sorgt: »O Re, der wacht, wenn alle Menschen schla­ fen. Du, der Du das Gute für dein Vieh suchst...« Die Verbin­ dung zwischen Gott und dem König ist ganz natürlich, da beide dieselbe Rolle spielen: Die Herde, die sie überwachen, ist dieselbe; der königliche Hirte hat die Obhut der Geschöpfe des großen göttlichen Hirten. »Erlauchter Gefährte der Weide, Du, der Du Dich um deine Erde kümmerst und sie ernährst, Hirte allen Über­ flusses.«1 Wie wir jedoch wissen, sind es die Hebräer, die das pastorale Thema entwickeln und ausarbeiten - jedoch mit einer ganz sin­ gulären Eigenschaft: Gott, und Gott allein, ist der Hirte seines Volkes. Es gibt nur eine positive Ausnahme: In seiner Eigenschaft als Begründer der Monarchie wird David mit dem Namen des Hirten angesprochen.12 Gott hat ihm die Mission anvertraut, eine Herde zu versammeln. Es gibt aber auch negative Ausnahmen: Die schlechten Könige werden einheitlich mit schlechten Hirten verglichen; sie zer­ streuen die Herde, lassen sie vor Durst sterben, und schöpfen nur ihren eigenen Profit ab. Jahwe ist der einzige und alleinige wirkliche Hirte. Er führt sein Volk selbst bloß mit Hilfe seiner Propheten. »Du führtest dein Volk wie eine Herde durch die 1 Hymne an Amon-Re (Kairo, um 1430 v. Chr.), in: A. Barucq und F. Daumas, Hymnes et Prières de VÉgypte ancienne, Paris, Éditions du Cerf, 1980, S. 198. 2 Psalm 78, 70-72, in: Altes Testament, Einheitsübersetzung der Bibel, Dortmund 1983, S. 1070.

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Hand von Mose und Aaron«, sagt der Psalmist.3 Ich kann natür­ lich weder die historischen Probleme behandeln, die mit dem Ur­ sprung dieses Vergleichs zu tun haben, noch seine Entwicklung im jüdischen Denken. Ich möchte nur einige typische Themen der pastoralen Macht ansprechen, den Kontrast mit dem politischen Denken der Griechen hervorheben und die Bedeutung aufzeigen, die diese Themen anschließend im christlichen Denken und den Institutionen angenommen haben. 1) Der Hirte übt seine Macht eher über eine Herde als über ein Land aus. Wahrscheinlich ist die Sachlage noch komplizierter, aber im allgemeinen unterscheidet sich die Beziehung zwischen der Gottheit, der Erde und den Menschen von der der Griechen. Die Götter besaßen die Erde, und dieser ursprüngliche Besitz be­ stimmte die Beziehungen zwischen den Menschen und den Göt­ tern. Anscheinend ist es im Gegenteil die Beziehung des Gottes als Hirten zu seiner Herde, die ursprünglich und grundlegend ist. Gott gibt oder verspricht seiner Herde ein Land. 2) Der Hirte sammelt, führt und leitet seine Herde. Die Vor­ stellung, dass es Aufgabe des politischen Führers war, die Feind­ seligkeiten innerhalb der Gemeinde zu besänftigen und die Einheit gegenüber dem Konflikt geltend zu machen, kommt zweifellos im griechischen Denken vor. Der Hirte sammelt jedoch versprengte Individuen. Sie sammeln sich auf den Ton seiner Stimme hin: »Ich werde pfeifen, und sie werden sich sammeln.« Umgekehrt genügt es, dass der Hirte verschwindet, damit sich die Herde zerstreut. Mit anderen Worten, die Herde existiert durch die unmittelbare Gegenwart und das direkte Handeln des Hirten. Sobald der gute griechische Gesetzgeber, wie beispielsweise Solon, die Auseinan­ dersetzungen geregelt hat, hinterlässt er eine starke Gemeinde, die mit Gesetzen ausgestattet ist, die ihr gestatten, ohne ihn fortzube­ stehen. 3) Die Rolle des Hirten besteht darin, das Heil seiner Herde sicherzustellen. Die Griechen sagten auch, dass die Gottheit die Gemeinde rettete; und sie verglichen den guten Führer immer mit einem Steuermann, der sein Schiff von den Riffen fern hält. Die Art und Weise, wie der Hirte seine Herde rettet, ist jedoch ganz anders. Es geht nicht darum, sie alle gemeinsam zu retten, wenn 3 Psalm 77, 21, a. a.O., S. 1068.

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Gefahr im Verzug ist, sondern alles ist eine Frage des beständigen Wohlwollens, das individualisiert und zielgerichtet ist. Beständi­ ges Wohlwollen, denn der Hirte sorgt für die Nahrung seiner Herde; er kümmert sich täglich um ihren Hunger und Durst. Vom griechischen Gott verlangte man eine fruchtbare Erde und reiche Ernten. Man verlangte nicht von ihm, dass er tagtäglich eine Herde unterhalten sollte. Aber ein individualisiertes Wohlwollen, denn der Hirte wacht darüber, dass alle seine Schafe ohne Aus­ nahme gesättigt und gerettet werden. In der Folge haben insbe­ sondere die hebräischen Texte die Betonung auf diese individuell wohltuende Macht gelegt: Ein rabbinischer Kommentar zum Exodus erklärt, warum Jahwe Moses zum Hirten seines Volkes gemacht hat: Er sollte seine Herde verlassen, um sich auf die Suche nach einem einzelnen verlorenen Schaf zu begeben. Last and not least handelt es sich um ein zielgerichtetes Wohl­ wollen. Der Hirte hat einen Plan für seine Herde. Er muss sie entweder auf eine gute Weide führen oder sie zum Schafstall zu­ rückbringen. 4) Es gibt noch einen anderen Unterschied, der mit der Vor­ stellung zu tun hat, dass die Ausübung der Macht eine »Pflicht« ist. Der griechische Führer musste natürlicherweise seine Ent­ scheidungen im Interesse aller treffen; hätte er sein persönliches Interesse bevorzugt, wäre er ein schlechter Führer gewesen. Seine Pflicht war jedoch eine ruhmreiche Pflicht: selbst wenn er sein Leben bei einem Krieg hingeben musste, wurde sein Opfer durch eine äußerst wertvolle Gabe kompensiert: die Unsterblichkeit. Er verlor nie. Das pastorale Wohlwollen liegt dagegen viel näher an der »Aufopferung«. Was auch immer der Hirte tut, er tut es zum Wohl seiner Herde. Das ist seine beständige Sorge. Wenn sie schlafen, wacht er. Das Thema des Wachens ist bedeutsam. Es macht zwei Aspekte der Aufopferung des Hirten deutlich. Erstens handelt er, müht sich ab und stürzt sich in Unkosten für jene, die er ernährt und die eingeschlafen sind. Zweitens wacht er über sie. Er bringt allen seine Aufmerksamkeit dar, ohne einen von ihnen aus den Augen zu verlieren. Er ist gehalten, seine Herde in ihrer Gesamtheit und im Einzelnen zu kennen. Er muss nicht nur die Orte kennen, an denen sich gute Weiden befinden, die Gesetze der Jahreszeiten und die Ordnung der Dinge, sondern insbesondere auch die Be-

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dürfnisse jedes Einzelnen. Noch einmal beschreibt ein rabbinischer Kommentar zum Exodus die pastoralen Eigenschaften von Moses in folgenden Worten: Er schickte jedes Schaf der Reihe nach zum Weiden - zuerst die jüngsten, um ihnen die zartesten Gräser zu fressen zu geben, dann die älteren und schließlich die ältesten, die in der Lage sind, das zäheste Gras zu fressen. Die pastorale Macht verlangt eine individuelle Aufmerksamkeit auf jedes Mitglied der Herde. Das sind bloß die Themen, die die hebräischen Texte mit den Metaphern von Gott als Hirten und seinem Volk als Herde ver­ binden. Ich behaupte keineswegs, dass die politische Macht tat­ sächlich auf diese Weise in der jüdischen Gesellschaft vor dem Fall Jerusalems ausgeübt wurde. Ich behaupte nicht einmal, dass diese Konzeption der politischen Macht auch im Mindesten kohärent ist. Es handelt sich hier nur um Themen, die paradox und sogar widersprüchlich sind; Das Christentum sollte ihnen eine beträcht­ liche Bedeutung verleihen, und zwar sowohl im Mittelalter als auch in der Moderne. Von allen Gesellschaften, die die Geschichte kennt, waren die unseren - ich meine diejenigen, die am Ende der Antike auf der westlichen Seite des europäischen Kontinents in Erscheinung getreten sind - vielleicht die aggressivsten und er­ oberungslustigsten; sie waren zu den verblüffendsten Gewalttaten gegen sich selbst und die anderen fähig. Sie erfanden eine große Zahl von verschiedenen politischen Formen. Zu wiederholten Malen veränderten sie ihre juridischen Strukturen grundlegend. Man muss sich vor Augen halten, dass sie allein eine eigenartige Technologie der Macht entwickelt haben, die mit einer Hand voll Hirten die überwältigende Mehrheit der Menschen als Herde be­ handelte. So stellten sie unter den Menschen eine Reihe komple­ xer Beziehungen her, die zusammenhängend und paradox sind. Das ist gewiss etwas Einzigartiges im Lauf der Geschichte. Die Entwicklung der »pastoralen Technologie« im Hinblick auf die Führung der Menschen hat ganz offensichtlich die Strukturen der antiken Gesellschaft vollkommen zerstört. Um die Bedeutung dieses Bruchs klarer zu machen, möchte ich nun kurz auf das zurückkommen, was ich über die Griechen ge­ sagt habe. Ich ahne schon die Einwände, die man mir gegenüber erheben könnte.

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Einer besteht darin, dass die homerischen Gedichte die pasto­ rale Metapher verwenden, um Könige zu bezeichnen. In der Ilias und der Odyssee taucht wiederholt der Ausdruck poimen laon auf. Er bezeichnet die Führer und unterstreicht die Größe ihrer Macht. Darüber hinaus handelt es sich um einen rituellen Titel, der selbst in der späten indo-europäischen Literatur häufig vor­ kommt. In Beowulf wird der König noch als Hirte betrachtet.4 Die Tatsache, dass man jedoch denselben Titel in den archaischen epischen Gedichten, wie beispielsweise in assyrischen Texten, fin­ det, ist in Wirklichkeit nicht überraschend. Das Problem stellt sich vielmehr im Hinblick auf das griechi­ sche Denken; es gibt zumindest eine Kategorie von Texten, die Bezüge zu pastoralen Modellen beinhalten: die Texte der Pythagoräer. Die Hirtenmetapher erscheint in den Fragmenten von Archytas, die von Stobée zitiert werden.5 Der Begriff nomos (das Gesetz) ist mit dem Wort nomeus (Hirte) verbunden: Der Hirte teilt, das Gesetz weist zu. Und Zeus wird Nomios und Nemeios genannt, weil er über die Nahrung seiner Schafe wacht. Schließ­ lich soll der Magistrat philanthropos sein, d. h. ohne Egoismus. Er soll sich voller Eifer und Fürsorge wie ein Hirte zeigen. Gruppe, der deutsche Herausgeber der Fragmente von Archytas, ist der Ansicht, dass sich darin ein einzigartiger hebräischer Einfluss in der griechischen Literatur verrät.6 Andere Kommen­ tatoren behaupten nach dem Beispiel Delattes, dass der Vergleich zwischen den Göttern, den Magistraten und den Hirten in Grie­ chenland geläufig war.7 Folglich ist es nutzlos, auf diesem Punkt zu beharren. Ich werde mich an die politische Literatur halten. Die For­ schungsergebnisse sind eindeutig: Die politische Hirtenmetapher kommt weder bei Isokrates noch bei Demosthenes noch bei Aris­ 4 Beowulf: König der Juten (6. Jahrhundert), bekannt durch das Gedicht, das im 8. Jahrhundert im angelsächsischen Dialekt geschrieben wurde: Der altangelsäch­ sische Beowulf, Osnabrück 1971. 5 Archytas von Tarent, Fragmente, § 22 (zitiert bei Jean Stobée, Florilegium, 43,120, Leipzig, 1856, Bd.II, S. 138), in: A.E. Chaignet, Pythagore et la Philosophie py­ thagoricienne, contenant les fragments de Philolaiis et d yArchytas, Paris, Didier, ï 874.

Gruppe, O. F., Über die Fragmente des Archytas und der älteren Pythagoreer, Berlin 1840. 7 Delatte, A., Essai sur la politique pythagoricienne, Paris, Honoré Champion, 1922.

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toteles vor. Das ist ziemlich überraschend, wenn man bedenkt, dass Isokrates in seinem Vom Frieden auf den Pflichten der Ma­ gistraten besteht: Er betont nachdrücklich, dass sie sich aufopfern und sich um die Jugend kümmern sollen.89 Platon spricht dafür häufig vom Hirten-Magistrat. Er erwähnt diese Idee im Kritias, im Staat9 und in den Gesetzen, und er diskutiert sie ausführlich im Politikos. In der ersten Arbeit ist das Thema des Hirten recht zweitrangig. Manchmal findet man im Kritias einige Erinnerungen an jene glücklichen Tage, wo die Menschheit direkt von den Göttern regiert wurde und auf reichen Weiden graste. Manchmal insistiert Platon auf der notwendigen Tugend des Magistrats - im Gegensatz zum Laster des Trasimachos {Staat). Das Problem besteht zum Teil darin, die unterge­ ordnete Rolle der Verwaltungsbeamten zu definieren: in Wahrheit haben sie nur wie die Wachhunde denen zu gehorchen, »die am oberen Ende der Leiter stehen« (Gesetze).101 Im Politikos11 ist jedoch die pastorale Macht das zentrale Prob­ lem und wird zum Gegenstand langer Ausführungen. Kann man den Entscheidungsträger eines Gemeinwesens, den Kommandan­ ten, als eine Art Hirten bestimmen? Platons Analyse ist wohlbekannt. Um auf diese Frage zu ant­ worten, macht er eine Differenzierung. Er führt eine Unterschei­ dung zwischen dem Mann ein, der unbelebten Dingen Befehle erteilt (z. B. der Architekt), und dem Mann, der Tieren Befehle erteilt; zwischen dem Mann, der isolierten Tieren Befehle erteilt (beispielsweise einem Ochsengespann), und demjenigen, der Her­ den befehligt; und schließlich zwischen dem, der Herden von Tieren Befehle erteilt, und demjenigen, der Herden von Menschen vorsteht. Hier finden wir den politischen Führer: ein Menschen­ hirte. 8 Isokrates, Aréopagitique> in: Discours, Bd. III (übers, v. G. Mathieu), Paris, Les Belles Lettres, 1942, §36, S. 72; § 55, S. 77; § 58, S. 78. 9 Platon, Kritias, in: Platon’s sämtliche Werke, Bd. 6 (übers, v. H. Müller), Leipzig 18 57,109 b, S. 324; 111 c-d, S. 327; Politeia, in: Sämtliche Werke, Bd. V (übers, v. F. Schleiermacher), Frankfurt/M. und Leipzig, 1991, Buch 1,343 b, S. 71 und 345 c-d, S. 77. 10 Platon, Gesetzeyin: Sämtliche WerkeyBd. IX (übers, v. F. Schleiermacher), Frank­ furt/M. und Leipzig 1991, Buch X, 906 b, S. 843. 11 Platon, PolitikoSy in: Sämtliche Werke, Bd. VII (übers, v. F. Schleiermacher), Frankfurt/M. und Leipzig 1991, 261 b-262a, S.313-317.

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Die erste Einteilung ist jedoch wenig zufrieden stellend. Sie muss weitergeführt werden. Die Menschen allen anderen Tieren entgegenzusetzen, ist keine gute Methode. Daher beginnt der Di­ alog noch einmal von vorne, um erneut eine ganze Reihe von Unterscheidungen vorzuschlagen: zwischen den wilden Tieren und den Haustieren; zwischen denen, die im Wasser, und denen, die auf dem Land leben; zwischen denen, die Hörner haben, und denen, die keine haben; zwischen denen, deren Huf gespalten ist, und denen, deren Huf aus einem einzigen Stück ist; zwischen denen, die sich durch Kreuzung fortpflanzen können, und denen, die das nicht können. Und der Dialog verliert sich in endlosen weiteren Unterteilungen. Was zeigt also die anfängliche Entwicklung des Dialogs und sein späteres Scheitern? Dass die Methode der Unterscheidung überhaupt nichts beweisen kann, wenn sie nicht korrekt ange­ wendet wird. Das zeigt auch, dass die Vorstellung, die politische Macht als Beziehung zwischen einem Hirten und seinen Tieren zu analysieren, zu jener Zeit wahrscheinlich recht kontrovers war. Tatsächlich handelt es sich um die erste Vermutung, die den Ge­ sprächspartnern in den Sinn kommt, als sie versuchen, das Wesen des Politischen zu enthüllen. War das also ein Gemeinplatz? Oder diskutierte Platon vielmehr ein pythagoräisches Thema? Die Ab­ wesenheit der Hirtenmetapher in den anderen zeitgenössischen politischen Texten scheint zugunsten der zweiten Hypothese zu sprechen. Wir können diesen Punkt jedoch wohl offen lassen. Meine eigene Forschung richtet sich auf die Art und Weise, wie Platon mit diesem Thema im übrigen Dialog umgeht. Er beginnt zunächst mit methodologischen Argumenten und spricht dann den berühmten Mythos von der Welt an, die sich um ihre eigene Achse dreht. Die methodologischen Argumente sind äußerst interessant. Nicht aufgrund dessen, dass man entscheidet, welche Arten eine Herde bilden, sondern indem man untersucht, was der Hirte tut, kann man sagen, ob der König eine Art Hirte ist oder nicht. Was zeichnet seine Aufgabe aus? Erstens steht der Hirte allein seiner Herde vor. Zweitens besteht seine Aufgabe darin, für die Nahrung seiner Tiere zu sorgen; sie zu pflegen, wenn sie krank sind; Musik zu machen, um sie zu sammeln und zu leiten; ihre Fortpflanzung in der Absicht zu organisieren, die beste Nach­

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kommenschaft zu erzielen. So finden wir rundweg die typischen Themen der Hirtenmetapher wieder, die in den orientalischen Texten Vorkommen. Und worin besteht die Aufgabe des Königs bei all dem? Wie der Hirte steht er allein an der Spitze des Gemeinwesens. Wer versorgt aber weiterhin die Menschheit mit Nahrung? Der König? Nein. Der Landwirt, der Bäcker. Wer kümmert sich um die Men­ schen, wenn sie krank sind? Der König? Nein. Der Arzt. Und wer leitet die Menschen durch die Musik? Der Leiter der Turnanstalt und nicht der König. Daher könnten eine ganze Reihe von Bür­ gern mit gutem Recht den Titel eines »Menschenhirten« bean­ spruchen. Der Politiker hat wie der Hirte zahlreiche Rivalen. Wenn wir also einsehen wollen, was der Politiker wirklich und im Grunde ist, müssen wir »all jene, mit denen die Menge ihn umgibt«, von ihm entfernen und dadurch zeigen, in welcher Hin­ sicht er kein Hirte ist. Platon greift dann auf den Mythos des Universums zurück, das sich in zwei aufeinander folgenden und entgegengesetzten Bewe­ gungen um seine Achse dreht. Zunächst gehörte jede Tierart einer Herde an, die von einem Hirten als gutem Schutzgeist geführt wurde. Die menschliche Herde wurde von der Gottheit persönlich geleitet. Sie konnte nach Belieben über die Früchte der Erde verfügen; sie brauchte kein Obdach; und nach dem Tod erhielten die Menschen wieder das Leben. Ein wichtiger Satz fügt hinzu: »Unter Seiner [Gottes] Hut aber gab es keine bürgerlichen Verfassungen noch auch häus­ liche...«12 Im zweiten Abschnitt dreht sich die Welt in der entgegenge­ setzten Richtung. Die Götter waren nicht mehr Hirten der Men­ schen, die seither sich selbst überlassen waren. Denn sie hatten das Feuer bekommen. Was ist dann die Rolle des Politikers? Sollte er nun Hirte anstelle der Gottheit werden? Keineswegs. Seine Auf­ gabe wird künftig darin bestehen, ein solides Gewebe für das Ge­ meinwesen zu weben. Ein Politiker zu sein, bedeutete nicht, seine Nachkommen zu ernähren, zu pflegen und aufzuziehen, sondern zu verbinden: verschiedene Tugenden miteinander zu verbinden; gegensätzliche Temperamente (ungestüm und gemäßigt) zu ver12 Ebd., 271 e, S. 345.

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binden, indem er sich des »Weberschiffchens« der Volksmeinung bedient. Die königliche Kunst des Regierens bestand darin, die Lebenden »durch Übereinstimmung und Freundschaft gemein­ schaftlich [zu vereinigen]«, und auf diese Weise »das herrlichste und trefflichste aller Gewebe« zu bilden. Die ganze Bevölkerung, »alle übrigen Freien und Knechte in den Staaten umfassend, [soll] unter diesem Geflechte [zusammengehalten werden]«.13 Der Staatsmann erscheint also als sehr systematische Wider­ spiegelung der klassischen Antike im Hinblick auf das Thema des Pastorats, das eine so große Bedeutung im christlichen Abend­ land anzunehmen berufen war. Unsere Erörterung scheint zu be­ weisen, dass ein Thema, das wahrscheinlich östlichen Ursprungs war, für die Zeit Platons hinreichende Bedeutsamkeit hatte, so dass es verdiente, diskutiert zu werden; vergessen wir jedoch nicht, dass diese Vorstellung bestritten wurde. Jedoch nicht völlig. Denn Platon erkannte zweifellos dem Arzt, dem Landwirt, dem Turnlehrer und dem Pädagogen die Eigen­ schaft des Hirten zu. Dagegen lehnte er es ab, dass sie sich mit politischen Aktivitäten abgeben. Er sagt ausdrücklich: Wie soll der Politiker jemals die Zeit finden, jede einzelne Person zu be­ suchen, ihr zu essen zu geben, ihr Konzerte darzubieten und sie im Krankheitsfall zu pflegen? Allein ein König des goldenen Zeit­ alters könnte sich so verhalten; oder auch wie ein Arzt oder ein Pädagoge für das Leben und die Entwicklung einer kleinen Zahl von Individuen verantwortlich sein. Da sie aber zwischen beiden stehen - den Göttern und den Hirten -, sind die Männer, die die politische Macht innehaben, keine Hirten. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, das Leben einer Gruppe von Individuen zu unterhal­ ten. Sie besteht in der Bildung und Sicherung der Einheit des Gemeinwesens. Kurz, das Problem der Politik ist das der Bezie­ hung zwischen dem Einen und dem Vielen im Rahmen des Ge­ meinwesens und seiner Bürger. Das Problem des Pastorats betrifft das Leben der Einzelnen. All das scheint vielleicht sehr fern zu liegen. Wenn ich auf die­ sen antiken Texten bestehe, dann deshalb, weil sie uns zeigen, dass dieses Problem - oder vielmehr diese Reihe von Problemen - sich sehr früh gestellt hat. Sie durchziehen die gesamte abendländische 13 Ebd., 311 c, S.463.

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Geschichte, und sie sind für die zeitgenössische Gesellschaft im­ mer noch von größter Bedeutung. Sie haben mit den Beziehungen zwischen der politischen Macht zu tun, die innerhalb des Staates als rechtlichem Rahmen der Einheit spielt, und einer Macht, die wir »pastorale« Macht nennen können und deren Rolle darin be­ steht, ständig über das Leben von allen und jedem Einzelnen zu wachen, ihnen zu helfen und ihr Los zu verbessern. Das berühmte »Problem des Fürsorgestaats« zeigt nicht nur die Bedürfnisse oder die neuen Regierungstechniken der gegenwärti­ gen Welt auf. Es muss als das erkannt werden, was es in Wirk­ lichkeit ist: eine der äußerst zahlreichen Manifestationen der Fein­ abstimmung zwischen der politischen Macht, die auf bürgerliche Untertanen ausgeübt wird, und der pastoralen Macht, die sich auf die lebenden Individuen richtet. Ich habe natürlich nicht die geringste Absicht, die Entwicklung der pastoralen Macht durch das Christentum hindurch zurückzu­ verfolgen. Die gewaltigen Probleme, die dadurch aufgeworfen werden würden, lassen sich leicht vorstellen: von Problemen, die die Lehre betreffen, wie etwa der Titel des »guten Hirten«, der Christus verliehen wurde, bis hin zu institutioneilen Proble­ men, wie beispielsweise die Organisation der Pfarrgemeinde oder die Teilung pastoraler Verantwortlichkeiten zwischen Priestern und Bischöfen. Mein einziges Ziel besteht darin, zwei oder drei Aspekte her­ vorzuheben, die ich bei der Entwicklung des Pastorats, d. h. bei der Technologie der Macht, für wichtig halte. 1) Betrachten wir zunächst die theoretische Konstruktion die­ ses Themas in der christlichen Literatur der ersten Jahrhunderte: Chrysostomos, Cyprianus, Ambrosius, Hieronymus und, im Hinblick auf das klösterliche Leben, Cassian oder Benedikt. Die hebräischen Themen haben sich auf mindestens vier Ebenen be­ trächtlich gewandelt. Erstens im Hinblick auf die Verantwortlichkeit. Wir haben ge­ sehen, dass der Hirte die Verantwortung für das Schicksal der gesamten Herde und jedes einzelnen Schafes übernehmen musste. In der christlichen Vorstellung soll der Hirte nicht nur für jedes einzelne Schaf verantwortlich sein, sondern für alle seine Hand­ lungen, für jedes Wohl oder Übel, das von ihm ausgehen könnte, für alles, was ihm zustößt.

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Darüber hinaus sieht das Christentum zwischen jedem Schaf und seinem Hirten einen komplexen Austausch und Verkehr von Sünden und Verdiensten vor. Die Sünde des Schafes kann auch dem Hirten zugeschrieben werden. Er muss sich dafür am Tag des Jüngsten Gerichts verantworten. Umgekehrt findet der Hirte sein eigenes Heil, indem er der Herde dabei hilft, das ihre zu finden. Indem er jedoch seine Schafe rettet, läuft er Gefahr, sich zu ver­ lieren; wenn er sich selbst retten will, muss er notwendigerweise das Risiko eingehen, für die anderen verloren zu sein. Wenn er sich verliert, ist die Herde den größten Gefahren ausgesetzt. Aber lassen wir diese Paradoxa beiseite. Mein Ziel bestand allein darin, die Kraft und die Komplexität der moralischen Bindungen zu unterstreichen, die den Hirten mit jedem Mitglied seiner Herde verbinden. Und vor allem wollte ich nachdrücklich daran erin­ nern, dass diese Bindungen nicht nur das Leben der Individuen betrafen, sondern auch ihre Handlungen, und zwar bis in die allerkleinsten Details. 2) Die zweite wichtige Veränderung hat mit dem Problem des Gehorsams oder der Fügsamkeit zu tun. Da Gott ein Hirte ist, ordnet sich nach der hebräischen Vorstellung die Herde, die ihm folgt, seinem Willen und seinem Gesetz unter. Das Christentum verstand seinerseits die Beziehung zwischen dem Hirten und seinen Schafen als eine Beziehung individueller und vollständiger Abhängigkeit. Das ist ganz gewiss einer der Punkte, in denen das christliche Pastorat radikal vom griechischen Denken abweicht. Wenn ein Grieche zu gehorchen hatte, dann tat er es, weil es das Gesetz oder der Wille des Gemeinwesens ver­ langte. Wenn er einmal dem Willen von jemand Einzelnem folgte (Arzt, Redner oder Pädagoge), dann deshalb, weil diese Person ihn mit Gründen überzeugt hat, die entsprechende Handlung vor­ zunehmen. Und die Handlung fand nach einem streng bestimm­ ten Plan statt: die Heilung, der Erwerb einer Kompetenz, das Treffen der besten Wahl. Innerhalb des Christentums ist die Beziehung zum Hirten eine individuelle Beziehung, eine Beziehung der persönlichen Unter­ ordnung. Sein Wille wird nicht deshalb ausgeführt, weil er dem Gesetz entspricht, sondern hauptsächlich deshalb, weil es sein Wille ist. In den Institutions cénobitiques von Cassian findet man viele

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erbauliche Anekdoten, in denen der Mönch sein Heil dadurch findet, dass er die absurdesten Anweisungen seines Vorgesetzten ausführt.14 Der Gehorsam ist eine Tugend. Das bedeutet, dass er nicht wie bei den Griechen ein vorläufiges Mittel ist, um ein Ziel zu erreichen, sondern vielmehr ein Zweck an sich. Er ist ein Dauerzustand; die Schafe sollen sich dauernd ihren Hirten unter­ ordnen: subditi. Wie der heilige Benedikt sagt, leben die Mönche nicht gemäß ihrem freien Willen; ihr Gelübde besteht darin, sich der Autorität eines Abts unterzuordnen: ambulantes alieno judicio et imperio,15 Das griechische Christentum bezeichnete diesen Zustand des Gehorsams mit apatheia. Und die Entwicklung der Bedeutung dieses Wortes ist bezeichnend. In der griechischen Philosophie bezeichnet apatheia die Herrschaft, die das Indivi­ duum dank seiner Vernunft auf seine Leidenschaften ausübt. Im christlichen Denken ist der pathos der Wille, den man auf sich und für sich ausübt. Die apatheia erlöst uns von solchem Eigensinn. 3) Das christliche Pastorat nimmt eine besondere Form der Erkenntnis zwischen dem Hirten und jedem seiner Schafe an. Diese Erkenntnis ist partikularisiert. Sie individualisiert. Es ge­ nügt nicht zu wissen, in welchem Zustand sich die Herde befin­ det. Man muss auch den Zustand von jedem Schaf kennen. Dieses Thema gab es schon lange vor dem christlichen Pastorat, es wurde jedoch in dreierlei verschiedenen Hinsichten beträchtlich erwei­ tert: Der Hirte muss über die materiellen Bedürfnisse von jedem Mitglied der Herde informiert sein und sie stillen, wenn es nötig ist. Er muss wissen, was vor sich geht, was jeder Einzelne tut seine öffentlichen Sünden. Last and not least muss er wissen, was in der Seele jedes Einzelnen vor sich geht, seine geheimen Sünden und seinen Fortschritt auf dem Weg der Heiligkeit kennen. Um diese individuelle Erkenntnis sicherzustellen, eignete sich das Christentum zwei wesentliche Instrumente an, die in der hel­ lenischen Welt verbreitet waren: die Gewissensprüfung und die Leitung des Gewissens. Es nahm sie auf, aber nicht, ohne sie be­ trächtlich zu verändern. Die Gewissensprüfung war bekanntlich unter den Pythago14 Cassian, J., Institutions cénobitiques, (übers, v. J.-C. Guy) Paris, Editions du Cerf, 1965. 15 Regula Sancti Benedicti (Die Benediktus-Regel, Beuron, 1963, Käp.V: »Vom Gehorsam«, S. 83-85).

räern, den Stoikern und den Epikuräern verbreitet, die darin ein Mittel sahen, die tägliche Bilanz der guten und schlechten Taten im Hinblick auf ihre Pflichten aufzustellen. So konnte man seinen Fortschritt auf dem Weg zur Vollkommenheit messen, d. h. die Selbstbeherrschung und die Herrschaft über seine eigenen Lei­ denschaften. Die Leitung des Gewissens dominierte auch in be­ stimmten kultivierten Milieus, nahm dann aber die Form erteilter - und manchmal vergüteter - Ratschläge in besonders schwierigen Umständen an: in der Bedrängnis oder wenn man unter einem Schicksalsschlag litt. Das christliche Pastorat assoziierte diese beiden Praktiken eng miteinander. Die Leitung des Gewissens stellt eine ständige Bin­ dung dar: Das Schaf ließ sich nicht nur zu dem alleinigen Zweck leiten, eine gefährliche Wegstelle siegreich zu durchschreiten; es ließ sich in jedem Augenblick führen. Führer zu sein, war ein Zustand, und man war unvermeidlich verloren, wenn man ver­ suchte, der Leitung zu entkommen. Wer keinen Rat befolgt, ver­ welkt wie ein totes Blatt, sagt das ewige Sprichwort. Was die Ge­ wissensprüfung angeht, so bestand ihr Zweck nicht darin, das Selbstbewusstsein zu kultivieren, sondern es seinem Leiter gegen­ über völlig offen zu legen - ihm die Tiefen der Seele zu enthüllen. Es gibt viele asketische und monastische Texte aus dem i. Jahr­ hundert über die Beziehung zwischen der Leitung und der Prü­ fung des Gewissens, die zeigen, in welchem Maß diese Techniken für das Christentum wichtig waren und welchen Komplexitäts­ grad sie schon hatten. Ich möchte jedoch die Tatsache betonen, dass sie das Auftauchen eines sehr merkwürdigen Phänomens in der griechisch-römischen Kultur zum Ausdruck bringen, nämlich die Einrichtung einer Beziehung zwischen dem völligen Gehor­ sam, der Selbsterkenntnis und dem Bekenntnis gegenüber jemand anderem. 4) Es gibt einen anderen Wandel - den wichtigsten vielleicht. Alle diese christlichen Techniken der Prüfung, des Bekenntnisses, der Gewissensleitung und des Gehorsams haben ein Ziel: die In­ dividuen dazu zu bringen, ihre eigene »Kasteiung« in dieser Welt zu bewerkstelligen. Die »Kasteiung« ist natürlich nicht gleichbe­ deutend mit dem Tod, aber ein Verzicht auf diese Welt und auf sich selbst: eine Art von täglichem Tod. Es ist nicht das erste Mal, dass wir das pastorale Thema mit dem Tod assoziiert finden, aber

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sein Sinn ist ein anderer als in der griechischen Vorstellung von der politischen Macht. Es handelt sich nicht um ein Opfer für das Gemeinwesen; die christliche Kasteiung ist eine Form der Bezie­ hung zu sich selbst. Sie ist ein Element, ein wesentlicher Bestand­ teil der christlichen Identität. Man kann sagen, dass das christliche Pastorat ein Spiel einge­ führt hat, das sich weder die Griechen noch die Hebräer vorge­ stellt hatten. Ein merkwürdiges Spiel, dessen Elemente das Leben, der Tod, die Wahrheit, der Gehorsam, die Individuen, die Identi­ tät sind; ein Spiel, das keinerlei Beziehung mit dem des Gemein­ wesens zu haben scheint, das durch das Opfer seiner Bürger hin­ durch überlebt. Unsere Gesellschaften haben sich als wirklich dämonisch erwiesen, indem es ihnen gelang, diese beiden Spiele miteinander zu kombinieren - das Spiel des Gemeinwesens und des Bürgers und das Spiel des Hirten und der Herde. Wie Sie feststellen können, habe ich hier nicht versucht, ein Problem zu lösen, sondern eine bestimmte Behandlung dieses Problems vorzuschlagen. Das Problem ist von derselben Größen­ ordnung wie diejenigen, über die ich seit meinem ersten Buch über den Wahnsinn und die Geisteskrankheit gearbeitet habe. Wie ich zuvor schon gesagt habe, hat es mit den Beziehungen zwischen Erfahrungen (wie dem Wahnsinn, der Übertretung der Gesetze, der Sexualität, der Identität), Wissensgebieten (wie der Psychiatrie, der Medizin, der Kriminologie, der Sexualwissen­ schaft und der Psychologie) und der Macht (wie der Macht, die in den psychiatrischen Einrichtungen und den Strafanstalten so­ wie in allen anderen Institutionen ausgeübt wird, die mit der Kontrolle einzelner Personen beauftragt sind) zu tun. Unsere Zivilisation hat das komplexeste Wissenssystem und die raffiniertesten Machtstrukturen entwickelt: Was war verantwort­ lich dafür, dass wir diese Form von Wissen und diese Art von Macht geschaffen haben? Auf welche Weise sind diese Grunder­ fahrungen des Wahnsinns, des Leidens, des Todes, des Verbre­ chens, des Verlangens und der Individualität mit dem Wissen und der Macht verbunden, auch wenn wir uns dessen nicht be­ wusst sind? Ich bin sicher, dass wir darauf nie eine Antwort finden werden; das bedeutet jedoch nicht, dass wir darauf verzichten sollen, die Frage zu stellen.

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II Ich habe zu zeigen versucht, wie das moderne Christentum der Vorstellung eines pastoralen Einflusses, der kontinuierlich und durch den Ausweis ihrer besonderen Wahrheit auf die Individuen ausgeübt wurde, Gestalt verliehen hat. Und ich habe zu zeigen versucht, wie sehr diese Vorstellung einer pastoralen Macht dem griechischen Denken fremd war, und zwar trotz einer Reihe von Entlehnungen, wie etwa die praktische Prüfung und Leitung des Gewissens. Ich möchte nun gerne, auch wenn ich dafür mehrere Jahrhun­ derte überspringen muss, eine andere Episode beschreiben, die an sich eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Regierung der Individuen durch ihre eigene Wahrheit angenommen hat. Dieses Beispiel bezieht sich auf die Staatsbildung im modernen Sinn dieses Begriffs. Wenn ich diese historische Annäherung her­ stelle, dann natürlich nicht deshalb, weil ich unterstellen möchte, dass der pastorale Aspekt der Macht im Verlauf der zehn großen Jahrhunderte des christlichen Europas, des katholischen und rö­ mischen, verschwand. Vielmehr scheint mir, dass entgegen aller Erwartung diese Periode gerade nicht die des siegreichen Pasto­ rats war. Und das aus verschiedenen Gründen, unter denen kein einziger ökonomischer Natur ist - das Hirtenamt der Seelen ist eine typisch städtische Erfahrung, die nur schwer mit der Armut und der extensiven Landwirtschaft der Anfänge des Mittelalters vereinbar ist. Andere Gründe haben mit der soziopolitischen Struktur zu tun. Der Feudalismus stellte zwischen den Individuen ein Gewebe persönlicher Beziehungen her, die von einem ganz anderen Typ als das Pastorat waren. Nicht dass ich behaupten möchte, dass die Vorstellung einer pastoralen Regierung der Menschen in der mittelalterlichen Kir­ che völlig verschwunden wäre. In Wirklichkeit bestand sie fort, und man kann sogar sagen, dass sie eine große Vitalität gezeigt hat. Zwei Reihen von Tatsachen bekräftigen das. Erstens hatten die Reformen, die innerhalb der Kirche selbst vollzogen wurden, ins­ besondere in den Mönchsorden - die verschiedenen Reformen fanden nach und nach innerhalb der bestehenden Klöster statt -, zum Ziel, die Strenge der pastoralen Ordnung unter den Mönchen

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wiederherzustellen. Was die neu geschaffenen Orden der Domi­ nikaner und Franziskaner betrifft, so nahmen sie sich vor allem vor, unter den Gläubigen pastoral wirksam zu sein. Im Verlauf ihrer aufeinander folgenden Krisen hat die Kirche unablässig ver­ sucht, ihre pastoralen Funktionen wiederherzustellen. Es gibt je­ doch noch etwas anderes. In der Bevölkerung entwickelt sich im ganzen Mittelalter eine lange Reihe von Kämpfen, bei denen es um die pastorale Macht ging. Die Gegner der Kirche, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, stellen ihre hierarchische Struktur in Frage und suchen nach mehr oder weniger spontanen Formen der Gemeinschaft, in denen die Herde den Hirten finden könnte, den sie braucht. Diese Suche nach einem pastoralen Aus­ druck nahm zahlreiche Aspekte an: Manchmal, wie im Fall der Waadtländer, gab sie Anlass zu äußerst heftigen Kämpfen; bei anderen Gelegenheiten, wie bei der Gemeinschaft der Brüder des Lebens, blieb diese Suche friedlich. Bisweilen brachte sie Be­ wegungen von großer Breite hervor, wie etwa die der Hussiten, mitunter erzeugte sie beschränkte Gruppen wie die der Freunde Gottes aus dem Oberland. Manchmal handelt es sich um Bewe­ gungen, die sich in der Nähe der Häresie befinden (wie die Begharden), manchmal um rührige orthodoxe Bewegungen, die aber im Schoß der Kirche bleiben (wie die italienischen Oratorianer im 15. Jahrhundert). Ich erwähne all das auf eine Weise, die voller Anspielungen ist, mit dem alleinigen Ziel hervorzuheben, dass das Pastorat im Mit­ telalter eine beständige Sorge und der Gegenstand endloser Aus­ einandersetzungen war, auch wenn es nicht als wirkliche und praktische Regierung der Menschen eingesetzt wurde. Während dieser ganzen Periode zeigte sich ein brennendes Verlangen, pas­ torale Beziehungen zwischen den Menschen herzustellen, und dieses Bestreben beeinflusste die mystische Strömung genauso wie die großen chiliastischen Träume. Ich will hier gewiss nicht das Problem der Staatsbildung behan­ deln. Ich möchte auch nicht die verschiedenen ökonomischen, sozialen und politischen Prozesse untersuchen, aus denen sie her­ vorgehen. Schließlich erhebe ich auch nicht den Anspruch, die verschiedenen Mechanismen und Institutionen zu analysieren, mit denen die Staaten sich ausgestattet haben, um ihr Überleben

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zu sichern. Ich möchte bloß ein paar fragmentarische Hinweise auf etwas geben, das sich auf halbem Wege zwischen dem Staat als politischer Organisation und seinen Mechanismen befindet, näm­ lich der Typ von Rationalität, die in der Ausübung der Staats­ macht zur Geltung kommt. Ich habe in meiner ersten Vorlesung darauf hingewiesen. An­ statt sich zu fragen, ob die Verirrungen der Staatsmacht auf einen Überschuss an Rationalismus oder Irrationalismus zurückgehen, wäre es, glaube ich, klüger, sich an den besonderen Typ politischer Rationalität zu halten, der vom Staat erzeugt wird. Schließlich ähneln die politischen Praktiken zumindest in dieser Hinsicht den wissenschaftlichen: Man wendet nicht die »Vernunft im Allgemeinen« an, sondern immer einen sehr spezifischen Typ von Rationalität. Erstaunlicherweise war sich die Rationalität der Staatsmacht ihrer Einzigartigkeit völlig bewusst. Sie war nicht in spontanen und blinden Praktiken gefangen, und sie wurde nicht erst von einer retrospektiven Analyse an den Tag gebracht. Sie wurde ins­ besondere in zwei Lehrsystemen formuliert: in der Lehre von der Staatsräson und in der Theorie der Polizei. Diese beiden Ausdrü­ cke nahmen schon bald einen engen und abwertenden Sinn an, ich weiß. Aber während der hundertfünfzig oder zweihundert Jahre, die die Bildung der modernen Staaten in Anspruch nahm, behiel­ ten sie einen viel weiteren Sinn als heute. Die Lehre von der Staatsräson versuchte zu bestimmen, worin sich die Prinzipien und die Methoden der staatlichen Regierung beispielsweise von der Art und Weise unterschieden, mit der Gott die Welt, der Vater seine Familie oder ein Vorstand seine Gemein­ de regierte. Was die Lehre von der Polizei angeht, so bestimmt sie das Wesen der Gegenstände der rationalen Aktivität des Staats; sie bestimmt die Natur der Ziele, die er verfolgt, die allgemeine Form der Mittel, die er einsetzt. Von diesem System der Rationalität möchte ich also jetzt spre­ chen. Ich muß jedoch mit zwei Vorbemerkungen beginnen: 1) Da Meinecke eines der wichtigsten Bücher über die Staatsräson ge­ schrieben hat,16 werde ich hauptsächlich über die Theorie der 16 Meinecke, F., Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, Berlin 1924.

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Polizei sprechen. 2) Deutschland und Italien hatten mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen, um sich als Staaten zu konstituieren, und diese beiden Länder haben die meisten Überlegungen zur Staatsräson und zur Polizei hervorgebracht. Ich werde also oft auf italienische und deutsche Texte verweisen. Beginnen wir mit der Staatsräson, für die ich im Folgenden einige Definitionen anführen möchte: Botero: »Eine vollständige Kenntnis der Mittel, durch die sich Staaten bilden, stärker werden, dauern und wachsen.«17 Palazzo {Discours sur le gouvernement et la véritable raison d’Etat, 1606): »Eine Methode oder eine Kunst, die uns einzusehen gestattet, wie man die Herrschaft von Ordnung und Frieden in­ nerhalb der Republik verwirklichen kann.«18 Chemnitz {De ratione status, 1647): »Eine bestimmte politische Sichtweise, die für alle öffentlichen Angelegenheiten, Beratungen und Vorhaben notwendig ist und deren alleiniges Ziel in der Er­ haltung, der Ausdehnung und der Glückseligkeit des Staates be­ steht; zu diesem Zweck wendet man die am schnellsten wirkenden und die bequemsten Mittel an.«19 Betrachten wir bestimmte gemeinsame Züge dieser Definitio­ nen. 1) Die Staatsräson wird als eine »Kunst« betrachtet, d. h. als eine Technik, die sich an bestimmte Regeln hält. Diese Regeln betreffen nicht nur die Sitten oder Traditionen, sondern auch die Erkenntnis - die rationale Erkenntnis. In unseren Tagen evo­ ziert der Ausdruck Staatsräson »Willkür« oder »Gewalt«. Zu je17 Botero, G., Deila ragione di Stato dieci libri, Rom, 1590, dt. Gründlicher Bericht, von Anordnung guter Policeyen und Regiments, Straßburg 1596, Buch I: >Was die Staatsräson ist81

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Bedeutung beimesse und dass ich mich sehr freuen würde, Sie einmal persönlich kennen zu lernen. Mit vorzüglicher Hochachtung Michel Foucault Übersetzt von Michael Bischoff

293 Freundschaft als Lebensform »De l’amitié comme mode de vie« (Gespräch mit R. de Ceccaty, J. Danet und J. Le Bitoux), in: Gai Pied, Nr. 25, April 15)81, S. 38-39.

- Sie sind in den Fünfzigern, Sie sind Leser der Zeitschrift, die es nun seit zwei Jahren gibt, Empfinden Sie die Artikel darin insge­ samt als positiv? - Dass es diese Zeitschrift gibt, ist eine positive und wichtige Sache. Ich könnte von Ihrer Zeitschrift erwarten, dass ich mir bei der Lektüre nicht die Frage nach meinem Alter stellen müsste. Aber die Lektüre zwingt mich zu dieser Frage. Und ich bin nicht sonderlich zufrieden mit der Art, wie sie das tut. Kurz gesagt, ich habe darin keinen Platz. - Vielleicht ist das ein Problem der Altersgruppe derer, die darin schreiben, und derer, die sie lesen. Die meisten sind zwischen fünf­ undzwanzig und fünfunddreißig. - Sicher. Junge Leute schreiben über Dinge, die junge Leute be­ treffen. Aber es geht nicht darum, neben einer Altersgruppe auch andere Altersgruppen zu berücksichtigen. Es geht um die nahezu vollständige Gleichsetzung der Homosexualität mit der Liebe zwischen jungen Menschen und wie man damit umgeht. Außerdem sollte man sich davor hüten, das Problem der Ho­ mosexualität auf die Frage zu reduzieren: »Wer bin ich? Und worin liegt das Geheimnis meines Begehrens?« Vielleicht sollte man lieber fragen: »Welche Beziehungen lassen sich über die Ho­ mosexualität herstellen, erfinden, vermehren, gestalten?« Es geht

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nicht darum, in sich selbst die Wahrheit des eigenen Geschlechts zu entdecken, sondern die eigene Sexualität zu nutzen, um viel­ fältige Beziehungen herzustellen. Und das ist ohne Zweifel der eigentliche Grund, weshalb die Homosexualität keine Form des Begehrens, sondern etwas Begehrenswertes ist. Wir sollten uns deshalb bemühen, Homosexuelle zu werden, statt hartnäckig er­ kennen zu wollen, dass wir homosexuell sind. Das Ziel, auf das die Entwicklung der Homosexualität hinausläuft, ist das Problem der Freundschaft. - Dachten Sie das schon mit zwanzig, oder haben Sie es erst im Laufe der Jahre erkannt? - So lange ich mich erinnere, Lust auf Jungen gehabt zu haben, hatte ich Lust auf Beziehungen zu Jungen. Das war für mich immer sehr wichtig. Nicht unbedingt im Sinne eines Paares, son­ dern als Existenzfrage: Wie ist es für Männer möglich, zusammen zu sein, zusammen zu leben, ihre Zeit, ihre Mahlzeiten, ihr Zim­ mer, ihre Freizeit, ihre Sorgen, ihr Wissen, ihre Vertraulichkeiten miteinander zu teilen? Was heißt das, ein Mann zu sein, »nackt« und »bloß« außerhalb der institutionalisierten Beziehungen, der Familie, des Berufs, der pflichtgemäßen Kameradschaft? Das ist ein Wunsch, eine Unruhe, ein beunruhigender Wunsch, den viele haben. - Kann man sagen, das Verhältnis zum Begehren und zur Lust und zu den Beziehungen hängt vom Alter ab? - Ja, ganz entschieden. Bei einer Beziehung zwischen einem Mann und einer jüngeren Frau erleichtert die Institution den Al­ tersunterschied; sie akzeptiert ihn und sorgt dafür, dass es funk­ tioniert. Aber über welchen Code können zwei Männer sehr un­ terschiedlichen Alters miteinander kommunizieren? Sie stehen einander ganz ungeschützt gegenüber, ohne sprachliche Konven­ tionen und ohne irgendetwas, das die Bedeutung der Bewegung, die sie einander näher bringt, garantieren könnte. Sie müssen ihre noch formlose Beziehung von A bis Z erfinden, und diese Bezie­ hung ist Freundschaft, also die Summe all der Dinge, über die man einander Freude und Lust bereiten kann.

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Es gehört zu den Konzessionen gegenüber den Anderen, dass man Homosexualität nur in Gestalt einer unmittelbaren Lust zwi­ schen zwei Jungen darstellt, die einander auf der Straße begegnen, sich gegenseitig mit Blicken verführen, einander die Hand auf den Hintern legen und eine Viertelstunde später zur Sache kommen. Es handelt sich gleichsam um ein sauberes Bild der Homosexua­ lität, das alles Beunruhigende ausblendet, und zwar aus zwei Gründen: Es entspricht einem beruhigenden Schönheitskanon und vermeidet alles möglicherweise Beunruhigende an der Zunei­ gung, Zärtlichkeit, Freundschaft, Treue und Kameradschaft, de­ nen eine recht zusammengewürfelte Gesellschaft keinen Raum geben kann, ohne die Entstehung von Verbindungen befürchten zu müssen, die unvorhergesehenen Kraftlinien folgen. Ich glaube, das eigentlich »Beunruhigende« an der Homosexualität ist die homosexuelle Lebensform und weit weniger der sexuelle Akt als solcher. Nicht dass es zu sexuellen Handlungen kommt, die nicht dem Gesetz oder der Natur entsprechen, beunruhigt die Leute, sondern dass diese Menschen beginnen, einander zu lieben. Das ist das eigentliche Problem. Die Institution wird in ihr Ge­ genteil verkehrt. Intensive Gefühle kommen zum Durchbruch, halten an der Institution fest und verwirren sie zugleich. Nehmen Sie die Armee. Die Liebe zwischen Männern wird dort ständig thematisiert und verabscheut. Die Gesetze der Institutionen kön­ nen diese Beziehungen mit ihren vielfältigen Intensitäten, ihren veränderlichen Formen, ihren unabsehbaren Entwicklungen und ihren ständig wechselnden Formen nicht gutheißen. Diese Bezie­ hungen, die für einen Kurzschluss sorgen und Liebe einführen, wo eigentlich Gesetz, Regel und Gewohnheit herrschen sollten. - Sie haben eben gesagt: »Statt über vergängliche Lust zu lamen­ tieren, frage ich mich lieber; was wir für uns tun können.« Könnten Sie das präzisieren? - Askese als Lustverzicht hat einen schlechten Ruf. Aber Askese ist etwas anderes, nämlich Arbeit, die man an sich selbst verrich­ tet, um sich zu verändern oder um entstehen zu lassen, was man glücklicherweise niemals erreicht. Sollte das nicht heute unser Problem sein? Man hat die Askese verabschiedet. Nun ist es an uns, Fortschritte in einer homosexuellen Askese zu machen, die

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uns dazu bringt, an uns selbst zu arbeiten und eine noch unwahr­ scheinliche Lebensform - ich sage nicht zu entdecken, sondern zu erfinden. - Heißt das, ein junger Homosexueller sollte sehr vorsichtig mit der homosexuellen Bildwelt umgehen und lieber an etwas ande­ rem arbeiten? - Mir scheint, wir sollten nicht so sehr an der Befreiung unseres Begehrens arbeiten, sondern versuchen, uns selbst unendlich emp­ fänglicher für Lust zu machen. Wir müssen die beiden vorgefer­ tigten Formeln der rein sexuellen Begegnung und der Identitäts­ verschmelzung in der Liebe hinter uns lassen. - Sind in den Vereinigten Staaten bessere Voraussetzungen für die Herstellung von Beziehungen zu erkennen, zumindest in den Großstädten, wo das Problem des sexuellen Elends gelöst zu sein scheint? - In den Vereinigten Staaten scheint mir jedenfalls das Interesse an Freundschaft stark ausgeprägt zu sein, auch wenn das sexuelle Elend in seinen Grundzügen auch weiterhin besteht. Man geht dort Beziehungen nicht einfach nur ein, um zum sexuellen Voll­ zug zu gelangen, der dort leicht zu erreichen ist; im Zentrum steht vielmehr die Freundschaft. Wie können wir über sexuelle Prakti­ ken zu einem Beziehungssystem gelangen? Ist es möglich, eine homosexuelle Lebensform zu schaffen? Dieser Begriff der Lebensform scheint mir wichtig zu sein. Soll­ ten wir nicht eine Diversifizierung einführen, die nicht auf Klas­ senzugehörigkeit, Beruf oder Bildungsniveau basiert, sondern auf Beziehungsformen, die man unter dem Begriff der »Lebensform« zusammenfassen könnte? Eine Lebensform kann von Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher gesellschaftlicher Stel­ lung und ganz verschiedener sozialer Tätigkeitsbereiche geteilt werden. Sie kann Raum für intensive Beziehungen schaffen, die keiner institutionalisierten Beziehungsform gleichen, und mir scheint, eine Lebensform kann auch eine Kultur und eine Ethik hervorbringen. Schwul sein heißt in meinen Augen nicht, sich mit den psychologischen Merkmalen und sichtbaren Masken des Ho-

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mosexuellen zu identifizieren, sondern den Versuch zu machen, eine Lebensform zu definieren und zu entwickeln. - Ist es kein Mythos, wenn man sagt, wir erlebten hier vielleicht die Anfänge einer Klassen, Altersgruppen und Länder übergrei­ fenden Sozialisation? - Ja, das ist ein großer Mythos, wenn man sagt, es gebe keinen Unterschied mehr zwischen Homosexualität und Heterosexuali­ tät. Ich glaube übrigens, das ist einer der Gründe, weshalb die Homosexualität heute Probleme bereitet. Die These, homosexuell zu sein bedeute, als Mann einen Mann zu lieben, diese Suche nach einer Lebensform entspricht der Ideologie jener Bewegung zur sexuellen Befreiung, die wir in den sechziger Jahren erlebt haben. Hier liegt die Bedeutung der schnauzbärtigen »Typen«. Sie sagen gewissermaßen: »Habt keine Angst, je freier wir werden, desto weniger lieben wir die Frauen und desto weniger lassen wir uns auf diese Polysexualität ein, in der es keinen Unterschied zwi­ schen beiden mehr gibt.« Und das ist keineswegs die Idee einer großen gemeinschaftlichen Verschmelzung. Homosexualität ist eine historische Gelegenheit, Beziehungs­ und Gefühlsmöglichkeiten neuerlich zu eröffnen, und zwar nicht so sehr wegen bestimmter innerer Eigenschaften der Homosexua­ lität, sondern weil die Diagonalen, die jemand, der »quer« zum sozialen Geflecht steht, darin ziehen kann, solche Möglichkeiten sichtbar zu machen vermögen. - Die Frauen könnten hier einwenden: »Was gewinnen denn die Männer im Vergleich zu den Beziehungen die zwischen Mann und Frau oder zwischen Frauen möglich sind?« - In den Vereinigten Staaten ist kürzlich ein Buch über Freund­ schaft zwischen Frauen erschienen.1 Es enthält zahlreiche Aus­ sagen von Frauen über emotionale und leidenschaftliche Bezie­ hungen zwischen Frauen. Im Vorwort schreibt die Autorin, sie habe ursprünglich homosexuelle Beziehungen erforschen wollen, dann aber festgestellt, dass es sich durchaus nicht immer um Ho1 [L. Faderman, Surpassing the Love of Men, N ew York 1980; dt. Köstlicher als die Liebe der Männer, Zürich 1990.]

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mosexualität handelt und dass es letztlich gar nicht interessant sei, ob man von Homosexualität sprechen könne oder nicht. Wenn man zulasse, dass die Beziehung sich in ihren eigenen Worten und Gesten entfaltet, kämen andere, sehr wichtige Dinge zum Vor­ schein: dichte, wunderschöne, sonnige oder auch traurige, schwar­ ze Liebes- und Gefühlsbeziehungen. Das Buch zeigt auch, welche wichtige Rolle dem weiblichen Körper und der körperlichen Be­ rührung zukommt: Eine Frau hilft einer anderen beim Frisieren, beim Schminken, beim Anziehen. Frauen hatten immer schon ein Recht auf den Körper anderer Frauen. Sie legen einander den Arm um die Hüfte, sie umarmen sich. Dem Mann dagegen war der männliche Körper auf drastischere Weise verboten. Das Leben zwischen Frauen wurde immer schon toleriert, das zwischen Männern nur in gewissen Zeiten und seit dem 19. Jahrhundert, aber auch hier nur in einem strengen Rahmen, nämlich ausschließ­ lich im Krieg. Das galt auch für die Gefangenenlager. Manchmal verbrachten Soldaten, junge Offiziere, Monate oder Jahre zusammen. Im Ers­ ten Weltkrieg lebten die Männer vollständig miteinander, auf engstem Raum und ganz für sich. Daran fand man gar nichts an­ gesichts der Todesgefahr, zumal die gegenseitige Hingabe und Aufopferung durch ein Spiel auf Leben und Tod sanktioniert wurde. Was wissen wir von den Gefühlsstürmen, die unter sol­ chen Umständen möglich waren? Kaum etwas, abgesehen von einigen sehr partiellen Aussagen über Kameradschaft und Brüder­ lichkeit. Und man kann sich fragen, wie es möglich war, dass die Menschen in diesen absurden, grotesken Kriegen, diesem infer­ nalischen Gemetzel, dennoch durchhielten. Der Grund liegt ohne Zweifel in einem affektiven Gewebe. Damit will ich keineswegs sagen, sie hätten weitergekämpft, weil sie einander geliebt hätten. Aber Ehre, Mut, der Wille, nicht das Gesicht zu verlieren, Opfer­ bereitschaft, der Wunsch, mit und vor dem Kameraden den Schüt­ zengraben zu verlassen, all das setzte sehr intensive Gefühlsbin­ dungen voraus. Das heißt nun nicht, das wäre Homosexualität gewesen. Solche Argumentationsweisen verachte ich. Aber hier liegt zweifellos eine, wenn auch nicht die einzige Voraussetzung für das Leben in solch einem Inferno, das die Menschen zwang, wochenlang in Schlamm und Kot zu waten, umgeben von Lei­ chen, hungernd und betrunken am Morgen des Sturmangriffs.

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Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass etwas Reflektiertes und Bewusstes wie eine Publikation eine homosexuelle Kultur möglich machen sollte, also Instrumente für polymorphe, vielfäl­ tige, individuell abgewandelte Beziehungen. Doch Programme und Vorschläge sind gefährlich. Programme werden zu Gesetzen, die das Erfinden verbieten. Wir bräuchten aber eine Erfindungs­ gabe, die unserer gegenwärtigen Situation angemessen wäre und auch etwa dem, was die Amerikaner als Coming-out bezeichnen. Das Programm muss leer sein. Es muss in der Vergangenheit gra­ ben und aufzeigen, dass die Dinge aus bestimmten intelligiblen Gründen historisch kontingent, aber nicht notwendig waren. Wir müssen das Intelligible vor dem Hintergrund einer Leere auf­ scheinen lassen, jede Notwendigkeit bestreiten und zugleich den­ ken, dass die Dinge, die existieren, keineswegs alle möglichen Räume füllen. Wir müssen die Frage, welches Spiel wir spielen und wie wir ein Spiel erfinden können, zu einer echten und unab­ weisbaren Herausforderung machen. - Vielen Dank, Michel Foucault. Übersetzt von Michael Bischoff

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Das Dossier »Todesstrafe«. Sie haben dagegen geschrieben »Le dossier >peine de mort Nr. 2783, 16.-23. April 1981, S. 17. Antwort auf eine Telefonumfrage während des Präsidentschaftswahl­ kampfs François Mitterrands, der die Abschaffung der Todesstrafe in sein Programm aufgenommen hatte.

Meines Erachtens gibt es drei Probleme: das Problem der Funk­ tionsweise der Strafjustiz; das Problem des Verhältnisses zwischen Psychiatrie und Strafjustiz; das eigentliche Problem der Todes­ strafe. Wer keine Antwort auf die beiden ersten Fragen gibt, kann das

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Problem nicht lösen. Wer darüber redet, ob man anderen den Kopf abschneiden soll oder nicht, und dabei selbst den Kopf in den Sand steckt, der betreibt eine Vogel-Strauß-Politik. Ich bin gewiss für eine vollständige Überarbeitung des Strafsystems, aber das ist nicht unabhängig vom Sozialsystem. Wir müssen daher alles verändern. Übersetzt von Michael Bischoff

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Sexualität und Einsamkeit (Vortrag) »Sexuality and Solitude« (»Sexualité et solitude«, übers, von F. Durand-Bogaert), in: London Review of BooksyBd. III, Nr. 9, 21. Mai - 5. Juni, S. 3, 5 und 6. (M. Foucault hielt diesen Vortrag auf Englisch.)

In einem 1840 veröffentlichten Werk, das der moralischen Be­ handlung des Wahnsinns gewidmet war, nimmt Leuret, ein fran­ zösischer Psychiater, Bezug auf die Art und Weise, wie er einen seiner Patienten behandelt hat - wie er ihn behandelt und, wie Sie sich denken können, auch geheilt hat.1Eines Morgens lässt Leuret Herrn A. in den Duschraum eintreten und seinen Wahnsinn in Einzelheiten erzählen. »Aber das alles«, erklärt der Arzt, »ist bloß Wahnsinn. Sie werden mir versprechen, dass Sie nicht mehr daran glauben.« Der Patient zögert und verspricht es dann. »Das genügt nicht«, erwidert der Arzt, »Sie haben mir diese Art von Verspre­ chen schon gegeben und sie nicht gehalten.« Dann öffnet er den Hahn mit kaltem Wasser über dem Kopf seines Patienten. »Ja, ja, ich bin verrückt!«, schreit der Patient. Der Wasserstrahl wird unterbrochen, das Verhör geht weiter. »Ja, ich gebe zu, dass ich verrückt bin«, wiederholt der Patient. »Aber«, fügt er hinzu, »ich gebe es nur deshalb zu, weil Sie mich dazu zwingen.« Abermals ein Wasserstrahl. »Schon gut, schon gut«, sagt Herr A., »ich gebe es zu. Ich bin verrückt, und all das war nur Wahnsinn.« Von jemandem, der an einer Geisteskrankheit leidet, das Be­ kenntnis zu erhalten, dass er verrückt sei, ist ein sehr altes Ver1 Leuret, F., Du traitement moral de la folie, Paris, Baillière, 1840, S. 197-198.

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fahren in der traditionellen Heilkunde. In den Werken des 17. und 18. Jahrhunderts findet man zahlreiche Beispiele für das, was man Wahrheitstherapien nennen könnte. Die Technik, die Leuret an­ wendet, ist davon jedoch ganz verschieden. Leuret versucht nicht, seinen Patienten davon zu überzeugen, dass seine Vorstellungen falsch und unvernünftig sind. Was im Kopf von Herrn A. ge­ schieht, ist Leuret völlig gleich. Was der Arzt erreichen will, ist eine präzise Handlung, die explizite Aussage »Ich bin verrückt«. Seit der Zeit - vor etwa zwanzig Jahren -, als ich diese Passage von Leuret das erste Mal gelesen habe, behielt ich das Projekt in der Erinnerung, die Form und Geschichte dieser singulären Praxis zu analysieren. Leuret ist erst dann zufrieden, als sein Patient erklärt: »Ich bin verrückt.« Oder: »All das war nur Wahnsinn.« Er stützt sich auf die Annahme, dass der Wahnsinn als Wirklichkeit in dem Augenblick verschwindet, in dem der Patient die Wahrheit aner­ kennt und erklärt, dass er verrückt sei. Wir haben hier wirklich die Umkehrung eines performativen Sprechakts. Die Aussage zerstört bei dem sprechenden Subjekt die Wirklichkeit, die dieselbe Aussage wahr gemacht hat. Auf welcher Konzeption der Wahrheit der Rede und der Subjektivität gründet diese einzigartige und doch so geläufige Praxis? Um das Interesse zu rechtfertigen, das ich einer Sache entgegenbringe, die ein äu­ ßerst spezielles Thema zu sein scheint, erlauben Sie mir, kurz einen Schritt zurückzutreten. In den Jahren, die dem Zweiten Weltkrieg vorausgingen, und mehr noch nach dem Krieg, wurde die ganze Philosophie in den Ländern des europäischen Festlands und in Frankreich von der Philosophie des Subjekts dominiert. Darunter verstehe ich, dass die Philosophie sich als Aufgabe par excellence2 die Begründung des Wissens und des Prinzips aller Bedeutung durch das Zeichen verwendende Subjekt vornahm. Die Bedeutung der Frage geht auf den Einfluss Husserls zurück, aber der zentrale Charakter des Subjekts ist auch an einen institu­ tionellen Kontext gebunden, und zwar insofern die französische Universität, seit die Philosophie mit Descartes das Licht der Welt erblickte, immer nur auf cartesische Weise fortschreiten konnte. Wir müssen aber auch die politische Konjunktur berücksichtigen. Angesichts der Absurdität der Kriege, angesichts der amtlichen 2 Auf Französisch im Text (A.d.Ü.).

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Bestätigung von Massakern und Despotismus entstand der Ge­ danke, dass es wohl dem individuellen Subjekt oblag, seinen exis­ tentiellen Entscheidungen einen Sinn zu geben. Mit der Entspan­ nung und dem Abstand der Nachkriegszeit schien die Bedeutung, die man bislang der Philosophie des Subjekts zugebilligt hatte, nicht mehr so offensichtlich zu sein. Bestimmte theoretische Pa­ radoxa, die bisher verborgen waren, traten zutage, und es war nicht mehr möglich, sie zu vermeiden. Dieser Philosophie des Bewusstseins gelang es paradoxerweise nicht, eine Philosophie der Erkenntnis zu begründen und insbesondere eine Philosophie der wissenschaftlichen Erkenntnis. Als Philosophie der Bedeu­ tung war sie daran gescheitert, die Mechanismen, die für die Bil­ dung der Bedeutung verantwortlich sind, und die Strukturen von Bedeutungssystemen zu berücksichtigen. Mit der viel zu einfachen Klarheit der Retrospektive - was die Amerikaner the monday-morning quarterback3 nennen - würde ich sagen, dass zwei Wege über diese Philosophie des Subjekts hinausführen konnten. Der erste war die Theorie des objektiven Wissens, verstanden als Analyse von Bedeutungssystemen, als Sé­ miologie. Das war der Weg des logischen Positivismus. Der zwei­ te Weg wurde von einer bestimmten sprachwissenschaftlichen, psychoanalytischen und anthropologischen Schule eröffnet - drei Disziplinen, die sich unter der Rubrik des »Strukturalismus« ver­ sammelten. Diese Wege bin ich nicht gegangen. Es sei mir ge­ staltet, ein für alle Mal zu erklären, dass ich weder ein Strukturalist - ich bekenne es mit allem gebührenden Kummer - noch ein analytischer Philosoph bin. Niemand ist vollkommen. Ich habe jedoch versucht, eine andere Fährte zu verfolgen. Ich habe ver­ sucht, die Philosophie des Subjekts zu verlassen, indem ich die Genealogie des modernen Subjekts untersucht habe, das ich als eine historische und kulturelle Wirklichkeit ansehe; d. h. als etwas Wandelbares, was natürlich vom politischen Standpunkt aus wich­ tig ist. Im Ausgang von diesem allgemeinen Projekt sind zwei Zugangsweisen möglich. Die eine Weise, sich dem Subjekt im All­ gemeinen zu nähern, besteht darin, die modernen theoretischen Konstruktionen zu prüfen. Innerhalb dieser Perspektive habe ich versucht, die Theorien des Subjekts als sprechenden, lebenden, 3 Begriff aus dem American Football.

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arbeitenden Wesens im 17. und 18. Jahrhundert zu untersuchen. Man kann die Frage nach dem Subjekt aber auch praktischer auffassen, und zwar im Ausgang von der Untersuchung von Institu­ tionen, die aus dem Subjekt Objekte der Erkenntnis und der Be­ herrschung gemacht haben: die Anstalten, die Gefängnisse... Ich wollte die Formen der Besorgnis untersuchen, die das Sub­ jekt im Hinblick auf sich selbst ausbildet. Da ich jedoch mit dem zweiten Typ von Ansatz angefangen hatte, musste ich meine An­ sicht in mehreren Punkten ändern. Erlauben Sie mir, dass ich hier gewissermaßen Selbstkritik übe. Wenn man bestimmte Aussagen von Habermas betrachtet, mag es scheinen, dass man drei Haupt­ typen von Techniken unterscheiden kann: Techniken, die es ge­ statten, Dinge herzustellen, umzuwandeln und zu manipulieren; Techniken, die den Gebrauch von Zeichensystemen ermöglichen; und schließlich Techniken, die die Beeinflussung des Verhaltens der Individuen gestatten, um bestimmte Zwecke oder Ziele durchzusetzen. Wir haben also Produktionstechniken, Bezeichnungs- oder Kommunikationstechniken und Herrschaftstechni­ ken. Allmählich wurde mir klar, dass in allen Gesellschaften ein anderer Typ von Techniken existiert: diejenigen, die den Indivi­ duen gestatten, selbst eine Reihe von Operationen mit ihrem Kör­ per, ihrer Seele, ihren Gedanken, ihrem Verhalten vorzunehmen, sie auf diese Weise zu verwandeln oder zu verändern und einen bestimmten Zustand der Vollkommenheit, des Glücks, der Rein­ heit oder der übernatürlichen Macht zu erreichen. Nennen wir diese Techniken Selbsttechniken. Wenn man die Genealogie des Subjekts in der abendländischen Kultur untersuchen will, muss man nicht nur die Herrschaftstech­ niken, sondern auch die Selbsttechniken berücksichtigen. Man muss die Wechselwirkung aufzeigen, die zwischen diesen beiden Arten von Techniken besteht. Ich habe vielleicht die Herrschafts­ techniken zu sehr in den Vordergrund gerückt, als ich die An­ stalten, die Gefängnisse etc. untersuchte. Es ist richtig, dass das, was wir »Disziplin« nennen, etwas ist, das in dieser Art von In­ stitutionen eine wirkliche Bedeutung hat. Aber das ist nur ein Aspekt der Kunst, die Menschen in unseren Gesellschaften zu regieren. Nachdem ich das Feld der Macht im Ausgang von den Herrschaftstechniken untersucht habe, möchte ich in den kom­ menden Jahren die Machtverhältnisse im Ausgang von den Selbst­

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techniken studieren. In jeder Kultur, so scheint mir, impliziert die Selbsttechnik eine Reihe von Verpflichtungen auf die Wahrheit: Man muss die Wahrheit entdecken, von der Wahrheit erleuchtet werden, die Wahrheit sagen. Es handelt sich hier um so viele Be­ schränkungen, die entweder für die Konstitution oder für die Transformation des Selbst als wichtig erachtet werden. Wie steht es gegenwärtig um die Wahrheit als Pflicht in unseren christlichen Gesellschaften? Das Christentum ist, wie jeder weiß, eine Konfession. Das bedeutet, dass das Christentum einem ganz besonderen Typ von Religionen angehört, nämlich jenen, die den Gläubigen Verpflichtungen zur Wahrheit auferlegen. Im Chris­ tentum gibt es zahlreiche solche Verpflichtungen. Beispielsweise gibt es die Verpflichtung, eine Menge von Aussagen für wahr zu halten, die das Dogma darstellen, die Verpflichtung, bestimmte Bücher als ständige Quelle der Wahrheit zu betrachten, und die Verpflichtung, die Entscheidungen bestimmter Autoritäten in Sa­ chen Wahrheit zu akzeptieren. Das Christentum verlangt aber noch eine andere Form der Verpflichtung zur Wahrheit. Jeder Christ muss erforschen, wer er ist, was in seinem Inneren ge­ schieht, die Fehler, die er begangen hat, die Versuchungen, denen er ausgesetzt ist. Darüber hinaus muss jeder diese Dinge anderen sagen und auf diese Weise Zeugnis wider sich selbst ablegen. Diese beiden Bereiche von Verpflichtungen - diejenigen, die den Glauben, die Schrift, das Dogma betreffen, und diejenigen, die das Selbst, die Seele und das Herz angehen - sind miteinander verbun­ den. Ein Christ benötigt das Licht des Glaubens, wenn er erfor­ schen will, wer er ist. Und umgekehrt kann man sich nicht vor­ stellen, dass er Zugang zur Wahrheit haben könnte, ohne dass seine Seele geläutert wäre. Auch der Buddhist soll dem Licht entgegen­ gehen und die Wahrheit über sich selbst herausfinden. Aber die Beziehung zwischen den beiden Verpflichtungen ist im Buddhis­ mus ganz anders als im Christentum. Im Buddhismus ist es die­ selbe Art von Erleuchtung, die das Individuum dazu führt zu ent­ decken, wer es ist und was die Wahrheit ist. Dank dieser gleichzeitigen Erleuchtung des Selbst und der Wahrheit entdeckt das Individuum, dass das Selbst nur eine Illusion war. Ich möchte betonen, dass es im Christentum nicht so ist: Die Entdeckung des Selbst enthüllt das Selbst nicht als Illusion. Sie macht einer Aufgabe Platz, die nur unendlich sein kann. Zwei Ziele bestimmen diese

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Aufgabe. Zunächst gibt es die Pflicht, den Geist von allen Illusio­ nen, Versuchungen und Verführungen zu befreien, die in ihm auftreten könnten, sowie die Pflicht, die Wirklichkeit dessen zu ent­ decken, was in uns geschieht. Anschließend muss man sich von jeder Bindung an das eigene Selbst lösen, und zwar nicht, weil das Selbst eine Illusion ist, sondern weil es allzu wirklich ist. Je mehr wir die Wahrheit über uns selbst entdecken, umso mehr sol­ len wir auf uns selbst verzichten; und je mehr wir auf uns verzich­ ten wollen, umso mehr müssen wir die Wirklichkeit in uns selbst zutage fördern. Das - diese Spirale der Formulierung der Wahrheit und des Verzichts auf die Wirklichkeit - steht im Zentrum der Selbsttechniken, die vom Christentum praktiziert werden. Vor kurzem hat mir Professor Peter Brown erklärt, dass seiner Meinung nach unsere Aufgabe darin bestünde, zu verstehen, wie es kommt, dass die Sexualität in unseren christlichen Kulturen der Seismograph unserer Subjektivität geworden ist. Es ist eine Tat­ sache, und zwar eine mysteriöse Tatsache, dass in dieser unend­ lichen Spirale von Wahrheit und Wirklichkeit des Selbst seit den ersten Jahrhunderten des Christentums die Sexualität eine be­ trächtliche Bedeutung hat, und zwar eine Bedeutung, die immer größer wurde. Warum gibt es eine so grundlegende Verbindung zwischen der Sexualität, der Subjektivität und der Verpflichtung zur Wahrheit? In dieser Frage trifft sich meine Arbeit mit der von Richard Sennett. Der Ausgangspunkt unseres Seminars war eine Passage des hei­ ligen Franz von Sales: »Ich möchte euch ein Merkmal der Ehren­ haftigkeit des Elefanten erzählen. Ein Elefant wechselt niemals sein Weibchen und liebt die zärtlich, die er gewählt hat und mit der er sich nur alle drei Jahre paart, und zwar nur fünf Tage lang und so im Verborgenen, dass er niemals bei diesem Akt gesehen wird. Man sieht ihn jedoch am sechsten Tag, an dem er geradewegs zu irgendeinem Bach geht, um sich darin den ganzen Körper zu waschen, da er nicht zu der Herde zurückkehren will, bevor er nicht gereinigt ist. Sind das nicht schöne und ehrenvolle Regungen bei einem Tier, durch die es die verheirateten Leute lehrt, sich nicht zu sehr den Freuden der Sinne und des Fleisches hinzugeben?«4 4 F r a n z v o n S a le s ,

Introduction à la vie dévote, L y o n , 1609; D o l e , 1 8 8 8 , B u c h III, d t. Anleitung zum frommen Leben, E ic h s t ä t t u n d W ie n

Kap.XXXIX, S. 4 3 1 -4 3 2 ;

1 9 5 9 , D r it t e r T e il, K a p . 3 9 , S. 2 0 2 -2 0 4 .

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Jedermann wird hier das Modell anständigen sexuellen Verhal­ tens erkennen. Die Monogamie, die Treue und die Fortpflanzung werden als wichtigste oder vielleicht als einzige Rechtfertigungen des Geschlechtsaktes dargestellt - eines Aktes, der selbst unter diesen Umständen wesentlich unrein bleibt. Die meisten von uns neigen, glaube ich, dazu, dieses Modell entweder dem Chris­ tentum oder der modernen christlichen Gesellschaft, wie sie sich unter dem Einfluss der kapitalistischen Moral oder der so genann­ ten bürgerlichen Moral entwickelt hat, zuzuschreiben. Als ich dieses Modell zu untersuchen begann, war ich jedoch verblüfft zu sehen, dass es sich auch in der lateinischen und hellenistischen Literatur fand. Es sind dieselben Ideen, dieselben Wörter und manchmal derselbe Bezug auf den Elefanten. Es ist eine Tatsache, dass die heidnischen Philosophen, die dem Tod Christi vorangin­ gen und auf ihn folgten, eine Sexualethik vorlegten, die, auch wenn sie teilweise neu war, doch dem sehr ähnlich war, was als christliche Ethik gilt. Wir haben in unserem Seminar auf sehr überzeugende Weise herausgearbeitet, dass dieses philosophische Modell des Sexualverhaltens, dieses Modell des Elefanten nicht das einzige war, das man zu jener Zeit kannte und praktizierte. Es stand im Wettbewerb mit mehreren anderen. Aber es wurde sehr schnell vorherrschend, weil es mit einem sozialen Wandel verknüpft war, der mit dem Zerfall der Stadtstaaten, der Entwick­ lung der kaiserlichen Bürokratie und dem immer größer wer­ denden Einfluss der provinziellen Mittelklasse zu tun hatte. Im Laufe dieser Periode stellt man eine Entwicklung hin zur Beschränkung auf die Familienzelle fest, auf die echte Monoga­ mie, die Treue zwischen Eheleuten und eine Verarmung der Ge­ schlechtsakte. Die philosophische Kampagne zugunsten des Elefanten-Modells war zugleich eine Wirkung und ein Hilfsmittel für diesen Wandel. Aber auch wenn diese Hypothesen begründet sind, müssen wir doch einräumen, dass das Christentum diesen Code des Sexualverhaltens nicht erfunden hat. Es hat ihn akzep­ tiert und verstärkt, es hat ihm eine Kraft und Tragweite gegeben, der denen, die er früher hatte, weit überlegen war. Aber die an­ gebliche christliche Moral ist nichts anderes als ein Fragment heidnischer Ethik, die in das Christentum eingeführt wurde. Heißt das, dass das Christentum den Stand der Dinge nicht ver­ ändert hat? Die ersten Christen stießen zahlreiche Veränderungen

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an, wenn nicht im Hinblick auf das Sexualverhalten, dann zumin­ dest in den Beziehungen, die jeder Christ zu seinen sexuellen Aktivitäten hat. Das Christentum hat eine neue Weise der Sorge um sich als sexuelles Wesen vorgelegt. Um diese Dinge zu erhellen, werde ich zwei Texte miteinander vergleichen. Der eine wurde von Artemidor geschrieben, einem heidnischen Philosophen des 3. Jahrhunderts. Der andere ist das berühmte Buch XIV des Gottesstaats von Augustinus. Obwohl das Buch, das Artemidor der Traumdeutung widmete, aus dem 3. nachchristlichen Jahrhundert stammt, ist Artemidor ein heidni­ scher Autor. Drei Kapitel dieses Buches handeln von sexuellen Träumen. Was ist der Sinn oder, genauer, der prognostische Wert eines sexuellen Traums? Bezeichnenderweise steht die Deutung, die Artemidor den Träumen gibt, derjenigen von Freud entgegen. Was ein Verständnis der sexuellen Träume ermöglicht, sind die Wirtschaft, die sozialen Beziehungen, die Erfolge und Niederla­ gen, die der Mensch in seiner politischen Aktivität und seinem Alltagsleben erlebt. Beispielsweise ist ein Traum, in dem man eine Beziehung mit seiner Mutter hat, ein Zeichen, dass man mit einer Laufbahn als Verwaltungsbeamter Erfolg haben wird, weil die Mutter augenscheinlich das Symbol der Stadt oder des Landes ist. Ein anderes bedeutsames Element ist folgendes: Der gesell­ schaftliche Wert des Traums hängt nicht von der Eigenart des Geschlechtsakts ab, sondern vielmehr vom sozialen Status der Partner. Es kommt beispielsweise nach Artemidor nicht so sehr darauf an, ob man im Traum eine Beziehung mit einem Jungen oder mit einem Mädchen hat. Wichtig dagegen ist es zu wissen, ob der Partner reich oder arm ist, jung oder alt, Sklave oder frei, verheiratet oder ledig. Artemidor betrachtet natürlich auch die Frage des Geschlechtsakts, aber nur vom Standpunkt des Mannes aus. Der einzige Akt, mit dem er als Geschlechtsakt vertraut ist und den er als solchen erkennt, ist die Penetration. Und die Pe­ netration ist nicht nur ein sexueller Akt, sondern sie ist Teil der sozialen Rolle, die ein Mann im Gemeinwesen spielt. Ich würde sagen, dass für Artemidor die Sexualität etwas Relationales ist und dass man die sexuellen Beziehungen nicht von den sozialen tren­ nen kann. Untersuchen wir nun den Text des heiligen Augustinus, dessen Sinn das zum Ausdruck bringt, worauf wir bei unserer Analyse

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hinaus wollen. Im Gottesstaat56und später in Contra Julianums gibt Augustinus eine einigermaßen grauenerregende Beschreibung des Geschlechtsakts. Für ihn ist der Geschlechtsakt eine Art von Krampf. Der ganze Körper, sagt Augustinus, wird von fürchter­ lichen Zuckungen geschüttelt. Der Mensch verliert jede Kontrolle über sich selbst. »Diese aber [die Gier] nimmt den ganzen Leib, innerlich so gut wie äußerlich, in Anspruch und bringt, da die seelische Leidenschaft sich mit dem fleischlichen Triebe vereinigt und ihn durchdringt, den ganzen Menschen in Wallung, worauf jene Wollust folgt, mit der keine andere körperliche Lust zu ver­ gleichen ist, die, auf ihrem Höhepunkte angelangt, fast alles Den­ ken und Wachbewusstsein auslöscht.«7 Diese Beschreibung - das verdient hervorgehoben zu werden - ist keine Erfindung von Augustinus: Man findet sie in den medizinischen und heidnischen Schriften des vorhergehenden Jahrhunderts. Darüber hinaus ist der Text von Augustinus die nahezu wörtliche Übertragung einer Passage, die von dem heidnischen Philosophen Cicero im Hortensius geschrieben wurde.8 Überraschend ist nicht, dass Augustinus eine so klassische Be­ schreibung des Geschlechtsakts gibt, sondern dass er, obwohl er seine ganze Grässlichkeit zeigt, dennoch die Möglichkeit aner­ kennt, dass es sexuelle Beziehungen im Paradies vor dem Sünden­ fall gegeben haben könnte. Das ist umso bemerkenswerter, als Augustinus einer der ersten Kirchenväter ist, der diese Möglich­ keit eingeräumt hat. Es ist selbstverständlich undenkbar, dass die sexuellen Beziehungen im Paradies diese epileptische Form hat­ ten, die sie unglücklicherweise heute haben. Vor dem Fall ge­ horchte der Körper Adams und alle seine Teile völlig der Seele und dem Willen. Wenn Adam sich im Paradies fortpflanzen woll­ te, konnte er das auf dieselbe Weise und mit derselben Beherr­ schung tun, wie wenn er beispielsweise Samenkörner in die Erde aussäte. Er kannte die unwillkürliche Erregung nicht. Jeder Teil seines Körpers war wie seine Finger, bei denen man jede Bewe­ 5 Augustinus, Vom Gottesstaat, Zürich 1955, S. 181-198. Augustinus, Quatre Livres de saint Augustin, évêque d’Hippone, contre Julien, défenseur de Vbérésie pélagienne, übers, v. Barreau, Charpentier, Ecalle, Péronne und Vincent, in: Œuvres complètes de saint Augustin, Bd. X XXI, Paris, Vives, 1873. 7 In: Vom Gottesstaaty a. a. O ., B u c h XIV, K ap. XVI, S. 194. 8 Cicero, M. T., Hortensius, Düsseldorf 1997.

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gung kontrollieren kann. Sein Geschlecht war wie eine Hand, die ruhig Samenkörner aussäte. Was aber ist im Augenblick des Sün­ denfalls geschehen? Adam hat sich gegen Gott erhoben, indem er die erste Sünde beging. Er hat versucht, sich dem Willen Gottes zu entziehen und einen autonomen Willen zu erwerben, indem er die Tatsache nicht beachtete, dass die Existenz seines eigenen Willens vollkommen vom Willen Gottes abhing. Als Züchtigung für diese Auflehnung und als Folge dieses Verlangens nach einem Willen, der von dem Willen Gottes unabhängig ist, hat Adam seine Selbst­ beherrschung verloren. Er wollte einen autonomen Willen haben, und er hat die ontologische Stütze für diesen Willen verloren. Mit diesem Willen haben sich unwillkürliche Bewegungen vermischt, und die Beugung von Adams Willen hatte eine verheerende Wir­ kung. Sein Körper, genauer, bestimmte Teile davon, gehorchte nicht mehr seinen Befehlen, hat sich gegen ihn aufgelehnt, und die Geschlechtsteile waren die Ersten, die sich zum Zeichen des Ungehorsams erhoben. Die berühmte Geste Adams, der sein Ge­ schlecht mit einem Feigenblatt bedeckt, erklärt sich für Augusti­ nus nicht durch die bloße Tatsache, dass Adam sich seiner Vorhandenheit schämte, sondern durch die Tatsache, dass sich sein Geschlechtsteil ohne seine Zustimmung bewegte. Das erigierte Geschlecht ist das Bild des Menschen, der sich gegen Gott auf­ lehnt. Die Arroganz des Geschlechts ist die Züchtigung und die Folge der Arroganz des Menschen. Das unkontrollierte Ge­ schlecht des Menschen ist ein Bild dessen, was Adam gegenüber Gott war: ein Rebell. Warum beharrte ich so sehr auf etwas, das vielleicht nur eine der zahlreichen exegetischen Ausgeburten ist, mit denen die christliche Literatur so verschwenderisch umgeht? Meiner Mei­ nung nach zeugt dieser Text von der neuen Beziehung, die das Christentum zwischen der Sexualität und der Subjektivität herge­ stellt hat. Die Sichtweise von Augustinus wird noch vom Thema und der Form der männlichen Sexualität beherrscht. Aber die große Frage ist weit entfernt, wie bei Artemidor die nach der Penetration zu sein: sie ist hier die nach der Erektion. Daraus geht hervor, dass das Problem nicht das der Beziehung zu den anderen ist, sondern das der Beziehung zu sich selbst, genauer der Bezie­ hung zwischen dem Willen und dem unwillkürlichen Ausdruck. Augustinus bezeichnet mit »Libido« das Prinzip der autono­

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men Bewegung der Geschlechtsorgane. Auf diese Weise wird das Problem der Libido - ihrer Kraft, ihres Ursprungs, ihrer Wirkun­ gen - das Hauptproblem des Willens. Die Libido stellt für den Willen kein äußeres Hindernis dar; sie ist ein Teil des Willens, ein innerer Bestandteil. Die Libido ist auch keine Manifestation ge­ wöhnlicher Begierden; sie ist das Resultat des Willens, wenn die­ ser die Grenzen überschreitet, die Gott ihm ursprünglich gesetzt hat. Daher bedeutet der geistige Kampf gegen die Libido nicht, dass wir wie bei Platon unseren Blick nach oben wenden und uns an die Wirklichkeit erinnern sollen, die wir einst gekannt und dann vergessen haben. Unser geistiger Kampf soll im Gegenteil darin bestehen, unseren Blick unablässig nach unten oder nach innen zu wenden, um unter den Bewegungen der Seele jene zu entziffern, die von der Libido ausgehen. Die Aufgabe erscheint zu Beginn sehr unsicher, da die Libido und der Wille sich niemals wirklich trennen lassen. Darüber hinaus erfordert diese Aufgabe nicht nur eine Beherrschung, sondern auch eine Diagnostik von Wahrheit und Täuschung. Sie erfordert eine ständige Hermeneutik des Selbst. So betrachtet, beinhaltet die Sexualethik sehr strenge Verpflich­ tungen. Es handelt sich nicht nur darum, die Regeln eines Sexual­ verhaltens zu lernen, das mit der Moral übereinstimmt, sondern auch, dass man sich unablässig selbst prüft, um das libidinöse Wesen in sich zu befragen. Soll man sagen, dass wir in der Folge vor. Augustinus das Sexuelle mit dem Kopf erleben? Wir können zumindest sagen, dass die Analyse von Augustinus geradezu eine Libidinisierung des Geschlechts einführt. Die Moraltheologie des heiligen Augustinus stellt in einem gewissen Sinne die Systemati­ sierung einer großen Zahl von früheren Spekulationen dar, sie bietet aber auch einen Komplex von spirituellen Techniken an. Wenn man die asketische und monastische Literatur des 4. und 5. Jahrhunderts liest, ist man frappiert zu sehen, dass diese Tech­ niken nicht direkt auf die effektive Kontrolle des Sexualverhaltens abzielen. Homosexuelle Beziehungen spielen keine große Rolle, und das trotz der Tatsache, dass die meisten Asketen ständig in ziemlich großen Gemeinschaften leben. Die Techniken betreffen in der Hauptsache die Flut der Gedanken, die das Bewusstsein durchdringen, wobei sie durch ihre Vielzahl die für die Kontemp­ lation notwendige Einheit stören und dem Subjekt Bilder oder

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Versuchungen des Teufels einflüstern. Die Aufgabe des Mönchs besteht nicht wie die des Philosophen darin, die Selbstbeherr­ schung durch den endgültigen Sieg des Willens zu erlangen. Sie besteht darin, ohne Unterlass die eigenen Gedanken zu kontrol­ lieren, sie zu prüfen, um zu sehen, ob sie rein sind, um festzu­ stellen, dass sich in ihnen nicht etwas Gefährliches verbirgt oder sie selbst etwas Derartiges verdunkeln; und außerdem, dass sie sich nicht als etwas anderes herausstellen, als sie zunächst zu sein schienen, dass sie also nicht eine Art von Täuschung oder Ver­ führung sind. Diese Gegebenheiten sollen immer mit Misstrauen betrachtet werden: Sie verlangen, geprüft und auf die Probe ge­ stellt zu werden. Nach Cassian soll man beispielsweise gegenüber sich selbst die Einstellung des Geldwechslers einnehmen, der die Münzen prüft, die er erhält.9 Es gibt keine wirkliche Reinheit in der Einstellung von jemandem, der sich neben einen jungen und schönen Mann legen kann, selbst wenn er ihn nicht berührt, wie ,es der Fall war bei Sokrates und Alkibiades. Ein Mönch ist nur dann wirklich keusch, wenn kein unreiner Gedanke seinen Geist durch­ dringt, sogar nachts und sogar im Traum. Es ist nicht die Fähig­ keit, Herr seiner selbst zu bleiben, selbst in Gegenwart der be­ gehrenswertesten Wesen, worin die Reinheit besteht; die Reinheit liegt im Erkennen der Wahrheit an sich, die Täuschungen zu ver­ eiteln, die in einem selbst zutage treten, die Vorstellungen und Gedanken zu unterdrücken, die der Geist ständig produziert. Das ist die Stoßrichtung, gemäß der sich der geistige Kampf gegen die Unreinheit bestimmt. Von der Frage nach der Beziehung zu den anderen und dem Modell der Penetration ist die Sexualethik zur Frage nach der Selbstbeziehung und zum Problem der Erek­ tion übergegangen: Darunter verstehe ich die Gesamtheit der in­ neren Bewegungen, die sich aus dieser nahezu nicht wahrnehmba­ ren Sache ergeben, welche der erste Gedanke ist, bis zum letzten Phänomen, das aber immer noch einsam ist, nämlich der Samen­ erguss. Obwohl sie so verschieden, ja sogar widersprüchlich wa­ ren, haben diese Erscheinungen doch eine gemeinsame Wirkung gehabt, nämlich die Verbindung von Subjektivität und Wahrheit, und zwar durch die stärksten Bande. Das ist, glaube ich, der re­ 9 Cassian, J., Premiere conférence de Vabbé Moïse, in: Conférences, Bd. I (übers, v. dom E. Pichery), Paris, Éditions du Cerf, 1955, §20: »Die Unterscheidung der Gedanken im Vergleich mit der Kunst des geschickten Geldwechslers«, S. 101-105.

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ligiöse Hintergrund, auf dem das Problem der Selbstbefriedigung - das die Griechen vernachlässigten oder um das sie sich nur wenig kümmerten, da die Selbstbefriedigung ihnen zufolge eine Praxis der Sklaven oder Satyrn, aber nicht der freien Bürger war zu einem der Hauptprobleme des Sexuallebens wird. Übersetzt von Jürgen Schröder

296 Ist es also wichtig, zu denken? »Est-il donc important de penser?« (Gespräch mit D. Éribon), in: Libération, Nr. 15, 30.-31. Mai 1981, S. 21.

D. Eribon: Am Wahlabend1 haben wir Sie um eine erste Reaktion gebeten. Damals haben Sie nicht antworten wollen. Heute sind Sie eher zu einer Stellungnahme bereit... M. Foucault: In meinen Augen ist Wählen selbst eine Form von Handeln. Denn es ist Aufgabe der Regierung, ihrerseits zu han­ deln. Jetzt ist die Zeit gekommen, auf die Dinge zu reagieren, die man zu tun begonnen hat. Jedenfalls meine ich, die Leute sind groß genug, ihre Wahlent­ scheidung ganz alleine zu treffen und sich anschließend zu freuen, fall.0 es sein muss. Außerdem finde ich, sie haben es ganz gut ge­ macht. D. Eribon: Wie sind nun Ihre Reaktionen heute? M. Foucault: Drei Dinge haben mich erstaunt. Seit gut zwanzig Jahren stellt man in der Gesellschaft eine Reihe von Fragen, die jedoch in der »seriösen« und institutionalisierten Politik kein Bür­ gerrecht besaßen. Die Sozialisten haben offenbar als Einzige den realen Charakter dieser Probleme erkannt und darauf reagiert - was zweifellos auch zu ihrem Wahlsieg beigetragen hat. Zweitens, die ersten Maßnahmen oder Erklärungen zu diesen Problemen (ich denke vor allem an die Justiz und die Frage der 1 [Mit der Wahl François Mitterrands zum Staatspräsidenten gelangte die Linke an die Macht.]

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Einwanderer) entsprechen vollkommen einer »Logik der Lin­ ken«, wie man sie nennen könnte. Der Logik, für die Mitterrand gewählt worden ist. Drittens, und das ist am bemerkenswertesten, die Maßnahmen gehen nicht in Richtung der Mehrheitsmeinung. Weder bei der Todesstrafe noch bei der Frage der Einwanderer folgen die Ent­ scheidungen der gängigsten Meinung. All das widerlegt, was man über die Sinnlosigkeit dieser in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren aufgeworfenen Fragen, über die Existenz einer linken Logik in der Ausübung der Regierung oder über den demagogischen Charakter der als erstes zu treffenden Maßnahmen gesagt hat. Im Bereich der Kernkraft, der Einwande­ rer oder der Justiz hat die Regierung sich bei ihren Entscheidun­ gen an den realen Problemen orientiert und ist einer Logik ge­ folgt, die nicht in Richtung der Mehrheitsmeinung geht. Ich bin sicher, die Mehrheit wird diese Vorgehensweise und vielleicht auch die betreffenden Maßnahmen gutheißen. Damit will ich nicht sagen, das sei nun erledigt und man könne sich beruhigt zurücklehnen. Diese ersten Maßnahmen sind noch keine Charta, aber sie sind auch mehr als ein paar symbolische Gesten. Vergleichen Sie das einmal mit dem, was Giscard am Tag nach seiner Wahl getan hat: Er hat ein paar Strafgefangenen die Hand gedrückt. Das war eine rein symbolische Geste für Wähler, die ihn nicht gewählt hatten. Heute haben wir dagegen eine Reihe erster effektiver Maßnahmen, die einem Teil der Wähler missfallen, aber einen gewissen Regierungsstil erkennen lassen. D. Eribon: Da scheint sich in der Tat eine ganz andere Art des Regierens abzuzeichnen. M. Foucault: Ja, das ist ein wichtiger Punkt, der gleich nach Mitterrands Wahlsieg sichtbar wurde. Mir scheint, diese Wahl ist von vielen als siegreiches Ereignis empfunden worden, das heißt als Veränderung des Verhältnisses zwischen Regierenden und Regierten. Nicht dass die Regierten an die Stelle der Regie­ renden getreten wären. Letztlich handelt es sich nur um eine Ver­ schiebung der politischen Klasse. Wir haben nun eine Parteien­ regierung mit all den Gefahren, die damit verbunden sind, das dürfen wir niemals vergessen. Aber nach dieser Veränderung muss sich nun zeigen, ob es möglich ist, zwischen Regierenden und Regierten ein Verhältnis

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herzustellen, das nicht auf Gehorsam basiert, sondern in dem die Arbeit eine wichtige Rolle spielt. D. Éribon: Wollen Sie damit sagen, dass es möglich sein wird, mit dieser Regierung zu arbeiten? M. Foucault: Wir müssen uns aus dem Dilemma befreien, wo­ nach man entweder dafür oder dagegen ist. Schließlich gibt es auch andere Positionen, etwa die eines Gegenüber oder die der aufrechten Haltung. Mit einer Regierung zu arbeiten bedeutet weder Unterwerfung noch globale Zustimmung. Man kann zu­ gleich arbeiten und Widerstand leisten. Ich denke, beides geht sogar miteinander einher. D. Éribon: Werden wir nach dem Kritiker Michel Foucault nun den Reformer Michel Foucault erleben? Schließlich ist schon oft der Vorwurf erhoben worden, die Kritik der Intellektuellen führe zu gar nichts. M. Foucault: Ich möchte zunächst auf den Punkt eingehen, wo­ nach solche Kritik nichts gebracht hat. Hunderte und Tausende von Menschen haben an der Formulierung von Problemen gear­ beitet, die heute tatsächlich auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Behauptung, das habe gar nichts gebracht, ist vollkommen falsch. Glauben Sie, vor zwanzig Jahren hätte man das Problem des Verhältnisses zwischen Geisteskrankheit und psychologischer Normalität, das Problem des Gefängnisses, das der ärztlichen Macht, das des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern usw. auf dieselbe Weise gestellt, wie man es heute tut? Andererseits gibt es keine Reform um der Reform willen. Refor­ men schweben nicht frei in der Luft, sie sind nicht unabhängig von den Menschen, die sie vorantreiben. Man kann nicht von den Men­ schen absehen, die solche Veränderungen herbeiführen müssen. Und schließlich glaube ich, man kann keinen Gegensatz her­ steilen zwischen Kritik und Veränderung, zwischen »ideeller« Kritik und »realer« Veränderung. Kritik heißt nicht, dass man lediglich sagt, die Dinge seien nicht gut so, wie sie sind. Kritik heißt herausfinden, auf welchen Er­ kenntnissen, Gewohnheiten und erworbenen, aber nicht reflek­ tierten Denkweisen die akzeptierte Praxis beruht. Wir müssen uns von der Sakralisierung des Sozialen als einziger Realitätsinstanz lösen und dürfen diese im menschlichen Leben und in den zwischenmenschlichen Beziehungen so wichtige Sa-

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che, die das Denken darstellt, nicht länger als bloßen Wind abtun. Das Denken existiert sehr wohl auch jenseits und diesseits der Diskurssysteme und Diskursgebäude. Manchmal verbirgt es sich, aber das alltägliche Verhalten ist ständig davon geprägt. Selbst in den dümmsten Institutionen und in stummen Gewohnheiten gibt es ein wenig Denken. Kritik ist der Versuch, dieses Denken aufzustöbern und zu ver­ ändern. Sie zeigt, dass die Dinge nicht so selbstverständlich sind, wie man meint, damit sie nicht mehr so selbstverständlich hinge­ nommen werden. Kritik heißt, Dinge, die allzu leicht von der Hand gehen, ein wenig schwerer zu machen. Unter solchen Bedingungen ist Kritik (und radikale Kritik) absolut unerlässlich für jegliche Veränderung. Denn eine Verän­ derung, die in der gleichen Denkweise gefangen bliebe und das­ selbe Denken nur ein wenig besser an die Realität anpasste, wäre nur eine oberflächliche Veränderung. Sobald man dagegen die Dinge nicht mehr in der hergebrachten Weise zu denken vermag, wird Veränderung zu einem dringenden, schwierigen, aber vollkommen lösbaren Problem. Man kann also nicht sagen, es gebe eine Zeit für Kritik und eine Zeit für Veränderung, die einen seien für Kritik zuständig, die anderen für Veränderung, die einen seien in einer unerreichbaren Radikalität gefangen, die anderen seien gezwungen, die unver­ meidlichen Konzessionen an die Realität zu machen. Ich glaube, in Wirklichkeit kann Veränderung nur in der freien und dennoch ständig bewegten Luft einer permanenten Kritik erfolgen. D. Éribon: Aber glauben Sie, der Intellektuelle müsse bei dieser Veränderung eine programmatische Rolle übernehmen? M. Foucault: Eine Reform ist niemals nur das Ergebnis eines Prozesses, der durch Konflikt, Gegensatz, Kampf, Widerstand usw. geprägt wäre. Soll man mit der Frage beginnen, welche Reform durchführbar ist? Ich glaube, das wäre für den Intellektuellen kein sinnvolles Ziel. Da seine Arbeit sich im Bereich des Denkens bewegt, sollte er vielmehr überlegen, inwiefern die Befreiung des Denkens sol­ che Veränderungen so dringend machen kann, dass man sie auch durchführen möchte, und zugleich so schwierig, dass sie tiefe Spuren in der Wirklichkeit hinterlässt. Es geht darum, Konflikte sichtbarer und wichtiger zu machen

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als bloße Interessenkonflikte oder institutionelle Blockaden. Aus solchen Konflikten und Auseinandersetzungen muss ein neues Kräfteverhältnis hervorgehen, dessen vorläufige Gestalt dann die Reform ist. Wenn am Anfang nicht die Arbeit des Denkens an sich selbst steht, wenn die Denkweisen, also die Handlungsweisen, nicht wirklich verändert werden, dann wissen wir, dass die Reform, ganz gleich welcher Art sie ist, am Ende von den immer gleichen Verhaltensweisen und Institutionen gefressen und verdaut wird. D, Éribon: Nach Ihrer früheren Beteiligung an zahlreichen Be­ wegungen haben Sie sich ein wenig zurückgezogen. Werden Sie sich wieder an solchen Bewegungen beteiligen? M. Foucault: Wenn ich mich an eine theoretische Arbeit ge­ macht habe, geschah das stets auf der Basis meiner eigenen Er­ fahrung und im Zusammenhang mit Prozessen, die vor meinen Augen abliefen. Weil ich in den Dingen, die ich sah, in den Insti­ tutionen, mit denen ich zu tun hatte, und in meinen Beziehungen zu anderen Risse, versteckte Erschütterungen oder Dysfunktio­ nen zu erkennen glaubte, begann ich mit Arbeiten, die gleichsam Fragmente einer Autobiographie darstellten. Ich bin kein Aktivist im Ruhestand, der nun heute wieder sei­ nen Dienst antreten möchte. Meine Arbeitsweise hat sich kaum verändert, aber ich erwarte, dass sie mich auch weiterhin verän­ dern wird. D. Éribon: Man sagt, sie seien recht pessimistisch. Wenn ich Sie höre, habe ich eher den Eindruck, dass Sie ein Optimist sind. M. Foucault: Es gibt einen Optimismus, der sagt: Die Dinge könnten gar nicht besser' sein. Mein Optimismus bestünde eher in der Feststellung: Es gibt so viel zu verändern, denn die Dinge sind zerbrechlich und hängen eher vom Zufall ab als von Not­ wendigkeiten, eher von Willkür als von Evidenz, eher von kom­ plexen, aber vergänglichen historischen Kontingenzen als von unvermeidlichen anthropologischen Konstanten... Wissen Sie, wenn wir sagen, wir seien viel jünger, als wir glauben, laden wir durchaus nicht das ganze Gewicht der Geschichte auf unsere Schultern. Vielmehr überantworten wir damit den größtmögli­ chen Teil des angeblich Unerreichbaren der Arbeit, die wir an uns selbst verrichten können. Übersetzt von Michael Bischoff

297 Die Maschen der Macht »As malhas clo poder« (i. Teil übers, von P. W. Prado Jr., Vortrag an der phi­ losophischen Fakultät der Universität Bahia, 1976), in: Barbarie, Nr. 4, Som­ mer 1981, S. 23-27. Dieser Vortrag wurde in zwei Teilen publiziert, der erste 1981 in Nr. 4 der Zeitschrift Barbarie, ein zweiter Teil 1985 in Nr. 5 der Zeitschrift (siehe unten Nr. 315). Der Vortrag wird hier in voller Länge abgedruckt.

Wir wollen versuchen, den Begriff der Macht zu analysieren. Ich bin wahrhaftig nicht der Erste, der den Versuch macht, das Freud’sehe Schema zu umgehen, das einen Gegensatz zwischen Trieb und Triebunterdrückung, Trieb und Kultur herstellt. Eine ganze Schule von Psychoanalytikern versucht seit gut einem Jahrzehnt, den von Freud formulierten Gegensatz zwischen Trieb und Kultur oder Trieb und Triebunterdrückung zu modifizieren und zu elaborieren. Ich denke dabei an Psychoanalytiker des englischen und französischen Sprachraums wie Melanie Klein, Winnicott und La­ can, die zu zeigen versucht haben, dass die Triebunterdrückung durchaus kein sekundärer, später und nachträglich einsetzender Mechanismus ist, der einen von der Natur vorgegebenen Trieb zu kontrollieren versuchte, sondern Bestandteil des Triebmecha­ nismus oder zumindest des Prozesses, über den der Sexualtrieb sich entwickelt, entfaltet und als Trieb konstituiert. Der Freud’sche Triebbegriff darf nach Ansicht dieser Psycho­ analytiker nicht im Sinne einer Naturgegebenheit oder eines na­ türlichen biologischen Mechanismus interpretiert werden, dem die Triebunterdrückung ihre Verbote auferlegte, sondern als etwas immer schon tief von der Triebunterdrückung Durchdrungenes. Bedürfnis, Kastration, Mangel, Verbot, Gesetz sind bereits Ele­ mente, über die das Begehren sich als sexuelles Begehren konsti­ tuiert, und das erfordert eine Umgestaltung des ursprünglichen Begriffs des Sexualtriebs, wie Freud ihn Ende des 19. Jahrhunderts erdacht hatte. Wir dürfen uns den Trieb nicht als naturgegeben vorstellen, sondern als etwas schon Elaboriertes, als komplexes Wechselspiel zwischen Körper und Gesetz, zwischen dem Leib

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und den kulturellen Mechanismen, die eine Kontrolle des Volkes sicherstellen. Ich glaube also, die Psychoanalytiker haben das Problem durch ihren neuen Triebbegriff, ihr neues Verständnis von Trieb und Begehren, beträchtlich verschoben. Allerdings stört mich daran oder zumindest finde ich es unzureichend, dass die Psychoanaly­ tiker zwar den Begriff des Begehrens verändert haben, den Begriff der Macht aber vollkommen unangetastet lassen. Die Bedeutung von »Macht«, der zentrale Punkt, das, worin Macht besteht, ist für sie immer noch das Verbot, das Gesetz, das Neinsagen, die Formel »Du darfst nicht«. Für sie ist Macht ihrem Wesen nach die Instanz die »Du darfst nicht« sagt. Ich halte dieses Verständnis von Macht - und ich werde darauf später noch zu­ rückkommen - für eine vollkommen unzulängliche, rein juristi­ sche und formale Konzeption, die durch ein neues Verständnis von Macht ersetzt werden sollte, durch eines, das die in den west­ lichen Gesellschaften entstandenen Beziehungen zwischen Macht und Sexualität besser zu erklären vermag. Ich werde zu zeigen versuchen, in welche Richtung eine Ana­ lyse der Macht gehen könnte, die sich nicht auf einen juristischen, rein negativen Machtbegriff beschränkt, sondern den Gedanken einer Technologie der Macht entwickelt. Bei Psychoanalytikern, Psychologen und Soziologen ist die Vor­ stellung verbreitet, wonach Macht in erster Linie Regel, Gesetz oder Verbot ist und die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbo­ tenem markiert. Ich glaube, dass dieses im Wesentlichen Ende des 19. Jahrhunderts ausformulierte Verständnis von Macht weitge­ hend von der Ethnologie entwickelt worden ist. Die Ethnologie hat immer versucht, in fremden Gesellschaften Machtsysteme auf­ zuspüren, die sie als Regelsysteme verstand. Und auch wenn wir selbst über unsere Gesellschaft und die darin anzutreffenden For­ men der Machtausübung nachdenken, tun wir das meist auf der Basis einer juristischen Konzeption: Wo liegt die Macht? Wer hält die Macht inne? Welche Regeln regieren die Macht? Welches Sys­ tem von Gesetzen wird der Gesellschaft von der Macht auferlegt? In unserer eigenen Gesellschaft unterziehen wir die Macht also immer einer rechtssoziologischen Betrachtung und bei fremden Gesellschaften betreiben wir eine Ethnologie, die vor allem auf Regeln und Verbote schaut. Von Durkheim bis Lévi-Strauss

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taucht in den ethnologischen Studien immer wieder dasselbe Problem auf: die Frage nach den Verboten und vor allem nach dem Inzestverbot. Das Inzestverbot gilt als Matrix oder als Kern, von denen her man die Funktionsweise des gesamten Systems zu begreifen versucht. Erst in jüngster Zeit sind neue Sichtweisen hinsichtlich der Macht aufgekommen, nämlich eine streng mar­ xistische und eine vom klassischen Marxismus weiter entfernte Sichtweise. Jedenfalls ist mit Arbeiten wie denen von Clastres1 eine ganz neue Sicht der Macht als Technologie entstanden, die sich vom Primat oder von der Privilegierung der Regel und des Verbots zu emanzipieren versucht, wie sie die Ethnologie von Durkheim bis Lévi-Strauss beherrscht haben. Jedenfalls möchte ich folgende Frage stellen: Wie kommt es, dass unsere Gesellschaft und die westliche Gesellschaft schlecht­ hin Macht so restriktiv, so arm, so negativ versteht? Warum den­ ken wir bei Macht immer an Gesetz und Verbot? Warum diese Privilegierung? Offensichtlich geht das auf den Einfluss Kants zurück, auf den Gedanken, die Grundlage und Matrix jeder Len­ kung menschlichen Verhaltens sei das »Sittengesetz«, das »Du darfst nicht«, der Gegensatz zwischen »Du darfst« und »Du darfst nicht«. Eine Erklärung, die auf Kants Einfluss verweist, ist aber offensichtlich vollkommen unzureichend. Es fragt sich, ob Kant tatsächlich solch einen Einfluss gehabt hat und warum er ihn hatte. Warum stützte Durkheim, der als Philosoph vage von so­ zialistischen Vorstellungen aus der Anfangszeit der Dritten Re­ publik geprägt war, sich bei der Analyse der gesellschaftlichen Machtmechanismen in dieser Weise auf Kant? Ich glaube, wir können die Gründe in groben Zügen folgender­ maßen analysieren: Die großen Systeme, die seit dem Mittelalter in Europa entstanden, entwickelten sich weitgehend über eine Zunahme der monarchischen Macht auf Kosten der feudalen Macht oder besser gesagt, der feudalen Mächte. Bei diesem Kampf zwischen den Feudalmächten und der monarchischen Macht diente das Recht stets als Instrument der monarchischen Macht gegen die Institutionen, Sitten, Regelungen, Bindungen und Zu­ gehörigkeiten, die für die Feudalgesellschaft typisch waren. Ich 1 [Verweis auf die Arbeiten, die Pierre Clastres in seinem Buch La Société contre l'État. Recherches d'anthropologie politique, Paris 1974, versammelt hat; dt. Staats­ feinde. Studien zur politischen Anthropologie, Frankfurt am Main 1976.]

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möchte hier nur zwei Beispiele nennen. Einerseits stützte sich die monarchische Macht in Europa bei ihrer Entwicklung weitgehend auf juristische Institutionen und auf deren Weiterentwicklung. Während des Bürgerkriegs gelang es, die alte Form der Beilegung privater Streitigkeiten durch ein auf Gesetzen basierendes Ge­ richtswesen zu ersetzen, das nun der monarchischen Macht die Möglichkeit bot, selbst solche Streitfälle zu lösen. Auch das rö­ mische Recht, das im 8. und 9. Jahrhundert wieder in Europa auf­ tauchte, war für die Monarchie ein großartiges Instrument, mit dem sie die Formen und Mechanismen ihrer Macht auf Kosten der Feudalmächte definieren konnte. Mit anderen Worten, das Wachstum des Staates in Europa sicherte partiell die Entwicklung eines juristischen Denkens und benutzte es in jedem Fall als Werkzeug. Die Macht des Monarchen und des Staates ist ganz wesentlich im Recht repräsentiert. Es zeigte sich nun, dass die Bourgeoisie, die großen Nutzen aus der Stärkung der königlichen Macht oder der Schwächung und dem Rückgang der feudalen Macht zog, gleichfalls Interesse an der Entwicklung dieses Rechtssystems hatte, weil sie damit dem ökonomischen Austausch, auf dem ihre eigene gesellschaftliche Entwicklung beruhte, Form verleihen konnte. Darum waren Sprache und Form des Rechts das der Bourgeoisie und der Mo­ narchie gemeinsame System zur Repräsentation von Macht. Vom Ende des Mittelalters bis zum 18. Jahrhundert gelang es der Bour­ geoisie und der Monarchie nach und nach, eine Form von Macht zu etablieren, die sich als Recht darstellte und sich als Sprache oder Diskurs den Wortschatz des Rechts gab. Als die Bourgeoisie sich schließlich der monarchischen Macht entledigte, tat sie das wiederum mit Hilfe dieses juristischen Diskurses, der doch ei­ gentlich der Diskurs der Monarchie war und den sie nun gegen die Monarchie selbst wendete. Hier nur ein einfaches Beispiel: Als Rousseau seine Staatstheo­ rie entwickelte, versuchte er zu zeigen, wie ein Souverän, und zwar ein kollektiver Souverän, ein Souverän als gesellschaftlicher Körper oder eher noch ein gesellschaftlicher Körper als Souverän entsteht durch die Abtretung oder Aufhebung individueller Rech­ te und durch die Formulierung gesetzlicher Verbote, die jeder Einzelne beachten muss, weil er selbst sie erlassen hat, da er selbst der Souverän oder ein Glied des Souveräns ist. Der theoretische

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Mechanismus, über den man die Institution des Monarchen kriti­ sierte, war also das Instrument des Rechts, das der Monarch selbst geschaffen hatte. Mit anderen Worten, im Westen hatte man nie ein anderes System der Repräsentation, Formulierung und Ana­ lyse von Macht als das System des Rechts und der Gesetze. Und ich glaube, das ist der Grund, weshalb wir bis vor kurzem Macht immer nur über solche elementaren Grundbegriffe wie Gesetz, Regel, Souverän, Delegation von Macht usw. haben analysieren können. Ich glaube, von diesem juristischen Verständnis der Macht, diesem Machtbegriff, der auf Gesetz und Souverän, Regel und Verbot aufbaut, müssen wir uns nun befreien, wenn wir nicht nur die Repräsentation von Macht, sondern deren reale Funk­ tionsweise analysieren wollen. Wie könnten wir nun versuchen, Macht in ihren positiven Me­ chanismen zu analysieren? Mir scheint, wir können die Grund­ elemente solch einer Analyse in einer Reihe von Texten finden. Möglicherweise finden wir sie bei Bentham, einem englischen Philosophen, der Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts lebte und im Grunde der letzte große Theoretiker der bürger­ lichen Macht war. Natürlich finden wir sie auch bei Marx, vor allem im zweiten Buch des Kapital. Dort können wir meines Erachtens einige Elemente finden, auf die ich bei der Analyse der Macht in ihren positiven Mechanismen zurückgreifen werde. Im zweiten Buch des Kapital sehen wir in erster Linie, dass es nicht nur Macht im Singular gibt, sondern Mächte, das heißt For­ men der Herrschaft und Unterdrückung, die lokal funktionieren, zum Beispiel in der Fabrik, in der Armee, in einem Eigentum nach Art der Sklaverei oder einem Eigentum, in dem es Knechtschafts­ beziehungen gibt. All das sind lokale oder regionale Formen von Macht, die ihre eigene Funktionsweise, eigene Verfahren, eine ei­ gene Technik besitzen. Diese Formen von Macht sind heterogen. Wenn wir eine Analyse der Macht unternehmen, dürfen wir da­ rum nicht von Macht im Singular, sondern müssen von Mächten im Plural sprechen und versuchen, sie in ihrer geschichtlichen und geographischen Besonderheit zu erfassen. Eine Gesellschaft ist kein einheitliches Gebilde, in dem nur eine einzige Macht herrschte, sondern ein Nebeneinander, eine Ver2 [Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Buch II: »Der Zirkula­ tionsprozeß des Kapitals«, Hamburg 1867.]

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bindung, eine Koordination und auch eine Hierarchie verschiede­ ner Mächte, die dennoch ihre Besonderheit behalten. Marx etwa betont deutlich den besonderen und zugleich relativ autonomen, gleichsam undurchdringlichen Charakter der faktischen Macht, die der Fabrikherr in der Fabrik ausübt, im Vergleich zu der rechts­ förmigen Macht in der übrigen Gesellschaft. Es gibt also regionale Formen von Macht. Die Gesellschaft ist ein Archipel aus verschie­ denen Mächten. Zweitens können und dürfen diese Mächte nicht einfach als Ableitung oder Folge einer als ursprünglich zu denkenden zent­ ralen Macht verstanden werden. Nach dem Schema der Juristen, ob Grotius, Pufendorf oder Rousseau, gab es zunächst keine Ge­ sellschaft. Sie entstand erst mit einer zentralen souveränen Macht, die den Gesellschaftskörper organisierte und in der Folge eine Reihe lokaler und regionaler Mächte möglich machte. Marx ver­ wirft dieses Schema ausdrücklich. Er zeigt stattdessen, wie aus diesen kleinen ursprünglichen und primitiven Machtregionen wie dem Eigentum, der Sklaverei, der Fabrik, aber auch der Ar­ mee - nach und nach große Staatsapparate entstehen konnten. Die staatliche Einheit ist letztlich sekundär gegenüber diesen regiona­ len und besonderen Mächten, die am Anfang stehen. Drittens ist es keineswegs die Hauptfunktion dieser besonde­ ren, regionalen Mächte, zu verbieten, zu verhindern oder »Du darfst nicht« zu sagen. Die ursprüngliche, wesentliche und dauer­ hafte Funktion dieser lokalen und regionalen Mächte liegt in Wirklichkeit in der Herstellung von Effizienz, von Fähigkeiten, von Produzenten eines Produkts. Marx hat zum Beispiel das Problem der Disziplin in Armee und Fabrik ausgezeichnet analy­ siert. Meine Analyse der Disziplin in der Armee, die ich gleich vorstellen werde, findet sich nicht bei Marx, aber das hat keine Bedeutung. Was geschah in der Armee ab Ende des 16. und An­ fang des 17. bis fast zum Ende des 18. Jahrhunderts? Eine gewal­ tige Veränderung. Bis dahin bestand die Armee im Wesentlichen aus kleinen, um einen Führer organisierten Einheiten relativ aus­ tauschbarer Individuen, die nun durch eine große, pyramidenför­ mig aufgebaute Einheit mit einer Reihe von Unterführern, Unter­ offizieren und auch Technikern ersetzt wurden, und zwar hauptsächlich wegen einer technischen Erfindung, nämlich des relativ schnell und zielsicher feuernden Gewehrs.

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Von da an konnte man die Armee nicht mehr in Gestalt kleiner, isolierter Einheiten mit austauschbaren Elementen führen - es war gefährlich, sie in Aktion zu setzen. Wenn man die Armee wir­ kungsvoll einsetzen und die Möglichkeiten des Gewehrs voll ausnutzen wollte, musste jeder Einzelne eine entsprechende Aus­ bildung erhalten, damit er eine bestimmte Stellung in der ausge­ dehnten Front beziehen konnte, und zwar gleichzeitig mit den anderen, so dass die Linie an keiner Stelle unterbrochen war usw. Das Problem der Disziplin erforderte neue Techniken der Macht, mit Unteroffizieren, einer ganzen Reihe von Unteroffizieren, von niederen und höheren Dienstgraden. So konnte man die Armee als sehr komplexe hierarchische Einheit behandeln und über die ge­ samte Einheit bei gleichzeitiger Besonderheit der Stellung und Aufgabe jedes Teilelements größtmögliche Wirkung entfalten. Man verbesserte die militärische Leistung durch eine neue Machttechnik, deren Aufgabe keineswegs darin bestand, etwas zu verbieten. Natürlich war manches verboten, aber das Ziel war es nicht, »Du darfst nicht« zu sagen. Das Ziel war eine grö­ ßere Leistung, eine bessere Produktion, eine größere Produktivi­ tät der Armee. Verbessert oder gesichert wurde durch diese neue Machttechnologie die Armee als Produzent von Toten. Es ging ganz und gar nicht um Verbote. Dasselbe gilt auch für die Diszip­ lin in den Werkstätten, die sich im 17. und 18. Jahrhundert heraus­ zubilden begann. Als Fabriken mit zahlreichen - und manchmal mehreren hundert - Arbeitern an die Stelle der Handwerksbe­ triebe traten, entstand mit der Arbeitsteilung auch die Notwen­ digkeit, die Arbeit zu überwachen und die verschiedenen Tätig­ keiten zu koordinieren. Die Arbeitsteilung war der eigentliche Grund, weshalb man die neue Arbeitsdisziplin erfinden musste. Aber umgekehrt können wir auch sagen, dass die Arbeitsdisziplin die Voraussetzung für die Entwicklung der Arbeitsteilung dar­ stellte. Ohne diese Arbeitsdisziplin, also ohne Hierarchie, ohne Überwachung, ohne Vorarbeiter, ohne die zeitliche Kontrolle der Arbeitsvorgänge wäre es nicht möglich gewesen, eine solche Ar­ beitsteilung zu entwickeln. Und noch ein vierter wichtiger Gedanke: Diese Machtmecha­ nismen und Machtverfahren müssen wir als Techniken verstehen, also als Verfahren, die erfunden und verbessert und ständig wei­ terentwickelt werden. Es gibt tatsächlich eine Technologie der

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Macht oder besser der Mächte, die ihre eigene Geschichte hat. Auch dafür lässt sich im zweiten Buch des Kapital zwischen den Zeilen leicht eine Analyse oder zumindest der Ansatz einer Analyse finden, nämlich die Geschichte der Machttechnologie in Werkstatt und Fabrik. Ich werde diesen wichtigen Hinweisen folgen und versuchen, die Macht im Bereich der Sexualität nicht aus rechtlicher, sondern technologischer Perspektive zu unter­ suchen. Wenn wir bei der Analyse der Macht den Staatsapparat in den Vordergrund stellen, wenn wir in der Macht einen auf Bewahrung ausgerichteten Mechanismus erblicken, wenn wir sie für einen rechtlichen Überbau halten, übernehmen wir letztlich nur das klassische Thema des bürgerlichen Denkens, das in der Macht vor allem ein rechtliches Phänomen sieht. Wer den Staatsapparat, die bewahrende Funktion, den rechtlichen Überbau in den Vor­ dergrund stellt, reduziert Marx auf Rousseau und stellt ihn zurück in den Rahmen der bürgerlichen, ganz auf das Rechtliche fixierten Theorie der Macht. Wenn ich nun aufnehme, was im zweiten Buch des Kapital zu finden ist, und alles entferne, was hinsichdich des Vorrangs des Staatsapparats, der bewahrenden Funktion und des rechtlichen Überbaus hinzugefügt und umgeschrieben wor­ den ist, so möchte ich damit herausfinden, wie man eine Ge­ schichte der Mächte im Westen schreiben kann, und zwar vor allem jener Mächte, die im Bereich der Sexualität wirksam gewor­ den sind.3 Wie können wir nun auf der Basis dieses methodologischen Prinzips die Geschichte der Machtmechanismen im Bereich der Sexualität erforschen? Ich denke, ganz schematisch könnte man sagen, das von der Monarchie seit dem Mittelalter aufgebaute Machtsystem legte der Entwicklung des Kapitalismus zwei grö­ ßere Hindernisse in den Weg. Erstens war die im Gesellschafts­ körper ausgeübte politische Macht sehr diskontinuierlich. Die Maschen des Netzes waren zu groß, so dass zahllose Dinge, Ele­ mente, Verhaltensweisen und Prozesse der Kontrolle durch die Macht entgingen. Wenn wir uns etwa ansehen, welche Bedeutung der Schleichhandel Ende des 18. Jahrhunderts in ganz Europa er­ langte, stellen wir fest, dass diese Wirtschaftsströme, die der 3 [Ende des 1981 veröffentlichten Teils.]

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Macht vollständig entgingen, fast denselben Umfang hatten wie die offiziellen Ströme. Und er bildete die Existenzgrundlage für zahlreiche Menschen. Ohne Piraterie hätte der Handel gar nicht funktioniert und die Menschen hätten nicht leben können. Anders ausgedrückt, die Gesetzlosigkeit war Voraussetzung des Lebens. Das bedeutete aber zugleich, dass manches dem Zugriff der Macht entging und nicht von der Macht kontrolliert werden konnte. Ökonomische Prozesse und diverse Mechanismen, die jenseits jeglicher Kontrolle lagen, erforderten daher die Schaffung einer kontinuierlichen, präzisen, gleichsam atomaren Macht, den Über­ gang von einer lückenhaft globalen zu einer stetigen, atomaren, individualisierenden Macht. Statt einer globalen, auf die Masse zielenden Kontrolle bedurfte es einer Kontrolle jedes Einzelnen in seiner Leiblichkeit und seinem gesamten Tun. Der zweite große Nachteil der in der Monarchie entwickelten Machtmechanismen bestand darin, dass sie extrem aufwendig wa­ ren. Und sie waren deshalb so aufwendig, weil die Funktion der Macht - also das, was sie ausmachte - vornehmlich in der Erhe­ bung von Abgaben auf die Ernte lag: von Steuern oder im Fall der Kirche des Zehnten. Sie hatte das Recht und die Macht, einen gewissen Prozentsatz für die Herren, die königliche Macht oder Kirche einzufordern. Macht nahm etwas weg und war daher im Wesentlichen räuberisch. Sie bewirkte stets einen ökonomischen Abzug. Sie förderte und stimulierte nicht die Wirtschaftsströme, sondern behinderte und bremste sie ständig. Daher das zweite Erfordernis, einen Machtmechanismus zu finden, der Dinge und Menschen bis ins kleinste Detail kontrolliert und die Gesellschaft weder belastet noch gar ausraubt, sondern in dieselbe Richtung arbeitet wie der ökonomische Prozess. Ich denke, mit diesen beiden Zielen können wir die große tech­ nologische Veränderung im Westen weitgehend verstehen. Wir sagen gerne - auch hier im Einklang mit einem eher schlichten Marxismus -, die große Erfindung sei bekanntlich die Dampfma­ schine gewesen oder eine andere Erfindung dieser Art. Natürlich war die Dampfmaschine sehr wichtig, aber es gibt eine Reihe ebenso wichtiger Erfindungen, die letztlich die Voraussetzung für deren Funktionieren bildeten. Das gilt auch für die politische Technologie. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es zahlreiche Erfin­ dungen auf dem Gebiet der Machtformen. Darum müssen wir

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neben der Geschichte der industriellen auch die der politischen Techniken betrachten, und ich glaube, wir können die Erfindun­ gen auf dem Gebiet der politischen Technologie in zwei große Kapitel einteilen, die wir in erster Linie dem 17. und 18. Jahrhun­ dert zuschreiben müssen. Ich teile sie in zwei Kapitel ein, weil ich den Eindruck habe, dass sie sich in zwei verschiedene Richtungen entwickelten. Auf der einen Seite haben wir die Technologie, die ich als »Disziplin« bezeichnen möchte. Disziplin ist im Grunde der Machtmechanismus, über den wir den Gesellschaftskörper bis hin zum kleinsten Element, bis hin zu den sozialen Atomen, also den Individuen, zu kontrollieren vermögen. Es handelt sich um Techniken der Individualisierung von Macht. Wie kann man je­ manden überwachen, sein Verhalten und seine Eignung kontrol­ lieren, seine Leistung steigern, seine Fähigkeiten verbessern? Wie kann man ihn an den Platz stellen, an dem er am nützlichsten ist? Darum geht es bei der Disziplin. Ich habe eben von der Disziplin in der Armee gesprochen. Die Armee ist deshalb ein wichtiges Beispiel, weil dort die Disziplin im Grunde entdeckt und auch in erster Linie entwickelt wurde. In Verbindung mit jener anderen technisch-industriellen Erfindung, dem relativ schnell feuernden Gewehr. Von da an können wir sagen, was nun folgt: Der Soldat war nicht länger austauschbar, war kein bloßes Kanonenfutter und kein bloßes Individuum mehr, das zuschlagen konnte. Um ein guter Soldat zu sein, musste er schießen können, also einen Ausbildungsprozess durchlaufen haben. Der Soldat musste auch wissen, wo er Stellung beziehen sollte und wie er sein Tun mit dem der anderen Soldaten abstim­ men konnte. Der Soldat erwarb also gewisse Fähigkeiten und wurde dadurch kostbar. Und je kostbarer er wurde, desto wich­ tiger wurde es, ihn vor Tod oder Verwundung zu bewahren. Je wichtiger es wurde, ihn davor zu bewahren, desto notwendiger wurde es, ihm die Techniken beizubringen, mit deren Hilfe er in der Schlacht überleben konnte. Und je länger diese Ausbildung dauerte, desto kostbarer wurde er. Und plötzlich haben wir hier einen Antrieb für jene Techniken der militärischen Abrichtung, die ihren Höhepunkt in der berühmten preußischen Armee Fried­ richs II. fand, wo die Soldaten die meiste Zeit mit Exerzieren ver­ brachten. Die preußische Armee, das Vorbild preußischer Diszi­ plin, steht für die Perfektionierung und äußerste Intensivierung

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der körperlichen Disziplin des Soldaten, die in gewissem Maße auch zum Vorbild für andere Formen von Disziplin wurde. Ein weiterer Ort, an dem wir die neue Disziplinartechnik ent­ stehen sehen, ist die Schule. Zunächst in den höheren Schulen und dann auch in der Grundschule kommen Disziplinarmethoden auf, die eine Individualisierung in der Vielfalt ermöglichen. In den höheren Schulen sind Dutzende, Hunderte und manchmal sogar Tausende von Schülern versammelt, über die es nun eine weit weniger kostspielige Macht auszuüben gilt, als es bei der Macht des Hauslehrers der Fall war, die nur im Verhältnis zwischen Schüler und Meister bestehen kann. Hier haben wir nun einen Lehrer für Dutzende von Schülern, und trotz dieser Vielzahl muss man eine Individualisierung der Macht erreichen, die eine perma­ nente Kontrolle und lückenlose Überwachung ermöglicht. Da­ rum finden wir nun diese mit Überwachungsaufgaben betraute Person, die jeder kennt, der einmal auf dem Gymnasium war, und die in der Hierarchie dem Unteroffizier in der Armee ent­ spricht. Und es entsteht die quantitative Benotung, das Prüfungs­ wesen, also die Möglichkeit, die Einzelnen so einzuordnen, dass jeder seinen Platz hat: unter den Augen des Lehrers oder in der Qualifikation und der Beurteilung jedes Einzelnen. Sie sitzen hier in Reihen vor mir. Das mag Ihnen ganz selbst­ verständlich erscheinen, aber wir sollten uns daran erinnern, dass dies eine relativ neue Erscheinung in der Geschichte der Zivilisa­ tion darstellt, denn noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es vor, dass die Schüler in Gruppen um den Lehrer herum standen und seinen Ausführungen zuhörten. Das hieß natürlich, dass der Lehrer sie nicht wirklich und nicht individuell überwachen konn­ te. Der Lehrer stand einer Gruppe gegenüber. Heute sitzen die Schüler in Reihen, und der Lehrer kann sie individuell ins Auge fassen, kann sie einzeln aufrufen, um ihre Anwesenheit zu prüfen, kann sehen, was sie tun, ob sie träumen oder gähnen... Das sind Kleinigkeiten, aber sie sind dennoch sehr wichtig, denn in Ver­ bindung mit einer ganzen Reihe weiterer Formen der Machtaus­ übung sorgen erst diese kleinen Techniken dafür, dass die neuen Mechanismen auch funktionieren. Was in der Armee und in den Schulen geschah, kann man auch während des ganzen 19. Jahr­ hunderts in den Fabriken beobachten. Ich spreche hier von einer individualisierenden Machttechnologie, weil sie letztlich auf den

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Einzelnen bis in seine Körperlichkeit und sein Verhalten hinein zielt. Es handelt sich grosso modo um eine politische Anatomie, eine anatomische Politik, eine Anatomie, die auf den Einzelnen zielt und ihn dabei gleichsam in seine anatomischen Bestandteile zerlegt. Diese Gruppe von Machttechnologien ist im 17. und 18. Jahr­ hundert entstanden. Es gibt noch eine weitere Gruppe von Macht­ technologien, die etwas später entstanden, nämlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und zwar hauptsächlich in England. (Zur Schande Frankreichs muss man sagen, dass die erste Gruppe vor allem in Frankreich und Deutschland entwickelt wurde.) Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Technologien, die nicht auf den Einzelnen, sondern auf die gesamte Bevölkerung zielen. Mit anderen Worten, das 18.Jahrhundert entdeckte etwas sehr Wichtiges: dass Macht nicht nur über Untertanen ausgeübt wird, wie es der Grundthese der Monarchie entsprach, wonach es einen Souverän und Untertanen gab. Man entdeckte, dass Macht auch über die Bevölkerung ausgeübt wird. Und was bedeutet »Bevöl­ kerung«? Die Bevölkerung ist eine Gruppe, die nicht einfach nur aus vielen Menschen besteht, sondern aus Menschen, die von bio­ logischen Prozessen und Gesetzen durchdrungen, beherrscht und gelenkt sind. Eine Bevölkerung hat eine Geburtenrate, eine Al­ terskurve, eine Alterspyramide, eine Sterblichkeitsrate und einen Gesundheitszustand. Eine Bevölkerung kann zugrunde gehen oder sich entwickeln. All das begann man im 18. Jahrhundert zu entdecken. Man be­ merkte, dass die Beziehung zwischen der Macht und dem Unter­ tan oder besser dem Einzelnen sich nicht auf jene Form von Un­ terwerfung beschränken darf, die es der Macht gestattet, dem Untertan Güter, Reichtümer und möglicherweise sogar Blut und Leben wegzunehmen, sondern dass sie sich auf das Individuum als biologisches Wesen beziehen sollte, das in Betracht gezogen wer­ den muss, wenn man die Bevölkerung als Produktionsmaschine zur Erzeugung von Reichtum, Gütern und weiteren Individuen nutzen will. Die Entdeckung der Bevölkerung ist zugleich die Entdeckung des Einzelnen und des dressierbaren Körpers, die zweite große Kerntechnologie, um die herum sich die politischen Praktiken des Westens veränderten. Damals erfand man etwas, das ich im Unterschied zu der eben erwähnten anatomischen Politik

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als Biopolitik bezeichne. Zu dieser Zeit kamen Probleme auf wie das der Wohnverhältnisse, der städtischen Lebensbedingungen, der öffentlichen Hygiene oder der Veränderung des Verhältnisses zwischen Geburtenrate und Sterblichkeit. Damals begann man sich auch zu fragen, wie man die Menschen veranlassen konnte, mehr Kinder zu bekommen, oder jedenfalls, wie sich die Ent­ wicklung der Bevölkerung, ihr Wachstum und ihre Wanderungs­ bewegungen steuern ließ. Eine ganze Reihe von Beobachtungs­ techniken, darunter natürlich die Statistik, aber auch große administrative, ökonomische und politische Körperschaften über­ nehmen von nun an die Aufgabe einer Regulierung der Bevölke­ rung. Es gibt zwei große Revolutionen in der Technologie der Macht: die Entdeckung der Disziplin und die Entdeckung der Regulierung, die Perfektionierung einer anatomischen Politik und die Perfektionierung einer Biopolitik. Mit dem 18. Jahrhundert wird das Leben zu einem Objekt der Macht. Das Leben und der Körper. Bis dahin gab es nur Unter­ tanen, nur Rechtssubjekte, denen man Güter und auch das Leben wegnehmen konnte. Nun gibt es Körper und Bevölkerungen. Die Macht ist materialistisch geworden. Sie beschränkt sich nicht mehr im Wesentlichen auf den rechtlichen Aspekt. Nun muss sie mit realen Dingen umgehen, mit dem Körper und dem Leben. Das Leben gelangt in den Einflussbereich der Macht - eine über­ aus wichtige Veränderung und ohne Zweifel eine der wichtigsten in der Geschichte der menschlichen Gesellschaften. Und natürlich kann man leicht sehen, wie es möglich war, dass die Sexualität von da an, das heißt seit dem 18. Jahrhundert, auch hier erstrangige Bedeutung erlangte. Denn die Sexualität liegt letztlich genau an der Verbindungsstelle zwischen der individuellen Disziplinierung des Körpers und der Regulierung der Bevölkerung. Die Sexualität ist von nun an der Bereich, von dem aus man die Überwachung des Einzelnen sicherstellen kann. So wird auch verständlich, wa­ rum seit dem 18. Jahrhundert und vor allem in den höheren Schu­ len die Sexualität der Heranwachsenden zu einem medizinischen, einem moralischen und fast schon zu einem politischen Problem ersten Ranges wird, denn über die Kontrolle der Sexualität - und unter dem Vorwand dieser Kontrolle - konnte man die Schüler, die Heranwachsenden, ihr Leben lang überwachen, in jedem Au­ genblick und selbst noch im Schlaf. Die Sexualität wird also zu

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einem Instrument der Disziplinierung. Und schon bald ist sie eines der wichtigsten Elemente der anatomischen Politik, von der ich eben gesprochen habe. Auf der anderen Seite sichert die Sexualität die Reproduktion der Bevölkerung. Über die Sexualität, über eine Sexualpolitik, können wir das Verhältnis zwischen Ge­ burten- und Sterberate verändern. Jedenfalls wird die Sexualpoli­ tik Bestandteil jener Politik des Lebens, die im 19. Jahrhundert solche Bedeutung erlangen wird. Die Sexualität ist das Bindeglied zwischen anatomischer Politik und Biopolitik; sie liegt am Kreu­ zungspunkt der Disziplinierungs- und Regulierungsformen, und in dieser Funktion wird sie Ende des 19. Jahrhunderts zu einem erstrangigen politischen Instrument, das es ermöglicht, die Gesell­ schaft in eine Produktionsmaschine umzuwandeln. M. Foucault: Haben Sie Fragen dazu? Ein Hörer: Auf welche Produktivität zielt die Macht im Ge­ fängnis? M. Foucault: Das ist eine lange Geschichte. Das Gefängnissys­ tem, also das repressive, auf Sühne ausgerichtete Gefängnis, ent­ stand recht spät, nämlich praktisch erst Ende des 18. Jahrhunderts. Davor diente das Gefängnis nicht dem Vollzug gesetzlich festge­ legter Strafen. Man sperrte Menschen lediglich ein, um sie bis zu ihrem Prozess festzuhalten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ging es nicht um Strafe. Als Repressionssystem schuf man das Gefängnis, weil man glaubte, Kriminelle dort umerziehen zu kön­ nen. Nach einem Aufenthalt im Gefängnis werde der Häftling durch eine Domestizierung nach Art des Militärs oder der Schule zu einem Menschen, der die Gesetze achtet. Es ging im Gefängnis also um die Produktion gehorsamer Individuen. Schon in der allerersten Zeit erkannte man, dass dieses Gefäng­ nissystem nicht zu den erwünschten Ergebnissen führte, sondern genau die entgegensetzten Folgen zeitigte. Je länger ein Mensch im Gefängnis blieb, desto geringer der Umerziehungserfolg und desto stärker seine Kriminalisierung. Die Produktivität war nicht nur gleich null, sie war negativ. Deshalb hätte das Gefängnissys­ tem eigentlich verschwinden müssen. Aber es blieb und ist bis heute geblieben. Und wenn wir fragen, was wir an die Stelle des Gefängnisses setzen sollen, gibt niemand eine Antwort. Warum sind die Gefängnisse trotz ihrer negativen Produktivität

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geblieben? Ich glaube, gerade weil sie Kriminelle produzieren und weil Kriminalität in den uns bekannten Gesellschaften einen ge­ wissen ökonomischen und politischen Nutzen hat. Diesen öko­ nomischen und politischen Nutzen der Kriminalität können wir leicht erkennen. Je mehr Kriminelle, desto mehr Verbrechen. Je mehr Verbrechen, desto größer die Angst in der Bevölkerung. Und je größer die Angst in der Bevölkerung, desto akzeptabler und wünschenswerter das System der polizeilichen Kontrolle. Die Existenz dieser permanenten kleinen inneren Gefahr gehört zu den Voraussetzungen für die Akzeptanz des Kontrollsystems. Deshalb räumt man der Kriminalität in Presse, Radio und Fern­ sehen aller Länder der Erde so viel Platz ein, als wäre sie jeden neuen Tag eine Neuigkeit. Seit 1830 finden sich in allen Ländern der Erde immer wieder Kampagnen zum Thema der wachsenden Kriminalität, obwohl diese Behauptung niemals bewiesen wurde. Die unterstellte Präsenz, die Bedrohung, die Zunahme der Krimi­ nalität ist ein Faktor in der Akzeptanz der Kontrollen. Aber das ist noch nicht alles. Kriminalität hat wirtschaftlichen Nutzen. Denken Sie nur an die äußerst lukrativen unsauberen Geschäftszweige, die in den Bereich des kapitalistischen Profits gehören und ihren Weg über die Kriminalität nehmen. Zum Bei­ spiel die Prostitution. In allen Ländern Europas (ich weiß nicht, ob das in Brasilien auch so ist) liegt sie bekanntlich in den Händen so genannter Zuhälter, die alle schon einmal im Gefängnis waren und nun die Aufgabe haben, die im Bereich des sexuellen Vergnü­ gens erzielten Profite in Richtung ökonomischer Kreisläufe wie des Hotelwesens und auf Bankkonten zu lenken. Durch die Pros­ titution ist das sexuelle Vergnügen in der Bevölkerung kostspielig geworden, und das System der Zuhälter gestattet es, den aus dem sexuellen Vergnügen gezogenen Profit in gewisse Kreisläufe ein­ zuspeisen. Waffenhandel, Drogenhandel und eine ganze Reihe unsauberer Geschäfte, die in der Gesellschaft aus diversen Grün­ den nicht direkt betrieben werden können, nehmen ihren Weg über die Kriminalität und werden durch sie gesichert. Außerdem hatte die Kriminalität im 19. Jahrhundert und auch noch im 20. Jahrhundert ganz massive Bedeutung für eine Reihe politischer Operationen wie das Brechen von Streiks, die Infiltra­ tion der Gewerkschaften oder den Personenschutz für mehr oder weniger ehrenwerte Führer politischer Parteien. Ganz konkret

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spreche ich hier von Frankreich, wo alle politischen Parteien Leu­ te aus dem kriminellen Milieu beschäftigen, und die Palette reicht von Plakatklebern bis hin zu Schlägern. Wir haben hier also eine ganze Reihe ökonomischer und politischer Institutionen, die auf der Basis der Kriminalität funktionieren, und insofern hat das Gefängnis, das Berufsverbrecher fabriziert, durchaus einen Nut­ zen und eine Produktivität. Ein Hörer: Zunächst einmal möchte ich sagen, welches Vergnü­ gen es mir bereitet hat, Ihnen zuzuhören, Sie zu sehen und Ihre Bücher nochmals zu lesen. Alle meine Fragen gründen in der Kritik, die Dominique4 an Ihnen geübt hat: Wenn Sie einen Schritt weiter gehen, sind Sie kein Archäologe, kein Archäologe des Wis­ sens mehr. Wenn Sie einen Schritt weiter gehen, verfallen sie in den historischen Materialismus. Das ist die eigentliche Frage. Dann möchte ich noch gerne wissen, warum Sie sagen, die An­ hänger des historischen Materialismus und der Psychoanalyse seien sich ihrer selbst und der Wissenschaftlichkeit ihrer Position nicht sicher. Zunächst einmal überrascht mich das, weil ich so viel über den Unterschied zwischen Verdrängung und Repression ge­ lesen habe, einen Unterschied, den wir im Portugiesischen nicht kennen, und weil Sie zunächst über Repression gesprochen haben, ohne sie von Verdrängung zu unterscheiden. Das überrascht mich. Die zweite Überraschung liegt darin, dass Sie bei dem Versuch, auf der Basis der militärischen Disziplin eine Anatomie des So­ zi? len zu entwerfen, dieselbe Terminologie verwenden wie die Rechtsanwälte in Brasilien. Auf dem Kongress des OAB,5 der kürzlich in Salvador stattgefunden hat, sprachen die Anwälte bei der Definition ihrer juristischen Funktion viel von »Kompensie­ ren« und »Disziplinieren«. Seltsamerweise benutzen Sie dieselben Ausdrücke, wenn Sie über Macht sprechen, Sie benutzen dieselbe juristische Sprache. Ich möchte Sie nun fragen, ob Sie da nicht demselben Scheindiskurs der kapitalistischen Gesellschaft verfal­ len, der Illusion der Macht, dem Diskurs, den die Juristen zu benutzen beginnen. Das neue Gesetz über Aktiengesellschaften zum Beispiel wird als Mittel zur Disziplinierung der Monopole 4 [Gemeint ist der Artikel von Dominique Lecourt, »Sur l'archéologie et le savoir«, La Pensée, Nr. 152, August 1970, S. 67-87, wiederabgedruckt in D. Lecourt, Pour une critique de l'épistémologie, Paris 1972, S. 98-183.] 5 [Orden dos Advogados do Brasil, brasilianische Anwaltsvereinigung.]

geblieben? Ich glaube, gerade weil sie Kriminelle produzieren und weil Kriminalität in den uns bekannten Gesellschaften einen ge­ wissen ökonomischen und politischen Nutzen hat. Diesen öko­ nomischen und politischen Nutzen der Kriminalität können wir leicht erkennen. Je mehr Kriminelle, desto mehr Verbrechen. Je mehr Verbrechen, desto größer die Angst in der Bevölkerung. Und je größer die Angst in der Bevölkerung, desto akzeptabler und wünschenswerter das System der polizeilichen Kontrolle. Die Existenz dieser permanenten kleinen inneren Gefahr gehört zu den Voraussetzungen für die Akzeptanz des Kontrollsystems. Deshalb räumt man der Kriminalität in Presse, Radio und Fern­ sehen aller Länder der Erde so viel Platz ein, als wäre sie jeden neuen Tag eine Neuigkeit. Seit 1830 finden sich in allen Ländern der Erde immer wieder Kampagnen zum Thema der wachsenden Kriminalität, obwohl diese Behauptung niemals bewiesen wurde. Die unterstellte Präsenz, die Bedrohung, die Zunahme der Krimi­ nalität ist ein Faktor in der Akzeptanz der Kontrollen. Aber das ist noch nicht alles. Kriminalität hat wirtschaftlichen Nutzen. Denken Sie nur an die äußerst lukrativen unsauberen Geschäftszweige, die in den Bereich des kapitalistischen Profits gehören und ihren Weg über die Kriminalität nehmen. Zum Bei­ spiel die Prostitution. In allen Ländern Europas (ich weiß nicht, ob das in Brasilien auch so ist) liegt sie bekanntlich in den Händen so genannter Zuhälter, die alle schon einmal im Gefängnis waren und nun die Aufgabe haben, die im Bereich des sexuellen Vergnü­ gens erzielten Profite in Richtung ökonomischer Kreisläufe wie des Hotelwesens und auf Bankkonten zu lenken. Durch die Pros­ titution ist das sexuelle Vergnügen in der Bevölkerung kostspielig geworden, und das System der Zuhälter gestattet es, den aus dem sexuellen Vergnügen gezogenen Profit in gewisse Kreisläufe ein­ zuspeisen. Waffenhandel, Drogenhandel und eine ganze Reihe unsauberer Geschäfte, die in der Gesellschaft aus diversen Grün­ den nicht direkt betrieben werden können, nehmen ihren Weg über die Kriminalität und werden durch sie gesichert. Außerdem hatte die Kriminalität im 19. Jahrhundert und auch noch im 20. Jahrhundert ganz massive Bedeutung für eine Reihe politischer Operationen wie das Brechen von Streiks, die Infiltra­ tion der Gewerkschaften oder den Personenschutz für mehr oder weniger ehrenwerte Führer politischer Parteien. Ganz konkret

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spreche ich hier von Frankreich, wo alle politischen Parteien Leu­ te aus dem kriminellen Milieu beschäftigen, und die Palette reicht von Plakatklebern bis hin zu Schlägern. Wir haben hier also eine ganze Reihe ökonomischer und politischer Institutionen, die auf der Basis der Kriminalität funktionieren, und insofern hat das Gefängnis, das Berufsverbrecher fabriziert, durchaus einen Nut­ zen und eine Produktivität. Ein Hörer: Zunächst einmal möchte ich sagen, welches Vergnü­ gen es mir bereitet hat, Ihnen zuzuhören, Sie zu sehen und Ihre Bücher nochmals zu lesen. Alle meine Fragen gründen in der Kritik, die Dominique4 an Ihnen geübt hat: Wenn Sie einen Schritt weiter gehen, sind Sie kein Archäologe, kein Archäologe des Wis­ sens mehr. Wenn Sie einen Schritt weiter gehen, verfallen sie in den historischen Materialismus. Das ist die eigentliche Frage. Dann möchte ich noch gerne wissen, warum Sie sagen, die An­ hänger des historischen Materialismus und der Psychoanalyse seien sich ihrer selbst und der Wissenschaftlichkeit ihrer Position nicht sicher. Zunächst einmal überrascht mich das, weil ich so viel über den Unterschied zwischen Verdrängung und Repression ge­ lesen habe, einen Unterschied, den wir im Portugiesischen nicht kennen, und weil Sie zunächst über Repression gesprochen haben, ohne sie von Verdrängung zu unterscheiden. Das überrascht mich. Die zweite Überraschung liegt darin, dass Sie bei dem Versuch, auf der Basis der militärischen Disziplin eine Anatomie des So­ zialen zu entwerfen, dieselbe Terminologie verwenden wie die Rechtsanwälte in Brasilien. Auf dem Kongress des OAB,5 der kürzlich in Salvador stattgefunden hat, sprachen die Anwälte bei der Definition ihrer juristischen Funktion viel von »Kompensie­ ren« und »Disziplinieren«. Seltsamerweise benutzen Sie dieselben Ausdrücke, wenn Sie über Macht sprechen, Sie benutzen dieselbe juristische Sprache. Ich möchte Sie nun fragen, ob Sie da nicht demselben Scheindiskurs der kapitalistischen Gesellschaft verfal­ len, der Illusion der Macht, dem Diskurs, den die Juristen zu benutzen beginnen. Das neue Gesetz über Aktiengesellschaften zum Beispiel wird als Mittel zur Disziplinierung der Monopole 4 [Gemeint ist der Artikel von Dominique Lecourt, »Sur l'archéologie et le savoir«, La Pensée, Nr. 152, August 1970, S. 67-87, wiederabgedruckt in D. Lecourt, Pour une critique de Vépistémologie, Paris 1972, S. 98-183.] 5 [Orden dos Advogados do Brasil, brasilianische Anwaltsvereinigung.]

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dargestellt, aber in Wirklichkeit ist es ein wertvolles, technolo­ gisch sehr fortschrittliches Instrument und wird von Dingen be­ stimmt, die vom Willen der Juristen unabhängig sind, nämlich von den Erfordernissen der Reproduktion des Kapitals. Deshalb er­ staunt mich die Verwendung derselben Terminologie, da Sie doch eine Dialektik zwischen Technologie und Disziplin hersteilen. Und schließlich erstaunt mich noch, dass Sie die Bevölkerung als Element der Gesellschaftsanalyse wählen und damit noch in die Zeit vor Marx und dessen Kritik an Ricardo zurückfallen. M. Foucault: Wir haben ein Problem mit der Zeit. Auf jeden Fall werden wir morgen um 15.30 Uhr wieder Zusammenkom­ men. Dann werden wir diese wichtigen Fragen ausführlicher dis­ kutieren können als jetzt. Ich möchte versuchen, kurz auf zwei Fragen zu antworten, und die übrigen können Sie morgen noch einmal stellen. Sind Sie damit einverstanden? Betrachten wir zuerst einmal die allgemeine Thematik der Frage. Über das Prob-r lern Lecourt und den historischen Materialismus können wir mor­ gen sprechen, aber in den beiden anderen Punkten haben Sie Recht, denn sie beziehen sich auf Dinge, die ich heute morgen gesagt habe. Ich habe nicht über Verdrängung gesprochen, wohl aber über Repression, Verbot und Gesetz. Das hat mit der not­ wendigen Kürze und der wenigen Zeit zu tun, die mir zur Ver­ fügung steht. Freuds Gedanke ist in der Tat sehr viel subtiler als das Bild, das ich hier davon gegeben habe. Um den Begriff der Verdrängung gibt es eine Debatte zwischen Reich und den Reichianern, Marcuse und auf der anderen Seite den eigentlich psy­ choanalytischen Psychoanalytikern wie Melanie Klein und vor allem Lacan, wie man etwas verkürzt sagen könnte. Denn der Begriff der Verdrängung lässt sich zur Analyse der sozialen Re­ pressionsmechanismen verwenden, sofern man annimmt, dass es sich bei der Instanz, die über die Verdrängung bestimmt, um eine soziale Realität handelt, die als Realitätsprinzip auftritt und die Verdrängung unmittelbar auslöst. Ganz allgemein können wir hier von einer durch Marcuses Begriff der übermäßigen Repression6 modifizierten Analyse im 6

[Im portugiesischen Text heißt es hier: mais-repressäo. Herbert Marcuse, Eros and Civilization. A Philosophical Inquiry into Freud, London 1956; dt. Eros und Kultury Stuttgart 1957; später unter dem Titel Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1965.]

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Sinne Reichs sprechen. Auf der anderen Seite greifen die Lacanianer den Begriff der Verdrängung auf und sagen, wenn Freud von Verdrängung spreche, denke er nicht an Repression, sondern an einen für das Begehren absolut konstitutiven Mechanismus, denn für Freud, so behauptet Lacan, gibt es kein nicht verdräng­ tes Begehren. Begehren als solches existiert nur, insofern es ver­ drängt wird und das Gesetz konstitutiv für das Begehren ist, so dass er den Begriff der Verdrängung aus dem Begriff des Gesetzes herleitet. Daraus ergeben sich zwei Interpretationen, die über die Repres­ sion und die über das Gesetz, und die beiden Interpretationen beschreiben zwei vollkommen verschiedene Prozesse. Es stimmt, dass Freuds Verdrängungsbegriff je nach Text im einen und im anderen Sinne verwendet werden kann. Um dem schwierigen Problem der Interpretation Freuds aus dem Wege zu gehen, habe ich nur von Repression gesprochen, denn die Historiker der Se­ xualität haben nie einen anderen Begriff als den der Repression benutzt, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: Dieser Be­ griff lässt die sozialen Konturen hervortreten, welche die Ver­ drängung bestimmen. Wir können also die Geschichte der Ver­ drängung vom Repressionsbegriff her aufbauen, nicht aber die Geschichte der Sexualität vom Verbotsbegriff her, der in den meis­ ten Gesellschaften weitgehend isomorph ist. Deshalb habe ich den Begriff der Verdrängung vermieden und nur von Repression ge­ sprochen. Zweitens überrascht es mich, dass die Anwälte den Ausdruck »Disziplin« verwenden, während ich den Ausdruck »kompensie­ ren« kein einziges Mal benutzt habe. Dazu möchte ich nur sagen: Ich glaube, seit der Entstehung der von mir so genannten Bio­ macht oder anatomischen Politik leben wir in einer Gesellschaft, die dabei ist, nicht länger eine juristische Gesellschaft zu sein. Die juristische Gesellschaft war die monarchische. Vom 12. bis ins 18.Jahrhundert hinein waren die europäischen Gesellschaften weitestgehend juristische Gesellschaften, in denen das Problem des Rechts das Grundproblem darstellte. Man kämpfte dafür, und man machte Revolutionen deswegen. In den Gesellschaften, die sich seit dem 19. Jahrhundert mit ihren Parlamenten, Gesetz­ gebungsverfahren, Gesetzbüchern und Gerichten als Gesellschaf­ ten des Rechts darstellten, setzte sich in Wirklichkeit ein ganz

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anderer Machtmechanismus durch, der nicht rechtlichen Formen gehorchte. Dessen Grundprinzip ist nicht das Gesetz, sondern die Norm, und als Instrumente dienen ihm nicht mehr die Gerichte, das Recht und der Justizapparat, sondern Medizin, soziale Kon­ trolle, Psychiatrie und Psychologie. Wir sind hier also in einer Welt der Disziplin, in einer Welt der Regulierung. Wir glauben immer noch, in einer Welt des Gesetzes zu sein, aber in Wirk­ lichkeit entsteht hier eine ganz andere Form von Macht, und zwar auf Grundlagen, die nicht mehr rechtlicher Natur sind. Darum ist es gar nicht verwunderlich, den Ausdruck »Disziplin« aus dem Munde von Juristen zu hören, und in einem Punkt ist es sogar aufschlussreich, in der Frage nämlich, wie die auf Normalisierung ausgerichtete Gesellschaft [.. .]7 zu bewohnen und zugleich die rechtsförmige Gesellschaft dysfunktional werden zu lassen. Sehen Sie nur, was im Strafsystem geschieht. Ich weiß nicht, wie es in Brasilien ist, aber in europäischen Staaten wie Deutschland., Frankreich oder Großbritannien gibt es praktisch keinen Straf­ täter mehr und wird es bald schon keinen Menschen mehr geben, der nicht bei einem Strafverfahren durch die Hände von Spezia­ listen aus dem Bereich der Medizin, Psychiatrie oder Psychologie ginge. Das ist so, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der das Verbrechen nicht mehr nur und vor allem eine Gesetzesübertre­ tung darstellt, sondern in allererster Linie eine Abweichung von der Norm. Im Bereich der Strafgerichtsbarkeit spricht man heute, wie Sie wissen, nur noch von Neurosen, Devianz, Aggressivität und Trieben. Wenn ich von Disziplin und Normalisierung spre­ che, verfalle ich durchaus nicht der juristischen Ebene. Vielmehr sind die Männer des Rechts, die Männer des Gesetzes, die Juristen heute gezwungen, dieses Vokabular der Disziplin und der Nor­ malisierung zu verwenden. Wenn auf dem Kongress des OAB von Disziplin gesprochen wurde, so bestätigt das nur, was ich gesagt habe, und nicht etwa, dass ich in eine juristische Konzeption zu­ rückgefallen wäre. Die Juristen haben sich bewegt. Ein Hörer: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Wissen und Macht? Führt die Machttechnologie zur sexuellen Perversion, oder ist dafür die natürliche biologische Anarchie verantwortlich, die beim Menschen anzutreffen ist? 7 [Lücke in der portugiesischen Transkription der Bandaufzeichnung.]

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M. Foucault: Ich glaube nicht, dass wir sagen könnten, die bio­ logische Entwicklung motivierte oder erklärte die Entwicklung dieser Machttechnologie. Ich habe im Gegenteil zu zeigen ver­ sucht, dass die Veränderung der Machttechnologie Teil der kapita­ listischen Entwicklung ist. Und zwar insofern, als die Entwicklung des Kapitalismus die veränderte Machttechnologie erforderlich macht, und umgekehrt diese Veränderung erst die kapitalistische Entwicklung ermöglicht hat, so dass beide sich gleichsam gegen­ seitig hervorgebracht haben. Nun zu der anderen Frage, die den Umstand betrifft, dass Machtbeziehungen [.. ,],8 wenn Lust und Macht miteinander ein­ hergehen. Das ist ein wichtiges Problem. Ich habe in knapper Form zum Ausdruck bringen wollen, dass genau dies charakte­ ristisch für die in unseren Gesellschaften anzutreffenden Mecha­ nismen zu sein scheint und dass wir gerade deshalb nicht einfach sagen können, die Funktion der Macht sei das Verbot. Wenn wir davon ausgehen, dass die Funktion der Macht im Verbot liegt, sind wir gezwungen, Mechanismen zu erfinden - Lacan muss das tun, und die anderen auch -, um sagen zu können, dass wir uns mit der Macht identifizieren oder dass eine masochistische Beziehung hergestellt wird, die bewirkt, dass wir Verbote lieben. Wenn wir aber davon ausgehen, dass Macht nicht in erster Linie die Funktion hat zu verbieten, sondern zu produzieren, Lust zu schaffen, können wir verstehen, warum wir der Macht gehorchen und uns zugleich daran erfreuen können, was nicht unbedingt als masochistisch einzustufen wäre. Kinder können uns hier als Bei­ spiel dienen. Ich glaube, die Tatsache, dass man die kindliche Sexualität im 19. Jahrhundert zu einem Hauptproblem der bürger­ lichen Familie machte, hat eine Vielzahl von Kontrollen über die Familie, die Eltern wie auch die Kinder, ausgelöst und ermöglicht, die aber zugleich auch eine Reihe neuer Vergnügungen schufen: die Lust der Eltern, ihre Kinder zu überwachen; die Lust der Kinder, mit ihrer eigenen Sexualität zu spielen, gegen die Eltern und mit den Eltern; eine neue Ökonomie der Lust um den Körper des Kindes. Wir brauchen nicht zu sagen, die Eltern hätten sich aus Masochismus mit dem Gesetz identifiziert... Eine Hörerin: Sie haben nicht auf die Frage nach dem Verhält8 [Lücke in der Transkription der Bandaufzeichnung.]

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nis zwischen Wissen und Macht geantwortet und nach der Macht, die Sie, Michel Foucault, durch Ihr Wissen ausüben. M. Foucault: Vielen Dank, dass Sie mich an die Frage erinnern. Tatsächlich muss die Frage gestellt werden. Ich glaube - jedenfalls ist das der Sinn der Analysen, die ich vornehme und deren In­ spirationsquelle Sie sehen können -, ich glaube, dass wir Macht­ beziehungen nicht schematisch betrachten dürfen, auf der einen Seite jene, die Macht haben, und auf der anderen jene, die keine haben. Nochmals, hier verwendet ein gewisser akademischer Mar­ xismus häufig den Gegensatz zwischen herrschender und be­ herrschter Klasse, zwischen herrschendem und beherrschtem Dis­ kurs. Dieser Dualismus findet sich bei Marx niemals, wohl aber bei reaktionären und rassistischen Denkern wie Gobineau, die behaupten, in jeder Gesellschaft gäbe es stets zwei Klassen, eine beherrschte und eine herrschende. Das können Sie bei diversen Leuten finden, aber niemals bei Marx, denn Marx ist zu klug, um so etwas zu behaupten. Er weiß genau, die Festigkeit der Macht­ verhältnisse beruht gerade darauf, dass sie nirgendwo enden. Es gibt nicht auf der einen Seite wenige, auf der anderen viele. Die Machtbeziehungen sind überall. Die Arbeiterklasse erwidert Machtbeziehungen und übt ihrerseits Macht aus. Allein schon die Tatsache, dass Sie Studentin sind, versetzt Sie in eine bestimm­ te Machtposition. Andererseits bin ich als Professor gleichfalls in einer Machtposition. Ich bin in einer Machtposition, weil ich kei­ ne Frau bin, sondern ein Mann. Und als Frau sind Sie gleichfalls in einer Machtposition, nicht in derselben, aber wir beide sind glei­ chermaßen in einer Machtposition. Von jedem, der etwas weiß, können wir sagen, dass er Macht ausübt. Stupide ist solch eine Kritik, wenn sie sich darauf beschränkt. Interessant ist dagegen, wie die Maschen der Macht in einer Gruppe, einer Klasse, einer Gesellschaft funktionieren, das heißt, wo sie jeweils im Netz der Macht lokalisiert sind und wie sie Macht ausüben, sichern und weitergeben. Übersetzt von Michael Biscboff

298 W ir müssen alles überdenken, das G esetz und das Gefängnis

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Michel Foucault: Wir müssen alles überdenken, das Gesetz und das Gefängnis »Michel Foucault: il faut tout repenser, la loi et la prison«, Libération, Nr. 45, 5Juli 1981, S. 2.

In Frankreich erleben wir politische Veränderungen gerne als Re­ gimewechsel. Das ist eine Reaktion auf eine allgemeine Einstel­ lung der politischen Klasse. Sie sieht in der Ausübung der Macht ein Erbe, das ihr aus historischer Notwendigkeit zufällt, und der Machterhalt gilt ihr als natürliches Recht. Und es ist eine Folge des geliebten großen Vorbilds, der Revolution. Die Veränderung schlechthin, von der man träumt und die allein die Mühe lohnt, ist der Umsturz des Ancien Régime. Neue Regime öffnen bekanntlich die Gefängnisse, die Bastillen der alten Herrscher. Die fiebrige Erwartung, die wir heute in den Gefängnissen und ihrem Umfeld beobachten, ist daher nicht er­ staunlich. Und erstaunlich sind auch nicht die Träume, die für kurze Zeit aufblitzten: »Wir müssen und werden alle befreien.« Sie sind Teil unserer gemeinsamen politischen Fantasie. Aber der gewichtigen, ernsthaften, reflektierten Bewegung, die sich in Fres­ nes, Fleury, Bois-d’Arcy usw. entwickelt hat, täte man Unrecht, wenn man darin nur das eingeschlossene, utopische Echo einer maßvolleren äußeren Realität erblickte. Ist das Gefängnis marginalisiert? Ganz sicher. Aber das heißt nicht, dass auch das Straf­ system eine gesellschaftlich marginale Institution wäre. Das Recht zu strafen gehört wie das Recht auf Krieg zu den wichtigsten und fragwürdigsten, womit ich sagen will, dass es jederzeit zumindest in Frage gestellt und diskutiert werden muss. Dieses Recht macht zu regelmäßig Gebrauch von Gewalt und beruht allzu tief auf einer impliziten Moral, als dass es nicht ständig aufmerksam und scharf beobachtet werden müsste. Einige Maßnahmen sind sofort zu treffen. Sie entsprächen den gegenwärtigen Umständen, wären aber auch von allgemeiner Tragweite und lohnten den Einsatz. Es ginge darum, alles zu eli­ minieren, was als Missbrauch des Rechts in der Anwendung des Gesetzes gelten muss. Außergewöhnliche Fälle von Missbrauch,

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aber auch der ganz gewöhnliche oder institutionalisierte Miss­ brauch. Ein Missbrauch des Rechts ist die gängige Praxis der Untersuchungshaft (40% der 42 000 Häftlinge befinden sich ge­ genwärtig in Untersuchungshaft). Ein Missbrauch des Rechts sind die Hochsicherheitstrakte, die zu Sondergefängnissen geworden sind. Ein Missbrauch des Rechts sind die Strafen, die von der Gefängnisverwaltung ohne jede Kontrolle oder Verteidigungs­ möglichkeit verhängt werden. Ein Missbrauch des Rechts ist die Aufhebung jeglichen Rechts, die über den gesetzlich vorgesehe­ nen Freiheitsentzug hinausgeht. Aber dann - oder vielmehr sogleich - geht es darum, alles von Grund auf zu verändern. Gewiss denkt man schon lange an Re­ formen - bald des Strafgesetzbuchs, bald der Institutionen des Strafsystems. Aber gerade das ist das Unzulängliche, also Gefähr­ liche an dieser Politik. Sie setzt mal hier an und mal dort. Auf der einen Seite haben wir den »Idealismus« des Gesetzes oder dessen Prüderie. Es weiß, was es verbietet, und kennt die Strafen, die es vorsieht. Aber es betrachtet die Institutionen und Praktiken, die das Gesetz umsetzen, nur aus der Ferne und mit einem unerschütterlichen Blick. Denn was die Polizei tut oder was in den Gefängnissen geschieht, ist nicht so wichtig, solange dadurch dem Gesetz Achtung verschafft wird. Wenn man das Gesetzbuch reformiert, denkt man an die Prinzipien des Verbotes und nicht an die Realität der Sühne. Auf der anderen Seite haben wir den »Pragmatismus« der Straf­ institution. Sie hat ihre Logik, ihre Verfahrensweisen und ihre Absichten. Wenn man sie reformiert, versucht man immer heraus­ zufinden, wie sie das Allgemeine und Rigide im Gesetz korrigie­ ren und unter der mehr oder weniger mythischen Aufsicht der Psychologie, Medizin oder Psychiatrie eine Strafe vollstrecken könnte, für die sie allein die Kompetenz beansprucht. So treibt man seit hundertfünfzig Jahren Reformen voran, sol­ che des Strafgesetzes, das nicht wissen will, wie es straft, und solche des Strafregimes, das an die Stelle des Gesetzes zu treten versucht. Die Richter, ich meine die »guten Richter«, brauchen nur noch zugleich zur Schmiede und zur Mühle zu fahren. Sie müssen versuchen, dem Gesetz dort Geltung zu verschaffen, wo es angewendet wird, und über die von ihnen verhängte Strafe nachzudenken, wenn sie die Anwendung des Gesetzes verlangen.

298 W ir müssen alles überdenken, das G esetz und das Gefängnis

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Heute müssen wir versuchen, alles zusammen zu überdenken. Wir dürfen die Realität nicht ausblenden, aber auch niemals etwas als gegeben hinnehmen. Es hat keinen Sinn, Straftatbestände ständig neu zu definieren und einen Strafrahmen festzulegen, ohne die Realität der Strafe, ihre Art, ihre Voraussetzungen und Anwendungsbedingungen, ihre Wirkungen und Kontrollmöglichkeiten zu berücksichtigen. Wir müssen Strafgesetzgebung und Strafinstitution zugleich ins Auge fassen, weil sie unlösbar miteinander verbunden sind. Aber wir müssen uns auch fragen, was denn wirklich bestraft zu werden verdient. Was von der heute anerkannten Unterschei­ dung zwischen strafwürdigen und vom Gesetz praktisch nicht zu erfassenden Tatbeständen zu halten ist. So viel Vorkehrungen, damit die »Sitten« oder das »Schamgefühl« nicht verkommen; aber so wenige, damit Arbeitsplätze, Gesundheit, Umwelt und Leben nicht in Gefahr geraten... Heute wird weithin anerkannt, dass Gefängnisse ein scheußli­ ches Sanktionsinstrument sind. Wir müssen auch einsehen, dass Strafen ein sehr schlechtes Mittel zur Verhinderung von Straftaten sind. Aber vor allem dürfen wir nicht daraus schließen, es sei besser, durch solide Sicherheitsmaßnahmen Prävention zu betrei­ ben. Denn dadurch vermehrt man oft nur die Straftatbestände und schafft nur noch mehr potentielle Straftäter. Sollten wir uns bemühen, die Zahl der tatsächlichen oder mög­ lichen Straftäter nicht zu vergrößern, wie es unter dem Vorwand der Reform häufig geschieht? Ja, ganz sicher. Sollten wir Straf­ möglichkeiten entwickeln, die jenseits des Gefängnisses liegen und an dessen Stelle treten? Ja, vielleicht. Aber vor allem sollten wir die gesamte Ökonomie des in unserer Gesellschaft Strafbaren wie auch das Verhältnis zwischen der Staatsgewalt und dem Recht auf Strafen und dessen praktischer Umsetzung überdenken. Übersetzt von Michael Bischoff

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Lacan, der »Befreier« der Psychoanalyse »Lacan, il liberatore della psicanalisi« (Gespräch mit J. Nobécourt, übers, von A. Ghizzardi), in: Corriere della sera, Bd. 106, Nr. 212, 11. September 1981, S. 1.

J. Nobécourt: Oft heißt es, Lacan sei der Protagonist einer »Re­ volution in der Psychoanalyse« gewesen. Halten Sie diese Defini­ tion von »Revolutionär« für präzise und annehmbar? M. Foucault: Ich glaube, Lacan hätte die Bezeichnung »Revolu­ tionär« und selbst die Idee einer »Revolution in der Psychoanaly­ se« abgelehnt. Er wollte einfach nur »Psychoanalytiker« sein. Das setzte in seinen Augen einen radikalen Bruch mit allem voraus, was die Psychoanalyse in die Abhängigkeit der Psychiatrie brinr gen oder zu einem verfeinerten Zweig der Psychologie machen konnte. Er wollte die Psychoanalyse aus der Nähe zur Medizin und den medizinischen Institutionen lösen, weil er diese Nähe für gefährlich hielt. Er suchte in ihr keinen Prozess der Normalisie­ rung von Verhalten, sondern eine Theorie des Subjekts. Deshalb ist sein Denken trotz seines scheinbar extrem spekulativen Diskur­ ses all jenen Bemühungen keineswegs fremd, die man unternom­ men hat, um die Praxis der Psychiatrie in Frage zu stellen. /. Nobécourt: Auch wenn Lacan, wie Sie sagen, kein »Revolu­ tionär« war, haben seine Werke doch ganz sicher einen sehr gro­ ßen Einfluss auf die Kultur der letzten Jahrzehnte ausgeübt. Was hat sich nach Lacan verändert, auch in der Art, wie man Kultur »macht«? M. Foucault: Was sich verändert hat? Wenn ich an die 50erJahre zurückdenke, an die Zeit, als ich die Bücher von LéviStrauss und die ersten Texte von Lacan las, dann scheint mir das Neue in Folgendem zu liegen: Wir erkannten damals, dass die Philosophie und die Wissenschaften vom Menschen einem sehr traditionellen Verständnis des menschlichen Subjekts verhaftet waren und dass es nicht ausreichte, bald mit den einen zu sagen, das Subjekt sei radikal frei, bald mit den anderen, es sei von den sozialen Bedingungen determiniert. Wir erkannten, dass wir alles befreien mussten, was sich hinter der scheinbar so einfachen Ver­

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wendung des Personalpronomens »Ich« verbarg. Das Subjekt ist etwas Komplexes und Zerbrechliches, über das man nur schwer sprechen kann, aber ohne das wir gar nicht sprechen können. /, Nobécourt: Lacan hatte viele Gegner. Man hat ihm Hermetik und »intellektuellen Terrorismus« vorgeworfen. Was halten Sie von solchen Vorwürfen? M. Foucault: Ich glaube, Lacans Schriften sind deshalb herme­ tisch, weil er wollte, dass man sich seine Ideen nicht einfach nur »bewusst macht«. Er wollte, dass der Leser sich in der Lektüre selbst als Subjekt des Begehrens entdeckt. Lacan wollte, dass die Dunkelheit seiner Écrits1so komplex wie das Subjekt und die zum Verständnis erforderliche Arbeit eine Arbeit an sich selbst sei. Zum Vorwurf des »Terrorismus« möchte ich nur eines sagen: La­ can übte keinerlei institutioneile Macht aus. Wer ihn hörte, tat das, weil er ihn hören wollte. Schrecken flößte er nur denen ein, die Angst hatten. Einfluss ist keine Macht, die man jemandem auf­ zwingt. Übersetzt von Michael Bischoff

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Gegen die Ersatzstrafen ■/Contre les peines de substitution«, in: Libération, Nr. 108, 18. September 1981, S. 5.

Die älteste Strafe der Welt steht in Frankreich kurz vor ihrem Ende. Das ist Anlass zur Freude, aber kein Grund für Bewunde­ rung. Denn damit holt Frankreich nur einen Rückstand auf. Frankreich gehört zu den wenigen Länder Westeuropas, die seit fünfundzwanzig Jahren keinen Augenblick von der Linken regiert worden sind. Daraus ergibt sich in vielen Bereichen eine erstaun­ liche Rückständigkeit. Gegenwärtig bemüht man sich, wieder auf ein mittleres Niveau zu kommen. Die Strafjustiz überragte es gleichsam um die Länge eines abgeschnittenen Kopfes. Das hat man nun abgeschafft. Gut. 1 Q. Lacan, Écrits, Paris 1966; dt. Schriften, Freiburg i.Br. 1973 (nur Teile).]

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Aber hier wie anderswo ist die Art, wie man etwas abschafft, mindestens ebenso bedeutsam wie das, was man abschafft. Die Dinge haben tiefe Wurzeln. Und vieles hängt davon ab, wie man diese Wurzeln aufspürt. Die Todesstrafe stand nicht deshalb jahrhundertelang an der Spitze der juristischen Strafen, weil Gesetzgeber oder Richter be­ sonders blutrünstig gewesen wären, sondern weil die Justiz Aus­ übung von Souveränität war. Diese Souveränität musste unabhän­ gig von allen anderen Mächten sein. Man praktizierte sie kaum, sprach aber viel darüber. Außerdem musste sie das Recht über Leben und Tod des Einzelnen ausüben. Und hier schwieg man lieber, zumal man dieses Recht regelmäßig ausübte. Wenn man darauf verzichtet, Köpfe rollen zu lassen, weil dann Blut fließt, weil zivilisierte Menschen das nicht tun oder weil die Gefahr besteht, einen Unschuldigen zu treffen, dann ist das relativ leicht. Aber wenn man auf die Todesstrafe verzichtet, weil man sich dem Grundsatz verpflichtet fühlt, dass keine staatliche Ge­ walt (wie ja auch kein einzelner Mensch) das Recht hat, einem Menschen das Leben zu nehmen, dann rührt man damit an eine wichtige und schwierige Debatte. Denn dann stellt sich sogleich die Frage nach dem Krieg, der Armee, der Wehrpflicht usw. Wollen wir, dass die Debatte über die Todesstrafe etwas anderes ist als eine Diskussion über die besten Techniken des Strafens? Wollen wir, dass sie Anlass und Beginn einer neuen politischen Reflexion ist? Dann müssen wir die Frage nach dem Recht auf Töten, das der Staat in diversen Formen ausübt, bei der Wurzel packen. Wir müssen die Frage, wie wir das Verhältnis zwischen der Freiheit des Einzelnen und seinem Tod definieren wollen, mit all ihren politischen und ethischen Implikationen aufgreifen. Ein weiterer Grund hatte dafür gesorgt, dass die Todesstrafe so lange überleben konnte in den modernen Gesetzbüchern - also den Strafsystemen -, die seit dem 19. Jahrhundert den Anspruch erheben, zugleich zu bessern und zu strafen. Diese Systeme gin­ gen davon aus, dass es nicht etwa zwei Arten von Verbrechen, sondern zwei Arten von Verbrechern gab: solche, die man durch Strafe bessern, und solche, die man selbst durch härteste Strafen nicht bessern konnte. Die Todesstrafe war die endgültige Strafe für die nicht Besserungsfähigen, und zwar in einer weitaus kür­ zeren und sichereren Form als eine lebenslange Freiheitsstrafe.

300 Gegen die Ersatzstrafen

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Die eigentliche Trennungslinie zwischen den Strafsystemen ver­ läuft nicht zwischen denen mit und denen ohne Todesstrafe, son­ dern zwischen solchen, die eine endgültige Strafe vorsehen, und solchen, die dies nicht tun. Im Parlament wird sich daran in den kommenden Tagen zweifellos die eigentliche Debatte entzünden. Über die Abschaffung der Todesstrafe wird man sich schnell ei­ nigen. Aber wird man auch radikal von einer Strafpraxis Abschied nehmen, die den Anspruch erhebt, Menschen zu bessern, aber zugleich behauptet, es gebe Menschen, die sich niemals bessern ließen, von Natur aus, wegen ihres Charakters, wegen einer fata­ len biologischen oder psychischen Veranlagung oder einfach, weil sie per se gefährlich seien? In beiden Lagern wird man die Sicherheit als Argument anfüh­ ren. Die einen werden geltend machen, dass manche Menschen in Freiheit eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten. Die anderen werden darauf verweisen, dass manche lebenslang Inhaftierte eine permanente Gefahr innerhalb der Institutionen des Strafvollzugs bildeten. Aber auf eine Gefahr wird man möglicherweise nicht hinweisen, auf die einer Gesellschaft nämlich, die sich nicht stän­ dig Sorgen um ihr Recht und ihre Gesetze, ihre strafrechtlichen Institutionen und ihre Strafpraxis machte. Wenn man in der einen oder anderen Form an der Kategorie der (durch Tod oder Ge­ fängnis) endgültig zu eliminierenden Individuen festhält, erliegt man leicht der Illusion, schwierige Probleme lösen zu können: Bessern, falls es geht, und wenn das aussichtslos erscheint, gar nicht erst den Versuch machen und sich auch fragen, ob man nicht alle Formen von Strafe überdenken muss. Damit ist die Fallgrube gegraben, in der die »Unverbesserlichen« verschwinden werden. Wenn wir dagegen sagen, dass jede Strafe ein Ende haben sollte, begeben wir uns auf einen Weg, der keine Ruhe kennt. Aber wir weigern uns auch, die Institutionen der Strafverfolgung und des Strafvollzugs in Unbeweglichkeit und Sklerose versinken zu las­ sen, wie es so viele Jahre geschehen ist. Wir zwingen uns zu stän­ diger Aufmerksamkeit und machen die Strafjustiz zu einem Ort ständiger Reflexion und Forschung, unablässiger Experimente und Veränderungen. Eine Strafjustiz, die den Anspruch erhebt, wirkungsvollen Einfluss auf Menschen und ihr Leben zu nehmen, kommt nicht umhin, sich ständig selbst zu verändern. Es ist aus ethischen und politischen Gründen gut, wenn die

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Macht, die das Recht auf Strafen ausübt, immer wieder über dieses seltsame Recht nachdenkt und sich ihrer selbst niemals allzu si­ cher fühlt. Übersetzt von Michael Bischoff

301 Strafen ist die schwierigste Sache der Welt »Punir est la chose la plus difficile qui soit« (Gespräch mit A. Spire), in: Témoignage chrétien, Nr. 1942, 28. September 1981, S. 30.

/. Nobécourt: Die Abschaffung der Todesstrafe ist ein beträcht­ licher Schritt nach vorn. Dennoch sagen Sie, man habe damit nur einen Rückstand aufgeholt, und verweisen auf ein Problem, das Ihnen als wichtiger erscheint: die skandalöse Praxis der endgülti­ gen Strafen, die ein für alle Mal festlegen, was mit einem Schul­ digen geschehen soll. Sie glauben dagegen, dass niemand von Natur aus gefährlich sei und als lebenslang Schuldiger etikettiert werden dürfe. Aber braucht die Gesellschaft zu ihrem Schutz keine Strafe von hin­ länglicher Dauer? M. Foucault: Wir müssen hier unterscheiden. Wenn man jeman­ den zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, überträgt man dem gerichtlichen Urteil ganz direkt die Funktion einer medizi­ nischen oder psychologischen Diagnose, das heißt, das Urteil ist unwiderruflich. Verurteilt man jemanden dagegen zu einer zeit­ lich begrenzten Strafe, verlangt man, dass eine medizinische, psy­ chologische oder pädagogische Praxis das Strafurteil mit Inhalt füllt. Im ersten Fall stützt sich ein (sehr unsicheres) Wissen über einen Menschen auf einen juristischen Akt, und das ist inakzepta­ bel. Im zweiten Fall sucht die Justiz in der Ausführung des Urteils Hilfe bei »anthropologischen« Techniken. /. Nobécourt: Wenn man der Psychologie das Recht auf eine endgültige Diagnose bestreitet, wie kann man dann entscheiden, ob ein Mensch nach der Verbüßung einer Strafe zur Wiederein­ gliederung in die Gesellschaft bereit ist? M. Foucault: Wir müssen von der aktuellen Situation ausgehen,

3oi Strafen ist die schwierigste Sache der Welt

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und die ist nicht zufrieden stellend. Aber wir können sie nicht von heute auf morgen beseitigen. Seit nahezu zwei Jahrhunderten ha­ ben wir ein »gemischtes« Strafsystem. Es will strafen und zugleich bessern. Es vermengt also juristische und anthropologische Prak­ tiken. Keine Gesellschaft unserer Art wäre bereit, zu einer rein »juristischen« Strafpraxis zurückzukehren, aber auch nicht zu einer rein »anthropologischen« Praxis überzugehen, in der allein die Person des Straftäters zählt, ganz unabhängig von seiner Straf­ tat (so schwer sie auch sein mag). Da ist viel zu tun. Wir müssen sehen, ob nicht auch ein anderes System möglich ist. Eine dringende, aber langfristige Aufgabe. Im Augenblick geht es darum, ein Ausrutschen zu vermeiden. Ein Abgleiten ins rein Juristische: ein blindes Strafen (bei dem die Gerichte das Modell des Selbstschutzes übernähmen). Ein Abgleiten ins rein Anthropologische: eine unbestimmte Strafe (bei der Verwaltung, Ärzte und Psychologen nach ihrem Belieben über das Ende der Strafe entschieden). Innerhalb dieser Schere müssen wir uns mit unserer Arbeit be­ wegen, zumindest auf kurze Sicht. Ein Strafurteil hat immer etwas von einer Wette, einer Herausforderung des Gerichts gegenüber dem Strafvollzug: Könnt ihr in einem bestimmten Zeitraum und mit euren Mitteln erreichen, dass der Straftäter ins Gemein­ schaftsleben zurückkehrt und nicht wieder straffällig wird? J. Nobécourt: Ich möchte auf das Problem der Freiheitsstrafe zurückkommen, deren Wirksamkeit Sie bestreiten. Welche Strafe schlagen Sie stattdessen vor? M. Foucault: Das Strafgesetz bedroht nur manche, für andere Menschen möglicherweise schädliche Verhaltensweisen (man den­ ke zum Beispiel an Verkehrsunfälle). Hier sehen wir eine erste Unterteilung, über deren Berechtigung man durchaus streiten könnte. Und von den vielen tatsächlich begangenen Verstößen werden nur einige geahndet (man denke etwa an die Steuerhinter­ ziehung) - eine zweite Unterteilung. Und von all den möglichen Zwangsmaßnahmen, mit denen man einen Straftäter bestrafen könnte, hat unser Strafsystem nur wenige zurückbehalten, die Geld- und die Freiheitsstrafe. Es gäbe noch viele andere Möglichkeiten, zum Beispiel gemeinnützige Arbeit, zusätzliche Arbeit, den Entzug bestimmter Rechte. Und auch die Zwangsmaßnahme selbst könnte noch verändert werden

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durch Systeme der Selbstverpflichtung oder durch Verträge, die den Willen des Einzelnen auf andere Weise binden als der Frei­ heitsentzug. Ich bedauere den heutigen Strafvollzug eher, als dass ich ihm Vorwürfe machte. Man verlangt von ihm, Strafgefangene wieder in die Gesellschaft zu »integrieren«, indem er sie durch das Ge­ fängnis »desintegriert«. /. Nobécourt: Was Sie da verlangen, setzt nicht nur eine Umge­ staltung des Strafvollzugs voraus, sondern auch, dass die Gesell­ schaft den Verurteilten ganz anders sieht. M. Foucault: Strafen ist die schwierigste Sache der Welt. Es ist gut, dass eine Gesellschaft wie die unsrige nach allen Aspekten der Strafe fragt, wie sie allenthalben praktiziert wird: in der Armee, in der Schule, in der Fabrik (hinsichtlich des letzten Punktes hat das Amnestiegesetz den Schleier zum Glück ein wenig gehoben). Ich finde es gut, dass manche der großen moralischen Probleme - wie dieses - wieder in der Politik auftauchen, dass die Moral nach all dem Zynismus heute für die Politik eine neue und ernst­ hafte Herausforderung darstellt. Und ich finde es gut, dass diese Fragen in einer ständigen Wechselwirkung zwischen intellektuel­ ler Arbeit und kollektiven Bewegungen aufgeworfen werden (das sehen wir beim Gefängnis, das sehen wir bei den Einwanderern, das sehen wir beim Verhältnis zwischen den Geschlechtern). Um­ so schlimmer für all jene, die meinen, um sich herum nichts zu sehen, was sehenswert wäre. Sie sind blind. Vieles hat sich in den letzten zwanzig Jahren verändert, und zwar gerade dort, wo Ver­ änderungen besonders wichtig sind: im Denken, denn dort setzten die Menschen sich mit der Wirklichkeit auseinander. Übersetzt von Michael Bischoff

302 Die Antworten von Pierre Vidal-Naquet und Michel Foucault

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Die Antworten von Pierre Vidal-Naquet und Michel Foucault »Les réponses de Pierre Vidal-Naquet et Michel Foucault«, in: Libération, Nr. 185, 18. Dezember 1981, S. 12. Am 13. Dezember 1981 verhängte General Jaruzelski in Polen den Kriegszustand. Am 14. Dezember erklärte der französische Außenminis­ ter Claude Cheysson, es handele sich um eine innere Angelegenheit Po­ lens, in die Frankreich sich nicht einmischen werde. Pierre Bourdieu und Michel Foucault initiierten einen Protestaufruf, in dem sie an ähnliche Fälle einer mangelnden Zusammenarbeit innerhalb der Linken hinwiesen, insbesondere auf das Verhältnis zwischen der Volksfront und der spani­ schen Republik. Daraufhin änderte die französische Regierung ihre Ein­ schätzung und sprach von einer »gravierenden internationalen Angele­ genheit«. Doch am 17. Dezember reagierte der Erste Sekretär der Sozialistischen Partei Lionel Jospin heftig, insbesondere auf den äußerst populären Yves Montand, der den Aufruf im Radio neben Michel Fou­ cault verlesen hatte. Jacques Fauvet, Leiter von Le Monde, wetterte in seinem Blatt gegen die »Linksintellektuellen« [sic!], die den 10. Mai 1981 nicht akzeptieren wollten. Daraufhin lud die Tageszeitung Libération die Unterzeichner des Aufrufs ein, auf diese Angriffe zu antworten.

Seit Sonntag hatte ich zu große Schwierigkeiten, in der Presse und den Medien einen Unwillen zu äußern, den ich keineswegs allein empfinde, als dass ich mich heute Abend mit einer kurzen Ant­ wort an Jospin und Fauvet begnügen wollte. Wenn man mir Ge­ legenheit gäbe, ausführlich darzulegen, was ich sagen möchte, hätte ich manches darauf zu erwidern. Übersetzt von Michael Bischoff

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3° 3

Anmerkungen zu Dingen, die man liest und hört »Notes sur ce qu'on lit et entend«, in: Le Nouvel Observateur, Nr. 893, 19.-25. Dezember 1981, S. 21.

Der falscheste Beweis - Das konnte nicht von Dauer sein. Sie waren an den Punkt ge­ langt, an dem der Bruch unausweichlich war. Jedenfalls ist das ein Abenteuer ohne Zukunft. - Und warum? Weil die Polen nicht fähig wären, diese Erfah­ rung weiterzuentwickeln? Weil sie unfähig wären, ihre Institutio­ nen zu verändern und ein neues Regime einzusetzen? - Nein, weil die Russen es nicht hinnehmen konnten. - Wie Sie sehen, ist der Staatsstreich in Polen durchaus keine innere Angelegenheit.

Die größte Verantwortung - Ihr seid verantwortungslos. Ihr in Paris sitzt in Sicherheit und im Warmen und versucht, die Polen zu bewegen, sich abschlach­ ten zu lassen, damit sie einen blutigen Beweis für euren Antikom­ munismus erbringen. - Die Polen haben nicht die Angewohnheit, sich leicht von außen aufwiegeln zu lassen (gerade jetzt liefern sie wieder einen Beweis dafür; man frage nur einmal die Sowjets). Wir erteilen den Polen keine Ratschläge. Wir können nicht einmal mit ihnen reden, denn die Kommunikationsverbindungen sind unterbrochen. Die Regierung will den Eindruck erwecken, wir sagten den Polen un­ überlegte Dinge, weil sie nicht zur Kenntnis nehmen möchte, dass sie der Adressat unserer Äußerungen ist. Die Polen-Affäre ist Sache der internationalen Gemeinschaft. Die Regierungen der Welt haben die Möglichkeit, auf die polnische und die sowjetische Regierung einzuwirken. Es darf nicht geschehen, dass die Militär­ diktatur in Polen eines Tages zu einer alltäglichen, stummen inne­

303 Anmerkungen zu Dingen, die man liest und hört

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ren Angelegenheit wird, wie es vierzig Jahre lang die Franco-Diktatur war. Falls es dennoch so kommen sollte, werden die Regie­ rungen der Welt die Verantwortung dafür tragen.

Der wichtigste Vertrag - Gegenwärtig verhandelt man über einen äußerst wichtigen Ver­ trag mit der Sowjetunion über die Lieferung von Erdgas aus Sibi­ rien, den Bau von Pipelines nach Westeuropa und die Lieferung der dafür erforderlichen elektronischen Ausrüstung. Das ist ein Grund, sorgfältig nachzudenken und sich nicht von einer Empö­ rung mitreißen zu lassen, die in jedem Falle nicht lange anhalten wird. - Ein Grund mehr, auf kurze und lange Sicht anspruchsvoll zu sein, wenn es um die Rechte der Menschen und die Freiheit der Völker geht. Je enger wir unsere Wirtschaft mit der des Ostens verzahnen, desto größer wird unsere wirtschaftliche Abhängig­ keit, und damit wächst auch unsere politische wie auch moralische Intransigenz. Wir sind es uns selbst schuldig: Es geht um unsere Unabhängigkeit.

Das stabilste Abkommen - Wie Sie wissen, sind wir seit vierzig Jahren im Jalta-Abkommen gefangen, und die Europäer können nichts daran ändern. - Ich weiß, dass dieses Abkommen faktisch eine Teilung Eu­ ropas festlegte und keineswegs ein Friedensvertrag war. In der Helsinki-Akte wurde das Abkommen bestätigt (den Russen lag sehr viel daran), wobei man ein paar Klauseln zur Garantie von Freiheiten und Rechten einfügte. Wie diese Klauseln eingehalten werden, können Sie in Polen sehen. Wer von einer »inneren An­ gelegenheit« spricht, begeht nicht nur eine moralische Ungeheuer­ lichkeit, sondern stimmt auch einer Annullierung der HelsinkiAkte zu und unterschreibt das Jalta-Abkommen. Solch ein Ver­ halten trägt dazu bei, dass Jalta zum Schicksal wird.

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Die beruhigendste Geographie Kürzlich aus dem Munde eines Ministers gehört: »Wollen Sie wirklich den ganzen Marxismus in Frage stellen, nur weil die Dinge in irgendeinem asiatischen Land nicht besonders gut lau­ fen?«

Die letzte Chance Jedem Demonstranten drohen Strafen, von Gefängnis bis hin zum Tod.

Der schönste Aphorismus »Das Proletariat ist äußerst großmütig. Statt seine Gegner zu ver­ nichten, versucht es, moralischen Einfluss auf sie zu nehmen« (Lenin). Übersetzt von Michael Bischoff

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Subjektivität und Wahrheit »Subjectivité et vérité«, in: Annuaire du Collège de France, 81e année, Histoire des systèmes de pensée, année 1980-1981, 1981, S. 385-389.

Da die Vorlesung dieses Jahres in Kürze veröffentlicht werden soll, dürfte hier eine kurze Zusammenfassung genügen. Unter dem allgemeinen Titel »Subjektivität und Wahrheit« möchte ich eine Untersuchung der Selbsterkenntnis in ihren ver­ schiedenen Formen und ihrer Geschichte beginnen: Wie wurde das Subjekt zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen institu­ tioneilen Kontexten als mögliches, wünschenswertes oder sogar unerlässliches Objekt der Erkenntnis etabliert? Wie wurden die Selbsterfahrung und das Wissen über sich selbst in den verschie­ denen Schemata geordnet? Wie wurden diese Schemata definiert, bewertet, empfohlen und durchgesetzt? Es liegt auf der Hand,

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dass weder der Rückgriff auf eine ursprüngliche Erfahrung noch das Studium philosophischer Theorien der Seele, der Gefühle oder des Körpers als Hauptachse solch einer Untersuchung dienen können. Den nützlichsten Leitfaden bieten wohl die »Techniken des Selbst«, wie man sie nennen könnte, also die in allen Kulturen anzutreffenden Verfahren zur Beherrschung oder Erkenntnis sei­ ner selbst, mit denen der Einzelne seine Identität festlegen, auf­ rechterhalten oder im Blick auf bestimmte Ziele verändern kann oder soll. Es geht darum, die für unsere Kultur so typische For­ derung nach Selbsterkenntnis in den umfassenderen Rahmen der mehr oder weniger expliziten Frage zu stellen, was man mit sich selbst tun, welche Arbeit man an sich verrichten und wie man »Herrschaft über sich selbst« erlangen soll durch Aktivitäten, in denen man selbst zugleich Ziel, Handlungsfeld, Mittel und han­ delndes Subjekt ist. Platons Alkibiades kann hier als Ausgangspunkt gelten. Die Frage nach der »Sorge um sich« - epimeleia heautou - erscheint in diesem Text als allgemeiner Rahmen, in dem die Forderung nach Selbsterkenntnis ihre Bedeutung erhält. Die Serie von Stu­ dien, die man daran anschließen könnte, wäre zugleich eine Ge­ schichte der »Sorge um sich« als Erfahrung und damit auch als Technik zur Ausarbeitung und Veränderung dieser Erfahrung. Dieses Projekt liegt am Kreuzungspunkt zweier schon früher be­ handelter Themen: einer Geschichte der Subjektivität und einer Analyse der Formen der »Gouvernementalität«. Der Geschichte der Subjektivität waren wir nachgegangen, indem wir einerseits die in der Gesellschaft im Blick auf Wahnsinn, Krankheit und Kriminalität vorgenommenen Teilungen sowie deren Auswirkun­ gen auf die Konstitution eines vernünftigen, normalen Subjekts erforschten und andererseits die Formen der Objektivierung des Subjekts im Bereich des Wissens über Sprache, Arbeit und Leben erkundeten. Bei der Erforschung der »Gouvernementalität« ging es zunächst um die notwendige Kritik am gängigen Verständnis von »Macht« (das mehr oder weniger konfus als ein einheitliches System mit einem Zentrum gedacht wurde, welches zugleich de­ ren Quelle darstellt und sich aufgrund seiner inneren Dynamik ständig auszudehnen versucht) und im zweiten Schritt um eine Analyse der Macht als Feld strategischer Beziehungen zwischen Individuen oder Gruppen, die auf das Verhalten des oder der

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j anderen zielen und dabei auf ganz unterschiedliche Verfahren I oder Techniken zurückgreifen, welche mit der Zeit, der sozialen i Gruppe und dem institutionellen Rahmen variieren, in dem sie sich entwickeln. Die bereits erschienenen Arbeiten zu Einschlie­ ßung und Disziplin, die Vorlesungen über Staatsräson und die »Kunst des Regierens« sowie der in Vorbereitung befindliche, in Zusammenarbeit mit A. Farge entstandene Band über die Lettres de cachet im 18.Jahrhundert1 sind Elemente dieser Analyse der »Gouvernementalität «. Die Geschichte der »Sorge um sich« und der »Techniken des Selbst« ist also gleichfalls eine Geschichte der Subjektivität, aller­ dings nicht mehr auf dem Weg über die Teilung zwischen Irren und Nichtirren, Kranken und Nichtkranken, Kriminellen und Nichtkriminellen, nicht mehr auf dem Weg über die Konstruktion von Feldern wissenschaftlicher Objektivität, die dem lebenden, sprechenden, arbeitenden Subjekt einen Platz einräumt, sondern über die in unserer Kultur erfolgte Herstellung und Veränderung der »Beziehungen zu sich selbst« samt ihrem technischen Apparat und ihren Auswirkungen auf das Wissen. Man könnte das Prob­ lem auch der »Gouvernementalität« unter einem anderen Blick­ winkel angehen, nämlich dem der Herrschaft über sich selbst im Zusammenhang mit den Beziehungen zu den anderen (wie wir sie in der Pädagogik, den Ratgebern zur Lebensführung, der spiri­ tuellen Anleitung oder den Anweisungen für ein vorbildliches Leben finden). Die in diesem Jahr durchgeführte Studie grenzte diesen allgemei­ nen Rahmen in zweifacher Weise ein. Zum einen historisch: Wir haben untersucht, welche »Lebens-« und »Daseinstechniken« in der griechischen und römischen Kultur von den Philosophen, Sit­ tenlehrern und Ärzten im letzten Jahrhundert vor Christus und den beiden ersten Jahrhunderten nach Christus entwickelt wor­ den sind. Zum anderen haben wir den Gegenstandsbereich einge­ grenzt, indem wir diese Lebenstechniken nur in ihrer Anwendung auf jene Handlungen betrachteten, die von den Griechen aphrodisia genannt wurden - eine Bezeichnung, die mit dem Ausdruck i [M. Foucault und A. Farge, Le Désordre des familles. Lettres de cachet des archives de la Bastille au XVIIIe siede, Paris 1982; dt. Familiäre Konflikte: die »Lettres de cachet« aus den Archiven der Bastille im 18. Jahrhundert^ Frankfurt am Main 1989.]

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»Sexualität« nur unzureichend übersetzt wäre. Die Fragestellung lautete also: In welcher Weise definierten und regulierten die phi­ losophischen und ärztlichen Lebenstechniken am Vorabend der Entwicklung des Christentums die tatsächliche Praxis der sexuel­ len Handlungen, die khrêsis aphrodision? Damit sind wir natür­ lich weit entfernt von einer Geschichte der Sexualität, die sich um die gute alte Repressionshypothese und die üblicherweise damit verbunden Fragen drehte (etwa wie und warum das Begehren unterdrückt wurde). Es geht um Handlungen und Lust, nicht um Begehren. Es geht um die Bildung des Selbst durch Lebens­ techniken und nicht um Verdrängung aufgrund von Verboten und Geboten. Es soll nicht gezeigt werden, wie die Sexualität ins Ab­ seits gedrängt wurde, sondern wie jene lange Geschichte begann, die Sex und Subjekt in unserer Gesellschaft miteinander verbin­ det. Es wäre vollkommen willkürlich, wenn man die erstmalige Entstehung der »Sorge um sich« im Blick auf sexuelle Handlun­ gen mit einer bestimmten Zeit verbinden wollte. Doch die hier vorgeschlagene Eingrenzung (im Umfeld der Techniken des Selbst in den Jahrhunderten unmittelbar vor der Entwicklung des Chris­ tentums) hat durchaus ihre Berechtigung. Denn die »Technologie des Selbst« - das Nachdenken über Lebensweisen, die Wahl einer Lebensform, die Regulierung des eigenen Verhaltens, die Selbst­ zuweisung von Zielen und Mitteln - erfuhr in der hellenistischen und römischen Zeit eine derartige Entwicklung, dass sie die phi­ losophischen Aktivitäten zu einem guten Teil absorbierte. Diese Entwicklung lässt sich nicht trennen vom Wachstum der städti­ schen Gesellschaft, einer neuen Verteilung der politischen Macht oder der wachsenden Bedeutung des neuen Verdienstadels inner­ halb des Römischen Reiches. Die Herrschaft über sich selbst samt den dafür typischen Techniken liegt »zwischen« den pädagogi­ schen Institutionen und den Heilsreligionen. Darunter darf man jedoch keine zeitliche Abfolge verstehen, auch wenn die Frage nach der Heranbildung zukünftiger Bürger offenbar mehr Inte­ resse und Reflexion im klassischen Griechenland und die Frage nach einem Nachleben und dem Jenseits größere Angst in späte­ ren Zeiten auslöste. Wir dürfen auch nicht meinen, Pädagogik, Herrschaft über sich selbst und Seelenheil seien drei vollkommen verschiedene Gebiete mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen

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und Methoden. Tatsächlich gibt es zahlreiche Wechselwirkungen zwischen beiden und auch eine gewisse Kontinuität. Dennoch können wir die für Erwachsene bestimmte Technologie des Selbst in der Breite und dem spezifischen Charakter, die sie zu dieser Zeit erhält, durchaus analysieren, wenn wir sie aus dem Schatten lösen, in den sie im Rückblick durch das große Ansehen der pä­ dagogischen Institutionen und der Heilsreligionen geraten ist. Die in hellenistischer und römischer Zeit entwickelte Kunst der Herrschaft über sich selbst ist bedeutsam für die Ethik der sexuel­ len Handlungen und deren Geschichte. Denn dort - und nicht im Christentum - bildeten sich die Prinzipien des berühmten eheli­ chen Schemas heraus, das eine so lange Geschichte haben sollte: keinerlei sexuelle Aktivitäten außerhalb der ehelichen Beziehung, Betonung der Fortpflanzungsfunktion auf Kosten der Lust, affek­ tive Funktion der Sexualität innerhalb der ehelichen Beziehungen. Doch darüber hinaus entwickelte sich in dieser Technologie des. Selbst eine Besorgnis hinsichtlich der sexuellen Handlungen und ihrer Folgen, deren Urheberschaft man allzu gerne dem Christen­ tum (wenn nicht gar dem Kapitalismus oder der »bürgerlichen Moral«) zuweist. Gewiss, die Frage der sexuellen Handlungen hatte damals noch längst nicht die Bedeutung, die sie später in der christlichen Bewertung des »Fleisches« und der »Fleischeslust« erlangte. Das Problem des Zorns oder das der Schicksalsschläge nimmt im Denken der hellenistischen und römischen Sittenlehrer weit größeren Raum ein als das der sexuellen Beziehungen. Doch auch wenn sie keineswegs an erster Stelle stehen, ist es interessant, auf welche Weise diese Techniken des Selbst das Regime der se­ xuellen Handlungen in einen Zusammenhang mit dem gesamten Dasein stellten. In der diesjährigen Vorlesung haben wir vier Beispiele für die Techniken des Selbst in ihrer Verbindung zum Regime der aphrodisia behandelt. 1. Die Traumdeutung. Das grundlegende Dokument bildet hier das Traumbuch des Artemidor von Daldis, und zwar die Kapitel 78-80 des Ersten Buchs.2 Die dort gestellten Fragen beziehen sich nicht direkt auf die Praxis der sexuellen Handlungen, sondern auf 2 [Artemidor von Daldis, Das Traumbuch (Oneirocritica)> München 1979.]

