Gesammelte Schriften [III]

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I Library SCHOOL OF THEOLOGY AT CLAREMONT

WEST FOOTHILL AT COLLEGE AVENUE CLAREMONT, CALIFORNIA

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Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften. Dritter Band

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DiETRICH

BONHOEFFER

GESAMMELTE

SCHRIFTEN

Herausgegeben von Eberhard Bethge

Dritter

Band

Er u

CHR.KAISER

VERLAG 1960

MÜNCHEN

DIETRICH

BONHOEFFER

THEOLO&IEZ

GEMEINDE

Vorlesungen - Briefe - Gespräche 1927 bis 1944

ER u

CHR.KAISER

VERLAG 1960

MÜNCHEN

Mit acht Bildtafeln.

©

1960 Chr. Kaiser Verlag München. — Alle Rechte, auch die des auszugs-

weisen Nachdruckes, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung

vorbehalten. — Printed in Germany. — Umschlag- und Einbandentwurf von Rudolf Nieß. Satz und Druck: Buchdruckerei Albert Sighart, Fürstenfeldbruck.

VORWORT

Friedrich Nietzsche die Treue zur Erde zu überlassen, konnte Dietrich Bonhoeffer nicht ertragen. Der Sohn der Gäa, Antäus — unüberwindlich, solange er die Füße auf dem Erdboden behält — krönt 1928 Bonhoeffers frühe Überlegungen zur Ethik in Barcelona (S.57) und Antäus illustriert 1943 das Gespräch um die Ethik der irdischen Verantwortung in Tegel

(S.494. Siehe auch Faksimile Tafel 2 und 8). Dazwischen liegt ohne Abstriche an Leidenschaft die Glut der Hoffnung

auf den Abbruch dieser Erde und auf die neue Erde Gottes. Unter diesem weiten Bogen erscheint die Theologie Bonhoef-

fers je bis an die Grenzen vorgetrieben. Dabei schränkt er ihre Rolle ein auf ihr partielles Recht in der Kirche, auf ihren

Dienstcharakter. Es gibt deutliche Schritte in seinem Leben, das selbstzweckliche Spiel dieser Wissenschaft zu lassen, was

seinem Intellekt nicht leicht gefallen ist. Aber er konnte sehr scharf werden, wo einer dieses Stück Geistesarbeit verachten zu dürfen meinte. Er preist das Amt der Theologie, „Gottes

Wunder als Wunder zu bewahren, Gottes Geheimnis gerade als Geheimnis zu begreifen, zu verteidigen, zu verherrlichen“

(5. 382).

Der theologische Weg von „Sanctorum Communio“ über die „Nachfolge“ zu den Briefen in „Widerstand und Ergebung“ erhält mit den Beiträgen dieses dritten Bandes der „Gesammelten Schriften“ neue Markierungen und Lichter. Lebhaft

belegen die ersten Kapitel Bonhoeffers spannungsreiche Ausgangsstellung: einmal die direkte Einwirkung durch seine Berliner Mentoren, zum anderen die durch Karl Barth, lange

Zeit nur literarisch vermittelt. Dennoch offenbart schon der jugendlich unreife Versuch zur Ethik in dem Barcelona-Vortrag von 1928 das Bonhoeffer eigene Material, manchmal bis in die Sprachformen hinein. Im übrigen wird man sich auch

8

Vorwort

an den ärgerlich üblichen Lösungen eines etwas zu sicheren

lutherischen Bürgers stoßen, der sich eine aktualistische Freiheit zur Politik der Stärke einredet. Der Leser von „Sanc-

torum Communio“ wird solche Tendenzen bereits dort entdeckt haben (SC 78! 55, 140).

Die Barth-Interpretationen in den Arbeiten auf dem Union Theological Seminary trafen Adressaten, welche auf diese theologiegeschichtliche Wegbiegung in keiner Weise vorbereitet waren. Eben erst hatte E. Brunner eine Einführung in die

„theology of crisis“ in den USA gegeben (unter diesem Titel, der im Grunde die Sache bis heute im englischen Sprachraum gefährlich abgestempelt hat). Und eben war die erste amerikanische Übersetzung Barthscher Aufsätze erschienen, ‚The Word of God and the Word of Man“, besorgt durch Douglas Horton. Deshalb fällt in diesen Arbeiten Bonhoeffers jener Versuch aus, die kritischen Fragen aus Akt und Sein und hier in diesem Band in der Antrittsvorlesung zu stellen, welche ihn beunruhigten: bei Barth unter dem Stichwort der transzendentalistischen Kategorien und seinem calvinistischen finitum incapax infiniti, bei Bultmann unter dessen philosophische Kategorie der „Möglichkeit“. Wie stark Bonhoeffer seine Kritik an Barth innerhalb von dessen An-

liegen und nicht im chorus mit seinen Antipoden verstanden wissen wollte, dafür ist hier die eingehende Arbeit über Karl Heim ein Beleg.

Leider ist von den Berliner Universitätsvorlesungen fast nichts erhalten bis auf die Wintervorlesung 1932/33 „Schöpfung und Sünde“, die uns in „Schöpfung und Fall“ erhalten blieb.

Das ist ein Verlust, weil diese Vorlesungen und Seminare die Schritte zur „Bergpredigt“ und „Nachfolge“ verdeutlicht hätten. Dennoch bringt dieser Band eine jener Vorlesungen — wohl die wichtigste: „Christologie“, aus dem Sommer 1933. Hörer hatten wieder und wieder auf sie verwiesen, so

daß ich Nachschriften von Studenten sammelte und daraus

Vorwort

9

ein Manuskript rekonstruierte. Diese Rekonstruktion wird hier veröffentlicht, gewiß ein fragwürdiges Wagnis. Was vor-

liegt, ist nicht Bonhoeffers eigene Feder. Aber die Anlage ist zweifelsfrei die seine. Manchmal sind auch Formulierungen als gesichert anzusehen. Ein Hörer von damals meinte, hier

und da die Sache bis ins Stimmliche hinein wiederzuhören. Bonhoeffer machte den damals in Berlin einzigartigen Ver-

such, erst den „Gegenwärtigen Christus“ abzuhandeln (wobei Bonhoeffer immer neben den notae der Predigt und des Sakraments die in der Gemeinschaft der Gemeinde lehrt) und danach den „Historischen Christus“, d.h. die kritische ‚Christologie zu bringen. Aufregend, das Schlußkapitel dieser Vorlesung mit den Formulierungen der Briefe von 1944 zu vergleichen! Schon hier macht er den resoluten Versuch,

weitreichende Folgerungen aus der Abkehr von den christologischen Substanzbegriffen zu ziehen. Es war eine zweistündige Sommervorlesung mitten in den sich überstürzenden kirchenpolitischen Ereignissen. Obwohl sich Bonhoeffer die Konzentration nicht beeinträchtigen ließ, hat er doch ge-

äußert, daß ihm keine Vorlesung so viel Not bereitet habe wie diese. Es war die letzte reguläre akademische Arbeit. Für den Herausgeber bildete ihre Neuentdeckung den Höhepunkt

des Bandes III. Der akademischen Periode folgte die der Zuwendung zu den Bekenntnisschriften, verbunden mit dem starken exegetischen Engagement. Sie veränderte Bonhoeffers Ausdrucksmittel für eine lange Zeit. Es ist, wie wenn er für völlig andere Partner denkt und schreibt. Schlagende Beispiele bieten die zwei Katechismusentwürfe, der eine von 1931, der andere von 1936.

Den Kapiteln aus dieser Zeit müssen Abschnitte aus den vorangegangenen Bänden an die Seite gestellt werden, vor allem das Kap. IV aus dem Band II. Begrüßen wird man die ausführlichere Stellungnahme Bonhoeffers zur Abendmahls- und zur Tauffrage, hervorgegangen aus einer Kontroverse.

10

Verwort

Aus der Zeit der Arbeit an der Ethik bietet dieser Band Stücke aus den schriftstellerischen Versuchen in Tegel, dem

Dramen- und dem Romanfragment. Weitere Veröffentlichungen aus diesen sehr persönlichen Manuskripten sind in den G. S. nicht geplant. Die hier ausgewählten Teile münden in Bonhoeffers allgemeine Überlegungen zur Ethik ein und qualifizieren sie hier und da aufs neue.

Manche Kritiker der G.S. schlagen eine rein chronologisch geordnete Ausgabe, vor allem einen gewiß höchst reizvollen chronologischen Briefband vor. Das ist zur Zeit noch nicht

ratsam. Wie erwartet, zaubert das Erscheinen des Unternehmens erst wichtige Schriftstücke hervor. So lagen auch einige Briefe dieses Bandes bisher einfach noch nicht vor. Archive, wie das in unserem Zusammenhang so wichtige von F. Siegmund-Schultze, werden eben erst zugänglich. Andere

geben ihre Schätze immer noch nicht frei. Die Aufteilung, unter welcher diese Ausgabe nun zu Ende geführt wurde, erlaubt eine gewisse Flexibilität. Zur Drucktechnik verweise ich auf G.S. I, Seite 9. Meinen Dank für viele Hilfe sage ich wiederum dem Archiv Wilhelm Niemöllers, dazu einigen Finkenwalder Brüdern, deren Namen im Zusammenhang mit der Christologie genannt

sind (S.552). Ich danke auch den Helfern bei der Übersetzung, Mrs. I. Duncan und Dr. W. Delp. Die Berliner Staatsbibliothek und das Bundesarchiv erlaubten das Photokopieren der Harnack- bzw. der Seeberg-Korrespondenz.

Januar 1960

E. Bethge

INHALT

VORWORT I. BRıEFE.

1928—1942

15 16 17 18 18 20 20 22 23 24 26 31 33 37 44 45

An Reinhold Seeberg. 20. Juli 1928 An Reinhold Seeberg. 10. Oktober 1928 Von Reinhold Seeberg. 19. Oktober 1928 An Adolf von Harnak.

13. Juli 1928

An Adolf von Harnac.

18. Dezember

.

1929

Von Adolf von Harnack. 22. Dezember 1929 Von W. Lütgert. 18. Februar 1931 Von Reinhold Seeberg. 7. April 1931

.

An Karl-Friedrich Bonhoeffer.

12. Januar 1933

An Karl-Friedrich Bonhoeffer.

14. Januar 1933

An Rüdiger Schleicher. 8. April 1936 An Theodor Litt. 22. Januar 1939 An Gerhard Leibholz. 7. März 1940 An eine unbekannte Frau. Frühjahr 1940 An Frau Vibrans. 5. März 1942 An Ernst Wolf. 24. März 1942

II. AUF

DEM

WEG

zur

DOoZEnTur.

1927—1930

Theologische Thesen zur Promotion zember 1927

in Berlin am

17. De47

Grundfragen einer christlichen Ethik. Vortrag in Barcelona

Rede zum

Gedächtnis Adolf von Harnacks

am

15. Juni

1930

Die Frage nach dem Menschen in der gegenwärtigen Philosophie und Theologie. Antrittsvorlesung in Berlin am 31. Juli 1930

48

III. ARBEITEN 1930 unn

IM UNION

THEOLOGICAL

SEMINARY.

1931

Charakter und ethische Konsequenzen terminismus The Religious Experience

of Grace

des religiösen De91

and the Ethical Life

109

Concerning the Christian Idea of God The Theology of Crisis and its Attitnde sophy and Science

IV. BESPRECHUNGEN. William

Toward

Philo110

1930-1932

James, “Varieties of religious experiences’’

127

Friedrich Parpert, „Das Mönchtum und die evangelische Kirche. Ein Beitrag zur Ausscheidung des Mönchtums aus der evangelischen Soziologie“

130

C. Cordes, „Der Gemeinschaftsbegriff im deutschen Katholizismus und Protestantismus der Gegenwart“

132

Robert Jelke, „Vernunft und Offenbarung“

134

Karl Heim,

138

V. LEHRER

AN

„Glaube

DER

und Denken“

BERLINER

UNIVERSITÄT.

1931—1933

Thesenfragmente für systematische Seminare

x

160

Die Idee der Philosophie und die protestantische Theologie (Heidegger und Grisebach)

160 162 162

Gibt es eine christliche Ethik? Gehorsam

und Tun

164

Sünde und Verfehlung Christologie. Vorlesung

166

Was soll der Student der Theologie heute tun?

243

VI. GEMEINDETÄTIGKEIT.

1931— 1933

Glaubst du, so hast du. Versuch eines Lutherischen chismus Das Recht auf Selbstbehauptung.

Kate-

Offentlicher Vortrag

248 258

Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde Reich auf Erden. Öffentlicher Vortrag

um

Gottes 279

Was ist Kirche? Aufsatz

286

8 Thesen über die Jugendarbeit der Kirche

292

VII. LEHRER AM PREDIGERSEMINAR KırcHe 1935 — 1937

DER

BEKENNENDEN

Christus in den Psalmen. Vortrag

294

Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte. Vortrag

303

Sichtbare Kirche im Neuen Testament. Finkenwalder Rundbrierbeilage

325

Konfirmanden-Unterrichtsplan. such

335

Zweiter

Katechismus-Ver-

Konfirmationsfrage

368

Sätze über Schlüsselgewalt und Gemeindezucht Testament

VIII. AUFTRÄGE

DER

BRUDERRÄTE

im Neuen 369

1939 — 1942

Theologische Briefe. Beilagen zu pommerschen Bruderrates .

den

Monatsbriefen

des 382

Theologischer Brief zu Weihnachten 1939 Epiphanias, Eine theologische Besinnung Vom heiligen Abendmahl. Eine Anleitung zum Studium des VII. Artikels der lutherischen Konkordienformel Brief Baumann

an

en

Brief Bonhoeffer an Baumann Brief Baumann an Bonhoeffer Brief Bonhoeffer

. .

an Baumann

382 383

393 393 400 401 404

Auferstehung

405

Die Himmelfahrt Jesu Christi. Eine Bea über ihren christologischen, Be und paränetischen Sinn

409

Von der Herrlichkeit des en

416

a

Von der Dankbarkeit des Christen Theologie und Gemeinde

418 421

Der beste Arzt. Aufsatz

426

Zur

431

Tauffrage,

IX. Zur ARBEIT

AN

Gutachten

DER

ETHIK.

1942— 1944

Die Geschichte und das Gute. Erste Fassung

Stücke aus einem Dramenfragment Zwei Gespräche aus dem Romanversuch ANHANG Übersetzungen

515

Nachweise

550

Register

556

DıeE BILDER D. Bonhoeffer im Jahre 1931 (?) (nach S. 32) — Faksimile der Antäus-Stelle aus dem Vortrag in Barcelona. 1929 (vor S. 33) — Adolf von Harnack (nach S. 48) — Faksimile Adolf von Harnack an Bonhoeffer. 29. Dezember 1929 (vor S.49) — F. Gogarten, E. Thurneysen, K. Barth. 1922 (nach S.320) — Union Theological Seminary. 1931 — Theologie in den Dünen. Zingst Mai 1935 (vor $S.321) — Mit Propst Staemmler. 23. August 1935 (nach $. 336) — Faksimile der Antäus-Stelle aus dem DramenEntwurf. Tegel 1943 (vor S. 337).

I. BRIEFE

Barcelona, den 20. Juli 1928 Hochverehrter Herr Geheimrat! [R. Seeberg] ...Ich bin z. Zt. grade auf der Suche nach alten Spielen, in denen Wettkämpfe arabischer und christlicher Theologen noch heute in den kleinenStädten der Provinz aufgeführtwerden.— Was nun meine eigentliche theologische Arbeit angeht, so bin ich — soweit das bei der andauernden Hitze,die übrigens auch nicht so schlimm ist, wie man sich vorstellte, möglich ist — am Streichen und Kürzen meiner Arbeit!, die ich Ihnen dann, wie verabredet, Anfang November gerne schicken möchte. Ich muß vieles neu schreiben, große Stücke ganz weglassen; (ich fand in Brunners ‚Mittler‘, den ich übrigens ziemlich enttäuschend finde, ähnliche Gedanken über die Erbsünde und

ihre soziale Bedeutung, wie ich sie entwickelte); sodann bin ich in Gedanken schon bei einer anderen Sache, allerdings wieder nicht historisch, sondern systematisch. Es knüpft an die Frage nach dem Bewußtsein und dem Gewissen in der Theologie an, und einige Lutherzitate aus dem großen Galaterkommentar. Sie haben im Seminar die Frage des Bewußtseins auch einmal angeschnitten; es soll aber keine psychologische, sondern eine theologische Untersuchung werden. Wenn ich weiter bin, darf ich Ihnen vielleicht einmal brieflich davon erzählen. Mit den berzlichenWünschen ..., daß ich Sie im Frühjahr in derselben Frische und Rüstigkeit auf dem

Katheder finde, wie immer, bin ich...in steter Verehrung und Dankbarkeit

Dietrich Bonhoeffer 1. Sanctorum Communio. 2. Der Mittler. Zur Besinnung über den Christusglauben, Mohr, Tübingen.

1927 J. C. B.

16

Briefe.

1928—1942

Barcelona, den 10. Oktober 1928 Was nun die Umarbeitung meiner Lic.Arbeit angeht, so ich einigermaßen damit am Ende. Allerdings habe nicht soviel kürzen oder streichen können, wie ich hoffte; merhin ist ein vierter oder fünfter Teil weggefallen. Nun

bin ich imlas

ich neulich eine Anzeige von einem Buch von Althaus, das noch in diesem Herbst erscheinen soll, mit dem Titel: Communio Sanctorum!. Würden Sie mir empfehlen, das Buch erst abzuwarten oder unabhängig davon meine Arbeit in den Druck zu geben? Die Beantwortung dieser Frage hängt natürlich auch von dem Zeitpunkt, in dem eine Drucklegung möglich würde, ab; darüber würde ich Sie nun sehr bitten, mir doch gelegentlich — vielleicht, damit Sie damit keine Mühe haben, durch meinen Vater — Bescheid zukommen zu lassen. Sie sprachen damals von November, so komme ich jetzt wieder mit meiner Anfrage. Und nun verzeihen Sie,

wenn ich Sie noch mit einer anderen persönlichen Frage belästige! Wir sprachen kurz vor meiner Abreise von den Möglichkeiten, nach meiner Rückkehr eine Assistentenstelle zu bekommen und Sie hatten mir damals gewisse Hoffnungen gemacht. Meinen Sie, daß sich im übernächsten Semester so etwas für mich finden ließe? Am liebsten natürlich bei der Systematik. Hätten Sie die große Güte, falls sich da etwas eröffnet, ein Wort für mich einzulegen? — Und nun genug mit Fragen und Bitten. — Meine Zeit hier geht im Fluge vorbei; für den Winter habe ich eine Reihe von Vorträgen über dogmatische Fragen angekündigt?, die 1. C. S, Die Gemeinde im lutherischen Kirchengedanken. I. Luther, 1929 Chr. Kaiser Verlag (Vorwort Althaus’ vom 8. 2. 1929). 2. Für den 13. November 1928 „Not und Hoffnung in der religiösen Lage der Gegenwart. Die Tragödie des Prophetentums und ihr bleibender Sinn“; für den 11. Dezember 1928 „Jesus Christus und vom Wesen des Christentums“; für den 25. Januar 1929 „Grundfragen einer christlichen Ethik“, siehe Seite 48 ff.

Von

R.Seeberg

17

Weihnachtsvorbereitungen für die Jungens fangen an. Dann

bewegt mich von Tag zu Tag mehr der Gedanke einer neuen größeren systematischen Arbeit, das Spanische soll auch nicht zu kurz kommen — so werden auch die letzten 4 Monate fliegen — und es ist wie im Fluge gekommen, daß ich wieder in Ihrem Seminar sitze und Sie auf dem Heimweg begleiten darf. Darauf freut sich schon heute Ihr Ihnen in dankbarster Verehrung stets ganz ergebener Dietrich Bonhoeffer Herrn Lic. Bonhoeffer Barcelona Berlin, den 19. Oktober 1928 Lieber Herr Bonhoeffer!

Haben Sie vielen Dank für die beiden Briefe, die ich von Ihnen empfangen habe. Ich freue mich aufrichtig, daß es Ihnen so gut geht, Sie Land und Leute dort kennenlernen, sich gut in die Praxis einleben, Ihre Arbeit durchgebracht haben und nach neuer Arbeit ausschauen. Ich bin gespannt darauf, was für ein Thema Sie sich wählen. Vielleicht wäre es ratsam, sich jetzt etwas historisch

oder biblisch Orientiertes auszusuchen, um auch in Fragestellung und Methode

dieser Gebiete

sich selbständig einzuarbeiten.

Wie

wäre es z.B. mit einer Erwägung der Frage, warum in der Scholastik des 12. Jahrhunderts die ethischen Probleme so stark zurücktreten und wie die Darstellung in Johannes von Salisbury „Metalogicus“ zu beurteilen ist. Doch dies ist nur ein Beispiel und wenn Sie etwas anderes Ihnen näher liegendes haben, so ist es

natürlich noch besser. Aber die Geschichte der Ethik und noch mehr der Sittlichkeit ist ein Gebiet, auf das ein junger Mann sich heute wohl einstellen könnte, mit dem Ziel etwa einer ethischen

Dogmengeschichte von der Bergpredigt bis zu unseren Tagen. Nun zu Ihren Fragen. Das Buch von Althaus würde ich nicht abwarten, denn eine innere Auseinandersetzung ist doch kaum mehr möglich, evtl. genügten einige Bemerkungenin Ihrem Vorwort. Außerdem glaube ich, daß die Einstellung bei Ihnen auf verschiedene Ziele hin erfolgen wird. Hinsichtlich der Drucklegung Ihrer

Arbeit fürchte ich, daß noch einige Zeit vorbeigehen muß. Der

18

Briefe.

1928—1942

Verlag hat einen neuen Besitzer bekommen

und arbeitet zudem

entsetzlich langsam. Auch liegen noch einige andere Sachen vor. Sollte dann freilich Althaus eine Weile über schon in aller Hände

sein, so würde wahrscheinlich eine Auseinandersetzung etwa am Schluß kaum zu umgehen sein. Dann die Assistentenstelle. Stolzenburg

ist bis April 1929 aber-

mals angestellt, dann wird die Stelle sicher frei. Ich will gern für Sie als ein langjähriges Mitglied des Seminars eintreten, ob es Er-

folg hat, hängt natürlich auch davon ab, wer mein Nachfolger wird, der bis dahin ja hoffentlich ernannt wird.!

Möchte es Ihnen weiter gut gehen, lassen Sie wieder von sich hören.

Mit herzlichem Gruß Ihr

R. Seeberg

Barcelona, den 13. Juli 1928 Hochverehrte Exzellenz! [A. v. Harnack] Es ist kein Zufall, daß meine Gedanken in den letzten Wochen sich immer, wie von einem Magnet angezogen, zu Ihnen und zu Ihrem Seminar wenden: jährt sich doch wieder einmal die Zeit der ersten Julitage, an deren einem Sie seit langen Jahren mit Ihrem Seminar nachmittags in den Grunewald hinauszogen, um uns dort ein paar Stunden zuschenken, die gewiß vielen anderen, wie mir, gegenwärtig sind, als sei es gestern gewesen... Daran knüpft sich die Hoffnung, daß es nicht viel mehr als ein halbes Jahr ist, daß ich das alles wieder haben soll, und darauf freue ich mich schon heute...

Berlin, den 18. Dezember 1929 Hochverehrte Exzellenz! Als einer von denen, die noch in jüngster Zeit Glieder Ihres Seminars werden und hier unvergeßliche Stunden zubringen durften, darf ich im Namen aller derer, die sich hier in Berlin 1. Prof. D. W. Lütgert.

An A.v. Harnack

19

in der jüngsten Theologengeneration mit mir in dieser Empfindung vereinen, Euer Exzellenz danken für die Worte des Abschieds, die Sie in Ihrem letzthin erschienenen Heft an uns gerichtet haben!. Noch will es uns nicht glaublich werden, daß es wirklich Abschiedsworte sein sollen; wir hatten ja alle noch im stillen die Hoffnung, daß eines Tages im Vorlesungsverzeichnis auch Ihre Sozietät uns von neuem zur Arbeit einladen würde. Wenn es nun aber nach Ihrem eigenen Willen doch nicht mehr so sein soll, so möchten wir es Ihnen heute sagen, daß es dennoch für uns einen Abschied von diesem Seminar nicht gibt und nicht geben wird. Wie sollen auch nicht die Stunden, in denen wir theologisch Grund gelegt haben, und was größer war, in denen wir etwas spüren konnten von christlicher Selbstbescheidung in Theologie und Leben, abschiedslos lebendig bleiben, solange wir Theologen

sind? Und, Exzellenz, wir möchten Ihnen auch nicht verbergen, daß es unsre eigene Freunde an Ihrem Seminar mächtig bestärkt hat, daß wir zu wissen glaubten, wofür wir nun in Ihren eigenen Worten die Bestätigung haben, daß auch Ihnen die gemeinsamen Stunden ein wenig Freude bereitet haben, daß Sie gern unser Lehrer gewesen sind. Daß Sie unser Lehrer in vielen Stunden waren, ging vorüber, daß wir uns Ihre Schüler nennen dürfen, bleibt. Mi: den allerherzlichsten Wünschen für frohe Weihnachtstage und ein gesegnetes neues Jahr sagen nun wir Euer Exzellenz unseren Abschiedsgruß in tiefster Dankbarkeit und_ Vereh-

rung. Das alte Seminar, und in seinem Namen Euer Exzellenz gehorsamster Dietrich Bonhoeffer 1. v. Harnack hatte dem Kirchenhistorischen Seminar, das er im Sommer 1929 zum letzterımal in seinem Hause gehalten hatte, die „Einführung in die alte Kirchengeschichte“, ein Vorwort zum 1. Clemensbrief gewidmet.

Siehe auch Agnes v. Zahn-Harnack Seite 436.

„Adolf von Harnack“,

Berlin 1951,

20

Briefe.

1928—1942

Lieber Herr Bonhoeffer! 22. Dezember 1929 Mit Ihrem Brief als freundliches Echo auf meinen „Clemens“ samt Vorwort haben Sie mir eine Freude gemacht, und ich sage Ihnen

meinen besten Dank. Abschiednehmen ist nicht leicht, und es ist eine weise Ordnung, die uns das Abschiednehmen

oft erschwert;

aber wenn es sein muß, ist ein doppelseitiger Abschied lieber als ein einseitiger. Theologisch zu arbeiten setze ich fort, und es tut mir leid, daß ich

am „Possidius, vita Augustini“ keine Sozietät mehr teilnehmen lassen kann. Der treffliche Schüler und Biograph Augustins ist bisher nicht hoch genug geschätzt worden. —

Materialismus, Wirtschaft und Sport bedrohen unsere geistige und geistliche Existenz, die theologische wird dazu noch von Verachtung der wissenschaftlichen Theologie und von unwissenschaftlichen Theologien bedroht. Um so zuversichtlicher müssen daher die die Fahne echter Wissenschaft hochhalten, die zu ihr stehen, und sie müssen als Könige bauen, aber zugleich vor keiner Kärr-

ner-Arbeit sich scheuen. Ich bin gewiß, daß Sie, lieber Herr Bonhoeffer, dies stets beherzigen werden, und habe das feste Zutrauen zu Ihrer Arbeit und Ihrem Fortschreiten auf der richtigen Bahn.

Hoffentlich lassen Sie sich öfters bei mir sehen; darum bitte ich. Grüßen Sie alle alten Sodalen!, die Sie sehen! Herzlich

Ihr

Professor D. W. Lütgert Dieber HercKallegel

v, Harnack

Berlin-Dahlem, den 18. Februar 1931

Der Semesterschluß ist diesmal besonders belastet mit Arbeit, so daß ich leider nicht sofort zur Antwort an Sie gekommen bin. Ich

will aber gleich sagen, daß ich selbstverständlich gern alles tun will, was Ihnen zum Druck Ihrer Arbeit verhelfen kannt. Schicken Sie

sie also bitte unter Berufung auf mich an Bertelsmann, ich schreibe an ibn und Sie erfahren dann, was sich hat machen lassen. Vor allen Dingen danke ich Ihnen für Ihren ausführlichen Brief, 1. Laut Auskunft Axel von Harnacks:

nossen.

1. Akt und Sein.

altfränkischer Ausdruk

für Ge-

Von W. Lütgert

21

der mich sehr interessiert hat. Daß Sie theologisch dort nicht mehr sehr viel würden lernen können, habe ich von vorneherein angenommen. Aber es ist doch wertvoll, aus eigener Anschauung Amerika, Universität und Kirche kennenzulernen. Der Anspruch auf Geltung ist uns gegenüber dort so groß, daß eine aus eigener Anschauung stammende Kritik für uns Gewicht hat. Und der Gegen-

satz hilft doch auch dazu, schätzen zu lernen, was wir gerade jetzt vor Amerika voraus haben. Ich bin hier in einem von Amerika aus

durch John Mott — kennen Sie ihn? — gegründeten Theologenkreis, der über die Säkularisationsbewegung auf dem Missionsgebiete nun schon Monate lang verhandelt. Die Amerikaner sind naiv genug, sich eine Theologie und eine Philosophie für ihre Zwecke zu bestellen, wie man sich ein Auto in einer Fabrik bestellt. Daß sich auch für die soziale Arbeit unter der Studentenschaft in

Amerika nichts Direktes lernen läßt, hatte ich auch gefürchtet. Wir arbeiten ja unter ganz anderen Bedingungen. Mein Semester war recht arbeitsreich. Korintherbriefe und Ethik 1.

Die Teilung der Ethik werde ich kaum aufrecht erhalten können, da niemand sie hier mitmacht. Wenn man das allein tut, gehts nicht so leicht. In den Korintherbriefen habe ich eine sehr große Hörerzahl, die sehr dankbar ist und fast vollzählig ausgehalten hat. Im nächsten

Semester lese ich neue systematische Theologie und Sozialethik (zweistündig). Im Seminar vertritt Hase Sie mit viel Fleiß und Interesse, so daß ich mich freue, ihn als Ihren Vertreter zu haben. Wir besprechen die Lehre vom Heiligen Geist und die Frage ist, wie es im nächsten Semester weitergehen soll. Die Korona wünscht eine Besprechung der gegenwärtigen Lage der Theologie und ich selbst möchte die Skizze, mit der ich den IV. Band meines Buches über die Deutsche Theologie? abgeschlossen habe, bis in die Gegenwart fortführen. Ferien habe ich im Sommer wenig gehabt. Bis

Ende August dauerte die Korrektur meines Buches und hielt mich hier. Ende September schon begannen die Ferienkurse, deren ich vier mitzumachen hatte.

Ich wünsche Ihnen weiter anregende und fördernde Arbeit und grüße Sie herzlich Ihr W. Lütgert 2. Das Ende des Idealismus im Zeitalter Bismarcks, Gütersloh 1930,

22

Briefe.

1928—1942

R. Seeberg an Bonhoeffer

:

Berlin, den 7. April 1931

Lieber Herr Bonhoeffer!

Für Ihren ausführlichen Brief habe ich Ihnen noch immer nicht gedankt und hole es jetzt um so lieber nach, als mich das von Ihnen Erzählte in mancher Richtung interessiert hat. Ich wußte nicht, daß zu der sich immer mehr steigernden wirtschaftlichen Krisenstimmung auch geistig, zumal in der Theologie, so viele neue Tendenzen, wenn ihnen auch der Inhalt zu fehlen scheint, gekommen sind. Aber von einer Krise auf diesem Gebiete wird man allerdings kaum reden können, denn die ist doch nur vorhanden, wenn Tod und Genesung miteinander ringen. Ich kann Ihnen nachfühlen, daß die Philosophie Sie mehr interessiert als die dortige Theologie. Jedenfalls ist es doch für Ihr ganzes Leben ein wichtiges Ereignis, daß Sie diese westliche Welt einmal ohne all die Nebel, mit denen wir sie immer wieder umhüllen, gesehen haben, und andererseits, was für einen Deutschen auch wichtig ist, unmittelbar erleben, daß man auch leben kann, wenn man anders denkt und will als wir es tun. Vor allem wird aber bei der in kirchlichen Kreisen allgemein steigenden Tendenz auf Internationalität die völlige Beherrschung der englischen Sprache Ihnen in Ihrem Leben zugute kommen. Mir we-

nigstens ist in letzten Jahren kaum eine Lücke meiner Bildung so empfindlich gewesen als der Mangel an dieser Fähigkeit, in Engelszungen zu reden. Sie werden doch auch gewiß Gelegenheit haben, über unsere deutsche Theologie mit all ihren Richtungen und Strömungen Vorträge zu halten. Ich bin, wenn ich mit amerikanischen Theologen zusammenkomme, erstaunt darüber, wie wenig orientiert man doch über das geistige Leben in der deutschen Wissenschaft ist. Einige Namen, die man den Zeitungen entnimmt, und im übrigen Fragestellungen und

Problematik,

wie wir sie kaum

mehr

kennen.

Da

kann

ein

junger Mann, der die ganze Weisheit noch frisch in sich trägt, gewiß mancherlei Nutzen stiften und Wegweiser errichten. Im übrigen ist in der Zeit Ihrer Abwesenheit auch bei uns in der Wissenschaft nicht viel Neues geschehen, wie Sie ja aus den Zeitschriften es vielleicht besser als ich sogar wissen. Die Lutheraktien steigen

immer höher, Dissertationen und Abhandlungen hierüber erscheinen in immer größerer Menge, so daß man kaum hindurchfindet.

Von

R. Seeberg

23

Um so wichtiger ist es, gewisse Grundlinien immer wieder einzuschärfen und an ihnen Darstellungen zu geben. Ich bin zur Zeit mit

einer Neubearbeitung meines Lutherbandes! beschäftigt und habe daher viel Neues lesen müssen. Die große Frage, die sich an diesen Lutherianismus von heute knüpft, ist, welche Konsequenzen für die systematische Theologie sich daraus ergeben werden. Es ist eigentümlich, wie stark im Grunde genommen auch Holl an gewissen Grundzügen des Ritschlianismus seine Luthertheologie gebildet hatte und wie diese Richtungnahme sich mit einer merkwürdigen Zähıgkeit in dem Kreise seiner Anhänger fort erhält. Damit ist die angedeutete Frage aber kaum gelöst, zumal sich doch auch andere Tendenzen vielfach geltend machen. Doch nun sind Sie ja bald selbst da und werden in der ganzen Bewegung mitzuarbeiten haben. Im letzten Winter habe ich hier viel zu tun gehabt, da ich neben der Dogmatik noch neutestamentliche Theologie habe lesen müssen. Auch auf das Neue Testament erstreckt sich die Unruhe neuer Fragestellungen in erstaunlichem Maße, und auch der, welcher gewisse unwandelbare Grundlagen besitzt, stößt immer wieder auf

neue Fragen und damit neue Entdeckungen. Selbst unsere Studenten haben für diese Dinge ein lebhaftes Interesse. Die Schwierigkeit der Darstellung dieser Disziplin ist, wie ich immer wieder empfinde, eine außerordentlich große, da exegetische Einzeluntersuchung und große Linienführung beständig ineinander übergehen,

einander tragen sollen, aber naturgemäß auch einander belasten... Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für Ihr Studium und für Ihr Leben auf der fremden Erde. Bald sind Sie ja nun auch wieder

in der Heimat. Mit freundlichem Gruß Ihr

Lieber Karl Friedrich?

R. Seeberg

[Berlin] 12. Januar 1933

„„.Das Semester ist wieder im Gang und die Vorbereitungen

auf Kolleg und Seminar nehmen wieder den größten Teil der Zeit in Anspruch. Ich habe oft das Gefühl,das wohl Haus1. Lehrbuch der Dogmengeschichte, Lehre Luthers“... Leipzig 1917.

Vierter Band,

erste Abteilung

„Die

2. Bonhoeffers ältester Bruder, Professor für physikalische Chemie + 1957.

24

Briefe.

1928—194#2

frauen haben müssen, wenn sie mit größter Mühe irgendetwas Besonderes gekocht haben und nachher sehen, wie man es so unter anderem mitißt. Aber ein schlecht vorberei-

tetes Kolleg könnte ich einfach noch nicht halten; ich wärde

rettungslos stecken bleiben. Das Seminar ist weiter sehr nett.

Ich habe außerdem alle 8—14 Tage mit einigen... Studenten eine Arbeitsgemeinschaft, die mit das Beste vom ganzen Winter ist. Da ist wirklich was los. Das ist sehr nett.

Augenblicklich bin ich in ziemlich folgenschweren Überlegungen, ob ich Ostern ein... Pfarramt im Osten, am F riedrichs-

hain, übernehmen soll. Es ist eigentümlich, wie schwer es ist, sich zu entscheiden. Jede Reflexion auf die eigenen Fähigke:ten, ob sie mehr hier oder da liegen, versagt einfach. Man kennt sich eben doch furchtbar schlecht. Die Frage ist die Kombination von Pfarramt und Dozentur. Denn die darf ich,

glaub ich, doch nicht aufgeben. Klaus sagt: nein; Rüdiger: ja! Die anderen schweigen sich aus und ich mich auch. Das Zusammensein mit Studenten ist ja sehr nett, aber doch nicht ausfüllend. Es ist eben doch ein sehr kleiner Ausschnitt, den

man da zu sehen bekommt.Und das geht auf die Dauernicht. So werdet Ihr mich vielleicht, wenn Ihr das nächste Mal nach Berlin kommt, schon im Pfarrhaus am Friedrichshain besuchen können, vielleicht aber auch nicht ....

Wißt Ihr übrigens, daß Papa am 17. und 24. um 7 Uhr im Radio redet? Am 1. Februar soll ich auch reden? ... Viele Grüße Euch allen... [London] 14. Januar 1935

... Wir haben uns eigentlich in den letzten Jahren furchtbar wenig gesehen. So waren die Tage neulich für mich sehr schön. Es mag ja sein, daß ich in manchen Dingen Dir etwas fanatisch und verrückt erscheine. Und ich habe selbst manchmal Angstdavor. Aber ich weiß, wenn ich,vernünftiger‘ wäre, 2. GSIIS.19 f.

An

Karl-Friedrich

Bonhoeffer

25

so müßte ich am nächsten Tag ehrlicherweise meine ganze Theologie an den Nagel hängen. Als ich anfing mit der Theologie, habe ich mir etwas anderes darunter vorgestellt'— doch vielleicht eine mehr akademische Angelegenheit. Es ist nun etwas ganz anderes draus geworden. Aber ich glaube nun endlich zu wissen, wenigstens einmal auf die richtige Spur gekommen zu sein — zum ersten Mal in meinem Leben. Und das macht mich oft sehr glücklich. Ich habe nur immer Angst davor, daß ich aus lauter Angst vor der Meinung anderer Menschen nicht weiter gehe, sondern stecken bleibe. Ich glanbe zu wissen, daß ich eigentlich erst innerlich klar und wirk-

lich aufrichtig sein würde, wenn ich mit der Bergpredigt wirklich anfinge, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle, die den ganzen Zauber und Spuk einmal in die Luft sprengen kann, bis von dem Feuerwerk nur ein paar ausgebrannte Reste übrig bleiben. Die Restauration der Kirche kommt gewiß aus einer Art neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromißlosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat. Ich glaube, es ist an der Zeit, hierfür die Menschen zu sammeln. Entschuldige diese etwas persönlichen Auslassungen, aber sie sind mir in die Feder geflossen, als ich an unser neuliches Zusammensein dachte. Und man interessiert sich ja schließlich auch so für einander. Ich kann mir immer noch gar nicht

recht denken, daß Du wirklich diese Gedanken alle für so gänzlich irrsinnig hältst. Es gibt doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromißlos einzutreten. Und mir scheint,

der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas.

Neulich fiel mir zufällig das Märchen von des Kaisers nenen Kleidern in die Hände; das ist ja wirklich sehr zeitgemäß. Es fehlt heute nur das Kind am Ende. Man müßte es mal aufführen ....

Es grüßt Euch alle herzlich Euer

Dietrich

Briefe.

26

.

Kaahye

1928—1942

Friedrichsbrunn, 8. April 1936

Lieber Rüdiger! Ebenkommt DeinBrief. Und weil ich mich so darüber gefreut habe, möchte ich gleich wieder schreiben. Daß ich es mit der Maschine tue, ist ein Akt der Nächstenliebe gegen Dich! — Ich habe es nicht gewußt, daß Du wieder hast liegen müssen?. Jetzt wo man wieder so viel und so leichtsinnig vom Krieg reden hört, trifft einen das ganz besonders. Nun zur Hauptsache. Wir haben ja schon manches Mal in Fehde miteinander gelegen, und es ist bis jetzt immer wieder ganz gut ausgegangen. So wird das auch diesmal so sein. Es ist ganz gut, wenn man immer wieder daran erinnert wird, daß der Pfarrer es dem rechten „Laien“ niemals recht machen kann. Predige ich den Glauben und die Gnade allein (Dreifaltigkeitskirche!),so fragst Du: wo bleibt das christliche Leben? Rede ich von der Bergpredigt(Kolleg!), so fragst Du: wo bleibt das wirkliche Leben? Lege ich ein sehr wirkliches und sündiges Leben eines Mannes der Bibel aus, so fragst Du: wo bleiben die ewigen Wahrheiten? Und aus alledem soll ja wohl nur das eine Anliegen hörbar werden: wie lebe ich in dieser wirklichen Welt ein christliches Leben, und wo sind die letzten Autoritäten eines solchen Lebens, das sich

allein lohnt zu leben? Ich will da zunächst ganz einfach bekennen: ich glaube, daß die Bibel allein die Antwort auf alle unsere Fragen ist, und daß wir nur anhaltend und etwas demütig zu fragen brauchen, um die Antwort von ihr zu bekommen. Die Bibel kann man nicht einfach lesen wie andere Bücher. Man muß bereit sein, sie wirklich zu fragen. Nur so erschließt sie sich. Nur wenn wir letzte Antwort von ihr erwarten, gibt sie sie uns. Das liegt eben daran, daß in der Bibel Gott zu uns redet. Und über Gott kann man eben nicht so einfach von sich aus 1. Prof. Dr. jur. Rüdiger Schleicher, Schwager D. B’s. 2. Folge einer Verwundung im 1. Weltkrieg.

An

Rüdiger

Schleicher

27

nachdenken, sondern man muß ihn fragen. Nur wenn wir ihn suchen, antworte: er. Natürlich kann man die Bibel auch lesen wie jedes andere Buch, also unter dem Gesichtspunkt

der Textkritik etc. Dagegen ist gar nichts zu sagen. Nur daß das nicht der Gebrauch ist, der das Wesen der Bibel erschließt, sondern nur ihre Oberfläche. Wie wir das Wort eines Menschen, den wir lieb haben, nicht erfassen, indem wir es zergliedern, sondern wie ein solches Wort einfach von uns hingenommen wird und wie es dann Tage lang in uns nachklingt, einfach als das Wort dieses Menschen, den wir lieben, und wie sich uns in diesem Wort dann immer mehr, je mehr

wir es „im Herzen bewegen“ wie Maria, derjenige erschließt, der es uns gesagt hat, so sollen wir mit dem Wort der Bibel umgehen. Nur wenn wir es einmal wagen, uns so auf die Bibel einzulassen, als redete hier wirklich der Gott zu uns, der uns liebt und uns mit unsern Fragen nicht allein lassen will, werden wir an der Bibel froh. Wir können doch immer nur etwas suchen, was wir schon kennen. Wenn ich nicht weiß, was ich eigentlich suche, suche ich gar nicht wirklich. Also wir müssen schon wissen, welchen Gott wir suchen, ehe wir ihn wirklich suchen. Weiß ich das nicht, so vagabundiere ich nur so herum, und das Suchen wird dann Selbstzweck, und nicht mehr das Finden ist die Hauptsache. Also finden kann ich nur, wenn ich weiß, was ich suche. Nun weiß ich von dem Gott, den ich suche, entweder aus mir selbst, aus meinen Erfahrungen und Einsichten, aus der von mir so oder so gedenteten Geschichte oder Natur, d.h. eben aus mir selbst — oder aber ich weiß von ihm auf Grund seiner Offenbarung seines eigenen Wortes. Entweder ich bestimme den Ort, an dem ich Gott finden will,

oder ich lasse Gott den Ort bestimmen, an dem er gefunden sein will. Bin ich es, der sagt,wo Gott sein soll, so werde ich dort immer

einen Gott finden, der mir irgendwie entspricht, gefällig ist,

28

Briefe.

1928 —1942

der meinemWesen zugehörig ist. Ist es aber Gott, der sagt, wo er sein will, dann wird das wohl ein Ort sein, der meinem Wesen zunächst gar nicht entsprechend ist, der mir gar nicht gefällig ist. Dieser Ort aber ist das Kreuz Christi. Und wer ihn dort finden will, der muß mit unter dieses Kreuz, wie es die Bergpredigt fordert. Das entspricht unserer Natur gar nicht, sondern ist ihr völlig zuwider. Dies aber ist die Botschaft der Bibel, nicht nur im Neuen, sondern auch im Alten Testament (Jes 53!). Jedenfalls meinte das Jesus und Paulus so: mit dem Kreuz Jesu wird die Schrift, d.h. das Alte Testament erfüllt. Die ganze Bibel will also das Wort sein, ın dem Gott sich von uns finden lassen will. Kein Ort, der uns angenehm oder a priori einsichtig wäre, sondern ein uns in jeder Weise fremder Ort, der uns ganz und gar zuwider ist. Aber eben der Ort, an dem Gott erwählt hat, uns zu begeg-

nen. So lese ich nun die Bibel. Ich frage jede Stelle: was sagt Gott hier zu uns? und ich bitte Gott, daß er uns zeigt, was er sagen will. Also, wir dürfen gar nicht mehr nach allgemeinen, ewigen Wahrheiten suchen, die unserem eigenen „ewigen“ Wesen entsprächen und als solche evident zu machen wären. Sondern wir suchen den Willen Gottes, der uns ganz fremd und zuwider ist, dessen Wege nicht unsere Wege und dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, der sich uns verbirgt unter dem Zeichen des Kreuzes, an dem alle unsere Wege und Gedanken einEnde haben. Gott ist etwas ganz an-

deres als die sogenannte ewige Wahrheit. Das ist immer noch unsere selbsterdachte und gewünschte Ewigkeit. Gottes Wort aber fängt damit an, daß er uns am Kreuz Jesu zeigt, wohin

alle unsere Wege und Gedanken, auch die sogenannten ewigen, führen, nämlich in den Tod und in das Gericht vor Gott. Ist es Dir nun von dort aus irgendwie verständlich, wenn ich

die Bibel als dieses fremde Wort Gottes an keinem Punkt preisgeben will, daß ich vielmehr mit allen Kräften danach

An

Rüdiger

Schleicher

29

frage, was Gott hier zu uns sagen will? Jeder andere Ort außer der Bibel ist mir zu ungewiß geworden. Ich fürchte

dort nur auf einen göttlichen Doppelgänger von mir selbst

zu stoßen. Ist es Dir dann auch irgendwie begreiflich, daß ich lieber bereit bin zu einem sacrificium intellectus — eben in diesen Dingen und nur in diesen Dingen, d.h. im Blick auf den wahrhaftigen Gott! und wer brächte da eigentlich nicht an irgendeiner Stelle auch sein sacrificium intellectus? — d.h. also zu dem Eingeständnis, diese oder jene Stelle der Schrift noch nicht zu verstehen, in der Gewißheit, daß auch sie sich eines Tages als Gottes eigenes Wort offenbaren wird, daß ich das lieber tue, als nun nach eignem Gutdünken zu sagen: das ist göttlich, das ist menschlich!? Und ich will Dir nun auch noch ganz persönlich sagen: seit ich gelernt habe, die Bibel so zu lesen — und das ist noch gar nicht so lange her — wird sie mir täglich wunderbarer. Ich lese morgens und abends darin, oft auch noch über Tag, und jeden Tag nehme ich mir einen Text, den ich für die

ganze Woche habe, vor und versuche mich ganz in ihn zu versenken, um ihn wirklich zu hören. Ich weiß, daß ich ohne das nicht mehr richtig leben könnte. Auch erst recht nicht glau-

ben. Es gehen mir auch täglich mehr Rätsel auf; es ist eben immer noch ganz die Oberfläche, an der wir kleben. Als ich

jetzt in Hildesheim wieder etwas mittelalterliche Kunst gesehen habe, ging mir auf, wieviel mehr die damals von der Bibel verstanden haben. Und daß unsere Väter in ihren Glaubenskämpfen nichts gehabt haben und haben wollten

als die Bibel, und daß sie durch sie unabhängig und fest geworden sind zu einem wirklichen Leben im Glauben, das ist

doch sehr ganz wiß

auch etwas, das zu denken gibt. Es wäre, glaube ich, oberflächlich, wenn man sagte, es sei seither eben alles anders geworden. Die Menschen und ihre Nöte sind gedie gleichen geblieben. Und die Bibel antwortet auf sie

heute nicht weniger als damals. Es mag sein, daß das eine

30

Briefe.

1928—1942

sehr primitive Sache ist. Aber Du glaubst gar nicht wie froh man ist, wenn man von den Holzwegen so mancher Theologie wieder zurückgefunden hat zu diesen primitiven Sachen. Und ich glaube, in Sachen des Glaubens sind wir allezeit gleich primitiv. In ein paar Tagen istOstern. Ich freue mich sehr darauf. Aber glaubst Du denn, daß einer von uns von sich aus diese unmöglichen

Dinge, die da berichtet sind in den Evangelien,

glauben könnte und wollte, wenn nicht die Bibel ihn hielte? Einfach das Wort, als Gottes Wahrheit, für die Er sich ver-

bürgt. Auferstehung — das ist doch nicht ein in sich einsichtiger Gedanke, eine ewige Wahrheit. Ich meine es natürlich so, wie es die Bibel meint — als Auferstehung vom wirklichen Tod (nicht vom Schlaf) zum wirklichen Leben, von der Gottferne und Gottlosigkeit zum neuen Leben mit Christus in Gott. Gott hat gesagt— und wir wissen es durch die Bibel: Siehe ich mache alles nen. Das hat er wahr gernacht an Ostern. Müßte uns diese Botschaft nicht noch viel unmöglicher, ferner, abwegiger erscheinen als die ganze Geschichte vom König David!, die demgegenüber doch fast harmlos ist? Es bleibt also nichts als die Entscheidung, ob wir dem Wort der Bibel trauen wollen oder nicht, ob wir uns von ihm halten lassen wollen, wie von keinem andern Wort im Leben und im Sterben. Und ich glaube, wir werden erst dann recht froh

und ruhig werden können, wenn wir diese Entscheidung getroffen haben. So, verzeih, das ist eine sehr lange Epistel geworden. Und ich weiß nicht, ob ich so schreiben sollte. Aber ich glaube doch.

Und ich freue mich so, daß wir einmal einen solchen Brief gewechselt haben. Es bleibt uns ja hier nichts anderes, als daß wir uns immer

wieder fragen und sagen, was wir gefunden zu haben mei1. Bibelarbeit, siehe G. S. IV.

An Theodor

Litt

31

nen. Ob wir ein Recht haben, so zu reden, wie ich jetzt zu Dir geredet habe, wird sich erst bei der Probe aufs Exempel zeigen. Und ich glaube, daß wir die noch hier werden ablegen müssen. Mit allen guten Wünschen und treuen Grüßen Euch allen Dein Dietrich Pastor Lic. Bonhoeffer z. Zt. Schlawe i. Pom. Superintendentur

22. Januar 1939

Sehr verehrter Herr Professor! [Theodor Litt] Für Ihre beiden letzten Hefte! müssen wir Theologen Ihnen

sehr dankbar sein. Sie tun uns wirklich den Dienst der Klärung, zu dem sie bestimmt sind. Ihre Schrift über „Protestantisches Geschichtsbewußtsein“ trägt so stark die Gestalt des Gespräches, daß ich es als von Ihnen erlaubt ansehen möchte,

mich mit einer kurzen Randbemerkung an diesem Gespräch zu beteiligen. Ich rede als Theologe, aber Sie werden ja die

Sprache der Theologen kennen. Sie haben es vermutlich absichtlich unterlassen, die letzte Begründung, die der christliche Glaube für sein Verhältnis zur Welt kennt, so auszu-

sprechen, wie wir ihn aussprechen müssen, nämlich mit dem Namen: Jesus Christus. Die Tatsache der „Immergleichheit der menschlichen Verirrungen“ als solche genügt dem christlichen Glauben noch nicht, sich vom Jenseitigen den Auftrag

für die Arbeit am Diesseits geben zu lassen. Vielmehr könnte —

auch nach protestantischem Denken —

allein aus dieser

Anthropologie heraus mit demselben Recht die Verweigerung der innerweltlichen Arbeit begründet werden, wenn nicht eine

einzige Tatsache diese Verweigerung zwingend als Schuld 1. Der deutsche Geist und das Christentum. Vom Wesen geschichtlicher Begegnung, Leipzig 1938. Protestantisches Geschichtsbewußtsein. Eine geschichtsphilosophische Besinnung, Leipzig 1939.

32

Briefe.

1928—1942

aufdecken würde, nämlich die Tatsache der Menschwerdung Gottes. Allein weil Gott ein armer, elender, unbekannter,

erfolgloser Mensch wurde, und weil Gott sich von nun an allein in dieser Armut, im Kreuz, finden lassen will, darum

kommen wir von dem Menschen und von der Welt nicht los, darum lieben wir die Brüder. Weil es also im. christlichen Glauben so steht, daß in der Tat das „Unbedingte im Bedingten eingeschlossen“ (8.53), das „Jenseitige“ sich in das „Diesseitige“ hineinbegeben hat aus sonveräner Freiheit der Gnade,

darum ist der Gläubige nicht zerrissen, sondern er findet an dieser einen Stelle in dieser Welt Gott und Mensch in einem, und von nun an ist Gottesliebe und Bruderliebe unlöslich

miteinander vereinigt. Hier liegt dann auch das relative Recht des idealistischen, insbesondere des Hegelschen Systems: denn was bedeutet die Zuspitzung der Hegelschen Religionsphilosophie in der Lehre von der Realpräsenz Christi im Heiligen Abendmahl anderes als die größte Säkularisierung

eben dieser christlichen Wahrheit? Und ist nicht wiederum das Übersehen dieses Ursprungs allen christlichen Denkens, nämlich des fleischgewordenen Wortes, das relative Unrecht der von Ihnen dargestellten Anthropologie Pestalozzis? Das heißt, zeigt sich nicht hier, daß es eben doch zuletzt nicht angeht, das protestantische Geschichtsbewußtsein bzw. das christliche Weltverständnis einfach terminologisch eindeutig und klar auszudrücken, ohne den Namen Jesus Christus zu nennen, der sowohl die Pestalozzische wie die Hegelsche An-

thropologie sprengt? Schließlich, wird nicht erst von hier aus verständlich, wovon Sie mit keinem Wort sprechen, daß der Christ bei aller Hin-

gabe an die Brüder und aller Treue zur Erde doch um der Gegenwart Gottes in Christus willen schon um den Abbruch dieser Erde und um die Zukunft einer neuen Erde und eines

neuen Himmels weiß, und danach Verlangen trägt? Ja, daß um der Einheit der ursprünglichen, gegenwärtigen und zu-

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An Gerhard

Leibholz

533

künftigen Erde willen als der Erde Gottes — der Erde, auf der das Kreuz Jesu Christi stand —, die gegenwärtige Erde so ernst genommen werden kann in ihrer Würde, ihrer Herr-

lichkeit und ihrem Fluch? Ich danke Ihnen nochmals für die Arbeit, die Sie bisher für uns getan haben und hoffentlich noch weiter tun werden.

Mit verehrungsvollen Grüßen bin ich Ihr sehr ergebener Dietrich Bonhoeffer

Meine Lieben!! [Leibholz]

TER OO

Es ist sehr schön, daß wir von Euch immer wieder gute Nachrichten haben. Ich bin allerdings im Zweifel, ob mein Geburtstagsbrief Euch erreichte. Das Buch von Waetzold scheint

ja angekommen zu sein. Das Geburtstagsgeschenk von Euch steht immer noch aus, ich besorge es mir, wenn ich wieder zu Haus bin. Ich denke, es wird auch ein Buch sein; denn wie Ihr, so finde ich auch, daß man sich jetzt ganz besonders zu

guten Büchern hingezogen fühlt. Wenn ich nur etwas genauer wüßte, was Euch noch besonders interessieren würde! Die Idee mit dem Kinderbuch finde ich ganz ausgezeichnet. Ob nicht meine Freundin Dorothee, die Julius auch gut kennt,

der Marianne da zu einem Verleger verhelfen könnte? Fragt doch mal an?. Ich habe in den letzten Wochen ganz abgeschieden in einem kleinen Waldhäuschen gelebt?, konnte nur noch

auf Schneeschuhen das nächste Dorf erreichen, ohne Bahn-, Auto- oder Telephonverbindungen. Es war ganz wunderschön. Noch heute liegt tiefer Schnee hier. Aber lange wird es

wohl nicht mehr dauern. Ich habe bei der Kälte immer wie1. Illegaler Brief an die Geschwister in Oxford, vermittelt durch E. Sutz via Schweiz. 2. D. F. Buxton und J. Rieger; M. Leibholz verfaßte und illustrierte Kinderbücher.

3. Sigurdshof, siehe auch GS II S. 563.

34

Briefe.

1928—1942

der an Euch alle gedacht. Aber Ihr scheint ja ohne besondere Krankheiten gut durchgehalten zu haben. In den letzten Tagen habe ich wieder viel über unser altes Diskussionsthema!, das wir bei unserem letzten Zusammensein nicht mehr abgeschlossen haben, nachgedacht und gelesen. Schriftlich ein Gespräch fortzusetzen, ist ja immer etwas mißlich. Aber ich finde immer wieder, daß Brunner in seiner Ehtik, ‚Gebot und Ordnung‘, besonders in den Anmer-

kungen, sehr kluge Dinge zu der Sache sagt. Es geht eben doch darum, erst einmal die positivistische und die idealistische Theorie gründlich darzustellen, und dann die Grenzen beider aufzuzeigen und so zu der auf Offenbarung gegründeten biblisch-christlichen Lehre vorzustoßen. Hier ist m. E. zu unterscheiden zwischen dem Recht innerhalb der Schöpfung und innerhalb der Erlösung. Zum ersten gehört die Frage nach dem jus naturale, lex naturae (Tröltsch). Gibt es in der Schöpfung Rechtsprinzipien, die als absolut gültige

angesehen werden können? Oder ist Recht gebunden an faktische Macht? Die Lehre von der lex naturae, die dem Katholizismus zugrunde liegt, setzt ja mehrere Rechtsgebilde sui generis (Familie, Wirtschaft, etc... .) voraus, die alle eine Quelle haben, den Schöpfer der Welt. Die evangelische Lehre hat an dieser Lehre von der lex naturae immer wieder Kritik

geübt, weil sie darin eine Relativierung der Erkenntnis des Willens Gottes befürchtete, der allein aus der Offenbarung in der Heiligen Schrift erkannt werden kann. Damit wird die Frage nach dem Recht zu einer Frage nach dem Offenbarungsbegriff. Offenbart sich Gott in der Geschichte (oder bleibt er

hier verborgen, obwohl gegenwärtig?) oder allein in der Schrift, die von Christus Zeugnis gibt? Die Gefahren der er-

steren Meinung liegen auf der Hand; sie kann zu einer völligen Relativierung

führen,

die Geschichte

rechtfertigt sich

1. Bonhoeffer hatte Leibholz (Jurist) geraten, über das Naturrecht zu arbeiten.

An Gerhard

Leibholz

35

selbst; (trotzdem hat an diesem Punkt streng reformatorische

Lehre in Deutschland immer gegen die angelsächsische Theologie gestanden, die eine doppelte Offenbarung — in Geschichte und Schrift — annimmt). Die Gefahr der zweiten (streng reformatorischen These, obwohl Luther und Calvin selbst hier schwankende Meinungen haben!) ist allerdings

auch klar: es droht die Möglichkeit verloren zu gehen, irgendwelche innergeschichtlichen Rechtsnormen zu finden und

damit eine Relativierung des Geschichtlich-Geschöpflichen. Also, auf der einen Seite: Relativierung der Offenbarung; auf der anderen: Relativierung des Geschichtlichen, der Schöpfungsnormen. Beides muß aber vermieden werden. Darum geht es m.E. und das ist die gegenwärtige Problemstellung. Karl! hat ja nun den Versuch gemacht, auf Grund der streng-reformatorischen These dennoch die Relativierung des Geschichtlichen zu vermeiden. Das ist sehr bestechend. Er bezieht (gut biblisch) alle Ordnungen der geschaffenen Welt streng auf Christus und sagt, daß sie nur von ihm her recht zu verstehen seien und an ihm ihre Ausrichtung finden müßten. Das muß man lesen. Auf die Behandlung dieser Probleme muß dann m. E. die Frage nach dem Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Liebe (im Sinne der Bergpredigt)

folgen. Schließen sie sich aus? Gehören sie (obwohl in Antithese!) doch notwendig zusammen? (das würde ich meinen). Recht, das auf Gerechtigkeit ausgerichtet ist und durch Macht

eine geschichtliche Wirklichkeit (und keine abstrakte Idee!) ist, ist der ‚Pädagoge auf Christus hin‘, wie es ım Galaterbrief K.3, 24 heißt. Obwohl Liebe inhaltlich, wie Brunner gut ausführt, sich vom Recht wesenhaft unterscheidet (Preisgabe

des eigenen Rechts um Gottes und des Nächsten willen), kann sie nur innerhalb einer Rechtsordnung praktiziert werden. Hier war der große Gegensatz zwischen Schwärmertum 1. Karl Barth.

36

Briefe. 1928—1942

und Luther. Die Schwärmer wollten die Welt auf Liebe, auf der Bergpredigt aufbauen, Luther sah darin eine Verwechslung von Reich Gottes und irdischem Reich, die gefährlichste chaotische Konsequenzen haben mußte. Darum hat also auch das Christentum etwas vom Recht auszusagen, obwohl sein eigentlicher Sinn ist, die Liebe zu verkündigen. Es scheint mir nun letzter Sinn alles Rechtes auf Erden zu sein, trotz aller durch Macht durchzusetzender Strenge, die Möglichkeit der Liebe im Sinne des Christentums zu gewährleisten, ohne je mit ihr identisch werden zu wollen oder zu können. Recht ist also ebenso antithetisch zur Liebe, wie notwendig um ihrer willen. (Es ist ein seltsamer — und vom

antik-aristotelischen Begriff streng zu unterscheidender — Begriff von Gerechtigkeit, wenn Luther, mit dem Neuen Testament, unsere Gerechtigkeit vor Gott als ‚geschenkte Gerechtigkeit‘ bezeichnet, als ‚Anrechnung der Gerechtigkeit Christi‘ auf uns aus Gnade. Gerechtigkeit heißt hier nicht suum cuique, sondern Unterwerfung unter Gott, der die hei-

lige Gerechtigkeit — Richter! — und die Liebe selbst ist. Beides offenbart im Kreuz.) — Verzeiht diesen langweiligen akademischen Brief! Aber ich bin eben so ins Schreiben gekommen! Nun muß ich aber Schluß machen. Grüßt die Kinder herzlich Auch Georg! bitte sehr. Sagt ihm doch mal, daß es mir gut geht und ich ihn sehr grüßen ließe. Habt Ihr eigentlich an Sutz in Wiesendangen geschrieben? Tut es doch mal. Er hat übrigens auch eine gute Bibliothek. Ich schreibe ihm auch grade. Nächste Woche bin ich bei den Eltern. Renate wird konfirmiert. Es grüßt Euch mit allen guten Wünschen herzlich Euer Dietrich

Grüßt bitte auch Franz? bei Gelegenheit herzlich! Er hat doch auch Zugang zu Bibliotheken und Überblick über Erschienenes. 1. Bischof G. K. A. Bell (Chichester). 2. Franz Hildebrandt.

An

eine unbekannte

Frau

37

[Berlin, Frühjahr 19402] Sehr verehrte, gnädige Frau! Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief. Ich habe mit der Antwort etwas gezögert, weil ich einen ruhigen Nachmittag abwarten wollte, aber auch, weil ich auf Ihre Gedanken und Beschwerden, und vor allem auch Ihre berechtigten Wünsche nicht anders als zögernd antworten kann. Unter keinen Um-

ständen wollte ich Ihnen die lange Reihe zur Verfügung stehender Gegenargumente aufzählen und damit den Anschein erwecken, Ihnen wirklich geantwortet zu haben. Das wäre zu billig. Andererseits kann ich mir auch nicht einfach vorbehaltlos Ihren Brief zu eigen machen, ohne zu sagen, daß ja in Dingen der Kirche mit den bloßen Forderungen noch gar

nichts gewonnen ist. So fürchte ich, werden Sie über meinen Brief enttäuscht sein. Denn was Sie eigentlich verlangen, ist ja eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern, und die kann ich ja nun wirklich nicht leisten. Ich möchte aber versuchen, von den Fragen Ihres Briefes her zu überlegen, was wir Pastoren oder auch was Sie als Gemeindeglieder tatsächlich dazu tun können, nicht um die Kirche zu reformieren, aber um wenigstens nicht zu hindern und zu stören, was vielleicht neu werden will. Ich glaube, daß wir von vornherein unsere Aufgabe so beschränken müssen. W ir reformieren die Kirche nicht, aber wir können allerdings sehr 'hinderlich im Wege stehen, wenn Gott es beschlossen haben sollte, seine Kirche zu erneuern. Platz zu machen, Raum zu geben, nur darum kann es sich

für uns wohl allein handeln. Reformerische Impulse können in der Kirche ebenso großen Schaden anrichten wie das Gehenlassen der Dinge unter dem bequemen Vorwand, Gott allein müsse es tun. Sie meinen wohl nichts anderes, wenn

Sie schreiben, daß der Weg „nur 1. Empfänger nicht festgestellt,

in einer Vermeidung des

38

Briefe.

1928—1942

Schlechten“ liegt. Das Ursprüngliche, Echte, Reine verhilft sich dann aus eigener Kraft zum Durchbruch. Das schließt dann freilich, wenn man diesen Gedanken wirklich ernst nimmt, ein, daß wir auch nicht mit irgendwelchen vorgefaßten künstlerischen oder allgemein-menschlichen Maßstäben an diese Sache herantreten können und uns etwa der Hoffnung hingeben dürften, daß alles in Ordnung käme, wenn wir nur diese Maßstäbe beachteten. Auch die besten Maßstäbe können dem echten Leben der Kirche sehr hinderlich werden. Das Schlechte, das vermieden werden soll, wie Sie sagen, ist eben wirklich nur dies, was dem Ursprünglichen, Echten, sagen wir ruhig deutlicher, was Christus selbst in den Weg tritt. Gut und schön ist in der Kirche, was Christus dient. Hier bin ich schon nicht mehr ganz sicher, mit Ihnen einig zu sein. Es scheint mir nämlich, als wollten Sie doch schon von irgend woher im voraus wissen, was schön und echt ist, und erst nachträglich das, was sich Ihnen als schön und echt erwiesen hat, an die Kirche herantragen, um es von ihr aufnehmen zu lassen. Eben darum würden Sie wohl auch „grenlich störrisch‘“ werden, wenn Sie „die vielen Möglichkeiten, die dem Menschen im Schöpferischen gegeben sind“ um Chri-

sti willen verleugnen sollen? Sie wollen auch in der Kirche noch etwas anderes außer und neben Christus selbst, den Sie doch den persönlichen Sohn Gottes nennen. Das geht aber nicht. In der Kirche ist nicht Platz für Christus und das Schöpferische im Menschen, sondern ganz streng genommen, allein für Jesus Christus, und in ihm — aber wirklich nur in ihm! — für die ganze Herrlichkeit der Erde, sofern sie ihm allein dienen kann. Erst, wo das, was wir von uns aus, von unseren schöpferischen Möglichkeiten aus, für schön halten, tatsächlich um Christi willen verleugnet ist, d. h., wo wir alle eigenen Maßstäbe fahrengelassen haben um Christi willen, der der Maßstab aller Maßstäbe ist, kann das christlich Schöne, Echte usw. entstehen. Und nur dort wird es auch entstehen,

An

eine unbekannte

Frau

59

wo wirklich Jesus Christus allein die treibende Kraft unseres Schaffens wird. Alles Schöne, Gute, Wahre, das wir von außen an die Kirche herantragen, hindert in Wirklichkeit diesen Durchbruch des von Gott her Schönen, Guten, Wahren. Ich habe gestern Abend wieder die Matthäus-Passion gehört. Was ist denn „schön“ an ihr? Doch gerade dies, daß hier auf alle eigene Schönheit der Musik an sich verzichtet ist, daß sie „verleugnet“ ist um Christi willen, daß hier die Musik durch Jesus Christus erst zu sich selbst kommt und doch nicht für sich selbst, sondern alles für Jesus Christus sein will. Jesu juva oder Soli Deo Gloria schrieb Bach über seine Werke. Das ist es. Die verleugnete „Schönheit“ ist die echte und allein mögliche Schönheit in der Kirche Christi. Soweit übrigens in der Matthäus-Passion die Musik anfängt, etwas für sich selbst sein zu wollen — ich sehe das in einigen Arien (bei Heinrich Schütz habe ich das als dem Einzigen bisher nirgends gefunden!) —, soweit verliert sie an wirklicher Schönheit. Wenn wir gerade bei der Musik sind, so muß ich doch sagen, daß ich es nicht für ganz gerecht halte, zu sagen, daß die Kirche auch in dieser Hinsicht mit ihrer Zeit nicht Schritt gehalten habe. Ich bin vielmehr überzeugt, daß die neueste evangelische Kirchenmusik, ich nenne nur Distler und Pepping (man könnte auch viele andere anführen), rein musikalisch geradezu einen weiten Vorsprung hat vor der sonstigen zeitgenössischen Musik, und daß es auch hier gerade die „Verleugnung“ der Schönheit in der strengen Bindung der Musik an das Wort Gottes ist, die diese Leistung echt und groß macht. Von der bildenden Kunst verstehe ich zu wenig, ebenso von der Dichtung. Aber daß Anfänge da sind, die sich von den Leistungen

des ausgehenden 19. Jahrhunderts sehr wesentlich und vorteilhaft unterscheiden, läßt sich wohl nicht bestreiten. Es ist

vielmehr wieder die starke Sammlung auf die Sache selbst, auf das Wort Gottes und die Heilige Schrift, die uns etwas „schön“ oder „unschön“ erscheinen läßt.

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Briefe.

1928—1942

Jeder weiß es heute, daß sich die Evangelische Kirche — übrigens nicht nur die evangelische — durch ungeheuerliche Geschmacksverirrungen

im vorigen

Jahrhundert

das ver-

nichtende Urteil vieler Gebildeter zugezogen hat. Gegen Ihre böse Aufzählung läßt sich da wirklich nichts einwenden. Sie trifft in jedem Stück zu und läßt sich noch vervollständigen. Woran liegt es nun, daß wir trotzdem heute genötigt werden, milder und weniger selbstgewiß über diese Dinge zu urteilen? Die Kirche ist seit ihren ersten Anfängen eine Sache kleiner, unangesehener Leute gewesen. Aber sind es nicht bis heute dieselben Menschen, die „einen Haussegen in Brandmalerei“ im Zimmer haben und die in geradezu ergreifender Trene unzähligen Widerständen zum Trotz ihre Pfennige für die Sache Jesu Christi hergeben, die die Anstalten für Innere Mission tragen, ja, die ihre ganze Existenz aufs Spiel setzen, um der Kirche Jesu Christi willen? Sind es nicht umgekehrt jene Gebildeten, die sich auf Geschmack und anderes mehr verstehen, die in eine so erschütternde innere Haltlosigkeit hineingeraten sind, daß sie zu den einfachen Taten der hingebenden Liebe und des Betens nur noch in sehr seltenen Fällen fähig sind? Keiner darf hier einen Vorwurf erheben.

Wir sitzen alle in demselben Boot. Aber die Tatsachen sind doch so. Sind wir angesichts dieser höchst seltsamen

und

überraschenden Vorgänge in unserem Urteil nicht ganz notwendig zu einer Unterscheidung von Unwesentlichem und Wesentlichem gezwungen? Ist es nicht wesentlicher, mit etwas kleinbürgerlicher Brandmalerei ein treuer und verantwortungsbewußter Christ zu sein, als mit dem besten Geschmack doch nie zu dem Entscheidenden zu kommen? Ist es nicht wesentlicher, mit etwas sentimentalen Gesangbuchversen christlich zu leben, zu handeln und zu sterben, als mit gut-

gewählten Liedern vom 16. Jahrhundert abwärts sich an den nötigen Entscheidungen einer heutigen christlichen Existenz

vorbeizudrücken? Und schließlich das Pastorenpathos — es

An

eine unbekannte

Frau

41

ist wirklich etwas sehr Schlimmes —, aber sehr viel schlimmer ist eben doch noch der in dieser Richtung gewiß nie entgleisende gebildete Pastor, der seine Gemeinde mit seiner Bildung statt mit dem Evangelium von Jesus Christus erfreut. Sie sprechen für die Gebildeten. Wäre es nicht gerade den Gebildeten zuzumuten, über Unwesentliches hinwegsehen zu können und sich an das Wesentliche zu halten? Die Dinge liegen nun einmal so, daß nicht die Gebildeten, sondern die einfachen Leute die Kirche tragen, und wir haben wahrhaftig vom Evangelium her nicht den geringsten Anlaß, damit unzufrieden zu sein oder uns immer Besseres zu wünschen. Wir wünschten freilich, daß die Gebildeten nicht abseits stünden und sich durch dies und jenes abstoßen ließen, sondern daß sie dazu kämen, mitarbeiteten und mitgestalteten. Das Opfer bestimmter Formen und Tradition wird da allerdings gebracht werden müssen, aber vielleicht nur, um hier zu um so glücklicheren, frei-

eren und neuen Formen zu kommen. Ich sehe ein, daß dieser Brief bereits unerlaubte Ausmaße annimmt, ohne daß ich noch auf die Gedanken zu sprechen gekommen bin, die mich in Ihrem Brief eigentlich am mei-

sten beschäftigt haben. Sie rollen das ganze Problem an der Sprache auf, und ich glaube allerdings, mit großem Recht. Und nirgends werden Sie meine Verlegenheit, Ihnen zu antworten, größer finden, als hier. Die Sprache ist in der evan-

gelischen Kirche, die die Kirche der Predigt des Wortes Gottes ist, keine Äußerlichkeit. Ich verstehe es so gut, daß Sie sich immer wieder daran ärgern, daß wir so große und letzte Dinge, die sonst ein Mensch kaum einmal über seine Lippen

bringt, so selbstverständlich und alltäglich aussprechen. Sie haben auch ganz recht, wenn Sie sagen, daß ein Wort wie Sünde, Gnade, Vergebung oder was es sonst sei, einen ganz anderen Klang, ein ganz anderes Gewicht bekommt, wenn es einmal von einem Menschen ausgesprochen wird, der sonst

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Briefe.

1928—1942

diese Worte nie ausspricht. Das Wort, das aus einem langen Schweigen heraus ans Licht tritt, wiegt schwerer, als dasselbe Wort im Munde des Geschwätzigen. Ich gebe Ihnen auch weiterhin zu, daß wir gewisse Worte überhaupt nicht gebranchen sollten, weil sie abgegriffen sind. Man hat ja übrigens immer wieder gesagt, es sollte viel weniger gepredigt werden, um dem Wort stärkeren Nachdruck zu geben. Aber das ist doch wohl sicher auch „‚tendenziös“, gewollt und unecht! Wir Pastoren erfahren es ungezählte Male in der Seelsorge, daß ein Bibelwort aus dem Munde eines Kranken oder Armen und Einsamen etwas ganz anderes ist, als wenn

wir es selbst sagten. Wir schweigen darum auch oft genug, nur um nicht als geistliche Routiniers in unserem Amt dazustehen. Aber wir wissen doch, daß wir reden müssen und oftmals nicht schweigen dürfen, wo wir es gern täten. Und nun versetzen Sie sich einmal in unsere Lage, von morgens bis abends mit den größten Worten der Welt umgehen zu müssen „von Berufs wegen“, lesend, studierend, betend, unterrichtend, taufend, trauend, beerdigend, predigend. Wir

können ja nicht dankbar genug sein, wenn man uns dann sagt, wo wir es verkehrt machen, wo wir einfach, vielleicht

bei aller subjektiven Beteiligung, in das Leere-Worte-Machen verfallen. Aber vor allem möchten

wir wissen, wie wir es

besser machen sollen. Mit einer Radikalkur, etwa der Streichung der Worte Kreuz, Sünde, Gnade usw. aus unserem Vokabular, ist ja nicht geholfen. Erstens läßt sich Kreuz nicht durch Guillotine ersetzen, weil Jesus eben am Kreuz starb. Zweitens würde etwa das Wort „Futtertrog“ statt „Krippe“

zwar für den Augenblick vielleicht gut sein, aber nach dem dritten und vierten Mal ebenso abgegriffen sein. Natürlich gibt es Worte, besonders selbstgesuchte und -geprägte Lieblingsworte, die man gänzlich streichen kann und soll, aber in Worten müssen wir ja eben sprechen. Ob die „Alltagssprache

des Durchschnittsgebildeten“ das Richtige ist, weiß ich nicht.

An eine unbekannte

Frau

43

Luther’s Sprache war das jedenfalls gewiß nicht. Ich glaube man soll überhaupt nicht irgendeinen Sprechstil suchen. Dabei gerät man allzu leicht in Selbstgefälligkeit. Es hilft nun einmal nichts, daß das Christentum 2000 Jahre alt ist und eine eigene Sprache hat. Diese schlichte Sprache der Bibel soll, meine ich, ruhig stehen bleiben (übrigens gerade weil man für den täglichen Gebrauch „Wasser, und nicht Saft“ haben will,um an Ihr Wort anzuknüpfen). Aber es kommt eben darauf an, aus welcher Tiefe sie kommt und in welcher Umgebung sie steht. Und jetzt muß ich doch zum Schluß noch etwas „Geistliches“ sagen. Sie kennen sicher die Bücher von Bernanos? Wenn dort die Pfarrer sprechen, hat ihr Wort Gewicht. Das liegt daran, daß sie nicht aus irgendeiner sprachlichen Überlegung oder Beobachtung, sondern ganz einfach aus dem täglichen, persönlichen Umgang mit dem gekreuzigten Jesus Christus kommen. Es ist die Tiefe, aus der ein Wort kommen muß, wenn es wiegen will. Man kann auch sagen, es kommt darauf an, ob wir uns täglich an dem Bild des gekreuzigten Christus selber richten und zur Umkehr

rufen lassen. Wo das Wort sozusagen unmittelbar vom Krenz Jesu Christi selbst herkommt, wo Christus uns so gegenwärtig ist, daß geradezu er selbst unser Wort spricht, dort allein kann die furchtbare Gefahr der geistlichen Geschwätzigkeit gebannt werden. Aber wer von uns lebt in dieser Sammlung? Nun Schluß! Ich hoffe, daß ich Sie nicht doch totgeredet habe, sondern daß Sie in diesem Brief die Bitte und die Er-

wartung sehen, von Ihnen noch einmal eine Antwort zu bekommen. Es grüßt Sie mit vielem Dank für Ihren Brief Ihr ganz ergebener

Dietrich Bonhoeffer

44

Briefe. 1928— 1942 5. März 1942

Liebe Frau Vibrans!! Wie soll ich Ihnen sagen, was mich in diesen letzten Tagen bewegt hat und wie Ihr Schmerz mir selbst weh tut und wie ich Gott darum bitte, Ihnen jetzt zum rechten Tragen und Überwinden zu helfen? Ich will jetzt nichts darüber sagen, was Gerhards Tod für mich persönlich bedeutet. Was Gerhard mir gewesen ist, habe ich mit sehr schwachen Worten versucht, im Brief an Ihre Schwiegereltern zu sagen. Wenn ich an Sie denke, so verschwindet alles persönliche Leid hinter dem Übermaß, das Ihnen aufgebürdet worden ist. Nun sind die allerersten Tage des Schreckens und der Fassungslosigkeit vorüber. Wir begreifen, daß es wirklich so ist, daß wir Gerhard nicht wiedersehen werden, und die Frage taucht in uns auf, wie wir uns nun zu diesem Verlust stellen sollen, wie wir ihn verwinden sollen. Aber schon, indem wir so fragen, spüren wir den inneren Widerstand. Wir wollen diesen Schmerz gar nicht verwinden,; wenn wir Gerhard schon nicht lebend mehr haben dürfen, so wollen wir ihn wenigstens in unserem Schmerz behalten. Und doch dürfen wir so nicht denken. Es ist ein Aufruhr gegen Gottes Tun. Wir müssen Gerhard hergeben, wir müssen den großen Schmerz überwinden, so schwer es uns wird. Wir könnten auch anders nicht weiterleben, ohne mit Gott, mit den Menschen und schließlich mit uns selbst zu zerfallen. Dann aber wäre das Geschenk, das Gott uns eine kleine Zeit lang mit Gerhards

Leben gemacht hat, uns schließlich zum Unsegen statt zum Segen geworden. Auch wenn Ihnen jetzt das Leben gleichgültig und ganz leer geworden ist, wenn Ihnen Ihr Leben

zerstört erscheinen will — und wer wollte das menschlich nicht begreifen? —, so ist auch Ihr Leben von Gott und hat sein Ziel allein in Gott, und so will und kann Gott allein 1. Siehe G. $. II S. 590.

An Ernst Wolf

45

Ihrem Leben wieder Sinn und Reichtum geben. Das aber kann ja nur geschehen, wenn Sie sich jetzt wirklich und von ganzem Herzen Gott und seinem unbegreiflichen Willen über-

lassen, wenn nun aus dem furchtbaren Verlust ein williger

und demütiger Verzicht wird, wenn aus dem Aufbegehren des ganzen Wesens eine freie Selbstverleugnung wird, wenn Sie aus Liebe zu Gott sich selbst vergessen, ganz selbstlos werden und so für Gott und für Ihre Mitmenschen frei und offen werden. Wie sehr wird Gerhards Gemeinde in diesen Kriegszeiten ein christliches Vorbild für das Tragen solchen Schmerzes brauchen, wie sehr wird die Gemeinde so in Ihnen Gerhards Wesen und Glauben wiedererkennen, wie fest werden Sie grade in solcher selbstlosen Liebe zu Gott und zu den Menschen mit Gerhard verbunden bleiben. Möchte es Gott geben, daß Sie sich, bis zu dem Tag, an dem Sie den schweren Weg ins Rosianer Pfarrhaus und in die Rosianer Kirche zum Gottesdienst gehen werden, dorthin durchgekämpft haben, wo Sie mit Gott, mit den Menschen, mit sich selbst und mit Gerhard eins geworden sind. Gott und die Ihren werden Ihnen dazu wird es Ihnen a helfen.

In der Gemeinschaft großer Betrübnis, großer Dankbarkeit und großer Hoffnung grüßt Sie von Herzen Ihr ergebener Dietrich Bonhoeffer

[An Ernst Wolf:] 24. März 1942

. Große Freude habe ich an dem neuen Bultmannheft!. Mich beeindruckt die intellektuelle Redlichkeit seiner Arbeiten immer wieder. Hier soll kürzlich D. auf dem Berliner Kon1. „Neues Testament und Mythologie“ in R. Bultmann: Offenbarung und Heilsgeschehen; Beiträge z. Evgl. Theol. Band 7, hrg. v. E. Wolf, München 1941.

46

Briefe. 1928—1942

vent in ziemlich blöder Weise über Bultmann und Sie hergezogen sein, und der Konvent hätte, wie ich höre, um ein Haar einen Protest gegen Bultmann’s Theologie an Sie gerichtet! Und das ausgerechnet von den Berlinern! Ich möchte wissen, ob einer von denen den Johannes-Kommentar durchgearbeitet hat. Diese Dünkelhaftigkeit, die hier floriert — ich glaube unter dem Einfluß einiger Wichtigtuer — ist für die

Bekennende Kirche eine wirkliche Schande...

IIAUF

DEM

WEG

ZUR

DOZENTUR

Theologische Thesen zur Promotion in Berlin am 17. Dezember 19271

. Die Gottesreden Hiob c. 38—41 gehören nicht zum ursprünglichen Entwurf des Hiobbuches. Die Identifizierung von ‚in Christus sein“ und ‚in der

Gemeinde sein“ steht bei Paulus in ungelöstem Widerspruch zu seiner Vorstellung vom Christus im Himmel. Jeder evangelische Christ ist Dogmatiker.

4. Die Einführung des Begriffs der Potentialität in den

|

christlichen Gottesgedanken bedeutet eine Beschränkung der göttlichen Allmacht. Es gibt keinen soziologischen Kirchenbegriff, der nicht theologisch fundamentiert wäre. Die Kirche ist Christus ‚‚als Gemeinde existierend“ und als Kollektivperson zu verstehen. Die Kirche faßt nach ihrer soziologischen Struktur sämtliche nur möglichen Typen sozialen Verbundenseins in sich zusammen und überhöht sie in der „Geistgemein-

schaft“; diese ruht auf dem soziologischen Grundgesetz der Stellvertretung.

Der Glaube ruht logisch betrachtet nicht auf psychischen Erfahrungen, sondern auf sich selbst. Die Dialektik der sog. dialektischen Theologie trägt logischen, nicht realen Charakter und läuft somit Gefahr, die Geschichtlichkeit Jesu zu mißachten. 10. Evangelische Predigt und evangelischer Unterricht müssen dogmatisch orientiert sein. 11. Es gibt keinen christlichen Geschichtsunterricht. 1. Opponenten:

R. Stupperich, Lic. W. Dress, H. Rössler.

48

Anf dem Weg zur Dozentur.

1927 —1930

Grundfragen einer christlichen Ethik Auszüge aus einem Vortrag in Barcelona am 25. Januar 1929

Nicht um den Versuch zu unternehmen — der doch schlechterdings hoffnungslos ist —, in den ethischen Fragen der Gegenwart christlich allgemeingültige Normen, Gebote aufzustellen, sondern vielmehr nur, um die eigentümliche Bewegung der ethischen Probleme der Gegenwart unter der Beleuchtung christlicher Grundideen zu sehen und an ihr teilzunehmen, werden wir heute von Grundfragen einer christ-

lichen Ethik sprechen. Daß wir uns so beschränken, hat seinen Grund in dem noch ausführlich darzulegenden Umstand,

daß es christliche Normen

und Prinzipien sittlicher Art

nicht gibt und nicht geben kann, daß es vielmehr die Be-

griffe ‚gut‘ und ‚böse‘ nur im Vollzug einer Handlung, d.h. aber in der jeweiligen Gegenwart gibt, daß mithin jeder Ver-

such, Prinzipien darzulegen, dem Versuch gliche, den Vogel im Fluge zu zeichnen. Doch davon später. Die Ethik ist Sache der Geschichte, sie ist nichts schlecht-

hin vom Himmel auf die Erde Herabgekommenes, sie ist vielmehr ein Kind der Erde; darum ändert sie mit den Wendungen der Geschichte wie mit dem Wandel der Generationen ihr Gesicht. Es gibt eine deutsche Ethik und eine französische Ethik wie eine amerikanische Ethik, und keine ist ethischer oder unethischer als die andere, stecken sie doch alle mitten drin in der geschichtlichen Bindung, sind sie doch ge-

genwärtig entscheidend beeinflußt durch das ungeheure Erlebnis des Weltkrieges, wie es von den verschiedensten Augen gesehen wurde... Wir sagten, es gebe eine deutsche, amerikanische, französi-

sche Ethik, denn die Ethik sei eine Sache des Blutes und der

Adolf

von 1930

Harnack

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Adolf von Harnack an Bonhoeffer, 29. Dezember Siehe

Seite 20

1929

Grundfragen

einer christlichen

Ethik

49

Geschichte. Wie steht es aber dann mit der Idee einer sog.

christlichen Ethik? Sind diese beiden Worte nicht vielleicht ganz unzusammengehörig: christlich und Ethik? Wird nicht . dadurch die Idee des Christlichen verweltlicht und die sog. christliche Ethik eine neben andern, eine von vielen, viel-

leicht etwas besser oder schlechter, aber doch jedenfalls ganz in die Relativität des Geschichtlichen hineingezogen? Dann

gibt es neben der deutschen eben noch eine christliche Ethik, ohne daß eine von beiden den Anspruch auf Superiorität stellen dürfte. Es ist also offenbar äußerst verfänglich, von

einer christlichen Ethik zu reden und trotzdem den alleingültigen Anspruch einer solchen Ethik aufrecht zu erhalten.

Es fiel im letzten Vortrag! ein Wort, das vielleicht noch nicht ganz verständlich war: das Christentum sei im Grunde amoralisch, d.h. Christentum und Ethik seien zunächst ein-

mal nicht zusammengehörige, sondern auseinanderfallende Größen. Und warum? Weil das Christentum von dem alleinigen Weg Gottes zum Menschen aus der barmherzigen Liebe Gottes zum Unheiligen, Sündigen redet und weil die Ethik vom Weg des Menschen zu Gott, von der Begegnung des hei-

ligen Gottes mit dem unheiligen Menschen spricht, weil in der christlichen Botschaft von der Gnade und in der Ethik von der Gerechtigkeit die Rede ist. Wege des Menschen zu

Gott gibt es zahllose, darum gibt es auch zahllose Ethiken, aber es gibt nur einen Weg Gottes zum Menschen, und das ist der Weg der Liebe in Christus, der Weg des Kreuzes, wie wir das letzte Mal sagten. Die Frage des Christentums ist nicht die Frage nach Gut und Böse beim Menschen, sondern die, ob Gott gnädig sein will oder nicht. Die christliche Bot1. „Jesus Christus und vom Wesen des Christentums“ 11. »... so kann Religion und Moral der gefährlichste Feind des Gottes zu den Menschen werden; und so ist die christliche grundsätzlich amoralisch und areligiös, so paradox das klingen

12. 1928: Kommens Botschaft mag...“

50

Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927 —1930

schaft steht jenseits von Gut und Böse; und das muß so sein;

denn sollte die Gnade Gottes abhängig gemacht werden vom Menschen je nach Gut und Böse, so wäre wieder ein Anspruch

des Menschen an Gott begründet, damit aber Gottes alleinige Macht und Ehre angetastet. Es ist überaus tiefsinnig, daß in der alten Sündenfallgeschichte der Grund des Falls das Essen von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ist. Die ursprüngliche — sagen wir kindliche — Gemeinschaft des Menschen mit Gott steht jenseits dieses Wissens von Gut und

Böse, sie weiß

nur

von

einem,

von

der grenzenlosen

Liebe Gottes zum Menschen. Die Entdeckung des Jenseits von Gut und Böse gehört also durchaus nicht Fr. Nietzsche, der von hier aus gegen das Moralin des Christentums polemisiert, sondern

sie gehört, zum

freilich verschütteten,

Ur-

gut der christlichen Botschaft. Wenn die Argumentation bis hierher richtig ist, dann scheint der Schlußsatz ganz klar zu sein: Christentum und Ethik haben gar nichts miteinander zu tun, christliche Ethik

gibt es nicht, es gibt von der Idee des Christentums aus keinen Übergang zur Idee der Ethik. Und doch liegt es auf der Hand, daß wir hier auf ein verkehrtes Geleise kommen.

Es muß die Frage gestellt werden: warum stehen dann die Evangelien voll von offenbar ethischen Vorschriften? Was hat dann die Bergpredigt im N. T. zu schaffen? Die Frage ist ebenso naheliegend wie ernst. Was ist der Sinn der sog.

neutestamentlichen Ethik? Es hat seit dem 3. und 4. Jahrhundert immer wieder Bewegungen gegeben, die als Zentrum des Christentums die Verkündigung einer neuen Ethik ausgaben, und das neue

Gebot war natürlich das Gebot der Liebe. Eine solche Ansicht war, obwohl ja gewiß flach, möglich und eventuell haltbar bis ins vergangene Jahrhundert hinein. Seitdem nun aber die religions- und literaturgeschichtliche Forschung sich eingehend mit der rabbinischen Literatur zur Zeit und vor

Grundfragen

einer

christlichen

Ethik

51

der Lebenszeit Jesu, wie mit der gleichzeitigen philosophisch-

ethischen

Traktatliteratur

der

Philosophenschulen

des

Abendlands befaßt hat, ist es als nachweislich falsch zu be-

zeichnen, solche Dinge über das N. T. auszusagen. Das Gebot der Liebe ist nicht spezifisch christlich, sondern zur Zeit Jesu schon allgemein anerkannt und verbreitet... Hätte für Jesus wirklich die Verkündigung dieses Gebotes im Mittelpunkt seiner Predigt gestanden, so hätte er immer von neuem gerade hier eingesetzt. Dem ist aber nicht so. Das geht auch hervor aus einer Gegenüberstellung von Worten Jesu mit Worten jüdischer Rabbis und heidnischer Philosophen, die sich oft bis in die Formulierung hinein gleichen. Der Rabbi Hillel wird gefragt, welches das höchste Gebot sei, und er antwortet: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist das höchste Gebot.“ Ein anderer sagt: „Was du nicht willst, daß dir geschehe, das tu auch keinem andern.“ Der römische Philosoph Seneca sagt: „Laßt uns nicht müde werden, uns für das allgemeine Wohl zu mühen, den

einzelnen zu helfen, Hilfe zu bringen auch den Feinden.“ Auf den Einwand:

„Aber der Zorn gewährt doch ein Be-

hagen! Es ist doch erquickender den Schmerz zu vergelten“, antwortet er: „Nein; wohl ist es bei Wohltaten ehrenvoll, Gutes mit Gutem zu vergelten; aber nicht ebenso Unrecht

mit Unrecht. Dort ist es schmählich sich besiegen zu lassen, hier ist es schmählich zu siegen.“

Was bleibt aber da nun von einer christlichen Ethik noch übrig? Hat uns die Bergpredigt wirklich gar nichts Neues zu sagen? ‚Neues‘ im Sinne einer neuen Forderung nicht,

dafür aber etwas ganz anderes. Der Sinn der gesamten ethischen Gebote Jesu ist vielmehr der, dem Menschen zu sagen: Du stehst vor dem Angesichte Gottes, Gottes Gnade waltet über dir; du stehst zum andern in der Welt, mußt handeln

und wirken, so sei bei deinem Handeln eingedenk, daß du unter Gottes Augen handelst; daß er seinen Willen hat, den er

52

Auf dem Weg zur Dozentur.

1927—1930

getan haben will. Welcher Art dieser Wille ist, das wird dir der Augenblick sagen; es gilt nur, sich klar zu sein, daß der

eigene Wille jedesmal in den göttlichen Willen hineingezwungen werden muß, daß der eigene Wille aufgegeben werden muß, wenn der göttliche verwirklicht werden soll; und sofern also da völlige persönliche Anspruchslosigkeit des Menschen erforderlich ist im Handeln vor dem Auge Gottes,

kann das ethische Handeln des Christen als Liebe bezeichnet werden. Aber das ist nicht ein neues Prinzip, sondern aus der Stellung des Menschen vor Gott gewonnen. Es gibt für den

Christen keine ethischen Prinzipien, anhand deren er sich etwa versittlichen könnte. Es gibt immer nur den entscheidenden Augenblick, und zwar jeden Augenblick, der ethisch wertvoll

werden

kann.

Aber

nie kann

das Gestern

für

mein sittliches Handeln heute entscheidend werden. Vielmehr muß

immer von neuem

die unmittelbare Beziehung

zu Gottes Willen aufgesucht werden, und nicht, weil mir gestern etwas gut schien, tue ich es heute wieder, sondern weil

mich auch heute der Wille Gottes in diese Bahn weist. Das ist die große sittliche Erneuerung durch Jesus, das Abtun der Prinzipien, der Grundsätze; mit biblischem Wort: des

Gesetzes, und das liegt im Verfolg des christlichen Gottesgedankens; denn gäbe es ein sittlich allgemeingültiges Gesetz, so gäbe es einen Weg des Menschen zu Gott, habe ich meine Prinzipien, so glaube ich mich gesichert sub specie aeternitatis, so verfüge ich gewissermaßen über die Beziehung zu Gott, so gäbe es ein sittliches Handeln ohne unmittelbare Beziehung auf Gott; was aber das Entscheidende ist: dann werde ich wieder zum Sklaven meiner Prinzipien, ich gebe das kostbarste Gut des Menschen preis, die Freiheit. Indem Jesus den Menschen unmittelbar Gott unterstellt, in

jedem Augenblick neu und anders, gibt er der Menschheit das gewaltigste Geschenk wieder, das sie verloren hatte, die Freiheit. Das christlich ethische Handeln ist ein Handeln aus

Grundfragen

einer christlichen Ethik

53

Freiheit, aus der Freiheit eines Menschen, der nichts an sich selbst und alles an seinem Gott hat, der immer neu sein

Handeln durch die Ewigkeit bestätigen und bekräftigen läßt. In großen Worten redet das N. T. von dieser Freiheit... Es gibt für den Christen kein Gesetz mehr als das Gesetz

der Freiheit, wie es einmal paradox im N.T. heißt. Kein allgemein gültiges Gesetz, das ihm von andern, oder das ihm

auch von sich selbst aufgelegt werden könnte. Wer die Freiheit aufgibt, gibt sein Christsein auf. Der Christ steht frei

ohne irgendwelche Rückendeckung vor Gott und vor der Welt, auf ihm allein ruht die ganze Verantwortung dafür, wie er mit dem Geschenk der Freiheit umgeht. Durch diese Freiheit aber wird der Christ im ethischen Handeln schöpferisch. Das Handeln nach Prinzipien ist unproduktiv, das Gesetz abbildend, kopistisch. Das Handeln aus der Freiheit

ist schöpferisch. Der Christ greift gleichsam aus der Ewigkeit heraus die Gestalten seines ethischen Schaffens, setzt sie souverän in die Welt, als seine Tat, seine Schöpfung aus der Freiheit eines Kindes Gottes. Der Christ schafft sich

seine Maßstäbe für Gut und Böse selbst, die Rechtfertigung seines Handelns kann nur er selbst geben, wie auch nur er

die Verantwortung tragen kann. Der Christ schafft neue Tafeln, neue Dekaloge, wie es Nietzsche vom

Übermenschen

sagte; der Übermensch Nietzsches ist wahrhaftig nicht, wie er meinte, das Gegenbild des Christen, sondern ohne es zu

wissen, hat Nietzsche hier viele Züge des freigewordenen Christen, wie ihn Paulus und Luther beschreiben und kennen, hineingetragen. Die hergebrachte Moral — auch wenn sie für christlich ausgegeben wird —, die öffentliche Meinung

— sie können für den Christen nicht zum Maßstab seines Handelns werden. Er handelt, wie es ihm der Wille Gottes zu sagen scheint, ohne Seitenblick auf die andern, auf das,

was üblicherweise Moral heißt; und ob er gut oder schlecht gehandelt hat, das kann niemand anders wissen als er selbst

54

Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927 —1930

und Gott. In der ethischen Entscheidung werden wir in die tiefste Einsamkeit geführt, die Einsamkeit, in der ein Mensch vor dem lebendigen Gott steht. Da kann uns keiner beistehen, keiner etwas abnehmen, da legt uns Gott eine Last auf, die wir allein tragen müssen. In dem Bewußtsein von Gott angerufen, in Anspruch genommen zu sein, erwacht erst unser Ich. Erst durch den Ruf Gottes werde ich ‚Ich‘, isoliert von allen anderen, von Gott zur Verantwortung gezogen,

mich allein wissend der Ewigkeit gegenüber. Und weil ich in der Einsamkeit Gott ins Auge sehe, darum kann nur ich für mich ganz persönlich wissen, was gut und was böse ist. Es

gibt keine an sich schlechten Handlungen, auch der Mord kann geheiligt werden; es gibt nur ein Treubleiben oder ein Abweichen von Gottes Willen; es gibt eben kein Gesetz im inhaltlichen Sinne, sondern nur das Gesetz der Freiheit, d.h.

seine Verantwortung allein zu tragen vor Gott und sich selbst. Weil nun aber das Gesetz ein für allemal überwunden bleibt, und weil es aus dem christlichen Gottesgedanken folgt, daß es kein Gesetz mehr geben kann, darum müssen auch von hier aus die ethischen Gebote, die scheinbaren Gesetze

des N. T. verstanden werden. Es ist das größte Mißverständnis, wenn man die Gebote der Bergpredigt etwa selbst wieder zum Gesetz macht, indem

man sie wörtlich auf die Gegenwart bezieht. Das ist nicht nur sinnlos, weil undurchführbar, sondern erst recht gegen den Geist Christi, der die Freiheit vom Gesetz brachte. Das

ganze Leben etwa des Grafen Tolstoj und so mancher anderer ist aus diesem Mißverständnis heraus geführt worden. Es gibt im N. T. keine ethische Vorschrift, die wir buchstäblich zu übernehmen hätten oder auch nur übernehmen könnten. Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig, sagt Paulus;

das bedeutet: Geist gibt es nur im Vollzug des Handelns, in der Gegenwart; der festgelegte Geist ist kein Geist mehr. So gibt es auch Ethik nur im Vollzug der Tat, nicht im Buch-

Grundfragen

einer christlichen Ethik

55

staben, d.h. im Gesetz, Der Geist aber, der im ethischen Han-

deln an uns wirksam ist, soll der Heilige Geist sein. Heiligen Geist gibt es nur in der Gegenwart, in der ethischen Entscheidung, nicht in der festgelegten Moralvorschrift, im ethischen Prinzip. Darum können die neuen Gebote Jesu niemals als nur ethische Prinzipien aufgefaßt werden, sie sind in ihrem Geist, nicht buchstäblich zu verstehen. Und das ist keine Ausrede, weil die Sache sonst zu unbequem wäre, son-

dern die Idee der Freiheit und der Gottesgedanke Jesu fordern das. Daß die Forderungen Jesu die radikale Schärfe bekommen haben, liegt daran, daß die Stellung des Menschen

in der ethischen Entscheidung vor Gott eine radikale Absage an die eigene Person, den eigenen Willen erfordert, aber nicht

etwa ist jede einzelne Verhaltungsmaßregel Jesu für uns gültig, sondern ihre Nachahmung wäre sklavisch und unfrei. Aus all dem folgt nun eigentlich, daß über inhaltliche erhische Probleme unter christlicher Beleuchtung gar nicht gesprochen werden kann; es besteht eben schlechterdings keine ' Möglichkeit, allgemein gültige Prinzipien aufzustellen, weil jeder Augenblik, vor Gottes Augen gelebt, eine unerwartete Entscheidung bringen kann. So läßt sich immer nur, auch in unserer Zeit, das Eine wiederholen: es gilt, sich bei ethischen Entscheidungen unter den Willen Gottes zu stellen,

sein Handeln sub specie aeternitatis zu bedenken und dann mag es laufen, wie es will, es läuft richtig. Nun werden wir aber Tag für Tag, Stunde für Stunde vor nie dagewesene Situationen

geführt, in denen wir uns entscheiden sollen,

und in denen wir immer wieder die überraschende und erschrekende Erfahrung machen, daß der Wille Gottes sich unseren Augen nicht so eindeutig enthüllt, wie wir hofften; und das darum, weil offenbar der Wille Gottes in sich selbst widerspruchsvoll zu sein scheint, weil 2 Ordnungen Gottes einander zu widerstreiten scheinen, so daß wir nicht in der Lage sind, zwischen Gut und Böse zu wählen, sondern nur

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Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927—1930

zwischen Böse und Böse. Und hier liegen die eigentlichen, schwierigsten Probleme der Ethik. Und wenn wir darangehen, sie zu behandeln, so ist es nach dem Gesagten klar,

daß wir keine allgemein gültigen Entscheidungen, die wir dann als allein christlich ausgeben könnten, geben können, weil wir damit nur neue Prinzipien aufstellen und mit dem Gesetz der Freiheit in Konflikt geraten. Wir können viel-

mehr nur in die konkrete Situation der Entscheidung hineinzuführen versuchen und eine der dort sich ergebenden Möglichkeiten der Entscheidung aufzeigen. Die in der Wirklichkeit geforderte Entscheidung muß eben jeder in Freiheit in der konkreten Situation selbst vollziehen!... Wir brechen ab und fassen zusammen. Ethik ist Sache der Erde und des Blutes, aber auch dessen, der beides machte; aus dieser Zweiheit entspringt die Not. Es gibt Ethos nur in den Banden der Geschichte, in der konkreten Situation, im Augenblick der göttlichen Anrufe, des Angesprochenseins,

des Anspruchs durch die konkrete Not und Entscheidungslage, des Anspruchs, dem ich zu antworten, mich zu verantworten habe. So gibt es Ethos nicht im luftleeren Raum als Prinzip; es gibt Gut und Böse nicht als allgemeine Ideen,

sondern nur als Qualitäten eines sich entscheidenden Willens. 1. Hier folgen Erörterungen a) über das Problem des Krieges. Der Pazifismus wird abgelehnt und der Verteidigungskrieg aus der „konkreten Situation“ gerechtfertigt: »...5o wird die Entscheidung, wie sie auch fällt, mich mit der Welt und ihren Gesetzen beschmutzen; ich werde die Waffe erheben, in der furchtbaren Erkenntnis etwas Entsetzliches zu tun, aber doch nicht anders zu können; ich werde meinen Bruder, meine Mutter, mein Volk schützen, und weiß doch, daß das nur durch Blutvergießen geht, aber die Liebe zu meinem Volk wird den Mord, wird den Krieg heiligen; ich werde als Christ an der ganzen Furchtbarkeit dessen, was ein Krieg ist, leiden, weil die Verantwortung in ihrer ganzen Schwere auf meiner Seele lastet; werde es versuchen, den Feind, dem ich verschworen bin auf Tod oder Leben, zu lieben, wie nur ein Christ seinen Bruder lieben kann und werde doch etwas an ihm tun müssen, was

mir die Liebe und die Dankbarkeit gegen mein Volk, in das mich

Grundfragen

einer christlichen

Ethik

57

Gut und Böse gibt es nur als in Freiheit getan, das Prinzip aber bindet unter das Gesetz. Gebunden in die konkrete Situation durchGott und anGott handelt derChrist in der Voll-

macht eines Menschen, der frei geworden ist. Er untersteht keinem Gericht als seinem eigenen und dem Gottes. Durch diese Freiheit aber vom Gesetz, vom Prinzip, muß der Christ hinein in die Kompliziertheit der Welt; er kann sich nicht apriori entscheiden, sondern erst wenn er selbst einge-

treten ist in die Notlage und sich von Gott angerufen weiß. Er bleibt an die Erde gebunden, wenn er zu Gott will, er muß die ganze Angst vor den Weltgesetzen mitdurchkosten, muß die Paradoxie erfahren, daß die Welt uns nicht Gutes oder Böses, sondern Böses oder Böses zur Wahl gibt, und

daß doch auch durch das Böse hindurch Gott ihn zu sich führt. Er muß den krassen Widerspruch fühlen zwischen dem, wie er handeln wollte und wie er handeln muß, er muß reifen durch diese Not, reifen dadurch, daß er Gottes Hand nicht

läßt, in den Worten: dein Wille geschehe. Nur durch die Tiefen unserer Erde, nur durch die Stürme eines Menschen-

gewissens hindurch eröffnet sich der Blick auf die Ewigkeit. Die alte tiefsinnige Sage erzählt vom Riesen Antäus, der stärker als alle Männer der Erde war; keiner konnte ihn beGott hineingeboren hat, zu tun befiehlt; und werde schließlich erkennen, daß nur in der dauernden Beziehung auf Gott, in dem immer erneuten sich Hingeben dem göttlichen Willen, christliche Entscheidungen fallen; und kann gewiß bleiben, daß auch, wenn die Welt mein Gewissen vergewaltigt, meine Entscheidung nur eine sein kann, und zwar nur die, zu der mich Gott in der heiligen Stunde der Begegnung meines Willens mit dem seinigen, in der Stunde, da er meinen Willen bezwang, geführt hat...“ Unter gewissen Voraussetzungen darf ein wachsendes Volk sogar einen Angriffskrieg führen. b) über das Problem der Wirtschaftskonkurrenz. Doppelte Moral wird

abgelehnt und eine Mitwirkung

gebahrung für möglich gehalten.

an der kapitalistischen Geschäfts-

c) über das Problem der konventionellen und der Not-Lüge. d) über die sexuelle Frage.

58

Auf dem

Weg

zur Dozentur.

zwingen, bis einmal einer im Kampfe

1927 —1930

ihn vom

Erdboden

aufhob, da verlor der Riese seine Kraft, die ihm aus der Be-

rührung mit der Erde zugeflossen war. Der Mensch, der die Erde verlassen will, der heraus will aus der Not der Gegenwart, der verliert die Kraft, die ihn durch ewige geheimnisvolle Kräfte immer noch hält. Die Erde bleibt unsere Mutter,

wie Gott unser Vater bleibt, und nur wer der Mutter treu bleibt, den wird sie dem Vater in die Arme legen. Das ist das Hohelied des Christen von der Erde und ihrer Not.

Alle die Beispiele, die wir vorhin herausgriffen, haben uns gezeigt, daß es gilt sich hineinzustellen in die konkrete Situation und von dort den Blick auf die Ewigkeit zu richten

und sich in der Zwiespältigkeit der Lage jedesmal neu die Entscheidung

aus

Gottes

Willen

zu erkämpfen;

die Ent-

scheidung mag dann fallen, wie sie will. Damit wird die Ethik nicht etwa wieder zu einem Wege des Menschen zu Gott, sie bleibt wie alles, was Menschen, die sich durch Christus von der Welt befreit wissen, tun können, Opfer, Demonstration des schwachen Willens, die aus der Dankbarkeit entspringt für das, was Gott an uns getan hat; ein Opfer, ein Darbieten, eine Demonstration, die Gott ebenso annehmen

wie ablehnen kann; das Tun des Menschen entspringt an der Erkenntnis der Gnade Gottes, an der Menschheit und an ihm selbst, und das Tun des Menschen hofft auf die Gnade Gottes, die ihn der Not der Zeit enthebt. So baut sich über das Reich des Ethischen das Reich der Gnade. Die Not und die Angst des Gewissens müssen ein Ende finden, die unbegreif-

lichen Widersprüche der göttlichen Ordnung in der Welt müssen klar werden, wenn das Reich der Gnade das Reich der Welt, wenn das Gottesreich das Menschenreich ablösen

wird. Nur wer einmal den ganzen Ernst und die ganze Tiefe und Not des Reiches der Welt, des Reiches des Ethischen aus-

gekostet hat, der sehnt sich heraus, der kennt nur noch den einen Wunsch: unsere Welt vergehe, dein Reich komme.

Gedächtnisrede

für A. v. Harnack

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Rede zum Gedächtnis Adolf von Harnacks am 15. Juni 1930 in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft

Tausende

von

jungen Theologen blicken in dieser Stunde

mit mir zurück auf ihren großen Lehrer. Heute kommt sein Vermächtnis an uns, und im starken Bewußtsein der Verantwortlichkeit treten wir stolz dies Vermächtnis an. Damit richten

was

sich unsere

Adolf v. Harnack

Augen

auf die Zukunft,

auf das,

der jüngsten Theologengeneration

bleibt. Fast zwei Menschenalter trennen uns von ihm, dessen eigentJichste Schüler selbst schon wieder unsere Lehrer geworden

sind. Wir kennen ihn nur als den greisen Meister, auf dessen Urteil die gesamte kulturelle Welt aufmerksam hörte, der jeden, wem auch immer er begegnete, zur Ehrfurcht zwang vor einem Leben, das im Geist und im Kampf um die Wahrheit geführt wurde, der, wo auch immer er hinkam, eine Welt mit sich brachte, mit der in Berührung zu kommen für jeden

einen unauslöschlich tiefen Eindruck bedeuten mußte. Wir jungen Theologen, denen es vergönnt war, von der Welt, die diese Persönlichkeit umschloß, etwas zu ahnen, wissen

dies als etwas Großes zu würdigen, das uns vor all denen, für die diese Welt eine vergangene bleibt, auszeichnet. Er wurde unser Lehrer. Er kam uns nahe, wie ein echter Lehrer dem Schüler nahekommt. Er trat uns fragend an die Seite und in überlegenem Urteil gegenüber. Die Stunden der ernsten Arbeit an der alten Kirchengeschichte, zu denen er uns in den letzten Jahren in seinem Hause versammelte, ließen

uns ihn erkennen in seinem unbeirrbaren Streben nach Wahrheit und Klarheit. Dem Geiste seines Seminars war die bloße Redensart fremd. Es mußte um jeden Preis klar zu-

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Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927—1930

gehen. Das schloß nicht aus, daß Fragen innerlichster und persönlichster Art hier Raum fanden und in ihm einen immer bereiten Hörer und Beantworter erwarten durften, dem es um nichts als um die Wahrhaftigkeit der Antwort ging. Aber es wurde uns an ihm deutlich, daß Wahrheit nur aus

Freiheit geboren wird. Wir sahen in ihm den Vorkämpfer des freien Ausdrucks einmal erkannter Wahrheit, der sein freies Urteil je und je neu bildete und es ungeachtet der

ängstlichen Gebundenheit der vielen je wieder deutlich zum Ausdruck brachte. Das machte ihn zum Feind aller unechten Bildung in der Wissenschaft, aller festgelegten Engherzigkeit. Es überhob ihn der Frage nach Gesinnungstüchtigkeit, wo er Taten und Menschen sah, und es machte ihn, wovon wir insbesondere reden können, zum Freund aller Jugend, die

ihrer Meinung freien Ausdruck gab, wie er es von ihr wollte. Und sprach er sich einmal besorgt aus, oder warnte er im Hinblick auf jüngste Entwicklungen in unserer Wissenschaft,

so hatte das seinen Grund ausschließlich in seiner Befürchtung, es möchte die Meinung der anderen vielleicht gefährdet sein, Sachfremdes mit dem reinen Streben nach Wahrheit zu

vermengen. Weil wir aber wußten, daß wir bei ihm in gütigen und besorgten Händen waren, darum sahen wir in ihm gleichsam

eine Schutzwehr gegen alle Verflachung und Verödung, gegen alle Schematisierung geistigen Lebens. Aber Adolf v. Harnack — und das war uns das Größte — war Theologe, bewußter Theologe, und wir glaubten nur von hier aus ihn ganz verstehen zu können. Und darum soll das

auch in diesem Kreise noch einmal deutlich gesagt werden. Er war Theologe, das heißt zunächst nicht, daß er seine Dog-

mengeschichte schrieb. Theologie heißt Rede von Gott. Um nichts Geringeres geht es irgendwie in der Arbeit jedes Theo-

logen. In Harnack, dem Theologen, sahen wir die Einheit der Welt seines Geistes beschlossen; hier fanden Wahrheit

Gedächtnisrede

für A. v. Harnack

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und Freiheit ihre echte Bindung, ohne die sie zur Willkür würden. Es entsprach seiner Art, hier nur wenig zu sagen,

lieber viele Worte zu wenig, als in diesen Dingen ein Wort zuviel. Hier mußte alles ganz wahrhaftig und ganz einfach zugehen. Aber das Wenige, was er sagte, im Seminar oder lieber noch draußen im Freien, im Grunewald, wo er Som-

mer für Sommer älteste und jüngste Schüler um sich versammelte, hat uns genügt. Er meinte, daß im heiligen Geiste des Christentums

aller Zeitgeist seine Bestimmung

fände,

und daß die Botschaft von dem Vatergott und dem Menschenkind ewiges Recht und somit Recht auch auf uns habe. Hier liegt Adolf v. Harnacks Vermächtnis an uns: echte Freiheit des Forschens, des Schaffens und des Lebens und tiefstes Gehalten- und Gebundensein durch den ewigen

Grund alles Denkens und Lebens überhaupt. Ich meine, daß es in seinem Sinne geschieht, wenn ich mit einem Worte schließe, das ihm selbst ein Lieblingswort war,

und das er jetzt vor einem Jahre bei einem Sommerausflug seinem alten Seminar als letztes Wort mitgab: Non potest non laetari, qui sperat in Dominum.

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Auf dem Weg zur Dozentur.

1927—1930

Die Frage nach dem Menschen in der gegenwärtigen Philosophie und Theologie Antrittsvorlesung in der Aula der Berliner Universität am 31. Juli 1930

Die Frage nach dem Menschen wird durch zweierlei lebendig gehalten, einmal durch das Werk des Menschen, zum anderen durch die Erfahrung, die dem Menschen physisch, intel-

lektuell oder voluntativ seine Grenzen zeigt. Dort wo der Mensch zu staunen beginnt über das, was er selbst kann, über sein Werk, und dort wo dem Menschen rücksichtslos

durch die Wirklichkeit seine Grenzen gewiesen werden, brechen die alten biblischen Fragen auf: „Was ist der Mensch, Herr, daß Du sein gedenkst, Du hast ihn wenig niedriger gemacht denn Gott“ (Psalm 8), und die andere: „Was ist

der Mensch, daß Du ilın heimsuchst jeden neuen Morgen, ihn jeden Augenblick versuchst“ (Hiob 7, 17). Geschichtlich gesprochen heißt das, daß einerseits ein Jahrhundert der In-

genieure, das eine neue Welt auf dem Boden der alten aufgebaut hat, und andrerseits ein verlorener Krieg für uns die Frage nach dem Menschen neu und verschärft stellen müssen. Zwei große Möglichkeiten tun sich auf: der Mensch sucht sich zu verstehen aus seinem Werk oder aus seinen

Grenzen. Verstehen gibt es nur aus einem ruhenden Einheitspunkt heraus. Diesen sucht der Mensch in seinem Werk oder in seinen Grenzen zu finden, das heißt dort, wo sein Wesen der zeitlichen Veränderung enthoben scheint, wo es

im Zustand der Ruhe, der Objektivation erfaßt werden zu können scheint. Einheit des Menschen bedeutet, daß erstens

seine Existenz wirklich betroffen ist und daß zweitens diese

Die Frage

nach

dem

Menschen

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Existenz in Kontinuität vorgestellt werden kann. Das sind die formalen Bestimmungen, innerhalb derer die Frage nach dem Menschen gestellt und beantwortet werden muß. Werk und Grenze des Menschen sind als die Orte, von denen aus Selbstverständnis gesucht wird, tief in der Idee der Frage

des Menschen nach dem Menschen begründet. Die Frage nach dem Menschen unterscheidet sich von allen anderen Fragen entscheidend dadurch, daß der jeweils Fragende selbst Mensch

ist, d. h. es kann nach dem Menschen nicht so gefragt werden, daß der Mensch wie ein Ding zur Gegebenheit kommt,

vielmehr ist der Mensch, der zur Gegebenheit gebracht wird, schon nicht mehr der Mensch, der selbst eben jetzt im Aktvollzug stehend fragt. Der fragende Mensch geht in den er-

fragten Menschen nicht ein. Das Ich vermag sich selbst nicht einzufangen. Es sieht sich selbst als etwas, das ihm trans-

zendent ist. Der Mensch stößt mit der Frage nach sich selbst auf die Grenze der Transzendenz. Er sieht sich in sich selbst transzendiert. In dieser Situation muß der fragende Mensch zwischen zwei Möglichkeiten eine Entscheidung fällen, die

logisch nicht mehr erzwingbar ist: entweder der Mensch erkennt an, daß er auf eine nicht mehr überspringbare Grenze gestoßen ist, daß sein erfragtes Ich nie reflexiv zur Gegebenheit kommt, sondern sein Wesen darin hat, sich auf das fragende Ich, d. h. auf Transzendenz zu beziehen; das Wesen des Menschen ruht dann nicht mehr in ihm selbst, sondern in dem je und je sich vollziehenden Aktbezug auf Transzendenz. Die andere Möglichkeit ist: das transzendente fragende Ich selbst in die Frage hineinzuziehen, sich so des eige-

nen Ich zu bemächtigen, im Zu-sich-Kommen des Ich den Zentralvorgang alles geistigen Geschehens zu erblicken. Ist es für die erste Entscheidung der Frage charakteristisch,

daß der Mensch nur von seiner Grenze her verstanden werden kann so für die zweite, daß der Mensch sich selbst grundsätzlich zugänglich und durchsichtig ist, sich durch sich selbst

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Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927—1930

versteht; er findet in sich den Einheitspunkt, von dem aus sich ihm sein Wesen erschließt, gegeben. Er wird sich selbst gegenständlich, indem er sein Ich denkt. Denken des eigenen

Ich als Denken aus Einheit wird hier zur Urposition aller Philosophie. Philosophie heißt mithin: Frage nach dem Menschen und Antwort darauf in einem. Der Mensch versteht sich, weil er philosophiert. Philosophie ist das Werk des Menschen kat’ exochen. Der Mensch versteht sich aus seinem ureigensten Werk.

Werk aber ist die Konkretisierung einer Möglichkeit; versteht sich der Mensch aus seinem Werk, so versteht er sich aus seinen Möglichkeiten. Auch ein Denken, das die reali-

sierte von der nicht realisierten Möglichkeit grundsätzlich zu unterscheiden trachtet, wie etwa das jüdische Denken, tritt

darum doch nicht aus der Kategorie der Möglichkeit heraus. Des Menschen Wesen sind seine Möglichkeiten, d.h. der Mensch bleibt bei sich selbst, sein Wesen erfaßt sich immanent. Er ist eine in sich ruhende Welt, er bedarf, um zu seinem Wesen zu kommen keines anderen, nur sich selbst. Demgegenüber greift das Selbstverständnis, das sich aus der

ersten Entscheidung ergab, immer über sich hinaus. Des Menschen Wesen liegt nicht in immanenten quieszierenden Möglichkeiten, sondern in dem nimmer ruhenden Sich-Beziehen auf seine Grenzen. Der Mensch ist in seinem Wesen Akt-

bewegung, eben weil er erst durch jeweilige Begrenzung zu seinem Wesen kommt. Dort der Mensch der unendlichen unverlierbaren Fülle der Möglichkeiten; hier der Mensch, der an der Grenze sich verliert, um sich zu finden, der protestiert gegen jedes Beharren auf unverlierbar Gegebenem. Wir sehen, wie sich aus der Idee der Frage nach dem Menschen unmittelbar zwei verschiedene Auffassungen vom We-

sen des Menschen herauslösen, je nachdem ob die Frage nach dem Menschen zum

Grenzpunkt

oder zum

systematischen

Ausgangspunkt aller Philosophie gemacht wird. Wir sahen

Die Frage nach dem Menschen

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ferner, daß die Frage nach dem Menschen unmittelbar mit dem Transzendenzproblem in Berührung kam, und je nachdem, ob das Ich sich an der Transzendenz vergriff und sie in sich hineinzog, oder ob es sich an dieser Grenze beugte, der Mensch zu stehen kam. So wird immer, wenn wir nach der

Auffassung vom Menschen in irgendeiner Philosophie oder Theologie fragen, die Frage nach der Transzendenz als Entscheidungsfrage gestellt werden müssen. Treten wir als Theologen an die gegenwärtige Philosophie heran, in der Absicht, uns von ihr über das, was sie vom Menschen denkt, belehren zu lassen, so beobachten wir zunächst,

daß die Frage nach dem Menschen zu den am leidenschaftlichsten gestellten Fragen der gegenwärtigen Philosophie gehört. Man sieht heute alte Ideologien zusammenbrechen und muß fürchten, daß der Mensch mit ihnen begraben wird, man sieht eine neue geistige Wirklichkeit aufsteigen, in der der

Mensch von Gewalten und Dämonen überfallen wird und will sich doch nicht preisgeben; man sieht sich gefangen und will doch frei sein, man fühlt sich den Boden unter den Füßen weggezogen und will doch nicht fallen. Hier muß der Mensch in äußerster Leidenschaft der Suche nach sich selbst, sich selbst neu zu setzen, sich bewahren, sich finden in der Frage nach sich selbst, nach dem, was seine Existenz neu zu begründen imstande wäre. Nur in Umrissen können wir hiervon ein Bild geben. Erster Versuch: Der Mensch greift nach sich selbst, in die tiefsten unerschlossenen Schichten seines Seins, die von aller Veränderung unbetroffen in ewiger Ruhe und Ordnung ver-

harren, und er greift über sich hinaus über die Welt der Realitäten zum Kosmos der reinen Werte, die von der schauenden Seele aufgefangen und wiedergespiegelt werden. Das

ist der erste Ansatz Schelers. Seine phaenomenologische Erkenntnistheorie, über deren Recht hier nicht gesprochen werden soll, ermöglicht es ihm, durch ein materiales Apriori, das

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m: dem

Weg zur Dozentur.

1927 —1930

dem formalen Apriori Kants gegenübergestellt wird, eine Welt des bewußtseinstranszendenten Seins der Werte aufzubauen. In dieser Welt ist Gott. Nicht im intellektuellen Prozeß, sondern im Wertfühlen, dessen reinste Gestalt die Liebe ist, vermag der Mensch Gott zu schauen. Nur in Liebe gibt

es echtes Werterkennen. In Liebe schwingt sich der Mensch empor zur Schau des ewigen und höchsten Wertes des Hei-

ligen, Gottes. Er faßt das All in sich, er vermag im leidenschaftlichen Aufschauen Gott selbst zu fassen. Das ist die ‚Totalität des Lebens‘, daß es die Totalität der Werte er-

schließt und in sich beschließt. Mit hinreißendem Pathos hat Scheler den unbeweglichen, unwandelbaren strahlenden Himmel der Werte über der bewußtseinsbefangenen, erdachten und zerdachten Welt der Subjektivität und Relativität ausgespannt und in sie hineingestellt den Menschen als den im Spiegel der Liebe sich Gottes selbst bemächtigenden Geist. Der Mensch wird aus seinen Möglichkeiten verstanden. Er trägt in sich die Möglichkeit, das Transzendente schauend in

sich hineinzuziehen. Und das ist sein Wesen. Hier ist alles statisch gedacht, die Welt der Werte ebenso wie die Möglichkeit, sie zu schauen. Beides hat die Seinsweise von Seiendem,

d. h. von Gegebenem, Gegenständlichem. Darum kann hier der Katholizismus Triumphe feiern, der Mensch ist als Mensch gesichert, weil er in sich Möglichkeiten birgt, zu Gott

zu kommen, weil er Anknüpfungsmöglichkeiten für Gott von der Schöpfung her in sich trägt. Darum kann aber hier die Frage nach dem Menschen als solche kein wirkliches Pro-

blem sein. Nach dem Menschen wird gefragt, wie nach einem Ding, nach einem Seienden. Daß der Mensch als der, der erst

noch nach sich fragen muß, also offenbar an sich über die Antwort noch nicht verfügt, sich selbst in einer wirklich fragwürdigen Lage befindet, die eben durch die Frage nach sich selbst wesentlich bezeichnet ist, davon finden wir bei dem

Scheler der ersten literarischen Periode auch nicht die An-

Die Frage

nach

dem

Menschen

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deutung von einem Gedanken. Aber ein anderes hat sich bereits angekündigt. Dem Reich der Werte gegenüber steht ein Reich des Seins der Welt, des Bösen. Noch meint Scheler, daß

es jenem nichts anzuhaben vermag. Aber der gewaltige Umsturz kommt. Es ist erschütternd zu sehen, wie Scheler unter

dem überwältigenden Eindruck der dämonischen Welt der menschlichen Triebe sein System zerbrochen wird. Das Ge-

dankengebäude Schelers bewies sich in seiner Starre als zu spröde, um dieser Wirklichkeit, die mit einem Mal hervorbricht, Widerstand zu leisten. Es bricht restlos zusammen. Und Schelers Auffassung vom Menschen endet in seiner letz-

ten literarischen Periode mit der resignierten Erkenntnis des Menschen als des Wesens, in dem sich die Welt der Triebe der Welt der Werte bemächtigt, wobei der Mensch machtlos

dämonischen

Gewalten

anheimgefallen

ist. Der göttliche

Mensch wird zum Spielball der sinnentleerten Welt. Wie ist es dahin gekommen? Scheler hat den Menschen als

ein Wesen zu verstehen gesucht, dessen Seinssphäre jenseits seiner Existenz als ens creatum gedacht war, als ein Wesen, das erst fragen muß, nicht wesentlich Gestalt des zeitlos Seienden. Als

in einer geschaffenen Welt dadurch, daß es nach sich berührt ist, das „ist“ in der solches Wesen aber konnte

sich der Mensch in dem Augenblick nicht mehr erkennen, in dem er sich bis in den Grund seines Wesens hinein ver-

gewaltigt sah von den Mächten seiner eigenen Kreatürlichkeit, von den Mächten der Gesellschaft, die jenem angenom-

menen ursprünglichen Sein diametral zuwider liefen. Scheler hat die essentia von der existentia gelöst. Er vermochte wohl die Kontinuität aber nicht die Existentialität des menschlichen Seins zu denken. Darum mußte das glanzvolle Gebäude der Schelerschen Metaphysik beim ersten Sturm zusammenbrechen. Der Mensch hatte sich mißverstanden.

Wollte man hierüber hinaus, so war der Weg gewiesen. Konstitutiv für das Verständnis des Menschen mußte der Exi-

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Auf dem

Weg zur Dozentur.

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stenzbegriff werden. Der Mensch existiert, d. h. er ist in der Zeit und ist in der Welt und zwar als ein solcher, der nach sich selbst jeweils fragen muß. Der Mensch weiß also nicht im allgemeinen, was er ist, sondern es gehört zu seinem Wesen, daß er nach sich fragen muß. Das Sein des Menschen — d. h. das Dasein — hat also nicht die Seinsart des Seienden,

Vorhandenen, Zugänglichen, sondern es ist nur im sich Verstehen, d. h. im geistigen Akt der Reflexion. So der Ansatz Martin Heideggers. Sich verstehen aber kann das Dasein nicht freischwebend im Raum, sondern nur in der Gebundenheit an eine geschichtliche Situation des Existierens in der Welt. Auch beim Dasein ist es entscheidend, nicht daß Seinsverständnis ist, sondern daß Seinsverständnis ist. Das Dasein

findet sich mithin je schon irgendwie bestimmt vor; es setzt sich also offenbar nicht selbst. Vielmehr es ist je schon, als was es sich versteht. Dies Sein in der konkreten Situation ist

aber die je schon gefallene Entscheidung eines Seinkönnens, d. h. der Begriff der Möglichkeit tritt in Sicht. Das Sein der Existenz wird als Sein in Möglichkeit gedeutet und verflüchtigt. Mit Heideggers Worten: „Dasein ist primär Möglichsein. Dasein ist je das, was es sein kann und wie es seine Mög-

lichkeit ist“ (Sein und Zeit S. 143). Dasein findet sich vor in der Welt im „Mitsein mit Anderen“, im „Verfallensein an

das Man“, an die Alltäglichkeit, so mit Heideggerschen Wendungen. Dasein ist in einer Welt, die es besorgt. Dasein ist Sorge. Es erkennt sich als in diese Welt der Sorge hineingeworfen, als „Geworfenheit“ in die Welt, d. h. es kann nicht

über sich verfügen, es kann sich immer nur vorfinden in der Situation, für die es sich schon entschieden hat. In seinem Verfall an die Welt, an das Man, an das Gerede aber zerfällt das Dasein, es kommt nicht zu seiner Ganzheit, die doch für

es wesentlich ist. Weil geschichtlich, darum ist das Dasein dem Tod unterworfen. Das ganze Dasein ist hingerichtet auf den Tod, es ist „Sein zum Tode“. Will nun das Dasein zur

Die

Frage

nach

dem

Menschen

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Ganzheit kommen, so muß es, weil ja zu seinem Wesen das Sich-Verstehen gehört, sich aus dem Tod verstehen, d. h. es darf den Tod nicht als seiendes Ereignis hinnehmen, wenn er kommt, sondern es muß je und je zu ihm vorlaufen, ihn in sein Selbstverständnis hineinnehmen und so in der „Entschlossenheit zum Tode“ sich selbst zur Ganzheit bringen. Statt aber das Dasein in seiner Eigentlichkeit als Sein zum Tode zu erfassen, verfällt das Dasein seiner Uneigentlichkeit in der Welt. Dieses Sein in der Uneigentlichkeit und Nicht-

ganzheit wird als Schuld aufgedeckt dort, wo das Dasein zu seiner Eigentlichkeit herausgerufen wird aus seinem Verfall — im Ruf des Gewissens. Der Rufer im Gewissen aber ist das Dasein selbst, „sich ängstend in der Geworfenheit um sein

Seinkönnen“ (a.a.O. S. 277). Das Dasein ruft sich selbst zu sich zurück, es hat sich an die Welt verloren, es ist in der Fremde, die Unheimlichkeit der Welt macht ihm Angst, das

ist seine Schuld oder seine Nichtigkeit, wie Heidegger den Schuldbegriff denkt. Im Gewissensruf nimmt das Dasein seine Schuld auf sich und kommt zur Ganzheit, indem es nun in die Entschlossenheit zum Tode eintritt und so sich selbst findet. Das Dasein ergreift seine eigentlichste Möglichkeit, seine eigentlichste Existenz, indem es zu sich selbst kommt und so sich versteht.

Für Heidegger bedeutet Ganzheit des Daseins mithin für sich Sein des Daseins. Dasein trägt seine Einheit in sich selbst. Das ist die notwendige Folge aus dem Verständnis des Daseins als Möglichsein schlechthin. In den Möglichkeiten des Daseins ist auch die Möglichkeit, zur Einheit zu kommen,

beschlossen. Mithin der Mensch versteht sich aus seinen Möglichkeiten. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zur

Schelerschen Konstruktion. Scheler faßt die Möglichkeiten des Menschen statisch, also wohl in Kontinuität aber nicht

in Existentialität. Heidegger gelingt es, beides zu verbinden. Der Mensch existiert in der Zeit und nur in der Zeit werden

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die Möglichkeiten verwirklicht, ja immer, wenn der Mensch auf sie reflektiert, findet er sich schon in einer gewählten Möglichkeit vor. Jeder Augenblick ist Entscheidung für die Möglichkeit der Eigentlichkeit oder der Uneigentlichkeit. Damit ist Heideggers Verständnis des Menschen gesichert gegen das Aufbrechen der Weltmächte, die Schelers Konstruktion

vernichteten. Der Mensch Heideggers soll letztlich nicht göttliche Züge sondern er ebenso von Todes, der

tragen, nicht als Geist Herr sein über die Welt, soll der in der Welt existierende Mensch sein, der der Welt bedroht wird, der den Gewalten des Alltäglichkeit, des Man ausgeliefert ist, der sei-

nen existenziellen Möglichkeiten nach der Welt verfällt, der

je neu nach sich fragen und sich suchen muß. Darum fehlt dem Menschen Heideggers das überweltliche Pathos und der Glanz des Schelerschen Menschen. Er wird als der besorgte, geängstete Mensch der Resignation, des Alltags eingeführt;

man hat ihm Kleinbürgerlichkeit vorgeworfen, doch das ist nicht das letzte, das Pathos in der Auffassung vom Menschen liegt bei Heidegger nur ein Stück tiefer als bei Scheler und es ist anders gefärbt. Dort wo der Mensch vom Gewissen gerufen wird, vermag er sich dem Verfall an die Welt zu entreißen, aber nicht so, daß er sich verantwortungslos den Ge-

walten der Zeitlichkeit entzöge, sondern so, daß er seine Schuld, die Nichtigkeit seines Lebens auf sich nimmt und sich auf die unbezwingbarste aller Gewalten hinrichtet, — auf den Tod. Er zieht den Tod in sein Leben hinein und lebt ein Sein zum Tode. Bis hierher scheint Heidegger seinem

Willen zur echten Existenzerfassung treu zu bleiben, aber indem der Mensch diese Wirklichkeiten bis zur Wirklichkeit des Todes wissend auf sich nimmt, überwindet er sie in ihrem

Grenzcharakter, gelangt er nicht zum Ende, sondern zur Vollendung, zur Ganzheit des Daseins. Der Mensch wird der Welt mächtig, indem er sich zum tragisch Vereinsamten emporsteigert. Der Mensch bleibt allein zurück, er versteht sich

Die Frage

nach

dem

Menschen

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aus sich selbst, das Sein in der Welt hat für sein eigentliches Selbstverständnis keine Bedeutung. Die Frage nach dem Menschen beantwortet zuletzt doch wieder der Mensch sich selbst. Die Welt der dämonischen Gewalten ist im Geiste überwunden und beherrscht. Der Verfall an diese Welt ist nur der Durchgang zum Sich-Finden des Geistes. Und gerade indem der Mensch ganz in dieser Welt seine Existenz erfaßt, vermag er die Welt letztlich zu vergewaltigen. Wir spüren, daß

wir zwar hart an Hegel herangerückt sind und es kann uns andererseits doch nicht befremden, wenn Heidegger sich auf den Kant der 1. Auflage der Vernunftkritik beruft. Heidegger erkennt den nach sich selbst fragenden Menschen gewiß durchaus als grundsätzliches Problem an, aber zuletzt wird auch bei ihm die Frage wieder zur Antwort, der Mensch weiß im Grund über sich Bescheid, die Frage hat keinen letzten Ernst.

Nun bleibt nur noch ein Schritt und das ganze Bild scheint sich völlig zu verändern. Daß der Mensch nach sich fragen muß, daß er sich selbst schlechthin fragwürdig bleibt, gehört zu seinem Wesen. Nun aber nicht so, daß er doch wieder aus noch tieferen Schichten seines Seins eine Antwort auf diese Frage hervorlocken könnte, sondern er bleibt in der Fragwürdigkeit seiner Existenz. Paul Tillich, dessen Denken von hier ausgeht, sieht den Menschen als endliches Wesen dadurch charakterisiert, daß er nicht durch sich selbst zu seinem

Wesen kommt, weil es für ihn schlechthin keinen gesicherten, einheitlichen Punkt gibt, von dem aus Selbstverständnis möglich wäre. Der Mensch vermag sich nicht zum Herrn über die Welt aufzuschwingen, weil alles Menschliche grundsätz-

lich in Frage gestellt ist durch den Grund alles Seins, alles Endliche durch das Unendliche. Der Mensch kommt zu seinem

Wesen

also erst dort, wo

er an seiner Grenze stehend

den Einbruch des Unendlichen erfährt. Hier versteht er sich selbst im „Durchleben der Grenzsituation“, in der „Bedroht-

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heit im unbedingten Sinne“, d. h. in der Erkenntnis der Verantwortlichkeit jedes Augenblicks, der Verantwortungslosigkeit des täglichen Lebens. Die Bedrohtheit aber besteht darin,

daß der Mensch frei ist und sich in jedem Augenblick zu entscheiden hat für sein eigentliches Sein, daß ferner diese Ent-

scheidung verantwortlich ist, indem von ihr Sein und Nichtsein abhängt. Mit anderen Worten: Bedrohtheit des Seins heißt, daß der Mensch frei ist und doch seine eigentlichsten Möglichkeiten nicht ergreifen kann, offenbar, weil er selbst seiner nicht sicher ist, weil er nicht über sich verfügt, weil er

sich fragwürdig bleibt. Er versteht sich, weil die Grenzsituation dadurch ausgezeichnet ist, daß dort, wo der Mensch radikal unter dem Nein steht, das Ja zum Menschen vernommen wird. Nicht in der Form einer christlichen Verkündigung — alle religiösen Inhalte fallen hier mit unter das Nein und „sei es Christus oder Gott“ — sondern das Ja in seiner Absolutheit. Die absolute Grenze ist der Einbruch des Absoluten selbst, das absolute Nein ist das absolute Ja. Der Mensch versteht sich aus seiner Grenze. Scheinbar

ein grundsätzlicher Gegensatz zu dem Menschen, der sich aus seinen Möglichkeiten versteht: dem Menschen, der sich

in sich selbst vollendet, tritt gegenüber der Mensch, der an der Grenze gegen jede menschliche Selbstsetzung, Sicherung protestiert. Der Mensch an der Grenze ist der Mensch des

grundsätzlichen Protestes. Doch ehe wir dieser Gegensätzlichkeit genauer nachgehen, müssen wir der neuesten Philosophie noch einen Schritt weiter folgen. Ausgehend von der Erkenntnis, daß der Mensch,

solange er denkend der Welt gegenübertritt, die Welt nach sich deute und vergewaltige, kommt Eberhard Grisebach dahin, auch die Grenze des Menschen nicht mehr denkend fest-

zulegen, sondern als Grenze des Menschen das konkrete Du anzusprechen. Existenz ist in Wirklichkeit nur im Zusammenstoß mit einem Du, Hier ist wirkliche, nicht mehr gedachte

Die

Frage

nach

dem

Menschen

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und auch nicht mehr in die Reflexion eingehende Grenze, hier ist „Gegenwart“. Menschliche Existenz ist nur in der

Gegenwart, dort wo sie den Anspruch des anderen aushält, den anderen nicht vergewaltigt, sondern mit ihm in ein dıak&ysodaı eintritt. Der Mensch versteht sich mithin eigentlich nur im konkreten Aushalten des Anspruchs, an der kon-

kreten Grenze, die ihm gesetzt ist und die ihn in jeder Selbstverabsolutierung stört. Hier scheint die Erkenntnis, daß der Mensch sich nur aus seinen Grenzen, d.h. in Bezug auf Transzendenz, verstehen könne, im Gegensatz zu jedem Selbstverständnis des Menschen aus seinen immanenten Möglichkeiten zum schärfsten Ausdruck gebracht. Das wirklich Neue an Grisebach ist, daß er den Menschen nicht denken kann ohne den konkreten anderen Menschen. Damit ist der Wille, jeden

Individualismus, d. h. jede Gefangenheit des Ich in sich selbst zu überwinden, klar ausgesprochen. Aber dies gelingt Grisebach doch nur, indem er an Stelle des Ich nun das Du ver-

absolutiert und ihm eine Stellung gibt, die nur Gott selbst zukommen kann. So setzt also das Ich den anderen absolut, erkennt ihn als seine konkrete, absolute Grenze an, um sich

zuletzt doch nur selbst durch das absolute Du sein absolutes Wesen zurückgeben zu lassen. Ich selbst setze den Anspruch des Du ja als absoluten, ich könnte ihn ja auch relativieren, so bleibe ich mit meinen Möglichkeiten Herr auch des an-

deren. Grisebachs Intentionen sind wohl aller ernsten Beachtung wert, aber es kann ihm mit seinem Mittel nicht gelingen, sie durchzuführen, Damit aber stehen wir schon mitten in der Kritik an dem, was die Philosophie überhaupt Grenze des Menschen nennen kann. Dem Versuch, den Menschen aus seinen Grenzen zu verstehen und nicht aus seinen Möglichkeiten, muß eine entschei-

dende Einwendung gemacht werden. Die Grenze, durch die der Mensch sich begrenzt, bleibt selbst gezogene Grenze, d.h. aber Grenze, über die der Mensch grundsätzlich immer schon

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Auf dem

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hinausgeschritten ist, jenseits derer er erst einmal gestanden haben muß, um sie.ziehen zu können. Die Grenze ist mithin

die absolute Möglichkeit, die sich gegen sich selbst wendet. Indem ich meine Möglichkeiten denkend begrenze — und anders kann ich sie eben in der Philosophie nicht begrenzen —, erweise ich eben durch die Möglichkeit der Begrenzung die Unendlichkeit meiner Möglichkeiten, hinter die ich nicht mehr zurück kann. Damit rücken aber die Versuche, den Menschen aus seinen Grenzen zu verstehen, doch wieder in die Reihe derer, gegen die sie sich wandten, den Menschen aus seinen Möglichkeiten zu verstehen. Der Mensch hat in sich wesentlich keine Grenzen, er ist in sich unendlich. Darin hat der Idealismus recht. Es fragt sich nur, wie dies Faktum zu deuten ist. Die Frage nach dem Menschen ist in der Philosophie letztlich immer so gestellt, daß die Antwort vom Menschen selbst gefunden wird, weil sie in der Frage schon beschlossen ist. Der Mensch bleibt in sich selbst, sei es der Mensch mit den Augen, die die ewigen Werte schauen, sei es der tragisch Vereinsamte, sei es der Mensch an der Grenze

mit der erstarrten Geste des Protestes. Der Mensch versteht sich aus seinen Möglichkeiten in der Reflexion auf sich selbst, d. h. aber weiter, der Mensch versteht sich nur im Zusammenhang mit seinem Werk.

Dies Ergebnis der philosophischen Bemühungen nimmt die Theologie hin, aber sie deutet es in ihrer Weise als das Denken des cor curvum in se. Das Ich bleibt wirklich bei sich, das aber ist nicht sein Ruhm, sondern seine Schuld. Das in sich gefangene Denken ist der echte Ausdruck des nach sich fragenden Menschen im status corruptionis. In deutlicher Verwandtschaft, aber doch in wesentlicher Unterschiedenheit, wie noch zu zeigen sein wird, kann die Theologie den Menschen nicht denken außer in Bezug auf seine Grenze, die hier Gott heißt. Soll die Frage nach dem Menschen wirklich

erst gestellt werden, so kann sie nur dort gestellt werden,

Die Frage

nach

dem

Menschen

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wo der Mensch vor Gott ist. Wo immer sie sonst gestellt wird, ist sie nicht ganz ernst gestellt. D. h. der Mensch wird ganz aus sich heraus gerissen, er wird als ganzer vor Gott gezogen,

und hier wird die Frage nach dem Menschen darum ernst, weil sie nicht mehr selbst ihre Antwort einschließt, sondern

weil die Antwort völlig frei und völlig neu von Gott dem Menschen gegeben wird, weil Gott den Menschen vor sich ge-

stellt hat und ihn so fragen heißt. D. h. der Mensch erfährt seine Begründung nicht durch sich selbst, sondern durch Gott. Wer von Gott angerufen wird, ist wesenhaft Mensch. Der Einheitspunkt, von dem aus der Mensch sich versteht, liegt also

bei Gott. Soweit ist die heutige Theologie seit ihrer letzten Rückwendung zu Luther einig. Die großen Streitpunkte liegen erst in der Auslegung dieser Sätze. Es wiederholen sich die beiden Versuche, die wir in der Philosophie darzustellen hatten, nun in der Theologie.

Erstens: Der Mensch versteht sich aus der Reflexion auf sich selbst, auf seine Möglichkeiten. Soll der Mensch nur im Zusammenhang mit dem Transzendenten, hier also mit Gott, sich verstehen, so muß Gott sich in ihm irgendwie bezeugen,

sonst gäbe es keine Beziehung zu Gott. Der Ort, an dem Gott sich bezeugt, muß der Ort sein, von dem aus sich der Mensch versteht und zugleich der, von dem aus die Einheit des Men-

schen begründet ist. Dieser Ort aber ist offenbar das Gewissen. Hier weiß der Mensch sich aufgerufen, zur Verantwortung gezogen, gerichtet und gerecht gesprochen. Hier ist das Einfallstor Gottes in den Menschen, hier ist unmittelbare Beziehung zu Gott gegeben. Der Mensch ist der Mensch des Ge-

wissens. Er versteht sich aus der Reflexion auf sein Gewissen, in dem ihm Gott begegnet. Wenn wir hier den Namen Karl Holls nennen, so ist damit nur ein eindrucksvoller Repräsentant der überwältigenden Mehrheit der heutigen Theo-

logenschaft genannt. Holl hat Luthers Religion als Gewissensreligion bestimmt. Damit ging, wie hier zunächst nur

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konstatiert werden soll, eine merkwürdig geringe Einschät-

zung der Christologie bei Luther zusammen. Der Mensch findet Gott irgendwie in sich vor, er hat ihn in der Reflexion

auf sich selbst. Weil der Mensch im Gewissen Gott hören und haben kann, darum versteht er sich aus seinem Gewis-

sen als seiner eigensten Möglichkeit, Mensch zu sein. Doch erfuhr Holl hier den lebhaftesten Widerspruch durch die sogenannte dialektische Theologie. Die Frage, in der der Mensch auf sich reflektiert, bleibt immer Frage, der Mensch kann aus sich keine Antwort finden, denn es gibt im Menschen auch nicht einen Punkt, an dem Gott in ihm Raum gewinnen könnte; ja zu seinem Wesen gehört es, incapax infiniti zu sein; d. h. mit seinem endlichen Wesen ist die Un-

möglichkeit gesetzt, sich mit Unendlichem in Unmittelbarkeit zu vereinen. Darum hat er keine Möglichkeit, sich irgendwie zu verabsolutieren und sei es nur an einem Punkt seines We-

sens. Er bleibt völlig ungesichert, weil er ganz bei sich selbst bleibt. Auch sein Denken,

auch sein ethisches Verantwor-

tungsbewußtsein, auch seine Religiosität bleiben hoffnungslose Versuche, das Ich im Absoluten zu verankern. Sie gehören zum godvnua oaoxds, der Mensch vergreift sich in all dem an Gottes Ehre, dadurch daß er nicht ungesichert sein

will, daß er sich doch wenigstens durch Selbstverständnis sichern will. Er erklärt sich für gut, er erklärt sich für böse

— und beides ist doch nur der Versuch, ob gut oder böse, wenigstens gesichert zu sein; aber er erkennt eines nicht, seine Schuld an Gott in seinem Guten und seinem Bösen, die

eben darin besteht, daß er sich endgültig setzen, sichern will. Daß er nicht von Gott allein immer neu zerbrochen und ge-

heilt, gerichtet und begnadigt sein will, daß er nicht aus Gnade gerecht werden will. Der Mensch will sich selbst rechtfertigen, das ist seine Schuld. Denn er könnte das nur, wenn er Gott in seiner Gewalt hätte. Aber Gott bleibt der ewig

jenseitige, ewig ferne auch und gerade dort, wo er in der

Die

Frage

nach

dem

Menschen

ZEU

Offenbarung dem Menschen nahe kommt. Barth sagt: „Der Mensch, dem sich Gott offenbart, ist der Mensch, dem Gott

nicht offenbar werden kann“ (Dogmatik I, 287). Soll nun der Mensch Antwort bekommen auf die Frage nach sich selbst, die Frage, die er nicht nur stellt, sondern ist, so muß er ganz

aus seiner Verkehrung in sich selbst herausgerissen werden, gerichtet werden auf das schlechthinnige Außen seiner Existenz. Nur von jenseits seiner selbst kann er die Antwort als Gottes Antwort vernehmen. Er wird begründet durch Gottes immer neue Tat, die Gott tun oder nicht tun kann quia sic

vult. Nie aber geht das Wort Gottes zur Rechtfertigung so in den Menschen ein, daß er sich nun nur noch darauf zu be-

rufen habe, sondern es muß je und je von Gott neu gesprochen sein, von außen auf den Menschen zukommen. Der Mensch versteht sich je neu aus dem von außen kommenden Wort Gottes, aus seiner absoluten Grenze, die Gott heißt.

