Satan, Beelzebub, Luzifer: Der Teufel in der Kunst 9781780425153, 1780425155

"Der Teufel hält die Fäden, die uns bewegen!" (Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen, 1857.)Satan, Beelz

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Satan, Beelzebub, Luzifer: Der Teufel in der Kunst
 9781780425153, 1780425155

Table of contents :
Content: INHALT
Einführung
I. Der Teufel
Die Person des Teufels
Anzahl, Aufenthalt, Eigenschaften, Ordnung und Hierarchie, Wissen und Kenntnisse sowie Macht der Teufel
II. Die Taten des Teufels
Der Teufel als Versucher
Liebschaften und Sprösslinge des Teufels
Der Pakt mit dem Teufel
III. Die Zauberei
Die Geschichte der Zauberei und von magischen Praktiken
Hexen und Zauberer
Die Inquisition --
die Verfolgung der Zauberei
IV. Die Hölle
Mehr zur Hölle
V. Die Niederlagen desTeufels
Schlussbemerkung
Anmerkungen
Bibliographie
Index.

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Arturo Graf

SATAN, BEELZEBUB, LUZIFER

„Der Teufel hält die Fäden, die uns bewegen!“ (Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen, 1857.) Satan, Beelzebub, Luzifer… der Teufel hat viele Namen und Gesichter; sie alle haben Künstlern stets als Inspirationsquelle gedient. Bilder von Teufeln wurden oftmals von Angehörigen des Klerus in Auftrag gegeben, um, je nach Gesellschaft, mit Bildern der Furcht oder Ehrfurcht und mit Darstellungen der Hölle die Gläubigen zu bekehren und sie auf den von ihnen propagierten rechten Pfad der Tugend zu geleiten. Für andere Künstler, wie z. B. Hieronymus Bosch, waren sie ein Mittel, um den völligen moralischen Verfall seiner Zeit anzuprangern. Auf dieselbe Weise hat die Beschäftigung mit dem Teufel in der Literatur oftmals Künstler inspiriert, die den Teufel mithilfe von Bildern austreiben wollten; dazu gehören insbesondere die Werke von Dante Alighieri und Johann Wolfgang von Goethe. Im 19. Jahrhundert fühlte sich die Romantik zunächst von dem mysteriösen und ausdrucksvollen Gehalt des Themas angezogen und setzte die Verherrlichung der Böswilligkeit fort. Auguste Rodins Höllentor, ein monumentales Lebenswerk, für das er sich sehr gequält hat, stellt nicht nur diese Leidenschaft für das Böse perfekt dar, sondern enthüllt auch den Grund für diese Faszination. Was könnte in der Tat fesselnder, motivierender für einen Mann sein, als seine künstlerische Meisterschaft zu prüfen, indem er die Schönheit im Hässlichen und Diabolischen darstellt?

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Der Teufel in der Kunst

Arturo Graf

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Autor: Arturo Graf Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl Layout: Baseline Co Ltd 33 Ter – 33 Bis Mac Dinh Chi St., Star Building; 6th floor District 1, Ho Chi Minh City Vietnam © Parkstone Press International, New York, USA © Confidential Concepts, Worldwide, USA © Max Ernst Estate, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne die Genehmigung des Urheberrechtsinhabers weltweit vervielfältigt oder bearbeitet werden. Wenn nicht anders angegeben, liegen die Urheberrechte der vervielfältigten Werke bei den entsprechenden Fotografen. Trotz intensiver Nachforschung war es nicht immer möglich, die Urheberrechte nachzuweisen. Wo dies der Fall ist, sind wir für eine Benachrichtigung dankbar. ISBN: 978-1-78042-515-3

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INHALT Einführung

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I. Der Teufel

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II. Die Taten des Teufels

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III. Die Zauberei

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IV. Die Hölle

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V. Die Niederlagen des Teufels

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Schlussbemerkung

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Anmerkungen

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Bibliographie

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Index

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EDER kennt den romantischen Mythos von der Rebellion und dem Sturz der Engel. Dieser Mythos, der Dante Alighieri (1265 bis 1321) zu den schönsten Zeilen seiner Göttlichen Komödie, und da besonders der Hölle, und John Milton (1608 bis 1674) zu einer unvergesslichen Episode in Das verlorene Paradies inspirierte, hatte so mancher Kirchenlehrer und Kirchenvater nach Belieben ausgeschmückt und teilweise entstellt, aber sein Grundstock liegt nirgends anders als in der Deutung eines einzigen Verses im Buch Jesaja1 und einiger recht obskurer Passagen im Neuen Testament2. Ein weiterer Mythos, der zwar einen völlig anderen, aber nicht weniger poetischen Charakter hat und gleichermaßen von christlichen und jüdischen Kirchenschriftstellern aufgegriffen wurde, erzählt von Engeln Gottes, die sich in die Töchter der Menschen verliebt und mit ihnen gesündigt haben und zur Strafe für ihre Sünde aus dem Himmelreich, dem Reich Gottes, ausgestoßen und in Dämonen verwandelt wurden.3 Dieser zweite Mythos erfuhr durch die Verse Thomas Moores und Lord Byrons eine nachhaltige Heiligung.4 Beide Mythen stellen die Dämonen als gefallene Engel dar und führen ihren Sturz auf eine Sünde zurück: Neid oder Stolz im ersten, verbrecherische Liebe im zweiten Fall. Aber dies ist die Legende und nicht die Geschichte von Satan und seinen Gesellen. Die Ursprünge Satans als allumfassende Personifikation des Bösen sind weit weniger romantisch und gehen gleichzeitig deutlich tiefer und noch weiter zurück. Satan war viel früher da, nicht nur früher als der Gott Israels, sondern auch früher als alle anderen mächtigen und gefürchteten Götter, die der Menschheit durch ihre lange Geschichte hindurch in Erinnerung geblieben sind. Satan fiel nicht Hals über Kopf aus dem Himmel, sondern entsprang den Abgründen der menschlichen Seele, zeitgleich mit jenen nebelhaften Gottheiten dunkelster Vorzeit, an deren Namen sich nicht einmal ein Stein mehr zu erinnern vermag, die ausgedient haben und von den Menschen längst vergessen sind. Zeitgleich mit diesen Göttern, und oft mit ihnen verwechselt, ist Satan zunächst ein Embryo wie jedes andere lebende Wesen auch. Und erst langsam beginnt er zu wachsen und wird schließlich zu einer Person. Das Gesetz der Evolution, das alle Wesen leitet, leitet auch ihn. Niemand, der eine halbwegs wissenschaftliche Ausbildung genossen hat, glaubt noch daran, dass die primitiveren Religionen aus dem Verfall einer besseren, vollkommeneren Religion entsprungen sind, sondern weiß sehr wohl, dass sich die vollkommeneren aus einer primitiveren Religion entwickelt haben. Deshalb muss man in den Letzteren die Ursprünge jener düsteren Gestalt sehen, die unter den unterschiedlichsten Namen zum Prinzip und zum Repräsentanten des Bösen wird. Hätte es in jener Zeit, die wir im erdgeschichtlichen Zusammenhang ‘Tertiär’ nennen, schon Menschen gegeben, dann wären sie vielleicht insofern wie Tiere gewesen, als sie kein religiöses Gefühl im eigentlichen Sinne gekannt hätten. Aber schon der früheste

Mensch im Quartär kennt das Feuer und weiß Steinwaffen zu gebrauchen, allerdings lässt er seine Toten zurück – ein sicheres Zeichen dafür, dass seine religiösen Vorstellungen, wenn er denn überhaupt schon welche hatte, bestenfalls kärglich und rudimentär waren. Wir müssen uns dem Neolithikum, der Jungsteinzeit, zuwenden, wenn wir die ersten sicheren Spuren religiösen Empfindens entdecken wollen. Wie die Religion unserer Vorfahren in jener Zeit aussah, können wir nicht direkt sagen, aber wir können unsere Schlüsse ziehen, indem wir die wenigen heute noch lebenden Naturvölker betrachten. Daraus leiten wir ab, wie es bei den prähistorischen Menschen zugegangen sein mag. Ob in der historischen Entwicklung der Religionen der Fetischkult nun vor dem Animismus kam oder danach – im Ganzen genommen müssen die religiösen Vorstellungen unserer Vorfahren denjenigen geähnelt haben, die von den Stammesgemeinschaften der Naturvölker teilweise noch heute praktiziert werden. Der Erdboden, der mit den Spuren der Behausungen, mit den Waffen und Gebrauchsgegenständen unserer Vorfahren auch deren Amulette erhalten hat, liefert uns die Beweise dafür. Sie stellten sich eine Welt voller Geister vor, voller Seelen der Dinge und Seelen der Toten, und ihnen schrieben sie alles zu, was ihnen widerfuhr, ob es nun gut war oder böse. Der Gedanke, dass einige dieser Geister wohlwollend wirkten, andere übel wollend, einige freundlich, andere feindselig, ergab sich aus dem unmittelbaren Erleben, aus der Lebenserfahrung, dass sich Gewinn und Verlust ständig abwechseln. Und nicht nur das, sehr oft, wenn auch nicht immer, erkannte man, dass die Ursachen für einen Gewinn und die für einen Verlust unterschiedlich waren. Die Sonne, die Licht spendet, die Sonne, die im Frühjahr die Erde wieder grün und blühend werden und die Früchte reifen lässt, muss als eine im Wesentlichen wohlwollende Macht angesehen worden sein – der Wirbelsturm hingegen, der den Himmel mit Dunkelheit erfüllt, Bäume entwurzelt, die dürftigen Hütten zerstört und hinwegfegt, als eine im Wesentlichen übel wollende Macht. Die Menschen teilten die Geister entsprechend ihrer Wahrnehmung in zwei große Lager ein, je nachdem, ob sie von ihnen Wohl oder Wehe erfuhren. Aber diese Klassifizierung stellte keinen echten und absoluten Dualismus dar. Die guten Geister waren noch nicht die unversöhnlichen Todfeinde der bösen Geister. Ebenso wenig waren die guten Geister immer gut und die bösen Geister immer böse. Der religiöse Mensch konnte sich der Stimmung der ihn beherrschenden Geister nicht immer sicher sein. Er fürchtete nicht weniger, die freundlichen Geister zu beleidigen, als er fürchtete, die unfreundlichen zu kränken. Entsprechend versuchte er, alle Geister mit denselben Praktiken wohlgesonnen zu stimmen und vertraute keinem von ihnen allzu sehr. Zwischen guten und bösen Geistern bestand, streng genommen, kein moralischer Widerspruch, sondern nur ein Gegensatz entsprechend dem, was sie bewirkten. Sie konnten keinen moralischen Charakter haben, da ein solcher ihren Verehrern, die gerade erst vom Tier zum Menschen

Seite 6: Francisco de Goya y Lucientes, Der behexte Mann, ein Ausschnitt aus El Hechizado por Fuerza („Der Behexte wider Willen“), 1798. Öl auf Leinwand, 42,5 x 30,8 cm. The National Gallery, London.

Anonym, Der riesenhafte Geist, 5000 bis 3000 v. Chr. Tassili-n’Ajjer, Algerien.

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Anonym, Statuette des Dämons Pazuzu mit Inschrift, frühes erstes Jahrtausend v. Chr. Bronze, 15 x 8,6 x 5,6 cm. Musée du Louvre, Paris. Anonym, Siva Nataraja, Tamil Nadu, späte Cola-Zeit, 12. Jh. Bronze. National Museum of India, Neu-Delhi. Anonym, Geflügelter Dämon. Rotfigurige Vasenmalerei. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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geworden waren, ja auch noch fehlte. Nur insofern kann man sie als gut oder böse bezeichnen, als dem frühen Menschen all das gut erscheint, was ihm hilft, und all das als böse, was ihm schadet. Die wilden Verehrer jener Geister begriffen diese in jeder Hinsicht wie sich selbst: wankelmütig, Leidenschaften unterworfen, manchmal gütig, manchmal grausam. Auch betrachteten sie die guten Geister nicht als höher stehend oder würdiger als die bösen Geister. Zugegeben, bei den bösen Geistern erscheint bereits ein Schatten Satans, eine Art Entwurf zum Geist des Bösen, aber dieses Böse ist rein physischer Natur. Das Böse ist das, was schadet, und ein böser Geist ist einer, der den Donner schleudert, das Feuer der Vulkane anheizt, das Land überflutet, Hunger und Krankheit ausstreut. Dieser Geist verkörpert noch nicht das moralisch Böse, denn in den Köpfen der Menschen wird noch gar nicht zwischen moralisch gut und moralisch böse unterschieden; von den zwei Gesichtern Satans, dem des Verderbers und dem des Versuchers, zeigt dieser böse Geist nur eines. Ihm haftet keine besondere Schande an, und niemand steht über ihm, beherrscht ihn und gebietet ihm. Stück für Stück bildet sich jedoch ein moralisches Bewusstsein heraus und wird wahrgenommen, und die Religion nimmt einen ethischen Charakter an, den sie vorher weder hatte noch haben konnte. Das bloße Schauspiel der Natur, wo Kräfte anderen Kräften entgegenwirken, wo eine zerstört, was die andere geschaffen hat, suggeriert die Vorstellung von zwei entgegengesetzten Prinzipien, die sich gegenseitig leugnen und bekämpfen. Nun ist der Mensch nicht mehr weit davon entfernt, zu begreifen, dass es neben dem physischen Gut und Böse ein moralisches Gut und Böse gibt, und er glaubt, in seinem Inneren denselben Gegensatz zu erkennen, den er in der Natur sieht und erlebt. Der Mensch nimmt sich als gut oder böse wahr, er begreift sich selbst als besser oder schlechter. Er erkennt diese in ihm steckende Güte oder Bosheit jedoch nicht als etwas ihm Eigenes, als Ausdruck seines Wesens, denn er ist daran gewöhnt, sein physisches Gut und Böse göttlichen und dämonischen Mächten zuzuschreiben, ebenso schreibt er nun sein moralisches Gut und Böse göttlichen und dämonischen Mächten zu. Vom guten Geist kommen folglich nicht nur Licht, Gesundheit und all das, was das Leben erhält und vermehrt, sondern auch Heiligkeit, verstanden als in sich geschlossenes Ganzes aller Tugenden. Vom bösen Geist kommen nicht nur Dunkelheit, Krankheit und Tod, sondern auch die Sünde. So also schaffen sich die Menschen Götter und Dämonen: indem sie die Natur anhand rein subjektiver Urteile in Gut und Böse einteilen und in dieses physikalische Gut und Böse das moralische Gut und Böse, das ihnen selbst zu eigen ist, hineinkneten wie in einen Teig. Ist das moralische Bewusstsein, das instinktiv die Überlegenheit des Guten über das Böse bestätigt und nach dem Sieg des einen über das andere verlangt, nun erst einmal geweckt, erscheint der Dämon dem Gott untergeordnet und von einer Schande gezeichnet, die umso größer wird, je mehr sich dieses Bewusstsein regt und zu dominieren beginnt. Der Dämon, der in seinem Ursprung mit einem Gott verwechselt wurde, da beide gleichgestellte neutrale Geister waren, die beide Gutes,

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aber auch Böses tun konnten, wird nun mehr und mehr von dem Gott unterschieden, von ihm abgegrenzt, und löst sich schließlich völlig von ihm. Er wird zum Geist der Finsternis und sein Gegner zum Geist des Lichts; der eine zum Geist des Hasses, der andere zum Geist der Liebe; der eine zum Geist des Todes und der andere zum Geist des Lebens. Satan wohnt von nun an in der Hölle, Gott im Himmelreich. So hat sich dieser Dualismus etabliert und determiniert, so entwickelt sich die ihm innewohnende Idee durch das langsame und mühevolle Wirken der Zeit aus der Vorstellung, die die Menschen von der Natur und von sich selbst haben. Diese Geschichte des Dualismus, die ich hier angerissen habe, ist jedoch gewissermaßen ein Schema und ein Idealbild dieser Geschichte, nicht die konkrete, nicht die wirkliche Geschichte. Den Dualismus findet man entweder voll entwickelt oder im Embryonalstadium, entweder offenbart oder impliziert, in allen oder zumindest fast allen Religionen. Allerdings bewegt er sich in verschiedenen Ebenen, nimmt verschiedene Formen an und äußert sich auf vielfältige Weise. Er passt sich damit an die Verschiedenheit der Kulturen der Welt an. Wie wir gesehen haben, tauchen übel wollende Geister bereits in den einfachsten und am wenigsten differenzierenden Religionen auf, allerdings sind sie dort nicht genau abgegrenzt und bezeichnet und gewissermaßen zwischen den Dingen verstreut. Je klarer definiert und vollständiger die organische Struktur der gehobeneren Religionen wird, desto genauer abgegrenzt und bezeichnet erscheinen die bösen Geister, sie fangen an, Attribute und Persönlichkeit zu zeigen. Was die großen Religionen der Geschichte angeht, haben wir zu der des alten Ägypten die frühesten und gesichertsten Kenntnisse. Gegen Ptah, Ra, Ammon, Isis, Osiris und andere – wohlwollende Gottheiten, die Leben schenken und Wohlstand gewähren – standen die Schlange Apepi, die Personifizierung von Unreinheit und Finsternis, und der gefürchtete Set, der Störer, der Verwüster, der Vater der Lüge und des Betrugs. Die Phönizier setzten Baal und Asherah dem Moloch und Astarte gegenüber. In Indien hatten Indra, der Erzeuger, und Varuna, der Bewahrer, als Gegenspieler Vritra und die Asuras. Und der Dualismus verschaffte sich sogar Zugang zum hinduistischen Konzept der Trimurtri. In Persien musste Ormuzd mit Ahriman um die Herrschaft über die Welt ringen. In Rom und Griechenland erhob sich ein ganzes Geschlecht übel wollender Genii und Ungeheuer gegen die selbst nicht immer wohlwollenden Götter des Olymp, und Python, Typhon, Medusa, Geryon, böse Dämonen aller Art, Larven und Lemuren erschienen auf der Bildfläche. Der Dualismus taucht ebenso in der germanischen und der slawischen Mythologie wie ganz allgemein und generell in allen Mythologien auf. In keiner anderen alten oder modernen Religion hat der Dualismus seine Form so vollständig ausgebildet und ist so augenfällig wie im Mazdaismus, der Religion der alten Perser – so verrät es uns das Avesta –

aber in allen Religionen ist er zu spüren und in allen kann er, zumindest bis zu einem gewissen Grade, auf die großen Naturerscheinungen zurückgeführt werden, auf den Wechsel von Tag und Nacht und den Wandel der Jahreszeiten. Die verschiedenen Vorstellungen, Bilder und Ereignisse, in denen er Gestalt annimmt, zeichnen ein Gemälde nicht nur vom Charakter und der Kultur der Menschen, die ihm einen Platz im System ihrer eigenen Glaubensinhalte zuweisen, sondern auch vom Klima, in dem sie leben, vom Zustand ihres Bodens, von den Umbrüchen in ihrer Geschichte. Der Bewohner einer heißen Gegend erkennt im Wüstenwind, der die Luft versengt und das Getreide auf dem Halm verdorren lässt, das Werk des bösen Geistes. Der Bewohner nördlicher Breiten erkennt es im Frost, der alles Leben um ihn her erstarren lässt und ihn selbst mit dem Tode bedroht. Wo das Land immer wieder von Erdbeben erschüttert wird, wo Vulkane zerstörerische Asche und Lava speien, stellt sich der Mensch unschwer unter der Erde hausende Dämonen vor, böse unter den Bergen begraben liegende Riesen, und auch Schächte, Kamine und Öffnungen zur Unterwelt. Wo häufig Stürme und Gewitter den Himmel zerreißen, sieht er Dämonen, die heulend durch die Lüfte fliegen. Wenn ein Feind im Lande einmarschiert, es einnimmt und bezwingt, werden die unterjochten Bewohner ganz sicher die abscheulichsten Merkmale des Unterdrückers auf zumindest einen oder alle bösen Geister übertragen. So ist Religion also ein zusammengesetztes Etwas, eine Mischung mannigfaltiger Dinge, die nicht immer, das ist wohl wahr, zurückverfolgt und einzeln aufgezeigt werden können. Die Griechen hatten eigentlich keinen Satan, auch nicht die Römer, und es mag seltsam anmuten, dass Letztere, die viele abstrakte Vorstellungen wie Jugend, Eintracht, Keuschheit vergöttlichten, sich nie eine echte Gottheit oder Macht des Bösen vorstellten, auch wenn sie doch Gottheiten wie Febris, Robigo und andere ähnlichen Charakters zu ersinnen vermochten.5 Dennoch fehlen in den Religionen der Griechen und der Römer keineswegs antagonistische Mächte und Figuren, die eine Art doppelte Erscheinung darstellen. Und wenn man sich ein bisschen genauer mit dem Gepräge dieser beiden Völker, mit ihrer Geschichte und ihren Lebensumständen befasst, dann erkennt man, dass der Dualismus bei ihnen auch kaum eine sonderlich andere Form hätte annehmen können als die, die er tatsächlich annahm. Wir sollten außerdem nicht vergessen, dass es weder im alten Griechenland noch im alten Rom ein heiliges Sittenbuch gab, einen theokratischen Kodex im eigentlichen Sinn. Der Dualismus nimmt zuerst im Judentum, später dann im Christentum Form an und bildet spezielle Charakteristiken aus. Und wenn auch in anderen Religionen, selbst in den primitiven, eine Art Phantom des Satans ausgemacht werden kann, eine Form, die man – um einen Begriff aus der Chemie zu verwenden – allotrop nennen könnte, eine Form mit vielen Namen, manchmal erweitert oder vergrößert, so

Abû Ma’shar, Das Buch der Geburten (Kitab al-mawalid). Bibliothèque nationale de France, Paris.

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gehört doch der wahre Satan mit den Eigenschaften, die typischerweise nur er hat und die seine Persönlichkeit ausmachen, in diese beiden oben genannten Religionen, und ganz besonders in die zweite. Satan nimmt im Mosaik des Systems zunächst nur eine bescheidene Position ein; ich möchte sagen, dass es sich nur um seine Kindheit oder Jugend handelt, er kann hier nicht erwachsen werden. Im ersten Buch Mose ist die Schlange lediglich das listigste und scharfsinnigste unter den Tieren,6 und nur aufgrund einer späteren Auslegung hat sie sich in einen Dämonen verwandelt. Das gesamte Alte Testament erkennt Beelzebub lediglich als Gottheit der Götzendiener.7 In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die Hebräer, bevor sie darauf kamen, die Existenz der Götter der Nichtjuden zu leugnen – wozu sie sich erst sehr spät entschlossen –, glaubten, diese seien tatsächlich Götter, nur eben weniger mächtig und weniger heilig als Jehova, der Gott ihres eigenen Volkes. Tatsächlich sagt das erste der Zehn Gebote nicht: „Ich bin der HERR, dein Gott, du sollst nicht glauben, dass es andere Götter neben mir gibt“, sondern: „Ich bin der HERR, dein Gott [...]. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. [...] Bete sie nicht an und diene ihnen nicht.“ Nun ist aber hinreichend bekannt, dass die Hebräer tatsächlich dafür büßen mussten, dass sie sich hatten hinreißen lassen, andere Götter zu verehren als ihre eigenen. Asasel8, der unreine Geist, dem in der Wildnis der Sündenbock übergeben wurde, beladen mit den Sünden Israels, gehört sehr wahrscheinlich zu einem bereits vor Moses bestehenden Glaubenssystem. Aber der Figur des Asasel fehlen Klarheit und Kontur, vielleicht ist er nichts weiter als eine blasse Reflexion des ägyptischen Set und eine Erinnerung an die Jahre in Knechtschaft, die die Hebräer im Lande des Pharaos erdulden mussten. Es ist eine weitgehend anerkannte Meinung, dass die Hebräer erst nach der babylonischen Gefangenschaft klare und präzise Vorstellungen von Dämonen entwickelten. In Babylon kamen sie ständig, wenn auch nicht eng, mit dem Mazdaismus in Berührung. Die Hebräer konnten sich mit bestimmten Lehren daraus bekannt machen und diese teilweise übernehmen. Von jenen Lehren muss diejenige, die sich mit dem Ursprung des Bösen befasst, leichten Zugang zu den hebräischen Köpfen gefunden haben, empfänglich, wie sie aufgrund ihres neuerlichen Unglücks und der Vorzeichen einer düsteren Zukunft dafür waren. Eine solche Meinung lässt Raum für etliche Zweifel, man kann mehr als einen Einwand dagegen vorbringen. Dennoch ist eines sicher: Selbst wenn es den Hebräern vor dem Exil nicht an einer Vorstellung übel wollender Geister und einem Glauben an ihr Wirken gefehlt hat, so nahm Satan doch erst in den nach dem Exil entstandenen Schriften die Gestalt und die für ihn so typischen Eigenschaften an. Im Buch Hiob ist Satan noch einer der Engel im Himmel9 und keiner, der Gott wirklich widerspricht oder Gottes Werke behindert. Er bezweifelt die Standhaftigkeit und Tugendhaftigkeit Hiobs und provoziert die Prüfung, die diesen von den Höhen des Glücks in die tiefsten Tiefen des Elends stürzen wird.

Anonym, Szenen der Hölle, 1125-1130. Église Saint-Pierre, Kirchenwestseite, Südportal, Moissac (Frankreich).

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Ungeachtet dessen ist er kein Anstifter zur Sünde und kein Urheber von Leid. Und doch zweifelt er an Hiobs Frömmigkeit, und einige der Übel, die den unschuldigen Patriarchen befallen, stammen von ihm. Satan wächst Stück für Stück und ist schließlich vollständig. Sacharja stellt ihn als einen Feind und Ankläger des auserwählten Volkes dar, der erpicht darauf sei, es um die göttliche Gnade zu betrügen.10 In der Weisheit Salomons ist Satan ein Unruhestifter und einer, der das Werk Gottes untergräbt und zerstört. Er war es, der durch Neid unsere Vorfahren zur Sünde trieb.11 Er ist das Gift, das die Schöpfung verdirbt, verschmutzt und zerstört. Im Buch Henoch jedoch, und da besonders im älteren Teil, sind die Dämonen lediglich entzückt von den Töchtern der Menschen und verheddern sich in den Fallstricken von Geist und Materie, so als ob man bei einer Prosa dieser Sorte versuchen würde, der Anerkennung einer Ordnung ursprünglich diabolischer Wesen aus dem Wege zu gehen. Im jüngeren Teil desselben Buches dagegen sind die Dämonen aus diesen Verbindungen geborene Riesen. In den Lehren der Rabbis nimmt Satan neue Merkmale und Eigenschaften an. Noch im Alten Testament trat seine Figur nur wenig hervor und könnte sogar als flüchtig, vergänglich bezeichnet werden im Vergleich zu der Auffälligkeit, die er später besaß. Dafür mag es mehrere Gründe geben, der Hauptgrund ist jedoch zweifellos im Wesen des jüdischen Monotheismus selbst zu suchen, der so beschaffen ist, dass er nur mit großer Mühe Raum lässt für jegliches positive dualistische Konzept. Jehova ist ein absoluter Gott, ein despotischer Herr, äußerst eifersüchtig und bedacht auf seine eigene Macht und Autorität. Er kann es nicht ertragen, dass sich Wesen gegen ihn erheben, weniger mächtig zwar als er, aber Wesen, die sich erkühnen, ihm zu widerstehen, die sich als seine Widersacher aufspielen, die es wagen, sein Werk zu Fall bringen zu wollen. Sein Wille ist das einzige Gesetz, das die Welt regiert und dem sich alle Mächte unterzuordnen haben, außer vielleicht jene Gottheiten der Nichtjuden, deren Existenz zwar nicht geleugnet wird, die aber nicht als lebendige Elemente in den Organismus von Jehovas Religion eindringen. Deshalb erscheint im Buch Hiob, mehr als irgendwo sonst, Satan ein Diener Gottes zu sein, ein Anstifter zu göttlichen Prüfungen und Experimenten. Aber es gibt auch andere Gründe. Man braucht bloß die Persönlichkeit Jehovas etwas genauer zu betrachten und wird prompt feststellen, dass dort, wo solch ein Gott existiert, ein Dämon keinen Daseinsgrund mehr hat. In Jehova sind die opponierenden Mächte, die kontrastierenden, entgegengesetzten moralischen Elemente, die, wenn sie einzeln und deutlich getrennt auftreten, zum Dualismus führen, noch ganz schön vermengt und vermischt. Jehova ist brutal, eifersüchtig, unerbittlich. Die Strafen, die er verhängt, stehen in keinerlei Verhältnis zu den begangenen Verfehlungen. Seine Rache, seine Vergeltungsschläge sind furchtbar und grausam, sie

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Anonym, Das Jüngste Gericht (Detail), 1105-1110. Église Sainte-Foy, Tympanon, Westportal, Conques (Frankreich).

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Gislebertus, Das Jüngste Gericht (Detail). Steinbildhauerei. Cathédrale Saint-Lazare, Tympanon, Westportal, Autun (Frankreich).