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den Umgang mit Träumen, in denen sie Vorkommen. In dem Text geht es um die Frage, welche Bedeutung als Voraussage für das alltägliche Leben man solchen Träumen beimessen soll: Welche günstigen oder ungünstigen Ereignisse darf man je nach Art der geträumten sexuellen Beziehungen erwarten? Ein Text dieser Art macht natürlich keine moralischen Vorschriften, aber über die positiven oder negativen Bedeutungen, die er den Traumbildern beimisst, enthüllt er ein ganzes Spektrum von Korrelationen (zwi­ schen sexuellen Handlungen und dem sozialen Leben) und ein ganzes System unterschiedlicher Bewertungen (so dass eine Hie­ rarchie der sexuellen Handlungen sichtbar wird). 2. Ärztliche Regime. Sie plädieren ganz direkt dafür, den se­ xuellen Handlungen ein »Maß« aufzuerlegen. Es ist bemerkens­ wert, dass dieses Maß praktisch nie die Form der sexuellen Hand­ lung betrifft (ob sie natürlich oder unnatürlich, normal oder anomal ist), sondern deren Häufigkeit und Zeitpunkt. Nur quan­ titative und auf die Umstände bezogene Variablen geraten ins Blickfeld. Untersucht man Galens großes theoretisches Gebäude, erkennt man deutlich den Zusammenhang, der dort im medizi­ nischen und philosophischen Denken zwischen sexuellen Hand­ lungen und dem Tod des Einzelnen hergestellt wird. (Weil jeder Einzelne dem Tode geweiht ist, die Gattung aber ewig leben soll, hat die Natur den Mechanismus der geschlechtlichen Fortpflan­ zung erfunden.) Deutlich erkennt man auch den dort postulierten Zusammenhang zwischen der sexuellen Handlung und der gewal­ tigen, heftigen, paroxysmalen Verausgabung von Lebenskraft, die damit verbunden ist. Untersucht man die Regime im engeren Sin­ ne (bei Rufus von Ephesus, Athenäus, Galen, Soranus), zeigt sich in den endlosen Vorsichtsmaßnahmen, die dort empfohlen wer­ den, wie komplex und fein die Beziehungen zwischen den sexuel­ len Handlungen und dem Leben des Einzelnen gedacht wurden: extreme Anfälligkeit des Geschlechtsakts für alle äußeren oder inneren Umstände, die ihn schädlich machen könnten, und ge­ waltige Auswirkungen jedes Geschlechtsakts auf sämtliche Teile und Bestandteile des Körpers. 3. Das Eheleben. In dem betrachteten Zeitraum entstanden zahlreiche Abhandlungen über die Ehe. Die Fragmente des Musonius Rufus, des Antipater von Tarsus oder des Hierokles sowie die Werke des Plutarch zeigen nicht nur, welchen Wert man der

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Ehe beimaß (die nach Ansicht der Historiker ein soziales Phäno­ men darstellt), sie zeigen auch ein neues Verständnis der ehelichen Beziehung. Zu den traditionellen Prinzipien der für die Ordnung des »Hauses« notwendigen Komplementarität beider Geschlech­ ter kommt nun das Ideal einer dualen Beziehung, die sämtliche Aspekte im Leben der Eheleute umfasst und endgültig für die Herstellung einer persönlichen Gefühlsbindung zwischen ihnen sorgt. In dieser Beziehung sollen die sexuellen Handlungen ihren ausschließlichen Ort finden (so verdammt Musonius Rufus den Ehebruch denn auch nicht nur, insofern er das Privileg des Ehe­ manns verletzt, sondern weil er gegen das Band der Ehe verstößt, dem Mann und Frau gleichermaßen verpflichtet sind).3Außerdem sind sie dem Fortpflanzungsziel unterzuordnen, weil darin der naturgegebene Zweck der Ehe besteht. Und schließlich sind sie einer inneren Regulierung durch Schamgefühl, gegenseitige Liebe und wechselseitige Achtung zu unterwerfen (die meisten und wertvollsten Hinweise darauf finden sich bei Plutarch). 4. Die Form der Liebe. Hinsichtlich des klassischen Vergleichs zwischen den beiden Formen von Liebe - zu Frauen und zu Kna­ ben - sind aus dem betrachteten Zeitraum zwei wichtige Texte erhalten geblieben: Der Dialog über die Liebe von Plutarch und die Amores des Pseudo-Lukian.4 Die Analyse beider Texte belegt den Fortbestand eines Problems, das auch die klassische Antike schon kannte: die Schwierigkeit, sexuellen Beziehungen homose­ xueller Art einen Status zu verleihen und sie zu rechtfertigen. Der Dialog des Pseudo-Lukian endet ironisch mit dem Hinweis auf genau jene Handlungen, die Anhänger der Knabenliebe zuguns­ ten der Freundschaft, der Tugend und der Pädagogik zu umgehen versuchten. Plutarchs weit ausführlicherer Text bezeichnet das wechselseitige Einverständnis zur Lust als Wesenselement der aphrodisia und zeigt, dass es solch eine Wechselseitigkeit der Lust nur zwischen Mann und Frau geben kann oder sogar nur in der Ehe, wo sie der regelmäßigen Erneuerung des Ehevertrags dient. Übersetzt von Michael Bischoff

3 [Musonius Rufus, Reliquiae> hg. von O. Hense, Leipzig 1905, Kap. XII, S. 65-67.] 4 [Pseudo-Lukian, Amores. Affairs of the Heart, § 53, in ders., Works, London 1967, S. 220-233. Plutarch, Über die Liebe, Freiburg i.Br. 1958.]

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3°5 Pierre Boulez, der durchstoßene Schirm »Pierre Boulez, l’écran traversé«, in: M. Colin und J.-P. Markovits (Hg.), Dix ans et après. Album souvenir du festival d'automne, Paris 1982, S. 232-236.

Sie fragen mich, wie es war, durch Zufall oder dank des Privilegs einer Freundschaft ein wenig von dem mitbekommen zu haben, was sich vor nun fast dreißig Jahren in der Musik getan hat. Ich war damals nur ein Passant, der aus Zuneigung, Neugier oder einer gewissen Verwirrung heraus stehen blieb und das seltsame Gefühl hatte, etwas mitzuerleben, dessen Zeitgenosse zu sein ich kaum die Fähigkeit hatte. Es war ein glücklicher Zufall, denn die Musik war damals noch frei von Diskursen, die von außen kamen. Die Malerei dieser Zeit machte von sich reden. Zumindest glaubten Ästhetik, Philosophie, Reflexion, Geschmack - und wenn ich mich recht erinnere, auch die Politik - damals das Recht zu haben, etwas darüber zu sagen, und man tat es, als handelte es sich um eine Pflicht: Piero della Francesca, die Venezianer, Cé­ zanne oder Braque. Die Musik war dagegen durch ein Schweigen geschützt, das ihre Vermessenheit deckte. Eine der größten Ver­ änderungen in der Kunst des 20. Jahrhunderts blieb so von Denk­ formen unberührt, in denen uns einzurichten wir damals Gefahr liefen. Ich bin heute ebenso wenig fähig, über Musik zu sprechen, wie damals. Ich weiß nur eines: Weil ich, meist durch Vermittlung eines anderen, ahnte, was bei Boulez geschah, war es mir möglich, mich in jener Welt des Denkens fremd zu fühlen, aus der ich kam, der ich immer noch angehörte und die für mich wie für viele auch weiterhin ihre Überzeugungskraft besaß. Vielleicht war es besser so. Hätte ich diese Erfahrung verstanden, hätte ich womöglich einen Weg gefunden, sie in unangemessener Weise einzuordnen. Man glaubt gerne, eine Kultur hänge stärker an ihren Inhalten als an ihren Formen, so dass die Formen sich leichter verändern,

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aufgeben oder neuerlich aufnehmen ließen. Nur der Sinn sei tief verwurzelt. Wer das meint, verkennt aber, welches Erstaunen oder auch welchen Hass es auslösen kann, wenn Formen sich auflösen oder neue Formen entstehen. Er verkennt, dass man mehr an der Art des Sehens, Sagens, Tuns oder Denkens hängt als an dem, was man sieht, denkt, sagt oder tut. Der Kampf der Formen ist im Westen ebenso heftig geführt worden wie der Kampf der Ideen oder Inhalte und vielleicht sogar noch heftiger. Doch im 20. Jahr­ hundert stellten die Dinge sich ganz anders dar. Nun machte man das »Formale«, die Reflexion über das System der Formen selbst zum Objekt. Und zu einem bemerkenswerten Objekt moralischer Vorwürfe, ästhetischer Debatten und politischer Auseinanderset­ zungen. Boulez und der Musik in einer Zeit zu begegnen, als man die besondere Bedeutung des Sinns, des Erlebens, des Körperlichen, der ursprünglichen Erfahrung, der subjektiven Inhalte und der sozialen Bedeutungen lehrte, das hieß, das 20. Jahrhundert unter einem gar nicht vertrauten Blickwinkel zu betrachten: dem eines langen Kampfes um das »Formale«. Es hieß zu erkennen, dass die Arbeit am Formalen in Russland, in Deutschland, in Österreich, in Mitteleuropa über Musik, Malerei, Architektur oder Philoso­ phie, Linguistik und Mythologie die alten Probleme ganz neu formuliert und die alten Denkweisen erschüttert hatte. Man könn­ te eine ganze Geschichte des Formalen im 20. Jahrhundert schrei­ ben und dabei auszuloten versuchen, in welchem Maße es als verändernde, erneuernde Kraft und als Ort des Denkens jenseits der Bilder des »Formalismus« fungierte, hinter denen man es ger­ ne versteckt hätte. Und man müsste auch seine diffizilen Bezie­ hungen zur Politik aufzeigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in stalinistischen oder faschistischen Ländern sogleich als feind­ liche Ideologie und verachtungswürdige Kunst abgetan wurde. Das Formale war der große Gegner der dogmatischen Akademis­ men und Parteilehren. Der Kampf um das Formale war eines der großen Merkmale der Kultur im 20. Jahrhundert. Zugang zu Mallarmé, Klee, Char, Michaux wie auch später zu Cummings fand Boulez auf ganz geradem Wege, ohne jeden Um­ weg und ohne Vermittlung. Musiker gelangen oft zur Musik, Ma­ ler zur Poesie, Theaterschriftsteller zur Musik durch Vermittlung einer umfassenden Figur oder über eine Ästhetik mit universali-

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sierender Funktion: Romantik, Expressionismus usw. Boulez ging dagegen direkt von einem Punkt zum anderen, von einer Erfah­ rung zur anderen, und zwar nicht aufgrund einer scheinbar idea­ len Verwandtschaft, sondern eines notwendigen Zusammentref­ fens. In einem bestimmten Augenblick seiner Arbeit und weil ihn sein Weg an einen bestimmten Punkt geführt hatte (wobei dieser Punkt und dieser Augenblick gänzlich innerhalb der Musik la­ gen), kam es plötzlich zu einem Zusammentreffen, einer blitzartig aufscheinenden Nähe. Es wäre ganz sinnlos, danach zu fragen, welche gemeinsame Ästhetik oder welches analoge Weltbild hin­ ter den beiden Visage nuptial, den beiden Marteau sans maître standen, dem von Char und dem von Boulez.1 Es gab keine. Mit dem ersten Zusammentreffen begann eine Arbeit des einen am anderen. Die Musik arbeitete das Gedicht heraus, das wiede­ rum die Musik herausarbeitete. Und diese Arbeit war gerade des­ halb so präzise und verlangte eine so genaue Analyse, weil sie nicht auf eine vorgängige Zugehörigkeit vertraute. Diese vom Zufall bestimmte und zugleich reflektierte Herstel­ lung einer Korrelation war eine einzigartige Lektion gegen die Kategorien des Universellen. Es war kein Aufstieg zum höchsten Punkt, keine Suche nach dem möglichst umfassenden Standort, der das meiste Licht schenkt. Das lebendige Licht fällt seitwärts ein, als käme es durch eine Trennwand oder eine Mauer, als nä­ herte man zwei Intensitäten einander an oder überbrückte eine Distanz mit einem einzigen Sprung. Den großen unscharfen Li­ nien, die ein Gesicht verschwimmen lassen und die Kanten glät­ ten, ist die präzise Abgrenzung vorzuziehen. Wer will, mag be­ dauern, dass hier nichts auf einem gemeinsamen Diskurs und einer Gesamttheorie basiert. In der Kunst wie im Denken rechtfertigt sich ein Zusammentreffen allein durch die neue Notwendigkeit, die dadurch geschaffen wird. Boulez hatte ein intensives und kämpferisches Verhältnis zur Geschichte - und damit meine ich die Geschichte seiner eigenen Praxis. Für viele - und auch für mich - blieb er lange ein Rätsel. Boulez verachtete die Einstellung, die in der Vergangenheit ein 1 [R. Char, Le Visage nuptial, in: Fureur et Mystère, Paris 1949; dt. Das bräutliche Antlitz, Frankfurt am Main 1952; Le Marteau sans maître, Paris 1934 und 1945,' dt. Der herrenlose Hammer, Stuttgart 2002.]

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festes Modul sucht, um es in der aktuellen Musik abzuwandeln. Eine »klassizistische« Einstellung nannte er das. Ebenso verach­ tete er jene »archaisierende« Einstellung, welche die aktuelle Mu­ sik zum Ausgangspunkt nimmt, um ihr die künstliche Jugend vergangener Elemente aufzupfropfen. Ich glaube, ihm ging es bei seiner Aufmerksamkeit für die Geschichte darum, dass nichts darin fest bleibt, weder die Gegenwart noch die Vergangenheit. Er wollte, dass beide sich ständig gegeneinander bewegen. Wenn er sich einem gegebenen Werk näherte, um dessen dynamisches Prinzip durch seine möglichst feingliedrige Dekomposition zu finden, versuchte er kein Monument zu schaffen. Er versuchte, es zu durchdringen, »auf die andere Seite zu gelangen«, es so zu zerlegen, das es selbst sich in die Gegenwart hineinzubewegen vermochte. »Es wie einen Schirm durchbohren«, sagt er heute gern im Blick auf jenen Zerstörungsakt, durch den man - wie in Les Paravents2- selbst stirbt und auf die andere Seite des Todes zu gelangen vermag. Dieses Verhältnis zur Geschichte hatte etwas Verwirrendes. Die darin vorausgesetzten Bedeutungen verwiesen nicht auf eine Po­ larität innerhalb der Zeit, auf Fortschritt oder Verfall, und sie definierten keine heiligen Orte. Sie markierten Intensitätspunkte, die zugleich Objekte notwendiger Reflexion waren. Die musika­ lische Analyse war die Form, die dieses Verhältnis zur Geschichte annahm - eine Analyse, die nicht die Anwendungsregeln einer kanonischen Form zu finden, sondern ein Prinzip vielfältiger Be­ ziehungen zu entdecken versuchte. In dieser Praxis entwickelte sich ein Verhältnis zur Geschichte, das Anhäufungen missachtete und sich über Totalitäten lustig machte. Ihr Gesetz war eine gleichzeitige Veränderung der Vergangenheit und der Gegenwart, die beide entwickelt und dadurch zu beiden Distanz schafft. Boulez hat nie die Auffassung vertreten, in der künstlerischen Praxis sei jeder Gedanke überflüssig, der nicht der Reflexion über die Regel einer Technik und über deren Funktionsweise gelte. Auch hat er Valéry kaum gemocht. Vom Denken erwartete er, dass es ihn immer wieder in die Lage versetzte, etwas anderes zu tun, als er gerade tat. Er erwartete, dass es ihm in dem so stark geregelten und reflektierten Spiel, das er spielte, einen neuen Frei­ 2 Q. Genet, Les Paravents, Lyon 1961; dt. Wände überall, Hamburg i960.]

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raum eröffnete. Manche haben ihm technische Beliebigkeit vor­ geworfen, andere ein Übermaß an Theorie. Doch entscheidend für ihn war es, die Praxis so zu denken, dass er ihren inneren Notwendigkeiten möglichst nahe kam, ohne sich ihnen zu beu­ gen, als handelte es sich um unabweisbare Forderungen. Welche Rolle spielt nun das Denken in dem, was man tut, wenn es weder bloßes Know-how noch reine Theorie sein soll? Boulez hat es gezeigt. Es soll die Kraft verleihen, die Regeln in dem Akt, der sie zur Anwendung bringt, zu brechen. Übersetzt von Michael Bischoff

30 6 Subjekt und Macht »The Subject and Power«, in: H. Dreyfus und P. Rabiriow, Michel Foucault: Beyond Structuralism and Hermeneutics, Chicago 1982, S. 208-226.

Was soll eine Erforschung der Macht? Die Frage nach dem Subjekt Die Ideen, die ich hier vortragen möchte, sind kein Ersatz für eine Theorie oder eine Methodologie. Zunächst möchte ich sagen, welches Ziel ich in den letzten zwanzig Jahren in meiner Arbeit verfolgt habe. Es ging mir nicht darum, Machtphänomene zu analysieren oder die Grundlagen für solch eine Analyse zu schaffen. Vielmehr habe ich mich um eine Geschichte _der verschiedenen Formen der Subjektivierung des Menschen in unserer Kultur bemüht. Und zu diesem Zweck habe ich Objektivierungsformen untersucht, die den Menschen zum Subjekt machen. Da sind zunächst die verschiedenen Forschungsweisen, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben. Ich denke zum Bei­ spiel an die Objektivierung des sprechenden Subjekts in der Grammatik, der Philologie und der Sprachwissenschaft. Oder auch an die Objektivierung des produzierenden, arbeitenden Sub­ jekts in den Wirtschaftswissenschaften. Ein drittes Beispiel wäre

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die Objektivierung der bloßen Tatsache des Lebens in Naturge­ schichte oder Biologie. Im zweiten Teil meiner Arbeit habe ich die Objektivierung des Subjekts in den auf Unterscheidung und Teilung ausgerichteten Praktiken untersucht. Das Subjekt wird entweder in sich selbst geteilt oder von den anderen unterschieden und getrennt. Da­ durch wird es zum Objekt. Die Unterscheidung zwischen Irren und Nichtirren, Kranken und Gesunden, Kriminellen und »an­ ständigen Leuten« ist ein Beispiel für diese Bestrebung. Schließlich habe ich zu klären versucht - und daran arbeite ich auch gegenwärtig noch -, auf welche Weise ein Mensch zum Sub­ jekt wird. Dabei habe ich meine Forschung auf die Sexualität aus­ gerichtet und zum Beispiel untersucht, auf welche Weise der Mensch gelernt hat, sich als Subjekt einer »Sexualität« zu begreifen. Das umfassende Thema meiner Arbeit ist also nicht die Macht, sondern das Subjekt. Allerdings ist es richtig, dass ich mich veranlasst sah, mich auch näher für das Problem der Macht zu interessieren. Mir wurde rasch klar, wenn das menschliche Subjekt in Produktionsverhält­ nisse und Sinnbeziehungen eingebunden ist, dann ist es zugleich auch in hochkomplexe Machtbeziehungen eingebunden. Nun zeigt sich aber, dass wir dank der Geschichtswissenschaft und der Ökonomie über angemessene Instrumente zur Erforschung der Produktionsverhältnisse verfügen, während Sprachwissen­ schaft und Semiotik Instrumente zur Erforschung von Sinnbezie­ hungen bereitstellen. Doch für die Analyse der Machtbeziehun­ gen fehlten bislang die entsprechenden Werkzeuge. Macht dachte man entweder im Rahmen rechtlicher Modelle (Wodurch wird Macht legitimiert?) oder im Rahmen institutioneller Modelle (Was ist der Staat?). Ich musste daher die Dimensionen einer Definition der Macht erweitern, wenn ich diese Definition für die Erforschung der Ob­ jektivierung des Subjekts benutzen wollte. Brauchen wir eine Theorie der Macht? Da jede Theorie eine Objektivierung voraussetzt, kann keine Theorie als Grundlage für die Analyse dienen. Aber man kann keine Analyse vornehmen, ohne vorher die behandelten Probleme in Begriffe zu fassen. Und diese Begriffsbildung setzt kritisches Denken und eine ständige Verifizierung voraus.

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Zunächst müssen wir die »begrifflichen Erfordernisse« klären, wie ich sie nennen möchte. Damit meine ich, dass die Begriffs­ bildung nicht mit einer Theorie des Objekts vermengt werden darf. Das begrifflich zu erfassende Objekt ist nicht das einzige Geltungskriterium für die Begriffsbildung. Wir müssen auch die historischen Bedingungen kennen, die eine bestimmte Art der Be­ griffsbildung motivieren. Wir brauchen ein geschichtliches Be­ wusstsein der Situation, in der wir leben. Zweitens müssen wir klären, mit welcher Art von Realität wir es zu tun haben. Ein Journalist einer großen französischen Tageszeitung fragte einmal verwundert: »Warum werfen heute so viele die Frage der Macht auf? Ist das ein wichtiges Thema? Und ein so unabhängi­ ges, dass man darüber sprechen kann, ohne auch andere Probleme zu berücksichtigen?« Diese Verwunderung hat mich überrascht. Es fällt mir schwer zu glauben, dass diese Frage erst im 20. Jahrhundert aufgeworfen wurde. Für uns jedenfalls ist Macht keineswegs nur eine theore­ tische Frage, sondern Teil unserer Erfahrung. Ich erinnere nur an zwei ihrer »pathologischen Formen«, den Faschismus und den Stalinismus, diese beiden »Krankheiten der Macht«. Neben vielen anderen Gründen beunruhigen sie uns gerade deshalb, weil sie trotz ihrer historischen Einzigartigkeit keineswegs originell sind. Faschismus und Stalinismus haben Mechanismen genutzt und ausgebaut, die in den meisten anderen Gesellschaften bereits zu finden waren. Und nicht nur das. Trotz ihres inneren Wahnsinns griffen sie in weitem Maße auf die Ideen und Verfahren unserer politischen Rationalität zurück. Wir brauchen daher eine neue Ökonomie der Machtbeziehun­ gen - und den Ausdruck »Ökonomie« verwende ich hier sowohl im theoretischen als auch im praktischen Sinne. Ich kann es auch anders ausdrücken: Seit Kant hat die Philosophie die Aufgabe, zu verhindern, dass die Vernunft die Grenzen des in der Erfahrung Gegebenen überschreitet, doch seit dieser Zeit - das heißt seit der Entstehung des Staates und der politischen Verwaltung der Ge­ sellschaft - hat sie auch die Aufgabe, die überzogene Macht der politischen Rationalität zu überwachen. Und das ist sehr viel ver­ langt. Das alles sind äußerst banale Tatsachen, und jedermann kennt

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sie. Aber bei aller Banalität sind es dennoch Tatsachen. Und wenn man es mit banalen Tatsachen zu tun hat, muss man herausfinden - oder zumindest versuchen herauszufinden -, welche spezifi­ schen und möglicherweise ganz besonderen Probleme damit ver­ bunden sind. Der Zusammenhang zwischen Rationalisierung und überzoge­ ner politischer Macht liegt auf der Hand. Und wir brauchten nicht erst auf die Bürokratie oder die Konzentrationslager zu warten, um zu erkennen, dass es solche Zusammenhänge gibt. Die Frage ist nur: Was fangen wir damit an? Müssen wir der Vernunft den Prozess machen? Nichts wäre in meinen Augen fruchtloser. Zunächst einmal, weil unser Thema nichts mit der Frage nach Schuld oder Unschuld zu tun hat. So­ dann weil es absurd ist, auf die Vernunft als Gegensatz zur Un­ vernunft zu verweisen. Und schließlich weil solch ein Prozess uns dazu verdammte, die willkürliche und unerquickliche Rolle des Rationalisten oder des Irrationalisten zu spielen. Sollen wir versuchen, jene Art von Rationalismus zu analysie­ ren, die ein typisches Merkmal unserer modernen Kultur darstellt und sich am Grunde der Aufklärung1 findet? Diesen Weg sind einige Mitglieder der Frankfurter Schule gegangen. Ich möchte jedoch keine Diskussion über deren Arbeiten beginnen, so wich­ tig und kostbar sie sein mögen, sondern einen anderen Weg zur Analyse des Verhältnisses zwischen Rationalisierung und Macht vorschlagen. Ohne Zweifel ist es klüger, die Rationalisierung der Gesell­ schaft oder der Kultur nicht global zu betrachten, sondern in einzelnen Bereichen zu untersuchen, die jeweils auf eine Grund­ erfahrung verweisen: Wahnsinn, Krankheit, Tod, Verbrechen, Se­ xualität usw. Ich halte den Ausdruck »Rationalisierung« für gefährlich. Wir sollten spezifische Rationalitäten analysieren, statt immer nur auf die fortschreitende Rationalisierung insgesamt zu schauen. Die Aufklärung war zwar eine sehr wichtige Phase in unserer Geschichte und in der Entwicklung der politischen Technologie, aber ich glaube, wir müssen auf sehr viel weiter zurückliegende Prozesse zurückgehen, wenn wir verstehen wollen, über welche 1 [Im Original deutsch.]

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Mechanismen wir zu Gefangenen unserer eigenen Geschichte ge­ worden sind. Ich möchte hier einen anderen Weg zu einer neuen Ökonomie der Machtbeziehungen vorschlagen, der stärker empirisch ausge­ richtet und unmittelbarer mit unserer gegenwärtigen Situation verbunden ist, aber auch eine engere Verbindung zwischen Theo­ rie und Praxis impliziert. Dieser neue Forschungsansatz wählt als Ausgangspunkt den jeweiligen Widerstand gegen die verschiede­ nen Formen von Macht. Oder um es mit einem anderen Bild zu sagen, er benutzt diesen Widerstand als chemischen Katalysator, der die Machtbeziehungen sichtbar macht und zeigt, wo sie zu finden sind, wo sie ansetzen und mit welchen Methoden sie arbei­ ten. Statt die Macht im Blick auf ihre innere Rationalität zu ana­ lysieren, möchte ich die Machtbeziehungen über das Wechselspiel gegensätzlicher Strategien untersuchen. Will man zum Beispiel verstehen, was die Gesellschaft unter geistiger Gesundheit versteht, muss man untersuchen, was auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten geschieht. Wenn wir wissen wollen, was wir mit Gesetzlichkeit meinen, müssen wir analysie­ ren, was im Bereich der Gesetzlosigkeit geschieht. Und wenn wir wissen möchten, was Machtbeziehungen sind, müssen wir viel­ leicht die Widerstände dagegen untersuchen und die Bemühun­ gen, diese Beziehungen aufzulösen. Ich schlage daher vor, zum Ausgangspunkt eine Reihe von Wi­ derständen zu nehmen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben: den Widerstand gegen die Macht der Männer über die Frauen, der Eltern über ihre Kinder, der Psychiatrie über die Geisteskranken, der Medizin über die Bevölkerung, der staat­ lichen Verwaltung über die Lebensweise der Menschen. Es reicht nicht, wenn man sagt, bei diesem Widerstand handle es sich um einen Kampf gegen die Autorität. Wir müssen schon genauer bestimmen, was diese Kämpfe gemeinsam haben. 1. Es handelt sich um »transversale« Kämpfe. Damit meine ich, dass sie sich nicht auf ein einzelnes Land beschränken. Na­ türlich sind die Bedingungen in manchen Ländern besonders günstig für ihre Entstehung und Ausbreitung, doch sie sind nicht auf bestimmte politische oder ökonomische Systeme be­ schränkt. 2. Das Ziel dieser Kämpfe sind die Auswirkungen der Macht

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als solche. So wirft man dem Ärztestand nicht in erster Linie vor, aus dem Arztberuf ein Geschäft zu machen, sondern eine nicht kontrollierte Macht über den Körper, über die Gesundheit, über Leben und Tod der Menschen auszuüben. 3. Es handelt sich um »unmittelbare« Kämpfe, und das aus zwei Gründen. Erstens kritisieren die Menschen jene Macht­ instanzen, die ihnen am nächsten sind und auf den Einzelnen ein­ wirken. Sie suchen nicht nach dem »Feind Nr. 1«, sondern nach dem unmittelbaren Gegner. Zweitens denken sie nicht, dass die Lösung ihrer Probleme irgendwo in der Zukunft läge (das heißt im Versprechen einer Befreiung oder einer Revolution, in der Hoffnung auf ein Ende des Klassenkampfes). Im Vergleich zu einer theoretischen Erklärungsebene oder zur Frage der Revolu­ tion, die eine Polarisierung unter den Historikern bewirkt, sind das anarchische Kämpfe. Doch damit haben wir noch nicht ihre typischsten Merkmale erfasst. Ihre Besonderheit liegt vielmehr in folgenden Eigenschaf­ ten: 4. Es handelt sich um Kämpfe, die den Status des Individuums in Frage stellen. Einerseits treten sie für das Recht auf Anderssein ein und betonen alles, was die Individualität des Individuums aus­ macht. Andererseits wenden sie sich gegen alles, was das Indivi­ duum zu isolieren und von den anderen abzuschneiden vermag, was die Gemeinschaft spaltet, was den Einzelnen zwingt, sich in sich selbst zurückzuziehen, und was ihn an seine eigene Identität bindet. Diese Kämpfe werden nicht für oder gegen das »Individuum« ausgetragen, sondern gegen die »Lenkung durch Individualisie­ rung«, wie man sie nennen könnte. 5. Sie leisten Widerstand gegen alle Formen von Macht, die in einem Zusammenhang mit Wissen, Kompetenz und Qualifikation stehen. Sie kämpfen gegen die Privilegien des Wissens. Aber sie wenden sich auch gegen Mysterien, Deformationen und Mystifi­ kationen jeglicher Art in den Vorstellungen, die man den Men­ schen aufzwingen möchte. In alledem liegt jedoch nichts »Szientistisches« (also kein dog­ matischer Glaube an den Wert wissenschaftlichen Wissens), aber auch keine skeptische oder relativistische Ablehnung jeder gesi­ cherten Wahrheit. In Frage gestellt wird hier vielmehr die Art und

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Weise, wie Wissen zirkuliert und funktioniert, ihr Verhältnis zur Macht. Kurz: das Wissensregime. 6. Und schließlich geht es in allen gegenwärtigen Kämpfen um die Frage: Wer sind wir? Sie wenden sich gegen jene Abstraktio­ nen und jene Gewalt, die der ökonomische und ideologische Staat ausübt, ohne zu wissen, wer wir als Individuum sind, wie auch gegen die wissenschaftliche oder administrative Inquisition, die unsere Identität festlegt. Insgesamt richten sich diese Kämpfe also nicht in erster Linie gegen bestimmte Machtinstitutionen, Gruppen, Klassen oder Eli­ ten, sondern gegen eine bestimmte Machttechnik oder Machtform. Diese Machtform gilt dem unmittelbaren Alltagsleben, das die Individuen in Kategorien einteilt, ihnen ihre Individualität zu­ weist, sie an ihre Identität bindet und ihnen das Gesetz einer Wahrheit auferlegt, die sie in sich selbst und die anderen in ihnen zu erkennen haben. Diese Machtform verwandelt die Individuen in Subjekte. Das Wort »Subjekt« hat zwei Bedeutungen: Es be­ zeichnet das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterwor­ fen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und es bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine ei­ gene Identität gebunden ist. In beiden Fällen suggeriert das Wort eine Form von Macht, die unterjocht und unterwirft. Ganz allgemein gibt es drei Arten von Kämpfen. Die einen richten sich gegen die (ethnischen, sozialen und religiösen) For­ men von Herrschaft, andere prangern die Ausbeutung an, die den Einzelnen von seinem Erzeugnis trennt, und wieder andere kämp­ fen gegen alles, was den Einzelnen an sich selbst bindet und da­ durch seine Unterwerfung unter die anderen sicherstellt (Kämpfe gegen die »Objektivierung« und die verschiedenen Formen der Unterordnung). Die Geschichte ist reich an Beispielen für diese drei Arten so­ zialer Kämpfe, ob sie nun isoliert oder in Verbindung mit anderen auftraten. Doch auch wenn diese Kämpfe sich miteinander mi­ schen, dominiert fast immer eine ihrer Formen. So stand in der Feudalgesellschaft der Kampf gegen ethnische oder soziale Herr­ schaft im Vordergrund, aber auch die ökonomische Ausbeutung war ein wichtiger Faktor in der Entstehung von Revolten. Im 19. Jahrhundert trat dann der Kampf gegen die Ausbeutung in den Vordergrund.

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Und heute gewinnt der Kampf gegen die Formen der »Objek­ tivierung« - gegen die Unterwerfung der Subjektivität - immer größere Bedeutung, auch wenn der Kampf gegen Herrschaft und Ausbeutung nicht verschwunden ist, im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, es ist nicht das erste Mal, dass unsere Gesellschaft sich mit Kämpfen dieses Typs konfrontiert sieht. All jene Bewegungen, die ihren Ausgang im 15. und 16. Jahrhundert nahmen und ihren Ausdruck wie auch ihre Rechtfertigung in der Reformation fanden, müssen als Anzeichen einer schweren Krise im westlichen Verständnis der Subjektivität und als Indiz einer Revolte gegen jene Form religiöser und moralischer Macht ver­ standen werden, welche dieser Subjektivität im Mittelalter Gestalt verliehen hatte. Das damals empfundene Bedürfnis nach einer direkten Beteiligung am spirituellen Leben, an der Heilsarbeit und an der Wahrheit der Bibel - all das zeugt von einem Kampf für eine neue Subjektivität. Ich weiß sehr wohl, welche Einwände man hier erheben könn­ te. Man könnte sagen, bei all diesen Formen der »Objektivierung« handele es sich um abgeleitete Erscheinungen, um die Folgen anderer, nämlich ökonomischer und sozialer Prozesse: der Pro­ duktivkräfte, Klassenkämpfe und ideologischen Strukturen, die den jeweiligen Subjektivitätstyp bestimmten. Natürlich kann man die Mechanismen der »Objektivierung« nicht erforschen, ohne deren Beziehungen zu den Herrschafts­ und Ausbeutungsmechanismen zu berücksichtigen. Doch die Me­ chanismen der »Objektivierung« bilden nicht einfach den »End­ punkt« anderer, fundamentalerer Mechanismen. Vielmehr unter­ halten sie komplexe, zirkuläre Beziehungen untereinander. Der Kampf gegen die »Objektivierung« steht in unserer Ge­ sellschaft deshalb im Vordergrund, weil sich seit dem 16. Jahr­ hundert kontinuierlich eine neue Form politischer Macht entwi­ ckelt hat. Diese neue politische Struktur ist bekanntlich der Staat. Doch in den meisten Fällen wird der Staat als eine Form politi­ scher Macht verstanden, die keine Rücksicht auf den Einzelnen nimmt, sondern allein die Interessen der Gemeinschaft verfolgt oder eher noch die einer Klasse oder einer Gruppe ausgewählter Bürger. Das ist vollkommen richtig. Und dennoch möchte ich hervor­ heben, dass die Macht des Staates - darin liegt einer der Gründe

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für seine Stärke - eine zugleich globalisierende und totalisierende Form von Macht ist. Nirgendwo sonst in der Geschichte der menschlichen Gesellschaften - nicht einmal in der alten chine­ sischen Gesellschaft - findet sich, wie ich glaube, innerhalb der politischen Strukturen eine so komplexe Verbindung zwischen Techniken der Individualisierung und totalisierenden Verfahren. Der Grund liegt in der Tatsache, dass der moderne westliche Staat in neuer politischer Form eine alte Machttechnik aufgriff, die in den christlichen Institutionen entstanden war. Diese Macht­ technik wollen wir als Pastoralmacht bezeichnen. Zu Beginn ein paar Worte über diese Pastoralmacht. Man hat oft gesagt, das Christentum habe einen Sittenkodex hervorgebracht, der sich grundlegend von dem der antiken Welt unterschied. Nicht so oft wird die Tatsache erwähnt, dass es auch neue Machtbeziehungen entwickelte und in der gesamten antiken Welt verbreitete. Das Christentum ist die einzige Religion, die sich als Kirche organisiert hat. Und als Kirche vertritt es eine Theorie, wonach manche Menschen aufgrund einer religiösen Qualität die Fähig­ keit besitzen, anderen zu dienen, und zwar nicht als Fürsten, Richter, Propheten, Wahrsager, Wohltäter oder Erzieher, sondern als Hirten. Aber diese Form bezeichnet eine ganz bestimmte Form von Macht. 1. Es handelt sich um eine Form von Macht, die das Seelenheil des Einzelnen im Jenseits sichern soll. 2. Die Pastoralmacht ist keine bloß ordnende Macht. Ihr Inha­ ber, der Hirte, muss auch bereit sein, sich für das Leben und das Seelenheil seiner Herde zu opfern. Darin unterscheidet sie sich von der Macht des Herrschers, der von seinen Untertanen ver­ langen kann, dass sie sich opfern, um den Thron zu retten. 3. Es handelt sich um eine Form von Macht, die sich nicht nur um die Gemeinschaft als ganze kümmert, sondern um jeden Ein­ zelnen, und das sein Leben lang. 4. Schließlich lässt sich diese Form von Macht nur ausüben, wenn man weiß, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, wenn man ihre Seele erforscht, wenn man sie zwingt, ihre intims­ ten Geheimnisse preiszugeben. Sie setzt voraus, dass man das Bewusstsein des Einzelnen kennt und zu lenken vermag. Diese Form von Macht ist auf das Seelenheil ausgerichtet (im

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Unterschied zur politischen Macht). Sie ist opferbereit (im Unter­ schied zum Herrschaftsprinzip), und sie individualisiert (im Un­ terschied zur richterlichen Macht). Sie ist koextensiv mit dem Leben und dessen Fortsetzung nach dem Tod. Sie ist mit der Er­ zeugung von Wahrheit verbunden, und zwar der Wahrheit des Einzelnen. Sie werden sagen, all das gehöre der Vergangenheit an, da die Pastoralmacht zwar nicht vollkommen verschwunden sei, aber doch ihre Wirksamkeit im Wesentlichen verloren habe. Das ist richtig, aber ich glaube, wir müssen hier zwei Aspekte der Pastoralmacht unterscheiden: die kirchliche Institutionalisie­ rung, die verschwunden ist oder zumindest seit dem 18. Jahrhun­ dert ihre Kraft eingebüßt hat, und die Funktion dieser Institutio­ nalisierung, die sich außerhalb der Institution Kirche ausgebreitet und weiterentwickelt hat. Um das 18.Jahrhundert kam es zu einer wichtigen Erschei­ nung: einer neuen Verteilung und Organisation dieser individua­ lisierenden Machtform. Ich glaube nicht, dass der »moderne Staat« als eine Entität gel­ ten muss, die sich unter Missachtung des Individuums und seiner existenziellen Eigenheit entwickelt hat, sondern als eine hoch elaborierte Struktur, in die sich die Individuen integrieren lassen, sofern man dieser Individualität eine neue Form verleiht und sie einer Reihe spezifischer Mechanismen unterwirft. In gewissem Sinne kann man im Staat eine Matrix der Indivi­ dualisierung oder eine neue Form von Pastoralmacht erblicken. Ich möchte noch ein paar Worte zu dieser neuen Pastoralmacht sagen. 1. Sie erfuhr in ihrer Entwicklung einen Wechsel der Zielset­ zung. Aus der Sorge um das Heil der Menschen im Jenseits wurde die Sorge um ihr Heil im Diesseits. In diesem Kontext erhält das Wort »Heil« mehrere Bedeutungen; es meint nun Gesundheit, Wohlergehen (im Sinne eines angemessenen Lebensstandards und ausreichender Ressourcen), Sicherheit und Schutz vor Un­ fällen aller Art. Die religiöse Zielsetzung des traditionellen Hir­ tenamtes wurde durch eine Reihe »irdischer« Ziele ersetzt, die man allerdings auch bisher schon nebenher verfolgt hatte, so dass der Wechsel nicht sonderlich schwer fiel. Man denke nur an die medizinischen Aufgaben und die soziale Funktion, die von der

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katholischen und der protestantischen Kirche seit langem schon erfüllt wurden. 2. Daneben verstärkte man auch die Verwaltung der Pastoral­ macht. Manchmal wurde diese Machtform vom Staatsapparat oder zumindest von einer öffentlichen Institution wie der Polizei ausgeübt. (Vergessen wir nicht, dass die Polizei im 18. Jahrhundert nicht nur zur Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung und zum Schutz der Regierenden vor ihren Feinden erfunden wurde, sondern auch zur Sicherung der Versorgung in den Städten, zum Schutz der Hygiene, der Gesundheit und all der Bedingungen, die als notwendig für die Entwicklung des Handwerks und des Han­ dels galten.) Manchmal wurde sie auch von privaten Einrichtun­ gen, Hilfsvereinen, einzelnen Wohltätern oder von Philanthropen ausgeübt. Auf der anderen Seite mobilisierte man auch alte Insti­ tutionen wie die Familie für pastorale Funktionen. Und schließ­ lich wurde die Pastoralmacht auch von komplexen Strukturen wie der Medizin ausgeübt, die zugleich auf privater Initiative (dem Verkauf von Dienstleistungen im Rahmen der Marktökonomie) und auf öffentlichen Einrichtungen wie den Krankenhäusern ba­ sierten. 3. Dank der Vermehrung der Zielsetzungen und Träger der Pastoralmacht konnte die Entwicklung des Wissens über den Menschen sich auf zwei Pole konzentrieren, einen globalisieren­ den und quantitativen, der die Bevölkerung betraf, und einen ana­ lytischen, der dem Individuum galt. In der Folge breitete sich die Pastoralmacht, die über Jahrhun­ derte, ja über mehr als ein Jahrtausend mit einer ganz bestimmten religiösen Institution verbunden gewesen war, auf die gesamte Gesellschaft aus und stützte sich auf eine ganze Reihe von Insti­ tutionen. Statt einer mehr oder weniger deutlichen Trennung und eines Rivalitätsverhältnisses zwischen Pastoralmacht und politi­ scher Macht entwickelte sich eine »Taktik« der Individualisierung, die für diverse Machtformen typisch war, für die der Familie, der Medizin, der Psychiatrie, des Bildungswesens, der Arbeitgeber usw. Ende des 18. Jahrhunderts publizierte Kant in der Berliner Mo­ natsschrift einen kurzen Text mit dem Titel »Was heißt Aufklä­ rung?«, der lange Zeit als weniger bedeutend galt und vielfach auch heute noch so eingeschätzt wird.

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Ich finde ihn jedoch erstaunlich und interessant, weil sich dort ein Philosoph zum ersten Mal als Philosoph die Aufgabe stellt, nicht nur das System oder die metaphysischen Grundlagen wis­ senschaftlicher Erkenntnis, sondern ein historisches Geschehen zu analysieren, und noch dazu ein ganz aktuelles. Als Kant 1784 fragt: »Was ist Aufklärung?«, da meint er damit: »Was geschieht da gegenwärtig? Was geschieht mit uns? Was ist das für eine Welt und eine Zeit, in der wir leben?« Oder anders gefragt: »Wer sind wir?« Wer sind wir als Auf­ klärer, als Zeugen dieses Jahrhunderts der Aufklärung? Verglei­ chen wir diese Frage mit der kartesischen Frage: Wer bin ich? Wer bin ich als dieses einzigartige, aber universelle und nichtgeschicht­ liche Subjekt? Wer bin ich? Denn dieses »Ich« des Descartes ist jedermann, ganz gleich wo und wann er lebt. Kant stellt eine andere Frage: Wer sind wir in diesem ganz be­ stimmten geschichtlichen Augenblick? Diese Frage analysiert uns und unsere aktuelle Situation. Dieser Aspekt der Philosophie erlangte dann immer größere Bedeutung. Man denke nur an Hegel und Nietzsche. Der andere Aspekt, die »universelle Philosophie«, ist nicht ver­ schwunden. Doch die kritische Analyse der Welt, in der wir leben, wurde immer mehr zur großen Aufgabe der Philosophie. Das philosophische Problem, das sich uns ganz unvermeidlich auf­ drängt, ist die Frage nach unserer Zeit und danach, was wir in diesem Augenblick sind. Das Hauptziel besteht heute zweifellos nicht darin, herauszu­ finden, sondern abzulehnen, was wir sind. Wir müssen uns vor­ stellen und konstruieren, was wir sein könnten, wenn wir uns dem doppelten politischen Zwang entziehen wollen, der in der gleich­ zeitigen Individualisierung und Totalisierung der modernen Machtstrukturen liegt. Abschließend könnte man sagen, das gleichermaßen politische, ethische, soziale und philosophische Problem, das sich uns heute stellt, ist nicht der Versuch, das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns selbst vom Staat und der damit verbundenen Form von Individualisierung zu befreien. Wir müssen nach neuen Formen von Subjektivität suchen und die Art von Individualität zurückweisen, die man uns seit Jahrhunderten aufzwingt.

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Wie wird Macht ausgeübt? Manche meinen, wer nach dem »Wie« der Macht fragt, beschrän­ ke sich darauf, die Wirkungen zu beschreiben, ohne jemals einen Zusammenhang mit den Ursachen oder dem Wesen der Macht herzustellen. Dadurch werde die Macht zu einer geheimnisvollen Substanz, über die man keine Fragen stellt, weil man sie lieber nicht »in Frage stellt«. Hinter diesem, wie sie meinen, unbewuss­ ten Vorgehen vermuten sie eine fatalistische Einstellung. Aber zeigt nicht gerade dieser Verdacht, dass sie selbst unterstellen, Macht sei etwas, das einerseits einen Ursprung, andererseits ein Wesen und schließlich auch seine Äußerungsformen besitze. Wenn ich der Frage nach dem »Wie« vorläufig den Vorzug ge­ be, so heißt das nicht, dass ich die Frage nach dem Was und Warum gar nicht stellen wollte. Ich will sie nur anders stellen. Ich möchte wissen, ob wir uns Macht als etwas vorstellen dürfen, das ein Was, ein Wie und ein Warum in sich vereint. Etwas zuge­ spitzt könnte ich sagen, wenn ich die Analyse mit dem »Wie« beginne, äußere ich damit den Verdacht, dass es Macht gar nicht gibt. Jedenfalls frage ich, was man eigentlich inhaltlich meint, wenn man diesen majestätischen, globalisierenden, substanzialisierenden Ausdruck gebraucht. Und ich habe den Verdacht, dass man eine recht komplexe Realität außer Acht lässt, wenn man immer nur fragt: »Was ist Macht? Woher kommt Macht?« Die kleine, platte, zur Erkundung des Terrains vorausgeschickte em­ pirische Frage, wie denn Macht ausgeübt wird, soll keine falsche »Metaphysik« oder »Ontologie« der Macht, sondern eine kriti­ sche Erforschung des Themas Macht vorbereiten. 1. Die Frage lautet nicht, wie Macht sich manifestiert, sondern wie sie ausgeübt wird, also was da geschieht, wenn jemand, wie man sagt, Macht über andere ausübt. Von dieser Macht müssen wir zunächst die Macht unterscheiden, die man über Dinge ausübt, so dass man sie verändern, benutzen, verbrauchen oder zerstören kann, eine Macht, die auf unmittelbar körperliche oder über Werkzeuge vermittelte Fertigkeiten ver­ weist. Wir können sagen, es handelt sich um »Fähigkeiten«. Cha-

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rakteristisch für die »Macht«, die wir hier analysieren möchten, ist dagegen die Tatsache, dass sie Beziehungen zwischen Individuen (oder Gruppen) ins Spiel bringt. Denn eines sollte klar sein: Wenn wir von der Macht der Gesetze, der Institutionen oder der Ideo­ logien sprechen, dann meinen wir damit immer, dass »manche Menschen« Macht über andere ausüben. Der Ausdruck »Macht« bezeichnet eine Beziehung unter »Partnern« (und damit meine ich kein Spiel, sondern lediglich und für den Augenblick noch sehr allgemein ein Ensemble wechselseitig induzierter und aufeinander reagierender Handlungen). Von den Machtbeziehungen zu unterscheiden sind außerdem die Kommunikationsbeziehungen, die über eine Sprache, ein Zei­ chensystem oder ein anderes symbolisches Medium Information übertragen. Natürlich heißt Kommunizieren immer auch, in ge­ wisser Weise auf den oder die anderen einzuwirken. Doch die Erzeugung und Verbreitung von Bedeutungselementen kann auch Machteffekte zum Ziel oder zur Folge haben, und solche Macht­ effekte stellen keineswegs bloß einen Aspekt dieser Prozesse dar. Machtbeziehungen haben ihre Besonderheit, ob sie nun über Kommunikationssysteme vermittelt sind oder nicht. »Machtbeziehungen«, »Kommunikationsbeziehungen« und »ob­ jektive Fähigkeiten« dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Das heißt allerdings nicht, dass es sich dabei um getrennte Bereiche handelte: auf der einen Seite den Bereich der Dinge, der zweckge­ richteten Technik, der Arbeit und der Umwandlung materieller Dinge, auf der anderen Seite um den der Zeichen, der Kommuni­ kation, der Reziprozität und Erzeugung von Sinn und schließlich um den Bereich der Herrschaft über die Zwangsmittel, der Un­ gleichheit und der Einwirkung der Menschen auf Menschen.2 Es handelt sich hier um drei Arten von Beziehungen, die in Wirklich­ keit eng miteinander verschränkt sind, sich gegenseitig stützen und einander als Instrument dienen. Der Einsatz objektiver Fähigkei­ ten setzt schon in seinen elementarsten Formen Kommunikations­ beziehungen voraus (in Gestalt vorgängiger Information oder ge­ meinsamer Arbeit). Und er ist auch mit Machtbeziehungen verbunden (obligatorische Aufgaben, durch Tradition oder eine 2 Wenn Habermas zwischen Herrschaft, Kommunikation und zweckrationalem Handeln unterscheidet, sieht er darin meines Erachtens nicht drei verschiedene Bereiche, sondern drei »Transzendentalien«.

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Lehre vorgeschriebene Handgriffe, mehr oder weniger obligatori­ sche Formen der Arbeitsteilung). Kommunikationsbeziehungen setzen zweckrationales Handeln voraus (und sei es nur die »kor­ rekte« Anwendung bedeutungstragender Elemente), und schon weil sie den Informationsstand der Partner verändern, induzieren sie Machteffekte. Machtbeziehungen wiederum laufen zu ganz er­ heblichen Teilen über die Erzeugung und den Austausch von Zei­ chen, und auch vom zweckrationalen Handeln sind sie kaum zu trennen, seien es nun solche Handlungsformen, die erst die Aus­ übung dieser Macht ermöglichen (wie die Techniken der Abrich­ tung, der Herrschaft und der Sicherung von Gehorsam), oder sol­ che, die zu ihrer Entfaltung ihrerseits auf Machtbeziehungen zurückgreifen (etwa in der Arbeitsteilung oder in der Hierarchie der Aufgaben). Natürlich erfolgt die Koordination dieser drei Beziehungsarten nicht immer und überall auf die gleiche Weise. In einer Gesell­ schaft gibt es keine generelle Form eines Gleichgewichts zwi­ schen zweckrationalem Handeln, Kommunikationssystemen und Machtbeziehungen. Dieses Wechselverhältnis stellt sich viel­ mehr in jeweils besonderer Weise je nach Form, Ort, Umständen oder Gelegenheit ein. Es gibt jedoch auch »Blöcke«, in denen die wechselseitige Anpassung der Fähigkeiten, Kommunikationsnet­ ze und Machtbeziehungen geregelte, abgestimmte Systeme bildet. Man nehme zum Beispiel eine schulische Institution: Die räum­ liche Anordnung; die penible Regulierung des schulischen Le­ bens; die verschiedenen Tätigkeiten, die dort organisiert werden; die verschiedenen Personen, die darin leben oder dort Zusammen­ kommen und jeweils ihre Aufgabe, ihren Platz, ihr Gesicht haben - all das bildet einen »Block« aus Fähigkeiten, Kommunikation und Macht. Das Handeln, das den Erwerb von Wissen und Fertig­ keiten oder von Verhaltensweisen sicherstellt, entwickelt sich dort über einen Komplex geregelter Kommunikation (Unterricht, Fra­ gen und Antworten, Anordnungen, Ermahnungen, kodierte Zei­ chen des Gehorsams, Zeichen zur Unterscheidung des »Werts« oder des Wissensstands der Schüler) und über eine Reihe von Machttechniken (Abschließung, Überwachung, Belohnung und Strafe, pyramidenförmige Hierarchie). Diese Blöcke, in denen technische Fähigkeiten, wechselseitige Kommunikation und Machtbeziehungen in überlegter Weise auf-

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einander abgestimmt sind, bilden gleichsam Formen der Diszip­ lin, wie man sagen könnte, wenn man die Bedeutung des Wortes ein wenig erweitert. Die empirische Untersuchung bestimmter Disziplinformen, wie sie historisch entstanden sind, ist aus diesem Grunde von einem gewissen Interesse. Zunächst einmal, weil die Disziplinformen nach klaren und künstlich abgeklärten Schemata zeigen, in welcher Weise Systeme zweckrationalen Handelns, Kommunikationssysteme und Machtsysteme miteinander ver­ bunden werden können. Und dann auch, weil sie verschiedene Modelle für diese Verbindung aufzeigen. (Bei manchen stehen Gehorsam und Machtbeziehungen im Vordergrund wie bei den Disziplinformen vom Typ Kloster oder Gefängnis, bei anderen ist es das zweckrationale Handeln wie bei den Disziplinformen in Werkstatt oder Krankenhaus, bei wieder anderen liegt das Schwergewicht auf den Kommunikationsbeziehungen wie der Disziplin in Schule und Lehre, und gelegentlich findet sich auch eine Sättigung mit allen drei Arten von Beziehungen wie vielleicht in der militärischen Disziplin, wo eine Vielzahl von Zeichen bis zum Überdruss enge, sorgfältig berechnete Machtbeziehungen markiert, um eine Reihe technischer Effekte zu erzielen.) Die zunehmende Disziplinarisierung der europäischen Gesell­ schaften seit dem 18. Jahrhundert bedeutet natürlich nicht, dass die Individuen innerhalb dieser Gesellschaften immer gehorsamer würden. Und auch nicht, dass die Gesellschaften nun bald Kaser­ nen, Schulen oder Gefängnissen glichen, sondern dass man dort nach einer immer besser kontrollierten - immer rationaleren und ökonomischeren - Abstimmung zwischen den produktiven Tätig­ keiten, den Kommunikationsnetzen und den Machtbeziehungen strebte. Wenn wir das Thema Macht über eine Analyse des »Wie« angehen, verschieben wir die Fragestellung gegenüber der Annahme einer fundamentalen Macht in mehrfacher Weise. Wir wählen als Gegenstand der Analyse nicht Macht, sondern Machtbeziehun­ gen; diese Machtbeziehungen lassen sich sowohl von objektiven Fähigkeiten als auch von Kommunikationsbeziehungen unter­ scheiden; und schließlich können wir die Vielfalt der Machtbezie­ hungen in ihrer Verknüpfung mit objektiven Fähigkeiten und Kommunikationsbeziehungen erfassen.

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2. Worin besteht die Besonderheit der Machtbeziehungen? Die Ausübung von Macht ist keine bloße Beziehung zwischen individuellen oder kollektiven »Partnern«, sondern eine Form handelnder Einwirkung auf andere. Das heißt natürlich, dass es so etwas wie die Macht nicht gibt, eine Macht, die global und massiv oder in diffusem, konzentriertem oder verteiltem Zustand existierte. Macht wird immer von den »einen« über die »anderen« ausgeübt. Macht existiert nur als Handlung, auch wenn sie natür­ lich innerhalb eines weiten Möglichkeitsfeldes liegt, das sich auf dauerhafte Strukturen stützt. Das heißt auch, dass Macht nicht auf Konsens beruht. Sie ist nicht als solche Verzicht auf Frei­ heit, Übertragung von Rechten, eine Macht aller, die auf wenige übertragen worden wäre (dennoch kann Konsens durchaus die Voraussetzung dafür sein, dass Machtbeziehungen zustande kom­ men und Bestand haben). Machtbeziehungen können das Er­ gebnis eines früheren oder immer noch bestehenden Konsenses sein, sind aber nicht ihrem Wesen nach Ausdruck eines Konsen­ ses. Heißt das nun, dass wir das Charakteristikum der Machtbezie­ hungen in einer Gewalt suchen müssen, die deren Urform, ständi­ ges Geheimnis und letzte Zuflucht wäre - die letztlich als deren Wahrheit hervortritt, wenn sie gezwungen ist, die Maske fallen zu lassen und sich so zu zeigen, wie sie ist? In Wirklichkeit sind Machtbeziehungen definiert durch eine Form von Handeln, die nicht direkt und unmittelbar auf andere, sondern auf deren Han­ deln einwirkt. Eine handelnde Einwirkung auf Handeln, auf mög­ liches oder tatsächliches, zukünftiges oder gegenwärtiges Han­ deln. Gewaltbeziehungen wirken auf Körper und Dinge ein. Sie zwingen, beugen, brechen, zerstören. Sie schneiden alle Möglich­ keiten ab. Sie kennen als Gegenpol nur die Passivität, und wenn sie auf Widerstand stoßen, haben sie keine andere Wahl als den Versuch, ihn zu brechen. Machtbeziehungen beruhen dagegen auf zwei Elementen, die unerlässlich sind, damit man von Machtbe­ ziehungen sprechen kann: Der »Andere« (auf den Macht ausgeübt wird) muss durchgängig und bis ans Ende als handelndes Subjekt anerkannt werden. Und vor den Machtbeziehungen muss sich ein ganzes Feld möglicher Antworten, Reaktionen, Wirkungen und Erfindungen öffnen.

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Machtbeziehungen schließen den Einsatz von Gewalt natürlich ebenso wenig aus wie die Herstellung von Konsens. Die Aus­ übung von Macht kann auf keins von beidem verzichten, und manchmal benötigt sie beides zugleich. Doch Gewalt und Kon­ sens sind Mittel oder Wirkungen, nicht aber Prinzip oder Wesen der Machtausübung. Sie kann auf breiteste Zustimmung stoßen. Sie kann Leichenberge produzieren und bei allen erdenklichen Drohungen Zuflucht suchen. Aber sie ist nicht als solche eine Gewalt, die sich nur versteckte, oder ein Konsens, der still­ schweigend verlängert würde. Sie ist ein Ensemble aus Handlun­ gen, die sich auf mögliches Handeln richten, und operiert in einem Feld von Möglichkeiten für das Verhalten handelnder Sub­ jekte. Sie bietet Anreize, verleitet, verführt, erleichtert oder er­ schwert, sie erweitert Handlungsmöglichkeiten oder schränkt sie ein, sie erhöht oder senkt die Wahrscheinlichkeit von Handlun­ gen, und im Grenzfall erzwingt oder verhindert sie Handlungen, aber stets richtet sie sich auf handelnde Subjekte, insofern sie handeln oder handeln können. Sie ist auf Handeln gerichtetes Handeln. Der Ausdruck »Führung« (conduite) vermag in seiner Mehr­ deutigkeit das Spezifische an den Machtbeziehungen vielleicht noch am besten zu erfassen. »Führung« heißt einerseits, andere (durch mehr oder weniger strengen Zwang) zu lenken, und ande­ rerseits, sich (gut oder schlecht) aufzuführen, also sich in einem mehr oder weniger offenen Handlungsfeld zu verhalten. Macht­ ausübung besteht darin, »Führung zu lenken«, also Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Verhalten zu nehmen. Macht gehört letztlich weniger in den Bereich der Auseinandersetzung zwi­ schen Gegnern oder der Vereinnahmung des einen durch den anderen, sondern in den Bereich der »Regierung« in dem weiten Sinne, den das Wort im 16. Jahrhundert besaß. Damals bezog es sich nicht nur auf politische Strukturen und die Staatsverwaltung, sondern meinte auch die Lenkung des Verhaltens von Individuen und Gruppen: von Kindern, Seelen, Gemeinschaften, Familien, Kranken. Es umfasste nicht nur institutionalisierte und legitime Formen politischer und ökonomischer Unterordnung, sondern mehr oder weniger überlegte und berechnete Handlungsweisen, die jedoch alle darauf abzielten, die Handlungsmöglichkeiten an­ derer Individuen zu beeinflussen. In diesem Sinne heißt Regieren,

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das mögliche Handlungsfeld anderer zu strukturieren. Der für Macht typische Beziehungstyp ist daher nicht im Bereich der Ge­ walt und des Kampfes zu suchen und auch nicht im Bereich des Vertrags und der freiwilligen Bindung (die letztlich nur Instru­ mente der Macht sein können), sondern im Bereich jenes einzig­ artigen, weder kriegerischen noch juristischen Handlungsmodus, den das Regieren darstellt. Wenn man Machtausübung als ein auf Handeln gerichtetes Handeln definiert, wenn man sie als »Regierung« von Menschen durch andere Menschen im weitesten Sinne des Wortes beschreibt, dann schließt man darin ein wichtiges Element ein, nämlich das der Freiheit. Macht kann nur über »freie Subjekte« ausgeübt wer­ den, insofern sie »frei« sind - und damit seien hier individuelle oder kollektive Subjekte gemeint, die jeweils über mehrere Ver­ haltens-, Reaktions- oder Handlungsmöglichkeiten verfügen. Wo die Bedingungen des Handelns vollständig determiniert sind, kann es keine Machtbeziehung geben. Sklaverei ist keine Macht­ beziehung, wenn der Mensch in Eisen geschlagen ist (dann han­ delt es sich um ein Verhältnis physischen Zwangs); sie ist es nur dann, wenn er sich bewegen und letztlich auch entfliehen kann. Macht und Freiheit schließen einander also nicht aus (wo Macht ist, kann es keine Freiheit geben). Ihr Verhältnis ist weitaus kom­ plexer. In diesem Verhältnis ist Freiheit die Voraussetzung für Macht (als Vorbedingung, insofern Freiheit vorhanden sein muss, damit Macht ausgeübt werden kann, und auch als dauerhafte Be­ dingung, denn wenn die Freiheit sich der über sie ausgeübten Macht entzöge, verschwände im selben Zuge die Macht und müsste bei reinem Zwang oder schlichter Gewalt Zuflucht su­ chen). Aber zugleich muss die Freiheit sich einer Machtausübung widersetzen, die letztlich danach trachtet, vollständig über sie zu bestimmen. Machtbeziehung und Widerspenstigkeit der Freiheit lassen sich also nicht voneinander trennen. Das Hauptproblem der Macht ist nicht die »freiwillige Knechtschaft«. (Wie könnten wir wünschen wollen, Sklaven zu sein?) Den Kern der Machtbeziehung, der sie immer wieder »provoziert«, bildet die Relativität des Wollens und die Intransitivität der Freiheit. Statt von einem wesenhaften »An­ tagonismus« sollten wir hier besser von einem »Agonismus« spre­ chen - einem Verhältnis, das durch gegenseitiges Antreiben und

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Kampf geprägt ist und weniger durch einen Gegensatz, in dem beide Seiten einander blockieren, als durch ein permanentes Pro­ vozieren. 3. Wie lassen sich Machtbeziehungen analysieren? Man kann Machtbeziehungen durchaus innerhalb bestimmter In­ stitutionen analysieren. Das ist vollkommen legitim, denn diese Institutionen eröffnen besonders gute Möglichkeiten, die Macht­ beziehungen in vielfältigen, konzentrierten, geordneten und zu höchster Effizienz geführten Formen zu beobachten. Darum darf man erwarten, dort Form und Logik ihrer elementaren Mechanis­ men erkennen zu können. Doch die Analyse von Machtbeziehun­ gen in abgeschlossenen institutionellen Räumen hat auch einige Nachteile. Da ein großer Teil der eingesetzten Mechanismen der Selbsterhaltung der betreffenden Institution dient, läuft man Ge­ fahr, vor allem in den »innerinstitutionellen« Machtbeziehungen nur die Reproduktionsfunktionen wahrzunehmen. Wenn man Machtbeziehungen auf der Basis der Institutionen untersucht, be­ steht zweitens die Gefahr, dass man in den Institutionen Ursprung und Erklärung der Machtbeziehungen sucht, letztlich also Macht durch Macht erklärt. Und da Institutionen hauptsächlich über das Wechselspiel zweier Elemente agieren, nämlich über (explizite oder stillschweigende) Regeln und einen Apparat, läuft man schließlich auch Gefahr, beiden übertriebene Bedeutung in der Machtbeziehung beizumessen und darin lediglich Modulationen von Gesetz und Zwang zu erblicken. Ich bestreite nicht die Bedeutung der Institutionen bei der Ver­ waltung von Machtbeziehungen. Aber ich meine, man sollte In­ stitutionen von den Machtbeziehungen her analysieren und nicht umgekehrt. Die eigentliche Verankerung der Machtbeziehungen ist außerhalb der Institutionen zu suchen, auch wenn sie in einer Institution Gestalt annehmen. Kommen wir auf die Definition zurück, wonach bei der Aus­ übung von Macht die einen das mögliche Handlungsfeld der an­ deren strukturieren. Das charakteristische Merkmal der Macht­ beziehungen läge dann in der Tatsache, dass wir es hier mit einem Handlungsmodus zu tun haben, der auf Handeln einwirkt. Das heißt, Machtbeziehungen sind tief im sozialen Nexus ver­

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wurzelt und bilden daher keine zusätzliche Struktur oberhalb der »Gesellschaft«, von deren vollständiger Beseitigung man träumen könnte. In Gesellschaft leben bedeutet: Es ist stets möglich, dass die einen auf das Handeln anderer einwirken. Eine Gesellschaft ohne »Machtbeziehungen« wäre nur eine Abstraktion. Dadurch wird es, nebenbei gesagt, jedoch politisch nur noch notwendiger, dass wir analysieren, wie sie in einer bestimmten Gesellschaft be­ schaffen und wie sie geschichtlich entstanden sind, was ihre Fes­ tigkeit oder Zerbrechlichkeit ausmacht und unter welchen Um­ ständen die einen verändert, die anderen abgeschafft werden können. Denn dass es keine Gesellschaft ohne Machtbeziehungen geben kann, bedeutet keineswegs, dass die bestehenden Macht­ beziehungen notwendig sind oder dass Macht innerhalb der Ge­ sellschaft ein unabwendbares Schicksal darstellt, sondern dass es eine ständige politische Aufgabe bleibt, die Machtbeziehungen und den »Agonismus« zwischen ihnen und der intransitiven Frei­ heit zu analysieren, herauszuarbeiten und in Frage zu stellen, ja dass dies sogar die eigentliche politische Aufgabe jeglicher sozia­ len Existenz darstellt. Konkret sind zur Analyse der Machtbeziehungen mehrere Punkte zu klären: 1. Das System der Differenzierungen, das es gestattet, auf das Handeln anderer einzuwirken: rechtliche oder traditionsbestimm­ te Unterschiede im Status und in den Privilegien; ökonomische Unterschiede in der Aneignung materieller Güter; Unterschiede der Stellung in den Produktionsprozessen; sprachliche oder kul­ turelle Unterschiede; Unterschiede im praktischen Wissen und in den Fähigkeiten usw. Jede Machtbeziehung arbeitet mit Diffe­ renzierungen, die für sie zugleich Voraussetzung und Wirkung sind. 2. Die Art der Ziele, die bei der Einwirkung auf das Handeln anderer verfolgt werden: Schutz von Privilegien, Akkumulation von Profiten, Ausübung statusabhängiger Autorität, Ausübung eines Amtes oder eines Berufs. 3. Die instrumenteilen Modalitäten: ob die Macht durch Dro­ hung mit Waffengewalt, durch das Wort, über ökonomische Un­ gleichheit, über mehr oder weniger komplexe Kontrollmechanismen oder Überwachungssysteme, mit oder ohne Archive, nach expliziten oder stillschweigenden, dauerhaften oder veränderba­

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ren Regeln, mit oder ohne materielle Dispositive usw. ausgeübt wird. 4. Die Formen der Institutionalisierung, in denen sich traditio­ nelle Dispositionen mit rechtlichen Strukturen und Phänomenen der Gewohnheit oder der Mode mischen können (wie man es an den Machtbeziehungen innerhalb der Institution Familie beob­ achtet). Sie können auch die Gestalt einer in sich geschlossenen Einrichtung mit spezifischen Orten, eigenen Regeln, sorgfältig entworfenen hierarchischen Strukturen und einer relativen funk­ tionalen Autonomie annehmen (wie etwa in Schule und Armee). Gelegentlich bilden sie auch hochkomplexe, mit vielfältigen Ap­ paraten ausgestattete Systeme, wie es beim Staat der Fall ist, des­ sen Funktion darin besteht, die allgemeine Hülle, die globale Kontrollinstanz, das Régulations- und in gewissem Maße auch das Verteilungsprinzip für die Machtbeziehungen in der jeweili­ gen Gesellschaft zu bilden. 5. Der Grad der Rationalisierung. Denn der Einsatz von Macht­ beziehungen zur Einwirkung auf fremde Handlungsmöglichkeiten kann mit mehr oder weniger wirksamen Mitteln und mehr oder weniger sicheren Resultaten erfolgen (mit unterschiedlichen Graden der technologischen Verfeinerung in der Machtausübung) oder auch mit unterschiedlichen Kosten (den ökonomischen »Kos­ ten« der eingesetzten Mittel oder den durch Widerstand entstehen­ den »Reaktionskosten«). Machtausübung ist kein factum brutum, keine institutionelle Gegebenheit und auch keine Struktur, die Be­ stand hat oder zerfällt. Sie entwickelt, verwandelt, organisiert sich und setzt mehr oder weniger gut angepasste Verfahren ein. Wir sehen nun, warum die Analyse der Machtbeziehungen in einer Gesellschaft sich nicht auf die Erforschung einiger Institu­ tionen beschränken darf, selbst wenn es sich um jene Institutionen handelt, die man zu Recht als »politisch« bezeichnen kann. Die Machtbeziehungen wurzeln im gesamten gesellschaftlichen Ge­ flecht. Das heißt aber nicht, dass es ein erstes und fundamentales Machtprinzip gäbe, das die Gesellschaft bis ins letzte Element hinein beherrschte. Auf der Grundlage der mit jeder sozialen Be­ ziehung koextensiven Möglichkeit, auf das Handeln anderer ein­ zuwirken, definieren vielfältige individuelle Unterschiede, Ziele, an uns und anderen einzusetzende Mittel, mehr oder weniger sektorale oder globale Institutionalisierungen und mehr oder we­

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niger bewusst konstruierte Organisationsformen jeweils verschie­ dene Machtformen. In einer Gesellschaft gibt es zahlreiche For­ men und Orte des »Regierens« von Menschen durch andere Men­ schen. Sie überlagern, kreuzen und begrenzen einander, zuweilen heben sie sich gegenseitig auf, und in anderen Fällen verstärken sie sich wechselseitig. Es ist eine gesicherte Tatsache, dass der Staat in den heutigen Gesellschaften nicht bloß eine der Formen oder ei­ ner der Orte der Machtausübung ist - wenn auch vielleicht die wichtigste Form oder der wichtigste Ort -, sondern dass sich alle anderen Arten von Machtbeziehungen in gewisser Weise auf ihn beziehen. Allerdings nicht weil sie vom Staat abgeleitet wären, sondern weil es zu einer stetigen Etatisierung der Machtbeziehun­ gen gekommen ist (auch wenn sie im Bereich der Pädagogik, des Rechts, der Wirtschaft oder der Familie nicht dieselbe Form an­ genommen hat). Wenn man den Ausdruck »Gouvernement« dies­ mal in seiner engeren Bedeutung von »Regierung« nehmen will, könnte man sagen, die Machtbeziehungen sind zunehmend »gouvernementalisiert«, das heißt in der Form oder unter den Aus­ pizien der staatlichen Institutionen elaboriert, rationalisiert und zentralisiert worden. 4. Machtbeziehungen und strategische Beziehungen Der Ausdruck »Strategie« wird gewöhnlich in drei Bedeutungen gebraucht. Erstens bezeichnet er die Wahl der für ein Ziel einge­ setzten Mittel. In dieser Bedeutung verweist der Ausdruck auf Zweckrationalität. Zweitens bezeichnet man damit in der Spiel­ theorie ein Verhalten, bei dem die Partner ihr Verhalten auf das erwartete Verhalten der anderen und auf die eigenen Erwartungen hinsichtlich der Erwartungen der anderen abstellt. Hier geht es also letztlich um den Versuch, Einfluss auf andere zu nehmen. Und drittens bezeichnet der Ausdruck die Verfahren, die in einer Auseinandersetzung eingesetzt werden, um den anderen seiner Kampfmittel zu berauben und ihn zur Aufgabe des Kampfes zu zwingen. Hier geht es also um die Mittel, die dazu dienen, den Sieg zu erringen. Diese drei Bedeutungen vereinigen sich in Kampfsituationen - Krieg oder Spiel -, in denen es darum geht, auf einen Gegner so einzuwirken, dass der Kampf für ihn unmög­ lich wird. Strategie ist also durch die Wahl der »gewinnenden«

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Lösung definiert. Aber wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich hier um eine besondere Situation handelt und dass es andere Situationen gibt, in denen wir an der Unterscheidung zwi­ schen den verschiedenen Bedeutungen von »Strategie« festhalten müssen. Im Blick auf die erste Bedeutung kann man als »Machtstrate­ gie« die Gesamtheit der Mittel bezeichnen, die eingesetzt werden, um das Funktionieren oder den Bestand eines Machtdispositivs zu sichern. Auch bei Machtbeziehungen kann man von Strategien sprechen, sofern es dabei um die Einwirkung auf das mögliche und erwartete Handeln anderer geht. Daher kann man die in Machtbeziehungen eingesetzten Mechanismen auch mit dem Begriff der »Strategie« erfassen. Entscheidend ist hier aber offen­ bar das Verhältnis zwischen Machtbeziehungen und Konfliktstra­ tegien. Denn wenn sich im Kern der Machtbeziehungen und gleichsam als deren ständige Existenzbedingung eine gewisse »Widerspenstigkeit« und störrische Freiheit findet, gibt es keine Machtbeziehung ohne Widerstand, ohne Ausweg oder Flucht, ohne möglichen Umschwung. Jede Machtbeziehung impliziert also zumindest virtuell eine Kampfstrategie, auch wenn die Machtbeziehungen dadurch nicht ihre Besonderheit verlieren und identisch mit diesen Strategien würden. Sie bilden füreinan­ der gleichsam eine ständige Grenze, einen Punkt möglicher Um­ kehrung. Eine Auseinandersetzung findet ihr Ende (mit dem Sieg eines Gegners über den anderen), wenn an die Stelle der gegen­ sätzlichen Reaktionen jene stabilen Mechanismen treten, durch die der eine das Verhalten des anderen relativ dauerhaft und mit hinreichender Sicherheit zu lenken vermag. Für eine Auseinander­ setzung, in der es nicht gerade um Leben und Tod geht, stellt die Herstellung einer Machtbeziehung einen Zielpunkt dar, an dem die Auseinandersetzung erfolgreich zum Abschluss gebracht, aber zugleich auch in der Schwebe gehalten wird. Umgekehrt bildet die Machtstrategie auch für die Machtbeziehung eine Grenze, an der die berechnete Lenkung fremden Verhaltens nicht mehr über die Replik auf das eigene Verhalten hinauszugehen vermag. Da es keine Machtbeziehung ohne Widerspenstigkeit geben kann, auf die sie per definitionem keinen Einfluss hat, kann jede zur Bre­ chung dieser Widerspenstigkeit eingesetzte Intensivierung oder Erweiterung der Machtbeziehung die Machtausübung nur an ihre

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Grenzen führen, und zwar entweder in einem Handlungstyp, der den anderen zu völliger Ohnmacht verdammt (aus der Macht­ ausübung wird dann ein »Sieg« über den Gegner), oder in einer Umkehrung, die aus den Regierten Feinde macht. Jede Konflikt­ strategie träumt davon, Machtbeziehung zu werden, und jede Machtbeziehung, ob sie nun der eigenen Entwicklungslinie folgt oder frontal auf Widerstand stößt, möchte Gewinnstrategie wer­ den. Tatsächlich stehen Machtbeziehung und Kampfstrategie in ei­ nem Verhältnis wechselseitiger Provokation, endloser Verkettung und ständiger Verkehrung. Die Machtbeziehung kann jederzeit zu einer Auseinandersetzung zwischen Gegnern werden - und wird dies gelegentlich auch. Umgekehrt führt Gegnerschaft innerhalb der Gesellschaft immer wieder zum Einsatz von Machtmechanis­ men. Wegen dieser Instabilität können dieselben Prozesse, Ereig­ nisse und Veränderungen sowohl im Rahmen der geschichtlichen Kämpfe als auch im Rahmen der Machtbeziehungen und Macht­ dispositive interpretiert werden. Dabei begegnen wir nicht den­ selben Bedeutungselementen, nicht denselben Verkettungen und auch nicht denselben Arten von Intelligibilität, obwohl sie auf dasselbe geschichtliche Gewebe verweisen und beide Analysen sich aufeinander beziehen müssen. Gerade die Interferenz zweier Lesarten lässt jene fundamentalen »Herrschaftsphänomene« her­ vortreten, die sich in weiten Teilen der Geschichte menschlicher Gesellschaften zeigen. Herrschaft ist eine globale Machtstruktur, deren Bedeutung und Folgen oft bis in die kleinsten Verästelungen der Gesellschaft reichen. Zugleich ist sie jedoch auch eine strate­ gische Situation, die sich über lange geschichtliche Zeiträume zwi­ schen Gegnern herausgebildet und verfestigt hat. Es kann durch­ aus Vorkommen, dass Herrschaft nur die Machtmechanismen einer Auseinandersetzung und ihrer Folgen zum Ausdruck bringt (man denke an eine politische Struktur, die aus einer Invasion hervorgegangen ist). Es kommt auch vor, dass ein Kampf zwi­ schen zwei Gegnern aus der Entwicklung der Machtbeziehungen samt der zugehörigen Konflikte und Spaltungen resultiert. Doch die Herrschaft einer Gruppe, Kaste oder Klasse und die dadurch ausgelösten Widerstände oder Revolten bilden deshalb ein zent­ rales Phänomen in der Geschichte der Gesellschaft, weil sich dort in massiver und globaler Form auf der Ebene der Gesamtgesell-

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Schaft zeigt, wie Machtbeziehungen und strategische Beziehungen ineinander greifen und aufeinander einwirken. Übersetzt von Michael Bischoff

30 7 Denken, Fühlen »La pensée, l’émotion«, in: D. Michals, Photographies de 1958 à 1982, Paris, Musée d’Art moderne de la ville de Paris, 1982, S. III-VII.

Ich weiß, man sollte nicht erzählen, was auf einer Fotografie zu sehen ist. Natürlich ist es das Zeichen, das hier Probleme bereitet, denn entweder erzählt die Fotografie gar nichts, so dass der Be­ richt sie in unangemessener Weise verändert, oder sie erzählt et­ was, und dann braucht sie uns nicht. Dennoch wecken die Fotos von Duane Michals in mir das indiskrete Bedürfnis, darüber zu erzählen, wie man ja gelegentlich auch das Bedürfnis hat, über andere Dinge zu erzählen, die das gar nicht zulassen: über Lust, über eine Begegnung, die keine Zukunft hat, über eine unvernünf­ tige Angst auf einer vertrauten Straße, über die Empfindung einer seltsamen Präsenz, an die kaum jemand glaubt und noch weniger der Mensch, dem man davon erzählt. Ich kann nicht über die Fotos von Duane Michals sprechen, über ihre Technik und Darstellungsweise. Sie ziehen mich als Erfahrungen an. Als Erfahrungen, die nur er gemacht hat, die sich aber auch mir mitteilen - und ich glaube, jedem, der sie betrachtet. Sie lösen Freude, Unruhe, Sichtweisen, Empfindungen aus, die ich bereits erlebt habe oder eines Tages erleben möchte, und ich frage mich immer, ob es seine oder meine Erfahrungen sind, obwohl ich natürlich weiß, dass ich sie Duane Michals verdanke. »Ich bin mein Geschenk an euch«, sagt er. Er bestätigt und fördert im Übrigen solch eine Kreuzung der Erfahrung, indem er der Fotografie ihre unmögliche Aufgabe zu­ weist: »Alles ist Gegenstand der Fotografie, vor allem die schwie­ rigen Dinge des Lebens: Sorgen, die großen Ängste der Kindheit, Begehren, Alpträume. Die Dinge, die man nicht sehen kann, sind besonders bedeutungsschwer. Man kann sie nicht fotografieren,

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sondern nur suggerieren.« »Den Versuch machen, eine wahre Empfindung in meinen eigenen Worten auszudrücken.« Ich liebe die Formen von Arbeit, die nicht wie ein Werk voranschreiten, sondern sich öffnen, weil sie Erfahrungen sind: Magritte, Bob Wilson, Unter dem Vulkan, Der Tod der Maria Malibran und natürlich H. G.1 »Die Menschen glauben an die Realität von Fotografien, aber nicht an die Realität von Gemälden. Das ist ein Vorteil für die Fotografen. Dumm ist nury dass die Fotografen selbst an die Realität von Fotografien glauben.« Ein junger Mann, Roy Headwell, sitzt an einem Tisch, beugt sich langsam nach vorn und legt schließlich den Kopf auf die Tisch­ platte. Er ist eingeschlafen, eine ruhige Skulptur. Soweit die Foto­ grafie. Ein wenig weiter, auf demselben Tisch, halben Wegs zwi­ schen dem blonden Haar des Schlafenden und unserem Blick, sehen wir sorgfältig geformtes Gebäck: Vorsprünge, Winkel, meh­ rere helle Flächen; der formbare Teig leuchtet wie Kieselsteine. In diesen intensiv realen Figuren konzentriert sich der ganze male­ rische Teil der Fotografie. Schwer zu sagen, ob diese »Plätzchen« die Botschaft des Träumenden oder das unbezweifelbare Objekt unserer Wahrnehmung sind. Denken wir an eine andere, ältere Fassung dieses Themas. Kein Gemälde, sondern zwei Fotos, die sich aufeinander beziehen und beide den Titel Narziss tragen. Auf dem ersten beugt sich ein junger Mann über eine große leuchtende Fläche, in der sich sein schönes Gesicht spiegelt. Auf dem zweiten vollführt Duane Michals selbst mit der Lässigkeit des nahenden Alters die auf dem ersten Foto begonnene Gebärde und legt den Kopf auf denselben Tisch. Wange an Wange mit seinem Spiegelbild, betrachtet er sich nicht, aber er kann den Reflex des Gesichts des jungen Mannes sehen, der in der spiegelnden Fläche des Lacks gefangen bleibt 1 [Initialen des Romanciers Hervé Guibert. Der Fotografiekritiker von Le Monde, selbst Fotograf und Bewunderer von Duane Michals, hatte M. Foucault um eine Einleitung für die Retrospektive im Musée d’Art moderne de la ville de Paris gebeten. Der hatte dem Wunsch entsprochen, obwohl er selbst keine sonderliche Vorliebe für erzählerische Fotografien hatte.]

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(oder er könnte ihn sehen, wenn er die Augen geöffnet hätte). Das Gemälde stellt sich vor die geschlossenen Augen des Schlafs; die Fotografie öffnet sich den ungewissen Bildern des nahezu Un­ sichtbaren. In der nun gut hundertjährigen Geschichte des Verhältnisses zwischen Malerei und Fotografie war es Tradition, von der Foto­ grafie die lebendige Form der Wirklichkeit zu verlangen und von der Malerei den Gesang oder Glanz oder Traum, die sich dahinter verbergen mochten. Duane Michals verkehrt dieses Verhältnis in dem Spiel mit der Malerei, das er in den letzten Jahren begonnen hat. Dem Foto, dem Fotografieren, der sorgfältig komponierten Szene, die er fotografiert, dem komplizierten Ritual, das solch eine Szene zu fotografieren erlaubt, verleiht er die Kraft des Traumes und die Erfindungsgabe des Denkens. Aus diesen Fotos, die wie ein an den Hyperrealismus gerichtetes Lachen gemalt sind, spricht eine Ironie gegenüber jeglichem Versuch, die dem Auge des Foto­ grafen dargebotene Realität bis hin zur Weißglut der Malerei zu führen. Als wäre nicht das Foto schuld daran, dass ihm die Realität entgeht, während in der Malerei kein anderes Geheimnis steckte als die Fähigkeit, das Bild zu malen. In den Zwei Porträts der Esta Greenfield zeigt uns das Gemälde das Gesicht von vorn, während das Foto eine Frau von hinten zeigt, deren unsichtbarer Blick sich durch ein Fenster in irgendeiner Landschaft verliert. Und dann noch ein Blumenstrauß in einer Vase, das denkbar banalste Ge­ mälde. Fehlte nur noch das Tischchen, auf dem er stünde. Doch die Vase schwimmt im ungewissen Raum einer fotografischen Komposition, in der das transparente Profil eines leicht lächelnden jungen Mannes schwebt, der die roten Rosen heimlich eingefangen zu haben scheint, um sie sich über das Ohr zu stecken. Doch rechts im Hintergrund erscheint, teilweise von zwei Lichtschir­ men versteckt, das Gesicht desselben John Shea, der uns von vorn anschaut, während wir ihn im Profil betrachten. In Sanzari und der Schuh findet sich die gegenteilige Anordnung: Von irgendwo­ her gekommen, schiebt sich die große fotografische Fläche eines Gesichts mit spitzer Nase, Brille und lachenden Augen zwischen uns und das Gemälde eines Schuhs, dessen gelber Reflex sich nach den Gesetzen einer äußerst unwahrscheinlichen Physik auf die Wange der fotografierten Person legt. Die Realität erfassen, aus dem vollen Leben schöpfen, Bewe­

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gung einfangen - in Duane Michals’ Augen ist all das nur eine Falle für die Fotografie: eine falsche Aufgabenstellung, ein unbe­ holfener Wunsch, eine Selbsttäuschung. »Fotobücher haben oft Titel wie: >Das Auge des Fotografen< oder >Der unbestechliche Blick< oder »Zeigen, was istdass Boswell die Existenz einer bewuss­ ten Homosexualität postuliert. - Boswell beginnt mit einem langem Kapitel, in dem er sein Vor­ gehen begründet und erläutert, warum er die Schwulen und die Schwulenkultur zum Leitfaden seiner Geschichte nimmt. Zu­ gleich ist er jedoch der festen Überzeugung, dass die Homosexua­ lität keine übergeschichtliche Konstante darstellt. Er hat folgende Vorstellung: Wenn Männer innerhalb einer städtischen oder klös­ terlichen Gemeinschaft sexuelle Beziehungen zu anderen Män­ nern oder auch zu Knaben unterhalten, so setzt das nicht nur Toleranz gegenüber bestimmten sexuellen Akten voraus, sondern eine ganze Kultur, das heißt Ausdrucksformen, Werte, usw., also die Anerkennung der Besonderheit dieser Beziehung durch die Beteiligten. Diese Vorstellung kann man akzeptieren, sofern es sich nicht um eine sexuelle oder anthropologische Konstante han­ delt, sondern um ein kulturelles Phänomen, das sich mit der Zeit verändert, dabei aber in seinen Grundzügen erhalten bleibt: eine Beziehung zwischen Menschen desselben Geschlechts, die eine

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Lebensweise mit sich bringt, in der die Beteiligten sich ihrer Be­ sonderheit bewusst sind. Letztlich ist das auch ein Aspekt aller monosexuellen Lebensformen. Man müsste klären, ob eine ähn­ liche Hypothese nicht auch bei Frauen vorstellbar wäre, also ob es Gruppen ganz unterschiedlicher Frauen oder eine weibliche Sub­ kultur gibt, in denen Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind, die Möglichkeit zu Beziehungen haben, die Män­ nern, aber auch anderen Frauen nicht offen stehen. Möglicher­ weise gab es um Sappho oder den Sapphomythos solch eine Sub­ kultur. - Neuere feministische Forschungen scheinen in diese Richtung zu gehen, vor allem im Blick auf weibliche Troubadoure, deren Texte sich an Frauen richteten., aber eine Interpretation ist hier schwierig, weil man nicht weiß, ob sie darin nicht stellvertretend für gewisse Herren sprachen, wie es bei den männlichen Troubadouren vor­ kam. Jedenfalls gibt es einige Texte, zum Beispiel von Christine de Pisan, in denen vom »weiblichen Geschlecht« die Rede ist und die beweisen, dass es ein gewisses Bewusstsein für eine autonome weib­ liche Kultur gab, die natürlich von der männlichen Gesellschaft bedroht wurde. Können wir auch von einer weiblichen Schwulenkultur sprechen, wobei der Ausdruck »schwul« [gay] für Frauen vielleicht nicht sonderlich treffend ist? - Tatsächlich hat dieser Ausdruck in Frankreich eine viel engere Bedeutung als in den Vereinigten Staaten. Jedenfalls glaube ich, wenn Boswell zumindest eine männliche Schwulenkultur postu­ liert, widerspricht das nicht der These, wonach die Homosexua­ lität keine anthropologische Konstante darstellt, die manchmal unterdrückt und manchmal geduldet würde. - In La Volonté de savoir [Sexualität und Wahrheit i: Der Wille zum Wissen] haben Sie den in der Neuzeit wuchernden Diskurs über die Sexualität analysiert. Die Homosexualität kam in diesem Diskurs offenbar nicht vor, zumindest bis etwa 1850. - Ich wollte verstehen, wie bestimmte Formen von Sexualverhal­ ten zu bestimmten Zeiten zum Problem und zum Gegenstand von Analysen werden, aus denen dann Wissen entsteht. Man versucht,

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diese Verhaltensweisen zu entziffern, zu verstehen und zu klassi­ fizieren. Interessanter als eine Sozialgeschichte des Sexualverhal­ tens oder als eine psychologische Geschichte der Einstellungen zur Sexualität ist dabei eine Geschichte der Problematisierung dieser Verhaltensweisen. Es gibt zwei goldene Zeitalter der Prob­ lematisierung der Homosexualität als Monosexualität, das heißt als Beziehung zwischen Männern wie auch zwischen Männern und Knaben. Das erste ist die griechische, die hellenistische Pe­ riode, die im Wesentlichen zur Zeit des Römischen Reiches zu Ende ging. Die letzten großen Zeugnisse dieser Periode sind: der Dialog des Plutarch, die Dissertationes des Maximus von Tyros und der Dialog des Lukian.. .4 Meine Hypothese lautet, obwohl es sich um eine gängige Praxis handelte, wurde viel darüber gesprochen, weil sie Probleme be­ reitete. In den europäischen Gesellschaften war die Problematisierung eher institutioneller als sprachlicher Art. Man ergriff diverse Maß­ nahmen gegen jene Menschen, die man seit dem 17. Jahrhundert als Sodomiten und noch nicht als Homosexuelle bezeichnete. Man verfolgte und verurteilte sie. Das ist eine sehr komplizierte Ge­ schichte, die man meines Erachtens in drei Phasen unterteilen kann. Seit dem Mittelalter gab es ein Gesetz, das die Sodomie verbot und mit der Todesstrafe belegte, aber nur recht selten angewandt wurde, so bedauerlich die wenigen Fälle auch sein mögen. Man müsste die Ökonomie dieses Problems untersuchen, die Existenz des Gesetzes, den Rahmen, in dem es angewandt wurde, und die Gründe, weshalb es nur in diesem Rahmen Anwendung fand. Die zweite Phase ist durch eine Polizeipraxis gegenüber den Homo­ sexuellen gekennzeichnet, wie sie in Frankreich Mitte des 17. Jahr­ hunderts sehr deutlich zutage trat, zu einer Zeit, als es bereits richtige Städte gab und ein polizeiliches Kontrollsystem installiert wurde, aus dessen Akten wir ersehen können, dass recht viele Homosexuelle festgenommen und an Orten wie dem Jardin du Luxembourg, Saint-Germain-des-Prés oder dem Palais-Royal 4 [Plutarch, Erotikos. Ein Gespräch über die Liebey Dresden 1923; Maximus von Tyros, Dissertationes, Stuttgart 1994; dt. Philosophische Vorträge, Würzburg 2001; Lukian von Samosata, Dialogi meretrici, Berlin 1930; dt. Hetärengespräche, Wies­ baden 1990.]

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festgehalten wurden. Wir sehen, dass Dutzende festgenommen wurden, wir kennen ihre Namen, man hielt sie ein paar Tage fest oder ließ sie einfach wieder frei. Manche blieben wohl auch ohne Prozess im Gefängnis. Im 17. und 18. Jahrhundert entstand so ein ganzes System aus Fallen und Drohungen, eine eigene Welt mit Spitzeln und Polizisten. Die Akten in der Arsenal-Bibliothek sind hier sehr aufschlussreich. Verhaftet werden Arbeiter, Priester, Of­ fiziere und Mitglieder des niederen Adels. Den Rahmen dafür bildet eine Überwachung und Organisation der Welt der Prosti­ tution - ausgehaltene Frauen, Tänzerinnen, Schauspielerinnen -, die im 18. Jahrhundert in voller Entwicklung begriffen ist. Aber es scheint, dass die Überwachung der Homosexuellen etwas früher begann. Die dritte Phase beginnt natürlich Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Homosexualität lautstark Eingang in das medizinische Denken fand. Angefangen hatte dieser Prozess weniger lautstark schon im Verlauf des 17. und im beginnenden 19. Jahrhundert. Ein soziales Großphänomen, das weitaus komplexer ist als eine bloße Erfindung der Ärzte. - Glauben Sie zum Beispiel, dass die medizinischen Arbeiten von Hirschfeld5 Anfang des 20. Jahrhunderts und seine Klassifikatio­ nen die Homosexuellen eingeschlossen haben? - Diese Kategorien führten tatsächlich zu einer Pathologisierung der Homosexualität, aber sie bedeuteten auch einen gewissen Schutz, da man auf ihrer Grundlage Rechte einfordern konnte. Das Problem ist immer noch aktuell: Zwischen der Aussage: »Ich bin homosexuell« und der Weigerung, dies zu sagen, findet sich eine sehr vieldeutige Dialektik. Die Aussage ist notwendig, 5 [Hinweis auf Magnus Hirschfeld (1868-1935), der von 1899 bis 1925 das bei Max Spohr in Leipzig erscheinende Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter beson­ derer Berücksichtigung der Homosexualität herausgab, das neben Originalbeiträ­ gen auch Buchbesprechungen veröffentlichte. Weitere Publikationen von Hirsch­ feld: Vom Wesen der Liebe: Zugleich ein Beitrag zur Lösung der Frage der Bisexualität, Leipzig 1909; Die Transvestiteny eine Untersuchung über den eroti­ schen Verkleidungstrieb, mit umfangreichem casuistischen und historischen Material, 2 Bde., Berlin 1910-1912; Die Homosexualität des Mannes und des Weibesy Berlin 1914. Siehe auch C. Nicolas, »Les Pionniers du mouvement homosexuel«, in: Masques, revue des homosexuelles, Nr. 8. Frühjahr 1981, S. 83-89.

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weil man dadurch ein Recht in Anspruch nimmt, aber zugleich ist sie auch ein Käfig oder eine Falle. Eines Tages wird die Frage, ob man homosexuell ist, ebenso natürlich sein wie die Frage, ob man Junggeselle ist. Aber warum sollte man sich überhaupt ver­ pflichtet fühlen, diese Wahl bekannt zu geben? Man kann sich nicht in einer Position stabilisieren, sondern muss immer wieder je nach den Umständen festlegen, welchen Gebrauch man davon macht. - In einem Gespräch mit der Zeitschrift Gai Pied6 haben Sie ge­ sagt, wir sollten uns bemühen, Homosexuelle zu werden, und ge­ gen Ende sprechen Sie von »polymorphen, vielfältigen Beziehun­ gen«. Ist das kein Widerspruch ? - Ich wollte damit sagen, wir sollten uns bemühen, schwul zu sein und uns in eine Situation zu bringen, in der die sexuellen Wahlentscheidungen im gesamten Leben präsent sind und ihre Wirkung entfalten. Ich wollte außerdem sagen, dass aus diesen sexuellen Wahlentscheidungen Lebensformen hervorgehen soll­ ten. Schwul sein heißt, dass diese Wahlentscheidung in das ge­ samte Leben ausstrahlt. Damit weist man in gewisser Weise die vorgeprägten Lebensweisen zurück, und aus der sexuellen Wahl wird ein Operator, der das gesamte Dasein verändert. Nicht schwul sein heißt: »Wie kann ich die Auswirkungen meiner se­ xuellen Wahl in der Weise beschränken, dass sich nichts an mei­ nem Leben ändert?« Ich sage, man sollte seine Sexualität nutzen, um neuartige Be­ ziehungen zu entdecken und zu erfinden. Schwul sein heißt schwul werden, und um auf Ihre Frage zu antworten, füge ich hinzu, dass wir nicht homosexuell sein müssen, sondern uns be­ mühen sollten, schwul zu sein. - Deshalb sagen Sie, Homosexualität sei keine Form von Begehren> sondern etwas Begehrenswertes? - Ja, und ich glaube, das ist der Kern der Frage. Wenn wir nach unserem Verhältnis zur Homosexualität fragen, wünschen wir uns 6 [Siehe oben Nr. 293.]

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nicht bloß eine sexuelle Beziehung zu einem Menschen desselben Geschlechts, auch wenn das durchaus wichtig ist, vielmehr wün­ schen wir uns eine Welt, in der solche Beziehungen möglich sind. Übersetzt von Michael Bischoff

312 Der Kampf um die Keuschheit »Le combat de la chasteté, in: Communications, Nr. 35: Sexualités occidentales, Mai 1982, S. 15-25.

Der folgende Text ist Teil des dritten Bandes der Geschichte der Sexualität. Nach Rücksprache mit Philippe Aries über den Charakter des vorliegen­ den Bandes bin ich zu der Auffassung gelangt, dass er zu den übrigen Beiträgen passt. In der Tat glauben wir; dass die Vorstellung, die man sich gewöhnlich von einer christlichen Sexualethik macht, einer gründlichen Revision bedarf, und dass die zentrale Frage der Onanie einen anderen Ursprung hat als die Kampagne der Ärzte im 18. und 7 9 . Jahrhundert.

Den Kampf um die Keuschheit untersucht Johannes Cassianus im sechsten Buch der Institutiones: »Vom Geiste der Unreinheit« [Unzucht], und in mehreren Collationes> in der vierten über »die Begierlichkeit des Fleisches und des Geistes«, der fünften übev »die acht Hauptsünden«, der zwölften über »die Keusch­ heit« und in der zweiundzwanzigsten über »die nächtlichen Betö­ rungen« [Traumbilder].1 Wir finden ihn an zweiter Stelle in einer Liste von acht Kämpfen,2 und zwar in Gestalt eines Kampfes ge­ gen den Geist der Unzucht [fornicatio]. Die Unzucht teilt sich wiederum in drei Untergruppen.3 Im Vergleich zu den Sünden1 Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum, CSEL, Bd.XVII, (dt.: »Von den Einrichtungen der Klöster«, in: Sämtliche Schriften, Bd. 1, Kempten 1879); Collationespatrum, CSEL, Bd. XIII (dt.: »Unterredungen mit den Vätern«, in: Sämtliche Schriften, Bd. 1 und 2, Kempten 1879); im Folgenden zitiert als »Einrichtungen« bzw. »Unterredungen«. Da die Übersetzungen der beiden Schriften in einigen zentralen Begriffen abweichen, wurde gelegentlich die jeweils andere Übersetzung in eckigen Klammern angefügt, A.d.Ü. 2 Die sieben Übrigen sind: Unmäßigkeit [Völlerei], Habsucht, Zorn, Betrübnis [Traurigkeit], Lauheit [Verdrossenheit], eitle Ruhmsucht und Hochmut. 3 Vgl. unten.

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katalogen, wie wir sie später antreffen, nachdem die mittelalter­ liche Kirche das Bußsakrament nach dem Vorbild der Rechtspre­ chung gestaltet hat, wirkt dieses Tableau wenig juristisch. Doch Cassians Spezifizierungen hatten zweifellos einen anderen Sinn. Wir wollen zunächst prüfen, welche Rolle der Unzucht unter den übrigen Hauptsünden zukommt. Cassian ergänzt das Tableau der acht Hauptsünden, indem er interne Gruppierungen darin vornimmt. Er stellt Paare von Las­ tern zusammen, die untereinander in einem besonderen Verhältnis der »Verwandtschaft« oder der »Verkettung«4 stehen: Hochmut und eitle Ruhmsucht, Traurigkeit und Lauheit, Habsucht und Zorn. Die Unzucht ist mit der Völlerei gekoppelt, und zwar aus mehreren Gründen: weil beides »natürliche«, angeborene Laster sind und wir uns deshalb nur sehr schwer von ihnen befreien können; weil beide Laster nicht nur zu ihrer Entstehung, sondern auch zur Verwirklichung ihres Ziels des Körpers bedürfen; und schließlich weil zwischen ihnen ein sehr direktes Kausalitätsver­ hältnis besteht, denn die Unmäßigkeit bei der Ernährung entzün­ det im Körper das Verlangen nach der Unzucht.5 Sei es wegen dieser engen Verknüpfung mit der Völlerei, sei es aufgrund der eigenen Natur, spielt der Geist der Begehrlichkeit unter den üb­ rigen Lastern, zu denen er gehört, eine besondere Rolle. Dies gilt zunächst einmal für den Kausalzusammenhang. Cas­ sian betont, dass die Laster nicht unabhängig voneinander sind, auch wenn sie den Menschen in jeweils besonderer Weise und einzeln befallen mögen.6 Ein Kausalnexus verbindet sie miteinan­ der. Es beginnt mit der Völlerei, die im Körper entsteht und die Unzucht entzündet; dieses erste Paar bringt dann die Habsucht hervor, die den Menschen den irdischen Gütern anhängen lässt; daraus entstehen die Rivalitäten, die Streitigkeiten und der Zorn, die wiederum zur Kraftlosigkeit der Trübsal führen, aus der ihrer­ seits der Überdruss am ganzen mönchischen Leben und die Lau­ heit erwachsen. Wegen dieser Verkettung ist es niemals möglich, sich von einem Laster zu befreien, wenn man nicht zuvor jenes andere besiegt hat, auf das es sich stützt. »So werden immer, wenn die vorhergehenden [Laster] überwunden sind, die nachfolgenden 4 Unterredungen, V, 10. 5 Einrichtungen, V; und Unterredungen, V. 6 Unterredungen, V, 13-14.

3 i2 D er Kampf um die K euschheit

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ruhen und nach Erlösung der ersten Leidenschaften die übrigen ohne Mühe verschwinden.« Da das Paar Völlerei-Unzucht am Ursprung der übrigen Laster steht, muss es als Erstes getilgt wer­ den, denn »viel leichter verdorrt die schadenbringende Breite und Höhe eines Baumes, wenn zuvor die Wurzeln, auf die er sich stützt, entblößt oder abgeschnitten sind«. Daher die asketische Bedeutung des Fastens als Mittel gegen die Völlerei und zur Ver­ hinderung von Unzucht. An diesem Punkt muss die asketische Übung ansetzen, denn dort beginnt die Kausalkette. Der Geist der Begehrlichkeit steht zugleich in einem besonderen dialektischen Verhältnis zu den beiden letzten Sünden und vor al­ lem zum Hochmut. In der Tat gehören Hochmut und eitle Ruhm­ sucht für Cassian nicht zur Kausalkette der übrigen Laster. Sie wer­ den nicht von ihnen hervorgerufen, sie sind vielmehr Folgen des Sieges7 über diese Laster: der »fleischliche« Hochmut gegenüber den anderen, wenn man sein Fasten, seine Keuschheit, seine Armut usw. zur Schau stellt; der »geistige« Hochmut, der einen glauben macht, dass man diesen Fortschritt sich selbst verdanke.8Das Laster des Triumphes über die Laster - der Sturz ist umso schlimmer, als er von hoch oben erfolgt. Und die Unzucht, das schändlichste unter allen Lastern, das die größte Beschämung auslöst, ist die Folge des Hochmuts - Strafe, aber auch Versuchung und Probe, die Gott dem Überheblichen schickt, um ihn daran zu erinnern, dass die Schwä­ che des Fleisches ihn immer bedroht, falls ihm nicht die Gnade zu Hilfe kommt. »Wenn sich also jemand schon langer Reinheit des Körpers und Herzens erfreut und nun glaubt, er könne von dieser Lauterkeit nicht mehr abkommen, da muss er sich notwendig in seinem Innern gewissermaßen rühmen. [...] Wenn er nun aber vom Herrn zu seinem Heile verlassen wird und merkt, dass dieser Zu­ stand der Reinheit, in welchem er sich selbst vertraute, gestört wird und dass er in seinem geistigen Fortschritt wankt - da möge er nur [...] seine erkannte Schwäche eingestehen.«9 Wenn die Seele im 7 Unterredungen, V, io. 8 Einrichtungen, XII, 2. 9 Unterredungen, XII, 6; Beispiele für den Rückfall in den Geist der Unzucht, der Ruhmsucht und des Hochmuts finden sich in: Unterredungen, II, 13, und insbe­ sondere in: Einrichtungen, XII, 20 und 21, wo Verfehlungen gegen die Demut durch die schmachvollsten Versuchungen bestraft werden: durch ein Verlangen contra usum naturae.

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großen Kreislauf der Kämpfe nur noch sich selbst zum Gegner hat, dann machen sich die Stacheln des Fleisches erneut bemerkbar; es zeigt sich, dass der Kampf notwendig unabgeschlossen bleiben muß, dass er stets von neuem zu beginnen droht. Schließlich besitzt die Unzucht gegenüber den anderen Lastern gewissermaßen ein ontologisches Privileg, das ihr in der Askese eine besondere Bedeutung verleiht. Tatsächlich wurzelt sie wie die Völlerei im Körper. Es ist unmöglich, sie zu besiegen, ohne ihn zu kasteien. Während Zorn und Traurigkeit sich durch »die bloße Absicht des Geistes« bekämpfen lassen, kann man der Unzucht nur dann Herr werden, wenn »die körperliche Kasteiung dazu­ kommt, welche in Fasten, Wachen und tätiger Zerknirschung be­ steht«.10 Was jedoch nicht ausschließt, dass die Seele auch gegen sich selbst kämpfen muss, denn Unzucht kann auch aus Gedan­ ken, Bildern und Erinnerungen erwachsen: »Wenn der Teufel un­ sere Gedanken auf das weibliche Geschlecht gelenkt hat, indem,er in schlauer Weise zunächst unsere Mutter, Schwester, Verwandten oder andere fromme Personen vor die Seele führt, so muss es unsere vorzügliche Sorge sein, diese Gedanken aus dem Sinne zu schlagen. Denn wenn wir uns länger bei solchen Gedanken aufhalten, möchte durch die einmal in den Geist aufgenommene Vorstellung von dem weiblichen Geschlechte der Verführer als­ dann den Geist zu solchen Personen, durch die er die schädlichen Gedanken einflößen kann, geschickt hindrängen und ihn zum Falle bringen.«11 Allerdings besteht zwischen Unzucht und Völ­ lerei ein wichtiger Unterschied. Der Kampf gegen die Völlerei ist mit Maßen zu führen, denn wir können nicht auf jegliche Nah­ rung verzichten. Wir dürfen nicht auf »die notwendige Sorge für das Leben« verzichten, weil wir sonst Gefahr liefen, »durch un­ sere Verschuldung unsern Leib zu schwächen und zur Verrich­ tung der notwendigen geistigen Tätigkeiten untauglich zu ma­ chen«.12 Diesem natürlichen Hang zur Nahrung müssen wir zwar mit Zurückhaltung begegnen, wir müssen ihm leidenschafts­ los nachgeben, aber wir dürfen ihn nicht austilgen; er hat seine natürliche Berechtigung, und ihn - bis hin zum Tode - negieren hieße, ein Verbrechen auf sich laden. Dagegen gibt es im Kampf 10 Unterredungen, V, 4. 11 Einrichtungen, VI, 13. 12 Einrichtungen, V, 8.

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gegen den Geist der Begehrlichkeit keine Grenzen; was immer uns zu ihr verleiten könnte, muss ausgelöscht werden, und keine Forderung der Natur vermöchte auf diesem Gebiet die Befriedi­ gung eines Bedürfnisses zu rechtfertigen. Hier geht es also um die vollständige Abtötung einer Neigung, deren Unterdrückung für unseren Körper nicht tödlich ist. Unter den acht Hauptlastern ist die Unzucht das einzige, das zugleich angeboren, natürlich und körperlichen Ursprungs ist und das vollständig überwunden wer­ den muss, wie es für die Laster der Seele, die Ruhmsucht und den Hochmut, gilt. Eine radikale Abtötung also, die uns vom Fleische befreit und uns dennoch im Körper leben lässt. »Dass ein mit einem gebrechlichen Leibe Umkleideter den Stachel des Fleisches nicht spüre«,13 das ist die auf Erden übernatürliche Leistung, zu der der Kampf gegen die Unzucht befähigt. Sie zieht uns aus dem irdischen Schmutz und lässt uns in dieser Welt ein Leben führen, das nicht von dieser Welt ist. Und jenen, die zu dieser radikalsten Abtötung imstande sind, erfüllt sie schon hienieden das höchste Versprechen: »Was den Heiligen nach Ablegung dieser fleisch­ lichen Verderbnis für das Jenseits versprochen wird, das besitzen sie schon hier in gebrechlichem Fleische.«14 Wie man sieht, nimmt die Unzucht, obwohl eines unter acht Elementen des Tableaus der Laster, im Verhältnis zu den übrigen eine besondere Stellung ein: am Anfang der Kausalkette, am Ur­ sprung der Sündenfälle und des Kampfes, an einem der schwie­ rigsten und entscheidenden Punkte im Kampf um die Askese. In der fünften Unterredung unterteilt Cassian die Unzucht in drei Arten. Die Erste besteht in der »Verbindung der beiden Ge­ schlechter« (commixtio sexus utrmsque), die Zweite erfolgt »ohne weibliche Berührung« (absque femineo tactu) - damit zog Onan sich die Strafe Gottes zu; die dritte Art ist die, »welche nur in Geist und Gemüt begangen wird«.15 Diese Unterscheidung nimmt er in der zwölften Unterredung fast unverändert wieder auf: die »fleischliche Vermischung« (carnalis commixtio\ die Cas­ sian hier als fornicatio im engeren Sinne bezeichnet; sodann die Unreinheit, immunditia, welche »zuweilen ohne jede Berührung eines Weibes Schlafende oder Wachende« überrascht, und zwar 13 Einrichtungen y VI, 6. 14 Einrichtungen, VI, 6. 15 Unterredungen^^ 11.

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»durch die Sorglosigkeit des unbewachten Geistes«; und schließ­ lich die libido, die in den »Schlupfwinkeln der Seele« entsteht, und dies »auch ohne Teilnahme des Körpers« {sinepassione corporis).16 Diese Spezifizierung ist wichtig, denn erst aus ihr wird deutlich, was Cassian mit dem allgemeinen Ausdruck fornicatio meint, den er im Übrigen nirgendwo genau definiert. Wichtig ist sie jedoch vor allem wegen der Verwendungsweise dieser drei Kategorien, denn sie weicht beträchtlich von der in zahlreichen früheren Schriften anzutreffenden ab. Tatsächlich gab es eine traditionelle Dreiteilung bei den Sünden des Fleisches: Ehebruch, Unzucht (fornicatio, womit sexuelle Be­ ziehungen außerhalb der Ehe gemeint waren) und »Knabenschän­ dung«. Diese drei Kategorien findet man jedenfalls in der Didache: »Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht Knaben schänden, du sollst nicht Unzucht treiben...«17 Und auch im Barnabasbrief: »Du sollst nicht huren, sollst nicht ehebrechen, sollst nicht Knaben schänden.«18 In der Folgezeit wurden oft nur die beiden ersten Ausdrücke gebraucht, wobei mit Unzucht sexuelle Vergehen im Allgemeinen und mit Ehebruch Verstöße gegen die Pflicht zur ehelichen Treue gemeint waren.19 Auf jeden Fall war es recht üb­ lich, diese Aufzählungen mit Geboten zu verbinden, die sich auf die Begehrlichkeit des Denkens wie des Blickes oder auf alles be­ zogen, was zu verbotenen sexuellen Betätigungen verleiten konnte. »Mein Kind, sei nicht lüstern, denn die Lüsternheit führt zur Un­ zucht, meide die Zoten und frechen Blicke, denn all das führt zum Ehebruch.«20 An Cassians Analyse fallen zwei Besonderheiten auf: erstens, dass er den Ehebruch nicht gesondert betrachtet; dieser geht viel­ mehr in die Kategorie der Unzucht im engeren Sinne ein; zwei­ tens, dass er nur den beiden anderen Kategorien Aufmerksamkeit 16 Unterredungen, XII, 2. Cassian stützt seine Dreiteilung auf eine Passage im Brief an die Kolosser, 3, 5. 17 Didache, II, 2 (dt. in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 35, Kempten 1918). 18 Barnabasbrief XIX, 4 (dt. in: Handbuch zum Neuen Testament, Suppl.: Die apostolischen Väter, Tübingen 1920). Kurz vorher begründet derselbe Text di­ verse Speiseverbote: Bei der Hyäne wird das Verbot mit dem Schutz vor Ehe­ bruch, beim Hasen mit dem Schutz vor dem Knabenschänden gerechtfertigt; das Wiesel soll man nicht essen, damit man nicht »Gottloses treibe mit dem Munde«. 19 So Augustinus in: Sermones, 56. 20 Didachey III, 3.

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schenkt. An keiner Stelle in den Passagen, die er dem Kampf ge­ gen die Unkeuschheit widmet, spricht er von sexuellen Beziehun­ gen im strengen Sinne. Nirgendwo werden die verschiedenen möglichen »Sünden« nach dem begangenen Akt, dem Partner, mit dem man sie begeht, dessen Alter und Geschlecht oder den Verwandtschaftsbeziehungen, in denen man zu ihm stehen kann, unterschieden. Keine der Kategorien, aus denen im Mittelalter die umfangreiche Kodifizierung der Sünde der Wollust besteht, taucht hier auf. Zweifellos brauchte Cassian, da er sich an Mönche wandte, die in ihrem Gelübde auf jeden sexuellen Kontakt ver­ zichtet hatten, nicht ausdrücklich auf diese Vorbedingung einzu­ gehen. Es ist dennoch bemerkenswert, dass er sich in einer wich­ tigen Frage des Mönchtums, die Basilius von Cäsarea und Chrysostomus zu präzisen Ermahnungen veranlasst hatten,21 mit flüchtigen Anspielungen begnügt: »Deshalb wird mit der größten Strenge darauf geachtet, dass keiner, besonders von den Jüngeren, betroffen werde, wie er mit einem anderen nur einen Augenblick zusammensteht oder irgendwohin geht oder nur ei­ nen Händedruck wechselt.«22 Man hat den Eindruck, dass Cas­ sian sich nur für die beiden letzten Ausdrücke seiner Unterteilung (bei denen es ohne sexuellen Kontakt und ohne körperliche Lei­ denschaft abgeht) interessierte, dass er die Unzucht im Sinne einer Vereinigung zweier Menschen ausließ und nur denjenigen Ele­ menten Bedeutung beimaß, die zuvor lediglich als Begleiterschei­ nungen wirklicher sexueller Kontakte Beachtung gefunden hat­ ten. Doch wenn Cassians Analysen die sexuellen Beziehungen übergehen, wenn sie sich in einer einsamen Welt und auf einer 21 Basilius von Cäsarea, Sermo de renuntiatione saeculi, 5, in: Migne, PG, Bd. 31, S. 638: »Vermeide jeglichen Umgang mit den jungen Mitbrüdern deines Alters. Fliehe sie wie das Feuer. Zahlreich sind jene, die der Widersacher mit ihrer Hilfe entflammt und der ewigen Verdammnis überantwortet hat.« Siehe dazu auch die Vorsichtsmaßnahmen, die in den »Längeren Regeln« (34) und in den »Kürzeren Regeln« (220) genannt werden. Vgl. auch Johannes Chrysostomos, Adversus oppugnatores vitae monasticae. 22 Einrichtungen, II, 15. Wer gegen dieses Gebot verstößt, begeht eine schwere Sünde und steht unter dem Verdacht »conjurationis pravique consilii«. Enthalten diese Worte die Andeutung eines Liebesverhältnisses, oder verweisen sie auf die Gefahr besonderer Beziehungen zwischen den Mitgliedern derselben Gemein­ schaft? Dieselbe Empfehlung findet sich auch in: Einrichtungen, IV, 16.

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gänzlich inneren Szene bewegen, dann hat das nicht nur negative Gründe. Es lag auch daran, dass das Gefecht um die Keuschheit in seinen wesentlichen Momenten nicht auf Handlungen oder Bezie­ hungen zielte, dass es eine andere Realität betraf als die des ge­ schlechtlichen Kontakts zwischen zwei Menschen. Ein Absatz aits der zwölften Unterredung macht deutlich, worin diese Realität besteht. Cassian beschreibt dort die sechs Stufen des Aufstiegs zur Keuschheit. Da es ihm nicht darum geht, die Keuschheit selbst darzustellen, sondern die negativen Zeichen zu benennen, an de­ nen sich dieser Aufstieg ablesen läßt - die verschiedenen Spuren der Unreinheit, die auf diesem Wege nacheinander verschwin­ den-, finden wir hier aufgezählt, wogegen es im Kampf um die Keuschheit anzutreten gilt. Der erste Grad der »Schamhaftigkeit« ist erreicht, wenn »der wachende Mönch nicht durch fleischliche Anfechtung gestützt« wird - impugnatione carnali non eliditur-, wenn die Seele gegen den Einbruch von Regungen, die den Willen mit sich fortreißen, gewappnet ist. Der zweite Grad verlangt, »dass sein Geist nicht bei lüsternen Gedanken (■voluptariae cogitationes) verweile«. Er denkt nicht an die Dinge, die ihm unwillkürlich oder gegen seinen Willen in den Sinn kommen.23 Auf der dritten Stufe ist auch eine Wahrnehmung, die aus der äußeren Welt eindringt, nicht mehr in der Lage, die Begierde anzureizen: Man vermag den »Anblick eines Weibes« ohne Be­ gehrlichkeit zu ertragen. Der vierte Grad ist erreicht, wenn man im Wachen nicht einmal die unschuldigste Regung des Fleisches mehr verspürt. Will Cas­ sian damit sagen, dass es zu keinerlei Regung des Fleisches mehr kommt, dass man den eigenen Körper vollkommen beherrscht? Das ist wenig wahrscheinlich, denn ansonsten betont er stets, wie hartnäckig die unwillkürlichen Regungen des Leibes sind. Der Ausdruck, den er hier verwendet - perferre-, bezieht sich ohne Zweifel auf den Umstand, dass diese Regungen die Seele nicht zu affizieren vermögen, dass die Seele nicht bei ihnen verweilen darf. Der fünfte Grad setzt voraus, »dass seinen Geist auch nicht die 23 Das Wort, das Cassian benutzt, um auszudrücken, dass der Geist bei diesen Gedanken verweilt, ist »immorari«. D ie delectatio morosa wird später in der mittelalterlichen Sexualethik eine bedeutende Rolle spielen.

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leiseste Beistimmung zu der Lust treffe, wenn der Inhalt einer Abhandlung oder einer notwendigen Lesung ihm die Erinnerung an die menschliche Zeugung beibringt, sondern dass er dies als eine ganz einfache Sache und als eine dem menschlichen Geschlechte notwendig zugewiesene Leistung mit ruhigem und rei­ nem Herzensauge betrachte und nicht mehr daran denke, als wenn es sich um die Bereitung von Ziegelsteinen oder irgendein anderes Geschäft handeln würde«. Der sechste Grad schließlich bedeutet, »daß er selbst im Schlafe nicht durch verführerische Vorstellungen von Weibern betrogen werde. Denn obwohl wir nicht glauben, dass diese Betörung mit Sündenschuld behaftet sei, so ist sie doch ein Zeichen der noch im Innersten verborgenen Begierlichkeit«.24 In dieser Darstellung der verschiedenen Merkmale des Geistes der Unzucht, die beim Aufstieg zur Keuschheit schrittweise ver­ schwinden, fehlt jeder Hinweis auf die Beziehung zu einem Part­ ner, auf den Geschlechtsakt und sogar auf die bloße Absicht dazu. Unzucht im engeren Sinne kommt nicht vor. In diesem Mikro­ kosmos der Einsamkeit fehlen also die beiden wichtigsten Elemen­ te, um die nicht nur die Sexualmoral der antiken Philosophen, sondern auch die eines Christen wie Clemens von Alexandria zumindest im zweiten Brief des Paidagogos - kreisten: die Ver­ einigung zweier Individuen (sunousia) und die Freuden des Geschlechtsakts (aphrodisia). Ins Spiel kommen hier nur die Re­ gungen des Körpers und der Seele, Bilder, Wahrnehmungen, Er­ innerungen, Traumbilder, der spontane Fluss der Gedanken, die Zustimmung des Willens, Wachen und Schlaf. Und es zeichnen sich zwei Pole ab, die, wohlgemerkt, nicht mit dem Leib und der Seele identisch sind: der Pol des Unwillkürlichen, der die Regun­ gen des Leibes sowie die Wahrnehmungen umfasst, die aus spontan auftretenden Erinnerungen und Bildern gespeist werden, sich im Geiste ausbreiten und den Willen bedrängen, versuchen und anziehen; und der Pol des Willens selbst, der akzeptiert oder ablehnt, der sich abwendet oder sich fangen lässt, verweilt und einwilligt. Auf der einen Seite also eine Mechanik des Körpers und des Den­ kens, die sich, die Seele umgebend, mit Unreinheit belädt und bis zur Pollution führen kann; auf der anderen Seite ein Spiel des 24

Unterredungen,

X II, 7.

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Denkens mit sich selbst. Hier finden wir die beiden Formen der »Unzucht« im weiteren Sinne, die Cassian neben der Vereinigung der Geschlechter definiert hatte und denen er seine ganze Analyse vorbehielt: immunditia, die eine unachtsame Seele im Wachen oder im Schlaf überfällt und ohne jeden Kontakt mit einem anderen die Pollution hervorruft; und libido, die in der Tiefe der Seele wirkt und anlässlich deren Cassian an die Verwandtschaft der Worte libido und libet erinnert.25 Die Arbeit des geistigen Kampfes und der Aufstieg zur Keusch­ heit, deren sechs Stufen Cassian beschreibt, lassen sich als eine Aufgabe der Dissoziation verstehen. Wir sind weit von der Öko­ nomie der Lust und deren strenger Beschränkung auf erlaubte Akte, weit auch von einer möglichst radikalen Trennung zwischen Leib und Seele entfernt. Es geht um eine ständige Arbeit an der Bewegung des Denkens (ob diese nun auf die Regungen des Kör­ pers reagiert und sie fortsetzt oder ob sie diese erst auslöst), an deren rudimentärsten Formen, an den Elementen, die sie hervor­ zurufen vermag, ohne dass das Subjekt jemals daran beteiligt wäre und sei es auch in der dunkelsten und offenkundig »unwillkür­ lichen« Form von Willen. Die sechs Grade des Aufstiegs zur Keuschheit sind sechs Stufen einer Anstrengung, welche die Ver­ wicklung des Willens aufheben soll. Befreiung aus der Verwick­ lung in die Regungen des Leibes, das ist der erste Grad. Es folgt die Befreiung aus der Verwicklung in die Phantasien (nicht bei dem verweilen, was im Geiste ist). Sodann die Befreiung aus der Verwicklung in die Sinnlichkeit (die Regungen des Leibs nicht mehr spüren), aus der Verwicklung in die Anschauung (an die Objekte nicht mehr als mögliche Objekte des Begehrens denken) und schließlich aus der Verwicklung in den Traum (was den gleichwohl unwillkürlichen Bildern des Traumes an Begehrlichem anhaften mag). Diese Verwicklung, deren sichtbarste Formen der willentliche Akt und der ausdrückliche Wille, ihn zu vollziehen, sind, bezeichnet Cassian als Konkupiszenz. Gegen sie richten sich der geistige Kampf und die mit ihm verbundene Anstrengung zur Loslösung und Befreiung aus der Verwicklung. So erklärt sich die Tatsache, dass in diesem Kampf gegen den Geist der »Unzucht« und um die Keuschheit das grundlegende 25

Unterredungen,

V , 11; u n d

X II, 2 . V g l. o b e n .

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und gewissermaßen sogar das einzige Problem die Pollution ist von ihren willentlichen Aspekten oder der Willfährigkeit, die sie auslöst, bis hin zu ihren unwillkürlichen Erscheinungen in Schlaf und Traum. Dem kommt so große Bedeutung bei, dass Cassian das Fehlen von erotischen Träumen oder nächtlichen Befleckun­ gen zum Zeichen dafür erhebt, dass man den höchsten Grad der Keuschheit erreicht hat. Er kommt häufig auf dieses Thema zu­ rück: »Das wird das untrügliche Kennzeichen und der vollstän­ dige Beweis dieser Keuschheit sein, wenn uns während der Ruhe und des Schlafes kein Trugbild vor die Seele tritt«,26 oder: »Das muss als die Vollendung und vollkommene Bewährung der Keuschheit gelten, wenn uns während der Ruhe kein Reiz der Wollust berührt und die durch die Gesetze der Natur bedingten Ausscheidungen unreiner Stoffe ohne unser Wissen vor sich ge­ hen.«27 Die ganze zweiundzwanzigste Unterredung ist den »nächtlichen Befleckungen« gewidmet und der Notwendigkeit, sie mit aller Kraft zu unterbinden. Und mehrfach verweist Cas­ sian auf das Beispiel heiliger Männer wie Serenus, die zu einem solch hohen Grad der Tugend gelangt waren, dass sie von derlei Ungebührlichkeiten verschont blieben.28 Man wird sagen, dass für eine Lebensführung, für die der Ver­ zicht auf jede geschlechtliche Beziehung ein grundlegendes Gebot darstellte, dieses Thema unausweichlich solche Bedeutung erlan­ gen musste. Man wird auch daran erinnern, welche Aufmerksam­ keit- Gruppen, die mehr oder weniger direkt vom Pythagoräismus beeinflusst waren, den Erscheinungen des Schlafes und des Trau­ mes - als Indizien für die Qualität des Lebens - und den Reini­ gungsbemühungen schenkten, die dessen Lauterkeit gewährleis­ ten sollten. Schließlich und vor allem ist zu bedenken, dass die nächtliche Pollution Probleme der Reinheit beim Gottesdienst mit sich brachte. Und gerade mit dieser Frage befasst sich die zweiundzwanzigste Unterredung: Darf man sich den »vereh­ rungswürdigen Altären« nähern und am »heilbringenden Gast­ mahl« teilnehmen, wenn man sich in der Nacht befleckt hatte?29 26 27 28 29

Einrichtungen, VI, 10. Einrichtungen, VI, 20. Unterredungen VII, 1; u n d Einrichtungen, II, 13. Unterredungen, XXII, 5.

XII, 7. W eitere A n sp ie lu n g en au f dieses T h em a in:

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Doch selbst wenn diese Gründe zu erklären vermögen, warum die Theoretiker des mönchischen Lebens sich mit diesem Thema be­ schäftigten, so rechtfertigen sie doch nicht die zentrale Bedeutung, die der willentlich-unwillkürlichen Pollution in der gesamten Analyse des Kampfes um die Keuschheit zukam. Die Pollution ist nicht nur Gegenstand eines stärkeren oder schwerer als die anderen einzuhaltenden Gebotes. Sie ist ein »Prüfstein« der Wol­ lust, insofern sich an dem, was sie ermöglicht, vorbereitet, anreizt und schließlich auslöst, ablesen lässt, zu welchen Anteilen die Bilder, Eindrücke und Erinnerungen der Seele gewollt bzw. un­ gewollt sind. Die ganze Arbeit des Mönchs an sich selbst besteht darin, den eigenen Willen niemals jener Bewegung zu überlassen, die vom Leib zur Seele und von der Seele zum Leib geht und auf die der Wille vermöge des Geistes Einfluss zu nehmen vermag, indem er sie begünstigt oder zum Stillstand bringt. Die ersten fünf Stufen des Aufstiegs zur Keuschheit sind ebenso viele und immer subtilere Schritte des Willens zur Ablösung von den immer fei­ neren Regungen, die zur Pollution führen können. Bleibt noch die letzte Stufe, die im Zustand der Heiligkeit er­ reicht werden kann: das völlige Ausbleiben dieser »absolut« un­ willkürlichen Pollutionen, die während des Schlafs erfolgen. Cassian bemerkt, dass auch sie nicht notwendig ganz und gar unwillkürlich sind. Übermäßige Nahrungsaufnahme oder unreine Gedanken während des Tages sind hier eine Art Einwilligung, wenn nicht gar eine Vorbereitung. Auch unterscheidet er nach dem Charakter der begleitenden Träume und nach dem Grad der Unreinheit der Bilder. Wer meinte, die Verantwortung dem Körper und dem Schlaf zuschieben zu können, der täte Unrecht: »Man muss sie für das Kennzeichen einer im Inneren verborgenen Krankheit halten, welche die Stunde der Nacht nicht erst geboren, sondern aus der Verborgenheit in den innersten Fasern der Seele durch die Erquickung des Schlafes an die Oberfläche hervorge­ zogen hat. So bringt sie die verborgene Fieberhitze an den Tag, die wir, den ganzen Tag hindurch mit schädlichen Gedanken uns näh­ rend, in uns gesammelt haben.«30 Und am Ende bleibt die Pollu­ tion ohne jede Spur von Komplizenschaft, ohne die Lustempfin­ dung, die beweist, dass man darin einwilligt, ja sogar ohne das 30 Einrichtungen, VI, 11.

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geringste Traumbild. Ebendies ist der Punkt, an den der Asket gelangen kann, wenn er sich genügend übt. Die Pollution ist nur noch ein »Rest«, an dem das Subjekt keinerlei Anteil mehr hat. »Dahin also müssen wir streben und so lange gegen die Lei­ denschaften und Lockungen des Fleisches ankämpfen, bis dieser leibliche Vorgang nur eine Forderung der Natur befriedigt, ohne auch die Lust zu wecken, und die überflüssigen Stoffe ohne die Empfindung irgendeiner Lust, ohne Schaden und ohne für die Keuschheit einen Kampf hervorzurufen, ausscheidet.«31 Da es sich dabei nur mehr um einen Naturvorgang handelt, kann uns auch nur eine Macht davon befreien, die stärker als die Natur ist: die Gnade. Deshalb ist die Freiheit von Pollutionen ein Zeichen der Heiligkeit, ist sie das höchste Siegel der Keuschheit, eine Gna­ de, die man erhoffen, nicht aber erwerben kann. Dem Menschen fällt dabei nichts Geringeres als die Aufgabe zu, sich in einem Zustand steter Wachsamkeit gegenüber den ein­ fachsten Regungen zu halten, die in seinem Leib oder in seiner Seele aufkeimen mögen. Er muss Tag und Nacht wachen, muss des Nachts um des Tages willen und tags um des kommenden Abends willen wachen. »Denn wie die Reinheit und Wachsam­ keit bei Tage eine Vorbereitung auf die Reinheit bei Nacht ist, so verleihen im Voraus die Nachtwachen dem Herzen sowie der Wachsamkeit am Tage eine gar feste und starke Stütze.«32 Diese Wachsamkeit ist die »Läuterungsbemühung«, die bekanntlich im Mittelpunkt der Selbstbeeinflussungstechniken steht, wie sie in der asketisch inspirierten Spiritualität entwickelt wurden. Die Ar­ beit des Müllers, der das Getreide verliest, des Hauptmanns, der die Soldaten verteilt, des Wechslers, der die Geldstücke wiegt, um sie anzunehmen oder zurückzuweisen - ebendiese Arbeit muss der Mönch unablässig an seinen Gedanken verrichten, um jene zu erkennen, in denen sich Versuchungen verbergen. Dank dieser Arbeit wird er die Gedanken nach ihrem Ursprung und nach ihrer jeweils eigenen Qualität sondern können, wird er fähig sein, den Gegenstand, für den sie stehen, von der Lust zu unterscheiden, die dieser hervorrufen könnte. Er hat die Aufgabe, sich selbst unab­ lässig zu analysieren, und dies, wegen seiner Bekenntnispflicht, 31 Einrichtungen, VI, 22. 32 Einrichtungen, VI, 23.

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gemeinsam mit den anderen.33 Weder die Gesamtvorstellung, die Cassian von der Keuschheit und von der »Unzucht« hat, noch die Art, wie er beide analysiert, noch auch die verschiedenen Elemen­ te, die er hervorhebt und zueinander in Beziehung setzt (Pollu­ tion, Libido, Konkupiszenz), sind verständlich ohne die Selbst­ bearbeitungstechniken, mit denen er das mönchische Leben und den spirituellen Kampf, der darin herrscht, kennzeichnet. Trifft es zu, dass von Tertullian zu Cassian die »Verbote« stren­ ger wurden, dass man größeren Wert auf völlige Enthaltsamkeit legte, dass der Geschlechtsakt zunehmender Diskriminierung ver­ fiel? Die Frage ist so, zweifellos, falsch gestellt. Die Organisation des Mönchwesens und der Unterschied, der sich dadurch zwischen dem Leben der Mönche und dem der Laien herstellte, führten zu bedeutsamen Veränderungen im Prob­ lem des Verzichts auf sexuelle Kontakte und, parallel dazu, zur Entwicklung hochkomplexer Selbstbearbeitungstechniken. So entstanden in dieser Praxis des Verzichts eine Lebensregel und eine Form von Analyse, die trotz erkennbarer Kontinuität durch entscheidende Unterschiede gegenüber der Vergangenheit ausge­ zeichnet sind. Bei Tertullian bedeutete der Zustand der Jungfräu­ lichkeit eine äußere und innere Haltung des Weltverzichts, die durch Regeln des Verhaltens und der Lebensführung ergänzt wur­ de. In der Jungfräulichkeitsmystik, die sich vom 3. Jahrhundert an herausbildet, verkehrt die Strenge des Verzichts (in dem bereits bei Tertullian vorhandenen Thema der Vereinigung mit Christus) die negative Form der Enthaltsamkeit in das Versprechen der spirituellen Hochzeit. Bei Cassian, der mehr Zeuge denn Erfinder ist, kommt es gewissermaßen zu einer Verdopplung, zu einer Art Rückzug, in dem sich die ganze Tiefe einer inneren Szene zeigt. Es handelt sich durchaus nicht um die Verinnerlichung eines Katalogs von Verboten, durch die nun statt des Aktes bereits die Absicht untersagt wäre. Cassian erschließt hier ein neues Gebiet 33 Vgl. in: Unterredungen, XXII, 6 , das Beispiel für eine »Beratung« über einen Mönch, der stets vor der Kommunion von nächtlichen Traumbildern heimge­ sucht wurde und deshalb nicht an den heiligen Mysterien teilzunehmen wagte. Nach der Befragung und Beratung gelangten die »spirituellen Arzte« zu der Diagnose, dass der Teufel, von dem diese Traumbilder ausgingen, den Mönch an der von ihm gewünschten Kommunion hindern wollte. Fern bleiben hieße daher, dem Teufel ins Netz gehen; dennoch zur Kommunion gehen dagegen, ihn besiegen. Nach dieser Entscheidung kehrte der Teufel nicht wieder.

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(dessen Bedeutung etwa schon in den Schriften des Gregor von Nyssa oder besonders in denen des Basilius von Ancyra heraus­ gestellt worden war), das Gebiet des Denkens nämlich mit seinem spontanen, unregelmäßigen Gang, seinen Bildern, Erinnerungen und Wahrnehmungen, seinen Regungen und Eindrücken, die sich vom Körper der Seele und von der Seele dem Körper mitteilen. Hier geht es nicht um einen Kodex erlaubter oder verbotener Handlungen, sondern um eine ganze Technik zur Analyse und Diagnose des Denkens, seiner Ursprünge, Eigenschaften und Ge­ fährdungen, seiner Verführungskraft und all der anderen dunklen Kräfte, die sich unter der Oberfläche verbergen können. Und wenn es das Ziel ist, am Ende alles Unreine und zur Unreinheit Verführende auszulöschen, dann lässt sich dies einzig durch eine nie erlahmende Wachsamkeit, ein Misstrauen erreichen, das man stets und überall gegen sich selbst zu hegen hat. Man hat sich unablässig selbst zu befragen, damit ans Licht gezogen werde, was sich an heimlicher »Begehrlichkeit« in den tiefsten Schichten der Seele verbergen mag. In dieser Askese der Keuschheit kann man eine »Subjektivierung« erblicken, die sich von einer um Handlungen zentrierten Sexualethik beträchtlich entfernt. Zwei Dinge sind jedoch hervor­ zuheben. Diese Subjektivierung ist unlösbar mit einem Erkennt­ nisprozeß verbunden, der die Verpflichtung, die Wahrheit über sich selbst zu suchen und zu sagen, zu einer unerlässlichen Vo­ raussetzung dieser Ethik erhebt; wenngleich Subjektivierung, so ist doch damit zugleich eine unendliche Objektivierung seiner selbst durch sich selbst impliziert - unendlich in dem Sinne, dass sie, weil niemals endgültig erreicht, kein Ende in der Zeit findet; und in dem Sinne, dass die Prüfung der Gedanken, so unbedeu­ tend und unschuldig sie auch erscheinen mögen, stets so weit wie möglich getrieben werden muss. Im Übrigen vollzieht sich diese Subjektivierung in Gestalt der Suche nach der Wahrheit über sich selbst vermittels komplexer Beziehungen zum anderen, und dies aus mehreren Gründen: weil es darum geht, in sich die Macht des anderen, des Widersachers, zu brechen, der sich unter der Hülle des eigenen Selbst verbirgt; weil es darum geht, einen ständigen Kampf gegen diesen anderen zu führen, aus dem man nicht ohne die Hilfe des Allmächtigen, der mächtiger ist als jener, als Sieger hervorzugehen vermöchte; weil es schließlich unerlässlich für die-

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sen Kampf ist, dass man vor den anderen seine Schuld bekennt, dass man sich ihrem Rat unterwirft und dass man den Oberen in allem gehorcht. Die Neuerungen in der Sexualethik des mönchischen Lebens, die Herausbildung eines neuen Verhältnisses zwischen dem Sub­ jekt und der Wahrheit sowie die Entwicklung komplexer Bezie­ hungen des Gehorsams gegenüber dem anderen sind Teil eines Ensembles, dessen Kohärenz in Cassians Schrift deutlich hervor­ tritt. Es kann nicht darum gehen, ihn zum Ausgangspunkt dieser Entwicklung zu erklären. Ginge man in der Zeit zurück, so fände man schon vor ihm und sogar schon vor den Anfängen des Chris­ tentums mehrere dieser Elemente im Entstehen begriffen, ja manchmal, im antiken Denken (bei den Stoikern oder den Neuplatonikern), in fertiger Form. Andererseits breitet Cassian (des­ sen eigener Beitrag noch zu klären wäre, aber das ist eine andere Frage) eine Erfahrung vor uns aus, von der er behauptet, sie sei die des nahöstlichen Mönchtums. Auf jeden Fall scheint die Unter­ suchung dieses Textes zu belegen, dass man von einer »christ­ lichen Sexualmoral« kaum wird sprechen können und noch weni­ ger von einer »jüdisch-christlichen Moral«. Was die Reflexion über das Sexualverhalten betrifft, liegen zwischen der hellenisti­ schen Zeit und Augustinus einige hochkomplexe Entwicklungen. Ein paar der wichtigsten sind leicht zu erkennen: etwa die allmäh­ liche Entfaltung eines stoisch-zynischen Bewusstseins in der Or­ ganisation des Mönchwesens. Viele andere wiederum sind nicht zu entziffern. Dagegen ist vom Anfang einer genuin christlichen Sexualmoral, die sich von der vorausgegangenen massiv unter­ schiede, kaum etwas zu bemerken. Wie R Brown sagt: Hinsicht­ lich des Christentums lässt sich bei der Erkundung des Gebirgs­ zugs der Antike die Wasserscheide nur schwer bestimmen. Übersetzt von Michael Bischoff

313 Der gesellschaftliche Triumph der sexuellen Lust

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Der gesellschaftliche Triumph der sexuellen Lust: ein Gespräch mit Michel Foucault »The Social Triumph of the Sexual Will: A Conversation with Michel Fou­ cault« (Gespräch mit G. Barbedette, 20. Oktober 1981), in: Christopher Street, Bd. 6, Nr. 4, Mai 1982, S. 36-41.

G. Barbedette: Heute spricht man immer seltener von sexueller Befreiung in einem unbestimmten Sinne. Man spricht vielmehr von den Rechten der Frauen, der Homosexuellen, der Schwulen. Aber man weiß nicht recht, was man denn unter »Rechten« und »Schwulen« versteht. In den Ländern, in denen Homosexualität eindeutig außerhalb des Gesetzes steht, ist alles einfacher, da alles erst noch zu tun ist, doch in den Ländern Nordeuropas, in denen die Homosexualität nicht mehr offiziell verboten ist, stellt sich die Zukunft der Rechte der Schwulen ganz anders dar. M. Foucault: Ich meine, wir sollten im Kampf für die Rechte der Schwulen kein Endziel, sondern nur eine Zwischenetappe sehen. Und zwar aus zwei Gründen. Zunächst einmal, weil ein Recht in seinen realen Auswirkungen weit stärker von Einstellungen und Verhaltensweisen abhängt als von Gesetzesformulierungen. Ho­ mosexuelle können auch dann diskriminiert werden, wenn solch eine Diskriminierung gesetzlich verboten ist. Wir müssen daher für homosexuelle Lebensformen kämpfen, für die Möglichkeit, eine Lebensweise zu wählen, in der sexuelle Beziehungen zu Personen desselben Geschlechts bedeutsam sind. Es reicht nicht, innerhalb einer allgemeineren Lebensform gleichgeschlechtliche sexuelle Be­ ziehungen gleichsam als Bestandteil dieser Lebensform oder als zusätzliches Element zu tolerieren. Wenn man Sex mit einem Men­ schen desselben Geschlechts hat, führt das ganz natürlich zu einer Reihe von Wahlentscheidungen, zu einer Reihe anderer Werte und Wahlentscheidungen, für die noch keine realen Möglichkeiten be­ stehen. Es geht nicht darum, diese kleine, etwas bizarre Praxis der gleichgeschlechtlichen Sexualität in eine bestehende Kultur zu in­ tegrieren. Es geht darum, kulturelle Formen zu erschaffen. G. Barbedette: Aber im Alltag widersetzt sich einiges der Schaffung solcher Lebensformen.

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M. Foucault: Ja, und genau dort ist einiges zu verändern. Es ist gut, dass man die Menschen aus Achtung vor dem Recht auf individuelle Entfaltung tun lässt, was sie wollen. Aber wenn man eine neue Lebensweise erschaffen will, ist das Recht auf in­ dividuelle Entfaltung nicht so wesentlich. Wir leben in einer rechtlichen, sozialen und institutionellen Welt, in der nur sehr wenige, extrem schematisierte und äußerst arme Beziehungen möglich sind. Da gibt es das Eheband und die Familienbande, aber es sollten noch viele andere Beziehungen möglich sein und ihre Codierung finden, allerdings nicht in Institutionen, sondern in anderen möglichen tragenden Strukturen. Das ist jedoch über­ haupt nicht der Fall. G. Barbedette: Entscheidend ist die Frage nach den tragenden Strukturen, denn die Beziehungen existieren bereits oder versu­ chen es jedenfalls. Das Problem rührt daher, dass manche Dinge nicht im Bereich der Gesetzgebung, sondern der Exekutive ent­ schieden werden. In den Niederlanden haben einige Gesetzesän­ derungen die Macht der Familie geschwächt und gestatten es dem Einzelnen, sich in den Beziehungen, die er eingehen möchte, stär­ ker zu fühlen. So gilt für nicht blutsverwandte Personen desselben Geschlechts dasselbe Erbrecht wie für heterosexuelle Ehepaare. M. Foucault: Das ist ein interessantes Beispiel, aber es ist nur ein erster Schritt. Denn wenn die Menschen die Ehe kopieren müssen, damit ihre persönliche Beziehung anerkannt wird, ist das nur ein kleiner Fortschritt. Die Institutionen haben unsere Beziehungswelt beträchtlich verarmen lassen. Die Gesellschaft und die Institutionen, die deren Gerüst bilden, haben das.Spfektr rum möglicher Beziehungen eingeschränkt, weil eine an, Bezie­ hungen reiche Welt sich nur schwer verwalten ließe. Gegen diese Verarmung des Beziehungsgeflechts müssen wir uns wehren. Wir müssen erreichen, dass auch Formen zeitweiligen Zusammenle­ bens oder der Adoption anerkannt werden. G. Barbedette: Die Adoption von Kindern? M. Foucault: Ja, warum nicht? Oder zwischen Erwachsenen. Warum soll ich nicht einen Freund adoptieren, der zehn Jahre jünger ist als ich? Oder auch zehn Jahre älter? Statt darauf zu pochen, dass der Einzelne natürliche Grundrechte besitzt, sollten wir neue rechtliche Beziehungen erfinden und herstellen, die es gestatten, dass alle erdenklichen Beziehungen bestehen können

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und nicht von den die Beziehungswelt verarmenden Institutionen behindert oder blockiert werden. G. Barbedette: Müssten die gesetzlichen, finanziellen und so­ zialen Vorteile, die heterosexuelle Ehepaare genießen, nicht auch auf andere Beziehungen ausgedehnt werden? Das ist doch eine wichtige praktische Frage, oder nicht? M. Foucault: Unbedingt. Das ist eine schwierige, aber sehr in­ teressante Aufgabe. Zur Zeit begeistere ich mich für die hellenis­ tische und römische Welt vor dem Christentum. Nehmen wir zum Beispiel die Freundschaftsbeziehungen. Sie spielten eine er­ hebliche Rolle, aber es gab einen geschmeidigen - zuweilen auch mit Zwang verbundenen - institutioneilen Rahmen mit einem System aus Pflichten, Verbindlichkeiten und wechselseitigen Pflichten, einer Hierarchie der Freunde und so weiter. Ich bin keineswegs der Ansicht, dass wir dieses Modell kopieren sollten. Aber wir können daran sehen, dass ein geschmeidiges und den­ noch geregeltes Beziehungssystem über einen langen Zeitraum Bestand hatte und als Grundlage für eine Reihe wichtiger und stabiler Beziehungen diente, die wir heute nur schwer bestimmen können. Wenn man sich ein schriftliches Zeugnis zweier Freunde aus dieser Zeit ansieht, fragt man sich immer, was das in Wirk­ lichkeit war. Hatten sie Sex miteinander? Oder bestand eine In­ teressengemeinschaft zwischen ihnen? Wahrscheinlich keines von beidem - oder auch beides. G. Barbedette: Das Problem liegt darin, dass die Gesetze in den westlichen Gesellschaften allein auf dem Bürger oder dem Indi­ viduum basieren. Wie lässt sich der Wunsch nach der Anerken­ nung von Beziehungen, die nicht gesetzlich verankert sind, mit einem Gesetzgebungsverfahren vereinbaren, das von der Rechts­ gleichheit aller Bürger ausgeht? Da gibt es noch offene Fragen. Die der Junggesellen zum Beispiel. M. Foucault: Natürlich. Wir müssen anerkennen, dass der Jung­ geselle ganz andere Beziehungen zu anderen eingeht, als wir sie etwa in einem Haushalt finden. Oft heißt es, der Junggeselle leide an Einsamkeit, weil man den Verdacht hat, er sei ein verhinderter oder abgewiesener Ehemann. G. Barbedette: Oder jemand mit zweifelhafter Moral. M. Foucault: Genau. Jemand, der nicht heiraten kann. In Wirk­ lichkeit ist die Einsamkeit, zu der Junggesellen verdammt sind, oft

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die Folge der Verarmung an Beziehungsmöglichkeiten in unserer Gesellschaft, deren Institutionen dafür sorgen, dass nur wenige blutleere Beziehungen möglich sind, obwohl sie sehr intensiv und vielfältig sein könnten, selbst wenn sie nur zeitweiligen Cha­ rakter hätten und selbst, ja gerade auch, wenn sie sich nicht in den Rahmen der ehelichen Beziehung fügten. G. Barbedette: All diese Fragen zeigen, dass die Schwulenbewegung eine Zukunft besitzt, die weit über den gegenwärtigen Rahmen hinausgeht. In den Niederlanden zeigt sich zum Beispiel, dass die Rechte der Schwulen auch andere als Homosexuelle in­ teressieren, weil die Menschen ihr Leben und ihre Beziehungen so gestalten möchten, wie sie es wollen. M. Foucault: Ja, das sind äußerst interessante Entwicklungen, die mich begeistern. Die Frage der Schwulenkultur - die keines­ wegs nur aus Romanen von Päderasten über Päderastie besteht ist gar nicht so interessant, sondern eine Kultur in einem umfas­ senderen Sinne, eine Kultur, die Beziehungsformen, Lebenswei­ sen, Werte und Formen des Austausch zwischen Menschen er­ schafft, wirklich neue Formen, die sich nicht bruchlos an die allgemeinen kulturellen Formen anschließen. Wenn das möglich ist, wäre die Schwulenkultur nicht bloß eine Wahlentscheidung von Homosexuellen für Homosexuelle. Vielmehr entstünden dann Beziehungen, die sich in gewissem Maße auch auf Hetero­ sexuelle übertragen ließen. Wir sollten die Situation umkehren. Bisher haben wir gesagt: »Versuchen wir, die Homosexualität in die allgemeine Normalität der sozialen Beziehungen zurückzu­ führen!« Stattdessen sollten wir sagen: »Aber nein. Halten wir sie weitestmöglich fern von den Beziehungen, die unsere Gesell­ schaft uns vorschlägt, und versuchen wir, in dem Leerraum, in dem wir uns befinden, neue Beziehungsmöglichkeiten zu schaf­ fen!« Wenn wir ein Recht auf neue Beziehungen proklamieren, werden auch Nichthomosexuelle ihr Leben durch Veränderung ihrer Beziehungsschemata bereichern können. G. Barbedette: Der Ausdruck »schwul« ist selbst ein Katalysa­ tor, der zu beseitigen vermag, was einst der Ausdruck »Homo­ sexualität« vermittelte. M. Foucault: Das ist wichtig, denn wenn die Schwulen sich der Kategorisierung nach Homosexualität oder Heterosexualität ent­ ziehen, haben sie einen wichtigen und interessanten Schritt voll­

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zogen. Sie definieren ihre Probleme anders, indem sie eine Kultur zu schaffen versuchen, die ihren Sinn nur auf der Basis einer sexuellen Erfahrung und einer eigentümlichen Beziehungsform findet. Die aus der sexuellen Beziehung stammende Lust dem Normbereich der Sexualität und ihrer Kategorien zu entziehen und sie dadurch zum Kristallisationspunkt einer neuen Kultur zu machen, ist meines Erachtens ein interessanter Ansatz. G. Barbedette: Das interessiert die Menschen heute. M. Foucault: Die wichtigen Fragen hängen heute nicht mehr mit dem Problem der Unterdrückung zusammen. Das heißt kei­ neswegs, dass es keine Unterdrückten mehr gäbe, und vor allem heißt es nicht, dass wir diese Tatsache vernachlässigen dürften und nicht mehr dafür zu kämpfen bräuchten, dass niemand mehr un­ terdrückt wird. Das will ich ganz und gar nicht behaupten. Aber die Innovationsgrenze, an der wir stehen, ist nicht mehr der Kampf gegen die Unterdrückung. G. Barbedette: Die Herausbildung eines Ghettos, wie man das früher nannte, also eines Bereichs, der heute von Bars, Restaurants und öffentlichen Bädern repräsentiert wird, ist vielleicht ein eben­ so radikales und innovatives Phänomen wie der Kampf gegen dis­ kriminierende Gesetze. Manche würden sogar behaupten, diesen abgesonderten Bereich gäbe es auch ohne diskriminierende Ge­ setze, und wahrscheinlich hätten sie damit Recht. M, Foucault: Ja, aber wir sollten uns hüten, gegenüber den letz­ ten zehn oder fünfzehn Jahren eine Einstellung einzunehmen, die diese Vergangenheit abtut, als wäre sie ein langer Irrtum gewesen, den wir nun hinter uns gelassen hätten. Die Veränderung des Ver­ haltens war eine großartige Leistung, die viel Mut erforderte, aber wir können uns heute nicht mehr auf ein Verhaltensmodell oder eine Problemstellung beschränken. G. Barbedette: Wenn die meisten Bars nun keine geschlossenen Clubs mehr sind, so zeigt sich darin, dass etwas sich verändert hat in der Art, wie Homosexualität gelebt wird. Der dramatische Aspekt des Phänomens - der dessen Existenz sicherte - gehört der Vergangenheit an. M. Foucault: Vollkommen richtig. Aber andererseits dürfte das auch darauf zurückzuführen sein, dass wir das Schuldgefühl im Zusammenhang mit einer deutlichen Unterscheidung zwischen dem Leben von Männern und dem von Frauen, also im Zusam­

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menhang mit der »monosexuellen« Beziehung verringert haben. Mit der universellen Verdammung der Homosexualität ging eine implizite Disqualifizierung der monosexuellen Beziehung einher - sie wurde nur an Orten wie dem Gefängnis oder der Kaserne geduldet. Dabei bereitete die Monosexualität den Homosexuellen selbst erstaunlicherweise ebenfalls Unbehagen. G. Barbedette: Wie das? M. Foucault: Eine Zeit lang hieß es, wenn man mit homosexuel­ len Beziehungen beginnt, könne man endlich ein gutes Verhältnis zu Frauen finden. G. Barbedette: Was natürlich reine Fantasie war. M. Foucault: In dieser Vorstellung dürfte zum Ausdruck kom­ men, wie schwer man einzuräumen vermochte, dass eine mono­ sexuelle Beziehung möglich, vollkommen befriedigend und mit Beziehungen zu Frauen verträglich sein konnte - sofern man denn solch eine Beziehung wünschte. Ich glaube, diese Verdammung der Monosexualität ist im Schwinden begriffen. Heute beanspru­ chen auch Frauen das Recht auf Monosexualität und äußern den Wunsch danach. Davor dürfen wir keine Angst haben, auch wenn wir dabei immer noch an die Schlafsäle in Schulen, Kasernen oder Gefängnissen denken. Wir müssen zugeben, dass Monosexualität etwas sehr Reiches sein kann. G. Barbedette: In den 6oer-Jahren führte die Mischung der Ge­ schlechter, die als die zivilisierteste Beziehungsform dargestellt wurde, zu einer extremen Feindseligkeit gegenüber monosexuel­ len Gruppen, etwa in Schulen oder Privatclubs. M. Foucault: Die Verdammung dieser institutioneilen und en­ gen Monosexualität war vollkommen berechtigt, doch das Ver­ sprechen, wir würden Frauen lieben, wenn man uns nicht mehr wegen unseres Schwulseins verdammte, ist utopisch. Eine gefähr­ liche Utopie, nicht weil sie uns gute Beziehungen zu Frauen ver­ spricht - ich bin dafür, dass man gute Beziehungen zu Frauen hat -, sondern weil der Preis dafür die Verdammung der mono­ sexuellen Beziehung ist. In der negativen Reaktion mancher Fran­ zosen auf bestimmte amerikanische Verhaltensweisen findet sich noch etwas von dieser Missbilligung der Monosexualität. So hört man gelegentlich: »Wie könnt ihr dieses Machogehabe gutheißen? Ihr seid unter Männern, ihr tragt Schnurrbärte, Lederjacken und Stiefel. Was ist das für ein Bild vom Mann?« Vielleicht wird man

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in zehn Jahren darüber lachen, aber ich glaube, in diesem Bild von Männlichkeit zeigt sich eine Entwicklung zu einer neuerlichen Wertschätzung der monosexuellen Beziehung. Man sagt gleich­ sam: »Ja, wir verbringen die Zeit mit Männern, wir tragen Schnurrbärte und küssen uns«, ohne dass einer von beiden die Rolle des schönen Jünglings oder des zerbrechlichen, effeminierten Knaben spielen muss. G. Barbedette: Die Kritik am Machogehabe der neuen Schwu­ len ist also ein Versuch, Schuldgefühle zu wecken, und steckt voll von alten Klischees, wie sie bisher schon gegen die Homosexua­ lität vorgebracht wurden. M. Foucault: Es handelt sich tatsächlich um etwas für die abendländischen Gesellschaften sehr Neues und praktisch Unbe­ kanntes. Die Griechen haben die Liebe zwischen zwei erwachse­ nen Männern niemals geduldet. Gewiss finden sich Anspielungen auf die Vorstellung einer Liebe zwischen jungen Männern, die bereits Waffen tragen konnten, aber das gilt nicht für die Liebe zwischen zwei Männern. G. Barbedette: Das wäre demnach etwas vollkommen Neues? M. Foucault: Sexuelle Beziehungen zu erlauben ist eine Sache. Entscheidend ist aber etwas anderes: Die Betroffenen selbst müs­ sen diese Beziehungen akzeptieren und realisieren und ihnen die Bedeutung beimessen, die notwendig und hinreichend für die Er­ findung neuer Lebensweisen ist. Das ist neu. G. Barbedette: Warum ist der aus dem Recht der Schwulen ent­ standene Gedanke eines Rechts auf Beziehungen erstmals in den angelsächsischen Ländern aufgekommen? M. Foucault: Das dürfte mit vielen Dingen Zusammenhängen, sicher auch mit den Sexualgesetzen in den lateinischen Ländern. Zum ersten Mal sehen wir hier einen negativen Aspekt des, wie man sagen könnte, griechischen Erbes: die Tatsache, dass Liebe zwischen Männern nur in Gestalt der klassischen Päderastie ge­ duldet wird. Auch ein weiteres wichtiges Phänomen dürfen wir nicht außer Acht lassen: In den angelsächsischen Ländern, die ja weitgehend protestantisch geprägt sind, ist das Recht zur Bildung von Vereinigungen aus offenkundigen religiösen Gründen weitaus besser entwickelt. Ich möchte jedoch hinzufügen, dass die Bezie­ hungsrechte nicht genau mit den Vereinsrechten identisch sind, die eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts darstellen. Das

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Recht auf Beziehungen meint die Möglichkeit, im institutionellen Bereich Beziehungen zwischen Individuen zur Geltung zu brin­ gen, die sich nicht unbedingt auf eine anerkannte Gruppe stützen. Das ist etwas ganz anderes. Hier geht es um die Frage, wie die Beziehung zwischen zwei Menschen Anerkennung durch die Ge­ sellschaft finden und dieselben Vorteile genießen kann wie die einzig anerkannten - und absolut ehrenwerten - Beziehungen: Ehe und Verwandtschaft. Übersetzt von Michael Bischoff

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Zärtlichkeiten zwischen Männern als Kunst »Des caresses d'hommes considérées comme un art«, Libération, Nr. 323/ i.Juni 1982, S. 27 (Über J. Dover, Homosexualité grecque, Grenoble 1982).

Wer sich für die schlaflosen Nächte der Verleger interessierte, könnte sie - und keineswegs die kleinsten - klagen hören: Über­ setzungen sind unmöglich, sie sind langwierig, teuer und unrenta­ bel. Ich kenne einige, die seit zehn Jahren ein Übersetzungspro­ jekt mit sich herumschleppen, das sie nicht abzulehnen wagten und das abzuschließen sie nun nicht den Mut finden. Aber da gibt es einen Verleger, einen »ganz kleinen«, der gerade die - sehr gute -- französische Übersetzung des noch recht neuen und dennoch schon klassischen Dover herausgebracht hat. Der in Grenoble beheimatete Verlag La pensée sauvage von Alain Geoffroy und Suzanne Said (einer ausgezeichneten Übersetzerin) hat sich an diese Aufgabe gewagt. Und mit vollem Erfolg. Bedenkenswert für alle, die über die Zukunft »wissenschaftlicher« Verlage nachdenken. Dovers Werk wird hier denselben Erfolg haben wie in England und den Vereinigten Staaten. Gut so. Mit vollen Händen verteilt es die Freuden der Bildung, und das oft ganz unerwartet. Das Buch ist von großer geistiger Wachheit und oft von unerschütter­ licher Komik: eine beißend-gelehrte Amoralität Oxford'scher Prägung, eine unendliche Gewissenhaftigkeit in dem Bemühen, über zweifelhafte Texte und ein paar Museumsstücke das Bild

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einer Hand zwischen Schenkeln oder die Zärdichkeit eines zwei­ einhalb Jahrtausende zurückliegenden Kusses wieder lebendig werden zu lassen. Das Neue an diesem Buch liegt aber vor allem in den verwendeten Quellen und dem Gebrauch, den es davon macht. Mit größter Strenge bezieht es Text- und Bildquellen auf­ einander. Denn die Griechen der klassischen Zeit haben mehr ge­ zeigt als gesagt: Die Vasenbilder werden weitaus deutlicher als die überkommenen Texte und selbst noch die Komödien. Aber um­ gekehrt blieben viele Bilder stumm (und bleiben es zum Teil bis heute), wenn man nicht auf Texte zurückgreift, die deren amouröse Bedeutung erhellen. Ein junger Mann gibt einem Knaben einen Hasen. Ein Liebesgeschenk. Er streichelt ihm das Kinn. Ein Vorschlag. Im Kern versucht Dover mit seiner Analyse heraus­ zufinden, was diese Gesten der Sexualität und der Lust bedeuten, die wir für universell halten (wo wären denn auch größere Ge­ meinsamkeiten zu finden als in der Liebesgestik?) und die, in ihrer geschichtlichen Besonderheit analysiert, einen ganz besonderen Diskurs entfalten. In der Tat entrümpelt Dover eine Begriffslandschaft, die uns bisher den Blick verstellt hat. Natürlich finden sich immer noch liebenswerte Geister, die meinen, Homosexualität habe es doch letztlich immer gegeben, und zum Beleg auf Cambacérès, den Duc de Crequi, Michelangelo oder Timarchos verweisen. Naiven Geistern dieser Art erteilt Dover eine gute Lektion in histori­ schem Nominalismus. Die Beziehung zwischen zwei Menschen desselben Geschlechts ist eine Sache. Einen Menschen desselben Geschlechts zu lieben und gemeinsam mit ihm Lust zu erleben ist etwas anderes: eine eigentümliche Erfahrung mit eigenen Objek­ ten und Werten, eigentümlichen Formen des Subjektseins und des Selbstbewusstseins. Diese Erfahrung ist komplex, vielfältig und in ihren Formen veränderlich. Man könnte eine ganze Geschichte des »gleichge­ schlechtlichen Anderen« als Lustobjekt schreiben. Genau das hat Dover für das klassische Griechenland getan. In Athen waren es freie Knaben, in Rom später dann eher Sklaven. Zu Beginn des klassischen Zeitalters lag der Wert in seiner jugendlichen Kraft und seiner bereits vorgezeichneten Gestalt, später dann in seiner Anmut, in seiner Jugend, in der Frische seines Körpers. Wenn es gut sein sollte, musste er Widerstand leisten, er durfte nicht von

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Hand zu Hand gehen und nicht dem Erstbesten nachgeben, und in jedem Fall durfte er sich nicht »für nichts« hingeben (wobei Geld allerdings die Beziehung disqualifiziert und allzu große Gier sie suspekt gemacht hätte). Auch bei den Knabenliebhabern fin­ den sich verschiedene Profile: Jugendfreund und Waffengefährte, Vorbild bürgerlicher Tugend, eleganter Kavalier, Weisheitslehrer. Keinesfalls jedoch erlebten beide Seiten diese Liebe oder Lust in derselben Weise, wie wir und unsere Zeitgenossen heute Homo­ sexualität erleben. Als unsinnig erweist sich nach Dover auch die Behauptung, in Griechenland sei die Homosexualität frei gewesen. Eine Geschich­ te dieser Art lässt sich nicht unter die einfachen Begriffe des Verbots und der Toleranz fassen, als stünde auf der einen Seite hartnäckiges Begehren und auf der anderen das Verbot, das es unterdrückt. In Wirklichkeit folgten Liebes- und Lustbeziehungen zwischen Per­ sonen männlichen Geschlechts ganz präzisen und anspruchsvollen Regeln. Natürlich gab es die Verpflichtung, den Liebhaber zu ver­ führen und ihm den Hof zu machen. Es gab eine ganze Hierarchie, von der »guten« Liebe, die beiden Partnern zur Ehre gereichte, über diverse Zwischenstufen der Schwächen, der Gefälligkeit und der befleckten Ehre bis hin zur käuflichen Liebe. Die Beziehung zwischen erwachsenen Männern und Knaben war in helles Licht getaucht, die zwischen zwei gestandenen Bartträgern dagegen in tiefste Dunkelheit gehüllt. Und schließlich gab es eine radikale Unterscheidung zwischen Aktivität und Passivität - zweifellos ei­ nes der wichtigsten Merkmale der griechischen Ethik. Nur die ak­ tive Rolle galt als wertvoll; die passive Rolle, die man der Natur oder dem Status der Frau oder des Sklaven zuordnete, konnte für einen Mann nur eine Schande sein. In Dovers Studie wird deutlich, worin der größte Unterschied zwischen dem griechischen und un­ serem heutigen Erleben der Sexualität besteht. Für uns ist entschei­ dend die Präferenz für das (hetero- oder homosexuelle) Objekt. Für die Griechen dagegen markierte die (aktive oder passive) Rolle des Subjekts die entscheidende moralische Grenze. Im Vergleich zu diesem konstituierenden Element einer im Wesentlichen männli­ chen Ethik ist die Wahl der Partner (Knaben, Frauen, Sklaven) nur von geringer Bedeutung. Auf den letzten Seiten seines Buchs kommt Dover auf einen zentralen Punkt zu sprechen, der im Rückblick seine ganze Ana­

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lyse erhellt. Bei den Griechen - und zwar nicht nur der klassi­ schen Periode - war das Sexualverhalten nicht rechtlich geregelt. Weder staatliche noch religiöse, noch auch »natürliche« Gesetze schrieben vor, was man tun durfte und was nicht. Dennoch gab es eine anspruchsvolle, komplexe und vielschichtige Sexualethik. Aber in der Art, wie eine technê, eine Kunst dies sein kann - eine Lebenskunst, verstanden als Sorge um sich selbst und um sein Dasein. In seinem ganzen Buch zeigt Dover, dass die Lust mit Knaben eine Form von Erfahrung war. In den meisten Fällen schloss sie ein Verhältnis zu Frauen nicht aus. In diesem Sinne war sie weder Ausdruck einer besonderen affektiven Struktur noch einer Da­ seinsform, die sich von anderen unterschieden hätte. Aber sie war weit mehr als eine von mehreren Lustmöglichkeiten, denn sie erforderte bestimmte Verhaltensformen, Seinsweisen, Bezie­ hungen zu anderen und die Anerkennung eines ganzen Komple­ xes von Werten. Sie war eine Option, die weder ausschließlichen noch unumkehrbaren Charakter hatte, deren Prinzipien, Regeln und Auswirkungen jedoch weit in die Lebensformen hinein reich­ ten. Wir müssen uns damit abfinden: Dovers Buch berichtet nicht von einem goldenen Zeitalter, in dem das Begehren ganz offen bisexuell gewesen wäre. Es erzählt vielmehr die einzigartige Ge­ schichte einer sexuellen Wahlentscheidung, die in einer bestimm­ ten Gesellschaft einst eine Lebensweise, eine Kultur und eine Kunst des Selbst darstellte. Übersetzt von Michael Bischoff

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Die Maschen der Macht »As malhas do poder« (2. Teil übers, von P. W. Prado Jr., Vortrag an der phi­ losophischen Fakultät der Universität Bahia, 1976), in: Barbarie, Nr. 4, Som­ mer 1982, S. 34-42. Siehe oben Nr. 297.

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3i 6 Terrorismus hier und dort »Le terrorisme ici et là« (Gespräch mit D. Éribon), in: Libération, Nr. 403, 3.September 1982, S. 12.

Am 28. August 1982 verhaftete die dem Elysée unterstehende Antiterror­ einheit GIGN (Groupe d’intervention de la Gendarmerie Nationale) in Vincennes drei irische Nationalisten, die als wichtige Terroristen darge­ stellt wurden. D ie besondere Aufmerksamkeit, die man für diese Verhaf­ tung suchte, sollte in der Öffentlichkeit ein Gegengewicht zu dem blutigen Anschlag auf das berühmte Pariser Restaurant Goldenberg vom 9. August 1982 schaffen. Am 17. August hatte Präsident Mitterrand erklärt: »Ich werde diesen Terroristen zuvorkommen.« In den Umständen der Festnah­ me der in der Presse so genannten »Iren von Vincennes«, die schon seit geraumer Zeit von einer anderen Polizeieinheit, der Direction de la Sur­ veillance du Territoire (DST), beobachtet worden waren, zeigten sich schon bald zahlreiche Unregelmäßigkeiten. Ihr Anwalt wandte sich an M. Fou­ cault. Als die Unregelmäßigkeiten des Verfahrens gegen die Iren von Vin­ cennes im Mai 1983 vollends ans Licht kamen, hatte die neue sozialistische Regierung ihren ersten politischen Polizeiskandal.

D. Eribon: Das Problem des Terrorismus und die Politik der Re­ gierung auf diesem Gebiet werfen eine Reihe rechtlicher Fragen auf. M. Foucault: Die seit Mitterrands Amtsantritt durchgeführten Reformen und Maßnahmen im Bereich der Rechtspolitik finde ich gut.1 Das habe ich gesagt und wiederhole es gerne. Mitterrands jüngste Erklärung zum Terrorismus, wonach er keine besonderen Maßnahmen ergreifen und keine Änderung an Gesetzen und Be­ stimmungen vornehmen will, ist ausgezeichnet. D. Eribon: Aber was sagen Sie zu den Verhaftungen vom letz­ ten Samstag und zu der Tatsache, dass der Elysée sie bekannt gegeben hat? M. Foucault: Man hat die Sondergesetze abgeschafft, so dass 1 [30. September 1981: Abschaffung der Todesstrafe; 26. November 1981: Aufhe­ bung des Gesetzes gegen Demonstranten; 30. Juni 1982: Abschaffung der ständigen Militärgerichte; 30.Juli 1982: Aufhebung des gesetzlichen Verbots der Homo­ sexualität.]

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nun alle Vergehen vor ordentlichen Gerichten nach dem gewöhn­ lichen Strafrecht und der üblichen Strafprozessordnung behandelt werden. Das ist sehr wichtig, aber man darf nicht mit der einen Hand nehmen, was man mit der anderen gerade gegeben hat. Das heißt, man darf einen Fall nicht als »außergewöhnlich« darstellen, indem man ihn mit dem vollen Glanz politischer Publizität um­ gibt. Wie soll denn ein Fall unter »gewöhnlichen« Bedingungen untersucht und vor Gericht behandelt werden, wenn er in der Öffentlichkeit mit der ganzen Autorität des Staatspräsidenten als außergewöhnlich wichtige Angelegenheit dargestellt worden ist? Die Medien haben stark auf diese Erklärung reagiert, da es hieß, die drei Iren hätten für den folgenden Sonntag blutige An­ schläge in Paris vorbereitet. Das erwies sich später dann als unzutreffend, und wie es scheint, hat man große Mühe, ein Land zu finden, das so nett wäre, die Auslieferung der drei zu verlangen. Aber das ist nur die anekdotische Seite. Wenn die drei ein Ver­ brechen begangen haben, ist es Aufgabe der Justiz, das festzu­ stellen und sie abzuurteilen. Es ist nicht Sache der Politik, das Ergebnis eines juristischen Verfahrens vorwegzunehmen. Die po­ litisch Verantwortlichen dürfen einen Fall nicht als außergewöhn­ lich hinstellen, nachdem sie gerade die Sonderverfahren abge­ schafft haben. Wir müssen uns aber noch eine andere Fragen stellen: Wer ist denn da verhaftet worden? Drei Iren und ein Italiener. Es ist hinreichend bekannt, dass die wahren terroristischen Gefahren in Frankreich nicht von dieser Seite drohen. Während man heim­ lich mit den wirklich gefährlichen Organisationen verhandelt das wissen alle, und möglicherweise ist es unvermeidlich -, sollte man nicht so viel Lärm um Verhaftungen machen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nur von geringerer Bedeutung sind. Muss man einen übrig gebliebenen Anhänger der italienischen Autonomie­ bewegung festnehmen, um die Erfolgsbilanz einer Terrorismusbe­ kämpfung aufzubessern, die in Wirklichkeit ganz andere Mittel einsetzt? D. Éribon: Es ist nicht gleichgültig, dass es Iren »getroffen« hat. M. Foucault: Mitterrand war der einzige europäische Politiker, der den Mut hatte, zum Tod von Bobby Sands Stellung zu be­ ziehen. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir dürfen aber auch

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nicht vergessen, dass Präsident Mitterrand nichts zu den Iren ge­ sagt hat, die im Gefängnis verhungerten, um ihre Anerkennung als politische Gefangene durchzusetzen. Ein wenig von dem Lärm, den man letzten Samstag um die Festnahmen in Paris gemacht hat, wäre vielleicht nicht unnütz gewesen, wenn man ihn beizeiten für jene genutzt hätte, die gegen jahrhundertealte Gegner kämpfen. Denn wenn es politische Kämpfe gibt, die eine historische Berech­ tigung haben, dann doch wohl der Kampf, den die Iren seit vier­ hundert Jahren führen. Und falls der Kampf gegen den Terroris­ mus ein Exempel brauchte, war dieses Exempel wohl das leichteste, aber nicht das beste und auch nicht das am besten ge­ rechtfertigte. D. Eribon: Darauf wird man Ihnen erwidern, Europa müsse sehr wohl gegen den Terrorismus kämpfen. M. Foucault: Europa muss gegen den Terrorismus kämpfen. Das ist wahr. Aber der gefährlichste Terrorismus, den wir in Eu­ ropa kennen, ist der, dessen Auswirkungen wir in Warschau, Gdansk und Lublin gesehen haben, mit drei Toten, Hunderten von Verletzten und Tausenden von Festnahmen. Übersetzt von Michael Bischoff

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Sexuelle Wahl, sexueller Akt »Sexual Choice, Sexual Act« (»Choix sexuel, acte sexuel«; Gespräch mit J. O ’Higgins, übersetzt von F. Durand-Bogaert), in: Salmagundi, Nr. 58-59: Homosexuality: Sacrilege, Vision, Politics, Herbst-Winter 1982, S. 10-24.

/. O’Higgins: Ich möchte Sie gern zu Beginn fragen, was Sie von dem gerade erschienenen Werk von John Boswell über die Ge­ schichte der Homosexualität seit den Anfängen des christlichen Zeitalters bis zum Ende des Mittelalters halten.1 Können Sie in Ihrer Eigenschaft als Historiker seiner Methodologie etwas abge­ winnen? In welchem Maße sind Ihrer Ansicht nach die Schluss1 [Boswell, J., Cbristianity, Social Tolérance, and Homosexuality: Gay People in Western Europefrom the Beginning of tbe Christian Era to tbe Fourteentb Century, Chicago/London 1980.]

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folgerungen, zu denen Boswell gelangt, ein Beitrag zu einem bes­ seren Verständnis der Homosexualität heute? M. Foucault: Wir haben da mit Sicherheit eine sehr wichtige Untersuchung, deren Eigenständigkeit bereits in der Art der Problemstellung deutlich wird. Von einem methodologischen Standpunkt aus stellt die Zurückweisung des scharfen Gegensat­ zes zwischen homosexuell und heterosexuell, der eine so bedeu­ tende Rolle in der Betrachtung der Homosexualität durch unsere Kultur spielt, einen Fortschritt nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Kulturkritik dar. Die Einführung des Be­ griffs »schwul« [gay] (in der von Boswell dafür vorgelegten De­ finition) liefert uns ein wertvolles Instrument für die Forschung und hilft uns zugleich, das Bild besser zu verstehen, das die Leute von sich selbst und von ihrem sexuellen Verhalten haben. Was die Ergebnisse der Untersuchung angeht, ermöglichte es diese Metho­ dologie zu entdecken, dass das, was man die Unterdrückung der Homosexualität nannte, nicht auf das Christentum im eigentli­ chen Sinne, sondern auf eine spätere Periode des christlichen Zeit­ alters zurückging. Es ist bei dieser Art Analyse wichtig, die Vor­ stellung, die sich die Leute von ihrer Sexualität machen, richtig zu erfassen. Das Sexualverhalten ist nicht, wie allzu häufig unter­ stellt, die Überlappung von einerseits aus natürlichen Trieben her­ vorgegangenen Begierden und andererseits permissiven und rest­ riktiven Gesetzen, die diktieren, was man tun muss und was man nicht tun darf. Das Sexualverhalten ist mehr als das. Es ist auch das Bewusstsein von dem, was man tut, die Art und Weise, wie man die Erfahrung erlebt, der Wert, den man ihr beimisst. In diesem Sinne, glaube ich, trägt der Begriff »schwul« zu einer po­ sitiven Würdigung - statt einer rein negativen - eines Bewusst­ seins bei, in welchem die Zuneigung, die Liebe, das Begehren und die Sexualbeziehungen ihre Wertschätzung erhalten. /. O’Higgins: Ihre jüngste Arbeit hat Sie, wenn ich nicht fehl­ gehe, dazu geführt, die Sexualität im antiken Griechenland zu untersuchen. M. Foucault: Das ist richtig, und gerade das Buch von Boswell hat mir insofern als Anleitung gedient, als es mir zeigte, wo das zu suchen war, was den Wert ausmacht, den die Leute mit ihrem Sexualverhalten verbinden. /. O’FIiggins: Ist diese Aufwertung des kulturellen Kontextes

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und des Diskurses, den die Leute über ihr sexuelles Verhalten ausbilden, der Reflex einer methodologischen Entscheidung, die Unterscheidung zwischen angeborener Veranlagung zur Homo­ sexualität und sozialer Konditionierung zu umgehen? Haben Sie eine Überzeugung, welche auch immer, in diesem Bereich? M. Foucault: Ich habe zu diesem Punkt absolut nichts zu sagen. No comment. J. O’Higgins: Wollen Sie damit sagen, dass es keine Antwort auf diese Frage gibt? Oder dass meine Frage eine unbegründete Frage ist? Oder, ganz einfach, dass sie Sie nicht interessiert? M. Foucault: Nein, nichts von alledem. Ich halte es einfach nur nicht für nützlich, von Dingen zu sprechen, die jenseits meines Kompetenzbereichs liegen. Die Frage, die Sie stellen, fällt nicht in mein Ressort, und ich möchte nicht über das sprechen, was nicht wirklich den Gegenstand meiner Arbeit darstellt. Zu dieser Frage habe ich lediglich eine Meinung; und da es nur eine Meinung ist, ist sie ohne Interesse. /. O’Higgins: Meinungen können doch interessant sein, glauben Sie nicht? M. Foucault: Das stimmt, ich könnte meine Meinung abgeben, aber das hätte nur Sinn, wenn jeder, wirklich jeder, befragt würde. Ich möchte nicht unter dem Vorwand, dass ich interviewt werde, von einer Autoritätsposition profitieren, um den Markt der Mei­ nungen zu bedienen. J. O'Higgins: Na schön. Wechseln wir also den Kurs. Denken Sie, dass man berechtigterweise, die Homosexuellen betreffend, von einem Klassenbewusstsein sprechen kann? Muss man die Ho­ mosexuellen genauso wie die unqualifizierten Arbeiter oder wie in bestimmten Ländern die Schwarzen ermutigen, sich als Teil einer Klasse anzusehen? Was sollten Ihres Erachtens die politi­ schen Ziele der Homosexuellen als Gruppe sein? M. Foucault: Als Antwort auf Ihre erste Frage behaupte ich, dass das Bewusstsein der Homosexualität gewiss über die indivi­ duelle Erfahrung hinausgeht und das Gefühl umfasst, zu einer besonderen sozialen Gruppe zu gehören. Das ist eine unbestreit­ bare Tatsache, die auf sehr alte Zeiten zurückgeht. Selbstverständ­ lich ist diese Bekundung des kollektiven Bewusstseins der Homo­ sexuellen etwas, das sich mit der Zeit ändert und von einem Ort zum anderen variiert. Sie hat zum Beispiel bei verschiedenen Ge­

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legenheiten die Form der Zugehörigkeit zu einer Art Geheimge­ sellschaft oder der Zugehörigkeit zu einer verfemten Rasse oder auch der Zugehörigkeit zu einer zugleich privilegierten und ver­ folgten Fraktion der Menschheit angenommen; das kollektive Bewusstsein der Homosexuellen hat zahlreiche Verwandlungen erlitten, genauso wie auch, nebenher gesagt, das kollektive Be­ wusstsein der unqualifizierten Arbeiter. Es stimmt, dass jüngst einige Homosexuelle, dem politischen Modell folgend, es unter­ nommen haben, ein gewisses Klassenbewusstsein auszubilden. Mein Gefühl ist, dass dies wahrlich keinen Erfolg haben kann, wie die politischen Konsequenzen dieser Vorgehensweise auch aussehen, weil die Homosexuellen keine soziale Klasse bilden. Das heißt nicht, dass man sich nicht eine Gesellschaft vorstellen kann, in der die Homosexuellen eine soziale Klasse bilden wür­ den. Wenn man indes von unserer aktuellen ökonomischen und sozialen Organisationsweise ausgeht, sehe ich kaum, wie die Sa­ che Gestalt annehmen könnte. Was die politischen Ziele der homosexuellen Bewegung angeht, können zwei Punkte herausgestellt werden. Man muss an erster Stelle die Frage der sexuellen Wahlfreiheit betrachten. Ich sage sexuelle Wahlfreiheit und nicht Freiheit des sexuellen Aktes, weil bestimmte Akte wie die Vergewaltigung nicht erlaubt sein sollten, ob nun ein Mann und eine Frau oder zwei Männer darin verwi­ ckelt sind. Ich glaube nicht, dass wir eine Art absolute Freiheit, vollkommene Handlungsfreiheit im sexuellen Bereich zu unserem Ziel machen sollten. Umgekehrt muss da, wo es um die sexuelle Wahlfreiheit geht, unsere Unbeugsamkeit vollkommen sein. Die sexuelle Wahlfreiheit impliziert die Freiheit, diese Wahl zum Aus­ druck zu bringen. Darunter verstehe ich die Freiheit, diese Wahl zu zeigen oder nicht zu zeigen. Es stimmt, dass hinsichtlich der Gesetzgebung beträchtliche Fortschritte in diesem Bereich ge­ macht wurden, und dass eine Bewegung in Richtung größerer Toleranz in Gang gekommen ist, aber es gibt noch viel zu tun. Zweitens könnte es sich eine homosexuelle Bewegung zum Ziel setzen, die Frage nach dem Raum zu stellen, den für das Indivi­ duum in einer gegebenen Gesellschaft die sexuelle Wahl, das se­ xuelle Verhalten und die Auswirkungen der sexuellen Beziehun­ gen unter den Leuten einnehmen. Diese Fragen sind grundsätzlich dunkel. Sehen Sie sich beispielsweise die Verwirrung und die

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Zweideutigkeit an, die die Pornographie umgeben, oder den Man­ gel an Klarheit, der die Frage nach dem rechtlichen Status charak­ terisiert, durch den man die Verbindung zwischen zwei Personen desselben Geschlechts definieren könnte. Ich meine nicht, dass die gesetzliche Regelung der Heirat unter Homosexuellen ein Ziel darstellen muss, sondern dass wir da eine ganze Reihe von Fragen haben, die innerhalb des rechtlichen und gesellschaftlichen Rah­ mens die Einbeziehung und Anerkennung einer gewissen Anzahl von Beziehungen zwischen den Individuen betreffen, und für die eine Antwort gefunden werden muss. J. O’Higgins: Sie nehmen also an, wenn ich Sie richtig verstehe, dass die homosexuelle Bewegung sich nicht nur zum Ziel nehmen darf, die Liberalität der Gesetze zu erweitern, sondern auch wei­ tere und tiefere Fragen nach der strategischen Rolle stellen muss, die die sexuellen Vorlieben spielen, und danach, wie diese Vor­ lieben wahrgenommen werden. Meinen Sie, dass die homosexuel­ le Bewegung sich nicht allein auf die Liberalisierung der Gesetze, die sich auf die sexuelle Wahl des Individuums beziehen, be­ schränken sollte, sondern dass sie auch die Gesamtgesellschaft anregen sollte, ihre Vorurteile in Sachen Sexualität zu überden­ ken? Was mit anderen Worten nicht bedeuten würde, dass die Homosexuellen Abweichler wären, die man in Frieden leben las­ sen sollte, sondern dass man das gesamte Begriffssystem zerstören muss, das die Homosexuellen unter die Abweichler einordnet. Nun, das wirft ein interessantes Licht auf die Frage der homo­ sexuellen Erzieher. In der Debatte, die in Kalifornien zum Beispiel über das Recht Homosexueller, an Primär- und Sekundärschulen zu lehren, in Gang gekommen ist, beriefen sich diejenigen, die gegen dieses Recht waren, nicht nur auf die Vorstellung, dass die Homosexuellen insofern eine Gefahr für die Unschuld dar­ stellen könnten, als sie imstande wären zu versuchen, ihre Schüler zu verführen, sondern auch darauf, dass die Homosexuellen die Homosexualität predigen könnten. M. Foucault: Sehen Sie, die ganze Frage ist schlecht formuliert worden. Auf keinen Fall sollte die sexuelle Wahl eines Indivi­ duums den Beruf bestimmen, den man ihm auszuüben erlaubt oder verbietet. Die Sexualpraktiken sind ganz einfach keine treff­ lichen Kriterien, um über die Eignung eines Individuums, einen gegebenen Beruf auszuüben, zu entscheiden. »Einverstanden«,

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werden Sie mir darauf antworten, »aber wenn dieser Beruf von den Homosexuellen dazu genutzt wird, andere Leute zu ermuti­ gen, homosexuell zu werden?« Ich werde Ihnen darauf wie folgt antworten: Glauben Sie, dass die Lehrkräfte, die über Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte hinweg den Kindern erklärt haben, dass die Homosexualität unstatthaft wäre, glauben Sie, dass die Schulbücher, die die Literatur gereinigt und die Geschichte verfälscht haben, um eine gewisse Anzahl sexueller Verhaltensweisen auszuschließen, nicht Schäden verur­ sacht haben, die mindestens ebenso ernst sind wie diejenigen, die man einem homosexuellen Lehrer unterstellen kann, der von der Homosexualität spricht, und dessen einziges Unrecht darin be­ steht, dass er eine gegebene Wirklichkeit, eine erlebte Wirklichkeit erklärt? Die Tatsache, dass ein Lehrer homosexuell ist, kann eine mit­ reißende und extreme Wirkung auf die Schüler nur dann haben, wenn der Rest der Gesellschaft sich weigert, die Existenz der Homosexualität zuzugestehen. A priori dürfte ein homosexueller Lehrer keine größeren Probleme aufwerfen als ein kahlköpfiger Lehrer, ein männlicher Lehrer in einer Mädchenschule, eine Leh­ rerin in einer Jungenschule oder ein arabischer Lehrer in einer Schule des 16. Arrondissements von Paris. Zu dem Problem des homosexuellen Lehrers, der aktiv seine Schüler zu verführen versucht, kann ich nur sagen* dass dieses Problem in sämtlichen pädagogischen Situationen auftreten kann; doch findet man deutlich mehr Beispiele für diese Art Verhalten unter den heterosexuellen Lehrern - ganz einfach, weil sie die Mehrheit der Lehrer ausmachen. J. O’Higgins: Man beobachtet eine immer ausgeprägtere Ten­ denz in den amerikanischen intellektuellen Kreisen, insbesondere unter den überzeugtesten Feministinnen, zwischen männlicher Homosexualität und weiblicher Homosexualität zu unterschei­ den. Diese Unterscheidung beruht auf zweierlei. Als Erstes: Wenn der Terminus Homosexualität verwandt wird, um nicht nur eine Neigung zu Gefühlsbeziehungen mit Personen desselben Ge­ schlechts zu bezeichnen, sondern auch ein Bestreben, bei Mitglie­ dern desselben Geschlechts erotische Verführung und erotische Erwiderung zu erreichen, dann ist es wichtig, die sehr deutlichen Unterschiede hervorzuheben, die sich auf der körperlichen Ebene

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im jeweiligen Zusammenkommen ergeben. Die andere Vorstel­ lung, worauf sich die Unterscheidung gründet, ist die, dass die Lesben im Allgemeinen bei einer anderen Frau das zu suchen scheinen, was eine feste heterosexuelle Beziehung bietet: Unter­ stützung, Hingabe, langfristige Verbindlichkeit. Wenn dies bei den homosexuellen Männern nicht der Fall ist, dann kann man sagen, dass der Unterschied auffällig, wenn nicht gar grundlegend ist. Erscheint Ihnen die Unterscheidung nützlich und haltbar? Welche Gründe kann man ausmachen, die diese Unterschiede rechtfertigen, die eine beträchtliche Anzahl von einflussreichen radikalen Feministinnen mit so viel Nachdruck betonen? M. Foucault: Ich kann mich nur ausschütten vor Lachen... J. O’Higgins: Ist meine Frage auf eine Weise witzig, die mir entgeht, oder ist sie dumm, oder beides? M. Foucault: Sie ist gewiss nicht dumm, aber ich finde sie sehr amüsant, zweifellos aus Gründen, die ich nicht erklären könnte, selbst wenn ich es wollte. Ich behaupte, dass die vorgeschlagene Unterscheidung mir nicht sehr überzeugend erscheint, wenn ich es danach beurteile, was ich an der Haltung der Lesben beobachte. Doch darüber hinaus müsste man über die verschiedenen Pressio­ nen sprechen, die auf die Männer und die Frauen ausgeübt wer­ den, die sich für homosexuell erklären oder versuchen, so zu le­ ben. Ich glaube nicht, dass die radikalen Feministinnen anderer Länder zu diesen Fragen denselben Standpunkt haben, den Sie als den der amerikanischen Intellektuellen beschreiben. /. O’Higgins: Freud erklärt in seiner »Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität«, dass alle Homosexuellen Lüg­ ner sind.2 Man muss nicht notwendigerweise diese Behauptung ernst nehmen, um sich zu fragen, ob die Homosexualität nicht eine Tendenz zur Verstellung in sich trägt, die Freud zu derlei Äußerungen hätte anregen können. Wenn wir das Wort »Lüge« durch Worte wie »Metapher« oder »indirekter Ausdruck« erset­ zen, kommen wir dann nicht näher an das heran, was der homo­ sexuelle Stil ist? Hat es darüber hinaus irgendeinen Nutzen, von einem homosexuellen Stil oder einer homosexuellen Sensibilität 2 [Anspielung auf den Satz von Freud: »erklärte ich ihr eines Tages, ich glaube diesen Träumen nicht, sie seien lügnerisch«, in: »Uber die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität« (1920), in: Gesammelte Werke, Bd.X, London/ Frankfurt am Main 1947, S. 293.]

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zu sprechen? Richard Sennett seinerseits nimmt an, dass es ge­ nauso wenig einen homosexuellen Stil wie einen heterosexuellen Stil gibt. Ist das auch Ihr Standpunkt? M. Foucault: Ja, ich glaube nicht, dass es großen Sinn hätte, von einem homosexuellen Stil zu sprechen. Und auf der Ebene der Natur bedeutet der Terminus Homosexualität nichts Großartiges. Ich lese gerade ein interessantes, vor kurzem in den Vereinigten Staaten herausgekommenes Buch, das den Titel Proust and the Art of Love trägt.3 Der Autor zeigt, wie schwierig es ist, der Behaup­ tung »Proust war homosexuell« einen Sinn zu geben. Mir scheint, wir haben da letztlich eine inadäquate Kategorie vor uns. Inadä­ quat in dem Sinne, dass man einerseits nicht die Verhaltensweisen klassifizieren kann, und andererseits der Terminus nicht die Art Erfahrung berücksichtigt, um die es geht. Man könnte streng ge­ nommen sagen, dass es einen schwulen Stil oder zumindest einen weitergehenden Versuch gibt, einen bestimmten Existenzstil, eine Existenzform oder eine Lebenskunst, die man »schwul« nennen könnte, neu zu erschaffen. Um jetzt auf Ihre Frage zur Verstellung zu antworten: Es stimmt, dass es im 19. Jahrhundert zum Beispiel in einem be­ stimmten Maße notwendig war, seine Homosexualität zu verber­ gen. Doch die Homosexuellen als Lügner zu bezeichnen, ist das Gleiche, als ob man die Widerstandskämpfer gegen eine militä­ rische Besatzung als Lügner bezeichnet; oder die Juden als »Wu­ cherer« - in einer Zeit, in der der Beruf des Wucherers der einzige war, dessen Ausübung man ihnen gestattete. J. O’Higgins: Es scheint dennoch selbstverständlich so zu sein, dass man, zumindest auf der soziologischen Ebene, dem schwulen Stil gewisse Charakteristika und auch gewisse Verallgemeinerun­ gen zuweisen muss, die - trotz Ihres Gelächters vorhin - an ste­ reotype Formeln wie die Promiskuität, die Anonymität unter den Sexualpartnern, die Existenz rein körperlicher Beziehungen, usw., erinnern. M. Foucault: Ja, doch sind die Dinge ganz und gar nicht so einfach. In einer Gesellschaft wie der unseren, in der die Homo­ sexualität unterdrückt wird - und zwar strikt -, genießen die Männer eine deutlich größere Freiheit als die Frauen. Die Männer 3 [Rivers, J. E., Proust and the Art of Love: The Aesthetics of Sexuality in the Life, Times, and Art of Marcel Proust, N ew York/London 1980.]

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haben die Möglichkeit, deutlich öfter Sex zu haben, und unter eindeutig weniger restriktiven Bedingungen. Man hat Häuser für die Prostitution geschaffen, um ihren sexuellen Bedürfnissen zu genügen. Ironischerweise hat das eine gewisse Permissivität gegenüber den sexuellen Praktiken unter Männern zur Wirkung gehabt. Man nimmt an, dass das sexuelle Begehren bei den Män­ nern intensiver ist, und folglich, dass es ein größeres Bedürfnis nach einer Abfuhr hat; so hat man neben den Stundenhotels Bäder auftauchen sehen, in denen die Männer sich treffen und unter­ einander sexuelle Beziehungen haben konnten. Die römischen Bäder hatten ganz genau diese Funktion, ein Ort zu sein, an dem die Homosexuellen sich zum Sex trafen. Erst im 16. Jahrhun­ dert hat man, glaube ich, diese Bäder unter dem Vorwand ge­ schlossen, dass sie die Orte einer nicht hinnehmbaren sexuellen Ausschweifung seien. Auf diese Weise hat sogar die Homosexua­ lität von einer gewissen Toleranz gegenüber den sexuellen Prakti­ ken profitiert, solange sie sich auf ein bloß körperliches Zusam­ menkommen beschränkte. Und nicht nur hat die Homosexualität von dieser Situation profitiert, sondern sie hat auch durch einen besonderen - in dieser Art von Strategien geläufigen - Kniff die Kriterien derart verkehrt, dass die Homosexuellen in ihren kör­ perlichen Beziehungen eine größere Freiheit genießen konnten als die Heterosexuellen. Das hat zum Ergebnis, dass die Homose­ xuellen heute die Befriedigung haben zu wissen, dass in einer be­ stimmten Anzahl von Ländern - den Niederlanden, Dänemark, den Vereinigten Staaten und selbst einem so provinziellen Land wie Frankreich - die Möglichkeiten zu sexuellen Zusammenkünf­ ten äußerst groß sind. Von diesem Gesichtspunkt aus hat sich der Konsum, könnte man sagen, stark vermehrt. Aber dies ist nicht zwangsläufig eine natürliche Bedingung der Homosexualität, eine biologische Gegebenheit. J. O’Higgins: Der amerikanische Soziologe Philip Rieff sieht in einem Essay über Oscar Wilde mit dem Titel The Impossible Culture4 in Wilde einen Vorläufer der modernen Kultur. Der Es­ say beginnt mit einem langen Zitat aus den Akten des Prozesses von Oscar Wilde und geht weiter mit einer Reihe von Fragen, die der Autor aufwirft und die die Lebensfähigkeit einer von jedem 4 [Rieff, P., »The Impossible Culture«, in: Salmagundi, Nr. 58-59: Homosexuality: Sacrilege, Vision, Politicsy Herbst 1982/Winter 1983, S. 406-426.]

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Verbot befreiten Kultur betreffen - einer Kultur also, die nicht die Notwendigkeit der Überschreitung kennt. Sehen wir uns an, wenn Sie damit einverstanden sind, was Philip Rieff sagt: »Eine Kultur widersteht der gegen sie gerichteten Drohung der reinen Möglichkeit nur in dem Maße, wie ihre Mitglieder durch ihre Zugehörigkeit zu ihr lernen, die Spannbreite der angebotenen Wahloptionen zu beschränken. In dem Maße, wie die Kultur verinnerlicht und zum Charakter wird, ist die Individualität Zwang, ebendas, womit Wilde den höchsten Preis verband. Eine Kultur, die sich in der Krise befin­ det, begünstigt die Entfaltung der Individualität; einmal verinner­ licht, lasten die Dinge nicht mehr so schwer, um das Spiel an der Oberfläche der Erfahrung zu bremsen. Man kann die Hypothese in Betracht ziehen, wonach in einer Kultur, die die höchste Krise erreichte, alles ausgedrückt werden könnte und nichts wahr wäre. Soziologisch gesehen, ist eine Wahrheit alles das, was gegen die Fähigkeit der Menschen kämpft, alles auszudrücken. Die Repres­ sion ist die Wahrheit.« Erscheint Ihnen das, was Rieff über Wilde und über die durch Wilde verkörperte Idee einer Kultur sagt, plausibel? M. Foucault: Ich bin nicht sicher, dass ich die Bemerkungen von Professor Rieff verstehe. Was meint er zum Beispiel mit »Die Repression ist die Wahrheit«? /. O’Higgins: Tatsächlich glaube ich, dass diese Idee dem recht nahe ist, was Sie in Ihren Büchern verkünden, wenn Sie sagen, die Wahrheit sei das Produkt eines Systems von Ausschließungen, sie sei ein Netz, eine Episteme, die bestimmt, was gesagt und was nicht gesagt werden kann. M. Foucault: Die wichtige Frage ist meines Erachtens nicht, ob eine von Beschränkungen freie Kultur möglich oder gar wün­ schenswert ist, sondern, ob das System von Zwängen, innerhalb dessen eine Gesellschaft funktioniert, den Individuen die Freiheit lässt, dieses System umzugestalten. Es wird immer Zwänge geben, die für bestimmte Mitglieder der Gesellschaft unerträglich sind. Der Nekrophile findet es unerträglich, dass ihm der Zugang zu den Gräbern untersagt ist. Doch ein System von Zwängen wird erst dann wirklich unerträglich, wenn die Individuen, die diesem System unterworfen sind, nicht die Mittel haben, es zu verändern. Dazu kann es kommen, wenn das System unantastbar wird, ent­

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weder weil man es als einen moralischen oder religiösen Imperativ betrachtet, oder weil man daraus die notwendige Konsequenz der medizinischen Wissenschaft macht. Wenn Rieff also meint, dass die Beschränkungen klar und richtig definiert sein müssen, nun, dann bin ich einverstanden. J. O’Higgins: In der Tat würde Rieff sagen, dass eine wahre Kultur eine Kultur ist, in welcher die wesentlichen Wahrheiten von jedem so gut verinnerlicht worden sind, dass es nicht not­ wendig ist, sie in Worten auszudrücken. Es ist klar, dass in einer rechtsstaatlichen Gesellschaft die Skala der nicht erlaubten Dinge explizit sein muss; die großen grundsätzlichen Überzeugungen jedoch würden in ihrer Mehrheit einer einfachen Darstellung un­ zugänglich bleiben. Ein Teil von Rieffs Reflexion ist gegen die Vorstellung gerichtet, dass es wünschenswert sei, sich im Namen einer vollkommenen Freiheit von grundsätzlichen Überzeugun­ gen zu lösen, und auch gegen die Vorstellung, dass die Beschrän­ kungen per definitionem das sind, für dessen Verschwinden wir uns alle einsetzen müssen. M. Foucault: Es besteht kein Zweifel, dass eine Gesellschaft ohne Beschränkungen undenkbar ist; aber ich kann mich nur wie­ derholen und sagen, dass diese Beschränkungen in der Reichweite derjenigen sein müssen, die sie erleiden, damit ihnen zumindest die Möglichkeit offen steht, sie zu verändern. Was die grundsätz­ lichen Überzeugungen angeht, glaube ich nicht, dass Rieff und ich weder über ihren Wert noch über den Sinn, den man ihnen geben sollte, noch über die Techniken, die es ermöglichen, sie zu lehren, uns werden einigen können. J. O’Higgins: Sie haben, was diesen Punkt angeht, ohne jeden Zweifel Recht. Wie es damit auch bestellt sein mag, wir können jetzt die Sphären des Rechts und der Soziologie verlassen, um uns dem Bereich der Literatur zuzuwenden. Ich würde Sie gern bitten, den Unterschied zwischen dem Erotischen, so wie es sich in der heterosexuellen Literatur darstellt, und dem Sex, so wie die homo­ sexuelle Literatur ihn erscheinen lässt, zu kommentieren. Der se­ xuelle Diskurs in den großen heterosexuellen Romanen unserer Kultur - ich bin mir bewusst, in welchem Maße die Bezeichnung »heterosexuelle Romane« selbst zweifelhaft ist - ist durch eine gewisse Schamhaftigkeit und eine gewisse Diskretion charakteri­ siert, die zum Reiz der Werke beizutragen scheinen. Wenn die

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heterosexuellen Schriftsteller in allzu ausdrücklicher Weise vom Sex sprechen, scheint er etwas von dieser geheimnisvoll beschwö­ renden Macht, von dieser Kraft, die man in einem Roman wie Anna Karenina findet, zu verlieren. Das ist in der Tat ein Punkt, den George Steiner mit großer Trefflichkeit in einer Vielzahl sei­ ner Aufsätze entwickelt. Sich von der Praxis der großen hetero­ sexuellen Romanschriftsteller abhebend haben wir das Beispiel diverser homosexueller Schriftsteller. Ich denke beispielsweise an Cocteau, dem es in seinem Livre blanc5 gelingt, die poetische Verzauberung zu bewahren, zu der die heterosexuellen Schrift­ steller durch verschleierte Anspielungen gelangen, obwohl er die sexuellen Handlungen in den realistischsten Ausdrücken be­ schreibt. Denken Sie, dass ein solcher Unterschied zwischen die­ sen zwei Arten Literatur wirklich existiert, und wenn ja, wie be­ gründen Sie ihn? M. Foucault: Das ist eine sehr interessante Frage. Wie ich zuvor gesagt habe, habe ich in den letzten Jahren eine große Anzahl lateinischer und griechischer Texte gelesen, die die sexuellen Prak­ tiken ebenso sehr von Männern untereinander wie von Männern mit Frauen beschreiben; und ich war überrascht von der extremen Prüderie dieser Texte (es gibt selbstverständlich einige Ausnah­ men). Nehmen Sie einen Autor wie Lukian. Wir haben da einen antiken Schriftsteller, der sicherlich von der Homosexualität spricht, aber auf eine beinahe schamhafte Weise. Am Ende eines seiner Dialoge zum Beispiel erwähnt er eine Szene, in der sich ein Mann einem jungen Knaben nähert, die Hand auf sein Knie legt, sie dann unter seine Tunika gleiten lässt und seine Brust liebkost; anschließend geht die Hand hinab zum Bauch des jungen Mannes, und an dieser Stelle bricht der Text ab.6 Ich neige dazu, diese exzessive Schamhaftigkeit, die generell für die homosexuelle Li­ teratur der Antike bezeichnend ist, der Tatsache zuzuschreiben, dass die Männer zu jener Zeit in ihren homosexuellen Praktiken eine viel größere Freiheit genossen. J. O ’Higgins: Ich verstehe. Alles in allem, je freier und offener die sexuellen Praktiken sind, desto mehr kann man sich erlauben, auf zurückhaltende und gewundene Weise darüber zu sprechen. Das würde erklären, warum die homosexuelle Literatur in unserer 5 [Cocteau, J., Le Livre blanc, Paris 1928; dt.: Das Weißbuch (i960), Berlin 1982.] 6 [Lukian, Hetärengespräche, in: Lügengeschichten und Dialoge, Nördlingen 1985.]

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Kultur expliziter ist als die heterosexuelle Literatur. Doch frage ich mich immer noch, ob etwas an dieser Erklärung auch die Tat­ sache begründen könnte, dass es der homosexuellen Literatur ge­ lingt, in der Einbildungskraft des Lesers die Wirkungen zu er­ schaffen, die die heterosexuelle Literatur erschafft, indem sie ganz genau die entgegengesetzten Mittel verwendet. M. Foucault: Ich möchte, wenn Sie gestatten, versuchen, auf andere Weise auf Ihre Frage zu antworten. Die Heterosexualität wurde zumindest seit dem Mittelalter stets anhand zweier Achsen bestimmt: der Achse des Hofes, auf der der Mann der Frau den »Hof macht« und Sie verführt, und der Achse des Sexualakts selbst. Die große heterosexuelle Literatur des Abendlandes hat sich im Wesentlichen mit der Achse des amourösen Hofes beschäf­ tigt, das heißt vor allem mit dem, was dem Sexualakt vorausgeht. Das ganze Werk der intellektuellen und kulturellen Verfeinerung, die ganze ästhetische Ausarbeitung im Abendland war stets auf die Gunsterweisung, das Höfische hin ausgerichtet. Das erklärt, dass der Sexualakt selbst ebenso wenig vom literarischen Standpunkt wie auch kulturell und ästhetisch kaum gewürdigt wurde. Umgekehrt gibt es nichts, das die moderne homosexuelle Er­ fahrung an das Hofieren bindet. Was übrigens im antiken Grie­ chenland nicht so der Fall war. Für die Griechen war das Hof machen zwischen Männern wichtiger als zwischen Männern und Frauen (man denke nur an Sokrates und an Alkibiades). Doch die abendländische christliche Kultur hat die Homosexualität ver­ bannt und sie so gezwungen, ihre ganze Energie auf den Akt selbst zu konzentrieren. Die Homosexuellen waren nicht imstan­ de, ein System des Hofierens auszuarbeiten, weil man ihnen den für diese Ausarbeitung notwendigen kulturellen Ausdruck ver­ weigerte. Das Augenzwinkern auf der Straße, die im Bruchteil einer Sekunde getroffene Entscheidung, das Abenteuer einzuge­ hen, die Schnelligkeit, mit der die homosexuellen Beziehungen vollzogen werden, ist alles das Produkt eines Verbots. Von dem Moment an, da eine homosexuelle Kultur und eine homosexuelle Literatur sich abzeichneten, war es natürlich, dass sie sich auf den brennendsten und leidenschaftlichsten Aspekt der homosexuellen Beziehungen konzentrieren. /. O’Higgins: Wenn ich Sie höre, fällt mir die berühmte Formu­ lierung von Casanova ein: »Der beste Moment in der Liebe ist,

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wenn man die Treppe hinaufgeht.« Man hätte heutzutage Mühe, sich diese Worte aus dem Munde eines Homosexuellen vorzustel­ len. M. Foucault: Genau. Ein Homosexueller würde eher sagen: »Der beste Moment in der Liebe ist, wenn der Liebhaber mit dem Taxi davonfährt.« J. O’Higgins: Ich komme nicht um den Gedanken herum, dass das eine mehr oder weniger präzise Beschreibung der Beziehun­ gen zwischen Swami und Odette im ersten Band der Recherche7 ist. M. Foucault: Ja, das ist in einem bestimmten Sinne wahr. Doch obgleich es sich hierbei um eine Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau handelt, müsste man bei ihrer Beschreibung die Natur der Einbildungskraft in Betracht ziehen, die sie entworfen hat. J. O’Higgins: Und man müsste auch die pathologische Natur der Beziehung in Betracht ziehen, so wie Proust sie selbst gedacht hat. M. Foucault: Ich würde auch in diesem Kontext die Frage der Pathologie lieber beiseite lassen. Ich ziehe es ganz einfach vor, mich an die Bemerkung zu halten, mit der ich diesen Teil unseres Austauschs eröffnet habe, nämlich dass es für einen Homosexuel­ len wahrscheinlich ist, dass der beste Moment der Liebe der ist, in dem der Liebhaber im Taxi davonfährt. Sowie der Akt vollzogen und der Knabe fortgegangen ist, beginnt man, über die Wärme seines Körpers, über die Eigenart seines Lächelns, über den Ton seiner Stimme nachzusinnen. In den homosexuellen Beziehungen ist eher die Erinnerung an den Akt als seine Antizipation von vorrangiger Bedeutung. Das ist der Grund, weshalb die großen homosexuellen Schriftsteller unserer Kultur (Cocteau, Genet, Burroughs) mit so großer Eleganz den Sexualakt selbst beschrei­ ben konnten: Die homosexuelle Einbildungskraft ist im Wesent­ lichen eher an die Erinnerung an den Akt als an seine Antizipation gebunden. Und wie ich zuvor sagte, ist das alles das Produkt 7 [Proust, M., À la recherche du temps perdu, Bd. I: Du côté de chez Swann, Zweiter Teil: Un amour de Swann, Paris 1929; dt.: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, in: Werke, Frankfurter Ausgabe, herausgegeben von Luzius Keller, II, Bd. I: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Unterwegs zu Swann, Zweiter Teil: Eine Liebe Swanns, Frankfurt am Main 1994.]

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praktischer Erwägungen, sehr konkreter Dinge, die nichts über die eigentliche Natur der Homosexualität aussagen. J. O’Higgins: Denken Sie, dass das irgendeinen Einfluss auf die angebliche starke Vermehrung der Perversionen in der gegenwär­ tigen Zeit hat? Ich spiele auf Phänomene wie die Sadomaso-Szene, die golden showers, die skatologischen Belustigungen und andere Dinge derselben Art an. Wir wissen, dass diese Praktiken seit recht langer Zeit existieren, aber es scheint, dass man sich dem heute auf eine viel offenere Weise widmet. M. Foucault: Ich würde auch sagen, dass sich dem deutlich mehr Leute widmen. /. O’Higgins: Denken Sie, dass dieses Phänomen und die Tat­ sache, dass die Homosexualität heute aus ihrem Versteck heraus­ kommt und ihre Ausdrucksform öffentlich macht, auf irgendeine Weise in Verbindung stehen? M. Foucault: Ich wage folgende Hypothese: In einer Zivilisa­ tion, die über Jahrhunderte annahm, dass das Wesen der Bezie­ hung zwischen zwei Personen darin bestand, ob oder ob nicht eine der beiden Parteien der anderen nachgeben würde, galt, was alles an den betroffenen Parteien sichtbar wird, das gesamte Interesse und die gesamte Neugier, der gesamte Mut und die Manipulation stets der Unterwerfung des Partners mit dem Ziel, mit ihm zu schlafen. Jetzt, da die sexuellen Begegnungen äußerst einfach und zahlreich geworden sind, wie das der Fall bei den homo­ sexuellen Begegnungen ist, treten die Komplikationen erst nach­ träglich ein. In diesen Zufallsbegegnungen beginnt man erst, nach­ dem man Sex gehabt hat, damit, sich nach dem anderen zu erkundigen. Erst einmal vollzieht man den Sexualakt, und erst dann kommt es dazu, dass man seinen Partner fragt: »Wie war noch mal dein Name?« Wir stehen also einer Situation gegenüber, in der die gesamte Energie und die Einbildungskraft, die beide in der heterosexuellen Beziehung so trefflich durch das Hofieren kanalisiert wurden, hier nun darauf verwandt werden, den Sexualakt selbst zu intensivie­ ren. Es entwickelt sich heute eine ganz neue Kunst der sexuellen Praxis, die die diversen inneren Möglichkeiten des Sexualverhal­ tens zu erkunden versucht. Man sieht, wie sich in Städten wie San Francisco und New York das ausbildet, was man Laboratorien sexueller Erprobung nennen könnte. Man kann in ihnen das Ge­

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genstück zu den mittelalterlichen Höfen sehen, die im höfischen Ritual sehr strenge Eigentumsregeln definierten. Weil der Sexualakt für die Homosexuellen so einfach und so erreichbar geworden ist, läuft er Gefahr, schnell langweilig zu werden; so tut man alles Mögliche, um zu erneuern und Variatio­ nen einzuführen, die die Lust des Aktes intensivieren. ]. O’Higgins: Ja, aber warum haben diese Innovationen diese Form und nicht eine andere angenommen? Woher kommt die Faszination zum Beispiel für die Ausscheidungsfunktionen? M. Foucault: Überraschender finde ich allgemein das Phäno­ men des Sadomasochismus. Überraschender insofern, als die Se­ xualbeziehungen hierbei über mythische Relationen entworfen und benutzt werden. Der Sadomasochismus ist nicht eine Rela­ tion zwischen demjenigen (oder derjenigen), der leidet, und dem­ jenigen (oder derjenigen), der das Leiden zufügt, sondern zwi­ schen einem Herrn und der Person, gegenüber der er seine Autorität ausübt. Für die Adepten des Sadomasochismus ist die Tatsache interessant, dass die Beziehung Regeln unterworfen und offen zugleich ist. Sie ähnelt dahingehend einem Schachspiel, das der eine gewinnen und der andere verlieren kann. Der Herr kann im sadomasochistischen Spiel verlieren, wenn er sich als unfähig erweist, den Bedürfnissen und den Forderungen seines Opfers nach Leiden zu genügen. Genauso kann der Knecht verlieren, wenn es ihm nicht gelingt oder wenn er es nicht erträgt, die He­ rausforderung anzunehmen, die ihm sein Herr entgegenschleu­ dert. Dieses Gemisch aus Regeln und Offenheit hat die Wirkung, dass es die sexuellen Beziehungen intensiviert, indem es eine Neu­ heit, eine fortwährende Spannung und Unsicherheit einführt, wo­ von der einfache Vollzug des Aktes ausgenommen ist. Das Ziel ist auch, jeden Teil des Körpers als sexuelles Instrument zu verwen­ den. Tatsächlich steht die Praxis des Sadomasochismus mit dem be­ rühmten Ausdruck »animal triste post coitum« in Verbindung. Da in den homosexuellen Beziehungen der Koitus unvermittelt ist, wird daraus das Problem: »Was kann man tun, um sich vor dem Anfall von Traurigkeit zu schützen?« J. O’Higgins: Sehen Sie eine Erklärung für die Tatsache, dass die Männer heute die Bisexualität der Frauen scheinbar besser akzep­ tieren können als die der Männer?