Während Barth diese Gedanken von der Kantischen Idee des Menschen, der nur in Bezug auf Transzendenz ist, aus unter-

baut, versucht Bultmann Heidegger für die Theologie fruchtbar zu machen. Der Mensch verfügt nicht über sich, denn er

ist in der Geschichte, er ist nicht in der Weise von Dinghaftem, sondern sein Sein ist Sein-können, d. h. Bestimmtsein

durch die Sünde oder durch Gott. Hier scheint die Idee des Menschen an der Grenze mit der des Menschen der unendlichen Möglichkeiten vereint. Über diese Gedanken Barths und Bultmanns ist Friedrich Gogarten hinausgeschritten. Barths Ansatz

sei spekulativ,

er betrachte den Menschen

letztlich nicht in der existentiellen Situation, sondern irgendwie in absoluter Sphäre. Die Existenz des Menschen wird

erst erfaßt, wenn er durch das von Gott gesetzte geschichtliche Du angesprochen gedacht wird. An die Stelle Gottes tritt der Nächste. Wie bei Grisebach, mit dem Gogarten anfangs zusammenging, wird hier der Nächste absolut gesetzt, um so jeder spekulativen Ausflucht die geschichtliche Wirk-

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Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927 —1930

lichkeit selbst entgegenzusetzen. Geschichte ist die Begegnung von Ich und Du, es gibt Ich nicht ohne Du. Diese Korrektur Gogartens an Barth bringt zum Ausdruck, daß auch Barths Denken individualistisch ist, d. h. der Mensch bleibt mit

sich selbst allein. Gogarten sieht aber, daß die Theologie der Offenbarung individualistisches Denken ausschließt. Dadurch aber, daß Gogarten dem Nächsten den Absolutheitsanspruch

Gottes einräumt, gleitet er erstens von der Theologie der Offenbarung in eine innerweltliche Ethik ab, und das hat zweitens die Folge, daß das Ich und das Du sich gegenseitig zu ihrem Wesen bringen können, und sich mithin so auseinander verstehen, daß der eine für den andern da ist, um

den

andern sich verstehen zu lassen, womit aber die Offenbarung ausgeschlossen bleibt. Der Mensch vernimmt den Anspruch des Nächsten nur als absoluten, wenn ihm der absolute Anspruch Gottes in Christus begegnet ist und ihm die Antwort über seine Frage nach sich selbst gegeben hat. So gibt es nach

Gogarten noch ein Sich-Verstehen des Menschen unabhängig von der Offenbarung, d. h. die Frage nach dem Menschen läßt sich immanent beantworten. Also auch die Grenze Gogartens ist nicht die reale Grenze der Offenbarung. Jede Grenze ist, solange sie der Mensch sich denkend setzen

kann, bestimmt durch die Möglichkeit, über sie hinauszugehen; d. h. auch der Mensch, der sich aus seinen Grenzen ver-

stehen will, versteht sich zuletzt aus seinen Möglichkeiten. Demgegenüber behaupten wir: Der Begriff der Möglichkeit hat in der Theologie und damit in der theologischen Anthro-

pologie kein Recht. Dafür ist folgendes geltend zu machen: I. Der Mensch, der sich aus seinen Möglichkeiten versteht,

versteht sich aus der Reflexion auf sich selbst. In der Offenbarung aber soll der Mensch aus dieser Reflexion herausgerissen werden und nur von und vor Gott die Antwort auf seine Frage bekommen. Die Frage nach dem Menschen ist begründet durch die Frage nach Gott. Hier liegt der grund-

Die Frage nach

dem

Menschen

79

sätzliche Unterschied philosophischer und theologischer Anthropologie.

II. Der Begriff der Möglichkeit rationalisiert die Wirklichkeit. Er bestimmt jede Wirklichkeit nach der Art eines logisch Seienden. D. h. er legt sie fest, macht sie allgemein zugänglich. So gelingt es, den Einheitspunkt des Selbstverständnisses durch Rationalisierung in das eigene Ich zu legen. Für die theologische Anthropologie bedeutet das, daß der Mensch mit bestimmten Möglichkeiten in Bezug auf Gott gedacht wird, auf die er sich jeweils zurückziehen kann. Er ist capax oder incapax infiniti, sein Sein ist Sein-können; alles Bestimmungen, die ein Sein des Menschen unabhängig von der Wirklichkeit der Offenbarung a priori festlegen, und so die Offenbarung der Deutung durch den Menschen preisgeben. III. Der Begriff der Möglichkeit ist darum unadäquat, weil der Mensch entweder unter der Offenbarung ist oder nicht

ist, weil aber unabhängig von der Wirklichkeit der Offenbarung von einer Möglichkeit für sie gar nicht geredet werden kann, da sie ja sonst kein schlechthinniges Außen wäre. Also gerade aus der Betonung der Existenzjenseitigkeit der

Offenbarung folgt die Ablehnung jedes festgelegten ‚finitum incapax‘. IV. Der Begriff der Möglichkeit schließt den Semipelagianismus ein. Liegen Sünde und Glaube in den Möglichkeiten

des Menschen, so ist die völlige Unbegreiflichkeit, Unentschuldbarkeit, Unendlichkeit des Sündenfalles rationalisiert

zu einer erklärbaren Verwirklichung immanenter Möglichkeiten. Damit ist der Sünde das Gewicht der Unendlichkeit genommen und das hat zur Folge, daß auch Sündenvergebung und Sündentilgung nur als Verwirklichung — freilich von Gott aus — menschlicher Möglichkeiten verstanden werden, die ebenso wenig wie die Sünde unendliche Bedeutung

haben. D. h. es kann von hier aus nicht verständlich gemacht

80

Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927—1930

werden, daß Sünde und Gnade ewiges Gericht und ewiges Leben bedeuten. V. Der Begriff der Möglichkeit läßt wohl ein Verständnis des Menschen in Kontinuität zu. Der Mensch ist stetig seine Möglichkeit. Ist aber diese Möglichkeit in der Seinsform eines Seienden festgelegt, so betrifft sie die Existenz des Menschen nicht, die in der Seinsform des Seienden nicht gedacht werden kann, sondern diese transzendiert. Die echte Kontinuität

des Menschen muß mitten in seiner Existenz gründen. VI. Mit dem Begriff der Möglichkeit erfährt zugleich der Be-

griff der Grenze seine Kritik. Daß er selbst dem Begriff der Möglichkeit verfällt, wurde schon gezeigt. Daß aber auch in der Theologie von einer Grenze zwischen Gott und Mensch geredet werden muß, ist klar. Doch ist dreierlei zu beachten: Erstens, daß diese Grenze nicht formale Grenze zwischen zwei Seinswesen in der Form des Seienden ist, sondern Grenze zwischen Personen. Zweitens, daß diese Grenze inhaltlich bestimmt ist durch die Begriffe Sünde und Heiligkeit.

Drittens, daß das Thema der Theologie die Überschreitung dieser Grenze durch Gott, nämlich Sündenvergebung und Heiligung ist. Daraus folgt aber, daß der Begriff der Grenze in

der Theologie nicht durch die rationale Statik des Möglichkeitsbegriffes, sondern durch die dynamische Wirklichkeit Gottes bestimmt ist. Ist damit der Begriff der Möglichkeit aus der Theologie ausgestoßen, so ist dem positiv hinzuzufügen: nicht in der Re-

flexion auf sich selbst, sondern im Aktbezug auf Gott versteht sich der Mensch, d. h. nur dort, wo er wirklich vor Gott steht. Nicht wo er Möglichkeiten in sich vorfindet, kraft de-

ren er vor Gott stehen kann. Es ist hier zu unterscheiden zwischen actus directus und actus reflexus; nur im actus directus gibt es echtes Selbstverständnis; im actus reflexus ist die Unmittelbarkeit schon unterbrochen, kann es mithin

Selbstverständnis nicht mehr geben. Da aber Theologie nur

Die

Frage

nach

dem

Menschen

81

im actus reflexus sich vollzieht, kann sie echtes Selbstverständnis des Menschen nicht selbst sein — wie die Philosophie es für sich in Anspruch nimmt —, sondern nur nachzeichnen. In diesem Nachzeichnen wird alles darauf ankommen, durch

die Kategorie der Möglichkeit nicht wieder die Wirklichkeit zu rationalisieren. Der Mensch versteht sich im Aktbezug auf Gott, den nur Gott selbst herstellt. Er sieht seine Einheit begründet im Worte Gottes, das an ihn ergeht, und dessen Inhalt Gericht und Gnade ist. Hier erkennt der Mensch, daß sein Wesen nicht ist capax oder incapax infiniti zu sein, daß nicht seine

Möglichkeiten sein Wesen sind, sondern daß sein Wesen bestimmt wird durch das: ‚Du bist unter der Sünde‘ oder ‚Du bist unter der Gnade‘. Wie stellt sich nun das Wesen des Menschen in der Sünde und in der Gnade dar? In der Erkenntnis der Sünde, die unter der Offenbarung Gottes sich vollzieht, weiß sich der Mensch unter dem Gericht Gottes und findet sich vor in einer Menschheit, die von Gott abgefallen ist, weil sie sein wollte, wie er, und nun unter seinem Gericht steht. Er sieht sich verurteilt als Einzelnen wie als Mensch überhaupt. Er ist

selbst Repräsentant der abgefallenen Menschheit und, indem er von seiner generellen Bestimmung fiel, fiel in ihm die Menschheit. Er selbst ist Adam, der die Sünde in die Welt

gebracht hat, und die ganze Menschheit steht unter dem Äon Adams. Der Mensch ist nicht mehr allein, er steht in der Menschheit Adams, in der jeder Adam ist; aber in dieser Menschheit bleibt er einsam. Der Geist der Sünde hat ihn los-

gerissen vom Geist Gottes und vom Nächsten. Nun kreist der Geist dauernd um sich selbst. Nun ist er Herr der Welt, aber eben nur der Welt, die sein Ich sich deutet und erdenkt, Herr in seiner ichbeschlossenen, vergewaltigten Welt, Er sieht den Mitmenschen als Ding und sieht Gott als den, der seine reli-

giösen Bedürfnisse befriedigt und nun sucht er sich in dieser

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Auf dem

Weg zur Dozentur.

1927 —1930

Welt ewig zu setzen, er will nicht sterben, er will sich selbst rechtfertigen und ewig leben. Aber auf dem Wege der Suche danach, der ihn über die Philosophie und über die Religion führt, beginnt der Mensch seine ungeheure Einsamkeit zu spüren. Es wird ihm Angst vor dieser Herrschaft über eine

tote Welt und in seiner Angst bricht er das furchtbare Schweigen seiner Einsamkeit und reißt sich von sich selbst los, tritt sich gegenüber, um den fehlenden Anderen zu ersetzen, und klagt sich selbst an. Das ist das Gewissen. Aber indem er Kläger, Angeklagter und Richter zugleich bleibt, erweist sich der Ruf des Gewissens nur als der letzte Griff des Ich nach sich selbst, nach seinen Möglichkeiten. Und sein Rufen verhallt in der schweigenden, beherrschten Welt des Ich. In dieser Welt findet der Mensch sich vor, wenn Gott in diese Welt hineintritt, den Menschen vor sein Gericht zieht und verurteilt. Das geschieht im Kreuze Christi. In seinem Tod

aber stirbt die alte, vergewaltigte, gedeutete Welt des Ich mitsamt

dem

Ich, und in seiner Auferstehung

und seinem

Leben ist der neue Äon, der Aon Christi angebrochen, ist die Menschheit Adams durch die Menschheit Christi überwunden, nicht so daß jene nun schlechthin vertilgt wäre, sondern so, daß sie ihrer Mächtigkeit grundsätzlich beraubt wird. Wie sich die Welt Adams an Christus vergriff, so vergreift sie sich an der neuen Menschheit Christi; wie aber Christus im Tode sie entmächtigt, so ist sie für den Menschen in der neuen Menschheit Christi, für den Menschen in Christus entmächtigt. Der Mensch, der durch das Wort Gottes in Tod und

Auferstehung Christi hineingesprochen ist, d. h. der Christ versteht sein gegenwärtiges Sein nun als von zwei Seiten bestimmt. Zuerst und entscheidend durch seine Zukunft, die Christus allein ist, sodann aber durch seine Vergangenheit, die Adam ist, und die immer neu in den Tod Christi hinein-

gegeben werden muß. Der Mensch in Christus ist der Angefochtene, soweit die Menschheit Adams in Kraft bleibt. Ge-

Die Frage

nach

dem

Menschen

83

setz, Fleisch, Welt stehen gegen den Menschen auf, greifen nach ihm, verdunkeln ihm den Blick auf Christus, machen ihm Angst, treiben sein Gewissen an, daß der Teufel selbst in ihm redet. Der Mensch in Christus ist der Welt nicht entnommen. Es ist der Mensch des Tagewerkes, der Arbeit, des Berufes; . Anmerkung des Herausgebers: Hier ist die vorletzte Seite des Manuskripts verloren gegangen und nicht auffindbar. Nach der Behandlung des Wesens des Menschen in der Sünde, alias „ın Adam“, siehe Akt und Sein S. 116 ff, und nun in der Gnade, alias „in Christus“, AS S. 127 ff, muß die

verlorene Seite die Ausführung darüber enthalten haben, daß dieses „in Christus“ kontinuierlich und kontingent in der Kirche Ereignis und Sein und Erkenntnisort ist, siehe AS 88 ff. Daß in diesem Zusammenhang der Begriff der Möglichkeit noch einmal aufgenommen wurde, zeigt eine Korrektur zu jener verlorenen Seite auf einem erhaltenen Zettel, auf dem es heißt: „Mit all dem über den Christen der Möglichkeit Gesagten ist aber schließlich ausgeschlossen, die Frage des Menschen nach dem Menschen selbst als Möglichkeit des Menschen zu bejahen. Wird sie in ihrem echten Sinn gestellt, so wird sie unter der Wirklichkeit Gottes gestellt, d. h. dann ist sie die Frage nach dem gnädigen Gott, nach der ewigen Gerechtigkeit; die Frage nach dem Heil, die Gott den Menschen selbst stellen läßt, um ihm die Antwort zu geben.

Wo auch immer sie sonst und anders gestellt wird, ist es nicht die Frage nach dem Menschen selbst, sondern nach seinen Möglichkeiten.“ Die letzte Seite fährt dann fort: ..... Geheimnis der Gemeinde, daß Christus in ihr ist und nur durch sie hindurch den Menschen ergreift, Christus existiert unter

uns

als Gemeinde,

als Kirche

in der Verbor-

genheit der Geschichtlichkeit. Die Kirche ist der verborgene Christus unter uns. Darum aber ist der Mensch nie allein, sondern er ist nur durch die Gemeinde, die ihm Christus

bringt, die ihn sich einverleibt, in ihr Leben hineinzieht. Der

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Auf dem

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zur Dozentur.

1927 —1930

Mensch in Christus ist der Mensch in der Gemeinde; wo er

ist, ist die Gemeinde. Weil er aber als Einzelner zugleich ganz Glied der Gemeinde ist, darum ist hier allein die Kontinuität seiner Existenz in Christus gewahrt.

Darum kann sich der Mensch nicht mehr aus sich selbst verstehen, sondern aus dem Christus, der als Gemeinde existiert, aus seinem Wort, das die Gemeinde trägt und ohne die Ge-

meinde nicht ist. Weil dies Wort aber seine Existenz trifft und als Wort der Gemeinde zugleich die Kontinuität seines Seins begründet, darum kann im unmittelbaren Bezug auf dies Wort allein der Mensch sich verstehen. Volk der Kinder Gottes, „Kinder der Barmherzigkeit“ (Luther): das ist das Selbstverständnis des Menschen in Christus, hier angefochten und immer wieder zu Fall gebracht, herausgerissen aus dem actus directus, einst ganz hingegeben in der gelösten

Haltung des Kindes zu seinem Vater. Nur ein kurzer Einblick in die Eigenart der Frage nach dem Menschen konnte gegeben werden; auch der Versuch, Richt-

linien einer echten theologischen Anthropologie zu geben, mußte sich mit Umrissen begnügen; und soweit er ein Stück echten theologischen Denkens war, ist er dem Vorwurf, selbst aus der Reflexion zu kommen und nicht das eigentliche Selbstverständnis darzubieten nur enthoben, wenn dies restlos zu-

gestanden wird, wenn aber dann das theologische Denken selbst sich einordnet in die Wirklichkeit der Kirche, in der

Christus gegenwärtig ist. Nur als Denken der Kirche bleibt letztlich theologisches Denken das einzige Denken, das nicht

die Wirklichkeit durch die Kategorie der Möglichkeit rationalisiert. So weist nicht nur jedes theologische Einzelproblem zurück auf die Wirklichkeit der Kirche Christi, sondern das. theologische Denken erkennt sich in seiner Ganzheit als ein

solches, das allein der Kirche gehört.

IN. ARBEITEN

IM UNION

THEOLO-

GICAL SEMINARY 1930/31 Charakter und ethische Konsequenzen

des religiösen Determinismus

[1930] Jedes primitive religiöse und theologische Denken steht in der Mittezwischen Determinismus und Indeterminismus. Gott und Mensch wirken zusammen. Angenommen der Mensch hätte von sich aus zu seiner Lage der Welt und Gott gegenüber nichts beizutragen, so wäre die Ethik gefährdet. Andrerseits, könnte der Mensch alles tun, um seine jeweilige Situation zu bestimmen, so wäre offenbar der Religion die Spitze abgebrochen. Es bleibt als Ausweg nur, daß Mensch und Gott zusammenwirken, jeder nach seinem Vermögen. Dieser Kompromiß ist so alt wie die Religion selbst, anfangs

nicht bewußt vollzogen, aber doch im religiösen Handeln und Denken jederzeit verwirklicht. In der Geschichte der christlichen Kirche verknüpfen sich mit ihm Namen wie Pelagius, die späteren Skotisten, Erasmus, die Aufklärer, die

gesamte liberale Theologie in ihren verschiedensten Ausprägungen. Sie alle sind einig in der Wendung gegen jede Art eines einseitigen Determinismus, der alle ethischen Werte wesensgemäß vernichte. Die Diskussion wird geklärt, wenn wir unterscheiden zwi-

schen 1. philosophischem Determinismus, 2. allgemein religiösem Determinismus, 3. dem christlichen Glauben an die Alleinwirksamkeit Gottes oder Glaube an die Rechtfertigung aus Glauben.

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Arbeiten

im Union

Theological

Seminary

1930/31

Heillose Verwirrungen sind unvermeidlich, wenn diese drei

wesensverschiedenen. Formen des Determinismus vermengt werden, wie es zumeist geschieht. 1. Der philosophische Determinismus baut auf auf der Kausalitätsidee. Der letzte Grund birgt in sich die Verwirklichung sämtlicher Folgen. Es gibt kein Geschehen, das seinen Ursprung in sich selber hätte. Diese Idee dient zur Deutung des

Weltgeschehens. Sie ist an sich ethisch wie religiös irrelevant, ja sie schließt eine ethische oder religiöse Bewertung wesens-

gemäß aus, soweit nicht beide Wertungskategorien umgedeutet werden sollen, indem man sie als allein in Bezug auf ihnen wesensfremde Kategorien (‚Nützlichkeit‘, ‚Glück‘ etc.) verständlich erklärt. Philosophischer Determinismus ist in seinem Wesen „erklärend“, darum kann man aus ihm mit allen Künsten keine echten ‚Wert‘-Kategorien herausholen. Damit ist die erste Form des Determinismus, ohne über ihr sachliches Recht zu urteilen, als ethisch und religiös irrele-

vant zu bestimmen. 2. Der allgemein religiöse Determinismus will nicht die Welt

erklären, sondern sie irgendwie ‚rechtfertigen‘. Es handelt sich um eine Wertdeutung der Welt. Die Welt, wie sie ist, kommt von Gottes Hand als der letzten ‚Welt-Ursache‘, d.h.

überall kann Gott gefunden werden, d. h. schließlich: die Welt ist wesentlich gut. Das Verhältnis zwischen Gott und Welt ist dynamisch gedacht. Auch im Bösen, auch im Übel

wirkt Gott, auch dies also dient irgendwie zur Verherrlichung Gottes. Aber weil die Welt die Welt Gottes ist, darum steht hinter dem Bösen immer schon das Gute. Ich weiß jeweils

schon, daß das Böse immer schon überwunden ist, es folgt aus meinem Gottesbegriff, den ich jederzeit zur Verfügung habe, um alles Unheilvolle in der Welt ‚recht‘ zu deuten, bzw. Gott in der Welt zu rechtfertigen.

Fragt man nach den ethischen Konsequenzen dieser Form des Determinismus, so kann es sich nicht darum handeln, in

Religiöser

Determinismus

87

eine psychologische Erörterung einzutreten im Sinne etwa der Frage: Welchen Einfluß muß eine derartige Anschauung auf das ethische Handeln haben? Innerhalb der Psychologie

kommen wir über die Kategorie der Möglichkeit doch nicht hinaus, was wieder seinen Grund darin hat, daß wir uns

innerhalb des Kausalitätsschemas bewegen. Es wird vielmehr gefragt werden müssen, ob die Idee des Guten und des Bösen von solchen Voraussetzungen aus gedacht werden könne. Das aber ist zu verneinen. Die Gegensätzlichkeit von Gut und Böse ist in der zur ‚Deutung‘ benutzten (und darum mißbrauchten) Gottesidee immer als eine in der Synthese der Indifferenz immer schon aufgehobene Antithese gedacht. Es gibt kein radikales Böses, vielmehr das Böse ist nur ein paradoxes Mittel zur Verwirklichung des Guten. Damit verfüge ich jederzeit über die Möglichkeit, das Böse an sich wegzudeuten, die Welt aus meinen eigenen Gedanken über Gott zu

rechtfertigen anstatt die Rechtfertigung der Welt dem Spruch Gottes selbst anheimzustellen. Daß psychologisch diese Form des Determinismus zum Quietismus führt, wird sich historisch schwer erweisen lassen. Das spielt aber auch sachlich keine Rolle. Auch der höchste ‚ethische‘ Aktivismus ist noch kein Beweis für ein echtes Verständnis der ethischen Kate-

gorien, ebensowenig wie ein völliger Quietismus das Gegenteil dartut. Der letzte Grund für die Schwäche des allgemein

religiösen Determinismus ist der Gottesbegriff. Gott ist als Weltursache, nicht als Schöpfer gedacht. Beides ist absolut voneinander unterschieden, so daß eines das andre aus-

schließt. Dem wird nur selten Rechnung getragen und doch folgt von hier aus alles Weitere. Allgemeiner religiöser Determinismus ist nicht ‚christlicher‘ Determinismus, dem wir

uns nun zuwenden. 3. Der christliche Glaube an die Alleinwirksamkeit Gottes oder der Glaube an die Rechtfertigung aus Gnaden allein. Hier handelt es sich nicht um eine Deutung der Welt, son-

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im Union

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1930/31

dern um die Frage nach dem Menschen und seiner Lage vor Gott; d. h. es wird gefragt, ob der Mensch vor Gott bestehen könne, ob er vor Gott ‚recht‘-‚fertig‘ sei. Damit wird hier

nicht eine Gottesidee zur Deutung des Weltgeschehens herangezogen, sondern es wird von dem wirklichen Antwort auf diese Frage des Menschen erwartet. Mensch weiß schon von vornherein die Antwort, erwartet sie von außen, von Gott selbst. Damit sich das ganze Bild. Gott und Mensch stehen sich

Gott eine Nicht der sondern er verändert als Person

und Person gegenüber. Durch Gott weiß sich der Mensch vor die Existenzfrage gestellt, und von Gott selbst muß er die Antwort hören. Und diese Antwort ist zunächst das radikale ‚Nein‘ über den Menschen, der Mensch kann vor Gott nicht bestehen, er ist gerichtet, denn er ist aus der Gemeinschaft

mit Gott herausgetreten, ist nicht mehr in der Wahrheit und in der Liebe, er ist böse. Soll nun dennoch das Wunder geschehen, daß der Mensch vor Gott recht-fertig gemacht wird,

so kann das nur von Gott selbst aus geschehen. Der Mensch selbst ist gefangen in die Sünde, er kann nicht mehr zurück zu Gott, d. h. heraustreten aus der Sünde. Er ist nicht mehr frei. Nun kommt trotz allem Gott, spricht über ihn das ‚Ja‘, reißt ihn heraus aus der Sünde, ist ihm gnädig. Das ist Gottes

freie und alleinige Tat; der Mensch bleibt völlig in der Allmacht Gottes. Das ist kurz die protestantische Lehre von der Rechtfertigung aus Gnaden allein und das ist ‚christlicher Determinismus‘ in seinem Wesen. Es handelt sich um die Freiheit und Unfreiheit des Menschen in bezug auf das Allerletzte, auf das

Heil. Dies war auch der Hauptpunkt für Luthers ‚de servo arbitrio‘. Es kann freilich nicht geleugnet werden, daß Luther diesen Gedanken von anderen mehr spekulativer und weltdeutender Art nicht immer völligklar unterschieden hat. Aber es geht ihm zuletzt doch nur immer um eins, um Gottes alleinige Freiheit dort, wo es um die Recht-fertigmachung der

Religiöser

Determinismus

89

Welt geht. Immer wieder begegnet uns die selbstverständliche Voraussetzung Luthers, daß der Mensch wohl ethisch handeln könne, was die justitia civilis angehe, d. h. alles was

außerhalb der eigentlichen Heilsfrage an Relativitäten zwi-

schen Gut und Böse liegt, aber er kann nicht ‚gut‘ ‚rechtfertig‘ sein vor Gott. Fragt man auch hier nach den ethischen Konsequenzen, so hat man wiederum, wenn man sachlich fragt, nicht die psychologische Seite im Auge, sondern die Frage, ob die Idee des Guten und des Bösen restlos ernst genommen ist. Das ist zu bejahen. Das Böse ist Böses gegen Gott. Jede Verschuldung des Menschen ist Verschuldung gegen Gott. Nicht steht hinter allem Bösen schon immer das Gute, sondern der Mensch als persönlicher böser Wille steht Gott als dem persönlichen

Schöpfer radikal getrennt gegenüber,

Gott will das Böse

nicht, sondern das Gute. Es fragt sich nun, ob dementsprechend auch die Idee des Guten ernstgenommen ist. Gutes ist Gutes vor Gott. Der Mensch weiß sich unfähig, dies Gute zu

vollbringen. Er erkennt seine Sünde und kämpft dagegen an und es ist doch so, als ob er im fahrenden Zug gegen die

Zugrichtung liefe. Aber eben in der Erkenntnis seiner Unfreiheit vor Gott und der alleinigen Bestimmtheit durch Gott, leuchtet ihm die alleinige Macht Gottes auf und sein Glaube an diesen Determinismus durch Gott wird ihm nicht zum Mittel zur Weltdeutung, sondern erweist sich in ihm als Kraft.

Diese Erkenntnis des Glaubens, die von Gott selbst gegeben ist, ist schöpferische Kraft, macht den Menschen frei — von der Welt für Gott. Wo der Mensch sich schwach weiß, ist Gott stark, er wirkt nun das Gute, aber er allein. Ob sich diese Kraft zum Guten psychologisch in Quietismus oder Aktivis-

mus äußert, ist keinem Nachweis unterworfen und gehört nicht mehr zur Theologie. Zwei Fragen bleiben offen: Ist der Mensch ganz durch Gott bestimmt, so muß auch sein Böses durch Gott bestimmt sein,

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dann stehen wir aber wieder beim allgemeinen religiösen Determinismus. Hier geraten wir an die letzte Antinomie christ-

lichen Denkens. Luther hat es gewagt zu sagen, Gott wirkt das Böse wie das Gute. Das ist aber eine letzte spekulative

Erkenntnis, die selbst nicht wieder zur Deutung andrer Tatbestände benutzt werden darf. Daß Gott als Schöpfer das

Böse haßt und daß doch in der Welt nicht geschehen kann, was er nicht will, ist eine unauflösliche Antinomie, die aber

in dem Augenblick nicht mehr als Antinomie verstanden wird, wenn man meint, aus ihr Schlüsse für eine christliche Entwertung des Bösen ableiten zu können.

Die zweite Frage ist (sie ergibt sich aus der ersten) die nach der Führung Gottes in der Welt. Es ist ein gut biblischer Ge-

danke, daß in der Welt alles nach Gottes Ordnung geht. Wir sind, heißt das, letztlich auch in der justitia civilis nicht frei. Es ist aber imnıer wieder wichtig zu erkennen, daß der Gott

der Führung nur aus dem Gott der Rechtfertigung zu erkennen ist und nicht umgekehrt. Damit ist aber das Problem auf

das rechte Gleis gebracht.

experience

of grace

and

ethical

life

91

The Religious Experience of Grace and the Ethical Life!

[1930/31] This formulation of the topic includes two important pre-

mises: 1. that there is something like an ‘experience of grace’,

2. that such an experience of grace can be defined sufficiently as ‘religious’ experience.

In the following we have to deal with relations of those three notions — ‘religious’, ‘experience’, ‘grace’ — to each other. Two of them can be conceived in terms of psychological categories. The third one belongs in its essence to an absolutely different realm of notions; nevertheless it is impossible to prevent psychology from transgressing its own limits and from attempting its own interpretation of the notion of grace. That takes place at the very moment, when grace is conceived as psychological reality, that means as one fact among others, as psychologically ‘vergegenständ-

licht’, as accessible for all disinterested research. According to whether we start this enquiry with the interpretation of the psychological notion or with the interpretation of the theological notion of grace, the whole research will run in a different way. I will try to give a systematic outline of

both these ways of interpretation and their consequences. I. Psychological Interpretation Here ‘grace’ may be defined as a superhuman power which is in its essence dynamic and which, as far as it is expe1. Übersetzung siehe Seite 515.

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rienced, enters the realm of human feeling, willing, thinking, and so gives finiteness an eternal worth and character. The acknowledgement of one’s own finiteness and of an infinite grace, which nevertheless enters this finiteness, is general and essential, no matter with what concrete contents grace is considered to be endowed. In any case grace is con-

ceived as a fact which can be considered objectively, ‘gegenständlich’. The ethical life might be defined as the personal active attitude toward the human world, including the “ego’. Question-

able is the relationship between this kind of grace and the ethical life. It is my contention that ‘grace’ is always used to give to man the possibility of forming and justifying his ethical life. That is to be proved. According to the psychological interpretation man receives and possesses grace; that means to a certain extent he possesses God; he knows God;

he knows His will; but not only that: in the experience of grace he receives God Himself, or at least godlike power. His human existence has achieved union with God; his finiteness is justiied and endowed with infinite value. Here religion

is directly identified with experience of grace; religion becomes the ‘highest value’, because it is an experience of the holy transcendence. Yet this idea of transcendence is not

taken seriously, since transcendence is only found in immanent human experiences. This idea of transcendence is used only to give value to human endeavour. The main interest

is not an adequate idea of grace, but the highest possible valuation of humanity.

When grace is considered to be working in the midst of human experience, when grace can be experienced quite directly, it follows that this experience must work itself out in

some way into the actual life. There are only two ways in which this experience can work itself out:

experience

of grace

and

ethical

life

93

A. The first one is the nomistic way. Here the religious experience of grace involves the acknowledgement of a fixed moral commandment. This command-

ment is considered to have authority from God. The mere

fact of having received this commandment includes not only

the possibility of its fulfilment, but also it grants me the presence of God and my union with Him. After the experi-

ence of grace I am really put in-the fortunate position of the man who knows exactly what he has to do and whose life is in security if he strictly follows this commandment. The presence of God is conceived as being the presence of any object which I have at my disposition. The experience of grace gives to man a trust in his security, because he has the moral

law and because he is put in the situation of being able to live the ethical life. Man puts his trust in the knowledge of

the moral law and its fulfilment. We can distinguish historically between two types of this nomistic conception of the relationship of grace and ethical life.

1. The experience of grace creates

a new moral law. This

law is the ‘gegenständliche’ presence of God and of His

grace. It can be a social or an individual law. a) Two great examples from history of the “Verhärtung’ of the grace experience into a social law with itsown historic organisation are the Jewish theocracy and the Catholic Church. (The Calvinistic idea of theocracy is different, in

essence, since there is a different underlying conception of grace.) The experience of grace causes the building up of a fixed institution of divine law, in which alone the grace ex-

perience is possible. In the midst of history there is a separate realm which is holy and which is entirely excluded from all the relativities of historical development. Men who be-

long to this realm must submit themselves to the laws of the

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Arbeiten

im Union

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institution and they are thereby excluded from all human insecurity. Their life is secure, because this objective grace in the shape of the theocracy or the church bears them up. Grace gives to man the possibility of gaining security through

the observation of some divine laws. b) The experience of grace can be creative for the individual life. In this case the individual receives some special il-

lumination for sanctifying himself. Here is the root of asceticism of every kind, of monachism etc. Grace is “verhärtet’ into an individual law. Asceticism not only arises from grace experience, but also it leads back to a new experience of this kind.

2. The experience of grace is not necessarily creative. There

is another way of experiencing grace, in which the given conditions are taken as they are. In this case grace does not reserve a certain holy realm of life for itself, but man has to live in the human world according to the task or work which he has to do. He has to be a good citizen, father, husband, and being all that he fulfils the will of God. Experience

of grace in that case is not so much a receiving of creative power, as the experience of being cleansed through forgive-

ness. This is a type of misunderstood Protestantism which is very common in protestant countries nowadays. It underlies in the last analysis the ethics of Kant. Kant’s notion of duty is the strongest secularisation of the protestant ‘experience’ of grace. Grace becomes law. B. The other extreme of the ‘experience of grace’ involves

Antinomianism. Grace is interpreted here as the strict contradiction of the ‘law’, law is abolished because we have experienced grace. Antinomianism exists in two forms: as

Quietism and as Libertinism. The quietist knows that he has grace and he does not need anything more; he possessesgrace,

experience

of grace

and

ethical

life

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forgiveness, peace, release from all tension; he recognises the insufficiency of his own werk and so he stops striving

and working and enjoys his possession. Libertinism takes its justification from the same experience of grace

The liberti-

nist feels that the Holy Spirit Himself dwells in hin: and that now after having received grace — that means: the Holy Spirit — he can do what he wants to do. He is sanctified; therefore his deeds also are sanctified. It was the great discovery of Martin Luther that he was able to show in

struggling against the Enthusiasts (‘Schwärmer”) that Libertinism in itself is a kind of Nomism, a relapse into theslavery of the law instead of the pure interpretation of the idea of grace. The reason is that here grace is conceived as fully received in my experience, that grace becomes identified with my consciousness of grace, so that I have only to look into myself in order to know what I have to do; in other words,

grace was again ‘vergegenständlicht’, and grace as a static substantiality — living in me — is as such no longer merely grace, but law. Psychology cannot

think in these extremes

(of grace and

“law’), it knows differences of degree, not of kind. The reason is that the psychologically interpreted notion of grace is in the last analysis essentially immanent. For this interpre-

tation of all experience of grace with regard to ethical life runs the danger either of making man “nomistic’ or “antinomian’ (that means here: unethical). Between both these extremes there is a long scale, in the midst of which there is the “ideal and sound religion’, in which the extremes

are

balanced. Nobody can be hindered from undertaking this interpretation in a general Philosophy of Religion. But it is

certain that here the specific Christian idea of grace and its counterpart, the idea of law, are not touched on, and for Chri-

stian theological thinking that means that the psychological interpretation is unable to conceive of the reality of grace at ”

96

Arbeiten im Union

Theological Seminary

1930/31

all. Christian theological thinking claims to givethe only adequate interpretation of the problem of the relation be-

tween grace and the ‘ethical life’ which means ‘law’. There is of course a further possibility: to consider also Christian thinking psychologically; but therewith we lose again the only way to solve the problem of grace and law. Christian think-

ing makes the statement that if there is anybody who claims to have experienced grace and then becomes nomistic orantinomian, he has not really experienced grace. Since the psy-

chological interpretation of the relationship between grace and ethical life can only conceive of these two extremes, theo-

logical thinking contests the competence of the psychological interpretation for treating this question. Christian thinking admits that it thinks in circles, because it thinks with the

premise that God really has revealed Himself in Christ and that this revelation is the only truth; but it insists that all tinking about truth must think in a circle, because it presumes

what it is going to prove. It is obvious that thinking which does not reside in truth cannot think truth. That is the general philosophical form of the Christian claim. Christian theological thinking alone can interpret grace and only upon this basis is a true foundation of ethics possible.

II. Theological Interpretation

‘Grace’ here cannot be defined by the experience of grace; on the contrary, the psychological category of experience must be criticised, modified and interpreted anew

by the

theological category of grace. It is the essence of grace not to unite with the human being, to be conceivable only in any happy experience of union with God; but grace is in its essence directly opposed to every human being, to human ex-

perience of value and of good. It condemns all human effort

experience

of grace and ethical life

9%

to reach God as the attempt of man to be like God, as justi-

fication by works, by ethics, by religions. Man feels himself secure; he has got some possibilities to stand before God in security; because he is religious and ethical, he experien-

ces grace. The basis of religion and of ethics is here selfJustification before God. Grace destroys all these attempts,

destroys religion and ethics and experiences of grace, and it declares man in all his ways as a sinner who offends the

sole glory of God. Grace is the absolute opposite to all human endeavour, otherwise it would not be entirely grace. Grace condemns utterly and forgives utterly. For psychological understanding the former is as inconceivable as the latter; it

sees only something condemnable and something that must be forgiven, but it is unable to conceive of man as absolute sinner and as absolutely justified by grace. Because the es-

sence of grace in this way transcends our rational understanding, grace cannot be experienced, conceived, thought, but only believed in spite of all experiences of ‘grace’ which are not grace. Faith corresponds to grace. That means that grace always remains transcendent to our thinking, feeling etc. Further, grace can never be possessed by or in human experiences in a way that I could say: I am secure, because

I have grace. Grace must every moment be believed anew, because it is never static, objective, ‘gegenständlich’, but ever acting, judging and forgiving, ‘persönlich’, and only in these acts actual; it is always in opposition to man; therefore it must always be believed anew.

One might ask: is not an act of faith a certain kind of ‘religious experience’ too? The answer is: certainly, the act of faith is embedded in religious experience, especially ‘Christian experience’. But we must interpret this experience theo-

logically; that means, not the experience of faith is important, but the actuality of grace; experience is only an inevi-

table dim reflection of the absolutely different reality of

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Arbeiten

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Seminary

1930/31

grace. Not because we have ‘Christian experience’ but because wie have grace ‘in’ and at the same time “beyond? this experience, Christian faith is absolutely different from every other religion. One often hears it said: if grace is all and man nothing, then the natural consequence is that all ethical life is made impossible. But this argument is a relapse into the psychological interpretation. Grace ist not ‘all’ in the sense that I can possess it once for all, that I can be secure once for all. Grace is essentially ‘coming grace’ not ‘being and remaining grace’. That makes impossible every kind of human security, that

destroys all security — as we discovered in Nomism and Antinomianism, but it is the only basis for a genuine ethical life. Grace makes man free from himself (from his trust in his religion, in his ethical life etc.) and free for God, for hear-

ing His word. It points every moment to God himself and gives man the only possible basis for being ethical-namely God himself. Man is free as long as he refers to God.

If in this refering the whole existence of man is actually touched, then his behaviour in the world must be ethical;

he cannot

do otherwise than conduct himself according

to the reality of grace. Every single ethical decision might be wrong and sinful — as every single ‘experience’ of grace

is wrong and sinful; but nevertheless man lives in the faith of his justification and sanctification;

he can

never

say:

I am good; he must always say: forgive my debts. And he must believe in his justification. In this faith grace is made the new and only foundation of human life, not as ‘gegen-

ständliche’ grace with consequences as in Nomism and Antinomianism, but always as ‘coming grace’ with its consequences of making man free and at the same time responsible

before God. Only when man is bound solely to God does the ethical life have its genuine foundation. All glory is here

taken away from man and given back to God; man stands

experience

of grace and ethical life

99

in the obedience and in the service of God and that is his only and greatest glory. All other ethics make man secure

and therefore break down, because the glory of man as the final motive of ethics is no longer an ethical motive; man becomes a slave of himself. Only the Christian conception of grace makes man free before God and therefore alone gives a possible basis for ethical life.

100

Arbeiten im Union Theological Seminary 1930/31

Concerning the Christian idea of God. 1931" [Artikel in The Journal of Religion 1932] In the present article I do not pretend to present the Christian idea of God in its entirety. I am trying to give no more than the framework within which this idea should be thought. The fact that I am concerned only with the Christian idea

of God and not some general speculation, that is to say, the fact that the theme is essentially dogmatical, has led me to

select the following topics for discussion: First, the reality of God with regard to the problem of the theory of knowledge; second, God and history; third, the paradoxical God

in the doctrine of justification. The connection between these three parts and the progress from the first to the last one

will be seen in the course of the treatment. I. God and the Problem of Knowledge If this inquiry were purely philosophical we should never be permitted to start with the reality of God; and as long as theology does not see its essential difference from all philo-

sophical thinking, it does not begin with a statement concerning God’s reality but tries rather to build a support for such a statement. Indeed, this is the main fault with theo-

logy, which in our day no longer knows its particular province and its limits. It is not only a methodological fault but, likewise, a misunderstanding of the Christian idea of God from the very beginning. Philosophical thinking attempts to be free from premises (if that is possible at all); Christian 1. Übersetzung siehe Seite 522,

the Christian

idea of God

101

thinking has to be conscious of its particular premise, that is, of the premise of the reality of God, before and beyond all thinking. In the protection of this presupposition, theological thinking convicts philosophical thinking of being

also bound to a presupposition, namely, that thinking in itself can give truth. But philosophical truth always remains truth which is given only within the category of possibility. Philisophical thinking gory—it can never be conception of reality, any longer. The reason

can never extend beyond this catea thinking in reality. It can form a but conceived reality is not reality for this is that thinking is in itself

a closed circle, with the ego as the center. The last “reality” for all consistent philosophical reflection must be an ego, which is removed from all conceivability, a “nichtgegenständliches Ich.” Thinking does violence to reality, pulling

it into the circle of the ego, taking away from it its original “objectivity.” Thinking always means system and system excludes reality. Therefore, it has to call itself the ultimate reality, and in this system the thinking ego rules. It follows that not only his fellow man but also God is subordinated to the ego. That is the strict consequence of the

idealistic, and, as far as I see, of all exact philosophical thinking which tries to be autonomous. This fact of the captivity of human thinking within itself, that is to say, of its ine-

vitable autocracy and self-glorification as it is found in philosophy, can be interpreted theologically as the corruption of

the mind, which is caused by the first fall. Man “before” the fall must be thought of as being able to think of “reality”, that meansto think of God and of the fellow man as realities. Man “in” and “after” the fall refers everything to himself, puts himself in the center of the world, does violence to reality, makes himself God, and God and the other man his creatures. He never can get reality back because his thinking

is no longer “in reality”; it remains in the category of pos-

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sibility. But there is no bridge between possibility and reality. Possibility might be conceived of and even proved, reality must be given before and beyond all thinking. Reality is consequently beyond my own self, transcendent—but, again, not logically transcendent, but really transcendent. Reality limits my boundlessness from outside, and this out-

side is no longer intellectually conceivable but only believable. This remains to be explained below. Theology, then, starts with the statement of God and that is its particular right. But that rise to the question: how can theology state God without thinking it? And, if it thinks it,

the reality of at once gives the reality of how can it be

avoided that God should again be pulled into the circle of thought? a genuine Christian The basis

That is the central and most difficult problem of theological epistemology, which springs from the idea of God. of all theology is the fact of faith. Only in the act

of faith as a direct act is God recognized as the reality which is beyond and outside of our thinking, of our whole existence. Theology, then, is the attempt to set forth what is already possessed in the act of faith. Theological thinking is not a

construction a priori, but a posteriori as Karl Barth has maintained. Therefore, it has to be conscious of its limitations. As thinking per se, it is not excepted from the pretension and boundlessness of all thinking. But the property

of theological thinking is that it knows its own insufficiency and its limitations. So it must be its highest concern to guard these limitations and to leave room for the reality

of God, which can never be conceived by theological thinking. That means that there is not one theological sentence

which can presume to speak “truth” unless it refers to the reality of God and the impossibility of embracing this reality in theological sentences. Every theoretical sentence genera-

lizes. But God does not permit of generalization, Because he

the Christian

idea of God

103

is reality, he is absolutely free of all theoretical generalization. Even a sentence like “God is love” is, in the last analysis, not the truth about God, because it is not a matter of

course that by such a sentence I could calculate that God is love. On the contrary, God is wrath as well as love and this we should know also. Therefore every statement concerning God’s essence must contain both of these contradictory aspects in order to give room to the reality of God. This reality, which is said to be transcendent to all thinking, is now to be defined more exactly as “personality.” The

transcendence of God does not mean anything else than that God is personality, provided there is an adequate understanding of the concept of personality. Idealism defines personality as the subjective realization of objective spirit—that is, of absolute spirit. Each personality is constituted by the same spirit, which is, in the last analysis, reason. Each personality is personality in as far as it participates in reason. Thus each one knows the other. Personality is no secret and, therefore, another personality is no real limit for me because, in the last analysis, I have at my disposal the spirit of reason, as does also the other person.

For Christian thought, personality is the last limit of thinking and the ultimate reality. Only personality can limit me, because the other personality has itsown demandsand claims, its own law and will, which are different from mine and which I cannot overcome as such. Personality is free and does not enter the general laws of my thinking. God as the absolutely free personality is therefore absolutely transcendent. Consequently I cannot talk about him in general terms; he

is always free and beyond these terms. The only task of my theological thinking must be to make room for the transcendent personality of God in every sentence. Only when he himself vouchsafes a human word, whenever and wherever he pleases, is my word “about” God to be accepted as truth—

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that means, only then is my word God’s own word. But the question is, where does God speak? Where can I find his in-

accessible reality which is so entirely hidden from my thinking? How do I know about his being the absolutely transcendent personality? The answer is given and must be given by God himself, in his own word in Jesus Christ, for no one

can answer this question except God himself, in his selfrevelation in history, since none can speak the truth except God. II. God and History

The problem that thus sets itself to us is complicated. We see that there is no other way to talk about God than that God himself speaks his word in his self-revelation. This self-revelation is executed in history. No man can reveal God because God is absolutely free personality. Every human attempt to discover God, to unveil his secret reality, is hopeless because of God’s being personality.

All such attempts remain in the sphere of the idea. Personality as reality is beyond idea. So that even the self-revelation

of personality cannot be executed in the sphere of idea. The idea is in the realm of generality. Personality exists in “once-

ness” because of its freedom. The only place where “onceness’ might occur is history. Therefore, revelation of personality—that is to say, the self-revelation of God—must take place in history if at all. That happened according to the testimony of the Bible and the present Christian church in

the revelation of God in Christ. Godspokehis word in history, yet not only as a doctrine but as the personal revelation of himself. Thus, Christ becomes not the teacher of mankind, the example of religious and moral life for all time, but the

personal revelation,

the personal presence of God in the

world. It is important to point out emphatically that it isnot

the Christian

idea of God

105

Jesus who reveals God to us (that view is the consequence of all theology which is not in the strict sense theology of revelation, and leads to a very confused Christology), but it is God who reveals himself in absolute selfrevelation to man. Since God is accessible only in his selfrevelation, man can find God only in Christ. That does not exclude God’s being elsewhere too, but he cannot and should not be grasped and understood except in Christ. God entered history and no human attempt can grasp him beyond this history. This is

the great stumbling-block for all general religious thinking. God revealed himself in “once-ness” from the year one to

the year thirty in Palestine in Jesus. The main difference between a so-called revelation in the sphere of idea and a revelation in “once-ness” isthat man will always be able to learn a new idea and to fit it into his

system of ideas; but a revelation in “once-ness” in a historical fact, in a historical personality, is an ever new chal-

lenge to man. He cannot overcome it by pulling it into the system which he already had before. That is the reason why

God reveals himself in history: only thus is the freedom of his personality guarded. The revelation in history means revelation in hiddenness; revelation in ideas (principles, values, etc.) means revelation in openness. We are now going to speak about the content of this revelation. Christianity gives us a new conception of history. The idealistic philosophy conceives of history as of the realization of ideas, values, etc. History becomes a “symbol”, transparent to the eternal spirit. The essence of single historical facts is that they mean something general, but not that they

really are something. The seriousness of ontological consideration is weakened through reinterpretation in axiological

judgments. Jesus there becomes the symbol of God’s love, his cross means forgiveness, and in the very moment of knowing

what all that means we could, theoretically, forget forever

106

Arbeiten

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the facts. The fact being only the transient bearer of eternal values and ideas—that is to say, Jesus being only the transient bearer of the general new truth taught by him ac-

cording to the will of God. In short, idealistic philosophy does not take seriously the ontological category in history, which means that it does not take history seriously. This is true, not

only as far as an interpretation of the Christian revelation is concerned,

but likewise

everywhere;

and

it becomes

very

conspicuous in the interpretation of the other man, of the

neighbor, that is, of present history. We cannot pursue this point further here. The fact is that Christianity brings a new interpretation of history. History in its essence does not enter our system of ideas and values. On the contrary, it sets for us our limitations. History in its essence is to be interpreted ontologically. The true attitude of man toward history is not interpretative, but that of refusing or acknowledging, that is to say, deciding. History is the place of decision, nothing else. Decision in its most inward sense is possible only as a decision for or against God.

This decision is executed in facing Christ. Within the world of ideas there is no such thing as decision because I always bear already within myself the possibilities of understanding

these ideas. They fit into my system but they do not touch and challenge my whole existence. Thus, they cannot lead me into the situation of personal decision.

III. TheParadoxical God of the Doctrine of Justification Here the Christian “idea” of God comes to its sharpest issue. The question becomes one of applying this most objective “idea” of God to man— which is absolutely necessary if the

whole treatment is not to remain merely in the metaphysical realm. If God alone can speak truth and I with all my think-

the Christian

idea of God

107

ing remain within my own limitations, not being able to reach God, how can I know anything at all about God? Moreover,

there must be some knowledge of God, if Christianity has a message to bring to the world. The pathway to this knowledge is action. I can know God only if I can effect an act—an act which makes me transcend the limits of myself, which carries me out of the circle of

my self-hood in order to acknowledge the transcendent God. While it is obvious that I myself cannot effect such an act, there is, nevertheless, such an act, which is executed by God himself, and which is called “faith.” In my faith God reveals

himself through Christ in me. In his self-revelation in Jesus Christ he gives himself to be known. In my faith no one speaks other than God, because, if so, it would not be the truth. The word of God spoken to me in the act of my faith

in Christ is God in his revelation as the Holy Spirit. Faith is nothing but the act of receiving this word of God. God remains always and entirely subject, and even the answer of man can never be more than “I believe, help thou mine

unbelief“ (Mk 9, 24). It is just here that the personalities of God and of man come in contact with each other. Here God himself transcends his transcendence, giving himself to man as Holy Spirit. Yet, being personality, he remains in absolute transcendence; the immanence of God means that man hears God’s own word,

which is spoken in absolute self-revelation, always anew. It is not unessential to note that we have been able to conceive of the idea of faith only from the rigorous conception of the self-revelation of God, and this without having touched

on the matter of the content of this revelation. The formal idea of self-revelation has as its counterpart the idea of faith, whatever content the self-revelation may possess. Faith is

primarily directed toward the authority of God, not to the content of his word, whether it be understandable or un-

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understandable. It is the authority that gives weight to the content, not the reverse. In the Christian message, the particular proportion between authority and content is expressed

by saying that the latter is not only an appendix of theformer, but that the content itself is the message of the sole authority of God. Therefore, when we come to interpret the content of the self-revelation of God, we will see that this

content is only the explication of the fact of the absolute self-revelation and authority of God. God entered history in Jesus, and so entirely that he can be recognized in his hiddenness only by faith. God gives an amazing proof of his sole authority in the cross of Christ. In the very same moment when Christ dies upon the cross, the whole world dies in its sinfulness and is condemned. That is the extreme judgment of God upon the world. God himself dies and reveals himself in the death of a man, who is condemned as a sinner. It is precisely this, which is the foolishness of the Christian idea of God, which has been wit-

nessed to by all genuine Christian thinking from Paul, Augustine, Luther, to Kierkegaard and Barth. God is where death and sin are, not where righteousness is. Further, it must be said that the absolute knowledge of the sinfulness of the world or of the single individual person is a judgment of faith. Without faith no one can know what sin is. He will

inevitably confuse sin with moral imperfection, which constitutes a grave misunderstanding. But the cross would not be the revelation of God were it not followed by the resurrection of Christ. With Christ’s death

and resurrection the old world of righteousness is dead. He who is in Christ is a new creature. The resurrection of Christ as well as the resurrection of man was and is conceiv-

able only by faith. God remains in His hiddenness. In Christ all men are either condemned or restored and it is the work of God, the Holy Spirit, to apply this general condition in

the Christian idea of God

109

which all men are, to the single person. The act of application is the act of faith—that is to say, of the faith which believes that God’s word in Christ is valid for itself; or, in other words, the act of justification.

Here the paradoxical essence of God becomes visible to the faith of the Christian believer. Justification is pure self-revelation, pure way of God to man. No religion, no ethics, no metaphysical knowledge may serve man to approach God.

These are all subject to the judgment of God, they are works of man. Only the acknowledgment that God’s word alone helps and that every other attempt is and remains sinful, only by this acknowledgment God is received. And this acknowl-

edgment must be given by God, as the Holy Spirit, as faith. That is the foolishness of the revelation of God and its para-

doxical character—that just there, where the power of man has lapsed entirely, where man knows his own weakness, sinfulness, and consequently the judgment of God upon him, that just there God is already working in grace, that just and exactly there and only there is forgiveness, justification, restoration. There, where man himself no longer sees, God

sees, and Good alone works, in judgment and in grace. There, at the very limits of man, stands God, and when man can do

nothing more, then God does all. The justification of the sinner—this is the self-proof of the sole authority of God. And in this justification man becomes an new personality by faith, and here he recognizes—what he could never before

understand or believe—God as his creator. In the act of justification God reveals himself as the Holy Trinity.

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The Theology of Crisis and its Attitude Toward Philosophy and Science! [Vortrag im Union Theological Seminary 1931] There ist a difference of method, when in examining a candidate one either asks him about things which he probably, will know or finds out the limits of his knowledge by asking him questions which he very likely cannot answer quite as well. The more modern and, for the examinee by far the

more pleasant educational principle at least is the first way of asking. However, Barth today is supposed to be the victim of the other type of examination, and it is not merely his

fault if the result of his examination is not going to be as satisfactory as it could have been. Barth has never prepared himself for an examination in science or in philosophy, but has always prepared himself for a quite different and distinct

field, namely, for Christian theology. That is to say, Barth has been all the time thinking exclusively and intensively about the Aöyos Q&oö, and he found —

perhaps strangely

enough for our all-inclusive and extensive kind of thinking — in this subject such manifold and most important problems, that he did not feel very much attracted by the variety

of countless other problems before he had explored the richness of his proper field of theology in its strict sense. Now theology does not answer every question in the whole world, but since it tries to answer at least one question, namely, the question about God, it takes up a certain attitude towards all other questions. This must be admitted, al-

though it will be seen that the essential possibility of this 1. Übersetzung siehe Seite 531.

the theology

of crisis

111

attitude, as well as its concrete character, is a problem of exceeding difficulty. In order not to confuse your impression,

I will give you in this paper mainly the position of the founder and the most original thinker of the theology of crisis: Karl Barth. The differences between him and Fr. Gogarten and Emil Brunner will be better explained briefly in in the course of the discussion. Since Barth has never published any comprehensive treatment of our problem, we will have to use some single utterances of his and try to show the lines of connection with

his whole thinking, which sometimes Barth himself did not show. Coming to a man like K. Barth after half a year of

consideration of the problem of the relation between cosmology, philosophy and theology!, Iconfessthat I do notseeany

other possible way for you to get into real contact with his thinking than by forgetting at least for this one hour everything you have learned before concerning this problem. We have in Barth’s theology not one of the countless variations of the solution to this problem from the Scholastics via

Kant to Bergson or Dewey, but here we stand on an entirely different and new point of departure of the whole problem. We stand in the tradition of Paul, Luther, Kierkegaard, in

the tradition of genuine Christian thinking. We do injustice to Karl Barth if we take him as a philosopher; he is not and does not claim to be one; he is just a Christian theologian. This at least must be clear, what we intend to be: Christian theologians or philosophers. To be unclear on this point

means that we in any case are not Christian theologians. For the Christian theologian must know the proper and stable

premise of his whole thinking which the philosopher does not recognize: the premise of the revelation of God inChrist, or, on the subjective side, the faith in this revelation. 1. “Seminar in philosophical theology”, zweistündig bei Prof. J. Baillie

durch das ganze Studienjahr 1930/31.

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1930/31

Two questions arise: 1. What is the meaning of the premise according to K. Barth? 2. What makes such a premise necessary? Firstly, the meaning of the proper presupposition of Christian theology is that God entered history in Jesus Christ

and made himself known to the world in this revelation. The word or the will of God — God Himself — was made flesh. But the revelation of God in Christ was a revelation of His judgment as well as of His grace. Christ’s cross is the judgment of God upon the world, Christ’sresurrection isHisgrace. That is to say, the revelation of God in Christ is not a reve-

lation of a new morality, of new ethical values, a revelation of a new imperative, but a revelation of Gods real acting

for mankind in history, a revelation of a new indicative. It is not a new ’you ought‘ but ’you are‘. In other words the revelation of God is executed not in the realm of ideas,

but in the realm of reality. The importance of this difference will be explained later. The fact that God Himself comes into

the world convinces the world of the impossibility of its coming to God by itself; the fact that God’s way in the world leads to the cross, that Christ must die condemned as a sinner

on the cross, convinces the world that the impossibility of its coming to God is its condemnation, fact of Christ’s resurrection proves God is righteous and powerful, that by an act of His will alonethe world

its sin and its guilt. The to the world that only the last word is His, that can be renewed. Finally,

the fact that the Holy Spirit still comes to man and moves men’s hearts with the message of Christ’s death and resurrec-

tion convinces the world that God is still God and the world still the world, that God’s word in Christ is God’s word

forever. In short, the fact of God’s coming into the world in Christ, makes the world see that here in the life of Jesus of

Nazareth God is acting towards mankind in an eternal way, that through His life the decision is taken about the world and that in this decision God does everything, man nothing.

the theology: of crisis

113

Yet it is exactly the fact that God really entered history

which makes Him invisible for human eyes. If the revelation were a revelation of new ideas, new moral imperatives, then it would be a revelation which everybody could recognize as such by virtue of his own ideal or ethical presuppositions.

Then it would have its place in the world of general truth, which is selfevident for the human mind by its generality.

This is the conception of revelation in other religions and in our modern liberal thought. The objects of revelation are ideas which are supposed to be compatible with our deepest

essence, to the good in man. The Christian idea of revelation is the strict opposite of this view; it is revelation not in ideas, but in historical facts; not in imperatives, but in indicatives; not in generality, but in once-ness. It is revelation because it is not compatible with our own deepest essence, but entirely beyond our whole existence, for would it otherwise have had to be revealed, if it had been potentially in us before? The fact of God’s incarnation in Christ, the fact

of Christ’s suffering and death and the fact of His resurrection are the revelation of God. But, of course, who is willing to see in these facts God’s

word? Who is not offended by the foolishness of such a claim? God revealed in the poor life of a suffering man; God revealed on the cross; God revealed in the depth of history, in sin and death; — is this a message worth hearing by a wise

man, whoreally would beable to invent a nobler and prouder God? Karl Barth finds the Bible full of the testimony of the awkwardness and foolishness of God’s revelation. “Blessed is he, whosoever shall not be offended in me”, says Jesus; and Paul: “The cross to them is foolishness... It pleased God by the foolishness of preaching to save them that be-

lieve... We preach Christ crucified, unto the Jews a stumbling-block and unto the Greeks foolishness... The foolishness of God is wiser than men, and the weakness of God is

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1930/31

stronger than men... God has chosen the foolish things of the world...that no flesh should glory in his presence.“ Mel. 1No: 2a Korle

All that means that God’s revelation in Christ is revelation in concealment, secrecy. All other so-called revelation is revelation in openness. But who, then, can see the revelation in concealment? Nobody but those to whom God Himself

reveals this most secret mystery of His revelation in weakness. Nobody but those to whom God gives the faith, which is not offended, but which sees God’s judgment and grace in the midst of human weakness, sin and death, where other-

wise man can see only godlessness; faith which sees God coming most closely to man where a man hanging on the cross

dies in despair with the loud cry: “my God, my God, why hast Thou forsaken stood over against gave up the ghost, God.” Mk 15, 39.

me?“ Mk 15, 34. And the centurion, who Him and saw that He so cried out and said: “Truly this man was the Son of This is the real world of biblical faith,

which sees God’s work not on the top, but in the depth of mankind. And because faith sees God in Christ, it sees God, the same God of Christ, in man’s own life, in man’s

own sin, weakness and death as judgment and as grace. It is God’s own work that lets man see into these secrets of His revelation; as Christ says to Peter after his confession: “Flesh and blood hath not revealed it unto thee, but my Father which is in points back to God’s He comes where He ever He pleases. For

heaven.” Mt 16, 17. So everything own decree, to His free predestination. wants to come, and He renounces whenHe is unconditioned and free.

This is the way Barth tries to make living the world of biblical thinking. He sees that everything in the Bible refers to God’s sole truth, righteousness, freedom, judgment, grace. This precisely is the logic of the Bible, God’s coming which

destroys all human attempts to come, which condemns all

the theology of crisis

115

morality and religion, by means of which man tries to make superfluous God’s revelation. God’s sole truth and word,

which has to be spoken anew again and again, God coming not to the most seriously moral and pious group of Pharisees and Scribes, but to those who were entangled in public sin. “Verily I say unto you, that the publicans and harlots go into the Kingdom of God before you.“ Mt 21, 31. Here all human

order and ranking is subverted, for God’s new order has been established, which is contrary to and beyond all human understanding. It convicts man of his godlessness in his bad and his good

deeds. God’s coming in Christ is the proof by God Himself that man cannot come to God; that is to say, God’s coming

in Christ must be the judgment upon mankind; in other words, it shows to man his limitations which lie exactly there where God’s work begins. Therefore, God’s work with man does not begin as a continuation and perfection of man’s highest, although, as every decent man will admit, imperfect enterprises, such as religion and morality, but on thecontrary,

it begins as the irrefragable limitation of man. It begins at man’s limits, that is-to say, in sin and death. This act of limiting man is God’s judgment and grace in one. Thelimitedman is the judged man, and at the same time the limited man who gives all righteousness and glory to God is thus justified by God’s work and grace alone. The acknowledgment of one’s limits before God is faith, not as a possible act of man, but only as an act of God, who sets and shows these limitsto man. This is the message of justification by grace or by faith alone.

But the revelation of God in the justification by faith and grace implies that man’s continuity is always continuity in sin, that he by himself can never get outside of the circle of sin. Otherwise grace would not be grace and justification would not be necessary. Revelation in Christ, justification,

means breaking through the circle of sin. Thus God’s first

116

Arbeiten im Union Theological Seminary

1930/31

word is the radical breaking of all continuity with man in His radical judgment upon man as sinner, and His act of grace is the creation of a new man, with whom God remains in continuity. Since only the revelation in Christ claims to constitute the real outside of man, it implies that it is the

only criterion of any revelation. Since this claim puts itself essentially beyond all proof, it demands to be taken as a

presupposition of thinking or to be refused altogether. It is perhaps too obvious to mention that as a consequence of this notion of revelation the question of grounds for beliefinGod is superfluous, because it involves a contradiction. For what better ground does one need, and is possible, than God’s

word itself? Any theology that is ashamed of this petitio principii cannot escape being ashamed of Him who gives it whatever meaning it possesses. Herewith I think we have the chief presuppositions which are indispensible for an understanding of Barth’s attitude to-

wards all other problems. The category which Barth tries to introduce into theology in its strict sense and which is so

refractory to all general thinking and especially religious thinking is the category of theword of God, of the revelation straight from above, from outside of man, according to the justification of the sinner by grace. Theology is the scientific consideration of this category. But exactly here the difficulty comes in. Scientific consideration is based upon general, formal presuppositions of thinking. Since these presupposi-

tions cannot be taken from the object of theological thinking — just because it never actually becomes an object, but always remains subject—and since, on the other hand, they must be

taken from this subject-object, if they are to be at all adequate, the deepest contradiction in the task of theology be-

comes obvious. It is, in the final analysis, the great antithesis of the word of God and the word of man, of grace and religion, of a pure Christian category and a general religious

the theology

of crisis

117

category, of reality and interpretation. In every theological statement we cannot but use certain general forms of thinking. Theology has these forms in common with philosophy. Thus our next problem will be to consider the relation be-

tween theology and philosophy with regard to the use of forms of general philosophical thinking in theology.

Let us take the following example. Theological thinking which is based upon the general notion of substance and accidence (and it seems to me that our Western thinking at

least will never be able to overcome completely this basic presupposition

for this, if for no other reason,

namely:

the grammatical construction of our languages) — this type of thinking, I say, will conceive of sin, for instance, as sub-

stance in man or as accidens. Both in their pure form seemed inadequate to express to orthodox dogmatics the notion of sin. The consequence is eitherto expressthe real fact of sin in rather contradictory terms of the type of substantial thinking as it

was done after the famous struggle with Flacius Illyricus by orthodox proponents, or to look for different presupposi-

tional forms of thinking—for example, for a dynamic voluntaristic thinking, if that can be considered as a genuine form of thinking at all. The history of theology is to a large extent a permanent seeking for more adequate forms of thinking in order to express the facts of the revelation. T'wo great

Christian Churches have definitely settled their forms of thinking in a long history of exceedingly keen and serious

thinking; both of them are based upon the scheme of substance and accidence, theGreek Church more in thePlatonic,

the Roman Church more in the Aristotelian interpretation. (Quite recently, it seems that a movement in the Benedictine order is trying to modify this old form of thinking; this becomes specially obvious in the modern Catholic theories of the sacrifice in the Holy Communion.) Luther recognized the insufficiency of the scholastic form

118

Arbeiten im Union Theological Seminary

1930/31

of thinking for an interpretation of the facts of revelation. He sees in the notion of substance a great danger in making revelation static and depriving it of its actual livingness. Lu-

ther sees this static character attributed to grace in the Catholic Church, which gives grace into the disposal of man. Thus the whole misinterpretation of the doctrine of justification in the Catholic Church is deeply connected with this basic presuppositional form of thinking. Luther himself has

not developed his own philosophical terminology. Without doubt his form of thought is essentially dynamic-volunta-

ristic, herewith accepting a tradition which came to him from Paul via Augustine and the mystics. Yet very often he himself falls back into the substantial form of thinking (for

example, in his christology). And it must be confessed even now that Protestantism lacks its own proper philosophical terminology.

Orthodox Protestantism took up the old substantial form of thinking, and it was Kant who showed its impossibility and substituted for it a transcendental philosophy. Theological language from the 19th century until our present day has been based not so much upon Kant as upon idealistic philosophy, even where the respective theologians were not con-

scious of the fact. Ritschl, on whose theology I was brought up in Berlin, could not succeed in his attempt to free theology

from the wrong metaphysical premises because he had not thought out the Christian

category

of revelation — as it

becomes obvious in his christology, his doctrine of sin and of justification. There is finally a realistic philosophy which could offer its services to theology. Now Karl Barth is faced with this situation when he looks for a philosophical terminology for his theology. He is well aware of the fact, though, that in

accepting a certain philosophical terminology theology becomes indissolubly connected with a whole philosophy. In his

the theology

of crisis

119

Römerbrief and his later writings Barth uses the philosophical terminology of Kant and the Neokantians in Marburg, and he is conscious of this fact. Like everything inBarth’s thought, this also is in the closest connection with the doctrine of justi-

fication by faith and by grace alone. But we shall have to explain that. Three questions have to be answered: 1. What is for Barth the task of philosophy in general? 2. What kind of philosophy is adequate for the Christian idea of justification by faith? 3. What is true philosophy from a theological point of view? 1. The task of philosophy has always been an interpretation of the general principles of the universe according to some principles which have been considered as true. Philosophical interpretation claims to be true, even if it is sceptical. More accurately: the predicate “true” can essentially be referred only totheinterpretation,and all philosophy is interpretation,

whether it is idealistic or realistic. The statement: here is a table, is by no means self-interpretive for philosophical thinking. What does“ here”, what does “is”, what does “table” mean? Idealism, as well as critical realism and even behaviorism as I understand it, recognizes that only „naive realism“ tries to ignore the complexity of the problem and

can hardly be considered a philosophical position. But even critical realism still has to prove its logical consistency over

against the super-logical rights of idealism. As long as philosophy has to do with the sheer question of truth and not with some

arbitrary statements,

logical consistency is an

essential predication of every relevant philosophy. Barth’s theology from the very beginning was connected with an energetic attack against idealism. not only a reflecting, but even a world itself. The ego stands in the is created, ruled, overpowered by

Here the ego is found as creative ego. It creates its center of the world, which the ego. The identification

of the ego with the ground of everything which has been

120

Arbeiten

im Union

Theological

Seminary

1930/31

called God is inevitable. There are no limits for the ego; its power and its claim are boundless; it is its own standard. Here all transcendence is pulled into the circle of the creative ego (which of course must not be confused with the empirical ego).Man knows himself immediately by the act of

the coming of the ego to itself, and knows through himself essentially everything, even God. God is in man; God is man himself. Barth and his friends discovered in this philosophy the most radical, most honest and most consistent expression of the philosophical enterprise as such. Although realism claims to leave room for transcendent reality, it still owes us the proof, which of course it never

will be able to bring, that its definition of reality is not its own interpretation of it. As long as realism fails here, transcendent reality has to be referred to the interpreting ego,

which constitutes reality and which, even though it denies it, remains the center of reality. The ego knows reality and it knows itself. It is essentially autonomous. At the basis of all thinking lies the necessity of a system. Thinking is essentially systematic thinking, because it rests upon itself, it is the last ground and criterion of itself. System means the interpreta-

tion of the whole through the one which is its ground and its center, the thinking ego. Idealism saw and affırmed this

as the proof of the autonomy and the freedom of man. Realism tries to escape this consequence and fails. There is only one philosophy which recognizes this fact and states it as the definite and essential limit of man, This according to Barth and his friends is the essence of the Kantian philosophy. (It should be strictly noted that Barth and his friends do not

care here so much for a complete presentation of the manifold sides of Kant’s philosophy, but rather they try to pick out what seems to them the most important trend in Kant’s thought.) Kant did not want to be called an idealist nor a

dogmatist; he considers both positions equally untenable.

the theology

of crisis

121

His philosophy is critical philosophy or transcendental philosophy. “Transcendental” means for Kant, as it has been clearly shown by Knittermeyer and others, not involving

transcendence, but referring to transcendence. Thinking is not an act which ever involves transcendence, but refers to it. The transcendence itself does not enter thinking. The ego

never knows itself in coming to itself, but it always remains transcendent to itself because it never is static-objective, but

always acting. Likewise, thinking does not reach the transcendence of the object, but is always directed to it, because

transcendence can never be “object”. This is the deep meaning of the “Ding an sich” and the transcendental apperception for Kant. Thinking is limited and put into the midst between two transcendences, to which it refers, but which always remain transcendent. In the very moment when the

idealists pushed away the “Ding an sich”, Kant’s critical philosophy wasdestroyed. The philosophy of the pure act turned out to be a new ontology, a fact which Hegel clearly recognized. Kant had tried to limit human thinking in order to establish it anew. But Hegel saw that limits can only be set from beyond these limits. This means, applied to Kant, that his attempt to limit reason by reason presupposes that

reason must have already passed beyond the limits before it sets them. So Kant’s critical philosophy presents itself as the

attempt of man to set up limits for himself in order to avoid the boundlessness of his claim, but the fact is that thinking never can limit itself. In limiting itself it establishes itself. Thinking as such is boundless; it pulls all transcendent reality into its circle.

The last consequence of this knowledge has been drawn by E. Grisebach (and from another side by M. Heidegger). Grisebach’s question is the question of reality. He sees that thinking, as essentially systematic thinking, does violence to reality in pulling it into the circle of egocentricity. Syste-

122

Arbeiten im Union Theological Seminary

1930/31

matic thinking remains far from reality. Reality is given only in the concrete situation of the ethical meeting of man

with man. Thus thinking has to remove itself in order to give room to reality. Grisebach’s philosophy is the ultimate pos-

sible critique of thinking toward itself, but even here thinking remains dominant and constitutive of theworldofreality.

For the limit of thinking is a thought limit. This is the inevitable circle of all philosophy. Here at the limits, where philosophy tries to remove itself and cannot but establish itself, and where philosophy comes to its own crisis, here we are ready for our second question, namely, what philosophical terminology could be adequate for a theology of revela-

tion, of justification by faith, for the theology of Barth? 2. Barth sees in the essential boundlessness of thinking, in its claim to be a closed system, in its egocentricity, a phi-

losophical affırmation of the theological insight of the Reformers,

which

they expressed in terms

of cor curvum

in

se, corruptio mentis. Man in status corruptionis is indeed alone, he is his own creator and lord, he is indeed the center of his world of sin. He made himself God and God his creature. The fact that the basic question of philosophy necessarily leads into this situation proves the deepest godlessness of man, even in his profoundest philosophical ideas of God. Man remains with himself in his thinking no less than in his ethical and religious attempts. The world of man is the

world of egocentricity, of godlessness. Thefactthat philosophy essentially gives its sanction to this situation of making man inevitably the God of his world, even if it denies it, shows

the impossibility for philosophy to interpret the situation rightly. It shows philosophy aswellto be the most dangerous grasping after God, in order to be like God, and thus to justifiy man by his own power—that is in goldlessness. We ask: can man then do anything in order to overcome this fatal situation? Kant still believed that critical philosophy

the theology

of crisis

123

could make room for faith by means of limiting reason by reason. But he failed. Barth sees there is no way out. Man

must die in his sin in spite of philosophy. He must remain alone in his overpowered and misinterpreted world. But now

the Christian message comes: entirely from outside of the world of sin God Himself came in Jesus Christ. As the Holy Ghost He breaks into the circle of man, not as a new idea, a new value by virtue of which man could save himself. But in concreteness as judgment and forgiveness of sin, the promise of eschatological salvation. God makes Himself known

to man who is a sinner in his whole existence. The whole existence of man in his egocentric world has to be shaken before man can see God as really outside of himself. Therefore there is no spectator-knowledge of God but only man in the act of despair of himself can know God by

faith. Idealistic and realistic philosophy fail to give the terms for describing these facts. And yet Barth discovers in both of them elements which could be used by theology. Idealism sees God as eternal subject, realism sees reality

as transcendent object. Barth can express his idea of the transcendent God in terms of God’s essential subjectivity and his idea of God’s coming to man in history in terms of God’s most objective reality. But he knows that both these terms are essentially inadequate, since they derive from a godless

philosophy. Barth’s own writings are based upon a Kantian terminology. Here he finds expressed the critique of thinking upon thinking; here he sees man considered not in his full possession of transcendence, but in the eternal act of referring to transcendence, man not in boundlessness, but in limi-

tation. Although Barth knows that even this philosophy remains in boundlessness, he sees here the attempt of philosophy to criticize itself basically and takes from here the terminology in order to express the eternal crisis of man, which is brought upon him by God in Christ and which is

124

Arbeiten im Union Theological Seminary

1930/31

beyond all philosophical grasp. Barth sees that there is no Christian philosophy nor philosophical terminology at all. So he can say it does not make very much difference what

philosophy a theologian has, but everything depends on how strongly he keeps his eyes on the category of the word of God, on the fact of revelation, of justification by faith. 3. Now our third question can be answered: what according

to Barth and his friends ought to be the task of philosophy? Barth himself has not answered this question sufficiently, but his friends have thought a great deal about the problem. Philosophy remains profane science; there is no Christian

philosophy. But philosophy has to be critical philosophy, not systematic. And yet since even critical philosophy is bound to be systematic (as we have seen before), philosophy must

work in view of this fate. It must try to think truth with regard to the real existence of man and must see that it is itself an expression of the real existence of man and that by

its own power it not only cannot save man, but it cannot even be the crisis of man. By doing so it gives room, as far as it can, for God’s revelation, which indeed makes room for itself by itself. The deepest antinomy seems to me to be the

antinomy between pure act and reflection—as the old dogmatics said, actus directus and reflectus. God is known only in the pure act of referring to God. Theology and philosophy are executed in reflection, into which God does not enter. Phi-

losophy essentially remains in reflection; man knows himself and God only in reflection. Theology at least knows of an act of God, which tears man out of this reflection in an actus

directus toward God. Here man knows himself and God not by looking into himself, but by looking to the word of God, which tells him that he is sinner and justified, which he never could understand before. So as Luther said; pecca fortiter,

sed crede fortius, Barth could say: reflecte fortiter, sed crede fortius.

the theology

of crisis

Not very much has to be added concerning science.

125

As

far as science is a discovery of happening facts, theology is not touched (because theology is concerned only with a

\. certain interpretation of facts). If science itself gives its own interpretation of the world, then it belongs to philosophy and is subjected to the critique of theology. The attempt of cosmology, that is, of a genetical interpretation of the world on the basis of natural science, can never reach beyond the

limits of human thinking. Cosmology may come to the assumption of a last ground of the world and may call that “God”; all we can say in the name of Christian theology is

that this God is not the God of revelation and not the creator. Two reasons are to be given in the first place, I do not know God as creator without the revelation in Christ. God’s being the creator means being the judge and the savior too; and

I know all that only in Christ. In the second place, creation means creation by absolute freedom, creation out of nothing. So the relationship of God to the world is completely free.

It has been set and is always set anew (“creatio continua””) by God. This God is not the first cause, the ultimate ground of the world, but its free Lord and creator. As such He is not to be discovered by any cosmologist, but He reveals Himself

in sovereign freedom wherever and whenever He wants. The world is fallen away from God. Therefore it is the world of

sin and evil and death. No human attempt can unify what has been broken asunder, no thinking, no moral action, no

religion. Only an act of God Himself can do what no man can do. God has unified the broken and contradictory world. In Christ death and evil and sin are overcome by an act of God visible for faith. At the end of everything God will show His power over death and sin to everybody. He will

solve this problem of death and evil and sin by an act of His power.

Our thinking in terms of a theodicy tries to justify God in

126

Arbeiten im Union Theological Seminary

1930/31

the world. But for Christian thinking God justifies the world, and that has been done in Christ. Thus only through Christ do we see the creator and the preserver and the Lord of the world and in the world. Only through Christ do we see the world in God’s hands. Away from Christ we live in our own overpowered and egocentric world, which is not the world

of God. Here at the end we stand again where we stood in the beginning, and that cannot be otherwise. For everything is included in God’s revelation in Christ, in the justification of

the sinner by faith and grace alone. And must not the solution of everything be there, where God Himself is? In the following discussion we shall not be able to do justice to Barth if we do not refer every thought to its theological

premise of the justification by faith.

IVSBESPREGHUNGEN

William James “Varieties of religious experiences”, chapter XX! [Union Theological Seminary 1931]

In the last chapter of his great and extensive study on the varieties of religious experience William James gives a short summary and draws his systematic conclusions. Having seen the enormous richness, manifoldness and efficiency of religious experience James cannot but try to fit that in into his own world view. It is for his whole way of thinking impos-

sible that a complex of experience with such farreaching importance should not have some definite right and meaning. In order to find out the right interpretation of this fact James abstracts the most general religious ideas from their accidental content and sums them up as follows 1. First idea: that the visible world is a part of a more spiritual

universe, 2. that union with that higher universe is true, 3. that prayer is a process wherein work is really done. These beliefs are accompanied by the following psycholo-

gical characteristics: 1. a new zest which adds itself like a gift to life, 2. an assurance of safety and a temper of peace. After a short statement about the necessity of many religious types James takes up the question as to whether

religion is only a survival of primitive thought and whether now science takes its place. James denies that in explaining that science deals only with general ideas and abstractions

leaving out the concrete individual experience. Science is 1. Übersetzung siehe Seite 547.

128

Besprechungen.

1930—1932

impersonal, religion personal. Here religion holds its place, and goes deeper than science does, because it is based on the feeling of man; and “the recesses of feeling are the only places in the world in which we catch real fact in the making”. Therefore religion must play an eternal part in human history. Now James goes on and distinguishes a

subjective right of religion and an objektive right of religion. He states that subjectively the religious man has enough if he can use his God, if God works for him, so that he does not question his real existence anymore. But only this question would answer exactly the problem of the objektive right of

religion. James undertakes the answering of this most important question in two steps: First, is there

a common nu-

cleus of all religions? Second, is the unanimous testimony of religion

true?

In the first place James

reduces

religion

to two most general experiences: 1. a feeling of uneasiness, 2. its solution, its deliverance. The second experience James

describes as follows: man becomes conscious that his higher part is continuous with a more of the same quality which is operative in the universe outside of him. “Now the question arises: what is the objective truth of this feeling of something ‘more’...”? Here James introduces the subconscious self as a

mediating term between science and religion. Herewith the contact with science is preserved and also an explanation and a justification is given of the religious experience of a reality outside of one’s self. It is a fact that the

conscious person is continuous with a wider self through which saving experiences come. After the statement of this minimum of religious truth, James gives what he calls his own overbelief, that is a belief which is not scientifically

justifiable. He holds that the most interesting and valuable thing about a man is usually his overbeliefs, though he is afraid that most of the readers will consider his overbelief a sorry underbelief. Then he gives his idea of a great con-

James,

Varieties

of religious

experience

129

sciousness in which we all have our ground from which our ideal impulses come, and calls this being which proves himself real by his action God. “We and God have business

with each other” “Where God is, tragedy is only provisional and partial”. His God is not omnipotent neither is he a mere idea, he is an effective power in the world and only this justifies religion. The last proof of God’s objective existence lies in his activity, a world with God is indeed an-

other world than a world without God. In his very strange postscript James confesses his belief in a certain kind of polytheism and in what he calls a piecemeal supranaturalism. This is understandable only as a re-

ligious consequence of his philosophical pluralism. Critical questions: 1. it is not true to say that the religious individual does not care as much about the reality as about

the efficiency of God. The reality of God is of course for most religious people not a philosophical question but a basic

conviction. 2. Concerning the term ‘subconsciousness’ we must ask if subcensciousness is to be satisfactory for the religious experience of the outside, then it must be considered really outside of the individual person. But if it is not really outside then the religious experience of the outside is an illusion; if it is really outside then the term subconsciousness

seems to be misleading, and. we must ask why we do not say: God; which would of course show that the apparent contact with science is illusive. So it seems to me not be

possible to find a mediating term between science.

religion and

130

Friedrich

Besprechungen.

Parpert AD

1930—1932

Mönchtum

und

die evangelische

Kirche. Ein Beitrag zur Ausscheidung des Mönchtums der evangelischen Soziologie“, München 1930

aus

Linien, die vom frühen Mönchtum über die häretische Sekte

des Waldus und den von ihr weniger durch ihre sachlichen Intentionen als durch autoritativen kirchlichen Machtspruch

unterschiedenen Orden des hl. Franz hin zu Luthers Mönchszeit und von hier über die Wiedertäufer zur protestantischen Sektenbildung führen, werden vom Verf. ausgezogen. Parpert

tut einleuchtend dar, daß und in welchem Sinne die prote-

stantische

Sekte

eine

Parallelerscheinung

zum

römischen

Mönchtum ist. Luther, dem die persönliche und grundsätzliche Loslösung vom Kloster schwer geworden war, griff, als er seine neue Kirche allen monastischen Ideen entfremdet sah, selbst nach all dem echten Gut, das er unter den Trümmern der Klöster verschüttet glaubte; er nahm die lebendigen Motive, die dereinst zum Mönchtum

geführt hatten, auf

und schrieb in seiner Vorrede zur Deutschen Messe über die

Bildung von innerkirchlichen Gemeinden solcher, die „mit Ernst Christen sein wollten“. Luther korrigiert sich selbst,

sein Kampf gegen das Kloster ist letztlich doch nicht grundsätzlicher Art. Jedoch es gelingt Luther nicht, in die Ge-

meinschaftsstruktur der evangelischen Kirche die mönchische Gemeinschaft hineinzubauen, so entsteht neben der Kirche

die Sekte. Nahe liegt nun für den Verf. die Erwägung, ob der Sekte wohl wirksam begegnet werden könnte, wenn es

gelänge, ein evangelisches Mönchtum zu bilden. Die Frage, was evangelisches Mönchtum theologisch-soziolo-

gisch bedeuten könnte, bleibt vom Verf. wesentlich uner-

örtert, und das darum, weil auch der Begriff des Mönchtums

Parpert,

Mönchtum

und

evangelische

Kirche

131

letztlich unbestimmt bleibt, was selbst wieder seinen Grund darin hat, daß durchaus unklar bleibt, was unter „evangelischer Soziologie“ hier verstanden ist. Der Untertitel des Buches läßt den Begriff der Soziologie im Sinne von „sozia-

ler Struktur“ oder Gemeinschaft selbst erscheinen (vgl. hierzu auch S.56,65,70), wohingegen Soziologie doch offenbar etwas wie die Wissenschaft —

und zwar eine systematisch-eigen-

ständige, nicht ein Appendix der Historie — vom Wesen sozialer Strukturen ist, „evangelischeSoziologie“ also dietheologisch-systematische Erforschung des Wesens evangelischer Gemeinschaft bedeuten sollte. Ist das erkannt, so sind zum Verständnis sozialer Phänomene innerhalb der christlichen

Kirche echte theologische Begriffe in Anwendung zu bringen. Zum Verständnis des Phänomens des Mönchtums und der Sekte aber müßte hier entscheidend der theologische Begriff

des Gesetzes soziologisch ausgewertet werden. Unter diese Kategorie fällt alles, was der Verf. mit E. Troeltsch u. a. über

den Freiwilligkeitscharakter, über die Askese usw. in Mönchtum und Sekte sagt. Einer Soziologie des Gesetzes, die an den genannten Phänomenen durchzuführen wäre, müßte eine Soziologie des Evangeliums oder des Glaubens gegenübergestellt werden, und hier würde dann die Unvollziehbarkeit eines Begriffes wie des evangelischen Mönchtums m. E. systematisch dargetan werden können. Fruchtbarkeit der Einsamkeit, von der der Verf. spricht, hat mit Mönchtum in seiner wesenhaften soziologischen Bestimmtheit nichts zu tun. „Evangelisches Mönchtum“ wäre wesenhaft kein Mönchtum mehr. Askese des Glaubens, die den ganzen Menschen immer wieder sterben läßt, und Askese des Gesetzes, die den Menschen vor Gott ins Recht setzen will, nicht außer- und innerweltliche Askese, Freiheit des Glaubens und Unfreiheit des

Gesetzes, nicht Freiwilligkeitscharakter eines religiösen Vereins usw., Einsamkeit des Glaubens in der Gemeinde und Individualismus des Gesetzes, das wären die echt theologisch-

132

Besprechungen.

1930—1932

soziologischen Begriffe zur Behandlung

des vorliegenden

Problems im Sinne „evangelischer Soziologie“. Der Verf. faßt sein Thema wesentlich historisch an und führt den Leser

bis zu den wirklichen Fragen der Gegenwart, die freilich selbst, wie mir scheint, mit den Begriffen einer historisch-

genetischen Soziologie — im Sinne etwa Troeltschs — nicht mehr beantwortet werden können.

Cordes „Der Gemeinschaftsbegriff im deutschen Katholizis-

mus und Protestantismus der Gegenwart“, Leipzig 1931. Aus dem gegenwärtigen Katholizismus und Protestantismus werden einige typische Erscheinungen herausgegriffen, die geeignet erscheinen, den Unterschied von katholischem und

protestantischem Gemeinschaftsbegriff zu illustrieren. (1. der

traditionelle Katholizismus, 2. der Volksverein für das katholische Deutschland, 3. R. Guardini; demgegenüber 1. die Theologie der Krisis, 2. Stange, 3. Heitmann, 4. Gutmann).

In knappster Form gelangen sie zu klarer, allgemeinverständlicher Darstellung. Daß der Theologie der Krisis in dieser Kürze volle Gerechtigkeit widerfährt, kann man kaum erwarten; auch darf die fundamentale Arbeit, die hier von Go-

garten getan ist, wirklich nicht einfach ignoriert werden. Im zweiten Teil werden die beschriebenen Typen im Zusammen-

hang ihrer Konfession verständlich gemacht und in ihrer Neuartigkeit und Eigentümlichkeit herausgearbeitet. Für den Gemeinschaftsbegriff des Volksvereins und R. Guardinis er-

scheint als charakteristisch eine Vorordnung des Interesses an der Gemeinschaft gegenüber dem an der Anstalt, wobei communio sanctorum untraditionell als die Gemeinschaft un-

ter den Gliedern der Kirche auf Erden verstanden wird; fer-

Cordes,

Der

Gemeinschaftsbegriff

133

ner sieht man hier wieder deutlicher die geistige Seite der Sozialität des Menschen. Im Protestantismus soll das „Kriegs-

erlebnis“ eine entscheidende Wendung herbeigeführt haben. Dafür werden Althaus, die Theologie der Krisis und die Heitmannsche Einstellung angeführt. Auch das Organisationsproblem hat einen neuen Anstoß erhalten. Hier wäre wohl die Stelle gewesen, die gegenwärtigen Gemeinschaftsbegriffe an Luthers Kirchenbegriff zu messen und zu kritisieren. Das hätte mehr systematische Klarheit gebracht über das, was nun eigentlich wesenhaft christliche Gemeinschaft ist, d. h. darüber, „wo heute mit sachlichem Recht von Gemeinschaft gesprochen wird“. Im dritten Teil folgt schließlich die sy-

stematische Einordnung in die konfessionelle Dogmatik. Der konfessionelle Gegensatz wird formuliert als der eines verschiedenen Gnadenbegriffs; die katholische Auffassung der Gnade als Übernatur soll unmittelbar zum Anstaltsbegriff, die protestantische Auffassung der Gnade, „über die keine

irdische Größe verfügt“, zum Gemeinschaftsbegriff führen. Wüßte man hier, was klar begrifflich unter Gemeinschaft zu verstehen sei, so würde diese Herleitung vom Gnadenbegriff wesentlich einleuchtender sein können, als sie hier ist. Das Fehlen eigentlich systematischer Klärung des Gemeinschaftsbegriffes hängt wohl auch damit zusammen, daß auf die syst.theologische Debatte über den Gemeinschaftsbegriff fast garnicht Bezug genommen ist, statt dessen aber auf kirchliche „Bewegungen“. Im Hinblick hierauf erscheint freilich der

Titel des Buches als zu weit gefaßt. Interessant exemplifiziert der Verf. auf seine Auffassung der konfessionellen Dif-

ferenzen mit einer Gegenüberstellung von Guardini und Heitmann, dem Volksverein und Gutmann. Mit einem kurzen Ausblick auf die konfessionell bedingte Stellung zur außer-

kirchlichen Gesellschaftsordnung schließt die Untersuchung, die in ihrer Kürze und Übersichtlichkeit eine willkommene und schöne Einführung in die gegenwärtige Problemlage ist.

134

Besprechungen.

1930—1932

Jelke, „Vernunft und Offenbarung“, Gütersloh 1932

„Das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung ist material ein exklusives“ (103). Das ist die These dieser Arbeit. Der

Verf. beruft sich für sie auf Luther und zeigt in einem historischen Teil, wie vor Luther der materiale Gebrauch der Vernunft für das Offenbarungserkennen als durchaus zulässig galt, wie dann Luther das ursprüngliche Verständnis der Offenbarung in ihrem exklusiv materialen Verhältnis zur Vernunft wieder entdeckte und wie schon mit Melanchthon der Abfall von Luther einsetzt und wiederum der materiale

Gebrauch der Vernunft den Offenbarungsbegriff verdirbt. Das wird bis in die Theologie der Gegenwart durchgeführt

und die gesamte sog. dialektische Theologie wird mit dem Vorwurf behaftet, sie „arbeite mit dem materialen Denken“

(95). „Hier ist die Gottes- und Offenbarungserkenntnis nichts

anderes als reine Vernunfterkenntnis. Hier steht nicht Gott im Zentrum, sondern der Mensch“ (45). Die Theologie stehe ja hier auf dem Grunde einer Existenzphilosophie, daher versuche man auch, „die Vernunfttranszendenz der Offen-

barung vernunftmäßig zu erweisen“ (65), womit man sowohl der Offenbarung wie der Vernunft zu nahe trete. Die Paradoxie, daß Gottes „Offenbarung ganz Gottes Werk und doch zugleich menschliches Erkennen“ (99) sei, werde also von den

Dialektikern nicht gelöst oder begriffen. Hier herrsche die Vernunft über die Offenbarung, und zwar darum, weil man nicht zwischen der formalen und der materialen Vernunft

zu unterscheiden vermöge. Dieser Unterscheidung aber bedürfe man unbedingt, „wenn das Problem Vernunft und Offenbarung eine einwandfreie Lösung erhalten soll“ (96). Es ist zwar etwas anderes, ob man das Problem Vernunft

Jelke,

Vernunft

und

Offenbarung

135

und Offenbarung versteht als das Problem von Philosophie und Theologie, oder als das von Theologie und Glauben, oder als das von Erkennen und Glauben, und diese Fragen wären an sich streng zu scheiden; da aber eine solche oder ähnliche Unterscheidung hier nicht vorliegt, muß angenommen wer-

den, daß sich die vorgeschlagene Lösung auf alle drei Fragen

beziehen soll. Dies ist im Auge zu behalten. Der zweite systematische Teil der Arbeit soll der Durchführung der These gelten. In einer Erörterung über das Wesen der Vernunft wird als das Apriori des Geistes, als seine

„wertvollste Fähigkeit“ (76) die Fähigkeit der Vergegenständlichung der einzelnen Bewußtseinsinhalte bezeichnet. Nur in diesem Akt gebe es Selbstbewußtsein. Diese Verstandesfunktion der Vernunft im Sinne der ratio stecke in aller Erkenntnis (78) schlechthin; also auch in der religiösen. Ein religiöses

Apriori müsse an das theoretische anknüpfen, aber es führe freilich selbständig über dieses hinaus, indem es als Stoff nicht

mehr das ungeformt Gegebene, sondern das durch das theoretische Apriori bereits Geformte habe. Die „religiöse Vernunftbetätigung“ (87) bilde nun zu den raum-zeitlichen Bestimmungen des Seins gerade die jeweils entgegengesetzte Bestimmung — also: Begrenztheit-Unbegrenztheit, Endlichkeit-Unendlichkeit, Gebundenheit-Losgelöstsein (87). Es sei

nun verkehrt zu meinen, das religiöse Apriori sei das Aktive und der Stoff das Passive (90). Vielmehr funktioniert das religiöse Apriori nur durch einen Anstoß durch den Stoff. Es sei allein als die „formale Möglichkeit der religiösen Ideen-

bildung“ (93) zu fassen. Insofern sei es ganz passiv und ganz formal. „Die Offenbarung geschieht nicht durch die Vernunft, aber im Bereich der Vernunft“ (94), aber eben

der formalen Vernunft, die sich nicht um ein System bemüht (95), sondern die im Aufnehmen und Formen des sich bietenden Stoffes besteht. — Was hier vom Vernunftbegriff her gewonnen ist, wird dann entsprechend auch vom Offenba-

136

Besprechungen.

1930—1932

rungsbegriff abgeleitet (103 bis 141) mit dem Ergebnis, daß der Offenbarungsbegriff „die Fähigkeit der menschlichen Seele, mit Hilfe des Endlichen das Unendliche sich vorzustellen und zu fassen“ (134), fordere. Die Frage der Gewißheit um die Wirklichkeit des in der religiösen Erkenntnis

Gegebenen meint Jelke noch besonders stellen zu müssen und beantwortet sie mit dem Hinweis auf die unmittelbare Glaubenserfahrung. Hier wie auch schon früher zeigt sich der realistische

Ansatz

von

Jelkes religiöser

Erkenntnis-

theorie. Ohne hier in die Erörterung über die Möglichkeit der Rede von einem „ungeformten Stoff“ usw. eintreten zu können, muß gleich die zentrale Frage gestellt werden, ob die Unter-

scheidung von formaler und materialer Vernunft, auf die das Ganze ausgeht, philosophisch möglich und theologisch brauch-

bar ist. Gesetzt, es sei richtig, daß das erste Apriori die Fähigkeit der Vergegenständlichung sei, daß es also grundsätzlich immer irgendwie um die Subjekt-Objekt-Beziehung gehe, so ist hiermit der „Stoff“ doch bereits in ein System hineingezogen, das der Vernunft entspringt und aus dem er nicht

mehr freigelassen wird, so daß es nicht einmal mehr möglich ist, überhaupt von „Stoff“ zu reden. D. h. die Vernunft hat mit ihrem ersten Akt bereits die Alleinherrschaft an sich gerissen. Dort wo der Mensch vernunftgemäß „ich“ sagt oder „es“, ist bereits die Welt, der „Stoff“, der Vernunft unter-

worfen. Das ist das Ergebnis der kantischen wie der idealisti-

schen Philosophie. Vernunft als der in sich geschlossene Zirkel läßt sich nicht „gebrauchen“, sie zieht alles unwidersteh-

lich in ihren beherrschten Kreis. Vollends aber muß deutlich

sein, daß der Theologie bereits entscheidend präjudiziert ist,

wenn wir Gott nur in der Vergegenständlichung denken, erkennen können. Es mag ja sein, daß wir nicht anders denken können, aber das eben wird uns zum Verhängnis, weil nun Gott nicht als der freie Herr, sondern als die Spitze unsers

Jelke,

Vernunft

und

Offenbarung

157

Systems der Vernunftobjekte erscheint. Die Unterscheidung zwischen formaler und materialer Vernunft glückt also phi-

losophisch und theologisch nicht, weil bereits die formale Vernunft über ihr Recht hinausgreift und das System präjudiziert. Und nun läßt sich der Spieß, den Jelke bereits gegen

die Dialektiker offensichtlich umgedreht hat, wiederum gegen Jelke wenden; und es müßte gefragt werden: ist nicht gerade dort, wo man von der Verkehrtheit der ganzen (auch der formalen) Vernunft weiß und nun — eben weil man einmal ohne die Vernunft auch theologisch nicht denken kann — dies schartige, mißratene Werkzeug nimmt wie es ist, im voll-

sten Bewußtsein, damit nichts rechtes zustande bringen zu können, ist nicht gerade dort die christliche Bescheidung der Vernunft, die Buße, die die Vernunft tun muß, echter, als dort, wo man sich dieser radikalen Einsicht versagt und immer

noch versucht, wenigstens etwas Gutes an diesem schadhaften Mittel ausfindig zu machen, und sich dann auf dies Gute

verläßt und sich in ihm gesichert fühlt? Eben weil Barth weiß, daß es mit der ganzen Vernunft nichts ist und daß er sie doch nicht entbehren kann, eben darum kann er ja mutiger und unbefangener „vernunftgemäß“ reden als einer, der der Vernunft noch ein letztes Recht wahren will. Denn je-

der muß wissen, daß hinter jener Unbefangenheit die radikale Kritik über die Vernunft steht, die gerade nie aus der

Vernunft kommen kann, sondern allein aus der Offenbarung. Die Vernunft, die sich selbst kritisiert, bleibt bei einer Teilkritik, die einen bescheidenen Rest — und sei es die „formale

Vernunft“ — stehen läßt um ihrer selbst willen. Die Vernunft, die sich durch die Offenbarung richten läßt, ist ganz

gerichtet, nun aber eben darum auch aufs neue in ihr einstweiliges Amt eingesetzt. Es werden sich von hier aus auch andre Möglichkeiten der Lutherinterpretation in bezug auf dieses Problem auftun.

138

Besprechungen.

1930—1932

Karl Heim „Glaube und Denken“! 19322

Aus der Solidarität mit dem modernen Menschen, seiner Frage, seiner Krankheit und seiner Verzweiflung schreibt Karl Heim sein neues Buch. Daß aus echter solidarischer Haltung, aus der allein konkret gedacht werden kann, ein wissenschaftliches Prinzip erhoben wird, d. h. die Gefahr, sich aus der Solidarität mit dem Fragenden Frage und Ant-

wort diktieren zu lassen, liegt sehr nahe. Damit aber fiele

ein Buch wesentlich unter den Gesichtspunkt

des Genera-

tionsproblems. Es ist nun eigentümlich, daß Heim selbst dem nicht ausweicht, sondern im Gegenteil in seinem Furcheauf-

satz? sich hier bewußt einreiht. Er sieht sich einig mit den

„Menschen der Nachkriegszeit, die die Erschütterungen der Fundamente noch nicht vergessen haben, durch die wir da-

mals gegangen sind“ (Furche, S. 145), er sieht sich unverstanden von jenen, „die selbst noch nie in ihrem Leben ein

Erdbeben erlebt haben, bei dem die Fundamente ihres eignen Lebensbaues zitterten“ (Furche, S. 145), und die Gott als den Giebel

eines festen

Hauses

ansehen

(Furche,

S. 152).

Diese letzteren scheinen ihn mißverstehen zu müssen, weil es sich hier um einen „Gegensatz in der Gotteserfahrung und Selbstbeurteilung“ (Furche, S. 152) handelt. Heim belastet

also sein Werk bewußt nicht nur mit der ganzen Schwere des Generationsproblems,

sondern darüber hinaus mit der

* Anmerkung des Herausgebers: Vergl. G.S.IS.63f. G.S. ILS. 40. Die Anmerkungen in dieser Arbeit sind von Bonhoeffers Hand. 1. Ich verweise auf die Inhaltsangabe von R. Winkler, Christent um und Wissenschaft, 1931, S. 273 £, 2. „Gott oder Verzweiflung“, Furche, 2. Heft 1932, S. 143 ff,

Heim,

Glaube

und Denken

139

wirklich bedenklichen Gegenüberstellung einer je verschiedenen „Gotteserfahrung“. Dieser Punkt wird im Auge zu behalten sein, um Heim auf der Ebene zu begegnen, auf der er stehen will, und es muß dann freilich gefragt werden, ob die Alternative, durch die er seine Position bestimmt, richtig ist

und wie, von einem etwaigen dritten Ort her gesehen, sein Buch zu stehen kommt. Hierauf wird erst am Schluß geantwortet werden können. Heim nimmt dem modernen Menschen seine Frage ab, die sich auf den Sinn des Seins überhaupt richtet, seine „letzte Frage“. Weil heute „alle spüren, daß es um das Letzte geht“, redet Heim so, wie er redet (V). Es ist ihm nichts an der Selbständigkeit der Disziplinen gelegen — also das Pro-

blem der Philosophie-Theologie erscheint ihm subaltern im Hinblick auf den Ernst der Situation und der Frage. „Der Kampf um das Letzte schafft die Schicksalsgemeinschaft“ (22), aus der heraus geantwortet wird. Dies souveräne Überschreiten der Grenzen der Wissenschaften wird sich in der Entfaltung des Werkes bewähren müssen; denn jede neue Wissenschaft hat ihr Dasein einer ähnlichen Grenz-

überschreitung zu verdanken. Man würde Heims Anliegen ganz überhören, wollte man ihm nun doktrinär je und je so-

genannte Grenzüberschreitungen zum Vorwurf machen und dabei von Voraussetzungen ausgehen, die Heim nicht teilt; vielmehr wird man auch hier Heim zunächst auf seiner Ebene begegnen und an der gesamten Gedankenentwicklung unvoreingenommen teilnehmen müssen, um erst am Ende zu fragen, ob hier tatsächlich eine neue „Wisenschaft vom Letzten“ begründet sei, die mit Recht die überkommenen Unterscheidungen belanglos macht, oder ob es sich nur um einen neuen Namen für eine alte Sache handle.

Die „Frage nach dem Letzten“ ist die Frage nach den Voraussetzungen, auf denen das Leben, auf denen das Sein ruht, sie ist die „radikale Frage‘ schlechthin und als solche die

140

Besprechungen.

1930—1932

Frage nach Gott (31 f.). Die radikale Frage aber ist zugleich die Sinnfrage, die sich auf das Sein richtet, besser: in der das

Sein steht. Also ist die Gottesfrage für Heim die Sinnfrage (320). Indem hier ontologische und noologische Interpretation der letzten Frage zusammenstoßen, ergibt sich als deren konkrete Gestalt die ontologisch-noologische Frage nach dem „Warum“. Die Warumfrage ist hier die Transzen-

denzfrage, die „letzte Frage“. An sich könnte die Frage nach dem „Letzten“ auch ganz anders als bei Heim interpretiert

werden. Die transzendentalistische Reduktion auf das denkende Subjekt ist die eine Möglichkeit, wobei die Sinnfrage unmittelbar in der Seinsfrage enthalten ist, da der Ursprung

und das denkende und fragende Ich identisch sind. Die

ontologische Reduktion auf das Sein des Seienden vermag die Sinnfrage als eine Seinsweise des Seienden zu verstehen und so in das Sein hineinzunehmen; obwohl es sich hier zeigt — wie es auch bei Heidegger der Fall ist —, daß die Sinnfrage die Seinsfrage verschlingt und das Sein durch das als nach-Sinn-fragend existierende Dasein vergewaltigt wird,

wobei diese gegenseitige Bewegung des Hineinziehens des sinnfragenden Subjekts ins Sein und das Heraustreten des Seins ins sinnfragende Subjekt als sich endlos fortzeugend gedacht werden kann. Zu diesen beiden in sich ruhenden,

systematischen Möglichkeiten der Interpretation der „Frage nach dem Letzten“ tritt eine dritte, die kritisch-transzenden-

tale Möglichkeit. Das fragende und denkende Ich läßt sich nicht ins Sein hineinnehmen und zieht das Sein nicht in sich

hinein, sondern es erkennt sich im Akt als nach rückwärts und vorwärts begrenzt, es „ist“ nur je vorwärts- und rückwärtslaufend und an die Grenze anstoßend, ohne den Anstoß zu verewigen, es ist „zwischen“, „in bezug auf“, aber esfindet das „Letzte“ weder zurückkehrend in sich selbst noch sich

ausspannend ins Unendliche,

auf das Gegebene,

auf die

Wirklichkeit, sondern es „ist“ jeweils nur „in bezug auf“ sich

Heim,

Glaube

und Denken

141

selbst und auf das „Letzte“, wobei es grundsätzlich nicht einmal weiß, wie es nach dem Letzten fragen soll. Es „ist“ „zwischen“ dem Letzten. Es „ist“ also gerade je in der Kritik

der „letzten Frage“. Indem aber durch diese Aussagen diese Kritik wieder systematische Kritik wird, ist gerade die„letzte Frage“ negativ wiederum gestellt und beantwortet. Diese drei

nicht mehr aufeinander reduzierbaren Möglichkeiten der Frage nach dem Letzten zeigen gleichmäßig, daß es keine „letzte Frage“ gibt, daß vielmehr die erste philosophische Frage als solche immer schon letzte Frage ist, daß diese Frage-

bewegung also in sich selbst aufgehoben ist, daß also der Heim’sche Begriff von Transzendenz („Das Dasein seiner Struktur nach erschlossen für Empfänge aus einer Richtung,

über die es nicht selbst verfügt“, 356) mit der letzten Frage als solcher (auch als echter noologischer oder ontologischer

Sinnfrage) nicht notwendig gegeben sei, daß schließlich die Sinnfrage als Warumfrage, die für Heim die Transzendenzfrage ist, keine echte philosophische Interpretation der letzten Frage sein könne. Damit ist aber freilich bisher nicht mehr gesagt, als Heim selbst weiß, nämlich daß er sich nicht an eine bestimmte Disziplin, also etwa die Philosophie, mit seiner Frage gebunden hat. Heims Entdeckung, die ihn zum Eintreten in die volle Soli-

darität mit menschlichem Fragen nach dem Letzten und zugleich zur Gleichgültigkeit gegen den Grenzstreit von Theologie und Philosophie ermächtigen soll, ist der Begriff der

Dimension. In ihm sind die Anliegen von Philosophie und Theologie „aufgehoben“. Die Dimensionen sind die letzten Unterscheidungssphären innerhalb des ens indistinctum (54, 48), die nur disjunktiv im Satz vom ausgeschlossenen Drit-

ten durch ein Entweder-Oder logisch ausdrückbar sind; sie umfassen die letzten Beziehungsverhältnisse Ich-Es, Ich-Du,

Ich-Gott. Durch das dimensionale Schema wird ein rechtes Verständnis und eine rechte Ordnung der letzten Frage er-

142

Besprechungen.

1930—1932

möglicht. Das Sein steht jeweils in allen Dimensionen, steht also jeweils auch vor der letzten Frage. Da aber das „Seins-

Ganze‘“® nicht auf einmal sichtbar gemacht werden kann, bedient sich Heim der Methode einer hypothetischen Destruk-

tion. Aber an dieser Stelle schon muß eine Frage gestellt werden: Was hat es mit dem ens indistinctum, dem „‚weiselosen Sein“, das in die Dimensionen aufgespalten wird, oder mit dem „Seins-Ganzen“ für eine Bewandtnis? Es bildet den letzten ontologischen Hintergrund von Heims Denken, auf den das Dimensionsschema eingetragen wird. Es ist die Klammer um das Dimensionsschema. Unzweifelhaft muß also auch der Gottesgedanke auf diesem Hintergrund erscheinen. Diese Tatsache wirft ein Licht vorwärts auf die Möglichkeiten und Grenzen des dimensionalen Schemas. Die Dimensionen sind auf einen Generalnenner gebracht, der unkritisch im Hintergrund gelassen allein den Entwurf der Dimensionen ermöglicht und den Begriff der Dimension zusammenhält. Heims Methode einer hypothetischen Destruktion muß zunächst das „Seins-Ganze“ ins Auge fassen. In dieses ist Gott eingeschlossen. Nur so ist es möglich, dann von dem „Fundament“, von Gott zu abstrahieren und die anderen Dimen-

sionen so losgelöst zu betrachten. Es ist ja bezeichnend, daß sich bei Heim hier das Bild eines Turmes, dessen Fundament Gottist, einstellt?. Dies Vorherwissen um das „Ganze“ schließt ein, daß die einzelnen Dimensionen immer schon im Hinblick auf das Ganze gesehen werden müssen, d. h. nun wirklich als Dimensionen, die an einer wenn auch noch so „weiselosen“ ontologischen Grundstruktur teilhaben. Und hier wird

der als Vokabel an sich gleichgültige Begriff der Dimension gefährlich, indem er als die unkritisch genommene ontologi-

sche Grundstruktur des ens der Wirklichkeit Gewalt antut, 3. Theologie u. Kirche, 1931,,.52183; 4. Th. u. K., 176,

Heim,

Glaube

und Denken

143

Das unmittelbar Bestechende am Begriff der Dimension, nämlich daß die Inkoordinablen ein Koordinatensystem bil-

den, ist eben seine Gefahr. So zeigt es sich, daß der ursprünglich mathematische Begriff der Dimension nur sehr gewaltsam durchgeführt werden kann. Für den mathematischen Begriff der Dimension ist es wesentlich, daß zwischen zwei Dimensionen ein identisches X als der Ort des Aufeinandertreffens der Dimensionen hergestellt werden kann. Eine Dimension ist keine Dimension (S. 70). Der Punkt der Geraden, auf dem die Senkrechte steht, bleibt der identische Punkt zweier Dimensionen. Wenn Heim vor dimensionaler Spaltung? redet, so meint er eben dies. Gerade hier aber versagt das Bild, bzw. bedeutet die Übertragung des mathematischen

Begriffs eine unkritische Deutung der Wirklichkeit. Daß in der Ich-Es-Dimension der Jetztpunkt in der Gegenwarts(Ich)-Dimension wie in der Vergangenheits-(Es-)Dimension liegt als identisches X, ist metaphysische Konstruktion, die das Inkoordinable koordiniert. Daß dieses mit sich identische X „ens indistinctum“, den in sich identischen Jetztpunkt in der Ichdimension wie in der Esdimension ausmachen soll, ist unkritische Ontologie, ist Flucht aus der konkreten radikalen Exklusivität von Gegenwart und Vergangenheit. Ein Dimensionsverhältnis zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Ich und Es, gibt es nur aus dem Es, aus der Vergangenheit heraus, d. h. aber es „gibt“ es nicht. Hier ist der Punkt, an

dem ein „kritischer“ Gegenwartsbegriff von Heim aufgegeben oder gänzlich verwandelt werden muß. Es geht eben nicht, „hinter Grisebach noch einen Schritt zurückzugehen“ (38), ohne grundsätzlich aus der kritischenHaltung eine dogmatische zu machen. Wo hinter Grisebachs „erinnerndem“ Reden von 5, Ich kann hier nur eine Seite herausstellen. Ebenso fragwürdig ist der Begriff des paradoxen und des polaren Verhältnisses. Auch die disjunktive Frage als logischer Ausdruck für eine Dimension ist zwar eine notwendige aber nicht hinreichende Bestimmung.

144

Besprechungen.

1930—1932

der Gegenwart zwei Dimensionen konstruiert werden, Gegenwart und Vergangenheit, Ich und Es, dort ist das, was von

Grisebach mit „Gegenwart“ gemeint war, gerade aufgehoben. Heim selbst wehrt sich dagegen, aus der Tatsache des dauernden Übergangs von Gegenwart zu Vergangenheit den

Schluß auf ein übergehendes „Ichwesen“ zu ziehen (163 ff.), da hiermit der Vollzug selbst aus dem Auge gelassen werde, und tut dasselbe dennoch seinerseits mit Grisebach. Und zwar

hat Heim im Unterschied zu Grisebach darum kein Recht auf diese Abwehr, weil er damit den echten Begriff der Dimension sprengt. Spürt also Heim, daß hier etwas nicht in Ordnung ist, so muß er den Dimensionsbegriff fallen lassen, um dann für eine echte kritische Frage frei zu werden. Und wenn Heim nun einwendet, man zeige damit wiederum nur, daß man allein in der gegenständlichen, in der Ich-Es-Dimension zu denken vermöge, so ist eben sein eigener Dimensionsbegriff dafür verantwortlich zu machen. „Das Ich als konstante nichtgegenständliche Realität“ und das Koordinatensystem der Inkoordinablen ist ein und dieselbe Sache, die den Zugriff ins metaphysische System bedeutet und damit in der

Exdimension verhaftet bleibt”. Ob es Heim gelingt, über das Ich-Es-Denken hinauszukommen, muß sich erst an seiner Interpretation der Ich-Du-Di-

mension erweisen. Diese Dimension bricht dort auf, wo in dem Übergang von Gegenwart zur Vergangenheit „Widerstandserfahrungen“ eintreten — (wird nicht in diesem ganz „unanschaulichen“ Vorgang ein durch Anschauliches „‚vor-

findliches“ Erlebnis gemacht?) — d. h., wo sich das Geschehen in Aktion und Passion spaltet, und wo darin Ich und Du einander gegenübertreten. Diese Ich-Du-Dimension steht „senk-

recht“ auf der zusammengesetzten

Ich-Es-Dimension und

6eainau. R...179. 72 Ich würde also den Einwand Steinmanns gerade umkehren und meinen, daß die Auflösung des Ichmythos noch nicht weit genug vollzogen ist.

Heim,

Glaube

und Denken

145

auf der Ich- und der Es-Dimension einzeln. Es entstehen zunächst zwei Beziehungen: Ich-Du (durch die Ich-Dimension) als unmittelbare Begegnung im Vollzug des Werdens, der Gegenwart; Ich-Du (durch die Es-Dimension) als Begegnung in der Es-Welt, in der Vergangenheit, im „Wort“. In diesem

völligen Auseinanderstürzen der Aussagen muß nun der ontologisch bestimmte Dimensionsbegriff die Klammer liefern.

„Es sind die beiden Seiten einer und derselben Begegnung“ (260). Dieser Satz bedarf der Interpretation, oder er ist als Behauptung

sinnlos. Eine Interpretation aber kann allein

durch eine unkritische Ontologie ermöglicht werden:

das

Werden läßt sich nicht trennen vom Gewordensein, „die Ge-

genwart geht fortwährend über in das Vergangenheitsbild“ (260). Diese Aussage bedeutet aber das Hinausgreifen über die Gegenwart, das allein aus einer hinter dem Dimensionsschema stehenden systematischen Ontologie eines ens indistinctum — sei dieses nun das Ich, der Vollzug, das andere Ich — herkommen kann, eine Vorwegnahme, die weder Ich, noch Gegenwart, noch Du, noch Es dort läßt, wo es sich gibt. Damit ist aber, worauf hier alles ankam, das Du nicht in der

ihm wesentlichen ‚Freiheit stehen gelassen, sondern in die zwangsläufige Gegenwarts-Vergangenheits - (Ich-Es-)Dialektik hineingerissen. Das Du in der Es-Welt und in der IchDu-Beziehung wird auf eine in sich identische nichtgegenständliche Grundstruktur zurückgeführt, die der Kritik nicht

mehr zugänglich ist. Woher aber kommen uns diese Aussagen über dieses identische X (in diesem Fall „Du“) zu? Heim hat sich seine Aufgabe erleichtert und andererseits unlösbar gemacht, dadurch, daß er das „Du“ „auf alle Fälle“ als das „andere Ich“ versteht (206). Das gerade durfte hier nicht

gesagt werden. Ob das Du ein Ich ist, ist mir nicht nur grundsätzlich unerforschlich, sondern schon diese Frage hebt das Ich-Du-Verhältnis

auf.

Sie bedeutet

einen Vorstoß,

der

einem Ausweichen gleichkommt. Die Gleichung: Du = an-

146

Besprechungen.

1930—1932

deres Ich ist ebenso unzulässig wie die andere: anderes Ich = Du. „Du“ ist die für mein Ich schlechthin undurchdringliche Grenze. Weder der andere sieht „mich“ je anders denn als Du, noch „ich“ sehe den anderen je anders denn als Du. Ich sehe nie mich selbst als Du (dies gegen S. 277 ff.), ich bleibe nur Ich und der andere bleibt nur „Du“. Ich kann wohl auf die Ichform des anderen reflektieren, habe ihn aber dann als Du aus dem Auge verloren. Wäre das Du wirklich primär ein „anderes Ich“, so bestünde eben zu Recht, was nicht zu Recht bestehen kann: „an sich sind wir einander ebenbürtig, weil wir beide als Menschen und auch als Geschöpfe Unseresgleichen sind“ (Löwith zit. bei Heim, S. 429; vgl. S. 345). Ein solches „an sich“ aber gibt es nicht; denn in dem „an sich“ treten wir schon aus der Ich-Du-Beziehung heraus und stehen in einer Ich-,anderes Ich“-Beziehung, in der die eigentliche Du-Situation gar nicht realisiert ist, weil wir das Du auf eine unkritische ontologische Struktur, die „Ich“ nicht mehr in Frage stellen will, zurückgeführt haben. Das „andere Ich“ liegt ganz in der Es-Welt; die Paradoxie der „zwei Mittelpunkte“ in einer Welt entsteht nur durch eine falsche Identifizierung von „Du“ und „anderem Ich“. Weder für das „Du“ noch für das „andere Ich“ entsteht hier eine Paradoxie. Das „andere Ich“, das das Du ein-

schließt, ist metaphysische Konstruktion, Koordination des

Inkoordinablen.

Noch einige Fragen seien erlaubt: Wenn ich erst am Du Ich

werde, wie kann ich dann voraussetzen, daß das Du des anderen „Ich“ in diesem Sinne ist? Oder sollte etwa die Tatsache, daß einer mir zum „‚Du“ wird, in sich schließ en, daß auch ich ihm zum Du werde, also daß er Ich wird? Was

bedeutet die Bestimmung des Du als des anderen Ich für den Gottesbegriff?

Es ist also wiederum

derselbe

Punkt,

an

dem für Heim sich die dimensionale Spaltung vollzie ht, der

die zugrunde liegende unkritische Ontologie sichtbar macht,

Heim,

Glaube

und Denken

147

die die Gegenwart wie das Du im Koordinatensystem auffängt und umgreift, weil der jähe Absturz des einen wie des anderen ins Unendliche nicht ertragen wird. Wir wollen nun für das Folgende von allen vorangegangenen Einwänden einmal absehen und die Heimsche Darstellung

an diesem Punkt ganz neu prüfen; denn hier bei der Gottesfrage muß die Entscheidung fallen. Heim nimmt dargestellte Koordinatensystem, das „unter einem men Generalnenner stand“ (320), setzt es ganz in und fragt, ob „vor der Klammer ein Plus oder ein

das bisher gemeinsaKlammern Minus ste-

hen soll“, ob der Zahlenwert negativen oder positiven Wert habe, ob „er ein Ausdruck der Verzweiflung ist oder eine Schöpfung Gottes“. Es geht Heim also — was eigentümlicher-

weise kaum mehr ausgesprochen wird — an dieser entscheidenden Stelle des ersten Bandes um die Begründung der Schöpfungslehre. Auch diese letzte Beziehung nennt Heim eine Dimension, denn sie ist nur disjunktiv ausdrückbar in der Frage: „Hat Gott oder die Verzweiflung das letzte Wort? Ist die Sinnfrage positiv oder negativ zu beantworten?“ (320).

Hier faßt sich Heim in tiefster Solidarität mit dem zwischen beiden Antworten hin- und hergeworfenen heutigen — wirklich dem heutigen? — Menschen zusammen, und er wendet nun seine ganze erstaunliche Kraft des Zusammensehens an, hier einerseits dem Menschen seine Frage wirklich abzuneh-

men und andererseits ihm von der Antwort nichts vorzuenthalten. Zuerst muß die Frage ganz klar analysiert werden. Die letzte Frage ist die Sinnfrage, die sich auf die Gesamt-

struktur des Daseins erstreckt. „Wozu das Ganze?“ (303). Vor dieser letzten Frage liegt der Weg des unendlichen Relativierungsprozesses, in dem der Mensch jedes Gewordene nur als eine Möglichkeit sieht, an deren Stelle auch eine an-

dere Möglichkeit — und so fort — stehen könnte, an das er also die Frage nach dem Warum richten muß. Diese relativistische Frage soll unmittelbar aus dem Denkprozeß hervor-

148

Besprechungen.

1930—1932

brechen. Demgegenüber ist zu sagen: Die Frage: warum ist dies nicht anders? hat nicht nur überhaupt keinen logischen Sinn mehr — weil es dann eben nicht mehr „dies“ wäre (allgemeinstes Beispiel: Warum „ist“ Sein nicht Nicht-Sein? Weil

es dann nicht „Sein“ ist) —, sondern ist die Aufhebung des Denkens selbst, ist das Denkunmösgliche, sie ist keine legitime Frage des philosophischen Denkprozesses, das Denken ist auf

das mit sich selbst Identische gerichtet und daran gebunden.

Sie kann darum nur als die philosophische Frage nach der Transzendenz auftreten. Aber auch Heim selbst legt Wert darauf, die relativistische Frage noch nicht als die Frage der

reinen (Sinn-)Dimension zu bezeichnen,

weil in ihr kein

Werturteil zum Ausdruck komme (295, 305). Erst wo wir diese Situation als eine zufällige, willkürliche, verzweifelte bezeichnen, wo ich unter diesem Dasein leide, sind wir in die letzte Frage und Dimension eingetreten. Nun scheint Heim aber gerade hier mit der klaren Abgrenzung der Dimensionen Schwierigkeiten zu haben. Während anfangs die Fra-

ge des relativistischen Warum als die radikale Frage, als die neue Dimension (287 f.) bezeichnet wird, wird unmittelbar danach aber diese Frage aus dem Vergegenständlichungspro-

zeß des Denkens notwendig abgeleitet (286), um schließlich

zu sagen, daß über diese Fragestellung hinaus nun doch noch

eine letzte Frage aufsteigt (295), die an sich nicht mit der

Erkenntnis des Kontingenzcharakters

des Daseins gegeben

ist (305), die Frage, die an der praktischen Lebenslage entspringt, die das Leiden als Zufall und das Handeln als Will-

kür versteht und nach dem Werturteil über dieses Geschehen

fragt. Es ist aber wirklich nicht einzusehen, inwiefern die

relativistische Frage ohne diese Sinnfrage überhaupt gestellt

werden kann, bzw. inwiefern die Frage des Leidens: Warum ist mein Schicksal gerade so und nicht anders? von der relativistischen Frage unterschieden werden könnte. Die Frage selbst bleibt dieselbe, wie ich mich auch zu dem Warum stelle.

Heim,

Glaube

und Denken

149

Es wäre also doch die Warumfrage, die meine letzte Frage

ausdrücken muß, und eben hier ist der Zusammenhang mit der echten philosophischen Frage abgerissen. Die Warumfrage wird von der philosophischen Reflexion immer wieder aufgesogen in die Frage des Sinns von Sein, über die ich

selbst in meiner Frage verfüge. Ein radikales-relativistisches Warum ist philosophisch nicht legitim. Ob es theologisch möglich ist, wird zu erwägen sein.

Heim will den Zusammenhang der relativistischen und der letzten Frage nicht wahr haben, weil er einen dimensionalen Gegensatz aufreißen will zwischen denen, die dem Säkularismus verfallen sind, und den anderen, die „unter dem Dasein leiden“. „Zwischen den Menschen, die unter dem Relativismus leiden, aber keinen Ausweg aus ihm sehen, und den anderen, die ebenfalls unter ihm leiden, aber einen Ausweg

zu sehen glauben, besteht zunächst volle Übereinstimmung über die Frage, um die es sich hier handelt. Sie stehen in derselben Dimension“ (307). Der dimensionale Gegensatz bricht auf zwischen denen, für die der Relativismus natürliche Lebensform ist, und den anderen, die an ihm kranken oder genesen. Die Kranken und die Genesenden sind in der-

selben Dimension. Ihre gemeinsame Frage ist die Frage nach Gott, nach der Heilung des Leidens unter der Warumfrage, unter dem Zufall und der Willkür des Daseins. Um das dimensional Verschiedene der Gottesbeziehung herauszuarbeiten, muß Heim behaupten, dies Leiden sei „gerade kein Apriori unseres Seins“... . „aus dem Dasein selbst führt

kein Weg zu diesem Leiden herüber. Das Leiden unter dem Dasein

ist also, religiös gesprochen, ein Gnadengeschenk“

(309). Aber das Recht zu diesen an sich durchaus richtigen Behauptungen hat Heim sich bereits, wie mir scheint, durch sein Verständnis der „letzten Frage“ genommen. Hier liegt denn auch der entscheidende Punkt für die Beurteilung des Heimschen Werkes.

150

Besprechungen.

1930—1932

Wir müssen etwas zurückgreifen. Heim will den Grund für

eine christliche Lebensanschauung legen; d. h. hier will er beim Wort genommen sein, unter Absehen vom Streit der Fakultäten. Wir werden also dort, wo Heim von der letzten Dimension, von der Ich-Gott-Beziehung redet, ganz einfach die Frage stellen müssen: Redet Heim hier „christlich“ von

Gott und seiner Beziehung zum Menschen oder nicht?

Die bedenkliche Nähe der „letzten Frage“ zur relativistischen Frage hat Heim einerseits gesucht und andererseits

gemieden. Es geht um das Infragestellen des kontingenten

Daseins in seiner Ganzheit. Das Dasein fragt nach seinem

Warum in Handeln und Leiden. Und weil es sich keine Ant-

wort zu geben vermag, die Kontingenz letztlich nicht zu begründen vermöchte (esmüßte ja sonst der Schöpfer selbst sein), verzweifelt es an der Sinnhaftigkeit seines So-seins und ruft

nach Heilung. Heim fragt nun: Was muß geschehen, damit

hier eine Heilung möglich wird? Die Antwort, die leicht zu konstruieren ist, muß sein, daß dem Dasein in dieser letz-

ten Dimension ewiger Sinn zugesprochen wird, so daß es sein Leiden nicht als Zufall, sondern als Führung und sein

Handeln nicht als Willkür, sondern als Auftrag erkennt. Da-

mit das dem Absturz ins Unendliche drohend nahe Dasein

ein letztes Fundament finden gemacht werden: Gott, dieses das schlechthin „Unbedingte“ dingtheit der Es-Welt), und

kann, müssen zwei Aussagen letzte Fundament, muß erstens sein (im Unterschied zur Bezweitens „das ewige und all-

gegenwärtige Du“ (im Unterschied von der im Es stehenden Du-Welt). Damit hat das gesamte Dasein „die Ruhe der

ewigen Notwendigkeit erhalten“ (357). Die letzte Frage ist

beantwortet. Das Dasein hat ein positives Vorzeichen erhalten. Die Alternative der letzten Dimension ist also Verzweif-

lung oder Gott, Sinnlosigkeit des Daseins oder Lebenssinn. Und hiermit hätte das Dimensionsschema seine Vollständigkeit erreicht. Es wäre der Nachweis geführt, daß das Ge-

Heim,

Glaube

und Denken

151

wicht des Seinsganzen zusammenbrechen müßte, wenn nicht Gott es trüge. Das ist alles, was in einer Metaphysik der

letzten Dinge möglich ist.

In zwei Gedankengruppen fassen wir unser Anliegen hier zusammen: Erstens, welchen Sinn hat der Dimensionsbegriff in der Frage nach der letzten Dimension? Zweitens, wovon redet Heim, wenn er von Verzweiflung und von Gott

redet? Nach allem vorigen ist eine Dimension logisch ausdrückbar nur in der Form der disjunktiven Frage. Diese macht aber bei immanenter Unentscheidbarkeit darauf aufmerksam, daß

hier nur von einer anderen Dimension her geantwortet werden kann, d. h. es bleibt jeweils die Möglichkeit des Aufbrechens einer weiteren Dimension offen. Dann aber ergeben sich für den Begriff der „letzten“ Dimension Schwierigkeiten. Das Entweder-Oder der letzten Beziehung ist nach Heim

die Sinnfrage: Gott oder Verzweiflung? (320). Die Antwort müßte bei immanenter Unentscheidbarkeit eine andere Dimension aufbrechen lassen können, die das Entweder-Oder

sprengt. Eine Dimension hinter der „letzten Dimension“ aber ist ein unvollziehbarer Gedanke, d. h. der Begriff einer „letz-

ten“ Dimension selbst ist definitionsgemäß unvollziehbar. Heim scheint das zu spüren, wenn er sagt, die letzte Dimension sei nicht eine unter anderen, sondern die Dimension der

Dimensionen (321). Dieser Begriff ist aber, wenn er ernst genommen wird, sowohl mathematisch wie philosophisch leer.

Er hebt den Begriff der Dimension auf. Die Zerstörung dieses Begriffes wird noch deutlicher, wo Heim davon spricht, daß dort, wo die Entscheidung für Gott falle, die „Dimension sich mit einem positiven Inhalt gefüllt“ habe (335). Man kann sich hierunter schlechterdings nichts mehr vorstellen und weiß, daß hier das Dimensionsschema am Ende seiner

Brauchbarkeit ist. Das tritt auch hier wieder beim Verständnis der dimensionalen Spaltung zutage (339). Die Gottbezie-

152

Besprechungen.

1930—1932

hung ist eben nicht eine bestimmte Sicht des Ich (Th. und K. 179), auch nicht die alle anderen Sichten umfassende, wo-

bei das Ich selbst eine „konstante, nichtgegenständliche Realität“ bliebe, sondern diese Kontinuität ist durchaus nicht philosophisch aussagbar, vielmehr allein glaubbar durch das Wort Gottes, der der Schöpfer ist, das alte Ich vernichtet und

das neue schafft. Also gerade der Identitätspunkt, an dem

die dimensionale Spaltung aufgewiesen werden müßte (das

handelnde Ich), ist nicht eine ontologisch aufweisbare Re-

alität, vielmehr eine keiner Ontologie mehr zugängliche, von keinem Koordinatensystem mehr auffangbare Offenbar ungstat Gottes, des Schöpfers, selbst. Der Dimensionsbegrif f wi-

dersetzt sich in seiner unkritischen Ontologie dem Offen-

barungsverständnis. Hier stoßen die beiden Anliegen Karl Heims aneinander, der Frage des natürlichen Menschen in

Solidarität ebenso zu dienen wie der Antwort der christli-

chen Offenbarung.

Welche Folgen hat das für Heims christliche Aussa gen? Zu-

nächst, daß er die Warumfrage des unter dem Dasein Leidenden als die Gottesfrage anerkennt, d. h. als die Frage,

auf die Gott selbst Antwort gibt. Die Antwort fügt sich ir-

gendwie in den Rahmen dieser Frage (358). Frage und Antwort liegen ja in derselben Dimension. Wenn wir einwenden, daß damit vergessen sei, daß der Mensch nach Gott nur fragen könne, wenn er von Gott gefunden sei, so wird Heim

entgegnen, darum habe er ja diese Frage bereits als ein Gnadengeschenk Gottes bezeichnet. So muß also gefragt werden, ob dieser letzte Satz gilt. Die Verzweiflu ng an der Kon-

tingenz des Daseins ist nicht die Verzw eiflung des Menschen, die nach Gott fragt, sondern die nach einem „Sinn des Lebens“ in Gestalt eines beantworteten „War um“ fragt. In dieser Warum-Sinnfrage aber steht nicht die Existenz des Men-

schen auf dem Spiel; denn sie umgeht die Wirklichkeit des Bösen. Darum kann sie nicht nach Gott fragen. Über Sinn

Heim,

Glaube

und Denken

153

oder Unsinn des Lebens vermag der Mensch sich zu erheben als der, der in der Lage ist, das Leben selbst auf Sinn und

Unsinn zu befragen und auch im Unsinn noch seine Existenz in der Haltung des Heroismus unangefochten zu bewahren. Die Verzweiflung am Unsinn ist die letzte erfolgreiche Flucht aus dem Fxistierenmüssen und gerade nicht ein Hineintre-

ten in die eigene Existenz. Allein in der Verzweiflung am Bösen, an meinem Bösen, in dem ich der Welt und dem Du

begegne, ist meine Existenz aufs Spiel gestellt. Vor meinem Bösen allein kann ich mich nicht mehr retten. Nicht ob Sinn oder Unsinn, sondern ob Leben oder Tod, ob Gnade oder

Gericht, ist hier gefragt. Aus dieser Frage vermag nun auch die Antwort nicht zu erlösen, durch die mein Dasein „ewigen

Sinn“ erhält. Was geht mich der ewige Sinn eines Daseins an, das gar nicht meins sein kann, wenn ich nicht weiß, ob mir mein Böses vergeben ist, ob ich vor Gott leben oder ster-

ben muß? Vielmehr entsteht die große Gefahr, daß ich meinem Bösen nun abermals aus dem Wege gehe mit dem Vorwand, es habe „ewigen Sinn“. Die Frage, ob ein Schicksalsschlag Sinn oder Unsinn sei, berührt „mich“ gar nicht, wo

„ich“ nicht um die Vergebung weiß. Es wird eine Angelegenheit eines rein metaphysischen Interesses, einer stoischen Lebenshaltung, in der ich meine Existenz verleugne. Das erste Wort Gottes, die erste Antwort, aus der erst die Frage nach

ihm hervorgeht, ist die Zertrümmerung

der menschlichen

Frage nach dem „Wert“, nach dem „Sinn“ seines Daseins, als

einer Warumfrage. Die Frage wird ihm in den Mund zurückgestoßen, es wird ihm gesagt, daß er in dieser Frage nur nach sich selbst fragt, sich selbst und nicht Gott suche, ja, Gott als den Herrn verleugne und eben darin böse sei. Die letzte Dimension, in der der Mensch offen zu sein meint „für Emp-

fänge aus einer Richtung, über die er nicht verfügt‘ (356), die Frage nach dem Daseinssinn und seine Antwort ist der Griff des Menschen, in dem er sich selbst vom Absturz zu-

154

Besprechungen.

1930—1932

rückreißen will. Und über diesen ganzen Menschen mit all seinem Lebenssinn und -unsinn ergeht Gericht. Er ist böse in seiner Existenz und muß sterben. Und an dieser Stelle erst kann recht von Verzweiflung geredet werden; aber nun nicht so, daß Verzweiflung und Glaube ‚in derselben Dimension“ stünden, gegenüber dem „Säkularismus“, weil es beiden um die Sinnfrage gehe, sondern die Verzweiflung erscheint nun als die Feindschaft gegen Gott, als das Böse, d. h. als Angriff des Teufels auch dort, wo sie als „getroste Verzweiflung“ im Zorn Gottes seine Gnade ergreift. Hieran zerbricht nun vollends die Möglichkeit, von Verzweiflung oder Glauben als derselben Dimension zu reden. Gott und Teufel sind nicht eine Dimension, in der der Mensch steht, sondern sie sind Widersacher, Sieger und Besiegte, sich gegenseitig Verneinende, und der Mensch ist besessen von einem oder vom an-

deren. Die Verzweiflung ist der Erzfeind des Glaubens. Jede dialektische Zusammenordnung ist hier ebenso unmöglich wie

bei Gott und Teufel. Es geht nicht um den „Sinn des Daseins“,

sondern um den Sieg Gottes und die Vernichtung des Teufels. Verzweiflung ist Sieg des Teufels, wenn nicht Gott den

Teufel besiegt und Glauben schafft. Die Heilung der Verzweiflung, also der Glaube, ist der Sieg Gottes über den Teufel, über mein Böses, nicht aber die Erkenntnis, daß mein

Schicksal Führung und mein Handeln Auftrag sei. Von hier aus werden die Begriffe Verzweiflung und Glaube, wie Heim sie verwendet, in ihrer eigentlichen Bedeutung aufgedeckt. Sie sind aus der Solidarität mit der ungetroffenen Existenz

des sinnfragenden Menschen heraus interpretiert und müssen darum in dem Versuch einer christlichen Ausdeutung geradezu gefährliche Konsequenzen haben. Wenn die Frage

der Verzweiflung ist: Warum leide ich gerade dies? Warum

tue ich gerade das? so muß die heilende Antwort lauten: Weil jenes Gottes Führung, dieses Gottes Auftrag ist. Damit ist aber etwas ganz Ungeheuerliches geschehen. Es ist beim

Heim,

Glaube

und Denken

155

ersten vergessen — und auch dies aus Solidarität —, daß der Teufel an meinem Schicksal mitarbeitet. Es ist beim zweiten vergessen, daß der Teufel sich gerade hier in den Engel des Lichtes verwandeln kann; ja, es muß hier noch mehr gesagt werden, daß es wohl einfach nicht wahr ist, wie Karl Heim es schildert, sondern daß dieser unmittelbare Auftrag Gottes

gerade nicht so eindeutig gegeben wird, daß ich in meinem Hören selbst nicht schon immer wieder von dem gebietenden zu dem gnädigen Gott rufen müßte. Das ganze Drängen Heims auf Konkretion ist darum am falschen Ort eingesetzt,

weil es den sinnfragenden, und gerade nicht den verzweifelten Menschen „heilen“ soll. Er soll wissen, was er zu tun hat,

damit er die Angst seines Nichtwissens überwindet, und er wird gerade hiermit von der Erkenntnis des Bösen in ihm, das dieses Nichtwissen verschuldet, ferngehalten. Nicht der

„Auftrag“ ist die „Erlösung aus der (wirklichen) Verzweiflung“ (365) —

er erlöst nur aus der Sinnfrage —, sondern

das Evangelium, das dem Bösen gesagt wird; nicht gelöst vom Gebot, aber doch so, daß das Hören des Gebotes immer zu-

rückweist auf das Hören des Evangeliums über den Bösen. Von hier aus fällt Licht auf die Auseinandersetzung Heims mit Karl Barth, die für ihn irgendwie zentral ist; und es enthüllt sich, daß hier ein wirkliches Unrecht geschehen ist.

Barth ist in dieser Auseinandersetzung nicht nur nicht getroffen, sondern nicht einmal wirklich ernstgenommen. Heim meint, es sei Barths letzte, vielleicht nicht bewußte Intention, von Gott in der Sphäre der Abstraktion zu reden, um

sich so vor ihm in concreto zu sichern. (Alle einzelnen Dinge, die Barth hier zur Last gelegt werden, übergehen wir hier absichtlich, weil sie größtenteils einfach nicht zutreffen, ja vielfach Barth genau das Gegenteil von dem sagen lassen, was er längst gesagt hat.) Warum — so meint Heim — gebe

Barth sonst keine konkrete Antwort auf die Frage: Was soll ich tun? An

dieser Frage, die als theologische Frage für

156

Besprechungen.

1930—1932

Barth bereits ganz falsch gestellt ist, tritt das ganze Anliegen beider Männer heraus. Barth gibt ohne Zögern zu, daß auch er nicht „gegen die Sünde gesichert“ sei, „Gott zum Denkobjekt‘“ zu machen (311), daß auch seine Grundsätze der Gefahr unterliegen, „eine letzte Sicherung gegen Gott selbst und sein Eingreifen in unser Leben“ (423) zu sein, Gerade daß er meint, sich vor dieser Gefahr nicht sichern zu können, und doch stetig im Hinblick auf diese Gefahr denkt, ist das Eigentümliche seiner Theologie; daß er weiß, daß das concretissimum allein vom Heiligen Geist zu sprechen sei und daß jedes concretum des menschlichen Wortes abstractum bleibt, wenn es nicht der Heilige Geist selbst sagt, das steckt seiner theologischen Bemühung die Grenze. Umgekehrt muß Heim dort, wo er meint, in dem Dimensionsschema nun doch von Gott reden zu können — und sei es auch nur formalontologisch (was haben die Aussagen über das „Unbedingte“

und das „Du“ eigentlich vor jeder anderen metaphysischen Spekulation voraus?) — nun auch meinen, irgendwie das

concretissimum sagen zu können — als den Inhalt der vorgegebenen Form. Der Vorwurf Heims gegen Barth fällt unmittelbar auf ihn selbst zurück. Nur meint eben Heim, ihn in der Kraft seines Dimensionsbegriffes tragen zu können,

was doch eben nicht angeht. Das Problem der Abgrenzung von Philosophie und Theologie, das für Heim hier nicht im Vordergrund steht, ist von

Heim aufs neue so beantwortet, daß die „Wissenschaf t vom Letzten“ die Formen, „die allgemeine Kategorie der Offenbarung“ (Th.u.K. 189), die letzte Frage liefert, währen d in der Theologie allein von Inhalten, von der konkre ten Offenbarung, von der Antwort geredet werden müsse. Heim könnte vielleicht auch sagen, das sei der Ausdruck dafür, daß

von der Schöpfung auch ohne Christus geredet werden könne (sofern dieser Band Schöpfungslehre enthält). Jedenfa lls aber redet Heim von Gott schon im Rahmen der Dimens ions-

Heim, Glaube und Denken

157

ontologie, und eben dies ist unmöglich. Von der Kategorie

der Offenbarung kann nicht anders als von der Offenbarung in Christus selbst her geredet werden, alles Reden vom Absoluten und Relativen ist ernsthaft nur möglich vom Kreuz

her, oder aber es ist etwas gänzlich anderes gemeint, so daß es auch nicht mehr als den Rahmen für die konkrete Offenbarung zu liefern imstande wäre. Das ontologische Dimensionsschema als Rahmen für die Offenbarung macht die Rede

von der Offenbarung, von Gott und vom Menschen innerhalb dieses Schemas unmöglich. Weil dem ganzen Heim’schen Entwurf eine unkritische Ontologie zugrunde liegt, von der aus über den Menschen und seine Beziehung zu Gott gesprochen wird, muß das, was in der Offenbarung über den Menschen gesagt wird, verfehlt werden. Daß es keine allgemeine Seinsbestimmung für den Menschen gibt, die nicht durch die Bestimmtheit des Sünder- oder Begnadetseins allein bestimmt wäre, und daß Gott der Schöpfer, der Heilige und der Barmherzige „ist“, daß hier eine echte Ontologie einzu-

setzen hätte, kann allein von der Offenbarung her gesehen werden. Wir bemühten uns, Heim dort zu begegnen, wo er stehen will, und ihn nicht doktrinär hier oder dort einzuordnen. Fragen wir aber, wo Heim steht, so müssen wir sagen, daß er an einem Ort steht, an dem kein Mensch stehen kann. Die „Wissenschaft vom Letzten“ ist das Wissen Gottes allein, sie

ist vom Theologen aus gesehen Philosophie, vom Philosophen aus gesehen Theologie, und sie ist doch keins von beiden. Die Warumfrage ist die unmögliche Mitte zwischen Philosophie und Theologie. Heim hat uns auch durch sein Dimensions-

schema nicht zu überzeugen vermocht, daß es einen Weg gibt, diese „letzte“ Position über Philosophie und Theologie einzunehmen. Die Tiefe seiner Solidarität mit dem heutigen Menschen erweist Heim, der Denker, der ganz von der Offenbarung her-

158

Besprechungen.

1930—1932

kommen will, darin, daß er diesem seine „letzte Frage“ als die Gottesfrage abnimmt, und es wäre doch erst dann wirkliche Solidarität, wenn er sie ihm gänzlich zerschlüge angesichts des Wortes, der Antwort Gottes. Es geht nicht an, die Auseinandersetzung mit Heim auf das

Generationsproblem

herauszuspielen. Es soll in dem hier

Gesagten keine der beiden Heim’schen Typen gerechtfertigt werden. Und doch geht es irgendwie um die Sicht des Menschen, die Heim hat, aber nun nicht generationsmäßig, sondern in letzter sachlicher, von der Offenbarung in der Schrift

herkommender Erwägung. Heims Mensch, der die Gottesfrage stellt, ist der durch Zufall und Willkür seines Daseins

bis ins Tiefste erschütterte, gequälte, zerrissene, verzweifelte, der nun, indem er um die Antwort Gottes weiß, von seinem Leiden an der Welt befreit wird, daher nur um in um

so unermeßlicheres Leiden gestürzt zu werden, in das Leiden unter dem Auftrag Gottes. Der Mensch, der von Gott

weiß, ist Prophet (337), mit allen an den Wahnsinn streifen-

den Zuständlichkeiten eines solchen, er ist Märtyrer im Ge-

horsam gegen das Absolute, dem Angriff der ganzen Welt wehrlos preisgegeben (362), bereit, als armer Narr von al-

len verlassen, auf verlorenem Posten zu sterben (338), „die ganze Welt kann dich mit Schmutz bewerfen, wenn du nur

das Lächeln Gottes hast“ (329); und er ist zugleich der Mensch, der in seinem Handeln den Akzent der Ewigkeit in Gehor-

sam vernimmt, der jedesmal die Gewißheit empfängt: „Dieser Weg muß im Namen Gottes gegangen werden“ (336). Es

ist dieses ein Bild des Menschen, gegen das sich etwas in uns

wehrt. Die Bibel hat nicht so vom Menschen geredet. Gewiß,

wer wollte sagen, daß all die Dinge, von denen Heim hier redet, nicht so sein könnten oder dürften? Aber faßt uns hier nicht das unheimliche Grauen vor religiösem Titanentum? Darf man von diesen Dingen wirklich so reden, vom Marty-

rium, von dem Leiden der Propheten Gottes, von dem Ver-

Heim,

Glaube

und Denken

159

nehmen des Gebotes zu jeder Stunde? Was will Heim denn zu dem sagen, der bekennt, daß das alles bei ihm nicht so

sei, aber daß er dennoch glaube, der in der Alltäglichkeit seines Lebens nicht vom Prophetenschicksal und Martyrium geschreckt wird, ja der scheu und nüchtern sich fürchtet, von solchen großen Dingen zu viel zu sagen und zu denken? Der Stunden, Wochen, Jahre kennt, in denen er den Akzent der Ewigkeit auf seinem Tun nicht vernimmt, der seinen Weg mit Furcht und Zittern im Nichtwissen um das Gebot, das ihn

im Namen Gottes gehen heißt, aber im Gebet um die Vergebung geht? Dem die Nichtigkeit des Daseins vor Augen ist, der an seiner Schuld verzweifelt und dennoch im Glauben — nun einmal nicht erschüttert — „fröhlich ist in seiner

Arbeit‘ (Pred 5, 18), weil dies sein Teil ist? Sollte es sich wirklich bierum handeln, wenn von der Frage des Menschen und von dem Wort Gottes geredet wird, sollte uns wirklich das Wissen um die Möglichkeit verschiedenartigster Haltung

hier zu etwas anderem dienen können als zum Hinweis auf die Einheit des Wortes Gottes? Weil aber das ganze Heim’-

sche Buch Ausdruck einer ganz bestimmten Haltung geworden ist — und wer wollte ihm das zum Vorwurf machen dürfen? —, ist es vielleicht nötig, auf diese Frage besonders

den Finger zu legen, gerade nicht um irgendeines generationsmäßig oder sonstwie begründeten religiösen Haltungsunterschiedes willen, sondern um der biblischen Verkündi-

gung des Evangeliums willen, das dem Bösen gilt. Es scheint mir der ehrlichste Weg zu sein, wirkliche Dankbarkeit gegen ein großes Werk dadurch zum Ausdruck zu

bringen, daß man nach bestem Vermögen in die Nacharbeit und Mitarbeit an den gestellten Fragen eintritt. Wenn sich dann hier abweichende Urteile einstellen, so bleibt hiervon

die Bewunderung rührt.

für das geschaffene Werk gewiß unbe-

V. LEHRER AN DER BERLINER UNFVERSTIZCH

Thesenfragmente für systematische Seminare 1..Die Idee der Philosophie und die protestantische Theologie

[Seminar im Wintersemester 1931/32]

Heidegger

und Grisebach

gemeinsam:

Es gibt einen dem

Begriff Erkennen vorangehenden Zugang zur Wirklichkeit. Wirklichkeit nicht erst durch den Begriff konstituiert.

Das Vorgegebensein des Wirklichen bezeichnet die Endlich -

keit der Existenz. Problem, wie ist das Vorgegebensein des Wirklichen zu in-

terpretieren?

1. Für Heidegger durch Seinsverständnis des Daseins. So daß das Vorgegebensein des Wirklichen immer wieder aufgehoben wird ins Vorgegebensein des verstehenden Geistes.