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treffen ohne Unterschied die Schuldigen und die Unschuldigen, die Menschen und die Tiere. Er quält die, die ihn anbeten, mit absurden Vorschriften, wodurch sie in der ständigen Furcht vor Sünde leben. Er gebietet ihnen, die Bewohner der eroberten Städte mit blankem Schwert zu vernichten. Er spricht durch Jesaja: „... der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Übel. Ich bin der HERR, der solches alles tut.“12 In ihm sind Gott und Satan noch vereint, aber die langsam voranschreitende Trennung der beiden und der daraus resultierende endgültige Antagonismus sind Anzeichen dafür, dass das Christentum vor der Tür steht. Satan ist zwar ansatzweise schon da, aber seine Existenz steigt erst im Christentum zur vollen Größe auf – in der Religion, die für sich beansprucht, die Erfüllung jenes Judaismus zu suchen, aus dem sie entsprang, die ihn aber in so großem Maße leugnet. Hier werden wir nun mit einem Gewirr historischer und moralischer Fragen konfrontiert, die alle bewirken, dass sich die finstere Figur des Satans unaufhörlich erhöht, ausschmückt und vergrößert. Andererseits wird Jehova in einen Gott verwandelt, der unvergleichlich milder und freundlicher ist, einen Gott der Liebe, der zwangsläufig jegliches satanische Element als nicht integrierbar von sich weist. Und indem nun Christus selbst zur Gottheit erhoben wird – zur gütigen, strahlenden Gottfigur, die aus Liebe zu den Menschen selbst Mensch wurde, die um derentwillen sein Blut gab und einen schmachvollen Tod erlitt –, durch eben diesen Gegensatz bringt er die grimmige und düstere Figur des Widersachers hervor, was den Menschen noch dazu eine bisher nicht da gewesene Erleichterung verschafft. In der menschlichen Tragödie, verschmolzen mit der göttlichen Tragödie, äußern sich die inneren Ursachen dieser wundersamen Entwicklung, wecken in den Köpfen der Menschen neue moralische Vorstellungen, neue Vorstellungen von den Dingen, ein neues Bild des Himmels und der Erde. Es ist also wahr, dass Satan unsere Vorfahren zur Sünde verleitete und Gott somit der menschlichen Familie und der Welt, in der diese lebte, beraubte. Wie groß muss seine Macht sein, wie stark die von ihm usurpierte Herrschaft, dass der Sohn Gottes selbst sich opfern muss, sich in jenen Tod ergeben muss, der ausgerechnet durch den bösen Feind, den Teufel, in die Welt kam, nur um das Verlorengegangene freizukaufen, zu erlösen! Bevor Gott sich ans Werk der Erlösung machte, konnte sich Satan in seinem Besitz ruhig und sicher fühlen. Und nun, da diese Erlösung vollbracht ist, und auch schon davor, muss er sich noch nicht einmal aufs Äußerste anstrengen, um mit dem Sieger um die Früchte des Sieges zu kämpfen und zurückzugewinnen, zumindest in Teilen, was er verloren hat? Ja, er wagt es sogar, den Erlöser selbst zu versuchen, und der Apostel stellt ihn als brüllenden Löwen auf der Suche nach Beute dar, die er verschlingen kann.13 Aber wenn die Umstände der Erlösung, wenn der hohe Rang Gottes, der sie herbeiführte, Satan ein gewisses Maß an Größe und Wichtigkeit verlieh, das er anderweitig nicht hätte haben können, so beraubte die

Erlösung an sich ihn nicht einmal all seiner Beute, die er gemacht hatte oder die er noch machen würde. Und der Sieg Christi stürzte seine Macht nicht so vollständig, wie es die Erlösten ersehnt und so froh gehofft hatten. Johannes sagte, die Welt müsse gerichtet und der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden.14 Paulus erklärte, der Sieg Christi sei vollständig, und Christus habe mit seinem Tod den König des Todes zerstört.15 Dennoch war der Fürst dieser Welt nicht wirklich entthront, der König des Todes nicht erschlagen, sondern verstreute weiter seine tödliche Saat wie ehedem – ewigen Tod nicht weniger als irdischen Tod. Christus bricht durch die Pforten der Hölle, er stürmt in das Reich der Finsternis, er entvölkert den Ort der Verdammnis, aber hinter ihm schließen sich die Pforten wieder, die Finsternis wächst erneut, die Hölle füllt sich wieder mit Verdammten. Es ist schon seltsam, aber nie sprachen die Menschen so viel über Satan, nie fürchteten sie ihn so sehr wie nach dem Sieg Christi, nach der Vollendung des Werks der Erlösung! Es kam auch nicht aufgrund einer simplen Fehleinschätzung, aufgrund irgendeines logischen Widerspruchs dazu. Das Böse wurde in solcherart Lettern ins Buch des Lebens gedruckt, dass keine bloße religiöse Lehre, kein Traum von Glaube und Liebe es ausradieren kann. Auf jeder Seite bot sich den Augen der neuen Gläubigen das entmutigende Schauspiel einer in Auflösung begriffenen Welt. Die zarte, duftende Blume der Lehren Christi entfaltete sich mitten in der Kloake des Satans. War in jenem bunten Polytheismus, der den Geist der Menschen so bezaubert und verführt hatte, nicht das Werk des ewigen Ausweichtaktikers zu erkennen? Waren nicht Jupiter und Minerva, Mars und Venus und all die anderen Götter, die den Olymp bewohnten, Wiedergeburten seiner selbst oder Diener ihm zu Willen, Vollstrecker seiner Pläne? Jene muntere, lustvolle, frohgemute Kultur des Heidentums, jene blühenden Künste, jene kühne Philosophie, jener Reichtum, jene Ehre, jene Bilder von Liebe und Müßiggang, jene grenzenlosen Ausschweifungen – waren sie nicht alle seine Erfindungen, seine Tricks und Kniffe, Ausdruck und Werkzeug seiner Tyrannei? War nicht Roms Reich das Reich des Satans? Ja, das war es, denn: In den Tempeln wurde Satan angebetet, bei den öffentlichen Festen gepriesen, Satan saß bei Cäsar auf dem Thron, Satan bestieg zusammen mit den Triumphatoren den Kapitolinischen Hügel. Wer vermag zu sagen, wie oft die andächtig betenden Gläubigen, die sich in den Katakomben versammelt hatten und den Lärm, den Aufruhr und das Getöse über ihren Köpfen vernahmen, aus Furcht, der diabolische Sturm könne die Barke Christi verschlingen, gezittert hatten. Wer weiß, wie oft sie sich selbst noch im Schutze des Kreuzes bedroht und übermannt gefühlt hatten? So nahm Satan durch die Größe der sich ganz um ihn drehenden heidnischen Welt beträchtliche Ausmaße an. In allen Bereichen des Lebens und von allen Seiten bedrängt, wurde der Teufel zu einem „… starken Gewappneten“16, den zu besiegen Christus gekommen war, und der,

Nikolaus von Verdun, Klosterneuburger Altar (Detail), 1180. Augustiner-Chorherrenstift, Klosterneuburg (Österreich).

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Anonym, Messbuch der Kirche St. Nicaise in Reims (Missale Remense), zwischen 1285 und 1297. Pergament, Miniatur, 23,3 x 16,2 cm (Text: 14,7 x 10,5 cm). Russische Nationalbibliothek, St. Petersburg. Pol de Limburg, Der Sturz und das Gericht Lucifers, aus: Das sehr reiche Stundenbuch des Herzogs von Berry (Les Très Riches Heures du Duc de Berry), frühes 15. Jh. Illuminierte Handschrift. Musée Condé, Chantilly (Frankreich).

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besiegt, noch kühner und aggressiver wurde als zuvor. Und die Seele des Christen füllte sich mit Bestürzung und Entsetzen – wie sollte er sich schützen gegen die Listen und Ränke, wie sich verteidigen gegen die Angriffe eines Feindes, der giftiger war als die Hydra, vielgestaltiger als Proteus? Der Kirchenschriftsteller Tertullian (um 160 bis nach 220) warnt ihn, auch andere warnen ihn, nicht die Gesellschaft der Heiden zu suchen, nicht an ihren Festen und Spielen teilzunehmen, kein Gewerbe zu betreiben, das direkt oder indirekt dem Götzendienst zuarbeitet – aber wie soll er ein solches Verbot einhalten, er muss doch leben? Oder wie soll er, wenn er es einhält, sicherstellen, dass sein Herz rein bleibt, wenn doch der ganze Boden, auf dem er geht, die Luft, die er atmet, aus Sünde und Unreinheit bestehen? Auch ist Satan kaum zufrieden mit bloßem Verlocken und Ränkeschmieden, mit ganz anderen Waffen zieht er los, um wiederzuerlangen, was er verloren hat. Er stürmt, kaum dass der Grundstein gelegt ist, die Kirche von allen Seiten, und wie ein bronzeköpfiger Rammbock rennt er Tag und Nacht gegen ihre Mauern an und bringt sie zum Erzittern. Er schürt furchtbare Drangsalierungen und versucht, den neuen Glauben in Blut und Schrecken zu ertränken. Er nährt die großen ketzerischen Lehren und reißt zahllose Lämmer aus der Herde Christi. Traurige Zeiten! Leben voller Gefahr und Leiden! Nein, das Reich Christi kommt noch nicht. Aber jene traurigen, betrübten Geister, denen der Glaube seine Flügel leiht, meinen, in apokalyptischen Visionen ein Stück seiner strahlenden Glorie in der Ferne ausmachen zu können, und sie verkünden das erneute Kommen des Erlösers und den endgültigen Sturz der „… alten Schlange“.17 Vergebliche Träume! Enttäuschte Hoffnungen! Der Erlöser kommt nicht, und die alte Schlange, giftiger denn je zuvor, ringelt sich immer mehr und umschlingt die Welt enger und enger. Beweis auf Beweis dafür bieten die Lehren bestimmter Sekten, die der Kirche besonders in den ersten drei Jahrhunderten zusetzten. Alle wollten einen sich nur wenig von dem der Perser unterscheidenden Dualismus ins Christentum bringen. Diese Lehren machen zusammengenommen das aus, was man gemeinhin ‘Gnostizismus’ nennt. Die extremeren Sekten haben die Tendenz gemeinsam, Satan eine sogar noch höhere Bedeutung zuzuweisen, als er vorher besaß – Satan als den Schöpfer unseres körperlichen Wesens anzusehen, das Böse zum ursprünglichen und unabhängigen Prinzip zu machen, das nicht aus Verfall und Unvollkommenheit entsprungen ist, sondern genauso wie das Gute ewig und mit dem Guten im Kampf ist. Damit wuchs Satans Macht, das Werk der Erlösung wurde schwieriger, das Heil ungewiss. Clemens von Alexandria (um 150 bis 210) und Origenes (185 bis 254) hatten behauptet, alle Geschöpfe würden zu Gott, ihrem gemeinsamen Ursprung, zurückkehren. Der heilige Augustinus (354 bis 430) dagegen meinte, Gott würde nur ein paar Auserwählte retten, aber der Großteil des Menschengeschlechts würde dem Teufel zur Beute fallen. Es ist keinesfalls leicht, bei all den aufeinanderprallenden Lehren und den gegensätzlichen Einflüssen, bei all den philosophischen Spekulationen, besonders den neoplatonischen und den kabbalistischen,

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Maître des Anges rebelles, Sankt Martin teilt seinen Mantel und Der Sturz der rebellischen Engel, um 1340-1345. Öl auf Holz auf Leinwand übertragen, 64 x 29 cm, (Vorderseite). Musée du Louvre, Paris, France.

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den grandiosen Fantasien der Gnosis und dem bereits schwankenden orthodoxen Dogma – es ist nicht leicht, sich bei alldem einen klaren und genauen Begriff von den Wandlungen und dem Zuwachs Satans in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche zu machen. Wer weiß, welch monströser und absonderlicher Synkretismus die Religion Roms geworden war, der kann sich leicht vorstellen, dass Satan aus diesem undurchsichtigen Sammelsurium absurder Glaubensvorstellungen und verrückter Praktiken natürlich mehr als ein Element seiner neuen Persönlichkeit ableiten würde. Der Satan der Christen ist in der Tat das Ergebnis des Aufeinandertreffens und der gegenseitigen Durchdringung unterschiedlicher Kulturen, entgegengesetzter Philosophien, feindlich gesinnter Religionen. Und wenn die Kirche triumphiert, wenn sich das Dogma durchgesetzt hat, dehnt er seine fürchterliche Herrschaft über die ganze Welt aus. Durch die unverbesserliche Verderbtheit des Heidentums bekommt die Vorstellung vom Bösen ein neues Gewicht, und derjenige, der diese Vorstellung verkörpert, wächst zu gigantischer Größe auf. Die Christen glaubten, dass die heidnische Welt das Werk Satans war. Tatsächlich bezog Satan seine Gestalt, die er in der Einbildung der Christen hat, in großem Maße aus der heidnischen Welt. Ohne das Römische Reich wäre Satan ein ganz anderer geworden, als er nun ist oder war. All das in heidnischer Kultur verstreute Scheußliche und Teuflische sammelt und konzentriert sich in ihm, und ihm wird logischerweise die Schuld für alles zugewiesen, was dem frommen und störrischen christlichen Gewissen als Sünde erscheint – und das umfasst unendlich viele Taten, Gedanken und Gewohnheiten. Die Götter, die früher ihre eigenen Tempel und Altäre hatten, sterben oder verschwinden nicht einfach, sondern werden in Dämonen verwandelt, einige verlieren zwar ihre verführerische Schönheit, aber alle behalten und verstärken ihre uralte Bosheit. Juno, Merkur, Neptun, Vulkan, Apollo, Diana, Jupiter, Zerberus sowie die Faune und Satyrn überdauern, auch wenn ihnen nun keine Verehrung mehr entgegengebracht wird, sie tauchen in der Dunkelheit der christlichen Hölle wieder auf und verstopfen die Köpfe der Menschen mit wunderlichen Ängsten und Schrecken, aus denen furchtbare Fantasien und Legenden entspringen. Diana, in einen Mittagsdämon verwandelt, fällt über diejenigen her, die so unvorsichtig sind, ihrer Gesundheit keine Beachtung zu schenken. Bei Nacht führt sie die Scharen der Hexen, ihre Schülerinnen, auf ihrem Flug durch den stillen, weiten Sternenhimmel an. Venus, immerfort brennend vor Leidenschaft, nicht weniger hübsch als Dämon denn als Göttin, übt immer noch ihre uralte Kunst an den Menschen, erfüllt sie mit unstillbarem Verlangen, usurpiert das Lager verheirateter Frauen, trägt den Ritter Tannhäuser, der, trunken vor Verlangen, sich nicht länger um Christus schert und nach Verdammnis giert, auf ihren Armen hinab ihn ihre unterirdische Behausung. Einer der Päpste, der 955 zum Papst gewählte und 963 von Kaiser Otto I. (912 bis 973) abgesetzte Johannes XII. (937/939 bis 964), der sich nach seinen Anklägern schuldig gemacht hatte, sein Glas auf die Gesundheit des Teufels erhoben zu haben, ruft beim Würfelspiel Venus, Jupiter und die anderen Dämonen um Hilfe an.

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Satan wird oft als Faun, als Satyr oder als Sirene dargestellt. Als die Kirche letztendlich triumphiert, scheint die Geschichte Satans bis ins kleinste Detail bekannt und seine Figur vollständig zu sein. Die Menschen kennen – oder glauben es zumindest – seine Ursprünge, die früheren und späteren Wandel und Wechsel seiner Laufbahn, seine Werke und seine Entwicklung. Die Kirchenväter haben ihn beschrieben und porträtiert. Satan wurde als Guter erschaffen und machte sich böse; er fiel aufgrund seiner eigenen Sünde und riss dabei unzählige Gefolgsleute mit in den Ruin. Später wird man sich erzählen, dass ein Zehntel der himmlischen Heerscharen ausgestoßen und kopfüber in den Abgrund der Hölle gestürzt wurde. Und eine Schar neutraler Engel wird man sich vorstellen, weder Rebellen gegen Gott noch Satan ablehnend, bloße Zuschauer beim Kampf zwischen den beiden. Das sind die Engel, denen Brendan der Reisende18 (um 484 bis 577) auf seinen abenteuerlichen Fahrten begegnet, von denen Parsifal im fernsten Osten, da, wo der Heilige Gral bewacht wird, berichtet wird,19 und die Dante zusammen mit jenen elenden Feiglingen, „… die nimmer wahrhaft lebten“20 in den Vorhof der Hölle steckt. Doch Satan wächst weiter, seine Persönlichkeit ist noch nicht vollendet. Seine Geschichte ist wirklich lang, und wenn eine Ära zu Ende gegangen ist, fängt eine neue an. Selbst die Asketen, die meinten, ihm entgehen zu können, indem sie der Welt entsagten, und die ihn in der Wüste wiedertrafen, mächtiger und böswilliger denn je, die zahllose Täuschungen erduldet und seine grausamen Beleidigungen über sich hatten ergehen lassen, kannten ihn noch nicht in allen seinen Facetten. Auf alte Miseren folgten neue, auf eine Zeit tiefster Verderbtheit folgte eine Zeit heftiger Zerstörung, dadurch geriet, so schien es, die Welt aus den Fugen. Schon haben die Barbaren den trüben Norden verlassen und rollen heran wie die See, die die Deiche überflutet, die bisher standgehalten haben, und unter diesem Anprall zerfällt das Römische Reich in tausend Trümmer. Die böse und verfluchte heidnische Kultur wird ausgelöscht, doch nur, um Platz zu schaffen für die hoffnungslose Finsternis der Barbarei, in der es unmöglich ist, irgendeinen schwachen Schein der Erlösung zu erspähen. Es schien damals, als stünde das Reich der Menschen kurz vor seinem Ende, oder als wolle ein brutales, primitives Reich auf der Erde seinen Anfang nehmen. Diese schreckliche Katastrophe, die der Kirchenvater Salvianus (um 400 bis um 480) mit glühender Beredsamkeit beschreibt, ließ die Menschen an der Vorsehung zweifeln. Sie bot ein Schauspiel des Bösen bisher ungekannten Ausmaßes und stellte in neuem Trost, was nur natürlich war, die Figur dessen zur Schau, der Quelle und Förderer allen Übels ist. Satan wuchs durch die Taten der Barbaren. Gleichzeitig wuchs er aber auch durch vieles, was sie glaubten und zog alles aus ihrer Religion auf sich (und das war nicht wenig), was irgendwie zu seinem eigenen Charakter passte. Durch den Kontakt zu den Griechen und Römern wurde er gewissermaßen hellenisiert und romanisiert, durch den Kontakt zu den Barbaren aus dem Norden wurde er germanisiert. Unzählige Figuren der germanischen Mythologie wie Loki, der Wolf

Maître des Anges rebelles, Sankt Martin teilt seinen Mantel und Der Sturz der rebellischen Engel, um 1340-1345. Öl auf Holz auf Leinwand übertragen, 64 x 29 cm, (Rückseite). Musée du Louvre, Paris, France. Pieter Bruegel d. Ä., Sturz der Engel, 1562. Öl auf Holz, 117 x 162 cm. Musée Royaux des Beaux Arts, Brüssel.

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Fenris, Elfen, Gnomen und Sylphen werden auf Satan projektiert, der dadurch neue Eigenschaften, neue Erscheinungsformen und neue Handlungsspielräume gewinnt. Auf diese Weise wird Satan geschaffen und geformt. Mal kommt ein großer Schwung auf einmal hinzu, mal wächst er nur langsam und allmählich, es ist eine fortlaufende Schichtung und permanente Einsickerung, in unaufhörlichem Wandel durchläuft er alle Stufen einer langen und beschwerlichen Evolution. Ursprünglich eine simple Elementargewalt, erwirbt er sich Stück für Stück seinen eigenen moralischen Charakter. Und wenn wir ihn in seiner Reife erblicken, wenn wir sein inneres Wesen untersuchen, sind wir erstaunt über seine Größe und begreifen die Fülle und die Mannigfaltigkeit all der Elemente, aus denen er sich zusammensetzt. Nicht nur aus den Naturgewalten, nicht nur aus den Göttern verschiedener Mythologien wurde Satan, sondern auch aus den Menschen. In Dichtungen und Legenden des Mittelalters werden Nero, Pilatus und Mohammed zu Teufeln umgewandelt. Satan erreicht den höchsten Grad seiner Entwicklung im Mittelalter, in jener unglücklichen und unruhigen Zeit, in der sich das Christentum höchst energisch gibt. Er erreicht seine Reife zur gleichen Zeit wie die verschiedenen Institutionen und eigentümlichen Erscheinungen jenes Zeitalters, und während die Kunst der Gotik in hochaufragend-betürmten Gotteshäusern ihre Blüte erlebt, erfährt im Bewusstsein der christlichen Völker auch der Mythos Satan seine Blüte, düster und ungeheuerlich. Nach dem Ende des 13. Jahrhunderts beginnt sein Niedergang, er erschlafft, ebenso erschlaffen das Papsttum, die Scholastik, der feudale Geist und der Geist der Askese. In einer Religion wie derjenigen der Griechen, strotzend vor Farbe und Leben, hätte er keine herausragende Stellung einnehmen können. Um zu wachsen und zu gedeihen braucht er Schatten, braucht er unergründliche Geheimnisse wie Leid und Sünde, die wie ein Leichentuch die Religion von Golgota (Golgatha) einhüllen. Satan ist ein Kind der Angst, und der Schrecken beherrscht das Mittelalter. Ergriffen von einer unüberwindlichen Angst, fürchten die Menschen die Natur, die voller böser Omen und voller Ungeheuer steckt; sie fürchten die physische Welt, die der Welt des Geistes als unversöhnlicher Feind gegenübersteht; sie fürchten das Leben als Zunderbüchse, als ständigen Anreiz zur Sünde; sie fürchten den Tod, hinter dem die Ungewissheit der Ewigkeit gähnt. Träume und Visionen quälen die Gedanken der Menschen. Der stundenlang im Gebet vor dem Eingang seiner Zelle kniende ekstatische Eremit sieht bedrohliche Heere und wüste Horden apokalyptischer Bestien durch die Luft fliegen. Seine Nächte werden von flammenden Zeichen erhellt, die Sterne stehen verzerrt und blutgebadet, sind traurige Omen drohenden Unheils. Zu Zeiten der Pest, die die Menschen wie reifes Korn dahinmäht, werden Pfeile gesichtet, gewor-

fen von unsichtbaren Händen, die die Luft zerteilen und zischend verschwinden. Und dann und wann geht eine unheilvolle Kunde vom baldigen Weltenende wie ein Beben über das Gesicht der schreckerfüllten Christenheit, es ist die Kunde, der Antichrist sei zum Leben erwacht und nun werde das von der Apokalypse vorausgesagte schreckliche Geschehen beginnen. Satan wächst in den düsteren Schatten der großen Kathedralen, hinter wuchtigen Säulen, in den Nischen des Chores; er wächst in der Stille der Klöster, eingeschleppt durch die Starre des Todes; er wächst in der bewehrten Burg, wo heimliche Gewissensbisse am Herzen des verbitterten Edelmannes nagen; in der verborgenen Kammer, wo der Alchimist mit Metallen experimentiert; im einsamen Wald, wo nachts der Hexenmeister Zaubersprüche murmelt; in der Furche, in die der hungernde Leibeigene fluchend den Samen wirft, der bestimmt ist, seinen Herrn zu nähren. Satan ist überall, ungezählt sind jene, die ihn gesehen haben, ungezählt die, die mit ihm verkehrt haben. Dieser Glaube hatte starke Wurzeln getrieben, und die Kirche stärkte und förderte ihn auch noch kräftig. Die Kirche machte sich den Satan zunutze, gebrauchte ihn als höchst wirksames politisches Werkzeug und verschaffte ihm alle Anerkennung, die möglich war. Denn was die Menschen nicht aus Liebe oder aus Gehorsam zu Gott taten, das taten sie aus Furcht vor dem Teufel. Satan wurde in allen Masken gezeigt und dargestellt, gemalt oder geschnitzt, zur Bestürzung der innig Glaubenden, die das nachdenklich stimmte. Satan rundete jeden Satz des Kanzelredners und des Moralpredigers, jede Ermahnung des Beichtvaters ab. Satan wurde zum Helden einer nicht enden wollenden Legende, die Beispiele und Analogien für alle Wechselfälle des Lebens bot, für jede Tat, für jeden Gedanken. Nicht wenige Visionen des Mittelalters machen deutlich, wie man sich den Teufel für die allgemeine Politik zunutze machen konnte. Für die Kirchenpolitik war der Teufel zweifellos von weitaus größerem Nutzen als Inquisition und Scheiterhaufen, auch wenn diese beiden schon genug anrichteten. Bereits im Jahr 811 prangerte Karl der Große (747/748 bis 814) in einem seiner Kapitularien den Klerus an, Hölle und Teufel zu missbrauchen, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und sich Güter und Landbesitz anzueignen. Die Angst, die die Menschen vor dem Satan hatten, war zwar groß, der Hass, den sie gegen ihn hegten, war jedoch keinesfalls geringer. Dieser Hass war auch nicht ungerechtfertigt, denn wenn man ihn hasste, hasste man den Urheber allen Übels, und je mehr man Christus liebte, desto mehr musste man dessen Feind hassen. Aber auch in diesem Falle brachten Angst und Hass das Übliche hervor: übertriebene Ansichten und übersteigerten Glauben. Die Figur Satans hatte die Konsequenzen zu tragen, und dieses Übermaß, dieser Exzess, führte bei denen, die eines moderateren Geistes waren, zu der Einsicht, dass der Teufel gar nicht so schwarz sei, wie er gemalt wurde.

Luca Giordano, Der Erzengel Michael stürzt die abtrünnigen Engel in den Abgrund, um 1655. Öl auf Leinwand, 83 x 60 cm. Kunsthistorisches Museum, Wien.

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Die Person des Teufels NUR mit größten Schwierigkeiten, wenn überhaupt, gelingt es den Menschen, sich eine Vorstellung von einem nicht-körperlichen Wesen zu machen, das grundlegend anders ist als das, was ihre Sinne erfassen können. Für sie bedeutet das Körperlose gewöhnlich eine abgeschwächte Form, eine Verdünnung des Körperhaften, ein Stadium minimaler Dichte, vergleichbar dem der Luft oder der Flamme, wenn auch von geringerem Wert. Für alle unzivilisierten Menschen und für die überwiegende Mehrheit derjenigen, die sich zivilisiert nennen, ist die Seele ein Hauch oder ein leichter Nebel, den man sich wie eine Art Schatten vorstellen kann. Die Götter aller Mythologien sind mehr oder weniger körperlich. Die der griechischen Mythologie ernähren sich von Nektar und Ambrosia, und für den Fall, dass sie sich in die Raufereien der Sterblichen einmischen (wie sie es mitunter zu tun pflegen), laufen sie Gefahr, eine gehörige Tracht Prügel zu beziehen. Es sollte also nicht verwundern, dass die pneumatologischen Lehren der Christen und Juden den Engeln und den Dämonen im Allgemeinen Körper zuweisen. Kirchenlehrer und Kirchenväter sind sich so gut wie einig, dass Dämonen mit Körpern ausgestattet sind, dass sie diese bereits besaßen, als sie noch Engel waren, dass sie jedoch nach ihrem Sturz dichter und schwerer wurden. Die Dichte der Dämonenkörper, immer weitaus leichter als die der Menschen, wurde von denen, die sich damit beschäftigt haben, unterschiedlich eingeschätzt. Im 2. Jahrhundert erklärte der Apologet Tatian (2. Jahrhundert), ihre Dichte sei wie die von Luft oder Feuer; Basilius der Große (um 330 bis 379) wollte ihnen einen noch dünneren Körper zuerkennen. Andere, etwa Isidor, der Bischof von Sevilla (um 560 bis 636), unterstellten zu Beginn des 7. Jahrhunderts den Dämonen einen Körper aus Luft. Es ist jedoch leicht zu verstehen, dass in einer solchen Frage nicht nur eine einzige, unweigerlich von allen geteilte Meinung vorherrschend sein kann. Und man versteht auch, dass Dante, ohne das Gewissen eines einzigen verletzt zu haben, seinem Luzifer unten im Frost des Eissees Cocytus einen festen, dichten Körper geben konnte, an den er und der Dichter Vergil (70 v.Chr. bis 19 v.Chr.) sich wie an einen Felsen klammerten.21 Wenn die Dämonen Körper besitzen, müssen sie auch gewisse natürliche Bedürfnisse haben wie alle lebenden, körperlichen Wesen. Vor allem müssen sie ihren Organismus regenerieren, der durch die Anstrengung des Lebens ja ständig abgenutzt wird. Die Teufel müssen auch nach Nahrung verlangen, und tatsächlich sagen die Apologeten Athenagoras von Athen (2. Jh.) und Marcus Minucius Felix (2./3. Jh.), die Schriftsteller Tertullian und Origenes, der Senator Firmicus Maternus (4. Jh.), der Bischof Johannes Chrysostomos

(344/349 bis 407) und viele andere, dass die Teufel gierig den Dampf und Rauch der ihnen von den Heiden Geopferten aufsaugten – gewiss eine etwas gehaltlose, unstoffliche Nahrung, aber eine, die zur Verfassung der Teufel durchaus passt. Einige jüdische Rabbis sind da etwas großzügiger und wagen es, in die diabolische Diät mehr Vielfalt zu bringen. Ihnen zufolge lebten die Teufel vom Geruch des Feuers und dem Dunst des Wassers, nähmen aber auch gerne Blut, wenn sie es denn bekommen könnten. Und nach einem deutschen Sprichwort frisst der Teufel bekanntlich Fliegen, wenn er am Verhungern ist. Die einfachen Leute sprechen oft von alten Teufeln und jungen Teufeln, es gibt in den verschiedenen Sprachen viele Sprichwörter, die diesen Volksglauben zum Ausdruck bringen. Wir wissen, dass sich der Teufel, als er alt geworden war, der Einsiedelei ergab,22 und es erscheint ja auch vernünftig, dass er alt wird, denn alle organischen Wesen altern. Der bereits genannte Isidor von Sevilla erklärte jedoch, dass die Dämonen nicht altern, und wir können keine anders lautende Behauptung aufstellen, solange die diabolische Anatomie und Physiologie nicht genauer untersucht worden ist. Wenn sie nicht altern, dürften sie auch nicht sterben. Jene Rabbis, die behaupten, die Dämonen stürben genauso wie die Menschen, haben sich einer großen Lüge schuldig gemacht – nicht alle, das ist wahr, aber doch die überwiegende Mehrheit. Möglicherweise können Dämonen jedoch krank werden. Jedenfalls gingen manche Hexen in den Tagen der Inquisition so weit, dass sie aussagten – nachdem die Daumenschrauben ein klein wenig fester angezogen worden waren –, der Teufel würde von Zeit zu Zeit krank und sie müssten ihn dann heilen und pflegen. Einige Kirchenlehrer und Kirchenväter wie Papst Gregor I. (der Große; um 540 bis 604), – und er war nicht der Einzige – hätten gerne geglaubt, dass die Teufel allesamt körperlos wären, aber dieser Glaube war, wie weiter oben gezeigt, alles andere als allgemein anerkannt. Es stand jedoch jedem frei, das eine oder das andere zu glauben, und Thomas von Aquin (1225 bis 1274) kommt, nachdem er die unterschiedlichen Meinungen zum Thema angeführt hat, zu dem Schluss, dass es für den Glauben von nur geringem Belang sei, ob die Dämonen Körper haben oder nicht. Dem mag zwar so sein, für die Fantasie ist es jedoch von großer Bedeutung, denn die Menschen haben den Teufeln ganz geschwind recht solide Körper verliehen. Und wie sahen diese Körper nun aus? An dieser Stelle möge es genügen, nur die Körper zu betrachten, die die Teufel von Natur aus besitzen, nicht jene, die sie nach Belieben annehmen können und von denen später noch die Rede sein wird. Im Allgemeinen können wir davon ausgehen, dass die Körper der Dämonen in der Regel eine menschliche Gestalt hatten. Das sollte

Seite 30: Hans Memling, Irdische Eitelkeit und göttliche Erlösung, Triptychon (Detail), um 1490. Öl auf Holz. Musée des Beaux-Arts, Straßburg.