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M. Foucault: Das hat zweifellos mit der Rolle zu tun, die die Frauen in der Einbildungskraft der heterosexuellen Männer spie­ len. Sie sehen sie von jeher als ihr exklusives Eigentum an. Um dieses Image zu bewahren, musste ein Mann seine Frau daran hin­ dern, allzu sehr mit anderen Männern in Kontakt zu kommen; die Frauen sahen sich so allein auf den sozialen Kontakt mit anderen Frauen beschränkt, was erklärt, dass eine größere Toleranz gegen­ über körperlichen Beziehungen unter Frauen geübt wird. Im Üb­ rigen hatten die heterosexuellen Männer den Eindruck, dass sie, wenn sie die Homosexualität auslebten, das von ihnen vermutete Image bei den Frauen zerstören würden. Sie denken, dass sie im Geist der Frauen die Herren sind. Sie glauben, die Vorstellung, sie könnten sich einem anderen Mann unterwerfen, von ihm im Liebesakt dominiert werden, werde ihr Image zerstören. Die Männer denken, die Frauen können nur unter der Bedingung Lust emp­ finden, dass sie sie als Herren anerkennen. Selbst für die Griechen stellte es ein Problem dar, der passive Partner in einer Liebesbezie­ hung zu sein. Für ein Mitglied des griechischen Adels war es ganz natürlich, mit einem passiven männlichen Sklaven zu schlafen, da der Sklave von Natur aus minderwertig war. Doch sobald zwei Griechen derselben sozialen Klasse Sex haben wollten, warf das ein wirkliches Problem auf, weil keiner der beiden dem zustimmen konnte, sich vor dem anderen herabzusetzen. Die Homosexuellen von heute kennen dieses Problem noch. Die Mehrzahl unter ihnen nimmt an, dass die Passivität auf eine gewisse Weise erniedrigend ist. Die sadomasochistische Praxis hat in der Tat dazu beigetragen, dem Problem einiges an Schärfe zu nehmen. /. O ’Higgins: Haben Sie das Gefühl, dass die kulturellen For­ men, die sich in der schwulen .Gemeinschaft entwickeln, in einem sehr weiten Maße für die jungen Mitglieder dieser Gemeinschaft bestimmt sind? M. Foucault: Ja, das ist sehr weitgehend der Fall, glaube ich, aber ich bin nicht sicher, dass daraus wesentliche Schlussfolgerun­ gen zu ziehen sind. Es ist sicher so, dass ich als Fünfzigjähriger beim Lesen bestimmter, für die Schwulen und von den Schwulen gemachter Publikationen den Eindruck habe, dass sie sich nicht an mich richten, dass ich darin auf eine bestimmte Weise keinen Platz habe. Ich würde diese Tatsache nicht zur Grundlage machen, um diese Publikationen zu kritisieren, die schließlich, dazu da sind,

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dem Interesse ihrer Autoren und ihrer Leser zu genügen. Aber ich komme nicht um die Feststellung herum, dass es unter den ge­ bildeten Schwulen eine Tendenz gibt, anzunehmen, dass die gro­ ßen Probleme, die großen Fragen des Lebensstils an erster Stelle die Leute interessieren, die zwischen zwanzig und dreißig sind. ]. O’Higgins: Ich sehe nicht, warum dies nicht die Basis sein könnte, um nicht nur bestimmte einschlägige Publikationen, son­ dern auch das schwule Leben im Allgemeinen zu kritisieren. M. Foucault: Ich sage nicht, dass man darin nicht Stoff für eine Kritik finden könnte, sondern nur, dass diese Kritik mir nicht nützlich erscheint. J. O’Higgins: Warum sollte man sich in diesem Zusammenhang nicht den Kult um den jungen männlichen Körper als den eigent­ lichen Kern der klassischen homosexuellen Fantasien ansehen und darüber sprechen, auf welche Weise dieser Kult die Negation der Vorgänge des gewöhnlichen Lebens, insbesondere das Altern und das Nachlassen des Begehrens, zur Folge hat? M. Foucault: Hören Sie, diese Fragen, die Sie aufwerfen, sind nicht neu, und Sie wissen das. Was den Kult um den jungen männ­ lichen Körper angeht, bin ich ganz und gar nicht überzeugt, dass er eine Besonderheit der Homosexuellen ist oder dass man ihn als pathologisch ansehen muss. Wenn es das ist, was Ihre Frage zum Ausdruck bringt, dann weise ich das zurück. Doch möchte ich Sie auch daran erinnern, dass über die Tatsache hinaus, dass auch die Schwulen notwendigerweise den Prozessen des Lebens Tribut zol­ len müssen, sie sich dessen auch in der Mehrzahl der Fälle sehr bewusst sind. Die schwulen Publikationen mögen den Fragen der Freundschaft zwischen Homosexuellen oder der Bedeutung der Beziehungen in Abwesenheit von Kodizes oder geltenden Verhal­ tenslinien vielleicht nicht so viel Platz widmen, wie ich es mir wünschen würde; doch immer mehr Schwule haben diese Fragen für sich selbst zu lösen. Und wissen Sie, ich glaube, diejenigen, die nicht homosexuell sind, stört am meisten an der Homosexualität der schwule Lebensstil und nicht die sexuellen Handlungen selbst. /. O’Higgins: Spielen Sie auf solche Dinge wie die Zärtlichkeits­ bezeigungen und die Liebkosungen, mit denen die Homosexuel­ len in der Öffentlichkeit nicht sparen, oder auf die grelle Art und Weise, wie sie sich kleiden, oder auch auf die Tatsache an, dass sie einheitliche Haltungen zur Schau stellen?

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M. Foucault: All diese Dinge können auf bestimmte Personen nur eine verstörende Wirkung haben. Aber ich spielte vor allem auf die allgemeine Befürchtung an, dass die Schwulen Beziehun­ gen hersteilen, die, obgleich sie sich in keiner Weise dem von den anderen gepriesenen Beziehungsmodell fügen, trotz allem als in­ tensiv und befriedigend erscheinen. Das ist die Vorstellung, dass die Homosexuellen Beziehungen erschaffen könnten, von denen wir noch nicht voraussehen können, was sie sein werden, und das ertragen viele Leute nicht. J. O’Higgins: Sie spielen also auf Beziehungen an, die weder Besitzergreifung noch Treue implizieren - um nur zwei der allge­ meinen Faktoren zu erwähnen, die verneint werden könnten? M. Foucault: Wenn wir nicht mehr voraussehen können, was diese Beziehungen sein werden, dann können wir nicht wirklich sagen, dass dieser oder jener Zug verneint werden wird. Aber wir können sehen, wie in der Armee zum Beispiel die Liebe zwischen Männern entstehen und sich unter Umständen behaupten kann, in denen allein die reine Gewohnheit und das Reglement walten sollen. Und es ist möglich, dass Veränderungen in einem größeren Umfang die bestehenden Routinen in dem Maße berühren, wie die Homosexuellen lernen, ihre Gefühle stärker variiert einander gegenüber auszudrücken, und Lebensstile erschaffen werden, die nicht den institutionalisierten Modellen ähneln werden. /. O'Higgins: Nehmen Sie an, dass es Ihre Rolle ist, sich an die schwule Gemeinschaft zu richten, insbesondere was Fragen von allgemeiner Bedeutung angeht wie diejenigen, die Sie aufwerfen? M. Foucault: Ich habe natürlich regelmäßigen Austausch mit anderen Mitgliedern der schwulen Gemeinschaft. Wir diskutieren, wir versuchen, Wege zu finden, uns einander zu öffnen. Aber ich achte darauf, dass ich nicht meine eigenen Sichtweisen durchsetze, nicht einen Plan oder ein Programm bestimme. Ich will nicht die Erfindung entmutigen, ich will nicht, dass die Homosexuellen aufhören zu glauben, dass es an ihnen liegt, ihre eigenen Bezie­ hungen zu regeln, indem sie entdecken, was zu ihrer individuellen Situation passt. J. O'Higgins: Denken Sie nicht, dass es besondere Ratschläge oder eine spezifische Perspektive gibt, die ein Historiker oder ein Archäologe der Kultur wie Sie anbieten könnte? M. Foucault: Es ist immer nützlich, den historisch kontingenten

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Charakter der Dinge zu verstehen, zu sehen, wie und warum die Dinge geworden sind, was sie sind. Aber ich bin nicht der Einzige, der das Rüstzeug hat, diese Dinge zu zeigen, und ich möchte mich davor hüten, die Unterstellung aufkommen zu lassen, bestimmte Entwicklungen wären notwendig oder unvermeidlich. Mein Bei­ trag kann natürlich in bestimmten Bereichen nützlich sein, aber, noch einmal, ich möchte vermeiden, mein System oder meinen Plan durchzusetzen. J. O’Higgins: Denken Sie, dass allgemein die Intellektuellen hinsichtlich der verschiedenen sexuellen Verhaltensweisen tole­ ranter oder aufnahmebereiter als andere Leute sind? Wenn ja, so weil sie die menschliche Sexualität besser verstehen. Wenn nein, wie denken Sie, dass Sie selbst und andere Intellektuelle die Situa­ tion fortschrittlicher gestalten könnten? Was ist das beste Mittel, dem rationalen Diskurs über den Sex eine neue Richtung zu ge­ ben? M. Foucault: Ich denke, dass wir in Sachen Toleranz zahlreiche Illusionen aufrechterhalten. Nehmen Sie zum Beispiel den Inzest. Der Inzest war über sehr lange Zeit eine volkstümliche Praxis ich verstehe darunter eine im Volk sehr verbreitete Praxis. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist es zur Entwicklung von viel­ fältigen Formen von sozialem, gegen den Inzest gerichtetem Druck gekommen. Und es ist klar, dass das große Inzestverbot eine Erfindung der Intellektuellen ist. J. O’Higgins: Sie meinen damit Gestalten wie Freud und LéviStrauss, oder denken Sie an die intellektuelle Klasse in ihrer Ge­ samtheit? M. Foucault: Nein, ich meine niemanden im Besonderen. Ich lenke nur Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass Sie, wenn Sie in der Literatur des 19. Jahrhunderts nach soziologischen oder anthropologischen Untersuchungen über den Inzest suchen, nichts dergleichen finden werden. Es gibt zwar hier und da einige medizinische und andere Berichte, aber, wie es scheint, stellte die Praxis des Inzests in jener Zeit nicht wirklich ein Problem dar. Es stimmt sicherlich, dass diese Themen in den intellektuellen Milieus offener angesprochen wurden, aber das ist nicht notwen­ dig das Zeichen einer größeren Toleranz. Es ist sogar mitunter ein Indiz für das Gegenteil. Vor zehn oder fünfzehn Jahren, zu einer Zeit, als ich im bürgerlichen Milieu verkehrte, erinnere ich mich,

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dass selten eine Abendgesellschaft vorüberging, ohne dass die Frage der Homosexualität und der Päderastie angesprochen wur­ de - im Allgemeinen wartete man nicht einmal das Dessert ab. Doch gerade diejenigen, die offen diese Fragen ansprachen, hätten wahrscheinlich niemals die Päderastie ihrer Söhne zugelassen. Was das Vorschreiben einer Richtung angeht, die ein rationaler Diskurs über den Sex nehmen muss, ziehe ich es vor, in diesem Bereich nicht gesetzgeberisch zu wirken. Aus einem Grund: Der Ausdruck »intellektueller Diskurs über den Sex« ist zu vage. Man hört bestimmte Soziologen, Sexologen, Psychiater, Ärzte und Moralisten sehr törichte Reden halten - wie denn auch andere Mitglieder derselben Professionen sehr intelligente Reden halten. Die Frage ist meiner Ansicht nach also nicht die eines intellektuel­ len Diskurses über den Sex, sondern die eines törichten Diskurses und eines intelligenten Diskurses. /. O’Higgins: Und ich glaubte zu verstehen, Sie hätten seit kurzem eine gewisse Anzahl von Werken entdeckt, die in die richtige Richtung vorangehen? M. Foucault: Ja sogar mehr noch, als ich vor einigen Jahren mir vorzustellen Grund hatte. Doch insgesamt ist die Situation immer noch nicht ermutigend. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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Foucault: Keine Kompromisse! »Foucault: non aux compromis« (Gespräch mit R. Surzur), in: Gai Piedy Nr. 43, Oktober 1982, S. 9.

R. Surzur. Ist es gerechtfertigt, wenn Homosexuelle Angst vor der Polizei haben, oder ist das eher paranoid? M. Foucault: Seit vierhundert Jahren ist die Homosexualität zahlreichen Unterdrückungs- und Uberwachungsmaßnahmen wie auch Eingriffen durch Polizei und Gerichte ausgesetzt. Eine Reihe von Homosexuellen sind Opfer von gerichtlichen Eingrif­ fen und Gesetzen geworden. Aber im Vergleich zur polizeilichen Repression hält sich die Zahl der gerichtlichen Eingriffe in Gren-

318 Foucault: Keine Kompromisse!

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zen. So stimmt es nicht, dass man die Homosexuellen im 17. Jahr­ hunderte verbrannte, auch wenn es gelegentlich vorkam. Anderer­ seits wurden Hunderte im Luxembourg oder im Palais-Royal inhaftiert. Die heutige Situation kenne ich nicht besonders gut, darum kann ich nicht sagen, ob die Homosexuellen paranoid sind, aber bis in die 7oer-Jahre hinein wusste man sehr genau, dass die Bar- und Saunabesitzer Polizeispitzel waren und dass sich daran ein komplexes, wirkungsvolles und belastendes Netz polizeilicher Repression knüpfte. R. Surzur: Anscheinend hält die Polizei die Homosexuellen eher für gefährdet als für gefährlich. Was meinen Sie dazu? M. Foucault: Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Aussage, jemand sei gefährdet, und der Aussage, er sei ge­ fährlich. Der Übergang erfolgt sehr leicht: Das gilt etwa für die Irren, die man in Irrenanstalten einsperrte, weil sie im alltäglichen Leben für sich selbst eine Gefahr darstellen sollten. Der Übergang von »gefährdet« zu »gefährlich« kann gar nicht ausbleiben ange­ sichts all der Mechanismen, die unserer Kontrolle dienen. R. Surzur: Sehen Sie in der Auflösung der Sonderabteilungen für Homosexuelle eine positive Entwicklung? M. Foucault: Es war unerträglich, dass bestimmte Orte speziel­ len polizeilichen Eingriffen ausgesetzt waren, nur weil die sexuel­ len Handlungen, die dort stattfanden, in den Bereich der Homo­ sexualität gehörten. P. Surzur: Was halten Sie von Deferres Runderlass zum Verbot jeglicher Diskriminierung der Homosexuellen und von der Hal­ tung der Sozialistischen Partei dazu? M. Foucault: Dass ein Minister solch eine Verfügung erlässt, ist sehr wichtig, selbst wenn sie keine Anwendung findet, denn es handelt sich um einen politischen Akt. Man kann sie ihm Vor­ halten, und man kann sie als Anknüpfungspunkt für eine Kam­ pagne benutzen. Ein Politiker wie Deferre ist mir lieber als je­ mand, der alles in einer Halbtoleranz belässt und an reaktionären Vorstellungen zur Homosexualität festhält. Irgendwann kommt der Tag, an man die Konsequenzen tragen muss. Was die Sozia­ listische Partei angeht, so hat sie nach der Regierungsübernahme eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Der Gesetzgebungsapparat ist verändert worden, und das Strafgesetzbuch wird demnächst folgen. Natürlich geht der Kampf weiter.

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R. Surzur: Offenbar bewegt man sich in Richtung einer sanften Repression, die sich auf wenige Bereiche beschränkt, zum Beispiel auf Pornovideos... M. Foucault: Ich komme gleich auf die Dinge zu sprechen, ge­ gen die man kämpfen muss: Das sexuelle Leben des Einzelnen geht Gesetz und Polizei nichts an. Sexualität und sexuelle Lust sind keine Kriterien, die auf der Ebene der Polizei und der Ge­ richte bedeutsam wären. Aber die Sexualität darf nicht als persön­ licher Schatz angesehen werden, in den die Öffentlichkeit nicht eingreifen dürfte. Vielmehr sollte sie zum Gegenstand einer Kul­ tur werden. Als Energiequelle für die Schöpfung von Kultur hat sexuelle Lust große Bedeutung. Darauf sollten sich unsere An­ strengungen richten. Was nun die Pornovideos angeht, kann man nur fragen, warum es die Polizei interessieren sollte, wenn Menschen in dieser oder jener Stellung Sex miteinander haben? Gegen die Jagd auf Bilder und gegen Intoleranz müssen wir kämpfen. R. Surzur: Ein Argument der Polizei gegen eine vollkommene Liberalisierung lautet, sie müsse denen gerecht werden, die Frei­ heiten wünschen, und zugleich auch denen, die sie nicht wün­ schen. M. Foucault: In Toronto ist so etwas passiert. Nach einer Phase größerer Toleranz kam es schließlich dazu, dass die städtischen Behörden eine Reihe von Lokalen schlossen und Gerichtsverfah­ ren einleiteten. Die Begründung lautete etwa so: »Wir sind mit einer Liberalisierung einverstanden, aber die Menschen in unserer Stadt wollen eure Exzesse, die SM-Clubs, Saunen usw., nicht län­ ger hinnehmen. Wir haben die Aufgabe, in diesem Konflikt zu vermitteln, und natürlich hat am Ende die Mehrheit das letzte Wort.« Genau hier müssen wir unnachgiebig sein und dürfen kei­ nen Kompromiss zwischen Toleranz und Intoleranz zulassen. Wir können nur auf der Seite der Toleranz stehen. Es darf kein Aus­ gleich zwischen Verfolgern und Verfolgten gesucht werden. Man kann sich nicht zum Ziel setzen, Millimeter um Millimeter voran­ zukommen. In der Frage des Verhältnisses zwischen Polizei und sexueller Lust müssen wir sehr weit gehen und eine prinzipielle Haltung einnehmen. Übersetzt von Michael Bischoff

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Michel Foucault: »Neutralität ist nicht möglich« »Michel Foucault: >11 nyy a pas de neutralité possibIe Nr. 8, Juni 1931, S. 77-96, erschien. Auf genommen in: Contât, M., und Rybalka, M., Les Écrits de Sartre, Paris 1970, appendice II, S. 531-544.]

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halb einer kulturellen Tradition ein Denken konstituiert, fixiert und identifiziert hat, ist es ganz normal, dass diese kulturelle Tra­ dition es aufnimmt, damit macht, was sie will, und es das sagen macht, was es nicht gesagt hat, indem sie sagt, es sei nur eine andere Gestalt von dem, was sie sagen wollte. Das gehört zum kulturellen Spiel, aber mein Verhältnis zu Deleuze kann dies of­ fensichtlich nicht sein; ich werde also nicht sagen, was er sagen wollte. Jedenfalls scheint mir, dass es in Wirklichkeit sein Problem war, zumindest seit langer Zeit, dieses Problem des Wunsches zu stellen; und wahrscheinlich sieht man in der Theorie des Wun­ sches bei ihm die Auswirkungen der Beziehung zu Nietzsche, während mein Problem unaufhörlich stets die Wahrheit, das Wahrsagen11 war - das, was Wahr-sagen ist - und das Verhältnis zwischen Wahr-sagen und Formen einer Reflexivität, Reflexivität von sich auf sich. G. Raulet: Ja. Mir scheint jedoch, dass Nietzsche nicht grund­ legend den Willen zum Wissen vom Willen zur Macht unterschei­ det. M. Foucault: Ich glaube, dass es eine ziemlich gut spürbare Ver­ schiebung in den Texten von Nietzsche zwischen denen gibt, die im Großen und Ganzen von der Frage des Willens zum Wissen, und denen, die vom Willen zur Macht beherrscht werden. Aber ich möchte in diese Auseinandersetzung aus einem ganz einfachen Grund nicht eintreten. Ich habe seit Jahren Nietzsche nicht mehr wieder gelesen. G. Raulet: Es schien mir ziemlich wichtig zu versuchen, diesen Punkt zu klären, eben wegen dieses bunten Durcheinanders, das für seine Rezeption im Ausland, wie im Übrigen auch in Frank­ reich, charakteristisch ist. M. Foucault: Ich würde sagen, dass jedenfalls meine Beziehung zu Nietzsche keine historische Beziehung war; mich interessiert nicht so sehr die Geschichte des Denkens von Nietzsche selbst, sondern diese Art Herausforderung, die ich an dem Tag gespürt habe, als ich, es ist sehr lange her, Nietzsche zum ersten Mal ge­ lesen habe; wenn man die Fröhliche Wissenschaft oder die Mor­ genröte aufschlägt, man aber zugleich in der großen und alten universitären Tradition von Descartes, Kant, Hegel, Husserl, aus­ 11 [Im Original deutsch. A.d.Ü.]

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gebildet ist, und wenn man auf diese etwas seltsamen, fremdarti­ gen und ungezwungenen Texte stößt, sagt man sich: Nun gut, ich werde es nicht so machen wie meine Kommilitonen, meine Kol­ legen oder meine Professoren, ich werde es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Was ist das Maximum an philosophischer Inten­ sität und was sind die aktuellen philosophischen Wirkungen, die man aus diesen Texten herausziehen kann? Ebendas war für mich die Herausforderung durch Nietzsche. G. Raulet: In der aktuellen Rezeption scheint es mir ein zweites buntes Durcheinander zu geben, und das ist die Postmoderne, auf die sich ziemlich viele Leute berufen und die auch in Deutschland eine gewisse Rolle spielt, seitdem Habermas diesen Terminus auf­ genommen hat, um ihn zu kritisieren, um diese Strömung in allen ihren Aspekten zu kritisieren... M. Foucault: Was heißt Postmoderne? Ich bin nicht auf dem Laufenden. G. Raulet: ... ebenso die nordamerikanische Soziologie (D. Bell) wie das, was man die Postmoderne in der Kunst nennt und die eine andere Definition verlangen würde (eine Rückkehr vielleicht zu einem gewissen Formalismus); schließlich schreibt Habermas diesen Terminus Postmoderne der französischen Strö­ mung zu, der Tradition, sagt er in seinem Text über die Postmo­ derne, »die von Bataille bis Derrida geht, via Foucault«. Ein The­ ma, das in Deutschland deshalb wichtig ist, weil es seit langem, seit Max Weber, die Reflexion über die Moderne gibt. Was wäre die Postmoderne für den Aspekt, der uns hier in diesem zumin­ dest drei Dinge umfassenden Phänomen betrifft? Das wäre insbe­ sondere die Idee, die man bei Lyotard findet, wonach die Moder­ ne, die Vernunft, eine »große Erzählung« gewesen wäre, von der man schließlich durch eine Art heilsames Erwachen befreit wor­ den wäre; die Postmoderne wäre ein Auseinanderbrechen der Ver­ nunft, wäre die deleuzianische Schizophrenie; die Postmoderne würde jedenfalls enthüllen, dass die Vernunft in der Geschichte nur eine Erzählung unter anderen war, eine große Erzählung zwar, aber eine Erzählung unter anderen, auf die man heute an­ dere Erzählungen würde folgen lassen können. Der Grund dafür wäre, in Ihrem Vokabular gesprochen, eine Form des Willens zum Wissen gewesen. Stimmen Sie zu, dass es sich dabei um eine Strö­ mung handelt, ordnen Sie sich in diese Strömung ein, und wie?

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M. Foucault: Ich muss sagen, dass ich mich sehr schwer tue, darauf zu antworten. Als Erstes, weil ich nie sehr gut verstanden habe, welchen Sinn man in Frankreich dem Wort Moderne ge­ geben hat; bei Baudelaire durchaus, aber anschließend scheint es mir so, dass der Sinn ein wenig verloren geht. Ich weiß nicht, welchen Sinn die Deutschen der Moderne geben. Ich weiß, dass die Amerikaner eine Art Seminar geplant haben, bei dem Haber­ mas dabei sein sollte, und ich auch. Und ich weiß, dass Habermas als Thema die Moderne vorgeschlagen hat. Ich fühle mich ver­ legen, weil ich nicht sehr gut sehe, was dies bedeutet, und noch nicht einmal - das Wort ist nicht so wichtig, man kann stets eine willkürliche Etikette verwenden -, welche Art von Problemen mit diesem Wort gemeint ist oder den Leuten gemeinsam wäre, die man die Postmodernen nennt. So eindeutig wie ich sehe, dass hinter dem so genannten Strukturalismus ein bestimmtes Problem stand, im Großen und Ganzen das Problem des Subjekts und der Umarbeitung des Subjekts, so wenig sehe ich bei denen, die man die Postmodernen oder Poststrukturalisten nennt, welches die ih­ nen gemeinsame Art von Problemen wäre. G. Raulet: Offensichtlich ist der Bezug auf die Moderne bzw. die Opposition gegen die Moderne nicht nur zwiespältig, sondern verengt auch die Moderne. Es gibt auch für sie mindestens drei Definitionen: eine Definition durch den Historiker, die Definition von Weber, die Definition von Adorno und den Baudelaire von Benjamin, auf den Sie angespielt haben.12 Es gibt also wenigstens drei Bezüge. Die scheinbar von Habermas, gegen Adorno selbst, bevorzugte ist abermals die Tradition der Vernunft, das heißt die Weber’sche Definition der Moderne. Dementsprechend sieht er in der Postmoderne den Zusammenbruch der Vernunft, ihr Ausein­ anderbrechen, und so sieht er sich zu der Behauptung berufen, dass eine der Formen der Postmoderne, diejenige, die in Beziehung zur Weber’schen Definition der Postmoderne steht, diese Strömung wäre, welche annimmt, dass die Vernunft im Grunde eine Form des Willens zum Wissen unter anderen ist, dass die Vernunft eine große Erzählung, aber eine Erzählung unter anderen ist... 12 [Benjamin, W., »Uber einige Motive bei Baudelaire«, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Nr. VIII, 1939, S. 50-89 (in: Gesammelte Schriften, herausgegeben von R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser, Bd. 1,2, Frankfurt am Main 1974, S. 6056 5 3 )« ]

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M. Foucault: Das kann mein Problem nicht sein, insofern ich in keiner Weise die Identifizierung der Vernunft mit der Gesamtheit der Rationalitätsformen zulasse, die zu einem gegebenen Zeit­ punkt in unserer Epoche und noch in allerjüngster Zeit in den Arten des Wissens, den Formen der Technik und den Modalitäten der Regierung oder der Herrschaft, den Bereichen, in denen die Rationalität hauptsächlich zur Anwendung kommt, dominant sein konnten; ich setze das Problem der Kunst, das kompliziert ist, beiseite. Für mich ist keine gegebene Rationalitätsform die Vernunft. Also, ich sehe nicht, aus welchem Grund man behaup­ ten könnte, dass die Rationalitätsformen, die in den drei Sektoren dominant gewesen sind, über die ich spreche, allesamt im Zusam­ menbruch und Verschwinden begriffen sind; ich sehe keinerlei Verschwinden dieser Art. Ich sehe vielfältige Verwandlungen, aber ich sehe nicht, warum man diese Verwandlung einen Zusam­ menbruch der Vernunft nennen soll; weitere Rationalitätsformen erschaffen sich, erschaffen sich ohne Unterlass; folglich liegt der Behauptung kein Sinn zugrunde, der zufolge die Vernunft eine lange Erzählung ist, die jetzt mit einer anderen beginnenden Er­ zählung beendet wird. G. Raulet: Sagen wir, dass das Feld offen ist für einen Haufen an Formen der Erzählung. M. Foucault: Ich glaube, dass man da an eine der schädlichsten Formen, man muss vielleicht sagen, Gewohnheiten des zeitgenös­ sischen Denkens, ich würde vielleicht sagen, des modernen Den­ kens, auf jeden Fall des nachhegelianischen Denkens, rührt: die Analyse des gegenwärtigen Moments als Moment, eben in der Geschichte, des Bruchs oder als Moment des Gipfelpunktes, oder als Moment der Vollendung, oder als Moment der wiederkeh­ renden Morgenröte. Die Feierlichkeit, mit der ein jeder, der einen philosophischen Diskurs hält, seinen eigenen Moment reflektiert, scheint mir ein Stigma zu sein. Ich kann das umso besser sagen, als es mir selbst auch passiert ist; ich kann das umso besser sagen, als man es bei jemandem wie Nietzsche findet, unablässig oder zu­ mindest auf recht beharrliche Weise. Ich glaube, dass man die Bescheidenheit haben muss, sich zu sagen, dass einerseits der Mo­ ment, in dem man lebt, nicht dieser einmalige, grundlegende oder hereinbrechende Moment der Geschichte ist, von dem aus alles sich vollendet und alles neu beginnt; man muss die Bescheidenheit

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haben, sich zugleich zu sagen, dass - selbst ohne diese Feierlich­ keit - der Moment, in dem man lebt, sehr interessant ist und ver­ langt, analysiert zu werden, und verlangt, zerlegt zu werden, und dass wir uns in der Tat durchaus die Frage zu stellen haben: Was ist heute? Ich frage mich, ob man nicht eine der großen Rollen des philosophischen Denkens eben von der Kant’schen Frage »Was ist Aufklärung?«13 her dadurch charakterisieren könnte, dass man sagt, es sei die Aufgabe der Philosophie zu sagen, was heute ist, und zu sagen, was »wir heute« ist. Doch indem man sich nicht auf die ein wenig dramatische und theatralische Leichtfertigkeit ein­ lässt und behauptet, dieser Moment, in welchem wir sind, wäre in der Tiefe der Nacht der Moment der größten Verdammnis oder bei Tagesanbruch der Moment, in dem die Sonne triumphiert, usw. Nein, es ist ein Tag wie alle anderen, oder besser, es ist ein Tag, der niemals ganz so wie die anderen ist. G. Raulet: Dies wirft eine Menge an Fragen auf, auf jeden Fall diejenigen, die Sie sich selbst gestellt haben: Was ist heute? Lässt sich diese Epoche nichtsdestoweniger und trotz allem durch eine Zerstückelung charakterisieren, die größer ist als in anderen Epo­ chen, durch eine »Deterritorialisierung«, eine Schizophrenie? ohne dass Sie zu diesen Termini Stellung nehmen müssen. M. Foucault: Was ich auch über diese Funktion der Diagnose würde sagen wollen, das betreffend, was heute ist, so besteht sie doch nicht darin, einfach nur das zu charakterisieren, was wir sind, sondern, indem man den Bruchlinien von heute folgt, dahin zu gelangen, dass man erfasst, worin das, was ist, und wie das, was ist, nicht mehr das sein könnte, was ist. Und in diesem Sinne muss die Beschreibung stets gemäß dieser Art virtuellem Bruch geleistet werden, der einen Freiheitsraum eröffnet, verstanden als Raum einer konkreten Freiheit, das heißt einer möglichen Umgestaltung. G. Raulet: Ist dort, über dem Ort dieser Spaltlinien, die Arbeit des Intellektuellen, eine eindeutig praktische Arbeit, anzusiedeln? M. Foucault: Ich glaube, ja. Und ich würde sagen, dass die Ar­ beit des Intellektuellen in einem Sinne darin besteht, das zu sagen, was ist, indem sie es als nicht sein könnend oder nicht sein kön­ nend, wie es ist, erscheinen lässt. Und deshalb hat diese Bezeich­ nung und diese Beschreibung des Wirklichen niemals den Wert 13 [Im Original deutsch. A.d.Ü.]

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einer Vorschrift in der Form »Weil dieses ist, wird jenes sein«; deshalb auch scheint mir der Rückgriff auf die Geschichte - eine der großen Tatsachen im philosophischen Denken in Frankreich zumindest seit rund zwanzig Jahren - in dem Maße seinen Sinn zu gewinnen, wie die Geschichte zur Funktion hat zu zeigen, dass das, was ist, nicht immer gewesen ist, das heißt, dass stets im Zusammenfluss von Begegnungen und Zufällen, am Faden einer zerbrechlichen und heiklen Geschichte sich die Dinge ausgebildet haben, die uns den Eindruck vermitteln, die selbstverständlichsten zu sein. Für das, was die Vernunft als ihre Notwendigkeit erfährt, oder für das, was vielmehr die verschiedenen Rationalitätsformen als für sie notwendig ausgeben, kann man voll und ganz die Ge­ schichte schreiben und die Netze von Kontingenzen wieder fin­ den, aus denen dies entstanden ist; was dennoch nicht heißt, dass diese Rationalitätsformen irrational wären; dies heißt, dass sie auf einem Sockel menschlicher Praxis und menschlicher Geschichte beruhen, und weil diese Dinge geschaffen worden sind, können sie unter der Bedingung, dass man weiß, wie sie geschaffen wur­ den, auch aufgelöst werden. G. Raulet: Diese sowohl deskriptive als auch praktische Arbeit an den Brüchen ist eine Arbeit im Feld. M. Foucault: Vielleicht eine Arbeit im Feld und vielleicht eine Arbeit, die ausgehend von durch das Feld gestellten Fragen in der historischen Analyse weit zurückgehen kann. G. Raulet: Ist die Arbeit am Ort der Brüche, die Arbeit im Feld das* was Sie die Mikrophysik der Macht oder die Analytik der Macht nennen? M. Foucault: Das ist es in etwa. Mir schien, dass ebendiese Ra­ tionalitätsformen, die im Herrschaftsprozess eingesetzt werden, es verdienten, für sich selbst analysiert zu werden, was so zu ver­ stehen ist, dass diese Rationalitätsformen den anderen, beispiels­ weise in der Erkenntnis oder der Technik eingesetzten Machtfor­ men nicht äußerlich sind. Es gibt im Gegenteil einen Austausch, es gibt Übermittlungen, Übertragungen, Interferenzen, aber ich möchte unterstreichen, dass es mir nicht möglich scheint, eine einzige gleiche Rationalitätsform in diesen drei Bereichen zu be­ zeichnen, dass man dieselben Typen, wenn auch verschoben, wie­ der findet, und dass es zugleich enge und vielfältige Zwischenver­ bindungen, aber keinen Isomorphismus gibt.

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G. Raulet: Für jede Epoche oder je spezifisch? M. Foucault: Es gibt kein allgemeines Gesetz, das sagt, von welcher Art die Bezüge zwischen den Rationalitäten und den ein­ gesetzten Herrschaftsverfahren sind. G. Raulet: Ich habe diese Frage gestellt, weil in einer gewissen Anzahl von Kritiken an Ihnen ein Schema wiederkehrt, dass Sie nämlich zu einem bestimmten Zeitpunkt sprechen würden, und dass Sie zu einem Zeitpunkt reflektieren würden (das ist zum Bei­ spiel die Kritik von Baudrillard), wo die Macht »durch Dissémi­ nation irreparabel«14 geworden ist; im Grunde würde diese irre­ parable Dissémination, diese notwendige Vervielfältigung die mikrophysische Herangehensweise reflektieren. Auf dieselbe Weise hat ein Deutscher namens Alexander Schubert von einem anderen Gesichtspunkt aus gesagt, dass Sie zu einem Zeitpunkt sprechen, da der Kapitalismus derart das Subjekt aufgelöst hat, dass es möglich ist anzunehmen, dass das Subjekt immer nur eine Mannigfaltigkeit von Positionen gewesen sei.15 M. Foucault: Ich werde gleich gern auf diese Frage zurückkom­ men, weil ich gerade damit begonnen hatte, zwei oder drei Dinge zu sagen. Das Erste ist, dass ich versuche, wenn ich die Rationa­ lität der Herrschaften untersuche, Zwischenverbindungen herzu­ stellen, die keine Isomorphismen sind. Zweitens, wenn ich von diesen Machtbeziehungen und den Rationalitätsformen spreche, die sie regeln und regieren können, so tue ich das nicht, indem ich mich auf eine Macht (mit einem großen M) berufe, die die Ge­ samtheit des Gesellschaftskörpers beherrschen und ihm ihre Ra­ tionalität auferlegen würde. In Wirklichkeit sind es Machtbezie­ hungen, die vielfältig sind und verschiedene Formen haben, die in Familienbeziehungen, innerhalb einer Institution, in einer Ver­ waltung, zwischen einer herrschenden Klasse und einer be­ herrschten Klasse, funktionieren können, Machtbeziehungen, die spezifische Rationalitätsformen haben, Formen, die ihnen ge­ meinsam sind. Das ist ein Analysefeld, das ist in keiner Weise der Bezug auf eine einzige Instanz. Drittens, wenn ich diese Macht­ beziehungen untersuche, betreibe ich in keiner Weise die Theorie der Macht, sondern, insofern meine Frage die Frage danach ist, 14 Baudrillard, J., Oublier Foucault, Paris 1977; dt.: Foucault vergessen, München 1978. 15 Schubert, A., Die Decodierung des Menschen, Frankfurt 1981.

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wie die Reflexivität des Subjekts und der Wahrheitsdiskurs unter­ einander verbunden sind, sind, wenn es meine Frage ist: »Wie kann das Subjekt über sich selbst wahr-sagen?«, meines Erachtens die Machtbeziehungen eines der bestimmenden Elemente in die­ sem Verhältnis, das ich zu analysieren versuche. Das ist offen­ sichtlich zum Beispiel für den ersten Fall, den ich untersucht habe, den des Wahnsinns. Durch einen bestimmten Modus einer von einigen an einigen anderen ausgeübten Herrschaft konnte das Subjekt es unternehmen, über seinen in den Gestalten des anderen dargestellten Wahnsinn wahr-zu-sagen. Ich bin also keineswegs ein Theoretiker der Macht. Letztendlich würde ich sagen, dass die Macht mich nicht als autonome Frage interessiert, und wenn ich doch mehrfach von dieser Frage der Macht gesprochen habe, so geschah das in dem Maße, wie die vorliegende politische Ana­ lyse der Machtphänomene nicht diesen feineren und detaillierte­ ren Phänomenen gerecht zu werden schien, die ich ansprechen will, wenn ich die Frage des über sich selbst Wahr-sagens stelle. Wenn ich über mich selbst wahr-sage, so wie ich es tue, so kon­ stituiere ich mich zu einem Teil durch eine gewisse Anzahl von Machtbeziehungen, die an mir ausgeübt werden und die ich an anderen ausübe, als Subjekt. Dies, um einzuordnen, was für mich die Frage der Macht ist. Um auf die Frage zurückzukommen, die Sie gerade angesprochen haben, muss ich gestehen, dass ich nicht so recht sehe, worin der Einwand besteht. Ich betreibe keine Theorie der Macht. Ich schreibe die Geschichte, zu einem gege­ benen Zeitpunkt, der Art und Weise, wie sich die Reflexivität von sich auf sich und der damit verbundene Wahrheitsdiskurs herge­ stellt haben. Wenn ich von den Institutionen der Einsperrung im 18. Jahrhundert spreche, spreche ich von Machtbeziehungen, so wie sie zu jenem Zeitpunkt existieren. Ich begreife daher über­ haupt nicht den Einwand, außer man unterstellt mir ein Projekt, das ein von dem meinen völlig verschiedenes ist, und zwar ent­ weder, dass ich eine allgemeine Theorie der Macht betreibe, oder auch, dass ich die Analyse der Macht, so wie sie jetzt ist, durch­ führe. Ganz und gar nicht! Ich nehme die Psychiatrie in der Tat, so wie sie jetzt ist. Ich sehe, wie darin, direkt im Funktionieren der Institution, eine gewisse Anzahl von Problemen zum Vor­ schein kommt, die, wie mir scheint, auf eine Geschichte, auf eine relativ ferne Geschichte verweisen; sie ist bereits auf mehrere

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Jahrhunderte zu datieren. Ich versuche, die Geschichte oder die Archäologie zu betreiben; wenn Sie möchten, von der Art und Weise* wie man es unternommen hat, über den Wahnsinn im 17. und im 18.Jahrhundert wahr-zu-sagen, und ich würde sie gern sichtbar machen wollen, so wie sie zu jener Zeit existierte. Was beispielsweise die Kriminellen und das System von Bestrafungen angeht, die unser Strafrechtssystem charakterisiert, das im 18. Jahr­ hundert errichtet wurde, habe ich nicht all die Mächte beschrieben, so wie sie im 18. Jahrhundert ausgeübt wurden, sondern habe in einer bestimmten Anzahl von Institutionen, die im 18. Jahrhundert existierten und die als Vorbild dienen konnten, gesucht, welches die Machtformen sein konnten, die ausgeübt wurden und wie sie funktionieren konnten. Daher finde ich es nicht richtig, wenn be­ hauptet wird, die Macht sei jetzt nicht mehr so. G. Raulet: Zwei etwas unzusammenhängende Fragen noch, die mir aber dennoch wichtig erscheinen. Vielleicht können wir mit dem Status des Intellektuellen beginnen. Wir haben im Großen und Ganzen bestimmt, wie Sie Ihre Arbeit, ja Ihre Praxis verste­ hen, wenn es denn eine solche geben muss. Wären Sie bereit, hier über die philosophische Situation in Frankreich zu sprechen, ganz global, zum Beispiel ausgehend von dem folgenden Thema: Der Intellektuelle hat nicht mehr die Funktion, dem Staat eine univer­ selle Vernunft entgegenzusetzen, und auch nicht die, ihm seine Legitimation zu liefern. Sollte das in einem Verhältnis zu der ziemlich merkwürdigen und Besorgnis erregenden Situation ste­ hen, der man heute beiwohnt: eine Art Konsens, aber ein sehr stillschweigender, der Intellektuellen hinsichtlich der Linken, und zugleich ein vollständiges Schweigen des Denkens von links, bei dem man versucht wäre zu behaupten, dass es eine Macht von links zwingt, auf sehr archaische Legitimationsthemen zurückzu­ greifen: Man denke an den Kongress des P.S. von Valence16 mit seinen verbalen Übertreibungen, dem Klassenkampf... M. Foucault: ... die Rede des Vorsitzenden der Nationalver­ sammlung vor kurzem, der sagte, dass man ein bürgerliches, egoistisches und individualistisches Kulturmodell durch ein neues Kulturmodell der Solidarität und des Opfers ersetzen müsste. Ich war nicht sehr alt, als Marschall Pétain in Frankreich die Macht 16 [Im Jahre 1981.]

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ergriff, aber ich habe dieses Jahr aus dem Munde dieses Sozialisten das wieder erkannt, was meine Kindheit erfüllt hatte. G. Rautet: Ja. Man wohnt im Grunde diesem recht erstaunli­ chen Schauspiel einer Macht bei, die, ihrer intellektuellen Nach­ schubbasis beraubt, auf ziemlich verbrauchte Legitimationsthe­ men zurückgreift. Und was diese intellektuelle Nachschubbasis angeht, scheint es so zu sein, dass in dem Moment, da die Linke an die Macht kommt, links nichts mehr zu sagen ist. M. Foucault: Das ist eine sehr gute Frage. Als Erstes würde ich gern Folgendes in Erinnerung rufen: Wenn die Linke in Frank­ reich existiert - und ich sage »die Linke« in einem sehr allgemei­ nen Sinne, das heißt, wenn es Leute gibt, die sich links fühlen, wenn es Leute gibt, die links wählen, wenn es also eine große Linkspartei geben kann - zu der die Sozialistische Partei gewor­ den ist -, so glaube ich, dass das zu einem großen Teil aufgrund der Existenz eines Denkens von links, einer Reflexion von links, einer Analyse, einer Vielfalt von Analysen, die auf der Linken durchgeführt wurden, von politischen Entscheidungen, die auf der Linken zumindest seit i960 getroffen wurden, und die außer­ halb der Parteien getroffen wurden, so ist. Es ist überhaupt nicht so, dass dank des P.C., dank der alten S.F.I.O. - die nicht vor 1972 gestorben ist, sie hatte eine lange Agonie - eine lebendige Linke in Frankreich existiert; sondern weil es durch den Algerienkrieg zum Beispiel auch in einem ganzen Sektor des intellektuellen Lebens, in Bereichen, die die Probleme des täglichen Lebens abdeckten, wie denen der ökonomischen und sozialen Analyse ein außeror­ dentlich lebendiges Denken von links gab und das auch nicht zu ebendem Zeitpunkt, als die Linksparteien sich aus verschiedenen Gründen disqualifizierten, gestorben ist, im Gegenteil. G. Raulet: Nein, zu diesem Zeitpunkt nicht. M. Foucault: Und man kann sagen, dass über fünfzehn Jahre hinweg - die ersten fünfzehn Jahre des Gaullismus und des Regi­ mes, das wir anschließend kennen lernten - die Linke dank all dieser geleisteten Arbeit Bestand hatte. Zweitens ist festzuhalten, dass die Sozialistische Partei auf das Echo stieß, das sie als eine große Partei hatte, weil sie hinreichend durchlässig war für diese neuen Haltungen, diese neuen Probleme, diese neuen Fragen. Sie war durchlässig für die gestellten Fragen, die das alltägliche Leben betrafen, die das Sexualleben, das Leben der Paare, die Situation

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der Frauen betrafen, sie war empfänglich für Probleme, die zum Beispiel die Selbstverwaltung betrafen, sämtliche Themen des Denkens von links, eines Denkens von links, das nicht in die Parteien eingeordnet und das im Verhältnis zum Marxismus nicht traditionell war. Neue Probleme, ein neues Denken, das war be­ deutend. Ich glaube, dass man eines Tages, wenn man sich genau diese Episode der Geschichte Frankreichs ansehen wird, darin das Entspringen eines neuen Denkens von links sehen wird, das unter vielfältigen Formen und ohne Einheit - vielleicht eines seiner positiven Aspekte - vollständig den Horizont verändert hat, in den sich die aktuellen Linksbewegungen einordnen. Man könnte meinen, dass ebendiese Form einer Kultur von links ganz und gar allergisch gegen die Organisation einer Partei wäre und ihren wirklichen Ausdruck nur in Grüppchen oder in Individualitäten finden könnte. Und es hat sich gezeigt, dass es nicht so ist; letzt­ lich gab es - ich sagte es gerade - eine Art Symbiose, die dafür sorgte, dass die neue Sozialistische Partei von diesen Ideen ziem­ lich durchtränkt war. Es gab jedenfalls - eine Sache, die hinrei­ chend interessant und reizvoll war, dass man sie festhält - eine gewisse Anzahl von Intellektuellen, nicht sehr viele im Übrigen, die der Sozialistischen Partei nahe standen. Wahrscheinlich ist die Sozialistische Partei dank sehr geschickter politischer Taktiken, politischer Strategien - und ich sage das ohne Geringschätzung - an die Macht gebracht worden; doch, noch einmal, sie hat die Macht erobert, indem sie eine bestimmte Anzahl von Formen dieser Kultur von links aufsaugte, und es ist gewiss, dass seit dem Kongress von Metz17 bereits, dann mehr noch auf dem Kon­ gress von Valence - auf dem man Dinge zu hören bekam wie die gerade berichteten -, es ist gewiss, dass dieses Denken von links etwas ins Fragen kommt. G. Raulet: Existiert dieses Denken selbst denn noch? M. Foucault: Ich weiß es nicht. Man muss sehr komplexe Dinge berücksichtigen. Man muss zum Beispiel sehen, dass einer der Herde in der Sozialistischen Partei, in denen dieses neue Denken von links am aktivsten war, im Umkreis von jemandem wie Ro­ card zu finden war. Die Dominanz Rocards, seiner Gruppe und seiner Strömung im P.S. hat viel bewirkt. Die Situation ist sehr 17 [Im Jahre 1979.]

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komplex. Aber ich glaube, dass die etwas hölzernen Reden, die gegenwärtig viele leaders des P.S. schwingen, ein Verrat an dem sind, was die Hoffnung eines großen Teils dieses Denkens von links war, ein Verrat an der jüngsten Geschichte des P.S., die von diesem Denken von links profitiert hat, und auf ziemlich autori­ täre Weise bringen sie Strömungen zum Schweigen, die noch in­ nerhalb des P.S. existieren. Sicherlich sind die Intellektuellen die­ sem Phänomen gegenüber ein wenig schweigsam. Ich sage ein wenig, denn dass die Intellektuellen schweigen, ist ein Journalis­ tenirrtum. Ich kenne mehr als einen, der auf diese oder jene Maß­ nahme, auf diese oder jene Entscheidung, auf dieses oder jenes Problem reagiert und seine Meinung dazu abgegeben hat. Und ich glaube, dass, würde man die genaue Bilanz der Wortmeldun­ gen der Intellektuellen im Verlauf dieser letzten Monate zählen, diese mit Sicherheit nicht weniger zahlreich wären als früher. Ich persönlich jedenfalls habe niemals so viele Artikel in Zeitungen geschrieben, als seitdem es heißt, dass ich schweige. Aber was bedeutet schon meine Person. Es stimmt, dass diese Reaktionen solche sind, die nicht in den Bereich einer grundlegenden Ent­ scheidung fallen; es sind nuancierte, zögerliche, ein wenig zwei­ felnde, ein wenig Mut machende Wortmeldungen, die aber dem aktuellen Stand der Situation entsprechen, und statt sich über das Schweigen der Intellektuellen zu beklagen, muss man weit stärker ihre reflektierte Reserve gegenüber einem Ereignis aus jüngster Zeit und einem Prozess erkennen, von dem man noch nicht so ganz richtig weiß, wohin er sich wenden wird. G. Raulet: Also kein notwendiger Bezug zwischen dieser poli­ tischen Situation, dieser Art von Rede und der These, die dennoch eine weite Verbreitung gefunden hat: Die Vernunft ist die Macht, wenden wir uns also sowohl von der Vernunft als auch von der Macht ab? M. Foucault: Nein, nein. Verstehen Sie recht, es gehört zum Schicksal sämtlicher aufgeworfener Probleme, dass sie zu Schlag­ worten degradiert werden. Niemand hat gesagt: »Die Vernunft ist die Macht«, ich glaube, dass niemand gesagt hat, das Wissen wäre eine Macht. G. Raulet: Es ist gesagt worden. M. Foucault: Es ist gesagt worden, doch, verstehen Sie, wenn ich die These lese - und ich weiß wohl, dass man sie mir zu­

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schreibt »Das Wissen ist die Macht«, oder: »Die Macht ist das Wissen«, in welcher Reihenfolge auch immer, dann schütte ich mich aus vor Lachen, da es doch genau mein Problem ist, ihre Bezüge zu untersuchen; und wenn es zwei identische Dinge wä­ ren, hätte ich nicht ihre Bezüge zu untersuchen und würde mich viel weniger erschöpfen. Allein die Tatsache, dass ich die Frage nach ihren Bezügen stelle, beweist ja wohl, dass ich sie nicht gleichsetze. G. Raulet: Letzte Frage. Der Marxismus dürfte heute ziemlich schlecht laufen, weil er aus den Quellen der Aufklärung geschöpft haben soll: Das ist dennoch ein Thema, welches das Denken, ob man will oder nicht, während der siebziger Jahre beherrscht hat, und wäre es nur, weil eine gewisse Anzahl von Individuen, Intel­ lektuelle, die sich die Neuen Philosophen nannten, dieses Thema vulgarisiert haben. Folglich dürfte der Marxismus ziemlich schlecht laufen. M. Foucault: Ich weiß nicht, ob er schlecht oder gut läuft. Ich halte mich, wenn Sie wollen, an die Formel: Das ist eine Idee, die das Denken oder die Philosophie beherrscht hat. Ich glaube, dass Sie ganz und gar Recht haben, die Frage zu stellen, sie so zu stellen. Ich würde sagen, ich wäre versucht zu sagen - und ich hätte Sie beinahe genau da unterbrochen -, dass das nicht das Denken, sondern die Untiefen des Denkens beherrscht hat. Aber das wäre billig, unnütz polemisch, und das ist wirklich nicht an­ gebracht. Ich glaube, dass man in Frankreich folgende Situation berücksichtigen muss: Es gab in Frankreich bis in die fünfziger Jahre zwei Kreise des Denkens, die praktisch, wenn nicht einan­ der fremd, zumindest voneinander unabhängig waren: auf der einen Seite das, was ich einen universitären Kreis oder akademi­ schen Kreis nennen würde, einen Kreis des wissenschaftlichen Denkens, und dann auf der anderen Seite der Kreis des offenen Denkens oder des gängigen Denkens; wenn ich sage »gängig«, will ich ganz und gar nicht sagen, dass es zwangsläufig von schlechter Qualität ist. Ein universitäres Buch, eine Dissertation, eine Vor­ lesung jedoch waren Dinge, die in den Universitätsverlagen ver­ blieben, universitären Lesern zur Verfügung standen und außer auf die Universitäten kaum Einfluss hatten. Es hat den Sonderfall Bergson gegeben; das war eine Ausnahme. Seit der Nachkriegszeit - und dabei hat zweifellos der Existentialismus eine Rolle gespielt

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- hat man Denkarten gesehen, die universitären Ursprungs, zu­ tiefst in der Universität verwurzelt waren - denn schließlich, die Verwurzelung von Sartre, das ist Husserl und das ist Heidegger, die keine öffentlichen Tanzdamen waren -, und die sich an einen viel größeren Kreis als nur an das universitäre Publikum wandten. Nun ist dieses Phänomen, selbst wenn es in Frankreich keinen mehr von der Dimension Sartres gibt, um es durchzuführen, de­ mokratisiert worden. Sartre allein oder vielleicht Sartre und Mer­ leau-Ponty konnten das machen, und dann ist das ein wenig für alle erreichbar geworden, aus einer gewissen Anzahl von Grün­ den, darunter als Erstes die Neuausrichtung der Universität, die Vervielfachung der Zahl der Studenten und der Professoren, die am Ende eine Art soziale Masse darstellten, die Neuausrichtung der internen Strukturen und eine Erweiterung des universitären Publikums, und auch die größere Verbreitung - was weit davon entfernt ist, ein negatives Phänomen zu sein - der Kultur. Das kulturelle Durchschnittsniveau der Bevölkerung ist dennoch be­ trächtlich angehoben worden, und, man mag dazu sagen, was man will, eine große Rolle spielt das Fernsehen: Die Leute lernen, dass es eine neue Geschichte gibt, usw. Nehmen wir noch all die po­ litischen Phänomene, Gruppen und Bewegungen hinzu, die inner­ halb und außerhalb der Universität sich darum kümmern. All das hat der universitären Arbeit ein Echo gegeben, das sehr weit über die universitäre Institution oder auch die Gruppe der spezialisier­ ten, professionellen Intellektuellen hinausging. In Frankreich ist aktuell ein bezeichnendes Phänomen zu konstatieren: Wir haben fast keine auf Philosophie spezialisierten Zeitschriften mehr, oder sie sind fast gleich null. Wenn man etwas schreiben will, wo schreibt man, kann man es schreiben? Letztlich kann es einem nur in den Wochenschriften mit hoher Auflage oder den Zeit­ schriften von allgemeinem Interesse gelingen, etwas unterzubrin­ gen. Das ist ein sehr wichtiges Phänomen. Nun kommt es jedoch dazu, was in Situationen wie dieser hier fatal ist, dass ein etwas anspruchsvollerer Diskurs, statt durch eine zusätzliche Arbeit fortgesetzt zu werden, die ihn als Echo oder als Kritik vervoll­ kommnet, diffiziler macht und verfeinert, im Gegenteil das Echo von unten her erfährt; und Schritt für Schritt, vom Büchlein zum Artikel, vom Artikel auf Papier für die Zeitungen, und von den Zeitungen zum Fernsehen bringt man es fertig, ein Buch, eine

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Arbeit, ein Problem in Schlagworten zusammenzufassen. Die Ver­ antwortung für diesen Übergang von der philosophischen Frage zum Schlagwort, für diese Verwandlung der Frage des Marxismus, die zum »Der Marxismus ist am Ende« wird, darf man nicht diesem oder jenem zuschreiben; man nimmt vielmehr die Rutsch­ bahn wahr, auf der das philosophische Denken oder die philoso­ phische Frage sich so in einen gängigen Verbrauchsstoff verwan­ delt; während es einst zwei verschiedene Kreise gab, und der institutioneile Kreis, der seine Schattenseiten hatte - seine Ge­ schlossenheit, seinen Dogmatismus, seinen Akademismus -, zwar nicht alle Verderbnisse vermeiden konnte, aber einen weniger gro­ ßen Verlust erlitt; die Tendenz zur Entropie war geringer, wäh­ rend sich jetzt die Entropie mit erstaunlicher Schnelligkeit voll­ endet. Ich könnte persönliche Beispiele geben: Es hat fünfzehn Jahre gebraucht, bis man mein Buch über den Wahnsinn in ein Schlagwort verwandelt hatte: »Alle Verrückten wurden, im 18. Jahrhundert eingesperrt«, aber es hat nicht einmal fünfzehn Monate, sondern drei Wochen gebraucht, um mein Buch über den Willen zum Wissen in dieses Schlagwort zu verwandeln: »Die Sexualität ist niemals unterdrückt worden.« Ich habe in mei­ ner eigenen Erfahrung die Beschleunigung dieses Phänomens der Entropie in einem für das philosophische Denken abscheulichen Sinne gesehen, aber man muss sich auch sagen, dass das denen, die schreiben, eine noch größere Verantwortung gibt. G. Raulet: Ich war einen Moment versucht zu sagen, um zu schließen, aber in Form einer Frage, und ohne ein Schlagwort durch ein anderes zu ersetzen: Der Marxismus dürfte doch wohl noch nicht am Ende sein? In dem Sinne, wie Sie in U Archéologie du savoir sagen, dass ein unverfälschter Marx helfen würde, »eine allgemeine Theorie der Diskontinuität, der Serien, der Grenzen, der Einheiten, der spezifischen Ordnungen, der Autonomien und differenzierten Abhängigkeiten zu formulieren«.18 M. Foucault: Ja. Ich will keine vorgefasste Meinung verbreiten, was die Form der kommenden Kultur sein wird. Verstehen Sie richtig: Alles ist zumindest als virtuelles Objekt innerhalb einer gegebenen Kultur vorhanden, zumindest alles, was bereits einmal Gestalt angenommen hat. Das Problem der Objekte, die in der 18 [Foucault, M., VArchéologie du savoir, Paris 1969, S. 21; dt.: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973, S. 22. A.d.Ü.]

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Kultur niemals Gestalt angenommen haben, ist ein anderes Prob­ lem. Aber es gehört zum Funktionieren des Gedächtnisses und der Kultur, jedes beliebige der Objekte, die einmal Gestalt ange­ nommen haben, reaktualisieren zu können; die Wiederholung ist stets möglich, die Wiederholung nebst Anwendung, Umgestal­ tung. Gott weiß, dass Nietzsche 1945 als endgültig disqualifiziert erscheinen konnte... Es ist sicher, dass Marx, selbst wenn man annimmt, dass Marx jetzt verschwinden wird, eines Tages wieder auftauchen wird. Was ich wünsche - und damit habe ich meine Formulierung gegenüber der von Ihnen zitierten verändert -, ist nicht so sehr das Rückgängigmachen der Verfälschung, die Wie­ derherstellung eines echten Marx, sondern mit Sicherheit die Ent­ lastung, die Befreiung von Marx im Verhältnis zur Dogmatik der Partei, die ihn über so lange Zeit zugleich eingeschlossen, beför­ dert und hochgehalten hat. Man kann dem Satz »Marx ist tot« einen Gelegenheitssinn geben, sagen, dass er relativ wahr ist, aber zu sagen, Marx werde auf diese Weise verschwinden... G. Raulet: Aber meinte jene Stelle aus L'Archéologie du savoir nicht, dass in gewisser Weise Marx in Ihrer Methodologie fort­ wirken würde? M. Foucault: Ja, unbedingt. Sie wissen ja, dass es in der Zeit, als ich diese Bücher schrieb, zum guten Ton gehörte, um in der in­ stitutioneilen Linken gut angesehen zu sein, Marx in den Fußno­ ten zu zitieren, wovor ich mich gehütet habe. Aber ich könnte einige Passagen wiederfinden - was von keinerlei Interesse ist -, die ich geschrieben und in denen ich mich auf Marx bezogen habe, und wäre Marx nicht dieser Autor gewesen, der auf diese Weise und mit einem solchen politischen Übergewicht in der französi­ schen Kultur funktionierte, so hätte ich ihn in der Fußnote zitiert. Ich habe das nicht getan, um meinen Spaß zu haben und um diejenigen in die Falle zu locken, die, unter den Marxisten, mich genau an diesen Sätzen zu packen kriegen wollten. Das gehörte zum Spiel. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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331. Austausch mit Michel Foucault »An Exchange with Michel Foucault« (»Échange avec Michel Foucault«), in: The New York Review of Books, 30. Jg., Nr. $, 31. März 1983, S. 42-44 (Brief­ wechsel mit L. Stone über seine Besprechung von Histoire de la folie: »Madness«, ehd.y 16. Dezember 1982, S. 28-36). In einer Besprechung von vier neueren englischsprachigen Werken über die Geschichte der Behandlung des Wahnsinns zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert (»Madness«, in: The New York Review of Books, 16. D e­ zember 1982) stellt der amerikanische Historiker Lawrence Stone mit Be­ dauern fest, dass seit fünfzehn Jahren Wahnsinn, Medizin und Abweichung »unter dem beträchtlichen, aber destabilisierenden Einfluss von Histoire de la folie « umgewertet worden seien. M. Foucaults pessimistischer Fantasie würde es, $0 Stone, an der Absicherung durch Belege fehlen. Die hier vor­ gelegte Antwort von M. Foucault bezieht sich auf die 1972 bei Gallimard neu aufgelegte vollständige Ausgabe von Histoire de la folie. In dem Artikel »Madness« bezog sich L. Stone in den Fußnoten auf die stark gekürzte englische Fassung von 1965. Allerdings zeigt L. Stone in seiner Antwort auf die Antwort von M. Foucault in derselben Nummer der New York Review of Books, dass er die französische Originalausgabe kennt.

1) Sie unterstellen mir die These, seit 1650 habe man als neue Grundregel akzeptiert, dass »der Wahnsinn schandhaft wäre« und »die beste Behandlung in der unter Leitung professioneller Ärzte durchgeführten Segregation bestünde«. Nun ist dies aber ganz genau das Gegenteil von dem, was ich als allgemeine These meines Buches vorgetragen und in den fünf Kapiteln des ersten Teils entwickelt habe. Nämlich: dass die Verfahren und Institutio­ nen der Internierung sich über das 16. und das 17. Jahrhundert hinweg und nicht seit 1650 entwickelt haben; dass sie im Wesent­ lichen außermedizinischer Natur waren, und dass die Ziele, die man sich vornahm, nur zu einem sehr bescheidenen Teil die Form einer Therapie annahmen. Die Daten, die Formen und die Regel­ werke dieser nicht-medizinischen Einsperrungen werden auf den Seiten 56-1231 meines Buches analysiert; der begrenzte Platz, den dabei die medizinischen Praktiken einnehmen, wird auf den Sei­ 1 [Der französischen Ausgabe, A.d.Ü.]

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ten 124-177 beschrieben. Warum nehmen Sie diese einhundertundzwanzig Seiten nicht zur Kenntnis, die die These, die Sie mir zuschreiben, in Gänze dementieren? Und warum unterstellen Sie mir eine unhaltbare These, die niemals, soweit ich weiß, von jemandem vertreten wurde, und gewiss nicht von mir? 2) Sie schreiben mir die Idee zu, bei all dem ginge es um eine »Verschwörung von Professionellen mit dem Ziel, die Macht zu übernehmen und die Leute einzusperren«. Das ist abermals genau das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe. Zunächst einmal habe ich niemals den Begriff »Verschwörung« benutzt, um dieses his­ torische Phänomen zu analysieren, noch irgendein anderes. Zum anderen - und das ist die ganze Entwicklung meines Buches habe ich die Langwierigkeit, die Verschiedenartigkeit und die Komplexität der Vorgänge zu zeigen versucht, die letztlich nach anderthalb Jahrhunderten oder mehr zur Ausbildung einer spezi­ alisierten Psychiatrie und eines Corps von Irrenärzten geführt haben, die die Ausübung einer ärztlichen Macht im Rahmen der Internierungseinrichtungen beanspruchen konnten. Ich habe so­ mit keine Verschwörung beschrieben; ich habe das Faktum einer Medizinisierung nicht im Jahr 1650 angesiedelt, und ich habe nicht bei den Ärzten die einzigen Triebkräfte dafür gesucht. In diesen drei Punkten irren Sie sich. Warum? 3) Sie halten mir entgegen, als ob ich das nicht wüsste oder es nicht erwähnte, dass man über Zeugnisse über die Einsperrung bestimmter Wahnsinniger im Mittelalter verfügt. Nun beziehe ich mich aber genau auf derartige Zeugnisse und zeige an, dass darin eine sehr alte Tradition lag, die im Weiteren dann ein ganz anderes Ausmaß annahm; ich zitiere eine Anzahl von Beispielen dafür auf den Seiten 20-21 und 125-127; ich erinnere daran (S. 161-162), dass man im Mittelalter mitunter die Wahnsinnigen einschloss und dass man sie wie Tiere vorführte. Wenn man davon ausgeht, dass Sie mein Buch gelesen haben, dann muss man unterstellen, dass Sie das, was ich gesagt habe, abgeschrieben haben, um mir dann vorzuwerfen, es nicht gesagt zu haben. Oder ist eher anzu­ nehmen, dass Sie es nicht gelesen haben? 4) Ein weiterer Einwand von Ihrer Seite: Die Wahnsinnigen wären nicht »isoliert« worden, weil die Schaulustigen sie an den Orten besuchen konnten, an denen man sie in Ketten hielt. Zwei Anmerkungen dazu:

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a) Glauben Sie wirklich, die Tatsache, dass man jemanden einsperrt und ihn zur Schau stellt, beweise, dass er nicht das Objekt einer Segregation sei? Sagen Sie mir, ob Sie, in Ketten gehalten, schreiend in einem Hof oder zappelnd hinter Gitterstäben unter dem belustigten Blick irgendwelcher Gaffer nicht auch irgendwie ein vages Gefühl von Isolation haben könnten? b) Nun zeigt sich allerdings, dass ich mit mehreren Belegstellen für Frankreich und für England auf diese Besuche bei den Wahn­ sinnigen und diese Zurschaustellung eingegangen bin (S. 161163). Nur dass ich das nicht als einen Beweis dafür nehme, dass die Wahnsinnigen nicht isoliert waren, sondern als einen Aspekt der komplexen Einstellung gegenüber den Wahnsinnigen; man versteckte sie und man zeigte sie an ein und denselben Orten; die beiden Einstellungen werden durch von mir zitierte Doku­ mente belegt. Etwas mehr Aufmerksamkeit hätte es Ihnen sowohl ersparen können, leichtfertig einen schlecht begründeten Vorwurf zu er­ heben, als auch, das auf eine so wunderlich befremdliche Über­ legung zu stützen. 5) Sie wenden gegen mich ein, es gäbe »enorme Unterschiede von Land zu Land in den Graden und Formen der Einkerke­ rung«: England kannte vor allem private Einrichtungen, Frank­ reich staatliche Institutionen. Nun verweise ich allerdings auf den Seiten 67-74 und 483-496 auf die ausgeprägten Unterschiede zwi­ schen einem Land wie Frankreich und einem Land wie England, in welchem die religiöse Organisation, die Gesetzgebung, die In­ stitutionen und Einstellungen der Privatinitiative viel mehr Platz lassen; ich erinnere insbesondere an die lange Tradition, in die Tuke sich einschreibt, und die sich über das gesamte 18. Jahrhun­ dert hinweg entwickelt hat. Zudem täuschen Sie sich, wenn Sie glauben, dass alles in Frankreich ein staatliches Unterfangen war. 6) Wenn Sie gegen mich einwenden, dass das 17. und das 18. Jahrhundert vor allem die Einsperrung der Armen und das 19. die der Wahnsinnigen kannten, dann stimmt es, dass ich weder weiß, was ich darauf antworten soll, noch auf welche Passage meines Buches Sie verweisen: Es ist in seiner Gänze dem Nach­ vollzug der allmählichen Entwicklung gewidmet, die von einer Form der Internierung, die vor allem auf die Armen abzielte, zu einer Internierung überging, die mit einer ärztlichen Funktion

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betraut war. Sie wiederholen als Einwand nur das, was ich als allgemeine These vorgetragen habe. 7) Im Gegensatz zu dem, was Sie behaupten, habe ich niemals »die den Wahnsinnigen verabreichten Behandlungen« mit denen verglichen, die den Leprakranken verabreicht wurden. Ich habe angezeigt, dass es eine Wiederverwendung einer gewissen Anzahl von aufgegebenen Leprosorien zu anderen Zwecken gegeben hat­ te, und insbesondere zum Zwecke einer Einsperrung, die im 17. und im 18. Jahrhundert nur zu einem sehr bescheidenen Teil von therapeutischer Natur war. 8) Sie werfen mir vor, die Behandlung der Schüler, der Armen, der Verbrecher und der Wahnsinnigen unter denselben »Begriffs­ schirm« gesetzt zu haben. Und Sie machen geltend, dass die Situa­ tion der Armen sich seit zwei Jahrhunderten verbessert habe und dass die Kinder »zumindest bis zu den 1960er Jahren« immer besser erzogen worden seien. Nun habe ich jedoch: a) niemals bestritten, was Sie in diesen beiden letzten Behaup­ tungen Vorbringen; ich habe dieses Thema überhaupt niemals an­ geschnitten; b) in meinem Buch über den Wahnsinn die Frage der Schüler und ihrer Erziehung niemals erwähnt. Können Sie mir die Passage anführen, in der ich dies getan haben soll? c) Was die Anwesenheit von Verbrechern (oft mit einem spe­ ziellen Status) in den Einrichtungen angeht, in denen man zu­ gleich Arme und Verrückte findet, so sind sie nicht meine Sache. Es handelt sich um eine in den insbesondere auf den Seiten 56-123 und auf den Seiten 414-421 angeführten Dokumenten belegte Pra­ xis. Sind Sie imstande, diese Tatsache zu bestreiten und ihre Be­ streitung auf Dokumente zu stützen? Das Problem war für mich, die Logik einer Praxis zu verstehen, die Wahnsinnige, Verbrecher und Arme betreffen konnte. Die jedoch nicht die Kinder und auch nicht das 19. und das 20. Jahr­ hundert betraf, wie Sie das glauben machen wollen. 9) Schließlich kommen Sie einmal mehr auf jene These zurück, die ich niemals vertreten habe (die Arzte hätten »hinter der gro­ ßen Einsperrung« gestanden), und wenden ein, die Gesellschaft wäre »darauf versessen, für die Internierung zu zahlen«, und es bestünde von dieser Seite eine starke gesellschaftliche Nachfrage. Nun, auch da habe ich unablässig auf diesem Verlangen der Fami-

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lien und der Umgebung beharrt; in Frankreich wurde die lettre de cachet, die einer der Wege der administrativen Internierung war, in der Mehrzahl der Fälle von den Familien angefordert, und für die Einsperrung in Bicêtre musste gar in manchen Fällen gezahlt wer­ den. Sie täuschen sich im Übrigen, wenn Sie sich vorstellen, dass allein die von Ihnen erwähnten reichen Familien solches verlang­ ten und derartige Kostgelder bezahlten. Alles in allem: neun massive, sichtliche Irrtümer in etwas mehr als zwei kleinen Spalten. Das ist viel. Ich pflege gewöhnlich nicht auf Kritiken zu antworten, für die der Leser, wie man sagt, groß genug ist, um die offensichtlichen Verfälschungen selbst zu be­ richtigen. Die Hochschätzung freilich, die man Ihnen schuldet, bewegt mich dazu, Ihnen diese wenigen Antworten vorzulegen, die sehr viel detaillierter sein könnten. Indem ich Ihnen antworte, möchte ich Ihnen einige Fragen stellen. 1) Die »Treue«, die Sie meinem Buch gegenüber bezeigen, er­ staunt mich. Sie hätten andere Quellen anführen können als dieje­ nigen, auf die ich mich beziehe, hätten ganz andere Tatsachen ansprechen, neue Perspektiven eröffnen können. Nichts davon. Von den neun Vorwürfen, die Sie mir machen, bestehen vier davon (Nr. 3, 4, 5 und 6) darin, das zu reproduzieren, was ich gesagt habe, indem Sie so tun, als ob ich es nicht gesagt hätte; drei weitere (Nr. 1, 2 und 8) bestehen darin, Wort für Wort zu retournieren, was ich gesagt habe, und mir die so unstatthaft gewordene These zuzuschreiben. Was den neunten Vorwurf angeht, kombiniert er in guter Rhetorik - die beiden im Verlauf der Entwicklung ver­ wandten Methoden. 2) Ich fürchte, dass Sie ein beträchtliches Risiko eingegangen sind. Stellen Sie sich diejenigen vor, die mein Buch gelesen haben; stellen Sie sich diejenigen vor, die es lesen und auf die Idee kom­ men werden, es mit dem zu konfrontieren, was Sie darüber sagen. Fürchten Sie nicht, für unconcerned with historical detail of time and placey or with rigorous documentation2 gehalten zu werden? 3) Glauben Sie nicht, dass die für die wissenschaftliche Arbeit unerlässliche Redlichkeit derartige Vorgehensweisen ausschließen müsste? Glauben Sie nicht, dass die Achtung für die Arbeit des anderen und das, was er gesagt hat, eine der Bedingungen dafür 2 [.. .für »jemand, der auf die historischen Einzelheiten von Zeit und Ort oder auf eine strenge Dokumentation keinen Wert legt?« (Auszug aus L. Stone)]

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ist, dass man die Kritik vor den schlechten Angewohnheiten des hastigen Journalismus schützt? 4) Ich habe mein Buch vor mehr als zwanzig Jahren veröffent­ licht. Es war damals ein wenig »ein Einzelgänger« in einem Be­ reich, den die Historiker vielleicht nicht allzu sehr durchwühlt hatten. Es hat sicherlich eine Revision, Verfeinerung, Korrektur und Entwicklung nötig. Zum Glück ist das Problem seitdem, wie Sie sagen, zu einer aktuellen Frage geworden. Aber dass es zwan­ zig Jahre danach bei einem Geist, der hätte kühl bleiben müssen, so viele offensichtliche Verfälschungen hervorruft, ist das nicht das Zeichen dafür, dass die Probleme, die es versucht hat zu be­ handeln, noch mit Leidenschaft überfrachtet sind? Ein Grund mehr folglich, dass man in der Diskussion so aufmerksam wie möglich ist, und so genau, wie man kann. Selbst wenn der Wahn­ sinn nichts mehr als ein Gegenstand ist, über den man spricht, gibt es im Wahnsinn etwas, das blind macht. Deshalb schlage ich Ihnen vor, dass wir in aller Sympathie und in aller Gelassenheit die Auseinandersetzung über diese Probleme wieder aufnehmen, und dies in der Form, die uns beiden gerecht würde. Ich würde nur zu gern damit beginnen, das, was Sie über mein Buch geschrieben haben, und das, was ich in meinem Buch geschrieben habe, Absatz für Absatz gegenüberzustellen. Die Öf­ fentlichkeit muss wissen können, was es in Wirklichkeit damit auf sich hat. Suchen wir, wenn Sie möchten, gemeinsam nach den Mitteln, dies zu tun. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

332 Von seinen Lüsten träumen. Über das Traumbuch des Artemidor »Rêver de ses plaisirs. Sur YOnirocritique d’Artémidore«, in : Recherches sur la philosophie et le langage, Nr. 3, 2. Trimester 1983, S. 54-78.

Variante des ersten Kapitel der Souci de soi [Sorge um sich]. Vor­ trag, gehalten am Département de philosophie der Universität Grenoble am 18. Mai 1982.

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Der Schlüssel zu den Träumen von Artemidor ist der einzige uns in seiner Vollständigkeit erhalten gebliebene Text einer Literatur, die in der Antike überreichlich gedieh: die Literatur der Traum­ deutung.1 Artemidor, der im 2. Jahrhundert schreibt, führt selbst mehrere (und darunter einige bereits ältere) Werke an, die zu seiner Zeit in Gebrauch waren: die von Nikostratos von Ephesos und von Panyasis von Halikarnassos, das des Apollodoros von Telmessos, und die von Phoibos von Antiocheia, von Dionysios von Heliopolis und von dem Naturforscher Alexander von Myndos; er erwähnt lobend Aristandros von Telmessos; er bezieht sich auch auf die drei Bücher der Abhandlung des Geminos von Tyros, die fünf Bücher des Demetrios von Phaleron und auf die zwei­ undzwanzig Bücher des Artemon von Milet.

Die Methode Sich an denjenigen wendend, dem sein Werk zugeeignet ist, einen gewissen Cassius Maximus - vielleicht Maximus von Tyros oder sein Vater, der ihn verpflichtet haben soll, »sein Wissen nicht dem Vergessen preiszugeben« -, behauptet Artemidor, er habe sich »keiner anderen Aufgabe« hingegeben als sich »immer, bei Nacht und bei Tag« mit der Deutung von Träumen zu beschäftigen. Ist das eine emphatische, in diesem Genre der Selbstdarstellung ziem­ lich gebräuchliche Behauptung? Vielleicht. Artemidor jedenfalls macht etwas ganz anderes als die berühmtesten Beispiele von durch die Wirklichkeit bestätigten Traumweissagungen zusam­ menzustellen. Er hat ein Methodenwerk in Angriff genommen, und dies in zweierlei Sinn: Es muss ein in der alltäglichen Praxis nutzbares Handbuch sein; es muss eine Abhandlung von theoreti­ scher Qualität über die Gültigkeit der Verfahren sein. Man darf nicht vergessen, dass die Analyse der Träume zu den Existenztechniken gehörte. Da die Bilder des Schlafes, zumindest galt das für einige unter ihnen, als Zeichen für die Wirklichkeit oder als Botschaften für die Zukunft betrachtet wurden, war ihre Entschlüsselung von großem Wert: Ein vernünftig geführtes Leben konnte sich kaum dieser Aufgabe entziehen. Es war eine sehr alte 1 [Artémidore, La Clef de Songes. Onirocriticon, Paris 1975; Artemidor, Das Traum­ buch, Zürich und München 1979.]

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volkstümliche Tradition; es war auch eine in den gebildeten Mi­ lieus angenommene Gewohnheit. So notwendig es war, sich an die unzähligen professionell Zuständigen für die Bilder der Nacht zu wenden, so gut war es auch, wenn man selbst die in den Träumen in größter Klarheit freigelegten Zeichen deuten konnte. Zahlreich sind die Bezeugungen der Wichtigkeit, die der Analyse der Träume als unerlässlicher Praxis für das Leben nicht nur bei den großen Anlässen, sondern auch im alltäglichen Lauf der Dinge zugestan­ den wurde. Im Traumbild geben die Götter Ratschläge, Urteile und mitunter ausdrückliche Befehle. Auf jeden Fall ist es, selbst wenn der Traum nur ein Ereignis ankündigt, ohne etwas vorzu­ schreiben, und selbst wenn man annimmt, dass die Verkettung der Zukunft unausweichlich ist, gut, vorab zu kennen, was eintreten soll, um sich darauf vorbereiten zu können: »Häufig geschieht es«, sagt Achilleus Tatios in Leukippe und Kleitophon, »dass Gott den Menschen des Nachts die Zukunft mitteilt, nicht um ihnen Leiden zu ersparen - denn den Lauf des Schicksals können sie nicht auf­ halten -, sondern damit sie ihre Leiden leichter ertragen. Denn das Unerwartete, das unversehens mit geballter Wucht da ist, bringt den menschlichen Geist durch den plötzlichen Schlag völlig aus der Fassung und wirft ihn stets zu Boden, während das Erwartete dadurch, dass man Zeit hat, sich darauf einzustellen, dem Schick­ salsschlag rechtzeitig die Spitze nimmt.«2 Einige Zeit darauf wird Synesios einen völlig traditionellen Standpunkt zum Ausdruck bringen, wenn er daran erinnert, dass unsere Träume ein Orakel darstellen, das »bei uns zu Hause ist«, das uns »auf unseren Reisen, im Krieg, in den öffentlichen Ämtern, bei den Landarbeiten, in den Handelsunternehmungen« begleitet; er konnte den Traum als »ei­ nen stets bereiten Propheten, einen unermüdlichen und schwei­ genden Ratgeber« betrachten; wir müssen uns folglich alle darum bemühen, unsere Traumbilder zu deuten - alle »Männer und Frauen, Junge und Alte, Reiche und Arme, Privatbürger und Staatsdiener, Bewohner der Stadt und Bewohner des Landes, Künstler und Redner«, ohne ein Privileg »weder des Geschlechts noch des Alters, noch des Vermögens, noch des Berufs«.3 In diesem Geiste schreibt Artemidor das Traumbuch. Es geht in dem Buch darum, eine Methode zu begründen, zu zeigen und zu 2 [Achilleus Tatios, Leukippe und Kleitophon, Stuttgart 1980, i.Buch, 3.] 3 [Synesios, Sur les songes, in: Œuvres, Paris 1878.]

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beweisen. Darzulegen, dass die Wirklichkeit die verkündenden Zeichen richtig »erfüllt« hat, ist nicht sein Ziel (Artemidor wird ein fünftes und letztes Buch anhängen, um gegenüber seinen Kri­ tikern diese Art Zeugnis beizubringen). Das Wesentliche für ihn ist, dem Leser in allen Einzelheiten eine Vorgehensweise anzu­ zeigen: Wie soll man verfahren, um einen Traum in Elemente zu zerlegen und den diagnostischen Sinn des Traums herzustellen? Wie soll man weiter verfahren, um das Ganze von seinen Elemen­ ten her zu deuten und bei der Entschlüsselung jedes Elements dieses Ganze zu berücksichtigen? Bezeichnend ist Artemidors Vergleich mit der divinatorischen Technik der Opferer: Auch sie »wissen von allen Zeichen, einzeln für sich genommen, worauf jedes sich bezieht«, und dennoch »erklären sie diese nicht weniger vom Ganzen als von jedem seiner Teile her«. Es geht um ein Lehrbuch für das Deuten. Indem das Werk beinahe zur Gänze nicht auf die prophetischen Wunder der Träume, sondern auf die techne ausgerichtet ist, die es ermöglicht, sie richtig zum Sprechen zu bringen, wendet es sich an mehrere Klassen von Lesern. Arte­ midor möchte den Technikern der Analyse und den Berufsdeu­ tern ein Instrument anbieten; diese Hoffnung spiegelt er seinem Sohn vor, dem das vierte und das fünfte Buch zugeeignet sind; wenn er »das Werk auf seinem Tisch verwahrt« und es für sich behält, wird er zu »einem besseren Deuter der Träume als alle anderen« werden. Er möchte gleichermaßen denen helfen, die, enttäuscht von den irrigen Methoden, an denen sie sich versucht hatten, geneigt sein könnten, sich von dieser so wertvollen Praxis abzuwenden: Gegen jene Irrtümer soll dieses Buch gleichsam eine heilsame Meditation sein - therapeia soteriades. Doch Artemidor denkt auch an die »Erstbesten« unter den Lesern, die eine rudi­ mentäre Anleitung benötigen. So hat er es jedenfalls als Handbuch für das Leben, als an der Existenz und ihren Begebenheiten ent­ lang nutzbares Instrument darstellen wollen: Er legte Wert darauf, seinen Analysen »dieselbe Anordnung und dieselbe Reihenfolge wie im Leben selbst« aufzuerlegen. Dieser Charakter eines »Handbuchs für das alltägliche Leben« ist sehr gut spürbar, wenn man Artemidors Text mit den Reden des Aristides vergleicht,4 einem kränkelnden ängstlichen Men4 [Aristide, A., Discours sacrés: rêve, religion, médecine au IIe siècle après JésusChrist, Paris 1986.]

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sehen, der Jahre damit verbringt, auf den Gott zu hören, der ihm über die gesamte lange Zeit der außerordentlichen Wechselfälle seiner Krankheit und der unzähligen Behandlungen, die er unter­ nimmt, Traumbilder schickt. Man kann festhalten, dass es bei Artemidor beinahe keinen Platz für das religiöse Wunderbare gibt; im Unterschied zu manch anderem Text dieser Gattung hängt das Werk Artemidors nicht von Praktiken einer kultischen Therapie ab, auch wenn er in einer traditionellen und distanzier­ ten Formulierung den Apollon von Daldis, den »Gott seiner Hei­ mat« anruft, der ihm den Befehl gab, »oder wenig fehlte daran«, sein Buch zu schreiben. Darüber hinaus ist es ihm wichtig, zu verdeutlichen, worin sich seine Arbeit von der von Traumdeutern wie Geminos von Tyros, Demetrios von Phaleron und Artemon von Milet unterscheidet, die die von Sarapis eingegebenen Traum­ anweisungen und Wunderkuren niederschrieben. Der typische Träumer, an den Artemidor sich wendet, ist nicht ein beunruhigter Frömmler, der sich mit von oben gegebenen Weisungen herum­ quält. Es ist ein »gewöhnliches« Individuum: zumeist ein Mann (die Träume der Frauen werden im Anhang angezeigt, als mög­ liche Varianten, bei denen das Geschlecht des Subjekts den Sinn des Traumes verändert); ein Mann, der eine Familie, der Güter hat, sehr oft auch ein Geschäft (er treibt Handel, hat einen Laden); häufig hat er Diener und Sklaven (aber auch der Fall, dass er keine hat, ist vorgesehen). Und seine Hauptsorgen betreffen über seine Gesundheit hinaus Leben und Tod in seiner Umgebung, den Er­ folg seiner Unternehmen, seine Bereicherung, seine Verarmung, die Verheiratung seiner Kinder, die Aufgaben, die unter Umstän­ den im Gemeinwesen auszuüben sind. Eine durchschnittliche Klientel, die vom Armen bis hin zu demjenigen reicht, der sich um öffentliche Ämter bewerben kann. Der Text des Artemidor gibt Aufschluss über eine Existenzweise und eine Art von Besorg­ nissen, wie sie für gewöhnliche Leute typisch sind. Doch das Werk hat auch einen theoretischen Einsatz, den Ar­ temidor in der Widmung an Cassius anspricht: Er will die Gegner der Traumdeutung [oniromancie] widerlegen; er will die Skeptiker überzeugen, die kaum an all jene Formen von Divination glauben, mit denen man die von der Zukunft kündenden Zeichen zu ent­ schlüsseln versucht. Seine Gewissheiten sucht Artemidor freilich weniger durch die bloße Darstellung der Resultate als durch ein

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reflektiertes Untersuchungsverfahren und eine Methodendiskus­ sion zu begründen. Er gibt nicht vor, auf ältere Texte verzichten zu können; er hat die Mühe auf sich genommen, sie zu lesen; aber nicht, um sie abzuschreiben, wie man das häufig tut; bei dem »bereits Gesag­ ten« reizt ihn mehr als die bestehende Autorität die Erfahrung in ihrer Weite und ihrer Vielfalt. Und wichtig war es ihm, diese Er­ fahrung nicht bei irgendwelchen großen Autoren, sondern dort zu suchen, wo sie sich ausformt. Artemidor ist stolz - er sagt es in der Widmung an Cassius Maximus und wiederholt es im Weiteren auf die Breite seiner Untersuchung. Er hat nicht nur unzählige Werke kollationiert, sondern auch geduldig seinen Weg durch die Buden genommen, in denen an allen Ecken der mediterranen Welt die Traumleser und die Wahrsager der Zukunft saßen. »Was meine Person anbetrifft, so gibt es kein Buch über Traumdeutung, das ich nicht erworben hätte, weil ich in dieser Hinsicht von einem großen Ehrgeiz erfüllt bin. Außerdem habe ich viele Jahre hin­ durch mit Wahrsagern, die auf Märkten ihre Kunst anbieten, ver­ kehrt, obwohl sie verschrien sind und von den Herren mit den ehrwürdigen Mienen und den hochgezogenen Augenbrauen Landstreicher, Schwindler und Bettelpack tituliert werden; ich gab aber nichts auf diese Verleumdung und unterzog mich in den Städten und auf den Festversammlungen Griechenlands, in Kleinasien, Italien und auf den größten und bevölkertsten Inseln der Mühe, alte Traumbilder und ihre Ausgänge in Erfahrung zu bringen. Es war rein unmöglich, auf andere Weise Übung in dieser Kunst zu erwerben.« Allerdings will Artemidor alles das, was er berichtet, eben nicht weitergeben, so wie es ist, sondern es der »Erfahrung« (peira) unterziehen, die für ihn »Richtschnur« und »Zeuge« von allem ist, was er sagt. Und darunter ist zu verstehen, dass er die Informationen, auf die er sich bezieht, durch den Ver­ gleich mit anderen Quellen, durch die Konfrontation mit seiner eigenen Praxis und durch die Arbeit des Überdenkens und des Beweisens überprüfen wird: So wird nichts »ins Blaue hinein« oder auf »bloße Vermutung hin« gesagt werden. Man erkennt die Untersuchungsverfahren, die Grundbegriffe - so die der historia> so die der peira - und die Formen der Überprüfung und der Verifizierung wieder, die zu jener Zeit unter dem mehr oder we­ niger direkten Einfluss des skeptischen Denkens für die auf dem

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Gebiet der Naturgeschichte oder der Medizin durchgeführten Wissenssammlungen charakteristisch waren. Der Text des Arte­ midor bietet den erheblichen Vorteil, eine ausgearbeitete Refle­ xion über eine sehr breite traditionelle Dokumentation vorzule­ gen. In einem derartigen Dokument braucht man nicht nach den Formulierungen einer strengen Moral oder dem Auftauchen neuer Anforderungen an die sexuelle Verhaltensführung zu su­ chen; es bietet eher Hinweise auf die Arten der geläufigen Wert­ schätzung und die allgemein akzeptierten Einstellungen. Die phi­ losophische Reflexion fehlt gewiss nicht in diesem Text; und man findet darin recht klare Bezüge zu zeitgenössischen Problemen und Auseinandersetzungen; aber sie betreffen die Entschlüs­ selungsverfahren und die Analysemethode, nicht die Werturteile und die moralischen Inhalte. Das Material, auf das sich die Deu­ tungen beziehen, die Traumszenen, die sie unter dem Anspruch der Weissagung behandeln, die Situationen und die Ereignisse, die sie ankündigen, gehören einer gemeinsamen und traditionellen Landschaft an. Man kann folglich von diesem Text des Artemidor erwarten, dass er von einer ziemlich verbreiteten und zweifellos in recht tiefer Vergangenheit verankerten moralischen Tradition Zeugnis ablegt. Doch ebenso muss man im Sinn behalten, dass der Text, auch wenn er sich in Einzelheiten ergeht und auch wenn er bezüglich der Träume ein Tableau unterschiedlicher möglicher sexueller Akte und Beziehungen aufstellt, das systematischer ist als irgendein anderes Werk derselben Epoche, in keiner Weise eine Abhandlung über Moral ist, deren erster Zweck es wäre, Urteile über diese Akte und Beziehungen zu formulieren. Nur auf indirekte Weise lassen sich durch die Entschlüsselung der Träume die Wertungen aufdecken, die den Schauplätzen und den darauf aufgeführten Akten entgegengebracht werden. Die Grundsätze einer Moral werden nicht für sich vorgetragen; man bekommt sie nur auf den Wegen der Analyse selbst zu erkennen: im Deuten der Deutungen. Was voraussetzt, dass man einen Au­ genblick bei den Entschlüsselungsverfahren innehält, die Artemi­ dor ins Werk setzt, so dass dann im Weiteren die Moral ent­ schlüsselt werden kann, die den Analysen der sexuellen Träume zugrunde liegt.

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i) Artemidor unterscheidet zwei Formen nächtlicher Visionen. Es gibt die Träume - enhypnia: Sie drücken die aktuellen Affekte des Subjekts aus, »diejenigen, welche die Seele in ihrem Lauf be­ gleiten«; man ist verliebt, man begehrt die Anwesenheit des ge­ liebten Objekts, man träumt, es sei da; man entbehrt der Nahrung, man verspürt das Bedürfnis zu essen, man träumt, man sei dabei, Nahrung zu sich zu nehmen; oder auch »derjenige, der sich den Magen überladen hat«, träumt »vom Erbrechen oder Ersticken«; derjenige, der Furcht hat vor seinen Feinden, träumt, er sei von ihnen umgeben. Diese Traumform hat einen einfachen diagnosti­ schen Wert; sie stellt sich in der Aktualität her (von Gegenwart zu Gegenwart); sie zeigt dem schlafenden Subjekt seinen eigenen Zu­ stand; sie drückt aus, was im Bereich des Körpers Mangel oder Übermaß, was im Bereich der Seele Furcht oder Begehren ist. Davon unterschieden sind die Traumbilder, oneiroi. Ihre Natur und ihre Funktion entdeckt Artemidor ohne weiteres in den drei von ihm vorgelegten »Etymologien«. Der oneiros ist das, was to on eirei, »das, was das Sein sagt«; er sagt das, was bereits in der Verkettung der Zeit ist und als Ereignis in einer mehr oder weni­ ger nahen Zukunft geschehen wird. Es ist auch das, was auf die Seele einwirkt und sie erregt - oreinein\ das Traumbild verändert die Seele, es gestaltet sie und modelliert sie; es befähigt sie und ruft in ihr Regungen hervor, die dem entsprechen, was ihr gezeigt wird. Man erkennt schließlich in diesem Wort oneiros den Namen des Bettlers von Ithaka, Iros, der die Botschaften überbrachte, die man ihm anvertraut hatte. Gliedweise werden also enhypnion und oneiros gegeneinander gestellt; das Erste spricht vom Individuum, das Zweite von den Ereignissen der Welt; das eine stammt von den Zuständen des Körpers und der Seele ab; das andere greift auf den Ablauf der Zeitkette vor; das eine zeigt das Spiel des Zuviel und des Zuwenig im Bereich der Begierden und Abneigungen; das andere verweist auf die Seele und gestaltet sie zugleich. Auf der einen Seite sagen die Träume vom Begehren das Wirkliche der Seele in ihrem aktuellen Zustand; auf der anderen sagen die Traumbilder vom Sein die Zukunft des Ereignisses in der Ord­ nung der Welt. Zu dieser Spaltung kommt eine weitere hinzu, die in jede der beiden Klassen der »nächtlichen Vision« eine weitere Form einer Unterscheidung einführt: zwischen dem, was sich eindeutig, auf

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transparente Weise zeigt, ohne Entschlüsselung und Deutung zu erfordern, und dem, was sich nur auf metaphorische Weise und in Bildern gibt, die etwas anderes sagen als ihr erster Anschein. In den Träumen von Zuständen kann das Begehren durch die leicht erkennbare Anwesenheit seines Objekts angezeigt sein (man sieht im Traum die Frau, die man begehrt); aber das kann auch durch ein anderes Bild geschehen, das eine mehr oder weniger ferne Verwandtschaft mit dem entsprechenden Objekt hat. Ein ähnli­ cher Unterschied in den Traumbildern vom Ereignis: Manche un­ ter ihnen bezeichnen direkt, indem sie es selbst zeigen, was bereits im Modus des Futurs existiert: Man sieht im Traumbild das Schiff versinken, auf dem man gleich Schiffbruch erleiden wird; man sieht sich von der Waffe getroffen, von der man am kommenden Tag verletzt werden wird; von dieser Art sind die so genannten »theorematischen« Traumbilder. In anderen Fällen jedoch ist das Verhältnis des Bildes zum Ereignis ein indirektes: Das Bild des Schiffes, das an der Klippe zerschellt, kann nicht einen Schiff­ bruch, noch nicht einmal ein Unglück, sondern für den Sklaven, der diesen Traum hat, seine baldige Befreiung bedeuten; dies sind die »allegorischen« Traumbilder. Nun wirft das Spiel zwischen diesen beiden Unterscheidungen unmittelbar ein praktisches Problem auf. Es sei eine Vision im Schlaf gegeben: Wie lässt sich erkennen, ob man es mit einem Zustandstraum oder einem Ereignistraumbild zu tun hatte? Wie lässt sich bestimmen, ob das Bild das direkt ankündigt, was es zeigt, oder ob man annehmen muss, dass es die Übersetzung von etwas anderem ist? Artemidor spricht diese Schwierigkeit auf den ersten Seiten von Buch IV an (das nach den ersten drei Büchern geschrieben und in Umlauf gebracht wurde) und macht klar, wie wichtig es ist, dass man als Erstes die Frage nach dem träumenden Subjekt stellt. Es ist wohl gewiss, erklärt er, dass die Zustandsträume nicht bei den »tugendhaften« Seelen Vorkommen könnten; denn diese hätten ihre unvernünftigen Regungen und damit auch ihre Leidenschaften - Begehren oder Furcht - zu meistern gewusst: Sie wissen zudem ihre Körper im Gleichge­ wicht zwischen Mangel und Übermaß zu halten; für sie gibt es infolgedessen keine Störungen, also auch keine von diesen »Träu­ men« (enhypnia), die stets als Äußerungen von Affekten zu ver­ stehen sind. Es ist im Übrigen ein sehr häufiges Thema bei den

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Moralisten, dass die Tugend sich durch das Verschwinden der Träume ausprägt, die im Schlaf die Begierden oder die unfreiwil­ ligen Regungen der Seele und des Körpers zum Ausdruck brin­ gen. »Denn auch bei Schlafenden«, sagte Seneca, »sind die Träume so wirr wie die Tage«.5 Plutarch stützte sich auf Zenon, um daran zu erinnern, dass es ein Zeichen von Fortschritt ist, wenn man nicht mehr träumt, dass einem unehrenhafte Handlungen Lust bereiten. Und er erwähnte jene Subjekte, die während des Wach­ seins genügend Kraft haben, um ihre Leidenschaften zu bekämp­ fen und ihnen zu widerstehen, die aber des Nachts »sich aller Ansichten und Gesetze entledigen« und keine Scham mehr emp­ finden: In ihnen wird nun wach, was ihnen an Unmoralischem und Schamlosem eigen ist.6 Jedenfalls können die Zustandsträume, wenn sie hervorge­ bracht werden, zwei Formen annehmen: Bei der Mehrzahl der Leute äußern sich das Begehren oder die Abneigung direkt und ohne sich zu verbergen; doch bei denjenigen, die ihre eigenen Träume zu deuten wissen, äußern sie sich nur durch Zeichen, weil ihre Seele »ihnen immer gewitztere Streiche spielt«. So wird ein Laie in Sachen Traumdeutung im Traum die Frau sehen, die er begehrt, oder den so sehr gewünschten Tod seines Herrn. Die misstrauische oder geschickte Seele des Kundigen wird sich ge­ wissermaßen weigern, ihm den Zustand des Begehrens zu zeigen, in welchem er sich befindet; sie wird eine List anwenden und folglich wird er, anstatt ganz einfach die Frau zu sehen, die er begehrt, das Bild von etwas haben, das für sie bezeichnend ist: »ein Pferd, einen Spiegel, ein Schiff, das Meer, das Weibchen eines Tieres, ein Frauenkleid«. Artemidor zitiert jenen Maler aus Ko­ rinth, eine zweifellos kundige Seele, der im Traum sah, wie das Dach seines Hauses zusammenbrach und er selbst enthauptet wurde; man hätte sich darin das Zeichen eines zukünftigen Ereig­ nisses vorstellen können; nun war es aber ein Zustandstraum: Der Mann begehrte den Tod seines Herren - welcher immer noch lebt, wie Artemidor nebenbei bemerkt. Wie kann man, was die Traumbilder angeht, diejenigen, die transparent und »theorematisch« sind, unter denjenigen erkennen, 5 Seneca, An Lucilius. Briefe Uber Ethik, in: Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch, Bd. III, Darmstadt 1974, Sechstes Buch, 56, 6, S.452/453. 6 Plutarch, De Profectihus in virtute, 12.

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die auf dem Weg der Allegorie ein anderes Ereignis ankündigen als das, was sie zeigen? Lässt man einmal die außerordentlichen Bilder beiseite, die offensichtlich eine Deutung erfordern, dann werden diejenigen, die ein Ereignis im Klartext ankündigen, so­ gleich durch die Wirklichkeit bestätigt: Das Ereignis folgt ihnen auf dem Fuß; das theorematische Traumbild läuft auf das hinaus, was es ankündigt, und gestattet so der Deutung weder den mög­ lichen Zugriff noch den unbedingt benötigten Aufschub. Die al­ legorischen Traumbilder lassen sich also leicht an der Tatsache erkennen, dass ihnen nicht die direkte Verwirklichung folgt: Es kommt erst einmal darauf an, sich ihrer zu bemächtigen, um sie zu deuten. Fügen wir noch hinzu, dass die tugendhaften Seelen - die keine Träume, sondern nur Traumbilder haben - zumeist nur die klaren Visionen theorematischer Traumbilder kennen. Artemidor braucht dieses Vorrecht nicht zu erklären: Traditionell nahm man an, dass zu den reinen Seelen die Götter direkt sprachen. Erinnern wir uns an Platon in Politeia: »...nachdem er die zwei Triebe [Begierde und Zorn] beschwichtigt und nur den dritten in Bewe­ gung versetzt hat, in welchem das Denken wohnt, so sich zur Ruhe gibt, weißt du wohl, dass der in solchem Zustande mit der Wahrheit vorzüglich Verkehr hat...«7 Und in dem Roman des Chariton von Aphrodisias hat Kallirhoe genau dann, wenn sie schließlich am Ende ihrer Prüfungen ankommt und ihr langer Kampf um die Bewahrung ihrer Tugend belohnt wird, ein »theorematisches« Traumbild, das auf das Ende des Romans vorgreift und von Seiten der sie schützenden Göttin zugleich eine Voraus­ sage und ein Versprechen darstellt: »Sie sieht sich noch als Jung­ frau in Syrakus, wie sie den Tempel der Aphrodite betritt, dann auf dem Heimweg, wie sie Chaireas erblickt, und schließlich am Hochzeitstage, die ganze Stadt girlandengeschmückt, sie selbst von ihrem Vater und ihrer Mutter bis zum Hause ihres Verlobten begleitet.«8 So lässt sich die folgende Tabelle über die von Artemidor her­ gestellten Bezüge zwischen den Traumarten, den zu verwenden­ den Methoden und den Seinsweisen des Subjekts aufstellen.

7 Platon, Politeia, IX, 572 a-b. 8 Chariton von Aphrodisias, Die Abenteuer von Chaireas und Kallirhoe, V, 5.

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Zustandsträume direkte

tugend­ hafte Seelen gewöhnliehe Seelen

per Zeichen

niemals erfahren un­ erfahren

Ereignistraumbilder theorematische

allegori­ sche

zumeist zumeist

zumeist zumeist

Das letzte Kästchen der Tabelle - das der allegorischen Ereignis­ traumbilder, so wie sie in den gewöhnlichen Seelen zustande kom­ men - bestimmt den Arbeitsbereich der Traumdeutung. Darin besteht die mögliche Deutung - da es keine Transparenz der Vi­ sion, sondern Verwendung eines Bildes gibt, um damit ein anderes zu sagen; darin besteht die nützliche Deutung, da sie es ermög­ licht, sich auf ein nicht unmittelbar bevorstehendes Ereignis vor­ zubereiten. 2) Die Entschlüsselung der Traumallegorie geschieht auf dem Weg der Analogie. Artemidor kommt mehrfach darauf zurück: Die Kunst der Traumdeutung beruht auf dem Gesetz der Ähn­ lichkeit; sie erfolgt über die »Gesellung von gleich zu gleich«. Diese Analogie lässt Artemidor auf zwei Ebenen funktionieren. Als Erstes geht es um die natürliche Analogie zwischen dem Traumbild und den Elementen der Zukunft, die es verkündet. Um diese Ähnlichkeit aufzudecken, bedient sich Artemidor ver­ schiedener Mittel: qualitative Identität (von einer Krankheit träu­ men wird den zukünftigen »schlechten Zustand« von Gesundheit oder Vermögen bedeuten können; von Kot träumen bedeutet; dass der Körper mit schädlichen Substanzen voll gestopft sein wird); Identität der Wörter (Widder bedeutet Befehl, aufgrund der Wör­ ter krios - kreiori)\ symbolische Zugehörigkeit (von einem Löwen träumen ist für den Athleten ein Zeichen für den Sieg, von Un­ wettern träumen ist ein Zeichen für Unglück); das Vorhandensein eines Glaubens, eines volkstümlichen Sprichworts, eines mytho­ logischen Themas (die Bärin bezeichnet eine Frau wegen Kallisto, der Arkadierin), usw. Doch all diese möglichen Wege der Ähn­ lichkeit müssen eine natürliche Verbindung zum Vorschein brin­ gen. Die geträumte Gestalt und das verkündete Wirkliche gehören

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zur selben Ordnung der Dinge; »physisch« - aufgrund ihrer physis - geben die im Traum vorhandenen Elemente mehr oder weni­ ger dunkel zu verstehen, was geschehen wird. Es gibt auch die Analogie im Wert. Und darin besteht ein inso­ fern wichtiger Punkt, als es die Funktion der Traumdeutung ist zu bestimmen, ob die Ereignisse, die stattfinden werden, günstig sind oder nicht. Der ganze Bereich des Signifikats des Traumbildes wird in Artemidors Text durch binäre Teilung zwischen gut und böse, nützlich und schädlich, glücklich und unglücklich geglie­ dert. Die Frage ist also diese: Wie kann die im Traum dargestellte Tat das Ereignis, das geschehen wird, mit seinem eigenen Wert ankündigen? Das allgemeine Prinzip ist einfach. Ein Traum trägt eine günstige Prognose, wenn die Tat, die er darstellt, selbst gut ist. Doch wie kann man diesen Wert messen? Artemidor schlägt sechs Kriterien vor. Entspricht die dargestellte Tat der Natur? Entspricht sie dem Gesetz? Entspricht sie der Sitte? Entspricht sie der techne - das heißt den Regeln und Praktiken, die es einer Handlung ermöglichen, ihre Ziele zu erreichen? Entspricht sie der Zeit (das heißt: Wird sie zum geeigneten Moment und unter ge­ eigneten Umständen vollzogen)? Zu guter Letzt, wie steht es mit ihrem Namen (Trägt sie einen Namen, der an sich ein gutes Omen ist)? »Allgemein gilt also die Regel, dass alles, was im Einklang mit Natur, Gesetz, Sitte, Kunst, Namen oder Zeit geschaut wird, von guter Vorbedeutung ist, während das Gegenteil davon Unheil oder Schaden heraufbeschwört.« Allerdings fügt Artemidor so­ gleich hinzu, dass dieses Prinzip nicht universal sei und dass es Ausnahmen enthalte. Es kann eine Art Umwertung geben. Be­ stimmte Traumbilder, die »innen gut« sind, können »außen schlecht« sein: Die im Traumbild phantasierte Tat ist günstig (so ist es an sich positiv, wenn man träumt, man speise mit einem Gott), doch das vorhergesagte Ereignis ist negativ (denn wenn der Gott der von seinen Söhnen in Fesseln gelegte Chronos ist, bedeutet das Bild, dass man ins Gefängnis gehen wird). Andere Traumbilder sind umgekehrt »innen schlecht« und »außen gut«: Ein Sklave träumt, dass er im Krieg ist; das ist die Ankündigung seiner Befreiung, denn ein Soldat kann nicht Sklave sein. Es gibt also um die positiven und negativen Zeichen und Signifikate he­ rum eine ganze Randzone möglicher Variationen. Es handelt sich nicht um eine Ungewissheit, die nicht zu überwinden wäre, son-

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dern um einen komplexen Bereich, der verlangt, dass man sämt­ liche Aspekte des geträumten Bildes wie auch die Situation des Träumers berücksichtigt. Bevor wir uns der Analyse sexueller Träume zuwenden, so wie Artemidor sie praktiziert, war dieser etwas langwierige Umweg vonnöten, um den Mechanismus der Deutungen zu begreifen, und um zu bestimmen, wie die moralischen Wertungen der sexuellen Akte in der Mantik der sie darstellenden Träume hervortreten. Es wäre in der Tat unvorsichtig, diesen Text als ein direktes Doku­ ment über den Wert, der den sexuellen Akten selbst zugesprochen wurde, und über die Legitimität, die man ihnen zuerkannte, zu verwenden. Artemidor sagt nicht, ob es gut oder schlecht, mora­ lisch oder unmoralisch sei, einen solchen Akt zu vollziehen, son­ dern ob es gut oder schlecht, vorteilhaft oder furchtbar sei, zu träumen, dass man ihn vollzieht. Die Prinzipien, die man freilegen kann, beziehen sich also nicht auf die Akte selbst, sondern auf ihren Urheber, oder eher auf den sexuellen Akteur, insofern er in der Traumszene den Urheber des Traumbildes darstellt und ihn dadurch das Gute oder das Böse Vorhersagen lässt, das ihm wider­ fahren wird. Die zwei großen Regeln der Traumdeutung - dass nämlich das Traumbild »das Sein sagt«, und dass es dies in der Form der Analogie sagt - funktionieren hier auf folgende Weise: Der Traum sagt das Ereignis, das gute oder schlechte Geschick, den Wohlstand oder das Unglück, die im Wirklichen die Seins­ weise des Subjekts charakterisieren werden, und er sagt es über ein Verhältnis der Analogie zur - guten oder schlechten, günstigen oder ungünstigen - Seinsweise des Subjekts als Akteur auf dem sexuellen Schauplatz des Traumes. Suchen wir in diesem Text nicht einen Kodex für das, was man tun muss und was man nicht tun darf, sondern das Aufschluss gebende Element für die Ethik des Subjekts.

Die Analyse Artemidor widmet den sexuellen Träumen drei Kapitel - viele verstreute Bemerkungen schließen sich noch daran an. Er baut seine Analyse um die Unterscheidung zwischen drei Arten von Akten herum auf: diejenigen, welche gemäß dem Gesetz sind

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(kata nomon), diejenigen, welche wider das Gesetz sind (para nomon) und diejenigen, welche wider die Natur sind. Eine Tei­ lung, die alles andere als eindeutig ist: Keiner dieser Termini wird definiert; man weiß nicht, wie die angezeigten Kategorien mit­ einander verbunden sind, oder ob man das »wider die Natur« als eine Unterabteilung des »wider das Gesetz« verstehen muss; bestimmte Akte erscheinen in beiden Rubriken zugleich, ohne dass man überhaupt die Gruppenbildungen und die Unterschei­ dungen mitzählt, die in unseren von der Moderne geprägten Au­ gen seltsam erscheinen müssen. Unterstellen wir keine strenge Klassifizierung, die jeden möglichen sexuellen Akt entweder in den Bereich des Legalen oder des Illegalen oder des Widernatür­ lichen einordnen würde. Geht man diesen Gruppenbildungen in ihren Einzelheiten nach, so lässt sich doch eine gewisse Verständ­ lichkeit erkennen. 1) Nehmen wir als Erstes die Akte »gemäß dem Gesetz«. Dieses Kapitel scheint für unseren rückschauenden Blick recht unter­ schiedliche Dinge zu vermischen: Ehebruch und Ehe, denVerkehr mit Prostituierten, den Rückgriff auf die Sklaven des Hauses, die Masturbation eines Dieners. Tatsächlich erhellt eine Passage aus diesem Kapitel sehr gut den Ablauf der Analyse. Artemidor stellt als allgemeine Regel auf, dass die Frauen im Traum »die Bilder der Aktivitäten sind, die dem Träumenden zufallen können. Was dies für eine Frau ist und in welcher Lage sie ist, in diese Lage wird den Träumenden seine Aktivität versetzen.« Man muss verstehen, dass für Artemidor der prognostische Wert des Traums und daher ge­ wissermaßen auch der moralische Wert des geträumten Aktes durch die Lage des Partners oder der Partnerin und nicht durch den Akt selbst bestimmt wird. Diese Lage muss man in einem weiten Sinne verstehen: Es ist der soziale Status des »Anderen«; es ist die Tatsache, dass er verheiratet ist oder nicht, dass er frei oder Sklave ist; es ist die Tatsache, dass er jung oder alt, reich oder arm ist; es ist sein Beruf, der Ort, an dem man ihn antrifft; es ist die Stellung, die er in Bezug auf den Träumenden einnimmt (Ehe­ frau, Geliebte, Sklave, junger Schützling, usw.). So wird unterhalb seiner scheinbaren Unordnung der Ablauf des Textes verständ­ lich: Er folgt der Ordnung der möglichen Partner, gemäß ihrem Status, ihrer Verbindung zum Träumenden und dem Ort, an dem dieser sie antrifft. So wird der Analysemodus verständlich, den er

verfolgt: Er befragt den sexuellen Akt, um die darin eingebundene gesellschaftliche Beziehung herauszustellen und ihn von dieser her zu beurteilen. Die drei ersten vom Text erwähnten Personen reproduzieren die traditionelle Reihe der drei Kategorien von Frauen, zu denen man Zugang haben kann: die Ehefrau, die Geliebte (pellex) und die Prostituierte. Zu träumen, man habe ein Verhältnis zu seiner eigenen Frau, ist ein günstiges Zeichen, denn die Ehefrau steht in einer Beziehung natürlicher Analogie zu Geschäft und Beruf; wie in diesen übt man auch an ihr eine anerkannte und legitime Tä­ tigkeit aus; aus ihr zieht man einen Nutzen wie aus einer frucht­ baren Beschäftigung; die Lust, die man dem Umgang mit ihr ab­ gewinnt, kündigt die Lust an, die man aus dem guten Verlauf der Geschäfte gewinnen wird. Zwischen der Frau und der Geliebten besteht kein Unterschied. Der Fall der Prostituierten ist ein ande­ rer. Die von Artemidor vorgeschlagene Analyse ist recht merk­ würdig: An sich habe die Frau als Objekt, dem man Lust abge­ winnt, einen positiven Wert; umso mehr als diese Frauen - die das gebräuchliche Vokabular zuweilen »die Fleißigen« nennt - dazu da sind, diese Lüste zu verschaffen, und sie »sich hingeben, ohne etwas zu verweigern«. Dennoch ist es eine »gewisse Schande«, mit dieser Art Frauen zu verkehren - Schande und auch Verausga­ bung, was dem Ereignis, das der es darstellende Traum ankündigt, zweifellos etwas von seinem Wert nimmt. Doch vor allem führt der Ort der Prostitution einen negativen Wert ein: und zwar aus zwei Gründen, wobei einer sprachlicher Natur ist: Wenn das Bor­ dell durch den Ausdruck Werkstatt oder Laden (ergasterion) be­ zeichnet wird - was günstige Bedeutungen impliziert -, dann nennt man es auch wie den Friedhof »den Ort für alle«, den »Ge­ meinplatz«. Der andere Grund betrifft einen der häufig auch in der Sexualethik der Philosophen und der Ärzte angesprochenen Punkte: die vergebliche Verausgabung des Spermas, sein Verlust, ohne den Profit der Nachkommenschaft, den die Frau gewährleis­ ten kann. Ein doppelter Grund, warum im Traum der Gang zu den Prostituierten den Tod prognostizieren kann. Zur Vervollständigung der klassischen und legitimen Trilogie Frau-Geliebte-Prostituierte erwähnt Artemidor die Frauen, de­ nen man begegnet. Der Traum ist dann für die Zukunft das wert, was die Frau, die er darstellt, gesellschaftlich »wert ist«: Ist sie

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reich, gut gekleidet, reichlich mit Schmuckstücken ausgestattet, ist sie einverstanden? Das Traumbild verheißt etwas Vorteilhaftes. Ist sie alt, schmutzig und arm und bietet sie sich nicht von sich aus an, ist das Traumbild ungünstig. Die Hausgemeinschaft bietet eine weitere Kategorie von Se­ xualpartnern, die Diener und die Sklaven. Man befindet sich dabei in der Ordnung des direkten Besitzes: Nicht per Analogie verwei­ sen die Sklaven auf den Reichtum, sondern sie sind ein vollgültiger Bestandteil davon. Es versteht sich folglich von selbst, dass die Lust, die man im Traum mit dieser Personenart hat, anzeigt, dass man »Lust aus seinen Besitzungen gewinnen wird, und dass diese wahrscheinlich an Größe und Bedeutung zunehmen werden«. Man übt ein Recht aus; man profitiert von seinen Gütern. Güns­ tige Träume infolgedessen, die einen Status und eine Gesetzmä­ ßigkeit verwirklichen. Das Geschlecht des Partners, Mädchen oder Junge, spielt selbstverständlich keine große Rolle; das We­ sentliche ist, dass er ein Sklave ist. Umgekehrt macht Artemidor eine wichtige Unterscheidung geltend: die, welche die Stellung des Träumenden im sexuellen Akt betrifft; ist er aktiv oder passiv? Sich »unter« seinen Diener zu stellen, die gesellschaftliche Hierarchie im Traum zu verkehren ist ein schlechtes Omen; es ist das Zeichen, das man von Seiten dieses Tieferstehenden Schaden oder Verach­ tung erleiden wird. Und indem er bekräftigt, dass es sich dabei eben nicht um einen Verstoß wider die Natur, sondern um einen Angriff auf die gesellschaftlichen Hierarchien und um eine Dro­ hung gegen gerechtfertige Kräfteverhältnisse handelt, hält Artemi­ dor im Vorübergehen den gleichermaßen negativen Wert der Traumbilder fest, in denen der Träumende von einem Feind oder von seinem eigenen, älteren oder jüngeren Bruder besessen wird (die Gleichheit ist zerbrochen). Anschließend kommt die Gruppe der Beziehungen. Günstig ist der Traum, wenn man ein Verhältnis mit einer Frau hat, die man kennt, wenn sie nicht verheiratet und wenn sie reich ist; denn eine Frau, die sich anbietet, gibt nicht nur ihren Körper, sondern auch die Dinge, die »Bezug zu ihrem Körper haben«, die Dinge, die sie bei sich hat (Kleidungs- und Schmuckstücke und allgemein die ganzen materiellen Güter, die sie besitzt). Das Traumbild ist um­ gekehrt ungünstig, wenn es sich um eine verheiratete Frau han­ delt; denn sie ist in der Macht ihres Ehemannes; das Gesetz ver­

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bietet, dass man Zugang zu ihr hat, und bestraft die Ehebrecher; und der Träumende muss sich in diesem Fall für die Zukunft auf genau derartige Bestrafungen gefasst machen. Träumt man, dass man ein Verhältnis mit einem Mann hat? Wenn der Träumende eine Frau ist (das ist eine der seltenen Passagen des Textes, in der die Rolle der Frauen berücksichtigt wird), ist das Traumbild in allen Fällen günstig, denn das ist eben die Rolle der Frau. Wenn umgekehrt ein Mann träumt, von einem anderen besessen zu wer­ den, dann hängt das Diskriminierungsprinzip, das zwischen günstigem und ungünstigem Wert des Traumes zu unterscheiden erlaubt, vom relativen Status der beiden Partner ab: Der Traum ist gut, wenn man von jemandem besessen wird, der älter und reicher ist als man selbst (er ist eine Verheißung von Geschenken); er ist schlecht, wenn der aktive Partner jünger und ärmer ist - oder aber einfach nur ärmer: in Wirklichkeit ein Zeichen für Verschwen­ dungen. Eine letzte Gruppe von dem Gesetz gemäßen Träumen betrifft die Masturbation. Diese Traumbilder sind sehr eng mit dem The­ ma der Sklaverei verknüpft: weil es sich um einen Dienst handelt, den man sich selbst macht (die Hände sind gleichsam Diener, die dem gehorchen, was das Herrenglied verlangt), und weil das Wort, das »an den Pfahl binden« bedeutet, um den Sklaven aus­ zupeitschen, gleichermaßen bedeutet, eine Erektion zu bekom­ men. Ein Sklave, der geträumt hatte, dass er seinen Herrn mastur­ bierte, war in der Wirklichkeit dazu verurteilt worden, von ihm die Peitsche zu erhalten. Vergessen wir nicht, dass allgemein die Masturbation - diese Lust der Armen und der Besitzlosen, und die gerade deshalb einen moralischen und philosophischen Wert haben konnte - als eine Sklaventätigkeit angesehen wurde. 2) Der Bereich, den Artemidor umgekehrt als »wider das Ge­ setz« betrachtet, wird im Wesentlichen durch den Inzest gebildet. Allerdings wird der Inzest im sehr strengen Sinne der Beziehun­ gen zwischen Eltern und Kindern verstanden. Was den Inzest mit Brüdern und Schwestern angeht, wird er der Vater-Tochter-Beziehung gleichgesetzt, wenn er zwischen einem Bruder und seiner Schwester geschieht; zwischen zwei Brüdern dagegen scheint Ar­ temidor zu schwanken, ob er ihn in die Ordnung des kata nomon oder in die des para nomon setzen soll. Er spricht davon jedenfalls in beiden Rubriken.

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Wenn ein Vater träumt, er habe Beziehungen mit seiner Tochter oder mit seinem Sohn, dann ist die Bedeutung praktisch immer ungünstig. Entweder aus unmittelbaren physischen Gründen: Wenn das Kind ganz klein ist - weniger als fünf oder zehn Jah­ re -, lässt der auf einen solchen Akt folgende physische Schaden seinen Tod oder seine Erkrankung voraussehen. Wenn das Kind größer ist, ist der Traum noch immer schlecht, weil er unmögliche oder unheilvolle Beziehungen ins Spiel bringt. Seinen Sohn ge­ brauchen, seinen Samen in ihm zu »verausgaben« ist dabei ein nutzloser Akt: eine nichtige Verausgabung, aus der man keinerlei Profit ziehen könnte und die infolgedessen einen großen Geldver­ lust ankündigt. Sich mit ihm vereinen, wenn er richtig groß ge­ worden ist, wenn Vater und Sohn nicht ohne Streit zusammen in einem Haus leben können, in dem beide befehlen wollen, ist zwangsläufig ein schlechtes Omen. In einem einzigen Fall ist diese Art Traum gut: Wenn der Vater mit seinem Sohn eine Reise unter­ nimmt und er somit eine gemeinsame Sache mit ihm durchzufüh­ ren hat; doch wenn in solchen Träumen der Vater in der Position der Passivität ist (gleichgültig, ob der Träumende der Vater oder der Sohn ist), sind die Bedeutungen unheilvoll: Die Ordnung der Hierarchien, der Pole der Herrschaft und der Aktivität sind um­ gekehrt worden. Zu träumen, dass er sich mit seiner Tochter ver­ eint, ist für den Vater kaum besser. Entweder sagt diese »Ver­ schwendung« in den Körper einer Tochter, die sich eines Tages verheiraten und so den Samen ihres Vaters einem anderen mit­ bringen wird, einen großen Geldverlust voraus. Wenn aber das Mädchen bereits verheiratet ist, dann zeigt dieses Verhältnis an, dass sie ihren Ehemann verlassen wird, dass sie nach Hause zu­ rückkehren wird und dass man sie wird versorgen müssen; der Traum ist nur dann günstig, wenn der Vater arm und wenn die Tochter reich ist und folglich ihren Vater unterstützen kann. Auf eine Weise, die seltsam erscheinen mag, ist der Inzest mit der Mutter (der von Artemidor stets als Sohn-Mutter- und nie­ mals als Mutter-Tochter-Inzest in den Blick genommen wird) zu­ meist Träger günstiger Vorhersagen. Muss man gemäß dem Artemidor’schen Prinzip der Korrelation zwischen prognostischem Wert und moralischem Wert daraus schließen, dass der MutterSohn-Inzest nicht als grundsätzlich tadelnswert angesehen wird? Oder muss man darin eine der von Artemidor vorgesehenen Aus­

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nahmen von dem allgemeinen, von ihm verkündeten Prinzip se­ hen? Es besteht kein Zweifel, dass Artemidor den Mutter-SohnInzest als moralisch verurteilenswürdig ansieht. Doch bemerkens­ werterweise unterstellt er ihm allgemein günstige prognostische Werte, indem er aus der Mutter, der griechischen Sprache und dem griechischen Denken entsprechend, eine Art Vorbild und gleich­ sam Urform einer großen Anzahl gesellschaftlicher Beziehungen und Tätigkeitsformen macht. Die Mutter, das ist das Geschäft; sich mit ihr vereinen bedeutet also Erfolg und Glück in seinem Beruf. Die Mutter ist die Heimat: Wer von einer Beziehung zu ihr träumt, kann voraussehen, dass er nach Hause zurückkehren wird, wenn er im Exil ist, oder dass er Erfolg im politischen Leben haben wird. Die Mutter ist der fruchtbare Boden, aus dem man hervorgegangen ist: Wenn man einen Prozess führt und von einem Inzest träumt, so wird man den strittigen Besitz erhalten, und wenn man Bauer ist, so wird man eine reiche Ernte haben. Gefahr besteht allerdings für die Kranken: In dieser Mutter-Erde versin­ ken bedeutet, dass man sterben wird. Diese Analyse der Träume vom Inzest zwischen Mutter und Sohn ist einzigartig. Es ist sicher anzunehmen, dass es sich dabei um jene Traumbilder handelt, von denen Artemidor in den me­ thodologischen Betrachtungen vom Beginn seines Werkes spricht: Träume »innen schlecht«, »außen gut«. Zudem ist allerdings an­ zumerken, dass die Mutter-Sohn-Beziehung im Traumbild als eine Beziehung erscheint, die nicht nur günstige Ereignisse, sondern auch das Wesentliche aller gesellschaftlichen Beziehungen (die Beziehungen, die man mit der Heimat, dem Gemeinwesen und der Familie unterhält) und aller etwaigen Tätigkeit (die Pflege des väterlichen Erbes, die Bewirtschaftung des Landes und das Ge­ schäft), das Gemeinwesen und die Heimat darstellen kann. Es ist ebenfalls anzumerken, dass Artemidor daraus gewissermaßen das Paradigma aller weiteren möglichen sexuellen Beziehungen macht. Denn in der Tat kommt er mit Bezug auf die Mutter, als ob es nur um sie gehen könnte, auf die verschiedenen Formen sexueller Akte, die Positionen, die die Partner einnehmen, und die Praktiken, denen sie sich hingeben können, zu sprechen; mit Bezug auf sie stellt er dar, was die natürliche Form des sexuellen Aktes sein muss - indem er zeigt, dass es nicht gut ist, sie »umzu­ drehen«, sie niederknien zu lassen und mit ihr verschiedene Stel­

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lungen anzuwenden und, schlimmer als alles, »das Glied von ihr gesaugt zu bekommen« (ein Traum, der den Tod der Nachkom­ menschaft, Ruin oder Krankheit bedeutet und der in einem Fall zumindest dem Träumenden seine zukünftige Kastration verkün­ det hat). Jedenfalls taucht der Traum, seine Mutter zu besitzen, inmitten von Artemidors Analyse als derjenige Traum auf, der die günstigsten und die ungünstigsten prognostischen Werte beinhal­ ten kann. Er enthält zudem die zahlreichsten und reichhaltigsten gesellschaftlichen Bedeutungen, und mit Bezug auf ihn wird ein »natürliches« Modell definiert, um das es bei den anderen Part­ nern nicht gegangen war. 3) Die Akte »wider die Natur« geben bei Artemidor Anlass zu zwei aufeinander folgenden Entwicklungen: Die eine betrifft das, was von der durch die Natur festgelegten Stellung abweicht (und diese Entwicklung steht im Anhang zur Deutung der Inzestträu­ me); der andere betrifft die Beziehungen, in denen ebender Part­ ner durch seine eigene »Natur« den widernatürlichen Charakter des Aktes bestimmt. Artemidor behauptet im Prinzip, dass die Natur eine für jede Gattung genau bestimmte Form des sexuellen Aktes festgelegt hat: eine natürliche Stellung und eine einzige Stellung, von der die Tiere nicht abweichen: »So gibt es Tiere, die das Weibchen von hinten bespringen, wie das Pferd, der Esel, die Ziege, das Rind, der Hirsch und die übrigen Vierfüßler. Andere berühren zuerst den Mund, wie Nattern, Tauben und Wiesel... [...] ... die Weibchen sammeln die von den Männchen ausgeschiedenen Samen, wie z. B. die Fische.« Genauso haben die Menschen von der Natur einen ganz genau bestimmten Modus ihrer Vereinigung erhalten: Von Angesicht zu Angesicht legt sich der Mann der Länge nach auf die Frau. In dieser Form ist der sexuelle Verkehr ein Akt vollen Besitzes: Sofern sie »gehorcht« und »einverstan­ den« ist, ist man nun Herr »über den ganzen Körper seiner Ge­ fährtin«. Alle anderen Stellungen sind »Erfindungen der Maßlo­ sigkeit, Unbeherrschtheit und der natürlichen Exzesse, zu denen die Trunkenheit führt«. In diesen nicht-natürlichen Beziehungen liegt stets die Weissagung mangelhafter gesellschaftlicher Bezie­ hungen (schlechte Beziehungen, Feindschaft) oder die Ankündi­ gung einer schlechten Lage vom ökonomischen Gesichtspunkt aus (man fühlt sich unwohl, man ist »in Verlegenheit«).

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Unter diesen »Varianten« des sexuellen Aktes hat Artemidor für die Oralerotik ein besonderes Los parat. Seine Missbilligung und das ist eine in der Antike sehr häufig bezeugte Einstellung fällt heftig aus: »abscheulicher Akt«, »moralisches Vergehen«, dessen Darstellung im Traum nur dann einen positiven Wert an­ nehmen kann, wenn sie auf die berufliche Tätigkeit des Träu­ menden verweist (wenn er Redner, Flötenspieler oder Rhetorik­ lehrer ist); als vergebliche Ausstoßung des Samens kündigt diese Praktik im Traum eine nutzlose Verausgabung an. Ein nicht der Natur gemäßer Gebrauch, der zudem im Weiteren den Beischlaf oder das gemeinsame Mahl verhindert, sagt den Bruch, Feindse­ ligkeiten und mitunter den Tod voraus. Doch es gibt noch weitere Weisen, sich in den sexuellen Bezie­ hungen außerhalb der Natur zu bewegen: eben aufgrund der Na­ tur der Partner. Artemidor zählt fünf Möglichkeiten auf: Bezie­ hungen mit Göttern, mit Tieren, mit Leichen, Beziehungen mit sich selbst oder schließlich Beziehungen zwischen zwei Frauen. Das Vorhandensein dieser beiden letzten Kategorien unter den Akten, die sich der Natur entziehen, ist rätselhafter als das der anderen. Die Beziehung mit sich selbst darf nicht als Masturba­ tion verstanden werden; diese ist bereits unter den Akten »gemäß dem Gesetz« erwähnt worden. In der außer-natürlichen Bezie­ hung zu sich selbst geht es umgekehrt um die Selbstpenetration: Penetration des Geschlechts in seinen eigenen Körper - das Inden-Mund-nehmen des Geschlechts, der durch sich selbst mit seinem eigenen Geschlecht durchgeführte Beischlaf. Mitunter günstig, insofern das Geschlecht die Kinder oder die Frau bedeu­ ten kann, die man noch nicht hat und die so durch den Traum verheißen werden, sind diese Visionen im Allgemeinen unheilvoll: Zerstörung und Armut und dass man unausweichlich in größte Nöte gerät, sich zu ernähren. Was die Beziehungen zwischen Frauen angeht, kann man sich fragen, warum sie in der Kategorie der Akte »außer der Natur« erscheinen, während die Beziehungen zwischen Männern auf die anderen Rubriken verteilt werden (und im Wesentlichen auf die Akte gemäß dem Gesetz). Der Grund dafür liegt zweifellos in der Beziehungsform, an der Artemidor festhält, die der Penetration: Durch irgendeinen Kunstgriff usurpiert eine Frau die Rolle des Mannes, nimmt missbräuchlich seine Position ein und besitzt die

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andere Frau. Zwischen zwei Männern ist der virile Akt schlecht­ hin, die Penetration, nicht an sich eine Überschreitung der Natur (selbst wenn er für den einen der beiden, der ihn erleidet, als schändlich und unziemlich betrachtet werden kann). Umgekehrt ist ein derartiger Akt zwischen zwei Frauen, der trotz dem, was sie beide sind, vollzogen wird, und zwar mittels Tricks, ganz ebenso außer der Natur wie die Beziehung eines Menschen zu einem Gott oder zu einem Tier.

Der Traum und der Akt Zwei Merkmale sind festzuhalten, weil sie die gesamte Analyse des sexuellen Traums bei Artemidor prägen. Als Erstes ist der Träumende stets in seinem eigenen Traum anwesend; die sexuellen Bilder, die Artemidor entschlüsselt, stellen niemals eine reine und schlichte Phantasmagorie dar, deren Zuschauer der Träumende wäre und die unter seinen Augen, aber unabhängig von ihm ab­ laufen würde. Er nimmt stets daran teil, und zwar als Hauptak­ teur; was er sieht, ist er selbst in seiner sexuellen Aktivität; es gibt eine exakte Überlappung zwischen dem Subjekt, das von einem Akt träumt, und dem Subjekt des Aktes, so wie es im Traum zu sehen ist. Zum anderen ist anzumerken, dass Artemidor in seinem gesamten Werk sehr selten die sexuellen Akte und Lüste als be­ deutete oder geweissagte Elemente Vorkommen lässt; es ist eine weitgehende Ausnahme, dass irgendein im Traum gegebenes Bild das Kommen eines sexuellen Aktes oder den Entzug einer Lust ankündigt. Diese werden umgekehrt in den drei hier untersuchten Kapiteln als Bestandteile des Traumes und als Elemente der Weis­ sagung analysiert und eingruppiert; Artemidor lässt sie fast nur auf der Seite des »Signifikanten« und fast niemals auf der Seite des »Signifikats« auftauchen, Bilder und nicht Sinn, Darstellung und nicht dargestelltes Ereignis. Artemidors Deutung siedelt sich folglich auf einer zwischen dem Akteur des sexuellen Aktes und dem Träumer des Traums gezogenen Linie an und geht so von Subjekt zu Subjekt; und indem die Arbeit der Deutung von dem sexuellen Akt und der Rolle des Akteurs insofern ausgeht, als er der Träumende ist, wird sie zum Ziel haben, das zu entschlüsseln, was dem Träu-

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menden in dem Maße widerfahren wird, wie er in der Wirklich­ keit sein wird. Auf den ersten Blick scheint es so, dass Artemidors Mantik sehr regelmäßig an den sexuellen Träumen eine soziale Bedeutung ent­ schlüsselt. Sicher kommt es vor, dass diese Träume einen Schick­ salsschlag im Bereich der Gesundheit - Erkrankung oder Erho­ lung - ankündigen; es kommt vor, dass sie Zeichen für den Tod sind. Doch in einem viel bedeutenderen Maße verweisen sie auf Ereignisse wie den Erfolg oder Nichterfolg in den Geschäften, das Reich- oder Armwerden, das Gedeihen oder das Scheitern der Familie, ein vorteilhaftes oder unvorteilhaftes Unternehmen, günstige Heiraten oder unheilvolle Verbindungen, Streitigkeiten, Rivalitäten, Versöhnungen, gute oder schlechte Chancen bei der Bewerbung um öffentliche Ämter, Exil, Verurteilung. Das sexuelle Traumbild sagt das Geschick des Träumenden im gesellschaftli­ chen Leben voraus; der Akteur, der er auf dem sexuellen Schau­ platz des Traumes ist, greift auf die Rolle vor, welche die seine auf dem Schauplatz der Familie, des Berufes, der Geschäfte und des Gemeinwesens sein wird. Es gibt dafür zunächst einmal zwei Gründe. Der Erste ist von ganz allgemeiner Art: Er hat mit einer sprachlichen Tatsache zu tun, von der Artemidor starken Gebrauch macht. Es gibt tatsäch­ lich im Griechischen - wie im Übrigen in unterschiedlichen Graden auch in einigen anderen Sprachen - eine sehr ausgeprägte Ambiguität zwischen dem sexuellen und dem ökonomischen Sinn bei bestimmten Ausdrücken. So bezieht sich das Wort somay das den Körper bezeichnet, auch auf die Reichtümer und die Güter; daher die Möglichkeit einer Äquivalenz zwischen dem »Besitz« eines Körpers und dem Besitz von Reichtümern. Ousia ist die Substanz, ist auch das Vermögen, aber ist ebenfalls der Samen und das Sperma: Sein Verlust wird die Vergeudung von jenem bedeuten. Der Ausdruck blabe, der Schaden, kann sich auf Schicksalsschläge, auf Geldverluste, aber auch auf die Tatsache beziehen, dass man das Opfer eines Angriffs und dass man das passive Objekt in einem sexuellen Akt ist. Artemidor spielt auch mit der Polysemie des Vokabulars der Schuld: Die Wörter, die bedeuten, dass man genötigt ist zu zahlen und dass man sich des­ sen zu entledigen versucht, können gleichermaßen bedeuten, dass man von einem sexuellen Bedürfnis gedrängt wird und dass man

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sich davon befreit, indem man es befriedigt: Der Ausdruck anankaion, der zur Bezeichnung des männlichen Gliedes verwandt wird, steht im Kreuzpunkt dieser Bedeutungen. Ein weiterer Grund hängt mit der Form und mit der besonde­ ren Bestimmung des Werkes von Artemidor zusammen, dem Buch eines Mannes, das sich im Wesentlichen an Männer wendet, um ihr Leben als Mann im Allgemeinen anzuleiten; die Erwäh­ nung der von Frauen oder von Sklaven geträumten Träume tritt nur als eine Variante typischer Träume auf, deren Subjekt masku­ lin ist. Man muss sich in der Tat vor Augen führen, dass die Deu­ tung der Traumbilder nicht als eine Angelegenheit bloß persön­ licher Neugier anzusehen ist; sie ist eine nützliche Arbeit, um seine Existenz zu leiten und sich auf Ereignisse vorzubereiten, die geschehen werden. Da die Nächte sagen, woraus die Tage ge­ macht sein werden, ist es gut, um seine Existenz als Mann, als Herr des Hauses, als Familienvater richtig zu führen, wenn man die Träume zu entschlüsseln weiß, die in der Nacht hervorge­ bracht werden. Das ist die Sichtweise der Bücher des Artemidor: ein Führer, damit der verantwortliche Mann, der Herr des Hauses im Alltäglichen den Zeichen entsprechend, die darauf vordeuten können, sein Verhalten zu lenken vermag. Es ist also das Gewebe dieses gewöhnlichen Lebens, das er in den Bildern des Traumes wiederzufinden sich bemüht. Aber das ist nicht alles: Die Deutungspraxis, so wie sie im Dis­ kurs des Artemidor am Werk ist, zeigt, dass der sexuelle Traum selbst als ein gesellschaftlicher Schauplatz wahrgenommen, ausge­ arbeitet und analysiert wird; wenn er »Gutes und Schlechtes« im Bereich des Berufs, des zu verwaltenden Erbes, der Familie, der politischen Karriere, des Status, der Freundschaften und der Pro­ tektionen ankündigt, so sind die sexuellen Akte, die sie darstellen, aus denselben Elementen gebildet wie er. Folgt man den Analyse­ verfahren, die Artemidor gebraucht, so sieht man eindeutig, dass die Deutung der Träume von aphrodisia in der Form von Erfolg oder Misserfolg, von gesellschaftlichem Gelingen oder Scheitern eine Art Konsubstantialität zwischen den beiden Bereichen vo­ raussetzt. Und dies erscheint auf zwei Ebenen: der Ebene der als Materialien für die Analyse zurückbehaltenen Elemente des Traums und der Ebene der Prinzipien, die es erlauben, diesen Ele­ menten einen Sinn (einen prognostischen »Wert«) zu verleihen.

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i ) Welche Aspekte des sexuellen Traums hält Artemidor fest und bringt sie in seiner Analyse zur Anwendung? Als Erstes die Personen. Vom Träumenden selbst wird Arte­ midor beispielsweise weder die nahe oder ferne Vergangenheit noch den Seelenzustand, noch allgemein die Leidenschaften, son­ dern die sozialen Merkmale festhalten: die Altersklasse, zu der er gehört; ob er Geschäfte macht oder nicht; ob er politische Verant­ wortungen hat; ob er seine Kinder zu verheiraten sucht, ob er vom Ruin oder von der Feindschaft seiner Nächsten bedroht ist, usw. Gleichfalls als »Personen« werden die im Traum repräsentierten Partner in den Blick genommen; die Traumwelt des Träumenden von Artemidor ist von Individuen bevölkert, die kaum physische Merkmale haben, und die scheinbar keine allzu starken affektiven und leidenschaftlichen Bindungen zum Träumenden selbst haben; sie tauchen nur als soziale Profile auf: Junge, Alte (sie sind jeden­ falls jünger oder älter als der Träumende), Reiche oder Arme; es sind Leute, die Reichtümer herbeibringen oder um Geschenke bitten; es sind schmeichlerische oder erniedrigende Beziehungen; es sind Höhere, denen man besser aus dem Weg geht, oder Nie­ dere, von denen man auf legitime Weise profitieren kann; es sind Leute aus dem Haus oder von draußen; es sind freie Männer, Frauen in der Macht des Ehemannes, Sklaven oder Berufsprosti­ tuierte. Was das betrifft, was zwischen diesen Personen und dem Träumenden geschieht, ist Artemidors Nüchternheit ganz und gar bemerkenswert - keine Hätscheleien, keine komplizierten Kombinationen, keine Phantasmagorie, sondern einige sehr ein­ fache Variationen rund um eine wesentliche Form: die Penetra­ tion. Sie scheint das eigentliche Wesen der sexuellen Praxis aus­ zumachen, das Einzige jedenfalls, das es verdient, festgehalten zu werden, und das in der Analyse des Traums Sinn macht. Viel stärker als der Körper selbst mit seinen unterschiedlichen Teilen und viel stärker als die Lust mit ihren Qualitäten und Intensitäten erscheint der Akt der Penetration als Wertmesser sexueller Akte mit ihren verschiedenen Varianten an Positionen und vor allem ihren beiden Polen von Aktivität und Passivität. Die Frage, die Artemidor unaufhörlich den Träumen stellt, die er untersucht, ist genau die: Wer penetriert wen? Ist das träumende Subjekt (fast immer ein Mann) aktiv oder passiv? Ist er derjenige, der pene­

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triert, dominiert, Lust gewinnt? Ist er derjenige, der sich unter­ wirft und der besessen wird? Ob es sich um die Beziehungen mit einem Sohn oder einem Vater, mit einer Mutter oder mit einem Sklaven handelt, fast unausweichlich kehrt die Frage wieder (vo­ rausgesetzt, sie sei nicht bereits implizit gelöst): Wie ist es zur Penetration gekommen? Oder genauer: Welche Stellung hatte das Subjekt in dieser Penetration? Gerade einmal der »lesbische« Traum wird nicht von diesem Gesichtspunkt und nur von diesem Gesichtspunkt aus befragt. Nun wird dieser Penetrationsakt - das Herz der sexuellen Ak­ tivität, die prima materia der Deutung und das Sinnzentrum für den Traum - unmittelbar innerhalb einer sozialen Szenographie wahrgenommen. Artemidor sieht den sexuellen Akt zunächst ein­ mal als ein Spiel von Überlegenheit und Unterlegenheit: Die Pe­ netration versetzt die beiden Partner in ein Verhältnis von Herr­ schaft und Unterwerfung; sie ist Sieg auf der einen und Niederlage auf der anderen Seite; sie ist ausgeübtes Recht für den einen der Partner und auferlegte Notwendigkeit für den anderen; sie ist Status, den man geltend macht, oder Bedingung, die man erleidet; sie ist Vorteil, von dem man profitiert, oder das Hinnehmen einer Situation, deren Nutzen man den anderen überlässt. Was zu dem anderen Aspekt des sexuellen Aktes führt; Artemidor sieht ihn auch als ein »ökonomisches« Spiel von Verausgabung und Profit an; Profit: die Lust, die man gewinnt, die angenehmen Empfin­ dungen, die man verspürt; Verausgabung: die notwendige Energie für den Akt, der Verlust des Samens, dieser kostbaren Substanz des Lebens, und die Erschöpfung, die daraus folgt. Viel stärker als all die Variablen, die sich aus den verschiedenen möglichen Gesten oder den verschiedenen, damit einhergehenden Empfindungen er­ geben könnten, viel stärker als all die möglichen Tableaux, die der Traum darstellen könnte, werden diese die Penetration als »stra­ tegisches« Spiel von Herrschaft-Unterwerfung oder als »ökono­ misches« Spiel von Verausgabung-Ertrag betreffenden Elemente von Artemidor für die Entwicklung seiner Analyse festgehalten. Diese Elemente mögen uns von unserem Gesichtspunkt aus armselig, schematisch und sexuell »farblos« erscheinen; aber es ist festzuhalten, dass sie von vornherein die Analyse mit gesell­ schaftlich ausgeprägten Elementen sättigen; Artemidors Analyse lässt Personen auftreten, die von einer gesellschaftlichen Bühne

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abgezogen sind, deren sämtliche Merkmale sie noch tragen; und sie verteilt sie rund um einen wesentlichen Akt, der zugleich auf der Ebene der physischen Verbindungen, auf der Ebene der sozia­ len Beziehungen von Überlegenheit und Unterlegenheit und auf der Ebene der ökonomischen Aktivitäten von Verausgabung und Profit anzusiedeln ist. 2) Wie wird Artemidor mit diesen herausgehobenen und auf die Analyse abgestimmten Elementen den »Wert« des sexuellen Traums feststellen? Und darunter muss man nicht nur die Art Ereignis verstehen, die auf allegorische Weise angekündigt wird, sondern vor allem - was der wesentliche Aspekt für eine prakti­ sche Analyse ist - seine »Qualität«, das heißt sein günstiger oder ungünstiger Charakter für das Subjekt. Man erinnert sich an eines der Grundprinzipien der Methode: Die prognostische Qualität des Traums (der günstige oder nicht günstige Charakter des geweissagten Ereignisses) hängt von dem Wert des weissagenden Bildes ab (der gute oder schlechte Charakter des im Traum dar­ gestellten Aktes). Nun hat man aber am Faden der Analyse und der gegebenen Beispiele sehen können, dass ein sexueller Akt von »positivem Wert« von Artemidors Gesichtspunkt aus nicht immer genau ein vom Gesetz genehmigter oder von der öffentlichen Meinung in Ehren gehaltener oder von der Sitte akzeptierter se­ xueller Akt ist. Es gibt selbstverständlich wichtige Übereinstim­ mungen: zu träumen, dass man eine Beziehung mit seiner eigenen Ehefrau oder seiner eigenen Geliebten hat, ist gut; aber es gibt Verschiebungen, und zwar bedeutende: Der günstige Wert des Traums vom Inzest mit der Mutter ist dafür das verblüffendste Beispiel. Man muss sich fragen: Auf welche andere Weise, nach welchen anderen Kriterien lassen sich die sexuellen Akte so qua­ lifizieren, dass man sagen kann, dass sie im Traum und für den Träumenden »gut« sind, während sie in der Wirklichkeit tadelns­ wert wären? Es scheint wohl so zu sein, dass der »Wert« eines geträumten sexuellen Aktes das Verhältnis ist, das sich zwischen der sexuellen Rolle und der sozialen Rolle des Träumenden herstellen lässt. Genauer kann man sagen, dass Artemidor ein Traum­ bild für »günstig« und für eine gute Prognose hält, wenn der Träumende seine sexuelle Aktivität mit seinem Partner nach ei­ nem Schema ausübt, das dem entspricht, was seine Beziehung zu ebendiesem Partner im sozialen und nicht-sexuellen Leben ist; die

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Anpassung an die »wache« soziale Beziehung ist qualifizierend für die sexuelle Beziehung im Traum. Damit der sexuelle Akt, von dem man träumt, »gut« ist, muss er einem allgemeinen »Isomorphismus«prinzip gehorchen. Und so könnte man, um weiter beim Schema zu bleiben, hinzufügen, dass dieses Prinzip zwei Formen annimmt: das Prinzip einer »Analogie der Stellung« und das Prinzip einer »ökonomischen Adäquation«. Nach dem ersten dieser Prinzipien wird ein sexueller Akt in dem Maße gut sein, wie das träumende Subjekt in seiner sexuellen Aktivität mit seinem Partner eine Position einnimmt, die der seinigen in der Wirklichkeit mit diesem selben Partner (oder einem Partner derselben Art) entspricht: So ist »aktiv« sein mit seinem Sklaven (welchen Geschlechts er auch ist) gut, oder aktiv sein mit einer oder einem Prostituierten, oder aktiv sein mit einem jungen und armen Knaben, doch es wird »gut« sein, passiv zu sein mit Älteren als man selbst und Reicheren usw. Kraft dieses Isomor­ phismusprinzips ist der Traum vom Inzest mit der Mutter mit positiven Werten besetzt: Man sieht darin nämlich das Subjekt in einer Position der Aktivität gegenüber einer Mutter, die ihn zur Welt gebracht und die ihn genährt hat, und die er umgekehrt wie eine Erde, eine Heimat oder ein Gemeinwesen pflegen und ehren, der er dienen, die er unterhalten und bereichern muss. Doch damit der sexuelle Akt im Traum einen positiven Wert hat, muss er auch einem Prinzip »ökonomischer Adäquation« ge­ horchen; »Verausgabung« und durch diese Aktivität eingebrachter »Ertrag« müssen entsprechend reguliert werden: in der Quantität (viel Verausgabung für wenig Lust ist nicht gut) und auch in der Richtung (keine vergeblichen Verausgabungen bei denen, Män­ nern wie Frauen, die nicht in der Lage sind, zurückzugeben, aus­ zugleichen oder umgekehrt nützlich zu sein). Dieses Prinzip be­ wirkt, dass es gut ist, von einer sexuellen Beziehung mit Sklaven zu träumen: Man profitiert von seinem eigenen Gut; was man wegen des Ertrags der Arbeit gekauft hat, gibt darüber hinaus den Ertrag der Lust. Das verleiht auch den Träumen ihre viel­ fältigen Bedeutungen, in denen ein Vater eine Beziehung mit sei­ ner Tochter hat: Je nachdem, ob diese verheiratet ist oder nicht, ob der Vater selbst Witwer ist oder nicht, ob der Schwiegersohn rei­ cher oder ärmer ist als der Schwiegervater, wird der Traum ent­ weder Ausgaben für die Mitgift oder aber eine von der Tochter

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kommende Hilfe, oder aber die Verpflichtung, sie nach ihrer Scheidung zu unterhalten, bedeuten. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Leitfaden der Artemidor’schen Interpretation hinsichtlich des prognostischen Werts der sexuellen Träume impliziert, dass man diese in Elemen­ te (Personen und Akte) zerlegt und entsprechend analysiert, in Elemente, die von Natur aus soziale Elemente sind; und dass er eine bestimmte Weise anzeigt, die sexuellen Akte gemäß der Art und Weise zu qualifizieren, wie das träumende Subjekt als Subjekt des geträumten Aktes seine Position als soziales Subjekt aufrecht­ erhält. Auf der Bühne des Traums muss der sexuelle Akteur (der stets der Träumende ist, und der praktisch immer ein erwachsener Mann ist), damit sein Traum gut sei, seine Rolle als sozialer Ak­ teur aufrechterhalten (selbst wenn der Akt, wie es vorkommt, in der Wirklichkeit tadelnswert sei). Vergessen wir nicht, dass alle sexuellen Träume, die Artemidor analysiert, von ihm selbst als zur Kategorie des Traumbildes (oneiros) gehörig betrachtet werden; sie sagen also »das, was ist«; und das, was in diesem Fall »ist« und sich im Traum »gesagt« findet, ist die Position des Träumenden als Subjekt einer Aktivität - aktiv oder passiv, beherrschend oder beherrscht, Sieger oder Besiegter, »oben« oder »unten«, profitie­ rend oder verausgabend, Nutzen daraus ziehend oder Verluste erfahrend, sich in vorteilhafter Stellung befindend oder Beschädi­ gungen erleidend. Der sexuelle Traum sagt in der kleinen Drama­ turgie von Penetration und Passivität, Lust und Verausgabung die Seinsweise des Subjekts, so wie das Schicksal sie präpariert hat. Man könnte vielleicht zur Bestätigung eine Passage aus dem Schlüssel zu den Träumen anführen, die eindeutig die Verbindung aufzeigt zwischen dem, was das Individuum als aktives Subjekt in der sexuellen Beziehung konstituiert, und dem, was es im Feld der sozialen Aktivitäten situiert. Es geht dabei in einem anderen Ab­ schnitt des Buches um den Text, der der Bedeutung der verschie­ denen Teile des Körpers im Traum gewidmet ist. Das männliche Organ, das, welches man anankaion nennt (das »notwendige« Element, das, wozu die Bedürfnisse uns zwingen, und mit dessen Kraft man die anderen zwingt), ist signifikant für ein ganzes Bün­ del an Beziehungen und Aktivitäten, die den Status des Indivi­ duums im Gemeinwesen und in der Welt festlegen; dazu gehören die Familie, der Reichtum, die Aktivität des Sprechens, der Status,

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das politische Leben, die Freiheit und zu guter Letzt noch der Name des Individuums. »Das männliche Glied gleicht den Eltern, weil es zum Samen in Beziehung steht, den Kindern, weil es deren Ursache ist; der Gattin und der Geliebten, weil es für die Freuden der Liebe geschaffen ist; den Brüdern und allen Blutsverwandten, weil vom Geschlechtsglied das verwandtschaftliche Verhältnis der ganzen Familie abhängt. Sodann bedeutet es Körperstärke und Manneskraft, weil es auch deren Urheber ist; deshalb wird es von einigen Mannheit genannt. Ferner bezeichnet es die Rede und die Bildung, weil das Geschlechtsglied, ebenso wie das Wort, das Allerzeugungsfähigste ist. [...] Ferner zeigt es Überfluss und Besitz an, weil es sich bald vergrößert, bald wieder zurückgeht und sowohl gewähren als auch ausscheiden kann. [...] ... dann gleicht es Armut, Knechtschaft und Fesseln, weil es das Notwen­ dige heißt und das Symbol von Not und Zwang ist. Ferner gleicht es der Würde; denn aidos bedeutet Scham und Würde. [...] Ver­ doppelt es sich, wird sich alles verdoppeln, mit Ausnahme der Gattin oder der Geliebten; diese verliert man, denn zwei Ge­ schlechtsglieder kann man nicht auf einmal gebrauchen. Ich kenne jemand, der als Sklave träumte, er habe drei Geschlechtsglieder. Er wurde freigelassen und erhielt anstatt des einen Namens ihrer drei, indem er vom Freilasser zwei dazunahm. Dieser Fall ereig­ nete sich jedoch nur einmal. Man hat aber bei den Deutungen nicht von den seltenen, sondern von den Regelfällen auszugehen.« Das männliche Glied erscheint, wie man sieht, am Kreuzungs­ punkt all dieser Spiele der Beherrschung: Selbstbeherrschung, da seine Forderungen uns zu versklaven drohen, wenn wir uns von ihm zwingen lassen; Überlegenheit über die Sexualpartner, da durch ihn die Penetration vollzogen wird; Privilegien und Status, da er das gesamte Feld der Verwandtschaft und der sozialen Akti­ vität bezeichnet. Die Landschaft, auf welche die den sexuellen Träumen gewidme­ ten Kapitel Artemidors eingehen, ist eine der Antike vertraute Landschaft. Es lassen sich darin ohne weiteres Züge von Sitten und Gebräuchen wiederfinden, die sicherlich noch von anderen, früheren oder zeitgenössischen, Zeugnissen bestätigt werden könnten. Man ist in einer Welt, die sehr stark von der zentralen Stellung der männlichen Person und von der Bedeutung geprägt

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ist, die der virilen Rolle in den Geschlechtsbeziehungen einge­ räumt wird. Man ist in einer Welt, in der die Ehe genügend ge­ schätzt wird, um als der bestmögliche Rahmen für die sexuellen Lüste angesehen zu werden. Aber auch in einer Welt, in der der verheiratete Mann seine Geliebte haben, über seine Diener, Kna­ ben oder Mädchen, verfügen und Prostituierte aufsuchen kann. Man ist letztlich in einer Welt, in der Beziehungen unter Männern scheinbar etwas Selbstverständliches sind, unter dem Vorbehalt allerdings von gewissen Alters- oder Statusunterschieden. Es lässt sich ebenfalls das Vorhandensein mehrerer Elemente eines Kodex feststellen. Aber man muss erkennen, dass sie zu­ gleich nicht sehr zahlreich und ziemlich schwammig sind; einige große Verbote, die sich in der Form von heftigem Ekel manifes­ tieren: Fellatio, Beziehungen unter Frauen und vor allem die Usurpation der männlichen Rolle durch eine von ihnen; eine sehr restriktive Definition des Inzests, gedacht im Wesentlichen als*die Beziehung zwischen Eltern und Kindern; eine Bezugnahme auf eine kanonische und natürliche Form des sexuellen Aktes. Doch es gibt nichts im Text von Artemidor, das sich auf ein durchgängi­ ges und vollständiges Raster von Klassifizierungen zwischen den erlaubten Akten und denen, die verboten sind, bezieht; nichts, das genau zwischen dem, was gemäß der Natur, und dem, was »wider die Natur« ist, eine klare und definitive Teilungslinie zieht. Und vor allem spielen, wie es scheint, nicht diese Elemente eines Ko­ dex die wichtigste und bestimmendste Rolle, um - zumindest im Traum und in seiner Funktion einer Weissagung - die »Qualität« eines sexuellen Aktes festzulegen. Umgekehrt kann man gerade durch die Vorgehensweise der Interpretation hindurch eine andere Art und Weise, die sexuellen Akte in den Blick zu nehmen, und andere Prinzipien der Wertung erkennen: nicht ausgehend von dem in seiner mehr oder weniger regulären Form betrachteten Akt, sondern ausgehend von dem Akteur, von seiner Seinsweise, von seiner eigenen Situation und seinem Verhältnis zu anderen und der Position, die er ihnen ge­ genüber einnimmt. Die Hauptfrage scheint weit weniger darauf gerichtet, ob die Akte einer natürlichen Struktur oder einer posi­ tiven Reglementierung entsprechen, als vielmehr auf das, was man den »Aktivitätsstil des Subjekts« nennen könnte, und die Bezie­ hung, die er zwischen der sexuellen Aktivität und den anderen

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Aspekten seiner familiären, sozialen und ökonomischen Existenz stiftet. Die Bewegung der Analyse und die Bewertungsverfahren gehen nicht vom Akt zu einem Bereich über, wie es der Bereich der Sexualität oder der des Fleisches sein könnte, dessen erlaubte Formen die göttlichen, bürgerlichen oder natürlichen Gesetze umreißen würden; sie gehen vom Subjekt als sexuellem Akteur über zu anderen Lebensbereichen, in denen es seine Aktivität ausübt; und im Verhältnis zwischen diesen verschiedenen Aktivi­ tätsformen sind nicht exklusiv, aber im Wesentlichen die Wert­ schätzungsprinzipien einer sexuellen Verhaltensführung anzusie­ deln. Man kann also ausgehend von diesem zugleich detaillierten und zwiespältigen Text einige vorläufige Schlussfolgerungen darlegen. Es scheint zunächst, dass die sexuellen Akte - diejenigen, die als die aphrodisia bezeichnet werden - bloß nach einem recht ein­ fachen und nackten Schematismus in Betracht gezogen werden: Wenig Platz wird den verschiedenartigen möglichen Varianten des Aktes selbst eingeräumt, wenig an Präsenz des Körpers, wenig an Bildern und Szenen; der Akt wird auf eine Art »reine«, fleischlose und jedenfalls allein rund um die Penetration recht wenig spezifi­ zierte Aktivität reduziert. Es scheint andererseits, dass es weitaus wichtiger als der Gehorsam gegenüber einer Regel ist, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen man die Wahl trifft, wie man seine Akte praktiziert: die Frage folglich des »Gebrauchs« der chresis - und der Art und Weise, wie man diesen auf bestmög­ liche Weise einer bestimmten Klugheit, einem Wissen-wie gemäß bestimmt. Daher die Bedeutung, die man den »Umständen« des Aktes, dem Kontext, in dem er vollzogen wird, den sozialen Be­ ziehungen, in die er sich einschreibt, der Art Partner, die er im­ pliziert, und den verschiedenartigen Bezügen, die der Flauptakteur mit ihnen haben kann, einräumt. Schließlich scheint es durchaus so, dass das entscheidende Element in dieser Analyse der sexuellen Akte durch die Frage der »Beherrschung« gebildet wird, die zugleich als Frage nach der sexuellen Position im Ver­ hältnis zum Partner (besitzend-besessen, penetrierend-penetriert), als Frage der Gewalt, die man gegenüber sich selbst ausübt, um nicht der Maßlosigkeit zu verfallen, und als Frage nach dem per­ sönlichen Status sowie nach den Unterlegenheits- oder Uberlegenheitsverhältnissen (in der Ordnung des Rangs, des Alters und

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des Vermögens), in denen man zum Partner steht, zu verstehen ist. Es scheint also so zu sein, dass man es mit einer Moral zu tun hat, bei der das Bemühen, eine Ästhetik der Existenz auszuarbeiten, über das Unterfangen siegt, die Verhaltensweisen mit dem Mittel des Rechts zu strukturieren; eine dieser Moralen, die eher auf den Pol der Ethik als auf den des Kodex ausgerichtet sind. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

333 Michel Foucault/Pierre Boulez Die zeitgenössische Musik und das Publikum »Michel Foucault/Pierre Boulez. La musique contemporaine et le public«, in: C.N.A.C. Magazine, Nr. 15, Mai-Juni 1983, S. 10-12.

M. Foucault: "Es heißt des Öfteren, die zeitgenössische Musik sei »abgedriftet«; sie sei zu etwas Einzigartigem geworden; sie habe einen Grad an Komplexität erreicht, der sie unzugänglich mache; ihre Techniken habe sie auf Wege mitgerissen, die sie immer mehr ins Abseits führen. Was mir dagegen auffällig erscheint, ist die Mannigfaltigkeit der Verbindungen und der Bezüge zwischen der Musik und allen weiteren Elementen der Kultur. Dies wird auf mehrere Weisen deutlich. Zum einen ist die Musik viel emp­ fänglicher für die technologischen Transformationen, viel enger mit ihnen verbunden gewesen als die Mehrzahl der anderen Küns­ te (mit Ausnahme natürlich des Kinos). Zum anderen weist ihre Entwicklung seit Debussy oder Strawinsky bemerkenswerte Kor­ relationen zur Entwicklung der Malerei auf. Und weiter gehören die theoretischen Probleme, die die Musik sich selbst gestellt hat, und die Art und Weise, wie sie auf ihre Sprache, ihre Strukturen und ihr Material reflektiert hat, zu einer Frage, die, glaube ich, das gesamte 20. Jahrhundert durchzogen hat: die Frage nach der »Form«, die die Frage Cézannes oder der Kubisten war, die Frage Schönbergs und auch die Frage der russischen Formalisten und der Prager Schule. Ich glaube nicht, dass man sich die Frage stellen sollte: Wie kann man die Musik, da sie eine solche Distanz aufgebaut hat,

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wiedereinfangen oder zurückbringen? Sondern eher: Wie kommt es, dass wir sie, die unserer ganzen Kultur so nahe, so sehr von gleicher Substanz ist wie sie, gleichsam in die Ferne projiziert und in eine fast unüberwindliche Distanz versetzt empfinden? R Boulez: Ist der »Kreis« der zeitgenössischen Musik so ver­ schieden von den diversen »Kreisen«, die symphonische, Kam­ mer-, Opern- und Barockmusik nutzen, all den solchermaßen durch Trennwände abgeteilten, spezialisierten Kreisen, dass man sich fragen muss, ob es wirklich eine allgemeine Kultur gibt? Eigentlich sollte die durch die Schallplatte verbreitete Kenntnis diese Trennwände, deren ökonomische Notwendigkeit man ver­ stehen kann, zu Fall bringen, doch stellt man nun im Gegenteil fest, dass die Schallplatte die Spezialisierung des Publikums ge­ nauso verstärkt wie die der Interpreten. Selbst in der Organisation von Konzerten oder Vorstellungen schließen die Kräfte, auf die sich unterschiedliche Arten von Musik berufen, eine gemeinsame Organisation, ja sogar eine Polyvalenz mehr oder weniger aus. Wer klassisches oder romantisches Repertoire sagt, impliziert ein standardisiertes Gebilde, das die Tendenz hat, die Ausnahmen von dieser Regel nur dann einzubeziehen, wenn die Ökonomie des Ganzen dadurch nicht gestört wird. Wer Barockmusik sagt, impliziert zwingend nicht nur eine begrenzte Gruppe, sondern Instrumente, die auf die gespielte Musik abgestimmt sind, und Musiker, die auf der Grundlage von Textstudien und theoreti­ schen Arbeiten über die Vergangenheit eine spezialisierte Kennt­ nis in Sachen Interpretation erworben haben. Wer zeitgenössische Musik sagt, impliziert die Annäherung an neue Instrumentaltech­ niken, neue Notenschriften und eine Fähigkeit, sich als Interpret auf neue Situationen einzustellen. Man könnte diese Auflistung fortführen und so die Schwierigkeiten zeigen, die man überwin­ den muss, um von einem Bereich zum anderen zu gelangen: Schwierigkeiten der Organisation, Schwierigkeiten des persönli­ chen Hineinfindens, ohne von der Anpassung der Örtlichkeiten an diese oder jene Art Aufführung zu sprechen. So besteht eine Neigung zu der Ansicht, dass sich entsprechend zu jeder Katego­ rie Musik eine mehr oder weniger große Gesellschaft bildet und sich zwischen dieser Gesellschaft, ihrer Musik und ihren Inter­ preten ein auf gefährliche Weise geschlossener Kreis herstellt. Die zeitgenössische Musik kann sich dieser Bedingungslage nicht ent­

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ziehen; selbst wenn ihre Besucherzahlen verhältnismäßig niedrig sind, kann auch sie den Misslichkeiten der musikalischen Gesell­ schaft im Allgemeinen nicht entgehen: Auch sie hat ihre Orte, ihre Treffpunkte, ihre Stars, ihre Snobismen, ihre Rivalitäten und ihre Exklusivitäten; genauso wie die andere Gesellschaft hat sie ihre Börsenwerte, ihre Kursnotierungen und ihre Statistiken. Die ver­ schiedenen Kreise der Musik sind, auch wenn sie nicht Dante unterstehen, nicht minder bezeichnend für ein Kerkersystem, in welchem die Mehrzahl sich gut fühlt und bei dem einige hingegen auf peinigende Weise den Zwang verspüren. M. Foucault: Man muss der Tatsache Rechnung tragen, dass über eine sehr lange Zeit hinweg die Musik mit gesellschaftlichen Riten verbunden war und von ihnen vereinheitlicht wurde: reli­ giöse Musik, Kammermusik; im 19. Jahrhundert war die Verbin­ dung zwischen der Musik und der theatralischen Darstellung in der Oper (ohne gar von den politischen oder kulturellen Bedeu­ tungen zu sprechen, die diese in Deutschland oder in Italien an­ nehmen konnte) ebenfalls ein Integrationsfaktor. Ich glaube, dass man nicht von der »kulturellen Isolierung« der zeitgenössischen Musik sprechen kann, ohne nicht sogleich das darüber Gesagte mit Blick auf die anderen Kreise der Musik zu berichtigen. Mit der Rockmusik zum Beispiel hat man ein völlig gegenteili­ ges Phänomen. Nicht nur ist diese (viel mehr noch als einst der Jazz) integrierender Bestandteil des Lebens vieler Leute, sondern sie bringt auch selbst Kultur hervor: Rock mögen, irgendeine Art von Rockmusik mehr mögen als eine andere ist auch eine Lebens­ weise, eine Art zu reagieren; es ist ein ganzes Ensemble von ge­ schmacklichen Vorlieben und Einstellungen. Rockmusik bietet die Möglichkeit zu einer intensiven, starken, lebendigen und »dramatischen« Beziehung (in dem Sinne, dass sie sich selbst als Schauspiel ausgibt, dass das Zuhören ein Ereignis darstellt und sich inszeniert) zu einer Musik, die in sich selbst dürftig ist, aber durch die der Zuhörer sich bejaht; und ansonsten hat man eine schwache, kühle, ferne und problematische Bezie­ hung zu einer Kunstmusik, von der sich das kultivierte Publikum ausgeschlossen fühlt. Man kann nicht von einer Beziehung der zeitgenössischen Kul­ tur zur Musik sprechen, sondern von einer mehr oder weniger

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wohlwollenden Duldung in Anbetracht einer Vielheit von Musi­ ken. Jeder räumt man ein »Recht« auf Existenz ein; und dieses Recht wird als eine Wertgleichheit wahrgenommen. Jede ist so viel wert wie die Gruppe, die sie praktiziert oder sie anerkennt. R Boulez: Wird man das Problem lösen, indem man von Musi­ ken spricht und eine eklektische Ökumene propagiert? Es scheint allerdings im Gegenteil so zu sein, dass man das Problem eskamotiert - in Übereinstimmung mit den Statthaltern der fortgeschrit­ tenen liberalen Gesellschaft. Sämtliche Musikformen sind gut, sämtliche Musikformen sind schön. Ach, Pluralismus, so etwas taugt doch nicht als Heilmittel gegen das Nichtverstehen! Lieben Sie also, jeder in seiner Ecke, und Sie werden einander lieben. Seien Sie liberal, seien Sie generös zu den geschmacklichen Vor­ lieben der anderen, und es wird den ihren genauso ergehen. Alles ist gut, nichts ist schlecht; es gibt keine Werte, sondern es gibt die Lust. Dieser Diskurs, so befreiend er sein will, verstärkt im Ge­ genteil die Ghettos, stärkt das gute Gewissen, sich in einem Ghet­ to zu befinden, vor allem, wenn man von Zeit zu Zeit loszieht und als Voyeur die Ghettos der anderen erkundet. Die Ökonomie ist dazu da, es uns für den Fall in Erinnerung zu rufen, dass wir uns in dieser faden Utopie verlieren; es gibt Musiken, die etwas einbringen und die um des kommerziellen Profites willen existieren; es gibt Musiken, die Geld kosten, bei denen bereits das Projekt nichts mit Profit zu tun hat. Kein Liberalismus wird diesen Unter­ schied auslöschen. M. Foucault: Ich habe den Eindruck, dass viele Elemente, deren Bestimmung es ist, Zugang zur Musik zu verschaffen, effektiv die Beziehung verarmen, die man zu ihr hat. Es gibt einen quantitati­ ven Mechanismus, der funktioniert. Eine gewisse Knappheit der Beziehung zur Musik könnte eine innere Bereitschaft des Hörens und gleichsam eine Anpassungsfähigkeit des Zuhörens bewahren. Je häufiger jedoch diese Beziehung ist (Radio, Schallplatten, Kas­ setten), desto mehr Vertrautheiten werden geschaffen und desto mehr Gewohnheiten bilden sich; das Häufigste wird zum An­ nehmbarsten und bald zu dem, was einzig angenommen wird. Es stellt sich eine »Bahnung« her, wie die Neurologen sagen wür­ den. Offensichtlich kommen die Gesetze des Marktes bei diesem simplen Mechanismus ungehindert zur Anwendung. Das, was

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man dem Publikum zur Verfügung stellt, ist das, was es hört. Und das, was es de facto zu hören bekommt, weil man es ihm eben vorsetzt, verstärkt einen bestimmten Geschmack, höhlt die Gren­ zen einer klar bestimmten Fähigkeit zuzuhören aus und umgrenzt mehr und mehr ein Hörschema. Man wird diese Erwartung halt befriedigen müssen, usw. So drohen die kommerzielle Produk­ tion, die Kritik, die Konzerte und alles das, was den Kontakt des Publikums zur Musik vermehrt, die Wahrnehmung des Neuen immer mehr zu erschweren. Selbstverständlich ist dieser Prozess nicht eindeutig. Und es ist auch gewiss, dass die wachsende Vertrautheit mit der Musik die Fähigkeit zu hören erweitert und Zugang zu möglichen Diffe­ renzierungen gibt, doch läuft dieses Phänomen Gefahr, nur am Rande zustande zu kommen; es kann jedenfalls sekundär bleiben gegenüber der großen Bestärkung des Erworbenen, wenn nicht überhaupt ein Bemühen da ist, die Vertrautheiten aus der Spur zu bringen. Ich bin selbstverständlich nicht für eine Verknappung der Be­ ziehung zur Musik, aber man muss schon verstehen, dass die Alltäglichkeit dieser Beziehung mit all den ökonomischen Interes­ sen, die damit verbunden sind, den paradoxen Effekt haben kann, die Tradition zu verhärten. Man muss nicht den Zugang zur Mu­ sik seltener machen, aber den ständigen Umgang mit ihr weniger den Gewohnheiten und den Vertrautheiten überlassen. R Boulez: Wir haben wohl nicht nur eine Polarisierung hin­ sichtlich der Vergangenheit zu beachten, sondern eben auch eine Polarisierung hinsichtlich der Vergangenheit in der Vergangen­ heit, was den Interpreten betrifft. Und entsprechend gerät man natürlich in Ekstase, wenn man die Interpretation irgendeines klassischen Werkes durch einen seit Jahrzehnten verschwundenen Interpreten hört; doch wird die Ekstase die Gipfel des Orgasmus erreichen, sobald man auf die Interpretation vom 20. Juli 1947 oder vom 30. Dezember 1938 Bezug nehmen kann. Man sieht, wie sich eine Pseudokultur des Dokuments abzeichnet, gegründet auf die vorzügliche Stunde und auf den verstrichenen Augenblick, der uns gleichzeitig die Hinfälligkeit und die Ewigkeit des un­ sterblich gewordenen Interpreten in Erinnerung ruft, der folglich mit der Unsterblichkeit des Meisterwerks rivalisiert. Die ganzen Mysterien um das Schweißtuch von Turin, die ganzen Mächte der

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modernen Zauberei, was möchten Sie mehr als Alibi für die Re­ produktion im Verhältnis zur aktuellen Produktion? Die Moder­ ne ist diese technische Überlegenheit, die wir gegenüber den frü­ heren Jahrhunderten besitzen, das Ereignis neu erschaffen zu können. Ach! Wenn wir doch die Erstaufführung der Neunten haben könnten, selbst - ja vor allem - mit all ihren Fehlern, oder wenn wir den köstlichen Unterschied zwischen der Prager Fas­ sung und der Wiener Fassung des Don Giovanni durch Mozart selbst erfahren könnten... Dieser historisierende Panzer erstickt diejenigen, die ihn sich anziehen, drückt sie in einer Luft ab­ schnürenden Erstarrung zusammen; die verbrauchte Luft, die sie atmen, schwächt ihren Organismus auf alle Zeiten im Verhältnis zum aktuellen Geschehen. Ich stelle mir den verwunschenen Fidelio vor, wie er in seinem Türm bleibt, oder ich denke auch an die Höhle Platons: eine Zivilisation des Dunkels und der Schatten. M. Foucault: Mit Sicherheit wird das Hören der Musik in dem Maße schwieriger, wie ihre Schrift sich von allem löst, was Sche­ mata, Signale und wahrnehmbare Verortung einer repetitiven Struktur sein kann. In der klassischen Musik gibt es eine gewisse Transparenz der Schrift für das Hören. Und obwohl so manches an der musikali­ schen Schrift bei Bach oder Beethoven für die Mehrzahl der Hö­ rer nicht erkennbar ist, gibt es immer noch anderes und Bedeu­ tendes, das ihnen zugänglich ist. Die zeitgenössische Musik indes m?cht, indem sie versucht, aus jedem ihrer Elemente ein einzig­ artiges Ereignis zu machen, jedes Erfassen oder jedes Erkennen durch den Hörer schwierig. P. Boulez: Ist da wirklich nur Nichtbeachtung, Gleichgültigkeit von Seiten des Hörers gegenüber der zeitgenössischen Musik? Sollten die Beschwerden, die man so häufig hört, nur der Faulheit, der Trägheit und dem Glück geschuldet sein, dass man auf be­ kanntem Terrain bleibt? Berg schrieb, es ist bereits ein halbes Jahrhundert her, einen Text mit dem Titel Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich f1Die Schwierigkeiten, die er damals beschrieb, sind fast genau dieselben wie diejenigen, von denen in unseren Tagen die Rede ist. Sollte es immer so gewesen sein? i [Berg, A., »Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich?«, in: Arnold Schönberg zum 30. Geburtstage. Sonderhefte der Musikblätter des Anbruch, Wien, 6 . Jg., August-September 1924, S. 329-341.]

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Wahrscheinlich stößt jede Neuheit auf eine Sensibilität, die mit ihr nicht vertraut ist. Doch ist anzunehmen, dass in unseren Tagen die Kommunikation zwischen Werk und Publikum sehr spezifische Schwierigkeiten aufweist. In der klassischen und der romanti­ schen Musik, der Hauptquelle des vertrauten Repertoires, gibt es Schemata, denen man gehorcht, denen man unabhängig vom Werk selbst folgen kann, oder vielmehr, die darzustellen das Werk verpflichtet ist. Die Sätze einer Symphonie sind in ihrer Form und in ihrem Charakter, ja sogar in ihrem Rhythmus festgelegt; sie sind verschieden voneinander, die meiste Zeit in der Tat durch einen Bruch getrennt, mitunter durch einen Übergang verbunden, den man wahrnehmen kann. Das Vokabular selbst beruht auf »klassifizierten« Akkorden, den gut-geheißenen: Sie brauchen sie nicht zu analysieren, um zu wissen, was sie sind und welche Funktion sie haben, sie haben die Wirksamkeit und die Sicherheit von Signalen; sie lassen sich von einem Stück zum anderen wie­ derfinden, indem sie stets dieselbe Erscheinung an- und dieselben Funktionen übernehmen. Nach und nach sind diese beruhigenden Elemente aus der »ernsten« Musik verschwunden; die Entwick­ lung ist in die Richtung einer immer radikaleren Erneuerung ebenso sehr in der Form der Werke wie in ihrer Sprache gegangen. Die Werke wurden mehr und mehr zu singulären Ereignissen, die gewiss ihre Vorläufer haben, die sich aber nicht auf irgendein a priori von allen anerkanntes Leitschema zurückführen lassen, was gewiss ein Handicap für das unmittelbare Verstehen darstellt. Es wird dem Zuhörer abverlangt, sich mit dem Gang des Werkes vertraut zu machen, und dafür muss er es einige Male hören; hat man sich mit dem Gang vertraut gemacht, können sich das Verstehen des Werkes und die Wahrnehmung dessen, was es ausdrücken will, auf geeignetem Terrain entfalten. Die Chancen wer­ den immer geringer, dass sich bereits bei der ersten Begegnung Wahrnehmung und Verstehen erhellen. Es kann spontane Zustim­ mung geben, aufgrund der Kraft der Botschaft, der Qualität der Schrift, der klanglichen Schönheit und der Lesbarkeit der Merk­ male, aber das tiefe Verstehen kann nur aus der Wiederholung der Lektüre, aus dem Nachvollzug des Gangs herrühren, und diese Wiederholung nimmt so den Platz des akzeptierten Schemas ein, so wie es früher praktiziert wurde. Die aus der so genannten ernsten Musik (einst nannte man sie

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»Kunstmusik«) entfernten Schemata - von Vokabular und Form haben sich in bestimmte populäre Formen, in die Objekte des musikalischen Konsums geflüchtet. Dort wird noch nach Gat­ tungen und nach anerkannten Typologien komponiert. Der Kon­ servativismus findet sich nicht zwangsläufig da, wo man ihn er­ wartet; es ist unbestreitbar, dass ein gewisser Form- und Sprachkonservativismus sämtlichen kommerziellen Produktionen zugrunde liegt, die mit großem Enthusiasmus von Generationen aufgenommen werden, die nichts weniger sein möchten als konser­ vativ. Es ist ein Paradox unserer Zeit, dass der gespielte oder gesun­ gene Protest in einer Form übermittelt wird, die überaus einfach zu vereinnahmen ist, was dann auch geschieht; der kommerzielle Er­ folg treibt den Protest aus. M. Foucault: Und was diesen Punkt angeht, gibt es vielleicht eine divergente Entwicklung von Musik und Malerei im 20. Jahr­ hundert. Die Malerei hatte seit Cézanne die Neigung, sich durch­ scheinend für den Akt des Malens selbst zu machen; dieser wurde entweder durch den Gebrauch elementarer Zeichen oder durch die Spuren seiner eigenen Dynamik im Bild sichtbar, nachdrück­ lich und endgültig gegenwärtig gemacht. Die zeitgenössische Mu­ sik bietet dagegen dem Hören nur die Außenseite ihrer Schrift an. Daher kommt dies irgendwie Schwierige und Gebieterische beim Hören dieser Musik. Daher rührt die Tatsache, dass jedes Hören sich als ein Ereignis darstellt, bei dem der Hörer zugegen ist und das er akzeptieren muss. Er hat nicht die Orientierungs­ marken, die es ihm erlauben, es zu erwarten und zu erkennen. Er hört, wie es zustande kommt. Und das ist eine sehr schwierige Weise von Aufmerksamkeit, die im Widerspruch steht zu den Vertrautheiten, die das wiederholte Hören der klassischen Musik webt. Die kulturelle Insellage der Musik von heute ist nicht einfach die Konsequenz einer Pädagogik oder einer mangelhaften Infor­ mation. Es wäre zu einfach, über die Konservatorien zu stöhnen oder sich über die Schallplattenverlage zu beklagen. Die Dinge sind ernster. Diese einzigartige Situation verdankt die zeitgenös­ sische Musik ihrer Schrift [écriture] selbst. In diesem Sinne ist sie gewollt. Es ist keine Musik, die vertraut sein möchte; das Schroffe an ihr soll gewahrt bleiben. Man kann sie zwar wiederholen; sie aber wiederholt sich nicht. In diesem Sinne kann man darauf nicht

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wie auf ein Objekt zurückkommen. Ihr Hereinbrechen geschieht stets an Grenzen. P Boulez: Ist die zeitgenössische Musik, da sie sich so als ewi­ ger Entdeckungssituation versteht - neue Bereiche der Sensibili­ tät, das Experimentieren mit neuen Materialien -, dazu verurteilt, ein Kamtschatka zu bleiben (Baudelaire, Sainte-Beuve, erinnern Sie sich?),2 der furchtlosen Neugier rarer Forschernaturen Vorbe­ halten? Bemerkenswert ist, dass die zurückhaltendsten Hörer die­ jenigen sind, die ihre musikalische Kultur ausschließlich in den Kaufhäusern der Vergangenheit, ja einer bestimmten Vergangen­ heit, erworben haben, und dass als die offensten - einfach nur, weil sie unwissender sind? - sich die Hörer erweisen, die ein nachhaltiges Interesse anderen Ausdrucksmitteln gegenüber zei­ gen: insbesondere den plastischen Künsten. Sind die »Fremden« aufnahmebereiter? Eine gefährliche Zustimmung, die darauf ab­ zielen würde zu beweisen, dass die aktuelle Musik sich von der »wahren« musikalischen Kultur ablösen würde, um einem weite­ ren und vageren Bereich anzugehören, in dem bei der Beurteilung wie der Machart der Dilettantismus maßgeblich wäre. Nennen Sie das bloß nicht mehr »Musik«, natürlich wollen wir Ihnen Ihr Spielzeug lassen; dafür ist eine andere Wertung zuständig, die nichts mit derjenigen zu tun hat, die wir der wahren Musik, der Musik der Meister, Vorbehalten. Dieses Argument ist gebracht worden, und es kommt in seiner arroganten Naivität einer unbe­ streitbaren Wahrheit nahe. Das Urteil und der Geschmack sind Gefangene von Kategorien, von prästabilierten Schemata, an die man sich hält, koste es, was es wolle. Nicht, wie man es uns glauben machen wollte, dass die Unterscheidung zwischen einer Aristokratie der Gefühle, einer Noblesse des Ausdrucks und ei­ nem auf einer experimentellen Basis beruhenden kühnen Künst­ lertum zu finden wäre: Denken gegen Werkzeug. Es handelt sich vielmehr um ein Hören, das man nicht modulieren oder an ver­ schiedene Weisen, die Musik zu erfinden, anpassen könnte. Ich werde gewiss keine Fürsprache für die Ökumene der Musikfor­ men halten, die mir geradezu eine Ästhetik des Supermarkts und 2 [Sainte-Beuve hatte anlässlich des Erscheinens der Poèmes en prose von Baudelaire 1862 als »äußerste Spitze des romantischen Kamtschatka [...] den Wahnsinn Baudelaire« bezeichnet; Artikel vom 20Januar 1863, in: Le Constitutionnel. A.d.Ü.]

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eine Demagogie zu sein scheint, die nicht wagt, ihren Namen zu nennen, und sich mit guten Absichten schmückt, um so besser das Elend ihrer Kompromisse zu verdecken. Ich weise auch nicht die Forderung nach Qualität im Ton wie in der Komposition zurück: Aggressivität und Provokation, Bastelei und das den Leuten in die Augen gestreute Puder sind nur magere und einfältige Palliative; ich weiß ganz und gar - aus vielfältigen Erfahrungen, wie sie zudem direkter nicht sein können -, dass jenseits einer bestimm­ ten Komplexität sich die Wahrnehmung orientierungslos in einem unentwirrbaren Chaos wiederfindet und sie dessen überdrüssig wird und aufgibt. Belassen wir es dabei, dass ich mir kritische Reaktionen bewahren kann und meine Zustimmung nicht auto­ matisch Folge der Tatsache der »Zeitgenossenschaft« selbst ist. Bestimmte Modulationen des Hörens kommen bereits, ziemlich mühsam im Übrigen, jenseits bestimmter historischer Abgren­ zungen zustande. Man hört die Barockmusik - vor allem die aus dem zweiten Regal - nicht so, wie man Wagner oder Strauss hört; man hört die Polyphonie der Ars Nova nicht, wie man Debussy oder Ravel hört. Doch wie viele Zuhörer sind in diesem letzten Fall bereit, ihre »Seinsweise«, musikalisch gesprochen, zu variie­ ren? Und dennoch genügt zur möglichen geistigen Erfassung der musikalischen Kultur, der ganzen musikalischen Kultur diese An­ passung an die Kriterien und die Konventionen, denen sich die Erfindung je nach dem Zeitpunkt der Geschichte, in der sie ihren Platz hat, unterwirft. Dieser weite Atem von Jahrhunderten steht im äußersten Gegensatz zu den asthmatischen Hüsteleien, die uns die Fanatiker phantomhafter Reflexe der Vergangenheit in einem trüben Spiegel zu Gehör bringen. Eine Kultur bildet sich, setzt sich fort und überträgt sich in einem Abenteuer mit zwei Gesich­ tern: mal ist es die Brutalität, die Bestreitung, der Tumult; mal die Meditation, die Gewaltlosigkeit, das Schweigen. Welche Form das Abenteuer auch annimmt - das überraschendste ist nicht immer das lauteste, aber das lauteste ist nicht unbedingt das oberfläch­ lichste -, es ist vergeblich, es zu ignorieren, und noch vergeblicher, es mit Beschlag zu belegen. Man dürfte gerade eben noch behaup­ ten können, dass es wahrscheinlich Perioden in der Spitze gibt, in denen die Koinzidenz mühsamer zustande kommt, in denen die­ ser Aspekt der Erfindung absolut aus dem herauszustechen scheint, was man tolerieren oder »vernünftig« absorbieren kann,

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und dass es andere Perioden gibt, in denen Wirkungen zustande kommen, die von einer unmittelbar zugänglicheren Art sind. Die Beziehungen zwischen all diesen - individuellen, kollektiven Phänomenen sind so komplex, dass es unmöglich ist, auf sie Pa­ rallelisierungen oder strenge Gruppenbildungen anzuwenden. Man wäre eher versucht zu sagen: Meine Herren, machen Sie Ihr Spiel und verlassen Sie sich für alles Weitere auf den »Zeit­ geist«! Doch um Gottes willen, spielen Sie, spielen Sie! Ansons­ ten: welch unendliche Absonderung von Langeweile! Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

334 Polen, und was danach? »La Pologne, et après?« (Gespräch mit E. Maire), in: Le Débat, Nr, 25, Mai 1983, S. 3-34. Zeitgleich protestierten auf Initiative von P. Bourdieu und M. Foucault Intellektuelle und die Confédération française démocratique du travail (C.F.D.T.) gegen die Erklärungen des französischen Außenministers, Claude Cheysson, denen zufolge die Einsetzung des Kriegsrechts in Po­ len am 13. Dezember 1981 bloß eine »innere Angelegenheit« für Polen sei. Am 22. Dezember trafen sie sich wieder, um gemeinsam ein Unterstüt­ zungskomitee für Solidarnosc zu schaffen, bei dem M. Foucault die Ver­ waltung der gesammelten Gelder übernahm. M. Foucault verlas zahlreiche Dokumente von der C.ED.T. und über sie und analysierte die mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit zeitgleich ein­ hergehende Krise der selbstbestimmten gewerkschaftlichen Organisation. Um dieses Gespräch vorzubereiten, traf er sich mit Pierre Rosanvallon, dem Leiter der Zeitschrift C.ED.T aujourd’hui, und Simon Nora, einem früheren Mitarbeiter von Pierre Mendès France. Diese von der Zeitschrift Le D ébat organisierte Diskussion war der Ausgangspunkt für das Werk La C.F.D.T. en questions (Paris 1984).

M. Foucault: Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen, weil ich befürchte, am Ende keine Gelegenheit mehr dazu zu haben, bereits zu Be­ ginn diese Frage stelle: Weshalb haben Sie eingewilligt, mit mir diesen Meinungsaustausch zu unternehmen?

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E. Maire:1 Seit sehr langer Zeit hat die C.F.D.T. versucht, ihre Reflexion durch eine Auseinandersetzung mit den Reflexionen zu bereichern, die völlig unabhängig von ihr eine gewisse Anzahl von Intellektuellen führten. Die in den letzten Jahren häufig gezogene Schlussfolgerung war die, dass das intellektuelle Milieu, das den Blick der C.F.D.T. ein­ nahm, sicherlich interessant, aber auch begrenzt war. Es handelte sich in der letzten Zeit oft um vom Kommunismus Enttäuschte. Eingeschlossen in diesem Enttäuschungszustand, hielten sie zu­ gleich an ihrer eigenen Suche fest und waren sich einer gewissen gesellschaftlichen Nützlichkeit bewusst, doch ohne mit uns in Kontakt oder in Diskussion zu treten, ohne direkten Bezug zu dem, was wir zu tun versuchten. Wir fanden das bedauerlich: Ich habe das in dem einen oder anderen Interview gesagt. Wir hofften auf diese Kontakte, aber liefen ihnen nicht nach. Das entscheidende Treffen, das Treffen, bei dem unsere Erwar­ tung, unsere Hoffnung eine feste Gestalt annahm, kam am 13. De­ zember 1981 zustande. Damals trat ein übereinstimmendes In­ teresse der C.F.D.T., aber auch einer gewissen Anzahl von Intellektuellen an dem hervor, was in Polen geschah und offen­ kundig einen großen Teil der Menschheit betraf. Wir haben uns ganz selbstverständlich zum Zeitpunkt des Staatsstreichs vom Dezember 1981 wiedergetroffen und waren uns gleichfalls der internationalen Bedeutung der Geschehnisse in Polen bewusst und waren in keiner Weise, das muss man sagen, mit den ersten Reaktionen der Staaten einverstanden, die unseres Staates darin inbegriffen: Der einzige Unterschied war, dass die C.F.D.T. sich weigerte, diese Konvergenz allein auf der Kritik an der Regierung zu gründen. Der springende Punkt in der Sache war für uns das gründliche Nachdenken über das, was in Polen geschah, über die Hilfe, die wir den Polen bringen würden, und den Druck, den wir auf die Regierungen würden ausüben können, doch darauf achtend, dass nicht die Haltung der französischen politischen Macht zur Ziel­ scheibe wurde, denn das hätte vom Grundproblem nur abgelenkt. Bei dieser Diskussion wurde deutlich, dass eine beträchtliche 1 [Damals Generalsekretär der C.F.D.T.]

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Zahl an Intellektuellen auf diese Ereignisse in einer Weise reagierte, die der der C.ED.T. so nahe war, dass es gar nicht anders sein konn­ te, als dass sie uns auch andere Dinge zu sagen hatten, die über das Geschehen in Polen hinausgingen. Gemeinsame Forschungs- und Reflexionsbereiche eröffneten sich und gestatteten es, eine strate­ gische Konvergenz für die Zukunft ins Auge zu fassen. Andererseits waren wir in eine Phase geraten, in der die Prob­ leme, die sich der Gewerkschaftsbewegung stellten, äußerst schwierig zu lösen waren. Wir erforschen und untersuchen auch weiterhin die tieferen Gründe für die Krise der Gewerkschafts­ bewegung bzw. ihren relativen Verlust an Einfluss. Wir brauchen andere erhellende Überlegungen und andere Beiträge als die un­ seren. Wir haben große Mühe, die gesamten Elemente für eine Antwort darauf bei uns selbst zu finden. Die Trennung zwischen »Reden und Taten«, die in unseren Augen so vielen politischen Herrschaftsformen, so vielen politischen oder gewerkschaftlichen Strömungen schadet, ist für uns unannehmbar. Wir verbinden Mittel und Zwecke, wir wollen Taten und Reden verbinden. Wir haben das Ziel, die Probleme der Gewerkschaftsbewegung zu lösen, und wir verspüren das Bedürfnis, in Kontakt zu treten und eine weitere und vielfältigere Reflexion in Gang zu bringen. Sie, Michel Foucault, waren - und das, obwohl vor der jetzigen Epoche die gewerkschaftliche Welt Sie ignorierte, und auch ich Sie nicht gelesen habe - nicht nur einer der Intellektuellen, die wir in dieser Zeit trafen, der die Initiative zu unserem Treffen ergriff, sondern auch derjenige, mit dem wir am häufigsten sprachen, da­ runter auch, als es konkret darum ging, sich an der Kontrollinstanz für die Verwendung der Hilfe für Solidarnosc zu beteiligen. Daher unser Wunsch, weiterzumachen... M. Foucault: Zwischen dieser Gruppierung und diesem univer­ sitären Wissen zum einen und diesem »äußeren« Bereich, mit dem man zum anderen in Beziehung stand, waren mehrere Vermittlun­ gen möglich. Die theoretische Vermittlung - und dies war für einen bedeutenden Teil und für eine große Zahl der Marxismus. Es gab auch die politische und organisatorische Vermittlung, zum Beispiel P.C.F. oder trotzkistische Bewegungen. Bei diesen beiden Formen von Vermittlung, getrennt oder verknüpft, ist bekannt, was daraus wurde. Der Algerienkrieg kam und machte deutlich, dass man nicht auf einen Vermittler noch auf eine Lehre, noch auf

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eine Partei hoffen durfte; man musste selbst einen Weg finden und unter Umständen selbst die Brücke bauen. Zwischen einem Den­ ken, einer Reflexion, einem Erkenntnismoment und der politi­ schen Wirklichkeit, mit der sie sich auseinander setzen mussten, war der Marxismus nichts Unumstößliches und waren die Par­ teien nichts unbedingt Notwendiges; es stand nicht einmal mehr die Frage im Raum - darin bestand der Unterschied zu den Existentialisten -, ob sie es sein konnten oder sollten. Das ergibt sich ganz zwanglos wie von selbst. Das hatte zahlreiche Kurzschließungen zur Folge, und das er­ laubte es, dass vieles in Frage gestellt wurde: Institutionen, Struk­ turen, Regeln und Gewohnheiten durch Analyse und Reflexion; Wissensformen und -inhalte durch Praktiken. Viele Arten zu den­ ken, viele Arten zu handeln, sich zu verhalten und zu sein haben sich geändert; und dies, während das politische Feld sich verfes­ tigte: Die politische Linke war gelähmt, die Rechte hielt die Macht und die Bühne besetzt. Was zwischen dieser intellektuellen und sozialen Bewegung einerseits und der sich neu organisierenden politischen Linken andererseits geschah - bzw. nicht geschah -, wäre genauer zu be­ trachten. Es ist zu vielfachen Verflechtungen zwischen verschie­ denen Dingen gekommen, Ideen wurden in Umlauf gebracht und Leute haben ihren Platz gewechselt. Das Überraschende jedoch ist, dass es niemals weder zu einer großen offenen Debatte noch zu einer wirklichen gemeinsamen Arbeit kam. An der Oberfläche des P.S. und der intellektuellen und sozialen Bewegungen, die sich »auf der Linken« entwickelten, passierte gleichsam nichts. So dass es, sowie eines der ersten großen Probleme auftauchte, weder Platz noch Möglichkeit gab, um mit »ihnen« zu sprechen. Das Problem war dann Polen: Was dort geschah, gab das Beispiel für eine Bewegung ab, die durch und durch eine gewerkschaftliche Bewegung war, deren sämtliche Aspekte aber, deren sämtliche Ak­ tionen, deren sämtliche Wirkungen politische Dimensionen hatten; was dort geschah, warf (warf von neuem, jedoch zum ersten Mal seit recht langer Zeit) das Problem Europas auf; und das war hier zugleich ein Test, um herauszufinden, wie groß das Gewicht der kommunistischen Präsenz in der Regierung sein konnte. Das Treffen mit der C.F.D.T. erfolgte ganz natürlich an dieser Stelle; Sie wissen das ja. Man »sucht« uns nicht; »das Bündnis« mit

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einer Hand voll Intellektueller war für Sie ohne strategischen Wert; und das Gewicht einer Gewerkschaft mit einer Million Mit­ glieder war für uns nicht unbedingt beruhigend. Wir haben uns an dieser selben Stelle wiedergetroffen, überrascht nur, dass es nicht eher dazu gekommen war: seit der Zeit, als gewisse Intellektuelle sich mit dieser Art von Problemen herumplagten, seit der Zeit, als die C.F.D.T. einer der Orte war, an dem die politische, ökonomi­ sche und soziale Reflexion am aktivsten war. M. Foucault: Wie definieren Sie die gewerkschaftliche Aktion, so wie Sie sie durchführen? E. Maire: Wir haben seit 1970 unsere gewerkschaftliche Aktion als eine Klassen- und Massenaktion definiert, womit wir ein Vo­ kabular übernehmen, das anfangs nicht das der C.F.T.C.2 war, der Gewerkschaft mit den konfessionellen Bezügen, aus der wir her­ vorgegangen sind. Bei der Wahl dieses Vokabulars war nicht aus­ reichend bedacht worden, jede Überlappung mit der kommunis­ tischen Auffassung vom Klassenkampf zu vermeiden. Später haben wir unsere Definitionen verfeinert. Zwei Ansätze erlauben es, die sozialen Klassen zu definieren: - Die eine geht von einer aktuellen Analyse der sozialen Spal­ tungen aus; - die andere geht von einer Analyse der Möglichkeiten zur Versammlung in der Aktion rund um das gemeinsame Projekt des Aufbaus einer selbstverwalteten Gesellschaft aus. Der erste Ansatz zielt auf die Definition von Kriterien ab, die es erlauben, die hauptsächlichen sozialen Spaltungen einzuordnen. Die Kriterien können rein ökonomisch sein (für den P.C. zum Beispiel definieren sich die Klassen zunächst nach ihrem in einem sehr strikten Sinne verstandenen Platz im Produktionsprozess). Aber dieser Ansatz muss, um der Wirklichkeit gerecht zu werden und um für die Ausrichtung des Kampfes nützlich zu sein, des­ gleichen weitere Kriterien festlegen. Der zweite Ansatz geht von einer geschichtlichen Wirklichkeit aus: Der Klassenkampf ist ein Kampf um die Macht. Die Spaltun­ gen treten dabei entsprechend den verschiedenen expliziten oder 2 [Confédération française des travailleurs chrétiens.']

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impliziten Gesellschaftsentwürfen hervor; sie spiegeln nur eine aktuelle Situation wider. Jeder Ansatz, der nicht die Verbindung zwischen diesen beiden Punkten herstellt, bleibt rein theoretisch und abstrakt. Eine Klasse kann nicht in idealer Weise in der Theorie existie­ ren. Sie muss einer erlebten Wirklichkeit entsprechen, selbst wenn dieses Gefühl nicht immer sehr klar ist. Sie muss einem gemein­ samen Bestreben entsprechen, selbst wenn es unterschiedliche Formen annimmt. Eine soziale Klasse definiert sich ebenso sehr vom Klassenbewusstsein und vom Klassenentwurf als auch von soziologischen Elementen her. In diesem Sinne ermöglicht die Vorgehensweise der C.F.D.T., die jede Blockierung durch fertig vorliegende abstrakte Schemata ab­ lehnt, die Einnahme einer offensiveren Einstellung. M. Foucault: Was verstehen Sie mit Rücksicht auf diese Defini­ tionen unter einer »Klassenaktion«? E. Maire: Die Klassenaktion ist für uns die Aktion all derer, die einerseits beherrscht, ausgebeutet oder entfremdet und anderer­ seits durch ein Projekt der Veränderung untereinander verbunden sind. Ausbeutung, Beherrschung und Entfremdung auf der einen, ein dynamisches Projekt der Veränderung auf der anderen Seite. Von diesem Standpunkt aus schätzen wir, dass wir eine Klassen­ gewerkschaft sind, einer Klasse, die beständig in Bewegung ist und deren Konturen nicht immer deutlich sind, da die Tatsache, dass sie für ein und dasselbe Projekt in Bewegung ist, sie perma­ nent verändert. M. Foucault: Welche Beziehung besteht zwischen Gewerk­ schaft und Klasse? Ist es eine Beziehung der Repräsentation (sie repräsentiert sie)? Eine der Instrumentalität (sie verwendet sie wie eine Waffe)? Eine der Dynamisierung (sie gibt ihr Selbstbewusst­ sein und eine Handlungsform)? E. Maire: Die Gewerkschaft ist das Instrument, das es dieser Klasse gestattet, ihr Projekt zu definieren und auf der Grundlage ihres Projektes zu handeln. Sie ist das Mittel zur Reflexion, für Vorschläge und zur Aktion, alles zugleich, dieser Klasse. M. Foucault: Steht diese Klasse gegenüber den anderen Elemen­ ten der Gesellschaft automatisch in einem Kampfverhältnis? E. Maire: Sie steht in einem Konfliktverhältnis oder Kampfver­ hältnis, wenn man diesen Ausdruck aufnehmen möchte.

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M. Foucault: Sie machen sich den Begriff Klassenkampf weiter­ hin zu Eigen? E. Maire: Das ist kein philosophischer Standpunkt: Das ist eine Feststellung, die wir jeden Tag in den Unternehmen, im normalen Leben machen! Innerhalb der C.F.D.T hat Paul Vignaux3 einerseits immer ge­ sagt, dass der Klassenkampf eine unumgängliche Wirklichkeit sei, andererseits, dass es nicht unser systematisches Prinzip ist, ihn bis zum Äußersten zu treiben, welches auch die Konsequenzen sein mögen. Für uns ist die Demokratie eine höhere Anforderung, die dem Klassenkampf seine Grenzen setzt und sich insbesondere da­ gegen verwahrt, dass dieser Kampf in der (wie es heißt, »vorläu­ figen«) Diktatur des Proletariats endet. Priorität ist für uns - und das gibt uns eine klare Position gegenüber dem Marxismus-Leni­ nismus, und wäre es nur in seiner praktischen Aktion - die voll­ ständige Zurückweisung jeder Diktatur, ob vorläufig oder nicht, und sämtlicher autoritärer Vorgehensweisen, selbst wenn ihr Ziel die gesellschaftliche Veränderung ist. M. Foucault: Gegenüber dem alten Dogma des Klassenkampfes stellt für Sie nicht der Konflikt selbst den eigentlichen Motor der Veränderung dar. Die Veränderung ist das Erste, und sie zieht eine bestimmte Anzahl von Konflikten nach sich. E. Maire: Man muss von einer Konzeption der einmaligen, my­ thischen und reduktiven gesellschaftlichen Frontstellung abkommen... M. Foucault: Einer frontalen Konzeption des Kampfes Klasse gegen Klasse. E. Maire: Das ist eine Konzeption, die man beinahe als »viril« im eigentlichen Sinne des Ausdrucks bezeichnen könnte. So wie jenes Plakat vom Mai 68, auf dem man eine aus Köpfen geformte Menge sieht und am Ende die über der Fabrik erhobene Faust. Diese erhobene Faust symbolisiert genau den Kampf, die kriege­ rische Art und Weise, den Kampf gegen einen Gegner zu führen. M. Foucault: Dieser Gegner, ist das ein Gesicht? E. Maire: Eines oder mehrere... Interessante Frage! Ich selbst 3 [Paul Vignaux (1904-1987), Historiker der mittelalterlichen Philosophie und Ge­ werkschaftler, bereitete die Abschaffung der konfessionellen Gebundenheit der C.F.D.T. 1964 vor.]

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ziehe es vor, »Klassenkampf« im Singular4 zu gebrauchen. Weil es der Kampf der Klasse ist, einer Kraft, die für ihre Emanzipation in Bewegung ist, die aber ihr gegenüber auf die Kräfte der Fabrik­ besitzer, aber auch auf bürokratische, aber auch auf technokrati­ sche, aber auch auf staatliche, aber auch auf kulturelle Kräfte stößt. Die Herrschaft wird in einer vielgestaltigen Weise ausgeübt. M. Foucault: Das ist auch der Eindruck, der sich aus meinen Lektüren ergab. Nur sagten Sie es eben noch klarer. Im Grunde gibt es für uns nur eine gewissermaßen positive Auffassung der »einzigen« Klasse, einer Versammlung, die gegen eine bestimmte Lage der Dinge, gegen Ausbeutung, Beherrschung und Entfrem­ dung ankämpft. Doch ihr gegenüber gibt es nicht eine andere Klasse, wie in der marxistischen Sichtweise, bei der einer als herr­ schend gegebenen Klasse gegenüber die andere sich in der Mühsal und im Kampf herausbilden muss. E. Maire: Ich bin unschlüssig, was das Vokabular angeht. Es gibt Kräfte, die die herrschenden Klassen (oder Gesamtheiten), die herrschenden Kulturen, die Institutionen repräsentieren... Muss man die Qualität dieser Kräfte zusammenfassen, indem man ihnen eine einzige Bedeutung, als Klasse, gibt? Das ist nicht selbstverständlich. M. Foucault: Es ist aber doch wichtig zu wissen, gegen was man kämpft, und gegen wen? E. Maire: Ja... Man kämpft gegen sämtliche Kräfte der Beherr­ schung. M. Foucault: Meine Frage ist keineswegs eine Falle, verstehen Sie. Mich überrascht, wenn man Ihre Analysen mit derjenigen vergleicht, die der traditionelle Marxismus hervorbringt, dass man deutlich sieht, dass Sie gegen jede Form von Beherrschung oder Ausbeutung kämpfen. Sie scheinen sich überhaupt nicht da­ mit zu befassen herauszubekommen, worin die gegnerische Klas­ se besteht, oder ob es sie überhaupt gibt, und was diese Kraft ist. E. Maire: Ich glaube, dass es ein Irrtum wäre, den Gegner zu vereinheitlichen. Das wäre künstlich. Denn der Gegner ist nicht einheitlich. Die Monarchie, selbst die Erbmonarchie, erlangt ihre Autorität über Gott. Der Kapitalismus ist auf dem Primat des Geldes und des Privateigentums gegründet. Der Stalinismus hul­ 4 [»Lutte de classe« statt dem gebräuchlichen »lutte des classes«. A.d.Ü.]