2. Für Grisebach durch eine besondere Erfahrungssp häre, die als Existenzweise des Menschen zu verstehen ist, durch das „‚Existieren in Gegenwart“, durch „Erfahrung“ der Gegenwart. Wie ist es möglich, daß das Denken zur Erfassung

der Existenzweise als Existieren in Gegenwart kommt , da doch Denken wesentlich Erinnern ist und erinnerte Erfahrung der Gegenwart nicht Gegenwart ist? Es bleibt also

der Philosophie unmöglich, von der „Existenzwei se in Gegenwart“ zu reden, d. h. aber sie kommt an das Vorgegebene

gar nicht heran. Bei Heidegger wird das Vorgegebene ins verstehende Dasein

Heidegger

und Grisebach

161

aufgenommen und seiner Vorgegebenheit beraubt. Bei Grisebach bleibt das Vorgegebene unzugänglich. Das heißt aber: das erstrebte Verständnis der Existenz des Menschen als endliche Existenz kann von der Philosophie nie erreicht werden. Die Philosophie stellt den Anspruch auf Unendlich-

keit des Menschen und ihrer selbst. Das bedeutet für das Verhältnis von Philosophie und Theologie in beiden Fällen (Heidegger und Grisebach), daß die

Philosophie der Theologie vorangeht.

1. Die Theologie gibt dem recht: a) sie bedient sich der philosophischen Terminologie und begibt sich hiermit unter den Anspruch der Allmacht des

b)

Begriffes; sie ist darin wirklich der Philosophie subordinierte, positive Wissenschaft, auch als systematische;

die Philosophie kann nicht anders, als sie so sehen. . Die Theologie gibt dem unrecht: 2) sie weiß um ihre Knechtsgestalt, die der Unterordnung der Kirche unter die Kulturinstitution und der Unterordnung Jesu Christi unter den religiösen Heroen! entspricht; sie weiß um ihren Gegensatz zum Begriff — Schauen;

b) c) sie weiß

um die eschatologische Möglichkeit einer philosophia christiana.

1. Entzifferung unsicher, d. Herausgeber.

162

Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

II, Gibt es eine christliche Ethik? [Seminar Sommersemester 1932]

Gehorsam und Tun

1. Gehorsam heißt, einem Menschen so gehören, daß man

auf sein Wort hört. Gehorsam heißt gehören in der Form des

Hörens.

2. Biblisch: Gehorsam heißt Gott gehören in der Form des

Hörens auf sein Wort. Weil Gottes Wort schöpferisch ist, weil es verbum visibile ist, darum schafft das Wort selbst im Hören, was es gebietet. Indem Adam das Wort hört, ist er realiter gehorsam, das Wort vollzieht sich durch ihn, durch sein Hören. Es gibt kein Auseinanderfallen von Hören und Tun.

Hören ist Tun, beides als Schöpfung des Wortes Gottes.

3. Der dynamische Instrumentalismus ist abzulehnen —

er

ist ein dem Sachverhalt unangemessenes (wenn auch durch die gesamte Theologie seit Paulus hindurchgehendes) Bild; denn in ihm ist das grundsätzliche Gegenüber von Gott und Mensch aufgelöst und damit einer Mystik (Willensmyst ik, Heiligungsmystik) nicht mehr auszuweichen. Auch ist das

Tun dann immer etwas aus dem Hören (Glauben) Folgendes, Zweites, während es gerade das Hören, das Empfangen des Wortes selbst ist. Hören ist Tun.

4. Wenn Hören ursprünglich Tun ist, dann ist das Wort ein solches, das den Menschen in seiner ganzen Existe nz anredet

mit Leib und Seele, dann ist der Mensch noch ungespalten in nwveöua, voög, oöua, in Hören und Tun, in Passivität und

Aktivität, in Akt und Sein. 5. Der Mensch im status corruptionis ist dadur ch bestimmt,

Gehorsam

und Tun

163

daß Adam etwas für Gott ‚tun‘ wollte, daß sein Tun vom

Hören in unbegreiflicher Weise sich losgerissen hat. Damit ist der Mensch gespalten in Hören und Tun. Das Problem ist: Wie verhält sich nun Gottes Wort zu diesem zerspaltenen Menschen?

6. Gottes Wort ist dasselbe eine geblieben, aber es ergeht jetzt um des Menschen willen in der isolierten Gestalt des gepredigten Wortes. Zwar ist die Ganzheit des Wortes Gottes gewahrt im Sakrament, aber das Sakrament bedarf seinerseits der Auslegung durch die gesprochene Predigt, die nur den mit den Ohren hörenden Menschen erfaßt. Wie gelangt das mit den Ohren aufgenommene Wort zu den Händen, zum

Vollbringen? Das ist die theologisch-psychologische Frage. Durch die dritte Stufe der Reflexion. (Die erste: ich erkenne mich vor Gott im gläubigen Akt; die zweite: die theologische Reflexion auf das gehörte Wort und den Akt; die dritte: die praktische Reflexion

auf das aus dem Gehörten

Fol-

gende.) 7. Gehorsam bleibt actus directus, Tun ist dritte Stufe der Reflexion. Gehorsam ist im Hören des Wortes, im Sichvollziehenlassen des Wortes, im Glauben. Der Mensch, als der im Glauben, im Hören des Wortes um seine ursprüngliche Einheit weiß, weiß sich nun zugleich zu der Unmöglichkeit der Realisierung dieser Einheit aufgerufen und tut et-

was. Dieses Tun (das ganz Reflexion bleibt, es gibt ja kein ‚schlichtes Tun‘, vegetieren, schlafen, essen ... .) ist Gehorsam, ist actus directus, sofern es sich seiner Notwendigkeit und Unmöglichkeit in gleicher Weise bewußt ist; d. h. sofern es

im Glauben geschieht. (Das ist nicht identisch mit der Frage der acceptatio. Gott kann auch den Gehorsam noch verwerfen, bzw. muß den Gehorsam noch akzeptieren.) 8. Gehorsam ist das Hören des Wortes Gottes, Glaube und

sonst nichts. Das Wort vollzieht sich im status corruptionis im Glauben, d.h. im Hören des gefallenen Menschen. Das Wort

164

Lehrer an der Berliner

Universität,

1931—1933

als verbum visibile im Sakrament ist allein den Glaubenden visibile. Gehorsam hört das Wort, Tun hält sich ans Wort; damit ist die Kirchlichkeit als das erste Gebot des Tuns be-

gründet. Die Kirchlichkeit, die um ihre Notwendigkeit und um ihre Unmöglichkeit weiß, ist echte Kirchlichkeit.

Sünde und Verfehlung

1. Das dogmatische Problem: Sünde als Sein und als Akt. Sünde als Sein darf nicht als Seiendes, Vorfindliches ver-

standen werden, aus dem die Tat folgte. Beides im PersonSein, als Menschheit und als Ich.

2. Die Erkenntnis der Sünde ist gegenständlich — nichtge-

genständliche Erkenntnis. Sie entspringt wie alle Erkenntnis am Gegenstand, an der Verfehlung. Diese wird aber als Sünde nur dort erkannt, wo die einzelne Verfehlung sofort

als der Abfall meiner ganzen Existenz aus dem Bezogensein

auf Gott verstanden wird; d. h. wo ich mich als cor curvum in se verstehe.

3. Es gibt zwei Arten der Sündenerkenntnis: a) sündige Sündenerkenntnis, b) christliche Sündenerkenntnis.

Zu a) Anklage des Gewissens, Reue, contritio activa, nicht sterben wollen, sondern leben in der Sünde. Diese Reflexion ist Tod des ‚geistlichen Menschen‘, des neuen Ich. Vor dem

Gewissen ist jede Sinde — Verfehlung! Denn der Mensch

wird auf seine Verbesserungsfähigkeit angeredet. Zu b) ‚Sünde ansehen in Christus‘ ... „Suche Dich nur in Christus und nicht in Dir, so wirst Du Dich ewiglich in ihm finden“ (WA 2, 690). ‚Außer deinem Gewissen‘ in Christus. Hier Erkenntnis der Sünde unendlich verschärft und zu-

gleich aufgehoben, Tod und Leben, weil Leben, darum Tod. Sünde nicht =

Verfehlung, sondern cor curvum in se, ich

Sünde

und Verfehlung

165

glaube, daß ich Sünder bin. Contritio passiva — Reflexion in Christus. Glaube bleibt Buße. Aber diese Reflexion ist nun der dauernde Tod des alten Menschen (wie die Reflexion in

der Sünde der Tod des neuen Menschen war). Glaube ist Sterben, tägliches Sterben. Die letzte Reflexion ist... 4. Der Christ wird sich gehorsam täglich in dieses Sterben hineinstellen und wird auch hier immer wieder von den vor-

findlichen Verfehlungen

ausgehen. Sie gewinnen für ihn

die doppelte Bedeutung der Sünde und des Hinweises auf die

Sünde. Der Christ wird nicht an der Verfehlung hängen bleiben, er wird sie nicht überschätzen, d. h. er wird nicht durch

sie seinen Blick von seiner gefallenen Existenz abbringen lassen, er wird die Größe der Sünde nicht in ihr aufgehen lassen; er wird sie nicht unterschätzen, d. h. er wird sie als seine Tat anerkennen. Er wird aufmerksam werden auf die Verfehlungen, aber er wird noch viel mehr aufmerksam werden auf das Wort der Kirche, das ihn als Sünder bezeichnet, verurteilt und rechtfertigt.

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Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

Christologie [Vorlesung im Sommer-Semester 1933. Das Original-Manuskript ist vollständig verloren, das Folgende ein vom Herausgeber aus Nachschriften zusammengestellter Text. Siehe Nachweise Seite 551]

Einleitung:

I. Die Entfaltung der christologischen Frage II. Person und Werk Christi

1. Hauptteil: Der gegenwärtige Christus — das pro me I. Die Gestalt des Christus de Christus als Wort 2: Christus als Sakrament 3 Christus als Gemeinde II. Der Ort des Christus Ile Christus als Mitte der menschlichen Existenz 2: Christus als Mitte der Geschichte 3 Christus als Mitte zwischen Gott und Natur

2. Hauptteil: Der geschichtliche Christus I. Der Zugang zum geschichtlichen Christus II. Die kritische oder negative Christologie 1. Die doketische Häresie (Liberale Theologie) 2. Die ebionitische Häresie 3 Die monophysitische und nestorianische Häresie (Chalcedon, Luthertum, Kenotiker Kryptiker) . Die subordinatianische und modalistische Hä-

Im. a

resie

Der Ertrag der kritischen Christologie Die positive Christologie 1. Der Menschgewordene 9% Der Erniedrigte und der Erhöhte

>

Christologie

167

I. Die Entfaltung der christologischen Frage

Lehre von Christus beginnt im Schweigen. „Schweige still, denn es ist das Absolute“ (Kierkegaard). Das hat nichts mit mystagogischem Schweigen zu tun, welches in seiner Stummheit

heimliche

Geschwätzigkeit der Seele mit sich selbst ist. Das Schweigen der Kirche ist Schweigen vor dem Wort. Indem die Kirche das Wort verkündigt, fällt sie in Wahrheit schweigend vor dem Unaussprechbaren nieder: oıorı) g00xvvelodw To doENToVv (Cyrill von Alexandrien). Das gesprochene Wort ist das Unaussprechliche, dieses doonTov ist das Wort. Es muß gesprochen werden, es ist das große Feldgeschrei (Luther). Von der Kirche in die Welt geschrieen bleibt es doch das Unaussprechliche. Von Christus reden heißt schweigen, von Christus schweigen heißt reden. Rechtes Reden der Kirche aus rechtem Schweigen ist Verkündigung des Christus. Was wir hier wollen, ist Wissenschaft von dieser Verkündigung

treiben. Ihr Gegenstand zeigt sich wiederum nur in der Verkündigung selbst. Reden von Christus wird hier also Reden im schweigenden Raum der Kirche sein müssen. Im demütigen Schweigen der anbetenden Sakramentsgemeinde treiben wir hier Christologie. Beten ist Schweigen und Schreien zugleich, vor Gott im An-

gesicht seines Wortes. Um diesen Gegenstand seines Wortes Christus sind wir als Gemeinde versammelt. Jedoch nicht in der Kirche, sondern im Hörsaal. Wir haben wissenschaftlich zu arbeiten. Die Christologie als Wort von Christus ist eine eigentümliche Wissenschaft, da ihr Gegenstand Christus selbst das Wort, der Logos, ist. Christologie heißt Wort vom Wort Gottes. Christologie ist Logologie. So ist Christologie die Wissenschaft kat’ exochen, weil es in ihr um den Logos geht. Wäre dieser Logos unser eigener Logos, so wäre Christologie Reflexion des Logos auf sich selbst. Aber er ist der Logos Gottes. Seine Transzendenz macht die Chri-

stologie zur kat’ exochen, sein Von-außen-her zum Zentrum der Wissenschaft. Ihr Gegenstand bewährt seine Transzendenz darin, daß er Person ist. Der Logos, um den es hier geht, ist eine Person. Dieser Mensch ist das Transzendente. Das bedeutet zweierlei: 1. Der Logos ist keine Idee. Wo die Idee als letzte Wirklichkeit

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Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

des Logos gedacht wird, kann es letzten Endes kein Verständnis für den zentralen Charakter Christologie geben.

und die überragende

Stellung der

2. Die Christologie bleibt mit ihrem Anspruch, Wissenschaft kat’ exochen und Zentrum ihres Raumes zu sein, allein. Sie hat keinen Beweis als den Hinweis auf die Transzendenz ihres Gegenstandes. Ihr Satz von der Transzendenz, nämlich daß der Logos Person, Mensch ist, ist Voraussetzung und nicht Beweisgegenstand. Transzendenz, die wir zum Gegenstand des Beweises werden statt sie Voraussetzung des Denkens sein lassen, ist nichts als die Immanenz der sich selbst begreifenden Vernunft. Nur eine Wissenschaft, die sich selbst im Raum der Kirche versteht, wird hier zustimmen können, daß die Christologie Zentrum des Wissenschaftsraumes ist. Sie ist die unerkannte und verborgene Mitte der universitas literarum.

Alle wissenschaftlichen Fragen können auf zwei Fragen zurückgeführt werden: a) Was ist die Ursache von x? b) Was ist der Sinn von x? Die erste Frage umgreift den Bereich der Naturwissenschaften, die zweite den der Geisteswissenschaften. Beide gehören zusammen. Der Gegenstand x ist von der Naturwissenschaft erfaßt, wenn er in seiner ursächlichen Zusammenordnung mit anderen Gegenständen verstanden ist. Der Gegenstand x wird von den Geisteswissenschaften erfaßt, wenn er in seinem Sinnzusammenhang mit anderen bekannten Gegenständen verstanden ist. Beiden geht es um die Frage der Einordnung. Ein unbekannter Gegenstand wird durch die Möglichkeit der Einordnung in das

vorhandene Schema bekannt. Wie gehört der Gegenstand x in die bereits zur Verfügung stehende Ordnung hinein? Die Frage richtet sich auf diese Möglichkeiten des Gegenstandes, auf sein „Wie“. Durch sein „Wie“ wird der Gegenstand bestimmt, begriffen, erkannt. D.h. der immanente Logos des Menschen bestimmt durch seine Einordnung das „Wie“ des Gegenstandes. Das wird wichtig

für die Frage nach der Christologie. Wie ist eine Einordnung dieses Gegenstandes möglich? Die letzte Voraussetzung des Menschen ist ihm in seinem mensch-

lichen, einordnenden Logos gegeben. Was geschieht, wenn ihm diese Voraussetzung seines Wissenschaftsbereiches in Zweifel ge-

Christologie

169

zogen wird? Was, wenn irgendwo der Anspruch erhoben wird, dieser Logos des Menschen sei aufgehoben, gerichtet, tot? Was geschieht, wenn ein Gegen-Logos auftritt, der sich der Einordnung versagt? Der den ersten vernichtet? Was, wenn seine Ordnung als durchbrochen und überwunden und das Gegenüber einer neuen Welt schon angefangen verkündet wird? Welche Antwort gibt der Logos des Menschen, der darauf angeredet wird? Zunächst wiederholt der menschliche Logos seine alte Frage: Wie ist solch ein Anspruch möglich? wie innerhalb seiner Ordnung noch zu begreifen? Er bleibt also stehen bei seiner Frage nach dem „Wie“. Aber unter der Bedrohung seiner Herrschaft von außen vollbringt er nun Grandioses. Er kommt dem Anspruch

zuvor, indem er sich selbst negiert und zugleich behauptet, daß diese Verneinung eine notwendige Entfaltung seines eigenen Wesens ist. Das ist die letzte List und die letzte Kraft dieses Logos. Dies ist, was Hegel in seiner Philosophie getan hat. Diese Reaktion des Logos unter dem Angriff des Gegenlogos ist keine

banausische Abwehr des anderen Logos wie in der Aufklärung, sondern es ist die große Einsicht in seine Kraft der Selbstverneinung. Die Selbstverneinung bedeutet jedoch die Selbstbejahung. Indem der Logos sich selbst begrenzt, setzt er sich selbst wieder in Macht. Dennoch anerkennt der Logos den Anspruch des Gegen-

logos. Damit scheint der Versuch, seine letzte Voraussetzung anzugreifen, mißlungen zu sein. Der Logos hat den Gegenlogos in

sich aufgenommen. Was aber geschieht, wenn der Gegenlogos in ganz neuer Gestalt seinen Anspruch erhebt? Wenn er nicht mehr eine Idee ist, sondern Wort, das sich gegen die Herrschaft des Logos wendet? Wenn er irgendwann und irgendwo in der Geschichte als Person auftritt? Wenn er sich als Gericht des menschlichen Logos erklärt und auf sich weist: Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben?

Ich bin der Tod des Menschenlogos, ich bin das Leben des Gotteslogos? Der Mensch mit seinem Logos muß sterben, er fällt in meine Hände? Ich bin der Erste und der Letzte?

Wenn der Gegenlogos in der Geschichte nicht mehr als Idee auftritt, sondern als fleischgewordenes Wort, gibt es keine Möglichkeit mehr, ihn in die eigene Logosordnung hineinzunehmen. Hier

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bleibt sachlich nur noch die Frage: Wer bist Du? Rede selbst! Die Frage: „Wer bist Du?“ ist die Frage der entthronten, der ent-setzten Vernunft. Ebenso ist es aber auch die Frage des Glau-

bens: Wer bist Du, bist Du Gott selbst? Um diese Frage geht es

in der Christologie. Christus ist der Gegenlogos. Die Einordnung ist keine Möglichkeit mehr, weil das Dasein dieses Logos das Ende des menschlichen Logos bedeutet. Allein die Frage: „Wer bist

Du?“ ist die angemessene Frage. Ihr erschließt sich das Phäno-

men. Auf die Frage nach dem „Wer“ antwortet er.

Die Frage nach dem „Wer“ ist die Frage nach der Transzendenz.

Die Frage nach dem „Wie“ ist die nach der Immanenz. Weil der hier Befragte der Sohn ist, vermag die immanente Frage ihn nicht zu fassen. Nicht „Wie bist Du möglich?“ — das ist die gottlose Frage, die Frage der Schlange —, sondern „Wer bist Du?“. Die Wer-Frage drückt die Fremdheit und Andersartigkeit des Gegenübers aus, sie enthüllt sich zugleich als die Existenzfrage des Fragenden selbst. Er fragt nach dem dem eigenen Sein fremden Sein, nach den Grenzen seiner eigenen Existenz, Transzendenz stellt sein eigenes Sein in Frage. Mit der Antwort, daß sein Logos seine Grenze erfährt, stößt er an die Grenze seiner Existenz. So ist die Transzendenzfrage die Existenzfrage und die Existenzfrage ist die Transzendenzfrage. Theologisch ausgedrückt: allein von Gott her weiß der Mensch, wer er ist. Die Frage: „Wer bist Du?“ ist im täglichen Leben vorhanden. Aber, unstreng gefaßt, ist sie jeweils auflösbar in die einordnende Wie-Frage. Sage mir, wie Du bist; sage mir, wie Du denkst, so

will ich Dir sagen, wer Du bist. Diese profanisierte Wer-Frage

ist ein Rest der mit jedem Leben gesetzten ursprün glichen religiösen Frage. Die Wer-Frage ist die religiöse Frage schlechthin. Sie ist die Frage nach dem anderen Mensch en und seinem An-

spruch, nach dem anderen Sein, nach der anderen Autorität. Sie

ist die Frage der Liebe zum Nächsten. Transz endenz- und Existenzfrage werden zur Personfrage. Das heißt: der Mensch kann die Wer-Frage nicht selbst beantworten. Die Existenz kann nicht

aus sich heraustreten, sie bleibt auf sich bezogen und spiegelt sich nur in sich. Gefesselt in ihre eigene Autorität fragt sie doch immer wieder nach dem Wie. Das Herz ist das cor curvum in se

Christologie

171

(Luther). Wenn wir fragen: „Wer bist Du?“, dann reden wir wohl

in der Sprache des gehorsamen Adam, aber wir denken in der Sprache des gefallenen Adam, im „Wie bist Du“. Diese hat die erste Sprache verwüstet. Können wir überhaupt die strenge Frage nach dem „Wer“ stellen? Können wir, nach dem Wer fragend, etwas anderes meinen als das Wie? Wir können es nicht. Das Geheimnis des Wer bleibt verhüllt. Die letzte Frage des kritischen Denkens steht im Zwiespalt, daß es nach dem Wer fragen muß und doch nicht kann. Das bedeutet zunächst: Die Frage muß immer schon beantwortet sein, soll sie richtig gestellt werden. Nach dem Wer kann nur legitim gefragt werden, wo sich der Gefragte vorher selbst offenbart und den immanenten Logos aufgehoben hat. Die Frage nach dem Wer setzt die vorher ergangene Antwort voraus. Das bedeutet weiter: Die christologische Frage kann wissenschaftlich nur im Raum der Kirche gestellt werden. Dort, wo der Anspruch Christi, der Logos Gottes zu sein, als zu Recht bestehend vorausgesetzt ist. Dort, wo nach Gott gefragt wird, weil man schon weiß, wer er ist. Es gibt kein allgemeines blindes Drauflossuchen nach Gott. Hier kann man nur suchen, was bereits gefunden ist. „Du würdest mich nicht suchen, wenn Du mich nicht schon ge-

funden hättest“ (Pascal).

Dieser Gedanke findet sich auch bei

Augustin. Damit ist. der Ort gegeben, an dem die christologische Arbeit einzusetzen hat. In der Kirche, in der Christus sich als das Wort Gottes offenbart hat, stellt der menschliche Logos die Frage: Wer bist Du, Jesus Christus, Wort Gottes, Logos Gottes? Die Antwort ist gegeben, die Kirche empfängt sie täglich neu. Der menschliche Logos sucht sie zu verstehen, nachzudenken, zu explizie-

ren. Zwei Fragen bleiben vom

christologischen Denken

demnach

aus-

geschlossen: 1. Ob die vorgegebene Antwort und die entsprechende Wer-Frage

der Kirche zu Recht bestehen oder nicht. Diese Frage hat kein Recht, weil es für den menschlichen Logos keine Instanz geben kann, die Wahrheit des anderen Logos anzuzweifeln. Das Zeugnis

Jesu von sich selbst steht allein auf sich selbst, sich selbst beweisend. Es liegt im Rücken jeder Theologie. Das „Daß“ der Offen-

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barung Gottes in Christus kann wissenschaftlich weder behauptet noch bestritten werden. 2. Wie das „Daß“ der Offenbarung denkbar sei. Diese Frage läuft

darauf hinaus, hinter. den Anspruch Christi zurückzukommen und ihn selber zu begründen. Damit maßt sich der menschliche Logos an, der Anfang und der Vater Jesu Christi zu sein. In maßlosem Anspruch intendiert der menschliche Logos trinitarische

Gestalt. Unter Ausschluß dieser beiden Fragen bleibt es bei der Frage

nach dem Wer, nach dem Sein, nach Wesen und Natur des Christus. Das heißt, die christologische Frage ist in ihrem Wesen eine ontologische Frage. Ihr Ziel ist, die ontologische Struktur des Wer herauszuarbeiten, ohne in die Scylla der Wie-Frage oder in die Charybdis der Daß-Frage zu stürzen. Die alte Kirche ist an

der Wie-Frage, die moderne Theologie seit der Aufklärung und

Schleiermacher ist an der Daß-Frage gescheitert. In der Mitte hindurchgegangen sind das Neue Testament, Paulus und Luther. Wir kehren zum Ausgang zurück. Inwiefern ist die christolog ische Frage die zentrale der Wissenschaft? Insofern, als in ihr allein die Transzendenzfrage in der Gestalt der Existenzfrage gestellt ist. Insofern als hier die ontologische Frage als Frage nach dem Sein einer Person, der Person Jesu Christi gestellt ist. Von der Transzendenz der Person Christi wird der alte Logos gerichtet und lernt sein neues relatives Recht begreifen, seine Grenze und seine Notwendigkeit. Als Logologie ist die Christolog ie erst die Ermöglichung der Wissenschaft überhaupt. Hiermit ist jedoch nur

die formale Seite berührt. Wichtiger ist die inhaltliche Seite. Die menschliche Vernun ft wird durch die Wer-Frage an ihre Grenze gestellt. Was geschieht, wenn

der Gegenlogos seinen Anspruch erhebt? Der Mensch vernichtet das Wer, das ihm gegenüber steht. „Wer bist Du?“ fragt Pilatus. Jesus schweigt. Der Mensch kann die gefährl iche Antwort nicht abwarten. Der Logos erträgt den Gegenlogos nicht. Er weiß, daß einer sterben muß. So tötet er den eben Befragten. Weil der menschliche Logos nicht sterben will, darum muß der Gottes-Logos, der sein Tod wäre, sterben, damit er weiterlebt mit seiner

unbeantworteten Existenz- und Transzendenzfrage. Der Mensch-

Christologie

gewordene

Gottes-Logos

muß

ans

Kreuz

173

durch den Menschen-

logos. Der die gefährliche Frage aufzwang, wird getötet und mit ihm die Frage.

Was geschieht jedoch, wenn dieses getötete Gegenwort sich lebendig und siegreich als das letzte Wort Gottes aus dem Tod erhebt? Wenn es sich gegen seinen Mörder aufrichtee? Wenn der Gekreuzigte sich als Auferstandener zeigt? Hier spitzt sich die Frage „Wer bist Du?“ auf das schärfste zu. Hier steht sie ewig lebendig über, um und im Menschen, als Frage wie als Antwort. Gegen den Menschgewordenen vermochte der Mensch zu streiten, dem Auferstandenen gegenüber bleibt er machtlos. Nun ist er selbst

der Gerichtete und Getötete. Die Frage wendet sich um und fällt auf den menschlichen Logos zurück: Wer bist denn du, daß du so fragst? Bist denn du in der Wahrheit, daß du so fragst? Wer

bist denn du, der du doch nur nach mir fragen kannst, wenn ich dich instandsetze, rechtfertige und begnadige? Erst wo diese gewendete Frage mitgehört wird, erst da ist die christologische Frage nach dem Wer endgültig formuliert. Daß der Mensch seinerseits so gefragt wird, zeigt schon an, wer da fragt. Nur Gott kann so fragen. Ein Mensch kann den anderen nicht so fragen. Hier kann dann nur noch zurückgefragt werden: Wer bist Du? Die Fragen nach dem „Daß“ und „Wie“ sind weg-

gefallen. Was kann das konkret heißen? Der Unbekannte tritt auch heute Menschen in den Weg, so daß nur noch die Frage bleibt: Wer bist Du?, wie oft sie auch abgebogen wird. Sie müssen sich mit ihm auseinandersetzen. Auch mit Goethe und Sokrates muß man sich auseinandersetzen. Davon hängt unsere Bildung und unser Ethos ab. Von der Auseinandersetzung mit Christus hängen aber Leben und Tod, Heil und Verdammnis ab. Von außen gesehen ist das nicht einzusehen. In der Kirche ist es aber der Satz, auf dem alles ruht: „Es ist in keinem anderen Heil* (Apg 4, 12). Die

Begegnung mit Jesus hat ein andere Ursache als die mit Sokrates und Goethe. An der Person Jesu kommt man darum nicht vorbei, weil er lebt. An der Person Goethes kommt man zur Not vorüber,

weil er tot ist. Tausendfach sind die Versuche, der Begegnung mit Jesus sowohl standzuhalten wie auszuweichen.

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Für die Welt des Proletariates scheint Christus mit der Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft erledigt zu sein. Für sie besteht

kein Anlaß

mehr, der Begegnung

mit Jesus einen qualifizierten

Platz einzuräumen. Die Kirche kommt anstalt und Sanktionierung

auf die Verdummungs-

des kapitalistischen

Systems

hinaus.

Aber grade hier besteht für sie auch die Möglichkeit der Distan-

zierung Jesu von seiner Kirche; er ist nicht der Schuldige. Jesus ja, Kirche nein. Jesus kann hier zum Idealisten, zum Sozialisten werden. Was heißt es, wenn der Proletarier in seiner Welt des

Mißtrauens sagt: Jesus war ein guter Mensch? Es heißt, daß man zu ihm kein Mißtrauen zu haben braucht. Der Proletarier

sagt nicht: Jesus ist Gott. Aber mit dem Wort von dem guten Menschen Jesus sagt er jedenfalls mehr, als wenn der Bürger sagt: Jesus ist Gott. Gott ist für ihn etwas, was der Kirche ange-

hört. Aber in den Fabrikräumen

kann Jesus gegenwärtig sein

als der Sozialist; in der politischen Arbeit als der Idealist; im pro-

letarischen Dasein als der gute Mensch. In ihren Reihen kämpft

er mit gegen den Feind, den Kapitalismus. Wer bist Du? Bist Du Bruder und Herr? Wird hier der Frage nur ausgewichen ? Oder wird sie in ihrer Weise ernsthaft gestellt?

Dostojewskij läßt die Christusgestalt im Glanz der russisch en Bildung im Idioten erscheinen. Er sondert sich nicht ab, aber unge-

schickt stößt er überall an. Er geht mit den Kindern. Er wird belächelt und er ist der Weise. Er trägt alles revolutionär und er fügt sich ein. Er

nicht mit Großen um, aber und geliebt. Er ist der Narr und er vergibt alles. Er ist will das nicht — aber durch

seine reine Existenz macht er auf sich aufmerksam. Wer bist Du? Idiot oder Christus?

Man denke an Gerhart Hauptmanns Roman „Der Narr in Christo Emanuel Quint“ oder an die Christusdarbzw. -entstellungen von Wilhelm Groß und George Grosz, hinter denen die Frage

lauert: Wer bist Du eigentlich? Christus geht durch die Zeiten,

neu befragt und neu verfehlt, neu getötet .

Die gleichen Versuche, Jesus zu begegnen oder an ihm vorbeizukommen, macht der Theologe. Theologen verrat en ihn und heucheln Teilnahme. Christus wird immer mit dem Kuß verraten.

Mit ihm fertig werden

wollen, heißt immer

mit den Spöttern

Christologie

115

niederfallen und sagen: „Gegrüßet seist Du, Rabbi!“ Es gibt im Grunde nur die zwei Möglichkeiten der Begegnung mit Jesus: der Mensch muß sterben oder der Mensch tötet Jesus. Die Frage „Wer bist Du?“ bleibt zweideutig. Sie kann die Frage dessen sein, der sich selbst schon getroffen weiß, wenn er fragt, und der die Gegenfrage hört: Wer bist denn du? Sie kann aber auch die Frage dessen sein, der, wenn er fragt, meint: wie werde ich mit dir fertig — und dann wird sie zur verkappten Wie-Frage. Die Wer-Frage kann an Jesus nur im Hören der Rückfrage gestellt werden. Dann ist nicht der Mensch mit Jesus, sondern Jesus mit dem Menschen fertig geworden. So ist die Wer-Frage nur in dem Glauben zu sprechen, der Rückfrage und Antwort bereits enthält. Solange die christologische Frage die Frage des menschlichen Logos ist, bleibt sie in der Zweideutigkeit der Wie-Frage haften. Wenn sie aber im Akt des Glaubens laut wird, hat sie als Wissenschaft die Möglichkeit, die Wer-Frage zu stellen. Im Aufbau der Autoritäten gibt es zwei sich gegenüberstehende Typen: die Autorität im Amt und die Autorität der Person. Die Frage an die Autorität im Amt lautet: Was bist Du? Das „Was“ erstreckt sich auf das Amt. Die Frage an die Autorität der Person lautet: Woher hast du diese Autorität? Antwort: Von dir, der du meine Autorität über dich anerkennst. Beide Fragen lassen sich auf die Wie-Frage zurückführen und in sie einordnen. Im Grunde ist jeder wie ich. Voraussetzung ist, daß der Befragte in seinem Sein mit mir identisch ist. Die Autoritäten sind nur Träger der Autorität einer Gemeinschaft, Träger eines Amtes, Träger eines Wortes, nicht das Amt selbst, nicht das Wort selbst. Auch die Propheten sind, was sie sind, nur als Träger eines Wortes. Was aber geschieht, wenn einer mit dem Anspruch auftritt, daß er nicht nur Autorität hat, sondern ist; nicht nur ein Amt hat, sondern das Amt ist; nicht nur ein Wort hat, sondern das Wort ist? Hier geschieht der Einbruch eines neuen Seins in unser

Sein. Hier ist die höchste Autorität in der Welt, der Prophet, am Ende. Hier ist nicht mehr ein Heiliger, ein Reformator, ein Pro-

phet, sondern hier ist der Sohn. Da wird nicht mehr gefragt: Was oder Woher bist Du? Da wird die Frage nach der Offenbarung selbst gestellt.

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II. Person und Werk Christi Christologie ist nicht Soteriologie. Wie verhalten sich beide zuein-

ander? Wie die Lehre von der Person Christi zu der Lehre von den Werken Christi? In Melanchthons Loci heißt es klassisch: „hoc est Christum cognoscere, beneficia ejus cognoscere; non quod isti (i.e. die Scholastiker) docent: ejus naturas modos incarnatio-

nis contueri“, Hier ist die christologische Frage auf die soteriologische zurückgeführt und in ihr erledigt. Das Wer

Christi wird

hier allein aus seinem Werk erkannt. Das hat zur Folge, daß eine spezifische Christologie für überflüssig gelten muß. Diese Auffassung hat Epoche gemacht. Sie wurde von Schleiermacher und Ritschl durchgeführt. Systematisch lautet die Frage: Interpretiert das Werk die Person oder interpretiert die Person das Werk? Luther wiederholt oft, alles käme darauf an, ob die Person gut sei; ist die Person gut, ist auch das Werk gut, auch wenn es nicht so scheint. Ist dagegen das Werk gut, so läßt das keinen Rückschluß auf die Person zu. Das Werk mag gut aussehen, es kann dennoch Teufelswerk sein. Der Teufel erscheint in der Lichtgestalt des Engels.

Das Werk mag böse aussehen, es kann dennoch Gotteswerk sein.

Eine gegenteilige Auffassung vom Menschen führt in die Werkgerechtigkeit. Für Luther interpretiert die Person das Werk. Die Person wird aber von uns nicht erkannt, sondern allein von Gott. „Es kennt der Herr die Seinen“ (2. Tim 2, 19). So gibt es also keinen Zugang zum Werk, es sei denn über die Person; der Zugang zur Person ist uns jedoch verlegt durch das Geheimnis der Prädestination Gottes. Der Versuch, sich deshalb doch durch das

Werk an die Person zu halten, bleibt ohne Erfolg, weil das Werk

zweideutig ist. Es gibt keinen anderen Zugang zum Menschen, als wenn dieser sich von sich aus offenbart. Dies geschieht realiter in

der Kirche im Geschehen der Sündenvergebung. Hier stellt sich

der eine dem anderen als Sünder, bekennt und läßt sich vom Bru-

der die Sünde vergeben. In der Kirche gibt es somit das Wissen

um die Person des anderen.

Diese Gedanken sind analog dem Tatbestand in der Christologie. Nur wenn

ich weiß, wer dies Werk

tut, habe ich Zugang zum

Christologie

177

Werk Christi. Es kommt alles darauf an, die Person zu kennen, um auch das Werk zu erkennen. War er ein idealistischer Religionsstifter, kann ich durch sein Werk erhoben und zur Nacheiferung angetrieben werden. Meine Sünde ist mir aber nicht vergeben, Gott bleibt noch zornig und ich bleibe dem Tod verfallen. Jesu Werk führt zur Verzweiflung an mir selbst, da ich das Vorbild nicht erreiche. Ist Jesus aber der Christus, das Wort Gottes, dann bin ich in erster Linie nicht dazu aufgerufen, es ihm gleich zu tun, sondern bin in seinem Werk als einer getroffen, der das Werk in keiner Weise selbst tun konnte. Durch sein Werk erkenne ich den gnädigen Gott. Die Sünde ist vergeben, ich bin nicht mehr im Tode, sondern im Leben. Es hängt alles von der Person Christi ab, ob sein Werk in der Welt des Todes vergeht oder ob es in einer neuen Welt des Lebens bleibt. Aber wie soll die Person Christi anders erkannt werden als aus ihrem Werk? d.i. anders als aus der Geschichte? Dieser Einwand enthält den tiefsten Irrtum. Denn auch Christi Werk ist nicht eindeutig. Es bleibt verschiedensten Interpretationen zugänglich. Sein Werk ließe auch die Auslegung zu, daß er ein Held ist; sein Kreuz die Auslegung, daß es die vollkommene Tat der Überzeugungstreue des Mutigen ist. Es gibt keinen Punkt im Leben Jesu, auf den man hinweisen könnte, um eindeutig zu sagen, hier ist

Jesus unzweifelhaft der Sohn Gottes, eindeutig aus einem der Werke zu erkennen. Er tut sein Werk vielmehr im Inkognito der Geschichte, im Fleisch. Im Inkognito der Fleischwerdung liegt die

doppelte Unmöglichkeit begründet, die Person aus ihren Werken zu erkennen: 1. Jesus ist Mensch und der Rückschluß vom Werk auf die Person zweideutig,

2. Jesus ist Gott und der direkte Rückschluß von der Geschichte auf Gott unmöglich. Ist dieser Erkenntnisweg verschlossen, dann gibt es nur noch einen Versuch, den Zugang zu Jesus Christus zu finden. Das ist der Versuch, sich an den Ort zu begeben, wo die Person sich in ihrem eigenen Sein, durch nichts erzwungen, selbst offenbart. Das ist der Ort des Gebetes zu Christus. Allein durch das Wort freier

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Selbstoffenbarung

erschließt

Universität,

sich die Person

ihr Werk.

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Christi

und

damit

Damit ist die theologische Priorität der christologischen vor der soteriologischen Frage erwiesen. Wenn ich weiß, wer es ist, der es tut, werde ich auch wissen, was er tut. Dennoch wäre es falsch, daraus zu schließen, daß Person und Werk voneinander getrennt

werden könnten. Es geht hier aber um die Frage des Erkennt-

niszusammenhanges von Person und Werk und nicht um die Frage ihres Realzusammenhanges. Die Trennung der christologischen von der soteriologischen Frage hat tatsächlich nur theologischmethodische Notwendigkeit. Denn die christologische Frage muß

ihrem Wesen nach an den ganzen, einen Christus gerichtet wer-

den. Dieser ganze Christus ist der geschichtliche Jesus, der von

seinem Werk nie und nirgends zu trennen ist. Er wird befragt

und er antwortet als der, der sein Werk selber ist. Aber die Christologie fragt primär nach seinem Sein und nicht nach seinem Tun. Abstrakt formuliert: Der Gegenstand der Christologie ist die personale Seinsstruktur des ganzen geschichtlichen Jesus

Christus.

1. Hauptteil

Der gegenwärtige Christus — Das „Pro me“

Jesus ist der gegenwärtige Christus als Gekreuzigter und Auf-

erstandener. Das ist die erste christologische Aussage . Die Gegenwart ist zeitlich und räumlich zu verstehen, hic et nunc. So gehört sie zur Bestimmung der Person. Beides läuft zusammen im Be-

griff der Kirche. Christus ist als Person gegenwärtig in der Kirche. Das ist die zweite christologische Bestimmung. Nur weil Christus

gegenwärtig ist, können wir ihn befragen. Diese Gegenwart ist die Voraussetzung für die Entfaltung der christologischen Frage.

Nur weil in der Kirche Verkündigung und Sakram ent sich vollziehen, kann nach dem Christus gefragt werden. Das Verständnis der Gegenwart öffnet das Verständnis der Person.

Christologie

179

Dieses Verständnis ist zwei schweren Mißdeutungen ausgesetzt: a) Man versteht unter der Gegenwart Christi die von ihm ausgehende Wirkung; sie reicht in die Gemeinde hinein. Nicht Christus selbst ist gegenwärtig, sondern seine effektive geschichtliche

Wirksamkeit. Christus ist hier wesentlich dynamisch gedacht. Er ist eine historische Energie, die nicht verloren geht, sondern sich weiter mitteilt. Die Gegenwart Christi wird hier in der Kategorie von Ursache und Wirkung gedacht. b) Man versucht über die Geschichte hinweg das Bild Christi immer wieder zur Anschauung zu bringen; sei es das Bild, welches

sich die Aufklärung und der Rationalismus machten, sei es das Bild vom

inneren

Leben

Jesu, wie es Wilhelm

Herrmann

ent-

worfen hat. Beide Betrachtungen gehen vielfah Hand in Hand wie bei Schleiermacher. Ritschl vertritt die erste, sein Schüler Herrmann die zweite Auffassung. Gemeinsam unterläuft beiden der Fehler in der Christologie. Christus wird begriffen von seinen historischen Wirkungen aus, er ist wesentlich Kraft, dynamis, jedoch nicht Person. Die Dynamis kann verschieden gedacht sein: als der Nachhall der

historischen Wirksamkeit oder als das neu aufblitzende Bild der Idealität des Menschen Jesu. Dabei wird die historische Kraft mehr dem Zeitlichen, dem nunc, die ideelle Kraft mehr dem Örtlichen, dem hic entsprechen; erstere in der Kategorie der Ursache, letztere in der Kategorie der Anschauung denken. Christus wird dabei im Grunde nicht als Person, sondern als

apersonale Kraft vorgestellt. Das trifft auch dort zu, wo man von der „Persönlichkeit“ Jesu spricht. In diesem Zusammenhang bezeichnet Persönlichkeit das Gegenteil von dem, was hier mit Per-

son gemeint ist. Persönlichkeit ist die Fülle und Harmonie der Werte, die in dem Phänomen Jesus Christus zusammengefaßt sind. Persönlichkeit ist im Grunde ein apersonaler Begriff. Er geht auf

in den Neutra Kraft und Wert. Damit ist aber die christologische Frage ausgelöscht. Person hingegen ist jenseits von Wirksamkeit und Bild, Kraft und Wert. Nach der Persönlichkeit fragt man

„wie“ und „was“, nach der Person „wer“. Jesus als Persönlichkeit, Kraft, Wert erschöpft sein Sein in seinem Werk, seine Person in

seinem Tun. Dann ist der Rückschluß vom Werk auf die Person

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1931—1933

das einzig Mögliche. Verschleiert im Hintergrund

dieser Auffas-

sung der Gegenwart Christi steht, daß sie nicht mit der Auferstehung, sondern nur mit dem Jesus bis zum Kreuz, mit dem histori-

schen Jesus rechnet. Es ist der tote Jesus Christus, der wie Sokrates und Goethe gedacht werden kann. Allein der Auferstandene

ermöglicht erst die Gegenwart der lebendigen Person und gibt die Voraussetzung für die Christologie, nicht mehr aufgelöst in historische Energie oder ein angeschautes Christusideal. Luther versuchte die Gegenwart Christi von der Himmelfahrt

her zu interpretieren. Dadurch daß Christus zur Rechten Gottes sitzt, kann er der Gegenwärtige sein. „Da er auf Erden war, war er uns fern. Nun er uns ferne ist, ist er uns nah.“ Das bedeutet: nur der Auferstandene und zum Himmel Gefahrene ermöglicht

die Gegenwart, und nicht der nur Innergeschichtliche. Ritschl und Herrmann schieben die Auferstehung beiseite; Schleiermacher symbolisiert sie; damit zerstören sie die Kirche. Paulus: „Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel, so seid ihr noch in euren Sünden“ (1. Kor 15, 17). Hier stehen wir beim ersten christologischen Problem: Ist Christus nicht nur als Kraft, sondern in seiner Person gegenwärtig,

wie ist diese Gegenwart zu denken, da sie die Ganzheit dieser

Person nicht verletzen darf? Gegenwart heißt gleichzeitig und am gleichen Ort, d. i. anwesend sein. Auch als Auferstandener bleibt Jesus Christus der Mensch Jesus in Raum und Zeit. Nur weil Jesus Christus Mensch ist, hat er die Gegenwart von Zeit und Orr. Nur weil Jesus Christus Gott ist, hat er ewige Gegenwärtigkeit. Die Gegenwart Christi erzwingt den Satz: Jesus ist ganz Mensch — und sie erzwingt den anderen Satz: Jesus ist ganz Gott. Gleichzeitigkeit und Anwesenheit Jesu Christi in der Kirche sind Prädikate der einen ganzen Person des Gott-Menschen. Unmöglich

ist deshalb die Frage, wie denn der in Raum und Zeit gebundene

Mensch Jesus mit uns gleichzeitig sein könne, Es gibt diesen Jesus in der Isolierung nicht. Unmöglich ist ebenso die andere Frage, wie denn Gott in der Zeit sein könne. Es gibt diesen isolierten Gott nicht. Möglich und sinnvoll ist allein die Frage: Wer ist gegenwärtig, gleichzeitig und anwesend? Antwort: Die eine Person des

Gott-Menschen Jesus Christus. Ich weiß nicht, wer der Mensch Je-

Christologie

181

sus Christus ist, wenn ich nicht gleichzeitig sage: Gott Jesus Christus — und ich weiß nicht, wer der Gott Jesus Christus ist, wenn ich nicht gleichzeitig sage: Mensch Jesus Christus. Beide Größen können nicht isoliert werden, denn sie sind nicht isoliert. Gott in zeitloser Ewigkeit ist nicht Gott, Jesus in zeitlicher Begrenztheit ist nicht Jesus. Vielmehr in dem Menschen Jesus ist Gott Gott. In diesem Jesus Christus ist Gott gegenwärtig. Dieser eine GottMensch ist der Ausgangspunkt der Christologie. Die Raum-Zeitlichkeit ist nun nicht nur die menschliche, son-

dern auch die gottheitliche Bestimmung des Gott-Menschen. Dieser raum-zeitlich Gegenwärtige, der Gott-Mensch ist verhüllt &v öworduarı 0a0xög (Rö 8,3). Die Gegenwart ist verhüllte Gegenwart. Es ist aber nicht so, daß Gott im Menschen verhüllt wäre, vielmehr dieser Gott-Mensch als ganzer ist in dieser Welt verhüllt im öuoloua oaoxösg.D.h. das Prinzip der Verhüllung ist nicht der Mensch als solcher, nicht Raum und Zeit, sondern die öuoloua ca0x0s, d.i. die Welt zwischen Versuchung und Sünde, Damit verschiebt sich das ganze christologische Problem. Denn hier steht nicht das Verhältnis eines isolierten Gottes zu einem isolierten Mensch in Christus zur Debatte, sondern das Verhältnis des vorgegebenen Gott-Menschen zum öuolwua oaoxög. Dieser Gott-Mensch Jesus Christus ist anwesend und ist. gleichzeitig in der Gestalt des öuoloua oa0xös, d.h. in verhüllter Gestalt, in der Gestalt des Argernisses. Das ist das Zentralproblem der Christologie.

Die Gegenwart des vorgegebenen Gott-Menschen Jesus Christus ist verhüllt für uns existent in der ärgerlichen Gestalt der Ver-

kündigung. Der verkündigte Christus ist der wirkliche Christus. Die Verkündigung ist nicht eine zweite Menschwerdung. Die Ärgerlichkeit Jesu Christi ist nicht seine Menschwerdung — sie ist ja Offenbarung! —, sondern seine Erniedrigung. Menschheit Chri-

sti und Erniedrigung Christi sind sorgsam zu unterscheiden. Mensch ist Jesus Christus als Erniedrigter und als Erhöhter. Argerlich ist allein die Erniedrigung. Die Lehre vom Ärgernis hat ihren Ort nicht in der Lehre von

der Inkarnation

Gottes, son-

dern in der Lehre vom Stand der Erniedrigung des Gott-Menschen. Zur Erniedrigung gehört das öuoloua oaoxog: Das aber be-

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Universität.

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deutet für uns: Christi Gegenwart als Auferstandener und Er-

höhter gibt es nur in der Verkündigung; das bedeutet aber gleichzeitig: nur auf dem Weg neuer Erniedrigung. In der Verkündi-

gung ist also der Auferstandene und Erhöhte in seiner Erniedrigung gegenwärtig. Diese Gegenwart hat dreifache Gestalt in der

Kirche: meinde.

die des Wortes,

die der Sakramente

und die der Ge-

Aber die Grundfrage der Gegenwart Christi ist noch nicht beant-

wortet. Die Frage darf nicht lauten: Wie kann der Mensch Jesus,

oder wie der Gott Christus hier gleichzeitig sein. Die Faktizit ät der Gegenwart

ist nicht fraglich. Sondern

die Frage muß

lau-

ten: kraft welcher Personstruktur ist Christus der Kirche gegen-

wärtig? Antwortet man „kraft seiner Gott-Menschlichkeit“, so ist das richtig, aber es fehlt die Explizierung. Die Persons truktur ist

näher zu bezeichnen und als die Pro-me-Struktur des Gott-M en-

schen Jesus Christus zu entfalten. Christus ist Christus nicht als Christus für sich, sondern in seiner Bezogenheit auf mich. Sein

Christus-Sein ist sein pro-me-Sein. Dieses pro-me-Sein will wie-

derum nicht verstanden sein als eine Wirkung, die von ihm ausgeht, oder als ein Akzidens; sondern es will verstanden sein als das Wesen, als das Sein der Person selbst. Der Personkern selbst ist das pro me. Dieses pro-me-Sein Christi ist keine historische

oder ontische Aussage, sondern eine ontologische. D.h. Christus kann

nie in seinem

an-sich-Sein

gedacht

werden,

sondern

nur

in seiner Bezogenheit auf mich. Das heißt weiter, Christus kann

nur im existentiellen Bezug, anders ausgedr ückt: in der Gemeinde gedacht werden. Christus ist nicht ein Christus an sich und außerdem noch in der Gemeinde. Sondern der, welcher allein der Christus ist, ist der in der Gemeinde pro me Gegenwärtige. Luther: „Darum daß es ein anderes ist, wenn Gott da ist und

wenn er dir da ist“ (WA 23 S, 152). Es ist nicht nur wertlos, über

einen Christus an sich nachzudenken,

sondern auch gottlos.

Von hier aus begreift sich jene Abwehr Melanchthons in den loci, die in eine Abwehr jeder Christologie mündet. Jede Christologie verurteilt sich selbst, die nicht an den Anfang den Satz stellt: Gott ist nur Gott pro me, Christus ist nur Christus pro me. Mit dieser

Christologie

183

Voraussetzung setzt dann freilich die spezifische christologische Arbeit ein. Hier ist die Theologie oft abtrünnig geworden. Entweder hat sie ihre scholastischen Ansätze weitergetrieben und das Dir-Dasein in ein unabhängiges Dasein verflüchtigt; oder sie hat

nur noch auf die Akte und Wirkungen Christi geblickt. Entscheidend an der pro-me-Struktur ist aber, daß in ihr Sein und Akt Christi aufrechterhalten sind. Actio Dei und praesentia Dei, das Dir-Dasein und das Dir-dasein sind zusammengeschlossen. In der so begriffenen Akt-Seins-Einheit Jesu Christi kann die Personfrage, d.i. die Wer-Frage recht gestellt werden. Er ist derjenige, welcher sich in freiem Dasein wirklich an mich gebunden har. Und er ist derjenige, welcher in seinem Dir-Dasein frei seine Kontingenz gewahrt hat. Er hat nicht die Kraft des pro-me-Seins, sondern er ist sie.

Die pro-me-Struktur bedeutet ein Dreifaches für das Verhältnis Christi zur neuen Menschheit: 1. Jesus Christus pro me ist Anfänger, Haupt und Erstgeborener

der Brüder, die ihm folgen. Die pro-me-Struktur bezieht sich also auf die Geschichtlichkeit Jesu. Im Sinne des Anfängers für die anderen ist er pro me. 2. Jesus Christus ist für seine Brüder, indem er an ihrer Stelle steht. Christus steht für seine neue Menschheit vor Gott. Ist das aber so, so ist er die neue Menschheit. Dort, wo die Menschheit

stehen sollte, steht er stellvertretend kraft seiner pro-me-Struktur. Er ist die Gemeinde. Er handelt nicht nur für sie, er ist diese, indem er ans Kreuz geht, die Sünde trägt und stirbt. Darum ist in ihm die Menschheit gekreuzigt, gestorben und gerichtet. 3. Weil er als die neue Menschheit handelt, ist sie in ihm und er in ihr. Weil die neue Menschheit in ihm ist, begnadet Gott diese in

ihm. Diese eine und ganze Person, der Gott-Mensch Jesus Christus ist in der Kirche in seiner pro-me-Struktur als Wort, als Sakrament und als Gemeinde gegenwärtig. Unser Einsatz der Christologie bei diesem Gegenwärtigen hat den Vorzug, daß Jesus von vornherein und vorgegeben als der Auferstandene und zum Himmel Gefahrene verstanden wird. Die

Schwierigkeit aber besteht darin, die Akt-Seins-Einheit

festzu-

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halten: entweder ist Christus da, dann aber nicht wesenhaft pro

me, sondern auch unabhängig von mir; oder er ist wesenhaft mir da, ist er dann aber auch außerhalb mir da?

I. Die Gestalt des Christus 1. Christus als Wort

1. Christus, das Wort, ist die Wahrheit. Wahrheit ist nicht anders

als im Wort und durch das Wort. Geist ist ursprünglich Wort und

Sprache und nicht Kraft, Gefühl und Tat. „Im Anfang war das Wort... und durch das Wort sind alle Dinge gemacht“ (Joh 1, 1.3). Nur als Wort ist der Geist auch Kraft und Tat. Gottes Wort schafft und zerstört. „Das Wort Gottes ist... schärfer denn ein

zweischneidig Schwert, und dringt durch“ (Hebr 4, 12). Gottes Wort

trägt den zerstörenden Blitz und den lebendig machenden Regen. Als Wort zerstört es und schafft es die Wahrheit. Es ist willkürliche Spielerei zu fragen, ob sich Gott auch anders als durch das Wort hätte offenbaren können. Natürlich hat Gott die Freiheit, sich anders zu offenbaren oder Wege zu gehen, die wir nicht kennen. Aber Gott hat sich im Wort offenbart. Er hat sich selbst an das Wort gebunden, um in ihm zum Menschen zu reden. Er ändert dieses Wort nicht. 2. Christus ist Wort und nicht Farbe, Form oder Stein. Um des Menschen willen ist Christus als Wort da. Der Mensch steht unter der Notwendigkeit eines Sinnverständnisses. In der Sinnhaf tigkeit seiner Existenz unterscheidet er sich vom Tier. Da der Mensch einen Logos hat, begegnet ihm Gott im Logos, der spricht und der das

Wort selber ist. Der homo sapiens spricht und das macht ihn zum

homo sapiens. Das Wort vermittelt eindeutigen und klaren Sinn. Klarheit und Eindeutigkeit gehören zu seinem Wesen. Es legt sich selbst aus. Klarheit und Eindeutigkeit begründ en seine Allgemeingültigkeit. Klarheit und Eindeutigkeit gehören zum Wesen

des Wortes Gottes. Der göttliche Logos ist Wahrhei t und Sinn. In Christus

ist der göttliche Logos

in den menschlichen

Logos

eingegangen; das ist die Erniedrigung Jesu Christi . Dabei bleibt

Christologie

185

aber zu beachten, daß der Gotteslogos nicht mit dem mensclichen identifiziert werden darf wie im deutschen Idealismus, und daß er ebensowenig mit ihm analogisiert werden darf wie im Katholizismus. Denn das käme auf Selbsterlösung hinaus und der menschliche Logos entzöge sich dem Gericht durch den Christuslogos. 3. Christus als der Logos Gottes bleibt vom Menschenlogos unterund ge-schieden. Er ist das Wort in Gestalt der lebendigen Anrede an den Menschen, das Wort des Menschen aber ist Wort in der Gestalt der Idee. Anrede und Idee sind die Grundstrukturen des Wortes. Aber beide schließen einander aus. Das menschliche Denken ist beherrscht von der Form des Wortes als Idee. Die Idee ruht in sich selbst und ist auf sich selbst bezogen, sie erstreckt ihre Gültigkeit über Raum und Zeit. Wenn Christus heute Wort Gottes genannt wird, geschieht es meist unter diesem Verständnis von Idee. Eine Idee ist allgemein zugänglich, sie liegt bereit da. Der Mensch kann sie sich aus freien Stücken aneignen. Christus als Idee ist zeitlose Wahrheit, die in Jesus verkörperte Gottesidee ist jedem jederzeit zugänglich. Das Wort als Anrede steht dazu im Gegensatz. Während das Wort

als Idee bei sich selbst bleiben kann, ist es als Anrede nur möglich zwischen zweien. Aus Anrede wird Antwort und Verantwortung. Es ist nicht zeitlos, sondern es geschieht in Geschichte. Es ruht nicht und ist nicht jedem jederzeit zugänglich. Es geschieht nur, wo Anrede ergeht. Das Wort liegt gänzlich in der Freiheit des Redenden. So ist es einmalig und jedesmal neu. Sein Anredecharakter begehrt die Gemeinschaft. Der Wahrheitscharakter dieses anredenden Wortes macht, daß es Gemeinschaft darin sucht, das Gegenüber in die Wahrheit zu stellen. Wahrheit ist nicht etwas in sich und für sich Ruhendes, sondern etwas, was zwischen Zweien geschieht. Die Wahrheit geschieht nur in Gemeinschaft. Hier erst erreicht der Wortbegriff seinen vollen Sinn. Christus als Wort im Sinn der Anrede ist also nicht zeitlose Wahrheit. Er ist die in den konkreten Augenblick hineingesprochene Wahrheit; Anrede, welche in die Wahrheit vor Gott stellt. Er ist nicht allgemein zugängliche Idee, sondern vernommenes Wort nur, wo er sich selbst vernehmen läßt. Nicht Fleisch und Blut,

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sondern der Vater im Himmel (Mt 16, 17) offenbart den Christus, wo und wann er will. Christus als Wort im Sinn der Anrede ist dann auch erst eigentlich der Christus pro me. So bringt diese Bestimmung Christi als das anredende Wort zugleich die Kontingenz der Offenbarung wie ihre Bindung an den Menschen angemessen zum Ausdruck. 4. Von diesen Voraussetzungen aus bestimmt sich auch der Inhalt des anredenden Wortes. Sein Inhalt ist nicht Enthüllu ng verborgener Wahrheiten, Mitteilung eines neuen Gottesbegriffes oder einer neuen Morallehre. Es handelt sich vielmehr um die personhafte Anrede Gottes, in der er den Menschen zur Verantwortung zieht. In seinem So- und Da-Sein wird der Mensch in die Wahrheit gestellt. Christus wird zur vergebenden und gebietenden Anrede. Nicht darauf kommt es an, ob das Gebot alt oder neu ist — es kann alt oder neu sein —, sondern darauf, daß es geschieht. Ebenso, daß die Vergebung geschieht. Gebot und Vergebung geschehen aber, weil das Wort Gottes die Person des Christus ist. 5. Das Verhältnis von Wort und Person kann verschi eden gedacht werden. Die Person Christi kann als Träger einer Idee gedacht werden, er kann als Prophet gedacht werden ; durch sie spricht Gott. Er sagt das Wort, aber er ist es nicht. Es käme dann nicht auf seine Person an, sondern auf seinen Auftrag . Das Neue Te-

Stament widerspricht jedoch diesem Verständnis. Dort weist Chri-

stus auf sich selbst: „Ich Leben“ (Joh 14, 6). Und malige Möglichkeit von der das Wort in seiner als der Sohn.

bin der Weg und die Wahrheit und das dies wird bezeugt als die schlechthin einGottes Offenbarung, geschehend in dem, Person nicht hat, sondern ist. Er ist es

6. Christus ist nicht nur gegenwärtig im Wort der Kirche, sondern auch als Wort der Kirche, d.h. als das gespr ochene Wort der Predigt. /m Wort könnte zu wenig sein, wenn es möglich machen

sollte, Christus von seinem Wort zu trennen. Christi Gegen

wart ist sein Dasein als Predigt. In der Predigt ist der ganze Christus gegenw

ärtig, der Erniedrigte und der Erhöht e. Seine Gegenwart ist nicht jene Kraft der Gemeinde oder ihr objektiver Geist, aus denen heraus gepredigt wird, sondern sein Dasein als Predigt.

Christologie

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Wäre das nicht so, dürfte ihr nicht jener hervorragende Platz zukommen, den ihr die Reformation gab. Dieser Platz gehört auch der einfältigsten Predigt. Die Predigt ist der Reichtum und die Armut der Kirche. Sie ist die Gestalt des gegenwärtigen Christus, an die wir gebunden sind und an die wir uns zu halten haben. Ist nicht der ganze Christus in der Predigt, dann zerbricht die Kirche. Das Verhältnis von Gottes Wort und Menschenwort in der Predigt ist nicht das der Exklusivität. Das Menschen-Wort der

Predigt ist kein Scheinleib des Gottes-Wortes. Sondern das Gotteswort ist wirklich in die Erniedrigung des Menschenwortes eingegangen. Das Menschenwort der Predigt ist Gottes Wort kraft der

freiwilligen Bindung Gottes, durch die sich Gott an Menschenwort gebunden hat. Luther: „Auf diesen Menschen sollst du zeigen und sprechen: das ist Gott!“ Wir wandeln ab: Auf dieses Menschenwort sollst du zeigen und sprechen: das ist Gottes Wort. Beide Sätze sind im Grunde identisch. Man kann nicht auf dieses Menschenwort zeigen ohne auf diesen Menschen Jesus, der Gott ist, zu weisen. So ist Christus in der Kirche gegenwärtig als das gesprochene Wort, nicht als Musik und nicht als Kunst. Gegenwärtig als gesprochenes Wort des Gerichtes und der Vergebung. Zweierlei ist dabei mit gleicher Betonung zu sagen: Ich könnte nicht pre-

digen, wenn ich nicht wüßte, daß ich Gottes Wort sage — und: Ich könnte nicht predigen, wenn ich nicht wüßte, daß ich Gottes Wort nicht sage. Menschliche Unmöglichkeit und Gottes Verhei-

ßung sind eins. 2. Christus als Sakrament Hier ist ein Doppeltes zu sagen: Christus ist ganz Wort und auch das Sakrament gibt ganz die Gegenwart des Wortes. Zum ande-

ren: Das Sakrament ist unterschieden vom Wort und hat eine spezifische Existenzberechtigung.

1. Das Sakrament ist Wort Gottes, denn es ist Verkündigung des Evangeliums. Es ist nicht Mysterium oder stumme Symbolhandlung, sondern durch das Wort geheiligte und gedeutete Handlung. Die Zusage der Vergebung

der Sünden

macht das Sakra-

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ment zu dem, was es ist: klare Offenbarung. Wer dem Wort im Sakrament glaubt, hat das ganze Sakrament.

2. Das Wort im Sakrament ist leibgewordenes Wort. Es ist nicht Repräsentation des Wortes. Repräsentiert werden kann nur das Nicht-Präsente. Das Wort aber ist präsent. Die von Gott bei Namen genannten Elemente von Wasser, Brot und Wein werden zu

Sakramenten. Dadurch, daß Gottes Wort sie anspricht, werden

sie zur Leibgestalt des Sakramentes, so wie das Geschöpf erst Geschöpf wird, wenn Gott es bei Namen anspricht. Das Predigtwort ist die Gestalt, in der der Logos den menschlichen Logos erreicht. Das Sakrament ist die Gestalt, in der der Logos den Menschen in seiner Natur erreicht. Wenn hier behauptet wird, daß

der Gegenstand erst dadurch ist, was er ist, daß er seinen Namen

bekommt, so ist doch ein Unterschied zum philosophischen Begriffsrealismus zu beachten. Die gefallene Schöpfung ist nicht mehr

die Schöpfung des ersten schaffenden Wortes. Das Ich des Men-

schen ist nicht mehr das von Gott Benannte, Volk nicht mehr Volk, Geschichte nicht mehr Geschichte. Man sieht das Wort nicht mehr in der Schöpfung. Die Kontinuität von Wort und Natur ist verloren. Die Schöpfung ist nicht Sakrament. Sakrament ist nur, wo Gott mitten in der kreatürlichen Welt ein Element

mit seinem besonderen Wort anspricht, benennt und heiligt. So

ist das Abendmahl,

was es ist, dadurch, daß Gott die Elemente

Brot und Wein mit seinem Wort anspricht und heiligt. Dieses

Wort heißt Jesus Christus. Durch Jesus Christus ist das Sakrament gedeutet und geheiligt. Gott hat sich durch dies Wort Jesus

Christus an das Sakrament

dieser Elemente

gebunden.

Dieses

Wort Jesus Christus ist ganz im Sakrament gegenwärtig, nicht nur seine Gottheit allein, bzw. nicht nur seine Menschheit allein. 3. Wohl ist Jesus Christus auch im Sakrament das von Gott gesprochene Wort. Aber gegen den Versuch, Christus auf die doctrina zu beschränken, ihn in die allgemeine Wahrheit zu verflüchtigen, betont die Kirche die Sakramentsgestalt Christi. Er ist nicht nur doctrina oder gar Idee, sondern Natur und Ge-

schichte. Die Unzulänglichkeiten von Natur und Geschichte sind Gottes Kleid. Aber nicht alles Leibliche, nicht jede Natur und Ge-

schichte sind bestimmt, Sakrament

zu sein. Die Natur als solche

Christologie

symbolisiert

nicht Christus.

Seine

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Gegenwart

bleibt beschränkt

auf die Gestalten der Predigt und der beiden Sakramente. Warum grade diese Sakramente? Die protestantische Dogmatik sagte, weil sie von Jesus eingesetzte Handlungen sind. Das darf

aber nicht im Sinn des Historismus verstanden werden. Einsetzung durch Jesus darf nichts anderes bedeuten als: seiner Gemeinde von dem erhöhten und gegenwärtigen Christus gegeben. Die Zahl der Sakramente, in der Christus gegenwärtig ist, bleibt durch nichts weiter zu begründen als durch diese Einsetzung des

erhöhten Herrn, d.h. in diesem Sinn rein positivistisch. In dieser Beschränkung stehen sie nicht als Symbol für anderes, sondern sie sind Wort Gottes. Sie bedeuten nicht etwas, sondern sie sind

etwas. 4. Das Sakrament ist nicht eine Verhüllung des leiblosen Wortes Gottes in die Hülle einer leiblichen Gestalt, so daß man das Sakrament als eine zweite Menschwerdung betrachten könnte. Son-

dern der Mensch- und Fleischgewordene ist im Sakrament in der Gestalt des Ärgernisses. Das Sakrament Gottes, sondern Akt der Erniedrigung

ist nicht Menschwerdung des Gott-Menschen. Das

gilt analog dem früher Gesagten, daß es sich in der Christologie nicht primär um die Frage nach der Möglichkeit der Vereinigung von Gottheit und Menschheit handelt, sondern vielmehr um die Verhüllung des gegenwärtigen Gott-Menschen in seine Erniedri-

gung. Gott ist geoffenbart im Fleisch, aber verhüllt im Ärgernis. Daraus folgt, daß die Frage nach der Gegenwart Christi im Sa-

krament nicht als Frage nach Menschheit und Gottheit Christi gestellt und analysiert werden darf, sondern nur als die Frage nach der Gegenwart des Gott-Menschen in der Gestalt seiner Erniedrigung oder des Ärgernisses.

5. Ein Labyrinth von Mißverständnissen entstand in der protestantischen Theologie dadurch, daß man

falsch fragte. Die Fra-

gen bezogen sich einerseits auf die Möglichkeit einer Gegenwart der Menschheit Christi im Sakrament, andererseits auf das Verhältnis vom Da-Sein und pro-me-Sein Christi zueinander. Daß Christus der Kirche als Mensch gegenwärtig sein will, hat

er in den Einsetzungsworten zum Abendmahl gesagt. An diesem Wort ließ Luther nicht rütteln. Er hing an der Erkenntnis, daß

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der Mensch Jesus anwesend sein muß, wenn uns das Werk Christi

zugute kommen soll. Auf die Gleichzeitigkeit und Anwesenheit des Menschen Jesus Christus kommt alles an. Deshalb hing für

Luther das gesamte Evangelium an dem Einsetzungswort Jesu. Das wurde angefochten, indem man darauf verwies, Jesus Christus sei doch der zum Himmel Gefahrene. Die Reformierten fragten, wie es denn möglich sei, daß der zur Rechten Gottes Sitzende gegenwärtig ist? Zunächst hat sich Luther darüber spottend ausgelassen: man muß sich ja Gott nicht im Raum vorstellen wie den Vogel im Nest (WA 23, 158). Die Reformierten argumentierten, daß Christus als Logosperson während des Sakramentes außerhalb der Leiblichkeit sei. Der Logos geht nicht in seiner Leiblichkeit auf, er bleibt außerhalb. Dieses Extra-Calvinisticum ist das Resultat der Wie-Frage. Die lutherische Theologie ließ sich jedoch diese Frage stellen. Luther antwortete auf die reformierte Frage mit der Ubiquitätslehre. Der Leib Jesu hat als Leib des Gott-Menschen in der communicatio mit der göttlichen Natur götrliche Eigenschaften angenommen. Dieser Leib Jesu Christi ist nicht räumlich gebunden, sondern kraft des genus majestatic um

allenthalben und gleichzeitig vorhanden. Der verklärte Leib ist

überall gegenwärtig; damit auch die Menschheit Christi im Abend-

mahl. Luther kennt drei verschiedene Weisen von Gegenwart: a) localiter oder circumscriptive

so wie der irdische Leib Jesu

Christi umschreibbar da war (WA 26, 337);

b) diffinitive, so wie die Engel und Dämonen,

doch an einem bestimmten Ort sind (WA 26, 328);

die überall und

c) repletive, wo etwas überall ist und doch nirgends gemessen werden und umgriffen werden kann (WA 26, 329). In dieser dritten, unter c) beschriebenen Weise ist Jesus Christus jetzt nach Luther gegenwärtig, überall und doch ungreifbar. Er ist nicht im Brot wie das Stroh im Sack, sondern dieses „im“ muß theologisch gedacht werden. Er ist nur dort, wo er sich in seinem Wort offenbart. „Es ist allein ums Offenbaren zu tun. Er

ist überall da, aber du wirst ihn nicht tappen, es sei denn, daß er sich dir anbietet und deutet dir selbst das Brot durch das Wort.

Du wirst ihn nicht essen, es sei denn, er wolle sich dir offenba-

Christologie

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ren“ (Luther WA 19, 492; 23, 151). Christus ist auch im rauschenden Blatt, wie Luther sagt, aber er ist nicht dir da, d.h. er ist nicht

offenbar. Was bedeuten diese Aussagen christologisch? Die Christologie ist

hier eucharistische Christologie geworden. Sie denkt vom Abendmahl her. Aber Luther hat auf die Frage nach dem Wie geantwortet. Luther beantwortete die Wie-Frage nach der Gegenwart Christi mit zwei verschiedenen Lehren: mit der Ubiquitätslehre

(er ist überall da) und mit der Ubivolipräsenzlehre (er ist nur dort für dich da, wo er dir da sein will). Beide Lehren sind unmögliche metaphysische Hypostasierungen. In jeder ist ein Element der Wirklichkeit isoliert und zum System erhoben. Keine der Aussagen wird dem Tatbestand angemessen gerecht. Sofern Chri-

stus ubique ist, wird von seinem Personsein abgesehen. Sofern seine Gegenwart ubi vult, in actu ist, wird die Gegenwart nicht als Existenzweise, sondern wie bei Chemnitz als Akzidens der Per-

son verstanden. Das Dasein und das Dir-Sein Christi jedoch müssen gleichzeitig berücksichtigt sein. Die Übiquitätslehre lehrt einen Christus außerhalb der Offenbarung; Offenbarung wird zum Akzidens einer vorhandenen Substanz. Die Ubivolipräsenzlehre lehrt das Gegenwärtigsein Christi nicht als eigentliche Bestimmung der Person, sondern als eine Verheißung, die an Jesu Wort geknüpft

ist. Beide Lehren verstehen die pro-me-Gegenwart Christi nicht als seine Existenzweise selbst. Sie sind theologisch unzulänglich, da sie die Gegenwart des Gott-Menschen, der Person des Erhöh-

ten und Erniedrigten, nicht zum angemessenen Ausdruck zu bringen vermögen. Sie antworten auf die Wie-Frage und führen notwendig in begriffliche Aporien. Sie sind die Konsequenz der reformierten Frage auf lutherischem Boden und sie brachten die

Verwirrung in die spätlutherische Theologie. Immerhin sind die Aporien ihrer Begrifflichkeit noch besser und sachlicher als die rationalistische Vereinfachung Schleiermachers, der den Gehalt der Tatsachen der Wie-Frage anpaßte. 6. Die Frage nach der Gegenwart Christi im Sakrament ist von

der Wie-Frage her nicht zu beantworten. Wer ist im Sakrament gegenwärtig? Nur so kann die Frage lauten. Gegenwärtig ist die ganze Person des Gott-Menschen in seiner Erhöhung und Er-

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niedrigung, so lautet die Antwort. Christus existiert so, daß er existentialiter im Sakrament präsent ist. Sein Sakrament-sein ist nicht eine besondere Eigenschaft, eine qualitas neben anderen,

sondern so existiert er in der Kirche. Die Erniedrigung ist nicht ein Akzidens seiner gott-menschlichen Substanz, sondern seine Existenz. Gibt es einen Sakraments-Christus und einen Predigt-Christus? Unterscheidet sich der als Sakrament Gegenwärtige von dem als Wort Gegenwärtigen? Nein. Er ist der eine richtende und vergebende Christus, der hier und dort Wort ist. Im Wort bedient er sich unseres menschlichen Logos, im Sakrament bedient er sich

unseres Leibes und ist gegenwärtig in der Sphäre der tastbaren Natur. Im Sakrament ist Christus neben uns als Geschöpf, mitten unter uns, Bruder mit Bruder. Indem er Geschöpf ist, ist er

aber auch das neue Geschöpf. Im Sakrament ist er die Durchbrechung der gefallenen Schöpfung an einem bestimmten Punkt. Er ist die neue Kreatur. Er ist die wiederhergestellte Schöpfung unserer geist-leiblichen Existenz. Er ist das Brot und Wein gewordene Wort Gottes. Als neue Kreatur ist er in Brot und Wein. So sind Brot und Wein neue Schöpfung. So sind sie realiter Nahrung des neuen Seins. Als Elemente der wiederhergestellten Schöpfung sind sie freilich nichts für sich,

sondern für den Menschen. Dieses Für-den-Menschen-sein ist ihr neues Geschaffensein. Der im Sakrament gegenwärtige Christus ist der Schöpfer dieser

neuen Schöpfung und Geschöpf zugleich. Er ist gegenwärtig als unser

Schöpfer, der uns

zur neuen

Kreatur

macht.

Er ist dies

aber als das erniedrigte Geschöpf im Sakrament und nicht anders. So ist er gegenwärtig.

Die Frage, wie das sein kann, muß umgebogen werden in die

Frage, wer ist er, der so ist. Antwort: der Geschichtliche und Gekreuzigte, der Auferstandene und zum Himmel Gefahrene, der Gott-Mensch, offenbar als Bruder und Herr, als Geschöpf und

Schöpfer.

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3. Christus als Gemeinde Wie Christus als Wort und im Wort, als und im Sakrament gegen-

wärtig ist, so ist er auch als und in der Gemeinde gegenwärtig. Die Gegenwart in Wort und Sakrament verhält sich zur Gegenwart in der Gemeinde wie Realität zur Gestalt. Christus ist die Gemeinde kraft seines pro-me-Seins. Die Gemeinde zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft ist seine Gestalt, und zwar die einzige. Daß er im Himmel zur Rechten Gottes ist, steht hierzu nicht im Widerspruch, sondern ermöglicht im Gegenteil erst seine Gegenwart in und als Gemeinde. Was heißt es, daß Christus als Wort auch Gemeinde ist? Es heißt,

daß der Logos Gottes in und als Gemeinde räumlich-zeitliche Extensität hat. Christus, das Wort, ist geist-leiblich gegenwärtig. Der Logos ist nicht nur schwaches Wort menschlicher Lehre, doctrina,

sondern es ist machtvolles Schöpferwort. Es spricht und schafft sich damit die Gestalt der Gemeinde. Die Gemeinde ist also nicht nur Empfängerin des Wortes der Offenbarung, sondern sie ist selbst Offenbarung und Wort Gottes. Nur insofern sie selbst Wort Gottes ist, kann sie Wort Gottes verstehen. Offenbarung versteht man nur auf Grund von Offenbarung. Das Wort ist in der Gemeinde, sofern die Gemeinde Empfängerin von Offenbarung ist. Das Wort ist aber. auch selbst Gemeinde, sofern die Gemeinde selbst Offenbarung ist und das Wort die Gestalt eines geschaffenen Leibes haben will. Was heißt es, daß Christus als Sakrament auch Gemeinde ist? Auch Christus, das Sakrament, ist in der und als die Gemeinde da. Das Sakrament hat schon an sich über das Wort hinaus-

gehende leibliche Gestalt. Die Gemeinde ist der Leib Christi. Leib ist hier nicht nur Bild. Die Gemeinde ist der Leib Christi, nicht

bedeutet den Leib Christi. Der Begriff des Leibes auf die Gemeinde angewandt ist nicht nur ein Funktionsbegriff, der sich le-

diglich auf die Glieder dieses Leibes bezöge, sondern er ist umfassend und zentral Begriff der Existenzweise des erhöhten und erniedrigten Gegenwärtigen. Dieser als Gemeinde existierende Christus ist die ganze Person

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als Erhöhter und Erniedrigter. Sein Sein als Gemeinde hat wie das als Wort und Sakrament die Gestalt des Ärgernisses. Sofern sie Gemeinde ist, ist ‚sie nicht mehr in der Sünde. Aber sie bleibt in der Welt des alten Adam, in der Öuol@ua 0aEx6T, unter dem Aon der Sünde. Sie bleibt menschlich in der Buße. Vgl. 1. Johannesbrief. Christus ist nicht nur das Haupt der Gemeinde, sondern auch sie selbst. Vgl.1. Kor 12 und den Epheserbrief. Christus ist Haupt und jedes Glied. Erst im Epheserbrief erscheint die Trennun g zwi-

schen Haupt und Gliedern; sie ist nicht ursprünglich paulinisch. Haupt bedeutet das Herrsein. Beide Aussagen stehen aber nicht in einem Widerspruch zueinander.

Il. Der Ort des Christus

Fragen wir nach dem Ort des Christus, so fragen wir innerhalb der Wer-Struktur nach der Wo-Struktur. Wir bleiben damit innerhalb der Personstruktur. Es liegt alles daran, daß Christus seiner Kirche als Person in Raum und Zeit gegenwärtig ist. Wenn

diese Struktur als existentiell und nicht als zufälli g, akzidentiell,

gezeigt werden kann, ist theologisch der Erweis erbracht, daß das Zeitlich-Räumliche die Existenzweise der Person des Auferstandenen ist. Deshalb müssen wir also nach dem Wo fragen.

Wo steht er? Er steht pro me. Er steht an meiner Stelle dort, wo

ich stehen sollte und nicht kann. Er steht an der Grenze meiner Existenz, jenseits meiner Existenz, doch für mich. Das bringt die Tatsache zum Ausdruck, daß ich durch eine von mir nicht über-

schreitbare Grenze von meinem Ich getren nt bin, das ich sein sollte. Die Grenze liegt zwischen mir und mir, dem alten und dem neuen Ich. In der Begegnung mit dieser Grenz e werde ich gerich

tet. An diesem Ort kann ich allein nicht stehen. An dieser Stelle steht

Christus, in der Mitte zwischen mir und mir, der alten und der neuen Existenz. So ist Christus zugleich meine eigene Grenze und meine wiedergefundene Mitte, Mitte zwischen Ich und Ich

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und Ich und Gott. Als Grenze kann die Grenze nur von jenseits der Grenze erkannt werden. In Christus erkennt der Mensch sie und findet damit zugleich seine neue Mitte wieder. Das Wesen der Person Christi ist, zeitlich und räumlich in der Mitte zu sein. Der in Wort, Sakrament und Gemeinde Gegenwär-

tige ist in der Mitte der menschlichen Existenz, der Geschichte und der Natur. Das in der Mitte-Sein gehört zu seiner Personstruktur. Wenden wir die Wo-Frage zurück in die Wer-Frage, lautet die Antwort: Christus ist als der pro-me-Daseiende der Mittler. Das ist sein Wesen und seine Existenzweise. Dreifach ist er in der Mitte: im Dasein für den Menschen, im Dasein für die

Geschichte, im Dasein für die Natur.

1. Christus als Mitte der menschlichen Existenz Daß Christus Mitte unserer Existenz ist, bedeutet nicht, daß er Zentrum unserer Persönlichkeit, unseres Denkens und Fühlens wäre. Christus ist auch unsere Mitte, wo er bewußtseinsmäßig an

unserer Peripherie steht, auch wo christliche Frömmigkeit in die Peripherie unseres Wesens verdrängt ist. Die Aussage ist nicht psychologischer, sondern ontologisch-theologischer Art. Sie bezieht sich nicht auf unsere Persönlichkeit, sondern auf unser PersonSein vor Gott. Die Mitte der Person ist nicht vorfindlich. Das Recht der Aussage, daß Christus unsere Mitte sei, läßt sich nicht vorfindlich erhärten. Denn es handelt sich um die geglaubte Mitte im Raum der geglaubten Person,

In der gefallenen Welt ist die Mitte aber zugleich auch die Grenze. Der Mensch steht zwischen Gesetz und Erfüllung. Er hat das Gesetz, kann es aber nicht erfüllen. Nun steht Christus dort, wo

der Mensch dem Gesetz gegenüber versagt. Christus als die Mitte heißt, daß er das erfüllte Gesetz ist. So ist er wiederum Grenze

und Gericht des Menschen, aber auch Anfang seiner neuen Existenz, ihre Mitte. Christus als die Mitte der menschlichen Existenz

besagt, daß er das Gericht und die Rechtfertigung des Menschen ist.

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2. Christus als Mitte der Geschichte

Jeder Versuch dafür, eine philosophische Begründung zu geben, daß Christus Mitte der Geschichte ist, muß abgelehnt werden. Es kann sich nicht darum handeln, ihn als Vollendung und Mitte der Religions- und Profangeschichte zu erweisen. Auch hier geht es nicht um die vorfindliche Mitte des geschichtlichen Raumes. Würde Christus als Höhepunkt aller Religion vorfindlich erwie-

sen, so hätte das mit seinem Mitte-Sein noch nichts zu tun. Ein Vergleich mit anderen relativen Erscheinungen und ein gegebenenfalls daraus resultierender ‚Beweis‘ für Christus als die Mitte

der Geschichte würde auch im besten Fall nur eine relative Absolutheit für Christus ergeben. Alle Fragen nach der Absolutheit

sind falsch gestellt. Vergleiche mit relativen Größen

und Be-

weise auf eine relative Frage resultieren nicht in eine Absolute. Die Frage nach der Absolutheit ist liberal-rationalistisch, sie verzerrt die hier gemeinte Frage. Die Frage nach Christus als der

Mitte und Grenze der Geschichte muß anders gestellt werden. Die Geschichte lebt zwischen Verheißung und Erfüllung. Sie trägt die Verheißung in sich, Gottes voll, Schoß der Geburt Gottes

zu werden. Die Verheißung eines Messias ist überall lebendig in

der Geschichte. Die Geschichte lebt von dieser Erwartung auf sie hin. Das ist ihr Sinn: das Kommen des Messias. Aber Geschichte verhält sich dazu so wie der einzelne Mensch zum setz: sie können es nicht erfüllen. Die Verheißung ist durch

und die Gedie

Sünde entartet. Das Gesetz hat der Mensch nur in der Entartung durch die Sünde bei sich. Die Verheißung hat die Geschichte nur

entartet bei sich. Sie lebt von entarteten Verheißungen ‚erfüllter Zeit‘, von ihrem xatoög. Sie muß immer ihre eigene Mitte selbst anschaulich machen. Sie gerät in die Lage, sich in eigenen

Messiassen zu verherrlichen.

Ein Messias als die Mitte der Ge-

schichte ist geschichtsphilosophisch

eine respektable

Konzeption.

Aber diese Verheißung bleibt unerfüllt. Die Geschichte quält sich

mit der unmöglichen Erfüllung entarteter messianisc her Verheißungen. Sie weiß um ihre messianische Bestimmung und scheitert an ihr.

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Nur an einer Stelle bricht sich der Gedanke, daß der Messias nicht anschauliche und vorfindliche Mitte der Geschichte sein

kann, sondern von Gott gesetzte und verborgene Mitte sein muß, eine Bahn gegen den Strom entarteter Messianismen. Das ist in Israel. Mit seiner prophetischen Hoffnung steht es allein unter den Völkern. Und Israel wird der Ort, an dem Gott seine Ver-

heißung erfüllt. Diese erfüllte Verheißung ist durch nichts zu beweisen, sie ist nur zu verkündigen. Das besagt, daß dieser Messias Christus zugleich die Zerstörung wie die Erfüllung aller messianischen Erwartungen der Geschichte ist. Zerstörung insofern, als der anschauliche Messias ausbleibt und die Erfüllung verborgen geschieht. Erfüllung insofern, als Gott wirklich in die Geschichte

eingegangen und der Erwartete nun wirklich da ist. Der Sinn der Geschichte ist verschlungen von einem Geschehen, das sich in der Tiefe und Verborgenheit eines am Kreuz endenden Menschen ereignet. Der Sinn der Geschichte geschieht im erniedrig-

ten Christus. Damit ist jeder andere Anspruch der Geschichte gerichtet und erledigt. Die Geschichte ist hier mit ihren eigenen Verheißungen an ihre Grenze geführt. Sie ist ihrem Wesen nach am Ende. Mit dieser Grenzsetzung jedoch wird Christus zugleich wieder ihre Mitte, ihre Erfüllung. Wo die Geschichte als Ganzes vor Gott stehen

sollte, steht Christus. Er ist auch das pro-me für die Geschichte. Er ist auch der Mittler der Geschichte. Nachdem Christus seit Kreuz und Auferstehung in der Kirche gegenwärtig ist, muß auch diese Kirche als Mitte der Geschichte verstanden werden. Sie ist Mitte einer Geschichte, die vom Staat

gemacht wird. Wiederum ist dies eine verborgene und nicht vorfindliche Mitte des Staatsraumes. Die Kirche bewährt ihr MitteSein nicht darin, daß sie sich sichtbar in die Mitte des Staates stellt oder stellen läßt, daß sie etwa Staatskirche wird. Nicht in

ihrer sichtbaren Stellung im staatlichen Raum bewährt sie ihr Verhältnis zum Staat. Verborgen ist sie Sinn und Verheißung des Staates, richtet und rechtfertigt sie ihn in seinem Wesen. Sein Wesen ist, ein Volk durch Recht und Ordnung schaffendes Handeln seiner Erfüllung näher zu bringen. Dem Gedanken vom Ord-

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nung schaffenden Staat wohnt verborgen jener messianische Anspruch inne. So wie die Kirche Mitte des Staates ist, ist sie auch seine Grenze. Sie ist es, indem sie mit dem Kreuz die Durchbrechung aller menschlichen Ordnung verkündigt. Wie sie am Kreuz die Erfül-

lung des Gesetzes erkennt und glaubt, so glaubt sie in ihm auch die Erfüllung der Ordnung des Staates. Sie richtet mit dieser Erkenntnis des Kreuzes und seiner Verkündigung nicht ein neues Gesetz auf, nach dem der Staat zu handeln habe, sondern sie ver-

kündigt, daß Tötung durch durchbrochen erfüllt ist. Daraus ergibt

durch Gottes Eintreten in die Geschichte und seine die Geschichte die Ordnung des Staates endgültig und aufgehoben, aber auch endgültig bejaht und

sich, daß das Verhältnis von Staat und Kirche seit

dem Kreuz neu ist. Danach gibt es Staat im eigentlichen Sinn erst, seit es Kirche gibt. Der Staat hat seinen eigentlichen Ursprung seit und mit dem Kreuz (wie die Kirche), insofern als die-

ses Kreuz seine Ordnung zerbricht und erfüllt und bejaht.

Christus ist uns in zweifacher Gestalt gegenwärtig: als Kirche und als Staat. Er ist dies aber nur uns, die wir ihn als Wort und Sakrament und Gemeinde empfangen; uns, die wir nach dem Kreuz den Staat von Christus her sehen müssen. Der Staat ist Gottes „Reich mit der linken Hand“ (Luther WA XXXVI, 385, 6—9; WA LII, 26, 20—26). Solange Christus auf Erden war, war er das Reich Gottes. Als er gekreuzigt wurde, zerriß das Reich in eines zur Rechten und eines zur Linken Gottes. Nun ist seine Gestalt nur in der doppelten, als Kirche und als Staat, zu erkennen. Aber der ganze Christus ist seiner Kirche gegenwärtig. Und diese Kirche ist die verborgene Mitte des Staates. Der Staat braucht nicht um diese Mitte der Kirche zu wissen, aber er lebt faktisch aus dieser Mitte

und ist faktisch nicht ohne sie da.

Christus als die Mitte der Geschichte ist der Mittler zwischen Staat und Gott in der Gestalt der Kirche, Ebenso ist er als Mitte der Geschichte Mittler zwischen dieser Kirche und Gott. Denn er ist auch die Mitte dieser Kirche, als welche sie allein Mitte der Geschichte sein kann.

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3. Christus als Mitte zwischen Gott und Natur

Über diese Frage ist in der protestantischen Theologie bisher wenig nachgedacht worden. Christus ist die neue Kreatur. Damit stellt er alle andere Kreatur als alte Kreatur hin. Die Natur steht unter dem Fluch, den Gott auf Adams Acker gelegt hat. Sie war ursprünglich geschaffenes Wort Gottes, um es frei zu verkündigen. Als gefallene Kreatur ist sie nun aber stumm, geknechtet unter die Schuld des Menschen. Sie leidet wie die Geschichte unter dem Verlust ihres Sinnes und ihrer Freiheit. Sie harrt einer neuen Freiheit entgegen. Die Natur wird nicht wie der Mensch und die Geschichte versöhnt, sondern sie wird erlöst zu einer neuen Freiheit. Ihre Katastrophen sind der dumpfe Wille, sich frei zu machen, ihre Gewalt über den Menschen zu beweisen und von sich aus neue Kreatur zu sein, sich selbst neu zu schaffen. In den Sakramenten der Kirche wird geknechtete alte Kreatur zu ihrer neuen Freiheit befreit. Christus war als die Mitte der menschlichen Existenz und der Geschichte Erfüllung des unerfüllten Gesetzes, d. h. ihre Versöhnung. Die Natur aber ist Kreatur unter dem Fluch — nicht unter der Schuld, sie mangelt der Freiheit. So findet die Natur in Christus als ihrer Mitte nicht die Versöhnung, sondern ihre Erlösung. Diese Erlösung, die in Christus

geschieht, ist wiederum nicht auffindbar und beweisbar, sondern sie wird verkündigt. Es wird gepredigt, daß die geknechtete Natur auf Hoffnung hin erlöst ist. Dafür ist dort ein Zeichen aufgerichtet, wo in den Sakramenten Elemente der alten Kreatur zu Elementen der neuen Kreatur geworden sind. In den Sakramenten sind sie von ihrer Stummheit befreit und verkünden dem Glau-

benden unmittelbar das neue Schöpferwort Gottes. Sie bedürfen nicht mehr der Deutung des Menschen. Die geknechtete Natur sagt uns nicht direkt das Wort der Schöpfung. Aber die Sakramente reden. Im Sakrament ist Christus der Mittler zwischen Natur und

Gott und steht für alle Kreatur vor Gott. Zusammenfassend muß noch betont werden: Wohl ist Christus Mitte der menschlichen Existenz, Mitte der Geschichte und nun auch Mitte der Natur; aber diese drei Aspekte können nur in

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abstracto voneinander geschieden werden. Tatsächlich ist die menschliche Existenz auch immer Geschichte, auch immer Natur.

Der Mittler als Erfüller des Gesetzes und Befreier der Schöpfung ist dies alles für die ganze menschliche Existenz. Es ist derselbe, der intercessor und pro me ist, und der genau das Ende der alten und der Anfang der neuen Welt Gottes ist.

2. Hauptteil Der geschichtliche Christus

I. Der Zugang zum geschichtlichen Christus

Der gegenwärtige Christus, von dem bisher gesprochen wurde, ist

der geschichtliche Christus. Dieser geschichtliche Christus aber ist

der historische Jesus von Nazareth. Wäre er das nicht, so wäre mit Paulus zu sagen, daß unser Glaube eitel und eine Illusion ist.

Der Kirche wäre die Substanz entzogen. Man muß verstehen, daß

die Isolierung des sogenannten historischen Jesus von dem gegenwärtigen Christus und umgekehrt eine Fiktion ist. Der Versuch der liberalen Theologie, einen synoptischen Jesus

von einem paulinischen Christus zu scheiden, ist historisch und dog-

matisch zum Scheitern verurteilt. Dogmatisch: wäre diese Zertrennung des Jesus vom Christus möglich, würde die Verkündigung

der Kirche zur Illusion. Historisch: die liberale Theologie bis 1900 kann als eine indirekte, unbeabsichtigte und darum um so nachdrücklichere Bestätigung des dogmatisch erforderlichen Satzes be-

zeichnet werden. Die Resultate der liberalen Theologie sind ihre

eigene Zersetzung. Sie machen dem vorangestellten Satz, daß der

Jesus der Christus sei, Raum. Die liberale Theologie steht und fällt zunächst mit der Scheidung des Jesus vom Christus. Der Christus ist der von der Gemeinde enthusiastisch vergötterte Jesus. Nicht in seinem Sein und nicht in seiner Person, sondern in seiner Wirkung auf andere ist Jesus

Christologie

201

der Christus. Jesus in seinem Sein und Jesus im Urteil der Gemeinde müssen streng unterschieden werden, so meinte die liberale Theologie. So kam es zur Leben-Jesu-Forschung. Die wissenschaftliche Untersuchung muß der Herausschälung des historischen Jesus gelten und Jesus als den Christus zu Fall bringen.

Das Resultat entsprach nicht den Erwartungen. Bei dem Unternehmen kam die liberale Theologie selbst zu Fall. Es war nicht möglich, ein historisch glaubwürdiges Leben Jesu zu schreiben. Wredes und Schweitzers Bücher erschienen (W. Wrede „Über Aufgabe und Methode der sogenannten neutestamentlichen Theologie“ 1897 und „Das Messiasgeheimnis in den Evangelien“ 1901; A. Schweitzer „Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ 19061). Schweitzer kam zu dem Schluß: ein Suchen nach dem historischen Jesus ist eine Unmöglichkeit in sich. Wrede machte deutlich: ein historischer Jesus im Sinne der „Leben-Jesu-Forschung“ ist nicht vorstellbar, da die Synoptiker bereits selbst unter der Voraussetzung des „Gemeindeglaubens“ stehen. Hinter den Kyrios-Christus-

Glauben ist nicht zurückzukommen. Das Ende der liberalen Theologie hat eine doppelte Bedeutung: a) negativ: die Zersetzung der eigenen Voraussetzung, daß Jesus ein anderer sei als der Christus; b) positiv: Das Neue Testament kann historisch von nun an nur noch richtig interpretiert werden, wenn die Voraussetzung ernst

genommen wird, daß Jesus immer schon der verkündigte Kyrios Christus ist. Es bleiben noch zwei Auswege. Zunächst, daß man trotzdem in der historischen Ebene bleibt und diesen Kyrios-Christus-Kultus an die Seite ähnlicher Kulte stellt. Oder zweitens, daß man versucht, einen Übergang von der historischen Ebene zur dogmatischen For-

schung zu vollziehen. Die historische Ebene hat erwiesen, daß Jesus nicht vom

Christus

getrennt werden

kann. Eine Jesus-Reli-

gion, in der nur der Vater eine Rolle spielt, und ein Christuskult können nicht mehr einander gegenübergestellt werden. Das hat dieselbe Theologie unmöglich gemacht, von der diese Idee ausging.

Dieses Ergebnis ist um so überraschender, als von Anfang an Dogmatik und historische Forschung widereinander zu sein schienen. An ihrem Ende, bei Wrede, wird aber der Bund zwischen

202

Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

Historie und Dogmatik neu geschlossen. Die Historie hat die Voraussetzung der Dogmatik neu am Neuen Testament erarbeitet: die Einheit des gegenwärtigen und geschichtlichen Christus, des verkündigten und historischen Jesus.

Martin Kähler konstatiert in seinem Buch von 1892 „Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus“ zweierlei: a) die Leben-Jesu-Forschung ist ein Holzweg; b) der gepredigte Christus ist der geschichtliche Christus. Damit sagte die Dogmatik, was die historische Theologie später anerkannte. Jetzt wird eine vorwiegend dogmatisch interessierte Zeit kommen, die nicht die göttlichen Wirkungen Jesu, sondern die Gottheit Jesu Christi zu verstehen sucht.

Was aber geschieht, wenn in einem späteren Stadium die historische Kritik die dogmatische Aussage wiederum in Frage stellt,

sie vielleicht unmöglich macht, da sie ihre Ergebnisse wieder än-

dern muß? Inwiefern ist die dogmatische Aussage von historische r Bestätigung abhängig? Zweierlei ist dazu zu sagen: a) Die Dogmatik bedarf der Gewißheit der Historizität Jesu Christi, d. h. der Identität des verkündigten mit dem historischen;

b) es ist zu fragen, wie die Dogmatik der Historizität gewiß wird.

Kann die Historie die dogmatische Aussage tragen? Gibt es einen Zugang zur historischen Gestalt Jesu nur durch die Historie? Dann müßte die Historie als historia sacra angesehen werden. Das geht aber nicht, weder empirisch noch theologisch. Oder gibt es einen unmittelbaren ahistorischen Zugang zu Jesus Christus? Anders gefragt: Wie wird die Kirche des historischen Faktums auf

absolute Weise gewiß?

Es gehört zum Wesen historischer Forschung, daß sie nicht mit dem einzelnen Faktum als dem Absoluten rechnet. Nie hängt alles an dem Einzelnen. Jedes einzelne Faktum behält etwas Zufälliges. Seine absolute Notwendigkeit kann nicht nachgewiesen

werden. Nun

soll aber das geschichtlich zufällige Faktum

des

Lebens und Todes Jesu für die Kirche von grundlegender und absoluter Bedeutung sein. Hat er nicht gelebt, ist die Kirche in der Verdammnis. Wird sie dessen nicht gewiß, ist sie am Ende. Wie also werde ich des historischen Faktums „Jesus Christus“ ge-

Christologie

203

wiß? Hier sind die historische Forschung und ihre Methode offensichtlich überfordert. Auf die Fragen wäre zu antworten: a) Historische Forschung kann nie absolut verneinen, weil sie auch nie absolut bejahen kann. Absolute Verneinung wie Bejahung

machen sie beide zur historia sacra. So kann sie die Existenz Jesu Christi auch nie absolut verneinen. Sie kann sie nur in Frage stellen oder unwahrscheinlich machen. Ihr bleibt Jesus Christus als Gegenstand eine zufällige Erscheinung, seine Historizität kann

sie mit notwendiger absoluter Sicherheit weder bejahen noch verneinen. Dogmatische Aussagen kann sie nicht mit absoluter Autorität unmöglich machen. b) Absolute Gewißheit über ein historisches Faktum ist an sich nie zu gewinnen. Sie bleibt ein Paradox. Dennoch ist sie für die Kirche konstitutiv. Das bedeutet, daß für sie historisches Faktum nicht Präteritum, sondern Präsens ist; daß das Zufällige das Absolute, das Vergangene das Gegenwärtige und das Geschichtliche das Gleichzeitige ist (Kierkegaard). Nur wo dieser Widerspruch ertragen wird, ist das Historische absolut. Diese Aussage, daß das Geschichtliche gleichzeitig wird, das Verborgene offenbar, ist möglich gemacht allein, wo es sich selbst gleichzeitig und offenbar

gemacht hat, d. h. im Glauben an das Wunder Gottes in der Auferstehung Jesu Christi.

Von der Historie aus gibt es also keinen Weg zur Absolutheit. Von der Historie aus gibt es keinen absoluten Grund des Glau-

bens. Woher empfängt aber der Glaube seinen zureichenden Grund, das Zufällige als das Notwendige zu wissen? Es gibt nur die Selbstbezeugung des Auferstandenen, durch welche ihn die Kirche als den Historischen bezeugt. Vom Wunder seiner Gegenwart in der Kirche aus bezeugt er sich hic et nunc als der damalige

Historische. Der historische Zugang zu dem historischen Jesus ist für den Glauben nicht verbindlich. Historische Vergewisserung ist kein Eins-

werden mit Jesus; sie ist nicht mehr als jede andere Begegnung mit einer Gestalt der Vergangenheit. Wir können „Stunden mit Christus“ haben wie Stunden mit Goethe. Es geht aber auch nicht um ein mystisches Einswerden mit einer historischen Gestalt, son-

dern es geht um eine sich selbst bezeugende Person. Es geht auch

204

Lehrer an der Berliner

nicht, wie Wilhelm

Herrmann

Universität.

1931—1933

meint, daß das bestürzte

Gewis-

sen im inneren Leben eine Begegnung mit Jesus finde und durch diese Begegnung sich die Überzeugung

von

der historischen Ge-

stalt Jesu bilde. Sondern der Auferstandene schafft selbst Glauben und weist so den Weg zu sich als dem Historischen. Von hier aus bedarf der Glaube keiner Bestätigung der Historie. Vor der Selbstbezeugung Christi in der Gegenwart ist die Bestätigung der

Historie irrelevant. Im Glauben ist die Geschichte von Ewigkeit

her erkannt, nicht von innen her oder aus sich selbst. Das ist der unmittelbare Zugang des Glaubens zur Geschichte. Ist damit aber nicht jeder Schwärmerei Tür und Tor geöffnet? Das ist deshalb nicht der Fall, weil das Selbstzeugnis von Jesus Christus kein anderes ist als das, welches uns die Schrift überliefert, und auf keinem anderen Wege zu uns kommt als durch

das Wort der Schrift. Wir haben es zunächst mit einem Buch zu

tun, mit dem wir uns in der Sphäre der Profanität befinden. Es muß gelesen und interpretiert werden. Es will mit allen Mitteln der historisch-philologischen Kritik gelesen werden. Auch der

Glaubende hat das nüchtern und sachlich zu tun. Auf Schritt und Tritt haben wir es mit dem problematischen Tatbestand zu tun, etwa über ein Wort predigen zu müssen, von dem man durch

die philologisch-historische Arbeit weiß, daß es so nie von Jesus gesprochen worden ist. Man befindet sich in der Auslegung der Schrift auf seltsam brüchigem Boden. So darf man nie auf einem Punkt verharren, sondern muß sich im Ganzen der Bibel weiterbewegen, von einer Stelle zur anderen, so wie man den von Eisschollen bedeckten Fluß nur überquert, wenn man nicht auf einer

Scholle stehen bleibt, sondern

von

einer zur anderen

springt

(Thurneysen). Es mag Schwierigkeiten machen, über ein Wort zu predigen, dessen Authentizität von der Historie nachweislich geleugnet ist. Die

Verbalinspiration ist jedoch ein schlechtes Surrogat für die Auferstehung. Sie bedeutet

die Leugnung

der alleinigen Gegenwart

des Auferstandenen. Sie verewigt die Historie, statt daß sie die Historie

von

der Ewigkeit

Gottes

her sieht und

erkennt.

Sie

scheitert in dem Versuch, den brüchigen Boden zu ebnen. Die Bibel bleibt auch ein Buch unter

Büchern.

Man

muß

bereit sein,

Christologie

205

sich die Verhüllung in die Geschichte hinein und damit den Weg der historischen Kritik gefallen zu lassen. Aber durch die brüchige Bibel hindurch begegnet uns der Auferstandene. Wir müssen in

die Not der historischen Kritik hinein. Ihre Wichtigkeit ist keine absolute,

aber sie ist auch

nicht

gleichgültig.

Tatsächlich

wird

sie nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung des Glaubens, da die Verhüllung in die Geschichtlichkeit zur Niedrigkeit Christi gehört. Die Geschichtlichkeit Jesu Christi steht also unter dem doppelten Aspekt der Historie und des Glaubens. Beide Aspekte sind eng verbunden. Der historische Jesus hat sich selbst erniedrigt; der historisch nicht faßbare Jesus ist Gegenstand des Auferstehungsglaubens.

Im Folgenden wird die geschichtliche Gestalt des Auferstandenen betrachtet. Die alte Kirche begann mit dem historischen Jesus Christus und vernachlässigte den gegenwärtigen und auferstande-

nen Christus. Dieser verstand sich ihr von selbst. Uns aber ist diese Voraussetzung entschwunden. Deshalb war hier zuerst von seiner Gegenwärtigkeit zu handeln.

II. Die kritische oder negative Christologie Hier handelt es sich um jenen Teil der Christologie, in dem die Unbegreiflichkeit der Person Christi begreiflich gemacht werden soll. Das Begreifen jedoch soll hier darin bestehen, das Unbegreifliche stehen zu lassen. Das Unbegreifliche kann nicht in etwas

Begreifliches verwandelt werden; vielmehr handelt es sich um die Abwehr jeglicher Versuche solcher Verwandlung. Die kritische Christologie hat zum Ziel, den Raum abzustecken, innerhalb dessen das Unbegreifliche stehen gelassen werden muß. Sie wird kritisch deshalb sein, weil sie jede Aussage über Christus auf diese Begrenzung hin prüfen wird. Die Ergebnisse der kritischen Christologie sind negativer Art, da sie die Grenzen festlegt und statuiert, was über Christus nicht gesagt werden darf.

Danach kann die positive Christologie entwickelt werden. Der

206

Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

Versuch einer positiven Christologie muß sich jedoch immer wieder der kritischen unterwerfen. Historisch kam das zum Ausdruck darin, daß die Konzilien immer eine negative, abgrenzende Christologie zum Ergebnis hatten. Die Ansätze zu einer positiven Christologie hingegen wurden jeweils von einzelnen Theologen vorangetrieben. Die Konzilien gaben diesen Antrieben ihre kritische Abgrenzung. Ihre Erträge sind der Inhalt der kritischen Theo-

logie. Aber die positive Theologie tat ihr den Dienst, ihre Gren-

zen jeweils schärfer zu bestimmen. Den Fortschritt von Konzil zu Konzil veranlaßten jene Männer, die inzwischen auftraten und

positive Christologie trieben. Die kritische Christologie ist Sache der offiziellen Kirche, sie hat ihren Ort in der Lehrautorität ihrer Konzilien. Die positive geschieht faktisch dauernd durch die Verkündigung der Kirche und hat ihren Ort in der Predigt und den

Sakramenten. Die Grenzbestimmungen der alten Kirche offenbaren in unseren Tagen ihre ungeheure Bedeutung. Wenn es in der kritischen Christologie also um Grenzbestimmun-

gen geht, so heißt das: es geht um den Begriff der Häresie, Der

Begriff der Häresie ist heute verloren gegangen, weil es keine Lehrautorität mehr gibt. Das ist ein ungeheurer Verfall. Die heu-

tigen oekumenischen Konzilien sind alles andere als Konzilien,

denn das Wort Häresie ist aus ihrem Vokabular

gestrichen. Be-

kenntnis kann es aber nicht geben, ohne zu sagen: dies ist von

Christus aus gesehen richtig, dies falsch. Zum Begriff des Bekenntnisses gehört notwendig und unaufgebbar der der Häresie. Die Lehre einer bekennenden Kirche nıuß einer Irrlehre gegenüberstehen. Die Augustana sagt deutlich: die Kirche verdammt.

Dabei ist zu beachten, daß der Begriff der Häresie aus der Brü-

derlichkeit der Kirche und nicht aus Lieblosigkeit hervorgeht. Nur wenn man dem anderen die Wahrheit nicht vorenthält, handelt man brüderlich mit ihm. Sage ich ihm nicht die Wahrheit, so halte ich ihn für einen Heiden. Sage ich dem Andersmeinenden die Wahrheit, so geschieht die Liebe, die ich ihm schulde.

Christologie

207

1. Die doketische Häresie (Liberale Theologie) Die doketische Häresie versucht, Christi Menschwerdung begreiflich zu machen, indem Jesus Christus als Erscheinungsform der Gottheit in der Geschichte verstanden wird. Christi Menschheit ist Kleid und Hülle; sie ist Mittel, das Gott benutzt, um zu den

Menschen zu reden. Sie gehört aber nicht zum Wesen der Sache. Jesus, der Mensch ist das Transparent Gottes. Diese Häresie ist so alt wie die Christenheit selbst, sie lebt bis in die Gegenwart. Sie empfängt ihre Kraft aus einem doppelten Motiv: a) aus einer abstrakten Gottesidee. Das ist eine Lehre von Gott, die vom Menschen absehen kann und unabhängig ihr Wesen hat. Man kennt die Gottheit schon vor ihrer Offenbarung. Man kennt die Wahrheit schon als übergeschichtliche, absolute Idee. Wird Gott so als Idee gedacht, dann muß Christus als Erscheinung dieser Idee verstanden werden, nicht aber als Individualität. Diese Häresie muß vom Menschlichen in Christus absehen. Will Gott dem Menschen begegnen, tritt er aus der Welt der Idee in die Welt der Erscheinung. Welche Gestalt er sich sucht, bleibt dem Kern gegenüber unwesentlich. Der Ursprung dieses Denkens liegt

in der griechischen Antithese von Idee und Erscheinung. Was in der Welt Welt der resie des exochen.

erscheint, ist unwesentlich gegenüber dem, was in der Idee existiert. Die doketische Häresie ist die typische Hägriechischen Denkens. Es ist heidnisches Denken kat’ Es hat einen Gegenspieler: das jüdische Denken. Diesem

fehlt jene Voraussetzung des Begriffspaares Idee-Erscheinung, so daß der Doketismus hier keinen Raum finden konnte. Dafür entstand dort freilich die ebionitische Häresie.

b) Der doketischen Häresie liegt ein bestimmtes Denken über die Erlösung zugrunde. In der alten Kirche wurde gesagt: die Natur des Menschen muß durch Christus erlöst werden. Der einzelne

Mensch in seiner Individualität ist der Abgefallene. Mit Schelling gesprochen: Die Individualität ist die Sünde. Dazu ist der Mensch bestimmt, aus der Gefangenschaft in seiner Individualität zu seinem Wesen zurückgeführt zu werden. Das Wesen ist allen Men-

schen gemeinsam. Erlösung ist Befreiung aus der Individualität

208

Lehrer an der Berliner

Universität.

1931—1933

und Zurückführung in die Wesenheit (Wesen = Natur). Diese Er-

lösung stellt die Einheit und Ursprünglichkeit des ganzen Menschengeschlechtes wieder her. „Mensch, werde wesentlich“ (Angelus Silesius). Damit sagte Silesius dasselbe, was in der alten Kirche gesagt worden war und was später der Idealismus gesagt

hat. Wenn nun die Bibel von Christi Menschwerdung zur Erlösung sprach, so hieß das unter doketischer Voraussetzung, daß Gott Wesen und Natur des Menschen angenommen hat, aber nicht den Menschen mit seiner Individualität. Indem er das Wesen des

Menschen annahm, hat er ihn zu seinem ursprünglichen Wesen erlöst, heraus aus der Individualität, welche die Sünde ist. Damit

erhob sich aber die Frage, wie von einer vollen Menschwerdung geredet werden kann, wenn Gott die „Natur“ des Menschen annimmt, aber die Individualität ausgelassen bleibt. Auf diese Auslassung fiel jedoch der Akzent im Interesse, Gott nicht als einzelnen Menschen der Sünde verfallen zu lassen und damit die Erlösung unmöglich zu machen. Hier setzte die Lehre des Apollinaris von Laodicea ein. Er war einer der geistreichsten und folgenreichsten Dogmatiker der alten Kirche. Er lehrte, daß der Logos wohl die Mensch-Natur mit Sarx

und Psyche angenommen

hat, aber nicht mit dem Nous. Unter

Nous wurde dabei verstanden, was den Menschen zum Einzelnen macht, zur Person in ihrer geistigen Individualität. Die Mensch-

werdung ist also eine Erscheinung Gottes in Menschennatur unter Ausschaltung der Individualitätsbeziehungen in dieser Natur. Der

Nous fällt in Jesus aus, seine Stelle nimmt der Logos ein. Die volle Menschwerdung Gottes ist damit nicht geschehen. Diese ist ein doxeiv. Der feine Doketismus wurde sehr bald gespürt und die Lehre des Apollinaris als häretisch verurteilt. Denn war die Menschwerdung nicht vollständig, so war sie überhaupt nicht geschehen und die Erlösung in Frage gestellt. Die alte Kirche erkannte deshalb dahin, daß der Menschgewordene Sarx, Psyche und Nous angenommen habe. War dies gesichert, so ergab sich aber das Problem, wie diese Einzelperson Gott sein konnte. Konnte dann noch die volle Personeinheit in Christus gewahrt bleiben? Hat es dann nicht im Mensch-

gewordenen einen Jesus und einen Christus gegeben? Obwohl die

Christologie

209

alte Orthodoxie im Fortgang der christologischen Diskussion den Nous in Christus anerkannt hatte, litt sie unter dem Gedanken, daß ein Jesus — nicht nur in seinem Wesen, sondern — in ge-

fallener Individualität

gemeint sein könnte. Man

suchte nach

einem Ausweg und fand ihn in einer Verschiebung des Problems

Obwohl man die Menschwerdung so lehrte, daß Sarx, Psyche und Nous zusammengeschlossen erschienen, gestand man Jesus keine eigene Hypostase zu. Keine ihm eigene Existenzweise, sondern die

Existenz Gottes sei ihm eigen. Das meinte die Lehre von der Enhypostasie. In einer je eigenen Hypostase wären Gott und Mensch ja doch wieder auseinandergefallen. Deshalb soll nun die Person Jesu enhypostatisch mit der göttlichen Hypostase sein. Mit

dieser Lehre von der Enhypostasie, welche das Auseinanderfallen von Gott und Mensch in Christus verhindern sollte, befindet sich die altkirchliche Dogmatik aber bereits auf dem Rückzugsgefecht gegen den Doketismus. Dieser hat sich bereits wieder in verfei-

nerter Gestalt ins altkirchliche orthodoxe Dogma eingeschlichen. In der Leugnung der Hypostase hat sich der Doketismus auf einen letzten Rest zurückgezogen und erhalten. Das übersieht: Brunner im „Mittler“, wenn er die Enhypostasenlehre der alten

Kirche für eine gute Erkenntnis hält und sich zu eigen macht. Luther: Auf den ganzen Menschen Jesus sollst du zeigen und sagen: das ist Gott. Der Grund für das ständige Abweichen der alten Christologie in den Doketismus liegt beschlossen in ihrem Erlösungsgedanken, in welchem der Mensch nach Natur (Wesen) und Personhaftigkeit (Individualität) unterschieden wird. Die abstrakte Gotteslehre und

der Erlösungsgedanke

haben : die gleiche Voraussetzung:

jenen

Gegensatz von Idee und Erscheinung. Die Idee ist Substanz, die Erscheinung ist Akzidens. Christus Gott ist Substanz, Jesus Mensch ist Akzidens. Eine philosophische Voraussetzung prägt die doke-

tische Inkarnationslehre. Wer sich von dieser Voraussetzung (IdeeErscheinung) nicht freimacht, wird vergeblich versuchen, einem gröberen oder feineren Doketismus zu entrinnen. Die ursprünglichste Form des Doketismus vertreten die Gnostiker

Basilides und Valentin. Basilides lehrt, daß es keine Vereinigung

des primogenitus

nus

210

Lehrer

an der Berliner

Christus mit der Erscheinung

Universität.

1931—1933

Jesus gegeben hat. Jesus war

nur

die zufällige Basis für den Christus, die Vereinigung vorübergehend und vor der Kreuzigung bereits wieder gelöst. Christus fuhr

schon vor der Kreuzigung zum Himmel und lachte den Teufel aus. Jesus war wirklicher Mensch und zufälliger Ausgangspunkt für den Aon Christus. Valentin und sein Schüler Apelles lehren, daß der Leib Christi nicht ein vom Menschen geborener, sondern ein himmlischer Leib gewesen ist. Durch Maria ist er nur hindurchgegangen. Satornil geht so weit zu sagen, Christus habe gar keinen Leib gehabt, sei nicht geboren worden und habe in einer Scheingestalt gelitten. Allen dreien ist gemeinsam, daß Jesus gleichgültig ist; er ist die zufällige Erscheinung, die Idee ist zu erfassen und ihre Entfaltung. Ob es Jesus gewesen ist, in dem sie sich entfaltete, und wer Jesus gewesen ist, darauf kommt es nicht an. Die alte Kirche ist diesen Doketen mit aller Wucht entgegengetreten. Es kam ihr darauf an, ein Geschehen und nicht eine Erlösungsidee zu verkünden, und sie hielt an der Mensch werdung

fest. Der wirkliche Mensch sollte erlöst werden. An der Geschich t-

lichkeit Jesu Christi lag ihr alles. Jedoch versuchte man, die Geschichtlichkeit dieses Jesus Christus mit dem Gottesund Erlösungsgedanken der Zeit in Einklang zu bringen. Dabei mußte es

zu Verkürzungen kommen. Am Ende des Kampfes der Kirche mit dem Doketismus steht die Lehre von der Enhypostasie. Sie blieb unüberwindlicher Rest in der altkirchlichen orthodo xen Dogmatik, Tribut an die doketischen Denkvoraussetzungen. Die

Menschwerdung blieb in ihrer theologischen Formuli erung letztlich doch als Akzidens zur Substanz gedacht. Dennoch war der

Feind bezeichnet und beim Namen genannt. Der Doketis mus war

als ein Abgleiten verdammt. In der neueren protestantischen

Theologie

ist der Doketismus

offenkundig wieder hervorgetreten; freilich in veränd erter Gestalt. Jetzt hat man Interesse an dem geschichtlichen Jesus. An die Stelle

des alten spekulativen Gottesgedankens ist nun aber ein spekulativer Geschichtsbegriff getreten. Nun ist die Geschichte Träger bestimmter religiöser Ideen und Werte. Geschichte ist Erschei-

nung übergeschichtlicher Ideen. Einer ihrer Werte ist z. B. die

Christologie

211

Idee der religiösen Persönlichkeit des Menschen mit der „stetigen Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins“ (Schleiermacher, Der christliche Glaube, $ 94). Jesus ist der Verkörperer oder Träger dieser Idee in der Geschichte.

Warum ist das doketisch? Man hat schon zuvor eine bestimmte religiöse Idee und bringt sie alsdann auf den geschichtlichen Jesus in Anwendung. Das aus einem bestimmten Geschichtsbegriff gewonnene Bild des Menschen wird auf Jesus projiziert. Entscheidend ist, daß dabei die Menschwerdung auch hier nur Mittel zum

Zweck geworden ist. So ist deutlich der Sachverhalt in der Christologie von Albrecht Ritschl. Er sagt, daß Christus allein durch das Werturteil der Gemeinde als Gott bezeichnet wird. Die Gemeinde spricht ihn als solchen an. Durch dieses Urteil ist Christus Gott. Ritschl unterscheidet die Seins-Urteile von den Wert-Urteilen. Die Gemeinde

hat eine Ordnung der Werte. Mit ihr tritt sie an die Gestalt des geschichtlichen Jesus heran, legt sie ihm zu oder findet sie in ihm verwirklicht. Solche in Jesus von Nazareth verkörperten Werte sind Jesus Von scher

u. a. Gnade, Treue, Herrschaft über die Welt. Der Mensch ist die Erscheinung solcher Werte. hier aus muß die ganze liberale Theologie im Licht doketiChristologie gesehen werden. Sie versteht Jesus als Träger

oder Verkörperer bestimmter Gedanken, Werte und Lehren. Im Grunde wird damit die Menschheit Jesu Christi nicht ernst genommen, obwohl grade von dieser Theologie soviel vom Menschen gesprochen wird. Sie geht an seiner Menschheit vorüber und Jesus gerät erst recht in das Feld der Spekulation und Konstruk-

tion. Das Verständnis des Menschen als des Trägers einer bestimmten Idee geht an seiner Wirklichkeit vorüber. Es verwechselt den wirklichen mit einem idealen Menschen und macht ihn zum Symbol. Seine genialste Ausprägung hat dieser Doketismus in Hegels phi-

losophia sacra gefunden. Hier wurde das Verhältnis von Idee und Erscheinung zur Vollendung gebracht. Jetzt ist die Erscheinung nicht mehr Akzidens, sondern notwendige Gestalt der Idee. Au? Grund einer modalistischen Trinitätslehre ist die Menschwerdung; für Hegel nicht mehr ein Schein, sondern wesentliche und notwendige Erscheinung Gottes in der Geschichte. Das gehört zu

212

Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

Gottes Wesen, daß er erscheint. Nur als der Geschichtliche ist Gott Gott. Aber gerade diese „Notwendigkeit“ der Inkarnation ist

das Gefährliche. Denn hier ist zu einem Prinzip gemacht, was nicht Prinzip sein kann und darf. Gott wird Mensch —

das ist

grade das prinzipiell Unfaßbare. Oder es handelt sich eben nicht um den wirklichen Menschen, sondern um eine Idee des Menschen. Gottes Menschwerdung ist keine Notwendigkeit, die aus Gott selbst

abgeleitet werden darf. Wenn vielleicht Idee und Erscheinung unter dem Prinzip einer Notwendigkeit aufeinander bezogen werden dürfen, so doch niemals Gott und Mensch, Gott und Geschichte.

Diese These verfehlt in Wirklichkeit auch den Menschen in seiner Geschichtlichkeit. Die Menschwerdung ist das Unbegreifliche, Unmögliche, in der Freiheit Gottes Bleibende, das ganz und gar nicht

deduzierbare Kommen Gottes.

Ein Hegelianer, Biedermann, verkündigte dann die Auflösung des christologischen Dogmas. Er sagte, daß die Gestalt des Jesus von Nazareth zu ersetzen sei. Christus sei die Erfüllung und der Re-

präsentant eines Prinzips, des Sohnschaftsprinzips.

Auch wenn

Biedermann das bestritt, war doch die Menschheit und Gescichtlichkeit Christi wiederum zum Akzidens der göttlichen Substanz geworden. Der Doketismus war im protestantischen Lager in Reinkultur eingezogen.

Die Kirche muß den Doketismus in jeder Gestalt verwerfen, weil durch ihn Christi Sein für die Gemeinde bestritten ist. Mit ihm

wird sie jede Form griechisch-idealistischen Denkens ablehnen, so-

fern es mit der Unterscheidung von Idee und Erscheinung arbei-

tet. Der Idealismus hebt den ersten Satz aller Theologie auf, daß Gott aus freier Gnade wirklicher Mensch geworden ist. Christus

hat nicht aus Notwendigkeit ein göttliches oder auch menschliches Prinzip verwirklicht. Die Nähe jeden Doketismus zum Idealismus wie zum Rationalismus macht freilich zugleich seinen bestrik-

kenden Reiz aus.

2. Die ebionitische Häresie

Die ebionitische Häresie entspringt nicht einer heidnischen Philosophie, für welche das Dogma von der Menschwerdung eine

Christologie

213

Torheit ist. Für sie ist vielmehr der Glaube an das Kreuz ein Argernis, eine Beleidigung und Entehrung Gottes. Sie versucht, daran vorbei zu kommen, daß diese Torheit Gottes seine Weisheit ist. So versucht sie auf ihre Weise, Gottes Torheit in der Welt weise zu machen. Aber auch hier kann sie der Mensch nicht weiser machen als sie ist. Gott nahm sich selbst die Ehre, so kann sie

ihm der Mensch nicht wiedergeben. Im Grunde ist nur dies Denken wert, dem heidnisch-idealistischen gegenübergesetzt zu werden. Es hat seine Wurzeln im israelitischen Denken. Die ebionitische Häresie ist die Häresie des Judenchristentums, das den Hintergrund seines strengen monotheistischen Gottesglaubens nie aufgibt. Sie versucht zwar, das Geheimnis der Menschwerdung in der Weise stehen zu lassen, daß sie es als die Erhebung eines Menschen zu göttlicher Würde begreift, aber es ist ihr lästerlich, dem einen Gott etwa einen anderen zur Seite zu stellen: eis #edg und kein deöreoog Vedc. Sie leidet es aber auch nicht, Jesus als Erscheinungsform Gottes auf Erden anzusehen. Israelitisches Denken kennt keine Metamorphosen Gottes

wie das griechisch-doketische Denken. Der Schöpfer kann sich nicht in sein Geschöpf verwandeln. Jesus bleibt das Geschöpf Gottes, ein konkreter Mensch. Jesus, den konkreten Menschen: das hat die ebionitische Häresie dem Doketismus voraus, dazu das Festhalten an dem Gott des Alten Testamentes, der kein Gott der

Metamorphosen ist. Sie kann aber das Verhältnis Gottes zu diesem Menschen

jesus nicht in einer Seinsidentität

erkennen, son-

dern nur in einer qualifizierten Relation. Deshalb lehnt sie erstens eine übernatürliche Geburt ab, auchwenn sie Jesus als zöorog anerkennt und besonders auszeichnet; deshalb bestreitet sie zweitens die Präexistenz Christi und leugnet drittens die wirkliche Gottheit Jesu überhaupt.

Eigentliche Bedeutung kommt der Taufe zu. In ihr wird Jesus als Sohn Gottes angenommen, der den Willen Gottes tut. Gottes Geist kommt über den reifen, reinen Menschen Jesus. Er ist nicht

Gott der Substanz nach, sondern empfängt besondere Gotteskindschaft. Es gibt eine Entwicklung in ihm. Er ist nicht Gott, sondern er wird „Gott“, um so mehr, je stärker der Geist Besitz von ihm

ergreift. Sichtbar wird es dem Judenchristen darin, daß Jesus das

214

Lehrer

Gesetz bis zum

an der Berliner

Gehorsam

Universität.

1931 —1933

am Kreuz erfüllt. Die Bezeichnungen

Jesu als Sohn Gottes wechseln mit denen eines Propheten der Wahrheit.

Jesus Christus ist ein zu göttlicher Würde

erhobener

Mensch. Das darf jedoch nicht im Sinne des griechischen Heros verstanden werden. Das Motiv des heidnisch-griechischen Denkens (Doketismus) ist eine Mißachtung und Aufhebung der Grenze

zwischen Schöpfer und Geschöpf.

Das Motiv des israelitischen

Denkens (Ebionitismus) ist grade die Wahrung ihres Abstandes. Dort wird die Perfektibilität des Menschen geglaubt, hier seine Begrenzung gesehen. Der judenchristliche Gedanke — Jesus ist der zum Christus und Sohn erhobene Mensch —, und der griechi-

sche Gedanke — Jesus ist der zum Halbgott verwandelte Mensch — scheinen sich im Begriff des vergotteten Menschen sehr ähn-

lich zu sein. Ihre Herkunft ist jedoch grundverschieden. Doketis-

mus und Ebionitismus sind oft schwer voneinander zu scheiden.

Dennoch hat die eine Häresie ihr Interesse an der Aufhebung, die andere an der Wahrung der Grenze des Menschen. Weil die ebionitische Linie oft und leicht mit der doketischen verfließt, ist sie in der Dogmengeschichte schwer zu verfolgen.

Die ebionitische Häresie wird von den Monarchianern vertreten.

Ihr Interesse hängt an der Einzigkeit Gottes. Hauptvertreter ist Paul von Samosata. Er verkürzt die Gottheit Jesu Christi und betont seine Geschöpflichkeit. Gottheit Christi ist für ihn nur die willensmäßige Verbundenheit mit dem Vater. Der Heilige Geist ist als unpersönliche, in Jesus wirksame Kraft gedacht. Die Taufe ist die Berufung Jesu zur Gottessohnschaft. Jesus unterliegt einer

Entwicklung. Um der Verkürzung der Gottheit Jesu Christi willen hat die alte Kirche die Lehre des Paulus von Samosata als häretisch verdammt. Die liberale Theologie berief sich mit Vorliebe auf Paul von Samosata als einen Vorläufer. Zwar gibt es Analogien, aber die Berufung auf ihn geschieht tatsächlih zu Unrecht. Die liberale Theologie ist wesentlich nicht ebionitisch, sondern doketischer Natur. Sie geht von dem unendlichen Wert des Mensche n aus.

Ihre Aussagen zeigen in die Richtung des Genies und des Heroisch en.

Eher geriet A. Schlatter in die Nähe des Ebionitismus. Der Ebionitismus preist nicht den wertvollen Menschen, vielmeh r den ge-

Christologie

215

horsamen Knecht, der Gottes Ehre als seine Ehre sieht. An diesen Knect wird das Heil der Menschheit und der Kirche geknüpft.

Trotz äußerlicher Ähnlichkeit ist der Ebionitismus dem doketischen Liberalismus darin überlegen, daß er den konkreten Jesus, den wirklichen Menschen im Auge behält. Das Heil wird nicht an ein Idealbild, sondern an den Knecht geknüpft. Gleichzeitig mit dem wirklichen Menschen behält der Ebionitismus den Schöpfergott im Auge. Was ihm nicht gelingt — und das ist dann freilich entscheidend — ist, den Weg vom wirklichen Schöpfergott zum wirklichen Menschen, dem Knecht zu finden. Dadurch wird das Heilswerk Christi gefährdet und aufgelöst. Der Ebionitismus kann Jesus Christus nicht als wahren Menschen und wahren Gott zugleich lehren und so muß die Kirche ihn verdammen. Zusammenfassend ist zu sagen: Der Begriff der Menschwerdung muß negativ so bestimmt werden, daß jeder Versuch entlarvt ist, der entweder das volle Menschsein oder das volle Gottsein Jesu um das eine oder andere verkürzt interpretiert. Menschsein Gottes und Gottsein des Menschen sind in der Christologie beieinander zu denken auf die Gefahr hin, daß die Rationalität der Aussage ver-

letzt wird. Er muß positiv so bestimmt werden, daß er mitten zwischen der doketischen und ebionitischen Häresie hindurchgeht. Die beiden Wie-Fragen der doketischen und ebionitischen Christologie müssen von der Wer-Frage verdrängt werden.

3. Die monophysitische und nestorianische Häresie (Chalcedon, Luthertum, Kenotiker, Kryptiker) 1. Hier wird die Frage nach der Gottheit Jesu Christi gestellt. Wie kann die Person Gottes gedacht werden, wenn er in Jesus Christus wirklicher Mensch wurde? In der Lehrentwicklung der Gott-

Menschheit Christi bildeten sich die monophysitische und nestorianische Theologie heraus.

Die sich chen daß

heilsgeschichtliche Bedeutung der Person Jesu erforderte, daß das heilsgeschichtliche Geschehen innerhalb der menschliNatur vollziehe. Den Monophysiten kam es nun darauf an, diese menschliche Natur, d. i. unsere Natur, ganz von Gott an-

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Lehrer

an der Berliner

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genommen und so vergottet werde. pvoıxı) Evooıg wurde das Stichwort. ula pöoıg Tod Veod Adyov 080a0xwu&rm. Christus ist dann

nicht zu verstehen als ein individueller Mensch, er hat die menschliche

Natur übergestreift wie ein Kleid. Er hat zwar gelitten, gedürstet und geweint wie Menschen, aber er tat es, weil er es wollte, nicht

weil es sein Wesen war. Alles hing daran, daß eine Einheit zwi-

schen der göttlichen und menschlichen Natur Christi hergestellt war. Denn wenn Gottes Natur nicht in unserer Natur offenbar wurde, wie sollte unsere Natur gerettet, geheilt und vergottet werden? Dem stand aber der biblische Tatbestand gegenüber. Nach ihm war Jesus individueller Mensch gewesen mit allen Eigenschaften und Grenzen eines Menschen, der weinte, zitterte und sich als nicht-allwissend bekannte. So ging es den Nestorianern darum, den biblischen Tatbestand der vollen Menschheit Jesu Christi zu wahren. Christus ist teAgıog üvdowsvog. Man sah sich darum gezwungen, in Christus zwei getrennte Naturen anzunehmen, wobei die göttliche völlig von der menschlichen geschieden blieb. Die eine, so sagte man, sei leidensfähig, die andere nicht. Eine substantielle Einheit beider in Christus sei eine Beleidigu ng des Schöpfers. Man könne nur von einer oxerinn Evooıg sprechen, von

einer Haltung der Willenseinigung mit Gott. Der Abstand von

Gott bliebe gewahrt und die Vermischung oder Verwandl ung verhindert. Man übersah dabei, daß bei allem Ernstneh men der Menschheit Jesu nun von einer Menschwerdung Gottes nicht mehr die Rede sein konnte, wenn in solcher Weise der Unterschied der

Naturen behauptet wurde. Damit trat im Gegensatz zum monophysitischen Anliegen das heilsgeschichtliche Element ganz zur

Seite. Wie sollte die menschliche Natur erlöst werden, wenn eine

Einheit in Christus nicht geglaubt werden durfte?

Die Auseinandersetzung brachte eine leidens chaftliche Radikalisierung beider Positionen und offenbarte das unlösliche Dilemma der Zweinaturenlehre. Tiefer Ernst beherrschte die Monophysi-

ten. Größere biblische Nähe war bei den Nestorianern . Dort das Geheimnis einer Einheit von göttlicher und mensch licher Natur,

hier die Nüchternheit klarer Trennung. Dort das Mysterium der

Einheit, hier die Rationalität der Zweiheit. Dort die Vergottung

Christologie

217

des Menschen, hier das Ethos des sich erhebenden, in Gottes Willen fügenden Knechtes. Dort die Frage nach dem Heil, hier die nach der Wahrheit. Dort leidenschaftliche Glut, Inbrunst und zähes Festhalten, hier das Bedürfnis nach Klarheit. Dort priesterliche Gestalten wie Athanasius, obwohl er freilich noch nicht ausdrücklich zu den Monophysiten gehört, hier Laien, Asketen und Theo-

logen von der Art des Arius. Es mußte zur Radikalisierung und Auseinandersetzung kommen. Es kam zur Klimax, als bei den Monophysiten Eutyches von Kon-

stantinopel bekannte: Mein Gott ist nicht gleichen Wesens mit mir. Er ist nicht individueller Mensch, sondern Wesensmensch. Er hat kein oöua dvdoortov, sondern dvdoorstvov. Mit dieser radikalen Aussage wurde ula pÖoıgsowohl verteidigt als auch erledigt. Auf der anderen Seite überschlugen sich die Nestorianer, indem sie

der Maria das ®eoroxog absprachen. So lagen die Grenzen, innerhalb derer die alte Kirche ihre Aussage über das Mysterium Christi finden mußte. Sie mußte auf der einen Seite die Häresie des Monophysitismus verwerfen, weil in ihm die menschliche Natur schließlich von der göttlichen in

Christus verschlungen war; weil er auf eine Spekulation über das Wesen Gottes und des Menschen hinauslief und am Ende die Identität von Gott und Mensch ausgesagt wurde. Der Monophysitis-

mus blieb in der mittelalterlichen Philosophie wirksam. Die alte Kirche mußte auf der anderen Seite die Häresie des Nestorianismus verwerfen, weil in ihm Menschheit und Gottheit Christi schließlich so auseinandergerissen wurden, daß eine Einheit der

Person Jesu Christi nicht mehr zu denken und von einer Menschwerdung Gottes nicht mehr ernsthaft zu reden war. Genau wider diese beiden Fronten richtet sich das Chalcedonense von 451, das die klassische Formulierung der Lehre von der

Gott-Menschheit Jesu Christi gegeben hat: dva nal Töv abröv Koı0T0Vv —, &v 6bo pboeoıv: Aovyyürwg xal Aroesıtog, d.i.unvermischt und unverwandelt, nicht als eine Metamorphose Gottes zu denken — so wider die Monophysiten; dölauoetog xal dxwolorwg, d.i. ununterschieden und ungetrennt — so wider die Nestorianer.

Es ging um die vollständige göttliche und um die vollständige

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menschliche Natur Christi, um den einen Jesus Christus mit zwei Naturen. Was war mit der Formel von Chalcedon gesagt? Dies, daß sämt-

liche Möglichkeiten, Göttliches und Menschliches in Jesus Chri-

stus nebeneinander

oder miteinander

oder als Beziehung

ding-

licher Gegebenheiten zu denken, von vornherein für unmöglich

und unerlaubt erklärt wurden. Es bleiben lauter Negationen zurück. Keine positive Denkbestimmung bleibt mehr übrig, zu sagen, was im Gott-Menschen Jesus Christus geschieht. Damit ist die Sache selbst als Mysterium zurückgelassen und muß als solches verstanden werden. Der Zutritt ist dem Glauben allein vorbehalten. Alle Denkformen sind abgebrochen. Nach der Entscheidung von Chalcedon ist es nicht mehr erlaubt, über Gottheit und

Menschheit in Christus dinglich zu reden und sie als Dinge von-

einander abzugrenzen. Man kann nicht einen Gottesbegriff denken und dann innerhalb desselben Grenzen ziehen. Zu Unrecht hat man dem Chalcedonense vorgeworfen, daß es der Ausdruck oder die Grundlage scholastischer Theologie sei. Zu Unrecht, daß es die

Kompromißlösung

nach einem

Theologengezänk

darstelle. Seit

dem Chalcedonense muß sich der Theologe, der Christologie treibt, innerhalb der begrifflichen Spannung dieser negativen Formel aufhalten und sie aushalten. Zustandegekommen war es, wie die Schweizer Verfassung sagt: „Dei providentia et hominum confusione.“ In seiner eigentümlichen Gestalt hebt es sich selbst auf. Das heißt, es zeigt die Begrenzung der eigenen Begriffe, indem es

sie gebraucht. Es redet in der Sprache der ‚Naturen‘, aber es bringt die Fakten doch in einer Weise zum Ausdruck, daß die Sa-

che der ‚Naturen‘ als unangemessen dargetan wird. Es arbeiter mit Begriffen, die es als häretische Formeln erklärt, sobald sie nicht kontradiktorisch und paradox gebraucht werden. Es treibt den dem Naturenverhältnis zugrundeliegenden Substanzbegriff auf die Höhe und hebt ihn auf. Von nun an soll es nicht mehr erlaubt sein, etwas über die Substanz Jesu Christi auszusagen. Die Naturenspekulation ist am Ende, das Substanzdenken überwunden.

Wenn

eine Fortsetzung des Chalcedonense

denkbar war, dann

konnte es keine Fortsetzung im Denken über Naturen-Verh ältnisse sein, sondern etwas anderes, worüber noch zu reden sein

Christologie

219

wird. Das Chalcedonense ist eine sachliche, aber lebendige, alle Denkformen sprengende Aussage. In seinen negativen Formulierungen ist es das Ideal einer theologischen Konzilsaussage. Klar und paradox erhält es lebendig, was von nun an orthodoxe Lehre ist: Christus ist eine Person in zwei Naturen.

2. An das Chalcedonense hat sich innerhalb der protestantischen Tradition

eine große Entwicklung

angeschlossen.

Die orthodoxe

Formel, daß Christus eine Person in zwei Naturen sei, galt, aber wie konnte sie chalcedonensisch weiter interpretiert werden? So, daß sowohl das soteriologische Motiv wie die biblische Seite zum Tragen kam? Die Darstellung der Naturen mußte einbegreifen,

daß Gott völlig Mensch ist. Wie aber kann Jesus von Nazareth allmächtig und gegenwärtig — und doch nur Mensch sein? konnte Gott in Christus leiden, wie in ihm nicht allwissend allmächtig sein? Die Antwort auf diese Fragen mußte so ten, daß sie weder die Gottheit Christi in Frage stellte, noch

Wie und lauseine

Menschheit vernichtete. In Anlehnung an das Denkschema von den zwei Naturen in einer Person schuf das Luthertum die Lehre von der /diomenkommunikation bzw. von der unio hypostatica, die scharfsinnigste Spekulation, zu der es die Theologie in der christologischen Frage ge-

bracht hat. In dieser Lehre hielt das Luthertum an der Voraussetzung fest, daß die Integrität beider Naturen in Christus gewahrt werden muß, die göttliche Natur in ihrer Unveränderlichkeit und wesentlichen Ewigkeit, die menschliche Natur in ihrer Veränderlichkeit und endlichen Vergänglichkeit. Aber vor ihrer integren Einheit

in der einen Person dachte man sie doch zunächst isoliert voneinander. So tat man doch, was das Chalcedonense verboten hat-

te. Die menschliche Natur behielt z.B. von vornherein nicht ihren vollen menschlichen Charakter in der Lehre von der Sündlosigkeit der menschlichen Natur Jesu. Die erste Aussage, auf die es ankam, lautete — nach vorausgesetzter Isolierung —: in einer unitio verbinden sich beide Naturen zu einer unio. Diese unio ist dadurch charakterisiert, daß die

göttliche — mere active — die menschliche Natur — mere passive — bestimmt. Die göttliche ist aktiv und personbildend, sie durch-

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flutet die passive menschliche Natur wie das Feuer das Eisen. Er-

gebnis ist die unio personalis. Sie ist die von nun an unlösliche und reale Verbundenheit beider Naturen. Gott Logos ist nicht mehr anders da als in Sarx. Er ist nur noch da als der Menschgewordene, unscheidbar in den Menschen hineingebunden. Diese unio von Logos und Sarx bedeutet die beiderseitige communio naturarum, ihre vollständige weoızoonoıs, Joh 1, 14; Kol 2, 9; Hebr 2, 14. Wenn die unio personalis die Einheit von Gott und Mensch ausdrückte, so drückt die communio naturarum die Vereinigung der Naturen Gottheit und Menschheit aus. Die communio naturarum findet ihren Ausdruck in der Lehre von den propositiones personales. Diese besagen, daß das Konkretum jeder einzelnen Natur auch von dem Konkretum der ande-

ren ausgesagt werden kann. So darf und muß ausgesagt werden:

Der Mensch (Jesus) ist Gott, und: Gott ist Mensch. Aber es darf und kann nicht gesagt werden: Gottheit ist Menschheit, bzw. umgekehrt. So werden die Konkreta je von Gottund je von Mensch voneinander ausgesagt, aber die Integrität der Naturen bleibt gewahrt. Die so beschriebene Verbindung der beiden Naturen ermöglicht

schließlich das Entscheidende: die communicatio idiomatum (Kol

2, 9). Sie lehrt die gegenseitige Teilhabe und den Austausch der einzelnen Eigenschaften der Naturen. Sie wird in drei Arten gedacht:

a) das genus idiomaticum (primum genus). Das heißt, was von

der einen oder der anderen der Naturen gilt, das kann von der Person des ganzen Gott-Menschen ausgesagt werden. „Jesus ist geboren“ kann also auch heißen: „Christus, der Sohn, Gott ist geboren“; oder „Jesus leidet“ kann auch heißen: „Christus, Gottes Sohn, Gett leidet“. b) das genus apotelesmaticum (tertium genus). Die Heilstate n, welche von der Person Jesu Christi gelten, können auch von den einzelnen Naturen ausgesagt werden. „Jesus Christus macht uns rein von der Sünde“ kann auch heißen: „Das Blut Jesu macht uns rein.“ Beide Naturen sind in jeder Amtshandlung Christi

beteiligt (1. Joh 1, 7). c) das genus majestaticum (secundum genus). Nach den beiden

Christologie

:

221

genus unter a) und b) kann nun auch von der Beziehung beider Naturen zueinander geredet werden. Stehen die beiden Naturen Gottheit und Menschheit in unmittelbarer Beziehung zueinander, und wenn ja: wie? Die Explizierung dieses genus ist nun für Luther das Entscheidende. Genus majestaticum heißt: die Prädikate der ewigen Gottheit dürfen und müssen auch von der

menschlichen Natur ausgesagt werden. Es muß also auch heißen: „Jesus ist allmächtig, Jesus ist gegenwärtig.“ Hier geht es um das

est der Abendmahlslehre. Ubiquität zu denken sein.

Auch die Menschheit Christi muß in

Das genus majestaticum ist das Kernstück der lutherischen Christologie. An dieser Stelle treten aber auch die Konflikte mit den biblischen Aussagen auf. Hier lauert auch Gefahr eines wieder-

kehrenden Monophysitismus, indem doch die Menschheit zur Gottheit wird oder eine Verwandlung der göttlichen Natur in die menschliche naherückt. In der Formula Concordiae, Art. VIII,5 „De persona Christi“ heißt es: „Nachdem beide Naturen persönlich, das ist in einer Person, vereiniget, glauben, lehren und bekennen wir, daß diese Vereinigung nicht eine solche Verknüpfung und Verbindung sei, daß kein Natur mit der andern persönlich, das ist, umb der persönlichen Vereinigung willen, etwas gemein haben soll, als wann einer zwei Bretter zusammenleimet, do keines dem anderen etwas gibet oder von dem anderen nimmbt, sondern hie ist die höchste Gemeinschaft, wölche Gott mit dem ‚Menschen‘ wahrhaftig hat, aus welcher persönlichen Vereinigung und der daraus erfolgenden höchsten und unaussprechlichen Gemeinschaft alles herfleusst, was menschlich von Gott und göttlich vom Menschen Christo gesaget und geglaubet wird, wie solche Voreinigung und Gemeinschaft der Naturen die alten Kirchenlehrer durch die Gleichnus eines feurigen Eisens wie auch der

Vereinigung Leibes und der Seelen im Menschen ben!“.

erkläret ha-

Gegen diese lutherische Christologie protestierten die Reformierten energisch und erhoben drei Vorwürfe gegen sie:

a) die so umschriebene Christusperson ist nicht mehr die Gestalt des Erlösers, von der das Neue Testament spricht. Diese ist unmittelbarer;

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b) dieses lutherische Denken setzt in Gott eine Veränderung voraus. Gottes Wesen kann nie des Menschen Wesen sein. Wesen oder Naturen bleiben getrennt, nur die Personen werden eins. c) im genus majestaticum redet die lutherische Christologie im Grunde nicht mehr von der wirklichen Menschheit Christi. Dem stellten die Reformierten entgegen: Wohl ist der Logos in die Sarx eingegangen, aber nicht etwa so, daß er nicht auch außerhalb der Sarx wäre. Der Logos verbleibt in seinem trinitarischen Verhältnis und darum auch extra carnem. Er geht keine notwendige, unlösliche Verbindung mit der Sarx ein. Hingegen gibt es eine Entwicklung der menschlichen Natur, sie wird allmählich das vollkommene Werkzeug Gottes und vom Heiligen Geist gesalbt. Es gibt kein genus majestaticum und also keine Vergottung der menschlichen Natur. Am Anfang steht der Satz: finitum incapax infiniti. Die Naturen sind nicht anders miteinander verbunden als über den Umweg der Person. Das heißt entgegen der Lehre vom genus majestaticum, daß, was über die eine Natur ausgesagt wird, wohl über die Person auch, nicht aber über die andere Natur ausgesagt werden kann. Was machten die Reformierten aber mit neutestamentlichen Aus-

sagen wie solchen, daß Jesus Gewalt hat, Sünden zu vergeben und Tote aufzuerwecken? Hier führten sie den Begriff der dAAol-

@oLG ein. „Das ist mein Leib“, das ist symbolhaft zu verstehen. Luther widerstand dem Begriff der Alloiosis mit Ingrimm, denn er lasse das Wort nicht als Wort stehen. Die Reformierten sagten, der Logos sei überall, als Gott-Mensch aber an einem bestimmte n Ort. Die reformierte Christologie legte allen Nachdruck auf die klare Wahrung dessen, was Gottes und was des Menschen ist; an der

Reinerhaltung der Menschheit Christi hängt das Heil. Die Luthe-

raner warfen den Reformierten vor, daß sie das Verhältnis der zwei Naturen wie die zwei zusammengeleimten Bretter dächten; sei aber keine wirkliche Einheit vorhanden, dann stünde die Er-

lösung auf dem Spiel. Wäre Christus nur durch die Salbung des Heiligen Geistes Gott, dann könne grundsätzlich jeder Mensch

Gott werden. tum!

Finitum capax infiniti, non per se sed per infini-

Christologie

Das Kriterium

223

einer Entscheidung muß in der Schrift gesucht

werden. Unbiblisch ist die abstrakte Zweiheit der Naturen wie die abstrakte Einheit der Person. Tatsächlich kann Luther von der Gottheit und von der Menschheit Jesu reden, als wären sie eine Natur. Es geht ihm darum, die Menschheit Jesu Christi als Gottheit zu verstehen. Das Kind in Bethlehem ist der, „den aller Weltkreis nie beschloß“. Daraus erwächst die Lehre vom genus majestaticum, die die menschliche Natur von der göttlichen durchdrungen sein läßt und die Attribute der göttlichen Natur erhält. Luther läuft tatsächlich Gefahr, die Natur Jesu und die Natur Christi nicht auseinander zu halten. 3. Die Gefahr, bei einem durchgotteten Mensch oder dem „durchgeisteten Fleisch“ anzukommen, wurde gespürt. Die nachlutherische Orthodoxie suchte ihr zu begegnen, indem sie im Anschluß

an die Lehre vom genus majestaticum die Lehre von den zwei Ständen Christi ausbildete. Es ging dabei darum, in Einheit sowohl von dem historischen Jesus, wie ihn die Synoptiker schildern, wie von dem gottmenschlichen Erlöser Christus reden zu können. Christus hat zwei verschiedene Stände durchgemacht: den status exinanitionis (der Erniedrigung) und den status exaltationis (der Erhöhung). Das Subjekt der exinanitio ist gemäß der lutherischen Orthodoxie nicht der Menschwerdende, sondern der Mensch-Gewordene. Das heißt die Menschwerdung ist nicht Akt des sich erniedrigenden Logos. Die Menschwerdung bleibt, auch innertrinitarisch, ewig. Die Menschwerdung ist gegenüber der Erniedrigung der umfassendere Begriff. Der Mensch-Gewordene geht aus freien Stücken die Erniedrigung ein. Die Erniedrigung ist ein Attribut des Menschgewordenen, nicht ein Attribut des Logos als solchen. Für die Reformierten hingegen wurde die Menschwerdung schon zur Erniedrigung. Für sie ist das Subjekt der Erniedrigung der

Logos äoaoxos,während es für die Lutheraner der Logos &voagxog ist. Was

heißt

aber diese Erniedrigung?