Enguerrand Quarton, Marienkrönung (Detail), 1454. Öl auf Holz, 183 x 220 cm. Musée Pierre de Luxembourg, Villeneuve-lès-Avignon (Frankreich).

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uns auch nicht verwundern, da der Mensch, der sich die Götter nach seinem Bilde schuf, auch die Engel und die Teufel nach seinem Bilde schuf. Wenn wir von einer menschlichen Gestalt sprechen, ist damit jedoch nicht gemeint, dass die Form in jeglicher Hinsicht unserer eigenen gleicht. Als Folge seiner Sünde und seines Sturzes mussten Satan („... die Kreatur, die einst so schön war“, wie Dante Alighieri ihn nennt23) und mit ihm die anderen Aufrührer zusehen, wie ihre Körper nicht nur dichter und gröber wurden, sondern auch, wie sich die unübertreffliche Schönheit, mit der Gott sie zunächst ausgestattet hatte, in eine schmähliche Hässlichkeit verwandelte. Die Physiognomie der Teufel ist also eine menschliche, aber entstellt und scheußlich; hier vermischt sich das Tierische mit dem Menschlichen, nicht selten überwiegt es. Wollten wir den Dämonen (mit Zustimmung der Zoologen) aufgrund dieser Gestalt einen Platz im zoologischen System zuweisen, müssten wir den überwiegenden Teil von ihnen in eine entsprechende Familie der Menschenähnlichen einordnen. Eine übermäßige Hässlichkeit, manchmal schrecklich und Furcht einflößend, manchmal schimpflich und lächerlich, war also die deutlichste und hervorstechendste der, ich möchte sagen, physischen Merkmale des Teufels. Und das nicht ohne Grund, denn selbst wenn es nicht stimmte, dass das Schöne, wie der griechische Philosoph Platon (427 v. Chr. bis 348/347 v. Chr.) lehrte, die Herrlichkeit des Guten ist, ist es doch sehr wohl wahr, dass die Menschen durch irgendeinen Instinkt, dessen Ursprung wir hier nicht ergründen wollen, Schönheit mit Güte und Bosheit mit Hässlichkeit assoziieren. Satan übermäßig viel Hässlichkeit angedeihen zu lassen, wurde als verdienstvolles, der Seele zugute kommendes Werk betrachtet, durch das ein legitimes Ventil für den Hass auf einen Feind gefunden wurde, den man nie genug fürchten konnte. Verfasser von Legenden, Maler und Bildhauer gaben bei der Darstellung des Satans ihr Bestes und all ihre Erfindungsgabe; und sie stellten ihn so gut, oder um es korrekt auszudrücken, so schlecht dar, dass Satan selbst sich über ihre Mühe geärgert haben muss – wobei es unwahrscheinlich ist, dass er besonders großen Wert auf seine eigene Schönheit gelegt hat. Eine bekannte Geschichte, viele Autoren des Mittelalters haben sie aufgegriffen, ist die von einem Maler, der einen bestimmten Teufel hässlicher gemalt hatte, als es fairerweise notwendig gewesen wäre. Er wurde dafür von eben jenem Dämonen kopfüber vom Gerüst geschleudert, auf dem er gerade arbeitete. Der Maler hatte Glück: eine Madonna, die er besonders schön dargestellt hatte, streckte ihren Arm aus dem Bild, fing ihn auf und hielt ihn mitten im freien Fall fest. Es war jedoch nicht notwendig, in diesem Zusammenhang irgendetwas zu erfinden, denn schließlich hatten viele Leute den Teufel mit ihren eigenen Augen gesehen und konnten genau sagen, wie er aussah. In den schwindelerregenden Fantasien der Seher nahm er auf die

geringste Erschütterung hin aus den Fetzen und Fragmenten der Bilder Form an, so wie sich die bizarren Gebilde des Kaleidoskops aus Teilchen vielfarbigen Glases zusammensetzen. Die Manichäer, eine Mitte des 3. Jahrhunderts entstandene bekannte heretische Sekte, gaben dem Fürsten der Dämonen eine Gestalt, die nicht nur menschlich, sondern auch riesenhaft war, und sie sagten, dass die Menschen nach seinem Bilde geschaffen seien. Der heilige Antonius der Große (251 bis 356), der ihn in so vielen anderen Gestalten entdecken sollte, sah ihn einmal als gewaltigen Riesen, ganz schwarz, der Kopf die Wolken berührend, bei anderer Gelegenheit sah er ihn jedoch als kleines Kind, nackt und ebenfalls schwarz. Schwarz erscheint bereits seit den frühesten christlichen Jahrhunderten als die natürliche Farbe der Dämonen. Die Gründe, ihnen gerade diese Farbe zuzuweisen, erklären sich von selbst, so offensichtlich, so selbstverständlich sind sie. So mancher Klausner in der Thebaïs sah den Teufel in Gestalt eines Äthiopiers (eines Teufels) – daran erkennt man wieder einmal, wie sich der Teufel den Orten und Zeiten anpasst, in denen er sich bewegt oder in denen er sich bewegen muss. Zahllose andere Heilige späterer Zeit, von denen der italienische Philosoph und Theologe Thomas von Aquin nicht der Geringste war, sahen ihn jedoch weiterhin in seiner Gestalt. Auch seine riesige Statur hat ihren Grund, schließlich sind in allen Mythologien die Riesen gewöhnlich böse. In der griechischen Mythologie sind die Titanen die Feinde des Zeus, deshalb steckte Dante sie in die Hölle und machte seinen Luzifer riesengroß;24 und in der mittelalterlichen französischen Epik sind die Riesen ziemlich oft Teufel oder Söhne von Teufeln. In der Visio Tnugdali, der etwa Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Vision des irischen Ritters Tundalus, ist der ewig auf einem Bratrost schmorende Fürst der Dämonen nicht nur riesengroß, sondern hat auch wie Gaias und Uranos’ Sohn Briareus hundert Arme. Und so wie Briareus wurde er im 14. Jahrhundert mit hundert Armen und hundert Füßen von Birgitta von Schweden (1303 bis 1373) gesehen. Andererseits wird der Teufel gelegentlich auch als Zwerg dargestellt, wahrscheinlich unter dem Einfluss der germanischen Mythologie, die aber an dieser Stelle nicht Gegenstand der Diskussion sein soll. Dantes Luzifer hat drei Gesichter, aber Dante war nicht der erste, der ihn damit ausstattete. Diese Trinität wurde im Mittelalter mitunter als Mann mit drei Gesichtern dargestellt, und da die göttliche Dreifaltigkeit aufgrund des Gegensatzgedankens eine teuflische Dreifaltigkeit suggeriert, und da außerdem der Geist des Bösen drei Attribute oder Fähigkeiten haben sollte, die das Gegenteil derjenigen darstellen, die den drei göttlichen Personen zugeteilt werden, war es nur natürlich, dass die Künstler bei der Darstellung des Dämonenfürsten auf das Bild des dreieinigen Gottes verfallen und ein passendes Gegenstück dazu entwerfen würden.

Fra Angelico, Das Jüngste Gericht (Detail), 1432-1435. Tempera und Gold auf Holz. Museo di San Marco, Florenz.

Matthias Grünewald, Hl. Antonius, Isenheimer Altar (Detail), um 1512-1515. Öl auf Holz. Musée d’Unterlinden, Colmar (Frankreich).

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Dieser Luzifer mit den drei Gesichtern, eine Art Antithese oder Umkehrung der Trinität, taucht in der Bildhauerei auf, bei Glasmalereien und in den Miniaturen der alten Handschriften. Sein Kopf ist hier mit einer Krone geschmückt, dort sprießen Hörner hervor, in den Händen hält er mal ein Zepter, mal ein Schwert oder sogar ein Schwerterpaar. Wie alt dieses Bild ist, lässt sich schwer sagen, aber mit Sicherheit ist es älter als Dante, der es in seine Dichtung einbrachte, und Giotto di Bondone (1266 bis 1337), der es noch vor Dante in sein berühmtes Fresco malte. Es taucht bereits im 11. Jahrhundert auf, und eine Anspielung auf einen dreiköpfigen Beelzebub wird bereits im Nikodemus-Evangelium gemacht, das in der heutigen Form spätestens im 6. Jahrhundert entstanden ist.25 Je mehr die Angst vor Satan in den Köpfen der Menschen wächst und sich über die Welt verbreitet, desto absurder und schrecklicher

wird seine Hässlichkeit. Es ist jedoch nicht schwer zu verstehen, warum er je nach Anlass, Mentalität und Glaubensvorstellungen meist eine ganz bestimmte Gestalt annimmt und keine andere. Die einfachste Form, in der er erscheint, ist die als großer, hagerer Mann mit fahlem oder rußigem Gesicht, außergewöhnlich ausgemergelt, mit glühenden, hervortretenden Augen, der mit seiner ganzen düsteren Person gespenstisches Grauen atmet. So wird er mehr als einmal beschrieben, im 13. Jahrhundert von Cäsarius von Heisterbach (um 1180 bis nach 1240), einem Zisterziensermönch, dessen Namen wir hier noch häufiger lesen werden, und so wird er auch von dem Dichter E.T.A. Hoffmann (1776 bis 1822) in seinem wundersam-unheimlichen Roman Die Elixiere des Teufels eingeführt.

Taddeo di Bartolo, Die Hölle, zwischen 1393 und 1413. Collegiata di Santa Maria Assunta, San Gimignano (Italien).

Giotto di Bondone, Das Jüngste Gericht (Detail), 1302-1305. Capella degli Scrovegni (Arenakapelle), Padua (Italien).

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Eine weitere, immer wieder in der Kunst dargestellte Gestalt ist die eines entstellten und geschwärzten Engels, mit großen, fledermausartigen Flügeln, einem behaarten, ausgemergelten Körper, zwei oder mehr Hörnern auf dem Kopfe, Hakennase, langen spitzen Ohren, mit den Hauern eines Keilers und mit Klauen an Händen und Füßen. Und so sieht der Dämon aus, der in der dantesken Hölle einen der Ratsherren von Santa Zita ins klebrig-zähflüssige Pechbad der Bestechlichen stürzt: Wie war sein Ausseh’n doch so wild und grimmig, Wie schien so grausam mir sein Tun und Wesen, Mit off’nen Flügeln und mit leichten Sohlen! Auf seiner Schulter, die sich spitz erhob, Bracht’ einen Sünder rittlings er getragen Und an den Knöcheln hielt er ihn gepackt.26

Giovanni da Modena, Die Bestrafungen der Verdammten in der Hölle, 1410. Fresko. Basilica di San Petronio, Capella Bolognini, Bologna (Italien). Anonym, Madonna del Soccorso (Detail), um 1470. Chiesa di Santo Spirito, Florenz (Italien). Anonym, Der Krampus, ein Dämon in Begleitung des Hl. Nikolaus, 19. Jh., Abdruck auf Kuchenform., Privatsammlung. Paolo Uccello, Hl. Georg und der Drachen, um 1470. Öl auf Leinwand, 55,6 x 74,2 cm. The National Gallery, London.

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Diese Gestalt entbehrt nicht einer gewissen Eleganz, doch gerade deshalb muss sie notwendigerweise viele willige Entsteller und Verzerrer finden. Aus den Hörnern wurden oft die Hörner eines Ochsen, aus den Ohren Eselsohren, die Schwanzspitze wurde mit dem Maul einer Schlange verziert. Grässliche Visagen wie die steinerner Wasserspeier bedeckten die Gelenke und grinsten von Bauch, Brust und Hinterteil. Das potente Glied erschien seltsam verschlungen, verdreht, verwachsen, an gewisse bizarre Kreationen der antiken Kunst erinnernd. Die Beine wurden zu Ziegenbeinen, eine Reminiszenz an den alten heidnischen Satyr, oder eines bekam einen Pferdefuß, und aus den Füßen wurden manchmal die Krallen eines Raubvogels oder die Schwimmfüße einer Gans. Doch mit alledem war die höchste Stufe der Monstrosität noch nicht erreicht. Nach einem seltsamen Glauben hatten die Körper von Teufeln nur eine Vorderseite und waren innen hohl wie jene alten Baumstämme, die durch langsames Vermodern im Inneren allen Holzes entleert worden sind. Der heilige Furseus (bis um 650) sah einst eine Bande Teufel mit langen Hälsen und Köpfen wie große, messingene Kessel. Andere Teufel, die dem heiligen Guthlac (673 bis 714) begegneten, hatten riesige Köpfe, lange Hälse, dürre, dunkelhäutige Gesichter, Pferdezähne, verwahrloste Bärte, zottige Ohren, eine niedrige Stirn und finstere Mienen, wild blickende Augen, versengte Haare, große Mäuler, gewölbte Brustkörbe, knochige Arme, krumme Beine mit knotigen Knien, ungeschlachte Fersen und Spreizfüße. Sie sprachen mit lauter, heiserer Stimme, aus ihren Mäulern spien sie Flammen – wenn auch das Feuerspeien mit dem Maul kein sonderlich bemerkenswertes Merkmal ist, da sie doch in aller Regel aus allen Körperöffnungen brennende Lohen stießen. Der heiligen Birgitta von Schweden erschien einst ein Teufel mit einem Kopf wie ein Blasebalg, mit einem langen Rohr, die Arme wie Schlangen, die Füße wie Greifhaken. Doch wer konnte je diese neue Chimäre in allen ihren Formen und Gestalten beschreiben? Der Glaube, dass jeder einzelne Dämon seine ganz eigene, typische Gestalt haben müsse, die seinem ganz eigenen,

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typischen Charakter, seinem Rang und der Art seines Höllenamtes geziemt, schien diese seltsamen Vorstellungen zu vervielfachen und ihr Durcheinander noch zu verstärken. Wir haben gesehen, dass sich in den Körpern von Dämonen tierische Glieder mit menschlich geformten Gliedern vereinigt haben, nicht selten gewinnt das Tierische über das Menschliche die Oberhand, und in solch einem Falle finden wir zum Beispiel ein wildes Tier mit dem Kopf eines Menschen, wie Dantes Geryon.27 Manchmal verbannt das Tierische gänzlich das Menschliche, und dann begegnen wir einem teuflischen Tier, das auch eine Mischung sein kann, zusammengesetzt aus Stücken dieser Kreatur und Teilen jener, ein Scheusal, das der Natur Gewalt antut, sie schändet, ein lebendiges Symbol von Falschheit und Verwirrung. Offenbar wird der Teufel durch das gesamte Mittelalter hindurch als über die Maßen hässlich dargestellt. Es ist sehr schwer, Ausnahmen zu dieser – eher moralischen als ästhetischen – Regel zu finden. Dennoch gibt es einige seltene Ausnahmen. Eine lateinische Bibel aus dem 9. oder 10. Jahrhundert, die in der Pariser Bibliothèque Nationale aufbewahrt wird, enthält unter anderem eine Miniatur, die Hiob und Satan zeigt, der hier in einer Weise dargestellt wird, die man nicht hässlich nennen kann. Vom ehemaligen Engel sind noch die Flügel vorhanden. Und das, was noch seltsamer anmutet, ist der Heiligenschein um seinen Kopf. Die Füße jedoch sind klauenbewehrt, in der linken Hand hält er ein Gefäß voll Feuer, mit dem er, so scheint es, sein eigentliches Wesen symbolisieren will. Ein Teufel, den der Dichter stattlich nennt, der aber dennoch einen großen Mund und eine Hakennase hat, wird im französischen Epos La Bataille d’ Aliscans (um 1185) beschrieben. Federigo Frezzi (um 1346 bis 1416), Bischof von Foligno und Autor des Quadriregio, trifft in der Hölle entgegen seinen Erwartungen auf einen Satan von großer Schönheit: [...] Credea vedere un mostro dispettoso, credea vedere un guasto e tristo regno, e vidil triunfante e glorioso. Egli era grande, bello e sí benegno, avea l’aspetto di tanta maièsta, che d’ogni riverenza parea degno. E tre belle corone avea in testa: lieta la faccia e ridenti le ciglia, e con lo scettro in man di gran podèsta. E, benché alto fusse ben tre miglia, le sue fattezze rispondean sí equali e sí a misura, ch’era maraviglia. Dietro alle spalle sue avea sei ali di penne sí adorne e sí lucenti, che Cupido e Cilleno non l’han tali. [...] Das Bild trügt jedoch, und der Dichter, der durch den diamantenen Schild seiner Führerin Minerva schaut, sieht den Fürsten der

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Dämonen so, wie er wirklich ist – eine äußerst wilde Erscheinung, vollständig schwarz, mit glühenden Augen, der Kopf nicht von einer Krone umsäumt, sondern von Drachen, alle Haare auf Kopf und Rumpf in Schlangen verwandelt, die Arme mit Klauen bewehrt, der Rest des Körpers und der Schwanz wie der eines monströsen Skorpions. Erst als die Renaissance am Horizont erscheint, oder besser, als sie sich zu entfalten beginnt, erhält Satan langsam etwas von seiner Schönheit zurück. Es ist auch nicht schwer zu begreifen, dass eine in die Schönheit verliebte Epoche, eine alles dem Schönheitskult widmende Epoche selbst bei Satan keine allzu unedle und scheußliche Missgestalt ertragen konnte. In Michelangelos Das Jüngste Gericht unterscheiden sich die Figuren der Dämonen nicht groß von denen der Verdammten, und sie beeindrucken eher dadurch, dass sie Ehrfurcht gebieten, als durch ihre Scheußlichkeit. John Miltons Dämonen behalten trotz ihres Sturzes einen nicht geringen Teil ihrer früheren Schönheit und Erhabenheit. Die Dämonen Torquato Tassos (1544 bis 1595) dagegen erscheinen als seltsame und schreckliche Gestalten und lassen sogar alle die Ungeheuer der Antike wieder aufleben. Die Figur des Kavaliers im samtenen Wams und seidenem Umhang, die mit einer langen Hahnenfeder geschmückte Kappe und das Schwert an der Seite sind ein Produkt neuzeitlicher Fantasie. Die Dämonen hatten zwar eine eigene Gestalt, aber nach Belieben konnten sie auch andere Gestalten annehmen. Die Vielfalt dabei ist jedoch so groß, ihre Entwicklung so beträchtlich, dass es nicht immer möglich ist, zwischen beiden zu unterscheiden. Generell lässt sich sagen, dass es keine Form gibt, die der Teufel dann und wann nicht annehmen kann, eine Fähigkeit, mit der er sich der Bezeichnung als „Höllischer Proteus“, wie er mitunter genannt wird, höchst würdig erweist. Milton war sich dieser Fähigkeit sehr wohl bewusst. Wenn er von den gefallenen Engeln spricht, sagt er: Denn Geister können, wenn sie irgend wollen, Ein jegliches Geschlecht, ja beide führen, So zart und einfach ist ihr reiner Stoff: Durch Glieder und Gelenke nicht gezwängt, Noch auf der Knochen spröde Kraft gestützt, Wie plumpes Fleisch; nein, was auch für Gestalt Sie wählen, ob verdichtet, ob gedehnt, Licht oder dunkel, sie vermögen doch Die luftigen Geschäfte zu vollzieh’n Sowohl des Hasses Werke wie der Liebe.28 In dieser höllischen Maskerade wollen wir einen Augenblick innehalten, um uns zu fassen. Die Teufel, hässlich von Natur aus, konnten durch List und Geschick eine Gestalt annehmen, die schön und ver-

Albrecht Dürer, Ritter, Tod und Teufel, um 1513. Stich, 24,4 x 18,7 cm. Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe.

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führerisch war; sie konnten aber auch eine hässliche, missgebildete Gestalt annehmen, die von ihrer eigenen hässlichen Gestalt abwich. Je nach Absicht und Bedarf nahmen sie mal diese Form an, mal jene. Dass die Teufel, besonders im Altertum, den Christen als die eine oder andere heidnische Gottheit erschienen, wird wohl niemanden verwundern. Dem heiligen Martin, (316/317 bis 397) dem berühmten Bischof von Tours, erschienen sie getarnt als Merkur, Venus, Jupiter und Minerva. Aber der heilige Martin lebte im 4. Jahrhundert, zu einer Zeit, als das Heidentum zwar nicht mehr in voller Blüte stand, aber doch noch recht lebendig war. Somit sind seine Visionen leicht zu erklären. Nicht so leicht lässt sich jedoch erklären, dass im 13. Jahrhundert dem Bischof von Nocera, dem auch als heiliger Rainald von Ravenna bekannten heiligen Rinaldo, Teufel in Gestalt von Bacchus, Merkur, Hebe, Venus und Jupiter erschienen. In diesem zweiten Falle sind wir gezwungen, darin den Einfluss der Lektüre klassischer Autoren und die Symptome der beginnenden Renaissance zu sehen. Es sind wohl dieselben Gründe, die die Dämonen maskiert als heidnische Gottheiten auftreten ließen, und die sie auch dazu verleiteten, sich in der Gestalt illustrer Männer aus alter Zeit zu zeigen. Im 10. Jahrhundert erschienen dem Grammatiker Vilgardo aus Ravenna eines Nachts mehrere Teufel in den Gestalten der Dichter Horaz (65 v.Chr. bis 8 v.Chr.), Vergil und Juvenal (1./2. Jh.). Sie dankten ihm für den Eifer, mit dem er sich ihren Schriften widmete und versprachen, nach seinem Tode ihren Ruhm mit ihm zu teilen. Sehr oft nahmen die Teufel, die sowieso schon eine menschliche Gestalt besaßen, eine andere, ebenfalls menschliche Gestalt an, die ihrem Begehr eher zustatten kam. Aus unzähligen Geschichten frommer und heiliger Männer wissen wir, dass ihnen Dämonen in der Gestalt attraktiver Frauen erschienen, in zahllosen Geschichten weiblicher Heiliger lesen wir, dass sich Dämonen in der Gestalt forscher und stattlicher Jünglinge verbargen. Nicht selten heckten die Teufel Pläne aus, sich der Frau oder dem Mann, die sie peinigen wollten, in der Gestalt von Freunden, Verwandten oder anderweitig bekannten und vertrauten Personen zu zeigen – woraus leicht ein großer Schaden und Skandal entstehen kann und auch oft entstand. Die ehrwürdige Maria de Maillé (1331 bis 1414) entdeckte den Teufel im Gewand eines Eremiten, der bei allen im Rufe stand, ein gottgefälliger Mann zu sein. Der seligen Gherardesca von Pisa und anderen heiligen Frauen erschien der Teufel in Gestalt ihrer Ehemänner. Als Galan getarnt entwich er eines Tages aus dem Schlafgemach der heiligen Kunigunde von Luxemburg (um 980 bis 1033). Ein anderes Mal machte er sich eines noch anstößigeren Verhaltens schuldig. Er nahm die Gestalt des frommen Silvanus, des Bischofs von Nazareth an, enthüllte einem jungen Mädchen sein heftiges Verlangen und wurde unter ihrem Bett aufgefunden. Als der

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Dominikaner Thomas Cantipratensis (1201 bis 1263) eines Tages aus dem Fenster schaute, sah er den Teufel in Gestalt eines Priesters, der sich in einer höchst ungebührlichen Körperhaltung zur Schau stellte. Der Mönch rief nach ihm, und im Handumdrehen verschwand der Dämon. Derselbe Thomas berichtet, dass im Jahr 1258 in der Nähe von Köln eine große Horde Teufel in der Verkleidung von Karmelitern gesichtet worden sei – über die Wiesen laufend und tanzend. Recht oft lassen sich die Teufel in Gestalt verschiedener Tiere sehen. Was den Drachen betrifft, bin ich nicht sicher, ob das die natürliche Form einiger Teufel war oder eine gelegentlich angenommene. Als Drache, das ist wohl wahr, erscheint Satan in der Apokalypse, und vielen Heiligen erschienen teuflische Drachen. Im 8. Jahrhundert beschrieb Johannes von Damaskus (700 bis 754) die Dämonen als durch die Lüfte fliegende Drachen. In manchen Fällen scheint der Drache ein Mittelding zwischen Dämon und wildem Tier zu sein. Doch zahllos sind die anderen Tiergestalten, die Dämonen anzunehmen pflegten, um die rechtschaffenen Seelen der Gläubigen zu foppen, zu quälen und zu erschrecken. Der heilige Antonius (der Große; um 251 bis um 356 (?)), hatte sie weit draußen in der Wüste in Gestalt brüllender, heulender Raubtiere und in Gestalt von Schlangen und Skorpionen gesehen. In Gestalt eines Löwen tötete der Teufel ein Kind, das vom heiligen Eleuthere (456 bis 532), dem Bischof von Tournai, wieder zum Leben erweckt wurde. Etwa tausend Jahre später sah sie die heilige Colette (1380 bis 1446) noch immer als Fliegen, Füchse, Kröten, Schlangen, Schnecken und Ameisen. Im 13. Jahrhundert entdeckte der heilige Giles den Teufel im Panzer einer riesigen Schildkröte. Vielen Menschen zeigte er sich in Gestalt eines Raben. Nach der Legende des heiligen Vedast (2.Hälfte des 5. Jh. bis 540) wurde einst beobachtet, wie die Dämonen eine Wolke aus Fledermäusen bildeten und so die Sonne verdunkelten. In Gestalt eines Hundes wurde der Teufel zum Gefährten von Papst Silvester II. (um 950 bis 1003), den man der Ausübung magischer Künste verdächtigte. Ebenfalls als Hund erschien er Faust, und als Hund bewachte er Schätze unter der Erde. Den Hexen zeigte er sich bei ihren ausgelassenen Festen als riesiger Ziegenbock, als Katze rieb er sich das Hinterteil in ihren Küchen, als Fliege brummte und summte er unentwegt um die Köpfe ehrlicher Leute. Kurz gesagt, es gibt keine wilde, ekelhafte oder scheußliche Kreatur, hinter deren Gestalt sich nicht ab und zu Dämonen versteckt hätten. Diese ganze teuflische Zoologie sollte uns nicht überraschen. Es war nicht nur selbstverständlich, dass die Dämonen, um gewisse Ziele zu erreichen, die Tiergestalten annehmen würden, die am geeignetsten dafür waren, nein, zwischen den Tieren – zumindest

Vittore Carpaccio, Hl. Georg und der Drachen, 1516. Öl auf Leinwand, 180 x 226 cm. San Giorgio Maggiore, Venedig.

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manchen Tieren – und den Dämonen bestand eine gewisse Ähnlichkeit, mitunter waren sie tatsächlich wesensgleich. Neben der Tatsache, dass in der christlichen Symbolik Geschöpfe wie der Affe, der Löwe oder die Schlange für den Teufel stehen und neben der Tatsache, dass die Dämonen selbst sehr oft als Bestien oder wilde Tiere bezeichnet werden, trifft es auch zu, dass bestimmte Tiere in Dämonen verwandelt oder mit ihnen verwechselt werden können. In einer uralten Formel zu Teufelsaustreibung wird Gott gebeten, die Früchte der Erde vor Mäusen, Raupen, Schlangen, Maulwürfen und anderen unreinen Geistern zu bewahren. Andererseits erinnere ich mich, in einem alten „Bestiarium“, einer zoologischen Abhandlung des Mittelalters, gesehen zu haben, dass der Teufel zusammen mit den anderen wilden Tieren verzeichnet war. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass der Drache eine Art Zwischenglied zwischen Dämon und wildem Tier bildete, dasselbe gilt für die Basilisken. Die häufig in Gesellschaft von Hexen auftauchende Kröte stellt sich nach manchen Überlieferungen viel mehr als Dämon denn als wildes Tier dar. Zum Beleg brauche ich nur die folgende entsetzliche Geschichte anzuführen, die Cäsarius von Heisterbach erzählt hat: Ein Kind findet auf dem Feld eine Kröte und tötet sie. Die tote Kröte verfolgt ihren Mörder, sie lässt ihm keine Ruhe mehr, weder tags noch nachts. Nachdem sie wieder und wieder getötet wurde, verfolgt sie ihn dennoch weiterhin ohne Unterlass und lässt selbst dann nicht von ihm ab, als sie zu Asche verbrannt wurde. Das arme, verfolgte Kind sieht keinen anderen Ausweg und lässt sich von seinem Peiniger beißen. Nun entkommt es dem Tode, indem es geschwind das Fleisch mit einem Messer abschneidet, in das sich die giftigen Fänge gesenkt hatten. Der Zorn der Rache war beschwichtigt, die schreckliche Kröte ward nicht mehr gesehen. Der heilige Patrick (396 bis 469), aber auch Gottfried, Bischof von Amiens (1055/1056 bis 1115) oder Bernhard von Clairvaux (1091 bis 1153) und verschiedene andere Heilige exkommunizierten Fliegen, üble Insekten und sogar Reptilien und befreiten Häuser, Städte und Provinzen von ihnen. Die berüchtigten Prozesse gegen Tiere im Mittelalter und selbst in der Hochrenaissance gingen in die Annalen des Aberglaubens ein. Wilde Tiere wurden wie die Teufel vor Gericht gestellt. Im Jahre 1474 machten in Basel mutige Richter einem teuflischen Hahn den Prozess, sie verurteilten ihn zum Feuertod, weil er sich erlaubt hatte, ein Ei zu legen. Wenn sich Tiere in Dämonen verwandelten, war es nur recht und billig, dass die Dämonen sich genauso in Tiere verwandelten. Nicht, dass sie damit zufrieden gewesen wären, sich nur in Tiere zu verwandeln, nein, sie verwandelten sich sogar in unbelebte Objekte. Papst Gregor der Große (um 540 bis 604) berichtet vom Fall einer bemitleidenswerten Nonne, die, wie sie meinte, ein Salatblatt

Raffael (eigentlich Raffaello Sanzio), Hl. Margarete, 1518. Öl auf Pappelholz, 192 x 122 cm. Kunsthistorisches Museum, Wien.