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digt der Allmacht der Partei. Die Technokrate richtet die Wissenschaft als Quelle der Macht auf. M. Foucault: Die Bourgeoisie... E. Maire: ... die Institution, die Technik-Struktur... Der Geg­ ner ist alles das... Muss man diese vielfältigen Kräfte der Beherr­ schung als »gegnerische Klassen« bezeichnen? Ich wäre versucht, Ja zu sagen. Doch unter der Bedingung, dass man im Sinn behält, dass sie zu jeder Zeit vielfältig sind. Zu sagen, es gäbe nur einen Gegner, führt zu Enttäuschungen: Sobald dieser eliminiert ist, wird man alsbald feststellen müssen, dass hinter ihm sich andere, nicht weniger zwingende Formen von Beherrschung zeigen. M. Foucault: Mit anderen Worten, die Einheit muss von der Gewerkschaft hergestellt werden, indem sie um sich herum durch ihre eigene Arbeit die Klasse ausbildet, die auf dem Weg zur Emanzipation ist. E. Maire: Das ist es. M. Foucault: Ich bin überrascht von der pädagogischen Dimen­ sion von allem, was Sie sagen... E. Maire: Wir haben in der C.F.D.T. einen sehr großen Anspruch für die Gewerkschaftsbewegung: Wir sind uns ihrer das gegen­ wärtige und zukünftige gesellschaftliche Leben betreffenden Ver­ antwortung bewusst, aber auch der Fähigkeit eines jeden und einer jeden, seine oder ihre Zukunft in die Hand zu nehmen, um seine oder ihre Probleme zu lösen und auf seine oder ihre unmittelbare Umgebung einzuwirken. Die gewerkschaftliche Aktion ist stets das Inbewegungsetzen von jemandem. Sie ist zunächst einmal das Wecken des Interesses, die Diskussion mit anderen, die gemeinsame Bestimmung einer gewissen Anzahl von Zielen. Sie ist das Element einer Dynamik, die zugleich die Entwicklung einer persönlichen Fähigkeit ist, sich mit anderen zu assoziieren, sich zu vergesellschaften. Eine sehr starke Fähigkeit zu individueller und kultureller Autonomie liegt darunter aus einer ganzen Reihe von Gründen verschüttet und begraben. Ist es die erste Funktion gewerkschaftlicher Aktivisten, Lösun­ gen beizubringen? Diejenigen, die sie vorschlagen, bringen stets auf unvollkommene und unzureichende Weise die Wege zum Ausdruck, die einzuschlagen sind, um die Strukturen und die Ver­ haltensweisen zu ändern. Die erste Vorgehensweise ist also, die

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Fähigkeit zur Selbstbestimmung aller zu erwecken und zu ent­ wickeln. Daraus ergibt sich die treibende Rolle der Pädagogik, die die Art und Weise ist, die Möglichkeiten eines jeden zu wecken, sie hervortreten und zum Ausdruck kommen zu lassen. M. Foucault: Wo sind die Grenzen zwischen dem Gewerk­ schaftlichen, dem Politischen und dem Ökonomischen? Sie wis­ sen es genau: Wenn Edmond Maire spricht, als Gewerkschaftler selbstverständlich, hat das, was er sagt, eine politische Dimension und wird zu einem politischen Ereignis. Der Generalsekretär der Sozialistischen Partei mag noch so sehr versichern - was betrüb­ lich ist -, dass ein Gewerkschaftler nicht über ein ökonomisches Programm sprechen könnte, da er kein Spezialist sei; dennoch wird Ihre Wortmeldung als ein politisches Ereignis wahrgenom­ men. E. Maire: Die Gründe, derentwegen der Funktionär [respon­ sable] Edmond Maire heute mehr gehört wird als vor einigen Jahren, können mit der Erfahrung oder, wenn man so will, mit der Bekanntheit Zusammenhängen. Aber das ist ein sekundärer Aspekt. In Wirklichkeit ist die gesamte Konzeption, die die C.F.D.T als Organisation von der Gewerkschaftsbewegung hat, daran beteiligt. Die Frage, die Sie mir stellen, hat eine aktuelle Bedeutung. Es ist nicht nur Jospin,5 der nicht zulässt, dass eine Gewerkschaft derartige Verantwortungen [responsabilités] übernimmt, sondern auch Bergeron,6 für den die C.F.D.T. eine »Gewerkschaftspartei«, also keine wirkliche Gewerkschaft ist. Um gar nicht erst von der C.G.T.7 zu sprechen... Was also heute zur Diskussion steht und noch immer schockiert, ist die C.F.D.T.-Auffassung von der Ver­ antwortung der Gewerkschaftsbewegung, eine ehrgeizige Auffas­ sung, die in diesem Land nicht die Mehrheit hat. Wir vermengen keineswegs unsere Rolle mit der der Parteien. Wir glauben sogar, dass die Funktionen der Parteien und der Ge­ werkschaften radikal verschieden sind. 5 [Lionel Jospin, seinerzeit Generalsekretär der Sozialistischen Partei.] 6 [André Bergeron, seinerzeit Generalsekretär des aus einer Spaltung innerhalb der C.G.T. 15)46-1947 entstandenen Gewerkschaftsbündnisses Force ouvrière (F.O.).] 7 [C.G.T.: die 1895 geschaffene Confédération générale du travail, des bis 1968 einflussreichsten Gewerkschaftsbündnisses, dessen Kader oft der Kommunisti­ schen Partei entstammten.]

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Die Konturen der Politik werden mit Bezug auf die politischen Kräfte definiert, das heißt, sie beruhen zuallererst auf der Wäh­ lerschaft. Nun hat aber die Wählerschaft der Mehrheit Eigen­ schaften, die nicht dieselben sind wie die der gewerkschaftlichen Wählerschaft, oder genauer der Kräfte, die die Gewerkschaftsbe­ wegung repräsentieren will. Insbesondere die andere Lohnarbei­ terschaft, die der kleinen Unternehmen, die der Mindestlohnemp­ fänger, die Lohnarbeiter, die keine Vertragsmacht haben und die sehr stark Gefahr laufen, dass sie, wenn die politische Entschei­ dung Gestalt annimmt, marginalisiert werden. Unser eigenstes Projekt ist es, die beiden Teile der Lohnarbeiter­ schaft zu solidarisieren bzw. in der politischen Entscheidung die Berücksichtigung der Elemente zu organisieren oder zu wahren, die diese Entscheidung zu opfern droht. Ist das nicht die Ausübung einer rein gewerkschaftlichen Funktion, wenn man die Leute ver­ teidigt, die das am nötigsten brauchen? Die politische Verkramp­ fung, die wir provozieren, ist nicht nur eine theoretische Ver­ krampfung hinsichtlich der Rolle der Gewerkschaft. Sie kommt zustande, weil wir in der Tat heikle Probleme aufwerfen... Deshalb auch möchte ich überhaupt nicht ironisieren. Wir rufen der politischen Mehrheit das schärfste Problem in Erinnerung: In einer Wirtschaft mit sehr schwachem Wachstum ziehen die neuen Errungenschaften der einen sehr oft den Verlust der Errungen­ schaften der anderen nach sich. Da die - starke - Basis, die sich auf Seiten der Mehrheit ausdrückt, eher aus sozialen Gruppierun­ gen besteht, die Absicherungen haben, aus den Mittelschichten, muss man sie, streng genommen, dazu auffordern, sich zugunsten derjenigen ins Zeug zu legen, die diese Absicherungen nicht haben. Ich habe mich in diesem Sinne etwas ungeschickt, vielleicht etwas heftig, aber mit viel Respekt vor denen eingesetzt, die sich mit den Schwierigkeiten der öffentlichen Verwaltung herumschlagen, und habe dabei gesagt, dass es nicht darum geht zu verblüffen, sondern die Aufmerksamkeit auf diese Art Probleme zu lenken.8 8

[E. Maire hatte auf dem Kongress der C.F.D.T. vom Mai 1982 in Metz, dessen Losungen »Wahrheit, Strenge, Ehrgeiz« lauteten, die Utopien des Gemeinsamen Programms der Linken aufgezeigt und dabei zu einem »Sozialismus der Anstren­ gung und der Solidarität« aufgerufen. Die C.F.D.T. hatte am 2 3 . März 1983 den damals von der Regierung Pierre Mauroy verabschiedeten Notfallplan unter­ stützt.]

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Wir haben überhaupt nicht den Ehrgeiz, uns an die Stelle der Inhaber der politischen Entscheidung zu setzen. Das allgemeine Wahlrecht bleibt die höchste Gewährleistung einer Demokratie. Wir suchen keine anderen Vertretungsmodi. Sondern wir haben die Hoffnung, dass die politische Macht in ihren letzten Entschei­ dungen den Meinungsstrom zur Kenntnis nehmen wird, den wir erschaffen können, weil sie selbst ein Projekt hat, das zu dem unsrigen nicht in einem Gegensatz steht. M. Foucault: Es geht offenkundig nicht darum, die gewerk­ schaftliche Funktion an die Stelle der politischen Funktion zu setzen, sondern die Ausfälle oder das Schweigen der Politik durch das Gewerkschaftliche zu beheben. Die Regierung und die Par­ teien an der Macht haben es einfach unterlassen, die Wahrheit zu sagen, das Problem deutlich zu machen, die Schwierigkeiten zu benennen, die uns erwarten. Wenn sie es getan hätten, dann hätten Sie zufrieden sagen können: »Wir möchten, von unserem Stand­ punkt als Gewerkschaftler aus, dieses oder jenes.« Ihr Diskurs wäre gewissermaßen der Diskurs eines Gewerkschaftlers geblie­ ben. Sie finden sich jetzt mit der im öffentlichen Leben sehr wich­ tigen Funktion des wahr sprechenden Menschen betraut! E. Maire: Ich habe stets geschätzt, dass die Botschaft von Mendès France nicht ausschließlich für die politische Klasse bestimmt war. Die Methode des Mendèsismus bestand darin, die öffentliche Meinung aufzunehmen, damit sie direkt an der Suche nach Lö­ sungen beteiligt ist... Das war gewissermaßen eine gewerkschaft­ liche Herangehensweise. M. Foucault: Kann man darin eine der permanenten Funktio­ nen der C.F.D.T. sehen: was ich die »direkte Übertragung« der öffentlichen Meinung in eine Sache von allgemeinem Interesse nennen würde? Womit die Gewerkschaft etwas anderes machen würde als ihre Mandanten zu verteidigen, selbst wenn sie diese Übertragung vom Gesichtspunkt ihrer Mandanten aus durchfüh­ ren kann. Eine politische Ordnungsfunktion, denn es ist im all­ gemeinen Interesse der Wahrheit, die zu sagen die Politik weder die Fähigkeit noch den Mut hat. E. Maire: Ein Gewerkschaftler, der einer Arbeiterbewegung an­ gehört, von der sich ein Teil der Politik untergeordnet hat, hat stets eine gewisse Scham, das Wort »Politik« zu verwenden, um

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das zu definieren, was er tut. Warum sollte sich im Grunde dieses Wort »Politik« aufdrängen? Wir befinden uns eindeutig in einer Kultur, in der das Politische für ehrwürdiger gehalten wird als das Gewerkschaftliche! Politische Funktion aus Berufung oder gewerkschaftliche Funktion im wahrsten Sinne des Wortes? Die Gewerkschaftsbe­ wegung hat eine globale Vision. Wir lassen nicht zu, dass es eine höhere Aufgabe gibt als die unsere. Die anderen sind einfach nur verschieden... M. Foucault: Wir sind damit im Zentrum einer äußerst wichti­ gen Frage. Denn diese Funktion, die Sie übernehmen, und die Sie von der F.O. ebenso wie von der C.G.T. unterscheidet, erzeugt Spannungen mit jedem politischen Apparat... Würden Sie es akzeptieren, wenn man sagen würde, dass unter den aktuellen Umständen die durch die Ausübung dieser gewerk­ schaftlichen Funktion des »Wahr-sagens« im allgemeinen Interes­ se hervorgerufene Spannung sich zwangsläufig beständig verstär­ ken wird? E. Maire: Ich hoffe, nicht. Was die Aktivisten der C.F.D.T. be­ sonders wünschen, ist ein größeres Verständnis der politischen Entscheidungsträger. Ein gestärktes Interesse an der Ausdrucks­ freiheit der Gewerkschaftler um einer permanenten Suche willen. Das Akzeptieren einer positiven Synthese. Ich denke, dass wir aktuell eine Recyclingperiode durchleben, deren Ausgang mir noch nicht festzustehen scheint. Die Neuan­ passung der Vorgehensweise der Sozialisten ist noch lange nicht abgeschlossen. Unser Wille ist es, die Konvergenz mit den Sozia­ listen an der Macht anzustreben, und nicht, in eine direkte und harte Konfrontation mit ihnen einzutreten. M. Foucault: Ruft nicht die Krise eine Umgestaltung des ge­ werkschaftlichen Aktivismus hervor? Der Gewerkschaftler unter­ scheidet sich stark vom Politiker. Dessen Leidenschaft für die Macht steht im Gegensatz zu einer persönlichen, ethischen Ver­ haltensregel beim anderen - einer wesentlichen, ich würde sogar sagen, konstitutiven Verhaltensregel des gewerkschaftlichen Ak­ tivisten. War es so, und wird es immer noch genau so sein? E. Maire: Es hat einen Wechsel im persönlichen Verhalten ge­ geben, nicht in der Ethik. Der gewerkschaftliche Aktivist, so wie Sie ihn beschreiben, ist noch sehr häufig der Gewerkschaftsfunk-

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tionär von heute. Aber dieser Gewerkschaftsfunktionär ~ und das ist eine der Ursachen für unsere internen Schwierigkeiten - spürt, dass bereits seine jungen Kameraden nicht mehr so leben wie er, und dass dies vielleicht gar nicht mal so schlecht ist! Ich spreche von den Funktionären, denn das kommt bei jemandem, der sein Leben in der Gewerkschaftsbewegung verbringt, deutlicher he­ raus als bei einem Aktivisten. Doch in beiden Fällen stellen wir heute eine Entwicklung des Aktivismus fest, der nicht mehr allein der Gewerkschaftsbewegung geweiht ist. Das mindert nicht die ethische Anforderung, sondern verändert die Formen der persön­ lichen Ausfüllung. Nunmehr gehen viele junge Leute davon aus, dass ihr Leben als Paar, ihre erzieherische Funktion gegenüber ihren Kindern und ihre kulturelle Aktivität genauso wichtig sind wie ihre gewerk­ schaftliche Aktivität, und dass das eine nicht dem anderen ge­ opfert werden muss, dass das eine das andere bereichert. Ich er­ innere mich, dass ich als junger Funktionär von einem Soziologen befragt wurde, der, nachdem er Dutzende von C.F.D.T.-Aktivisten gesehen hatte, mich wie alle anderen fragte: »Wenn Sie zwischen Ihrem Familienleben und Ihrem gewerkschaftlichen Leben zu wählen hätten, was würden Sie dann wählen?« Ich antwortete ihm, ohne zu zögern: »Das gewerkschaftliche Leben.« Woraufhin mich der Forscher darauf aufmerksam machte, dass unter all de­ nen, die er befragt hatte, ich als Einziger es gewagt hatte, ihm eine solche Antwort zu geben, dass aber faktisch die meisten dieselbe Wahl trafen. Würde ich heute dieselbe Antwort geben? Das Leben hat sich geändert. Meine Sicht der Dinge auch. Im Lauf dieser letzten zwanzig Jahre habe ich zumindest das eine gelernt: dass eine vielfältige Beschäftigung, die sowohl die aktive Gewerkschaftsarbeit als auch das Kultur- und Gefühlsleben umfasst, wahrscheinlich für alle bereichernder ist - und auch an­ deren mehr Lust vermittelt, sich an gewerkschaftlichen Aktivitä­ ten zu beteiligen - als eine vollständige und alleinige Beschäfti­ gung in der Gewerkschaftsbewegung. M. Foucault: Sie haben die Strategie gewechselt, aber Sie ver­ folgen dasselbe Ziel... Da ist allerdings diese große Sache der Umwandlung der C.F.T.C. in die C.F.D.T. Sie haben zu diesem Zweck festgestellt, dass sich der Bereich des Glaubens nicht mit dem Bereich des Politischen deckte, und dass man diese Art ge-

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werkschaftlicher Aktion vollkommen ohne irgendeine Bezugnah­ me auf Enzykliken entwickeln konnte... E. Maire: In der C.F.D.T. weiß man wirklich nicht, wer den Glauben hat und wer ihn nicht hat. Wer gläubig ist und wer es nicht ist! M. Foucault: Ist diese Ethik des Aktivisten, die Sie gerade er­ wähnten (das Familienleben als Bestandteil einer Vervollkomm­ nung des Aktivismus), nicht von Christentum durchtränkt? Auf welchen persönlichen Wert beziehen Sie sich? E. Maire: Das ist eine sehr schwierige Frage... M. Foucault: Eine indiskrete? E. Maire: Überhaupt nicht. Ich habe kein metaphysisches Prob­ lem. Ich habe dieses Glück, eine sehr offene katholische Ausbil­ dung erhalten, mein Leben als junger Erwachsener als Katholik gelebt und in meiner gewerkschaftlichen Tätigkeit einen Nutzen, eine Entfaltung und eine vitale Fülle gefunden zu haben, die jede andere Art von Beunruhigung oder Angst beseitigt haben. Mer­ ken Sie sich, dass ich damit nicht einen Ausnahmefall beschreibe. Mein Fall ist recht allgemein, und nicht nur in meiner Generation, sondern auch nicht gerade selten bei denen, die älter sind als ich. Worauf geht das Bedürfnis zu handeln zurück? Es gibt Leute, die ein Bewusstsein davon haben, dass sie beherrscht werden, die spüren, dass man noch kämpfen müsste, aber die sich dennoch nicht dafür entscheiden. Weshalb beginnt man zu handeln? Wel­ che Lust verspürt man? Die Lust ist schließlich ziemlich wichtig im Leben. M. Foucault: Es gibt eine Ethik der Lust. Und sie muss man achten. E. Maire: Ich habe mich sehr schwer damit getan zu akzeptie­ ren, ein Funktionär zu sein. Ich war sehr gut in meinem Unter­ nehmen. Ich hatte eine Arbeit, die interessant war. Ich war Che­ mietechniker, und ich war außerdem ein gewerkschaftlicher Aktivist. Beides zusammen gab mir ein sehr erfülltes Leben. Es war perfekt. Funktionär zu werden ließ mich befürchten, dass ich mich in einen Bürokraten verwandeln würde. Würde ich nicht vom Lohn­ arbeitermilieu abgeschnitten werden? Sechs Monate später sagte ich zu meinen früheren Kameraden, dass ich entdeckt hätte, was das Vollzeitleben eines Gewerkschaftlers sei, dass das unheimlich

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interessant sei, und dass ich nichts bereuen würde. Davon bin ich nicht abgerückt. Meine tiefe Motivation? Für mich ist es die des Ausbilders. Was mich stets, ständig interessiert, ist das Erwecken zum Bewusst­ sein, das Verstehen der Wirklichkeiten, die Enthüllung, selbst in ein wenig provozierenden Formen, der maskierten Wirklichkeit. Zu sehen, wie jemand vorankommt, in seinem Handeln, in seiner Fähigkeit Fortschritte macht. Sich mit anderen zusammenzutun, zu diskutieren und zu handeln. Der Hauptmotor meines Han­ delns ist, glaube ich, die Pädagogik. M. Foucault: Schauen wir uns eine zweifach paradoxe Situation an: - auf der einen Seite eine tiefe Krise, die nicht nur keine inner­ organisatorische Reaktion hervorruft, sondern zum »Niedergang der Gewerkschaftsbewegung« beiträgt; - auf der anderen Seite eine Ergreifung der Macht durch die Linke, die im Gegensatz zu unserer geschichtlichen Überlieferung und im Gegensatz zu dem, was Sie erwarteten, wie ich annehme, mit keiner sozialen Bewegung einhergeht. Wie interpretieren Sie diese Phänomene? E. Maire: Die Tendenz zum Niedergang der Gewerkschaftsbe­ wegung oder genauer das heute zu beobachtende sinkende Inte­ resse an der Gewerkschaftsbewegung ist nichts für Frankreich Eigentümliches. Sie betrifft sogar Länder wie die Bundesrepublik Deutschland und Belgien, in denen die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft materielle Vorteile bringt. Um uns auf die französische Gesellschaft zu beschränken, stel­ len wir eine Art Rückzug aus allen Institutionen, eine Tendenz zur Schwächung des Einflusses aller großen kollektiven Bewegungen Jugendbewegungen, Parteien oder Gewerkschaften - fest. Ist das allein den furchtbaren Sackgassen geschuldet, in denen die eigen­ ständigen revolutionären Projekte in den Ländern des Ostern ver­ sandet sind? Wohl schon, dennoch muss man sich davor hüten, diese Gesamtheit an Phänomenen auf eine einzige Ursache zu­ rückzuführen. Offenkundig ist, dass die soziale Nahgruppe zum hauptsächlichen Bezugsband wird, und das zum Schaden der glo­ balen Vision einer geeinten und solidarischen Arbeiterklasse. Andererseits haben wir es mit einer Gewerkschaftsbewegung auf der Basis von qualifizierten Industriearbeitern, von Funktio­

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nären und von Männern zu tun. Die Entwicklung des tertiären Sektors in der Gesellschaft macht jetzt den traditionellen An­ spruch der französischen Gewerkschaftsbewegung zur Makula­ tur, allein die Gesamtheit der Lohnarbeiterschaft zu repräsentie­ ren und die Handlungsorientierungen für die Gesamtheit der Lohnarbeiterschaft zu bestimmen, deren industrielle Komponen­ te nur noch eine Minderheit darstellt. Diese Tradition schreibt Handlungs-, Ausdrucks- und Vereinigungsformen fort, die an den Praktiken junger Menschen und noch mehr an denen von Frauen und selbst an den Gesamtsektoren der Lohnarbeiterschaft, die andere Modi des kollektiven Lebens benötigen, eher Vorbei­ gehen. Ich denke an die Beschäftigten im Bereich Hotel-CaféRestaurant zum Beispiel oder an die Arbeiter in der Landwirt­ schaft. Es gibt eine doppelte Unangemessenheit: sowohl auf der kol­ lektiven Ebene als auch auf der individuellen Ebene. Zum einen haben sich entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung die Bestrebungen verändert und beträchtlich bereichert. Zum anderen ist klar, dass unsere Gewerkschaftsbewegung auf den kollektiven Erwartungen der Lohnarbeiter und viel weniger auf den indivi­ duellen Erwartungen aufgebaut ist. Wir sind in einer Phase, in der wir gewahr werden, dass die individuellen Anliegen der Männer und Frauen einen immer bedeutenderen Platz einnehmen. Das ist der Grund, weshalb die einzig um kollektive Absicherungen he­ rum aufgebaute Gewerkschaftsbewegung diesen neuen Erwartun­ gen schlecht entspricht. Es gibt eine permanente Auseinandersetzung - darin einge­ schlossen aktuell in der C.F.D.T. - zwischen dem so genannten »vereinheitlichenden« Anspruch, der oft reduzierend und unan­ gemessen auf die Verschiedenartigkeit der Situationen reagiert, und dem diversifizierten Anspruch, der wiederum eine Atomisie­ rung der Aktion, ja ihren Verlust hervorbringen kann. Meinem Verständnis nach können angemessene Ansprüche nur diversifi­ ziert sein. Aber es ist unerlässlich, dass sie durch ein gemeinsames Projekt und über gemeinsame Achsen ausgerichtet werden. Das gesellschaftliche Projekt schafft die Einheit. Diese Bestrebungen, die sich in individualisierten Formen ausdrücken, lassen sich nicht leicht auf der Stufe einer Kollektivität im Ganzen vereinheitlichen und erhalten heute eine solche Bedeutung, dass die gewerkschaft­

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liehe Aktion, wenn sie dem nicht entspricht, blass aussieht, um einen in einem unserer nationalen Büros gehörten Ausdruck auf­ zunehmen ... Nehmen Sie zum Beispiel das Problem der Verteilung der Zeit, das von der Gewerkschaftsbewegung stets als eines formuliert wurde, das kollektive Lösungen verlangt, ein und dieselbe Ar­ beitszeit für alle, auch wenn aufgrund von nächtlicher Beschäfti­ gung und Teamarbeit einige Anpassungen vorzunehmen sind. Heute haben die jungen Leute und die Frauen, aber auch die nicht ganz so Jungen und immer mehr Männer den Wunsch nach einer flexibleren, variableren Arbeitszeit, welche Perspektiven für die Weiterbildung und das lebenslange Lernen oder für diversifizierte Freizeiten eröffnet, verschieden von einem Individuum zum an­ deren, je nach Lebensalter, Region oder Tradition. Bestrebungen, denen zu genügen die Gewerkschaftsbewegung schlecht vorbe­ reitet ist. Das große Problem, das sich der gewerkschaftlichen Aktion stellt, ist letztlich, dass der Tausch Lebensniveau (Steigerung der direkten Kaufkraft) gegen Produktivität, diese Verbindung, die, wie es uns die C.F.D.T.-Ökonomen sagen, der Nachkriegsperiode ihre ganze Dynamik verlieh, aufgrund der Krise nicht mehr funk­ tioniert. Obgleich antikapitalistisch aus Prinzip, gestanden es die Gewerkschaften seit langem zu, dass die Steigerung des direkten Lohnes die Steigerung der Produktivität kompensierte, und dass dies noch nicht die Vernachlässigung der Mission der Gewerk­ schaftsbewegung bedeutete, sondern vielmehr die Anerkennung, dass die Gesellschaft sich auf diese Weise entwickelt. Doch dieser Mechanismus funktioniert aufgrund der Blockierung des Wachs­ tums nicht mehr. So lässt sich die Krise unserer Gewerkschaftsbewegung in ihre Einzelteile zerlegen: soziologisch unangepasst; einer wachsenden Institutionalisierung anheim gefallen; wenig imstande, die soziale Passivität zu erschüttern, und noch von den Handlungsmodellen bewegt, in denen die Starken die Schwachen mitziehen, wo doch bei Nullwachstum die Fortschritte der einen die Rückschläge für die anderen nach sich ziehen; gezeichnet von der Erschöpfung einer auf den Tausch zwischen Steigerung der Kaufkraft und Stei­ gerung der Produktivität gegründeten sozialen Dynamik. Eine neue Dynamik ist zu suchen, die über eine nahezu ausschließlich

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auf die kollektiven Erwartungen und nicht auf die individuellen Bestrebungen ausgerichtete Praxis wird hinausgehen müssen. M. Foucault: Steigert diese Krise Ihr Interesse an den neuen sozialen Bewegungen - der Frauen, der autonomen Gruppen, der Jugendlichen? E. Maire: Die neuen sozialen Bewegungen haben für uns den außerordentlichen Nutzen gehabt, uns zu zwingen, die Augen für Bestrebungen zu öffnen, die, so stark sie auch sein mögen, von einer gewerkschaftlichen Kollektivität nicht spontan aufgenom­ men werden. Eine mehrheitlich maskuline Gewerkschaft wird die feminine Forderung nicht spontan aufnehmen. Eine mehrheitlich indust­ rielle Gewerkschaft wird die ökologische Forderung nicht spon­ tan aufnehmen, wenn sie bestimmte Formen der Industrie in Fra­ ge stellt. Und eine in die französische Tradition eingebundene zentralisierte Gewerkschaftsbewegung wird auch nicht die De­ zentralisierungsbestrebungen integrieren. Die Gewerkschaftsbe­ wegung findet sich nicht spontan als geeint vor, auf dass sie die Regionalisierung und Dezentralisierung vorantreiben kann: Es gibt stets Widerstände. Doch die neuen sozialen Bewegungen haben die Möglichkeit neuartiger Gruppenbildungen und sozialer Mobilisierungen über Themen aufgezeigt, die wir noch nicht so richtig auf der Rech­ nung haben. Auf diese Weise angestachelt, haben wir den An­ spruch, uns an diesen Kämpfen zu beteiligen, ohne zu beanspru­ chen, uns an die Stelle solcher Bewegungen zu setzen, die ihre eigene Aktion durchführen müssen. Es gibt keinen Grund für die Annahme, die Gleichheit von Frauen und Männern sei kein zentrales Anliegen der gewerk­ schaftlichen Bewegung: In Wirklichkeit ist sie wichtiger als die Steigerung der Löhne für die Gesamtheit der Arbeiter. Die Bewahrung der natürlichen Räume, der Gestaltung des Territoriums und eine mit der Diversifizierung der Energiequellen verbundene ökonomische Sicherheit haben die C.F.D.T. zu Alter­ nativvorschlägen in Sachen Energiepolitik veranlasst. Zwar erken­ nen wir die Unerlässlichkeit eines gewissen Anteils von aus Kern­ energie gewonnener Elektrizität an, doch zugleich müssen wir in eine Zukunft vorausblicken, die nicht die endlose Entwicklung allein der Kernenergie verfolgt, mit ihren unausweichlichen nega-

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tiven Folgen nicht nur für die Ökonomie, sondern auch für un­ seren Gesellschaftstyp (Sicherheitsobsessionen und Zwänge, aus­ geübt von den großen Apparaten). So ist es unser Anspruch, dass es gelingt, alles das, was es an Positivem in der gewerkschaftlichen Tradition gibt, mit all dem zu verschweißen, was an den neuen Bestrebungs- und Handlungs­ formen heute positiv erscheint. M. Foucault: Zwingt nicht die Krise zu einer Revision der Ziele und der Handlungsweisen? Wenn es seit dreißig Jahren in einer Periode kontinuierlichen und relativ raschen Wachstums um den Preis einer ziemlich hohen, aber alles in allem annehmbaren Inflationsrate eine allgemeine Hebung der Kaufkraft aufgrund der Dynamik bestimmter, beson­ ders produktiver Sektoren gab und der gesamte Gesellschaftskör­ per davon profitierte, so ist das dem in gewisser Weise universalisierenden Handeln der Gewerkschaftsbewegung zu verdanken. Im aktuellen Kontext eines langsamen oder Nullwachstums und internationaler Zwänge droht dieser Mechanismus, der auch für ein Eingreifen der Gewerkschaften sorgt - gewissermaßen auf An­ forderung -, eine immer stärkere Inflation und ein immer stärker unumkehrbares Ungleichgewicht der äußeren Gleichgewichte und als Konsequenz daraus eine Verschärfung der Arbeitslosigkeit her­ vorzubringen. Mit anderen Worten, läuft die Art Aktion, die die Gewerkschaften während der letzten dreißig Jahre durchführen körnten und die positive soziale und ökonomische Effekte hatte, jetzt nicht Gefahr, negative ökonomische Effekte und sogar nega­ tive soziale Effekte zu produzieren? Gehören Sie folglich zu den Verursachern von Arbeitslosigkeit? Doch, noch grundsätzlicher, behält die Gewerkschaftsbewegung ihre traditionelle Daseinsbe­ rechtigung? Haben die Gewerkschaften in einer Gesellschaft, in der die ökonomische Entwicklung der Tendenz nach zwei Bevölkerungs­ schichten trennt - die eine mit fester und integrierter Arbeit, die andere mit wechselnder und unsicherer Arbeit -, nicht die Wir­ kung, eine Zäsur zwischen denen, die geschützt sind, und denen, die es nicht sind, zu vertiefen? E. Maire: Dieses Auseinanderbrechen der Lohnarbeiterschaft hat die C.ED.T. zu Recht dazu gebracht, für sich den großen Ehr­ geiz zu formulieren, neue Solidaritäten zu schaffen: zwischen Ar-

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beitenden und Arbeitslosen durch Teilung der Arbeit; zwischen abgesicherten Arbeitern und nicht abgesicherten Arbeitern, wobei dem Kampf gegen die Unsicherheit und für die Aufwertung und die Verallgemeinerung kollektiver Branchenkonventionen der Vorrang eingeräumt wird; zwischen Männern und Frauen durch die Aktion für die Gleichheit im Beruf bei Qualifikationen und Löhnen, und zwischen entwickelten Ländern und armen Ländern im Sinne der Mitentwicklung. Doch unsere Handlungsmodi selbst müssen verändert werden. Das ist einer der Gründe, warum wir, wenn wir heute von sozialer Mobilisierung sprechen, annehmen, dass das Wichtigste die Mo­ difizierung des Bildes ist, das die Aktivisten davon haben, bzw. der Praxis bzw. der automatischen Reflexe, die dies bei den Ak­ tivisten erzeugt. In der Situation, in der wir sind, glauben wir, dass die drei großen, nach dem Sieg9 vom Mai 1981 verabschiedeten Struktur­ reformen - die Dezentralisierung, die Nationalisierungen und die neuen Rechte der Arbeiter10 - Gefahr laufen, toter Buchstabe zu bleiben, wenn es keine soziale Mobilisierung gibt. Zum Beispiel muss man, um die Nationalisierungen zu vergesellschaften, anstatt ihre Verstaatlichung zuzulassen, dafür sorgen, dass die Lohnarbei­ ter, ausgehend von der Dienststelle, der Werkstatt oder dem Büro, die Fähigkeit haben, sich in die vertraglichen Beziehungen mit der Leitung ihrer Einrichtung einzumischen, um die Entwicklung des nationalisierten Unternehmens zu vergesellschaften. Bei der Dezentralisierung muss die gewerkschaftliche Aktion dafür sorgen, dass man nicht nur einer Machtübertragung von der nationalen Ebene auf regionale oder lokale Größen beiwohnt, sondern dass die Einmischung sozialer und ökonomischer Kräfte auf regionaler oder lokaler Ebene ermutigt wird. Ansonsten wird der Bruch zwischen dem ökonomischen Leben und dem Leben der lokalen öffentlichen Kollektivität aufrechterhalten. Bei den neuen Rechten der Arbeiter muss die Mobilisierung für uns dafür sorgen, dass in der maximalen Anzahl von Unternehmen die Lohnarbeiter sich direkt ausdrücken können, ohne durch die Hie­ rarchie gezwungen oder von gewerkschaftlichen Funktionären abhängig zu sein. 9 [Dem Sieg von F. Mitterrand.] 10 [Insbesondere die Auroux-Gesetze.]

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Wir glauben andererseits, dass die geschützten Sektoren Anfor­ derungen ökonomischer und sozialer Effizienz in der Produkti­ vität und Rentabilität öffentlicher Investitionen unterworfen wer­ den müssen, wodurch sie der Situation angenähert werden, die für die Gesamtheit der anderen Sektoren der Ökonomie gilt. Es ist nicht zulässig, dass man, weil es im industriellen Sektor Kunden gibt, die man nicht dazu bringen kann, über einen be­ stimmten Preis hinaus zu zahlen, zur Fünfunddreißigstundenwoche übergeht, ohne die Kaufkraft einer gewissen Anzahl von Lohnarbeitern aufrechterhalten zu können, während man im öf­ fentlichen, von den Steuerzahlern unterhaltenen Sektor zur Fünfunddreißigstundenwoche übergeht, ohne dass das irgendeine Fol­ ge für die Lohnarbeitersituation hat. Diese Harmonisierung der kollektiven und ökonomischen Zwänge muss unseres Erachtens heute ein wesentliches Thema der kollektiven Diskussion sein. M. Foucault: Wie kann konkret die gewerkschaftliche Aktion aus den alten Formen des Forderns herauskommen, und wie lässt sie sich den Erfordernissen der Situation anpassen? Wie kann man ihr wieder einen Zugriff auf die kollektive Bewegung verschaffen, so wie Sie sie skizzieren? E. Maire: Die Formen gewerkschaftlicher Aktion stehen eben­ falls in Frage. Wenn die Aktivisten von Mobilisierung sprechen, denken sie noch zumeist an den Streik und an die Demonstration auf der Straße, das heißt an exzeptionelle Aktionsarten, die sich zudem nur in bestimmten Tätigkeitssektoren und bestimmten Unternehmen durchführen lassen. Die zu erfindende soziale Mo­ bilisierung muss einen ganz anderen Anspruch ausdrücken. Nicht nur die Verweigerung, sondern den Vorschlag und besser noch die Erprobung. Unser tägliches Bemühen geht dahin, die unmittelbarste For­ derung mit dem globalen Projekt zu verbinden. Gibt es irgendwo schlechte Arbeitsbedingungen? Es geht nicht darum, eine Prämie zu verlangen, sondern zusammen mit denjenigen, die sich mit gleichartigen Arbeitsbedingungen auskennen - Ergonomen, So­ ziologen, Arbeitsmediziner -, zu überlegen, was man tun kann, um diese Arbeit zu verändern. Das heißt eine Forderung aufzu­ bauen, die durchaus dem spezifischen Anliegen und dem allge­ meinen Projekt entspricht. Diese permanente Verbindung - For­

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dern und Zielen auf Veränderung - ist das beste Mittel, das Pro­ jekt der C.F.D.T. voranzubringen. Ihre Fortschritte im Laufe der Jahre hat die C.F.D.T. diesem Anspruch und dieser Herangehens­ weise zu verdanken. Die Qualität der Aktion, der Art der Diskus­ sion und der Art der Forderung, ihre Verbindung mit einer ge­ wissen kollektiven Zukunftsvision, diese autonome Fähigkeit, ihre Verantwortung zu übernehmen, um ihre Forderungen zu entwickeln, haben die Ablösung der C.F.D.T. von der C.G.T. pro­ voziert, bei der auch weiterhin der Zugewinn an Lohn der End­ zweck jeder Forderung ist. M. Foucault: Durch all das wurden Sie dazu gebracht, Ihre Ak­ tion auf die gesamte Gesellschaft auszuweiten. Sie gehen in die Richtung einer Gewerkschaftsbewegung für die Gesellschaft. Trägt das nicht dazu bei, dass Ihnen ein ernstes Problem entsteht? Sie vertreten partikulare Interessen, die Interessen einer Fraktion der Lohnarbeiter, und Ihre Gedanken kreisen um die weltweite Gesellschaft. Sie wagen sich auf ein Gebiet vor, das normalerweise das einer politischen Partei ist, ohne dass Sie wie diese der Kon­ trolle durch das Wahlrecht des Volkes unterworfen sind. Stellt sich für eine Kraft, die demokratisch und selbstverwaltend sein will, diese Frage nicht? Wird so nicht auf antidemokratische Art ein ultrademokratisches Projekt vorangebracht? E. Maire: Auch wenn unser Projekt einer Reduktion der Ab­ stände zwischen den sozialen Gruppen und den Bürgern wirklich fundamental demokratisch ist, vergessen wir nicht, dass die zu ver­ wendenden Mittel stets die Oppositionen berücksichtigen müssen, auf die wir stoßen. So kommt man um den Markt nicht herum. Ohne dass der gesellschaftlichen Nachfrage die Freiheit des Aus­ drucks über den Markt gewährt wird - selbst wenn dieser Aus­ druck unvollkommen ist -, läuft jede soziale Bewegung Gefahr, die Kollektivität dorthin mitzureißen, wo sie gar nicht hin will. Nehmen wir das Beispiel einer derzeitigen großen Auseinan­ dersetzung. Es ist nunmehr klar, dass unser soziales Schutzsystem in eine permanente, strukturelle Sackgasse geraten ist, seitdem der Rhythmus der Ausgaben schneller als der nationale Reichtum steigt. Ausgehend von dieser Feststellung hat unser letzter Kon­ gress bekräftigt, dass die Priorität für die C.F.D.T. nicht in der Steigerung der direkten Kaufkraft, sondern im Anwachsen des kollektiven Konsums und damit im indirekten Vorgriff auf die

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Kaufkraft besteht. Diese Option unserer höchsten Instanz ent­ spricht ganz eindeutig dem Empfinden der Aktivisten. Es ist aller­ dings wichtig, dass jeweils nicht der Mehrheitsstandpunkt der C.F.D.T. die Entscheidung fällt, sondern dass die beteiligten Indi­ viduen ebenfalls ihre eigene Meinung ausdrücken können. M. Foucault: Stellt das nicht eine Entwicklung der gewerk­ schaftlichen Funktion dar? Kann man nicht sagen, dass die Ge­ werkschaft, die vor allem ein Forderungsinstrument oder ein In­ strument zur Vereinheitlichung der Forderungen war, jetzt zu einem Kommunikations- und Schlichtungsinstrument zwischen den unterschiedlichen Willen zur Selbstbestimmung der Indivi­ duen und der Gruppen werden könnte? E. Maire: Was die Kommunikation angeht, bin ich völlig ein­ verstanden. Aber über die Bedeutung des Wortes »Schlichtung« [arbitrage] müsste man sich verständigen. M. Foucault: Schlichtung im Innern von sich selbst, um sich anschließend in eine Verhandlung zu integrieren, in der es Schlich­ tung geben wird. E. Maire: In dem Maße, wie die Entwicklung dieser ganzen letzten Jahre in Frankreich die nationalen Verhandlungen zwi­ schen den Berufsgruppen und jetzt mit der neuen Mehrheit die Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Linksre­ gierung vervielfacht hat, hat die dezentralisierte Verhandlung an Boden verloren, und die Gewerkschaftsbewegung institutionali­ siert und spezialisiert sich in den Abwägungen auf nationaler Ebene, die nicht mehr die unerlässlichen Anpassungen auf Bran­ chen- oder Unternehmens-, auf Gruppen- oder Berufsklassenebe­ ne gestatten. Wir spüren das mehr und mehr. Für den öffentlichen Sektor bestehen wir darauf, um die Praxis der öffentlichen Funktion so zu verändern, dass es nicht eine ein­ zige Verhandlung über alle Probleme für die einige Millionen Be­ amten gibt, sondern eine Diversifizierung der Verhandlungen, in­ dem genau spezifiziert wird, dass alles das, was auf lokaler Ebene und auf der Ebene der Verwaltungen verhandelt werden kann, auch verhandelt werden muss, und dass es einfach nur das gemein­ same Minimum für die öffentliche Funktion ist, die auf genau dieser Ebene verhandelt werden muss, weil nämlich die Tatsache, dass alles auf einen einzigen Diskussions- und Vertragsort zurück­ geführt wird, eine Verarmung des gesellschaftlichen Lebens, der

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Berücksichtigung der Bedürfnisse und der Bestrebungen der Leu­ te hervorruft. Das ist eine Schwächung der Gewerkschaftsbewe­ gung, so wie wir sie verstehen, und das ist eine Falle. M. Foucault: Wir halten uns nicht mit dem Zerfall der marxisti­ schen Ideologie und der von ihr eingeführten Aktionsformen auf. Aber sind Sie nicht auch vom Niedergang des Wohlfahrtsstaates überrascht? E. Maire: Eine Frage, die sich im gewerkschaftlichen Milieu nur schwer anbringen lässt! Man beschäftigt sich darin nicht gern mit den Ungerechtigkeiten, den Ungleichheiten und den Grenzen des Systems der Sozialversicherung. Die gleichsam einhellige Reak­ tion der Aktivisten ist von einer äußersten Rigidität, was die ak­ tuellen Formen des sozialen Schutzsystems und was die aktuellen Formen der »Wohlfahrt« angeht. Wie kann man aus dieser Rigidität herauskommen? Man muss sich an die strukturellen Sackgassen heranwagen; man muss an­ passen, verändern, ganz gewiss diversifizieren, den Leuten näher kommen, andere Formen finden... Doch die Erwartung - und die Notwendigkeit - eines Umverteilungssystems wird groß bleiben. Ich denke weiterhin, dass der soziale Schutz durch solidarische soziale Organisationsformen erfolgt. Auf jeden Fall neu zu den­ ken ist ihr Verhältnis zum Staat - der sie nicht vollständig be­ stimmen und verwalten darf. M. Foucault: Was Sie zu der in unserer Gesellschaft beobachte­ ten Spaltung zwischen dem geschützten Sektor und dem unge­ schützten Sektor zurückführt, eine Spaltung, deren Anklage eine der großen Achsen des Denkens der C.F.D.T. ist. Besteht nicht eine der neuen Aufgaben der gewerkschaftlichen Aktion darin, diese Zäsur zwischen den beiden Sektoren zu redu­ zieren? Wenn man von einem ungeschützten Sektor spricht, legt man die Betonung auf die Lage der Arbeitermigranten, ihren spe­ zifischen Charakter und die dazu gehörenden Bedingungen... E. Maire: Nicht erst seit heute wissen wir, dass die Tatsache der Einbindung von Arbeitermigranten in die industrielle Fließband­ arbeit bei ihnen eine noch stärkere Frustration hervorruft als bei den französischen Arbeitern. Wie lässt sich das erklären? Geht man von der sozialen Reproduktion aus, dann hatte der europäische Fließbandarbeiter sehr häufig einen Vater oder Groß­ vater, der selbst ein nicht qualifizierter Arbeiter, ein Handlanger

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war. Daraus ergeben sich auf den ersten Blick überraschende Re­ flexionen. Es ist mir im Laufe meines Gewerkschaftlerlebens passiert, dass ich zu Aktivisten, die in diesem oder jenem Bereich der chemischen Industrie zu einer von der Hygiene oder Gesund­ heit her unangenehmen Tätigkeit gezwungen waren, sagte: »Du machst eine dreckige Arbeit« und damit eine empörte Reaktion auslöste: »Es gibt keine dreckige Arbeit. Es gibt nur Arbeit.« Was bedeutet: Ich habe meinen Platz in der Gesellschaft. Zieht das nicht in den Dreck, was ich tue und was vor mir mein Vater getan hat... Man kennt ja auch den Stolz der Bergarbeiter. Diese Arbei­ ter haben die Tatsache, dass sie zu dieser Arbeit gezwungen sind und dass sie damit ihr Leben zubringen werden, verinnerlicht und finden darin eine Würde; es verleiht ihnen einen bestimmten Wert. Der Gastarbeiter wiederum stammt nicht aus einer industriel­ len Kultur. Er weiß nicht, ob er für kurze Zeit zu dieser unange­ nehmen Arbeit gezwungen sein wird oder nicht bzw. ob er über­ haupt in Frankreich bleiben wird. So kommt er von einem Tag auf den anderen mit einer Arbeit am Fließband in Berührung, und obwohl diese Mühsal mehr oder weniger durch eine Entlohnung ausgeglichen wird, die wesentlich höher ist als diejenige, die er im eigenen Land erreichen konnte, und die es ihm erlaubt, zu leben und ein wenig Geld seiner Familie zu schicken, hat das bei ihm eine äußerst negative Reaktion. Wie kann man derartige Arbeits­ bedingungen akzeptieren? Erlegt man ihm diese Prüfung nicht genau deshalb auf, weil er kein Franzose ist? Der ungeheure Dienst, den uns die Gastarbeiter der Automo­ bilindustrie soeben geleistet haben, besteht zuvorderst darin, dass sie die französische Gesellschaft und als Erstes die französischen Facharbeiter daran erinnert haben, dass die Fließbandarbeit ver­ stümmelnd ist. Wenn die Linke ein Projekt für den Wechsel in Frankreich hat, dann müsste sie sich als Erstes diesem Punkt zu­ wenden. Doch weshalb kommt es seit einem Jahr zur Entwicklung die­ ser negativen Reaktion der Einwanderer auf das Fließband? Zu­ nächst einmal, weil es eine Tendenz von ihrer Seite gibt, länger in Frankreich zu bleiben, ob sie wollen oder nicht. Sie fühlen sich folglich für lange Zeit an diese unannehmbare Arbeit gekettet. Andererseits wurde der bleierne Mantel, der auf ihren Schultern lastete, seit achtzehn Monaten gelockert, wenn auch nicht ganz

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entfernt. Dass ihre Situation auf eine gesetzlich geregelte Grund­ lage gestellt wurde, wovon sie profitierten, und was von einem psychologischen und kollektiven Standpunkt aus wichtig, ein wirklicher Gewinn an Freiheit war, ermöglichte einen stärkeren Ausdruck ihrer Frustration als Fließbandarbeiter. Ich will nicht sagen, dass zu diesen Elementen sozialer Verbit­ terung nicht auch noch religiöse Faktoren hinzukommen. Die Ausweitung des Freiheitsraumes, in dem die Einwanderer leben, führt dazu, dass sie sich heute auf allen Ebenen auszudrücken wünschen, die Ebene des religiösen Bewusstseins inbegriffen. Doch gleichzeitig stellt sich, dieses Mal im französischen Arbei­ termilieu, das schwierige Problem der Akzeptanz einer Kultur, die sich von ihrer eigenen sehr stark unterscheidet. Daher ein gewisser Kulturschock, dessen Auswirkungen man gegenwärtig zu sehen bekommt. Alle Verantwortlichen, wir unter anderen, müssen dabei helfen, dass sich diese Konfliktrisiken in Richtung einer positiven Auseinandersetzung, einer kulturellen Bereicherung entwickeln. Die Marginalisierung und die Isolierung des Immi­ grantenmilieus wären gefährlich für alle, für die Immigranten selbst, aber auch für die französischen Arbeiter. M. Foucault: Verspüren Sie nicht den Mangel und folglich das Bedürfnis nach so etwas wie, grob gesagt, einem theoretischen Bezugsrahmen? Es gab eine Zeit, in der die C.F.T.C. sich pflichtmäßig auf die Enzykliken bezog. Sie haben einen langen Weg hinter sich ge­ bracht. Danach haben Sie einen weiteren langen Kampf geführt, um sich von einem bestimmten marxistischen Schema zu lösen, das Ihre Klassenaktion ein wenig durchtränkte oder einfärbte. Schließlich nahmen Sie um die fünfziger Jahre herum mutig auf Begriffe Bezug, die sich mehr oder weniger direkt vom travaillis­ me nach Bevan herleiten ließen. Wie verhält es sich heute damit? E. Maire: Die Geschichte unseres Aufbaus, des aktuellen Zu­ standes unserer Theorien, unserer Ideen, ist eine durch Auseinan­ dersetzungen mit äußeren Beiträgen geschaffene Geschichte, die nicht aufgehört haben, und von denen ich hoffe, dass sie auch in nächster Zukunft nicht beendet werden. Die Auseinandersetzung mit dem Marxismus war zu dem einen oder anderen Zeitpunkt notwendig. Wenn einige von uns dem Schwindel der Sicherheitspolitik und der marxistischen Ökono­

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mie über einige Jahre aufgesessen waren, so ist das Teil unserer Erfahrung; auf diese Weise häuft man eine Erfahrung an und baut man eine Geschichte auf. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist es auch zu einer Auseinandersetzung mit der Biologie gekommen. Die Beiträge von Laborit waren in der C.F.D.T. von Nutzen.11 Darüber wurde diskutiert, wie auch über weitere philosophische, soziologische oder wissenschaftliche Beiträge. Braucht eine Gewerkschaft eine Lehre? Das Wort »Lehre« scheint mir nicht angebracht; es lässt zu sehr Rigidität anklingen, beschwört die Gefahr des Dogmatismus herauf. Ich ziehe es vor, von Ideologie zu sprechen, das heißt von einem synthetischen Denken im Verhältnis zu unserem Handeln, unserer Analyse des Terrains, die aus unserem Willen zur Auseinandersetzung mit äußeren Beiträgen entstandene Bereicherung, die Bewegung der Ideen, die Beiträge der Intellektuellen und der anderen, fran­ zösischen und ausländischen, gesellschaftlichen Akteure. Wir ha­ ben also unsere theoretischen Bezugselemente und wissen auch, dass sie permanent zu verbessern sind. Doch wenn es darauf ankommt, ein »theoretisches Korpus« darzustellen, dann denken wir, dass es uns zukommt, unsere ei­ genen Begriffe zu erschaffen. Diese autonome Ausarbeitung, die jede Entlehnung aus bereitstehenden Denkmodellen von außen zurückweist, die nicht zuvor unserer Kritik, unserer Reinterpretation unterworfen wurden, hat allerdings eine Grenze: die Gren­ ze der Achtung vor den innersten Überzeugungen unserer Mit­ glieder, was den persönlichen Sinn angeht, den sie ihrem Leben geben wollen. Unser theoretisches Korpus ist unsere Identität. Mit drei gro­ ßen Polen: einer politischen Kultur, einer Konzeption der Ver­ änderung der gesellschaftlichen Beziehungen, und einem An­ spruch, die Art der Entwicklung zu verändern - das heißt die Art der Produktion, der Konsumtion und der Austauschbezie11 Henri Laborit, ein für seine Arbeiten über das Chlorpromazin, den ersten, unter dem Namen Largactil kommerzialisierten Tranquilizer, bekannter Chirurg und Neurologe. Für ihn hängt die gesamte Pathologie von der Hemmung der Hand­ lung durch die gesamten »erworbenen und in die Geschichte unserer Nerven eingetragenen« Automatismen ab: »Die Dementen bekommen keinen Krebs.« Seine Arbeiten haben den Film von Alain Resnais Mon oncle d ’Amérique [Mein Onkel aus Amerika] (1980) inspiriert.

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hungen. Und das Ganze nicht ausgehend von einer normativen Vision der Bedürfnisse, sondern indem es einem jeden erlaubt, sich auszudrücken, Kritik anzubringen und über die Zukunft der Arbeit und der Gesellschaft nachzudenken. Unser theoretisches Korpus ist unsere Analyse. Es ist die des Kampfes gegen die Ausbeutung, die Beherrschung und die Ent­ fremdung, wobei jedem dieser drei Termini ein Autonomiespiel­ raum gegenüber den zwei anderen zuerkannt wird und man im Lichte der antikapitalistischen Revolutionen annimmt, dass der Herrschaftsbegriff durch eine ganze Strömung der Arbeiterbewe­ gung erbärmlich vernachlässigt wurde. Unsere dringendste intellektuelle Beschäftigung betrifft die Be­ ziehungen zwischen der sozialen Bewegung und dem Staat, das Hervortreten der gesellschaftlichen Kräfte in einer bewussten Ak­ tion für die ökonomische, soziale und politische Veränderung, die Chancen und die Risiken, die offenen Wege und die Sackgassen eines gewerkschaftlichen Projekts, das ausgehend von der kollek­ tiven Aktion die Forderung und die Ziele zur Verwandlung der Gesellschaft verbindet. M. Foucault: Was tun Sie zum Beispiel für die Ausbildung der Aktivisten? E. Maire: Was wir tun, ähnelt nicht dem, was zu Beginn der C.F.D.T. Reconstruction12 erfüllte. Doch eine Tradition besteht fort, die es unbedingt zu bewahren und wieder zu beleben gilt. Unsere Zeitschrift C.F.D.T. aujourd'hui spielt eine Rolle, die wich­ tig wird, um die interne und mitunter externe Reflexion zu beför­ dern. Dann gibt es das, was man die Écoles normales ouvrières nennt, die allgemein durch unsere Regionalversammlungen während ei­ ner Woche einmal im Jahr organisiert werden, und die die Funk­ tionäre mit von außerhalb stammenden Diskutanten zusammen­ bringen. Über ein vom Gewerkschaftsbund vorbereitetes Thema, aber mit viel Freiheit für jeden, was die Organisation angeht. Die Methodologie wird gemeinschaftlich entwickelt: Und anschlie­ ßend wendet man sich an die Außenwelt. Es gibt alsdann eine Vielfalt verschiedenartiger Initiativen: ent­ weder von Organisationen der C.F.D.T., die direkt äußere Beiträge12 12 [Zeitschrift der Minderheiten der

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die die

C.F.D.T.

vorbereiteten.]

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dass die Kontemplation sei­ ner selbst es erlaubtydie Dunkelheit in sich seihst zu zerstreuen und Zugang zur Wahrheit zu erlangen, bereits bei Platon vorhanden? - Ich glaube, dass die platonische Kontemplation der Seele durch sich selbst - die ihr Zugang zum Sein und zu den ewigen Wahr­ heiten zugleich gewährt - sehr verschieden von der Ausübung ist, durch die man in einer Praxis stoischer Art zum Beispiel versucht, sich wieder an das zu erinnern, was man über den Tag gemacht hat, an die Verhaltensregeln, an die man sich hätte erinnern müs­ sen, an die Ereignisse, von denen man sich unabhängig fühlen muss, usw. Selbstverständlich müsste man das alles genauer erfas­ sen; es gab Überlappungen, Überkreuzungen. Die »Selbsttechno­ logie« ist ein sehr großer, sehr komplexer Bereich, dessen Ge­ schichte zu schreiben wäre. - Es ist ein Gemeinplatz der Literaturwissenschaften zu behaup­ ten, Montaigne habe als erster Schriftsteller die Autobiographie erfunden, und dennoch scheinen Sie das Schreiben über sich auf viel fernere Quellen zurückgehen zu lassem

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- Mir scheint, dass in der religiösen Krise des 16. Jahrhunderts und mit der Infragestellung der Praktiken der katholischen Pas­ toral - neue Modi einer Selbstbeziehung entwickelt wurden. Man kann die Reaktivierung einer gewissen Anzahl von Praktiken der Stoiker der Antike beobachten. Zum Beispiel scheint mir das Ver­ ständnis von Selbstprüfungen dem thematisch nahe, was man un­ ter den Stoikern finden kann, für die die Selbsterfahrung nicht diese Entdeckung einer in einem selbst vergrabenen Wahrheit, sondern ein Versuch ist, das zu bestimmen, was man mit der Frei­ heit, über die man verfügt, tun kann und was man nicht tun kann. Sowohl bei den Katholiken als auch bei den Protestanten kann man die Reaktivierung dieser alten Techniken, die die Form christlicher spiritueller Praktiken annehmen, konstatieren. Es wäre interessant, einen systematischen Vergleich zwischen den im katholischen oder reformierten Milieu praktizierten spiri­ tuellen Übungen und denen durchzuführen, die in der Antike in Gebrauch sein konnten. Ich denke dabei an ein bestimmtes Bei­ spiel. In einem seiner Gespräche empfiehlt Epiktet, eine Art »Spa­ ziergang-Meditation« zu praktizieren. Wenn man die Straße auf und ab geht, kommt es darauf an, bei jedem Gegenstand oder jeder Person, auf die man stößt, sich selbst daraufhin zu prüfen, ob man beeindruckt ist, ob man sich erregen lässt, ob man durch die Stärke eines Konsuls oder die Schönheit einer Frau in seiner Seele erschüttert ist. Nun finden Sie zwar in der katholischen Spiritualität des 17. Jahrhunderts ebenfalls Übungen dieser Art: spazieren gehen, die Augen um sich herum offen halten; aber es geht nicht darum, die Souveränität zu erproben, die man über sich ausübt; man kann darin eher die Allmacht Gottes erkennen, die Souveränität, die er über alle Dinge und über jede Seele ausübt. - Also spielt der Diskurs eine wichtige Rolle, steht aber stets an­ deren Praktiken zu Diensten, sogar in der Selbstkonstitution. ■- Mir scheint, dass man nichts von dieser ganzen so genannten »Ich«-Literatur - intime Tagebücher, Selbsterzählungen usw. begreifen kann, wenn man sie nicht in den allgemeinen und sehr reichhaltigen Rahmen der Selbstpraktiken zurückstellt. Die Leute schreiben seit zweitausend Jahren über sich selbst, aber offenkun­ dig nicht in derselben Weise. Ich habe den Eindruck - vielleicht

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habe ich Unrecht -, dass es eine gewisse Neigung gibt, die Bezie­ hung zwischen Schrift und Selbsterzählung als ein spezifisches Phänomen der europäischen Moderne darzustellen. Folglich ist es nicht zufrieden stellend zu behaupten, dass das Subjekt in ei­ nem symbolischen System konstituiert wird. Es wird in wirk­ lichen Praktiken - historisch analysierbaren Praktiken - konsti­ tuiert. Es gibt eine Technologie der Selbstkonstitution, die die symbolischen Systeme zugleich verwendet und durchkreuzt. Das Subjekt wird nicht nur im Spiel der Symbole konstituiert. - Wenn die Selbstanalyse eine kulturelle Erfindung ist, warum erscheint sie uns dann so natürlich und so angenehm? - Zunächst einmal sehe ich nicht ein, warum eine »kulturelle Er­ findung« nicht »angenehm« sein soll. Die Lust an sich kann wie die Lust an der Musik vollkommen eine kulturelle Form annehmen. Und man muss schon verstehen, dass es sich dabei um etwas han­ delt, das sich deutlich von dem unterscheidet, was man Eigennutz oder Egoismus nennt. Es wäre interessant zu sehen, wie im 18. und im 19. Jahrhundert eine ganze Moral des »Eigennutzes« in der bürgerlichen Klasse ausgedacht und eingeprägt wird - im Gegen­ satz zweifellos zu jenen anderen Künsten seiner selbst, die man in den künstlerisch-kritischen Milieus finden konnte; und das künst­ lerische »Leben«, der »Dandyismus« stellten weitere Ästhetiken der Existenz dar, die im Gegensatz zu den Selbsttechniken standen, die charakteristisch für die bürgerliche Kultur waren. - Gehen wir zur Geschichte des modernen Subjekts weiter. Als Allererstes, ist die klassische Selbstkultur vollständig verloren ge­ gangen oder ist sie im Gegenteil von den christlichen Techniken einverleibt und umgestaltet worden? - Ich denke nicht, dass die Selbstkultur verschlungen oder dass sie erstickt wurde. Man findet zahlreiche Elemente wieder, die ganz einfach vom Christentum integriert, verschoben und neu verwendet wurden. Seit der Zeit ihrer Übernahme durch das Christentum wurde die Selbstkultur in dem Maße in den Dienst der Ausübung einer pastoralen Macht gestellt, wie die epimeleia heautou im Wesentlichen zur epimeleia ton allon - Sorge um die

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anderen - wurde, was die Arbeit des Seelsorgers war. Doch sowie das Heil des Individuums - zumindest in einem gewissen Maße durch die pastorale Institution kanalisiert wird, die die Sorge um die Seelen zum Gegenstand hat, ist die klassische Sorge um sich nicht verschwunden; sie ist vereinnahmt worden und hat einen Großteil ihrer Autonomie verloren. Man müsste eine Geschichte der Selbsttechniken und der Äs­ thetiken der Existenz in der modernen Welt schreiben. Ich er­ wähnte gerade das »künstlerische« Leben, das im 19. Jahrhundert eine so große Bedeutung hatte. Aber auch die Revolution könnte man nicht einfach nur als ein politisches Projekt betrachten, son­ dern eben als einen Stil, eine Existenzweise mit ihrer Ästhetik, ihrer Askese, den besonderen Formen einer Beziehung zu sich und zu anderen. Mit einem Wort: Man hat die Gewohnheit, die Geschichte der menschlichen Existenz ausgehend von ihren Bedingungen, zu schreiben, oder auch, das zu suchen, was an dieser Existenz es ermöglichen konnte, die Entwicklung einer historischen Psycho­ logie aufzudecken. Aber es erscheint mir auch möglich, die Ge­ schichte der Existenz als Kunst und als Stil zu schreiben. Die Existenz ist die zerbrechlichste prima materia der menschlichen Kunst, aber sie ist auch ihre unmittelbarste Gegebenheit. Während der Renaissance sieht man auch - und damit spiele ich auf den berühmten Text von Burckhardt über die Ästhetik der Existenz an -, dass der Held sein eigenes Kunstwerk ist. Die Vor­ stellung, dass man aus seinem Leben ein Kunstwerk machen kann, ist eine Vorstellung, die unbestreitbar dem Mittelalter fremd ist und die erst in der Epoche der Renaissance wieder auftaucht. - Bis jetzt haben Sie von unterschiedlichen Graden der Aneig­ nung antiker Techniken zur Regierung seiner selbst gesprochen. In Ihren Schriften haben Sie immer auf dem bedeutenden Bruch bestanden, der sich zwischen der Renaissance und dem klassischen Zeitalter ereignet hat. Hat es nicht auch eine genauso bedeutsame Wandlung in der Art und Weise gegebenywie die Regierung seiner selbst mit anderen sozialen Praktiken verbunden wurde? - Indem die griechische Philosophie eine Rationalität begründet hat, in der wir uns wiedererkennen, vertrat sie durchweg die An­

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sicht, dass ein Subjekt keinen Zugang zur Wahrheit erhalten konnte, wenn es nicht zunächst an sich selbst eine bestimmte Arbeit durchführte, die es fähig machte, die Wahrheit zu erken­ nen. Die Verbindung zwischen dem Zugang zur Wahrheit und der Arbeit einer Selbstausarbeitung durch sich ist im alten Denken und im ästhetischen Denken wesentlich. Ich denke, dass Descartes damit gebrochen hat, indem er sagte: »Um Zugang zur Wahrheit zu erlangen, genügt es, dass ich ein beliebiges Subjekt bin, das fähig ist zu sehen, was evident ist.« Die Evidenz ersetzt die Askese am Verbindungspunkt zwischen der Beziehung zu sich und der Beziehung zu anderen, der Beziehung zur Welt. Die Beziehung zu sich braucht nicht länger eine aske­ tische zu sein, um in einer Beziehung zur Wahrheit zu stehen. Es genügt, dass die Selbstbeziehung mir die evidente Wahrheit dessen offenbart, was ich sehe, um diese Wahrheit endgültig zu erfassen. Doch ist anzumerken, dass dies für Descartes selbst nur um den Preis einer Vorgehensweise möglich wurde, die die Meditationes aufzeigen, in deren Verlauf er eine Beziehung von sich zu sich ausbildete, die ihm die Eigenschaft gab, gleichsam wahres Er­ kenntnissubjekt in der Form der Evidenz sein zu können (unter dem Vorbehalt, dass er die Möglichkeit ausschloss, wahnsinnig zu sein). Ein Zugang zur Wahrheit ohne »asketische« Bedingung, ohne eine bestimmte Arbeit von sich an sich, ist eine Vorstellung, die von den vorangehenden Kulturen mehr oder weniger ausge­ schlossen wurde. Mit Descartes wird die unmittelbare Evidenz hinreichend. Nach Descartes hat man ein Subjekt der Erkenntnis, das Kant das Problem des Verhältnisses zwischen dem morali­ schen Subjekt und dem Subjekt der Erkenntnis stellt. Es ist im Jahrhundert der Aufklärung viel darum gestritten worden, ob diese beiden Subjekte verschieden sind oder nicht. Kants Lösung war, ein universales Subjekt zu finden, das in dem Maße, wie es universal ist, ein Subjekt der Erkenntnis sein konnte, das aber nichtsdestoweniger eine ethische Haltung erforderte - ebenjene Beziehung zu sich, die Kant in der Kritik der praktischen Vernunft vorlegt. - Wollen Sie sagen,, Descartes habe die wissenschaftliche Rationa­ lität von der Moral befreit, und Kant habe die Moral als ange­ wandte Form von Rationalitätsverfahren wieder eingeführt?

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- Genau. Kant sagt: »Ich muss mich als universales Subjekt er­ kennen, das heißt, mich in jeder meiner Handlungen als univer­ sales Subjekt konstituieren, indem ich mich nach universalen Re­ geln richte.« Die alten Fragen wurden folglich wieder eingeführt: »Wie kann ich mich selbst als ethisches Subjekt konstituieren? Mich selbst als solches erkennen? Brauche ich dazu Übungen in Askese? Oder aber jene kantianische Beziehung zum Universalen, die mich moralisch macht, indem sie mich an der praktischen Vernunft ausrichtet?« So führt Kant eine neue zusätzliche Bahn in unsere Tradition ein, dank welcher das Selbst nicht einfach ge­ geben, sondern in einem Selbstverhältnis als Subjekt konstituiert ist. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

345 Foucault »Foucault«, in: Huisman, D., (Hg.), Dictionnaire des philosophes, Paris 1984, Bd. I, S. 942-944.

Zu Beginn der i98oer-Jahre schlug Denis Huisman F. Ewald die Abfas­ sung des M. Foucault gewidmeten Eintrags in dem Dictionnaire des phi­ losophes vor, das er für die Presses universitaires de France vorbereitete. F. Ewald, der damals Assistent von M. Foucault am Collège de France war, setzte Letzteren von dem Vorschlag in Kenntnis. Zu der Zeit hatte Fou­ cault gerade eine erste Version von Band II der Histoire de la sexualité [.Sexualität und Wahrheit] abgefasst, von der er wusste, dass er sie würde überarbeiten müssen. Ein Abschnitt aus der für dieses Werk abgefassten Einleitung war eine Darstellung seiner Arbeit im Rückblick. Dieser Text ging, vervollständigt um eine kurze Darstellung und eine Bibliographie, an Denis Huisman. Man kam überein, ihn mit »Maurice Florence« zu unterzeichnen, was das durchsichtige Kürzel »M. F.« ergab. So wurde er veröffentlicht. Es wird hier allein der von M. Foucault abgefasste Text wiedergegeben. {Wenn Foucault wirklich in der philosophischen Tradition steht, so in der kritischen Tradition, welche die von Kant ist, und so könnte man}1 sein Unternehmen Kritische Geschichte des Den1 [Die Passage in Klammern stammt von F. Ewald.]

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kens nennen. Worunter nicht eine Ideengeschichte zu verstehen wäre, die zugleich eine Analyse der Irrtümer wäre, die man nach­ träglich ermessen könnte, oder eine Entschlüsselung der Missver­ ständnisse, mit denen das, was wir heute denken, verbunden wäre und von denen es abhängen könnte. Wenn man unter Denken den Akt versteht, der in ihren diversen möglichen Beziehungen ein Subjekt und ein Objekt setzt, dann wäre eine kritische Geschichte des Denkens eine Analyse der Bedingungen, unter denen be­ stimmte Subjekt-Objekt-Beziehungen in dem Maße ausgebildet oder abgeändert werden, wie sie für ein mögliches Wissen konsti­ tutiv sind. Es geht nicht darum, die formalen Bedingungen eines Verhältnisses zum Objekt zu bestimmen, und auch nicht darum, die empirischen Bedingungen freizulegen, die es zu einem gege­ benen Zeitpunkt dem Subjekt im Allgemeinen ermöglichen konn­ ten, von einem bereits real gegebenen Objekt zu einer Erkenntnis zu gelangen. Worum es geht, ist, zu bestimmen, was das Subjekt sein muss, welcher Bedingung es unterworfen ist, welchen Status es haben und welche Stellung im Wirklichen oder im Imaginären es einnehmen muss, um zum legitimen Subjekt dieser oder jener Art Erkenntnis zu werden; kurz, es geht darum, seinen Modus einer »Subjektivierung« zu bestimmen; denn dieser ist offensicht­ lich ein anderer, je nachdem, ob die Erkenntnis, um die es geht, die Gestalt der Exegese eines heiligen Textes, einer naturgeschicht­ lichen Beobachtung oder der Analyse des Verhaltens eines Geis­ teskranken hat. Doch geht es auch und zugleich darum, zu be­ stimmen, unter welchen Bedingungen eine Sache zum Objekt für eine mögliche Erkenntnis werden kann, wie sie als zu erkennen­ des Objekt problematisiert und welchem Abgrenzungsverfahren sie bzw. der Teil ihrer selbst, der als relevant betrachtet wird, unterzogen werden konnte. Es geht also darum, den Modus ihrer Objektivierung zu bestimmen, der gleichfalls nicht derselbe ist, je nach Art des Wissens, um das es geht. Diese Objektivierung und diese Subjektivierung sind nicht un­ abhängig voneinander; aus ihrer wechselseitigen Entwicklung und ihrer reziproken Verbindung entsteht das, was man die »Wahr­ heitsspiele« nennen könnte: das heißt, nicht die Entdeckung wah­ rer Sachverhalte, sondern die Regeln, nach denen mit Bezug auf bestimmte Dinge das, was ein Subjekt sagen kann, der Frage des Wahren und des Falschen untersteht. Alles in allem ist die kriti-

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sehe Geschichte des Denkens weder eine Geschichte der Erlan­ gung noch eine Geschichte der Verdunklung der Wahrheit; es ist die Geschichte des Auftauchens der Wahrheitsspiele: Es ist die Geschichte der »Veridiktionen«, verstanden als die Formen, nach denen sich über ein Sachgebiet Diskurse gestalten, die wahr oder falsch genannt werden können: Was waren die Bedingungen für dieses Auftauchen, der Preis, der gewissermaßen dafür zu entrich­ ten war, seine Auswirkungen auf das Wirkliche und die Art und Weise, wie es durch die Verbindung einer bestimmten Objektart mit bestimmten Modalitäten des Subjekts für eine Zeit, für ein Gebiet und für gegebene Individuen das historische Apriori einer möglichen Erfahrung konstituierte. Diese Frage - bzw. diese Reihe von Fragen - welche die Fragen einer »Archäologie des Wissens« sind, hat Michel Foucault frei­ lich nicht für irgendein beliebiges Wahrheitsspiel gestellt und stel­ len wollen. Sondern allein für diejenigen Wahrheitsspiele, in de­ nen das Subjekt selbst als Objekt eines möglichen Wissens gesetzt ist: Was sind die Subjektivierungs- und Objektivierungsprozesse, die bewirken, dass das Subjekt als Subjekt Objekt einer Erkennt­ nis werden kann? Selbstverständlich geht es nicht darum heraus­ zufinden, wie sich im Laufe der Geschichte eine »psychologische Erkenntnis« konstituiert hat, sondern in Erfahrung zu bringen, wie sich verschiedenartige Wahrheitsspiele gebildet haben, durch die das Subjekt Objekt einer Erkenntnis geworden ist. Diese Ana­ lyse hat Michel Foucault zunächst auf zweierlei Weise durchzu­ führen versucht. Zum einen bezog er sich auf das Erscheinen und die Einbeziehung der Frage des sprechenden, arbeitenden und lebenden Subjekts, und zwar in Bereichen und gemäß der Form einer Erkenntnis mit wissenschaftlichem Status; es ging damals um die Ausbildung einiger »Humanwissenschaften«, die mit Be­ zug auf die Praxis der empirischen Wissenschaften und ihres für das 17. und das 18.Jahrhundert typischen Diskurses untersucht wurden {Les Mots et les Choses [Die Ordnung der Dinge]). Mi­ chel Foucault hat ebenfalls versucht, die Konstitution des Sub­ jekts zu analysieren, so wie es auf der anderen Seite einer norma­ tiven Teilung erscheinen und - als wahnsinnig, krank oder delinquent - Objekt einer Erkenntnis werden kann: und dies durch Praktiken wie diejenigen der Psychiatrie, der klinischen Medizin und des Strafwesens {Histoire de la folie {Wahnsinn

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und Gesellschaft], Naissance de la clinique [Die Geburt der Kli­ nik] und Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen]), Michel Foucault hat es jetzt, und zwar immer noch im Rahmen desselben allgemeinen Projekts, unternommen, die Konstitution des Subjekts als Objekt für sich selbst zu untersuchen: die Aus­ bildung der Verfahren, durch welche das Subjekt dazu gebracht wird, sich selbst zu beobachten, sich zu analysieren, sich zu ent­ schlüsseln und als Bereich eines möglichen Wissens anzuerken­ nen. Es geht alles in allem um die Geschichte der »Subjektivität«, wenn man unter diesem Wort die Art und Weise versteht, wie das Subjekt die Erfahrung seiner selbst in einem Wahrheitsspiel macht, in dem es sich auf sich selbst bezieht. Die Frage des Sexes und der Sexualität dürfte für Michel Foucault sicher nicht das einzige mögliche Beispiel, aber zumindest einen ziemlich vorran­ gigen Fall dargestellt haben: In der Tat wurden durch das gesamte Christentum hindurch und vielleicht auch darüber hinaus diesbe­ züglich die Individuen aufgerufen, sich allesamt als Subjekte der Lust, des Begehrens, der Lüsternheit und der Versuchung zu er­ kennen, und ersucht, durch verschiedene Mittel (Selbstprüfung, spirituelle Übungen, Geständnis und Bekenntnis) für sich selbst und für das, was den geheimsten, den individuellsten Teil ihrer Subjektivität ausmacht, das Spiel des Wahren und des Falschen zu entfalten. Alles in allem geht es in dieser Geschichte der Sexualität darum, einen dritten Flügel auszubilden: Er schließt an die Analysen der Bezüge zwischen Subjekt und Wahrheit oder, um genau zu sein, an die Untersuchung der Modi an, durch die das Subjekt als Ob­ jekt in die Wahrheitsspiele eingebunden werden konnte. Nimmt man als Leitfaden für all diese Analysen die Frage der Bezüge zwischen Subjekt und Wahrheit, so impliziert das be­ stimmte methodische Entscheidungen. Und zwar als Erstes einen systematischen Skeptizismus gegenüber allen anthropologischen Universalien, was nicht bedeutet, dass man sie alle von vornherein, insgesamt und ein für alle Mal verwirft, sondern dass man nichts aus diesem Bereich zulassen darf, das nicht im strengen Sinne unerlässlich ist; alles, was uns in unserem Wissen als von univer­ seller Gültigkeit angeboten wird und was die menschliche Natur oder die Kategorien betrifft, die man auf das Subjekt anwenden kann, verlangt, geprüft und analysiert zu werden: Das Universelle

des »Wahnsinns«, der »Delinquenz« oder der »Sexualität« zurück­ zuweisen, bedeutet nicht, dass es das, worauf sich diese Begriffe beziehen, nicht gebe oder dass sie nur zu einem zweifelhaften Zweck erfundene Trugbilder seien; es ist dennoch weit mehr als die schlichte Feststellung, dass ihr Inhalt mit der Zeit und mit den Umständen variiert; es ist die Suche nach den Bedingungen, die es den Regeln des Wahr- oder Falsch-Sagens folgend erlauben, ein Subjekt als geisteskrank zu erkennen, oder es einzurichten, dass ein Subjekt den wesentlichsten Teil seiner selbst in Gestalt seines sexuellen Begehrens erkennt. Die erste methodische Regel für die­ se Art Arbeit ist also die folgende: Soweit es eben geht, die anthro­ pologischen Universalien (und selbstverständlich auch die Univer­ salien eines Humanismus, der die Rechte, die Privilegien und die Natur eines menschlichen Wesens als unmittelbare und zeitlose Wahrheit des Subjekts geltend machen würde) zu umgehen, um sie in ihrer geschichtlichen Konstitution zu befragen. Ebenso muss man die philosophische Herangehensweise eines Wiederaufstiegs zum konstituierenden Subjekt, dem abverlangt wird, Rechen­ schaft von dem abzulegen, was jedes Erkenntnisobjekt im Allge­ meinen sein kann, umkehren; es geht im Gegenteil darum, wieder hinabzusteigen zur Untersuchung der konkreten Praktiken, durch welche das Subjekt in der Immanenz eines Erkenntnisbereichs konstituiert wird. Auch dabei muss man Acht geben: Den philo­ sophischen Rückgang auf ein konstituierendes Subjekt zurückzu­ weisen, läuft nicht darauf hinaus, so zu tun, als ob das Subjekt nicht existieren würde und von diesem zugunsten einer reinen Objektivität abzusehen; diese Zurückweisung hat die Absicht, die spezifischen Vorgänge einer Erfahrung zum Erscheinen zu bringen, in der das Subjekt und das Objekt sich im Verhältnis zueinander und abhängig voneinander »aus- und umbilden«. Die Diskurse der Geisteskrankheit, der Delinquenz oder der Sexualität sagen das, was das Subjekt ist, nur in einem bestimmten ganz besonderen Wahrheitsspiel; doch diese Spiele werden dem Subjekt nicht von außen her einer notwendigen Kausalität oder strukturalen Bestimmungen entsprechend auferlegt; sie eröffnen ein Erfah­ rungsfeld, auf dem beide, Subjekt und Objekt, nur unter bestimm­ ten gleichzeitigen Bedingungen konstituiert werden, die aber nicht aufhören, sich im Verhältnis zueinander zu modifizieren und da^ mit dieses Erfahrungsfeld selbst zu modifizieren.

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Daraus ergibt sich ein drittes Methodenprinzip: Was den Ana­ lysebereich angeht, soll man sich an die »Praktiken« halten und die Untersuchung von dem her in Angriff nehmen, was »man machte«. So wie man Wahnsinnige, Delinquente oder Kranke machte? Selbstverständlich kann man versuchen, aus der Vorstel­ lung, die man von ihnen hatte, oder aus Erkenntnissen, die man über sie zu haben glaubte, die Institutionen, in die man sie steckte, und die Behandlungen, denen man sie unterzog, abzuleiten; man kann auch nach der Form der »echten« Geisteskrankheiten und nach den Modalitäten der wirklichen Delinquenz in einer gege­ benen Epoche suchen, um zu erklären, was man damals darüber dachte. Michel Foucault geht an die Dinge ganz anders heran: Er untersucht zunächst die Gesamtheit der mehr oder weniger gere­ gelten, mehr oder weniger reflektierten, mehr oder weniger ziel­ gerichteten Tätigkeitsweisen, durch die hindurch sich sowohl das abzeichnete, was für diejenigen als wirklich konstituiert wurde, die es zu denken und zu verwalten trachteten, als auch die Art und Weise, wie diejenigen sich als Subjekte konstituierten, die das Wirkliche zu erkennen, zu analysieren und gegebenenfalls abzu­ ändern imstande sind. Dies sind die »Praktiken«, verstanden zu­ gleich als Handlungs- und Denkweise, die eine Verstehbarkeit der wechselseitigen Konstitution von Subjekt und Objekt eröffnen. Nun wird, sobald es darum geht, mittels dieser Praktiken die verschiedenen Modi einer Objektivierung des Subjekts zu unter­ suchen, verständlich, dass die Analyse der Machtbeziehungen hierbei einen besonderen Raum einnehmen muss. Doch zuvor ist genau zu bestimmen, was eine derartige Analyse sein kann und sein will. Es geht offenkundig nicht darum, die »Macht« auf ihre Herkunft, ihre Grundsätze oder ihre legitimen Grenzen hin zu befragen, sondern die Verfahren und Techniken zu unter­ suchen, die in unterschiedlichen institutioneilen Kontexten ver­ wandt werden, um auf das Verhalten der Individuen einzeln oder als Gruppe einzuwirken; um den Modus ihrer Verhaltensführung zu formen, zu lenken und zu verändern, um ihrem Nichthandeln Ziele aufzuerlegen oder es in Gesamtstrategien einzuschreiben, die infolgedessen in Form und Ausübungsort vielfältig und gleichfalls in den eingesetzten Verfahren und Techniken verschie­ denartig sind: Diese Machtbeziehungen charakterisieren die Art und Weise, wie die Menschen, die einen von den anderen, »re-

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giert« werden; und ihre Analyse zeigt, wie durch bestimmte For­ men des »Regierens« von Irren, Kranken, Kriminellen usw. das wahnsinnige, kranke, delinquente Subjekt objektiviert wird. Eine solche Analyse meint also nicht, dass der Missbrauch dieser oder jener Macht Wahnsinnige, Kranke oder Kriminelle dort geschaffen habe, wo es vorher nichts gab, sondern dass die verschiedenartigen und besonderen Formen einer »Regierung« der Individuen in den unterschiedlichen Objektivierungsmodi des Subjekts bestimmend waren. Man sieht, wie das Thema einer »Geschichte der Sexualität« sich ins Innere des allgemeinen Projekts von Michel Foucault ein­ tragen lässt: Es geht darum, die »Sexualität« als einen historisch einzigartigen Erfahrungsmodus zu analysieren, in welchem das Subjekt für sich selbst und für die anderen durch bestimmte prä­ zise Verfahren der »Regierung« objektiviert wird. Maurice Florence Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

346 Was heißt Strafen? »Qu’appelle-t-on punir?« (Gespräch mit F. Ringelheim, aufgezeichnet im De­ zember 1983, durchgesehen und korrigiert von M. Foucault am 16. Februar 1984), in: Revue de l'université de Bruxelles, Nr. 1-3: Punir, mon beau souci. Pour une raison pénale, 1984, S. 35-46.

F. Ringelheim: Ihr 1974 veröffentlichtes Buch Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen] ist auf dem Gebiet der Strafrechtsex­ perten und der Kriminologen wie ein Meteorit eingeschlagen. Indem dieses Buch eine Analyse des Strafsystems in der Perspek­ tive der politischen Taktik und der Technologie der Macht vor­ legte, warf es die traditionellen Auffassungen über die Delinquenz und über die gesellschaftliche Funktion der Strafe über den Hau­ fen. Es verstörte die repressiven Richter, zumindest diejenigen, die sich Fragen nach dem Sinn ihrer Arbeit stellen; es erschütterte eine Vielzahl von Kriminologen, denen es im Übrigen kaum ge­ schmeckt haben dürfte, dass ihr Diskurs als Geschwätz bezeichnet

346 Was heißt Strafen?

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wurde. Immer seltener sind heutzutage die kriminologischen Bü­ cher, die sich nicht auf Surveiller et Punir als ein im eigentlichen Sinne unumgängliches Werk beziehen. Dennoch ändert sich das Strafsystem nicht, und das kriminologische »Geschwätz« läuft unverändert weiter. Ganz so, als ob man den Theoretiker der Epistemologie des Strafrechts ehren könnte, ohne daraus Lehren ziehen zu können, als ob zwischen Theorie und Praxis eine voll­ kommene Abschottung existierte. Zweifellos ist es nicht Ihr An­ liegen gewesen, als Reformer tätig zu werden, aber könnte man sich nicht eine Kriminalpolitik vorstellen, die sich auf Ihre Analy­ sen stützen und daraus bestimmte Lektionen zu ziehen versuchen würde? M. Foucault: Man müsste als Erstes vielleicht genauer fassen, was ich in diesem Buch leisten wollte. Ich wollte nicht direkt als Kritiker tätig werden, wenn man unter Kritik das Aufzeigen von Unzuträglichkeiten des gegenwärtigen Strafsystems versteht. Ich wollte ebenso wenig als Historiker von Institutionen tätig werden, indem ich eben nicht erzählen wollte, wie die Strafund Kerkerinstitution im Verlauf des 19. Jahrhunderts funktio­ niert hatte. Ich versuchte, ein anderes Problem aufzuwerfen: das Denksystem, die Rationalitätsform aufzudecken, die seit dem En­ de des 18. Jahrhunderts der Idee zugrunde lag, dass das Gefängnis alles in allem das beste oder eines der wirksamsten und ratio­ nellsten Mittel ist, um die Gesetzesbrüche in einer Gesellschaft zu bestrafen. Es ist ziemlich offensichtlich, dass ich, als ich dies unternahm, gewisse Bedenken bezüglich dessen hatte, was man jetzt unternehmen konnte. In der Tat kam es mir oft so vor, dass man mit der traditionellen Gegenüberstellung von Reformismus und Revolution sich nicht die Mittel verschaffte, das zu denken, was zu einer wirklichen, tiefgehenden und radikalen Umgestal­ tung führen könnte. Mir scheint, dass man in den Reformen des Strafsystems sehr häufig implizit oder mitunter sogar explizit das Rationalitätssystem bestehen ließ, das seit langem definiert und eingerichtet war, und dass man einfach nur herauszufinden suchte, welche Institutionen und Praktiken es erlauben würden, dessen Entwurf zu verwirklichen und dessen Ziele zu erreichen. Indem ich das den Strafpraktiken zugrunde liegende Rationalitätssystem freilegte, wollte ich die gedanklichen Postulate aufzeigen, die es zu überprüfen galt, wenn man das Strafsystem umgestalten wollte.

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Ich sage nicht, dass man sich zwangsläufig davon befreien müsse; aber ich glaube, dass es äußerst wichtig ist, wenn man eine Umgestaltung und Erneuerung durchführen will, dass man nicht nur weiß, was die Institutionen und was ihre wirklichen Effekte sind, sondern ebenfalls, welche Denkungsart sie unterhält: Was kann man von diesem Rationalitätssystem noch bestehen lassen? Wel­ cher Teil davon verdient es im Gegenteil, verworfen, aufgegeben, umgestaltet usw. zu werden? Dasselbe hatte ich für die Geschichte der psychiatrischen Institutionen durchzuführen versucht. Und es stimmt, dass ich ein wenig überrascht und einigermaßen ent­ täuscht war, als ich sah, dass von all dem keine Initiative der Re­ flexion und des Denkens ausging, die genau um dieses Problem herum so äußerst unterschiedliche Leute wie Richter, Theoretiker des Strafrechts, Praktiker aus den Strafeinrichtungen, Anwälte, Sozialarbeiter und Personen, die Erfahrung mit dem Gefängnis hatten, hätte zusammenbringen können. Es stimmt, von dieser Seite her waren - aus Gründen, die mit Sicherheit kultureller und sozialer Art sind - die siebziger Jahre äußerst enttäuschend. Die Kritik lief in alle möglichen Richtungen; oft hatten diese Ideen eine gewisse Verbreitung, mitunter übten sie einen gewissen Einfluss aus; aber selten kam es dazu, dass sich die gestellten Fragen zu einem kollektiven Unternehmen verdichteten, um im­ merhin die zu leistenden Umgestaltungen zu bestimmen. Jeden­ falls habe ich für meinen Teil, und obwohl das mein Wunsch war, niemals die Möglichkeit zu irgendeinem Arbeitskontakt mit ei­ nem Strafrechtsprofessor, einem Richter oder gar einer politischen Partei gehabt. So hat die 1972 gegründete Sozialistische Partei, die über neun Jahre hinweg ihre Ankunft an der Macht vorbereiten konnte, die bis zu einem bestimmten Punkt in ihren Diskursen auf einige Themen einging, die im Verlauf der Jahre 1960-1970 ent­ wickelt werden konnten, niemals einen ernsthaften Versuch ge­ macht, im Voraus zu bestimmen, welches ihre wirkliche Praxis sein könnte, sobald sie an der Macht wäre. Wie es scheint, haben die Institutionen, die Gruppen, die politischen Parteien, die eine Arbeit der Reflexion hätten ermöglichen können, nichts geleis­ tet... E Ringelheim: Man hat überhaupt den Eindruck, dass das Sys­ tem der Begriffe in keiner Weise weiterentwickelt wurde. Obwohl die Juristen und die Psychiater die Trefflichkeit und die Neuar­

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tigkeit Ihrer Analysen erkennen, ist es ihnen anscheinend unmög­ lich, sie in die Praxis einfließen zu lassen, in die Suche nach dem, was man mit einem zweideutigen Ausdruck eine Kriminalpolitik nennt. M. Foucault: Sie werfen da ein Problem auf, das in der Tat sehr wichtig und schwierig ist. Wie Sie wissen, gehöre ich einer Gene­ ration von Leuten an, die nacheinander die Mehrzahl der Utopien zusammenbrechen sahen, die im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet worden waren, und die auch sahen, welche perversen und mitunter verhängnisvollen Wirkungen aus den in ihren Absichten großherzigsten Projekten folgen konnten. Ich habe immer darauf Wert gelegt, nicht die Rolle des propheti­ schen Intellektuellen zu spielen, der den Leuten vorab sagt, was sie tun müssen, und ihnen den Denkrahmen, Ziele und Mittel vorschreibt, die er während seiner Arbeit inmitten seiner Bücher in seiner Studierstube aus seinem eigenen Hirn herausgezogen hat. Mir schien, dass die Arbeit eines Intellektuellen, das, was ich einen »spezifischen Intellektuellen« nenne, in dem Versuch besteht, in ihrer Zwangsmacht, aber auch in der Kontingenz ihrer geschicht­ lichen Ausbildung die Denksysteme freizulegen, die uns jetzt ver­ traut geworden sind, die uns selbstverständlich Vorkommen und die mit unseren Wahrnehmungen, unseren Einstellungen und un­ seren Verhaltensweisen verwachsen sind. Anschließend muss man gemeinsam mit Praktikern arbeiten, nicht nur, um die Institutio­ nen und die Praktiken zu verändern, sondern auch um die Denk­ formen neu auszuarbeiten. E Ringelheim: Was Sie »kriminologisches Geschwätz« genannt haben, und was zweifellos schlecht verstanden wurde, ist das nicht genau die Tatsache, dass dieses Denksystem nicht in Frage gestellt wird, in welchem über anderthalb Jahrhunderte hinweg all diese Analysen betrieben wurden? M. Foucault: So ist es. Das war vielleicht ein etwas unverschäm­ tes Wort. Nehmen wir es also zurück. Aber ich habe den Ein­ druck, dass die Schwierigkeiten und Widersprüche, auf die die Strafpraxis im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte gestoßen ist, niemals gründlich untersucht worden sind. Und seit jetzt einhundertundfünfzig Jahren wurden exakt dieselben Begriffe, die­ selben Themen, dieselben Vorwürfe, dieselben Kritiken und die­ selben Forderungen wiederholt, so als ob nichts sich geändert

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hätte, und in einem bestimmten Sinne hat sich tatsächlich nichts geändert. Von dem Moment an, da eine Institution, die so viele Unzuträglichkeiten aufweist, die so viel Kritik auf den Plan ruft, bloß der Anlass zur endlosen Wiederholung ein und derselben Diskurse ist, ist das »Geschwätz« ein ernstes Symptom. E Ringelheim: Sie analysieren in Surveiller et Punir jene »Stra­ tegie«, die darin besteht, bestimmte Ungesetzlichkeiten in Delin­ quenz zu verwandeln, was aus dem sichtlichen Scheitern des Ge­ fängnisses einen Erfolg macht. Alles geschieht so, als ob eine gewisse »Gruppe« mehr oder weniger bewusst dieses Mittel ver­ wandte, um Wirkungen zu erzielen, die man nicht offen verkün­ det hätte. Man hat den vielleicht falschen Eindruck, dass darin eine List der Macht besteht, die die Projekte der humanistischen Reformatoren unterläuft und ihre Diskurse durchkreuzt. Von die­ sem Standpunkt aus gäbe es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Ihrer Analyse und dem marxistischen Interpretationsmodell der Geschichte (ich denke an die Seiten, auf denen Sie zeigen, dass eine bestimmte Art von Ungesetzlichkeit sich als besonders unter­ drückt erweist, während andere toleriert werden). Aber man kann im Unterschied zum Marxismus nicht klar erkennen, welche »Gruppe« oder welche »Klasse«, welche Interessen in dieser Stra­ tegie am Werk sind. M. Foucault: Es sind bei der Analyse einer Institution verschie­ dene Dinge zu unterscheiden. Erstens das, was man ihre Rationa­ lität oder ihren Zweck nennen könnte, das heißt die Ziele, die sie sich vornimmt, und die Mittel, über die sie verfügt, um diese Ziele zu erreichen; im Großen und Ganzen das Programm der Institu­ tion, so wie es festgelegt wurde: beispielsweise Benthams Auf­ fassungen, das Gefängnis betreffend. Zweitens stellt sich die Frage der Wirkungen. Offensichtlich fallen die Wirkungen nur sehr sel­ ten mit dem Zweck zusammen; so ist das Ziel der Besserungs­ anstalt Gefängnis, des Gefängnisses als Mittel zur Verbesserung des Individuums nicht erreicht worden: Die Wirkung war eher umgekehrt, und das Gefängnis hat vielmehr die delinquenten Ver­ haltensweisen ausgeweitet. Nun gibt es, sowie die Wirkung nicht mit dem Zweck zusammenfällt, mehrere Möglichkeiten: Entwe­ der reformiert man, oder man verwendet diese Wirkungen zu irgendetwas, das zu Beginn nicht vorgesehen war, das aber voll und ganz einen Sinn und einen Nutzen haben kann. Es ist das, was

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man Verwendung nennen könnte; so hat das Gefängnis, das kei­ nen Besserungseffekt mehr hatte, stattdessen als Eliminierungs­ mechanismus gedient» Die vierte Ebene der Analyse ist das, was man die »strategischen Konfigurationen« nennen könnte, das heißt, dass man ausgehend von diesen gewissermaßen unvorher­ gesehenen, neuen, aber trotz allem bis zu einem bestimmten Grad willentlichen Verwendungen neue rationale Verhaltensführungen aufbauen kann, die sich vom anfänglichen Programm unterschei­ den, die aber ebenfalls dessen Zielen entsprechen, und in denen die Spiele zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen stattfinden können. F Ringelheim: Wirkungen, die sich selbst in Zwecke verwan­ deln ... M. Foucault: So ist es: Es sind Wirkungen, die in verschiedenen Verwendungen aufgenommen werden, und diese Verwendungen werden jedenfalls abhängig von neuen Zwecken rationalisiert und organisiert. F. Ringelheim: Aber das beruht selbstverständlich nicht auf Vorsatz, es gibt nicht an der Basis ein verborgenes MachiavelliJsches Projekt...? M. Foucault: Ganz und gar nicht. Es gibt nicht jemanden oder eine Gruppe, die für diese Strategie verantwortlich zeichnet, son­ dern ausgehend von unterschiedlichen Wirkungen erster Zwecke und aus der Verwendbarkeit dieser Wirkungen baut sich eine ge­ wisse Anzahl von Strategien auf. F Ringelheim: Strategien, deren Zielvorgabe ihrerseits denen zum Teil entgeht, die sie konzipieren. M. Foucault: Ja. Mitunter sind diese Strategien vollkommen be­ wusst: Man kann sagen, dass die Art und Weise, wie die Polizei das Gefängnis verwendet, in etwa bewusst ist. Sie ist im Allge­ meinen einfach nur nicht ausformuliert. Im Unterschied zum Pro­ gramm. Das erste Programm der Institution, die anfängliche Ziel­ vorgabe wird im Gegenteil öffentlich verkündet und dient zur Rechtfertigung, während die strategischen Konfigurationen sogar in den Augen derer, die darin einen Platz einnehmen und dabei eine Rolle spielen, oft nicht klar sind. Doch kann dieses Spiel eine Institution vollkommen erstarren lassen, und ich glaube, dass das Gefängnis eine solche Erstarrung erfahren hat, trotz der ganzen Kritiken, die vorgebracht wurden, weil mehrere Strategien unter­

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schiedlicher Gruppen sich an dieser besonderen Stelle überkreuz­ ten. F Ringelheim: Sie erklären sehr genau, wie die Gefängnisstrafe seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts als der große Fehlschlag der Strafjustiz beklagt wurde, und das in denselben Termini wie heute. Es gibt nicht einen Strafrechtsexperten, der nicht überzeugt ist, dass das Gefängnis die Ziele nicht erreicht, die ihm zugewiesen werden: Die Kriminalitätsrate sinkt nicht; statt sie zu »resoziali­ sieren« produziert das Gefängnis Delinquenten; es vergrößert die Rückfälligkeit; es gewährleistet die Sicherheit nicht. Nun werden aber die Strafeinrichtungen nicht leerer, und unter der sozialisti­ schen Regierung in Frankreich ist kein Ansatz zu einer entspre­ chenden Veränderung festzustellen. Doch zugleich haben Sie die Frage umgedreht. Statt die Gründe für einen in die Ewigkeit verlängerten Fehlschlag zu suchen, fra­ gen Sie sich, wozu dieser problematische Fehlschlag dient und wer davon profitiert. Sie decken auf, dass das Gefängnis ein In­ strument zur differentiellen Verwaltung und Kontrolle der Unge­ setzlichkeiten ist. In diesem Sinne stellt das Gefängnis alles andere als einen Fehlschlag dar; ihm ist es im Gegenteil perfekt gelungen, eine bestimmte Delinquenz zu spezifizieren, die Delinquenz der unteren Volksschichten, und eine bestimmte Kategorie von De­ linquenten hervorzubringen, sie einzugrenzen, um sie besser von anderen Kategorien von Gesetzesbrechern abzuspalten, die insbe­ sondere der Bourgeoisie entstammen. Schließlich beobachten Sie, dass das Kerkersystem es schafft, die gesetzliche Macht zu strafen zu etwas zu machen, das natür­ lich und legitim ist, sie zu »naturalisieren«. Diese Idee ist mit der alten Frage der Legitimität und der Grundlage für die Bestrafung verbunden, denn die Ausübung der Disziplinarmacht schöpft die Macht zu strafen nicht aus, selbst wenn dies, wie Sie gezeigt ha­ ben, ihre Hauptfunktion ist. M. Foucault: Räumen wir, wenn Sie damit einverstanden sind, einige Missverständnisse aus. Erstens, in diesem Buch über das Gefängnis ist es offensichtlich, dass ich die Frage nach der Grund­ lage des Rechts zu strafen nicht stellen wollte. Was ich zeigen wollte, ist die Tatsache, dass ausgehend von einer bestimmten Auffassung von der Grundlage des Rechts zu strafen, die man bei den Strafrechtlern oder bei den Philosophen des iB.Jahrhun­

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derts finden kann, unterschiedliche Mittel zu strafen vollkommen denkbar sind. In der Tat findet man in dieser Reformbewegung aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen ganzen Fächer an Strafmitteln, die vorgeschlagen werden, und letztlich stellt sich das Gefängnis als gewissermaßen bevorzugt heraus. Es war nicht das einzige Strafmittel, aber wurde dennoch zu einem der wich­ tigsten. Mein Problem war herauszufinden, warum dieses Mittel gewählt wurde. Und wie dieses Strafmittel nicht nur die gericht­ liche Praxis, sondern sogar eine gewisse Anzahl recht grundsätz­ licher Probleme im Strafrecht verändert hatte. So wurde die den psychologischen oder psychopathologischen Aspekten der krimi­ nellen Persönlichkeit beigemessene Bedeutung, die sich über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg behaupten kann, bis zu einem gewissen Maße durch eine Strafpraxis veranlasst, die sich die Bes­ serung als Ziel vornahm und die immer nur die Unmöglichkeit der Besserung erfuhr. Ich habe folglich das Problem der Grund­ lage des Rechts zu strafen beiseite gelassen, um ein anderes Prob­ lem zum Vorschein zu bringen, das meines Erachtens von den Historikern zumeist vernachlässigt wurde: die Strafmittel und ih­ re Rationalität. Doch heißt das nicht, dass die Frage der Grund­ lage der Bestrafung nicht wichtig sei. Was diesen Punkt angeht, muss man, glaube ich, bescheiden und radikal zugleich sein, auf radikale Weise bescheiden, und sich an das erinnern, was Nietz­ sche vor jetzt mehr als einem Jahrhundert sagte, dass man nämlich in den Gesellschaften unserer Zeit nicht mehr genau weiß, was man tut, wenn man straft, und was im Grunde, im Prinzip die Bestrafung rechtfertigen kann; alles geschieht so, als ob wir eine Bestrafung praktizieren würden, indem wir ein wenig übereinan­ der geschichtet eine gewisse Anzahl heterogener Ideen gelten las­ sen, die zu unterschiedlichen Geschichten, verschiedenen Mo­ menten und auseinander strebenden Rationalitäten gehören. Es ist also nicht so, dass ich das nicht für wichtig halte und deshalb nicht von dieser Grundlage des Rechts zu strafen gespro­ chen habe; ich denke, dass das mit Sicherheit eine der grund­ legendsten Aufgaben wäre, in der Verbindung zwischen Recht, Moral und Institution den Sinn zu überdenken, den man der ge­ setzlichen Bestrafung geben kann. F Ringelheim: Das Problem der Definition der Bestrafung ist umso komplexer, als man nicht nur nicht so recht weiß, was Stra­

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fen ist, sondern es auch so scheint, dass es zu strafen widerstrebt. In der Tat verwahren sich die Richter mehr und mehr dagegen zu strafen; sie wollen pflegen, behandeln, umerziehen, heilen, ein wenig, als ob sie sich selbst davon zu entlasten suchen, dass sie die Repression ausüben. Sie schreiben ja auch in Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen]: » .. .verwischen sich die Gren­ zen zwischen dem strafrechtlichen Diskurs und dem psychiatri­ schen Diskurs« (S. 256; dt.: S. 323). Und: »Mit der Vielfalt der wissenschaftlichen Diskurse ist nunmehr ein schwieriges und un­ endliches Verhältnis verknüpft, das die Strafjustiz heute nicht mehr zu kontrollieren imstande ist. Der Gerichtsherr ist nicht mehr Herr seiner Wahrheit.« (S. 100; dt.: S. 125)1 Heute gehört der Rückgriff auf den Psychiater, den Psychologen und den So­ zialhelfer im Straf- wie im Zivilprozess zur Gerichtsroutine. Sie haben dieses Phänomen analysiert, das zweifellos einen epistemologischen Wandel in der Strafrechtssphäre anzeigt. Die Strafjustiz scheint ihren Sinn geändert zu haben. Der Richter wendet immer weniger das Strafgesetzbuch auf den Urheber eines Gesetzes­ bruchs an; mehr und mehr behandelt er Pathologien und Persön­ lichkeitsstörungen. M. Foucault: Ich glaube, dass Sie voll und ganz Recht haben. Warum hat die Strafjustiz diese Beziehungen mit der Psychiatrie angeknüpft, die sie sehr stark behindern sollten? Denn es ist of­ fensichtlich: Ich würde nicht sagen, dass zwischen der Problema­ tik der Psychiatrie und dem, was durch die Praxis des Strafrechts selbst hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit gefordert wird, ein Widerspruch besteht; es besteht eine Heterogenität. Es handelt sich um zwei Denkformen, die nicht auf derselben Ebene liegen; und man sieht infolgedessen nicht, nach welcher Regel die eine die andere verwenden könnte. Nun ist aber sicher, und das ist eine Sache, die seit dem 19. Jahrhundert auffallend ist, dass die Straf­ justiz, bei der man doch hätte vermuten können, dass sie diesem psychiatrischen, psychologischen oder medizinischen Denken aufs Äußerste misstrauen würde, im Gegenteil scheinbar davon fasziniert gewesen ist. Selbstverständlich gab es Widerstände; selbstverständlich gab es Konflikte; sie sind nicht zu unterschätzen. Doch wenn man letzt[Paris 1975; dt.: Frankfurt am Main 1977.]

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lieh eine längere Zeitperiode nimmt, anderthalb Jahrhunderte, scheint es durchaus so, dass die Strafjustiz für diese Denkformen sehr empfänglich, mehr und mehr empfänglich war. Wahrschein­ lich hat die psychiatrische Problematik die Strafpraxis manches Mal gestört. Heute erscheint sie ihr als eine Erleichterung, weil sie ihr erlaubt, die Frage, was man tut, wenn man straft, in der Zwei­ deutigkeit zu belassen. F Ringelheim: Sie machen auf den letzten Seiten von Surveiller et Punir die Beobachtung, dass die Disziplinartechnik zu einer der Hauptfunktionen unserer Gesellschaft geworden ist. Macht, die ihre höchste Intensität in der Strafeinrichtung erreicht. Sie sagen andererseits, dass das Gefängnis für eine Gesellschaft wie die un­ sere nicht zwangsläufig unbedingt notwendig bleibt, denn es ver­ liert inmitten der immer zahlreicheren Normalisierungsdispositi­ ve viel von seiner Daseinsberechtigung. Könnte man sich also eine Gesellschaft ohne Gefängnis vorstellen? Diese Utopie wird von einigen Kriminologen allmählich ernst genommen. So verteidigt beispielsweise Louk Hulsman, Professor für Strafrecht an der Universität Rotterdam und Experte bei den Vereinten Nationen, eine Theorie der Abschaffung des StrafSystems.2 Der Gedanken­ gang, der diese Theorie begründet, schließt an einige Ihrer Analy­ sen an: Das Strafsystem erschafft den Delinquenten; es erweist sich als grundsätzlich unfähig, die gesellschaftlichen Zielsetzun­ gen zu verwirklichen, die es angeblich verfolgen soll; jede Reform ist illusorisch; die einzige kohärente Lösung ist seine Abschaf­ fung. Louk Hulsman stellt fest, dass eine Mehrheit an Delikten dem Strafsystem entgeht, ohne dass die Gesellschaft dadurch Schaden nimmt. Er schlägt daher vor, den größten Teil der Taten und Verhaltensweisen, die das Gesetz zu Verbrechen oder Delik­ ten aufstuft, systematisch zu entkriminalisieren und den Begriff Verbrechen durch den Begriff »Problemsituation« zu ersetzen. Anstatt zu bestrafen und zu stigmatisieren sollte versucht werden, die Konflikte durch außergerichtliche Schieds- und Aussöhnungs­ verfahren zu regeln. Die Gesetzesbrüche sind als gesellschaftliche Risiken anzusehen; das Wesentliche ist damit die Entschädigung der Opfer. Das Eingreifen des Gerichtsapparates wäre den schwerwiegenden Angelegenheiten oder als letzte Zuflucht für 2 [Hulsman, L., Le Systeme pénal en question, Paris 1982.]

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den Fall des Scheiterns von Aussöhnungsversuchen oder zivilrechtlichen Lösungen Vorbehalten. Louk Hulsmans Theorie ge­ hört zu denen, die eine kulturelle Revolution voraussetzen. Was halten Sie von dieser schematisch zusammengefassten Idee einer Abschaffung des Gefängnisses? Kann man darin mögliche Erweiterungen von Surveiller et Punir sehen? M. Foucault: Ich glaube, dass es außergewöhnlich interessante Dinge in Hulsmans These gibt, und wäre es nur die Herausfor­ derung, die er der Frage nach der Grundlage des Rechts zu strafen entgegensetzt, wenn er sagt, dass es nichts mehr zu strafen gibt. Ich finde außerdem die Tatsache sehr interessant, dass er die Frage nach der Grundlage des Strafens stellt und zugleich die Mittel berücksichtigt, mit denen man auf etwas antwortet, das man als Gesetzesbruch betrachtet. Das heißt, dass die Frage der Mittel nicht einfach nur eine Folge aus dem ist, was man die Grundlage des Rechts zu strafen betreffend hätte festsetzen kön­ nen, sondern für ihn bilden die Reflexion über die Grundlage des Rechts zu strafen und die Art und Weise, wie man auf einen Ge­ setzesbruch reagiert, eine Einheit. Das alles erscheint mir sehr anregend, sehr wichtig. Vielleicht bin ich nicht hinreichend ver­ traut mit seinem Werk, aber zu den folgenden Punkten habe ich Fragen. Wird der Begriff Problemsituation nicht zu einer Psycho­ logisierung sowohl der Frage als auch der Reaktion führen? Läuft eine Praxis wie diese nicht Gefahr, selbst wenn sie dies nicht wünscht, zu einer Art Aufspaltung zwischen einerseits den gesell­ schaftlichen, kollektiven und institutionellen Reaktionen auf das Verbrechen, das als ein Unfall betrachtet wird und dann auch so geregelt werden muss, und dann andererseits, rund um den Kri­ minellen selbst, einer Hyperpsychologisierung zu führen, die ihn als Gegenstand psychiatrischer oder medizinischer Interventionen mit therapeutischen Zielen konstituieren wird? E Ringelheim: Doch führt diese Auffassung des Verbrechens nicht überdies zur Abschaffung der Begriffe Verantwortung und Schuld? Erfüllt nicht in dem Maße, wie das Böse in unseren Ge­ sellschaften existiert, das Schuldbewusstsein, das nach Ricoeur bei den Griechen entstanden sei, eine notwendige gesellschaftliche Funktion? Kann man eine Gesellschaft denken, die von jedem Schuldgefühl entlastet wäre? M. Foucault: Ich glaube nicht, dass die Frage die ist, ob eine

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Gesellschaft ohne Schuld funktionieren kann, sondern ob die Ge­ sellschaft die Schuld als ein Organisations- und Grundlegungs­ prinzip eines Rechts funktionieren lassen kann. Und da wird die Frage schwierig. Paul Ricoeur hat vollkommen Recht, wenn er das Problem des Gewissens stellt, er stellt es als Philosoph oder als Philosophie­ historiker. Es ist ganz und gar legitim zu behaupten, dass die Schuld existiert, dass sie seit einer bestimmten Zeit existiert. Man kann darüber streiten, ob das Schuldgefühl von den Griechen herkommt oder einen anderen Ursprung hat. Auf jeden Fall exis­ tiert es, und es ist nicht ersichtlich, wie eine Gesellschaft wie die unsere, die noch so stark in einer Tradition verwurzelt ist, welche auch die der Griechen ist, sich von der Schuld befreien könnte. Man konnte über eine sehr lange Zeit annehmen, man könnte ein Rechtssystem und eine gerichtliche Institution direkt an einen Begriff wie den der Schuld anbinden. Für uns dagegen ist die Frage offen. F Ringelheim: Wenn derzeit ein Individuum vor der einen oder anderen Instanz der Strafjustiz erscheint, muss es nicht nur die verbotene Tat, die es begangen hat, sondern sein Leben selbst rechtfertigen. M. Foucault: Das ist wahr. Man hat zum Beispiel in den Verei­ nigten Staaten viel über zeitlich unbefristete Strafen gestritten. Man hat, glaube ich, die entsprechende Praxis nahezu überall auf­ gegeben, aber sie implizierte eine gewisse Tendenz, eine gewisse Versuchung, die meines Erachtens nicht verschwunden ist: die Tendenz, das Strafurteil viel stärker für ein gewissermaßen quali­ tatives Ganzes, das eine Existenz und eine Seinsweise charakteri­ siert, als für eine genau bezeichnete Tat gelten zu lassen. Es gibt auch die kürzlich in Frankreich getroffene Maßnahme bezüglich der Richter für die Überwachung des Strafvollzugs. Man wollte die Macht und die Kontrolle des Gerichtsapparates über den Be­ strafungsverlauf verstärken - die Absicht ist gut. Das ist gut, um die faktische Abhängigkeit von der Strafeinrichtung zu verringern. Aber dann wird es jetzt ein aus drei Richtern, glaube ich, beste­ hendes Gericht geben, das darüber entscheiden wird, ob einem Häftling die Freilassung auf Bewährung gewährt werden kann; und diese Entscheidung wird unter Berücksichtigung von Punkten gefällt werden, unter denen es zunächst einmal den ersten Geset-

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zesbruch gibt, der gewissermaßen reaktualisiert wird, da der Ne­ benkläger und die Vertreter des Opfers anwesend sein werden und intervenieren können. Und dann wird man die Elemente der Ver­ haltensführung des Individuums in seinem Gefängnis darin einbe­ ziehen, so wie sie von den Wärtern, den Verwaltern, den Psycho­ logen und den Ärzten beobachtet, eingeschätzt, interpretiert und beurteilt werden. Dieses Magma einander heterogener Elemente wird zu einer gerichtsförmigen Entscheidung führen. Selbst wenn das rechtlich hinnehmbar ist, muss man doch wissen, welche Kon­ sequenzen das de facto nach sich ziehen kann. Und zugleich, welch gefährliches Modell dies für die Strafjustiz in ihrem gängi­ gen Gebrauch darzustellen droht, wenn es in der Tat zur Gewohn­ heit wird, dass man eine Strafentscheidung abhängig von einer guten oder schlechten Verhaltensführung trifft. F Ringelheim: Die Medizinisierung der Justiz führt nach und nach zu einer Verdrängung des Strafrechts aus den Gerichtsprakti­ ken. Das Rechtssubjekt tritt den Platz an den Neurotiker oder an den mehr oder weniger unzurechnungsfähigen Psychopathen ab, dessen Verhaltensführung durch psychobiologische Faktoren be^stimmt wäre. In Reaktion auf diese Auffassung erwägen manche Strafrechtler eine Rückkehr zu einem Konzept von Bestrafung, das am besten geeignet wäre, eine Versöhnung mit der Achtung vor der Freiheit und der Würde des Individuums herzustellen. Es geht nicht darum, zu einem System brutaler und mechanischer Bestra­ fung zurückzukehren, das von der gesellschaftlich-ökonomischen Herrschaftsform, in der es funktioniert, absehen, das die soziale und politische Dimension der Justiz ignorieren würde, sondern darum, eine begriffliche Kohärenz wiederzufinden und klar zu unterscheiden, was zum Recht und was zur Medizin gehört. Man denke an das Wort Hegels: »Dass die Strafe darin als sein eigenes Recht enthaltend angesehen wird, darin wird der Verbre­ cher als Vernünftiges geehrt.«3 M. Foucault: Ich glaube, dass in der Tat in einer Gesellschaft wie der unseren das Strafrecht zum gesellschaftlichen Spiel gehört, und dass man das nicht verleugnen darf. Das bedeutet, dass die Individuen, die dieser Gesellschaft angehören, sich als Rechtssub­ jekte anzuerkennen haben, die als solche bestraft werden können, 3 [Hegel, G.W.F., Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Werke, Bd. 7, Frank­ furt am Main 1970, § 100, S. 191. A.d.Ü.]

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wenn sie diese oder jene Regel verletzen. Daran ist, glaube ich, nichts Skandalöses. Aber es ist die Pflicht der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass die konkreten Individuen sich tatsächlich als Rechtssubjekte anerkennen können. Was schwierig ist, wenn das verwandte Strafsystem archaisch, willkürlich und für die wirk­ lichen Probleme, die sich einer Gesellschaft stellen, unangemessen ist. Nehmen Sie zum Beispiel nur den Bereich der Wirtschafts­ straftaten. Die wahre Arbeit a priori ist nicht, immer mehr Medi­ zin, Psychiatrie zu injizieren, um dieses System zu verändern und es akzeptabler zu machen; man muss das Strafsystem an sich über­ denken. Ich meine damit nicht: Kehren wir zur Schärfe des Straf­ gesetzbuches von 1810 zurück; ich meine damit: Kehren wir zu der ernsthaften Idee eines Strafrechts zurück, das eindeutig fest­ legen würde, was in einer Gesellschaft wie der unseren als strafbar oder als nicht strafbar angesehen werden kann; kehren wir zu dem eigentlichen Denken eines Systems zurück, das die Regeln des gesellschaftlichen Spiels bestimmt. Ich bin misstrauisch gegenüber denjenigen, die unter dem Vorwand, dass Medizin und Psychiatrie dafür sorgen würden, dass das Verständnis dafür verloren geht, was Strafjustiz ist, zum System von 1810 zurückkehren wollen, aber ebenso misstrauisch auch gegenüber Leuten, die im Grunde dieses System von 1810 akzeptieren und es einfach nur durch psychiatrische und psychologische Abänderungen anpassen, ver­ bessern, abmildern. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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Die Sorge um die Wahrheit »Le souci de la vérité«, in: Le Nouvel Observateur.; Nr. 1006, 17.-23. Februar 1984, S. 74-75. (Über den Tod des Historikers P. Ariès).

Lange Zeit konnte man ihn nahe des Rond-point Bugeaud in einem alten herrschaftlichen Haus antreffen, das eine Verwaltung mit einem rätselhaften Namenszug in Büros umgewandelt hatte. Ich erinnere mich - doch täusche ich mich nicht? - an ein großes Zimmer mit dunkler Holzvertäfelung; es schien, als wäre es auf

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der abschüssigen Bahn seiner unbezwinglichen Geschichte vom genius loci einen Moment lang zurückgehalten worden; es hatte etwas von dem Salon bewahrt, der es einst war; seine Dunkelheit ähnelte dem Düsteren einer Bibliothek. Philippe Ariès war ein Mensch, den nicht zu mögen schwer gefallen wäre: Er ging regelmäßig zur Messe seiner Gemeinde, hatte aber stets sein Ohropax dabei, um sich die liturgischen Al­ bernheiten des Zweiten Vatikanums nicht anhören zu müssen. Seine Familie stammte aus Martinique und zählte zur Anhänger­ schaft von Maurras, aber sie rang darum, Daudet (der nicht zu­ hörte) davon zu überzeugen, dass Saint-John Perse kein Neger war. Ein anerkannter Hochschullehrer, den man fragte, was das also für ein einzigartiger Historiker wäre und welches Vertrauen man ihm schenken könnte, brachte die Neugier seines Gesprächs­ partners und dessen etwaiges Wohlwollen mit einer Antwort im typischen Nachkriegs-Sorbonne-Stil zum Erliegen: »Das ist,einer, der ein Vermögen haben muss.« In der Tat hatte Ariès Eleganz moralische und intellektuelle Eleganz, was sehr wohl ein recht seltenes Vermögen ist. Die Dummköpfe - ich meine Herrn Lawrence Stone - glaub­ ten, sie enthüllten sein Geheimnis, als sie daran erinnerten, dass er rechts stand, dass er Traditionalist blieb, dass er der Action fran­ çaise angehört und für einige Zeit auf der Seite Vichys gestanden hatte. Andere, durchtriebenere, meinten, er würde darunter lei­ den, dass er ein Amateurhistoriker war, durch die Zwänge des Berufs genötigt, dies zu bleiben, und in ängstlicher Erwartung, endlich von der Institution anerkannt zu werden. Ich glaube, das Wesentliche lag woanders: Wie bei fast allen lag sein Geheim­ nis im Zentrum seines Lebens und in seinem sichtbarsten Teil. Über dreißig Jahre hinweg übte Ariès einen Beruf aus, der ihn begeisterte und der ihn an einen Kreuzungspunkt der Moderne versetzte: Er hatte sich mit der landwirtschaftlichen Entwicklung in ehemaligen Kolonialländern zu beschäftigen, er hatte ein Do­ kumentationszentrum aufzubauen, und er war einer der Ersten, der dabei die revolutionären Möglichkeiten der Informatik an­ wandte; er bereiste die Welt und traf sich mit jenen großen inter­ nationalen Technokraten, deren Entscheidungen mitunter solche über Leben und Tod sind, die ganze Bevölkerungsgruppen retten oder dem Hunger preisgeben.

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»Ein Sonntagshistoriker«, wie er selbst sagte. Doch gerade diese beruflichen Aktivitäten und seine gut gefüllte Woche gaben ihm die Kraft zu seinen Historiker-Wochenenden. An die direkte Er­ fahrung einer planetarischen und technischen Moderne schloss sich bei ihm eine niemals aufgegebene, niemals erloschene Emp­ findsamkeit an: die eines Bürgers aus der Provinz. Seine berufliche Praxis erlaubte es ihm, in die allgemein verbreitete historische Forschung ein Unbehagen hineinzutragen, das bezeichnend war für das Milieu, aus dem er kam: die Schwierigkeit, die Werte und Normen einer Lebensweise mit der Entwicklung der technischen Rationalitäten in Einklang zu bringen. Dies führte ihn zu Prob­ lemstellungen, die von denen eines Max Weber nicht sehr weit entfernt waren (den er nicht kannte, den er aber auch nicht wie manche Ignoranten mit Spengler verwechselte). Max Weber interessierte sich vor allem für die ökonomischen Verhaltensführungen; Aries dagegen für die Verhaltensführungen, die das Leben betreffen. Zweifellos war die Bedeutung biologi­ scher Prozesse in der Geschichte nichts, was er zu entdecken hatte; aber er erkannte, dass Leben und Tod nicht allein durch ihre Auswirkungen auf die Gattung im Werden der Menschen präsent waren; sie wirken sich auch mittels der Einstellungen aus, die die Gesellschaft, die Gruppen und die Individuen ihnen gegenüber einnehmen können. Geboren werden, groß werden, sterben, krank sein: so einfache und scheinbar so beständige Din­ ge. Aber die Menschen haben ihnen gegenüber komplexe und wechselnde Einstellungen entwickelt, die nicht nur den Sinn ver­ ändern, den man ihnen verleiht, sondern mitunter auch die Kon­ sequenzen, die sie haben können. Ariès hatte die Idee, die Analyse dieser komplexen Figuren durchzuführen, die innerhalb der menschlichen Kultur dem Elementaren des Lebens Gestalt ver­ leihen. Nacheinander untersuchte er die demographischen Sachverhal­ te, und zwar nicht als biologischen Hintergrund einer Gesell­ schaft, sondern als eine Weise, sich zu sich selbst, zu seiner Her­ kunft und zur Zukunft zu verhalten, dann die Kindheit, die für ihn eine Gestalt des Lebens war, die von der Einstellung und der Empfindsamkeit der Erwachsenenwelt umgrenzt, bewertet und geformt wurde, und schließlich den Tod, das von den Menschen ritualisierte, inszenierte, glorifizierte und mitunter auch, wie heu-

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te, neutralisierte und annullierte Schicksal aller. »Geschichte der Mentalitäten« - er selbst hat dieses Wort gebraucht. Aber man braucht nur seine Bücher zu lesen: Er hat eher eine »Geschichte der Praktiken« geschrieben, der Praktiken, die die Form einfacher und fester Gewohnheiten haben, sowie der Praktiken, die eine prunkvolle Kunst erschaffen können; und er hat die Einstellung, die Weise des Vorgehens oder des Seins, des Handelns oder des Empfindens aufzudecken gesucht, die für beides die Wurzel sein konnte. Mit aufmerksamem Blick sowohl für die stumme Geste, die Jahrhunderte überdauert, als auch für das einzigartige Werk, das in einem Museum ruht, gründete er das Prinzip einer »Stilistik der Existenz« - ich meine damit eine Untersuchung der Formen, durch welche der Mensch in dem ihm beschiedenen Schicksal seiner Lebendigkeit und Sterblichkeit sich äußert, sich erfindet oder sich verneint. Ariès erzählte gern von den Ideenschlachten der Vorkriegszeit, in denen er seine von Rauflust geprägte Jugend geformt hatte. Er hätte zwischen zwei Denkweisen zu wählen gehabt, sagte er. Die eine, »von rechts«: Man legte sein Vertrauen in die Kontinuität einer Nation, um sich keine Sorgen um die Auswirkungen zu machen, die darin die Fortschritte der Technik und der Rationa­ lisierung hervorbringen konnten. Die andere war die »von links«: Sie legte genügend Vertrauen in den Fortschritt, um geduldig die notwendigen oder nützlichen Auswirkungen abwarten zu kön­ nen. Ariès hatte sich also für Erstere entschieden. Doch die Grün­ de für seine Wahl - seine Bindung an einen Stil, an Werte, an eine Lebensweise - hatten ihn rasch zur Anerkennung von Postulaten geführt, die denen der Gegenposition näher standen. Und diesem Denken, von dem er ausgegangen war, brachte er am Ende einige ernsthafte Verletzungen bei, die einige seiner Freunde ihm nur mit Mühe verzeihen konnten. Wie kann man denn, wenn man mit der monarchistischen Tradition die große Kontinuität einer Nation begründen will, jene tief greifenden Dis­ kontinuitäten annehmen, die, oft stillschweigend, die Empfind­ samkeit und die Einstellungen einer ganzen Gesellschaft prägen? Wie kann man den politischen Strukturen eine größere Wichtig­ keit einräumen, wenn man die Geschichte über dunkle Gesten laufen lässt, die häufig schlecht definierte Gruppen beibehalten oder abändern? Die ganze Rechte hatte da durchaus Mühe, sich

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darin wiederzuerkennen. Eine bestimmte Weise, seine Tradition zu sehen und zu lieben, hatte diesen Traditionalisten eine andere Geschichte entdecken lassen. Und mit dieser Generosität, dieser Ironie und dieser Losgelöst­ heit des großen Herrn, die man allesamt in seinem Lachen ver­ nahm, machte er der anderen Geschichte, der Geschichte der His­ toriker an den Universitäten, die ihn ihrerseits mit Bedacht vernachlässigt hatten, das unverhoffte Geschenk dieses neuen Blicks. Wir alle sind dieser Konvertiten des Marxismus überdrüssig, die geräuschvoll ihre Grundsätze und ihre Grundwerte ändern, aber im Figaro von heute genauso kurzschlüssig denken wie in La Nouvelle Critique von gestern. Ariès dagegen hatte die Treue des Erfindungsreichen: Das war seine intellektuelle Moral. Seiner Ar­ beit verdanken wir alle außerordentlich viel. Doch um die persön­ liche Schuld für das, was ich ihm verdanke, zu begleichen, würde ich mir wünschen, dass das Beispiel dieses Mannes bewahrt wird, der seine Treue zu erarbeiten, seine dauerhaften Entscheidungen anders zu reflektieren und in eifriger Beharrlichkeit seine Kraft darauf zu verwenden wusste, aus Sorge um die Wahrheit sich selbst zu verändern. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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Der Stil der Geschichte »Le style de Phistoire« (Gespräch mit A. Farge und den Journalisten des Matin, F. Dumont und J.-P. Iommi-Amunategui), in: Le Matin, Nr. 2168, 21. Februar 1984, S. 20-21.

- Michel Foucault, wie sind Sie Philippe Aries begegnet? M. Foucault: Das war Zufall, reiner Zufall. Ich hatte zu der Zeit gerade die Histoire de la folie [Wahnsinn und Gesellschaft] been­ det, die niemand verlegen wollte. Auf Anraten eines Freundes habe ich also mein Manuskript zu Pion gebracht. Keine Antwort. Nach einigen Monaten ging ich dorthin, um es zurückzuholen.

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Man gab mir zu verstehen, dass man es, um es mir zurückgeben zu können, erst einmal wieder finden müsse. Und dann fand man es eines Tages in einer Schublade wieder und stellte da erst fest, dass es ein Buch über Geschichte war. Man gab es Ariès zu lesen. So lernte ich ihn kennen. - Sie haben niemals mit ihm gearbeitet? M. Foucault: Nein, da wir beide außerhalb eines der raren Orte in Frankreich waren, an denen man eine kollektive Forschungsarbeit durchführen konnte, den Hautes Etudes. Die Tür war für uns beide verschlossen. Ich bin ins Ausland gegangen, er hat weiter seine Forschungsagentur betrieben. Doch dieser Beruf hatte, das hat er oft gesagt, einen positiven Einfluss auf seine Arbeit als Historiker. Ein »Bananenhändler«, wie das einer seiner Histo­ rikerkollegen behauptete? Er war in der Tat mit einem Doku­ mentationszentrum über die Landwirtschaft in der Dritten Welt beschäftigt, was ihn sehr aufmerksam werden ließ für die Bezie­ hungen zwischen Leben, Tod und Geschichte, und was ihn auch sehr vertraut machte mit den modernen Techniken der Informa­ tik. - Sie sagten über seine Schriften, dass sie eine »Stilistik der Exis­ tenz« erschaffen würden, dass sie aufmerksam wären »für die stummen Gesten, die überdauern«. Kann man nicht dasselbe über Ihre Arbeiten sagen? M. Foucault: Ariès war der Initiator. Er legte großen Wert auf die Idee, dass es zwischen einem in der entlegensten Tabelle darge­ stellten Geschehen und der ganzen Schicht alltäglicher Gescheh­ nisse etwas Gemeinsames zu lesen geben könnte. Hierin und darin sah er eine Gestaltung der Existenz, der Verhaltensführung, des Gefühls - ein Stil des Seins, der ihnen gemeinsam war. Und darin ist Ariès, glaube ich, ein wichtiger Vorläufer für eine ganze Reihe an aktuell laufenden Forschungen. So misst ein Historiker der Spätantike, Peter Brown, dem Stilbegriff in den menschlichen Beziehungen und den Verhaltensweisen eine beträchtliche Bedeu­ tung bei. Ich bin nicht sicher, dass Ariès genau das Wort »Stil« verwandt hätte, aber darum ging es.

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A. Farge: Sehr wichtig ist der Moment, an den Philippe Ariès im Anschluss an Lucien Febvre während des Bruchs der sechziger Jahre gelangt: als man mit den »Errungenschaften« des Vulgär­ marxismus brach. Und bei Ariès gab es kein Dogma, keinen Wil­ len zur Schulbildung; es gab vielmehr eine Intuition, eine Naivität, eine Fähigkeit, das Wirkliche auf eine neue Weise aufzunehmen. Und das ist auch der Grund, warum er, wie ich glaube, auf jeman­ den gestoßen ist, der gleichfalls außerhalb der Annales stand, Ro­ bert Mandrou; und aus diesem Grunde hat er auch mit ihm am Ansatz der historischen Psychologie arbeiten und mit ihm eine Buchreihe zur Geschichte der Mentalitäten auf die Beine stellen können. Das ist ein sehr wichtiger, aber wenig bekannter Moment der französischen Geschichtsschreibung. M. Foucault: Ich habe neulich in den Zeitungen gelesen, die französischen Intellektuellen seien seit 1975 nicht länger Marxis­ ten, und zwar wegen Solschenizyn. Es gibt da was, worüber man nur lachen kann. Beckett, Warten auf Godotf das ist wann? Die ersten Artikel von Barthes über die Mythen des Alltags,12 das ist wann? Die Konzerte des Domaine musical,3 das ist wann? LéviStrauss, das ist wann? Und Ariès? Es gab, sagen wir, von 1950 bis i960 eine ganze Reihe von größeren Ereignissen, die einen kulturellen, ästhetischen, wissen­ schaftlichen und künstlerischen Planeten von einer ganz anderen Art ausgebildet haben als das, was von Marxismus und Phänome­ nologie hatte ausgearbeitet und hinterlassen werden können. Was nicht die geringste Missachtung impliziert: Diese Denkweisen wa­ ren ganz und gar wichtig. Doch wenn die Dinge sich ändern, dann ändern sie sich, und Ariès gehörte eben zu jener Menge neuer Dinge. Wogegen die Annales offensichtlich, obwohl sie konti­ nuierlich ihre Methode, ihre Probleme, usw. veränderten, in dieser Form einer zutiefst mit dem Marxismus verschwägerten Ge­ schichte verwurzelt waren... 1 [Beckett, S., En attendant Godot, Paris 195 3; dt.: Warten auf Godot, Berlin/Frankfurt am Main 1953.] 2 [Barthes, R., Mythologiesy Paris 1957; dt.: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964.] 3 [Domaine musical war seit 1955 der Titel für eine von Pierre Boulez 1954 zunächst als Concerts du Petit Marigny gegründete und bis 1967 geleitete Konzertreihe. A.d.Ü.]

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A. Farge: Einer gesellschaftlichen Geschichte der Klassenbil­ dungen ... M. Foucault: Ja, einer Geschichte der Gesellschaft und der Ökonomie, wie sie sagten. A. Farge: Ich glaube auch, dass Ariès’ großer Bruch, das, wes­ halb er im Übrigen lange Zeit ignoriert wurde, das vollständige Fehlen jeder Quantifizierung in diesen Büchern ist. Die Demo­ graphie war freilich zu jener Zeit schon vollkommen souverän. M. Foucault: Seine Einzigartigkeit besteht darin, dass er von jenem Material ausging, welches das bevorzugte Terrain des Quantitativismus war, und er daraus etwas anderes machte, das nicht dem Maß unterstand. A. Farge: Ja, und das, was man ihm häufig vorwarf, war die Repräsentativität: Ist das repräsentativ, und für was, für wen? Also holte man das System der Klassenbildungen wieder hervor. An­ dererseits hat er über die lange Dauer gearbeitet, was bei derlei Themen ebenfalls nicht üblich war. - Letztlich haben die Arbeiten von Aries am Ende doch die Dinge in Bewegung versetzt; die Ihren ebenfalls. M. Foucault: In der französischen Universität, zumindest in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen und den Humanwissen­ schaften, ist vor allem in der Geschichte die fruchtbarste und die interessanteste Arbeit geleistet worden. Was man im Ausland die französische historische Schule nennt, ist etwas, wofür man nichts Vergleichbares in anderen Disziplinen findet... Die Ge­ schichte ist seit dem 19. Jahrhundert die große Wissensinstitution in der geisteswissenschaftlichen Universität gewesen. Und alle Institutionen haben ihre Starrheit, ihre Kontinuität, ihr Gewicht und ihre inneren Konflikte, die sie vor Überfällen von außen schützen. Eines Tages wird es sicherlich interessant sein zu sehen, warum eine bestimmte Anzahl von Leuten mit Bedacht draußen gehalten wurde, oder zu sehen, wie diejenigen, die eben von innerhalb der Institution die Dinge ein wenig in Bewegung versetzen konnten, oft eine andere Ausbildung hatten (so kommt Arlette Farge aus der juristischen Fakultät).

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- Aries und Sie haben dazu beigetragen, die Untersuchungsthe­ men zu verändern. Man braucht nur an die Titel historischer Wer­ ke aus jüngster Zeit zu denken: Le Purgatoire, Le Péché et la Peur4 sind zu Gegenständen der Historie geworden. Beide haben Sie eine Archäologie der Repräsentation begonnen. M. Foucault: Noch einmal, ich glaube, es ist Ariès, der wichtig ist, er hat die Dinge in Bewegung gebracht. A. Farge: Sie hatten dennoch in der Historie eine ähnliche, »bil­ derstürmerische« Herangehensweise. Ariès* Beitrag ist der des Empfindsamen, eine Geschichte der Empfindsamkeiten zu schrei­ ben, das war äußerst subversiv. Ariès widersetzte sich so einem kollektiven Unbewussten, und zugleich mit Mandrou und nach der von Lucien Febvre geforderten Öffnung sorgte er für die Ent­ deckung all dessen, was zum Alltäglichen gehörte. Und Sie haben einen vergleichbaren Beitrag erbracht: derselbe Bruch in der Me­ thode, als Erstes. Ich denke an Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen]: Sie arbeiten zugleich über die institutionellen Ver­ schiebungen und über den auf die Institutionen gerichteten Blick. Auch die Herangehensweise war subversiv. M. Foucault: Ja, aber Ariès war Historiker, hat das Werk eines Historikers schreiben wollen. Während ich im Grunde Philoso­ phie betrieb. Was mich umgehauen hatte, das war, dass in der Philosophie, so marxistisch die Leute zu jener Zeit auch waren, und Gott weiß, wie sehr sie es waren, ihre Ignoranz der Geschich­ te, ich will nicht sagen, eine totale, aber eine prinzipielle war. Bei den Philosophiestudenten war es eine Grundregel: Da man ja Marxist war, brauchte man die Geschichte nicht zu kennen; man kannte sie, wie man ein altes Familiengeheimnis kennt, zu dem der Schlüssel seit langem aufgedeckt ist. Und das, was ich machen wollte, lag innerhalb der Ordnung der Philosophie: Kann man eher philosophisch über die Geschichte der Wissensarten als historischem Material als über eine Theorie oder eine Philosophie der Geschichte reflektieren? Auf eine ir­ gendwie empirische und wenig geschickte Weise nahm ich eine Arbeit in Angriff, die der Arbeit der Historiker so nah wie mög­ lich war, ich tat es allerdings, um philosophische Fragen zu stellen, 4 [Delumeau, J., Le Péché et la Peur: la culpabilisation en Occident, siècle, P a r i s

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die die Geschichte der Erkenntnis betrafen. Ich setzte auf den guten Willen der Historiker. A Farge: Gegen Ende seines Lebens schloss Ariès ein wenig an das an, was Sie in den Büchern untersuchen, die bald herauskom­ men werden. Er war verantwortlich für einen der Bände einer Geschichte des privaten Lebens5 bei Seuil. Und er nahm diese ganzen Probleme auf, über die wir gerade sprachen: der Stil, viel­ leicht, mit Sicherheit aber die Selbstkenntnis, die Intimität, den Rückzug auf sich. Das waren seine letzten Forschungsrichtungen: eine Arbeit über das »In-Sich«, das »Uber-Sich«. M. Foucault: Und noch dabei haben wir uns auf einer gemein­ samen Grenze getroffen, doch gingen wir von zwei verschiedenen Bereichen aus. Als ich bei den Philosophen der Antike die erste Formulierung einer bestimmten Sexualethik suchte, wurde ich überrascht von der Wichtigkeit dessen, was man die Selbstprakti­ ken nennen konnte, die Aufmerksamkeit auf sich selbst, die Aus­ gestaltung der Selbstbeziehung. A Farge: Und auch Ariès sprach letztes Jahr vom Geschmack, vom Selbstbewusstsein. M. Foucault: Er hatte, glaube ich, vollkommen erfasst, dass die Selbstbeziehung, die sich selbst eingeräumte Wichtigkeit, die Selbstkultur nicht, wie man gewöhnlich sagt, ein bloßer Effekt des Individualismus ist. Man kann ganz und gar gesellschaftliche Gruppen haben, die nicht individualistisch sind und in denen es Selbstkultur gibt. Ein Kloster ist keine individualistische Institu­ tion, und doch sind das Innenleben und die Aufmerksamkeit auf sich darin aufs Äußerste entwickelt. In bestimmten Gruppen des reformierten Christentums im 17. Jahrhundert wurde ebenfalls mit dieser Selbstkultur eine äußerste Bedeutung verbunden, und dies in Gruppen, Familien, Gemeinschaften, Gemeinden, die nicht individualistisch waren. Ariès war, wenn ich es richtig ver­ standen habe, diesen Problemen nahe... A Farge: Ja, aber er stolperte über das Problem des Staates. Für ihn existierte der Staat nicht; er sah das Privatleben außerhalb des Staates, während doch in der Periode, die er untersuchte, vom 15. bis zum 18.Jahrhundert, der Staat sehr prägnant wurde. Und 5 [Histoire de la vie privée, Paris [1986]; Bd. III: De la Renaissance aux Lumières, unter der Leitung von P. Ariès und R. Chartier; dt.: Geschichte des privaten Lebens, Bd. 3: Von der Renaissance zur Aufklärung,, Frankfurt am Main 1991.]

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während der letzten Monate hatte er versucht, das Problem wie­ der aufzunehmen, unter Berücksichtigung des Staates - denn er war offen für sämtliche Einwände. Aber das ist ja ein Thema, auf das Sie eingegangen sind? M. Foucault: Ja, aber ich bin den umgekehrten Weg gegangen. Der Staat schien mir eine konstitutive Bedeutung zu haben, und in der Arbeit, die Arlette Farge und ich gemeinsam unternommen hatten,6 war es eine begeisternde Sache, zu sehen, wie Staat und Privatleben sich überlappten, aneinander stießen und sich zu­ gleich ineinander fügten. Doch wenn man tiefer in die Antike zurücksteigt, wird man gewahr, dass das Selbstverhältnis sich nur außerhalb des Staates analysieren lässt, weil man damals nicht wirklich von einem Staat sprechen kann. Sicher, die Modi einer Gesellschaftlichkeit fehlen niemals bei den vom Selbstverhältnis ausgefüllten Formen, doch muss man sich von dem vereinfachen­ den Schema befreien, gemäß welchem sich der Individualismus in dem Maße entwickelt, wie sich der Staat entwickelt. A. Farge: Würden Sie so weit gehen wie Rancière und behaup­ ten, dass das Volkstümliche nicht einfach nur Praktiken und Ver­ haltensweisen sind, sondern auch ein Denken? M. Foucault: Wenn es stimmt, dass die Vorstellungen allzu oft in Ideologiebegriffen interpretiert wurden (der erste Fehler), und dass das Wissen allzu oft als eine Menge von Vorstellungen be­ trachtet wurde (der zweite Fehler), dann besteht der dritte Fehler dann, dass man vergisst, dass die Leute denken, und dass ihren Verhaltensweisen, ihren Einstellungen und ihren Praktiken ein Denken innewohnt. A. Farge: Die Geschichtswissenschaft wird nun einen weiten Weg gehen müssen. Wenn man heute nicht über die Eliten, son­ dern über die unteren Klassen des Volkes arbeitet, untersucht man deren Praktiken und deren Verhaltensweisen. Man nimmt eine Gleichsetzung vor: Sie haben Praktiken, Vorstellungen, unter Umständen eine Symbolik, und das ist dann ihre Kultur. Das ist nicht haltbar. M. Foucault: Es stimmt nicht, dass es nur einige wenige gibt, welche denken, und andere, die nicht denken. Es verhält sich mit dem Denken wie mit der Macht. Es stimmt nicht, dass es in einer 6 [Le Désordre des familles, Paris 1982; dt.: Familiäre Konflikte, Frankfurt am Main 1989.]

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Gesellschaft Leute gibt, die die Macht haben, und unterhalb da­ von Leute, die überhaupt keine Macht haben. Die Macht ist in der Form von komplexen und beweglichen strategischen Relationen zu analysieren, in denen niemand dieselbe Position einnimmt und nicht immer dieselbe behält. So verhält es sich auch mit dem Den­ ken. Es gibt nicht einerseits zum Beispiel das medizinische Wis­ sen, das in der Form einer Geschichte des Denkens zu untersu­ chen ist, und darunter das Verhalten der Kranken, das der Stoff zu einer historischen Ethnologie wäre. Seit zwanzig Jahren scheint es mir so, dass das Objekt der Ge­ schichte zu einem anderen wird. Seit dem Ende des 19. Jahrhun­ derts bis ungefähr i960 war die Gesellschaft das Grundobjekt der Geschichte. Alles das, was nicht als Analyse einer Gesellschaft betrachtet werden konnte, gehörte nicht zur Geschichte. Es ist bemerkenswert, dass die Annales niemals über die französischen Wissenschaftshistoriker wie Bachelard und Canguilhem gespro­ chen haben, zumindest nicht vor 1970. Das war keine Geschichte, weil es keine Sozialgeschichte war. Die Geschichte der Rekrutie­ rung der Population der Arzte zu schreiben, das war Geschichte, die Verwandlungen des Begriffs »normal« dagegen waren das nicht. Lind dennoch hatten diese Verwandlungen auf die ärztli­ chen Praktiken und auf die Gesundheit der Bevölkerung nicht zu vernachlässigende Auswirkungen gehabt. Man muss sich eben mit Max Weber in Erinnerung rufen, dass die Rationalität nicht nur das Produkt einer Gesellschaft, sondern auch ein konstitutiver Faktor für die Geschichte der Menschen ist. A. Farge: Jetzt ändert sich das, und doch sind das Bereiche, über welche man seit ungefähr fünf Jahren arbeitet. Gleichzeitig gab es aufgrund genau des Einflusses von Ariès eine sehr starke Zerbrö­ ckelung des historischen Gegenstands. Man hat jetzt eine sehr weitgehend in Stücke zerschnittene Historie: die Ernährung, die Sexualität, die Krankheit, die Furcht, die Frauen. Und das Über­ raschende daran ist sicherlich die Entleerung vom Marxismus und im Grunde die Entleerung vom Konflikt. Und alle diejenigen, die auf eine sehr heitere, sehr friedliche Weise Geschichte schreiben über derartige Themen, verlassen sich auf Ariès. Ich bin im Übri­ gen nicht sicher, dass Ariès dies gewünscht hätte. Tatsache ist, dass man so die Zusammenstöße, die Konflikte und die Kräfteverhält­ nisse außen vor lässt, und das ist vielleicht eine ernste Sache.

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M. Foucault: Sie haben Recht, wenn Sie diese Grenzen und diese Probleme hervorheben. Sie haben Recht, wenn Sie ebenfalls unterstreichen, dass das die Konsequenz einer schematischen Re­ produktion ist, die Ariès nicht gewollt hätte; was uns zu der Frage der Wissensinstitutionen und zu der Tatsache zurückführt, dass sie in Frankreich sehr wenig fähig scheinen, eine ihrer wesent­ lichen Funktionen zu übernehmen: Diskussionsorte zu eröffnen. Sie dienen mitunter noch dazu, die Autorität derer, die urteilen und ausschließen, zu stabilisieren. Wer hat, außer Vovelle in Aix, in Paris Ariès während der sechziger Jahr die Möglichkeit gege­ ben, seine Ideen in die Auseinandersetzung einzubringen und sie mit den Historikern »vom Fach« zu diskutieren? Dass er seine Revanche hatte, ist umso besser, dass er mit einem Lächeln davon Gebrauch machte, ist sein Verdienst. Doch dass in unserer Zeit ein Historiker von dieser Bedeutung so lange aus dem Austausch und den Diskussionen herausgehalten wurde, stellt ein Problem dar und sollte ein Problem darstellen. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

349 Interview mit Michel Foucault »Interview met Michel Foucault« (»Interview de Michel Foucault«; Gespräch mit J. François und J. de Wit am 22. Mai 1981; übersetzt von H. Merlin de Caluwé), in: Krisis, Tijdschrift voor filosofie, 14. Jg., März 1984, S. 47-58.

- Sie halten gerade1 in Belgien an der katholischen Universität von Louvain eine Reihe von Vorträgen über das Geständnis. Wo sehen Sie das Interessante an dieser Problematik, und welche Be­ deutung hat sie für Ihr Werk im Ganzen? - Ich habe mich stets bemüht zu verstehen, wie die Wahrheit die Dinge berührt, und wie eine gewisse Anzahl von Bereichen nach und nach in die Problematik der Wahrheit und die Suche nach ihr 1 [Die juristische Fakultät der katholischen Universität von Louvain lud Michel Foucault 1981 auf Initiative der École de criminologie ein. Dieser gab im Rahmen des Lehrstuhls Franqui eine Reihe von sechs Vorträgen unter dem Titel: »Mal faire, dire vrai. Fonctions de l'aveu en justice«.]

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einbezogen wurden. Ich habe dieses Problem zunächst mit Bezug auf den Wahnsinn zu stellen versucht. Mit der Histoire de la folie [Wahnsinn und Gesellschaft] habe ich nicht die Geschichte der psychiatrischen Nosographie schrei­ ben wollen, und ich habe auch keine Listen aufstellen wollen, auf denen allerlei Arten psychiatrischer Etikettierungen versammelt sind. Mein Ziel war nicht herauszufinden, wie die Kategorie der »Schizophrenie« allmählich verfeinert wurde, und auch nicht, der Frage nachzugehen, wie viele Schizophrene es im Mittelalter gab. In diesem Fall hätte ich das moderne psychiatrische Denken in seiner Kontinuität zum Ausgangspunkt gewählt; stattdessen stell­ te ich mir Fragen nach der Entstehung dieser Praxis und des mo­ dernen psychiatrischen Denkens: Wie ist man dazu gekommen, sich nach der Wahrheit des Ichs zu fragen, indem man sich auf seinen Wahnsinn gründet. Die Tatsache, dass das Verhalten von jemandem, der für wahn­ sinnig gehalten wird, zum Gegenstand der Suche nach der Wahr­ heit wird, und dass sich darauf ein Bereich von Erkenntnissen als medizinische Disziplin aufpfropft, ist ein eher jüngeres Phänomen mit einer kurzen Geschichte. Wir müssen untersuchen, wie die Wahnsinnigen auf das Terrain der Suche nach der Wahrheit gelangt sind; das ist das Problem, das mich in der Histoire de la folie beschäftigt hat. Ich habe mir diese Frage gleichermaßen in Les Mots et les Cho­ ses [Die Ordnung der Dinge] mit Bezug auf die Sprache, die Ar­ beit und die Naturgeschichte gestellt. Ich habe sie gleichermaßen mit Bezug auf das Verbrechen in Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen] gestellt. Man hat auf das Verbrechen stets mit Reak­ tionen auf institutioneller Ebene geantwortet, doch seit dem 17. und dem 18. Jahrhundert hat man diese Praxis durch eine gericht­ liche Vernehmung erweitert, die nicht länger ganz einfach nur eine juristische Vernehmung zur Sache war und die Bestrafung rechtfertigen konnte, sondern eine auf das Ich des Verbrechers gerich­ tete Suche nach der Wahrheit. Was war seine Persönlichkeit mit all seinen Begierden und Phantasien? Ebenso verhält es sich mit der Sexualität; man darf sich nicht nur fragen, welches die durch die Reglementierung dem Sexualverhal­ ten auferlegten einander folgenden Formen waren, sondern wie dieses Sexualverhalten zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Ge-

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genstand eines nicht nur praktischen, sondern gleichfalls theoreti­ schen Eingreifens wurde. Wie lässt es sich erklären, dass der mo­ derne Mensch seine Wahrheit in seinem sexuellen Begehren sucht? Das Problem der Wahrheit im Verhältnis zu dem des Wahn­ sinns zeigt sich zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert auf dem Umweg über die im Entstehen begriffene institutioneile Pra­ xis der Einkerkerung. Die Histoire de la folie erforscht die Ver­ bindung zwischen der Ausschließung und der Wahrheit. Die Institution Gefängnis impliziert nicht einfach nur die Aus­ schließung, sondern seit dem 19. Jahrhundert auch Verfahren der Besserung; und gerade mit diesem Vorhaben einer Besserung des Häftlings stellt man in der Tat die Frage nach der Wahrheit des Verbrechers. Die Frage der sexuellen Wahrheit wiederum führt uns in die ersten Jahrhunderte des Christentums zurück. Sie äußert sich in der Praxis des Bekenntnisses und des Geständnisses; das ist eine sehr wichtige Praxis in unserer Kultur mit einer für die Geschichte der Sexualität im Abendland maßgeblichen Bedeu­ tung. Seit dem 16. und dem 17. Jahrhundert stehen wir also mit drei Serien in Berührung: Ausschließung - Wahnsinn - Wahrheit, Besserung - Gefängnis - Wahrheit, Sexualverhalten - Geständnis -Wahrheit. - In Surveiller et Punir stellen Sie sich kaum Fragen nach dem Ich des Verbrechers, während die Suche nach der Wahrheit des Wahn­ sinnigen das Hauptthema in der Histoire de la folie bildet. Sur­ veiller et Punir endet 1850. Die Kriminologie als Wissen vom Ver­ brecher taucht erst im Anschluss daran auf... - Ich hätte die Betonung mehr auf die zweite Hälfte des 19. Jahr­ hunderts legen sollen, aber mein persönliches Interesse lag anders­ wo. Ich hatte bemerkt, dass man häufig die Institution Gefängnis mit der Praxis der Einkerkerung als Bestrafung verwechselte. Das Gefängnis gab es im Mittelalter und in der Antike. Das ist unbe­ streitbar, aber mein Problem bestand darin, die Wahrheit des Ge­ fängnisses offen zu legen und zu erkunden, innerhalb welchen Rationalitätssystems und in welchem Programm zur Beherr­ schung der Individuen und der Delinquenten insbesondere das Gefängnis als ein wesentliches Mittel betrachtet wurde. Ich halte dagegen an meinem Vorhaben fest, eine Untersuchung über die

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Psychiatrie im Zusammenhang mit dem Strafrecht durchzufüh­ ren, die ihren Platz am Schnittpunkt zwischen der Geschichte des Wahnsinns und der Geschichte der Einkerkerung als Bestrafung hätte und demonstrieren sollte, wie die Frage der Wahrheit des Verbrechers entsteht. - Welchen Platz nimmt das Geständnis in diesem Ganzen ein? - In einem gewissen Sinne ist die Untersuchung des Geständnis­ ses rein instrumenteil. Die Frage des Geständnisses taucht in der Psychiatrie auf. In der Tat beginnt Leuret damit, auf das, was der Wahnsinnige sagt, zu hören, wenn er ihn fragt: »Was sagen Sie, was meinen Sie damit und wer sind Sie hierbei, was heißt das, was Sie sagen?« Die Frage des Geständnisses, die ebenfalls sehr wich­ tig für das Funktionieren des Strafrechts war, steht in den Jahren 1830 bis 1850 im Vordergrund, in der Zeit, in der man vom Ge­ ständnis als Geständnis des Vergehens zur komplementären Frage übergeht: »Sagen Sie mir, was Sie getan haben, aber sagen Sie mir vor allem, wer Sie sind.« Die Geschichte Pierre Rivières ist für dieses Thema bezeich­ nend. Angesichts dieses Verbrechens, das niemand verstand, sagte der Untersuchungsrichter 1836 zu Pierre Rivière: »Also, es steht fest, dass Sie Ihre Mutter, Ihre Schwester und Ihren Bruder getötet haben, aber ich begreife einfach nicht, aus welchem Grund Sie sie getötet haben. Schreiben Sie es bitte auf.« Es handelt sich in dem Fall um eine Bitte um ein Geständnis, der Pierre Rivière nachgekommen ist, wenn auch auf eine so rät­ selhafte Weise, dass der Richter nicht mehr wusste, was er damit machen konnte. Ich stoße unablässig auf das Geständnis und ich schrecke so­ wohl davor zurück, die Geschichte des Geständnisses als eine Art Technik zu schreiben, als auch davor, diese Frage im Rahmen von Untersuchungen der unterschiedlichen Bereiche zu behandeln, in denen sie eine Rolle zu spielen scheint, das heißt dem Bereich der Sexualität und dem der Psychiatrie im Zusammenhang mit dem Strafrecht. - Ist die Bitte um das Geständnis nicht auch grundlegend im Ver­ hältnis zur Suche nach der Wahrheit des Ichs?

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—Unbedingt. Wir finden in der Tat im Geständnis eine Grund­ annahme über unsere Weise zu sein in Verbindung mit dem, was ich die Verpflichtungen der Wahrheit gegenüber nenne. Diese An­ nahme umfasst zwei Elemente: die Anerkennung der begangenen Tat (zum Beispiel das Verbrechen Pierre Rivières) entweder im Rahmen der Religion oder in dem der akzeptierten wissenschaft­ lichen Erkenntnisse; zum anderen die Verpflichtung, uns selbst, unsere Wahrheit zu kennen, aber gleichfalls sie zu erzählen, sie zu zeigen und sie als wahrheitsgemäß anzuerkennen. Das Problem besteht darin herauszufinden, ob diese Verbindung mit der Wahr­ heit, das betreffend, was wir sind, eine für das christliche Abend­ land spezifische eigene Form kennt. Diese Frage berührt die Ge­ schichte der Wahrheit und der Subjektivität im Abendland. Das Geständnis zum Beispiel gab es bereits bei den Klassikern in der Beziehung zum spirituellen Führer. Bei Seneca findet man die Gewissensprüfung [examen de conscience] ebenso wie die Verpflichtung, einer Art Beichtvater [directeur de conscience] die am Tag begangenen Fehltritte anzuvertrauen. Doch in diesem Kontext war die Gewissensprüfung vor allem eine auf die Grund­ sätze des richtigen Lebens hin ausgerichtete mnemotechnische Übung. Diese Gewissensprüfung erklärte also nicht die im Ich begründet liegende Wahrheit. Die Wahrheit fand sich anderswo, in den Grundsätzen des richtigen Lebens oder in der vollkomme­ nen Gesundheit. Die Wahrheit wurde nicht innerhalb der mensch­ lichen Person gesucht. Das Mönchstum hat diese Situation verändert. Bei den Mön­ chen wird die Technik des Geständnisses zur Technik einer Arbeit von sich an sich. Das Mönchstum hat folglich aufgrund seiner spezifischen Ausdeutung der spirituellen Führung die Funktion des Geständnisses verwandelt. Bei den klassischen Autoren leitete uns der Führer zu einem spezifischen Ziel: das richtige Leben oder die vollkommene Ge­ sundheit. War dieses Ziel einmal erreicht, wurde die Anleitung eingestellt, und man nahm an, dass der Führer jemand war, der auf dem Weg, der zu dem Ziel führt, schon weiter vorangekom­ men war. Das Mönchstum verwandelt diese Situation radikal. Man muss nicht nur die begangenen Fehltritte, sondern absolut alles, bis in die intimsten Gedanken hinein gestehen. Man muss sie ausformulieren.

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Genauso wie die Klassiker misstraute das Mönchstum nicht allein dem Fleisch, sondern auch dem Ich. Außerdem findet die Begleitung kein Ende mehr, der Mönch muss immer hinter ir­ gendeinem religiösen Führer Zurückbleiben. Die Begleitung ver­ wandelt sich in autoritäre Verhaltensführung, die mit der per­ sönlichen Entwicklung des Führers hin zu einem spezifischen Ziel nichts mehr zu tun hat: Sie ist zur Technik einer Arbeit von sich an sich geworden. Seitdem hat sich das Problem gestellt, warum das Geständnis außerhalb des Mönchstums seit dem 17. und 18. Jahrhundert zur Technik einer Arbeit von sich an sich schlechthin geworden ist. Und ebenfalls, warum seitdem das Dis­ positiv der Sexualität zum zentralen Kern geworden ist, um den herum die Techniken einer Arbeit von sich an sich gravitieren. Das genau stellt mein Problem dar. - Was ist aus Ihren Projekten zur Geschichte der Sexualität ge­ worden? Sie haben angekündigt, dass dieses Werk sechs Bände umfassen soll. .. - Ich hatte gleich erfasst - wie viele andere auch -, dass ich damit die Behauptung unterschrieben hatte, nach der die Geschichte des Wissens und der modernen Unterdrückung der Sexualität mit der großen Bewegung gegen die Sexualität der Kinder im 17. und im 18.Jahrhundert begonnen habe. Bestimmte medizinische Texte aus jener Zeit, die von der Masturbation der Kinder handeln, und die man gegenwärtig als sehr typisch für die bürgerliche Mo­ ral darstellt, sind in Wirklichkeit Übersetzungen griechischer medizinischer Texte. Man findet darin eine Beschreibung von Erschöpfungsphänomenen, hervorgerufen durch eine exzessive Praktizierung der Sexualität, und eine Warnung vor den sozialen Gefahren dieser Erschöpfung für die gesamte menschliche Gat­ tung. Das war nun ein weiteres Argument, nicht länger die be­ rühmten Texte des 18. Jahrhunderts als moderne Repression der Sexualität, bourgeoise Mentalität oder industrielle Notwendigkeit zu analysieren. In dem Schema der Repression ist das am häufigsten aufgeführ­ te Verbot das der Masturbation. Am Ende des 18. Jahrhunderts sollte in einem bestimmten Sinne die Verbannung der Masturba­ tion stehen. Doch was ist in Wirklichkeit geschehen? Man hat die

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Masturbation nicht durch das Verbot unterdrückt. Man darf sogar zu Recht unterstellen, dass diese niemals ein bedeutenderer und beneidenswerterer Einsatz war als zu der Zeit, als die Kinder vom kulturellen Standpunkt aus in dieser Art Verbot, Neugierde und Anstachelung lebten. Es ist also unmöglich, diese tiefgehende Beziehung zur Mastur­ bation als Hauptproblem der Sexualität zu verstehen, wenn man behauptet, sie sei verboten. Ich glaube, dass es in diesem Fall um eine Ich-Technologie geht. Genauso verhält es sich mit der Homo­ sexualität. Es gibt immer noch Historiker, die behaupten, im 18.Jahrhundert habe man die Homosexuellen verbrannt. Man kann das in den Gesetzbüchern lesen, doch wie viele hat man wirklich im 18.Jahrhundert in ganz Europa verbrannt? Meiner Ansicht nach nicht einmal zehn. Dagegen werden bekanntlich jedes Jahr in Paris Hunderte von Homosexuellen im Jardin du Luxembourg und in der Umgebung des Palais-Royal verhaftet. Muss man da von Repression spre­ chen? Dieses Verhaftungssystem lässt sich nicht durch das Gesetz oder durch den Willen, die Homosexualität (auf welche Weise auch immer) zu unterdrücken, erklären. Gewöhnlich werden sie für vierundzwanzig Stunden verhaftet. Wie soll man dieses Ge­ schehen erklären? Meine Hypothese ist, dass man eine neue Be­ ziehungsform zwischen der Homosexualität und der politischen, administrativen und polizeilichen Macht einführt. Folglich sind die im 17. Jahrhundert entstandenen Praktiken von anderer Art als die bereits seit der Antike existierende Repression. Festzustellen ist eine Restrukturierung der 1ch-Technologien rund um die Se­ xualität. In allen Bereichen der Gesellschaft wird die Sexualität zum allgemeinen, das Ganze der menschlichen Persönlichkeit er­ klärenden Dispositiv. - Wenn die Repression bereits während der Antike existierte, wel­ ches war dann ihre Form, und welche Veränderungen hat man beobachten können? - Diese Repression hat sich in einem völlig unterschiedlichen Kontext geäußert. Das Moralproblem, das in den klassischen Tex­ ten behandelt wird, betrifft die libido und nicht das Sexualver­ halten. Man fragt sich, wie man sich selbst beherrschen und wie

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man heftige Reaktionen gegenüber anderen vermeiden kann. Für das Sexualverhalten gibt es eine bestimmte Anzahl von Regeln, aber sie sind offensichtlich nicht sehr bedeutend. Man spürt sehr gut, dass das allgemeine Problem einer Ethik nicht die Sexualität betrifft. Das Problem geht in Richtung Libido, und hier kommt nun ein Beitrag des Christentums und genauer des Mönchstums. Wir sehen eng miteinander verbunden zwei Probleme entstehen: das Problem der Fresssucht und das der Sexualität. Wie kann man vermeiden, zu viel zu essen, und wie kann man die Triebe kon­ trollieren, die für einen Mönch nicht den sexuellen Kontakt mit anderen bedeuten, sondern das sexuelle Begehren als solches, die sexuelle Halluzination, die Sexualität als Beziehung von sich zu sich, begleitet von derlei Bekundungen wie der Phantasie* den Tagträumen... Mit den mit dem Mönchstum verbundenen Selbsttechniken löste die Sexualität das Problem der Libido ab, das ein gesell­ schaftliches Problem war und ein typisches Problem für eine Ge­ sellschaft, in der der Kampf mit den anderen, die Konkurrenz mit den anderen im gesellschaftlichen Bereich eine große Bedeutung hatte. Der spezifische Beitrag des Mönchstums kam folglich nicht in einer Abneigung gegen das Fleisch zum Ausdruck. Es war vor allem wichtig, diese Abneigung mit einem sexuellen Begehren als einer Äußerung der Person zu verbinden. Dass es die Sexualität als Dispositiv weder bei den Klassikern noch bei den Christen gab (da sie sich auf das Mönchstum beschränkte), impliziert nicht, dass die Christen oder die Klassiker keine sexuellen Erfahrungen hatten. Die Griechen und die Römer hatten einen Ausdruck, um die sexuellen Akte zu bezeichnen, die aphrodisia. Die aphrodisia sind die sexuellen Akte, bei denen es im Übrigen schwierig ist, herauszufinden, ob sie verpflichtend die Beziehung zwischen zwei Individuen, das heißt das Einführen, implizieren. Es geht jedenfalls um sexuelle Aktivitäten, aber absolut nicht um eine dauerhaft im Individuum mit seinen Beziehungen und seinen An­ forderungen wahrnehmbare Sexualität. Bei den Christen geht es um etwas anderes. Es gibt das Fleisch und das sinnliche Begehren, die zusammen zuverlässig die Anwe­ senheit einer kontinuierlichen Kraft im Individuum bezeichnen. Aber das Fleisch ist nicht voll und ganz gleichbedeutend mit der Sexualität. Statt den Aspekt, den ich in meinem ersten Buch un-

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vorsichtigerweise zum Programm ernannt hatte, zu untersuchen, würde ich es vorziehen, eine gute Definition von dem zu geben, was diese unterschiedlichen Erfahrungen, die aphrodisia für die Griechen, das Fleisch für die Christen und die Sexualität für den modernen Menschen, implizieren. - Ursprünglich haben Sie die Entstehung des Sexualitätsdisposi­ tivs, die Disziplintechnologien und die Entstehung mehrerer sol­ cher Einheiten wie den »Delinquenten«, den »Homosexuellen« usw. miteinander verbunden. Derzeit scheinen Sie eher die Exis­ tenz des Sexualitätsdispositivs und die Existenz dieser Einheiten, dieser Etiketten für die Selbsttechniken, zu verbinden? - Ich habe dem Disziplinbegriff ein gewisses Interesse entgegen­ gebracht, weil ich während der Untersuchung über die Gefängnis­ se die Entdeckung machte, dass es dabei um Techniken zur Kon­ trolle der Individuen, um eine Art Zugriff auf ihr Verhalten ging. Diese Form von Kontrolle, wenn auch leicht angepasst, findet sich gleichermaßen im Gefängnis, in der Schule und am Arbeits­ platz ... Es ist offensichtlich, dass die Disziplin nicht die einzige Technik zur Kontrolle der Individuen ist, sondern dass zum Bei­ spiel die Art und Weise, wie man gegenwärtig die Perspektive der Existenzsicherung aufbaut, die Lenkung der Individuen erleich­ tert, auch wenn das nach einer Methode erfolgt, die sich von der Methode der Disziplin vollständig unterscheidet. Die Technolo­ gien des Selbst unterscheiden sich ebenfalls, zumindest teilweise, von der Disziplin. Die Kontrolle des Sexualverhaltens hat eine ganz andere Form als die Form der Disziplin, die man zum Bei­ spiel in den Schulen findet. Es handelt sich keineswegs um die­ selbe Sache. - Kann man sagen, dass die Entstehung der geschlechtlichen Per­ son mit der des Sexualitätsdispositivs zusammenfällt? - Das ist absolut richtig. In der griechischen Kultur, die die aphrodisia kannte, war es ganz einfach undenkbar, dass jemand in seiner Identität wesensmäßig homosexuell ist. Es gab Personen, welche die aphrodisia den Gewohnheiten entsprechend prakti­ zierten, und andere, welche die aphrodisia nicht richtig praktizier-

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ten, doch der Gedanke, jemanden gemäß seiner Sexualität zu iden­ tifizieren, hätte ihnen nicht in den Sinn kommen können. Erst von dem Zeitpunkt an, da das Sexualitätsdispositiv tatsächlich einge­ richtet war, das heißt, da eine Gesamtheit an Praktiken, Institutio­ nen und Kenntnissen aus der Sexualität einen zusammenhän­ genden Bereich und eine absolut grundlegende Dimension des Individuums gemacht hatte, ja, erst in genau diesem Moment wurde die Frage »Welches geschlechtliche Sein sind Sie?« unaus­ weichlich. In genau diesem Bereich bin ich von bestimmten Bewegungen, die auf die sexuelle Befreiung in Frankreich hinzielen, nicht im­ mer richtig verstanden worden. Obwohl es von einem taktischen Gesichtspunkt aus zu einem bestimmten Zeitpunkt wichtig ist, sagen zu können: »Ich bin homosexuell«, darf man meiner An­ sicht nach Fragen zur sexuellen Identität nicht längerfristig und im Rahmen einer breiteren Strategie stellen. Es geht also in dem Fall nicht darum, die eigene sexuelle Identität zu bekräftigen, sondern die Aufforderung zur Identifikation mit der Sexualität, mit den unterschiedlichen Formen von Sexualität zurückzuwei­ sen. Man muss es zurückweisen, der Verpflichtung zur Identifi­ kation mittels und mit Hilfe einer bestimmten Form von Sexua­ lität nachzukommen. - In welchem Maße sind Sie in den Bewegungen zur Emanzipa­ tion der Homosexualität in Frankreich engagiert gewesen? - Ich habe niemals irgendeiner Bewegung zur sexuellen Befrei­ ung, welcher auch immer, angehört. Erstens, weil ich keiner Be­ wegung, welcher auch immer, angehöre, und weiter, weil ich die Tatsache nicht akzeptieren kann, dass das Individuum mit seiner Sexualität oder durch seine Sexualität identifiziert werden könnte. Ich habe mich andererseits mit einer bestimmten Anzahl von An­ gelegenheiten beschäftigt, auf diskontinuierliche Weise und an spezifischen Punkten (zum Beispiel der Abtreibung, dem Fall ei­ nes Homosexuellen oder der Homosexualität im Allgemeinen), doch niemals im Zentrum eines ständigen Kampfes. Ich finde mich nichtsdestoweniger mit einem sehr wichtigen Problem kon­ frontiert, nämlich dem der Lebensweise. Genauso wie ich mich dem Gedanken widersetze, man könnte durch seine politischen

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Aktivitäten oder sein Engagement in einer Gruppe identifiziert werden, zeichnet sich für mich am Horizont das Problem ab, wie man für sich selbst den Leuten gegenüber, die um uns herum sind, eine konkrete und wirkliche Lebensweise definieren kann, die das Sexualverhalten und sämtliche daraus hervorgehenden Begierden einzubeziehen vermag, und das zugleich so transparent und so befriedigend wie möglich. Für mich ist die Sexualität eine Sache der Lebensweise, sie verweist auf die Technik des Selbst. Niemals einen Aspekt seiner Sexualität verbergen und sich nicht die Frage der Geheimhaltung stellen, erscheint mir als eine notwendige Ver­ haltensregel, die freilich nicht impliziert, dass man alles kundtun muss. Es ist im Übrigen nicht unerlässlich, alles kundzutun. Ich würde sogar sagen, dass ich dies oft gefährlich und widersprüch­ lich finde. Ich will die Dinge tun können, die mir Lust machen, und das tue ich im Übrigen auch. Aber verlangen Sie nicht von mir, dass ich das kundtue. - In den Niederlanden assoziiert man Sie häufig mit Hocquenghem, insbesondere im Anschluss an sein Werk über Le Désir homosexuel.2 Hocquenghem behauptet darin, dass es keine Soli­ darität zwischen Proletariat und Subproletariat geben kann, und dass ein Homosexueller Begierden kennen würde, die an eine be­ stimmte Lebensweise gebunden wären. Was halten Sie von dieser These? Scheint nicht diese Teilung, die im 19. Jahrhundert ein gro­ ßes Problem darstellte, sich innerhalb der Bewegungen von links wiederholen zu wollen, wenn es sich um Bewegungen für die sexuelle Befreiung handelt? - Bei Hocquenghem stößt man auf viele interessante Fragen, und bei manchen Punkten habe ich den Eindruck, dass wir einer Mei­ nung sind. Diese Teilung ist tatsächlich ein großes historisches Problem. Die Spannung zwischen dem, was man ein Proletariat und ein Subproletariat nennt, hat offenkundig am Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Maßnahmen hervorgerufen und ebenso auch eine ganze Ideologie entstehen lassen. Ich bin nicht einmal sicher, dass es das Proletariat oder das Subproletariat überhaupt gibt. Aber es stimmt, dass es in der Gesellschaft Gren2 [Paris 1972; dt.: Das homosexuelle Verlangen, München 1974.]

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zen im Bewusstsein der Menschen gab. Und es stimmt, dass in Frankreich und in vielen europäischen Ländern sich ein bestimm­ tes Denken von links auf der Seite des Subproletariats eingereiht hat, während ein anderes Denken von links den Standpunkt des Proletariats übernahm. Es stimmt, dass es zwei große ideologische Familien gab, die sich niemals richtig verständigen konnten; auf der einen Seite die Anarchisten, auf der anderen die Marxisten. Eine in etwa vergleichbare Grenze konnte man auch bei den Sozialisten beobachten. Selbst heute lässt sich sehr eindeutig fest­ stellen, dass sich die Einstellung der Sozialisten zu den Betäu­ bungsmitteln und zur Homosexualität von derjenigen unterschei­ det, die die Kommunisten einnehmen. Aber ich glaube, dass dieser Gegensatz gegenwärtig in Auflösung begriffen ist. Das Proletariat war dadurch vom Subproletariat getrennt, dass es arbeitete, Letz­ teres dagegen nicht. Mit dem Anwachsen der Arbeitslosigkeit droht diese Grenze sich zu verwischen. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum diese eher marginalen, beinahe folkloristischen Themen, die das Gebiet der Sexualität betreffen, dabei sind, zu viel allgemeineren Problemen zu werden. - Im Rahmen der Reform des Strafrechtssystems in Frankreich haben Sie das Thema der Vergewaltigung angesprochen. Sie woll­ ten damals der Vergewaltigung den Charakter eines Verbrechens nehmen. Welches ist genau Ihre Position in dieser Frage? - Ich habe niemals an irgendeiner Kommission zur Reform des Strafrechts teilgenommen. Doch eine solche Kommission hat existiert, und einige ihrer Mitglieder haben mich gefragt, ob ich bereit wäre, daran als Berater bei Problemen mitzuwirken, die die Gesetzgebung zur Sexualität betreffen. Ich war erstaunt, wie in­ teressant diese Diskussion war; im Verlauf der Diskussion ver­ suchte ich, das Problem der Vergewaltigung wie folgt aufzuwer­ fen. Einerseits: Kann die Sexualität in Wirklichkeit der Gesetzge­ bung unterworfen werden? Muss nicht tatsächlich all das, was die Sexualität berührt, an den Rand der Gesetzgebung gerückt wer­ den? Doch was macht man andererseits mit der Vergewaltigung, wenn kein Element, das die Sexualität berührt, im Gesetz Vor­ kommen darf? Das ist die Frage, die ich stellte. Im Verlauf der

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Diskussion mit Cooper3 habe ich ganz einfach nur gesagt, dass es in diesem Bereich ein Problem gäbe, worüber zu diskutieren wäre und wofür ich keine Lösung hätte. Ich wusste nicht, wie man damit umgehen sollte, das ist alles. Doch eine britische Zeitschrift behauptete, vielleicht aufgrund eines Übersetzungs- oder eines wirklichen Verständnisfehlers, dass ich die Vergewaltigung aus dem Kriminalsystem herausnehmen wollte, mit anderen Worten, dass ich ein widerwärtiger Phallokrat wäre.4 Nein, ich bedauere, aber ich muss sagen, dass diese Personen nichts verstanden haben, absolut nichts. Ich habe bloß das Dilemma angesprochen, in wel­ chem man sich befinden konnte. Indem man mit Gewalt die Per­ sonen verbannt, die die Probleme ansprechen, findet man keine wirkliche Lösung. - Ihre Stellungnahme zur Psychoanalyse hat sich häufig geändert. In Maladie mentale et Personnalité verteidigen Sie die Schule von Palo Alto und die Schlafkur; Sie erscheinen darin eher wie ein Behaviorist. In der Histoire de la folie sagen Sie über den Psycho­ analytiker, dass er mit dem Mittel der Mystifizierung vorgehe und dass er begonnen habe, die Struktur des Irrenhauses [asile d’alié­ nés] zu ersetzen. In Les Mots et les Choses [Die Ordnung der Dinge] sprechen Sie dagegen sehr positiv über die Psychoanalyse, vor allem in ihrer Lacan’schen Variante, Sie sprechen darüber als einer Antiwissenschaft, die die humanistische »Falte« in der Ge­ schichte glättet, die den »Menschen« möglich gemacht hat. Welches ist jetzt Ihre Meinung zu diesem Thema? - Maladie mentale et personnalité ist ein Werk, das vollkommen von allem losgelöst ist, was ich im Weiteren geschrieben habe. Ich habe es in einer Periode geschrieben, in der die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Entfremdung [aliénation], sein soziolo­ gischer, historischer und psychiatrischer Sinn in einer phänome­ nologischen, marxistischen und psychiatrischen Perspektive zu3 [Es handelt sich um eine Diskussion über Vergewaltigung mit D. Cooper, M.-O. Faye, J.-P. Faye und M. Zecca, in: »Einsperrung, Psychiatrie, Gefängnis«. Siehe oben, Nr. 209.] 4 [Anspielung auf einen Artikel von Monique Plaza, »Sexualité et violence, le nonvouloir de Michel Foucault«, von dem eine niederländische Übersetzung in: Krisis, 13. Jg., Juni 1983, S. 8-21, erschienen war.]

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sammengeworfen wurden. Gegenwärtig gibt es zwischen diesen Begriffen keine Verbindung mehr. Ich habe versucht, an dieser Diskussion teilzunehmen, und insofern können Sie Maladie men­ tale et personnalité als Indiz für ein Problem ansehen, das ich zu jenem Zeitpunkt nicht gelöst hatte, und das ich im Übrigen noch immer nicht gelöst habe. Ich bin das Problem im Weiteren auf verschiedene Weise ange­ gangen: Statt groß Slalom zwischen Hegel und der Psychiatrie zu fahren, einschließlich eines Durchgangs durch den Neomarxis­ mus, versuchte ich, die Frage vom historischen Gesichtspunkt aus zu verstehen und die wirkliche Behandlung des Wahnsinnigen zu untersuchen. Auch wenn mein erster Text über die Geistes­ krankheit an sich kohärent ist, ist er es nicht im Verhältnis zu den anderen Texten. In Les Mots et les Choses ging es um eine Untersuchung über mehrere Typen wissenschaftlicher Darstellungen oder solche, mit wissenschaftlichem Anspruch, und besonders über die Frage hin­ sichtlich ihrer Transformation und ihrer wechselseitigen Relatio­ nen. Ich versuchte, die eher seltsame Rolle zu prüfen, die die Psychoanalyse im Verhältnis zu diesen Erkenntnisbereichen spie­ len konnte. Die Psychoanalyse ist folglich nicht primär eine Wis­ senschaft, es ist eine auf dem Geständnis gegründete Technik zur Arbeit von sich an sich. In diesem Sinne ist es gleichermaßen eine Kontrolltechnik, insofern sie eine Persönlichkeit erschafft, die sich um ihre sexuellen Begierden herum strukturiert. Was nicht impliziert, dass die Psychoanalyse nicht jemandem helfen könnte. Der Psychoanalytiker hat einiges mit dem Schamanen in den pri­ mitiven Gesellschaften gemeinsam. Wenn der Kunde der vom Schamanen praktizierten Theorie Vertrauen schenkt, kann ihm geholfen werden. Genauso verhält es sich mit der Psychoanalyse. Was impliziert, dass die Psychoanalyse stets mit dem Mittel der Mystifizierung operiert, weil sie niemandem helfen kann, der nicht an sie glaubt, und wodurch mehr oder weniger hierarchische Beziehungen in sie eingezogen werden. Die Psychoanalytiker weisen allerdings die Vorstellung zurück, dass man die Psychoanalyse unter die Techniken einer Arbeit von sich an sich zählen könnte, das muss man anerkennen. Warum tun sie das? Ich selbst habe bemerkt, dass die Psychiater es überhaupt nicht mögen, wenn man die Geschichte der für sie seit der Prakti-

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zierung der Irrenhäuser typischen Erkenntnisformen zu vertiefen versucht. Ich stelle demgegenüber fest, dass Einstein durchaus behaupten konnte, dass die Physik in der Dämonologie verwur­ zelt sei, ohne damit die Physiker zu beleidigen. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Nun, Letztere sind eben wirkliche Wissenschaftler, die für ihre Wissenschaft nichts zu befürchten haben, während Erstere eher die Furcht haben, dass durch die Geschichte die wissenschaftliche Hinfälligkeit ihrer Erkenntnisse bloßgestellt wird. Unter der Bedingung also, dass die Psychoana­ lytiker nicht zu viel Aufhebens um die Geschichte ihrer Praktiken machen, hätte ich mehr Vertrauen in die Wahrheit ihrer Behaup­ tungen. - Hat die Theorie von Lacan eine grundsätzliche Veränderung in der Psychoanalyse hervorgerufen? - Kein Kommentar, wie die Staatsfunktionäre zu sagen pflegen, wenn man ihnen eine unangenehme Frage stellt. Ich bin nicht bewandert genug in der modernen psychoanalytischen Literatur und ich verstehe die Texte Lacans zu schlecht, um auch nur den kleinsten Kommentar zu diesem Thema abzugeben. Ich habe gleichwohl den Eindruck, dass man einen bedeutenden Fortschritt feststellen kann, aber das ist alles, was ich darüber sagen kann. - In Les Mots et les Choses sprechen Sie vom Tod des Menschen. Wollen Sie damit sagen, dass der Humanismus nicht der Referenz­ punkt Ihrer politischen Aktivitäten sein kann? - Man muss sich an den Kontext erinnern, in dem ich diesen Satz geschrieben habe. Sie können sich nicht vorstellen, in was für einen moralisierenden Morast von humanistischen Predigten wir in den Nachkriegsjahren versunken sind. Alle Welt war humanis­ tisch. Camus, Sartre und Garaudy waren Humanisten. Auch Sta­ lin war Humanist. Ich werde nicht so taktlos sein und daran er­ innern, dass auch die Anhänger Hitlers sich Humanisten nannten. Das stellt den Humanismus nicht bloß, macht es aber ganz einfach verständlich, dass ich zu jener Zeit nicht länger in den Termini dieser Kategorie denken konnte. Wir befanden uns in einer voll­ kommenen intellektuellen Verwirrung. Zu jener Zeit wurde das

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Ich als Kategorie einer Grundlegung verstanden. Die unbewuss­ ten Determinierungen konnten nicht akzeptiert werden. Nehmen Sie beispielsweise den Fall der Psychoanalyse. Im Namen des Humanismus, im Namen des menschlichen Ichs in seiner Souve­ ränität war es, in Frankreich jedenfalls, zahlreichen Phänomenologen, so wie Sartre und Merleau-Ponty, möglich, die Kategorie des Unbewussten nicht zu akzeptieren. Man ließ sie nur als eine Art Schatten, etwas Marginales, etwas Zusätzliches zu; das Be­ wusstsein durfte seine souveränen Rechte nicht verlieren. Genauso verhält es sich mit der Linguistik. Sie macht die Be­ hauptung möglich, dass es zu einfach, ja unzutreffend ist, wenn man das, was der Mensch sagt, schlichtweg durch den Rückgang auf die Intentionen des Subjekts erklärt. Die Idee des Unbewuss­ ten und die Idee der Sprachstruktur gestatten es, sozusagen von draußen auf das Problem des Ichs zu antworten. Ich habe ver­ sucht, diese selbe Praxis auf die Geschichte anzuwenden. Geht es nicht um eine Geschichtlichkeit des Ichs? Kann man das Ich als eine Art meta- oder transhistorischer Invariante ver­ stehen? - Welcher Zusammenhang besteht zwischen den verschiedenen Formen des politischen Kampfes, in denen Sie engagiert waren? - Ich würde sagen, dass ich letztlich keinerlei Anstrengung unter­ nehme, irgendeine Form von Zusammenhang zu entdecken. Der Zusammenhang ist der meines Lebens. Ich habe in unterschied­ lichen Bereichen gekämpft, das ist richtig. Da sind Bruchstücke einer Autobiographie. Ich habe einige Erfahrungen in den psychiatrischen Krankenhäusern, mit der Po­ lizei und auf dem Gebiet der Sexualität gemacht. Ich habe in allen diesen Situationen zu kämpfen versucht, aber ich stelle mich nicht als universellen Kämpfer gegen jedwede Leiden der Menschheit in den Vordergrund. Ich wünsche meine Freiheit gegenüber allen Formen des Kampfes zu wahren, in denen ich mich engagiert habe. Ich würde behaupten wollen, dass der Zusammenhang stra­ tegischer Natur ist. Wenn ich wegen diesem oder jenem kämpfe, so tue ich das, weil in Wirklichkeit dieser Kampf für mich in meiner Subjektivität wichtig ist. Doch außerhalb dieser von einer subjektiven Erfahrung her

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eingegrenzten Wahlentscheidungen kann man auf andere Aspekte stoßen und so einen wirklichen Zusammenhang, das heißt ein rationales Schema oder einen Ausgangspunkt entwickeln, die nicht auf einer allgemeinen Theorie des Menschen beruhen. - Foucault als libertärer Anarchist? - Das hätten Sie wohl gern. Nein, ich identifiziere mich nicht mit den libertären Anarchisten, weil es eine bestimmte libertäre Phi­ losophie gibt, die auf die Grundbedürfnisse des Menschen ver­ traut. Ich habe keine Lust, ich weise es vor allem zurück, durch die Macht identifiziert, lokalisiert zu werden... Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

35° . Die Sorge um die Wahrheit »Le souci de la vérité« (Gespräch mit F. Ewald), in: Magazine littéraire, Nr. 207, Mai 1984, S. 18-23.

E Ewald: La Volonté de savoir [Der Wille zum Wissen] kündigte für morgen eine Geschichte der Sexualität an. Die Fortsetzung erscheint acht Jahre danach und folgt einem ganz anderen Plan als dem, der angekündigt war. M. Foucault: Ich habe meine Meinung geändert. Wenn eine Ar­ beit nicht zugleich ein Versuch ist, das zu verändern, was man denkt, und auch das, was man ist, dann ist das nicht sehr freudvoll. Ich hatte begonnen, zwei Bücher zu schreiben, entsprechend mei­ nem ursprünglichen Plan; doch sehr schnell hat mich das ange­ ödet. Das war unvorsichtig von mir und entsprach auch nicht meinen Gewohnheiten. F Ewald: Warum haben Sie es dann getan? M. Foucault: Aus Trägheit. Ich träumte, es würde ein Tag kom­ men, an dem ich vorweg wüsste, was ich sagen wollte, und an dem ich nichts mehr zu tun hätte als es zu sagen. Es war ein Alters­ reflex. Ich malte mir aus, ich wäre endlich in dem Alter angekom­ men, wo man nur noch abzuspulen hätte, was man im Kopf hat.

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Das war zugleich eine Form von Anmaßung und eine Reaktion der Selbstaufgabe. Denn Arbeiten ist das Unternehmen, anders zu denken, als man zuvor dachte. F Ewald: Der Leser hat darauf vertraut. M. Foucault: Ihm gegenüber habe ich sowohl ein wenig Skrupel als auch ein gewisses Vertrauen. Der Leser ist wie der Hörer einer Vorlesung. Er ist voll und ganz in der Lage zu erkennen, wann man gearbeitet hat, und wann man sich damit begnügt hat, das zu erzählen, was man im Kopf hat. Vielleicht wird er enttäuscht sein, aber nicht aufgrund der Tatsache, dass ich nichts anderes gesagt habe als das, was ich bereits sagte. F Ewald: L’Usage des plaisirs [Der Gebrauch der Lüste'] und Le Souci de soi [Die Sorge um sich] stellen sich zunächst als die Arbeit eines tatsachenorientierten Historikers dar, als eine Systematisie­ rung der Sexualmoralen der Antike. Handelt es sich wirklich da­ rum? M. Foucault: Es ist die Arbeit eines Historikers, doch, genauer gesagt, sind diese Bücher wie die anderen die Arbeit einer Ge­ schichte des Denkens. Geschichte des Denkens, das bedeutet nicht einfach nur Geschichte der Ideen oder der Vorstellungen, sondern auch den Versuch, die folgende Frage zu beantworten: Wie kann sich ein Wissen ausbilden? Wie kann das Denken, insoweit es Bezug zur Wahrheit hat, auch eine Geschichte haben? Das ist die Frage, die gestellt ist. Ich versuche, auf ein genau bestimmtes Problem zu antworten: die Geburt einer Moral, einer Moral, in­ sofern sie eine Reflexion auf die Sexualität, auf das Begehren, die Lust ist. Es ist wohl selbstverständlich, dass ich nicht eine Geschichte der Sitten, der Verhaltensweisen, eine Sozialgeschichte der sexuel­ len Praxis schreibe, sondern eine Geschichte der Art und Weise, wie die Lust, die Begierden und die sexuellen Verhaltensweisen in der Antike im Verhältnis zu einer bestimmten Lebenskunst prob­ lematisiert, reflektiert und gedacht wurden. Es ist offensichtlich, dass diese Lebenskunst nur von einer kleinen Gruppe von Leuten umgesetzt wurde. Es wäre lächerlich anzunehmen, dass das, was Seneca, Epiktet oder Musonius Rufus zum Sexualverhalten zu sagen vermögen, auf die eine oder andere Weise repräsentativ für die generelle Praxis der Griechen oder der Römer sein könnte* Aber ich halte daran fest, dass die Tatsache, dass ebendiese Dinge

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über die Sexualität gesagt wurden, dass sie eine Tradition bildeten, die man umgesetzt, umgestaltet und gründlich umgearbeitet im Christentum wieder findet, ein historisches Faktum darstellt. Das Denken hat gleichfalls eine Geschichte; das Denken ist ein histo­ risches Faktum, auch wenn es sicher andere Dimensionen hat als die Sexualität. Darin sind diese Bücher denen, die ich über den Wahnsinn oder über das Strafwesen geschrieben habe, ganz und gar ähnlich. In Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen] habe ich nicht die Geschichte der Institution Gefängnis schreiben wol­ len, was ein ganz anderes Material und eine andere Art Analyse verlangt hätte. Ich habe mich umgekehrt gefragt, auf welche Weise das Denken der Bestrafung, am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19., eine bestimmte Geschichte hatte. Was ich zu er­ stellen versuche, ist die Geschichte der Beziehungen, die das Den­ ken mit der Wahrheit unterhält; die Geschichte des Denkens, insofern es Denken der Wahrheit ist. Alle diejenigen, die sagen, dass es für mich die Wahrheit nicht gibt, sind Geister, die es sich zu einfach machen. E Ewald: Freilich nimmt die Wahrheit in UUsage des plaisirs und Le Souci de soi eine Form an, die sich deutlich von derjenigen unterscheidet, die sie in den früheren Werken hatte: diese furcht­ bare Gestalt der Unterwerfung [»assujettissement«] der Objekti­ vierung. M. Foucault: Der Grundbegriff, der den Untersuchungen, die ich ceit der Histoire de lafolie [Wahnsinn und Gesellschaft] durch­ geführt habe, als gemeinsame Form dient, ist, einmal abgesehen davon, dass ich diesen Begriff noch nicht hinreichend herausge­ hoben hatte, der Begriff der Problematisierung. Aber schließlich kommt man immer nur von hinten zum Kern der Sache; die all­ gemeinsten Dinge kommen erst zu guter Letzt zum Vorschein. Das ist der zu zahlende Preis und die Belohnung für jede Arbeit, bei der die theoretischen Einsätze von einem bestimmten empiri­ schen Bereich her ausgearbeitet werden. In der Histoire de la folie ging es darum herauszubekommen, wie und warum der Wahnsinn zu einem gegebenen Zeitpunkt durch eine bestimmte institutio­ nelle Praxis und einen bestimmten Erkenntnisapparat problemati­ siert wurde. Und so ging es auch in Surveiller et Punir darum, die Veränderungen in der Problematisierung der Beziehungen zwi­ schen Delinquenz und Strafe durch die Strafpraktiken und die

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Institutionen der Strafverfolgung am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu analysieren. Und jetzt: Wie lässt sich die sexuelle Aktivität problematisieren? Problematisierung bedeutet nicht die Darstellung eines zuvor existierenden Objekts, genauso wenig aber auch die Erschaffung eines nicht existierenden Objekts durch den Diskurs. Die Ge­ samtheit der diskursiven oder nicht-diskursiven Praktiken lässt etwas in das Spiel des Wahren und des Falschen eintreten und konstituiert es als Objekt für das Denken (sei es in der Form der moralischen Reflexion, der wissenschaftlichen Erkenntnis, der politischen Analyse, usw.). F Ewald: L’Usage des plaisirs und Le Souci de soi gehören zwei­ fellos zu ein und derselben Problematik. Trotzdem scheinen sie sich sehr von den früheren Werken zu unterscheiden. M. Foucault: Ich habe in der Tat die Front »gewechselt«. Beim Wahnsinn bin ich von dem »Problem« ausgegangen, das er in einem bestimmten sozialen, politischen und epistemologischen Kontext darstellen konnte: das Problem, das der Wahnsinn für die anderen darstellte. Hier nun bin ich von dem Problem ausge­ gangen, das das sexuelle Verhalten für die Individuen selbst (oder zumindest für die Menschen in der Antike) darstellen konnte. In dem einen Fall ging es im Großen und Ganzen darum zu erfahren, wie man die Wahnsinnigen »regieren« konnte, jetzt darum, wie man »sich selbst regiert«. Aber ich möchte gleich hinzufügen, dass ich im Fall des Wahnsinns versucht habe, von da aus zur Aus­ bildung der Erfahrung des Selbst als eines wahnsinnigen im Rah­ men der Geisteskrankheit, der psychiatrischen Praxis und der In­ stitution des Irrenhauses weiterzugehen. Hier nun möchte ich zeigen, wie die Selbstregierung sich in eine Praxis der Regierung der anderen integriert. Das sind alles in allem zwei gegensätzliche Zugangswege zu ein und derselben Frage: Wie bildet sich eine »Erfahrung«, in der die Beziehung zu sich und die Beziehung zu anderen verbunden sind. F Ewald: Mir scheint, dass der Leser ein zweifaches Befremden verspüren wird. Das Erste in Bezug auf Sie selbst, in Bezug auf das, was er sich von Ihnen erwartet... M. Foucault: Gewiss. Diesen Unterschied nehme ich voll und ganz auf meine Kappe. So läuft das Spiel. E Ewald: Das zweite Befremden bezieht sich auf die Sexualität,

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auf die Beziehungen zwischen dem, was Sie beschreiben, und unserer eigenen Überzeugung von der Sexualität. M. Foucault: Mit dem Befremden darf man es freilich nicht übertreiben. Es stimmt, dass es eine gewisse doxa über die Antike und über die antike Moral gibt, die man oft als »tolerant«, liberal und fröhlich darstellt. Aber viele Leute wissen trotzdem, dass es in der Antike eine strenge und rigorose Moral gab. Die Stoiker waren für die Ehe und für die eheliche Treue, das ist sicher be­ kannt. Wenn ich diese »Festigkeit« der philosophischen Moral geltend mache, sage ich nichts Außergewöhnliches. F Ewald: Ich sprach von Befremden in Bezug auf die Themen, die uns in der Analyse der Sexualität vertraut sind: die Themen des Gesetzes und des Verbots. M. Foucault: Es handelt sich um ein Paradox, das mich selber überrascht hat, auch wenn ich es bereits in La Volonté de savoir in etwa vermutet hatte, als ich die Hypothese aufstellte, dass man die Bildung eines Wissens über die Sexualität nicht einfach von den Mechanismen der Repression her analysieren konnte. An der An­ tike fiel mir auf, dass die Punkte, die bezüglich der sexuellen Lust am aktivsten reflektiert wurden, keineswegs die Punkte waren, die die traditionell anerkannten Formen des Verbots repräsentierten. Im Gegenteil, genau da, wo die Sexualität am freiesten war, stell­ ten die Moralisten der Antike mit größter Intensität ihre Fragen, und genau da gelang es ihnen auch, die rigorosesten Lehren zu formulieren. Das einfachste Beispiel: Ihr Status als verheiratete Frauen verbot ihnen jede sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe; doch, was dieses »Monopol« betrifft, findet man kaum eine phi­ losophische Reflexion oder theoretische Beschäftigung. Umge­ kehrt war Sex mit Knaben (in gewissen Grenzen) frei, und zu diesem Thema wurde eine ganze Konzeption der Mäßigung, der Enthaltung und der nicht-sexuellen Verbindung ausgearbeitet. Al­ so nicht das Verbot ermöglicht die Berücksichtigung der Problematisierungsformen. F Ewald: Wie es scheint, gehen Sie weiter, setzen Sie den Ka­ tegorien des »Gesetzes« und des »Verbots« die Kategorien »Le­ benskunst«, »Selbsttechniken« und »Stilisierung der Existenz« entgegen. M. Foucault: Ich hätte unter Verwendung der ziemlich gängigen Denkmethoden und -Schemata sagen können, dass bestimmte

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Verbote effektiv als solche aufgestellt wurden, und dass andere diffusere Verbote sich in der Form der Moral ausdrückten. Nach meinem Dafürhalten entsprach es den von mir behandelten Be­ reichen und den mir zur Verfügung stehenden Dokumenten eher, diese Moral in genau der Form zu denken, in der die Zeitgenossen sie reflektiert hatten, nämlich in der Form einer Kunst der Exis­ tenz, sagen wie besser, einer Lebenstechnik. Es handelte sich um ein Wissen davon, wie man sein eigenes Leben regieren sollte, um ihm die Gestalt zu geben, die die schönstmögliche sein würde (in den Augen der anderen, in den eigenen Augen und in denen der zukünftigen Generationen, für die man als Beispiel wird dienen können). Das genau ist es, was ich nachzuvollziehen versuchte: die Ausbildung und die Entwicklung einer Praxis des Selbst, die zum Ziel hat, sich selbst als Arbeiter an der Schönheit seines ei­ genen Lebens herauszubilden. E Ewald: Die Kategorien »Lebenskunst« und »Selbsttechni­ ken« haben nicht die sexuelle Erfahrung der Griechen und der Römer als einzigen Geltungsbereich. M. Foucault: Ich glaube nicht, dass es ohne eine gewisse Anzahl von Selbstpraktiken eine Moral gibt. Es kommt vor, dass diese Selbstpraktiken mit zahlreichen, systematischen und zwingenden Kodexstrukturen verknüpft sind. Es kommt sogar vor, dass sie zugunsten jener Gesamtheit an Regeln, die damit als das Wesent­ liche einer Moral erscheinen, nahezu verschwinden. Aber es kann auch dazu kommen, dass sie das bedeutendste und aktivste Zent­ rum der Moral bilden, und dass um sie herum sich die Reflexion entwickelt. Die Selbstpraktiken nehmen so die Gestalt einer Selbstkunst an, die von einer moralischen Gesetzgebung relativ unabhängig ist. Das Christentum hat in der moralischen Reflexion ganz sicher das Prinzip des Gesetzes und die Struktur des Kodex verstärkt, auch wenn die Askesepraktiken darin eine sehr große Bedeutung bewahrten. E Ewald: Unsere - moderne - Erfahrung der Sexualität beginnt also mit dem Christentum. M. Foucault: Das antike Christentum hat der antiken Askese mehrere wichtige Veränderungen hinzugefügt: Es hat die Form des Gesetzes intensiviert, aber es hat auch die Selbstpraktiken in Richtung der Hermeneutik des Selbst und der Selbstentschlüsse­ lung als Begehrenssubjekt umgebogen. Die Verknüpfung Gesetz

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und Begehren scheint ziemlich charakteristisch für das Christen­ tum. F Ewald: Die Beschreibungen der Disziplinen in Surveiller et Punir hatten uns an die genauesten Vorschriften gewöhnt. Es ist sonderbar, dass die Vorschriften der Sexualmoral der Antike ihnen unter diesem Gesichtspunkt in nichts nachstehen. M. Foucault: Wir müssen schon in die Details gehen. In der Antike beachteten die Leute sehr genau die Elemente des Ver­ haltens und wollten auch, dass jeder sie beachtete. Doch die Wei­ sen der Beachtung waren nicht dieselben wie diejenigen, die man im weiteren Verlauf kennen lernen konnte. So scheinen der Sexu­ alakt selbst, seine Morphologie, die Art und Weise, wie man seine Lust sucht und wie man sie erlangt, und das »Objekt« des Be­ gehrens nicht gerade ein sehr bedeutendes theoretisches Problem in der Antike gewesen zu sein. Umgekehrt waren die Intensität der sexuellen Aktivität, ihr Rhythmus und der gewählte Augen­ blick ein Gegenstand, mit dem man sich befasste, sowie die aktive oder passive Rolle, die man in der Beziehung einnahm. So wird man tausend Details über die sexuellen Handlungen in ihrem Ver­ hältnis zu den Jahreszeiten, zu den Tagesstunden, zum Zeitpunkt der Ruhe und der Bewegung finden, oder auch zu der Art und Weise, wie sich ein Knabe verhalten muss, um einen guten Ruf zu haben, doch keiner dieser Kataloge erlaubter und verbotener Handlungen werden in der christlichen Pastoral ebenso wichtig sein F Ewald: Die verschiedenen Praktiken, die Sie beschreiben, im Verhältnis zum Körper, zur Frau und zu den Knaben scheinen jede für sich bedacht zu sein. Ohne durch ein strenges System verbunden zu sein. Das ist ein weiterer Unterschied gegenüber Ihren früheren Werken. M. Foucault: Ich habe durch die Lektüre eines Buches erfahren, dass ich die gesamte Erfahrung des Wahnsinns im klassischen Zeitalter durch die Praxis der Internierung zusammengefasst hät­ te. Nun ist die Histoire de la folie jedoch auf der These aufgebaut, dass es zumindest zwei sich voneinander unterscheidende Erfah­ rungen des Wahnsinns gab: die eine, das war die Erfahrung der Internierung, die andere war eine medizinische Praxis und hatte sehr weit zurückliegende Ursprünge. Dass man unterschiedliche (gleichzeitige wie aufeinander folgende) Erfahrungen haben kann,

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die ein und denselben Bezug haben, ist an sich nichts Außerge­ wöhnliches. F Ewald: Der Aufbau Ihrer letzten Bücher lässt ein wenig an das Sachverzeichnis der Nikomachischen Ethik denken. Sie über­ prüfen jede Praktik eine nach der anderen. Was macht folglich die Verbindung zwischen dem Verhältnis zum Körper, dem Verhält­ nis zum Haus und zur Frau und dem Verhältnis zum Knaben aus? M. Foucault: Ein bestimmter Moralstil, und das ist die Selbst­ beherrschung. Die sexuelle Aktivität wird als Gewalt dargestellt, wahrgenommen und folglich unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit, sie zu kontrollieren, problematisiert. Die hybris ist grundsätzlicher Art. In dieser Ethik muss man für sich Verhaltensregeln aufstellen, dank derer man diese Selbstbeherrschung wird gewährleisten können, die sich selbst nach drei unterschiedlichen Prinzipien ausrichten lässt: 1. Das Verhältnis zum Körper und das Problem der Gesundheit. 2. Das Verhältnis zu den Frauen, eigent­ lich zur Frau und zur Ehefrau, insofern die Eheleute demselben Haus angehören. 3. Das Verhältnis zu jenen so besonderen Indivi­ duen, den Heranwachsenden, die fähig sind, eines Tages freie Bür­ ger zu werden. In diesen drei Bereichen wird die Selbstbeherr­ schung drei unterschiedliche Formen annehmen: Es gibt nicht einen Bereich, der sie alle vereinen würde, wie dieser mit dem Fleisch und der Sexualität auftauchen wird. Unter den großen Um­ wandlungen, die das Christentum bringen wird, gibt es die eine, dass die Ethik des Fleisches in gleicher Weise bei den Männern wie den Frauen gilt. Dagegen ist in der antiken Moral die Selbstbeherr­ schung nur für das Individuum, das Herr seiner selbst und Herr der anderen sein muss, ein Problem, und nicht für denjenigen, der anderen gehorchen muss. Das ist der Grund, warum diese Ethik nur die Männer betrifft, und warum sie nicht genau dieselbe Form hat, je nachdem, ob es sich um die Beziehungen zum eigenen Kör­ per oder zur Ehefrau oder zu den Knaben handelt. F Ewald: Ausgehend von diesen Werken stellt sich die Frage der sexuellen Befreiung als sinnlos dar. M. Foucault: Man kann sagen, dass man es in der Antike mit einem Willen zur Regel, einem Willen zur Form, einer Suche nach Strenge zu tun hat. Wie ist dies ausgebildet worden? Ist dieser Wille zur Strenge nichts anderes als der Ausdruck eines grund­ legenden Verbotes? Oder ist nicht sie im Gegenteil die Urform

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gewesen, und von ihr hätte man alsdann bestimmte allgemeine Formen von Verboten abgeleitet? E Ewald: Sie schlagen also eine vollständige Umkehrung in der Art und Weise vor, wie man die Frage der Bezüge der Sexualität zum Verbot in den Blick nimmt? M. Foucault: In Griechenland gab es grundsätzliche Verbote. Das Verbot des Inzests zum Beispiel. Doch die Aufmerksamkeit der Philosophen und Moralisten erregten sie im Vergleich zu der großen Sorge, die Selbstbeherrschung zu wahren, nur wenig. So erklärt etwa Xenophon bei seiner Darlegung der Gründe, wes­ wegen der Inzest verboten ist, dass, würde man seine Mutter ehe­ lichen, der Altersunterschied so groß wäre, dass die Kinder weder schön noch gesund sein könnten. E Ewald: Sophokles scheint allerdings etwas anderes gesagt zu haben. M. Foucault: Das Interessante ist, dass dieses gewichtige und bedeutende Verbot das Herzstück einer Tragödie bilden kann. Deswegen steht es noch lange nicht im Zentrum der moralischen Reflexion. E Ewald: Warum soll man diese Perioden untersuchen, von denen manche sagen, dass sie ziemlich weit entfernt sind? M. Foucault: Ich gehe von einem Problem in den Begriffen aus, in denen es sich gegenwärtig stellt, und versuche dann, dessen Genealogie durchzuführen. Genealogie heißt, dass ich die Analyse von einer gegenwärtigen Frage aus betreibe. E Ewald: Wie lautet also hier die gegenwärtige Frage? M. Foucault: Lange Zeit hat sich so mancher vorgestellt, die Strenge der sexuellen Kodizes in der uns bekannten Form wäre unerlässlich für die so genannten »kapitalistischen« Gesellschaf­ ten. Nun ließ sich die Entfernung der Kodizes und die Auflösung der Verbote zweifellos leichter durchführen, als man es geglaubt hatte (was wohl zeigen dürfte, dass ihr Seinsgrund nicht das war, was man dafür hielt); und das Problem einer Ethik als einer Form, die man seinem Verhalten und seinem Leben zu geben hat, stellte sich von neuem. Kurzum, man täuschte sich, als man glaubte, die gesamte Moral bestünde aus Verboten, und allein schon mit ihrer Aufhebung ließe sich die Frage der Ethik lösen. E Ewald: Sie hätten demnach diese Bücher für die Befreiungs­ bewegungen geschrieben?