Sie heißt Nicht-Ausübung

der göttlichen Eigenschaften und Kräfte durch die menschliche Natur für die Dauer des Erdenlebens Jesu Christi. Hier erhebt sich die Frage, wie denn diese Nicht-Ausübung verstanden werden

soll. Es gibt zwei Möglichkeiten:

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a) es handelt sich um einen realen Verzicht, um eine faktische Entleerung von den göttlichen Möglichkeiten bei der Erniedri-

gung;

;

b) es handelt sich um eine Verhüllung, ein Nicht-mehr-SichtbarSein der göttlichen Kräfte während der Erniedrigung Jesu. So schließt sich an die Lehre von den beiden Ständen der Streit

der Kenotiker (die Gießener auf Chemnitz fußend, z. B. Mentzer),

und der Kryptiker (die Tübinger auf Brenz fußend, z.B. Hafen-

reffer) an. Sie fragen, ob Christus auf Erden an der universalen

Gottesherrschaft teilgenommen hat. Die Kryptiker vertreten die Verhüllungstheorie, xoöyıg XENoEDg Sie dringen darauf, daß die Identität des Gott-Menschen, wie er von Ewigkeit her ist, mit dem Mensch-Gewordenen, wie er sich in die Erniedrigung begeben hat, aufrechterhalten bleibt. Ihr Anliegen ist die Einheit der Person. Wenn der Erhöhte und der Erniedrigte nicht ganz derselbe ist, ist alles verloren. Der leiden muß — so sagen sie — ist zugleich der, der nicht leiden muß. Die Kenotiker wandten ein: wenn das so ist, hat Christus eben doch nicht wirklich gelitten, ist er nicht wirklich gestorben. Dann ist alles Spiegelfechterei und Schein. Die kryptische Christologie befindet sich unversehens im Bereich des Doketismus. Die Kenotiker vertreten die Verzichtstheorie, nEvwoıg XoNH0EwmS. Sie

dringen darauf, daß es sich in Phil2 um eine wirkliche kenosis

handelt; daß Christus wirklich gestorben ist, nachdem er wirklich gelitten hat. Ihr Anliegen ist die Wahrung der menschlichen Natur Jesu Christi. Wohl könne man nicht von einer KEVOOLS KTNOEDG sprechen, von einem Verzicht auf die göttlichen Eigenschaften, aber doch von einem Verzicht auf ihren Gebrauch. Christus habe

den Gebrauch seiner göttlichen Kräfte in sich immer wieder zu-

rückgedrängt. Die Kenotiker befinden sich in der Nähe des Extra-

Calvinisticum. Auch sie gefährden die Realität der Entäußerung

und enden bei einem Scheinvorgang. Ihre Gefahr ist die Aufspaltung der Person Jesu Christi. Durch einen Kompromiß einigten sich schließlich die Kryptiker und die Kenotiker auf eine unbedeutende Formel: Christus hat als Erniedrigter seine göttlichen Eigenschaften gebrauch t, wann

er wollte, und er hat sie nicht gebraucht, wann er wollte. Die

Christologie

225

Frage nach der xtfjorg der göttlichen Eigenschaften, die eigentlich theologische Frage der Substanz, wird übergangen und zurückgestellt. Hier und da, wann Er will, sieht man etwas von den gött-

lichen Eigenschaften aufleuchten. Diese Bindung an Wunder führt aber einen anderen Glaubensbegriff ein. Glaube wird hier an das

Sichtbarwerden Gottes gebunden statt an die Verborgenheit des Kreuzes. Das gesamte christologische Problem ist damit auf eine andere Ebene geschoben. Wohl hält man an der Einheit der Person Christi, des Gott-Menschen fest; aber er zerfällt in zwei ver-

schiedene Stände. Wohl hält man die Identität des Gott-Menschen fest; aber er zerfällt in die zwei Gestalten eines verhüllten und

eines sichtbaren. Christus aber ist immer die eine Person in zwei Naturen.

4. Im 19. Jahrhundert ist die Kenosislehre von neuem aufgenommen worden. Thomasius und Gess erweckten sie wieder zum Leben. Hinter ihnen steht das gleiche Motiv wie hinter der luthe-

rischen Kondeszendenzlehre, schoben wird. Als Subjekt mehr der menschgewordene

zurückverschoben folge: Logos —

auch wenn

der Ansatzpunkt ver-

der Erniedrigung wird jetzt nicht Gott-Mensch angesprochen, sondern

der Logos selbst. Nicht die Ereignis-ReihenMensch —

Erniedrigung, sondern: Logos —

Er-

niedrigung — Mensch. Der sich erniedrigende Logos wird Mensch. Subjekt der Entäußerung ist der Logos &oaoxog, nicht der Logos &v0a0x0G.Diese Umkehrung bedeutet eine Vereinfachung des Christusbildes. Die Entäußerung der göttlichen Eigenschaften liegt für diese modernen Kenotiker jenseits, d.h. in einem metaphysischen Akt des Logos. Damit ist das geschichtliche Bild Jesu Christi von der inneren Gewalttat des Zurückdrängens seiner göttlichen Kräf-

te, wie sie die früheren Kenotiker behaupteten, befreit. Die Frage nach der Art jener Entäußerung blieb jedoch bestehen. 'Thomasius half sich mit der Unterscheidung, daß Gott immanente

und relative Eigenschaften habe. Immanente sind solche, die zu seinem absoluten Wesen gehören; relative solche, die von Gottes

Weltverhältnis

reden.

Immanent

sind z. B. Heiligkeit, Liebe,

Wahrheit; relativ aber Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit. Für Christus gilt nun, daß er die immanenten Eigenschaften Got-

tes angenommen hat und trägt, nicht aber die relativen. Das be-

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deutet dann, daß der Mensch Jesus Christus eben nicht allgegenwärtig, allwissend und allmächtig ist, aber er verfügt über die

Wahrheit, Liebe und Heiligkeit Gottes. Geß war mit dieser Hilfskonstruktion nicht einverstanden und ging weiter. Er sagte, Gott habe sich in Christus seines ganzen Wesens entäußert. Er höre auf, in Christus Gott zu sein, um im allmählich wachsenden Selbstbewußtsein Jesu sich wieder als Gott zu finden. Biedermann bemerkte dazu, dies sei die vollendete Kenosis des Verstandes; man könne sich darunter schlechterdings nichts mehr vorstellen. Die Versuche der modernen Kenosislehre sind mißlungen; aus zwei Gründen: a) Die Gottheit Jesu Christi wird nicht verständlich gemacht, sondern verkürzt, indem nur ein Teil Mensch wird. Alles kommt aber darauf an, daß Gott in seiner Ganzheit und allmächtigen Herrlichkeit dieser Mensch-Gewordene ist, der uns in Jesus begegnet. Es muß einer der ersten theologischen Sätze bleiben, daß, wo Gott ist, er ganz da ist. b) Die Menschheit Jesu Christi ist nicht verständlich gemacht. Die Menschheit Christi wird nur durch einige göttliche Eigenschaften

ergänzt, so daß Christus schließlich der Gestalt eines Halbgottes

nahekommt, der auf Erden lebt. So bemühte sich die Lehre von der Kenosis um ein Herabschrauben der Ansprüche des göttlichen Wesens, bis göttliche und menschliche Natur sich schließlich aufeinander abgestimmt zusammen-

fügten. Ein Gottes- und ein Menschenbegriff wurden ausgearbei-

tet und so zusammengesetzt,

daß sie nicht voneinander loskönn-

ten. Die kleinste Unebenheit hat katastrophale Folgen. Stimmt

das Geringste nicht, so ist der ganze Versuch verfehlt. Der Versuch ist aber in der Anlage verfehlt. Ein Vergleich mit dem Chalcedonense offenbart, daß doch wieder versucht worden war, kontradiktorische und ausschließende Gegensätze zu erweichen und auszugleichen. Man hatte ge-

meint, man könne die göttliche und die menschliche Natur in abstracto so bestimmen, daß sie sich ineinander fügen. Damit war

man aber nur einer Vereinfachung des Problems anheimgefallen; die Anerkennung des wirklichen Jesus Christus war aber zur An-

Christologie

227

erkennung einer Konstruktion eines Gott-Menschen gemacht. Das Verbot war übertreten, dingliche Kategorien zur Lösung der Frage nach dem Gott-Mensch-Verhältnis anzuwenden. Innerhalb der lutherischen Lehre von der communicatio idiomatum war die Kenosislehre eine notwendige Ergänzung zum genus majestaticum. Ihm stellten die Kenotiker das genus tapeinoticum an die Seite. Aber mit der Kenosislehre geriet die lutherische Dogmatik in die Gefahr einer Absage an die Zwei-Naturenlehre des Chalcedonense, sofern sie an irgendeiner Stelle deren negative Be-

stimmungen überschritt. Eine Christusaussage ist konstruiert, d.h. die Wie-Frage statt der nackten Wer-Frage beantwortet. Auch das Chalcedonense

hatte eine Antwort

auf eine Wie-Frage

ge-

geben. Aber in seiner Antwort tritt die Wie-Frage schon als überwunden auf. In seinem negativen Festhalten an kontradiktorischen Gegensätzen hat es die Zweinaturenlehre selbst überwunden und sagt in Wirklichkeit, daß die Sache Jesus Christus nicht mit dem Begriff der Natur zu erfassen und zu einer anschaulichen Einheit zu bringen ist. Dieser kritische Sinn des Chalcedonense ist weiter zu führen. Das kann nur geschehen, wo das Denken über Gottheit und Menschheit als über etwas Vorfindliches überwunden ist und nicht mehr bei den isolierten Naturen anhebt. Der Anfang ist die Gegebenheit: der Mensch Jesus ist der Christus, ist Gott. Dieses „Ist“ ist nicht mehr abzuleiten. Es ist allem Denken vorausgesetzt und kann nicht mehr nachträglich konstruiert werden. Nach Chalcedon kann es nicht mehr heißen, wie die Naturen verschieden und die Person alleine zu denken seien, sondern streng: Wer ist dieser Mensch, von dem bezeugt wird, er ist Gott?

4. Die subordinatianische und modalistische Häresie

Hier handelt es sich innerhalb der Aussagen von der Gottessohnschaft um dieöwoovola Jesu Christi mit Gott. Wenn sich nicht von einerönwoovolareden läßt, steht wiederum alles auf dem Spiel. Der

Begriff der Homoousia hat Wandlungen durchgemacht. Hier ist er nicht als Wesensähnlichkeit,

sondern als Wesensidentität zu ver-

stehen. Warum ist die Aussage von der Wesensidentität Christi mit

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dem Vater notwendig und festzuhalten? Nur so kann das biblische Zeugnis, daß Gott sich selbst in Christus offenbarte, aufrechterhalten werden. Nur dann kann von Offenbarung Gottes geredet werden. Im Begriff der Offenbarung ist vorausgesetzt, daß Gott in seiner Offenbarung mit sich selbst identisch ist. Sonst handelte es sich streng nicht um Offenbarung, sondern um eine Erscheinung

oder Idee. Der Satz, daß Gott Mensch wurde, erzwingt also die Aussage, daß Jesus Christus mit Gott wesensidentisch ist. Man machte den Versuch, auf ein öwoLodorog abzukommen, aber diese Formel lag bereits auf der Linie des Arius, der das dvöuouog verteidigte. Den Subordinatianern lag nun alles an der Wahrung der Einheit und Monarchie Gottes. Wenn man einen zweiten Gott annehmen müßte, wäre sie angetastet und zerstört. Jesus könnte deshalb nur als Gott dvduorog oder höchstens Öworog gedacht werden. So allein schien die Einheit Gottes gewahrt werden zu können. Aber es geschah auf Kosten der Offenbarung. Denn Offenbarung

ist nur dort, wo von dem wesensgleichen Sohn die Rede ist. Und

nur in dieser Offenbarung wird die Entscheidung über mein Leben vernommen. So manövrierte man sich vor die Alternative: Einheit Gottes oder Offenbarung Gottes? Hier liegt der Irrtum jeder subordinatianischen Christologie. Auf ihrem Weg gelingt es in Wahrheit grade nicht, die Einheit Gottes zu wahren. Dieses Entweder—Oder ist es, welches in Wahrheit die Einheit Gottes antastet. Denn, wo Christus als ein zu göttlicher Würde erhobener Mensch verstanden wird, der seinem Wesen nach nicht Gott, sondern Mensch ist und als Halbgott verehrt wird, dort wird eben

durch diesen Halbgott zwischen Gott und den Menschen die Ein-

heit Gottes gänzlich bestritten. Dort wird dem Polytheismus die

Tür geöffnet. Wo man um Gottes Einheit willen seine Offenbarung verkürzt, dort wird diese Einheit grade zerstört. Der moderne

Arianismus, der in Jesus das Genie und den Heros verehrt, tastet mit der Offenbarung auch Gottes Einheit an. Der Modalismus war ein einleuchtender Versuch, die Einheit und

Offenbarung zusammenzudenken. Christus ist dasmo00WrT0vGottes, d.h. die Erscheinungsform

Gottes, die zweite unter Gottes drei

Gestalten (Schleiermacher). Die Modalisten müssen sich jedoch fra-

Christologie

229

gen lassen, ob sie die Offenbarung wirklich ernstnehmen. Begegnet Gott als ganzer dem Menschen? Ist wenigstens die Einheit gewahrt? Oder wird sie doch verletzt, indem wir an eine Erscheinung und nicht den wahren Gott gebunden werden? Offenbarungsbegriff und Monotheismus fordern sich gegenseitig. Ein verkürzter Offenbarungsbegriff zerstört den Monotheismus. Entweder ist Christus als die Offenbarung Gottes mit Gott wesensidentisch oder der Monotheismus fällt mit der Offenbarung dahin. Subordinatianer und Modalisten nehmen beide die volle Offenbarung nicht ernst und bieten falsche Lösungen, die erste-

ren mit dem Adoptivsohn, die letzteren mit dem Christus-prosopon. Die Person Christi ist die unlösliche Korrelation der vollen Offenbarung mit der vollen Wesensidentität. Das formalchristologische Prinzip von Zweiheit und Einheit wiederholt sich: zwei Naturen und eine Person, zwei Stände und ein Gott-Mensch, zwei göttliche Personen (Vater und Sohn) und doch ein Gott.

III. Der Ertrag der kritischen Christologie

In der kritischen Christologie geht es um Unterscheiden und Begrenzen gegenüber einem unwahren Jesus Christus. Dabei sind Abgrenzungen vorzunehmen sowohl gegen falsche theologische Inhalte wie gegen unangemessene Denkformen. Als falsche theologische Inhalte sind solche Sätze zu kennzeichnen, die über Jesus Christus Aussagen in eindeutiger Direktheit machen. Wer die Gottheit so eindeutig zum Ausdruck bringt, daß sie die Menschheit verschlingt, wird zum Doketen. Wer die Menschheit so zum Ausdruck bringt, daß die Gottheit Christi als letzte virtuose menschliche Höchstleistung erscheint, wird als Ebionit verdammt. Wer die Einheit der Person Christi betont, ohne zu-

gleich die Zweiheit ihrer Gottheit und Menschheit auszusprechen, wird als Monophysit verworfen oder verfällt den Nestorianern. Die kritische Christologie rückt die Grenzen der gemachten Aus-

sagen ins Auge, welche mit dem Faktum Jesus Christus vorgegeben sind. Sie wendet sich gegen die Absolutsetzung einer Aussage

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und läßt Aussagen nur stehen, wenn sie von ihrem kontradiktorischen Gegensatz begrenzt und gestützt werden. Damit ist aber bereits von den Denkformen geredet, in denen sich theologisches Denken vollzieht. Das gesamte Denken der alten Kirche war von dem Begriff der oÖoia, Natur, Wesen getragen. Er liegt dem christologischen Denken zugrunde. Die liberale Theologie meinte, die Einführung dieses Begriffes in die Christologie habe das evangelische Verständnis Jesu Christi gräzisiert und damit verdorben. Demgegenüber ist zu sagen, daß es in seiner Weise kein ungriechischeres Denkprodukt gibt als das Chalcedonense. Ousia ist in der alten Kirche nicht unter dem Gegensatzschema von Natur und Ethos (Ritschl) zu denken. Ousia heißt hier wirklich das Wesen Gottes, die Sache selbst, die Ganzheit Gottes oder auch die Ganzheit des Menschen. Der Fehler liegt an einer anderen Stelle. Er liegt nicht darin, daß der Ousia-Begriff das sittliche in ein physisches Verständnis umgebogen hätte, sondern darin, daß vom Wesen Gottes und vom Wesen des Menschen in theoretisierender, zuschauerhafter Weise geredet und auf solche Weise diese Wesen wie zwei voneinander unterscheidbare Dinglichkeiten betrachtet werden, welche dann erst in Jesus Christus zusammenkommen. Das Verhältnis von Gott und Mensch kann aber nicht als Verhältnis von Dinglichkeiten, es kann nur im Verhältnis von Personen gedacht werden. Es kann außerdem weder von Gott noch vom Menschen etwas gewußt werden, bevor Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Der Vorzug des Ousia-Begriffes gegenüber einem dynamischen Verständnis des Sachverhalts (P. v. Samosata) liegt darin, daß dieser Begriff das Heil von vornherein universal versteht. Von hier aus kann anders von der Realität des Heils geredet werden als dort, woalles auf den dynamischen Willensakt des Menschen ankommt und die Natur einen Prozeß der Vergottung durchmacht. Auch die dynamisch-liberale Auffassung geht ja von zwei getrennten

Wesenheiten aus und behebt die Schwierigkeit nicht. Sie postu-

liert und konstruiert den Gott-Menschen aus dem Vorherwissen von zwei isolierten Wesenheiten, statt das vorgegebene Faktum des Gott-Menschen als Voraussetzung stehen zu lassen. Dieses Stehenlassen ist das Resultat der kritischen Christol ogie.

Christologie

Die Denkformen

231

der Dinglichkeit sowohl in ihrer naturhaften

wie in ihrer dynamischen Gestalt werden schließlich abgelehnt und ausgeschieden. Indem sie auf das Faktum selbst verweist, verbietet die kritische Christologie diese Denkformen. Nur vom Faktum selbst her kann man wissen, wer Gott ist. In drei Gedanken kann man ihren Ertrag zusammenfassen: a) Eine einlinig, positive, unmittelbare Aussage über Jesus Chri-

stus ist überwunden und zersprengt in zwei kontradiktorisch einander gegenüberstehende Aussagen im Chalcedonense. b) Das dingliche Denken ist immanent überwunden, auf seine eigene Grenze stößt. Es kommt dort zu Ende, nen kontradiktorischen Gegensatz gleich notwendig mit anerkennen muß. Die Anerkennung dieses Endes macht frei für das schlechthin Tatsächliche.

indem es wo es seisich selbst den Raum

c) Die Wie-Frage ist in immanenter Selbstzersetzung überwunden. Sie steht mit dem dinglichen Denken in unmittelbarem Zusammenhang. Das dingliche Denken setzt die Wie-Frage aus sich heraus, aber es kann das Wie der Verbindung von Gott und

Mensch nicht beantworten. Wenn man die Wie-Frage an Christus zu Ende stellt, wird man

zum

Chalcedonense

kommen,

in dem

sich die Wie-Frage selbst aufgehoben hat. Zurück bleibt der Hinweis auf das: Wer bist Du? Das Chalcedonense ist selbst schließlich die Wer-Frage. Hinter diese Resultate kann keine Christologie mehr zurück. Wie aber gestaltet sich aufgrund der kritischen Christologie nun eine

positive Christologie?

IV. Die positive Christologie 1. Der Menschgewordene Die Frage darf nicht lauten: Wie ist der Menschgewordene denkbar?, sondern: Wer ist er? Er ist nicht der von Gott Adoptierte, er ist nicht der mit menschlichen Elementen Umkleidete. Er ist der Gott, der Mensch

geworden

ist, wie wir Mensch

geworden

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an der Berliner

Universität.

1931—1933

sind. Ihm fehlt nichts vom Menschen. Es gibt keine Gegebenheit dieser Welt und des Menschen, die Jesus Christus nicht angenom-

men hätte. Es muß bei dem Protest gegen die Enhypostasie bleiben. Jesus Christus hatte seine eigene menschliche, individuelle Hypostase und menschliche Existenzweise. Der Mensch, der ich bin, ist Jesus auch gewesen. Von ihm allein gilt wirklich, daß ihm

nichts Menschliches fremd geblieben ist. Von diesem Menschen sagen wir: dieser ist Gott für uns.

Zweierlei ist damit nicht gemeint: a) daß wir etwa schon vor-

her isoliert von Jesus Christus wüßten, was und wer Gott sei, um es dann auf Christus anzuwenden; es handelt sich um eine unmittelbare Identitätsaussage; alles, was hier zu sagen ist, wird

durch den Blick auf ihn gewonnen, oder besser: erzwingt dieser

Mensch;

b) daß diese Aussage: dieser Mensch ist Gott, irgendetwas zu seinem Menschsein hinzutäte. Das ist wesentlich. Dagegen könnte

argumentiert werden, daß dem Menschen Jesus etwas hinzugetan würde, was wir nicht haben: Gottheit. Das ist richtig, jedoch

hier ist Vorsicht geboten. Gott und Mensch in Christus sind nicht

durch einen Begriff der Natur (Wesen, Ousia) vereint zu denken. Das Gott-Sein Jesu ist nicht Prolongation seines Menschseins. Es ist auch nicht Kontinuum zu seinem Menschsein, in das Jesus

noch grade hineinreicht. Sondern es ist Aussage, die diesen Menschen vertikal von oben trifft. Sie nimmt ihm nicht etwas und

fügt nicht etwas hinzu, aber sie qualifiziert diesen ganzen Menschen Jesus als Gott. Es ist Urteil und Wort Gottes über diesen Menschen. Diese Qualifizierung, dieses Urteil und Wort Gottes, welches „von oben kommt“, ist aber wiederum nicht als etwas

Hinzukommendes

zu denken. Denn

im Unterschied

zum

ständnis einer Hinzufügung ist dieses von oben kommende

VerWort

Gottes ja jener Mensch Jesus Christus selbst. Und darum, weil

Jesus Christus auch Gottes Urteil über sich selbst ist, weist er zugleich auf sich und auf Gott. Damit ist versucht abzuwehren, daß zwei vorfindliche isolierte Gegebenheiten miteinander vereinigt werden. Jesus, der Mensch, wird als Gott geglaubt. Und zwar als der Mensch und nicht trotz

seiner Menschheit oder über sie hinaus. Am Menschen Jesus ent-

Christologie

233

zündet sich der Glaube an das Wort. Jesus Christus ist nicht in einer göttlichen Natur, ousia, Substanz, Wesen, also nicht in einer vorfindlichen und beschreibbaren Weise, sondern im Glauben Gott.

Dieses göttliche Wesen gibt es nicht. Soll Jesus Christus als Gott beschrieben werden, so darf nicht von diesem göttlichen Wesen, nicht von seiner Allmacht und von seiner Allwissenheit geredet werden, sondern dann muß von diesem schwachen Menschen unter den Sündern, von seiner Krippe und seinem Kreuz gesprochen werden. Wenn wir von Jesu Gottheit handeln, müssen wir gerade von seiner Schwachheit reden. Man sieht in der Christologie auf den ganzen historischen Menschen Jesus und sagt von ihm aus, daß er Gott ist. Man sieht nicht zunächst auf eine menschliche Natur und blickt sodann auf eine göttliche hinüber, sondern man hat es mit dem einen Menschen Jesus Christus zu tun, der ganz Gott ist. Nebeneinander stehen die Berichte von der Geburt und von der Taufe Jesu. In der Geburt ist ganz auf Jesus selbst gezeigt. In der Taufe ist auf den von oben kommenden Heiligen Geist gezeigt. Die Schwierigkeit, Geburts- und Taufgeschichte zusammenzudenken, resultiert aus der Zweinaturenlehre. Die beiden Geschichten sind aber nicht Zweinaturenlehre. Sieht man von dieser Lehre ab, so handelt es sich in der einen Geschichte um das Sein des Wortes Gottes in Jesus und in der anderen um das Herabkommen

des Wortes Gottes auf Jesus. Das Kind in der Krippe ist der ganze Gott; siehe Luthers Christologie in den Weihnachtsliedern. Taufberufung ist Bestätigung des ersten Geschehens, es ist Adoptianismus in ihr. Die Krippe zeigt den Menschen, der ist. Die Taufe zeigt im Blick auf Jesus den berufenden Gott. Redet man also von Jesus Christus als Gott, so darf man

Die kein Gott nicht

von ihm als dem Repräsentanten einer Gottesidee sprechen, welcher die Eigenschaften der Allwissenheit und Allmacht besitzt— dieses abstrakte göttliche Wesen gibt es nicht! — sondern man muß von seiner Schwachheit, von Krippe und Kreuz sprechen; und dieser Mensch ist kein abstrakter Gott.

Streng genommen

geht es eigentlich nicht an, von der Mensch-

werdung zu reden, man

sollte nur von dem Menschgewordenen

sprechen. Ersteres ist von der Wie-Frage beherrscht. Die Wie-

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Lehrer an der Berliner

Universität.

1931—1933

Frage liegt so der Hypothese von der Jungfrauengeburt zugrunde. Sie ist sowohl historisch wie dogmatisch fragwürdig. Das biblische Zeugnis über sie ist unsicher. Sollte das biblische Zeugnis

das wirkliche Faktum wiedergeben, so dürfte der dogmatischen Unklarheit über den Punkt keine besondere Bedeutung zugemessen werden. Die Lehre von der Jungfrauengeburt soll die Menschwerdung Gottes zum Ausdruck bringen und nicht das Faktum

des Menschgewordenen

nur. Verfehlt sie aber nicht grade den

entscheidenden Punkt der Menschwerdung, nämlich daß Jesus eben nicht ganz wie wir Mensch geworden ist? Die Frage bleibt offen, wie und weil sie schon in der Bibel offen ist. Der Menschgewordene ist der verherrlichte Gott: „Das Wort ward

Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit.“ Gott verherrlicht sich im Menschen. Das ist das letzte Geheimnis der Trinität. Die Menschheit ist in die Trinität mit aufgenommen; nicht seit Ewigkeit, aber „von nun an bis in Ewigkeit“ sieht sich der trinitarische Gott als

Menschgewordener an. Die Verherrlichung Gottes im Fleisch ist nun zugleich die Verherrlichung des Menschen, der mit dem trinitarischen Gott Leben in Ewigkeit haben soll. Damit ist es nicht richtig, die Menschwerdung Gottes als Gericht Gottes über den Menschen anzusehen. Gott bleibt auch noch im Jüngsten Gericht der Menschgewordene. Die Menschwerdung ist die Botschaft von der Verherrlichung Gottes, der seine Ehre darin sieht, Mensch zu

sein. Es muß beachtet werden, daß die Menschwerdung zunächst

wirklich Offenbarung des Schöpfers im Geschöpf ist und nicht verhüllte Offenbarung. Jesus Christus ist das unverhüllte Ebenbild Gottes. Die Menschwerdung Gottes darf nicht aus einer Gottesidee abgeleitet gedacht werden, wo etwa die Menschheit schon mit zur Gottesidee hinzugehört wie bei Hegel. Hier ist das biblische Zeugnis gemeint „Wir sahen seine Herrlichkeit“. Wenn damit die Menschwerdung als Verherrlichung Gottes angesprochen wird, darf nun

doch nicht wieder eine spekulative Gottesidee unterschlüpfen, die die Menschwerdung aus der Notwendigkeit der Gottesidee ableitet. Eine spekulative Begründung der Lehre von der Menschwerdung

in einer Gottesidee würde das freie Verhältnis des Schöpfers zum

Geschöpf in eine logisch notwendige Beziehung verkehren.

Die

Christologie

235

Menschwerdung ist kontingent. Gott bindet sich frei an das Geschöpf und verherrlicht sich frei in dem Menschgewordenen. Warum klingt das fremd und unwahrscheinlich? Weil die Offenbarung der Menschwerdung in Jesus Christus nicht sichtbare Verherrlichung Gottes ist. Weil dieser Menschgewordene auch der Gekreuzigte ist. 2. Der Erniedrigte und der Erhöhte Wenn Erniedrigung und Erhöhung ins Auge gefaßt werden, fragen wir nicht nach den Naturen des Göttlichen und Menschlichen, sondern nach der Existenzweise als Mensch. Wir kennen keine Gottheit oder Menschheit je in ihrem Wesen. Es geht um die Existenzweise des Mensch-Gewordenen. Dabei bedeutet Erniedrigung nicht, daß der Menschgewordene darin mehr Mensch und weniger Gott sei, daß es sich also um ein Einschränkungsstadium Gottes handele — und Erhöhung bedeutet nicht, daß er darin mehr Gott und weniger Mensch sei. In Erniedrigung und Erhöhung bleibt Jesus ganz Mensch und ganz Gott. Die Aussage: dieser ist Gott, muß von dem Erniedrigten in derselben Weise gemacht werden wie von dem Erhöhten. Von dem Erniedrigten sagen wir: dieser ist Gott. Nichts von

göttlichen Eigenschaften macht er im Tode sichtbar. Im Gegenteil zu sehen ist ein an Gott verzweifelnder, sterbender Mensch. Aber von diesem sagen wir: dieser ist Gott. Wer das nicht kann, weiß nicht, was es heißt, daß Gott Mensch wurde. In der Menschwerdung offenbart sich Gott ohne Verhüllung. In der Existenzweıse der Erniedrigung ist nicht der.Logos, die Gottheit oder die Menschheit Christi, sondern die ganze Person des Gott-Menschen. Er verhüllt sich in die Verborgenheit dieses Ärgernisses. Das Prinzip der Erniedrigung ist nicht die Menschheit Christi, sondern dasöuolaua oaexös (Rö 8, 3). Mit der Erhöhung ist es abgetan, aber die

Menschheit Christi bleibt ewig. Die Frage ist nicht mehr, wie kann Gott erniedrigter Mensch sein, sondern vielmehr: wer ist der erniedrigte Gott-Mensch? Die Lehre von der Menschwerdung und die Lehre von der Erniedrigung

müssen streng voneinander geschieden werden. Die Existenzweise

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der Erniedrigung ist ein Akt des Menschgewordenen. Das heißt freilich nicht, daß man ihn vom Akt der Menschwerdung zeitlich trennen kann, sondern der Gott-Mensch in der Geschichte ist im-

mer schon der erniedrigte Gott-Mensch von der Krippe bis zum Kreuz. Worin drückt sich die besondere Existenzweise der Erniedrigung aus? Darin, daß Christus das Fleisch der Sünde annimmt. Die Erniedrigung ist bedingt durch die Welt unter dem Fluch. Die Menschwerdung ist bezogen auf die erste Schöpfung, die Erniedrigung auf die gefallene Schöpfung. In der Erniedrigung geht Christus aus freien Stücken in die Welt der Sünde und des Todes ein. Er geht so in sie ein, daß er sich in ihr verbirgt in Schwachheit und nicht als Gott-Mensch kenntlich ist. Er geht nicht in den Königskleidern einer uooPM Deoö einher. Sein Anspruch, den er als GottMensch in dieser Gestalt erhebt, muß Widerspruch und Feindschaft erregen. Er geht im Inkognito als Bettler unter die Bettler, als Ausgestoßener unter die Ausgestoßenen, als Verzweifelnder unter die Verzweifelnden, als Sterbender unter die Sterbenden. Er geht auch als Sünder unter die Sünder, jedoch wiewohl als der peccator pessimus (Luther) als Sündloser unter die Sünder. Und hier liegt das zentrale Problem der Christologie. Die Lehre von der Sündlosigkeit Jesu ist nicht ein locus unter anderen. Sie ist ein zentraler Punkt, an dem sich alles Gesagte

entscheidet. Die Frage lautet: Ist Jesus als der erniedrigte Gott-

Mensch Mensch

gänzlich in die menschliche Sünde eingetreten? Ist er mit Sünde gewesen wie wir? Wenn nicht, ist er dann

überhaupt Mensch

gewesen? Wenn

nicht, kann er dann über-

haupt helfen? Und ist er es gewesen, wie kann er aus unserer Not heraushelfen, da er doch in derselben Not steckt? Hier muß es darauf ankommen zu verstehen, was mit dem ÖuoloWa 0Q00X0g gemeint sein kann. Gemeint ist das wirkliche Ebenbild der menschlichen Sarx. Seine Sarx ist unsere Sarx, Wesentlich für unsere Sarx ist die Versuchlichkeit zur Sünde und der Eigenwille. Christus hat die Verlegenheiten der ganzen Sarx angenommen. Inwiefern aber unterscheidet er sich von uns? Zunächst gar nicht. Er ist Mensch wie wir, er ist versucht allenthalben wie wir,

ja noch weit gefährlicher als wir. Auch in seiner Sarx war das

Christologie

237.

Gesetz, das Gottes Willen zuwider ist. Er war nicht der vollendet Gute. Er stand allezeit im Kampf. Er tat, was jedenfalls von außen wie Sünde aussah. Er wurde zornig, er war hart zu seiner Mutter, er wich den Gegnern aus, er durchbrach das Gesetz

seines Volkes, er rief zum Widerstand gegen die Herrschenden und Frommen

seines Landes. Er mußte in den Augen der Men-

schen ein Sünder sein. Bis zur Unkenntlichkeit trat er in die sündige Existenzweise der Menschen ein. Aber alles kommt darauf an, daß ER es ist, der die Sarx mit ihrer Versuchlichkeit und Eigenwilligkeit annahm. Daß ER es ist, der dies und jenes tut, was dem Beschauer als Sünde und Verfehlung erscheinen und gewertet werden muß. Weil ER es nun freilich ist, treten diese Aussagen in ein anderes Licht. Es ist wirklich die

menschliche Sarx, die er trägt — aber da ER sie trägt, ist dieser Sarx ihr Recht genommen. Er bestimmt das Urteil über sein Tun. Er hat Angst wie wir, es ist seine Angst. Er ist versucht wie wir, es ist seine Versuchung. Er ist in der Verdammnis wie wir, aber weil ER in ihr ist, darum sind wir durch ihn gerettet.

Von diesem ER her müssen die härtesten und ärgerlichsten Aussagen

über diesen

erniedrigten

Gott-Menschen

gewagt

und

er-

tragen werden. Er ist wirklich für uns zur Sünde gemacht und als der peccator pessimus gekreuzigt. Luther sagt, er ist selbst Räuber, Mörder und Ehebrecher wie wir, da er die Sünde trägt, und bezeichnet damit den letzten Abgrund aller christologischen Aussagen. Und als solcher, der sie trägt, und niemand anders ist er der Sündlose, der Heilige, der Ewige, der Herr, der Sohn des Vaters.

Hier darf es keinen Ausgleich der beiden Aussagen vom Sünder und vom Sündlosen geben, so als könne man doch noch den Erniedrigten aus dem öwolowa 000%6g heraushalten. Er ist ganz Mensch

und gibt dem Gesetz sein Recht und wird gerichtet und er nimmt der Sünde die Kraft. Er ist ganz im öwolowa oaozdgund der Verdammnis wie wir und er ist doch ohne Sünde. Das öwoloua oaoxödg

ist auch mit seinem Bereich der Sünde auf ihn bezogen, aber es ist auf ihn bezogen, der doch ohne Sünde ist. Ohne es zum Ausgleich zu bringen, muß gesagt werden: ER, nicht das öwoloua oao#ös

ist ohne Sünde — aber er will nicht von diesem öwoloua

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an der Berliner

0a_gxög unterschieden stologie nicht herum.

sein. Um

Universität.

1931—1933

dieses Paradox kommt

die Chri-

Der Satz von der Sündlosigkeit Jesu geht fehl, wenn er vorfind-

liche Taten Jesu ins Auge faßt. Seine Taten sind geschehen im Öwoloua oagxög. Sie sind nicht sündlos, sondern zweideutig. Man kann und soll in ihnen Gutes und Verfehltes sehen dürfen. Wenn einer im Inkognito sein will, dann beleidigt man ihn, wenn man

ihm sagt: Ich habe dich doch gleich gesehen und durchschaut

(Kierkegaard). Darum sollen wir Jesu Sündlosigkeit nicht aus seinen Taten begründen. Der Satz von der Sündlosigkeit Jesu in seinen Taten ist kein vorfindliches moralisches Urteil, sondern ein

Satz des Glaubens, daß ER es ist, der diese mehrdeutigen Taten

tut, ER, der in Ewigkeit ohne Sünde ist. Der Glaube erkennt: der Versuchte ist der Überwinder, der Ringende der Vollendete, der Ungerechte der Gerechte, der Verworfene der Heilige. Auch die Sündlosigkeit Jesu ist im Inkognito. „selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“ (Mt 11, 6). Der erniedrigte Gott-Mensch ist das Ärgernis für die Juden, d.h. für den frommen Menschen. Argerlich ist die geschichtliche Zweideutigkeit. Wie ER handelt der Fromme und Gerechte eben nicht. Dem Frommen ist der Anspruch unbegreiflich, den dieser Mensch erhebt, daß er nicht nur ein Frommer, sondern der Sohn Gottes sei, indem er doch jedes Gesetz durchbricht: „Die Alten haben gesagt, ich aber...“ Unbegreiflich die Vollmacht, die er sich nimmt: „Ich aber sage euch“ (Mt 5,21) und „Dir sind deine Sünden vergeben“ (Mt 9,2). Das ist der Kern des Ärgernisses. Wäre Jesus nicht ganz Mensch, sondern eine vergöttlichte Natur gewesen,

man hätte sich den Anspruch wohl gefallen lassen. Hätte er die

Zeichen getan, die man von ihm zum Ausweis forderte, man hätte ihm wohl geglaubt. Aber grade als es darauf ankam, bei den Zeichen und Wundern, zog er sich ins Inkognito zurück und blieb die sichtbare Beglaubigung schuldig. So schafft er das Ärgernis. Aber daran hängt nun jedoch alles. Hätte er die an ihn gerichtete Vollmachtsfrage mit einem Wunder sichtbar beantwortet, dann

gälte der Satz nicht mehr, daß er ganz Mensch geworden ist wie

wir. Im entscheidenden Augenblick, bei der Christusfr age, wäre die

Ausnahme geschehen. Darum muß die Verhüllung um so dichter

Christologie

259

werden, je näher die Offenbarung ist; das Inkognito um so undurchdringlicher, je dringlicher die Christusfrage.

Das besagt, daß die Gestalt der Argerlichkeit diejenige ist, in der Christus Glauben ermöglicht. Anders ausgedrückt, die Gestalt der Erniedrigung ist die Gestalt des Christus pro nobis. In dieser Gestalt meint und will er uns in Freiheit. Hätte sich Christus im Wunder dokumentiert, würden wir der sichtbaren Theophanie der Gottheit ‚glauben‘, aber es wäre nicht der Glaube an den Christus pro me. Es wäre nicht innere Bekehrung, sondern Anerkennen. Wunderglaube ist Glaube an sichtbare Epiphanie. Mit der Bejahung des Wundergeschehens geschieht nichts an mir.

Glaube ist aber dort, wo man sich dem erniedrigten Gott-Menschen so ausliefert, daß man sein Leben auf ihn wagt, auch wo es widersinnig scheint. Glaube ist, wo auf den Versuch verzichtet ist, ihn durch Sichtbares zu sichern. Dort ist es Glaube an Gott und nicht an die Welt. Die einzige Sicherung, die der Glaube verträgt, ist das Wort selbst, das durch Christus auf mich zukommt. Wer nach Zeichen der Beglaubigung sucht, bleibt bei sich selbst. Es ändert sich nichts. Wer durch das Ärgernis hindurch den Sohn erkennt, ist Glaubender im Sinn des Neuen Testaments. Er sieht den Christus pro nobis, er ist versöhnt und neu geworden. Das Ärgernis am Inkognito und der zweideutigen Gestalt des Christus pro nobis ist zugleich die immer währende Anfechtung des Glaubens. Die Anfechtung jedoch lehrt aufs Wort achten (Jes 28, 19).

Und aus dem Wort kommt der Glaube. Wie ist nun zu verstehen, daß Jesus aber doch Wunder tut? Sind sie nicht doch die Durchbrechung des Inkognito? Wenn das Inkognito nur einmal gefallen ist, ist dann nicht alles Spiel? Sollen

wir mit der liberalen Theologie die Wunder für zeitgeschichtlichen Spuk ansehen? Oder müssen wir nicht spätestens hier doch auf die Zweinaturenlehre zurückgreifen? Ein genus majestaticum anerkennen? Die Wunder sind keine Durchbrechung des Inkognito. Die antike religiöse Welt ist voller Wundertäter und Heilande. Darin steht Jesus nicht allein. Der Bereich der Wunder ist nicht

identisch mit dem Bereich Gottes. Zwar mögen die Wunder über die Alltäglichkeit erhoben sein, sie sind es aber nur auf eine andere

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Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

Stufe innerhalb der geschaffenen Welt. Der dem Wunder zugeordnete Begriff ist nicht der Gottes, sondern der der Magie. Das

Magische bleibt innerweltlich. Wenn Jesus Wunder tut, so wahrt er sein Inkognito innerhalb des magischen Weltbildes. Es ist auch nicht das Wunder, welches ihn im Neuen Testament als den Sohn Gottes beglaubigt. Im Gegenteil, seine Gewalt wird für dämo-

nisch erklärt.

Nur die glaubende Gemeinde erkennt im Wunder Jesu das Herannahen des Reiches. Sie sieht darin nicht nur Magie und falschen Anspruch. Damit ist aber für die Ungläubigen das Inkognito nicht aufgehoben. Der Ungläubige sieht Magie und zweideutige Welt. Der Gläubige sagt Reich Gottes. Unsere Zeit lebt nicht mehr in einer magischen Welt, aber sie ist geneigt, das Wunder dennoch für eine eindeutige Sichtbarmachung des Göttlichen zu halten. Das Wunder bleibt jedoch zweideutig, wenn es geschieht, und es bedarf der Auslegung. Es erfährt seine Auslegung sowohl durch

den Gläubigen wie durch den Ungläubigen. Der Glaubende sieht

in ihm das Vorzeichen des göttlichen Tuns am Ende der Welt. Er

sieht, gebunden an das Inkognito, etwas von der Herrlichkeit Gottes. „Wir sahen seine Herrlichkeit“ Joh 1, 14. Der Nicht-Glau-

bende aber sieht nichts.

Der Erniedrigte ist uns gegenwärtig

nur als der Auferstandene

und Erhöhte. Daß es sich in dem Inkognito um den Gott-Men-

schen handelt, wissen wir nur durch Auferstehung und Erhöhung .

Als Glaubende haben wir das Inkognito immer schon als aufge-

hobenes Inkognito, haben wir das Kind in der Krippe als den ewig Gegenwärtigen, den Schuldbeladenen als den Sündlosen . Aber auch der umgekehrte Satz muß gelten. Wir sind durch die Auferstehung nicht um das Ärgernis herumgekommen. Wir haben den Erhöhten nur als den Gekreuzigten, den Sündlosen nur als den Schuldbeladenen, den Auferstandenen nur als den Erniedrig ten. Wäre es nicht so, wäre das pro nobis aufgehoben, gäbe es

keinen Glauben. Auch die Auferstehung ist nicht die Durchbre -

chung des Inkognito. Auch die Auferstehung ist zweideuti g. Sie wird nur dort geglaubt, wo das Ärgernis Jesu nicht fortgeschafft wird. Nur die nachfolgenden Jünger sehen den Aufersta ndenen.

Nur der blinde Glaube sieht hier. Als Nicht-Sehende glauben sie

Christologie

241

und in solchem Glauben sehen sie. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20, 29). Zwischen Erniedrigung und Erhöhung liegt bedrückend nackt

das historische Faktum des leeren Grabes. Was soll der Bericht vom leeren Grab vor dem Bericht der Auferstehung? Ist es das entscheidende Faktum der Christologie? Ist es wirklich leer gewesen, ist es die sichtbare Beglaubigung, die Durchbrechung des Inkognito, Jesu Gottessohnschaft jedermann offenkundig und der Glaube überflüssig? Ist es nicht leer gewesen, ist dann Christus

nicht auferstanden und unser Glaube eitel? Es scheint als wäre unser Glaube an die Auferstehung an den Bericht vom leeren Grab gebunden. Ist unser Glaube dann letztlich nur Glaube an

das leere Grab? Dies ist und bleibt ein letztes Ärgernis, das die an Christus Glaubenden hinnehmen müssen im einen wie im anderen Fall. Leer oder nicht leer, es bleibt ärgerlich. Wir werden der Histori-

zität nicht gewiß. Die Bibel deckt selbst das Ärgernis auf, wenn sie zum Ausdruck bringt, es sei schwer zu beweisen, daß die Jünger nicht etwa den Leib gestohlen hätten. Auch hier kommen wir aus dem Bereich des Zweideutigen nicht heraus. Wir kommen an keiner Stelle darum herum. Auch in das Zeugnis der Schrift ist Jesus in seiner ärgerlichen Gestalt eingegangen. Auch als Auferstandener bricht er sein Inkognito nicht. Er bricht es erst, wenn er in Herrlichkeit wiederkommt. Dann ist der Menschgewordene nicht mehr der Erniedrigte. Dann ist die Entscheidung über den Glauben und Unglauben bereits gefallen. Dann ist das Menschsein

Gottes wirklich und nur noch Verherrlichung Gottes. Das alles wissen wir heute nur aus der Begegnung mit dem Erniedrigten. Mit diesem Erniedrigten geht die Kirche ihren eigenen Weg der Erniedrigung. Sie kann keine sichtbare Beglaubi-

gung ihres Weges erstreben, während er in allen Stadien auf sie verzichtet. Sie darf als erniedrigte Kirche aber auch nicht in eitler Selbstgefälligkeit auf sich blicken, als sei ihre Niedrigkeit sichtbarer Beweis dafür, daß Christus ihr gegenwärtig ist. Erniedri-

gung ist kein Beweis, um sich wenigstens darauf berufen zu können. Hier gibt es kein Gesetz oder Prinzip, das die Kirche zu

befolgen hätte, sondern es ist Faktum, streng Gottes Weg mit der

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Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931— 1933

Kirche. Wie Paulus von sich sagt, daß er hoch und niedrig sein kann, wenn es nur um Christi willen geschieht, so kann auch die Kirche hoch und niedrig sein, wenn es nur beide Male der Weg Christi mit ihr ist. Er ist der Feind der Stolzen, ob sie den Purpurmantel umlegen oder die Märtyrerkrone aufsetzen. Die Kirche

blickt immer nur auf den erniedrigten Christus, ob sie selber hoch

oder niedrig aussieht. Es ist nicht gut, wenn die Kirche sich voreilig ihrer Niedrigk eit rühmt. Es ist ebensowenig gut, wenn sie sich voreilig ihrer Macht und ihres Einflusses rühmt. Gut ist allein, wenn sie demütig ihre Sünden bekennt, sich vergeben läßt und sich zu ihrem Herrn bekennt. Täglich muß sie neu den Willen Gottes von Christus empfangen. Sie empfängt ihn aus der Gegenwart des Menschgewordenen, Erniedrigten und Erhöhten. Täglich wird ihr dieser Christus neu zum Anstoß für die eigenen Hoffnungen und Wünsche. Täglich stößt sie auf den Satz von neuem: „Ihr werdet euch alle an mir ärgern“ Mt 26, 31. Und täglich hält sie sich von neuem an die Verheißung: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“

(Mt. 11, 6).*

* Hier war auch noc ein 3, Hauptteil vorgese hen: „Der ewige Christus“, Davon gibt es aber keine Aufzeichnungen. Das Semester war zu Ende.

Der Student

der Theologie

heute

243

Was soll der Student der Theologie heute tun?

[1933] Er soll vor allen Dingen nur dann Theologie studieren, wenn er ehrlicherweise meinen muß, etwas anderes nicht studieren

zu können. Es ist ein viel geringerer Schade, wenn viele, die vielleicht rechte Theologen geworden wären, stattdessen gute Juristen oder Mediziner werden, als wenn ein einziger Theo-

loge wird, der es eigentlich nicht hätte werden sollen. Ein starker theologischer Nachwuchs ist immer ein sehr zweideutiges Phänomen. Er soll nicht meinen, daß er als einer, der wirklich nur Theologie studieren zu können meint, irgend etwas vor anderen Studenten voraus habe; denn er wird erfahren, daß ihm die Gründe, die ihn so bedingungslos der Theologie zutrieben, während des Studiums mehr und mehr entfallen, daß er am Ende eines rechten Studiums aus ganz anderen Gründen Theologe sein muß — wenn er es überhaupt noch sein muß — als am Anfang.

Er soll nicht meinen, daß er auf ganz bestimmte Erfahrungen einer „Berufung“ warten müsse, er soll es vielmehr als eine

Berufung zur Theologie hinnehmen, wenn ihn einfach die Sache der Theologie gepackt. hat und nicht mehr losläßt. Aber freilich — daß es wirklich die Sache der Theologie sei, die er meint, d. h. daß es wirklich die Bereitschaft sei, über Gott und sein Wort und seinen Willen nachzudenken und „zu seinem Gesetze Lust zu haben Tag und Nacht“ (Ps 1, 2); daß er wirklich bereit sei, ernst zu arbeiten und zu lernen und zu denken. Nicht ein Berufungserlebnis, sondern Bereitschaft zu nüchterner, ernster, verantwortlicher theologischer Arbeit steht am Eingang des theologischen Studiums.

244

Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931 — 1933

Er mag in sein theologisches Studium seine philosophische,

seine ethische, pädagogische, völkische, soziale Passion mit hineinnehmen; sie gehört zu ihm als ganzem Menschen, und er soll als Theologe wahrhaftig ein ganzer Mensch sein —

gewiß ein schlechter Theologe, den nicht auch gerade solche Passionen in sein Studium hineingetrieben hätten — aber er soll dann als Theologe lernen und wissen, daß der Antrieb

seines Lebens und Denkens als eines Theologen nirgends anders herkommen kann als von der Passion Jesu Christi, des

gekreuzigten Herrn. Nicht in der ungebändigten Vitalität der

Leidenschaft läßt sich das Studium der Theologie erstürmen , sondern das rechte Studium der theologia sacra beginnt dort,

wo der Mensch in seinem Fragen und Suchen auf das Kreuz

stößt, wo er im Leiden Gottes unter der Menschen Haß das Ende aller seiner Leidenschaften erkennt, das Gericht über seine ganze Vitalität vernimmt. Hier geschieht der große Um-

schwung, der für das Studium die Wende zur theologischen Sachlichkeit bedeutet. Hier ist theologische Arbeit nicht mehr die Bloßstellung der ichhaften Leidenschaften, nicht mehr

Monolog, nicht religiöses Sichausleben, sondern verantwo rtliches Lernen, Hören, Aufmerksamwerden auf das Wort Gottes, das da mitten in der Welt offenbar geworden ist,

Selbstbescheidung angesichts der über alle Maßen wichtige n

Sache.

Der junge Theologe soll offen und ehrlich Theologe sein wollen in diesem Sinn oder er soll heute lieber als morgen sein

Theologiestudium an den Nagel hängen. Er soll sich seiner eigentlichen theologischen Aufgabe nicht schämen und sie

nicht durch allerlei Unsachliches

zu

beschönigen

suchen.

Warum sollte es gerade für einen Theologen besonde rs sach-

gemäß und erforderlich sein, von seinem ersten Semeste r an bis zur Erreichung der höchsten geistlichen Amter der Kirche von der theologischen Wissenschaft verächtlich zu reden? Warum sollte es ein besonders gutes Zeichen für ihn sein,

Der Student

der Theologie

heute

245

daß er die Gesellschaft aufrichtiger Theologen von Paulus über Augustin, Thomas bis zu Luther scheut, daß er es nicht

nötig zu haben meint, was jene für unermeßlich wichtig hielten? Wie könnte ein so leichtes Abtun von Fragen, die ernsteren und klügeren Menschen wichtig erschienen, auf etwas anderes als auf schlecht verhüllte Unwissenheit schließen lassen? Wie kann man die erstaunte Frage umgehen: Solltest Du wirklich hier als Theologe am rechten Platze sein? Sollte Dir nicht vielleicht ein Platz an einem viel verlockenderen, sichtbareren, imposanteren, aber eben anderen Ort eigentlich zugedacht sein? Seit wann qualifiziert es denn den Theologen in besonderer Weise, wenn er in seiner Gleichgültigkeit gegen die Theologie doch nur der Menge nach

dem Munde redet? Und schließlich: Seit wann qualifiziert es den Christen, unbescheiden über Dinge zu reden, die er nicht

von ferne versteht? Der junge Theologe soll sich mit seiner Theologie im Dienst der wahren Kirche Christi wissen, die ihren

Herrn unbeirrt

bekennt und in dieser Verantwortung lebt. Es ist widerwärtig zu sehen, wenn es der Theologe darauf absieht, wenn er es als wohltuend empfindet, eher für einen Weltmann als

für einen Theologen gehalten zu werden. Statt durch solches Verhalten

den anderen zu gewinnen,

wird er nur dessen

grenzenlose und berechtigte Verachtung. herausfordern und mit sich die Theologenschaft als solche wieder einmal dem gründlichen Gelächter der Welt aussetzen. Der Theologe, der immer eine Ausnahme sein will, der es gern hört, wenn ihn einer auf Kosten seiner Fachgenossen herausstreicht, erreicht

damit letzten Endes nur das Gegenteil. Übrigens könnte ihm die Weltlichkeit, mit der er sich gerne aufspielt, wahrhaftig noch böse Streiche spielen, und es ist wirklich nicht einzu-

sehen, wieso ungebrochene Weltlichkeit geradezu das entscheidende Kriterium für einen guten Theologen sein sollte.

246

Lehrer

an der Berliner

Universität.

1931—1933

Er soll sich durch sein Studium bereit machen, die Geister in

der Kirche Christi zu prüfen. Er soll aus der Heiligen Schrift

und den Bekenntnissen der Reformation lernen, was die lau-

tere, wahrhaftige Lehre des Evangeliums Christi sei, und was

Menschenlehre, Menschengesetz, falsche Lehre und Abgötte-

rei sei. Er soll während seines Studiums lernen, nicht aus schwarz weiß zu machen, sondern Wahrheit Wahrheit zu nennen und Irrlehre Irrlehre. Er soll das vorsichtig, bescheid en,

sachlich, in der Liebe, aber auch ganz entschlossen und tapfer

bedenken und bezeugen; tut er das nicht, dann verantworte er das selbst vor dem Herrn der Kirche, der er dient! Er soll

wissen, wo die Quelle des Lebens der Kirche liegt und wie sie verstopft und vergiftet werden kann. Er muß erkennen ler-

nen, wo und wann die Kirche Christi in der Stunde der Entscheidung, des Bekennen-Müssens, im status confessio nis

steht.

Und ist die Kirche, der er dient, im status confessionis, muß er erkennen, daß das Evangelium in Irrlehre verkehrt wird, muß er mit Seinem geschulten Blick durchschauen, daß sich

hinter den alten Worten neue, fremde Inhalte verbergen —

so wird er das an seinem Ort offen auszusprechen haben. Aber er soll und kann als Student der Theologie nichts anderes tun, als immer aufmerksamer, immer sachlicher, immer wahrhaftiger, immer mehr in der Liebe nach dem wahren Evangelium fragen. Er soll in solchen Zeiten keinesfalls pathetisch, sondern ganz

nüchtern denken und handeln. Er soll gerade hier keine Rolle

spielen wollen, sondern er soll die Bibel lesen und studieren, wie nie zuvor. Er soll in solchen Zeiten wissen, daß er seiner Kirche und

der Sache der Theologie unter keinen Umständen mit irgendwelchen taktischen Überlegungen dienen kann, sonder n ganz allein mit der lauteren Wahrheit. Auch die bestge meinte tak-

tische Lösung verschleiert und vernebelt nur. Er hat es auch

Der Student

der Theologie

heute

247

am wenigsten nötig, taktisch zu denken, er soll rein sachlich theologisch weiterarbeiten. Das ist sein Dienst.

Er soll in solchen Zeiten eher zurückhaltend als zu laut sein. Denn die Scheinsicherheit der lauten Rede hat mit der Gewißheit der Buße und des Evangeliums nichts zu tun. Er soll schließlich als rechter Theologe wissen, daß er selbst dort, wo ihn seine Erkenntnis der Wahrheit und Reinheit des Evangeliums Jesu Christi von der Irrlehre trennt, mitschuldig, stellvertretend, fürbittend neben den Irrenden und irre-

geführten Brüdern steht und selbst nicht von seiner Besserwisserei oder Rechthaberei, sondern allein von der Vergebung lebt. Er soll in solchen Zeiten der Verwirrung noch einmal ganz von neuem anfangen, er soll zu den Quellen zurück, zur wirklichen Bibel, zum wirklichen Luther. Er soll immer uner-

schrockener und immer freudiger Theologe werden. ’AAndeöovreg &v Aydım. (Eph 4, 15).

V. GEMEINDETATIGKEIT

Glaubst du, so hast du Versuch eines Lutherischen Katechismus Von

Dietrich Bonhoeffer und Franz Hildebrandt

[1931] Vorwort

Dieser Katechismus ist für Konfirmanden und doch nicht nur

für sie bestimmt. Er dient ihrem eigenen Anliegen, wenn

er versucht zu formulieren, was der Lutherische Glaube heute sagt. Fragen und Antworten sind auf konzentriertes Lesen eingestellt. Ergänzungen und Erklärungen bleiben dem Unterricht vorbehalten.

Was ist Evangelium? Die Botschaft vom Heil Gottes, das in Jesus Christ us erschienen und durch seinen Geist uns zugetragen ist. Die Botschaft vom Reich Gottes, das in der Welt bestritten und seinen Gerechten bestimmt ist. Die Botschaft vom Willen Gottes, der heute redet und entscheidet über Leben und Tod.

Wer ist evangelisch? Wer sich der Gnade Gottes freut, den Namen

Christi be-

kennt und um den Heiligen Geist bittet. Wer für Gottes Herr-

schaft bereit ist, sich nicht fürchtet vor fremd er Gewalt und

Erster

Katechismus-Versuch

249

von der letzten Vollendung weiß. Wer Gottes Wort in der Predigt hört, wer seine Gemeinde liebt und von der Vergebung lebt.

Daß Gott sich uns ganz und gar gegeben hat, mit allem, was er ist und hat (Luther), bekennt der evangelische Glaube mit diesen Worten: „Ich glaube an Gott, daß er mein Schöpfer sei, an Jesum Christum, daß er mein Herr sei, an den Heiligen Geist, daß er mein Heiligmacher sei. Gott hat mich geschaffen und mir Leben, Seele, Leib und alle Güter gegeben, Christus hat mich gebracht in seine Herrschaft durch seinen Leib, und der Heilige Geist heiligt mich durch sein Wort und die Sakramente, die in der Kirche sind, und wird uns völlig am jüng-

sten Tage heiligen. Das aber ist der christliche Glaube: wissen, was du tun sollst und was dir geschenkt ist.“ (Luther, W. A. 30, I, 94). Vom wahren Gott Woher weiß ich von Gott? Aus deiner Taufe; denn ehe du fragtest, hat Gott zu dir geredet. Aus deiner Kirche; denn als du Gott suchtest, gehörtest du schon zur Gemeinde. Aus deiner Bibel; denn von der

Kraft ihrer Predigt lebt deine Kirche. Warum ist Gott gerade hier? Er allein ist der Herr, er kann von sich reden, wo er will.

Aber es ist seine Barmherzigkeit, daß er uns in irdischer Gestalt begegnet, und daß wir wissen können, wo er zu finden ist. Das ist die Offenbarung in Christus und seiner Kirche.

Ist das der einzige Gott? In jedem andern betest du zum Gott deiner Wünsche. Nur einer ist es, der selbst zu dir kommt, so daß du ihm nicht

250

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

mehr entgehst. Sein Wort allein ruft die ganze Welt ins

Leben und auch dich zu seinem Eigentum. Vom

Glauben

Wie kann ich dessen gewiß werden? Allein durch den Glauben, der mit beiden Händen die frohe Botschaft ergreift. Ein anderer Weg ist uns nicht gegeben ,

denn sähen wir Gott, so wären wir im ewigen Leben. Darum

wagt es der Glaube auf die Treue Gottes.

Wo bleibt der Beweis dafür? Ein Gott, der sich von uns beweisen ließe, wäre ein Götze. Der Herr, dem wir trauen, bindet uns so fest an sich, daß wir

frei werden von Aberglauben und Wundersucht. Wem Gott

den Glauben geschenkt hat, der schenkt auch ihm Glauben , was immer ihm geschieht.

Fragt Gott wirklich nach mir?

Wer sich allzu fromm dagegen aufspielt, meint nicht, was

göttlich, sondern was menschlich ist. Denn das ist Gottes Ehre, daß er in Christus zu uns herabkommt, um uns im

Geist zu sich zu erheben. Er ist der dreieinige Gott.

Daß Gott uns gehört und wir ihm, sprechen wir aus im Glauben an den Vater: ich glaube an Gott, daß er mein Schöpfer sei. Darf man Gott seinen Vater nennen?

Es ist der einzige Name, der uns sein Geheimnis verrät. Er kann nicht vergessen, was er geschaffen hat. Wie sollten wir vergessen, daß wir seine Kinder sind.

Erster

Katechismus-Versuch

251

Widerspricht nicht die Schöpfung der Wissenschaft? Es ist zweierlei, zu forschen und zu glauben; die Wissen-

schaft hat ihr volles eigenes Recht. Daß die Erde nicht in sechs Tagen entstanden ist, das weiß jedes Kind. Aber nicht jeder weiß, daß Gott die Welt durch seinen Geist und den Menschen nach seinem Bild schafft. Warum sieht man das niemandem an?

Es klingt uns wahrhaftig fremd. Die Dämonen der Welt, Geld, Macht, Trieb rauben uns Gottes Licht, so daß wir sterben müssen. Gottes Ordnungen sind zerstört. Das tut unser Unglaube, der die Freiheit gegen Gott mißbraucht und uns zu Knechten unserer Götzen macht. Wie kann ein gerechter Gott so viel Unrecht zulassen? Die sere uns ten. zum

Katastrophen der Natur und des Menschen bringen unWeisheit zum Schweigen. Wo Gottes gnädiger Wille sich gänzlich verbirgt, kann ihn doch unser Wille nicht richWir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge Besten dienen.

Was soll ich dann in der Welt anfangen? Das, was dein Beruf dir zu tun gibt. Gott hat jeden von uns zu seiner Zeit in seine Arbeit berufen — das ist sein Gesetz. Und wir sind ihm Gehorsam schuldig, bis er uns abruft. Gibt es im Beruf kein Unrecht?

Allerdings nimmt heute jeder, der verdient, dem andern das Brot. Arbeit wird zum Fluch, wo unsere Macht über die

Dinge sich verkehrt zur Macht der Dinge über uns. Wer das weiß, der wird demütig und bittet Gott, daß er ihn wieder fröhlich mache in seiner Arbeit.

252

Gemeindetätigkeit.

1931— 1933

Wie darf der Christ Eigentum haben? Er wäre wohl oft froh, er hätte es nicht. Er kennt Macht und List des Geldes, aber er will sich damit sorgen für den andern. So soll er alle Dinge haben, als hätte er sie nicht.

Ist der Selbsterhaltungstrieb schon Sünde? Natur und Unnatur sind ganz in ihm verflochten. Wir glauben als Christen, daß unser Leib zu Gott gehört. Aber wo sich die Triebe des Hungers und Geschlechts von ihrem

Ursprung losreißen, gehen sie blind in die Irre. Gibt es keine Regeln für das leibliche Leben?

Die Gesundheit mutwillig zerstören, heißt seine Seele und Gottes Eigentum verletzen. Als Erfüllung der Gemeinschaft des Leibes und der Seele ist uns von Gott die Ehe gegeben.

Wem offene Augen geschenkt sind für das Wunder jeder Geburt, der scheut sich, anderes Leben anzutasten, und bittet Gott, ihm zu vergeben, wo er gesündigt im Hochmut und im

Fall.

Aber muß man nicht im Krieg das Leben zerstören? Eben darum weiß die Kirche nichts von einer Heiligkeit des

Krieges. Hier wird mit entmenschten Mitteln der Kampf

ums Dasein geführt. Die Kirche, die das Vaterunser betet, ruft Gott nur um den Frieden an.

Ist das nicht vaterlandslos?

Gott hat gemacht, daß von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen (Apg. 17, 26).

Darum ist ein völkisches Trotzen auf Fleisch und Blut Sünde wider den Geist. Der blinde Eifer, der nur sich selbst be-

hauptet, wird im Staat gebändigt; ihn hat Gott in sein Amt eingesetzt, daß wir als Christen ihm dienen.

Erster

Katechısmus-Versuch

253

"Wie soll sich der Christ politisch verhalten? Bliebe er auch am liebsten dem politischen Kampf‘ fern, so drängt ihn doch das Gebot der Liebe, sich auch hier für seinen Nächsten einzusetzen. Ob ihn der Befehl des Staates gegen das Gewissen führen darf, muß sein Glaube und seine Liebe wissen. In jeder Entscheidung erfährt er den unversöhnli-

chen Zwiespalt zwischen dem Frieden Christi und dem Haß der Welt. Haben die Christen keine andere Lösung? Wir erkennen das Unrecht unserer Gedanken und Werke. Darum hofft alle Welt ruhelos auf die Erscheinung des Erlösers und seiner Gerechtigkeit. Wir bitten Gott, daß er uns nicht richte, sondern uns für sein Werk recht fertig mache.

Daß Gott für uns eintritt und wir für ihn, sprechen wir aus im Glauben an den Sohn: ich glaube an Jesum Christum, daß er mein Herr sei.

Hat Jesus gelebt? Wer die Bibel kennt und die heidnischen Zeugnisse über Jesus, sieht in Mannigfaltigkeit und Widersprüchen den Beweis seines Lebens. Das haben selbst die Juden nie bestritten. Worte wie Matth 11, 19; 21, 32; Marc 10, 18; 15, 34; Luk 14, 26 und Bilder wie Matth 15, 21 ff; Marc 10, 13 ff; 14, 32 ff; Luk 7, 36 ff; 15, 1 ff können nicht erfunden sein. Alle

Versuche, mit der Leugnung Jesu seine Kirche abzutun, scheitern an der Erfahrung seiner unausweichlichen Gegenwart. Was hilft mir heute Jesus von Nazareth?

Von Jesus wissen heißt noch nicht an ihn glauben, das

254

Gemeindetätigkeit.

1931 —1933

bloße Fürwahrhalten ist freilich tot. Der Glaube hängt nicht an toten Buchstaben, sondern an dem lebendigen Herrn, der über allem Zweifel an der Bibel und ihren Geschichten sich gebietend vor uns stellt. Warum ist gerade er der Herr?

Er ist die Antwort auf alle Fragen des Menschen. Er ist das Heil in allen Leiden der Welt. Er ist der Sieg über alle unsere Sünden. In ihm hast du Gott selbst in seiner Macht und den Menschen ganz in seiner Ohnmacht. Wie kann ein Mensch Gott sein? Nicht anders als daß Gott sich wunderbar erniedrigt und alles mit uns teilt. Der Mensch Jesus, geboren von der Mutter Maria, durch Versuchung und Leiden bis zum Tod am Kreuz, ist das Wunder und Wort Gottes. Das sagt er selbst, und aus dieser Vollmacht handelt er. „Auf diesen Menschen

sollst du zeigen und sprechen: das ist Gott.“ (Luther). Warum lassen sich so wenige darauf ein?

Auch wenn er heute noch Wunder täte, blieben wir unbekehrt. Wir wollen einen stolzeren Gott als den, der in Krippe

und Kreuz unser Bruder geworden ist. Gott aber hüllt sich

um unsertwillen in Sünde und Tod, daß allein der Glaube sehe, was aller Welt unbegreiflich bleibt. Warum mußte Jesus ans Kreuz gehen?

Das bleibt Gottes Geheimnis. Wir können nur dies davon

sagen: was hier geschieht ist nicht menschliches Helden-

tum, hier handelt Gott selbst. Der Heilige geht in die gottfremde Welt, um die Sünder in die Heimat zu holen. Er muß Gottverlassenheit und Tod leiden wie wir, es ist sein eigenes

Opfer für uns, das unsere Sünde richtet und besiegt und

uns die Tür zum Vaterhaus öffnet.

Erster

Katechismus-Versuch

255

Ist damit das Böse wirklich aus der Welt geschafft? Christus ist auferstanden, er hat dem Teufel die Macht genommen. Aber niemand sieht das, und in der Welt kämpfen noch Christus und Antichrist. Nur seiner Gemeinde erscheint er als der Überwinder, nur seinen Gliedern als das Haupt; er macht die Kirche zu seinem Leibe und in ihr sein

Leben offenbar. Tut denn die Kirche den Willen Christi?

Die Kirche weiß heute mehr denn je, wie wenig sie der Bergpredigt gehorcht. Aber je größer die Zwietracht in der Welt wird, desto mehr will Christus den Frieden Gottes verkündigt haben, der in seinem Reich herrscht. Noch steht die Kirche täglich im Gebet um die Wiederkunft ihres himm-

lischen Herrn, und er legt seine Hand auf sie, bis er sie zur Vollendung führt.

Daß Gott uns verherrlicht und wir ihn, sprechen wir aus

im Glauben an den Heiligen Geist: ich glaube an den Heiligen Geist, daß er mein Heiligmacher sei. Wer ist der Heilige Geist? Kein Geist von der Welt, sondern Gottes und Christi Geist, der in der Kirche gegenwärtig ist. Ohne ihn wüßten wir von Christus nichts, wie wir ohne Christus nichts von Gott wüßten. In ihm vollendet sich die Gottheit auf Erden, denn „hättest du keine Kirche, so wärest du nicht Gott“ (Luther). Ist Gott nur in der christlichen Kirche? In allen Völkern aller Zeiten hat der Geist der Hoffnung gesprochen. Aber der Heilige Geist ist der Geist der Erfüllung, an dem jeder andere Geist gerichtet wird. Wo außer

256

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Christus Furcht oder Wahn die Religion des Menschen bestimmt, führt der Geist seine Christenheit zu Gnade und Wahrheit. Warum gibt es aber dann so viele Kirchen? Wir sollten wirklich eine Kirche sein. Aus unserer unbegreif-

lichen Zerrissenheit dringen wir auf eine neue Gemeinschaft aller Christen. Sie zu haben, ist uns Menschen nie anders möglich als im Warten und im Glauben [an den], der seiner

Kirche treu ist. Wo ist die wahre Kirche?

Wo die Predigt steht und fällt mit dem reinen Evangelium

vom

gnädigen Gott gegen alle menschliche

Selbstgerech-

tigkeit. Wo die Sakramente hängen am Wort Christi ohne alle Zauberei. Wo die Gemeinschaft des Geistes im Dienen steht und nicht im Herrschen. Brauche ich die Kirche?

Wüßtest du, was die Kirche ist und wozu sie dich braucht, so fragtest du nicht, sondern freutest dich. Die frohe Bot-

schaft ließe dir keine Ruhe, solange du sie haben kannst. Du

suchtest die Gemeinschaft, wo einer für den andern im Ge-

bet steht, ihm alles sagt und alles vergibt, und die Ver-

heißung, daß hier „einer dem andern ein Christus“ werden

darf (Luther).

Wird man durch die Kirche ein anderer Mensch? Hier weckt dich Gott aus dem Schlaf zur Nüchternheit, aus

der Enge in die Weite, aus der Knechtschaft zur Freiheit. Hier gibst du dich täglich selbst auf und wirst in der Gefolgschaft Christi ein Herr aller Dinge. Das ist der Glaube und das neue

Leben. Aber solange die Kirche in der Welt ist, kann niemand entscheiden, wen Gott für die Ewigkeit erwählt hat.

Erster

Katechismus-Versuch

257

Wer ist erwählt?

Am Anfang und Ende alles Lebens steht das Geheimnis des göttlichen Geistes, der begnadigt und verwirft, wen er will, und alles Fragen und Rechten verstummen läßt. In der Mitte der Geschichte steht das Kreuz des Christus, der für alle gestorben ist. Zu ihm fliehen wir und beten, daß er uns

seiner Gnade gewiß mache, bis alle Welt Gott allein die Ehre gibt. Was wissen wir vom ewigen Leben? Ob wir wollen oder nicht —

so wahr Gott lebt; ist unser

Leben seinem Gericht verfallen und in seiner Hand aufgehoben. Nicht Fleisch und Blut, sondern Leib sollen vom

Geist, Seele und

Tode auferstehen. Wir wissen nicht, wann

die Stunde kommt, aber die Kirche freut sich mit Kreatur auf eine neue Erde und einen neuen Himmel.

aller

Das aber ist der christliche Glaube: wissen, was du tun sollst und was dir geschenkt ist. Konfirmation

Du sollst Gott danken, daß deine Kirche das Evangelium hat. Du sollst Gott bitten, daß ihm dein Glaube die Treue

halte. Du sollst Gott geloben, daß du dein Leben auf sein Wort wagst.

|

Abendmahl

Du hast das erste Abendmahl, das dir Christus selbst gibt.

Du hast das heilige Abendmahl, das tägliche Brot der Ge-. meinde und aller Traurigkeit Trost. Du hast das ewige Abendmahl in der Seligkeit im Reiche des Vaters.

258

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Das Recht auf Selbstbehauptung [Öffentlicher Vortrag in der Technischen Hochschule Berlin, 4. Februar 1932]

Es kann keinem arbeitenden Menschen heute die Beobachtung entgehen, daß er ersetzlich ist, ja daß hinter ihm be-

reits viele stehen, die nur darauf warten, ihn entweder von

seiner Ersetzlichkeit noch bei Lebzeiten zu überzeugen oder

aber ebenso gern dazu bereit zu sein, ihn im Ernstfall in der Zeitung des steten ehrenden Andenkens zu versichern. Wir sind nicht nur, im Gesamtbild der arbeitenden Menschheit gesehen, unendlich gleichgültig, sondern sogar an diesem

bestimmten Fleck, an dem wir zufällig stehen. Es ist außer-

ordentlich unwichtig, ob ich studiere oder nicht; Namen sind nebensächlich und langweilig. Nummern sagen mehr

und sind sachgemäßer.

Und

welcher Großstädter

kennt

nicht diesen Eindruck von leerer, nichtiger Wichtigkeit des Morgens um "/28 Uhr auf den Straßen, in den Bahnen, wenn die Tausende zu ihrem Dienst, zu ihrem Brot hasten, eine ver-

urteilte, geduldige, ersetzliche Masse. Es hat etwas unendlich Odes, Langweiliges und doch Aufregendes, Empören des zugleich. Und wir gehören mitten unter die Überflüss i-

gen, und auch unsere eigene Lage hat für uns etwas sehr Langweiliges und sehr Empörendes zugleich. Teils aus Lan-

geweile, teils aus Empörung beschließen wir dann wohl, auf irgendeine Weise

dem Gefühl

unserer

Überflüssigkeit

ein Ende zu machen, sei es in aufgepeitschter Arbeitsle istung,

sei es indem wir uns verheiraten und neue Wesen dem Da-

sein in Überflüssigkeit zuführen und von uns abhängig machen, sei es indem wir unsere eigene Überflüssigkeit verges-

Das

Recht

auf Selbstbehauptung

259

sen und nun einfach uns nach Kräften vergnügend dahinvegetieren. Das sind zwar drei sehr verschiedene Verhaltens-

weisen, aber überflüssig ist keiner gern und man wird erfinderisch in Ausflüchten. Täglich lesen Sie neue Statistiken in Zeitungen, die nur einen Sinn haben, nämlich zu zeigen, daß zuviel Menschen da sind. Zwischen 35 und 50 %/0 aller Schüler auf den Höheren Schulen, ca. 50 %/o Studenten zuviel auf den Universitäten,

auf den Technischen Hochschulen 60 %/o, die keine Stellung finden werden. Auf dem Arbeitsmarkt geht es im Grunde nur um eine Frage: Wer kauft Menschen? Menschen werden wie Ware, die durch die Massenhaftigkeit entwertet wird. Es gibt zuviel Exemplare dieser Gattung. Das entwertet

den Einzelnen und die Gattung. Man kann sich über diese Lage der Dinge hinwegtäuschen und träumen, wenn man zufällig nicht selbst betroffen ist, aber leugnen kann man sie nicht. Eine große Chance bietet allerdings diese Situation:

nämlich die, leicht und stets entschuldigt abzusinken, sich einzuordnen in eine Umgebung, in der man sich wohl fühlt und in die man

wohl

auch eigentlich

gehört.

Und

der

Schwache und der Frivole wird diese Chance nicht vorübergehen lassen. An. alle andern

aber stellt diese Lage der

Dinge die eine Lebensfrage: Wie kommst du dazu zu tun, was

1000 andere ebensogut und besser tun könnten

und

wollten, wie kommst du dazu, zu verdienen, wo 2000 andere

nichts haben, welches Recht hast du, Stellung und Ehre zu

genießen, wo tausend deinesgleichen vom Gnadenbrot leben, welches Recht hast du, dich im Kampf ums Dasein zu be-

haupten, in vollem Bewußtsein, daß du fremdes Leben damit ruinierst, zerstörst, der Sinnlosigkeit anheimgibst? Vertritt dein Recht! Oder gib es preis! Und um dieses Problem zu erörtern, sind wir heute hier. Wir wissen aber auch, daß die Frage nach dem Recht auf

Selbstbehauptung heute nicht nur an den Einzelnen mit

260

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

besonderer Dringlichkeit gestellt ist, sondern daß sie die Da-

seinsfrage fast aller großen Gemeinschaften bedeutet. Die Berufsstände des Handwerks führen einen verzweifelten Kampf um ihr Existenzrecht, die Aufspaltung der Gesellschaft in Klassen hat diese zu immer schärferer Frontstellung gegeneinander getrieben. Das Bürgertum ist aufs gefährlichste bedroht und kämpft um die Erhaltung des bürgerlichen Geistes und seines Rechtes. Das Proletariat glaubt nur auf den Trümmern des Bürgertums sein eigenes

Recht gestalten zu können. Aber selbst die Grundformen menschlichen Zusammenlebens sind in Frage gestellt und

aufgerufen, ihr Recht zu vertreten. Ehe und Familie durch-

leben eine heftige Krise. Hat die Gestalt der Ehe, wie sie seit Jahrhunderten geführt worden ist, ein Recht, sich gegen die Versuche der Auflösung zur Wehr zu setzen? Oder hat sie

nicht zur Genüge bewiesen, daß sie zu menschlichen Katastrophen führt, daß sie überlebte, leblose Form geworden ist? Und dieselben Fragen wären dann an die Form der Fa-

milie zu richten. Die neue Gestalt der kinderlosen Ehe und etwa das immer stärkere Herausziehen des Kindes aus der Familie und Hineinziehen in die Schule und Vereine läßt

diese Frage sehr deutlich werden. Oder wir denken an den Existenzkampf, in den zwei der ehemals als mächtigste

Kulturfaktoren angesehene Institutionen hineingerissen sind: Universität und Kirche. Aus der Universität soll die Berufsschule, aus der Volkskirche der private religiöse Verein werden. Welches Recht hat die Universität sich zu behaupten,

welches

und Schmähungen

Recht

hat die Kirche,

allen Angriffen

gegen sie als überlebte, ewig reaktio-

näre, veraltete Form zum Trotz um ihr Dasein zu kämpfen? Es ist ein seltenes Bild der Geschichte, zu sehen, daß aus-

nahmslos alle bisherigen Ordnungen menschlichen Lebens

in Frage gezogen, in den Daseinskampf hineingerissen werden, daß sie vor die Alternative gestellt sind, ihr Recht zu

Das

Recht

auf Selbstbehauptung

261

begründen oder aber preiszugeben. Und nun können wir hier

nicht haltmachen; men

selbst die größten und stärksten For-

des menschlichen

Gemeinschaftslebens,

die Nationen,

sind nicht unberührt geblieben, ja an sie in ganz besonderer Weise ist die Frage gerichtet: Welches Daseinsrecht hast du, hast du ein Recht als ein altes Volk jungen heraufblühenden Völkern gegenüberzutreten, den Aufstieg zu verwehren? Hast du ein Recht, als ein junges, starkes Volk das alte mit Gewalt zu überrennen, hinabzustoßen? Hast du ein Recht, deine Grenzen zu dehnen, wenn deine Volksgenossen in der Enge des Innern ersticken? Hast du ein Recht,

die blühende

Kultur

des nachbarlichen

Landes

zu ver-

nichten um deinetwillen: Du, Volk, vertritt dein Recht oder gib es preis. — Es besteht hier die Möglichkeit, all das bisher Gesagte abzuweisen und zu sagen: Das alles sind keine

Fragen des Rechtes,

sondern

einfach

der geschichtlichen

Entwicklung, der Kräfteverteilung, der Macht. Diese Möglichkeit besteht, aber sie ist keine sittliche Möglichkeit und sie ist bisher noch nie eine deutsche Möglichkeit gewesen.

Auch dies wollen wir beachten. Worauf

wir nun

heute abend

aus sind, ist der Versuch,

alle diese Fragen auf ein und dieselbe zurückzuführen und sie so zu beantworten. Das Recht auf Selbstbehauptung — das ist die eine Frage, deren vielfach aktuelle Bedeutung

wir bisher uns veranschaulicht haben. Die Menschheit hat auf diese Urfrage alles Lebens im wesentlichen zwei Antworten gegeben. Die eine entstand in

der fernen fruchtbaren sonnigen, gestalten- und gedankenreichen Welt Indiens, in der der Leib leicht mit Gütern ver-

sorgt und darum die Seele der freien Hingabe und Vertiefung in sich selbst überlassen ist. Die Welt, in der die tätig schaffende Hand der Arbeit sich nur zu öffnen braucht, um

die Früchte reichlich zu empfangen, stiftet ihren Bewohnern eine große Stille ins Herz, und die Seele atmet das Le-

262

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

ben, das sie in seiner Fülle umgibt, sie dringt ein in dieses volle gebende Lebensgeschehen, eint sich mit ihm, durchforscht und ergrübelt seine Rhythmen und seine Tiefen, die im Grunde die Tiefen der Seele selbst sind, und die Weiten

der indischen Seele sind die Weiten alles Lebendigen. So erkennt sich die sich versenkende Seele wieder in allem Lebendigen wie in tausend Spiegeln, aus jeder Gestalt der Natur vernimmt sie die stille Antwort: tat tvam asit, das bist du,

du selbst. Und es kommt über sie die ewige Scheu vor der Heiligkeit alles Lebens. Es tut ihr weh, wenn die Natur Ge-

walt leidet, sie selbst wird zerrissen, wenn Lebendiges verletzt wird. Du sollst nicht töten, denn das Leben ist Seele, ja das Leben bist du selbst, du sollst nicht Gewalt tun ir-

gendeinem Lebendigen; du sollst allem in dir wehren und

absagen, was dich dazu anreizt, dich durchzusetzen mit Gewalt, den Durst deiner Leidenschaften, deines Hasses und deiner Liebe zähmen, wenn sie dich dahinreißen, dich selbst zu behaupten und anderes Leben zu verletzen. Lerne leiden, lerne vergehen, lerne sterben, all dies ist besser als

sich selbst behaupten und Gewalt tun und leben. Nur so

wird deine Seele, die ja die Seele des Alls ist, unverletzt und

heilig sein. Durch Liebe und Leiden gehen wir in das Al, und überwinden es.

Zum Verständnis dieses Gedankens ist es nötig, daß wir uns klar darüber sind, daß am Anfang der Satz steht: tat tvam

asi. Das alles bist du. Du bist allein. Du bist auch allein dir verantwortlich, lebe für dich und deine Seele, denn du bist

das Ganze. Es ist die gewaltige Tat Gandhis, diese Lebens-

lehre, die sich an den Einzelnen richtet, nun auf ein Volk

in einer nationalen Frage auszudehnen und nun auch die Gemeinschaft

unter

das Gebot

1 Sanskr. Chaudogya-Upanischad lage der Moral“ übernommen,

zu stellen:

du sollst kein

6, 12. Von Schopenhauer

in „Grund-

Das

Recht

auf Selbstbehauptung

263

Leben vernichten, leiden ist besser denn mit Gewalt leben.

Wenn

es sich dann ereignet, daß eine Versammlung von

Tausenden von Anhängern Gandhis, die von der Regierungspolizei aufgelöst werden soll, ihren Willen ohne Gewalttat versucht durchzusetzen in passiver Resistenz, bis die weißen Maschinengewehre auf sie gerichtet werden und Hunderte

dahinmähen, so ist das die große Ausprägung und Lösung, die die Frage nach dem Recht auf Selbstbehauptung in In-

dien noch heute findet. Die andere große Lösung ist die der europäisch-amerikanischen Zivilisation, die Lösung der Kriege und der Fabriken;

der erste Blick schon auf die Geschichte des Westens belehrt uns, daß dies eine Geschichte der Kriege gewesen ist. Die Geschichte Indiens ist bis heute eine Geschichte der Leiden.

Und daß der Krieg der europäischen Geschichte eine ganz andere geistige Struktur und Bedeutung hatte als etwa der Krieg zwischen zwei wilden Stämmen, würde, wie ich meine, die Geschichtsschreibung erweisen könnnen. Er ist sozusagen der Vorläufer der Maschine in seiner geistigen Bedeutung.

Das bedeutet dann allerdings, daß er im Zeitalter der Maschine wirklich überwunden sein sollte. Aber wie dem auch sei, die Maschine und der Krieg sind die beiden Gestalten der abendländischen

Lösung

unseres

Problems.

Und

ihre

geistige Bedeutung müssen wir zu erfassen versuchen, um das Problem zu verstehen. Man könnte nun meinen, dies sei die schlechthin animali-

sche, instinkthafte Lösung, während die indische Lösung die eigentlich menschliche sei. Aber dies ist oberflächlich. In beiden Fällen tritt der Mensch aus dem Zusammenhang mit der Natur heraus, ist er etwas schlechthin anderes als das Tier. Das Tier lebt nur, indem es sich den Gesetzen der Na-

tur anpaßt, der Mensch steht der Natur gegenüber und beherrscht, überwindet sie. In der Welt des Ostens geschieht das dadurch, daß der Mensch zu leiden vermag um der Seele

264

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

willen, im Abendland vermag der Mensch die Natur zu beherrschen, bekämpfen, in seinen Dienst zu zwingen; und diese

Herrscherstellung

des Menschen

über die Natur

ist das

Grundthema der europäisch-amerikanischen Geschichte. Auch der indische Mensch ist tiefer und stärker als die Natur, weil er sie versteht und wissend für sie und von ihr leidet, aber der europäische Mensch ist tiefer und stärker als die Natur,

weil er ihr Feind und Besieger ist. Er hat dies als angeborenen Vorrang vor allen Lebendigen. Darum kann der Europäer auch die Natur nicht lieben, ohne in ihr die dämonischen Gewalten zu vernehmen, die ihn bedrohen; und in der tiefen Freude, die ihm die Angst vor der Natur und der Kampf gegen sie gibt, liebt er sie. Sein Weg zur Natur ist ein gebrochener. Sie versagte ihm alles, darum muß er es ihr gegen ihren Willen abringen, und um dieses Kampfes willen liebt er sie. Der indische Mensch empfängt von der Natur alles und liebt sie darum, sein Leben ist kein Kampf gegen sie, son-

dern ein Empfangen von ihr. Der Europäer muß sich sein Recht auf Leben erst gegen die Natur erkämpfen, aber nicht nur gegen die Natur, sondern auch gegen den andern Menschen. Sein Leben bedeutet im eigentlichsten Sinn „Töten“. Das ist nie so grauenvoll deutlich gewesen wie in den letzten anderthalb Jahrzehnten. Und doch stehen wir alle im Leben, wir haben uns offenbar alle schon entschieden, dies Schicksal zu bejahen, ob bewußt

oder unbewußt, jedenfalls ist die Entscheidung gefallen, und es gilt nun zu verstehen, was wir damit getan haben. Nicht nur die Stellung zur Natur ist für den Europäer etwas

anderes, sondern auch die Stellung zur Geschichte und zum andern Menschen; und erst von hier aus verstehen wir ganz die europäisch-amerikanische Lösung der Frage. Recht auf

Selbstbehauptung heißt Recht auf Leben. Leben aber ist zunächst einmal nicht etwas, das wir uns selbst geben, sondern das uns gegeben wird, das wir erleiden. Durch unsere

Das Recht auf Selbstbehauptung

265

Geburt ist unser Leben primär passiv bestimmt. Und es ist nun dem reifen europäischen Denken eigen, dies passive Geschehen als Bindung anzuerkennen. Leben heißt gebunden sein durch Geschichte und d.h. an andere Menschen. Ich wachse hinein in eine Welt, die ich nicht mir gebe, sondern die mich bestimmt und an die ich mich gebunden erkenne.

So bedeutet Leben gebunden sein nach rückwärts und vorwärts, in-Anspruch-genommen-sein

dern Menschen

meiner

Umwelt;

von außen, von den an-

bedeutet:

verantwortlich

sein. Es gibt hier grundsätzlich die Möglichkeit der großen Individualisten, diese Bindung durch Geburt und Leben als furchtbares Schicksal zu verfluchen, wie Jeremia den Tag seiner Geburt verflucht und wie Nietzsches Zarathustra es ähnlich tut. Das bedeutet das sich-Herausreißen aus der Geschichte und aus der Gemeinschaft, und es bedeutet letztlich darum nichts anderes als die Verkündigung des Rechtes auf die große menschliche Möglichkeit, die seine Freiheit von der Natur, seine Überlegenheit über das Tier, am tiefsten bezeugt: das Recht auf den freien Tod, auf den

Selbstmord. Hier empört sich der Einzelne gegen sein Schicksal und trotzt ihm bis zum Letzten. Der Mensch ist frei über Natur und Geschichte nur, wenn er frei ist zum Tod. Das

Recht auf Selbstbehauptung wird hier zum Recht auf den freien Tod. Dies ist die eine Möglichkeit. Und es bleibt unüberhörbar die Wahrheit, daß der Mensch zum Menschen erst wird, sich erst recht selbst behauptet, wenn er frei ist

zum Tod. Aber diese Wahrheit wird gehört und aufgenommen

auch

dort,. wo

der Mensch

seine geschichtliche Bin-

dung in Verantwortung erfaßt, wo er sich nicht als den Herrn über sein eigenes Leben versteht, sondern wo er sein Leben versteht als verantwortlich gegenüber dem Bruder — Mensch. Hier lebt er nicht allein, sondern er lebt wesentlich durch und für den andern, ihm verantwortlich zu-

geordnet. Nur aus der Verantwortung

entnimmt

darum

266

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

das Leben sein Recht auf Selbstbehauptung, nicht weil es mir gehört, sondern weil es der Gemeinschaft, dem Andern, dem Bruder Mensch gehört. Hier ist die Möglichkeit des freien Todes grundsätzlich abgetan, aber die tiefe Wahrheit, die sie

enthält, ist in die viel unergründlichere Tiefe eines anderen Gedankens aufgenommen, und aus diesen verborgenen

dunklen Tiefen quillt nun das Leben der Verantwortung:

der Mensch ist frei nur im Tode, Recht auf Selbstbehauptung heißt Recht auf den Tod, Freiheit zum Tod, nun aber nicht zu dem freien Tod der Selbstvernichtung, sondern Freiheit zum Opfer. Das ist die Vollendung des Gedankens vom

Leben

als Verantwortung,

schichte und Gemeinschaft,

als Gebundensein

an

Ge-

daß dies Leben nur Recht hat

durchs Opfer. Recht zum Leben gibt es nur durch das Ster-

benkönnen für den andern, in der Verantwortung; Leben heißt töten, darum aber muß das Leben selbst offen sein

für den Tod, nun aber nicht mehr zur Verherrlichung der

Persönlichkeit, sondern als Opfer für den Bruder. Erst wo der Einzelne vermag, sein Leben vom Tod aus zu verstehen

und zu werten, gewinnt er Antwort auf die Frage nach sei-

nem Recht auf das Leben, nach seinem Recht auf Selbstbehauptung.

Aber schon indem wir dies sagen, weitet sich unser Blick. Wir

sind ja nicht nur Einzelne, sondern wir sind hineingestellt

in Lebensgemeinschaften

und hier liegt ja gerade heute

unser brennendstes Interesse. Unsere Ehe, unsere Kirche, Deutschland ist vor das Forum der Verantwortung geru-

fen. Und nun gilt es diese Gemeinschaften im Lichte dessen

zu sehen, was dem individuellen Leben Recht gibt auf Selbstbehauptung — im Licht der Verantwortung für den andern und des Sterbenkönnens. Und was wir im Folgenden sagen, gilt von jeder Gemeinschaft, die verantwortlich handelt, von einer solchen des Blutes oder einer solchen der Arbeit, einer Fabrik oder einer Kommune. Jede Gemein-

Das Recht auf Selbstbehauptung

267

schaft, auch die große Gemeinschaft des Volkes lebt nicht für sich selbst, sondern für den andern, lebt in der Verant-

wortung für den Bruder, für das Brudervolk. Es gibt für das Volk schlechthin kein isoliertes Leben. Es ist gebunden durch seine Geburt an die Gemeinschaft und durch sein Leben an das Brudervolk. Freilich, auch für das Volk gibt

es wohl jene dämonische Möglichkeit des Sichherausreißens aus dem

geschichtlichen

Zusammenhang,

den Versuch

des

absoluten Allein- und Fürsichseins, der Leugnung der Verantwortlichkeit, das dann seine Kraft erhält aus der Mög-

lichkeit des freien Todes des ganzen Volkes. Und wie über dem Einzelleben, so schwebt über der Volksgemeinschaft die Gefahr dieses Tuns. Dann heißt es, daß das Volk ein Recht hat, dort wo ihm das Leben unerträglich wird, seine Geburt zu verfluchen und sich mit ehrenvollem Tode selbst das Ende zu bereiten; aber auch hier wiederum muß dieser Gedanke aufgenommen und in die Tiefe des verantwortli-

chen Lebens hineingeführt werden. Es ist wahr, daß ein Volk nur leben, und das heißt doch Leben vernichten darf, wenn es frei ist zum Tode; nur im Lichte, nur aus der Kraft des Todes lebt die Gemeinschaft. Aber indem ein Volk seine Bindung an die Geschichte, seine Bindung an den Bruder, an das Brudervolk, das wohl zugleich sein Todfeind sein kann, verantwortlich bejaht, hat es nicht mehr die Freiheit zum freien Tode, sondern lebt es allein aus der Freiheit zum Opfertode für den Bruder. Nur weil es bereit ist, für den Bruder zu sterben, darf es leben. Krieg und Maschine als die Mittel der Selbstbehauptung der Gemeinschaft fordern

Opfer der Einzelnen, aber sie haben ihr alleiniges Recht aus der Bereitschaft der Gemeinschaft — zum Opfertod für den andern, ja für den feindlichen Bruder; nie dürfen sie

Mittel der Selbstsucht und der Selbstvergötterung werden, und wo sie hierzu erniedrigt werden, ist es Zeit zum Protest. Der Krieg stammt aus der Zeit, in der der Europäer meinte,

268

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

nur im Töten des andern sich selbst Lebensraum schaffen zu können. Die Maschine richtet den Kampf nicht primär gegen den Menschen, sondern gegen die Natur. Darum sind ihre

Mittel rücksichtsloser. Darum aber kommt es zur Katastrophe, wo die Maschine in den bewußten Dienst der Zerstörung von Menschenleben gestellt wird. Nicht nur ihrer Idee nach,

die Natur dem Menschen zu unterwerfen und ihn so leben zu lassen, sondern auch ihrer Wirklichkeit nach hat die Ma-

schine den Krieg unmöglich gemacht. Aber dies nur nebenbei. — Auch Völker können und sollen sich opfern. Und so weitet

sich wiederum der Blick und umspannt die ganze Erde, die Menschheit. Unser westliches Denken ist universal, der Begriff der Menschheit ist ein westlicher Begriff. Er regiert unser gesam-

tes Denken. Aber wir erreichen ihn nicht anders als auf dem

geschichtlichen Wege über den Einzelnen und über die Gemeinschaft; hier aber als geschichtlicher Endbegriff hat er seinen unverlierbaren Sinn. Das Leben und das Opfer des Ein-

zelnen gilt dem Bruder, gilt der ihn umfassenden nächsten

Gemeinschaft, das Leben und das Opfer der Gemeinschaft gilt dem Brudervolk, der es umfassenden brüderlichen Gemeinschaft, so steigert es sich hinauf bis zur Einsicht, daß das

Leben, die Verantwortung und das Opfer zuletzt der Einheit des Menschengeschlechtes gehört, dem Menschen schlechthin,

der allein durch das Opfer leben kann. Die Menschheit lebt

durch das Opfer, das die einzelnen und die Gemeinschaften ihr darbringen. Aber warum sollen wir die letzte Frage zu-

rückhalten, die doch unvermeidlich ist? Die Menschheit selbst: bedarf sie des Opfers, der Offenheit zum Tode nicht mehr, weil sie das letzte unbedingte, nur Opfer gebietende, nicht

mehr sich selbst Opfernde ist? Hat sie ihr Recht schlechthin

durch sich selbst, durch ihr Dasein? Oder muß auch sie es erkämpfen durch die Bereitschaft zum Tod?

Das

Recht auf Selbstbehauptung

269

Warum sollen wir an dieser entscheidenden Stelle nicht einfach den Schritt vorwärts machen, der durch alles vorher Ge-

sagte notwendig geworden ist? Auch die Menschheit, auch der Mensch schlechthin, der nichts ist als Mensch, also auch die

Menschheit steht für unser Denken unter der Verantwortung für ihr Recht auf Leben und sie nimmt diese Verantwortung auf sich nur dort, wo sie sieht, daß auch sie nur aus dem Sterbenkönnen, aus dem Tode, aus dem Opfer lebt, aus dem Opfer, das sie nun aber zugleich sich selbst, den Brüdern

bringt in dem, der sie alle zu Brüdern gemacht hat und von dessen Geist und Leben sie alle einer sind. Das Ende des Menschen, der Menschheit ist das Bereitsein zu dieser Tat, zum Opfer für den Bruder Mensch, und das dargebracht wird dem Geist, der aus sich selbst lebt und Leben schafft. Und hier nun taucht im Hintergrund dieses westlichen Ge-

dankenbildes

der Horizont des Christentums auf und in

ihm die Gestalt des Jesus von Nazareth, des Menschensohnes, der der Gottessohn, der Christus genannt wird. Er vollbringt das Opfer der Menschheit, aus dem allein die Menschheit leben kann, und nun lebt seit der Tat von Golgatha die

Menschheit ganz aus jener Tat, die der Menschensohn für die Brüder dem Vater. darbrachte. Auch er lebte wirklich, aber seine Gläubigen sehen sein Leben im Schatten oder im Licht der Tat von Golgatha, seines Todes für die Brüder. Weil er frei war zum Tode, darum konnte er leben, weil er starb als

das Opfer für die Bruderschaft der Welt, darum war sein Leben das Leben schlechthin im Dienste der heiligsten Bruderschaft. Darum reden die Evangelien davon, daß man sein Kreuz auf sich nehmen soll und ihm nachfolgen, sein Tod heiligt sein Leben; sein und unser Tod heiligt unser Leben,

und nur wo wir frei werden zum Opfer für die heiligste Bruderschaft der Menschheit, für die der Prophet von Nazareth,

der Christus, starb, sind wir recht frei geworden zum Leben.

270

Gemeindetätigkeit.

1931— 1933

Dein Reich komme!

Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden [Öffentlicher Vortrag in Potsdam-Hermannswerder

am 19. November 1932]

Wir sind Hinterweltler oder wir sind Säkularisten; das heißt aber, wir glauben nicht mehr an Gottes Reich. Wir sind der Erde feind, weil wir besser sein wollen als sie, oder wir sind Gott feind, weil er uns die Erde, unsere Mutter, raubt. Wir flüchten vor der Gewalt der Erde, oder wir stemmen uns starr und unbeweglich fest auf sie. Aber wir sind nicht die Wanderer, die die Erde lieben, die sie trägt, die sie aber eigentlich nur darum recht lieben, weil sie auf

ihr dem fremden Land entgegengehen, das sie über alles lieben; — sie würden ja sonst nicht wandern. An das Reich Gottes glauben kann nur, wer so wandert, wer die Erde und Gott in einem liebt. Hinterweltlerisch sind wir, seit wir den bösen Kniff herausbekamen, religiös, ja sogar „christlich“ zu sein auf Kosten

der Erde. Im Hinterweltlertum

läßt es sich prächtig le-

ben. Man springt immer dort, wo das Leben peinlich und

zudringlich zu werden beginnt, mit kühnem Abstoß in die

Luft und schwingt sich erleichtert und unbekümmert in sogenannte ewige Gefilde. Man überspringt die Gegenwart, man verachtet die Erde, man ist besser als sie, man hat ja neben den zeitlichen Niederlagen noch ewige Siege, die so

leicht errungen werden.

Mit dem Hinterweltlertum

läßt

es sich auch leicht trösten und predigen. Eine hinterweltlerische Kirche kann gewiß sein, daß sie alle Schwächlichen,

alle nur zu gern Belogenen und Betrogenen, alle Phanta-

Dein

Reich

kommel

271

sten, alle ungetreuen Söhne der Erde im Nu gewinnt. Wer

wäre nicht menschlich genug, daß er nicht dort, wo es zu explodieren beginnt, schnell den Wagen besteige, der sich aus den Lüften herabsenkt und in ein besseres Jenseits zu

führen verspricht? Welche Kirche wäre so unbarmherzig, so unmenschlich, daß sie nicht dieser Schwäche der leidenden Menschen mitleidig entgegenkäme, — um so ihre

Seelenbeute fürs Himmelreich einzubringen? Der Mensch ist schwach, er erträgt die Nähe der Erde nicht, die ihn trägt. Er leidet sie nicht, weil sie stärker ist und weil er besser

sein will als die böse Erde. Er entwindet sich ihr, er entzieht sich ihrem Ernst. Wer wollte es ihm verübeln — es sei denn der Neid der Besitzlosen? Der Mensch ist nun einmal schwach, und dieser Schwächling Mensch ist zugänglich der Religion des Hinterweltlertums — soll man sie ihm

versagen, soll der Schwächling ohne Hilfe bleiben? Ist das der Geist Jesu Christi? Nein, der schwache Mensch soll Hilfe bekommen, er bekommt sie von Christus. Aber Christus will nicht diese Schwäche, sondern macht den Menschen stark.

Er führt ihn nicht in Hinterwelten der religiösen Weltflucht, sondern er gibt ihn der Erde zurück als ihren treuen Sohn. | Seid nicht hinterweltlerisch, sondern seid stark! Oder wir sind Weltkinder. Wer sich von dem bisher Gesagten

gänzlich unbetroffen fühlte, der möge acht geben, ob ihn das nun folgende verwundet. Wir sind dem Säkularismus verfallen; dabei ist hier der fromme, der christliche Säkula-

rismus gemeint. Gar nicht die Gottlosigkeit oder der Kulturbolschewismus, sondern der christliche Verzicht auf Gott als den Herrn der Erde. Hier wird gesehen, daß wir der Erde

verhaftet sind. Wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen. Es gibt keine Ausflucht. Gewalt steht gegen Gewalt. Welt steht gegen Kirche, Weltlichkeit gegen Religion. Was kann

272

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

hier anderes gelten, als daß Religion und Kirche in diese Auseinandersetzung, in diesen Kampf gezwungen werden?

Dazu muß Glaube sich verfestigen zu religiöser Sitte und zu Moral, Kirche zum Aktionsorgan für religiös-sittlichen Neubau. Also der Glaube rüstet auf, weil die Gewalten der Erde ihn dazu nötigen. Wir sollen Gottes Sache vertreten. Wir müssen uns eine starke Festung bauen, in der wir mit Gott ge-

sichert leben können. Wir bauen das Reich. Mit solchem fröhlichen Säkularismus läßt es sich abermals prächtig leben. Der Mensch — auch der religiöse Mensch — hat Lust daran, sich zu raufen und seine Kräfte spielen zu lassen. Wer wollte ihm diese Gabe der Natur verargen — es sei denn der Neid des Besitzlosen? Es läßt sich aber mit solchem from-

mem Säkularismus auch trefflich reden und predigen. Die Kirche darf gewiß sein, daß sie bald — wenn sie es nur noch

etwas schneidiger so treibt —

alle Tapferen, Entschlosse-

nen, Gutgesonnenen, alle allzu treuen Söhne der Erde auf

ihrer Seite hat in diesem fröhlichen Krieg. Welcher rechte Mann vertrete nicht gern die Sache Gottes in dieser schlechten Welt, machte es nicht so, wie es von den alten Agyptern erzählt wird, daß sie ihre Götterbilder gegen den Feind führten — um sich dahinter zu verstecken, nun aber nicht nur vor dem Feind, vor der Welt, sondern gerade vor dem Gott, der seine Maske auf Erden zerbricht, der nicht will,

daß der Mensch auf Erden sich seiner annehme aus lauter überstrotzender Kraft — wie der Starke sich des Wehrlosen annimmt —, sondern der seine Sache selbst führt und sich aus freier Gnade des Menschen annimmt oder nicht, der selbst der Herr sein will auf Erden, der sich in solch fröh-

lichem Eifer für seine Sache sehr übel gedient sieht. Daß wir gerade mit unserer Bereitschaft, Gott in der Welt sein Recht zu verschaffen, nur ihm selbst entrinnen, daß wir die Erde um ihrer selbst, um dieses Kampfes willen lieben, das ist unser christlicher Säkularismus. Aber wir entgehen Gott

Dein

Reich

komme!

273

doch nicht. Er nimmt sich den Menschen zurück in seine Herrschaft. Werdet schwach in der Welt und laßt Gott den Herrn sein! Es sind nun aber Hinterweltlertum und Säkularismus nur die beiden Seiten derselben Sache — nämlich, daß Gottes

Reich nicht geglaubt wird. Weder der glaubt es, der zu ihm aus der Welt flieht, der es dort sucht, wo seine Plage nicht ist, noch der glaubt es, der es als ein Recht der Welt selbst aufrichten zu sollen meint. Wer der Erde entweicht, findet nicht Gott, er findet nur eine andere Welt, seine eigene, bessere, schönere, friedlichere Welt, eine Hinterwelt, aber nie Gottes Welt, die in dieser Welt anbricht. Wer der Erde entweicht, um Gott zu finden, findet nur sich selbst. Wer Gott entweicht, um die Erde zu finden, findet die Erde — als Got-

tes Erde —

nicht, er findet den lustigen Schauplatz eines

Krieges zwischen Guten und Bösen, Frommen und Lästerern, den er selbst entfacht, er findet sich selbst. Wer Gott liebt, liebt ihn als Herrn der Erde, wie sie ist; wer die Erde liebt, liebt sie als Gottes Erde. Wer Gottes Reich liebt, liebt es ganz als Gottes Reich, er liebt es aber auch ganz als Gottes Reich

auf Erden. Und das darum, weil der König des Reiches der Schöpfer und Erhalter der Erde ist, weil er die Erde gesegnet

hat und uns aus Erde genommen hat. Aber — die gesegnete Erde hat Gott verflucht. Wir leben auf dem verfluchten Acker, der Dornen und Disteln trägt; aber — in die verfluchte Erde ist Christus eingegangen, das Fleisch, das Christus trug, war von diesem Acker genommen. Auf diesem Acker hat das Holz des Fluches gestanden, und dieses zweite „Aber“ stiftet das Reich des Christus als das Reich Gottes auf dem verfluchten Acker. Darum ist das Reich des Christus ein Reich, das von oben in den verfluchten

Acker hineingesenkt ist. Es ist da, aber wie der verborgene

274

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Schatz in dem verfluchten Acker. Wir gehen darüber hin und wissen es nicht, und doch wird uns dieses Nichtsehen

zum Gericht. Du hast allein den Acker gesehen, seine Di-

steln und Dornen, wohl auch seine Saat und sein Korn, aber

du hast den verborgenen Schatz in dem verfluchten Acker

nicht gefunden. Ja, gerade dies ist ja der eigentliche Fluch, der auf dem Acker der Erde lastet, nicht, daß er Disteln und Dornen trägt, sondern daß er Gottes Angesicht verbirgt, daß auch die tiefsten Furchen der Erde uns den verborgenen Gott nicht enthüllen. Wenn wir um das Kommen des Reiches beten, so können

wir es nur als solche, die ganz auf der Erde sind. Um das

Reich beten, das kann der nicht, der sich seinem und der an-

deren Elend entreißt, der in der Losgelöstheit und Einsam-

keit der frommen Stunden dem „Nur-Selig“ lebt, — es mag

Stunden der Kirche geben, in denen sie auch das tragen kann;

wir können es nicht. — Die Stunde, in der die Kirche heute

um das Reich betet, zwingt sie ganz hinein auf Gedeih und

Verderb in die Genossenschaft der Erden- und Weltkinder, sie verschwört sie der Treue zur Erde, zum Elend, zum Hun-

ger, zum Sterben. Sie macht sie solidarisch ganz und gar mit

dem Bösen und mit der Schuld des Bruders. Die Stunde, in der wir heute um Gottes Reich beten, ist die Stunde des tiefsten Zusammenstehens mit der Welt, eine Stunde mit zusammengebissenen Zähnen und zitternder Faust; nicht ein einsam

flüsterndes

„Nur-Selig“,

sondern

ein gemeinsam-

schweigendes, schreiendes: Es vergehe diese Welt, die uns in

Not zusamengeschweißt hat, und es komme dein Reich zu uns. Es ist das ewige Recht des Prometheus, das ihn gegen-

über dem feigen Flüchtling in Hinterwelten dem Reich Got-

tes nahe sein läßt, daß er die Erde liebhat, die „Erde, die

unser aller Mutter ist“ (Jes. Sir. 40, 1).

Um das Reich beten, das kann auch der nicht, der sich selbst in kühnen Utopien, in Träumen und Hoffnungen das Reich

Dein

Reich

komme!

275

erdenkt, der seiner Weltanschauung lebt, der tausend Pro-

gramme und Rezepte weiß, nach denen er die Welt kurieren will. Nehmen wir uns doch selbst einmal gründlich vor, wenn wir uns bei solchen Gedanken ertappen, und es wird sich etwas Überraschendes zeigen. Keiner von uns weiß im Grunde, was er will; stellen wir die ganz einfache Frage:

Wie denkst du dir eigentlich dein Reich Gottes auf Erden? Wie willst du eigentlich die Menschen haben? Sollen sie moralischer sein, sollen sie frömmer sein, sollen sie einheitlicher sein, sollen sie weniger leidenschaftlich sein, sollen sie nicht mehr krank und nicht mehr hungrig, nicht mehr dem

Tod unterworfen sein, soll es nicht mehr Kluge und Dumme, Starke und Schwache, Arme und Reiche geben? Es ist wirklich zum Erstaunen, daß kaum, daß wir diese Frage ehrlich stellen und beantworten wollen, wir nicht mehr aus noch ein wissen. Wir wollen das eine wohl und wir wollen

es auch wieder aus guten Gründen nicht. Es ist bei einiger Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit des Nachdenkens schlechterdings nicht möglich, uns auch nur eine Utopie eines Rei-

ches Gottes auf Erden zu machen. Die Möglichkeit des universalen Denkens, des Zusammenschauens

ist uns einfach ver-

sagt. All unsere Sehnsucht, aus dem verfluchten Acker den gesegneten Acker zu machen, zurückzugewinnen, scheitert daran, daß Gott selbst den Acker verflucht hat und daß er

allein sein Wort zurücknehmen, die Erde wieder segnen kann. Wir müssen von dem Rausch, mit dem uns das Gift des verfluchten Ackers verzauberte, erwachen und nüchtern werden. Die Erde will unseren Ernst, sie läßt uns nicht entrinnen, nicht in die Hinterwelt frommer Seligkeit, noch in die

Diesseitigkeit säkularer Utopie, sondern sie zeigt uns derb ihre geknechtete Endlichkeit. Ihre Knechtung ist unsere Knechtung, und mit ihr sind wir unterworfen. Das Sterben, das Alleinsein und der Durst — das sind die drei Gewalten, die die Erde knechten, vielmehr das ist die eine

276

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Gewalt, der Widersacher, der Böse, der sein gewonnenes Recht an der gefallenen Kreatur nicht preisgibt, vielmehr das ist die Gewalt, des Fluches, der aus dem Munde des Schöpfers kam. Und darum kommen wir mit unseren Utopien nicht über unser Sterben, nicht über unser Alleinsein, nicht über unseren Durst hinaus — sie gehören alle ganz zur verfluchten Erde. — Aber wir sollen nun auch gar nicht darüber hinaus kommen, sondern das Reich kommt zu uns in unser Sterben, in unser Alleinsein, in unseren Durst, es kommt dort, wo die Kirche in der Solidarität mit der Welt verharrt und allein von Gott das Reich erwartet. „Dein Reich komme“ — das betet nicht die fliehende fromme Seele des einzelnen, das betet nicht der Utopist und Schwärmer, der hartnäckige Weltverbesserer — das betet allein die Gemeinde der Kinder der Erde, die sich nicht absondern,

die keine besonderen Vorschläge zur Besserung der Welt

anzubringen haben, die auch selbst nichts Besseres sind als die Welt, aber die nun in der Mitte, in der Tiefe, in der All-

täglichkeit und Unterworfenheit der Welt gemeinsam aus-

harren, — weil sie nun eben einmal in diesem Dasein in wunderlicher Weise treu sind und unverwandt ihren Blick heften auf den seltsamen Ort in der Welt, an dem sie die Durchbrechung des Fluches, das tiefste Jasagen Gottes zur Welt staunend vernehmen, an dem mitten in der sterbenden, zerrissenen, durstenden Welt etwas sichtbar wird, dem, der glauben kann, — auf die Auferstehung Jesu Christi. Hier ist

das Wunder schlechthin geschehen. Hier ist das Todesgesetz

zerbrochen, hier kommt das Reich Gottes selbst auf Erden zu uns, in unsere Welt, hier ist das Bekenntnis Gottes zur

Welt, der Segen Gottes, der den Fluch aufhebt. Es ist wirklich genau dieses Geschehen, an dem allein sich das Gebet

um das Reich entzündet. Es ist eben dieses Geschehen, in

dem die alte Erde bejaht und Gott als der Herr der Erde an-

gerufen wird; und es ist wiederum dieses Geschehen, das die

Dein

Reich

komme!

277

Erde als die verfluchte überwindet, durchbricht, tötet und die neue Erde verheißt. Gottes Reich ist das Reich der Auferstehung auf Erden.

Es ist unsere doppelzüngige Ungläubigkeit, mit der wir uns gegen dieses Reich sträuben. Wir setzen Gott Grenzen, indem wir in erstohlener Demut sagen, Gott könne nicht zu uns kommen, er sei zu groß, sein Reich sei nicht für diese Erde, Gott und sein Reich sei in ewiger Jenseitigkeit. Welche Demut wollte sich vermessen, Gott die Grenzen seines Tuns zu bestimmen, — ihm, der stirbt und aufersteht? Diese Demut ist nichts als der schlecht verhohlene Hochmut dessen, der selbst wissen will, was Gottes Reich ist, und der nun, in ebenso schlecht verhohlenem Eifer, selbst das Wunder tun will, selbst das Reich Gottes schaffen will, und der im Erstarken der Kirche, in der Verchristlichung von Kultur und Politik und Erziehung, in einem Neuwerden christlicher Sitte das Kommen des Reiches Gottes erblickt und damit nur wieder dem Fluch der Erde, in der das Reich Gottes als Schatz

verborgen ist, verfällt. Wer wollte sich so grenzenlos verkennen, daß er nicht sieht, daß es Gott selbst und allein ist, der dies Durchbrechen, dies Wunder, das Reich der Auferstehung bringt. Nicht was Gott könnte und was wir könnten, sondern was Gott an uns tut und immer wieder tun will, begründet unser Gebet um das Kommen des Reiches. Es ist Reich Gottes für die Erde, auf der Erde unter dem Fluch, es ist Durchbrechung des Gesetzes des Sterbens, des Alleinseins und des Durstes in der Welt, und es ist ganz Gottes Reich, sein Tun, sein Wort, sein Auferstehen. Es ist wirklich das Wunder,

Gottes Wunder der Durchbrechung des Todes zum Leben, es ist das Wunder, das unseren Glauben und unser Gebet um

das Reich trägt. Warum sollen wir uns schämen, daß wir einen Gott haben, der Wunder tut, der Leben schafft und Tod besiegt? Ein Gott, der kein Wunder tun kann, sind wir selbst.

278

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Ist Gott wirklich Gott — dann ist er selbst, dann ist sein Reich wunderbar, das Wunder schlechthin. Warum sind wir

so ängstlich, so vorsichtig, so feig? Er wird uns alle beschämen, wenn er uns einst Dinge sehen lassen wird, die tausendmal wunderbarer sind als alles andere bisher. Wir werden uns vor ihm schämen müssen, dem wunderbaren Gott. So blicken wir auf sein wunderbares Tun und sprechen: Dein Reich komme zu uns. — Die Bitte um das Reich

ist nicht das Betteln der ängstlichen Seele um ihre Selig-

keit. Sie ist nicht die christliche Verbrämung für Weltverbesserer. Sie ist die Bitte der leidenden und kämpfenden

Gemeinde in der Welt, für das Menschengeschlecht und um

die Vollendung der Ehre Gottes an ihm. Nicht Ich und Gott,

sondern Wir und Gott fragen wir Heutigen. Nicht daß Gott

in meiner Seele einkehre, sondern daß Gott unter uns sein Reich schaffe, das ist unser heutiges Gebet. Wie kommt Gottes Reich zu uns? Nicht anders als Er selbst kommt, in der Durchbrechung des Todesgesetzes, in der Auferstehung,

im Wunder, und doch zugleich in der Bejahung der Erde, im

Eintreten in ihre Ordnung, ihre Gemeinschaften, in ihre Geschichte. Beides gehört ganz zusammen. Denn nur wo die

Erde ganz bejaht ist, kann sie ernsthaft durchbrochen und

vernichtet werden; und nur die Tatsache, daß der Erdenfluch durchbrochen ist, läßt ein wirkliches Ernstnehmen der Erde zu. Mit anderen Worten, Gott lenkt die Erde so, daß er ihr

Todesgesetz durchbricht. So ist Gott immer zugleich der, der

sich zur Erde bekennt und der ihren Fluch durchbricht. Die Erde, zu der Gott sich bekennt, ist die Erde, die er erhält, die gefallene, verlorene, verfluchte Erde. Er bekennt sich zu ihr als zu seinem Werk. Wo aber Gott ist, ist sein Reich. Gott kommt immer mit seinem Reich. Sein Reich muß denselben Weg gehen wie er selbst. Es kommt mit ihm auf die Erde, es ist unter uns nie anders als in der doppelten Gestalt: als das alle Reiche der Erde, alles dem Fluche des Todes unter-

Dein

Reich

komme!

279

worfene Reichschaffen des Menschen durchbrechende, verneinende, überwindende, vernichtende letzte Reich der Auferstehung, des Wunders; und zugleich als das die Erde mit ihren Gesetzen, Gemeinschaften und ihrer Geschichte bejahende, erhaltende Reich der Ordnung. Das Wunder und die Ordnung, das sind die beiden Gestalten, in denen sich das Reich

Gottes auf der Erde darstellt, in die es auseinandertritt. Das

Wunder als die Durchbrechung aller Ordnung und die Ordnung als die Erhaltung auf das Wunder hin. Aber auch das Wunder ganz verhüllt in der Welt der Ordnungen, und die Ordnung sich ganz in ihrer Begrenztheit durch das Wunder haltend. Die Gestalt, in der das Reich Gottes sich als Wunder

bezeugt, nennen

wir —

die Kirche; die Gestalt, in

der das Reich Gottes sich als Ordnung bezeugt, nennen wir — den Staat.

Das Reich Gottes ist in unserer Welt nicht anders als in der Zweiheit von Kirche und Staat. Beide sind notwendig aufeinander bezogen. Keines ist für sich. Jeder Versuch sich des anderen zu bemächtigen, mißachtet diese heit des Reiches Gottes auf Erden. Jedes Beten um men des Reiches zu uns, das nicht Kirche und Staat entweder Hinterweltlertum oder Säkularismus, es falls Unglaube an das Reich Gottes.

des einen, Bezogendas Kommeint, ist ist jeden-

Das Reich Gottes nimmt Gestalt an in der Kirche, sofern die Kirche Zeugnis ablegt von dem Wunder Gottes. Das Zeugnis

von der Auferstehung Christi von den Toten, von dem Ende des Todesgesetzes dieser Welt, die unter den Fluch getan ist, von der Macht Gottes in der neuen Schöpfung, ist das Amt

der Kirche. Das Reich Gottes nimmt Gestalt an im Staat, sofern der Staat die Ordnung der Erhaltung des Lebens anerkennt und wahrt; sofern er sich verantwortlich weiß, diese Welt vor

dem Auseinanderbrechen zu bewahren und hier gegen die Zerstörung des Lebens seine Autorität geltend zu machen.

280

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Nicht Schöpfung neuen Lebens, sondern Erhaltung des gegebenen Lebens ist sein Amt. Die Gewalt des Todes also, von der wir sprachen, ist in der

Kirche

vernichtet durch

das vollmächtige Zeugnis

vom

Wunder der Auferstehung; sie ist im Staat aufgehalten durch

die Ordnung der Erhaltung des Lebens. Der Staat weist mit

seiner ganzen Autorität, mit der er sich allein verantwort-

lich weiß für die Ordnung des Lebens, hin auf das Zeugnis der Kirche von der Durchbrechung des Todesgesetzes in der

Welt der Auferstehung.

Und

die Kirche weist mit ihrem

Zeugnis von der Auferstehung hin auf das erhaltende, ordnende Tun des Staates in der erhaltenen Welt des Fluches. So zeugen sie beide von dem Reiche Gottes, das ganz Gottes

Reich und ganz Reich für uns ist.

Das Reich Gottes nimmt Gestalt an in der Kirche, sofern hier

das Alleinsein des Menschen überwunden ist durch das Wunder der Beichte und Vergebung. Weil in der Kirche, in der von der Auferstehung geschaffenen Gemeinde der Heiligen,

der eine des anderen Schuld tragen kann und soll, darum

ist die letzte Fesselung des Alleinseins, der Haß, zerbrochen und die Gemeinschaft neu begründet und geschaf fen. Es ist

das durch nichts verständlich zu machende Wunder der Beichte, daß hier alle bisherige Gemeinschaft illusori sch ge-

macht, aufgehoben, vernichtet, durchbrochen wird, und daß

nun hier die neue Gemeinde der Auferstehungswelt geschaffen wird.

Das Reich Gottes nimmt Gestalt an im Staat, sofern hier die

Ordnungen der gegebenen Gemeinschaften in Autori tät und Verantwortung erhalten werden: Auf daß die Menschheit nicht durch den Willen der alleinseinwollenden Einzelnen

zerfalle, bekennt sich der Staat zur Erhaltung der Ordnungen der Gemeinschaften, Ehe, Familie, Volk in der Welt des Fluches. Er schafft nicht neue Gemeinschaften, sondern er erhält die gegebenen Gemeinschaften; das ist sein Amt.

Dein

Reich

komme!

281

Die Gewalt des Alleinseins ist in der Kirche vernichtet in dem

Geschehen

der Beichte; sie ist im Staat aufgehalten

durch die Erhaltung der gemeinschaftlichen Ordnung. Und wieder weist der Staat in seinem begrenzten Tun auf das letzte Wunder Gottes in der Auferstehung hin, wie die Kirche in ihrem vollmächtigen Zeugnis von der Durchbrechung

der Welt auf die Erhaltung der Ordnung in der Welt des Fluches hinweist. Das Reich Gottes nimmt Gestalt an in der Kirche, sofern die Gewalt des Durstes durch das Zeugnis des Wunders Gottes verklärt wird. Der Durst des Menschen, der ganz auf sich selbst gerichtet ist, wird verurteilt, vernichtet, zerstört in der Verkündigung des Kreuzes und der Auferstehung Jesu Christi. Am gekreuzigten Leib Christi ist unser Durst gerich-

tet. Er wird aber zugleich verklärt und neugeschaffen in der dem nach Das

Auferstehungswelt als der Durst des Menschen nach anderen, nach Gott und dem Bruder, nach der Liebe, Friede, Freude, Seligkeit. Reich Gottes nimmt Gestalt an im Staat, sofern hier mit

Autorität und Verantwortung der Durst des Menschen gebändigt, in der Ordnung gehalten wird, sofern der eine vor dem Durst des anderen geschützt und bewahrt wird. Aber nicht wird der Durst vernichtet, sondern eben gebändigt, damit er im Dienste der Gemeinschaft der gefallenen Welt sich bewähre und fruchtbar sei. Auch hier ist Liebe — aber immer schon getaucht in die Möglichkeit des Hasses, auch hier ist Freude — aber nie ohne die Bitterkeit ihrer Vergäng-

lichkeit — Seligkeit — aber immer am zweiflung. Die Gewalt des Durstes wird in der Kirche verklärt, im Staate geordnet und gebändigt, te Tun des Staates weist auch hier hin auf

Rande der Verüberwunden und und das begrenzdas vollmächtige

Zeugnis der Kirche, wie die Kirche hinweist auf die Ordnung des Staates, der in dieser Welt des Fluches sein Amt tut.

282

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Die Kirche begrenzt den Staat wie der Staat die Kirche be-

grenzt. Und beide müssen sich dieser gegenseitigen Begrenzung bewußt bleiben und das gespannte Nebeneinander, das hier nie ein Ineinander sein darf, tragen. Nur so weisen sie beide zusammen, nie eines allein hin auf das Reich Gottes, das hier in so wunderlich doppelter Gestalt sich be-

zeugt. Das bleibt aber nicht eine theoretische Erwägung, sondern wird ganz ernst dort, wo wir zwischen Kirche und Staat vom

Volk reden. Weil das Volk berufen ist zum Reich Gottes, darum steht es in Staat und Kirche. Und nun wird das Volk, werden wir selbst zum Schauplatz, auf dem sich ihre Begegnung vollzieht, werden wir selbst zu denen, die aufgerufen sind, hier die Grenzen ernst zu nehmen und dort, wo

wirklich die Grenzen aneinanderprallen und es beginnt Feuer zu schlagen, die lebendige Seele des Reiches Gottes

selbst zu erblicken. Wenn wir beten: Dein Reich komme!, so beten wir um die Kirche, daß sie vom Wunder der Auf-

erstehung Gottes Zeugnis ablege, und um den Staat, daß er

die Ordnungen der erhaltenen Welt des Fluches mit seiner Autorität schütze. Daß die Kirche allein im Wunder und daß der Staat allein in der Ordnung ihr Amt haben, und daß zwischen Kirche und Staat nun das Volk Gottes, die Christenheit, gehorsam lebe, das ist die Bitte um Reich Gottes auf Erden, um das Reich des Christus. Das Reich Christi ist Gottes Reich, aber Gottes Reich in der für uns verordneten Gestalt; nicht als das eine sichtbare machtvolle Imperium, als das „neue“ Reich der Welt; son-

dern als das in den Zwiespalt, in den Widerspruch der Welt ganz eingegangene Reich der anderen Welt, zugleich als das machtlose, wehrlose Evangelium von der Auferstehung, vom Wunder, und als der Autorität und Gewalt habende

ordnungerhaltende Staat. Nur in der echten Beziehung und Begrenzung beider ist das Reich Christi Wirklichkeit,

Dein

Reich

komme!

283

Das mag nüchtern klingen, aber das soll es auch, und nur so ruft es uns zum Gehorsam. Gehorsam gegen Gott in der Kirche und im Staat. Das Reich Gottes ist nicht in einer anderen Hinterwelt, es ist mitten unter uns, es will unseren Ge-

horsam gegen seine widerspruchsvolle Erscheinung, und es will dann durch unseren Gehorsam hindurch immer wieder das Wunder, das Wetterleuchten aus jener vollendeten, gesegneten neuen Welt der letzten Verheißung aufblitzen lassen. Gott will von uns auf Erden, will im Bruder geehrt sein, nirgends anders; er senkt sein Reich in den verfluchten Acker. Tun wir die Augen auf, werden wir nüchtern, ge-

horchen wir ihm hier. — Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich! Das wird der Herr zu keinem anderen sagen, als zu dem er spricht: Ich bin hungrig gewesen, und du hast mich gespeist, ich bin durstig gewesen, und du

hast mich getränkt. Was ihr getan habt einem unter diesen meinen

geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan (Mat

25, 34—40).

Weil das Gottes-Reich in Ewigkeit sein soll, darum wird Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen. Aber wirklich eine neue Erde. Es wird auch dann Reich Gottes auf Erden, auf der neuen Erde der Verheißung, auf der alten Erde der Schöpfung sein. Das ist die Verheißung: Die Welt

der Auferstehung, die wir hier im Wort der Kirche erfassen und auf die der Staat hinweist, wir sollen sie einst schauen. Wir sollen nicht im Zwiespalt bleiben, sondern Gott wird alles in allem sein, Christus wird ihm sein Reich zu Füßen legen, und das Reich der Vollendung wird da sein. Das Reich, in dem es keine Tränen, kein Leid, kein Geschrei, keinen Tod mehr gibt, das Reich des Lebens, der Gemeinschaft, der Ver-

klärung. Und keine Kirche und kein Staat wird mehr sein, sondern sie werden ihr Amt dem zurückgeben, von dem sie es empfangen haben, und Er wird allein der Herr sein als

284

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

der Schöpfer, der Gekreuzigte und Auferstandene und der seine heilige Gemeinde durchwaltende Geist.

Dein Reich komme, so beten wir auch um jenes letzte Reich

aus der Gewißheit, daß sein Reich schon unter uns angebrochen ist. Es kommt auch ohne unser Gebet, sagt Luther, aber wir bitten in diesem Gebet, daß es auch zu uns komme.

Daß wir nicht draußen erfunden werden. Das Alte Testament erzählt uns die seltsame Geschichte

von Jakob, der aus der Heimat, aus dem gelobten Land Gottes entflohen, mit seinem Bruder in Haß zerfallen lange

Jahre in der Fremde gelebt hat. Nun hält es ihn nicht länger, er will heim ins gelobte Land, das Land der Verhei-

Bung, er will zurück zu seinem Bruder. Er ist auf der Wan-

derung. Es ist die letzte Nacht, bevor er das gelobte Land der Verheißung wieder betreten soll. Nur noch ein kleiner

Fluß trennt ihn. Als er ihn überschreiten will, wird er aufgehalten, es ringt einer mit ihm, er kennt ihn nicht, es ist Nacht. Jakob soll nicht zurück in die Heimat, er soll am Tor zum gelobten Land niedergerungen werden, sterben. Aber Jakob wachsen unerhörte Kräfte zu, und er hält dem Gegner stand und umfaßt ihn, läßt ihn nicht los, bis er

ihn sagen hört: „Laß mich gehen, die Morgenröte bricht an.“

Da faßt Jakob seine letzte Kraft zusammen, er läßt ihn nicht los: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Es

ist ihm, als wäre das Ende über ihn gekommen. So hart rührt ihn der starke Gegner an. Aber in diesem Augenblick vernimmt er den Segen und der Fremde ist nicht mehr da. Da

ging Jakob die Sonne auf, und er hinkte an seiner Hüfte, aber er zog ein ins gelobte Land. Der Weg war frei, das dunkle Tor zum Lande der Verheißung war gesprengt. Aus dem Fluch war der Segen geworden. Da ging ihm die Sonne auf (Gen 32). — Daß unser aller Weg ins Land der VerheiRung durch die Nacht führt, daß auch wir ihn nur gehen als

solche, die vom Kampf mit Gott, vom Kampf um sein Reich

Dein

Reich

kommel

285

und seine Gnade mit Narben vielleicht seltsam gezeichnet sind, daß wir als hinkende Krieger in Gottes und des Bruders Land einziehen, — das haben wir Christen mit Jakob gemein, und daß wir wissen, daß die Sonne auch uns bestimmt ist, das läßt uns die uns auferlegte Zeit des Wanderns und Wartens

und Glaubens in Geduld tragen. Aber das andere wissen wir über Jakob hinaus, daß nicht wir kommen

müssen,

son-

dern daß Er kommt. Das ist unser Trost heute am Vorabend vom Totensonntag, daß Advent und Weihnachten folgt. Darum beten wir: Dein Reich komme auch zu uns.

2836

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Was ist Kirche?

[Aufsatz 1932] Was Kirche „ist“, läßt sich nur sagen, wenn man zugleich sagt, was sie vom Menschen her ist und was sie von Gott her ist. Beides gehört unlöslich zusammen. In dieser Doppelheit besteht ihr Wesen. Also nicht, was Kirche sein soll, und das heißt doch soviel als was wir heute aus der Kirche machen sollen, sondern was sie, so wie sie nun einmal ist, „ist“. Darauf kommt es an. Kirche ist ein Stück Welt, verlorene, gottlose, unter den Fluch getane, eitle, böse Welt; und böse Welt in der höchsten Potenz, weil in ihr der Name Gottes mißbraucht, weil in ihr Gott zum Gespielen, zum Abgott der Menschen gemacht

wird, ja ewig verlorene, antichristlihe Welt schlechthin,

wenn sie aus der letzten Solidarität mit der bösen Welt heraustritt und sich gegen die Welt aufspielt, rühmt. Aber:

Kirche ist ein Stück qualifizierte Welt,

qualifiziert durch

Gottes offenbarendes, gnädiges Wort, das sie, die der Welt

ganz anheimgefallene, ausgelieferte, für Gott in Beschlag nimmt und nicht mehr freigibt. Kirche ist die Gegenwart Gottes in der Welt. Wirklich in der Welt, wirklich Gegenwart Gottes. Kirche ist nicht geweihtes Heiligtum, sondern ist von Gott zu Gott berufene Welt; darum ist nur eine Kirche in aller Welt.

Kirche ist Institution zur Aufrechterhaltung christlicher Fröm-

migkeit und Sitte. Sie „muß“ dem Volke erhalten ben — sonst schlägt es über die Stränge. Sie „dient“ öffentlichen Leben, der Ordnung, dem Staat. Eine sehr vorbildlich organisierte, nicht sehr einflußreiche,

bleidem nicht nicht

Was

ist Kirche?

287

sehr imposante, äußerst verbesserungsbedürftige Institution.

Aber: Kirche ist Amt von Gott her, Amt der Verkündigung, der Botschaft vom lebendigen Gott. Hier ergeht Auftrag und Gebot, hier geschieht ewige Bindung, hier stürzen Himmel und Hölle auseinander, hier vollzieht sich Weltgericht. Denn Kirche ist der gegenwärtige Christus und sein Gericht. Der gepredigte und predigende Christus, Verkündigung und

Verkündiger, Amt und Wort. Kirche ist die Durchbrechung der Welt durch das Wunder, durch die Gegenwart des lebenschaffenden, vom Tod ins Leben rufenden Gottes. Kirche ist eine Vereinigung religiös veranlagter, interessierter und merkwürdigerweise ihre Religiosität gern in die-

ser Gestalt der Kirche betätigender Menschen. Diese gehören heute zumeist zu einer Gesellschaftsschicht, bei der weder

besondere geistige Lebendigkeit noch besondere Gestaltungskraft, die in die Zukunft wiese, vielmehr höchstens eine ge-

wisse Behaglichkeit in der eigenen Rechtschaffenheit als hervorstechendes Charakteristikum

angegeben werden könnte.

Die Luft ist hier ziemlich verbraucht und der Horizont recht eng. Es scheint „geschieht“ mehr, es Gruppe hebt sich ab, sie stoßen die Fenster

hier nicht viel vorzugehen. Im Kino ist wirklich interessanter. Eine kleine sie fühlen sich nicht mehr recht wohl, auf, sie sind die „Aktiven“, die „Re-

former‘ — wie sie eben jede Vereinigung hin und wieder nötig hat und hervorbringt. Aber: Die Kirche ist Gemeinschaft, die Gemeinde der Heiligen, der von Gott aus dem Alleinsein Befreiten, einer dem anderen gehörend, sich gebend, sich ver-

antwortlich wissend, weil von Gott an ihn gebunden, Gemeinschaft durch Opfer, Gebet und Vergebung, Zerreißung der Ketten des Alleinseins, Realität des Miteinander und Füreinander, der Liebe, der Bruderschaft. Das alles von Gott her. Gott, der gegenwärtige Christus begründet die Gemein-

schaft; sie ist sein aus der Welt durch sein Wort herausge-

288

Gemeindetätigkeit. 1931—1933

rufenes Volk, gebunden an ihn als den alleinigen Herrn im Glauben, gebunden an den Bruder in der Liebe. Kirche „‚ist‘‘ immer.beides zugleich; wer nur eines von beiden sieht, sieht nicht die „Kirche“. Kirche wäre ein viel hand-

licherer Begriff im Gebrauch des Verächters wie des Verteidigers, dürfte man immer nur eine ihrer beiden Seinsarten nennen. In ihrer eigentümlichen Doppelheit aber entzieht sie sich jeweils dem Zugriff des Feindes wie des Freundes. Es wäre auch schon viel gewonnen, wenn man die bei-

den Aussagen über das Sein der Kirche so verstehen dürfte, daß die erste sagte, was Kirche ist, die zweite, was Kirche sein

sollte. Dann hätten wir eine Handhabe für unsere kirchliche Aktivität. Aber auch das ist uns ganz und gar versagt. Daß Kirche von Gott her ‚ist‘ in all der scheinbaren Pleropho-

rie des eben Gesagten, das alles macht die Kirche zur Kirche. Damit ist dann aber unseren allzu unbekümmerten Reformgelüsten der Dolchstoß in den Rücken versetzt. Gott macht die Kirche zu dem, was sie ist, nicht wir. Schließlich aber

möchte man sich dieser Ärgerlichkeit entziehen und sagen, so seien es eben irgendwie zwei Kirchen, von denen hier geredet werde. Aber auch das verfehlt das Entscheidende. Es ist ein und dieselbe Kirche, ihre sichtbare Gestalt und ihre

verborgene Göttlichkeit. Wie es ein und derselbe Herr ist, der Zimmermannssohn von Nazareth und der Sohn Gottes. Als Kirche Gottes in der Welt bewährt sich die Kirche durch nichts anderes als durch rechte Ausrichtung der Botschaft des Evangeliums, durch rechte Verkündigung von Gnade und Gebot. Dieses nebenbei: Nicht daran leiden wir, daß

zuviel gepredigt wird, sondern daran, daß zuviel falsch gepredigt wird. Ebenso aber daran, daß wir nicht mehr wissen, daß, wer nichts in die Kirche hineinbringt, auch nichts

herausbringt, d. h. daran, daß wir die Predigt falsch hören. Also, es geht in der Kirche um die Ausrichtung des Wortes Gottes an die Welt; um das Zeugnis von der Durchbrechung

Was ist Kirche?

289

der Welt und ihrer Gesetze in der Offenbarung des Ernstes und der Güte Gottes in Jesus Christus. Die Kirche redet vom

Wunder, weil sie von Gott redet. Von der Ewigkeit in der Zeit, vom Leben im Tod, von der Liebe im Haß, von der Vergebung in der Sünde, vom Heil im Leiden, von der Hoffnung in der Verzweiflung. Sie tut dies in vollem Wissen um die Ärgerlichkeit dieser Botschaft, aber eben auch um ihren eignen nicht rückgängig zu machenden Auftrag.

Mit der Verkündigung des Gebotes und der Gnade Gottes steht die Kirche an der Grenze, an der von oben her durchbrochenen Grenze der menschlichen Möglichkeiten. Aber indem sie von der Durchbrechung der Grenze, der Weltgesetze redet, weist sie, die selbst als menschliche Institution

ganz innerhalb dieser Grenze steht, hin auf diese Gesetze, auf diese Ordnungen der Welt, von deren Vernichtung, Zerstörung, Ende durch Gott sie vollmächtig zeugt. Die Predigt der Kirche ist darum notwendig „politisch“, d. h. sie richtet

sich an die Ordnung der Politik, in die der Mensch gebunden ist. Sie ist aber gerade als „politisch“ ausgerichtete zunächst

die kritische Grenze alles politischen Handelns. Die Kirche ist die Grenze der Politik, darum in eminentem Sinn poli-

tisch und apolitisch zugleich. Die Kirche weist, weil sie von der durchbrochenen Grenze zeugt, auf das Begrenzte, auf das Gesetz, auf die Ordnung, auf den Staat hin. Kirche ist nur in

Beziehung auf den Staat. Kirche begrenzt den Staat, Staat begrenzt die Kirche. | Das erste politische Wort der Kirche ist der Ruf zur Erkenntnis der eignen Grenze, zur Nüchternheit. Die Kirche nennt diese Grenze Sünde, der Staat nennt sie Wirklichkeit, beide mögen sie, wenn auch mit verschiedenem Akzent, Endlichkeit nennen. Politik in der Endlichkeit — das ist das erste eminent politische Wort der Kirche, und dies Wort entbindet die Kirche von der Parteipolitik, stellt sie in die

eigentliche „politische“ Sphäre in parteilicher Ungebunden-

290

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

heit. Es ist zu beachten: das erste Wort der Kirche ist nicht: Verchristlichung der Politik! — das wäre wiederum ein Verkennen der Grenze — sondern Erkenntnis der Endlichkeit! Gibt es ein zweites Wort der Kirche zur Politik? Hier ent-

brennt der Streit. Es kann ein konkretes Gebot von der Kirche vernommen werden, und die Durchsetzung dieses konkreten Gebotes — unter Umständen auf dem Weg einer eignen Partei — ist eine grundsätzliche Möglichkeit. Aber auch hier

kann es dann wirklich nur das konkrete Gebot in den Grenzen der Endlichkeit, der Staatlichkeit sein, um das es sich handelt, nicht um ein seine Grenzen verkennendes Programm christlich-politischer Ideologie. Es wird aber immer einer ins Letzte gehenden Selbstprüfung bedürfen, ob dieses

Gebot wirklich vernommen wurde oder nicht. Es wird sodann immer noch gefragt werden müssen, ob dieses Gebot wirklich eine eigene politische Partei fordert, ob es nicht gerade die Nüchternheit verlange, hier die bestehenden Par-

teien zu benutzen, d. h. nämlich ob es wirklich gewagt werden soll, die hochpolitische Substanz der Kirche in ihrem ersten Wort jenseits der Parteipolitik dadurch aufs Spiel zu setzen, daß man sie im zweiten Wort selbst in die Parteipolitik eingehen läßt. Ein Fehlgriff hier verletzt die politische Substanz der Kirche und damit ihre Substanz überhaupt aufs empfindlichste. Dennoch darf das zweite Wort mit allen Konsequenzen als eine letzte Möglichkeit der Kirche nicht

ausgeschlossen werden. Niemand darf dann hier die Grenze

deutlicher sehen als die Kirche, die an der von oben durchbrochenen Grenze steht. Es folgt daraus das eine notwendig,

daß in der gegenwärtigen Situation für die protestantische Kirche nichts so vernichtend und substanzzersetzend werden

kann, als wenn sie nunmehr gewissenlos als letzte politisch

noch unverbrauchte Kraft Deutschlands im Kampf der Par-

teien ausgespielt wird. Das wäre ihr gewisses Ende, Daß dieser Gefahr die andere Möglichkeit gegenübersteht, daß die

Was

Kirche heute wirklich

ist Kirche?

auch ein zweites

291

politisches Wort,

einen Auftrag hat, und daßer nur totgeschrieen und zerrieben wird in der Agonie des parteipolitischen Geschehens — dies Dilemma ruft die Kirche in ihre politische Verantwortung und Entscheidung.

292

Gemeindetätigkeit.

1931—1933

Acht Thesen über die Jugendarbeit der Kirche! 1. Es hat seit der Jugendbewegung der kirchlichen Jugendarbeit oft die christliche Nüchternheit gefehlt, aus der heraus allein sie gewußt hätte, daß der Geist der Jugend nicht der Heilige Geist, daß die Zukunft der Kirche nicht die Jugend, sondern der Herr Jesus Christus allein ist. Aufgabe der Jugend ist nicht Neugestaltung der Kirche, sondern Hören des Wortes

Gottes, Aufgabe der Kirche ist nicht Er-

oberung der Jugend, sondern Lehre und Verkündigung des Wortes Gottes. 2. Unsere Frage ist nicht: Was ist die Jugend und was ist ihr Recht?, sondern was ist die Gemeinde und welcher Ort kommt der Jugend in ihr zu?

3. Gemeinde sind die der Herrschaft des Todes und des Bösen durch die Herrschaft Gottes entrissenen Menschen auf Erden, die das Wort von der Aufrichtung der Herrschaft Gottes unter den Menschen in Jesus Christus vernehmen und sich um dieses Wort im Glauben gehorsam versammeln. Gemeinde ist die Gegenwart Christi als wahrer Herr und Bruder. In der Gemeinde sein, heißt in Christus sein. In Christus sein heißt, in der Gemeinde sein. Opfer, Fürbitte,

Beichte ist das brüderliche Handeln der Gemeinde, Nur in der Gemeinde kann über die Gemeinde geurteilt werden. Es

liegt im Wesen der Gemeinde, daß es keine Kritik von außen an ihr gibt.

4. Das Generationsproblem ist in der Gemeinde aufgehoben. Die Jugend hat in der Gemeinde kein Vorrecht. Sie soll 1. Thesen für eine Diskussion, wahrscheinlich Ende August 1933 in Berlin. Auf Grund dieser Thesen hielt Bonhoeffer einen Vortrag „Kirche und Jugend“ am 24. 4. 1934 im deutschen CVJM in London.

Jugendarbeit

der Kirche

293

der Gemeinde dienen, indem sie das Wort hört, lernt und einübt. Gottes Geist in der Kirche hat nichts mit jugendlicher Kritik an der Kirche, die Radikalität des Anspruches Gottes auf den Menschen hat nichts mit jugendlichem Radi-

kalismus, das Gebot der Heiligung nichts mit jugendlichem Weltverbesserertum zu tun.

„Christliche

Jugend“

ist eine

harte und nicht sehr glaubwürdige Zusammenstellung von Worten. Es geht hierbei nicht um Modernes oder Altmodisches, sondern allein um kirchliches Denken. 5. Die Bibel urteilt über die Jugend sehr nüchtern: Gen 81215 Jes’3,. 3; Jer.1, 6; Prediger 11; 10571; Petr 5, 5527’Tım 2,2 und öfter.

6. Kirchliche Jugendarbeit ist möglich allein auf Grund der Anrede des Jugendlichen auf seine Taufe, und mit der alleinigen Absicht, ihn Gottes Wort vernehmen zu lassen. Sie bleibt Handeln der Gemeinde an ihren Gliedern. Jedes

Überschreiten dieser Grenze ist Verrat an der Gemeinde Christi. 7. Es kann sein, daß die Jugend das Recht des Protestes gegen die Alten hat. Dann wird sich aber die Echtheit solchen

Protestes daran erweisen, ob die Jugend sich solidarisch mit der Schuld der Gemeinde weiß und in Liebe die Bürde trägt

und selbst in der Buße vor dem Wort Gottes bleibt. 8. Es gibt eigentlich keinen „kirchlichen Verein“. Es gibt nur Kirche. Nicht der kirchliche Jugendverein ist die Ju-

gend der Gemeinde, sondern zu ihr gehören alle getauften Jugendlichen. Jeder kirchliche Verein diskreditiert als solcher schon die Sache der Kirche. Er muß als Notbehelf empfunden werden und behält als solcher relative Bedeutung.

VII. LEHRERAMPREDIGERSEMINAR DENBEKENNENDENRLRCHE

Christus in den Psalmen!

[Vortrag vor pommerschen Studenten der Bekennenden Kirche am 31. Juli 1935 in Finkenwalde]

1. Täglich werden in unzähligen Kirchen in aller Welt die

Psalmen als das Gebet der Gemeinde Jesu Christi gebetet. Und die Gemeinde, die die Psalmen täglich betet, erfährt hier die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit des Lebens der Gemeinde vor Gott. Wüste, Dürre, Not, Verzagen, Verlassen-

heit, Krankheit, Schmähung und Erniedrigung, Schreien und Hungern nach dem ewigen Gott, Buße und Reue des Sünders, Angst und Entsetzen vor Gott, „daß ihm die Haut schaudert“ (Ps. 119, 120), Anbetung Gottes durch die Schöpfung und Geschichte, Lob seiner Macht und Herrlichkeit, Zuversicht, Glaube, Hoffnung, Beteuerungen der eigenen Unschuld, An-

rufung des Gerichtes Gottes über die eigenen gerechten Werke, Anrufung des Zornes Gottes über die Feinde und

Spötter, Herbeirufen seiner Rache und seines Tages. Sehnsucht nach dem Tempel und den Gottesdiensten, Freude an sei-

nem Gesetz, Stille und Friede bei Gott, dem Allgegenwärti-

gen. Es gibt keine Äußerung der Frömmigkeit und der Un-

frömmigkeit der Gemeinde Gottes, die hier nicht zu Worte

käme. Es ist ein seltsames Auf und Ab, Fallen und Gehaltenwerden, Gedemütigt- und Erhobenwerden, durch das wir 1. Siehe auch: Das Gebetbuch der Bibel; eine Einführung i. d. Psalmen,

GS IV.

Christusin

den Psalmen

295

hindurch gehen, wenn wir die Psalmen hintereinander be-

ten. 2. Wer die Psalmen noch nie in der Gemeinde gebetet hat, sondern nur für sich allein, der kennt sie noch nicht. Erst wo der Betende nicht der einzelne Fromme, sondern die von Gott gerichtete und geheiligte Gemeinde Gottes ist, erschließt sich der Inhalt der Gebete. 3. Es gibt keinen Zugang zum Psalter, es sei denn durchs Gebet; d. h. indem die Gemeinde das Wort der Psalmen betend zu ihrem eigenen macht. Auf die Frage: wie soll ich beten, was mir noch so unverständlich ist? heißt die Antwort:

Wie sollst du verstehen, was du noch nicht gebetet hast? Nicht unser Gebet ist der Maßstab für den Psalter, sondern der Psalter ist der rechte Maßstab für unser Gebet.