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aß, in Wirklichkeit aber den Teufel verzehrte und ihn eine ganze Zeit lang in ihrem Körper behielt. Ein Jünger des heiligen Hilarius, dem Abt von Galeata (476 bis 558), sah einst den Teufel in Form einer verlockenden Weintraube. Anderen erschien der Teufel je nach Sachverhalt und Umständen in Form eines Kelches voll Wein, eines Goldstücks, einer Börse voll Geld, eines Baumstamms, eines rollenden Fasses, ja selbst in Form eines Kuhschwanzes. Nicht ohne Grund haben deshalb der niederländische Maler Hieronymus Bosch (1450 bis 1516) sowie verschiedene andere höchst berühmte Künstler, die jemals Teufel gemalt haben, des Öfteren Bäume, Steine, Stoffe, Möbelstücke und Küchengeräte mit teuflischem Leben erfüllt. Doch auch damit finden diese diabolischen Maskeraden noch nicht ihr Ende. Und wenn jene, von denen ich berichtet habe, Beweise einer überaus großen natürlichen Vielseitigkeit und einer nicht minderen Vorstellungskraft darstellen, so gibt es doch noch andere, die die größte Dreistigkeit und eine wahrhaft teuflische Unverschämtheit enthüllen. Mehr als einmal hat es Satan tatsächlich gewagt, die ehrwürdigen Züge eines berühmten, entweder noch lebenden oder bereits gestorbenen Heiligen anzunehmen und sich zu den Höhen der Altäre aufzuschwingen. Etliche Male hat er sich auch in Gestalt eines Engels gezeigt, prächtig strahlend voller Licht und Herrlichkeit. Als Krönung, als Gipfel der Unverfrorenheit erschien er einigen als Jungfrau Maria, als Christus, gekreuzigt oder auferstanden von den Toten, ja als Gottvater höchstpersönlich. Und manchmal gelang es ihm, den gesamten himmlischen Hof auf die Bühne zu stellen. Die Dämonen waren in der Lage, sich den Körper zu schaffen, der ihnen am geeignetsten erschien, indem sie die Luft um sich herum eindickten oder, wenn nötig, irgendein anderes Element herstellten. Aber sie konnten auch in einen schon vorhandenen Körper fahren und ihn genauso verwenden, als wäre er ihr eigener. Es ist nicht meine Absicht, hier von Besessenheit durch den Teufel zu sprechen – darum wird es an anderer Stelle gehen, nämlich um die Möglichkeit, dass die Dämonen in lebende Körper fuhren. Hier spreche ich davon, dass sie in tote Körper fuhren, die dadurch so wirkten, als lebten sie. Dante lässt Friar Alberigo de’ Manfredi29 sagen, dass die in Ptolemäa ihre Strafe verbüßenden Vaterlandsverräter das Schicksal erleiden müssten, dass ihre Seelen in den tiefsten Tiefen der Hölle schmachteten, ihre Leiber dagegen, gelenkt von Dämonen, noch einige Zeit auf der Welt blieben und zu leben schienen. Dies wurde als raffinierte Erfindung Dantes angesehen, aber das ist es nicht. Cäsarius erzählt die schmerzliche Geschichte von einem Schreiber, dessen Körper von einem Teufel belebt und unterhalten wurde. Dieser falsche Schreiber pflegte mit solch einer süßen Stimme zu singen, dass alle, die ihn hörten, in Verzückung gerieten. Eines schönen Tages aber sagte ein frommer Mann, nachdem er dem

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Gesang eine Weile zugehört hatte, ohne zu zögern: „Das ist nicht die Stimme eines Menschen, ‘s ist die Stimme eines zweifach verdammten Teufels!“ Und nachdem er eine wirksame Teufelsaustreibung vorgenommen hatte, zwang er den Teufel, herauszukommen, und als der Teufel draußen war, fiel die Leiche zu Boden. Thomas Cantipratensis erzählt, wie der Teufel in den Körper eines toten, in einer Kirche aufgebahrten Mannes fuhr, der mit seiner Täuschung einer frommen, dort betenden Jungfrau Angst und Schrecken einzujagen wagte. Aber die fromme Jungfrau durchschaute den Betrug und klopfte dem Toten recht kräftig auf den Kopf, damit er still läge. Die Geschichte von einem Teufel, der, als er eine arme Klausnerin versuchen wollte, den Körper einer toten Frau für dienlich erachtete, wird von Giacomo da Voragine (1230 bis 1298) in seiner Legenda Aurea erzählt. Diese These ist jedoch viel älter. Von einem Teufel, der in den toten Körper eines Schwerverbrechers schlüpfte und Reisende über einen Fluss trug in der Hoffnung, sie zu ertränken, lesen wir in der Lebensbeschreibung des Heiligen Gildwin, von einem anderen, der den toten Körper eines bösen, gottlosen Mannes am Leben erhielt, in der des heiligen Odhran. Die Theologen haben eingeräumt, was in diesen Legenden berichtet wird, sei wahr; in ihrer Weisheit beteuerten sie allerdings, dass Teufel nicht in die toten Körper von Personen fahren könnten, die sich eines guten Leumunds und der Billigung durch die Kirche erfreuten. Ein solcher Gedanke ist jedoch – mit oder ohne diese Einschränkung – nicht so harmlos, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag. Eng damit verbunden sind verschiedene andere Vermutungen, nach denen das Böse von Leichen ausgeht. Diverse grauenvolle Praktiken sollen verhindern, dass diese Leichen Schaden anrichten. Wenn eine für tot gehaltene Person die kleinste Bewegung machte, dachte man sofort, den Teufel gesehen zu haben, und in aller Eile wurde der Mensch begraben, der doch eigentlich leben wollte. Solcherart Mutmaßungen hielten bis weit in die Renaissance hinein an, und selbst im 18. Jahrhundert waren sie noch nicht vollständig verschwunden. Der Teufel konnte nach Lust und Laune ehrenwerte und wohlgefällige Formen annehmen, trotzdem blieb er auch weiterhin der Teufel. Seine Teuflischkeit war dann zwar unsichtbar, hörte aber nicht auf, von seiner ganzen Person auszugehen, und zwar in Form eines bösen Einflusses. Selbst wenn er sich hinter der Gestalt eines Engels, eines schönen Mädchens, der Jungfrau Maria oder hinter der Gestalt Christi selbst versteckte, sobald er näher kam, beunruhigte und erschreckte er das menschliche Wesen, löste unerklärlichen Widerwillen aus oder hinterließ tiefe Besorgnis und Entsetzen.

Carlo Crivelli, Madonna mit Kind, um 1480. Tempera und Gold auf Holz, 37,8 x 25,4 cm (bemalte Fläche: 36,5 x 23,5 cm). The Metropolitan Museum of Art, New York.

Diesen verderblichen Einfluss konnte er erheblich verstärken, wenn er sich auch noch in seiner eigenen oder einer anderen scheußlichen Gestalt sehen ließ. Der gute Cäsarius führte, um zu zeigen, wie groß die Gefahr ist, die besteht, wenn man den Teufel sieht, verschiedene Beispiele an. Zwei Jünglinge wurden krank, nachdem sie den Teufel in Gestalt einer Frau gesehen hatten; mehrere starben sogar. Thomas Cantipratensis sagt, der Anblick des Teufels schlüge einen mit Stummheit. Dante „… erstarrte“ in Gegenwart Luzifers, ihm schwand alle Kraft: „Ich starb nicht, und doch blieb ich nicht lebendig“,30 so beschreibt er uns diesen Zustand. Das sollte uns jedoch nicht überraschen, wissen wir doch, dass der Weißen Frau und anderen Gespenstern oft nachgesagt wurde, mit bloßem Blick, oft mit einem einzigen, töten zu können. Und ungezählt sind die Formen, in denen der Teufel sich verstecken konnte, und ungezählt die Streiche, die er anderen mit Hilfe dieser Formen spielte. Es gab jedoch einige, die wie der heilige Martin wussten, wie sie ihn vertreiben und in die Flucht schlagen konnten, selbst wenn er sich hinter den trügerischsten und ungewöhnlichsten Formen verbarg. Wenn er entdeckt war, verschwand der enttarnte Dämon entweder spornstreichs oder nahm sofort seine eigentliche Gestalt an. Solcherart also war das physische Wesen des Teufels, von seinem moralischen Wesen soll, da wir es in den folgenden Kapiteln erläutern werden, hier nicht die Rede sein. Nur am Rande sei angemerkt, dass – im Gegensatz zur Meinung von Thomas von Aquin, der ihn nur des Neides, der Sünde und des Stolzes anklagte – dem Teufel im Volksglauben alle sieben Todsünden nachgesagt wurden.

Anzahl, Aufenthalt, Eigenschaften, Ordnung und Hierarchie, Wissen und Kenntnisse sowie Macht der Teufel

V

OM Teufel zu sprechen, als sei da nur einer, ist nicht ganz richtig, der Teufel waren viele, und wenn wir das Wort „Teufel“ im Singular verwenden, meinen wir den Fürsten der Teufel oder das ganze teuflische Volk zusammengenommen und von einem Einzelnen vertreten. Der Teufel waren nicht nur viele, es waren unzählige. Die Theologen waren sich im Großen und Ganzen einig, dass ein Zehntel der Engel gegen Gott rebelliert hatte, manche Theologen waren jedoch mit solch einer groben Schätzung nicht einverstanden, sie unterzogen die Bewohnerschaft der Hölle einer regelrechten Volkszählung.

Anonym, Tableau de mission, dit taolennou (Missionsbild, sog. Taolennou): Der Zustand der Sünde, 19. Jh. Öl auf Leinwand, 76 x 63 cm. Évêché, Quimper (Frankreich). Anonym, Die Hölle und die Sieben Todsünden, herausgegeben von La Bonne Presse, spätes 19. Jh. Illustrierter Katechismus. Privatsammlung, Paris.

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Ein Theologe, emsiger und gewissenhafter als alle anderen, fand nach tiefgründiger Untersuchung dieser Angelegenheit heraus, dass die Teufel nicht weniger als zehntausend Milliarden zählen müssen. Für eine so große Menge war Platz vonnöten. Der Aufenthalt der Teufel war dementsprechend zweigeteilt: die Sphäre der Luft und die Hölle. Erstere, damit sie eine Möglichkeit hätten, die Lebenden zu peinigen und zu versuchen, letztere, damit sie selbst gehörig bestraft würden und damit sie den Toten deren verdiente Strafen auferlegen könnten. Der luftige Aufenthalt wurde ihnen nur bis zum Tag des Jüngsten Gerichts zuerkannt. Wenn das Ende der Welt anbricht, würden sie alle in die Hölle geworfen, auf dass sie nie wieder hervorkommen. Die Teufel gehörten nicht alle demselben Stand oder derselben Kategorie an. Da gab es Wasserdämonen, genannt Neptuni, da gab es Dämonen, die in Höhlen und Wäldern hausten und Dusii genannt wurden, und da waren die Incubi, die Succubi und so weiter. Zudem hatten nicht alle dieselben Neigungen und Begabungen, der eine war erfolgreicher in der einen, der andere in einer anderen Sache. Daher die Arbeitsteilung und die Notwendigkeit einer gewissen sozialen Organisation. Einigen Gelehrten schien es, als solle und könne unter den Dämonen, die ja selbst die personifizierte Unordnung und Verwirrung darstellen, eine Organisation dieser Art nicht existieren. Thomas von Aquin und die meisten anerkannten Theologen sind jedoch nicht dieser Meinung, sie behaupten nachdrücklich, dass es unter den Teufeln eine Hierarchie gäbe, genauso, wie es eine Hierarchie unter den loyal gebliebenen Engeln gibt. Die Hierarchie der Teufel solle sogar fester etabliert und umfassender als die der Engel sein, da Erstere ein Oberhaupt haben, das über allem steht und alle befehligt, während Letztere keines oder ein Oberhaupt nur in Gott haben, der ein universaler Herrscher ist und nicht nur über sie allein gebietet. Der Fürst und Herrscher der Teufel ist nach dem Matthäus- und dem Lukasevangelium31 und nach den Ansichten der Theologen ganz allgemein Beelzebub, es muss aber gesagt werden, dass in dieser Hinsicht beträchtliche Unsicherheit herrscht. Manchmal scheint ihr Oberhaupt Satan zu sein, manchmal auch Luzifer. Dante macht – womöglich, um dieses Problem zu umgehen – aus Satan, Luzifer und Beelzebub einen einzigen und identischen Teufel, was im Kontrast steht zu anderen Meinungen, die sie als drei klar voneinander abgegrenzte Teufel sehen, die nicht dieselbe Macht haben. Im so genannten Henochbuch, das aus der Zeit vor dem Christentum stammt, ist von Ordnungen der Teufel die Rede, und später im Neuen Testament wird dies aufgegriffen. Thomas von Aquin erwähnt ausdrücklich höhere und niedere Teufel und systematisch aufgebaute Rangfolgen unter ihnen, ohne jedoch allzu sehr ins Detail zu gehen. Doch solcherart Zurückhaltung, auch wenn sie

William Blake, Tafel 5 aus Europa: Eine Prophezeihung, 1793. Farbmonotypie (kolorierte Reliefradierung). The British Museum, London.

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den Theologen im Allgemeinen gut zu Gesicht stünde, gefiel denjenigen, die sich als Dämonographen sahen und denen, die ihre Aufmerksamkeit dem Studium und der Ausübung von Zauberei schenkten, überhaupt nicht. Für diese Leute war es von äußerster Wichtigkeit, sich mit der Hierarchie der Teufel gründlich vertraut zu machen. Und natürlich auch mit dem Zustand und den Aktivitäten einer jeden Stufe dieser Hierarchie – ja sogar, so weit möglich, mit denen jedes einzelnen Dämons. Weiterhin wurden die Prinzipien ihrer Organisation nicht von allen gleich begriffen: Während einige der Kirchenväter meinten, der Teufel Rang werde bestimmt von den verschiedenen Sündenarten, für deren Pflege die jeweiligen Dämonen zuständig waren, glaubten andere, dass er sich aus dem Grad ihrer Macht und aus ihrer Arbeitsmethode ergab. Dante nennt Luzifer den „… Kaiser von dem Reich der Schmerzen“32; für ihn ist das Universum symmetrisch in drei große Herrschaften unterteilt: die himmlische oben, die der Hölle unten und die menschliche mitten zwischen diesen beiden. Aber diese Vorstellung von einem Königreich des Satans ist nicht typisch für Dante allein oder gar für das Mittelalter, wenn sie auch in jener Zeit am weitesten ausgeprägt und am genauesten war. Dieses Gedankengebäude findet man bereits in den Evangelien und den Schriften einiger Kirchenväter, daher die Gepflogenheit, Luzifer als Symbol seiner Macht die Attribute Krone, Zepter und Schwert beizugeben. In so mancher Asketenlegende erscheint Satan auf einem Thron sitzend, umgeben von königlichem Prunk und begleitet von Scharen seiner Diener und Gefolgsleute. Und einige gingen dabei sogar so weit, sich einen Hof des Satans vorzustellen, in jeder Hinsicht den großen Fürstenhöfen auf der Erde ähnlich. Im Zauberbuch von Johannes Faustus, eben jenem Faust, dessen schreckliche Geschichte die Grundlage für Goethes Meisterwerk bildet, lesen wir, Luzifer sei der König der Hölle, Belial sei Vizekönig, Satan, Beelzebub, Ashtoreth und Pluto hätten Gouverneursposten inne, Mephistopheles und sechs andere seien Fürsten. Weiter erfahren wir, dass es an Luzifers Hof fünf Minister, einen Sekretär und zwölf Intimi gebe. In anderen Zauber- und Dämonologiebüchern werden Grafen, Marquis und Herzöge genannt, und wir erfahren sehr genau, wie viele Legionen von Teufeln dem Befehl des jeweiligen anführenden „Edelteufels“ unterstehen. Anführer und Legionen bilden eine Armee. Die Dämonen waren nach ihrem ganzen Wesen militante Geister, und ihre militärische Organisation steht der des Himmels gegenüber. Was Wunder also, dass man sich dieses Militär ganz genau so vorstellte, wie die militärischen Organisationen auf der Erde? In der Legende der Maria von Antiochia (1145 bis 1183) erfahren wir, wie der König der Dämonen mitten in der Nacht in seinem Wagen vorbeizieht, begleitet und

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Michail Alexandrowitsch Wrubel, Fliegender Dämon, um 1899. Öl auf Leinwand, 158,5 x 430,5 cm. Russisches Museum, St. Petersburg.

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umgeben von einer riesigen Heerschar von Reitern. Petrus Venerabilis (1094 bis 1156) berichtet von einer immens großen Heerschar teuflischer Krieger, die schwer bewaffnet eines Nachts durch einen Wald zog. Und wie oft wurden nicht bewaffnete Legionen gesichtet, die wie Sturmwolken über den Himmel flogen? Wenn die Hölle ein Königreich war und Satan als König Hof hielt, erscheint es gar nicht sonderbar, dass an einem solchen Hof auch Rat gehalten, Maßnahmen diskutiert, Urteile verkündet werden sollten. Oder dass Satan, Zerstreuung suchend, von Zeit zu Zeit mit einem Teil seiner Anhänger auf eine wilde Jagd durch die Wälder der Erde ging, dabei uralte Bäume entwurzelte und Tod und Schrecken verbreitete. Mit vielleicht nicht ganz so viel Rage im Bauch, aber deshalb nicht unbedingt weniger Schaden verursachend, jagten in jenen Tagen schließlich auch die Fürsten aus Fleisch und Blut durch die Gegend. Als König forderte Satan von allen, die ihn anerkannten, dass sie ihm huldigten. Hinsichtlich dessen, was Dämonen wissen und können, herrscht unter den Theologen nicht immer Einigkeit. Jedoch sind sich alle insoweit einig, dass sich der Intellekt der Dämonen nach ihrem Sturz verdunkelt hat, so dass er nun, obwohl er den menschlichen Intellekt um ein Vielfaches übersteigt, dem der Engel weit unterlegen ist. Die Dämonen wissen um Vergangenes und Gegenwärtiges, selbst um die verborgensten Dinge. Gegenwärtiges kann Gott jedoch, wenn er das wünscht, immer vor ihnen verbergen. Einige der Kirchenväter erklärten, Satan wisse viele Dinge nicht, die Christus und das Mysterium seiner Menschwerdung betreffen. Oder, kurz gesagt, habe er in Christus nicht den Mensch gewordenen Gott erkannt. Solche Unkenntnis kam ihn teuer zu stehen. Denn indem er den ungerechten Tod Christi begünstigte, ebnete er den Weg für das Werk der Erlösung und brachte damit seine eigene Vernichtung auf den Weg. Im Matthäusevangelium sagt Satan zu Christus: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“33 Worte, die zeigen, dass er keine klare Vorstellung von dem Mann hat, den er gerade versuchen will. Die Dämonen sind mit allen Geheimnissen der Natur vertraut, sind sie aber ebenso vertraut mit denen des menschlichen Geistes? Können sie in die geheimsten Schlupfwinkel unseres Bewusstseins dringen und unsere Gedanken und Gefühle ausspähen? Auch hier sind die Meinungen geteilt. Einigen Experten schien es, dass der Mensch, wäre eine solche Fähigkeit den Dämonen vergönnt, ihrer Gnade auf Gedeih und Verderb ausgesetzt sei, ohne jegliche Möglichkeit, sich gegen deren Einflüsterungen und Versuchungen zu wappnen. Und es ist ja auch wirklich so: Habe ich volle und gesicherte Kenntnis von den Gedanken eines Menschen, kann ich ihn mit ein wenig Hilfe seitens meines Verstandes lenken, wie es mir beliebt. Viele haben deshalb beteuert, die Dämonen könnten nicht die

Gedanken der Menschen lesen, sondern nur aus äußeren Zeichen mutmaßen, was in ihnen vorgeht, und damit, wenn auch mit größerer Treffsicherheit, das tun, was ein bloßer Mensch auch vermag. Andere wiederum meinten, die Dämonen könnten in unseren Gedanken lesen wie in einem Buch, und dieser Meinung ist auch jener Fürst der Theologen, der heilige Thomas von Aquin. Noch andere haben einen Mittelweg eingeschlagen. So erklärt Honorius Augustodunensis (bis etwa 1151), dass die Dämonen nur die bösen Gedanken der Menschen kennen, die guten aber nicht. Es ist eine Tatsache, dass mehr als ein unglücklicher Teufelsaustreiber, während er jede Anstrengung unternahm, den Dämon aus dem Körper eines Besessenen zu vertreiben, die Demütigung erlitt, dass der Satan coram publico die gesamte Liste seiner, des Teufelsaustreibers, geheimster Sünden einschließlich der gedanklichen aufzählte. Kennen die Teufel die Zukunft? Noch eine knifflige Frage! Die meisten Theologen haben dies verneint, und mit Recht. Denn wenn sie die Zukunft kennen würden, so wie sie die Gegenwart und die Vergangenheit kennen, wie unterscheidet sich ihr Wissen dann von dem Gottes? Und wie kann es Gott zulassen, dass die Teufel im Voraus all das wissen, was ER im Laufe der Ewigkeit noch tun wird? Solches Wissen konnten sie gar nicht besitzen, selbst vor Ihrer Vertreibung aus dem Himmel nicht, denn hätten sie es besessen und damit gewusst, wie ihre Rebellion ausgehen würde, hätten sie sich nie erhoben. Es wird sogar angenommen, dass nicht einmal die guten Engel die Zukunft unmittelbar kennen, sondern nur insofern damit vertraut sind, dass sie die Gedanken Gottes lesen können, und das auch nur, wenn Gott es ihnen erlaubt. Doch selbst in diesem Punkt kann man die gegensätzlichen Ansichten auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Nach Origenes schlossen sie auf die Zukunft anhand der Bewegung der Himmelskörper und deren Stellung zueinander – eine Meinung, die nach meiner Auffassung nicht ganz in Einklang steht mit der von Lactantius (um 250 bis 325), der die Astrologie selbst als Erfindung der Dämonen ansah. Der heilige Augustinus glaubte, dass die Teufel die Zukunft nicht durch unmittelbare Visionen kannten, sondern durch ihre Fähigkeit, blitzschnell von einem Ort zum andern zu eilen, denn weil ihre Sinne und ihr Verstand sehr genau arbeiteten, konnten sie so über die Zukunft mutmaßen, sie erahnen. Der heilige Bonaventura (1221 bis 1274) beteuerte, sie wüssten nicht um die Dinge in der Zukunft, die zufallsbedingt geschähen, wohl aber um jene, die festen Regeln folgten, denn Dämonen hätten ein sehr komplexes Wissen vom Lauf der Natur. Die Teufel kannten also alle Wissenschaften auswendig – und eben darum verabsäumte es die Kirche wahrscheinlich nie, wann immer ein Mann der Wissenschaft seinen Zeitgenossen eine große

Anonym, Mann mit sieben Teufeln, aus: Buch der Sieben Todsünden, 15. Jh. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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Wahrheit eröffnete, zu schreien: „Zum Teufel mit ihm!“, und ihn, wenn möglich, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Dante bestreitet, dass die Teufel philosophieren können, denn die Liebe sei in ihnen vollständig ausgelöscht, um zu philosophieren, sei jedoch Liebe notwendig.34 Das hält Dante aber weder davon ab, den Teufel, der die Seele des Mönchs Guido da Montefeltro (1223 bis 1298) davonträgt – er hatte unverdientermaßen die Absolution von Papst Bonifazius VIII. (um 1235 bis 1303) empfangen –, in perfekter Form argumentieren zu lassen, noch dem Dämon zu erlauben, sich als „Logiker“ darzustellen, so, als sei er ein Doktor der Sorbonne.35 Es ist überliefert – und der treffliche Jean Bodin (1529/1530 bis 1596)36 – führt es in seinem Hexentraktat De Magorum Daemonomania an, der geachtete Patriarch von Aquileja, Ermolao Barbaro (1454 bis 1493), habe einst einen Teufel heraufbeschworen, um herauszufinden, was Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) mit ‘Entelechie’ gemeint habe. Jedenfalls kennt sich der Teufel zwar nicht in den Tiefen der Philosophie aus, in der Sophisterei muss er jedoch recht beschlagen sein, wenn er nicht sogar ein Meister darin ist. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die furchtbare Geschichte von jenem Scholaren in Paris (inzwischen starb er und fuhr zur Hölle), der vor seinem zu Tode erschrockenen Lehrer in einem Gewand erschien, das vollständig mit Sophismen bestickt war – eine Geschichte, die der gute Passavanti (1297 bis 1357) zur Ermahnung und Verwirrung all jener erzählt, die sich des Syllogismus nicht in gebührender Weise bedienen. Aber wenn die Teufel wirklich keine Kenntnis der Philosophie hatten, wird es dem einen oder anderen seltsam erscheinen, dass sie sehr wohl Kenntnis der Theologie haben sollten, die Bibel auswendig kannten und über die Mysterien mit derselben Präzision und Klarheit der Gedanken disputieren konnten, die wir an professionellen Theologen so bewundern. Und dennoch: es war so. Bei zahllosen Gelegenheiten zitierten die Dämonen durch den Mund Besessener, über deren Körper sie geboten, Passagen aus dem Alten und dem Neuen Testament; sie zitierten Meinungen und Urteile der Kirchenlehrer und der Kirchenväter; sie warfen komplizierte Fragen in die Debatte; alles zur nicht geringen Beschämung derer, die ihnen zuhörten oder sie exorzieren wollten, und merkten, dass sie selbst viel weniger von all diesen Dingen wussten als die Dämonen. In einer der Visionen des heiligen Furseus disputieren die Dämonen sehr gelehrt mit den Engeln über Buße und Sünde, zitieren die Bibel und erweisen sich als fähige Dialektiker und den größten Theologen ebenbürtig. An weiteren Beispielen ähnlicher Art herrscht kein Mangel. Wir wissen, dass der Teufel in einen sehr heftigen theologischen Disput mit Luther zu treten pflegte. Dennoch besteht kein Grund zu der Annahme, dass alle Teufel dasselbe Wissen besaßen oder dieselben mentalen Fähigkeiten

hatten. In der Tat waren die einen gelehrter, die anderen weniger gelehrt, so wie auch die einen intelligenter waren als die anderen. Im richtigen Moment begegnet uns der dumme und unwissende Teufel, eine Vorstellung, die nicht so unsinnig ist, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Wenn ein bestimmter Wissenszweig einen Teufel ansprach, konnte er, so scheint es, sich diesem Zweig ganz besonders widmen. Cäsarius erzählt von einem Teufel als Rechtsanwalt mit Namen Oliver, der sich als fähiger Advokat erwies. Andere Teufel fanden eher Vergnügen in materiellen Beschäftigungen, sie halfen beim Brauen von Zauber- und Liebestränken, beim Umwandeln von Metallen und bei anderen Aufgaben dieser Art. Wissen ist Macht, also ist es kein Wunder, dass die Teufel Großes zuwege brachten. Es ist wahr, ihre Macht hatte Grenzen, aber wo lagen die? Das ganz genau zu sagen, ist nicht einfach. Matthäus nennt Satan einen mächtigen Geist,37 und das nicht ohne Grund. Seine Macht ist nicht vergleichbar mit der Allmacht Gottes, doch ist sie groß und Furcht einflößend. Er rebelliert und wird bezwungen, und der Sieg wird ihm niemals wieder gelingen. Und ist er bezwungen, so erhebt er sich doch wieder und rächt sich. Satan dringt in den glücklichen Aufenthalt unserer Vorfahren ein und bringt die Sünde mit, er stört die Harmonie von Gottes Werk und bringt den Tod mit. Er vergiftet die Welt und macht, dass sie von Gott abfällt, er wird zum Herrn und Gebieter seiner eigenen pervertierten Welt, zum „… princeps hujus saeculi”.38 Man sagt fürwahr, er könne nur so viel tun, wie Gott ihm zu tun erlaubt. Zugegebenermaßen erlaubt ihm Gott ganz schön viel. Und das, was er vollbringt, tut er aufgrund einer Kraft, die in ihm steckt und von gleicher Wesensart ist wie er selbst. Welch Böses auch immer in der Welt ist, es hat seinen Ursprung in ihm, und die Überlegenheit des Bösen lässt seine Macht in unseren Augen riesengroß erscheinen. Doch diese seine Macht, die durch das Werk der Erlösung geschwächt werden sollte, wurde nicht geschwächt. Wir hören, dass der Teufel einst dem heiligen Antonius erschien und ihm sagte, die Verwünschungen, die die Menschen unaufhörlich auf ihn schleuderten, verdiene er nicht, da er nun, da Christus regierte, ja gar nichts mehr machen könne. Aber der Teufel log, als er dies sagte. Mit dem Heidentum endete vielleicht seine uneingeschränkte Herrschaft über die Erde, seine Macht jedoch endete nicht. Christus hat ihn besiegt, entwaffnete ihn aber nicht, und geradewegs beginnt er den Zwist aufs Neue und durchstreift die Erde nach Belieben, streitet mit seinem siegreichen Widerpart um dieses erbärmliche Menschengeschlecht, Seele um Seele. Er bevölkert sein Königreich mit Sklaven, und nachdem nun Jahrhunderte um Jahrhunderte vergangen sind seit des Erlösers Tod, würde einer, der auf diese unsere arme, gequälte Welt blickt, wirklich sagen, er sähe eine erlöste Welt?