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M. Foucault: Nicht für, sondern gemäß einer aktuellen Situa­ tion. E Ewald: Sie sagten über Surveiller et Punir, dies sei Ihr »erstes Buch«. Könnte man den Ausdruck nicht eher noch mit Bezug auf das Erscheinen von L'Usage des plaisirs und Le Souci de soi ge­ brauchen? M. Foucault: Ein Buch schreiben heißt, auf gewisse Weise das vorangehende wegzuschaffen. Am Ende stellt man fest, dass das, was man gemacht hat, dem recht nahe ist - Trost und Enttäu­ schung -, was man bereits geschrieben hat. F Ewald: Sie sprechen davon, »sich von sich selbst loszulösen«. Warum nur ein so eigenartiges Wollen? M. Foucault: Was kann die Ethik eines Intellektuellen sein - ich nehme diesen Ausdruck Intellektueller für mich in Anspruch, der einigen derzeit übel aufzustoßen scheint -, wenn nicht dies: sich permanent fähig zu machen, sich von sich selbst loszulösen .(was das Gegenteil zu der Haltung eines Konvertiten ist)? Hätte ich ausschließlich ein Universitätsmensch sein wollen, wäre es sicher klüger gewesen, wenn ich einen Bereich gewählt hätte, und zwar einen einzigen Bereich, in welchem ich meine Aktivität entfaltet, eine gegebene Fragestellung akzeptiert und sie entweder ins Werk zu setzen oder in bestimmten Punkten zu modifizieren versucht hätte. Ich hätte dann Bücher schreiben können wie diejenigen, an die ich dachte, als ich in La Volonté de savoir das Programm für sechs Bände einer Geschichte der Sexualität entwarf, vorab wis­ send, was ich machen wollte und wohin ich gehen wollte. Ein Universitätsmensch und ein Intellektueller zugleich zu sein heißt zu versuchen, eine Art Wissen und Analyse, die an der Universität gelehrt und akzeptiert werden, auf eine Weise funktionieren zu lassen, dass nicht nur das Denken der anderen, sondern auch das eigene Denken verändert werden. Diese Arbeit an der Verände­ rung des eigenen Denkens und dem der anderen scheint mir die Daseinsberechtigung der Intellektuellen zu sein. F Ewald: Sartre zum Beispiel gab eher das Bild eines Intellek­ tuellen ab, der sein Leben damit verbrachte, eine Grundeinsicht zu entwickeln. Dieser Wille, »sich von sich selbst loszulösen«, scheint Sie zu jemanden zu machen, der einzigartig ist. M. Foucault: Ich könnte nicht sagen, dass daran etwas einzig­ artig ist. Ich lege nur Wert darauf, dass dieser Wechsel weder die

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Form einer plötzlichen, »die Augen öffnenden« Erleuchtung noch die einer Durchlässigkeit für alle gerade irgendwo auftauchenden Bewegungen hat; ich möchte, dass dies eine Ausarbeitung von sich für sich ist, eine strebsame Verwandlung, eine langsame und schwierige Veränderung in beständiger Sorge um die Wahrheit. F Ewald: Die früheren Werke gaben von Ihnen ein Bild des Denkers der Einschließung, der unterworfenen, gezwungenen und disziplinierten Subjekte. UUsage des plaisirs und Le Souci de soi bieten uns das völlig andere Bild freier Subjekte. Es scheint da eine bedeutende Veränderung in Ihrem eigenen Denken zu geben. M. Foucault: Man müsste auf das Problem der Beziehungen des Wissens und der Macht zurückkommen. In der Tat glaube ich, dass ich in den Augen der Öffentlichkeit derjenige bin, der gesagt hat, dass das Wissen mit der Macht zusammenfiele, dass es nur eine hauchdünne, über die Herrschaftsstrukturen geworfene Mas­ ke sei, und dass diese stets Unterdrückung, Einschließung usw. seien. Auf den ersten Punkt werde ich mit einem unbändigen Ge­ lächter antworten. Hätte ich gesagt oder hätte ich sagen wollen, dass Wissen Macht wäre, hätte ich es gesagt, und hätte ich es gesagt, hätte ich auch nichts mehr zu sagen gehabt, denn wenn man sie gleichsetzt, dann ist nicht einzusehen, warum ich mich so hartnäckig darum bemüht habe, daran die unterschiedlichen Be­ züge aufzuzeigen. Ich habe mich genau darauf konzentriert zu erkennen, wie bestimmte gleichartige Machtformen äußerst unter­ schiedlichen Wissensarten - in ihrem Gegenstand und in ihrer Struktur - stattgeben konnten. Nehmen wir das Problem der Spi­ talstruktur: Sie gab der Internierung psychiatrischen Typs statt, dem die Ausbildung eines psychiatrischen Wissens entsprach, des­ sen epistemologischer Struktur man nur mit einiger Skepsis be­ gegnen kann. Doch in einem anderen Buch, der Naissance de la clinique [Die Geburt der Klinik], habe ich zu zeigen versucht, wie sich in ebendieser Spitalstruktur ein anatomisch-pathologisches Wissen entwickelt hatte, das die Grundlage für eine Medizin von einer ganz anderen wissenschaftlichen Fruchtbarkeit war. Man hat also Machtstrukturen und institutionelle Formen in recht enger Nachbarschaft: psychiatrische Internierung, medizinische Hospitalisierung, mit denen unterschiedliche Wissensformen ver­ bunden sind, zwischen denen sich Beziehungen, Bedingungsrela­

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tionen und nicht solche von Ursache und Wirkung oder a fortiori der Identität hersteilen lassen. Diejenigen, die sagen, dass für mich das Wissen die Maske der Macht sei, scheinen mir unfähig zu verstehen. Es gibt kaum etwas, was man Ihnen antworten kann. F Ewald: Was Sie dennoch gerade eben für angebracht hielten. M. Foucault: Was ich in der Tat jetzt für wichtig halte. E Ewald: Ihre beiden letzten Werke bezeichnen gleichsam ei­ nen Übergang von der Politik zur Ethik. Man wird diesbezüglich gewiss eine Antwort von Ihnen auf die Frage erwarten: Was soll man tun, was soll man wollen? M. Foucault: Die Rolle eines Intellektuellen ist nicht die, ande­ ren zu sagen, was sie zu tun haben. Mit welchem Recht sollte man das tun? Und denken Sie nur an all die Prophezeiungen, Verhei­ ßungen, Anordnungen und Programme zurück, die die Intellek­ tuellen im Verlauf der beiden letzten Jahrhunderte formuliert ha­ ben und deren Auswirkungen man jetzt gesehen hat. Die Arbeit eines Intellektuellen ist nicht die, den politischen Willen anderer zu formen, sondern durch die auf seinen eigenen Gebieten durch­ geführten Analysen die Selbstverständlichkeiten und die Postulate neu zu befragen, die Gewohnheiten und die Handlungs- und Denkweisen zu erschüttern, die übernommenen Vertrautheiten zu zerstreuen, wieder die Auseinandersetzung mit den Regeln und Institutionen zu suchen und ausgehend von dieser Reproblematisierung (worin er sein spezifisches Metier als Intellektueller ausübt) an der Ausbildung eines politischen Willens (worin er seine Rolle als Staatsbürger auszuüben hat) teilzuhaben. F Ewald: In letzter Zeit hat man den Intellektuellen sehr ihr Schweigen vorgeworfen. M. Foucault: Allerdings zur Unzeit, es gibt keinen Grund, sich auf diese Kontroverse einzulassen, deren Ausgangspunkt eine Lü­ ge war. Umgekehrt ist schon die Tatsache dieser Kampagne nicht frei von einem gewissen Interesse. Man muss sich fragen, warum die Sozialisten und die Regierung das in Gang gebracht oder wie­ der aufgenommen haben, wobei sie sich dem aussetzten, zwischen ihnen selbst und einer Gesamtmeinung der Linken eine Spaltung aufscheinen zu lassen, die ihnen nicht diente. An der Oberfläche und bei bestimmten Leuten gab es sicherlich die zur Feststellung umgemodelte Anordnung: »Sie schweigen«, was heißen soll: »Schweigen Sie, denn wir wollen Sie nicht hören«. Doch, ernst­

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hafter, lag in diesem Vorwurf gleichsam eine Bitte und eine Klage: »Sagen Sie uns doch bitte etwas zu dem, was wir so sehr benöti­ gen. Während der ganzen Periode, in der wir unser Wahlbündnis mit den Kommunisten mit solchen Schwierigkeiten gedeichselt haben, kam es selbstverständlich nicht in Frage, dass wir nur ir­ gendetwas gesagt hätten, das nicht mit einer für sie akzeptablen »sozialistischem Orthodoxie übereingestimmt hätte. Es gab zwi­ schen ihnen und uns genug Punkte, in denen wir nicht überein­ stimmten, als dass wir diesen einen noch hätten hinzufügen sollen. Ihnen bleibt also in dieser Periode nichts anderes übrig als zu schweigen und es zuzulassen, dass wir Sie unseres Bündnisses wegen als »kleine Linkes als »amerikanische oder »kalifornische Linke< behandeln. Doch nachdem wir nun einmal an die Regie­ rung gekommen waren, hatten wir es nötig, dass Sie sprechen. Und dass Sie uns einen Diskurs mit doppelter Funktion liefern: Er hätte die Festigkeit einer Meinung von links um uns herum bekundet (am besten als Treuebekundung, doch hätte es uns auch genügt, wenn man uns nur sichtbar nach dem Mund geredet hät­ te); aber er hätte auch ein - ökonomisches und politisches - Wirk­ liches zu sagen gehabt, das wir zuvor sorgsam von unserem eige­ nen Diskurs ferngehalten hatten. Wir haben es nötig, dass andere neben uns einen Diskurs der gouvernementalen Rationalität hal­ ten, der weder der verlogene unseres Bündnisses noch der unge­ schminkte unserer Gegner von rechts wäre (der Diskurs, den wir hei’te pflegen). Wir wollten Sie wieder in das Spiel einbeziehen; aber Sie haben uns mitten im Fluss im Stich gelassen und haben es sich am Ufer bequem gemacht.« Worauf die Intellektuellen ant­ worten könnten: »Als wir Sie drängten, den Diskurs zu ändern, verdammten Sie uns im Namen Ihrer verbrauchtesten Slogans. Und jetzt, da Sie unter dem Druck eines Wirklichen, das Sie nicht imstande waren wahrzunehmen, die Front wechseln, bitten Sie uns, Ihnen - nicht das Denken, das es Ihnen erlauben würde, sich dem zu stellen -, sondern den Diskurs zu liefern, der Ihren Wech­ sel maskieren würde. Das Übel folgt nicht, wie man so sagt, aus der Tatsache, dass die Intellektuellen in dem Moment aufgehört haben, Marxisten zu sein, als die Kommunisten an die Macht kamen, sondern hängt damit zusammen, dass die Skrupel Ihres Bündnisses Sie zur angebrachten Zeit daran gehindert haben, zu­ sammen mit den Intellektuellen die Denkarbeit zu unternehmen,

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die Sie dazu befähigt hätte zu regieren. Anders zu regieren als mit Ihren veralteten Parolen und den mühsam aufgefrischten Techni­ ken der anderen.« F Ewald: Gibt es eine gemeinsame Vorgehensweise in den ver­ schiedenen Interventionen, die Sie in der Politik und insbesondere mit Bezug auf Polen vortragen konnten? M. Foucault: Zu versuchen, einige Fragen in der Form von Wahrheit und Irrtum zu stellen. Als der Außenminister sagte, Jaruzelskis Staatsstreich sei eine Angelegenheit, die nur Polen an­ geht, war das wahr? Ist es wahr, dass Europa eine solche Kleinig­ keit ist, dass seine Teilung und die kommunistische Herrschaft, die jenseits einer willkürlich gezogenen Linie darin ausgeübt wird, uns nicht betreffen? Ist es wahr, dass die Verweigerung elementa­ rer gewerkschaftlicher Freiheiten in einem sozialistischen Land eine Sache ohne Bedeutung in einem von Sozialisten und Kom­ munisten regierten Land ist? Wenn es wahr ist, dass die Anwe­ senheit der Kommunisten in der Regierung ohne Einfluss auf die großen außenpolitischen Entscheidungen ist, was soll man dann von dieser Regierung und dem Bündnis halten, auf dem sie be­ ruht? Diese Fragen bestimmen sicher nicht eine Politik; aber es sind Fragen, die diejenigen, die die Politik bestimmen, beantwor­ ten müssten. E Ewald: Entspräche die Rolle, die Sie sich in der Politik geben, diesem Prinzip der »freien Rede«, das Sie in den letzten beiden Jahren zum Thema Ihrer Vorlesungen gemacht haben? M. Foucault: Nichts ist unbeständiger als ein politisches Re­ gime, dem die Wahrheit gleichgültig ist; doch nichts ist gefähr­ licher als ein politisches System, das die Wahrheit vorschreiben will. Die Funktion des »Wahr-sagens« hat nicht die Form des Gesetzes anzunehmen, ganz so wie es auch vergebens wäre zu glauben, dass sie ganz selbstverständlich in den spontanen Spielen der Kommunikation ihren Platz hätte. Die Aufgabe des Wahrsagens ist eine unendliche Arbeit: Sie in ihrer Komplexität zu be­ achten ist eine Verpflichtung, die keine Macht einem ersparen kann. Außer man erzwingt das Schweigen der Knechtschaft. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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Was ist Aufklärung? »Qu’est-ce que les Lumières?«, in: Magazine littéraire, Nr. 207, Mai 1984, S. 35-39 (Auszug aus der Vorlesung vom 5. Januar 1983 am Collège du France).

Mir scheint, dass dieser Text1 eine neue Art Frage im Feld der philosophischen Reflexion hervortreten lässt. Gewiss, dies ist mit Sicherheit nicht der erste Text in der Geschichte der Philosophie und noch nicht einmal der einzige Text von Kant, der eine Frage thematisiert, welche die Geschichte betrifft. Man findet bei Kant Texte, die der Geschichte eine Herkunftsfrage stellen: der Text über die Anfänge der Geschichte selber,2 der Text über die Be­ stimmung des Begriffs Rasse;3 andere Texte stellen der Geschichte die Frage nach der Form ihrer Vollendung: so im selben Jahr 1784 die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Ab­ sicht*. Weitere schließlich stellen sich die Frage nach der inneren, die Geschichtsverläufe regelnden Zweckmäßigkeit, so der Text, der sich mit der Verwendung teleologischer Prinzipien befasst.5 Alle diese Fragen, die im Übrigen eng miteinander verbunden sind, ziehen sich in der Tat durch die Analysen Kants über die Geschichte durch. Mir scheint, der Text über die Aufklärung6 ist ein deutlich anderer Text; er stellt jedenfalls direkt keine dieser Fragen, weder die nach der Herkunft noch die, dem Anschein zum Trotz, nach der Vollendung, und er stellt sich auf eine relativ diskrete, fast laterale Weise die Frage nach der dem Geschichts­ verlauf selbst immanenten Teleologie. 1 [Kant, I., »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, in: Berlinische Monats­ schrift Dezember 1784. In: Werke, herausgegeben von W. Weischedel, Frankfurt am Main 1964, Bd.XI, S. 53-61. A.d.Ü.] 2 [Kant, I., »Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte«, in: Berlinische Mo­ natsschrift Januar 1786. In: Werke, Bd.XI, S.85-102. A.d.Ü.] 3 [Kant, I., »Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse«, in: Berlinische Monats­ schrift November 1785. In: Werke, Bd.XI, S.63-82. A.d.Ü.] 4 [Kant, I., »Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht«, in: Berlinische Monatsschrift November 1784. In: Werke, Bd.XI, S. 33-50.] 5 [Kant, I., »Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee«, in: Berlinische Monatsschrift September 1791. In: Werkey Bd.XI, S.103-124. A.d.Ü.] 6 [Im Original deutsch. A.d.Ü.]

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Die Frage, die, wie mir scheint, in diesem Text von Kant zum ersten Mal auftaucht, ist die Frage der Gegenwart, die Frage der Aktualität: Was geschieht heute? Was geschieht jetzt? Und was ist dieses »Jetzt«, innerhalb dessen wir die einen und die anderen sind, und das den Zeitpunkt bestimmt, an dem ich schreibe? Nicht das erste Mal findet man in der philosophischen Reflexion Bezug­ nahmen auf die Gegenwart, zumindest als eine bestimmte histo­ rische Zuordnung, die auch einen Wert für die philosophische Reflexion haben kann. Schließlich bezieht sich auch Descartes, wenn er zu Beginn des Discours de la méthode seinen eigenen Lebensweg und die Gesamtheit der philosophischen Entschei­ dungen berichtet, die er zugleich für sich selbst und für die Phi­ losophie getroffen hat, sehr wohl ausdrücklich auf etwas, das in­ nerhalb der Ordnung der Erkenntnis und der Wissenschaften seiner eigenen Epoche als eine historische Zuordnung betrachtet werden kann. Doch geht es in jener Art von Bezugnahmen stets darum, in dieser als gegenwärtig bezeichneten Konfiguration ein Motiv für eine philosophische Entscheidung zu finden; bei Descartes würden Sie eine Frage wie »Was also genau ist diese Ge­ genwart, der ich angehöre?« nicht finden. Nun ist aber, wie mir scheint, die Frage, auf die Kant antwortet, auf die zu antworten er im Übrigen genötigt ist, denn sie ist ihm gestellt worden, eine andere Frage. Dies ist nicht einfach nur: Was kann in der aktuellen Situation diese oder jene Entscheidung philosophischer Art be­ stimmen? Die Frage zielt auf das, was diese Gegenwart ist, sie zielt als Erstes auf die Bestimmung eines bestimmten Elements der Gegenwart, das es unter all den anderen zu erkennen, zu unterscheiden und zu entschlüsseln gilt. Was an der Gegenwart macht aktuell Sinn für eine philosophische Reflexion? In der Antwort, die Kant auf diese Frage zu geben versucht, unternimmt er es zu zeigen, worin sich dieses Element als Träger und Zeichen eines Prozesses erweist, der das Denken, die Er­ kenntnis und die Philosophie betrifft; allerdings ist zu zeigen, worin und wie derjenige, der spricht, als Denker, als Wissenschaft­ ler, als Philosoph selbst Anteil an diesem Prozess hat, und wie er (zudem) eine bestimmte Rolle in diesem Prozess zu spielen hat, in dem er sich also zugleich als Element und Akteur wieder finden wird. Kurz, wie mir scheint, sieht man in Kants Text die Frage der

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Gegenwart als ein philosophisches Ereignis hervortreten, zu dem der Philosoph gehört, der darüber spricht. Wenn man wirklich bereit ist, die Philosophie als eine Form diskursiver Praxis zu be­ trachten, die ihre eigene Geschichte hat, dann lässt sich, wie mir scheint, mit diesem Text über die Aufklärung erkennen, wie die Philosophie - und ich denke, ich übertreibe nicht zu sehr, wenn ich behaupte, es sei das erste Mal - ihre eigene diskursive Aktua­ lität problematisiert: eine Aktualität, die sie als Ereignis befragt, als ein Ereignis, dessen Sinn, Wert und philosophische Einzigar­ tigkeit sie auszusagen, und worin sie zugleich ihre eigene Daseins­ berechtigung und die Grundlage für das, was sie sagt, zu finden hat. Und genau dadurch erkennt man, dass für den Philosophen das Stellen der Frage nach seiner Zugehörigkeit zu dieser Gegen­ wart in keiner Weise mehr die Frage nach seiner Zugehörigkeit zu einer Doktrin oder zu einer Tradition sein wird; dies wird nicht mehr einfach nur die Frage nach seiner Zugehörigkeit zu einer menschlichen Gemeinschaft im Allgemeinen sein, sondern die nach seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten »Wir«, zu einem Wir, das sich auf ein für seine eigene Aktualität bezeichnendes kulturelles Ganzes bezieht. Dieses Wir ist dabei, für den Philosophen zum Gegenstand seiner eigenen Reflexion zu werden; und genau dadurch wird die Unmöglichkeit bestätigt, dass sich der Philosoph die Befra­ gung seiner einzigartigen Zugehörigkeit zu diesem Wir erspart. All dies, die Philosophie als Problematisierung einer Aktualität und als Befragung dieser Aktualität durch den Philosophen, der ein Teil von ihr ist und im Verhältnis zu ihr seinen Ort zu be­ stimmen hat, könnte durchaus für die Philosophie als Diskurs der Moderne und über die Moderne bezeichnend sein. Wenn man es sehr schematisch angeht, dann ist die Frage der Moderne in der Kultur der Klassik gemäß einer Achse mit zwei Polen, dem Pol der Antike und dem Pol der Moderne, gestellt worden; sie wurde entweder in der Terminologie einer Autorität formuliert, die es hinzunehmen oder zurückzuweisen galt (welche Autorität muss man hinnehmen? Welchem Vorbild soll man fol­ gen? Usw.), oder auch in der (im Übrigen jener entsprechenden) Form einer vergleichenden Bewertung: Sind die Alten den Moder7 [Im Original deutsch. A.d.ÜJ

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nen überlegen? Befinden wir uns in einer Phase des Niedergangs? Usw. Man sieht, wie eine neue Art und Weise in Erscheinung tritt, die Frage der Moderne nicht mehr in einem Längsbezug zu den Alten, sondern in einem, wie man es nennen könnte, »pfeilförmig zulaufenden« Verhältnis zu seiner eigenen Aktualität zu stellen. Der Diskurs muss seine Aktualität wieder in Rechnung stellen, zum einen, um darin seinen eigenen Ort wiederzufinden, zum anderen, um deren Sinn auszusagen, und schließlich, um die Handlungsweise genauer zu bestimmen, die er innerhalb dieser Aktualität auszuüben vermag. Welches ist meine Aktualität? Welches ist der Sinn dieser Ak­ tualität? Und was tue ich, wenn ich von dieser Aktualität spreche? Darin besteht, wie mir scheint, diese neue Befragung über die Moderne. Das ist nicht mehr als eine Fährte, die man etwas genauer unter­ suchen sollte. Man müsste versuchen, die Genealogie durchzu­ führen, nicht so sehr für den Begriff Moderne, sondern für die Moderne als Frage. Und auch wenn ich Kants Text als Entste­ hungspunkt dieser Frage nehme, ist es auf jeden Fall selbstver­ ständlich, dass er selbst Teil eines weiter reichenden historischen Prozesses ist, der auszuloten wäre. Das wäre zweifellos eine der interessanten Achsen für die Untersuchung des 18. Jahrhunderts im Allgemeinen und mehr im Besonderen der Aufklärung8, dass man sich zu der folgenden Tatsache Fragen stellt: Die Aufklärung hat sich selbst Aufklärung genannt; sie ist ein zweifellos ganz ein­ zigartiger kultureller Prozess, der sich seiner selbst bewusst wur­ de, indem er sich einen Namen gab, indem er sich im Verhältnis zu seiner Vergangenheit und im Verhältnis zu seiner Zukunft einen Ort gab, und indem er die Operationen bezeichnete, die er inner­ halb seiner eigenen Gegenwart vollbringen muss. Ist schließlich nicht die Aufklärung die erste Epoche, die sich selbst benennt und die, anstatt sich einfach nur, einer alten Ge­ wohnheit folgend, als Periode des Niedergangs oder des Aufblü­ hens, des Glanzes oder des Elends zu bezeichnen, sich durch ein bestimmtes Ereignis benennt, das einer allgemeinen Geschichte des Denkens, der Vernunft und des Wissens zugehört, und inner­ halb derer sie selbst ihre Rolle zu spielen hat? 8 [Hier und im Weiteren im Original deutsch. A.d.Ü.]

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Die Aufklärung ist eine Periode, eine Periode, die sich selbst ihre eigene Devise, ihre eigene Vorschrift formuliert und die das sagt, was sie zu tun hat, und zwar ebenso sehr im Verhältnis zur allgemeinen Geschichte des Denkens als auch im Verhältnis zu ihrer Gegenwart und zu den Formen der Erkenntnis, des Wissens, der Unwissenheit und der Illusion, in denen sie ihre historische Situation zu erkennen weiß. Mir scheint, in dieser Frage der Aufklärung ist eine der ersten Bekundungen einer bestimmten Weise zu philosophieren zu se­ hen, die eine lange Geschichte gehabt hat seit zwei Jahrhunderten. Es ist eine der großen Funktionen der »modern« geheißenen Phi­ losophie (diejenige, deren Beginn man auf das äußerste Ende des 18. Jahrhunderts verorten kann), sich über ihre eigene Aktualität zu befragen. Man könnte die Bahn dieser Modalität der Philosophie durch das 19. Jahrhundert und bis heute verfolgen. Das Einzige, was ich vorerst hervorheben möchte, ist, dass Kant diese von ihm 1784 behandelte Frage - als Antwort auf eine Frage, die ihm von außen gestellt worden war - nicht vergessen hat. Er wird sie von neuem stellen und er wird versuchen, darauf mit Bezug auf ein anderes Ereignis zu antworten, das er ebenfalls unablässig auf sich selbst hin befragt hat. Dieses Ereignis ist selbstverständlich die Franzö­ sische Revolution. 1798 wird Kant gewissermaßen eine Fortsetzung zu dem Text vor 1784 geben. 1784 versuchte er, auf die Frage zu antworten, die man ihm stellte: »Was ist diese Aufklärung, von der wir ein Teil sind?«, und 1798 antwortet er auf eine Frage, die die Aktualität ihm stellte, aber die seit 1794 von der gesamten philosophischen Diskussion in Deutschland formuliert worden war. Diese Frage war: »Was ist Revolution?« Sie wissen, dass Der Streit der Facultäteri9 eine Sammlung von drei Abhandlungen über die Beziehungen zwischen den verschie­ denen Fakultäten ist, die die Universität bilden. Die zweite Ab­ handlung betrifft den Streit zwischen der philosophischen Fakul­ tät und der juristischen Fakultät. Nun ist allerdings der gesamte Bereich der Beziehungen zwischen Philosophie und Recht von der Frage eingenommen: »Ob das menschliche Geschlecht im be9 [Kant, I., Der Streit der Facultäten, Königsberg 1798. In: Werke, Bd.XI, S. 261393 -]

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ständigen Fortschreiten zum Besseren sei?« Und um auf diese Frage zu antworten, führt Kant in Paragraph 5 dieser Abhandlung die folgende Überlegung durch: Wenn man auf die Frage »Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besse­ ren sei?« antworten will, muss man bestimmen, ob es eine mög­ liche Ursache für diesen Fortschritt gibt, doch sobald man einmal diese Möglichkeit begründet hat, muss man zeigen, dass diese Ur­ sache effektiv wirkt, und muss dafür ein bestimmtes Ereignis he­ rausheben, welches zeigt, dass die Ursache tatsächlich wirkt. Ei­ gentlich wird die Zuweisung einer Ursache immer nur mögliche Wirkungen bestimmen können, oder genauer, die Möglichkeit ei­ ner Wirkung; die Wirklichkeit einer Wirkung jedoch wird stets allein durch die Existenz eines Ereignisses begründet werden kön­ nen. Es genügt also nicht, dem teleologischen Muster zu folgen, das einen Fortschritt möglich macht; man muss innerhalb der Ge­ schichte ein Ereignis heraussteilen, das den Wert eines Zeichens haben wird. Zeichen für was? Zeichen für die Existenz einer Ursache, einer permanenten Ursache, die über die gesamte Geschichte hinweg die Menschen auf dem Weg des Fortschritts geleitet hat. Ständige Ur­ sache, für die man folglich zeigen muss, dass sie einst gewirkt hat, dass sie jetzt wirkt, dass sie auch weiterhin wirken wird. Infolge­ dessen wird das Ereignis, das uns wird erlauben können zu ent­ scheiden, ob es einen Fortschritt gibt, ein Zeichen sein, »signum rememorativum, demonstrativum, prognosticon«. Es muss ein Zei­ chen sein, welches zeigt, dass es schon immer so gewesen ist (das ist das signum rememorativum), ein Zeichen, welches eben zeigt, dass die Dinge aktuell genauso vonstatten gehen (das ist das demonstrativum), und welches schließlich zeigt, dass es wohl ständig so vonstatten gehen wird (signum prognosticon). Und so werden wir sicher sein können, dass die Ursache, die den Fortschritt möglich macht, nicht einfach nur zu einem gegebenen Zeitpunkt gewirkt hat, sondern dass sie ein allgemeines Bestreben des menschlichen Geschlechts im Ganzen gewährleistet, in Richtung Fortschritt zu gehen. Und das ist die Frage: »Gibt es in unserem Umfeld eine Begebenheit, die ein signum rememorativum, demonstrativum, prognosticon für ein ständiges Fortschreiten wäre, welches das menschliche Geschlecht im Ganzen mitreißt?«

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Die Antwort, die Kant gibt, haben Sie erraten; doch möchte ich Ihnen den Passus vorlesen, in dem er die Revolution als Ereignis einführt, das den Wert eines solchen Zeichens hat: »Diese Bege­ benheit besteht nicht etwa«, schreibt er zu Beginn von Paragraph 6, »in wichtigen, von Menschen verrichteten Taten oder Untaten, wodurch, was groß war, unter Menschen klein, oder, was klein war, groß gemacht wird, und wie, gleich als durch Zauberei, alte glänzende Staatsgebäude verschwinden, und andere an deren Statt, wie aus den Tiefen der Erde, hervorkommen. Nein, nichts von allem dem.« In diesem Text spielt Kant offensichtlich auf die traditionellen Überlegungen an, die die Beweise für den Fortschritt oder NichtFortschritt des menschlichen Geschlechts in dem Umsturz von Weltreichen und in den großen Katastrophen suchen, durch wel­ che die am besten gefestigten Staaten untergingen, und in den schicksalhaften Wendungen, welche die bestehenden Mächte schwächen und neue zum Vorschein kommen lassen. Habt Acht, sagt Kant zu seinen Lesern, nicht in den großen Ereignissen müs­ sen wir das rememorative, demonstrative und prognostische Zei­ chen für den Fortschritt suchen, sondern in den weit weniger großartigen, weit weniger sichtbaren Ereignissen. Man kann diese Analyse unserer eigenen Gegenwart in diesen bedeutsamen Zei­ chen nicht leisten, ohne sich einer Chiffrierung zu überlassen, die es gestatten wird, dem, was scheinbar ohne Bedeutung und Wert ist, die wichtige Bedeutung und den wichtigen Wert zu geben, die wir suchen. Was ist nun aber dieses Ereignis, das also kein »gro­ ßes« Ereignis ist? Es besteht offenkundig ein Paradox darin, wenn man behauptet, die Revolution sei kein geräuschvolles Ereignis. Ist sie nicht das Beispiel schlechthin für ein umstürzendes Ereig­ nis, das dafür sorgt, dass das, was groß war, klein, und das, was klein war, groß wird, und das die scheinbar festesten Strukturen der Gesellschaft und der Staaten verschlingt? Nun, für Kant macht nicht dieser Aspekt an der Revolution den Sinn aus. Das Ereignis von rememorativem, demonstrativem und prognosti­ schem Wert wird nicht durch das revolutionäre Drama selbst, nicht durch die revolutionären Errungenschaften und auch nicht durch das begleitende Getue gebildet. Bedeutsam ist die Art und Weise, wie die Revolution zum Schauspiel wird, wie sie ringsum von den Zuschauern aufgenommen wird, die daran nicht teilneh­

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men, sondern die sie beobachten, die dabei zugegen sind und die sich, zum Besten und zum Schlechtesten, von ihr mitreißen lassen. Nicht der revolutionäre Umsturz macht den Beweis für den Fort­ schritt aus; zunächst einmal, weil er nichts anderes tut als die Dinge umzukehren, und weiter, weil man, wenn man diese Revo­ lution noch einmal zu machen hätte, man sie nicht noch einmal machen würde. Es gibt da einen äußerst interessanten Text: »Die Revolution eines geistreichen Volks, die wir in unseren Tagen vor sich gehen sehen [es geht also um die Französische Revolution], mag gelingen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greueltaten dermaßen angefüllt sein, dass ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie, zum zweitenmale unternehmend, glücklich auszu­ führen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschließen würde...« Nicht der revolutionäre Prozess ist also wichtig, nicht kommt es darauf an, ob er gelingt oder scheitert, dies hat nichts mit dem Foitschritt zu tun, zumin­ dest nichts mit dem von uns gesuchten Zeichen des Fortschritts. Das Scheitern oder das Gelingen der Revolution sind nicht Zei­ chen für den Fortschritt oder ein Zeichen dafür, dass es keinen Fortschritt gibt. Doch abermals: Wenn für jemanden die Möglich­ keit gegeben wäre, die Revolution zu kennen, zu wissen, wie sie abläuft, und sie zugleich zu einem guten Ende zu führen, wenn nun dieser verständige Mensch den notwendigen Preis für diese Revolution berechnen würde, dann würde er sie nicht durchfüh­ ren. Folglich kann die Revolution an sich, als »Umsturz«, als Unternehmen, das gelingen oder scheitern kann, als ein zu teurer Preis, der zu bezahlen wäre, nicht für das Zeichen gehalten wer­ den, das es eine Ursache gibt, die fähig wäre, durch die Geschichte hindurch das beständige Fortschreiten der Menschheit zu unter­ stützen. Was umgekehrt den Sinn ausmacht und das Zeichen für den Fortschritt bilden wird, ist, dass es im gesamten Umfeld der Re­ volution, wie Kant sagt, »eine Teilnehmung dem Wunsche nach [gibt], die nahe an Enthusiasm grenzt«. Wichtig an der Revolution ist nicht die Revolution selbst, sondern das, was in den Köpfen derer vorgeht, die sie nicht machen oder die jedenfalls nicht ihre Hauptakteure sind, ist das Verhältnis, das sie selbst zu dieser Re­ volution haben, deren aktive Handlungsträger sie nicht sind. Der Enthusiasmus für die Revolution ist nach Kant Zeichen einer

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moralischen Anlage der Menschheit; diese Anlage bekundet sich durchgehend auf zweierlei Art: erstens im Recht aller Völker, sich die politische Verfassung zu geben, die zu ihnen passt, und im dem Recht und der Moral konformen Grundsatz einer politischen Ver­ fassung, derart, dass sie aufgrund eben ihrer Prinzipien jeden An­ griffskrieg vermeidet. Nun, ebendie Anlage, die die Menschheit zu einer solchen Verfassung hinführt, wird durch den Enthusias­ mus für die Revolution bedeutet. Die Revolution als Schauspiel, und nicht als Getue, als Herd des Enthusiasmus für diejenigen, die dem beiwohnen, und nicht als Prinzip des Umsturzes für dieje­ nigen, die daran teilnehmen, ist ein »signum rememorativum«, denn sie deckt diese von Beginn an vorhandene Anlage auf; sie ist ein »signum demonstrativum«, weil sie die gegenwärtige Wir­ kung dieser Anlage aufzeigt, und sie ist zudem ein »signum prognosticon«, denn auch wenn die Revolution durchaus Ergebnisse hat, die wieder in Frage gestellt werden können, kann man doch nicht die Anlage vergessen, die durch sie hindurch aufgedeckt wurde. Man weiß natürlich auch, dass diese beiden Elemente, die von den Menschen nach ihrem Gutdünken gewählte politische Ver­ fassung, und eine den Krieg vermeidende politische Verfassung, zugleich auch der Prozess der Aufklärung sind, das heißt, dass in Wirklichkeit die Revolution genau das ist, was den Prozess selbst der Aufklärung vollendet und weiterführt, und insofern sind die Aufklärung und die Revolution denn auch Ereignisse, die sich nicht mehr vergessen lassen. »Nun behaupte ich«, schreibt Kant, »dem Menschengeschlechte, nach den Aspekten und Vorzeichen unserer Tage, die Erreichung dieses Zwecks und hiemit zugleich das von da an nicht mehr gänzlich rückgängig werdende Fort­ schreiten desselben zum Besseren, auch ohne Sehergeist, Vorher­ sagen zu können. Denn ein solches Phänomen in der Menschen­ geschichte vergißt sich nicht mehr; weil es eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat, dergleichen kein Politiker aus dem bisherigen Laufe der Din­ ge herausgeklügelt hätte, und welches allein Natur und Freiheit, nach inneren Rechtsprinzipien im Menschengeschlechte vereinigt, aber, was die Zeit betrifft, nur als unbestimmt und Begebenheit aus Zufall verheißen konnte. Aber, wenn der bei dieser Begeben­ heit beabsichtigte Zweck auch jetzt nicht erreicht würde, wenn

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die Revolution, oder Reform, der Verfassung eines Volks gegen das Ende doch fehlschlüge, oder, nachdem diese einige Zeit ge­ währet hätte, doch wiederum alles ins vorige Gleis zurückge­ bracht würde (wie Politiker jetzt Wahrsagern), so verliert jede philosophische Vorhersagung doch nichts von ihrer Kraft. - Denn jene Begebenheit ist zu groß, zu sehr mit dem Interesse der Menschheit verwebt, und, ihrem Einflüsse nach, auf die Welt in allen ihren Teilen zu ausgebreitet, als dass sie nicht den Völkern, bei irgend einer Veranlassung günstiger Umstände, in Erinnerung gebracht und zu Wiederholung neuer Versuche dieser Art erweckt werden sollte; da dann, bei einer für das Menschengeschlecht so wichtigen Angelegenheit, endlich doch zu irgend einer Zeit die beabsichtigte Verfassung diejenige Festigkeit erreichen muß, wel­ che die Belehrung durch öftere Erfahrung in den Gemütern aller zu bewirken nicht ermangeln würde.« Zwar wird die Revolution stets in der Gefahr sein, in das. alte Gleis zurückzufallen, doch als Ereignis, dessen Inhalt selbst un­ wichtig ist, bestätigt ihre Existenz eine permanente Virtualität, die zudem nicht vergessen werden kann: Für die künftige Geschichte ist das die Garantie für die eigentliche Kontinuität eines Gehens in Richtung Fortschritt. Ich wollte für Sie nur diesen Text von Kant über die Aufklärung in einen Zusammenhang bringen; ich werde gleich versuchen, ihn etwas genauer zu lesen. Ich wollte zudem sehen, wie Kant unge­ fähr fünfzehn Jahre später diese weit dramatischere Aktualität, die die Französische Revolution war, reflektierte. Mit diesen beiden Texten ist man gewissermaßen am Ursprung, am Ausgangspunkt einer ganzen Dynastie philosophischer Fragen. Diese beiden Fra­ gen »Was ist Aufklärung? Was ist Revolution?« sind die zwei Formen, in denen Kant die Frage nach seiner eigenen Aktualität stellte. Dies sind auch, glaube ich, die zwei Fragen, die unaufhör­ lich, wenn nicht die gesamte moderne Philosophie seit dem 19. Jahrhundert, so zumindest einen großen Teil dieser Philoso­ phie heimgesucht haben. Schließlich ist, wie mir scheint, die Auf­ klärung als einzigartiges Ereignis, das die europäische Moderne einleitet, und zugleich als permanenter Prozess, der sich in der Geschichte der Vernunft, in der Entwicklung und Einrichtung der Formen von Rationalität und Technik, der Autonomie und der Autorität des Wissens bekundet, für uns nicht einfach nur eine

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Episode in der Geschichte der Ideen. Sie ist eine seit dem 18. Jahr­ hundert in unser Denken eingeschriebene philosophische Frage. Lassen wir denen, die wollen, dass man das Erbe der Aufklärung lebendig und unberührt hält, ihre fromme Verehrung. Diese from­ me Verehrung ist sicherlich die rührendste aller Formen des Ver­ rats. Doch nicht die Reste der Aufklärung gilt es zu bewahren, sondern ebendie Frage dieses Ereignisses und seines Sinns (die Frage der Geschichtlichkeit des Denkens des Universellen) muss man gegenwärtig halten und als das, was gedacht werden muss, im Geist bewahren. Die Frage der Aufklärung oder auch der Vernunft als histori­ sches Problem hat auf eine mehr oder weniger verhangene Weise das gesamte philosophische Denken von Kant bis heute durch­ zogen. Das andere Gesicht der Aktualität, dem Kant begegnete, ist die Revolution: die Revolution sowohl als Ereignis, als Bruch und Umsturz in der Geschichte, als Scheitern, doch zugleich auch als Wert, als Zeichen der menschlichen Gattung. Auch darin ist die Frage für die Philosophie nicht die, zu bestimmen, welcher Teil der Revolution zu bewahren und als Modell geltend zu ma­ chen wäre. Die Frage ist vielmehr, was mit diesem Willen zur Revolution, mit diesem »Enthusiasm« für die Revolution anzu­ fangen ist, der etwas anderes ist als das revolutionäre Unterfangen selbst. Die beiden Fragen »Was ist Aufklärung}« und »Was ist mit dem Willen zur Revolution anzufangen?« bestimmen für sich al­ lein das Feld des philosophischen Fragens, das sich auf das be­ zieht, was wir in unserer Aktualität sind. Kant scheint mir die zwei großen kritischen Traditionen be­ gründet zu haben, zwischen denen die moderne Philosophie sich aufgeteilt hat. Sagen wir, dass Kant in seinem großen Werk der Kritik diese Tradition der Philosophie errichtet und gegründet hat, die die Frage nach den Bedingungen stellt, unter denen wah­ res Erkennen möglich ist, und von da her lässt sich sagen, dass ein ganzer Strang der modernen Philosophie seit dem 19. Jahrhundert als Analytik der Wahrheit dargestellt und entwickelt worden ist. Doch gibt es in der modernen und zeitgenössischen Philoso­ phie einen anderen Typ Frage, eine andere Art kritische Frage­ stellung: Es ist jene, die man eben in der Frage der Aufklärung oder in dem Text über die Revolution hervortreten sieht; diese andere kritische Vernehmung stellt die Frage: »Was ist unsere

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Aktualität? Welches ist das aktuelle Feld möglicher Erfahrun­ gen?« Es geht dabei nicht um eine Analytik der Wahrheit, sondern es wird dabei um das gehen, was man eine Ontologie der Gegen­ wart, eine Ontologie unserer selbst nennen könnte, und mir scheint, die philosophische Wahl, mit der wir gegenwärtig kon­ frontiert werden, ist diese: Man kann für eine kritische Philoso­ phie optieren, die sich als eine analytische Philosophie der Wahr­ heit im Allgemeinen darstellen wird, oder aber man kann für ein kritisches Denken optieren, das die Form einer Ontologie unserer selbst, einer Ontologie der Aktualität annehmen wird; in dieser Form von Philosophie, die von Flegel bis zur Frankfurter Schule mit Nietzsche und Max Weber als Zwischenstationen eine Refle­ xionsform begründet hat, habe ich zu arbeiten versucht. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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An den Quellen der Lust »Alle fond del piacere« (»Aux sources du plaisir«; Gespräch mit A. Fontana, 25. April 1984), in: Panorama, Nr. 945, 28. Mai 1984, S. 186-193.

Auszug aus einem Gespräch zwischen A. Fontana und M. Fou­ cault, dessen Transkription von A. Fontana angefochten wurde. Dieses Gespräch ist in Gänze 1984 in Le Monde veröffentlicht worden (siehe Nr. 357).

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Interview mit Michel Foucault »Interview de Michel Foucault« (Gespräch mit C. Baker, April 1984), in: Actes: cahiers d'action juridique, Nr. 45-46: La Prison autrement?, Juni 1984, S. 3-6.

G Baker: Warum sind Ihres Erachtens die Fragen, die durch den 1971 geschaffenen G.I.P. gestellt worden waren, später nicht wie­ der aufgenommen worden?

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M. Foucault: Die Fragen sind gestellt geblieben, aber die Fort­ führung, die man von bestimmten Bewegungen hatte erwarten können, hat nicht funktioniert. Das ist nicht geschehen, was nicht heißt, dass es nicht geschehen kann. Uns hatte die Tatsache verblüfft, dass die Justiz in Frankreich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts den Grundsatz der Öffentlich­ keit der Erörterungen festgesetzt hatte, aber umgekehrt das Straf­ system seltsamerweise einer Praxis untersteht, die im Dunkeln bleibt. Es hat sicher im Verlauf des 19. Jahrhunderts viele Diskus­ sionen über das Strafsystem gegeben, und es gibt sie auch noch im 20., und trotzdem entgeht das Gefängnis in seinem wirklichen und alltäglichen Funktionieren zum großen Teil der Kontrolle des Gerichtsapparates, von dem es im Übrigen administrativ auch gar nicht abhängt; es entgeht auch der Kontrolle der öffentlichen Meinung und schließlich häufig den Regeln des Rechts. Der G.I.P. ist, wie ich glaube, ein Unternehmen der »Problematisierung« gewesen, eine Anstrengung, Selbstverständlichkeiten, Praktiken, Regeln, Institutionen und Gewohnheiten, die sich im Laufe von Jahrzehnten festgesetzt hatten, problematisch und zweifelhaft zu machen. Und dies am Gefängnis selbst, aber auch durch es hindurch an der Strafjustiz, am Gesetz und allgemeiner noch an der Bestrafung. Ich weiß wohl, dass einige von der Tatsache überrascht wurden, dass dieses Nachdenken über das Gefängnis nicht sofort die Form vor. Vorschlägen annahm, um dessen Funktionieren zu verbes­ sern, aber ich glaube, dass es Momente gibt, in denen es nicht mehr ausreicht, die Praktiken an ihren traditionellen Zielvorgaben zu bemessen und sich zu bemühen, sie effizienter an sie anzupas­ sen. Man muss zugleich nach den Praktiken, nach dem Ziel, das sie sich vorgeben, nach den Mitteln, die sie verwenden, und nach den Wirkungen, gewollten oder nicht, die diese Mittel haben kön­ nen, fragen. Und von diesem Standpunkt aus scheint mir die zu Beginn der siebziger Jahre unternommene Arbeit das Problem in seinen wesentlichen Dimensionen richtig gestellt zu haben: der Sinn, den man in einer Gesellschaft wie der unseren den Praktiken der durch Gesetz geregelten Bestrafung zu geben hat. Dieses Problem kann nicht durch irgendwelche theoretischen Vorschläge gelöst werden. Es erfordert vielmehr Diskussionen, Erprobungen, viel Zweifel, Versuche und Bedenken, doch rieh-

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tig ist, dass nur sehr wenige Gruppen und sehr wenige Institu­ tionen das aufgenommen haben. Und natürlich keine politische Partei. G Baker: De facto scheint sich zwischen der gegenwärtigen Regierung und den Intellektuellen nicht so viel abzuspielen. Wer misstraut wem? M. Foucault: Seit die S.F.I.O., die den französischen Sozialismus repräsentierte, im Untergang begriffen war, hatte sie nichts mehr zu sagen. Wer hat letztlich Ende der sechziger Jahre gesprochen? Wer hat die grundlegenden Fragen aufgeworfen, die die Gesell­ schaft, die Ökonomie betreffen, wenn nicht diese nicht-organi­ sierte Linke, Frauenbewegungen, Bewegungen der Reflexion über die psychiatrischen Institutionen, Bewegungen der Reflexion über die Selbstverwaltung? Wer sprach? Das war nicht die S.F.I.O., de­ ren Enzephalogramm vollkommen flach war. Das war jene Linke, die man mit polemischen Akzenten die kleine Linke, die extreme Linke, die kalifornische Linke usw. nannte. Es sind viele Dumm­ heiten über sie gesagt worden, und ich habe meinen Anteil übri­ gens auch abbekommen. Doch die Grundprobleme waren schon damals gestellt. Noch heute stellen sich diese Probleme als Grundprobleme dar. Als 1972 die Sozialistische Partei gegründet wurde, war sie, das steht absolut fest, zugänglich für diese Fragen. Wahrscheinlich hätte sie, wenn sie nicht auf die eine oder andere Weise darauf reagiert hätte, nicht die Glaubwürdigkeit gehabt, von der sie, un­ ter anderem auch bei der intellektuellen Linken, profitierte, Doch man muss unterstreichen, dass sie, auch wenn sie für diese Ideen zugänglich war, dennoch niemals auch nur den kleinsten Dialog mit diesen Intellektuellen eingeleitet hat, niemals. Der Intellek­ tuelle war dazu da, seinen Namen herzugeben und zum Zeitpunkt der Wahlen seine Unterstützung zu leisten; nichts anderes ver­ langte man von ihm; ganz genau, man verlangte von ihm, nichts anderes zu sagen. Das Schlimme daran ist, dass die Sozialistische Partei die Pro­ gramme, die Texte und die Projekte vervielfacht hat; doch nichts von alldem stellte ein Bemühen um Reflexion dar, das ein kohä­ rentes neues politisches Denken hätte vermuten lassen können. Es war eine Rhapsodie von Versprechungen, Schimären, vermischt mit dem abgestandenen Inhalt ideologischer Schubladen. Man

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ist in einer Gesellschaft des politischen Denkens. Es gibt keine Gesamtreflexion, die es gestatten würde, Projekte vorzuschlagen, die das Strafwesen, die Medizin und die Sozialversicherung be­ treffen. Man brauchte ein Denken darüber. Selbstverständlich wa­ ren die Intellektuellen nicht fähig, ganz und gar fertige Lösungen beizubringen, aber es ist wahrscheinlich, dass man, wenn man sich hinreichend ausgetauscht hätte, zu einer Reflexion hätte gelangen können, und vielleicht wäre etwas dabei herausgekommen. G Baker: Ist es zu spät dafür? M. Foucault: Ich weiß nicht... Aber wenn die Sozialisten vom Schweigen der Intellektuellen sprechen, sprechen sie von ihrem eigenen Schweigen und ihrem Bedauern darüber, dass sie weder über ein politisches Denken noch über eine politische Rationalität verfügen. Die Sozialisten haben dieses Rendezvous mit den Be­ wegungen, die auf der Suche waren und die vor ihnen und um sie herum existierten, aus zwei Gründen versäumt. Der eine ist ein interner: Sie hatten Furcht vor den Rocardianern. Sie fürchteten, dass die Intellektuellen sich Rocard näher fühlten als zum Beispiel Jospin, und so kam es zu einer Blockade von dieser Seite. Sie wurden von ihren internen Kämpfen heimgesucht. Und dann gab es einen zweiten Grund, den P.C. Man brauchte den P.C. und die C.G.T. zu sehr: Man wollte ihnen einfach nicht mit diesen berühmten Intellektuellen auf den Nerv gehen, von denen einige Kommunisten gewesen waren, mit dem P.C. gebrochen hatten und es mit dem Antikommunismus ziemlich weit trieben! Aus diesen externen und internen Gründen zog es die Sozialis­ tische Partei vor, keine Arbeitsbeziehungen zu den Intellektuellen zu unterhalten. C. Baker: Doch gab es nicht auch von Seiten der Intellektuellen ein großes Misstrauen gegenüber der alten Politik der Politiker­ kaste? M. Foucault: Ist dieses Misstrauen denn nicht auch gerechtfer­ tigt? Ich habe nicht den Eindruck, dass die politischen Parteien auf dem Gebiet der Problematisierung des gesellschaftlichen Le­ bens irgendetwas Interessantes hervorgebracht hätten. Man kann sich fragen, ob die politischen Parteien nicht die steril machendste politische Erfindung seit dem 19. Jahrhundert sind. Die intellek­ tuelle politische Sterilität scheint mir eine der großen Tatsachen unserer Epoche zu sein.

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C. Baker: Sie scheinen anzunehmen, dass es möglich gewesen wäre, die Dinge anders anzugehen? M. Foucault: Ja, ich habe das angenommen. Die Situationen können stets Strategien erzeugen. Ich glaube nicht, dass man in eine Geschichte eingeschlossen ist; im Gegenteil, meine ganze Arbeit besteht darin zu zeigen, dass die Geschichte von strategi­ schen Beziehungen durchzogen ist, die infolgedessen beweglich sind und die man verändern kann. Unter der Bedingung selbst­ verständlich, dass die Handlungsträger dieses Prozesses den poli­ tischen Mut haben, die Dinge zu ändern. G Baker: Sie wären bereit gewesen, mit Menschen aus der ak­ tuellen Regierung zusammenzuarbeiten? M. Foucault: Wenn eines Tages einer von ihnen zum Telefon­ hörer gegriffen und mich gefragt hätte, ob man beispielsweise über das Gefängnis oder die psychiatrischen Krankenhäuser dis­ kutieren könnte, hätte ich nicht eine Sekunde gezögert. C. Baker: Doch selbst jemand wie Herr Badinter, der sich außer­ halb der Politik der Politikerkaste ansiedelt, bezieht sich auf Sie nur, um Sie etwas sagen zu lassen, das Sie niemals gesagt haben. M. Foucault: Ich will keinesfalls in diese Polemik eintreten. Ba­ dinter ist - daran ist nicht zu zweifeln - der beste Innenminister, den man seit Jahrzehnten hatte... G Baker: Kommen wir indes auf das zurück, was er in L'Âne1 über das sagt, was er seine »Theorie der Strafe« nennt: »Es muss Verbote geben [...]. Manche haben das Bedürfnis, das Verbot zu überschreiten [...]. Ich sage, dass es Verbote und Sanktionen geben muss, und dass die Sanktionen - das Gesetzbuch - dazu dienen müssen, die Verbote ebenso sehr zu verinnerlichen wie auszudrü­ cken [...]. Was ist das wahre Problem für die Justiz? Das Gute und das Böse, das Erlaubte und das Verbotene auszudrücken.« Und auf die Frage: »Können die Verbote ohne Strafe aufrechterhalten wer­ den?«, antwortet er: »Für diejenigen, die das Verbot nicht hinrei­ chend verinnerlicht haben, gewiss nicht [...]. Das wahre Problem besteht darin, es zu schaffen, durch Sanktionen die Verbote zu schützen, ohne dass dadurch das System von Sanktionen die we­ sentlichen Werte, zum Beispiel die Achtung der menschlichen Würde, beeinträchtigt...« 1 [Badinter, R., »Entretien avec«, in: UAne> le magazine freudien, November-De­ zember 1983, Nr. 13, S. MV.]

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Herr Badinter schreibt sich hier recht stark in das ein, was Sie in Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen] als »Humanisierung des Strafwesens« untersucht haben. Aber konnte man nicht etwas anderes erhoffen? M. Foucault: Ich werde, was mich betrifft, sehr vorsichtig sein und das in Erinnerung rufen, was Nietzsche gesagt hat: »Unsere Gesellschaften wissen nicht mehr, was Strafen ist.« Der Bestra­ fung geben wir, sagt er, so als sei es eine Form der Sedimentierung, eine gewisse Anzahl von Bedeutungen wie das Talionsgesetz, die Vergeltung, die Rache, die Therapie, die Purifizierung und einige weitere, die in der eigentlichen Praxis des Strafens effektiv vor­ handen sind, doch ohne dass unsere Gesellschaften fähig gewesen wären, eine Interpretation auszuwählen oder eine andere an deren Stelle zu setzen und den Strafakt rational auf eine dieser Inter­ pretationen zu gründen. Und ich glaube, dass wir damit immer noch nicht weiter gekommen sind. Und genau darüber müssen wir uns jetzt unsere Gedanken machen. Ich habe aus einer bestimmten Anzahl von Gründen versucht, die Aufmerksamkeit auf die Bestrafungstechniken selbst zu len­ ken. Der Erste ist, dass man zu häufig vernachlässigt hat, was die Bestrafungstechniken außerhalb der allgemeinen Theorien, durch die sie anfangs eine Rechtfertigung hatten erhalten können, an Bedeutung in sich tragen konnten. Eben die Logik dieser Bestra­ fungstechniken hat Konsequenzen nach sich gezogen, die weder vorgesehen noch gewollt waren, die aber, indem sie waren, was sie waren, in anderen Taktiken, anderen Strategien eine neue Verwen­ dung fanden; am Ende gab es einen ganzen sehr komplizierten Nexus, der sich rund um genau diese Techniken der Bestrafung entwickelt hat. Ich habe angenommen, es sei wichtig, dies sichtbar zu machen. Aber das soll trotzdem nicht heißen, dass man sich nur für die Bestrafungstechnik interessieren oder sich sagen soll: »Im Grunde gibt es keine Bestrafungstechnik, die einen Wert hätte, also darf man nicht strafen.« Man muss im Gegenteil versuchsweise reflektieren, was ein Strafsystem, ein Strafgesetzbuch und was Strafpraktiken in einer Gesellschaft wie der unseren sein können, die von sich sichtbar abzeichnenden Prozessen durchlaufen wird. Wir haben keine Lösung. Wir sind in einer großen Verlegenheit. Man hat sich dennoch Gedanken über gewisse mögliche Modifi­ zierungen der Strafprozeduren gemacht: Wie lässt sich beispiels­

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weise die Einsperrung durch weitaus intelligentere Formen erset­ zen? Doch alles das reicht nicht aus, und wenn ich auch Partei­ gänger eines bestimmten Radikalismus bin, so nicht, um zu sagen: »Auf jeden Fall wird jedes Bestrafungssystem eine Katastrophe sein; da lässt sich nichts dran ändern; was man auch tut, es wird schlecht sein«, sondern um vielmehr zu sagen: Wie kann man heute unter Berücksichtigung der Probleme, die von den Bestra­ fungstechniken her gestellt wurden und sich jetzt immer noch stellen, den Bestrafungstechniken, die seit mehr als einem Jahr­ hundert die unseren gewesen sind, das denken, was eine Bestra­ fung sein soll? Nun, das ist eine Arbeit, die von mehreren zu leisten wäre. Die Arbeit, die ich über die historische Relativität der Form »Gefängnis« durchgeführt habe, war ein Anreiz zum Versuch, andere Formen der Bestrafung zu denken. Ich habe mich von allem abgegrenzt, was kein Bemühen war* hier und da gewisse Ersatzformen zu finden. Radikal neu zu denken ist, was Strafen ist, was man straft, warum und schließlich wie zu strafen ist. Was auf klare und vernünftige Weise im 17. Jahrhundert begriffen wur­ de, verdunkelte sich am Ende. Die Aufklärung ist nicht das abso­ lute Übel, weit gefehlt, sie ist aber auch nicht das absolute Gute und vor allem nicht das definitive Gute. C. Baker: Sie situieren sich also ganz genau in einem Gegensatz zu dem, was viele Ihrer Gegner Ihren Fixismus oder gar Ihnen Nihilismus nennen... M. Foucault: Da lach’ ich nur drüber... Ich habe im Gegenteil zeigen wollen, dass die systematische Nutzung des Gefängnisses als Hauptform der Bestrafung nur eine historische Episode dar­ stellte, und dass man folglich andere Bestrafungssysteme als genau dieses in den Blick nehmen konnte. Was ich zu analysieren ver­ sucht habe, sind Praktiken, die der Praktik immanente Logik, und die Strategien, die die Logik dieser Praktiken unterstützen, und folglich die Art und Weise, wie die Individuen frei in ihren Kämp­ fen, in ihren Konfrontationen, in ihren Projekten sich als Subjekte ihrer Praktiken konstituieren oder im Gegenteil die Praktiken zurückweisen, die man ihnen vorgibt. Ich glaube fest an die menschliche Freiheit. Habe ich nicht bei meiner Befragung der psychiatrischen und der Strafinstitutionen vorausgesetzt und be­ kräftigt, dass man da herauskommen könnte, indem ich zeigte,

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dass es sich dabei um ab einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Kontext geschichtlich ausgebildete Formen handelte, ging es nicht darum zu zeigen, dass diese Praktiken in einem anderen Kontext überwunden, weil willkürlich und un­ wirksam gemacht werden können sollten? Diese Art Analyse benennt die Unsicherheit, die Nicht-Not­ wendigkeit und die Beweglichkeit der Dinge. Das alles ist ganz und gar an eine Praxis und an Strategien gebunden, die selbst beweglich sind und sich verwandeln. Es haut mich um, feststellen zu müssen, dass Leute in meinen historischen Untersuchungen die Behauptung eines Determinismus sehen konnten, aus dem es kein Entrinnen gibt. C. Baker: Sie haben mehrfach in Ihren Arbeiten auf die Rolle des Strafwesens hingewiesen, die Illegalitäten zu verwalten und deren allgemeine Ökonomie zu sichern. Wenn das Gefängnis durch ein sehr weites System von Bußen (das ist die Tendenz in Schweden) ersetzt würde, würde sich dann die Delinquenz in der­ selben Weise reproduzieren? M. Foucault: Ich glaube, dass eine gewisse Anzahl von dem Gefängnis eigentümlichen Effekten wie die Ausgliederung aus einem normalen sozialen Leben, die Entfernung aus der familiä­ ren Umgebung oder der Gruppe, inmitten derer man lebt, die Tatsache, dass man nicht mehr arbeitet, die Tatsache, dass der Häftling im Gefängnis mit Leuten zusammenlebt, die die einzige Zuflucht sein werden, wenn er dereinst aus dem Gefängnis ent­ lassen wird, kurz, alles das, was direkt mit der Gefangenschaft verbunden ist, wohl kaum im Fall eines anderen verallgemeinerten Bestrafungssystems wie etwa der Buße angetroffen werden kann, zumindest nicht in dieser Bandbreite und mit diesem Gewicht. Doch muss man sich auch eingestehen, dass ein System von Bußen eines schönen Tages seine Unannehmlichkeiten zeigen wird, und dass die Gesellschaft genau dann eine erneute Anstren­ gung machen muss, dieses Strafsystem zu überdenken. Nichts ist jemals stabil. Sobald es innerhalb einer Gesellschaft um eine Machtinstitution geht, ist alles gefährlich. Die Macht ist folglich an sich weder gut noch schlecht. Sie ist etwas Gefährliches. Wenn man Macht ausübt, rührt man nicht an das Böse, sondern an eine gefährliche Materie, deren Missbrauch also stets möglich ist und mehr oder weniger schwer wiegende negative Folgen haben kann.

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G Baker: Die Kriminologen von heute bemühen sich, so ge­ nannte »Ersatzstrafen« zu finden. In Frankreich hatte es den An­ schein, dass man sich an der gemeinnützigen Arbeit orientiert, was sicherlich keine sehr neue Idee ist im Arsenal der alten, auf der Besserung begründeten Formeln... M. Foucault: Aktuell findet man sich dieser sehr wichtigen Wahl gegenübergestellt. (Ich würde diese theoretischen Fragen gern mit einer Gruppe von Leuten gründlich aufarbeiten, die sich darüber ihre Gedanken machen wollen.) Auf der einen Seite gibt es die Möglichkeit, die Strafe so um­ fassend wie möglich zu psychologisieren, das heißt sich auf den Strang »Besserung«, »Verbesserung« zu verlegen, was in einer Ge­ sellschaft wie der unseren individuelle psychologische Therapie oder Gruppentherapie heißt. Die Strafe hätte im Wesentlichen als Funktion und Ziel, die ökonomischen, sozialen und psycho­ logischen Bedingungen zu verändern, die das Delikt zustande kommen ließen. Ihre generelle Richtung ginge also dahin, den Delinquenten in derartige Umstände zu versetzen, dass die Chan­ cen, dass er wieder ein Delikt begeht, beträchtlich gemindert sind. Das ist eine Möglichkeit, und ich glaube nicht, dass man sie a priori mit der Behauptung ausschließen sollte, das sei Psycholo­ gismus. Es gibt eine andere Möglichkeit, an die man sich, glaube ich, wenden kann: Das ist die Vorstellung, dass man Bestrafung und Besserung unbedingt trennen muss. Seit Platon hieß es stets, die Strafe diene sowohl dazu zu strafen als auch zu bessern. Doch kann man sich nicht vorstellen, dass die beiden Funktionen, die sich heute überlagern, von unterschied­ lichen Instanzen wahrgenommen würden? Die eine der Funktio­ nen wäre die Anwendung einer vom Gesetzbuch festgelegten Sanktion - selbstverständlich würde dies eine Revision der Ge­ setzbücher, die Neubestimmung dessen, was in einer Gesellschaft wie der unseren strafwürdig ist, implizieren. Und dann gäbe es eine weitere, vollkommen verschiedene Funktion, und zwar die Aufgabe, das Individuum wieder in Bedingungen zu bringen, der­ art dass seine Chancen zu einer delinquenten Handlung so gut wie eben möglich vermindert würden. Wenn man in Schweden in die Richtung einer gewissen Verall­ gemeinerung der Buße geht, kommt man im Grunde, doch viel­

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leicht nicht sehr explizit, dieser Spaltung zwischen Bestrafung und Besserung näher. Denn wenn es wirklich etwas gibt, das nicht bessert [amende], dann ist das die Buße [amende]. Sie hat keinen therapeutischen Wert, im Gegensatz zu der Vorstellung, die die Theoretiker des Gefängnisses hatten, nämlich die Leute von ihrem delinquenten Milieu abzuschneiden, sie allein zu lassen, einer be­ stimmten Disziplin unterworfen, mit dem Ziel, sie Gutes tun zu lassen. C. Baker: Und das ist eben auch die Vorstellung, die in der gemeinnützigen Arbeit aufgenommen wird... M. Foucault: Man darf nicht eine Antwort a priori haben. Doch ist nicht, wenn man Dinge wie diese macht, einmal mehr die Ver­ wirrung zwischen Bestrafung und Besserung gemeint? Wäre es nicht besser - das ist eine Frage, die ich stelle - zu versuchen, die Schwierigkeiten zu klären und die Möglichkeiten, über die man verfügt, gründlich zu prüfen? , C. Baker: Wenn die Reformer sich das »ideale« Gefängnis vor­ stellen, sehen sie einen Ort der Betreuung durch ich weiß nicht was für Psychologen, die verstehen würden, was im Kopf des Delinquenten vorgegangen ist und vorgeht, und ihn »sanft« dahin führen würden, seine Person und die Gesellschaft in einem ande­ ren Licht zu begreifen. Das Gefängnis wird damit zu einem Be­ handlungsort. Verdeckt man nicht unter dieser von vielen vertre­ tenen Vorstellung von einer Behandlung zugleich diese Frage der Trennung zwischen Sanktion und Besserung? M. Foucault: Mir scheint in der Tat, dass man nicht nur diese Grundfrage verdeckt, sondern auch jene hinreichend bekannten Dinge, dass nämlich das Gefängnis, in welchen seiner seit bald zweihundert Jahren bekannten Formen auch immer, nichts als ein Scheitern ist. Ich bin kein Feind des Reformismus, aber letzt­ lich erscheint es mir völlig nutzlos, unermüdlich immer wieder diese Frage nach dem »guten Gefängnis« zu stellen, das letztlich die zwei Funktionen Bestrafung und Besserung erfüllen würde, die es bis jetzt nicht hat zustande bringen können. C. Baker: Wenn man Sanktion und Besserung wirklich trennen würde, würden das die Richter nicht als Frustration empfinden? M. Foucault: Die Justiz ist von ihrer therapeutischen Funktion fasziniert - das ist einer der vorherrschenden Züge, die die Ent­ wicklung der Justiz seit dem Ende des 19. Jahrhunderts prägen.

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Wenn man einem Richter sagen würde: »Sie haben Recht zu spre­ chen, unter Umständen eine Sanktion festzulegen, aber alles Wei­ tere geht Sie nichts an«, er würde das in starkem Maße als Frust­ ration empfinden. Denn er findet seine therapeutische Rolle sehr befriedigend; sie ist für ihn eine moralische und theoretische Rechtfertigung. Da das so ist, muss man dem auch Rechnung tragen, aber man muss die Frage stellen: Ist das wirklich gesund? Muss sich schließlich die Justiz nicht selbst als das ansehen, was sie ist? Derjenige, der straft, muss nicht von sich glauben, mit der zusätzlichen Aufgabe, zu bessern oder zu heilen, betraut zu sein. C Baker: Manche rühmen als Alternative zum Urteil die Ver­ söhnungskomitees auf Stadtteilebene. Wie ist Ihre Vorstellung da­ zu? M. Foucault: Findet man damit nicht zu jenem Thema einer »Volksjustiz« zurück, das ich immer für gefährlich gehalten habe? Ich glaube, dass die Volksjustiz eine ein wenig lyrische, ein wenig utopische Form ist, in der man einige Elemente aus dem, was das Gerichtssystem ausmacht, und einige weitere Elemente aus dem so genannten Volksbewusstsein kombiniert, was zumeist eher ein Kriegsbewusstsein als ein Gerechtigkeitsbewusstsein ist. C. Baker: Aber wenn man versuchen würde, sich eine Instanz wirklicher »Versöhnung« vorzustellen? M. Foucault: Vor allem, was wird das für eine Institution sein, die »Recht zu sprechen« beansprucht, worauf wird sie sich be­ rufen? Das genau interessiert mich. Wird sich das System von Regeln, worauf diese Leute sich berufen, in ihren mentalen Rah­ men auf der Bestrafung oder auf der Besserung oder auf beiden begründen? Das, scheint mir, muss man genau bestimmen. G Baker: Bei allen Ersatzlösungen für die Einkerkerung, von denen die Rede ist, scheinen Sie eine kleine Vorliebe für das Sys­ tem der Bußen zu haben... M. Foucault: Man muss wirklich alles prüfen. Man ist heute zu sehr in Bedrängnis, als dass man es sich erlauben könnte, nicht alles in den Blick zu nehmen; die Probleme sind zu ernst... Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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354 Die Rückkehr der Moral »Le retour de la morale« (Gespräch mit G. Barbedette und A. Scala, 29. Mai 1984), in: Les Nouvelles littéraires, Nr. 2937, 28. Juni - 5. Juli 1984, S. 36-41). Dieser unglückliche Titel, der wie alle Titel von Artikeln von der Redak­ tion der Zeitschrift stammte, erinnert an die Umstände der Veröffent­ lichung dieses letzten Gesprächs. Trotz seiner großen Erschöpfung hatte Foucault den entsprechenden Vorschlag, der von einem jungen Philoso­ phen namens André Scala, einem Freud von Gilles Deleuze, kam, akzep­ tiert. Das war insgeheim eine Geste der Freundschaft in Richtung Gilles Deleuze, den er in diesen letzten Jahren selten sah. Gilles Barbedette und André Scala hatten recht unterschiedliche Fragen, so dass es in Wirklich­ keit zwei sich überschneidende Gespräche sind. Als die Transkription der Kassetten beendet war, befand sich M. Foucault bereits im Krankenhaus und er beauftragte Daniel Defert, dieses Gespräch, so wie er es für richtig hielt, zu redigieren, ohne dass er selbst es noch einmal sah. Das Gespräch erschien drei Tage nach dem Tod von M. Foucault.

- Was bei der Lektüre Ihrer letzten Bücher verblüfft, ist eine klare, reine, glatte Schreibweise, die sich sehr von dem Stil unter­ scheidet, den wir gewohnt waren. Warum dieser Wechsel? - Tch bin dabei, die Manuskripte wieder zu lesen, die ich für diese Geschichte der Moral geschrieben habe und die den Anfang des Christentums betreffen (diese Bücher - das ist ein Grund für ihre Verspätung - werden in umgekehrter Reihenfolge zu ihrer Ab­ fassung vorgelegt). Wenn ich diese seit langem liegen gelassenen Manuskripte wieder lese, finde ich dieselbe Verweigerung des Stils von Les Mots et les Choses [Die Ordnung der Dinge], L'Histoire de la folie [Wahnsinn und Gesellschaft] oder Raymond Roussel [Raymond Roussel] wieder. Ich muss sagen, dass mir das ein Prob­ lem bereitet, weil dieser Bruch sich nicht allmählich eingestellt hat. Ganz plötzlich, seit 1975-1976, habe ich mich voll und ganz von diesem Stil gelöst, und zwar insofern ich im Sinn hatte, eine Geschichte des Subjekts zu schreiben, die nicht die Geschichte eines Ereignisses wäre, das eines Tages geschehen und dessen Ent­ stehung und Ende zu berichten gewesen wäre.

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- Sind Sie nicht dadurch, dass Sie sich von einem bestimmten Stil lösten, philosophischer geworden, als Sie es vorher waren? - Wenn man zugesteht - und ich gestehe das zu! -, dass ich mit Les Mots et les Choses, der Histoire de la folie und selbst mit Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen] eine philosophische Untersuchung unternommen habe, die im Wesentlichen auf einem bestimmten Gebrauch des Vokabulars und des Spiels der philoso­ phischen Erfahrung gegründet war, der ich mich mit allem, was ich hatte, ausgeliefert hatte, dann ist es gewiss, dass ich jetzt ver­ suche, mich von genau dieser Form von Philosophie zu lösen. Doch das geschieht, um mich ihrer als Erfahrungsfeld zu bedie­ nen, das zu untersuchen, auszumessen lind zu organisieren ist. So dass diese Periode, die in den Augen mancher als eine radikale Nicht-Philosophie gelten kann, zugleich eine Art und Weise ist, die philosophische Erfahrung radikaler zu denken. - Wie es scheint, machen Sie nun Dinge expliziter;■ die man in Ihren früheren Werken bloß zwischen den Zeilen lesen konnte? - Ich muss sagen, dass ich das nicht so sehe. Mir scheint, dass in der Histoire de lafolie, in Les Mots et les Choses und auch in Surveiller et Punir viele Dinge, die sich implizit darin fanden, aufgrund der Art und Weise, wie ich die Probleme stellte, gar nicht explizit ge­ macht werden konnten. Ich habe versucht, drei große Problem­ typen auszumachen: das Problem der Wahrheit, das Problem der Macht und das Problem der individuellen Verhaltensführung. Diese drei Bereiche der Erfahrung lassen sich nur im Verhältnis zueinan­ der und nicht ohne einander verstehen. An den früheren Büchern hat mich gestört, dass darin die ersten beiden Erfahrungen ohne eine Berücksichtigung der dritten behandelt wurden. Als ich diese letzte Erfahrung zum Vorschein brachte, schien es mir, dass es darin eine Art roten Faden gab, zu dessen Rechtfertigung nicht der Rück­ griff auf rhetorisch angehauchte Methoden nötig war, mit denen man dem einen der drei Grundbereiche der Erfahrung auswich. - Die Frage des Stils bezieht auch die der Existenz mit ein. Wie kann man aus dem Lebensstil ein großes philosophisches Problem machen?

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- Eine schwierige Frage. Ich bin nicht sicher, darauf eine Antwort geben zu können. Ich glaube in der Tat, dass die Frage des Stils in der antiken Erfahrung zentral ist: Stilisierung des Verhältnisses zu sich selbst, Stil der Verhaltensführung, Stilisierung des Verhältnis­ ses zu anderen. Die Antike hat nicht aufgehört, die Frage zu stel­ len, ob es möglich sei, einen diesen verschiedenen Bereichen der Verhaltensführung gemeinsamen Stil zu bestimmen. Tatsächlich dürfte die Entdeckung dieses Stils es sicherlich erlaubt haben, zu einer Bestimmung des Subjekts zu gelangen. Die Einheit einer »Moral des Stils« ist erstmals im Römischen Reich im 2. und 3. Jahrhundert und unmittelbar in einer Terminologie des Kodex und der Wahrheit gedacht worden. - Ein Existenzstily das ist bewundernswert. Haben Sie diese Grie­ chen bewundernswert gefunden? - Nein. - Weder beispielhaft noch bewundernswert? - Nein. - Wie fanden Sie sie? - Nicht gerade großartig. Sie sind sogleich bei dem ins Straucheln geraten, was mir der Widerspruchspunkt der antiken Moral zu sein scheint: zwischen einerseits dieser hartnäckigen Suche nach einem bestimmten Existenzstil und andererseits dem Bemühen, ihn zur gemeinsamen Sache aller zu machen, ein Stil, dem sie sich zweifellos auf mehr oder weniger dunklen Wegen mit Seneca und Epiktet genähert haben, dessen Umsetzung aber nur innerhalb eines religiösen Stils möglich war. Die ganze Antike scheint mir ein »gründlicher Irrtum« gewesen zu sein. - Sie sind nicht der Einzige, der den Begriff Stil in die Geschichte einführt; Peter Brown tut das in The Making of Late Antiquity.1 1 [Brown, P., D ie

le tz te n

T h e M a k in g o f L a te A n tiq u ity H e id e n . E in e

k le in e

, Cambridge, Mass., London 1978; dt.: , Berlin 1986.]

G e s c h ic h te d e r S p ä ta n tik e

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- Den Gebrauch, den ich vom »Stil« mache, entlehne ich zum großen Teil Peter Brown. Aber das, was ich jetzt sagen werde, und was sich nicht auf das bezieht, was er geschrieben hat, bindet ihn in keiner Weise. Dieser Begriff Stil scheint mir in der Geschichte der antiken Moral sehr wichtig zu sein. Ich habe gerade schlecht über diese Moral gesprochen; man kann versuchen, auch gut da­ rüber zu sprechen. Als Erstes: Die antike Moral wandte sich nur an eine ganz kleine Anzahl von Individuen; sie verlangte nicht, dass alle demselben Verhaltensschema gehorchen sollten. Sie be­ traf nur eine ganz kleine Minderheit unter den Menschen und sogar unter den freien Menschen. Es gab mehrere Formen von Freiheiten: Die Freiheit des Staats- oder des Armeeführers hatte nichts mit der Freiheit des Weisen zu tun. Dann breitete sich diese Moral aus. In der Epoche Senecas und mehr noch in der von Marc Aurel sollte sie möglicherweise für alle gelten; aber niemals sollte daraus eine Verpflichtung für alle werden. Es war für die Indivi­ duen die Sache einer Wahl; es stand jedem frei, diese Moral zu teilen. So dass es freilich sehr schwierig ist herauszubekommen, wer in der Antike und im Römischen Reich an dieser Moral par­ tizipierte. Man ist also sehr weit von den moralischen Konformi­ täten entfernt, deren Schema die Soziologen und die Historiker ausarbeiten, wobei sie sich an eine mutmaßliche Durchschnitts­ bevölkerung wenden. Was Peter Brown und ich versuchen, ge­ stattet es, Individuen, die eine Rolle in der antiken Moral oder im Christentum gespielt haben, in dem, was an ihnen einzigartig ist, herauszuheben. Wir stehen am Anfang dieser Untersuchungen über den Stil, und es wäre interessant zu sehen, welche Verbrei­ tung dieser Grundbegriff vom 4. Jahrhundert vor Christus bis zum 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung hatte. - Man kann nicht die Moral eines Philosophen der Antike unter­ suchen, ohne nicht zugleich seine ganze Philosophie zu berücksich­ tigen, und insbesondere, wenn man an die Stoiker denkt, sagt man sich, dass Marc Aurels Moral, eben weil er weder eine Physik noch eine Logik hatte, eher auf das hin ausgerichtet war, was Sie den Kodex nennen, als auf das, was Sie das Ethische nennen. - Sie machen, wenn ich es richtig verstehe, aus dieser langen Ent­ wicklung das Resultat eines Verlusts. Sie würden bei Platon, Aris­

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toteles und den ersten Stoikern eine Philosophie erkennen, die ein besonderes Gleichgewicht zwischen den Auffassungen der Wahr­ heit, der Politik und des Privatlebens geschaffen hat. Nach und nach, vom 3.Jahrhundert vor Christus bis zum 2.Jahrhundert unserer Zeitrechnung hätten die Leute die Fragen nach der Wahr­ heit und nach der politischen Macht fallen gelassen und sich Fra­ gen nach der Moral gestellt. De facto stellte von Sokrates bis Aristoteles die philosophische Reflexion im Allgemeinen die Ur­ form einer Theorie der Erkenntnis, der Politik und der individuel­ len Verhaltensführung dar. Und danach kam es zum Niedergang der politischen Theorie, weil der antike Stadtstaat unterging und durch die großen Monarchien ersetzt wurde, die auf Alexander folgten. Auch die Konzeption der Wahrheit ging aus komplizier­ teren, doch, wie es scheint, zum selben Bereich gehörenden Grün­ den unter. Am Ende gelangte man zu Folgendem: Im 1. Jahrhun­ dert sagten die Leute: Die Philosophie hat sich überhaupt nicht mit der Wahrheit im Allgemeinen zu beschäftigen, sondern mit diesen nützlichen Wahrheiten: der Politik und vor allem der Mo­ ral. Man hat die große Bühne der antiken Philosophie vor Augen: Seneca, der ganz genau in der Zeit beginnt, Philosophie zu be­ treiben, in der er der politischen Aktivität enthoben ist. Er war im Exil, er kam wieder an die Macht, er übte sie aus, kehrte dann in ein Halbexil zurück und starb in vollständigem Exil. In diesen Zeitphasen bekam der philosophische Diskurs für ihn seinen vol­ len Sinn. Dieses sehr wichtige, wesentliche Phänomen ist, wenn man so will, das Unglück der antiken Philosophie oder immerhin der geschichtliche Punkt, von dem aus sie die Veranlassung zu einer Form des Denkens gab, die sich im Christentum wieder finden ließ. - An mehreren Stellen scheinen Sie aus dem Schreiben eine be­ vorzugte Praktik des Selbst zu machen. Steht das Schreiben im Zentrum der »Kultur des Selbst«? - Es stimmt, dass die Frage des Selbst und des Schreibens seiner selbst zwar nicht zentral, aber stets sehr wichtig in der Ausbildung des Selbst war. Nehmen wir zum Beispiel Platon, lassen wir So­ krates beiseite, den man nur durch Platon kennt. Platon ist je­ mand, von dem sich, was das wenigste ist, behaupten lässt, dass

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er die Praktik des Selbst als einer geschriebenen Praktik, als einer Gedächtnispraktik oder als einer Praktik der Ausarbeitung seiner selbst von seinen Erinnerungen her nicht gepflegt hat; zwar hat er in beträchtlichem Umfang über eine gewisse Anzahl politischer, moralischer und metaphysischer Probleme geschrieben, doch die Texte, die in der platonischen Diskussion vom Verhältnis zu sich zeugen, scheinen relativ beschränkt zu sein. Das Gleiche bei Aris­ toteles. Dagegen sieht man ab dem 1. Jahrhundert unserer Zeit­ rechnung Schriften in sehr großer Zahl, die einem Modell des Schreibens als einem Verhältnis zu sich gehorchen (Empfehlun­ gen, Ratschläge und Ansichten, die man Schülern mitteilt, usw.). Im Römischen Reich lehrte man den jungen Leuten, sich so zu verhalten, wie man sich während der Lektionen, die man ihnen gab, zu verhalten hatte, danach, aber erst danach lehrte man sie, ihre Fragen zu formulieren, und danach dann lehrte man sie, ihre Meinung abzugeben, diese Meinungen in Form von Lektionen und zu guter Letzt in didaktischer Form zu formulieren. Den Beweis dafür findet man in den Texten von Seneca, von Epiktet und von Marc Aurel. Ich werde nicht so weit gehen zu behaupten, die antike Moral sei über ihre gesamte Geschichte hinweg eine Moral der Aufmerksamkeit für sich gewesen; aber zu einem be­ stimmten Zeitpunkt ist sie dies geworden. Das Christentum hat Verkehrungen und Veränderungen von beträchtlichen Ausmaßen eingeführt, als es sehr weit reichende Bußfunktionen verfügte, wozu gehörte, dass man von sich Rechenschaft ablegte, dass man sich dem anderen erzählte, aber ohne dass es etwas Geschrie­ benes gab. Zum anderen entwickelte das Christentum in dersel­ ben Epoche oder kurze Zeit später eine spirituelle Bewegung zur Verknüpfung individueller Erfahrungen - beispielsweise die Prak­ tik des Tagebuchs -, die es erlaubte, die Reaktionen eines jeden zu eichen oder immerhin abzuschätzen. - Zwischen den modernen Praktiken des Selbst und den griechi­ schen Praktiken des Selbst gibt es, wie es scheint, enorme Unter­ schiede. Haben sie nichts miteinander gemein* - Nichts gemein? Ja und nein. Von einem strengen philosophi­ schen Standpunkt aus haben die Moral der griechischen Antike und die zeitgenössische Moral nichts gemein. Wenn man dagegen

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diese Moralen anhand ihrer Vorschriften, Anordnungen und Rat­ schläge beurteilt, sind sie außerordentlich nah beieinander. Die Nähe und den Unterschied gilt es, sichtbar zu machen und an ihrem Funktionieren zu zeigen, wie derselbe, von der alten Moral gegebene Rat in einem zeitgenössischen Moralstil unterschiedlich funktionieren kann. - Es könnte scheinen, dass wir von der Sexualität eine Erfahrung habeny die sich sehr von der Erfahrung unterscheidet, die Sie den Griechen zuschreiben. Gibt es bei ihnen wie bei uns einen Platz für den Liebeswahn, den Verlust des Selbst? Steht ihre Erotik mit dem Fremden in Verbindung? - Ich kann Ihnen keine generelle Antwort darauf geben. Ich wer­ de Ihnen als Philosoph antworten, das heißt insofern ich das aus Texten gelernt habe, und zwar philosophischen Texten. Es scheint mir allerdings so zu sein, dass es in diesen Texten, die vom 4. Jahr­ hundert vor Christus bis zum 2.Jahrhundert unserer Zeitrech­ nung reichen, kaum etwas von einer Auffassung der Liebe gibt, die ihre Geltung daraus beziehen würde, dass sie die Erfahrungen, von denen Sie sprechen: die Erfahrung des Wahnsinns oder der großen Liebesleidenschaft, dargestellt hätte. - Nicht einmal in Platons Phaidros? - Ach nein! Das glaube ich wirklich nicht! Man müsste sich das genauer ansehen, doch, wie mir scheint, hat man es im Phaidros mit Leuten zu tun, die im Anschluss an eine Liebeserfahrung die gängige und beständige Tradition ihrer Epoche vernachlässigen, die die Erotik auf eine Art und Weise, »den Hof zu machen«, gründete, um zu einer Art Wissen zu gelangen, das es ihnen er­ lauben wird, einerseits einander zu lieben und andererseits dem Gesetz und den Verpflichtungen gegenüber, die den Bürgern auf­ erlegt sind, die angebrachte Einstellung einzuhalten. Das Auftre­ ten des Liebeswahns lässt sich erstmals bei Ovid beobachten, in einer Zeit, in der sie die Möglichkeit und die Offenheit einer Er­ fahrung haben, in der das Individuum gewissermaßen völlig den Kopf verliert, nicht mehr weiß, wer es ist, seine Identität nicht kennt und seine Liebeserfahrung als eine ständige Selbstverges­

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senheit erlebt. Das ist eine späte Erfahrung, die der von Platon und Aristoteles überhaupt nicht entspricht. - Bis jetzt waren wir es gewohnt, Sie in jenem historischen Raum vorzufinden, der vom klassischen Zeitalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts reicht, und nun sind Sie da, wo niemand Sie er­ wartete: in der Antike! Findet heute eine Rückkehr zu den Grie­ chen statt? - Da ist Vorsicht geboten. Es stimmt, es gibt eine Rückkehr zu einer bestimmten Form der griechischen Erfahrung; diese Rück­ kehr ist eine Rückkehr zur Moral. Man darf nicht vergessen, dass diese griechische Moral ihren Ursprung im 5.Jahrhundert vor Christus hatte, und dass die griechische Philosophie sich nach und nach in eine Moral verwandelte, in der wir uns jetzt erkennen und an der wir das vergessen, das muss gesagt werden, was .im 4. Jahrhundert ihre fundamentale Begleitung war: die politische Philosophie und die Philosophie schlechthin. - Doch ist die Rückkehr zu den Griechen nicht das Symptom einer Krise des Denkens, wie dies in der Renaissance zur Zeit der reli­ giösen Spaltung und später nach der Französischen Revolution der Fall sein konnte? - Das ist sehr wahrscheinlich. Das Christentum stellte lange Zeit eine bestimmte Form von Philosophie dar. Danach gab es perio­ disch Bemühungen, in der Antike eine Form von Denken zu fin­ den, das nicht vom Christentum kontaminiert war. In dieser regel­ mäßigen Rückkehr zu den Griechen liegt mit Sicherheit eine Art Sehnsucht, ein Versuch zur Rückgewinnung einer ursprünglichen Form des Denkens und ein Bemühen darum, die griechische Welt außerhalb der christlichen Phänomene zu begreifen. Im 16. Jahr­ hundert ging es darum, durch das Christentum hindurch zu einer gewissermaßen griechisch-christlichen Philosophie zurückzufin­ den. Dieser Versuch nahm seit Hegel und Schelling die Form einer Rückgewinnung der Griechen außerhalb des Christentums an ich möchte vom frühen Hegel sprechen -, einen Versuch, den man bei Nietzsche wieder findet. Der Versuch, die Griechen heute neu zu denken, besteht nicht darin, die griechische Moral als den Be­

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reich einer Moral schlechthin geltend zu machen, die man brauch­ te, um sich zu denken, sondern dafür zu sorgen, dass das euro­ päische Denken über das griechische Denken als einer einmal ge­ gebenen Erfahrung, der gegenüber man alle Freiheiten hat, wieder in Gang kommen kann. - Hegels und Nietzsches jeweilige Rückkehr zu den Griechen brachte das Verhältnis zwischen Geschichte und Philosophie ins Spiel Für Hegel ging es darumy das geschichtliche Denken auf das philosophische Wissen zu gründen. Dagegen gibt es für Sie wie für Nietzsche zwischen Geschichte und Philosophie die Ge­ nealogie und eine Art und Weise, sich selbst fremd zu werden. Ist Ihre Rückkehr zu den Griechen nicht Teil eines Fragilwerdens des Bodens, auf dem wir denken und leben ? Was haben Sie in Trüm­ mer legen wollen? - Ich habe nichts in Trümmer legen wollen! Aber ich glaube, dass man bei diesem »Herausfischen«, das man mit den Griechen treibt, sich weder absolut durch Grenzen festlegen noch vorweg eine Art Programm aufstellen darf, das es gestatten würde zu sagen: Diesen Teil von den Griechen akzeptiere ich, jenen anderen weise ich zurück. Die gesamte griechische Erfahrung lässt sich in etwa in derselben Weise aufnehmen, unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontextunterschiede und der Anzeige des Teils dieser Erfahrung, den man vielleicht retten, und des Teils, den man im Gegenteil aufgeben kann. - In dem, was Sie beschreiben, haben Sie einen Punkt der Be­ gegnung zwischen einer Erfahrung der Freiheit und der Wahrheit gefunden. Es gibt zumindest einen Philosophen, für den das Ver­ hältnis zwischen der Freiheit und der Wahrheit der Ausgangs­ punkt des abendländischen Denkens war: Das ist Heidegger■ der von da aus die Möglichkeit eines ahistorischen Diskurses begrün­ det. Früher hatten Sie Hegel und Marx im Visier, haben Sie es hier nun nicht auf Heidegger abgesehen ? - Gewiss. Heidegger ist stets für mich der wesentliche Philosoph gewesen. Ich habe als Erstes Hegel gelesen, danach Marx, und dann fing ich an, 1951 oder 1952, Heidegger zu lesen; und 1953

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oder 1952, ich erinnere mich nicht mehr, las ich Nietzsche. Ich habe hier noch die Notizen, die ich mir über Heidegger zu der Zeit gemacht hatte, als ich ihn las - ich habe Tonnen davon! -, und sie sind auch viel wichtiger als die, welche ich mir über Hegel oder über Marx gemacht habe. Mein ganzes philosophisches Werden war durch meine Lektüre Heideggers bestimmt. Aber ich erkann­ te, dass Nietzsche über ihn hinausgegangen ist. Ich kenne Hei­ degger nicht genügend, ich kenne Sein und Zeit2 praktisch nicht, und auch nicht die jüngst herausgebrachten Sachen. Meine Kennt­ nis von Nietzsche ist klar besser als die von Heidegger; dennoch sind dies die zwei Grunderfahrungen, die ich gemacht habe. Ich hatte versucht, in den fünfziger Jahren Nietzsche zu lesen, aber Nietzsche ganz allein sagte mir gar nichts! Dagegen Nietzsche und Heidegger, das war der philosophische Schock! Aber ich habe niemals etwas über Heidegger geschrieben, und über Nietzsche habe ich nur einen ganz kleinen Artikel geschrieben; dennoch sind dies die beiden Autoren, die ich am meisten gelesen habe. Ich glaube, dass es wichtig ist, eine kleine Anzahl von Autoren zu haben, mit denen man denkt, mit denen man arbeitet, aber über die man nicht schreibt. Ich werde eines Tages vielleicht über sie schreiben, doch dann werden sie für mich keine Denkinstrumente mehr sein. Letztlich gibt es für mich drei Kategorien von Philoso­ phen: die Philosophen, die ich nicht kenne; die Philosophen, die ich kenne und über die ich gesprochen habe; die Philosophen, die ich kenne und über die ich nicht spreche. - Liegt darin nicht gerade die Quelle der Missverständnisse, die Ihr Werk umgeben? - Sie wollen sagen, mein grundlegender Nietzscheanismus stünde am Anfang der unterschiedlichen Missverständnisse? Damit stel­ len Sie mir eine Frage, die mich in Schwierigkeiten bringt, denn unter allen, denen diese Frage gestellt werden könnte, bin ich der am schlechtesten geeignete! Sie richtet sich an diejenigen, die selbst Fragen stellen! Ich kann darauf nur antworten, indem ich sage: Ich bin einfach Nietzscheaner und versuche so weit wie möglich, was eine gewisse Anzahl von Punkten betrifft, mit Hilfe 2 [Heidegger, M., Sein und Zeit, Tübingen 1927.]

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von Texten Nietzsches - aber auch mit antinietzscheanischen Thesen (die gleichwohl nietzscheanisch sind!) - herauszufinden, was man in diesem oder jenem Bereich machen kann. Ich suche nichts anderes, aber dies suche ich sehr wohl. - Ihre Bücher sagen etwas anderes als das, was ihr Titel verkün­ det. Spielen Sie mit dem Leser nicht das Doppelspiel von Über­ raschung und Enttäuschung? - Wahrscheinlich entsprechen die Werke, die ich schreibe, nicht genau den Titeln, die ich ihnen gab. Das ist ein Ungeschick von meiner Seite, doch wenn ich einen Titel wähle, behalte ich ihn. Ich schreibe ein Buch, ich überarbeite es, ich stoße auf neue Proble­ matiken, aber das Buch bleibt bei seinem Titel. Es gibt einen weiteren Grund. In den Büchern, die ich schreibe, versuche ich, eine Art Problem einzukreisen, das zuvor nicht eingekreist wor­ den ist. Infolgedessen muss ich unter diesen Bedingungen not­ wendigerweise am Ende des Werkes eine bestimmte Art Problem zum Vorschein bringen, das nicht in den Titel zurück eingetragen werden kann. Das sind die zwei Gründe, weshalb es zwischen dem Titel und dem Werk diese Art von »Spiel« gibt. Sicherlich müsste man mir entweder sagen, dass diese Bücher in keiner Weise mit diesen Titeln zusammenpassen und dass man tatsächlich ihre Titel ändern müsste, oder aber sich sagen, dass es eine Art Abwei­ chung gibt, die sich zwischen dem Titel des Buches und dem Inhalt entwickelt; und dass diese Kluft als der Abstand zu nehmen ist, den ich selbst hergestellt habe, indem ich dieses Buch schuf. - U m Ihr nietzscheanisches Projekt der Genealogien zu vollen­ den, mussten Sie Disziplinen überschreiten und die Wissensformen aus den sie verwaltenden Institutionen herausholen. Aber ist denn die Macht der Institution in solchem Maße einschüchternd>dass Sie sich darauf beschränken zu behaupten, Sie würden »historische Untersuchungen und nicht Untersuchungen eines Historikers« be­ treiben und Sie seien weder »Hellenist noch Latinist«? - J a , ich rufe das in Erinnerung, denn immerhin ist das von je­ mandem behauptet worden - ich kann Ihnen sogar sagen, von wem! Ich bin kein Hellenist, ich bin kein Latinist; ich habe eine

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gewisse Kenntnis vom Lateinischen, auch vom Griechischen, aber weniger gut; ich habe sie in diesen letzten Jahren wieder studiert, um eine gewisse Anzahl von Fragen zu stellen, die einerseits von den Hellenisten und den Latinisten anerkannt werden können und die andererseits ihre Gestalt als wahrhaft philosophische Pro­ bleme annehmen können. - Sie wiederholen: Ich habe mich geändert, ich habe nicht das gemacht, was ich angekündigt habe. Warum haben Sie es ange­ kündigt? - Es stimmt, dass ich, als ich den ersten Band der Histoire de la sexualité [.Sexualität und Wahrheit] schrieb, das ist jetzt sieben, acht Jahre her, auf jeden Fall die Absicht hatte, geschichtliche Untersuchungen über die Sexualität vom 16. Jahrhundert an zu schreiben und den Werdegang dieses Wissens bis zum 19. Jahr­ hundert zu analysieren. Und als ich dann diese Arbeit durchführ­ te, stellte ich fest, dass das nicht ging; es blieb ein wichtiges Prob­ lem übrig: Warum haben wir aus der Sexualität eine moralische Erfahrung gemacht? Daraufhin habe ich mich eingeschlossen, ha­ be ich die Arbeiten aufgegeben, die ich über das 17. Jahrhundert durchgeführt hatte, und habe mich entschieden zurückzugehen: ins 5.Jahrhundert zunächst, um die Anfänge der christlichen Er­ fahrung zu sehen; und dann in die unmittelbar vorausgehende Periode am Ende der Antike. Schließlich habe ich das vor drei Jahren mit der Untersuchung der Sexualität im 5. und 4. Jahrhun­ dert vor Christus abgeschlossen. Sie werden mir sagen: War das reine Unaufmerksamkeit von Ihrer Seite zu Beginn oder geheimer, von Ihnen verborgener und schließlich offenbarter Wunsch? Ich weiß es nicht. Ich gestehe, dass ich es auch gar nicht wissen will. Meine Erfahrung, so wie sie mir jetzt erscheint, ist, dass ich diese Histoire de la sexualité mit Sicherheit nur dann richtig durchfüh­ ren konnte, wenn ich wieder aufnahm, was sich in der Antike abgespielt hatte, um zu sehen, wie die Sexualität von einer ge­ wissen Anzahl von Akteuren gehandhabt, erlebt und verändert wurde. - In der Einleitung in UUsage des plaisirs [Der Gebrauch der Lüste] stellen Sie das Grundproblem Ihrer Geschichte der Sexua­

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lität heraus: Wie konstituieren sich Individuen als Subjekte des Begehrens und der Lust? Diese Frage des Subjekts sei das, sagen Siey was Ihre Arbeit in eine neue Richtung gelenkt habe. Nun schienen jedoch Ihre früheren Bücher die Souveränität des Sub­ jekts zertrümmert zu haben; gibt es hier nicht eine Rückkehr zu einer Frage, mit der man niemals zu einem Ende kommen wür­ de und die für Sie der Schmelztiegel einer unendlichen Arbeit wäre? - Unendliche Arbeit, das sicher; das ist ganz genau das, woran ich außer Tritt geraten bin und was ich hatte machen wollen, denn mein Problem war nicht, den Moment, von dem an so etwas wie ein Subjekt erscheinen würde, sondern ebendie Gesamtheit der Prozesse zu bestimmen, durch welche das Subjekt mit all seinen verschiedenen Problemen und Hindernissen und in allem anderen als abgeschlossenen Formen existiert. Es ging also darum, das Problem des Subjekts wiedereinzuführen, das ich in meinen ersten Untersuchungen mehr oder weniger beiseite gelassen hatte, und zu versuchen, seine Entwicklungen oder seine Schwierigkeiten durch seine gesamte Geschichte hindurch zu verfolgen. Es liegt vielleicht ein wenig List in der Art, wie ich die Dinge sage, doch in der Tat war das, was ich wirklich machen wollte, zu zeigen, wie das Problem des Subjekts über diese ganze Frage der Sexualität hinweg, die in ihrer Verschiedenartigkeit unaufhörlich auf es stößt und es vervielfacht, nicht aufgehört hat zu existieren. - Ist dieses Subjekt bei Ihnen Bedingung der Möglichkeit einer Erfahrung? - Absolut nicht. Es ist die Erfahrung, die die Rationalisierung eines selbst vorläufigen Prozesses ist, der auf ein Subjekt oder vielmehr auf Subjekte hinausläuft. Ich werde Subjektivierung den Prozess nennen, durch den man die Konstitution eines Sub­ jekts, genauer, einer Subjektivität erwirkt, die offensichtlich nur eine der gegebenen Möglichkeiten zur Organisation eines Selbst­ bewusstseins ist. - Wenn man Sie liest, behält man den Eindruck zurück, es gäbe keine Theorie des Subjekts bei den Griechen. Oder hätten Sie dem

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eine Definition gegeben, die mit dem Christentum untergegangen wäre? - Ich glaube nicht, dass man eine Erfahrung des Subjekts dort nachträglich aufstellen sollte, wo sie keine Formulierung gefun­ den hat. Ich bin viel näher an den Dingen, als man es so wäre. Und da kein griechischer Denker jemals eine Definition des Subjekts gefunden, niemals danach gesucht hat, werde ich ganz einfach behaupten, dass es kein Subjekt gibt. Das heißt nicht, die Grie­ chen hätten sich nicht bemüht, die Bedingungen zu bestimmen, innerhalb derer eine Erfahrung gegeben sei, welche aber nicht die des Subjekts, sondern die des Individuums ist, insofern es sich als Herr seiner selbst zu konstituieren sucht. Die klassische Antike kannte keine Problematisierung der Selbstkonstitution als Sub­ jekt; seit dem Christentum hingegen wurde die Moral von einer Theorie des Subjekts mit Beschlag belegt. Nun scheint mir jedoch eine im Wesentlichen auf das Subjekt ausgerichtete moralische Erfahrung heute nicht mehr auszureichen. Genau deshalb stellen sich uns eine gewisse Anzahl von Fragen in einer Form, in der sie sich in der Antike nicht stellten. Die Suche nach Existenzstilen, mit möglichst großen Unterschieden untereinander, scheint mir einer der Punkte zu sein, durch welche die zeitgenössische Suche einst in besonderen Gruppen hatte gestartet werden können. Die Suche nach einer Form von Moral, die für alle annehmbar wäre in dem Sinne, dass alle sich dem zu unterwerfen hätten -, erscheint mir als eine Katastrophe. Aber es wäre ein Widersinn, eine moderne Moral auf der anti­ ken Moral gründen zu wollen und dabei die christliche Moral zu umgehen. Ich habe eine so ausführliche Untersuchung unternom­ men, um genau zu versuchen herauszubekommen, wie das, was wir die christliche Moral nennen, in die europäische Moral einge­ lassen war, und zwar nicht seit den Anfängen der christlichen Welt, sondern seit der alten Moral. - Sind Sie, insofern Sie keine universelle Wahrheit behaupten, insofern Sie Paradoxien ins Denken heben und insofern Sie aus der Philosophie eine permanente Frage macheny ein skeptischer Denker?

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- Unbedingt. Das Einzige, das ich am skeptischen Programm nicht akzeptieren werde, ist der von den Skeptikern unternomme­ ne Versuch, in einem gegebenen Bereich zu einer bestimmten An­ zahl von Ergebnissen zu gelangen - der Skeptizismus ist nämlich niemals ein vollständiger Skeptizismus gewesen! Er hat versucht, Probleme in gegebenen Feldern auszuräumen und dann innerhalb anderer Felder effektiv für gültig erachtete Begriffe zu verwerten; zweitens scheint es mir, dass das Ideal für die Skeptiker darin bestünde, Optimisten zu sein, die relativ wenig, das aber sicher und unwiderlegbar wissen, wohingegen ich von der Philosophie einen Gebrauch machen möchte, der es gestattet, die Wissensbe­ reiche zu begrenzen. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

355 Den Regierungen gegenüber: die Rechte des Menschen (Wortmeldung) »Face aux gouvernements, les droits de l’homme«, in: Libération, Nr. 967, 30. Juni - 1. Juli 1984, S. 22. M. Foucault hatte diesen Text einige Minuten, nachdem er ihn geschrie­ ben hatte, aus Anlass der Pressekonferenz verlesen, auf der in Genf im Juni 1981 die Schaffung eines Internationalen Komitees gegen Piraterie verkündet wurde. Im Weiteren ging es darum, möglichst vielen Personen eine Reaktion auf diesen Text zu ermöglichen, in der Hoffnung, zu einer potentiellen neuen Deklaration der Menschenrechte zu gelangen.

Wir sind hier nur Privatmenschen, die keinen anderen Anspruch darauf haben zu sprechen und gemeinsam zu sprechen als eine gewisse gemeinsame Schwierigkeit, das zu ertragen, was geschieht. Ich weiß wohl, und man muss sich das vor Augen führen: Für die Gründe, aus denen Männer und Frauen lieber ihre Länder verlassen als darin zu leben, können wir nicht viel. Die Sache liegt außerhalb unserer Reichweite. Wer hat uns also beauftragt? Niemand. Und das genau macht unser Recht aus. Mir scheint, dass man drei Grundsätze im Sinn

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haben muss, die, glaube ich, diese Initiative wie so viele andere leiten, die ihr vorangegangen sind: die île-de-Lumière, die Cap Anamur, das Flugzeug für El Salvador, aber auch Terre des Hom­ mes, Amnesty International.1 1) Es gibt eine internationale Bürgerschaft, die ihre Rechte hat, die ihre Pflichten hat und die dazu verpflichtet, sich gegen jeden Machtmissbrauch zu erheben, wer auch immer dessen Urheber ist und wer auch immer dessen Opfer sind. Schließlich sind wir alle Regierte und insofern miteinander solidarisch verbunden. 2) Weil sie den Anspruch erheben, sich um das Glück der Ge­ sellschaften zu kümmern, maßen sich die Regierungen das Recht an, das Unglück der Menschen, das ihre Entscheidungen hervorrufen oder ihre Unterlassungen ermöglichen, auf dem Gewinnund Verlustkonto zu verbuchen. Es ist eine Pflicht dieser inter­ nationalen Bürgerschaft, stets in den Augen und den Ohren der Regierungen die Unglücke der Menschen geltend zu machen,, für die nicht verantwortlich zu sein sie zu Unrecht behaupten. Das Unglück der Menschen darf niemals ein stummer Rest der Politik sein. Ich begründe ein absolutes Recht, sich zu erheben und sich an diejenigen zu wenden, die die Macht innehaben. 3) Man muss die uns so häufig vorgeschlagene Aufgabenver­ teilung zurückweisen: den Individuen, sich zu empören und zu reden; den Regierungen, zu reflektieren und zu handeln. Es ist wahr: Die guten Regierungen lieben die fromme Empörung der Regierten, solange sie lyrisch bleibt. Ich glaube, dass man sich klar machen muss, dass es sehr oft die Regierenden sind, die reden und die nichts anderes können und wollen als reden. Die Erfahrung zeigt, dass man die theatralische Rolle der schlichten und einfa­ chen Empörung, die man uns vorschlägt, zurückweisen kann und muss. Amnesty International, Terre des Hommes, Médecins du Monde sind Initiativen, die dieses neue Recht geschaffen haben: das Recht der privaten Individuen, wirksam in den Bereich der Politiken und der internationalen Strategien einzugreifen. Der Wille der Individuen muss sich in eine Wirklichkeit eintragen, 1 [Vom Hospitalschiff île-de-Lumière, das ausgeschickt wurde, um 1979 den boat people im Chinesischen Meer zu helfen, bis zur internationalen Verteidigung aller politischen Gefangenen erwähnt Foucault hier die humanitären Initiativen von Nicht-Regierungs-Organisationen, die seit den 1970er Jahren das neue Recht eines freien Zugangs zu den Opfern sämtlicher Konflikte vorangebracht haben.]

3 jé Die Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit

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für die die Regierungen sich das Monopol reservieren wollten, dieses Monopol, das man ihnen Schritt für Schritt jeden Tag aufs Neue entreißen muss. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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Die Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit »L’éthique du souci de soi comme pratique de la liberté« (Gespräch mit Hel­ mut Becker, Raül Fornet-Betancourt, Alfred Gomez-Müllcr, 20. Januar 1984), in: Concordia. Revista international de filosofia> Nr. 6, Juli - Dezember 1984, S. 99-116.

- Zunächst einmal wüssten wir gerne etwas über den Gegenstand Ihres augenblicklichen Denkens. Wir haben Ihre letzten Entwick­ lungen verfolgt, vor allem Ihre Vorlesungen am College de France 1981-1982 über die Hermeneutik des Subjekts. Wir hätten nun gern gewusst, ob Ihr augenblickliches philosophisches Vorgehen immer noch durch den Pol Subjektivität und Wahrheit bestimmt ist. - In Wirklichkeit ist das schon immer mein Problem gewesen, auch wenn ich den Rahmen meiner Überlegungen ein wenig an­ ders formuliert habe. Ich habe herauszufinden versucht, wie das menschliche Subjekt in die Spiele der Wahrheit eingetreten ist, die entweder die Form einer Wissenschaft haben oder sich auf ein wissenschaftliches Modell beziehen, oder die Spiele der Wahrheit wie diejenigen, die man in den Institutionen oder Praktiken der Kontrolle finden kann. Dies ist das Thema von Les Mots et les Choses [Die Ordnung der Dinge]. Dort versuchte ich herauszu­ finden, wie sich das menschliche Subjekt im Rahmen wissen­ schaftlicher Diskurse als sprechendes, lebendes und arbeitendes Individuum definiert. In den Vorlesungen am Collège de France habe ich dann diese Problematik in ihrer Allgemeinheit entwi­ ckelt.

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- Gibt es nicht einen Sprung zwischen Ihrer früheren Fragestel­ lung und der von Subjektivität/Wahrheit, besonders wenn man vom Begriff der »Sorge um sich« ausgeht? - Das Problem der Beziehungen zwischen dem Subjekt und den Spielen der Wahrheit habe ich damals aus der Perspektive von Zwangspraktiken betrachtet wie im Falle der Psychiatrie oder des Strafsystems oder in der Form wissenschaftlicher oder theoreti­ scher Spiele wie im Falle der Analyse der Reichtümer, der Sprache und der Lebewesen. In meinen Vorlesungen am Collège de France habe ich es nun aber zu erfassen versucht durch etwas, was man als eine Praxis des Selbst bezeichnen könnte, die, wie ich glaube, seit der griechisch-römischen Antike ein ziemlich wichtiges Phänomen unserer Gesellschaften ist - auch wenn es nicht sehr eingehend untersucht wurde. Diese Praktiken des Selbst besaßen in den grie­ chischen und römischen Zivilisationen eine sehr viel größere Be­ deutung und vor allem Autonomie als später, als sie bis zu einem gewissen Grad von den Institutionen der Religion, der Pädagogik, der Medizin und der Psychiatrie vereinnahmt wurden. - Es findet jetzt also so etwas wie eine Verlagerung statt: Diese Spiele der Wahrheit beziehen sich nicht mehr auf eine Zwangs­ praxis, sondern auf eine Praxis der Selbstformierung des Subjekts. - Richtig. Man könnte das als eine asketische Praxis bezeichnen, wenn man Askese in einem sehr allgemeinen Sinne fasst, also nicht im Sinne einer Moral des Verzichts, sondern in dem einer Ein­ wirkung des Subjekts auf sich selbst, durch die man versucht, sich selbst zu bearbeiten, sich selbst zu transformieren und zu einer bestimmten Seinsweise Zugang zu gewinnen. Ich begreife Askese hier in einem weiteren Sinne als beispielsweise Max Weber, aber es liegt dennoch auf derselben Linie. - Eine Arbeit des Selbst an sich selbst, kann sie als eine Art Be­ freiung, als ein Prozess der Befreiung verstanden werden? - Ich wäre hier etwas vorsichtiger. Ich war immer etwas miss­ trauisch in Bezug auf das allgemeine Thema der Befreiung, denn wenn man es nicht mit einer gewissen Vorsicht und innerhalb

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bestimmter Grenzen angeht, läuft man Gefahr, auf die Vorstellung zurückzufallen, dass es ein Wesen, eine Natur des Menschen gäbe, die sich infolge einer Reihe historischer, ökonomischer und sozia­ ler Prozesse in und durch Repressionsmechanismen entfremdet und eingesperrt wird. Dieser Hypothese zufolge würde es genü­ gen, die repressiven Riegel aufzusprengen, damit sich der Mensch wieder mit sich selbst versöhnt, seine Natur wiederfindet oder mit seinem Ursprung wieder in Verbindung tritt und ein erfülltes und positives Verhältnis zu sich selbst wiederherstellt. Ich glaube, das ist ein Thema, das man nicht so ohne weiteres, ohne Überprüfung gelten lassen kann. Ich will nicht sagen, dass es die Befreiung oder diese oder jene Form der Befreiung nicht gibt: Wenn ein kolonialisiertes Volk sich von seinen Kolonialherren befreien will, dann ist dies gewiss im strengen Sinne eine Befreiungspraxis. Aber in diesem übrigens sehr präzisen Falle weiß man sehr genau, dass diese Praxis der Befreiung nicht ausreicht, um die Praktiken der Freiheit zu definieren, die in der Folge nötig sind, damit dieses Volk, diese Gesellschaft und diese Individuen für sich annehmbare und akzeptable Formen ihrer Existenz oder der politischen Ge­ meinschaft definieren können. Deshalb insistiere ich mehr auf den Praktiken der Freiheit als auf den Prozessen der Befreiung, die, um es noch einmal zu sagen, ihren Stellenwert haben, mir aber aus sich selbst heraus nicht in der Lage zu sein scheinen, alle prakti­ schen Formen der Freiheit zu bestimmen. Dabei handelt es sich genau um das Problem, auf das ich in Bezug auf die Sexualität gestoßen bin: Hat es Sinn zu sagen: »Befreien wir unsere Sexua­ lität«? Besteht das Problem nicht eher darin, diejenigen Praktiken der Freiheit zu definieren zu suchen, durch die man definieren könnte, was die sexuelle Lust, die erotischen, leidenschaftlichen und Liebesbeziehungen zu anderen sind? Dieses ethische Problem der Definition der Praktiken der Freiheit ist, wie mir scheint, sehr viel wichtiger als die etwas répétitive Beteuerung, dass man die Sexualität oder das Begehren befreien müsse. - Setzt die Ausübung von Praktiken der Freiheit denn nicht einen gewissen Grad an Befreiung voraus? - Ja, absolut. An dieser Stelle muss man den Begriff der Herrschaft einführen. Die Analysen, die ich durchzuführen versuche, zielen

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im Wesentlichen auf Machtbeziehungen. Darunter verstehe ich et­ was anderes als Herrschaftsbeziehungen. Machtbeziehungen besit­ zen in den menschlichen Beziehungen eine außerordentlich große Ausdehnung. Dies soll nun nicht besagen, dass die politische Macht überall ist, sondern dass in den menschlichen Beziehungen ein gan­ zes Bündel von Machtbeziehungen existiert, die zwischen den In­ dividuen, innerhalb einer Familie, in einer pädagogischen Bezie­ hung oder im politischen Körper wirksam werden. Diese Analyse der Machtbeziehungen bildet ein überaus komplexes Feld; sie stößt manchmal auf etwas, das man als Herrschaftstatsachen oder als Herrschaftszustände bezeichnen kann, in denen die Machtbezie­ hungen, anstatt veränderlich zu sein und den verschiedenen Mit­ spielern eine Strategie zu ermöglichen, die sie verändern, vielmehr blockiert und erstarrt sind. Wenn es einem Individuum oder einer gesellschaftlichen Gruppe gelingt, ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen und jede Um­ kehrung der Bewegung zu verhindern - durch den Einsatz von Instrumenten, die sowohl ökonomischer, politischer oder militä­ rischer Natur sein mögen -, dann steht man vor etwas, das man als einen Herrschaftszustand bezeichnen kann. Gewiss existieren in einem solchen Zustand die Praktiken der Freiheit nicht oder nur einseitig oder sind äußerst eingeschränkt und begrenzt. Deshalb stimme ich mit Ihnen darin überein, dass die Befreiung manchmal die politische oder historische Bedingung für eine Praxis der Frei­ heit ist. Wenn man das Beispiel der Sexualität nimmt, so ist klar, dass in Beziehung auf die Macht des Mannes eine ganze Reihe von Befreiungen erforderlich waren, dass es erforderlich war, sich von einer Zwangsmoral zu befreien, die sowohl die Heterosexualität wie die Homosexualität betrifft. Aber diese Befreiung lässt das erfüllte und glückliche Sein einer Sexualität nicht zutage treten, in der das Subjekt eine vollständige und befriedigende Beziehung erreichte. Die Befreiung eröffnet ein Feld für neue Machtbeziehun­ gen, die es durch Praktiken der Freiheit zu kontrollieren gilt. - Könnte nicht die Befreiung selbst eine Weise oder eine Form der Freiheitspraxis sein? - Ja, in einer Reihe von Fällen. Es gibt Fälle, in denen die Be­ freiung und der Befreiungskampf in der Tat für eine Praxis der

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Freiheit unerlässlich sind. Was beispielsweise die Sexualität anbe­ trifft - und ich sage das ganz ohne Polemik, weil ich Polemiken nicht mag, ich finde sie meistens unfruchtbar -, so gibt es da ein Reich’sches Schema, das sich aus einer bestimmten Freudlektüre herleitet; es unterstellt, dass das Problem in seiner Gesamtheit zur Ordnung der Befreiung gehörte. Etwas schematisch ausgedrückt: Es gibt Begehren, Trieb, Verbot, Unterdrückung, Verinner­ lichung, und indem man diese Verbote sprengt, das heißt, indem man sich befreit, löst man das Problem. Aber damit, so glaube ich - und ich weiß, dass ich damit die sehr viel interessanteren und subtileren Positionen vieler Autoren verzerre -, verfehlt man völ­ lig das ethische Problem einer Praxis der Freiheit: Wie kann man Freiheit praktizieren? Im Bereich der Sexualität geht es, indem man sein Begehren befreit, darum, zu wissen, wie man sich zu anderen in den Beziehungen der Lust ethisch zu verhalten hat. - Sie sagen, dass es die Freiheit ethisch zu praktizieren gilt... - Ja, denn was ist die Ethik anderes als die Praxis der Freiheit, die reflektierte Praxis der Freiheit? - Das heißty Sie begreifen Freiheit als eine bereits in sich selbst ethische Realität? - Die Freiheit ist die ontologische Bedingung der Ethik. Aber die Ethik ist die reflektierte Form, die die Freiheit annimmt. - Verwirklicht sich die Ethik in der Erforschung des Selbst, in der Sorge um sich? - Die Sorge um sich war in der griechisch-römischen Welt die Art und Weise, in der sich die individuelle Freiheit - oder gewisser­ maßen die bürgerliche Freiheit - als Ethik reflektierte. Wenn Sie eine ganze Reihe von Texten nehmen, angefangen von den ersten platonischen Dialogen bis hin zu den großen Texten der späten Stoa (Epiktet, Marc Aurel ...), dann sehen Sie, dass dieses Thema der Sorge um sich wirklich das gesamte moralische Denken durch­ zog. Es ist interessant zu sehen, dass in unseren Gesellschaften die Sorge um sich von einem bestimmten Zeitpunkt an - und es ist

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schwierig zu bestimmen, wann sich dies vollzog - zu etwas wurde, das ein wenig suspekt ist. Von einem bestimmten Zeitpunkt an wurde die Beschäftigung mich sich selbst als eine Form der Eigen­ liebe, eine Form des Egoismus oder des individuellen Interesses angeprangert, die im Gegensatz zu dem Interesse steht, das es den anderen entgegenzubringen gilt oder zur Notwendigkeit der Selbstaufopferung. Das alles hat sich im Verlauf des Christentums abgespielt, aber ich sage nicht, dass wir es schlicht und einfach dem Christentum verdanken. Die Frage ist sehr viel komplexer, denn im Christentum bedeutet das Streben nach dem Heil auch eine Weise, sich um sich selbst zu sorgen. Im Christentum jedoch ver­ wirklicht sich das Heil durch den Verzicht auf das Selbst. Es gibt im Christentum ein Paradox der Sorge um sich, aber dies ist ein anderes Problem. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich glau­ be, dass es bei den Griechen und den Römern - vor allem bei den Griechen - um sich richtig zu verhalten und um den rechten Ge­ brauch von der Freiheit zu machen notwendig war, dass man sich mit sich selbst befasste, dass man sich um sich selbst sorgte, einer­ seits um sich zu erkennen - dies ist der vertraute Aspekt des gnothi seauton - und andererseits um sich zu formen, um sich selbst zu verbessern und um in sich die Begierden zu meistern, die einen mitzureißen drohen. Für die Griechen war die individuelle Frei­ heit etwas sehr Wichtiges, ganz im Gegensatz zu dem mehr oder weniger von Hegel herkommenden Gemeinplatz, wonach die in­ dividuelle Freiheit gegenüber der schönen Totalität der Polis kei­ nerlei Bedeutung besessen hätte: Kein Sklave zu sein (sei es der Sklave einer anderen Polis, sei es derer, die einen umgeben, die einen regieren oder seiner eigenen Leidenschaften) war ein absolut fundamentales Thema; die Sorge um die Freiheit war während der großen acht Jahrhunderte der antiken Kultur ein wesentliches und beständiges Problem. Dort findet sich eine ganze Ethik, die sich um die Frage der Sorge um sich dreht und die der antiken Ethik ihre besondere Gestalt verleiht. Ich sage nicht, dass die Ethik in der Sorge um sich besteht, sondern dass sich in der Antike die Ethik als reflektierte Praxis der Freiheit ganz um diesen funda­ mentalen Imperativ drehte: »Sorge dich um dich selbst«. - Ein Imperativder die Assimilation der logoiy der Wahrheiten impliziert.

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- Ganz gewiss. Man kann sich nicht um sich selbst sorgen, ohne zu erkennen. Die Selbstsorge ist selbstverständlich Selbsterkennt­ nis - dies ist die sokratisch-platonische Seite -, aber sie besteht auch in der Kenntnis einer bestimmten Anzahl von Verhaltens­ regeln oder von Prinzipien, die zugleich Wahrheiten und Vor­ schriften sind. Sich um sich selbst sorgen heißt, sich mit diesen Wahrheiten auszurüsten: Dies ist der Punkt, an dem die Ethik mit dem Spiel der Wahrheit verknüpft ist. - Sie sagen, dass es darum geht, aus dieser angeeigneten, erinner­ ten und schrittweise angewandten Wahrheit ein Quasi-Subjekt zu machen, das in uns souverän regiert. Welchen Status hat dieses Quasi-Subjekt? - Im platonischen Denken, zumindest wenn man dem Schluss des Alkibiades1folgt, besteht das Problem für das Subjekt oder für die individuelle Seele darin, die Augen auf sich selbst zu richten, um sich in dem, was sie ist, zu erkennen; und sich, indem sie sich in dem, was sie ist, erkennt, an die Wahrheiten zu erinnern, mit denen sie verwandt ist und die sie hat schauen können. Umgekehrt besteht das Problem in dem, was man ganz global als das stoische Denken bezeichnen könnte, darin, durch Unterweisung bestimmte Wahr­ heiten und Doktrinen zu erlernen, wobei die einen die Grundprin­ zipien und die anderen die Verhaltensregeln bilden. Es handelt sich darum, es so einzurichten, dass diese Prinzipien einem in jeder Lage gewissermaßen spontan sagen, wie man sich zu verhalten hat. Hier trifft man auf eine Metapher, die nicht von den Stoikern, sondern von Plutarch stammt, der sinngemäß sagt: »Ihr müsst euch die Prinzipien auf eine so sichere Weise angeeignet haben, dass, wenn eure Begierden, eure Gelüste, eure Ängste wie bellende Hunde erwachen, der Logos mit der Stimme des Herren spricht, der mit einem einzigen Ruf die Hunde zum Schweigen bringt.«2Da haben 1 Platon, Alkibiades I, 133 a-d (übersetzt von Friedrich Schleiermacher), in: Sämt­ liche Werke, Band /, Reinbek 1994, S. 174-175. 2 Anspielung auf die Passage von Plutarch, Von der Ruhe des Gemütes [in: Von der Ruhe des Gemütes und andere philosophische Schriften, übersetzt von Bruno Snell], S. 28. (»Bissige Hunde fahren bei jedem fremden Lärm auf, aber die ge­ wohnte Stimme besänftigt sie; so ist es schwer, der tobenden Leidenschaften der Seele Herr zu werden; es müssen gewohnte, geläufige Grundsätze bei der Hand sein, um die entstandene Unruhe zu dämpfen.«)

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Sie die Vorstellung eines logos, der gewissermaßen funktioniert, ohne dass sie etwas getan hätten; Sie sind der logos geworden oder der logos wäre Sie selbst geworden. - Kommen wir auf die Frage des Verhältnisses zwischen Freiheit und Ethik zurück. Wenn Sie sagen, dass die Ethik der reflektierte Teil der Freiheit ist, heißt das, dass sich die Freiheit ihrer selbst als ethischer Praxis bewusst werden kann? Ist sie auf Anhieb und jederzeit sozusagen eine moralisierte Freiheit oder bedarf es einer Arbeit an sich selbst, um diese ethische Dimension der Freiheit zu entdecken? - Die Griechen problematisierten in der Tat ihre Freiheit und die Freiheit des Individuums als ethisches Problem. Aber Ethik in dem Sinne, in dem sie die Griechen verstehen konnten: Das ethos war die Weise zu sein und sich zu verhalten. Es war eine Seins­ weise des Subjekts und eine bestimmte, für die anderen sichtbare Weise des Handelns. Das ethos von jemandem äußert sich in sei­ ner Kleidung, seiner Bewegung, seiner Art zu gehen, in der Ruhe, mit der er auf alle Ereignisse reagiert usw. Darin besteht für sie die konkrete Form der Freiheit, so problematisierten sie ihre Freiheit. Der Mann, der ein schönes ethos besitzt, der bewundert und als Beispiel zitiert werden kann, ist jemand, der die Freiheit auf eine bestimmte Weise praktiziert. Ich glaube nicht, dass es einer Kon­ version bedarf, um die Freiheit als ethos zu reflektieren; sie ist unmittelbar als ethos problematisiert. Damit jedoch diese Praxis der Freiheit in einem ethos Gestalt annehmen kann, die als gut, schön, ehrenhaft, achtbar und erinnerungswürdig erscheint, be­ darf es eingehender Arbeit des Selbst an sich selbst. - Und an dieser Stelle situieren Sie die Analyse der Macht? - Ich denke, dass in dem Maße, in dem Freiheit für die Griechen bedeutet, nicht Sklave zu sein, was eine von der unseren ganz verschiedene Definition ist, das Problem bereits durch und durch politisch ist. Sie ist in dem Maße politisch, in dem sie an die Bedingung geknüpft ist, nicht der Sklave anderer zu sein: Ein Sklave hat keine Ethik. Die Freiheit ist also in sich selbst politisch. Und schließlich verfügt sie in dem Maße über ein politisches

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Modell, in dem frei zu sein bedeutet, nicht Sklave seiner selbst und seiner Begierden zu sein, was impliziert, dass man zu sich selbst eine bestimmte Beziehung der Beherrschung, der Bemeisterung herstellt, die man als arche, als Macht oder Führung bezeichnete. - Die Sorge um sich ist, wie Sie sagten., in gewisser Weise die Sorge um die anderen. In diesem Sinne ist die Sorge um sich auch immer ethisch, sie ist ethisch in sich selbst. - Für die Griechen ist sie nicht deshalb ethisch, weil sie Sorge um die anderen ist. Die Sorge um sich ist ethisch in sich selbst, aber sie impliziert komplexe Beziehungen zu anderen in dem Maße, in dem dieses ethos der Freiheit auch eine Weise darstellt, sich um andere zu sorgen; deshalb ist es für einen freien Mann, der sich richtig verhält, wichtig zu wissen, wie er seine Frau, seine Kinder, sein Haus regiert. Es handelt sich dabei auch um die Kunst des Regierens. Das ethos impliziert auch in dem Maße eine Beziehung zu anderen, in dem die Sorge um sich dazu befähigt, in der Polis, in der Gemeinschaft oder in den Beziehungen zwischen den In­ dividuen den gebührenden Platz einzunehmen - sei es um ein öffentliches Amt auszuüben oder um Freundschaftsbeziehungen zu haben. Und schließlich impliziert die Sorge um sich die Bezie­ hung zum anderen auch in dem Maße, in dem man, um sich gut um sich selbst zu sorgen, auf die Unterweisungen eines Meisters hören muss. Man bedarf eines Führers, eines Ratgebers, eines Freundes, jemandes, der einem die Wahrheit sagt. Somit ist das Problem der Beziehung zu anderen während der gesamten Ent­ wicklung der Sorge um sich gegenwärtig. - Die Sorge um sich zielt immer auf das Wohl der anderen: Sie zielt darauf ab, den Raum der Macht, der in jeder Beziehung anwesend ist, gut zu verwalten, ihn also im Sinne von Nicht-Herr­ schaft zu verwalten. Worin kann in diesem Zusammenhang die Rolle des Philosophen bestehen, also desjenigen, der sich sorgt um die Sorge um sich der anderen? - Nehmen wir zum Beispiel Sokrates. Das ist genau der, der die Menschen auf der Straße oder die Jungen im Gymnasium an­

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spricht und sie fragt: »Beschäftigst du dich mit dir selbst?« Gott hat ihm diese Bürde auferlegt, es ist seine Mission, er wird sie niemals aufgeben, nicht einmal in dem Augenblick, in dem er vom Tode bedroht ist. Er ist der Mensch, der sich um die Sorge der anderen sorgt: Dies ist die besondere Position des Philoso­ phen. Aber im Falle des, sagen wir einfach: freien Menschen be­ stand, so glaube ich, die Forderung dieser gesamten Moral darin, dass derjenige, der sich in der rechten Weise um sich selbst sorgte, aufgrund dieser Tatsache in der Lage war, sich in der rechten Weise in Bezug auf andere und für diese anderen zu leiten. Eine Polis, in der jedermann sich in der rechten Weise sich um sich selbst sorgte, wäre eine Polis, die gut funktionierte und die darin das ethische Prinzip ihrer Dauer fände. Aber ich glaube nicht, dass man sagen könnte, dass der Grieche, der sich um sich selbst sorgt, sich zuerst um die anderen sorgen muss. Dieses Thema wird, wie mir scheint, erst sehr viel später auftreten. Die Sorge um die ande­ ren ist nicht vor die Sorge um sich zu stellen; die Sorge um sich ist ethisch vorrangig, so wie die Beziehung zu sich ontologisch vor­ rangig ist. - Könnte diese Sorge um sich, die einen positiven ethischen Sinn besitzt, als eine Art Konversion der Macht verstanden werden? - Eine Konversion, ja. Es handelt sich in der Tat um eine Art und Weise, sie zu kontrollieren und zu begrenzen. Denn wenn es stimmt, dass die Sklaverei das große Risiko darstellt, dem sich die griechische Freiheit entgegensetzt, dann gibt es auch eine an­ dere Gefahr, die auf den ersten Blick wie das Gegenteil der Skla­ verei erscheint: der Missbrauch der Macht. Beim Missbrauch der Macht überschreitet man die legitime Ausübung seiner Macht und zwingt den anderen seine Laune, seine Begierden, seine Gelüste auf. Man stößt hier auf das Bild des Tyrannen oder des mächtigen und reichen Mannes, der von dieser Macht und diesem Reichtum profitiert, um die anderen zu missbrauchen, um ihnen eine unge­ bührliche Macht aufzuzwingen. Aber man wird gewahr - dies sagen jedenfalls die griechischen Philosophen -, dass dieser Mensch in Wahrheit Sklave seiner Begierden ist. Und der gute Souverän ist gerade der, der seine Macht in der rechten Weise ausübt, das heißt der zugleich seine Macht über sich selbst ausübt.

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Und es ist die Macht über sich selbst, die die Macht über die anderen reguliert. - Besteht nicht die Gefahr; dass sich die Sorge um sich »verabso­ lutiert«, wenn man sie ablöst von der Sorge um die anderen? Könnte diese Verabsolutierung der Sorge um sich nicht zu einer Form der Ausübung von Macht über andere im Sinne einer Herr­ schaft über andere werden? - Nein, weil die Gefahr, andere zu beherrschen und über sie eine tyrannische Macht auszuüben, eben genau daher rührt, dass man sich nicht um sich selbst gesorgt hat und zum Sklaven seiner Be­ gierden geworden ist. Aber wenn Sie sich in der rechten Weise um sich selbst sorgen, das heißt, wenn Sie ontologisch wissen, was Sie sind, wenn Sie zugleich wissen, wozu Sie imstande sind, wenn Sie wissen, was es für Sie bedeutet, Bürger einer Polis zu sein, Haus­ herr in einem oikos zu sein, wenn Sie wissen, welche Dinge Sie fürchten müssen und welche Sie nicht fürchten dürfen, wenn Sie wissen, welche Dinge sich zu erhoffen schickt und welche Dinge Ihnen im Gegensatz dazu völlig gleichgültig sein müssen, wenn Sie schließlich wissen, dass Sie vor dem Tod nicht Angst haben dürfen, dann können Sie in diesem Augenblick nicht Ihre Macht über die anderen missbrauchen. Es besteht also keine Gefahr. Diese Idee wird sehr viel später auftauchen, als die Liebe zu sich suspekt wu^rde und als mögliche Wurzel verschiedener moralischer Fehler betrachtet wurde. In diesem neuen Zusammenhang wird die erste Form der Sorge um sich in dem Verzicht auf das Selbst bestehen. Dies findet sich in einer recht klaren Fassung in der Abhandlung Über die Jungfräulichkeit des Gregor von Nyssa, wo der Begriff der Sorge um sich, der epimeleia heautou im Kern als Aufgabe aller irdischen Bande definiert wird.3 Ich glaube jedoch, dass im griechischen und römischen Denken die Sorge um sich nicht aus sich selbst heraus zu dieser übertriebenen Selbstliebe tendiert, die dazu führt, die anderen zu vernachlässigen oder, schlimmer noch, dazu, die Macht zu missbrauchen, die man über sie besitzen kann. 3

Gregor von Nyssa, Über die Jungfräulichkeit, Kapitel XIII: »Anfang der Sorge um sich ist das Loskommen von der Ehe«, in: Über das Wesen des christlichen Be­ kenntnisses. Über die Vollkommenheit. Über die Jungfräulichkeit, Stuttgart 1977, S. 118-120.

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- Es handelt sich also um eine Sorge um sich, die, indem sie sich um sich seihst sorgt, um den anderen sorgt? - Ja, genau. Wer sich um sich selbst sorgt, bis er genau weiß, welches seine Pflichten als Hausherr, als Gatte oder als Vater sind, wird zu seiner Frau und seinen Kinder das rechte Verhältnis ha­ ben. - Aber spielt da nicht die conditio humana im Sinne der Endlichkeit eine sehr wichtige Rolle? Sie haben vom Tod gesprochen: Wenn man keine Angst vor dem Tod hat, kann man seine Macht über die anderen nicht missbrauchen. Dieses Problem der End­ lichkeit ist sehr wichtig,, wie uns scheint; die Angst vor dem Tod, vor der Endlichkeit>vor der Verletzung steht im Mittelpunkt der Sorge um sich. - Ganz gewiss. Und an dieser Stelle führt das Christentum das Heil als das nach dem Leben kommende Heil ein und bringt dadurch die gesamte Thematik der Sorge um sich aus dem Gleich­ gewicht und bringt sie durcheinander. Obgleich, ich rufe dies noch einmal in Erinnerung, sein Heil zu suchen bedeutet, sich um sich selbst zu sorgen. Aber die Bedingung dafür, sein Heil zu verwirklichen wird genau in dem Verzicht bestehen. Die Grie­ chen und Römer gehen demgegenüber davon aus, dass man sich in seinem eigenen Leben um sich selbst sorgt und dass der gute Ruf, den man hinterlassen wird, das einzig Jenseitige ist, worum man sich sorgen kann; die Sorge um sich kann also vollständig auf sich selbst gerichtet sein, auf das, was man tut und auf den Platz, den man inmitten der anderen einnimmt; sie kann völlig auf das Ak­ zeptieren des Todes ausgerichtet sein - was in der späten Stoa sehr deutlich werden wird -, und kann sogar bis zu einem bestimmten Punkt beinahe zu einem Todesdrang werden. Sie kann gleichzei­ tig, wenn nicht eine Sorge um andere, so doch eine Sorge um sich sein, die für andere förderlich ist. Es ist beispielsweise interessant bei Seneca zu sehen, wie wichtig das Thema ist: Beeilen wir uns mit dem Altwerden, beeilen wir uns, zum Ende zu gelangen, das uns gestatten wird, wieder zu uns selbst zu gelangen. Dieser Au­ genblick kurz vor dem Tod, in dem nichts mehr geschehen kann, ist etwas anderes als der Todeswunsch, den man bei den Christen

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findet, die vom Tod das Heil erwarten. Es ist wie eine Bewegung, mit der man seine Existenz dem Punkt entgegenschleudert, an dem sie nur noch die Möglichkeit des Todes vor sich hat. - Wir schlagen vor.; jetzt zu einem anderen Thema überzugehen. In Ihren Vorlesungen am College de France haben Sie über das Verhältnis von Macht und Wissen gesprochen. Jetzt reden Sie über das Verhältnis von Subjekt und Wahrheit. Besteht zwischen den beiden Begriffspaaren, zwischen Wissen/Macht und Subjekt/ Wahrheit eine Komplementarität? - Wie ich eingangs bereits gesagt habe, bestand mein Problem schon immer in dem des Verhältnisses zwischen Subjekt und Wahrheit: Wie tritt das Subjekt in ein bestimmtes Spiel der Wahr­ heit ein? Mein erstes Problem bestand darin: Wie zum Beispiel kommt es, dass der Wahnsinn ab einem bestimmten Augenblick und in Folge einer bestimmten Anzahl von Prozessen als eine Krankheit problematisiert wurde, die von einer bestimmten Form von Medizin abhängig war? Wie wurde das wahnsinnige Subjekt in dieses durch ein medizinisches Wissen oder Modell definierte Wahrheitsspiel gestellt? Und bei der Durchführung dieser Unter­ suchung habe ich festgestellt, dass es im Gegensatz zu dem, was damals zu Beginn der sechziger Jahre üblich war, nicht ausreichte, einfach nur von Ideologie zu sprechen, wenn man sich über dieses Phänomen klar werden wollte. Tatsächlich gab es Praktiken, im Wesentlichen diese große Praxis der Internierung, die sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelt hatte und die die Bedin­ gung für die Eingliederung des wahnsinnigen Subjekts in diesen Typus von Wahrheitsspielen war - was mich sehr viel stärker auf das Problem der Institutionen der Macht als auf das Problem der Ideologie verwies. So wurde ich dazu gebracht, das Problem Wissen/Macht aufzuwerfen, das für mich nicht das fundamentale Problem darstellt, sondern ein Instrument, das es ermöglicht, das Verhältnis zwischen Subjekt und Spielen der Wahrheit auf möglichst genaue Weise zu analysieren. - Aber Sie haben sich stets dagegen gewehrt, dass man zu Ihnen vom Subjekt im Allgemeinen spricht.

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- Nein, das habe ich nicht. Vielleicht habe ich unangemessene Formulierungen verwendet. Was ich zurückgewiesen habe, be­ stand genau darin, dass man sich vorweg eine Theorie des Subjekts bildet, wie man dies beispielsweise in der Phänomenologie oder im Existentialismus tun konnte, und dann ausgehend von dieser Theorie des Subjekts zu der Fragestellung gelangt, wie beispiels­ weise eine bestimmte Form der Erkenntnis möglich sei. Was ich zeigen wollte, war, wie sich das Subjekt in der einen oder anderen Weise durch eine Reihe von Praktiken, die in Spielen der Wahr­ heit, Praktiken der Macht usw. bestehen, als wahnsinniges oder gesundes Subjekt, als delinquentes oder nicht delinquentes Sub­ jekt konstituiert. Ich musste eine bestimmte Theorie a priori des Subjekts zurückweisen, um diese Analyse der Beziehungen zwi­ schen der Konstitution des Subjekts oder verschiedener Formen des Subjekts und den Spielen der Wahrheit, den Praktiken der Macht usw. vornehmen zu können. - Das heißt, dass das Subjekt keine Substanz ist. .. - Es ist keine Substanz. Es ist eine Form, und diese Form ist weder vor allem noch durchgängig mit sich selbst identisch. Sie haben zu sich selbst nicht dieselbe Art von Verhältnis, wenn Sie sich als politisches Subjekt konstituieren, das zur Wahl geht oder das in einer Versammlung das Wort ergreift, als wenn Sie versu­ chen, Ihr Begehren in einer sexuellen Beziehung zu verwirklichen. Es gibt zweifellos Beziehungen und Interferenzen zwischen die­ sen verschiedenen Formen des Subjekts, aber man steht nicht demselben Typus von Subjekt gegenüber. In jedem dieser Fälle spielt man mit verschiedenen Formen der Beziehung zu sich selbst oder bildet sie aus. Und gerade die historische Konstitution dieser unterschiedlichen Formen des Subjekts und ihre Beziehung zu den Spielen der Wahrheit ist es, die mich interessiert. - Aber das wahnsinnige, das kranke, das delinquente Subjekt, vielleicht sogar das sexuelle Subjekt, war ein Subjekt, das Objekt eines theoretischen Diskurses war, ein sozusagen »passives« Sub­ jekt; wogegen das Subjekt, von dem Sie in den beiden letzten Jahren in Ihren Vorlesungen am Collège de France sprechen, ein »aktives«, ein politisch aktives Subjekt ist. Die Sorge um sich be­

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trifft alle Probleme politischer Praxis, des Regierens usw. Es scheint, es gibt da bei Ihnen eine Veränderung nicht der Perspek­ tive, sondern der Fragestellung. - Wenn es zum Beispiel wahr ist, dass die Konstitution des wahn­ sinnigen Subjekts als Folge eines Zwangssystems betrachtet wer­ den kann - das ist das passive Subjekt -, so wissen Sie sehr wohl, dass das wahnsinnige Subjekt kein unfreies Subjekt ist und dass sich gerade der Geisteskranke als wahnsinniges Subjekt in der Beziehung zu und der Konfrontation mit demjenigen konstituiert, der ihn als wahnsinnig erklärt. Die Hysterie, die in der Geschichte der Psychiatrie und in der Welt der Irrenhäuser des 19. Jahrhun­ derts eine so bedeutende Rolle spielte, scheint mir geradezu die Illustration für die Art und Weise zu sein, in der sich das Subjekt als wahnsinniges Subjekt konstituiert. Und es war ganz und gar kein Zufall, dass die großen Phänomene der Hysterie gerade dann beobachtet wurden, als es ein Höchstmaß an Zwang gab, um die Individuen dazu zu bringen, sich als Wahnsinnige zu konstituie­ ren. Umgekehrt würde ich andererseits sagen, dass diese Prakti­ ken, wenn ich mich jetzt für die Form interessiere, in der sich das Subjekt auf aktive Weise, durch Praktiken des Selbst, konstituiert, dass diese Praktiken dann nichtsdestoweniger nicht etwas sind, was das Subjekt selbst erfindet. Es sind Schemata, die es in seiner Kultur vorfindet und die ihm vorgegeben, von seiner Kultur, sei­ ner Gesellschaft, seiner Gruppe aufgezwungen sind. - Es könnte den Anschein haben, als gäbe es in Ihrer Fragestel­ lung, insbesondere was die Konzeption eines Widerstands gegen die Macht anbelangt, eine Schwachstelle. Dieser setzt ein sehr aktives Subjekt voraus, das sehr um sich selbst und um die anderen sorgt, also ein politisch und philosophisch befähigtes Subjekt. - Dies führt uns zu dem Problem zurück, was ich unter Macht verstehe. Ich gebrauche das Wort Macht kaum, und wenn ich es zuweilen tue, dann um den Ausdruck abzukürzen, den ich stets gebrauche: die Machtbeziehungen. Aber es gibt fertige Schemata: Wenn man von Macht spricht, dann denken die Menschen sofort an eine politische Struktur, an eine Regierung, an eine herrschende soziale Klasse, an den Herrn gegenüber dem Knecht usw. An so

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etwas denke ich überhaupt nicht, wenn ich von Machtbeziehun­ gen spreche. Was ich sagen will ist, dass in den menschlichen Beziehungen, was sie auch immer sein mögen, ob es nun darum geht, sprachlich zu kommunizieren, wie wir dies gerade tun, oder ob es sich um Liebesbeziehungen, um institutioneile oder ökono­ mische Beziehungen handelt, die Macht stets präsent ist: Damit meine ich die Beziehungen, in denen der eine das Verhalten des anderen zu lenken versucht. Es sind also Beziehungen, die man auf unterschiedlichen Ebenen, in verschiedener Gestalt finden kann. Diese Machtbeziehungen sind mobile Beziehungen, sie können sich verändern und sind nicht ein für alle Mal gegeben. Die Tatsache beispielsweise, dass ich älter bin und Sie zu Beginn ein wenig befangen waren, kann sich im Verlaufe der Unterhal­ tung umkehren und ich bin es dann, der vor jemandem befangen sein kann, gerade weil dieser jünger ist. Diese Machtbeziehungen sind also mobil, reversibel und instabil. Man sollte außerdem beachten, dass es Machtbeziehungen nur in dem Maße geben kann, in dem die Subjekte frei sind. Wenn einer von beiden vollständig der Verfügung des anderen unterstünde und zu dessen Sache geworden wäre, ein Gegenstand, über den dieser schrankenlose und unbegrenzte Gewalt ausüben könnte, dann gäbe es keine Machtbeziehungen. Damit eine Machtbezie­ hung bestehen kann, bedarf es also auf beiden Seiten einer be­ stimmten Form von Freiheit. Selbst wenn die Machtbeziehung völlig aus dem Gleichgewicht geraten ist, wenn man wirklich sa­ gen kann, dass der eine alle Macht über den anderen besitzt, so lässt sich die Macht über den anderen nur in dem Maße ausüben, in dem diesem noch die Möglichkeit bleibt, sich zu töten, aus dem Fenster zu springen oder den anderen zu töten. Das heißt, dass es in Machtbeziehungen notwendigerweise Möglichkeiten des Wi­ derstands gibt, denn wenn es keine Möglichkeit des Widerstands gewaltsamer Widerstand, Flucht, List, Strategien, die die Situation umkehren - gäbe, dann gäbe es überhaupt keine Machtbeziehun­ gen. Vor diesem allgemeinen Hintergrund weigere ich mich, die Frage zu beantworten, die man mir manchmal stellt: »Aber wenn die Macht überall ist, dann gibt es keinen Widerstand.« Ich ant­ worte: Wenn es Machtbeziehungen gibt, die das gesamte soziale Feld durchziehen, dann deshalb, weil es überall Freiheit gibt. Jetzt

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gibt es in der Tat Herrschaftszustände. In sehr vielen Fällen sind die Machtbeziehungen derart verfestigt, dass sie auf Dauer asym­ metrisch sind und der Spielraum der Freiheit äußerst beschränkt ist. Um ein wenn auch etwas schematisches Beispiel zu geben: Man kann nicht sagen, dass es in der traditionellen Struktur der Ehe in der Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts ausschließ­ lich die Macht des Mannes gegeben hätte; die Frau konnte eine ganze Reihe von Dingen tun: Sie konnte ihn betrügen, konnte ihm sein Geld entlocken oder sich ihm sexuell verweigern. Sie befand sich dennoch in dem Maße in einem Herrschaftszustand, dass all dies nur eine Reihe von Listen bedeutete, die niemals dazu führen könnten, die Situation umzukehren. In diesen Fällen ökonomi­ scher, sozialer, institutioneller oder sexueller Herrschaft besteht das Problem in der Tat darin, zu wissen, wo sich Widerstand formieren kann. Kann dies zum Beispiel in einer Arbeiterklasse der Fall sein, die in der Gewerkschaft, in der Partei (und in wel­ cher Form: Streik, Generalstreik, Revolution, parlamentarischer Kampf) gegen die politische Herrschaft Widerstand leistet. In ei­ ner solchen Situation der Herrschaft muss man auf all diese Fra­ gen je nach dem Typus und der genauen Form der Herrschaft jeweils auf spezifische Weise antworten. Die Behauptung jedoch: »Sehen Sie, die Macht ist überall, folglich gibt es keinen Platz für die Freiheit«, scheint mir absolut unangemessen. Man kann mir nicht die Vorstellung zuschreiben, dass Macht ein Herrschaftssys­ tem darstellt, das alles kontrolliert und keinerlei Raum für Frei­ heit lässt. - Sie sprachen gerade vom freien Menschen und vom Philosophen als zwei verschiedenen Modalitäten der Sorge um sich. Die Sorge um sich des Philosophen besitzt demzufolge eine gewisse Spezifität und darf nicht mit der des freien Menschen verwechselt werden. - Ich würde sagen, dass es sich eher um zwei verschiedene Posi­ tionen innerhalb der Sorge um sich als um zwei unterschiedliche Formen derselben handelt. Ich glaube, dass die Sorge um sich in ihrer Form dieselbe bleibt, aber in ihrer Intensität, im Grade der Hingabe für sich selbst - und folglich auch der Hingabe für die anderen - im Falle des Philosophen nicht dieselbe ist wie bei einem beliebigen freien Menschen.

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“ Kann man an dieser Stelle an eine grundlegende Verbindung zwischen Philosophie und Politik denken? - Ja sicher, ich glaube, dass es zwischen Philosophie und Politik dauerhafte und grundlegende Beziehungen gibt. Es steht fest, dass - nimmt man die Geschichte der Sorge um sich im griechischen Denken - die Beziehung zur Politik evident ist. In einer übrigens sehr komplexen Form: Auf der einen Seite finden Sie Sokrates sowohl bei Platon im Alkibiades4 als auch bei Xenophon in den Memorabilia56-, der die jungen Männer anruft indem er ihnen sagt: »Nun sage mir, du willst ein Mann der Politik werden, willst die Polis regieren, willst dich also mit anderen befassen, aber du hast dich nicht einmal mit dir selbst befasst, und wenn du dich nicht mit dir selbst befasst, dann wirst du ein schlechter Regent sein.« In dieser Perspektive erscheint die Sorge um sich als eine pädagogi­ sche, ethische und auch ontologische Bedingung für die Konstitu­ tion des guten Regenten. Sich als Subjekt zu konstituieren, das regiert, impliziert, dass man sich als ein Subjekt konstituiert hat, das sich um sich selbst sorgt. Auf der anderen Seite jedoch finden Sie Sokrates, der in der Apologie6 sinngemäß sagt: »Ich überrede Jung und Alt«, denn jedermann hat sich um sich selbst zu sorgen; aber er fügt sogleich hinzu:7 »Indem ich das tue, erweise ich der Polis den größten Dienst, und statt mich zu bestrafen müsstet ihr mich besser belohnen als einen Sieger bei den Olympischen Spie­ len«. Es gibt also eine sehr starke Zusammengehörigkeit von Phi­ losophie und Politik, die sich im weiteren Verlauf entfalten wird, da der Philosoph nicht allein die Sorge um die Seele der Bürger, sondern auch die um die Seele des Fürsten kennt. Der Philosoph wird Berater, Pädagoge, Gewissenslenker des Fürsten. - Könnte diese Problematik der Sorge um sich der Kern eines neuen politischen Denkens sein, einer anderen Politik als der, die man heute in Betracht zieht? 4 Platon, Alkibiades, a. a. O., 124 b, S. 156, 127d-e, S. 165. 5 Xenophon, Erinnerungen an Sokrates (übersetzt von Rudolf Preiswerk), Drittes Buch, Kap. 7, Stuttgart 1985, S.92. 6 Platon, Apologie des Sokrates, 30 b, in: Sämtliche Werke, Bd. /, Reinbek 1994, S. 28-

*97 A. a. O., 36c-d, S. 36.

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- Ich muss gestehen, dass ich in dieser Richtung noch nicht weit vorangekommen bin und dass ich gerne auf die gegenwartsnahe­ ren Probleme zurückkommen würde, um herauszufinden, was man mit all dem in der aktuellen politischen Problematik anfan­ gen könnte. Ich habe jedoch den Eindruck, dass man im politi­ schen Denken des 19. Jahrhunderts - und man müsste vielleicht noch weiter bis zu Rousseau und zu Hobbes zurückgehen - das politische Subjekt im Wesentlichen als Rechtssubjekt aufgefasst hat, sei es in Begriffen des Naturrechts, sei es in Begriffen des positiven Rechts. Umgekehrt scheint mir, dass die Frage des ethi­ schen Subjekts nicht viel Raum besitzt im zeitgenössischen politi­ schen Denken. Schließlich mag ich es nicht sehr, auf Fragen zu antworten, die ich überhaupt nicht untersucht habe. Ich würde jedoch gern wieder jene Fragen aufnehmen, die ich in Bezug auf die antike Kultur angesprochen habe. - Worin bestünde die Beziehung zwischen dem Weg der Philoso­ phie, der zur Selbsterkenntnis führt und dem Weg der Spirituali­ tät? - Unter Spiritualität verstehe ich das - aber ich bin mir nicht sicher, ob dies eine Definition ist, die man längere Zeit aufrecht­ erhalten könnte -, was sich sehr genau auf den Zugang des Sub­ jekts zu einer bestimmten Seinsweise bezieht und auf die Trans­ formationen, die das Subjekt selbst durchlaufen muss, um zu dieser Seinsweise zu gelangen. Ich glaube, dass es in der antiken Spiritualität eine Identität oder eine Beinahe-Identität zwischen dieser Spiritualität und der Philosophie gab. Auf jeden Fall galt die wichtigste Beschäftigung der Philosophie dem Selbst, danach erst kam die Erkenntnis der Welt, die sich die meiste Zeit auf diese Sorge um sich stützte. Wenn man Descartes liest, ist man erstaunt, in den Meditationen genau dieselbe spirituelle Sorge um den Zu­ gang zu einer Seinsweise zu finden, in der der Zweifel nicht mehr erlaubt ist und wo man schließlich zur Erkenntnis gelangen wird;8 wenn man aber die Seinsweise, zu der die Philosophie Zugang verschafft, auf diese Weise definiert, dann stellt man fest, dass 8 René Descartes, Meditationes de prima philosophia, Paris 1641 [dt. Meditationen (dreisprachige Parallelausgabe Latein-Französisch-Deutsch), übersetzt von And­ reas Schmidt, Göttingen 2004].

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diese Seinsweise ganz und gar durch Erkenntnis bestimmt ist, und die Philosophie sich als Zugang zum erkennenden Subjekt oder zu dem, was das Subjekt als solches ausmacht, definiert. Und von diesem Gesichtspunkt aus scheint mir, dass sie die Funktionen der Spiritualität durch das Ideal einer Begründung der Wissen­ schaftlichkeit überlagert. - Sollte man diesen Begriff der Sorge um sich im klassischen Sinne gegen dieses moderne Denken aktualisieren? - Durchaus, aber ich mache das keineswegs, um sagen zu können: »Unglücklicherweise hat man die Sorge um sich vergessen, seht her, hier ist sie, der Schlüssel zu allem.« Nichts ist mir fremder als die Vorstellung, dass die Philosophie von einem bestimmten Zeit­ punkt an auf Abwege geraten ist, dass sie etwas vergessen hat, dass irgendwo in ihrer Geschichte ein Prinzip, eine Begründung exis­ tiert hätte und nun wiederentdeckt werden müsste. Ich glaube, dass all diese Formen der Analyse nicht besonders interessant sind und dass man aus ihnen nicht sehr viel gewinnen kann, und zwar gleichgültig, ob sie eine radikale Gestalt annehmen, indem sie er­ klären, dass die Philosophie von Anbeginn an vergessen worden sei, oder ob sie sehr viel historischer verfahren, wenn sie erklären: »Dort, in dieser Philosophie gibt es etwas, das vergessen wurde«. Dies soll trotzdem nicht heißen, dass der Kontakt mit der einen oder anderen Philosophie nicht etwas hervorbringen könnte, aber man müsste dann richtig betonen, dass dies etwas Neues ist. - Dies führt uns zu der Frage: Warum sollte man heute Zugang zur Wahrheit haben, im politischen Sinne, das heißt im Sinne der politischen Strategie gegen die verschiedenen Punkte der »Blocka­ de« der Macht innerhalb des Systems von Beziehungen? ~ Das ist wirklich ein Problem: Wozu nach allem die Wahrheit? Und warum sorgt man sich um die Wahrheit, und zwar übrigens mehr als um sich selbst? Und wieso sorgt man sich um sich selbst nur über die Sorge um die Wahrheit? Ich glaube, dass man da auf eine fundamentale Frage stößt, die, würde ich sagen, die Frage des Abendlands ist: Was hat dazu geführt, dass die gesamte abend­ ländische Kultur um diese Verpflichtung zur Wahrheit kreist, die

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eine ganze Reihe unterschiedlicher Formen angenommen hat? So wie die Dinge liegen, hat nichts bis heute zeigen können, dass man eine Strategie außerhalb ihrer definieren könnte. Gerade auf die­ sem Feld der Verpflichtung zur Wahrheit kann man sich zuweilen auf die eine oder andere Weise von den Herrschaftseffekten ab­ setzen, die mit Strukturen der Wahrheit oder mit wahrheitslastigen Institutionen verknüpft sind. Um das Ganze sehr schematisch zu formulieren, kann man zahlreiche Beispiele anführen: Es gab eine ökologische Bewegung, die im Übrigen recht alt ist und nicht aus dem 20. Jahrhundert stammt, die mit einer Wissenschaft oder zumindest zu einer in Begriffen von Wahrheit garantierten Tech­ nologie einherging und zu dieser ein oftmals feindseliges Verhält­ nis hatte. Aber in Wirklichkeit stimmte auch diese Ökologie einen Wahrheitsdiskurs an: Nur im Namen eines Wissens über die Na­ tur, über das Gleichgewicht der Lebensprozesse konnte man Kri­ tik üben. Der Herrschaft einer Wahrheit entkommt man also nicht, indem man ein Spiel spielt, das dem Spiel der Wahrheit vollständig fremd ist, sondern indem man das Wahrheitsspiel an­ ders spielt, indem man ein anderes Spiel, eine andere Partie oder mit anderen Trümpfen spielt. Ich glaube, das ist in der Politik genauso, wo man zwar eine Politik etwa ausgehend von den Aus­ wirkungen des Herrschaftszustands einer unangebrachten unrechten Politik her kritisieren kann, dies aber nicht anders tun kann als dadurch, dass man ein bestimmtes Wahrheitsspiel spielt und die Konsequenzen dieser Politik aufzeigt, indem man auf­ zeigt, dass es andere vernünftige Möglichkeiten gibt oder den Menschen klar macht, was sie über ihre eigene Situation nicht wissen, über ihre Arbeitsbedingungen, ihre Ausbeutung. - Glauben Sie nicht, dass man angesichts des Problems der Wahrheits- und Machtspiele in der Geschichte die Präsenz einer besonde­ ren Modalität dieser Wahrheitsspiele feststellen könnte, die gegen­ überallen anderen Möglichkeiten von Wahrheits- und Machtspielen einen besonderen Status hätte und die sich durch ihre wesentliche Offenheit, ihre Opposition gegen jede Blockade durch die Macht im Sinne von Herrschaft/Unterdrückung charakterisieren ließe? - Ja, bestimmt. Aber wenn ich von Machtbeziehungen und Wahr­ heitsspielen rede, will ich absolut nicht sagen, dass die Wahrheits­

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spiele allesamt nur Machtbeziehungen wären, die ich maskieren will - das wäre eine grauenvolle Karikatur. Wie schon gesagt, be­ steht mein Problem darin, zu wissen, wie sich die Wahrheitsspiele etablieren und mit Machtbeziehungen verknüpfen. Man kann bei­ spielsweise zeigen, dass die Medikalisierung des Wahnsinns, das heißt die Organisation eines medizinischen Wissens um die als Irre bezeichneten Individuen herum, mit einer ganzen Reihe von sozialen Prozessen verknüpft war, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ökonomisch, aber auch durch Institutionen und Prak­ tiken der Macht bestimmt waren. Dieser Sachverhalt berührt die wissenschaftliche Gültigkeit oder die therapeutische Wirksamkeit der Psychiatrie in gar keiner Weise: Sie garantiert sie nicht, aber sie annulliert sie ebenso wenig. Dass zum Beispiel die Mathematik, natürlich auf eine ganz andere Art als die Psychiatrie, mit Macht­ strukturen verbunden ist, stimmt ebenfalls, und wäre es auch nur durch die Art und Weise, wie sie unterrichtet wird, wie sich der Konsens der Mathematiker herstellt, wie er in einem geschlosse­ nen Kreis funktioniert, seine Werte ausbildet und bestimmt, was in der Mathematik gut (wahr) oder schlecht (falsch) ist. Das soll nun keineswegs besagen, dass die Mathematik lediglich ein Spiel der Macht ist, sondern dass das Machtspiel der Mathematik auf eine bestimmte Art und Weise, und ohne dass das ihre Gültigkeit in irgendeiner Weise berührt, mit den Institutionen der Macht verbunden ist. Selbstverständlich sind in einer bestimmten Zahl von Fällen diese Verbindungen so, dass man die Geschichte der Mathematik vollständig schreiben kann, ohne dem Rechnung zu tragen, obwohl diese Problematik immer von Interesse bleibt und gerade jetzt auch die Mathematikhistoriker mit dem Studium der Geschichte ihrer Institutionen anfangen. Aber es ist klar, dass das in der Mathematik mögliche Verhältnis von Machtbeziehungen und Wahrheitsspielen ganz anders ist als das in der Psychiatrie. Je­ denfalls kann man nicht sagen, dass die Wahrheitsspiele nichts weiter sind als Spiele der Macht. - Diese Frage weist auf das Problem des Subjekts zurück, denn in den Wahrheitsspielen stellt sich die Frage, wer die Wahrheit sagt, wie er sie sagt und warum er sie sagt. Denn im Spiel der Wahrheit kann man damit spielen, die Wahrheit zu sagen: Es gibt ein Spiel, man spielt mit der Wahrheit oder die Wahrheit ist ein Spiel

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- Das Wort »Spiel« kann Sie zu einem Irrtum führen. Wenn ich von »Spiel« spreche, dann spreche ich von einer Gesamtheit von Regeln zur Herstellung der Wahrheit. Dies bedeutet nicht Spiel im Sinne von Nachahmung oder Schauspiel; es besteht in einer Ge­ samtheit von Verfahren, die zu einem bestimmten Resultat führen, das nach Maßgabe seiner Prinzipien und Verfahrensregeln als gül­ tig oder ungültig, als erfolgreich oder als erfolglos betrachtet wer­ den kann. - Es bleibt noch die Frage des »Wer«: ist dies eine Gruppe, eine Menge? - Es kann eine Gruppe sein, ein Individuum. Da gibt es wirklich ein Problem. In Bezug auf die vielfältigen Wahrheitsspiele kann man beobachten, dass das, was seit der Zeit der Griechen unsere Gesellschaft immer wieder ausgemacht hat, darin besteht, dass man keine geschlossene und zwingende Definition der Wahrheits­ spiele hat, die unter Ausschluss aller anderen zugelassen wären. In einem gegebenen Wahrheitsspiel gibt es immer die Möglichkeit, etwas anderes zu entdecken und diese oder jene Regel mehr oder weniger abzuändern, manchmal sogar das gesamte Spiel der Wahr­ heit umzugestalten. Zweifellos hat das dem Abendland im Ver­ gleich zu anderen Gesellschaften Entwicklungsmöglichkeiten ge­ boten, die man woanders nicht findet. Wer sagt die Wahrheit? Freie Individuen, die einen gewissen Konsensus hersteilen und die sich in ein bestimmtes Netz von Machtpraktiken und Zwangs­ institutionen eingespannt sehen. - Die Wahrheit ist also keine Konstruktion? - Das kommt darauf an: Es gibt Wahrheitsspiele, in denen die Wahrheit eine Konstruktion ist und solche, in denen sie es nicht ist. Man hat zum Beispiel ein Wahrheitsspiel, wenn man die Dinge auf die eine oder andere Weise beschreibt: Wer eine anthropolo­ gische Beschreibung der Gesellschaft gibt, liefert keine Konstruk­ tion, sondern eine Deskription, die ihrerseits eine gewisse Zahl historisch veränderlicher Regeln hat, so dass man bis zu einem gewissen Punkt sagen kann, dass sie im Verhältnis zu anderen Beschreibungen eine Konstruktion ist. Das heißt nicht, dass

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man nichts in der Hand hat und dass alles irgendjemandes Kopf entspringt. Manche ziehen aus dem, was man über diese Transformation der Wahrheitsspiele hat sagen können, den Schluss, man habe gesagt, dass nichts existiere - man hat mich sagen lassen, der Wahnsinn existiere nicht, wohingegen das Problem gerade umgekehrt ist: Es ging darum, zu wissen, wie der Wahnsinn in den verschiedenen Definitionen, die man von ihm hat geben kön­ nen, zu einem gegebenen Zeitpunkt in ein institutionelles Feld integriert werden konnte, das ihn als Geisteskrankheit an einem bestimmten Ort neben anderen Krankheiten konstituierte. - Im Grunde gibt es im Kern der Wahrheitsfrage auch ein Prob­ lem der Kommunikation, das Problem der Transparenz der Worte des Diskurses. Wer die Möglichkeit hat, Wahrheiten zu formulie­ ren, hat auch Macht; die Macht, die Wahrheit sagen zu können und sie auszudrücken wie er will - Ja, und dennoch bedeutet das nicht, dass nicht wahr ist, was er sagt, wie die meisten Leute glauben. Wenn man sie darauf auf­ merksam macht, dass es zwischen der Wahrheit und der Macht eine Beziehung geben könnte, dann sagen sie: »Aha, dann ist es also nicht die Wahrheit.« - Das passt zu dem Problem der Kommunikation; denn wenn die Kommunikation in einer Gesellschaft einen hohen Grad an Trans­ parenz erreicht hat, dann sind die Wahrheitsspiele möglicherweise etwas unabhängiger von den Machtstrukturen. - Da werfen Sie ein wichtiges Problem auf, und ich glaube, Sie denken dabei ein wenig an Habermas. Ich interessiere mich sehr für das, was Habermas macht; ich weiß, dass er überhaupt nicht einverstanden ist mit dem, was ich sage, während ich etwas mehr mit dem einverstanden bin, was er sagt, aber es gibt da etwas, das mir immer Probleme bereitet: wenn er den Kommunikations­ beziehungen diesen dermaßen wichtigen Platz und vor allem eine Funktion zuweist, die ich »utopisch« nennen würde. Die Vorstellung, dass es einen Zustand der Kommunikation geben kann, worin die Wahrheitsspiele ohne Hindernisse, Beschrän­ kungen und Zwangseffekte zirkulieren können, scheint mir zur

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Ordnung der Utopie zu gehören. Das gerade heißt nicht zu sehen, dass die Machtbeziehungen nicht etwas an sich Schlechtes sind, wovon man sich frei machen müsste. Ich glaube, dass es keine Gesellschaft ohne Machtbeziehungen geben kann, sofern man sie als Strategien begreift, mit denen die Individuen das Verhalten der anderen zu lenken und zu bestimmen versuchen. Das Problem ist also nicht, sie in der Utopie einer vollkommen transparenten Kommunikation aufzulösen zu versuchen, sondern sich die Rechtsregeln, die Führungstechniken und auch die Mo­ ral zu geben, das ethos, die Sorge um sich, die es gestatten, inner­ halb der Machtspiele mit dem Minimum an Herrschaft zu spielen. - Sie sind sehr weit entfernt von Sartre, der sagte: »Die Macht ist das Böse«. - Ja. Man hat mir oft diese Idee zugeschrieben, die sehr weit von dem entfernt ist, was ich denke. Die Macht ist nicht das Böse. Macht heißt: strategische Spiele. Man weiß sehr wohl, dass die Macht nicht das Böse ist. Nehmen Sie zum Beispiel sexuelle oder Liebesbeziehungen: Über den anderen Macht auszuüben in einer Art offenen strategischen Spiels, worin sich die Dinge umkehren können, ist nichts Schlechtes, das ist Teil der Liebe, der Leiden­ schaft, der sexuellen Lust. Oder nehmen wir etwas, das Gegen­ stand von oft berechtigten Kritiken gewesen ist: die pädagogische Institution. Ich sehe nicht, was schlecht sein soll an der Praxis desjenigen, der in einem bestimmten Wahrheitsspiel mehr weiß als ein anderer und ihm sagt, was er tun muss, ihn unterrichtet, ihm ein Wissen übermittelt, ihm Techniken mitteilt; das Problem liegt eher darin, zu wissen, wie man bei diesen Praktiken, bei denen die Macht sich nicht nicht ins Spiel bringen kann und in denen sie nicht an sich selbst schlecht ist, Herrschaftseffekte ver­ meiden kann, die einen kleinen Jungen der unnützen und willkür­ lichen Autorität eine Lehrers unterwerfen, einen Studenten von einem sein Amt missbrauchenden Professor abhängig machen usw. Ich meine, man muss diese Probleme in Form von Rechts­ regeln, vernünftigen Regierungstechniken und des ethos, der Pra­ xis des Selbst und der Freiheit fassen.

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- Könnte man das, was sie eben gesagt haben, als fundamentale Kriterien für das auffassen, was Sie eine neue Ethik genannt haben? Es ginge darum, mit einem Minimum an Herrschaft zu spielen... - Ich glaube, das ist wirklich der Punkt, wo die ethische Haupt­ aufgabe und der politische Kampf für die Achtung vor dem Ge­ setz, die kritische Reflexion gegen die missbräuchlichen Techni­ ken des Regierens und die ethische Suche nach dem, was die individuelle Freiheit zu begründen gestattet, ineinander greifen. - Wenn Sartre von der Macht als dem größten Übel spricht, scheint er auf Herrschaft als die Wirklichkeit der Macht anzuspie­ len. Da sind Sie mit Sartre nicht einig. - Ja, ich glaube, dass all diese Begriffe schlecht definiert sind und man nicht recht weiß, worüber man eigentlich spricht. Ich selbst bin mir nicht sicher, ob ich zu Beginn meines Interesses am Prob­ lem der Macht sehr klar darüber gesprochen und die richtigen Worte gebraucht habe. Jetzt habe ich von all dem eine sehr viel klarere Vorstellung. Mir scheint, dass man unterscheiden muss auf der einen Seite zwischen Machtbeziehungen als strategischen Spielen zwischen Freiheiten, also Spielen, in denen die einen das Verhalten der anderen zu bestimmen versuchen, worauf die ande­ ren mit dem Versuch antworten, sich darin nicht bestimmen zu lassen oder ihrerseits versuchen, das Verhalten der anderen zu bestimmen, und auf der anderen Seite Herrschaftszuständen, die das sind, was man üblicherweise Macht nennt. Und zwischen beiden, zwischen den Spielen der Macht und den Zuständen der Herrschaft, gibt es die Regierungstechnologien, wobei dieser Aus­ druck einen sehr weitgefassten Sinn hat: das ist sowohl die Art und Weise, wie man Frau und Kinder leitet, als auch die, wie man eine Institution führt. Die Analyse dieser Techniken ist erforder­ lich, weil sich häufig mit ihrer Hilfe die Herrschaftszustände er­ richten und aufrechterhalten. In meiner Machtanalyse gibt es drei Ebenen: strategische Beziehungen, Regierungstechniken und Herrschaftszustände. - In Ihrer Vorlesung über die »Hermeneutik des Subjekts« findet sich ein Abschnitt, in dem Sie sagen, dass es für den Widerstand

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gegen die politische Macht keinen anderen praktikablen Aus­ gangspunkt gäbe als den des Bezugs des Selbst auf sich selbst. - Ich glaube nicht, dass der einzig mögliche Widerstandspunkt gegen die politische Macht, verstanden als Herrschaftszustand, im Bezug des Selbst auf sich selbst besteht. Ich sage, dass das Re­ gierungsdenken, die Gouvernementalität den Selbstbezug auf sich impliziert, was gerade besagt, dass ich mit diesem Begriff der Gou­ vernementalität auf die Gesamtheit der Praktiken ziele, mit denen man die Strategien konstituieren, definieren, organisieren und instrumentalisieren kann, die die Einzelnen in ihrer Freiheit wech­ selseitig verfolgen können. Die Individuen, die versuchen, die Frei­ heit der anderen zu kontrollieren, zu bestimmen und zu begren­ zen, sind selber frei, und sie verfügen über bestimmte Instrumente, um die anderen regieren zu können. All dies beruht also auf der Freiheit, auf der Beziehung des Selbst auf sich selbst und auf der Beziehung zu anderen. Folglich kann man das Subjekt, wenn man bei der Machtanalyse nicht von Freiheit, von den Strategien und der Gouvernementalität ausgeht, sondern von der Institution und der Politik, nur als Rechtssubjekt ins Auge fassen. Man hätte ein Subjekt, das mit Rechten ausgestattet wäre oder nicht, und das durch die Institutionen der politischen Gesellschaft Rechte erhal­ ten oder verloren hätte: Man wird so auf eine juridische Konzep­ tion des Subjekts zurückverwiesen. Umgekehrt gestattet, so glaube ich, der Begriff der Gouvernementalität, die Freiheit des Subjekts und die Beziehung zu anderen geltend zu machen, was doch gerade den Gegenstandsbereich der Ethik konstituiert. - Glauben Sie, dass die Philosophie etwas über das »Warum?« dieser Tendenz zu sagen hat, das Verhalten des anderen bestim­ men zu wollen? - Dies Art, das Verhalten anderer zu bestimmen, wird je nach Gesellschaft ganz verschiedene Formen annehmen, wird Lüste und Begierden ganz unterschiedlicher Intensität wecken. Ich kenne mich in der Anthropologie nicht gut aus, aber man kann sich vorstellen, dass es Gesellschaften gibt, in denen die Art und Weise, in der man das Verhalten der anderen lenkt, im Vorhinein gut geregelt ist, so dass alle Spiele gewissermaßen bereits gelaufen

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sind. Umgekehrt könnten in einer Gesellschaft wie der unseren, und das ist zum Beispiel in den familiären, sexuellen und affekti­ ven Beziehungen ganz offensichtlich, die Spiele außerordentlich zahlreich sein, und folglich ist die Lust, das Verhalten anderer zu bestimmen, umso größer. Je freier die Menschen in ihren Bezie­ hungen zueinander sind, desto größer ist ihre Lust, das Verhalten des jeweils anderen zu bestimmen. Je offener das Spiel ist, desto verlockender und faszinierender ist es. - Glauben Sie, dass die Aufgabe der Philosophie darin besteht, vor den Gefahren der Macht zu warnen? - Diese Aufgabe war immer eine wichtige Funktion der Philoso­ phie. Auf ihrer kritischen Seite, ich verstehe kritisch in einem sehr weiten Sinne, ist die Philosophie das, was alle Erscheinungen der Herrschaft, auf welcher Ebene und in welcher Form auch immer sie sich darstellen, immer wieder politisch, ökonomisch, sexuell, institutionell usw. in Frage stellt. Diese kritische Funktion der Philosophie leitet sich bis zu einem gewissen Punkt vom sokratischen Imperativ ab: »Befasse dich mit dir selbst«, was bedeutet: »Gründe deine Freiheit auf die Meisterung deiner selbst«. Übersetzt von Hermann Kocyba

357 Eine Ästhetik der Existenz »Une esthétique de l’existence« (Gespräch mit A. Fontana), in: Le Monde, 1$.-16. Juli 1984, S.XI. Dieses Gespräch erschien zunächst unter dem Titel »Alle fonti del piacere« in: Panorama, Nr. 945, vom 28. Mai 1984, in einer dermaßen ver­ stümmelten und umgearbeiteten Fassung, dass Alessandro Fontana zu einer öffentlichen Richtigstellung genötigt war. Er schrieb damals an M. Foucault, der dafür sorgte, dass dieses Gespräch in vollständiger Fassung neu veröffentlicht wurde.

A. Fontana: Sieben Jahre sind seit La Volonté de savoir [Der Wille zum Wissen] vergangen. Ich weiß, dass Ihre letzten Bücher Ihnen

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Probleme bereitet haben und dass Sie auf Schwierigkeiten gesto­ ßen sind. Darf ich Sie bitten, dass Sie mir von diesen Schwierig­ keiten und von dieser Reise in die griechisch-römische Welt er­ zählen, die Ihnen zwar nicht unbekannt, aber doch ein wenig fremd war. M. Foucault: Die Schwierigkeiten rührten aus dem Vorhaben selbst, das sie genau vermeiden wollte. Als ich das Programm für meine Arbeit an mehreren Bänden nach einem vorweg ausgearbeiteten Plan entwarf, hatte ich mir gesagt, dass jetzt die Zeit gekommen wäre, sie ohne Schwierigkei­ ten schreiben und ganz einfach das abspulen zu können, was ich im Kopf hatte und was sich durch die empirische Forschungs­ arbeit bestätigen würde. Beim Schreiben dieser Bücher wäre ich beinahe vor Langeweile gestorben: Sie ähnelten zu sehr ihren Vorgängern. Für manche bedeutet, ein Buch zu schreiben, stets, etwas zu wagen. Zum Bei­ spiel, es nicht zu schaffen, es zu schreiben. Wenn man vorweg schon weiß, wo man ankommen will, dann fehlt eine Dimension der Erfahrung, nämlich die, welche ebendann besteht, ein Buch zu schreiben, bei dem man Gefahr läuft, nicht zum Abschluss zu kommen. Ich habe somit das allgemeine Vorhaben gewechselt: Anstatt die Sexualität in den Grenzen des Wissens und der Macht zu untersuchen, habe ich versucht, weiter oben zu erforschen, wie sich für das Subjekt selbst die Erfahrung seiner Sexualität als Be­ gehren konstituiert hatte. Um diese Problematik freizulegen, sah ich mich veranlasst, sehr alte lateinische und griechische Texte genauer anzusehen, die mir viele Vorbereitungen und viele An­ strengungen abverlangten und die mich bis zum Schluss ziemlich unsicher und zögerlich sein ließen. A. Fontana: Es gibt immer eine gewisse »Intentionalität« in Ih­ ren Werken, die den Lesern häufig entgeht. UHistoire de la folie [Wahnsinn und Gesellschaft] war im Grunde die Geschichte der Konstitution jenes Wissens, das man Psychologie nennt; Les Mots et les Choses [Die Ordnung der Dinge] war die Archäologie der Humanwissenschaften; Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen] die Einrichtung der Disziplinen des Körpers und der Seele. Mir scheint, dass im Zentrum Ihrer letzten Bücher das steht, was Sie die »Wahrheitsspiele« nennen. M. Foucault: Ich glaube nicht, dass zwischen diesen Büchern

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und den früheren ein großer Unterschied besteht. Man möchte sehr gern, wenn man Bücher wie diese schreibt, von Grund auf verändern, was man denkt, und sich am Ende gegenüber dem, was man zu Beginn war, als ein völlig anderer herausstellen. Doch dann stellt man fest, dass man im Grunde relativ wenig verändert hat. Man hat vielleicht die Sichtweise gewechselt, man hat das Problem umrundet, welches immer dasselbe ist, nämlich die Be­ ziehungen zwischen dem Subjekt, der Wahrheit und der Konsti­ tution der Erfahrung. Ich habe zu analysieren gesucht, wie Berei ­ che wie die des Wahnsinns, der Sexualität und der Delinquenz wieder in ein bestimmtes Spiel der Wahrheit eintreten können, und wie andererseits durch diese Einführung der menschlichen Praxis und des Verhaltens in das Spiel der Wahrheit das Subjekt selbst sich als davon betroffen erfährt. Dies war das Problem der Geschichte des Wahnsinns, der Sexualität. A. Fontana: Handelt es sich dabei nicht im Grunde um eine neue Genealogie der Moral? M. Foucault: Wäre da nicht der gewichtige Titel und die grandi­ ose Prägung, die Nietzsche ihm gegeben hat, so würde ich ja sagen. A. Fontana: In einer in Le Débat vom November 19831erschie­ nenen Schrift sprechen Sie bezüglich der Antike von Moralen, die dem Ethischen, und von Moralen, die dem Kodex zugewandt seien. Ist das die Teilung zwischen den griechisch-römischen Mo­ ralen und denen, die mit dem Christentum entstanden sind? M. Foucault: Mit dem Christentum hat man sehen können, wie sich langsam, fortschreitend eine Veränderung gegenüber den an­ tiken Moralen einstellte, die im Wesentlichen eine Freiheitspraxis, ein Freiheitsstil waren. Natürlich gab es auch bestimmte Verhal­ tensnormen, die die Führung eines jeden regelten. Doch der Wille, ein moralisches Subjekt zu sein, und die Suche nach einer Ethik der Existenz waren in der Antike in der Hauptsache ein Bemühen, seine Freiheit zu behaupten und seinem eigenen Leben eine be­ stimmte Form zu geben, in der man sich anerkennen und von den anderen anerkannt werden konnte, und sogar die Nachwelt konn­ te sich daran ein Beispiel nehmen. Diese Ausarbeitung seines eigenen Lebens als ein persönliches Kunstwerk, selbst wenn es kollektiven Kanons gehorchte, stand, 1 Siehe obeny Nr. 338.

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wie mir scheint, im Zentrum der moralischen Erfahrung, des Wil­ lens zur Moral in der Antike, während im Christentum mit der Religion des Textes, der Idee eines göttlichen Willens und dem Prinzip eines Gehorsams die Moral weitaus stärker die Form eines Kodex von Regeln annahm (allein einige asketische Praktiken waren stärker mit der Ausübung einer persönlichen Freiheit ver­ bunden). Von der Antike zum Christentum geht man von einer Moral, die im Wesentlichen Suche nach einer persönlichen Ethik war, zu einer Moral als Gehorsam gegenüber einem System von Regeln über. Und für die Antike interessierte ich mich, weil aus einer ganzen Reihe von Gründen die Idee einer Moral als Gehorsam gegenüber einem Kodex von Regeln jetzt dabei ist zu verschwin­ den, bereits verschwunden ist. Und diesem Fehlen einer Moral entspricht eine Suche, muss eine Suche entsprechen, nämlich die nach einer Ästhetik der Existenz. A. Fontana: Hat das ganze in diesen letzten Jahren aufgehäufte Wissen über den Körper, die Sexualität und die Disziplinen unser Verhältnis zu den anderen, unser In-der-Welt-Sein verbessert? M. Foucault: Ich kann nicht umhin anzunehmen, dass eine gan­ ze Reihe von Dingen, die, sogar unabhängig von politischen Wahlentscheidungen, im Umfeld bestimmter Existenzformen, Verhaltensregeln usw. wieder in die Diskussion eingebracht wur­ den, äußerst förderlich waren: das Verhältnis zum Körper, zwi­ schen Mann und Frau und zur Sexualität. A. Fontana: Diese Wissensformen haben uns also geholfen, bes­ ser zu leben. M. Foucault: Es hat nicht nur schlichtweg einen Wechsel in den Beschäftigungen und Sorgen gegeben, sondern auch im philoso­ phischen, theoretischen und kritischen Diskurs: Tatsächlich sug­ gerierte man in der Mehrzahl der durchgeführten Analysen den Leuten nicht, was sie sein sollten, was sie tun sollten, was sie glauben und denken sollten. Es ging vielmehr darum, zum Vor­ schein zu bringen, wie bis zur Gegenwart die sozialen Mechanis­ men hatten funktionieren können, wie die Formen von Unter­ drückung und Zwang gewirkt hatten, und dann, von da an, schien es mir, dass man den Leuten die Möglichkeiten ließ, sich selbst zu bestimmen und, das alles wissend, die Wahl ihrer Exis­ tenz durchzuführen.

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A. Fontana: Es ist fünf Jahre her, dass in Ihrem Seminar am Collège de France damit begonnen wurde, Hayek und von Mises zu lesen.2 Es hieß damals: Über eine Reflexion über den Libera­ lismus wird uns Foucault ein Buch über die Politik schreiben. Der Liberalismus schien außerdem ein Umweg zu sein, um jenseits der Mechanismen der Macht das Individuum wieder zu finden. Man kennt Ihre Auseinandersetzungen mit dem phänomenologischen Subjekt. Genau zu jener Zeit begann man von einem Subjekt der Praktiken zu sprechen, und die Relektüre des Liberalismus hatte sich auch ein wenig darum gedreht. Es ist für niemanden ein Ge­ heimnis, dass man sich immer wieder sagte: Es gibt kein Subjekt im Foucaultschen Werk. Die Subjekte sind stets unterworfen, sie sind der Anwendungspunkt von Techniken, normativen Diszipli­ nen, aber sie sind niemals souveräne Subjekte. M. Foucault: Man muss unterscheiden. Als Erstes denke ich tatsächlich, dass es kein souveränes, stiftendes Subjekt, keine Uni­ versalform Subjekt gibt, die man überall wieder finden könnte. Ich bin sehr skeptisch und sehr feindselig gegenüber dieser Kon­ zeption des Subjekts. Ich denke im Gegenteil, dass das Subjekt durch Praktiken der Unterwerfung oder, auf autonomere Weise, durch Praktiken der Befreiung, der Freiheit konstituiert wird, wie in der Antike, selbstverständlich ausgehend von einer gewissen Anzahl von Regeln, Stilen, Konventionen, die man im kulturellen Milieu vorfindet. A. Fontana: Dies führt uns zur politischen Aktualität. Die Zei­ ten sind schwierig: international die Erpressung von Jalta und die Konfrontation der Blöcke, intern das Gespenst der Krise. Im Ver­ hältnis zu all dem scheint es zwischen der Linken und der Rechten nur noch einen Unterschied im Stil zu geben. Wie soll man sich nun angesichts dieser Realität und ihrer Diktate, sofern sie augen­ scheinlich ohne mögliche Alternative ist, festlegen? M. Foucault: Mir scheint, dass Ihre Frage sowohl richtig als auch ein wenig verengt ist. Man müsste sie in zwei Ordnungen von Fragen unterteilen: Erstens, muss man es hinnehmen oder nicht hinnehmen? Zweitens, wenn man es hinnimmt, was kann 2 [Es handelt sich um das Seminar des Jahres 1979-1980, das bestimmten Aspekten des liberalen Denkens des 19. Jahrhunderts gewidmet war: Naissance de la biopolitique, Paris 2004, dt.: Geschichte der Gouvernementalität II, Geburt der Bio­ politik, Frankfurt/M. 2004. A.d.Ü.]

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man dann machen? Auf die erste Frage muss man unzweideutig antworten: Man darf es nicht hinnehmen, weder die Überbleibsel des Krieges noch die Ausweitung einer bestimmten strategischen Situation in Europa, noch die Tatsache, dass die Hälfte Europas versklavt ist. Sodann stellt sich die weitere Frage: »Was kann man gegen eine Macht wie die der Sowjetunion unserer eigenen Regierung gegen­ über und zusammen mit den Völkern unternehmen, die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs die Teilung, so wie sie errichtet wurde, in Frage stellen wollen?« Der Sowjetunion gegenüber gibt es nicht groß etwas zu tun, außer dass man denjenigen so wirksam wie möglich hilft, die an Ort und Stelle kämpfen. Was die beiden anderen Zielscheiben angeht, gibt es viel zu tun, steht viel Arbeit an. A. Fontana: Man darf also nicht eine sozusagen hegelianische Haltung einnehmen, die darin besteht, die Realität hinzunehmen, so wie sie ist und wie man sie uns vorlegt. Bleibt eine letzte Frage: »Gibt es eine Wahrheit in der Politik?« M. Foucault: Ich glaube zu sehr an die Wahrheit, um nicht zu unterstellen, dass es verschiedene Wahrheiten und verschiedene Weisen, sie zu sagen, gibt. Gewiss kann man von einer Regierung nicht verlangen, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Es ist dagegen möglich, von den Regierungen eine bestimmte Wahrheit zu verlangen, was die Zielvorhaben und die generellen Entscheidungen über ihre Taktik und eine gewisse Anzahl einzelner Punkte ihres Programms angeht: Die parrhesia (das freie Sprechen) des Regierten kann, ja muss im Namen des Wissens und der Erfahrung, die er aufgrund der Tatsache, dass er ein Bürger ist, von dem hat, was der andere tut, vom Sinn seiner Handlung und von den von ihm getroffenen Entscheidungen, die Regierung anrufen. Man muss jedenfalls eine Falle vermeiden, in die die Regieren­ den die Intellektuellen fallen lassen möchten, und in welche diese auch häufig fallen: »Versetzen Sie sich an unsere Stelle und sagen Sie uns, was wir tun sollen.« Das ist keine Frage, auf die man zu antworten hätte. In irgendeiner Sache eine Entscheidung zu tref­ fen, impliziert eine Kenntnis der Akten, die uns verweigert wird, und eine Analyse der Situation, zu deren Durchführung man kei­ ne Möglichkeit hatte. Dies ist eine Falle. Dennoch haben wir als

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Regierte ganz klar das Recht, die Wahrheitsfragen3 zu stellen: »Was zum Beispiel machen Sie, wenn Sie gegen die Euromissiles sind oder sie im Gegenteil unterstützen, wenn Sie die Stahlindust­ rie in Lothringen umstrukturieren, wenn Sie die Freiheit der Leh­ re neu beraten?« A. Fontana: Bei diesem Abstieg in die Unterwelt, die eine lange Meditation, eine lange Suche ist - ein Abstieg, bei dem man ge­ wissermaßen auf die Suche nach einer Wahrheit geht -, welchem Typ Leser möchten Sie dabei begegnen? Es ist eine Tatsache, dass es vielleicht noch gute Autoren, aber immer weniger gute Leser gibt. M. Foucault: Ich würde sagen, Leser, im Plural. Es stimmt aller­ dings, dass man nicht mehr gelesen wird. Das erste Buch, das man schreibt, wird gelesen, weil man nicht bekannt ist, weil die Leute nicht wissen, wer wir sind, und es wird wirr und durcheinander gelesen, was für mich ganz in Ordnung ist. Es gibt keinen Grund dafür, dass man nicht nur das Buch, sondern auch das Gesetz für das Buch macht. Das einzige Gesetz sind die ganzen möglichen Lektüren. Ich sehe keine größeren Unannehmlichkeiten darin, wenn ein Buch, das gelesen wird, auf unterschiedliche Weise ge­ lesen wird. Eine ernste Sache ist, dass man, je mehr Bücher man schreibt, überhaupt nicht mehr gelesen wird, und so wird am Ende von dem Buch, von Verzerrung zu Verzerrung fortschrei­ tend, wenn die einen über die Schultern der anderen hinweg lesen, ein absolut groteskes Bild vermittelt. Hier stellt sich effektiv ein Problem: Muss man in die Polemik eintreten und auf jede dieser Verzerrungen antworten und infol­ gedessen den Lesern das Gesetz vorgeben, was mir zuwider ist, oder muss man zulassen, was mir genauso zuwider ist, dass das Buch so sehr verzerrt wird, dass es am Ende zur Karikatur seiner selbst wird? Es könnte eine Lösung geben: Das einzige Gesetz für die Pres­ se, das einzige Gesetz für das Buch, das ich aufgestellt sehen möchte, wäre das Verbot, den Namen des Autors zweimal zu verwenden* und darüber hinaus das Recht auf Anonymität und auf ein Pseudonym, damit jedes Buch um seiner selbst willen ge3 [Anspielung auf das Projekt eines Weißbuchs, das M. Foucault der kleinen Arbeits­ gruppe vorgeschlagen hatte, die sich am Hôpital Tarnier traf, die so genannte »Académie Tarnier«-Gruppe.]

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lesen werde. Es gibt Bücher, bei denen die Kenntnis vom Autor ein Schlüssel für ihr Verständnis ist. Doch außer bei einigen gro­ ßen Autoren dient bei der Mehrzahl der anderen diese Kenntnis streng genommen zu nichts. Sie dient lediglich zur Abschirmung. Für jemanden wie mich, der ich kein großer Autor bin, sondern bloß einer, der Bücher herstellt, wäre es zu wünschen, dass sie, mit ihren Unvollkommenheiten und ihren eventuellen Qualitäten, um ihrer selbst willen gelesen werden. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

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Michel Foucault, ein Interview: Sex, Macht und die Politik der Identität »Michel Foucault, an Interview: Sex, Power, and the Politics of Identity« (»Michel Foucault, une interview: sexe, pouvoir et la politique de l’identité«; Gespräch mit B. Gallagher und A. Wilson, Toronto, Juni 1982; übersetzt von F. Durand-Bogaert), in: The Advocatey Nr. 400, 7. August 1984, S. 26-30 und 58. Dieses Gespräch war für die kanadische Zeitschrift Body Politic be­ stimmt.

- Sie legen in Ihren Büchern nahe, dass die sexuelle Befreiung nicht so sehr die Aufdeckung verborgener Wahrheiten ist, die einen selbst oder das eigene Begehren betreffen, sondern vielmehr ein Element im Prozess der Definition und Konstruktion des Begeh­ rens. Welches sind die praktischen Implikationen dieser Unter­ scheidung? - Was ich sagen wollte, ist, dass meiner Meinung nach die homo­ sexuelle Bewegung heute mehr das Bedürfnis nach einer Lebens­ kunst hat als nach einer Wissenschaft oder einer wissenschaftli­ chen (oder pseudowissenschaftlichen) Erkenntnis dessen, was die Sexualität ist. Die Sexualität bildet einen Teil unserer Lebensfüh­ rung. Sie bildet einen Teil der Freiheit, die wir in dieser Welt genießen. Die Sexualität ist etwas, das wir selbst erschaffen - sie ist unsere eigene Schöpfung, weit mehr als die Entdeckung eines

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verborgenen Aspekts unseres Begehrens. Wir müssen verstehen, dass sich mit unseren Begierden und durch sie neue Formen von Beziehungen, neue Formen von Liebe und neue Formen von Schöpfung hersteilen lassen. Der Sex ist nichts Schicksalhaftes; er ist eine Möglichkeit, Zugang zu einem schöpferischen Leben zu erhalten. - Das ist im Grunde die Schlussfolgerung, zu der Sie gelangen, wenn Sie sagen, dass wir versuchen müssten, Schwule [gays] zu werden., und uns nicht damit zufrieden geben dürften, unsere Identität als Schwule zu bekräftigen. - Ja, das ist es. Wir haben es nicht nötig zu entdecken, dass wir Homosexuelle sind. - Auch nicht nötig zu entdecken, was das heißt? - Genau. Wir müssen vielmehr eine schwule Lebensweise er­ schaffen. Ein Schwulwerden. - Und das ist etwas, das grenzenlos ist? - Ja, selbstverständlich. Wenn man untersucht, wie unterschied­ lich die Leute ihre sexuelle Freiheit erfahren haben - die Art und Weise, wie sie ihre Kunstwerke erschaffen haben -, muss man zwangsläufig konstatieren, dass die Sexualität, so wie wir sie heute kennen, zu einer der produktivsten Quellen unserer Gesellschaft und unseres Seins geworden ist. Ich denke, was mich betrifft, dass wir die Sexualität andersherum verstehen sollten: Die Welt nimmt an, dass die Sexualität das Geheimnis des schöpferischen kultu­ rellen Lebens darstellt; sie ist eher ein Prozess, der sich für uns heute in die Notwendigkeit einschreibt, unter dem Deckmantel unserer sexuellen Wahlen ein neues kulturelles Leben zu erschaf­ fen. - In der Praxis ist es eine der Konsequenzen dieses Versuchs, das Geheimnis aufzudecken, dass die homosexuelle Bewegung nicht weiter gegangen ist als bis zur Einforderung von Bürger- oder Menschenrechten mit einem Bezug zur Sexualität. Was bedeutet,

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dass die sexuelle Befreiung auf der Stufe einer Forderung nach sexueller Toleranz stehen geblieben ist. - Ja, aber das ist ein Aspekt, den man unterstützen muss. Es ist zunächst einmal für ein Individuum wichtig, die Möglichkeit und das Recht - zu haben, seine Sexualität zu wählen. Die die Sexualität betreffenden Rechte des Individuums sind wichtig, und es gibt schließlich noch so manchen Ort, an dem sie nicht respek­ tiert werden. Man darf diese Probleme gegenwärtig nicht als ge­ regelt ansehen. Es ist völlig richtig, dass es Anfang der siebziger Jahre einen wirklichen Befreiungsprozess gegeben hat. Dieser Prozess war sehr hilfreich, ebenso sehr, was die Situation wie auch die Mentalitäten angeht, aber die Situation hat sich nicht endgültig stabilisiert. Wir müssen, denke ich, noch einen Schritt nach vorne machen. Und ich glaube, dass einer der Faktoren dieser Stabili­ sierung die Schaffung neuer Lebensformen, Beziehungen und Freundschaften in Gesellschaft, Kunst und Kultur sein wird, neu­ er Formen, die durch unsere sexuellen, ethischen und politischen Wahlen gestiftet werden. Wir müssen uns nicht nur verteidigen, sondern uns auch bejahen, und uns nicht nur als Identität, sondern auch als schöpferische Kraft bejahen. - Vieles von dem, was Sie sagen, erinnert beispielsweise an die Versuche der feministischen Bewegung, die ihre eigene Sprache und ihre eigene Kultur erschaffen wollte. - Ja, aber ich bin nicht sicher, dass wir unsere eigene Kultur er­ schaffen sollten. Wir müssen eine Kultur erschaffen. Wir müssen kulturelle Schöpfungen verwirklichen. Doch dabei kommen wir beim Problem der Identität ins Straucheln. Ich weiß nicht, was wir tun sollten, um diese Schöpfungen hervorzubringen, und ich weiß auch nicht, welche Formen diese Schöpfungen annehmen sollten. So bin ich mir zum Beispiel überhaupt nicht sicher, dass die beste Form literarischer Schöpfung, die man von Homosexuellen er­ warten könnte, homosexuelle Romane wären. - In der Tat würden wir selbst diese Behauptung nicht akzeptie­ ren. Man würde sich damit auf einen Essentialismus gründen, den wir genau vermeiden müssen.

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- Das ist wahr. Was ist beispielsweise unter »schwuler Malerei« zu verstehen? Und doch bin ich sicher, dass wir ausgehend von unseren sexuellen Wahlen, ausgehend von unseren ethischen Wah­ len etwas schaffen können, das einen gewissen Bezug zur Homo­ sexualität haben wird. Aber dieses Etwas darf nicht eine Über­ setzung der Homosexualität in den Bereich der Musik, der Malerei - und was sonst noch? - sein, denn ich nehme nicht an, dass dies möglich ist. - Wie sehen Sie die außerordentliche Vermehrung, seit diesen letz­ ten zehn oder fünfzehn Jahren, der maskulinen homosexuellen Praktiken, die Sensualisierung, wenn Sie das vorziehen, bestimm­ ter bis dahin vernachlässigter Teile des Körpers und den Ausdruck neuer Begierden? Ich denke selbstverständlich an die frappierendsten Charakteristika dessen, was wir Ghetto-Pornofilme, SM-Clubs oder fistfucking nennen. Ist das eine einfache Auswei­ tung, in eine andere Sphäre hinein, der allgemeinen Vermehrung der sexuellen Diskurse seit dem 19. Jahrhundert, oder handelt es sich um Entwicklungen einer anderen Art, die dem aktuellen ge­ schichtlichen Kontext entsprechen? - In Wirklichkeit geht es bei dem, worüber wir hier sprechen wollen, sehr wohl, denke ich, um von diesen Praktiken eingeführte Innovationen. Sehen wir uns zum Beispiel die »SM-Subkultur« an, um einen Ausdruck aufzunehmen, der unserer Freundin Gayle Rubin wichtig ist.1Ich denke nicht, dass diese Bewegung sexueller Praktiken irgendetwas mit der Auf- oder Entdeckung von tief in unserem Unbewussten vergrabenen sadomasochistischen Stre­ bungen zu tun hat. Ich denke, dass SM viel mehr ist als das; es ist die wirkliche Erschaffung neuer Möglichkeit von Lust, die man sich zuvor nicht hatte vorstellen können. Die Vorstellung, dass SM mit einer tiefsitzenden Gewalt verbunden sei, dass ihre Praxis ein Mittel sei, um diese Gewalt freizusetzen, um der Aggression freien Lauf zu lassen, ist eine dümmliche Vorstellung. Wir wissen sehr gut, dass das, was diese Leute machen, nicht aggressiv ist; dass sie neue Möglichkeiten von Lust erfinden, indem sie bestimmte ei1 [Rubin, G., »The Leather Menace: Comments on Politics and SM«, in: The Group of Samois (Hg.), Coming to Power. Writings and Graphics on Lesbian SM, Berkeley 1981, S. 195.]

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gentümliche Partien ihrer Körper gebrauchen - indem sie diesen Körper erotisieren. Ich denke, dass wir da eine Art Schöpfung, schöpferisches Unternehmen haben, bei denen ein Hauptmerkmal das ist, was ich Desexualisierung der Lust nenne. Die Vorstellung, dass die physische Lust stets aus der sexuellen Lust herrührt, und die Vorstellung, dass die sexuelle Lust die Grundlage aller mögli­ chen Lüste ist, dies, denke ich, ist wirklich etwas, das falsch ist. Die SM-Praktiken zeigen uns, dass wir Lust ausgehend von äußerst seltsamen Objekten hervorbringen können, indem wir bestimmte eigentümliche Partien unseres Körpers in sehr ungewöhnlichen Situationen usw. gebrauchen. - Die Assimilierung der Lust ans Geschlecht ist damit überwun­ den. - Das genau ist es. Die Möglichkeit, unseren Körper als mögliche Quelle für eine Mannigfaltigkeit von Lüsten zu gebrauchen, ist etwas sehr Wichtiges. Sieht man sich beispielsweise die traditio­ nelle Konstruktion der Lust an, so stellt man fest, dass die physi­ schen Lüste oder Lüste des Fleisches stets das Trinken, das Essen und der Sex sind. Und darauf beschränkt sich, scheint mir, unser Verständnis des Körpers und der Lüste. Mich frustriert beispiels­ weise, dass man das Problem der Drogen immer ausschließlich in einer Terminologie von Freiheit und Verbot in den Blick nimmt. Ich denke, dass die Drogen zu einem Element unserer Kultur werden müssen. - Als Quelle von Lust? - Als Quelle von Lust. Wir müssen die Drogen studieren. Wir müssen die Drogen versuchen. Wir müssen gute Drogen herstei­ len - die fähig sind, eine äußerst intensive Lust hervorzubringen. Ich denke, dass der Puritanismus, der hinsichtlich der Droge an­ gesagt ist - ein Puritanismus, der impliziert, dass man entweder dafür oder dagegen ist -, eine irrige Einstellung ist. Die Drogen bilden jetzt einen Teil unserer Kultur. Genauso wie es gute und schlechte Musik gibt, gibt es gute und schlechte Drogen. Und daher können wir, genauso wenig wie wir sagen können, wir seien »gegen« die Musik, nicht sagen, wir seien »gegen« die Drogen.

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- Das Ziel ist, die Lust und ihre Möglichkeiten zu testen. - Ja. Die Lust muss ebenfalls ein Teil unserer Kultur sein. Es ist sehr interessant, beispielsweise festzustellen, dass seit Jahrhunder­ ten die Leute im Allgemeinen - aber auch die Ärzte, die Psychia­ ter und selbst die Befreiungsbewegungen - stets von Begehren und niemals von Lust gesprochen haben. »Wir müssen unser Be­ gehren befreien«, sagen sie. Nein! Wir müssen neue Lüste erschaf­ fen. Dann wird das Begehren vielleicht folgen. - Ist es von Bedeutung.} dass sich im Umkreis neuer Sexualprakti­ ken wie SM bestimmte Identitäten ausbilden? Diese Identitäten befördern die Erkundung dieser Praktiken; sie tragen zudem dazu bei, das Recht des Individuums zu verteidigen, sich dem zu wid­ men. Aber beschränken sie nicht auch die Möglichkeiten des Indi­ viduums? - Nun gut, wenn die Identität nur ein Spiel ist, wenn sie nur eine Vorgehensweise ist, um Beziehungen, soziale Beziehungen und Be­ ziehungen sexueller Lust zu befördern, die neue Freundschaften erschaffen würden, dann ist sie von Nutzen. Doch wenn die Iden­ tität zum Hauptproblem der sexuellen Existenz wird, wenn die Leute denken, dass sie ihre »eigene Identität« »enthüllen« müssen, und dass diese Identität zum Gesetz, Prinzip und Kodex ihrer Exis­ tenz werden muss; wenn die Frage, die sie ständig stellen, lautet: »Ist diese Sache meiner Identität entsprechend?«, dann kehren sie, denke ich, zu einer Art Ethik zurück, die der traditionellen hetero­ sexuellen Virilität sehr nahe ist. Wenn wir zur Frage der Identität Stellung beziehen müssen, so muss dies sein, insofern wir einmalige Wesen sind. Doch die Beziehungen, die wir zu uns selbst unter­ halten müssen, sind keine Identitätsbeziehungen; sie müssen eher Beziehungen der Differenzierung, der Schöpfung und der Innova­ tion sein. Es ist sehr langweilig, immer derselbe zu sein. Wir dürfen die Identität nicht ausschließen, sofern die Leute auf dem Umweg über ihre Identität ihre Lust finden, aber wir dürfen diese Identität nicht als ein universales ethisches Richtmaß betrachten. - Doch bis in die Gegenwart ist die sexuelle Identität politisch sehr nützlich gewesen.

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- Ja, sie ist sehr nützlich gewesen, aber es ist eine Identität, die uns begrenzt, und ich denke, dass wir das Recht haben (und haben können), frei zu sein. - Wir wollen, dass bestimmte unserer sexuellen Praktiken Wider­ standspraktiken im politischen und sozialen Sinne sind. Wie soll das möglich sein, wo doch die Stimulierung der Lust dazu dienen kann, eine Kontrolle auszuüben? Können wir sicher sein, dass es keine Ausbeutung dieser neuen Lüste geben wird - ich denke an die Art und Weise, wie die Werbung die Stimulierung der Lust als soziales Kontrollinstrument benutzt? - Man kann niemals sicher sein, dass es keine Ausbeutung geben wird. In Wirklichkeit kann man sicher sein, dass es eine geben wird, und dass alles das, was geschaffen oder errungen wurde, das ganze Terrain, das gewonnen wurde, irgendwann einmal auf diese Weise benutzt werden wird. So verhält es sich mit dem Leben, dem Kampf und der Geschichte der Menschen. Und ich denke nicht, dass dies ein Einwand gegen all diese Bewegungen oder gegen all diese Situationen ist. Doch Sie heben ganz zu Recht hervor, dass wir vorsichtig und uns der Tatsache bewusst sein müssen, dass wir zu etwas anderem übergehen, auch andere Be­ dürfnisse haben müssen. Das SM-Ghetto von San Francisco ist ein gutes Beispiel für eine Gemeinschaft, die die Erfahrung der Lust gemacht und um diese Lust herum für sich eine Identität ausge­ bildet hat. Diese Ghettoisierung, diese Identifizierung, diese Aus­ schlussprozedur usw., all das hat auch Rückwirkungen hervorge­ bracht. Ich wage nicht, das Wort »Dialektik« zu gebrauchen, aber wir sind nicht sehr weit davon entfernt. - Sie schreiben, dass die Macht nicht allein eine negative Kraft, sondern auch eine produktive Kraft ist; dass die Macht stets da ist; dass es da, wo es Macht gibt, Widerstand gibt, und dass der Wider­ stand niemals in einer Position der Äußerlichkeit gegenüber der Macht ist Wenn es so ist, wie können wir dann zu einer anderen Schlussfolgerung kommen als zu sagen, dass wir immer in der Falle sitzen innerhalb dieser Beziehung, einer Beziehung, der wir auf gewisse Weise nicht entkommen können f

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- In der Tat denke ich nicht, dass das Wort »in der Falle sitzen« das richtige Wort ist. Es geht um einen Kampf, doch wenn ich von Machtbeziehungen spreche, meine ich damit, dass wir, die einen im Verhältnis zu den anderen, in einer strategischen Situation sind. Weil wir zum Beispiel Homosexuelle sind, sind wir im Kampf mit der Regierung, und ist die Regierung im Kampf mit uns. Wenn wir es mit der Regierung zu tun haben, ist der Kampf selbstverständlich kein symmetrisch geführter, ist die Machtsitua­ tion nicht dieselbe, aber wir nehmen gemeinsam an diesem Kampf teil. Der eine von uns gewinnt die Oberhand über den anderen, und die Ausweitung dieser Situation kann bestimmen, wie man sich zu verhalten hat, und kann das Verhalten oder Nicht-Ver­ halten des anderen beeinflussen. Wir stecken also nicht in der Falle. Zwar befinden wir uns stets in dieser Art Situation. Was aber bedeutet, dass wir stets die Möglichkeit haben, die Situation zu verändern, dass diese Möglichkeit stets existiert. Wir können uns nicht aus dieser Situation /?era^sversetzen, und wir sind nir­ gendwo frei von jeder Machtbeziehung. Aber wir können stets die Situation umgestalten. Ich habe also nicht sagen wollen, dass wir stets in der Falle sitzen, sondern im Gegenteil, dass wir stets frei sind. Und dass es schließlich, kurz gesagt, stets die Möglichkeit gibt, die Dinge umzugestalten. - Der Widerstand ist also innerhalb dieser Dynamik, so dass man aus ihr schöpfen kann? - Ja. Sehen Sie, wenn es keinen Widerstand gäbe, gäbe es keine Machtbeziehungen. Weil alles einfach eine Frage des Gehorchens wäre. Von dem Augenblick an, da das Individuum in seiner Situa­ tion nicht das tun kann, was es will, muss es Machtbeziehungen gebrauchen. Der Widerstand kommt also als Erstes, und er bleibt sämtlichen Kräften des Prozesses überlegen; er nötigt mit seiner Wirkung die Machtverhältnisse dazu, sich zu verändern. Ich gehe also davon aus, dass der Terminus »Widerstand« das wichtigste Wort, das Schlüsselwort dieser Dynamik ist. - Politisch gesprochen ist das vielleicht wichtigste Element, wenn man die Macht untersucht, die Tatsache, dass nach bestimmten früheren Auffassungen »widerstehen« einfach bedeutete, nein zu

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sagen. Man hat den Widerstand nur in Gestalt der Negation auf den Begriff gebracht. Doch so wie wir den Widerstand verstehen, ist er nicht einzig und allein eine Negation: Er ist ein Schöpfungs­ prozess; erschaffen und wieder erschaffen, die Situation umgestalteny aktiv am Prozess teilnehmen, das ist widerstehen. - Ja, so würde ich die Dinge definieren. Nein sagen stellt die Mi­ nimalform eines Widerstands dar. Doch natürlich ist das in be­ stimmten Momenten äußerst wichtig. Man muss nein sagen und aus diesem Nein eine Form entschiedenen Widerstands machen. - Dies wirft die Frage auf auf welche Weise und in welchem Maße ein beherrschtes Subjekt - oder eine beherrschte Subjektivi­ tät - seinen bzw. ihren eigenen Diskurs erschaffen kann. In der traditionellen Analyse der Macht ist das allgegenwärtige Element, auf dem die Analyse sich gründet, der herrschende Diskurs; die Reaktionen auf diesen Diskurs oder innerhalb dieses Diskurses sind nur subsidiäre Elemente. Wenn wir jedoch unter »Wider­ stand« im Innern der Machtbeziehungen mehr verstehen als eine schlichte Negation, kann man dann nicht sagen,, dass bestimmte Praktiken - lesbischer SM zum Beispiel - in der Tat die Art und Weise sind, wie beherrschte Subjekte ihre eigene Sprache formu­ lieren? - Tatsächlich denke ich, dass der Widerstand ein Element dieses strategischen Verhältnisses ist, worin die Macht besteht. Der Wi­ derstand stützt sich stets, in Wirklichkeit, auf die Situation, die er bekämpft. In der homosexuellen Bewegung zum Beispiel bildete die medizinische Definition der Homosexualität ein äußerst wich­ tiges Werkzeug zur Bekämpfung der Unterdrückung, der die Ho­ mosexualität am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts anheim fiel. Diese Medizinisierung, die ein Mit­ tel zur Unterdrückung war, war immer auch ein Widerstandsin­ strument, da die Leute sich sagen konnten: »Wenn wir krank sind, warum verurteilt man uns dann, warum verachtet man uns?« Usw. Sicher, dieser Diskurs erscheint uns heute recht naiv, doch zu der Zeit war er äußerst wichtig. Ich würde auch sagen, dass, was die lesbische Bewegung be­ trifft, meiner Ansicht nach die Tatsache, dass die Frauen über

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Jahrhunderte hinweg in der Gesellschaft isoliert, frustriert und auf mancherlei Weise verachtet wurden, ihnen eine wirkliche Mög­ lichkeit gab, eine Gesellschaft, eine bestimmte Art sozialer Bezie­ hung untereinander außerhalb einer von den Männern beherrsch­ ten Welt zu bilden. Das Buch von Lillian Faderman, Surpassing the Love of Men, ist in dieser Hinsicht sehr interessant.2 Es wirft eine Frage auf: die Frage, welche Art emotionale Erfahrung, wel­ che Art Beziehungen in einer Welt möglich waren, in der die Frauen keine gesellschaftliche, rechtliche oder politische Macht hatten. Und Faderman bestätigt, dass die Frauen diese Isolierung und dieses Fehlen von Macht genutzt haben. - Wenn der Widerstand der Prozess ist, sieb von diskursiven Prak­ tiken frei zu machen, würde es so scheinen, als wäre der lesbische SM eine der Praktiken, die sich auf den ersten Blick mit größter Berechtigung zu Widerstandspraktiken erklären können. In wel­ chem Maße können diese Praktiken und diese Identitäten als eine Bestreitung des herrschenden Diskurses wahrgenommen werden? - Am lesbischen SM erscheint mir interessant, dass es ermöglicht, sich von einer bestimmten Anzahl von Stereotypien der Weiblich­ keit frei zu machen, die in der lesbischen Bewegung benutzt wur­ den - eine Strategie, die die lesbische Bewegung in der Vergan­ genheit ausgearbeitet hatte. Diese Strategie gründete sich auf der Unterdrückung, deren Opfer die Lesben waren, und die Bewe­ gung benutzte sie, um gegen diese Unterdrückung zu kämpfen. Doch möglicherweise sind diese Werkzeuge, diese Waffen heute überholt. Es ist klar, dass lesbisches SM versucht, sich von allen diesen alten Stereotypien der Weiblichkeit, von Haltungen einer Zurückweisung der Männer, usw., frei zu machen. - Was können wir Ihnen zufolge hinsichtlich der Macht - und im Übrigen auch der Lust - von der Praxis des SM lernen, die im Grunde die explizite Erotisierung der Macht istf - Man kann sagen, dass SM die Erotisierung der Macht ist, die Erotisierung strategischer Beziehungen. Was mich an SM verSurpassing the Love of ManyN e w Liebe des Mannes, Z ü r ic h 1 9 9 0 .]