4. Der Psalter aber ist zugleich Gebetbuch der Gemeinde und Wort der Heiligen Schrift. Es ist Wort des Menschen und Wort Gottes, und zwar nicht so, wie immer auch das Wort Mose’s und der Propheten Menschenwort ist, nicht unmittel-

bar den Propheten aufgetragenes Wort, für das der Prophet nur ein mehr oder weniger brauchbares Werkzeug ist, sondern der Psalter ist in spezifischem Sinne menschliches Wort,

als er Äußerung menschlicher Frömmigkeit und also auch menschlicher Unfrömmigkeit ist. Er ist nicht nur formal, sondern auch inhaltlich Menschenwort. Er ist nicht, wie das Wort des Propheten, ausschließlich von Gott an den Menschen ergehendes Wort, sondern Wort des Menschen an Gott, Wort menschlicher Not, Angst, Unglaubens, 'Trotzes,

Rachgier, Sehnsucht, Hoffnung. Also nicht Mitteilung göttlichen Gebotes oder der Verheißung, sondern Gebet um das Wort Gottes. Und nun ist dieses Gebetswort als Teil der Hei-

ligen Schrift uns zum Wort Gottes gemacht. Gott selbst hat sich zum Subjekt des Sprechers gemacht, es ist nun an sein Subjekt, an Ihn gebundenes Wort, und es ist nicht ohne wei-

teres unser Wort. Das Gebet des Psalters ist also nicht ein uns

296

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

an die Hand gegebenes Modell des Betens, das wir einfach anwenden dürften, sondern es ist hier und zuerst und wesentlich nicht an uns, sondern an Gott selbst gebundenes Wort, das wir nicht zu sagen, sondern zu hören haben. Und nun

ist sogar das Hören durchaus hier das erste; denn eben als Wort der Schrift, als Gottes Wort an uns begegnet uns im "Psalter das Wort der Gemeinde an Gott. Das bedeutet sowohl

ein theologisches wie ein seelsorgerliches Problem. Wie kann das betende Wort der Gemeinde zugleich Wort Gottes sein? Wie kann ich den Psalter beten? 5. Ist der Psalter Wort Gottes, so ist Gott selbst der Redende in diesem Gebet, er ist selbst der Betende. Gott selbst als der Betende und Gott als der, der das Gebet erhört, dieses Pro-

blem ist gelöst allein in Jesus Christus. Er ist in der Zeit seiner Erniedrigung wie in seiner ewigen Erhöhung unser Fürsprecher. Er betet vor Gottes Thron für uns. Christus als der menschgewordene Sohn Gottes betet zu seinem Vater. Er betet als der, der allenthalben versucht ist gleichwie wir,

als der durch Sünde und Tod gegangene, als unser Bruder, der uns kennt. Er betet dieses Gebet für uns, aber nicht als einer, der nicht zu uns gehört, nicht bei uns wäre; er hat

unser Gebet zu dem seinen gemacht und macht es in ewiger Fürbitte täglich zu dem seinen, dort wo „in seinem Namen“ gebetet wird.

Damit stehen wir bereits vor dem wesentlichen Unterschied des christlichen Gebetes zu allem anderen Gebet. Das christ-

liche Gebet ist nicht unmittelbares Gebet, so als könnten wir im Gebet den unvermittelten Zugang zu Gott finden, der uns sonst versagt ist, so als müßte zwar Gott mit uns durch seinen Mittler handeln, aber wir könnten durchs Gebet die-

sen Mittler überspringen. Unser Gebet ist vermitteltes Gebet, vermittelt durch Christus, den Mittler. Daß wir im Gebet zu Gott kommen können, ist keine religiöse Selbstver-

ständlichkeit, sondern ist ermöglicht allein durch Christus.

Christus in den Psalmen

297

Kein Gebet kann den Weg zu Gott finden, das nicht der Fürsprecher Jesus Christus aufnimmt und für uns betet, das

nicht im Namen Jesu Christi gebetet ist. Damit ist nicht eine Formel, sondern eine Sache bezeichnet; nämlich daß unser

Gebet gebundenes Gebet ist, gebunden an den Menschen Jesus Christus, sein Leben, Sterben und Auferstehen, gebunden an die vollzogene vorhergegangene Tat Gottes, an das gesprochene Wort Gottes, das uns freispricht. Weil Gott Mensch geworden ist und mit uns gelitten hat, in Sünde, Angst und Tod geworden ist wie unsereiner, weil er „in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert hat“ (Hebr 5, 7), darum und darin haben

wir allein die Gnade des Gebetes. Es gibt also christliches Beten nur aufgrund des gesprochenen Wortes Gottes in Jesus Christus und aufgrund der ewigen Fürsprache Jesu Christi für seine Gemeinde. D. h. aber, christliches Gebet ist an die Heilige Schrift gebundenes Ge-

bet. Es ist mithin gerade die rechte Voraussetzung des christlichen Gebetes, daß Gott auch hier der Redende, das Subjekt bleibt, daß es Wort Gottes, d. h. Gebet des Hohenpriesters

Jesus Christus ist. Diesem Tatbestand gibt nun der Psalter in besonderer Weise Ausdruck, indem er uns als Gebet der Ge-

meinde Gottes und als Heilige Schrift begegnet. Es ist damit nichts anderes gesagt, als daß Christus selbst der Beter des Psalters ist und daß wir im Namen Jesu Christi diese Gebete nachsprechen und beten. Es darf sich nun nicht mehr darum handeln, diese Gebete des Psalters als Gebete der Unmittelbarkeit aufzufassen, so, als seien wir die Subjekte des Betens,

sondern es geht darum, die Psalmen als die Gebete Jesu Christi in seiner Gemeinde oder die Gebete der Gemeinde im Namen Jesu Christi zu verstehen und mitzubeten. Damit wird das theologische Problem der Psalmen einerseits sehr vereinfacht, andererseits

sehr erschwert.

Vereinfacht,

weil es

nicht mehr der Willkür und Subjektivität des Einzelnen

298

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

anheimgegeben ist, eine Auswahl der Gebete zu treffen, die

er beten kann oder nicht beten kann, weil die Frage nach dem „Wert“, den Stufen, dieses oder jenes Psalmes als uner-

laubt und unangemessen abgelehnt wird, — erschwert, weil nun die ganze Schwere des Problems sichtbar wird, wie der ganze Psalter als das Gebet Jesu Christi und seiner

Gemeinde verstanden werden kann. Und wir werden uns

von vornherein damit abfinden müssen, daß die Rätsel offen bleiben, aber wir werden nicht neugierig unsere Augen auf diese Rätsel lenken, sondern dankbar die Gebete mitbeten,

von denen wir nicht nur wissen, sondern auch verstehen, daß sie die Gebete Jesu Christi selbst sind.

6. Damit sind wir an die alte und entscheidende Frage nach

dem „Ich“ in den Psalmen herangeführt. Wer ist der Betende? An der Beantwortung dieser Frage wird es sich entscheiden,

ob wir in der orthodoxen Auslegung des Alten Testamentes stecken geblieben sind — wie sie etwa von Hengstenberg vertreten worden ist — d.h. ob wir der textkritischen und historischen Auslegung des Alten Testaments nur die dog-

matische These der Verbalinspiration entgegenzusetzen haben, oder ob wir in der Lage sind, die kritische Methode auf-

zunehmen und in den Dienst einer theologischen Auslegung zu stellen. Die orthodoxe These würde als das Ich des Psal-

ters postulieren, daß es die Stimme Christi in seiner alttestamentlichen Gemeinde sei. Sie würde ferner jeden Versuch, etwa die davidische Herkunft eines Psalmes zu bestrei-

ten, a priori ablehnen. Es würde für sie geradezu alles daran hängen, daß David und Mose wirklich die Sänger der ihnen zugeschriebenen Psalmen sind. Sie müßte alle Mittel anwenden, um zu erweisen, daß jede Außerung der Psalmen aus dem Glauben der alttestamentlichen Gemeinde ver-

ständlich zu machen sei und daß sie ein Zeugnis dieses Glaubens sei. Der Gedanke, es könne ein unfrommes Gebet im

Psalter stehen, muß ihr gotteslästerlich erscheinen.

Christusin

den Psalmen

299

Daß die Text- und Literarkritik hier protestierte, war nicht

nur vom Standpunkt der allgemeinen wissenschaftlichen Wahrheitsforschung her, sondern auch theologisch — freilich in tieferem Sinne, als es die Vertreter dieser Methode selbst zu verstehen in der Lage waren — gerechtfertigt. In diesem

Protest vollzog sich der notwendige Angriff auf die Heiligsprechung der Bibel an Stelle des Gottes der Bibel. Die orthodoxe These wollte Gott sichtbar machen — nun, statt in der Institution der katholischen Kirche, in der verbalinspirierten Bibel. Damit begründete sie ihren Glauben durch

etwas anderes als durch den lebendigen Gott selbst, nämlich durch die verbalinspirierte Bibel. Gott war nicht mehr der einzige Grund des Glaubens. Diese Position mußte erschüttert

werden,

und

daß

mit

dieser

Erschütterung,

gerade

in der alttestamentlichen Forschung hier längere schlechthin alles zusammenstürzte, war das Ergebnis.

Zeit

Wir stehen am Ende dieser Epoche, und wir können nicht mehr hinter sie zurück. Die Frage ist: Was ist eine theolo-

gische Auslegung der Psalmen nach dem Abschluß der historischen Theologie?... [Hier bricht

das ausgeführte Vortragsmanuskript

ab. Aber

die

Schlußgedanken des Punktes 6 und Punkt 7 und 8 liegen in einer Bleistiftskizze von Bonhoeffers Hand vor, die im Folgenden abgedruckt wird. Darauf folgt zur Ergänzung die Wiedergabe einer Nachschrift dieses Teiles des Vortrages nach Notizen des Herausgebers:]

Der Kritik muß Raum gelassen werden — keine absolute Notwendigkeit



vgl. Luther —

aber ihr Dienst besteht

darin, daß die volle Historizität der Offenbarung geltend gemacht wird — soweit, daß Zweifel am Leben Jesu entstehen können! — Aufdeckung der menschlichen Motive, der Relativität der Welt der Offenbarung, sofern sie menschlich

betrachtet wird — wenig Auszeichnung — d. h. Herausstellung des frommen und unfrommen ‚Ich‘ des Psalmisten.

300

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

7. Gott in der Welt, Christus unter seinen frommen unfrommen Feinden.

und

Christus als der Vorhergesagte. Christus als der Verheißene, die Treue Gottes, als Wort. Christus als der Geglaubte. Christus als der Verworfene; oft zusammen im selben Psalm.

In Christus als dem Gekreuzigten 1. als der von Gott zum

Kreuz Bestimmte, 2. als der von den Menschen Verworfene

durch Frömmigkeit und Unfrömmigkeit. Wie im Neuen Testament — ‚Kreuzige ihn‘ — zweideutig — Schuld und Gnade. Anwendung. 8. Wie kann ich das beten? ‚Kreuzige ihn!‘ (Vorbild!) Gebet

nicht Wiederholung

des individuellen

Beters



sondern

Subjekt ist Christus der Gekreuzigte — Er selbst betet in

dem Gottlosen: ‚Kreuzige ihn!“, So geht er ein in die Welt und wir beten stammelnd nach und bitten um seine Gnade. Wir wissen, wir sind die Feinde, die so beten — und wir sind die durchs Kreuz Begnadigten. — Ob nicht grundsätzlicher

Unterschied zwischen solchen Gebeten und gläubigen Ge-

beten? Nein, grade im Glauben sind auch nicht wir das Subjekt, sondern Christus ist der für uns Betende. Nachschrift:

Der Literar- und Textkritik bleibt ihr Raum erhalten und ihr Recht wird nicht angetastet. Aber sie hat grundsätzlich ihre Grenze. Zunächst darin, daß sie keine Notwendigkeit mit Absolutheit darstellt. Alles vor ihr wäre ja dann falsch gewesen, es hat aber auch vorher rechte Auslegung gegeben. In ihrer Begrenztheit leistet sie den konkreten Dienst, die volle Historizität der Offenbarung deutlich und geltend zu machen. So tief ist die Offenbarung in die Historizität eingegangen, daß selbst der Sohn Gottes in seiner Exi-

stenz in Frage gestellt werden konnte. Der Dienst der Kritik besteht also in der Einebnung des biblischen Wortes in die volle Geschicht-

Christus

in den Psalmen

301

lichkeit, daß die Hülle der Geschichtlichkeit wieder über das Wort Gottes gebreitet liegt und wir den Jesus der Rabbinen und die orientalische Frömmigkeit der Psalmen zu sehen bekommen. Menschliche Motive, menschliche Frömmigkeit und ihre Zeitgebundenheit werden im Psalter sichtbar gemacht. Die Auslegung der historischkritischen Forschung hat die Relativität des Psalmenbuches gegenüber anderen Quellen aufgedeckt. Da ist wenig Auszeichnung. Herausgestellt bleibt frommes und unfrommes zeitgebundenes Ich der Psalmisten. Ihre Methode hat wirklich die Verborgenheit Christi neu ins Bewußtsein gehoben. 7. Dieses Ergebnis nehmen wir hin. Das Lied ist also nicht von

Moses und nicht von David. Wir erkennen seine Einordnung in einen literarischen Prozeß, Es geht auch nicht darum, nun etwas

auszustreichen, sondern es bleibt bei der Unfrömmigkeit oder Frömmigkeit des im Psalm Betenden, bei dieser Weltlichkeit des Psalters. Aber vor dieses Ergebnis tritt ein anderes Vorzeichen. Dieses Vorzeichen heißt Christus. Die Welt im Psalter bleibt, was sie ist: Welt. Aber Gott geht in diese Welt ein: Christus ist mitten unter den Frommen und den Feinden in dieser Welt: 1. als der Vorhergesagte (Psalm 2; 16; 110). 2. als der Verheißene, als die Treue Gottes zu seinem Wort, die Erfüllung. 3. als der Geglaubte; und 4. als der Verworfene, wobei im gleichen Psalm oft mehrere dieser 4 Punkte auf einmal erscheinen. Christus unter Frommen und Feinden heißt aber Christus als der Gekreuzigte. Dies im doppelten Sinn: 1. als der von Gott zum Kreuz Bestimmte und 2. als der von

Menschen ans Kreuz Geschlagene, durch Frömmigkeit und Unfrömmigkeit Verworfene. Die Sachlage im Psalter ist eine andere als die im Neuen Testament. Auch im Neuen Testament werden die Stimmen der Verworfenen laut, derer, die ihn ans Kreuz schlagen: ‚Kreu-

zige ihn‘. Es ist Verwerfung Christi, die durch das Alte Testament und das Neue Testament gleicherweise hindurchgeht. Im ‚Kreuzige

ihn‘ vollzieht sich einerseits die Schuld dessen, der es sagt, und vollzieht sich andererseits die Gnade, daß das Kreuz geschieht. Christus in den Psalmen: das heißt also Christus als der Gekreuzigte im

Psalter. 8. Wie kann ich das beten? Wie kann ich beten: ‚Kreuzige ihn‘? Wie kann ich Psalmen beten, in denen die Verwerfung Christi aus-

gesprochen wird? Das Psalmgebet ist nicht die Wiederholung des

302

Lehrer am

Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Wortes des undividuellen Psalmbeters; sondern Subjekt auch dieses Gebetes ist Christus, der Gekreuzigte. Er selbst betet in den Gott-

losen: ‚Kreuzige ihn‘. So geht er ein in die Welt und wir beten es stammelnd nach, im Wissen darum, daß wir die Feinde sind, die so beten, und wir die Begnadigten, die durchs Kreuz begnadigt sind. Auf die Frage, ob nicht doch ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen gläubigem und ungläubigem Gebet, ist zu antworten: dieser Unterschied besteht nicht. Denn nicht wir sind das Sub-

jekt, sondern Christus ist das Subjekt, das da betet, und zwar als der Gekreuzigte. Und nur weil es der Gekreuzigte ist, der da betet, können wir mitbeten.

[/n der Diskussion wurde festgestellt: Die Schrift gibt uns nicht auf, die Tatsachen festzustellen, wie sie damals waren, sondern das

Zeugnis, durch das Christus heute redet. Weiterhin: Weissagung

und Verheißung sind klar zu unterscheiden. Weissagung muß sich nicht im Einzelnen erfüllen, von der Verheißung geht nichts ab. Weissagung zeigt, wie etwas später aussehen wird. Verheißung und Weissagung verhalten sich evtl. wie Glaube und Wunder. Christi Weissagung geht nicht in Erfüllung wie beschrieben, aber seine Verheißung geht in Erfüllung. Verheißung besagt, daß Gott sich selbst und seinem Wort treu bleibt. Weissagung kann die Verheißung be-

kräftigen. Weissagung kann, aber muß nicht im Dienst der Ver-

heißung stehen. Weissagungen

tragen zumeist eine Bedingung

sich: „Wenn Du... ., dann wird... .“.]

in

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

303

Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte [Vortrag vor der Bruderschaft der Hilfsprediger und Vikare der Provinz-Sächsischen Bekennenden Kirche in Hauteroda am 23. August 1935] 1. Der falsche und richtige Sinn der Frage nach der Vergegenwärtigung Die Frage nach der Vergegenwärtigung der neutestamentlichen Botschaft ist grundsätzlich einer doppelten Auslegung

fähig. Entweder man meint damit, daß sich die biblische Botschaft vor der Gegenwart rechtfertigen müsse und sich

deshalb der Vergegenwärtigung fähig erweisen müsse, oder man meint, daß sich die Gegenwart vor der biblischen Botschaft rechtfertigen müsse und deshalb die Botschaft gegenwärtig werden müsse. Wo heute die Frage nach der Vergegen-

wärtigung mit jener uns bekannten unheimlichen Dringlichkeit!, ja als die zentrale Frage der Theologie überhaupt gestellt wird, dort soll sieimmer dem ersten Zweck dienen. Das

Neue Testament soll sich rechtfertigen vor der Gegenwart. In dieser Gestalt ist die Frage zum erstenmal akut geworden in der Zeit der Emanzipation der autonomen Vernunft, d.h.

im Rationalismus, und sie hat die Theologie bis hin zu der deutsch-christlichen

Theologie

bestimmt.

Sofern

der Ra-

tionalismus nichts anderes war als das Zutagetreten des bisher latenten Anspruches des Menschen auf autonome Lebensgestaltung aus den Kräften der gegebenen Welt heraus,

ist die Frage allerdings eine in dem menschlichen Anspruch auf Autonomie selbst schon gestellte Frage; d. h. der auto1. Volksmissionarische Begründung der Deutschen Christen.

304

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der Bekennenden

Kirche

nome Mensch, der sich zugleich als Christ bekennen will, for-

dert die Rechtfertigung der christlichen Botschaft vor dem Forum seiner Autonomie. Gelingt diese, dann nennt er sich

Christ; gelingt sie nicht, dann nennt er sich Heide. Es ist nicht der geringste Unterschied, ob das Forum, vor dem sich

die biblische Botschaft zu rechtfertigen hat, im 18. Jahrhundert die Vernunft oder im 19. Jahrhundert die Kultur oder im 20. Jahrhundert das Volkstum, bzw. das Jahr 1933 mit allem, was es einschließt, heißt; es ist genau die gleiche Frage: Läßt sich das Christentum vor uns, die wir einmal so sind, wie wir — Gott sei Dank! — sind, vergegenwär-

tigen? Es ist genau das gleiche dringende Bedürfnis aller derer, die auf den Christennamen aus irgendwelchen — sei es

vernunftgemäßen, sei es kulturellen, sei es politishen — Gründen Anspruch erheben wollen, das Christentum vor der Gegenwart zu rechtfertigen; es ist genau die gleiche Voraussetzung, nämlich daß der archimedische Punkt, der feststehende, außer Frage stehende Ausgangspunkt bereits ge-

funden ist (sei es in der Vernunft, in der Kultur oder im Volkstum) und das bewegliche, fragliche, nicht feststehende Element eben die christliche Botschaft sei; und es ist genau

die gleiche Methode, nämlich

vorzunehmen,

daß man

die Vergegenwärtigung

so

die biblische Botschaft durch das

Sieb der eigenen Erkenntnis laufen läßt — was nicht hindurch will, wird verachtet und weggeschüttet —; daß

man

die Botschaft

so weit

zurechtschneidet

bis sie in den festgelegten Rahmen

und

stutzt,

hineinpaßt; bis der

Adler nicht mehr aufsteigen und in sein wahres Element

entfliehen kann, sondern mit gestutzten Flügeln unter den übrigen gezähmten Haustieren als besonderes Schaustück gezeigt werden kann; wie ein Bauer, der ein Pferd für seinen Acker braucht, den feurigen Hengst stehen läßt und

das lendenlahme gezähmte Pferd kauft, so hat man sich ein brauchbares Christentum gezähmt; und es ist nur noch eine

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

305

Frage der Redlichkeit, daß man sehr bald an diesem Gebilde sein Interesse gänzlich verliert und sich von ihm abkehrt. Diese Vergegenwärtigung der christlichen Botschaft führt direkt ins Heidentum. Woraus denn auch folgt, daß zwischen Deutschen Christen und sogenannten Neuheiden nur noch der Unterschied der Redlichkeit besteht. Es folgt aber zweitens auch der unzweifelhaft teilweise mit großer

Leidenschaft und subjektiver Ernsthaftigkeit erschollene Ruf nach Vergegenwärtigung der christlichen Botschaft in den Anfängen der Deutschen Christen, der sicher kirchlich und

theologisch nicht ernst genommen

werden durfte; er war

bestenfalls der Schreckensschrei dessen, der den Bruch zwischen Christentum und Welt sichtbar erfährt; der, seiner

völligen Weltförmigkeit bewußt, erkannte, daß es für ihn mit dem Christentum aus ist, der nun aber nicht stark genug ist, ein klares „Ja“ und ein ebenso klares „Nein“ zu sagen,

sondern der feig das Christentum in seinen Verfall an die Welt mit hineinreißen will. Der klarste Beweis hierfür ist,

daß man hier nirgends den Mut fand, die Frage nach der Sache der christlichen Botschaft neu zu stellen, sondern nur nach der Vergegenwärtigung schaute, eben um damit —

anders als in der liberalen Theologie: Naumann! — der Sache auszuweichen! Wo aber die Frage nach der Vergegenwärtigung zum Thema der Theologie wird, dort können wir gewiß sein, daß die Sache bereits verraten und verkauft ist. Wir werden sehr auf der Hut sein müssen, um uns nicht durch den Kampf falsche Fragen und falsche Themata auf-

zwingen zu lassen. Die Gefahr besteht durchaus. Ich brauche nur an das theologische Schrifttum der beiden letzten Jahre — gerade von unserer Seite! — zu erinnern (an Althaus „Deutsche Stunde der Kirche“, Heim, selbst Schlatter! „Neue deutsche Art in der Kirche“), um das deutlich zu machen. Die Frage nach der Vergegenwärtigung bekommt

allzuleicht einen falschen Akzent und verdrängt die Frage

306

Lehrer am

Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

nach der Sache. Welchen Sinn soll es denn haben, von Vergegenwärtigung zu reden, wo wir über die Sache noch nicht

meinen dürfen, restlos klar zu sein? Es ist ja so, wenn einer Durst hat, so trinkt er das Wasser aus jederlei Gefäß, auch wenn es etwas beschwerlich ist. Und es ist besser, sich reines Wasser mühsam schöpfen zu müssen,

als trübes Wasser aus einem Glas zu trinken. Wer Durst hat, der hat von jeher in der Bibel selbst und in einer sachlich biblischen Predigt, auch wenn sie sehr unzeitgemäß war, das lebendige Wasser gefunden, — und es ist ein Eingeständ-

nis einer gefährlichen Dekadenz des Glaubens,

wenn

die

Frage nach der Vergegenwärtigung der Botschaft als metho-

dische Frage zu laut wird. Wem es wirklich um die Sache

zu tun war, um das Heil seiner Seele, der hat gefunden, daß

die Verdeutschung der Heiligen Schrift durch Luther die Forderung nach Vergegenwärtigung und Verdeutschung des Evangeliums immer noch am besten erfüllt. Hier ist gegenwärtiges, hier ist deutsches Christentum.

Damit soll aber des Negativen und der Abgrenzung fürs erste genug sein; und der positive Sinn der Frage nach der Ver-

gegenwärtigung wird jetzt ins rechte Licht gerückt werden können. Nicht Rechtfertigung des Christentums vor der

Gegenwart, sondern Rechtfertigung der Gegenwart vor der christlichen Botschaft soll gemeint sein. Vergegenwärtigung heißt dann, daß die Gegenwart vor das Forum der christlichen Botschaft gestellt wird, heißt mit anderen Worten die Frage nach der Sache, nach dem „Wert!“ der christlichen

Botschaft, während in dem falschen Begriff der Vergegen-

wärtigung nach dem „Was“ der Gegenwart gefragt wurde. Die

wahre Vergegenwärtigung liegt in der Frage nach der Sache.

Es wird der Sache selbst zugetraut, daß dort, wo sie wirklich zu Wort kommt, sie in sich selbst das Gegenwärtigste

sei; es bedarf darum gar keines besonderen Aktes der Vergegenwärtigung mehr, in der Sache selbst vollzieht sich die

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

307

Vergegenwärtigung. Allerdings — nur weil es diese Sache ist, um die es im Neuen Testament geht, weil die Sache hier Christus und sein Wort ist. Wo Christus im Wort des Neuen Testaments zu Worte kommt, dort ist Vergegenwärtigung. Nicht wo die Gegenwart vor Christus ihren Anspruch anmeldet, sondern wo die Gegenwart vor dem Anspruch Chri-

sti steht, dort ist Gegenwart. Denn: der Begriff der Gegenwart ist nicht bestimmt durch eine Zeitbestimmung, sondern durch das Wort Christi als des Wortes Gottes. Gegenwart ist

nicht irgendein Zeitgefühl, eine Zeitdeutung, ein Zeitgeist, sondern Gegenwart ist allein der Heilige Geist. Wo Gott selbst ist in seinem Wort, dort ist Gegenwart, dort setzt er

Gegenwart. Das Subjekt der Gegenwart ist der Heilige Geist, nicht wir, darum

ist auch das Subjekt der Vergegenwär-

tigung der Heilige Geist selbst. Das concretissimum der christlichen Botschaft und Textauslegung ist nicht ein menschlicher Akt der Vergegenwärtigung, sondern ist immer Gott selbst, ist der Heilige Geist. Weil die „Sache“ des Neuen Testaments dies ist, daß Christus durch seinen Heiligen Geist zu uns redet, und weil dies nicht außerhalb oder neben, sondern

allein und exklusiv durch das Wort der Schrift geschieht, darum ist Sachlichkeit, d. h. Schriftgebundenheit der Verkündigung, selbst Vergegenwärtigung — „Sachlichkeit‘“ sowohl als Methode — davon werden wir gleich reden — wie

auch als Gehorsam und Vertrauen zu der Sache des Heiligen Geistes. Denn das Sachliche an dieser Sache ist eben der Heilige Geist selbst und Er ist der gegenwärtige Gott und Christus. Hier kommt auch sprachlich der Begriff der Gegenwart erst zu seinem Recht. Daß etwas uns „entgegen“ ist — ent-

gegen wartet — besagt doch, daß Gegenwart von außen her bestimmt ist und nicht von innen, nicht von uns bestimmbar, durch das bestimmt ist, was von außen auf uns zukommt,

durch das Zukommen,

durch die Zukunft. Gegenwart ist

308

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der Bekennenden

Kirche

primär nicht durch die Vergangenheit, sondern durch die Zukunft bestimmt, und diese Zukunft ist Christus, ist der Heilige Geist. „Vergegenwärtigung“ heißt daher Ausrichtung auf diese Zukunft, auf dieses außen — und es ist die verhängnisvollste Verwechslung von Gegenwart und Ver-

gangenheit, wenn man meint, Gegenwart als das bestimmen

zu können, das in sich selbst ruht und ihr Kriterium in sich

selbst trägt. Das Kriterium der wahren Gegenwart liegt außer-

halb ihrer selbst, liegt in der Zukunft, liegt in der Schrift und dem in ihr bezeugten Wort Christi. Und so wird die Sachlichkeit darin bestehen, daß ein außen, das Gegenüber, das „Zukünftige“ als Gegenwart zu Gehör kommt— das fremde Evangelium, nicht das bekannte Evangelium wird das gegenwärtige Evangelium sein. Anknüpfungspunkt des Argernisses!

2. Vergegenwärtigung als ‚Methode‘

Haben wir erkannt, daß die rechte Vergegenwärtigung dar-

in liegt, daß wir zur Sache kommen und die Sache zu Worte

kommt,

so wird

dem

methodisch

entsprochen,

daß

gegenwärtigende Verkündigung wesentlich Auslegung

ver-

sein

muß, Auslegung des Wortes, das allein über die Kraft der Vergegenwärtigung verfügt, Schriftauslegung. Der Akt der

Vergegenwärtigung, sofern er von uns methodisch überhaupt vollzogen werden kann, ist die strenge und exklusive Bezugnahme auf das Schriftwort. Also, nicht geht die Bewe-

gung vom Schriftwort zur Gegenwart, sondern sie geht von der Gegenwart zum Schriftwort und verharrt dort. Also, scheinbar weg von der Gegenwart, um von der falschen Ge-

genwart zur rechten Gegenwart zu kommen. Wem das un-

verständlich erscheint, der hat die Voraussetzung noch nicht erfaßt, daß nur dort, wo Christus redet und der Heilige Geist,

Gegenwart ist. Diese Rückwärtswendung zur Schrift ent-

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

309

spricht genau der Rückwärtswendung des christlichen Glaubens und der christlichen Hoffnung, nämlich auf das Kreuz Christi; es ist beidemal die Geschichtlichkeit der Offenbarung Gottes, die hier zum Ausdruck kommt. „Auslegung“ ist kein eindeutiger Begriff; er muß scharf abgegrenzt werden von andern untheologischen Methoden der Vergegenwärtigung.

Voraussetzung jeder Vergegenwärtigung für untheologisches Verständnis ist offenbar, daß an dem Vergangenen etwas ist, das nicht nur Vergangenes ist, sondern das über die Vergangenheit hinausragt. Ja, dieses über die Vergangenheit Hin-

ausragende ist im Grunde wesentlich, ist durch sich selbst nicht Vergangenes, nicht Zeitliches, sondern Überzeitliches. In der Geschichte, so sagt man dann, ist etwas Ewiges, in dem

Zufälligen ist etwas Notwendiges, in dem Individuell-Einmaligen ist ein allgemeingültiger Sinn. Dieser Sinn, dieses Ewige kann eine Lehre sein, es kann eine ethische Norm sein, es kann ein allgemein menschliches Gefühl sein, es kann ein Mythos sein. Vergegenwärtigung heißt auffinden dieses Ewigen, dieses Sinnes, dieses Wesens, das heute ebenso gilt wie damals. Es heißt in unserem Fall Auffindung der ewigen Lehre, bzw. der allgemein ethischen Norm, bzw. des Mythos, den die Heilige Schrift enthält, und es heißt sodann

Anwendung dieses Allgemeinen auf die Gegenwart, auf das individuelle Heute. Wie ist solches Auffinden des Ewigen im Zeitlichen möglich? Allein so, daß der Interpret selbst über die ewigen Maßstäbe verfügt, die er in der Schrift wiederfindet. Weil

Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird, darum vermag der Interpret der Heiligen Schrift auf Grund seiner ihm innewohnenden allgemeinen Ideen und Maßstäbe diese in der Schrift wiederzuerkennen und zu erschließen. Das Prinzip der Vergegenwärtigung liegt also in mir, liegt in dem Inter-

preten. Ich bin im strengen logischen Sinn das Subjekt der

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der Bekennenden

Kirche

Vergegenwärtigung, und es kann nur das vergegenwärtigt werden, was in mir als Prinzip der Vergegenwärtigung schon vorhanden ist. Schriftauslegung heißt hier das Beziehen der Schrift auf die ewigen Wahrheiten, die ich bereits kenne — sei es eine intellektuelle Wahrheit, sei es ein ethisches Prinzip, sei es eine allgemein menschliche Erkenntnis, sei es ein Mythos. Mit anderen Worten, die Wahrheit steht schon fest,

ehe ich an die Auslegung der Schrift herangehe. Wir erkennen in dieser Methode der Vergegenwärtigung je-

nes erste falsche Verständnis der Vergegenwärtigung wieder,

von dem wir zu Anfang sprachen. Die Schrift wird vor das

Forum der Gegenwart gezogen und muß sich vor ihm rechtfertigen, sie muß Erkenntnisse, Normen, allgemeine Wahrheiten hergeben, die in der Gegenwart gegeben sind. Was sich

diesem Vorgehen widersetzt, wird als zeitgebunden in der Vergangenheit gelassen, kann nicht vergegenwärtigt wer-

den, ist nicht ewig, göttlich. Damit macht der Interpret den Anspruch, in der Heilige n Schrift Gottes Wort und Menschenwort unterscheiden zu können. Er selbst weiß, wo Gottes Wort und wo Mensch en-

wort ist. Also etwa: die Theologie des Paulus ist Menschen-

wort, die sogenannte Religion Jesu ist göttlich; Sündenund Rechtfertigungslehre sind zeitgebunden und vergang en, der Kampf um das Gute und Reine ist ewig; oder: die ethi-

sche Lehre Jesu ist ewig, die Wundergeschichten sind zeit-

bedingt; oder: der Kämpfer Jesus und sein Tod sind Aus-

druck für den ewigen Kampf des Lichtes gegen die Finster-

nis, der leidende, wehrlose Jesus geht uns nichts an; oder:

die Lehre von der Gnade ist ewig, — die Gebote der Bergpredigt gelten uns nicht mehr! Damit ist uns der Schlüssel zur Auslegung der Schrift in die Hand gegeben. Wie wir in einer profanen Schrift die ech-

ten Worte des Autors von den unechten Zutaten zu unterscheiden vermögen, so vermögen wir nun in der Bibel das

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

311

Wort Gottes von dem Menschenwort zu unterscheiden und aus ihm herauszulösen. Das Kriterium über das Wort Gottes liegt bei uns, sei es in unserer Vernunft, in unserem Gewissen, oder in unserem völkischen und sonstwie gearteten

Erlebnis. Das Kriterium für das Wort Gottes liegt außerhalb desselben, in uns — die Norm der Vergegenwärtigung liegt bei uns, die Bibel ist der Stoff, an dem diese Norm Anwendung findet.

Dieser Satz ist nun genau umzukehren, damit unser Begriff der Auslegung und der Vergegenwärtigung klar wird: die Norm für das Wort Gottes in der Schrift ist das Wort Gottes selbst, und unsere Gegebenheiten, Vernunft, Gewissen, völkisches Erlebnis, sind der Stoff, an dem diese Norm ihre Anwendung sucht. Wohl sagen auch wir, daß Gotteswort und Menschenwort in der Heiligen Schrift verbunden seien, aber so, daß Gott selbst sagt, wo sein Wort ist und daß er das sagt im Menschenwort. Das Menschenwort hört nicht auf, zeitge-

bundenes, vergängliches Wort zu sein dadurch, daß es Gottes Wort wird, sondern als solches geschichtliches, zeitliches Wort ist es Gotteswort. Die Unterscheidung zwischen Ewigem und Zeitlichem, Zufälligem und Notwendigem in der

Bibel ist fundamental falsch. Das zeitliche Wort der Schrift selbst — also etwa das Bekenntnis Jesu, die Stunde des An-

bruches des Gerichtes nicht zu wissen —

oder die Frage:

Was heißest du mich gut? gerade sie sind als ganz zeitlich begrenztes Wort Gottes Wort. Gott allein sagt, wo sein Wort

ist — und das heißt abermals, Gott allein vergegenwärtigt sein Wort, der Heilige Geist ist das Prinzip der Vergegenwärtigung. Für die Methode der vergegenwärtigenden Aus-

legung heißt das, daß sie nicht an die Schrift herantritt als an ein Buch, in dem allgemeine Wahrheiten, allgemeine ethische Normen oder Mythen aufgefunden werden könn-

ten; die Heilige Schrift ist vielmehr für sie als ganze das Zeugnis von Gott in Christus, und es wird ihr in jeder Stelle

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der Bekennenden

Kirche

darum gehen, den Zeugnischarakter des Wortes hörbar zu

machen. Es gibt grundsätzlich keine bevorzugten Stellen, es sei denn, daß darunter der Grad der Klarheit dieses Zeugnischarakters verstanden würde, Vergegenwärtigung geschieht nicht durch Auswahl bestimmter Texte, sondern durch Hör-

barmachen des Ganzen der Heiligen Schrift als des Zeng-

nisses des Wortes Gottes. Die einzige Methode der Vergege n-

wärtigung ist mithin die sachliche Textauslegung als des

Zeugnisses von Christus, und solche Auslegung hat die Verheißung der Gegenwart Christi. Zwei Fragen: 1. Muß ich nicht als der Prediger der Auslegung die konkrete Anwendung folgen lassen, muß ich

nicht der Gemeinde vollmächtig das Wort sagen in letzter

Konkretion und muß auf diesem Konkreten, das ich sage, nicht der Akzent der Ewigkeit selbst liegen und geht diese Form der Vergegenwärtigung nicht doch wesentl ich über die Auslegung hinaus? Der Text ist nicht der allgemeine Ausgangspunkt, dem ich erst die konkrete Anwendung für die Gemeinde zu geben hätte, auf die ich den Akzent der

Ewigkeit fallen lassen müßte. Das concretissimum der Pre-

digt ist nicht die von mir gegebene Anwendung, sonder n der

durch den Text der Bibel redende Heilige Geist selbst. Auch

der klarste Skopus, der vernehmlichste Appell an die Ge-

meinde ist unkonkret, solange nicht der Heilige Geist selbst

das concretissimum, die Gegenwart schafft. Was die Rede vom

Akzent der Ewigkeit angeht, so ist zu sagen, daß der Akzent der Ewigkeit schon gefallen ist, auf Christus und sein Kreuz, und hier bleibt er, und es fällt bei jeder Predigt

der Akzent der Ewigkeit auch wieder nur auf Christu s sein Kreuz und auf sonst nichts. Wo außer Christu s ein zent der Ewigkeit gesucht wird, dort verfällt man Schwärmerei. 2. Fordert nicht die konkrete Situation der Gemei nde

und Akder

eine

über die Auslegung hinausgehende Form der Vergegenwär-

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

313

tigung? — Die sogenannte besondere konkrete Situation der Gemeinde ist der Gemeinde jeweils verständlich als die allgemeine Situation des Menschen vor Gott, des Menschen in seinem Stolz, in seinem Unglauben, in seiner Unbrüderlichkeit, in seiner Frage. Die Antwort ist Christus, wie er durch sein Wort kommt, immer als der richtende, gebietende und vergebende zugleich. Nicht dieses oder jenes Konkretum,

das ich zu der sogenannten konkreten Situation zu sagen habe, sondern Christus selbst als der Herr, der Richter und Heiland ist das Wort zur konkreten Situation. Daß ich als Mann oder Frau, als Nationalsozialist oder Reaktionär oder Jude, von diesem oder jenem Erlebnis herkommend, unter

der Kanzel sitze, hat in sich selbst gar kein eigenes Recht noch Anspruch auf das Wort, sondern daß ich als Mann oder Nationalsozialist ein vor Gott zum Sünder gewordener Unglaubender, nach Gott Fragender bin, das ist meine wahre konkrete Situation, die mir durch die Predigt aufgedeckt und gelöst wird. Wo in der Auslegung des Textes als Zeugnis Christus selbst zu Wort kommt, dort wird aus dem, der sich vorher als Mann oder als Nationalsozialist oder Jude wichtig genommen hat, der, der sich nur noch als Sünder und Gerufener und als Begnadigter wichtig nimmt. Gerade daß die sogenannte konkrete Situation der Gemeinde nicht letztlich ernst genommen wird, macht den Blick frei für die wahre Situation des Menschen vor Gott. Nicht nach unserem Mann- oder Frau- oder Nationalsozialist-Sein fragt uns Gott, sondern nach unserem Glauben an ihn und seine sün-

denvergebende Liebe und nach dem Gehorsam gegen sein in der Bibel bezeugtes Wort. Es ist fast seltsam, daß immer noch die Meinung besteht, es müsse zur Textauslegung noch etwas hinzutreten, etwas

über sie Hinausgehendes, Konkreteres. — Was gibt es denn heute Konkreteres als eine Textauslegung gewisser Kapitel der Apokalypse oder der Propheten oder der Bergpre-

314

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der Bekennenden

Kirche

digt oder der Geschichte vom barmherzigen Samar iter? Ist nicht hier die Textauslegung, sofern sie wirkli ch diesen Text als Zeugnis des lebendigen Christus nimmt, alles?

Ist nicht das gerade das Überraschende an unserer Zeit, daß wir heute fast jeden Text nehmen könne n und ihn nur klar und scharf und sachlich auszulegen brauchen und er ist vergegenwärtigt? (Es hat sich allmählich die Meinung herausgebildet, als müsse eine Bekenntnis-Pred igt immer eine

konkrete Polemik gegen Rosenberg etc. enthal ten und als

sei das die Form der Vergegenwärtigung — nichts dagegen

zu sagen —, aber eine gute Predigt brauch t das gar nicht,

heute nicht!



selbst!)

Die Polemik

liegt in der Textauslegung

3. Vergegenwärtigung der neutestame ntlichen Botschaft a) Das Neue Testament als Zeugnis Das Neue Testament ist das Zeugnis von der in Christus erfüllten Verheißung des Alten Test amentes. Es ist nicht ein Buch, das ewige Wahrheiten, Lehren, Normen oder My-

then enthält, sondern es

ist ein einziges Zeugnis von dem Gottmenschen Jesus Christus. Es ist als Ganzes und in allen seinen Teilen nichts als dieses Zeugnis von Christus,

seinem Leben, seinem Tod und seiner Aufe rstehung. Dieser Christus wird bezeugt nicht als

der Ewige im Zeitlichen, als der Sinn im Zufälligen, als das Wesen im Unwesentlichen, sondern als der

schlechthin Einmalige, Menschgeword ene, Gestorbene, Auferstandene, und diese Einm aligkeit Christi in der Geschichte erfüllt das ganze Neue Testament. Es besteht hierin kein Unterschied zwischen Lehr texten

(in den Episteln oder in den Reden Jesu) und den geschichtlichen Texten. Beide sind in gleicher Weis e Zeugnis von dem einmaligen Christus,

Also nicht so verhält es sich, daß ein Lehrtext etwa eine allgemeine Wahr heit über Christus aus-

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

315

spricht, während zum Beispiel eine Wundergeschichte ein Zufällig-Einmaliges berichtet, — sondern beide legen in

gleicher Weise Zeugnis ab von der Einmaligkeit und völligen Geschichtlichkeit Jesu Christi. In der Wundergeschichte ist ebenso wie im Gleichnis oder wie im Gebot der Bergpre-

digt Christus selbst der Verkündigte; nicht diese oder jene Wahrheit oder Lehre über ihn und Tat von ihm, sondern ER selbst und ER allein und Er ganz. Daß Christus es ist, der das Wunder tut, das Gleichnis spricht, das Gebot gibt, und daß er durch Wunder, Gleichnis, Gebot oder Lehre immer das Eine und Selbe will, nämlich Menschen an sich als den schlechthin Einmaligen, Geschichtlichen zu binden, das ist der gemeinsame Zeugnischarakter des Neuen Testamentes. Ebenso aber ist ein paulinischer Lehrtext nicht wesentlich ein dogmatischer Satz — obwohl er das auch ist —, sondern er ist einmaliges Zeugnis von dem einmaligen Christus. Man mag sagen, daß in den Evangelien das Wunder seiner Inkarnation, der Menschwerdung und daß in den Episteln das Wunder seines Kreuzes und seiner Auferstehung vernehmlicher werde, aber doch nie anders als daß auch in

den Evangelien der ganze gekreuzigte und auferstandene Christus und in den: Episteln der ganze menschgewordene

Christus in seiner Einmaligkeit bezeugt wird. Es könnte scheinen, als ließen sich Lehrtexte leichter ver-

gegenwärtigen als geschichtliche Texte. Hier versteckt sich aber wieder nur die falsche Unterscheidung, als gebe es in der Bibel so etwas wie eine ein für allemal geltende Lehre, während die geschichtlichen Ereignisse nur zeitbedingt seien. Das Neue Testament ist in Lehre und Geschichte Zeugnis, es ist nicht selbst etwas, sondern es zeugt von etwas anderem, es hat keinen Wert in sich selbst, sondern nur

als Zeugnis von Christus, es ruht nicht in sich selbst, sondern es reicht über sich hinaus, seine Sätze und Worte sind nicht an sich wahr und ewig und heilig, sondern nur sofern

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der Bekennenden

Kirche

sie Zeugnis von Christus sind — d.h. Christus selbst allein

wahr sein lassen wollen. Das ganze Neue Testa ment in allen seinen Teilen will als Zeugnis ausgelegt sein — nicht als Weisheitsbuch, als Lehrbuch, als Buch ewiger Wahrheit, sondern als Buch eines einmaligen Zeugnisses einer einmaligen Tatsache. Es ist das „fröhliche Geschrei“: Dieser Jesus ist Christus. „Auf diesen Menschen sollst Du zeigen und spre-

chen: das ist Gott“ (Luther).

Ein paulinischer Lehrtext wird nicht recht ausgelegt, wenn

er als ein Stück echter Theologie, als pura doctrina, weiter-

gegeben wird, sondern diese Theologie muß als das Zeugnis

für den lebendigen Christus verständlich gemacht werden.

(Schwierig — weil leicht allgemeine Wahrheiten — Mißverständnis als sei das Christus — Theol ogie als Zeugnis.) Eine Wundergeschichte wird weder dort recht ausgelegt, wo sie auf eine allgemeine Wahrheit zurüc kgeführt wird — Hochzeit von Kana: „Jesus läßt niem andem im Stich“ — noch wo der Blick wesentlich auf das Wunder selbst gerichtet wird und dann entsprechende Beispiele aus der Gegenwart herangezogen werden, sondern als Zeugnis von Christus als dem, der die Gewalt der Dämonen brechen kann, als dem Herın über die Dämonen — der er als der Gekreuzigte geword

en ist — ist die Wundererzählung zu verkündigen. Daß gerade die Wundergeschichten in einer so dämonisierten Zeit wie der unsern besonders zu reden began nen, erleichtert ihre Predigt heute. Daß die Dämonen nicht von selbst weichen oder an sich selbst zugrunde gehen, sondern daß sie ausge-

trieben werden müssen, daß Chris tus der Herr ist, der allein

Dämonen

auszutreiben vermag und daß er auch uns die

Macht verheißen hat, solche Wund er zu tun, wenn Glauben haben, daß wir der Dämo nen nicht Herr durch Haß und Gewalt, sondern allein durch Fasten

ten und Glauben —

wir nur werden und Be-

das wird eine sehr gegenwartsnahe

Auslegung der Wundergeschichten sein.

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

317

Das Gleichnis ist Zeugnis von Christus in höchster Potenz.

Zwei Mißverständnisse der Gleichnisse sind abzuwehren. Erstens, als sei der Inkalt der Gleichnisse die Darstellung allgemeiner Wahrheiten — nicht eine allgemeine Wahrheit, sondern „das Himmelreich ist gleich...“, für uns deutlicher: „Christus ist gleich...“ Christus ist das inhaltliche Ziel jedes Gleichnisses. Zweitens, als sei die Form des Gleichnisses

eine psychologisch begründete Redeform, der sich Jesus bedient, um der Popularisierung, sagen wir: Vergegenwärtigung seiner Gedanken willen, und als sei das uns zum Vor-

bild gesagt, daß auch wir in Gleichnissen predigen sollen. Nach dem Wort Jesu selbst (Mark 4, 11 ff) ist das Gleichnis nicht eine psychologisch begründete, vorbildliche Redeform, son-

dern eine in der Sache des Reiches Gottes selbst begründete Gestalt seines Redens, wie es schon im Psalter bezeugt ist,

durch die ER die Scheidung der Geister in Glaubende und Verstockte vollzieht. Durch die Helligkeit und Klarheit und Eindeutigkeit

des Gleichnisses

kann

sich der Mensch

der

Entscheidung für Christus oder gegen ihn nicht mehr entziehen. So wird ihnen gerade die Helligkeit des Gleichnisses zum Gericht —, „daß sie es sehen und doch nicht erkennen.“ So wird das Allerklarste zum Dunkelsten, so wird

der offenbare Tag zur verborgenen Nacht, so wird das, was jeder verstehen kann, gerade zum tiefsten Geheimnis der Auserwählten, der Jünger —

wie es der Psalm 78 bezeugt —

vgl. Mat 13, 35. So ist Christus nicht nur das Ziel der Gleichnisse, sondern auch der, der durch sie in die Entschei-

dung zwingt und als Richter die Scheidung vollzieht. So sind gerade die Gleichnisse nicht als die unvergänglichen Bilder ewiger Wahrheiten zu predigen, sondern als Zeugnis für Christus, der sich schenkt und versagt, der durch dasselbe Wort offenbart und verhüllt, als der Gekreuzigte, der durch sein klares Wort die Geister scheidet, durch dessen

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der Bekennenden

Kirche

Wort sich das Geheimnis der ewigen Erwählung und Ver-

werfung vollzieht.

Schließlich aber sind auch die Gebote und Paränesen des Neuen Testaments streng als Zeugnis von Christus, als des

gekreuzigten und auferstandenen Herrn, zu versteh en. Nicht als ewige Normen und Gesetze, sondern als Gebote eines Herrn, wobei das Gebot nur dort recht begriff en wird, wo der Herr erkannt ist. Das Gebot ohne den Herrn ist nichts, und der Grund, der Inhalt und das Ziel — d. h. die Erfüllung — des Gebotes ist immer der Herr, und zwar als der Gekreuzigte. So muß das Gebot der Bergpredigt oder die Paränese des Paulus verstanden werden als Zeugni s von dem Herrn, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, nicht als ob das Gebot damit bagatellisiert würde; es bleibt bestehen, aber es ist Zeugnis, Verkündigung von Christu s, d. h. es ist nun Gnade. Nur wer das Gebot hört und tut, vernimmt in

ihm das Zeugnis von Christus. Also nicht Prinzipien einer

christlichen Ethik, sondern einmalige Zeugni sse des gegenwärtigen und gebietenden Christus sind die Gebote des Neuen

Testaments und als solche sind sie auszulegen. (Frage soll

sein: inwiefern ist das Gebot in Christus erfüllt, inwiefern

sagt er dies Gebot mit Autorität?) Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte heißt also zunächst: sie als Zeugnis von Christus als dem Gekreuzig-

ten, Auferstandenen und in die Nachfolge rufenden Herrn auslegen in der Gewißheit, daß Chris tus das Subjekt der Vergegenwärtigung ist. Dies Zeugnis ist als streng einmali-

ges Zeugnis eines einmaligen Geschehens zu verstehen. Nur wo dem Neuen Testament dieser Charakter der Einmaligkeit bleibt, kann es ernsthaft als Zeugn is von Christus verst

anden werden. An der Einmaligkeit — also an der Ablehnung jeglicher Möglichkeit, Ewige s und Zeitgebundenes,

Gottes Wort und Menschenwort in der Schrif t aufweisbar zu machen und zu unterscheiden — hängt die Möglichkeit der

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

519

Vergegenwärtigung. — Denn Vergegenwärtigung heißt, daß Christus selbst redet durch den Heiligen Geist als der durch die Schrift Bezeugte, Geschichtliche, daß Christus uns entgegen tritt, nicht daß wir eine allgemeine Wahrheit im Neuen Testament bestätigt finden. An der Auslegung des Neuen Testaments als des einmaligen Zeugnisses von dem geschichtlichen und lebendigen Christus hängt die Vergegenwärtigung. Ein letztes Problem in diesem Zusammenhang: Da_ die

Schrift als ganze und in allen ihren Teilen als Zeugnis von Christus verstanden werden soll und da sich offenbar beim konkreten Nachweis dieser Behauptung Schwierigkeiten ergeben, entsteht die Frage, ob es erlaubt sei, bei dunklen Stellen der Schrift die allegorische Auslegung anzuwenden. Dazu ist zu sagen: 1. Den Nachweis für den Zeugnis-

charakter der ganzen Schrift bringt weder eine wörtliche noch eine allegorische Auslegung, sondern Gott allein, der sich zu seinem Zeugnis zu seiner Stunde bekennt. Also diese Rechtfertigung der allegorischen Auslegung ist unmöglich.

2. Das Recht zur allegorischen Auslegung besteht in der Anerkennung der Möglichkeit, daß Gott sein Wort nicht in seinem grammatikalisch-logisch-eindeutigen Sinn erschöpft sein läßt, sondern daß das Wort noch andere Perspektiven

hat und in den Dienst der besseren Erkenntnis gestellt werden kann. Luther hat mit großem Nachdruck auf dem eindeutigen Schriftsinn gegenüber dem vier- bzw. siebenfachen Schriftsinn bestanden — Einhelligkeit, Wahrheit... hatsselbst

allegorisiert in Psalmenvorlesung! — aber wohl kein Recht, die andere Möglichkeit abzulehnen — warum soll das Wort

nicht auch symbolische oder allegorische Bedeutung haben können? Entscheidend und das einzige Kriterium ist nur, ob

hier nichts anderes entdeckt wird als eben Christus — also 1. auf das Was, auf den Inhalt der allegorischen und sym-

bolischen typologischen Auslegung kommt es an, 2. darauf, daß nur dem Wort der Schrift diese Kraft des allegorischen,

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der Bekennenden

Kirche

symbolischen etc. Christuszeugnisses, diese Durchsichtigkeit

zugemessen wird. Innerhalb dieser beiden Schranken scheint mir der allegorischen etc. Auslegung ihre Freiheit bleiben

zu müssen und innerhalb dieser Schranken hat sie das Neue

Testament selbst geübt. Wie dürften wir sie für unmöglich halten? Nicht als falsches Beweismittel, aber als Lobpreis

auf die Fülle des Christuszeugnisses der Schrift bleibt die allegorische Auslegung eine schöne Freiheit der kirchlichen Auslegung der Schrift!. b) Unser Zeugnis

Die Grenzen sind abgesteckt, innerhalb deren rechtmäßig

von Vergegenwärtigung

Grenzen

geredet

werden

kann.

In diesen

aber bleiben dem Prediger noch einige wesent-

liche Freiheiten: Die erste Freiheit ist die der Übersetzung,

der Verdeutschung des Urtextes. Mit der Lutherbibel ist uns das Christuszeugnis auf deutsch geschenkt worden. Für

jede Verbalinspirationslehre ist Übersetzung immer schon Abfall, denn inspiriert ist eben nur der Urtext. Für uns ist Übersetzung Freiheit und Verpflichtung. Die Sprache ist der

Freiheit der Gemeinde anheimgestellt, d. h. dem Dienst an

1. Anmerkung des Hrsgbs.: Laut Nachschrift wurden hier von Bonhoeffer in der Aussprache noch folgende Klärungen hinzugef ügt: Die Schrift gebraucht diese Freiheit selber; Paulus, z.B. 1. Kor 10 Christus der Fels. Die Allegorese ist nicht anzuwenden, um etwa die Einheit zwischen Altem und Neuem Testament nachzuweisen oder zu retten. Erste Voraussetzung bleibt, daß die Schrift als durch Christus in Einheit bereits gegeben ist; das steht vor der wörtlichen wie vor der allegoris chen Auslegung. Zweite, daß es Christus gibt, der gefunden wird, sowohl in der allegorischen wie der wörtlichen. Und die Dritte, daß es keinen Grund dagegen gibt, daß in jedem Wort mehr als ein Sinn stecken kann. Freilich kann nur die wörtliche Exegese kirchenspaltend werden, nie darf es eine allegorische Auslegun g

werden;

die wörtliche

ist Kriterium.

Innerhalb

der

formalen Schranke des Kanon und der inhaltlichen Schranke des Christus gehört die Allegorese nicht in die Kategorie des zwingenden Kriteriums, sondern in die der erlaubten Freiheit,

ESELTERE BHEDERSE ER Sutgisesanes iansässsenen

sage ereher RIESE IBER“ BASED ERREREN PERSPPAL LE. ELLE EREGREERERER Vans srestnes ErraSTn 5.5423

Friedrich

Gogarten,

Eduard 1922

Thurneysen,

Karl Barth

Union Theological Seminary 1931 Von rechts nach links: Präsident Coffin, Prof. Swift, Prof. Reinhold

Niebuhr,

Prof. Ward

Theologie in den Dünen. Zingst, Mai 1935 Siehe auch Seite 555 (Nachweise)

Vergegenwärtigung

neutestamentlicher

Texte

321

der Gemeinde. Die Übersetzung ist die erste und notwendige rechtmäßige Form der Vergegenwärtigung. Das Problem einer rechten theologischen und kirchlichen Sprache ist ungemein wichtig und noch zugleich unerörtert. (Es wird so viel gesagt werden müssen: Die Forderung der Gegenwartssprache, der Volkssprache wird formaler Anknüpfung der Verständlichkeit, keineswegs aber den Eigengesetzen der Sprache Raum lassen, den Dämonien. — Durch die Sprache die Kondeszendenz des Wortes zum Ausdruck bringen, aber nicht als captatio benevolentiae benutzen. Die Sprache bleibt streng im Dienst, gerade weil sie das Mittel zur Ausrichtung

des Wortes ist.) Die zweite Freiheit ist die Auswahl des zu predigenden Tex-

tes. Wiewohl

jede Textpredigt Christuspredigt sein muß,

und wie es jeweils der ganze Christus sein muß, der verkün-

digt wird, so bleibt doch die Wahl des Textes (relative! — hier nicht Perikopenproblem behandeln!) frei. Wie ist diese Freiheit nun rechtmäßig zu gebrauchen? Soll ich fra-

gen: Was will die Gemeinde heute hören? Wonach fragt sie? Was ist gerade in der letzten Woche vorgefallen? Diese

Fragen haben ihr Recht und ihre Notwendigkeit für den verantwortlichen Pfarrer. Aber sie bedürfen einer Vorausset-

zung. Voraussetzung ist, daß der Pfarrer weiß, daß eine Gemeinde in Wahrheit nicht nach diesem oder jenem fragt, was gerade vordergründlich ist, sondern daß sie hintergründlich, ob sie es weiß oder nicht, immer nach dem ganzen

Christus fragt, und daß allein die Verkündigung des ganzen Christus

ihre jeweiligen

vordergründlichen

Fragen beant-

worten kann. Das heißt, ich werde jene Fragen stellen müs-

sen nicht im Blick darauf, welche spezifische Wahrheit in diesem oder jenem Fall der Gemeinde gesagt werden soll, sondern im Blick auf die Ganzheit des Christuszengnisses.

Die Freiheit der Textwahl steht also im Dienst der Ganzheit des Christuszeugnisses. Dort wo diese Ganzheit gefährdet

322

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

erscheint, dort muß ich predigen. Ob die Gefährdung der Ganzheit an Mängeln meiner eigenen bisherigen Predigt oder in bestimmten Gegebenheiten der Gemeinde liegt, ist eine andere Frage. Möglichkeit des Irrtums! — aber wo

Christus gepredigt wird und nicht diese oder jene Wahrheit, dort ist der Irrtum ausgeglichen. Die Freiheit der Vergegen-

wärtigung dient der Ganzheit des Christuszeugnisses. Ehe ich nun zum Schluß die mir entscheidend erscheinende

Freiheit zur Vergegenwärtigung der neutestamentlichen Botschaft nenne, möchte ich an dieser Stelle ganz konkret

werden und die Punkte anzeigen, an denen die Ganzheit der

Christusverkündigung heute gefährdet ist, und damit einen konkreten Beitrag zur Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte liefern. An drei zentralen Punkten der neu-

testamentlichen Botschaft möchte ich das aufzeigen:

1. Gnade und Nachfolge.

2. Kirche und Welt (Kirche, kirchl. Irrlehre). 3. Der barmherzige Samariter.... Anmerkung des Herausgebers: Hier bricht das Manuskr ipt ab, der Rest des Vortrages ist verloren. Es liegt aber eine Nachsch rift vor, die freilich recht kurz und vergröbernd berichtet. Danach endete der Vortrag etwa folgendermaßen: 1. Der Protestantismus verkündigt das Leben allein aus Gnade, weil es in der Schrift bezeugt ist. Das wird unwahr , wenn es zu einem Gnadenprinzip verkehrt ist. Sobald die Verkündigung der Gnade den Weg zu Christus verschließt, wird sie Abfall und Lüge. Christus ist nur dort bezeugt, wo er zugleich als der in die Nachfolge Rufende erkannt wird. Sonst steht anstelle der teuren Gnade des Evangeliums die billige Gnade. Ist bei uns teure Gnade, die zugleich Ruf in die Nachfolge bedeutet? Das Neue Testament verkündigt diese teure Gnade. Als Luther Gnade verkünd ete, hatte er zwei Jahrzehnte hinter sich, in denen er um das Leben im Gesetz gerungen hatte, nachdem er den Ruf aus den Ordnun gen der Welt ernstgenommen hatte. Er ging aus dem Kloster heraus, nicht weil es draußen gut zu leben sei. Er vollzog damit keine Heiligspre-

Vergegenwärtigung

nentestamentlicher

Texte

323

chung der justitia civilis. Er verzichtete vielmehr auf jegliche Heiligsprechung menschlichen Lebens. Seine Auffassung vom weltlichen Berufsleben ist kritische Weltansicht. Luther konnte „Gnade allein“

rufen, weil er Christus als den in die Nachfolge Rufenden kannte. Was als Resultat Wahrheit ist, wird als Voraussetzung zur Lüge; was als Resultat Gehorsam ist, wird als Voraussetzung zum Ungehorsam. Der Weg der Nachfolge aber ist in seinem Resultat der unendlich tröstliche Weg der Gnade. Bieten wir hier eine wohlfeile Ware an, oder verkündigen wir die teure Gnade? Hier sind wir

eher beim Antinomismus und nicht bei Paulus. 2. Die Folge der lutherischen Gnadenlehre bedeutete, daß die Kirche in der Welt und gemäß Rö 13 Luther bestätigte in seiner Weise mit der Kirche. Im Ergebnis siegte wollte freilich eine Vollethik für

in ihren Ordnungen leben soll. damit das Bündnis Konstantins damit eine Minimalethik. Luther alle, nicht nur für die Klöster.

Somit wurde die Existenz des Christen zur Existenz des Bürgers. Das Wesen der Kirche verschwand in die Unsichtbarkeit. Die neutestamentliche Botschaft aber wurde damit grundsätzlich verkannt,

Innerweltlichkeit zum Prinzip. Deshalb muß es heute um das Zeugnis von

ihrer Außerweltlichkeit

gehen. Die Kirche ist nach dem

neutestamentlichen Zeugnis die Stadt auf dem Berge. Sie hat es heute in einfältigem Gehorsam zu wagen, „außerhalb“ ihr eigenes Leben zu leben. Sie hat die Gnade darin zu entdecken, daß sie alles verläßt, um bier hundertfältig wieder zu erlangen. Sie hat sich abzugrenzen. Sie hat die Irrlehre aus ihrem Leibe auszuschneiden. Sie hat sich zu distanzieren und Gemeinde zu sein, die die Apoka-

lypse hört. Sie hat die Fremdlingschaft zu bezeugen und dem falschen Prinzip einer Innerweltlichkeit zu widerstehen. Innerweltlichkeit ist Trost, aber nicht Prinzip und Programm. Die Freundschaft zwischen Kirche und Welt ist nicht das Normale, sondern das Unnormale. Die Gemeinde muß wie Christus leiden, ohne Ver-

wunderung. Das Kreuz steht sichtbar über der Gemeinde. Dies ist Verkündigung des ganzen Christus, Zeugnis von der ganzen Vergegenwärtigung der Botschaft. 3. Der Dienst der Kirche hat an denen zu geschehen, die Gewalt und Unrecht leiden. Das Alte Testament fordert noch vom Staat Gerechtigkeit, das Neue Testament tut es nicht mehr. Ohne nach

324

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Recht oder Unrecht zu fragen, nimmt sich die Kirche der Leidenden, aller Verlassenen an aus allen Parteien und Ständen.

„Tue

Deinen Mund auf für die Stummen“ Spr 31, 8. Hier wird wahrscheinlich die Entscheidung fallen, ob wir noch Kirche des gegen-

wärtigen Christus sind. Judenfrage. 4. Vergegenwärtigung als Glaubwürdigkeit der kirchlichen Existenz. Die entscheidende Freiheit zur Vergegenwärtigung der neutestamentlichen Botschaft besteht in der Glaubwürdigmachung. Der eigentliche Anstoß der Welt an der Verkündigung der Kirche liegt

ja gar nicht mehr an der Verständlichkeit ihrer Worte und Texte von Kreuz und Auferstehung, sondern an der Glaubwürdigkeit. Weil Kirche und Pfarrer anderes sagen als sie tun; weil sich die Pfarrer-Existenz nicht von der des Bürgers unterscheidet. Die Existenz des Verkündigers ist aber das Medium der Vergegenwärtigung. Und Vergegenwärtigung heißt, so viel an uns ist: glaubwürdig machen. So bleibt die Frage unter diesem Thema, wie weit wir durch unser und unserer Kirche Leben das Textwort bereits unglaubwürdig gemacht haben.

Sichtbare

Kirche

im Neuen

Testament

325

Sichtbare Kirche im Neuen Testament [Finkenwalder Rundbriefbeilage aus der Seminar-Vorlesung im Wintersemester 1935/36]

Mit folgender Frage kann man die gegenwärtige kirchliche und theologische Situation formulieren: Nimmt die Kirche des Wortes Gottes einen Raum ein in der Welt, und welcher Art ist er? Es ist im Grunde die Frage, um die es in der ganzen theologischen Auseinandersetzung mit dem Staat geht.

Zwei Gefahren: 1. Gefahr einer idealistisch-doketischen Eschatologie: Raum in der Welt wird bestritten, Wesen der Kirche

wird in einer Scheinleiblichkeit einer Idee gesehen, die Raum in der Welt nicht beanspruchen kann. 2. Gefahr: materialistisch-säkulare oder magisch-sakramentale Ekklesiologie. Beide Gefahren bei uns im Protestantismus sehr akut. Die erste kommt von einer mißverstandenen Barthschen Theologie, die zweite von einer richtig verstandenen Dibelius-

Theologie. Das protestantische Problem für die Auseinandersetzung mit Staat, Naturordnungen usw., ist die Frage nach dem Raum, das Sichbewegen zwischen den beiden Gefahren. Da gilt’s den richtigen Weg zu finden. Alle konkre-

ten Fragen sind für uns so schwer zu beantworten, weil wir die Vorfrage nicht klar sehen: Welchen Raum die Kirche kraft des Wortes Gottes selbst zu beanspruchen hat. Ist

der Raum der Kirche nur der mathematische Punkt des Wortes Gottes, das hier und da einblitzt? Das punctum mathematicum der Rechtfertigung? Ist es so, daß, solange der Kirche dieser Raum gelassen wird, alles in Ordnung ist? Die Erfahrungen der letzten Jahre haben uns gelehrt, daß die Kirche über unser theologisches Wissen hinaus feiner re-

326

Lehrer am

Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

agiert auf gewisse Grenzen ihres Leibes, deren sie sich bisher nicht bewußt

war. Sie empfand Grenzentscheidungen,

wo sie bisher meinte, dogmatisch gar keine Grenzen zu empfinden. Die Kirche empfand sich als einen weiteren Raum und Leib, als sie sich bisher wußte. Das theologische Problem der theologischen Fakultäten und Wissenschaft und der Gemeinde erklärt sich von daher. Der Kirchenkampf wurde getragen von der Pfarrerschaft und den Gemeinden, nicht von

der Universitätstheologie. Grund: Die Frage nach dem Raum der Kirche wurde von der Pfarrerschaft und den Gemeinden

gewußt, nicht aber von den Fakultäten. Die Theologie und die Frage nach der Kirche entwickeln sich aus den empiri-

schen Erfahrungen, die die Kirche in ihren Zusammenstößen macht. Sie bekommt Schläge und erkennt: Der Leib der Kir-

che geht seinen Weg da und dahin. Frage: Wie wird sich nun erkenntnisgemäß der Raum der Kirche von den anderen sie umgebenden Räumen abgrenzen lassen? Ist das Verhältnis Kirche und Staat ein Nebeneinander (Rom)? Ein Überein-

ander (Genf)? Ineinander (Rothesche Theologie), Über des Staates und Unter

der Kirche

(Falsche luth. Orthodoxie

des 18. Jahrh.)? Von hier aus erschließt sich das NT. 4 Teile:

I. Der Raum der Verkündigung und des Bekenntnisses.

II. Der Raum des Amtes, der Amter und der Gaben.

III. Der Raum der christl. Gebote (neues Leben, Nachfolge).

IV. Die Grenzen des Raumes der Kirche, a) gegen den Raum des Staates, b) gegen die leges naturae,

c) gegen den Raum des Reiches Gottes.

Voraussetzung ist dies: Es geht um die Kirche des Wortes.

Und die Frage: Welchen Raum nimmt diese Kirche in allen

diesen Beziehungen ein? Darum sichtbare Kirche.

Sichtbare

Kirche

im Neuen

Testament

D2T:

I. Die Gründung der Kirche 1. Die nt’liche Kirche als die Fülle der Verheißungen Got-

tes wird durch die Sendung des Heiligen Geistes geschaffen. Sie ist die geschichtliche Realität des HI. Geistes, die jeden Doketismus verbietet. Sie ist das Ende und die Vollendung der Offenbarung Gottes in der Geschichte seines Volkes. Sie hat einen Anfang in der Geschichte, wie auch

das Kommen des Geistes einen Anfang in der Geschichte hat. Pfingsten. Es ist nicht falsch, von einer Kirche des AT zu reden. Kirche des AT wie die Kirche der Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern ist die Kirche der Verheißung, weil der

Heilige Geist noch nicht da war. Ist wahrhaft Kirche. Kirche des NT lebt in der Freude der Erfüllung, die nur noch auf die Wiederkunft Christi wartet. Die Kirche des AT wartet auf

das Kommen der Verheißung. Beide Kirchen sind darin eins: Es ist ein und dieselbe Kirche, ein Gott, der sie gerufen hat, ein Glaube an das eine Wort. Darum ist die alte Kirche Kirche

des Geistes, aber in der Verheißung, nicht in der Fülle des in die Zeit eingegangenen Sohnes Gottes und des in die Gemeinde eingegangenen Geistes. Die Kirche des NT ist die Kirche des gekommenen Geistes, 2. Acta 2. a) Eine Versamm-

lung von Menschen ist zusammengekommen. Über die zusammengetretene Versammlung kommt der Geist. Sie werden alle eins in bezug auf „dasselbe“, das Warten auf den Geist auf Grund der Verheißung Jesu (Acta 1). Zuerst ist die Versammlung, dann kommt der Geist. Die Versammlung ist nicht schon Kirche. Das wird sie erst durch den Geist. Aber der kommt zu den schon Versammelten. Darum die Konkordienformel: Der Mensch kann nichts zu seinem Heil hinzutun, aber er soll in die Kirche gehen. Die Verheißung des Geistes ist dem einzelnen nur gegeben als Glied der Versammlung. Nun geschieht das ganz Neue: Der Geist kommt.

b) Kommen

des Geistes und Gründung der Kirche ist ein

328

Lehrer am

Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

sichtbares Ereignis, keine Angelegenheit unsichtbarer Innerlichkeit. Geist schafft sich Raum in der Welt, bei seinem Kom-

men unter sichtbaren Zeichen. Die Gemeinde steht sofort im Blickpunkt aller anderen, sie ist ihrem Urteil preisgegeben. Die Gründung der Kirche ist keine verborgene Winkelangelegenheit, sondern eine sichtbare Bezeichnung aller Berufenen. Der Geist exponiert seine Gemeinde vor der Welt. Sie wird sofort

zur Stadt, die auf dem Berge liegt, die nicht im Verborgenen liegt. c) Der Geist kommt im Wort, nicht im Lallen und Stammeln, sondern gerade in den allen verständlichen Worten. Dar-

in liegt der Sinn des Sprachwunders: Sie ist eine allen verständliche Sprache. Es ist das einende Wort. Ist ein den Menschen verantwortlich machendes Wort. Der Geist sagt das eine

Wort, das jeder versteht. d) In dieser Sichtbarkeit ist die Kirche sogleich dem Urteil der Welt unterworfen. Das Phä-

nomen des Geistes in seiner Sichtbarkeit ist also nichts Eindeutiges in der Welt. Die Welt sieht dort Rausch, Narrheit,

wo Geist ist. Aber gerade der Spott der Welt wird immer wieder das Zeichen sein für den rechten Weg der Kirche, ge-

wisser als der Beifall der Welt. Wo die Kirche sich in die Unsichtbarkeit

zurückzieht,

verachtet

sie die Realität

des

Geistes. e) Rede des Petrus: Das durch den Geist geweckte Christuszeugnis. Klares losen Rausch, sondern zeugt Petrus durch den bekennt sich Petrus zu Pfingsten geschieht, ist

sinnvolles Wort. Nicht im bewußtin verantwortlicher, klarer Rede Geist von Christus. Durch den Geist den Verheißungen Israels. Was hier Erfüllung, die dem Volk Israel ge-

geben ist. Was an Christus geschieht, ist die Erfüllung der dem David gegebenen Verheißung. N’T’liche Kirche versteht

sich vom ersten Augenblick ihres Daseins an in unlöslicher Verbindung mit der Kirche der Verheißung, denn es ist der eine Gott. Eine Kirche, die diese Einheit löste, wäre nicht

mehr Kirche des Heiligen Geistes, denn der Geist bindet die Kirche an Israel und das AT, Wo das „filioque“ fällt, fällt

Sichtbare

Kirche

im Neuen

Testament

929

auch die Bindung an das Volk Israel. f) Zeugnis des Petrus zwingt die Hörer zu der Frage: Was sollen wir tun? Acta 2, 37.Sinn der Frage: Durch die bezeugte Tatsache des Auferstan-

denen und sich jetzt kräftig bekundenden Christus wird dem Hörer deutlich gemacht, daß dadurch seine ganze Existenz vor etwas Neues gestellt ist. Diese Tatsachenverkündigung wird von den Hörern als Gericht Gottes über ihr bisheriges Leben und Denken erfahren. Sie haben von Gnade gehört,

die Petrus bezeugt, aber sie wissen, ihnen gehört diese Gnade nicht. Es ist zunächst nur verkündigte Gnade. Das ist Gericht: von Gnade hören und wissen, und doch wissen, sie gehört

mir noch nicht. Diese Spannung führt unmittelbar zu der Frage: Was sollen wir tun? Tun, daß uns diese Gnade nicht

zum Gericht wird, sondern daß sie uns gehört. Antwort der Hörer ist nicht: Das war eine gute Predigt, so ist das Problem der at’lichen Verheißung gelöst, mit der verkündigten Gnade ist alles in Ordnung, und wir können weiter leben wie bisher. Sie wissen, daß dort, wo Gnade verkündigt wird,

der Mensch zur Frage nach dem Tun aufgerufen ist, weil ihm sonst die Gnade zum Gericht wird. Eine Gnadenverkündigung, die diese Frage nicht stellt, ist Geistrausch. Gnade muß immer wieder ergriffen werden. Gerade die frei zugesprochene Gnade zwingt zu der Frage:

Was sollen wir tun? Und die Antwort des Petrus ist nicht: Es ist schon alles getan, sondern: Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen, — so werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes, d. i. die Gnade des gegenwärtigen Gottes empfangen. Ist Petrus Synergist? Nein, er verkündigt die volle und freie Gnade Gottes, die Menschen zur Tat, zur Umkehr, zu neuem Leben ruft. „Tut Buße“, das heißt mit anderen Worten: Laßt euch herausrufen zur Kirche! Tut den Schritt, auf den Ruf Gottes, auf die Gnade hin zur Gemeinde der Begnadeten, die aus der Finsternis herausgerufen ist. Diese Gemeinde ist nicht mehr den &£ovolaı 708 oxdrvog untertan.

330

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Das sind nicht nur innerliche Fesseln, sondern konkrete, geschichtliche Ordnungen in dieser Welt, aus denen heraus in die Kirche gerufen wird. 3. Acta 2, 42—47, Die neue Gemeinde.

a) Das Kommen des Geistes ist Neuschöpfung, eben weil er

die Gemeinde in Gemeinschaft mit Christus führt. Kauvn zrisıg

(2. Kor 5, 17 Gal 6, 15), zweite Schöpfung nach der alten, verdorbenen Schöpfung, — das ist der Mensch in der Ge-

meinde, das ist die Gemeinde selbst (s. später Eph 2, 15).

Ein Stück Welt wird neugeschaffen nach dem Ebenbild Got-

tes (Kol 3, 9). Also, es wird nicht eine neue Religion gestiftet, sondern ein Stück Welt wird neugeschaffen, — das ist die Gründung der Kirche. Es liegt also das Pfingstgeschehen nicht in erster Linie in einer neuen Religiosität, sondern es ist die Botschaft von einer neuen Schöpfungstat Gottes. Und das heißt: Das ganze Leben wird mit Beschlag belegt. Es geht

nicht einmal um eine Vorordnung des Religiösen vor dem

Profanen, sondern um eine Vorordnung des Tuns Gottes vor dem Religiösen und Profanen. Hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen Kirche und „religiöser Gemeinschaft“,

In der „religiösen Gemeinschaft“ geht es um die Überord-

nung des Religiösen über das Profane, es geht um die Auftei-

lung des Lebens in Religiöses und Profanes, um eine Wertund Rangordnung. Die religiöse Gemeinschaft hat ihren

Selbstzweck im „Religiösen“ als dem höchsten — man mag

dann auch sagen: gottgegebenen

— Wert; die Kirche als das

aus Gottes Geist neugeschaffene Stück Welt und Menschhei t fragt nach dem totalen Gehorsam gegenüber dem (Religiöse s

und Profanes) neuschaffenden Geist. Weil es der Kirche um

Gott, den Heiligen Geist und sein Wort geht, darum ist es ihr

nicht speziell um die Religion zu tun, sondern um Gehorsam

gegen das Wort, um das Tun des Vaters, d. h, um den Vollzug der Neuschöpfung aus dem Geist. Nicht die religiöse

Frage oder das religiöse Anliegen überhaupt konstituiert

Sichtbare

Kirche

im Neuen

Testament

331

die Kirche — vom Menschen her geredet —, sondern der Gehorsam gegen das Wort der gnädigen Neuschöpfung. D. h.

aber auch: nicht die religiöse Formel, das Dogma, konstituiert die Kirche, sondern das praktische Tun des Gebotenen. Die reine Lehre des Evangeliums ist nicht eine religiöse An-

gelegenheit, sondern die Sorge um die Ausrichtung des Willens Gottes zur neuen Schöpfung. An die Stelle des Religiösen tritt in der Kirche der Heilige Geist und der Gehorsam. Wie wenig die erste Schöpfung eine „religiöse Angelegenheit“ war, sondern Wirklichkeit Gottes, so wenig ist es die zweite

Schöpfung Gottes durch Christus im Heiligen Geist. In dem Schöpferanspruch des Heiligen Geistes in der Kirche liegt der

Totalitätsanspruch der Kirche begründet, der sich nicht mit der Überordnung des Religiösen begnügt. Wo Wort und Tat Gottes so auseinandergerissen werden, wie das in der Ortho-

doxie geschieht, da muß die Kirche zu einer religiösen Anstalt werden und es gibt hier keine Gegenwehr mehr gegen die pietistische, totale Auflösung des Kirchenbegriffes, wo Frömmigkeit die Kirche konstituiert — wobei dann die Tat Gottes mit menschlichem, frommem Werk identifiziert

wird. b) Es lassen sich in den Stücken Acta 2, 42 ff; 4, 32 ff bereits die Anfänge und Andeutungen finden, in welcher Richtung

diese Wirklichkeit Gestalt annehmen will. Der Raum der Verkündigung und des Bekenntnisses, — Apostellehre, Brotbrechen, Gebet, — der Raum der Ämter und Gaben, — die Zeichen und Wunder, — der Raum der christlichen Gebote, der Nachfolge und der Gütergemeinschaft, — die Grenzen des Raums: gegen das Volk Vers 47, gegen das Reich

Gottes die Mission. c) Vers 42. „Sie blieben beständig in der Apostel Lehre.“

Jedes Wort ist bedeutsam. Didache wird das Zeugnis der Apostel im Anschluß an die Petruspredigt genannt. Im

Unterschied zu jeder Art religiöser Rede ist hier Unterricht,

332

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Mitteilung von geschehenen Tatsachen gemeint. Daß etwas geschehen ist, wird bezeugt, wird gelehrt, — und daß etwas geschehen soll (s. 2, 38 f). Der Inhalt des zu Sagenden liegt

also völlig fest, — es bedarf nur der Vermittlung. Didache ist die Vermittlung zwischen festliegenden Tatsachen und

Hörenden



rein formal verstandene Vermittlung,

sonst

nichts. Didache hat keineswegs durch sich selbst „religiösen“ Charakter. Aber nur etwas Unbekanntes mitzuteilen, ist sinnvoll. Mitteilung eines Bekannten ist sinnlos. So scheint es im Begriffe der Didache zu liegen, sich selbst überflüssig zu machen. Zur Didache geht man nur solange, bis man

den Gegenstand der Mitteilung kennt. Dem widerspricht in

durchaus eigentümlicher Weise in unserem Text das „beständig“, wörtlich: sie klammerten sich an... ‚ hielten fest an... Es muß also in dieser Didache etwas sein, was sie von

jeder anderen unterscheidet, so daß sie sich gerade nicht

überflüssig macht. Sondern die Beständigkeit wird wesentlich und notwendig. Worin liegt das? Ist es das Pflichtbewußtsein, sich zur Versammlung zu halten? Die Verantwortung für die andern? D. h.: Ist dies „beständig“ ethisch

begründet? Oder ist es das Gefühl der Beheimatung in ir-

gendeiner Kirche oder Versammlung, eine mehr gefühlsmäßige Liebe zum Gottesdienst? D. h.: Ist das „beständig“

emotional zu begründen? Alles dies hätte, wie wir heute se-

hen, nicht die Kraft der Gemeindebildung. Vielmehr liegt eine sachliche Nötigung in der Verbindung dieser Didache mit der Beständigkeit. Sie liegt darin, daß dieses Zeugnis — gerade als Didache — Werk Gottes, des Heiligen Geistes

selbst ist. In dieser Didache redet der Heilige Geist selbst. Er selbst ist die Tatsache dieser Didache. Weil aber die Kirche Kirche des Heiligen Geistes ist, darum erbaut sie sich täglich durch diese Didache. In der Didache existiert der Heilige Geist. — Die Bürgschaft hierfür liegt nun in dem Dritten begründet, — nämlich daß es Lehre der Apostel ist. Die Apo-

Sichtbare

Kirche

im Neuen

Testament

333

stel sind die von dem dreieinigen Gott erwählten Tatsachenzeugen, nicht als Zuschauerzeugen,

sondern als solche, de-

ten sich Gott in besonderer Weise als Werkzeuge bedient

hat. Sie sind die Zeugen, die der Heilige Geist erwählt hat, und an denen er sich selbst bekundet hat. Sie sind der Grund, auf dem die Kirche erbaut ist, da Jesus Christus der Eckstein

ist (Eph 2, 20). Sie sind die lebendige Verbindung des Hei-

ligen Geistes mit der Lehre, — und jede weitere Predigt muß aus diesem Grunde apostolische Predigt genannt werden können, soll sie die Didache sein, an der die Gemeinde beständig hält, d. h. Didache, die die Verheißung des Heiligen Geistes hat. Das zweite Besondere dieser Didache ist, daß sie nicht, wie

jede andere reine Mitteilung von Tatsachen — Vortrag — den Hörer als Einzelnen läßt, jeder holt sich das Seine und geht damit nach Hause, — sondern daß diese Didache Koino-

nia schafft. Die Hörer bleiben nicht Publikum. So muß die enge Satzverbindung verstanden werden. Auch hier sind keine ethischen

Normen,

keine Gefühlsmomente

das Ge-

meinschaftsbildende — auch hier muß eine sachliche Nötigung gesucht werden. Sie wird abermals in der Tatsache gefunden, daß es dem Heiligen Geist gefallen hat, sich nicht dem Einzelnen, sondern der Versammlung zu

verheißen. Geist

Es ist die sichtbare Versammlung,

empfängt,

und

die zur

Koinonia

durch

die den den Geist

geschaffen wird. Der Ursprung der Koinonia ist die gottesdienstliche Versammlung und ihr Ziel ebenso. Nur durch das gehörte Wort wird brüderliche Gemeinschaft, und alles brüderliche Leben steht wieder im Dienste der Verkündigung des Wortes. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß die Koinonia zwischen der Apostellehre und dem Brotbrechen genannt wird. Das ist in der Tat der Ort der christlichen Bruderschaft. Begründet und ermöglicht durch die Predigt, erfüllt und ausgerichtet auf das Brotbrechen, auf die Ge-

334

Lehrer am

Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

meinschaft am Leib des Herrn. Die Gemeinschaft im Abendmahl ist das Ziel der brüderlichen Gemeinschaft, — ist ihre Vollendung. Koinonia ist das Warten auf die Teilnahme am

ewigen Abendmahl, das Christus mit uns neu trinken will

im Reiche seines Vaters. Bruderschaft steht zwischen Wort und Sakrament, zwischen dem irdischen Abendmahl und dem ewigen Abendmahl. Von hier aus empfängt sie ihre

ewige Bestimmung. Aus dieser Gemeinschaft wird Gemein-

schaft des Gebetes, der Danksagung und der Bitte, Und in diesem Gebet ist das Bekenntnis zu Gott, der sich in Wort,

Bruderschaft und Sakrament geschenkt hat, begriffen.

Zweiter

Katechismus-Versuch

33

Konfirmanden-Unterrichtsplan [vorgetragen auf der Freizeit des 2. Kurses Finkenwalde 20. Oktober 1936]

(Ziel, Text, Lied, Bild) Warum kommst Du in den Konfirmandenunterricht?

a) Weil ich ein getaufter Christ bin, b) weil ich wissen muß, was es heißt, ein Christ zu sein, c) weil ich ein Christ werden soll und will.

Zu a) 1. Gott hat etwas an Dir getan, ehe Du es wußtest und wolltest. Wie er Dir das zeitliche Leben schenkt aus freier Gnade, so schenkt er Dir auch die Verheißung des ewigen Lebens aus freiem Willen. Du gehörst ihm in Ewigkeit. Jes 43, 1 b; Joh 10, 28 ich gebe ihnen das ewige Leben, 2. Gott erinnert Dich durch die Taufe, daß es eine Ewigkeit

gibt nach der Zeit. Er erinnert Dich an den Tod und daß Du nach dem Tod ewig bei ihm sein sollst. Rö 14, 7—9. Luk 10,

20 freuet Euch... 3. Wie Gott Dir für Dein zeitliches Leben leibliche Eltern und Geschwister gegeben hat, ohne daß Du es wußtest und wolltest, so hat er Dir auch für das ewige Leben eine geistliche Mutter und geistliche Brüder und Schwestern ge-

geben. Er selber will Dein Vater sein; die Mutter ist Deine Kirche, die Brüder sind die Glieder der Kirche. 1. Joh 3, 1 Mat 23, 8.

4. Aus all dem lernst Du, daß Du ganz und gar in Gottes Hand bist und ihm gehörst, ob Du willst oder nicht, daß er mit Dir handelt, wie es ihm gefällt, daß Er Dein Herr ist.

Jes 65, 1 (der Taufvers) 2. Mose 20, 2a.

336

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Zu b) Willst Du wissen, was es heißt, ein Christ zu sein, so mußt Du es mit Ernst lernen und üben. Du mußt täglich beten und die Bibel lesen, Du mußt jeden Sonntag die Predigt hören, Du mußt wissen, daß alles Lernen mit dem Kopfe nichts hilft, wenn Du nicht mit dem Herzen und der Tat gehorchen willst. Psalm 34, 12; 85, 12; 119, 12. 147 f; 111, 10; Spr 23, 26; Joh 7,7 Apg 2, 42; 1. Tim 4,7b; 2. Tim 3,15;

1. Joh 5, 3.

Zuc) Daß Du ein Christ wirst, will Gott, will dieGemeinde, wollen die Eltern. Es sind aber auch viele da, die nicht wollen, daß Du ein Christ wirst. Daß Du es trotzdem werden kannst, darum mußt Du Gott bitten, und dazu soll Dir der Unterricht helfen. 1. Mose 17, 1; Psalm 119, 94; 145, 18; 2, 23, Mark 9,24:41. Tim1, 195 2. Tim 2,3.

Was heißt es, daß Du Christi Namen trägst? Es heißt, daß Christus mich angenommen hat und daß ich mit meinem ganzen Leben Christus Ehre und Lob bereiten soll hier und in Ewigkeit. Phil 2, 10; Mat 28, 19; 4. Mose 6, SEIN, 1Sere ‚noise

1. Daß Du den Namen Christi tragen darfst, ist Deine höchste Ehre. Du gehörst mit Christus zusammen, Du bist sein Glied. Offb 22, 4.

2. Dem Namen Christi mußt Du zu jeder Stunde, im Glauben, Worten und Taten Ehre bereiten und ihn niemals schänden. Psalm 115, 1; 2. Tim 2, 19. 3. Der Name Christi stellt Dich heraus aus all denen, die sich in der Welt nach anderen Namen nennen. Trägst Du den Namen Christi, so bist Du ein Zeuge Christi, für oder gegen ihn. Mat 5, 14—16; 1. Petr 2, 12. 4. Wirst Du verspottet und leidest Du, weil Du den Namen Christi trägst, so ist dies Deine höchste Würde und Gottes

große Gnade an Dir. 1. Petr 4, 14; Apg. 5, 41.

Mit Propst Staemmler Hauteroda, 23. August 1935

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Zweiter

Katechismus-Versuch

337

Wodurch bereitest Du in Deinem Leben allezeit Christus die Ehre? Christus Ehre bereiten kann ich allein durch Gehorsam, Glauben, Gebet, Empfang seiner Sakramente, Beichte und Empfang der Vergebung meiner Sünden. Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig! 1. Petr 1, 16.

Woher weißt Du das? Aus der Heiligen Schrift und aus dem Katechismus. Was ist die Heilige Schrift? Sie ist Gottes eigenes Wort, in dem er mir und seiner Ge-

meinde durch seine Propheten und Apostel Jesus Christus als seinen Sohn und meinen Herren verkündigen läßt. Was ist das Alte Testament? Das Alte Testament ist Gottes Wort und Zeugnis von seinem Bund mit seinem erwählten Volk, den Kindern Israel, und von dem Kommen des Messias Jesus Christus. Joh 4, 22 b; 5, 39.46; Luk 24,44; Apg 17,11; 28,23; Rö IS2E

15,4; 1. Kor

Was ist das Neue Testament? Das Neue Testament ist Gottes Wort und Zeugnis von der

Erfüllung aller Verheißung in Jesus Christus und von der Gründung seiner Kirche durch den Heiligen Geist.

Für wen ist die Heilige Schrift geschrieben? Sie ist geschrieben für die Kirche, daß sie ihre Predigt allein auf sie gründe, für jeden, der über Gott und Jesus Christus etwas denken oder sagen will, [hier durchgestrichen: für die Theologen], daß

er jede Wahrheit an der Schrift messe. für Dich, daß Du darin das lautere Wort Gottes an Dich hörst und lernst und danach tust. Eph 2, 20; 2. Tim 3, 16 £.

338

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Was ist der Katechismus?

Der Katechismus ist ein Bekenntnis meiner Kirche, in dem

die Botschaft der Heiligen Schrift zusammengefaßt ist. Er

enthält die lautere Lehre des Evangeliums nach der Schrift,

wie sie der Heilige Geist unserer Kirche gegeben hat.

Wozu braucht die Kirche außer der Schrift noch ein Bekenntnis? Das Bekenntnis ist die Antwort der Kirche auf das gepredigte Wort Gottes. Es ist die Antwort der Kirche auf das

Wort der Irrlehrer und Feinde. Das Bekenntnis steht immer unter der Schrift und wird an der Schrift gemessen.

Was sind die hauptsächlichen Bekenntnisse unserer Kirche? Kleiner

und

Großer

Katechismus,

Confessio

Augustana,

Schmalkaldische Artikel, Erklärung der Barmer Synode. Wozu sind uns die Schrift und der Katechismus gegeben?

Daß wir Jesus Christus recht erkennen und unser Leben zu seiner Ehre führen können.

1. Hauptteil Vom Gehorsam

Wie erkennst Du den Willen Gottes? Gott hat uns sein Gesetz offenbart. Nur wenn Gott selbst mir sein Gebot sagt, kann ich es wissen. Mi 6, 8: Ps 119,18: Was würde aus Dir, wenn

Du Gottes Gebot nicht kenn-

test?

Ich müßte ein verlorener Mensch sein, der in die Irre geht,

der den rechten Weg nicht gehen kann. Darum muß ich Gott

Zweiter

Katechismus-Versuch

559

von Herzen dafür danken, daß er mir seinen Willen gesagt hat. Sein Gebot ist seine Gnade. Psalm 119, 7. 19.159 b. Wie heißt das höchste Gebot? Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott; und Du sollst Gott, Deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen Deinen Kräften. Das ist das vornehmste Gebot. Und das andere ist ihm gleich: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst! Mark 12, 29 ff. a) Christus gibt das höchste Gebot, aber er gibt es mit den Worten des Alten Testamentes. Es ist ein und dasselbe Gebot im Alten und Neuen Testament. Mat 5, 17. b) Israel ist das Volk Gottes, damals und heute. Wir sind das Israel, das Jesus meint. Gott offenbart sein Gebot Israel, seinem Volk, der Kirche. Das ist seine Gnade. Gal 4. c) ‚Höre Israel‘ — das ist das erste. Israel weiß nicht von selbst Gottes Wille, es muß hören. Gott will zu ihm reden. Über allem Tun steht das Hören. 1. Sam 4, 10; Luk 10, 38—42 Maria und Martha.

d) Was sollst Du hören? Gott sagt Israel, daß ER allein Gott sei und kein anderer Gott da sei. Er ist Israels Gott und Herr. Der Herr Israels ist der einzige Gott. So hat ER es gewollt und gesagt. Er ist Dein Gott. Höre das! e) Hast Du gehört und geglaubt, dann kannst Du das folgende Gebot verstehen: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen. Er verspricht Dir, daß er allein Dein Gott sein will,

nun laß ihn allein Deinen Gott sein. Er hat Dich zuerst geliebt, nun liebe Du ihn. Er hat zu Dir gesagt: Du bist mein;

sage Du nun auch zu ihm: Ich bin Dein. f) Was hat Gott Dir geschenkt? Sich selbst. Was sollst Du

340

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

ihm geben? Mich selbst — mein Herz, Seele, Gemüt, Kräfte... Spr 23, 26. Nichts sollst Du ihm an Dir vorenthalten. Er will Dich selbst, wie Du bist; er will nichts von Dir, aber er will Dich ganz.

8) Was heißt Gott lieben? Gott lieben heißt ihm alles geben, was mir gehört, nichts für mich haben wollen; ihn in allem, was Du tust, nach seinem Willen fragen, gern an ihn den-

ken, gern zu ihm beten, gern sein Wort hören und lesen.

h) Was heißt den Nächsten lieben wie Dich selbst? Es heißt, ihm ganz gehören wollen, nichts für sich selbst wollen,

ihm unser ganzes Herz schenken. Nur wer Gott liebt, kann seinen Bruder lieben. Und nur liebt Gott. 1. Joh 3, 11. 20 £.

Wo

wer

seinen Bruder

hat Gott seinem Volk das Gesetz

liebt,

des Lebens offen-

bart?

Am Sinai in den 10 Geboten. Ex 20, 2—17 — biblische Zählung! [Mündliche Zufügung laut Nachschrift: die veränderte

Zählung birgt die Gefahr der natürlichen Theologie in sich,

im Zusammenhang

mit dem weggelassenen „aus Ägypten-

land“. 10 Gebote aus der Schrift lesen lassen. D. Hrsgb.] a) Welche Zusage gibt uns Gott vor den Geboten?

Gott sagt: ‚Ich bin‘ — während alle Menschen werden und vergehen, sagt Gott ‚Ich bin‘ — so spricht der am Anfang und Ende ist, Gott, der Schöpfer.

Gott sagt: ‚Ich bin der Herr‘ — alle Herren der Welt sind dem Tod und der Sünde unterworfen. Nur einer ist Herr

auch über Tod und Sünde. ‚Ich bin der Herr‘, so spricht Gott, der Versöhner, Christus.

Gott sagt: ‚Ich bin der Herr, Dein Gott‘ — alle Götter der

Menschen

suchen ihre eigene Ehre; unser

Gott sucht uns,

er will Dein Gott sein — so spricht Gott, der Heilige Geist.

Zweiter

Katechismus-Versuch

Der Dreieinige Gott will unser Gott sein. allen Völkern ein Volk erwählt aus der Agyptenland. Das erlöste Volk ist Israel, tes. Der dreieinige Gott schenkt der Kirche Gegenwart. Jes 41, 10; Offb 1, 8.

341

Er hat sich aus Knechtschaft in die Kirche Gotseine Treue und

b) Was offenbart der dreieinige Gott seiner Gemeinde im ersten Gebot der Schrift? Gott ist allein Gott. Wir sollen Gott allein anbeten und an nichts sonst in der Welt unser Herz hängen. Mat 6, 24. 21; 4,10b; Apg 5, 29; Jes 42, 8.

c) Was offenbart der dreieinige Gott seiner Gemeinde im zweiten Gebot der Schrift? Gott ist Herr und wir sollen niemals versuchen, ihn mit Bildern, Gleichnissen, Begriffen, Weltanschauungen einzufangen. Jes 40,25; Joh4,24; Rö 1,22—25; Apg 17, 24f. d) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im dritten Gebot der Schrift? Gottes Name heißt der dreieinige Gott. Wir sollen Gottes Namen niemals in den Mund nehmen, wenn wir nicht ihn, den dreieinigen Gott, aus aufrichtigem Herzen meinen, sonst betrügen wir andere und uns mit dem Mißbrauch des offenbaren Namens Gottes. Wir sollen auch bei keinem geforderten Eid den Namen Gottes mißbrauchen. Mat 6, 9; Psalm 86, 11; 111, 9; 124, 8; Joh 12, 28.

e) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im vierten Gebot der

Schrift? Gott hat einen Tag der Ruhe gewollt, der allein dem Gottes-

dienst gehört. Zu dieser Ruhe sollen wir kommen. Darum sollen wir jeden siebenten Tag an diese Ruhe erinnert werden und diesen Tag dem Gottesdienst mit seiner Gemeinde

allein hingeben und ihn nicht entheiligen. Hebr 4, 9 f; Mark 16, 9a; Apg 20,7 a; Mark 2,27.

342

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

f) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im fünften Gebot der Schrift? Gott hat uns unsere Eltern zu Herren gesetzt, daß wir dadurch erinnert werden, daß ER Herr unseres Lebens ist und

nicht wir selbst. So hat Gott dem Vater und der Mutter durch sein Gebot größere Ehre gegeben als irgendeiner anderen Macht über uns. So hat Gott sie eingesetzt, daß sie an seiner Statt an uns tun und wir ihnen an seiner Statt gehor-

chen. Eine Gemeinde solchen Gehorsams hat die Verheißung des langen Lebens. [Mündliche Zufügung laut Nachschrift:

Von

der Obrigkeit ist hier nicht die Rede! gegen Luther im großen Katechismus. Der Hrsgb.] Eph 6, 2; Kol 3, 20; Sprüche 300173

1, 13,017

17,26

7Euk?2,41

Sa

puk

14, 26

[Mündl. Bem. It. Nachschrift: Geschichte der Durchbrechung; vorsichtig im Unterricht behandeln: nicht Inhalt des Gebotes ist wichtig, sondern der Herr. Der Hrsgb.]

8) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im sechsten Gebot der Schrift?

Gott ist allein der Herr über alles Leben und hat uns Freund und Feind gegeben, daß wir ihm nicht Schaden tun,

ihn hassen, verachten, ihm zürnen, sondern ihn lieben, sein Leben erhalten, ihm dienen, wohltun, vergeben, für ihn beten. Mat 5, 21.44; 1. Mose 9, 6; 1. Joh 3, 15; Mat 26, 52; Rö 12, 21.

Wer allein führt das Schwert mit Recht? Gott hat ein Amt des Schwertes eingesetzt, den Übeltätern

zu wehren und den Guten zu Lobe. Die Obrigkeit soll dies gerechte Schwertamt sein, ihm sollen wir gehorchen und

nicht widerstehen. Rö 13, 3 b—4.

Wie handelt der Christ im Kriege? [im Manuskript durchgestrichene Fragen: Darf ein Christ in den

Krieg...? Was sagt Gott zum Kriege? D. Hrsgb.]

Es gibt hier kein offenbares Gebot Gottes. Niemals kann

Zweiter

Katechismus-Versuch

343

die Kirche Krieg und Waffen segnen. Niemals kann der Christ an einem ungerechten Krieg teilhaben. Nimmt der Christ das Schwert, so wird er Gott täglich um Vergebung der Sünde und um Frieden anrufen. h) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im siebten Gebot der Schrift? Gott hat Mann und Frau geschaffen und ihre Ehe gesegnet und geheiligt. Er bleibt Herr auch über die Ehe. Darum

versagt er uns Zuchtlosigkeit und böse Lust, darum ist die Ehe unlösbar bis zum

Tode. Das ist Gottes Ordnung für

die Zeit. In der Auferstehung aber werden sie alle sein wie die Engel. Mat 5, 27 f; 1. Kor 6, 19; 1. Thess 4, 3; Mat 19, 6; 1. Kor 7, 29; Mat 22, 30; 1. Mose 1, 27 f; 2, 18.

1) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im achten Gebot der Schrift? Gott gehört alles, was wir haben, nicht uns. Darum schützt er das Eigentum unseres Nächsten durch sein Gebot und will, daß wir mit unserem Eigentum ihm und dem Nächsten dienen. Psalm 24, 1; 9, 10 (der Herr ist des Armen Schutz); Hag 2, 8; Sprüche 19, 17; 30, 8; Jak 2, 2—6; Luk 16, 22; 12, 15; 1. Tim 6, 10; Eph 4, 28; Apg 4, 32; Mat 6, 24.

k) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im neunten Gebot? Gott schützt meinen Nächsten, daß ich ihm nicht durch faules Geschwätz und Verleumdung seine Ehre nehme, sondern ihm die Wahrheit mit Liebe sage. Mat 7, 1; 12, 36; 1. Petr 3,10; Jak 3, 2—12; Psalm 15, 1—3; Eph 4, 25; Rö 12, 10.

I) Was offenbart Gott seiner Gemeinde im zehnten Gebot? Gottes Herrschaft versagt uns nicht nur die böse Tat und das

böse Wort. Schon das innerste Begehren nach dem Unrecht macht uns vor ihm schuldig, der ganz und gar über uns Herr sein will. Mat 5, 48; 1. Sam 16, 7b; Psalm 139, 1f; Luk 8, 17; Hebr 4, 12 f.

344

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

m) Was offenbart Gott seiner Gemeinde in allen seinen Ge-

boten?

Gott will allein und in allem Herr sein über uns. Dazu setzt

er uns überall Grenzen, daß wir [später durchgestrichen: über-

all auf ihn als den Herrn unsres Lebens stoßen] ihn darin finden und ihn allein anbeten.

Wie nennt die Heilige Schrift die Gesetzgebung am Sinai? Es ist ein Bund, den Gott mit seinem Volk geschaffen hat. Gott verheißt seinem Volk Treue und fordert die Treue des Volkes. Gott schließt den Bund, nicht das Volk; Gott verbürg t sich für ihn mit seinem Wort, nicht wir.

Was verheißt Gott denen, die seinen Bund halten? Gott verheißt Barmherzigkeit, Lob, Ehre und ewiges Leben denen, die ihn lieb haben und seinen Bund halten. Gott droht mit Verdammnis denen, die Böses tun. 5. Mose 5, 9;

Rö 2, 7—10; Gal 3,12:

Wonach wird Gott uns richten? Gott wird uns richten nach unseren Werken, ob sie gut sind oder böse. Ewiges Leben und ewiger Tod hängen am Halten der Gebote. 2. Kor 5, 10; Mat 16, 27; Joh 5, 29.

Wozu sind also die Gebote gegeben? Daß wir sie halten. Hältst Du Gottes Gebote? Nein, ich halte sie nicht, sondern ich bin ihm täglich unge-

horsam und mache Christus täglich Unehre.

Wie nennt die Schrift diesen Ungehorsam? Sünde.

Zweiter

Katechismus-Versuch

345

Was sagt die Schrift über unsere Sünde?

Die Schrift sagt: Das Dichten und Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf. 1. Mose 8, 21; Rö 3,,128:7,18: 1. Joh 1, 8. Warum tun wir Sünde? Weil wir nicht wollen, daß Gott allein Herr über uns sei. Wir wollen sein wie Gott. Wir wollen selbst Gott sein, und sei es auch nur einen Augenblick lang. 1. Mose 3, 4—5; 5. Mose 27, 26; Gal 3, 10; Rö 14, 23.

Wie entsteht die Sünde? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß sie da ist und daß ich daran schuld bin. Und ich weiß auch, daß ich nicht anders kann, als immer wieder Sünden tun. Es ist ein Zwang, der

stärker ist als ich. Jak 1, 13—15; Eph 6, 12.

Wie nennt die Kirche diesen Zwang? Erbsünde. Damit sagt sie, daß alle Menschen von ihrer Geburt an Sünder sind. Sie müssen sündigen und wissen doch,

daß sie selbst daran schuld sind. Das ist ein Geheimnis. Psalm 51:7:R6 3,12%,

Wie erklärt die Heilige Schrift die Erbsünde? Sie sagt, daß durch Adams grundlosen Fall alle seine Nach-

kommen unter der Sünde sind. In Adam haben wir alle gesündigt. Rö 5, 11; 1. Mose 4, 12. Wer ist der Anstifter der Sünde?

Der Teufel versucht uns mit allerlei Anfechtungen will uns von Gott losbringen.

und

Wer ist der Teufel? Der Teufel ist der böse Feind Gottes. Er will uns Gott ent-

Ka wi

346

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der Bekennenden

Kirche

reißen und in seine Herrschaft bringen. Er ist der Versucher und Verführer. Er ist unser Verkläger. Er ist der Zerstörer alles Lebens. Sein Reich ist die ewige Verdammnis. 1. Mose

3, 4—5; Mat 4, 1—11; Eph 6, 11; 2. Kor 11, 14; Hiob 1,

6—12; Offb 12, 10; 1. Petr 5, 8. Die Dämonischen.

Wessen bedient sich der Teufel, um uns zur Sünde zu verführen?

Unseres Fleisches und der Welt. Was bedeutet in der Schrift „Fleisch“?

Fleisch ist alles in mir, was aus eigener Kraft leben will und die eigene Lust und den eigenen Willen sucht. Fleisch ist Selbstliebe und Stolz. Auch das scheinbar beste Leben ist

Fleisch, wenn

es sich selbst liebt und nicht Gott allein die

Ehre geben will. Das Fleisch ist Haß gegen Gott. Rö 7, 18;

Sal2 Ef

Was bedeutet in der Schrift die ‚Welt‘? Die Welt ist alles um mich herum, was unter der Macht und dem Fiuch der Gottlosigkeit ist. Die Welt ist alles, was mein Herz von Gott abziehen will. Ich lebe mitten in dieser Welt. Was bist Du also?

Ich bin verkauft unter die Sünde, unter Fleisch , Welt und Teufel und kann Gott und meinen Nächsten nicht lieben wie mich selbst.

Was sagt Gott zu dem allen? Gott läßt sein Gebot nicht fallen. Er führt es zu Ende. Gott muß den Sünder strafen. Die Strafe der Sünde ist das Todes-

urteil. Das ist Gottes Zorn. 1. Mose 3, 19.24; Psalm SS Gal 6,7 f; Rö 6,233:5512%

Zweiter

Katechismus-Versuch

347

Warum muß Gott zornig sein?

Weil Gott allein heilig ist und weil auch sein Gebot heilig ist und weil das Gebot Gottes in Ewigkeit bleiben muß. 3. Mose 19, 2; Rö 7, 12 b; Psalm 119, 96. Straft Gott allein die Menschen um der Sünde willen? Gott hat um der Sünde des Menschen willen seine ganze Schöpfung verflucht. Der Mensch soll nicht mehr im Paradies leben, sondern in einer Welt der Arbeit, der Not, des Leides und des Todes. Wir leben in einer von Gott verfluchten Welt, in der gefallenen Schöpfung.

Was sagt Gott durch seinen Zorn [früher: durch die Hlg. Schrift] zu Dir? Gott sagt mir, daß ich ein Sünder bin und in Ewigkeit verloren, und daß kein Mensch mir helfen kann, weil alle Menschen ebenso Sünder sind.

Wer allein kann Dir helfen, wieder Gott gehorsam zu sein? Gott selbst muß mir helfen, wenn es eine Hilfe geben soll. Will Gott, daß Du verloren gehst? Nein, Gott will nicht, daß ich verloren gehe, aber er muß mich doch um meiner Sünde willen zum Tode verurteilen. 1. Tim 2, 4; Hes 33, 11; Psalm 103, 8—10.

Hast Du irgendein Recht darauf, daß Gott Dir hilft? Nein, ich habe gar kein Recht auf Hilfe; ich kann es auch

gar nicht begreifen, daß Gott mir helfen will. Ich kann nur beten: Gott sei mir Sünder gnädig. Psalm 51. Pharisäer und Zöllner Luk 18, 9—14.

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der Bekennenden

Kirche

2. Hauptteil Vom Glauben

Was hat Dir Gott am Anfang der Gebote verheißen?

Daß er mein Gott sein und mich liebe n will. Wie kannst Du Gott, dem Du unge horsam bist, dennoch Deinen Gott nennen, der Dich liebt ? Allein im Glauben an den dreieinige n Gott. [Mündliche Hinzufügung laut Nachschrift:Nicht etwa: Wer hilft da? Christus, dabei

ergäbe sich eine Abtrennung. D. Hrsg b.].

Warum sprichst Du von dem drei einigen Gott, da Gott doch sagt, er sei ein einiger Gott? Es ist Gottes Geheimnis, daß er Gott sein will als Vater, Sohn und

Heiliger Geist. So

ist Gott von Ewigkeit her, ewiger Vater, ewiger Sohn, ewiger Heiliger Geist, So ist Gott für uns der Schöpfer und Erbarmer, der Versöhner, der Heiligmacher. Wie erkennst Du Gott den Vate r? Allein durch Gott, den Sohn, Jesus Christus und seine Offe nbarung. Mat 11,27; Joh 14, 6b.

Wie erkennst Du Gott, den Sohn, Jesus Christus? Allein durch Gott, den Heil igen Geist. 1. Kor 12, 3 (1. Kor 2,10%).

Wie erkennst Du Gott, den Heiligen Geist? Allein dadurch, daß ER mir den Vater und den Sohn offe nbart. Joh 16, 14. Wer ist Gott der Vater?

Er ist der Vater Jesu Christi von Ewigkeit. Allein durch

Zweiter

Katechismus-Versuch

349

Jesus Christus ist er unser Vater. Er hat die Welt geschaffen und seinen Sohn zu uns hernieder gesandt. Wer ist Gott der Sohn?

Er ist Jesus Christus, Gott gleich an Ehre und Macht und ist aus Liebe zu uns auf die Erde gekommen, um uns dem Vater zu versöhnen.

Wer ist Gott der Heilige Geist? Er ist Gott dem Vater und dem Sohn gleich an Ehre und

Macht und kommt täglich zu seiner Gemeinde und wohnt in ihr, um sie zu heiligen und ins Himmelreich zu führen. Wer ist der dreieinige Gott?

Er ist der ewige Gott, der mein Gott sein will. Er ist der Gott der 10 Gebote. Er ist der Gott, an den ich glaube. Mat 28, 19;

2. Kor 13, 13; 1. Joh 4, 13 f; Jes 6, 6. Was ist rechter Glaube? Glaube heißt nicht auf mich selbst, sondern allein auf den dreieinigen Gott vertrauen. Glaube heißt allem Augenschein und aller Vernunft zum Trotz hören, was Er mir in seinem

Wort offenbart und es gehorsam annehmen. Glaube heißt gewiß sein, daß der dreieinige Gott mein Heiland ist jetzt und in Ewigkeit. Was ist das Glaubensbekenntnis der Kirche?

Das Apostolikum. Was heißt es, daß Du Gott Deinen Vater nennst?

Ich glaube, daß ER der Vater Jesu Christi und darum mein lieber Vater ist, dessen Kind ich bin und der für mich sorgt nach Leib, Seele und Geist. Eph 3, 15—21; Mat 3, 17; Jes 63, 16b; Mat 6,26; Luk 11,13; Psalm 103, 13; 1. Petr 5, 7;

Psalm 23.

350

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Warum mußt Du sagen, daß Du das glaubst? Kannst Du

es nicht täglich erkennen? Ich glaube es gegen alle Vernunft, daß Gott der Herr, der mich verwerfen muß, mein lieber Vater ist.

Was heißt es, daß Du Gott den Allmächtigen nennst? Ich glaube, daß Gott Macht hat über alles. Er kann machen, was er will. 1. Mose 17; Jes 40, 12—25; Hiob 38242 >.

Psalm 115, 3.

Warum mußt Du sagen, daß Du das glaubst, kannst Du es nicht von Natur erkennen? Ich glaube es gegen alle Vernunft; denn ich sehe viele andere Mächte in der Welt, die stärker erscheinen als Gott. Was heißt es, daß Du Gott den Schöpfer nennst?

Ich glaube, daß Gott alle Dinge aus dem Nichts geschaffen

hat, und daß er auch mich erschaffen hat samt allen Geschöpfen. Ich glaube, daß seine Schöpfung sehr gut ist. Ich glaube, daß alle Geschöpfe dem Schöpfer dienen müssen. 1. Mose 1, 1; Psalm 33, 9; 8, 6 f; 104, 29 b—30.

Warum mußt Du sagen, daß Du das glaubst, kannst Du es nicht von Natur erkennen? Ich glaube es gegen alle Vernunft und natürliche Erkennt-

nis, denn ich sehe, daß die Welt in Natur und Geschichte böse ist und daß die Sünde herrscht und erken ne in ihr den

Schöpfer nicht. Ich glaube es aber, weil das offenb arte Wort

des Schöpfers es mir sagt. Hebr. 11, 3; Psalm 19; 104. Hat der Schöpfer die gefallene Welt verla ssen?

Nein, Gott erhält mich und alle Geschöpfe auch in der ge-

fallenen Welt. Er hat der Welt eine NotOrdnung gegeben, daß sie sich nicht selbst vernichtet, und einen neuen Friedensbund mit ihr gemacht. 1. Mose 8, 21—9, 17.

Zweiter

Katechismus-Versuch

351

Wie wirkt Gott, der Schöpfer, in der erhaltenen Welt? Er weiß alle Dinge im voraus und wirkt in allen Dingen. Er setzt dem Bösen seine Grenzen und läßt den Seinen alles zum Besten dienen. Mat 10, 30; Psalm 139, 1—3; 1. Mose 50,20; Rö 8, 28; Psalm 37, 5. Warum läßt Gott soviel Sünde und Leid in der Welt zu? Wir sollen erkennen, wer wir sind und was wir getan haben. Wir sollen auch erkennen, daß diese Welt nicht unser letztes Ziel ist. Wozu erhält Gott die gefallene Welt? Gott erhält die Welt allein um seines Sohnes Jesu Christi

willen, den ER uns zur Erlösung sendet und auf dessen Wiederkunft wir warten. [Mündl. Zufügung laut Nachschrift: Jegliche Ordnung der Erhaltung ist um Christi willen; 1. Kor

8, 6.]

Wodurch ehrst Du Gott, den Schöpfer und Erhalter? Ich will Gott alle Tage danken, daß er mein Gott ist, ihm

gehorchen, und ihn bitten, daß er mich erhält zum ewigen Leben. Wer ist Jesus? [Mündl. Anmerkung It. Nachschrift: nicht „Christus“, d.i. Antwort.] Er ist Gottes Sohn, d.h. Gottes Wort und Offenbarung. Er ist mein Herr im Leben und Sterben. Er ist der Christus Gottes. Joh 1, 1. 14; 6, 68 f. Was hat der Sohn Gottes für Dich getan? Er ist um meinetwillen Mensch geworden. Er hat um meinetwillen gelitten bis zum Tode am Kreuz. Er ist um meinet-

willen auferstanden vom Tode und zum Himmel gefahren. Er wird wiederkommen und mich in sein Reich bringen.

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Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Warum ist Gottes Sohn Mensch geworden?

Aus reiner Barmherzigkeit kam er auf die Erde. Er wollte

mein Bruder und’ mein Heiland sein. Luk 2; ’Pil23/6f: 2. Kor 2, 9; Gal 4, 4; Hebr 2, 18.

Wo ist Gottes Sohn Mensch geworden? Gott wurde Mensch im Volke Israel, dort hatte er sein Kommen verheißen durch das Gesetz und die Propheten. Jesus Christus war Jude aus dem Stamme Davids. Joh 4, 22; Jes

7,1459,5£;11,1£; Deut 18, 15; Micha 5, 1; Jer 23,5.4£;

Wie ist Gottes Sohn Mensch?

Nur so, daß Gott sich wunderbar erniedrigt und die menschliche Natur annimmt, doch ohne die Sünde. Er trägt in seiner

menschlichen Natur die ganze Menschheit. Im Leibe Jesu sind wir alle beschlossen. Er steht und handelt stellvertretend für uns alle, Rö 8, 3; 1. Kor 15:22; Was heißt: Empfangen vom Heiligen Geist? Jesus Christus ist wahrer Gott. Was heißt: geboren von der Jungfrau Maria? Jesus ist ohne Sünde wahrer Mensch geworden. Wer ist Jesus Christus?

Jesus Christus ist ganz Gott und ganz Mensch in einer Per-

son. Er ist darum der Mittler zwischen Gott und mir und mein Heiland. 1. Tim 2, 5. Wie unterscheidet Kindern Gottes?

sich Jesus, Gottes

Sohn, von

uns, den

Jesus ist Gottes Sohn von Ewigkeit und wir sind nur durch

ihn an Kindes Statt von Gott angenommen. Gott ist unser Vater nur durch Jesus. Rö 8, 15 ff. Eph4y5=9 ,

Zweiter

Katechismus-Versuch

Worin unterscheidet sich Jesus von schen und Helden?

353

anderen großen Men-

Alle Helden kommen aus der Niedrigkeit und wollen groß sein. Christus kommt aus der Höhe und will niedrig sein. Alle Helden sind Menschen und wollen wie Gott sein, Christus ist Gott und will Mensch sein. Alle Helden sind von der Erde geboren. Christus ist aus Gott geboren. Joh 3, 6; Apg 412.

Was bedeutet es für Dich, daß Jesus Christus wahrer Gott ist?

Ich darf auf ihn meinen ganzen Glauben setzen und seinem Wort vertrauen im Leben und Sterben. Ich weiß, daß überall wo Er ist, Gott selbst ist. [Nachschrift fügt zu: Mk 15, 34 auf den verzweifelnden Christus kann ich meinen Glauben

setzen, weil hier Gott ist.] Was bedeutet es für Dich, daß Jesus Christus wahrer Mensch ist? Ich weiß, daß er mein Bruder ist und mein Elend für mich getragen hat. Ich weiß, daß er mein Wesen kennt und mir

in allen Dingen helfen kann. Was bedeutet es für Dich, daß Jesus Christus Dein Mittler ist? Ich weiß, daß Jesus alles an meiner Statt getan hat. Er hat

für mich Fleisch angenommen, für mich das Gebot erfüllt, er hat für mich die Strafe der Sünde erlitten, er ist für mich

gestorben und wieder auferstanden. Er steht zwischen mir und Gott. Joh 14, 6. Wer hat Dir den Mittler gesetzt? Gott selbst hat einen Mittler gegeben. Gott trat für mich ein. Gott hat den Bund wieder aufgerichtet.

354

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Wozu brauchst Du einen Mittler? Ich armer, verlorener Mensch kann Gott nicht von selbst finden. Der Gott, den ich von selbst finde, ist ein Hirngespinst. Darum schenkt Gott selbst mir den Mittler, durch den ich ihn wieder finden kann. Warum nennst Du Jesus Christus Deinen Herrn ? Weil er für mich Teufel und Tod besiegt hat und mich aus ihrer Gewalt erlöst hat, damit ich ihm diene. 1. Kor 15;

35—2751.0h3,8 b; Hebr 2, 14; Titus 2, 14; Rö 7,24f.

Worin besteht die Herrschaft Jesu? Darin, daß er mir dient und daß ich mir von ihm dienen lasse. Mat 20, 28; Joh 13, 1—15 Fußw aschung. Worin besteht der Dienst Jesu? (Drei Amter) Zuerst darin, daß Er uns das Heil Gottes vollkommen offenbart hat, in seiner Lehre. Zweitens darin, daß Er uns mit Gott versöhnt hat, in seinem Leben und Sterben.

Drittens darin, daß Er uns in Ewigkeit regiert, in seinem

himmlischen Regiment.

Wie heißen die drei Amter Jesu? Prophet, Priester, König. Was sagt die Schrift über die Lehre Jesu Christi? 1. Jesus hat den Anbruch des Reic hes Gottes verkündigt.

Mat 4, 17.23; Mat 5,3; 12,2 8; 18; Mat 6, 10.

13; 19,14; Luk 17, 20; 10,

2. Jesus hat alle ins Reich Gottes geruf en. Luk 14, 16—24;

22, 42 ff; 23, 42,

3. Jesus hat gelehrt, daß das Reich Gotte s in ihm angebro-

Zweiter

Katechismus-Versuch

chen sei und ruft darum

FEB; Ich 14,6,

alle Menschen

zu sich. Mat

395

11,

4. Die Gabe des Reiches Gottes ist Sündenvergebung, neues

Leben in der Gemeinde und ewige Seligkeit. Mat 5, 1—12; Mark 10, 28 ff. 5. Jesus hat gelehrt, daß in das Reich Gottes nur die hinein können, die den Willen Gottes tun. Mat 7, 21. 6. Der Wille Gottes ist nicht unsere eigene Gerechtigkeit, sondern Buße, Glaube und Nachfolge. Mat 4, 17; 9, 13; Luk 15, 7; Mark 1, 15; Mat 8, 5—13; 15, 21—28; 21, 31; Mark 9,

237: 7067, 17: Mk 2, 13 5; Lk 9,57 £; Mat 16. 7. Jesus hat in seine Nachfolge des Kreuzes gerufen. 8. Jesus hat gelehrt, daß die Nachfolge einen Bruch mit dem ganzen vorherigen Leben bedeutet. Mk 2, 13f; Mat 19; Mat 5, 29 ff.

9. Jesus hat seinen Nachfolgern das ewige Reich zugesagt. Lak 12,32,

10. Jesus hat bekannt, daß er der Christus sei. Mat 26, 63 f; 16, 13—21; Mat 21, 1—11.

11. Jesus hat gelehrt, daß der Glaube an ihn über Tod und Leben entscheidet. Joh. 3, 16. 8; 5, 24; 6, 35; 14, 1. 12. Jesus hat gelehrt, daß sein Tod und Auferstehen unsere Erlösung ist. Mk 10, 45; Joh 11, 25 ff. Zusammengefaßt: Jesus hat verkündigt, daß Er der Sohn Gottes, des Vaters und unser alleiniges Heil sei. Apg 4, 12; Joh 14, 6. |

Was sagt die Schrift über das Leben Jesu? Jesus ist der Zöllner und Sünder Bruder. Mat 9, 9—13; 18, TOT

Jesus ist der Heiland der Kranken gewesen. Mk 1, 21—39 u. öfter. Jesus ist Herr über die Teufel gewesen. 22—30.

Mt 8, 28 #312,

356

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Jesus ist Herr über den Tod gewesen. Lk 7,11;

Joh 11,146 .

Kirche

8, 40 ff;

Jesus ist Herr über die Natur gewesen. Mt 8, 23—27; 22— 34.

14,

Jesus Christus ist das Wort, das er gepredigt hat, in seinem

Leben selbst gewesen. Joh 1, 1—14; Mat 13. Jesus hat seinem Vater in der Liebe vollkommen Gehors am geleistet und damit das Gesetz vollkommen erfüllt. Mt 5, 17; 3,15; Rö 3, 31; 10,4; 13, 8; 1. Kor 13; Mk 2, 23 ff (Sabbath). Was sagt die Schrift über das Leiden Christi?

und Sterben

Jesu

Das ganze Leben Jesu war ein Leiden (Haß, Verfol gung,

Entbehrung). Jesus hat in diesem Leiden Gottes Fluch über

unsere Sünde getragen und ausgekostet. Mk 15, 34,

Jesus ist von den Theologen und von der staatlichen Obrig-

keit seiner Zeit ans Kreuz gebracht worden. Jesus hat in seinem Leiden und Kreuzestod den Willen Got-

tes vollkommen erfüllt und das Zornesurteil über unsre Sünde vollkommen getragen.

Jesus Christus hat damit der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes genug getan und uns von dem Zorn Gottes erlöst. Jesus starb als der in der Schrift verheißene Messias Israels. Leidensankündigungen. 1. Kor 15, 3; Jes 53. Mit Jesus ist unser Fleisch in den Tod gegeben, sind wir der Welt gekreuzigt und abgestorben, Gal. 6, 14.

So sind uns im Tode Jesu die Sünden vergeben. Wir gehören

nicht mehr der Welt, sondern Jesus. In Jesus hat Gott selbst gehandelt, Gott selbst hat das Gesetz erfüllt, Gott selbst hat den Tod erlitten, Gott selbst hat uns mit sich versöhnt, Gott selbst hat seine Gerechtigkeit erwiesen, auf daß er allein gerecht sei. 2. Kor 5, 21 f;

RO3,238.

Zweiter

Katechismus-Versuch

39%

Was schenkt Dir also das Kreuz Christi?

Ich soll mich in aller Sünde, Not und Anfechtung trösten,

daß mein Herr Jesus in solcher Not bei mir sei und mich ewig

vom Teufel und von der Verdammnis erlöst hat.

Was bedeutet ‚gelitten‘ im Glaubensbekenntnis? Es faßt das ganze Leben Jesu Christi zusammen. Wie kommt Pontius Pilatus ins Glaubensbekenntnis?

Sein Name bezeugt erstens, daß der Tod Jesu wirkliche Geschichte gewesen ist. Er bezeugt zweitens,

daß Jesus unter

dem Beistand

der

weltlichen Obrigkeit gekreuzigt wurde. Er bezeugt drittens, daß schon mit dem Tod Jesu die Begegnung des Christentums mit dem römischen Reich ihren Anfang nimmt. Warum heißt es noch ‚gestorben und begraben‘? Damit es ganz gewiß sei, daß Jesus denselben Tod erlitten hat und im Grab gelegen hat wie wir. Was heißt ‚niedergefahren zur Hölle‘? Jesus ist auch in die Gemeinschaft und Not der vor seinem

Erscheinen Verstorbenen eingegangen, um ihnen das Heil zu bringen.

Was sagt die Schrift über das Königtum Jesu Christi? Jesus ist auferstanden, zum Himmel gefahren, sitzt zur Rechten des Vaters und wird am Ende der Zeit wiederkommen

zum Gericht.

Was schenkt Dir die Auferstehung Jesu? Der auferstandene Jesus schenkt mir alle seine Gerechtigkeit. Er schenkt mir dazu ein neues Leben. Er schenkt mir die selige Hoffnung meiner Auferstehung.

358

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Was schenkt Dir die Himmelfahrt Jesu? Jesus ist jetzt himmlischer König über alle Welt und mir alle Tage nahe. Jesus ist mein enger Fürsprecher beim Vater. Jesus wird mich einmal als Glied an seinem Leibe zu sich ziehen. Luk 24; Apg 1; Mat 28, 20; 1. Joh 2, 1; Rö 8,

34; Joh 12, 32; 17, 24; Kol 331%

Was heißt: sitzend zur Rechten Gottes? Jesus Christus sitzt auf dem Thron Gottes in gleicher Ehre mit dem Vater. Er hat alle Gewalten der Welt entthro nt und sein Reich eingenommen. Er ist der Herr Seiner Kirche, die er regiert und schützt.

Was verheißt Dir die Wiederkunft Christi?

Jesus Christus wird der letzte Regierer über alle Welt sein.

Er wird gerechtes Gericht halten. Ich darf in froher Hoff-

nung auf diesen Tag warten, wenn ich mich nur in festem

Glauben an Jesus halte und weiß, daß Er das Gericht für mich schon erduldet hat. Darum sollen wir uns freudig auf diesen Tag bereiten.

Wie wirst Du Deines Glaubens an Gott, Deinen Vater, und

Jesus Christus, Deinen Herrn, gewiß? Gott der Heilige Geist bringt mir Gott, den Vater und Jesus

Christus, den Sohn, und schenkt und bewahrt mir den rechten Glauben. Joh 16, 13; 1. Kor 12, 3b; Rö 8, 16; 1. Joh

4,132R05,55,

Wo wirkt der Heilige Geist? Allein in der Kirche, das heißt in der Gemeinde der Jünger

Jesu, die in aller Welt ist. Was ist die Kirche?

1. Die Kirche ist die aus der Welt herausgerufene Gemeinde unter dem Wort und Sakrament Christi.

Zweiter

Katechismus-Versuch

359

2. Die Kirche ist der sichtbare Leib Christi. 3. Die Kirche ist die neue Menschheit, die in Christus war und von ihm angenommen und erlöst ist.

Wo findest Du die Kirche gewiß? (notae) Dort, wo in einer Kirche das Wort von Christus in Wahrheit gepredigt wird und die Sakramente stiftungsgemäß verwaltet werden und der Name Jesu frei bekannt wird. Welches

ist die rechte Kirche Christi, der Du zugehörst?

Es ist die Bekennende Kirche in Deutschland. Wie alt ist diese Kirche? Sie ist so alt wie die Kirche Christi überhaupt, sie ist die

Kirche, die am Anfang war und bis ans Ende bleiben wird. Worauf gründet sich diese Kirche? Unsere Kirche gründet sich allein auf das Wort Gottes Hei-

liger Schrift. Dazu hat der Heilige Geist unserer Kirche eine evangelische Auslegung der Schrift und Zeugnis des Glaubens geschenkt in den Bekenntnisschriften der Reformation und der Synode von Barmen. Wer regiert die Kirche?

Jesus Christus allein regiert die Kirche durch den Heiligen Geist und sein Wort. In seinem Dienst allein stehen alle Ämter der Kirche. Wer gibt der Kirche ihre sichtbare Ordnung? Allein die Kirche kann sich ihre Ordnung geben. Denn sie

ist der Leib Christi. Die Ordnung steht allein im Dienst der Gemeinde. Sie wird allein gemessen am Wort der Schrift. Wie sieht die Ordnung unserer Kirche aus?

Die Leitung der Kirche liegt bei den Bruderräten. Die Ver-

360

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

tretung der Bekennenden Gemeinden sind die Bekenntnissynoden. Beide sind dem Wort der Schrift allein untertan. Warum gibt es soviel Kirchen? Die wahre Kirche ist Eine Kirche in der ganzen Welt. Es ist auch ein Unterschied zwischen irrenden und falschen Kirchen. Mit den irrenden Kirchen haben wir Gemeinschaft, die

falsche Kirche hat sich von uns getrennt.

Worin besteht die Einheit der Bekennenden Kirche? (Una) Allein in der äußeren Einheit der Verkündigung und des Bekenntnisses, nicht in der innerlichen cher Gefühle, Wünsche und Gebräuche.

Worin besteht (Sancta)

die Heiligkeit

Einheit

der Bekennenden

menscli-

Kirche?

Darin, daß das wahre Wort Gottes sie heilig macht, d. h. der

Welt entreißt und Gott zueignet, nicht in einer Heiligkeit

des Scheines.

Worin besteht die Allgemeinheit der Bekennenden Kirche? (Catholica).

Die Bekennende Kirche umfaßt alle Völker und Rassen der ganzen Erde. Sie ist in Wahrheit katholische Kirche.

Was heißt: Gemeinschaft der Heiligen? Die Kirche ist eine Gemeinschaft. Gott hat diese Gemein -

schaft in Christus geschaffen. Wir sind alle die durch den

Heiligen Geist geheiligten Sünder. Eph 2, 14; 1. Kor 12, 5 ff;

Rö 12,5.

Wie lebt diese Gemeinschaft? Sie sind eins am Wort Gottes und am Sakrament. Sie leben füreinander, sie ermahnen, trösten und vergeben einand er;

Zweiter

Katechismus-Versuch

361

sie lieben und dienen einander in allem, was sie haben und sind. Sie wissen, daß sie in Ewigkeit zusammen sein sollen.

Apg 2, 42.

Was ist dieser Gemeinschaft verheißen? Der Herr Jesus hat ihr verheißen, daß sie Verfolgung und Kreuz erleiden muß in seiner Nachfolge. Er hat ihr aber

auch die volle Seligkeit brüderlicher Gemeinschaft und des ewigen Sieges verheißen. Mk 10, 28—31;

Mt 16, 21—26;

10, 16—42; Joh 15, 18—25; 16, 1—4; 2. Tim 2, 11 f.

Wie trägt die Gemeinde das Leiden? Sie wundert sich nicht und sie schämt sich nicht. Sie freut sich vielmehr der Gemeinschaft ihres Herren. Sie weiß, daß

ihr Kreuz ein Zeichen des Sieges ist. Wo einer leidet, da leiden sie alle mit. 1. Kor 12, 26; 1. Petr 4, 1. 12—14; 2. Tim 23.

Wie lebt die Gemeinde in der Welt?

Sie lebt als Fremdling, der in seine Heimat wandert. Sie macht von den Gütern der Welt nur zur Notdurft Gebrauch. Sie hat ihr Herz nicht bei der Welt, sondern im Himmel. 1.Mose 12, 1 (Abraham); 1. Petr 1, 1; 2,11; Psalm 119, 19a; Phil 3, 20. Kann die Gemeinde die Welt lieben? Es ist der Gemeinde verwehrt, die Welt anders zu lieben als Gott die Welt geliebt hat, nämlich durch Jesus Christus. 1. Joh 2, 17; Joh 3, 16. Worin unterscheidet sich das Leben in der Gemeinde vom Leben in der Welt?

Die Gemeinde folgt dem Gebot Jesu. Die Welt folgt ihrem eigenen Gesetz.

f

362

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

Wie kann die Gemeinde im weltlichen Beruf leben? Der Christ nimmt seine Arbeit dankbar aus Gottes Hand. Er fristet durch sie'sein Leben und dient gern seinem Nächsten. Er gehorcht in ihr aber allein seinem Herrn Jesus Christus. Der Christ weiß, daß er nicht durch seine Arbeit, sondern allein durch die Güte Gottes lebt. 1. Thess 4, 11$; 2. Thess 3, 7—12; Mat 6, 26—29. Wie steht die Gemeinde zu Familie und Volk? Die Gemeinde erkennt sie dankbar als Gaben ihres Schöp-

fers. Sie weiß aber, daß der Heilige Geist Menschen fester zusammenschließt als Blut und Geschichte. In der Gemeinde ist nicht Herr und Knecht, Mann und Frau, Jude oder Deutscher, sondern sie sind allzumal einer in Christus. 1. Tim 4, 4; Gal 3, 28.

Wie steht die Gemeinde zur weltlichen Obrigkeit? Die Gemeinde ist in weltlichen Dingen der weltlichen Obrigkeit untertan an Gottes Statt, wie ein Fremdling den Ge-

setzen des Gastlandes gehorcht. Die Gemeinde kennt aber

nur einen Herrn, dem sie in allem und über allem gehorcht, Jesus Christus. Mat 22, 21; Kol 1, 16.

Was tut die Gemeinde für die weltliche Obrigkeit? Sie gehorcht ihr bis zum Einsatz des eigenen leiblichen Lebens. Sie ist ein Vorbild ehrbaren Lebens. Sie betet für sie. Sie predigt dem Volk die Wahrheit des Evangeliums. 1. Tim 2,1, 1% Petr 2, 12

17.

Was muß die Gemeinde um Gottes willen von der Obrigkeit erwarten?

Die Gemeinde erwartet, daß die Obrigkeit die Gerechten lobt und die Bösen straft. Sie erwartet Freiheit und Schutz ihrer Predigt und ihres ganzen Lebens. Sie fordert Gehorsam gegen Gottes Gebot von jedermann. 1. Tim 2, 1—3.

Zweiter

Katechismus-Versuch

363

Wie stellt sich die Gemeinde zur ungerechten Obrigkeit? Die Gemeinde

tut das ihr vom

Herrn aufgerragene Werk

ohne Furcht. Sie gehorcht Gott mehr als den Menschen. Sie leidet willig alle Strafe für ihre Verfolger. Apg 5, 29; 1. Petr 2, 18—20.

Warum sagst Du: ich glaube eine heilige allgemeine Kirche? Die Kirche Christi ist eine Kirche der Sünder. Ich glaube aber dennoch, daß sie die erwählte Gemeinde Gottes sei. Was schenkt Dir der Heilige Geist?

Der Heilige Geist schenkt mir die Vergebung aller meiner Sünden,

er lehrt mich, die Sünde

von

Herzen

hassen,

er

macht mein Herz willig zum Gehorsam und führt mich durch den Tod ins ewige Leben. Psalm 51, 12—14; 32, 1 ff; 130; Gal 5, 16 ff; Rö 7, 14 ff; 8,5 ff; 1. Thess 4, 3; 5, 23; 1. Kor 6, 11. Welche Hoffnung gibt Dir der Heilige Geist? Der Heilige Geist ist mir als Pfand gegeben für die Hoff-

nung auf das ewige Leben. Ich werde sterben, aber Christus wird mich am Jüngsten Tage leiblich auferwecken zu ewigem Leben in seinem Reich. 1. Kor 15; Joh 5, 28 ff.

Wie kannst Du also selig werden? Allein durch den Glauben an den dreieinigen Gott.

364

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

3. Hauptteil Vom Gebet Warum sollst Du beten? Weil ich mir selbst nichts nehmen kann, sondern alles von Gott erbitten muß; weil ich Gott danken will für alle seine Gaben. Warum darfst Du beten? Weil mein Herr Jesus Christus es mir befohlen mein Fürsprecher sein will.

hat und

Um was sollst Du beten? Um alle Notdurft Leibes und der Seele, die das Kind vom Vater erbittet. Welche Gebete sind Gott gefällig? Ich soll allein Gott selbst in meinem Gebet anrufen. Ich soll alles, was ich bitte, um Christi willen erbitten. Ich soll gewiß glauben, daß Gott mich hört. Ich soll von Herzen beten und nicht nur mit dem Mund. Mat 6, 5—8. Ich soll oftmals am Tage beten (morgens, mittags und abends). 1. Thess 5, 17; Rö 12, 12; Joh 15, 7; 16, 23 f; Psalm 119. Wie erhört Gott das Gebet?

Er nimmt uns alle unsere Sorge, Not und Sünde ab und

trägt sie selbst. Alle unsere Gebete sind im Kreuz Jesu Christi erhört. Wie heißt Dich Jesus beten? Vater Unser... Was schenkt Dir Gott im Gebet? Er schenkt mir die Gewißheit, daß ich durch Jesus Christus sein eigen bin und bleibe. Rö 8, 15 £.

Zweiter

Katechismus-Versuch

365

4. Hauptteil Von Taufe, Predigt, Abendmahl und Beichte

Wie wirst Du des Heils teilhaftig? Durch die Taufe. Was geschieht an Dir in der Taufe? In der Taufe sterbe ich mit Christus.

In der Taufe empfange ich Vergebung der Sünden. In der Taufe werde ich erneuert zum neuen Leben in Christus. In der Taufe werde ich Glied des Leibes Christi, der Gemeinde. Rö 6, 1 ff; Eph 5, 14; Gal 3, 27 £.

Wie kannst Du dessen gewiß sein? Allein durch das Wort Gottes, das mir das sagt und dem ich Glauben schenke. Allein durch den Heiligen Geist, der in mir

solchen Glauben weckt. Wie empfängst Du den rechten Glauben?

Der Glaube kommt aus der Predigt. Ich muß mich zur Predigt des Wortes Gottes halten, in der Gott mich aller seiner Gaben gewiß macht. Rö 10, 17. Wie sollst Du die Predigt hören? Ich soll die Predigt des Evangeliums hören als Gottes eigenes Wort und mich gewiß darauf verlassen, daß mir hier Gott selbst gebietet und mich tröstet.

Wie will Jesus Christus Deinen Glauben stärken? (Dich der Predigt des Evangeliums ganz gewiß machen?) Jesus Christus gibt mir das Heilige Abendmahl. Er schenkt mir darin die Gemeinschaft seines eigenen Leibes, er ver-

366

Lehrer am

Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

gibt mir meine Sünde und stärkt meine Hoffnung auf das ewige Abendmahl im Reiche des Lebens. Wie soll ich das Abendmahl empfangen?

Ich soll das Abendmahl empfangen in dem gewissen Glauben, daß ich unter Brot und Wein die wahrhaftige Gemeinschaft mit Leib und Blut Jesu Christi empfange, daß mir meine Sünden gewiß vergeben sind und daß ich zum ewigen Leben berufen bin. Wie bereite ich mich auf das Heilige Abendmahl? Durch die Beichte. Was ist die Beichte?

Es gibt eine allgemeine

und

eine heimliche

Beichte.

In

der allgemeinen bekenne ich mit der Gemeinde zusammen

meine Sünde, ohne sie beim Namen zu nennen; in der heim-

lichen Beichte bekenne ich allein meine persönliche Sünde

einem christlichen Bruder.

Was ist die Hauptsache in der Beichte? Die Hauptsache in der Beichte ist die Sündenvergebung, die ich persönlich empfange. Christus hat seiner Gemeinde Macht gegeben, Sünden zu vergeben und zu behalten in seinem Namen. Mat 18, 18; Joh 20, 22 f.

Was ist die besondere Gabe der heimlichen Beichte? Ich darf alle meine Sünden beim Namen nennen und sie auf

Christus legen. Ich werde frei von ihr durch die Vergebung. Ich werde ein neuer Mensch. Jak 5, 16; Sprüche 28, 13.

Warum soll ich die heimliche Beichte brauchen?

Damit ich mich nicht selbst betrüge. Damit ich meinen Stolz

breche. Damit ich gewiß sein kann, daß mir alle Sünden vergeben sind.

Zweiter

Katechismus-Versuch

367

Wie soll ich zur Beichte gehen? Ich soll zur Beichte gehen mit dem herzlichen Verlangen nach der Vergebung und Erneuerung meines Wesens. Ich soll demütig alles bekennen,

was

mich beschwert,

Ich soll im

Glauben um Gottes Vergebung bitten. Psalm 51, 12 ff; Sprüche 23, 26.

Welche Pflicht liegt auf der Beichte? Die Beichte steht unter dem heiligen Beichtsiegel. Der Beichthörer steht an Gottes Statt und ist Mitwisser der Geheimnisse Gottes. Bekenntnis und Vergebung geschehen allein vor Gott. Was ist also die Beichte? Die Beichte ist nicht ein Gesetz, sondern eine besondere Gnade Christi, die er allen anbietet, die in Traurigkeit und Ungewißheit fallen und ernstlich Christen sein wollen. Was bedeutet die Konfirmation?

Ich soll bekennen, daß ich die Taufgnade Christi empfangen habe. Ich soll bekennen, daß ich gelernt habe, was es heißt, ein Christ zu sein. Ich soll bekennen, daß ich durch die Gnade des dreieinigen Gottes in der Gemeinde ein Christ sein und werden will bis

an mein seliges Ende.

368

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

. Konfirmationsfrage! Liebe Konfirmanden! Ihr habt mit dem Bekenntnis der Kirche euren christlichen

Glauben bekannt. Ihr wißt, daß euer ganzes Leben Gott gehört und daß Gott euch das ewige Leben schenken will. Ihr wißt aber auch, daß Anfechtungen und Versuchungen euch euren Glauben aus dem Herzen reißen wollen, daß es in keines Menschen Macht steht, Glauben zu halten. Ihr wißt, daß unser Herz untreu ist, aber Gott ist treu. Wollt ihr euch daher seiner alleinigen Hilfe und Gnade zuwenden, sein Wort und Sakrament zur Stärkung eures Glau-

bens hören und empfangen, wollt ihr zu Gott rufen und beten, daß er euren Glauben reinige, stärke und bewahre, so sprecht: Ja, Gott helfe mir. Amen.

Konfirmanden: Ja, Gott helfe mir. Amen. Geistlicher: Ja, dazu helfe euch Gott, der allmächtige Vater, um Jesu Christi willen durch seinen Heiligen Geist.

Er gebe euch zum Wollen das Vollbringen, daß ihr in diesem allen bleiben möget, wachsen und zunehmen. Amen.

1. Von Bonhoeffer zu einer Konfirmation 1938 formuliert für einen Einschub im Agenden-Entwurf der APU, S. 290, zwischen dem Glaubensbekenntnis der Konfirmanden und dem folgenden Einsegnungsspruch.

Schlüsselgewalt

und Gemeindezucht

369

Sätze über Schlüsselgewalt und Gemeindezucht im Neuen Testament [Vortrag auf der Pfarrerfreizeit über Kirchenzucht in Finkenwalde, 18.—22. Mai 1937]

1. Christus hat seiner Kirche Gewalt gegeben, auf Erden

Sünden zu vergeben und zu behalten in göttlicher Vollmacht (Mt 16, 19; 18, 18; Joh 20, 23). Ewiges Heil und ewige Verdammnis entscheiden sich an ihrem Wort. Wer unter dem

Wort der Verkündigung vom sündigen Wege umkehrt, Buße tut, der empfängt die Vergebung. Wer bei seiner Sünde beharrt, empfängt Gericht. Die Kirche kann nicht den Bußfertigen von der Sünde lösen ohne den Unbußfertigen bei der Sünde zu behaften und zu binden. Der Löseschlüssel

selbst hat keinen ewigen Ernst, wenn nicht auch der Bindeschlüssel ewigen Ernst hat. Will die Kirche im Auftrag und in der Vollmacht Jesu Christi Sünden vergeben, so muß sie Sünde Sünde nennen, nicht nur, wenn sie vergibt, sondern auch, wo sie nicht vergeben kann. Will die Kirche allein den Löse-

schlüssel üben, dann kann sie mit ihrer Sündenvergebung keinen Glauben finden; denn das Wort von der Sündenvergebung ist dann ein allgemeiner Lehrsatz geworden, aber nicht mehr der lebendige, rettende Eingriff Gottes selbst. Will die Kirche allein den Löseschlüssel üben, dann raubt sie denen, die glauben, die Gewißheit der Vergebung; denn was ist eine Vergebung, die nicht Rettung aus der Verdammnis ist? Will die Kirche allein den Löseschlüssel üben, so

setzt sie sich mit dem Auftrag ihres Herrn in Widerspruch und geht damit

heißung verlustig.

des gesamten

Auftrages und seiner Ver-

370

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

2. Das Schlüsselamt der Kirche schließt einen doppelten Gebrauch ein, die öffentliche Predigt und die Privatbeichte

mit Absolution bzw. Retention. Die öffentliche Predigt übt beide Schlüssel aus, indem sie denen die Vergebung zusagt, die Buße tun und glauben, denen aber, die nicht Buße tun,

Gericht und Verdammnis. Vergebung kann daher niemals vollmächtig gepredigt werden, ohne konkrete Buß- und Gerichtspredigt. Dabei erweist sich der Bindeschlüssel als dem Löseschlüssel untergeordnet. Denn daß das Wort die Hörer bei ihren Sünden behaftet und verurteilt, ist zugleich

der Ruf zur Buße, d.h. zur Vergebung und zur Gemeinschaft. Dabei

ist das Urteil

des Bindeschlüssels

göttliches Urteil

und gilt in Ewigkeit, wenn der Sünder nicht Buße tut. Ge-

bunden werden allein die, die das Wort hören, auf daß sie durch das Wort Buße tun und gelöst werden möchten. Die Privatbeichte (Jak 5, 16; Mt 18, 18) tritt zur öffentlichen

Predigt hinzu um der Gewißheit der Absolution willen. Weil in der Predigt die Zusage der Vergebung an Buße und Glaube geknüpft ist, kommt der Einzelne in Gefahr, an seiner Buße

und seinem Glauben und damit an sich zu verzweifeln oder aber sich selbst zu vergeben. In der Privatbeichte wird ihm

angeboten, seine Sünden persönlich vor Gott zu bekennen und bei Namen zu nennen, durch Gottes Wort strafen zu las-

sen und die persönliche Absolution durch den Bruder zu

empfangen. Der Einzelne bedarf der Privatbeichte, um der

Vergebung gewiß zu werden. Die Kirche bedarf der Privatbeichte, um die Absolution dem Einzelnen vollmächtig sagen

zu können und um der Aufrichtigkeit der Buße gewiß zu werden. „Deswegen soll mit Ernst verboten sein, daß die Pfarrherrn das Volk nicht bei Haufen insgemein absolvieren ...so jemand die Absolution ins Ungewisse über das Volk bei Haufen hinspricht, den soll der Superintendens, wenn er

vermahnt ist und nicht abläßt, als einen untreuen Mietling

Schlüsselgewalt und Gemeindezucht

371

vom Predigtamt absetzen“ (Pom. K. O.)!. Das Wort der Ver-

gebung darf nicht verschleudert werden. 3. „Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselben nicht zertreten und sich wenden und euch zerreißen“ (Mt 7, 6). Die Zusage der Gnade darf nicht verschleudert werden, sie bedarf des Schutzes vor den Gottlosen. Es

gibt solche, die des Heiligtums nicht wert sind. Die Verkündigung der Gnade hat ihre Grenze. Wer die Gnade nicht erkennt, nicht unterscheidet und nicht begehrt, dem darf sie nicht verkündigt werden. Nicht nur wird dadurch das Heiligtum selbst besudelt, nicht nur müssen die, die sich versündigen, noch schuldig werden am Heiligsten, sondern der Mißbrauch des Heiligen muß sich gegen die Gemeinde selbst wenden. Die Welt, der die Gnade als Schleuderware hingeworfen wird, wird ihrer überdrüssig, zertritt nicht nur das Heilige, sondern zerreißt auch die, die es ihr aufdrängen. Um des Heiligen willen, um der Sünder willen und um der

Gemeinde willen soll das Heilige geschützt werden vor billiger Preisgabe. Der Schutz des Evangeliums ist die Bußpredigt, die Sünde Sünde nennt und den Sünder schuldig spricht. Der Schutz des Löseschlüssels ist der Bindeschlüssel. Nur im Schutz der Bußpredigt gibt es Gnadenpredigt. 4. Es ist ein Unterschied zwischen Missionspredigt und Ge-

meindepredigt. Im NT ist er noch ganz deutlich. In beiden ist der Gebrauch

des Schlüsselamtes

da, aber in verschie-

dener Weise. Die Missionspredigt ruft zur Gemeinde. Wer Buße tut und glaubt, dem wird die Tür zur Gemeinde aufgetan durch die Taufe. Wer gebunden wird, dem wird die Tür ver-

schlossen. Über diesen hat das Wort keine andere Gewalt als eben diese Versagung

der Zulassung

zur Taufe.