Gustave Doré, Illustration zu Gargantua und Pantagruel von François Rabelais, 1873. Privatsammlung.

Dieric Bouts d. Ä., Das Jüngste Gericht, Höllentafel (Detail), um 1468. Öl auf Holz, 115 x 69,5 cm. Palais des Beaux-Arts, Lille (Frankreich).

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Die Macht der Dämonen über alles, was die Natur betrifft, ist groß, ebenso über alles, was die Menschheit betrifft, und die Ausübung dieser Macht wird ihnen erleichtert durch den Besitz übernatürlicher Fähigkeiten. Sie können blitzschnell von einem Ende der Welt zum anderen fliegen, sie können in die tiefsten Abgründe des Wassers und der Erde eintauchen, sie können alle Elemente durchdringen. Unsere körperliche Natur ist ihnen auf besondere Weise untertan. Man darf nicht vergessen, dass verschiedene häretische Sekten Materie als Schöpfung des Satans ansahen, und dass, je krasser der Gegensatz von Geist und Materie nach religiöser Vorstellung wurde, und je mehr man Materie als schmutzig und verdorben ansah, umso mehr müssen die Menschen dazu geneigt haben, in der Natur das große Laboratorium, das eigenartige Reich des Satans zu sehen. Der Gründe, dass sich im Mittelalter das, was wir heute Sentiment für die Natur nennen, so selten und in so geringem Maße zeigte, sind gewiss viele, aber die Angst und der Argwohn der Menschen vor der Natur als etwas, was zwar nicht von Satan geschaffen wurde, aber zumindest von ihm verunreinigt wird, ist auf jeden Fall einer dieser Gründe. Die Sünde, die unsere Voreltern beschmutzte, verdarb auch die Natur, und wenn die Menschheit auch von Christus erlöst wurde, die Natur wurde es nicht. Das bereits in frühester Zeit in Indien verehrte, nach hellenistischem Mythos dem Zeus vom kühnen Prometheus gestohlene Feuer ist das typische Element der Dämonen. Wir haben jedoch gesehen, dass die Dämonen einen ihrer Aufenthalte in der Luft haben, also gebietet es die Vernunft, dass sie ihre schreckliche Herrschaft auch über die Luft ausüben. Theologen sind sich im Großen und Ganzen darüber einig, dass sie nach Belieben (natürlich abgesehen vom Willen Gottes) Sturmwinde entfachen, Sturmwolken auftürmen, Blitze schleudern und Wasser in Strömen vom Himmel zur Erde fließen lassen können. Das Heulen des Wirbelsturms ist nichts als das Schreien wütender Dämonen. Thomas von Aquin sagt zwar, solche Erschütterungen seien von denen nur künstlich hervorgerufen und nicht „… naturali cursu”, aber das läuft praktisch auf dasselbe hinaus. Im Vorhof zum Fegefeuer lässt Dante den bei Campaldino gefallenen Buonconte da Montefeltro (1250 bis 1287) erzählen, sein Körper, der nach der Schlacht nicht aufgefunden werden konnte, sei von den Wassern eines tosenden Sturms hinweggeschwemmt worden, den der Teufel gemacht hätte. Den Dämonen wurde die Fähigkeit zugeschrieben, generell alle Erscheinungen in der Atmosphäre hervorzurufen, und Thomas Cantipratensis glaubte, ihr Werk in den Illusionen der Morgan le Fay, der Fata Morgana, zu erblicken. Nicht geringer war die von den Dämonen über die Erde ausgeübte Macht, und das erscheint auch logisch, wenn wir uns vor Augen

führen, dass sich die Hölle in der exakten Mitte der Erde befand. Erdbeben waren ihr Werk oder hätten es sein können, ebenso Vulkanausbrüche. Vulkane hielt man generell für Auslassventile der Hölle. Wenn ein ungeduldiger Teufel den direkten Weg hinunter in seine düstere Wohnung nehmen wollte, gebot er der Erde, sich zu öffnen, und verschwand im gähnenden Schlund wie durch die Falltür einer Bühne. Jedoch unterlag nicht alles in der Natur gleichermaßen der Macht der Dämonen. Manches gehorchte ihnen stillschweigend und wurde so unweigerlich zum widerstandslosen Werkzeug und Unterschlupf ihrer bösen Macht. Anderes stellte sich den Dämonen energisch entgegen. Fantasie und Aberglauben fanden in solcherart Vorstellungen ausreichend Nahrung. Die Dämonen bevorzugten besonders düstere und einsame Orte – zerklüftete Berge, dichte, dunkle Wälder oder Höhlen und Klippen. Und zwar deshalb, weil ihre Macht an solchen Orten vollkommener war und man ihr hier weniger widerstehen konnte. Seit jeher hatten die Hebräer die Wüste als den typischen Aufenthalt der bösen Geister angesehen, und jeder weiß, wie groß und wie zahlreich die Plagen und die Qualen waren, von denen die Einsiedler in der Wüste heimgesucht wurden. Bestimmte Pflanzen – die Walnuss und die Alraunwurzel zum Beispiel – konnte man getrost dem Teufel zuordnen. Von anderen, wie dem Knoblauch, ging eine Feindseligkeit gegen ihn aus. Asche oder Holzkohle verliehen ihm Stärke, Salz nahm ihm ebenso wie manche Edelsteine seine gesamte Kraft. Tiere verhielten sich ihm gegenüber auch nicht alle gleich, die Kröte war ihm ein guter Diener, der Hahn dagegen ein großer Widersacher. Ich habe gesagt, dass Satan große Macht über die Angelegenheiten der Menschheit hatte. Um uns davon zu überzeugen, brauchen wir uns nur vor Augen zu halten, dass die Verderbnis des Menschengeschlechts sein Werk war. Hier müssen wir jedoch auch unterscheiden. Seine Macht über das durch die Sünde verdorbene menschliche Wesen war wirklich groß, aber nicht grenzenlos, nicht absolut. Es gibt den physischen Menschen und es gibt den moralischen Menschen, es gibt Körper und Seele, und Satans Macht erstreckte sich nicht in gleichem Maße über beide. Der Körper – anders ausgedrückt, das Tier – ist in einem gewissen Sinne der Freund, der Sklave Satans. Und es gab Häretiker, die rundheraus und unmissverständlich erklärten, der Körper sei seine Schöpfung, nicht die Gottes. Der Körper, das Gefängnis der Seele, ist ein immer währender Anstifter zur Sünde, er ergibt sich fügsam den Wünschen dessen, der die Seele verderben will. Wenn also eine solche Zwietracht, die wir ja alle spüren, zwischen Körper und Seele besteht, folgt daraus, dass der Körper der natürliche Verbündete des Teufels ist. Und der Teufel nutzt diese Allianz

Meister der Seligkeit der Jungfau Maria, Das Jüngste Gericht (Detail), um 1460/1480 oder 1493. Öl auf Holz, 57 x 40,5 cm. Stiftung Rau, Köln.

Enguerrand Quarton, Marienkrönung (Detail), 1454. Öl auf Holz, 183 x 220 cm. Musée Pierre de Luxembourg, Villeneuve-lès-Avignon (Frankreich).

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Anonym, Teufelei, spätes 15. Jh. Miniatur aus einer französischen Handschrift.

Anonym, Das Jüngste Gericht, spätes 14. Jh. Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen. Musée des arts décoratifs, Paris.

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gut. Er schmeichelt dem Körper, lässt ihn gedeihen, damit er mit wachsender Arroganz dieses unbedeutende Ding, die Seele, einschüchtern und zermalmen mag. Der Teufel regt seinen Appetit an, er stachelt seine Stimuli auf, er erhöht seine Energie, er vervielfacht seine anmaßenden Forderungen, bis letztendlich die Seele nachgeben muss und im Schlepptau des Körpers fortgezogen wird. Er kann jedoch auch einen anderen Kurs einschlagen. Damit die Seele aller Ausdauer abschwört, damit sie vergiftet und zur Verzweiflung getrieben werde, kann Satan den Körper mit Krankheiten quälen, kann ihn mit tausend Unglücksfällen peinigen, so, wie er es mit jenem armen Mann, mit Hiob, tat. Viele glaubten, Epidemien seien ebenso wie Tierseuchen das Werk Satans. In der Regel war die Seele der Macht und dem Einfluss des Teufels weniger ausgesetzt, jedoch war sie keineswegs immun. Die Theologen meinen einhellig, dass er den Willen nicht zwingen, die Entscheidungsfreiheit nicht antasten kann. Wenn das die Regel ist, dann gibt es jedoch auch Ausnahmen. Denn Besessene werden vollständig von Satan beherrscht, der sie tun und sagen lässt, was ihm gefällt. Und nach einer Ansicht, die sich seit den frühesten Tagen der Kirche weithin durchgesetzt hat, standen exkommunizierte Personen ebenso in Satans Macht wie jene, die nicht durch die Taufe erlöst worden waren. Im Fall der Besessenen ist die Sache leicht zu verstehen, denn dass der Dämon sich nicht nur in ihre Körper, sondern in ihre Seelen einschleicht, liegt auf der Hand. Schwieriger ist es, zu verstehen, wie diese Art Hypostase oder teuflische Endosmose vonstatten ging. Der Teufel konnte jedoch auch mit Seelen, die nicht wie die der Besessenen seiner Kontrolle unterstanden, allerhand anstellen. In diesem Zusammenhang muss man sich vor Augen führen, dass jede begangene Sünde wie ein dem Feind aufgetanes Tor ist. Der Dämon weckt tausend Sündengelüste, Phantomgelüste in den wilden Gedanken, in den zügellosen Vorstellungen und gestörten Gefühlen der menschlichen Seele. Er bestürmt sie im Schlaf, wenn die Urteilsfähigkeit umwölkt und der Wille betäubt ist, er liegt auf der Lauer und fällt über sie her mit Träumen und Visionen, die gefährlichen Aufruhr und Unruhe zurücklassen. Selbst die Seelen der Heiligen blieben von diesem Einfluss nicht verschont, er hauchte sie an und ließ sie erbeben und flackern wie Fackeln im Wind. Das Leben eines jeden einzelnen Menschen wurde in nicht geringem Maße von Satan gelenkt, ebenso aber auch die Existenz ganzer Völker und des gesamten Menschengeschlechts. Wir nehmen zwar an, Geschichte sei das Werk der Vorsehung, müssen aber zugeben, dass sie ebenso das Werk Satans ist. Wenn wir uns die Geschichte im Laufe der Jahrhunderte ansehen, müssen wir einsehen, dass Satans Anteil daran sogar wesentlich ist und heraussticht. Und tatsächlich, die Kirchenlehrer und Kirchenväter sind sich alle einig: sie sagen, falsche Religionen seien seine Erfindung, die okkulten Wissenschaften (und was ist mit denen, die nicht okkult sind?) habe Satan entdeckt, zu Häresien habe er angestiftet. Er sät alle Zwietracht, wiegelt zu Komplott und Verschwörung auf, züchtet Rebellionen, heckt

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Coppo di Marcovaldo zugeschrieben, Das infernalische Chaos rund um Satan, um 1270. Baptisterium, San Giovanni Florenz.

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Hungersnöte aus, zettelt Kriege an, setzt böse Fürsten auf den Thron, konsekriert Gegenpäpste, diktiert böse Bücher. Und zwischen den größeren Katastrophen verbreitet er Mord, Raub, Ruin, Schiffbruch, Verwüstung und Feuersbrünste. Es sei auch angemerkt, dass er alle im Bauch der Erde verborgenen Schätze kennt und in der Hand hält, und es wird ausdrücklich gesagt, dass, wenn die Zeit gekommen ist, sie sich der Antichrist, sein Sohn und Generalvikar, zunutze machen wird, damit er Herr und Meister der Welt werde. Nun weiß ja jeder, dass Gold ein Motor nicht nur des Krieges, sondern der Geschichte ganz allgemein ist; und vermutlich nur, um es den Händen des bösen Feindes zu entwinden, versuchten die Päpste immerfort, soviel davon wie möglich für sich selbst zusammenzuraffen. Hier erschöpft sich jedoch die Frage nach Satans Macht noch nicht. Bisher habe ich noch nichts dazu gesagt, was man seine technische Veranlagung nennen könnte. Der Teufel ist ein Meister aller Gewerke, aber natürlich verachtet er die niedrigen, und nur bei Arbeiten größerer Bedeutung gefällt es ihm, seine Kraft und Geschicklichkeit zur Schau zu stellen. Er hat eine Leidenschaft – das Bauen. Das alte Europa ist voll von Brücken, Türmen, Wällen, Aquädukten, von Bauwerken aller Art, die er errichtet hat. Den berühmten Wall, der auf Befehl Hadrians (76 bis 138) zwischen England und Schottland entstand, hielt man ebenso für sein Werk wie andere Wälle und Befestigungsanlagen. Die Brücke über die Schöllenenschlucht in der Schweiz, die Donaubrücke in Regensburg, die Brücke in Avignon über die Rhône und hundert andere Brücken sollen von ihm gebaut worden sein, und viele tragen noch heute seinen Namen, werden ‘Teufelsbrücke’ genannt. In Zeiten von Armut und Barbarei schienen die mächtigen Bauten der alten Römer – einschließlich ihrer Straßen – die Macht der Menschen zu übersteigen, und so fiel es leicht, sie jenem verfluchten Architekten zuzuschreiben. Es mutet jedoch seltsam an, dass der Teufel mit seinen eigenen Händen Kirchen und Klöster gebaut haben soll, aber er könnte dies ja aus seinen eigenen geheimen Gründen heraus oder gezwungen von einer höheren Macht getan haben. Die Pläne und Zeichnungen für die Kirchen von Köln und Aachen wurden, so sagt man, von ihm gefertigt, letztere wurde, zumindest in Teilen, auch von ihm gebaut. Auch die Abtei von Crowland in England ist sein Werk. Und in solchem Maße war er Meister dieses Fachs, dass er es einst sogar wagte, den Erzengel Michael, seinen alten Bezwinger, herauszufordern, um zu beweisen, wer von beiden die schönere Kirche auf einer Anhöhe in der Normandie bauen könnte (der Felsen trägt noch heute den Namen Mont-Saint-Michel). Der Erzengel gewann die Wette wie erwartet, aber der Teufel machte sich auch alle Ehre. Zudem bestand in solchen Fällen das Wunder nicht so sehr im fertigen Werk

an sich, als darin, welch kurze Zeit er für die Fertigstellung in Anspruch nahm. Oft musste eine einzige Nacht genügen und genügte auch, wenn nicht eine List angewandt wurde – nicht von ihm, sondern gegen ihn. Wenn zum Beispiel eine Kirche gebaut werden sollte, brachte der Teufel aus den entferntesten Gegenden alles notwendige Baumaterial zusammen – große Granitblöcke, Tafeln und Kuben bunten Marmors, ganz zu schweigen von den riesigen Säulen, für die irgendein heidnischer Tempel geplündert worden war, oder von den Balken aus mächtigen Eichen oder turmhohen Kiefern. Er brachte die notwendigen Werkzeuge mit, und ohne Atempause behaute er Steine, meißelte, planierte, schmirgelte er, holte Holz ab, hobelte, fügte zusammen, malte, schnitzte und tünchte, bis bei Tagesanbruch die ersten Sonnenstrahlen die Kugeln aus blankem Gold auf den Türmen der Kirche erglühen und die bemalten Glasscheiben der großen Fenster aufleuchten ließen. Es bestand auch keinerlei Gefahr, dass die Mauern nach ein paar Jahren einfallen oder Dach und Deckengewölbe herabstürzen würden. All das verlangte nicht nur nach größter Schöpferkraft, Geschicklichkeit und Geschwindigkeit, es verlangte auch nach einem wahrhaftig erstaunlichen Maß an Muskelkraft – wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf. Zu dieser Kraft habe ich bisher noch nichts gesagt, aber die Beweise dafür sind zahllos, überall in der Geschichte und auf der ganzen Welt sind sie zu finden. Es gibt keine Gegend in Europa, wo man nicht auf gewaltige Felsen und Findlinge trifft, die der Teufel von einem entfernten Berg geholt und in seinen Armen mitten ins Flachland getragen hat. Wenn man die alten Leute auf dem Land zu dieser Sache befragt, berichten sie uns in allen Einzelheiten, wie es sich zugetragen hat: Dort habe vor vielen Jahren die Klause eines Einsiedlers gestanden, bewohnt von einem Mann, der ein höchst gottgefälliges Leben führte und all seine Tage und Nächte im Gebet verbrachte. Den Teufel habe das geärgert, er wollte Klause und Einsiedler unter der Felsmasse, die man da drüben sieht, zerschmettern, aber er zielte nicht genau und der gute Mann kam mit dem Schrecken davon. Da drüben, das große Loch im Berghang, das hat der Teufel gemacht, rasend vor Wut habe er seinen riesigen Schmiedehammer durch die Luft geschleudert. Überall glaubte man, die großen erratischen Gesteinsmassen, die die Gletscher in vorgeschichtlicher Zeit Meile für Meile von den Bergen ihres Ursprungs herangeschleppt hatten, seien vom Teufel dorthin geworfen und gerollt worden. Dasselbe glaubte man auch von den Steinkreisen der Druiden. Satans übermäßige Muskelkraft schließt jedoch weder Flinkheit noch Geschicklichkeit aus, er besitzt beide Fähigkeiten in erstaunlichem Maße. Er beherrscht die Kunst des Jongleurs und des Seiltänzers, und es gibt keine noch so feine Verrichtung, die ihm

Eugène Delacroix, Mephistopheles im Fluge. Lithographie, 27 x 23 cm. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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nicht glücken will. Laut Tertullian sei der Teufel dabei beobachtet worden, wie er Wasser in einem Siebe trug. Die vom Teufel errichteten Bauwerke waren, wie bereits gesagt, solide gebaut und eines so großen Architekten würdig. Es versteht sich jedoch von selbst, dass sie sich über ihren Ursprung einigermaßen geärgert und etwas Übernatürliches an sich gehabt haben müssen. Im Großen und Ganzen konnte sie kein anderer vollenden, wenn der Teufel sie nicht fertig gestellt hatte. Ähnlich dieser Überzeugung und analog dazu herrschte die Vorstellung, wenn der Teufel einem Gebäude Schaden zugefügt hatte, könne dieser niemals behoben und repariert werden. In einem der Gedichte, aus denen sich La Légende des Siècles zusammensetzt, erzählt Victor Hugo (1802 bis 1885) von einem Wettbewerb zwischen Gott und Teufel, der entscheiden sollte, welcher von beiden das Schönere schaffen würde. Der Teufel verlangte von seinem Gegenspieler eine große Menge an Zutaten, die er unbedingt brauche, und begann, als er sie hatte, mit der Arbeit:39 Et grondant et râlant comme un bœuf qu’on égorge, Le démon se remit à battre dans sa forge; II frappait du ciseau, du pilon, du maillet, Et toute la caverne horrible tressaillait; Les éclairs des marteaux faisaient une tempête; Ses yeux ardents semblaient deux braises dans sa tête; II rugissait; le feu lui sortait des naseaux, Avec un bruit pareil au bruit des grandes eaux Dans la saison livide où la cigogne émigre. Und brüllend, röchelnd, wie ein Stier im Schlachthaus, Fing es in seiner Schmiede wieder an Zu hämmern, Meißel, Mörserkeule, Stampfe Handhabt’ er, klopfend, dass die Höhle bebte Und Blitz’ und Funken im Gewitter stoben Die Augen glühten im Kopf wie Kohlen, Er schnob, und Feuer ging aus seinen Nüstern Wild brausend, wie die großen Wasser rauschen Zum fahlen Herbste, wenn die Störche wandern. Aber all dieser Aufwand und diese Mühe bringen nichts weiter hervor als einen Grashüpfer, während Gott, indem er es nur anblickt, aus einem Spinnennetz die Sonne macht. Der Dichter liegt jedoch falsch. Weitaus Größeres als das konnte der Teufel vollbringen, ohne sich auch nur im Mindesten zu übernehmen. Seine Macht war wirklich groß und furchtbar. Und doch, auch diese Macht hatte ihre Grenzen. Grenzen, die ihn oft weit mehr einschränkten, als es auf den ersten Blick schien. Wie wir noch sehen werden, existierten

Ligny (nach Gustave Doré), Lucifer auf einem Felsen, 1882, Stich. Central Saint Martins College of Art und Design, London.

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nicht nur Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten gegen diese Macht, sondern – und das war viel wichtiger – es gab die Möglichkeit, sie zu lenken und zu besiegen. Eine Tatsache, auf die ich dringend hinweisen möchte, ist folgende: Der Teufel kann seine Macht nur nachts ausüben, oder, wenn er sie am Tage ausübt, dann nicht mit derselben Wirkung. Die ersten Strahlen der Dämmerung, die den Himmel wie Perlmutt schimmern lassen und der Fanfaren ähnliche Schrei des Hahns schlagen den Teufel in die Flucht oder halbieren zumindest seine Kräfte. Zudem scheint es logisch, dass der König der Finsternis Energie aus dem Dunkel zieht und dass seine Macht inmitten der Dunkelheit voller erscheint und mehr gefürchtet wird. Doch sollten wir nicht denken, dass Satan, auch wenn er doch sehr gewillt ist, seine Macht zum Schlechten zu nutzen, immer und ausnahmslos Meister über alle Gewalt und Hauptexponent jener Maxime ist, die so viele Anhänger hat: „Macht geht vor Recht“. Wenn er tut, was er tut, wenn er in Gestalt eines Tyrannen in aller Welt herumläuft, wenn er Menschen wie Feinde oder Sklaven behandelt, dann hat er alles Recht dazu, oder, wenn er es nicht mehr hat, dann hatte er es früher. Irenäus (130 bis 202), der heilige Bischof von Lyon, war der erste, der – schon im 2. Jahrhundert der christlichen Kirche – deutlich ein solches Recht begründete. Die Sünde gab die Menschen rechtmäßig in Satans Hände, und damit Christus sie rechtmäßig erlösen konnte ohne Gewalt anzuwenden, vergoss er sein eigenes Blut. Satan, der widerrechtlich den Tod einer gerechten Person verursachte, verwirkte damit jedes vorher erworbene Recht. Diese Lehrmeinung fand viel Anklang, und bis zu Beginn des Mittelalters erkannten alle Kirchenschriftsteller mehr oder weniger umfassend dieses originäre Recht Satans an, das nun durch Christus annulliert wurde. Satan wiederum wollte keinerlei Annullierung anerkennen und übte, so weit er konnte, sein Recht weiterhin aus. Dabei müssen wir zugeben, dass er es, wenn auch illegal, so doch nicht erfolglos ausübte. Um sein Recht – rechtmäßig oder widerrechtlich – besser durchsetzen zu können, verwendete Satan große Sorgfalt auf die Organisation seines Reiches und seiner Armeen und darauf, die göttlichen Institutionen und Organisationen zu imitieren, so weit ihm das erlaubt war. Diese Imitation brachte ihm den abschätzigen Spitznamen „Gottes Affe“ ein. Der Kirche Christi setzte er seine eigene Kirche entgegen, er hatte seine eigenen Priester, seine eigene Form der Anbetung, und – wie Tertullian wusste – seine eigenen Sakramente. Wir haben gesehen, wie der Teufel, wie seine Macht und sein Gewerbe aussahen, nun wollen wir sehen, wie er seinen täglichen Kampf gegen Gott und die Menschen ausfocht. Wir wollen ihn bei seiner wichtigsten Arbeit beobachten.

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II. Die Taten des Teufels

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Der Teufel als Versucher

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ATAN hofft nicht länger darauf, die Stellung im Himmel wiederzuerlangen, die er verloren hat. Er trauert seinem früheren Glück zwar nach, murrt und hadert aber nicht dabei. Stattdessen bemüht er sich, die ihm eigene Größe und Macht zu erweitern. Er ist ein König, sein Königreich ist groß und dicht bevölkert, und er kann es noch weiter ausdehnen und noch üppiger bevölkern. Auch wenn ihm die Menschheit nicht mehr vollständig gehören wird, so doch ein großer Teil. Die Früchte der Erlösung zu verderben, sie so spärlich wie möglich zu halten, die Irrtümer oben auf der Erde zu vervielfachen, aus dieser Erde eine neue Hölle zu machen, vergebens getaucht in das Blut Christi und die Geschichte der Menschheit in eine solide Folge von Übeln und Unheil zu verwandeln, in der Sorge und Sünde für immer miteinander verkettet sind – das ist nun sein beständiges Ziel, sein fortwährendes Bestreben. Jede Sünde, die begangen, jede Seele, die dem Himmel gestohlen und für die Hölle gewonnen wurde, stellt einen Triumph mehr für ihn dar. Obschon die Kirche stark und fest wie ein Fels inmitten der wogenden Wellen steht, weiß er sehr wohl, wie er sie umringen und von allen Seiten packen kann, sie erzittern lässt bis auf die Grundmauern und bisweilen einen Eckstein lockert. Obschon der Hirte und seine Hunde über die Herde wachen, hört er nicht auf, wie ein hungriger Wolf oder eher wie der brüllende Löwe, von dem der Apostel spricht, neun von zehn Schafen aus der Herde zu reißen. Satan kann sich die Seelen der Menschen nicht holen, wenn er sie nicht zunächst mit Sünde befleckt und verdirbt. Doch die menschliche Natur ist, obgleich erlöst, immer bereit und anfällig für die Sünde. Satan kann dem freien Willen keine Gewalt antun, aber er kann ihn mit seinen zahllosen Winkelzügen so verwirren, dass er ihm beinahe zwangsläufig unterliegen muss. Satan ist der große, der unermüdliche Versucher. Er führte Eva in Versuchung und wagte sogar, Christus selbst zu versuchen, was Wunder also, dass er die Menschen, sogar die frömmsten unter ihnen, in Versuchung führt? Und es sind tatsächlich die Frömmsten, mit denen er sich die meiste Mühe gibt, denn jene, die nicht fromm sind, werden ohne viel Aufhebens zu seinen Dienern und Anhängern. Die ganze Sache mit der Versuchung war ein äußerst differenzierter Prozess, der keinen festen Regeln folgte, ganz unterschiedlich verlief, sich den Umständen und Hintergründen sowie den jeweiligen Personen, dem Ort und der Zeit anpasste, schließlich noch einen scharfen Verstand und nicht selten große Beharrlichkeit verlangte. Die Versuchung war eine Kunst, bei der Satan all sein Genie und Geschick in die Waagschale warf. Gelegenheiten zur Versuchung gab es unendlich viele. Paulus sagte: „Gebet auch nicht Raum dem Lästerer“40, aber der Teufel wusste, wie er

Seite 78: Michael Pacher, Hl. Augustinus und der Teufel, 1483. Alte Pinakothek, München.

sich Raum verschaffte. Er hatte auch gesagt: „Widerstehet dem Teufel, so flieht er von euch“41, aber sehr oft wurde derjenige, der am energischsten widerstand, am beharrlichsten angegriffen. Sich dem Einfluss Satans vollständig zu entziehen, war unmöglich, es war auch nicht möglich, den verderblichen Kontakt zu ihm ganz zu umgehen. Die furchtsame Seele mochte die Schildkröte nachahmen und sich ganz in ihren Panzer zurückziehen, aber was sie auch tat, irgendeine Öffnung, durch die der Dämon seine scharfen und gierigen Klauen stecke konnte, blieb immer. Wer ein normales Erdenleben unter Menschen führte, begegnete Satan nicht nur an jeder Ecke, man könnte sagen, er lebte umgeben von Satan. Denn das Weltliche, seine gesamten trügerischen Erscheinungen, seine Verlockungen, seine Begierden und Gelüste sind nichts anderes als Satan selbst. Auf der Welt zu sein und nicht zu sündigen, ist wie ins Meer zu springen und zu hoffen, dass man nicht nass wird. Wer auf der Welt und unter Menschen war, war also einer fortwährenden Versuchung ausgesetzt, wer sich jedoch von der Welt und den Menschen zurückzog, wurde dennoch weiter in Versuchung geführt. Die guten Christen, die, empört und voll Ekel über die Verdorbenheit der Städte und alles, was treffend des Teufels Prunk und Zurschaustellung genannt wurde, bereits ab der Zeit Konstantins des Großen (um 272/285 bis 337) die Städte verließen, aus der Gesellschaft ihrer Mitmenschen flohen und die Wüsten aufsuchten – sie trafen in der Einöde Asiens und Ägyptens denselben Satan wieder, dem sie mit solchem Eifer entkommen wollten. Und nicht anders erging es jenen, die der Welt entflohen und die bewohnten Gebiete oder gar die Städte zwar nicht verließen, aber zwischen den Mauern der Klöster eine sichere Zuflucht vor ihrem gefürchteten Widersacher suchten. Auch sie sahen sich erneut demselben Satan gegenüber, einem Satan jedoch, der noch viel listiger und unerbittlicher war. Seine Angriffe hörten nicht auf, aber sie veränderten sich in ihrer Art. Unter Menschen war die Versuchung fortwährend und geringfügig, in gewissem Sinne indirekt aufgrund jener Dinge, die unaufhörlicher Ansporn zur Sünde waren, und deshalb gewöhnlich und nicht ungestüm. In der Einsamkeit wurde sie akut, jäh und unstet, dem Wesen nach wie ein Anfall. Bei den Menschen schien die Versuchung von äußeren Dingen auszugehen, in der Einsamkeit entsprang sie den unvollständig unterdrückten Energien des physischen Organismus, in jeder geistigen Regung, die irgendwie zum Beginn einer Sünde werden konnte. Satan hat keine Gelegenheit zur Versuchung jemals ausgelassen, wie flüchtig, wie ungewiss sie auch sein mochte. So wie man meinte, jede Seele habe auf ihrer irdischen Pilgerfahrt einen Engel als Begleiter, der sie auf dem Weg zum Seelenheil zu leiten suchte, so meinte man auch, sie habe einen Teufel als Begleiter, der sie unaufhörlich ins Verderben stürzen wollte: Auf der rechten Seite der Schutzengel, auf der linken den Teufel, der Versucher.