2 [F a d e r m a n , L .,

Y o r k 1 9 81; dt.:

Köstlicher als die

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blüfft, ist die Art und Weise, wie er sich von der sozialen Macht unterscheidet. Die Macht ist durch die Tatsache charakterisiert, dass sie eine strategische Beziehung darstellt, die sich in Institu­ tionen verfestigt hat. Innerhalb von Machtbeziehungen ist die Beweglichkeit folglich beschränkt, und bestimmte Festungen las­ sen sich nur sehr, sehr schwer zu Fall bringen, weil sie institutio­ nalisiert wurden, weil ihr Einfluss in den Gerichtshöfen, in den Gesetzbüchern spürbar ist. Dies bedeutet, dass die strategischen Beziehungen zwischen den Individuen durch Rigidität charakte­ risiert sind. In dieser Hinsicht ist das SM-Spiel sehr interessant, weil es, auch wenn es eine strategische Beziehung ist, stets fließend ist. Es gibt Rollen, selbstverständlich, aber jeder weiß sehr wohl, dass diese Rollen umgekehrt werden können. Manchmal ist, wenn das Spiel beginnt, der eine der Herr, der andere der Sklave, und am Ende ist derjenige, der der Sklave war, zum Herrn geworden. Oder selbst wenn die Rollen stabil sind, wissen die Protagonisten sehr wohl, dass es sich stets um ein Spiel handelt: Entweder wer­ den die Regeln überschritten, oder es gibt eine explizite oder still­ schweigende Vereinbarung, die bestimmte Grenzen definiert. Dieses strategische Spiel ist sehr interessant als Quelle physischer Lust. Aber ich würde nicht sagen, dass es innerhalb der erotischen Beziehung eine Reproduktion der Struktur der Macht ist. Es ist eine Inszenierung der Strukturen der Macht durch ein strategi­ sches Spiel, das fähig ist, eine sexuelle oder physische Lust zu verschaffen. - Worin ist dieses strategische Spiel in der Sexualität und in den Machtbeziehungen verschieden? - Die Praktik des SM mündet in die Schöpfung der Lust, und es gibt eine Identität, die mit dieser Schöpfung einhergeht. Das ist der Grund, weswegen SM wirklich eine Subkultur ist. Es ist ein Erfindungsprozess. SM ist die Benutzung eines strategischen Ver­ hältnisses als Quelle von Lust (von physischer Lust). Es ist nicht das erste Mal, dass Leute die strategischen Beziehungen als Quelle von Lust benutzen. Es gab im Mittelalter zum Beispiel die Tradi­ tion der höfischen Liebe mit dem Troubadour, der Art und Weise, wie sich zwischen der Dame und ihrem Liebhaber die amourösen

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Beziehungen herstellten, usw. Auch dabei handelte es sich um ein strategisches Spiel. Dieses Spiel findet man sogar heute zwischen den Jungen und den Mädchen wieder, die Samstagabend tanzen gehen wollen. Sie inszenieren strategische Beziehungen. Das In­ teressante ist, dass im heterosexuellen Leben diese strategischen Beziehungen dem Sex vorausgehen. Sie existieren allein zu dem Zweck, den Sex herbeizuführen. Im SM dagegen sind die strategi­ schen Beziehungen als eine Lustvereinbarung innerhalb einer be­ sonderen Situation Teil des Sexes. In dem einen Fall sind die strategischen Beziehungen rein ge­ sellschaftliche Beziehungen, und es ist das gesellschaftliche Wesen davon betroffen; während im anderen Fall der Körper impliziert ist. Und ebendiese Übertragung strategischer Beziehungen, die vom Ritual bei Hofe auf die sexuelle Ebene übergehen, ist beson­ ders interessant. - In einem Interview, das Sie vor ein oder zwei Jahren dem Ma­ gazin Gai pied gewährten, sagten Sie, dass das, was die Leute an den homosexuellen Beziehungen am meisten verstört, nicht so sehr der sexuelle Akt selbst ist, sondern die Perspektive, zu sehen zu bekommen, wie sich Gefühlsbeziehungen außerhalb normativer Rahmen entwickeln.3 Die Bindungen und die Freundschaften, die geknüpft werden, sind unvorhersehbar. Denken Sie, dass die Leute von dem unbekannten Potential erschreckt werden, dessen Träger die homosexuellen Beziehungen sind, oder würden Sie sagen, dass diese Beziehungen als eine direkte Bedrohung für die gesellschaft­ lichen Institutionen wahrgenommen werden? - Wenn eine Sache mich heute interessiert, dann ist es das Prob­ lem der Freundschaft. Im Laufe der Jahrhunderte, die auf die Antike folgten, bildete die Freundschaft ein sehr wichtiges sozia­ les Verhältnis: ein soziales Verhältnis, innerhalb dessen die Indi­ viduen über eine gewisse Freiheit, eine gewisse Art Wahl verfüg­ ten (eine selbstverständlich beschränkte Wahl), und die ihnen auch gestattete, sehr intensive Gefühlsbeziehungen zu leben. Die Freundschaft hatte auch ökonomische und soziale Implikationen - der Einzelne war gehalten, seinen Freunden zu helfen, usw. Ich 3 Siehe oben, Nr. 293.

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denke, dass man im 16. und im 17. Jahrhundert diese Art Freund­ schaften, zumindest in der männlichen Gesellschaft, untergehen sieht. Und die Freundschaft beginnt, zu etwas anderem zu wer­ den. Vom 16. Jahrhundert an findet man Texte, die explizit die Freundschaft kritisieren, die sie als etwas Gefährliches ansehen. Die Armee, die Bürokratie, die Verwaltung, die Universitäten, die Schulen usw. - in dem Sinne, den diese Wörter heute haben können mit derart intensiven Freundschaften nicht funktionieren. Ich denke, dass man in allen diesen Institutionen eine beträcht­ liche Anstrengung sehen kann, die Gefühlsbeziehungen zu ver­ ringern oder zu minimieren. Das ist insbesondere in den Schulen der Fall. Seit der Einrichtung weiterführender Bildungsanstalten, die Hunderte von jungen Knaben aufnahmen, war es eines der Probleme zu wissen, wie man sie nicht nur daran hindern konnte, sexuelle Beziehungen zu haben, wie es sich von selbst versteht, sondern auch daran, Freundschaften zu schließen. Zum Thema Freundschaft kann man zum Beispiel die Strategie der jesuitischen Institutionen studieren - die Jesuiten, die sehr gut begriffen hat­ ten, dass es ihnen unmöglich war, die Freundschaft zu unterdrü­ cken. Sie versuchten folglich, die Rolle, die der Sex, die Liebe und die Freundschaft spielten, zugleich zu benutzen und zu begren­ zen. Wir sollten jetzt, denke ich, nach unserer Untersuchung der Geschichte der Sexualität versuchen, die Geschichte der Freund­ schaft oder der Freundschaften zu verstehen. Das ist eine äußerst interessante Geschichte. Und eine meiner Hypothesen - ich bin sicher, dass sie sich verifizieren ließe, wenn wir uns dieser Aufgabe annehmen würden - ist, dass die Homosexualität (worunter ich die Existenz sexueller Beziehungen unter Männern verstehe) seit dem 18. Jahrhundert zu einem Problem geworden ist. Wir sehen sie mit der Polizei und dem Gerichtssystem zu einem Problem werden. Und ich denke, dass sie deshalb in jener Epoche zu einem Problem, zu einem sozialen Problem wird, weil die Freundschaft verschwunden ist. Solange die Freundschaft etwas Wichtiges darstellte, solange sie gesellschaftlich akzeptiert wurde, fiel es niemandem auf, dass die Männer untereinander sexuelle Beziehungen hatten. Man konnte aber genauso wenig sagen, dass sie keine hatten; sondern dies hatte einfach keine Bedeutung. Dies hatte keine soziale Implikation; die Sache war kulturell akzeptiert. Ob sie Sex miteinander hatten oder

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ob sie sich umarmten, hatte keine Bedeutung. Absolut keine. So­ bald die Freundschaft als kulturell akzeptierte Beziehung einmal verschwunden war, wurde die Frage gestellt: »Aber was stellen die Männer bloß zusammen an?« Und das ist dann auch der Zeit­ punkt, an dem das Problem in Erscheinung trat. Und auch in unseren Tagen wird es als ein Problem wahrgenommen, wenn Männer miteinander schlafen oder sexuelle Beziehungen haben. Ich bin mir wirklich sicher, dass ich Recht habe: Das Verschwin­ den der Freundschaft als einem sozialen Verhältnis und die Tat­ sache, dass die Homosexualität zu einem sozialen, politischen und medizinischen Problem erklärt wurde, sind Teil desselben Prozes­ ses. - Auch wenn die wichtige Sache heute die ist, von neuem die Möglichkeiten der Freundschaft zu erkunden, ist doch anzumer­ ken, dass in weitem Maße die gesamten sozialen Institutionen da­ zu da sind, die heterosexuellen Freundschaften und Strukturen zu befördern, unter Missachtung homosexueller Freundschaften und Strukturen. Besteht nicht die wirkliche Aufgabe darin, neue ge­ sellschaftliche Verhältnisse, neue Wertemodelle, neue Familien­ strukturen usw. einzurichten? Die gesamten Strukturen und Insti­ tutionen, die mit der Monogamie und der traditionellen Familie einhergehen, gehören zu den Dingen, zu denen die Homosexuel­ len nicht leicht Zugang haben. Welche Arten von Institutionen müssen wir beginnen einzurichten, um uns nicht nur zu vertei­ digen, sondern um auch neue soziale Formen zu erschaffen, die eine wirkliche Ersatzlösung bilden werden? - Welche Institutionen? Ich habe dazu keine genaue Vorstellung. Ich denke, dass es selbstverständlich völlig widersprüchlich wäre, auf dieses Ziel und auf diese Art Freundschaft das Modell des Familienlebens oder die Institutionen, die mit der Familie einher­ gehen, anzuwenden. Es stimmt allerdings, dass man, weil manche der Beziehungen, die in der Gesellschaft existieren, geschützte Formen von Familienleben sind, feststellt, dass bestimmte Varian­ ten, die wiederum nicht geschützt sind, zugleich reicher, interes­ santer und kreativer sind als diese Beziehungen. Doch natürlich sind sie auch viel zerbrechlicher und verletzlicher. Die Frage, wel­ che Arten von Institutionen wir erschaffen müssen, ist eine be­

923 deutende Frage, aber ich kann darauf keine Antwort beibringen. Unsere Aufgabe ist es, glaube ich, zu versuchen, eine Lösung zu erarbeiten. 3 5 8

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- In welchem Maße wollen wir es oder brauchen wir es, dass das Projekt zur Befreiung der Homosexuellen ein Projekt sei, das, weit davon entfernt, sich damit zu begnügen, denselben Weg noch ein­ mal zu gehen, den Anspruch erhebt, neue Bahnen zu eröffnen? Mit anderen Worten, weist Ihre Auffassung der Sexualpolitik die Notwendigkeit eines Programms zurück, die Erprobung neuer Ar­ ten von Beziehungen zu befürworten? ~ Ich denke, dass eine der großen Feststellungen, die wir seit dem letzten Krieg gemacht haben, die des Scheiterns aller sozialen und politischen Programme ist. Wir haben bemerkt, dass die Dinge niemals so zustande kamen, wie die politischen Programme sie uns beschreiben; und dass die politischen Programme immer oder fast immer entweder zu Missbrauchen oder zu einer politischen Herrschaft von Seiten eines Blocks, seien es die Techniker, die Bürokraten oder andere, geführt haben. Doch eine der Verwirk­ lichungen der sechziger und siebziger Jahre, die ich als eine se­ gensreiche Verwirklichung ansehe, ist, dass einige institutioneile Modelle ohne Programm erprobt wurden. Ohne Programm heißt nicht Blindheit - dass man blind ist für das Denken. In Frankreich zum Beispiel wurde in der letzten Zeit massiv die Tatsache kriti­ siert, dass die verschiedenen politischen Bewegungen für die se­ xuelle Freiheit und wegen der Gefängnisse und der Ökologie usw. kein Programm hatten. Doch meiner Ansicht nach kann kein Programm zu haben zugleich sehr nützlich, sehr originell und sehr kreativ sein, sofern dies nicht bedeutet, keine wirkliche Re­ flexion auf das zu haben, was geschieht, oder sich nicht um das zu bemühen, was unmöglich ist. Seit dem 19. Jahrhundert haben die großen politischen Institu­ tionen und die großen politischen Parteien den Prozess der politi­ schen Schöpfung mit Beschlag belegt; ich meine damit, dass sie versucht haben, der politischen Schöpfung die Form eines politi­ schen Programms zu geben, mit dem Ziel, die Macht zu ergreifen. Ich denke, dass man das bewahren muss, was in den sechziger Jahren und zu Beginn der siebziger Jahre zustande gekommen

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ist. Eines der Dinge, die es meiner Ansicht nach zu bewahren gilt, ist die Existenz - außerhalb der großen politischen Parteien und außerhalb des normalen oder gewöhnlichen Programms - einer bestimmten Form politischer Innovation, politischer Schöpfung und politischer Erprobung. Es ist eine Tatsache, dass sich das alltägliche Leben der Leute von Anfang der sechziger Jahre bis jetzt verändert hat, und mein eigenes Leben ist gewiss ein Zeugnis dafür. Diese Veränderung verdanken wir offensichtlich nicht den politischen Parteien, sondern zahlreichen Bewegungen. Diese so­ zialen Bewegungen haben wahrlich unser Leben, unsere Mentali­ täten und unsere Einstellungen verändert sowie die Einstellungen und die Mentalität anderer Leute - Leute, die diesen Bewegungen nicht angehörten. Und das ist etwas sehr Wichtiges und sehr Po­ sitives. Ich sage es noch einmal: Nicht die alten traditionellen und normalen politischen Organisationen haben diese Überprüfung ermöglicht. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

359 Der Intellektuelle und die Mächte »L’intellectuel et les pouvoirs« (Gespräch mit C. Panier und P. Watte am 14. Mai 1981), in: La Revue nouvelle, 40. Jg., Bd. LXXX, Nr. 10: Juger. . . de quel droit?> Oktober 1984, S. 338-343.

- Gibt esfür den Linksintellektuellen als Akteur etwas zu tun, das er allein in einer sozialen Bewegung zu tun vermag? - Das Eingreifen des Intellektuellen als jemand, der Lektionen erteilt oder Rat gibt, politische Wahlentscheidungen betreffend, diese Rolle, das gebe ich zu, lasse ich für mich nicht gelten; sie passt mir nicht. Ich glaube, dass die Leute groß genug sind, um selbst zu entscheiden, wem sie ihre Stimme geben. Sich hinzu­ stellen und zu sagen: »Ich bin ein Intellektueller, ich stimme für Herrn Dingsda, also müsst ihr auch für Herrn Dingsda stimmen«, das scheint mir eine ziemlich erstaunliche Einstellung zu sein, eine Art Anmaßung des Intellektuellen. Umgekehrt, wenn ein Intel­

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lektueller aus einer bestimmten Anzahl von Gründen denkt, dass seine Arbeit, seine Analysen, seine Reflexionen, seine Art zu han­ deln und die Dinge zu denken eine besondere Situation, einen gesellschaftlichen Bereich oder eine Konjunktur erhellen können und er effektiv seinen theoretischen und praktischen Beitrag dazu leisten kann, so lassen sich in diesem Moment politische Konse­ quenzen daraus ziehen, wenn man zum Beispiel das Problem des Strafrechts, der Justiz nimmt... ich glaube, dass der Intellektuelle, wenn er es will, zur Wahrnehmung und zur Kritik dieser Dinge wichtige Elemente beisteuern kann, woraus sich anschließend ganz natürlich, wenn die Leute es wollen, eine bestimmte politi­ sche Wahlentscheidung ableiten lässt. - Auch wenn man nicht notwendigerweise der Barde einer politi­ schen Wahl oder der Träger einer Fahne sein muss, und sofern der Beitrag des Intellektuellen in seinem spezifischen Charakter es den Leuten vielleicht erlaubt, auf eine aufgeklärtere Weise politische Wahlentscheidungen zu treffen, stimmt es doch, dass Sie in be­ stimmten Momenten und bei bestimmten Problemen engagiert sind oder sich aktiv engagieren. Was wird nun zum Band zwischen der gerade von Ihnen definierten Funktion des Intellektuellen und diesem konkreteren, stärker in die Aktualität eingeschalteten En­ gagement? - Als ich Student war, hat mich verblüfft, dass zu diesem Zeit­ punkt eine sehr marxistische Atmosphäre vorherrschte, in der das Problem der Verbindung zwischen Theorie und Praxis absolut im Zentrum sämtlicher theoretischer Diskussionen stand. Mir scheint, dass es vielleicht eine einfachere, ich würde sagen, unmittelbarer praktische Art und Weise gab, das Verhältnis zwi­ schen Theorie und Praxis anzugehen, und zwar, es direkt in seiner eigenen Praxis ins Werk zu setzen. In diesem Sinne könnte ich sagen, dass ich stets darauf Wert gelegt habe, dass meine Bücher in einem gewissen Sinne Bruchstücke einer Autobiographie sind. Meine Bücher sind stets meine persönlichen Probleme mit dem Wahnsinn, dem Gefängnis und der Sexualität gewesen. Zweitens habe ich stets Wert darauf gelegt, dass es in mir und für mich zu einer Art Kommen und Gehen, Überlagerung und Vernetzung zwischen den praktischen Aktivitäten und der theo­

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retischen Arbeit oder der historischen Arbeit kommt, die ich be­ trieb. Es schien mir, dass ich umso freier war, hoch und weit in der Geschichte zurückzusteigen, als ich andererseits die Fragen, die ich stellte, mit einem unmittelbaren und zeitgenössischen Bezug zur Praxis zu beladen pflegte. Eben weil ich einige Jahre in psy­ chiatrischen Krankenhäusern verbracht habe, schrieb ich Nais­ sance de la clinique [Die Geburt der Klinik]. In den Gefängnissen habe ich eine bestimmte Anzahl von Dingen angefangen, und im Anschluss daran schrieb ich Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen]. Die dritte Vorsichtsmaßnahme, die ich ergriffen habe: In der Zeit, als ich diese theoretischen oder historischen Analysen aus­ schließlich abhängig von Fragen unternahm, die ich mir in Bezug auf sie gestellt hatte, habe ich stets Wert darauf gelegt, dass diese theoretische Arbeit gegenüber einer aktuellen Praxis keine gebie­ terische Position einnimmt und dass sie Fragen stellt. Nehmen Sie zum Beispiel das Buch über den Wahnsinn: Seine Beschreibung und seine Analyse enden in den Jahren 1814-1815. Das war also kein Buch, das sich als Kritik der aktuellen psychiatrischen Insti­ tutionen darstellte, aber ich kannte deren Funktionieren gut ge­ nug, um mir die Frage nach ihrer Geschichte zu stellen. Mir scheint, ich habe eine Geschichte geschrieben, die hinreichend detailliert ist, so dass sie den Leuten Fragen stellt, die aktuell in der Institution leben. - Diese Fragen werden von den Betroffenen oft als Aggressionen empfunden. Welchen nützlichen Effekt können sie dann noch ha­ ben? - Es ist nicht mein Fehler (oder vielleicht ist es mein Fehler auf bestimmten Ebenen, und in dem Fall bin ich zufrieden, dass ich ihn begangen habe), wenn die Psychiater das Buch als einen An­ griff auf sie empfunden, ja wirklich so erlebt haben. Ich habe einige Male Psychiater getroffen, die, als sie zu mir über mein Buch sprachen, nervlich so angespannt waren, dass sie es auf eine sehr bezeichnende Weise ein »Lob des Wahnsinns« nannten - was für mich in einem bestimmten Sinne ziemlich nach Rache, allzu sehr nach Rache klang. Wenn sie »Lob des Wahnsinns« sagten, so möchte ich damit ganz und gar nicht behaupten, dass sie mich für

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Erasmus hielten; dafür gibt es keinen Grund. In Wirklichkeit nah­ men Sie es als eine Art Entscheidung zugunsten der Wahnsinnigen und gegen sie auf, was keineswegs der Fall war. Genauso endet das Buch über die Gefängnisse im Jahre 1840, und ich bekomme oft zu hören: Dieses Buch stellt eine solche Anklagerede gegen das Strafsystem dar, dass man, wenn man es gelesen hat, nicht mehr weiß, was man machen soll. In Wirklich­ keit stellt es keine Anklagerede dar. Meine Frage besteht einfach darin, dass ich den Psychiatern oder dem Strafvollzugspersonal sage: »Sind Sie imstande, Ihre eigene Geschichte zu ertragen? Ausgehend von dieser Geschichte und ausgehend von dem, was diese Geschichte im Hinblick auf das Rationalitätsschema, den Evidenztyp, die Postulate usw. aufzeigt, ist es jetzt an Ihnen, das Spiel zu machen.« Und dass es mir lieber wäre, wenn man mir sagen würde: »Kommen Sie doch und arbeiten Sie mit uns...«, statt dass ich mir Leute anhören muss, die mir, wie es zuweilen geschieht, sagen: »Sie hindern uns daran zu arbeiten.« Aber nein, ich hindere Sie doch nicht daran zu arbeiten. Ich stelle Ihnen eine gewisse Anzahl von Fragen. Versuchen wir nun, ge­ meinsam neue Modi der Kritik, neue Modi der Infragestellung zu erarbeiten, etwas anderes zu versuchen. Das also ist mein Verhält­ nis zu Theorie und Praxis. - Jetzt gibt es noch die andere Seite der Frage, die sich auf die Funktion des Intellektuellen bezieht. Wenn Sie diese Arbeit ma­ chen, beginnen Sie eine Analyse, die nicht gemacht wurde, das heißt, Sie stellen die politische Macht innerhalb einer Gesellschaft in Frage, indem Sie zeigen, dass ihr Funktionieren gar nicht die Legitimität hat, die sie sich anmaßt. Wenn ich die Art und Weise, wie ich Sie meinerseits wahrnehme, etwas schematisch darstelle, so scheint es mir, dass Sie über die Analyse des Wahnsinns wie über die des Gefängnisses wie über die der Macht im ersten Band der Histoire de la sexualité [Sexualität und Wahrheit] eine Neu­ platzierung der Politik als Mittel und nicht als Zweck vorbe­ reiten. Ich habe einen Text von Myrdal, einem schwedischen Schriftsteller, im Gedächtnis, der gesagt hat: »Wenn ein Dritter Weltkrieg ausbricht, wird das Versagen den Intellektuellen als den Lieferanten des falschen gemeinschaftlichen guten Gewissens anzulasten sein.« Würden Sie einem Satz wie diesem gegenüber

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Ihr Werk als einen Beitrag zu einer Entmystifizierung der Macht wahrnehmen? - Ich kenne diesen Satz von Myrdal nicht, den ich zugleich sehr schön und sehr beunruhigend finde. Sehr schön, weil ich tatsäch­ lich denke, dass das gemeinschaftliche gute Gewissen im Bereich der Politik wie auch im Bereich der Moral Verheerungen anrich­ tet. Folglich unterschreibe ich diesen Satz. Mich beunruhigt, wenn er mit einer gewissen Leichtfertigkeit, wie mir scheint, Intellek­ tuelle zu Verantwortlichen dafür macht. Ich würde darauf sagen: »Was ist der Intellektuelle, wenn nicht derjenige, der dafür arbei­ tet, dass die anderen kein solch gutes Gewissen haben?« Also ist das Einzige, was man sagen könnte, dass sie vielleicht ihren Job nicht gut genug gemacht haben. Ich möchte nicht, dass man den Satz von Myrdal in folgendem Sinne versteht: »Als Intellektuelle und weil sie Intellektuelle sind, tragen sie zu einem gemeinschaft­ lichen guten Gewissen bei.« - Das wäre eine Denunziation, - Nun, wenn das dessen Sinn ist, bin ich völlig damit einverstan­ den. Es ist in der Tat genau das, was ich meinerseits und an be­ sonderen Punkten zu tun versucht habe. Ich habe zwischen 1948 und 1952-1953 studiert; das war in einer Zeit, als die Phänome­ nologie in der europäischen Kultur noch sehr dominant war. Das Thema der Phänomenologie war dennoch, die fundamentalen Evidenzen zu hinterfragen. Obwohl ich mich, wenn eben mög­ lich, von der Phänomenologie abgegrenzt habe, erkenne ich be­ reitwillig an - und man erkennt das selbstverständlich an, sobald man etwas älter geworden ist -, dass man letztlich nicht aus der Grundfrage herausgekommen ist, die uns genau durch das gestellt wurde, was unsere Jugend ausgemacht hat. Es ist nicht nur so, dass ich da nicht herausgekommen bin, sondern ich habe auch nicht aufgehört, aufs Neue diese Frage zu stellen: »Muss das, was selbstverständlich ist, wirklich selbstverständlich sein? Muss man nicht die Evidenzen aufheben, selbst die am tiefsten veran­ kerten?« Man muss sich mit seinen Vertrautheiten auseinander setzen, nicht um zu zeigen, dass man ein Fremder ist in seinem eigenen Land, sondern um zu zeigen, wie sehr Ihr eigenes Land

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Ihnen fremd ist und wie sehr alles das, was Sie umgibt und was eine annehmbare Landschaft darzustellen scheint, in Wirklichkeit das Resultat einer ganzen Reihe von Kämpfen, Konflikten, Herr­ schaften, Postulaten usw. ist. - Vielleicht könnten wir jetzt zu den spezifischeren Fragen zur Macht und zur Beziehung Subjektivität-Gesellschaft kommen. Was die Macht angeht, wäre meine Frage die folgende und sie steht ziemlich im Dunstkreis dessen, was Myrdal sagte. Wäre nicht nur zwischen Macht und politischer Macht zu unterscheiden, son­ dern müsste man nicht auch innerhalb der politischen Form der Macht, das heißt der fortschreitenden Konzentration der politi­ schen Macht im Staat, zwischen Basis und Gipfel unterscheiden? Spielen nicht verschiedene Kräfte auf diesen beiden Ebenen? Freud sagte, in den Staaten sei der Todestrieb am Werk. Wenn wir sehen, was zur Zeit auf der internationalen Szene geschieht, dann stellt man effektiv fest, dass der Gipfel des Staates, und selbst wenn es sich um einen so kleinen Staat wie den Vatikan handelt, etwas ist, bei dem es um Leben und Tod geht. Läge darin nicht eine Art komplementäre Erklärung zu der Untersuchung der Aus­ wüchse, die Sie durchführen? Gäbe es da nicht unterschiedliche Phänomene? - Ich glaube, dass Ihre Frage sehr gut und sehr wichtig ist. Als ich begann, mich explizit für die Macht zu interessieren, geschah das keineswegs, um aus der Macht so etwas wie eine Substanz oder wie ein mehr oder weniger unheilvolles Fluidum zu machen, das sich im Gesellschaftskörper ausbreiten würde, mitsamt der Frage, ob es von oben oder von unten kommt. Ich habe einfach nur mit einer allgemeinen Frage ansetzen wollen: »Was sind Machtbezie­ hungen?« Die Macht, das sind im Wesentlichen Beziehungen, das heißt das, was es macht, dass die Individuen, die menschlichen Wesen untereinander in Beziehung sind, nicht einfach nur in der Form der Kommunikation eines Sinns, nicht einfach nur in der Form des Begehrens, sondern gleichermaßen in einer anderen Form, die es ihnen erlaubt, aufeinander einzuwirken und, wenn Sie so möchten, indem ich diesem Wort einen sehr weiten Sinn gebe, einander zu »regieren« [gouverner]. Die Eltern regieren die Kinder, die Mätresse regiert ihren Liebhaber, der Lehrer regiert,

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usw. Man regiert einander in einer Konversation mittels einer ganzen Reihe von Taktiken. Ich glaube, dass dieses Feld von Be­ ziehungen sehr wichtig ist, und genau das habe ich als Problem aufwerfen wollen. Wie geschieht das, mit welchen Instrumenten, und da ich in einem bestimmten Sinne ein Historiker des Denkens und der Wissenschaften bin, welche Wirkungen haben diese Be­ ziehungen der Macht im Bereich der Erkenntnis? Das ist unser Problem. Ich habe eines Tages die Formulierung »Die Macht kommt von unten« gebraucht. Ich habe das sofort erklärt, aber selbstverständ­ lich wie immer in diesen Fällen lässt man die Erklärung weg. Das kommt dabei heraus: »Die Macht ist eine hässliche Krankheit, man darf nicht glauben, dass sie einen am Kopf erwischt, sondern sie arbeitet sich in Wirklichkeit von den Fußsohlen her nach oben.« Das ist offensichtlich nicht das, was ich sagen wollte. Ich habe mich an anderer Stelle bereits dazu erklärt, aber ich komme auf die Erklärung zurück. Wenn man nämlich die Frage der Macht in einer Terminologie von Machtbeziehungen stellt, wenn man also einräumt, dass es zwischen den Individuen Beziehungen der »Gouvernementalität«, eine Menge, ein sehr komplexes Netz von Beziehungen gibt, dann sind die großen Formen der Macht im strengen Sinne des Ausdrucks - politische Macht, ideologische Macht, usw. - notwendig in dieser Art Beziehungen, das heißt den Beziehungen des Regierens und des Führens, die sich zwischen den Menschen hersteilen können. Und wenn es nicht eine gewisse Art Beziehung wie diese gibt, dann kann es auch nicht bestimmte weitere Arten großer politischer Strukturierungen geben. Grob gesagt, kann die Demokratie, wenn man sie als politische Form nimmt, in der Tat nur in dem Maße existieren, wie es auf der Ebene der Individuen, der Familien, des Alltäglichen, wenn Sie so möchten, gouvernementale Beziehungen, eine gewisse Art von zu­ stande kommenden Machtbeziehungen sind. Das ist auch der Grund, warum eine Demokratie nicht irgendwo verwirklicht wer­ den kann. Dasselbe hat man beim Faschismus. Die deutschen Fa­ milienväter waren im Jahr 1930 keine Faschisten, doch damit der Faschismus greifen konnte, musste man, unter vielen weiteren Be­ dingungen - ich habe nicht gesagt, dass sie die einzigen waren -, ein Verhältnis zu den Beziehungen zwischen den Individuen haben, zu der Art und Weise, wie die Familien aufgebaut waren und zu der-

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jenigen, wie sie unterrichtet wurden, es musste noch eine gewisse Anzahl dieser Bedingungen geben. Folglich bestreite ich über­ haupt nicht die Heterogenität dessen, was man diese verschiedenen Regierungsinstitutionen nennen könnte. Ich meine damit, dass man sie nicht einfach in den Staatsapparaten lokalisieren oder sie ganz vom Staat ableiten kann, dass die Frage viel weiter ist...1 Übersetzt von Hans-Dieter Gondek

360 Von anderen Räumen »Des espaces autres« (Vortrag im Cercle d’études architecturales, 14. März 1967), in: Architecture, Mouvement, Continuité, Nr. 5, Oktober 1984, S. 46-49. M. Foucault genehmigte die Veröffentlichung des 1967 in Tunesien ge­ schriebenen Textes erst im Frühjahr 1984.

Die große Obsession des 19. Jahrhunderts war bekanntlich die Geschichte: Themen wie Entwicklung und Stillstand, Krise und Zyklus, die Akkumulation des Vergangenen, die gewaltige Zahl der Toten, die bedrohliche Abkühlung des Erdballs. Das wichtigs­ te Reservoir, aus dem das 19. Jahrhundert seine Mythen schöpfte, war der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Unsere Zeit ließe sich dagegen eher als Zeitalter des Raumes begreifen. Wir leben im Zeitalter der Gleichzeitigkeit, des Aneinanderreihens, des Nahen und Fernen, des Nebeneinander und des Zerstreuten. Die Welt wird heute nicht so sehr als ein großes Lebewesen verstanden, das sich in der Zeit entwickelt, sondern als ein Netz, dessen Strän­ ge sich kreuzen und Punkte verbinden. Vielleicht könnte man sagen, einige der ideologischen Konflikte hinter den aktuellen Auseinandersetzungen werden zwischen den frommen Abkömm­ lingen der Zeit und den hartnäckigen Bewohnern des Raumes aus­ getragen. Der Strukturalismus oder zumindest das, was man unter dieser recht allgemeinen Bezeichnung zusammenfasst, ist der Ver­ such, zwischen Elementen, die über die Zeit verteilt sein mögen, eine Reihe von Beziehungen herzustellen, die sie als ein Neben1 Die Aufzeichnung bricht hier ab. Die Fortsetzung des Gesprächs konnte folglich nicht veröffentlicht werden.

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einander, als ein Gegenüber, als etwas ineinander Verschachteltes, kurz als Konfiguration erscheinen lassen. Genau besehen, geht es hier nicht darum, die Zeit zu leugnen. Es geht vielmehr um eine bestimmte Art der Behandlung dessen, was man Zeit oder Ge­ schichte nennt. Dennoch ist anzumerken, dass der Raum, der heute den Hori­ zont unserer Bemühungen, Theorien und Systeme bildet, keine Neuerung darstellt. In der abendländischen Erfahrung hat der Raum selbst eine Geschichte, und diese fatale Kreuzung der Zeit mit dem Raum können wir nicht übersehen. Diese Geschichte des Raumes lässt sich in groben Zügen etwa so nachzeichnen: Im Mittelalter war der Raum eine hierarchisierte Menge von Orten, von heiligen und profanen Orten, von geschützten und freien oder schutzlosen Orten, von städtischen und ländlichen Orten (so viel zum realen Leben der Menschen). Für die kosmologische Theorie gab es Orte oberhalb des Himmels und solche im Him­ mel, denen wiederum die irdischen Orte gegenübergestellt wur­ den. Es gab Orte, an denen die Dinge sich befanden, weil sie gewaltsam von ihrem eigentlichen Ort entfernt worden waren, und es gab Orte, an denen die Dinge ihren natürlichen Platz und ihre natürliche Ruhe fanden. Diese Hierarchie, diesen Gegen­ satz, diese Kreuzung unterschiedlicher Orte könnte man in gro­ ben Zügen als den mittelalterlichen Raum bezeichnen, der einen Raum der Lokalisierung darstellte. Dieser Raum der Lokalisierung öffnete sich mit Galilei, denn der eigentliche Skandal an Galileis Werk lag nicht so sehr in der Ent­ deckung oder Wiederentdeckung, dass die Erde sich um die Sonne dreht, sondern in der Konstitution eines unendlichen und unend­ lich offenen Raumes, in dem der mittelalterliche Ort sich auflöste, so dass der Ort eines Dings nun nur noch ein Punkt auf seiner Bahn war und Ruhe nur noch unendlich verlangsamte Bewegung bedeu­ tete. Anders gesagt, seit Galilei und seit dem 17. Jahrhundert tritt die Ausdehnung an die Stelle der Lokalisierung. Heute tritt die Lage an die Stelle der Ausdehnung, welche einst die Lokalisierung ersetzte. Die Lage wird bestimmt durch Nach­ barschaftsbeziehungen zwischen Punkten oder Elementen, die man formal als mathematische Reihen, Bäume oder Gitter be­ schreiben kann. Andererseits wissen wir, welche Bedeutung Probleme der Lage

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oder Platzierung in der heutigen Technik haben. Man denke etwa an die Speicherung von Information oder von Teilergebnissen ei­ ner Rechnung im Speicher einer Maschine, an die zufallsbestimm­ te Zirkulation diskreter Elemente (zum Beispiel von Autos im Straßenverkehr oder von Tönen in einer Telefonleitung), an das Auffinden markierter oder codierter Elemente innerhalb einer Menge, die entweder eine Zufallsverteilung aufweist oder durch eindeutige bzw. mehrdeutige Zuordnungen geordnet ist. Noch konkreter stellt sich das Problem des Platzes oder der Lage für die Menschen auf dem Gebiet der Demographie. Und dabei geht es nicht nur um das - wahrhaftig sehr wichtige - Prob­ lem, ob die Menschen genug Platz auf der Erde haben, sondern auch um die Frage, welche Nachbarschaftsbeziehungen, welche Form der Speicherung, der Zirkulation, des Auffindens und der Klassifikation der menschlichen Elemente in bestimmten Situatio­ nen eingesetzt werden sollten, wenn man bestimmte Ziele errei­ chen will. Wir leben in einer Zeit, in der sich uns der Raum in Form von Relationen der Lage darbietet. Jedenfalls glaube ich, dass die Beunruhigung heute ganz funda­ mental den Raum betrifft und weit weniger die Zeit. Die Zeit erscheint wahrscheinlich nur noch als eine der möglichen Vertei­ lungen der über den Raum verteilten Elemente. Trotz all der Techniken, die dem Raum gelten, und trotz des umfangreichen Wissens, das ihn zu bestimmen und zu formalisie­ ren erlaubt, kann der heutige Raum noch nicht als vollkommen entsakralisiert gelten - im Unterschied zur Zeit, die schon im 19. Jahrhundert jeden sakralen Charakter verlor. Natürlich hat es eine gewisse theoretische Entsakralisierung des Raumes gege­ ben (jene nämlich, zu der Galileis Werk das Signal gab), aber in praktischer Hinsicht ist solch eine Entsakralisierung wohl noch nicht erfolgt. Und vielleicht wird unser Leben immer noch von diversen Gegensätzen beherrscht, an die wir nicht rühren können und die weder die Institutionen noch die Praxis bislang anzurüh­ ren wagen. Von Gegensätzen, die wir als Gegebenheiten hinneh­ men, etwa zwischen privatem und öffentlichem Raum, zwischen familiärem und gesellschaftlichem Raum, zwischen dem Raum der Kultur und dem der Nützlichkeit, zwischen dem Raum der Freizeit und dem der Arbeit. All diese Räume unterliegen immer noch einer blinden Sakralisierung.

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Bachelards gewaltiges Werk und die Beschreibungen der Phänomenologen haben gezeigt, dass wir nicht in einem leeren, ho­ mogenen Raum leben, sondern in einem Raum, der mit zahlrei­ chen Qualitäten behaftet ist und möglicherweise auch voller Fantome steckt. Der Raum unserer unmittelbaren Wahrnehmung, unserer Träumereien und unserer Leidenschaften besitzt eigene Qualitäten. Er ist leicht, ätherisch, transparent oder schwer, holp­ rig, voll gestopft. Es ist ganz oben, auf dem Gipfel. Oder ganz unten, im Schmutz. Er kann fließen wie Wasser, er kann fest und starr sein wie Stein oder Kristall. Doch diese für das heutige Denken durchaus grundlegenden Analysen gelten vor allem dem inneren Raum. Ich möchte hier dagegen über den äußeren Raum sprechen. Der Raum, in dem wir leben und der uns anzieht, so dass wir aus uns selbst heraustreten, der Raum, in dem die eigentliche Erosion unseres Lebens, unserer Zeit und unserer Geschichte stattfindet, dieser Raum, der uns zerfrisst und auswäscht, ist sei­ nerseits heterogen. Anders gesagt, wir leben nicht in einer Leere, die wir mit Menschen und Dingen füllen könnten. Wir leben nicht in einer Leere, die verschiedene Farben annähme. Wir leben viel­ mehr innerhalb eine Menge von Relationen, die Orte definieren, welche sich nicht aufeinander reduzieren und einander absolut nicht überlagern lassen. Natürlich könnte man die verschiedenen Orte beschreiben, in­ dem man die Relationsmenge bestimmt, über die sie jeweils defi­ niert sind. Zum Beispiel könnte man die Relationsmenge be­ schreiben, die Durchgangsorte wie Straßen oder Eisenbahnzüge definiert. (Ein Zug ist ein außergewöhnliches Bündel von Relatio­ nen, denn man kann durch einen Zug gehen, man kann mit ihm von einem Punkt zu einem anderen gelangen, und schließlich bewegt sich der Zug auch noch selbst.) Durch das Relationsbün­ del, das den Ort definiert, kann man auch vorübergehende Halte­ plätze wie Cafés, Kinos oder Strände beschreiben. Und auch ge­ schlossene oder teilweise geschlossene Ruheplätze wie das Haus, das Zimmer, das Bett usw. Unter all diesen Orten interessieren mich hier jedoch jene, denen die merkwürdige Eigenschaft zu­ kommt, in Beziehung mit allen anderen Orten zu stehen, aber so, dass sie alle Beziehungen, die durch sie bezeichnet, in ihnen gespiegelt und über sie der Reflexion zugänglich gemacht werden,

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suspendieren, neutralisieren oder in ihr Gegenteil verkehren. Die­ se Räume, wie man sie nennen könnte, die in Verbindung und dennoch im Widerspruch zu allen anderen Orten stehen, lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Da sind erstens die Utopien. Utopien sind Orte ohne realen Ort. Es sind Orte, die in einem allgemeinen, direkten oder entge­ gengesetzten Analogieverhältnis zum realen Raum der Gesell­ schaft stehen. Sie sind entweder das vervollkommnete Bild oder das Gegenbild der Gesellschaft, aber in jedem Fall sind Utopien ihrem Wesen nach zutiefst irreale Räume. Dann gibt es in unserer Zivilisation wie wohl in jeder Kultur auch reale, wirkliche, zum institutioneilen Bereich der Gesell­ schaft gehörige Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsäch­ lich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die ande­ ren realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden. Es sind gleichsam Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen. Da diese Orte völlig anders sind als all die Orte, die sie spiegeln und von denen sie sprechen, werde ich sie im Gegensatz zu den Utopien als Heterotopien be­ zeichnen. Und ich glaube, dass es zwischen den Utopien und diesen völlig anderen Orten, den Heterotopien, eine gemeinsame, gemeinschaftliche Erfahrung gibt, für die der Spiegel steht. Denn der Spiegel ist eine Utopie, weil er ein Ort ohne Ort ist. Im Spiegel sehe ich mich dort, wo ich nicht bin, in einem irrealen Raum, der virtuell hinter der Oberfläche des Spiegels liegt. Ich bin, wo ich nicht bin, gleichsam ein Schatten, der mich erst sichtbar für mich selbst macht und der es mir erlaubt, mich dort zu betrachten, wo ich gar nicht bin: die Utopie des Spiegels. Aber zugleich handelt es sich um eine Heterotopie, insofern der Spiegel wirklich existiert und gewissermaßen eine Rückwirkung auf den Ort ausübt, an dem ich mich befinde. Durch den Spiegel entdecke ich, dass ich nicht an dem Ort bin, an dem ich bin, da ich mich dort drüben sehe. Durch diesen Blick, der gleichsam tief aus dem virtuellen Raum hinter dem Spiegel zu mir dringt, kehre ich zu mir selbst zurück, richte meinen Blick wieder auf mich selbst und sehe mich nun wieder dort, wo ich bin. Der Spiegel funktioniert als Hetero­ topie, weil er den Ort, an dem ich bin, während ich mich im Spiegel betrachte, absolut real in Verbindung mit dem gesamten

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umgebenden Raum und zugleich absolut irreal wiedergibt, weil dieser Ort nur über den virtuellen Punkt jenseits des Spiegels wahrgenommen werden kann. Wie könnte man nun die Heterotopien im eigentlichen Sinne beschreiben? Welche Bedeutung haben sie? Ich will nicht von einer Wissenschaft sprechen, denn dieser Begriff ist heute allzu abgenutzt, aber man könnte sich eine systematische Beschreibung vorstellen, die es sich zur Aufgabe machte, in einer bestimmten Gesellschaft diese andersartigen Räume, diese anderen Orte, die­ sen zugleich mythischen und realen Gegensatz zu dem Raum, in dem wir leben, zu erforschen, zu analysieren, zu beschreiben und zu »lesen«, wie man heute gerne sagt. Diese Beschreibung könnte man Heterotopologie nennen. Der erste Grundsatz lautet, dass es wahrscheinlich keine einzige Kultur gibt, die keine Heterotopien hervorbrächte. Es handelt sich hier um eine Konstante aller menschlichen Gruppen. Aber offensichtlich nehmen die Hetero­ topien ganz unterschiedliche Formen an, und wahrscheinlich lässt sich keine einzige Form finden, die als absolut universell gelten könnte. Wir können sie jedoch in zwei Hauptgruppen einteilen. In den so genannten »primitiven« Gesellschaften gibt es eine Form von Heterotopie, die ich als Krisenheterotopie bezeichnen möchte. Das heißt, es gibt privilegierte, heilige oder verbotene Orte, die solchen Menschen Vorbehalten sind, welche sich im Ver­ hältnis zu der Gesellschaft oder dem Milieu, in denen sie leben, in einem Krisenzustand befinden. Dazu gehören etwa Heranwach­ sende, Frauen während der Monatsblutung, Frauen im Kindbett, Greise usw. In unserer Gesellschaft sind diese Krisenheterotopien im Ver­ schwinden begriffen, auch wenn man noch einige Überreste finden kann. Zum Beispiel das Gymnasium in seiner aus dem 19. Jahrhun­ dert stammenden Form, wo der Militärdienst für junge Männer offensichtlich die Funktion einer Krisenheterotopie hatte, da die ersten Äußerungen männlicher Sexualität nicht in der Familie, son­ dern »anderswo« erfolgen sollten. Für junge Frauen gab es bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine alte Tradition, die man als »Hochzeits­ reise« bezeichnete. Die Defloration der jungen Frau sollte in einem »Nirgendwo« stattfinden, und damals war die Eisenbahn oder das eigens für Hochzeitsreisen bestimmte Hotel dieses Nirgendwo, diese geographisch nicht weiter bestimmbare Heterotopie.

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Doch die Krisenheterotopien sind heute im Verschwinden be­ griffen und werden durch Heterotopien ersetzt, die man als Abweichungsheterotopien bezeichnen könnte: Orte, an denen man Men­ schen unterbringt, deren Verhalten vom Durchschnitt oder von der geforderten Norm abweicht. Dazu gehören Sanatorien und psy­ chiatrische Anstalten, sicher auch die Gefängnisse, aber ohne Zwei­ fel auch die Altersheime, die gleichsam an der Grenze zwischen Krisen- und Abweichungsheterotopien stehen, da das Alter letzt­ lich eine Krise darstellt, aber auch eine Abweichung, denn in un­ serer Freizeitgesellschaft gilt Untätigkeit als Abweichung. Der zweite Grundsatz der Beschreibung von Heterotopien be­ sagt, dass eine Gesellschaft im Laufe ihrer Geschichte bestehende und auch weiter fortbestehende Heterotopien in ganz anderer Weise funktionieren lassen kann. Jede Heterotopie hat eine ganz bestimmte, innerhalb der betreffenden Gesellschaft genau festge­ legte Funktionsweise, aber je nach der Synchronie der Kultur, in der sie sich befindet, kann dieselbe Heterotopie eine ganz andere Funktionsweise erhalten. Als Beispiel sei hier die merkwürdige Heterotopie des Fried­ hofs genannt. Der Friedhof ist gewiss ein anderer Ort als die üblichen kulturellen Räume, und dennoch steht er mit allen Orten der Stadt, der Gesellschaft oder des Dorfes in Verbindung, denn jeder Einzelne, jede Familie hat Eltern auf dem Friedhof liegen. In der abendländischen Kultur hat es immer schon Friedhöfe gege­ ben. Aber er hat beträchtliche Veränderungen erfahren. Bis Ende des 18. Jahrhunderts lag der Friedhof mitten in der Stadt, gleich neben der Kirche. Unter den Gräbern bestand eine ausgeprägte Hierarchie. Da gab es die Gemeinschaftsgräber, in denen die Lei­ chen jede Spur von Individualität verloren. Es gab einige Einzel­ gräber. Und dann gab es noch die Grabstätten, die innerhalb der Kirche lagen. Diese Grabstätten unterteilten sich wiederum in zwei Gruppen: einfache Grabplatten mit einem Namenszug und Mausoleen mit Statuen. Dieser Friedhof, der neben dem geheilig­ ten Ort der Kirche lag, nahm in den modernen Zivilisationen einen ganz anderen Charakter an, und ausgerechnet zu einer Zeit, als die Zivilisation, grob gesagt, »atheistisch« wurde, entwickelte die abendländische Kultur den so genannten Totenkult. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass man zu einer Zeit, als die Menschen wirklich noch an die Auferstehung der Toten und die

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Unsterblichkeit der Seele glaubten, den sterblichen Überresten keine besondere Bedeutung beimaß. Wenn man dagegen nicht mehr ganz sicher ist, ob man eine Seele besitzt, und wenn man nicht recht weiß, ob man wieder auferstehen wird, muss man vielleicht größere Aufmerksamkeit auf die sterblichen Überreste verwenden, die letztlich die einzige Spur unseres Daseins in der Welt und unter den Worten darstellt. Jedenfalls hatte ab dem 19. Jahrhundert jeder ein Anrecht auf eine eigene kleine Kiste für seine ganz persönliche Zersetzung. Andererseits begann man erst im 19. Jahrhundert, die Friedhöfe an den Stadtrand zu verlegen. Zusammen mit dieser Individuali­ sierung des Todes und der Aneignung des Friedhofs durch das Bürgertum geriet der Tod in den Geruch einer »Krankheit«. Man nahm an, die Toten brächten den Lebenden Krankheiten, die Anwesenheit und Nähe der Toten gleich neben den Häusern, neben der Kirche, fast schon mitten auf der Straße, sorge für die Ausbreitung des Todes. Das große Thema der von den Friedhöfen ausgehenden und durch Ansteckung verbreiteten Krankheit fin­ det sich bis Ende des 18.Jahrhunderts. Und erst im Laufe des 19. Jahrhunderts beginnt man, die Friedhöfe an die Außengrenzen der Stadt zu verlegen. Die Friedhöfe sind nun nicht mehr der heilige und unsterbliche Geist der Stadt, sondern die »andere Stadt«, in der jede Familie ihre dunkle Bleibe besitzt. Dritter Grundsatz. Heterotopien besitzen die Fähigkeit, mehre­ re reale Räume, mehrere Orte, die eigentlich nicht miteinander verträglich sind, an einem einzigen Ort nebeneinander zu stellen. So bringt das Theater auf dem Rechteck der Bühne nacheinander eine ganze Reihe von Orten zur Darstellung, die sich gänzlich fremd sind. Und das Kino ist ein sehr sonderbarer rechteckiger Saal, an dessen Ende man auf eine zweidimensionale Leinwand einen dreidimensionalen Raum projiziert. Aber das älteste Beispiel einer Heterotopie aus widersprüchlichen Orten dürfte der Garten sein. Wir sollten nicht vergessen, dass der Garten, diese erstaun­ liche, jahrtausendealte Schöpfung, im Orient sehr tiefe Bedeutun­ gen besaß, die einander gleichsam überlagerten. Der traditionelle Garten der Perser war ein heiliger Raum, dessen viergeteiltes Rechteck für die vier Teile der Welt stand, wobei sich im Zentrum ein Raum befand, der noch heiliger war als die anderen und den Nabel der Welt darstellte (dort stand die Brunnenschale mit dem

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Wasserspeier). Und die ganze Vegetation des Gartens verteilte sich auf diesen Raum, der gleichsam einen Mikrokosmos bildete. Die Teppiche waren ursprünglich Nachbildungen des Gartens. Der Garten ist ein Teppich, auf dem die ganze Welt in symbolischer Vollkommenheit erscheint, und der Teppich ist gewissermaßen der im Raum bewegliche Garten. Der Garten ist die kleinste Parzelle der Welt und zugleich ist er die ganze Welt. Der Garten ist seit der frühesten Antike eine geglückte, universalisierende Heterotopie (dort liegt der Ursprung unserer zoologischen Gärten). Vierter Grundsatz. Heterotopien stehen meist in Verbindung mit zeitlichen Brüchen, das heißt, sie haben Bezug zu Heterochronien, wie man aus rein symmetrischen Gründen sagen könn­ te. Eine Heterotopie beginnt erst dann voll zu funktionieren, wenn die Menschen einen absoluten Bruch mit der traditionellen Zeit vollzogen haben. So wird auch deutlich, dass der Friedhof tatsächlich ein hochgradig heterotoper Ort ist, denn er beginnt mit jener seltsamen Heterotopie, die der Verlust des Lebens für den Einzelnen darstellt, und mit jener Scheinewigkeit, in der er sich unablässig auflöst und verschwindet. In Gesellschaften wie der unsrigen sind Heterotopien und Heterochronien generell vergleichsweise komplex organisiert. Da gibt es zunächst die Heterotopien der Zeit, die sich endloser Ak­ kumulation hingeben, zum Beispiel Museen und Bibliotheken. Museen und Bibliotheken sind Heterotopien, in denen die Zeit unablässig angesammelt und aufgestapelt wird, während sie im 17. Jahrhundert und bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Ausdruck einer individuellen Wahl waren. Der Gedanke, alles zu sammeln, gleichsam ein allgemeines Archiv aufzubauen, alle Zeiten, Formen und Geschmacksrichtungen an einem Ort einzuschließen, einen Ort für alle Zeiten zu schaffen, der selbst außerhalb der Zeit steht und dem Zahn der Zeit nicht ausgesetzt ist, und auf diese Weise unablässig die Zeit an einem Ort zu akkumulieren, der sich selbst nicht bewegt, all das gehört unserer Moderne an. Museum und Bibliothek sind Heterotopien, die eine Eigentümlichkeit der west­ lichen Kultur des 19. Jahrhunderts darstellen. Neben den auf die Akkumulation der Zeit ausgerichteten Heterotypien gibt es auch solche, die mit den flüchtigsten, vergäng­ lichsten, prekärsten Aspekten der Zeit verbunden sind, und zwar in Gestalt des Festes. Diese Heterotopien sind nicht mehr auf die

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Ewigkeit, sondern vollkommen aufs Zeitliche ausgerichtet. Das gilt etwa für Jahrmärkte, diese völlig leeren Plätze am Stadtrand, die sich nur ein oder zwei Mal im Jahr füllen mit Buden, Ständen, den unterschiedlichen Gegenständen, mit Faustkämpfern, Schlan­ genfrauen und Wahrsagerinnen. Erst kürzlich ist eine neue zeit­ weilige Heterotopie entstanden, die Feriendörfer, diese polynesischen Dörfer, die den Städtern drei kurze Wochen ständiger ursprünglicher Nacktheit bieten. Wir sehen auch, dass sich hier die zwei Formen von Heterotopien, die des Festes und die der endlos akkumulierten Zeit, miteinander vereinen: Die Strohhütten von Djerba sind in gewisser Weise verwandt mit Bibliotheken und Museen, weil man dort durch die Rückkehr zum polynesischen Leben die Zeit aufhebt, aber zugleich findet die Zeit sich auch wieder, die ganze Geschichte der Menschheit steigt hinab zu ihren Quellen wie zu einem großen unmittelbaren Wissen. Fünfter Grundsatz. Heterotopien setzten stets ein System der Öffnung und Abschließung voraus, das sie isoliert und zugleich den Zugang zu ihnen ermöglicht. Einen heterotopen Ort betritt man nicht wie eine Mühle. Entweder wird man dazu gezwungen wie im Fall der Kaserne oder des Gefängnisses, oder man muss Eingangs- und Reinigungsrituale absolvieren. Man darf sie nur mit Erlaubnis betreten und nachdem man eine Reihe von Gesten ausgeführt hat. Anderswo gibt es sogar Heteronomien, die ganz der Reinigung dienen, einer halb religiösen, halb hygienischen Reinigung wie im Fall des muslimischen Hammam oder einer scheinbar ausschließlich hygienischen Reinigung wie im Fall der skandinavischen Sauna. Andere Heterotopien wirken dagegen vollkommen offen, sind aber in Wirklichkeit auf seltsame Weise verschlossen. Jeder hat Zutritt zu diesen heterotopen Orten, aber das ist letztlich nur Illusion. Man glaubt, den Ort zu betreten, und ist gerade deshalb schon ausgeschlossen. Ich denke etwa an die berühmten Kam­ mern in großen Landgütern in Brasilien und in ganz Südamerika. Diese Kammer hatte keine Verbindung zu den eigentlichen Zim­ mern der Familie, und jeder, der vorbeikam, jeder Reisende durf­ te die Tür öffnen und in die Kammer treten, um dort eine Nacht zu schlafen. Aber diese Kammern waren so gebaut, dass man von dort nicht zu den inneren Räumen der Familie gelangen konnte. Wer dort eintrat, blieb ein durchreisender Gast und war im

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Grunde nicht einmal eingeladen worden. Diese Art von Heterotopie, die heute aus unseren Zivilisationen praktisch verschwun­ den ist, findet sich vielleicht noch in den berüchtigten Zimmern amerikanischer Motels, in die man mit dem Auto und mit seiner Geliebten fährt. Sie bieten ungesetzlicher Sexualität besten Un­ terschlupf, sorgen aber zugleich dafür, dass man sie im Geheimen und abseits praktizieren kann, ohne deshalb im Freien bleiben zu müssen. Das letzte Merkmal der Heterotopien schließlich liegt darin, dass sie gegenüber dem übrigen Raum eine Funktion ausüben, die sich zwischen zwei extremen Polen bewegt. Entweder sollen sie einen illusionären Raum schaffen, der den ganzen realen Raum und alle realen Orte, an denen das menschliche Leben einge­ schlossen ist, als noch größere Illusion entlarvt. Vielleicht war das lange Zeit die Aufgabe jener Freudenhäuser, die es heute nicht mehr gibt. Oder sie schaffen einen anderen Raum, einen anderen realen Raum, der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist. Das wäre dann keine illusorische, sondern eine kompensatorische Heterotopie, und ich frage mich, ob das nicht in Teilen die Funktion mancher Kolonien gewesen ist. In manchen Fällen haben Kolonien auf der Ebene der allge­ meinen Organisation des irdischen Raums die Rolle von Hetero­ topien gespielt. Ich denke etwa an die erste Kolonisierungswelle im 17. Jahrhundert, an die von Engländern in Amerika gegründe­ ten puritanischen Gesellschaften, die vollkommen andere Orte darstellten. Ich denke auch an die außergewöhnlichen Jesuitenkolonien, die in Südamerika gegründet wurden: großartige, vollkommen gere­ gelte Kolonien, in denen tatsächlich menschliche Vollkommenheit erreicht wurde. Die Jesuiten in Paraguay schufen Kolonien, in denen das Leben bis in alle Einzelheiten hinein geregelt war. Das Dorf war nach einem strengen Grundriss um einen recht­ eckigen Platz gebaut. Eine Seite des Rechtecks nahm die Kirche ein, daran schloss sich auf der einen Seite das Kloster und auf der anderen der Friedhof an. Gegenüber der Kirche, auf der anderen Seite des Platzes, begann eine Straße, die von einer zweiten Straße im rechten Winkel gekreuzt wurde. An diesen beiden Straßen durften die Familien ihre Hütten bauen. Die ganze Anlage repro­

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duzierte das Zeichen des Kreuzes Christi. So markierte das Chris­ tentum den Raum und die Geographie der amerikanischen Welt mit seinem fundamentalen Zeichen. Das tägliche Leben der Menschen wurde nicht mit der Triller­ pfeife, sondern mit der Glocke geregelt. Alle mussten zur selben Zeit aufstehen und begannen ihre Arbeit zur selben Zeit. Geges­ sen wurde mittags und um fünf Uhr nachmittags. Dann ging man schlafen, und um Mitternacht ertönte die Eheglocke, das heißt, wenn die Glocke des Klosters ertönte, erfüllte jeder seine Pflicht. Freudenhäuser und Kolonien sind die beiden Extremformen der Heterotopie, und wenn man bedenkt, dass Schiffe letztlich ein Stück schwimmenden Raumes sind, Orte ohne Ort, ganz auf sich selbst angewiesen, in sich geschlossen und zugleich dem endlosen Meer ausgeliefert, die von Hafen zu Hafen, von Wache zu Wache, von Freudenhaus zu Freudenhaus bis in die Kolonien fahren, um das Kostbarste zu holen, was die Gärten dort zu bieten haben, dann werden Sie verstehen, warum das Schiff für unsere Zivilisation vom 16. Jahrhundert bis heute nicht nur das wichtigs­ te Instrument zur wirtschaftlichen Entwicklung gewesen ist (da­ rüber will ich heute gar nicht sprechen), sondern auch das größte Reservoir für die Fantasie. Das Schiff ist die Heterotopie par excellence. In den Zivilisationen, die keine Schiffe haben, versie­ gen die Träume. An die Stelle des Abenteuers tritt dort die Be­ spitzelung und an die Stelle der Freibeuter die Polizei. Übersetzt von Michael Bischoff

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Das Leben: Die Erfahrung und die Wissenschaft »La vie: l’expérience et la science«, in: Revue de métaphysique et de la morale, 90. Jg., Nr. 1: Canguilhem, Januar-März 1985, S. 3-14.

Foucault w ollte für die seinem Lehrer Georges Canguilhem gewidmete Sondernum m er der Revue de métaphysique et de morale einen neuen Text beisteuern. Erschöpft konnte er dann lediglich das V orwort überarbeiten, das er für die amerikanische Ausgabe von Le normal et le pathologique verfasst hatte (vgl. oben Nr. 219). Er lieferte den Text Ende April 1984 ab; es w ar som it der letzte Text, den er zum D ruck frei gab.

Jeder weiß, dass es in Frankreich wenige Logiker, aber eine be­ trächtliche Zahl von Wissenschaftshistorikern gibt. Man weiß auch, dass sie innerhalb der Institution Philosophie - Lehre wie Forschung - einen wichtigen Platz einnehmen. Aber man weiß vielleicht weniger genau, was in den letzten fünfzehn oder zwan­ zig Jahren eine Arbeit wie die von Georges Canguilhem bedeu­ tete: eine Bedeutung, die bis an die Grenzen der Institution reicht. Zweifellos gab es spektakulärere Schauplätze: Psychoanalyse, Marxismus, Linguistik, Ethnologie. Aber vergessen wir die Tat­ sache nicht, die vielleicht mit der Soziologie der intellektuellen Milieus Frankreichs, dem Funktionieren unserer Universitätsins­ titutionen oder unserem kulturellen Wertesystem zusammen­ hängt: In sämtlichen politischen oder wissenschaftlichen Diskus­ sionen dieser sonderbaren sechziger Jahre war die Rolle der Philosophie - ich denke dabei nicht nur an diejenigen, die ihre universitäre Ausbildung in den Fachbereichen der Philosophie erhalten hatten - bedeutsam. Nach dem Geschmack einiger war sie vielleicht allzu bedeutsam. Direkt oder indirekt hatten alle diese Philosophen, oder fast alle, mit der Lehre und den Büchern von Georges Canguilhem zu tun gehabt. Daraus ergibt sich ein Paradox: Dieser Mann, dessen Werk nüchtern, absichtsvoll genau eingegrenzt und sorgfältig auf einen besonderen Bereich der Wissenschaftsgeschichte beschränkt ist, die jedenfalls keine besonders spektakuläre Disziplin darstellt, dieser Mann war in gewisser Weise in Debatten präsent, in denen

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er selbst sich stets hütete aufzutreten. Aber nehmen Sie Canguilhem weg und Sie verstehen fast nichts mehr von einer ganzen Reihe von Diskussionen, die bei den französischen Marxisten stattfanden. Sie begreifen nicht mehr, was das Besondere an So­ ziologen wie Bourdieu, Castel, Passeron ausmacht, was sie im Feld der Soziologie charakterisiert. Es entgeht Ihnen ein wesent­ licher Aspekt der bei den Psychoanalytikern und insbesondere den Lacanianern geleisteten theoretischen Arbeit. Mehr noch: In der ganzen Diskussion der Ideen, die der Bewegung von 1968 voranging und ihr folgte, ist der Platz derer leicht auszumachen, die von nahem oder aus der Ferne von Canguilhem geprägt wor­ den waren. Ohne die Kluft zu verkennen, die in den letzten Jahren und seit dem Krieg Marxisten und Nicht-Marxisten, Freudianer und Nicht-Freudianer, Fachwissenschaftler und Philosophen, Univer­ sitäre und Nichtuniversitäre, Theoretiker und Politiker trennte, scheint es mir möglich, eine andere Trennungslinie auszumachen, die quer zu diesen Gegensätzen verläuft. Es ist die zwischen einer Philosophie der Erfahrung, des Sinns, des Subjekts und einer Phi­ losophie des Wissens, der Rationalität und des Begriffs. Auf der einen Seite die Linie von Sartre und Merleau-Ponty und auf der anderen Seite dann die von Cavaillès, Bachelard, Koyré und Can­ guilhem. Gewiss reicht diese Spaltung weiter zurück, man könnte ihre Spur durch das 19. Jahrhundert zurückverfolgen: Bergson und Poincaré, Lachelier und Coutourat; Maine de Biran und Comte. Auf jeden Fall war sie im 20. Jahrhundert so weit etabliert, dass die Rezeption der Phänomenologie durch sie geprägt wurde. Die Cartesianischen Meditationen,* 1929 vorgetragen und alsbald umgearbeitet, übersetzt und veröffentlicht, wurden sehr rasch zum Spielball zweier möglicher Lektüren: Die eine, die in Rich­ tung einer Philosophie des Subjekts Husserl zu radikalisieren be­ strebt war, griff sofort die Fragen von Sein und Zeit12 auf: Dies tat

1 Husserl, Edmund, Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Phänome­ nologie, in: Gesammelte Werke Bd. /, Den Haag 1950: Erstveröffentlichung: Médidations cartésiennes. Introduction à la phénoménologie (Übersetzt von G. Pfeif­ fer und E. Levinas), Paris 1931. 2 Heidegger, Martin, Sein und Zeit, Tübingen 1927.

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Sartres Essay über die Transzendenz des Ego3 im Jahre 1936: Die andere ging zu den Ausgangsproblemen der Philosophie Husserls zurück, denen des Formalismus und des Intuitionismus, und dies taten 1938 die beiden Abhandlungen von Cavaillès über die Mé­ thode axiomatique und über die Formation de la théorie des en­ sembles.34 Welches auch immer in der Folge die Verzweigungen, die Überlagerungen und sogar Annäherungen gewesen sein mö­ gen, diese beiden Formen des Denkens blieben in Frankreich zwei völlig heterogene Stränge. Die zweite Richtung erscheint zugleich theoretischer, stärker auf spekulative Themen bezogen und auch weiter entfernt von unmittelbar politischen Fragen. Und doch war sie es, die während des Krieges auf eine sehr direkte Weise am Kampf beteiligt war, so als ob die Frage der Begründung der Rationalität nicht getrennt werden könnte von der Untersuchung der aktuellen Bedingungen ihrer Existenz. Und sie ist es auch, die im Verlauf der 6oer-Jahre eine entscheidende Rolle in einer Krise spielte, die nicht nur Krise der Universität war, sondern eine Krise des Status und der Rolle des Wissens. Man kann sich fragen, warum ein solcher Typus der Reflexion sich gemäß seiner eigenen Logik so tief mit der Gegen­ wart verknüpfen konnte. Einer der Hauptgründe hängt sicher damit zusammen: Die Ge­ schichte der Wissenschaften verdankt ihre philosophische Digni­ tät dem Umstand, dass sie eines der Themen aufgreift, das eher zufällig und auf Umwegen in die Philosophie des 18.Jahrhun­ derts Eingang fand. Zum ersten Mal richtete man an das ver­ nünftige Denken nicht nur die Frage nach seiner Natur, nach seinen Grundlagen, seiner Macht und seinem Recht, sondern fragte auch nach seiner Geschichte und Geographie, nach seiner unmittelbaren Vergangenheit und seinen Existenzbedingungen, nach seiner Zeit, seinem Ort und seiner Aktualität. Man kann

3 Sartre, Jean-Paul, »La Transcendance de l'ego. Esquisse d'une description phéno­ ménologique«, in: Recherches philosophiques, no 6, 1935; deutsch Die Transzen­ denz des Ego, Reinbek 1982. 4 Cavaillès, Jean, Méthode axiomatique et formalisme. Essai sur le problème du fondement des mathématiques, Paris 1937; Remarques sur la formation de la théorie abstraite des ensembles. Étude historique et critique, Paris 1937.

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als Symbol für diese Frage, in der die Philosophie ihre gegenwär­ tige Gestalt und ihre Beziehung zu ihrem Kontext zum Thema macht, die Debatte nehmen, die in der Berlinischen Monatsschrift ausgetragen wurde und deren Thema lautete: Was ist Aufklärung? Diese Frage suchten Mendelssohn und dann Kant jeweils zu be­ antworten.5 Diese Frage wurde zunächst zweifellos als relativ nebensächlich aufgefasst: Man untersuchte die Form, die die Philosophie anneh­ men durfte, ihre aktuelle Gestalt und die Effekte, die von ihr zu erwarten waren. Aber es zeigte sich schnell, dass die Antwort auf diese Frage möglicherweise weit darüber hinausging. Man machte die Aufklärung6 zu dem Moment, in dem die Philosophie die Möglichkeit fand, sich als die bestimmende Gestalt einer Epoche zu konstituieren und in dem gleichzeitig diese Epoche zur Gestalt der Verwirklichung dieser Philosophie wurde. Die Philosophie konnte als bloße Zusammenfassung der Züge ihrer Zeit begriffen werden, als die Gestalt ihres Zusammenhangs, als deren Systema­ tisierung und reflektierte Form; andererseits jedoch erschien die Epoche als das Hervortreten und Offenbarwerden der grundle­ genden Wesenszüge der Philosophie. Auf diese Weise erscheint die Philosophie als ein Element, das mehr oder weniger die Be­ deutungen einer Epoche enthüllt oder umgekehrt als das allge­ meine Gesetz, das für jede Epoche die Gestalt festlegt, die sie anzunehmen hat. Die Lektüre der Philosophie im Rahmen einer allgemeinen Geschichte und ihre Interpretation als Entzifferungs­ prinzip für jede historische Abfolge sind damit gleichzeitig mög­ lich. Und mit einem Mal wird die Frage des »gegenwärtigen Au­ genblicks« für die Philosophie zu einem Thema, das sie nicht mehr loslassen kann: Inwiefern betont dieser »Augenblick« einen allgemeinen geschichtlichen Prozess und inwiefern ist die Philo­ sophie der Punkt, an dem sich die Geschichte selbst in ihren Bedingungen zu entziffern hat?

5 Mendelssohn, Moses, »Über die Frage: Was heißt Aufklären?«, Berlinische Monatsschrift, IV. Nr. 3, September 1784, S. 193-200; Kant, Immanuel, »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, Berlinische Monatsschrift, VI, Nr. 6, Dezember 1984, S. 491-494. 6 Hier und im Folgenden im Original dt., A. d. Ü.

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Die Geschichte ist somit zu einem der großen Probleme der Philosophie geworden. Man müsste untersuchen, warum diese Fra­ ge der Aufklärung in Deutschland, Frankreich und den angelsäch­ sischen Ländern - ohne je zu verschwinden - so unterschiedliche Schicksale hatte, warum sie sich jeweils in so unterschiedlichen Bereichen manifestierte und so unterschiedlichen Chronologien folgte. Wir können auf jeden Fall sagen, dass die deutsche Philoso­ phie ihr vor allem in einer historischen und politischen Reflexion über die Gesellschaft (mit einem privilegierten Augenblick, der Reformation, und einem privilegierten Problem: der religiösen Er­ fahrung in ihrem Verhältnis zur Ökonomie und zum Staat) Aus­ druck verlieh; das Zeugnis hierfür erstreckt sich von den Nachhe­ gelianern bis zur Frankfurter Schule und zu Lukäcs, über Feuerbach, Marx, Nietzsche und Weber. In Frankreich ist es vor allem die Wissenschaftsgeschichte, die als Träger der philosophi­ schen Frage der Aufklärung diente; im Grunde genommen stellten die Kritik Saint-Simons und der Positivismus Comtes und seiner Nachfolger eine Weise dar, die Fragestellung von Mendelssohn und Kant auf der Ebene einer allgemeinen Geschichte der Gesellschaf­ ten wieder aufzunehmen. Wissen und Glauben, wissenschaftliche Erkenntnisform und religiöse Vorstellungsinhalte, der Übergang vom Vorwissenschaftlichen zum Wissenschaftlichen, die Heraus­ bildung rationalen Wissens auf der Grundlage traditioneller Erfah­ rung, das Auftreten eines für wissenschaftliche Erkenntnis als Ur­ sprung und Schwelle der Rationalität charakteristischen Typus von Geschichte inmitten einer Geschichte von Ideen und Überzeugun­ gen; in dieser Form hat sich die Frage der Aufklärung in Frankreich über den Positivismus (und seine Gegner), über Duhem, Poincaré, die lautstarken Debatten über den Szientismus und die akademi­ schen Diskussionen über die mittelalterliche Wissenschaft umge­ setzt. Und wenn sich die Phänomenologie nach einer langen Pe­ riode der Gängelung schließlich durchsetzte, dann zweifellos von dem Moment an, an dem Husserl in den Cartesianischen Medita­ tionen und der Krisis7 die Frage des Verhältnisses zwischen dem okzidentalen Projekt einer universellen Entfaltung der Vernunft, 7 Husserl, Edmund, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzen­ dentale Phänomenologie. Einleitung in die Phänomenologie, Philosophia Bd. I, Belgrad 1936, S. 77-176.

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der Positivität der Wissenschaften und der Radikalität der Philo­ sophie aüfwarf. Seit eineinhalb Jahrhunderten spielen sich in der Wissenschafts­ geschichte entscheidende philosophische Auseinandersetzungen ab. Werke wie die von Koyré, Bachelard, Cavaillès oder Canguilhem mögen sich auf präzise »regionale«, chronologisch genau umrissene Bereiche beziehen; sie bildeten in dem Maße Brenn­ punkte philosophischer Arbeit, in dem sie die für die gegenwär­ tige Philosophie wesentliche Frage der Aufklärung in verschiede­ nen Facetten ins Spiel brachten. Wollte man außerhalb Frankreichs nach etwas suchen, was der Arbeit von Cavaillès, von Koyré, von Bachelard und von Canguilhem entspricht, so würde man es zweifellos bei der Frankfur­ ter Schule finden. Zwar sind der Stil, die Arbeitsweise und die Untersuchungsfelder sehr verschieden. Aber die einen wie die anderen stellen letztlich dieselbe Art von Fragen, auch wenn sie hier durch die Erinnerung an Descartes und dort durch den Schat­ ten Luthers geprägt sind. Diese Fragen beziehen sich auf eine Rationalität, die universell zu sein beansprucht und sich doch in der Kontingenz entfaltet, die ihre Einheit behauptet und sich doch nur durch partielle Modifikationen vollzieht; die sich kraft eigener Souveränität für gültig erklärt und doch in ihrer Geschichte un­ trennbar mit der Trägheit verknüpft ist, mit der Schwerkraft und den Zwängen, denen sie unterworfen ist. In der französischen Wissenschaftsgeschichte wie in der deutschen Kritischen Theorie geht es letztlich darum, eine Vernunft zu überprüfen, deren struk­ turelle Autonomie mit der Geschichte von Dogmatismen und Despotismen verknüpft ist, eine Vernunft folglich, die dann einen Befreiungseffekt besitzt, wenn es ihr gelingt, sich von sich selbst zu befreien. Verschiedene Prozesse, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhun­ derts kennzeichnen, haben die Frage der Aufklärung wieder ins Zentrum der gegenwärtigen Bemühungen gerückt. Der Erste be­ steht in der Bedeutung wissenschaftlicher und technischer Ratio­ nalität bei der Entwicklung der Produktivkräfte und im Spiel politischer Entscheidungen. Der Zweite ist die Geschichte einer »Revolution«, deren Hoffnung seit dem Ende des 18. Jahrhun­ derts von einem Rationalismus getragen war, den man nach sei­ nem Anteil an den Despotismus-Effekten befragen darf, in denen

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sich diese Hoffnung verirrte. Der Dritte schließlich besteht in der Bewegung, durch die man gegen Ende des Kolonialzeitalters da­ ranging, im Okzident und an den Okzident die Frage zu stellen, mit welchem Recht seine Kultur, seine Wissenschaft, seine gesell­ schaftliche Organisation und schließlich seine Rationalität selbst universelle Geltung beanspruchen können: Handelt es sich nicht um ein Trugbild, das mit ökonomischer Herrschaft und politi­ scher Hegemonie verknüpft ist? Zwei Jahrhunderte später kehrt die Aufklärung wieder: zugleich als eine Weise, in der sich der Okzident seiner aktuellen Möglichkeiten und der ihm zur Ver­ fügung stehenden Freiheiten vergewissert, und als eine Weise, ihn nach seinen Grenzen und den eingesetzten Kräften zu fragen. Die Vernunft als Despotismus und als Aufklärung. Wundern wir uns nicht, dass die Wissenschaftsgeschichte, und ganz besonders in der Form, die ihr Georges Canguilhem gegeben hat, in Frankreich einen so zentralen Platz in den zeitgenössischen Debatten einnehmen konnte, auch wenn ihre Rolle ziemlich ver­ borgen blieb. Stark vergröbernd könnte man sagen, dass sich die Wissenschafts­ geschichte lange Zeit bevorzugt, wenn nicht sogar ausschließlich mit einigen »vornehmen« Disziplinen befasste, die ihre Würde aus ihrem weit zurückliegenden Gründungsdatum, ihrem hohen For­ malisierungsgrad und ihrer Mathematisierbarkeit und von ihrem pr.vilegierten Platz in der positivistischen Wissenschaftshierarchie ableiteten. Indem sie ganz in der Nähe derjenigen Wissenschaften blieb, die von den Griechen an bis hin zu Leibniz mit der Philoso­ phie eng verbunden waren, umging die Wissenschaftsgeschichte die für sie selbst zentrale Frage nach ihrem Verhältnis zur Philoso­ phie. Georges Canguilhem kehrte das Problem um. Er fokussierte den Kern seiner Arbeit auf die Geschichte der Biologie und der Medizin, wohl wissend, dass die theoretische Bedeutung der von der Entwicklung einer Wissenschaft aufgeworfenen Probleme nicht notwendig in direkter Beziehung zu ihrem Formalisierungs­ grad steht. Er hat also die Wissenschaftsgeschichte veranlasst, von den Gipfelpunkten (Mathematik, Astronomie, Galilei’sche Me­ chanik, Newton’sche Physik, Relativitätstheorie) zu Gebieten he­ rabzusteigen, in denen die Erkenntnisse sehr viel weniger deduktiv sind, in denen sie viel länger mit den Einflüssen der Imagination

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verknüpft bleiben oder wo sie eine Reihe von Fragen aufwarfen, die den Usancen der Philosophie sehr viel fremder waren. Mit dieser Verschiebung jedoch hat Georges Canguilhem nicht nur ein relativ vernachlässigtes Gebiet wieder aufgewertet. Er hat nicht bloß das Feld der Wissenschaftsgeschichte erweitert; er hat die Disziplin selbst an mehreren wichtigen Punkten umgearbei­ tet. 1) Er hat zunächst das Thema der »Diskontinuität« aufgegriffen. Ein altes Thema, das sich sehr früh abzeichnete, beinahe zeitgleich mit der Geburt der Wissenschaftsgeschichte. Was diese Geschichte auszeichnet, so sagte bereits Fontenelle, ist die plötzliche Heraus­ bildung bestimmter Wissenschaften »aus dem Nichts«, ist die ex­ treme Geschwindigkeit bestimmter unerwarteter Fortschritte, die Distanz zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem »Alltagsgebrauch« und den Motivationen der Wissenschaftler, es ist auch die polemische Form dieser Geschichte, die unablässig von den Kämpfen gegen die »Vorurteile«, die »Widerstände« und die »Hindernisse« berichtet.8 Indem er dieses Thema von Koyré und Bachelard wieder aufgreift, betont Canguilhem, dass die Erkundung der Diskontinuität für ihn weder ein Postulat noch ein Resultat ist: sondern vielmehr eine »Vorgehensweise«, eine Prozedur, die mit der Wissenschaftsgeschichte unzertrennlich ver­ bunden ist, da sie von dem zu behandelnden Gegenstand selbst gefordert wird. Die Geschichte der Wissenschaften ist nicht die Geschichte des Wahren und seines allmählichen Erscheinens; sie könnte nicht vorgeben, die fortschreitende Entdeckung einer von jeher den Dingen oder dem Intellekt innewohnenden Wahrheit zu erzählen, ohne sich vorzustellen, dass das heutige Wissen die Wahrheit endlich so vollständig und definitiv besitzt, dass es von ihr aus die Vergangenheit beurteilen kann. Dennoch ist die Wis­ senschaftsgeschichte keine bloße Geschichte der Ideen und der Bedingungen, unter denen diese aufgetreten und wieder ver­ schwunden sind. Man kann in der Wissenschaftsgeschichte die Wahrheit nicht als gesicherten Bestand auffassen, aber man kann sich ebenso wenig eine Bezugnahme auf das Wahre und die Op8 Fontenelle, Bernard Le Bovier de, Préface a l’histoire de l’Académie, in: Œuvres, 1790, Band VI, S. 73-74. Georges Canguilhem zitiert diesen Text in: Introduction a l’histoire des sciences, Paris 1970, Band I: Éléments et instruments, S. 7-8.

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position von Wahr und Falsch ersparen. Es ist diese Bezugnahme auf die Ordnung des Wahren und des Falschen, die dieser Ge­ schichte ihre Spezifizität und ihre Bedeutsamkeit verleiht. In wel­ cher Form? Indem man begreift, dass es die Geschichte der »wahr­ heitsorientierten Diskurse« zu schreiben gilt, also der Diskurse, die sich berichtigen, sich korrigieren und die an sich selbst eine Arbeit vollziehen, die ihr Ziel darin sieht, die »Wahrheit auszu­ sprechen«. Die historischen Verknüpfungen zwischen den ver­ schiedenen Momenten einer Wissenschaft besitzen notwendiger­ weise die Form der Diskontinuität, die die Umarbeitungen, Umgestaltungen, das Ans-Licht-Bringen neuer Grundlagen, Ni­ veauänderungen, der Übergang zu einem neuen Typ von Gegen­ ständen bildet - »die ständige Revision der Inhalte durch Vertie­ fung und Streichung«, wie Cavaillès sagte. Der Irrtum wird nicht durch die stille Kraft einer allmählich aus dem Schatten heraus­ tretenden Wahrheit eliminiert, sondern durch die Herausbildung einer neuen Weise, die »Wahrheit auszusprechen«.9Eine der Mög­ lichkeitsbedingungen für die Herausbildung einer Wissenschafts­ geschichte zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Canguilhem zu­ folge das Bewusstsein davon, dass es jüngst wissenschaftliche »Revolutionen« gegeben hatte - die der algebraischen Geometrie und der Infinitesimalrechnung, der kopernikanischen und Newton’schen Kosmologie.10 2) Wer »Geschichte des wahrheitsorientierten Diskurses« sagt, muss auch Methode der Rekurrenz sagen. Nicht in dem Sinne, dass die Wissenschaftsgeschichte annehmen würde, dass die Wahr­ heit heute endlich erkannt ist, und dann fragt, seit wann man sie vorausahnte, welche Wege man einschlagen musste, welchen Irrtümern man abschwören musste, um sie zu entdecken und zu beweisen, sondern in dem Sinne, dass die sukzessiven Transfor­ mationen dieses wahrheitsorientierten Diskurses unablässig die Umarbeitung ihrer eigenen Geschichte hervorbringen; was lange Zeit Sackgasse war, wird eines Tages zum Ausweg; ein Versuch am Rande wird zum zentralen Problem, um das herum die anderen sich gruppieren; eine geringfügige Abweichung wird zum grund9 Zu diesem Thema siehe [G. Canguilhem,] Idéologie et rationalité dans l'histoire des sciences de la vie, Paris 1977, S. 21. 10 Vgl. [ders.J Études d'histoire et de philosophie des sciences, Paris 1968, S. 17.

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legenden Bruch: Die Entdeckung der nicht-zellularen Gärung ein Randphänomen innerhalb der Mikrobiologie Pasteurs - wird erst von dem Augenblick an zu einem wesentlichen Bruch, an dem sich die Physiologie der Enzyme entwickelte.11 Die Ge­ schichte der Diskontinuitäten steht nicht ein für alle Mal fest: Sie ist von sich aus »impermanent«, sie ist diskontinuierlich, d. h., sie ist immer wieder von neuem zu schreiben. Ist hieraus zu schließen, dass die Wissenschaft jeden Augen­ blick und spontan ihre eigene Geschichte so hervorbringt und verändert, dass der einzige Historiker einer Wissenschaft der Wis­ senschaftler selbst sein könnte, der die Vergangenheit jeweils von seinem aktuellen Tun her rekonstruiert? Für Georges Canguilhem ist dies kein Problem der Profession, sondern des Gesichts­ punktes. Die Wissenschaftsgeschichte kann sich nicht damit be­ gnügen, 4 as zusammenzustellen, was die Wissenschaftler der Vergangenheit glauben oder beweisen konnten; man schreibt kei­ ne Geschichte der Pflanzenphysiologie indem man zusammen­ trägt, was »so genannte Botaniker, Mediziner, Chemiker, Gärtner, Agronomen, Ökonomen über ihre Vermutungen, Beobachtungen oder Experimente bezüglich des Verhältnisses zwischen Struktur und Funktion an Gegenständen beschrieben haben, die bald als Kräuter, bald als Pflanzen und bald als Gewächse bezeichnet wurden«.12 Aber ebenso wenig betreibt man Wissenschaftsge­ schichte, wenn man die Vergangenheit durch die Gesamtheit der aktuell gültigen Aussagen oder Theorien filtert und auf diese Weise in dem, was falsch war, das zukünftige Wahre und in dem, was wahr war, den später offenkundigen Irrtum nachweist. Dies ist einer der grundlegenden Punkte in der Methode von Georges Canguilhem. Die Wissenschaftsgeschichte kann sich in ihrer Eigenart nur konstituieren, wenn sie zwischen dem reinen Historiker und dem Fachwissenschaftler dem epistemologischen Gesichtspunkt Rechnung trägt. Dies ist der Gesichtspunkt, der durch die ver­ schiedenen Episoden eines wissenschaftlichen Wissens hindurch einen »insgeheim geordneten Gang« sichtbar macht: das heißt, dass sich die Prozesse der Eliminierung und der Selektion von 11 Georges Canguilhem übernimmt das Beispiel von Marcel Florkin aus: [G. Can­ guilhem,] A History of Bio-chemistry, Amsterdam, Teil I und I I 1972, Teil III1975. 12 Idéologie et rationalité dans Vhistoire des sciences de la vie, a. a. O., S. 14.

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Aussagen, Theorien, Gegenständen in jedem Augenblick gemäß einer bestimmten Norm vollziehen; und diese kann nicht mit ei­ ner aktuellen theoretischen Struktur oder einem aktuellen Para­ digma identifiziert werden, denn die wissenschaftliche Wahrheit von heute ist selbst nur Episode, ein nur provisorischer End­ punkt. Man kann die Vergangenheit nicht betrachten und ihre Geschichte gültig nachzeichnen, indem man sich auf eine »Nor­ malwissenschaft« stützt, sondern dadurch, dass man den »nor­ mierten« Prozess wieder findet, dessen Moment das aktuelle Wis­ sen bildet, ohne dass man die Zukunft, ohne Prophet zu sein, Vorhersagen könnte. Die Wissenschaftsgeschichte, so sagt Canguilhem, Suzanne Bachelard zitierend, kann ihr Objekt nur in einem »idealen Zeit-Raum« konstruieren.13 Und dieser ZeitRaum wird ihr weder durch die durch historische Gelehrsamkeit akkumulierte »realistische« Zeit geliefert, noch durch den von der heutigen Wissenschaft autoritär festgelegten Raum der Idealität, sondern durch die epistemologische Blickrichtung. Diese ist nicht die allgemeine Theorie jeder Wissenschaft oder jeder möglichen wissenschaftlichen Aussage; sie ist die Untersuchung der Norma­ tivität, die den verschiedenen tatsächlich umgesetzten wissen­ schaftlichen Aktivitäten innewohnt. Es handelt sich somit um eine unverzichtbare theoretische Reflexion, die es der Wissenschafts­ geschichte ermöglicht, sich anders zu konstituieren als die allge­ meine Geschichte; und umgekehrt eröffnet die Wissenschaftsge­ schichte den Analysebereich, der es der Epistemologie ermöglicht, etwas anderes zu sein als die schlichte Reproduktion der inneren Schemata einer Wissenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt.14In der von Georges Canguilhem realisierten Methode geht die Aus­ arbeitung der »diskontinuistischen« Analysen Hand in Hand mit der Erhellung des historischen Verhältnisses zwischen Wissen­ schaften und Epistemologie. 3) Indem er die Wissenschaften vom Leben in diese historischepistemologische Perspektive rückt, macht Georges Canguilhem 13

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Bachelard, Suzanne, »Épistémologie et histoire des sciences«, in: XII. Interna­ tionaler Kongress für Wissenschaftsgeschichte, Paris, 1968, Revue de synthèse, III. Serien, Nr. 4 9 -5 2 , Januar-Dezember 1968, S. 51. Zum Verhältnis von Epistemologie und Geschichte siehe insbesondere die Ein­ leitung zu: [G. Canguilhem,] Idéologie et rationalité, a. a. O., S. 11-29.

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eine Reihe wesentlicher Züge sichtbar; sie lassen deren Entwick­ lung im Verhältnis zu der anderer Wissenschaften hervortreten und sie stellen ihre Historiker vor spezifische Probleme. So konn­ te man annehmen, Ende des 18. Jahrhunderts zwischen einer Phy­ siologie, die die Phänomene des Lebens untersuchte, und einer Pathologie, die sich der Analyse der Krankheiten widmete, das gemeinsame Element finden zu können, das es gestatten würde, die Einheit der normalen Prozesse und derjenigen, die die krank­ haften Veränderungen markieren, zu denken. Von Bichat bis zu Claude Bernard, von der Analyse der Fieber bis zur Pathologie der Leber und ihrer Funktionen hatte sich ein weites Feld aufge­ tan, das die Einheit einer Physiopathologie und einen Zugang zum Verständnis der Krankheitsphänomene ausgehend von der Ana­ lyse der normalen Prozesse zu gestatten schien. Vom gesunden Organismus erwartete man, dass er den Bezugsrahmen abgäbe, innerhalb dessen sich die pathologischen Phänomene ansiedelten und für eine bestimmte Zeit ihre eigentümliche Gestalt annähmen. Diese Pathologie auf der Basis der Normalität schien das ganze medizinische Denken lange Zeit zu charakterisieren. Es gibt jedoch in der Erkenntnis des Lebens Phänomene, die es von allem Wissen über den physikalisch-chemischen Bereich ab­ setzen, denn sie konnte ihr Entwicklungsprinzip erst in der Un­ tersuchung der pathologischen Phänomene gewinnen. Es war un­ möglich, eine Wissenschaft vom Leben zu konstituieren, ohne die Möglichkeit der Krankheit, des Todes, der Monstrosität, der Ano­ malie, des Irrtums als wesentliches Merkmal ihres Gegenstands in Rechnung zu stellen. Man kann die physikalischen und chemi­ schen Mechanismen, die diesen Phänomenen zugrunde liegen, immer genauer erkennen: Gleichwohl finden sie ihren Platz in einer Spezifizität, die die Wissenschaften vom Leben berücksich­ tigen müssen, wollen sie nicht das eliminieren, was gerade ihren spezifischen Gegenstand ausmacht. Daraus ergibt sich für die Wissenschaften vom Leben ein para­ doxer Sachverhalt. Wenn sich auch der Prozess ihrer »Verwissen­ schaftlichung« durch die Erhellung physikalischer und chemi­ scher Mechanismen, durch die Konstitution von Gebieten wie der Zell- und Molekularchemie, durch die Verwendung mathema­ tischer Modelle usw. vollzog, so konnte sie sich umgekehrt doch nur in dem Maße entfalten, in dem sie unablässig das Problem der

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Spezifizität des Lebens und der Schwelle, die es unter all den natürlichen Wesen markiert, als Herausforderung immer wieder aufgriff.15 Dies bedeutet nicht, dass der »Vitalismus« wahr wäre, der so viele Bilder in Umlauf brachte und so viele Mythen perpetuierte. Es bedeutet nicht, dass er, der sich so oft in die am we­ nigsten strengen Philosophien einnistete, die unwiderlegliche Phi­ losophie der Biologen bilden muss. Wohl aber heißt es, dass er in der Geschichte der Biologie eine wesentliche Rolle als »Indika­ tor« spielte und noch immer spielt. Und dies auf zweierlei Weise: als theoretischer Indikator für Probleme, die es zu lösen gilt (was nämlich ganz generell die Originalität des Lebens ausmacht, ohne dass es auf irgendeine Weise ein unabhängiges Reich innerhalb der Natur bildete); und als kritischer Indikator für zu vermeidende Reduktionen (nämlich all diejenigen, die dazu tendieren, zu ver­ kennen, dass die Wissenschaften vom Leben nicht ohne eine be­ stimmte Wertposition auskommen, die die Erhaltung, die Regu­ lierung, die Anpassung, die Fortpflanzung markiert...). »Eher ein Anspruch als eine Methode, eher eine Moral als eine Theorie.«16 4) Die Wissenschaften vom Leben erfordern, dass ihre Geschich­ te auf eine bestimmte Weise geschrieben wird. Auch werfen sie auf eine einzigartige Weise die philosophische Frage nach der Er­ kenntnis auf. Das Leben und der Tod sind an sich keine Probleme der Physik, auch wenn der Physiker bei seiner Arbeit sein eigenes Leben ris­ kiert oder das anderer; es handelt sich für ihn um Fragen der Moral oder der Politik, nicht um wissenschaftliche Fragen. Wie A. Lwoff sagt, ist für den Physiker eine genetische Mutation, ob sie nun tödlich oder nicht ist, nichts anderes als die Ersetzung einer Nukleinbase durch eine andere. In diesem Unterschied er­ kennt der Biologe hingegen das eigentümliche Merkmal seines Gegenstands. Und zwar eines Gegenstandstyps, zu dem er selbst gehört, da er lebt und diese Natur des Lebendigen in seiner Er­ kenntnistätigkeit, die als »allgemeine Methode zur direkten oder indirekten Lösung der Spannungen zwischen dem Menschen und der Umwelt« zu verstehen ist, manifestiert, vollzieht und entfal­ tet. Der Biologe muss erfassen, was aus dem Leben einen spezifi15 [G. Canguilhem,] Études d'histoire et de philosophie des sciences, a. a. O., S. 239. 16 [ders.J La connaissance de la vie, 2. Auflage, Paris 1965, S. 88.

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sehen Erkenntnisgegenstand macht, und somit auch, was dazu führt, das es unter den Lebenden, und zwar weil sie Lebende sind, Wesen gibt, die fähig sind, zu erkennen und die schließlich das Leben selbst erkennen können. Die Phänomenologie hat im »Erleben« den originären Sinn ei­ nes jeden Erkenntnisaktes gesucht. Aber kann man oder muss man ihn nicht auf der Seite des »Lebenden« selbst suchen? Georges Canguilhem will durch die Klärung des Wissens über das Leben und der Begriffe, die dieses Wissen artikulieren, heraus­ finden, wie es um den Begriff im Leben steht. Das heißt um den Begriff, insoweit er eine der Weisen der Information ist, die jedes Lebewesen in seiner Umwelt entnimmt und durch die es umge­ kehrt seine Umwelt strukturiert. Dass der Mensch in einer be­ grifflich strukturierten Umwelt lebt, beweist nicht, dass er sich durch irgendein Vergessen vom Leben abgekehrt hätte oder dass ein historisches Drama ihn davon getrennt hätte, sondern n,ur, dass er auf eine bestimmte Weise lebt, dass er zu seiner Umwelt ein Verhältnis hat, das keinen festgelegten Blickwinkel aufweist, dass er auf einem unbegrenzten oder nicht scharf abgegrenzten Territorium beweglich ist, dass er sich fortbewegen muss, um Informationen zu sammeln, dass er die Dinge gegeneinander zu bewegen hat, um sie nutzbar zu machen. Begriffe bilden ist eine Weise zu leben und nicht, das Leben zu töten; es ist eine Weise, in völliger Mobilität zu leben und nicht, das Leben zu immobilisie­ ren; es bedeutet unter den Milliarden von Lebewesen, die ihre Umwelt formieren und sich von ihr formieren lassen, eine Inno­ vation, die man bewerten kann wie man will, als winzig oder beträchtlich: ein besonderer Typ von Information. Daher die Bedeutung, die Georges Canguilhem innerhalb der Wissenschaften vom Leben dem Zusammentreffen der alten Frage des Normalen und des Pathologischen mit den Begriffen beimisst, die die Biologie in den letzten Jahrzehnten der Informationstheo­ rie entlehnt hat: Code, Information, Informationsträger usw. In dieser Hinsicht bildet Das Normale und das Pathologische (ge­ schrieben zum Teil im Jahr 1943 und zum anderen Teil zwischen 1963 und 1966) ohne Zweifel das wichtigste und charakteristischs­ te Werk Georges Canguilhems. Man sieht hier, wie das Problem der Spezifizität des Lebens sich in jüngerer Zeit in eine Richtung gelenkt findet, in der man einige der Probleme wiederfindet, die

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man den entwickeltsten Formen der Evolution Vorbehalten glaub­ te. Im Zentrum dieser Probleme steht das des Irrtums. Denn auf dem fundamentalsten Niveau des Lebens geben die Spiele des Codes und der Decodierung einem Zufall Raum, der, bevor er Krankheit, Mangel oder Missbildung ist, so etwas wie eine Stö­ rung im Informationssystem ist, etwas wie ein »Versehen«. Letzt­ lich ist das Leben - daher sein radikaler Charakter - das, was zum Irrtum fähig ist. Und vielleicht ist in dieser fundamentalen Gege­ benheit oder vielmehr Eventualität der Grund dafür zu suchen, dass die Frage der Anomalie sich durch die gesamte Biologie hindurchzieht. Sie ist vielleicht auch der Grund für die Mutatio­ nen und die von ihnen ausgehenden Evolutionsprozesse. Sie gilt es zu befragen hinsichtlich des singulären, aber erblichen Irrtums, der bewirkt, dass das Leben mit dem Menschen zu einem Wesen geführt hat, das sich nie ganz an seinem Platz befindet, einem Lebewesen, das dazu verurteilt ist, zu »irren« und das letztlich zum »Irrtum« bestimmt ist. Wenn man annimmt, dass der Begriff die Antwort des Lebens auf diesen Zufall ist, dann muss man darin Übereinkommen, dass der Irrtum die Wurzel dessen ist, was das menschliche Denken und seine Geschichte ausmacht. Die Opposition zwischen dem Wahren und dem Falschen, die Werte, die man dem einen und dem anderen zuschreibt, die Machtwirkungen, die die verschiede­ nen Gesellschaften und die verschiedenen Institutionen mit dieser Unterscheidung verknüpfen, all das ist vielleicht nichts anderes als die letzte Antwort auf diese dem Leben innewohnende Möglich­ keit des Irrtums. Wenn die Geschichte der Wissenschaften diskon­ tinuierlich ist, d. h., wenn man sie nur als eine Serie von »Korrek­ turen« analysieren kann, als eine Neuverteilung, die nie ein für alle Mal die Wahrheit freilegt, so bildet auch hier der »Irrtum« nicht das Vergessen oder die Verspätung einer versprochenen Vollen­ dung, sondern die Dimension, die dem Leben der Menschen und der Zeit der Gattung eigen ist. Nietzsche sagte von der Wahrheit, dass sie die tiefste Lüge sei. Canguilhem, der Nietzsche zugleiche fern und nahe steht, würde vielleicht sagen, dass sie auf dem ungeheuren Kalender des Lebens den jüngsten Irrtum darstellt; er würde sagen, dass die Einteilung wahr-falsch und der der Wahrheit zugesprochene Wert die eigen-

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artigste Lebensweise darstellen, die ein Leben erfinden konnte, das von seinem Ursprung her die Eventualität des Irrtums in sich trägt. Der Irrtum ist für Canguilhem der permanente Zufallswurf, um den herum sich die Geschichte des Lebens und des Menschen ranken. Dieser Begriff des Irrtums gestattet ihm, das, was er von der Biologie weiß, mit der Weise zu verbinden, in der er deren Geschichte schreibt, ohne dass er jemals, wie man dies zur Zeit des Evolutionismus tat, diese aus jener ableiten wollte. Er gestattet ihm, das Verhältnis zwischen Leben und Erkenntnis des Lebens zu markieren und darin wie einen roten Faden die Präsenz des Werts und der Norm zu verfolgen. Dieser Historiker der Rationalitäten, der selbst so sehr »Ratio­ nalist« ist, ist ein Philosoph des Irrtums; damit meine ich, dass er vom Problem des Irrtums aus die philosophischen Probleme stellt, genauer: das philosophische Problem der Wahrheit und des Lebens. Man berührt da zweifellos eines der grundlegenden Ereignisse in der Geschichte der modernen Philosophie: Wenn der große cartesische Bruch die Frage nach den Beziehungen zwi­ schen Wahrheit und Subjekt aufwarf, so führte das 18. Jahrhun­ dert in Bezug auf das Verhältnis von Wahrheit und Leben eine Reihe von Fragen ein, deren erste große Formulierungen die Kri­ tik der Urteilskraft17 und dann die Phänomenologie des Geistes18 bildeten. Und seitdem war dies eines der Themen der philosophi­ schen Diskussion: Ist die Erkenntnis des Lebens nichts weiter als eines der Gebiete, die in den Bereich der allgemeinen Frage der Wahrheit, des Subjekts und der Erkenntnis fallen? Oder zwingt sie dazu, diese Frage anders zu stellen? Muss nicht die gesamte Theorie des Subjekts reformuliert werden, wenn die Erkenntnis, statt sich auf die Wahrheit der Welt hin zu öffnen, eher in den »Irrtümern« des Lebens wurzelt? Man versteht, warum das Denken von Georges Canguilhem, seine Arbeit als Historiker und als Philosoph, in Frankreich eine so entscheidende Bedeutung für all diejenigen haben konnte, die von ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten aus die Frage des Subjekts neu zu denken versuchten. Die Phänomenologie konnte zwar in das Feld der Analyse den Körper, die Sexualität, den Tod, die Wahrnehmungswelt einführen; das Cogito blieb zentral; weder 17 Kant, Immanuel, Kritik der Urteilskraft, Berlin 1790. 18 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, Würzburg 1807.

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die Rationalität der Wissenschaft noch die Spezifizität der Wissen­ schaften vom Leben konnten seine Begründungsfunktion beein­ trächtigen. Dieser Philosophie des Sinns, des Subjekts und des Erlebten setzte Canguilhem eine Philosophie des Irrtums, des Be­ griffs des Lebendigen entgegen als eine andere Weise, dem Begriff des Lebens näher zu kommen. Übersetzt von Hermann Kocyba

362 Wahrheit, Macht, Selbst Ein Gespräch zwischen Rux Martin und Michel Foucault (25. Oktober 1982) »Truth, Power, Seif« (»Vérité, pouvoir et soi«; Gespräch mit R. Martin, Uni­ versität Vermont, am 25. Oktober 15)82; übers, von F. Durand-Bogaert), in: Hutton, P. H., Gutman, H. und Martin, L. H. (Hg.), Technologies of the Seif. A seminar with Michel Foucault., Amherst: University of Massachusetts Press 15)88, S.9-15.

Martin: Weshalb sind Sie an die University of Vermont gekom­ men? Foucault: Weil ich einigen Menschen erklären möchte, woran ich arbeite; weil ich erfahren möchte, woran sie arbeiten; und weil ich gerne ein paar dauerhafte Beziehungen knüpfen möchte. Ich bin kein Schriftsteller, kein Philosoph und kein Großintellektuel­ ler: Ich bin Lehrer. Es gibt da ein gesellschaftliches Phänomen, das mich einigermaßen beunruhigt: Seit den sechziger Jahren sind ei­ nige Lehrer zu herausragenden Personen des öffentlichen Lebens geworden - mit den dazu gehörigen Verpflichtungen. Ich will kein Prophet sein und sagen: »Setzt euch, ich habe euch etwas Wichti­ ges mitzuteilen.« Ich bin hergekommen, damit wir über unsere gemeinsame Arbeit sprechen können. Martin: Bisweilen werden Sie als »Philosoph« bezeichnet, ge­ legentlich auch als »Historiker«, als »Strukturalist« und als »Mar­ xist«. Der offizielle Titel Ihres Lehrstuhls am Collège de France lautet: »Professor für die Geschichte der Denksysteme«. Was be­ deutet das?

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Foucault: Ich halte es nicht für erforderlich, genau zu wissen, was ich bin. Das Wichtigste im Leben und in der Arbeit ist, etwas zu werden, das man am Anfang nicht war. Wenn Sie ein Buch beginnen und wissen schon am Anfang, was Sie am Ende sagen werden, hätten Sie dann noch den Mut, es zu schreiben? Was für das Schreiben gilt und für eine Liebesbeziehung, das gilt für das Leben überhaupt. Das Spiel ist deshalb lohnend, weil wir nicht wissen, was am Ende dabei herauskommen wird. Mein Arbeitsfeld ist die Geschichte des Denkens. Der Mensch ist ein denkendes Wesen. Die Art, wie er denkt, hängt mit der Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft und der Geschichte zu­ sammen, aber auch mit allgemeinen, universellen Kategorien und formalen Strukturen. Doch das Denken ist etwas anderes als gesellschaftliche Interaktion. Die Art, wie Menschen wirklich denken, lässt sich nicht angemessen mit universellen logischen Kategorien erschließen. Zwischen der Sozialgeschichte und den formalen Analysen des Denkens gibt es einen Weg, eine Straße vielleicht nur eine sehr schmale-, die der Historiker des Denkens nimmt. Martin: In Sexualität und Wahrheit sprechen Sie von einem Menschen, der die herrschenden Gesetze missachtet und die kom­ mende Freiheit vorwegnimmt. Sehen Sie Ihre eigene Arbeit in diesem Licht? Foucault: Nein. Früher haben mich Menschen oft gebeten, ih­ nen zu sagen, was geschehen wird, und ein Programm für die Zukunft zu entwerfen. Wir wissen nur allzu gut, dass solche Pro­ gramme, auch wenn sie mit den besten Absichten entwickelt wor­ den sind, zu einem Werkzeug der Unterdrückung werden können. Rousseau, der die Freiheit liebte, wurde in der Französischen Revolution als Alibi sozialer Repression missbraucht. Marx hätte den Stalinismus und den Leninismus verabscheut. Ich habe mir vorgenommen - dieser Ausdruck ist gewiss allzu pathetisch-, den Menschen zu zeigen, dass sie weit freier sind, als sie meinen; dass sie Dinge als wahr und evident akzeptieren, die zu einem be­ stimmten Zeitpunkt in der Geschichte hervorgebracht worden sind, und dass man diese so genannte Evidenz kritisieren und zer­ stören kann. Etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern das ist die Aufgabe des Intellektuellen. Martin: In Ihren Schriften lassen Sie sich anscheinend von Ge-

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staken faszinieren, die am Rande der Gesellschaft leben: von Ir­ ren, Aussätzigen, Kriminellen, Devianten, Hermaphroditen, Mör­ dern, obskuren Denkern. Weshalb? Foucault: Manchmal wirft man mir vor, ich wählte marginale Denker aus, statt mich an den Hauptstrom der Geschichte zu halten. Meine Antwort darauf ist ein wenig snobistisch: Es ist absurd, Gestalten wie Bopp und Ricardo für obskur zu halten. Martin: Aber wie steht es mit Ihrem Interesse für gesellschaft­ liche Außenseiter? Foucault: Ich beschäftige mich aus zwei Gründen mit abseitigen Gestalten und Prozessen: Die politischen und sozialen Entwick­ lungen, die den westlichen europäischen Gesellschaften ihr Ge­ sicht gegeben haben, sind nicht sonderlich sichtbar, sie sind in Vergessenheit geraten oder zur Gewohnheit geworden. Sie sind Teil einer Landschaft, die uns sehr vertraut ist; wir nehmen sie nicht mehr wahr. Doch die meisten dieser Entwicklungen haben die Menschen einmal schockiert. Ich möchte zeigen, dass viele Dinge, die Teil unserer Landschaft sind - und für universell ge­ halten werden-, das Ergebnis ganz bestimmter geschichtlicher Veränderungen sind. Alle meine Untersuchungen richten sich ge­ gen den Gedanken universeller Notwendigkeiten im mensch­ lichen Dasein. Sie helfen entdecken, wie willkürlich Institutionen sind, welche Freiheit wir immer noch haben und wie viel Wandel immer noch möglich ist. Martin: In Ihren Schriften sind emotionale Unterströmungen zu erkennen, wie sie bei wissenschaftlichen Untersuchungen un­ üblich sind: Zorn in Überwachen und Strafen, Spott und Hoff­ nung in Die Ordnung der Dinge, Trauer und Empörung in Wahn­ sinn und Gesellschaft. Foucault: Meine Werke sind Teil meiner Biographie. Aus ir­ gendeinem Grunde hatte ich immer Gelegenheit, diese Dinge zu fühlen und zu durchleben. Ich will ein einfaches Beispiel nennen: In den fünfziger Jahren habe ich in einem psychiatrischen Kran­ kenhaus gearbeitet. Nachdem ich Philosophie studiert hatte, woll­ te ich sehen, was Irresein ist. Ich war verrückt genug gewesen, die Vernunft zu studieren; ich war vernünftig genug, das Verrücktsein zu studieren. Ich hatte die Möglichkeit, mich frei unter den Pa­ tienten und den Wärtern zu bewegen, denn ich hatte keine festumrissene Aufgabe. Damals war die Blütezeit der Neurochirurgie,

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die Psychopharmaka kamen gerade auf, die traditionelle Institu­ tion herrschte unangefochten. Zuerst akzeptierte ich die Verhält­ nisse als notwendig, aber nach drei Monaten (ich bin ziemlich langsam) habe ich mich gefragt: Warum sind diese Verhältnisse notwendig? Drei Jahre später habe ich die Stelle aufgegeben und bin nach Schweden gegangen; ich fühlte mich persönlich sehr unwohl und begann, eine Geschichte dieser Praktiken niederzu­ schreiben (Wahnsinn und Gesellschaft). Wahnsinn und Gesellschaft sollte ein erster Band sein, ich liebe es, erste Bände zu schreiben, und ich hasse es, am zweiten zu arbeiten. Man sah darin ein Attentat auf die Psychiatrie; aber es war eine Beschreibung aus historischer Perspektive. Kennen Sie den Unterschied zwischen wahrer Wissenschaft und Pseudowis­ senschaft? Wahre Wissenschaft nimmt ihre eigene Geschichte zur Kenntnis. Wenn Sie einem Psychiater sagen, seine Institution stamme von den Leprosorien ab, wird er fuchsteufelswild. Martin: Wie war das mit der Entstehung von Überwachen und Strafen? Foucault: Ich muss gestehen, ich hatte keine direkte Beziehung zum Gefängnis oder zu Gefangenen, obwohl ich als Psychologe in einer französischen Strafanstalt gearbeitet habe. Als ich in Tune­ sien war, habe ich gesehen, dass Menschen aus politischen Grün­ den inhaftiert wurden, und das hat mich beeinflusst. Martin: Das klassische Zeitalter ist in allen Ihren Schriften der zentrale Ausgangspunkt: Empfinden Sie nostalgische Gefühle an­ gesichts der Klarheit dieser Zeit und der »Sichtbarkeit« der Re­ naissance, als alles vereinheitlicht und ans Licht geholt wurde? Foucault: Die Schönheit dieser vergangenen Zeiten ist nicht die Ursache dieser Nostalgie, sondern deren Wirkung. Ich weiß sehr wohl, dass sie unsere Erfindung ist. Aber es ist gut, solche nos­ talgischen Gefühle zu haben, geradeso wie es gut ist, ein gutes Verhältnis zur eigenen Kindheit zu haben, wenn man selbst Kin­ der hat. Es ist gut, nostalgische Gefühle für bestimmte Zeiten zu hegen, sofern diese Nostalgie sich in einer nachdenklichen und positiven Einstellung zur Gegenwart äußert. Wenn freilich die Nostalgie als Grund für Aggressivität und Verständnislosigkeit gegenüber der Gegenwart dient, dann sollte sie besser gezügelt werden. Martin: Welche Bücher lesen Sie zu Ihrem Vergnügen?

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Foucault: Die Bücher, die in mir die stärksten Gefühle auslösen: Faulkner, Thomas Mann, Malcom Lowrys Under the Vulcano. Martin: Was waren die für Sie bedeutsamen intellektuellen Ein­ flüsse? Foucault: Ich war überrascht, als zwei meiner Freunde in Ber­ keley über mich schrieben, Heidegger habe mich beeinflusst (Hu­ bert L. Dreyfus und Paul Rabinow, Michel Foucault: Beyond Structuralism and Hermeneutics, Chicago 1982). Natürlich hatten sie Recht damit, aber in Frankreich hatte das noch niemand be­ merkt. Als Student in den fünfziger Jahren las ich Husserl, Sartre, Merleau-Ponty. Wenn man einen überwältigenden Sog verspürt, versucht man, ein Fenster zu öffnen. Seltsamerweise ist Heidegger für einen Franzosen gar nicht schwer zu verstehen: Wenn jedes Wort ein Rätsel ist, dann hat man eine gute Chance, zu verstehen. Sein und Zeit ist schwierig; die späteren Werke sind klarer. Nietzsche war eine Offenbarung für mich. Ich hatte das Ge­ fühl, da ist jemand, der ganz anders war, als man es mich gelehrt hatte. Ich las ihn mit großer Leidenschaft und brach mit meinem bisherigen Leben; ich kündigte die Stelle im Krankenhaus und verließ Frankreich. Ich glaubte, in einem Gefängnis zu sein. Durch Nietzsche wurde mir das alles sehr fremd. Ich bin heute noch nicht ganz in das soziale und geistige Leben Frankreichs integriert. Wenn ich jünger wäre, würde ich wohl in die Verei­ nigten Staaten auswandern. Martin: Warum? Foucault: Ich sehe da Möglichkeiten. Die USA haben kein ho­ mogenes geistiges und kulturelles Leben. Als Ausländer brauche ich mich nicht zu integrieren. Niemand zwingt mich dazu. Es gibt viele große Universitäten, alle mit unterschiedlichen Ausrichtun­ gen. Aber natürlich könnte es mir passieren, dass man mich acht­ kantig hinauswirft. Martin: Warum, meinen Sie, würde man Sie hinauswerfen? Foucault: Ich bin sehr stolz darauf, dass manche Leute glauben, ich sei eine Gefahr für die geistige »Gesundheit« der Studenten. Wenn Menschen anfangen, bei geistigen Aktivitäten über Gesund­ heit nachzudenken, dann ist etwas faul. In ihren Augen bin ich eine Infektionsquelle: ein Kryptomarxist, ein Irrationalist oder ein Nihilist. Martin: Nach der Lektüre von Die Ordnung der Dinge könnte

man zu dem Schluss kommen, dass individuelle Reformbemühun­ gen aussichtslos seien, weil neue Entdeckungen zahllose Bedeu­ tungen und Implikationen besitzen, von denen ihr Urheber gar nichts weiß. In Überwachen und Strafen zum Beispiel zeigen Sie, dass es einen plötzlichen Wechsel von der in Ketten trottenden Sträflingskolonne zur geschlossenen Polizeikutsche, vom öffent­ lichen Strafspektakel zur disziplinierten institutioneilen Bestra­ fung gegeben hat. Sie zeigen aber auch, dass dieser Wechsel, der damals eine »Reform« zu sein schien, in Wirklichkeit die Normie­ rung der gesellschaftlichen Strafgewalt bedeutete. Wie also ist be­ wußte Veränderung möglich? Foucault: Ich weiß nicht, wie Sie auf den Gedanken kommen, ich hielte Veränderung für unmöglich, denn was ich untersucht habe, war immer mit politischem Handeln verbunden. Überwa­ chen und Strafen ist ein einziger Versuch, diese Frage zu beant­ worten und zu ermitteln, wie sich neue Denkweisen bildeten. , Wir alle sind lebende und denkende Subjekte. Wogegen ich mich wende, ist die These, dass zwischen der Sozialgeschichte und der Geistesgeschichte ein Bruch bestehe. Demnach soll die Sozialgeschichte beschreiben, wie Menschen handeln ohne zu denken, und die Geistesgeschichte soll beschreiben, wie Men­ schen denken ohne zu handeln. Aber jeder Mensch handelt und denkt zugleich. Das Handeln und die Reaktionen von Menschen sind mit ihrem Denken verknüpft, und natürlich ist das Denken mit der Tradition verbunden. Ich habe versucht, dieses äußerst komplexe Phänomen zu ergründen: dass Menschen in relativ kur­ zer Zeit dahin gelangen, auf Verbrechen und Kriminelle in ganz anderer Weise zu reagieren. Ich habe zwei Arten von Büchern geschrieben. Die eine, z. B. Die Ordnung der Dinge, befasst sich ausschließlich mit dem wis­ senschaftlichen Denken; die andere, z. B. Überwachen und Stra­ fen, beschäftigt sich mit sozialen Prinzipien und Institutionen. Die Wissenschaftsgeschichte entwickelt sich nicht in derselben Weise wie die gesellschaftliche Wahrnehmung. Um als wissen­ schaftlicher Diskurs anerkannt zu werden, muss das Denken ge­ wissen Kriterien genügen. In Überwachen und Strafen kämpfen Texte, Praktiken und Menschen gegeneinander. In meinen Büchern habe ich durchaus versucht, Veränderungen zu analysieren, nicht um deren materielle Ursachen herauszufin-

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den, sondern um alle Faktoren, die aufeinander einwirken, und die Reaktionen der Menschen zu erhellen. Ich glaube an die Freiheit der Menschen. In der gleichen Situation reagieren sie sehr unter-* schiedlich. Martin: Zum Schluss von Überwachen und Strafen schreiben Sie, Ihr Buch solle »verschiedenen Untersuchungen über die Nor­ mierungsmacht und die Formierung des Wissens in der modernen Gesellschaft als Hintergrund dienen«. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Normierung und der Vorstellung, dass der Mensch das Zentrum des Wissens ist? Foucault: Durch verschiedene Praktiken - in der Psychologie, der Medizin, dem Strafsystem, der Erziehung - wurde ein be­ stimmtes Ideal oder Modell der Humanität entwickelt, und nun hat diese Idee vom Menschen normativen Charakter gewonnen, ist selbstevident geworden und gilt als universell gültig. Huma­ nismus mag aber durchaus nicht universell sein, vielmehr ist er wahrscheinlich an eine bestimmte Situation gebunden. Von dem, was wir als Humanismus bezeichnen, haben ebenso wohl Marxis­ ten und Liberale wie Nazis und Katholiken Gebrauch gemacht. Das heißt nicht, dass wir die Menschenrechte oder die Freiheit fallen lassen sollten; wir können allerdings nicht sagen, Freiheit oder Menschenrechte seien auf dies oder jenes beschränkt. Wenn Sie zum Beispiel vor achtzig Jahren gefragt hätten, ob weibliche Tugend ein Bestandteil der universellen Humanität sei, dann hät­ ten alle mit Ja geantwortet. Was mir am Humanismus nicht behagt, ist, dass er eine be­ stimmte Form unserer Ethik zum Muster und Prinzip der Freiheit erklärt. Ich glaube, dass es mehr Geheimnisse gibt, mehr mögliche Freiheiten und weitere zukünftige Erfindungen, als wir uns dies im Rahmen des Humanismus vorstellen können, wie er dogma­ tisch auf allen politischen Positionen verkündet wird, von der Linken über die Mitte bis hin zur Rechten. Martin: Und darum geht es bei den »Technologien des Selbst« ? Foucault: Ja. Sie haben gesagt, Sie hätten das Gefühl, dass ich unberechenbar sei. Das ist wahr. Manchmal freilich komme ich mir selbst allzu systematisch und rigide vor. Bisher habe ich drei traditionelle Probleme untersucht: 1. Wel­ ches Verhältnis haben wir zur Wahrheit durch wissenschaftliche Erkenntnis, zu jenen »Wahrheitsspielen«, die so große Bedeutung

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in der Zivilisation besitzen und deren Subjekt und Objekt wir gleichermaßen sind? 2. Welches Verhältnis haben wir aufgrund dieser seltsamen Strategien und Machtbeziehungen zu den ande­ ren? 3. Welche Beziehungen bestehen zwischen Wahrheit, Macht und Selbst? Ich möchte all das mit einer Frage beschließen: Was könnte klassischer sein als diese Fragen und systematischer als der Weg von Frage eins über Frage zwei zu Frage drei und zurück zu Frage eins. Genau an diesem Punkt bin ich jetzt. Übersetzt von Michael Bischoff

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Technologien des Selbst »Technologies of the seif« (»Les techniques de soie; Universität von Vermont, Okt. 1982, übers, v. F. Durand-Bogaert), in: Hutton, P. H., Gutman, H. und Martin, L. H. (Hg.), Technologies of the self. A Seminar with Michel Foucault, Anherst: University of Massachusetts Press 1988, S. 16-49.

I Technologien des Selbst Als ich begann, die Regeln, Pflichten und Verbote zu studieren, mit denen die Sexualität belegt wird, habe ich mich nicht einfach mit den erlaubten oder verbotenen Handlungen beschäftigt, son­ dern mit den dargestellten Gefühlen, den Gedanken, den Wün­ schen, die man erfahren mag, mit dem Drang, in sich selbst nach verborgenen Empfindungen, nach jeder Regung der Seele, nach Begierden zu fahnden, die sich unter täuschenden Masken verber­ gen könnten. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Verboten, die den Sexus betreffen, und solchen, die anderen Din­ gen gelten. Anders als sonstige Verbote sind sexuelle Verbote re­ gelmäßig mit der Verpflichtung verbunden, die Wahrheit über sich selbst zu sagen. Gegen diese Auffassung ließen sich zwei Tatsachen Vorbringen: einmal der Umstand, dass dem Bekenntnis von den Strafrecht-

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liehen und religiösen Institutionen im Hinblick auf alle Vergehen und nicht nur die sexuellen Verfehlungen große Bedeutung beige­ messen wird. Aber die Pflicht, die eigenen Begierden zu analysie­ ren, hat im Feld der Sexualität stets mehr Gewicht als bei allen übrigen Verstößen. Auch der zweite Einwand ist mir sehr wohl bewusst. Ihm zu­ folge war das sexuelle Verhalten stärker als jedes andere äußerst strengen Regeln der Verschwiegenheit, des Anstands und der Zu­ rückhaltung unterworfen, so dass die Sexualität auf seltsame und komplexe Weise gleichzeitig mit einem sprachlichen Verbot und der Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen, besetzt ist, mit der For­ derung also, zu verbergen, was man tut, und zu entziffern, wer man ist. Die Verknüpfung des Verbots mit der nachhaltigen Forderung, zu sprechen, ist ein konstantes Merkmal unserer Kultur. Das The­ ma der Abkehr vom Fleische war in der Beichte, die der Mönch vor seinem Abt abzulegen hatte, mit der Verpflichtung verbun­ den, dem Abt alles zu berichten, was sich im Kopf des Mönchs abspielte. Ich kam nun auf den Gedanken, ein recht sonderbares Projekt in Angriff zu nehmen, bei dem es nicht darum ging, die Entwick­ lung des Sexualverhaltens nachzuzeichnen, sondern die Geschich­ te dieser Verknüpfung aufzudecken, der Verknüpfung zwischen der Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen, und den Verboten, die auf der Sexualität lasteten. Ich fragte: Auf welche Weise zwang man das Subjekt, sich selbst im Hinblick auf das Verbotene zu entziffern? Diese Frage zielt auf das Verhältnis von Askese und Wahrheit. Max Weber hat gefragt: Wenn man sich rational verhalten und das eigene Handeln an Prinzipien der Wahrheit ausrichten möch­ te, auf welchen Teil des Selbst muss man dann verzichten? Worin besteht der asketische Preis der Vernunft? Welcher Art von As­ kese sollte man sich zuwenden? Ich habe die gegenteilige Frage gestellt: Was muss man über sich selbst wissen, wenn man bereit sein soll, auf irgendetwas zu verzichten? So gelangte ich zur Hermeneutik der Selbsttechniken in der heidnischen und frühchristlichen Praxis. Bei meinen Nachfor­ schungen stieß ich auf zahlreiche Schwierigkeiten, denn diese Praktiken sind wenig bekannt. Erstens hat das Christentum sich

stets mehr für die Geschichte seiner Glaubensinhalte interessiert als für die Geschichte realer Praktiken. Zweitens ist eine derartige Hermeneutik niemals zu einer Dogmatik verdichtet worden, wie es für die Texthermeneutik gilt. Drittens ist die Hermeneutik des Selbst mit Theologien der Seele vermengt worden - Wollust, Sün­ de, Abfall vom Glauben. Viertens hat sich diese Hermeneutik über zahlreiche Kanäle in der gesamten Kultur ausgebreitet und ist Verbindungen mit vielerlei Einstellungen und Erfahrungen ein­ gegangen, so dass es schwierig ist, sie von unseren eigenen sponta­ nen Erlebnissen zu trennen.

Der Kontext der Untersuchung Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren verfolge ich das Ziel, eine Geschichte der Wege zu skizzieren, auf denen Menschen in unse­ rer Kultur Wissen über sich selbst erwerben: Ökonomie, Biologie, Psychiatrie, Medizin und Strafrecht. Dabei geht es nicht in erster Linie um den Wahrheitsgehalt dieses Wissens, sondern um die Analyse der so genannten Wissenschaften als hochspezifischer »Wahrheitsspiele« auf der Grundlage spezieller Techniken, welche die Menschen gebrauchen, um sich selbst zu verstehen. Den Kontext dafür bilden vier Typen solcher »Technologien«, deren jeder eine Matrix praktischer Vernunft bildet: i. Technolo­ gien der Produktion, die es uns ermöglichen, Dinge zu produzie­ ren, zu verändern oder auf sonstige Weise zu manipulieren; 2. Technologien von Zeichensystemen, die es uns gestatten, mit Zei­ chen, Bedeutungen, Symbolen oder Sinn umzugehen; 3. Techno­ logien der Macht, die das Verhalten von Individuen prägen und sie bestimmten Zwecken oder einer Herrschaft unterwerfen, die das Subjekt zum Objekt machen; 4. Technologien des Selbst, die es dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, dass er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt. Diese vier Arten von Technologien sind, soweit es ihr Funk­ tionieren betrifft, nur selten voneinander zu trennen, obwohl jede

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von ihnen mit einer bestimmten Art von Herrschaft verbunden ist. Jede von ihnen impliziert bestimmte Formen der Schulung und der Transformation, nicht nur in dem offenkundigen Sinne, dass gewisse Fertigkeiten erworben werden, sondern auch im Sin­ ne der Aneignung von Einstellungen. Ich wollte sowohl ihre spe­ zielle Natur als auch ihre beständige Wechselwirkung beschrei­ ben. So erkennt man zum Beispiel die Beziehung zwischen der Manipulation von Gegenständen und der Herrschaft im M a n ­ schen Kapital, wo es heißt, dass jede Produktionstechnik Modifi­ kationen des individuellen Verhaltens gebiete, und zwar nicht nur in der Sphäre der Fertigkeiten, sondern auch in der Sphäre der Einstellungen. Gewöhnlich befasst man sich mit den beiden ersten Technolo­ gien bei der Untersuchung von Wissenschaften und Sprachsyste­ men. Mein Hauptaugenmerk galt dagegen den Technologien der Herrschaft und des Selbst. So habe ich den Wahnsinn nicht nach formalwissenschaftlichen Kriterien erforscht, sondern um aufzu­ zeigen, wie dieser seltsame Diskurs einen bestimmten Umgang mit Individuen innerhalb und außerhalb des Irrenhauses gestiftet hat. Diese Verbindung zwischen den Technologien der Beherr­ schung anderer und den Technologien des Selbst nenne ich Kontrollmentalität. Vielleicht habe ich die Bedeutung der Technologien von Macht und Herrschaft allzu stark betont. Mehr und mehr interessiere ich mich für die Interaktion zwischen einem selbst und anderen und für die Technologien individueller Beherrschung, für die Ge­ schichte der Formen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt, für die Technologien des Selbst.

Die Entwicklung der Selbsttechniken Ich möchte kurz die Entwicklung der Hermeneutik des Selbst in zwei verschiedenen Kontexten skizzieren, zwischen denen aller­ dings ein geschichtlicher Zusammenhang besteht: 1. in der grie­ chisch-römischen Philosophie des ersten und zweiten Jahrhun­ derts des frühen Römischen Reiches und 2. in der christlichen Spiritualität und den Regeln mönchischen Lebens, wie sie im vier­ ten und fünften Jahrhundert im spätrömischen Reich herausge­

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bildet worden sind. Dabei sollen sich die Überlegungen nicht nur im Theoriefeld bewegen, sondern auch Praktiken aufnehmen, die der Spätantike eigentümlich waren. Diese Praktiken wurden im Griechischen als epimeleisthai sautou bezeichnet, was so viel heißt wie »auf sich selbst achten«, »Sorge um sich selbst«, »sich um sich selbst kümmern«. Die Vorschrift, »auf sich selbst zu achten«, galt den Griechen als einer der zentralen Grundsätze der Polis, als Hauptregel für das soziale und persönliche Verhalten und für die Lebenskunst. Für uns heute ist dieser Begriff dunkel und verblasst. Wenn man uns fragt, welches das wichtigste moralische Prinzip der antiken Philosophie sei, dann werden wir nicht sagen: »Man achte auf sich selbst«; vielmehr werden wir auf das »Erkenne dich selbst« des Delphischen Orakels verweisen. Vielleicht hat unsere philosophische Tradition das »Erkenne dich selbst« überbewertet und das »Achte auf dich selbst« ver­ gessen. Die DelphiSche Maxime war kein abstraktes Prinzip der Lebensführung, es war eine praktische Anleitung, eine Regel, die es zu beachten galt, wenn man das Orakel befragen wollte. »Er­ kenne dich selbst«, damit war gemeint: »Wisse, dass du kein Gott bist«. Andere Kommentare geben ihm die Bedeutung: »Achte da­ rauf, was du wirklich fragst, wenn du das Orakel konsultierst.« In griechischen und römischen Texten war das Gebot, sich selbst zu erkennen, stets mit der Maxime der Sorge um sich selbst verknüpft, und erst dieses Erfordernis, auf sich selbst zu achten, brachte die DelphPsche Maxime ins Spiel. Sie ist der gesamten griechischen und römischen Kultur inhärent, implizit von jeher und explizit seit Platons Alkibiades L In den Sokratischen Dialo­ gen, bei Xenophon, Hippokrates und in der neuplatonischen Tra­ dition von Albinus an musste man Sorge um sich selbst tragen. Man musste sich mit sich selbst beschäftigen, bevor die DelphPsche Maxime überhaupt wirksam werden konnte. Das »Erkenne dich selbst« war der Sorge um sich selbst untergeordnet. Dafür möchte ich ein paar Beispiele anführen. In Platons Verteidigung des Sokrates (29e) präsentiert sich So­ krates seinen Richtern als Meister der epimeleia heautou. Er fragt: »[...] schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen [...] und für Ruhm und Ehre«, für dich selbst aber sorgst du nicht, das heißt für »Einsicht [...] und Wahrheit und deine Seele, dass sie sich aufs

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beste befinde«. Er dagegen gehe umher und überrede seine Mit­ bürger, für sich selbst, für ihre Seele, zu sorgen. Sokrates macht drei wichtige Bemerkungen im Zusammenhang seiner Aufforderung an die anderen, für ihre Seele zu sorgen: 1. Den Auftrag dazu hat er von den Göttern erhalten, und er wird davon nicht lassen, auch wenn es ihn das Leben kostet. 2. Für seine Mühen verlangt er keinen Lohn; er verfolgt keine materiel­ len Interessen; er handelt ausschließlich aus Liebe zum Nächsten. 3. Seine Mission ist für die Stadt von Nutzen - von größerem Nutzen als der militärische Sieg der Athener bei Olympia-, denn indem er die Menschen lehrt, auf sich selbst Acht zu geben, lehrt er sie, auf die Stadt Acht zu geben. Achthundert Jahre später findet sich derselbe Begriff und der­ selbe Satz in der Abhandlung De virginitate des Gregor von Nyssa, allerdings mit einer gänzlich anderen Bedeutung. Gregor mein­ te nicht die Sorge um sich und die Stadt; ihm ging es um den Verzicht auf die Welt, den Verzicht auf die Ehe und die Abkehr vom Fleische, um so, jungfräulich an Leib und Seele, die verlorene Unsterblichkeit wiederzuerlangen. In einem Kommentar zum Gleichnis von der verlorenen Drachme (Lukas 15,8-10) ermahnt Gregor den Leser, ein Licht anzuzünden, das Haus zu durchsu­ chen, bis man die Drachme im Dunkeln schimmern sieht. Um die Wirkungskraft wiederzugewinnen, die Gott der Seele eingegeben hat und die vom Körper getrübt worden ist, muss man auf sich se^st achten und jeden Winkel seiner Seele ausleuchten (De vir­ ginitate 12). Wir können sehen, dass die christliche Askese sich ebenso wie die antike Philosophie unter das Zeichen der Sorge um sich selbst stellte. Die Verpflichtung, sich selbst zu erkennen, zählt zu den wesentlichen Elementen ihres Denkens und Tuns. Zwischen die­ sen beiden Extremen - Sokrates und Gregor von Nyssa - markiert die Sorge um sich selbst nicht nur eine Maxime, sie ist zugleich ständig geübte Praxis. Ich nenne zwei weitere Beispiele. Der erste epikureische Text, der als Handbuch der Moral diente, war der Brief an Menoikeus (Diogenes Laërtius 10,122-138). Epikur schreibt, es sei niemals zu früh und niemals zu spät, sich mit der eigenen Seele zu beschäf­ tigen. Man solle philosophieren, wenn man jung ist, und auch, wenn man alt ist. Dies sei eine Aufgabe, der man sich sein Leben

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lang widmen müsse. Die Lehren der alltäglichen Lebensführung waren um die Sorge um sich selbst organisiert und sollten jedem Mitglied der Gruppe bei der gemeinsamen Suche nach dem Heil helfen. Ein weiteres Beispiel findet sich in einem alexandrinischen Text, der Abhandlung De vita contemplativa des Philo von Alexandria. Er berichtet von einer obskuren, rätselhaften Gruppe an den Rän­ dern der hellenischen und hebräischen Kultur, die man Therapeu­ ten nannte und die sich durch Frömmigkeit auszeichnete. Es war eine strenge Gemeinschaft; sie widmete sich der Lektüre, heilen­ der Meditation, individuellem und gemeinschaftlichem Gebet und einem spirituellen Mahl (agapë, »Fest«). Diese Praktiken resultier­ ten aus der zentralen Aufgabe der Sorge um sich selbst (De vita contemplativa 36). Damit haben wir den Ausgangspunkt für eine mögliche Ana­ lyse der Sorge um sich selbst in der Kultur der Antike. Ich möchte der Beziehung zwischen Sorge und Selbsterkenntnis nachspüren, dem Verhältnis, das in der griechisch-römischen und der christ­ lichen Tradition zwischen der Sorge um sich selbst und der nur allzu bekannten Maxime »Erkenne dich selbst« besteht. So wie es unterschiedliche Formen der Sorge gibt, so gibt es auch unter­ schiedliche Formen des Selbst.

Zusammenfassung Es gibt verschiedene Gründe, weshalb das »Erkenne dich selbst« die Maxime »Achte auf dich selbst« in den Hintergrund gedrängt hat. Erstens hat in den Moralvorstellungen der westlichen Gesell­ schaft ein tief greifender Wandel stattgefunden. Es fällt uns schwer, rigorose Moral und strenge Prinzipien auf das Gebot zu gründen, uns selbst mehr Aufmerksamkeit zu schenken als ir­ gendetwas sonst auf der Welt. Wir sind geneigt, in der Sorge um sich selbst etwas Unmoralisches zu argwöhnen, ein Mittel, uns aller denkbaren Regeln zu entheben. Wir sind Erben der christ­ lichen Moraltradition, die in der Selbstlosigkeit die Vorbedingung des Heils erblickt - sich selbst zu erkennen erschien paradoxer­ weise als der Weg, auf dem man zur Selbstlosigkeit gelangte. Wir sind jedodh zugleich Erben einer weltlichen Tradition, die das

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äußere Gesetz als Grundlage der Moral akzeptiert. Wie sollte unter diesen Umständen die Achtung vor dem Selbst die Grund­ lage von Moralität bilden können? Wir sind die Erben einer ge­ sellschaftlichen Moral, welche die Regeln für akzeptables Verhal­ ten in den Beziehungen zu anderen sucht. Seit dem sechzehnten Jahrhundert wird die Kritik an den Moralvorstellungen unter Hinweis auf die Bedeutung der Selbstachtung und der Selbst­ erkenntnis vorgetragen. Deshalb lässt sich nur schwer einsehen, dass die Sorge um sich selbst mit Moral verträglich ist. Das »Er­ kenne dich selbst« hat das »Achte auf dich selbst« in den Schatten gerückt; unsere Moral, eine asketische Moral, unterstellt, man könne das Selbst zurückweisen. Ein zweiter Grund liegt in der Tatsache, dass die Selbsterkennt­ nis (das denkende Subjekt) in der Philosophie von Descartes bis Husserl eine zunehmend größere Bedeutung als erster Schritt der Erkenntnistheorie erlangt hat. Zusammenfassend können wir sagen: In der Rangordnung der beiden antiken Maximen »Achte auf dich selbst« und »Erkenne dich selbst« hat es eine Umkehrung gegeben. In der griechischrömischen Kultur erschien die Selbsterkenntnis als Folge der Sor­ ge um sich selbst. In der Moderne dagegen verkörpert die Selbst­ erkenntnis das fundamentale Prinzip.I II Die erste philosophische Explikation des Interesses an der Sorge um sich selbst findet sich in Platons Alkibiades L Wann der Text geschrieben wurde, ist ungewiss, und möglicherweise handelt es sich um eine der unechten Schriften. Mir geht es jedoch nicht um Daten; ich möchte vielmehr die besonderen Merkmale der Sorge um sich selbst ermitteln, die im Mittelpunkt des Dialogs steht. Von den Neuplatonikern des dritten und vierten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung wissen wir, welche Bedeutung man diesem Dialog beimaß und welches Gewicht er in der antiken Tradition besaß. Sie wollten Platons Dialoge als Pädagogik und als enzyk­ lopädisches Wissen organisieren. Den Alkibiades hielten sie für den ersten platonischen Dialog, den ersten, den es zu lesen und zu studieren galt. Er war arche. Im zweiten Jahrhundert sagt Al-

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binus, jeder begabte junge Mann, der sich von der Politik fern halten und Tugend üben wolle, solle den Alkibiades studieren. Er enthalte ein Programm für die gesamte Platon'sche Philoso­ phie. Die Sorge um sich selbst ist sein oberster Grundsatz. Ich möchte die Sorge um sich selbst im Alkibiades unter drei Aspek­ ten analysieren. 1. Wie wird die Frage in den Dialog eingeführt? Weshalb ge­ langen Sokrates und Alkibiades zum Begriff der Sorge um sich selbst? Alkibiades steht vor dem Eintritt in das öffentliche und politi­ sche Leben. Er möchte vor den Menschen reden und zu uneinge­ schränkter Macht in der Stadt aufsteigen. Er gibt sich nicht zu­ frieden mit seinem ererbten Status, mit den Privilegien, die ihm durch Geburt und Stand zufallen. Er möchte persönliche Macht über alle anderen erlangen, innerhalb der Stadt und außerhalb von ihr. An diesem Kreuzweg nun erscheint Sokrates und macht dem Alkibiades eine Liebeserklärung. Jetzt kann Alkibiades nicht mehr der Geliebte sein; er muss selbst zum Liebenden werden. Er muss im Liebesspiel wie im politischen Spiel aktiv werden. Es entsteht also eine Dialektik zwischen dem politischen und dem erotischen Diskurs. Alkibiades macht sowohl in der Politik als auch in der Liebe einen Wandel durch, und zwar auf spezifische Weise. Im politischen und erotischen Vokabular des Alkibiades bekun­ det sich eine gewisse Ambivalenz. In seiner Jugend war er be­ gehrenswert und hatte viele Verehrer, doch nun, da sein Bart zu sprießen beginnt, verschwinden sie. Früher hatte er sie alle im Bewusstsein seiner Schönheit abgewiesen, weil er herrschen und nicht beherrscht werden wollte. In seiner Jugend wollte er nicht beherrscht werden, jetzt will er selber herrschen. Das ist der Au­ genblick, in dem Sokrates eingreift, und er hat Erfolg, wo andere scheiterten. Er schafft es, dass Alkibiades sich unterwirft. Die beiden treffen ein Abkommen: Alkibiades beugt sich seinem Liebhaber Sokrates, jedoch nicht in körperlicher, sondern in geis­ tiger Hinsicht. Der Schnittpunkt, an dem politischer Ehrgeiz und philosophische Liebe einander kreuzen, ist die »Sorge um sich selbst«. 2. Weshalb sollte Alkibiades in dieser Beziehung Sorge um sich selbst tragen, und weshalb interessiert Sokrates sich für dieses Interesse des Alkibiades? Sokrates fragt Alkibiades nach seinen

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Fähigkeiten und der Art seines Ehrgeizes. Weiß er, was Herrschaft des Gesetzes oder Gerechtigkeit oder Eintracht bedeuten? Alkibiades weiß davon nichts. Sokrates fordert ihn auf, seine Erzie­ hung mit der des persischen und des spartanischen Königs zu vergleichen, die seine Rivalen sind. Spartanische und persische Prinzen haben Lehrer der Weisheit, der Gerechtigkeit, der Mäßi­ gung und des Mutes. Gemessen daran ähnelt die Bildung des Alkibiades der eines alten unwissenden Sklaven. Wie soll er da nach Erkenntnis suchen? Aber, sagt Sokrates, es ist noch nicht zu spät. Um die Oberhand zu gewinnen - um technë zu erwerben-, muss Alkibiades Sorge um sich selbst tragen. Doch Alkibiades weiß nicht, wonach er streben soll. Was ist das für ein Wissen, das er sucht? Er ist ratlos und verwirrt. Sokrates ruft ihn auf, Mut zu fassen. In Alkibiades /, 127e1, taucht zum ersten Mal der Ausdruck epimeleisthai sautou auf. Sorge um sich selbst bezieht sich auf einen aktiven politischen und erotischen Status. Epimeleisthai meint et­ was Ernsteres als bloße Aufmerksamkeit. Es enthält mehrere Mo­ mente: äußerste Sorgfalt auf seine Begabungen und seine Gesund­ heit verwenden. Es ist reales Handeln und nicht nur ein Habitus. Es wird verglichen mit der Arbeit eines Bauern, den die Sorge um seine Felder, sein Vieh und seinen Hof umtreibt, oder mit der Auf­ gabe eines Königs, der für seine Stadt und deren Bürger sorgt, oder mit der Verehrung der Ahnen und Götter, und im medizinischen Sir.ne bezeichnet es die Tätigkeit des Pflegens. Aufschlussreich ist, dass die Sorge um sich selbst in Alkibiades I unmittelbar ins Ver­ hältnis zu mangelhafter Erziehung gestellt wird, wenn eine politi­ sche Wahl und eine Lebensentscheidung zu treffen sind. 3. Der Rest des Textes ist der Untersuchung des Begriffs epimeleisthai gewidmet, der »Sorgfalt, die man auf sich selbst ver­ wendet«. Er befasst sich mit zwei Fragen: Was ist dieses Selbst, auf das man Sorgfalt verwendet? Und: Worin besteht diese Sorge? Zunächst: Was ist das Selbst (129k)? »Selbst« ist ein Reflexiv­ pronomen, und es hat zwei Bedeutungen. »Auto« bedeutet »das­ selbe«, aber es verweist auch auf den Begriff der Identität. In dieser letzteren Bedeutung verschiebt sich die Frage von »Was ist das Selbst?« zu »Was ist der Rahmen, in dem ich meine Iden­ tität finden werde?« Alkibiades versucht das Selbst in einer dialektischen Bewegung

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zu finden. Wenn du Sorge um deinen Körper trägst, dann ist das keine Sorge um dich selbst. Das Selbst ist nicht Kleidung, Werk­ zeuge, Besitztümer. Es findet sich in dem Prinzip, das die Werk­ zeuge in Gebrauch nimmt, einem Prinzip der Seele und nicht des Körpers. Man muss auf seine Seele Sorgfalt verwenden - das ist die zentrale Aktivität der Sorge um sich selbst. Die Sorge um das Selbst ist die Sorge um die Aktivität, nicht die Sorge um die Seele als Substanz. Die zweite Frage lautet: Wie müssen wir auf dieses Aktivitäts­ prinzip, das die Seele ist, Sorge verwenden? Worin besteht diese Sorge? Wir müssen wissen, woraus die Seele besteht. Die Seele vermag sich selbst nur dann zu erkennen, wenn sie sich in einem ähnlichen Element, einem Spiegel, betrachtet. Also muss sie das Göttliche betrachten. In der Betrachtung der Götter entdeckt die Seele Regeln, welche die Grundlage für gerechtes Tun und politi­ sches Handeln bilden können. Die Bemühung der Seele, sich selbst zu erkennen, ist das Prinzip, auf dem gerechtes politisches Handeln sich begründen lässt, und Alkibiades wird ein guter Po­ litiker sein, sofern er seine Seele im göttlichen Element betrachtet. Häufig kreist die Erörterung dem Inhalt wie der Ausdrucks­ weise nach um die Delphi’sche Maxime: »Erkenne dich selbst.« Sorge um sich selbst tragen meint, sich selbst erkennen. Die Selbsterkenntnis wird zum Gegenstand des Strebens nach Sorge um sich selbst. Beschäftigung mit sich selbst und politisches Han­ deln sind miteinander verknüpft. Der Dialog endet in dem Augen­ blick, da Alkibiades erkennt, dass er Sorge um sich selbst tragen muss, indem er seine Seele prüft. Dieser frühe Text erhellt den geschichtlichen Hintergrund des Gebots, Sorgfalt an sich selbst zu wenden, und formuliert vier Hauptprobleme, die sich durch die gesamte Antike ziehen, ob­ gleich die angebotenen Lösungen sich häufig von den in Platons Alkibiades formulierten unterscheiden. Erstens das Problem des Verhältnisses zwischen der Beschäfti­ gung mit sich selbst und dem politischen Handeln. Im Späthelle­ nismus und in der Kaiserzeit wird die Frage auch anders formu­ liert: Wann ist es angezeigt, sich von der Politik abzukehren und sich mit sich selbst zu beschäftigen? Zweitens das Problem des Verhältnisses zwischen der Beschäf­ tigung mit sich selbst und der Erziehung. Für Sokrates ist die

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Beschäftigung mit sich selbst eine Aufgabe des jungen Mannes, doch in späterer hellenistischer Zeit gilt sie als lebenslange An­ strengung. Drittens das Problem des Verhältnisses zwischen Sorge um sich selbst und Selbsterkenntnis. Platon räumte der Delphi’schen Ma­ xime »Erkenne dich selbst« die Priorität ein. Die privilegierte Stellung des »Erkenne dich selbst« ist ein charakteristisches Merk­ mal aller Platoniker. In der späteren hellenistischen und der grie­ chisch-römischen Zeit wurde das Verhältnis umgekehrt. Nun lag der Nachdruck nicht mehr auf der Selbsterkenntnis, sondern auf der Sorge um sich selbst - diese erlangte Autonomie und sogar Vorrang als philosophisches Problem. Viertens das Problem des Verhältnisses zwischen Sorge um sich selbst und philosophischer Liebe oder der Beziehung zu einem Lehrer. Im Hellenismus und in der Kaiserzeit wurde der sokratische Begriff der Sorge um sich selbst zu einem weit verbreiteten, universellen philosophischen Thema. Epikur und seine Anhänger akzeptierten ihn, desgleichen die Kyniker und auch Stoiker wie Seneca, Rufus und Galen. Die Pythagoräer achteten ganz allge­ mein auf die Vorstellung eines geordneten Lebens. Sorge um sich selbst war kein abstrakter Ratschlag, sondern eine vielfältige Tä­ tigkeit, ein Netz von Verpflichtungen und Diensten gegenüber der Seele. In der Nachfolge Epikurs glaubten die Epikureer, dass es niemals zu spät sei, sich mit sich selbst zu befassen. Die Stoiker sagen, man solle auf sich achten: »Ziehe dich in das Selbst zurück und bleibe dort.« Lukian parodierte den Begriff. Es handelte sich um eine weit verbreitete Aktivität; sie mündete in einem Wett­ streit zwischen den Rhetorikern und jenen, die sich der Sorge um sich selbst zuwandten, einem Wettstreit, der sich insbesondere an der Rolle des Lehrers entzündete. Natürlich gab es auch Scharlatane. Aber allgemein wurde aner­ kannt, dass es gut war, sich der Reflexion zu widmen, zumindest für eine Weile. Plinius rät einem Freund, sich ein paar Augen­ blicke am Tag oder mehrere Wochen oder Monate im Jahr zu­ rückzuziehen - eine aktiv gestaltete Mußezeit, in der man studier­ te, las, sich auf ein Unglück oder den Tod vorbereitete. Das Schreiben war gleichfalls bedeutsam in einer Kultur der Sorge um sich selbst. Zu den wichtigsten Praktiken der Sorge um sich selbst gehörte es, dass man Aufzeichnungen über sich

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selbst machte, in der Absicht, sie später wieder einmal zu lesen; dass man Abhandlungen und Briefe an Freunde schickte, die ih­ nen helfen sollten; dass man Tagebuch führte, um die Wahrheiten, deren man bedurfte, für sich selbst reaktivieren zu können. Senecas Briefe sind dafür ein Beispiel. Im traditionellen politischen Leben herrschte weitgehend die mündliche Kultur vor, deshalb war Rhetorik wichtig. Doch die Entwicklung der administrativen Strukturen und der Bürokratie in der Kaiserzeit erweiterte Praxis und Rolle des Schreibens in der politischen Sphäre. In Platons Schriften trat an die Stelle des Di­ alogs der literarische Scheindialog. Im hellenistischen Zeitalter verbündete sich die Sorge um sich selbst mit unablässiger Schreib­ tätigkeit. Das Selbst ist etwas, worüber man schreibt, ein Thema oder Gegenstand des Schreibens. Dies ist durchaus kein moderner Sachverhalt, der in der Reformation oder in der Romantik hervor­ getreten wäre; vielmehr handelt es sich um eine der ältesten Tra­ ditionen des Westens, und sie war bereits etabliert und tief ver­ wurzelt, als Augustinus seine Bekenntnisse zu verfassen begann. Dem neuen Interesse am Selbst entsprach eine neue Selbster­ fahrung. Dies wird im ersten und zweiten Jahrhundert deutlich. Es entstand eine Allianz zwischen Schreiben und Wachsamkeit. Man achtete auf Nuancen des Alltags, der Stimmung, des Lesens; im Akt des Schreibens gewann die Selbsterfahrung eine Intensi­ vierung und Erweiterung. Ein neues Wahrnehmungsfeld eröffnete sich, das zuvor nicht betreten worden war. Wir können Cicero mit dem späten Seneca oder mit Marc Aurel vergleichen, die beide eine penible Neugier für alle Einzelheiten des täglichen Lebens, für die Regungen des Geistes und für die Analyse des eigenen Ich bewiesen. Die ganze Kaiserzeit ist präsent in Marc Aurels Brief an Fronto aus dem Jahre 144 oder 145 unserer Zeitrechnung: Heil dir, mein süßester Lehrer. Wir sind wohlauf. Ich habe heute lange geschlafen, wegen der leichten Erkältung, die jetzt abzuklingen scheint. Von etwa fünf bis neun Uhr heute morgen habe ich teils in Catos De agricultura gelesen, teils habe ich geschrieben, jedoch beim Himmel nicht solchen Unsinn wie gestern. Nachdem ich meinen Vater begrüßt hatte, habe ich meiner Kehle Linderung verschafft, ich möchte nicht sagen durch Gurgeln - obwohl das Wort gargarisso sich, glaube ich, bei Novius und anderen findet-, aber indem ich Ho­

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nigwasser bis zur Kehle rinnen ließ und dann wieder ausspie. Nachdem ich meiner Kehle Linderung verschafft hatte, ging ich zu meinem Vater und begleitete ihn zu einem Opfer. Danach aßen wir. Was, glaubst du, habe ich gegessen? Ein winziges Stück Brot, während ich zusah, wie andere Bohnen, Zwiebeln und Heringe voller Rogen verschlangen. Dann haben wir hart bei der Weinlese gearbeitet; wir haben kräftig geschwitzt, waren fröhlich und lie­ ßen, wie der Dichter sagt, »noch ein paar Trauben für die Nach­ lese hängen«. Nach sechs kamen wir nach Hause. Ich habe nur wenig gearbeitet, und das recht ziellos. Danach habe ich lange mit meiner lieben Mutter geplaudert, während sie auf dem Bett saß. Ich sagte: »Was, glaubst du, wird wohl mein Fronto gerade tun?« Darauf sie: »Was glaubst du, wird wohl meine Gratia gerade tun?« Darauf ich: »Und was, glaubst du, wird unser kleiner Spatz, die kleine Gratia, gerade tun?« Während wir so rede­ ten und darum stritten, wer von uns beiden den einen oder anderen von euch zweien mehr liebte, ertönte der Gong, was bedeutete, dass mein Vater sein Bad nahm. So aßen wir denn nach dem Baden im Ölpressraum zu Abend; ich will damit nicht sagen, dass wir im Ölpressraum gebadet haben, sondern dass wir dort aßen, und mit Vergnügen hörten wir den Arbeitern zu, die einander neckten. Nun bin ich wieder zurück, und bevor ich mich umdrehe, um einzuschlafen, komme ich meiner Pflicht nach und berichte mei­ nem geliebten Lehrer, wie ich den Tag verbracht habe, und wenn ich ihn noch mehr vermissen könnte, würde ich nicht zögern, mich noch mehr nach ihm zu verzehren. Lebwohl, mein Fronto, wo Du auch sein magst, mein Liebster, mein Liebling, meine Freude. Wie steht es zwischen Dir und mir? Ich liebe Dich, und Du bist fern. Dieser Brief bietet eine Beschreibung des Alltagslebens. Alle Details der Sorge um sich selbst sind gegenwärtig. Cicero teilt nur Bedeutendes mit; in Aurels Brief jedoch sind die geringen Vorfälle bedeutsam, weil sie sind, was er ist —was er gedacht und gefühlt hat. Auch das Verhältnis von Körper und Seele ist höchst beredt. Für die Stoiker war der Körper nicht wichtig; doch Marc Aurel spricht nachdrücklich von seinem Körper, von seiner Gesundheit, von dem, was er gegessen hat, von seinem entzünde­ ten Hals. Das ist charakteristisch für die Ambiguität, die in der Kultivierung des Selbst herrscht. Bei Plinius und Seneca finden wir ein gerüttelt Maß an Hypochondrie. Sie ziehen sich aufs Land

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zurück. Sie betätigen sich geistig, aber sie arbeiten auch auf den Feldern. Sie essen, was die Bauern essen, und beteiligen sich an deren Arbeit. Wichtig ist der Rückzug aufs Land in diesem Brief deshalb, weil er den Kontakt mit der Natur erlaubt. Und es gibt eine Liebesbeziehung zwischen Aurel und Fronto, zwischen ei­ nem Vierundzwanzigjährigen und einem Vierzigjährigen: Ars erotica ist Gegenstand der Diskussion. Am Schluss des Briefes finden wir dann einen Hinweis auf die Selbsterforschung am Ende des Tages. Aurel geht zu Bett und sieht in seinem Notizbuch nach, was er hatte tun wollen und was er tatsächlich getan hat. Der Brief ist die Transkription dieser Selbsterforschung. Er betont, was er getan, und nicht, was er gedacht hat. Darin liegt der Unterschied zwischen der Praxis in der hellenistischen Periode bzw. in der Kaiserzeit und der mönchischen Praxis. Auch bei Seneca domi­ nieren Taten, nicht Gedanken. Dennoch ist die christliche Beichte hier bereits angelegt. Dieses Briefgenre bezeugt etwas, das neben der Philosophie der Zeit liegt. Die Selbsterforschung beginnt mit dem Schreiben solcher Briefe. Das Tagebuchschreiben folgt spä­ ter; es stammt aus christlicher Zeit, im Zentrum steht hier die Vorstellung vom Kampf der Seele.I III In meiner Erörterung des Platon’schen Alkibiades habe ich drei zentrale Themen genannt: erstens das Verhältnis zwischen Sorge um sich selbst und Sorge um das politische Leben, zweitens das Verhältnis zwischen Sorge um sich selbst und mangelhafter Bil­ dung, drittens das Verhältnis zwischen Sorge um sich selbst und Selbsterkenntnis. Diese drei Themen können wir bei Platon er­ kennen, aber auch in der hellenistischen Periode und vier bis fünf Jahrhunderte später bei Seneca, Plutarch, Epiktet und anderen. Dabei sind die Probleme zwar die gleichen, die Lösungen jedoch sind von ganz anderem Zuschnitt und gelegentlich sogar der Pla­ ton’schen Argumentation entgegengesetzt. Erstens wird die Sorge um sich selbst in der hellenistischen Periode und in der Kaiserzeit nicht ausschließlich als Vorberei­ tung auf das politische Leben verstanden. Die Sorge um sich selbst ist zu einem universellen Prinzip geworden. Man muss der Politik

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entsagen, um sich gründlicher der Sorge um sich selbst widmen zu können. Zweitens ist die Sorge um sich selbst nicht nur für junge Men­ schen und ihre Erziehung obligatorisch; vielmehr ist sie eine Le­ bensform, auf die jedermann sich bis ans Ende seiner Tage ver­ pflichten sollte. Drittens spielt die Selbsterkenntnis zwar eine wichtige Rolle bei der Sorge um sich selbst, diese umfasst jedoch noch andere Be­ ziehungen. Ich möchte die ersten beiden Punkte kurz erörtern: die Univer­ salität der Sorge um sich selbst, unabhängig vom politischen Le­ ben, und die lebenslange Beschäftigung mit sich selbst. 1. An die Stelle des Platon’schen Erziehungsmodells tritt ein medizinisches Modell. Die Sorge um sich selbst ist keine spezielle Pädagogik mehr, sondern andauernde gesundheitliche Fürsorge. Es gilt, sein eigener Arzt zu werden. 2. Da wir unser Leben lang Sorge um uns selbst zu tragen haben, liegt das Ziel nicht länger in der Vorbereitung auf das Erwachse­ nendasein oder auf ein anderes Leben, sondern in der Vorbereitung auf eine gewisse Erfüllung des Lebens. Erreicht wird diese Erfül­ lung unmittelbar vor dem Tode. Die Vorstellung einer beglücken­ den Nähe des Todes - des Alters als Erfüllung - ist die Umkehrung der traditionellen griechischen Wertschätzung der Jugend. 3. Schließlich haben wir noch diverse Praktiken, zu denen die Kultivierung des Selbst Anlass gegeben hat, sowie die Beziehung der Selbsterkenntnis zu diesen Praktiken. In Alkibiades I stand die Seele in einem Spiegelverhältnis zu sich selbst, wodurch ein Zusammenhang mit dem Konzept der Erinnerung hergestellt ist; außerdem rechtfertigt dies den Dialog als Methode zur Entdeckung von Wahrheit in der Seele. Doch von Platon bis zur hellenistischen Zeit wandelte sich das Verhältnis zwischen Sorge um sich selbst und Selbsterkenntnis. Zwei Per­ spektiven lassen sich ausmachen. In den philosophischen Bewegungen der Stoa während der Kai­ serzeit treffen wir auf eine andere Auffassung von Wahrheit und Erinnerung und auf eine andere Methode der Selbstprüfung. Zu­ nächst einmal sehen wir, dass der Dialog verschwindet und an seiner Stelle eine neue pädagogische Interaktion wachsende Be­ deutung erlangt - ein neues pädagogisches Spiel, bei dem der

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Meister oder Lehrer spricht, aber keine Fragen stellt, und der Schüler keine Antworten gibt, sondern still und stumm zuhören muss. Eine Kultur des Schweigens bildet sich. In der pythagoräisehen Kultur gab es eine pädagogische Regel, wonach die Schüler fünf Jahre lang zu schweigen hatten. Sie stellten keine Fragen und sprachen nicht während des Unterrichts, sondern übten sich in der Kunst des Zuhörens. Das war die positive Voraussetzung für die Aneignung der Wahrheit. In der Kaiserzeit wurde diese Tradi­ tion aufgegriffen; hier stoßen wir auf die Anfänge einer Kultur des Schweigens und der Kunst des Zuhörens statt der Kultivierung des Dialogs wie bei Platon. Wenn wir die Kunst des Zuhörens erfassen wollen, müssen wir Plutarchs Abhandlung über die Kunst, einem Vortrag zuzuhören (Peri tou akouein)ylesen. Zu Beginn sagt Plutarch, nach der Schule hätten wir zu lernen, unser ganzes Erwachsenenleben lang auf den logos zu hören. Die Kunst des Zuhörens ist entscheidend, wenn es darum geht, zwischen Wahrheit und Verstellung zu unterschei­ den, zwischen, dem, was wahr, und dem, was falsch ist in der Rede des Rhetors. Das Zuhören schließt ein, dass man nicht unter der Kontrolle der Lehrer steht, sondern dem logos gehorcht. Während des Vortrags schweigt man; nachher denkt man darüber nach. Das ist die Kunst, der Stimme des Lehrers und der Stimme der Ver­ nunft in uns selbst zu folgen. Der Rat erscheint fast banal, aber ich denke, er ist bedeutsam. In seiner Abhandlung De vita contemplativa beschreibt Philo von Alexandria Schweigebankette, keine ausschweifenden Gastmähler mit Wein, Knaben, wüsten Gelagen und Gesprächen. Wir erleben hier einen Lehrer, der in Form eines Monologs eine Interpretation der Bibel vorträgt und sehr präzise Anweisungen gibt, wie man zu hören hat (De vita contemplativa 77). Die Morphologie des Begriffs des Zuhörens ist ein herausra­ gendes Thema im Mönchtum und in der Pädagogik, die es aus sich entlässt. Bei Platon sind die Selbstbetrachtung und die Sorge um sich selbst durch den Dialog dialektisch aufeinander bezogen. Jetzt, in der Kaiserzeit, haben wir auf der einen Seite die Verpflichtung, der Wahrheit zuzuhören, und auf der anderen Seite das Gebot, auf das Selbst zu blicken und zu hören, um die darin verkörperte Wahr­ heit zu entdecken. Der Unterschied zwischen beiden Positionen

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ist einer der deutlichsten Hinweise auf das Verschwinden der dialektischen Struktur. Was war Selbsterforschung in dieser Kultur, und wie betrach­ tete man sich selbst? Für die Pythagoräer hatte Gewissenserfor­ schung mit Reinigung zu tun. Da der Schlaf dem Tod als einer Art Begegnung mit Gott ähnelte, musste man sich reinigen, bevor man schlafen ging. An den Tod. zu denken war eine Übung für das Gedächtnis. Doch in der hellenistischen Periode und in der frühen Kaiserzeit nimmt diese Praxis neue Bedeutungen an. Hier gibt es mehrere relevante Texte: Senecas De ira und De tranquilitate so­ wie den Anfang des vierten Buches der Selbstbetrachtungen des Marc Aurel. Senecas De ira (Buch 3) enthält noch Spuren der alten Tradi­ tion. Er beschreibt dort eine Gewissensprüfung. Gleiches empfah­ len die Epikureer, und die Praxis gründete in der epikureischen Tradition. Das Ziel war die Reinigung des Gewissens mittels eines mnemotechnischen Instruments. Tue Gutes, prüfe dich sehr ge­ wissenhaft, dann wirst du gut schlafen und gute Träume haben, im Kontakt mit den Göttern. Seneca scheint eine juristische Sprache zu bevorzugen, und es hat den Anschein, als wäre das Gewissen Richter und gleichzeitig Angeklagter. Seneca ist der Richter und hält Gericht über das Selbst - die Gewissensprüfung erscheint als eine Art Prozess. Sieht man jedoch genauer hin, so zeigt sich, dass die Dinge anders liegen: Senecas Sprache verweist weniger auf ein Gerichtsverfah­ ren als auf die Verwaltungspraxis; sie gemahnt an eine Buchprü­ fung oder an die Besichtigung und Kontrolle eines Bauwerks. Selbstprüfung ist Bestandsaufnahme. Fehler sind nichts anderes als gute Absichten, die nicht in die Tat umgesetzt worden sind. Die Regel ist ein Hilfsmittel, um etwas korrekt zu tun, und nicht, um vergangenes Geschehen zu beurteilen. Die christliche Beichte wird später nach schlechten Absichten Ausschau halten. Ausschlaggebend ist der administrative Blick auf das eigene Leben, weniger das juristische Modell. Seneca ist kein strafender Richter, sondern ein Buchhalter, der eine Bilanz macht: ein emsi­ ger Buchhalter seiner selbst, kein Richter über seine eigene Ver­ gangenheit. Er sieht, dass alles korrekt getan worden ist, so wie es die Regel vorschreibt, nicht aber das Gesetz. Nicht für reale Ver­ gehen macht er sich Vorwürfe, sondern für mangelnden Erfolg.

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Seine Irrtümer sind nicht moralischer, sondern strategischer Na­ tur. Er möchte einen Ausgleich schaffen zwischen dem, was er tun wollte, und dem, was er getan hat, und dazu ergründet er nicht seine Schuld, sondern reaktiviert die Verhaltensnormen. In der christlichen Beichte wird dem Beichtenden auferlegt, die Gesetze zu memorieren, zu dem Zweck, dass er seine Sünden entdeckt. Für Seneca geht es nicht darum, Wahrheit im Subjekt zu entde­ cken, sondern um das Erinnern von Wahrheit, um die Wieder­ entdeckung einer Wahrheit, die in Vergessenheit geraten ist. Im Übrigen vergisst das Subjekt nicht sich selbst, seine Natur, seinen Ursprung, seine Affinität zum Übernatürlichen, sondern die Re­ geln der Lebensführung; es vergisst, was es hätte tun sollen. Und die Besinnung auf die während des Tages gemachten Fehler misst den Unterschied zwischen dem, was man getan hat, und dem, was man hätte tun sollen. Das Subjekt ist nicht das Operationsfeld für den Prozess des Entzifferns, sondern der Ort, an dem die Ver­ haltensregeln in der Erinnerung Zusammenkommen. Das Subjekt bildet den Schnittpunkt zwischen Handlungen, die der Regelung bedürfen, und Regeln für das, was getan werden sollte. Das ist etwas ganz anderes als die Platon’sche und als die christliche Auf­ fassung vom Gewissen. Die Stoiker spiritualisierten den Begriff der anachöresis, mit dem der Rückzug einer Armee gemeint sein kann, aber auch ein entlaufener Sklave, der sich vor seinem Herrn versteckt, oder der Rückzug aufs Land, weg von den Städten, wie es bei Marc Aurel geschieht. Der Rückzug aufs Land wird zu einem spirituellen Rückzug in sich selbst. Dabei handelt es sich um eine Einstellung und zugleich um eine ganz bestimmte, Tag für Tag auszuführende Handlung. Man zieht sich in sich selbst zurück, um etwas zu entdecken - um sich an Handlungsregeln, an die wichtigsten Ge­ setze des Verhaltens zu erinnern. Wir haben es hier mit einer mnemotechnischen Formel zu tun.IV IV Ich habe zwei stoische Selbsttechniken genannt: Briefe an Freun­ de und die Enthüllung des Selbst; Selbstprüfung und Gewissens­ erforschung, verbunden mit einem Rückblick auf das, was man

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getan hat, und das, was man hätte tun sollen, sowie einem Ver­ gleich zwischen beidem. Jetzt möchte ich die dritte stoische Tech­ nik betrachten, askësis: keine Entblößung des geheimen Selbst, sondern ein Akt des Erinnerns. Für Platon gilt es, die Wahrheit zu entdecken, die in uns ist. Für die Stoiker ist Wahrheit nicht in uns selbst, sondern in den logoi, den Lehren der Lehrer. Man merkt sich, was man gehört hat, und verwandelt das Gehörte in Verhaltensregeln. Das Ziel dieser Tech­ niken ist die Subjektivierung der Wahrheit. In der Kaiserzeit konnten ethische Grundsätze nicht ohne einen theoretischen Rah­ men nach Art der Naturwissenschaft vermittelt werden, wie es zum Beispiel in dem Lehrgedicht De rerum naturae des Lukrez der Fall ist. Der Praxis der allabendlichen Selbstprüfung liegen strukturelle Fragen zugrunde. Ich wiederhole, dass es in der Stoa nicht auf die Dechiffrierung des Selbst, nicht auf die Enthüllung eines Geheimnisses ankommt, sondern auf die Erinnerung an das, was man getan hat und was man hätte tun sollen. Im Christentum hat Askese stets mit einem gewissen Verzicht auf das Selbst und die Wirklichkeit zu tun, weil unser Selbst die meiste Zeit Teil jener Wirklichkeit ist, auf die wir verzichten müs­ sen, wenn wir Zugang zu einer anderen Realität finden wollen. Diese Wendung zum Verzicht auf das Selbst ist ein charakteristi­ sches Merkmal christlicher Askese. In der von der Stoa bestimmten philosophischen Tradition be­ deutet Askese nicht Verzicht, sondern zunehmende Beachtung des Selbst und eine Selbstbeherrschung, die nicht durch Verzicht auf Realität erlangt wird, sondern durch Erwerb und Aufnahme von Wahrheit. Ihr oberstes Ziel ist nicht die Vorbereitung auf eine andere Realität, sondern die Auseinandersetzung mit der Realität dieser Welt. Das griechische Wort dafür ist paraskeuazö (»sich bereit machen«). Es bezeichnet eine Reihe von Praktiken, mittels derer man Wahrheit erfassen, aufnehmen und in ein Handlungs­ prinzip verwandeln kann. Alëtheia wird zum etloos. Auch dies ist ein Prozess zunehmender Subjektivierung. Welches sind die Hauptmerkmale der askësis? Zu ihr gehören Übungen, durch die das Subjekt in eine Situation versetzt wird, in der es überprüfen kann, ob es mit Ereignissen fertig zu werden und die Diskurse, mit denen es ausgestattet ist, anzuwenden ver­ mag. Es geht um die Erprobung der Vorbereitung. Ist die Wahr-

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heit hinreichend aufgenommen, so dass sie zur Ethik wird und wir uns so verhalten können, wie wir es sollen, wenn wir mit einem Ereignis konfrontiert werden? Die Griechen bezeichneten die beiden Pole dieser Übungen mit den Ausdrücken meletë und gymnasia. Meletë bedeutet »Medita­ tion«, entsprechend dem lateinischen meditatio. Es hat dieselbe Wurzel wie epimeleisthai. Es handelt sich um einen vagen Fach­ ausdruck, der aus der Rhetorik stammt. Meletë ist die Arbeit, die man unternimmt, um eine Rede oder eine Improvisation vor­ zubereiten, indem man über brauchbare Ausdrücke und Argu­ mente nachdenkt. Man musste die reale Situation durch einen in Gedanken geführten Dialog vorwegnehmen. Philosophische Me­ ditation ist diese Art von Meditation: Sie besteht aus erinnerten Reaktionen und aus der Reaktivierung dieser Erinnerungen, wo­ bei man sich selbst in eine Situation versetzt, in der man sich vorstellen kann, wie man reagieren würde. Man beurteilt die Ar­ gumentation, die man benutzen würde, in einer imaginierten Übung (»Nehmen wir an...«), um eine Handlung oder ein Er­ eignis zu proben (»Wie würde ich reagieren?«). Sich die Verknüp­ fung möglicher Ereignisse vorzustellen, um herauszufinden, wie man reagieren würde - das ist Meditation. Die berühmteste Meditationsübung ist die praemeditatio mallorum, wie die Stoiker sie praktizierten. Sie ist eine imaginierte ethische Erfahrung. Auf den ersten Blick erscheint sie als eine düstere und pessimistische Zukunftsvision. Man kann sie mit dem vergleichen, was Husserl über die eidetische Reduktion sagt. Die Stoiker entwickelten drei eidetische Reduktionen zukünf­ tigen Unglücks. Erstens geht es nicht darum, sich die Zukunft so vorzustellen, wie sie wahrscheinlich eintreten wird, sondern da­ rum, sich das Schlimmste vorzustellen, selbst wenn nur eine ge­ ringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es eintreten könnte - das Schlimmste als Gewissheit, als Aktualisierung möglichen Gesche­ hens und nicht als Berechnung von Wahrscheinlichkeiten. Zwei­ tens sollte man nicht davon ausgehen, dass die Dinge in ferner Zukunft möglicherweise eintreten könnten, sondern davon, dass sie bereits aktuell im Begriff sind einzutreten. Zum Beispiel soll man sich nicht vorstellen, dass man vielleicht einmal ins Exil ge­ trieben werden könnte, sondern dass man bereits vertrieben wor­ den ist, dass man gefoltert wird und im Sterben liegt. Drittens tut

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man dies nicht, um unaussprechliches Leid zu erfahren, sondern um sich davon zu überzeugen, dass es sich dabei nicht um ein reales Übel handelt. Die Reduktion all dessen, was möglich ist, aller Zeit und allen Unglücks, enthüllt etwas, das wir akzeptieren müssen. Sie erlaubt uns, das zukünftige und das gegenwärtige Geschehen zugleich zu erleben. Auf dem entgegengesetzten Pol befindet sich gymnasia (»sich üben«). Während meditatio eine imaginierte Erfahrung ist, die das Denken schult, ist gymnasia eine Übung in realen Situationen, auch wenn diese künstlich herbeigeführt werden. Dahinter steht eine lange Tradition: sexuelle Enthaltsamkeit, körperliche Entbeh­ rung und andere Reinigungsrituale. Diese Praktiken haben eine andere Konnotation als die Läuterung oder das Bündnis mit dä­ monischen Kräften bei Pythagoras und Sokrates. In der Kultur der Stoiker fällt ihnen die Aufgabe zu, Unabhängigkeit des Ein­ zelnen von der äußeren Welt herzustellen und zu erproben. In Plutarchs De genio Socratis zum Beispiel gibt man sich ausgespro­ chen harten sportlichen Tätigkeiten hin. Oder man stellt sich selbst auf die Probe, indem man ein herrliches Mahl auftragen lässt und dann auf die köstlichen Gerichte verzichtet; man ruft die Sklaven herein, überlässt ihnen die Speisen und begnügt sich selbst mit dem für die Sklaven zubereiteten Essen. Ein weiteres Beispiel findet sich in Senecas achtzehntem Brief an Lucilius. Mit Praktiken zur Abtötung des Fleisches bereitet er sich auf ein gro­ ßes Fest vor, um sich davon zu überzeugen, dass Armut kein Übel ist und dass er sie zu ertragen vermag. Zwischen den beiden Polen der Übung in Gedanken und der Übung in der Realität, meletë und gymnasia, gibt es ein ganzes Spektrum mittlerer Möglichkeiten. Epiktet bietet das beste Bei­ spiel für den mittleren Bereich zwischen diesen beiden Polen. Er möchte unablässig über seine Vorstellungen wachen - eine Tech­ nik, die ihren Höhepunkt bei Freud findet. Zwei Metaphern sind aus dieser Perspektive bedeutsam: der Nachtwächter, der nieman­ den in die Stadt lässt, sofern der sich nicht ausweisen kann (wir müssen »Wächter« über den Strom unserer Gedanken sein), und der Geldwechsler, der die Echtheit der Münzen prüft, der sie anschaut, wägt und prüft. Wir müssen Geldwechsler unserer ei­ genen Vorstellungen und Gedanken sein, müssen sie achtsam auf ihren Metallgehalt, ihr Gewicht und ihre Prägung prüfen.

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Die Metapher des Geldwechslers findet sich sowohl bei den Stoikern wie in der frühchristlichen Literatur, hier jedoch in an­ derer Bedeutung. Wenn Epiktet sagt, man müsse wie ein Geld­ wechsler sein, dann meint er damit, sobald ein Gedanke einem in den Sinn kommt, müsse man an die Regeln denken, mit denen man ihn prüfen kann. Für Johannes Cassian bedeutet, ein Geld­ wechsler zu sein und auf seine Gedanken zu achten, etwas ganz anderes; er meint damit, man müsse in den Tiefen der Regung, der die Vorstellung entspringt, zu klären versuchen, ob Wollust oder Begierde darin mitspielen - ob unsere unschuldigen Gedanken aus üblen Ursprüngen hervorgehen, ob hinter ihnen verborgen der große Verführer steht, die Münze unseres Denkens. Bei Epiktet gibt es zwei Übungen sophistischer und ethischer Art. Einerseits handelt es sich um Übungen, die aus der Schule übernommen sind: Frage-und-Antwort-Spiele. Das Spiel muss ethischen Charakters sein, das heißt, es muss eine Lehre enthalten. Andererseits handelt es sich um Übungen, die im Gehen zu absol­ vieren sind. Am Morgen unternimmt man einen Spaziergang und prüft seine Reaktionen auf das Gehen. Der Zweck bei der Übun­ gen ist die Kontrolle von Vorstellungen, nicht die Entzifferung der Wahrheit. Sie erinnern daran, dass man den Regeln auch unter widrigen Umständen folgen soll. Die Übungen Epiktets oder Cassians beschreiben Wort für Wort eine vorfreudsche Zensurmaschi­ ne. Für Epiktet bedeutet die Kontrolle der Vorstellungen nicht die Erschließung von Handlungsprinzipien, sondern die Besinnung auf sie; durch Selbstprüfung erkennt man, ob diese Prinzipien das eigene Leben regieren. Wir müssen unser eigener Zensor sein. Die Meditation über den Tod bildet den Höhepunkt dieser Übun­ gen. Nach den Briefen, der Selbsterforschung und der askesis möch­ te ich auf eine vierte Technik der Selbstprüfung zu sprechen kom­ men: die Traumdeutung. Im neunzehnten Jahrhundert sollte ihr eine wichtige Rolle zufallen, doch in der antiken Welt besaß sie bloß marginale Bedeutung. Die Einstellung der Philosophen ge­ genüber der Traumdeutung war ambivalent. Die meisten Stoiker verhalten sich kritisch oder skeptisch zu solchen Interpretationen; im Volk waren sie jedoch weit verbreitet. Es gab Experten, die in der Lage waren, Träume zu deuten, darunter auch Pythagoras und eine Reihe von Stoikern, und manche schrieben sogar Bücher, in

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denen sie lehrten, wie man seine eigenen Träume deuten konnte. Es gab eine Fülle praxisorientierter Literatur zu diesem Thema, doch das einzig erhaltene Traumhandbuch sind die Oneirokritika des Artemidoros aus Ephesus (zweites Jahrhundert unserer Zeit­ rechnung). Ich sollte noch zwei weitere Werke erwähnen, die sich mit der Bedeutung der Traumdeutung für das alltägliche Leben beschäf­ tigen. Das Erste ist von Synesios aus Cyrene und stammt aus dem vierten Jahrhundert. Er war ein bekannter und gebildeter Mann. Obgleich kein Christ, wollte er Bischof werden. Seine Bemerkun­ gen über Träume sind vor allem deshalb interessant, weil die Ver­ öffentlichung von Wahrsagungen verboten war, um dem Kaiser schlechte Nachrichten zu ersparen. Deshalb durfte man nur seine eigenen Träume deuten; man musste sich als Selbstdeuter betäti­ gen. Dazu war es nötig, nicht nur die Träume zu behalten, son­ dern auch die Dinge, die davor und danach geschahen. Man muss­ te das alltägliche Geschehen aufzeichnen, das des Tages ebenso wie das der Nacht. In seinen aus dem zweiten Jahrhundert stammenden Hieroi logoi zeichnet Ailios Aristeides seine Träume auf und erklärt, wie sie zu deuten sind. Er glaubte, dass wir durch die Traumdeu­ tung von den Göttern Rat empfangen, wie wir unsere Krankhei­ ten heilen können. Mit diesem Werk stehen wir am Kreuzungs­ punkt zweier Diskurse. Nicht das Aufschreiben der alltäglichen Aktivitäten ist die Matrix der Hieroi logoi, sondern die rituelle Niederschrift des Lobs der Götter, die uns geheilt haben. V Ich möchte nun das Schema einer der wichtigsten Selbsttechniken des Frühchristentums betrachten und klären, was diese Technik als Wahrheitsspiel darstellte. Dazu muss ich den Übergang von der heidnischen zur christlichen Kultur skizzieren, der ebenso wohl Zusammenhänge wie Brüche erkennen lässt. Das Christentum gehört zu den Heilsreligionen, zu jenen Re­ ligionen, die von sich behaupten, den Einzelnen aus einer Realität in eine andere, vom Tod zum Leben, aus der Zeit in die Ewigkeit zu führen. Zu diesem Zweck setzte das Christentum eine Reihe

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von Bedingungen und Verhaltensregeln, die eine Verwandlung des Selbst gewährleisten sollten. Das Christentum ist nicht nur eine Heilsreligion, sondern auch eine Bekenntnisreligion. In stärkerem Maße als die heidnischen Religionen erlegt das Christentum den Gläubigen strenge Wahrheitsverpflichtungen sowie dogmatische und kanonische Pflichten auf. Verpflichtungen, dies oder jenes als wahr anzuerkennen und zu glauben, die Pflicht, eine Reihe von Verantwortlichkeiten zu übernehmen, bestimmte Bücher als definitive und unantastbare Offenbarungen zu lesen, autoritär verfügte Entscheidungen in Wahrheitsfragen zu akzeptieren, bestimmte Dinge nicht nur zu glauben, sondern auch zu bekunden, dass man sie glaubt, und institutioneile Autorität gutzuheißen - all das sind Kennzeichen des Christentums. Neben dem Glauben erheischt das Christentum von den Gläu­ bigen noch eine eigentümliche Wahrheitsverpflichtung. Jeder, hat die Pflicht, zu erkennen, wer er ist, das heißt, er soll ergründen, was in ihm vorgeht, er muss versuchen, Fehler, Versuchungen und Begierden in sich selbst ausfindig zu machen, und jedermann ist gehalten, diese Dinge entweder vor Gott oder vor den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu enthüllen, also öffentlich oder privat gegen sich selbst auszusagen. Die Wahrheitsverpflichtungen hinsichtlich des Glaubens und hinsichtlich des Selbst sind eng miteinander verflochten. Dies ist die Bedingung der Möglichkeit einer Reinigung der Seele, die ohne Selbsterkenntnis nicht zu ge­ winnen wäre. Die katholische und die protestantische Tradition sind nicht identisch, aber in beiden finden wir als zentrales Charakteristi­ kum einerseits eine Reihe von Wahrheitsverpflichtungen, die sich auf den Glauben, auf Bücher sowie auf Dogmen stützen, und andererseits eine Verpflichtung zur Wahrheit des Herzens und der Seele. Zur Wahrheit zu gelangen ist ohne Reinheit der Seele nicht möglich; diese ist eine Folge von Selbsterkenntnis und eine Vorbedingung für das Verständnis der Schrift - bei Augustinus heißt es: »Quis facit veritatem« (Wahrheit in sich selbst schaffen, Zugang zum Licht finden). Wie nun stellte sich die Kirche dieses Zum-Licht-Finden, die Erleuchtung, vor? Als Selbstenthüllung. Das Sakrament der Buße und das Bekenntnis der Sünden sind späte Erfindungen. Die

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Christen der ersten Jahrhunderte gebrauchten andere Formen, die Wahrheit über sich selbst zu enthüllen und zu entziffern. Eine der zwei Hauptformen solcher Enthüllung lässt sich mit dem Wort exomologêsis oder »Anerkennung der Tatsachen« umschreiben. Selbst die lateinischen Kirchenväter benutzten diesen griechischen Ausdruck ohne eine präzise Übersetzung. Für die Christen be­ deutete er die öffentliche Anerkennung der Wahrheit ihres Glau­ bens oder das öffentliche Bekenntnis, dass sie Christen waren. Das Wort exomologêsis hatte auch eine Bedeutung im Kontext der Buße. Wenn ein Sünder Buße tun wollte, musste er seinen Bischof aufsuchen und ihn um Erlaubnis bitten. Im Frühchristen­ tum war Buße kein Akt, sondern ein Status, der einem Menschen zugesprochen wurde, der schwere Sünden begangen hatte. Exomologêsis war ein Ritual, das die Anerkennung seiner selbst als Sünder und Büßer gebot. Sie besaß mehrere Merkmale. Man konnte für vier bis zehn Jahre Büßer sein, und dieser Status hatte Auswirkungen auf das gesamte Leben. Es gab Fastennormen, Be­ kleidungsvorschriften und Verbote, welche die Sexualität regulie­ ren sollten. Der Büßer war gezeichnet und konnte nicht genauso leben wie die anderen. Selbst nach der Vergebung blieb er be­ stimmten Verboten unterworfen, zum Beispiel durfte er nicht hei­ raten und konnte nicht Priester werden. Innerhalb dieses Status gilt die Verpflichtung zur exomologêsis. Der Sünder strebt nach Buße. Er sucht seinen Bischof auf und bittet ihn, er möge ihm den Status des Büßers auferlegen. Er muss erklären, weshalb er diesen Status wünscht, und er muss seine Verfehlungen eingestehen. Dabei handelte es sich nicht um eine Beichte, sondern um die Voraussetzung des Büßerstatus. Später dann, im Mittelalter, wurde exomologêsis zu einem Ritual, das am Ende der Bußzeit unmittelbar vor der Vergebung stattfand. Mit dieser Zeremonie wurde der Büßer wieder in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen. Von dieser Anerkennungszeremonie sagt Tertullian, der Sünder stehe voller Demut, in Sack und Asche, vor der Kirche; dann werfe er sich zu Boden und küsse seinen Glaubensbrüdern die Füße {De poenitentia 9-12). Exomologêsis ist kein sprachlicher Akt, sondern eine dramatische Besiegelung des Büßerstatus. Sehr viel später, in den Briefen des Hieronymus, findet sich eine Beschreibung der Bußübungen der römischen Dame Fabiola, die sich zu dieser Zeit im Stande einer Büßerin

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befand. Die Menschen weinten mit ihr und entfesselten ihre öf­ fentliche Buße zu einem dramatischen Ereignis. Anerkennung bezeichnet auch den gesamten Prozess, den der Büßer in seinem Status über die Jahre hinweg durchmisst. Der Büßer ist das Aggregat des manifestierten Bußverhaltens, der Selbstbestrafung ebenso wie der Selbstoffenbarung. Die Akte, durch die er sich selbst bestraft, sind nicht zu unterscheiden von den Akten, durch die er sich selbst offenbart. Selbstbestrafung und freiwillige Selbstenthüllung sind miteinander verknüpft. Diese Verbindung zeigt sich in zahlreichen Schriften. Cyprian zum Bei­ spiel spricht davon, dass Scham und Demut zu bekunden seien. Buße zu tun ist keine nominelle, sondern eine dramatische Hand­ lung. Zu beweisen, dass man duldend zu leiden vermag, seine Schan­ de öffentlich zu zeigen, Scham und Demut zu demonstrieren - das sind die Kennzeichen der Selbstbestrafung. Das Frühchristentum begreift die Buße als eine Lebensweise, die man unter Beweis stellt, indem man die Pflicht zur Selbstoffenbarung auf sich nimmt. Buße muss sichtbar dargestellt und von anderen begleitet werden, die das Ritual kennen. Dieses Verständnis hielt sich bis ins fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert. Tertullian verwendet den Ausdruck »publicatio sui« zur Be­ stimmung der exomologêsis. »Publicatio sui« hat eine Verwandt­ schaft mit Senecas alltäglicher Selbstprüfung, die jedoch ganz und gar privaten Charakters war. Für Seneca schließt exomologêsis oder »publicatio sui« nicht die verbale Analyse von Taten und Gedanken ein; er fasst sie als somatischen oder symbolischen Aus­ druck. Was für die Stoiker privater Natur war, besaß für die Christen öffentlichen Rang. Welche Funktionen erfüllte die »Veröffentlichung«? Sie war, erstens, ein mögliches Mittel, sich von Sünden reinzuwaschen und die in der Taufe erlangte Reinheit wiederzugewinnen. Zwei­ tens sollte sie den Sünder als das zeigen, was er war. Hier wurzelt das tiefe Paradoxon, das die exomologêsis auszeichnet. Sie tilgt die Sünde und enthüllt gleichwohl den Sünder. Im Grunde bestand der Akt der Buße nicht darin, die Wahrheit über die Sünde zu sagen, sondern darin, das wahre sündige Wesen des Sünders auf­ zudecken. Es ging nicht darum, dass der Sünder seine Sünden erklärte, sondern darum, dass er sich als Sünder präsentierte.

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Warum sollte solche Selbstdarstellung die Sünden tilgen? Auf­ deckung ist der Kern der exomologësis» In den ersten Jahrhunder­ ten standen den christlichen Autoren drei Modelle zur Verfügung, wenn sie das paradoxe Verhältnis zwischen der Tilgung der Sün­ den und der Selbstenthüllung formulieren wollten. Das Erste ist das ärztliche Modell: Man muss seine Wunden zeigen, wenn sie geheilt werden sollen. Ein zweites, minder häufiges Modell war der Strafprozess: Man stimmt den Richter milde, indem man das Vergehen zugibt; der Sünder spielt den advocatus diaboli, so wie der Teufel es beim Jüngsten Gericht tun wird. Doch das wich­ tigste Modell zur Erklärung der exomologësis war das Modell des Todes, der Folter und des Martyriums. Theorie und Praxis der Buße kreisen um das Problem, lieber den Tod in Kauf zu nehmen als Kompromisse einzugehen oder dem Glauben abzuschwören. Der Märtyrer, der dem Tod ins Auge blickt, ist das Vorbild für den Büßer. Will der Abtrünnige wieder in den Schoß der Kirche auf­ genommen werden, so muss er sich freiwillig einem rituellen Mar­ tyrium unterziehen. Buße ist der Affekt des Wandels, des Bruchs mit dem Selbst, mit der Vergangenheit und der Welt. Man bezeugt damit, dass man fähig ist, auf das Leben und sich selbst zu ver­ zichten, dem Tod standzuhalten, ihn zu akzeptieren. Das Ziel der Buße ist nicht Herstellung von Identität; sie dient vielmehr dazu, die Abkehr vom Ich zu demonstrieren. »Ego non sum, ego.« Diese Formel markiert das Programm der »publicatio sui«. Sie steht für den Bruch mit der eigenen Identität. Mit ostentativen Gesten soll die Wahrheit des Zustandes bekundet werden, in dem der Sünder sich befindet. Selbstenthüllung ist zugleich Selbstzer­ störung. Den Unterschied zwischen der stoischen und der christlichen Tradition macht, dass für den Stoiker Selbstprüfung, Selbstbeur­ teilung und Selbstdisziplin den Weg zur Selbsterkenntnis weisen; Wahrheit über das Selbst wird durch Erinnerung, das heißt durch Besinnung auf die Regeln, erlangt. In der exomologësis indes ge­ winnt der Büßer Wahrheit über das Selbst durch einen gewalt­ samen Bruch und durch Auflösung. Es ist wichtig, festzuhalten, dass exomologësis nicht verbal ist, sondern symbolisch, rituell und theatralisch.

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VI Im vierten Jahrhundert finden wir eine ganz andere Technik der Selbstenthüllung, exagoreusis, die zwar minder bekannt ist als exomologësis, aber größere Bedeutung besitzt. Es handelt sich dabei um eine Reminiszenz an die Verbalisierungsübungen im Verhältnis zu einem Lehrer/Meister in den heidnischen Philoso­ phenschulen. Wir können hieran beobachten, wie gewisse stoische Selbsttechniken in die spirituelle Technologie des Christentums übersetzt wurden. Zumindest eines der von Johannes Chrysosthomos vorgeschla­ genen Beispiele einer Selbstprüfung gleicht in seiner Form und seinem administrativen Charakter durchaus dem Verfahren, das Seneca in seiner Abhandlung De ira beschreibt: Am Morgen sol­ len wir über unsere Aufgaben nachdenken, und am Abend sollen wir vor uns selbst Rechenschaft über unser Verhalten ablegen; wir müssen prüfen, was zu unserem Vorteil war und was uns zur Unehre gereichte, und dies in Gebeten statt mit indiskreten Wor­ ten. Das ist genau der Seneca’sche Stil der Selbstprüfung. Aller­ dings ist diese eklatante Übereinstimmung ein Ausnahmefall und hat in der christlichen Literatur kaum Parallelen. Die hoch ent­ wickelte Praxis der Selbstprüfung im christlichen Mönchtum zum Beispiel unterscheidet sich grundlegend von der bei Chrysostho­ mos und von der exomologësis. Diese neuartige Praxis wollen wir nun aus der Perspektive zweier Prinzipien christlicher Spirituali­ tät betrachten: Gehorsam und Kontemplation. Bei Seneca hatte die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer durchaus Bedeutung, aber diese Beziehung war instrumenteller und beruflicher Art. Sie gründete in der Fähigkeit des Lehrers, den Schüler durch Rat und Unterweisung zu einem Leben in Glück und Autonomie zu führen, und sie endete, wenn der Schü­ ler zu diesem Leben gefunden hatte. Aus einer Vielzahl von Grün­ den besitzt der Gehorsam im mönchischen Leben einen ganz anderen Charakter. Der Unterschied gegenüber dem griechischrömischen Typus der Beziehung zum Lehrer liegt darin, dass der Gehorsam nicht allein auf dem Bedürfnis nach Selbstverbesserung beruht, sondern sämtliche Aspekte des mönchischen Daseins um­ fassen muss. Kein Element im Leben des Mönchs ist von dieser

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fundamentalen und permanenten Gehorsamsbindung an den Herrn und Meister ausgenommenJohannes Cassian fasst dies in einen alten Grundsatz aus östlicher Tradition: »Alles, was der Mönch ohne die Erlaubnis seines Meisters tut, ist Diebstahl.« Ge­ horsam meint hier die vollständige Kontrolle des Verhaltens durch den Meister und keinen durch Autonomie geprägten End­ zustand. Er gründet in Selbstaufgabe und im Verzicht auf eigenen Willen. Dies ist die neue Selbsttechnik. Für alles, was er tut und unternimmt, bedarf der Mönch der Zustimmung seines Oberen. Nicht einen einzigen Augenblick, nicht einmal im Sterben, han­ delt der Mönch autonom. Und wenn er selbst der Obere wird, hat er den Geist des Gehorsams zu bewahren, den Geist des Gehor­ sams als permanente Einwilligung in die permanente Kontrolle des Verhaltens durch den Meister. Das Selbst muss sich durch Gehorsam als Selbst konstituieren. Das zweite Charakteristikum des mönchischen Lebens ist die Kontemplation als höchster Wert. Der Mönch soll seine Gedan­ ken ständig auf Gott richten und dafür Sorge tragen, dass sein Herz rein genug ist, um Gott zu schauen. Das Ziel ist die fort­ währende Anschauung Gottes. Die Selbsttechnologie, die sich aus Gehorsam und Kontempla­ tion im Mönchtum entwickelte, weist einige Besonderheiten auf. Cassian führt sie uns deutlich vor Augen, einen Modus der Selbst­ prüfung, den er den mönchischen Traditionen Syriens und Ägyp­ tens entlehnte. Und diese aus östlichen Quellen stammende, ganz auf Gehorsam und Kontemplation eingeschworene Selbsttechno­ logie bezog sich weit mehr auf Gedanken als auf Handlungen. Seneca hatte die Betonung auf das Handeln gelegt. Bei Cassian bilden nicht die Handlungen des verflossenen Tages den Gegen­ stand der Vergewisserung, sondern die gegenwärtigen Gedanken. Da der Mönch sein Denken nachdrücklich auf Gott zu richten hat, muss er den Strom seiner Gedanken unablässig prüfen. Die Prüfung besteht in der Unterscheidung der Gedanken, die zu Gott hinführen, von solchen, die dies nicht tun. Diese entschlos­ sene Hinwendung zur Gegenwart steht für etwas ganz anderes als die Seneca’sche Besinnung auf Taten und deren Übereinstimmung mit Regeln. Die Griechen belegten sie mit einem pejorativen Aus­ druck: logismoi (Grübelei, Vernünftelei, berechnendes Denken). Cassian gibt eine Etymologie des Wortes logismoi, von der ich

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nicht weiß, ob sie zutrifft: coagitationes. Der Geist ist »polykinëtos«, »ständig in Bewegung« {Siebente Unterredung... mit Abt Serenus 4). Cassian erachtet die ständige Bewegung des Geistes für eine seiner Schwächen; sie lenkt ab von der Betrachtung Got­ tes (Vierzehnte Unterredung. .. mit Abt Nesterus 13). Die Prüfung des Gewissens besteht in dem Bemühen, das Bewusstsein stillzu­ stellen, die Bewegungen des Geistes, die von Gott ablenken, anzu­ halten. Daher gilt es, jeden Gedanken, der sich einstellt, nach dem Verhältnis von Tun und Denken, Wahrheit und Realität zu be­ messen und herauszufinden, ob ihm irgendetwas anhaftet, das unseren Geist in Unruhe versetzen, unsere Begierde anstacheln, uns von Gott ablenken könnte. Dieses Verfahren gehorcht der Vermutung einer geheimen Begierde. Es gibt drei Haupttypen der Selbsterforschung: erstens die Selbstprüfung im Hinblick auf das Verhältnis von Gedanken und Realität (Descartes); zweitens die Selbsterforschung im Hinblick auf die Art und Weise, wie unsere Gedanken sich zu bestimmten Regeln verhalten (Seneca); drittens die Selbsterforschung im Hin­ blick auf das Wechselspiel zwischen dem verborgenen Gedanken und einer inneren Unreinheit. Genau hier setzt die christliche Her­ meneutik des Selbst mit ihrer Entzifferung innerer Prozesse an. Sie unterstellt, dass da etwas in uns verborgen ist und dass wir in Selbsttäuschung befangen sind, die das Geheimnis schützt. Um diese Art von Prüfung zu leisten, sagt Cassian, müssen wir Sorge um uns selbst tragen, müssen wir uns direkt mit unseren Gedanken beschäftigen. Er gebraucht drei Vergleiche. Der Erste ist der Vergleich mit der Mühle {Erste Unterredung... mit Abt Moyses 18). Gedanken sind wie Korn, und das Bewusstsein ist wie der Speicher einer Mühle; als Müller ist es unsere Aufgabe, das schlechte Korn von dem guten zu sondern, das auf den Speicher darf, damit das gute Mehl und das gute Brot unserer Erlösung daraus gemacht werden können. Der zweite Vergleich ist ein militärischer {Siebente Unterre­ dung. .. mit Abt Serenus 5). Cassian spricht von dem Offizier, der den guten Soldaten befiehlt, nach rechts zu treten, und den schlechten, nach links. Wir müssen so handeln wie Offiziere, die die Soldaten in zwei Gruppen teilen: die gute und die schlechte. Der dritte Vergleich ist der mit dem Geldwechsler {Erste Unter­ redung. .. mit Abt Moyses 20-22). Das Gewissen ist der Geld-

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Wechsler des Selbst. Es muss die Münzen prüfen, ihre Prägung, ihr Metall, ihre Herkunft. Es muss sie wägen, um zu erkennen, ob sie abgenutzt sind. So wie das Bild des Kaisers der Münze eingeprägt ist, so muss das Bild Gottes unseren Gedanken eingeprägt sein. Wir müssen die Qualität unserer Gedanken testen: Ist dieses Bild Gottes real? Welchen Grad an Reinheit hat es? Ist es mit Wollust und Begierden durchmischt? Wir finden hier also dieselbe Meta­ pher wie bei Seneca, aber mit ganz anderer Bedeutung. Wenn es unsere Aufgabe ist, uns unablässig als Geldwechsler unserer selbst zu betätigen, wie ist es dann möglich, diese Unterscheidung zu treffen und zu erkennen, ob ein Gedanke von guter Qualität ist? Wie lässt sich diese »Unterscheidung« praktisch bewerkstelligen? Dazu gibt es nur ein Mittel: alle unsere Gedanken unserem Obe­ ren mitzuteilen, unserem Meister in allen Belangen zu gehorchen, uns auf die permanente Verbalisierung unserer geistigen Regun­ gen einzulassen. Bei Gassian ist die Selbstprüfung dem Gehorsam und der permanenten Verbalisierung von Gedanken untergeord­ net. In der Stoa war beides nicht der Fall. Indem der Mönch nicht lediglich seine Gedanken, sondern sogar die geringsten Impulse seines Bewusstseins und seine Absichten artikuliert, tritt er in eine hermeneutische Beziehung nicht nur zu seinem Meister, sondern zu sich selbst. Diese Verbalisierung ist der Prüfstein oder das Geld des Denkens. Warum vermag das Bekenntnis diese hermeneutische Aufgabe zu erfüllen? Wie können wir die Hermeneuten unserer selbst sein, indem wir über alle unsere Gedanken sprechen und sie transkri­ bieren? Durch das Bekenntnis wird der Meister, der über größere Erfahrung und Weisheit verfügt, in Kenntnis gesetzt, und er kann besseren Rat erteilen. Und auch wenn der Meister, der die Fähig­ keit der Unterscheidung besitzt, nichts sagt, sorgt allein die Tat­ sache, dass der Gedanke ausgedrückt worden ist, für die Unter­ scheidung. Cassian gibt das Beispiel eines Mönchs, der Brot gestohlen hat. Zunächst kann er nichts sagen. Was gute und böse Gedanken voneinander unterscheidet, ist, dass böse Gedanken sich schwer ausdrücken lassen, denn das Böse ist verborgen und ungesagt. Weil man böse Gedanken nicht ohne Schwierigkeiten und Scham ausdrücken kann, mag die kosmologische Differenz zwischen Licht und Dunkel, zwischen Verbalisierung und Sünde, Heim­

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lichkeit und Schweigen, zwischen Gott und Satan nicht deutlich werden. Schließlich wirft der Mönch sich zu Boden und gesteht. Erst während er in Worten bekennt, weicht der Teufel von ihm. Der sprachliche Ausdruck ist das entscheidende Siegel (Zweite Unterredung. .. mit Abt Moyses 2), das Bekenntnis ein Wahrheits­ zeichen. Zwar ist die permanente Verbalisierung ein Ideal, das sich niemals vollkommen verwirklichen lässt. Doch ihr Preis war, dass alles, was nicht gesagt werden konnte, zur Sünde wurde. Zusammenfassend können wir sagen, dass es im Christentum der ersten Jahrhunderte zwei Hauptformen der Selbstenthüllung gab, zwei Wege, auf denen man die Wahrheit über sich selbst offenbarte. Die erste Form ist exomologësis oder der dramatische Ausdruck der Situation des Büßers als eines Sünders, der seinen Status als Sünder publik macht. Die zweite Form wird in der spirituellen Sprache exagoreusis genannt. Sie erheischt die unab­ lässige analytische Verbalisierung von Gedanken im Zeichen des absoluten Gehorsams gegenüber einem anderen. Diese Gehor­ samsbeziehung ist bestimmt durch den Verzicht auf eigenen Wil­ len und das eigene Selbst. Zwischen exomologësis und exagoreusis herrscht eine beträcht­ liche Differenz, aber es gibt auch ein wesentliches gemeinsames Element: Enthüllung ist nicht möglich ohne Verzicht. Exomologë­ sis orientiert sich am Modell des Martyriums; in der exagoreusis hatte der Sünder sich mittels asketischer Kasteiungen zu »töten«. Ob durch das Martyrium oder durch den Gehorsam gegenüber einem Meister, die Enthüllung des Selbst ist der Verzicht auf das Selbst. Die Praxis der exagoreusis hält sich von den Anfängen des Christentums bis ins siebzehnte Jahrhundert, wobei die Einfüh­ rung des Bußsakraments im dreizehnten Jahrhundert ihr kräftig Vorschub leistete. Das Thema des Verzichts auf das eigene Selbst ist hoch bedeut­ sam. In der gesamten Geschichte des Christentums besteht ein Zusammenhang zwischen dramatischer oder verbalisierter Selbst­ enthüllung und dem Verzicht auf das eigene Selbst. Meine Hypo­ these angesichts der beiden Techniken lautet, dass der zweiten, der auf Verbalisierung beruhenden Technik das größere Gewicht zu­ kam. Seit dem achtzehnten Jahrhundert und bis in die Gegenwart sind die Techniken der Verbalisierung von den so genannten So­ zialwissenschaften in einen anderen Kontext transformiert wor­

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den, wo sie instrumental der Herausbildung eines neuen Selbst dienstbar gemacht werden. Die Anwendung dieser Techniken, ohne die ursprünglich mit ihnen verknüpfte Verzichtleistung ein­ zufordern, markiert einen historischen Bruch. Übersetzt von Michael Bischoff

364 Die politische Technologie der Individuen »The Political Technology of Individuals« (»La technologie politique des in­ dividus«; Universität von Vermont, Oktober 1982, übers, v. P.-E. Danzat), in: Hutton, P H., Gutman, H. und Martin, L. H. (Hg.), Technologies of the self A Seminar with Michel Foucault, Amherst: University of Massachusetts Press 1988, S. 145-162.