Zur

Taufe gehört das Bekenntnis der Sünden, die Absolution 1. von Bugenhagen.

372

Lehreram

Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

und das Bekenntnis zu Jesus Christus. Die Wortverkündigung in der Gemeinde der Getauften gebraucht die Schlüs-

sel in der Weise der Gnadenverkündigung an den Bußfertigen und der Gemeindezucht an den Unbußfertigen. Gnaden-

verkündigung heißt vollen Teil haben an der Gemeinschaft des Leibes Christi. Gemeindezucht heißt der Weg, der zum teilweisen oder gänzlichen Ausschluß aus dieser Gemeinschaft führt. Gemeindezucht ist also Ausübung der Bindegewalt der Kirche an den Gliedern des Leibes Christi. Wie die Bußpredigt der Schutz der Evangeliumsverkündigung,

so ist die Wortverkündigung der Schutz der Taufe, so ist die Gemeindezucht der Schutz des Abendmahls. 5. Gemeinde ist nur da, wo Wort und Sakrament ist (C. A.

VII). Leib Christi ist die Gemeinde erst durch Taufe und

Abendmahl. Das Wort ist missionarisch, die Wortgemeinde erfährt keine Beschränkung, sofern nur beide Schlüssel gepredigt werden. Die Sakramentsgemeinde ist die durchs Wort

gewonnene Gemeinde der Gläubigen. Zum Wort hat auch

der Ungläubige Zutritt, zum Sakrament nicht. 6. Die Taufe ist die Eingliederung in den Leib Christi (Gal

3, 27 f). Sie ist einmalig, nicht wiederholbar. Der Leib Christi ist die Gemeinde (1. Kor 12 ff; Röm 12 f). Der Eintritt in die Gemeinde des Heils ist einmalig, nicht wiederholbar.

Darum würde vollkommener Ausschluß aus der Gemeinde

ewige Verdammnis bedeuten. Eben darum aber kann Gemeindezucht nicht Ausschluß aus der getauften Gemeinde,

sondern immer nur Ausschluß aus der Gemeinschaft der Taufgemeinde sein. Voraussetzung der Taufe ist Hören des

Wortes, Buße und Glaube; d. h. für gemeindliche Praxis Unterweisung, Bekenntnis der Sünde, Absolution, Bekenntnis zu Jesus Christus (Act 8,18.355 2,%385RömI6, 2

usw.). Kindertaufe ist darum — ob im N. T. vorhanden oder

nicht — niemals Taufe an Ungläubigen, was unmöglich ist, sondern Taufe von solchen, die in der Gemeinde zum Glau-

Schlüsselgewalt

und

Gemeindezucht

373

ben kommen sollen. Kindertaufe gibt es darum nur als besondere Gnadengabe Gottes in der Bekenntnisgemeinde. Sie kann

niemals

über den Umfang

der Bekenntnisgemeinde

hinausgehen. Die Gemeinde ist vor dem Sakrament, vor dem Kind und vor sich selbst verantwortlich dafür, daß das Kind

durch Unterweisung der Gemeinde zugeführt wird (Patenamt). 7. Das Abendmahl ist die wiederholte Speisung der beken-

nenden Gemeinde der Getauften mit dem wahrhaftigen Leib und Blut Christi. Die Gläubigen werden ihrer leiblichen Verbundenheit mit dem Herrn und untereinander gewiß gemacht und empfangen Vergebung der Sünden durch Christi Leib. Das Abendmahl ist nicht missionarisch, sondern Gemeindemahl im strengen Sinne. Es setzt dabei keinen engeren Kreis voraus als die Gemeinde der Getauften. Allerdings setzt der Empfang des Abendmahls eine Bedingung voraus: Wer zum Abendmahl kommt, muß unterscheiden können (ötaxolvew: 1. Kor 11, 29) zwischen dem Leib Christi und irgendeinem anderen Mahl, d. h. er muß kommen,

um wahrhaftig Leib und Blut Christi zu empfangen. Wer hier nicht „unterscheidet“, empfängt das Mahl in unwürdiger Weise und ißt sich das Gericht. Nicht seine falsche Ein-

stellung, sondern Leib und Blut Christi wirken in ihm durch Essen und Trinken das Gericht. Weil Leib und Blut im heiligen Abendmahl im Essen und Trinken bleiben, was sie sind, ob sie würdig oder unwürdig gegessen werden, muß die

Gemeinde Sorge tragen, daß sie nicht unwürdig empfangen werden. Würdiger Empfang aber setzt „Unterscheidung“ der Gabe voraus, d.h. für die gemeindliche Praxis: Unterweisung über das heilige Abendmahl (nicht natürliche Speise, nicht symbolisch, nicht Gedächtnismahl, sondern wahr-

haftiger Leib und Blut Christi zur Vergebung der Sünden und zur Gemeinschaft seines Leibes. 1. Kor 11, 24; 10, 16).

Daraus folgt das Glaubensverhör; Prüfung(doxıuaLeto &avrov),

374

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

ob einer bereit ist, das Sakrament als das zu empfangen, was es ist, d.h. im Begehren nach der Vergebung der Sünden, ob

er seiner Sünde absagt. Die Wahrhaftigkeit der Selbstprüfung, von der die Schrift redet, kann dem Zweifel entnommen

werden durch die Beichte vor dem Bruder. Wo die Gemeinde Zweifel an der Selbstprüfung hat, kann sie auf der Prüfung

durch die Gemeinde bestehen (Anmeldung etc.). Um des Heiligtums des Leibes Christi willen, um der Menschen willen

und um der Gemeinde willen muß die Gemeinde den vom

Abendmahl ausschließen, der den Leib nicht unterscheidet. Es ist ein Unterschied zwischen dem, der sich am Wort versündigt und dem, der sich am Leib Christi versündigt. Der Ungetaufte, der das Wort nicht hört, bleibt außer des Leibes Christi und steht noch unter dem Ruf zur Gemeinde; wer das Sakrament im Unglauben empfängt, der wird schuldig am Leibe Christi selbst; er hat keine Hilfe mehr, weil er

die Hilfe mißbraucht hat. Zwar kann sich die Gemeinde nie-

mals vor den Heuchlern schützen, aber um den Menschen vor seiner eigenen Heuchelei zu schützen, schützt sie das

Heilige durch die Zucht des Wortes und der Gemeinde.

8. Gemeindezucht ist die notwendige sichtbare Folge der rechten Ausübung des Schlüsselamtes innerhalb der Ge-

meinde. Die ntliche Gemeinde kennt hier eine lange Stufenreihe der Zuchtübung. Der Ursprung aller Zuchtübung ist die Predigt des Wortes nach beiden Schlüsseln. Diese

Verkündigung ist aber nicht beschränkt auf die gottesdienstliche Versammlung. Vielmehr ist der Amtsträger, „der im Hause Gottes wandelt“ (1. Tim 3, 15), nirgends von seinem

Auftrag entbunden. „Predige das Wort, halte an, die Zeit

sei günstig oder ungünstig, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre“ (1. Tim 4, 2). Der Amtsträger, der die Schlüsselgewalt übt, soll als Seelsorger im täglichen Um-

gang mit seiner Gemeinde die Zucht üben. Das gehört zu seinem Amt. Es ist der Beginn der Kirchenzucht. Dabei

Schlüsselgewalt

und Gemeindezucht

37.3

ist deutlich, daß die Gemeindezucht im Unterschied von der Schlüsselgewalt nur die Sünden strafen kann, die offenbar geworden sind. „Etlicher Menschen Sünden sind offenbar, daß man sie zuvor richten kann, bei etlichen aber werden

sie hernach offenbar“ (1. Thess 5, 24). So ist die Gemeindezucht eine Verschonung vor der Strafe des letzten Gerichtes. Ist bereits auf dieser ersten Stufe eine Lücke festzustellen, so kann das gesamte Verfahren der Gemeindezuct in Frage gestellt werden; denn wie soll das zweite — nämlich

die brüderliche Vermahnung

der Gemeindeglieder unter-

einander — lebendig bleiben, wenn der Amtsträger sein Amt vernachlässigt? Die Schrift aber fordert „lehret und vermahnet euch untereinander“ (Kol 3, 16; 1. Thess 5, 11 u. 14). Allein so kann ja der Sünde und dem Abfall in der

Gemeinde gewehrt werden. Zur Vermahnung gehört auch das Trösten

der Kleinmütigen,

Tragen der Schwachen,

Ge-

duld üben gegen jedermann (1. Thess 5, 14). Wo solche Auswirkung des Schlüsselamtes in der Gemeinde nicht mehr lebt, da wird auch schwerlich die dritte Stufe recht erreicht werden. Fällt nämlich ein Bruder in offenbare Sünde des Wortes oder der Tat, so muß die Gemeinde die Kraft haben, das eigentliche Gemeindezuchtverfahren gegen ihn einzuleiten. Dieses besteht in drei Stücken: Die Gemeinde muß die Kraft haben, sich von dem Sünder zu trennen.

„Habt

nichts

mit

ihm

zu

schaffen“

(1. Thess 5, 14).

„Weichet von ihnen“ (Röm 16, 17), „Ihr sollt auch nicht mit ihm essen‘ (Abendmahl?, 1. Kor 5, 11). „Meide solche“ (2. Tim 3, 5; 1. Tim 6, 5). „Wir gebieten euch aber, liebe Brüder, in dem Namen unseres Herrn Jesu Christi(!), daß ihr euch entziehet von jedem Bruder, der da unordentlich

wandelt und nicht nach der Satzung, die ihr von uns empfangen habt“ (2. Thess 3, 6). Dieses Verhalten der Gemeinde ist dazu da, den Sünder „schamrot“ werden zu lassen (2. Thess 3, 14), und ihn dadurch zurückzugewinnen. Gewiß schließt

376

Lehrer am Predigerseminar

dieses Meiden

des Sünders

schluß aus den Handlungen

der Bekennenden

Kirche

auch seinen zeitweiligen Aus-

der Gemeinde in sich. Doch

soll solches Meiden des offenbaren Sünders nicht schon die

Aufhebung jeder Gemeinschaft sein. Vielmehr soll die Ge-

meinde, die sich vom Sünder trennt, diesem begegnen mit dem Wort der Vermahnung „Haltet ihn nicht als einen

Feind, sondern vermahnet ihn als einen Bruder“ (2, Thess

3, 15).

Der Sünder bleibt noch Bruder und erfährt eben darum

Strafe und Vermahnung der Gemeinde. Es ist barmherzige

Brüderlichkeit, die die Gemeinde Zucht üben läßt. Mit aller Sanftmut müssen die Widerspenstigen gestraft, die Bösen getragen werden, „ob ihnen Gott nicht dermaleinst Buße gäbe, die Wahrheit zu erkennen, daß sie wieder nüchtern

werden und der Schlinge des Teufels entgehen und sich von

ihm nicht einfangen lassen in seinen Willen“ (2. Tım 2, 26). Der Weg dieser Vermahnung wird je nach der Sünde und je nach dem Sünder ein verschiedener sein, aber er wird immer

dasselbe Ziel haben, zur Buße und zur Versöhnung zu führen. Kann die Sünde verborgen bleiben zwischen dir und

dem Sünder, so sollst du sie nicht offenbaren, vielmehr sollst du ihn allein strafen und zur Buße rufen, „so hast du einen Bruder gewonnen“. Hört er dich aber nicht, sondern verharrt in seiner Sünde, so sollst du abermals nicht sogleich die Sünde offenbaren, sondern sollst dir einen oder zwei Zeugen suchen (Mt 18, 15 f). Des Zeugen bedarf es sowohl

wegen des sündigen Tatbestandes — d. h. ist derselbe nicht

zu erweisen und wird er von dem Gemeindeglied geleugnet,

so befehle man die Sache Gott; Zeugen, nicht Inquisitoren

sind die Brüder — als auch wegen der Verstockung des Sünders gegen die Buße. Die Heimlichkeit der Zuchtübung soll dem Sünder die Umkehr erleichtern. Hört er auch jetzt nicht

oder ist die Sünde sowieso schon offenbar vor der ganzen

Gemeinde, dann ist es Sache der ganzen Gemeinde, den Sün-

Schlüsselgewalt

und

Gemeindezucht

377.

der zu ermahnen, zur Umkehr zu rufen (Mt 18, 17; cf. 2.

Thess 3, 14). Ist der Sünder Träger eines Amtes der Gemeinde, so soll er nur auf zweier oder dreier Zeugen Anklage hin verklagt werden. „Die da sündigen, die strafe

vor allen, auf daß sich auch die anderen fürchten“ (1. Thess 5, 18). Nun ist die Gemeinde aufgerufen, mit dem Amtsträger zusammen das Schlüsselamt zu verwalten. Der öf-

fentliche Spruch bedarf

der öffentlichen

Vertretung

der

Gemeinde und des Amtes. „‚Ich beschwöre dich vor Gott und dem Herrn Jesus Christus und den auserwählten Engeln, daß du solches haltest ohne eigenes Vorurteil und nichts tust nach Gunst“ (1. Thess 5, 21), denn nun soll Gottes eige-

nes Urteil über den Sünder ergehen. Tut dieser aufrichtige Buße, bekennt

er öffentlich seine Sünde, so empfängt

er

die Vergebung aller seiner Sünden im Namen Gottes (cf. 2.Kor 2, 6 ff), beharrt er bei seiner Sünde, so muß ihm die Gemeinde im Namen Gottes seine Sünde behalten. Das aber bedeutet den Ausschluß aus jeder Gemeinschaft der Gemeinde. „Halte ihn für einen Heiden und Zöllner“ (Mt 18, 17), „Wahrlich, ich sage euch, was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein“... „Denn

wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin

ich mitten unter ihnen“ (18, 18 ff). Im Ausschluß aus der Gemeinde aber wird nur bestätigt, was schon Tatsache ist, nämlich daß der unbußfertige Sünder ein solcher ist, der „sich

selbst verurteilt hat“ (Tit 3, 10). Nicht die Gemeinde verurteilt ihn, er selbst hat das Urteil gesprochen. Diesen vollkommenen

Ausschluß

bezeichnet

Paulus

mit „dem

Satan

übergeben“ (1. Kor 5, 5; 1. Tim 1, 20). Der Schuldige wird der Welt zurückgegeben, in der der Satan herrscht und den Tod wirkt. (Daß hier nicht an einen Akt der Todesstrafe

wie Act. 5 gedacht ist, beweist ein Vergleich von 1. Tim 1, 20 und 2. Tim 2, 17; 4, 15). Der Schuldige ist aus der Gemein-

378

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

schaft des Leibes Christi ausgestoßen, weil er sich selbst getrennt hat, kein Anrecht an die Gemeinde steht ihm mehr zu. Dennoch bleibt auch dieses letzte Handeln noch ganz im Dienste des Heilszieles mit dem Betroffenen, „daß der Geist selig werde am Tage des Herrn Jesu“ (1.Kor 3,5% „daß er gezüchtigt werde, nicht mehr zu lästern“ (1. Tim 1, 20). Die Rückkehr zur Gemeinde oder die Erlangung des Heiles bleibt das Ziel der Gemeindezucht. Sie bleibt pädagogisches Handeln. So gewiß der Spruch der Gemeinde in Ewigkeit besteht, wo der andere nicht Buße tut, so ist die-

ser Spruch, in dem dem Sünder das Heil genommen werden

muß, nur das letztmögliche Angebot der Gemeinschaft der Gemeinde und des Heils. — Fragen wir noch einmal nach der Begründung der Gemeindezuchtübung, so steht an er-

ster Stelle der Auftrag der Verwaltung beider Schlüssel. Um des Heiligtums des Evangeliums willen muß der Bindeschlüssel geübt werden; d. h. vom

Menschen

her gesehen:

um der Rettung des Sünders willen muß der Sünder gestraft werden; d. h. von der Gemeinde her gesehen: um der Reinheit der Gemeinde willen müssen die unreinen Gefäße hinweggetan werden (2. Tim 2, 21). Die Gemeinde, die dem Sün-

der Gemeinschaft

gewährt ohne Zuchtübung,

selbst mitschuldig an seiner Sünde

macht sich

(2. Joh 10). Sie muß

daher besondere Vorsicht üben, ehe sie einem Gemeindeglied eine Verantwortung in der Gemeinde gibt, der es nicht ge-

wachsen ist (1. Tim 5, 22). — Jenseits aller Gemeindezucht-

übung, die immer im Dienst der Barmherzigkeit steht, selbst über die Auslieferung des hartnäckigen Sünders an den Sa-

tan hinaus, kennt das N. T. als furchtbarste Strafe die Verfluchung, das Anathema. Sie ist nicht mehr verbunden mit

dem Heilszweck. Sie tritt als Vorwegnahme des göttlichen

Urteils auf. Im A.T. entspricht ihr der „Cherem“, der an

Gottlosen vollstreckt wird. Er bedeutet definitive Absonderung von der Gemeinde. Der Gebannte wird getötet. Da-

Schlüsselgewalt

und Gemeindezucht

379

mit ist ein Doppeltes gesagt: Die Gemeinde vermag den Gebannten unter keinen Umständen

mehr zu tragen und zu

absolvieren. Darum wird er Gott allein hingegeben. Damit aber ist der Gebannte zugleich verflucht und doch heilig, heilig, weil er Gott ausgeliefert ist. Weil er aber Gott allein gehört, als Verfluchter, darum kann die Gemeinde hier nicht mehr

Heilsabsichten verfolgen. Daß Anathema

Trennung vom

Heil bedeutet, beweistRöm 9, 3.Daß Anathema eschatologisch bezogen ist, legt 1. Kor 16, 22 nahe. Daß vom Anathema der

getroffen wird, der das Evangelium selbst durch seine Predigt willentlich zerstört, sagt Gal 1, 8f. Es ist gewiß kein Zufall, daß die einzige Stelle, die über bestimmte Menschen das Anathema spricht, sich auf die Irrlehre bezieht. Doctrina est coelum, vita terra (Luther). 9. Die Lehrzucht ist von der Gemeindezucht insofern verschieden, als letztere aus rechter Lehre, d. h. aus rechtem Gebrauch der Schlüssel folgt, erstere sich aber gegen den

Mißbrauch

der Lehre selbst richtet. Durch falsche Lehre

wird die Quelle des Lebens der Gemeinde und der Gemeinde-

zucht verdorben. Darum wiegt die Versündigung gegen die Lehre schwerer als die Versündigung im Wandel. Lehrzucht

erstreckt sich in erster Linie auf die Träger des Lehramtes in der Kirche. Voraussetzung von allem ist, daß bei der Über-

tragung des Amtes Gewähr dafür besteht, daß der Amtsträger didaxtıxög, zur Lehre befähigt ist (1. Tim 3, 2; 2. Tim 2, 24; Tit 1, 9), „tüchtig, auch andere zu lehren“

2. Tim 2, 2), daß keinem die Hände voreilig aufgelegt werden, weil sonst dessen Schuld auf den zurückfällt, der ihn einsetzte (1. Tim 5, 22). Die Lehrzucht setzt also bereits vor der Berufung ins Lehramt ein. An der äußersten Gewissen-

haftigkeit hängt hier Leben und Tod von Gemeinden. Die Lehrzucht aber hat mit der Berufung ins Lehramt kein Ende, vielmehr erst ihren Anfang. In unaufhörlicher Ermahnung muß selbst der bewährte Amtsträger — Timo-

380

Lehrer am Predigerseminar

der Bekennenden

Kirche

theus — zur Bewahrung der rechten, heilsamen Lehre angehalten werden. Das Lesen der Schrift wird ihm dafür besonders nahegelegt. Zu groß ist die Gefahr des Abirrens (2. Tim 3,:10513,7145 4, 25.215511: Tim 4, 13, 16; Tit 1, 9;

3,8). Dazu muß aber noch die Ermahnung zum vorbildlichen Lebenswandel

kommen:

„Habe

acht auf dich selbst

und auf die Lehre“ (1. Tim 4, 13 f; Act 20, 28). Zur Keuschheit, Demut, Unparteilichkeit, zum Fleiß ermahnt zu wer-

den, ist für Timotheus keine Beschämung. So steht vor aller

Gemeindezuchtübung die Übung der Zucht an den Amtsträgern. Es ist die Aufgabe des Amtsträgers, in seiner Ge-

meinde die rechte Lehre zu verbreiten und jeder Verkehrung entgegenzutreten. Treten Lehrverschiedenheiten in der Gemeinde auf, so soll die Gemeinde wissen, daß gewisse

Unterschiede in der Weise der Verkündigung unvermeidlich

sind. Aber ob apollisch, ob paulisch, ob petrisch, es soll in allen Dingen dem einen ungeteilten Christus gedient werden (1. Kor 1, 11 ff). Alle bewußten Schulbildungen freilich sollen

vermieden werden, weil hier leicht jeder sein Eigenes sucht, aufgeblasen wird, und weil so die Schulbildung eine Brutstätte des Ungehorsams gegen Christus wird (1. Tim 6, 5. 20;

2.-Tım 231643, 78: Tieil, 10). Dazu kommt die Schwierigkeit, erlaubte Schulunterschiede und unzulässige Irrlehren

zu unterscheiden (vgl. z.B. Offenbarung 2, 6 und 2, 15).

Wo offenbare Irrlehre einzieht, dort soll der Amtsträger gebieten, „daß sie nicht anders lehrten“ (1. Tim 1, 3); denn

er trägt das Lehramt und kann gebieten. Weiter soll er warnen und erinnern, das Wortgezänk zu meiden (2:,.T1ms2;

14). Ist einer als Irrlehrer offenbar, so soll er „einmal und abermals ermahnt“ werden. Hört er nicht, so soll mit einem ketzerischen Menschen die Gemeinschaft abgebrochen werden (Tit 3, 10; 1. Tim 6, 4 f); denn er verführt die Gemeinde (2. Tim 3, 6f). „Wer nicht in der Lehre Christi bleibt, der hat keinen Gott.“ Einem solchen falschen Leh-

Schlüsselgewalt

und Gemeindezucht

381

rer soll auch die häusliche Gemeinschaft und der fromme Grußwunsch

versagt

werden

(2. Joh 10).

Im

Irrlehrer

kommt der Widerchrist. Nicht der Sünder in seinem Lebenswandel,

sondern

allein der Irrlehrer

wird Antichrist

genannt. Ihm allein gilt das Anathema von Gal 1, 9. — Über das Verhältnis von Lehrzucht und Gemeindezucht gilt: Es gibt keine Gemeindezucht ohne Lehrzucht. Es gibt aber auch keine Lehrzucht, die nicht zur Gemeindezuct führen müßte. Paulus wirft den Korinthern vor, daß sie

in ihrer Aufgeblasenheit Schismata anrichten wollen ohne doch Gemeindezucht zu üben (1. Kor 5, 2). Diese Trennung

der Lehrfrage von der Frage des Wandels in der Gemeinde ist unmöglich. 10. Gemeindezucht setzt nicht nur ein intaktes Lehramt, sondern eine rechte Ordnung der Ämter in der Gemeinde

voraus. Die Ordnung der Gemeinde muß im Dienst der rechten Verwaltung

des Schlüsselamtes

und aller daraus fol-

genden Handlungen der Gemeinde stehen. Die Gemeinde ist der Leib Christi, in dem bis in alle Gliederungen hinein allein sein Geist regiert. Das N. T. bezeugt die Einsetzung der

kirchlichen Ämter durch Gott selbst (1. Kor 12, 28), durch Christus (Eph 4, 11), durch den Heiligen Geist (Act 20, 28), durch die Gemeinde unter dem Beistand des Heiligen Gei-

stes (Act 6, 5; 13, 2), durch die Apostel und Amtsträger nach sorgfältiger Prüfung (Tit 1, 5; 1. Tim 5, 23). Die Einsetzung in kirchliche Amter

von

außerhalb der Gemeinde

her ist

für das N. T. undenkbar. Denn die Gemeinde ist der Leib Christi. Zwar gibt es für den Aufbau der Ämterordnung in der Gemeinde keine festen Regeln. Die Gemeinde in Jerusalem ist anders geordnet als die kleinasiatischen. Hier besteht Freiheit, daß nur „alles geschehe zur Besserung“ (1. Kor

14, 26), d. h. zur rechten Auferbauung des Leibes Christi durch die Gewalt der Schlüssel.

VII. AUFTRAGE

DER

BRUDERRÄTE

Theologische Briefe [Beilagen zu den Monatsbriefen des pommerschen Bruderrates der Bekennenden Kirche an seine Pfarrer]

Weihnachten [Dezember

1939]

Kein Priester, kein Theologe stand an der Krippe von Bethlehem. Und doch hat alle christliche Theologie ihren Ursprung in dem Wunder aller Wunder, daß Gott Mensch

wurde. „Neben dem Glanz der Heiligen Nacht brennen die

unergründlichen Geheimnisse der Theologie“ (Hello). Theologia sacra — sie entsteht im anbetenden Knieen vor dem

Geheimnis des göttlichen Kindes im Stall. Israel hatte keine

Theologie. Es kannte Gott nicht im Fleisch. Ohne die heilige Nacht gibt es keine Theologie. „Gott geoffenbart im Fleisch“, der Gottmensch Jesus Christus, das ist das heilige Geheim-

nis, das zu behüten und zu wahren die Theologie eingesetzt

ist. Welcher Unverstand, als sei es die Aufgabe der Theologie, Gottes Geheimnis zu enträtseln, es auf die platten, geheimnislosen menschlichen Erfahrungs- und Vernunftweisheiten herabzuziehen! Während doch allein dies ihr Amt ist, Gottes Wunder als Wunder zu bewahren, Gottes Geheimnis gerade als Geheimnis zu begreifen, zu verteidigen, zu ver-

herrlichen. So und niemals anders hat die alte Kirche es

gemeint, wenn sie sich in nicht ermüdendem Eifer um das Mysterium der Trinität und der Person Jesu Christi bemühte.

Welche Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit, gerade un-

Theologischer

Brief zu Weihnachten

1939

383

ter Theologen, die Theologie auf den Schindanger zu werfen, sich aufzuspielen, daß man kein Theologe sei und sein wolle, damit des eigenen Amtes und der Ordination zu spot-

ten und zu guter Letzt nun doch statt einer rechten Theologie eine schlechte Theologie zu haben und zu vertreten! Aber freilich, wo wurde uns auf den theologischen Lehrstühlen das Geheimnis Gottes im Fleisch, der Geburt Jesu Christi, des Gottmenschen und Heilandes, als das unergründli-

che Geheimnis Gottes gezeigt und gelehrt? Wo hören wir es gepredigt? Wenn es die Weihnachtszeit nicht vermag, in uns wieder so

etwas wie eine Liebe zur heiligen Theologie zu entzünden, daß wir, gefangen und bezwungen von dem Wunder der Krippe des Gottessohnes, den Geheimnissen Gottes andächtig nachdenken müssen, — dann wird es wohl so sein, daß die Glut der göttlichen Geheimnisse auch für unser Herz

schon erloschen und erstorben ist. Die alte Kirche hat durch mehrere Jahrhunderte hindurch über die Christusfrage nachgedacht. Sie hat dabei die Ver-

nunft gefangen genommen

in den Gehorsam Jesu Christi

und hat in harten, widerspruchsvollen Sätzen das Geheim-

nis der Person Jesu Christi lebendig bezeugt. Sie hat sich nicht der modernen Täuschung hingegeben, dieses Geheimnis könne nur erfühlt oder erlebt werden; denn sie wußte um die Verderbtheit und Selbstbezogenheit alles menschlichen

Fühlens und Erlebens. Sie hat freilich auch nicht gemeint, daß dieses Geheimnis logisch erdacht werden könne; aber sie hat, indem sie sich nicht scheute, die letzten begrifflichen Paradoxien auszusprechen, gerade so das Geheimnis als Geheimnis für alles natürliche Denken bezeugt und verherrlicht. Die altkirchliche Christologie ist wirklich an der Krippe von Bethlehem entstanden, und es liegt auf ihrem

verwitterten Antlitz weihnachtlicher Glanz. Wer sie kennen lernt, dem gewinnt sie noch heute das Herz

ab. So

384

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

wollen wir in der Weihnachtszeit wieder bei der alten Kirche in die Schule gehen und andächtig zu verstehen versuchen, was sie zur Verherrlichung und Verteidigung des Christusglaubens gedacht und gelehrt hat. Die harten Begriffe jener Zeit sind wie die Steine, aus denen man Feuer schlägt.

Drei altbekannte Lehrstücke der Christologie, die in unsern lutherischen Bekenntnissen fortleben, wollen wir in Kürze betrachten, nicht etwa um sie den Gemeinden zu predigen,

sondern um als Prediger des Wortes auch unser Denken und Erkennen in das Licht der heiligen Nacht zu stellen. Erstens. Es hat chen, daß Gott, einen Menschen wurde Mensch, einen einzelnen

den Vätern alles daran gelegen, auszuspreder Sohn, die menschliche Natur, nicht aber angenommen habe. Was bedeutet das? Gott indem er die menschliche Natur, nicht aber Menschen annahm. Diese Unterscheidung

war notwendig, um die Universalität des Weihnachtswunders zu wahren. „Menschliche Natur“, das ist Natur, Wesen, Fleisch aller Menschen, also auch meine Natur, mein Fleisch; menschliche Natur, das ist der Inbegriff aller menschlichen Möglichkeiten überhaupt. Vielleicht würden wir Heutigen am verständlichsten sagen: Gott nahm in der Geburt Jesu Christi die Menschheit an, nicht nur einen einzelnen Men-

schen. Diese Annahme aber geschah — und das ist das einmalige Wunder der Inkarnation —

leiblich. Der Leib Jesu

Christi — das ist unser Fleisch. Er trägt unser Fleisch. Dar-

um: Wo Jesus Christus ist, dort sind wir, ob wir es wissen oder nicht; es ist so kraft der Menschwerdung; was Jesus Christus widerfährt, widerfährt uns. Es ist wirklich unser aller „armes Fleisch und Blut“, das dort in der Krippe liegt, es ist unser Fleisch, das er im Gehorsam und Leiden heiligt und reinigt, es ist unser Fleisch, das mit ihm am Kreuz stirbt und mit ihm begraben wird. Er nahm menschliche Natur an,

damit wir ewig bei ihm seien. Wo der Leib Jesu Christi ist,

dort sind wir, ja, wir sind sein Leib. Darum lautet das Weih-

Theologischer Brief zu Weihnachten

nachtszeugnis

für alle Menschen:

1939

385

Ihr seid angenommen,

Gott hat euch nicht verachtet, sondern er trägt leibhaftig euer aller Fleisch und Blut. Seht auf die Krippe! In dem Leibe des Kindleins, in dem fleischgewordenen Sohn Gottes ist euer Fleisch, ist alle eure Not, Angst, Anfechtung, ja, alle eure Sünde getragen, vergeben, geheiligt. Klagst du: meine Natur, mein ganzes Wesen ist heillos, und ich muß ewig verloren sein, so antwortet die Weihnachtsbotschaft: deine Natur, dein ganzes Wesen ist angenommen, Jesus trägt es, so ist

er dein Heiland geworden. Weil Weihnachten die leibhaftige Annahme alles menschlichen Fleisches durch den gnädigen Gott ist, darum muß es heißen: Gottes Sohn nahm menschliche Natur an. Zweitens. „Zwei Naturen und eine Person“ — in dieser para-

doxen dogmatischen Formel hat die alte Kirche ihre Weihnachtserkenntnis auszusprechen gewagt. Gewagt, — denn auch sie wußte, daß hier etwas Unaussprechliches ausgesprochen wurde, ausgesprochen, einfach weil man nicht darüber schweigen konnte (Augustin). Beides fand man in der

Krippe und bezeugte es: die angenommene Menschheit im Fleisch und die ewige Gottheit, beides verbunden in dem einen Namen Jesus Christus, menschliche und göttliche Natur verbunden in der Person des Sohnes Gottes. Göttliche Natur, das ist die Gottheit, die Vater, Sohn und Heiligen

Geist in Ewigkeit vereinigt. Es ist die ewige Macht, Herrlichkeit, Majestät des dreieinigen Gottes. Wo der Sohn ist, dort

bringt er diese göttliche Natur mit sich, denn er bleibt wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ist der Sohn Gottes wahrhaftig Mensch geworden, so ist gewiß auch die göttliche Natur in aller Majestät gegenwärtig; sonst wäre Christus nicht wahrer Gott. Es ist ja so: ist Jesus Christus nicht wahrer Gott, wie könnte er uns helfen? Ist Christus nicht wahrer

Mensch, wie könnte er uns helfen? Freilich ist die göttliche Natur in der Krippe verborgen, nur hier und da leuchtet sie

386

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

im Leben Jesu durch das Bettlergewand der menschlichen Natur

hindurch.

Aber

wiewohl

geheimnisvoll

verborgen,

so ist sie doch gegenwärtig, uns zugute verborgen, uns zugute gegenwärtig. Göttliche und menschliche Natur, in Chri-

stus vereinigt und doch nicht eins geworden; denn sonst wäre der weite Unterschied von Gottheit und Menschheit aufgehoben. Darum darf es niemals heißen: die göttliche Natur nahm die menschliche Natur an; das würde einschließen,

daß auch der Vater und der Heilige Geist Fleisch annahmen und somit die endgültige (modalistisch-idealistisch-pantheistisch-Schleiermachersche) Vermischung von Gott und Mensch bedeuten. Vielmehr heißt es: der Sohn Gottes, die

göttliche Person des Logos nahm die menschliche Natur an. Aber Gottheit und Menschheit, göttliche und menschliche

Natur begegnen und vereinigen sich allein in der Person des Sohnes Gottes, in Jesus Christus. Nirgends sonst als in der Person Jesu Christi und durch sie sind Gottheit und Menschheit miteinander vereinigt, „ungeteilt, doch unvermischt, ungetrennt, doch unverwandelt“ — wie es das

Chalcedonense in höchster Paradoxie und zugleich in ehrfürchtigster Wahrung des Geheimnisses der Person des Mittlers ausgesprochen hat. Selten ist später die Vernunft so bereit gewesen, sich vor dem Wunder Gottes zu demütigen und aufzugeben, wie in diesen Worten. Selten ist aber darum auch die Vernunft zu einem besseren Werkzeug der Verherrlichung der göttlichen Offenbarung gemacht worden

wie damals. Die christologische Formel: Zwei Naturen, eine Person enthält somit zugleich höchste soteriologische Bedeu-

tung: Gottheit und Menschheit von einander getrennt, ehe

Christus kam, miteinander vereinigt allein in der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Nur durch die Person haben die

Naturen Gemeinschaft miteinander, d. h, nur durch Jesus Christus ist Gottheit und Menschheit vereinigt.

Drittens. Der Beitrag der lutherischen Kirche zu der alt-

Theologischer Brief zu Weihnachten

1939

387

kirchlichen Christologie bestand in der (von den Reformierten aufs heftigste bestrittenen) Lehre vom

genus majesta-

ticum, d. h. von der in der Inkarnation geschehenen Mitteilung der Eigenschaften der göttlichen Natur an die menschliche Natur. „Denn Lebendigmachen, alles Gericht und alle Gewalt haben im Himmel und auf Erden, alles in seinen Händen haben, alles unter seinen Füßen unterworfen ha-

ben, von Sünden reinigen etc. sind nicht erschaffene Gaben, sondern

göttliche

unendliche

Eigenschaften,

welche

doch

nach Aussage der Schrift dem Menschen Christo gegeben und mitgeteilt sind“ (Concordienformel S. D. VIII 55). Zwar bleibt es unbegreiflich, wie die menschliche Natur, die un-

sere Natur ist, der Eigenschaften der göttlichen Majestät teilhaftig werden soll, aber die Schrift lehrt es so, und es ist

damit tiefste und letzte Vereinigung Gottes mit dem Menschen ausgesprochen, so daß es nun mit Luther heißen kann: „Wo du kannst sagen: hier ist Gott, da mußt du auch sagen:

so ist Christus der Mensch auch da. Und wo du einen Ort zeigen würdest, da Gott wäre und nicht der Mensch, so wäre die Person schon zertrennt... Nein Geselle, wo du mir Gott hinsetzest, da mußt du mir die Menschheit mithinsetzen.“ „Das ist unsers Herren Gotts Ehre, daß er sich so tief herunterläßt ins Fleisch.“ Den reformierten Widerspruch, hier werde die menschliche Natur nicht mehr ernst genommen,

ertrug die lutherische Lehre mit dem Hinweis auf das einmalige Wunder und auf die Schrift. Ja, von hier aus erschließt sich ihr erst das rechte Verständnis des heiligen Abendmahls und der Worte des Herrn: „Das ist mein Leib“! Wenn Christus so spricht, dann muß er besser wissen als

irgendein Mensch, was sein Leib sei und vermöge. So hängen Inkarnation und Abendmahl aufs innigste zusammen. Die Lehre vom genus majestaticum bringt diesen Zusammen-

hang ans Licht. Derselbe Gott, der uns zugute ins Fleisch kam, schenkt sich uns mit seinem Leib und Blut im Sakra-

388

Aufträge

ment. „Das Ende (Oetinger).

der Bruderräte.

der Wege

1940—1942

Gottes ist die Leiblichkeit“

Es sind alte Gedanken, die wir hier ausgesprochen haben, es sind kleinste Bruchstücke vom Gebäude der kirchlichen Christologie. Aber nicht darauf kommt’s ja an, daß wir dieses Gebäude bewundern, sondern daß wir durch den einen

oder anderen Gedanken dazu geführt werden, ehrfürchtiger und andächtiger das biblische Zeugnis von dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes zu lesen und zu betrachten, und

vielleicht auch die Weihnachtslieder cher und fröhlicher zu singen.

Luthers nachdenkli-

Epiphanias Eine theologische Besinnung [Januar 1940]

Die seltsame Unbestimmtheit,

die über dem Epiphanias-

fest liegt, ist so alt wie das Fest selbst. Es steht fest, daß,

längst bevor Weihnachten gefeiert wurde, Epiphanias in den Kirchen

des Morgen- und Abendlandes

als höchster Fest-

tag der winterlichen Jahreshälfte galt. Die Ursprünge sind dunkel. Gewiß ist, daß von jeher vier verschiedene Ereignisse an diesem Tag Gegenstand des Gedenkens waren: die Geburt Christi, die Taufe Christi, die Hochzeit zu Kana und die

Ankunft der Magier aus dem Morgenland. Karl Holl hat in seinem Aufsatz über den „Ursprung des Epiphaniasfestes“ (Ges. Aufsätze II S.123 ff) dieses eigenartige Festgebilde auf das ägyptische Aionfest zurückzuführen versucht, das in der Nacht vom 5. zum 6. Januar gefeiert wurde und mit dem

Wasserschöpfen im Nil und einem Weinwunder zusammen-

Theologischer

Brief

Epiphanias

1940

389

fiel. Wie dem auch sei, die Kirche hat seit dem 4. Jahrhun-

dert die Geburt Christi festlich am 25. Dezember gefeiert und sie aus dem Epiphaniasfest herausgelöst. Rom hat ferner die Wasserweihe, die mit der Taufe im Zusammenhang stand, auf den Sonnabend vor Ostern verschoben, die Hochzeit zu Kana wurde in die spätere Festzeit verlegt, so daß allein die An-

betung Christi durch die Weisen aus dem Morgenland, die „Erscheinung des Sternes vor den Heiden“ in den Mittelpunkt des Epiphaniasfestes trat. Dennoch zeigen die Liturgien der abendländischen Kirchen, daß auch hier der ur-

sprüngliche Festgehalt nicht ganz verloren ging. So ist eine gewisse Unbestimmtheit über dem Epiphaniasfest geblieben. Es bedeutet angesichts des kirchengeschichtlichen Be-

fundes eine dogmatische und pädagogische Vereinfachung, wenn wir heute sagen, Epiphanias sei das Fest der Erscheinung der Gottheit Jesu Christi vor der Welt. Doch läßt sich in der Tat der Festgehalt auf diese oder eine ähnliche Formel bringen.

Die Ablösung der Feier der Geburt Christi vom Tauftag Christi war von großer Bedeutung. Es hatte sich in gnostischen und häretischen Kreisen des Ostens der Gedanke gebildet, daß der Tauftag eigentlich erst der Geburtstag Christi als des Sohnes Gottes sei. Dazu hatte man nachträglich

eine gekünstelte Berechnung angestellt, dergemäß Jesus gerade an seinem Tauftag 30 Jahre alt geworden sei. Das gibt uns Anlaß, einen Augenblick über das Verhältnis von Geburt und Taufe Jesu Christi nachzudenken. Es war in der alten Christenheit üblich geworden, so bezeugt es noch Augustin, statt des eigenen Geburtstages den Tag der Wiedergeburt, der Taufe, festlich zu begehen. Es lag nun nahe, dem-

entsprechend mit dem Tauftag Jesu zu verfahren und ihn als das Hauptfest auszugeben. Darin aber lag die Möglichkeit eines gefährlichen Irrtums beschlossen, nämlich einer Mißachtung der Fleischwerdung Gottes. Die Geburt Jesu ist

390

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

ja nicht der natürliche Anfang eines menschlichen Lebens, dem die geistliche Wiedergeburt erst hätte folgen müssen,

sondern die Geburt Jesu ist die Fleischwerdung des Sohnes

Gottes zum Heil alles Fleisches. Wir haben schon in unserer Weihnachtsbetrachtung gesehen, daß es Gott gefiel, das

menschliche Fleisch, die menschliche Natur anzunehmen, nicht aber den Menschen Jesus als Sohn zu „adoptieren“,

wie die Irrlehrer es gegen die alte Kirche lehrten. Hätte Gott

nur den Menschen Jesus in ‘der Taufe als seinen Sohn angenommen, so blieben wir unerlöst; dann wäre Jesus zwar

der unerreichbar Einzige, der Übermensch, der für sich die Seligkeit errang, aber er hätte uns andern nicht helfen kön-

nen. Ist aber Jesus der Sohn Gottes, der von seiner Empfäng-

nis und Geburt an unser eigenes Fleisch und Blut angenommen hat und trägt, dann allein ist er wahrer Mensch und

wahrer Gott; dann allein kann er uns helfen; dann aber hat uns in seiner Geburt wirklich „die rettende Stunde geschlagen“; dann ist die Geburt Christi das Heil aller Men-

schen; dann ist gerade die Fleischwerdung des Sohnes Got-

tes der Tag, der unsere Wiedergeburt ermöglicht. Christi Geburt und unsere Wiedergeburt, das gehört zueinander, aber

nicht Christi Taufe und unsere Taufe. Das wirft nun ein Licht auf die Bedeutung der Taufe Jesu. Ist sie nicht der Tag der Adoption des Gottessohnes, was ist sie dann? Wenn

Jesus

die Taufe begehrt, dann tut er es im Unterschied zu allen

anderen Menschen als der allein Gute, Sündlose, der Ver-

gebung nicht Bedürftige. Als der Gute aber begehrt er die

Taufe, obwohl er ihrer für sich selbst nicht bedarf, um derer willen, die ihrer bedürfen, um der Sünder willen. Ge-

rade als der allein Gute läßt er sich nicht von den Sün-

dern trennen, wird er nicht zum Pharisäer, der das Gute für

sich selbst haben will. Die Sündlosigkeit, das Gutsein Jesu bezeugt sich gerade in seiner unbedingten Liebe zu den Sündern. Nicht aus Reue, sondern aus Liebe geht Jesus zur

Theologischer

Brief

Epiphanias

1940

391

Taufe und tritt so an die Seite der Sünder. Wenn Johannes ihm die Taufe verweigern will, so darum, weil er hier nicht begreift, was Jesus tut. Die Taufe ist Jesu Selbsterniedrigung um der Sünder willen, er wird als der Sündlose zum Sünder um seiner Brüder willen. Nirgends in der ganzen Schrift findet sich eine Andeutung dafür, daß Jesus die Taufe

um seiner selbst willen gebraucht habe, vielmehr ist überall gerade das Gegenteil nachdrücklich bezeugt. Jesus begehrt die Taufe allein als der, dessen Güte in der Gemeinschaft mit den Sündern besteht; so unterzieht er sich der

Taufe: „denn es gebührt uns, daß wir die ganze Gerechtigkeit erfüllen“ (Matth 3, 15). Diese „ganze“ Gerechtigkeit

aber ist nicht eine selbstsüchtige Heiligkeit, sondern

die

vollkommene Liebe zu den Menschen, zu den Sündern. Es

ist dieser Augenblick der Verbindung des Sohnes Gottes mit den Sündern in der Taufe, in dem ihm (und den Umste-

henden, vgl. Joh 1, 31 ff und Matth 3, 17 und Apparat!) von seinem himmlischen Vater bestätigt wird, daß er sein lieber Sohn ist. Als der Sünderheiland wird Jesus als der, der er von Anfang an war, nämlich als der Sohn Gottes,

proklamiert. Die Taufe ist eine Bestätigung dessen, was Jesus von Gott her ist. hinzu, aber sie bringt indem Jesus von nun er von Ewigkeit her

Sie bringt nichts Neues zu seinem Sein etwas entscheidend Neues in sein Tun, an vor aller Welt als der handelt, der ist. Die Erscheinung Jesu als Gottes-

sohn, wie sie am Epiphaniastag zum Gedächtnis der Taufe Jesu gefeiert wird, ist die Erscheinung in der Niedrigkeit, in der Gleichheit der Sünder. Der Zöllner und Sünder Geselle,

das ist der Sohn Gottes, dessen Erscheinung wir liebhaben sollen. Nicht anders steht es mit den beiden andern Inhalten des Epiphaniasfestes, der Erscheinung des Sternes bei den Weisen und der Hochzeit zu Kana. Der Stern ist kein Zeichen, das

aller Welt sichtbar die Geburt des Königs der Juden ange-

392

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

zeigt hätte. Er muß erkannt und geglaubt werden. Herodes hat ihn nicht gesehen. Er ging unter den Heiden auf und

rief sie nach Jerusalem. Darum ist Epiphanias in besonderer Weise das Fest der Heidenchristenheit, „unser Fest“, Aber auch die heidnischen Weisen hätten den Weg nicht gefunden

ohne die Weisung der Heiligen Schrift. Dem wunderbaren

Ruf durch den Stern folgt der Ruf zum Glauben an die Ver-

heißung Gottes in der Schrift. Sonst hätten sie im Kinde in Bethlehem den König nicht erkannt und geehrt. Erschei-

nung der Gottheit Jesu Christi gibt es auch hier nur als Ruf zum Glauben an das arme Kind in der Krippe. — Die Hochzeit zu Kana berichtet von dem „ersten Zeichen, das

Jesus tat“ zur Offenbarung seiner Herrlichkeit, einem höchst wunderbaren und für unsere Begriffe fast unnötigen Zei-

chen seiner göttlichen Herrlichkeit angesichts eines so geringen Anlasses. Aber das Entscheidende ist, daß auch dieses Zeichen der göttlichen Macht Jesu verborge n bleibt

vor

den Gästen,

dem

Speisemeister,

dem

Bräutigam

der

Hochzeit, daß es vielmehr allein dem Glauben der Jünger dient. Jesus will sich nicht durch magische Wunder die An-

erkennung als Sohn Gottes erzwingen, sondern er will als

solcher geglaubt sein. „Seine Jünger glaubten an ihn.“ Die

Herrlichkeit Jesu ist verborgen in seiner Niedrigk eit und wird allein im Glauben geschaut. Hier schließt sich der Inhalt des Epiphaniasfestes doch wieder eng mit der Weih-

nachtsgeschichte

zusammen,

so daß

es verständlich

wird,

daß der Epiphaniastag einst zugleich die Erschein ung dessen

war, der „keine Gestalt noch Schöne hatte“ Jes 53. Damit weist Epiphanias auf die Zeit hin, die nun im Kirchenjahr folgt, auf die Passion. Mit gutem Sinn ist die letzte Perikope der Epiphanienzeit die Verklärung Jesu auf dem Wege nach

Jerusalem.

Brief vom

Heiligen

Abendmahl

1940

393

Vom heiligen Abendmahl Eine Anleitung zum Studium des VII. Artikels der lutherischen Konkordienformel [Februar 1940]

Vor uns steht die Zeit der häufigen und großen Abendmahlsfeiern,

der

letzten

Konfirmandenstunden,

in denen

viele tausend junger Christen auf ihren ersten Gang zum

Sakrament vorbereitet werden sollen. Dies und die Passionszeit selbst wird dem Pfarrer immer wieder zum Anlaß, über die letzte Gabe Jesu an seine Jünger nachzudenken. Über

das Abendmahl nachdenken — ja, sollen wir das wirklich noch? Ist nicht gerade durch das Denken über das Abendmahl seit 1000 Jahren mehr Zwiespalt als Klarheit in die

Kirche getragen worden? Wurde das Mahl der Versöhnung und der Bruderliebe nicht gerade so zum Zeichen der Zerrissenheit und des Streites? Ist nicht schließlich im Laufe der Jahrhunderte alles gesagt worden, was überhaupt zu dieser Sache gesagt werden kann? Wäre es nicht besser, das Sakrament einfach zu brauchen und zu empfangen und sich

aller Gedanken darüber zu entschlagen? Es ist gewiß wahr, daß die Hauptschäden in dieser ganzen Sache in dem mangelnden Gebrauch von Beichte und Abendmahl

und in der

mangelnden Predigt über diese Stücke liegen. Erst aus dem rechten Gebrauch kommen die rechten Gedanken. Aber was ist der rechte Gebrauch des Abendmahls? Was dürfen wir vom Empfang des Sakraments erwarten? Welches ist die Gabe, die uns zuteil wird? Was hat Jesus mit der Einsetzung

des Abendmahls verheißen und welches ist die rechte Predigt, die zum

Abendmahl

einlädt? Wir kommen

ja nicht

394

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

darum herum, daß es im Abendmahl nicht um ein unklares mystisches Erlebnis, sondern um das klare, leibgew ordene Wort Gottes, um Zuspruch und Anspruch Jesu Christi geht. Jesus selbst hat den Jüngern nicht stumm Brot und

Wein gereicht, sondern er hat sein Wort dazu gesproc hen.

Um das rechte Nachsprechen dieses Wortes Jesu (das doch wie alle Predigt nicht einfach Wiederholung und Deklamation des Bibelwortes sein kann!), darum also, daß das Sa-

krament Jesu eigenes Sprechen und Handeln

bleibe für

alle Zeiten, ist es der lutherischen Kirche gegange n, wenn sie die Abendmahlslehre mit so großem Nachdruck und Ernst getrieben hat. Es soll in der Kirche nichts gelten und geschehen als Jesu Wort und Tat. Weil aber die lutherische Kirche in der römischen wie in der reformi erten Abend-

mahlslehre

eine

Eintragung

menschlicher

Gedanken

in

das Abendmahl Jesu sah, stritt sie um die Sache Jesu Chri-

sti bis zur äußersten Konsequenz. Nicht um selbst tiefsinnige

Gedanken über das Abendmahl

auszusprechen, sondern im

Gegenteil um alle eigenwilligen menschlichen Gedanken abzuwehren und allein Wort und Handlung Jesu Christi in seiner ursprünglichen Reinheit stehen und gelten zu las-

sen, ging die lutherische Kirche in diesen Streit. Alles theo-

logische Denken stand hier im Dienst des rechten und unverfäls

chten Gebrauches des Sakraments in der Kirche. Nur wo die Kirche — allem Spott und Entsetz en einer modernen Welt zum Trotz — auf dem lauteren Wort Gottes und den von Christus selbst eingesetzten Sakram enten ruht, gilt ihr die Verheißung, daß die Pforten der Hölle sie nicht über-

wältigen werden. Es gibt ein dogmatisches Pharisäertum,

aber es gibt ebenso häufig und heute noch häufiger ein antidogmatisches Pharisäertum; es gibt intellektuelle Werkgerechtigkeit, die vor Gott gewiß nicht bestehen kann.

Zwischen beiden ist die lutherische Kirche in ihrer Abend-

mahlslehre, geleitet vom Worte Gottes allein mit sicherem

Brief vom

Heiligen

Abendmahl

1940

395

Schritt hindurchgegangen. Sie hat gedacht, wo gedacht werden mußte, und sie hat die Grenzen des Denkens doch streng gewahrt. Sie hat das vermocht, indem sie das einzige Ziel ihres Denkens sein ließ, das Wunder und das Geheimnis des Abendmahls Jesu Christi als solches stehen zu lassen und

anzubeten.

1. Ausgangspunkt

vor allem sind die Worte Christi: Das

ist mein Leib. Hier gibt es kein Deuteln. Das Brot, das wir im Sakrament essen, ist der Leib Jesu Christi. Das ist so kraft

des allmächtigen Wortes Jesu, nicht etwa erst kraft unseres Glaubens (gegen das „respectu fidei“ der Reformierten). Das Wort allein macht das Sakrament, nicht der Glaube.

Ob es unserer Vernunft eingeht oder nicht, ob die Welt sich empört, ist vor dem Wort Jesu belanglos, das keiner Bestätigung durch uns bedarf. Entweder gilt Jesu Wort durch sich

selbst und in Ewigkeit oder es ist ein leerer Schall. 2. Weil Jesu Wort aus eigener Mächtigkeit gilt, darum gilt es auch, ob wir gläubig oder ungläubig das Sakrament empfangen. Das Brot ist der Leib Christi auch für den ungläubig Essenden. Das ist die lutherische Lehre von der manducatio impiorum, der die Reformierten widersprachen. Sie bringt zum Ausdruck, daß das Sakrament im Wort Christi allein begründet ist und besteht. Auch Judas empfing den Leib Christi, freilich sich zum Fluch. Wer unwürdig ißt, ‚‚der ißt sich selber das Gericht“ 1. Kor 11, 29. 3. Gilt Christi Wort, dann empfangen wir den Leib Christi nicht nur geistlich, sondern „mündlich“. Wo das geleug-

net wird, ist Christi Wort nicht mehr ernstgenommen. So tief erniedrigt sich Christus, so innig ist seine Gemeinschaft mit uns, so unmittelbar bezeugt er sich einem jeden von uns, daß wir seinen Leib mit dem Mund empfangen und sein Blut trinken. Das ist die lutherische Lehre von der manducatio oralis, die von den Reformierten bestritten wurde. Sie will nichts anderes als Christus bei seinem Wort nehmen und

396

Aufträge

der Bruderräte.

wirken lassen allem Hochmut

1940—1942

der menschlichen Vernunft

zum Trotz. 4. Der Leib Jesu Christi ist „in, mit und unter“ dem Brot

„wahrhaftig und wesentlich“ im Sakrament gegenwärtig.

Nicht verwandelt sich das Brot in den Leib (Transsubstan-

tiation) — das wäre menschliche Deutung und Vergewaltigung des Allmachtswunders,

das allein im Wort Christi

begründet ist! — sondern das Brot ist der Leib. Nicht ist das

Brot das „Zeichen für den abwesenden Leib Christi“ (gegen

die Reformierten), sondern das Brot ist der Leib. So sagt und schafft es das Wort Christi.

5. Der Leib Christi wird im Brot mündlich und geistlich (oraliter et spiritualiter) gegessen. Nicht nur mündlich („kaPernaitisch“ — gegen Rom), so daß der Leib Jesu Christi ein

„Ding“ geworden wäre, aber auch nicht nur geistlich (gegen die Reformierten), so daß wiederum der Glaube und nicht das Wort Christi allein das Sakrament schüfe.

6. Die Vereinigung von Brot und Leib ist mit mensch lichen

Begriffen nicht zu erfassen. Sie darf weder magisch mate-

rialisiert (Rom) noch spiritualisiert (Reformierte) werden ; in beiden Fällen würde das Wunder, das allein das Wort Christi vollbringt, geleugnet, aufgelöst, rationalisiert werden; in

beiden Fällen käme das Sakrament in die Gewalt des Men-

schen. Die Vereinigung ist etwas schlechthin Einzigartiges, Unvergleichliches und wird darum als „sakra mentales Essen‘ bezeichnet. Hier ist die Grenze des Denken s, das nur

dazu dient, das Wort Jesu in seiner Reinheit zu verteid igen,

erreicht und in den nicht weiter aufzulösende n, sondern das unauflöslihe Wunder selbst aussprechend en Begriffen

der unio sacramentalis und des sakramentlichen Essens bezeugt. Es geht aber nicht um die Lehre vom Abendmahl,

sondern um das Abendmahl Jesu Christi selbst.

7. Wie der Logos ins Fleisch einging, so ist in Brot und Wein der ganze Christus gegenwärtig. Es ist seine Ehre, so

Brief vom

Heiligen

Abendmahl

1940

397

tief und völlig in das menschliche Wesen einzugehen aus Liebe zu den Sündern (gegen das Extra-Calvinisticum). Christus will leiblich unter uns wohnen, Nur im Leib ist er unser Heiland. So ist uns im Abendmahl nicht nur ‚die Kraft, Wirkung und Verdienst Christi“, sondern Christus selbst leiblich, d. h. in seiner menschlichen Natur gegenwärtig. Auf die Aufforderung Oekolampads an Luther in

Marburg 1529, doch nicht an der Menschheit Christi zu hängen, sondern sich zu seiner Gottheit zu erheben, antwortete Luther, er kenne und verehre keinen anderen Gott als den menschgewordenen, der auch im Sakrament gegenwärtig sei und allein seligmachen könne. Im Kampf der lutherischen

Kirche gegen jeden Spiritualismus geht es um die echte Gegenwart des menschgewordenen Sohnes Gottes in seiner Gemeinde, um den Christus im Fleisch. 8. „Wenn man die Stiftung Christi nicht hält, wie er’s geordnet hat, ist es kein Sakrament.‘“ Nur wo die „ganze Ak-

tion des Abendmahls“

gehalten wird, gemäß dem Befehl

Christi: „Solches tut“, wo „man in sammenkunft Brot und Wein nehme, fange, esse, trinke und des Herrn Tod das Sakrament Jesu Christi. Damit

einer christlichen Zusegne, austeile, empverkündige“, dort ist wehrt die lutherische

Kirche alle neugierigen Fragen nach Zeitpunkt und Dauer der unio sacramentalis ab. Sie bindet alles streng an Befehl und Einsetzung, an das Wort Christi; nur im „Gebrauch“

(usus) oder „Handlung“ (actio) gibt es Sakrament. Damit sind alle Fragen und Gedanken streng auf den gottesdienstlichen Gebrauch des Sakraments gerichtet und durch ihn begrenzt. So über das heilige Abendmahl nachzudenken und es vor Mißbrauch, Verweltlichung, Aberglauben, Vorwitz zu schützen, ist nicht nur erlaubt, sondern nötig, um das Abendmahl recht und dankbar brauchen zu können. So kommt das rechte Denken aus dem rechten Gebrauch und

führt wieder zum rechten Gebrauch des Sakraments zurück.

398

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

— Alles Gesagte ist von Luther im kleinen Katechismus

zusammengefaßt: „Was ist das Sakrament des Altars? Es ist der wahre Leib und Blut unsers Herrn Jesu Christi, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken

von Christo selbst eingesetzt.“

Vorstehendes Schreiben übersenden wir den Brüdern als Gruß zur Passionszeit und als Anregung für die theologische Arbeit. Der Vors. d. Rats

gez. Onnasch, Superintendent [Dieser „Anleitung“ schloß sich ein Briefwechsel an:] Stettin, den 12. März 1940 An Herrn Superintendent Onnasch, Köslin, Elisenstraße 3 Lieber Bruder Onnasch! Die Anleitung zum Studium des VII. Artikels der lutherischen Konkordienformel, die „als Gruß der Bekennenden Kirche zur Passionszeit“ und „als Anregung für die theol. Arbeit“ den Brüdern übersandt worden ist — sie komm t mir erst heute zu Gesicht, da ich sie mir erst von andern Brüde rn erbitten mußte — erfüllte

mich im Gedanken an die Zukunft unsere r evangelischen Kirche mit einer Traurigkeit, die ich schon als tiefe Niedergeschlagenheit

oder Schwermut bezeichnen möchte, Dieser „Gruß“ ist für die Glied er evangelisch-reformierten Bekenntnisses kein brüderlicher Gruß, sondern eine glatte Exkom-

munikation und dürfte sich kaum mit Recht als Anlei

tung zum Studium oder Anregung für die theol. Arbeit bezeichnen, da sie

das Ergebnis solchen Studiums kühn und einseitig vorw

egnimmt. Dieser „Gruß“ ist eine Scholastik , diu zwar behauptet, ausschließ lich das Wort Gottes (Christi) zur Geltung zu bringen, sich aber nicht dazu findet, auf das ganze Wort der Schrift, das uns Ein-

blick gewährt in das Geheimnis des Hlg. Abendmahls, demütig zu

hören, sondern auf einen Wortl aut Deutung fähig ist. Die Forschung der

versteift, der verschiedener letzten Jahre und Jahrzehnte

sollte uns doch darüber belehrt haben, wie sorgfältig man hier die

Kontroverse

über

das

Heilige

Abendmahl

1940

399

ganze Schrift studieren muß, um nicht fehlzugreifen. Darüber wäre im einzelnen sehr, sehr viel zu sagen.

Hier nur zwei Beispiele: 1. hat Judas Leib und Blut Jesu mit-

genossen? Die Evangelien berichten darüber bekanntlich verschieden. Und wenn, hat er es leiblich genossen, wenn es ihm doch der noch lebende Herr reichte? 2. Ebenso wie die lutherische Kirche weiß die reformierte Kirche darum, daß das Wort das Sakrament macht, und ebenso wie die reformierte auch die lutherische (vgl. Luther), daß das Wort den Glauben (eitel gläubige Herzen) erfordert. Wer in seinen Gedanken das

Wort vom Glauben löst — beide gehören dem ganz persönlichen Bereich an und sind Correlate — wversäcklicht das Gnadengut (vergl. die katholische Kirche). Dieser „Gruß“ ist eine Repristination der Formula Concordiae, eine Gleichsetzung derselben mit der Hl. Schrift, ohne sich zu erinnern, wie allzumenschlich, parteilich und diplomatisch es bei der Entstehung dieser Formula zugegangen ist, die auch nur geteilt Annahme in den lutherischen Kirchen gefunden hat und nicht ohne Grund Formula Discordiae genannt wurde. Dieser „Gruß“ reißt bedenkenlos die konfessionalistische Kluft in der Bekennenden Kirche auf, die sich schon in der Geburtsstunde derselben in Barmen als feiner Riß andeutete, durch die „intakten“ Kirchen in der Sorge um ihren Bestand geflissentlich erweitert

wurde, und zu den mühsceligen, wenn auch brüderlichen Verhandlungen der Synode in Halle! führte, unerhörterweise mitten im Kampfe, den die Kirche Jesu Christi als solche um ihr Dasein und

ihr Daseinsrecht im deutschen

Vaterlande mit Aufbietung aller

geistlichen Kräfte zu führen hat. Der Konfessionalismus mit all seiner Enge und Rechthaberei ist eben nicht von Gott, sondern vom Satan, so segensreich die Konfessionen als Offenbarung der Man-

nigfaltigkeit in der Einheit zu wirken vermögen. Denn er entwaffnet und verdirbt die kämpfende Kirche (Mark 3, 24. 25). Dieser „Gruß“ ist mir eine schmerzliche Bestätigung, daß ich recht getan habe, von jeder Mitarbeit im pommerschen Bruderrat zurückzutreten, um ihn von Vorwürfen ganz frei zu machen, die ihn in der „lutherischen“ Provinz Pommern allzu schwer belasten müs1. Siehe G.S. II, S. 380 und 518.

400

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

sen. Er hat aber auch einen Reformierten unter unsern jungen Brüdern, die im Felde stehen, zu der Überzeugung gebracht, daß in der Bekennenden Kirche Pommerns für ihn kein Raum sei.

Aber um so tiefer ist mein demütiger Dank an den König der

Passion, daß er unendlich größer, lebensvoller und lichtvoller ist

als alle menschliche Dogmatik für die, die ihn in seinem Kreuzes-

tode als das Brot des Lebens erkannt und ergriffen haben. Im übrigen kann ich, lieber Bruder Onnasch, nicht glauben, daß Sie

wirklich diese Anleitung persönlich vertreten.

Baumann

[Berlin] 21. März 1940

Sehr verehrter Herr Konsistorialrat! Ihr Brief an Bruder Onnasch ist mir zugeleitet worden, wie ich annehmen darf mit Ihrem Einverständnis. Ich bin betroffen durch das völlige Mißverständnis meines theologischen Briefes. Es handelt sich bei diesem Brief weder um

meine persönliche Auffassung vom

Abendmahl

noch um

eine allgemeine exegetische oder systematische Arbeit, sondern um die Wiedergabe der wesentlichen GedankendesArtikelsVIIder FC, um deren Verständnis ich mich allerdings aufrichtig bemühe und die ich, je länger ich an ihr arbeite, desto mehr liebe und bewundere. Diese Wiedergabe ihres VII. Artikels soll, wie in der Überschrift deutlich vermerkt, den Pfarrern eine Anleitung zum eigenen Studium des Artikels sein. Ich kann mir nicht denken, daß Sie es als besonders verheißungsvoll für die Zukunft der Kirche ansehen würden, wenn solche

sachliche Arbeit an bedeutenden dogmatischen Dokumenten der Kirche aus irgendwelchen

Gründen

erstickt wird

und damit die Besinnung auf die Bekenntnisse innerhalb der Bekennenden Kirche allmählich gänzlich aufhört. Ich

darf hinzufügen, daß ich persönlich an mehreren Punkten von der FC abweiche, grade auch von der gründlichen exe-

Kontroverse

über das Heilige

Abendmahl

1940

401

getischen Arbeit der Institutio her. Aber nicht dies ist meine Aufgabe in diesen Briefen, persönliche dogmatische Überzeugungen darzustellen, sondern ein Stück dogmatischer Arbeit unserer Bekenntnisse der Weiterarbeit zu empfehlen. Wenn Sie (und der jetzt im Felde stehende junge Bruder,

von dem ich zu wissen glaube) aus solchem Unternehmen Schlüsse auf die Bekennende Kirche und ihre Zukunft ziehen wollen, so scheint mir dies eher aus liberalen als aus konfessionell reformierten Gedanken herzukommen, wenn es sich nicht wirklich bei der ganzen Angelegenheit um ein völliges Mißverständnis handelt. Ich habe jedenfalls bei dem mir zugefallenen Auftrag ein kirchlich gutes Gewissen und halte es nicht für gesund, ernsthafte theologische Sätze unserer Väter zu unterdrücken, weil es verschiedene Meinungen darüber gibt. Nur eine gründliche Kenntnis der Bekenntnisse selbst kann uns hier sachlich fördern. Wenn Sie sagen, daß der Konfessionalismus „vom Satan“ sei, und damit meinen Brief meinen, so wundere ich mich über diese fast lutherische Diktion, muß nun aber allen Ern-

stes hinzufügen, daß es eine konfessionelle Empfindlichkeit gibt, die in Gefahr gerät, Sachliches nicht mehr sachlich zu nehmen. Ich würde es dankbar begrüßen, wenn ein reformierter Bruder uns eine Anleitung zum Studium der Insti-

tutio in ihrer Abendmahlslehre lieferte. Mit herzlichen Segenswünschen für die Osterzeit grüßt Sie, sehr verehrter Herr Konsistorialrat,

Ihr stets aufrichtig ergebener

Bonhoeffer

Stettin, den ® März 1940 Sehr geehrter Herr Licentiat! Mit Dank habe ich Ihre freundlichen Zeilen vom 21. d. M. erhalten, die mir sagen, daß meine Beanstandung Ihres theol. Briefes

einem völligen Mißverständnis entsprungen sei. Selbstverständlich

402

Aufträge

der Bruderräte.

1940-1942

fallen damit allerhand Folgerungen hin, die ich in meinem Ein-

spruch an Bruder Onnasch gezogen habe, so weit es sich um die

Absicht und nicht um mögliche Wirkungen Ihres Briefes handelt.

Wie Sie sich denken können, frage ich mich immer wieder, worauf mein völliges Mißverständnis beruben mag: auf einer konfessionellen Empfindsamkeit, wie Sie sie bei mir annehmen, oder auf gewissen Umständen, unter denen Ihr Brief erschienen ist? Es wird Ihnen bekannt geworden sein, daß ich mit meiner von Ihnen berichtigten Auffassung nicht allein stehe. Ich versuche in

aller Kürze die Begleitumstände anzugeben, die mir zu schaffen gemacht haben: Erstens die Verquickung dieser Anleitung zu einem Studium mit einem Ostergruß und des Artikels VII der F.C. mit der stillen

Vorbereitung auf den Gang zum Tisch des Herrn in der stillen

Woche,

einer dogmengeschichtlichen

Studie

mit einem

unmittel-

baren geistlichen Vorhaben. Zweitens die Auswahl des Studienobjektes. Die Frage wurde wach-

gerufen: Warum gerade die F. C. und nur diese, ohne Einreihung in andere Symbole der Reformationszeit? Drittens die Anregung und Anleitung zum Studium dieses Stoffes lediglich durch eine Inhaltsangabe, ohne eigentliche Anleitu ng zu

methodischem Vorgehen. Ist die Einschätzung der wissenschaftlichen Fähigkeit der jungen

Generation richtig, die solche Hilfe als für sie nötig erachtet, dann

scheint mir auch eine methodische Anleitung für sie unumgän glich. Es liegt mir fern, an dem Weg, den Sie hier als theologischer Leh-

rer gegangen sind, Kritik zu üben. Aber ich bitte Sie, damit Sie

mich verstehen, Folgendes freundlich aufzunehmen, was ich gern

zum Ausdruck bringen möchte. Sie können sich nicht denken, daß ich es als besond ers verheißungsvoll für die Zukunft der Kirche ansehen würde, wenn sachliche

Arbeit an bedeutenden Dokumenten der Kirche erstickt würde etc. Und ich kann Ihnen bestätigen, daß reine Sachlichkeit mein Lebtag für mich Leitstern gewesen ist. Von mir ist somit nicht das Geringste dagegen einzuwenden, daß nicht nur lutheri sche Brüder, son-

dern alle evangelischen Theologen sich in das Studium der luthe-

Kontroverse

über das Heilige Abendmahl

1940

403

rischen Symbole vertiefen, wie nicht nur reformierte Brüder, sondern alle evangelischen Theologen sich unmittelbar mit den Bekenninisschriften der reform. Kirche befassen sollten, denen an eıner Gemeinsamkeit der evangelischen Kirche etwas gelegen ist. Meine Erfahrung aus einer anderthalb Jahrzehnte umspannenden Mitarbeit im theol. Prüfungsamt hat mich freilich darüber belehrt, daß lutherische Theologen Pommerns in der Regel ein unmittelbares Studium der reformierten Bekenntnisse nicht für nötig halten, und darum von vornherein die reformierte Lehre durch die konfessionelle Brille sehen. Ungleich wichtiger freilich dünkt mich in allen Fragen der Glaubenslehre der immer entschlossenere Rückgang auf die Schrift, weil nur das tiefe Eindringen in sie den unseligen Spalt schließen kann, der uns aus der Reformation des 16. Jahrhunderts überkommen ist. Immer wieder und immer schmerzlicher habe ich beobachten müs-

sen, daß dazu auch in der Not der Gegenwart bei den lutherischen Brüdern nicht die Entschlossenheit da ist, weil ihnen ihre Reformation zum Kanon, zur regula fidei geworden ist, die keiner Revision bedarf. Die Methode, die bei jeder Anleitung zum Studium von Glaubensartikeln zu befolgen wäre, scheint mir somit die Vergleichung der reformatorischen Schriften hüben und drüben unter dem Lichte der Heiligen Schrift, der Rückgang von den Vätern auf die mög-

lichst unbefangene und allseitig gelesene Schrift, ja lieber noch der Ausgang von der Schrift.

Meine Bemerkung über den Konfessionalismus, daß er vom Satan sei, könnte ebensogut der biblischen als der lutherischen Diktion

zugerechnet werden. Sie bezieht sich, wie ich ausdrücklich geschrieben habe, auf eine Entwicklung, deren Verlauf von Barmen bis Halle und darüber hinaus ich sorgenvoll verfolgt habe. Es wäre mir wertvoll zu erfahren, ob Sie hier nicht auch den großen Versucher und Verkläger im Spiele sehen.

Ihre Segenswünsche für die Osterzeit, die mich nach längerer Krankheit wieder voll in der Arbeit gesehen hat, erwidere ich herzlich für Ihre Wirksamkeit Ihr

Baumann

404

Aufträge

der

Bruderräte.

1940-1942

21. Mai 1940

Hochverehrter Herr Konsistorialrat! Verzeihen Sie bitte, daß ich Ihnen erst heute für Ihren Brief danke. Ich freue mich, daß sich in unsern Auffassungen

eine weitgehende Übereinstimmung ergeben hat und ich darf hoffen und bitten, daß durch das entstandene Mißverständ-

nis keine persönliche Differenz zurückbleibt. Es war mir

um so betrüblicher, mit Ihnen uneins zu werden, als ich mich in den vergangenen Jahren gerade theologisch mit Ihnen

immer besonders einig gewußt habe, weshalb ich es nach

wie vor tief bedauere, daß Sie sich nicht mehr entschließen können, an der Arbeit des Bruderrates teilzunehmen. Aber es steht mir nicht zu, hierzu etwas zu sagen, da ich weder früher noch jetzt zum Bruderrat gehöre. Sie werden vielleicht gehört haben, daß mein Hauptarbeitsfeld nicht mehr in Pommern sein wird. Das tut mir einerseits nach 5 jähriger Arbeit in der Provinz leid, andererseits sehe ich, daß ich von der ersten Zeit bis zuletzt in Pommern nicht heimisch ge-

worden bin. Woran es lag, will ich nicht entscheiden. Meine

Arbeit aber hat mich immer ausgefüllt und beglückt und jetzt, da sie ein Ende nimmt, bin ich besonders dankbar dafür.

Mit herzlichen Wünschen für Ihre Arbeit und Ihr persönli-

ches Ergehen grüßt Sie, sehr verehrter Herr Konsistorialrat, Ihr stets ergebener

Dietrich Bonhoeffer

Theologischer

Brief von

der Auferstehung

1940

405

Auferstehung [März 1940]

Die Auferstehung Jesu Christi ist Gottes Ja zu Christus und seinem genugtuenden Werk Das Kreuz war das Ende, der Tod des Sohnes Gottes, Fluch

und Gericht über alles Fleisch, Wäre das Kreuz das letzte

Wort über Jesus, dann wäre die Welt in Tod und Verdammnis

ohne Hoffnung verloren, dann hätte die Welt über Gott den Sieg davongetragen. Aber Gott, der allein für uns vollbrachte, — „aber das alles von Gott“ 2. Kor erweckte Christus von den Toten. Das war der neue der dem Ende als Wunder von oben folgte, nicht Frühling dem Winter nach festem Gesetz, sondern

das Heil 5, 18 — Anfang, wie der aus un-

vergleichlicher Freiheit und Macht Gottes, die den Tod zerbricht. „Die Schrift hat verkündet das, wie ein Tod den andern fraß“ (Luther). So hat Gott sich zu Jesus Christus bekannt, ja wie der Apostel geradezu sagen kann: Die Auferstehung ist der Tag der Erzeugung des Gottessohnes (Acta

13, 33 Röm 1, 4). Der Sohn empfängt seine ewige göttliche Herrlichkeit zurück, der Vater hat den Sohn wieder. So ist Jesus als der Christus Gottes, der er von Anbeginn an war,

bestätigt und verherrlicht. So ist aber auch das stellvertretende genugtuende Werk Jesu Christi von Gott anerkannt und angenommen. Am Kreuz hatte Jesus den Schrei der Verzweiflung geschrieen und sich dann in die Hände seines Vaters befohlen, der aus ihm und seinem Werk machen sollte,

was ihm gefiel. In der Auferstehung Christi ist es gewiß geworden, daß Gott zu seinem Sohn und dessen Werk ja gesagt hat. So rufen wir den Auferstandenen als den Sohn Gottes, den Herrn und Heiland an.

406

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

Die Auferstehung Jesu Christi ist Gottes Ja zu uns Christus starb um unserer Sünde willen, er wurde auferweckt um unserer ‚Gerechtigkeit willen (Röm 4, 25). Christi Tod war das Todesurteil über uns und unsre Sünden. Wäre Christus im Tode geblieben, so wäre dieses Todesurteil noch in Kraft; „wir wären noch in unseren Sünden“ (1. Kor 15, 17). Weil aber Christus auferweckt ist vom Tode, darum ist das Urteil über uns aufgehoben, und wir sind mit Chri-

stus auferstanden (1. Kor 15). Das ist so, weil wir ja kraft der

Annahme unserer menschlichen Natur in der Fleischwerdung in Jesus Christus sind; was ihm widerfährt, widerfährt uns; denn wir sind von ihm angenommen. Das ist kein Erfahrungsurteil, sondern ein Urteil Gottes, das im Glauben an Gottes Wort anerkannt werden will.

Die Auferstehung Jesu Christi ist Gottes Ja zur Kreatur Nicht Zerstörung, sondern Neuschöpfung der Leiblichkeit geschieht hier. Der Leib Jesu geht aus dem Grabe hervor, und das Grab ist leer. Wie es möglich, wie es zu denken ist, daß der sterbliche und verwesliche Leib nun als der unsterbliche, unverwesliche, verklärte Leib da ist, bleibt uns verschlossen. Nichts vielleicht wird durch die Verschieden-

artigkeit der Berichte über die Begegnung des Auferstande-

nen mit den Jüngern so deutlich, wie dies, daß wir uns über die neue Leiblichkeit des Auferstandenen keine Vorstel lung zu machen vermögen. Wir wissen, es ist derselbe Leib — denn das Grab ist leer; und es ist ein neuer Leib — denn das Grab ist leer. Wir wissen, Gott hat die erste Schöpfung gerichtet, und er hat eine neue Schöpfung in der Gleichh eit der ersten geschaffen. Nicht eine Christusidee lebt fort, sondern der leibliche Christus. Das ist Gottes Ja zur neuen Kreatur mitten in der alten. In der Auferstehung erkenne n wir,

daß Gott die Erde nicht preisgegeben, sondern sich zurück-

erobert hat. Er hat ihr eine neue Zukunft, eine neue Ver-

Theologischer

Brief

von

der Auferstehung

1940

407

heißung gegeben. Dieselbe Erde, die Gott schuf, trug den Sohn Gottes und sein Kreuz, und auf dieser Erde erschien der Auferstandene den Seinen, und zu dieser Erde wird Christus am letzten Tage wiederkommen. Wer die Auferstehung Christi gläubig bejaht, der kann nicht mehr weltflüchtig werden, er kann aber auch nicht mehr der Welt verfallen, denn er hat mitten in der alten Schöpfung die neue Schöpfung Gottes erkannt.

Die Auferstehung Jesu Christi fordert den Glauben. Es ist das einmütige Zeugnis aller Berichte, so uneinheitlich sie sonst das hier Geschehene und Erlebte wiedergeben, daß der Auferstandene sich nicht der Welt, sondern nur den Seinen zeigt (Acta 10, 40 ff). Jesus stellt sich nicht einer unparteiischen Instanz, um sich so vor der Welt das Wunder seiner Auferstehung beglaubigen zu lassen und sie damit zur Anerkennung zu zwingen. Er will geglaubt, gepredigt und wieder geglaubt sein. Die Welt sieht sozusagen nur das Negativ, den irdischen Abdruck des göttlichen Wunders. Sie sieht das leere Grab und erklärt es sich (obwohl in wissentlichem Selbstbetrug!) als den frommen Betrug der Jünger (Mt 28, 11 ff); sie sieht die Freude und die Botschaft der Jünger und nennt sie Vision, Autosuggestion. Die Welt sieht die „Zeichen“, aber sie glaubt das Wunder nicht. Nur

dort aber, wo das Wunder geglaubt wird, werden die Zeichen zu göttlichen Zeichen und Hilfen für den Glauben. Das leere Grab ist für die Welt ein vieldeutiges historisches Faktum, für die Gläubigen ist es das aus dem Wunder der

Auferstehung notwendig folgende und es bestätigende geschichtliche Zeichen des Gottes, der in der Geschichte mit den Menschen handelt. Es gibt keinen historischen Beweis für die Auferstehung, sondern nur eine Anzahl auch für den Historiker höchst eigenartiger, schwer deutbarer Tatsachen, z.B. das leere Grab, (denn wäre das Grab nicht leer gewesen, so wäre dieses stärkste Gegenargument gegen die

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Aufträge

der Bruderräte.

1940-1942

leibliche Auferstehung ja gewiß zur Grundlage der christenfeindlichen Polemik gemacht worden; hingegen begeg-

net uns dieser Einwand nirgends, vielmehr wird das leere

Grab gerade von 'der Gegenseite bestätigt Mt 28, 11. Die plötzliche Wendung der Dinge zwei Tage nach der Kreuzigung. Der bewußte Betrug wird psychologisch durch das gesamte frühere und weitere Verhalten der Jünger, ebenso

aber gerade durch die Uneinheitlichkeit der Auferstehungsberichte ausgeschlossen! Der Selbstbetrug durch visionäre Zustände ist durch die anfänglich durchweg ungläubig-skeptische Ablehnung der Botschaft durch die Jünger Lk 23, 11 u. ö., wie auch durch die große Anzahl und durch die Art der Erscheinungen für den unbefangenen Historiker so

gut wie unmöglich gemacht). So wird die Entscheidung des Historikers in dieser Sache, die wissenschaftlich so rätselhaft

bleibt, von weltanschaulichen Voraussetzungen diktiert sein.

Damit verliert sie aber für den Glauben, der sich auf Gottes Handeln in der Geschichte gründet, an Interesse und

Gewicht. So bleibt für die Welt ein zwar unlösbares Rät-

sel zurück, das aber an sich keineswegs den Glauben an die Auferstehung Jesu erzwingen kann. Dem Glauben aber ist dieses Rätsel ein Zeichen für die Wirklichkeit, von der er

schon weiß, ein Abdruck göttlichen Wirkens in der Geschichte. Die Forschung kann die Auferstehung Jesu weder

beweisen noch entkräften; denn sie ist ein Wunder Gottes. Der Glaube aber, dem sich der Auferstandene als der Leben-

dige bezeugt, erkennt gerade in dem Zeugnis der Schrift die

Geschichtlichkeit der Auferstehung als ein Handeln Gottes,

das sich in seiner Wunderbarkeit der Wissenschaft nur als Rätsel darstellen kann. Die Gewißheit der Auferst ehung empfängt der Glaube allein aus dem gegenwärtigen Christuszeugnis. Seine Bestätigung findet er in den geschichtli-

chen Abdrücken des Wunders, wie sie die Schrift berichtet. — Es ist die Gnade Jesu Christi, daß er sich der Welt noch

Theologischer

nicht sichtbar

Brief von

offenbart;

denn

der Himmelfahrt

in demselben

1940

409

Augenblick,

in dem das geschähe, wäre das Ende und damit das Gericht über den Unglauben da. So entzieht sich der Auferstandene jeder sichtbaren Ehrenrettung vor der Welt; denn sie wäre das Gericht über die Welt. In seiner verborgenen Herrlichkeit ist er bei seiner Gemeinde und läßt sich aller Welt durch das Wort bezeugen, bis er am Jüngsten Tag sichtbar für alle Menschen zum Gericht wiederkommen wird. Der Bruderrat der ev. Kirche in Pommern Stettin, im März 1940 Wir möchten die uns in letzter Stunde zur Verfügung gestellte Betrachtung über die Auferstehung den Brüdern nicht vorenthalten und übersenden sie als weiteren Gruß für die Osterzeit.

i. A. gez. Guddas

Die Himmelfahrt Jesu Christi Eine Betrachtung über ihren christologischen, soteriologischen und paränetischen Sinn

[April 1940] A. Christologisch 1. Die Himmelfahrt Jesu ist die Rückkehr des Sohnes Gottes zu seinem Ursprung

Jesus geht in die Herrlichkeit des unsichtbaren Gottes ein. Er bleibt Mensch in Ewigkeit. Die in der Zeit angenommene menschliche Natur ist in die Ewigkeit aufgenommen. Sie ist

aus dem Stande der Erniedrigung in den Stand der vollendeten Erhöhung übergegangen. Die lutherischen Väter haben mit Nachdruck zwischen Menschwerdung und Erniedrigung unterschieden. Sie sagten: Nicht der A6yog &oagnog, sondern der Aöyog &voaexos, d. h. der menschgewordene Sohn

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Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

Gottes ist das „Subjekt der Erniedrigung“. Sie gaben damit

der von Gott geschaffenen und in Christus angenommenen Menschheit Ehre und Hoffnung bei Gott. Der menschgewordene Sohn Gottes erniedrigt sich und wird in Höllenfahrt, Auferstehung und Himmelfahrt erhöht. Die menschliche

Natur Jesu Christi, wenn sie aus dem Stande der Erniedrigung befreit ist, nimmt unverhüllt an den Eigenschaften der gött-

lichen Natur teil. Was vom ersten Augenblick des Menschseins Christi an wirklich war und doch im Stande der Erniedrigung

verborgen blieb, nämlich die Durchdringung der menschlichen Natur mit den Eigenschaften der göttlichen, wird im Stande der Erhöhung offenbar. Die angenommene Menschheit, der Mensch Jesus Christus, geht in die Ewigkeit des

Vaters. Um aber hier vor philosophischer Spekulation bewahrt zu bleiben, die Menschheit und Gottheit schließlich ineinander übergehen läßt, also um jeder Identitätsmystik

klar entgegenzutreten, lehren die lutherischen Väter, daß zwar die Menschheit in Ewigkeit zum Sohne Gottes gehöre, daß auch der Sohn Gottes in der vollen Gemeinschaft des dreieinigen Gottes bleibe, daß aber die angenommene

Menschheit, d. h. die menschliche Natur Jesu Christi nicht in die Dreieinigkeit selbst aufgenommen werde, sondern ihr in Ewigkeit unterworfen bleibe; denn Menschheit kann niemals Gottheit werden; sonst hörte Gott auf, der Schöpfer,

Versöhner und Erlöser der Menschheit zu sein. 2. Die Himmelfahrt des Herrn

ist die letzte der Ostererscheinungen

Durch die Auferstehung ist Jesus leiblich in die verklärte

Welt Gottes eingegangen. Zwischen dem Aufer standenen und dem Aufgefahrenen besteht kein Unterschied der Seins-

weise, sondern allein der Erscheinungsweise. In den vierzig Tagen erweist sich Jesus als der, der er nun in Ewigkeit bleibt, als der lebendige, leibliche Herr, der in die Welt

Theologischer

Brief von

der Himmelfahrt

1940

411

Gottes zurückgekehrt ist. Weder läßt sich aus Joh 20, 17 auf

einen Unterschied der Leiblichkeit des Auferstandenen von der des Aufgefahrenen schließen (denn Jesus weist hier nur den Irrtum der Maria zurück, sie könne ihn jetzt ebenso wiederhaben, wie sie ihn vor der Kreuzigung gehabt hat; er würde also jetzt nicht bei ihr bleiben, sondern erst nach

seiner Auffahrt für immer wiederkommen und bei den Seinen bleiben), noch darf gesagt werden, Jesus sei zwar nach seiner Auferstehung leiblich zu finden (Thomas!), aber nach seiner Himmelfahrt nicht mehr; damit wäre seine Erscheinung vor Saulus außer acht gelassen. Daß Jesus sich der

Berührung durch Maria versagt, daß er von Thomas seine Wundmale betasten läßt, daß er dem Saulus im Lichtglanz der Herrlichkeit erscheint, bedeutet allein dies, daß Maria von dem Irrtum einer falschen Jesusliebe, Thomas von dem Zweifel, es handele sich um eine Halluzination, Saulus von

seinem Unglauben an den lebendigen Christus geheilt werden soll. Jesus aber ist derselbe hier wie dort. Paulus stellt

die ihn berufende Erscheinung Jesu in eine Reihe mit den Ostererscheinungen (1. Kor 15, 1ff). Es ist derselbe auferstandene Christus, der ihn unter die Zeugen seiner Auferstehung beruft (vergl. auch Apg.7,56; 18, 9; 22, 17). Dennoch sind die 40 Tage zwischen Ostern und Himmelfahrt von ent: scheidender Bedeutung. Sie bringen die neue Berufung und Sendung der Zeugen im Dienst des Auferstandenen. Das Amt der Evangeliumsverkündigung beruht auf den 40 Tagen. So bezeugt es die Schrift einmütig, (Mk 16, 15 ff; Mt 28, 18 ; Joh 20, 22 ff; Apg 1, 8; 10, 42). Aber nicht um seinetwillen,

sondern um unsertwillen bleibt Jesus die 40 Tage bei den Seinen. Weil für ihn selbst die Himmelfahrt keine Verände-

rung der Seinsweise bedeutet, darum kann die Schrift oft die Auferstehung Jesu als die entscheidende Heilstat nen-

nen ohne die Himmelfahrt zu erwähnen (Röm 1, 3 ff; Apg 10, 41; 13, 31 u. ä., dagegen Apg 2, 33; 3, 21 u. ä.). Von

412

Aufträge

der Bruderräte.

1940-1942

hier aus gesehen bedeutet die Himmelfahrt Jesu allein den Abschluß

seiner

Erscheinungen

auf Erden,

obwohl

hier Christus frei bleibt in seinem Wirken (Apg 9, 5). 3. Die Himmelfahrt Gottes

ist die Erhöhung

auch

Jesu zur Rechten

Das Zeichen des Aufgehobenwerdens in die Wolken besagt lediglich, daß Jesus von nun an ganz in der Welt Gottes

sein wird. Das läßt aber keinerlei Spekulation über den Ort

zu, an dem er jetzt wohnt. Will die Schrift sagen, daß Jesus nicht mehr in der Welt der Menschen, sondern in der Welt Gottes ist, so drückt sie dies mit der einfachen Aussage aus, daß Jesus „in den Himmel“ gefahren sei (Hebr 9, 24; Eph 1, 20). Will die Schrift aber jede denkbare Vorstellung ausschließen, die Jesus noch in der geschaffenen Welt festhalten will, so sagt sie schärfer: Er ist über alle Himmel hinausgefahren, er hat den Himmel durchschritten, er ist höher geworden als die Himmel (Eph 4, 10; Hebr 4, 14; 7, 26). Zur Rechten Gottes sitzend nimmt Jesus teil an dem Welt-

regiment Gottes, er ist der Welt fern und nahe zugleich wie Gott selbst. Jeder Gedanke, der Jesus um seiner Leiblich-

keit willen an einen bestimmten Ort gebunden denken will,

geht an diesen biblischen Aussagen vorbei. Auch Apg 3, 21 ist nichts anderes gesagt, als daß Christus jetzt im Himmel

und noch nicht wiedergekommen sei, was aber die göttlich e Allgegenwart Jesu Christi, der zur Rechten Gottes sitzt, nicht ausschließt. Wer fragt, wie Jesus trotz seiner Leiblichkeit an der göttlichen Allgegenwart teilnehmen könne,

muß ebenso fragen, wie der geistliche Leib Jesu in den Ostertagen habe essen und trinken, sich berühren lassen können. Nichts anderes ist uns offenbart, als daß Jesus Christus in

verklärter Leiblichkeit zur Herrlichkeit des Vaters erhoben

ist und an seiner Macht, seiner Ferne und Gegenwart teil-

nimmt.

Theologischer

Brief von

der Himmelfahrt

1940

413

B. Soteriologisch 1. Die Himmelfahrt ist die Proklamation Jesu zum Herrn der Welt und zum Haupt der Gemeinde Sie ist der Erweis der „mächtigen Stärke“ Gottes, „da er Jesus gesetzt hat zu seiner Rechten im Himmel über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und über jeden Namen, der nicht nur in dieser, sondern auch in der zukünftigen Welt genannt wird“ (Eph 1, 20). Christus hat die Weltherrschaft angetreten. Schicksal, Gewalten, Mächte sind

in seiner Hand.

Bei Matth fehlt ein Himmelfahrtsbericht.

An seine Stelle treten die letzten Worte Jesu in Mt 28, 18. „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden...

Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“; das ist die Himmelfahrtsbotschaft selbst. Das Wunder ist bezeugt, nur das Zeichen bleibt unerwähnt. Nun übt Christus sein königliches Amt — so nannten es die Väter — in vol-

lem Umfang aus. Der König aller Welt ist zugleich das Haupt der Gemeinde. Das Haupt ist im Himmel, der Leib auf Erden. Das unsichtbare Haupt regiert den sichtbaren Leib. So ist der himmlische Christus doch der Erde ganz gegenwärtig, er erfüllt seine Gemeinde und mit ihr und

durch sie alles in allem (Eph 1, 23); denn durch die Gemeinde durchdringt er allmählich die ganze Welt, die ihm

gehört, und erfüllt sie mit seiner wirkenden Gegenwart. Als der in die Tiefe der Hölle und in die Höhe des Himmels Gefahrene, als der, der alles durchschritten hat in göttlicher Kraft und alles erfüllt, vermag er nun auch der Gemeinde

die göttlichen Gaben zu geben, die sie braucht (Eph 4, 8 ff), er gibt ihr die Amter, die in Vollmacht die Welt zu Gott

rufen und die Gläubigen bei Christus erhalten. Der in die Ferne der verklärten Welt Gottes entrückte Herr ist so der Welt und der Gemeinde erst recht nahe geworden.

414

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der Bruderräte.

1940—1942

2. Christus ist in den Himmel eingegangen, um für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen (Hebr 9, 24)

Das ist die Vollendung seines priesterlichen Amtes. Weil er alle unsere Sünde am Kreuz getragen hat, darum kann er jetzt unser Fürsprecher sein (1. Joh 2, 1), darum können unsere Gebete, die sonst im Leeren verhallten, durch ihn vor

den Vater gebracht werden und Erhörung finden. Allein im Namen Jesu können wir beten. Denn Christus als der Hohepriester hat uns mit Gott versöhnt und stellt vor Gott in Ewigkeit sein Opfer fürbittend für uns dar. Die Väter nannten das die intercessio Christi (Röm 8, 34; Joh 14, 16; Hebr 4, 14) und wollten dieses priesterliche Tun des erhöhten

Herrn nicht nur auf die Gläubigen bezogen wissen, sondern auch auf die Ungläubigen,

„damit auch ihnen die Frucht

heilsamen Todes zugewendet werde“ (Hollaz). 3. Wie Christus zum Himmel

fuhr, so wird er einst vom

Himmel zum Gericht wiederkommen. So erkennen wir in

dem erhöhten Herrn den zukünftigen Richter, auf den wir warten müssen. Noch ist er verborgen, das ist seine Geduld;

denn noch kann der Glaube Gnade bei ihm finden. Wenn er aber in Sichtbarkeit wiederkommt, dann ist der Gerichtstag

da.

C. Paränetisch

1. Die Himmelfahrt Jesu ruft uns zum Glauben, zum Bekenntnis, zur Anbetung Weil Gott Jesus auferweckt und ihm himmlische Herrlichkeit gegeben hat, darum haben wir Glauben und Hoffnung zu Gott (1. Petr 1, 21). Weil unser Hoherpriester nicht ein irdischer Mensch ist, sondern der Sohn Gottes, der gen Himmel gefahren ist, darum halten wir fest an dem Bekenntnis zu ihm als unserm Heil (Hebr 4, 14). Weil Jesus in unermeßlicher Weise über uns erhöht wird, darum beten wir ihn an (Luk 24, 52 Apparat).

Theologischer

2. Die Himmelfahrt

Brief von

der Himmelfahrt

1940

Jesu hat uns ins himmlische

415

Wesen

versetzt (Eph 2, 6) und richtet damit unsern Blick zum Himmel (Kol 3, 1) Wie wir mit Christus in seinem Leibe starben und wieder auferstanden (Kol 2, 12), so sind wir auch mit ihm schon in

die Himmelswelt versetzt. Diese hohe, freilich einzigartige Aussage des Epheserbriefes lehrt uns, uns in und bei dem zum Himmel gefahrenen Herrn zu finden als die, die in Kraft sei-

ner angenommenen Menschheit immer bei ihm sind. Wo er ist, dort sind wir auch. Wir sind schon im Himmel mit Christus. Aber eben darum suchen und trachten wir nach dem, was oben ist, „Sie wandeln auf Erden und leben im Himmel“, singt das Kirchenlied!. Das Zukünftige ist gegenwärtig und das

Gegenwärtige schon vergangen. So leben wir in der Kraft der Himmelfahrt Christi. 3. Die Himmelfahrt Jesu stellt uns zwischen Haben und Warten Wir haben den Himmel, darum warten wir auf ihn. Wir sind ins himmlische Wesen versetzt, unser Bürgertum ist im

Himmel (Phil 3, 20), darum erbitten wir die Wiederkunft des Herrn vom Himmel. Wer wartet, der wacht und macht

sich bereit für den Freudentag (Mt 24, 43 ff u. a.). Die endliche Erscheinung Jesu aber wird der gläubigen Gemeinde die Verklärung in die Herrlichkeit des Herrn bringen und sie auf ewig in das Himmelsreich aufnehmen. Liebe Brüder! Wir übersenden Ihnen eine Betrachtung über die Bedeutung der Himmelfahrt

Jesu Christi mit herzlichen

Grüßen und mit dem

Wunsch, daß sie Ihnen für die Predigtvorbereitung eine Hilfe sei. Stettin, Pölitzer Str. 17.

Der Bruderrat der Provinz Pommern

I. A. gez. Guddas 1. ©. F. Richter, „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“, Vers 5.

416

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der

Bruderräte.

1940— 1942

Von der Herrlichkeit des Wortes [Fragment, Juni 1940 (?)]

I. Das Wort und die Tat

Was soll in einer Welt, in der die Taten ihre eigene Sprache so überwältigend reden, noch das Wort der Kir-

che? Ist es nicht überflüssig geworden? Sollten nicht auch wir uns einfach in diese Taten einordnen und statt Worte nur noch mitarbeiten? Glaubwürdig ist die Tat. len wir uns darüber beschweren, wie die Taten in der zustande kommen? Daß sie Taten der Selbsthilfe sind?

aller SolWelt Daß

Sollen wir die falsche Predigt ängstlich wiederholen,

daß

hier der Satz einfach gilt: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott?

wir nur mit Christus Großes und Beständiges in der Welt

bauen können? Viele von uns, Gemeindeglieder und Pfarrer, haben an diesen Taten mitgearbeitet, mitgekämpft, wir alle

sind mit verantwortlich, haben unser Ja dazu gesagt als

Menschen, die in der Welt leben. Taten, die das Wort der Kirche so es nicht mehr. Wir stehen mitten drinstehend, fragen wir nach dem nicht mehr. — Die Taten haben

Nun haben sie teil an den übertönen. Eine Flucht gibt drin. Mitten in den Taten Wort, anders können wir es ihr eigenes Schwergewicht.

Sie gehen wortlos über alles hinweg, was schwächer ist als

sie. Sie lassen es liegen und zertreten es. Kleinliche Kritik

und Herabsetzungen werden durch die Gewalt der Taten selbst zermalmt. Das ist das immanente Gesetz der Tat. Nur

eins ist größer als die Tat: Der, der sie gibt. Jede Tat weiß

das selbst, sie ist zugelassen und geschenkt. Sie soll den preisen, der sie gab. Ob sie das tut oder nicht, entscheidet sich an der Stellung zum Worte Gottes. Das Wort Gottes ist

Von

der Herrlichkeit

des Wortes

417

da und ist das einzige, über das die Tat keine Macht hat. Was an menschlichen

Kräften um

das Wort

Gottes steht, mag

gering und schwach sein, so daß es mit zerbrochen und vernichtet wird. Das Wort allein besteht. Es fordert jede Tat heraus und fürchtet sich nicht; denn es ist ewig, unverwund-

bar und allmächtig. Seine Vertreter mögen seiner nicht würdig sein; dann müssen sie hinweg. Das Wort aber erzwingt sich seinen Weg, wo es ihm gefällt, und wählt sich Zuhörer, wie es ihm gefällt, denn es ist Gottes eigenes Wort. Die Ar-

mut des Wortes. Derselbe Gott, der große Taten zuläßt und schenkt, der sichtbar und doch unbegreiflich gibt und nimmt, will die Menschen retten zur Ewigkeit, zum ewigen Heil. In den Taten bleibt er stumm, er offenbart sich aber denen, die er retten will, die ihn finden sollen. Diese Offen-

barung geschieht in der Armut des Wortes; denn Gott will geglaubt sein. Nicht durch Wunder

will er sich Anerken-

nung erzwingen, sondern durch das Wort will er das Herz treffen und zu freiem Glauben führen. a) das Wort als die Quelle des Christusglaubens

b) c) d) e) f)

das das das der Lob

Wort als die Quelle der Wahrheit Wort als die Quelle des Rechtes Wort als die Quelle der Barmherzigkeit Sonntag (das Wort und die Arbeit) und Dank für die Kirche des Wortes.

II. Von der Herrlichkeit des geistlichen Amtes.

III. Von der Herrlichkeit des Kreuzes (eschatologisch). IV. Von der Herrlichkeit des Dienstes.

V. Von der Herrlichkeit der Einheit. VI. Dankbarkeit.

Was wollen wir predigen? Was wollen wir tun?...

418

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

Von der Dankbarkeit des Christen

[Juli 1940] Dankbarkeit entspringt nicht aus dem eigenen Vermögen des menschlichen Herzens, sondern aus dem Worte Gottes.

Dankbarkeit muß darum gelernt und geübt werden. Jesus Christus

und alles, was

in ihm beschlossen

ist, ist

der erste und letzte Grund aller Dankbarkeit. Er ist das

Geschenk vom Himmel, das kein Mensch sich nehmen könnte, in welchem uns die Liebe Gottes leibhaftig begegnet. Allein durch Jesus Christus können wir Gott danken (Röm 7,25). In Jesus Christus gibt Gott uns alles.

Dankbarkeit sucht über der Gabe den Geber. Sie entsteht an

der Liebe, die sie empfängt. Erst wenn sie zur Liebe Gottes durchgestoßen ist, ist sie am Ziel. Dann aber wird sie selbst

zur Quelle der Liebe zu Gott und zu den Menschen.

Dankbarkeit ist demütig genug, sich etwas schenken zu las-

sen. Der Stolze nimmt nur, was ihm zukommt. Er weigert sich, ein Geschenk zu empfangen. Lieber will er verdiente Strafe als unverdiente Güte, lieber aus eigener Kraft zugrunde gehen als aus Gnade leben. Er weist Gottes Liebe, die über Gute und Böse die Sonne aufgehen läßt, zurück. Der Dankbare weiß, daß ihm von Rechts wegen nichts Gutes

zukommt, er läßt aber die Freundlichkeit Gottes über sich walten und wird durch unverdiente Güte noch tiefer ge-

demütigt.

Dem Dankbaren wird alles zum Geschenk, weil er weiß, daß

es für ihn überhaupt kein verdientes Gut gibt. Er unter-

scheidet darum nicht zwischen Erworbenem

und Empfan-

genem, Verdientem und Unverdientem, weil auch das Er-

worbene Empfangenes, das Verdiente Unverdientes ist.

Brief von

der Dankbarkeit

1940

419

In der Dankbarkeit kehrt jede Gabe verwandelt in ein Dankopfer zu Gott zurück, von dem sie kam. Wofür ich Gott danken kann, das ist gut. Wofür ich Gott nicht danken kann, das ist böse. Ob ich aber Gott danken kann oder nicht, das entscheidet sich an Jesus Christus und seinem Wort. Jesus Christus ist die Grenze der Dankbarkeit. Jesus Christus ist auch die Fülle der Dankbarkeit, darum

ist in ihm die Dankbarkeit ohne Grenzen. Sie umschließt alle Gaben der geschaffenen Welt. Sie umfaßt auch den Schmerz und das Leid. Sie durchdringt die tiefste Dunkelheit, bis sie in ihr die Liebe Gottes in Jesus Christus gefunden

hat. Danken heißt „allezeit und für alles“ (Eph 5, 20) Ja sagen zu dem, was Gott gibt. Dankbarkeit vermag sogar die vergangene Sünde mit zu umschließen und zu ihr Ja zu sagen, weil an ihr Gottes Gnade offenbar wurde, — o felix culpa! (Röm 6, 17).

In der Dankbarkeit gewinne ich das rechte Verhältnis zu meiner Vergangenheit, in ihr wird das Vergangene fruchtbar für dieGegenwart. Ohne die Dankbarkeit versinkt meine Vergangenheit ins Dunkle, Rätselhafte, ins Nichts. Um meine Vergangenheit nicht zu verlieren, sondern sie ganz wiederzugewinnen, muß allerdings zur Dankbarkeit die Reue treten. In Dankbarkeit und Reue schließt sich mein Leben zur Einheit zusammen.

Dankbarkeit kann nur zusammen bestehen mit aufrichtiger Buße und mit brüderlicher Liebe zu dem, der die unverdiente Gabe, die ich empfing, nicht empfangen hat. Ohne

Buße und ohne Liebe wird meine Dankbarkeit zum verfluchten Pharisäerdank. Es ist verfluchter Pharisäerdank,

wenn

ich die unverdient

empfangene Gabe zum Selbstruhm vor Gott und Menschen mißbrauche (Luk 18, 9 ff); denn es ist Raub an Gottes Gnade

und Verachtung an meinem Nächsten, wenn ich nur darum eiligst Gott meinen Dank abstatte, um mich von ihm loszu-

420

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der Bruderräte.

1940—1942

kaufen und alsbald wieder in aller Selbstherrlichkeit

zustehen.

da-

Pharisäerdank ist das religiöse Zeremonial des

Undanks. { Es ist verfluchter Pharisäerdank, wenn der Reiche den Tisch

des Armen leer sieht und leer läßt und für das Seine als Gottes Segen dankt. Es ist verfluchter Pharisäerdank, wenn ich die Liebe Gottes, die ich erfuhr und für die ich danke, den Benachteiligten

schuldig bleibe. Es ist Lästerung des Schöpfers des Armen (Spr 14, 31). Gottes Wort verklagt mich so lange, bis sich mein Dank für die empfangenen Gaben in aufrichtige Umkehr und in tätige Liebe verwandelt. Dann aber schenkt Gottes Wort mir das freie Gewissen, zu danken mitten in einer argen und elenden Welt.

Zehn rufen in ihrer Angst und Not: Jesus, lieber Meister! Aber nur einer von zehn kehrt nach erfahrener Rettung um und dankt Jesus, und dieser eine ist ein Samariter (Luk 17, 11 ff). In Gefahr und Schmerzen schreien viele zum „lieben“ Gott, mehr als wir denken, aber nach der Genesung ist den Neunen unter Zehn dieser Gott gar nicht mehr so lieb, die Heilung ist ihnen alles, der Heiland nichts. Jesus fragt: Wo sind die Neun? Jesus sieht den Dank, nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen. Undank erstickt den Glauben, verstopft den Zugang zu Gott. Nur zu dem einen dankbaren Samariter sagt Jesus: Dein Glaube hat dir geholfen. Den Undankbaren ist trotz der Ge-

nesung in Wahrheit nicht geholfen. Es ist die Ursünde der Heiden, daß sie Gott, von dessen Dasein sie wissen, nicht „als Gott gedankt haben“ (Röm 1, 21) Wo Gott als Gott erkannt wird, dort will er als erstes den Dank seiner Geschöpfe.

Undankbarkeit beginnt mit dem Vergessen, aus Vergessen folgt Gleichgültigkeit, aus der Gleichgültigkeit Unzufrie-

Theologie

und

Gemeinde

421

denheit, aus der Unzufriedenheit Verzweiflung, aus der Ver-

zweiflung der Fluch. Den Dankbaren zeigt Gott den Weg zu seinem Heil. Laß Dich fragen, ob Dein Herz durch Undank so mürrisch, so träge, so müde, so verzagt geworden ist. Opfere Gott Dank, und „da ist der Weg, daß ich ihm zeige das Heil Gottes“ (Ps 50, 23).

Theologie und Gemeinde [Entwurf 1940?] 1. Auf

das geistige Gesamtleben

unseres

Volkes

gesehen

gibt es kein verachteteres Stück Geistesarbeit als die Theologie. Weit über die Ablehnung der christlichen Verkündigung und der Kirche hinaus ist die Theologie der Mißach-

tung verfallen. Man hat in ihrer vergangenen Gestalt eine überflüssige, auch von Philosophie und Ethik zu leistende Arbeit gesehen, man sieht in ihrer gegenwärtigen Gestalt ein absurdes, zeitwidriges Theoretisieren, einen Rückfall in

eine überlebte Welt, eine völlig wertlose Arbeit. Der Theologieprofessor — einst eine geduldete, unnötige, jetzt eine anstößige Erscheinung. Jenseits des deutschen Kulturkreises ist die Wertschätzung der Theologie kaum größer. In den

angelsächsischen Ländern überwiegt Gottesdienst und christliches Leben so völlig das Interesse an der Theologie, daß man

in ihr mehr

ein intellektualistisches

(bzw. spezifisch

deutsches) Privatinteresse erblickt, das für die Christenheit belanglos ist. In der katholischen Welt ist die Theologie zwar eine notwendige und angesehene Funktion der Kirche, die

aber für den Laien ohne Bedeutung ist. Theologie und Laie sind weit von einander getrennt. Für den Laien genügt der „einfache

Glaube“

(fides implicita).

Die Entfaltung

der

422

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

Glaubenserkenntnisse braucht nur der Theologe; denn das Lehramt der Kirche haben allein Pfarrer und Bischöfe. Die positive Bewertung der Theologie ist so auf einen ver-

schwindend kleinen Teil der Menschheit und der Christenheit beschränkt. Das ist eine sehr eigenartige Lage. 2. Es gibt für die evangelischen Gemeinden bestimmte Vorurteile, die ein rechtes Verhältnis der Gemeinde zur Theo-

logie erschweren. Das pietistische: Theologie ist Sache des Kopfes; es kommt auf das Herz an. Darum entzweit Theologie, während Herzensfrömmigkeit verbinder. Das orthodoxe: Alle Predigt ist Belehrung, Theologie, richtige Theologie = richtiger Glaube, eine Summe richtiger Sätze.

Das akademische: Theologie ist strenge Wissenschaft, Studium, Universität, nicht für Laien.

Das volksmissionarische:

Das Volk ist zu unreif für die

theologischen Unterscheidungen; logie.

erst Mission, dann Theo-

Das kirchenpolitische: Theologie stört kirchenpolitische Einheit. Das sektiererische: Eine bestimmte Theologie ist die ganze Wahrheit des Evangeliums. / Überschneidungen. 3. Die praktischen Notwendigkeiten, die ein klares Verhältnis von Gemeinde zur Theologie fordern: a) Gemeinde muß die Lehre der Predigt beurteilen können. Ihr ist das Lehramt gegeben, der Pfarrer übt es für sie aus. b) Die Unterweisung der Jugend. c) Der Aufbau der Gemeinde (Taufe, Sakrament, Buße, Abendmahlszucht) nach dem Wort Gottes. d) Die Abwehr der Feinde der Kirche Christi.

e) Vom Pfarrer unabhängig sein können.

f) Selbständig Schriftlesen und „auslegen können, Mündig-

werden in der Erkenntnis. Milch (1. Kor 3; Hebr 6).

Theologie

und Gemeinde

423

4. Wesen der Gemeinde und der Theologie Gemeinde ist um Wort und Sakrament versammelt. Gemeinschaft des Glaubens, des Gottesdienstes, des Lebens. Sie er-

baut sich allein auf das Wort Gottes. Theologie

ist die Beugung

unter

die zusammenhängende

und geordnete Erkenntnis des Wortes Gottes in seinem Zusammenhang und in seiner einzelnen Gestalt unter Anleitung der Bekenntnisse der Kirche. Sie dient der lauteren Verkündigung des Wortes in der Gemeinde und dem Aufbau der Gemeinde gemäß dem Worte Gottes. Das Wesen der Gemeinde ist nicht, Theologie zu treiben, sondern dem Worte Gottes zu glauben und zu gehorchen. Weil es aber Gott gefallen hat, sich im gesprochenen Menschenwort zu offenbaren und weil dieses Wort der Verfälschung

und Verunreinigung durch Menschengedanken und -meinungen ausgesetzt ist, darum bedarf die Gemeinde der Klarheit über wahre und falsche Verkündigung, sie braucht eine mündige Erkenntnis des Wortes Gottes. Theologie ist ein Hilfsmittel, ein Kampfmittel, nicht Selbstzweck. In Zeiten der Anfechtung ist die Gemeinde zu solcher Mündigkeit in

besonderer Weise aufgerufen. Das Wort Gottes ist die einzige Norm

und Regel aller rechten christlichen Erkenntnis. Das

Bekenntnis ist Auslegung und Bezeugung des Wortes Gottes für eine bestimmte Zeit und Gefahr, es ist dem Wort Gottes

unterworfen. nisses

unter

Die Theologie ist Auslegung bestimmten.

Gesichtspunkten

des Bekennt-

und

dauernder

Prüfung des Bekenntnisses an der Schrift. Der Glaube entsteht allein aus der Predigt des Wortes Gottes, er bedarf nicht der Theologie, aber die rechte Predigt bedarf des Bekenntnisses und der Theologie. Der Glaube, der durch die Predigt entsteht, sucht seine Bestätigung wiederum an der

Schrift und den Bekenntnissen und treibt so selbst Theologie. 5. Gemeindetheologie und Pastorentheologie. Prinzipiell

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der Bruderräte.

1940—1942

kein Unterschied. Warum akademisches Theologiestudium? 1) Zeichen dafür, daß die Erforschung der Heiligen Schrift

ein ganzes Leben braucht 2) als Korrektiv der Gemeindetheologie. Gefahren der Gemeindetheologie: 1) zu stark auf die Praxis gerichtete Theologie (Trinitätslehre? Christologie?), 2) Einseitigkeiten, weil der Überblick fehlt, Willkürlichkeit der Auslegung, Fehlen der Ursprachen. Diese Gefahren sind zugleich die Vorzüge: Praktische Ausrichtung; die einfache Linie, ohne zu viel Problematik, die ohne-

dies Entscheidung erschwert. Vorzüge der wissenschaftlichen Theologie: 1) Kenntnis der Grundlagen (sprachlich, geschichtlich), 2) der Überblick über die Zusammenhänge der Schrift und der Dogmatik. Zugleich Gefahren: Theoretische Predigt und Unterweisung; für jede Entscheidung eine Begründung finden können. Ein mündiges Gemeindeglied kann den Pastor lehren, ohne daß das eine Schande für den Pastor ist (Apg 18, 26). Gemeindetheologie — Apg 17,11.

6. Welche Bedeutung haben die theologischen Disziplinen für die Gemeinde? Genügt nicht Bibelkenntnis? Wozu Dogmatik? Kirchengeschichte, praktische Theologie? Welches ist der Zusammenhang? Man kann die Bibel nicht verstehen

ohne Kenntnis der Grundlehre der Kirche, d. h. der Dogmatik (Alttestamentliche und neutestamentliche Theologie

nicht = Dogmatik) Man kann Dogmatik nicht treiben ohne Bibelstudium. Man kann nict übersehen, daß zwischen uns und der Bibel eine Kirche steht, die eine Ge-

schichte hat; nicht schwärmerisch überspringen, sondern lernen, „die Akten vorlegen lassen“, um die eigene Entscheidung zu treffen. Nicht Biblizismus! Verachtung des Heiligen Geistes und der Kirche. Praktische Theologie: der gegenwärtige Kirchenkörper, wie er unter dem Wort der Schrift, den Bekenntnissen, der Geschichte, der Theologie

heute handelt und handeln soll. 7. Die Autorität der Theologie und ihre Grenzen. Theologie

Theologie

und Gemeinde

425

herrscht nicht in der Gemeinde, sondern dient. Das Wort Gottes herrscht. Darum neben der Theologie noch andere Amter und Gaben: Kirchenleitung (Älteste, Bischöfe, Presbyterium), Diakonat (Charisma der Liebe). Die Theologie das Korrektiv, mehr nicht. Keine Theologenkirche, sondern das

Wort und die Gemeinde. 8. Theologische Parteien und die Einheit der Gemeinde. 1. Kor 1 u. 3: „Alles ist euer“. Verschiedenheit kein Schaden,

wenn nicht zur Scheidung führend, Aus theologischen Parteien können kirchentrennende Gegensätze werden (Liberale — Deutsche Christen) und aus kirchentrennnenden Gegensätzen können Schulverschiedenheiten werden (Luth. Re-

formation Abendmahlslehre?), in denen aber nicht im Evangelium begründet Gegensätze aufgedeckt werden. Theolo-

gie dient nicht der Zerreißung, sondern der Einheit der Gemeinde, weil sie der Wahrheit des Wortes dient. Nur in der

Wahrheit ist Einheit.

426

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

Der beste Arzt [Aufsatz für die Bädermission, Januar 19411]

Mitten in der herrlichen Natur sehen wir, wie ein gelähmtes Kind im Rollstuhl gefahren wird. Wer noch ein Herz hat, das nicht völlig stumpf geworden ist für den Nächsten, dem wird es im Augenblick klar, daß hier etwas in unserer Welt nicht in Ordnung ist, daß die Welt, in der dieses Bild der Qual und der Trauer möglich ist, nicht die ur-

sprüngliche Schöpfung Gottes ist. Hier ist etwas Widergöttliches in die Welt eingebrochen. Die Welt ist von ihrem Ur-

sprung abgefallen, zerstörende Mächte haben in ihr Gewalt gewonnen.

Nur in einer gottlos gewordenen

Welt gibt es

Krankheit. Weil die Welt an Gott selbst krankt, darum gibt es kranke Menschen. Nur eine Welt, die wieder ganz in Gott geborgen wäre, eine erlöste Welt, würde ohne Krankheit sein. In der Bibel begegnet uns ein seltsames Wort: „Und er suchte auch in seiner Krankheit den Herrn nicht, sondern die Ärzte“ (2. Chro 16, 12). Es handelt sich dort um einen frommen Mann, dem die Bibel sonst hohes Lob zollt für seinen Eifer um die Sache Gottes. Aber dieser Mann dachte bei aller Frömmigkeit darin sehr modern, daß er streng unterschied zwischen den Dingen der Religion, in denen man sich an Gott wendet, und den irdischen Dingen, in denen man

sich bei irdischen Stellen Hilfe holt. Krankheiten, besonders leibliche Krankheiten sind irdische Angelegenheiten mit

irdischen Ursachen und irdischen Heilmitteln. Krankheiten gehören also vor den Arzt, aber nicht vor Gott. Wie dürfte 1. Siehe G.S. II, S. 395,

Der beste Arzt

427

man auch Gott, den Herrn der Welt, mit seinen kleinen leiblichen Übeln belästigen? Gott hat andere Sorgen. Das ist ganz vernünftig und vielleicht auch ganz religiös gedacht. Aber es ist falsch. Gewiß haben Krankheiten ihre irdischen Ursachen und irdischen Heilmittel; aber damit ist eben bei weitem nicht alles und nicht das Entscheidende über

das Wesen der Krankheit gesagt. Gewiß soll der Kranke zum Arzt gehen und dort Hilfe suchen. Aber das Wichtigste ist damit allein nicht getan und nicht erkannt. Hinter den irdischen Ursachen und Heilmitteln stehen die überirdischen Ursachen und die überirdischen Heilmittel der Krankheit. So-

lange man daran vorbeigeht, lebt man in Wahrheit an seiner eigenen Krankheit vorbei, bekommt man ihr Wesen gar nicht zu Gesicht. Ihr Fluch und ihr Segen bleiben unerkannt.

Die Krankheit gehört in besonderer Weise zu Gott. Nicht daraus macht die Bibel dem Menschen einen Vorwurf, daß er mit seiner Krankheit zum Arzt geht, sondern daraus, daß

er mit ihr nicht zu Gott geht. Es ist kein Zufall, daß Christus in auffallender Nähe zu den Kranken gelebt hat, daß Blinde, Gelähmte, Taubstumme, Aussätzige, Geisteskranke sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlten und seine Gemeinschaft suchten. Warum hat Christus diese Leute nicht

zum Arzt geschickt?

Gewiß nicht, um dem Ansehen der

Ärzte zu schaden oder um seine eigene besondere Kunst oder

suggestive Kraft zur Schau zu stellen, sondern um es deutlich stus will dein

werden zu lassen, daß Gott und Krankheit, daß Chriund die Kranken ganz eng zusammen gehören. Christus der wahre Arzt der Kranken sein. „Ich bin der Herr, Arzt“ (Ex 15, 26). Das sagt Gott, das sagt Christus. Der

Schöpfer und Erlöser der Welt bietet sich dem Kranken zum Arzt an. Wollen wir dieses Angebot unversucht lassen, nachdem wir auf soviele, geringere Angebote mit mehr oder weniger Erfolg eingegangen sind?

428

Aufträge

Wer

den Zusammenhang

der

Bruderräte.

von

1940—1942

Gott und Krankheit

nur

ahnt, wer das unerwartete Angebot ernst nimmt, dem kann

die Krankheit zum Hinweis werden auf die Sünde der Men-

schen, auf die Zerstörung der Gemeinschaft der Geschöpfe

mit dem Schöpfer. Hier liegen die überirdischen Gründe und

Abgründe der Krankheit. Es ist die Sünde der Welt und es

ist meine eigene Sünde, an die ich erinnert werde.

Meine

Krankheit braucht nicht einfach eine Folge oder Strafe einer

bestimmten Sünde zu sein, deren ich mich anzuklagen hätte, — auch dies mag der Fall sein, es ist aber nicht notwen-

dig so. Doch will mich jede Krankheit in die Tiefe der Weltsünde

und meiner

persönlichen Gottlosigkeit

hineinblicken

lassen. Dieser Blick aber treibt mich zu Gott. Wenn ich in den Abgrund geschaut habe, erbitte ich nicht zuerst die Befreiung von diesem oder jenem Leiden, sondern ich komme

mit dem Bekenntnis meiner lange verborgenen Schuld vor Gottes Angesicht. Die leibliche Krankheit will mich erkennen lehren, daß meine eigentliche Krankheit viel tiefer steckt, so tief, daß kein irdischer Arzt sie heilen kann, weil

meine eigentliche Krankheit — meine Sünde ist. Nicht nur mein Leib, meine Nerven, mein Gemüt sind krank, sondern

mein ganzes Wesen, mein Herz ist krank, krank am Unglauben, an der Angst, an der Gottlosigkeit meines Lebens. Und welcher Gesunde litte nicht auch an dieser heimlichsten und zugleich unheimlichsten Krankheit? Nun weiß ich, daß mir nur geholfen werden kann, wenn

mein ganzes Wesen heil, gesund, neu wird. Wie kann das geschehen? Die Antwort ist ganz einfach und geht doch in die letzte Tiefe unseres Lebens: Durch echte Beichte und durch göttliche Vergebung aller meiner Sünden. Das mag manchem als eine seltsame Wendung und Lösung dieser

Frage erscheinen, aber doch nur dem, der das Heilwer den

des ganzen Menschen durch Beichte und Vergebung noch

nicht erfahren hat. Was heißt Beichte? Sich Jesus Christus

Der beste Arzt

429

mit allen seinen Sünden, Schwächen, Lastern, Leiden öffnen und ihm auf sein Wort hin das ganze Herz geben ohne den geringsten Vorbehalt. Das ist keine leichte Sache und es

mag uns schwerer vorkommen als eine gefährliche Operation. Es wird wohl so sein, daß die meisten von uns hierzu einen brüderlichen Helfer brauchen, der uns in solcher Lebensbeichte beisteht, sei es nun der im geistlichen Amt dienende Pfarrer, sei es irgendein Glied der Gemeinde, das

von Christus mehr weiß als ich. Was heißt Vergebung? Auslösung meiner ganzen heillosen, verfahrenen, gescheiterten Vergangenheit (von der vielleicht nur ich selbst weiß) durch

Gottes Machtwort und durch das Geschenk eines neuen fröhlichen Anfangs meines Lebens. Wer kann mir solchen neuen Anfang schenken? Niemand anderes als allein der gekreuzigte und lebendige Jesus Christus, der selbst die Heillosigkeit des Lebens an sich erfuhr

und sie überwunden hat in der Gemeinschaft Gottes. Er ist der einzige Arzt, der meine tiefste Krankheit kennt, der sie selbst getragen hat, er ist der „Heiland“, der Herz, Seele

und Leib heilen kann. Was aber hat Vergebung der Sünden mit leiblicher Gesundung zu tun? Mehr als die meisten Menschen ahnen. Freilich, es ist ein geheimnisvoller Zusammenhang. Aber ist nicht wenigstens soviel begreiflich, daß von einem Men-

schen, der in seinem Herzen wieder frei und fröhlich geworden ist, so manche körperliche Beschwerde einfach abfällt? Der Leib wird vielfach allein darum krank, weil er

sich selbst überlassen ist, weil er sein eigener Herr geworden ist. Nun aber hat der Leib seinen rechten Herrn wiederbekommen, der ihn regiert. Der Leib ist nicht mehr der Herr. Er ist nur noch Werkzeug, ja mehr als dies: „Tempel des

Heiligen Geistes“ geworden. Es gibt viele Leiden, die von dem empfangenen

Zuspruch der Vergebung nicht sichtbar

gelindert und beseitigt werden. Aber der verborgene Zu-

430

Aufträge

sammenhang

der Bruderräte.

von Vergebung

und

1940—1942

leiblicher Gesundung

kann auch so sichtbar zu Tage treten, daß alle medizini-

schen Begriffe gesprengt werden und die Ärzte vor einem Rätsel stehen. Eines ist gewiß: Wie der Unglaube eine Quelle der Zerstörung und der Krankheit des Leibes und der Seele ist, so ist der Glaube eine Quelle aller Heilung und Gesundung. Wenn Christus sich den Arzt der Kranken nennt, dann fällt auf jeden Kranken, wie elend er auch sei, der Glanz der

göttlichen Barmherzigkeit. Der Kranke gehört Gott, an ihm will Gott sein Heil verwirklichen. So begegnen wir in dem kranken Bruder der Barmherzigkeit Gottes selbst, der in Jesus Christus der Arzt des Kranken ist. Der Kranke will Heilung. Christus schenkt ihm mehr: sein Heil.

Zur Tauffrage

1942

431

Zur Tauffrage

Vorbemerkung des Herausgebers 1942 bat der Bruderrat der Altpreußischen Union Dietrich Bonhoeffer, ein Gutachten zur Tauffrage zu geben unter besonderer Berücksichtigung der Kindertaufe. Der Anlaß war eine ausführliche Arbeit des schlesischen Pfarrers Arnold Hitzer, der schwere Bedenken gegen die Kindertaufe unter folgenden 4 Themen entwickelte: A. Betrachtung der Tauffrage auf Grund der Hl. Schrift. B. Betrachtung der Tauffrage an Hand der lutherischen schriften. C. Sonderbetrachtung zur Frage: Taufe und Gemeinde. D. Vom Weg der kirchlichen Praxis.

Bekenntnis-

Hitzer exegesiert jede in Betracht kommende Stelle des Neuen Testaments und zieht eine Fülle von Kommentaren heran. Es fehlt freilich eine Bearbeitung der Frage der Beschneidung im Alten Testament und der Proselytentaufe.

Das Ergebnis

ist: „Die Taufe

hat den Glauben

zur Voraus-

setzung... . Sie ist Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens... Der Glaube ist persönlicher Glaube des Täuflings .... Die Kindertaufe ist mit dem, was die Hl. Schrift über die Taufe sagt, unvereinbar.“ In den Bekenntnisschriften findet Hitzer ebenfalls die Erkenntnis ausgesprochen,

daß

„der

Glaube

allein

die

Voraussetzung

für

den

rechten

Empfang des Sakraments der Taufe“ sei. Statt aber die richtige „Konsequenz“ zu ziehen, behaupten sie die Heilsnotwendigkeit der Kindertaufe und suchen sie zu rechtfertigen. Hitzer macht sich seine Sache nicht leicht, sondern versucht, auch praktische Folgerungen und ihre Gefahren ins Auge zu fassen: „Wir meinen nicht, daß eine durchgängige kirchenregimentliche Anordnung der Glaubenstaufe das Schifflein der Kirche hier auf einmal ins rechte Fahrwasser

bringen kann... Freilich wäre es eine große Hilfe..., wenn echte Kirchenleitung in der Tauffrage Erkenntnis hätte, dies vor den Gemeinden ausspräche, ohne gesetzlich und kirchenscheidend in Sachen der Glaubenstaufe Zwang auszuüben. Wir meinen... auch nicht, daß die Glaubenstaufe einfach das Rezept ist, nach dem wir jetzt die Kirche erneuern können.“

Es geht hier nicht um die Darstellung der Hitzerschen Ausführungen, sondern um die Gedanken Bonhoeffers zur Tauffrage. Ihre Anordnung, Behandlung und Akzentuierung wird aber nur auf dem Hintergrund der Hitzerschen

Arbeit verständlich.

In eckige Klammern Thesen erforderlich ist.

wird gesetzt, was zum

Verständnis

aus Hitzers

432

Aufträge

der Bruderräte.

1940--1942

A. Die Aussage der Heiligen Schrift

Die Praxis der Kindertaufe läßt sich im Neuen Testament

(NT) zwar nicht direkt nachweisen, ist aber doch aus ihm

wahrscheinlich zu machen. Jedenfalls kann ihr Vorhanden-

sein und ihre Berechtigung weder aus exegetischen, noch aus theologischen Gründen bestritten werden. I. Exegetisches:

Matthäus 28,19. DieKoordination von Bantlkovres zu uadyteöoare [„lehret sie und taufet sie“ statt „lehret sie, indem ihr sie tauft“; Hitzer nimmt hier bewußt Luthers Übersetzung auf und verweist auf den Sinn der Reihenfolge] ist

zwar sprachlich möglich, aber keineswegs zwingend. Die

alte Lesart Banzloavreg [„lehret sie, nachdem ihr sie getauft habt“; so in den wichtigen Handschriften B und D], die nach der Regel Bengels [,,Die schwierigere Lesart geht der

leichteren voraus“] nicht einfach übergangen werden kann, würde eine Koordination ausschließen. Es müssen die Aus-

legungsmöglichkeiten offen bleiben, daß in „lIaufen“ und „Lehren“

sich das uadmrsdsıw

vollzieht,

wie

auch,

daß

das Taufen hier dem Lehren vorgeordnet ist. Das aörodg

[»taufeersieyd. h. „sie“ ist" hier im Griechischen maskulin, während „Völker“ ein Neutrum ist, so daß „sie“ und „Völker“ schwer direkt aufeinander zu beziehen sind.

Hitzer folgert, die Heiden sollen evangelisiert werden und

die aus ihnen zu Jüngern Gewordenen, d. h. durch jene Unterweisung zum Glauben Gekommenen, getauft wer-

den] mag bedeuten, daß es sich um eine Auswahl aus den

Völkern

handelt;

weitere Schlüsse können

aus ihm nicht

gezogen werden. uadnzedewv „lehren“ ausschließlich als Evangelisieren durch Predigt zu verstehen, ist sprachlich nicht ausreichend zu begründen.

Zur Tauffrage

1942

433

Markus 10, 15. Im vorliegenden Zusammenhang ist für das ög maıdiov [Hitzer übersetzt hier: „wie ein Kindlein“ und

folgert: Jesus sieht in der Art der Kinder ein Bild, durch das er den Großen klarmacht, in welcher Gesinnung man

Gott nahen muß] eine mögliche, nach J. Jeremias („Hat die älteste Christenheit die Kindertaufe geübt?“ S. 25 ff.) sogar die nächstliegende Übersetzung „als Kind“. Markus 10, 14. Jesus sagt den Kindern das Gottesreich zu. toıoörwv [Hitzer verweist hier darauf, daß die Übersetzung nur heißen kann: „solcher“, nicht „dieser“ (Toörav)] bedeutet nicht, daß sich die Verheißung auf solche bezieht, die in ihrer Gesinnung den Kindern gleichen, sondern vielmehr, daß die Verheißung nicht nur diesen hier zu Jesus gebrachten, sondern allen ihresgleichen, also allen Kindern gehört, analog zu der Seligpreisung der Armen (vgl. Lohmeyer:

Markuskom. S. 202 ff). Apostelgeschichte 16, 40 besagt nicht, daß die „Brüder“ zum Haus der Lydia gehören, sondern höchstens, daß sie sich darin versammelten. [Hitzer bestreitet hier, daß im Hause der

Lydia auch unmündige Kinder getauft wurden.] Apostelgeschichte 16, 15. 33; 18,8; 1. Korinther 1, 16; Apostelgeschichte 11, 15 ist von der Taufe eines „ganzen Hauses‘ gesprochen — beachte das änavrss, 640g, näg —. Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit der Annahme, daß

diese Häuser ohne kleine Kinder gewesen sind, ist es unmöglich, die „Kinder“ des Hauses prinzipiell auszunehmen, da zu den „Kindern“ ja auch die bereits herangewachsenen Kinder

gezählt werden. So bleibt nur die Frage nach dem Alter. Nirgends gibt es einen Hinweis, daß die kleinen Kinder nicht zum „Hause“ zählten oder daß sie bei der Taufe ausgenommen werden sollten. Dieser Gedanke ist ohnedies an-

gesichts des Begriffs des Hauses, unter dem ein Ganzes, Unteilbares verstanden wird, unwahrscheinlich (vgl. auch Matthäus 10, 13).

434

Aufträge

der Bruderräte.

1940—-1942

Kolosser 2, 11. Taufe als weoıroun 00 Xoioroö wäre eine ungeeignete Bezeichnung, wenn es keine Säuglingstaufe gegeben hätte, da die Beschneidung am 8. Tag nach der Geburt

erfolgte. Es ist durchaus nicht durch die Schrift zu begründen, daß die Beschneidung der Kinder ihren Grund in ihrer natürlichen

Zugehörigkeit

zur

israelitischen

Volksgemein-

schaft hatte; es geht vielmehr um das Zeichen des göttlichen Bundes, der Väter und Kinder umfaßt. Nur darum kann Paulus die Taufe als weoızoun 708 Xo1u0rod bezeichnen, kann

überhaupt die Beschneidung im NT in der theologischen

Auseinandersetzung eine so große Rolle spielen. Apostelgeschichte 2, 38... „euch und euren Kindern“. Unter den Kindern sind angesichts der nahen Enderwartung nicht die kommenden Generationen, sondern die Söhne und Töchter der Angeredeten zu verstehen, vgl. 2, 17. Der eschatologische Charakter der Taufe als Errettung vor dem End-

gericht (2,40) macht eine Unterscheidung Kinder unwahrscheinlich.

im Alter der

Aussagen über die Kinder im allgemeinen: Johannes

wird im Mutterleib

mit dem Hl. Geist erfüllt

(Luk 1, 15); bei der Begegnung mit der schwangeren Maria

„hüpfte das Kind im Leibe der Elisabeth“ (Luk 1,41). Der neugeborene Jesus ist der Heiland und Herr der Welt (Luk 2,10u.2,30f). Kinder werden „zu Jesus gebracht“ (Mk 10, 13, übrigens derselbe Ausdruck no00p8Eoeıw wie bei Heilungswundern 7, 32; 8, 22, also bei Geschehnissen von escha-

tologischer Bedeutung). Die starken Ausdrücke — „die Jün-

ger fuhren sie an“, „bedrohten sie“ (vgl. Mk 8, 33), Jesus „wurde unwillig“ (vgl. Mk 7, 34), der Ruf Jesu, die Kinder „zu ihm kommen zu lassen“ (vgl. Mt 11, 28), sie nicht zu „hindern“, das in die Arme-Nehmen der Kinder (vgl. Mk

9, 36 und Lk 2, 28) (es handelt sich also um sehr kleine

Zur Tauffrage

1942

435

Kinder) — vor der begehrten Segnung deuten auf ein Ereignis von eschatologischem Gehalt (vgl. Lohmeyer a.a.O.). Den Kindern gehört das Reich Gottes (Mk 10, 13 f); bei Luk 18,15 statt mauöta (Kind von 8 Tagen bis 12 Jahren) Boepn (Säuglinge). Eine Taufe der Kinder durch Jesus kam nicht in Frage, da die Taufe mit dem Heiligen Geist erst nach Jesu Auferstehung und Hingang möglich wurde und die Johan-

nestaufe durch die Gegenwart Christi überholt war. Mt 18, 1 wird ein Kind den Jüngern zum Vorbild gestellt, nicht in seiner Gesinnung, sondern in seinem Sein. Die Auf-

nahme eines Kindes kommt

der Aufnahme Christi gleich

(Mk 9, 37). Kinder schreien im Tempel „Hosiannah

dem

Sohne Davids“ und Jesus sieht darin die Erfüllung von Psalm 8, 3 (Mt 21, 15 f). Auch hier ist der eschatologische Charakter des Vorgangs deutlich. Nirgends gibt es im NT angesichts des Heils, des hereinbrechenden Reiches Gottes,

eine Zurücksetzung der Kinder, im Gegenteil stößt ein derartiger Versuch der Jünger (!) auf den „Unwillen“, d. h. den Zorn Jesu. Die Annahme der Kinder durch Jesus bezeichnet wie die der Blinden, Lahmen, Armen ein eschatologisches Heilsereignis. Sie erfolgt also gerade nicht auf Grund irgendeiner natürlichen psychologisch verstandenen Unschuld der Kinder — ein durchaus moderner Gedanke —, sondern als das Wun-

der Gottes, der die Hohen erniedrigt und die Niedrigen erhebt. Die „Unschuld“ der Kinder ist Gabe Christi, aber niemals natürliche Beschaffenheit, durch die die Gaben Christi — also etwa die Taufe — überflüssig würde. Der eschatolo-

gische Charakter der Annahme der Kinder durch Jesus erfordert vielmehr ihre Taufe durch die Kirche. Aussagen über die Kinder in der christlichen Gemeinde: Epheser 6, 1 und Kolosser 3, 20 werden die Kinder unter der

436

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

selbstverständlichen Voraussetzung, daß sie zur Gemeinde gehören, — &v xvol® — angeredet. (Es bleibt mindestens fraglich, ob nicht auch 1. Joh 3, 12 und 14 hierher gehört). Die Zugehörigkeit von Ungetauften zur Gemeinde ist sonst im NT nirgends erwähnt. Es fehlt aber auch jeder Hinweis darauf, daß die Kinder sich in einem bestimmten Alter taufen lassen sollten; es fehlt jede diesbezügliche Ermahnung an die Eltern oder Kinder, was sich wiederum am leichtesten durch die selbstverständliche Voraussetzung der Kindertaufe erklärt. Jedenfalls ist das „Argument des Ver-

schweigens“ stärker zugunsten der Kindertaufe als gegen

sie anzuführen. 1. Korinther 7, 14 spricht eher für als gegen die Kindertaufe. Daß nämlich die Taufe wegen der „Heilig-

keit“ der Kinder überflüssig sei, ist angesichts der Taufe als

Akt nicht nur der Sündenvergebung, sondern der „Versie-

gelung“ für das Endgericht ein unmöglicher Gedanke (ab-

gesehen davon, daß eine Gnadengabe Gottes im NT niemals

„überflüssig“ ist, sonst wäre ja möglicherweise auch die Taufe für den Glauben „überflüssig“). Eher kann die Heiligkeit der Kinder gerade als Voraussetzung der Taufe gelten, also ge-

rade als Aufhebung der Frage nach ihrer Mündigkeit. Der Hinweis auf das jüdische Proselytenrecht, demgemäß nach

dem Übertritt der Eltern geborene Kinder nicht getauft zu

werden brauchten, weil sie „in Heiligkeit“ geboren sind, ist

sinngemäß dadurch begrenzt, daß auch solche Kinder be-

schnitten wurden. Die christliche Taufe aber ist nEQLTouN 108 Xouoroö. Der Gedanke, daß Kinder, die vor dem Übertritt der Eltern geboren wurden, getauft werden mußten, wäh-

rend von christlichen Eltern geborene Kinder nicht getauft

wurden, führt zu der unwahrscheinlichen und durch nichts

bestätigten Vorstellung von Getauften und Ungetauften als Gliedern der christlichen Gemeinde,

Zur Tauffrage

1942

437

II. Theologisches: Taufe und Glaube im NT

Wenn sich die Kindertaufe rein exegetisch weder behaupten noch bestreiten läßt, so führt vielleicht ein theologischer Rückschluß von anderen biblischen Aussagen zu einer weiteren Klärung. 1. Taufe und Glaube stehen im NT in unlösbarem Zusam-

menhang. Dabei ist der objektive Charakter von beidem wesentlich

stärker zu betonen,

als es in der Betrachtung

Hitzers geschieht. Taufe ist die durch eine leibliche, von Christus eingesetzte Handlung sich real vollziehende Versetzung des Menschen in die Gemeinde der Endzeit, Eingliederung in den Leib Christi. In ihr geschieht Abwaschung der Sünde, Wiedergeborenwerden, Sterben und Auferstehen

mit Christus, Gleichgestaltung mit dem Bild Christi, Empfangen des Heiligen Geistes, Versiegelung in der endzeitlichen Gemeinde für den Tag des Gerichtes. Dies alles ge-

schieht ohne jede Mitwirkung und Aktivität des Menschen als Christi eigenes Handeln (Eph 5,26) an seiner Gemeinde. Wo von den Heilsgaben der Taufe gesprochen wird, dort

richtet sich der Blick kaum auf den einzelnen Empfänger bzw. auf die persönlichen „Bedingungen“, die an den Emp-

fang der Taufe geknüpft sind; vielmehr fällt alles Gewicht auf die dem Sakrament in seinem von Christus eingesetzten Vollzug innewohnende Gewalt, die von keinen menschlichen Bedingungen abhängig ist, und auf das Ganze der Gemeinde, den Leib Christi, dem dieses Sakrament zugehört.

Ja, 1. Korinther 15, 29 ist allen verlegen ausweichenden Deutungsversuchen zum Trotz von einer Taufe für die Toten (wohl ungetauft gestorbene Christen) die Rede, einem Brauch, gegen den Paulus nicht nur nichts einwendet, son-

dern den er vielmehr zum Argument gegen die Leugner

438

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

der Totenauferstehung benutzt. Wenn Taufe real „Wieder-

geboren werden“, Auferstehung vom Tode (vgl. außer Röm 6 auch Eph. 5, 14) ist, warum sollte aus solcher Auffassung der Taufe

nicht auch ein derartiger Brauch

als extremer,

von

der Kirche zwar nicht akzeptierter, Ausdruck der Kraft des Sakraments entstehen können? Die Paulusforschung der letzten Jahre hat uns diesen Realismus des paulinischen Denkens immer deutlicher erkennen gelehrt und die Um-

deutung ins „Geistig-sittliche“ unmöglich gemacht. Nun kann es allerdings niemandem entgehen, daß die Taufe

immer wieder mit dem Glauben in engste Verbindung gebracht wird (vgl. außer den genannten Stellen bes. Röm 6, 8 u. 11; Kol 2, 12b; Gal 3, 26 ff). Obgleich es nirgends aus-

drücklich gesagt wird, daß nur Gläubige getauft werden dürften, so ist die Verbindung von Taufe und Glaube unausgesprochene Voraussetzung aller Ausführungen. Nun be-

darf freilich der Begriff des Glaubens von vornherein in einer bestimmten Hinsicht der Klärung. Die in der Betrachtung

Hitzers vorherrschende Bestimmung des Glaubens als „per-

sönlicher Glaube“, als „persönliche Entscheidung für Jesus“, als „freie Entscheidung des Einzelnen“ gibt dem bi-

blischen Begriff fast unmerklich eine Wendung,

die ihm

fremd ist und die bedenkliche Folgen haben muß. Es muß mindestens zur Kenntnis genommen werden, daß bei Paulus die Formulierung „mein Glaube“ oder „ich glaube“ nie-

mals vorkommt (vgl. die Einschränkung des ‚ich glaube“ Mk 9, 24; Apostelgesch 8, 37 ist nach Nestle späterer

schlecht bezeugter Zusatz!), daß das Nomen

„Glaube“ bei

Paulus weit häufiger ist als das Verbum „glauben“ (in Gal

z. B. 3, 22; vgl. Lohmeyer: Grundlagen der paulinischen Theologie S. 115 f.), daß sogar „wir glauben“ oder „ihr

glaubt“ relativ selten ist gegenüber dem absoluten Gebrauch des Substantivs und der wichtigen Verbindung xtorıs

Xoworod. Besonders auffallend

ist die Formulierung: „der

Zur Tauffrage

1942

439

Glaube kam“, „der Glaube wurde offenbart“ (Gal 3, 23. 25), Der Glaube ist also zunächst objektiv als Offenbarung, Geschehnis, Gnade, Geschenk Gottes bzw. Christi aufzufassen, durch welche das Ich gerade ganz aufgehoben wird — „ich..., doch nicht ich“ Gal 2, 20! —. Im Glauben bekommen wir Anteil an einem Geschehen, in dem Gott allein und ganz der Handelnde ist, als Vater, Sohn und Hlg. Geist (vgl. 1. Kor 12, 3; Röm 8, 15. 26 f). Nur weil „der Glaube kam“, „offenbart wurde“, glauben wir, als Gemeinde; und erst, wenn

das erkannt ist, mag dann auch mit dem Vorbe-

halt „ich glaube —

hilf meinem Unglauben“ gesagt wer-

den: ich glaube; aber auch dann doch immer nur so, daß der Blick keinen Augenblick auf das eigene Ich, sondern auf den Inhalt des Glaubens fällt. Es wird schon von hier aus deutlich, daß der der Betrachtung Hitzers zugrundeliegende Glaubensbegriff in unbiblischer Weise den Ton auf das „Persönliche“, auf das Ich, auf die freie Entscheidung legt und damit das Problem Taufe und Glaube von vornherein bedenklich belastet. 2.Der Taufe gegenüber ist der Mensch rein passiv. Es gibt keine Selbsttaufe, aber auch das Medium ‚sich taufen las-

sen“, das in der Betrachtung Hitzers so auffallend oft begegnet, gibt es im NT nur ein einziges Mal (Acta 22, 16);

sonst steht überall das Passiv. Der Mensch wird getauft. Der Glaube, der die Taufe empfängt — und nur im Glauben kann die Taufe empfangen werden —, kann keinesfalls als aktive Mitwirkung bei der Taufe verstanden werden; er ist reines Empfangen und nur real im Akt des Empfanges selbst.

Der Glaube ist darum nicht eine selbständige Voraussetzung, die vom Empfang der Taufe getrennt werden könnte.

Ohne Glaube gibt es kein Heil, keine Gemeinschaft mit Christus. Aber der Glaube schafft nicht das Heil, schafft nicht das Sakrament, sondern er empfängt es. Der Mensch

ist auch oder vielmehr gerade im Glauben dem Heil gegen-

440

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

über rein passiv; ja, der Glaube ist geradezu der theologische Terminus, der die reine Passivität des Menschen im

Empfangen des Heils bezeichnet. Darum ist „Rechtfertigung

. aus Gnaden allein“ dasselbe wie „Rechtfertigung aus Glauben allein“. „Von der Auffassung, daß das Wesen des Glaubens bei Paulus oder irgendwo im NT Selbsthingabe an Gott und Christus sei, findet sich keine Spur“ (Cremer:

Bibl.-theol. Wörterbuch 9. Aufl, S. 844).

3. Da Glaube immer am Worte Gottes entsteht (Römer 10, 17), so kann er psychologisch nur als bewußtes verstehendes Hören und Beantworten des Wortes Gottes vorgestellt werden. Glaubensbekenntnis und Glaubensentscheidung sind

— notwendige — Äußerungen, Gestalten des Glaubens, aber sie sind nicht mit dem Glauben selbst identisch. Es gibt

Christusbekenntnisse und persönliche Entscheidungen für Christus, die vor Christus nicht bestehen können (Mt7, 21; Luk 9, 57 ff; Mt 26, 33 ft). Das Wesen des Glaubens ist — unabhängig von unserem psychologischen Vorstellungsver-

mögen! Glaube ist eben kein psychologischer, sondern ein theologischer Begriff! — nicht das bewußte Verstehen, Antworten, Sichentscheiden, sondern das reine Empfangen des

Heils, wie es uns in Christus als dem Worte Gottes offenbart ist, Über die psychologischen Möglichkeiten dieses Empfangens reflektiert das NT nicht weiter. Da, wo das starke In-

teresse der Betrachtung Hitzers liegt, hat das NT gar kein

Interesse. Nur in Andeutungen spricht es von Möglichkeiten des Heilsempfanges, die jedenfalls im persönlichen Glaubensbekenntnis und der persönlichen Glaubens entscheidung nicht aufgehen. Matthäus 9,2 spricht Jesus auf

den Glauben der Krankenträger hin dem Gichtbrüchigen Sündenvergebung zu (selbst wenn adv „ihren Glauben “, was sprachlich kaum möglich ist, sich auch auf den Gichtbrüchigen beziehen sollte, ist es beachtlich, daß es nicht aörod „seinen Glauben“ heißt; vgl. die Heilungswunder ,

Zur Tauffrage

1942

441

die auf den Glauben und die Fürbitte anderer erfolgen bes.