Hans Baldung Grien, Adam und Eva. Öl auf Holz, 212 x 85 cm (je Tafel). Uffizien, Florenz.

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Tizian (eigentlich Tiziano Vecellio), Adam und Eva, um 1550. Öl auf Leinwand, 176 x 191 cm. Museo Nacional del Prado, Madrid.

Michelangelo (eigentlich Michelangelo Buonarroti), Ursünde, Detail aus einer der Hauptszenen des Deckenfreskos zur Schöpfungsgeschichte, 1508-1512. Sixtinische Kapelle, Vatikan, Rom. Hieronymus Bosch, Der Heuwagen, Triptychon, 1500-1502. Öl auf Holz, 140 x 100 cm. San Lorenzo el Real de El Escorial, El Escorial (Spanien).

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Alle Menschen konnten versucht werden, aber die Versuchung variierte je nach Alter, Geschlecht und den besonderen Umständen einer jeden Person. Manchmal kam sie einfach und nur wenig versteckt oder gänzlich unverschleiert daher, manchmal gerissen und hinterlistig. Sichere Mittel, sich gegen die Versuchung zu schützen, gab es nicht. Gerade jene Mittel, die im besten Ruf standen und am meisten gerühmt wurden, erwiesen sich, wenn man die Probe aufs Exempel machte, immer wieder als wirkungslos. Die Frommen und die Heiligen wurden, wie schon gesagt, mit größter Heftigkeit bestürmt und drangsaliert, weil Satan, so meinte man, weit mehr bemüht war, über einen von ihnen zu triumphieren als über tausend andere. Wir, die wir die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten, können heute sagen, dass sich die heiligen Frauen und Männer mehr als andere heftigen Gefechten mit der Versuchung aussetzten, weil ihre Seelen ständig und schmerzlich vom Gedanken der Sünde besessen und ihre Körper von den unsinnigsten Kasteiungen geschwächt waren, denen sie sich aussetzten, wähnend, sie so von jedem Zucken des fleischlichen Appetits zu läutern. Es ist zudem richtig, dass sie diese Gefechte oft suchten und darin die ruhmvollen Schlachten sahen, bei denen ihre Tugend heller erstrahlte und mit jedem Sieg

Anonym, Mann und Teufel in der Initiale O einer lateinischen Bibel, 13. Jh. Bibliothèque Mazarine, Paris.

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neue Kraft gewann. Sei es, wie es sei, Satan wusste in den meisten Fällen, wie er das Maß und die Form der Versuchung an das Wesen und die Umstände jedes Einzelnen anzupassen hatte, und damit zeigte er sich nicht weniger fähig auf dem Gebiet der Psychologie als auf dem der Logik. Nicht jede Zeit und auch nicht alle Orte waren für das Werk der Versuchung gleich gut geeignet. Die Nacht bot die günstigsten Bedingungen, nicht nur, weil sich mit wachsender Dunkelheit die Macht des Teufels erhöhte, sondern auch, weil in der Dunkelheit die Phantome, die Satan heraufbeschwor, nicht so leicht als Illusionen enttarnt werden konnten. Und die vorteilhafteste Stunde ist die, in der der Schlaf sich über die müden Glieder zu legen beginnt, in der zwar der Verstand schon träge und schwerfällig wird, aber Eindrücken von außen noch nicht ganz verschlossen ist, in der sich die Wachsamkeit der Seele und in der sich Wille und Urteilsvermögen entspannen. Und so bat der heilige Pachomius (um 292 bis 348) Gott nicht ohne Grund um Schlaflosigkeit, auf dass er besser gegen den bösen Feind kämpfen könne. Die Methoden und Formen der Versuchung waren zahllos, so zahllos wie die Werke des Verstandes und die Umstände des Lebens. Kein Gedanke war so unbedeutend, kein Ereignis so banal, dass Satan ihm nicht einen Impuls der Versuchung entlocken konnte, und wenn die Gelegenheit sich nicht ergab, führte er eben selbst eine herbei. Jene seltsamen Dokumente des christlichen Glaubens, die Heiligenlegenden, sind übervoll mit Berichten, die das belegen, und die nicht selten wertvolle Fakten und Beweise für das Studium der menschlichen Natur liefern. In einigen Fällen war die Versuchung recht einfach, erfolgte mit geringer oder auch gänzlich ohne Vorbereitung und nahm in einem einzigen Moment Gestalt an. Der heilige Antonius der Große, dessen Versuchungen berühmt und sprichwörtlich werden sollten, fand einst, als er durch die Wüste zog, eine Silberscheibe auf dem Boden liegen. Es war ein Fallstrick des Teufels, der in seinem Herzen das sündhafte Verlangen nach den Reichtümern, denen er entsagt hatte, neu zu erwecken versuchte. Der nahe der alten Philisterstadt Gaza geborene heilige Hilarion (291 bis 371) sah plötzlich, schwach vom Fasten, eine Fülle der auserlesensten Speisen vor sich. Der Pelagia (bis 457), die einst eine Schauspielerin in Antiochia gewesen war und sich später als Pelagius zur Kontemplation in eine Klause auf dem Ölberg zurückzog, bot der Teufel immer wieder ihre ehemaligen Objekte der Begierde an – Ringe, Armbänder, Halsketten, Juwelen aller Art. Diese Trugbilder verschwanden so plötzlich, wie sie erschienen waren. In anderen Fällen waren Aufwand und Vorbereitung größer, die verlockenden oder Grauen erregenden Phantome vielfältiger und abwechslungsreicher, die Versuchung geradezu theatralisch. Hilarion von Gaza bemerkte, als er im Gebet versunken war, immer wieder ganze

Erhard Schön, Der Teufel bläst die Sackpfeife in Form eines Mönchskopfes, um 1530-1535. Privatsammlung.

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Rudel jaulender Füchse und heulender Wölfe, er beobachtete improvisierte Gladiatorenkämpfe, sah, wie sich die Sterbenden vor seine Füße schleppten, und hörte, wie sie ihn um ein Begräbnis anflehten. Eines Nachts, er schlief nicht und hielt wie immer Nachtwache, hörte er Kühe muhen, Löwen brüllen, Schafe blöken, Frauen wehklagen und Säuglinge schreien – ein großes Murmeln und Raunen, wie das eines Heeres im Belagerungszustand. Hilarion erkannte die Täuschungen des Teufels, warf sich auf die Knie, schlug das Kreuz über der Stirn und sah sich in Erwartung eines neuen Omens um. Und siehe da, im Licht des Mondes brauste ein von feurigen Hengsten gezogener Wagen auf ihn zu. Doch als der heilige Mann den göttlichen Namen Christi anrief, öffnete sich die Erde und verschlang die Erscheinung auf der Stelle. Das Ganze war nichts als das Werk Satans gewesen, der auf diese Weise versucht hatte, den guten Diener Gottes von Gebet und Meditation abzulenken, der ihm die Einsamkeit verleiden wollte, indem er sie mit Schrecken erfüllte. Die Historien der Heiligen bieten eine große Fülle ähnlicher Beispiele. Diese Versuchungen, die Satan mit Hilfe von Trugbildern herbeiführte oder, wie es mitunter geschah, mit dinglichen, realen Objekten, waren schon recht stark, denn sie bemächtigten sich der Sinne und damit der Seele, die immer nur allzu bereit war, zum Gehilfen der Sinne zu werden. Doch am meisten gefürchtet war diejenige Versuchung, die aus den hartnäckigen Instinkten rund um Zeugung, Fortpflanzung und sexuelle Leidenschaft entsprang. Diese Versuchung war es, die Satan seine größten Triumphe bescherte. Das Christentum hat das Fleisch anathematisiert, die Leidenschaft in Verruf gebracht. Der Akt, durch den alle Geschöpfe ihre Art erhalten – heterogen und komplex in der Methode, dem Prinzip nach jedoch immer dasselbe, der Akt, dem die Menschen der Antike eine der größten und gewiss die herrlichste aller Göttinnen des Olymp zuwiesen, ist in den Augen der Christen grundsätzlich unrein und verrucht, und diese Unreinheit und Verruchtheit kann, was das Geschlecht Adams angeht, durch das Sakrament der Ehe schwerlich behoben werden. Das Zölibat ist für den Christen, zumindest in der Theorie, ein weitaus edlerer und würdigerer Zustand als die Ehe, die Enthaltsamkeit zählt zu den größten Tugenden. Lactantius (um 250 bis 320) beteuert, die Unberührtheit sei sozusagen der Gipfel aller Tugenden, und Origenes, der den Beinamen „Adamantius“ (der Stahlharte) trug, wartete nicht erst, dass sich die Beteuerung des Lactantius bestätigte, er soll sich gleich mit eigenen Händen außer Gefahr gesetzt haben, seine Unschuld zu verlieren. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, dass die Asketen oft all ihre Kraft auf ein verzweifeltes Ringen verwendeten, indem sie jeden Funken von Lüsternheit oder sinnlicher Begierde zu ersticken, jedes

Auflehnen des Fleisches niederzuschlagen suchten, wie belanglos und unfreiwillig es auch gewesen sein mag. Wir sollten uns jedoch auch nicht wundern, dass sie bei diesem Auflehnen gegen die Natur mehr als einmal besiegt wurden und unterlagen. Um Venus’ Listen zu entfliehen, nahmen sie Zuflucht in der Wüste, mauerten sich in Klöstern ein, doch Venus wurde in ihnen wiedergeboren – aus dem Überschwang ihres Temperaments42 wie ehedem aus dem Schaum des Meeres –, und sie machte sich zur Beherrscherin ihrer Fantasie. Um sich dem verderblichen Einfluss, der gefürchteten Versuchung zu entziehen, weigerten sie sich nach all den Jahren der Trennung, ihre Mütter und Schwestern wiederzusehen. Doch das Weib drang dennoch in ihre Zelle ein, ein Bild, das sie gleichzeitig begehrten und verabscheuten. Auf eine zufällige Andeutung, einen flüchtigen Gedanken hin sprang ihre Männlichkeit – unterdrückt, aber nicht gezähmt – mit brutaler Gewalt hervor, sie nagte und zerrte an jenen von langen Kasteiungen geschwächten Körpern. Das waren schreckliche Kämpfe, aus denen die Athleten Christi erschöpft und entkräftet, wenn auch siegreich hervorgingen. Der heilige Hieronymus (um 342 bis 419/420) schrieb in einem Brief an die jungfräuliche Eustochium (um 368 bis 419/420): Als ich in der Wüste weilte, in jener weiten, von der Sonnenglut ausgebrannten Einöde, die den Mönchen ein schauriges Asyl bietet, da schweiften meine Gedanken oft hin zu den Vergnügungsstätten Roms! Einsam, innerlich verbittert, saß ich da. Meine ungestalteten Glieder starrten im Bußgewande, und meine raue Haut war schwarz geworden gleich der eines Äthiopiers. Täglich gab es Seufzer und Tränen, und wenn mich gegen meinen Willen der Schlaf übermannte, da streckte ich meine kaum noch zusammenhaltenden Knochen auf den nackten Boden hin. Von Speise und Trank will ich gar nicht reden, da selbst die kranken Mönche nur frisches Wasser trinken und es als Luxus gilt, irgendeine gekochte Speise zu genießen. Also jener ‘Ich’, der ich aus Furcht vor der Hölle mich selbst zu einem solchen Kerker verurteilt habe, in der einzigen Gesellschaft von Skorpionen und wilden Tieren, dachte oft zurück an die Tänze der Mädchen. Die Wangen waren bleich vom Fasten, aber im kalten Körper flammte der Geist auf in der Glut der Begierden. Vor dem Menschen, der dem Fleische nach bereits gestorben war, loderte einzig noch das Feuer der Sinnlichkeit auf. Verlassen von aller Hilfe, warf ich mich nieder zu den Füßen Jesu, benetzte sie mit meinen Tränen und trockne-

Matfre Ermengaud von Béziers, Das Breviari d’Amor: Gefahren der Liebe, erste Hälfte des 14. Jh. Pergament. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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te sie mit meinen Haaren, und das widerspenstige Fleisch bändigte ich durch wochenlanges Fasten. Ich schäme mich durchaus nicht, meinen elenden und traurigen Zustand einzugestehen, ja es tut mir sogar Leid, dass es mit mir nicht mehr so ist, wie es war. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich oft Tag und Nacht ohne Unterbrechung schreiend zubrachte, dass ich nicht eher aufhörte, meine Brust zu schlagen, bis der Herr mich schalt und meine innere Ruhe zurückkehrte...43

Anonym, Hl. Eligius und der Dämon als Frau, 15. Jh., Miniatur. Bibliothèque municipale, Lille (Frankreich).

Anonym, Das Stundenbuch von Luxemburg, verwendet in Rom, steht in Zusammenhang mit dem hl. Antonius, zweites Viertel des 15. Jh. Pergament, 15,7 x 12 cm (Text: 9 x 6 cm).

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Zahllos sind die Heiligen, denen der Teufel in Gestalt eines bezaubernden Mädchens oder einer edlen und würdigen, reich gekleideten Dame erschien, und so mancher war nicht in der Lage, einer so schrecklichen Versuchung zu widerstehen. Gewöhnlich behauptete das teuflische, trügerische Weib, sie hätte sich verlaufen, sei von einem Sturm oder der Dunkelheit überrascht worden, oder gar, wie die Alibech bei Boccaccio44, sie hätte Haus und Hof verlassen, um sich dem Dienst an Gott zu widmen. Und mit bescheidener Miene, mit großer Demut und klarer Sprache bat sie den heiligen Mann um Schutz und Unterkunft. Und wenn der heilige Mann, gerührt durch unpassendes Mitleid oder allzu überzeugt von seiner Tugendhaftigkeit, die holde Bittstellerin in seiner Klause – kaum groß genug für zwei – empfing, bestand Gefahr, riesengroße Gefahr, dass die Sache für ihn ein schlimmes Ende nehmen würde. Rufinus von Aquileja (um 345 bis 411/412) erzählt in diesem Zusammenhang eine Geschichte, die es verdient, aus all den vielen herausgehoben und hier verbreitet zu werden: Einst lebte in einer Klause in der Wüste ein Mönch, ein Mann der größten Enthaltsamkeit, mit allen Tugenden ausgestattet und daran gewöhnt, Tag und Nacht im Gebet zu verbringen. Dieser Mönch bemerkte, wie er mit seiner zunehmenden Heiligkeit vorankam, er begann, sich aufzublasen und den Verdienst, der Gott gebührte, sich und nur sich allein zuzuschreiben. Der Teufel merkte das und legte flugs seine Schlingen aus. Und siehe da, eines Abends erschien vor der Klause des heiligen Mannes eine wunderschöne Frau. Sie trat ein, tat so, als sei sie äußerst müde und erschöpft, warf sich ihm zu Füßen und flehte ihn inständig an, ihr Schutz zu gewähren, die Nacht hätte sie in der Wüste überrascht, er möge doch barmherzig sein und sie nicht den wilden Tieren zur Beute überlassen. Er, gerührt vor Mitleid, empfängt sie freundlich und befragt sie zu den Gründen ihrer Wanderung. Sie erzählt eine Geschichte, die sie sich flink ausgedacht hatte, und würzt die Erzählung mit Schmeicheleien, stellt sich hier des Mitleids wert, dort Schutz verdienend dar, und mit der Eleganz und dem Charme ihrer Ausführungen betört und verleitet sie die Seele dieses guten Mannes. Stück für Stück wird das Gespräch vertraulicher, Lachen und Scherzen mischen sich in die Worte, bis sie, dreist und frech, es wagt, seinen Bart zu berühren und zärtlich seinen Hals zu liebkosen. Und siehe da, der Streiter Christi ist schon erobert! Von den Flammen der Lust verzehrt, alles Vergangene vergessend, ungeachtet

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der Früchte so vieler standhaft erduldeter Kämpfe, zum bloßen Tier verkommen (sagt Rufinus), macht er sich schon bereit zur sündhaften Umarmung. Doch in diesem Moment floh die falsche Erscheinung mit einem gellenden, schrecklichen Schrei aus seinen Armen und ließ ihn in einer lächerlichen und höchst unschicklichen Stellung zurück (Rufinus schildert alle Einzelheiten). Nun begannen die Dämonen, die sich in großer Zahl als Zuschauer der üblen Tat in der Luft eingefunden hatten, ihn zu verspotten, und riefen laut, er, der sich des Himmels gerühmt habe, solle nun zur Hölle fahren: „Denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden.“45

Nach diesem Abenteuer kehrte der unbesonnene Mönch ohne Hoffnung auf Erlösung in die Welt zurück und, sich völlig der Ausschweifung und Verderbtheit überlassend, fiel er unwiderruflich Satan als Beute anheim. Rufinus lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass sich der Mönch durch Beten und Fasten und unter Tränen der Reue von der begangenen Sünde hätte reinwaschen und in seinen früheren Zustand der Gnade hätte zurückkehren können. Denn Victorinus46, der Bischof von Amiternum, verfiel derselben Sünde, konnte sich allerdings durch ehrfürchtige Buße aus den Händen des siegreichen bösen Feindes loskaufen. Und so haben es viele getan. Es

Anonym, Florentinisches Gemälde in neun Tafeln (Detail), 1501. Museo Stibbert, Florenz.

Anonym, Florentinisches Gemälde in neun Tafeln, 1501. Museo Stibbert, Florenz.

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muss wohl nicht ausdrücklich erwähnt werden, dass der Teufel, wollte er heilige Frauen versuchen, die Gestalt eines gut gebauten, hübschen Jünglings annahm, der nicht weniger zärtlich als draufgängerisch war. So erschien er der heiligen Franziska von Rom (1384 bis 1440), die viele seiner Zudringlichkeiten ertragen musste. Nicht immer willigte der Teufel ein, die in diesen Geschichten beschriebene Rolle zu spielen, er hielt es auch gar nicht immer für notwendig. Manchmal begnügte er sich damit, bestimmte Sehnsüchte zu wecken, denn jene Sehnsüchte sind an sich schon sündhaft, und seine natürliche Bosheit fand eine absonderliche Genugtuung darin, derartige Sehnsüchte zu wecken und dann kein Mittel zu ihrer Erfüllung bereitzustellen. Papst Gregor der Große berichtet, dass der Teufel einst im Körper des Benedikt von Nursia (um 480 bis 547) ein so heftiges und krampfartiges Feuer der Lüsternheit weckte, dass der arme Heilige sich nicht anders zu helfen wusste, als sich nackt auszuziehen und sich wieder und wieder in einem Dornbusch zu wälzen. Wenn er nichts anderes tun konnte, führte der Teufel nächtliche Befleckungen herbei, die zwar unfreiwillig geschahen, aber dennoch als Sünde gezählt wurden, wenn sie von lüsternen Bildern und angenehmen Empfindungen begleitet waren, und die in jedem Falle ausreichten, um gewisse Energien lebendig zu halten und den Geist zu beunruhigen. Zu seinem eigenen Vergnügen nahm der Teufel diese und jene Form an, um entweder seine Versuchung wirksamer zu gestalten oder um die Menschen in eine ganz bestimmte Sünde zu locken. Heiligen Männern erschien er oft in Gestalt eines in Licht gekleideten Engels,47 eines Heiligen oder gar als Christus, die Zeichen Gottes auf der Stirn. So wollte er erreichen, dass ihre Brust vor Stolz anschwoll und sie eine übertriebene Vorstellung von ihrer eigenen Heiligkeit bekamen, oder um ihnen böse und falsche Lehre und verderbliche Absichten einzuflüstern. Mit diesem Kniff trieb er mehr als einmal ein Leben ohne Sünde führende Menschen, die bisher allen seinen Angriffen erfolgreich widerstanden hatten, in den Suizid. Vom Mönch Heron (bis 128) wird berichtet, er habe fünfzig Jahre lang ein Leben von solch übermäßigen Entbehrungen geführt, dass er selbst zur Osterzeit seine strenge Abstinenz nicht lockerte. Eines Tages erscheint ihm der Teufel in Gestalt eines Engels und gebietet ihm, sich kopfüber in einen Brunnen zu stürzen. Er tut dies ohne zu zögern, fest in dem Glauben, er werde unbeschadet daraus hervorgehen, und dies sei dann ein großer und unwiderlegbarer Beweis seiner eigenen Heiligkeit und der göttlichen Gnade. Die anderen Mönche konnten ihn nur unter größten Schwierigkeiten aus dem Brunnen ziehen, aber innerhalb von drei Tagen starb er. Ein weiteres Beispiel: Der Benediktiner und Schriftsteller Guibert von Nogent (1053 bis um 1124) berichtet eingehend von einem Jüngling, der freudig mit einer Frau gesündigt und sich danach aus lauter Reue auf eine Jakobspilgerfahrt begeben hatte. Eines schönen Tages

erschien ihm der Teufel in Gestalt Jakobus des Älteren (bis um 44) und erlegte ihm folgende Buße auf: er solle sich zuerst das abschneiden, was der diskrete Leser erahnt, ohne dass man es aussprechen müsste, danach solle er sich die Kehle durchschneiden. Der leichtsinnige Jüngling gehorchte und wäre auf direktem Wege zur Hölle gefahren, hätte ihn nicht die Heilige Jungfrau im entscheidenden Moment wiederbelebt. Er kam zu sich, allerdings ohne das noch zu besitzen, was er sich mit seinen eigenen Händen abgeschnitten hatte. Andererseits waren da aber auch Heilige, die der Teufel, in welcher Verkleidung er ihnen auch erschien, niemals zu täuschen vermochte. Den heiligen Martin erwähnte ich bereits. Eines Tages erschien ihm der Teufel in Purpur gewandet, mit einer Krone auf dem Haupt und goldenen Schuhen an den Füße, und sprach: „Kennst du mich nicht? Ich bin Christus.“ Aber der Heilige erwiderte: „Du, Christus? Christus besitzt weder Purpurgewand noch Krone, und ich kenne ihn nur nackt, wie er am Kreuze war. Du bist der Teufel!“ Ach, hätten doch die Päpste nur einmal über diese Antwort nachgedacht! Seltener waren die Fälle, da der Teufel in seiner eigentlichen Form die Menschen versuchen wollte, aber auch das kam vor. Satan verbarg oder verwandelte sich nicht, als er Christus in Versuchung führen wollte. Der heilige Pachomius (287 bis 347) sah einst eine Horde Teufel ein Bündel Blätter schleppen, dabei taten sie so, als würde es sie ungemein anstrengen. Damit wollten sie den Heiligen zum Lachen bringen. Nun ist Lachen an sich keine Sünde, könnte aber leicht zur Saat der Sünde werden. Die besten Mönche lachten nie, sie weinten eher, und das oft, wie jener traurige Abraham von Syrien (bis um 390), der keinen einzigen Tag verbracht hatte, ohne Tränen zu vergießen. Ich habe bisher nichts zu den unzähligen geringfügigen Versuchungen gesagt, die sich nahezu ohne Unterlass den Menschen aufdrängen, nur um sie von Gebet und Meditation abzulenken oder um sie dazu zu bringen, ihre Geduld zu verlieren. Dazu gehören zum Beispiel: die Worte des Vorlesers wie ein Echo nachzuäffen, den Prediger mitten in der Predigt an den gelungensten Stellen wiederholt zum Niesen zu bringen, eine aufdringliche Fliege zehnmal in Folge auf dem Gesicht eines Menschen, der im Begriff ist einzuschlafen, landen zu lassen und so weiter. Man muss jedoch bedenken, dass keine Versuchung zu klein, zu unbedeutend ist, dass sie nicht auch der Anfang einer nicht wieder gut zu machenden Verfehlung sein könnte. Legt man ein Samenkorn in die Erde, wächst, wenn die für das Wachstum notwendigen Bedingungen und Elemente die richtigen sind, aus dem Samenkorn eine Pflanze. So gelingt es dem Teufel, der sich auf diese Sache bestens versteht, mit einer einzigen Versuchung, noch dazu oft einer ganz banalen, den ersten Keim der Sünde in den Geist zu senken, und dieser Spross schlägt geradewegs Wurzeln, wächst, wird eine Pflanze und trägt schon nach kurzer Zeit schädliche Früchte.

Tintoretto, Die Versuchung Christi, 1579-1581. Öl auf Leinwand, 539 x 330 cm. Scuola Grande di San Rocco, Venedig.

Sandro Botticelli, Die Versuchung Christi, 1481-1482. Fresko, 345 x 555 cm. Sixtinische Kapelle, Vatikan, Rom.

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Es gab einen Eremiten, der ein höchst enthaltsames Leben führte und dessen Frömmigkeit einen guten Ruf genoss. Eines Tages erschien ihm der Teufel in Gestalt eines redlichen Burschen und sprach zu ihm: „Dein Leben ist so einsam, warum besorgst du dir nicht einen Hahn, der dir Gesellschaft leistet und dich am Morgen beizeiten weckt?“ Der arme Eremit lehnte zunächst ab, doch dann zauderte er, folgte schließlich dem Rat und beschaffte sich einen Hahn. Was soll daran schlimm sein? Ein Hahn ist ja wohl unmöglich der Teufel. Aber der Hahn ist es bald müde, ganz allein zu sein und wird jeden Tag dünner. Dann besorgt der Einsiedler dem Hahn in einer Anwandlung von Milde eine Henne. Ach, hätte er das doch nie getan! Der Anblick gewisser Vorgänge weckt in ihm die alte Glut, die er meinte für immer ausgelöscht zu haben. Er verliebt sich in die Tochter eines in der Nähe wohnenden Edelmannes, ein junges und wunderschönes Mädchen. Er sündigt mit ihr, und dann, um der Rache der Eltern zu entgehen, tötet er sie und versteckt ihre Leiche unter seinem Lager. Doch das Verbrechen wird entdeckt und der Täter wird zur Höchststrafe verurteilt. Als er das Schafott besteigt, ruft er aus: „Sehet, wohin mich ein Hahn gebracht hat!“ Versuchungen wie diese waren für den Teufel ein Leichtes, und sie erreichten ihr Ziel fast von allein. Es gab aber auch andere, die der Teufel von langer Hand vorbereitete und mit unermüdlichem Eifer und unglaublicher Geduld überwachte. Eine Geschichte, die sich im Mittelalter einiger Beliebtheit erfreute und die, wie andere auch, von Bernardo Giambullari (1450 bis 1525) aufgeschrieben wurde, berichtet vom Teufel, der einst die Gestalt eines kleinen Jungen annahm und sich so erfolgreich Zutritt zu einem Kloster verschaffte, dem der Hauch der höchsten Heiligkeit anhaftete. Der Abt, ein ehrlicher Mann, ließ ihn unterrichten, und als er sah, dass das Kind alles mit größter Leichtigkeit gelernt hatte, meinte er, es sei eine große Bereicherung für das Kloster und dankte Gott wiederholt dafür. Als der Junge herangewachsen war und ins rechte Alter kam, legte er zur großen Freude der Brüder die Kutte an. Ein paar Jahre später lag der alte Abt im Sterben, und die Brüder entschieden einstimmig, dass der Junge ihm in seinem Amt folgen solle. Nicht lange danach begannen sich die Regeln im Kloster zu lockern, die Sitten und Gebräuche gerieten ins Wanken. Der neue Abt ließ die tägliche Kost erheblich verfeinern, gewährte freizügig Dispens und erleichterte in jeder Hinsicht die Beziehungen seiner Mönche zu den Schwestern eines benachbarten Nonnenklosters. Der Skandal war groß und wurde täglich größer. Der Papst, dem dies zugetragen wurde, schickte geradewegs zwei fromme Mönche, denen er vollständig vertraute, um die Angelegenheit zu prüfen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Sie begannen mit den Unter-

suchungen, und als sie ein Stück weit fortgeschritten waren, wurde dem Teufel bewusst, dass er erkannt war. Er warf die Insignien des widerrechtlich an sich gerissenen Amtes ab und verschwand tief in der Erde. Die fehlgeleiteten Mönche übten Buße und die alte Ordnung wurde wiederhergestellt. Eine einst in Deutschland, England und Dänemark weit verbreitete Geschichte erzählt von einem Bruder Ruus, Rush bzw. Rausch, einem Teufel, der sich als Küchenjunge in einem Kloster verdingte, als Vermittler zwischen dem Abt und den anderen Mönchen auftrat und nach mehreren Jahren in den Orden aufgenommen wurde. Er hätte das ganze Kloster ins Verderben gestürzt, wäre er nicht durch einen bloßen Zufall entdeckt worden. Es ist klar, dass der Teufel, der alte Fuchs, nicht immer den direkten Weg nahm, um sein Ziel zu erreichen, wissend, dass der direkte Weg nicht immer der kürzeste und der sicherste ist. Stattdessen wählte er nicht selten einen Pfad, der ihn zum völligen Gegenteil von dem, was er eigentlich wollte, zu führen schien, einen Pfad, der jedoch umso sicherer für ihn war, je weniger andere Verdacht schöpften. Wenn er also einen Mann sah, der sich vollständig der Andacht und Frömmigkeit hingegeben hatte, taub gegenüber allen Schmeicheleien, gefeit gegen Fehltritte, verschwendete er keine Zeit damit, ihn mit Versuchungen mehr oder weniger irdischer Art zu reizen. Im Gegenteil, er ermahnte ihn zu Ausdauer und Beharrlichkeit, drängte ihn, seine Selbstkasteiungen zu verstärken, seine Gebete zu verdoppeln, seine Askese in allem zu übersteigern und konnte ihn sogar mit einem tief greifenden Verständnis der Heiligen Schrift erleuchten, wie man am Beispiel Norberts von Xanten, des Erzbischofs von Magdeburg (um 1080 bis 1134), sehen kann. Über Simeon von Trier (um 980/990 bis 1035) wird berichtet, dass die Teufel ihn zwingen wollten, die Messe zu lesen. Sie zerrten ihn aus seinem Bett, legten ihn vor den Altar und breiteten seine Priestergewänder über ihn. Das nicht unnatürliche Ergebnis war, dass der fromme Mann über seine eigene Heiligkeit erstaunt war, vor lauter Stolz anschwoll und durch diese eine Sünde all der Früchte seiner Tugend verlustig ging. Wenn sie allzu heilig sein wollten, kamen heilige Männer mitunter am Ende in die Hölle. Bei dieser Art von Versuchung machte der Teufel nur selten von äußeren Hilfsmitteln Gebrauch, um die Sinne zu beeindrucken. Denn er besaß jene gefährliche Gabe, den Verstand der Menschen zu erregen und auf verschiedene Art zu beeinflussen. Auch waren das, wie man sich vorstellen kann, nicht die einzigen Versuchungen, die er dadurch, dass er sich dieser Gabe bediente, zuwege brachte. Zugegeben, dem Willen kann er keine Gewalt antun, aber alle anderen Stärken des menschlichen Verstandes erliegen bereitwillig seinem

Martin Schongauer, Die Versuchung des Hl. Antonius, um 1470-1475. Stich, 29,1 x 22 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York.