Den allgemeinen Rahmen für das, was ich die »Technologien des Selbst« nenne, bildet eine Frage, die wohl gegen Ende des acht­ zehnten Jahrhunderts aufkam. Sie sollte einer der Pole der moder­ nen Philosophie werden. Sie unterscheidet sich deutlich von dem, was wir als die traditionellen philosophischen Fragen bezeichnen: Was ist die Welt? Was ist der Mensch? Was ist Wahrheit? Was ist Erkenntnis? Wie können wir etwas wissen? Und so weiter. Die Frage, die, wie ich vermute, Ende des achtzehnten Jahrhunderts hervortrat, lautet: Was sind wir gegenwärtig? Formuliert wird sie in einer Schrift von Kant. Ich behaupte nicht, dass man die alten Fragen nach Wahrheit, Erkenntnis und so weiter als erledigt abtun könnte, im Gegenteil, sie markieren ein starkes, konsistentes For­ schungsfeld, das ich als formale Ontologie der Wahrheit um­ schreiben möchte. Aber ich denke, es hat sich ein neuer Pol für das Philosophieren herausgebildet, und dieser Pol ist durch die immer gleiche und in stetem Wandel begriffene Frage »Was sind wir heute?« gekennzeichnet. Hier haben wir, so meine ich, das Feld der historischen Reflexion über uns selbst. Kant, Fichte, He­ gel, Nietzsche, Max Weber, Husserl, Heidegger, die Frankfurter Schule haben versucht, diese Frage zu beantworten. Im Rückgriff auf diese Tradition möchte ich einige partielle und provisorische Antworten auf die genannte Frage versuchen, und zwar auf ideen­ geschichtlicher Grundlage, genauer: durch historische Analyse

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der Beziehungen zwischen unserem Denken und unseren Prakti­ ken in der westlichen Gesellschaft. Mit meinen Studien über Wahnsinn und Psychiatrie, Verbre­ chen und Strafe habe ich herauszufinden gesucht, wie wir unser Selbst auf indirekte Weise durch den Ausschluss anderer - z. B. Krimineller, Irrer usw. - konstituiert haben. Meine gegenwärtige Arbeit befasst sich mit der Frage: Wie haben wir auf direkte Weise unsere Identität geschaffen mit ethischen Selbsttechniken, die sich von der Antike bis in unsere Zeit entwickelt haben? Dem sind wir in unserem Seminar nachgegangen. Da gibt es freilich noch ein anderes Forschungsfeld, das ich jetzt betreten habe. Ich bemühe mich zu ergründen, wie wir mit­ tels einer politischen Technologie der Individuen dahin gelangt sind, uns selbst als Gesellschaft wahrzunehmen, als Teil eines so­ zialen Gebildes, einer Nation oder eines Staates. Ich möchte im Folgenden eine knappe Skizze nicht der Selbsttechniken, sondern der politischen Technologie der Individuen vorstellen. Es ist mir durchaus bewusst, dass die Materialien, mit denen ich zu tun habe, vielleicht allzu technisch und historisch sein könnten für einen öffentlichen Vortrag. Ich bin kein Vortragsredner, und ich weiß, dass dieses Material sich wohl eher für ein Seminar eignete. Aber ich habe zwei gute Gründe, es Ihnen trotz seines technischen Charakters vorzustellen. Erstens erachte ich es für eine Anmaßung, den Menschen gleichsam mit der Geste des Pro­ pheten vorzuschreiben, was sie zu glauben haben. Mir ist es lieber, sie ziehen die Schlüsse selber und machen sich ihre eigenen Ge­ danken aufgrund der Probleme, die ich bei der Analyse speziellen historischen Materials aufwerfe. Darin, so scheint mir, bekundet sich Achtung vor der Freiheit des anderen, und das entspricht meiner Art. Der zweite Grund ist, dass ich mich weigere anzu­ nehmen, Menschen, die sich einen öffentlichen Vortrag anhören, seien minder klug, gewitzigt oder belesen als die Teilnehmer eines Seminars. Wenden wir uns also dem Thema der politischen Tech­ nologie der Individuen zu. Im Jahre 1779 erschien der erste Band eines Werkes, das den Titel System einer vollständigen Medicinischen Polizey trägt und von dem deutschen Autor J. P. Frank stammt. Es folgten fünf wei­ tere Bände, und als 1790 der letzte Band vorlag, war die Franzö­ sische Revolution bereits im Gange. Weshalb bringe ich das be­

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rühmte Ereignis der Französischen Revolution mit der Publika­ tion eines obskuren Werkes zusammen? Die Begründung dafür ist einfach: Franks Werk enthält das erste große Programm eines öffentlichen Gesundheitswesens für den modernen Staat. Es er­ läutert an und mit einer Vielzahl von Details, was eine Regierung tun muss, um für die Bevölkerung ausreichende Ernährung, or­ dentliche Wohnverhältnisse, verlässliche ärztliche Versorgung und solide medizinische Einrichtungen zu gewährleisten, kurz, was eine Regierung bewerkstelligen muss, um das Leben des Einzel­ nen zu fördern. Das Buch von Frank hilft uns erkennen, dass die Sorge für das Leben des Einzelnen um diese Zeit zu einer Aufgabe des Staates wurde. In derselben Epoche gab die Französische Revolution das Sig­ nal zu den großen nationalen Kriegen, die mit Nationalarmeen geführt wurden und ihren Höhepunkt in fürchterlichen Massen­ schlächtereien fanden. Ein verwandtes Phänomen lässt sich im Zweiten Weltkrieg beobachten. In der gesamten uns bekannten Geschichte scheint es kein ähnliches Gemetzel gegeben zu haben wie im Zweiten Weltkrieg, und genau in dieser Phase wurden die gewichtigen Wohlfahrts- und öffentlichen Gesundheitsprogram­ me auf den Weg gebracht. Der Beveridge-Plan wurde zwar nicht in dieser Zeit erdacht, wohl aber veröffentlicht. Man könnte die­ sen prekären Zusammenhang mit der Parole krönen: Lass dich abschlachten, und wir versprechen dir ein langes, angenehmes Leben. Die Lebensversicherung ist an ein Todeskommando ge­ koppelt. Die Koexistenz großer destruktiver Mechanismen und auf die Sorge um das individuelle Leben eingeschworener Institutionen in politischen Strukturen ist verwirrend und bedarf der Analyse. Sie gehört zu den zentralen Antinomien unserer politischen Vernunft. Diese Antinomien verdienen Aufmerksamkeit. Ich meine nicht, die Massenschlächtereien seien die Wirkung, das Ergebnis, die logische Folge unserer Rationalität, noch meine ich, der Staat habe die Pflicht, sich um den Einzelnen zu kümmern, weil er das Recht habe, Millionen Menschen zu töten. Auch will ich keineswegs leugnen, dass Massenschlächtereien ebenso wie die Gesundheits­ fürsorge ihre ökonomischen Ursachen oder ihre emotionalen Mo­ tive haben. Verzeihen Sie mir, wenn ich auf einen Punkt zurückkomme:

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Wir sind denkende Wesen. Das heißt, selbst wenn wir töten oder getötet werden, selbst wenn wir Kriege führen oder um Arbeits­ losenhilfe nachsuchen, selbst wenn wir für oder gegen eine Regie­ rung stimmen, die die Sozialausgaben kürzt und den Verteidi­ gungsetat erhöht, selbst in diesen Fällen sind wir denkende Wesen, und wir tun dies alles nicht nur aufgrund universeller Ver­ haltensregeln, sondern auch infolge einer spezifischen histori­ schen Rationalität. Genau diese Rationalität und das Spiel auf Leben und Tod, das in ihr stattfindet, möchte ich in historischer Perspektive erfassen. Dieser Rationalitätstypus, der zu den Hauptmerkmalen der modernen politischen Vernunft zählt, bil­ dete sich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert heraus, und zwar mittels der allgemeinen Idee einer »Staatsraison« sowie eines eigentümlichen Komplexes von Regierungstechniken, die man damals mit dem Begriff »Polizey« umschrieb, der freilich eine sehr spezielle Bedeutung besaß. Beginnen wir mit der »Staatsraison«. Ich möchte zunächst ei­ nige Definitionen zitieren, die von deutschen und italienischen Autoren stammen. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts gibt ein italienischer Jurist namens Botero folgende Definition der Staatsraison: »Ein vollständiges Wissen bezüglich jener Mittel, durch welche Staaten entstehen, stärker werden, ihren Bestand sichern und wachsen.« Ein anderer italienischer Autor, Palazzo, schreibt zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts: »Staatsraison ist eine Regel oder eine Kunst, die uns erkennen lässt, wie wir Friede und Ordnung in der Republik schaffen können« (Discorso del governo e della ragione vera di stato> Venedig 1606). Und Chem­ nitz, ein deutscher Autor, formuliert Mitte des siebzehnten Jahr­ hunderts folgende Definition: »Ein gewisser politischer Verstand, wie er für alle öffentlichen Belange, Beratungen und Vorhaben erforderlich ist, dessen einziges Ziel die Erhaltung, die Ausdeh­ nung und das Glück des Staates ist [man beachte diese Wendun­ gen: die Erhaltung des Staates, die Ausdehnung des Staates, das Glück des Staates], zu welchem Zwecke die einfachsten und wirk­ samsten Mittel anzuwenden sind.« Wir wollen einige Merkmale betrachten, die den Definitionen gemeinsam sind. Zunächst wird in der Staatsräson eine »Kunst« gesehen, das heißt eine Technik, die bestimmten Regeln gehorcht. Diese Regeln stützen sich nicht vorwiegend auf Sitte und Tradi­

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tion, sondern auf ein rationales Wissen. Heutzutage gemahnt der Ausdruck »Staatsräson«, wie Sie wissen, eher an Willkür und Ge­ walt. Doch damals dachten die Menschen an eine Rationalität, die für die Kunst, einen Staat zu regieren, unabdingbar schien. Worin gründet nun die Rationalität dieser spezifischen Regierungskunst? Die Antwort auf diese zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts aufgeworfene Frage ist das Skandalon des in Entstehung begriffe­ nen politischen Denkens, und dennoch war die Antwort, folgt man den von mir zitierten Autoren, sehr einfach. Die Kunst des Regierens ist dann rational, wenn sie die Natur dessen, was regiert wird, also des Staates, beachtet. Die Formulierung dieser schlichten Ein­ sicht bedeutete in Wirklichkeit den Bruch mit zwei entgegenge­ setzten Kräften: der christlichen Tradition und dem Machiavellis­ mus. Der christlichen Tradition zufolge musste eine Regierung, die wesentlich gerecht sein wollte, ein vielfältiges System menschli­ cher, natürlicher und göttlicher Gesetze beherzigen. Dazu gibt es einen aufschlussreichen Text des heiligen Thomas, in dem er er­ klärt, dass die Herrschaft des Königs die Herrschaft Gottes über die Natur nachahmen müsse. Der König muss Städte gründen, so wie Gott die Welt erschaffen hat; er muss die Menschen ihrer Be­ stimmung entgegenführen, so wie Gott es mit den natürlichen Wesen tut. Und was ist die Bestimmung des Menschen? Ist es kör­ perliche Gesundheit? Nein, sagt Thomas. Wenn körperliche Ge­ sundheit die Bestimmung des Menschen wäre, dann bräuchten wir keinen König, sondern einen Arzt. Ist es Reichtum? Nein, denn in diesem Falle würde ein Verwalter genügen. Ist es Wahrheit? Nein, antwortet Thomas, denn um Wahrheit zu erlangen, bedürften wir keines Königs, sondern eines Lehrers. Der Mensch braucht jeman­ den, der ihm den Weg zur himmlischen Glückseligkeit zu öffnen vermag, indem er auf Erden dem entspricht, was honestum ist. Ein König hat den Menschen zum honestum als seiner natürlichen und göttlichen Bestimmung zu führen. Das Modell rationaler Herrschaft, das Thomas entwirft, ist keineswegs politisch, doch im sechzehnten und siebzehnten Jahr­ hundert suchen die Menschen nach anderen Versionen der Staats­ räson, nach Grundsätzen, die es ermöglichten, tatsächliches Re­ gieren anzuleiten. Sie beschäftigen sich mit der Frage, was der Staat ist, und nicht mit der göttlichen oder natürlichen Bestim­ mung des Menschen.

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Die Staatsräson steht noch zu einem weiteren Konzept im Ge­ gensatz. In Der Fürst sucht Machiavelli zu klären, wie der Erbe oder Eroberer einer Provinz oder eines Landes seine Herrschaft gegen innere und äußere Feinde sichern kann. Sein ganzes Augen­ merk gilt der Bestimmung dessen, was das Band zwischen dem Fürsten und dem Staat zu festigen vermag, während es bei dem Problem, das man Anfang des siebzehnten Jahrhunderts mit dem Begriff der Staatsräson bezeichnete, um die Existenz und das We­ sen dieser neuen Entität geht, die der Staat verkörpert. Die Theo­ retiker der Staatsräson hielten Distanz gegenüber Machiavelli, ei­ nerseits, weil er damals in schlechtem Rufe stand, andererseits, weil sie ihr eigenes Problem in seiner Fragestellung nicht wieder­ zufinden vermochten, und diese Fragestellung betraf das Verhält­ nis zwischen dem Fürsten - dem König - und seinem Land bzw. seinem Volk. Trotz des Streits um den Fürsten und Machiavellis Werk markierte die Staatsräson einen Meilenstein in der Heraus­ bildung eines Rationalitätstypus, der sich radikal von der Auffas­ sung Machiavellis unterschied. Das Ziel der neuen Regierungs­ kunst ist es gerade nicht, die Macht des Fürsten zu stärken; ihr Ziel ist vielmehr die Stärkung des Staates. Kurz gesagt, »Staats­ räson « bezieht und beruft sich weder auf die Weisheit Gottes noch auf die Vernunft oder die Strategien des Fürsten, sondern auf den Staat, auf sein Wesen und seine eigentümliche Rationalität. Die These, dass es das Ziel der Regierung sei, den Staat zu stärken, impliziert eine Reihe von Ideen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir Aufstieg und Entwicklung der modernen po­ litischen Rationalität verstehen wollen. Die erste dieser Ideen ist das neue Verhältnis zwischen Politik als Praxis und Politik als Wissen. Sie handelt von der Möglichkeit eines spezifisch politischen Wissens. Folgt man dem heiligen Tho­ mas, dann sollte der König lediglich tugendhaft sein; der Führer der Polis in der Platon sehen Republik musste Philosoph sein. Zum ersten Mal in der Geschichte muss nun derjenige, der andere im Rahmen des Staates beherrscht, Politiker sein, das heißt, er muss eine besondere politische Kompetenz und ein spezifisches politisches Wissen erwerben. Der Staat ist etwas, das aus sich heraus existiert. Er ist gleichsam ein natürliches Objekt, obschon die Juristen in Erfahrung zu brin­ gen versuchen, wie er auf legitime Weise konstituiert werden

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kann. Der Staat ist an sich eine Ordnung der Dinge, und das politische Wissen trennt ihn von den juristischen Überlegungen. Politisches Wissen ist nicht mit den Rechten der Menschen und mit menschlichen oder göttlichen Gesetzen befasst, sondern mit der Natur des Staates, der regiert werden soll. Regieren ist nur dann möglich, wenn die Stärke des Staates bekannt ist; erst mit diesem Wissen lässt er sich bewahren. Die Fähigkeiten des Staates und die Mittel, diese Fähigkeiten zu erweitern, müssen bekannt sein. Dasselbe gilt für die Stärke und die Fähigkeiten anderer Staaten, die dem eigenen Staat gefährlich werden können. Der regierte Staat muss sich gegen die anderen behaupten. Regieren bedeutet daher mehr als die Anwendung allgemeiner Prinzipien der Vernunft, der Weisheit und der Klugheit. Es bedarf vielmehr eines speziellen Wissens, eines konkreten, präzisen, wohlabgewo­ genen Wissens von der Stärke des Staates. Die für die Staatsräson charakteristische Regierungskunst ist eng verbunden mit dem, was man damals »politische Arithmetik« nannte. Politische Arith­ metik war das Wissen, das zur Ausübung politischer Kompetenz erforderlich war, und wie Ihnen vertraut ist, gab es noch eine andere Bezeichnung für politische Arithmetik: Statistik nämlich, eine Statistik, die nichts mit Wahrscheinlichkeiten zu tun hatte, sondern mit dem staatsbezogenen Wissen, dem Wissen von der jeweiligen Stärke verschiedener Staaten. Die zweite wichtige Implikation, die sich aus der Idee der Staatsräson ergab, war ein neues Verhältnis zwischen Politik und Geschichte. Nun wird das Wesen des Staates nicht mehr als Gleichgewicht verschiedener Elemente verstanden, die sich allein durch gute Gesetze zusammenführen und Zusammenhalten ließen, sondern als ein Komplex von Kräften, die durch die Politik der jeweiligen Regierung gestärkt oder geschwächt werden können, da jeder Staat in ständigem Wettstreit mit anderen Ländern, Nationen oder Staaten steht, so dass er eine unbestimmte Zukunft voller Kampf oder zumindest Rivalität mit ähnlichen Staaten vor sich hat. Im Mittelalter hatte die Idee dominiert, dass alle Königreiche der Erde eines Tages, nämlich unmittelbar vor der Wiederkehr Christi, zu einem einzigen Reich vereinigt würden. Zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts ist diese Idee nur noch ein Traum, der zu den zentralen Topoi des politischen oder geschichtlich-po­ litischen Denkens des Mittelalters gezählt hatte. Das Projekt der

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Wiederherstellung des Römischen Reiches wird ein für alle Mal aufgegeben. Politik hat es fortan mit einer nicht zu reduzierenden Vielzahl von Staaten zu tun, die miteinander in einer begrenzten Geschichte gegeneinander kämpfen oder miteinander konkurrie­ ren. Die dritte Idee, die wir aus dem Begriff der Staatsräson ableiten können, ist folgende: Da der Staat sein eigener Zweck ist, und da die Regierungen es sich zu ihrem ausschließlichen Ziel setzen müssen, die Stärke des Staates nicht nur zu bewahren, sondern beständig zu erhöhen, liegt es auf der Hand, dass die Regierungen sich nicht um Individuen zu kümmern haben - oder allenfalls in dem Maße, wie dies zur Stärkung des Staates beiträgt: was sie tun, ihr Leben, ihren Tod, ihre Tätigkeit, ihr individuelles Verhalten, ihre Arbeit und so weiter. Doch in diesem Kalkül gibt es eine Art politischer Grenznutzentheorie, denn worum es hier geht, ist ein­ zig der politische Nutzen. In der Sicht des Staates ist der Einzelne nur insofern von Belang, als das, was er tut, eine noch so geringe Veränderung in der Stärke des Staates herbeizuführen vermag, entweder positiv oder negativ. Nur so weit das Individuum in der Lage ist, eine derartige Veränderung zu bewirken, hat der Staat mit ihm zu tun - manchmal muss der Einzelne für den Staat leben, arbeiten, produzieren, konsumieren, und manchmal muss er für ihn sterben. Offensichtlich ähneln diese Vorstellungen einer Reihe von Ideen, die wir in der griechischen Philosophie entdecken können. Und in der Tat begegnen uns in der politischen Literatur am Beginn des siebzehnten Jahrhunderts häufig Verweise auf die grie­ chischen Stadtstaaten. Aber ich denke, dass hier in dieser neuen politischen Theorie unter der Oberfläche einiger weniger ver­ wandter Vorstellungen eine ganz neuartige Tendenz spielt. Die nach den Kriterien einer Grenznutzentheorie deklarierte Unter­ ordnung des Individuums unter den Nutzen des Staates wird im modernen Staat nicht in Gestalt jener ethischen Gemeinschaft erreicht, die für die griechische Polis charakteristisch war. Im Zei­ chen der neuen politischen Rationalität fällt diese Aufgabe viel­ mehr einer speziellen Technik zu, die man damals mit dem Aus­ druck »Polizey« belegte. Hier erscheint nun die Frage, mit der ich mich in einer künfti­ gen Arbeit auseinander setzen möchte: Welche politischen Tech­

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niken, welche Technologie des Regierens, hat man im allgemeinen Rahmen der Staatsräson entwickelt und eingesetzt, um das Indi­ viduum zu einem für den Staat wichtigen Element zu machen? Wenn die Rolle des Staates innerhalb unserer Gesellschaft analy­ siert wird, dann konzentriert sich die Aufmerksamkeit meist ent­ weder auf Institutionen - Armeen, zivile Körperschaften, Büro­ kratien usw. - und auf die Menschen, die sie steuern, oder auf die Theorien oder Ideologien, deren Zweck es ist, die Existenz des Staates zu begründen oder zu legitimieren. Ich dagegen fahnde nach den Techniken oder Praktiken, die der neuen politischen Rationalität und dem neuartigen Verhältnis zwischen der sozialen Entität und dem Individuum konkrete Gestalt verleihen. Und überraschenderweise erkannte man jedenfalls in Ländern wie Deutschland und Frankreich, wo das Problem des Staates aus ver­ schiedenen Gründen als besonders gewichtig erschien, die Not­ wendigkeit, die neue Machttechnologie, die neuen Techniken, welche den Einzelnen in die soziale Entität zu integrieren halfen, genau zu definieren, zu beschreiben und zu organisieren. Man erkannte die Notwendigkeit dieser Tätigkeit und gab ihr einen Namen. Im Französischen heißt dieser Name »police« und im Deutschen »Polizei«. (Ich glaube, das englische Wort »police« hat eine ganz andere Bedeutung.) Wir müssen zu klären versu­ chen, was die französischen und deutschen Worte »police« und »Polizei« damals bedeuteten. Ihre Bedeutung ist ziemlich verwir­ rend, denn zumindest seit dem neunzehnten Jahrhundert verwen­ det man sie zur Bezeichnung einer ganz bestimmten Institution, die zumindest in Frankreich und Deutschland - ich weiß nicht, wie es in den Vereinigten Staaten war oder ist - nicht immer in einem sonderlich guten Ruf gestanden hat. Doch vom Ende des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts besaßen die Worte »police« und »Polizei« eine sehr weite und zugleich sehr präzise Bedeutung. Wenn Menschen damals von »Polizei« sprachen, dann meinten sie die spezifischen Techniken, durch die eine Regierung im Rahmen des Staates in die Lage versetzt wurde, Menschen zu regieren. Um diese neue Regierungstechnologie besser zu verstehen, er­ scheint es nützlich, sie in den drei Formen zu betrachten, die jede Technologie im Zuge ihrer Entwicklung und Geschichte anzu­ nehmen vermag: als Traum oder als Utopie, sodann als Praxis oder

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Regelwerk für bestimmte reale Institutionen, schließlich als aka­ demische Disziplin. Louis Turquet de Mayenne bietet zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts ein gutes Beispiel für die zeitgenössische Auffassung der utopischen oder universellen Technik des Regierens. In sei­ nem Buch La Monarchie aristo-démocratique (1611) schlägt er eine Spezialisierung der Exekutivgewalt und der Polizeigewalt vor. Aufgabe der Polizei sollte es sein, den bürgerlichen Respekt und die öffentliche Moral zu fördern. Turquet empfiehlt, in jeder Provinz vier Polizeibehörden einzurichten, um die Wahrung von Gesetz und Ordnung zu gewährleisten, wobei zwei von ihnen die Menschen und zwei die Sachen im Blick behalten sollten. Die erste Behörde sollte insbesondere auf die Erziehung achten und genau ermitteln, über welche Fähigkeiten und Vorlieben jeder Einzelne verfügte. Sie sollte die Fähigkeiten der Kinder von frü­ hester Kindheit an beobachten. Jeder, der älter als fünfundzwan­ zig Jahre war, sollte mit seinen Fähigkeiten und seiner Tätigkeit in ein Register eingetragen werden; der Rest bildete den Bodensatz der Gesellschaft. Die zweite Behörde hatte sich um Arme, Witwen, Waisen und Alte, die der Hilfe bedurften, zu kümmern. Sie sollte diejenigen überwachen, die nur widerwillig einer Beschäftigung nachgingen und zur Arbeit gezwungen werden mussten, und die, deren Tä­ tigkeit einer finanziellen Unterstützung bedurfte; auch hatte sie eine Art Bank zu betreiben, die in Not geratene Menschen mit Geldmitteln versorgte oder ihnen Kredite gewährte. Außerdem sollte sie Krankheiten und Epidemien sowie Unglücksfälle wie Brände und Überschwemmungen im Blick behalten und eine Art Versicherung aufbauen, die den Menschen in Notlagen bei­ sprang. Die dritte Behörde hatte sich auf Waren und Manufakturgüter zu spezialisieren. Sie bestimmte, was auf welche Weise produziert werden sollte. Außerdem kontrollierte sie die Märkte und den Handel, was im Übrigen eine traditionelle Aufgabe der Polizei war. Die vierte Behörde hatte sich der demesne zu widmen, das heißt Grund und Boden, Privateigentum, Erbschaftsangelegenheiten, Schenkungen, Verkäufen, aber auch Pachtrechten, Straßen, Flüs­ sen, öffentlichen Gebäuden und so weiter.

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Viele Aspekte dieser Argumentation sind mit den politischen Utopien verwandt, die damals und schon im sechzehnten Jahr­ hundert geläufig waren. Der Text von Turquet ist jedoch zugleich Teil der großen theoretischen Diskussionen über die Staatsräson und den Verwaltungsaufbau in den Monarchien; er ist repräsenta­ tiv für das Bild, welches das Zeitalter sich von einem gut regierten Staat machte. Was zeigt uns dieser Text? Zunächst einmal zeigt er, dass »die Polizei« als eine Verwaltungsbehörde fungiert, die gemeinsam mit den Gerichten, der Armee und dem Fiskus an vorderster Stelle im Staate steht. In Wirklichkeit freilich umfasst sie auch die anderen Institutionen, oder wie Turquet sagt: »Sie verzweigt sich in alle Lebensbereiche des Menschen, in alles, was sie tun oder unter­ nehmen. Zu ihrem Tätigkeitsbereich gehören das Rechtswesen, die Finanzen und die Armee.« Wir sehen also, dass die Polizei in diesem utopischen System allgegenwärtig ist, allerdings in einer speziellen Perspektive: Men­ schen und Dinge werden entschieden in ihren wechselseitigen Beziehungen wahrgenommen. Die Polizei befasst sich mit dem Zusammenleben der Menschen auf ihrem Territorium, mit ihrem Verhältnis zum Eigentum, mit dem, was sie produzieren, was auf den Märkten ausgetauscht wird; sie kümmert sich auch darum, wie sie leben, um die Krankheiten und Unglücksfälle, von denen sie heimgesucht werden können. Mit einem Wort, der Blick der Pohzei gilt dem lebendigen, aktiven, produktiven Menschen. Tur­ quet benutzt eine bemerkenswerte Wendung, er sagt: »Das wahre Objekt der Polizei ist der Mensch.« Ich habe ein wenig Angst, Sie könnten meinen, ich hätte mir diesen Satz ausgedacht, um einen dieser boshaften Aphorismen zu prägen, für die ich anscheinend bekannt bin; aber es handelt sich um ein Zitat. Glauben Sie nicht, ich wollte sagen, der Mensch sei ein Nebenprodukt der Polizei. Wichtig an dem Gedanken, das wahre Objekt der Polizei sei der Mensch, ist ein historischer Wan­ del in der Beziehung zwischen der Macht und den Individuen. In einer ersten Annäherung ließe der Wandel sich so beschreiben: Die Feudalgewalt gründete in Beziehungen zwischen Rechtssub­ jekten, insofern sie durch Geburt, Stand oder persönliches Zutun in rechtliche Verhältnisse zueinander traten. Mit dem neuen Po­ lizei-Staat hat die Regierung es nun mit Individuen zu tun, und

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zwar nicht nur, soweit deren rechtlicher Status betroffen ist, son­ dern mit Individuen als lebendigen, arbeitenden, wirtschaftenden Wesen. Wir wollen jetzt den Traum verlassen und uns der Realität und den administrativen Praktiken zuwenden. Wir besitzen ein Kom­ pendium, das Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich verfasst wurde und in systematischer Ordnung die wichtigsten Polizeivorschriften des französischen Königreichs versammelt. Es handelt sich um ein Handbuch oder eine Enzyklopädie zum Gebrauch durch die Staatsbeamten. Der Autor des Handbuchs war N. Delamare, und er gliedert seine Enzyklopädie (Traité de la police, 1705) in elf Kapitel. Das erste Kapitel befasst sich mit der Religion, das zweite mit der Moral, das dritte mit der Gesundheit, das vierte mit der Versorgung, das fünfte mit Wegen, Straßen und städtischen Bauten, das sechste mit der öffentlichen Sicherheit, das siebte mit den freien Künsten (grob gesagt mit Kunst und Wissen­ schaft), das achte mit dem Handel, das neunte mit den Fabriken, das zehnte mit Dienstleuten und Fabrikarbeitern, das elfte mit den Armen. Damit war für Delamare und seine Nachfolger die Ver­ waltungspraxis in Frankreich charakterisiert. Sie war die Domäne der Polizei und reichte von der Religion über Moral, Gesundheit, freie Künste usw. bis zur Armen-Fürsorge. Auf die gleiche Klas­ sifikation stößt man in den meisten Kompendien oder Abhand­ lungen über die Polizei. Sieht man einmal von der Armee und dem Rechtswesen im engeren Sinne sowie von den direkten Steuern ab, so kümmerte sich die Polizei ganz wie in Turquets Utopie offen­ bar um alles. Worin bestand nun in dieser Sicht die reale Verwaltungspraxis in Frankreich? Welche Logik stand hinter dem Eingriff in reli­ giöse Riten oder kleinbetriebliche Produktionstechniken, in das geistige Leben oder das Straßennetz? Delamare scheint sich nicht ganz sicher bei der Beantwortung dieser Frage zu sein. Manchmal sagt er: »Die Polizei muss nach allem sehen, was das Glück der Menschen angeht.« An anderer Stelle heißt es: »Die Polizei soll auf alles achten, was der Regulation der Gesellschaft dient«, und mit »Gesellschaft« meint er soziale Beziehungen, »die zwischen den Menschen bestehen«. Dann wieder fordert er, die Polizei solle sich um »das Leben« kümmern. An dieser Definition möchte ich festhalten, denn sie ist die ursprüngliche. Im Übrigen erhellt sie

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die beiden anderen Definitionen. Zu den elf Gegenständen der Polizei gibt Delamare folgende Erläuterungen: Mit der Religion befasst die Polizei sich nicht im Hinblick auf die rechte Lehre, sondern aus der Sicht der moralischen Qualität des Lebens. Wenn die Polizei sich um Gesundheit und Versorgung kümmert, hat sie es mit der Erhaltung des Lebens zu tun. Was Handel, Fabriken, Arbeiter, die Armen und die öffentliche Ordnung angeht, so küm­ mert die Polizei sich hier um die angemessenen Lebensgrundla­ gen, und bei Theater, Literatur und Unterhaltung geht es um das Vergnügen. Kurz gesagt, Objekt der Polizei ist das Leben. Das Notwendige, das Nützliche und das Überflüssige - das sind die drei Arten von Dingen, die wir in unserem Leben brauchen oder nutzen können. Dass die Menschen überleben, dass sie leben und dass sie noch etwas mehr tun, als nur zu überleben - dafür hat die Polizei zu sorgen. Diese Systematisierung der französischen Verwaltungspraxis scheint mir aus mehreren Gründen bedeutsam zu sein. Zunächst einmal versucht sie, wie man sieht, Bedürfnisse zu klassifizieren; das ist natürlich eine alte philosophische Übung, doch hier ist das technische Vorhaben daran geknüpft* den Zusammenhang zwi­ schen der Nützlichkeit für den Einzelnen und der Nützlichkeit für den Staat zu bestimmen. Delamares These lautet, was über­ flüssig für das Individuum ist, könne für den Staat unerlässlich sein, und umgekehrt. Der zweite wichtige Punkt ist, dass Delarr.are das menschliche Glück zum Thema der Politik macht. Ich weiß sehr wohl, dass seit den Anfängen der politischen Philoso­ phie im Westen alle Welt gewusst und gesagt hat, das Glück der Menschen sei das oberste Ziel der Regierung, doch damals sah man im Glück das Ergebnis oder die Wirkung einer wirklich gu­ ten Regierung. Nun aber ist Glück nicht einfach eine Wirkung. Das Glück des Einzelnen ist die Voraussetzung für den Fortbe­ stand und die Entwicklung des Staates. Es ist eine Vorbedingung, ein Instrument, nicht bloß eine Folge. Das Glück der Menschen wird zu einem Baustein des starken Staates. Auch sagt Delamare, der Staat habe es nicht nur mit Menschen oder einer Vielzahl von Menschen zu tun, die Zusammenleben, sondern mit der Gesell­ schaft. Die Gesellschaft und die Menschen als soziale Wesen, die Individuen mit all ihren sozialen Beziehungen sind jetzt das wahre Objekt der Polizei.

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Und schließlich wurde »Polizei« zu einer Disziplin. Sie war nicht nur reale Verwaltungspraxis; sie war nicht nur ein Traum; sie war eine Disziplin in der akademischen Bedeutung des Wortes. Unter dem Namen »PolizeyWissenschaft« wurde sie an verschie­ denen Universitäten in Deutschland gelehrt, vor allem in Göttin­ gen. Die Universität Göttingen besaß allergrößte Bedeutung für die politische Geschichte Europas, denn dort wurden hohe Be­ amte aus Preußen, Österreich und Russland ausgebildet, ebenjene Beamten, die die Reformen Josephs II. oder Katharina der Großen durchführen sollten. Auch eine Reihe von Franzosen, insbeson­ dere in der Umgebung Napoleons, kannten die Lehren der »Polizeywissenschaft«. Das wichtigste Zeugnis der Polizeilehre, das wir besitzen, ist eine Art Handbuch für Studenten, das Johann Heinrich Gottlob von Justi geschrieben hat; es trägt den Titel Grundsätze der Poli­ zey Wissenschaft. In diesem Handbuch wird die Aufgabe der Po­ lizei ganz wie bei Delamare als Sorge um die in Gesellschaft le­ benden Individuen definiert. Dennoch baut Justi sein Werk ganz anders auf als Delamare. Er untersucht zunächst die »Cultur der Länder«, das heißt deren Territorium. Und er betrachtet es unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten: nach der Art der Besied­ lung (Stadt im Verhältnis zum Land) und nach der Art der Bevöl­ kerung (Größe, Wachstum, Gesundheit, Sterblichkeit, Einwande­ rung und so weiter). Danach analysiert er »die Maßregeln, einen blühenden Nahrungsstand zu befördern«, das heißt die Produk­ tion und Zirkulation der Waren, die Fragen nach Kosten, Kredit und Währung aufwerfen. Den letzten Teil der Studie widmet er dem Verhalten der Individuen, ihrer Moral, ihrer Berufstätigkeit, ihrer Ehrsamkeit und dem Problem, wie sie in die Lage versetzt werden, die Gesetze zu beachten. Nach meiner Ansicht demonstriert Justis Werk in weitaus fort­ geschrittenerer Weise als Delamares Einleitung zu seinem Kom­ pendium, wie die Polizei sich entwickelte, und zwar aus mehreren Gründen. Der erste Grund liegt darin, dass Justi eine wichtige Unterscheidung trifft zwischen dem, was er die »Polizey«, und dem, was er »Staatskunst« (Politik) nennt. Staatskunst bezeichnet für ihn die negative Aufgabe des Staates. Sie umfasst den Kampf des Staates gegen innere und äußere Feinde, die Anwendung der Gesetze gegen innere, den Einsatz der Armee gegen äußere Geg­

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ner. Die Polizei dagegen hat eine positive Aufgabe. Ihre Instru­ mente sind weder Waffen und Gesetze noch Abwehr und Verbot. Ziel der Polizei ist die erweiterte Hervorbringung von etwas Neu­ em, das dem Leben des Einzelnen und der Stärke des Staates förderlich sein soll. Polizei regiert nicht durch Gesetz, sondern durch permanenten ordnenden Eingriff in das Verhalten der Indi­ viduen. Obwohl die semantische Unterscheidung zwischen einer mit negativen Aufgaben betrauten Politik und einer auf positive Ziele ausgerichteten Polizei schon bald aus dem politischen Dis­ kurs und aus dem politischen Vokabular verschwand, ist das Problem eines permanenten Eingriffs des Staates in die sozialen Prozesse - auch jenseits der Gesetzesform - charakteristisch für die moderne Politik und politische Reflexion. Die seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts geführte Debatte über Liberalis­ mus, Polizeistaat, Rechtsstaat und so weiter hat ihren Ursprung in dieser Frage nach den positiven und negativen Aufgaben des Staates, in der Möglichkeit, dass der Staat vielleicht nur negative und keine positiven Aufgaben hat und dass er eventuell gar nicht die Macht besitzt, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen. Es gibt noch einen weiteren zentralen Punkt in der Konzeption Justis, die am Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehn­ ten Jahrhunderts beträchtlichen Einfluss auf das gesamte politi­ sche und administrative Personal der europäischen Länder ausge­ übt hat. Zu den wichtigsten Vorstellungen, die in seinem Buch verhandelt werden, gehört das Konzept der Bevölkerung, und ich vermute, dass man es in keinem anderen Werk über die Polizei findet. Ich weiß sehr wohl, dass Justi den Begriff oder das Wort nicht erfunden hat; es ist jedoch aufschlussreich, dass er unter dieser Bezeichnung all das berücksichtigt, was die Demographen seiner Zeit gerade entdeckten. In seinen Augen bilden die physi­ schen und ökonomischen Elemente des Staates eine Umwelt, von der die Bevölkerung abhängt und die ihrerseits von der Bevölke­ rung abhängt. Natürlich sprachen Turquet und andere Utopisten von Flüssen, Wäldern, Feldern usw., aber im Wesentlichen er­ blickten sie darin Ressourcen, um Steuern oder Einkommen zu schaffen. Für Justi dagegen stehen Bevölkerung und Umwelt in einer ständigen lebendigen Wechselwirkung, und der Staat hat diese Wechselwirkung zu lenken. Man kann also sagen, das wahre Objekt der Polizei wird am Ende des achtzehnten Jahrhunderts

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die Bevölkerung. Sie übt Herrschaft über Lebewesen als Lebe­ wesen aus, und ihre Politik ist deshalb Biopolitik. Da die Bevöl­ kerung nicht mehr ist als das, worum der Staat sich um seiner selbst willen kümmert, hat der Staat natürlich das Recht, diese Bevölkerung, falls nötig, auch abzuschlachten. Das Gegenstück zur Biopolitik ist die Thanatopolitik. Ich weiß sehr wohl, dass dies alles nur skizzenhafte Vorschläge und Leitlinien sind. Doch von Botero bis Justi, vom Ende des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts er­ schließt sich uns zumindest in Andeutungen die Entwicklung ei­ ner politischen Rationalität, die mit einer politischen Technologie verknüpft ist. Von der Idee, dass der Staat ein eigenes Wesen und eine eigentümliche Bestimmung besitzt, bis hin zu dem Begriff vom Menschen als einem lebendigen Individuum oder einem Teil einer Bevölkerung, die in Wechselwirkung mit der Umwelt steht, erkennen wir, dass der Zugriff des Staates auf das Dasein des Ein­ zelnen immer nachdrücklicher wird, dass die Probleme des Le­ bens für die politische Gewalt an Bedeutung gewinnen und dass sich neue Arbeitsfelder für die Sozial- und Humanwissenschaften herausbilden, insofern sie sich mit den Themen individuellen Ver­ haltens innerhalb der Bevölkerung sowie mit den Beziehungen zwischen einer Bevölkerung und ihrer Umwelt befassen. Ich will kurz zusammenfassen, was ich zu sagen versucht habe. Zunächst: Es ist durchaus möglich, politische Rationalität zu ana­ lysieren, so wie es ja auch möglich ist, wissenschaftliche Rationa­ lität zu analysieren. Allerdings ist die politische Rationalität mit anderen Formen von Rationalität verknüpft. Ihre Entwicklung hängt zu einem Gutteil von ökonomischen, sozialen, kulturellen und technischen Prozessen ab. Sie verkörpert sich stets in Insti­ tutionen und Strategien und hat spezifischen Charakter. Da poli­ tische Rationalität die Wurzel einer Vielzahl von Postulaten, von Evidenzen aller Art, von Institutionen und Ideen ist, die wir für gesichert halten, ist es sowohl von theoretischer als auch von praktischer Bedeutung, die historische Kritik, die historische Analyse unserer politischen Rationalität voranzutreiben, die et­ was anderes ist als die Diskussion über politische Theorien und auch etwas anderes als die Meinungsunterschiede angesichts ver­ schiedener politischer Grundentscheidungen. Das Scheitern der wichtigsten politischen Theorien darf uns nicht zu unpolitischem

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Denken verleiten; vielmehr sollten wir uns bewusst machen, wie das politische Denken in unserem Jahrhundert beschaffen ist. Anzumerken ist, dass das Scheitern der politischen Theorien in der alltäglichen politischen Rationalität weder der Politik noch der Theorie anzukreiden ist, sondern mit dem Rationalitätstypus zusammenhängt, in dem sie gründen. Das in dieser Hinsicht wich­ tigste Kennzeichen der modernen Rationalität ist weder die Kon­ stitution des Staates, dieses kältesten aller kalten Ungeheuer, noch der Aufstieg des bürgerlichen Individualismus, noch auch das un­ ablässige Bemühen, den Einzelnen in die politische Totalität zu integrieren. Ich glaube, das wichtigste Kennzeichen unserer poli­ tischen Rationalität ist, dass die Integration des Individuums in eine Gemeinschaft oder in eine Totalität aus der stetigen Korrela­ tion zwischen einer wachsenden Individualisierung und der Stär­ kung ebendieser Totalität resultiert. Nur so wird verständlich, weshalb die moderne politische Rationalität mit der Antinomie von Gesetz und Ordnung verträglich ist. Das Gesetz bezieht sich per definitionem stets auf ein Rechts­ system, Ordnung dagegen auf ein Verwaltungssystem, auf die spezifische Ordnung eines Staates, und das entsprach ja durchaus den Vorstellungen der Utopisten zu Beginn des siebzehnten Jahr­ hunderts und auch den Vorstellungen der sehr realistischen Ver­ waltungsleute des achtzehnten Jahrhunderts. Ich denke, die Ver­ söhnung zwischen Recht und Ordnung, von der diese Männer träumten, ist dazu verdammt, ein Traum zu bleiben. Es ist nicht möglich, Recht und Ordnung miteinander zu versöhnen, denn wann und wo immer dies versucht wurde, kam es zur Integration des Rechts in die staatliche Ordnung. Noch eine letzte Bemerkung: Die Entstehung der Sozialwissen­ schaften lässt sich nicht von der Entstehung der neuen politischen Rationalität und von der neuen politischen Technologie trennen. Wir alle wissen, dass die Ethnologie aus dem Kolonialisierungs­ prozess hervorgegangen ist (was nicht heißt, dass sie eine kolonialistische Wissenschaft ist). Und dass wir als lebende, sprechende, arbeitende Wesen zum Objekt verschiedener Wissenschaften wer­ den, hat seinen Grund nicht in einer Ideologie, sondern in der Existenz dieser politischen Technologie, die wir in unseren eige­ nen Gesellschaften entwickelt haben. Übersetzt von Michael Bischoff

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Anhang i Besprechung von G. Deledalle,

Histoire de la philosophie américaine Besprechung des Buchs von G. Deledalle, Histoire de la philosophie améri­ caine, Paris 1954. Die Besprechung erschien 1955 anonym im Tätigkeitsbericht der PUF Les Moissons de lyesprit.

Gewöhnlich wird die amerikanische Philosophie als Anhang zur englischen Philosophie dargestellt, oder deren Hauptelemente fin­ den sich zerstreut in Werken zur Psychologie, Logik oder Sozio­ logie. Schon dass Deledalles Buch neu ist, beweist seine Nütz­ lichkeit. Doch auf diesen 220 Seiten findet sich weit mehr als nur eine Zusammenstellung von Informationen aus verstreuten Quellen, nämlich eine ganz originäre Synthese. Nach einer Ein­ leitung, in der die großen historischen Einflüsse auf die amerika­ nische Philosophie skizziert werden (Erkenntnistheorie, Hegelia­ nismus, Evolutionstheorie), beschreibt der Autor die Strömungen, die bei aller Veränderlichkeit dennoch Konstanten dieser Philoso­ phie darstellen: Pragmatismus, Neorealismus, Naturalismus und Idealismus. Doch über die Analyse der verschiedenen Schulen darf man auch nicht die großen philosophischen Persönlichkeiten vergessen, die innerhalb der verschiedenen Schulen wirkten. So finden sich sehr dichte Darstellungen zu Peirce, James, Royce, Dewey und Mead. Dieses reiche und kohärente Buch endet mit einem Schlusskapitel, in dem die amerikanische Philosophie durch ihren Anticartesianismus charakterisiert wird. Übersetzt von Michael Bischoff

Anhang 2

Gespräch über M edizin, G ewalt und Psychiatrie

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Anhang 2 Gespräch über Medizin, Gewalt und Psychiatrie Debattenbeitrag zum Symposium über Medizin, Gewalt und Psychiatrie am 19. November 1975 an der Columbia University; in: Semiotext, 22. September 1978. Foucault greift mit einem Beitrag in die Debatte ein, in dem er die Betei­ ligung von Ärzten an der Folter in Brasilien anprangert.

Ronald D. Laing: Wir sprechen hier über die Frage, was wir für Menschen tun können, die in unserer Gesellschaft jeglichen Schutz verlieren. Wenn dieser Schutz verloren geht, sehen wir, wie hemmungslos Angriffe auf den Menschen sein können. Wenn jemand psychisch krank ist, sollte er erst recht nicht in dieser Weise behandelt werden. Man sollte ihn erst recht nicht terrorisieren und alles noch schlimmer machen. Die größte Angst, der größte Schrecken, die größte Furcht, die wir auf Erden finden, ist etwas, für das es keinen Namen gibt. Die meiste Angst haben die Menschen vor anderen Menschen. Wir haben Angst voreinan­ der. Und wir haben gute Gründe, Angst voreinander zu haben, denn wir sehen, was Menschen uns antun, wenn sie die Möglich­ keit dazu haben. Sie machen uns nieder. Wenn jemand nicht in der Lage ist, sich selbst zu schützen (ich nehme an, das könnte man in unserer Gesellschaft als geisteskrank bezeichnen), besteht noch größere Gefahr, dass er niedergemacht wird. Menschen aus aller Welt kommen in der Hoffnung nach Lon­ don, einen Ort zu finden, an dem sie Unterschlupf finden können, an dem die Hitze nachlässt und niemand sie niedermacht. Nie­ mand tut ihnen etwas, und es gibt keinen Streit. Ein Ort, an dem es nicht verboten ist, Angst zu haben. Unsere Gesellschaft kulti­ viert Gefühllosigkeit gegen uns selbst und gegenüber anderen. Als ich das letzte Mal in diesem Land war, traf ich viele Studenten, die mir viele Fragen stellten nach transzendentaler Meditation und Verhaltensänderungen und dergleichen. Aber am häufigsten fragte man mich, wie wir an unsere eigenen Gefühle herankommen kön­ nen. Die Menschen haben das Gefühl, dass ihre Gefühle abge­ stumpft sind.

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Die so genannten Tranquilizer wurden ursprünglich an Ratten und anderen Labortieren erprobt. Zuerst testet man solche Mittel an Menschen einer sehr fernen Gegend, zum Beispiel in OstKaschmir, dann an Gefängnisinsassen, vor allem an Schwarzen. Danach erprobt man sie an psychisch Kranken, und dann nehmen wir sie selbst oder geben sie unseren Kindern. Diese Medikamente wurden und werden als chemische Mittel zur Stärkung der Konditionierbarkeit eingesetzt. Mit anderen Worten, sie werden Men­ schen verabreicht, weil man herausgefunden hat, dass Ratten da­ durch leichter konditioniert werden können. Und natürlich braucht man einen schönen Namen dafür, der nichts mit der Rea­ lität zu tun hat. Darum nennt man sie »Tranquilizer«. In Wirklich­ keit handelt es sich nicht um Beruhigungsmittel, sondern um Kon­ ditionierungsdrogen . In England gab es vor dem Ersten Weltkrieg nur einen einzigen Lehrstuhl für Psychiatrie. Damals schrieb ein Psychiater einen Aufsatz über den ökonomischen Einsatz der Menschen in der bri­ tischen Armee. Er schrieb, man solle Soldaten nicht anders behan­ deln als Panzer und die übrige Ausrüstung. Als meine Frau einmal kränkelte, sagte mir ein Arzt: »Sie sollten sich mehr um Ihre Frau kümmern, denn sie ist ihr wichtigstes Ausrüstungsstück.« Wir instrumentalisieren und mechanisieren uns selbst. Aber wir ähneln nicht etwa nur Maschinen, wir sind Maschinen, allerdings ziemlich schlecht konstruierte. Mit all diesem Fett und Fleisch usw. sind wir funktional nicht annähernd so effizient wie richtige, reale Maschinen. Wir sind recht schlechte Maschinen. Aber wir müssen uns der ideologischen Kriegführung bewusst sein, wir müssen den gesamten Zusammenhang sehen. Es geht nicht einfach darum, einen Sieg zu erringen, auch wenn das wichtig ist. Sobald man auf einem Gebiet aufhört, Menschen niederzumachen, geht es auf einem anderen Gebiet weiter. Wenn die Dinge ein wenig subtiler geschehen, werden sie immer auch stärker technisiert und in diesem Sinne dann auch effizienter. Michel Foucault: Ich. stimme voll überein mit dem, was Ronald Laing über die Macht des ärztlichen Berufsstandes und deren gewärtig festzustellende weitere Stärkung gesagt hat. Auf der Grundlage der Ausführungen dieser beiden Autoritäten, Howie Harp und Ronald Laing, möchte ich ein Problem anschneiden, das vielen vielleicht noch fremd, allzu fremd ist.

Anhang 2

Gespräch über M edizin, G ewalt und Psychiatrie

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Vor einigen Tagen war ich in Lateinamerika, in Brasilien, wo es bekanntlich zahlreiche politische Gefangene gibt. Allein in den letzten Monaten sind dort mehrere hundert Journalisten, Studen­ ten, Professoren, Intellektuelle und Rechtsanwälte verhaftet wor­ den. Und in Brasilien bedeutet Verhaftung natürlich auch Folter. Eines ist jedoch sehr bemerkenswert. Wie es scheint, sind die Foltertechniken in letzter Zeit mit Hilfe amerikanischer Techni­ ker ganz beträchtlich weiterentwickelt und vervollkommnet wor­ den. Ein Merkmal dieser neuen Foltertechniken liegt darin, dass der Folterer nicht mehr mit dem identisch ist, der die Fragen stellt. Jemand sitzt in seinem Zimmer und hat nur noch einen Computer vor sich, mit dessen Hilfe er festlegt, welche Fragen dem Opfer gestellt werden sollen. Er schreibt die Fragen nieder und übermittelt sie einem Untergebenen, der die Folter in einem anderen Raum vornimmt, bis er die Antwort erhalten hat. Die Antwort wird dann wieder in den Computer eingegeben, um zu prüfen, ob sie mit den bisher erlangten Informationen überein­ stimmt. Verzeihen Sie mir diese Abschweifung, die auf den ersten Blick kaum etwas mit psychiatrischen Anstalten und gar nichts mit Medizin zu tun hat. Aber im gleichen Zug hat man in diese neue Technik eine neue Figur eingeführt, die nun ständig im Ritual der Folter präsent ist: den Arzt. Heute ist bei der Folter fast immer ein Arzt anwesend. Er soll in erster Linie sagen, welche Folter am effektivsten ist, und zweitens soll er das Opfer untersuchen und sicherstellen, dass es nicht stirbt, zum Beispiel weil eine Herz­ erkrankung vorliegt. Drittens schließlich verabreicht der Arzt In­ jektionen, die das Opfer stärken sollen, so dass es die Folter phy­ sisch übersteht, aber zugleich psychisch besonders darunter leidet. Solche Dinge geschehen ganz sicher nicht nur in Brasilien, son­ dern auch in vielen Ländern der Erde. Darum möchte ich hier einige Bemerkungen machen. Es erstaunt mich sehr - oder eigent­ lich erstaunt es mich nicht, es handelt sich eher um ein rhetori­ sches Erstaunen -, wie entschieden ärztliche Vereinigungen in aller Welt, ob nun in den Vereinigten Staaten, in Frankreich, in Europa oder Südamerika, für den Arzt den Anspruch erheben, über Leben und Tod entscheiden zu dürfen. Sehen Sie sich an, was in Frankreich mit der Abtreibung geschieht. Die Ärzte sagen: Unser Beruf ist es, Leben zu retten, wir dürfen keine Entschei-

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düng für den Tod treffen. Sehen Sie sich an, was in den Vereinigten Staaten vor vier oder fünf Jahren in einem Gerichtsverfahren ge­ schehen ist, dem Fall Quinlin, in dem die Ärzte sagten: Wir haben die Pflicht, Leben zu retten und nicht den Tod herbeizuführen. Haben Sie jemals bemerkt, dass diese ärztlichen Vereinigungen, die sich so über die Abtreibung aufregen, jemals die politische Rolle der Medizin in den Gefängnissen, auf den Polizeirevieren und in den Folterkammern angeprangert hätten? Gibt es eine Gruppe oder Vereinigung von Ärzten, die den Ausschluss von Ärzten forderten, wenn sie sich für solche Dinge hergeben? Ich sollte noch hinzufügen, dass nicht nur praktische Ärzte bei der Folter helfen, sondern gelegentlich auch Psychiater oder Psy­ choanalytiker. In Rio gibt es einen Psychoanalytiker, der zur fort­ schrittlichsten psychoanalytischen Schule gehört und als offiziel­ ler Berater der Polizei in Fragen der Folter arbeitet. Ich glaube nicht, dass diese Freud'sche Schule ihm jemals deswegen Vorwür­ fe gemacht hat. Hier ist eine Gruppe von Menschen versammelt, die sich den Schutz ehemaliger Patienten der Psychiatrie zur Aufgabe gemacht haben. Glauben Sie nicht, man könnte eine Vereinigung von Men­ schen gründen, die in der einen oder anderen Weise mit der Medi­ zin zu tun haben, als Ärzte, Krankenpfleger, Studenten usw., und die es sich zur Aufgabe machten, die explizite, effektive, nominel­ le, individuelle Zusammenarbeit von Ärzten mit der Polizei an den Pranger zu stellen, wo immer dies geschieht? Und noch etwas möchte ich anmerken. Mir scheint, die Betei­ ligung von Ärzten an politischen oder juristischen Auseinander­ setzungen wirft eine Reihe ernster und weitaus allgemeinerer Fra­ gen auf, als sie in den angeführten Beispielen zum Ausdruck kommen. In meinen Augen ist die gutachterliche Tätigkeit von Psychiatern bei Gerichtsverfahren gar keine ärztliche Tätigkeit. Es ist völlig unmöglich, der Diagnose, dem Urteil, der Darstellung oder dem klinischen Bild, die ein Gutachter vor Gericht abgibt, irgendeine medizinische Bedeutung beizulegen. Der rechtsmedi­ zinische Diskurs ist nicht medizinisch, sondern ausschließlich ju­ ristisch. Wir sprechen hier über eine Kritik an der ärztlichen Macht. Meinen Sie nicht, wir sollten hier und jetzt anfangen und etwas gegen die Anwesenheit und Tätigkeit von Ärzten im Rah­ men einer gerichtlichen oder polizeilichen Praxis unternehmen?

Anhang 3

Ein Brief von M ichel Foucault

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Ich möchte mit einer einfachen Frage schließen: Worin besteht Ihrer Meinung nach die beste Methode und die beste Organisa­ tionsform, um dieses Ziel auf lokaler, nationaler und internationa­ ler Ebene anzugehen? Übersetzt von Michael Bischoff

Anhang 3 Ein Brief von Michel Foucault »Une lettre de Michel Foucault«, in: UAne, le magazine freudien, Nr. 14, November/Dezember 1984.

Robert Badinter hat in Ane1 erklärt, er habe Surveiller et Punir [Überwachen und Strafen] »in den Ferien wieder gelesen« und ich hätte Unrecht, wenn ich im Gefängnis ein Mittel sähe, an »billige Arbeitskräfte« zu kommen. Jeder Leser wird wissen, dass ich diese in der marxistischen Tradition häufig anzutreffende These niemals vertreten habe. Un­ ter all den Thesen, die Badinter mir willkürlich hätte unterschie­ ben können, hat er gerade jene ausgewählt, von der ich mich am klarsten zu distanzieren versuche. Offenbar haben sich seine Ferienerinnerungen ein wenig ge­ trübt. Ohne es zu merken, muss Badinter das Buch von Kirch­ heimer gelesen haben. Warum diese Täuschung? Man kann in der Tat den Intellektuel­ len nicht vorwerfen, sie hüllten sich in Schweigen, und ihnen dann demonstrieren, dass man entschlossen ist, ihnen gar nicht zuzu­ hören. Es sei denn, man will ihnen gerade klar machen, dass es vollkommen gleichgültig ist, was sie sagen oder nicht sagen oder gesagt haben mögen. Paris, 8. Dezember 1983, Michel Foucault Übersetzt von Michael Bischoff1

1 [Nr. 13, November/Dezember 1983.]

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Anhang 4 Die unveröffentlichten Texte von Nietzsche »Les inédits de Nietzsche« (Leserbrief), in: Le Monde, 7. Juni 1967. Im Anschluss an das Interview mit Michel Foucault über die Publikation der Nietzsche-Gesamtausgabe haben wir einige »unveröffentlichte Frag­ mente« aus der Neuausgabe von G ai Savoir [Die fröhliche Wissenschaft] abgedruckt.

Jean Beaufret schreibt uns zu diesem Thema: »Erlauben Sie mir, Sie darauf hinzuweisen, dass von den »unveröffentlichten Frag­ menten« das erste aus der so genannten Großoktavausgabe von Kröner stammt und zwar aus Band XII, i.Teil, § 342. Es ist sogar schon von Geneviève Blanquis ins Französische übersetzt worden (Volonté de puissance, Gallimard, Bd. II, S. 189). Das Zweite findet sich in der französischen Übersetzung von H.J. Bolle in dem beim Mercure de France 1934 erschienenen Band Nietzsche, oeuvres posthumes, S. 91, und stammt gleichfalls aus Band XII der Kröner-Ausgabe; der Dritte ebenfalls (i.Teil, §354).« Michel Foucault hat uns dazu folgende Stellungnahme zukommen lassen: »Herr Beaufret weist zu Recht darauf hin, dass mehrere der in unserer Ausgabe vom 24. Mai abgedruckten Fragmente von Nietzsche bereits an anderer Stelle erschienen sind. Um eine Vor­ stellung von der unternommenen Wiederherstellung zu geben, haben wir in der Tat unter den zeitgleich mit der Fröhlichen Wis­ senschaft entstandenen nachgelassenen Texte solche ausgewählt, die noch unbekannt, und solche, die schon bekannt waren und von früheren Herausgebern in diverse Sammlungen aufgenom­ men worden sind. Denn die Neuausgabe hat es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche im Nietzsche-Archiv vorhandenen Texte (die unveröffentlichten wie die bereits veröffentlichten) in ihrer ur­ sprünglichen Form und ihrer zeitlichen Reihenfolge wiederzuge­ ben. Wir danken Jean Beaufret für seine Richtigstellung.« Übersetzt von Michael Bischoff

Anhang 5

Zur Publikation der N ietzsche-G esam tausgabe

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Anhang 5 Zur Publikation der Nietzsche-Gesamtausgabe »La publication des >Œuvres complètes< de Nietzsche« (Gespräch mit Jacqueline Piatier), in: Le Mondßy Nr. 6954, 24. Mai 1967, S. V III.

/. Piatier; Seit wann ist klar, dass eine neue Nietzsche-Gesamtaus­ gabe notwendig ist? M. Foucault: Tatsächlich ist heute nur ein Buch unsicher, näm­ lich das letzte, Der Wille zur Macht. Es erschien zwar noch zu Nietzsches Lebzeiten, doch seine Krankheit hatte ihn damals be­ reits seiner geistigen Fähigkeiten beraubt. Seine Schwester Elisa­ beth Förster publizierte die Notizen, die er für ein Werk gesam­ melte hatte, dem er größte Bedeutung beimaß. Sie stellte den Text zusammen, den wir heute unter diesem Titel kennen, und sie behauptete, den Plan dafür gefunden zu haben. Wahrscheinlich hat sie nichts erfunden. Aber: 1. Sie hat die vorhandenen Texte in einer Weise gekürzt, die deren Sinn möglicherweise verändert hat. 2. Sie hat eine Auswahl unter den unveröffentlichten Notizen getroffen und dabei einige sehr wichtige Texte weggelassen. 3. Sie hat diese Fragmente in eine Reihenfolge gebracht, für die sie die alleinige Verantwortung trug, und sie behauptete, dem Buch die Form gegeben zu haben, die Nietzsche gewünscht hätte. Wii befinden uns also in einer ähnlichen Lage wie bei der Edition der Pensées von Pascal. Aber Nietzsche hatte sich 1889 ganz si­ cher noch nicht entschieden, wie er sein Buch aufbauen wollte. Seine Schwester hat sich für ein Schema entschieden, das sich zwar als Skizze auf einem Zettel findet, aber es gibt mehrere solcher Entwürfe, und nichts beweist, dass Nietzsche am Ende dieses Schema gewählt hätte.

Rückkehr zu den Manuskripten Als die Nazis Nietzsches Werk für ihre politischen Zwecke nutz­ ten, kam der Verdacht auf, seine Schwester könne seine Gedanken systematisch verzerrt haben. Deshalb war es wünschenswert und sogar notwendig, auf seine Manuskripte zurückzugreifen.

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J. Piatier: Rechtfertigte die Ausrichtung, die Elisabeth Förster dem Willen zur Macht gab, eine solche Nutzung? M. Foucault: Nietzsches Schwester war mit einem der Gründer der ersten antisemitischen Bewegung in Deutschland verheiratet. In Briefen soll Nietzsche mehrfach zum Ausdruck gebracht ha­ ben, dass er mit den Ansichten seines Schwagers nicht einverstan­ den war. In dem publizierten Werk findet sich davon natürlich keine Spur. Allerdings wissen wir nicht, was der unveröffentlichte Nachlass aus dieser Zeit noch enthüllen wird, da er noch nicht vollständig inventarisiert ist. Eine erste Durchsicht unternahm nach dem Krieg Karl Schlechta. Doch er konnte sie nicht sehr weit treiben. J. Piatier: Was wird in der Neuausgabe aus dem Willen zur Macht? M. Foucault: Dieses falsche Werk wird darin nicht Vorkommen. Es wird in den Zustand zurückversetzt, in dem Nietzsche es hin­ terlassen hat. An seiner Stelle wird es nur noch nachgelassene Fragmente geben, die mindestens zwei Bände der aktuellen Aus­ gabe einnehmen werden. /. Piatier: Aber die Texte der übrigen Werke wird man unbe­ rührt lassen? M. Foucault: Zur Harmonisierung der Ausgabe hat Claude Gallimard beschlossen, die Texte von einer kleinen Zahl von Spe­ zialisten neu übersetzen zu lassen. Pierre Klossowski, der gerade Die fröhliche Wissenschaft und alle unveröffentlichten Texte aus derselben Zeit herausgibt, wird auch die unveröffentlichten Texte aus der letzten Periode übersetzen. Rorini übernimmt MenschlicheSy Allzumenschliches und den Zarathustra sowie die zugehö­ rigen Texte aus dem Nachlass. Die Jugendschriften, die bislang stark vernachlässigt wurden und unverstanden geblieben sind, übersetzt de Gandillac. Die Gruppe wird nicht mehr als sechs oder sieben Übersetzer umfassen. Trotz des gewaltigen Umfangs ist dadurch eine recht große Homogenität gewährleistet. /. Piatier: Was erwartet man von der Veröffentlichung einer so großen Zahl unveröffentlichter Texte? Werden sie unser Nietz­ sche-Bild verändern? M. Foucault: Sie werden es in jedem Fall erhellen, indem sie ei­ nige Züge deutlicher hervortreten lassen, die Nietzsche seltsamer­ weise in die Nähe der Vorlieben der heutigen Philosophie rücken.

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1. Die Jugendschriften befassen sich hauptsächlich mit der grie­ chischen Philosophie. Nietzsche hat seine ersten philosophischen Erfahrungen mit Überlegungen über die Sprache gemacht. Im 19. Jahrhundert und schon seit Descartes lebte die westliche Phi­ losophie hauptsächlich von der Reflexion über die Naturwissen­ schaften, vor allem Physik und Mathematik. Eine Ausnahme bil­ det hier Spinoza, der gleichfalls über die hebräische Philologie und über Bibelkommentare zur Philosophie kam. Der griechischste und der hebräischste unter den Philosophen begegnen sich hier in ihrem Interesse für die Heilige Schrift. Aber es wird außerdem deutlich, dass Nietzsche sich mit der modernen Philosophie und deren Nachforschungen über die Sprache trifft. /. Piatier: Verdanken wir Nietzsche dieses Interesse an der Sprache? M. Foucault: Keineswegs. Es handelt sich um ein zufälliges Zu­ sammentreffen, das wir heute wahrnehmen. Die Ausrichtung des heutigen Denkens geht zurück auf die Forschungen des Mathe­ matikers und Logikers Bertrand Russell, auf die Arbeiten von Husserl in Deutschland, auf die Aufmerksamkeit, die Freud dem Diskurs des Unbewussten schenkte, und auf Saussures Lin­ guistik. Aber wir entdecken heute, dass auch Nietzsche sich in­ tensiv mit der Sprache auseinander gesetzt hat. Und das nicht nur, um als guter Philologe die strenge Form und den genauen Sinn des Geschriebenen zu finden; nicht nur um als guter Exeget die ver­ borgenen Bedeutungen aufzuspüren; sondern um unser Dasein und das Sein der Welt auf der Grundlage dessen, was wir sagen, zu befragen und um herauszufinden, wer da in allem, was gesagt wird, denn eigentlich spricht. 2. Die unveröffentlichten Texte, die zur selben Zeit wie die publizierten Schriften entstanden, werfen ein merkwürdiges Licht auf diese Schriften. Wenn ein Schriftsteller seine Gedanken ständig niederschreibt, bilden die hinterlassenen Skizzen eine mehr oder weniger nahe Annäherung an den endgültigen Text. Bei Aphoris­ mensammlungen dagegen sind die aufgegebenen Fragmente ande­ re Texte, deren Veröffentlichung nicht die langsame Herausbil­ dung einer Einheit erkennen lässt. Sie vermehren und verstärken vielmehr die aphoristische Zerstreuung. Unter der Wolke der vom Autor publizierten Texte erscheint ein Streumuster anderer mög­ licher Texte - die radikal anders erscheinen, obwohl sie fast voll­

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kommen identisch sind. Umgeben von den unveröffentlichten Texten, die der Autor verworfen hat, wird das Buch wieder zu einer Welt isolierter Ereignisse, die aber durch ein Netz rätselhafter Wiederholungen, Widersprüche, Ausschlüsse und Veränderungen miteinander verbunden sind. Der Diskurs erscheint jenseits jeder syntaktischen oder rhetorischen Verbindung als eine Staubwolke aus Ereignissen. Der Gedanke, der »einem kommt«, die Sprache, die »geschieht«, der Einbruch des Diskurses - das sind Probleme und Formen, die Nietzsche mit seinem Zeitgenossen Mallarmé gemeinsam hat. Und auch uns gehen sie heute noch nach. /. Piatier: Die aphoristische Form führt uns also mitten ins »theoretische« Zentrum des Nietzsche’schen Werkes? M. Foucault: Ganz richtig. Im Kern des nietzscheanischen Den­ kens liegt das Problem des Werdens und der ewigen Wiederkehr, das heißt des Anderen und des Selben. Das absolut Andere ist das Werden: die Explosion, das dionysische Zerreißen der Zeit, wel­ che das Denken entstehen lässt. Aber zugleich ist es für Nietzsche immer das Selbe, was da wird, und das Andere ist immer auch das Selbe. Daher die ewige Wiederkehr oder vielmehr die ewige Wie­ derkehr des Selben. Und auch der Aphorismus, der doch in einem Verhältnis vollkommenen Andersseins zu seiner Umgebung steht, ist zugleich auch das Selbe wie das, was er ausschließt. Das Kern­ problem findet sich also in der Diskursform selbst reproduziert. J. Piatier: Werden und ewige Wiederkehr sind also die beiden Achsen dieses Denkens? M. Foucault: Ja. das Werden erscheint vor allem in den ersten Werken, insbesondere in der Geburt der Tragödie, die ewige Wie­ derkehr in der Fröhlichen Wissenschaft und im Zarathustra. Die Erfahrung des Werdens ist für Nietzsche in seiner Anfangszeit eine wesentlich tragische Erfahrung. Im Werden verliert sich die Individualität geradeso wie im Willen.

Diskurs und Geschichte 3. Bleibt noch der Beitrag der unveröffentlichten Texte aus der Schlussphase. Das in Entstehung begriffene Werk war in seinen Augen ein Ereignis, das die Welt in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Man sieht, wie bei Nietzsche der Gedanke aufkommt, dass

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Philosophie weder Spekulation noch die Theorie einer Praxis ist, sondern ein direkter Zugriff auf die Welt. Sprache und Diskurs spiegeln nicht die Welt wider. Sie sind Teil der Welt. Aber umge­ kehrt hat die Welt ihre Nervatur in dem, was in ihr über sie gesagt wird. In diesem Sinne sollte sein letztes Werk nicht nur den phi­ losophischen Diskurs radikal erschüttern, sondern auch die Welt verändern. /. Piatier: Hat man eine Idee, welche neue Orientierung ihm vorschwebte? M. Foucault: Tatsächlich sagt er es nicht, zumindest nicht in den Texten, die in Der Wille zur Macht zusammengestellt sind. Wer­ den die unveröffentlichten Texte hier größere Klarheit bringen? Ich glaube kaum. Er beobachtete diese radikale Veränderung aus der Ferne, ohne zu wissen, worin sie bestehen würde. Dieser uner­ warteten Gestalt, die den Menschen aus seinem provisorischen Wissen vertreiben sollte, gab er den Namen »Übermensch«. Übersetzt von Michael Bischoff

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Namenregister Abel, A. I: 806-811 Abel, N .H . I: 761, 925 Adam I: 43 ; III: 844, 1024; IV: 215 b Adanson, M. II: 12, 49 Adorno, T.W. IV: 90, 542 Agulhon, M. I: 86; IV: 25, 44b Alain-Fournier, H. I: 387 Albinus IV: 970 Aldrovandi, U. I: 625, 626, 630, 630; IV: 672 Alembert, J. I: 255, 1043 Alexander, F. I: 191; III: 679 Alexander von Myndos IV: 562 Alexina, B. I: 79, 87, 310; III: 7, 310, 633, 783, 846 f.; IV: 142 f., 146-151, 712 Alkibiades IV: 218, 394, 427, 482, 67 5, 974-976 Allio, R. I: 70, 73, 78; II: 810; III: 5, 129, 131-134, 141b, 152156, 158 f., 163 b Allo, É. III: 1028 Almeida, M. II: 955-970 Almira, J. II: 903-906 Althusser, L. I: 18-25, 34, 39, 4 ° “ 43, 5°> 54, 94, 668, 752h, 752, 833 f., 840, 849, 1032, 1046; II: 206f., 335 f., 506, 766, 909, 956; III: 45 f-, 410, 551, 742, 765, 768; IV: 64 h, 67, 82, 92, 646 Amaral, M. II: 669, 768-792 Ambrosius von Mailand IV: 177 Amini, A. III: 863, 869, 880f., 884 Amiot, M. IV: 76 Amy, G. I: 449"5I 3, 532 Angeli, C. II: 215-222, 242 Anquetil, G. IV: 412-420

Anquetil-Duperon, A. I: 400 f. Antipater von Tarsus IV: 263 Antonius von Padua IV: 492, 504,

770 f. Apollodoros von Telmessos IV: 562 Apollon von Daldis IV: 565 Apollonios von Tyana IV: 675 Appert, B. II: 926; III: 1005-1007, 1009-1019 Appia, A. I: 374 Apuleius IV: 673 Aquin, Thomas von IV: 186, 1003 f. Arafat, J. IV: 321 Aragon, L. II: 810, 907, 941 Archytas von Tarent IV: 172 Arendt, H. I: 94; IV: 720-722 Aretée [dt. Aretaios] IV: 670 h Ariès, P. III: 253, 637-640; IV: 353, 796-807 Aristandros von Telmessos IV: 562 Aristides, A. (Aristeides, A.)

IV: 564, 989 Aristophanes I: 960; IV: 675 f. Aristoteles I: 56, 132, 239, 478, 493, 501, 588, 590, 595, 945 fv, 976, 979,1012, 1022,1038; II: 56,

80,94, n 2,131,296 f., 503,708; III: 511, 679; IV: 467, 482, 673, 752, 863 f., 866 Armleder, G. II: 247 Arnal, F. I: 786 Arnauld, A. I: 932, 934, 937, 941, 942, 956, 1034 Arrian IV: 430 Artaud, Antonin I: 225, 237, 363, 365, 540, 548, 647, 675, 679, 897;

1030

II: 99, 130, 133, 135, 162, 513; III: 606, 622, 727, 848 Artemidor von Daldis (Artemidor aus Ephesus) IV: 214, 216, 262, 561-593, 989 Artemon von Milet IV: 562, 565 Athanasius von Alexandrien I: 400 Athenäus von Naucratis IV: 263 Attali, J. IV: 498 f., 503 Augustinus I: 89, 98, 400; III: 173, 699; IV: 214-217, 358, 368, 469, 477, 689, 754, 760, 978, 990 Austin, J.L. II: 777 Baader, A. I: 83; III: 110, 468,

472 f., 535 f. Baader, E von I: 133 F Babinski, J.F. I: 211; II: 837 Bach, J.S. IV: 599, 653 Bachelard, G. I: 24, 28, 41,50,168, 568, 586, 887, 889; II: 476h; III: 527, 552, 555, 557; IV: 70, 533» 806, 934, 944, 948, 950 Bachelard, S. IV: 953 Bacon, F. I: 622, 637, 729, 1013; II: 489, 776, 947; III: 877; IV: 298 Badinter, R. III: 370-375, 377, 379382, 384-390, 570; IV: 640, 852h, 1021 Badiou, A. I: 38, 50, 70, 573-603 Bain, A. I: 178 F Baker, C. IV: 848, 850-852, 8 54858 Baktiar, H. III: 950 Bakunin, M. IV: 142 Balan, B. II: 45-82 Baldwin, J. I: 188 Balibar, É. II: 336, 506f., III: 46 Balzac, H. de I: 453 F, 469, 895, 1014; III: 134, 324 Barbedette, G. IV: 369-375, 859

Namenregister

Barbine, H. siehe: Alexina, B. Baroni, C. I: 737-743 Barraqué, J. I: 22-24, 26 f., 68, 785 Barre, R. III: 475 Barret-Kriegel, B. I: 83 Barrou, J.-P. II: 524-527 Barthes, R. I: 24, 28, 32, 34-36, 41, 51, 54, 72, 76, 81, 84, 88, 92, 481, 489, 491, 749, 833 f., 1032; II: 91, 141, 144, 155, 254, 333, 334, 649, 652, 888, 994, 996; III: 118, 502, 720F, 729, 742; IV: 56, 152, 746, 801 Basaglia, F. II: 254, 285, 837, 840F, 852, 958; IV: 729 Basedow, J.B. III: 512, 739 Basilius von Cäsarea IV: 347, 359

Bataille, G. I: 18, 20, 23-25, 34 F, 54, 320-342, 365, 386, 438, 447, 451, 519, 572, 676, 679, 718, 786F, 813; II: 32-34, 91, 99, 129 F, 202, 513; III: 724, 739-741; IV: 53 F, 59-62, 65-67, 72, 529, 541, 746 Baudelaire, C. I: 336, 492, 497; II: 162, 653, 872, 881, 894, 924, 969 F; IV: 474, 542, 602, 695698 Baudrillard, J. IV: 546 Baudry, J.-L. I: 36, 370-387, 4 4 9 " 533

Bauer, B. III: 636, 838 Bauer, J. III: 838 Bayard, H. II: 874 Bayle, P. I: 809 F, 969; III: 68 Bazargan, M. III: 8, 829-831, 974 f-. 977 Beaucé, T. de I: 85; IV: 316-318, 322 Beauvais, V. de IV: 672 Beauvoir, S. de I: 88, 98; IV: 717

1031

Nam enregister

Beauzée, N . I: 910, 956 Beccaria, C. de II: 252, 254, 574, 576f., 729, 731-733, 737> 745 f-) 749) 7^5>895 f-» 9 °o ; III: 43) 579) 592; IV: 14, 21 Beck, A. I: 265 Becker, H. IV: 875 Becker, O. I: 151 Beckett, S. I: 47, 49, 456, 1007; II: 945; IV: 746, 801 Beethoven, L. van IV: 599 Begin, M. IV: 419 Béguin, F. III: 54 Beissner, F. I: 263 f. Bell, D. IV: 541 Bellour, R. I: 40, 44, 644-652, 750769 Belon, F. III: 570 Belon, R I: 630 Benedict, R. I: 192; II: 157 Benedikt (Benedetto) von Nursia IV: 177, 179 Benjamin, W. IV: 542 Bentham, J. I: 67, 77; II: 387, 536,

544) 553) 7^9 - 733) 735) 749- 751) 899f.; III: 250-252, 257, 259-261, 263, 266-269, 271, 579, 596, 604 F, 724; IV: 23, 36f., 228, 786 Bergson, H. I: 18, 20, 72, 454, 978, 994; II: 132; III: 46, 254, 683; IV: 552, 944 Bernanos, G. I: 29, 145; III: 144 Bernard, C. I: 178; II: 53, 57; III: 186, 557, 930 Bernheim, H. II: 837 Berque, J. I: 748 Bertin, H. II: 252, 254 Bettelheim, B. II: 958, io n ; IV: 27 Beveridge, W.H. III: 55-57, 59, 298; IV: 448 f., 1001 Beyle, H. I: 1014; II: 160 Bichat, X. I: 34, 178, 799, 908 F;

II: 37, 71, 599, 609, 831; III: 49, 68, 274, 281, 561 Binet, A. I: 189 F, 197, 199 F, 214, 461 Binswanger, L. I: 24-26, 45, 107175, no F, 135, 138, 148, 155, 194, 195, 497, 497 Biran, M. de I: 18, 22, 199, 703; IV: 944 Bismarck, O. von III: 368, 589, 680, 876 Blackstone, W. II: 574 Blake, W. II: 162; III: 622 Blanchet, R III: 929-931, 933-937,

939 U 94 * Blanchot, M. I: 23 F, 27, 33, 49, 235, 279, 327F, 342, 365, 438, 447) 45 h 5 1% 535) 57*, 670-697, 702, 718, 759-761, 764, 786 F, 843; II: 102, 129 F, 150-15 5, 156, 202, 207, 254, 348, 513, 529, 652, 888, 945, 947, 994; III: 118, 724, 728, 739-741, 953) 985; IV: 53F, 56, 59F, 65-67, 74, 529, 746 Bleuler, E. I: 191, 906 Bloch, M. I: 851, 982, 1001; III: 254, 598, 730 Blondel, C. I: 191 Boas, R II: 332 F Bodin, J. I: 800, 804, 962 F; IV: 325 Böcklin, A. IV: 142 Boehm, M. I: 737-743 Boerhaave, H. III: 37, 926 Boesers, K. III: 505 Böhm, R III: 1026 Boissier de Sauvages, R II: 71 Boissonas, R II: 873 Bojunga, C. II: 955-970, 1001 Bolle, H J. IV: 1022 Boltzmann, L. II: 195, 198 Bompart, A. II: 816-829

Nam enregister

103 2

Bonaparte, Napoleon I: 252, 400, 771, 893, 917, 964, 968; II: 252, 771, 964, 968; III: 48, 246, 350, 365, 368, 445 f., 462 f., 529, 680, 732>769. 798, 1001; IV: 163, 194, 326, 328, 740, 1012 Bonitzer, P. II: 793-811 Bonnafé, L. IV: 74 Bonnefoy, C. I: 7, 571, 697-703,

714-723 Bono, R. IV: 440, 442-449, 451,

453.455-460 Bontems, R. II: 481-485 Bopp, F. I: 856, 922, 932, 956; II: 74; IV: 961 Borges, J.L. I: 345, 350, 355, 404, 702, 768; II: 83, 272, 529, 791, 905; III: 112 f. Boring, E.B. I: 187 Bosch, H. I: 36, 225, 399 Boswell, J. I: 97; IV: 346-349, 382 h Botero, G. IV: 185, 1002, 1014 Bou Aroudj, N . I: 1042, 10511068 Boucher, P. III: 870-874 Boulainvilliers, H. III: 168, 172,

397. 4 2*fBoulez, P. I: 22f., 82, 84, 93, 785; III: 502, 743; IV: 137-140, 142, 265-269, 313, 594 f., 597-599. 602, 653, 8 0 I Bourbaki, N . I: 765, 1014, 1039 h Bourdieu, P. I: 18; IV: 255, 604, 944 Bourdin, R.P. II: 330h Braque, G. IV: 265 Braudel, F. I: 33, 44, 750, 752, 777, 982, iooo; III: 41, 254, 730 Braun, E. IV: 127 h Brecht, B. III: 112, 155, 727, 875 h Breton, A. I: 289, 292, 380, 450, 491 f., 498,551,714-718

Brière, C. III: 929-943 Brisset, J.-P. I: 282 h; III: 174 Brissot, J.-P. de Warville II: 574, 576. 577. 729. 73 l f -; III: 463 Broch, H. I: 715 Brochier, J.-J. I: 8, 980 Brosses, C. de I: 856; II: 19 Broussais, F. I: 92; II: 37, 831; IV: 41 Brown, P. IV: 212, 368, 663, 800, 861 f. Broyelle, J. I: 88; III: 952 h Brückner, P. III: 8, 535, 906 h Brueghel, P. d. Ä. I: 399, 406; II: 503 Buat-Nançay, L. III: 168, 172 Buback, S. III: 907 Buffet, C. I: 50; II: 481-485 Buffier, C. I: 956 Buffon, G. I: 761, 833, 887, 913, 1006; II: 10, 49, 81, 914; III: 582 Burckhardt, J. IV: 496, 666, 701,

774 Burroughs, W.S. IV: 395 Butor, M. I: 505, 511, 538 h, 551, 716; II: 970; IV: 746 Byzantios, D. II: 644-648 Cabanis, P.J.G. III: 284 Caillois, R. I: 27, 39, 622; IV: 199 Cajetan, T. IV: 155 Callas, M. IV: 313 Cambacérès, J.-J. Régis de IV: 377 Cameron, J.M. I: 873 Campanella, T. I: 132, 625, 642; III: 510 Campe, J.H. III: 512 Camus, A. I: 29, 455, 458, 505, 698,787 f. Canaletto (d.i. Canal, G.A.) II: 877

N am enregister

Cangiamila, F.E. II: 1025 Canguilhem, G. I: 21, 23, 28 f., 31 f-> 35 f-j 38 f-, 4, JO, J2, 84, 104, 234, 585-603, 867, 871, 887, 889, 902; II: 60, 81, 90, 293; III: 7, 551 f., 555-567, 733; IV: 46, 7of., 83, 527^, 533, 806, 943-944, 948-953, 936-959 Cantilion, R. II: 10 Cartouche, J.-P. III: 318 Carus, C.G. I: 134 Caruso, P. I: 134, 77°~79h 957 Casanova, G. IV: 394 Cassianus, J. (Cassian) IV: 157*59> I 77 ~ i79> 218, 353-355, 357" 360, 362-364, 366, 368, 436, 505, 988, 995 Cassirer, E. I: 394, 703-708; III: 611 Cassius Maximus IV: 562, 566 Castan, N . IV: 25 Castel, R. II: 490, 786, 840; III: 103, 123, 357-359, 361, 432> 435f , 45^> 552J IV: 465, 944 Cato d. J. IV: 612 Cattell, J. I: 189 Cavaillès, J. I: 28; IV: 717, 944 f., 948, 951 Céccaty, R< de IV: 143 Céline, L.F. II: 148; III: 144, 328,

532 Cervantes, M. de I: 236 Cesalpino, A. I: 629 Cézanne, P. IV: 265, 594, 601 Chadwick, J. III: 294 Chancel, J. II: 970-997 Chapsal, M. I: 664-670; II: 374 Char, R. I: 23, 27, 107, 170, 173f-, 2 33> 2 8 i> 33; IV: 266f. Charcot, J.-M. II: 834-837; III: 72, 412, 418 Ayatollah Chariat Madari I: 88;

1033

III: 829, 831, 856, 860, 866, 932,

974 Chariatti, A. III: 868 f. Châtelet, F. III: 141-143 Chaunu, P. II: 342 f., IV: 18 Chemnitz, B.P. von IV: 185, 1002 Chéreau, P. I: 82, 93; II: 514; IV: 137E, 140-142, 312 Cheysson, C. IV: 255, 604 Chomsky, N . I: 61, 78, 933, 1025; II: 586-637; III: 206, 840 Christus (Jesus) I: 278, 332, 401, 416, 421, 424, 795; III: 708, 985; IV: 137, 177, 213, 366, 942, 1005 Chruschtschow, N . IV: 79 Chrysipp I: 131; IV: 510 Chrysostomos IV: 177, 359 Churchill, W. I: 17 Cicero I: 125; IV: 215, 467, 516,

521,752,978 f. Cimabue I: 267 f. Cixous, H. II: 943-954 Clastres, P. IV: 226 Claudel, P. I: 438, 529, 740; II: 368; III: 727, 743 Claudet, A. II: 872 Clausewitz, C. von I: 66; III: 201, 22 7, 798 Clavel, M. I: 26, 48, 58, 59, 81, 85, 88, 91; II: 242, 8501, 1003; III: 502, 984 h, 987; IV: 100 Clemens von Alexandrien I: 1010; IV: 361, 669 Cocteau, J. I: 32, 162, 318; IV: 393,

395> 73 744 Coke, Sir E. III: 168, 172 Colas, D. III: 391, 407, 425 Colcombet, F. III: 1005, 1007, 1011-1014, io i6 f. Colquhoun, P. II: 580 Combe, A. III: 571 f.

Namenregister

i o 34

C o m t e , A . I: 1 9 6 , 9 2 5 , 1 0 4 4 ; II: 1 1 , 8 8 7 ; III: 1 6 8 , 2 5 5 , 3 6 7 , 4 0 6 , 5 2 8 ; IV: 5 2 7 , 5 3 1 , 9 4 4 , 9 4 7 C o n d illa c , E . d e I: 2 4 9 , 7 0 0 , 7 8 3 , 9 5 6 ; II: 5 2 8 C o n r y , Y . I: 5 4 , 6 7 , 6 9 C o o p e r , D . II: 8 3 7 , 9 5 7 , 9 5 8 , 9 9 5 , i o n ; III: 4 3 4 , 4 3 7 f., 4 4 0 f ., 4 4 4 , 4 4 6 f ., 4 4 9 - 4 5 2 , 4 5 4 , 4 5 6 - 4 5 9 , 4 6 1 , 4 6 7 , 4 8 8 ; IV: 7 2 , 7 2 9 , 8 1 9 C o p p in g e r , N . III: 1 0 2 8 ; IV: 1 5 9 C o p p o l a , F .F . IV: 1 2 6 C o r b a in , A . IV: 3 3 7 C o r n e ill e , P. I: 7 8 6 ; III: 3 2 1 C o r n ie r , H . II: 1 0 2 6 , 1 0 3 1 ; III: 5 7 0 f ., 5 7 4 , 5 8 0 E C o r t i, J . IV: 7 3 4 b , 7 4 5 C o s s a r d , L . II: 8 1 6 , 8 1 9 , 8 2 4 , 8 2 7 C o u r t d e G é b e l in , A . I: 2 8 3 , 8 5 6 C o u t o u r a t , L . IV: 9 4 4 C r é b illo n , C . I: 2 9 7 , 3 0 0 , 3 0 3 , 3 0 7 , 3 1 2 ; III: 3 2 7 C r e q u i, D u c d e IV: 3 7 7 C r o is s a n t , K . I: 8 3 ; III: 6 , 4 6 8 f ., 4 7 1 - 4 7 4 , 4 7 6 , 4 9 5 f ., 5 0 2 f ., 6 4 0 642, 907, 963 C r o lli u s , O . I: 6 2 7 , 6 2 9 , 6 3 0 , 6 3 5 C r u z , J . d e la I: 3 5 9 C r u z , R .O . II: 5 2 4 , 6 6 9 , 7 6 8 C u m m in g s , E .E . IV: 2 6 6 C u v ie r , G . I: 5 2 , 6 4 6 , 1 0 0 6 , 1 0 2 3 ; II: 3 4 - 8 2 , 1 2 4 , 2 7 1 , 5 0 9 ; III: 3 8 , 2 9 1 , 528 C y p r i a n u s v o n K a r t h a g o IV: 1 7 7 , 992 D a g o g n e t , F. II: 3 4 - 8 2 D a i x , P. II: 9 0 7 - 9 1 1 D a n e t , J . III: 9 5 4 , 9 5 6 f ., 9 5 9 , 9 6 3 , 968 D a n i e l , J. IV: 1 2 4 E D a r w i n , C . I: 1 8 0 , 2 3 8 , 2 8 3 , 7 3 0 ,

8 40 , 887, 9 1 3 , 9 1 4 , 1006, 1072; II: 3 8 - 4 5 , 6 7 - 8 2 , 1 2 4 , 1 2 8 , 1 9 5 2 0 3 , 3 3 2 , 4 1 7 , 4 1 8 , 5 0 9 ; III: 6 4 , 208, 602 D a u b e n t o n , L . II: 7 7 D a u d e t , A . IV: 7 9 6 D a u d in , H . II: 5 9 , 2 7 1 D a v is , R . III: 3 6 2 D e b r a y - R i t z e n , M . III: 9 5 3 D e b u s s y , C . I: 2 2 ; IV: 5 9 4 , 6 0 3 D e f e r r e IV: 4 0 3 D e f e r t , D . I: 3 2 , 3 6 , 5 4 , 5 9 , 8 3 ,1 0 2 ; II: 2 1 1 ; III: 3; IV: 8 5 9 D e f e r t , M . I: 9 7 4 ; III: 6 , 3 6 2 D e g a s , E . II: 8 7 6 D e la c a m p a g n e , C . IV: 1 2 8 - 1 3 7 D e l a c r o i x , E . II: 8 7 6 D e la m a r e , N . IV: 1 0 1 0 - 1 0 1 2 D e l a p o r t e , F. III: 9 0 5 , 1 0 2 8 D e la r u e lle , E . I: 8 0 9 - 8 1 1 D e l a t t e , A . IV: 1 7 2 D e la y , J . I: 2 2 , 2 3 4 D e l e d a l l e , G . IV: 1 0 1 6 D e l e u l e , D . IV: 1 5 9 D e l e u z e , G . I: 2 5 , 3 4 - 4 3 , 5 3 , 5 9 - 8 4 , 1 04 , 7 0 8 -7 1 1 , 7 2 3 , 7 3 6 , 9 7 5 , 986; II: 2 8 , 9 3 - 1 0 8 , 1 2 2 , 2 4 1 - 2 5 0 , 3 8 2 3 9 2 , 4 9 0 , 5 4 6 , 5 6 3 ,5 6 6 , 6 5 1 , 6 8 6 , 6 8 7 , 7 8 6 -7 9 1 , 9 6 2 -9 6 9 , 1015; III: 1 7 9 f ., 2 2 1 , 7 3 2 , 7 4 0 , 7 4 2 , 7 8 4 f ., 8 9 8 ; IV: 5 2 5 , 5 2 9 ,5 3 8 - 5 4 0 , 859 D e l o r m e , S . II: 6 7 - 8 1 D e m a c h y , L .R . II: 871 D e m e lie r , J . II: 9 0 6 D e m e t r i o s v o n P h a le r o n IV: 5 6 2 , 55

D e m o n b y n e s , M . I: 7 4 2 f. D e m o s t h e n e s II: 7 7 5 D e r r i d a , J . I: 2 1 , 3 4 , 3 5 , 4 1 , 5 1 , 5 5 , 6 4 , 9 7 , 1 0 3 2 - 1 0 3 5 ; II: 3 0 0 - 3 3 0 , 3 4 7 -3 6 5 , 5 09 , 6 4 8

N am enregister

1035

D e s a n t i, J .-T . I: 1 9 , 3 7 D e s c a r t e s , R . I: 2 3 , 3 5 , 2 3 9 , 3 3 8 , 3 5 7 . 4 3 5 . 4 ^ 2 ,

5 8 2 ,

5 9 2 -5 9 9 , 6 4 6 ,

7 1 1 7 7 1 3 , 7 2 9 , 7 6 4 , 7 8 3 , 8 2 9 ,

9 7 6>9 7 % 9 1 3 9 .

8 5 . 9 9 6 ,

9975

H :

8 4 4 ,

1 3 1 ,

I 4°>

3 0 0 -3 3 0 ,

3 5 0 -3 6 5 , 4 6 5 ,

4 7 0 , 4 7 7 ,

5 9 4 -6 0 1 ,

6 7 1 , 6 7 9 , 6 8 0 ,

9 2 9 ;

III: 4 1 ,

5 5 4 f-, 7 1 8 ,

IV : 6 5 , 2 0 8 , 775»

7 4 1 f .;

2 8 0 , 4 9 6 -4 9 8 ,

5 4 0 ,

8 3 8 , 8 9 3 , 9 4 8 , 9 7 3 , 9 9 6 ,

D e s c h a u f f o u r , E .B . D e s c o m b e s ,

V .

D e sp a u tè r e , J.

IV :

1025

III: 4 6 3 525

I: 9 3 4 f .

D e s tu tt d e T racy, A . II: 10 D e w e y , J. IV : 1 0 1 6 D ic k e n s , C . IV : 1 42 D i d e r o t , D . I: 2 5 4 , 3 4 7 , 6 5 1 , 7 1 5 , 9 1 4 ; II: 1 3 9 , 153; III: 138 D ie d e r ic h s , E . II: 8 i 6 f . D illo n , M . III: 9 9 9 ; IV : 4 8 -5 0 D i l t h e y , W . I: 1 8 3 , 5 8 3 , 7 0 7 , 9 8 5 D i o g e n e s L a e r t iu s I I : 9 7 ; I V : 9 7 1 D i o n y s o s I: 2 7 8 , 3 2 8 , 3 3 2 , 4 4 0 , 4 4 6 , 7 2 6 , 8 9 6 , 9 75 ; II: 1 19 , 187; III: 3 70 D io n y s io s v o n H e lio p o lis IV : 5 62 D o l l f u ß , E . ( ö s t . K a n z le r ) I V : 6 4 5 D o m e n a c h , J .- M . I: 4 5 , 5 7 - 5 9 , 6 9 , 7 0 , 859; II: 2 1 1 , 2 3 6 , 2 4 9 -2 5 2 , 3 94 , 4 0 3 , 414; III: 502, 1010; IV :

1 0 0 ,

1 1 9 ,

D o n z e lo t, J.

II:

D o s to je w s k i, E III:

1 2 1 ,

121 f. D u p in , A . III: 4 03 D u p o n t , G . I: 7 6 ; I I : 1 0 1 8 D u p o n t , P. I I : 5 7 0 , 5 7 6 D u p o n t - M o n o d , H . II: 8 1 6 - 8 2 8 D u p r a t, C . IV : 25 D u p u y , C . III: 2 74 D u r a s , M . I: 4 7 1 ; I I: 9 4 3 - 9 5 4 D u r e t , C . I : 4 0 0 k , 9 6 4 ; I I : 19 D u r k h e im , E . I: 5 7 6 , 5 8 4 , 9 2 5 , 1 0 3 5 -1 0 4 4 ; II: 6 5 6 ; III: 6 0 9 k , 7 2 8 ; I V : 2 2 5 f. D u r r y , M .- J . I: 4 4 9 - 5 3 * D u v e r t , T . II: 6 4 9 , 9 0 6

123

3 9 4 -4 2 3 ;

III:

3 0 4

I: 2 2 3 , 8 6 5 ; I I : 2 0 9 ;

437

D o v e r , K .J . I: 9 7 ; IV: 3 4 1 f ., 3 7 6 379

D r e y fu s , A . II: 849; III: 1 8 3 , 4 2 4 D r e y f u s , D . I: 5 7 3 , 5 8 5 , 5 8 8 - 6 0 2 D r e y f u s , H . II: 9 1 , 100; IV : 6 6 3 , 96 3

D r e y f u s , P. D r o i t , R .-P .

D u B o s , C . I: 3 8 D u a r t e , J . I: 6 7 ; I I: 4 9 8 D u b a r ry , A . IV : 1 50 D u b y , G . III: 4 0 0 k D u f r e n n e , M . IV : 7 6 D u fr e s n e , M . IV : 5 26 D u h a m e l, C . I: 2 8 , 2 3 5 D u h a m e l, G . I: 21 D u h e m , A . I I I : 1 8 8 , 5 55 D u m a s, A . III: 6 3 4 , 1028 D u m a s, R . III: 4 7 4 D u m é z i l , G . I: 3 3 7 - 3 4 1 , 7 0 4 , 7 8 1 7 8 3 ; II: 2 6 , 2 8 , 4 4 , 2 3 3 -2 3 5 , 6 6 7 , 748, 750, 757, 786, 787, 849, 851, 1043; IV : 7 8 , 1 9 9 , 502 D u n s S c o t u s I: 8 0 8 , 9 7 6 ; I I : 1 1 3 ,

E l-A y e d , A . II: 1 0 4 2 , 1 0 6 0 E lk a b a c h , J .P . I: 8 4 5 - 8 5 3 E ll is , W . I I I : 5 71 E ly o t, T . III: 7 9 9 E m e r s o n , R .W . I I : 8 7 3 E m p e d o k le s I: 2 6 4 , 2 7 7 k , 3 4 8 ,5 3 4 E n g e ls , E I : 1 0 2 2 ; I I : 2 0 7 , 4 1 5 , 4 4 2 k , 5 0 8 ,1 0 0 4 ; III: 6 3 6 ,

II: II:

452 k 8 8 2 -8 8 8

E p ik te t

7 5 0 k , I: 9 9 ;

7 5 8 ,

5 3 , 1 8 8 , 6 0 2 ,

7 6 6

IV : 4 2 7 , 4 2 9 ,

4 3 6 , 4 3 8 , 4 7 2 , 4 8 2 ,

4 3 4 ,

4 8 5 , 4 9 3 k ,

1036

N am enregister

506, 510, 674, 756, 772, 824, 861, 8 6 4 , 8 7 9 , 9 8 0 , 9 8 7 f. E p ik u r

I: 4 4 0 ;

4 2 7 , 4 3 6 ,

II: 9 7 - 1 0 0 ;

5 1 0 h ,

5 1 3 ,

IV : 4 2 5 ,

6 7 6 , 9 7 1 ,

977

E p im e n id e s I: 6 7 0 , 6 9 6 E r a m o , M . d ’ II: 6 4 8 -6 5 3 E r a s m u s v o n R o t t e r d a m , D . I I : 1 61 E r a s t u s , T h o m a s I: 7 9 9 h , 8 0 5 É r ib o n , D . I V : 2 1 9 - 2 2 3 , 3 8 0 - 3 8 2 , 4 0 5 , 4 9 9 , 5 0 1 -5 0 3 E s q u ir o l, J .E . I : 1 6 ,9 0 6 ; I I : 3 7 , 2 9 9 , 4 9 0 , 8 3 3 -8 4 0 , 9 67 ; III: 5 70 h E t ie m b le , R . I: 2 9 9 , 3 1 4 E t t m ü lle r , L . I: 3 6 6 E u ck en , R . III: 102 6 E u r y d ik e I: 6 8 7 - 6 8 9 E u sta c h e , J. IV : 3 1 0 E w a ld , E I : 6 4 , 8 4 , 9 5 , 1 0 2 ; I I I : 3 , 3 0 5 , 9 0 5 , 1028; IV : 2 5, 1 59 , 7 7 6 , 8 2 3 -8 3 6 E z i n e , J .L . II: 8 8 8 - 8 9 5 F a b r e d ’O l i v e t , A . I: 2 8 3 F a d e r m a n , L . IV : 3 4 5 , 9 1 8 F a erm a n , M . II: 9 55 F a n ta r , E I: 1 0 4 2 - 1 0 6 4 F a r g e , A . I II : 3 1 0 , 5 06 ; IV : 2 5 , 2 6 0 , 4 2 1 -4 2 3 , 8 0 1 -8 0 6 F a u lk n e r , W . I : 5 3 , 4 5 4 ; I I : 9 0 6 ; IV : 9 6 3

F a u v e t , J . I: 9 7 ; IV: 2 5 5 F a y e ,J .- P . 1 : 3 7 5 , 3 7 9 , 4 4 9 - 5 3 2 ; II: 9 1 4 ; I II : 4 3 4 , 4 3 6 - 4 4 8 » 4 5 2-467 F a y e , M .- O . III: 4 3 4 F e b v r e , L . I: 9 8 2 , 1 00 1; III: 598; IV : 8 0 1 , 803 F e c h n e r , G .T . I: 1 7 9 , 9 5 2 F é lic e , J .-J . d e I I I : 4 7 4 F e l l o u s , G . I: 7 4 3 - 7 4 9 F é re t, R . II: 9 9 7 -1 1 0 1 ; III: 7 7 -8 3 F e r r a y - M a r t in , A . I I : 5 5 5

F e u e r b a c h , L . I: 2 6 , 7 1 3 , 8 4 8 ; III: 5 5 4 , 6 3 6 ; IV : 9 4 7 F ic h t e , J .G . I : 2 6 5 , 7 0 3 , 9 9 7 ; I I : 8 7 , 1 2 2 , 190; III: 7 1; IV : 9 9 9 F ic in o , M . I: 2 3 9 F in a s , L . I I I : 2 9 8 F in k , E . I: 1 5 5 F la n d r in , J .- L . I I I : 4 2 7 f. F la u b e r t, 8 4 3 , III:

G .

1 0 0 9 ;

I: 4 4 , II:

1 4 4 , 6 3 3

3 9 7 -4 2 2 ,

1 4 1 -1 4 4 ,

6 5 0 ,

5 1 2 , 9 0 4 ;

f.

F lo r k in , M . I V : 9 5 2 F ö r ste r , E . IV : 1 0 2 3 h F o n ta n a , A . II: 4 9 0 ; III: 1 86 , 2 1 3 , 2 3 1 , 7 2 0 , 1 0 2 8 ; IV : 2 5 , 8 4 8 , 9 0 2 908 F o n t e n e lle , B . I: 6 5 1 ; I I I : 5 5 7 F o r n e t-B e ta n c o u r t, R . IV : 875 F o u r c r o y , A . F. I I I : 2 8 7 , 2 9 0 F o u r q u e t , F. I I : 5 5 7 - 5 6 3 F o y , M . - G . I: 7 1 2 h F r a n c e s c a , P. d e lla , s ie h e : P ie r o d e lla F r a n c e s c a F r a n k , J . R I V : io o o f * F r a n k lin , B . I I I : 1 0 2 6 F r a n z v o n S a le s I I I : 1 7 9 ; I V : 2 1 2 ,

671 f., 748 F r er e t, N . III: 172 F r e te t, J . I: 271 F r e u d , S . I: 1 9 , 2 2 , 2 4 , 2 5 , 2 6 , 6 3 , 73» 75» 7 8 , 1 1 2 - 1 2 6 , 1 4 3 - 1 4 8 , 1 7 1 » 1 84 , 1 86 , 1 91 , 2 0 2 , 2 1 6 -2 2 1 , 2 3 5 , 2 3 8 , 2 7 6 , 3 2 0 , 4 5 4 , 5 2 6 , 5 4 6 ,5 6 1 , 5 6 9 ,5 7 6 - 5 8 4 , 6 4 7 , 6 4 9 , 7 2 0 , 7 2 7 742, 834, 840, 985, 997, 10221 0 2 7 , 1 0 3 5 -1 0 4 0 ; II: 8 9 , 9 9 , 1 0 6 f ., 1 3 2 , 1 5 9 , 1 6 1 , 1 8 3 , 1 9 4 , 224, 2 7 0 F , 276, 349, 351, 389, 4 6 6 f ., 4 7 0 , 5 2 0 , 5 9 0 , 6 8 6 f ., 6 9 6 , 7 6 4 , 7 7 4 » 7 85 » 7 8 7 » 8 1 3 , 8 8 7 ,9 3 9 , 9 5 6 - 9 8 6 , 1 0 1 2 , 1 0 1 4 f ., 1 0 2 9 ;

III: 69, 138f., 175-177, 196, 198,

N am enregister

226,385,410-412,414,417t., 4 2 2 , 4 9 3 , 5 10 , 5 12 , 6 2 0 , 6 9 7 -6 9 9 , 7 0 2 f ., 7 1 4 , 7 4 1 , 8 4 5 , 8 7 5 f.; IV: 2 1 4 , 2 2 4 , 2 4 0 L , 3 1 1 , 3 7 0 , 3 8 8 , 4 0 1 , 5 2 4 -5 2 7 , 8 5 9 , 9 2 9 , 9 8 7 , 1025 F r ie d r ic h II. v o n P r e u ß e n III: 7 9 9 ; IV: 2 3 3 , 6 9 3 F r o m a n g e r , G . II: 8 7 6 - 8 8 1 F r o n t o ( L e h r e r M a r c A u r e ls ) IV: 4 3 0 , 5 1 6 , 5 1 9 L , 9 7 8 - 9 8 0 F u r e t , F . I: 4 7 , 7 0 4 , 7 5 0 ; III: 3 6 7 f .,

932 G a b o r ia u , E . II: 9 3 2 G a le n ( C la u d i u s G a le n u s ) IV: 2 6 3 , 427, 429, 977 G a lile i, G . I: 7 5 5 , 8 8 7 L , 9 8 3 , 1 0 2 3 1 0 2 7 , 1 0 3 5 ; II: 5 0 9 , 9 2 9 ; III: 5 5 4 , 5 5 7 ; IV: 9 3 2 f ., 9 4 9 G a lla g h e r , B . IV: 9 0 9 G a lo is , E . I: 9 2 5 G a n d illa c , M . d e I: 1 0 0 3 - 1 0 4 1 ; IV: 1 0 2 4 G a r a u d , M .- F . IV: 6 5 7 G a r a u d y , R . I: 3 7 , 8 3 7 - 8 4 0 ; II: 2 0 7 ; IV: 6 5 , 7 6 , 8 2 1 G a r m a d i, S . I: 1 0 4 2 - 1 0 6 8 G a u lle , C . d e I: 3 0 t , 3 8 , 4 9 , 5 2 , 6 6 9 , 8 3 9 ; II: 7 9 4 - 8 0 6 ; III: 1 7 3 , 4 6 3 , 8 9 3 ; IV: 6 1 , 1 2 5 , 3 2 1 G a u t h ie r , G . III: 1 5 2 G a v i, R II: 9 0 7 - 9 1 2 , 9 7 2 G a y , P II: 8 2 7 G e m i n o s v o n T y r o s IV: 5 6 2 , 5 6 5 G e n e t , J . I: 5 8; II: 1 4 6 - 1 5 0 , 2 8 2 , 5 1 4 f ., 6 6 1 f.; III: 1 0 0 7 ; IV: 3 9 5 G e n e t t e , G . I: 2 1 , 4 1 , 5 2 , 5 6 0 G e o f f r o y , A . IV: 3 7 6 G e o f f r o y S a in t - H ila ir e , E . I: 8 8 7 ; II: 5 0 - 5 8 , 6 8 , 1 0 3 0 G e o r g e , S . I: 1 5 1 , 2 6 3 G e o r g e t , E . III: 5 71 f.

1037

G e r n e t , L . II: 7 8 2 G e r s o n , G . III: 1 3 8 G e r s o n , J .C . I: 8 0 9 ; II: 1 0 2 8 ; III: 1 3 8 G e s e ll, A . I: 1 8 8 G e s s n e r , S . IV: 6 7 2 G h ir la n d a io , D . I: 2 6 8 G id e , A . I: 4 3 8 f ., 4 4 7 , 7 1 5 ; III: 3 4 2 ; IV: 4 7 2 , 7 3 6 , 7 4 0 , 7 5 7 G ille s d e R a is III: 3 1 8 G i n z b u r g , C . IV: 25 G i o t t o I: 2 6 8 , 2 7 0 G is c a r d d ’E s t a in g , V . I: 6 9 , 7 5 , 8 1; II: 7 9 3 , 8 0 2 , 8 1 3 , 8 8 9 G l o t z , G . II: 7 8 2 G lu c k s m a n n , A . I: 5 8 , 6 0 , 8 0 f ., 8 5 , 9 1 , 1 0 1 ; II: 4 2 4 ; III: 3 6 4 - 3 6 8 , 3 7 0 , 5 0 2 , 5 4 1 , 8 8 5 ; IV: 6 5 7 G o b in e a u , J .- A . I: 7 4 0 G o d in , J .B . IV: 3 3 1 G o e t h e , J .W . I: 2 6 5 , 4 8 2 , 7 1 5 - 7 1 7 , 7 2 5 ; II: 59; III: 8 7 7 G o f f m a n , E . II: 4 0 2 , 7 5 5 ; IV: 4 8 , 33 2 > 72 3

G o i n g s , R . II: 8 7 7 G o ld m a n , P. III: 13 G o ld m a n n , L . I: 9 8 5 , 1 0 0 3 - 1 0 3 8 G o m e z - M ü lle r , A . IV: 8 7 5 G o n t a r d , S u s e t t e I: 2 6 5 , 2 7 1 - 2 7 5 G o s s e z , R . IV: 2 5 G o y a , F. I: 3 0 2 , 3 1 7 , 3 9 9 G r a n d ] e a n , A . II: 1 0 5 2 G r e e n f ie ld , J. IV: 2 9 8 G r e g o r v o n N iz ä a (N y s s a ) IV: 3 6 7 , 4 2 4 f ., 8 8 5 , 9 7 1 G r e m e t z , M . IV: 4 0 5 , 4 2 0 G r i m m , W . I: 2 5 4 , 9 5 6 , 1 0 4 4 ; III: 8 4 4 G r m e k , M . D . II: 7 0 - 8 2 G r o s r ic h a r d , A . III: 3 9 1 f ., 3 9 4 , 39

6 h ,

399 - 4 0 L 4 ° 3 . 4 ° 5>

4 0 9 , 4 1 4 , 4 2 1 -4 2 9

4 0 7 -

1038

G r o t iu s , H . IV: 2 2 9 G r u p p e , O . IV: 1 7 2 G u a r d i, F. II: 8 7 7 G u a t t a r i, F. I: 6 3 - 8 1 ; II: 9 6 5 - 9 6 9 ; III: 6 , 1 7 6 , 179 f ., 2 1 6 , 4 5 6 , 7 8 4 G u é p in , A . III: 2 5 6 G u é r o u lt , M . I: 8 8 9 G u ib e r t , H . I: 8 7 ; III: 3 4 3 f.;

IV: 295

G u ic c ia r d i, H . III: 7 8 3 G u ic h a r d , O . I: 5 3; II: 8 2 , 8 8 G u ille r y , J .- M . III: 8 9 , 3 1 8 , 3 3 3 G u i z o t , R III: 4 0 3 G u n d o lf , F. I: 2 6 3 G u y o t a t , R I: 54; II: 9 1 F , 1 4 3 -

145 G u y s , C . IV: 6 9 7 H a b e r m a s , J . I: 9 6 , 9 8 , 1 0 0 ; IV: 2 1 0 , 2 8 2 , 3 3 3 - 3 3 5 , 5 3 i " 5 3 3 > 5 4 1 f ., 6 8 7 , 7 1 5 f ., 7 1 8 , 7 2 0 , 8 9 8 H a d j a d j , T . IV: 11 H a d o t , P. IV: 6 6 3 H a f s ia , J. II: 2 5 0 H a h n , P. III: 9 5 4 , 9 6 6 H a llie r , J .- E . I: 3 8 7 - 3 8 0 H a ls , R II: 3 6 8 H a m a m i, C . III: 8 3 0 , 8 5 5 , 8 9 2 H a m l i n II: 8 9 H a r t m a n n , E . v o n I: 1 3 4 , 1 35 H a s s o u n , J . II: 8 1 6 - 8 2 7 H a s u m i, S . I: 8 2 ; II: 5 0 4 ; III: 5 1 5 , . 7 1 3 f ., 7 1 8 , 7 4 8 H a y e k , F .A . v o n IV: 9 0 6 H a z a r d , P. I: 7 0 6; III: 6 1 1 H e a d w e l l , R . IV: 2 9 5 H é b e r t , C . III: 1 5 3 H e g e l , G .W .F . I: 1 7 , 1 9 , 2 1 , 2 4 , 8 6 , 1 5 0 ,1 6 0 , 2 7 6 , 4 5 2 , 6 0 1 , 6 4 6 , 6 7 4 ,

699. 703, 711, 7i3> 73**746, 7 8 3 b , 8 3 5 -8 3 7 , 8 4 8 , 9 7 6 , 9 7 9 , 9 9 1 , 9 9 4 , 9 9 8 , 1 0 4 6 f.; II: 8 7 ,

N am enregister

m f ., i 3 o f . , 1 5 2 - 1 5 4 , 1 9 0 , 1 9 9 b , 7 3 4 . 7 î° > 7 6 6 , 7 7 2 , 8 8 7 , 9 3 2 , 1 0 1 7 ; III: 3 8 , 1 7 7 , 1 9 3 , 2 2 6 , 2 5 4 , 3 6 5 . 3 7 0 . 3 7 9 f-. 4 j 6 , 4 7 7 . 5 1 0 , 5 6 7 , 6 0 2 , 6 8 0 , 7 3 0 , 7 4 1 , 7 5 0 f ., 7 j 8 , 7 6 3 -7 ^ 5 ; IV: 6 0 , 2 8 0 , 5 2 5 , 5 40 , 6 8 7 , 7 9 4 , 8 2 0 , 8 4 8 , 8 6 6 -8 6 8 , 880, 999 H e i d e g g e r , M . I: 2 1 f ., 2 4 , 3 6 , 9 1 , 1 0 4 , 4 5 5 F, 7 0 0 , 7 0 4 , 7 1 1 , 7 1 4 , 7 4 6 , 7 6 6 , 9 7 6 , 9 7 9 ; II: 4 6 5 , 5 2 8 , 6 4 8 ; III: 2 5 4 , 7 5 9 , 7 7 7 ; IV: 5 5 3 , 7 1 6 , 8 6 7 F,.9 6 3 , 9 9 9 H e n d r ix , J . IV: 3 1 3 H e n r y , P. III: 1 7 5 , 3 7 0 - 3 7 2 , 3 7 > 378, 383, 4 05 , 570 H e r a k lit I: 3 7 , 13 7 - 1 4 2 H e r d e r , J .G . I: 1 3 9 , 8 5 8 H e r o d o t II: 7 0 0 F, 7 0 8 H e r s a n t , Y . IV: 4 2 1 H e r z , J. IV: 1 3 8 H e s s e , H . III: 8 7 7 ; IV: 1 9 6 H i e r o k l e s IV: 2 6 3 H i e r o n y m u s I: 1 0 1 8 ; III: 5 2 8 ; IV: 1 7 7 , 9 9 1 H ille r , L . II: 8 7 3 H ip p o k r a t e s I: 7 1 9 , 1 0 1 4 - 1 0 1 6 ; II: 7 1 ; III: 4 2 1 ; IV: 4 6 9 , 4 7 9 , 7 5 4 , 970 H ir s c h f e ld , M . IV: 3 5 1 H it le r , A . I: 5 7 , 7 0 4 ; II: 2 3 7 , 4 3 4 , 8 0 6 , 9 0 8 ; III: 8 5 , 1 7 8 , 3 6 5 , 3 6 8 , 501, 677, 680, 786, 848, 876, 906; IV: 3 9 , 1 2 6 , 7 1 7 , 7 1 9 , 8 2 1 H o b b e s , T . III: 1 7 1 , 2 3 1 , 2 3 7 , 5 7 6 , 8 1 4 ; IV: 8 9 3 H o c q u e n g h e m , G . III: 3 4 5 , 9 5 4 , 9 5 6 , 9 6 1 , 9 6 5 , 9 6 7 , 9 6 9 ; IV: 8 1 7 H ö l d e r l i n , R I: 2 6 3 - 2 8 1 , 3 8 4 , 4 4 5 , 8 3 4 , 5 5 7 » 675> 7 0 3 , 7 0 5 , 7 4 2 , 9 7 6 ; II: 1 3 0 - 1 3 9 , 1 5 2 , 1 6 2 , 2 0 7 ; III: 4 5 5 F , 6 2 2 , 7 2 4 ; IV: 3 0 6

Nam enregister

H o f f b a u e r , J .C . II: 8 3 3 ; III: 5 7 1 H o h e n t h a l , P .C .W . IV: 1 9 5 H o m e r I: 6 9 , 3 3 2 , 3 4 3 f ., 3 4 8 , 4 7 8 , 5 3 3 f ., 1 0 1 3 {., 1 0 2 2 ; II: 6 8 8 , 6 9 6 , 7 0 6 ; III: 2 2 6 H o r a t iu s II: 3 4 0 H o r e a u , M . IV: 1 5 3 H o r k h e im e r , M . III: 9 8 9 ; IV: 9 0 h , 687 H o r t h y , M . IV: 8 0 H o t m a n , F. III: 1 71 H o w a r d , J . III: 2 5 5 , 2 5 8 , 6 4 5 , 1 0 0 5 H o w i s o n , J . III: 5 71 H u g o , V . I: 1 3 7 , 3 9 9 , 4 9 2 ; II: 1 3 9 ; III: 1 1 3 , 5 0 7 ; IV: 4 4 f. H u is m a n , D . IV: 7 7 6 H u ls m a n , L . IV: 7 9 1 f . H u m b o l d t , W . v o n I: 1 0 2 5 ; II: 2 7 0 , 5 9 4 ; III: 6 8 3 H u m e , D . I: 2 5 , 5 8 2 ; II: 7 7 2 ; IV: 5 2 9 H u s s e r l, E . I: 2 0 , 3 1 , 1 1 2 , 1 1 9 - 1 2 5 , 1 5 1 f-) 1 8 3 , 6 4 7 , 6 4 9 , 7 1 4 , 7 4 6 , 7 8 3 f ., 8 5 1 , 9 7 9 ; II: 1 3 2 , 2 0 0 , 4 6 5 ; III: 4 2 , 1 8 8 , 5 5 2 , 5 5 5 , 7 5 9 , 1 0 2 6 ; IV: 6 6 , 2 0 8 , 5 2 6 , 5 4 0 , 5 5 3 , 9 4 4 ,

947»963» 973»9g6, 999»i °*5 H y p p o l i t e , J . I: 2 3 4 , 2 7 6 , 5 8 5 - 6 0 2 , 9 9 1 ; II: 1 6 6 ; IV: 6 0 I llic h , L III: 5 4 , 5 9 - 6 1 , 6 9 , 4 3 0 , 6 8 8 I n g r e s , D , II: 8 7 1 I r s o n , C . I: 9 3 6 - 9 4 2 I s o k r a t e s IV: 1 7 2 ! ., 4 7 7 , 4 7 9 , 6 7 2 , 761 I t a lia a n d e r , R . I: 3 2 , 3 1 5 J a c c a r d , R . III: 1 1 9 J a c k t h e R ip p e r III: 3 3 3 J a c k s o n , B . II: 4 9 9 , 8 4 6 - 8 5 0 J a c k s o n , G . I: 5 8 h J a c k s o n , J .H . I: 1 8 0 - 1 8 2

1039

J a c o b , F. I: 7 4 , 8 1 ; II: 8 1 , 1 2 3 - 1 2 8 , 1 9 5 -1 9 8 , 2 6 9 , 6 5 1 , 941 J a k o b s o n , R . I: 8 5 1 J a m b lic h o s I: 1 2 7 J a m e s , W . IV: 1 0 1 6 J a n e t , P. I: 2 6 , 1 8 2 - 1 9 1 , 2 8 5 , 5 5 2 , 7 7 5 ; II: 1 3 3 , 1 6 2 ; IV: 7 3 7 , 7 4 3 J a n n o u d , C . I: 7 0 8 - 7 x 2 J a r u z e ls k i, W . IV: 2 5 5 , 4 0 5 , 4 1 0 , 836 J a s p e r s , K . I: 1 3 2 ! .; II: 2 0 , 1 2 4 , 183, 186, 266, 279, 7 1 1 J a u b e r t , A . I: 5 7 f ., 6 2 ; II: 2 4 1 - 2 4 6 J a u r è s , J . I: 1 0 2 ; II: 6 6 5 , 8 0 9 J a y , M . I: 9 6 , 1 0 0 J o e c k e r , J .-P . IV: 3 1 4 J o h a n n e s C h r y s o s t o m o s I: 8 0 1 ; IV: 9 9 4 J o p lin , J . IV: 3 1 3 J o s e p h IL II: 5 7 1 , 5 7 9 ; IV: 1 9 4 , 1 0 1 2 J o s p i n , L . I: 9 7 ; IV: 2 5 5 , 4 0 6 , 6 1 3 , 851 J o u s s e , D . II: 5 7 0 J o y c e , J . I: 2 1 , 4 0 4 , 4 5 4 h , 4 9 8 - 5 0 3 , 533 > 703 > 8 95 ;

II:

9 °5

J u a n d e la C r u z I: 3 5 9 J u liu s , N . II: 5 7 2 J u llia r d , J . II: 3 9 4 - 4 2 2 ; III: 3 1 0 , 502, 1022 J u n g , C . G . I: 1 4 8 , 5 2 6 , 7 4 1 ; II: 4 6 7 J u q u in , P. III: 2 2 3 J u s s ie u , A .L . d e II: 3 9 - 6 1 , 7 0 - 7 7 J u s t i, J .H . G . v o n III: 9 1 3 , 9 2 9 ; IV: 1 9 4 - 1 9 6 , 1 0 1 2 - 1 0 1 4 K a a n , H . v o n II: 1 0 3 0 ; III: 4 2 1 K a f k a , F . I: 2 1 , 1 0 3 , 345», 4 0 4 , 4 5 5 457 » 4 é 2 > 474 » 479 » 493 “ 49 6 »

5 0 3 , 1 0 0 9 ; II: 1 0 2 , 1 5 2 , 9 0 5 ; III: 4 3 9 K a lb , C . v o n I: 2 6 5 f. K a llik l e s I: 2 5 5

4 9 « ,

N am enregister

1040

K a n a p a IV: 3 9 K a n d in s k y , W . I: 7 8 5 , 8 2 1 - 8 2 3 , 8 2 6 K a n é , P . III: 1 2 9 - 1 3 4 K a n t , I. I: 2 5 , 3 1 , 1 4 0 , 3 2 6 - 3 3 0 , 3 3 9 » 3 65 » 3 9 1 - 3 9 6 ,5 8 2 f-, 5 8 9 , 5 9 3 -5 9 9 , 6 4 6 , 6 7 4 , 7 0 5 , 7 1 3 , 9 9 3 , 1 0 3 3 ; II: 6 6 , 1 2 2 , 1 3 1 , 2 7 o f . , 2 9 2 , 4 6 5 , 6 7 8 f ., 6 8 3 f ., 7 3 4 , 5 8 0 , 9 2 9 ; III: 3 8 , 1 6 9 , 2 5 4 , 3 6 5 , 5 5 3 f-» 5 6 7 , 7 5 8 , 9 7 8 , 9 8 5 , 1 0 2 6 ; IV: 4 6 , 1 3 1 , 1 6 5 , 2 2 6 , 2 6 7 , 2 7 1 , 2 7 9 f ., 3 3 3 , 4 7 6 , 4 9 7 53 ° f-> 5 3 3 » 54 ®, 5 4 4 , 6 8 7 - 6 9 5 , 6 9 9 , 7 0 2 , 7 0 6 , 7 6 0 , 7 7 5 f ., 8 3 7 f., 8 4 0 - 8 4 7 , 9 4 6 f ., 9 9 9 K a r d in e r , A . I: 1 9 2 K a r o l, K .S . I: 6 9 , 7 6 ; II: 9 3 7 - 6 4 2 ; III: 8 3 , 9 6 K a r s e n t y , S . III: 2 7 4 K a t h a r in a d ie G r o ß e IV: 1 9 4 , 1 0 1 2 K a t z , C . II: 6 6 9 , 7 8 8 K a u f m a n n , J .-P . III: 4 7 4 K e l k e l, M . I: 7 4 3 K e lle r m a n n , B . III: 7 9 8 K e p le r , J . I: 2 3 8 - 2 4 1 K e y n e s , J .M . I: 8 6 1 , 1 0 3 9 h ; III: 1 0 2 6 ; IV: 4 4 9 A y a t o lla h K h o m e y n i III: 8 3 0 - 8 3 2 , 8 5 6 , 8 5 9 , 8 6 4 h , 8 6 9 , 8 8 1 -8 8 3 ,

891 f., 896,929,931 f., 934,939,

952,974 K ie j m a n , G . III: 13 K ie r k e g a a r d , S . I: 2 1 , 2 8 , 7 4 6 , 9 7 6 , 1 0 1 4 ; III: 3 6 5 K in g , J . IV: 1 8 9 K ir c h h e im e r , O . IV: 2 7 , 9 0 , 7 1 3 , 1021 K ir m e s , W .M . I: 2 6 5 K la g e s , L . I: 1 9 1 , 2 6 3 K le e , P. I: 3 9 , 7 0 2 f ., 7 1 4 , 7 8 5 f ., 8 2 1 - 8 2 5 ; III: 8 7 5 ; IV: 2 6 6 K le in , M . I: 1 1 7 , 2 7 6 , 1 0 2 3 ; IV: 2 2 4 , 2 4 0

K l o s s o w s k i , P. I: 3 5 - 3 7 , 3 2 8 , 3 6 5 , 374,434-449,555-559,676,

6 8 1 , 7 1 0 , 7 1 6 ; II: 3 4 , 1 2 2 , 5 1 3 ; III: 7 2 4 , 7 3 9 - 7 4 2 ; IV: 5 3 , 7 4 ,

1024 K n o b e ls p ie s s , R . IV: 9 - 1 2 , 6 3 8 - 6 4 0 K ö h le r , W . I: 1 8 7 K o f f k a , K . I: 1 8 7 K o n f u z i u s III: 6 7 9 K o p e r n ik u s , N . I: 2 8 3 f ., 7 3 0 , 8 4 0 ; II: 1 2 4 K o u c h n e r , B . IV: 4 0 5 , 4 0 8 , 4 1 0 h ,

657 K o y r é , A . I: 2 3 8 - 2 4 1 , 1 0 7 6 ; 1 1 1 : 1 8 8 ,5 5 5 , 5 5 7 ; IV: 6 6 , 5 2 8 , 944, 948, 950 K r a e p e lin , E . II: 8 3 5 K r a f f t - E b in g , R . v o n III: 1 3 6 , 4 2 1 K r e t s c h m e r , E . I: 1 9 1 ; III: 4 5 6 K r itia s IV: 1 7 3 K r y w in , A . II: 5 41 K ü h n , H . II: 8 7 3 K u h n , T .S . II: 2 9 3 ; III: 5 6 0 K u n z , H . I: 1 9 4 K u o , Z .- Y . I: 1 8 8 L a B o é t i e , E . d e II: 2 6 1 , 2 6 7 L a P e r r iè r e , G . d e III: 7 9 9 , 8 0 1 , 8 0 5 -8 1 1 , 813 L a b o r it , H . IV: 6 3 1 L a c a n , J . I: 2 3 - 2 5 , 3 9 , 4 1 , 5 0 , 7 2 , 1 1 7 , 2 3 5 , 2 7 6 f ., 5 8 4 , 6 6 5 - 6 6 7 , 750, 770, 833, 849, 957, 990, 998, 1 0 0 2 h , 1 0 4 0 ; II: 7 9 1 , 9 6 6 , 9 6 9 , 1 0 1 3 ; III: 1 3 0 , 4 1 2 h , 4 2 2 , 4 8 2 , 5 5 2 , 7 4 1 h ; IV: 6 5 , 7 3 , 2 2 4 , 2 4 0 h , 2 4 3 , 2 48 h , 5 2 4 -5 2 7 , 8 1 9 , 8 2 1 , 944

L a c e n a ir e , P .-F . II: 4 9 0 - 4 9 6 , 5 1 4 , 9 2 2 - 9 2 6 ; III: 1 3 0 h , 3 1 8 , 3 3 3 h L a c h e lie r , J . IV: 9 4 4 L a ë n n e c , R . III: 6 8

Namenregister

Lafargue, P. III: 605 Lafon, J. II: 816-829 Lagrange, J, I: 12, 26, 103, 761, 925; III: 3 Laing, R. I: 45, 85, 91; II: 837, 95 7f-, 995» io n ; III: 488, 840, 885; IV: 72, 729, 1017L Lamarck, J.B. II: 38 f., 45-50, 61, 269, 271 Lamare, N . de III: 929; IV: 192, 195 f. Lamy, R. I: 938, 939, 940, 946 Lancelot, C. I: 932-956, 910L; II: 348 Lancre, R de I: 366, 961-965 Landau, A. II: 554L Landermann, E. I: 138 Lange, O. I: 863 Lange, W. I: 264 Lapeyrie, J. IV: 163 Laplanche, J. I: 50, 263, 267-280; III: 370- 379» 3^1, 383-389 Laporte, R. I: 357-364, 834f. Laurens, A. du I: 136; II: 261 Lautréamont, Isidore Ducasse, Comte de I: 492, 843 Laval, M. II: 817, 826 f. Lavoisier, A.-L. I: 178, 887; II: 55, 56, 60f., 195; III: 290 Lazarus, A. III: 1005 L, 1008, 1010-1019 Le Bitoux, J. IV: 200 Le Bon, S. IV: 76 Le Bras, G. I: 810 Le Corbusier (d.i. Charles Jeanneret) IV: 330 Le Gaufey, G. III: 391, 396, 405, 420 L, 423 f. Le Goff, J. I: 52, 798, 806 Le Maître, A. IV: 327 Le Peletier de Saint-Fargeau II: 574, 576, 731

1041

Le Roy Ladurie, E. I: 52, 750; III: 41, 121, 158f., 273 Lecourt, D. IV: 239 f. Ledoux, C .-N . III: 252 Lefebvre, H. IV: 76 Lefort, R. I: 66; III: 495, 1012 Léger, A. I: 968; II: 1026 Leibniz, G.W. I: 135, 553, 701, 977; II: m , 122, 131, 270, 292, 596; III: 557, 758 Leiris, M. I: 54, 286, 291, 341, 55if ., 716, 718; II: 91, 94, 108, 144; IV: 742 Leite, R.G. II: 539 Lelius IV: 672 Lenin, V.I. II: 288, 336, 508, 627, 809, 909; III: 188, 366, 425, 430, 539> 549» 680, 689, 770f., 773 f., 83 5>930, 939 Lenz, J.M.R. III: 739 Léo, H. III: 798 Léonard, J. IV: 12L, 16 f., 20 f., 24 f., 44 Leroy, J.F. II: 4 6, 48, 75, 81 Lessing, G.E. III: 611; IV: 305, 688 Letourmy, A. III: 274 Leuret, F. I: 368 f.; II: 834 f.; III: 433; IV: 207L Léveille, M. III: 425h, 437, 570 Lévi, S. IV: 135 Levinson, C. III: 73 Lévi-Strauss, C. I: 41, 584, 665, 667, 698 f-, 705, 748, 764 f., 770, 786, 833, 849, 9J7, 990, 1002, 1032, 1042, 1055, 1059, 1065; II: 157, 271, 293, 335, 528, 447L, 780-782, 891, 1032; III: 482, 516, 610, 728 f., 742; IV: 65, 78, 92, 225 f., 248, 401, 746, 801 Lévy, B. II: 424 Lévy, B.-H. II: 864; III: 336 Lévy-Willard, A. IV: 405

1042

Lie gier, L. I: 264 Lilburné, J. III: 168 Lima, L.C. II: 669, 780-782 Limoges, C. II: 54, 69, 82 Lin Piao I: 59; II: 638-643; III: 95 Lindung, I. I: 831-844 Lindon, J. IV: 736 Linné, C. von I: 701, 833, 888, 1006; II: 10, 15, 39, 46-50, 69-78 Linton, R. I: 192 Lippi, Filippo I: 268 f. Livi, J. III: 391, 417, 429 Livingston, F. II: 577 Livrozet, S. I: 67; II: 491-497 Lobo, R. II: 1001 Locke, J. I: 711; III: 753 Lojevoy, A. II: 271 Loriot, P. II: 82-91 Lorrain, C. IV: 140 Lossowsky, E. II: 867 Louis-Phi lippe IV: 16 Löwen thaï, L. IV: 715 Lowry, M. I: 37, 702; III: 18; IV: 963 Lubrina, J. II: 859 Lucas, C. II: 572 Lucien, L. II: 793, 800f., 804-810 Lucilius IV: 427, 429-431, 511,

513, 5*4, 516-518 Lukâcs, G. I: 40, 985, 1035; IV: 947, 971 Lukian IV: 342, 350, 393, 977 Lukrez II: 100; IV: 431, 985 Lutaud, O. I: 808 Luther, M. IV: 948 Luxemburg, R. III: 770 Lwoff, A. IV: 955 Lyotard, E I: 72; II: 687; IV: 333, 526, 541 Lyssenko, T. I: 18; III: 187, 440 f. Machado, R. I: 68, 78; II: 669,

779 f-

Nam enregister

Machiavelli, N . III: 231, 465, 798802, 805-807, 809, 811, 902; IV: 187, 787, 1004 MacLeod, R.M. III: 296 Magendie, F. I: 178; II: 53 Magritte, R. I: 41, 46, 69, 812-830; IV: 295, 298 Maire, E. I: 82, 100; IV: 605, 608616, 618f., 622L, 625-628, 630, 632-637 Malebranche, N . de I: 18, 22, 129, 461 f., 783 Malibran, M. IV: 313 Mallarmé, S. I: 7, 271, 379, 404, 470, 547, 549, 554, 558-561, 563571, 675, 694, 702, 716, 717, 896, 979, 998, io n ; II: 130, 135, 152, 207 f., 261 f., 791 f., 932; IV: 266,

745, 1026 Malraux, A. I: 39, 74; II: 941 f.; III: 5, 144 Mandrin, L. II: 565, 918, 923; III: 89 Mandrou, R. I: 33, 809; IV: 801, 803 Manet, E. I: 40, 41, 46, 55-57, 71, 100, 404; II: 129, 869f., 881; III: 362 Mann, T. I: 88, 715; III: 876; IV: 963 Manselli, R. I: 8 io f. Mao Tse-tung I: 58,59, 64; II: 449451, 619, 638-642; III: 9 6 L, 513, 599, 934, 952, 1006 f. Marc Aurel III: 679; IV: 430, 43 2 f., 438, 505, 516, 519L, 862, 864, 879, 978-980, 983 L Marchais, G. III: 84, 502 Marcus, S. III: 135, 175 Marcuse, H. II: 415, 470, 937; III: 215, 875 F; IV: 90, 97, 240 Marsais, C. du I: 956

Namenregister

Martin, R. IV: 959-963, 965 f. Martinet, A. I: 780, 1052 Marullus IV: 514 Maruyama, M. I: 86; III: 693 Marx, K. I: 8, 24, 39, 63, 74, 75, 78, 86, 667, 668, 699, 705, 711, 717, 727, 729, 730, 731, 732, 733, 734,

735» 736» 737» 73«, 739» 74°, 74 i» 743» 752» 753» 754» 840, 850, 851, 863,985,997,1006,1022 f., 1027, 1035-1037, 1038, 1046f.; II: 89, 107, 203 f., 207, 275 f., 336, 348, 3.89, 400, 415-417» 506-509, 636, 652, 766, 809, 908-911, 930-936, 966, 1004f., 1017; III: 7, 38, 40, 48, 52 f., 118, 145, 176f., 187 f., 194-196, 205, 215 f., 220f., 223225, *76, 339» 348, 35°> 352f.» 365 f., 401, 407, 410, 446, 487 f., 505, 517, 519 f-, 525, 529, 539541, 543, 546, 549, 551 f., 554, 567, 601, 603, 605, 630, 635-637, 669, 680, 725, 748-765, 767-771, 773» 775, 781 f-, 786f., 789 f., 793, 831, 835, 868, 876, 879, 891, 896,

93°f-> 937, 939» 95 1

980; IV: 63, 65, 82, 85-87, 91 f., 142, 228 f., 231, 240, 244, 524, 526f.,

554f-, 867 f.» 947, 960, 969 Masse-Dessen, H. II: 816, 817, 821, 827 Mathiez, A. IV: 96 Maurras, C. IV: 796 Mauriac, C. 1:19,42,58-77, 81, 87, 103, 467; II: 241, 845, 941; III: 502, 740 Mauroy, P. IV: 406, 614 Mauzi, R. I: 18, 28, 32, 35, 234; III: 520 Maximus von Tyros IV: 350, 362, 562 Maxwell, J.C. I: 888; II: 127, 849

1043

Mayall, J. II: 872 McLuhan, M. II: 155 Mead, G.H. IV: 1016 Mead, M. I: 192 Meienberg, N . II: 367 Meillet, A. I: 932 Meinecke, F. IV: 184 Meinhof, U. III: 110, 535 h, 907 Ménage, G. I: 939 Mendel, J.G. I: 888, 1073; II: 124, 126 Mendelssohn, M. III: 553 f., 978; IV: 46, 688, 946h Mendès-France, P. II: 941 Menger, C. IV: 159 Merleau-Ponty, M. I: i8 f., 24, 34, 197, 209, 489, 577, 664, 834, 845, 851, 995; II: 98, 103, 465; III: 552, 733, 983; IV: 60, 66, 526F, 553, 717, 822, 944, 963 Merquior, J.G. II: 191-210 Mesrine, J. III: 6, 332, 334-336, 1017 Metzger, J.D. III: 571 Mevel, C. IV: 159 Meyerhold, V. I: 374 Meyerson, I. I: 22 Michals, D. 1^294-302 Michaux, H. III: 623; IV: 266 Michelangelo Buonarotti I: 268; IV: 377 Michelet, J. I: 403, 777; II: 337, 809 Mill, J.S. I: 178 Miller, G. III: 391, 399, 403 f., 405408, 410-416 Miller, J. III: 391, 426 Miller, J.-A. I: 39, 61; III: 391,

395 f-, 398 f-, 4° 6» 4 I° - 4 I>419 f-, 422, 424 Millet, J.-F. III: 154 Milieu, K. III: 460 Millot, C. III: 391, 401 f., 917

1044 Millot, J.A. III: 28 Minkowsky, E. I: 154 Mirbel, C. de I: 127 Mises, L. von IV: 906 Mitterand, F. I: 95, 98; II: 91, 802, 811; III: 475, 633, 637, 667; IV: 124 f., 206, 219 f., 380-382, 498, 624 Molière (d.i. J.B. Pocquelin) II: 136, 138 Molitor, U. I: 799-806 Montaigne, M. de I: 239, 558, 697; IV: 493, 4 96, 771 Montand, Y. I: 74, 88, 95, 101; II: 941-943; HI: 502; IV: 2 5S> 4 ° 8>

657 Montesquieu, C. de I: 651; II: 716, 734; III: 255, 380, 426, 611, 944 Morawe, B. II: 530 Mordillât, G. III: 164 Morel, B.A. II: 1031; III: 30, 423, 9 2°, 9 64 Moreno, J.L. I: 192; II: 955 Morgagni, G.B. III: 274, 281 Morgan, T. I: 888, 1073 Moses IV: 169, 171 Mossadegh, M. III: 834 f., 861, 863, 879E, 895 Moulin, A.-M. III: 905, 1028 Müller, A. I: 264 Müller, H. IV: 126 Muyart de Vouglans, P. II: 570 Muybridge, E. IV: 300 Naccache, D . I: 1042, 1062 Napoleon Bonaparte, siehe Bona­ parte, Napoleon Napoleon III. II: 400, 893, 917 Naudin, C. I: 1072 Negri, T. IV: 131 Negt, O. IV: 532 Nem itz, D. III: 363

Nam enregister

N em oto, C. III: 660-662, 667 h Nerval, G. de I: 20, 237, 540, 572,

742 New ton, I. I: 178-180, 598, 755, 8 8 /f., 1025-1027; II: 75, 127, 5° 9> 592, 59 h 6oo> 929>931; HI: 554. 557. 559; IV: 94 6, 949. 95 1 Nietzsche, F. I: 8, 21-27, 34-36,43, 4 6, 5h 56, 100, 225 h, 327-332, 363-365, 436-442, 533, 549, 576, 593, ö47, 649-651, 670, 675, 679, 700-743, 768 f., 776, 784 h, 840, 847h, 896, 976, 979, 985, 1010, 1033, 1038; II: 5, 87, 89, 108, 121 f., 130, 140,162, 166,167-90, 268 f., 296 f., 302, 348,390,464 f., 527, 541, 674-686, 705, 763, 79 1 f-, 93 1 f-, 972, 978 f-, 989; III: 42, 79, 104, 213, 370, 507, 554, 566, 602, 607, 622, 680, 718, 72 1, 742, 744, 75 1 £•> 758-760, 762, 764, 766 f., 772, 848; IV: 53 f., 59-62, 66-68, 71, 140, 280, 335, 474, 491, 525, 528-530, 538-54i, 543, 555, 646, 687, 711, 7 i6 f., 758, 770, 789, 848, 853, 866-869, 904, 947, 957, 963, 999, 1022-1027 Nikokles IV: 477, 482, 672, 676, 761 Nikostratos von Ephesos IV: 562 Nobécourt, J. IV: 248 f., 252-254 Nocaudie, D. IV: 162, 164 Noland, K. I: 979 Nora, P I: 41; IV: 663 Nora, S. I: 101; IV: 604 Nordman, J. III: 474 Novalis (d.i. F. Freiherr von Har­ denberg) I: 132E, 137, 139, 274, 280 Nussbaum, C. II: 79

Namenregister

O ’Higgins, J. IV: 382-402 Ödipus I: 63, 65, 79, 265, 275, 278,

494 U 544» 976, 978; II: 6, 390, 524, 674, 686-706, 715, 721, 768-

775» 78o>92, 969 Ollier, C. I: 7, 36, 449, 464-469, 476-478, 483, 487-491, 536f. Ophüls, M. II: 793-797 Oppenheimer, R. I: 78; III: 147, 206 Orfila, M.J.B. II: 490 Ormesson, J. d* I: 1003, 1031 Osorio, M. III: 477 Ovid I: 795 Owen, R. II: 58, 754 Palazzo, G.A. IV: 185, 1002 Palmier, J.-M. I: 8, 999 Panier, C. IV: 924 Panizza, O. IV: 143 h, 150 Panofsky, E. I: 45, 794-797 Panyasis von Halikarnassos IV: 562 Papavoine, L.A. II: 1026; III: 572 Paracelsus (d.i. T.B. von H ohen­ heim) I: 626-628, 634, 642; III: 290 Parmenides II: 131 Pascal, B. I: 214, 474, 709, 10331035; II: 596, 793; IV: 496, 1023 Pasolini, P.P. I: 76; II: 1018, 1022 h; III: 6, 354-356 Pasquino, R I: 76 h; III: 186, 213, 231, 784, 905, 1028; IV: 25, 159 Passeron, J.C. IV: 944 Pasteur, L. I: 1001; II: 831 f., 835 f., 838; III: 559; IV: 952 Pavlov, L IV: 76 Peduzzi, R. IV: 138, 140-142 Péguy, C. I: 976 Peirce, C.S. IV: 1016 Pelegrino, H. II: 524, 669, 769,

771- 773» 7 8 5- 787

1045

Pélorson, J.-M. II: 255-258, 260262, 264-268 Perrot, M. I: 77; III: 250, 252, 254263, 265-269, 271; IV: 12, 25 Perse, S.-J. I: 20, 23, 571, 703; IV: 796 Pétain, H.P. IV: 163, 548 Peter, J.-P. II: 490; III: 273 Petit, J.-Y. II: 554 h Philibert, N . III: 164 Philo von Alexandria IV: 425, 433, 972, 982 Phoibos von Antiocheia IV: 562 Piaget, J. I: 26, 188, 204; II: 367h; III: 118; IV: 76, 89 Piatier, J. IV: 1023-1027 Picasso, P. II: 67, 599, 714 Pico délia Mirandola II: 727 Piero délia Francesca IV: 265 Piéron, H. I: 26, 199 h Pinel, P. I: 25, 231, 367h, 546, 906; II: 135, 160, 164, 350; III: 434, 576, 612h, 625, 630, 658, 793 Pinto, M. J. II: 524, 669, 773, 775 PiveteauJ. II: 34, 36, 45, 48, 53, 66 Platon I: 135, 137, 140, 976, 979, 1038; II: 94-97, 122, 131, 153, 166f., 185h, 269, 296, 516, 648, 682, 703-705, 779, 929; III: 193, 421, 510h, 678 h, 706, 718, 840; IV: 173-176, 217, 259, 342, 433, 464, 467, 471, 479, 482, 487, 492 h, 571, 599, 689, 753, 763, 767, 771, 856, 862-866, 879, 892,

970-974,976-978,980-982,985 Pléven, R. II: 291, 375, 385 Pleynet, M. I: 7, 36, 370, 380-382, 384, 387, 449, 461, 497, 499-502, 506-509, 513-524, 528-532 Plinius IV: 470 f., 516,672,677,979 Plutarch IV: 263 f., 342, 347, 350, 425, 427, 429f., 432-435,437,

1046

463, 467, 505, 506-508, 570, 668,

752, 88l, 980, 982, 987 Poe, E.A. I: 896; III: 622 Pohlenz, M. IV: 716 f. Poincaré, H. III: 555; IV: 944, 947 Polak, C. III: 776; IV: 314, 3 i8 f.,

321 f. Politzer, G. I: 204 Pomme, P. I: 367 Pompidou, G. I: 37, 49; II: 6, 481, 483-485, 641, 802; III: 18, 875; IV: 657 Pomponne de Bellièvre, O. I: 646 Ponge, F. I: 451, 457» 57* Poniatowski, M. III: 475 (Evagrius) Ponticus IV: 436 Porta, G. délia I: 624-626, 631, 637, 728 Pound, E. I: 404, 703 Pradines, M. I: 196, 209 Prescott, A. III: 571 Preti, G. II: 6, 461-473 Price, W.L. II: 873 Prins, A. III: 583, 591 Propp, V. I: 526 f.; IV: 78 Proust, M. I: 8, 271, 361, 387, 454 f., 468, 473, 498 f., 503, 703, 855, 857, 1009; II: 385, 513, 905; IV: 389, 395, 736f., 744f. Pseudo-Lukian IV: 264 Pucheu, R. II: 394, 406, 409-412 Pufendorf, S. von III: 808; IV: 229. Pujo, M. II: 84 Pythagoras I: 981; IV: 987 h Pythokles IV: 513 Quesnay, F. I: 914; III: 805 Quintilian I: 136, 556 Rabinow, P. I: 91, 95, 100, 1003; IV: 324f., 327-340, 663, 724, 727, 730 f., 963

N am enregister

Racine, J. I: 236, 532, 749, 1032h; II: 258, 264, 266; III: 327, 720 h Radcliffe, A. I: 1022 h; III: 259 Ramnoux, C. I: 741 h Rancière, J. I: 83, 752; II: 336, 907, 909; III: 46, 348, 538; IV: 805 Ranke, L. III: 798 Ranucci, C. III: 376, 823, 825 h,

944 Rask, R. I: 956, 1044 Raulet, G. I: 26, 98; IV: 521, 523-

535> 537-555 Ravel, M. IV: 603 Rebeyrolle, P. I: 67; II: 499 h, 502504 Régnault, F III: 409, 743 Réguier-Desmarais, F-S. I: 956 Rehberg, A.W. III: 798 Reich, W. II: 806, 965, 1006, 1016, 1028; III: 177, 215, 226, 240, 460f., 513, 665, 714; IV: 240f., 879 Reiche, R. III: 240 Reijlander, O. II: 873 Rémusat, C. de II: 570 Renan, E. II: 31, 91 Resnais, A. IV: 631 Revel, J. I: 72; IV: 17, 25 Révéroni Saint-Cyr, J.A. de I: 283,

297 , *99 > 3 I l f -> 3 M Revon, C. I: 92 f.; IV: 162, 164 Ribot, T. I: 179 f., 182, 199; II: 133 Ricardo, D . I: 461, 463-465, 490, 646, 753, 833, 863, 913, 1006; II: 7 4 f., 203, 652, 914, 1004f.; III: 52; IV: 86, 240, 961 Richard, J.-P. I: 559-561, 563-571 Richet, D . I: 704, 750; III: 368 Richier, P. II: 873 Ricœur, P I: 7, 38, 53, 585, 587h, 59° ' Î 9 Î> 597 f; 600, 602; IV: 526, 792 f.

Namenregister

Rieff, P. IV: 390-392 Riggins, S. IV: 641-656 Rilke, R.M. I: 703 Ringelheim, F. II: 541; IV: 782, 784-789, 791-794 Riot, P. II: 490, 580 Rivière, P. IV: 34, 712, 8 io f. Robbe-Grillet, A. I: 32, 370-372,

374- 376> 378f., 386, 451, 455464, 468 f., 471, 474-481, 483, 485-496, 498h, 503 h, 506f., 551-553, 652, 702; II: 162, 529, 970; IV: 735- 737» 746 Robert, M. I: 378; III: 439 Rocard, M. I: 80, 88; III: 430; IV: 550, 851 Roepke, W. III: 1026 Rorini IV: 1024 Rorty, R. I: 100; IV: 728 Rosanvallon, P. I: 101; III: 430, 1023; IV: 159 Rose, E. I: 61, 558; II: 289-292, 410 Rosen, G. III: 19, 281 Rossi, PL. II: 577 Rothko, M. I: 461, 979 Rousseau, J.-J. I: 6, 241-243, 245, 247-250, 253 f., 256-262, 968; II: 10,139,473, 730; III: 244, 257, 397, 531, 680, 728, 742, 753, 804, 818 f., 824, 848; IV: 227, 229, 231, 742, 893, 960 Roussel, R. I: 6f., 29, 33, 35, 235, 283-293, 295-297, 404, 451, 455,

457 f*» 473» 486, 548h, 551- 554» 662, 775; II: 25 f., 29f., 130, 135, 162, 554L, 905; IV: 734- 746, 859 Royce, J. IV: 1016 Ruas, C. IV: 736-746 Rubin, G. IV: 912 Rümke, H. I: 154 Ruffié, J. III: 126-128

1047

Rufus von Ephesus IV: 263, 977 Rufus, M. IV: 264, 427, 436, 824 Rumsay, D. III: 294 Rusche, G. I: 102; IV: 27, 713 Russell, B. I: 698, 700, 763, 783; II: 528, 629; III: 448; IV: 1025 Sade, D.A.F. Marquis de I: 28, 34, 53.7 6,3 h . 320-323.330,339 f-> 349-351.353 f-. 379.403,441.

670,674 {., 67% 701,787,843 f., 1009; II: 8, 32, 99, 130, 132, 134f-> i39> r4 i. 226f., 468-470, 514, 1018-1023; III: 136, 318, 442, 445, 455, 742 Saïd, S. IV: 376 Sainte-Beuve, C.-A. IV: 602, 701 Saint-Exupéry, A. de I: 698, 787 Saint-Sernin, B. II: 69 f. Saison, M. II: 490 Salomon, C. II: 76 Salzmann, C.G. III: 512 Sand, B. IV: 381 Sanguineti, E. I: 7, 449, 452, 473479, 481, 483, 493, 496-502, 510, 513, 516f., 519-521, 523-525, 527f-, 530 Sanjabi, K. III: 880, 882 Sant’Anna, H. R. de II: 669, 777,

791 Sanzio, A. IV: 341 Sappho IV: 349 Sarapis IV: 565 Sartre, J.-P. I: 8, 18, 25, 42, 47, 51, 56, 60-62, 74, 81, 87 f., 90-92, 162h, 455, 458, 467L, 490, 505, 664-666, 669, 698 f., 704, 711,

717,779 f., 784,788,834,83784°, 845-851,853 f., 976,985 f., 1001; II: 84 f., 103, 200, 211, 242, 335.374 £•> 38 0 ,3 8 2 ,4 2 4 ,4 5 4 , 4 6 5 ,5 2 2 ,9 0 8 ,9 4 1 ,9 6 3 ,9 6 7 ,

1048

N am enregister

1 0 0 3 ;

III:

3 6 7 ,

733 » 741 . 9 4 ,

5 5 2 ,

8 3 9 f .;

io o , 4 7 3 f .,

6 0 6 ,

6 z,

IV :

6 7 0 f ., 6 5 ,

7 6 f.,

5 2 5 - 5 2 7 ,5 3 9 ,5 5 3 ,

7 1 7 , 7 5 8 , 8 2 1 f ., 8 3 2 , 8 9 9 f ., 9 4 4 f.,

S e n n e tt, R .

I: 9 4 ;

S e r e n u s

IV :

158

S e r p illo n , E

II:

S erres, M .

2 1 2 ,

3 8 9

5 6 9 f.

I: 3 2 , 5 0 , 5 2 , 1 0 2 5 ,

10 4 0 ;

I R 3 5

9 6 3 S a u ssu re, F. d e

I: 1 9 , 4 8 9 , 6 4 7 , 6 4 9 ,

780 f., 783,932,1023,1042,1047, 1 0 6 0 ; II: IV :

5 2 6 ,

S c a la , A .

1 3 2 , 2 0 7 f ., 4 6 2 ;

III:

III: 2 0 6 ;

I:

4 5 6 ;

1 0 4 ; IV :

IV :

I:

5 7 4 I:

S c h ille r , H

I: 2 6 5

III: f.,

IV :

3 4 5 , 9 5 4

2 7 1 ,

7 2 5

I: 2 8 0 ,

6 7 5 ,

1 0 4 3 f. S c h le ie r m a c h e r , F .D .E .

I:

I:

502;

I:

8 8 , 9 9 ;

S im o n ,

C .

I: 4 5 4 ,

K .

I: 6 4 ;

2 9 5 ,

I:

III:

S c h m id t, D .

I: 7 0

S ir k , D .

IV :

1 2 6

S c h m id t, H .

III: 4 7 5

S k ik , H .

I:

1 0 4 2 ,

S m ith , A .

503;

IV :

5 9 5 ,

599 1 1 8 ,

1 6 7 ,

III: 7 4 4 ,

S c h u b e r t, A . S c h u tz , A .

2 0 0 ,

IV :

IV :

I:

8 0 0 ,

S e id e n , J .

I:

7 1 2 , 9 7 6 ;

1 8 4 h ,

IV : 2 1 8 ,

7 7 7 f.;

3 9 4 , 4 2 4 -4 2 7 ,

753?

755?

8 6 3 ,

I: 7 ,

8 8 3 ,

8 9 2 ,

9 8 7

3 5 f .,

5 4 ,

8 1 ,

3 7 0 -

5 0 0 ,

5 0 4 h ,

5 1 3 , H -

5 1 6 ,

5 1 8 ,

9 i ? 144 ?

9 7 0

III:

S o lo n

1 7 2

IV : 4 2 7 - 4 3 8 ,

5°5?

8 2 4 ,

5 0 8 -5 1 9 ,

8 6 1 ,

8 6 3 f.,

977 - 9 8 4 ? 99 2 ? 994-997 R h e to r

3 3 3 ,

1 2 2 ,

9 7 0 f ., 9 7 4 - 9 7 6 ,

4 9 8 ,

II: 7 7 7

1 0 4 2

I: 9 4 , 9 8 ; 8 8 2 ,

1 2 6 -1 2 8

52 ° - 52 5? 53 2 ? 554 ;

I: 9 6 9 ;

8 1 1 ,

3 6 9 ;

1 0 5 2

1 0 2 4

37 2 ? 374 ? 377 ? 449 - 453 ? 4 7 * ? 473 f - ? 4 8 2 - 4 8 7 , 490 - 493 ? 4 9 6 ?

8 0 4

10 1 2 ;

1 0 2 7

I: 2 2 5 ,

S ö lle r s , P .

5 4 6

159

I: 9 8 ,

6 5 3 ;

4 3 3 , 4 3 5 , 4 6 8 , 4 7 0 , 4 8 2 , 4 8 9 , 6 7 4 -

6 7 5 f .;

I: 8 0 9

S e k la n i, M .

4 7 ° f-,

2 9 6 ,

III:

6 7 6 ,

IV :

S e a r le , J .R .

S e n e c a

5 7 6 ,7 1 1 , 7 7 4 ;

I: 7 0 , 9 7 ; IV : 3 0 3 - 3 1 3

S c r ib o n iu s , W .

S ég u y , J.

I:

7 5 9

S ch r o e te r , W .

S e n e c a

S o k r a te s

II: 9 4 , 9 6 ,

S c h o p e n h a u e r , A .

7 5 6 ,

III:

S o b e l, B .

8 0 7 I: 4 7 3 ,

II: 9 1

2 2 2 ,

1 9 0

S im o n s , H .

I:

2 8 9 ;

2 9 7

S im o n , T .

II: 9 5 5 - 1 0 0 1

II:

4 6 8 ; II:

IV : 9 2

S c h ö n b e r g , A .

f .,

IV : 4 0 5 , 4 0 8 - 4 1 1

S im o n , III:

1 3 7

IV : 6 4 1

R .

1 6 2 ,

191

S c h m id t, A .

S c h n e id e r m a n ,

H :

62 1

II: 1 2 9 - 1 3 1 , 1 4 3 , 1 4 8

S ig n o r e t, S . III:

E

1 0 1 3 ;

2 3 6 ,

151

2 7 3 ,

1 0 2 4

S c h le g e l, A .W . u n d

S c h o le m , G .

1 4 3 -1 4 5 ,

2 9 6

S h im iz u , T .

I: 6 7 5 ;

S c h m id , D .

IV :

S h e ld o n , W .

132;

8 6 6

K .

II:

49 2 ? 495 ? 53 2 ? 7 ° 4 > S h e a , J.

851

1 2 7 h ,

S ch erer* J.

S c h le c h ta ,

S erv a n , P.

S h a k e sp e a r e , W .

1 8 5 , 8 4 9 ; III: 4 6 0 ,

1025

S c h e l l i n g , F .W .

II:

IV :

IV : 6 7 4

4 6 3 ,

5 7 0 , 8 8 6 ,

III:

v o n

S o n ta g , S . S o p h o k le s II:

A th e n

II:

7 0 0 f .;

1 6 9 , 6 7 8 IV :

1 2 6

I: 6 3 ,

6 8 8 , 6 9 0 ,

7 7 ° U 773

6 5 , 4 9 4 , 9 7 6 ;

6 9 4 ,

U 780;

6 9 7 h ,

7 0 0 -7 0 7 ,

IV : 8 3 1

Nam enregister S o r a n u s

IV : 2 6 3 , 6 7 1

S p ea rm a n ,

C .E .

S p e n c er, H . III:

________________________________________________________________________________ 1 0 4 9

I:

1 9 0

1 8 0 ,

184;

II:

11;

175

S p e n g le r ,

O .

IV : 7 9 7

S p h y r a s, P.

II:

S p in o z a ,

d e

II:

I:

B .

1 1 3 ,

6 8 1

f .;

8 1 6 , I:

1 2 1 f ., IV :

8 1 8 f .,

8 2 1 ,

8 2 8

1 2 8 f ., 4 0 0 ;

2 9 6 ,

5 0 4 , 6 2 5 ,

1025

S p ren g er, J.

I:

S t a l i n , J .W .

8 0 0 f.

I: 2 3 , 7 8 8 ,

II:

6 4 1 ,

9 0 8 ,

1 0 0 4 ; III: 8 5 , 9 1 , 9 3 , 9 5 ,

1 1 4 ,

1 8 8 ,

2 2 4 ,

2 6 6 ,

3 4 7 ,

8 3 9 ;

3 5 0 ,

3 6 5 f .,

4 3 4 , 4 3 8 , 4 4 0 , 4 8 8 , 4 9 8 ,

5 1 7 t-,

5 2 3 , 6 0 3 ,

6 7 6 f ., 6 8 1 ,

8 9 5 , 9 8 0 ;

IV : 6 3 ,

S ta m b o u li, E 1 0 6 4 ,

I:

1 0 5 4 ,

1 0 5 9 ,

1 0 6 2 ,

I: 2 4 1 , 4 5 7 ,

566;

4 1 9 f .; I II:

2 5 7

S té fa n in i, J .

I;

S te in , P .

138

IV :

S te in e r , G .

III:

5 4 0

IV :

172

IV :

5 5 6 ,

L .

S tr a w in s k y ,

I.

S tr a w so n , R

I: 2 6 6 ,

IV :

III:

IV :

11 9

IV : 4 0 2 - 4 0 8

S y b e r b e r g , H .- J . S y lv iu s , F . S y n e sio s

2 7 9 ;

141

7, 6 3 3 -6 3 5 , 6 3 7

S u ffe r t, G . S u rzu r, R .

7 9 6

5 9 4

II: 7 7 7

1 3 2 b ;

S u e , E .

5 6 0 ,

IV :

S tr in d b e r g , A .

III:

a u s

I: 7 0 ;

IV :

1 2 6 -1 2 8

3 7 , 9 2 6

C y r e n e

IV :

5 6 3 , 7 7 1 ,

9 8 9 S z a sz , T . 1 0 5 ,

II: 6 5 1 ,

1 1 9 -1 2 3 ,

8 4 1 , 9 5 8 ;

5 0 8 f .,

T a ffa r e l-F a e r m a n , M . T a in e , H .

I:

1 0 0 5 ; J.

IV :

I: 7 ,

1 1 9 ,

3 6 ,

1 2 1 -1 2 3

3 7 2 ,

3 7 4 ,

376, 3^5»449»471 f-» 475"477>

II: 2 6 2 f ., 2 6 8 - 2 7 2 , 2 9 2 f .

S to b é e , J. S to n e ,

Thibaudeau,

8 5 5 -8 5 8

S te r n , M .

II:

7 8 6 ,

821

1 0 6 7

S ta r o b in s k i, J . III:

7 6 6 ,

Takaaki, Y. I: 86 Talbot, W.H.F. I I : 874 Tanaka, K. I V : 322 Tarde, G. I : 1048; I I : 1001 Tardieu, A. I I : 794; I V : 150 Tarrab, G. I I I : 115 Tasso, T I I : 161 Taubes, J. I: 738 Taylor, C. I: 100 Teilhard de Chardin I: 668, 670, 698, 835, 837, 840 Tenon, J.-R I I I : 645 E, 657f. Terayama, S. I I I : 105 Terrel, I . I I : 816, 818, 823, 825, 828 Tertullian I V : 366, 991 Thalamy, A. I: 83 Théophile de Viau I: 127 Theseus I: 306, 314, 975 f. Thibaud, R I I : 394, 405, 411,

1 9 9 ,

3 9 9

III: 9 9 -

100 1

II: 9 5 5

479 f., 482, 486, 498, 504, 506, 652-654 Thibaudet, J.-Y. I: 371 Thierry, A. I I I : 173, 634, 674 Thomas von Aquin, siehe: Aquin, Thomas von Thomson, G. I: 190 Thorez, M. I I I : 464 Thorin, L. I: 228 Thrasymachos I: 140, 225 Thurstone, L. I: 190 Timarchos I V : 377 Tintoretto (d.i. J. Robusti) I: 270 Tirlocq, F. I I : 816, 821 f. Tizian (d.i. T. Vecellio) I: 270, 761 Tolman, E.C. I: 187 Tortel, J. I: 7, 449, 496f., 506, 513, 515 f., 529

Tournefort, J.P. de I: 865, 888; II:

47

IOJO

Trakl, G. I: 703 Tréanton, J.-R. II: 394, 399, 402, 407-409, 414, 417 k Treilhard, J.-B. II: 544,751k Tristan L’Hermite, F. I: 130 k, 136k Trombadori, D. I: 24, 89; IV: 51 Trotzki, L. I: 44; II: 507, 907; III: 407, 425, 526, 786, 931, 1006 Trouille, C. II: 870 Trubetzkoy, N . II: 333; IV: 78 Tuke, W II: 160; III: 612 k, 625 Turgot, A.R.J. II: 12, 272 Turquet de Mayerne, L. IV: 189192, 196, 1008-1010, 1013 Tylor, E. II: 332 Uccello, P. I: 268, 270 Ullmo, J. I: 1003, 1038 Uno, H. III: 996 Ussel, J. van II: 1028 Valéry, P. I: 472, 496, 511, 703; II: 512, 905 Vallès, J. II: 141, 400 Van Gogh, V. I: 266, 279; II: 132 k Van Gulik, R. IV: 764 Van Meenen, M. II: 538, 570 Van Swieten, G. III: 37, 926 Vasari, G. I: 267, 271, 275, 281 Vattimo, G. I: 36, 739 Veil, S. IV: 127 Velâzquez, D. I: 36 Vergés, J. I: 92; IV: 160, 162-164 Vergil I: 27, 555, 557-559 Vernant, J.-P. I: 781 k Verne, J. I: 388, 457k, 553, 654, 656k, 659, 661-663; IV: 142 Vernet-Straggiori, M.T. II: 563 Verrocchio, A. del I: 268 Veyne, P. I: 18, 21, 84, 99 k; III: 704, 901, 1020; IV: 25, 43,

N am enregister

663 Vico, G. IV: 689 Vidal-Naquet, P. I: 57, 98; II: 211, 215, 242, 249k; III: 11, 13, 502, 1010 Vidocq, E.-F. II: 585, 901, 922 Vigarello, G. IV: 24 Vignaux, P. IV: 610 Vilmorin, H. de I: 1072 Vinchon, J. I: 271 Vinci, L. da I: 268 Vio, T. de IV: 154 Virilio, P. II: 394, 397 k, 404, 408, 411k, 415, 420 Vitruvius (Vitruv) IV: 325 Voltaire I: 255; II: 270; III: 147, 207, 807 Voragine, J. de III: 317 Vovelle, M. IV: 807 Vries, H. de I: 1073 Wade, L. III: 594 Wagner, R. I: 726; II: 170, 186; III: 370, 680, 739, 743 f., 877; IV: 137-139, 141 f., 312 f., 603 Wagner, Winifred IV: 137 Wagner, Wolfgang IV: 142 Wahl, J. I: 1003 k, 1031, 1041; IV: 60 Wajeman, G. III: 391, 393, 418, 421 Walesa, L. IV: 411 Wallon, H. I: 189, 200 Warhol, A. I: 55, 979; II: 115 Watanabe, M. I: 55, 85; II: 129, 132, 134k, 139k, 145-147, 150, 154; III: 608, 660, 662 k, 665 k, 670k, 695 k, 703, 718, 720, 723, 725, 727, 729k, 732, 734k, 73874 5 >747 Watson, J. I: 187, 204 Watson, R, II: 741

Nam enregister

Weber, A. I: 175 Weber, J.P. I: 5, 234 Weber, M. I: 73; II: 471; III: 554, 1026; IV: 34, 333, 531, 533 f-, 541 f., 653, 687, 797, 806, 848, 876, 947> 9^7» 999 Webern, A. von I: 510, 979; IV: 653 Weissmann, G. II: 79 Wertheimer, M. I: 187 Wesley, J. II: 737 h Weyer, J. I: 799 f. Weylj.A. I: 765 Wiazemski, A. I: 4 6 Wilde, O. III: 342; IV: 390 h Wilhelm IL IV: 150 Willebrandt, J.R IV: 194 : Willis, I. I: 231; II: 261, 267; III: 563 Wilson, B. IV: 295 Winnicott, D.W. IV: 224 Wittgenstein, L. I: 44, 700, 763, 897; II: 777 Wolfson, L. II: 25 f., 28-30

1051

Wundt, W I: 179 Wurmser, A. IV: 6 3 X enophon IV: 426, 468, 482, 484, 492, 675, 753, 765, 771, 831, 892, 970 Yannakakis, I. I: 72; II: 907, 911 Yates, F. IV: 434 Yoshimoto, R. III: 748, 761, 773 Zacchias, P I: 966 Zamiti, M. I: 1042, 1064 Zarathustra I: 332, 362, 365, 436, 535, 976; II: 119, 121, 169, 187 Zecca, M. III: 434, 440-442, 450-

4 J2. 454. 457- 459. 4^6f. Zenon II: 30, 100, 106; IV: 510, 518, 570 Zghal, A. I: 1042, 1061 f., 1068 Ziegler, K. III: 571 Ziegler, M. I: 102 Zola, E. I: 482; II: 665, 904 f.; III: 113, 134, 208, 671

I OJ 2

Werkregister I. Werke Michel Foucaults Archéologie du savoir [Archäolo­ gie des Wissens] (Michel Fou­ cault) I: 43 h, 46, 50 f., 76, 129, 191, 202, 222, 271, 506, 648, 930, 980, 986-989, 999, 1006, 1071; II: 129, 191, 202, 222, 253, 271, 504, 506, 648, 930, 980; III: 38, 117. 394> JiJ. 521 f-, 849; IV: J3, 74. 89 h, 475. 530. 5 54 f*. 759. 77« Les Aveux de la chair [Die Ge­ ständnisse des Fleisches] (Michel Foucault) I: 89, 103; IV: 463 f., 474, 668, 749, 759 Le Désordre des familles. Lettres de cachet des archives de la Bastille au XVille siècle [Fami­ liäre Konflikte: die »Lettres de cachet« aus den Archiven der Bastille im 18. Jahrhundert] (Michel Foucault, A. Farge) IV: 260, 805 Herculine Barbin, dite Alexina B. [Uber Hermaphrodismus] (Herculine Barbin, Michel Fou­ cault) IV: 142 Histoire de la folie à l’âge classique [Wahnsinn und Gesellschaft] (Michel Foucault) I: 27, 32, 55, 517, 644, 756, 771, 838, 867, 980, 999, 1069; II: 5, 142, 157, 159, 161, 163, 165, 211, 256, 265, 300, 348, 397, 589, 650, 652F, 786, 870, 921, 927, 958, 980; III: 99, 117, 186, 299, 409, 477, 516; IV: 52f., 55-57, 69, 73-76, 82h, 85, 100, 102, 113, 475, 528, 556,

711, 729, 759, 778, 799, 808 f., 819, 825, 829, 859f., 903, 961, 962 Histoire de la sexualité [Ge­ schichte der Sexualität] (Michel Foucault) IV: 353, 461 f., 470, 474h, 538, 647, 651, 655, 707, 747f-> 759> 776, 870, 927 Machines à guérir (Michel Fou­ cault) III: 19, 908 Maladie mentale et personnalité [Psychologie und Geisteskrank­ heit] (Michel Foucault) I: 25-27, 33, 55; II: 129; IV: 819L Les Mots et les Choses [Die Ord­ nung der Dinge] (Michel Fou­ cault) I: 7, 34, 36-42, 46-48, 54, 80, 603, 622, 644 f., 647-649, 651, 664, 667, 698, 701 f., 712, 750, 757, 766f., 770, 777L, 785, 836838, 840f., 844, 846, 855f., 867, 882, 887, 903, 918, 986-989, 999, 1002, 1004, 1036L, 1070; II: 55, 58, 129, 191-195» ! 9 8» 202> 2° 5" 208, 253, 268f., 293, 463, 504506, 510, 589, 651, 791, 850, 980, 1004; III: 4 0 ,117L, 186,189,191, 394 f., 406, 410, 414, 417, 515 f., 518, 527, 849; IV: 77, 82-88, 93, 170, 199, 311, 339, 536, 573* 778, 808, 819-821, 859 f., 875, 903, 961, 963 f. Naissance de la biopolitique [Ge­ schichte der Gouvernementalität IL Geburt der Biopolitik] (Michel Foucault) IV: 905

Werkregister

_____________________________ ïo 53

Naissance de la clinique [Die Ge­ burt der Klinik] (Michel Foucault) I: 33, 55, 645, 757, 838,

II: 882, 886, 922, 932, 966, 984, 986; III: 44, 47, 106, 115, 117, 186, 196 f., 299, 347, 448, 515 f., 748 h, 788, 813, 838, 844, 1002; IV: 12,41,44, 49, 53, 57, 112,475, 759.779» 782 f., 786,790-792, 803, 808f., 825, 829, 832, 853, 860, 903, 926, 961-965, 1021 L’Usage des plaisirs [Der Ge­ brauch der Lüste ] (Michel Foucault) I: 100, 102, 104; IV: 462-464, 467 f., 474, 479, 481 f., 503, 658, 667, 748 f., 759, 763, 824-826, 832 f., 870 La Volonté de savoir [Der Wille zum Wissen] (Michel Foucault) 1: 56>77- 79; H: d, 294 f., 297, 299; III: 181,298 f., 302, 308, 336, 347, 3 j i, 448, 464, 493, 515, 660f., 666, 785, 788; IV: 52L, 103, 349, 538 f-, 641, 755, 823, 827, 832, 902

999Î H: 129, 293» 5io; IV: 53> 58, 82 f., 100,102,475,759, 779, 833,

926 L’Ordre du discours [Die Ord­ nung des Diskurses] (Michel Foucault) I: 57; II: 348, 980; I I I : 299, 604; I V : 101, 726 La Poussière et le nuage [Der Staub und die Wolke] (Michel Foucault) I V : 12, 25 Raymond Roussel (Michel Fou­ cault) I : 35, 284; I V : 859 Le Souci de soi [Die Sorge um sich] (Michel Foucault) I : 104; I V : 464, 484, 487, 503, 561, 658, 668, 749, 765, 767, 824-826, 832 f. Surveiller et punir [Überwachen und Strafen] (Michel Foucault) I: 54, 71, 76, 78-80, 86, 102;I.

II. Werke anderer Autoren À la recherche du temps perdu [Auf der Suche nach der verlorenen Zeit] (Marcel Proust) IV: 395 D ie Abenteuer von Chaireas und Kallirhoe (Chariton von Aphrodisias) IV: 571 Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (Karl Marx) I: 739; III: 53, 768 Adraste (Louis Ferrier) I: 130L Adversus oppugnatores vitae monasticae (Johannes Chrysostomus) IV: 359 Aeneas (Vergil) I: 55 5 L’Affaire Mirval (Bernard Cuau) III: 5, 11

Agesilaos (Xenophon) IV: 675 Ahasvérus (Edgar Quintet) I: 403 Alkibiades (Platon) IV: 259, 426428, 464, 471, 492, 775, 881, 892,

97°> 973- 976, 980 f. Also sprach Zarathustra (Friedrich Nietzsche) I: 332, 362, 365, 436, 535, 709 f., 726, 731, 896, 976; II: 1 1 9 , 1 2 1 , 1 6 9 , 1 8 7 , 4 6 4 ; IV: 1 0 2 4 , 1 0 2 6 Aminadab (Maurice Blanchot) II: 6 8 0 - 6 8 2 , 6 8 4 f., 6 9 4 Amores. Affairs of the Heart (Pseudo-Lukian) IV: 2 6 4 L’Amour du censeur (Pierre Legendre) III: 3 9 8 , 5 4 3

1054

An Lucilius. Briefe über Ethik (Seneca) IV: 505, 510-513, 516, 518, 570, 987 Andromaque (Jean Racine) I: 236, 482; II: 258, 266 Anthologie de l’humour noir [Anthologie des schwarzen H u­ mors] (André Breton) 1:551 Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (Immanuel Kant) I: 31, 3 5 >37>3 9 1 -3 9 7 Anthropologie structurale [Strukturale Anthropologie] (Claude Lévi-Strauss) I: 1042 Der Antichrist (Friedrich Nietzsche) I: 724, 726 Anti-Dühring (Friedrich Engels) II: 508 Antikes Führertum. Ciceros De officiis und das Lebensideal des Panaitios (Max Pohlenz) IV: 716 Anti-Machiavel (Friedrich II.)

111:799 Anti-Œdipe [Anti-Ödipus.] (Gilles Deleuze, Félix Guattari) I: 63, 79; II: 390, 686 f., 768 f., 962, 969; III: 216 Apologie des Sokrates (Platon) IV: 424, 892, 970 Archipelagus (Friedrich Hölder­ lin) I: 263 Arnold Schönberg zum 50. Ge­ burtstage. Sonderhefte der Mu­ sikblätter des Anbruch (Alban Berg) IV: 599 L’Arrêt de mort [Die Frist] (Mau­ rice Blanchot) I: 689 Asylums [Asyle] (Erving Goff­ man) IV: 48, 332 L’Attente l’oubli [Warten Verges­ sen] (Maurice Blanchot) I: 679

Werkregister

Au moment voulu (Maurice Blanchot) I: 681, 689 f. Ausgewählte Schriften des heiligen Athanasius (Athanasius) IV: 504 Les Aventures d’une jeune fille (Jean-Édern Hallier) I: 387 Le Bain de Diane [Das Bad der Diana] (Pierre Klossowski) I: 445 Beowulf, der altangelsächsische IV: 172 Bibel IV: 168 f., 971 La Biblioteca de Babel [Die Bi­ bliothek von Babel] (Jorge Luis Borges) I: 355 Biffures [Streichungen] (Michel Leiris) I: 551; IV: 742 Les Bijoux indiscrets [Die indis­ kreten Kleinode] (Denis Diderot) III: 138 Le Bleu du ciel [Das Blau dés Himmels] (Georges Bataille) I* 3 3 4 ) 3 3 7 Bouvard et Pécuchet (Gustave Flaubert) I: 53, 397 f., 418-422; II: 114, 513 Brief an Menoikeus (Epikur) IV: 425, 970 Briefe (Plinius der Jüngere) IV: 517 Briefe, Sprüche, Werkfragmente (Epikur) IV: 513 Der Bürgerkrieg in Frankreich (Karl Marx) III: 768 Les Camisards [Aufruhr in den Cevennen] (René Allio) I: 73; II: 8 1 0 ; III: 1 5 3 f ., 1 6 4 Cartesianische Meditationen (Edmund Husserl) III: 552, 555; IV: 9 4 4 Ceci n’est pas une pipe (René Magritte) I: 8, 69, 812 f., 815, 817-821, 823, 825, 827, 829

Werkregister

_______________________________ IQ55

Celui qui ne m’accompagnait pas (Maurice Blanchot) I: 677, 681,

Comizi d’Amore (Pier Paolo Pasolini) III: 354 Comment j’ai écrit certains de mes livres (Raymond Roussel) I: 283-286, 288-290, 293 f., 549;

69 4 Une Cérémonie royale [Königs­ parade] (Jean Thibaudeau) I: 652 k Le Chagrin et la pitié [Das Haus nebenan u. Chronik einer fran­ zösischen Stadt im Kriege] (Marcel Ophüls) II: 793 f., 796 f. La Chambre secrète [Das Geheime Zimmer] (Alain Robbe-Grillet) I: 376 Chevalier, la Femme et le Prêtre [Ritter, Frau und Priester] (Georges Duby) IV: 6 7 7 Christianity, Social Tolérance and Homosexuality. Gay People in Western Europe from the Beginning of the Christian Era to the Fourteenth Century (John Boswell) IV: 3 4 6 , 3 8 2 La Clef de Songes, Onirocriticon [Das Traumbuch (Oneirocritica)] (Artemidor von Daldis (aus Ephesus)) IV: 2 6 2 , 5 6 1 - 5 9 3 , 9 8 9 Les Cloches de Bâle [Die Glocken von Basel] (Louis Aragon) II: 8 1 0 Code criminel (François Serpillon)

II: 569 Code d’instruction criminel (JeanBaptiste Treilhard) IL751 Coelina où l’enfant de mystère (François-Guil Ducray-Duminil/René Charles Guilbert de Pixérécourt) I: 352 Un Cœur simple [Ein schlichtes Herz] (Gustave Flaubert) I: 421 Coming to Power. Writings and Graphics on Lesbian SM (The Group of Samois) IV: 912

IV: 73S> 74 L 74478» 687 f., 696; IV: 172 Oedipus Colonus [Ödipus auf Kolonos] (Sophokles) II: 770 Œuvres (Synesios aus Cyrene) IV: 563 Olympia (Edouard Manet) I: 404 Opuscula (F. Régnault) IV: 154 L’Ordre psychiatrique [Die psychiatrische Ordnung] (Robert Castel) III: 357 The Origin of Speci.es [Die Ent­ stehung der Arten durch natür­ liche Zuchtwahl] (Charles Dar­ win) II: 44 Les Origines de la langue française (Gilles Ménage) I: 939 Osman (François Tristan L’Hermite) I: 131 The Other Victorians. A Study of Sexuality and Pornography in

Werkregister

1064

Mid-Nineteenth Century Eng­ land [Umkehrung der Moral. Sexualität und Pornographie im viktorianischen England] (Ste­ ven Marcus) III: 135 Oublier Foucault [Foucault verges­ sen] (Jean Baudrillard) IV: 546 Ouverture (Jean Thibaudeau) I: 6 52 h Paidagogos (Clemens von Alexandria) IV: 669 The Panopticon [Das Panopticon] (Jeremy Bentham) I: 735, 751; III: 250-271; IV: 23, 36 Les Paravents [Wände überall] (Jean Genet) II: 514; IV: 268 Le Parc [Der Park] (Philippe Söl­ lers) I: 371, 373 f., 382, 385 La Part du feu [Die Literatur und das Recht auf den Tod] (Maurice Blanchot) II: 1 5 1 La Part maudite [Der verfemte Teil] (Georges Bataille) II: 33 Pauliska ou la perversité moderne [Pauliska oder das Kosaken­ mädchen] (Jacques Antoine de Révéroni Saint-Cyr) I: 297-299, 301 f-, 3°5> 307-310, 314 Paysage en deux (Marcelin Pleynet) I: 370-381 Le Péché et la Peur, la culpabilisa­ tion en Occident, X I I I e-X V I I I e siècle (Jean Delumeau) IV: 803 Le Peintre de la vie moderne [Der Maler des modernen Lebens] (Charles Baudelaire) IV: 695, 697 Les Pensées [Gedanken] (Biaise Pascal) I: 214, 709, 1034 Phädon oder Über die Unsterb­ lichkeit der Seele (Moses Men­ delssohn) IV: 688

Phaidros (Platon) IV: 487, 674,

753, 865 Phänomenologie des Geistes (Georg Wilhelm Friedrich Hegel) I: 991, 1047; IV: 958 Phénoménologie de la perception [Phänomenologie der Wahrneh­ mung] (Maurice Merleau-Pon­ ty) II: 98 Philosophie der Aufklärung (Ernst Cassirer) I: 703-705 Philosophie der symbolischen Formen (Ernst Cassirer) I: 703 Pierrot lunaire (Arnold Schön­ berg) II: 122 Le Plaisir sanglant (A. Dubarry) IV: 1 5 0 Politeia [Der Staat] (Platon) III: 706; IV: 173, 571, 1004 Politik (Aristoteles) IV: 673 Politikos [Vom Staatsmann] (Platon) IV: 173, 175 L, 689 Portier de nuit [Der Nachtportier] (Liliana Cavani) II: 793, 801, 804 f., 810 Pour une critique de l'épistémolo­ gie (Dominique Lecourt) IV: 2 3 9 Poussière de soleil [Sonnenstaub] (Raymond Roussel) I: 285, 290 Préface à l'histoire de l'Académie (Bernard Le Bovier de Fontenelle) IV: 950 Le Prince du sommeil (Célestin de Mirbel) I: 127 La Princesse de Clèves [Die Prin­ zessin von Kleve] (Marie-Made­ leine La Fayette) III: 531 Principi di una scienza nuova d'intorno alla communa natura delle nazioni [Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die

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gemeinsame Natur der Völker] (Giambattista Vico) IV: 689 Les Prisons Aussi (René Lefort) III: 1 0 1 2 Le Procès-verbal [Das Protokoll] (Jean-Marie Gustave le Clézio) L 535

Proust and the Art of Love: The Aesthetics of Sexuality in the Life, Times, and Art of Marcel Proust (Julius E. Rivers) IV: 389 Les Provinciales [Die Provinzial­ briefe] (Biaise Pascal) I: 254, 1034 Le Psychanalysme [Die Psycho­ analyse] (Robert Castel) II: 786, 840; III: 103, 123 Psychopathia sexualis (Richard von Krafft-Ebing) II: 1030; III: 136, 421 Le Pull-Over rouge (Gilles Per­ rault) III: 376, 823-829 Punishment and Social Structure [Sozialstruktur und Strafvoll­ zug] (Otto Kirchheimer und Georg Rusche) IV: 27 Pyrame [Pyramus und Thisbe] (Théophile de Viau) I: 127 Pythagore et la Philosophie py­ thagoricienne, contenant les fragments de Philolaüs et d’Archytas (Anthelme Édouard Chaignet) IV: 172 Q.H.S.: quartier de haute sécurité (Roger Knobelspiess) IV: 638 Question médico-légale de Pidentité dans ses rapports avec les vices de conformation des organes sexuels (Ambroise Tardieu) IV: 147 Rede an Nikokles (Isokrates) IV: 673

1065

Reden (Dion von Prusus) IV: 674 Die Regenten (Frans Hals) II: 368 La Religieuse [Die Nonne] (Denis Diderot) I: 346 f.; IV: 151 La Religion romaine archaique (Georges Dumézil) I: 748 Reliquiae (Musonius Rufus) IV: 264 Remarques sur la formation de la théorie abstraite des ensembles. Étude historique et critique (Jean Cavaillès) IV: 945 Renaissance Selffashioning: From More to Shakespeare (Stephen Greenblatt) IV: 666 Les Rêveries du promeneur soli­ taire [Die Träumereien eines einsamen Spaziergängers] (JeanJacques Rousseau) I: 250, 261 La Révocation de Pedit de Nantes [Die Widerrufung des Edikts von Nantes] (Pierre Klossowski) I: 443 Révolution astronomique [Die astronomische Revolution] (Alexandre Koyré) I: 6, 238 f. Les Révolutions du globe [Die Erdumwälzung] (Georges Cu­ vier) I: 43 Le Rivage de syrtes [Das Ufer der Syrthen] (Julien Gracq) II: 9 0 6 Rousseau juge de Jean-Jacques, études sur les Dialogues [Dialo­ ge] (Jean-Jacques Rousseau) I: 5, 241-261 Sacra embryologia (Cangiamila) II: 1 0 2 5 Sade et la révolution (Pierre Klossowski) I: 441 Salammbô (Gustave Flaubert) I: 397 f.; III: 634

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Sans dessus dessous [Kein Durcheinander] (Jules Verne) I: 6 5 6 Le Schizo et les langages [Der Schizophrene und die Sprachen] (Louis Wolfson) II: 28 Das Schloß (Franz Kafka) I: 455, 494 h, 1022 Science and Rationalism in the Government of Louis X IV (James E . King) IV: 1 8 9 La Science de dieu (Jean-Pierre Brisset) I: 2 8 2 ; II: 1 7 , 31 Sein und Zeit (Martin Heidegger) I: 1 1 0 , 4 5 5 f.; IV: 8 6 7 , 9 4 4 Selbstbetrachtungen (Marc Aurel) IV: 9 8 3 Le Séminaire Livre XVIL Denvers de la psychanalyse (J. Lacan) IV: 5 2 4 Sermo de renuntiatione saeculi (Basilius von Cäsarea) IV: 359 Sexual Life in Ancient China (Van Gulik) IV: 764 Les Six Livres de la République [Sechs Bücher über den Staat] (Jean Bodin) IV: 325 La Société contre l’État. Recher­ ches d’anthropologie politique [Staatsfeinde. Studien zur politi­ schen Anthropologie] (Pierre Clastres) IV: 226 Somme athéologique [Atheologische Summe] (Georges Bataille) I: 331 La Sorcière [Die Hexe] (Jules Michelet) I: 403 Le Souffleur [Der Souffleur] (Pierre Klossowski) I: 441,

443 f., 448,559 Der Streit der Facultäten (Imma­ nuel Kant) IV: 840

Werkregister

Studien zur Ikonologie (Erwin Panofsky) I: 45, 794 Surpassing the Love of Men. Romande Friendship and Love between Women from the Re­ naissance to the Present [Köst­ licher als die Liebe der Frauen] (Lilian Faderman) IV: 204, 345, 918 Symposion (Platon) IV: 674 System einer vollständigen medicinischen Policey (J.P. Frank) III: 25, 279, 282; IV: 1000 System of Logic [System der de­ duktiven und induktiven Logik] (John Stuart Mill) I: 178 The System of synthetic Philosophy [System der synthetischen Philospohie] (Herbert Spencer) I: 180 Le Système pénal en question (Louk Hulsman) IV: 791 Tagebuch eines Schriftstellers (Fjodor Dostojewski) I: 223 Tel quel I: 35 f., 82, 342, 370, 377, 379f., 382, 449-451, 461, 508f., 513, 518, 524, 560; II: 91 La Tentation de Saint Antoine [Die Versuchung des heiligen Anto­ nius] (Gustave Flaubert) I: 36,

44) 397) 4° 5) 423; H: 513 Thalia-Fragment (Friedrich H ö l­ derlin) I: 271, 273 Thesmophoriazusai (Aristophanes) IV: 674 Der Tod der Maria Malibran (Werner Schroeter) II: 1019 f. Tombeau pour cinq cent mille soldats (Pierre Guyotat) II: 92 f. Tractatus theologico-politicus [Politischer Traktat] (Spinoza) I: 1 2 8 L

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Traité de la police (Nicolas de Lamare) III: 24; IV: 192 f., 1010 Traité des sensations [A bhandlung über die Empfindungen] (Etien­ ne de Condillac) I: 700; II: 528 Traitement moral de la folie, D u (François Leuret) III: 432; IV: 207 La Transcendance de Pego. E s­ quisse d'une description phéno­ ménologique [Die Transzendenz des Ego] (Jean-Paul Sartre) IV: 758, 945 Transformation der D em okratie (Peter Brückner) III: 906 La Transparence et Pobstacle [Rousseau: Eine Welt von W i­ derständen] (Jean Starobinski) HI: 257 Die Transvestiten. Eine U ntersu­ chung über den erotischen Ver­ kleidungstrieb, m it um fangrei­ chem casuistischen und historischen Material (Magnus H irschfeld) IV: 351 Traum und Existenz (Ludwig Binswanger) I: 6, 24, 26, 107, n o f ., 125 f., 137, 145, 148, 150, 172, 497; IV: 72 Die Traum deutung (Sigmund Freud) I: 112, 114L, 118, 135, 137, 184, 729, 733, 1022f.; II: 590; III: 412, 418 f., 422 Le Très-haut (Maurice Blanchot) I: 681, 683-685, 692, 694 Ü ber das Wesen des christlichen Bekenntnisses. Ü ber die Voll­ kom m enheit. Ü ber die Jung­ fräulichkeit (G regor von N yssa) IV: 885, 971 Ü ber die Fragmente des A rchytas und der älteren Pythagoreer

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(O tto Friedrich G ruppe) IV: 172 Ü ber die Liebe (Plutarch) IV: 264 Ü ber die Psychogenese eines Falles von weiblicher H om osexualität (Sigmund Freud) IV: 388 Ü ber die Seele (Aristoteles) II: 296 U eber die Frage: was heißt auf­ klären? (Moses M endelssohn) III: 552, 978; IV: 946 U nder the Volcano [U nter dem Vulkan] (Malcom Lowry) I: 37; II: 906; IV: 963 L'Univers imaginaire de Mallarmé (Jean-Pierre Richard) I: 559 U nter Aufsicht [H aute surveil­ lance] (Jean Genet) II: 147 U nterredungen (Epiktet) IV: 506, 510, 674 U nzeitgem äße Betrachtungen (Friedrich Nietzsche) II: 188 La Veille (Roger Laporte) I: 3573 ^ 5, 534 Le Visage nuptial [Das bräutliche A ntlitz] (René C har) IV: 267 Visionen der D äm m erung (O skar Panizza) IV: 150 Vitae parallelae [Die Leben und Taten berühm ter G riechen und Römer] (Plutarch) IV: 672 Vocation suspendu [Die aufgeho­ bene Berufung] (Pierre Klossowski) I: 442, 444, 447 Vom G ottesstaat (Augustinus) IV: 214 f. Vom Wesen der Liebe: Zugleich ein Beitrag zur Lösung der Frage der Bisexualität (Magnus Hirschfeld) IV: 351 Von der Ruhe des G emütes und andere philosophische Schriften (Plutarch) IV: 881

io68

Voyage à N aucratis (Jacques Almira) II: 903 Le Voyeur [D er Augenzeuge] (Alain Robbe-G rillet) I: 376, 45 S» 4 7 6> 483 f-> 4 9°> 55 2> 652;

IV: 735 f., 746 La Vue (Raym ond Roussel) IV: 73 5 f., 740, 745 f. D er W anderer (Friedrich H ölder­ lin) I: 264, 332 W arten auf G odot (Samuel Beckett) IV: 746, 801

W erkregister

Was ist Aufklärung?, Beantw or­ tung der Frage (Immanuel Kant) I: 87; III: 365, 978 D er Wille zur M acht (Friedrich N ietzsche) I: 708, 723; II: 684; IV: 1023, 1027 D er Z irkulationsprozeß des Kapitals (Karl Marx) IV: 228 Z ur Sozialpsychologie des Kapitalismus (Peter Brückner) III: 906

1069

Sachregister A priori I: 197, 217, 219, 379, 623; IV: 778 Abbild I: 275, 420, 626, 635 f.; II: 98 f.; IV: 340

siehe auch: Vorstellung>Reprä­ sentation Absolutismus I: 231; II: 539, 579, 896; III: 323 f., 422 Abweichung I: 258, 276, 279, 326, 383, 434, 437, 490, 540, 573» 633, 637> 663, 773, 798 h, 801, 803, 805-807, 809, 811, 958, 1020, 1067h; II: 135, 172, 251, 274, 313, 402, 477, 495, 573, 744, 842, 846, 902, 908, 1025; III: 48, 66, 156, 185, 281, 476, 499, 526, 539, 559, 584, 620, 847; IV: 242, 452, 471, 556, 695, 726, 756, 869, 937, 951 Ästhetik I: 453, 508, 591, 707, 858; II: 209, 335, 501, 521, 619, 875, 923, 990; III: 86; IV: 126 h, 131, 265-267, 503, 602, 774

siehe auch: Existenz: Ästhetik der Existenz Äußerlichkeit I: 760, 823, 870, 996, 1008; II: i n , 172, 325, 351, 365; III: 102; IV: 915 Aktualität I: 122, 142, 167 h, 185, 383, 448, 559, 609, 992; II: 313, 319-322, 358, 360, 368, 541, 692, 723, 736, 995; III: 90, 133, 1010; IV: 101, 142, 568, 634, 689, 694 h, 703, 719, 838-841, 846-848, 906, 9 2 5> 945 Algerien I: 29, 31, 34, 43, 57, 315, 746; II: 92, 290, 441, 531, 546, 550, 658, 664, 863, 988; IV: 73,

88f., 97h, 161, 163 h, 321, 410,

549) 606 Allegorie, allegorisch I: 417, 475, 490, 495 h, 498, 500, 503, 623, 816; III: 518, 980, 983, 999; IV: 569, 571 f., 588 A lter II: 404; III: 22, 184, 911; IV: 131, 302, 437, 823, 937 A merika I: 27, 37, 4 4 h , 49, 51, 53, 5 5,5 8, 63, 68, 73, 78 f., 84,94,96, 207, 213h, 317, 668, 748 h, 1060; II: 158, 227-230, 232, 280, 282,

33rf., 341 f., 344,495,514,521» 620, 622 h, 635, 658-661, 671, 725, 755, 806, 810, 841, 844, 846, 849, 870, 901, 906, 917, 919 h, 926, 931 £, 965, 1002, 1020; III: 122, 574, 624, 683, 837, 842, 853, 859, 863 h, 869, 876, 882, 884886, 895, 897, 934, 942, 950, 981; IV: 19, 61, 206, 209, 305, 311, 345) 531) 54 2) 631,643, 7 *5)9 4 1 Analytische Philosophie, siehe: Philosophie: Analytische Philo­ sophie Anarchie I: 978; III: 622; IV: 242 Anonymität I: 692, 763-765, 768, 1011,1016 f., 1030, 1040; IV: 131, 389, 908 A norm alität, siehe: N ormale: A norm alität Anstalt, siehe: Asyl: A nstalt A nthropologie I: 1 0 7 -m , 134, 145, 157, 162, 166, 172, 174, 194, 328, 339 , 391 f-> 394 , 571 , 574 , 583 f-, 589, 7 ! 3 > 779 ; H: 268; III: 127, 191, 591, 728, 780; IV: 34 ) 7 2) 7 ° 9 ) 901

1070

Antike I: 60, 84, 131, 138, 641, ^43> 705, 784 î II: 269, 271, 648, 750, 1008; III: 92, 21 j, 365, 477, 510, 633, 652, 664, 679, 69 1, 701710, 796, 876; IV: 143, 157, 171, 176, 196, 264, 324, 337, 347, 368,

393. 463. 479. 486, 488 f., 493. 534, 562, 582, 591, 662, 665-667, 669, 674-677, 68 s f., 716, 749, 75 5, 764. 7^6, 772, 804 f., 809, 813, 824, 826 k, 829 h, 839, 861 f., 864, 866, 870, 872, 876, 880,904906, 920, 939, 972, 976, 1000 Antipsychiatrie, siehe: Psychiatrie: Antipsychiatrie Aphrodisia, siehe: Sex: Aphrodisia Apokalypse II: 31, 178, 1023; III: 65, 369, 468 Archäologie I: 114, 225, 641, 645647, 650, 701, 714, 739, 753, 755, 763, 768, 771, 776, 846, 863, 869, 887h, 929, 980h, 989, 999-1001, 1055, 1071; II: 12, 14, 67, 73, 129h, 133, 191-193, 197h, 202, 222, 234, 253, 270, 292, 295, 504, 506, 648, 789-792; Uh 38-42, 5°. 53. ” 7. 221, 307, 308, 394, 515, 521, 522, 539; IV: 53, 71, 89h,

239. 475. 53°. 537. 548, 554f., 647. 667, 702, 707, 734 Architektur I: 103, 209, 293, 295, 311, 329, 539, 654 h, 794 h, 861, 9 10. 9*2» 974. 995. 1009. *071; II: 95. 363. 366, 547. 735. 75° f-, 843, 899, 1010; III: 32, 47, 250, 252-255, 521, 656, 725, 847, 921; IV: 31, 266, 324 h, 328 f. 331, 333-

335. 337 f-> 34°f-. 421, 522 Archiv I: 232, 234, 404, 562, 646, 756, 762 f., 869, 877, 902, 934, 981, 1000, 1070; II: 130, 222, 341, 584, 808, 887h, 914; III: 309,319,

Sachregister

322, 443, 599, 846; IV: 289, 422,

939 Askese, Asketismus I: 107, 749; II: 168, 170, 185 f., 321, 664; III: 217, 703, 711 f., 745; IV: 64, 202, 347, 356h, 367, 425, 431, 478, 481-483, 491, 496-498, 504, 664, 685, 762 {., 769 f., 774-776, 828, 876, 967, 971, 985 Asyl I: 367; II: 258, 266, 402, 755, 832, 834-836, 862; III: 468, 470-

472,476,502f.,572,640f.,1001; IV: 35, 48 - Anstalt, Internierungsanstalt I: 24, 62, 79, 85, 646, 970; II: 160, 162, 164, 219, 237, 257, 283-285, 289, 291, 350, 371, 382, 394, 397, 400, 514, 535, 573, 593, 648h, 651. 734 f-. 752- 757. 760f., 764, 817, 830, 833-835, 837-841, 900; III: 478, 489, 508-510, 520, 526, 534, 581, 591, 596, 617, 627, 630, 646, 723, 737, 794, 841, 1002, 1009; IV: 48, 109, 210, 937, 1019 - Hospital, Spital I: 91, 685, 878; II: 257, 396, 439, 829f., 832, 834, 843. 858 h, 898, 914, 916, 967, 998-1001, io n ; III: 29, 36, 255, 685,918, 925; IV: 35,445, 833,

874 - Irrenhaus, Irrenanstalt I: 75; II: 537. 7^4. $>21. 998; III: 77-83, 121 {., 217, 300, 348, 357-361, 434 f., 439; IV: 819, 826, 969 - Krankenhaus, Klinik I: 16, 22, 57.69. 87.92,94. *°3 f-> 200,210, 236. 535. 720, 881, 920, 1070; II: 14, 129, 160, 164, 191, 214, 225, 241, 245 h, 293, 398, 457, 510, 521, 540, 556, 564 567, 609,

734. 754. 757. 7^1, 773. 816, 830832, 835, 838, 841, 902,928,955,

Sachregister

967, 997, 1000, i o n f., 1018, 1022; III: 36f., 61, 68,74, 81 , 117, 145, 150, 187, 205, 211, 250, 253, 263, 432-434, 436, 439, 444, 450,

454-456» 5° 5» 5o8> 5^8, 520, 535, 589, 596, 605, 612, 631 f., 644660, 670, 688, 714, 723, 736, 925 f.; IV: 53, 58, 82 f., 100, 102, 105, 284, 332, 338, 460, 465, 475,

644 f-. 743> 759» 779» 8 33» 859, 926, 961, 963 Aufklärung I: 72, 83, 175, 254, 704; II: 895, 898; III: 259, 514, 554- 55^» 978; IV: 21, 44-46, 91, 165 f., 272, 480, 497, 53of., 534, 544» 552» 687-695, 697-701, 703, 7° 5- 7° 7» 775» 837-841» 843, 845847» 854» 946-949 A ufstand I: 26; II: 175, 282, 376,

4 i 7>43°. 44°, 442- 444, 638, 972; III: 172, 217, 220, 224, 352 siehe auch: Revolte Aufteilung I: n o , 184, 641, 767, 974; II: 559, 713, 748, 813; III: 269, 664, 722, 724; IV: 105, 331

siehe auch: Teilung Aussage I: 239, 592, 671, 814h, 818-830, 899, 903-911, 923, 941, 990, 1025; II: 35, 101, 603, 780, 782; III: 44, 135, 321, 341, 395, 396, 734, 735; IV: 89, 208 Ausschluß, Ausschließung I: 66, 210, 213, 235 h, 285, 385, 754, 798, 807, 834, 960; II: 134-138, 146, I5O, 210, 223-232, 248, 2522 5 6 ,2 6 0 ,2 6 5 ,2 7 4 ,3 0 0 ,3 2 5 f., 360,362-365,395-402,419,474, 4 8 7,585,653-660,731,753,845, 9 I 5> 933» 999! HI: 36, 164, 240242, 286, 299, 300, 338, 509, 590, 595, 604, 6lO-632, 647, 648, 66l,

7° 3» 713» 715» 726, 925; IV: 101,

1071

130, 391, 443» 468, 753» 765, 809, IOOO, 1026 Außen I: 336, 413, 613 f., 670, 673, 675 h, 678-697, 731, 759 f.; II: 92, 502; III: 144, 726 Autor I: 51-53, 248 h, 259, 372,

449» 463» 477» 507, 552, 579, 758» 760 h, 843, 870, 897, 984, 10031041; II: 74h, 202, 529 - Tod des Autors I: 51, 843, 1009, 1019 Barock I: 436, 622; II: 136, 138; III: 300, 621, 845 Bedeutung I: 111-126, 130, 134, 140, 146, 148-174, 181-206, 264, 279» 293, 488, 498, 545, 567, 586, 628, 647, 672, 696, 713, 719, 736, 771, 810, 816, 861, 864, 873, 877, 940, 944, 947, 950, 995; II: 28, 122, 177, 292, 699, 982; III: 164; IV: 54, 62, 263, 268, 278, 589, 641, 669, 1025 Befreiung I: 78, 94, 98, 117, 149, 171, 231, 256, 290, 304, 361, 474, 533, 545» 566, 649; II: 112, 135, 210, 248, 432, 434, 469h, 518, 554 f-, 602, 669, 780, 794, 797, 933, 966, 1012, 1017; III: 138, 3 4 1 ,3 4 3 ,4 2 0 ,4 3 4 ,4 5 8 ,4 9 4 f., 556, 625, 630, 661, 664, 666,

689 f., 728 f., 745,773,848 f., 879, 896, 950, 952; IV: 66, 92, 198,

203 f., 222,274,329-331,362, 369,465,555» 569,573» 723,750, 8 i6 f., 830h, 876-879, 906, 909, 911, 914, 923, 948 Begehren I: 302, 305, 307 h, 310h,

3 r 3» 4 I 3>415 f-> 445 f-> 674, 679, 99 5, 998; II: 104, 116, 126, 143, 296, 391 f., 468-470, 482, 680, 686-688, 754, 768 h, 771 {., 785,

1072

Sachregister

788, 802, 804, 816, 921, 953, 956f., 966, 1013, 1020f., 1029; III: i n , 120, 177-179, 198, 368, 600, 666, 667, 700; IV: 201, 224 h, 241, 261, 294, 300, 304 f., 347, 378 f., 383, 390, 465, 470, 472 f., 475-477» 480, 483, 568-570, 651, 661, 750, 754, 756, 758, 760, 764, 809, 814, 824, 829, 877, 879, 888, 909, 914 Beichte I: 84, 89, 93, 368; III: 321, 337» 398, 415, 486, 494, 530, 665, 692, 710, 824, 844, 845; IV: 505, 967, 980, 983 f., 991 Bestrafung, siehe: Strafe: Bestra­ fung Bevölkerung I: 193, 878, 880, 958, 1068; II: 158, 343 f., 369, 373381, 396, 405, 417, 440, 479, 510, 537» 543- 546, 578, 609, 615, 633, 652, 658, 665, 737, 739, 752, 755, 804, 815, 885, 891, 918, 924, 943, 965; III: 20-37, 44, 65, 82, 92, 118, 202, 253, 256, 274-298, 376,

427, 498, 504» 577, 659, 796-820, 879» 900-905, 911, 919-926, 965, 990, 996, 998; IV: 74, 176, 183, 189, 195, 235-240, 273, 315, 328, 410, 443, 553» 7° 5» 748, 806, 1001, 1013 - Bevölkerungswachstum I: 789 f.

siehe auch: Demographie Bibel I: 219, 410, 418 h, 492, 741, 858,972; II: 867; III: 177, 707; IV: 168, 276, 982, 1025 Bibliothek I: 355 f-, 379, 403 f., 418; II: 151, 939 Bild I: 113-123, 132, 162-173, 253, 276, 540, 804, 110,

305, 344» 374, 402, 406, 435, 566, 568, 603-621, 678, 715, 812-830, 945, 977; II: 21, 861, 876-882, 1019; III: 190,

265, 373» 563, 659; 1V: !40, 216, 425, 512, 569, 601, 832 Biologie I: 202, 214h, 665, 697, 782, 839, 846, 850, 860, 862, 866, 913, 919 h, 926-928, 997, 1017, 1023, 1042, 1051, 1057, 1063, 1070; II: io f., 14, 35, 37-39, 41,

43, 45, 47- 49» 5 1» 53, 55, 57, 5963» 65, 67-71, 73, 75-79, 81, 83, I23, 126-128, I97, 200, 204, 269, 332,346,463,5 0 5 ,5 8 9 -5 9 2 ,6 0 4 , 651, 831 ; III: 126 f., 189, 208, 272, 308, 423, 527, 557, 559, 562h, 565 f., 602, 674; IV: 71, 83, 270, 631, 949» 955- 958, 968 Biomacht III: 302; IV: 241, 466 B io-Politik III: 126, 127, 275, 1020-1028; IV: 906 Blick I: 157, 163 f., 205, 257-261, 293, 304, 306, 308, 331, 353, 373, 380, 383, 405, 467, 481 f., 495, 536, 552, 558, 606-621, 674, 779; II: 30,115 f., 1 7 9 ,182h, 362,493, 695 k, 702, 72 3> 735» 776, 852, 879» 945» 954i BI: 38, 48, 154, 199, 250, 257, 259-271, 302, 317, 332; IV: 73, 297, 422, 427, 520,

935 Bourgeoisie I: 42, 731, 739 f., 850, 878; II: 86, 142, 146h, 196, 225, 229, 235, 274, 384, 388, 417-419, 427, 431, 433, 436,439-441,443448, 451 f., 459, 498, 542-544, 548, 550, 661, 663-665, 798 h, 803, 887, 890, 894, 897, 901, 912, 917k, 920k, 923, 938, 965,1010; III: 98, 105, 134, 239, 240, 241, 242, 261, 266, 267, 283, 295,402, 487, 491, 895, 981, 1006; IV: 39, 77, 117, 141, 227, 445, 612, 788 Bruch I: 146, 161, 224, 263, 266, 279k, 326k, 329, 334, 386, 475,

1073

Sachregister

487, 506, 534, 540, 598, 665, 705, 739, 753- 756, 772, 829, 845, 887, 889f., 907, 929, 983, 1015, 1056; II: 29, 54 f., 59, 67, 71, 76, 120 f., 134, 249, 276, 323, 402, 416 f., 421,444, 455, 530,535,582, 676, 678-682, 765, 813, 846 h, 865, 923, 958, 1003-1005, 1013, 1025, 1028; III: 89, 360, 424, 463, 511, 527h, 531, 549, 554, 559, 566, 573, 587> 613, 625, 684, 758, 809, 979, 986 f.; IV: 29h, 38, 63, 85, 124, 160-164, I7 I> *48, 256, 326, 486, 496, 528, 543 h, 582, 600, 624,686,695, 746, 766, 774, 801803, 847, 859, 939, 952, 958, 964,

993, 999, >003 Buddhismus I: 85; II: 175; III: 530, 665, 744, 776, 778-780; IV: 211 China I: 15, 43, 59, 69, 71, 86; II: 156, 426, 431, 435, 437, 449, 452, 638-644, 789, 879f., 988, 1002, 1009; III: 93-96, 151, 212,

Code I: 544-546, 580, 587, 595f., 599, 623, 665, 719 h, 774, 865, 869, 872, 906, 928; II: 10, 30,

124h, 133,195,205,232,249, 561, 652, 726; III: 70, 132, 329, 331, 565; IV: 33, 38, 132, 201, 213 Dekonstruktion IV: 733 Delinquenz II: 376 f., 386, 423,

479, 494, 571- 573, 583-585, 812, 828, 846-849, 891-893, 901, 916, 918-922, 924, 990; III: 87, 88, 94, 102, 124,125, 217, 241, 306, 338, 348, 349, 381; IV: 101,458, 639k, 713 k, 729-731, 780-782, 788, 825, 855, 904

siehe auch: Straffälligkeit Demographie 1:909, 1056, 1058 k, II: 343, 370, 539, 739, 754, 761; III: 25, 42, 204, 256, 427k, 576, 790k, 8x7, 1027; IV: 235-237, 802, 933

siehe auch: Bevölkerung: Bevölkerungswachstum

334, 345, 458, 488, 513 h, 679, 762, 778f., 878, 934, 952, 981, 1001; IV: 48 Christentum I: 84, 94, 413, 415, 434,449,674; II: 175; III: 42,137, 215, 287, 301, 321, 337,481, 530, 666, 691, 692, 703-705, 708-712, 738, 739, 779, 870, 888, 901,986; IV: 134, 155, 171, 177-180, 182, 211-214, 216, 261 f., 277, 344, 346 f-, 368, 371, 383, 463, 479f., 483, 486, 488, 491, 494 h, 505, 618, 666-670, 675, 677, 685 f., 700,749,763 f., 766 f., 769 f., 773, 779, 804, 809, 814, 825, 828, 830, 859, 862-864, 866, 872, 880, 886,

Demokratie II: 479, 616, 618, 707, 864, 890; III: 242, 244, 851, 867, 906, 1025; IV: 114, 412, 473, 610, 615, 636, 658, 719, 757, 930 Despotismus II: 231, 560, 896; III: 322, 556, 690, 718; IV: 209, 640, 693, 948 k Deutschland I: 77, 81,96,275,704, 709, 726, 831; II: 87, 175, 208, 223, 270, 292, 369, 801, 812, 873, 959, 963, 1000,1028; III: 82,177, 276-282, 292, 368, 441, 448, 468,

904f-, 96 7, 985, 98 9 f-, 992, 994, 99 8

1003, 1026 k; IV: 49, 91, 97, 126, 150, 185,192,196, 235, 242, 266,

470, 472 f-, 475 f-, 488, 502, 509, 5I2> 534, 536k, 554, 589, 611, 630, 641, 672, 732, 765, 798, 826,

875- 877, 904, 9 J3>964, 966, 997,

Sachregister

1074

305, 315 f 328, 523, 528, 531, 537> 54 59^ 619, 735, 841, 947, 1007, 1012, 1024 f. Dialektik I: 117, 143 f., 150, 186, 203-206, 211, 225-227, 252, 302,

328,330 f., 339-341,363,437 f.,

452, 699. 736f-, 777, 7%*, 9 D,

920, 926, 979, 1046 f.; II: 80, m f . , 401, 508, 933, 1005, 1017; III: 193, 548 f., 602 f., 725; IV: 26, 4 6, 240, 351, 532, 915, 974 Diskontinuität I: 43, 45, 161, 266,

459. 559. 55, 6 5*f-> 7 i 9> 752> 815, 818, 859, 864, 866, 868, 871, 887 k, 890-893, 900, 904, 907, 914, 982-984; II: 46, 63 k, 71,

79 f-> 344, 347, 39*. 985; HI: 43, 189-191, 222, 557-559, 80} f.; IV: 29, 32> 6 l, 7°, 85, 554, 695, 798, 950-952 Diskriminierung I: 212 k; II: 371, 436; III: 727; IV: 366, 369, 403,