Mk 9, 23; Mt 8, 13!). 1. Korinther 7, 14 spricht von einer nicht durch den persönlichen Glauben bedingten Heiligung

des ungläubigen Ehegatten durch den gläubigen. 1. Korinther 15, 29 gehört in besonderer Weise in diesen Zusammen-

hang, ebenso die Heilszusage an die Säuglinge (Luk 18, 15), derLobpreis und Dank Jesu für die Offenbarung Gottes an die „Unmündigen“ (vgl. auch Luk 9, 49 f, wo im Zusammenhang mit der Aufnahme der Kinder Johannes im Namen der Jünger davon berichtet, daß sie einen, der im Namen Jesu Wunder tut, daran hinderten, weil er Jesus nicht nachfolgte — das Gemeinsame mit den Kindern besteht offenbar

in diesem Nichtnachfolgen, sich nicht bewußt Entscheiden, — worauf Jesus antwortet: „wehret ihm nicht“ vgl. Luk 18, 16: „wer nicht wider uns ist, der ist für uns“). Schließ-

lich gehört hierher auch das korporative Denken des NT (vgl. Mt 10, 13 und die Worte über die Städte Mt 11, 20).

Aus allen diesen Stellen ergibt sich nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Berechtigung zu der Frage, ob es er-

laubt sei, den Kindern, die von gläubigen Eltern geboren werden, die Taufe vorzuenthalten, weil sie die psychologi-

schen Voraussetzungen für ein persönliches Bekenntnis und Sichentscheiden nicht haben. 4. Das NT spricht ausdrücklich nur von der Taufe Gläubiger. Verkündigung, Buße, Glaube, Taufe ist die immer

wieder bezeugte Reihenfolge. Durch die Taufe wird der Gläubiggewordene dem Leib Christi eingegliedert. Die Praxis des NT löst also das sachliche Verhältnis von Taufe und Glaube konkret durch den vorherrschenden Brauch der Erwachsenentaufe. Das entspricht der Missionssituation. Es wäre aber, wie wir gesehen haben, unerlaubt, die sachliche Zusammengehörigkeit von Taufe und Glaube ausschließlich als das zeitliche Nacheinander von persönlichem Glaubens-

bekenntnis und Taufe zu verstehen. Es gibt Taufe nur, wo

442

Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

geglaubt wird. In der Missionssituation bedeutet das: be-

wußtes Bekenntnis des Glaubens durch Erwachsene; da aber auch das Glaubensbekenntnis (es ist übrigens an keiner

Stelle der Schrift von der Taufe mit Sicherheit überliefert) seinem Wesen nach nicht als Werk, als psychischer Vor-

gang, verstanden werden

darf, bleibt die Frage offen, ob

der Glaube als reines Empfangen nicht auch stellvertreten-

der Glaube der Gemeinde für ihre Kinder, bzw. der Glaube

der unmündigen Kinder der Gemeinde selbst sein könne,

wobei ja immer wieder zu bedenken ist, daß ein Mensch niemals „auf“ seinen Glauben, also auch die Kinder niemals „auf“ den Glauben der Gemeinde oder ihren eigenen Glauben getauft werden, sondern allein auf den Namen Jesu

Christi. Die neutestamentliche Praxis der Glaubenstaufe Erwachsener kann theologisch nur als eine Möglichkeit der Lösung des Verhältnisses von Taufe und Glaube verstan-

den werden, neben der die Möglichkeit der Kindertaufe nicht ausgeschlossen werden kann. Die Verweigerung der Kindertaufe ist jedenfalls neutestamentlich nicht zu begrün-

den, und zwar gerade auch vom Glaubensbegriff der Recht-

fertigungslehre aus. Tritt nun zu dieser Einsicht, die vom

Glaubensbegriff her gewonnen ist, hinzu der Taufbefehl und

die Taufverheißung Jesu als sakramentale Realität und kommt noch dazu die Erkenntnis, daß jeder Mensch in Sün-

den geboren ist und der Wiedergeburt bedarf, so wird aus der theoretischen Möglichkeit der Kindertaufe eine konkrete Glaubenshoffnung und Zuversicht, in der die Gemeinde ihren Kindern die Taufe nicht mehr vorenthalten zu dürfen glaubt.

Zur Tauffrage

1942

443

B. Zur Lehre der lutherischen Bekenntnisschriften

1. Begründung der Taufe ist der Taufbefehl Christi. Dieser ist universal. Die Gabe der Taufe ist (in dem entscheidenden

Begriff zusammengefaßt)

Wiedergeburt.

Die Wirksamkeit

der Taufe beruht auf Befehl und Verheißung Christi. Die

Taufe fordert als Gottes Gnadengabe den Glauben. Was bedeutet das für die Kindertaufe? Wie wird die Kindertaufe im Glauben empfangen? Antwort: Durch den Glauben der Kinder und durch den Glauben der Gemeinde. 2. Der Kinderglaube: Der Haupteinwand richtet sich gegen seine psychologische Unmöglichkeit. Dagegen ist zu sagen: a) Es ist psychologisch nicht weniger unmöglich, von der Sünde der Kinder zu sprechen, wie es die Lehre von der Erbsünde tut. Sünde und Glaube sind nicht psychologische

Akte, sondern reale Beziehungen auf Gott. b) Der reformatorische Glaubensbegriff ist nicht wie der pietistische psychologisch, sondern theologisch bestimmt. „Solches Glauben“, „Hängen“ und „Ergreifen“ ist so sehr nur Empfangen der Gnade, daß jede psychologische Beschrei-

bung dieses Vorgangs ausscheiden muß. Der Akt dieses Empfangens kann auch nicht an „psychologische Voraussetzungen gebunden sein“ (Schlink: Theologie der Bek. Schriften

84213):

c) Die spätere lutherische Unterscheidung

einer fides di-

recta und reflexiva, immediata und mediata besteht theolo-

gisch zu Recht und schützt vor Psychologisierung und Vergesetzlichung des Glaubensbegriffes. d) Luther macht aus dem Kinderglauben kein selbständiges Theologumenon, sondern er widerspricht der falschen Beweisführung, die seine Unmöglichkeit behaupten will. 3. Der

Patenglaube:

Der Haupteinwand

richtet sich auf

die Unmöglichkeit des stellvertretenden Glaubens. Dazu ist zu sagen:

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Aufträge der Bruderräte.

1940—1942

a) Der Glaube der Gemeinde geht dem Glauben des Einzelnen immer voraus; und zwar in der doppelten Hinsicht,

daß die Gemeinde im Glauben an Befehl und Verheißung Christi die Taufe verwaltet und daß sie im Glauben fürbittend für den Täufling die Taufe empfängt. b) Der Glaube der Gemeinde nimmt darum Christi Wort

fürbittend für das Kind in Anspruch und ist der göttlichen Erhörung ihres Gebetes gewiß. c) Der Glaube der Gemeinde tauft das Kind nicht auf die

Kraft des Gemeindeglaubens oder Kinderglaubens, sondern

auf die Kraft des Wortes Christi. d) Der Glaube der Gemeinde trägt die Kinder durch Für-

bitte und christliche Unterweisung auf Grund der geschehe-

nen Taufe. €) Ins Herz sehen kann die Gemeinde dem Erwachsenen, den sie im Glauben durch die Taufe auf Grund seines Bekennt-

nisses als Glied aufnimmt, ebensowenig wie dem Kind. f) Der Glaube der Gemeinde ist kein Werk, das sie an Stelle

des Kindes leistet, sondern durch das Wort Christi gewirktes

Erbitten, Erhoffen und Empfangen der Verheißungen Chri-

sti für das Kind. 8) Die Inanspruchnahme des Evangeliums Markus 10, 13 ff. für die Kindertaufe beruht auf der darin enthaltenen Zusage des Himmelreiches an die Kinder. Wie sollte man ih-

nen, denen das Himmelreich dürfen?

gehört, die Taufe verwehren

h) Die Argumentation der Bekenntnis-Schriften geht we-

niger auf einen positiven dogmatischen Erweis für die Not-

wendigkeit der Kindertaufe, als sie das Recht der Verweigerung der Kindertaufe bestreitet. Der „stellvertretende“ Glaube darf ebensowenig wie der Kinderglaube zu einem selbständigen Theologumenon werden; vielmehr wird dem

Glauben der Gemeinde, in welchem sie Kinder auf Christi

Verheißung hin zu taufen wagt, nicht widersprochen, noch

Zur Tauffrage

1942

445

wird er in biblizistischer Gesetzlichkeit als Irrglaube verworfen.

i) Zum Verhältnis von Kinderglauben und Patenglauben ist zu beachten, daß die Bekenntnis-Schriften beide neben-

einander nennen. Dabei liegt das Übergewicht entschieden beim Patenglauben, ohne den keine Kindertaufe sein kann. Der Glaube der Gemeinde trägt auch hier den Glauben des Einzelnen. Der unausgesprochene Kinderglaube wird von den Paten öffentlich bekannt. k) Kinderglaube und Patenglaube sind letztlich nur ein

Ausdruck für jene Objektivität des Glaubens, von der im 'neutestamentlichen Zusammenhang die Rede war. Weil „der Glaube kam“, „der Glaube offenbart wurde“, darum kann dort, wo das Ereignis geworden ist, im Glauben getauft

und die Taufe empfangen werden. 4. Die theologische Besinnung muß sich also streng genommen darauf beschränken, die Möglichkeit der Kindertaufe freizugeben. Die Lehre von der Kindertaufe ist eine Grenzlehre, auf der nicht systematisch weitergebaut werden kann, die aber als solche ihr Recht hat. Diese innere Begrenzung

der theologisch möglichen Aussagen über die Kindertaufe wird dort (auch in den Bekenntnis-Schriften) überschritten, wo eine selbständige Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Kindertaufe und von der Verdammung der ungetauft gestorbenen Kinder vertreten wird. Der Begriff der Heilsnotwen-

digkeit führt an sich schon dort, wo er auf einzelne Stücke der Offenbarungswirklichkeit angewandt wird, zu einer unerträglichen Zerreißung des Heilsganzen und zu einem gesetz-

lichen Verständnis der einzelnen Stücke. Nicht die Frage, was

zum

Heil notwendigerweise

geschehen muß, sondern

was geschehen darf, ist biblisch. Wer aber wollte angesichts des Heils etwas zu tun ausschlagen, was er tun darf? Die

Frage nach dem Heil Verstorbener ist niemals — auch wo es sich um Getaufte handelt — direkt zu beantworten. Sie hat

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Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

ihren Sinn und ihr Recht nur darin, daß sie den Einzelnen und die Gemeinde immer wieder ganz auf Gottes Gnade, d.h. auf Christus, sein Wort und sein Sakrament, verweist. Die Kasuistik, die sich bei der Frage nach der Heilsnotwendigkeit der Taufe entwickelt hat, macht aus der Taufe ein menschliches Werk. Ebenso falsch aber ist es, die Kindertaufe für „unnötig“ zum Heil der Kinder zu erklären und ohne weiteres an eine Gnade Gottes zu appellieren, die „größer ist als die Taufe“ (Hitzer S. 18), wovon in der Schrift kein Wort zu finden ist. Der Vorwurf, die Bekenntnis-Schriften bänden die Gnade Gottes zu stark an die Taufe und machten dadurch die Taufe zu einer selbständigen Größe neben Christus, muß

in diesem Zusammenhang zurückgewiesen werden. Daß wir

nicht durch den Glauben an die Taufe, sondern durch den

Glauben an Christus selig werden, braucht man den Ver-

fassern der Bekenntnisschriften nicht ausdrücklich zu erklären. Daß es aber Gott gefallen hat, seine Gnade an Christus — und das heißt an Wort und Sakrament — zu „binden“ und daß es außerhalb von Wort und Sakrament keine Gnade Gottes gibt, von der uns etwas offenbart wäre, das haben

die Bekenntnis-Schriften mit gutem Grund bezeugt; und der

Gott, der nach unsern Gedanken und Wünschen „größer“ sein soll als diese seine Gnade, ist nicht der Gott der Bibel. Statt nach einem solchen „größeren“ Gott zu verlangen, von dem wir doch nichts wissen können, sollten wir gerade die gnädige Nähe Gottes, wie sie in der Bindung an Wort und

Sakrament geschenkt ist, preisen und uns ganz an sie halten.

3. Die Bekenntnis-Schriften widerstehen mit Recht den Schwärmern, welche die Kindertaufe verbieten. Sie geben vielmehr auf Grund der Schrift und ihres „Schlüssels“ —

der Rechtfertigungslehre — die Kindertaufe frei. Sie ver-

werfen aber vor allem als schwärmerischen Übermu t den Gedanken, als sei die von der Kirche im Glauben an das Wort

Zur Tauffrage

1942

447

Christi und auf seinen Namen vollzogene Taufe keine Taufe. Die Gültigkeit der Taufe ruht allein auf Befehl und Verheißung Jesu Christi. Der Nutzen der Taufe liegt am Glauben, der sie empfängt. So dürfen selbst die Gegner der Kindertaufe niemals ihre Gültigkeit, höchstens ihren Nutzen in Frage stellen. 6. Über das zeitliche Verhältnis von Taufe und Glaube geben die Bekenntnis-Schriften keine nähere Auskunft. Sie begnügen sich mit der Feststellung der sachlichen Zusammengehörigkeit von beidem. Während die Erwachsenentaufe den Glauben der Taufe zeitlich vorordnet, läßt die Kinder-

taufe die Frage offen. Zwar geht der Glaube der Gemeinde der Taufe voran, aber der Kinderglaube wie auch der spätere bewußte Glaube sind Folgen der Taufe. Der Glaube

der heutigen Gemeinde ist nicht zu denken ohne die Einsetzung der Taufe, die ihm vorangeht. Wiederum ist die erste Gemeinde schon als gläubige getauft. Endlich aber geht die Einsetzung der Taufe durch Christus dem Glauben der Gemeinde, wie er an Pfingsten begründet wird, voran. So

kommt letztlich die Frage nach dem zeitlichen Verhältnis von Taufe und Glaube (wenn nicht willkürlich irgendein be-

stimmter Zeitpunkt, also etwa die Taufe der ersten Gemeinde, aus

dem

Gesamtzusammenhang

herausgerissen

wird)

auf die Frage nach dem zeitlichen Verhältnis von Wort und Sakrament heraus. Diese Frage aber ist theologisch nicht mehr zu entscheiden, da in Jesus Christus Wort und Sakrament eins sind. Auch Johannes 1, 1 ist ja von Johannes 1, 14 nicht mehr zu trennen. Das Argument, daß Christus erst

gepredigt und nur am Ende seines Lebens die Sakramente eingesetzt habe, geht an der Tatsache vorüber, daß die leibliche Gegenwart des predigenden Christus selbst schon Sakrament war und daß die Einsetzung der Sakramente vor seinem Hingang nur als Vergewisserung seiner weiteren leiblichen Gegenwart verstanden werden kann. So ist die

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Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

Frage nach dem zeitlichen Verhältnis von Wort und Sakrament, nach Glauben und Taufe nicht theologisch, sondern nur

pädagogisch-psychologisch-praktisch zu lösen. Es ist gewiß unerlaubt — darin hat die Betrachtung Hitzers recht —, die Notwendigkeit der Kindertaufe z.B. aus dem dogmatischen Begriff der gratia praeveniens zu deduzieren, die Kin-

dertaufe als Illustration eines dogmatischen Satzes zu behandeln. Ebenso unerlaubt ist es freilich auch, aus irgendeinem

Gemeindebegriff die Verwerfung der Kindertaufe zu deduzieren. Über Recht und Unrecht der Kindertaufe entscheiden

allein

die biblischen

Aussagen

über

die Taufe,

die

durch den Schlüssel der Heiligen Schrift — die Botschaft von der Rechtfertigung aus Gnaden und Glauben allein — aufgeschlossen werden. Ist von hier aus aber die Kindertaufe als erlaubt anzusprechen, so darf nachträglich z. B. der Begriff der gratia praeveniens als Illustration der Kin-

dertaufe mit gutem Recht herangezogen werden.

C. Taufe und Gemeinde 1. Wie in der Missionssituation das Verhältnis von Taufe und Glaube in dem Vorherrschen der Taufe Erwachsener gelöst wird, so in der volkskirchlichen Situation in dem

Vorherrschen der Kindertaufe. Beide Möglichkeiten sind in die Freiheit und Verantwortung der Gemeinde gegeben und

werden je nach der geistlichen Lage der Gemeinde, nach dem Glauben der Gemeinde und nach ihrer Situation in der Welt geübt werden. Taufmißbrauch ist ebenso dort, wo die Kinder-

taufe unter Vernachlässigung

der strengen Beziehung

auf

den Glauben der Gemeinde geübt wird, wie dort, wo der Glaube der Erwachsenen zum Werk wird, auf dem die Gül-

tigkeit der Taufe beruhen soll. Die Kindertaufe droht immer, die Taufe vom Glauben zu lösen, wie die Erwachsenen-

Zur Tauffrage

1942

449

taufe immer die in Christi Wort allein begründete Taufgnade zu zerstören droht. Ein Mißbrauch der Kindertaufe, wie er

in der Vergangenheit unserer Kirche unzweifelhaft festzustellen ist, wird daher die Gemeinde notwendig zu einer sachgemäßen Einschränkung ihres Gebrauchs und zu einer neuen Würdigung der Erwachsenentaufe führen. 2. Immer wieder ist in Zeiten der Verweltlichung der Kirche die völlige Verwerfung der Kindertaufe und die Forderung der Glaubenstaufe und Wiedertaufe zur Kampfparole für die Erneuerung der Kirche bzw. für die Bildung einer von der Welt geschiedenen, reinen Gemeinde der Gläubigen erhoben worden. Niemals ist die Kirche durch diese Parole erneuert worden. Vielmehr ist es zu ungezählten Absplitterungen gekommen, die teils am Rande der Kirche ein Eigenleben führten, teils selbst wieder in der nächsten Generation

zur Kindertaufe zurückkehrten. Diese Feststellung ist kein theologisches Argument, sie gehört aber zu den Akten der Kirchengeschichte, die sich jeder verantwortliche Christ, der mit diesen Fragen umgeht, vorlegen lassen muß. 3. Die geschichtsspekulative Behauptung, daß mit dem Zuendegehen der konstantinischen Epoche der Kirchengeschichte in unseren Tagen auch die Kindertaufe als Spezifikum dieser Epoche fallen müsse, beruht auf dem Irrtum, als sei die Kindertaufe erst unter Konstantin eingeführt worden. Dagegen steht es fest, daß bereits Irenäus, Tertullian, Hippolyt und Origines (der sie auf apostolische Tra-

dition zurückführt) die Kindertaufe als allgemeine Übung voraussetzen. Die Synode von Karthago 251 berät bereits über die Frage, ob am 3. oder 8. Tage nach der Geburt getauft werden solle. Nicht daß die christliche Gemeinde ihre Kinder taufte, sondern daß die Taufe als solche eine Qualifikation für das bürgerliche Leben wurde, gehört zur konstantinischen Epoche; nicht in der Kindertaufe, sondern in dieser weltlichen Qualifizierung der Taufe überhaupt, liegt

450

Aufträge

die Fehlentwicklung.

der Bruderräte.

1940—1942

Das sollte klar unterschieden

wer-

den. 4. Die Sehnsucht nach einer von der Welt geschiedenen, reinen, echten, wahrhaftigen, einsatz- und kampffähigen Gemeinde der Gläubigen ist in einer verweltlichten Kirche sehr begreiflich, aber sie ist voller Gefahren: zu leicht tritt hier ein Gemeinde-Ideal an die Stelle der wirklichen Gemeinde Gottes; zu leicht wird die reine Gemeinde als von Menschen zu vollbringende Leistung verstanden; zu leicht ‘ werden die Gleichnisse Jesu vom Unkraut im Acker und vom Fischnetz übersehen; zu leicht wird vergessen, daß Gott

die Welt geliebt hat und will, daß allen Menschen geholfen werde; zu leicht verdrängt ein kurzschlüssiger gesetzlicher Biblizismus die verantwortliche theologische Besinnung. Die Scheidung der Gemeinde von der Welt, die Reinheit, Kampfbereitschaft, Wahrhaftigkeit der Gemeinde sind nicht an sich selbst direkt zu erstrebende Ziele, sondern sie sind Früchte, die einer echten Verkündigung des Evangeliums von selbst folgen. Luthers Reformation kam nicht aus dem Versuch der Verwirklichung eines besseren, vielleicht „urchristlichen“ Gemeinde-Ideals, sondern aus der neuen Er-

kenntnis des Evangeliums aus der Heiligen Schrift. Nicht

um die Wiederherstellung der urchristlichen Gemeinde, sondern nur um Ausrichtung des Evangeliums heute kann es gehen. Echte kirchliche Erneuerung wird sich von Schwärmerei immer dadurch unterscheiden, daß sie an den zentralen und gewissen Lehren der Schrift ihren Ausgang nimmt.

Nun ist es zwar unzweifelhaft, daß die rechte Verwaltung des Taufsakraments eine zentrale Forderung der Schrift ist; jedoch läßt sich die Verwerfung der Kindertaufe nach allem bereits Gesagten bestimmt nicht als eine zentrale und gewisse Lehre der Heiligen Schrift bezeichnen. Wo aber Menschengedanken — und seien es die besten, reinsten und

frömmsten — zum Ausgangspunkt kirchlicher Erneuerungs-

Zur Tauffrage

1942

451

bestrebungen gemacht werden, dort ist die Sache der Kirche, die allein auf dem klaren und gewissen Worte Gottes ruht,

gefährdet, besonders wenn sich Menschengedanken unter Verwerfung des Glaubens der Kirche allein als göttliche Wahrheit ausgeben.

5. Besonders bedenklich an der vorliegenden „Sonderbetrachtung über Taufe und Gemeinde“ sind folgende Formulierungen: S. 39: „Wer nicht ganz auf Christi Seite treten, das bekennen und dem Ausdruck verleihen will durch Sichtaufenlassen, der bleibe draußen! ... da wird eine klare ganze Entscheidung gefordert, da wird die Luft rein,

diese Wahrhaftigkeit macht die Botschaft glaubhaft und das Zeugnis der Kirche für die Jugend anziehend“! Hier spricht ein — die Jugend gewiß anziehender — Rigorısmus und Idealismus, der persönliche Entschlossenheit allzu direkt mit Glauben identifiziert (s. o.), der den glimmen-

den Docht auslöscht und das zerstoßene Rohr zerbricht. Dem entspricht die Äußerung S. 38, daß die Zugehörigkeit zur Gemeinde Jesu Christi subjektiv gesehen auf der freien Ent-

scheidung der Einzelnen, auf der Freiwilligkeit beruht. Auch hier wird „freie Entscheidung“ für „Glauben“ eingesetzt und damit eine gefährliche Verbiegung des biblischen Glaubensbegriffes vorgenommen (s. o.). Dieser terminologisch und damit

zugleich

sachlich

bedeutsamen

Begriffsveränderung

ent-

spricht auch die Einführung des unbiblischen Begriffes der „Glaubenstaufe“ und die im. Gegensatz zum NT auffallend oft wiederkehrende Verwendung der medialen Form „Sich-

taufenlassen“. Alles dies weist in dieselbe Richtung eines sich von der Bibel entfernenden, psychologisch-aktivistischen Denkens. „Entscheidung für Christus“ — selbst ein

unbiblischer Terminus — ist die aktivistische Verkehrung des passiven Charakters des Glaubens; Entscheidung für Christus stellt den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung. „Glaube“ ist ganz auf seinen Gegenstand, auf Chri-

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Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

stus gerichtet. S. 37 wird die Kindertaufe als Antastung nicht nur der Freiheit des Menschen (woher kommt eigent-

lich dieser Freiheitsbegriff?; aus Idealismus und liberaler Theologie, nicht aus der Bibel), sondern auch Gottes in sei-

ner Gnadenwahl bezeichnet. Dabei ist die Universalität des

Heilswillens Gottes, wie ihn die Schrift bezeugt, geleugnet;

es wird Gottes Gnade von seinen Gnadenmitteln getrennt (wie wir oben schon an anderer Stelle beobachteten) und

Gemeinde und Welt treten als von Ewigkeit her Erwählte

und Verdammte klar auseinander. Wie steht es dann aber mit Johannes 3, 16? Dasselbe Verhältnis von Gemeinde und Welt, das sich vorher auf der psychologischen Ebene als

„persönliche Entscheidung“ und „Unentschiedenheit“ darstellt, wiederholt sich hier auf Grund einer abstrakten Lehre von der doppelten Prädestination und dementsprechend von einer Freiheit Gottes von seinen Gnadenmitteln, d. h. von

seiner Offenbarung. In beiden Fällen wird das echte Ver-

hältnis von Gemeinde und Welt, das sich nur im Glauben

an die Offenbarung Gottes in der Welt entfaltet (und so-

wohl Joh 3, 16 wie 1. Joh 2, 17 umfaßt), verfehlt und

zu einer falschen einlinigen Formulierung gebracht. Diese

mag eindrucksvoller, anziehender sein, aber sie macht aus

der Kirche Gottes ein Ideal der Frommen.

6. Die Abschaffung der Kindertaufe ist kein wirksames Mittel, der Verweltlichung der Kirche entgegenzutreten, weil auch die „Glaubenstaufe“ nicht vor schweren Rückfäl len

sichert; vielmehr führt gerade die besondere Betonung per-

sönlicher Bekehrungserlebnisse

erfahrungsgemäß

schwärmerischen Entgleisungen und Rückschlägen.

häufig zu

7. Nicht die Abschaffung der Kindertaufe, wohl aber eine

rechte evangelische Taufzucht wird heute von der. christ-

lichen Gemeinde gefordert. Da die Kindertaufe dort, wo sie

im Glauben — also innerhalb der gläubigen Gemei nde — vollzogen wird, von der Schrift her nicht verwehrt werden

Zur Tauffrage

1942

453

kann, sondern vielmehr als ein besonderes Gnadengeschenk Gottes an die gläubige Gemeinde dankbar ergriffen werden darf, wird die rechte evangelische Taufzucht ihr Augenmerk darauf zu richten haben, ob gläubige Paten und Eltern als Glieder der Gemeinde das Kind zur Taufe bringen oder nicht.

Sie wird in erster Linie positiv die Taufbelehrung für Gemeinde,

Paten

und

Eltern

ernster

nehmen

als bisher; sie

wird von der besonderen Gnade der Kindertaufe Zeugnis geben, die nicht verschleudert werden darf; sie wird vor dem Mißbrauch der Taufe warnen und sie wird nötigenfalls die

Kindertaufe dort verweigern, wo nach ihrem klaren Urteil die Taufe nicht im Glauben begehrt wird. Sie wird sich aber

in ihrer Verweigerung nicht von irgendeinem Rigorismus leiten lassen, sondern von der Liebe Gottes zur Welt und

und zu seiner Gemeinde. 8. Wie stellt sich die Kirche zu Christen, welche die Kindertaufe überhaupt aus Glaubensgründen ablehnen zu müssen meinen?

a) Sie hat kein Recht, gläubige Gemeindemitglieder, die ihre Kinder nicht taufen lassen, auf Grund der Heiligen Schrift

in Zucht zu nehmen. b) Dasselbe gilt gegenüber Pfarrern, die es mit ihrer Familie ebenso halten. Sie wird in beiden Fällen einen praktischen Hinweis auf den Ernst der Taufgnade erblicken. c) Sie kann aber ihren Pfarrern nicht erlauben, solchen gläubigen Christen, die die Taufe für ihre Kinder begehren, diese zu verweigern, weil diese Verweigerung sich nicht aus der Schrift rechtfertigen läßt. d) Sie kann ihren Pfarrern nicht erlauben, eine schriftwid-

rige Lehre von der Unerlaubtheit der Kindertaufe zu verkündigen, während sie ihnen nicht verwehren kann, die Erwachsenentaufe mit biblischen Gründen zu empfehlen. e) Unter keinen Umständen aber kann sie die Wiedertaufe dulden, d.h. die Ungültigkeitserklärung der von der Kirche

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Aufträge

der Bruderräte.

1940—1942

Christi im Glauben an das Wort Christi von jeher vollzogenen Taufe. Lehre und Praxis der Wiedertaufe zerstört die Einheit und die Gemeinschaft der Kirche, indem sie alle als Kinder Getauften’ als Ungetaufte und d.h. als nicht zum

Leibe Christi gehörig ansieht. Die Wiedergetauften scheiden

sich selbst nicht nur von der Welt, sondern auch von der Kirche Jesu Christi.

IX. ZUR

ARBEITAN

DER

ETHIK

— 1944 1942

Die Geschichte und das Gute! [Erste Fassung] Die Abstraktion des isolierten einzelnen Menschen, der sich

nach einem ihm zur Verfügung stehenden absoluten Maßstab unaufhörlich und ausschließlich zwischen einem klar erkannten Guten und einem klar erkannten Bösen zu entscheiden hat, eine Abstraktion, die das ethische Denken weithin

beherrscht, haben wir nach allem Gesagten hinter uns gelassen.

Weder

gibt es diesen

isolierten

Einzelnen,

noch

steht uns dieser absolute Maßstab des Guten einfach zur Verfügung, noch pflegt das Gute und das Böse sich uns in seiner reinen Gestalt zu präsentieren. Der Fehler dieses abstrakten ethischen Schematismus liegt darin, daß in ihm nur der isolierte Einzelne als ethisch relevant, nur das Absolute und Allgemeingültige als Norm, nur die Entscheidung zwi-

schen dem klar erkannten Guten und dem klar erkannten Bösen als ethische Entscheidung gewertet wird; mit anderen Worten, daß das Ethische auf eine rein statische Grundformel

zurückgeführt werden soll, die eine Fiktion ist und in der das spezifische Ethische gerade verlorengeht. Dieser

Abstraktion

entspricht

ein bestimmtes

praktisches

Verhalten, in welchem die Lösung des ethischen Problems immer wieder gesucht wird und das doch immer wieder scheitern muß. Es handelt sich dabei um den Rückzug des

Einzelnen

aus

der lebendigen Verantwortung

seines ge-

1. Erste Fassung des Kapitels VI der Ethik, siehe dort S, 166 ff

456

Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

schichtlichen Daseins auf eine private Verwirklichung ethischer Ideale, in der er sein eigenes persönliches Gutsein ga-

rantiert sieht. In der Durchführung bestimmter Prinzipien, gleichgültig welche’Folgen sie für die Umwelt haben, wird hier die ethische Aufgabe gesehen. Je nach der Radikalität der Prinzipien führt diese Haltung aus der Gesamtverant-

wortung heraus in eine rein private, bürgerliche Existenz, bezw. ins Kloster. Weil aber die ethische Isolierung des Einzelnen praktisch eine Fiktion ist — denn keiner kann sich

völlig der menschlichen Gemeinschaft entziehen und jeder

lebt von ihr —, darum ist dieses Verständnis des Ethischen

zum Scheitern verurteilt. Es versagt angesichts der Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins. Darunter soll verstanden sein, daß der Mensch notwendig

in einer Begegnung mit anderen Menschen lebt und daß

ihm mit dieser Begegnung in einer je verschiedenen

Form

eine Verantwortung! für den anderen Menschen auferlegt wird. Geschichte entsteht durch das Wahrnehmen der Ver-

antwortlichkeit für andere Menschen, bezw. für ganze Gemeinschaften und Gemeinschaftsgruppen. Der Einzelne handelt nicht für sich allein, sondern er vereinigt in seinem Ich das Ich mehrerer Menschen, gegebenenfalls sogar einer sehr großen Zahl. Der Familienvater z.B. kann nicht mehr handeln, als wäre er ein Einzelner. In seinem Ich ist das Ich sei-

ner Familienglieder aufgenommen, für die er verantw ort-

lich ist. Sein gesamtes Handeln ist durch diese Verantwortlichkeit bestimmt. Jeder Versuch, zu handeln und zu leben,

als wäre er allein, bedeutet nicht nur eine Verleugnung der

Verantwortlichkeit, sondern damit auch der Wirklic hkeit, auf der seine Verantwortlichkeit begründet ist. Er hört ja nicht auf, Familienvater zu sein, sondern er ist nur statt ein

guter Familienvater zu sein ein schlechter Familienvater. Ein 1. Siehe Ethik, S. 172 ff.

Die Geschichte

und das Gute

457

guter Familienvater ist er, wenn er die ihm durch die Wirk-

lichkeit auferlegte Verantwortung auf sich nimmt und danach handelt. In dem Augenblick, in dem ein Mensch Verantwortung für

andere Menschen auf sich nimmt — und nur indem er das tut, steht er in der Wirklichkeit — entsteht die echte ethische Situation, die sich von der Abstraktion, in der der Mensch sonst das Ethische zu bewältigen sucht, allerdings wesentlich unterscheidet. Das Subjekt des Handelns ist nicht mehr der isolierte Einzelne, sondern der für andere Menschen Verantwortliche; die Norm des Handelns ist nicht ein allgemeingültiges Prinzip, sondern das konkrete Nächste, wie es

mir von Gott gegeben ist; die Entscheidung fällt nicht mehr zwischen dem klar erkannten Guten und dem klar erkannten Bösen, sondern sie wird im Glauben gewagt angesichts ‚der Verhüllung des Guten und des Bösen in der konkreten geschichtlichen Situation.

In konkreter Verantwortung handeln, heißt in Freiheit! handeln, ohne Rückendeckung durch Menschen oder Prinzipien selbst entscheiden, handeln und für die Folgen des Handelns einstehen. Verantwortung setzt letzte Freiheit der Beurteilung einer gegebenen Situation, des Entschlusses und der Tat voraus. Verantwortliches Handeln liegt nicht von vornherein und ein für allemal fest, sondern es wird in der gegebenen Situation geboren. Es geht nicht um die Durchfüh-

rung eines Prinzips, das zuletzt doch an der Wirklichkeit zerbricht, sondern um das Erfassen des in der gegebenen Situation Notwendigen, Gebotenen. Es muß beobachtet, abgewogen, gewertet werden, alles in der gefährlichen Freiheit des

eigenen Selbst. Es muß durchaus in den Bereich der Relativitäten eingetreten werden, in das Zwielicht, das die geschichtliche Situation über Gut und Böse breitet. Das Bessere 1, Siehe Ethik, S. 193 ff,

458

Arbeit

an

der Ethik.

1942— 1944

dem weniger Guten vorzuziehen, weil das „absolute Gute“

gerade das Böse um so mehr hervorrufen kann, ist die oft notwendige Selbstbescheidung des verantwortlich Handelnden. Das sogenannte absolute Gute wäre hier das Schlechte

und das relativ Bessere ist „absolut“ besser als das „‚abso-

lut Gute“, Hier kommt die Freiheit des Verantwortlichen gegenüber der Knechtung selbst unter ein „absolut Gutes“

zu höchster Geltung.

Der verantwortlich Handelnde bezieht die gegebene Situa-

tion in sein Handeln ein, nicht allein als Stoff, dem er seine

Ideen aufprägen will, sondern als die Tat mitgestaltend.

Nicht irgendein fremdes Gesetz wird der Wirklichkeit aufgezwungen, vielmehr ist das Handeln der Verantwortlich keit im tiefsten Sinne wirklichkeitsgemäß. Der Begriff des „Wirklichkeitsgemäßen“! bedarf allerdi ngs der näheren Bestimmung. Mißverstanden würde er zu jener „servilen Gesinnung vor dem Faktum“ (Nietzsche) führen, die jeweils dem stärkeren Druck weicht, die den Erfolg prinzipiell rechtfertigt und das Opportune als das jeweils Wirklichkeitsgemäße wählt; Wirklichkeitsgemäßheit in diesem falsch verstandenen Sinne würde Verantwortungslosigke it. Ebensowenig wie eine Servilität gegenüber dem Faktisc hen kann ein prinzipieller Widerspruch, eine prinzipielle Auflehnung gegen das Faktische im Namen irgendeiner idealen Wirklichkeit zu der echten Wirklichkeitsgemäßheit verant-

wortlichen Handelns führen. Beide Extreme sind von dem Wesentlichen gleich weit entfernt. Anerkennung des Fakti-

schen und Widerspruch

wirklichkeitsgemäßen

gegen

Handeln

das Faktische sind im echt

miteinander unlösbar ver-

bunden; denn die ursprünglichste Wirklichkeit — damit greifen wir auf im ersten Kapitel Gesagtes zurük — ist die

Wirklichkeit des menschgewordenen Gottes. Alles Faktische 1. Siehe Ethik, S, 176 ff,

Die Geschichte

und das Gute

459

erfaßt von dieser Wirklichkeit her seine letzte Begründung und seine letzte Aufhebung, seine letzte Rechtfertigung und seinen letzten Widerspruch. Indem Gott Mensch wird und nur so, ist der Mensch und seine Welt angenommen und bejaht. Die Bejahung des Menschen geschieht aufgrund der Annahme des Menschen, nicht umgekehrt. Aber so geschieht sie auch wirklich. Nicht weil der Mensch der göttlichen Bejahung würdig wäre, hat Gott ihn angenommen, wurde Gott Mensch, sondern weil der Mensch des göttlichen Neins würdig war, darum nahm ihn Gott an und bejahte ihn, indem

er selbst Mensch wurde und den Fluch des göttlichen Neins über das menschliche Wesen selbst auf sich nahm und erlitt. Die Wirklichkeit ohne jenes göttliche Handeln in ihr und an ihr verstehen zu wollen, bedeutet in einer Abstraktion leben, an ihr vorbeileben, zwischen den Extremen der Servilität vor dem Faktischen und dem grundsätzlichen Widerspruch gegen das Faktische hin und her zu schwanken. Die Menschwerdung Gottes allein ermöglicht ein echtes wirklichkeitsgemäßes Handeln. Die Welt bleibt Welt, aber sie bleibt es doch nur, weil Gott sich ihrer angenommen und

seine Herrschaft über sie erklärt hat. Zwischen der Welt und dem Reich Gottes steht das Ende der Welt. Aber eben diese Welt, die in Christus gerichtet ist, ist in ihm angenommen

und geliebt und hat die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Die vergehende Welt ist von Gott in Beschlag genommen. So ist zugleich weiterhin mit der Welt-

lichkeit der Welt nun aber auch mit der Herrschaft Gottes über sie zu rechnen, das Faktische empfängt aufs neue sein Recht und seine Grenze, Bejahung und Widerspruch verbinden sich im konkreten Handeln in der Welt. Weder Bejahung

noch Widerspruch aber kommen aus einer wirklichkeitsfremden Ideologie, sondern sie kommen aus der Wirklichkeit der Versöhnung der Welt mit Gott, wie sie in Christus geschehen

ist. Weil in Christus die ganze menschliche Wirklichkeit auf-

460

Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

genommen ist, darum ist letztlich nur in ihr und von ihr aus ein wirklichkeitsgemäßes Handeln möglich. Weder der pseu-

dolutherische Christus, der allein dazu da ist, das Faktische zu sanktionieren, noch der radikal-revolutionäre Christus al-

ler Schwärmerei, der jeden Umsturz segnen soll, sondern der menschgewordene Gott Jesus Christus, der die Menschen

geliebt, gerichtet und mit Gott versöhnt hat, ist der Ursprung wirklichkeitsgemäßen Handelns. Verantwortlich handeln bedeutet von hier aus, die mensch-

liche Wirklichkeit als von Gott in Christus ange nommene in die Gestaltung des Handelns einbeziehen. Die Welt hat durch

Christus nicht aufgehört, Welt zu sein, und jedes Handeln, das die Welt mit dem Reich Gottes verwe chseln will, ist eine Verleugnung Christi und der Welt. Durch die Begründung

des verantwortlichen Handelns in Jesus Chris tus werden gerade die Grenzen dieses Handelns neu aufger ichtet. Weil es um weltliches Handeln geht, darum ist die Verantwortung eine begrenzte. Niemand hat die Veran twortung, aus der

Welt das Reich Gottes zu machen, sonde rn er soll den

— der Wirklichkeit der Menschwerdung Gottes und Christi entsprechend en — nächsten notwendigen Schrit t tun. Weil sich

verantwortliches Handeln nicht aus einer Ideologie, sondern

aus der Wirklichkeit nährt, darum kann nur im Rahmen dieser Wirklichkeit gehandelt werden. Die Verantwortung ist dem Umfang wie dem Wesen, also quantitativ und qualita-

tiv, nach begrenzt. Jede Überschreitung dieser Grenze führt

zur Katastrophe. Nicht die Welt aus den Angeln zu heben, sondern an gegebenem Ort das sachli ch — im Blick auf die

Wirklichkeit — Notwendige zu tun und dieses wirklich zu

tun, kann die Aufgabe sein. Aber auch an gegebenem Ort

kann verantwortliches Handeln nicht immer sofort das Letzte tun, sondern es muß

Schritt für Schritt gehen und nach dem Möglichen fragen und den letzten Schritt und damit die letzte Verantwortung in eine andere Hand legen.

Die Geschichte

und das Gute

461

Weil Gott Mensch wurde, darum muß verantwortliches Handeln im Bereich des Menschlichen abwägen, urteilen, beraten, darum muß es auch die Folgen des Handelns ernstlich bedenken und den Blick in die nächste Zukunft wagen; verant-

wortliches Handeln darf nicht blind sein wollen. Weil aber Gott Mensch wurde, darum muß verantwortliches Handeln im Bewußtsein der Menschlichkeit seiner Entscheidungen das Urteil über dieses Handeln wie auch seine Folgen ganz an Gott ausliefern. Während alles ideologische Handeln seine Rechtfertigung immer schon in seinem Prinzip bei sich hat,

verzichtet verantwortliches Handeln auf das Wissen um seine letzte Gerechtigkeit. Die Tat, die unter verantwortlicher Abwägung aller Umstände im Blick auf die letzte Wirklichkeit der Menschwerdung Gottes in Christus geschieht, wird im Augenblick des Vollzuges allein Gott ausgeliefert. Das letzte

Nichtwissen des eigenen Guten und Bösen und damit das Angewiesensein

auf Gnade gehört wesentlich zum

verant-

wortlichen geschichtlichen Handeln. Der ideologisch Handelnde, der die Frage nach den Folgen seines Handelns grundsätzlich ablehnt, ist sich des eigenen Guten gewisser als der mit begrenztem Vermögen die Folgen ernstlich Bedenkende, verantwortlich Handelnde. Der Ideologe sieht sich in seiner

Idee gerechtfertigt, der Verantwortliche lebt von der Gnade Gottes, in dessen Hände er sein Handeln legt.

Damit erschließt sich ihm ein tiefes Geheimnis der Geschichte überhaupt. Gerade als der in der Freiheit eigenster Verantwortung Handelnde sieht er sein Handeln in Gottes Führung einmünden. Freie Tat, wie sie Geschichte bestimmt, erkennt sich zuletzt als Gottes Tat, reinste Aktivität als Passivität. Erst unter dieser Perspektive kann nun vom Guten in der Geschichte gesprochen werden. Weder das ideologische Gute

noch die Reinheit der subjektiven Gesinnung, noch aber auch die Freiheit der verantwortlichen Tat als solche kann (den Begriff) die Wirklichkeit des Guten in der Geschichte erfüllen.

462

Arbeit

an

der Ethik.

1942—. 1944

Erst wo die Freiheit sich ursprünglich, wesentlich und ziel-

haft in Gottes Tat begründet versteht, also dort, wo Gott selbst (durch freie verantwortliche Tat eines Menschen) handelnd auf den Plan tritt, kann von Gutem in der Geschichte gesprochen werden. Gott macht die menschliche Tat in der Geschichte gut, nichts sonst. Gott fügt sie ein in seinen ver-

borgenen Plan, auf dem er sein in Christus offenbartes Ziel

der Geschichte verfolgt. Dieses Ziel, das mit den Worten Christusherrschaft umschrieben ist, ist das Gute in der Ge-

schichte und was diesem Ziel nach Gottes Willen dient. Gottes Handeln allein ist gut in der Geschichte und der geschicht-

lich handelnde Mensch, sofern er Gott in sein Handeln hineinzieht und er sich Gottes Handeln gänzlich ohne den Anspruch auf irgendeine andere Rechtfertigung ausliefert .

Wieweit ein menschliches Handeln dem göttlichen Ziel der

Geschichte dient und also das Gute in der Geschi chte realisiert, darüber gibt es für den Menschen keine letzte Gewißheit. Es bleibt dem verborgenen Rat Gottes vorbehalten.

Während für den Ideologen die Übereinstimmung einer Tat

mit der Idee den eindeutigen Maßstab über Gut und Böse abgibt, muß sich der Verantwortliche, „wirklichkei tsgemäß“ Handelnde, der seine Tat Gott ausliefert, mit dem Glauben an die vergebende und heilende Gnade Gottes trösten. Er kann sein Recht nicht beweisen, weil ihm die lebendige Wirklichkeit keinen eindeutigen Maßstab in die Hand gibt. Viel-

mehr tut sich vor ihm noch ein tieferer, geheim nisvollerer

Abgrund auf. Gott bedient sich des Guten wie des Bösen, um zu seinem Ziel zu kommen, und zwar — so weit menschliche Blicke reichen — in der Weise, daß oftmal s das „Gute“ zum Unheil, das „Böse“ aber zum Heil wirkt. Durch Judas

Ischarioth wird Christus zum Erlöser der Welt. Einen Augenblick lang hält Judas — geradezu gesprochen — das Heil der Welt in der Hand. Aber das Böse muß geschehen, Judas muß handeln — damit der Welt das Heil der Versöhnung mit

Die Geschichte

und das Gute

463

Gott geschenkt werde. So wird im Guten Gottes das Gute und das Böse der Menschen überwunden. Die Jünger Jesu können nicht vollbringen, was Judas Ischarioth vollbringt. Der Dienst an Gottes Sache erweist sich hier schwächer für

die Sache Gottes als die Feindschaft gegen Gott. Gott geht durch

das Gute und Böse der Menschen

hindurch

seinen

eigenen Weg. Er erweist sich als der, der allein das Gute tun will und dem jede Tat auf Zorn und Gnade hin ausgeliefert werden muß. Bedeutet das die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Gut und Böse? Nein, aber es bedeutet, daß kein Mensch sich

in seinem eigenen Guten rechtfertigen kann, da allein Gott

das Gute tut. Die Macht der göttlichen Lenkung der Geschichte wirft den Menschen auf die göttliche Gnade. Wenn nun aber das Gute Gottes, nämlich Christus und die Lenkung der Geschichte zu ihm hin, nicht einfach und di-

rekt vom Menschen selbst getan werden kann, worin besteht dann das Gute im geschichtlichen Handeln des Menschen? Zunächst — formal gesprochen — in nichts anderem, als daß der Mensch sein Handeln dadurch bestimmt sein läßt, daß nicht er, sondern eben allein Gott das Gute in der Geschichte vollbringt; daß er nicht nach absoluten Maßstäben sucht, mit denen er sein Handeln rechtfertigt, sondern sich in die von vornherein verlorene Position begibt, vor der jeder geschichtlich Verantwortliche steht, das Gute tun zu müssen, ohne es tun zu können. Verzicht auf jede Selbstrechtferti-

gung bei letzter Freiheit des Wagnisses, das Gute, d.h. das der Wirklichkeit Gemäße, das Notwendige und Gebotene zu tun, auf Gottes Gnade hin.

Gut ist das geschichtliche Handeln, das die gegebene konkrete Wirklichkeit begründet und gehalten sieht durch die Wirklichkeit der Menschwerdung Gottes, d.h. das die Welt so Welt sein läßt, daß es niemals vergißt, daß Gott auf diese Weit seinen Anspruch erhoben hat, indem er sie liebte, richtete, ver-

464

Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

söhnte. Es geht um ein durch und durch weltliches Handeln,

ja um das einzig wirkliche, echt weltliche Handeln, das nur dort geschehen kann, wo das Wesen dieser Welt erkannt ist. Gut ist das geschichtliche Handeln, das aus der Mitte der Ge-

schichte, aus dem Ereignis der Menschwerdung Gottes, die

Gesetze des geschichtlichen Handelns empfängt. Wenn es wahr ist, daß Gott Mensch wurde in Jesus Christus, wenn Gott in die Geschichte einging, so daß er geboren wurde zur Zeit des Kaisers Augustus, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war, daß er ein Mann war zur Zeit des Kaisers Tiberius und gekreuzigt wurde unter Pontius Pilatus, dann muß

sich uns hier das Wesen der Geschichte überhaupt enthüllen. Jesus Christus ist dann die einzige Quelle, aus der Er-

kenntnis

über Wesen

und Gesetz

der Geschichte, wie sie

von Gott her gedacht und gewollt ist, hervorgeht. (Schuld des Bösen auf sich nehmen .. .). Gut ist das der Wirklich keit

Jesu Christi gemäße Handeln; christusgemäßes Handeln ist wirklichkeitsgemäßes Handeln. Dieser Satz — recht verstanden — ist keine ideale Forderung, sondern eine Aussage, die

aus der Wirklichkeit selbst entspringt. Zwei große Mißverständnisse dieses Satzes ziehen sich durch

die gesamte Geschichte und Gegenwart der Christ enheit hindurch. Das erste Mißverständnis sieht in Jesus Christus den Begründer einer neuen ethischen Ideologie, die auf die geschichtliche Wirklichkeit angewendet werden muß. Das zweite Mißverständnis sieht in Jesus Christus nur den göttlichen Bejaher alles Wirklichen. Im ersten Fall kommt es zu einem ewigen Konflikt zwischen den Notwendigkeiten des geschichtlichen Handelns und der „Ethik Jesu“. Im zweite n Fall wird das Wirkliche konfliktlos als das Christliche angesprochen. Wo eine „Ethik Jesu“, etwa in der Gestalt einer so verstandenen Bergpredigt, losgelöst von dem Glauben an die Menschwerdung Gottes in Christus und an die Versö hnung der Welt mit Gott durch Christus, auf den Plan tritt, dort kommt es

Die Geschichte

und das Gute

465

entweder zu schwärmerisch-revolutionären Ereignissen oder aber es kommt zum Verzicht auf die „Anwendung dieser Ethik“ im geschichtlichen Handeln und zu einer Privatisierung der christlichen Ethik überhaupt. Die „Ethik Jesu“

scheitert entweder im großen an der geschichtlichen Welt — zum Beispiel das Schwärmertum der Reformationszeit — oder sie zieht sich auf den außerordentlich engen Bezirk des privaten Lebens des Einzelnen zurück — zum Beispiel im

Pietismus oder auch im Liberalismus eines Friedrich Naumann. In die konkrete geschichtliche Verantwortung aber führt diese „Ethik Jesu“ nicht hinein. Daher die heute in der

ganzen Christenheit verbreiteten Gemeinplätze, daß man mit der Bergpredigt keine Politik machen könne u.ä. Vorherr-

schend ist hier die Auffassung von einer in sich bestehenden, „eigengesetzlichen“

geschichtlichen

Wirklichkeit

und

einer

ihrem Ursprung und ihrem Wesen nach wirklichkeitsfremden, christlichen Ethik, die jener Wirklichkeit aufgezwungen werden soll. Vergessen aber ist die entscheidende Tatsache, von der aus die Struktur des Wirklichen überhaupt nur erkannt werden kann, die Menschwerdung Gottes, das Eingehen Gottes in die Geschichte, die Annahme der geschicht-

lichen Wirklichkeit in der Wirklichkeit Jesu Christi. Vergessen ist, daß die Bergpredigt das Wort dessen ist, der der Wirklichkeit nicht als Fremder, als Reformer, als Fanatiker, als Religionsstifter gegenüberstand, sondern der das Wesen des Wirklichen am eigenen Leibe trug und erfuhr, der aus

dem Wirklichen heraus redete wie nie ein Mensch auf Erden. Die Bergpredigt ist das Wort dessen, der selbst der Herr und das Gesetz des Wirklichen ist. Die Bergpredigt als das Wort

des menschgewordenen Gottes zu begreifen und auszulegen, darum geht es, wenn die Frage nach dem geschichtlichen Handeln gestellt wird, und hier muß es sich dann bewähren,

daß christusgemäßes Handeln wirklichkeitsgemäßes Handeln

geworden ist.

466

Arbeit

an

der Ethik.

1942— 1944

Christusgemäßes Handeln entspringt nicht aus irgendeinem ethischen Grundsatz,

sondern an der Person Jesu Christi

selbst. Weil in ihm aber alles Wirkliche zusammengefaßt ist, darum ist er der Ursprung alles wirklichkeitsgemäßen Han-

delns überhaupt. Jesus Christus ist der verantwortlich Lebende schlechthin. Er ist nicht der Einzelne, der zu einer eigenen ethischen

Vollkommenheit gelangen will, sondern er lebt nur als der,

der in sich das Ich aller Menschen

aufgenommen

hat und

trägt. Sein gesamtes Leben, Handeln und Leiden ist Stell-

vertretung!. Als der Menschgewordene steht er wirklich an

der Stelle aller Menschen. Was die Menschen leben, handeln

und leiden sollten, trifft ihn. In dieser realen Stellver tretung, die seine menschliche Existenz ausmacht, ist er der Verantwortliche schlechthin. In der realen Stellver tretung

Jesu Christi für die Menschen liegt die Wurzel aller menschlichen Verantwortlichkeit. Verantwortliches Handeln ist stellvertretendes Handeln. Stellvertretendes Handeln ist nur inso-

fern von Anmaßung und Übergriff frei, als es begründet ist in der in Gottes Menschwerdung geschaffenen realen Stellver tretung Jesu Christi für die Menschen. Allein von ihr aus gibt es

echtes stellvertretendes und damit verantwortliches Handeln .

Der Inhalt der Verantwortung Jesu Christi für die Menschen ist Liebe, ihre Form ist Freiheit, Die Liebe, um die es hier geht, ist die verwirklichte Liebe Gottes zu den Menschen und die Liebe der Menschen zu Gott. Weil Jesus Christus die menschgewordene Liebe Gottes zu den Menschen ist, darum ist er nicht der Verkünder abstrakter ethischer Ideologien, sondern der konkrete Vollstrecker der Liebe Gottes. Der Mensch wird nicht zur Verwirklichung ethischer Ideale, sondern in ein Leben in der Liebe Gottes und das

heißt in der Wirklichkeit gerufen. In der Liebe Gottes wider1. Siehe Ethik, S, 174 ff.

Die Geschichte

und

das Gute

467

fährt den Menschen das heilige Gericht Gottes nach den ewigen Geboten der göttlichen Gerechtigkeit. Diese Gebote unterscheiden sich darin von allen Ideologien, daß sie in Jesus

Christus mitten in der Geschichte erfüllt sind und dies in dem Wirklichwerden der Liebe Gottes in der Welt. Losgelöst

von ihrer Erfüllung zerschmettern sie die Menschen und die Welt furchtbarer als jede Ideologie, als in Christus erfüllt tragen und erhalten sie Menschen und Welt in der göttlichen Liebe. Die Gebote der göttlichen Gerechtigkeit werden erfüllt in der Stellvertretung und das heißt in konkret verantwortlichem Handeln in der Liebe zu den Menschen. Die Liebe, die dem wirklichen Menschen — und nicht ir-

gendeiner Menschenidee gilt, läßt sich durch kein Gesetz regeln, sie geschieht in der Freiheit der persönlichen Hingabe. So wird Jesus immer wieder zum Durchbrecher des Gesetzes um

des „Gesetzes“

oder klarer: um

der Freiheit der gött-

lichen Liebe willen. Die Liebe nimmt das Wirkliche wie es ist als zu ihr gehörig, sie mißachtet es nicht um einer Idee willen, sie nimmt es als gegeben und von Gott geliebt hin. Die Weise, mit dem Wirklichen umzugehen, gewinnt sie nicht

unabhängig vom Wirklichen, sondern aus der Wirklichkeit des Wirklichen, aus dem von-Gott-geliebt-sein. Die Liebe Gottes, mit der das Wirkliche, die Welt, geliebt wurde, im

Wirklichen zu erfassen und von ihr her den Umgang mit der Wirklichkeit zu finden, ist das Wesen alles konkret verantwortlichen Handelns!. Nur die Liebe selbst vermag Gottes

Liebe im Wirklichen aufzuschließen, und in der Freiheit von allen wirklichkeitsfremden Ideologien ist sie in ihrem Han-

deln gebunden durch die Wirklichkeit der Liebe Gottes, die in Jesus Christus die Welt geliebt hat. Jesus Christus als die Liebe Gottes zu der wirklichen Welt mit ihrer wirklichen

Geschichte, Politik usw. zu verstehen, mit anderen Worten, 1. Siehe Ethik, S. 176 ff.

468

Arbeit

an

der Ethik.

1942— 1944

die wirklichen Menschen, Umstände, Bewegungen, also die wirkliche Welt, in Jesus Christus und Jesus Christus in der wirklichen Welt zu erkennen, verleiht die Freiheit verantwortlichen Handelns an der Welt, in der Geschichte.

Weil es Jesus nicht um die Aufstellung und Verwirklichung neuer ethischer Ideale, also nicht um irgendein eigenes Gutsein, sondern ganz allein um Gottes Liebe zu den Menschen

geht, darum kann er in die Schuld der Menschen eintreten,

sich mit ihrer Schuld belasten lassent, Er will nicht auf Kosten der Menschen als der einzig Voll-

kommene

gelten, will nicht als der einzig Schuldlose auf

die unter ihrer Schuld zugrundegehende Menschheit herabsehen, will nicht über den Trümmern einer gescheiterten Menschheit irgendeine Menschenidee triumphieren lassen. Die Liebe zum wirklichen Menschen führt in die Gemeinschaft der menschlichen Schuld. Er will sich nicht von der

Schuld freisprechen, in der die Menschen, die er liebt, leben. Eine Liebe, die den Menschen in seiner Schuld allein läßt, hätte nicht den wirklichen Menschen zum Gegenstand. So wird Jesus in der stellvertretenden Verantwortung für die Menschen, in seiner Liebe zum wirklichen Menschen, zum Schuldbeladenen, ja zu dem, auf den zuletzt alle Schuld der Menschen fällt und der sie nicht von sich weist, sondern sie

demütig und in unendlicher Liebe trägt. Als im geschicht-

lichen Dasein des Menschen verantwortlich Handelnder, als

in die Wirklichkeit eingegangener Mensch wird Jesus schuldig. Weil aber sein geschichtliches Dasein, sein Kommen ins

Fleisch ihren einzigen Grund in Gottes Liebe zu den Menschen hat, darum ist es die Liebe Gottes, die Jesus schuldig werden läßt. Aus der selbstlosen Liebe zum Menschen , aus

der Sündlosigkeit heraus tritt Jesus in die Schuld der Men-

schen ein, nimmt er sie auf sich. Sündlosigkeit und Schuld1. Siehe Ethik, S. 186 ff.

Die Geschichte

und das Gute

469

tragen gehören in Jesus unlösbar zusammen. Als der sündlos Lebende nimmt Jesus die Schuld des Menschen auf sich und unter der Last der Schuld erweist sich Jesus als der

Sündlose. In dem sündlos schuldigen Jesus Christus hat nun jedes stellvertretende verantwortliche Handeln seinen Ursprung. Gerade weil und wenn es verantwortlich ist, weil und wenn es in ihm ganz um den anderen Menschen geht, weil und wenn es aus selbstloser Liebe zum wirklichen Menschen hervorgeht, kann es sich der Gemeinschaft der menschlichen Schuld nicht entziehen wollen. Weil Jesus die Schuld aller Menschen auf sich nahm, darum wird jeder verantwortlich Handelnde schuldig. Wer sich in der Verantwortung der Schuld entziehen will, löst sich aus der letzten Wirklichkeit der Geschichte, aus dem erlösenden Geheimnis des

Schuldtragens Jesu Christi und hat keinen Anteil an der göttlichen Rechtfertigung, die über diesem Freignis liegt. Er

stellt seine persönliche Unschuld über die Verantwortung für die Menschen und ist blind für die heillosere Schuld, die er gerade damit auf sich lädt, blind auch dafür, daß sich wirkliche Unschuld gerade darin erweist, daß sie um des anderen Menschen willen in die Gemeinschaft seiner Schuld eingeht. Daß der Sündlose schuldig wird, gehört durch Jesus Christus zum Wesen verantwortlichen Handelns. Frevel und

ungeheuerliche Verkehrung ist es, wenn hieraus die Freigabe der bösen Tat an sich gefolgert wird. Nur wo die Liebe, die Verantwortung, in die Schuld führt, nimmt das Handeln teil an der Rechtfertigung, die dem sündlosen Schuldtragen Jesu Christi gilt. Der qualitative Unterschied zwischen dem Handeln Jesu und unserem Handeln, zwischen der wesenhaften Sündlosigkeit, in der Jesus Schuld auf sich nimmt, und der wesenhaften Erbsündigkeit, von der alles menschliche Handeln vergiftet ist, bleibt bestehen. Obwohl auch das menschliche verantwortliche Handeln niemals das

Handeln eines Sündlosen ist, so nimmt es als solches im Un-

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an

der Ethik.

1942-1944

terschied zu jedem selbstgerecht-prinzipiellen Handeln doch indirekt teil an dem Handeln Jesu Christi. Es gibt hier so etwas wie eine relative Sündlosigkeit, die sich im verant-

wortlichen Aufnehmen der Schuld erweist. Kehren wir nach diesen Überlegungen wieder zu der Frage

nach dem Guten im geschichtlichen Handeln des Mensch en zurück, so ist jedenfalls so viel klar geworden, daß es sich dabei nicht um das Problem der Anwendung einer sogenan nten „Ethik Jesu“ auf die Geschichte handeln kann, sondern um den Anspruch dessen, der das Wesen der Geschic hte in

seiner Person erfüllt hat, um den Anspruch Jesu Christi als

den Menschgewordenen, auf die Geschichte, deren letzte Wirklichkeit er selbst ist. Die Worte Jesu, also zum Beispiel die der Bergpredigt, können nur noch als die Worte dessen ausgelegt werden, der in konkreter Verantwortun g für die Menschen lebt, indem er real an ihrer Stelle steht und handelt (nicht aber, indem er unerfüllbare Worte vor ihnen auf-

richtet), dessen Verantwortung in der freien Liebe zum wirklichen Menschen besteht (nicht aber in der Realisi erung ir-

gendeiner Menschenidee), dessen reine Liebe sich erweist, in-

dem sie in die Schuld der Menschen eintritt (nicht aber, in-

dem sie sich von dieser Schuld absondert). Die Worte Jesu, also zum Beispiel die der Bergpredigt, sind die Auslegung

seiner Existenz, die Auslegung also jener Wirklic hkeit, in der die Geschichte zu ihrer Erfüllung kommt in der Mensch-

werdung Gottes, in der Versöhnung der Welt mit Gott. Sie

sind göttliche Gebote für das Handeln in der Geschic he in-

sofern, als sie die in Christus erfüllte Wirklic hkeit der Geschichte sind. Sie sind in und durch Jesus Christus in die Geschichte eingesenkte Worte, sind ihr Geheimnis, allein

Christus offenbares Leben. Sie gelten also nicht nur in abstrakter Ethik — dort gelten sie vielmehr gerade nicht! —

sondern in der Wirklichkeit der Geschichte. Jeder Versuch, sie zu isolieren, zu einer „Gruppenethik“ zu machen, raubt

Die Geschichte

und das Gute

471

ihnen ihren Ursprung in dem Ereignis der göttlichen Weltversöhnung in Jesus Christus und damit ihre wirkliche Macht, entstellt und verzerrt sie zu einer schwachen Ideologie. Fassen wir nun — um ganz konkret zu werden — die Frage

nach der Geltung der Bergpredigt! im geschichtlichen Handeln der Menschen ins Auge. Zwei große Irrtümer durchziehen

die Geschichte

der Kirche bis zur Gegenwart,

zwi-

schen denen die Kirche dennoch immer wieder den rechten Weg gefunden hat. Der eine Irrtum hat seinen Ursprung in einem prinzipiellen Verständnis des Christlichen, der andere in einem prinzipiellen Verständnis des Weltlichen. Beide Irrtümer können auch nebeneinander existieren. In dem prinzipiellen Verständnis des Christlichen wird das Christliche

isoliert und als das der Welt aufzuzwingende Gesetz aufgefaßt. Die Bergpredigt wird zum Gesetz alles weltlichen Handelns proklamiert. Sie tritt an die Stelle staatlicher Gesetze. Abschaffung des Kriegsdienstes, des Eides, des Eigentums sind selbstverständliche Folgen. Die Erfahrung des Scheiterns aller derartigen Versuche an der wirklichen Welt

führt dazu, nun das bisher übersehene Weltliche prinzipiell zu verstehen. Das Gesetz der Welt erweist sich als stärker

als das Gesetz des Christlichen und bekommt nun sein prinzipiell eigenes Recht gegenüber dem Christlichen! In weltlichen Dingen, heißt es nun, also in allen Fragen des politischen und geschichtlichen Handelns, hat das Christliche keinen Raum, sondern hier herrscht die Eigengesetzlichkeit der Welt. Das Christliche gehört in einen besonderen — kirchlichen, religiösen, privaten — Bereich und kann nur dort mit Recht ausgeübt werden. Schwärmerei und Säkularismus sind die beiden Gestalten, die diese Sektierer in der Christenheit angenommen haben.

Beide kommen bei scheinbar einander ausschließender Ge1. Siehe Punkt 4 der Anmerkung in Ethik, $. 203.

472

Arbeit

an

der Ethik.

19421944

gensätzlichkeit darin überein, daß sie das Christliche und das

Weltliche prinzipiell, und das bedeutet unabhängig von der Tatsache der Menschwerdung, verstehen. Prinzip iell verstanden gibt es hier nur einen ewig unlösbaren Konflikt, über den das praktische Handeln nie hinauskommt, an dem es sich zerreibt. Es kommt dann dahin, daß dieses Stehen im unlösbaren Konflikt mit dem Pathos einer besonders tiefen Wirklichkeitserkenntnis als das Wesen der christlichen

Existenz

überhaupt ausgegeben

wird. Das Handeln

der

Christen bekommt dann den dunklen Glanz des TragischHeroischen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß dieser Aspekt

dem Neuen Testament und den Worten Jesu ganz fernliegt.

Nicht aus’ der bitteren Resignation über den unheilbaren Riß zwischen Christlichem und Weltlichem, sondern aus der Freude über die vollzogene Versöhnung der Welt mit Gott, aus dem Frieden des vollbrachten Heilsw erkes in Jesus Christus kommen die neutestamentlichen Worte über das christliche Handeln, kommt die Bergpredigt. Wie in Jesus Christus Gott und Mensch eins wurde, so wird durch ihn im Handeln des Christen das Christliche und das Weltliche eins. Sie streiten nicht wider einander als zwei ewig feindliche

Prinzipien, sondern das Handeln der Christen quillt aus der

in Christus geschaffenen Einheit von Gott und Welt. Aber auch diese Einheit darf nun nicht als prinzip ielle verstanden werden, ohne daß alles verdorben würde, sondern sie besteht allein in der Person Jesu Christi, in ihm als dem in stellvertretender Verantwortung Handelnden, aus Liebe zum wirklichen Menschen in die Schuld der Welt eintretenden

menschgewordenen Gott. Von ihm her allein gibt es nun auch menschliches Handeln, das sich nicht an prinzipiellen

Konflikten zerreibt, sondern aus der vollzo genen Versöhnung der Welt mit Gott herkommt, ein Handeln, das der Not des Tragischen oder des Heroischen ganz und gar entbehrt,

das vielmehr in Nüchternheit

und Einfalt das Gebotene

Die Geschichte

und das Gute

473

wirklichkeitsgemäß tut. Es ist ein Handeln in stellvertretender Verantwortung, in Liebe zum wirklichen Menschen, in Aufsichnehmen der Schuld, die auf der Welt liegt. Was „christlich“ und was „weltlich“ ist, steht nun nicht mehr von vornherein fest, sondern beides wird in seiner Einheit erst begriffen in der konkreten Verantwortung des Handelns im Blick auf die in Jesus Christus geschaffene Einheit. Die Bergpredigt stellt den zum geschichtlichen Handeln Ge-

forderten vor das Ereignis der Versöhnung der Welt mit Gott in Jesus Christus und damit in die echte christliche Ver-

antwortung. Diese echte christliche Verantwortung

umfaßt

das Ganze

des weltlichen Handelns. Sie läßt sich keineswegs auf irgendeinen isolierten religiösen Bereich beschränken. Sie hebt, als in der Wirklichkeit der Menschwerdung Gottes begründet, jenen falschen Realismus aus den Angeln, der seine

Wurzeln in der Entstehung der modernen Staatstheorie seit Machiavelli hat, in seinen letzten Konsequenzen aber in un-

serer Zeit in Erscheinung getreten ist und in Wahrheit durchaus wirklichkeitswidrig und doktrinär ist. Mit dem Anspruch besonders nüchterner Wirklichkeitserkenntnis wird hier als Wesen und Ziel alles geschichtlich-politischen Handelns die

unbedingte Selbstbehauptung bezeichnet, der sich alles andere unterzuordnen hat. Geschichtlich-politisches und christliches Handeln müssen daher in einander ausschließenden Gegensatz treten, Selbstbehauptung, Gewalt, Auflehnung, Kampf, Schuldverstrickung auf der einen Seite und Selbstpreisgabe, Verzicht, Leiden, Feindesliebe, Vergebung, Un-

schuld auf der bar gegenüber, es, Utopie, mit deln zu wollen.

anderen Seite stehen einander unüberbrückGewalt steht gegen Liebe. Es ist, so heißt der Bergpredigt geschichtlich-politisch hanDiese Auffassung ist, besonders in Deutsch-

land, aber auch weit darüber hinaus, so sehr Gemeingut ge-

worden, daß es zu einer völligen Zerreißung zwischen ge-

474

Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

schichtlich-politischem und christlichem Handeln gekommen ist. Es ist aber nicht schwer, sie als wirklichkeitswidrig, un-

realistisch und als falsch zu erweisen. Das Bestechende die-

ses angemaßten

Realismus

findet die oberflächliche Beob-

achtung in bestimmten geschichtlichen Phänomenen auf po-

litischem und wirtschaftlichem Gebiet, deren erstaunliche Erfolge allein aus dem bedingungslosen Gebrauch von Ge-

walt stammen. Die Beobachtung ist schon insofern oberfläch-

lich, als sie sich jeweils auf einen äußerst kurzen Zeitraum beschränkt und das Ende derartiger Erfolge nicht abwartet. Sodann aber wird übersehen, daß selbst der skrupelloseste

Gebrauch

von Gewalt immer

die Maske christlicher Be-

griffe nötig hat, um sich durchzusetzen, worin wider Willen eine Anerkennung der Tatsache liegt, daß auch das politische Handeln nicht allein auf Gewalt aufgebaut sein kann. Wirk-

lichkeitswidrig ist dieser angebliche Realismus daher darin,

daß er die in der Geschichte allem Mißbrauch von Gewalt gesetzten Grenzen und also das Scheitern jeder reinen Gewaltherrschaft übersieht und daß er nicht erkennt, wie in der Geschichte jede Gewalt von der — wenn auch nur geheuchel-

ten —

Anerkennung gewisser letzter Wirklichkeiten lebt,

die das Lebensgesetz der Geschichte selbst ausmachen. Falsch

aber sind die Grundlagen dieses sogenannten Realismus in-

sofern, als in ihnen das Wesen des christlichen Begriffes der Liebe und damit der Begriff der Selbstverleugnung, Vergebung, des Leidens, Verzichtens, der Feindesliebe und Un-

schuld nicht erkannt ist. Der Pseudorealismus macht aus

ihnen abstrakte Ideale, statt sie in der Menschwerdung Jesu Christi, also in ihrer weltlichen wirklichen Gestalt zu erkennen. Wie Gott Mensch wurde und nie mehr als Idee, sondern

nur als Menschgewordener erkannt werden kann, so nahm auch die Liebe Gottes Weltgestalt an und nur als solche, nie

aber als blasse Idee, ist sie die Liebe Gottes.

Die Liebe, um die es im Evangelium im Unterschied zu aller

Die Geschichte

und das Gute

475

Philosophie geht, ist nicht eine Methode des Umgangs mit Menschen, sondern ein Hineingezogenwerden und Hinein-

ziehen in ein Ereignis, nämlich in die in Jesus Christus vollzogene Gemeinschaft Gottes mit der Welt. „Liebe“ gibt es nicht als abstrakte Eigenschaft Gottes, sondern als reales von Gott Geliebtsein des Menschen und der Welt. „Liebe“ gibt es auch nicht als menschliche Eigenschaft, sondern als ein reales Zueinandergehören, Miteinandersein des Men-

schen mit den Menschen und mit der Welt auf Grund der freien Liebe Gottes zu mir und zu ihnen. Wie Gottes Liebe in die Welt einging und sich dem Mißverständnis und der Zweideutigkeit alles Weltlichen ergab, so existiert die christliche Liebe auch nicht anders als im Weltlichen, in der unendlichen Fülle konkreten weltlichen Handelns, aller Mißdeutung und Verurteilung unterworfen. Jeder Versuch, ein von weltlicher „Verunreinigung“ destilliertes Christentum der „reinen“ Liebe darzustellen, ist falscher Purismus

und Per-

fektionismus, der die Menschwerdung Gottes verachtet hat

(sich von der Menschwerdung Gottes gelöst hat) und dem Schicksal jeder Ideologie verfällt. Weil Gott nicht zu rein war, um in die Welt einzugehen, darum wird auch die Reinheit der Liebe nicht darin bestehen, sich von der Welt fernzuhalten, sondern sie wird sich gerade in ihrer Weltgestalt erweisen. Von hier aus wird es nicht nur möglich, sondern

geboten, das geschichtliche Handeln als christliches Handeln, als Handeln

aus der menschgewordenen Liebe Gottes her-

aus zu verstehen. Die Bergpredigt als die Verkündigung der menschgeworde-

nen Liebe Gottes ruft den Menschen in die Liebe zum anderen Menschen und eben damit zur Verleugnung alles dessen, was ihn an dieser Aufgabe hindert, in einem Wort: zur Selbstverleugnung. Im Verzicht auf das eigene Glück, das eigene Recht, die eigene Gerechtigkeit, die eigene Würde,

auf Gewalt und Erfolg, im Verzicht auf das eigene Leben

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Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

wird der Mensch bereit zur Nächstenliebe. Die Liebe Gottes befreit den von der Selbstliebe getrübten und irregeführten Blick des Menschen zu der klaren Erkenntnis der Wirklichkeit, des Nächsten und der Welt und macht ihn so und nur so bereit zur Wahrnehmung echter Verantwortung.

So stellt die Bergpredigt selbst den Menschen vor die Not-

wendigkeit geschichtlich verantwortlichen Handelns. Sie wendet sich an den Einzelnen, aber nicht damit der Einzelne an sich etwas sei, sondern damit er sei, was er von Gott her ist,

nämlich ein in geschichtlicher Verantwortung Stehender. Weil aber der Einzelne immer schon der in Verantwortung

Gestellte ist, darum ist die alte Frage, ob die Bergpredigt nicht nur dem Einzelnen als Einzelnen, nicht aber den in Verantwortung für andere Stehenden gelte, falsch gestellt.

Die Bergpredigt selbst stellt den Menschen in Verantwortung für andere und kennt keine Einzelnen als Einzelne. Sie be-

gnügtsich aber auch nicht damit, den Einzelnen für seine Aufgabe in der Geschichte vorzubereiten, sondern sie beansprucht den Einzelnen in seinem verantwortlichen Handeln selbst. Sie ruft ihn. zu der Liebe, die sich in verantwortlichem Handeln am Nächsten bewährt und deren Ursprung die Liebe Gottes ist, die die ganze Wirklichkeit in sich schließt. Ebensowenig wie es eine Begrenzung der Liebe Gottes zur Welt

gibt, gibt es eine Begrenzung der aus Gottes Liebe ent-

springenden

menschlichen

Liebe

auf

bestimmte

Lebens-

bereiche und -beziehungen. Es ist alles in sie eingeschlossen. Die Bergpredigt gilt als Wort der weltversöhnenden Liebe

Gottes entweder überall und jederzeit, oder sie geht uns überhaupt nichts an, Das Idyli des Lebens am See Gene-

zareth, das übrigens gar nicht so idyllisch war, hat mit der Liebe Gottes zur Welt nicht mehr zu tun als die Industrie-

städte und die politischen Großmächte unserer Zeit. Die Kreuzigung Jesu Christi ist der zwingendste Beweis dafür,

daß Gottes Liebe alle Zeit gleich nah und gleich fern ist. Eine

Die Geschichte

und das Gute

477

in irgendeinem Sinne begrenzte Liebe mußte nicht ans Kreuz. Weil Gott die ganze Welt geliebt hat, darum stirbt Jesus. Wir aber werden in diese selbe, durch das Kreuz Jesu

besiegelte Liebe zur ganzen Welt hineingerufen. Um die Frage der Geltung der Bergpredigt im geschichtlichen Handeln des Menschen zu beantworten, ohne doch

schon die erst später zu besprechende Einzelfrage der politischen Ethik vorwegzunehmen, wollen wir das Problem an einer besonders bezeichnenden Stelle zur Entscheidung zu

bringen versuchen. Wir wählen als besonders bezeichnend für das geschichtliche Handeln den politischen Bereich und fragen beispielsweise nach der Geltung der Worte von der Selbstverleugnung und von der Feindesliebe für den poli-

tisch Handelnden. Es gehört zu den Abstraktionen

des pseudorealistischen

Denkens, die Selbstbehauptung als das einzige Gesetz des

politischen, die Selbstverleugnung als das einzige Gesetz des christlichen Handelns zu bezeichnen und in beiden einen sich ausschließenden Gegensatz, eine doppelte Moral, zu sehen.

Es handelt sich dabei um jenes prinzipielle Verständnis des Weltlichen und des Christlichen, das an der Wirklichkeit der

Menschwerdung Gottes vorbeigeht und darum weder das Weltliche noch das Christliche begreift. Daß die Liebe Gottes zur Welt auch das politische Handeln umfaßt, daß die

Weltgestalt der christlichen Liebe darum auch die Gestalt des um Selbstbehauptung, Macht, Erfolg, Sicherheit Kämpfenden annehmen kann, das kann nur dort begriffen werden,

wo die Menschwerdung der Liebe Gottes ernst genommen wird. Hier zeigen sich dann auch die Grenzen oder besser

die Hintergründe

des Gesetzes der Selbstbehauptung

im

politischen Handeln.

Politisches Handeln bedeutet Verantwortung wahrnehmen. Es kann nicht geschehen ohne Macht. Die Macht tritt in den Dienst der Verantwortung...

478

Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

Stücke aus einem Dramenfragment! 1943

I: Aus der ersten Szene: Christoph zu seinem Vater:

»... Im übrigen war es wieder ein hitziger Abend. Im Anschluß an den Vorfall kam einer auf die Rechte der freien

Meinungsäußerung zu sprechen und schließlich waren wir wieder mitten in der Debatte über die Freiheit des Bürgers.

Es ging hart her. Vater, ich habe behauptet, man dürfe die Freiheit nie zum Schlagwort für die Masse machen, weil dar-

aus die schlimmste Sklaverei entstünde. Freiheit sei immer nur ein Gut für die ganz Wenigen, Edlen, Auserwählten. Für die Anderen aber stünde an der Stelle der Freiheit das Recht und die Ordnung. Ich habe auch gesagt, es müsse ein Oben und ein Unten unter den Menschen geben und wer das

nicht begriffe, der führe das Chaos über die Mensche n. Und

ich habe schließlich sogar gesagt, es gebe von Natur Edle, die

zum Herrschen und zur Freiheit bestimmt seien, und es gebe auch einen Pöbel von Natur, der zu dienen habe und nichts

sei furchtbarer und zerstörerischer, als wenn diese Ordnun g

mißlinge und der Pöbel herrsche und der Edle diene. Die beiden Menschenarten aber unterschieden sich dadurch, daß der Pöbel nur zu leben, der Edle aber auch zu sterben ver1. Siehe W.E. S.60. Das Christoph, die Hauptperson, er kehrte aus dem Feld mit gang ihm klar ist. Heinrich, er wurde nach einer schweren geheilt.

Fragment entstand im Tegeler Gefängnis. ist Sohn eines Arztes und selber Mediziner; einer Krankheit heim, deren tödlicher Ausein junger Arbeiter, ist sein Gegenspieler; Verwundung von Christophs Vater zunächst

Dramenfragment

1943

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stünde... Sie sind mir dafür fast an die Gurgel gesprungen, und nun soll ich ihnen das nächste Mal meine Behaup-

tungen begründen...“ ‚ar Aus der zweiten Szene: Der Freund liest in Christophs Tagebuch: „Ich spreche zu Euch, um

die großen Worte, die den Men-

schen gegeben sind, vor dem Mißbrauch zu schützen. Sie ge-

hören nicht in den Mund der Masse und in die Überschriften der Zeitungen, sondern in die Herzen der wenigen, die sie mit ihrem Leben hüten und schützen. Es ist niemals ein gutes Zeichen, wenn das, was von jeher stiller und fester Besitz und selbstverantwortliche Haltung aller Gutgesinnten im Lande ist, als allerneueste Weisheit auf den Straßen ausgeschrieen wird. Die mit ihrem Leben, ihrer Arbeit und ihren Häusern Hüter echter Werte sind, wenden sich mit Widerwillen von den tönenden Worten, mit denen man die Masse zu Propheten machen will. Welcher Gutgesinnte bringt heute noch die besudelten Worte Freiheit, Brüderlichkeit, ja das

Wort Deutschland über seine Lippen? Er sucht sie in der Stille des Heiligtums, dem nur der Demütige und Gläubige nahen darf. Jeder von uns hat den Kopf für diese Güter hingehalten; die sie heute im Munde führen, denen sind sie einträglich. Laßt uns die großen Güter eine Zeitlang durch Schweigen ehren, laßt uns lernen, eine Zeitlang ohne Worte

das Rechte zu tun. Um das stille Heiligtum der großen Güter wird sich dann ein neuer Adel in unserer Zeit bilden. Nicht Geburt und nicht Erfolg werden ihn begründen, sondern Demut, Glaube und Opfer. Es gibt einen untrüglichen Maß-

stab für das Große und Geringe, für das Gültige und Belanglose, für das Echte und das Gefälschte, für das Wort, das Gewicht hat, und für das leichte Geschwätz — das ist der

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Arbeit an der Ethik. 1942—1944

Tod. Wer sich dem Tode nahe weiß, der ist entschieden, aber er ist auch schweigsam. Wortlos, ja, wenn es sein muß, unverstanden und einsam, tut er das Notwendige und Rechte,

bringt er sein Opfer... Was sind das nun wieder für große Worte? ... Warum sage ich nicht einfach, was ich meine und weiß? Oder wenn ich

das nicht will, warum schweige ich nicht ganz? Wie schwer

ist es, wirklich wortlos, unverstanden das Notwendige und Rechte zu tun...“ II. Dritte

Szene

In Heinrichs Stube. Bett, Tisch, Stuhl, Sofa, Bild, alles in der Art billigster Mietswohnung. Auf dem Tisch eine Pistole, eine Flasche Schnaps und ein Glas, Reste von Essen, ein paar Zettel. Heinrich geht, eine Zigarette rauchend, unruhig auf und ab. Die Tür öffnet sich leise, ohne daß angeklopft wurde; ein Herr in mittleren Jahren, in der unauffälligen, aber korrekten dunklen Kleidung eines mittleren Handelsvertreters tritt ein; er trägt eine Brille, die seine Augen fast unsichtbar macht; sein Gesicht ist völlig ausdruckslos, undurchsichtig, glatt, maskenhaft.

Der Fremde. Guten Abend, junger Herr! (Als keine Antwort erfolgt) Sie haben mich rufen lassen. Heinrich. Sie sind im Irrtum. Ich kenne Sie gar nicht. Der Fremde. Gewiß nicht; eben darum riefen Sie nach mir;

Sie wollten mich kennen lernen. Heinrich. Ich sagte Ihnen, es ist eine Verwechslung. Ich bin durchaus nicht in der Verfassung, in der ich Menschen ken-

nen lernen wollte — mit einer Ausnahme höchstens, aber die

sind Sie nicht. Der Fremde.

Wer ist diese interessante Ausnahme,

wenn

ich fragen darf? Heinrich. Das dürfte Sie kaum etwas angehen. Also, vielleicht haben Sie die Güte —. (Geht auf die Tür zu) Der Fremde. Da Sie es mir nicht sagen, darf ich mir viel-

Dramenfragment

1943

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leicht erlauben, Ihnen zu sagen: Die interessante Ausnahme ist ein Medizinstudent Ihres Alters, groß, klug, ideal gesonnen. Heinrich (betroffen). Was wollen Sie eigentlich von mir? Wer sind Sie überhaupt? Der Fremde. Ihr Nachbar, junger Herr, der Sie morgens und

abends ausgehen und zurückkehren sieht, der das Licht in Ihrem Zimmer bis in die Morgenstunden brennen sieht und der weiß, was in den einsamen Nachtstunden in diesem Raum

vorgeht. Heinrich. Ich suche keinen Verkehr mit meinen Nachbarn, besonders nicht mit neugierigen. Der Fremde. „Neugierig“ dürfte ein unzutreffender Aus-

druck sein. Neugierde habe ich gar nicht nötig. Heinrich. Warum beobachten Sie mich dann? Warum inter-

essieren Sie sich für mich? Der Fremde. Das gehört, wenn ich so sagen darf, zu meinem Beruf. Heinrich. Was ist Ihr Beruf? Der Fremde. Das läßt sich nicht so mit einem Wort sagen. Sagen wir — Vertreter.

Heinrich (lacht). Ach, und da haben Sie also bei mir ausspioniert, daß mir gewisse Dinge zu einem standesgemäßen bürgerlichen Leben fehlen, und die wollen Sie bei mir absetzen.

Da

wäre

es besser

gewesen,

Sie hätten

sich auch

meine Geldtasche etwas näher besehen. Was vertreten Sie? Perserteppiche, englische Stoffe, Pariser Parfüms, amerikanische Autos — Der Fremde. Sie mißverstehen mich, junger Herr.

Heinrich. Oder vielleicht vertreten Sie eine Lebensversicherung?

Der Fremde. Eher das Gegenteil. Heinrich. Das ist das erste interessante Wort, das Sie sagen.

Das Gegenteil von einer Lebensversicherung! Wollen Sie sich

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Arbeit

an

der Ethik.

darüber bitte etwas erklären? Schnaps. (Beide setzen sich)

1942— 1944

Hier,

nehmen

Sie einen

Also sprechen Sie, welche Firma vertreten Sie? Der Fremde. Die verbreitetste und einflußreichste Firma, die es auf der Erde gibt.

Heinrich. Und die wäre —? Der Fremde. Der Tod. Heinrich. Mann, sind Sie verrückt? Der Fremde. Bitte, behalten Sie die Ruhe, junger Herr, und verlassen Sie sich darauf, daß ich ganz bei Sinnen bin. Ich werde mich, wenn Sie es wünschen, näher darüber erklären, und ich bin gewiß, daß Sie mich gut, sehr gut verstehen wer-

den, junger Herr! Heinrich. Ja, ich will nicht leugnen, daß ich mich unter diesen Umständen für Ihre Beschäftigung interessiere. Aber

Sie werden mir einige Fragen erlauben müssen. Ja, ich in-

teressiere mich für Ihre Beschäftigung — vielleicht mehr, als

Sie ahnen.

Der Fremde. Ich weiß es. Heinrich. Also die wesentlichen

Fragen wären wohl: Wie

kommen Sie zu diesem Auftrag? Was bringt er ein? Und wer ist Ihre Kundschaft? Der Fremde. Kluge Fragen, ich sehe, wir werden uns ver-

stehen. Wie ich zu meinem Auftrag komme?

Erlauben Sie

eine Vorfrage, die das Verständnis ungemein erleichtert: Sind Sie schon einmal zum Tode verurteilt gewesen?

Heinrich (zögernd). Nein — Ja!

Der Fremde. Nein! Sie haben einmal geglaubt, Sie seien zum Tode verurteilt, als Sie in den Krieg gingen. Sie haben sich

selbst zum Tode verurteilt. Das ist etwas ganz anderes . Heinrich (düster). Gott hatte mich zum Tode verurtei lt, aber

die Menschen haben Gott überlistet. Der Fremde (zuckt zusammen). Flausen, nichts als Flausen.

Sie hatten sich etwas in den Kopf gesetzt, Sie hatten Ihr

Dramenfragment

1943

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Leben satt, Sie dachten, der Tod ließe sich von Ihnen kommandieren. Sie haben den Tod unterschätzt. Er kam nicht. Heinrich. Der Tod kommt, wenn ich will. Hier! (Nimmt die

Pistole in die Hand)

Der Fremde. Irrtum, gefährlicher Irrtum, wenn Sie darauf beharren. Sie können erst schießen, wenn der Tod es erlaubt. Keinen Augenblick früher. Haben Sie das Ding nicht schon

manchmal in der Hand gehabt und abdrücken wollen —

aber es ging nicht, Sie konnten nicht, irgend etwas — Sie wußten selbst nicht was — hielt Ihnen den Zeigefinger fest? Sagen Sie nicht, das sei Ihre Feigheit, Ihr Lebensdurst gewesen. Sie sind nicht feige, Sie sind nicht lebensdurstig. Es war der Tod. Heinrich. Der Tod ist ein Ereignis wie Krieg, Gewitter, Erdbeben. Diese Ereignisse sind in der Hand — Gottes. Der Fremde (zuckt wieder zusammen). Falsch, grundfalsch, Sie müssen noch sehr viel lernen, junger Herr. Der Tod ist kein Ereignis, er ist ein — Wesen, ein — Herr, —— der Herr. — Also, um es kurz zu machen: Ich war zum Tode verurteilt, — nebenbei bemerkt: selbstverständlich unschul-

dig; aber das tut hier nichts zu Sache. Vier Wochen lang habe ich auf den Tod gestarrt. Zuerst fassungslos wie in eine finstere Nacht, wenn sie wie eine undurchdringliche schwarze Wand vor einem steht, dann voll Entsetzen wie auf ein fallendes Beil, bald wieder mit brennendem Verlangen wie auf eine Braut am Vorabend der Hochzeit, bald voll Bewunde-

rung wie auf einen mächtigen Chef.

Als ich freigelassen

wurde, war es zu spät, ich konnte nicht mehr ins Leben zu-

rück. Ich war schon mit dem Tode einig geworden. Heinrich. Was heißt das?

Der Fremde. Was das heißt? Ich will es Ihnen sagen. Sie sehen meine Brillengläser. Ich trage sie, weil die Menschen

mir gesagt haben, daß sie meinen Blick nicht mehr aushalten können, seit ich aus dem Gefängnis kam, und das heißt, seit

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Arbeit

an

der Ethik.

1942-—-1944

ich den Tod angestarrt habe. Ich sehe seitdem alle Dinge mit dem Auge des Todes, und das werden Sie verstehen, daß der

Tod jedes Ding anders ansieht als der lebendige Mensch. Heinrich. Soweit ich sehe, sind Sie noch ein lebendiger Mensch. Der Fremde. Soviel Sie sehen, ja. Aber Sie sehen noch sehr wenig. Ich weiß es, Sie sehen viel mehr als andere Menschen.

Sie sehen zum Beispiel den Tod in den Augen des jungen Medizinstudenten — Heinrich. Schweigen Sie davon. Der Fremde. Wie Sie wollen! — Ich sprach von meiner Ver-

urteilung. Damals lernte ich, daß der Tod nicht ein Ereignis

ist, wie Sie sich ausdrücken. So etwas können nur die sagen,

die ihn nicht richtig kennen gelernt haben, die nicht tage- und

nächtelang mit ihm allein gewesen sind. Eines Nachts fing er an, mit mir zu reden; ich muß Ihnen sagen, er hatte eine sehr ruhige, ja, eine sehr angenehme Art aufzutreten und zu sprechen. Er erschreckte mich gar nicht, — nichts von Knochenmann und nichts von gesträubten Haaren und Angstschweiß! — Nein, er hatte etwas durchaus Beruhig endes. Ich sage Ihnen, der Tod ist ein Gentleman, er verlang t nichts Unbilliges, er nimmt Rücksicht, er ist verschw iegen,

und er ist sehr kühl. Wir sprachen lange. Damals wurden

wir einig.

Heinrich. Wahnsinn! Der Fremde.

Als ich wieder in Freiheit kam, merkte

ich

erst, was mit mir vorgegangen war. Die Menschen und die Dinge sahen ganz anders aus als bisher. Ich konnte mit kei-

nem Menschen sprechen, ohne hinter ihm den Tod stehen zu

sehen. Jedes ihrer Worte schien hohl, jedes Lachen schal, ihr Zorn und ihre Freude schienen bedeutungslos. In den Augen

las ich — ohne es zu wollen, ohne das Geringste dazu zu tun — Zeit und Umstände ihres Erlöschens. Ich traf meine Braut und löste sofort unsere Beziehung. Meine Mutter schloß mich

Dramenfragment

1943

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in ihre Arme; ich entzog mich, und es war das einzige Mal, daß ich seitdem so etwas wie Tränen in meinen Augen gespürt habe. Heinrich. Entsetzlich! Der Fremde. Nicht so entsetzlich, wie Sie meinen. Es ließ

mich sonst alles ganz kühl. Nichts konnte mich mehr erregen, beunruhigen; im Gegenteil, es war mir so still, so

leer, so feierlich und so gleichgültig zumute wie auf einem fremden Friedhof. Ich fühle mich wirklich durchaus wohl. Keine Leidenschaften mehr, keine Aufwallungen des Her-

zens, kein heißes Blut — das Herz läuft regelmäßig wie ein Uhrwerk —, keine Liebe, keine Freundschaft, kein Mitleid, keine Tränen. Dabei interessiere ich mich mehr denn je für die Menschen, seit ich sehe, wie jedem von ihnen der Tod

über die Schultern sieht. Heinrich. Sie wollen also sagen, daß Sie das zweite Gesicht haben? Der Fremde. Ja und nein; denn mir ist das erste verloren gegangen; ich habe nur noch das „zweite“. Darum leide ich

auch nicht darunter wie diejenigen, die durch das zweite Gesicht nur gelegentlich überfallen und erschreckt werden. Sehen Sie, darauf kommt es überhaupt an, daß man reinen Tisch macht, daß man klare Verhältnisse schafft. „Keiner

kann zwei Herren dienen.“ Heinrich. Ein recht monotoner Dienst, von dem Sie da re-

den. Der Fremde. Im Gegenteil, junger Herr, ganz im Gegenteil, sehr vielseitig und abwechslungsreich. Interessant ist ja nicht das Ergebnis, das, was die Menschen den Tod nennen, weil

sie ihn erst dann zu sehen bekommen. Interessant ist die langsame, aber sichere Arbeit des Todes am Menschen, solange er noch lebt, interessant ist die Auflösung, der Zerfall,

die Zersetzung und die Verwesung bei lebendigem Leibe. Das Sterben ist interessant, nicht das Totsein, und das Ster-

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Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

ben dauert lange und ist ebenso mannigfaltig wie das Leben.

Heinrich. Allmählich fängt diese Unterhältung an, mir widerwärtig zu werden.

Der Fremde. Das glaube ich, junger Herr, und ich will Ihnen auch den Grund dafür sagen: Sie gehören zu den Halben,

zu den Angeschossenen, zu den Schwachen. Sie wissen zwar mehr als die Meisten — darum kam ich auch zu Ihnen —,

aber Sie machen

einen schweren

Fehler: Sie zersplittern

sich. Sie sehen Ihren Tod, gut, das ist ein Anfang, aber nun

nehmen Sie auf einmal alles, was Sie tun und denken, tod-

ernst, Sie fangen an zu zappeln, sich zu winden, zu prote-

stieren, Sie fühlen sich beleidigt, daß der Tod anders ist, als

Sie ihn sich gemalt haben, Sie machen ihm Vorwürfe, daß

er Sie mied, als Sie ihn suchten, und daß er Sie nun sucht,

seit Sie ihn meiden. Sie spielen großartig mit dem Revolver,

philosophieren darüber, welches der „ehrenvollste Abgang“ für Sie wäre, Sie möchten gern Ihre Eitelkeit durch den Tod

noch etwas gekitzelt haben. So geht es hin und her in Ihnen,

und Sie kommen zu nichts. Sie wollen zwei Herren dienen

und dienen keinem und beziehen dafür von beiden ihre Prü-

gel. Es ist ein Jammer um Sie! Sie sind nicht ehrlich! Da ist Ihr Freund, dieser junge Medizinstudent, ein ganz anderer Kerl. —

Heinrich. Ich sage Ihnen, schweigen Sie. Wenn Sie schon selbst unglücklich sind und die Menschen unglücklich machen müssen, so lassen Sie wenigstens mich und jenen An-

deren, den ich gar nicht kenne, aus dem Spiel.

Der Fremde. Ich bedaure aufrichtig, Ihnen noch einmal wi-

dersprechen zu müssen. Weder bin ich selbst unglüc klich — ich sagte das schon — noch mache ich die Mensc hen unglück-

lich. Im Gegenteil, ganz im Gegenteil! Was wollen denn die

Menschen? Zugestanden, es gab Zeiten, da wollte n sie leben, unter allen Umständen leben, da machten sie aus dem Tod

Dramenfragment

1943

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das Knochengerippe mit der Sense, da lästerten und höhnten sie ihn; denn sie wollten ewig leben; da schufen sie Ordnungen und Gesetze, die kein anderes Ziel hatten, als das Leben zu erhalten; wer diese Ordnungen und Gesetze übertrat, der verfiel dem Tod, damit die Anderen leben könnten. Ich gestehe offen, ich kann mich in diese Zeit schwer versetzen; ich begreife sie nicht. Das liegt daran, daß ich das ‚„‚erste Gesicht“ verloren habe. Aber heute? Wer will denn noch leben? Ein paar Verliebte, die fürchten, die Welt könnte einstürzen, ehe sie zu ihrer Geliebten kommen; ein paar Narren, die sich an ihrer Macht berauschen und sich Denkmäler setzen, die die Jahrhunderte überdauern. Aber alle die Anderen? Wer von ihnen lästert oder höhnt denn noch den Tod? Lästern und verhöhnen sie nicht viel eher das Leben? Ich habe im Gefängnis einmal die Bibel aufgeschlagen; da las ich das Wort: „Sie ringen nach dem Tod.“ [Weisheit 1, 12] Das ist ein klu-

ges Wort. So sind die Menschen heute. Sie fürchten den Tod nicht, sie fliehen ihn nicht, sondern sie suchen ihn, sie lieben ihn, „sie ringen nach ihm“. Sie können die Menschen heute nur glücklich machen, wenn Sie ihnen helfen, den Tod zu finden.

Heinrich. Haben Sie einmal etwas davon gehört, daß die Menschen gerade heute gesünder sind und länger leben als je zuvor? Der Fremde. Ganz recht; Sie müssen das nur richtig ver-

stehen. Die Taktik des Todes hat sich mit den Zeiten geändert. Früher, als man das Leben liebte und ihn fürchtete,

kam er plötzlich, jäh, schrecklich, riß die Säuglinge von ihren Müttern und die jungen Mütter von ihren Kindern, vernichtete in wenigen Tagen ganze Dörfer durch Seuchen und allerlei andere Verwüstungen; heute, da der Tod begehrt wird, kommt er langsam, schleichend, in allmählicher, kaum

merklicher Auflösung. Früher nahmen

sich die Menschen

durch Dolch oder Strick das Leben; heute nehmen sie Schlaf-

mittel. Früher kämpften die Menschen tagelang mit ihrem

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Arbeit

an

der Ethik.

1942— 1944

Tod, heute schlafen sie mit Morphium ein. Sehen Sie, der

Tod paßt sich an. In barbarischen Zeiten, in denen es vor

allem um das Leben geht, ist auch der Tod barbarisch, in zivilisierten Zeiten, in denen die Menschen ehrlic h und klug

geworden sind, begegnet ihnen auch der Tod zivilisierr

— selbstverständlich immer cum grano salis. Ich sage dies alles

nur, um Ihnen zu beweisen, daß ich die Menschen nicht un-

glücklich, sondern glücklich mache. Heinrich. Es ist ein seltsames Gemisch von Verst and und

Irrsinn, was Sie mir da vorsetzen. Sehen Sie denn nicht, wie die Masse heute mit aller Kraft versucht, sich ihr Recht auf Leben, auf Freude, auf Achtung, auf Freiheit zu erkämpfen? Ist das nicht ein Wille zum Leben, der alle Ihre Theo-

rien über den Haufen wirft?

Der Fremde. Damit kommen Sie selbst auf die Hauptsache, und vermutlich werden Sie sich wund ern, wenn ich Ihnen mitteile, daß ich selbst diese verschiede ntlichen Bestrebungen tatkräftig unterstütze, ja daß das eigentlich meine hauptsächliche Beschäftigung ist. Ich arbeite als Funktionär in zahlreichen dieser Organisationen mit, teils aus Idealismus, teils als Geschäft.

Heinrich. Irgendwo müssen Sie ja auf den Lohn kommen, und es ging mir gerade durch den Kopf , wovon Sie eigentlich leben möge

n. Der Fremde. Oh, machen Sie sich darum keinen Kummer, junger Herr; ich sage es Ihnen im Vertrauen, der Tod ist

kein schlechtes Geschäft, Ich berate je nach dem Fall: Le-

bensversicherung oder solche, die ich warne, und ich rede zu. Ich stellen nicht unbekannt und habe hübschen, leicht errungenen Erbe chen Okkultismus; überall nur so

keine abschließen wollen; bin den Ehevermittlungsschon manchem zu einem verholfen; dazu ein bißviel, daß ich habe, was ich

brauche. Aber das ist nur — sagen wir — die materielle — Heinrich. Sagen wir die schmutzige Seite der Sache.

Dramenfragment

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Der Fremde. Sie sind sehr streng, junger Herr. Jeder ver-

dient sich sein Geld nach seinen Fähigkeiten. Aber lassen Sie uns wieder zur Hauptsache kommen, auf die Bestrebungen der Masse nach Freiheit, Gleichberechtigung, Lebensgenuß usw. Ich begrüße sie außerordentlich und fördere sie; ich in-

teressiere mich für sie wie für jeden Prozeß der Auflösung und des Zerfalls. Die Menschen sind endlich verständig geworden; sie wollen nichts anderes, als was ihnen sowieso be-

vorsteht, ihren Tod. Sie zerschlagen selbst die Ordnungen und Gesetze, die sie zwangsweise am Leben erhielten. Jeder Knecht, der von seinem Herrn, jede Frau, die von ihrem Mann, jedes Kind, das von seinen Eltern frei sein will und

das auf den Straßen ausposaunt, arbeitet ganz in meinem Sinne, — wenn Sie mir Jeder Faule und Dumme, gen gleichberechtigt sein der sein Leben auf den

diesen Ausdruck gestatten wollen. der mit dem Tüchtigen und Kluwill, tut es ebenso. Jeder Mensch, größtmöglichen Lebensgenuß ein-

richtet, trägt sein Teil zur Beschleunigung der Auflösung bei. Jene barbarischen Zeiten, in denen man vor allen Dingen leben wollte, konnten das Leben nur mit strengsten Gesetzen

und schärfster Zucht aufrechterhalten. Man kann wirklich kaum daran denken, ohne zu lächeln. Leben wollten die Menschen, und worin bestand dieses Leben? In Arbeit, Gehorsam, Unterordnung, Verzicht, Entbehrung, Mühe und

Plage, so daß sie es selbst ein Jammertal nannten. Jeder lebte immer nur für den Anderen, die Eltern für die Kinder, die Kinder dafür, daß sie einmal Eltern sein würden, die

Obrigkeiten für die Untertanen und die Untertanen für die Obrigkeiten, ein Geschlecht für das nächste und dieses für das übernächste, keiner aber — es ist wirklich eine Tollheit

— sie sie ten

ganz einfach und ehrlich für sich selbst. Trotzdem liebten das Leben und nannten das Ganze — Gottes Gebot, ja waren glücklich in ihrer Art. Heute, in diesen zivilisierZeiten, ist man über diese Art von Glück hinausgekom-

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der Ethik.

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men. Heute liegt den Menschen nichts mehr am Leben. —

Haben sie es sich ausgesucht?

Wer verpflichtet sie dazu?

Heute wissen sie,-daß das größere Glück, ja der einzige wirkliche Genuß in der Auflösung des Lebens besteht. Ehe, Familie, Obrigkeit, Ordnung, Gesetz — das sind nur die Reste aus den barbarischen Zeiten, die trotzig am Leben hingen. Heute sterben die Menschen mit Genuß. Ich liebe den süßen Geruch der Verwesung. Es ist eine unvergleichliche Zeit für unsereinen, sage ich Ihnen. Man muß sie nur erkenne n und

zu nützen wissen. Verstehen Sie mich, junger Herr? Arbei-

ten Sie mit. Sie werden Ihre Freude und Ihr Ausko mmen davon haben. (Es klopft) Ich gehe und hoffe nur, daß Ihnen Ihr nächster Besuch nicht wieder den Kopf verdreht. Ich empfehle mich. Guten Abend! (Indem er aus der Tür geht, tritt Christoph ein) Christoph. Worüber sprach er? Heinrich. Von unserem Thema. Komm her, setz Dich und trink.

Christoph. Du bist nicht überrascht, daß ich komm e?

Heinrich. Nein, ich habe es gewußt. Einer von uns mußte anfangen, und weil Du der Aristokrat bist, bist Du zuerst gekommen. Christoph. Was soll das heißen? Heinrich. Sehr einfach. Es kommt Dir gar nicht in den Sinn, daß Du Dir etwas vergeben könntest, indem Du zuerst kommst. Unsereiner fragt sich vorher hunde rtmal, was für einen Eindruck es macht, wie es wirkt, ob es nicht mißver-

standen wird. Du hast das nicht nötig, dazu bist Du Deiner

selbst viel zu sicher, Du kommst einfac h und setzt voraus,

daß der Andere sich schon irgendwie damit abfinden wird,

und wenn er es doch mißversteht, so berüh rt Dich das gar nicht. So seid Ihr Aristokraten. Wir anderen sind mißtrauischer — und wir haben unsere Erfahrunge n. — Schließ-

lich kennen wir uns ja noch gar nicht.

Dramenfragment

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Christoph. Eben darum komme ich; wir müssen uns kennen lernen. Heinrich. Beneidenswert blind seid Ihr! Und kümmert Euch gar nicht darum, was der Andere von Euch denken könnte. Vielleicht will der Andere Euch gar nicht kennenlernen; aber

das ist Euch ganz gleich, das haltet Ihr gar Ihr merkt gar nicht, daß Eure Sicherheit grenzenlose Menschenverachtung ist, und noch so bescheiden und still auf, um uns

nicht für möglich. im Grunde eine dabei tretet Ihr gänzlich zu ent-

waffnen. Und Ihr habt noch dazu recht damit; denn wir lassen uns ja ruhig von Euch verachten und bilden uns sogar noch etwas darauf ein.

Christoph. Was Du da sagst, stammt nicht aus Dir. Es ist eine fremde Stimme. Heinrich. Ja, Dir ist sie fremd; mir nicht. Es ist die Stimme der gemeinen Leute, die Du so verachtest. Es ist gut, daß Du

sie einmal zu hören bekommst. Christoph. Ich habe ebenso wie Du vier Jahre im Schützengraben gelegen; meinst Du wirklich, diese Stimme ist mir

neu? Ich kenne sie gut genug. Aber weil sie aus dem Mißtrauen kommt, darum ist ein unreiner, falscher Ton in ihr; darum ist sie schlecht. Nicht um diese Stimme zu hören, die nicht Deine ist, sondern um von Mensch zu Mensch mit Dir zu reden, bin ich zu Dir gekommen. Heinrich. Von Mensch zu Mensch — das sagt Ihr immer, wenn Ihr die Stimme der Masse, der gemeinen Leute, die in uns lebt, zum Schweigen bringen wollt; diese Stimme ist Euch lästig; Ihr wollt uns aus der Gemeinschaft, in der allein wir etwas sind, heraussprengen, und Ihr wißt genau, daß Ihr uns nicht mehr zu fürchten braucht, wenn Ihr uns erst einmal als Einzelne vor Euch habt. Als Einzelne sind wir Euch machtlos ausgeliefert, — denn wir sind nicht Einzelne, wir sind Masse oder nichts. Von Mensch zu Mensch?

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Arbeit

an

der Ethik.

194 — 1944 2

Laßt uns erst einmal Menschen werden, dann wollen wir auch von Mensch zu Mensch mit Euch reden. Christoph (nach einer Weile, nachdenklich). Wenn der Mensch sich selbst verachtet, dann fühlt er sich von allen anderen auch verachtet. — Heinrich, laß mich ein offenes Wort mit Dir reden. Soviel ich weiß, sind unsere Lebensgänge sehr verschiedene gewesen. Ich will nicht sagen, daß

das etwas Unwichtiges ist. Ich kenne die Welt, in der Du

aufgewachsen bist, kaum; unsereiner lernt sie im Grunde nie

kennen. Aber auch Du kennst meine Welt nicht. Ich stamme aus einem sogenannten

guten Haus, d.h. aus einer alten

angesehenen Bürgerfamilie, und ich gehöre nicht zu denen, . die sich schämen, das auszusprechen. Im Gegenteil. Ich weiß, was für eine stille Kraft in einem guten Bürgerhaus lebt. Das kann keiner wissen, der nicht hinei ngewachsen ist. Man kann es auch schwer erklären. Aber eins mußt Du wissen:

wir sind groß geworden in der Ehrfurcht vor dem Geworde-

nen und dem Gegebenen und damit in der Achtung vor jedem Menschen. Mißtrauen gilt uns als gemein und niederträchtig. Das unbefangene Wort und die unbefangene Tat des anderen Menschen suchen wir und wollen wir ohne Argwohn hinnehmen. Nichts ist verderbliche r für das Zusammen-

leben, als den Unbefangenen zu beargwöhne n und in seinen Motiven zu verdächtigen. Das heute zur Mode gewordene

Psychologisieren und Analysieren der Menschen ist die Zersetzung jedes Vertrauens, die öffentliche Verleumdung alles Anständigen, die Revolte alles Gemei nen gegen das Freie

und Echte. Die Menschen sind nicht dazu da, sich gegenseitig

in den Abgrund ihres Herzens zu sehen — sie können es doch nicht —, sondern sie sollen einander begegnen und hinnehmen, wie sie sind — einfach, unbefangen, in mutigem

Vertrauen. Verstehst Du mich?

Heinrich. Ich versuche es, aber es ist schwe r. Wo soll ich dieses

Vertrauen

hernehmen?

Worauf

sollte ich es begründen?

Dramenfragment

1943

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Meinst Du, wir würden nicht auch gern im Vertrauen zu den Menschen leben können? Meinst Du, wir fühlen uns wohl in unserem dauernden Mißtrauen? Aber das ist ja unsere Not, daß wir es uns nicht leisten können, Vertrauen zu haben. Unsere Erfahrungen sind bitter.

Christoph. Die Erfahrungen des Menschen sind meist ebenso wie der Mensch selbst ist. Der Mißtrauische wird nie die Er-

fahrung des Vertrauens machen. Vertrauen ist immer ein Sprung

über alle guten und bösen

Erfahrungen

hinweg.

Aber es mag wohl sein, daß dieser Sprung für Dich schwerer ist als für mich. Darum kam ich zu Dir und wartete nicht

auf Dich. Im übrigen mußt Du nicht denken, daß wir in unserem Vertrauen blind wären, daß wir uns jedem Menschen gleich in die Arme werfen. Das überlassen wir denen, die von der Gleichheit und Güte aller Menschen faseln. Wir haben gelernt zu unterscheiden — und wir werden uns das von niemand verbieten lassen —, zu unterscheiden zwischen Echtem und Unechtem, Wahrem und Verlogenem, Edlem und Gemeinem, Anständigem und Niedertracht. Heinrich. Und was Ihr echt, wahr, edel, anständig nennt, das

ist Euch etwas ganz Fragloses, Selbstverständliches,

nicht

wahr? | Christoph. Es muß Selbstverständlichkeiten im Leben geben, und man muß den Mut haben, zu ihnen zu stehen. Man kann nicht jeden Tag das Leben von vorn anfangen, indem man alles wieder in Frage zieht, was man gestern gelernt und angenommen hat. Unsere Selbstverständlichkeiten sind von vielen Generationen erprobt, sie sind hundert- und tausendmal am Leben bewährt. Heinrich. Ja, am Leben Eurer Großväter — die Zeiten än-

dern sich. Christoph. Aber die Menschen ändern sich nicht, jedenfalls nicht in ihren wesentlichen Verhältnissen. Das ist ja der große Fehler, daß heute die Menschen immer tun, als finge

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Arbeit

an der Ethik.

1942— 1944

die Welt erst mit ihnen an, daß sie darum alles in Frage zie-

hen und darum niemals dazu kommen,

stein beizutragen,

den kleinen Bau-

der ihnen im Rahmen des Ganzen zu-

kommt. Heinrich. Was nützen Bausteine, wenn das Funda ment brü-

chig geworden ist?

Christoph. Du redest wie die Zeitungsschreiber und weißt es doch besser. Wäre wirklich das Fundament brüchi g, dann würdet Ihr Euch umsonst darum bemühen, es neu zu legen.

Kein Volk kann nach tausendjähriger Geschichte sein Fun-

dament zum zweiten Male legen. Bricht das Fundament, dann ist es eben aus. Aber es ist ja nicht so. Das Fundament ist tief und fest und gut. Man muß nur auf ihm und nicht daneben auf dem Flugsand sogenannter neuer Ideen bauen. Heinrich. Glaube doch nicht, daß es uns, wie den Literaten, die damit ihren Profit machen, um die neuen Ideen ginge. Was fragen wir danach? Wir haben wahrha ftig weder Lust noch Zeit dazu, unter allen Umständen nach Originalität zu haschen. Wir wollen etwas viel Einfacheres: Boden unter den Füßen, um leben zu können. Das ist es, was ich das Fundament nannte. Spürst Du den Unterschied nicht? Ihr habt ein Fundament, Ihr habt Boden unter den Füßen, Ihr habt einen Platz in der Welt, für Euch gibt es Selbstverständlichkeiten, für die Ihr einsteht und für die Ihr Euch auch ruhig den Kopf abschlagen lassen könnt, weil Ihr wißt, daß Eure Wurzeln so tief liegen, daß sie wieder treiben werden. Für Euch kommt es nur auf das Eine an, die Füße auf

dem Boden zu behalten. Sonst ginge es Euch wie dem Riesen

Antäus, der seine Kraft nur aus der Berühr ung seiner Füße

mit der Erde empfing und sie verlor, als Herakles ihn im Kampf von der Erde losriß. Es gibt zwar auch bei Euch

Dummköpfe, die von selbst den Boden verlassen, auf dem sie

gewachsen sind, aus Neugier oder aus Eitelkeit oder weil sie

närrischerweise glauben, damit uns zu gewinnen. Spreu, die

Dramenfragment

1943

495

der Wind verweht. Auf den Boden unter den Füßen kommt es an, wenn man leben will — und diesen Boden haben wir nicht. Darum werden wir hin und her geblasen, wie gerade der Sturm steht. Darum haben wir nichts, wofür wir uns den

Kopf abschlagen lassen können und wollen, darum hängen wir an unserem Jammerleben, nicht weil wir es lieben, son-

dern weil es das einzige ist, was wir haben. — Und wenn Dir dann noch der Tod in Gestalt eines Granatsplitters in der Brust steckt und Dich täglich angrint — und Du weißt nicht, wofür Du noch lebst oder wofür Du stirbst — ja dann ist es ein Wunder, wenn Du nicht rasend wirst vor Lebens-

gier und vor Verzweiflung, vor Haß gegen alles, was lebt, und vor Durst nach wildem Genuß. Gib mir Boden unter den Füßen, gib mir den archimedischen Punkt, auf dem ich stehen kann — und alles wäre anders. Christoph (sehr nachdenklich geworden). Boden unter den

Füßen — ich habe das so nicht gewußt. Ich glaube, Du hast recht. Ich verstehe — Boden unter den Füßen, um leben und um sterben zu können.

Heinrich. Du hast gestern abend sehr stolze Worte über den Pöbel gesagt, und ich gebe Dir recht. Es gibt einen Pöbel, und dieser Pöbel muß unten gehalten werden. Aber welche Schuld trifft die, die man ins Leben hinausgestoßen hat, ohne

ihnen Boden unter die Füße zu geben? Kannst Du an ihnen vorübergehen und vorbeireden, ohne daß Dich der Jammer packt?

496

Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

Zwei Gespräche aus dem Romanversuch! 1943 — 1944 I:

..„Ich will Dir etwas sagen, Franz, vielleicht kannst Du es noch brauchen. Es handelt sich bei dem, wovon wir sprachen, nicht um einen Ton, sondern um viel mehr. Man darf nicht zimperlich sein; ohne ein rauhes Wort, ohne einen gelegent lichen Fluch, auch ohne einen derben Witz geht es nicht ab, wo ein so rauhes Handwerk wie das soldatische gelernt wird.

Wer das alles von zu Haus nicht gewöhnt ist, für den ist das

oft sehr hart. Aber da muß er sich durchbeißen und lernen, daß es auch andere Menschen und Lebensverhältnisse gibt.

Vielleicht gelingt es ihm sogar, sich gegen die Mehrzah l durchzusetzen — um so besser —; aber nötig ist es nicht und

keiner soll sich daran aufreiben ; das lohnt sich nicht. Daß es im Leben viel Rohheit und viel Schmutz gibt, das muß ein Mann wissen und damit muß er fertig werden und selbst der bleiben, der er ist...“ [Franz:] „...Ich helfe seit zwei Jahren einem ehemaligen Pfarrer, der sein Amt niedergelegt

hat, um ganz in den Elendsquartieren unserer Stadt arbeiten

zu können. Ich habe dort einen Jugendverein übernommen und muß bei den Eltern meiner Jungens Hausbes uche machen. Dabei habe ich mehr gehört und gesehen, als ich sagen kann, und ich weiß, daß die Menschen schuldlos in Roheit und 1. Siehe W.E. S.60 und 93 f, Ein erstes Kapitel mit dem Titel „Sonntag“ wurde im Gefängnis in Tegel geschri eben. Es beginnt die Geschichte zweier

Familien zu schildern, deren Kinder in öffentliche Verantwortung

hineinwachsen.

Die Gesprächsgänge

werden

hier hauptsä

chlich zwischen dem alten Maior auf der einen Seite und den zwei Arztsöhnen Franz und Christoph auf der anderen Seite geführt.

Gespräche

497

Schmutz hineingeraten und habe gerade bei ihnen viel Hilfsbereitschaft und Güte gefunden, ohne daß sie darüber ein Wort verlieren.“ „Gut“, sagte der Major kurz, „nebenbei: ich bezweifle, daß derlei Arbeit viel Sinn hat; aber lassen wir das jetzt. — Wer sich über jedes derbe Wort aufregen wollte,

der ist eine alte Jungfer, und damit wollen wir nichts zu tun

haben.

Aber



etwas

ganz

anderes

ist es, wenn

ein

Mensch die Macht, die ihm über andere Menschen gegeben ist, ausnützt, um diese zu demütigen, zu erniedrigen, zu be-

schmutzen und zu zerbrechen. Das ist nicht mehr eine Frage des Tons, sondern das ist Frevel, und zwar ebenso an den Menschen wie an dem Amt, das einer innehat, Es ist die

Schändung aller echten Autorität und die Zerstörung aller menschlichen Gemeinschaft, es ist der todsichere Weg zur Anarchie. Franz, ich weiß nicht, woher es kommt, aber es wohnt in uns allen ein dunkel-unheilvoller Trieb, die Gewalt,

die uns gegeben ist, zu mißbrauchen und dadurch das Leben, unser eigenes und fremdes, zu zerstören. Gegen diesen wahrhaft bösen Trieb muß sich unser ganzer Haß, unsere ganze Leidenschaft richten, wo wir ihn auch antreffen; zuerst bei uns selbst, denn glaube nicht, Franz, daß er nicht auch in Dir steckt und nur darauf lauert, sich austoben zu können. Es ist etwas Unheimliches, daß es Macht geben muß, ja, daß

Macht etwas Heiliges, daß sie von Gott ist und daß sie uns doch so leicht zu Teufeln, zu den großen oder kleinen Plagegeistern der Menschen werden läßt. Sieh dir diesen kleinen Forstadjunkten an: ein liebenswürdiger, harmloser, gutmütiger Kamerad unter den Seinen, vielleicht einmal ein guter, treuer, durchschnittlicher Familienvater. Aber ein Satan dort, wo ihn sein lächerliches bißchen Macht kitzelt, und ein elender Kriecher vor seinen Vorgesetzten. Es gibt viele Laster, aber keines, das größeres Unglück über die Menschen

bringt als der Mißbrauch der Gewalt, und zwar gerade durch die kleinen Leute. Immer wieder hat die Geschichte große Ge-

498

Arbeit

an

der Ethik.

1942 —_1944

walttäter hervorgebracht; sie haben große Gegengewalten

hervorgerufen und sind ihrem Gericht fast nie entgangen;

sie sind Halbgötter, die keinem gewöhnlichen, menschlichen Urteil unterliegen. Sie steigen und fallen in wenigen Jahren, aber die kleinen Gewalttäter sterben nicht aus. Sie leben von der Gunst ihrer jeweiligen Herren und sonnen sich dar-

in und entgehen dadurch jedem irdischen Gericht. Die kleinen Gewalttäter sind es, die ein Volk im Innersten zugrund e richten; sie sind wie die unsichtbaren Erreger der Auszehr ,

die ein junges, blühendes Leben heimlich zugrunde richten. Sie sind nicht nur gefährlicher, sondern auch stärker, zäher,

schwerer zu packen als die großen. Sie schlüpfen einem durch die Finger, wenn man sie greifen will, denn sie sind glatt und feige. Dabei sind sie wie eine ansteckende Seuche. Wenn so ein kleiner Gewalttäter seinem Opfer die Lebensk raft ausgesaugt hat, dann hat er es zugleich mit seinem Geist angesteckt; und sobald nun der, der bisher nur Opfer der Gewalt-

tat war, selbst die geringste Gewalt in die Hand bekommt,

nimmt er Rache für das, was ihm widerfahren ist; aber diese

Rache — und das ist das Fürchterliche — wird nicht an dem

Schuldigen, sondern wieder nur an unschuldigen, wehrlosen Opfern genommen, und so geht es ins Endlose weiter, bis

schließlich alles verseucht und vergiftet ist und die Auflösung nicht mehr aufgehalten werden kann.“ Der Major hielt inne

und holte Atem. „Dennoch“, fuhr er fort, „darf man sich

nicht durch die scheinbare Aussichtslosigkeit des Kampfes entmutigen lassen. Wem es gelungen ist, einen dieser kleinen

Quälgeister zu Fall zu bringen, der darf sich rühmen, viele Menschenleben gerettet zu haben, der ist ein Wohltäter der

Menschen geworden, auch wenn es kein anderer weiß. Viele gutgesinnte Leute unserer Schicht haben es sich angewöh nt,

über diese kleinen Gewalttäter zu lächeln und die, die ihnen den Krieg auf Leben und Tod erklärt haben, für Narren zu

halten.

Dieses Lächeln ist ebenso töricht und verantw or-

Gespräche

499

tungslos wie das Lächeln über die Winzigkeit der Bakterien und über den Arzt, der in einer Epidemie einem oder dem andern Kranken das Leben rettet und darüber selbst der

Seuche zum Opfer fällt. Gewiß, es muß auch in diesem Krieg Strategen und Soldaten geben, wie es im Kampf gegen die Seuche solche geben muß, die mit dem Mikroskop die Ursache der Krankheit erforschen, und andere, die als Arzt dem ein-

zelnen Fall zu Leibe gehen. Aber wehe dem, der über die Opfer, die in diesem Kriege gebracht werden, spottet!“ ... II.

[Der Major hat eben von der Schulriyalität zwischen dem Vater seiner Zuhörer und ihm selbst erzählt:] ‚... Jeder

meinte, der Andere sei ihm im Wege und müsse sich ihm unterwerfen. Wenn man große Worte dafür gebrauchen will, so würde man sagen, es war ein reiner Kampf um die Macht. Keinem von uns war das natürlich bewußt, aber so wie wir

eben waren, war der Zusammenprall unvermeidlich. Als wir aus unserem Traum erwachten, hatten wir gelernt, daß kein

Mensch für sich allein auf der Welt ist, sondern daß er neben anderen Menschen leben und mit ihnen auskommen muß und daß das ein Glück für den Menschen ist. Gewiß muß man auf manches verzichten, man muß nachgeben lernen,

ohne seinen Charakter preiszugeben; ja, in solchem Miteinanderleben bildet sich überhaupt erst der Charakter.“ Die Aufmerksamkeit, mit der besonders die jungen Männer diese Worte des Majors anhörten, war für diesen eine still-

schweigende Aufforderung, sich noch etwas ausführlicher zu diesem Punkt zu äußern. „Ihr werdet“, sagte der Major zu den jungen Männern gewandt, „in eurem Leben immer wieder Menschen begegnen

— und vielleicht gehört ihr selbst noch zu ihnen —, die es für charaktervoll halten, jeden Widerstand, jeden Widerspruch,

500

Arbeit

an

der Ethik.

1942— 1944

jede Andersartigkeit sofort mit Gewalt zu unterdrücken, ja, die stolz darauf sind, Widerstand und Feindschaft zu finden,

weil sie ihnen Gelegenheit geben, ihre Macht zu beweisen.

‚Viel Feind, viel Ehr‘, heißt es darum, und ‚jedes Nachgeben

ist charakterlos‘ usw. Das klingt sehr schön, aber — es ist

eine Tertianersentenz. So redet nur, wer noch kein Augenmaß für menschliche Verhältnisse, noch keinen Kontakt

mit der Wirklichkeit und kein Organ für vorhandene Werte hat. Ewige Tertianer! Sie beurteilen ihre eigene Kraft nur

an den Trümmern,

die sie auf ihrem Weg zurücklassen, sie

halten es für verdienstvoll, möglichst viel feines Porzellan

zu zerschlagen, und jubeln kindisch über das Klirren der

Scherben. Sie halten es für das Zeichen eines starken Cha-

rakters, niemals einen Schritt zurückzugehen, niemals einem anderen auszuweichen, niemals einen Kompromiß zu schließen. Solange wir Kinder sind, mögen wir uns solchen Träumen von der Weltherrschaft unseres kleinen Ich hingeben ,

uns in unserer Ahnungslosigkeit darüber freuen, daß wir sogar eine Gefolgschaft finden, weil andere unserem Traum glauben. Aber was für eine Gefolgschaft ist das! Schwäch-

linge, Schmeichler und bestenfalls selbst Träumer!

Aber je

eher wir lernen, daß wir damit gegen das Leben selbst sün-

digen, desto besser. Wer es aber gelernt hat, der ist ein Unglück schließlich auch für sich selbst. nur weil er anders ist, bildlich

als Erwachsener noch nicht für seine Mitmenschen und Einem anderen Menschen, oder in Wirklichkeit, den

Schädel einschlagen, das hat mit Charakter sehr wenig zu tun. Wahrhaftig, es gehört ein sehr viel größerer Charakter dazu, sich mit den anderen zu verstehen und zu vertrage n,

ohne sich selbst dabei aufzugeben. Das Miteinanderaus kom-

men, ohne sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen, ist die

eigentliche Aufgabe des Lebens. Wie ahnungslos ist derjenige, der darin nur Schwäche und feiges Nachgeb en sieht. Nein, gerade hier wird wirklich gekämpft und gerungen, oft

Gespräche

501

lange, zäh, unendlich mühsam, ehe man einen Schritt weiter-

gekommen ist. Worum geht es denn dabei? Eben nicht darum, den anderen als Leiche auf dem Kampffeld zurückzulassen, sondern seine Einwilligung in meinen Willen zu erringen, oder besser gesagt: zwischen ihm und mir einen gemeinsamen Willen herzustellen, also aus einem Feind einen

Freund zu machen. Dabei wird es nie ohne Verzichte beiden Seiten abgehen, vor allem nie ohne gegenseitige erkennung und Achtung. Hier allein ist das Feld, auf sich der Charakter erweist und bildet. Hier wird nicht

von Andem zer-

stört, sondern aufgebaut, allerdings kein Traum- und Phantasiereich, sondern die Welt des wirklichen Zusammenlebens

der Menschen. Auch hier wird Kraft und Macht eingesetzt, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern im Dienst eines Sichverstehens, eines besseren Miteinanderauskommens der Menschen. Verzeiht, ich rede mich in Eifer, aber ich glaube,

daß ein junger Mann das alles gar nicht früh genug lernen kann. Wir Deutschen greifen so leicht am Leben vorbei, nicht aus Bosheit, sondern aus Träumerei, aus Freude an Worten,

Ideen und Gefühlen. Wir finden schwerer als andere zueinander. Wir bleiben einzelne, die sich um der geringsten Verschiedenheiten willen bis aufs Blut bekämpfen —

oder wir

geben uns gänzlich preis, unterwerfen uns vollständig dem Willen eines einzelnen. Beides aber verstößt gegen das Leben, wie es in Wirklichkeit ist, und muß scheitern. Das Leben verlangt unser Miteinander, und das fällt uns so schwer. Das

war es, was Hans und ich als Vierzehnjährige gelernt und nie mehr vergessen haben.“ ... Nun griff Franz in das Gespräch ein. Er habe bei dem, was der Onkel gesagt habe, an seinen alten Geschichtslehrer aus der Prima denken müssen; der sei der einzige Lehrer gewesen, den er sehr geliebt und verehrt habe; er

sei ein sehr kluger und im Unterschied zu den übrigen Lehrern, die er gehabt habe (und die er leider immer nur

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Arbeit

an

der Ethik.

1942— 1944

schreckliche Phrasen habe reden hören), ein wirklich ge-

bildeter und feiner, stiller Mann gewesen. Dabei habe aus seinem ganzen Wesen ein großes Wohlwollen, ja eine verständnisvolle Güte für jeden seiner Schüler gesprochen. Er habe sich darum bemüht, jedem gerecht zu werden, der es

mit irgendetwas ernst meinte, Nur wenn einer nachgeredete,

angelernte Phrasen drosch, konnte er furchtbar zornig werden. „Trotzdem habe ich mit ihm nie einig werden können“, sagte Franz, und er wüßte nun sehr gern, ob der Onkel im Grunde dasselbe habe sagen wollen wie dieser Lehrer. Manches habe ihn sehr daran erinnert, anderes auch nicht. „Ich werde es nie vergessen, wie er uns die großen Bewegungen in der Geschichte, die französische Revolution, die Reformation,

die Entstehung des Christentums dargestellt hat. Diese Stunden versöhnen mich heute noch mit einer im übrigen ver-

pfuschten Schulzeit. Dann aber, wenn der Professor einen dieser Stoffe beendet hatte, folgten jedesmal einige Stunden,

in denen das Fazit gezogen werden sollte. Es war, als wäre der Geschichtslehrer in diesen Stunden ein anderer Mensch

geworden; während er vorher mit Feuer und Leidenschaft

erzählt hatte, lag nun eine gewisse Schwermut über ihm. Er

sagte, die Geschichte zeige, daß alle diese großen Bewegung en und Ideen über die Menschen zuletzt Unglück gebracht hätten. Die französische Revolution habe im Terror geendet und sei der Anfang der Pöbelherrschaft in Europa geworden; die

Reformation habe die geistige Einheit des Abendlandes end-

gültig zerrissen und es schließlich wehrlos gegenüber dem

Materialismus gemacht; das Christentum habe das innere Leben der Völker und der einzelnen Menschen zerrissen und kaum einer habe darum mehr zu sich selbst gefunden. Um aber die Katastrophe zu verhindern, sei es jedesmal zu guter Letzt zu einem mittelmäßigen Kompromiß zwischen der Welt und den neuen Ideen gekommen und in diesen Kompromi s-

sen sei immer gerade das Eigentliche und ursprünglich Be-

Gespräche

503

wegende begraben worden. Doch gerade das dürfe man nie aussprechen, ohne als Ketzer und Menschenfeind in den Bann der Gesellschaft getan zu werden. Aber wahrscheinlich

sei das alles im Grunde auch richtig und gut so, und jedenfalls sei es das Ergebnis der Lehre der Geschichte und des Lebens, und wir sollten uns das gesagt sein lassen, daß man nur mit Kompromissen leben kann. Einmal habe ich ihm geantwortet, daß man das, was er die Ergebnisse der Geschichte nenne, doch mit demselben Recht als ihre Auflösungs- und

Untergangserscheinungen

bezeichnen

könne

und

warum

man dann im Verwesungsgeruch der Geschichte herumschnüffeln solle, statt sich an ihre großen Blütezeiten zu halten und in ihnen die Ergebnisse und die Lehre der Ge-

schichte zu erkennen.“ „Du bist ja ein ganz geschickter Dialektiker“, warf der Major lächelnd ein, „aber es ist eben doch nur ein Spiel mit Begriffen.“ „Dasselbe ungefähr sagte mein Lehrer auch“, fuhr Franz fort, „auf Worte käme es ihm nicht an, aber man müsse der Wirklichkeit gegenüber wahrhaftig und redlich bleiben und sich nichts vormachen. Dazu gehöre auch ein klares Bild von den sogenannten großen Blütezeiten. Nachträglich sähen sie sich ganz schön an, aber das sei nur der große Betrug der

Geschichtsschreiber,

die zu feige sind, den Tatsachen ins

Auge zu sehen. Für neunundneunzig Prozent von denen, die solche großen Zeiten hätten erleben müssen, seien sie eine

einzige Kette von Leid und Elend gewesen, und er möchte es ein Glück nennen, daß nur alle paar hundert Jahre eine Generation durch eine solche große Zeit unglücklich gemacht wird.,Was für ein Recht haben wir denn‘, rief er leidenschaftlich aus, ‚die Geschichte immer nur unter dem Gesichtspunkt der paar Erfolgreichen zu betrachten und darüber das Blut

und die Tränen der Millionen zu vergessen? Ich sage Dir, Franz, eine Barbarei

ist diese Geschichtsschreibung,

etwas

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Arbeit

an

der Ethik.

1942 — 1944

für orientalische Despoten vor zweitausend Jahren, aber ein moralischer Skandal nach zweitausend Jahren Christ entum.

Diese Geschichtsschreibung ist es, die immer neue Barbar ei

erzeugt, weil sie die Menschen systematisch verroht und gemein macht.‘ Ich konnte darauf nichts erwidern und war

sehr beeindruckt. ‚Es ist die Moral der sogenannten großen

Zeiten‘, fuhr mein Lehrer fort, ‚daß der Mensch , sein Leben

und sein Glück, nichts gilt, ja, daß Menschenblut vergossen

werden muß, um dem Götzen irgendeiner Idee seinen Altar zu weihen. Mißversteht mich nicht‘, rief er fast feierlich, ‚ich sage nichts gegen die großen Ideen und die großen Männer in der Geschichte, beide sind halbgöttliche Wesen und Gestal-

ten, die von Zeit zu Zeit nach einem uns unbegre iflichen

Plan in die Geschichte der irdischen Menschen eingreifen, sie

sind herrlich und fürchterlich zugleich, strahlend und zer-

störerisch. Kindisch, wer die großen Ideen der Geschichte aus dem Hunger und wer die großen Männer als Produkte der

Masse verstehen will. Er ahnt ja gar nichts von ihrer über-

menschlichen Gewalt und Furchtbarkeit. Vermessenheit und Torheit ist es, an ihnen herumzukritisieren, Nein, ich beuge mich vor diesen unbegreiflichen Mächten, die — nach der Weisheit der Heiligen Schrift — aus dem verbotenen Umgang von Göttersöhnen mit Menschentöchtern hervorgehen. [Genesis 6, 4] Das Geschlecht der Riesen, von denen die Sagen unserer Völker wissen, lebt und läßt sich von Zeit zu Zeit auf unserer Erde erblicken. Wir aber sind Zwerge vor ihnen. Ja,

Zwerge! Merkt es euch! Aber eben darum sollen wir auch

nicht so tun, als wären wir Riesen. Eben darum rede mir keiner von den großen Zeiten. Sie sind die Arenen mythischer, halbgöttlicher Gestalten, aber für uns andere sind sie fürchterlich, ja, in Wahrheit gehen auch die Riesen an ihnen zugrunde. Jesus, Luther, Cromwell, Robespi erre, Napoleon

— keiner von ihnen hat wirklich nach dem Glück der Men-

schen gefragt, auch wenn sie davon gespro chen hatten, und

Gespräche

505

jeder von ihnen hat am Ende des eigenen Lebenswerkes geschrien wie Jesus: mein Gott, mein Gott, warum hast du

mich verlassen.‘ “ Der Major hatte dem immer glühender sprechenden Franz mit Aufmerksamkeit zugehört. Jetzt unterbrach er ihn mit dem kurz vor sich hingesprochenen Satz: „Ein kluger Mann, dein Lehrer, aber das letzte war falsch. Christus hätte er ausnehmen müssen; dann sieht auch alles anders aus.“ Franz

warf einen erstaunten und etwas verständnislosen Blick auf den Major, fuhr aber noch einmal in seiner Erzählung fort, die eigentlich nur ein Fragen sein sollte: „Als ich mir nicht anders zu helfen wußte, habe ich unseren Lehrer gefragt, ob

denn die Menschen dazu geschaffen seien, glücklich zu werden. Da sah er mich mit einem freundlichen und traurigen Blick an, hinter dem ein kleines Lächeln stand, und sagte

fast wie ein Kind:

das wisse er wirklich nicht und er

wisse auch nicht, ob es jemand gebe, der es wisse, aber er

wolle sich in zwanzig Jahren noch einmal mit mir darüber unterhalten, vielleicht wüßten wir dann beide mehr. Nun, er ist bald darauf gestorben. Vielleicht weiß er jetzt mehr...

Und nun wollte ich dich fragen, Onkel Harald, ob du mit dem, was du über das Miteinanderauskommen

gesagt hast,

auch meinst, daß man nur mit Kompromissen leben kann. Ich fände das doch schrecklich“, fügte er fast jungenhaft hinzu. „Du hast mehr Fragen angeschnitten, als wir an einer Kaffeetafel besprechen können, Franz“, sagte der Onkel. „Ich gebe deinem Lehrer in vielen Dingen recht, besonders in dem, was er über die großen Zeiten der Geschichte und über die Geschichtsschreibung gesagt hat. Es ist wahr, die Geschichte der Erfolge ist mehr oder weniger vollständig geschrieben

worden, und es ist wohl nicht allzuviel Wichtiges mehr nachzutragen. Aber es wäre nun an der Zeit — und das ist eine viel schwierigere Aufgabe —, die Geschichte der Erfolglosigkeiten und die Geschichte der Opfer der Erfolge zu schrei-

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Arbeit

an

der Ethik.

1942—1944

ben, also — um mit deinem Lehrer zu reden — nicht die Ge-

schichte der Riesen und Halbgötter, sondern der Menschen. Ich meine nicht die Geschichte der ewig unruhigen und auf-

ständischen Massen, der Zusammenballungen und Explosionen — auch das sind übermenschliche, wenn auch unterirdische, mythische Mächte, die mit den großen Erfolgreichen

der Geschichte in irgendeiner geheimnisvollen Verbindung

stehen. Nein, ich meine die Geschichte der Menschen, die zwi-

schen diesen Mächten hin- und hergeworfen ihr Leben in

Arbeit, Familie, Leid und Glück zu führen versuchen. Ich habe euch von Hans und mir erzählt. Wir hatten uns beide

auch für Halbgötter gehalten, bis wir erkannten — oder je-

denfalls spürten —, daß wir Menschen sind, die aufeinander angewiesen, miteinander und nebeneinander leben müssen; und das war unser Glück. Wir wurden Freunde. Halbgötter haben keine Freunde, nur Werkzeuge, die sie nach Willkür gebrauchen oder wegwerfen. Ich bin mißtrauisch gegen jeden Menschen, der keinen Freund hat. Entweder ist er ein Halbgott oder — was viel schlimmer ist — er bildet sich ein, einer zu sein. Für mich ist die Hauptsache an Menschen und Völkern nämlich, ob sie gelernt haben, mit anderen Menschen und Völkern zu leben oder nicht. Das ist mir wichtiger

als alle ihre Ideen, Gedanken, Überzeugungen, und etwas

ähnliches hat wohl auch dein Geschichtslehrer gemeint. Daß das Resultat der Geschichte und des Lebens der Kompromiß sei, würde ich so allerdings nicht sagen. Wer so spricht, richtet seinen Blick noch ganz auf die Idee und muß darum immer wieder feststellen, daß sich keine Idee im Leben in ihrer Reinheit durchsetzt; das nennt er dann den Kompromiß und sieht darin nur das Zeichen der Unvollkommenheit und

Schlechtigkeit der Welt. Ich sehe allein auf den Menschen

und auf seine Aufgabe, mit anderen Menschen zu leben, und erblicke in dem Gelingen dieser Aufgabe gerade die Erfül-

lung des menschlichen Lebens und der Geschichte. Was dei-

Gespräche

507

nem Lehrer ein Unglück scheint, ist in meinen Augen das einzige Glück der Menschen. Sie brauchen nicht mit Ideen und Prinzipien und Glaubenssätzen und Moralen zu leben, sondern sie dürfen miteinander leben, einander begegnend und gerade darin einander ihre eigentlichen Aufgaben zu-

weisend. Nur dieses Leben ist fruchtbar und menschlich. Ihr glaubt gar nicht, was für eine Veränderung damals nach dem Wettspiel in Hans und mir, aber auch in der ganzen Klasse, vor sich ging. Ich war wochenlang täglich an Hansens Krankenbett; da lernten wir uns kennen und die Welt ganz

neu ansehen. Ich möchte sagen, damals wurden wir beide durch einander erst zu Menschen. In der Klasse aber begann ein neues Leben. Der Bann, der bis dahin durch Hansens

Art über der Klasse gelegen hatte und der durch mein Dazukommen sich noch verstärkt hatte, war gebrochen. Begabungen und Persönlichkeiten der Kameraden konnten sich

entwickeln. Während es vorher nur Gefolgschaft gab, so wuchs nun eine gesunde, starke Kameradschaft heran. Sogar Meyer,

der von

der Schule relegiert werden sollte und nur

durch Hansens Eintreten noch eine Bewährungsfrist erhielt,

versuchte den Anschluß wiederzufinden, mußte allerdings ganz unten und ganz von vorn anfangen. Später wurde er aus anderen, unerfreulichen Gründen

doch von der Schule

entfernt. Hans blieb der Vertrauensmann

der Klasse bis

zum Abitur, aber nur als primus inter pares, und er faßte

keinen Entschluß, ohne ihn mit mir gründlich beraten zu haben. War das nun ein Kompromiß, der zwischen Hans und

mir geschaffen wurde? Ich würde es nicht so nennen, weil damit eine Abwertung ausgesprochen würde. Aber nicht das, was wir beide verloren, nämlich unseren Anspruch, als Halbgötter allein auf der Welt zu sein, sondern was wir gewannen, nämlich ein menschliches Leben in der Gemeinschaft mit einem anderen Menschen, war das Entscheidende. Ich glaube nun, daß dasselbe auch für die Völker gilt und

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im Grunde

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der Ethik.

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für alle geschichtlichen

Bewegungen.

Laßt es

mich einmal anders sagen, als euer Geschichtslehrer es aus-

gedrückt hat. Wie die Natur, so entwickelt auch die Geschichte einen Überschuß von Kraft, um zu einem bescheidenen, aber notwendigen Ziel zu kommen. Seht die Tausende von Kastanien, die uns die Kerzen auf den Bäumen um uns herum

ankündigen; wie viele von ihnen werden zu ihrem Ziel kom-

men, zu einem neuen Kastanienbaum zu erwachsen? Kaum eine. Die Natur verschwendet, um sicher zu gehen. Ähnlich

geht es mit den gewaltigen Konflikten, Revolutionen,

geschichtlichen Bewegungen,

Reformationen,

Kriegen,

deren

Ende uns in gar keinem Verhältnis zu den aufgewandten Kräften zu stehen scheint. Auch die Geschichte ist verschwen-

derisch, wenn es ihr darum geht, das Menschengeschlecht zu

erhalten; sie bietet die ungeheuersten Kräfte auf, um die Menschen zu einer einzigen notwendigen Erkenntnis zu bringen. Auch wenn wir das uns unbegreifliche Mißverhält-

nis zwischen den scheinbar sinnlosen, unfruchtbaren Opfern und dem bescheidenen Ergebnis sehen und beklagen , dürfen

wir darüber die Wichtigkeit auch des bescheidensten Ergebnis-

ses niemals gering anschlagen. Es ist wie die eine unter tausend Kastanien, die unscheinbar im Boden Wurzel schlägt

und wiederum Frucht zu bringen verspricht. Gewiß hinkt der Vergleich, Geschichte ist etwas anderes als Natur. Aber

in keiner von beiden gilt der Satz: ‚Alles oder Nichts‘, son-

dern das Gesetz der Erhaltung, der Weiterführung und Erfüllung des Lebens, auch um den Preis großer Opfer und Verzichte. Wenn es ein Ergebnis oder eine Lehre der Ge-

schichte gibt, so würde ich sie nicht den Kompromiß, sondern die Liebe zum wirklichen Leben nennen.“ Der Major holte

einmal tief Atem und lehnte sich zurück...

... „Es war mir bei jedem Wort, das Du gesagt hast, Onkel Harald“, fing Christoph an, „als würde mir der Boden unter

den Füßen weggezogen, als sollte ich auf dem Meer wandeln.

Gespräche

509

Die Liebe zum wirklichen Leben, das Miteinanderleben und

-auskommen nennst Du die letzte Lehre der Geschichte und des Lebens. Wie aber, wenn bereits Kräfte am Werk sind, die jedes Miteinanderleben und -auskommen unmöglich machen,

ja, unmöglich machen wollen? Wenn uns bereits ein Kampf angekündigt ist, in dem es keine Verständigung, sondern nur ein Siegen oder Unterliegen gibt? Wenn sich eine Macht gegen uns erhebt — wie ein Ungeheuer, das bisher geschlafen hat —, die die Vernichtung alles dessen sucht, was uns

das Leben wert und wichtig gemacht hat? Ja, wenn wir in dieser Macht

nur

die Zerstörung

aller Lebensordnungen,

wenn wir in ihr die Inkarnation des Bösen erkennen müssen? Dann, ja dann kann es nicht mehr darum gehen, miteinander auszukommen um jeden Preis, sondern dann geht es um die Inhalte des Lebens, um die letzten Überzeugungen, Werte und Maßstäbe und dann geht es nur noch um das ‚Alles oder Nichts‘, das du so verdammst; dann wird der zum Verräter an sich selbst, an seiner Vergangenheit und seinem Beruf und an den Seinen, der sich um die Entschei-

dung drückt. Ich glaube, es ist viel zu viel fauler Friede unter den Menschen, aus dem man sie aufscheuchen muß. Die Men-

schen halten Ausschau nach solchen, die es wagen, ihnen feste Maßstäbe in die Hand zu geben, und die den Mut haben, nach diesen zu leben und für sie zu kämpfen. Und wir, wir

müßten es sein, die sich an die Spitze stellen und die rung in dieser Auseinandersetzung übernehmen, denn wissen, was wir verteidigen und was wir wollen. Und die meisten träge und feige sind, darum muß es Herren

Fühwir weil und

Knechte, ja ich möchte wirklich fast sagen: Sklaven geben.“ „Christoph!“ rief Franz in äußerster Entrüstung, „das ist ja

wieder einfach fürchterlich, was Du sagst. Du steigerst Dich ja selbst in Deine Behauptungen hinein.“ „Bitte, laß mich ausreden, Franz; ich weiß ja, daß Du anders denkst“, antwortete

Christoph heftig.

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Arbeit

an

der Ethik.

1942— 1944

„Ja, ich gebe dem Aristoteles recht mit seiner Lehre, daß es

von Natur geborene Sklaven gibt, und Schiller mit seiner revolutionären Parole vom Menschen, der frei ist und ‚wäre

er in Ketten geboren‘, gebe ich unrecht. Für die kleine Schar

der Herren aber, für die Freien, die Elite, die Führung darf

nicht die Liebe zum Leben und das Glück der letzte Maßstab sein. Ein unglücklicher Mensch ist besser als ein glückliches Haustier.