David Teniers d. J., Die Versuchung des Hl. Antonius, um 1640-1650. Holz, 63 x 50 cm. Musée du Louvre, Paris Meister von 1445, Die Versuchung des Hl. Antonius, um 1450. Öl auf Holz, 47,5 x 41,5 cm. Rosgarten-Museum, Konstanz.

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Einfluss, und dieser Einfluss bewegt den menschlichen Verstand beständig zur Sünde. Hierzu finden wir auch in den Heiligenviten viele Beispiele und Belege. Über den Spiegel der Seele ließ er jene Bilder wandern, die seinem Zweck am besten dienten, und über ihre lebende Substanz streute er die verschiedensten Gärstoffe verschwenderisch aus. Er beschwor verführerische Spukgestalten, weckte prickelnde Erinnerungen, belebte Sehnsüchte, schürte Zweifel, nährte Ängste, löste dunkle und quälende Begierden aus, begünstigte jene heimliche, aber völlige Verwirrung des Geistes, in der die Sünde Form annimmt und sich so vergegenständlicht wie die Wolkensäule inmitten des Wirbelsturms. Und so ist der Teufel immer um der Menschen Seelen herumgeschlichen, wollte sie packen und verführen, und wird deshalb der Seelenfischer, der Seelenjäger, der Seelenmörder, der Seelenräuber oder der Seelenschänder genannt. Der heilige Hieronymus ging so weit, ihn einen Piraten zu nennen, denn diese Welt ist wirklich wie eine stürmische See, die wir mühsam befahren, über die er triumphierend gleitet. Ich sage „er“, müsste jedoch eigentlich „sie“ sagen, denn alle Teufel haben sich die Versuchung auf die Fahnen geschrieben, und es war auch allgemein anerkannt, dass jedes Laster seine eigenen Dämonen hatte, die es lehrten und förderten. Sie erhielten von ihrem Fürsten die notwendigen Befehle und entsprechenden Instruktionen. Dann, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, kehrten sie zurück, um Bericht zu erstatten, und denen, die keinen Erfolg hatten, wurde ein rauer Empfang zuteil. Gregor der Große berichtet von einer im Tempel des Apoll abgehaltenen teuflischen Ratsversammlung dieser Art. In den Viten der Heiligen und der Kirchenväter findet sich eine kuriose Geschichte, die belegt, dass die Teufel hart arbeiten mussten, um ihren Fürsten zufrieden zu stellen. Der Sohn eines Götzen dienenden Priesters, der eines Tages in den Tempel kam, sieht Satan, von seiner Soldateska umgeben, auf seinem Thron sitzen, sich als Richter und Inquisitor aufspielend. Ein Dämon erscheint, macht einen Kratzfuß und Satan fragt ihn: „Wo warst du, und was hast du getan?“ Der Dämon antwortet: „Ich war in der und der Provinz, und habe Kriege und großen Aufruhr gestiftet und viel Blutvergießen verursacht.“ „Und wie viel Zeit hast du für diese Aufgabe aufgewendet?“ fragt Satan. „Dreißig Tage.“ „So lange hast du gebraucht!“, spricht Satan und ordnet an, dass der Dämon gehörig ausgepeitscht werde. Ein anderer Teufel tritt vor. „Woher kommst du? Was hast du getan?“ „Ich war auf dem Meer, ich habe große Stürme heraufbeschworen und viele Schiffe versenkt, ich habe den Tod vieler Menschen verursacht.“ „In welcher Zeit?“ „In zwanzig Tagen.“ „Zu viele!“, schreit Satan und ordnet an, ihn auf der Stelle auszupeitschen. Dann kommt

ein dritter Teufel, und die Befragung beginnt von vorn: „Jetzt du! Was hast du getan?“ „Ich war in der und der Stadt, und während ein Hochzeitsmahl stattfand, habe ich die Leidenschaften der Gäste entflammt, ich habe Streitigkeiten geschürt, ich habe zu einigen Morden angestiftet, und ich habe den Bräutigam eigenhändig getötet.“ „In wie vielen Tagen?“ „In zehn.“ „Kinkerlitzchen!“, ließ sich Satan vernehmen und übergab ihn seinen Schergen. Und siehe da, zuletzt tritt ein vierter Teufel vor. „Wo kommst du her? Was hast du getan?“ „Ich war in der Wüste und habe dort einen Mönch vierzig Jahre lang versucht, doch erst letzte Nacht ist es mir gelungen, ihn zu besiegen und ihn dazu zu bringen, Unzucht zu treiben.“ Als er das hört, erhebt sich Satan von seinem Sitz und küsst den Dämon, dann setzt er ihm seine eigene Krone auf den Kopf und heißt ihn, neben ihm Platz zu nehmen. Dabei spricht er: „Da hast du etwas Großes getan, und du hast deine Sache gut gemacht, kühn und löblich!“ Diese Geschichte lehrt uns unter anderem, dass die Versuchung unter Umständen eine schwierige Aufgabe darstellte, aber wie schwierig es war, ihr zu widerstehen, geht nicht daraus hervor. Die Kirchenlehrer erklären zwar, dass die Versuchung niemals die Kräfte des in Versuchung Geführten übersteige, da dies Gottes Güte und Gerechtigkeit verlange. Doch die zahllosen in Versuchung Geführten, die zu Fall kamen, mögen da doch anderer Meinung sein. Wie dem auch sei, die Tatsache bleibt bestehen, dass Widerstand gegen eine Versuchung zumindest ab und zu mit großer Gefahr einherging. Cäsarius berichtet von dem bemitleidenswerten Fall eines redlichen Mannes, der sich weigerte, einen Dämon fleischlich zu lieben und den der Dämon bei den Haaren packte, in die Luft hinauftrug und dann so heftig zur Erde niederschleuderte, dass der arme Mann ein Jahr darauf starb. Alle Menschen waren, wie wir gesehen haben, der Versuchung ausgesetzt, und die Versuchung hielt ein ganzes Leben lang an. Der Fromme oder Heilige, anstatt unempfänglich dafür zu sein, erlebte sie umso heftiger und beharrlicher als jeder andere, dennoch hatte er armen Sündern nicht zur Verfügung stehende Möglichkeiten, sich von der Versuchung zu befreien. Wenn er alle Instinkte und alle Kräfte, die in ihm waren, gebändigt hatte, wenn er durch Fasten, Gebete, Nachtwachen und Geißelungen sein Fleisch abgetötet, seine Erinnerungen gestört, seine Fantasie ausgelöscht, seinen Verstand betäubt hatte, wenn er in seinem Inneren für die Starre und Stille des Todes gesorgt hatte, dann erlosch die Versuchung, so wie die Flamme erlischt, die keine Nahrung mehr findet. Wer wie Symeon Stylites d. Ä. (389 bis 459) ein halbes Jahrhundert auf einer Säule zugebracht hat, konnte über alle Künste des Versuchers lachen. Der Heilige, der sich in einen Stein verwandelte, hat die Vollkommenheit erreicht.

Hieronymus Bosch, Das Narrenschiff oder Die Verspottung des zügellos Feiernden, um 1510-1515. Öl auf Leinwand, 58 x 33 cm. Musée du Louvre, Paris.

Hieronymus Bosch, Die Versuchung des Hl. Antonius, Triptychon, 1505-1506. Öl auf Holz, 131,5 x 119 cm (Mitteltafel), 131,5 x 53 cm, (Seitenflügel). Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon.

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Liebschaften und Sprösslinge des Teufels

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N Versuchung führen, peinigen, Seelen wie Festungen im Sturm erobern – Satan und seine Geister waren in ständigem Kontakt mit den Menschen und knüpften mit ihnen vielfältige Bande. Besessenheit war die intimste dieser Bande, und (egal, wie man die Angelegenheit auch erklären mag) resultierte immer in einer Art Ehestand, einer Art Beilager, worauf eine bösartige Befruchtung und die Vermehrung der Sünde folgen konnten. Besessenheit war jedoch einfach nur eine spirituelle Vereinigung. Die Teufel, mit allen Mitteln und in jeder Weise immer auf ihren eigenen Gewinn bedacht, wollten unbedingt eine andere Art der Verbindung herbeiführen, wollten sich unbedingt mit menschlichen Wesen vereinigen, um in einer einzigen monströsen Brut das Menschliche und das Teuflische miteinander zu verschmelzen und Kinder zu zeugen, die von der Stunde ihrer Empfängnis an der Hölle geweiht sind. Und sie haben solche Kinder gezeugt, und die Welt kannte sie, und mehr als einmal bekam sie das volle Gewicht ihrer bösen Macht zu spüren. Die ganze Sache ist jedoch nicht ganz klar. Wie haben die Teufel es angestellt, Kinder zu zeugen? Dass sie die Fähigkeit dazu hatten, scheint in einer Passage im ersten Buch Mose angedeutet,48 wo klar und deutlich gesagt wird, die Engel hätten mit den Töchtern der Menschen koitiert und Riesen bzw. ‘Tyrannen’ gezeugt. Viele glaubten auch, die Dämonen seien in Wirklichkeit jene sündigen Engel, die ihr himmlisches Wesen im Sumpf der Sinnlichkeit verloren hatten. Dennoch äußerten Theologen hohen und niederen Ranges viele Zweifel und sprachen so manches Problem an, das diese Frage betraf. Auch sind sie alles andere als einig. Nach den Kabbalisten paaren sich die Dämonen regelmäßig untereinander und pflanzen sich auf dieselbe Weise fort wie Menschen. In Deutschland wird oft des Teufels Großmutter erwähnt, eine Frau, die nicht gänzlich schlecht ist und neunhundert Köpfe hat. Die Süditaliener kennen seine Mutter und sprechen häufig von ihr. Die Rabbis nennen uns die Namen der vier Ehefrauen Samaels, die Mütter unzähliger Dämonen. Der Grieche Michael Psellos (um 1018 bis 1078), Sekretär des Kaisers in Konstantinopel, Mönch auf dem Berg Olympos in Bithynien, Arzt, Redner, Alchemist, Philosoph, Mathematiker und Theologe, erklärt in einer seiner Abhandlungen über das Werk der Dämonen, diese Wesen seien ganz gewiss in der Lage zu zeugen, vorausgesetzt, sie haben alles, was dazu notwendig ist. Doch genau an diesem Punkt gehen die Meinungen auseinander. Der heilige Thomas von Aquin, der heilige Bonaventura (1221 bis 1274) und viele weitere Theologen behaupten steif und fest, die Teufel hätten keinen eigenen Samen und zeugten deshalb nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Indem sie jedoch zu Sukkuben würden, empfingen sie den Samen eines Mannes. Dann verwandelten sie sich in Inkuben,

André-Jacques-Victor Orsel, Gut und Böse: Der Teufel versucht eine junge Frau (Detail), 1832. Musée des Beaux-Arts, Lyon (Frankreich).

schwängerten mit diesem Samen die Frau und zeugten somit. Das wäre allerdings eine sehr seltsame Form von Putativvaterschaft, eine Form jedoch, die die Übertragung bestimmter diabolischer Züge auf die so gezeugten Sprösslinge nicht immer ausschließt. Lodovico Dolce (1508 bis 1568) lag also falsch, als er in seiner Komödie Il Marito einen gewissen Era Girolamo mit übertriebener Selbstsicherheit erklären lässt, die Dämonen seien nicht in der Lage zu empfangen, bzw. könnten sie Frauen nicht schwängern, da sie keinen Samen hätten. Auch würde es der Höchste nicht dulden, dass getaufte Frauen von irgendeinem Dämon geschwängert würden. Deshalb sollten die anderen ruhig schwatzen, denn alle Theologen seien mit dem, was er, also Era Girolamo (in Dolces Komödie) sagt, vollständig einer Meinung: The demons are not able to conceive – Or, rather, to cause women to conceive – Because they have no seed; nor the Most High Would suffer baptised woman to become With child by any demon. Therefore let The others babble; for in full accord With what I say are theologians all. Die Dämonen können keine Kinder bekommen. Oder, besser gesagt, sie können keine Kinder zeugen – denn sie haben keinen Samen; der Höchste Herr würde nicht zulassen, dass eine getaufte Frau ein Kind von einem Dämon bekommt. Darin werden mir alle Theologen zustimmen; darum lasst die anderen schwatzen. Aber der Höchste duldete sehr wohl, dass der Teufel alles Mögliche tat – warum sollte er ihm gerade das verbieten? Und was ist mit den Frauen, die nicht getauft sind? Die einfachen Leute, die die feinen Unterschiede, die Hirngespinste und Spitzfindigkeiten der gelehrten Theologen kaum verstanden und sich noch weniger darum scherten, glaubten frank und frei, dass die Teufel Kinder zeugen konnten – ohne zu hinterfragen, wie sie es anstellten. Und sie glauben es bis zum heutigen Tage überall dort, wo man den uralten Aberglauben und die uralte Ignoranz nicht abgeschüttelt hat. Und warum sollten die Teufel nicht zur Zeugung in der Lage gewesen sein, wenn doch die Gespenster toter Frauen in der Lage waren, zu empfangen und Kinder zu gebären? Der Engländer Walter Map (um 1130/1135 bis 1209/1210) erzählt in seinem Buch De Nugis Curialium (Von den Flausen der Höflinge) die wunderbare Geschichte eines Ritters aus Britannien, der eines Nachts durch ein einsames Tal ritt und inmitten einer Gruppe Frauen, die sich im ruhigen Mondlicht tummel-

Jacques le Grand, Das Buch der guten Sitten: Bathseba im Bade. Musée Condé, Chantilly (Frankreich).

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ten, sein eigenes, vor einiger Zeit gestorbenes Eheweib erspähte. Er trug sie wie eine Braut davon, lebte viele Jahre glücklich mit ihr, und sie gebar ihm mehrere, allgemein als filii mortuae, „… die Söhne der toten Frau“, bekannte Söhne. Die Teufel traten je nach Belieben oder je nach Situation manchmal als Inkuben auf, manchmal als Sukkuben, also als männliche oder weibliche Wesen, ich möchte jedoch gleich erst einmal anmerken (ohne mir anzumaßen, die Gründe dafür zu kennen), dass sie es sehr wohl vorzogen, männliche Wesen anstatt weibliche zu sein. Thomas Cantipratensis versichert uns, er habe des Öfteren Frauen die Beichte abgenommen, die darüber klagten, dass Inkuben ihnen Gewalt angetan hätten. In der Vita des heiligen Bernhard (1090 bis 1135) wird die skandalöse Geschichte eines unverfrorenen Teufels erzählt, der mehrere Jahre lang ohne die geringste Hemmung oder Zurückhaltung täglich mit einer bestimmten Frau schlief und sich sogar dann in ihr Bett schlich, wenn der arme Ehemann darin schlief. Dass die menschliche Natur auf solch schreckliche Kontakte zutiefst verstört reagieren und die Umarmungen des Teufels sich unter Umständen als tödlich erweisen konnten, wird niemandem seltsam erscheinen, und wer immer Belege für diese Tatsachen sucht, kann sie in Hülle und Fülle in den Werken der mittelalterlichen Schriftsteller finden. Thomas Walsingham (um 1340 bis 1422), der als Mönch im englischen Saint Albans lebte, erzählt die schreckliche Geschichte von einem Mädchen, das von einem Teufel geschändet worden war und nach drei Tagen starb. Ihr ganzer Körper war aufgebläht und gab einen furchtbaren Gestank von sich. Cäsarius geht noch weiter und erzählt von einer Frau, die von einem weiß gewandeten Teufel umarmt (und nur umarmt!) wurde. Plötzlich wurde sie irre und starb kurz darauf. Er berichtet auch von einer Frau, deren Hand ein als Diener verkleideter Teufel berührt hatte. Auch sie erlitt dasselbe Schicksal. Doch viel seltsamer noch als diese Fälle ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass Frauen von Fleisch und Blut solch eheähnlichen Verhältnisse Jahr für Jahr ohne größeren Abscheu oder Widerwillen duldeten. Dafür gibt es viele Belege und Beispiele. Berühmt wurde der Fall von einem Teufel und einer Frau, deren Liebschaft ein Vierteljahrhundert anhielt. Und es scheint, dass die Teufel sich manchmal tatsächlich verliebten, auch wenn die Theologen behaupten, in ihrem verdorbenen Wesen könne Liebe keine Wurzeln schlagen. Der in solch mystischen Dingen äußerst versierte Gervasius von Tilbury (um 1150 bis 1235) beteuerte mannhaft, gewisse Dämonen hätten Frauen mit solch wahrer Leidenschaft geliebt, dass ihnen, um sie zu besitzen, jede List und jede Form der Täuschung recht gewesen sei. Grässliches Verlangen, das dem der Dämonen gleichkam und ihre Leidenschaft erwiderte, entflammte in den Herzen bestimmter Frauen, bei denen der Gedanke an übernatürliche Umarmungen seltsame Fantasien und widernatürliches Begehren wachrief. Für wie viele muss

Hans Memling, Die Eitelkeit, Mitteltafel des Triptychons Irdische Eitelkeit und göttliche Erlösung, um 1490., Öl auf Holz, 22 x 14 cm. Musée des Beaux-Arts, Straßburg.

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es eine furchtbare und dennoch beneidenswerte Sache gewesen sein, einen feurigen Engel als Liebhaber zu haben! Alvarus Pelagius (um 1275 bis 1350; Bischof von Silves), der um das Jahr 1332 das Buch De planctu ecclesiae (Von der Klag’ der Kirchen), schrieb, sagt, er habe viele Nonnen gekannt, die sich freiwillig dem Teufel angeboten bzw. hingegeben hatten. Üblicherweise waren aber Hexen die willigen Konkubinen der Teufel, die bei ihren wilden Festen und Versammlungen (von denen später noch die Rede sein wird) unverhohlen bei und mit ihnen schliefen. Ungezählt sind die Fälle der Hexen, die während ihrer Prozesse schamlos und rundheraus derartige Vertraulichkeiten eingestanden, und die ihre Strafe dafür auf dem Scheiterhaufen erlitten, und mehr als eine fügte die erstaunliche Aussage hinzu, der Same des Teufels sei kalt wie Eis. Michail Lermontow (1814 bis 1841), einer der berühmtesten Dichter, die Russland im 19. Jahrhundert hervorbrachte (er kam im Alter von 26 Jahren bei einem Duell ums Leben), veredelt das Thema so vieler düsterer Legenden in einem seiner schönsten Gedichte, dem Versepos Der Dämon. Satan, weit weg inmitten der wilden und wunderbaren Einsamkeit des Kaukasus, verliebt sich hoffnungslos in das wunderschöne Mädchen Tamara, das sich nach dem Tod ihres Verlobten in einem Kloster vergräbt. Aber der verliebte Dämon verfolgt sie selbst dorthin, und es gelingt ihm, ihre Liebe zu gewinnen. Er schwört, dass er als Gegendienst für die Liebe, die sie ihm schenkt, bereit sei, seiner Vergangenheit zu entsagen und sich Gott anheim zu geben. Die Umarmungen des stolzen, aber gefallenen Engels bringen das schwache Geschöpf um. Ihr wird verziehen, und von Sünden gereinigt tragen Engel sie hinauf in den Himmel. Ihr Liebhaber jedoch sinkt reuelos in die ewige Finsternis zurück. Die Sukkuben waren nicht weniger verwegen und gefährlich als die Inkuben. Cäsarius erzählt von einem Novizen, der in seinem Bett von einem als Nonne verkleideten Teufel umarmt und geküsst wurde. Er wurde krank und starb innerhalb von drei Tagen. Er berichtet auch von einem achtbaren Mann, der sich weigerte, den wollüstigen Avancen eines Sukkubus zu erliegen. Er wurde vom Teufel durch die Luft getragen und dann zu Boden geschleudert, seine Verletzungen waren so schwer, dass er nach einem Jahr des Siechtums verschied. Von allen im Mittelalter bekannten Sukkuben war Venus jedoch die Verführerischste. Jene Venus, die sich auf Geheiß eines neueren Glaubens aus einer Gottheit in einen Dämon verwandelt hatte, ließ den edlen Ritter, Dichter und Minnesänger Tannhäuser (bis um 1265) – und eben auch viele andere – in Liebe zu ihr entbrennen und überhäufte ihn freigiebig mit ihrer Gunst und ihren Liebesdiensten. Venus wurde von vielen geliebt, und einige von denen liebte sie vielleicht sogar wieder, so wie dereinst in alter Zeit. Gewiss ist jedoch, dass sie eifersüchtig ihre berechtigt oder unberechtigt erlangten Rechte verteidigte und entschlossen alle diese Ansprüche geltend machte.

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Dies belegt der folgende, von mehreren Verfassern niedergeschriebene Fall, der hier noch einmal in moderner Sprache dargelegt werden soll. Ein englischer Chronist, ein gewisser William von Malmsbury (um 1080/1095 bis um 1143), hatte die Geschichte als Erster erzählt – in einem äußerst farbigen Latein: Ein junger römischer Bürger, Spross einer erlauchten Senatorenfamilie und mit großem Reichtum gesegnet, hatte sich eine Braut genommen und lud seine Freunde zum Hochzeitsmahl. Als das Festessen vorüber war und der großzügig fließende Wein eine allgemeine Fröhlichkeit ausgelöst hatte, ging die Gesellschaft hinaus auf eine Wiese, damit ihre von den köstlichen Speisen überstrapazierten Mägen Erleichterung fänden bei Tanz, Wettkämpfen im Bogenschießen und anderer sportlicher Kurzweil. Dann rief der Bräutigam zum Ball. Er nahm seinen Ehering ab und steckte ihn an den Finger einer in der Nähe stehenden Bronzestatue. Aber als seine Begleiter ihn mit ihren Scherzen weiter foppten, zog er sich wütend zurück und wollte seinen Ring holen, doch die Hand der Statue war geschlossen, die vorher noch ausgestreckten Finger gekrümmt. Er mühte sich eine ganze Weile, konnte aber weder den Ring abziehen noch den Finger abbrechen. Der Bräutigam entschloss sich, seinen Freunden nichts davon zu sagen, damit sie ihn nicht auslachten oder in seiner Abwesenheit den Ring entwendeten, und stahl sich davon. Als er nach Anbruch der Nacht mit ein paar engen Freunden zurückkehrte, musste er jedoch verblüfft feststellen, dass der Finger wieder gerade und der Ring verschwunden war. Er verbarg seinen Verlust und ließ sich von seiner zärtlichen Braut trösten, und als es Zeit war, sich zurückzuziehen, legte er sich neben sie. Doch kaum hatte er sich hingelegt, spürte er, wie eine Art nebulöser und dennoch greifbarer Körper sich zwischen ihn und seine Braut schob. Die eheliche Umarmung war also verhindert worden, doch plötzlich hörte er eine Stimme, die zu ihm sprach: „Lege Dich zu mir, denn am heutigen Tage hast Du Dich mit mir vermählt. Ich bin Venus, an deren Finger du den Ehering gesteckt hast. Der Ring befindet sich in meiner Obhut, und ich werde ihn nicht wieder hergeben.“ Erschrocken ob dieser wundersamen Begebenheit, wagte der Jüngling nicht, zu antworten, er hätte es auch nicht gekonnt. Die ganze Nacht lag er schlaflos und dachte insgeheim über die Sache nach. Es verging einige Zeit, und wann immer er sich seiner Frau nähern wollte, spürte er dasselbe Hindernis und hörte dieselben Worte. Bei allen anderen Verrichtungen wurde er weder belästigt noch gehindert. Zu guter Letzt, weil die Vorwürfe seiner Frau ihn rührten, erzählte er alles ihren Eltern. Sie berieten sich und brachten den Fall vor den Priester Palumbus in der Vorstadt. Dieser besaß die Macht, mit Hilfe nekromantischer Künste Zauberdinge zu erzeugen und Dämonen so zu ängstigen, dass sie nach seinem Willen handelten. Nachdem man sich über den Preis geeinigt hatte – der großzügig ausfallen und Palumbus’ Börse mit Gold füllen würde, sobald er das Paar zusammengebracht hätte – wandte er die mächtigsten seiner Künste an und schrieb einen Brief.

Niederrheinischer Meister, Liebeszauber, um 1489. Museum der Bildenden Künste, Leipzig. Anonym, Aphrodite oder Venus Genetrix, Römische Kopie eines im späten 5. Jh. v. Chr. geschaffenen und Kallimachos zugeschriebenen griechischen Originals, etwa 1.-2. Jh. Marmor, Höhe: 164 cm. Musée du Louvre, Paris.

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Er überreichte ihn dem Jüngling mit den Worten: Gehe zu der und der nächtlichen Stunde zur Kreuzung, wo sich die Landstraße in vier Wege aufteilt, und achte gut darauf, was du dort siehst. Viele menschliche Gestalten werden an dir vorbeigehen, beiderlei Geschlechts und jeden Alters, jeden Ranges und jeden Zustands, einige zu Fuß, andere zu Pferde, manche den Kopf gebeugt und das Gesicht zu Boden gerichtet, andere den Kopf hochmütig erhoben, und viele der Gestalten werden Freude oder Sorge ausdrücken und du kannst das in ihren Gesichtern und an ihren Gesten ablesen. Sprich zu keinem von ihnen, selbst wenn sie dich ansprechen. Nachdem alle an dir vorbeigezogen sind, wird einer von größerer Statur und massigerer Gestalt kommen, und er wird in einem Wagen sitzen. Ihm sollst du, ohne zu sprechen, diesen Brief geben. Dein Wunsch wird geradewegs erfüllt werden, wenn du nur starken Herzens bist. Der Jüngling begab sich, wie ihm geheißen, in der Nacht zu der Stelle, und als er dort unter dem klaren Sternenhimmel stand, wurde er gewahr, dass alles so eintrat, wie der Priester gesagt hatte, nichts fehlte. Unter all denen, die vorbeizogen, sah er eine Frau, die auf einem Maultier ritt und wie eine Hure gekleidet war, das Haar fiel lose über ihre Schultern, wurde aber am Kopfe mit einem goldenen Band gehalten. In der Hand hielt sie einen goldenen Stab, mit dem sie ihr Reittier lenkte. Ihr Gewand war durchsichtig, dadurch erschien sie beinahe nackt, und sie erging sich in schamlosen Körperstellungen und Gesten. Und dann kam der Letzte des Zuges heran, der über die anderen zu gebieten schien und in einer stolzen, vor lauter Perlen und Smaragden funkelnden Kutsche fuhr. Von dort richtete er seine schrecklichen Augen auf den Jüngling und verlangte nach den Gründen seines Kommens. Der Jüngling jedoch antwortete nicht, sondern streckte seine Hand vor und übergab ihm den Brief. Der Dämon, der es nicht wagte, das vertraute Siegel zu ignorieren, las, was da geschrieben stand, hob geradewegs die Arme in den Himmel und rief: „Allmächtiger Gott! Wie lange willst du die Verruchtheit dieses Palumbus noch zulassen?“ Und ohne zu zögern gebot er Zweien aus seinem Gefolge, Venus den Ring abzunehmen, die ihn nach einigem Einwand und Widerspruch letztendlich dann doch herausgab. So wurde der Wunsch des Jünglings erfüllt, und er konnte sich der Liebe erfreuen, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Doch als Palumbus von der Klage hörte, die der Dämon vor Gott über ihn geäußert hatte, erkannte er, dass sein Ende gekommen war. Folglich ließ er sich freiwillig seine Glieder abschneiden und starb an diesem schrecklichen Akt der Buße, nachdem er dem Papst und den Menschen all seine unglaublichen Schandtaten gestanden hatte. So erzählt es William von Malmsbury, und er fügt anschließend hinzu, dass selbst in seiner Zeit die Mütter in Rom und in den angren-

Félicien Rops, Hinter der Bühne, um 1890. Buntstift, Pastell und Wasserfarbe, 22 x 14,5 cm. Privatsammlung, Brüssel.