578 Diskurs I: 40-42, 57, 63,71, 73, 79, 122, 126,147, 228, 243, 271, 275, 279 k, 284, 286, 293, 314, 320k, 328k, 338, 342, 350, 352, 360, 380, 399, 411, 417, 419, 422, 437, 450, 469, J 5 4 ,566, 571,588, 591, 597k, 602, 639, 648-659, 665, 671, 675, 679, 690, 704, 711, 728, 751- 77°, 775, 7 82, 794, 8° 4, 816, 824, 83O, 843, 86O, 87O-89O, 897, 908, 919-931, 942, 965, 982, 985, 992"998, 1014, 1020, 1024, 1030, 1065, 1070, 1073; II: 10, 15, 20, 26, 35, 62, 71, 81, 92, 98, 100, 131, 194, 204, 222, 253, 302, 315, 325> 349-351, 380, 492, 505, 514, 529, 642, 649, 671, 696, 804, 818, 826, 847,

386, 559, 778, 887,

399, 573, 791, 908,

461, 589, 801, 925,

1006, 1014k; III: 15, 30, 38, 4451, 70, 104, 113, 129, 147, 156, 164, 170, 178, 188, 196, 207, 220, 226, 232, 247, 254, 300, 321, 330, 338, 364 >384, 416, 436, 457, 465, 478, 482, 493, 519, 52g, 544, 594, 622, 663, 692, 700, 713, 734, 754, 769, 786, 919; IV: 42, 58, 60, 74, 86, 94, 101, 227, 239, 267, 325,

342> 349, 377, 392>4° i , 543, 664 , 676, 738, 79°, 826, 859, 863, 903,

964, 974, 1020, IO25-IO27 - diskursive Formation I: 862, 866, 916-918 - Diskursordnung, Ordnung der Diskurse I: 1020; III: 140 Dispositiv II: 887, 939, 1030; III: 26, 102, 177, 265, 271, 304-

3° 7> 3^5> 33°> 337> 39^ 39^ 4°i> 403,411,420, 541-543, 595, 7*7» 724, 746, 915, 965; IV: 20, 22 f., 36, 290, 441, 443, 445, 812-814 - Dispositive der Macht I: 81; III: 304, 541 Disziplin II: 449, 526f., 536, 538, 584f., 648, 650h, 761, 815, 825, 835, 862, 883, 890, 902, 935, 937, 961, 1027; III: 86, 91-93, 97, 183, 189, 196, 202, 204, 231, 246, 247, 248, 249, 256, 263, 264, 267, 397, 417, 425, 427, 486, 507, 510, 511, 551, 589, 652-655, 659, 666, 67^, 673> 694, 716, 732, 736, 739, 745, 776, 819, 820, 822, 838, 904; IV: 21, 37, 112, 210, 229h, 233 h, 236h, 239-242, 260, 284, 332, 337~339>47 i> 66o>667, 691, 69 $> 705, 708, 723, 788, 791, 815, 829, 85 7> 9° 3> 9° 5>943> 95°> 1008 siebe auch: Gesellschaft: Disziplinargesellschaft Disziplinen I: 666, 707, 766, 875,

Sachregister

1075

882, 889, 918, 933, 988, 1028, 1050, 1058 h, 1061, 1064, 1067; II: 9, 206, 345, 464, 600, 829, 862, 910, 937; III: 47; IV: 209, 802, 869 Dokument I: 78, 232, 402 h, 417, 488, 562, 704, 880, 902; II: 76, 133, 160, 166, 219, 223, 240, 250, 257f., 265, 341 f., 344, 346, 490, 499,530, 639, 786, 809, 887,943; III: 11, 13, 51, 83, 90, 96, 134, 152f., 157f., 161,163, 214, 3 io f., 317, 319, 322, 327, 355, 372, 442 f., 482, 506, 536, 846, 9 j 6, 1008; IV: 9, 15, 57, 146, 262, 5 58 f., 567, 574, 598, 604, 663, 668, 828 Droge I: 73, 287, 370, 773-775! II: 117, 163, 212, 273, 277, 281, 284, 286, 478, 480 f., 664, 666, 845, 848, 885 f., 901; III: 622f.; IV: 238, 409, 460, 652, 743, 913 Dualität, Dualismus I: 52, 402, 434, 671, 829; III: 173, 201, 348, 410, 783, 790; IV: 244

Empirismus, siehe: Philosophie: Empirismus Endlichkeit I: 280, 323, 328, 330, 338f-, 341, 575, 583, 993; II: i i i ; IV: 886 England 1:52, 254,668 f., 704,708, 808, 969, 973; II: 84, 159 f., 208, 229, 254, 259, 266, 342, 369, 442,

Einsperrung, Einschließung I: 236, 304, 541, 545, 645, 806, 969, 972; II: 134, 164, 223, 248, 256, 266, 350, 367-381, 388, 395, 40of., 442, 448, 489, 569, 577, 579» 745» 883, 999, 1027; III: 49, 81, 85, 86, 189, 192, 236, 322,

Epistemologie I: 52, 981, 995; II: 35, 75, 672, 831, 855, 968; III: 38, 103, 561, 654; IV: 66, 68,

3^3, 338» 357» 393» 405» 434» 44*. 454» 477» 520, 529» 538, 541» 586, 627,733; IV: 1 1 ,14,18,27,30,33,

45» 57» 69, 73» 75» 445» 547» 55^561, 713, 833, 854 Einzigartigkeit I: 326, 765; II: 166, 180, 329; III: 343, 952; IV: 184, 271, 682, 708, 802, 839

siehe auch: Singularität

548, 579» 720, 729» 736- 739» 742, 746f.» 754, 756, 758, 760, 873, 916, 1011, 1028; III: 20, 57, 64, 135f-, >68, 171h, 175, 255, 258, 276-278, 293-297, 488, 571, 612, 6l7, 627, 63O, 636, 645, 848, 1020, 1025; IV: 19, 27, 113 f-, 235, 376, 448, 558, 1018 Entzifferung I: 216, 539, 908; III: 759, 760; IV: 45, 432, 491, 500, 764, 988, 996 Epikureismus, siehe: Philosophie: Epikureismus Episteme I: 44, 639, 641, 862 h, 866, 887; II: 207, 209 h, 256, 264h, 269, 463-465, 516; III: 38, 394 f-> 407» 4M» 654» 723! IV: 83, 89, 333» 391» 712

85» 783» 953 siehe auch: Erkenntnistheorie Ereignis I: 30, 61, 83, 87 f., 118, 181, 185, 204, 218, 231, 239, 244, 276, 280f., 292, 295, 323, 340, 344» 352, 376 f-, 386, 388, 467, 4 8 8 ,5 0 1 ,536,5 5 5 ,5 6 2 ,5 7 1 , 652, 654, 672, 751 f., 762, 766, 777, 859, 861, 868 f., 878, 888-890, 893f.» 8 9 7 !, 900-905, 921, 924,

93 i> 967» 976, 978, 981 f-, 1001, 1009, 1019, 1031, 1041, 1047h, 1058, 1074; II: 9, 13h, 23 h, 96,

1076

100-107, 109, 114, n 6 f ., 119, 166, 171 f., 174, 178, i8of., 195, 222, 226, 241, 248 f., 264, 276, 290f., 297h, 316f., 330, 337,

341- 347» 350- 353» 362, 3 ^ , 487» 5°7> 532» 551» 580,594, 602, 625, 637, 644, 646, 684, 735 f., 750, 778 f., 8o8, 817, 831, 852, 854857, 863, 877-881, 928, 959; III: 15, 42 f., 64, 105-107, 109f., 114, 130-132, 154 f-, 157, 177, 191 f., 195, 216, 250, 286, 310,

3 19 > 32 938» 949» 983» 985 h, 1010, 1012f.; IV: 15, 27, 29 ~32, 34» 37 f-» 46,56, 73, 75» 79, 87f., 95, 98,100, 124, 138 f., 220, z6 3 >293> 300f., 3 I 4 - 3 I 7» 321» 416, 418, 43if ., 460, 470, 516E,

5 3 4 5 5 1 , 5^3, 567- 574, 576,

Sachregister

567, 695, 715; II: 177, 186, 945 f-, 983; IV: 432, 434, 437, 490, 520, 984-986, 993

siehe auch: Gedächtnis Erkenntnis I: 108, 128, 134, 173,

175-178, 202-206, 2l8, 225, 229, 583» 590, 595» 622, 638, 641-643, 649, 665, 697, 701, 729, 733, 742, 772, 778-784, 834, 846, 849, 862, 874, 889, 903, 917, 921, 929, 941, 946, 959, 1001, 1055, 1065, 1071, 1073; II: 39- 43» 49» 85, 113» 131» 167,170,186,189, 204, 274, 294302, 349, 361, 378, 461-466, 486, 588,597,607,671,677,679,682688, 706, 829, 981, 1005; III: 39,

41,181,218,329,5x6,554; IV: 21, 34, 68, 82, 185, 209, 258, 437» 497» 545, 683, 700-715, 730, 758, 780, 808, 825, 863, 965 - Erkenntnissubjekt II: 191, 294296, 670, 675, 686, 723, 775, 843, 854, 857; IV: 474, 709, 710, 759,

775 - Erkenntnistheorie I: 126; II: 199, 312, 590, 605, 672; III: 544, 720; IV: 159, 1016

580, 583-585, 588, 596, 599-601, 606, 613, 645 f., 687, 689, 698700, 702, 706, 710f., 729, 754, siehe auch: Epistemologie 764, 771, 801, 839-843, 845-847, Erotik, Erotismus I: 262, 303, 314, 859, 882, 958, 985 f., 992, 1001, 323 f-> 330, 52 5> 786f.; II: 468, 1026 471, 789, 801, 947, 997, 1023; Erfahrung I: 29,110,126,135,149, . III: 136, 493, 635, 702, 783; IV: 481, 749, 763 f., 865 165,177,189,215-219,235,272, Erziehung I: 176, 213, 398, 527; 2 75>293> 322» 384» 45°, 466,479, II: 401, 417, 421, 437, 566, 664, 513, 518, 529, 546, 673, 717, 805, 848, 897, 920; II: 40 f., 70, 133, 734, 772>9 2I>972 i ° ° 2! 136, 139, 209, 253, 354, 607, 649, III: 21, 25, 101, 120, 137, 150, 199f., 211, 242, 340, 385, 425, 678; III: 221, 478, 552, 554, 937; IV: 52, 259, 265 f., 302, 470, 704, 458, 468, 742, 797, 803 f., 911, 1018; IV: 112, 116, 189, 422, 426, 731, 754, 871,932, 943-959 Erinnerung, Erinnern I: 168, 180, 428, 430, 45i>456»495»559»679, 714, 965, 975 h, 981, 1008 239> 245> 288, 325, 409,442, 504,

Sachregister

E t h ik I: 8 4 , 9 9 , 1 6 6 , 1 7 3 , 2 1 5 , 3 2 6 , 5 9 1 , 7 1 6 ; II: 2 9 6 , 4 4 4 , 4 7 1 f.; III: 2 9 , 1 7 6 , 1 7 8 , 3 j o f . , 5 1 3 , 7 5 0 , 7 6 3 - 7 6 3 , 9 1 8 , 9 8 4 ; IV: 2 0 3 , 2 1 3 , 2 6 2 , 2 9 7 , 3 6 7 , 3 7 8 , 4 6 0 -4 9 7 , 501, 5 05 , 5 0 8 ,5 7 0 ,5 7 4 , 5 9 4 , 6 1 6 , 6 1 8 , 6 5 5 f ., 6 8 3 , 7 0 5 , 7 1 5 , 7 1 7 - 7 2 1 , 7 2 3 , 7 3 0 f ., 7 4 7 -7 7 5 » 8 1 4 , 8 3 0 8 3 2 , 8 3 4 , 8 7 5 - 9 0 1 , 9 0 4 f ., 9 1 4 , 965, 986 E t h n o l o g i e I: 6 8 , 7 0 5 , 7 1 5 , 7 1 8 , 7 4 5 » 7 4 8 » 751 U 7 5 5 »

7 6 6 f ., 7 7 6 , 8 4 8 , 8 9 2 ,1 0 5 5 , 1 0 6 3 ; II: 1 5 7 , 2 0 5 , 3 3 2 , 3 3 4 , 4 6 7 , 4 9 0 , 6 4 8 ; III: 1 9 2 , 2 74 , 544, 551, 6 09 , 6 11 , 6 35 , 728; IV: 2 2 5 h , 8 0 6 , 9 4 3 , 1 0 1 5 E t h o s IV: 5 0 6 , 6 4 2 E u r o p a I: 2 6 , 5 5 , 7 4 , 7 7 , 9 1 , 2 1 4 , 267, 298, 317, 415, 645, 746, 773, 795, 840, 877, 884, 1022, 1066; II: 1 3 6 h , 1 4 2 , 1 4 5 , 1 4 8 , 1 5 5 , 1 5 9 , 1 6 1 , 185 h , 1 94 , 2 05 h , 2 3 1 , 3 3 1 , 336, 343- 345» 429» 4 4 1 » 4 7 7 » 538,

5 4 2 , 5 4 6 , 5 7 2 , 5 7 9 , 6 5 8 f ., 6 6 2 , 6 7 0 , 7 1 4 , 7 1 7 , 7 2 1 -7 2 3 , 7 2 9 , 7 3 2 , 782, 790, 847, 849, 908, 912, 934, 9 ? 9 , 9 6 4 - 9 6 6 , 9 8 9 , 1 0 1 6 f.; III: 2 9 , 4 2 h , 58, 7 6 , 8 6 , 8 9 , 9 7 ,1 0 5 , 1 08 , 1 7 6 h , 246, 258, 278 h , 283, 293, 300, 345, 356, 417, 426, 435, 437, 4 7 0 f ., 4 7 6 - 4 7 8 , 4 8 0 , 4 8 3 , 4 9 7 , 5 1 8 , 5 2 0 , 5 2 6 ,5 4 5 , 5 7 4 ,5 8 5 , 6 0 4 , 6 1 2 -6 1 4 , 6 1 6 , 6 1 8 -6 2 0 , 6 2 2 , 6 2 4 , 6 2 6 -6 3 0 , 6 4 5 , 6 4 7 , 6 5 0 -6 5 2 , 6 6 0 , 6 6 4 f ., 6 6 8 , 6 7 5 , 6 7 7 , 6 8 0 , 6 9 2 , 726, 728, 731, 754, 762, 772, 780782, 807, 853, 855, 868, 876, 918, 9 4 1 , 1 0 1 1 , 1 0 2 5 ; IV: 4 6 f ., 55 f-, 7 8, 9 8, 100, 112, 124, 1 2 7 E , 182, 2 2 6 f ., 2 3 1 , 2 3 8 , 2 5 7 , 3 1 5 - 3 1 9 , 321, 328, 3 3 5 h , 344, 382, 4 0 7 h , 4 J3> 4 ! 6

f.» 4 1 9 » 4 5 0 , 5 2 2 > 5 3 1 »

io 77

607, 647, 658, 677, 689, 813, 836, 907, 1012, 1019 E v o l u t i o n s t h e o r i e I: 1 0 2 3 ; II: 5 4 , 71, 196, 203, 271, 463, 606; IV: 1 0 1 6 E x i s t e n z I: 8 9 , 1 0 8 - m , 1 1 7 , 1 2 5 , 1 29 , 1 3 8 -1 7 4 , 1 8 6 , 1 9 4 -1 9 6 , 2 1 6 , 2 1 9 , 2 4 3 , 2 5 1 -2 5 3 , 2 5 8 , 2 6 7 , 2 7 5 , 2 8 8 , 3 2 2 h , 3 2 6 , 3 5 0 , 4 1 4 , 4 2 1 f ., 4 3 5 » 4 4 3 » 4 5 6 - 4 5 9 » 469 »

5 6 1 -5 6 5 , 595» 597» 6 0 0 , 6 0 2 , 6 6 4 , 6 6 6 , 6 6 9 , 676, 680, 696, 700, 747, 779, 834, 995» 9 9 8 , 1 0 1 0 , 1 0 1 5 , 1 029; II: 2 0 0 - 2 0 2 , 3 7 4 , 5 2 8 h , 5 5 0 , 6 7 5 , 6 7 9 h , 7 6 0 , 7 8 5 , 8 6 1 , 9 9 4 ; III: 3 1 , 46, 66, 273, 308, 3 1 6 h , 330, 337, 343, 360, 447, 682, 691, 694, 756, 9 1 !» 9 3 3 ! IV: 4 2 , 2 8 9 , 4 2 7 , 4 3 2 , 4 6 3 f-, 4 7 1 f-, 4 7 7 , 4 8 0 , 4 8 6 , 4 9 0 , 4 9 6 , 5 6 4 ,5 8 5 , 5 9 3 , 6 4 6 , 6 6 6 , 6 9 1 , 698, 712, 725, 749, 753, 767, 7 6 9 f-, 7 74 » 7 9 3 » 7 9 8 , 8 0 0 , 8 2 7 , 86O , 9 I 4 - Ä sthetik der Existenz IV: 464, 4 7 1 f-> 4 7 7 »4 9 ° f-, 496» 594 , 666 f., 75 °, 757 , 769, 77 ° - E x is t e n t ia la n a ly s e IV: 7 2 f. - E x i s t e n z t e c h n i k IV: 5 6 2 E x i s t e n z p h i l o s o p h i e , s ie h e : P h i l o ­ s o p h ie : E x i s t e n z p h i l o s o p h i e E x p e r im e n t I: 8 2 , 1 0 3 , 1 0 7 0 f., 1 0 7 3 ; II: 2 8 0 , 2 8 5 - 2 8 8 , 4 8 8 , 5 1 9 5 2 1 , 8 4 1 , i o n ; III: 3 4 , 7 9 f ., 8 2 , 4 2 6 , 5 5 9 , 8 8 1 , 9 2 3 ; IV: 2 5 1 , 4 1 6 h , 447, 501, 844, 952

F a lt e I: 2 2 7 , 2 9 1 , 3 0 4 , 3 8 2 , 3 8 5 , 4 1 5 , 535» 543, 547,

55°, 566, 634, 6 3 6 , 6 9 4 , 7 3 1 , 7 6 4 ; II: 1 0 2 1 ; III: 17; IV: 3 0 2 , 8 1 9 F a m il ie I: 1 5 f ., 2 2 , 1 0 4 , 1 5 6 , 2 8 2 ,

412,454 h, 603,879,914,1006;

Sachregister

1078

II: 4 7 , 6 5 f ., 7 2 , 7 5 , 1 3 5 f ., 1 3 9 , 1 4 5 , 1 5 8 - 1 6 0 , 1 8 4 , 2 2 0 , 2 3 5 f., 253, 262, 273, 339, 372, 418, 422, 4 7 3 » 4 8 5 » 4 9 0 » 4 9 5 » 5 2Ö> 6 1 7 ,

619, 6 6 0 , 6 6 5 , 6 8 7 , 7 0 3 , 7 0 9 , 7 4 3 f ., 757 » 7 6 8 - 7 7 2 , 7 8 9 , 8 0 0 , 8 1 5 , 8 3 0 , 834, 840, 858, 861, 894, 9 34, 936, 962, 964, 9 66, 984, 989, 1014, 1 0 2 7 , 1 0 2 9 h ; III: 1 9 , 2 6 - 2 9 , 3 3 , 3 5 » 3 7 » 4 9 » 56 »

6 4 , 8 1 , 89> IQ I» 153, 157, 2 01 , 241, 265, 269, 285, 3 0 3 f.» 3 1 1 , 3 2 0 , 3 2 2 - 3 2 5 , 3 3 6 , 354, 356»400, 411, 427, 436, 444, 4 6 5 , 4 6 7 , 4 8 3 , 4 8 5 , 5 06 , 5 I 2 f ., 5 2 4 , 5 2 6 , 5 4 4 , 5 4 6 , 5 7 3 ,5 8 1 , 6 0 4 ,

6l2, 615-620, 623, 625-628, 654, 6 7 2 f.» 7 1 1 , 7 1 4 , 7 1 6 , 7 5 1 , 7 9 0 , 8 0 1 - 8 0 4 , 8 o 7> 8 1 4 - 8 1 6 , 8 1 8 f ., 8 4 1 , 8 5 5 , 9 0 2 , 9 1 6 -9 1 9 , 9 2 2 , 9 2 4 , 9 2 6 , 1 0 2 7 ; IV: 5 9 , 1 0 6 , 1 2 8 , 1 8 4 ,

201,243,279,286,290 f., 341 f., 344,346,370,421 f- 440,443, 4 4 5 » 4 5 9 *•>

5 1 6 , 56 o > 5 6 5 , 58 o > 5 8 4 f ., 5 9 0 f ., 6 2 9 ,6 7 8 f ., 7 9 6 , 8 0 4 , 8 18 , 8 7 8 , 9 2 2 , 9 3 0 , 9 3 6 -9 3 8 , 9 4 0 f. F a s c h is m u s I: 3 1 , 1 0 3 , 7 4 6 ; II: 3 9 1 f ., 6 2 0 , 8 0 1 , 8 0 3 , 8 0 5 , 9 42 h , 9 60 , 1001, 1016, 1022; III: 1 7 7 - 1 8 0 , 2 3 8 , 3 4 7 , 5 0 1 , 5 1 7 f-, 5 4 2 f ., 5 4 6 , 6 7 6 f ., 6 8 8 , 7 6 6 , 7 8 6 ; IV: 2 7 1 , 9 3 0 F e m in is m u s I: 7 3 , 7 9 ; III: 6 7 2 ; IV: 3 8 7 F F e u d a li s m u s II: 1 3 5 , 7 1 5 , 7 2 1 ; III: 6 3 4 , 7 3 1 ; IV: 1 8 2 , 1 9 2 F i k t i o n I: 2 4 9 , 2 5 9 , 3 7 4 , 3 7 7 , 3 7 9 382, 384, 389, 403, 409, 418, 453, 6 5 4 -6 5 6 , 6 5 9 , 6 6 1 -6 6 3 , 6 7 0 > 6 7 3 , 6 7 6 -6 7 9 , 7 5 8 , 8 9 4 , 9 2 0 , 1 0 1 5 , 1 0 1 7 , 1 0 2 0 , 1 0 2 9 f.; II: 3 2 8 f., 3 5 3 f-, 4 9 4 , 8 4 8 > 8 8 6 , 1 0 0 7 ;

III: 8 0 , i n , 3 0 9 , 3 1 6 , 3 3 1 , 5 2 3 , 5 7 5 » 6 3 4 , 7 8 7 ; IV: 5 5 » 5 7 , 4 4 5 , 7 2 2 F ilm I: 4 6 , 6 0 , 6 6 , 7 0 , 7 3 , 7 6 , 8 7 , 4 8 6 , 4 9 1 , 5 3 7 ; II: 9 1 , 2 1 5 , 5 5 7 , 6 6 4 , 7 9 3 -8 0 1 , 8 o 4 f., 8 0 7 -8 1 0 ,

875 » 877, 9 4 2 f-, 9 4 6 - 9 4 9 , 9 9 7 » 1000, 1018-1021, 1023; III: 778 0 , 8 2 f.,

1 1 4 ,1 2 3 ,1 2 9 ,1 3 1 -1 3 4 ,

141-143,152-164,333,335,354-

356,424,457,509,635,662 f., 830, 877, 1012; IV: 126-128, 162, 29 7 f-, 3 ° 3 , 3 ° 5» 3 ° 7 ' 3 ° 9 » 33 6» 631, 641, 649 Form alismus I: 21, 650, 699; II: 8 7 5 ; III: 5 5 2 , 5 5 3 , 8 7 7 ; IV: 7 9 , 8 5 , 2 6 6 , 5 2 2 -5 2 4 , 5 4 1 , 9 45 F o t o g r a f ie I: 7 1 , 2 9 3 f ., 4 4 1 , 5 3 9 ; II: 7 8 4 , 8 7 1 - 8 8 1 ; III: 2 5 6 ; IV: 1 3 7 , 2 9 4 -3 0 2 Frankfurter Schule, siehe: Philo­ sophie: F rankfurter Schule Frankreich I: 9, 21 f., 26-30, 43,48, 51, 57, 63, 65, 74h, 83, 85 f., 88, 9 i, 9 5 - 9 7 » 100, i ° 3 , 201 , 2° 7 f->

235, 264, 518, 668, 704, 708, 710, 746, 770, 777, 780, 808, 810, 831h, 838-840, 969h, 1052, 1054, 1065; II: 9, 16, 85, 87, 91, 138, 141-145, 147, 159-161» Ï96» 199, 204, 208, 223, 227-230, 232, 251,254,259, 280,331,333,335, 348, 351, 369, 371-373, 380h, 386, 408, 410, 418, 429h, 432, 436 f.» 4 5 7 , 4 7 7 » 4 7 9 , 4 89 » 5 11 f-> 53 °, 533 » 537 » 5 3 9 f-, 54 < H 5 2, 556, 572, 579, 624, 640,644, 648, 651 f., 654,6 59 f., 662 f., 670,729, 732 f., 736 h, 742-744, 746 f., 752, 7 5 6 -7 5 8 , 7 6 ° , 7 8 if - , 7 8 5 -7 8 7 , 794» 797 f-, 800-802, 807, 809, 812, 822, 826, 849, 865, 868, 973, 883, 901, 908, 912, 916, 939, 958,

Sachregister

960-963, 969, 994, 1002, 1004, 1011-1013, 1028; III: 20, 34, 42 h, 48 f., 66, 70 f., 74, 83, 87 f., 102, 13 6 , 147 f-, 162,168,171 f., 177 f., 182, 187, 207, 209, 258, 273 f., 276-280, 282, 284, 286, 292, 323, 360, 362, 367, 370, 383, 399, 401, 419, 423, 425 f., 435, 438f., 442,

445 f-» 45, 468 f-> 475>478, 482, 502, 509, 515 f-, 518, 523, 531 f.,

538. 54°. 551-556, 567, 573, 593,

598, 612, 617, 619, 627, 629, 634, 636, 641, 661 f., 667, 669, 672, 674 f., 684, 696, 703, 729f., 732, 735, 746, 756, 761, 765, 768, 772, 777, 782, 79°, 83°) 840, 862, 874, 876f-, 891, 908, 913, 923, 956, 959>967, 981, 996, 999-1001, 1003, 1005, 1011, 1019; IV: 9, 17, 27, 36, 39) 48 f.) 51,58) 60, 62-64, 73-75, 78 f-, 81 f., 87f., 90f., 97101, 106, 109, 113, 115, 123 f., 131,136, 142, 144, 150,187, 208, 235, 239) 242, 245, 249, 255, 316, 319-322, 325 f., 328 f., 336, 346, 349 f., 381,390,407 f., 411,416 f., 44°, 447, 458 f-, 522"52 5> 52 7‘ 531, 536, 540, 542, 545, 548-550, 552f-, 558, 56°, 619, 627, 629, 642 f., 646 f., 657, 721, 729, 734, 788, 793, 800, 807, 816, 818, 822, 849, 856, 923> 943- 945, 947 f-, 958, 963, 1007, 1010, 1019 Freiheit I: 22, 65, 72, 79, 110, i 3°f-, ! 34> I 39-M 4, I49- I 5 1, 157, 161, 164-166, 169 f., 173 f., 187,195, 230, 233, 251, 253, 304,

315, 317, 492, 522> 524> 544, 569, 666, 683, 713, 716, 747, 790, 834f-, 837, 841, 845-847, 850, 868, 872, 885, 939, 993, 1002, 1029, 1056, 1066; II: 18, 84-86,

io 79

8 8 f ., 1 4 5 ,1 6 9 , 1 7 6 , 1 7 8 , 1 9 0 , 2 0 0 , 2 2 5 , 2 3 2 f ., 2 4 0 , 2 7 7 , 3 2 8 , 3 3 5 ,

360,369,433,500 f., 511,548, 555,577,593,602,605,607,609, 616,618,625,632,643,671,770,

806,830,833,871 f., 896,996; III: 1 2 , 9 1 , 9 8 , 1 2 2 , 1 7 1 , 2 5 7 , 3 1 4 , 32 7, 3 4 1 , 344, 37° , 374, 3 8 7 , 39° , 4 6 9 , 4 7 1 f ., 5 0 1 , 5 0 3 , 5 4 6 , 5 5 6 , 5 83 , 5 86 , 5 9 0 -5 9 2 , 6 1 7 , 6 2 1 , 6 2 6 f ., 6 3 1 , 6 6 1 , 6 8 0 , 6 8 5 , 6 8 7 , 693,

7 6 7 f-> 7 9 5 , 8 5 9 , 8 6 7 , 8 7 3 , 8 8 8 , 8 9 5 f ., 9 1 3 , 9 5 9 , 9 7 4 , 9 8 6 , 9 8 8 , 9 9 2 , 9 96 , 1015, 1 01 9, 1026; IV: 1 1 , 9 1 , 9 6 , i n , 1 1 4 , 1 6 0 , 1 6 3 , 1 97 , 2 5 o f., 2 5 7 , 2 8 5 , 2 8 7 , 2 8 9 , 2 9 2 , 3 3 o f., 3 4 6 , 3 6 5 , 3 8 5 , 3 8 9 3 9 3 , 4 1 0 ,4 1 2 , 4 1 6 , 4 2 1 , 4 4 2 ,4 9 3 , 5 0 2 ,5 4 4 ,5 9 1 , 6 2 6 , 6 3 0 , 6 3 2 , 6 4 1 , 6 4 3 f ., 6 7 7 {., 6 9 3 , 6 9 7 , 6 9 8 f., 7 0 3 -7 0 5 , 7 0 7 , 7 3 2 , 7 7 2 , 7 9 4 , 8 2 2 , 8 4 5 , 8 5 4 , 8 6 2 , 8 6 7 , 8 7 5 - 9 0 2 ,9 0 4 -

906, 908-9IO, 913, 920, 923, 9 6 0 f ., 9 6 5 , IOOO F r e u d o m a r x is m u s I: 6 3 ; IV: 9 0 ,

525 F r e u n d s c h a f t I: 9 4 , 1 6 8 ; III: 7 4 0 ; IV: 1 5 2 , 1 5 4 , 2 0 0 - 2 0 7 , 2 6 4 , 3 4 4 , 3 9 9 , 4 3 °> 4 6 7 , 5 x 3 > 5 i 8 > 6 4 l > 7 5 2 f , 9 2 0 -9 2 2

Fürsorgestaat, siehe: Staat: Fürsor­ gestaat G.I.P. (Groupe d'information sur les prisons) I: 5 6 - 5 8 , 6 1 - 6 6 , 7 2 ; II: 2 1 1 - 2 1 3 , 2 3 7 , 2 8 2 , 3 6 7 h , 3 7 4 , 37 6 > 3 7 8 - 3 8 1 ,

3 83 » 35>4 > 4 2 2 , 4 8 1 , 8 1 2 ; III: 1 0 0 5 1 0 1 0 , 1 0 1 2 - 1 0 1 4 , 1 0 1 6 f.; IV: 1 0 0 , 1 1 9 -1 2 1 , 1 62 , 8 48 F Gattung I: 4 6 3 , 6 3 3 , 6 9 7 , 9 1 8 , 9 7 5 , 9 8 8 , 1 0 0 7 , 1 0 1 7 ; II: 3 8 , 4 0 - 4 4 , 5 3 I - 533> 554»

Sachregister

io8o

f ., 4 9 f ., 6 5 {., 7 0 , 7 2 , 7 8 , 8 7 , 9 4 f ., 1 09 , 1 18 , 2 0 4 , 3 3 2 , 9 6 4 , 1 0 2 4 ; III: 6 2 , 6 4 f ., 1 4 7 , 2 0 7 , 4 1 7 , 5 6 6 , 5 8 7 , 6 9 0 , 7 9 9 , 9 0 4 ; IV: 7 1 , 147. 2 63 , 500, 514, 565, 581, 601, 7 0 1 , 7 39 » 7 9 7 » 8 1 2 , 8 4 7 , 9 5 7

46

Geburtenrate, siehe: Demographie Gedächtnis I: 193, 218, 276, 343, 383, 541, 695, 869, 885, 899, 931, 959; II: 103, 153, 945 h, 806; -

III: 1 5 5 , 2 1 9 ; IV: 4 3 3 f ., 4 8 9 , 5 0 7 , 511, 768, 983 Gegengedächtnis II: 1 8 6 , 7 9 6

siehe auch: Erinnerung Gefängnis I: 3 0 , 4 9 , 5 4 , 5 7 - 6 4 ,

67, 7 2 , 8 3 , 8 5 f ., 1 1 3 , 1 5 8 , 2 2 8 , 2 3 0 , 257 » 3 0 6 , 5 3 5 , 6 5 2 , 6 8 5 , 6 8 7 , 8 1 3 , 8 4 3 , 1 0 0 9 , 1 0 2 3 , 1 0 7 0 ; II: 2 4 h , 135» 145» 2 1 1 - 2 2 2 , 2 3 6 h , 2 3 9 h ,

245, 248-252, 256, 265, 278, 2822 8 5 , 2 8 9 -2 9 1 , 3 6 9 -3 7 5 , 3 7 7 , 3 8 0 h , 3 8 3 , 3 8 5 -3 8 7 , 3 8 9 h , 3 96 , 398, 401, 411, 416, 419, 425, 429, 4 3 7 - 4 4 1 , 4 4 7 - 4 4 9 , 4 5 3 , 4 8 1 -4 8 5 » 4 9 1 f ., 4 9 4 , 4 9 7 , 4 9 9 f ., 5 0 4 , 5 1 3 , 5 3 0 -5 3 8 , 541 , 5 4 8 -5 5 3 , 5 64 , 5 67 , 5 7 ° - 5 7 5 > 5 7 7 U 5 8 0 , 5 8 4 f ., 6 2 4 , 6 2 9 , 6 4 8 h , 6 5 1 , 6 5 3 -6 6 1 , 6 63 h ,

6 6 9 , 6 7 5 , 6 8 4 -6 8 8 , 6 9 4 h , 7 1 5 , 7 2 3 » 7 5 2 , 784 » 7 8 8 , 7 9 1 , 7 9 4 , 8 1 9 , 834, 8 3 9 , 9 2 0 , 9 4 6 , 9 5 5 , 9 5 8 , 9 7 4 , 1 0 0 1 f ., 1 0 0 5 - 1 0 1 9 ; IV: 9 - 1 2 , 1 7 2 0 , 2 4 - 2 8 , 3 1 , 3 5 - 3 7 , 4 0 f ., 4 5 , 4 8 , 5 1» 5 7 - 5 9 »

6 3 , 97» 9 9 - 1 0 1 » io 4> 1 0 6 f ., 1 1 3 , 1 1 9 - 1 2 3 , 1 3 0 h , 1 6 1 , 1 80 , 198, 2 1 0 , 2 2 1 , 2 3 7 -2 3 9 , 2 4 5 247, 251, 254, 258, 284, 3 3 2 h , 335» 351, 374, 3 8 2 , 4 1 1 , 4 2 2 h , 4 82, 573, 638 h , 716, 783 h , 7867 8 9 , 7 9 1 f*» 794 » 8 0 9 , 8 1 5 , 8 1 9 , 8 2 5 , 8 4 9 , 8 5 2 , 8 5 4 f ., 8 5 7 h , 9 2 3 ,

9 2 5 -9 2 7 , 937» 9 4 0 , 9 6 2 h , 1 0 1 8 , 1 0 2 0 f. Gefängnisreform II: 660

- Gefängnisrevolte I: 59, 61, 65, 70; II: 281,53of., 533,537,549t'.; III: 1 0 1 2

Gefühl I: 37, 61, 75, 79, 97, 146, 164h, 168, 178-180, 182, 307, 314, 370, 395, 398, 439, 462,

732, 735» 742, 745, 750- 765,

505 h , 566, 583, 6 5 6 , 6 69 , 6 9 7 , 7 4 0 , 8 0 1 , 8 3 9 , 8 4 2 ; II: 8 7 , 1 3 7 , 156, 166, 169, 171, 179 h , 182, 206, 228, 247, 249, 305, 323, 376, 378, 423, 526, 681, 731, 833, 873, 8 9 5 , 9 2 0 , 9 4 4 , 9 5 1 , 9 8 4 , 9 9 5 f.; III: 1 3 4 , 1 4 0 , 1 8 5 , 1 8 9 , 2 6 1 , 2 6 3 ,

8 1 2 h , 8 1 6 , 8 4 4 h , 8 8 2 -8 8 5 , 8 8 8 , 8 9 1 -8 9 3 , 8 9 5 -9 0 8 , 9 1 3 -9 2 9 , 9 3 1 ,

267,284,308,310,319,338,375, 380,383,386,415,450,503,510,

939, 955-967,

6 3 4 ,6 6 7 ,6 8 5 ,7 6 7 ,7 76 h , 827,

9 6 9 , 984» 9 8 8 , 1 0 0 1 , 1 0 0 3 ; III: 1 1 , 3 1 , 4 9 , 7 0 , 8 4 , .86 f ., 8 9 - 9 4 , n 5 - 1 1 7 , 1 2 3 h , 1 4 8 , 189, 209, 2 5 2 h , 258, 268, 299, 332, 345» 359, 376,

380, 383, 385388, 394, 4 0 4 h , 425, 431, 4 3 4 h , 437, 439, 441, 443- 453, 455, 457, 4 5 9 , 4 6 1 , 4 6 3 , 4 6 5 -4 6 8 , 4 7 4 , 4 8 8 , 5 02 , 5 05 , 5 0 8 -5 1 0 , 5 1 5 , 5 1 8 , 5 22 , 5 3 1 , 5 3 6 , 5 3 8 , 5 4 7 , 5 7 1 , 5 7 9 ,5 8 5 » 5 9 6 , 6 0 4 h , 6 1 2 f ., 6 2 7 h , 6 4 3 - 6 4 5 ,

842,848,852,900,930,934,939, 949,968,980,983,1006,1008, 1 0 1 3 ; IV: 5 9 , 6 3 , 1 2 7 , 1 3 3 , 1 4 8 h , 1 9 9 , 2 0 2 , 2 0 4 f ., 2 5 9 , 2 6 4 f ., 3 0 0 f ., 3 0 4 , 3 0 8 f ., 3 1 8 , 3 4 5 f ., 3 8 4 h , 3 8 7 , 3 9 8 , 4 0 0 , 4 1 3 , 4 1 7 , 4 3 1 , 4 7 5 f ., 519, 558, 602, 609, 617, 636, 643, 654, 659, 681, 684, 695, 698, 7 4 2 , 7 6 0 , 8 0 0 , 9 2 0 {., 9 6 2 f ., 9 6 5 f., 1017

1081

Sachregister

Gegengedächtnis, siehe: Gedächt­ nis: Gegengedächtnis Gegengeschichte, siehe: Geschich­ te: Gegengeschichte Gegenwart I: 2 8 , 1 0 8 , 1 4 5 , 1 4 9 , 1 62 , 185, 2 2 9 , 2 3 4 , 4 8 0 , 6 5 2 -6 5 4 , 7 7 6 , 7 78 , 848, 8 63 , 1049, 1055; II: 1 7 2 , 1 8 1 , 3 7 4 , 4 7 1 , 4 9 8 , 6 4 8 , 6 92 , 806 , 810 , 9 4 0 , 9 6 0 , 1023; III: 142, 349, 353, 361, 500, 553,

9 4 7 ; III: 5 6 , 3 3 6 , 4 2 1 , 6 6 3 , 8 7 3 , 1 0 1 6 ; IV: 1 4 8 , 4 5 4 h , 6 3 8 , 6 8 5 G e r e c h t ig k e it I: 3 0 2 , 3 0 6 ,6 8 9 , 7 3 6 ; II: 1 6 8 , 1 8 9 , 2 9 9 , 4 2 8 , 4 3 2 , 4 5 4 , 4 58 , 4 60 , 4 7 7 , 515, 575, 586, 6 2 4 h , 6 2 7 - 6 3 5 , 7 0 1 , 7 1 6 ; III: 1 4 5 , 147, 160, 184, 204, 207, 263, 264,

320,328,336,374,379,383,644, 694,847,860,899,902,932,944, 9 7 5 ; IV: 9 7 5

722>723>746, 793. 821, 850, 854, - Ungerechtigkeit I: 62; II: 191, 987; IV: 28, 56, 142, 169, 268, 448,624,626f.; III: 433, 861,913, 329> 335. 689, 696h, 706, 838975. 976; IV: 161, 638 Geschichte I: 26, 28 f., 33, 36, 46, 843, 962, 995 52, 58, 60, 62, 68, 78, 86, 89, 94, siehe auch: Präsenz, Heute Gehorsam II: 8 3 8 ; III: i n , 2 3 5 f ., 96h, 102,107,117,138,140,173, 175, 184, 189, 202, 216, 223, 227, 324>369, 433. 452>475. 499. 543. 671, 693, 709 f., 808 f., 866, 947, 232>263, 280, 290, 319, 361, 415, 985, 988; IV: 154, 157h, 178-181, 434. 474. 493. 52°. 545. 549. 553. 221, 283 h, 368, 593, 691-693, 577. 583. 596, 644, 650, 699, 905, 994 h, 997 f. 7 0 7 f ., 7 1 1 , 7 3 4 , 7 4 7 , 7 5 0 - 7 6 9 , Geisteskrankheit, siehe: Krank­ 7 7 7 f-, 7 8 1 , 8 0 7 , 8 1 5 , 8 3 3 , 8 6 2 , 8 7 0 , 8 7 7 , 8 8 8 ,9 1 7 ,9 2 1 ,9 9 1 ,1 0 0 1 , heit: Geisteskrankheit 1025, 1034, 1036, 1048, 1054, Gemeinschaft II: 227, 248, 403, 1 0 6 4 ; II: 1 0 , 3 7 - 8 2 , 1 0 7 , 1 2 8 , 1 7 1 , 405, 492, 571,576, 657, 709, 719, 177,180,184,200,331-347,499, 75°f-> 757. 820, 888, 899, 970; 509,593,603,637,648,670,673, III: 270, 420, 450, 454, 467, 616, 686, 724, 730, 790, 837, 907, 911, 623. 657. 708, 752, 847, 857, 861; 9 8 3 , 1 0 0 3 ; III: 3 9 , 4 9 , 1 2 6 ,1 4 0 , IV: 156, 183, 198, 256, 274, 276, 181, 2 50 , 274, 294, 306, 352, 367, 33!>348, 398, 477. 5°4>532>72I> 729> 839. 883, 915, 972, 990, 4 U . 4 3 3 . 505. 5 U . 53° . 5 9 7 . 7 0 8 , IOO6, IOI5 7 J 9 > 7 2 7 . 7 4 1 . 7 5 ° . 7 5 !» 7 5 2 . 7 6 6 , 769, 778, 834, 849, 861, 913, 933, Genealogie I: 46, 51, 69, 71, 84, 404, 710, 726, 729, 740, 763, 768, 9 7 5 . 9 8 6 , 9 8 7 , 9 9 1 , 9 9 7 ; IV: 1 8 , 3 2 , 124, 164, 198, 2 5 8 h , 323, 335, 784, 856; II: 41, 166-181, 183190,464,676,683 f., 931,1005, 3 7 7 . 4 ° 7 . 4 1 3 . 4 9 5 . 5° ° > 5 2 8 , 5 4 5 , 1014; III: 39, 54, 139, 192, 195, 646, 649, 663, 699, 713, 759, 777, 808, 841, 867, 931, 946, 951, 998 219-224, 230, 308, 542, 721, 742, 760; IV: 24, 26f ., 209 h , 4 6 1 - 4 9 7 . - Geschichtlichkeit I: 35, 152, 1 6 1 , 5 2 1 , 5 9 7 ; II: 2 0 2 , 4 6 4 ; 747-775. 831, 840, 867, 869, 904 III: 1 9 2 , 7 2 1 , 7 4 9 , 7 5 4 ; IV: 5 2 8 , Genießen, Genuß I: 137, 159, 261, 710, 823, 847 309. 394. 399. 566, 609; II: 84,

1082

- Ideengeschichte I: 43, 90, 563, 646, 707, 754, 889; II: 9, 672; III: 728; IV: 421, 533 f., 777 - Mentalitätsgeschichte I: 33; III: 392; IV: 731, 798, 801 - Wissenschaftsgeschichte I: 651, 889, 1007; II: 15, 53, 60, 62, 81, 192, 204, 248, 508, 517, 597 f., 601, 603, 610, 672; III: 528, 551, 555-561; IV: 67, 530-533, 943,

947-953, 964 siebe auch: Historismus, Histo­ rizität, Kultur: Kulturgeschichte Geschlecht I: 283, 351, 801, 950, 953; II: 2 7 f., 502, 1020; III: 120, 138, 343, 379, 409-420, 458, 460, 661-663, 699, 701 f-, 739, 783, 954, 970f.; IV: 142-152, 216, 349, 356, 565, 582,913 siehe auch: Sex, Sexualität Gesellschaft I: 18, 60, 177, 180, 192, 211, 234, 259, 499, 503,517, 540, 576, 665 f., 700, 712, 743, 771, 780, 792, 865, 869, 878, 880, 902,958, io i5 f., 1030, 1043, 1055, 1066; II: 88, 128, 130, 134, 141, 143 h, 146, 150, 152-165, 203, 223 h, 235, 242, 248, 276, 281, 284, 340, 350, 372, 398, 406, 470, 486, 535, 545, 553, 568-585, 607, 6l6, 622, 625, 628, 63O, 632, 637, 641 f., 650, 704h, 728, 732, 748, 769, 884, 896, 900, 938, 963, 965, 97é>983, 990, 1023, 1031; III: 21, 25, 31-33, 42 f., 49,67,76, 85-93, 99-123, 136-138, 148-151, 160, 165-173, 185-189, 198, 202, 209-212, 220, 227-239, 244, 255, 266, 275-277, 286, 299, 305, 312, 320, 329, 338, 340, 355, 358, 368, 381, 390, 396, 400, 406f., 425, 430, 436, 442, 463-465, 477, 479,

Sachregister

483-492, 497-510, 530, 541, 554,

573, 579, 589, 59! - 632, 636, 664, 673, 685, 692-699, 705-719, 723726, 731-737, 745- 758, 763, 770, 78l, 783, 790, 802, 820-822, 828, 838, 845, 850, 865, 879, 884, 895, 901, 909-915, 920-922, 931, 945, 953, 965> 982, 994 U 1003, 1008, 1019, 1022, 1024; IV: 20, 50, 91,

ns, 228,241,273,289,291,309, 311,324,370,385,389,392,415, 472 f., 643,793,802,891,897, 910,935,1000 - Disziplinargesellschaft II: 728, 734, 748, 1023; III: 246, 671, 673; IV: 20 Gesetz I: 251, 265, 275 f., 278, 283, 302, 340, 353 f-, 379, 675, 683694, 769, 849, 874, 886, 910-914, 942, 965, 969, 1026, 1057; II: 95, i n , 126, 349, 402, 475, 497, 556, 570, 625, 678, 701, 729-792, 816, 844, 846h, 850, 886, 891, 898, 991, 1009, 1024; III: 100, 132, 140,147, 159, 166, 178, 183, 197, 207, 233, 235, 296, 306, 357, 368, 378, 4° 3, 442>462, 483, 496, 543, 568, 592, 629, 643, 681, 687, 709, 796, 860, 866, 946, 964, 977, 993, 1017, 1024; IV: 36, 72, 105, 110, 118, 160, 172, 178, 202, 224, 239,

241-247,279,288,297,343,350, 404,412,442,477,546,572,664, 7 6 1 ,8 1 3 ,9 1 4 ,9 4 6 ,9 7 3 ,1 0 1 3 , 1015 - Gesetzgeber I: 744; II: 144, 534, 574, 961; III: 169, 353, 461, 569, 579, 678, 686, 960, 969; IV: 108, 110, 169, 250 - Gesetzlosigkeit II: 497; IV: 232, 273 Geständnis I: 89, 95, 98, 103, 243,

1083

Sachregister

256, 322, 368, 370, 449, 573, 962; II: 488, 721> 726, 844, 848, 855, 944, 1006-1009, 1012 f., 1028; III: 120, 137, 307, 321, 325, 334, 355» 37°» 398, 411, 4M-416, 426, 532, 569, 692, 824, 825, 828; IV: 779, 809-812, 820 Gesundheit I: 45, 71, 200, 216, 256, 368, 743, 774, 878, 963; II: 238, 344, 408, 554, 933, 940, 998, 1018, 1028 f.; III: 19-25, 27,

29- 35» 37» 54- 59» 61, 66, 71-75, 1.18 f., 204, 253, 255, 273 h, 276, 278-281, 284-289, 291h, 294-

297» 327» 340» 379» 451 f-» 483»

315, 428, 437, 524, 593, 671, 698,

819, 83O, 89O, 912, 1003, IOI4, IOI7 -I0 2 I Gewerkschaft I: 75, ioof.; II: 383, 444, 498, 526, 912; III: 87, 431, 507; IV: 320, 322, 420, 608 f., 612615, 619, 622, 627, 631, 891 Gewissen I: 84, 136, 199, 234, 305, 740, 837; II: 166, 176 f., 400, 636, 653, 823, 828, 922, 926; III: 145, 205, 334, 377U 39°» 486, 533, 670, 692, 710, 994, 1008; IV: 11,

92,408,459,597,690,928,983 f.,

996 - Gewissensprüfung III: 120, 136,

963» 975» 979» 1003» 1010-1012 siehe auch: Politik: Gesund­ heitspolitik Gewalt I: 39,54, 75,150, 239, 263, 272, 274, 308, 311, 320, 325 f.,

174» 30 I>337, 7 i°; IV: 1 5 4 ,157f., 179 f., 489, 493, 768, 811, 983 Glück I: 166, 174, 197, 213, 234, 260, 274h, 302, 308, 320, 416, 542, 567h, 620, 636, 667, 701, 747, 790f., 831 f., 939; II: 121, 189, 221, 292h, 297h, 467, 492, 594, 612, 635, 682, 713, 853, 955,

335» 34°» 349» 3é 5» 36 9» 421, 446,

971» 979» 987; HI: 317, 473» 5° 3,

522, 627, 676, 684, 688, 734, 760, 767, 859,929,977,998; II: 26, 30, 104, 177f-, 189, 242, 304, 373, 417, 419, 430, 445 f., 452, 483, 5 0 2 t, 522, 530, 569-571, 616f., 623, 626 f., 645, 679, 703, 715717, 721, 729, 734, 740, 751, 763, 804, 814, 837, 844, 847, 868, 942,

510, 608, 696, 868, 871, 904 h, 912h, 1006; IV: 97,193, 195, 199,

486 f., 529, 649, 817, 848, 909913, 915, 917-928, 1001, 1020f.; IV: 754-756, 763, 806, 811, 830,

944» 95°, 958, 985, 991, 999, 1008; III: 12, 81, 85, 94, 134, 171, 225, 237, 260, 277, 356, 380, 386, 402, 427, 457, 459, 475, 478 h, 505,511,545, 568, 576,584,711, 737» 743» 766, 790, 800, 810, 847,

9° 7» 936, 944» 948, 954 f-, 957U 962 f., 966 f., 969, 982, 988, 994, 1002; IV: 38, 49, 98, 153, 185, 195, 197, 245, 250, 275, 285-287,

2 i ° , 254» 333» 5I 3» 515» 520,561, 580, 599, 618, 874, 968, 994, 1002, 1010 f. Gott I: i2 9 f., 136, 140f., 155, 158, 239, 249, 261, 277, 280, 282, 311, 321-324, 328, 331, 338, 340f.,

345 f-, 35 1» 358, 366» 3g8, 402, 407 f., 413-416,420,424 f., 434 f., 437 f-> 444, 467, 549» 625, 635, 643 f., 666, 675, 686f., 690, 698, 700, 713, 721, 729, 735, 751, 791 f., 799-801, 807, 840, 845, 848, 886, 962, 975 f., 1002, 1012, 1033; II: 18-20, 22, 24, 32, 83, 99, 104,150,168, 187, 260, 277, 378, 415, 527, 679h, 691-695, 725,

Sachregister

1084

738, 783, 853; III: 108, 169, 253, 263 f., 287, 311, 320, 350, 354, 364, 369, 416, 445,529,573, 706, 710, 741, 779, 784, 796, 808, 8io, 845, 859f., 934, 936, 940, 942, 986,1004; IV: 50,148,15 6 f 168171, 175, 178, 183f., 186, 2 l6 f.,

979; HI: 43, 49, 179, 229, 232, 445» 476, 542» 577» 611, 677, 764, 969; IV: 71, 225, 292, 301, 378, 407» 416, 536 Griechenland I: 63, 273 k; II: 298, 499» 648, 688, 705, 708, 715, 1008; III: 356, 664, 701; IV: 172,

355» 419» 4 24 f-» 436» 470» 485» 487,494, 5 1 6 ,55J, 563,565, 573, 583, 604, 611, 767, 772, 803, 884, 9 7 0f., 983, 990, 995-997» 1003 f., 1012 Götter 1:131, 263, 265 k, 270, 272274, 277-281, 284, 317, 343, 348, 400, 405-414, 416, 4 20f., 436, 440, 445 f., 449, 555 f., 665, 675, 687, 796; II: 150,169, 185 f., 298,

261, 341 f., 344, 377f-» 383» 394» 425 f., 462, 469, 472, 566, 669,

337 f-, 69° f-> 695- 697» 703- 707; III: 634; IV: 140,169,172 f., 175 f., 426, 431, 485, 563, 571, 582, 750, 766, 971, 975 f., 983, 989 Gouvernementalität I: 84 f., 90 f.; III: 796-823, 902, 1021-1023, 1025; IV: 259f., 291, 503, 713, 901, 906, 930 Grammatik I: 43, 114, 116, 126, 638, 648, 675, 758, 762, 856, 858, 860 f., 864, 866 f., 874, 910-912, 919, 922, 932-944» 947-957» 988, 1023, 1025, 1028, 1047, 1052, 1058, 1071; II: 11-13, 48, 102 f., 107, 197, 269, 272, 293, 596; III: 516; IV: 84, 269, 510, 537 Grenze I: 40, 8 6 ,9 3 ,109> !43> I 52> 215-232, 248k, 264, 269, 274k, 279, 289, 295, 302, 305, 320, 322366, 375, 386, 413,480, 484,503, 522,540, 544,560,569,572,590,

639» 653» 671» 692» 694, 704» 714» 797» 819, 869 f., 872, 875, 877, 925, 997, 1065; II: 32, 50, 68, 93, 98, 418, 647, 668, 715, 812, 829,

675» 748, Grundlage 158,162, 221, 330, 666, 674,

754, 757, 831 I: 17, 24, 122, i24f., 176,178, 193, 205, 214, 576,590, 603, 621, 662, 677, 708, 715, 739, 744,

765» 789» 794» 798, 827, 830, 838, 859» 915» 941» 959» 967» 1002, 1039, 1057, 1067; II: 12, 55, 173, 202, 258, 275, 316, 364,529, 591, 627 k, 671, 677, 736, 759, 775; III: 61, 201, 230, 275, 385, 422, 51, 655, 717, 744, 771, 853, 868, 952; IV: 66, 149, 226, 270, 348, 411, 521, 670,700, 788-792, 833,

839» 913» 973» 976

Hermaphrodismus, Hermaphrodit I: 78; II: 871,1024; III: 633,783 f., 846; IV: 12, 143-145, 147, 150, 152, 961 Hermeneutik I: 97, 100, 111 f., 118, 125, 379, 578, 580, 583, 638h, 643, 647, 729, 732, 734737; IV: 217, 423-438, 470, 661 k, 689, 828, 875, 900, 967-969 Herrschaft I: 215, 302, 313, 322k, 340, 548, 685, 751; II: 63, 109, 137, !70, 177-180, 189, 336, 387, 451, 509, 518, 617k, 679, 683, 714-719, 840, 844, 854, 981, 999, 1003, 1014; III: 14 k, 48, 98, 110, 125, 171-173» 2°2, 229k, 235246, 262, 319, 355, 359, 400-402,

Sachregister

4 45,483,490 f., 510,523-5 26, 54 6 , 548, 556 , 7 ° 3 . 7 ° 5> 720» 728,

731, 863, 902, 988, 1003; IV: 50, 91, 102, 105, 115, 179, 185, 228, 260f., 275 f., 282, 293, 318, 332, 4 1 3 » 485» 503 . 53 ° f-» 543 » 579 » 6 1 1 ,6 6 0 ,669,675, 705, 722, 731, 749» 77°> 836, 877, 891, 895, 899, 902, 923, 949, 968 f., 975, 1003,

IOI4 Heterotopie I: 44; II: 791; IV: 337, 935-942 H eute I: 586, 623, 647, 760 f., 775, 784, 958, i o n ; I I : 200, 238, 376, 471, 528, 541, 598; I I I : 70, 114, 430, 498, 514, 526, 839, 876, 949, 979; I V : 374, 621, 790, 932 siebe auch: Präsenz, Gegenwart Hexen, Hexerei I: 299, 435, 445, 540, 546, 799, 802-804, 806-811, 958-961, 9 3 - 9 7 i> 9 7 3 ; H: 209f., 399, 744, 861; I I I : 99 f., 119-121, 330, 509, 845; I V : 126 H induism us I : 1043; I I : 910 H istorischer Materialismus, siehe: Materialismus: H istorischer Materialismus H istorism us I: 767; IV: 3 3 4 ! siehe auch: Geschichte H istorizität I: 924, 926, 931; IV: 37 siehe auch: Geschichte H om osexualität I: 20, 66, 69, 73, 7 9 » 9 1» 9 4 » 9 7 » 146, 544 Î II: 145 f.,

158, 160, 371, 393, 423, 666f., 811, 924, 965, 1014, 1022; III: 198, 255, 342, 390, 420, 462, 664, 784, 843, 845, 954; IV: 200-205, 3° 7> 336» 341- 353» 369> 372-380, 382-384, 386-390,

669, 709,

393 f-» 396, 398-4°°» 4° 2 f-, 587»

65O, 8l3, 8l6, 8l8, 878, 910, 912, 917 f., 921 f.

1085

H ospital, siehe: Asyl: H ospital Humanismus 1:29,40-42,51 f., 239, 458, 650, 667-669, 697-699, 778, 787-792, 831, 834, 840, 847,980; II: 207, 276-278, 283 f., 336,541, 850, 908, 9 2 9 f . , 1017 h ; I V : 65, 92, 700h, 716h, 780, 821 f., 965 Hum anw issenschaften I: 25, 34, 50, 70, 72, 176, 180, 547, 574576, 579 » 581» 583-585» 646-649, 651, 667 h, 701, 744, 752 h, 766, 776-778, 788, 838, 841h, 846h, 863, 878, 904, 913, 917, 923, 982, 990, 1032h, 1035 h, 1042-1045, 1050; I I : 14, 199, 205, 222 h, 487, 505, 511, 539, 736, 767, 938 h; I I I : 40, 51, 248 h, 367, 694, 728, 736, 738, 829; I V : 23, 93, 502, 778, 802, 903, 1014 H ygiene II: 115, 212, 609, 940; III: 26, 29-32, 34, 56, 68 h, 75, 120h, 204, 255, 258, 273, 286, 291 h, 340, 361, 404h, 427, 436, 444, 576h, 582, 916, 918-921, 923, 1020h; IV: 236, 279, 325, 629, 749 H ysterie I: 68, 146, 184, 959 h; II: 835 h; III: 69, 122, 302, 663, 697 h, 715, 746; IV: 648, 889 Idealismus (auch: D eutscher Idealismus), siehe: Philosophie: Idealismus Identität I: 121,170, 226, 272, 279, 283, 332 » 343 » 358 , 364» 373 , 4 3 4 , 437, 447» 533» 546, 621, 623, 631, 644, 666, 673, 728, 823, 907, 915, 93°, 975, I0 57» H: 50, 52, 106, 112, 118, 168, 188, 224, 279, 346, 814, 871, 935; III: 50, 100, 195, 596, 636, 717, 854, 879,937,973, 978-981, 990, 1000; IV: 47, 92,

io86

Sachregister

146-152,167,181,203,255»,

1026f., 1030; III: 17, 27, 50-58,

274 f., 4 1 2 ,5 1 2 ,5 7 2 ,6 3 1 ,6 5 1 , 701, 743, 815 f., 834, 865, 893,

63- 7°» 93» ” 7» i 58 f-> 165, 173» 180, 224, 238, 249, 262, 265, 274, 286, 290, 304,317, 374, 378, 382, 404, 446, 465, 483, 650, 654 f., 659 f., 665, 672, 692, 701, 707,

9° 9 » 975» 993» i ° ° ° Ideologie I: 45, 54, 83, 85, 453, 778, 792, 834, 840, 842, 850, 1061; II: 14, 143, 209, 238, 281-

283,287,335 f., 376 f., 383,388, 3 9 2 ,4 1 9 ,4 2 1 ,4 2 7 ,4 3 1 ,4 4 0 f., 445» 447"452>460, 486, 546, 598, 614, 642, 650, 661, 663, 685, 738, 742, 767, 776, 793, 803, 826, 896, 936; III: 13, 38, 40, 54, 90, 105, n o f ., 148 f., 151,195-197, 209f., 212 f., 242 f., 246, 275, 346, 402,

4 2 3>439» 441» 449- 454» 499» 5 11, 600, 607, 636f., 734, 755, 781, 785, 792, 834, 861, 886, 895,931, 933, 989, 1007, IOl8, 1020; IV: 14, 25,28, 46, 64, 66, 74, 7 9 f., 86, 99, 112, 121, 125, 204, 266, 282, 335, 419, 628, 631, 660, 667, 805, 817, 887, 1007, 1015 Illegalität, siehe: Legalität: Illega­ lität Imagination I: i n , 122, 128-135, 145, 162-174, 380, 402f., 412419, 436, 553, 560h, J67; II: 912; III: 313, 557 siehe auch: Vorstellungskraft, Einbildungskraft Individuum I: n o , 142,180,185 f., 192, 467, 575- 577» 700, 707» 763 f-, 777» 780, 843, 895, 984, 1007, IOI4, 1016- 1021, IO33, 1039,1056, 1058,1064; II: 15, 38-

45» 49 f-» 7 2"74» 79» 93» i2)-i26, 143, 171, 200, 277, 334, 359, 413 f.» 437,494, 52&> 540, 545» 587,596, 666, 670, 709, 730, 757, 767, 814, 816, 818, 82of., 854, 8 8 3 ,8 9 8 ,9 2 7 ,9 5 5 ,9 8 2 ,9 9 1 ,

711, 715, 7x7, 726, 779, 917, 995, 1001; I V : 72, 99, 139, 197 f . , 211, 2 33> 2 35> 275> 279 f-> 443 f-, 45 1» 454, 457» 475» 486, 494, 565, 568,

590, 621, 65I, 655, 66l, 680, 682, 684, 686, 693, 710, 759, 793, 814, 816, 830, 856, 865, 875, 897, 906, 911, 916, 969, 1006, i o n , 1014 - Individualisierung I: 68, 860, 890, 905-907, 915, 1047; II: 60, 749, 814; III: 287, 653 f., 779; IV: 198, 233 f., 277, 279 f., 1015 - Individualismus I: 1030; IV: 804 f., 1015 - Individualität I: 189, 268, 631, 686, 761-765, 834, 843, 861, 907, 910,1010; II: 60, 74, 93, 105, 181, 184-186, 277, 286, 597, 670, 814; III: 639, 717, 745 f., 821, 1000; IV: 47, 167, 181, 274-280, 309, 391, 550, 650, 937, 1026 Indochina I: 19, 26; II: 620; III: 981; IV: 321, 419 Institution I: 60, 77 f., 102 f., 191i 5»3> 199» 2° 2» 2 3°» 2 3^> 403 f-> 525, 540, 645 h, 683, 685, 698, 707, 714, 720, 746, 752, 756f., 761, 777, 843, 862, 870, 890 f., 912, 920 f., 928, 1000 f., 10691071, 1074; II: 14, 133, 144, 163, 210, 218, 237-239, 250h, 253, 279h, 283, 285, 287, 290h, 295, 298, 350- 352» 370, 395, 401, 413» 417, 428, 473, 482, 486 f., 489,

493, 511 f-> 5!4 f-, 522>53^f.» 544, 546h, 551, 572 f., 580, 583, 585,

1087

Sachregister

6 1 5 , 6 1 7 h , 6 2 2 , 6 3 1 , 6 3 4 -6 3 6 , 6 5 6 , 7 2 9 , 7 ) 2 , 7 3 4 f ., 7 5 2 - 7 6 7 , 776, 788, 790, 814, 817, 821, 825, 8 3 7 , 8 4 O -8 4 3 , 8 6 4 , 89O , 9 0 2 , 9 1 4 ! , 9 2 8 f., 9 3 3 - 9 3 5 , 9 4 ° , 9 6 7 , 9 7 4 , 9 8 3 f ., 9 8 8 f ., 1 0 0 4 , 1 0 1 2 , 1 0 1 4 , 1 0 2 6 , 1 0 3 0 ; III: 2 4 , 4 0 , 4 7 , 55, 6 3 , 6 8 , 7 7 , 8 1, 1 0 0 -1 0 2 , 1 x5 , n 8 f . , 1 2 1 -1 2 4 , 1 26 , 137, 147, 1 5 0 , 1 6 6 -1 6 8 , 1 7 0 -1 7 2 , 1 82 , 1 8 6 1 8 8 , 1 9 9 , 2 0 2 , 2 0 7 , 2 1 1 , 2 1 5 f ., 220,223 f., 227 f., 231,233,235 f., 243,249 f., 253,265,302,307, 317,328,337 f., 346,352,360,

380,386,390,392,396,398, 401 f., 406 f., 409,417,419,439, 443 f., 4 7 0 ,4 7 8 ,4 9 9 ,5 1 2 ,5 1 6 , 518-520,523,529,533 f., 539,

5J i, 553, 557, 578, 582, 585 f-, 591, 595- 597, 603 f., 6x2, 621 f., 629, 647t., 655, 658, 667, 680, 684, 688, 691, 693, 717, 720, 723, 77 h 786, 790, 792, 794, 8 i2 f., 818-820, 838, 848, 855, 876, 889, 898, 900 f., 907, 911, 914, 918, 926, 933, 943-947,

958 f-, 965>99°, 994U 1001 f., 1013, 1021, 1024, 1026; IV: 9, 16, 18,27 f., 35-37, 40,48,55 f., 58, 7 6 , 9 8 ,1 0 2 ,1 0 4 ,1 0 6 ,1 0 9 , u i f.,

n 6 , 133,150,153,156-158,169, 178 f., 181,183,188, i97f-, 201 f., 210, 222 f., 226-228, 239, 245 f., 248, 251, 256, 261 f., 277-280, 282 f., 288,290f., 330, 337 £., 344, 347, 353, 370- 372, 421, 443-446, 451,480, 495 f., 523, 546-548, 553, 556, 558, 607, 611 f., 619, 621, 64of., 656f., 659, 676, 678, 700, 711, 717, 723, 730, 774, 781, 783-787, 789, 793, 796, 802-804, 809, 895 f., 899-901, 919-923,

926, 933, 943, 957, 961 f . , 964, 967, 1001, 1007-1009, 1014 Intellektuelle I: 85 f., 88 f., 92, 95, 97, 101, 104, 668 f . , 746, 751, 835 f . , 839 f . , 851; I I : 83, 91, 142, 207, 211, 23O, 238, 24O, 263, 289, 335 f-, 382-385, 387, 389, 391,

393, 413, 419, 443, 451, 455, 49», 524-526, 632, 653, 810, 864, 866,

887,908,910,940,956,961 f., 969 t . , 980; I I I : 13, 107, 114, 142, 145-151, 176, 187-189, 204-212,

353, 43° f-, 434, 453, 497, 515, 537, 551, 606f., 670f., 677, 705, 740, 746 f . , 749, 757, 759 f . , 766, 782, 785, 792, 794f., 829, 835, 838, 840, 849, 865, 869, 886, 892, 894, 898 h, 930, 934, 936, 952, 991, 999 k, 1006, 1008, 1010 f., 1014; IV: 9, 61 f., 64, 66, 74, 7880, 84, 86, 97, 100f., 103-105, 107k, 115-120, 123, i3of., 221 f., 321 f., 334, 388, 401, 416, 418420, 449, 544, 548, 550-553, 604606, 608, 631, 633-635, 638, 655, 785, 801, 832, 834k, 850h, 907, 924 h, 927-929, 960, 1019, 1021 Internierungsanstalten, siehe: Asyl: Internierungsanstalt Interpretation I: 123, 188, 291, 4 S9> 5 7 H 8 i> 623, 647, 650, 722, 731-741, 758, 761, 765, 781, 872, 898, 902, 908, 982, 985, 1066; II: 52, 276, 336, 346, 507, 773776, 781, 793, 806, 936, 1005; III: 610, 663, 793, 921; IV: 26, 34h, 241, 312, 323, 590, 595, 716, 759, 786, 853, 946, 982, 988 - Interpretationstechnik I: 727-

73°> 743 Intuition I: 398, 522, 544, 798; II: 9, 596; III: 764; IV: 801

io88

Sachregister

Inzest II: 338, 556, 770, 773, 963, 965, 1028; III: 385, 523, 610; IV: 311, 401, 578-581, 588 f., 592, 831 Iran I: 77, 83, 87 f., 90 h; III: 829837, 850-897, 929-943, 949, 952 f., 974- 977, 9 ^7, 989 f-i IV: 418

Irrationalität, siehe: Rationalität: Irrationalität Irrenhaus, siehe: Asyl: Irrenhaus Islam I: 697; III: 831, 833, 836f., 853, 856, 858-860, 862, 864-870, 881-883, 887, 891, 896, 930, 934,

937. 939, 949- 952» 974 f-» 99 ° Isomorphismus, Isomorphie h 372» 377» 450» 5l8 » 630, 645» 701, 757f., 762, 795, 838, 933, 1025; II: 11, 73,782; IV: 545 f., 589 Italien I: 24, 46, 81 f., 86, 103, 528, 555, 726; II: 208, 254, 259, 285,

471» 879» 95 8; HI: 145» 354- 356, 429, 451, 454, 470, 479, 488, 651, 672, 687, 720, 732, 761, 784-786, 798, 829, 838, 898, 994; IV: 27, 109,117,131, 185, 307, 319, 381, 465, 566, 596, 643

Kambodscha III: 513, 677, 997 h Kampf I: 60, 68, 417, 434, 463, 626 h, 661, 746, 809, 811, 870; II: 79, 100, 104, 175-180, 228230, 238 h, 274-279, 298, 340, 374, 380-392, 419, 425, 441, 443460, 470, 473, 487 h, 497, 501, 503, 517,523, 527, 532, 543, 547, 551» 553» 617, 622, 624-626, 629 f., 640, 659, 661-671, 677685, 706, 710, 784, 791, 796, 798, 801, 834, 840, 885, 893 h, 934, 959, 966, 969, 995, 1002 f., 1018; III: 46, 59, 88, 148-151, 165, 167, 177, l86, 202, 209-212, 220, 227231,255,271,353, 399, 407» 453» 4 7 2 ,4 7 6 ,496 h, 500,505,525, 541» 545» 548, 55°, 602,636, 668671, 687, 690, 760-773, 792, 795, 838, 859-865, 895-900, 909, 931, 935, 949, 967, 989, 1007, 1009, 1013; IV: 64, 81, 86, 88, 90, 118, 133, 217, 226, 266, 275, 292, 356368, 428, 450, 492, 610, 624, 681, 695> 719» 7*>4> 814, 891, 900, 915, 945, 1005, 1012 Kapitalismus I: 651; II: 280, 287, 336, 369 t , 372, 388, 394, 400f.,

Japan I: 30h, 55, 82, 85 f.; II: 129,

4i 4 f-, 417, 518, 537, 546, 559f-,

155» 331» 5° 4» 5° 6, 5155 III; 94»

736, 745 f-, 753, 761, 764-766, 769, 772, 776-780, 782, 891, 973, 996; IV: 321, 642, 741

615, 619, 747, 755, 784, 864, 913, 965; III: 150, 151, 194, 211, 212, 245, 264, 275, 339,448, 467,484, 486,518, 627, 630, 632, 715, 766, 975, 981; IV: 70, 84, 99, 231, 243, 262, 445, 535, 546, 611 Katholizismus I: 15, 67, 95, 445, 972; II: 175; III: 480; IV: 493, 618,

Kalkül I: 844; II: 55, 61 f., 64, 483 f., 492, 494h, 647, 854, 1023; III: 170h, 732,771, 897,938,981; IV: 17h, 31, 482, 1006

Kirche I: 249, 424,538, 803, 807f., 811, 961, 963-971, 973; II: 86, 163, 175, 209 f., 259, 413, 482, 721 f., 724,737,759; III: 252, 263,

105, 526, 665, 688,

109h, 175, 515, 517, 520, 531, 608, 617, 624f., 660668, 672, 674 f., 679, 686, 693, 696, 718, 724, 727, 729,

772>965

Sachregister

282, 398, 486, 528, 62} {.y 6)6, 660, 666, 691, 708, 710, 786, 843845, 901, 986; IV: 117, 182 h, 232,

277‘279>322f->332>3Î4»464. 676, 679, 691, 750, 937 f., 941, 990 f., 993 Kirchenväter I: 82, 89, 94, 1022; III: 528; IV: 215, 358, 676, 991 Klasse I: 47, 757, 870, 878 h, 1019, 1063; II: 40-46, 72, 77, 124, 176, 227-231, 238, 254, 274, 278, 280, 287, 376, 380, 389» 396, 4°i» 414» 416, 421, 423, 425, 430, 433, 443, 447, 451, 458, 473, 514, 542, 560, 617, 635, 662, 738, 741, 748, 766, 789, 808, 8X5, 885, 89O, 894, 900, 9 2 3>955. io n ; III: 20, 48, 79, 110, 124h, 142, 226, 238-240, 262, 284, 295, 297, 304, 353, 402,

4 2 3>49°f-> 496, 524 > 545. 653, 673. 690, 734. 761, 771. 847. 898, 93 r. 989;IV: 93. J97> 2° 4 >24 4 f-, 276, 293> 385. 398, 535 f-. 546, 6lO-6l5, 63O, 773, 786, 805, 889 Klassifizierung I: 348, 393, 1057, 1071; II: 48, 342, 397, 468 f., 1031; III: 37, 47, 100, 105, 128, 926; IV: 27, 147, 575, 592, 727 Klassik I: 650, 697, 764, 794, 858, 910; III: 100, 635, 877; IV: 811 f., 814, 839 - Klassisches Zeitalter I: 32, 235,

299>436, 522>54°. 647f->650, 702, 767, 857, 866, 918f., 939, 1055, 1071; III: 22, 24, 187, 321,

331. 365. 539. 613, 691. 911; IV: 377, 379, 496, 764, 829, 962 Klinik: siehe Asyl: Klinik Körper I: 18, 34, 127-129, 132, 141, 153, 159 f., 178, 191, 196, 213, 258, 263, 298, 301, 303-307, 310f., 320, 329, 335-337, 341,

1089

344 f-. 347 f-> 35o f -> 353. 357. 360, 366, 385, 407, 415, 435 f., 444, 446, 493, 514, 533, 541, 568, 576f., 604, 613-615, 624, 628h, 633 h, 636, 650, 653, 656, 660, 663, 676, 681, 686, 691 f., 718, 721, 728, 734, 800, 802 f., 805 f., 825, 828, 875, 878 h, 881, 897, 908 f., 919, 929, 960 h, 967, 972, 975, 1016; II: 25 t , 28 h, 93, 9799, 101, 103, 105, 107, 162, 169, 171, 173 h, 176 h, 300, 303, 308, 311-313, 315, 319, 323h, 326329 >357. 359. 39 i> 47°. 4 8 3, 50I> 5° 3. 537. 557. 569. 582.-5^4. 592. 594, 649 h, 668 f., 684, 712, 752, 761 f., 766, 783, 786, 790, 814, 832, 859-861, 865, 877, 883, 890h, 898 h, 915, 932-937, 939 h,

949. 953. 955. 957. 960, 963-965. 969,991,999,1001,1008 f., 1015, 1019-1023, 1027 f., 1030; III: 14, 15, 23, 25, 27, 32, 37, 50, 55, 56, 57. 58, 68, 69, 72, 115, 116, 118, 138, 153. 155. 161, 170, 175, 179, 199, 201, 203, 204,216, 227, 237240, 245* 250, 252, 256, 258, 273,

275, 276, 28l, 282, 288, 291, 297, 298, 302, 306, 308, 328, 338, 343,

344. 3 55. 399. 4 i° , 451>452>45§460, 486,513, 533, 541, 546,561, 567, 600, 601, 653, 662, 664, 666, 667, 684, 688, 697, 711, 712, 723, 735- 739. 742> 744-746, 774, 78°, 809, 846, 914, 916, 917, 921, 926; IV: 21, 23, 29, 127, 144h, 147, 149, 186, 193, 205, 212, 215 h, 224, 227, 235 f., 243, 259, 263, 2 74> 297> 3°°, 3o8> 354, 3 56h, 359-361, 364, 367, 377, 395, 399,

4 M, 4 29> 473, 479, 4 8 l f-, 511, 517, 519, 568-570, 572, 577, 579,

Sachregister

1090

581 f., 584, 586, 590, 593, 673,

885, 888, 898, 901, 924, 933-935.

676,67 8 f., 698,737, 762 {., 829 f.,

939 f-, 989» 991, 1002, 1024,

903, 905, 912 f., 920, 958, 968,

1028 f.; III: 23, 29, 34, 35, 48, 68, 86, 101,121, 124, 150, 165, 200, 203, 211, 230, 234, 240, 254, 263, 266, 270, 275, 279, 288, 290-292,

971. 976, 979

Kolonialismus, Kolonie I: 103, 226, 318 f ., 466, 661, 1072; 439, 442, 447, 523, 546, 572, 636, 1002; III: 54, 479, 650, 652,

II:

674. 778, 999; IV: 99. 318, 941 1Kommentar I: 263, 447, 994; II: 270, 351, 361, 508, 574, 878, 908; III: 144; IV: i7 o f:, 464, 821, 971 Kommunikation I: 124, 323, 333, 338, 341, 386, 512, 588, 680, 693, 869, 893, 1012, 1047, 1051, 1056, 1060, 1074; II: 30, 135, 271, 411, 486, 492, 588, 635 f., 650, 656; III: 78, 193, 430; IV: 87, 134, 163, 191, 197, 210, 256, 282-284, 300, 304k, 307, 320, 502, 600, 627, 649, 705, 836, 898 k, 929 Kommunismus I: 40; II: 235, 431, 911; III: 766, 781 f., 835; IV: 62k, 500, 605 Konfiguration I: 334, 355, 362, 418, 445, 567, 639k, 642, 758, 798, 887, 904, 1071; II: 41; III: 214, 304; IV: 838, 932 Kontingenz I: 195; II: 76, 114, 120; III: 108, i n , 191, 555; IV: 106, 223,545,703 f., 785,948 Kontrolle I: 72, 541, 543, 880, 967; II: 35, 86, 89, 158, 164, 212, 228, 2 4 0 ,2 7 3 ,3 6 5 ,3 7 3 ,3 8 8 f., 393,

398,403,405-407,409,421,428, 4 4 1 ,4 5 0 ,4 5 3 ,4 5 9 ,4 8 0 ,4 8 5 f., 489, 520, 552, 554, 566, 572, 579f-, 583-585. 615, 618, 660,

67o, 674, 716, 722, 733 f., 736 f., 740-749, 753, 756, 758 f., 761764, 784, 791, 814 f., 838, 883,

294 ~297> 305> 3° 7> 324> 342>4° 3>

435,438,444,4*>4>465.497,499, 55°, 579, 593» 651-654, 656, 668,

694, 709, 7 12, 791, 804, 839, 840, 843, 844, 853, 915, 918, 923, 924,

951» 958, 959, 965, 1001; IV: 44, 48, 77, 88, 144, 181, 191, 215, 217, 225, 230-232, 234, 236, 238, 243, 246, 317, 329, 332, 403, 409, 436 f., 447, 681, 741, 764, 788, 793, 815, 849, 875, 915, 982 f.* 988, 995 Kopie I: 75; II: 99, 875; IV: 199,

514, 520 Kräfteverhältnis II: 175, 180, 684f., 869; III: 165, 202, 222, 226f., 230, 270f., 277, 352, 394f., 402, 405, 407,524, 721, 725, 790, 798, 801; IV: 223, 413, 539, 577, 806 Krankenhaus, siehe: Asyl: Kran­ kenhaus Krankheit, Geisteskrankheit I: 24, 159,161, 180,182,184, 211, 215, 217, 224 h, 231, 261, 279, 367,

370, 395, 541- 543, 55°, 637, 692, 719-722, 725, 772, 799, 806, 808, 878-883, 905, 918 f., 929, 958961,968-972, 987, 1016, 1069; II: 87, 133, 135, i6 °, 165, 171, 183, 260f., 267, 272, 292 {., 365, 397, 402, 423, 462,475, 520, 609, 613, 630h, 650, 761, 830-843, 853, 858 f., 888, 933 h, 957, 967, 983, 995, 1000, 1012, 1029; III: 20-37,

57- 59, 65-76, 78, 99- i ° 5, i 26,

Sachregister

163, 255, 272, 279 f . , 285-290,

295- 297» 3° 8» 342, 359» 38 i> 389» 393» 404» 409» 413» 4 20f., 433, 446, 451, 477, 483, 491,504,508, 516, 527, 561, 565, 571-585» 604, 6 l3, 6l8-62I, 63I, 637, 639, 644659, 676, 684 f., 695, 698, 719, 734» 791» 815, 848, 908-926; IV: 27» 39» 58» 72, 74» 103, 166, 181, 190, 207, 221, 259, 271-273, 310, 328 f., 337, 364, 429, 437,452, 454, 458, 517,565, 572,581, 667, 670, 703» 709» 7 H - 7 I 9» 728 f., 739, 780, 806, 820, 826, 887, 898, 9 3 0,9 3 8 ,9 5 4 ,9 5 7 ,1 0 0 8 f., 1023 Krieg I: 16, 18 f., 22, 25, 28,66, 76, 213, 284, 317, 463, 478,489, 664, 709» 97 1» 99 1» 998; II: 25, 27, 34, 92, 174, 177, 236, 286, 425, 429, 449» 564» 623-625, 628 f., 634f., 640, 657f., 661, 709f., 713-716, 719, 793 f., 796-801, 807, 810, 847, 864-866, io n ; III: 23, 46, 55» 57,63,94» ” 6 ,125,147,166168, 170-173, 176 f., 183, 185, 192, 199, 201-203, 206, 227-232, 240, 244, 249, 271, 277, 329, 352, 356, 366, 368, 384, 387,400, 407, 427» 44 1» 470, 472, 505 f-> 5i8, 520, 529, 552, 591, 635-637, 643, 707, 721, 731, 736, 761, 764-766, 768 f . , 786, 812, 830, 834, 840, 876, 879, 881, 893 f . , 899, 906,

913» 934, 939» 951, 979 f-, 1001, i o n , 1026f.; IV: 48, 61, 64, 7375, 88, 118, 128, 138, 160, 163, 170, 205, 208, 245, 250, 291, 3 r9f*> 323» 328, 405, 413» 418420, 428,442,454, 459,563, 573, 633» 645» 658, 717, 726, 845, 907, 923» 943» 944» 1001 f-> 1024 Kriminalität II: 442, 444, 493,

1091

495 f., 571,573, 816 f., 824, 848 f., 901,917, 922; III: 48, 70, 88, 148, 157, 187, 198, 209, 388, 393, 458, 507-509, 542, 574-576, 578, 584587, 590f., 675, 792, 794, 907, 1027; IV: 17-19, 26, 36, 238 f. Kriminologie I: 68; II: 199, 493-

495» 545» 551» 674, 733» 764 f-> 812, 822, 824, 826, 829, 925, 933; III: 153, 208, 381, 436, 444, 584, 587, 591; IV: 181, 809 Kritik I: 35, 86, 107, 203, 205 f., 328, 548,571,577,583, 731, 882, 1009,1019,1036; II: 99,105,190, 262-272, 332, 381, 496, 617, 636, 672, 792, 9 H> 961, 963, 1005; III: 12, 40, 98, 101, 103, 104, 216-218, 346, 514, 548, 733, 756; IV: 9,18, 3 2 ,4 1 ,4 3 ,4 6 ,6 1 ,6 4 ,6 6 , 120, 122, 136, 164-198, 221 f., 335» 487, 598, 631, 644, 694, 702, 707, 710, 727, 783, 847, 925,927, 1014 Kultur I: 3 3 ,42,4 8 ,7 3 , 82,98-100, 140, 205, 225-227, 229, 235, 237, 239 f., 269k, 280f., 321, 324, 330,

339 f-, 345» 359» 4° 4, 415, 417 ^-» 440, 502, 522 f., 540, 543-545» 549» 562, 572, 576, 582 f., 593, 647, 649-651, 655, 669, 673, 675, 697- 699» 701, 707» 715» 728, 73°» 738, 740» 745» 749» 761, 773, 784, 788, 795, 833, 844, 870, 888,902, 958, 1000, 1007, 1014, 1028, 1037, 1065; II: 10, 130-139, 151, 157, 187, 192, 202, 208, 276, 421, 461,464, 476, 506,516, 527, 619, 630, 641, 687, 705, 728, 1005; III: 157, 253, 307, 420, 431, 480, 556, 606, 610, 638, 662, 674, 697, 721, 736, 743, 838, 852, 875, 898, 952, 960, 1015; IV: 38, 61, 77-91,

1092

Sachregister

122, 126, 138, 154, 166, 180, 203, 224, 240, 248, 259, 313, 342, 345,

369? 379? 39°"395? 400? 421, 452, 463, 470, 484, 490, 497, 516, 550-555, 594, 602, 616, 642, 649, 659, 666, 680, 688,

429? 505, 629, 703,

743? 752, 765? 773? 797? 805, 815, 839, 880, 889, 911, 928, 935, 949, 967? 977-987 - Kulturgeschichte I: 594, 597 - Kulturrevolution II: 142, 288, 433 f-> 637-644? 663, 789, 1002; III: 96h, 431, 935, 953 Kunst I: 20, 157, 173, 271, 294, 315, 318 f., 345, 404, 415, 465, 467, 511 f-, 515, 529, 599, 623, 707, 717, 746, 774, 821; II: 153, 202, 235, 286, 601, 651, 707, 751, 789f., 872, 874, 880; III: 112, 131, 162, 606, 877, 1002; IV: 49, 79, 139, 210, 265, 267, 471, 473 f., 487, 496, 541, 543, 596, 653, 698,

757 f-? 9° 4? 9 IQf-? -

Heilkunst III: 31, 920 Kriegskunst III: 116 Kunst des Denkens I: 941, 943 Kunst des Sprechens I: 941-943,

955? 957 - Kunst des Strafens III: 115, 117; IV: 14, 44 - Lebenskunst (siehe auch: Exis­ tenz: Ästhetik der Existenz) III: 179; IV: 309, 379, 389, 470, 489, 5°5? 755? 768, 824, 827 f., 970 - Regierungskunst III: 789, 804, 811-816, 818, 819, 902, 905; IV: 186-188, 195 f., 325, 1003, 1005 siehe auch: Architektur.; Film, Malerei, Literatur; Photographie, Musik Lebensführung III: 248, 796, 803,

804; IV: 260, 363, 366, 492, 771,

9° 9? 97°? 97 2? 984 Legalität II: 622, 624 f., 661 - Illegalität II: 251, 542f.; IV: 855 Leninismus II: 288; III: 680; IV: 419, 610, 960 Lesbarkeit I: 371, 540, 636, 643, 1026; II: 254, 360, 366, 395, 887; III: 257, 259; IV: 300, 600 Liberalisierung II: 911; III: 345, 434, 863f., 880, 882, 884L, 956; IV: 386, 404 Liberalismus I: 835; II: 227, 232, 556, 890; III: 1020-1024; IV: 46, 114, 124, 159, 327, 443, 450, 458, 597, 906, 1013 - Neoliberalismus III: 538, 542, 947, 1027; IV: 727 - Ordoliberalismus III: 1026 f. Liebe I: 116L, 155f., 160, 185, 215 h, 309, 314, 320, 558, 795 h; II: 80, 148, 166, 628, 682, 773, 801, 805, 846, 871, 875, 895, 945, 948, 950, 952L; III: 324, 354L, 370, 390, 400, 542-546, 620, 775, 821; IV: 145, 200, 202 f., 264, 303308, 343 f., 375, 378, 383, 395, 400, 430, 466-468, 471, 641, 674, 752, 756, 865, 885, 899, 910, 919, 921, 974, 977 Linguistik I: 282 h, 439, 489, 514, 566, 569, 577f., 580, 584, 669, 698, 707, 744 f., 747, 751, 761 f., 765 f., 772, 780, 783, 834, 842, 845, 848f., 851, 860, 864, 868, 872, 874, 892, 895, 898-900, 917, 926-928, 932-934, 937f., 940, 955. 99°. 1023. I033> 1042-1068; II: 10, 75,132, 247, 294, 333-335, 463, 467. 528 , 587. 59°. 601, 610, 671. 779. 891. 9 J4 . 927. 956! III: 107, 206, 447, 551, 567, 597,

Sachregister

728; IV: 65, 266, 448, 521, 526f., 529, 726, 822, 943, 1025 - Sprachwissenschaft I: 578, 700, 712, 718, 753, 932, 956, 1044; II: 132, 271, 586, 599, 603, 608, 792; IV: 78, 209, 269 f.

siehe auch: Sémiologie, Semiotik Literatur I: 20, 29, 36, 55, 79, 130, 136,145, 235, 340, 346, 348, 378384» 399» 4° 3» 436, 449» 45 L 455» 472, 485-489, 497, 502, 513, 522,

533- 535» 539» 547-554» 5°, 565, 570f., 578 f., 587, 648-650, 655, 668, 672 f., 689, 695, 701 f., 712, 715-718, 760-769, 842 f., 889, 894, 899, 979, 1016, 1031, 1069, 1070; II: 85, 129-156, 161 f., 202, 207 f., 230, 247, 250, 263, 266, 276, 529, 913, 123,

333 f-» 346, 490» 513- 5 15» 652, 671, 738, 795, 870, 906, 990, 996, 1020; III: 28, 113, 136, 144, 311, 313, 328-333,

342» 344» 4°o» 424» 43°> 477» 5° 6» 5I 5> 527-533» 621-623, 634, 724, 772, 783» 797- 804, 848, 917, 1016; IV: 84, 168, 172, 177, 191, 193, 213, 216 f., 305 f., 324, 387, 392- 394, 401, 466 f., 494, 505, 508, 513, 562, 649, 670, 673, 737, 742, 752, 768, 772, 821, 988 f., 994, 1006, 1011 Literaturwissenschaft I: 749, 1009, 1011, 1017, 1058; II: 775 Logik I: 126, 175, 202, 370, 407, 646, 668f., 699-701, 754, 758, 760, 763, 777, 783, 835, 838, 874, 940-947, 951 f., 954, 990, 995 f., 998, 1028, 1046 f., 1055, 1062; II: 75, 101, 103 f., 106, 112, 128, 164, 166f., 176, 303, 335, 349,

35 1» 355» 415» 467, 528, 561, 599, 636, 887, 939,1001; III: 138, 193,

_______________________________ i °9 3

241, 271, 378, 401, 412 f>, 540, 516, 548, 550L, 553, 598, 601, 603, 844, 940f., 1002; IV: 28, 140 {., 192, 220, 246, 288, 445, 455» 5M> 559» 724, 853 f., 862, 943, 945, 1010, 1016, 1025 Logos I: 197, 225, 547, 673, 876, 995; II: 778; IV: 490, 508, 769, 881 f., 982 Lust I: 94, 166, 179, 202, 301, 307 f., 337, 566; II: 97, 296-298, 468, 789, 862, 893, 903,917, 934, 956L, 976f., 979f., 991,993-997, 1016, 1020L, 1023, 1028; III: 83, u i , 114, 120, 135-140, 174, 176, 197, 260, 302 f., 306f., 336, 345,

354, 390, 394»397, 4°9>4^3 f-, 420f., 429, 459, 493 f-, 57L 635, 663-666, 7OI-7O4, 712, 783, 89O, 968; IV: 143, 146, 201-203, 215, 243,261 f., 264,300 f., 304,307, 310,335-337,361-365,369-379, 397 f., 4 0 4 ,4 4 0 ,4 4 6 ,4 6 8 ,4 7 0 ,

476,480,483,537,570,576-578, 583,586 f., 589 f., 597,618,648652, 655, 668, 671,675, 715,751755, 760, 764, 769, 773, 779, 817, 824, 827, 829, 848, 877, 879, 899, 902, 912-920 Macht I: 46, 50, 56, 63, 73, 76, 7883, 85, 90, 92, 96, 317, 348, 538, 614, 655, 679, 683, 695, 891,938, 964, 969, 973, 984; II: 86, 134, 175, 181, 209, 214, 228, 234, 236, 23 8 f., 246, 274-278, 284-289, 303, 337» 340, 370, 373» 380, 382394» 410» 416, 427, 429-434, 440,

444, 454, 459» 473» 485,487, 496, 500, 510, 512, 514-518, 521 f., 536-538, 540, 544, 547, 553- 558, 565-569» 575- 637, 648-652, 657,

Sachregister

1094

6 6 3 -6 6 8 , 6 7 6 -6 8 9 , 6 9 4 , 7 9 2 , 7 9 9 , 8 0 1 -8 1 5 , 8 2 6 , 8 3 2 , 8 3 6 -8 4 4 , 8 4 6 8 5 0 , 8 5 6 -8 5 8 , 8 6 6 , 8 7 5 , 8 8 1 -9 0 2 ,

907-918,923,929-942,955-970, 9 7 5 , 9 8 1 - 1 0 2 0 , 1 0 2 9 ^ ; III: 1 2 - 1 8 , 23» 2 9 - 3 3 » 3 8 f-, 4 4 - 55 » 6 3 » 7 8 , 8 4 , 8 7 - 9 0 , 9 7 - 1 0 3 , H O , I I 5, 1 2 0 - 1 2 7 , 1 3 7 -1 4 0 ,1 4 7 - 1 5 3 ,1 6 5 - 1 6 9 ,1 7 2 , 1 7 8 -2 1 3 , 2 2 1 , 2 2 4 -2 7 1 , 2 7 8 -2 9 5 , 2 9 8 - 3 0 8 , 315-332,337» 340,3453 5 6 ,3 6 1 ,3 6 8 ,3 7 3 ,3 7 5 ,3 8 0 ,3 9 6 4 0 2 ,4 0 6 - 4 0 9 ,4 2 3 - 4 3 4 ,4 4 8 ,4 7 1 -

495,499-549» 573-576,594-608, 6 1 8 ,6 5 1 ,6 5 4 ,6 5 7 - 6 8 3 ,6 8 7 - 7 1 4 , 7 2 1 - 7 2 3 ,7 3 1 - 7 4 0 ,7 4 6 ,7 5 4 - 7 6 9 » 7 7 7 ,7 8 4 - 7 9 6 ,8 0 4 ,8 0 8 - 8 2 2 ,8 3 2 ,

834,837-845,851-857,861,863, 87O , 8 8 0 , 8 8 4 , 8 9 9 , 9 0 1 , 9 1 2 , 9 1 8 , 9 2 1 ,9 3 1 - 9 3 5 ,9 4 3 - 9 4 7 ,9 5 ° , 9 6 1 , 9 7 7 ,9 8 7 - 9 9 2 ,9 9 6 ,1 0 1 4 - 1 0 1 8 , 1 0 2 4 ; IV: 1 3 , 2 0 - 2 5 , 3 1» 3 6 , 3 9 » 5°» 5 2 , 7 7 , 7 9 , 9 1 » 9 9 , 1 0 2 - 1 1 5 , i 3 °> 1 3 3 ,1 5 6 , 1 6 6 - 1 9 7 , 2 1 0 , 2 1 9 , 2 2 4 2 4 4 , 2 4 9 , 2 5 2 , 2 5 9 , 2 6 1 , 2 6 9 -2 9 4 , 3l8

, 3 2 4 -3 4 1 , 3 6 5 , 370, 379» 414, 4 8 2 , 4 9 4 - 4 9 7 , 5 0 5 , 54° , 5 4 5 , 551» 5 5 7 , 5 7 7 , 5 8 6 , 6 0 5 - 6 0 8 , 612, 615, 619, 638, 648, 654, 660, 675, 691, 704, 713, 723, 759, 773, 7 8 2 -7 9 3 » 8 0 5 , 8 1 3 , 8 2 3 , 8 3 3 , 8 5 5 , 8 6 0 , 8 6 9 , 8 7 8 -9 3 1 , 9 4 5 , 9 5 9 -9 6 6 , 974, 1004, 1009, 1013, 1018, 1 0 2 0 , 1 0 2 3 f. 449, 474,

- Machtbeziehungen I: 66,76; II: 6 7 6 , 6 7 7 , 6 8 2 f ., 7 6 9 , 7 8 6 - 7 9 1 , 8 0 1 , 8 4 0 ,9 7 5 ,9 9 2 - 9 9 7 ,1 0 0 9 ; III: 4 5 f ., 1 6 6 f ., 2 0 1 , 2 3 2 , 3 0 3 , 3 4 6 h , 3 9 7 -4 0 2 , 4 8 9 -4 9 2 , 5 2 4 h , 5 4 2 ,5 4 6 f ., 5 9 5 , 6 0 0 , 6 0 4 , 6 7 3 , 6 7 7 , 6 8 2 ,6 8 4 , 7 3 4 , 7 3 6 , 7 8 5 - 7 9 2 ; IV: 2 0 , 2 3 , 1 0 3 , 1 1 5 , 2 4 3 {., 2 7 0 , 2 7 3 , 2 7 7 , 2 8 2 ,2 9 5 , 3 3 2 , 34O , 5 4 6 f ., 66O , 6 6 2 ,

705, 722, 73I, 78I, 878, 889-9OO,

916-9I9, 93O, 966 - M achtspiele II: 841; III: 684687, 695; IV: 895, 899 - M achttechnik II: 766; III: 86, 99 h , 204, 261, 266 h , 306, 604, 6 5 2 h , 6 6 0 , 6 6 5 , 6 7 1 ; IV: 2 3 , 4 8 , 167, 2 30 , 2 75 , 2 77 , 2 83 , 333 - M achttechnologie III: 203, 239, 261, 300, 605, 790 f.; IV: 167, 230235, 242 f., 1007 - Pastoralm acht III: 691-693; IV: 277, 666 siehe auch: Dispositiv: Dispositive der Macht M a le r e i I: 7 1 , 3 9 9 , 4 0 4 , 4 6 1 , 5 0 8 , 6 0 9 , 6 1 2 , 6 2 3 , 6 6 5 , 7 0 2 f., 7 7 4 , 785 7 9 5 -7 9 7 , 8 1 2 -8 3 1 , 9 7 9 , * 9 9 8 , 1 0 2 1 ; II: 5 0 0 - 5 0 4 , 7 9 2 , 8 6 9 8 8 2 , 1 0 1 0 ; III: 4 4 , 1 1 2 , 1 5 4 , 8 7 7 ; IV: 2 6 5 f., 2 9 6 , 5 2 2 , 5 9 4 , 6 0 1 , 6 5 3 , 655, 696, 912 M a r g in a lis ie r u n g II: 1 5 8 , 2 2 2 , 3 7 6 , 3 8 1 , 4 0 1 , 4 0 4 , 4 1 5 -4 1 7 , 4 2 0 -4 2 3 ,

443 U 451, 54*>>583, 585, 757U 8 4 5 ; III: 6 2 4 ; IV: 2 4 5 , 4 4 1 , 4 4 3 f., 446, 451, 459, 614, 630 M arkt, siehe: Ö konom ie M arktverhältnisse, siehe: Ö k o n o ­ mie M arktw irtschaft, siehe: Ö konom ie Marxismus, M arxisten I: 40 k, 47, 52f., 80, 86, 89 ,5 2 4 f., 668, 698 f.,

706,717,737,740,747 f., 835, 837f., 840, 850^, 1027, 1046; II: 8 2 , 1 9 1 , 1 9 4 , 2 0 2 - 2 0 7 , 2 2 8 ,

286,335 f., 381,391,415-417, 453, 5° 5- 5°9»5r7, 528»536, 598, 6 3 1 f., 6 4 3 , 6 5 0 , 6 5 2 , 6 7 0 , 6 7 2 , 6 8 5 , 7 6 6 , 7 7 6 , 7 8 8 , 7 9 3 , 8 0 3 f., 8 0 6 , 8 0 9 h , 8 2 5 , 8 9 3 f., 9 0 8 - 9 1 2 , 9 3 0 -9 3 2 , 9 3 5 -9 3 8 , 9 5 6 , 9 9 2 , 9 9 5 ,

Sachregister

1004h, 1010, 1018; III: 38,40, 52,

145,177,187f.,1 9 4 U 205,215f., 220f., 224 f*, 350, 352 f., 365 f., 407, 488, 505, 517, 519 h, 525 f *,

529, 543> 546, 549. 55l f -, 567, 601, 603, 605, 725, 748-775, 781 f., 786f., 789f., 793, 831, 835, 868, 876, 879, 891, 930 f., 939, 981 f.; IV: 32, 41, 46, 62, 64-67, 74-82, 85-87, 90-94, 98-101, 125, 226, 232, 244, 258, 500, 522-529, 535. 538, 55°. 552- 555. 606f., 6 io f., 628, 630, 635, 646f., 700, 71 x, 718 f., 727, 729, 746, 786, 799, 801, 803, 806, 818-820, 835, 925. 943. 959. 963. 96 5, IQ2i Maschine I: 201, 218, 284, 291,

295. 3° 6, 3° 9- 3 II> 3 I 3 f-> 389. 501, 698, 972, 1056; II: 27, 83, 125, 127h, 442, 483, 519, 536, 543. 557- 56i , 651, 654h, 739, 747, 791, 801, 897, 909, 918; III: 35, 88, 177, 260, 262, 266,

270,276f., 329,365,404,487, 569,588 f., 685,694,823,872, 924; IV: 21-23,162, 235,237, 331, 451, 692, 740, 933, 988, 1018 Maschinerie 1:283 f., 295,309,389, 554, 802,988,1024; II: 28, 30,93, 123, 128,581 f., 905, 927, 998; III: 12,31,121,242,262,264,329, 411,432, 920; IV: 54, 423 Masturbation, siehe: Selbstbefrie­ digung Materialismus I: 23, 27, 501, 509, 512, 708; II: 92, 99, 135, 936, 1005 f.; III: 600, 764f., 859; IV: 70, 76, 81, 236, 239 h Materialität I: 135, 335, 409, 441, 900, 914, 982; II: 380, 583, 778, 826, 870, 933; III: 37, 268, 380, 914 f., 926

_________________________ 1095

Medizin I: 15, 28, 60, 63, 65, 67h, 71, 75, 77, 87, i 36>199-201, 207, 210-212, 220, 231, 367, 541, 580, 646, 718-720, 722, 742, 757, 772, 798-812, 860, 862, 865!, 868, 878-882, 905-910, 918 f., 922, 958, 987f., 1001, 1016f., 1058, 1069 f.; II: 37, 39, 71, 76, 160, 164h, 182, 192, 194-196, 199, 22y f.> 237, 253 f., 261, 267, 295, 299, 3” , 313f-, 35°, 357, 37i f-, 395 f-, 439, 463, 474-476, 489 f-, 5iof., 533f., 537, 540, 552, 554, 556f-, 584, 599, 609, 617, 649 f., 652, 725, 734, 759, 811 f-, 8i6f., 820-823, 825h, 829-843, 852, 855, 858, 884, 888, 893, 921 f., 927,940 f., 957f., 961,964 f., 981-983, 995, 1002, 1004, 1012, 1018, 1025 h, 1029, 1031; III: 11, 19-37,40, 49,54-76, 78, 100-104, 120, 122 h, 126, 136, 140, 152h, 155, 158, 160, 163, 181, 187-190, 198h, 218, 248, 250h, 255, 265, 272-298,326,328,342 h, 357f., 361,403 h, 41if., 415,417,421, 428,430 f., 435-437,44°, 447, 452-454,478,483 f., 490,493, 495, 5l6, 518,520,527, 529,557, 561, 572-594, 613, 620, 628 h, 644-660, 663, 667, 670, 684, 688, 695, 697, 719>734 f-, 738, 747, 757, 841, 9°5 f-, 9°8-929, 948, 959, 965, 967; IV: 33, 46, 58, 69, 74, 83, 101, 103, 109 f., 118,143152, 181, 215, 236, 242, 246, 248, 252, 263, 273, 278 f., 351, 392, 425,428 f., 452 f., 455,459h, 464, 480, 556h, 567, 625, 647, 659h, 667, 670{., 676, 708, 711 f., 714, 729, 738, 778, 79°, 792, 794 f-, 806, 808, 8l2, 829, 833, 85I, 876,

1096

887, 896, 922, 949, 954, 965, 968, 981, 1017, 1019h - Gerichtsmedizin II: 261, 299;

III: 6}\

- Medizinisierung I: 805, 809; III: 21, 26 h, 29, 32, 65-76, 102, 241, 248, 272-274, 290, 292, 297, 307,422,483-485,491 f., 628,

649 f., 654,910,915,917 f., 922; IV: 459, 557, 794, 9*7 Mensch I: 62, io8f., 131, 140, 143, 155, 176, 183, 195h, 214-216, 224-233, 241, 253, 260, 268, 284, 289, 299, 302, 319, 332, 339, 396, 424, 446, 461-463, 467, 470, 481, 489h, 526, 530, 541-544, 555, 594, 602, 627-637, 649-651, 669, 680, 696-703, 713, 730, 778 f., 789-792, 800f., 831-849, 885, 986, 1012, 1037; II: 119-126, 159,

169-174,186,282,468,470,527, 61 x, 619, 631,684,730, 776, 842, 993,1017,1024; III: 72,109, 237, 374-378, 483, 564, 637, 717, 736, 783, 840, 842, 988; IV: 70-72, 92, 145, 186, 191, 197, 214h, 237, 270, 427, 429, 482,534, 661, 690693, 697 h, 712, 751, 798, 809, 877, 956, 960, 964, 999, 1003, 1009

siehe auch: Anthropologie Mentalität, siehe: Geschichte: Mentalitätsgeschichte Merkantilismus II: 549, 565; III: 278, 282, 393, 650, 811, 813, 815, 903, 905, 1024; IV: 192 Metapher I: 157, 170, 338, 359, 361, 376, 386, 481, 486-513, 534, 560, 566f., 578, 612, 623, 628, 653 h, 706, 759, 768, 873, 876, 902, 908, 1045; II: 94, 346, 751, 932, 1012; III: 43-47, 107, 352,

Sachregister

398, 405, 576, 599, 770, 806; IV: 93, 158, 168, 171-175, 297, 327, 339,388, 428, 431,437,492,511, 748, 881, 987h, 997 Metaphysik I: 1 1 4 ,1 7 0 ,183 h, 328,

4°°> 473, 487, 675, 708, 711, 713, 781, 792 f., 976, 978 f.; II: 98-104, 127, 167-169, 171, 174, 178-182, 185-188, 199, 247, 254, 298, 330, 465, 5°9> 595, 648, 676, 772; III: 349, 639, 736, 790, 985; IV: 93, 280f., 332, 618, 702h, 864 Methode I: 4 0 f., 45, 108, 114, 118, 124,128, 145, 147, 190, 202, 220, 318, 521, 559, 561-563, 571, 580,

597, 7°f., 745, 752, 77 1, 781, 794, 855, 887, 939, 989-991, 997, 1055, 1057, 1064, 1069; II: 10, 41, 48 h, 60, 67, 156h, 163, 166,

192h, 216,222,232,234,332, 342,369,506,554,555,563,677, 708,789,834,854,891,913, 1008; III: 34, 39-43, 85, 105-107, 113, 221, 256, 339, 515 h, 521,

559- 564, 594, 598 f-, 607, 611, 668, 728, 751, 759-761, 768, 773, 923, 1020f.; IV: 18, 26, 53-58, 66, 81, 174, 185, 338, 501, 521, 526, 562h, 588, 615, 665, 679, 685, 801, 815, 951-955, 981, 1021 Mittelalter I: 225, 231, 235 h, 268 h, 415, 454, 461, 540, 558, 573, 628, 639, 794 I , 807-810, 894, 965, 982, 1016; II: 131, 136,

138,159-163,209 h, 251,256, 369,373 f-, 397,438,452,487, 5! 7, 541, 558, 561 f-, 569 , 574, 606, 648, 673, 69O, 708, 7I4-728, 736h, 784, 855 h, 860, 897, 991, 999, 1008, 1013, 1023 h; III: 23, 50, 67, 100, 120, 136, 167, 199, 214, 221, 233-235, 243, 275, 284-

Sachregister 286, 288, 365, 400, 414, 479-481, 483, 491 f., 494, 509, 5J5, 585, 614-627, 632, 647h, 652, 666, 6 79,690f., 700f., 726 f., 796, 805, 821; IV: 117, 143 h, 171, 182-184, 226 {., 231,276,324 f., 336,338,

347f-, 35°. 354.359 382,394, 397,462,476,496,557,677,748, 774,808 f., 919,932,947,991, 1005 Moderne I: 96, 649, 670, 745 f., 767, 1001; II: 152, 725, 750; III: 724, 731, 821; IV: 57, 171,

334) 494. 541 f-> 575. 599. 665, 694 f., 697,773, 796 f., 839 f., 846, 939. 973 Modernität I: 698, 705; IV: 55, 57, 113, 694-698 Monarchie II: 344, 373,539, 717h, 742 f., 802, 898, 928, 932 f., 991; III: 15, 48, 171, 198 h, 243-246, 256, 260f., 263-265, 344, 346, 372, 406, 432,506, 545, 670, 692, 791, 811 f., 815, 819, 851, 853, 879-882, 933; IV: 112, 117, 136, 168, 190, 226f., 231 f., 235, 241, 611, 651, 674, 863, 1009 Mönchstum II: 852; III: 711, 745; IV: 811-814 Monogamie III: m , 704, 711 f.; IV: 213, 669, 922 Monster, Monstrosität I: 311, 455, 470, 669, 705, 798, 806; II: 119, 135. 263, 56o> 7° 3. 849. 916, 1031; III: 16, 102, 436, 476, 561, 574 f-, 578, 582-584. 592> 622, 677. 824, 874; IV: 143, 954 Monument I: 269, 400, 567, 871, 902, 993, 1043; II: 185, 187, 191, 57°. 7°5. 9°4. 945; HI: 126, 157, 316, 646; IV: 268 Moral I: 96, 227, 232, 248, 667,

i o 97

695, 708, 788, 836; II: 92, 108, 113, 161, 166, 168, 170-172, 254, 289, 387, 439, 444, 460, 465, 469, 471. 475. 569> 584. 661, 663, 665, 676, 683, 742, 744, 750, 753, 815, 829, 903, 918, 931, 1029; III: 5658, 68, 135, 175, 330, 340, 355,

34> 5° 3. 5 U > 52, 564. 592, 620, 622, 682, 702, 704 f., 710, 712, 7 ! 7> 75°. 754. 7 63. 766. 774. 802h, 978, 991; IV: 27, 61, 119, 125, 162, 164, 192-195, 213, 217, 245. 254. 262, 324, 346 f., 368, 371, 462-498, 510, 567, 594, 648, 668, 670, 676-686, 718, 724, 730,

748-776,789,799,824,827-831, 845,859,861-873,876,884,904, 928,955,971-973.1008-1012 - Moralphilosophie IV: 669 Musik I: 20-23, 27, 84, 238, 245,

247.473 f-> 478,5 0 2 f., 5 io f., 531, 687, 724, 761 f., 785, 979, 1021; II: 676, 792, 950, 952; III: i n f . , 743 U IV: 130, 137-142, 174h, 265-269, 311-314, 522, 594-604, 653. 773. 9 i 2 f., Mythologie I: 115, 132, 180, 199, 204, 214, 217, 479. 527. ^73. 745. 748, 851, 886, 1002, 1043; II: 272, 334 .3 3 8 ,3 4 7 .7 7 3 .9 1 6 ,9 8 0 ; III: 30, 81, 89, 106, 123, 699, 919; IV: 78, 138, 141h, 266, 521 Mythos, Mythen I: i3 2 f., 139, 155 f., 160, 162, 166, 180, 184, 186, 192, 204h, 212, 221, 235, 257-261, 283, 301, 306, 414,

445 h, 526 h, 533,583,655,673, 748, 759. 764 f-> 777. 79o f -> 793. 846, 850h, 892, 939, 990f., 1043, 1045, 1050, 1055; II: 122, 257h, 265 h, 272, 335, 338, 340, 346f., 590, 598, 674, 688, 705, 773 h,

1098 780-783, 914, 1016; III: 59, 99, 102,149, 170, 423, 521, 562, 663, 699, 746, 821, 833, 853, 933; IV: 99, 127, 138, 141 f., i74f., 204, 246, 333, 344f., 346, 349,

397. 7 *3, 93 *. 955 Nation II: 75,430,483,581; III: 55, 427, 470, 690, 931; IV: 412, 798,

IOOO - Nationalismus I: 708; II: 230, 794, 902,1016; III: 49,496 f., 500,

853. 895. 943

Nationalökonomie, siehe: Ökono­ mie: Nationalökonomie Nationalsozialismus, Nazismus I: 442, 704, 708, 723, 746; II: 371, 433. 798, 800-806, 809, 955, 1022 f.; III: 224, 607, 906, 1026; IV: 60-62, 80, 9 0 f., 127, 306, 645, 717, 965, 1023 Natur I: 53, 61, 151, 176-184, 216, 246, 251, 259, 263, 268-273, 314, 320, 350, 405, 416, 420, 553, 591, 643, 648, 675, 697, 700, 719, 727, 734. 755. 801, 805, 811, 841, 901,

952>9 6 7>973. i ° 39. 1071;II: 38, 47. 49. 61, 65-69, 127, 134, 180, 189, 235, 528, 586-637, 677-687, 726, 766, 832 f., 838,1024; III: 39, 129, 226, 253, 305, 554, 562, 592, 602, 639, 655, 759, 766, 808, 812, 832; IV: 49, 65, 92, 202, 224, 263, 3^3, 35. 378, 389. 466, 573- 583. 590, 670, 779, 845, 877, 955, 980

Naturrecht II: 525; III: 545; IV: 893 Neoliberalismus, siehe: Liberalis­ mus: Neoliberalismus 1968 (auch Mai 68) I: 44 f., 68, 77, 798-931; II: 129, 155, 239, 273 h, 278, 280, 286, 336, 370, 388, 420, 423, 441, 4 4 8 ,51X, 531, 550, 640,

Sachregister

798 h, 806f., 810, 837, 841, 850,

9 12f-, 935. 957 *-. 972>995. I0% 1004; III: 117, 154, 183,188, 194, 347. 449. 552> 874. 878, 1007, 1014, 1016; IV: 27, 75, 86-90, 97 f., 100-103, 121 f., 124 h, 160f., 315, 523, 610, 613, 635, 643, 646 f., 944 Neurose I: 219, 540, 665, 775, 847, 906, 959; II: i n , 132, 157, 162, 1014; III: 69, 393, 412 f., 418, 447, 684, 1009; IV: 242 Nominalismus. I: 84; III: 1020; IV: 43, 377> 709 Norm I: 192, 213, 590, 596-602, 655, io67f.; II: 204, 274, 403,

45°. 455- 458,4 8 7 , 736. 829, 855858, 1014; III: 67, 99-105, 247, 378-382, 483-491, 525, 560, 566, 873; IV: 118, 242, 454-459, 937,

953, 958 Normale I: 773; II: 968; III: 100; IV: 708 - Normalisierung II: 567-758, 767, 786, 787, 939; III: 483, 485; IV: 13, 20, 118, 242 - Normalität I: 474, 773-775, 809; II: 520f., 566, 584, 842; III: 67, 485 f.; IV: 39, 102, 221, 372, 410, 456, 7*2, 954 - Anormalität I: 71, 73, 177, 211, 798; II: 939, 1024-1031; III: 67, 1*9, 369, 379, 673; IV: 458 Nosographie III: 101, 964; IV: 808 Nouveau Roman I: 36, 387, 456, 462, 469, 471, 494, 504 f., 650; IV: 745 f. Oberfläche I: 108, 113, 132, 157, 233, 247, 254, 274, 288, 290, 296, 303, 306f., 314, 321, 336, 346, 380, 386, 402, 404, 408, 417, 451,

Sachregister

538, 542> 552 f-> 567» 624, 634, 641, 663, 66j, 705, 729, 731, 786, 817, 825, 865, 874 f., 904, 909, 911, 916k, 974, 981, 986; II: 71, 97-99, 101-105, 107, 280, 287, 352, 435, 500-505, 536, 558f., 597, 645 f., 677, 853, 972, 1023; III: 170,175, 290, 362, 732f., 757, 778; IV: 30, 39, 133, 144, 364, 367, 391, 607, 834, 935, 1006 Objektivität I: 123, 138, 139, 150k, 176 k, 187-191, 197-199, 220k, 474, 491, 907, 955; II: 113, 173,178,184, 201, 238,521, 822824, 981; IV: 43, 70, 260, 731, 780 Öffentlichkeit I: 56, 60, 70, 245, 247, 249, 750, 770, 833, 855, 980; II: 213, 217, 243-245, 378, 410, 5° 5, 53°, 534» 551» 554, 663; III: 320, 334, 386, 404, 468, 473, 494, 515, 641, 827k, 871, 892, 957, 962, 975, 1013, 1018; IV: 10, 37k, 56, 109, 318, 320k, 343, 380k, 399, 404, 416, 489, 526, 561, 768, 833, 849 Ökonomie I: 4, 70, 94, 212-214, 301, 308, 311, 699, 707, 737, 753, 758, 766, 780, 789, 839, 848, 86O863, 886, 915, 917, 919, 928 k, 944, 988, 1005, 1029, 1050, 1059, 1063; II: 10-15, 39» 88» 134, 197» 203-205, 269k, 325, 345, 406,

438, 495» 575» 6o6>72 5» 7^0, 790, 862, 896, 911, 919, 924, 929, 934, 1005,1029; III: 22, 24, 41, 47,56, 71, 92, 115, 124k, 186, 189, 194, I98, 208, 224-226, 232, 239, 245, 268, 273-277, 305-308, 331, 337, 346 k, 364-368, 393, 427, 480, 516, 519, 543, 554, 639, 674, 677, 691, 700, 715, 718, 749, 791 f.,

802-805, 8l4-822, 854, 880, 9O3,

1099

911, 915, 920-922, 949, 984, 986, 1024-1027; IV: 23, 31, 36, 70, 72, 84-87,95, 243, 247, 270-273, 279, 300, 350, 440, 449, 470, 473, 481, 537, 595, 597, 623, 625, 648, 749, 755, 757, 7^3, 802, 850, 855, 947, 968 - Markt II: 26, 227, 565, 759; III: 29, 72 h, 607, 918, 1023, 1027; IV: 135, 190, 384, 626 - Marktwirtschaft III: 1026 h - Nationalökonomie III: 1025 Okzident I: 226; II: 123; III: 554556, 901; IV: 946, 948 h Onanie, siehe: Selbstbefriedigung Ontologie I: 108-110, 162, 172,

293 k» 32 7 f-, 34°» 344- 348, 354, 364, 443» 588, 592-595, 804, 1012; II: 40-45, 67, 70, 113; III: 790-792; IV: 216, 281, 356,

474,492 k, 702-706,759,770, 848,879,884k, 891,999 Ordnung I: 16, 38, 143, 169, 176, 224, 264, 269, 289, 317, 329, 339, 370, 382 k, 389, 417, 434, 440, 446, 473, 495,533,556,558, 628, 634, 640, 645-652, 686, 692, 713, 728, 751, 795, 801, 804, 820, 825, 874, 882, 897, 901, 910, 914, 928,

93°, 935- 943, 955» 965, 97°, 9 89 , 1021,1029,1044,1074; II: 25, 36-

50,57,65 k, 72,75,78,104k, 110, 143, 150, 163 k, 298-304, 339» 35°f-, 360-365, 377, 384, 387, 400, 411-418, 425, 429, 469, 487,561, 569, 578, 641, 645, 658, 665, 678, 717, 739, 8l8, 84O, 84685O, 854, 858, 86O, 875, 89I, 896, 9 °2>9 15» 943» 999! HI: 14, 24, 48, 78, 84, 119, 138, 147-151, 167170, 178, 190, 207, 250, 259, 300, 356-363, 394, 4 ° 3» 428» 435, 45 1,

Sachregister

I IOO

485, 808, 983, 264,

5 2 6 , 6 2 4 , 679 , 836, 843, 860, 1 0 2 1 ; IV: 1 6 2 , 279, 316, 324,

685», 873, 170, 414,

724, 897, 182, 422,

771, 913, 189, 432,

445>457>477>4 ^4>49> 573» 577" 579> 72 3>94 1» 95 h IO° 2> i ° ° 5>

1011 siehe auch: Diskurs: Diskursord­ nung

Ordoliberalismus, siehe Liberalis­ mus: Ordoliberalismus Organismus I: 178, 191, 201, 215, 412, 718, 739, 791, 882, 913 f., 989, 1023; II: 35, 46, 54 f., 68, 98, 125, 127, 278, 428, 587, 604, 831; III: 26, 62, 273, 288, 290f., 405 f., 561, 655, 916; IV: 599, 670, 954 Orient I: 226 f., 278, 407, 411-418,

774 f-î H: 559; HI: 480f., 493, 852, 901; IV: 168, 175, 470, 755, 938 Pädagogik I: 68, 176, 192, 200, 206-208, 266, j8of., 869, 934-

937» 956; H: 1°°» Io8> 23 I"2 33> 295, 3° 2> 33°. 353U 35^, 361363,413, 422, 538, 572 f., 734, 754. 7 5 9 764. 772. i ° i 3; III: 1 8 1 , 1 9 9 , 2 2 0 , 3 0 1 , 3 6 0 , 4 1 7 , 512, 6 82 , 7 39 , 743, 802, 1018; IV: 3 0 f ., 2 5 2 , 2 6 0 - 2 6 4 , 2 9 1 , 3 4 3 , 3 8 7 , 4 2 8 , 6 0 1 , 6 1 2 f ., 6 1 9 , 6 5 9 , 670, 722, 876, 878, 891, 899, 973, 9 8 1 f. Paläontologie I: 665; II: 43-45, 58 f.; III: 1 2 8 Panoptismus, Panoptikon II: 5 4 4 k , 5 8 0 , 5 8 4 , 7 3 5 , 7 4 8 - 7 5 4 , 7 6 5 , 8 9 9 f.; III: 4 7 k , 2 5 0 - 2 7 1 , 5 9 6 , 6 0 4 f ., 7 2 4 f ., 7 8 5 , 7 8 8 f.; IV: 2 3 , 3 6 , 3 3 1 f.

siehe auch: Überwachung

Parrhesia (Wahr-Sprechen) I: 99, 1 0 2 f.; IV: 3 4 P a s t o r a t III: 7 0 5 , 7 9 6 , 8 2 2 f.; IV: 1 6 7 , 1 7 6 - 1 8 3

siehe auch: Macht: Pastoral­ macht Pathologische I: 177, 211, 262, 5 4 1 , 5 5 0 , 7 7 3 , 7 9 8 h , 8 8 0 ; II: 5 6 6 , 9 6 8 ; III: 1 0 0 , 5 6 5 , 5 8 4 ; IV: 4 5 8 , 956 - P a t h o lo g is ie r u n g III: 7 0 , 3 4 2 , 3 7 6 ; IV: 3 5 1 Phantasma I: 276f., 377, 380, 385, 399. 4 0 . 417. 566, 804-806; II: 9 5 - 9 9 , 1 0 4 - 1 0 9 , 1 1 4 - 1 1 7 , 7 5 4 . 9 3 3 , 1 0 1 9 , 1 0 2 2 ; III: 3 2 6 - Phantasmagorie I: 151,172,398, 407, 415; II: 121, 306, 359; IV: 5 8 3 , 5 8 6 Philologie: I: 709, 711, 733, 738, 781-784, 877, 919, 926, 932, 957, 1043 f., 1047 f., 1052, 1056, 1058; II: 13, 601; IV: 269, 1025 Philosophie I: 18, 20 f., 3 5 f., 4042, 44, 50-53, 65, 84, 1 0 8 -u i, 129, 135, 139, 145, 180, 183, 1 9 8 f ., 2 3 6 , 2 3 9 h , 3 2 6 - 3 3 2 , 3 3 5 , 34° . 341. 359.

3 6 5 . 45° - 454. 459. 5 6 3 . 573-^ 0 3 , 6 2 3 , 6 4 6 , 6 5 1 , 6 6 6 , 6 7 3 , 6 9 9 -7 1 3 , 7 1 7 , 7 2 8 , 7 3 3 , 7 38 h , 7 4 3 -7 4 9 . 7 6 4 -7 6 8 , 7 7 4 , 7 7 6 , 7 8 2 -7 8 4 , 7 9 4 , 8 3 5 -8 4 0 , 8 4 5 , 8 4 7 -8 5 2 , 8 7 3 , 8 9 4 , 9 7 6 , 9 7 8 , 985 h , 9 9 1 -9 9 8 , 100 1, 1007, 1009, 1031, 1042 h , 1075; II: 9 - 1 4 , 3 1 , 5 8 , 6 6 , 8 0 - 9 0 , 9 4 1 00 , 1 0 5 -1 2 2 , 1 3 0 -1 3 9 , 153 h , 1 67 , 1 72 , 1 82 , 1 85 , 1 9 9 -2 0 2 , 2 7 0 , 2 8 1 , 2 8 3 , 2 9 7 , 3 2 7 , 3 4 8 -3 5 2 , 3 6 3 3 6 8 , 3 8 0 , 4 6 1 -4 6 9 , 4 9 7 , 5 13 , 516, .5 2 8 h , 5 4 1 , 5 8 6 , 6 0 1 , 6 1 4 , 6 3 0 , 6 4 9 , 6 7 1 , 6 7 8 -6 8 4 , 6 9 9 -7 0 7 , 7 7 2 , 4 7 3 . 5 ° 2 . 5° 9 > 5 1 4 .

Sachregister

776, 77 % 852, 888, 897>968, 99 % 1005, 1030; III: 4 0 f., 149, 180, 200, 210, 232, 236, 254, 2 76, 307, 349, 360, 364, 367f., 414, 453, 478, 481, 510k, 515, 551-567, 607, 675, 678-695, 718-747,

754 f-, 758- 7é 3, 77 % 773, 776, 781, 954, 978, 983; IV: 37, 43, 53, 60, 62, 65, 77, 88, 128, 132-136, 1 5 7,165,172,179,208,248,265, 1 71,280,3 3 3 f., 348,421,4254 2 9 ,4 6 6 ,4 8 0 ,4 9 6 ,4 9 9 f., 525, 53°f-, 544, 5 52, 610, 635, 644, 654, 664, 687 f., 709, 711, 746, 752, 764, 774, 793 f., 803, 837-

84I, 846-848, 860-873, 892, 894, 901 k, 943- 952, 958-962, 969973, 980, 999, 1006, 1016, 1024, 1027 - Empirismus I: 651, 987, 1075; II: 202, 489, 505, 602, 613, 684, 776; III: 217, 219, 488; IV: 31,

447, 451, 521 f-, 529 - Epikureer I: 440; II: 97, 99, 100; IV: 180, 429-434, 471, 485, 510,

5 I 3> 519, 765, 971, 977, 983 - Existentialismus: I: 41,460, 664, 717, 746, 788, 833-836, 838, 840, 852; II: 335; III: 305, 439, 481, 745, 759, 840, 847; IV: 60-63, 77, 473, 552, 607, 700, 746, 758, 888 - Existenzphilosophie I: 109 - Frankfurter Schule I: 96, 100; III: 554f.; IV: 27, 90-94, i n , 166, 272, 531- 533, 848, 947 f-, 999 - Idealismus, Deutscher Idealis­ mus I: 529, 997; II: 200, 247, 455; III: 365, 764; IV: 79, 246, I0 l6 - Phänomenologie I: 19,107, 120125,15 5 f., 183,196,215,382,

458,460,479,489,771,780-782,

I IOI

995 f., 1073; II: 16, 98, 103 f., 206, 335f-i HI: 194h, 481, 552, 555, 564, 567, 594, 733, i 026; IV: 54, 6 0 f., 65-67, 72, 526-529, 534k, 538k, 646k, 711, 746, 801, 819, 822, 888, 928, 934, 944, 947, 956,

958 - Pragmatismus IV: 246, 1016 - Pythagoräer I: 238; IV: 172, 174,

344, 346, 363, 433, 435, 49°, 5° 5, 519, 676, 763, 769, 977, 982 k - Sophisten, Sophismus I: 204, 440, 976; II: 94, 96 k, 122, 704 k, 777k, 792; III: 214; IV: 436, 518, 988 - Stoiker, Stoizismus I: 55, 98, 440, 599, 857; II: 97, 100, 106; III: 307, 414, 679, 721, 739, 796; IV: 180, 346, 368, 429-438, 477481, 485, 493, 510, 672, 676, 716, 761, 763, 772, 827, 862 k, 881, 977, 979, 984-988, 992 k - Utilitarismus I: 914 k, III: 371; IV: 31 Physik I: 114, 170, 178, 197, 214, 459k, 462, 512, 582, 584, 592, 599, 878, 887, 983, 988, 1025, 1035; II: 9, 56, 61, 78, 98, 101, 104, 127, 205 k, 463, 509, 587k, 592, 594, 601, 604, 611 k, 931; III: 187k, 208, 254, 554, 557, 563 k, 639; IV: 67, 296, 340, 485, 531, 766, 821, 826,949,955,1025 Physiokraten I: 861, 914 k; II: 10; III: 810, 903, 1023 f. Polen I: 30, 92, 96k , 99, 101, 105, 298, 749, 831; II: 812, 1006; III: 497, 535, IO° 3i IV: 49, 56, 97k, 102, 255-257, 314-323,405450, 604-637, 642k, 720, 735, 836, 839 Politik I: 50, 53, 70, 82,95,99, 712,

1102

75h 7^~791> 837-840, 852, 871877, 882-884, 894; II: 88-92, 130, 134, 161, 202, 222, 230, 374, 382,

388 f., 407,436,442,471-474, 495. 5° i . 533» 539» 586» 613-616, 642,651 L, 663 f., 667 f., 683, 686, 725, 790, 793, 806, 845, 864-866, 891, 919, 935, 940, 1004; III: 1433» 45» 5°» 57» 66, 84, 126, 149, 152, 167, 176-180, 188, 190, 201, 210, 213, 227 f*, 254, 268, 271, 276, 278, 289, 305, 309, 331, 346, 349» 366-370, 428, 431, 454, 469,

52 3> 537» 54°» 564» 588» 596» 603, 622, 660-671, 675-695, 764, 789, 796-804, 8 i2 f., 835, 864, 867, 869, 880f., 888, 895-898, 908, 910-922, 987, 992, 995, 998, 1025-1027; IV: 45, 61, 64, 89, 97, 106 f., 122-126, 160, 176, 186, 191, 195, 219, 235, 237, 241, 246, 254, 265 f., 325, 346, 380f., 405, 409, 414, 419, 426, 449, 458, 488, 614f., 646, 715-734, 834, 836, 851 f-, 863, 874> 892, 895>9 ° h 906-924, 927f., 955, 960, 974-

Sachregister

617, 624 f., 649, 661 f., 734, 737, 742, 747» 84S_848» 863, 883, 886, 893, 9°°f-> 9 I 9 ' 9 2 4>942, 960, 988, 1007; III: 12, 2 4 f., 47, 90, 123 f., 160, 198, 200, 241, 277, 279, 288 f., 322 f., 325, 328, 424,

435- 449» 474 f-, 509, 523f-, 535537, 585, 629, 792, 803f., 823, 825, 830, 851, 855, 861, 869, 873, 879, 892-896, 900, 9 0 4 f., 913-

915, 935 f-, 947, 950, 962, 972, 993f., 1017!, 1028; IV: 97, 106, 160, 184-198, 246, 279, 326, 402404, 4 2 3> 787» 921, 942, 10081013, 1020 - Polizeiwissenschaft III: 904, 1021; IV: 192 - Polizeistaat II: 625, 902; III: 881; IV: 1013 Positivismus I: 27, 29, 108, 195, 199, 209, 237, 291, 459 f., 475, 574h, 581, 973, 1036, 1046; II: 103, 206, 399,465; III: 40,113, 188, 219, 554h, 587, 784; IV: 76, 150, 209, 500, 524, 527,

- Gesundheitspolitik I: i o i ; II: 19-37; III: 9° 5>908-926, 1028 - Sozialpolitik III: 880 - Sozialversicherung II: 468; III: 74 f., 949; IV: 440 f., 446-460, 628, 633, 851

947, 949 Positivität I: 205, 209, 216 f., 221, 226, 278, 328, 452, 673, 696, 787, 878, 884, 905, 917h, 920-923, 955; II: 42, 47, i n , 120f., 349, 927; III: 60, 555, 799; IV: 664, 948 Postmoderne, postmodern I: 96; IV: 333 f., 541 f., 695

siehe auch: Familie: Familien­ politik; Gesellschaftspolitik

Pragmatismus, siehe: Philosophie: Pragmatismus

Polizei, Policey I: 31, 48, 50, 58, 60, 6 2 f., 66, 68, 83, 93, 103, 686, 969; II: 134, 164, 212, 236, 242247, 252-254, 273, 284, 350, 370,

Präsenz I: 153, 169, 692, 816, 876,

980, IOO4-IOI5

395 f-» 409- 417, 4 24» 4 29 » 438» 441, 447, 458, 478, 480, 495 f., 521, 546, 555, 563-567, 579, 584,

898, 905, 955» 9 9 h 1019; II: 64, 727» 877» 942, 944» 960; III: 15, 32, 566, 921, 953; IV: 20, 68, 117, 238, 294, 298,515, 593, 607, 661,

895, 958

siehe auch: Gegenwart, Heute

1103

Sachregister P r iv a t e ig e n t u m I: 1 0 3 0 ; II: 2 7 7 , 4 1 9 , 4 2 9 , 5 6 7 , 6 1 4 ; III: 2 8 9 f ., 2 9 2 ; IV: 6 1 1 , 1 0 0 8 P r o b le m a t is ie r u n g III: 2 1 ; IV: 3 5 0 ,

665-668,676,679,706,724-734, 749» 751>825 f., 839,851,872 P r o le t a r ia t II: 1 4 8 , 1 6 4 , 2 1 2 , 2 2 6 , 2 2 9 , 2 3 1 , 2 3 4 , 2 3 8 , 2 7 5 f ., 2 8 8 , 3 7 6 , 3 9 2 f ., 4 0 3 - 4 0 5 , 4 1 5 - 4 2 2 , 4 2 6 f ., 4 3 1 - 4 3 3 » 4 3 5 » 4 3 8 - 4 5 4 » 4 5 9 f-» 5 1 4 » 5 3 0 , 5 4 1 » 545 f-, 5 4 8 , 6 2 0 , 6 2 2 , 6 2 5 - 6 2 7 , 6 3 1 f ., 6 6 1 6 6 5 , 7 3 9 - 7 5 4 f-, 7 8 9 , 9 0 8 - 9 1 0 , 9 3 8 , 1 0 1 6 ; III: 4 9 , 8 4 , 1 4 5 f ., 1 5 0 , 205, 211, 275, 283, 294, 407, 487, 5 4 2 , 6 0 0 , 7 5 7 , 7 6 1 , 7 ^ 9 -7 7 1 » 9 8 1 , 1 0 0 6 f ., 1 0 0 9 P r o t e s t a n t is m u s I: 8 1 1 , 9 6 1 , 9 7 0 , 9 7 3 ; II: 8 6 , 7 8 4 ; III: 1 7 4 , 2 4 4 , 2 9 6 , 4 2 3 » 4 4 5 » 5 3 °» 6 6 4 , 7 8 3 , 7 9 6 ; IV: 117» 279 » 3 3 2 , 3 7 5 » 4 6 4 » 4 9 3 » 7 5 0 » 7 7 2 , 99° P s y c h ia t r ie I: 2 2 - 2 5 , 2 8 f ., 3 6 , 5 6 , 6 0 , 6 7 -6 9 , 7 1 , 7 5 , 8 5, 87, 9 5 , 161, 1 7 6 ,1 8 0 ,1 8 3 , 2 0 0 , 2 0 7 , 2 2 5 , 2 2 9 232, 2 3 4 h , 237, 266, 442, 543, 5 8 0 , 7 6 7 , 7 7 5 , 8 6 0 ,9 0 5 ; II: 1 4 , 3 7 , 7 6 ,1 5 7 ,1 6 0 ,164 h , 2 8 3 -2 8 5 , 2 8 9 2 9 1 , 2 9 3 , 2 9 9 , 3 9 5 -3 9 8 , 4 0 2 , 4 2 2 , 4 7 5 f-, 5 3 7 f.»

4 8 7 , 4 9 °> 4 9 3 » 5 1 0 » 5 i 9 f-, 540, 545, 552, 573, 597, 6 1 7 , 6 5 2 , 6 5 5 , 7 3 6 , 7 5 4 -7 5 7 , 7 6 1 , 764, 768, 786, 789 h , 811, 813, 8 1 6 - 8 4 4 , 8 5 5 , 8 8 4 , 8 8 8 , 8 9 3 f ., 9 2 1 f ., 9 3 8 h , 9 5 5 - 9 6 3 , 9 6 7 h , 9 8 1 - 9 8 4 , 9 9 4 h , 9 9 8 f ., 1 0 0 2 ,

3 6 1 , 3 7 5 , 3 7 8 , 3 8 1 h , 3 8 7 -3 9 0 »

403-405,412-467,478,484,489, 493»

5 ! 6 , 5 2 0 , 533 f-, 5 6 8 - 5 9 4 , 6 0 3 - 6 0 5 , 6 1 2 h , 6 3 1 f ., 6 4 3 , 6 9 7 , 7 0 0 , 7 1 9 , 7 3 3 f ., 7 3 8 , 7 5 2 , 7 9 0 , 7 9 3 f ., 8 2 6 , 8 2 8 , 8 4 1 , 8 4 5 , 8 4 8 , 9 5 7 , 9 5 9 -9 6 1 , 964» 1 0 0 2 , 1 0 0 4 , 1 0 0 8 ; IV: 1 0 , 3 4 , 3 9 h , 4 8 , 5 0 , 5 5 5 8 , 7 2 - 7 6 , 1 0 4 h , 1 0 9 f ., 1 1 3 , 1 4 5 , 1 5 0 , 1 5 2 , 1 8 1 , 1 9 8 , 2 0 6 f ., 2 4 2 , 246, 248, 273, 279, 3 3 2 h , 402, 4 6 5 , 5 3 6 , 5 4 7 , 6 4 4 - 6 4 8 , 6 5 5 f., 6 6 0 , 7 0 9 , 7 3 0 , 7 7 8 , 7 8 4 , 7 9 0 -7 9 2 , 7 9 5 , 8 0 8 -8 I O , 8 l 9 - 8 2 2 , 8 2 6 , 8 3 3 , 85O , 8 5 2 , 8 5 4 , 8 7 6 , 8 8 9 , 8 9 6 , 9 2 6 f ., 9 3 7 , 9 6 l f ., 9 6 8 , I 0 I 7 - I 0 2 I - A n t ip s y c h ia t r ie I: 4 5 , 7 5 , 8 5 , 9 8 0 ; II: 2 5 4 , 2 8 4 , 5 4 0 , 6 5 0 h , 7 8 7 , 8 3 6 h , 8 4 0 -8 4 3 , 9 5 7 h , 9 6 1 , 1011; III: 6 9 , 1 0 2 , 1 0 4 , 2 1 5 , 2 2 3 , 3 0 8 , 43 1 , 434, 439» 44 9 » 452 > 4 8 8 ,5 3 4 ,

7 9 3 ,1 0 0 8 ; IV: 2 7 , 5 6 , 5 8 , 7 2 , 7 5 £ , 1 0 1 , 4 6 5 , 6 5 5 f. P s y c h o a n a ly s e I: 5 0 , 1 1 4 - 1 2 6 , 1 3 7 , 1 3 9 , 1 4 4 -1 4 7 » 1 8 3 h , 1 9 1 f ., 2 0 1 203, 207, 214, 216, 235, 238, 271, 369» 4 9 7 , 5 4 6 , 5 4 8 , 5 6 1 , 5 6 3 , 5 7 6 , 5 7 8 f ., 5 8 4 h , 6 7 3 , 6 9 9 , 7 1 5 , 7 1 8 , 7 3 3 , 7 40 , 840, 8 92 , 1023 h , 1027; II: 9 9 , 1 2 6 , 1 3 8 , 1 6 5 , 2 0 4 - 2 0 6 ,

296,396,467 h, 487,671,674, 687,768,771,773,785-788, 813 h, 839,439,894,911,938940» 953» 962 h, 965 f-, 1012-

IOO4, 1009, IOII-IOI3, I0l8;

1 0 1 5 , 1 0 1 9 ; III: 6 9 , 1 0 2 f ., 1 1 8 120, 152, 176, 206, 216, 220, 265, 3 0 7 h , 3 3 1 , 3 8 1 , 3 8 4 , 3 8 8 f ., 4 1 1 f .,

III: 3 9 h , 6 9 h , 9 9 - 1 0 5 , 1 1 8 - 1 2 2 ,

417, 4 r9 » 4 2 4, 439, 449» 4 5 2 » 4 6 0 ,

129h, 136h, 149,152,163,173, 187-190,194,197,208,210,213, 215,222 f., 230,243,265,302,

464, 4 82, 544, 551, 567, 587, 665, 6 9 7 -7 0 0 , 7 4 2 , 7 8 0 , 8 4 5 , 9 6 0 , 9 66 ; IV: 6 5 , 7 2 , 1 4 5 f ., 2 3 9 , 2 4 8 , 5 2 4 5 29 , 8 1 9 -8 2 2 , 9 4 3

3 0 7 h , 3 2 6 ,3 2 8 ,3 3 8 ,3 4 7 ,3 5 7 -

Sachregister

i i 04

Psychologie I: 18, 21-23, 25 f., 32, 34, 39, 45, 7 i, 107-110, 115, 117 f., 124-130, 136, 151 f., 166, 175-222, 232, 262, 266f., 270, 275, 275»f-> 318, 380, 384, 4jof., 472- 474. 477. 5° 8. 527. 544. 546, 548, 560f., 565 f., 570, 573-585, 669, 697, 705 f., 712, 718, 730, 736, 741, 743, 8o(5, 834, 840-842, 860f., 867, 874, 883, 925-927, 930, 973. 982, 1027, 1047, I057> 1063; II: 133, 140, 147, 164, 192, 283 f., 296, 333, 395 f., 399, 407, 463, 467, 487, 493, 495, 505, 510,

537. 54°, 545, 556, 5^8, 577, 585, 601 f., 612,653, 666f., 674, 733 f., 736, 764, 819, 825, 884, 911, 927, 940, 955, 983 f.; III: 115 f., 122, 129,160, 196, 249, 254, 358, 377, 382, 386, 390, 429, 464, 478, 4 8 3 f-, 53°, 577, 581, 583, 587, 591 f., 631, 643, 697, 700, 738, 827, 844, 960-962, 964, 1000; IV: 1°, 7 7 ,9 5 ,1 2 9 ,1 4 5 ,1 8 1 ,2 0 3 f.,

221,225,242,246,248,252 f., 308-311,337,350,472,487,492, 630, 644, 648, 666, 737, 743, 746,

757, 767, 774, 778, 789, 79°, 792, 795, 801, 856f., 903, 965, 1016 Psychopathologie I: 23, 27, i n , 124, 176, 200, 207h, 223, 281, 580, 718, 772, 862, 905h, 917h, 922, 1077; II: 194, 284, 295, 475, 510, 573, 674, 812, 1024; IV: 714,

737U 789 Psychose I: 275-277, 579, 959; II: 28, 772; III: 413 Pythagoräer, siehe: Philosophie: Pythagoräer RAF, siehe: Terrorismus: RAF Rasse 1 :51; II: 171 f., 185, 229,658,

1022; III: 55, 127h, 169, 172h, 231, 538, 5i ° - 5i 3, 552-556, 562, 566h, 576, 581, 611, 719h, 778, 812h, 898, 902, 1002, 1020, 1025, 1027; IV: 1824, 29, 32- 37, 46, 49, 66-71, 91, 93, 103, 131, 166 f., 184-187, 195-198, 271-273, 326-330, 334, 340, 418, 421, 441, 455, 456, 496, 498, 528, 530-537, 543-546, 699h, 705, 707, 712, 774f., 783h, 789, 797, 806, 809, 835, 846, 851, 927, 944-949, 958 h, 1001-1007, 1015 - Irrationalität III: 510; IV: 333 f.,

535 Raum I: 113, 151-158, 166, 199, 210, 226-229, 239, 273, 476, 478, 533, 553, 605, 625, 812, 820, 862, 865; II: 176, 650, 675, 749, 829; III: 27, 30-37, 49, 250-255, 261,

Sachregister 285, 287, 294, 596, 601, 653-659, 672, 729-732, 821, 924; IV: 190, 324-340, 932-942, 953 Realität I: 92, 114, 138, 170, 194, 211, 221, 270, 368, 454, 474, 484, 488, 499-515, 525, 537, 594, 610, 614, 626, 661, 667, 737, 774, 796h, 803, 937, 951, 963, 1017, 1032 h, 1061, 1065 h; II: 16, 23, 38, 41h, 45, 64, 66, 70, 96, 105, 107, 145, 186, 204, 213, 257, 265, 286, 322, 505 h, 530, 677, 754, 788, 813, 832-842, 864, 932, 981; III: 70, 131, 361, 469, 509, 530, 534» 576» 58 i>602, 638, 645, 674, 690, 785, 788, 793 h, 805, 815, 820, 864-869, 938-942, 971, 990, 1002-1004, 1023; IV: 13, 17-21, 34-38, 41-51, 61, 98, 135, 146, 153, 221, 240, 245, 271, 281, 295300, 312, 327, 343, 360, 420, 506, 639» 7°3> 879, 906h, 985-989, 996, 1010

siehe auch: Wirklichkeit Recht I: 54, 92 h, 95, 963, 995; II: 160, 163, 170, 189, 220, 228, 238, 240, 246, 254, 277, 299, 312, 337» 386, 403, 426, 428, 451, 460, 485,488,523,531,556, 570, 621623, 626, 638, 654, 663, 666, 668,

679» 707- 724» 729, 743» 775» 779» 817, 821, 825 h, 842, 849, 899, 902, 917, 978, 1007-1010; III: 55, 56, 74» 8 5» l r 5> 139» 147» 169, 199» 207, 224, 228, 233-237, 247, 254» 294-297» 306, 335, 352, 355, 356, 361, 380-391, 400, 423, 426428, 442, 4^9 » 471- 474» 483» 489» 498,502,545,553, 572,586,588595» 602, 688, 750, 758, 759, 773, 805, 871, 944,960, 964, 976, 995, 1018; IV: 102, 123, 135, 143, 226-

IIO5

228, 232, 242, 245, 250-253, 265, 369, 386, 452, 597, 722, 789, 841, 845» 908 - Rechtsprechung I: 652, 968; II: 426,545; III: 22, 248,469, 471, 572, 579» 9 11» 956; IV: 43, 143

siehe auch: Staat: Rechtsstaat; Strafe: Strafrecht Regel I: 276, 883, 909, 912, 934, 941-943, 1007, 1037, 1061; II: 57, 161, 177, 411, 435, 487, 491, 566, 646, 670, 757, 839, 891h, 971; III: 67, 247, 519, 590, 616, 629, 704, 993, 1021; IV: 202,

225-228,268,506,573,575,593, 595,678,680,682,709,712,780, 790» 795» 8 3 0 ,8 9 7 ,9 7 0 ,982 h,

1002 - Formationsregel I: 910, 916; IV: 86 Regierung I: 49, 54, 77, 95 h, 98, 839; II: 217, 229, 252, 474, 523,

53i> 533» 539» 555» 617, 639h, 643, 900, 937, 968, 1003; III: 162, 2 8 0 ,2 9 5 ,3 8 1 ,4 3 2 ,469 h, 475, 495 !•» 499, 563» 66l>669, 674, 714, 774, 796h, 802-823, 830835» 853, 860, 866, 872, 879, 892, 894, 974» 99°> 997, 1015, 1021, 1027; IV: 102, 116 h, 154-159, 182-198, 219-221, 255 h, 320h, 323"327» 380, 405, 410-413, 418, 420, 488, 495 h, 543, 605, 607, 614 h, 719, 724, 774, 788, 826, 834, 836, 850, 852, 889, 907, 916, 1001, 1003-1012 - Regierungspraxis III: 1020, 1023, 1025 Regime I: 41, 62, 69, 231, 624, 668, 685; II: 439, 495, 567, 639, 754, 780, 789, 804-806, 840; III: 30,

81,94,361,470,472,476,498,

no6

504, 630, 745, 818, 851, 854-868, 878, 880, 889, 895 f., 904, 919, 932,936 f., 950-954,965,975-

977. 9 89"99 i >998, I0° 8'. IV: 33 h> 80, I I 2-115, 245, 256, 262 f», 406, 4IO, 413-416 Religion I: ioof., 263, 282, 296, 319, 400, 480 h, 622, 624, 681,

699» 7«>5. 75°, 755; 764, 773 f-, 779» 783 f-> 824, 828, 845> 853> 856, 859-862, 868-87O, 897, 93O-

933. 937. 942. 949-952. 975 *•> 988 f., 999; IV: 192-194, 196, 221, 261 f., 277, 457. 465. 4 8°. 698, 700 f., 750, 770, 811, 876, 905, 989 f., 1010 f. Renaissance I: 132, 231, 236, 268,

4 1 5. 545. 558. 639, 736, 794. 808, 8 37>955. 9^4 f 1038. I0 55: II: 129, 136, 138, 161, 163, 202, 256-266, 277, 341, 726 f., 1024; III: 277, 423, 621, 626, 648, 732, 870; IV: 144, 309, 486, 496, 666, 767, 774, 866, 962 Repräsentation I: 295, 344-347, 436, 438, 611, 614, 620, 623, 648, 672,702,706, 785, 867,940,946951, i o i i ;II: 54, 100, 110-112, 209, 383, 387, 453, 469, 558; III: 112, 154, 179, 304, 346, 414; IV: 227f., 609, 638, 803

siebe auch: Abbild, Vorstellung Republik I: 16, 30, 59; II: 84, 228, 344,413, 803,932 f.; III: 786, 810, 897. 9395IV: 185, 189, 226, 321, 1004 Résistance I: 48, 63, 839; II: 441,

497. 793. 797. 799. 807; III: 88, 980, 1007 Revolte I: 62, 70, 838; II: 212, 214, 238k, 254, 288, 375, 387, 429, 442k, 449, 452, 456k, 497, 530,

Sachregister

532, 548-551, 581, 845-848, 934; III: 87, 260, 269, 283, 293, 331, 341, 485, 507, 525, 542,547, 757, 833. 859. 878k, 888, 894, 897, 930. 949. 982, 990, 1005, 1010, 1014; IV: 19, 51, 102, 108, 275,

293. 324> 328, 449. 488

siebe auch: Aufstand

Revolution I: 69, 88, 90, 238, 280, 3 °8, 32, 466, 593, 717, 751, 765k, 798, 877k, 892, 1034; II: 141-143, 186, 203 k, 207, 223, 226-230, 234, 278-280, 283, 335-

337. 344. 347. 378, 38 5. 388, 391393. 424- 4 6 i > 5°6k, 515, 530, 55°. 573. 618f., 626, 629, 632 k, 637-644. 663-666, 708, 727, 742, 788 k, 832, 907, 909-912, 922, 935-938, 1002, 1005, 1016; III: 32, 34,91, 95-97, 105, u i , 113k, 14 8 ,172k, 1 7 6 ,178k, 201, 209, 257-261, 267, 338, 347, 350-

353. 358,367-370. 431. 434 f-, 443 f->455. 4 6 4 . 470, 476, 496, 507, 513k, 549, 554,556, 558, 585, 604, 607, 636, 669k, 687, 689-691, 695, 725, 755, 770, 772, 781 k, 861 f., 865, 867 k, 882 k, 885, 897,921,923, 931-939, 943, 949- 953, 975, 978 k, 981 k, 986990,1004; IV: 38,50, 60,78 k, 85, 116,138, 236, 241, 245, 248, 274, 328, 338, 522-524, 619, 632, 774, 783,792,843-847,891,948 k, 951 - Französische Revolution I: 297, 709, 878, 1034; II: 160, 371, 427, 430k, 439k, 452,469, 543, 580k, 664, 748, 798; III: 14, 68, 244, 256-259, 283, 289, 291-293, 324,

334, 350, 367, 435, 442- 445, 455, 463, 483, 514, 529, 612 k, 680, 690k, 755, 782, 798, 932, 1001,

Sachregister

1107

io n ; IV: 15, 48, 841, 844-846, 866, 960, iooof. Rhetorik I: 355h, 379, 548, 569f., 673. 7 J3» 815 h, 858, 874, 926, 987; II: 148, 3J3, 422, 694, 707f., 727, 779) 781; HI: 127, 180, 320, 373. 392>845; IV: 53«, 582, 977h, 986, 1026 Rußland III: 464, 513, 539, 549, 762, 764, 807, 843; IV: 60, 78, 266, 316, 417, 522, ioi2 Sadismus I: 351; II: 534, 10181023; III: 584; IV: 304 - Sadomasochismus III: 421; IV: 396-398, 912 Schizophrenie I: 155, 166, 266, 2 71. 279, 370. 594J H: IJ 7. 162, 520, 630, 769; III: 447, 456; IV: 412, 541, 544, 808 Schreiben I: 99 h, 243, 253, 342,

349 f-. 379. 383. 398, 447. 4 Î 1. 490, 533 f., 548, 572, 655, 666, 673, 7 1 5' 7 I 7. 75 !. 764, 832, 9991003, 1007, 1009-1041; II: 139! 43> i j i . 904, 914; 456, 720, 506, 508,

154-156. 493. 870. 894, III: 106, 146, 175, 206, 777; IV: 133, 433, 504, 510-518, 738, 742,

863 h, 977f- Schreibweise I: 245, 247, 252,

Schule I: 20, 69, 653; II: 83, 85 f., 273, 278 h, 281, 372, 387, 389, 401, 414, 444, 536f., 546, 548, 562, 564, 566, 631, 657, 659,

734 f-, 751 f-> 754- 758, 761-765, 789, 814, 825, 837, 883, 899h, 916, 928, 936, 956, 960h, 967, 971, 976, 984, 1002 f., 1027; III: 47, 86, 101, 252, 254, 263, 265, 417, 510, 512, 596, 605, 652 h, 694, 737, 739, 819, 833, 839, 843,958 h, 1002; IV: 17, 113, 234, 236f-, 254, 284, 290, 338, 374, 386f., 646, 713, 815, 921

- Akademische Schulen I: 372, 7°5> 752>982, 1031h, 1035; II: 54, 58, 67, 100, 108, 275, 338, 472, 825; III: 49, 448, 582, 586, 591, 610, 730, 740, 1026 h; IV: 138, 157, 159, 196, 209, 224, 422, 4 2 7>4 29 >43 !, 436, 490, 510, 525, 594, 624, 733, 768, 802, 819, 994,

IOl6,

1020

siehe auch: Philosophie: Frank­ furter Schule Schweden I: 26, 28 h, 39, 234, 242, 704, 749, 831 h; II: 259, 381, 537, 812; III: 687h, 732, 840, 1003; IV: 49, 73, 97, 102, 443, 642 h, 734h, 855 h, 927,962

Schwelle: I: 179, 198, 286-288,

294> 352> 399. 462, 476, 761; II: 334, 894; III: 344; IV: 503, 859 Schrift I: 242, 244, 344, 350, 361-

292 h, 312, 380, 407, 462, 604, 613, 654, 674, 678, 680, 689, 862 h; II: 14, 39-42, 44 h, 54, 67,

364. 383. 4° 3>4° 6 h, 411. 487. 795. 815. 817, 820, 823, 874, 886, 912, io io f., 1035; II: 325, 366,

69 h, 557,95 3,9995 Uh 19, 5°, 62, 103, 125, 146, 185, 206, 341, 462, 554, 562, 813, 819, 970, 984; IV: 39, 44 h, 86, 715, 947, 955

391. 5°9> 5I4> 558-560, 875, 903; III: 206; IV: 487-494, 599-601,

767-773 siehe auch: Schreiben, Schreib­ weise

Seele I: 18, 128, 132-134, 136h, i39h, 143, i97h, 245 h, 257-260, 3°7>3°9, 347, 351, 358h, 361, 366, 432,435, 445, 462, 560, 574-

iio

Sachregister

8

577, 624, 718, 721, 728, 800-802, 805 f . , 863, 965, 996; II: 25, 92, 123, 171 f., 178, 187, 277, 282, 576, J91, 627, 722, 860, 935; III: 16, 17, 58, 63, 133, 138, 179,

237. 243>34°. 375. 379. 45 2, 45>4. 531. 532> 542> 577. 648, 667, 692, 693, 710, 722, 743, 74J, 779, 796, 801, 844, 901, 934, 936; IV: 148, 153 f., 158, 179 f., 182, 186, 193, 21 o f ., 215, 217, 259, 261, 277, 297. 29S>f-, 341, 355- 357, 360365, 367, 424f., 427-429, 433 f., 464, 485, 492 f., 495, 497, 504 f.,

5° 7 f-, 5i° , 512f*. 515- 517, 52I> 568-572, 674, 681, 771 f., 774, 881, 892, 903, 938, 966, 968, 971, 976f., 979-981, 990 Selbst I: 94, 100, 161; III: 692; IV: 158 f., 21 if ., 217, 259-262,

3 11» 36 7> 379, 4 2 3, 463 f-, 47°490, 498, 503-509, 516, 534, 561, 595, 653-^86, 718, 755, 758, 762, 764-776, 8l5, 8l7, 826, 828, 863865, 876, 879-889, 893, 899, 901,

959-999 - Selbstbeherrschung I: 94; III: 530, 979; IV: 159, 180, 472, 480-482, 491, 591, 672, 682, 731, 756, 76 3, 77 77h 804 - Selbsttechniken IV: 210-212, 461-464, 495, 534, 666, 747~75°» 771-774, 814 k, 827, 967, 969, 984, 989, 994k, 1000

- Selbsttechnologie IV: 463 f., 666,

995 - Selbstverhältnis IV: 428, 462, 474 k, 478 k, 490, 498, 682, 748,

759» 762-76 4, 7 69 >776, 805 - Technologie des Selbst IV: 261k, 463, 534 siehe auch: Sorge: Sorge um sich Selbstbefriedigung II: 160, 220, 934, 963“$>65> 1027 k, 1030; III: 198, 241, 255, 340, 3 45,417k, 459, 512, 666, 715, 843; IV: 95, 219, 353» 575» 578, 582, 648k, 670, 812 k Selbstmord I: 19 k, 91, 156, 166, 549, 553; H: 144k, 162, 239, 289, 482, 485, 1010; III: 11, 80, 836, 841, 885, 970-973, 1010; IV: 146, 148, 152, 309k, 313, 642, 743 Sémiologie, Semiotik I: 76,577579,638 k, 737 ,9 2 0 ,9 2 2 ,1060 k, 1064; II: 247,463,956; III: 118, 178,193,206,217,220; IV: 209,270

siehe auch: Zeichen: Zeichen­ theorie Sex I: 79, 94; II: 149; III: 137-140, 174, 182, 199, 204, 298-307, 336355» 396, 408k, 414, 419k, 465, 661, 664, 843, 962, 973; IV: 108, 261, 336, 341» 347» 369» 390- 404» 469» 473» 651, 754» 756, 827, 909-

923 - Aphrodisia IV: 264* 361, 476, 480-483, 585, 593, 760, 814k

siehe auch: Geschlecht Sexualität I: 21, 34, 37, 69, 79, 113, 146, 216, 320-324, 339-341, 788, 837, 839, 844 k, 892; II: 77-81, 92, 125-150, 158, 160, 200, 221, 224, 2 35, 2g4, 286, 470- 473, 533, 619, 643, 667-669, 703, 785, 788 f., 811, 893, 934, 936, 955-970,

Sachregister

1 0 1 2 - 1 0 1 4 , 1 0 2 9 - 1 0 3 1 ; III: 3 1 , 66, 68, 101, 118, 120, 140, 142, 1 7 5 , 1 81 f ., 1 9 8 - 2 0 1 , 2 1 4 , 2 2 2 , 2 3 0 , 2 4 0 -2 4 4 , 2 5 4 , 3 0 1 -3 0 7 , 3 3 6 3 4 8 , 3 5 4 , 3 9 2 , 39 6 > 3 9 8 , 4 0 9 - 4 2 3 , 4 2 7 , 457- 465, 4 8 9 , 492-495, 5125 2 3 , 5 3 0 , 5 4 3 , 5 4 5 f ., 5 6 7 , 6 0 3 , 6 3 3 , 6 6 0 , 6 6 6 -6 7 1 , 6 9 5 -7 1 8 , 7 4 6 f ., 7 5 7 , 8 2 6 , 8 4 4 f ., 5)21, 9 5 4 , 9 5 7 - 9 6 9 ; IV: 3 5 , 3 9 , 4 2 f . , 5 8 , 8 3 , 1 4 4 , 1 6 6 f ., 1 8 1 , 2 0 1 , 2 0 7 - 2 1 9 , 2 2 5 , 2 3 1 , 2 3 6 , 2 4 1 - 2 4 3 , 2 6 1 f .,

2 7 0 , 3 3 1 . 3 3 5 . 3 4 4 f-» 3 4 9 * 3 5 3 . 3 6 9 . 3 7 3 . 3 7 7 f-. 3 8 3 - 4 0 4 . 4 2 1 . 4 6 2 -4 6 4 , 4 7 6 , 537, 5 54 , 593, 6 4 8 6 5 1 , 6 5 9 -6 6 1 , 6 8 6 , 7 0 7 -7 2 0 , 7 2 8 ,

731.743-749.760,776,779-781, 806-832,865,871,877-879,903912,919-928,936,941,958,960, 966f., 991

1109

S im u la c r u m I: 3 7 4 , 3 8 1 , 3 8 4 f-, 4 3 5 f-, 4 3 8 - 4 4 1 , 4 4 3 - 4 4 9 , 7*95 II: 1 0 0 S in g u la r it ä t I: 2 4 8 , 8 7 3 , 8 7 6 , 9 0 0 f ., 9 3 8 , 9 5 4 , 1 0 1 5 , 1 0 2 2 ; II: 9 6 , 1 0 2 , i ° 4 f - , 1 0 9 f ., 1 2 5 , 3 5 1 , 3 6 6 , 6 8 5 , 8 5 8 ; III: 1 9 , 5 9 , 2 0 3 , 2 1 8 , 6 7 6 , 8 0 0 , 8 0 2 ; IV: 2 9 f ., 3 4 , 1 6 8 , 2 0 8 ,

510,600,710 f., 957 siehe auch: Einzigartigkeit Sophisten, siehe: Philosophie: Sophisten Sorge 969; 364, 717, 183, 650,

I: 3 5 9 , 3 6 4 , 6 8 5 , 8 0 0 , 8 7 8 , II: 6 3 5 , 7 7 2 ; III: 2 1 , 2 6 , 3 0 0 , 426, 431, 486, 513, 561, 692, 7 3 6 , 8 7 3 , 9 1 6 ; IV: 1 4 , 1 7 0 , 1 8 7 , 2 7 8 , 3 5 6 , 4 7 1 , 4 9 5 ,5 1 0 , 665, 676, 678, 748, 765, 767,

7 7 3 f-, 7 9 5 - 7 9 9 , 8 2 3 - 8 3 6 , 1 0 0 1 ,

IOI2

S ic h e r h e it I: 8 3 ; II: 7 6 0 , 8 1 8 , 8 4 0 , 8 9 9 ; III: 2 9 5 , 3 8 6 , 4 7 5 , 4 9 7 - 5 0 2 , 5 04 , 5 89 , 7 9 6 , 8 2 0 , 8 9 9 -9 0 5 , 9 48 ; IV: 1 0 , 1 1 6 , 1 6 0 , 1 6 3 , 1 9 2 , 1 9 4 ,

- S o r g e u m s ic h I: 9 8 ; IV: 2 1 4 , 3 7 9 , 4 2 4 -4 2 8 , 4 8 4 -4 8 6 , 4 9 0 , 508, 7 5 5 f-, 7 ^ , 7 6 9 , 8 7 5 - 9 0 2 , 9 7 0 -

2 4 7 , 2 7 8 , 4 4 1 -4 4 5 , 448, 454, 622 h , 630, 639, 788, 1010 S ic h t b a r k e it I: 3 0 7 , 4 0 5 , 4 1 0 , 4 4 0 , 5 0 0 , 5 6 7 , 5 7 1 , 6 0 4 f ., 6 0 9 , 6 1 1 f ., 6 2 8 , 6 35 , 6 7 8 , 6 9 3 , 7 9 4 h , 822; II: 2 9 9 , 3 4 2 , 9 4 8 , 9 5 3 f ., 1 0 0 1 ; III: 1 0 0 , 2 5 0 , 2 5 7 - 2 5 9 ; IV: 2 9 7 h , 962 S ig n if ik a n t I: 1 2 0 , 1 2 2 , 2 7 6 f ., 2 7 9 , 282, 295, 439 h , 489, 493, 502, 5 0 8 f ., 5 4 6 , 5 6 1 , 5 6 4 ,1 0 4 1 ; II: 9 4 , 3 1 6 , 3 8 0 , 3 8 4 , 3 9 0 ,5 5 8 , 7 8 0 , 7 8 2 , 785 , 887 , 9 5 1 , 9 5 6 , 1006, 1013; III: 1 7 6 , 4 1 2 , 4 1 4 , 5 4 3 ; IV: 5 8 3 S ig n if ik a t 1 : 1 1 1 ,1 1 4 , 1 1 7 , 1 1 9 , 1 2 2 , 1 5 7 , 1 7 6 ,1 8 7 , 2 8 2 , 2 9 5 , 3 4 5 , 4 4 0 ,

S o u v e r ä n it ä t I: 2 2 3 , 2 4 8 , 2 6 1 , 2 6 8 , 280, 297, 302, 305, 307, 311, 313, 3 2 1 f ., 3 2 6 , 3 2 8 f ., 3 3 2 , 3 3 5 f ., 3 3 8 ,

4 8 9 , 4 9 3 , 5 6 i > 9 4 8 , 9 5 1, 1 0 3 3 f-, 1 0 3 6 ; II: 1 2 2 , 3 9 0 ; IV: 5 7 3 , 5 8 3

2 6 4 , 3 ° 3 , 3 2 3 , 3 2 9 , 5 2 3 , 5 4 4 f-, 5 5 4 h , 7 3 7 , 7 9 6 -8 2 3 , 8 7 1 , 8 80 ,

982,996

343, 347, 349- 351, 355,

360, 365, 371, 380, 384, 390, 418, 420, 439,

4 4 3 , 5 1 1 , 5 4 2 , 5 4 8 , 5 5 2 , 5 7 1, 6 0 6 , 6 0 9 , 6 1 4 , 6 1 9 h , 6 6 2 , 6 7 1 f ., 6 8 3 , 686, 716, 762, 765, 773, 779 h, 795, 822, 863, 872, 876, 884, 891h , 901, 923, 929, 931, 977 h, 9 8 3 f ., 9 9 6 , 1 0 0 3 ; II: i n , 1 7 9 ,

2 7 7 , 3 3 0 ,4 6 9 , 574, 714, 719, 7 24, 838, 896, 916, 925, 986, III: 1 6 5 - 1 6 7 , 1 7 0 h , 2 2 4 , 2 2 8 , 2 3 4 -2 3 7 ,

597, 6 8 0 , 6 8 8 , 854, 856, 881, 9 9 1 , 1027; 194, 200, 209, 2 4 3 -2 5 0 , 2 5 3 ,

IIIO

5>7 5 J IV:

I I ] [ » r 3 2 > 1 5 9 > 2 2 7 "2 2 9 » 235, 250, 434, 494, 685, 764, 772, 802, 822, 871, 881, 884, 906, 948 Sozialdemokratie I: 78; II: 421, 809; III: 368, 770 f., 786, 906; IV: 9 7 Sozialismus I: 30, 53, 7 6 f., 80, 82, 85 U 95- 97» 101-103, 744; II: 143, 165, 286, 383, 452,507, 568, 614, 619» 634, 642 f ., 754, 908, 911 f., 955, 966, 989, 991, 1010; III: 85 f ., 9 0 f ., 9 3 , 9 5 , 9 8 , 1 5 1 , 194, 2 0 7 f., 2 1 2 , 2 6 6 , 3 4 5 , 4 2 3 425» 430, 448,

4 6 5 » 4 7 6 , 5 1 3 f-> 5 17> 539- 541, 6 ) 6 1 , 6 4 2 , 7 5 3 , 7 6 2 , 7 6 6 -7 6 9 , 8 6 8 , 8 9 6 , 8 99 , 9 0 6 , 9 3 1» 9 7 5 » 9 8 ° f-> 9 9 3 »

IO O Ï» I 0 ° 3 » 1 0 0 6 , 1 0 2 6 ; IV: 4 8 h , 9 1 , 1 0 6 , 1 1 6 , 2 19 , 225 h , 315, 317, 323, 380, 4 0 3 , 4 0 5 h , 4 0 9 h , 4 1 2 , 4 1 5 -4 1 7 » 4 1 9 f-, 5 4 9 f » 6 1 3 - 6 1 6 , 6 3 3 , 7 1 9 , 7 8 4 , 7 8 8 , 8 1 8 , 8 3 4 -8 3 6 , 8 5 0 h Sozialpolitik, siehe Politik: Sozial­ politik Sozialversicherung, siehe: Politik: Sozialversicherung Soziologie I: 53, 95, 180, 184, 575 f-, 6 9 7 > 699, 7 4 3 , 7 4 5 , 7 4 7 f-, 7 5 1 f-, 8 0 8 , 8 6 0 , 9 2 5 f ., 9 5 9 , 9 7 1 , 1007, 1035, i0 4 3 f., 1048, 1051, 1 0 5 4 - 1 0 5 6 , 1 0 5 8 f ., 1 0 6 2 - 6 4 , i o 6 6 f . ; II: 1 3 0 , 1 3 3 , 1 4 3 , 1 4 9 , 165, 213, 249, 395, 400, 402, 439, 4 8 7 , 4 9 3 , 4 9 5 , 5 0 5 ,5 4 5 ,5 7 3 , 6 0 8 , 6 3 1 , 6 5 6 , 6 7 4 , 7 3 6 , 8 1 7 , 9 1 1, 1 0 0 5 ; III: 3 1 , 5 2 , 1 1 6 , 1 4 7 , 2 0 7 f->

217 » 2 5 5 > 3 3 8 , 5 4 2 » 5 5 1 609, 628, 632, 738, 751, 761, 849, 854, 9 2 0 , 9 6 2 , 1 0 2 6 ; IV: 1 6 , 1 9 , 2 4 , 2 7 , 9 5 , 1 2 6 , 2 2 5 , 3 8 9 , 3 9 1 f ., 4 0 1 , 4 4 6 f ., 4 8 1 , 5 4 1 , 6 0 9 , 6 2 1 , 6 3 1 , 6 3 5 f-, 6 5 6 , 7 1 4 , 8 1 9 , 9 4 3 f-, 1 0 1 6

Sachregister

Spanien I: 16,54, 74 f., 87, 96, 360, 934 U 937f-;II: 208, 259, 266, 341, 499, 800, 941-943, 959f-, io n » HI: 43, 470, 480, 599, 652, 687, 863, 885, 1014 Spätantike I: 89, 93; IV: 424, 715, 800, 861 f., 970 Spiegel I: 132, 253, 257, 265, 272, 274k, 285, 298 f., 302, 306f., 309, 312k, 326, 335f., 344-349, 352" 356, 366, 373 f., 384, 413, 434,

436, 455, 457, 47 *» 537, 54°, 554, 558, 560, 570, 607, 609-621, 623, 626-628, 634-636, 640f., 643, 665, 703, 716, 728, 730, 750, 824, 829, 876, 894; II: 503, 524 f., 623, 628, 765, 881, 929, 951; III: 165* 303, 590; IV: 176, 295, 298, 492 f.; 570, 603, 609, 671, 934 f., 936, 976, 981, 1027 Spiritualität I: 29, 320, 359 f., 452, 802, 810; II: 992; III: 745, 779, 868, 887, 937, 989 f.; IV: 99, 365,

5° 5» 772, 893 f-, 96 9, 5»84, 994 - politische Spiritualität I: 88; III: 870; IV: 38 Sprache I: 40, 64, 79, 113-118, 123 t , 129, 139, 173, 182, 191, 212, 223-234, 238-270, 275-301, 316-372, 377-391, 406, 419, 422, 434, 437, 439, 44^-453» 458, 474» 480f., 487-587, 595, 597, 600f., 611 f., 623, 635, 638, 643, 648681, 687-720, 727, 734-741, 745, 748, 755- 788, 795, 797» 814-870, 886, 892, 898-900, 906, 910-912, 919, 922, 928, 932-957, 967, 983, 998, 1000, 1002, 1008, 1029, 1034, 1042-1069; II: 10-30, 48, 102, 107, 125-130, 140, 143 h, 148, 153, 158, 174, 188, 201, 203, 206-208, 230, 269, 271, 276, 293,

Sachregister

333. 349. 462, 467, 505. 513 *•> 520> 529> 558. 587. 593. 599-6o3. 650, 671, 676, 696, 780, 791 f., 814, 866, 872, 875, 892, 943, 952, 1002, 1005; III: 87, 132, 158, 192f*> 22 7> 2 53. 2 56, 315, 32I> 326-331, 341, 397, 400, 420, 443, 446, 451, 456, 470, 505, 521 f., 532f., 622, 625, 648, 683, 702, 721, 724, 732, 773, 833, 875, 886, 932>938, 94°; IV: 65, 89, 158, 227, 239, 259, 282, 333, 412, 448, 526, 536f., 580, 594, 600, 635, 667, 737-741. 808, 876, 911, 983, 998, 1025-1027 Sprachwissenschaft, siehe: Linguistik Staat I: 78,90,102,686, 878,969 f.; II: 87, 217, 221, 227, 240, 247, 277, 288, 395, 406-409, 413, 420, 446, 474. 486, 495. 5% 544. 557. 565, 580, 621-626, 703, 710, 718,

722>731. 736>751. 758, 814, 937. 1011; III: 12, 20, 25, 29, 48, 5J58, 84, 95, 98, 105, 119, 122-126, 167, 171, 200, 237, 247, 263, 266, 276-281, 290, 292, 303 f., 360, 368 f., 406, 423, 430, 446, 469,

u n

- Rechtsstaat III: 185, 1024f.; IV: 1013 - Staatsmacht II: 245, 447, 567, 752, 825; III: 303, 524, 619, 673,

7979» 9 89» 1069-1075; II: io f., 30,38,41,45, 84-91,103, 123, 128, 131, 15 5 f., 166, 170, i73> I79f-» 183, 189-191, 194, 199, 213, 223, 233, 274h, 349,

35 1» 365» 378, 384» 396, 486, 488, 516, 518, 526, 539, 566, 588, 591, 605-612, 617, 635, 670, 673, 675, 688, 696, 701-707, 714, 720, 723, 726-728, 735f., 763-767, 773, 780,789 f., 795 f., 811 f., 829, 835, 854-858, 861, 893, 912, 926, 930, 937» 956, 971-984» 1014-1018, 1030; III: 20, 31, 36, 41, 45, 49, 65» ^9» 79» 99, 101, 105-115, 127, 138, 140, 146, 162 h, 176, 187, 214, 217, 221, 247, 255, 276-280, 326, 560, 659, 701,

367, 395, 491, 5I 5"534» 550, 564, 587, 591 f-, 634, 654, 664-674, 685, 688, 694, 698712, 721, 734, 746, 811, 813,

8x7» 839, 849, 909» 9 2°» 925 f-> 960, 964, 980, 994, 1004, 1010, 1012; IV: 13, 16, 25, 37, 43, 57h, 71, 78, 102, 110, 113, 134h, 145, 152, 181, 189, 244, 252, 258, 279, 283, 324- 34i> 349, 44°, 472, 484,

500, 530, 532, 551-554, 562, 593» 606, 635, 646, 654, 661, 711, 741, 757» 777» 779» 805, 824, 828, 833 f-> 865, 887, 905, 940, 947,

954, 95*5, 973, I003 - Wille zum Wissen II: 188, 294299; III: 137, 299, 301, 338, 494, 739, 746, 759, 772; IV: 52, 539-

542 - Wissensform I: 718; II: 708, 715, 726, 728, 767, 940; III: 162, 189, 218, 221, 811, 821; IV: 23 h, 340, 528, 607, 700, 712, 714, 731, 833, 869, 905 Wissenschaft I: 18, 78, 108 f., 176, 183, 193, 196, 198-205, 209, 213220, 224, 231, 236 h, 282, 299 h, 415, 419 h, 437, 459, 462 h, 512, 563, 575 f-, 580, 583 h, 586-602, 628, 646, 659-663, 67O, 7O5, 710, 726,744,753, 765, 778, 838, 840844, 849-869, 878, 882-889, 895, 898, 903, 905, 908, 912, 917-930,

959» 981, 985, 995» 997» Ic>22, 1039, 1042, 1044, 1055, 1060, 1062, 1070, 1073; II: 10, 12-15, 20, 24, 36, 39h, 53, 69h, 89,105, 128, 161, 179, 192, 196h, 200210,222 f., 226,297,462 f., 508 f., 511, 528, 539, 584, 589-592, 595, 598, 601-609, 614, 675 f., 678, 680, 705, 767-770, 787, 823, 828, 835» 838, 842, 852, 902, 905, 909 h, 927 h, 968, 983 f., 1005, 1020; III: 38-42, 51, 60, 76, 100103, 113, 119, 125 h, 138, 147, 163, 187, 190, 202, 207, 212, 219, 221, 248, 276, 279, 290, 328, 359, 365, 480, 530, 555-563, 567, 588, 611, 622, 670, 674, 679, 702, 713, 754, 802, 811, 815-821; IV: 46, 66-68, 74, 194, 340, 383, 392,

Sachregister

487, 530f., 535, 540, 656, 660, 689, 700-703, 730, 821, 838, 875, 895. 9 ° 9 , 936, 942, 947. 951- 959.

962, 1015

- Naturwissenschaft I: 50, 211; II: 85, 132; III: 50; IV: 340, 985

siehe auch: Geschichte: Wissenschaftsgeschich te Zeichen I: 36, 38, 118-123, 128, 130, 146, 191, 225-261, 268, 278, 281, 283, 294, 296, 324, 344, 346, 362, 365, 376h, 402-408, 438449, 469, 488, 497-502, 514, 516, 540-543, 548h, 555, 578, 581, 599, 620, 639-651, 672 h, 680, 730-741, 752, 764, 768, 786, 816830, 865, 871, 875 h, 891, 896, 908, 917, 946, 951-957, 974) 99 °y 1008-1010, 1019-1023, 10561060; II: 11, 24, 42, 71, 94, 97, 106, 116, 118, 122, 183, 206, 462h, 483, 560, 646, 715, 855, 875, 881; III: 26, 176, 178, 192, 203, 326, 721, 737, 916; IV: 31, 208, 210, 282, 294, 298 h, 321, 331, 515, 573, 601, 842, 968 - Zeichentheorie I: 647, 729, 858, 866, 932, 944, 947

1123

siehe auch: Sémiologie, Semiotik Zeit I: 33, 84, 124, 149, 152, 159, 166, 183, 225, 228, 230, 232, 249, 263 h, 267, 269, 280, 285, 316, 326, 342, 345, 362-364, 370, 375, 383, 413-415, 440, 499> 5°5> 531» $33“536> 543) $ 59) $66,654, 737, 877, 885, 886, 892, 914, 984h; II: 119 h, 468, 541, 649; III: 17 h, 46, 269; IV: 426, 568, 573, 706, 1026 - Zeitlichkeit I: 149, 159h, 779; II: 800; III: 45 - Zeitordnung I: 383 Zen III: 666 f., 744, 776-782 Zensur I: 172, 203, 448, 545; II: 143, 219, 240, 270, 384, 937, 941, 969, 1006, 1013; III: 84,

140,341,513,544,661 f., 746f., 799, 888 f., 892, 896, 989; IV: 988 Zufall I: 228, 303, 355, 454, 542, 548, 554. 558> 5Ö°> 662, 675, 682, 938 f.; II:9f., 19, 24,64,115,118, 120 f., 123 t , 128,168 f., 172,181, 491, 494, 644 t , 647, 702, 877, 909, 999; III: 157, 3 1 7 t, 543, 564, 684, 752, 763 f., 769, 872, 971; IV: 223, 957

1124

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1-4 Band 1

Einleitung............................................................................ Zeittafel..............................................................................

9 15

1954

1. Einführung [in: Binswanger, L., Traum und Existenz] ......................

107

1957

2. Die Psychologie von 1850 bis 1950 ................................... 175 3. Die wissenschaftliche Forschung und die Psychologie........................................................ 196

1961 4. Vorwort [in: Foucault, M., Folie et Déraison. Histoire de la folie à Tage classique, 1961]................ 223 5. Der Wahnsinn existiert nur in einer Gesellschaft [Gespräch mit J.-P. Weber]............................................... 234 6. Alexandre Koyré: Die astronomische Revolution, Kopernikus, Kepler, BoreUi............................................... 238 P a r is

1962 7. Einführung [in: Rousseau, J.-J., Rousseau juge de Jean-Jacques, Paris 1962]................................................. 8. Das »Nein« des Vaters................................................... 9. Der Zyklus der Frösche................................................. 10. Sagen und Sehen bei Raymond Roussel ........................... 11. Ein so grausames Wissen...............................................

241 263 282 284 297

1963 12. Wächter über die Nacht der Menschen............................. 13. Vorrede zur Überschreitung........................................... 14. Die Sprache, unendlich................................................... 15. Lauern auf den anbrechenden Tag.................................... 16. Das Wasser und der Wahnsinn........................................ 17. Distanz, Aspekt, Ursprung............................................. 18. Ein »nouveau roman« des Schreckens...............................

315 320 342 357 365 370 387

Gesamtinhaltsverzeichnis

1964 19. Geschichtlicher A b r is s ..................................................................... 20. Nachwort [zu Flaubert, G., Die Versuchung des Heiligen Antonius] ............................................................................ 21. D ie Prosa des A k ta io n ..................................................................... 22. Diskussion über den Roman [mit G. Amy, J.-L. Baudry, M.-J. Durry, J. P. Faye, M. de Gandillac, C. Ollier, M. Pleynet, E. Sanguineti, P. Söllers, J. Thibaudeau und J. T ortel].............................................................................................. 23. Diskussion über die Dichtung [mit J.-L. Baudry, M.-J. Durry, J. R Faye, M. Pleynet, E. Sanguineti, P. Söllers und J. T o rtel]...................................................................................... 24. D ie Sprache des Raum es................................................................... 25. Der Wahnsinn, Abwesenheit eines W er k e s................................ 26. Warum gibt man das Werk von Raymond Roussel wieder heraus? Ein Vorläufer unserer modernen L iteratu r................. 27. D ie Wörter b lu t e n ................... 28. J.-P. Richards M allarm é ................................................................... 29. D ie Verpflichtung zu schreiben...................................................... 1965 30. Philosophie und Psychologie [Gespräch mit A. Badiou] . . . . 31. Philosophie und Wahrheit [Gespräch mit A. Badiou, G. Canguilhem, D. Dreyfus, J. Hyppolite, P. R icœ ur]............ 32. D ie H offräu lein ....................................................................... 1966 33. D ie Prosa der W elt............................................................................ 34. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge [Gespräch mit R. Bellour]............................. 35. Auf der Suche nach der verlorenen G egenw art......................... 36. Die Fabel hinter der F a b e l............................................................. 37. Gespräch mit Madeleine C h a p sa l................................................. 38. Das Denken des A u ß e n ............................................................. 39. Ist der Mensch tot? [Gespräch mit C. B o n n e fo y ].................... 40. Eine Geschichte, die stumm geblieben ist . . . ............................ 41. Michel Foucault und Gilles Deleuze möchten Nietzsche sein wahres Gesicht zurückgeben [Gespräch mit C. Jannoud] . . . 42. Was ist ein Philosoph? [Gespräch mit M.-G. Foy] ................. 43. Er war ein Schwimmer zwischen zwei Worten [Gespräch mit C. B onnefoy]........................................................... 44. Botschaft oder Rauschen?................................ ...............................

1125

391 397 434

449

513 533 539 551 555 559 572

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1967 45. Allgemeine Einführung [(zusammen mit G. Deleuze) zu F. Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe] . . . 46. Nietzsche, Freud, M a r x ................................................................... 47. Die strukturalistische Philosophie gestattet eine Diagnose dessen, was »heute« ist [Gespräch mit G. Fellous].................... 48. Über verschiedene Arten, Geschichte zu schreiben [Gespräch mit R. Bellour]................................................................ 49. Die Grammaire générale von P ort-R oyal................................... 50. Wer sind Sie, Professor Foucault? [Gespräch mit P. Caruso] 51. Worte und Bilder ............................................................................... 1968 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59.

Religiöse Abweichung und medizinisches Wissen .................... Dies ist keine P fe if e .......................................................................... Interview mit Michel Foucault [Gespräch mit I. Lindung] . . Foucault antwortet Sartre [Gespräch mit J.-P. Elkabbach] . . . Eine Richtigstellung von Michel Foucault................................... Brief von Michel Foucault an Jacques P r o u s t........................... Antwort auf eine Frage..................................................................... Über die Archäologie der Wissenschaften. Antwort auf den Cercle d'épistémologie...........................................................

723 727 743 750 769 770 794

798 812 831 845 853 855 859 887

1969 60. Einleitung [in: Arnauld (Antoine) und Lancelot (Claude), Grammaire générale et raisonnée] .............................. 932 61. Gespräch mit Michel Foucault [Gespräch mit P. Caruso] . . . 957 62. Ärzte, Richter und Hexer im 17. Jahrhundert...................... .. . 958 63. Maxime D efer t......................................... 974 64. Ariadne hat sich erhängt................................................................... 975 65. R ichtigstellung.................................................................................... 980 66. Michel Foucault erklärt sein jüngstes Buch [Gespräch mit J.-J. Brochier]............ .......................... 980 67. Jean Hyppolite. 1907-1968.............................................................. 991 68. D ie Geburt einer Welt [Gespräch mit J.-M. Palmier]............... 999 69. Was ist ein A u to r ? ............................................................................... 1003 70. Linguistik und Sozialwissenschaften.................................. 1042 71. Titel und A rb eiten .................................................................... 1069

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Band 2 1970 72. Vorwort zur englischen Ausgabe »Foreword to the English Edition« (übers, von F. Durand-Bogaert), in: M. Foucault, The Order of Things, London 1970, S. IX-XIV.................................................................... 73. Sieben Thesen über den siebten E ngel.......................................... 74. Vorwort. »Présentation«, in: G. Bataille, Œuvres complètes, Paris 1970, Bd. I: Premiers Écrits 1922-1940, S. 5-6.................................................... 75. D ie phantastische Bibliothek........................................................... 76. Diskussionsbeitrag zu François D agogn et................................... 77. Die Situation Cuviers in der Geschichte der Biologie (Vortrag)..................................... 78. D ie Falle von V incennes................................................................... 79. Es wird einen Skandal geben, aber................................................. 80. Theatrum p hilosoph icu m ................................................................ 81. Wachsen und vermehren................................................................... 82. Wahnsinn, Literatur, G esellsch aft................................................. 83. Wahnsinn und Gesellschaft..............................................................

1971 84. 85. 86. 87. 88.

89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96.

9 17

32 34 34 37 82 91 93 123 129 157

Nietzsche, die Genealogie, die H istorie........................................ 166 Gespräch mit Michel F o u c a u lt...................................................... 191 (Manifest der G.I.P. - Gruppe Gefängnisinformation)............ 211 (Über die Gefängnisse)..................................................................... 213 Untersuchung über die Gefängnisse: Zerbrechen wir die Gitter des Schweigens . .............................................................. 215 Gespräch mit Michel F o u ca u lt...................................................... 222 Das Gefängnis ist ü b era ll................................................................ 236 Vorwort (Vorwort zu Enquete dans vingt prisons, Paris 19 7 1 )........................................................................................... 237 Artikel 15. »L’article 15«, in: La Cause du peuple - J'accuse, Sondernummer: Flics. V affaire Jaubert, 3. Juni 1 9 7 1 ............... 241 Bericht der Informationskommission zur Affäre Jaubert ................................................................................. 243 Ich sehe das U nerträglich e.............................................................. 247 Ein Problem interessiert mich seit langem: das Problem des StrafSystem s.......................................... .............. 250 Brief von Michel F o u c a u lt............................... 255

1128

97. 98. 99. 100. 101. 1972 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. in . 112. 113. 114. 115.

Gesamtinhaltsverzeichnis

Monstrositäten der K ritik................................................................ Jenseits von Gut und B ö s e .............................................................. D ie Rede von T o u l............................................................................ Foucault antw ortet............................................................................ Der Wille zum W iss e n .....................................................................

262 273 289 292 294

Mein Körper, dieses Papier, dieses Feuer..................................... Zur Geschichte zurückkehren......................................................... Erwiderung auf D errid a................................................................... Die große Einsperrung..................................................................... Die Intellektuellen und die M acht................................................. Gesprächsrunde........................................................... Über die Volksjustiz. Eine Auseinandersetzung mit Maoisten ..................................... D ie Probleme der Kultur. Eine Debatte zwischen Foucault und P r e ti............ .. D ie wesentlichen Funktionen der Medizin in unserer G esellsch aft......................................................................................... Seine eigene Kultur in die Falle lo c k e n ........................................ Das Meeting Wahrheit-Gerechtigkeit. 1500 Bürger von Grenoble klagen an (W ortm eldung)............. Ein Blutspritzer oder ein Brand (W ortm eldung)...................... Die zwei Toten von P om pidou...................................................... Theorien und Institutionen des Strafvollzugs..............................

300 331 347 367 382 394 424 461 474 476 477 480 481 486

1973 n é . Vorwort. »Préface«, in: S. Livrozet, De la prison a la révolte, Paris 1973 . ............. 117. Für eine Chronik des Arbeitergedächtnisses .............................. 118. D ie Kraft zu flie h e n .......................................................................... 119. Von der Archäologie zur D y n a stik ....................................... 120. Statt einer K on k lu sion ..................................................................... 121. Eine neue Zeitung?............................................................................ 122. Rings um Ö d ip u s................................................. 123. Der Intellektuelle hat die Aufgabe, Ideen zusammen­ zutragen, aber sein Wissen ist nur bruchstückhaft im Verhältnis zum Wissen der Arbeiterschaft................................... 124. Der Philosoph Foucault spricht. Denken S ie .............................. 125. Gefängnisse und Gefängnisrevolten............................................... 126. D ie Welt ist eine große A nstalt...................................................... 127. Zum geschlossenen Strafvollzug.............................

491 497 499 504 519 522 524

524 527 530 539 541

G esamtinhaltsverzeichnis

128. Vorladung bei der K ripo................................................................... 129. Erste Diskussionen, erste Versuche: Ist die Stadt eine produktive Kraft oder eine Kraft der A ntiproduktion?.......... 130. Durch energische Interventionen aus unserem euphorischen Aufenthalt in der Geschichte herausgerissen, nehmen wir mühsam »logische Kategorien« in A ngriff................................... 131. D ie Strafgesellschaft..........................................................................

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554 557

563 568

1974

132. Über die Natur des Menschen: Gerechtigkeit versus M acht.............................................................. 133. Über die »Zweite chinesische R evo lu tio n « ................................ 134.. »Die Zweite chinesische R evolu tion « ..................................... .. . 135. (Über D. Byzantios) (A usstellung)............................................... 136. Gefängnisse und Anstalten im Mechanismusder Macht . . . . 137. Michel Foucault über A ttica ........................................................... 138. Sexualität und Politik. (Stellungnahme)........................................ 139. D ie Wahrheit und die juristischen F o r m e n ................................ 140. A n ti-R etro............................................................. 141. Wahnsinn, eine Frage der M acht.................................................... 142. Runder Tisch zum psychiatrischen Sachverstand...................... 143. D ie psychiatrische M a c h t................................................................

586 637 641 644 648 6 53 667 669 793 811 816 829

1975 144. Vorwort. »Préface«, in: Jackson, B., Leurs prisons. Autobiographies de prisonniers américains, Paris 1 9 7 5 ............ 844 145. B rief........................................................................................................ 850 146. Das Haus der Wahnsinnigen........................................................... 852 147. Ein Feuerwehrmann plaudert aus dem N ähkästchen............... 859 148. D ie Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen M itte ln .............................................................................. 864 149. Worüber denken die Philosophen n a ch ? ...................... . ............ 867 150. D ie photogene Malerei. (Präsentation)........................................ 871 151. Von den Martern zu den Zellen .................................................... 882 152. Auf dem Präsentierteller................................................. .............. . 888 153. Das Gefängnis aus Sicht eines französischen Philosophen . . . 895 154. Das Fest des Schreibens................................................................... 903 155. Der Tod des Vaters................... 907 156. Gespräch über das Gefängnis; das Buch und seine Methode 913 157. Macht und K ö rp er............................................................................. 932 158. Der Gang nach Madrid..................................................................... 941 159. Über Marguerite Duras. . ..................................... 943

1130

Gesamtinhaltsverzeichnis

160. 161. 162. 163. 164. 165.

Irrenanstalten. Sexualität. Gefängnisse.......................................... 955 Eine Durchleuchtung von Michel Foucault................................ 970 Die Verrückten sp ielen ..................................................................... 997 Michel Foucault. D ie Antworten des P h ilo so p h e n .................... 1001 Sade, Offizier des G esch lech ts......................................................... 1018 Die Anormalen.................................................................. 1024

Band 3 1976

166. Ein nicht hinnehmbarer Tod (Vorwort zu Cuau, B.,

L Affaire Mirval ou Comment le récit abolit le crime, Paris 1976, S.V II-X I.)....................................................................... 167. Die Köpfe der Politik . ......................... 168. Die Gesundheitspolitik im 18. Jahrhundert....................... 169. Fragen an Michel Foucault zur Geographie (Gespräch) . ......................................................................................... 170. Krise der Medizin oder Krise der Antimedizin (Vortrag). . . . 171. Über »Histoire de Paul« (Gespräch)............................................ 172. Michel Foucault: Verbrechen und Strafen in der UdSSR und anderswo. .. (Gespräch)............................................ 173. Die gesellschaftliche Ausweitung der Norm (Gespräch) . . . . 174. Das Wissen als Verbrechen (G espräch)........................................ 175. Michel Foucault, die Ungesetzlichkeit und die Kunst des Strafens (Gespräch)......................................................... 176. Hexerei und Wahnsinn (G espräch)............................................... 177. Gesichtspunkte (Auszug aus einem Vortrag)............ ................. 178. Fragen von Michel Foucault an »H érod ote«.............................. 179. Bio-Geschichte und B io -P o litik .................................................... 180. Gespräch mit Michel Foucault (Über den Film von R. Allio, Moi, Pierre Rivière, ayant égorgé ma mère, ma sœur et mon frère, 1 9 7 6 ) ............... 181. Das Abendland und die Wahrheit des S e x e s ............ ................. 182. Warum das Verbrechen von Pierre Rivière? (Gespräch).......... 183. Sie sagten über M alrau x.................................................................. 184. Die politische Funktion eines Intellektuellen.............................. 185. Die Rückkehr des Pierre Rivière (Gespräch) (Über den Film Moi, Pierre Rivière, ayant égorgé ma mère, ma sœur et mon frère, von R. Allio, 1 9 7 6 )............... 186. Der Diskurs darf nicht gehalten werden für................................ 187. Man muss die Gesellschaft verteid igen ........................................

u 14 19 38 54 77 83 99 105 115 119 123 125 126

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1977 188. Vorwort (Vorwort zu My Secret Life, Paris 1 9 7 7 ).................... 189. Vorwort (Vorwort zu Deleuze, G./Guattari, E, Anti-Oedipus: Capitalism and Schizophrenia, N ew York 1977)................................................................................. 190. Sexualität und Wahrheit (Neue Einführung in La Volonté de sa vo ir) ........... ....................................................... 191. Vorwort (Vorwort zu Debard, M./Hennig, J.-L., Les Juges Kaki, Paris 1977).............................................................. 192. Gespräch mit Michel F o u c a u lt...................................................... 193. Vorlesung vom 7. Januar 1976......................................................... 194. Vorlesung vom 14. Januar 1976............................................ .. 195. Das Auge der Macht (Gespräch).................................................... 196. Die Geburt der Sozialmedizin (Vortrag)............ ........................ 197. Die Machtverhältnisse gehen in das Innere der Körper über (G espräch)........................................................................................... 198. Das Leben der infamen M e n sc h e n ............................................ ■. 199. Das Poster vom Staatsfeind Nr. 1 (über J. Mesrine, Uinstinct de mort, Paris 1979)......................................................... 200. N ein zum König Sex (Gespräch).................................................... 201. Die grauen Morgen der Toleranz (über den Film von P. P. Pasolini, Comizi d ’amore, 1965)................................... 202. Das unbegrenzte Irrenhaus.............................................................. 203. Präsentation (Präsentation einer Ausstellung des Malers Maxime D efert)............................. 204. Der große Zorn über die Tatsachen............................................... 205. D ie Angst davor, Recht zu sprechen (G espräch)...................... 206. Das Spiel des Michel Foucault (G esp räch )................................ 207. Eine kulturelle M obilm achung...................................................... 208. Die Marter der W a h rh eit................................................................ 209. Einsperrung, Psychiatrie, G efän gn is............................................. 210. Wird Klaus Croissant ausgeliefert?......................................... 211. Michel Foucault: »Von nun an steht die Sicherheit über den Gesetzen« (Gespräch)...................................................... 212. D ie Macht, ein großes Tier (G espräch)........................................ 213. Michel Foucault: die Sicherheit und derStaat (Gespräch) . . . 214. Brief an einige Führer der L inken............................................ 215. Folter ist Vernunft (G esp räch).......... ............................................ 216. Macht und Wissen (G esp rä ch )........................... 217. »Wir fühlten uns als schmutzige S p ezies« ................................... 218. Mächte und Strategien (Gespräch).................................................

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176 181 183 186 213 231 250 272 298 309 332 336 354 357 362 364 370 391 430 432 434 468 474 477 495 502 505 515 534 538

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1978 219. Vorwort von Michel Foucault (Vorwort zu Canguilhem, Georges, On the Normal and the PathologicaU Boston 1978)............................................... 551 220. Die Entwicklung des Begriffs des »gefährlichen Menschen« in der forensischen Psychiatrie des 19. Jahrhunderts............... 568 221. Gespräch über die M a c h t............................................ ................... 594 222. Wahnsinn und Gesellschaft (V ortrag).......................................... 608 223. Klappentext (zu dite Alexina B. von Hercule Barbin, dt. Über HermaphrodismuSy Frankfurt/M. 1998)...................... 633 224. Eugène Sue, wie ich ihn lie b e ......................................................... 633 225. Eine erdrückende Bildung...................................................... 637 226. Alain Peyrefitte erklärt sich..., und Michel Foucault antwortet ihm .................................. 640 227. Der traditionelle politische Raster........................... 642 228. Achtung Gefahr! ............................................................................... 643 229. D ie Einbindung des Krankenhauses in die moderne Technologie (Vortrag)................................................... 644 230. Sexualität und Politik (G espräch)............................... 660 231. Die Disziplinargesellschaft in der Krise (K onferenz)............... 671 232. Die analytische Philosophie der Politik (V ortrag).................... 675 233. Sexualität und Macht (Vortrag)......................................... 695 234. Die Bühne der Philosophie (G espräch)....................................... 718 235. Methodologie zur Erkenntnis der Welt: Wie man sich vom Marxismus befreien kann (Gespräch) . . . . ............... 748 236. Michel Foucault und das Zen: ein Aufenthalt 776 in einem Zen-Tempel (Gespräche)......................................... 237. Der geheimnisvolle Hermaphrodit (Gespräch) . . . .................. 783 238. Erläuterungen zur Macht. Antwort auf einige Kritiker (G espräch)................................................. .................................... .. . 784 239. D ie »Gouvernementalität« (Vortrag)............................................ 796 240. Vom guten Gebrauch des Kriminellen.................................. 823 241. Die Armee, wenn die Erde b e b t .......... ......................................... 829 242. M. Foucault. Ein ohne Komplexe geführtes Gespräch mit dem Philosophen, der die Machtstrukturen untersucht . . . . . 838 243. Der Schah ist hundert Jahre z u r ü c k ............................................ 850 244. Teheran: Der Glaube gegen den S c h a h ............................. 856 245. Wovon träumen die Ira n er? ...................... 862 246. Zitrone und M ilc h ................................................... 870 247. Ein gewaltiges E rstaun en ................................................................ 875 248. Eine Revolte mit bloßen H ä n d e n ......................................... 878 249. Streit innerhalb der Opposition...................................................... 882

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250. Die »Ideenreportagen«..................................................................... 251. Antwort Michel Foucaults an eine iranische L eserin ............... 252. Die iranische Revolution breitet sich mittels Tonbandkassetten a u s ........................................................................ 253. Das mythische Oberhaupt der Revolte im Iran ......................... 254. Brief Foucaults an L 'U n ita .............................................................. 255. Sicherheit, Territorium und Bevölkerung.....................................

885 887 888 894 898 900

1979 256. Vorwort von Michel Foucault (Vorwort zu Brückner, P./Krovoza, A., Ennemis de l'État, Claix 1 9 7 9 )........................................................................ 906 257. Die Gesundheitspolitik im 18, Jahrhundert................................ 908 258. Was ist ein A u to r ? ............................................................................. 929 259. Der Geist geistloser Zustände (G espräch)................................... 929 260. Formen der Justiz............................................................................... 944 261. Pulverfass Isla m ................................................................................. 949 262. Michel Foucault und der Iran ........................ 952 263. Das Sexualstrafrecht (G espräch).................................................... 954 264. Ein so schlichtes V ergnügen........................................................... 970 265. Offener Brief an Mehdi Bazargan................................................. 974 266. Für eine Moral der U nbequem lichkeit........................................ 978 267. Michel Foucault: der Augenblick der W ahrheit........................ 984 268. Die Zeit anders le b e n ........................................................................ 984 269. Nutzlos, sich zu e r h e b e n ................................................................ 987 270. Die Strategie des U m felds................................................................ 992 271. »Das Flüchtlingsproblem ist ein Vorbote der großen Wanderungsbewegung des 21. Jahrhunderts« 996 (G espräch)......................................................................... 272. Foucault untersucht die Staatsräson (Gespräch)......................... 999 273. Kämpfe um das Gefängnis (G esp räch ).......................................... 1005 274. Die Geburt der B io p o litik .................................................................1020

Band 4 1980 275. Vorwort (zu Knobelspiess, R., Q.H.S.: quartier de haute sécurité, Paris 1980)............................................................................ 276. Einleitung (in: Barbiny Herculine, Being the Recently

Discovered Memoirs of a Nineteenth Century French Hermaphrodite, N ew York 1 9 8 0 ).................................................

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Gesamtinhaltsverzeichnis

277. Der Staub und die W o lk e ................................................................ 278. Diskussion vom 20. Mai 1978......................................................... 279. Nachwort (in: Perrot, Michelle (Hg.), L'Impossible Prison. Recherches sur le système pénitentiaire au XIXe sciècle, Paris 19 8 0 )........................................................................................... 280. Foucault untersucht die Staatsräson............................................ 281. Gespräch mit Ducio T rom badori................................................. 282. Immer noch das G efängnis.............................................................. 283. Le Nouvel Observateur und die Vereinigte L in k e.................... 284. Die vier apokalyptischen Reiter und das alltägliche Gewürm 285. Der maskierte Philosoph.............................................. 286. Die Fantasien des 19. Jahrhunderts............................................... 287. Das wahre G e sch le ch t.............................................. 288. Roland Barthes (12. November 1915 - 26. März 1 9 8 0 ).......... 289. Von der Regierung der L ebend en .................................................

12 25

44 47 51 119 124 126 128 137 142 152 154

1981 290. Vorwort zur zweiten Auflage (von Vergés, J., De la stratégie judiciaire, Paris 1 9 8 1 )........................................................................ 160 291. »Omnes et singulatim«: zu einer Kritik der politischen V ernunft.......................................................................... 165 292. Brief an Roger C aillois..................................................................... 199 293. Freundschaft als L eb en sform ......................................................... 200 294. Das Dossier »Todesstrafe«. Sie haben dagegengeschrieben . . 206 295. Sexualität und Einsamkeit (V ortrag)............................................ 207 296. Ist es also wichtig, zu d en k en ? ...................................................... 219 297. Die Maschen der M a c h t................................................................... 224 298. Michel Foucault: Wir müssen alles überdenken, das Gesetz und das G efä n g n is............................................................................ 245 299. Lacan, der »Befreier« der Psychoanalyse..................................... 248 300. Gegen die E rsatzstrafen................................................................... 249 301. Strafen ist die schwierigste Sache der W e l t ................................ 252 302. D ie Antworten von Pierre Vidal-Naquet undMichel Foucault 255 303. Anmerkungen zu Dingen, die man liest und h ö r t ..................... 256 304. Subjektivität und W ahrheit.............................................................. 258

1982 305. 306. 307. 308. 309.

Pierre Boulez, der durchstoßene S ch irm ..................................... Subjekt und M ach t............................................................................. Denken, F ü h le n ................................................................................. Gespräch mit Werner Schroeter...................................................... Der erste Schritt zur Kolonisierung des W estens......................

265 269 294 303 314

Gesamtinhaltsverzeichnis

310. 311. 312. 313. 314. 315. 316. 317. 318. 319. 320. 321. 322. 323.

Raum, Wissen und M acht................................................................ Gespräch mit M. F o u c a u lt.............................................................. Der Kampf um die K euschheit...................................................... Der gesellschaftliche Triumph der sexuellen Lust: ein Gespräch mit Michel Foucault................................................. Zärtlichkeiten zwischen Männern als K u n s t .............................. Die Maschen der M a c h t................................................................... Terrorismus hier und dort................................................................ Sexuelle Wahl, sexueller A k t ........................................................... Foucault: Keine Kompromisse!. . ................................................. Michel Foucault: »Neutralität ist nicht m öglich«...................... »Wenn wir die Polen im Stich lassen, verzichten wir auf einen Teil unserer s e lb s t« ................................................................ Michel Foucault: »Die moralische und soziale Erfahrung der Polen kann nicht mehr ausgelöscht w erden«...................... Das goldene Zeitalter der lettres de cachet..................................... Die Hermeneutik des S ub jekts.........................................................

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^69 376 379 380 382 402 405 408 412 421 423

1983 324. A rbeiten................................................................................................... 439 325. Ein endliches System angesichts einer unendlichen Nachfrage 440 326. Zur Genealogie der Ethik: Ein Überblick über die laufende Arbeit....................................................................................................... 461 327. Das interessiert mich n ic h t................................................................ 498 328. Über die Macher der Geschichte...................................................... 499 329. Über sich selbst schreiben................................................................... 503 330. Strukturalismus und Poststrukturalismus ..................................... 521 331. Austausch mit Michel F o u c a u lt...................................................... 556 332. Von seinen Lüsten träumen. Über das Traumbuch des Artemidor......................................................................................... 561 333. Michel Foucault/Pierre Boulez: D ie zeitgenössische Musik und das Publikum.................................................................................. 594 334. Polen, und was danach?..................................................................... 604 335. »Sie sind gefährlich«............................................................................ 638 336. Michel Foucault, interviewt von Stephen R ig g in s...................... 641 337. . .. sie haben verkündet . .. über den Pazifismus: seine Natur, seine Gefahren, seine Illusionen................................ 657 338. Gebrauch der Lüste und Techniken des Selbst.............................. 658

1984 339. Was ist Aufklärung?............................................................................ 340. Vorwort zu Sexualität und Wahrheit.................................

687 707

Gesamtinhaltsverzeichnis

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341. 342. 343. 344. 345. 346. 347. 348. 349. 3 50. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 357. 358. 359. 360. 361. 362. 363. 364.

Politik und Ethik: ein In terview .................................................... Polemik, Politik und Problematisierungen................................... Archäologie einer Leidenschaft. . . . . . . ..................................... Zur Genealogie der Ethik: Ein Überblick über die laufende A rbeit.................................................................................... Foucault................................................................................................ Was heißt Strafen?............................................................................. Die Sorge um die Wahrheit.............................................................. Der Stil der Geschichte..................................................................... Interview mit Michel F o u ca u lt...................................................... Die Sorge um die Wahrheit............................................ Was ist Aufklärung?.......................................................................... An den Quellen der L u s t ............................... Interview mit Michel F ou ca u lt...................................................... Die Rückkehr der Moral............................................................... . Den Regierungen gegenüber: die Rechte des Menschen (Wortmeldung)...................................................... . ........................... D ie Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit................. Eine Ästhetik der E xisten z.............................................................. Michel Foucault, ein Interview: Sex, Macht und die Politik der Id en titä t........................................................... . ............ Der Intellektuelle und die Mächte................................................. Von anderen R äum en ........................................................................ Das Leben: Die Erfahrung und die Wissenschaft...................... Wahrheit, Macht, S e lb s t ................................................................... Technologien des S e lb s t ................................................................... D ie politische Technologie der Individuen .................................

715 724 734 747 776 782 795 799 807 823 837 848 848 859 873 875 902 909 924 931 943 959 966 999

Anhang 1: Besprechung von G. Deledalle, Histoire de la philosophie américaine................................................. Anhang 2: Gespräch über Medizin, Gewalt und Psychiatrie..........1017 Anhang 3: Ein Brief von Michel Foucault............................................... 1021 Anhang 4: Die unveröffentlichten Texte von N ietzsch e.......................1022 Anhang 5: Zur Publikation der N ietzsche-G esam tausgabe............ 1023 Register Namenregister................................................................ Werkregister.................................................................................................1052 Sachregister................................................................................................... 1069

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände I-IV

1124

1016