Ich habe gerade die Geschichte von

Don

Quijote und Sancho Pansa gelesen.“ „O weh“, rief jetzt der Major halb ernst und halb lachend, indem er die Hände vor das Gesicht schlug, „aber nur weiter, Christoph, nur weiter!“

Christoph stieg die Röte ins Gesicht, er faßte sich jedoch so-

fort und führte seinen Satz zu Ende: ‚Ich wollte sagen, daß wir den Sancho Pansas, von denen es mehr als genug unter uns gibt, nicht noch philosophische und moralische Waffen in die Hand geben dürfen.“ „O weh, o weh“, rief der Major wieder, „jetzt habe ich meine Abfuhr. Don Quijote hat

mich vom Pferd geworfen. Ich gehöre zu den Sancho Pansas,

ich bin ein Epicuri de grege porcus, ein Erzphilister und Banause. O Christoph, Christoph, was hast Du mit mir ge-

macht! Werde nicht böse, ich bitte Dich! Du hast ja recht,

guter Junge, in vielem recht. Aber“, und der Major schüttelte seinen Kopf und wurde ganz ernst, „was seid Ihr für eine wunderliche Generation! Wofür wir uns in Eurem Alter begeisterten, die Freiheit und Brüderlichkeit unter den Menschen, das werft Ihr klugen Jungen schon als kindische Illusion auf den Kehricht! Die Ereignisse werfen ihre Schatten

voraus; vor einem strengen Winter wächst dem Wild ein dichteres Fell und der Biber legt sich eine dickere Speckschicht

zu. Welchen Zeiten und was für Aufgaben mag eine Generation entgegengehen, die schon in jungen Jahren so hart

denken muß, um im Leben zu bestehen. Es kann einem grau-

sen. Aber, Christoph, lieber Christoph, wenn Ihr schon hart sein müßt, — verherrlicht nicht die Härte! Wenn Ihr schon

Gespräche

511

unerbittlich sein müßt, um Euch durchzusetzen — vergeßt nicht, Euch erbitten und erweichen zu lassen, wo es nur irgend möglich ist! Wenn Ihr schon das Leben verachten müßt, um es zu gewinnen — so vergeßt nicht, es zu lieben, wenn Ihr es gewonnen habt. Vor allem aber — hütet Euch, leichtfertig über

das Glück zu sprechen und mit dem Unglück zu kokettieren! Das ist gegen die Natur, gegen das Leben, gegen den Menschen wie er geschaffen ist und als armer Sünder sein Leben

fristet und nach dem Glück als dem kleinen Zeichen der Freundlichkeit Gottes verlangt. Es ist nicht so leicht, unglücklich zu sein, wie Ihr wohl denkt, und wer es wirklich ist, der verachtet und schmäht den Glücklichen nicht. Gewöhnt Euch, ich bitte Dich darum, Christoph, nicht an diese wilde und

übermütige Sprache vom unglücklichen Menschen und dem glücklichen Haustier. Wozu wollt Ihr Herren sein, wozu wollt Ihr führen, wozu wollt Ihr bereit sein, Unglück zu tragen —

wenn nicht um andere Menschen glücklich machen zu dürfen? Das Unglück kommt von selbst oder besser — von Gott;

wir brauchen ihm nicht nachzulaufen! Unglücklich werden, das ist Schickung, aber unglücklich sein wollen — das ist Lästerung und eine schwere Krankheit der Seele. Die Menschen haben sich an Glück überfressen, nun schielen sie zur

Abwechslung aus Neugier nach dem Unglück. Ich kann mir nichts Satteres und wenn Du willst — obwohl ich dieses Wort nicht gern mißbraucht sehe — nichts Bürgerlicheres denken als das Liebäugeln mit dem Unglück. Es ist ein gefährliches Produkt der Langenweile und der tiefen Undankbarkeit. Christoph, Du hast in vielem recht, was Du über unsere Zeit

und unsere Aufgaben gesagt hast —, aber man muß auch stark und aufrichtig genug sein, aus dem, was eine Not ist, nicht eine Tugend zu machen. Sonst stellt man die Welt auf

den Kopf, und das läßt sie sich nicht gefallen.“ Der Major sank in seinen Stuhl zurück, und es schien, als

hätte eine schmerzliche Erinnerung ganz von ihm Besitz

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Arbeit

an

der Ethik.

1942 —1944

ergriffen. „Du hast etwas sehr Gefährliches gesagt, Christoph“, sagte er leise, „vielleicht ist es nötig für Deutschland, aber — es ist, ein Spiel mit dem Feuer. Wer Dich falsch

versteht, kann unsagbares Unheil anrichten.“ Woran der Ma-

jor bei diesen Worten dachte, konnte allein seine Familie wissen, und die jungen Gäste spürten, daß hier etwas berührt worden war, dessen Bedeutung und Tragweite für diesen

Kreis sie nicht kannten. Christoph hatte, während er sprach, nicht bemerkt, welche Veränderung mit Renate! vor sich gegangen war ... Er hatte, soviel erkannte er sofort, mit seinen Worten eine tiefe Kluft zwischen ihr und sich selbst aufgerissen. Renate hatte Hilfe von ihm erwartet, und er hatte sie nur tiefer in ihre Haltlosigkeit hineingestoßen. Er hatte mit dem, was er gesagt hatte, sein Eigenstes und Bestes gegeben. So sah er

Deutschland und die Aufgabe seiner Generation. Aber Renate hatte darin die Stimme des jungen Deutschland vernommen, an dem sie litt, ja das sie abschreckte und es ihr un-

möglich zu machen schien, hier jemals heimisch zu werden. Hatte sie ihn recht verstanden? Hatten seine Worte über die geborenen Herren und die geborenen Sklaven etwa irgendeine innere Verwandtschaft mit dem Auftreten des jungen Försters, den Christoph ja nicht weniger verabscheute als

Renate? Verwechselte Renate diese grauenhafte Karikatur alles Herrentums mit diesem selbst? War das, was Christoph wirklich meinte, denn so leicht mißzuverstehen, ja waren sol-

che Karikaturen vielleicht die unvermeidlichen Folgen, wenn kleine Leute große Gedanken auf sich bezogen? Warum war aber nicht nur Renate, sondern auch der Major so auffallend ernst geworden? ...

1. Sie war mit ihren Geschwistern wachsen,

im englischen Commonwealth

aufge-

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ÜBERSETZUNGEN

Religiöses Gnadenerlebnis und ethisches Leben

Zu $. 91

bis 99

Diese Formulierung des Themas enthält zwei wichtige Voraussetzungen: 1. daß es etwas Derartiges wie ein Gnadenerlebnis überhaupt gibt; 2. daß ein solches Gnadenerlebnis ausreichend als religiöses Er-

lebnis definiert werden kann. In der folgenden Arbeit werden wir das Verhältnis dieser drei Begriffe — religiös, Erlebnis, Gnade — zueinander behandeln müssen. Zwei dieser Begriffe kann man für Ausdrücke psycholo-

gischer Kategorien ansehen. Der dritte gehört seinem Wesen nach in eine völlig andere Vorstellungswelt; jedoch ist es nicht möglich, die Psychologie

an einer Überschreitung

ihrer eigenen Grenzen

und an dem Versuch einer eigenen Interpretation des Gnadenbegriffs zu hindern. Das geschieht genau dann, wenn man Gnade

als eine psychologische Realität auffaßt, das heißt, als einen Faktor unter vielen, als psychologisch vergegenständlicht, als jeder unbeteiligten Forschung zugänglich. Je nachdem, ob wir diese Untersuchung mit der psychologischen oder mit der theologischen Interpretation des Gnadenbegriffs beginnen, muß die ganze Untersuchung in verschiedene Richtungen laufen. Ich will versu-

chen, einen systematischen

Entwurf

beider Interpretationsarten

und ihrer Folgen zu geben.

I. Psychologische Interpretation Hier läßt sich Gnade als eine übermenschliche Kraft auslegen, die ihrem Wesen nach dynamisch ist und die, soweit man sie erleben kann, in den Bereich menschlichen Fühlens, Wollens und Denkens

eintritt und damit der Endlichkeit ewigen Wert und ewiges Gepräge gibt. Das Eingeständnis der eigenen Endlichkeit und einer unendlichen Gnade, die dennoch in diese Endlichkeit eindringt, ist

allgemein erforderlich, einerlei, welchen greifbaren Gehalt man

516

Anhang

der Gnade zuschreibt. Auf jeden Fall versteht man unter Gnade

einen Faktor, der objektiv, das heißt gegenständlich,

werden kann.

erwogen

Sittliches Leben läßt sich als eine persönliche aktive Einstellung

gegenüber legen.

der menschlichen

Welt,

einschließlich

des Ego,

aus-

Das Verhältnis zwischen dieser Art von Gnade und dem sittlichen Leben

ist jedoch fragwürdig.

Ich behaupte,

daß

Gnade

immer

dazu benutzt wird, dem Menschen die Möglichkeit zur Formung und Rechtfertigung

seines sittlichen Lebens

zu geben. Das muß

bewiesen werden. Der psychologischen Interpretation zufolge emp-

fängt und besitzt der Mensch Gnade; das heißt, bis zu einem gewissen Grade besitzt er Gott selbst, er kennt Gott, er kennt seinen

Willen; aber nicht nur das: durch das Gnadenerlebnis empfängt er Gott selbst, oder zumindest göttliche Kraft. Sein menschliches

Dasein ist mit Gott verbunden; seine Endlichkeit wird gerechtfer-

tigt und mit unendlichem Wert bedacht.

Hier wird die Religion also unmittelbar mit dem Gnadenerlebnis identifiziert. Die Religion wird zum „höchsten Wert“, weil sie ein Erlebnis der heiligen Transzendenz darstellt. Aber dennoch wird diese Transzendenzidee nicht ernst genommen, weil Transzendenz

nur in menschlich-immanenter

Erfahrung gefunden wird. Diese

Transzendenzidee wird nur dazu benutzt, dem menschlichen Be-

streben Wert zu verleihen. Das Hauptinteresse gilt nicht einem richtigen Gnadenbegriff, sondern der höchstmöglichen Bewertung der Menschheit. Wenn man also annimmt, daß Gnade inmitten des menschlichen Erlebnisbereichs wirkt, wo man Gnade ganz unmittelbar erleben kann, so folgt daraus, daß diese Erfahrung sich auf irgendeinem Wege auf das wirkliche Leben auswirken muß. Nur auf zwei Wegen kann sich diese Erfahrung auswirken:

A. Der erste ist der nomistische Weg.

Hier schließt das religiöse Gnadenerlebnis die Anerkennung eines feststehenden moralischen Gesetzes ein. Man nimmt an, daß dieses

Gesetz Gottes Bestätigung besitzt. Die einfache Tatsache, daß man

dieses Gesetz empfangen hat, bringt nicht nur die Möglichkeit seiner Erfüllung mit sich, sondern sie gewährt mir auch Gottes

Gegenwart und meine Vereinigung mit ihm. Nach dem Gnadenerlebnis befinde ich mich wirklich in der glücklichen Lage eines

Übersetzungen

517

Menschen, der genau weiß, was er tun muß, und dessen Leben gesichert ist, wenn er dieses Gesetz genau befolgt. In jedem beliebigen Gegenstand, der mir zur Verfügung steht, glaubt man die Gegenwart Gottes zu erkennen. Das Gnadenerlebnis läßt den Menschen auf seine Sicherheit vertrauen, denn er besitzt das moralische Gesetz und er ist in die Lage versetzt worden, ein sittliches Leben führen zu können. Der Mensch setzt sein Vertrauen auf sein Wissen um das moralische Gesetz und seine Erfüllung. Historisch gesehen können wir zwischen zwei Typen dieses nomistischen Begriffs vom Verhältnis zwischen Gnade und ethischem Leben unterscheiden: 1. Das Gnadenerlebnis schafft ein neues moralisches Gesetz. Dieses Gesetz ist die gegenständliche Gegenwart Gottes und seiner Gnade. Es kann ein soziales oder ein individuelles Gesetz sein. a) Zwei wichtige Beispiele aus der Geschichte für die „Verhärtung“ des Gnadenerlebnisses zu einem sozialen Gesetz mit eigener historischer Organisation sind die jüdische Theokratie und die katholische Kirche. (Die calvinistische Vorstellung der Theokratie ist ihrem Wesen nach anders, weil ihr eine andere Gnaden-

vorstellung zugrunde liegt.) Das Gnadenerlebnis bewirkt die Schaffung einer festen Ordnung göttlichen Gesetzes, innerhalb derer allein ein Gnadenerlebnis möglich ist. Inmitten des historischen Geschehens besteht ein Reich für sich, welches heilig und von allen Relativitäten historischer Entwicklung völlig unabhängig ist. Die Menschen, die diesem Reiche angehören, müssen sich den Gesetzen dieser Ordnung un-

terwerfen und werden dadurch von aller menschlichen Unsicherheit befreit.

Ihr Leben

ist gesichert, denn

diese gegenständliche

Gnade in Gestalt der Theokratie oder der Kirche unterstützt sie. Die Gnade gibt dem Menschen .die Möglichkeit, durch die Einhaltung einiger göttlicher Gebote Sicherheit zu gewinnen.

b) Das Gnadenerlebnis kann schöpferisch auf das Leben des Einzelnen einwirken. In diesem Falle empfängt das Individuum besondere Erleuchtungen, um sich zu heiligen. Hier liegt die Wurzel jeder Art von Askese, des Mönchswesens usw. Die Gnade wird zu einem individuellen Gebot verhärtet. Askese entspringt nicht nur

aus dem

Gnadenerlebnis,

sondern

sie führt auch zu-

rück zu einem neuen Erlebnis dieser Art. 2. Das Gnadenerlebnis muß nicht notwendigerweise schöpferisch

518

Anhang

sein. Eine andere Art von Gnadenerlebnis nimmt die gegebenen Verhältnisse hin so wie sie sind. In diesem Falle behält sich die Gnade nicht einen gewissen heiligen Bereich des Lebens vor, sondern der Mensch’muß in der menschlichen Welt leben, im Ein-

klang mit der Aufgabe oder der Arbeit, die er zu erfüllen hat. Er

muß ein guter Bürger, Vater, Gatte sein und damit erfüllt er den Willen Gottes. In diesem Falle ist das Gnadenerlebnis nicht so sehr ein Empfangen schöpferischer Kraft, sondern vielmehr ein Erlebnis der Reinigung durch die Vergebung. Diese Art von falsch verstandenem Protestantismus ist heute in protestantischen Ländern weit verbreitet. Ihm liegt letzten Endes die Ethik Kants zu-

grunde. Kants Pflichtbegriff bedeutet die stärkste Säkularisierung des protestantischen Gnadenerlebnisses. Gnade wird zum

Gesetz.

B. Die andere extreme Auffassung des Gnadenerlebnisses schließt

den Antinomismus ein.

In diesem Falle wird in der Gnade ein völliger Widerspruch zum

Gesetz gesehen; das Gesetz wird abgeschafft, weil wir Gnade er-

fahren haben. Antinomismus

Quietismus und Libertinismus.

findet sich in zwei Formen:

als

Der Quietist weiß, daß er Gnade besitzt und weiter nichts braucht; er besitzt Gnade, Vergebung, Frieden, Befreiung von aller Un-

ruhe; er erkennt die Unzulänglichkeit seines eigenen Schaffens,

darum hört er auf, sich zu mühen und zu arbeiten und genießt seinen Besitz. Libertinismus sucht seine Rechtfertigung in dem gleichen Gnadenerlebnis. Der Libertinist fühlt, daß der Heilige Geist selbst in ihm wohnt und daß er nun, nachdem er Gnade — das heißt den Heiligen Geist — empfangen hat, tun und lassen kann, was er will. Er ist geheiligt; darum sind auch seine Hand-

lungen geheiligt. Es war Martin Luthers großes Verdienst, daß er im Streit gegen die Schwärmer zeigen konnte, daß der Liberti-

nismus selber eine Art von Nomismus ist, ein Rückfall in die Sklaverei des Gesetzes statt der reinen Interpretation des Gnaden-

begriffs. Das liegt daran, daß man in diesem Falle die Gnade als

in eigener Erfahrung vollkommen

empfangen

mit dem eigenen Gnadenbewußtsein

ich nur mich selber anzuschauen

glaubt, daß Gnade

identifiziert wird, so daß

brauche, um

zu wissen, was ich

tun muß; mit anderen Worten: Gnade wurde wiederum vergegen-

ständlicht, und die Gnade als eine in mir lebende, statische We-

Übersetzungen

senhaftigkeit Gesetz.

ist als solche nicht länger allein Gnade,

519

sondern

Die Psychologie kann nicht in diesen beiden Extremen von Gnade und Gesetz denken, sie kennt Gradunterschiede, aber keine Gattungsunterschiede. Das liegt daran, daß die psychologisch interpretierte Gnadenauffassung letzten Endes und wesentlich immanent ist. Denn diese Interpretation jedes Gnadenerlebnisses im Blick auf das ethische Leben läuft Gefahr, den Menschen entweder nomistisch oder antinomistisch (das heißt hier: unethisch) werden zu lassen. Zwischen diesen beiden Extremen findet sich eine lange Reihe von Abstufungen, in deren Mitte die „ideale und gesunde Religion“ liegt, in welcher sich die Extreme das Gleichgewicht halten. Niemand kann daran gehindert werden, in einer allgemeinen Religionsphilosophie diese Deutung zu unternehmen. Aber es steht fest, daß dabei die spezifisch christliche Gnadenvorstellung und ihr Gegenstück, die Gesetzesvorstellung, nicht berührt werden, und das bedeutet für das christliche theologische Denken, daß die psychologische Interpretation die Realität der

Gnade überhaupt nicht erfassen kann. Christliches theologisches Denken erhebt den Anspruch, die allein angemessene Interpretation des Verhältnisses zwischen Gnade und ethischem Leben, das heißt dem Gesetz, zu geben. Es besteht natürlich eine weitere Möglichkeit, auch das christliche Denken psychologisch zu betrachten; aber dadurch verlieren wir wiederum den einzigen

Weg zur Lösung des Problems von Gnade und Gesetz. Das christliche Denken stellt die Behauptung auf, daß jemand, der Anspruch darauf erhebt, Gnade erlebt zu haben und dann nomistisch oder antinomistisch wird, nicht wirklich Gnade erlebt hat. Da die psychologische Interpretation des Verhältnisses zwischen Gnade und ethischem Leben nur in diesen zwei Extremen denkt, bestreitet das theologische Denken, daß die psychologische Interpretation imstande ist, diese Frage zu behandeln. Christliches Denken

gibt zu, daß es in Kreisen läuft; denn es denkt von der Voraussetzung aus, daß Gott sich wirklich in Christus offenbart hat und daß diese Offenbarung die alleinige Wahrheit ist; aber es besteht darauf, daß alles Denken der Wahrheit in einem Kreise laufen muß, denn es setzt zuerst das voraus, was es beweisen will. Selbstverständlich kann das Denken, welches nicht auf Wahrheit

beruht, Wahrheit nicht denken. Das ist die allgemeine philosophische Formulierung des christlichen Anspruchs. Das christliche

520

Anhang

theologische Denken allein kann eine Deutung der Gnade geben, und nur möglich.

auf dieser Basis ist eine echte Fundierung

der Ethik

II. Theologische Interpretation

In diesem Falle läßt sich Gnade nicht als Gnadenerlebnis inter-

pretieren; im Gegenteil, die psychologische Erlebniskategorie muß kritisiert, abgeändert und durch die theologische Gnadenkategorie neu erklärt werden. Es ist von wesentlicher Bedeutung, daß Gnade nicht mit dem Menschen eins wird, um nur in irgendeiner glückseligen Erfahrung der Vereinigung mit Gott begriffen zu werden. Nein, die Gnade ist ihrem Wesen nach genau das Gegenteil von jedem Menschen und von jeder menschlichen Erfahrung der Werte und Güter. Jedes menschliche Bestreben, Gott zu erreichen, wird von ihr verurteilt als ein Versuch des Menschen, wie Gott zu sein, und als eine Rechtfertigung durch Werke, Ethik oder Religionen. Der Mensch fühlt sich sicher, er hat gewisse Mösglichkeiten gefunden, Gott in gesicherter Lage gegenüberzustehen; eben weil er religiös ist, weil er ethisch ist, weil er Gnade erlebt.

Die Selbstrechtfertigung vor Gott ist in diesem Falle die Grundlage der Religion und Ethik. Gnade macht alle diese Versuche

zunichte, sie vernichtet Religion und Ethik und Gnadenerlebnis und zeigt den Menschen auf allen seinen Wegen als einen Sün-

der, der die alleinige Herrlichkeit

Gottes

verletzt.

Gnade

ist das

völlige Gegenteil von allem menschlichen Bestreben, sonst wäre es keine vollkommene Gnade. Gnade verurteilt alles und vergibt alles. Das erstere ist für psychologische Begriffe genau so unvorstellbar wie das letztere; die Psychologie kennt nur Dinge, die verdammt, und Dinge, die vergeben werden müssen, aber sie

kann sich den Menschen nicht als völligen Sünder vorstellen, der

gleichzeitig völlig durch Gnade gerechtfertigt ist. Weil auf diese Weise das Wesen der Gnade rationales Begreifen übersteigt, kann die Gnade nicht erlebt, begriffen, gedacht werden, sondern kann

nur trotz aller Gnadenerlebnisse, die keine Gnade sind, geglaubt

werden. Gnade bezieht sich auf Glaube. Das bedeutet, daß Gnade unserem Fühlen, Denken usw. gegenüber immer transzende nt bleibt, und weiterhin, daß sich Gnade nie derartig durch oder in

menschlicher

Erfahrung

besitzen läßt,

daß ich sagen

könnte;

Übersetzungen

5241

Ich bin gesichert, denn ich besitze Gnade. Gnade muß mit jedem Augenblick neu geglaubt werden, denn sie ist nie statisch, objektiv, gegenständlich, sondern sie handelt, urteilt und vergibt immerfort, sie ist persönlich und nur durch diese Handlungen gegenwärtig; sie steht immer im Widerspruch zum Menschen, darum muß sie immer wieder neu geglaubt werden. Man könnte fragen: Ist dann nicht der Glaubensakt auch eine Art von religiösem Erlebnis? Die Antwort darauf lautet: Gewiß, der Glaubensakt ist eingebettet in religiöse Erfahrung und ganz

besonders „christliche Erfahrung“. Aber wir müssen dieses Erleben theologisch interpretieren: das bedeutet, daß nicht das Erlebnis des Glaubens an sich wichtig ist, sondern die Aktualität der Gnade;

das Erlebnis ist immer nur ein matter und unvermeidlicher Abglanz der ganz anderen Wirklichkeit der Gnade. Nicht weil wir christliche Erfahrung haben, unterscheidet sich der christliche Glaube ganz und gar von jeder anderen Religion, sondern weil wir innerhalb und gleichzeitig über dieses Erlebnis hinausgehend Gnade haben. Man

hört oft, daß gesagt wird: Wenn

Mensch

Gnade

alles ist und der

nichts, dann ergibt sich daraus ganz selbstverständlich,

daß alles sittliche Leben beseitigt ist. Aber dieses Argument

be-

deutet einen Rückfall in die psychologische Interpretation. Gnade ist nicht „alles“ in dem Sinne, daß ich sie ein für allemal besitze, daß ich ein für allemal gesichert sein kann. Gnade ist wesentlich „zukünftige Gnade“ und keine „bestehende und bleibende Gnade“. Das macht jede Art von menschlicher Sicherheit unmöglich, es zerstört alle Sicherheit — wie wir sie im Nomismus und Antino-

mismus gefunden haben —, aber das ist die einzige Grundlage für eine echte sittliche Lebensführung. Die Gnade befreit den Menschen von sich selbst (von seinem Vertrauen auf seine Religion, auf sein sittliches Leben usw.) und macht ihn frei für Gott und sein Wort. Sie weist jederzeit auf Gott selbst hin und gibt dem Menschen die einzig mögliche Grundlage, sittlich zu sein, nämlich Gott selbst. Der Mensch ist so lange frei als er auf Gott bezogen ist. Wenn in dieser Beziehung das ganze Dasein des Menschen wirklich berührt wird, dann muß sein Verhalten in der Welt ethisch sein; dann muß er sich so betragen, wie es der Realität der Gnade

entspricht.

Jede einzelne seiner sittlichen Entscheidungen

kann

falsch und sündhaft sein — so wie jedes einzelne Gnadenerlebnis falsch und sündhaft ist — aber dennoch lebt der Mensch im Glau-

522

Anhang

ben an seine Rechtfertigung und Heiligung; er kann niemals sagen: ich bin gut; er muß immer sagen: vergib mir meine Schuld, und er muß an seine Rechtfertigung glauben. In diesem Glauben wird die Gnade zur einzigen und neuen Grundlage des menschlichen Lebens gemacht, nicht als eine gegenständliche Gnade, die Nomismus und Antinomismus zur Folge hat, — sondern immer als zukünftige Gnade, die es mit sich bringt, daß der Mensch frei und gleichzeitig vor Gott verantwortlich wird. Nur wenn der Mensch allein an Gott gebunden ist, besteht eine echte Grundlage für das sittliche Leben. Dann wird dem Menschen aller Ruhm entrissen und Gott zurückgegeben; der Mensch steht im Gehorsam und im Dienste Gottes und das ist sein einziger und größter Ruhm. Jede andere Ethik macht den Menschen sicher und bricht zusammen, denn der Ruhm des Menschen als letzter Beweggrund der Ethik ist kein ethischer Beweggrund mehr; der Mensch wird zu seinem eigenen Sklaven. Nur die christliche

Gnadenauffassung macht den Menschen

frei vor Gott und ge-

währt dadurch die einzig mögliche Grundlage ethischen Lebens.

Zu S. 100

bis 109

Über die christliche Gottesvorstellung In dem vorliegenden Aufsatz möchte ich nicht vortäus chen, die christliche Vorstellung von Gott etwa in ihrer Ganzhei t darzulegen. Ich will nicht mehr versuchen, als den Rahmen zu geben, in dessen Grenzen man über diese Vorstellung nachden ken sollte. Die Tatsache, daß es für mich um die christliche Vorstel lung Gottes geht und nicht um allgemeine Spekulation, das heißt, daß mein Thema wesentlich dogmatisch ist, hat mich dazu veranlaßt, die folgenden Themen für die Diskussion auszuwählen: Erstens: die Realität Gottes im Hinblick auf das Problem der Erkenntnistheorie, Zweitens: Gott und Geschichte.

Drittens: der paradoxe Gott in der Rechtfertigungslehre, Der Zusammenhang zwischen diesen drei Themen und ein Vorwärtsschreiten vom ersten zum letzten Teil wird im Laufe der

Abhandlung deutlich werden.

Übersetzungen

523

1. Gott und das Erkenntnisproblem Wenn diese Untersuchung eine rein philosophische wäre, so würde es uns niemals gestattet werden, mit der Realität Gottes zu beginnen; und so lange wie die Theologie nicht ihre grundsätzliche Verschiedenheit gegenüber allem philosophischen Denken begreift, beginnt sie nicht mit einer Feststellung von der Realität Gottes, sondern versucht vielmehr, eine Stütze für eine solche Feststellung zu schaffen. Das ist in der Tat der Hauptfehler der Theologie, welche sich heutzutage nicht länger ihres besonderen Bereiches und ihrer Begrenzungen bewußt ist. Das ist nicht nur ein methodischer Fehler, sondern auch gleichermaßen von Anfang

an ein Mißverständnis der christlichen Gottesvorstellung. Philosophisches Denken versucht, von Voraussetzungen unabhängig zu sein, (wenn das überhaupt möglich ist); christliches Denken muß sich seiner besonderen Voraussetzung bewußt sein, das heißt, der Voraussetzung der Realität Gottes, die vor und über allem Denken ist. Im Schutze dieser Voraussetzung weist christliches

Denken nach, daß philosophisches Denken ebenfalls an eine Voraussetzung gebunden ist, nämlich daß Denken an sich Wahrheit schaffen kann. Aber philosophische Wahrheit bleibt doch immer eine Wahrheit, die sich nur innerhalb der Kategorie der Möglichkeit ergibt. Philosophisches Denken kann niemals über diese Ka-

tegorie hinausreichen, es kann nie in der Realität denken. Es kann eine Vorstellung der Realität schaffen, aber vorgestellte Realität ist keine Realität mehr. Das liegt daran, daß das Denken an sich ein geschlossener Kreis ist mit dem ego als Mittelpunkt. Für jede folgerichtige philosophische Betrachtung muß die letzte Wirklichkeit in einem ego liegen, welches außerhalb aller Vorstellung liegt, ein „nichtgegenständliches Ich“. Denken tut der Wirklichkeit Gewalt an, indem es sie in den Kreis des ego zieht und ihr die ursprüngliche „Objektivität“ nimmt. Denken bedeutet immer System, und das System schließt die Realität aus. Darum muß es sich selbst die letzte Wirklichkeit nennen, und in die-

sem System herrscht das denkende ego. Daraus ergibt sich, daß nicht nur der andere Mensch, sondern auch Gott selbst dem ego untergeordnet werden. Das ist die unvermeidliche Folge des idealistischen, und so wie ich es verstehe,

alles genauen philosophischen Denkens, welches versucht, autonom zu sein. Dieses Gebundensein des menschlichen Denkens an

524

Anhang

sich selbst, das heißt seine unvermeidliche Autokratie und Selbstverherrlichung, wie sie in der Philosophie gefunden werden, läßt sich theologisch als Geisteskorruption auslegen, die durch den ersten Sündenfall hervorgerufen wurde. Man muß sich den Menschen vor dem Sündenfall als einen Menschen vorstellen, der die Fähigkeit besaß, in Realität zu denken, das heißt Gott und den anderen Menschen als Realitäten zu denken. Der Mensch in und nach dem Sündenfall bezieht alles auf sich selbst, stellt sich in den Mittelpunkt der Welt, tut der Wirklichkeit Gewalt an, macht sich selbst zum Gott und Gott und den anderen Menschen zu seinen Geschöpfen. Er kann die Realität nie zurückgewinnen, weil er nicht mehr in Realität denkt; sein Denken bleibt in der Kategorie der Möglichkeit. Aber zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit gibt es keine Brücke. Möglichkeit läßt sich vorstellen und sogar beweisen, Wirklichkeit muß vor und jenseits allen Denkens schon vorhanden sein. Infolgedessen steht die Wirklichkeit jenseits des eigenen Ich, transzendent — aber wiederum nicht logisch transzendent, sondern wirklich transzendent. Die Wirklichkeit begrenzt von außen her meine Unbegrenztheit und dieses Außen läßt sich verstandesmäßig nicht mehr begreifen, sondern nur glauben. Das muß später erklärt werden. Darum beginnt die Theologie mit der Feststellung der Realität

Gottes und das ist ihr besonderes Recht. Aber dann erhebt sich

sofort die Frage: Wie kann die Theologie die Realität Gottes feststellen, ohne sie zu denken? Und wenn die Theologie sie denkt, wie läßt es sich vermeiden, daß Gott erneut in den Kreis des Denkens hineingezogen wird? Das ist die schwierigste Kernfrage einer echten theologischen Erkenntnislehre, welche an der christlichen Gottesvorstellung entspringt. Die Grundlage aller Theologie ist die Tatsache des Glaubens. Nur in dem Glaubensakt als actus directus läßt sich Gott als diejenige Realität erkennen, welche jenseits und außerhalb unseres Den-

kens, unseres ganzen Daseins steht. Darum ist die Theologie also

ein Versuch, das kundzutun, was durch den Glaubensakt bereits in unserem Besitz ist. Theologisches Denken ist keine a priori, sondern, wie Karl Barth behauptet hat, eine a posteriori Konstruktion. Darum muß es sich seiner Begrenzungen bewußt sein.

Als Denken per se ist es nicht ausgenommen von der Anmaßung

und der Grenzenlosigkeit alles Denkens.

Aber die Eigentümlich-

keit theologischen Denkens besteht darin, daß es sich seiner Un-

Übersetzungen

525

zulänglichkeit und seiner Begrenzungen bewußt ist. Darum muß

es sein wichtigstes Anliegen sein, diese Begrenzungen zu wahren und der Realität Gottes, welche sich niemals durch theologisches

Denken begreifen läßt, Platz zu machen. Das bedeutet, daß es

keine einzige theologische Feststellung gibt, welche es wagen könnte, die Wahrheit auszusprechen, ohne auf die Realität Gottes und auf die Unmöglichkeit, diese Realität in theologischen Feststellungen zu umfassen, hinzuweisen. Jede theologische Feststellung verallgemeinert. Aber Gott gestattet keine Verallgemeinerungen. Selbst ein Ausspruch wie „Gott ist Liebe“ ist letzten Endes nicht die Wahrheit über Gott; denn es ist keine Selbstverständlichkeit, daß ich auf Grund eines solchen Ausspruchs erwarten könnte, daß Gott Liebe ist. Im Gegenteil, Gott ist nicht nur Liebe, sondern auch Zorn, und das sollten wir ebenfalls wissen. Darum muß jede Feststellung in bezug auf das Wesen Gottes

diese beiden sich widersprechenden Aspekte enthalten, um der Realität Gottes Platz zu machen. Diese Realität, welche allem Denken gegenüber transzendent stehen soll, läßt sich nun genauer als „Persönlichkeit“ definieren. Die Transzendenz Gottes bedeutet nichts weiter, als daß Gott Persönlichkeit ist, vorausgesetzt, daß ein ausreichendes Verständnis für den Persönlichkeitsbegriff vorhanden ist. Der Idealismus definiert die Persönlichkeit als die subjektive Verwirklichung des objektiven Geistes, das heißt des absoluten Geistes. Jede Persönlichkeit leitet sich von demselben Geiste her, welcher letzten Endes die Vernunft ist. Jede Persönlichkeit ist insofern eine Persönlichkeit, als sie an der Vernunft Teil hat. Aus diesem Grunde kennt die eine die andere. Persönlichkeit ist kein Geheimnis und darum bedeutet eine andere Persönlichkeit keine wahre Begren-

zung für mich, denn letzten Endes steht mir genau wie dem anderen Menschen der Geist der Vernunft zur Verfügung. Im christlichen Denken bedeutet Persönlichkeit die äußerste Begrenzung des Denkens und die letzte Wirklichkeit. Nur die Persönlichkeit kann mir Halt gebieten, denn die andere Persönlichkeit hat ihre eigenen Forderungen und Ansprüche, ihr eigenes Ge-

setz und ihren eigenen Willen, welche sich von meinen eigenen unterscheiden und die ich als solche nicht überwinden kann. Die Persönlichkeit ist frei und teilt die allgemeinen Gesetze meines Denkens nicht. Gott als die vollkommen freie Persönlichkeit ist

darum völlig transzendent. Aus diesem Grunde kann ich nicht mit

526

Anhang

verallgemeinernden Worten über ihn sprechen, er ist immer frei und steht jenseits dieser Worte. Es muß die einzige Aufgabe mei-

nes theologischen Denkens sein, in jedem Ausspruch für die trans-

zendente Persönlichkeit Gottes Platz zu schaffen. Nur wenn er sich selbst zu einem menschlichen Wort bekennt, wo und wann immer es ihm gefällt, kann mein Ausspruch über Gott als Wahrheit anerkannt werden — das heißt nur dann ist mein Wort Gottes eigenes Wort. Aber die Frage ist die: Wo spricht Gott? Wo kann ich seine unnahbare Realität, welche für mein Denken so gänzlich verborgen liegt, finden? Wie kann ich etwas über seine vollkommen transzendente Persönlichkeit erfahren? Die Antwort wird und muß von Gott selbst gegeben werden, durch sein eigenes Wort in Jesus Christus, denn niemand außer Gott selbst in seiner geschichtlichen Selbstoffenbarung kann diese Frage beantworten, da niemand außer Gott selbst die Wahrheit sagen kann.

2. Gott und die Geschichte

Das Problem, das sich daraus für uns ergibt, ist verwickelt. Wir erkennen, daß es nur einen Weg gibt, von Gott zu sprechen, wenn nämlich Gott selber in der Selbstoffenbarung sein Wort spricht. Diese Selbstoffenbarung wird im Bereich der Geschichte vollführt. Kein Mensch kann Gott enthüllen, denn Gott ist eine völlig freie Persönlichkeit. Jeder menschliche Versuch, Gott zu offenbare n,

seine geheime Realität zu entschleiern, ist hoffnungslos zum Scheitern verurteilt, da Gott Persönlichkeit

ist. Alle diese Versuche

bleiben in dem Bereich der Idee. Persönlichkeit als Realität ist jenseits der Idee. Selbst die Selbstoffenbarung der Persönlichkeit

läßt sich nicht im Bereich der Ideen vollziehen. Die Idee liegt im Bereich der Verallgemeinerung. Persönlichkeit, da sie frei ist, existiert nur in der Einmaligkeit. Das einzige Gebiet, auf dem

sich Einmaligkeit finden lassen könnte, ist die Geschichte. Darum muß die Offenbarung der Persönlichkeit — das heißt die Selbst-

offenbarung Gottes — wenn überhaupt, dann in der Geschichte stattfinden. Dem Zeugnis der Bibel und der heutigen christlichen Kirche zufolge geschah das durch die Offenbarung Gottes in Chri-

stus. Gott sprach sein Wort in der Geschichte, jedoch nicht nur als eine Lehre, sondern als die persönliche Offenbarung seines

Übersetzungen Ichs. Darum

ist Christus

527

nicht der Lehrer

der Menschheit,

das

Beispiel aller Zeiten für religiöses und sittliches Leben, sondern die persönliche Offenbarung und Gegenwart Gottes in der Welt. Es

ist wichtig, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß nicht Jesus uns Gott offenbart (diese Meinung ergibt sich aus jeder Theologie, welche nicht im engsten Sinne eine Offenbarungstheologie ist, und sie führt zu einer höchst verwirrten Christologie), sondern daß Gott selbst sich in absoluter Selbstoffenbarung den Menschen enthüllt. Da Gott nur durch seine Selbstoffenbarung erreichbar ist, kann der Mensch Gott nur in Christus finden. Das schließt nicht aus, daß Gott auch anderweitig existiert, aber er kann und solite nur in Christus erfaßt und verstanden werden. Gott trat in die Geschichte ein und kein menschliches Bemühen kann ihn außerhalb der Geschichte greifen. Das ist der große Stein des Anstoßes für alles allgemeine religiöse Denken. Gott offenbarte sich in der Einmaligkeit der Jahre 1—30 in Palästina in Jesus. Der wichtigste Unterschied zwischen der sog. Offenbarung im Ideenbereich und der Offenbarung in Einmaligkeit liegt darin, daß der Mensch zu allen Zeiten eine neue Idee begreifen und sie in sein Ideensystem einordnen können wird; aber die Offenbarung in der Einmaligkeit, in einer historischen Tatsache, in einer historischen Persönlichkeit, stellt immer wieder eine neue Heraus-

forderung an den Menschen dar. Er kann sie nicht dadurch überwinden, daß er sie in das bereits bestehende System einbezieht. Aus diesem Grunde offenbart sich Gott in der Geschichte; nur so

wird die Freiheit seiner Persönlichkeit bewahrt. Die Offenbarung in der Geschichte

bedeutet

Offenbarung

in der Verborgenheit;

Offenbarung in Ideen, Prinzipien, Werten usw. bedeutet Offenbarung in der Öffentlichkeit.

Es wird später von dem Inhalt dieser Offenbarung die Rede sein. Das Christentum gibt uns einen’ neuen Geschichtsbegriff. Die idealistische Philosophie versteht unter der Geschichte die Verwirk-

lichung von Ideen, Werten usw. Die Geschichte wird zum Symbol, zur Transparenz für den ewigen Geist. Das Wesen einzelner historischer Tatsachen liegt darin, daß sie etwas Allgemeines dar-

stellen, aber nicht, daß sie etwas wirklich sind. Die Ernsthaftigkeit ontologischer Erwägungen wird geschwächt durch eine Neuauslegung in axiologischen Urteilen. Jesus wird hier zum Symbol für Gottes Liebe, sein Kreuz bedeutet Vergebung, und in dem

gleichen Augenblick, da wir wissen, was das alles bedeutet, kön-

528

Anhang

nen wir theoretisch die Tatsachen auf immer vergessen. Denn das

Faktum ist nur der vergängliche Träger ewiger Werte und Ideen, — das heißt Jesus ist nur der vergängliche Träger der allgemeinen neuen Wahrheit, die er dem Willen Gottes folgend lehrt. Kurz

gesagt, die idealistische Philosophie nimmt die ontologische Ka-

tegorie in der Geschichte nicht ernst. Und das bedeutet, daß sie die Geschichte nicht ernst nimmt. Das ist nicht nur insofern wahr, als es sich um eine Auslegung der christlichen Offenbarung handelt, sondern gleichermaßen überall; und es wird besonders auffällig in der Interpretation des anderen Menschen, des Nächsten, das heißt, der Geschichte der Gegenwart. Wir können hier diesen Punkt nicht weiter verfolgen. Tatsache ist, daß das Christentum eine neue Geschichtsinterpretation mit sich bringt. Geschichte in ihrem Wesen geht nicht in unser System von Ideen und Werten ein. Im Gegenteil, sie setzt uns unsere Grenzen. Geschichte muß letzten Endes ontologisch interpretiert werden. Die wahre Haltung des Menschen gegenüber der Geschichte besteht nicht in einer Interpretation, sondern in der Verwerfung oder Anerkennung, das heißt in der Entscheidung. Geschichte ist nichts weiter als ein Ort der Entscheidung. Entscheidung in ihrem innersten Wesen ist nur als Entscheidung für oder gegen Gott möglich. Die Entscheidung wird in der Begegnung mit Christus getroffen. Innerhalb der Ideenwelt gibt es keine Entscheidung, weil ich in mir immer bereits die Möglichkeit trage, diese Ideen zu verstehen. Sie fügen sich in mein System ein, aber meine Gesamtexistenz berühren sie nicht und fordern sie nicht heraus. Darum können sie mich nicht in die Lage einer persönlichen Entscheidung bringen.

3. Der paradoxe Gott der Rechtfertigungslehre

Hier kommt es zur schärfsten Auseinandersetzung über die christ-

liche Gottesidee. Sie erscheint in Form einer Frage nach der An-

wendung dieser höchst objektiven Gottesidee auf den Menschen —

und das ist unbedingt nötig, wenn die ganze Behandlung nicht nur im metaphysischen Bereich bleiben soll. Wenn Gott allein die Wahrheit aussprechen kann und ich mit meinem ganzen Denken in meinen eigenen Begrenzungen bleibe ohne die Möglichkeit, Gott zu erreichen, wie kann ich dann überhaupt irgend etwas über

Übersetzungen

529

Gott wissen? Außerdem müssen wir einige Kenntnis von Gott haben, wenn das Christentum der Welt eine Botschaft zu verkündigen haben soll. Der Weg zu dieser Erkenntnis liegt in der Tat. Ich kann Gott nur erkennen, wenn ich eine Tat ausführen kann, — einen Akt, der es mir ermöglicht, meine eigenen Begrenzungen zu überschreiten, der mich aus dem Kreis meines Selbst hinausführt, so daß ich den transzendenten Gott erkennen kann. Während es ganz einleuchtend ist, daß ich selber eine solche Tat nicht vollbringen kann, wurde dennoch eine solche Tat von Gott selbst vollbracht, eine Tat, welche wir „Glauben“ nennen. In meinem Glauben offenbart sich Gott durch Christus in mir. In seiner Selbstoffenbarung in Jesus Christus läßt er sich erkennen. In meinem Glauben spricht niemand außer Gott, denn sonst wäre es nicht die Wahrheit. Das Wort Gottes, das in meinem Glaubensakt in Christus zu mir gesprochen wird, ist Gott in seiner Offenbarung als der Heilige Geist. Der Glaube ist nichts weiter als Akt des Empfangens dieses Wortes Gottes. Gott bleibt immer ganz und gar Subjekt und die Antwort des Menschen kann nie mehr sein als: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Mk 9, 24). Gerade hier kommen die Persönlichkeiten von Gott und Mensch miteinander in Berührung. Hier überschreitet Gott selbst seine Transzendenz und gibt sich als Heiliger Geist dem Menschen. Da er jedoch Persönlichkeit ist, verbleibt er in absoluter Transzendenz. Die Immanenz Gottes bedeutet, daß der Mensch Gottes eigenes Wort hört, welches in völliger Selbstoffenbarung und immer

von neuem gesprochen wird. Es ist wichtig zu beachten, daß wir den Begriff des Glaubens nur von dem strengen Begriff der Selbstoffenbarung Gottes her verstehen können und das, ohne die Frage nach dem Inhalt dieser Offenbarung berührt zu haben. Die formale Vorstellung von der

Selbstoffenbarung hat die Glaubensvorstellung als Ergänzung, ganz gleich, was der Inhalt der Selbstoffenbarung sein mag. Der Glaube richtet sich zuerst auf die Autorität Gottes aus, nicht auf den Inhalt seines Wortes, ob es nun verständlich oder unverständlich

ist. Die Autorität verleiht dem Wort Gewicht, nicht umgekehrt. In der christlichen Botschaft wird dieses besondere Verhältnis zwi-

schen Autorität und Inhalt dadurch ausgedrückt, daß man sagt, daß letzterer nicht nur ein Anhang zum ersteren ist, sondern daß

der Inhalt selbst die Botschaft von der einzigartigen Autorität

530

Anhang

Gottes darstellt. Wenn wir deshalb beginnen, den Wortlaut der Selbstoffenbarung Gottes zu interpretieren, werden wir sehen, daß dieser Inhalt nur die Entfaltung der Tatsache der absolute n Selbst-

offenbarung und Autorität Gottes darstellt.

Gott trat in Jesus in die Geschichte ein, und zwar so vollstän dig, daß er nur durch den Glauben in seiner Verborgenheit erkannt

werden kann. Durch das Kreuz Christi gibt Gott uns einen erstaunlichen Beweis seiner einzigartigen Autorität. In dem gleichen Augenblick, da Christus am Kreuze stirbt, stirbt die ganze Welt

in ihrer Sündhaftigkeit und wird verdammt. Das ist das letzte

Urteil Gottes über die Welt. Gott selber stirbt und offenbart sich in dem Tod eines Menschen, der als Sünder verdammt wird. Genau das ist die Torheit der christlichen Gottesvorstellun g, welche von allem echt christlichen Denken seit Paulus, Augusti nus und Luther bis hin zu Kierkegaard und Barth bezeugt worden ist. Gott ist dort, wo Tod und Sünde sind, nicht dort, wo Rechtschaffenheit ist. Außerdem muß hinzugefügt werden, daß das absolute Wissen um die Sündhaftigkeit der Welt oder des einzelnen Individuums ein Glaubensurteil ist. Ohne Glauben kann niemand wissen, was Sünde ist. Er kann es nicht vermeiden, Sünde mit moralischer Unvollkommenheit zu verwechseln, und das stellt ein schweres Mißverständnis dar, Aber das Kreuz wäre nicht die Offenbarung Gottes, wenn ihm nicht die Auferstehung Christi folgte. Mit dem Tode und der Auferstehung Christi ist die alte Welt der Rechtsc haffenheit tot. Wer in Christus lebt, ist eine neue Kreatur. Sowohl die Auferstehung Christi wie auch die Auferstehung des Mensch en war und ist nur durch den Glauben zu verstehen. Gott bleibt in seiner Verborgenheit. In Christus sind alle Menschen entwed er verdammt oder ins Leben zurückgerufen, und es ist das Werk Gottes, des Heiligen Geistes, diesen allgemeinen Zustand, in dem sich alle Menschen befinden, auf den einzelnen zu übertragen. Dieser Akt der Übertragung ist ein Glaubensakt — das heißt jenes Glaubens, welcher darauf vertraut, daß Gottes Wort in Christus für sich Gültigkeit besitzt; oder, in anderen Worten, der Akt der Rechtferti-

gung.

Hier wird dem Glauben des Christen das paradoxe Wesen Gottes sichtbar. Rechtfertigung ist reine Selbstoffenb arung, nur Weg von Gott zum Menschen. Keine Religion, keine Ethik, keine metaphy-

sische Erkenntnis kann dem Menschen eine Annäh erung an Gott

Übersetzungen

531

bieten. Sie stehen alle unter dem Gericht Gottes, sie sind Menschenwerke. Nur durch das Bekenntnis, daß Gottes Wort allein

hilft, daß jeder andere Versuch sündhaft ist und bleibt, wird Gott empfangen. Und dieses Bekenntnis muß von Gott gegeben werden als der Heilige Geist, als Glaube. Das ist die Torheit der Offenbarung Gottes und ihr paradoxes Wesen — daß gerade dort, wo die Kraft des Menschen völlig versagt hat, wo der Mensch um seine eigene Schwäche, Sündhaftigkeit und infolgedessen um Gottes Urteil über ihn weiß, daß gerade dort Gott bereits in Gnade wirkt, daß es eben gerade dort und nur dort Vergebung, Rechtfertigung, Erneuerung gibt. Dort, wo der Mensch nicht weiter weiß, ist Gott, und Gott allein wirkt im Gericht und in Gnade. Dort, an den äußersten Begrenzungen des Menschen, steht Gott, und wenn der Mensch nichts mehr tun kann, dann tut Gott alles. Die Rechtfertigung des Sünders — das ist der Beweis für die einzigartige Autorität Gottes. Und in dieser Rechtfertigung wird der Mensch durch den Glauben zu einer neuen Persönlichkeit, und hier erkennt er, was er vorher nie verstehen oder glauben konnte, — daß Gott sein Schöpfer ist. Im Akt der Rechtfertigung offen-

bart sich Gott als Heilige Dreieinigkeit.

Die „Theologie der Krisis“ und ihre Haltung gegenüber der Philosophie und Naturwissenschaft Es ist ein methodischer Unterschied, ob man bei einer Prüfung jemanden nach Dingen fragt, die er vermutlich weiß, oder ob man versucht, die Grenzen seines Wissens festzustellen, indem man

ihm Fragen stellt, die er höchstwahrscheinlich nicht so gut beantworten kann. Das modernere und zumindest für den Prüfling bei weitem angenehmere erzieherische Prinzip ist die erstere Form der Fragestellung. Barth scheint jedoch heutzutage ein Opfer der anderen Prüfungsweise zu sein, und so ist es nicht nur seine Schuld, wenn das Ergebnis dieser Prüfung nicht so zufriedenstellend sein wird, wie es sein könnte. Barth hat sich niemals auf

eine Prüfung in Naturwissenschaft oder Philosophie vorbereitet, sondern

hat immer

auf ein ganz

anderes

und unterschiedliches

Wissensgebiet hingearbeitet, nämlich das der christlichen Theolo-

Zu S. 110

bis 126

532

Anhang

gie. Das heißt, Barth hat jederzeit ausschließlich und intensiv über den /o6yog od nachgedacht und — vielleicht erscheint das unserer alles einschließenden und umfassenden Denkungsart seltsam genug — er fand unter diesem Thema so viele verschiedene und höchst bedeutsame Probleme, daß er sich kaum

durch die Verschiedenheit

zahlloser anderer Probleme

gefesselt

fühlte, ehe er nicht die Reichhaltigkeit seines eigentlichen Arbeitsbereiches der Theologie in ihrem engeren Sinne durchdacht

hatte.

Nun beantwortet die Theologie natürlich nicht jede Frage in der ganzen weiten Welt, aber da sie zumindest eine Frage zu beantworten sucht, nämlich die Frage nach Gott, schließt sie eine bestimmte Haltung allen anderen Fragen gegenüber in sich ein. Das muß zugegeben werden, obwohl noch gezeigt werden muß, daß sowohl die dieser Haltung innewohnenden Möglichkeiten wie auch ihr konkreter Charakter ein Problem von außerordentlicher Schwierigkeit darstellen. Um Ihren Eindruck nicht zu verwirren , will ich Ihnen in dieser Arbeit hauptsächlich die Haltung des Begründers und selbständigsten Denkers der Krisentheologie, Karl

Barths, darlegen. Die Unterschiede zwischen ihm und Fr. Gogar-

ten und Emil Brunner werden sich besser auf kürzere Weise er-

klären lassen, wenn die Diskussion uns darauf bringen sollte.

Da Barth niemals eine umfassende Behandlung unseres Problems veröffentlicht hat, werden wir einige seiner einzelne n Außerungen benutzen müssen und versuchen, die verbind enden Linien

seines ganzen Denkens darzulegen, welche Barth manchma l selbst nicht gezeigt hat. Indem wir auf einen Mann wie Karl Barth sto-

ßen, nachdem wir ein halbes Jahr lang über das Problem des Verhältnisses zwischen Kosmologie, Philosophie und Theologie

nachgedacht haben, muß ich bekennen, daß die einzig mögliche

Weise, durch die Sie in wirklichen Kontakt mit seinem Denken kommen können, mir darin zu liegen scheint, daß Sie zumindest diese eine Stunde lang alles vergessen, was Sie im Zusammenhang

mit diesem Problem zuvor gelernt haben. In Barths Theologie

haben wir nicht eine der unzähligen Variant en

zur Lösung

dieses Problems seit den Scholastikern über Kant bis hin zu Bergson oder Dewey, sondern wir stehen hier an einem gänzlich anderen

und neuen Ausgangspunkt für den ganzen Problemkreis. Wir stehen in der Tradition von Paulus, Luther, Kierkegaard, in der Tradition genuin christlichen Denkens. Wir tun Karl Barth Un-

Übersetzungen

533

recht, wenn wir ihn für einen Philosophen halten; er ist es nicht und behauptet auch nicht, einer zu sein; er ist einfach ein christlicher Theologe. Zumindest muß klar gemacht werden, was wir sein wollen: christliche Theologen oder Philosophen. Wenn wir in diesem Punkte Unklarheit bestehen lassen, so bedeutet es, daß wir auf jeden Fall keine christlichen Theologen sind. Denn der christ-

liche Theologe muß die echte und unveränderliche Voraussetzung seines ganzen Daseins kennen, welche der Philosoph nicht anerkennt: die Voraussetzung der Offenbarung Gottes in Christus, oder subjektiv gesehen, die Voraussetzung des Glaubens an diese Offenbarung. Zwei Fragen ergeben sich: 1. Was bedeutet diese Voraussetzung im Sinne Karl Barths? 2. Wodurch wird eine solche Voraussetzung notwendig? Erstens, die Bedeutung der angemessenen Voraussetzung christlicher Theologie liegt darin, daß Gott durch Jesus Christus in die Geschichte eintrat und sich in dieser Offenbarung der Welt zu erkennen gab. Das Wort oder der Wille Gottes — Gott selber — ward Fleisch. Aber die Offenbarung Gottes in Christus war sowohl eine Offenbarung seines Gerichtes wie seiner Gnade. Das Kreuz

Christi ist das Gericht Gottes über die Welt, Christi Auferstehung ist seine Gnade. Das heißt, die Offenbarung Gottes in Christus ist keine Offenbarung einer neuen Moralität, neuer ethischer Werte, keine Offenbarung eines neuen Imperativ, sondern eine Offenbarung des realen Handelns Gottes für die Menschheit in der Geschichte, eine Offenbarung eines neuen Indikativ. Es ist kein neues: du mußt, sondern ein: du bist. Mit anderen Worten, die Offenbarung Gottes vollzieht sich nicht im Ideenbereich, sondern im Bereich der Realität. Die Wichtigkeit dieses Unterschiedes muß

später erklärt werden. Die Tatsache, daß Gott selbst in die Welt kommt, überzeugt die Welt von der Unmöglichkeit, durch eigene Anstrengung zu Gott zu kommen; die Tatsache, daß Gottes Weg in der Welt zum Kreuz führt, daß Christus als Sünder verdammt am Kreuz sterben muß, überzeugt die Welt davon, daß diese Unmöglichkeit zu Gott zu gelangen ihre Verdammnis, ihre Sünde und ihre Schuld ist. Die Tatsache der Auferstehung Christi beweist der Welt, daß Gott allein gerecht und mächtig ist, daß ihm das letzte Wort gehört, daß nur durch einen Akt seines Willens die Welt erneuert werden kann. Schließlich überzeugt die Tatsache,

daß der Heilige Geist noch immer zu den Menschen kommt und

534

Anhang

die Herzen der Menschen noch immer mit der Botschaft von Christi Tod und Auferstehung bewegt, die Welt davon, daß Gott noch immer Gott und die Welt noch immer die Welt ist und daß Gottes Wort in Christus auf ewig Gottes Wort ist. Kurz gesagt, die Tatsache, daß Gott in Christus in die Welt gekommen ist, öffnet der

Welt die Augen dafür, daß hier im Leben des Jesus von Nazareth Gott auf ewige Weise

für die Menschheit

wirkt, daß die Ent-

scheidung über die Welt durch sein Leben gefällt wird und daß

in dieser Entscheidung Gott alles und der Mensch nichts ist. Dennoch macht gerade die Tatsache, daß Gott wirklich in die Geschichte eintrat, ihn für das menschliche Auge unsichtbar. Wenn

die Offenbarung eine Offenbarung neuer Ideen gewesen wäre,

neuer moralischer Imperative, dann wäre es eine Offenbarung, die jeder auf Grund seines eigenen Ideals oder ethischer Voraus-

setzungen als solche erkennen könnte; denn dann hätte sie ihren

Platz im Bereiche allgemeiner Wahrheiten, welche sich durch ihre Allgemeingültigkeit für den menschlichen Geist von selbst er-

geben. Das ist die Auffassung von der Offenbarung in anderen Religionen und in unserem modernen liberalen Denken. Die Ge-

genstände der Offenbarung sind Ideen, welche, so nimmt man an, unserem tiefsten Sein, dem Guten im Menschen, geistesverwandt

sind. Die christliche Auffassung von der Offenbarung ist das di-

rekte Gegenteil dieser Anschauung; sie ist Offenbarung nicht in Ideen, sondern in historischen Tatsachen, nicht in Imperativen, sondern in Indikativen; nicht in der Allgemeinheit, sondern in

Einmaligkeit. Sie ist Offenbarung nicht weil sie unserem tiefsten

Wesen geistesverwandt ist, sondern weil sie gänzlich außerhalb unserer ganzen Existenz steht. Denn hätte sie sonst offenbart werden müssen, wenn sie bereits zuvor potentiell in uns geschlummert hätte? Die Tatsache von Gottes Verkörperung in Christus,

von Christi Leiden und Tod und von seiner Auferstehung ist die

Offenbarung Gottes. Aber wer ist denn schon bereit, in diesen Tatsachen Gottes Wort zu erkennen? Wer wäre nicht durch die Torheit eines solchen Anspruches verletzt? Gott offenbart am Kreuz; Gott offenbart inmitten der Geschichte, in Sünde und Tod — ist diese Botschaft es wert, von einem Weisen gehört zu werden, der wirklich einen edleren und stolzeren Gott erfinden könnte? Karl Barth findet

die Bibel voll von Zeugnissen über die Ungeschicklichkeit und

Torheit

der Offenbarung

Gottes:

„Selig ist, der sich nicht an

Übersetzungen

535

mir ärgert“, sagt Jesus; und Paulus: „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die...“ „Es gefiel Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben...“ „Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit...“ „denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind...“ „sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt... auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme“ (Mt 11, 6; 1. Kor 1). Das alles bedeutet, daß Gottes Offenbarung in Christus eine Offenbarung in Verborgenheit und Heimlichkeit ist. Jede andere sog. Offenbarung ist Offenbarung in der Öffentlichkeit. Aber wer

kann nun die Offenbarung in Verborgenheit erkennen? Niemand anders als jene, denen Gott selbst dieses ganz geheime Mysterium seiner Offenbarung in Schwachheit enthüllt; niemand anders als

jene, denen Gott den Glauben schenkt, welcher sich nicht verletzt fühlt, sondern welcher Gottes Gericht und Gnade inmitten menschlicher Schwäche, Sünde und Tod sieht, wo der Mensch sonst nur Gottlosigkeit finden kann; jener Glaube, der gerade dort Gott dem Menschen am nächsten findet, wo ein Mensch am Kreuz in Verzweiflung stirbt, mit dem lauten Ruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15, 34). Und der römische Hauptmann, welcher ihm gegenüber stand und ihn so rufen hörte und den Geist aufgeben sah, sagte: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen“ (Mk 15, 39). Das ist die wahre Welt biblischen Glaubens, welche Gottes Wirken nicht auf den Höhen, sondern in den Tiefen der Menschheit sieht. Und weil der Glaube Gott in Christus findet, findet er Gott, den Gott dieses Christus, in dem Leben des Menschen selbst, in seiner menschlichen Sünde, Schwäche und Tod als Gericht und Gnade. Gott selber läßt den Menschen diese Geheimnisse seiner Offenbarung sehen: so wie Christus nach dessen Bekenntnis zu Petrus sagt: „Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel“

(Mt 16, 17). So führt alles auf Gottes eigenen Ratschluß, auf seine freie Vorherbestimmung zurück. Er kommt, wohin er will, und er

verwirft, wenn es ihm gefällt. Denn er ist unabhängig und frei. Auf diese Weise versucht Barth, die Welt biblischen Denkens le-

bendig zu machen. Er sieht, daß alles in der Bibel auf Gottes alleinige Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Urteil und Gnade hinweist. Das gerade ist die Logik der Bibel, daß das Kommen Gottes alle

536

Anhang

menschlichen Versuche, zu ihm zu gelangen, scheitern läßt, daß es alle Moralität und Religion verdammt, durch welche der Mensch versucht, Gottes Offenbarung, Gottes alleinige Wahrheit und sein Wort überflüssig zu »machen, welches immer wieder neu gesprochen werden muß; Gott, der nicht zu der höchst moralischen und frommen Gruppe der Pharisäer und Schriftgelehrten kommt, sondern zu jenen, die in öffentliche Sünde verstrickt waren. „Wahr-

lich ich sage euch: die Zöllner und Huren mögen wohl eher ins

Himmelreich kommen denn ihr“ (Mt 21, 31). Hier wird jede menschliche Ordnung und Rangeinteilung umgestoßen, denn Gottes neue Ordnung ist aufgerichtet worden, welche allem menschlic hen

Verstehen widerspricht und darüber steht. Sie überzeugt den Men-

schen in allen seinen schlechten und guten Taten von seiner Gottlosigkeit. Das Kommen Gottes in Christus ist Gottes eigener Beweis, daß der Mensch nicht zu Gott kommen kann; das heißt, Gottes Kommen in Christus muß das Gericht über die Welt sein;

mit anderen Worten: es zeigt dem Menschen seine Grenzen, wel-

che genau dort beginnen, wo Gottes Werk anfängt. Darum beginnt Gottes Wirken am Menschen nicht als eine Fortsetzung und Ver-

vollkommnung

seines höchsten,

wenn auch,

wie jeder ehrliche

Mensch zugeben wird, unvollkommenen Strebens, wie Religion und Moralität, sondern es beginnt im Gegenteil mit der unumstößlichen Begrenzung des Menschen; es beginnt bei den Grenzen des Menschen, das heißt bei Sünde und Tod. Dieser Akt der

Begrenzung des Menschen ist Gottes Gnade und Gericht in einem,

denn der begrenzte Mensch ist der gerichtete Mensch. Gleichzeitig wird der begrenzte Mensch, wenn er Gott alle Gerechtigkeit und allen Ruhm überläßt, durch Gottes Wirken und Gnade allein gerechtfertigt. Das Bekenntnis seiner Begrenzu ng vor Gott ist

Glaube, nicht als ein möglicher Akt des Menschen, sondern nur

als ein Akt Gottes, welcher dem Menschen

diese Grenzen

setzt und offenbart. Das ist die Botschaft der Rechtfert igung allein durch Gnade oder Glauben. Aber die Offenbarung Gottes in der Rechtfertigu ng durch Glauben und

Gnade schließt es in sich, daß die Fortda uer des Menschen immer eine Fortdauer in Sünde ist, — daß er aus eigener Kraft niemals aus dem Kreise der Sünde herausbrechen kann; denn sonst wäre Gnade nicht Gnade und Rechtfertigung wäre unnötig. Offenbarung in Christus und Rechtf ertigung bedeuten Durchbrechung des Sündenkreises. Darum ist Gottes erstes Wort

Übersetzungen

537

ein radikales Durchbrechen aller Kontinuität mit dem Menschen in seinem radikalen Urteil über den Menschen als Sünder; Gottes Gnadenhandlung ist die Schaffung eines neuen Menschen, mit dem Gott in Kontinuität bleibt. Da allein die Offenbarung in

Christus den Anspruch erhebt, das wirkliche Jenseits des Menschen auszumachen, ergibt sich, daß sie das einzige Kriterium jeglicher Offenbarung ist. Da dieser Anspruch sich seinem Wesen nach jenseits jeden Beweises stellt, will er entweder als Voraussetzung allen Denkens angenommen oder gänzlich verworfen sein. Vielleicht ist es zu selbstverständlich, um noch erwähnt werden zu müssen, daß als Folge dieser Vorstellung von der Offenbarung die Frage nach Gründen für den Glauben an Gott überflüssig ist,

da sie einen Widerspruch enthält. Denn welchen besseren Grund braucht man, welch besserer Grund ist möglich als Gottes Wort an sich? Jede Theologie, die sich dieser petitio principii schämt, muß sich auch für den schämen, der ihr eigentliches Wesen ausmacht. Damit, so glaube ich, besitzen wir die Hauptvoraussetzungen, welche für jedes Verständnis von Barths Haltung gegenüber allen anderen Problemen unentbehrlich sind. Die Kategorie, welche Barth in ihrem striktesten Sinn in die Theologie einzuführen versucht und die sich allem allgemeinen Denken und besonders dem religiösen Denken so widersetzt, ist die Kategorie des Wortes Gottes, der Offenbarung direkt von oben herab, von jenseits des Menschen, im Einklang mit der Rechtfertigung des Sünders durch Gnade. Die Theologie ist die wissenschaftliche Betrachtung dieser Kategorie. Aber hier gerade beginnt die Schwierigkeit. Wissenschaftliche Betrachtung ist auf allgemeine, formale Voraussetzungen für das Denken gegründet. Da diese Voraussetzungen sich nicht aus dem Gegenstand theologischen Denkens herleiten lassen — gerade weil er niemals wirklich Objekt wird, sondern immer Subjekt bleibt — und da sie andererseits in diesem Objekt-Subjekt gefunden werden müssen, wenn sie überhaupt ausreichend sein sollen, so wird hier der tiefste Widerspruch in

der Aufgabe der Theologie deutlich. Im Grunde ist es die große Antithese zwischen Gotteswort und Menschenwort, zwischen Gnade

und Religion, zwischen einer rein christlichen und einer allgemein religiösen Kategorie, zwischen Wirklichkeit und Interpretation. In jeder theologischen Darlegung müssen wir notwendiger-

weise gewisse allgemeine Denkformen anwenden. Die Theologie

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Anhang

hat diese Formen mit der Philosophie gemein. Darum muß es unsere nächste Aufgabe sein, das Verhältnis zwischen Theologie

und Philosophie im Hinblick auf den Gebrauch allgemeiner philosophischer Denkformen im Bereich der Theologie zu untersuchen. Nehmen wir folgendes Beispiel: Theologisches Denken, welches sich auf die allgemeine Vorstellung von Substanz und Akziden z gründet (und mir scheint, daß zumindest unser westliche s Denken niemals imstande sein wird, diese fundamentale Vorausse tzung völlig zu überwinden, schon allein wegen der grammat ischen Konstruktion unserer Sprachen nicht), diese Denkungsweise, so behaupte ich, wird zum Beispiel die Sünde entweder als Substanz im Menschen oder als Akzidenz ansehen. Den orthodo xen Dogmatikern erschienen beide Begriffe in ihrer reinen Form als un-

zureichend für den Sündenbegriff. Die Folge davon ist, daß die Tatsache der Sünde entweder mit einander widersprechend en

Ausdrücken nach der Art substantiellen Denkens dargestel lt wird, wie es nach der berühmten Auseinandersetzung mit Flacius Illyricus von orthodoxen Vertretern getan wurde, oder daß man nach anderen voraussetzenden Denkformen Ausschau hält, z.B. nach einer dynamisch-voluntaristischen Denkweise, wenn man

das überhaupt als eine echte Denkweise ansehen kann. Die Ge-

schichte der Theologie besteht zu einem großen Teil aus einer fortwährenden Suche nach angemesseneren Denkfor men, um die Tatsachen der Offenbarung auszudrücken. Zwei große christliche Kirchen haben in einer langen geschichtlichen Entwicklung durch genaues und ernstes Nachdenken ihre Denkformen endgültig fest-

gelegt; beide sind auf das System von Substanz und Akzidenz ge-

gründet, die griechisch-orthodoxe Kirche mehr in platonischer, die römisch-katholische Kirche mehr in aristotel ischer Interpreta-

tion. Es scheint, daß seit kurzer Zeit eine Bewegun g innerhalb

des Benediktinerordens versucht, diese alte Denkform zu modifizieren, das wird besonders deutlich an moderne n katholischen Theorien über das Opfer im Heiligen Abendma hl.

Luther erkannte die Unzulänglichkeit der scholastischen Denkform für eine Interpretation der Tatsachen der Offenbarung. Er

sieht eine große Gefahr in dem Begriff der Substanz, da er die Offenbarung statisch machen und sie ihrer tatsächlichen Leben-

digkeit berauben könnte. Luther findet, daß in der Kirche der Gnade ein derartiges statisches Wesen katholischen zugeschrieben

Übersetzungen

539

wird, welches die Gnade in die Hände des Menschen legt. Darum ist die ganze falsche Auslegung der Rechtfertigungslehre innerhalb der katholischen Kirche eng mit ihrer grundsätzlichen Denkform verbunden. Luther selbst hat keine eigene philosophische Terminologie entwickelt. Zweifellos ist seine Denkform wesentlich dynamisch-voluntaristisch, womit er einer Tradition folgt, die von Paulus über Augustinus und die Mystiker zu ihm gelangte.

Aber sehr oft fällt er selbst in die substantielle Denkform zurück (z. B. in seiner Christologie), und man muß zugeben, daß es dem Protestantismus noch immer an einer eigenen philosophischen Terminologie mangelt.

Der orthodoxe Protestantismus nahm die alte substantielle Denkform wieder auf, und es war Kant, welcher ihre Unmöglichkeit aufdeckte und sie durch eine Transzendentalphilosophie ersetzte. Die theologische Ausdrucksweise vom 19. Jahrhundert an bis auf

den heutigen Tag war nicht so sehr auf die kantische als auf eine idealistische Philosophie gegründet, selbst wenn die betreffenden Theologen sich dieser Tatsache nicht bewußt waren. Ritschl, in dessen Theologie ich in Berlin aufwuchs, konnte mit seinem Ver-

such, die Theologie von falschen metaphysischen Voraussetzungen zu befreien, keinen Erfolg haben, weil er die christliche Kategorie der Offenbarung nicht durchdacht hatte, — wie es an seiner Christologie und an seiner Lehre von Sünde und Rechtfertigung deutlich wird.

Endlich gibt es dann noch eine realistische Philosophie, die der Theologie ihre Dienste anbieten könnte. Dieser Lage sieht sich nun Karl Barth gegenüber, wenn er nach einer philosophischen Terminologie für seine Theologie Ausschau

hält. Er ist sich der Tatsache jedoch sehr wohl bewußt, daß, wenn er sich einer gewissen philosophischen Terminologie bedient, die Theologie unauflöslich mit einer ganzen Philosophie verbunden ist. In seinem Römerbrief und in seinen späteren Schriften

benutzt Barth die philosophische Terminologie Kants und der Neokantianer in Marburg, und er ist sich dieser Tatsache bewußt. Wie alles in Barths Denken geschieht auch das in engster Verbindung mit der Lehre von der Rechtfertigung allein durch Glauben und Gnade, und das werden wir erklären müssen. Drei Fra-

gen müssen beantwortet werden: 1. Worin besteht für Barth die Aufgabe der Philosophie im allgemeinen?

540

Anhang

2. Welche Art von Philosophie ist angemessen für die christlic he Vorstellung von der Rechtfertigung durch den Glauben? 3. Was ist von einem theologischen Gesichtspunkt aus gesehen

wahre Philosophie? '

1. Es ist immer die Aufgabe der Philosophien gewesen, eine Interpretation der allgemeinen Prinzipien des Universums zu geben, im Einklang mit einigen als wahr anerkannten Prinzipien. Philosophische Interpretation erhebt den Anspruch darauf, wahr zu sein, selbst wenn sie sich skeptisch verhält. Genauer ausgedrückt: das Prädikat „wahr“ kann im Grunde nur auf die In-

terpretation angewandt werden, und jede Philosophie ist Inter-

pretation, ganz gleich ob sie idealistisch oder realistis ch ist. Die

Aussage: Hier ist ein Tisch, ergibt sich für das philosop hische

Denken keineswegs von selbst. Was bedeutet denn „hier“, HiIStH und „Tisch“? Idealismus genau wie kritischer Realism us und selbst der Behaviorismus, so wie ich sie verstehe, geben zu, daß nur „der naive Realismus“ versucht, die Verflochtenheit des Problems außer

acht zu lassen, und daß er schwerlich als eine philosophische Hal-

tung angesehen werden kann. Aber selbst der kritische Realismus muß noch immer seine logische Folgerichtigkeit gegenüber dem superlogischen Recht des Idealismus beweisen . So lange, wie die Philosophie sich mit der bloßen Wahrheitsfrage zu befassen hat und nicht mit einigen willkürlichen Behaupt ungen, ist die logische Folgerichtigkeit eine wesentliche Vorauss etzung jeder relevanten Philosophie. Barths Theologie war von Anfang an mit einem energischen Angriff gegen den Idealism us verbunden. Hier

wird das ego nicht nur als ein nachdenkendes, sondern sogar als ein schöpfer

isches ego gefunden; es schafft sich seine eigene Welt. Das ego steht im Mittelpunkt der Welt, welche von ihm wiederum

geschaffen, beherrscht und unterdrückt wird. Die Gleichstellung

des ego mit dem Urgrund aller Dinge, welcher Gott genannt wurde, ist unvermeidlich. Für das ego bestehen keine Grenzen; seine Macht und sein Anspruch sind unbeschränkt; es setzt sich seinen eigenen Maßstab. Alle Transzendenz wird hier in den Kreis des schöpferischen ego einbezogen (welches natürlic h nicht mit dem empirischen ego verwechselt werden darf). Der Mensch erkennt sich selbst sogleich im Akt, wenn das ego zu sich selbst kommt, und er erkennt durch sich im wesentlichen alles, selbst Gott. Gott ist im Menschen; Gott ist der Mensch selbst. In dieser Philosophie entdeckten Barth und seine Freunde den radikalsten, ehrlich-

Übersetzungen

541

sten und folgerichtigsten Ausdruck aller philosophischen Bemühung als solcher. Obwohl der Realismus den Anspruch darauf erhebt, der transzendenten Realität Raum zu lassen, so ist er uns doch noch den Beweis schuldig, den er uns natürlich niemals liefern kann, näm-

lich daß seine Definition der Realität nicht seine eigene Interpretation der Realität ist. So lange wie der Realismus in diesem Punkte versagt, muß die transzendente Wirklichkeit auf das interpretierende ego verwiesen werden, welches die Realität darstellt und welches, obwohl es diese Tatsache bestreitet, weiterhin

der Mittelpunkt der Realität bleibt. Das ego kennt die Realität, es kennt sich selber, es ist im Grunde autonom. Allem Denken liegt die Notwendigkeit eines Systems zugrunde. Denken ist im wesentlichen systematisches Denken, weil es auf sich selbst beruht, es ist der letzte Grund und das Kriterium seiner selbst. System bedeutet Interpretation des Ganzen durch das Eine, welches sein Grund und sein Mittelpunkt ist, nämlich das denkende ego.

Der Idealismus erkannte und bestätigte das als den Beweis für die Autonomie und Freiheit des Menschen. Der Realismus versucht, dieser Konsequenz auszuweichen und scheitert. Nur eine einzige Philosophie erkennt diese Tatsache und erklärt, daß sie die endgültige und wesenhafte Begrenzung des Menschen sei. Barth und seinen Freunden zufolge ist das das Wesen der kantischen Philosophie. Es sollte unbedingt beachtet werden, daß Barth und seine Freunde sich hierbei nicht so sehr um eine vollständige Darstellung der vielfältigen Seiten von Kants Philosophie bemühen, sondern daß sie versuchen, dasjenige herauszuwählen, was ihnen die wichtigste Richtung in Kants Denken scheint. Kant wollte weder Idealist noch Dogmatiker genannt werden; er hält sie beide für gleich unhaltbar. Seine Philosophie ist kritische oder transzendentale Philosophie. „Transzendental“, wie Knittermeyer und andere deutlich bewiesen haben, bedeutet für Kant nicht, daß es Transzendenz in sich schließt, sondern daß es auf die Trans-

zendenz hingerichtet ist. Das Denken ist kein Akt, der jeweils Transzendenz in sich schließt, sondern Transzendenz selber geht niemals in erkennt sich niemals, indem es zu sich bleibt sich selbst immer transzendent,

der auf sie hinweist. Die das Denken ein. Das ego selber kommt, sondern es weil es niemals statisch-

objektiv ist, sondern immer handelt. Ebenso erreicht das Denken niemals

die Transzendenz

seines

Gegenstandes,

sondern

richtet

542

Anhang

sich immer nur darauf hin, weil Transzendenz niemals Gegenstand sein kann. Das ist für Kant die tiefe Bedeutung des „Ding an sich“ und der transzendenten Apperzeption. Das Denken ist eingeschränkt und steht in der Mitte zwischen zwei Transzendenzen, auf welche es sich bezieht, aber welche immer transzendent bleiben. In dem gleichen Augenblick, da die Idealisten das „Ding an sich“ beiseite schoben, war Kants kritische Philoso-

phie vernichtet. Die Philosophie des reinen Aktes erwies sich als

eine neue Ontologie, eine Tatsache, welche Hegel klar erkannte. Kant hatte versucht, das menschliche Denken zu begrenzen, um es neu aufzurichten. Aber Hegel erkannte, daß Grenzen nur von außerhalb dieser Grenzen aufgerichtet werden können. Auf Kant angewendet bedeutet das, daß sein Versuch, Vernunft durch Vernunft zu begrenzen, voraussetzt, daß die Vernunft bereits die Grenzen überschritten haben muß, ehe sie sie aufrichtet. So erweist sich Kants kritische Philosophie selber als ein Versuch des Menschen, sich die Grenzen zu setzen, um die Grenzenlosigkeit seines Anspruchs zu vermeiden, aber die Tatsache bleibt bestehen, daß das Denken sich nie selber Grenzen setzen kann; indem es sich selber Grenzen setzt, etabliert es sich selbst. Denken an sich ist grenzenlos; es zieht alle transzendente Realität in seinen Kreis hinein.

Die letzte Schlußfolgerung aus dieser Erkenntnis ist von E. Grisebach gezogen worden (und auf der anderen Seite von Martin Heidegger). Grisebachs Frage ist die Frage nach der Realität. Er erkennt, daß das Denken als ein seinem Wesen nach systemat isches Denken der Realität Gewalt antut, indem es sie in den Kreis der Egozentrik hineinzieht. Systematisches Denken bleibt von der Realität weit entfernt. Realität ist nur in der ganz konkreten Lage der ethischen Begegnung von Mensch zu Mensch gegeben. Dann muß das Denken aufgegeben werden, um der Reali-

tät Raum zu schaffen. Grisebachs Philosophie ist die letztmög liche Kritik des Denkens auf sich selbst hin, aber sogar hier bleibt

das Denken das beherrschende und wesentliche Element für die Welt der Realität. Denn die Begrenzung des Denkens ist eine Ge-

dankenbegrenzung. Das ist der unvermeidliche Kreislauf aller Philosophie. Hier an den Grenzen, wo die Philosophie versucht, sich

auszuschalten, und sich dennoch etablieren muß, wo die Philosophie zu ihrer eigenen Krise kommt, sind wir auf unsere zweite

Frage vorbereitet,

nämlich welche philosophische Terminologie

Übersetzungen

543

ausreichend sein könnte für eine Offenbarungstheologie, für eine

Theologie der Rechtfertigung durch den Glauben, kurz für Barths Theologie. 2. In der wesentlichen Grenzenlosigkeit des Denkens, in dem Anspruch des Denkens, ein geschlossenes System darzustellen, in dieser Egozentrik sieht Barth eine philosophische Bestätigung der

theologischen Einsichten der Reformatoren, die sie mit den Worten cor curvum

in se, corruptio mentis ausdrückten. Der Mensch

im status corruptionis ist wahrhaftig allein, er ist sein eigener Schöpfer und Herr, er ist wahrhaftig Mittelpunkt seiner Welt der Sünde. Er machte sich selbst zum Gott und Gott zu seinem Geschöpf. Die Tatsache, daß die grundlegende Frage der Philosophie notwendigerweise auf diese Situation hinführt, beweist die tiefste Gottlosigkeit des Menschen, selbst in seinen tiefgründigsten philosophischen Vorstellungen von Gott. Der Mensch bleibt sein eigenes Selbst, in seinem Denken genau so wie bei seinen ethischen und religiösen Unternehmungen. Die Welt des Menschen ist eine Welt der Egozentrik, der Gottlosigkeit. Die Tatsache, daß

die Philosophie im wesentlichen diese Situation bestätigt, indem sie, selbst wenn sie das bestreitet, den Menschen ohne weiteres zum Gott seiner Welt erhebt, zeigt sowohl, daß es der Philosophie unmöglich ist, die Situation richtig zu beurteilen, als auch,

daß die Philosophie den gefährlichsten Griff nach Gott darstellt, um Gott gleich zu sein und damit den Menschen durch seine eigene Kraft in seiner Gottlosigkeit zu rechtfertigen. Wir fragen: Kann der Mensch überhaupt irgend etwas tun, um diese verhängnisvolle Situation zu überwinden? Kant glaubte

noch, daß die kritische Philosophie durch Begrenzung der Vernunft durch die Vernunft dem Glauben Raum schaffen konnte. Aber er scheiterte. Barth erkannte, daß es keinen Ausweg gibt. Der Mensch muß trotz der Philosophie in seiner Sünde sterben; er muß in seiner überwältigten und mißdeuteten Welt allein blei-

ben. Aber hier kommt nun die christliche Botschaft. Völlig von jenseits der Welt der Sünde kam Gott selbst in Jesus Christus als Heiliger Geist. Er bricht in den Kreis des Menschen ein, nicht als eine neue Idee, ein neuer Wert, mit dessen Hilfe der Mensch sich selber retten könnte, sondern in der greifbaren Realität als

Urteil und Vergebung der Sünde, als Verheißung einer eschatologischen Erlösung. Gott gibt sich dem Menschen, der in seinem ganzen Dasein ein Sünder ist, zu erkennen. Das ganze Dasein des

544

Anhang

Menschen in seiner egozentrischen Welt muß erschüttert werden, ehe der Mensch Gott als eine Realität jenseits seines Ichs erkennen kann. Darum kann es keine Zuschauer-Bekanntschaft mit Gott geben, sondern der Mensch kann nur im Akt der Verzweiflung an sich selbst Gott durch den Glauben erkennen. Die idealistische und realistische Philosophie haben es unterlassen, Begriffe zur Beschreibung dieser Tatsachen zu prägen. Und dennoch findet Barth bei beiden noch Elemente, welche von der Theo-

logie benutzt werden könnten. Der Idealismus sieht Gott als das

ewige Subjekt, der Realismus sieht die Realität als ein transzendentes Objekt. Barth kann seine Vorstellung des transzendenten Gottes mit Worten von Gottes wesenhafter Subjektivität und seine Vorstellung vom Kommen Gottes zum Menschen in der Geschichte mit Worten von Gottes höchst objektiver Realität ausdrücken. Aber er weiß, daß beide Formulierungen im Grunde unzureichend sind, da sie von einer gottlosen Philosophie herrühren. Barths eigene Schriften gründen sich auf Kantische Terminologie. Hier findet er die Kritik des Denkens über das Denken ausgesprochen; hier findet er den Menschen nicht im vollen Besitz der Transzendenz, sondern im unaufhörlichen Akt der Bezugnahme auf Transzendenz gesehen; er findet den Menschen nicht in der Grenzenlosigkeit, sondern in der Begrenztheit. Obwohl Barth weiß, daß sogar diese Philosophie in der Grenzenlos ig-

keit verbleibt, erkennt er hier den Versuch der Philosophie, sich

selbst von innen her zu kritisieren, und er übernimmt diese Terminologie, um die ewige Krisis des Menschen in Worte zu fassen,

die ihm durch Gott in Christus auferlegt ist und die jenseits al-

len philosophischen Verständnisses liegt. Barth erkennt, daß es überhaupt keine christliche Philosophie oder philosophische Terminologie gibt. Darum kann er behaupten, daß es kaum etwas ausmacht, welcher Philosophie ein Theologe anhängt, sondern daß alles davon abhängt, wie fest er sein Augenmerk auf die Kategorie vom Worte Gottes und auf die Tatsache der Offenba-

rung und der Rechtfertigung durch den Glauben gerichtet hält.

3. Jetzt kann auch unsre dritte Frage beantwortet werden: Was sollte nach Ansicht von Barth und seinen Freunden die Aufgabe der Philosophie sein? Barth selbst hat diese Frage nicht ausreichend beantwortet, aber seine Freunde haben eingehend über diese

Frage nachgedacht. Die Philosophie bleibt eine profane Wissenschaft; es gibt keine christliche Philosophie. Aber die Philoso phie

Übersetzungen

545

muß kritische und nicht systematische sein. Da jedoch sogar die

kritische Philosophie systematisch sein muß (wie wir zuvor gesehen haben), muß die Philosophie in Erkenntnis dieses Verhängnisses arbeiten; sie muß versuchen, in Hinblick auf die reale Existenz des Menschen Wahrheit zu denken und zu sehen, daß sie selbst ein Ausdruck der wirklichen Existenz des Menschen ist; sie muß wissen, daß sie durch eigene Kraft den Menschen nicht nur niemals erlösen, sondern auch nicht einmal die Krisis des Menschen

sein kann.

Indem

sie das tut, schafft

sie soweit

wie mög-

lich Raum für die Offenbarung Gottes, welche sich allerdings selber durch ihr Dasein Platz schafft. Der tiefste Widerspruch scheint mir in der Antinomie zwischen dem reinen Akt und der Reflektion zu liegen — oder wie die alten Dogmatiker sagten: dem actus direktus und reflectus. Gott wird nur im reinen Akt der direkten Bezugnahme auf Gott erkannt; die Theologie und Philosophie werden durch Reflektion ausgeübt, in welche Gott nicht hinabsteigt. Die Philosophie bleibt im Grunde in der Reflektion stehen. Der Mensch kennt sich und Gott nur in der Reflektion; die Theologie kennt wenigstens einen Akt Gottes, der den Menschen aus dieser Reflektion in einen actus directus zu Gott hin zerrt; hier erkennt der Mensch sich und Gott nicht, indem er in sich selbst hineinschaut, sondern indem er auf das Wort Gottes blickt, welches ihm verkündet, daß er ein Sünder ist und trotzdem gerechtfertigt sei, was er vorher nie begreifen konnte. Wenn Luther sagte: pecca fortiter, sed crede fortius, so könnte Barth

sagen: reflecte fortiter, sed crede fortius. Im Hinblick auf die Naturwissenschaft braucht nicht viel hinzu-

gefügt zu werden. So weit die Wissenschaft eine Entdeckung von geschehenen Tatsachen darstellt, wird die Theologie nicht von ihr berührt (weil die Theologie sich nur mit einer bestimmten Deutung der Tatsachen befaßt). Wenn die Wissenschaft ihre eigene Weltdeutung gibt, dann gehört sie in den Bereich der Philosophie und unterliegt der Kritik durch die Theologie. Der Versuch der Kosmologie, das heißt einer genetischen Deutung der Welt auf Grund der Naturwissenschaften, kann niemals über die Grenzen menschlichen Denkens hinausreichen. Die Kosmologie mag zu der Annahme eines letzten Grundes der Welt gelangen und mag ihn „Gott“ nennen; im Namen der christlichen Theologie können wir dazu nur sagen, daß dieser Gott keinesfalls der Gott der Offenbarung und der Schöpfer ist. Zwei Gründe müssen dafür

546

Anhang

angegeben werden: erstens, ich kann Gott ohne die Offenbarung in Christus nicht als den Schöpfer anerkennen. Denn wenn

Gott

der Schöpfer ist, so bedeutet das, daß er auch der Richter und

Erlöser ist; und das alles weiß ich nur durch Christus. Zweitens: Schöpfung bedeutet Schöpfung aus völliger Freiheit, Schöpfung aus dem Nichts. Daher ist das Verhältnis Gottes zur Welt vollkommen frei; es wurde und wird immer wieder neu (creatio con-

tinua) durch Gott hergestellt. Dieser Gott ist nicht die erste Ur-

sache, der letzte Grund der Welt, sondern ihr freier Herr und Schöpfer. Als solcher kann er nicht von irgendeinem Kosmologen entdeckt werden, sondern er offenbart sich in unumschränkter Freiheit wo und wann immer er will. Die Welt ist von Gott abgefallen; darum ist sie die Welt der Sünde, des Bösen, des Todes. Kein menschliches Bemühen kann das Zerbrochene wieder zusammenfügen, kein Denken, kein sittlicher Akt, keine Religion. Nur ein Akt von Gott selbst kann bewirken, was kein Mensch

zu tun vermag. Gott hat die zerbrochene und widersprüchliche

Welt wieder vereint. In Christus sind der Tod, das Böse und die Sünde durch eine für den Glauben erkennbare Tat Gottes überwunden worden, und am Ende aller Dinge wird Gott den Menschen seine Macht über den Tod und die Sünde offenbaren. Durch einen Akt seiner Macht wird er dieses Problem des Todes, des Bösen und der Sünde lösen. Unser Denken in Form einer Theodizee versucht, Gott in der Welt zu rechtfertigen. Aber christlicher Ansicht nach rechtfertigt Gott die Welt, und das ist durch Christus geschehen. Darum erkennen

wir nun durch Christus den Schöpfer und Erhalter und Herrn der

Welt und in der Welt; und nur durch Christus sehen wir, daß die Welt in Gottes Händen liegt. Von Christus getrennt, leben wir in unserer eigenen überwältigten und egozentrischen Welt, die nicht

die Welt Gottes ist. Hier am Ende stehen wir genau dort, wo wir am Anfang standen,

und das kann auch gar nicht anders sein. Denn alles ist in Gottes Offenbarung durch Christus in die Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben und die Gnade allein mit einbezogen. Und muß die Antwort auf alles nicht dort zu finden sein, wo Gott selber ist? In der folgenden Diskussion werden wir Barth keine Gerechtigkeit widerfahren lassen können, wenn wir nicht jeden Gedan-

ken auf seine theologische Voraussetzung, die Rechtfertigung durch den Glauben, beziehen.

Übersetzungen

547

William James: Arten religiöser Erfahrungen.

Kapitel XX.

Zu S. 127

bis 129

Im letzten Kapitel seiner großen und umfassenden Studie über die Arten religiöser Erfahrung gibt William James eine kurze Zusammenfassung und zieht seine systematischen Schlüsse. Nachdem James den überwältigenden Reichtum, die Mannigfaltigkeit und die Leistungsfähigkeit religiöser Erfahrung beobachtet hat, bleibt ihm nichts mehr als zu versuchen, das in seine eigene Welt-

anschauung einzuordnen. Es ist für seine ganze Art zu denken unmöglich, daß ein Erfahrungskomplex von so weitreichender Ge-

wichtigkeit

kein endgültiges

Recht

und

endgültige

Bedeutung

haben sollte. In der Absicht, die rechte Interpretation dieses Faktums ausfindig zu machen, abstrahiert James die am stärksten allgemein-religiösen Vorstellungen von ihrem nebensächlichen Inhalt und faßt diese wie folgt zusammen: 1. Die erste Vorstellung: daß die sichtbare Welt ein Teil von einem überwiegend spirituellen Universum ist,

2. daß Vereinigung mit diesem höheren Universum wahr ist, 3. daß Gebet ein Vorgang getan wird.

ist, innerhalb

dessen wirklich etwas

Diese Überzeugungen werden von folgenden psychologischen Merkmalen begleitet: 1. eine neue Lust, die sich selbst vermehrt Leben,

als eine Zugabe zum

2. eine Gewißheit von Sicherheit und eine Friedensstimmung. Nach einer kurzen Ausführung über die Notwendigkeit vieler religiöser Typen wendet sich James der Frage zu, ob die Religion nur ein Überbleibsel primitiven Denkens ist und ob die Wissenschaft nun ihren Platz einnimmt. James verneint dies, indem er

ausführt, daß Wissenschaft lediglich mit allgemeinen Vorstellungen und Abstraktionen umgeht, die konkrete individuelle Erfahrung aber ausläßt. Wissenschaft ist unpersönlich, Religion aber persönlich. Hier behauptet Religion das Feld und geht tiefer als die Wissenschaft, denn sie hat ihren Grund im Gefühl des Menschen; und „die Winkel des Gefühls sind die einzigen Stellen in der Welt, in denen wir die wirklichen Tatsachen im Prozeß

der Entstehung

erhaschen“.

Deshalb muß

die Religion in der

548

Anhang

menschlichen Geschichte eine ewige Rolle spielen. James fährt dann fort und unterscheidet ein subjektives und ein objektives Recht der Religion. Er stellt fest, daß der religiöse Mensch subjektiv genug daran hat, wenn er seinen Gott gebrauchen kann, wenn Gott für ihn arbeitet, so daß er nach seiner realen Existenz nicht mehr fragt. Jedoch nur diese Frage würde das Problem des

objektiven Rechtes der Religion beantworten. James nimmt die

Antwort dieser wichtigsten Frage in zwei Schritten in Angriff: Erstens, gibt es einen gemeinsamen Kern aller Religionen? Zweitens, ist das einmütige Zeugnis der Religion wahr? Zum ersten reduziert James Religion auf zwei allgemeinste Erfahrungen: 1. ein Gefühl von Unbehagen, 2. seine Auflösung, seine Befreiung. Die zweite Erfahrung beschreibt James in folgender Weise: Der Mensch wird sich bewußt, daß sein besseres Ich in Kontinuität steht mit einem Mehr von derselben qualitas, welche im Universum jenseits seiner selbst am Werke ist. „Nun stellt sich die Frage: Was ist die objektive Wahrheit an diesem Gefühl eines ‚Mehr‘ ...2“ An dieser Stelle führt James das unterbewußte Selbst ein als vermittelnden Begriff zwischen Wissenschaft und Religion. Hiermit wird der Kontakt mit der Wissenschaft bewahrt, aber zugleich eine Erklärung und Rechtfertigung der religiösen Erfahrung als einer Realität jenseits des Selbst gegeben. Tatsache ist, daß die bewußte Person in Kontinuität steht mit einem umfassenderen Selbst, durch welches heilende Erfahrungen kommen.

Nachdem er dieses Minimum religiöser Wahrheit dargestellt hat,

beschreibt James, was er seinen eigenen „Überglauben“ nennt; das bedeutet: einen Glauben, welcher wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen ist. Er behauptet, daß zumeist das Interess anteste

und Wertvollste an einem Menschen sein Überglauben ist, obwohl er vermutet, daß die meisten seiner Leser seinen Überglauben als

einen traurigen Unterglauben ansehen werden. Darauf stellt er seine Vorstellung von einem großen Bewußtsein dar, in welchem wir alle unseren Grund haben, aus welchem unsere besten Antriebe kommen — und er nennt dieses Sein, das sich durch seine Akte als real erweist, Gott. „Wir und Gott haben miteinander

geschäftlich zu tun.“ „Wo Gott ist, dort ist die Tragödi e nur

noch vorläufig und nur noch teilweise vorhanden“ Sein Gott ist nicht allmächtig noch ist er eine bloße Idee; er ist eine wirk-

same Macht in der Welt und nur dies rechtfertigt Religion . Der

letzte Beweis von Gottes objektiver Existenz liegt in seiner Ak-

Übersetzungen

549

tivität; eine Welt mit Gott ist in der Tat eine andere Welt als eine Welt ohne Gott. In einem sehr merkwürdigen Nachwort bekennt James seinen Glauben an eine gewisse Art von Polytheismus und an etwas, was er einen stückweisen Supranaturalismus nennt. Das ist nur verständlich als eine religiöse Konsequenz seines philosophischen Pluralismus. Kritische Fragen: 1. Es stimmt nicht, wenn man behauptet, daß das religiöse Individuum sich nicht so sehr um die Realität Gottes kümmere als um seine Wirksamkeit. Natürlich ist die Realität Gottes für die meisten religiösen Menschen keine philosophische Frage, sondern eine Grundüberzeugung. 2. Im Blick auf den Begriff „Unterbewußtsein“ muß gefragt werden: Wenn das Unterbewußtsein für die religiöse Erfahrung des Jenseits ausreichend sein soll, dann muß es wirklich als jenseits der individuellen Person liegend angesehen werden. Wenn es aber nicht wirklich jenseits ist, dann ist die religiöse Erfahrung des Jenseits eine Illusion; wenn es tatsächlich jenseits ist, dann scheint mir der Begriff Unterbewußtsein irre zu leiten und man muß fragen, warum wir nicht sagen: Gott — aber das würde natürlich erweisen, daß der offenbare Kontakt mit der Wissenschaft illusionär ist. So scheint es mir unmöglich zu sein, einen vermittelnden Begriff zwischen Religion und Wissenschaft zu finden.

NACHWEISE

Kapitel I 5.15.16

8517,22

Bonhoeffer an R. Seeberg, 20. Juli und 10. Oktober 1928. Origi-

nale im Bundesarchiv, Nachlaß Reinhold hier gekürzt wiedergegeben.

Seeberg, Nr. 60. Briefe

R. Seeberg an Bonhoeffer, 19. Oktober 1928 und 7. April 1931.

Originale maschinengeschrieben beim Herausgeber. Bonhoeffer an A. v. Harnack, 13. Juli 1928 und 18. Dezember 1929. Originale beim Nachlaß A. v. Harnacks in der Berliner Staatsbibliothek, Kasten Nr. 27. Briefe hier gekürzt wiedergeeben. S. 20 Esch an Bonhoeffer, 18. Februar 1931. Original beim Herausgeber, handschriftlich. S. 23, 24 Bonhoeffer an K. F. Bonhoeffer, 12. Januar 1933 und 14. Januar 1935. Aus Abschriften beim Herausgeber, Original e bei der Familie. Bonhoeffer an Rüdiger Schleicher, 8. April 1936. Original bei der Familie. Bonhoeffer an Th. Litt, 22. Januar 1939, Bonhoeff ers eigene Kopie beim Herausgeber.

Bonhoeffer an Leibholz,

7. März

1940. Originalentwurf

beim Herausgeber bei den Briefen Bonhoeffers an die Eltern. Brief ging wahrscheinlich in Abschrift zur Umschreibung und Weiterbeförderung nach England an E. Sutz in die Schweiz. S.37 Bonhoeffer an unbekannte Frau, März 1940?. Ein kürzerer und ein längerer handschriftlicher Entwurf beim Herausgeber. S. 44 Bonhoeffer an Frau Vibrans, 5. März 1942. Abschrift nach dem Original von Frau L. Bethge, geb. Trebesius, ehem. Frau Vibrans (jetzt Frankenroda bei Eisenach) zur Verfügu ng gestellt. Bonhoeffer an E. Wolf, 24. März 1942. Dieser Briefausschnitt aus einem nicht aufgefundenen Brief Bonhoeffers ist zitiert in einem Briefwechsel zwischen H. Asmussen und E. Wolf im März 1942. Abschrift davon befindet sich im Archiv W.Niemö ller, Bielefeld. Kapitel II

Thesen zur Promotion. Gedruckte Exemplare (Buchdruckerei Emil Ebering, Mittelstraße 29, Berlin) beim Herausgebe r.

Nachweise

Grundfragen

551

einer christlichen Ethik. Handgeschriebene

Manu-

S. 48

skripte der drei Gemeindevorträge in Barcelona beim Herausgeber: Themen und Daten siehe Seite 16, Anm. 2. Gedächtnisrede für A. v. Harnack (} 10. Juni 1930). Bonhoeffer S.59 sprach auf der Trauerfeier der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nach den Reden von H. Lietzmann und der Minister Schmidt-Ott, Dr. Wirth, Grimme und Dr. Krüß. Bonhoeffers Rede wurde sogleich gedruckt im Protestantenblatt, 63. Jhg. (1930), Nr. 26, Seite 402—403; außerdem in „A. v. Harnack zum Gedächtnis“, Reichsdruckerei Berlin 1930, Seite 15—16. Nachgedruckt in Axel von Harnacks Auswahl von Reden seines Vaters 1951 „Adolf von Harnack, Ausgewählte Reden und Aufsätze“, De Gruyter, Berlin 1951.

Antrittsvorlesung 31. Juli 1930. Schreibmaschinenmanuskript mit

S. 62

handschriftlichen Korrekturen und Zeichen Bonhoeffers beim Herausgeber, 21 Seiten, Seite 20 fehlt. Kapitel III Charakter und ethische Konsequenzen ... Handschriftliches Original beim Herausgeber. Handschriftliche Beurteilung wahrscheinlich von Reinhold Niebuhrs Hand (auf erster Seite). The religious experience... Handschriftliches Original beim Herausgeber. Auf Seite 17 Reinhold Niebuhrs handschriftliche Beurteilung (Übersetzung von Mrs. I. Duncan). Concerning the christian idea of God. Handschriftliche Arbeit mit Titel „The Christian Idea of God“ beim Herausgeber. Häufi-

ge handschriftliche Randbemerkungen

wahrscheinlich

Ss

S. 100

von Prof.

Lyman. Die Arbeit erschien im Druck in „The Journal of Religion“, Vol. XII, Nr. 2, April 1932, Seite 177—185, Chikago Ill.

(Übersetzung von Mrs. I. Duncan). The theology of crisis... Handgeschriebenes Vortragsmanuskript im Original beim Herausgeber. Auf der letzten Seite (11) handschriftliche Notiz Paul Lehmanns: „Omnis recta dei cognitio ab obedientia nascitur (Inst. I)“ (Übersetzung von Mrs. I. Duncan).

5. 110

Kapitel IV Besprechung

W. James...

Handschriftliches

Vortragsmanuskript

5.127.

beim Herausgeber. Arbeit bei Prof. Lyman. Friedrich

Parpert,

Das Mönchtum...

Aus

„Deutsche

Literatur-

S. 130

552

Anhang

zeitung“, 13. Dezember 1930, Heft 50, Seite 2356—2358, nachgedruckt. S#132 C. Cordes, Der Gemei nschaftsbegriff ... Nachgedruckt aus Theologische Literaturzeitung, 57, Jhg., 1932, Nr. 10, Sp. 235—236, S. 134 Robert Jelke, Vernunft und Offenbarung. Nachgedruckt aus Theologische Literaturzeitung, 57. Jhg., 1932, Nr. 24, Sp. 563-565 (19. November 1932). S. 138 Karl Heim, Glaube und Denken. Nachgedruct aus „Christent um und Wissenschaft“, 8, Jhg., 12. Heft (Dezember 1932), Seite 444— 454,

Kapitel V S. 160

Thesenfragmente ... Sechs handgeschr iebene Seiten beim Herausgeber.

S. 166

Christologie-Vorlesung. Vom ursprünglichen Manuskript hat sich gefunden. Nachschriften stellten danke nswerterweise zur Verfügung H. Enterlein (jetzt Frau Schönherr) durch Herbert Jehle (USA), nichts

H. Gadow, G. Riemer, W. D. Zimm ermann und K. Hunsche. Eine Durchsicht nach seinen Aufzeichnungen unternahm ©. Dudzus, desgleichen half Dietrich Ritschl. Die Verantwortung für die kombinierte Formu lierung dieses Textes tragt der Herausgeber. Es handelte sich um ein zweistündige Vorlesung im Sommer 1933 in Berlin, der ganze Stoff wurde wahrscheinlich in 18 Vorlesungsstunden vorgetrage n. S. 243 Was soll der Student der Theol ogie... Aufsatz für das „Literatur verzeichnis für die Vorlesungen an der Universität Berlin und an der Hochschule für Politik, Berlin Wintersemester 1933/34“, hrsg. von der Buchhandlung Collignon, ohne Seitenzahlen. Kapitel VI Glaubst du, so hast du... Nachdruc k aus Monatsschrift für Pastoraltheologie, 28. Jhg. (1932), Heft 5/6, Seite 167—172. Maschinenschriftliches Manuskript mit klein en Korrekturen von der Hand F. Hildebrandts beim Herausgeber, S. 258 Das Recht auf Selbstbehauptun g. Handgeschriebenes Vortragsmanuskript beim Herausgeber. Dabei Ankündigungszettel der Vortragsreihe H. Lilje, D. Bonho effer und Stolzenburg an der Technischen Hochschule durch den Studentenseelsorger und die DCSV-Charlottenburg. S. 248

Nachweise

553

Dein Reich komme... Handschriftlicher Vortragsentwurf Herausgeber. Nachgedruckt aus Heft 78 „Stimmen aus der schen christlichen Studentenbewegung“ Furche-Verlag 1933, 29—42; Neudruck in Furche-Bücherei, Hamburg 1957, Nr. Seite 5—20.

beim deutSeite 146,

. 270

Was ist Kirche? Maschinenmanuskript beim Herausgeber. Nach-

. 286

gedruckt

aus

„Der

Vormarsch“,

Evangelische

Monatsschrift

für

Politik und Kultur, hrsg. von G. Kunze und Fritz Söhlmann, Leipzig, Jhg. 3, Heft 1 (Januar 1933), Seite 8—10.

Acht Thesen über die Jugendarbeit... Mit Kopierstift beschrie-

2292

benes Blatt beim Herausgeber.

Kapitel VII Christus in den Psalmen. Handgeschriebenes Vortragsmanuskript, unvollendet. Schlußgedanken auf einem Blatt mit Bleistiftnotizen von Bonhoeffers Hand; Nachschrift dieses Teiles nach dem Kollegheft des Herausgebers. Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte. Handgeschriebenes Vortragsmanuskript beim Herausgeber. Schlußteil des Manuskriptes ist verloren gegangen, hier rekonstruiert nach dem Kollegheft des Herausgebers. Sichtbare Kirche im NT, Vervielfältigte und abgezogene Beilage zum Finkenwalder Rundbrief, dem gelegentlich Stücke aus Bonhoeffers Vorlesung, welche die Nachfolge behandelte, beigelegt wurden.

Hier Exemplar

aus

dem Besitz R. Grunows;

a294

. 303

2325

es handelt

sich um die Kollegbeilage zum 3. oder 5. Brief aus Finkenwalde, siehe GS II, Seite 461 oder 466.

Konfirmanden-Unterrichtsplan. Handgeschriebenes Vortragsmanuskript beim Herausgeber. Sätze über Schlüsselgewalt. Vervielfältigte und abgezogene Blät-

2335 . 369

ter von einer Freizeit mit Bekenntnispfarrern der Provinzen Sachsens und Pommerns in Finkenwalde vom 18. bis 22. Mai 1937.

Thema: Kirchenzucht. Mehrere Abzüge (mit Thesen und Vorträgen anderer Referenten) beim Herausgeber. Kapitel VIII

Theologische Briefe... Abgezogene Exemplare der pommerschen Rundbriefe

beim

Herausgeber.

„Weihnachten“,

„Epiphanias“,

. 382

554

Anhang

„Ostern“, „Himmelfahrt“, „Von der Dankbarkeit“ bereits gedruckt in Unterwegs 1949, Heft 6, Seite 325—331; 1950, Heft ], Seite 2—3; 1950, Heft 2, Seite 66—-71. „Von der Dankbarkeit...“ handgeschriebenes Manuskript, ebenso von „Von der Herrlichkeit des Wortes“ und „Theologie und Gemeinde“ beim Herausgeber. Briefwechsel zwischen Baumann, Onnasch und Bonhoeffer vom 12. März

S. 426 S. 431

1940,

21. März

1940,

März

1940

und

21. Mai

im Original im Archiv Wilhelm Niemöller, Bielefeld.

1940

Der beste Arzt. Kopie des Aufsatzes von R. Weckerling zur Ver-

fügung gestellt. Zur Tauffrage. Durchschlag von Bonhoeffers Gutachten-Manuskript beim Herausgeber. Ebenso ein vervielfältigtes Exemplar von Hitzers Arbeit (45 abgezogene Seiten). Bereits gedruckt in Unterwegs 1948, Heft 6, Seite 3—13.

Kapitel IX S. 455

Die Geschichte und das Gute. Handschriftliches Manuskript dieser ersten Fassung von Kap. VI der Ethik, Seite 166 ff. beim Heraus-

geber. Es enthält neben der sehr viel kürzeren Behandlung der wesentlichen Punkte jenes Kapitels Erörterungen von Fragestel -

lungen, welche die zweite Fassung nur ankündigte, aber nicht

mehr ausführte. Stücke aus einem Dramenfragment. Handschriftliches Manuskr ipt aus dem Gefängnis beim Herausgeber. Der erste Teil aus der 3. Szene veröffentlicht unter dem Titel „Der Nachbar“ in „Die Schöpfung“, Folge 2, Berlin 1948, Seite 43—47, danach unter dem Titel „Boden unter den Füßen“ in „Die Kirche in Hamburg “, Jhg. 2, 1955, Seite 4. S. 496 Zwei Gespräche aus dem Romanversuch. Handschriftliches Manuskript aus dem Gefängnis beim Herausgeber. Große Teile unter dem Titel „Glück und Macht“, abgedruckt in „Unterwegs“, Heft 4, 1954, Seite 196—205. Danach in „Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft“, 1955, Seite 19—29, Übersetzt „Happin ess and Power“ in „The Bridge“, 1955, Seite 4—15. S. 478

Bilder

Nach 5.32: Zeit und Photograph unbekannt, geschätzt auf 1931. Film beim Herausgeber. Vor $. 33: Original beim Herausgeber. Nach S. 48: Die Aufnahme

ist dem Band „Adolf von Harnak,

Ausgewählte Reden und Aufsätze“ Verlag W. de Gruyter, Berlin 1951, mit freundlicher Genehmigung entnommen. Vor 5.49: Original beim Herausgeber. Nach S. 320: Aufnahme von Rudolf Pestalozzi. Abzug beim Herausgeber. Vor S. 321: Oben: Photograph unbekannt. Unten: Photograph un-

bekannt. Von links nach rechts: H. Dufft (gefallen), G. Keusch, R. Grunow, J. Kanitz, D. Bonhoeffer, E. Kunert, H. Lekszas (gefallen), A. F. Preuss (gefallen), H. Voelz, E. Bethge, G. Vibrans (gefallen), A. Schönherr, F. Onnasch (gefallen). Abzüge beim

Herausgeber. Nach

8.336:

Aufnahme

von

Einhard

Schmidt

bei der Freizeit

der Provinzsächsischen Bruderschaft der Hilfsprediger und Vikare der BK. Abzug beim Herausgeber.

Vor $. 337: Original beim Herausgeber.

REGISTER Bibelstellen Hiob

1. Mose 151 127 2,18 3 3, 4-5 3,19 c 3, 24 4,12 6,4 8,21 8, 21-9, 17 9,6 12,1 17 1751 32 50, 20

350 343 343 50 345 f. 346 346 345 504 293. 345 350 342 361 350 336 2834 351

2. Mose

15, 26 20,217

427 349

20,23

335

3. Mose

19, 2

347

4. Mose 6, 27

336

5. Mose

5,9

344

18, 15 27, 26

352 345

1. Samuel 4,10 16,7 b

339 343

2. Chronik 16, 12

426

1, 6-12 7517 38 38-41 42,2

23 24,1 32,148. 2329 34,12 Se: 50, 23 51 17. 51, 12-14 78 85, 12 86, 11 100 103, 8-10 103, 13 104 104, 29 b-30 111,9 111, 10 11551 115,3 119

346 62 350 47 350

243 301 346 336 62 435 350 343 343 301 350 349 343 363 350 336 351 421 347 345 363. 367 317. 336 341 301 347 349 359 350 341 336 336 350 364

UL) 119,12 119, 18 119,19 a 119, 94 119, 96 119, 120 119, 147 £. 119, 159'b 124, 8 130 139,148: 145, 18

339 336 338 361 336 347 294 33% 339 341 363 343. 351 336

Sprüche

4,1

131. 14, 31 17,6 19, 17 23,26 28, 13 30, 8 30,17 31,8

342 342 4209 342 343 336. 340, 367 366 343 342 324

Prediger 5, 18 11,10

159 293

Jesaja 335 6,6 7,14

ID. LI 28, 40, 40,

At. 19 12-25 25

41,10 42,8 43,1b

293 349 352 352 352 239 350 341 341 341 335

Bibelstellen- Register 53 63,16 b 65,1

28. 356. 392 349 335

Jeremia 293 352

1,6 23, 5if.

Hesekiel 347

33,11

Micha 352 338

Sa 6, 8

341 354 341 P7 341. 343 349 o Nm D NR) 362 343 “ SrTDDDND-“%V 371 355. 440 355 441 364 w wu Dr 356 355 z 238. 440 “ RDTOoRONNNS Ir 2 SONO VDVVvmum - ww 355 Ne} - w 355 10, 13 433. 441 10, 16-42 361 10, 30 351 11, 2-6 355 11, 6 113 £. 238. 242. 535 414.19 253 11, 20 441 11% 274c 348 339: 434 11, 28-f, 12, 22-30 355 354 12, 28 12, 36 343 13 354, 356 317 19535 14, 22-34 356 15,21. 253. 355 355 16 355 16, 13-21 16, 17 114. 186. 535 16, 19 369 361 16, 21-26 16, 27 344 392 17, 1-9 18,1 435 18, 11 355 376 18,15 £. 377 18, 17 18,18 366. 369 f. 377 19 355 D “



Haggai 343

2,8

Weisheit 487

15012:

Jesus Sirach 40,1

274

Matthäus 2,1-12 3, 13-17

3,15 IL

4,1-11 4,10b 4,17 4, 23

54142

53 55b 5, 14-16 517 5 B27.L. 5,29 f.

5, 44 5, 48

6, 5-8

388 f. 391 £. 388 f. 390-392

356. 391

349. 391

346

341 354 f. 354

355

354 358 336 339.356 238. 342 343 355

342 343

364

337 19, 6 343 19, 11 355 19,14 354 19517. 311 20, 28 354 211-1 355 21,157. 435 231 115. 355. 536 29532 253 Z2N21 362 22, 30 343 23, 8 335 24, 36 311 24,43 ff. 415 25, 34-40 283 26, 31 242 440 26, 33 ff, 26, 52 342 26, 63 f. 355 407 f. 28,11 f. 411. 413 28,18 ff. 336. 349. 432 28519 358 28, 20 Markus 1,15 1, 21-39

2,13£.

9, 37 10,13 £. 10, 15 10, 18 10, 28 ff. 10, 45 1229ER, 14, 32

355 355 355 356 341 399 317 434 434 355. 441 107. 336. 438. 529 434 435 253. 434 f. 444 433 253 355. 361 355 339 253

558

Anhang

15, 34 15,39 16,92

16, 15 fi.

114. 253, 353..356.535 114. 535 341

411

Lukas 1,15. 41 434 2 352. 388 2, 10. 28. 30 £, 434 2, 41-52 342 TALLIE 356 7,36 ff. 253 8,15 441 8,17 343 8, 40 ff. 356 9,49 f. 441 BOTH: 355. 449 10, 18 354 10, 20 335 10, 38-42 339 11, 13 349 12, 15 343 12,32 355 14, 16-24 354 14, 26 253. 342 15510. 253 15,7 355 16, 22 343 17118 420 17, 20 354 18, 9-14 347.419 18, 15 435 18, 16 441 22,42 ff. 354 2311 408 23, 42 354 24 358 24, 44 337 24, 52 414

Johannes

14 1243 1, 1-14 1,14

351. 447 184 356 220. 234. 240. 351. 447

1931. 2,1-11 3,6 3,8 3, 16

4,22

391 316. 388-391 353 355 355. 361. 452

352

4,22b 337 4, 24 341 5, 24 355 5,28 ff. 363 5,29 344 5, 39. 46 337 6, 35 355 6,68 f. 351 17. 336 7347. 355 10, 28 335 11, 1-46 356 11,25 #. 355 12, 28 341 12732 358 13, 1-15 354 14,1 355 14, 6 186. 353, 355 14,6b 343 14, 16 414 15,7. 364 15, 18-25 361 16, 1-4 361 16, 13 358 16, 14 f, 343 10,237. 364 17, 24 358 20, 17 411 20,22 #: 366. 411 20, 23 369 20, 29 241

Apostelgeschichte 1 1,8 2 217, 2,33 2, 37 2,38 f. 2, 40

327. 358 411 327 434 411 329 332, 372, 434 434

2,42 331. 336 2, 42-47 339 f. 361 3221 411. 4,12 17323932359 4,32 343 4,32 ff. 331 5 377 5,29 341. 363 5,41 336 6,5 381 1556 411 8, 8.35 372 8,37 438 95 412 10, 40 f£ 407 10,41 £ 411 11, 15 433 13, 2 381 13, 31 411 13,33 405 16, 15. 33, 40 433 175.11 337. 424 17224. 341 17, 26 252 18, 8 433 18, 19 411 18, 26 424 20,7 a 341 20, 28 380 f. 22, 16 439 22,17 411 28, 23 337

Römer DSH: 1,4 121 1, 22—25 2, 7-10 312, SWDIUER 31 4,25 5,11 512, 6 6,1f. 6,2 ’

411 405 429 341 344 345 356 406 345 346 438 365 372

Bibelstellen-Register

6,8. 11 6,17 6,23 a

435 419 346

7,12b 347. 7,14 #. 363 7,18 3A5E 7,24. 354 925 418 8:3.40°7181.255,352 8,12 f. 346 8,15 #. 352.439 8,16 358 8,26 f. 439 8, 28

351

8,34 9,3 1084: 10, 17 12 £. 12,5 #

|

| | | | | | | |

10,16 10, 31 b 11, 24

373 336 373

343 364

6,7 6, 14 6,15

11,29 373. 395 1.9 194.372 | Epheser 123. 348,358.439: | , ,5 12,5#. 380 |. 30 12,26 nee 42528 als, 13 sn, 14,26 Beer 15 363.406 | 550 15,18. ee 15, 2£.

337.356

358,414 | 15,17 379 | 1522 356 | 15,29 365.440 | 15, 55-57 2112 360

ee 12, 10 12,12 :

559

5 2. Korinther

2,6f.

2 sk

180.406 | 40 382 an ATI | 4.5 ee eg ‚25. ; 377,

6,1 6,2

3422 | 29

n 3 b-4

.

13, 8

358

?=

en

Philipper

14, 7-9 14, 23

335 345

5.18 5. 21£

405 356

R 2,68,

15,4 16, 17

a7

337 | es 11,14

Ba

1. Korinther

1,11 £. 1,16 1,18-9

2,10 #. 3 5,2 5,5 5,11 6,11 6,19

7,14

7,29 8,6 10

Ze

=!



3

3

348.:1.3,12 422.425 | 3,22 381%. 3,23 3776,13, 24 375 | 3,25 363 | 3,26 #. 343. 103,271. 436. 441

3,28

343 | 4 331.) 44 3 ICE:

Be Er 8 Sg en ;

435 342

346

1.220 5,20

ne

224 352

2%

361. 415 419

Sa

| 1,8.

380 | 1,9 433 | 2,20 1138.55 | 310

413

er

Galater

114. 425.535

2 Mr a: his 5 = 3 w

6,11

12, 21

1

346 356 330

RT

379

.

3g1 | Kolosser 4239 | „16 345 | 3?

34 | >11 4338 | >12 49 | 1 35.1559 439 | 316 4398 | 320 365.372 362

362 220

434 415. 433 358. 415 330 375 342. 435

1. Thessalonicher

339. 1°.4,3 352 | 4,11£. 363 1 5,11.14

343. 363 362 375

Anhang

560 517 518221 23 5,24

364 BY 363 375

2319 176. 2221 2, 24 2, 26 345 3,6f.7f.10.14 3345

2. Thessalonicher 336 3, 7-12 3,14 3515

375 362 375%. 377. 376

3168

143 1,18 1520 21 2,1-3 2,4 245

3,2

Bau 4,2

4,4 4,7b 4,13 f. 16 DRZ2.

5,23

6,4f. 6,5 6, 10 6, 20

380 378 £.

381

380 375. 380 343 380

2. Timotheus 22 2 DIE: 2, 14-16 2,17

195 149 1,10 2,14 3,8 3,10

379

362 336

2932979 336, 361 361 380 377

389 377

Titus

380 336 377.1: 362 362 347 352 374 374

337

4,2 4,15

1. Timotheus

336 373 379 376 375 380 336

2,

2, 1 7 3“ 1 3 8b 3“ 1 1 3 ’ 1 2.14 3 1 3m 2 f 4 1 ou f.

5’

3

2 . Johannes 381 379f. 380 354 380 377. 380

1. Petrus

10

378. 381

Hebräer 2,14 2,18 4,9f. 4,12

4,12 £, DZ,

151 1, 16 121 Zelt 212 2, 12-17 2, 18-20 3,10 4,1. 12-14

361 337 414 361 336 362 363 343 361

555 DZ 5,8

293 349 346

Offenbarung

220 345

1, 8 206215 12, 10 22,4

4,14

1.

358. 414 361. 452 335 354 340 436 342 340 349, 358 336

336

Johannes

147 1,8

2 Ye2

15

m>\OoNo wao

220. 354 352 341 184 412. 414 297 422 412 412. 414 350

Jakobus 1, 13-15 2, 2-6 3, 2-12

345 343 343 366. 370

5, 16

341 380 346 336

Bekenntnisschriften Conf. Augustana VII

372

Epitome und Sol. Declaratio VII

Formula Concordia F.C.

400

393-404

VS

Sol. Declaratio VIII, 55

221 387

Namen-Register

561

Namen Adam

81-83.

162 f. 171

Cremer,

Ithaus, Paul 16-18. 133. 305 Antäus

7. 57. 494

Apelles 210 Apollinaris v. Laodicäa 208 Aristoteles 117. 510. 538 Arius 217. 228 Asmussen, Hans

Athanasius 217 171.

245.

Augustus 464

Dibelius,

137.

155 f. 325.

Joh. d. T. 434 552

226

Bismarck 21 Bonhoeffer, Karl

Gäa, Mutter Friedrich

550

23-25. 2

Bonhoeffer, Klaus 24 Brenz, Joh. 224 Erunner, Emil 8. 209. 532

15:

348.

Bugenhagen 371 Bultmann, R. 8. 45 f. 77 D. F. 33

Calvin 35. 401 Chemnitz, M. 191. 224

132 f. 552

Dufft, H. 555 Duncan, Mrs. I. 10. 551

Flacius Illyricus 117. 538 Franz v. Assisi 130

Bertelsmann 20 Bethge, E. 555

Cordes

47

Otto 552

Eutyches v. Konst. 217

Bergson, H. 111. 532 Bernanos, Georges 43.

Buxton,

Walter

Elisabeth, Mutter

G. K. A. 36

212.

Dudzus,

Enterlein, Hilde Frasmus 85

Bengel, Joh. Albr. 432

Biedermann

325

524.

Basilides 209 £. Baumann, Eberhard 398-404, 554 Bell,

Otto

Distler, Hugo 39 Don Quijote 510 Dostojewski 174 Dress,

Bach, Joh. Seb. 39 Baillie, John 111 Barth, Karl 7 f. 35. 77 £. 102. 108. 110-126. 530-546

440

David, König 30. 298. 301. 328 Delp, W. 10 Dewey, John 111. 532

550

Augustin 20. 108. 118. 3835. 38925304539

Hermann

Cromwell 504 Cyrenius, Landpfl. 464 Cyrill v. Alexandrien 167

111.

Gadow,

des Antäus

Hartmut

7

552

Gandhi 262 f. Geß 225 f. Goethe, J. W. 173. 180. 203 Gogarten, F. 77. 111. 132. 532 Grimme, Adolf 551 Grisebach, E. 72 £. 77. 121 £. 143 f. 160 f. 542

Groß, Wilhelm 174 Grosz, George 174 Grunow, Richard 553, 555 Guardini, Romano 132 f.

Guddas 409. 415 Gutmann 132 f.

562

Anhang

Hafenreffer 224 Harnak, Adolf 59-61.

v.

10,

18-20.

550 f. 555

Harnack, Axel v. 551.555 Hase, H. Chr. v, 21

Kunert, E. 555 Kunze 553

Hauptmann, G. 174 Tlegel, G. W. F. 32. 71. 121.169. 211 f. 234. 542

Heidegger, M. 68-71. 77. 121. 140. 160 f. 542

Heim, Karl 8. 138-159, Heitmann, L. 132 £. Hello,

Ernest

305.

552

A. 431-454.

554

127-129,

547-549,

551

Jehle, Herbert 552 Jelke, R. 134-137,

555 551 31-33,

552

Jeremia, Prophet 265 Jeremias, J. 433 Johannes, d. Evangelist 441 Johannes, d. Täufer 391. 434 Judas Ischarioth 395. 399. 463

Luther

15.f. 225, 351.043 0538 75 f. 84. 88 f. 90. 95. 108. 111. 117 f. 124. 130..133£, 137.164. 167. 1717. 176..180.2182. 187, 189-191. 198. 209. 221-223. 233, 236 f. 245. 247. 249, 254-256. 284. 299. 306. 316. 319, 322 £, 379. 387 f. 397-399. 405. 432, 443. 450. 504. 518. 530. 532, 538 f. 545

Machiavelli 473 Maria Magdalena 411 Maria, Mutter Jesu 27. 210. 434 Melanchthon 134. 176. 182 Mentzer, Balth. 224 Moses 295, 298. 301 Mott, John 21 Napoleon

504

Naumann,

F. 305,

465

Niebuhr, Reinhold 551 Niemöller, Wilhelm 10, 550. 554

Kähler, M. 202 Kanitz, J. 555 Kant 66. 71. 77, 94. 111. 118-123. 136. 518. 532, 539, 541-543

Nietzsche

Keusch, Günther 555 Kierkegaard 108. 111.

Oekolampad 397 Oetinger 388 Onnasc, Fr. jun. 555

532

550

Lohmeyer, Ernst 433, 435, 438 Löwith, Karl 146 Lütgert, W. 18. 20 f. 550

Lydia 433 Lyman, Prof. 551

449

Jakob 284 f. James, William

Lekszas, Horst Lietzmann, H.

Lilje, Hanns 552

Holl, Karl 23. 75 f. 388 Hollaz 414 Horton, Douglas 8 Hunsche, Kl. 552 Irenäus

Lehmann, Paul 551 Leibholz, G. 33-36, 556

Litt, Theodor

382

Hengstenberg 298 Herakles 494 Herodes 392 Herrmann, Wilhelm 179 f. 204 Hildebrandt, F. 36. 248-257, 552 Hillel, Rabbi 51 Hippolyt 449 Hitzer,

Knittermeyer 121. 541 Konstantin, Kaiser 323, 449 Krüß 551

167.

530.

7. 50, 53. 265. 458

Namen-Register Onnash,

Fr.

sen.

398-400.

402.

554

Origines 449

563

Schlink 443 Schmidt, Einhard 555 Schmidt-Ott 551 Schönherr, A. 555 Schönherr,

Parpert,

Pascal

F. 130-132.

551

171

Paulus 28.47. 53.£° 1081112113. 148.162, 172.130. 194.200. 242.245, 310. 315£ 318. 320. 323. 377. 381. 411. 434. 4371. 440. 530. 532, 534, 539

Pelagius 85 Pepping 39 Pestalozzi, 32 Pestalozzi, Rudolf 555 Petrus 114. 328 f. 331. 535 Plato 117. 538 Pontius Pilatus 357. 464 Possidius 20 Preuss, Adolf-Friedrich 555 Prometheus 274

2118:

176:

386

51

Siegmund-Schultze, F. 10 A.

Steinmann

208

144

Stolzenburg 18. 552 Stupperich, R. 47 Sutz, Erwin 33. 36. 550 Tertullian 449 Thomas v. Aquin 245 Thomas, Jünger 411 Thomasius 225 Thurneysen 204 21798.

Salisbury, Johann v. 17 Samosata, Paul v. 214. 230 Sancho-Pansa 510 Satornil 210 Scheler, M. 65-67. 69 f. Schelling, F. W. 207 Schiller, F. 510 Schlatter, Adolf 214. 305 Schleicher, Rüdiger 24-31. 550 Schleiermacher 172. 176. 179 f. 191. 228.

552

Söhlmann, F. 553 Sokrates 173. 180 Stange, Karl 132

Robespierre 504 Rosenberg, Alfred 314 Rößler, Helmut 47 Rothe, R. 326

211.

550 Seneca Silesius,

Richter, C. F. 415 Rieger, J. 33 Riemer, Gerhard 552 Rätschl, A223, 21.10023074.539 Ritschl, D. 552

H.

Schopenhauer 262 Schütz, Heinrich 39 Schweitzer, Albert 201 Seeberg, Reinhold 10. 15-18. 27 £.

Tiberius, Kaiser 464 Tillich, Paul 71

Timotheus 379 £. Tolstoj 54 Troeltsch, Ernst 34. 131 f. Valentin 209 £. Vibrans, G. 44 f. 550. 555 Voelz, H. 555 Waetzold 33 Waldus, Petrus 130 Weckerling, R. 554 Winkler, R. 138 Wirth, Dr. 551 Wolf, Ernst 45 f. 550 Wrede, W. 201 Zimmermann,

W. D. 552

564

Anhang

Sachen Abendland 263-265 Abendmahl 32. 189-191. 221. 334. 365 f. 372-375, 387. 393-404. 425.

538

Absolutheit d. Christentums 196 Abstraktion, ethische 455 £. 470 actus directus, reflectus 80 f. 84. 124, 163. 524, 545

Adel, neuer 479 Adoption Jesu 390 Aktivismus 451 Akt und Sein 162, 164. 183 „Akt

und

Sein“

8. 20, 83

Akzent d. Ewigkeit 158 f. 312 Akzidenz 117. 538 Allegorese 319 £, Alleinsein 275-277. 280 £. Alloiosis 222 Altes Testament 213, 294 ff. Amerika 21-23 Amt (Ämter) 41-43, 175, 374-377. 380 f. 413.

425

Amtsträger 379-381 Anathema 378-381 angelsächs. Theologie 35, 421 Angriffskrieg 57 Anrede 185 Anthropologie 62-84 Antichrist 381 Antidogmatismus 394 Antinomismus 94-98, 323, 518-522 Anwendung 312 apriori, religiöses 135 APU

431

Ärgernis 181. 189. 194. 235, 238 £. 240 f.

Aristokratie 490 f. 510 Arzt

426-430

Askese 94, 131, 517 Assistentenstelle 16. 18 Auferstehung 30. 240 f. 277-283, 405-410.

530,

533

Auslegung 308-314. 319, 422 Außerweltlichkeit 323 Autoritäten 175

Bädermission

426

Barmen

359,

338,

399,

403

Behaviorismus 119, 540 Beichte

176. 280 f, 292, 366 f. 370. 373 f. 393, 428 £,

Bekennende Kirche 359 f, 399 £. Bekenntnis 206. 423 Bekenntnis-Synode 360 Benediktiner 117, 538 Bereich, religiöser, siehe dort Bergpredigt 25 f. 28. 35 f, 50£. 54. 255, 464 f. 470-477

Beruf 362 Berufung 243 Bewußtsein 15. 128 Bibellesen (siehe auch Heilige Schrift) 26-30 billige Gnade 322, 371 Blütezeiten 503 Boden unter d. Füßen 494 £, Bruderhaus 25 Bruderräte 359, 382, 398-400. 404. 409.

431

Bürgertum

478. 492 f.

Calvinismus 517 capax infiniti 79-81, 222 Chalcedonense 217-219. 226 £. 230 f. 386

Christliche, das 270. 471-473. 477 christliche Ethik? 49-52 christliche Partei? 290 &hristliche Prinzipien 48. 52-56, Christologie 8 f. 76. 118. 166-242. 383-391.

397. 409, 412, 527. 539

Christozentrismus

34 f, 38

Sachregister Christus,

als Gemeinde

existierend

47.834.193

565

Entscheidung,

persönl.

438.

440.

451 f. 528

Christus, in — 82-84 Christus, König Priester 413 f. Christus, zwei Stände, siehe „zwei“ Clemens, 1. -brief 19 £. communicatio idiomatum 219 f.

Epheserbrief 194. 415 Epiphanias 388-392 Erbsünde 15. 345. 443. 469 Erde, Treue z. — 7. 32f,

227: communio communio

Erfahrung naturarum sanctorum

220 132

concret, -um, -issimum

56-58.

270-274.

515-522.

277 f. 283.

(Erlebnis)

se

Erhaltung 278-282

155 f. 307.

74.

125.

127-129.

547-549

Erhöhung

235-242.

Erkenntnistheorie

312 cor curvum in 170. 543 creatio continua

48. 494

122.

164.

409-412

(theolog.)

Erlösung 199. 207-209 Erniedrigung (exinanitio)

546

189. 191 f. 205. 390-392. 409 f.

Dankbarkeit 418-421 Daß-Frage 171 £. Denken im Zirkel 96. 519 Denkformen (theol.) 230 f. 537-544 Determinismus 85-90 Deutsche Christen 303-305. 425 Deutsche Messe 130 Deutschland (Deutsche) 479. 501. 512

dialektische Theologie 47. 76. 132-134. 137 (siehe auch Theol d. Krisis)

102.

523-526

223.

181-184. 235-242.

Erscheinung — Idee 207-211. 228 Ersetzbarkeit 258 Eschatologie 7. 32. 58. 325. 434 f. essentia-existentia 67 est 221 Ethik 7. 16 f. 21. 34. 48-58. 85-99. 162-164. 318. 323. 455-512. 515-522 „Ethik“ 10. 455 ff.

Existenzbegriff 67 f. 80 Existenzphilosophie 134 extra Calvinisticum 190. 224,

397

Öraxolveıv 373 Didache 331-333 Diesseitigkeit 31-33. 48. 323 Dimension (-sbegriff) 141-151. 154. 157

Fall

Ding an sich 121. 542 Doketismus 207-212.

214.

224.

229073252327

Durst

275-277.

231

Ebionitismus 212-215. 229 Eigengesetzlichkeit 471 Eigentum 252 Finmaligkeit 314 f. 318. 526 f. 534 490 £. 510

Enhypostasie 209 f. 232 Entmythologisierung

101.

45 f.

199.

524

fides implicita 421 filioque 327 f. Frage, Daß-, Wer-, Wie-, siehe jeweils dort Frage, die religiöse 170 Frage nach dem Letzten 139-141. 156-158

französ. Revolution, siehe dort Freiheit 52-56. 60. 457 f. 461. 466-468.

Einsetzung 189 f. Elite

Faktische, das 458 ff. Fakultäten, theolog. 326

478.

510

Freiheiten, d. bürgerlichen 478 Freikirche 450 Fremdlingschaft 323

566

Anhang

Friede 25 Frömmigkeit 294 f, 298-301. 331 Fundament 494 Gebet

295-298.

300-302.

Glück

364

Gebildete u. Kirche 40 £. Gebot,

konkretes

290. 467

Gebot, neutestamentl. 318 Gegensätze, kirchentrennende schultrennende 425 Gegenwartsbegriff 307 £, Gehorsam 162 f. Geistgemeinschaft 47 Geist, Heiliger, siehe dort Gemeinde 193 f. 450 Gemeinde,

d. reine

u.

450

Gemeindezucht 369-381 Gemeinschaft 132 f, 330 Generationsproblem 138. 158. 292 genus apotelesmaticum 220 — idiomatum 220 — majestaticum 190. 220-223. 227 f. 239,

387

— tapeinoticum 227 Gerechtigkeit (-sbegriff) 36 Geschihte 104-106.

34f. 48f. 56. 78. 113. 196-198, 264 £. 502-509. 526-528. 534 Geschichtlichkeit 200-205, 210. 212. 241. 299-301. 309. 456 f. 461-470. 473-477

Geschichtsbegriff 210 £. Geschichtsschreibung 503-505 Gesetz

131. 467.

471.

516-520

Gewaltlosigkeit 262 £. Gewalttäter, gr. u. kl, 497-499 Gewissen 15. 58. 69. 75£. 32. 128.

164

Gewissensreligion 75 Gießener 224 Glaubensbegriff 239. 423, 438-447. 451.

529-531.

535 £,

Glaubensbekenntnis 440. 442 Glaubenstaufe, siehe Taufe Glaubwürdigmachung 324 Gleichnisse 317

Gleichzeitigkeit 179 £.

489 f. 504-507,

511

Gnade 97 f. 515-522 — billige, teure 322, 371 Gnadenprinzip 322 Gnostik 389 Gott-finden 27-29 Grab, das leere 241. 406-408 gratia praeveniens 448 Grenzbegriff 80 Grenze (Grenzlehre) 194 f. 445 Gute, das 455-477 Hallenser Synode 1937 399, 403 Häresie 206 Härte 510 f.

Heiliger Geist 307. 311 f. 327-333, 530 f. 543

Heilige Schrift 26-30, 204 Herrentum

509-512

Himmelfahrt

1807

219355358

409-415

Hineingezogen i. eignis 475 Hinterweltler 270. historia sacra 202 historischer Jesus, historisch-kritische siehe dort

Ich —

Du

Idealismus

d. messian.

Er-

275. 279. 283 f. siehe dort Theologie,

144-146

74.

103,

105 f. 118.

123.

136. 185. 208. 525-528. 540 f. 544

Identitätsmystik 410 incapax infiniti 8,

212.

386.

70.879881.

222

Indien 261-264 Inkarnation, siehe auch Menschwerdung 32, 382-384, 387, 458-477 Inkognito

177. 236.

238-241

Innerweltlichkeit 323 Institutio 401 Irrlehre 246 f, 380 £. Isolierung, ethische 455 £. Israel 197. 382

Sachregister Jesu Allmacht 233 — Geburtsberichte 233 — Schwachheit 233 — Sündlosigkeit 236-238.

Kirchenkampf Kirchenmusik Kirchenzucht

390.

468-470

— Taufe 233. 388-391 Jesus, historischer 9. 200-204. 210. 2237233

Johannesbrief, Johannestaufe

erster 194 435

Juden 323 f. 362. 517 Judencristentum

213 £.

Jegendarbeit 292 f. Jugendbewegung 292 Jungfrauengeburt 234 justitia civilis 89 f.

248-257.

326. 394. 538 f.

— u. Sünde 428 Kreuz 530. 533

335-367

396.

Kausalitätsschema

399.

421

Kinderglaube 443-445. Kindertaufe 372 f. 431-454 Kirche 83 f. 167. 171. 197 £. 241 f. 245 f. 279-283. 286-293. 325-334.







424

Bekennende — 359 f. 399 £. Erneuerung der — 37-41. 450 f. falsche u. irrende 360 Frei-Kirche 450 Gebildete u. — 40f. intakte 399 Kirchen 256 Raum der — 325 f. 328

Staat

u. —

197f.

289 f. 326

Volks-Kirche

260

56 f. 252.

263 f. 267 f.

Laien 421 f. Leben- Jesu-Forschung 201 f. Leben, wirkl. 508-511 Lehramt 379-381. 422 Lehrtexte 315 f. Lehrzucht 379 Leiblichkeit 388. 466 Letzten, Frage n. d., siehe dort liberale Theologie, siehe dort Libertinismus 94 f. 518 Liebe

466-469.

Liebesgebot

reine 450

Sprache der — 41-43 —

Krieg 26. 342 f.

Kriegserlebnis 133 Krisis, Theologie d., siehe dort kritischer Realismus 119 f. 123 Kryptiker 224 f.

86 £.

Kenotiker 224-227 Kind 84. 434-436. 444

358 f. 369.

3158

465

konkretes Gebot 290 Konkretion 312 f. Konstantinische Epoche 323. 449 f. Konzilien 206. 219 Kosmologie 125. 545 Krankheit 426-430

Katholizismus 66. 93. 117 f. 132 £. 185. 517.

326 39 369-381

Kirchgang 327 kirchlicher Verein 293 Kirchlichkeit 164 Kleinbürgerlichkeit 40 f. Kloster 130 koinonia 333 Kompromiß 500-508 Konfessionalismus 399-403 Konfirmation 367 f. Konflikt 472 konkrete Situation 56 ff. 457.

Kairos 196 Kaisers neue Kleider 25 Kapitalismus 57. 174 Karthago, Synode 251. 449 Katechismus

567

279-282.

Logos 193. 396.

472-477

50 f.

167-169. 184 f. 188. 208. 220. 222 f. 225. 532

190. 386.

—- asarkos, ensarkos 223. 225. 409

568

i

Anhang

Luthertum 22 f. 191. 219-225, 227. 326. 425.

Macht

331. 386 f. 393-403, 443-448, 459

34-36,

410,

477. 497-501

478 f. 488-491.

504,

397.

409,

Mittler 195-200.

68-75. 78-84. 87. 101. 108. 523 f.

130 f.

517

215-217.

221.

229

Mystik 162. 539

199,

Neuheiden

305

Orthodoxie 117 f. 208-210. 223. 298 f. 326. 331. 422, 538 £.

Paidagogos 35 Paränesen 318 Partei, christl. 290 Patentamt 373 Patenglaube 443-445 Pazifismus 56. 268 pecca fortiter 124. 545 Peccator pessimus 236 f, Personbegriff 103. 180. 182. 195 Persönlichkeit

179.

195.

186.

525-529

Kategorien

122-124

125.

545 Testament

Opfer 266-269. 479 f. Ordnung 279. 281 f. 487. 489 £.

philosophische

384-387

127-129.

Nestorianismus 215-217. 229

Neues

235-238

öuoovola 227

Philosophie 119-124, 135. 139, 141. 156 f. 160 f. 523 £, 527 £. 531 f. 538-545

Nachfolge 322 „Nachfolge“ 7 Naturrecht 34 Naturwissenschaft

34 f.

Pfarramt (-existenz) 24, 324 Pfingsten 327 £, Phänomenologie 65 philosophia christiana 161

Mord 54. 56 f. Mündigkeit 422 f.

Natur

342.

Ousia-Begriff 230. 232, 384

296. 353 f.

25.

Staat)

Önolouara 0a0xög 181. 194. 506

228 f. 386 (-sbegriff) 8. 64. 66.

Monophysitismus

516-513.

112-114. 134-137. 152. 156. 193, 228 f. 526-530. 533-539, 544

458 f.

Monarchianer 214 Mönchtum (evangel.)

98.

Oekumene 206 Offenbarung (-sbegriff)

Messianismus 196 f. Metalogicus 17 Metaphysik 539 Minimalethik 323 Missionssituation 441 f. 448 Modalismus Möglichkeit

119, 539 93-96.

362 f.

Matthäuspassion 39 Meditation 29 Menschheit 268 f. Menschwerdung (siehe auch Inkarnation) 32. 223. 233-235, 384.

Nomismus 521 £.

Oben — Unten 478 Obrigkeit (siehe auch

Magie 240 manducatio impiorum 395 -- oralis 395 f, Männer, große 504, 506 Marburg 1529 397 Martyrium 158 f. Maschine 263. 267 f. Masse

Neukantianer

314-320

Pietismus

Pöbel 478. 495, 502 Politik 289-291. 471.

473 f. 477

Polytheismus 129, 549 Pommern 382. 398-400. 415

11728

422, 465

404, 409,

Sachregister Potentialität (siehe auch Möglichkeit) 47 Prädestination 452 Predigt (siehe auch Verkündigung) 41-43.

163 f. 186-189.

287-290.

192.

206.

306. 312-314. 316. 321 f.

365..37204.

374.

3931.

422 f.

Gemeinde-, Missionspredigt 371 — politische 289-291 Privatbeichte 370 Profan — religiös 330 Proletariat 174. 490-495 ro me 182-186. 223-225. 239 f.

191-197.

200,

Prophet 158 £. propositiones personales 220 Protestantismus 518 Pseudoluthertum 460 Psychologie 515 f. 519 £. 547

206.

372.

199.

396 f. 447 £.

sakramentales Essen 396 Säkularismus 270-273. 275.

279.

471

„Sanctorum Communio“ 7 f. 15-18 Scheidung v. d. Welt 450 Schlüsselgewalt 369-381 Schöne, das 38 f. Schöpfung (-slehre) 147. 156. 192.

465.

540 f. 544

(siehe auch

Sachlichkeit 306-308 sacrificium intellectus 29 Sakrament 163 f. 187-193,

199.

Rationalismus 303 Raum-Zeitlichkeit 179 f. 193 £. Realismus (kritischer) 119 f. 123.

523 f. 527 f. 533, Recht 34-36

Revolution, französ. 502 Rigorismus 451. 453

250 £.

Schriftgebundenheit 307 Schwärmer 35 f. 446 f. 450.

Quietismus 518

Realität

569

Wirklichkeit) 541 f. 544

471.

460.

518

Schweigen 42. 167 Schwertamt 342 f. Schuldtragen 468-473 Schulunterschiede 380 Seelsorge an Trauernden 44 f. Sekten 130 f. Selbstbehauptung (-erhaltungstrieb) 252. 477

258 f. 261.

264-269.

473 f.

Selbstbewußtsein 135 97f.

Selbstmord 265 f. 482 f.

107-109. 114-116. 118f. 446. 448. 522. 530 f. 536. 544, 546 Reflektion 124. 163-165. 545

126. 539.

Reformation

443-448.

465.

Semipelagianismus 79 Sich-taufen-lassen 439. 451 Sigurdshof 33 Situation 48. 52-57. 313 f. 457-465 Skotisten 85

221-223.

326.

Rechtfertigungslehre

502.

Solidarität

543

reformiert 387.

37.

88f.

190 f.

394-403

Religion 270-272. 519-521.

49.

115f.

127-129.

330.1 W426 7516: 534. 536 f. 547-549

Religiöse, das 270. 330 f. religiöse Frage 170 religiöser Bereich 471-473 religiöses apriori 135 — Bedürfnis 81 — Titanentum 158

138.

141.

147.

157 f.

Soteriologie 176-178 Soziologie 131 f. Spiritualismus 396 f. Sprache 41-43, 320 f.

Staat (siehe auch Obrigkeit) 197 f. 252 f. 279-283. 342. 362 f.

289 f. 323. 325 f.

Stellvertretung 466-473 Sterben 275-277. 280 Stolz 418 Subjekt-Objekt-Beziehung

136

570

Anhang

Subordinatianer 228 £. Substanz (-begriff) 1170000213:

Transzendentalphilosophie

226 f. 230 f. 538 £, Sünde 79. 81. 164 Er 428. 468-470. 538

Trinität

120 f. 539.

Treue zur Erde, siehe Erde 443,

Sündelosigkeit Jesu, siehe dort sündlos-schuldig 468 f. Synode, Hallenser, siehe dort — Karthago, siehe dort System

365,

37389}

431-454

Glaubenstaufe —

Jesu,

233.

442. 449-452

388-391

Johannestaufe 435 Kindertaufe 372 £, 431-454 Totentaufe 437 £, Taufzucht 452 £. Textkritik 27. 298-301 Textwahl 321 £. Theodizee 546 Theologie 382 f. 421-425, 531 f. 537 £. 543, 545

523-525.

dialektische, siehe dort Gemeinde u. — 421-425 -— historisch - kritische 201-205. ; 211-215.

230.

Theologiestudium 25. 243-247, 424 theo'ogische Deckformen, siehe dort — Disziplinen 424 — Erkenntnistheorie, siehe dort — Fakultäten 326 Tod 68-70. 495

265-269,

432-488.

329-331.

162.

410 416 f.

265-269.

280.

460 ff. 465-473.

476 f.

Verchristlichung 277 f. 290 Verdeutschung 306 Verkündigung (siehe auch

531-546

200 £.

Tun

455-458.



298-300 liberale 239305

382,

224

Verantwortung

— angelsächsische, siehe dort —der Krisis’ 8. 110-126, 132 f.



234,

Tübinger

Übersetzung 320 £. Ubiquitätslehre 190 £. Ubivolipräsenzlehre 191 Unfrömmigkeit 294 f. 298-301 unio hypostatica 219 — personalis 220 — sacramentalis 396 f. Universität 260 Unterbewußtsein 128 f. 548 f.

120

Tat 416 f. Taufe 213f.

8. 118.

541 f.

490.

Tragische, das 472 Transsubstantiation 396 Transzendenz 63. 65 f. 73. 77. 92. 1024. 107221206123. 140 f. 148. 167 f. 170-172. 516. 520. 524-526. 529. 540-542, 544

digt)

167.

181 f. 197.

Pre-

199.

206

Vernunft 134-137. 386. 525. 542 f. Verzweiflung 153 £. Vierzig Tage 410 f. Volk 282. 362 Volkskirche 260. 448

Volksmission 303 f. 422 Volkstum 261. 267. 304 Volksverein 132 £. Vollethik 323 Voraussetzungslosigkeit 111.

116.

523.

533,

100 £. 537

Wagnis 463 Warum-Frage 148 f. 152 £, 157 Weihnachten 382-390 Weissagung-Verheißung 302 Welt

286. 346. 459 f. 464



361.

450,

452,

der Werte 65-67

Weltflucht

270-275.

407.

450

Weltförmigkeit 305 Weltlichkeit 471-477

245.

301.

459,

464.

Sachregister Wer-Frage 170-175. 227...231.235

Wiedertaufe 453 f. Wiedertäufer 130 Wie-Frage 169-172.

183.

192. 215.

175.

190-192.

215.7227.02317, 233.235 Wirklichkeit 101-103. 122. 160 £. 456-461. 465-474. 476 f. 523-525

Wirklichkeitsgemäßheit

458-466.

472f.

Wirtschaftskonkurrenz 57 Wissenschaft (siehe auch wissensch.) 547-549

Natur-

THIEO’" ci?

Wort

571 184 f. 187.

192.

239. 295-297. 310f. 318. 424 f. 447 f. 537. 544

(Gottes)

4161.

— u. Sakrament 184-194. 447 £. Wunder (-geschichten) 238-240. 277-283.

316

Zeiten, große 503-505 Zweideutigkeit 475 Zwei-Naturen-Lehre 216-219. 233.

239.

385 f.

zwei Stände Christi 223-225

DPARY IE ) re

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227.

DIETRICH

BONHOEFFER

GESAMMELTESCHRIFEEN Band I: Ökumene Briefe . Aufsätze 552 Seiten.

Broschiert

. Dokumente DM

19.—,

/ 1928—1942

Ganzleinen

DM

21.50

Von den inhaltsreichen und doch so völlig privaten Briefen an Erwin Sutz über den Amerikaaufenthalt, die Arbeit als Jugendsekretär des

Weltbundes,

die Konferenz

in Fanö,

die ökumenische

Arbeit

in der Be-

kennenden Kirche, die Amerikareise von 1939 und die ökumenischen Kontakte im Kriege bis 1942 bietet dieser Band des Interessanten wahrlich genug, um ihn als ein Stück der letzten Zeitgeschichte aufmerksam zu studieren. Reformierte Kirchenzeitung

Band II: Kirchenkampf und Finkenwalde Resolutionen . Aufsätze . Rundbriefe / 19331943 668 Seiten. Broschiert DM 23.20, Ganzleinen DM 26.— Zum rechten Verständnis des leidenschaftlichen Kampfes Dietrich Bonhoeffers um die reine Lehre und wahre Kirche Christi verhilft die Veröffentlichung eines Teiles der an Bonhoeffer gerichteten Korrespondenz. Bonhoeffer geht es um ein neues Verständnis der Ecclesiologie, der Frage nach der Taufe und dem Verhältnis der Konfessionen im Protestantismus zueinander. Ein erregendes Buch, das noch einmal die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich sichtbar macht, Ein Dokument jüngster Zeitgeschichte, die wir nicht vergessen dürfen, weil in ihr ein Ansatz für die kommende Generation gegeben ist. Evang.

Sonntagsblatt,

Bonn

Band IV: Auslegungen - Predigten 1930—1944

GEHEBR-

KAISER

(In Vorbereitung)

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