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zenden ländlichen Gegenden ihren Kindern diese Geschichte immer noch erzählten, und dass diese die Überlieferung vielleicht auch an ihre Nachkommen weitergaben. Ich möchte das Thema Sukkuben nicht verlassen, ohne angemerkt zu haben, dass die schöne Helena, berühmt auch durch die Legende, die sie als Konkubine des Simon Magus (bis 65) beschreibt, den besten Quellen zufolge ein Teufel war. Und auch, dass sowohl Jaques Cazotte (1719 bis 1792) den Stoff für seine groteske Geschichte Le Diable Amoureux aus überlieferten Liebeleien mit Sukkuben bezog, als auch Balzac den Stoff für seine Contes Drôlatiques. Die Teufel zu zwingen, ihre Vergnügungen aufzugeben, war keine leichte Aufgabe, und frei von Gefahr war sie auch nicht. In einer der zahllosen Legenden über die Heilige Jungfrau wird uns von einer Frau berichtet, die sich vergebens des Kreuzzeichens, des Weihwassers, der Gebete und Reliquien bedient hatte, um von dem mächtigen Teufel loszukommen, der sie als Ehefrau hielt. Doch eines Tages, als sie sich wieder einmal seiner Gewalt ausgesetzt sah, erhob sie die Arme zum Himmel, rief den heiligen Namen Marias an, und der hartnäckige Teufel war fortan machtlos. Cäsarius von Heisterbach erzählt eine andere Geschichte: In der Stadt Bonn verdirbt und verführt ein Teufel die Tochter eines Priesters. Das Mädchen gesteht die Angelegenheit ihrem Vater, der, um dem Skandal ein Ende zu bereiten, seine Tochter von zu Hause fortschickt, auf das andere Ufer des Rheins hinüber. Der Teufel erscheint wieder, findet seine Liebste nicht, stürmt zu ihrem Vater und schreit: „Du verwünschter Priester, was hast du mit meiner Ehefrau gemacht?“ und gibt ihm darauf einen solchen Stoß vor die Brust, dass der arme Mann nach zwei Tagen den Geist aufgibt. Wir haben nun gesehen, dass die Teufel entweder auf natürliche oder auf unnatürliche Weise zur Zeugung und Fortpflanzung fähig waren, und da sie zahllos sind, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Zahl ihrer Kinder immens war. Jordanes (bis nach 552), der Geschichtsschreiber der Goten, erklärt im 6. Jahrhundert, die Hunnen seien aus der Vereinigung fürchterlicher Hexen mit Inkuben geboren. Und während des gesamten Mittelalters neigte man entschieden dazu, alle entstellten und missgestalteten Kinder als Sprösslinge des Teufels anzusehen. Aus diesem Grunde wurden sie ohne jegliche Skrupel getötet. Im Jahre 1265 gestand in Toulouse eine über fünfzigjährige Frau, Angelle de Labarthe, sie hätte dem Teufel einen Sohn geboren, mit dem Kopf eines Wolfs und dem Schwanz einer Schlange, den sie mit dem Fleisch von Säuglingen füttern musste. Laut einer anderen, von beachtlichen Beispielen gestützten Meinung waren die Kinder des Teufels kräftig, sprühend vor Geist und Verstand und voller Energie. Der Geschichtsschreiber Matthäus Paris (um 1199 bis um 1259) berichtet von einem Kind, das im Alter von sechs Monaten so groß war wie ein

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Anonym, Die Empfängnis Merlins, aus der Geschichte Merlins, um 1450-1455. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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Langlumé, Der Albtraum, aus: L’Album comique, um 1825. Privatsammlung, Paris.

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Jugendlicher von achtzehn Jahren. Die Kirche bezeichnete und bezeichnet noch heute jedes Kind als Kind des Satans, das auch nur um Haaresbreite vom Katechismus abweicht, aber das ist nur eine Frage des sprachlichen Ausdrucks, nichts weiter. Die Söhne Satans ereilt dasselbe Schicksal wie die Söhne der Menschen: die Mehrheit kommt unbekannt und ohne Berühmtheit zu erlangen durchs Leben, ein paar heben sich aus der Herde des gemeinen Volkes ab und erfüllen die Welt mit ihrem Namen und dem Ruhm ihrer Taten, und einigen wenigen gelingt es sogar, das Verhängnis ihrer Herkunft und den angeborenen Fluch ihrer Natur zu überwinden und sich auf ewig von der Hölle loszukaufen und zu guter Letzt den Himmel zu gewinnen. Hier sollen nur die bedeutendsten genannt sein. Das älteste Beispiel ist Kain, der erste Mörder. Die Rabbis meinen, Adam habe Verkehr mit Sukkuben gehabt, Eva mit Inkuben (eine recht aparte Art, so scheint es mir, die Genese des Menschengeschlechts zu erklären). Kain sei der Sohn eines dieser Inkuben und beweise seine Herkunft deutlich durch seine Taten. Das glaubten allerdings nicht nur die Rabbis, im 10. Jahrhundert wurde es in das Lexikon Suda aufgenommen. Der Hunnenkönig Attila (bis 453), die Geißel Gottes, war nach dem Glauben der einen ein Sohn des Teufels, nach dem der anderen der eines Mastiffs. Ein Sohn des Teufels war auch Theoderich der Große (454 bis 526), der König der Ostgoten, was durch die Tatsache bewiesen wird, dass er aus dem Munde Feuer speien konnte und noch zu Lebzeiten seinem Vater in die Hölle folgte. Die Geschichte des Propheten und Zauberers Merlin ist in dieser Hinsicht detailreicher überliefert und besser bekannt. Der Verlust, den die Hölle erlitt, als Christus eindrang und sie plünderte,49 sollte ersetzt werden. Satan, der bei dieser Angelegenheit am meisten betroffen war, entschließt sich, einen Sohn zu zeugen, der bei den Menschen für seine Sache eintreten und Jesus’ Erlösungswerk rückgängig machen soll. Also wird durch die vereinten Kräfte der gesamten Hölle eine achtbare und erlauchte Familie in den Ruin getrieben und somit Beute von Schande und Tod. Von zwei überlebenden Töchtern gibt sich die eine den schamlosesten Ausschweifungen hin, die andere, schön und tugendhaft, widersteht lange allen Versuchungen. Doch eines Nachts ist ihr der himmlische Schutz versagt, weil sie versäumt hat, sich zu bekreuzigen. So gibt sie dem Teufel Gelegenheit, über sie zu kommen und den Plan, den er ausgeheckt hat, in die Tat umzusetzen. Vom Gewissen geplagt und entsetzt über ihr Unglück, ist das Mädchen bestrebt, durch Entbehrungen und härteste Bußübungen für eine Sünde zu büßen, die gar nicht die ihre ist. Und als die von der Natur vorgegebene Zeit herangekommen ist, bringt sie einen Sohn zur Welt, der mit seinem behaarten Körper seine wahre Herkunft verrät. Das Wickelkind wird getauft (natürlich ohne Zustimmung des Vaters) und bekommt den Namen Merlin. Dann entwickelt sich im Himmel die Idee, es wäre doch ein erheblicher Triumph, Satans eigenen Sohn aus der Hölle zu rauben, und Gott trifft die Vorkehrungen. Satan hatte auf seinen Sohn das Wissen der Gegenwart und der Vergangenheit übertragen, Gott fügt dem noch das

Wissen der Zukunft hinzu. Welches war die bessere Waffe gegen die Ränke der Welt und die Listen des Teufels? Und Merlin wuchs auf und vollbrachte viele wunderbare Werke, wie man in den Schriften des Beda Venerabilis (672/673 bis 735), in alten Chroniken und in den Geschichten von der Tafelrunde lesen kann, und er äußerte viele Prophezeiungen, von denen sich einige bereits erfüllt haben und die anderen sich mit Gottes Hilfe noch erfüllen werden, irgendwann. An seinen Vater verschwendete er keinen einzigen Gedanken, sondern entsagte ihm aus tiefstem Herzen. Er starb, wir wissen nicht genau wie und wann, aber wir haben allen Grund zu der Annahme, dass er zur ewigen Seligkeit gelangt ist. Jedoch, Erlösung zu finden, wenn Gott wünscht, dass wir erlöst werden, ist wohl kein allzu großes Verdienst. Nach meiner Ansicht ist Robert der Teufel, dessen Geschichte den Stoff für Gedichte, Dramen, Legenden, Fabeln und sogar eine Oper50 lieferte, unserer Bewunderung weitaus würdiger als Merlin. Es ist wirklich eine schreckliche Geschichte, aber sie ist voll edler Lehren: Einst lebte eine Herzogin der Normandie, die vom Wunsch beseelt war, Kinder zu haben, aber keine bekommen konnte. Sie war es überdrüssig, sich Gott anzuempfehlen, der sie ja doch nicht erhörte, und ging zum Teufel, der ihren Wunsch prompt erfüllte. Sie schenkte einem Sohn das Leben, einem rechten Teufelsbraten. Als Wickelkind biss er seine Amme und riss ihr die Haare aus, als Junge ging er mit dem Messer auf seine Lehrer los, mit zwanzig wurde er Räuberhauptmann. In dem Glauben, das könne die bösen, in ihm wütenden Instinkte besänftigen, wird er zum Ritter geschlagen, doch ist er danach noch schlimmer als zuvor. Niemand nimmt es an Mut oder Kraft mit ihm auf. Bei einem Turnier besiegt und tötet er dreißig Gegner, danach zieht er in der Welt umher, kehrt schließlich in seine Heimat zurück und wird wieder zum Strauchdieb und Straßenräuber, er raubt, mordet, brandschatzt, vergewaltigt. Eines Tages erinnert er sich, nachdem er allen Nonnen irgendeines Klosters die Kehlen durchgeschnitten hat, seiner Mutter und macht sich auf die Suche nach ihr. Sobald er dort auftaucht, gibt das Gesinde Fersengeld und zerstreut sich in alle Richtungen, nicht einer verweilt, um ihn zu fragen, woher er kommt oder was er begehrt. Da erst stellte er verblüfft fest, welchen Schrecken er bei seinen Mitmenschen auslöst. Zum ersten Mal wird ihm bewusst, wie grässlich böse und verrucht er ist, und der scharfe Zahn der Reue gibt ihm einen Stich ins Herz. Doch warum ist er böser als andere? Warum wurde er so geboren? Wer hat ihn zu dem gemacht, was er ist? Ein heftiges Verlangen erfasst ihn, dieses Geheimnis aufzudecken. Er eilt zu seiner Mutter, und mit blankem Schwert beschwört er sie, ihm das Geheimnis seiner Geburt zu enthüllen. Als er es erfährt, ist er außer sich vor Gram, Scham und Schrecken. Doch sein kräftiges Naturell erlahmt dadurch nicht, er gibt sich nicht der Verzweiflung hin, stattdessen treibt ihn die Hoffnung auf eine, wenn auch dornige, Erlösung, auf einen wunderbaren Sieg, und spornt seinen stolzen Geist an. Er will lernen, wie er die Hölle besiegen, wie er sich selbst bezwingen, wie er die Pläne jenes verfluchten Teufels durchkreuzen kann, der

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ihn erschaffen hat, damit er seinen Zielen diene, der ihn zum willigen Werkzeug der Sünde und der Zerstörung gemacht hat. Und er duldet keinen Aufschub. Er geht nach Rom, wirft sich dem Papst zu Füßen, beichtet bei einem heiligen Eremiten, unterwirft sich der härtesten Form der Buße und schwört, er werde von nun an keine Nahrung mehr zu sich nehmen, die er nicht der Schnauze eines Hundes entriss. Zweimal kämpft er unter fremdem Namen auf Seiten des Kaisers und erringt den Sieg für die Christenheit, als Rom von den Sarazenen belagert wird. Als man ihn dann doch erkennt, weist er alle Ehrungen und Belohnungen, die Kaiserkrone, selbst des Kaisers eigene Tochter zurück, geht fort und lebt bei seinem Eremiten in der Wildnis. Er stirbt als frommer Mann, als Heiliger, gesegnet von Gott und den Menschen. In anderen Erzählungen heiratet er schließlich die schöne Prinzessin, die ihn innig liebt. Doch nicht immer nahm es mit den Söhnen des Teufels ein gutes Ende. Ezzelino da Romano (1194 bis 1259), der berüchtigte Tyrann von Padua, ist wie viele andere ein Beweis dafür: Oh, dieser Ezzelino, dieser grausamste aller Tyrannen! Von dem die Menschen glaubten, er sei des Teufels Sohn. So, glaubte man, sei er, und so war er tatsächlich, wenn die Geschichten um ihn nicht die Unwahrheit berichten. In seiner Tragödie Eccerinis deckt Albertino Mussato (1261 bis 1330) das schreckliche Geheimnis der Mutter – ihr Name war Adelaide – dieses Unmenschen auf. Ezzelino und sein Bruder Alberico wurden beide vom Teufel gezeugt, der dazu die Gestalt eines Stieres angenommen hatte. Zeus hatte zu seiner Zeit nicht davor zurückgeschreckt, dasselbe zu tun. Als Ezzelino von seiner Herkunft erfährt, jubelt er und sonnt sich darin. Er verspricht, immer so zu handeln, dass die Welt zugeben muss, er sei ein würdiger Sohn eines so großen Beschälers. Und er hielt, was er versprach. Diesmal wird weder der Teufel miterleben müssen, dass er von denen zurückgewiesen und geächtet wird, denen er selbst das Leben schenkte, noch wird er um seine nur allzu berechtigten Hoffnungen betrogen werden. Ezzelino wird der Herr von Padua und setzt, unterstützt von seinem Bruder, sein verfluchtes Ziel durch. Er wütet wie eine Furie, unempfindlich gegenüber jeglichem Gefühl der Menschlichkeit, taub gegenüber den Warnungen, die der Himmel ihm natürlich sendet. Doch die so überaus wohlverdiente Strafe lässt nicht lange auf ihn warten. An der Brücke von Cassano wird er von den Guelfen geschlagen, der böse Mann stirbt verzweifelt, und sein Bruder folgt ihm bald darauf nach. Nebenbei bemerkt, selbst Luther wurde von seinen Gegnern für einen Sohn des Teufels gehalten, der sich als Juwelier ausgegeben hatte. Doch wollen wir nun zum größten all jener von Satan gezeugten Söhne kommen, zu dem, der noch nicht geboren ist, sondern noch geboren werden soll, zu jenem gewaltigen Krieger der Hölle, der als Antichrist oder Widerchrist erscheinen soll. Allein schon sein Name verrät seine Natur und steht für sein Werk. Einst versuchte Satan, wenn man einem angelsächsischen Gedicht aus dem 9. Jahrhundert Glauben schenken darf, einen seiner Söhne

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Jesus entgegenzustellen und wagte es sogar, ihn an des Erlösers Platz zu setzen. Da dieser Versuch fehlschlug, wartet er jetzt auf eine günstigere Gelegenheit und wird seinen Versuch wiederholen, wenn die Zeit reif ist und das Weltenende bevorsteht. All seine finalen Hoffnungen hängen an diesem ihm liebsten Kinde. Der Meinungen zu dieser Person gibt es viele und dazu recht unterschiedliche. Nach der Apokalypse ist der Antichrist mit Nero (37 bis 68) gleichzusetzen, aus dem später, in einigen fürchterlichen Legenden des Mittelalters, ein Teufel wird. Im 8. Jahrhundert wurde der Antichrist in Mohammed (um 570 bis 632) erkannt, im 13. Jahrhundert in Kaiser Friedrich II. (1154 bis 1250). Zu den Umständen seiner Geburt wurde vieles gesagt. Ephräm der Syrer (um 306 bis 373), ein Diakonus in Edessa, versicherte, er würde von einer Frau geboren werden, die ein verruchtes Leben führe. Andere meinten jedoch, er würde von einer Jungfrau geboren werden, eine Meinung, der Adso von Montier-en-Der (910/915 bis 992) in seiner Abhandlung De Antichristo widersprach. Manche wollten gern glauben, dass er zwar einen Menschen als Vater haben, jedoch von der Stunde seiner Empfängnis an vom Teufel besessen sein würde. Andere erklärten, sein Vater würde der Fürst der Hölle höchstpersönlich sein. Und diese Meinung wurde im Großen und Ganzen akzeptiert. Zahllose Abhandlungen über den letzten Gegenspieler Christi und seine Taten sind uns zwar aus dem Mittelalter erhalten, sie liegen aber vergessen und unveröffentlicht in den Bibliotheken – sie geben uns ein klares Bild von der in den Köpfen der Menschen wachgehaltenen Angst und dem Schrecken von der allzeit drohenden und unausweichlichen Gefahr seines Kommens. In diesen Schriften sind die furchtbaren Zeichen aufgeschrieben, die einer von Angst erfüllten Welt sein rasches Erscheinen ankündigen würden, und oft erhob sich die Frage, ob einige dieser Zeichen nicht schon zu sehen seien. In der Einbildung vervielfachten und übersteigerten sich die Schrecken der „… letzten Stunde“51, und von Zeit zu Zeit verbreitete sich in der Christenheit die gefürchtete Kunde, der Mann des Untergangs sei schon da oder würde jeden Moment geboren. Um das Jahr 380 herum glaubte Martin, der Bischof von Tours, der Antichrist sei bereits geboren, um 1080 glaubten das Ranieri, der Bischof von Florenz, und einige Jahrzehnte später Norbert von Xanten, der Erzbischof von Magdeburg. Zur Zeit von Papst Innozenz VI. (Papst in Avignon; 1285/1292 bis 1362) kündigte ein Franziskaner die Geburt des Antichrist für das Jahr 1365 an, während Arnaldus Villanovanus (1238 bis 1312) das Jahr 1376 nannte. Im Jahre 1412 wusste aber Vincentius Ferrer (1350 bis 1419) mit einer gewissen Sicherheit zu sagen, dass der große böse Feind bereits neun Jahre alt sei, und informierte entsprechend den Gegenpapst Benedikt XIII. (1342/1343 bis 1422). Vor dem heiligen Tribunal der Inquisition bekannten nicht wenige Hexen, sie hätten ihn gekannt und mit ihm Verkehr gehabt. Doch die Jahre vergingen, die Klatschmäuler und Propheten gerieten in Misskredit, denn von Männern, die weniger leichtgläubig waren und ihre Fantasie besser im Griff hatten, wurden viele schwerwiegende Argumente hervorgebracht. Die unfehlbaren Zeichen waren noch nicht erschienen, Apostasie und Korruption hatten das Menschengeschlecht

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Henry Fuseli, Der Albtraum, 1781. Öl auf Leinwand, 101,6 x 126,7 cm. The Detroit Institute of Art, Detroit.

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Antoine Wiertz, Die Romanleserin, 1853. Öl auf Leinwand, 125 x 157 cm. Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel.

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Luca Signorelli, Predigt und Taten des Antichrists, 1499-1502. Fresko. Brizio-Kapelle, Orvieto (Italien).

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noch nicht vollständig verdorben. Das Heilige Römische Reich, das bei Erscheinen des gefürchteten Widersachers völlig in sich zusammenfallen musste, stand noch. Der Widerchrist war noch nicht gekommen, auch wenn er vielleicht nicht mehr lange zaudern würde. Man kannte nicht nur sehr genau die Stationen seines gesamten Lebens, auch seine Geschichte wurde so erzählt, als sei sie in der Vergangenheit bereits passiert und nicht erst für die Zukunft zu erwarten. Er wird allen Reichtum der Erde vereinen und damit ein mächtiges Instrument der Herrschaft und der Manipulation in den Händen halten. Er wird die berühmte Mauer Alexanders des Großen (356 v.Chr. bis 323 v.Chr.) und die mächtigen Eisentore niederreißen, und die abscheulichen Völker Gog und Magog werden hereinbrechen wie eine Meeresflut, der nichts widerstehen kann. Nie gab es einen Ritter oder einen Kapitän, der dem Widerchrist an Mut und an Kenntnissen über die Kriegskunst gleichkam. Seinen Waffen hat niemand etwas entgegenzusetzen: er wird Städte in Staub und Asche legen, Königreiche verwüsten. Mit seinen eigenen Händen wird er die Propheten Henoch und Elias ermorden, die vergebens die Kirche zu verteidigen suchen. Er wird sich alle Kronen auf das eigene Haupt setzen und als alleiniger Herrscher über die besiegte Welt gebieten. Doch danach folgt die wohl verdiente und unausweichliche Strafe: der böse Usurpator, der Sohn und Streiter Satans, wird entweder von Christus persönlich oder vom Anführer der himmlischen Heerscharen, dem standhaften, kriegerischen Erzengel Michael getötet werden. Und zusammen mit ihm wird die Macht der Hölle besiegt und für immer zerschlagen. Dann werden die Tore zum Höllenschlund für immer verschlossen und versiegelt – das Reich Satans endet und das Reich Gottes beginnt von Neuem, um niemals wieder zu enden. So wie Inkuben zeugen konnten, waren Sukkuben in der Lage, zu empfangen und zu gebären. In England glaubte man ehedem (die Chroniken verschweigen dies durchaus nicht), dass einer der Ahnherren des Geoffrey Plantagenet einen Dämon geheiratet und mehrere Kinder mit diesem Teufel gezeugt hatte. Von Balduin (1012 bis 1067), einem Grafen von Flandern und Helden eines altfranzösischen Versromans, wird eine ähnliche Geschichte erzählt, allerdings detailreicher: Der Graf verschmäht voller Stolz, die Tochter des Königs von Frankreich zu ehelichen und heiratet stattdessen eine Dame voll Charme und Schönheit, die er einst im Walde getroffen und die ihm erzählt hatte, sie sei die Tochter eines sehr mächtigen Königs in Asien. Gegen Ende des Jahres werden ihnen Zwillinge geboren, zwei wunderschöne Töchter. Der Graf erwartet eine Nachricht aus jenem Königreich im Osten, doch keine Nachricht kommt. In der Zwischenzeit mehren sich im Kopfe eines Einsiedlers ein gewisser Argwohn und etliche Zweifel. Er hegt die dunkle Ahnung, ein fauler Zauber könne im Spiel sein. Eines Tages erscheint der heilige Mann bei Hofe, als gerade ein Bankett stattfindet. Er betritt die Halle und befiehlt der Gräfin, Tochter des Königs aus dem Osten, ohne viel Federlesens, sich unverzüglich zurück zur Hölle zu begeben, wo sie hergekommen sei. Die Gräfin (also der Dämon) lässt sich nicht zweimal bitten und schießt los wie ein Pfeil, dabei stößt sie ein fürchterliches

und wahrhaft teuflisches Gekreisch aus. Der Graf wird, um seine Sünde zu büßen, Kreuzfahrer und schlachtet und verstümmelt viele, viele Feinde. Was die beiden Töchter betrifft, so nahmen sie nicht das schlimme Ende, das man erwartet hätte, weil sie doch von einer solchen Mutter geboren worden waren. Neben ihren leiblichen Kindern, die sie selbst gezeugt hatten, konnten die Teufel auch Kinder adoptieren oder fremde Kinder annehmen, oft waren diese geraubt, oder böse und gleichgültige Eltern hatten sie bewusst hergegeben. Viele erbauliche Geschichten könnte man in diesem Zusammenhang anführen, eine Auswahl soll hier jedoch genügen: Ein Mädchen war schwanger geworden (so schreibt der englische Chronist Roger von Hoveden um 1200) und wollte nicht, dass ihr Fehltritt bekannt würde. Sie flieht kurz vor ihrer Niederkunft aus ihres Vaters Haus und wandert einsam durch die weite Flur, ein wilder Sturm tobt. Sie ist es müde, Gott vergeblich um Hilfe anzuflehen, und ruft den Teufel um Beistand an. Und siehe da, der Dämon erscheint ihr in Gestalt eines Jünglings und sagt zu ihr: „Folge mir“. Das Mädchen gehorcht, und er führt sie zu einer Schafhürde, bereitet ihr ein Bett aus Stroh und entfacht ein munteres Feuer, dann geht er fort, um etwas zu essen zu besorgen. Zwei Männer kommen des Weges, sehen das Feuer und betreten die Hürde. Sie befragen das dort liegende Mädchen und erfahren die ganze Wahrheit. Daraufhin eilen sie von dannen, um den Kuraten und die Gemeinde eines nahe gelegenen Dorfes zu informieren. Da kommt der Teufel mit Brot und Wasser zurück, und als das Mädchen sich etwas erquickt hat, spielt er die Hebamme und hilft dem Kind auf die Welt. In diesem Moment kommt der mit Kreuz und Weihwasser bewaffnete und von einer großen Menschenmenge gefolgte Kurat an. Er beginnt seinen Exorzismus, und der Teufel, der dem nicht zu widerstehen vermag, flieht mit dem neugeborenen Kinde im Arm von dannen und wurde nicht mehr gesehen. Die gute Mutter, die sich nicht im Geringsten um ihr Kind schert, dankt Gott, dass er sie vor dem bösen Feinde gerettet hat und kehrt nach Hause zurück. Eine andere, nicht weniger wundersame Geschichte, aber mit einem glücklicheren Ende, wird vom Benediktiner Walter de Coincy (bis 1236) in seinen gesammelten Beschreibungen der Wunder der Heiligen Jungfrau erzählt: Einst lebte ein Ehepaar von hohem Rang und großer Tugend. Da die beiden bereits mehrere Kinder hatten, gelobten sie Gott und der Heiligen Jungfrau Keuschheit. Aber das Fleisch ist schwach, und der Teufel ist nimmer des Betruges müde. Eines Nachts zur Osterzeit entfacht er solch ein Feuer der Lüsternheit im Herzen des Ehemanns, dass dieser, seinen hohen Entschluss vergessend, bereit und willens ist, sein Gelübde um jeden Preis zu brechen. Die Frau bittet, warnt und droht, doch als sie schließlich nicht länger widerstehen kann, ruft sie: „Wenn aus unserer Sünde ein Sohn geboren wird, gebe ich ihn dem Teufel zum Geschenk.“ Nach neun Monaten kommt ein Kind zur Welt, so süß und makellos, dass alle, die es sehen, nur staunen. Etliche Jahre gehen ins Land, und das Kind wächst zu einem äußerst gescheiten Jungen heran, von

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freundlichstem Wesen und gesegnet mit allen edlen Eigenschaften. Seine Mutter, die ihn zärtlich liebt, verzehrt sich vor lauter Kummer, da sie sich ihres gottlosen Versprechens erinnert und der sicheren Folgen gedenkt, die das haben wird. Als der Junge sein zwölftes Lebensjahr vollendet hat, erscheint ihr ein schrecklicher Dämon und lässt sie wissen, dass er in drei Jahren wiederkommen und den holen wird, der ihm rechtlich zusteht, und auf den er um nichts in der Welt verzichten wird. Die arme Frau ist verzweifelt, und eines Tages gibt sie dem Flehen ihres Sohnes nach und entdeckt ihm ihr Geheimnis. Dem Sohn kommen die Tränen und er schluchzt laut auf: Und wenn er sich auch unsäglich grämt, wundert euch nicht, denn bitter, sehr bitter ist sein Schicksal. Um Mitternacht verlässt er das Haus seiner Eltern und macht sich ganz allein auf die Reise. Er kommt nach Rom, und wie der Ritter Tannhäuser geht er zum Papst und erzählt ihm seine traurige Geschichte. Der Papst, der, als er diesen seltsamen Fall vernimmt, nicht weiß, was er sagen soll, sendet ihn zum Patriarchen von Jerusalem, dem weisesten Mann, der auf Gottes Erde wandelt. Und nun kommt unser Pilger nach vielen Strapazen und Gefahren in Jerusalem an. Der Patriarch weiß so wie der Papst ebenfalls keinen Ausweg für ihn, doch im letzten Moment besinnt er sich auf einen Eremiten, der in einem großen und gefährlichen Wald haust und ein so frommes Leben führt, dass die Engel vom Himmel herabsteigen, um sich mit ihm zu unterhalten. Von ihm könne der Knabe vielleicht Rat und Hilfe bekommen. Der Junge weint bitterlich und begibt sich erneut auf die Reise, doch in der Zwischenzeit sind fast drei Jahre vergangen und nur ein einziger Tag fehlt noch, dann ist die Zeit um. Am Sonnabend vor Ostern findet er den Einsiedler, der, als er die Geschichte vernimmt, zunächst auch keine Lösung weiß. Doch dann fasst er sich ein Herz, tröstet den Jungen, befiehlt ihm, guten Mutes zu sein, und erbietet sich, ihm die notwendige Hilfe zuteil werden zu lassen. Gemeinsam verbringen sie die Nacht im Gebet, und als der Morgen kommt, weist der Eremit ihm einen Platz vor dem Altar zu und beginnt, die Messe zu lesen. Doch da stürmt der Teufel mit einer Armee von Begleitern im Schlepptau in die Kirche und legt die Hand auf den armen Jungen. Der Einsiedler ruft mit lauter Stimme der Heiligen Jungfrau zu, sie möge sich beeilen und helfen. Und die glorreiche Jungfrau steigt vom Himmel hernieder und hat im Nu den bösen Feind in die Flucht geschlagen. Der Junge ist gerettet. Voller Dankbarkeit verabschiedet er sich von seinem Wohltäter und kehrt in seine Heimat zurück, wo er mit unaussprechlicher Freude von seiner Mutter willkommen

Gautier de Coincy, Das Leben und die Wunder unserer Lieben Frau: Der Wucherer und der Bettler (vier Abteilungen), um 1260-1270. Pergament, 27,5 x 19 cm ( Text: 20,5 x 13,5 mm). Russische Nationalbibliothek, St. Petersburg.

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geheißen wird, und wo er sich von da an völlig dem Dienst an der Heiligen Jungfrau widmet. In einer anderen Geschichte schnappt sich der Teufel ein ihm geweihtes Kind im Moment seiner Geburt, lässt es aufziehen, nimmt es mit auf seine Reisen kreuz und quer durch die Welt und behandelt es mit aller Rücksicht, bis es fünfzehn Jahre alt ist. Dann nimmt ihm der heilige Jakob den Jungen weg und bringt ihn zu seinen Eltern zurück. In wiederum einer anderen Geschichten werden Kinder dem Teufel nicht gegeben, sondern verkauft – wenn ein Räuber nicht stehlen kann, dann kauft er eben. Doch ging es bei solchen Transaktionen nicht immer nur um Kinder. In einer Geschichte, auf die ich später noch einmal zu sprechen kommen werde, schließt ein Ritter mit dem Teufel einen Pakt. Er verpflichtet sich, ihm nach sieben Jahren seine eigene Ehefrau zu geben (und so mancher Ehemann hätte seine sofort hergegeben!). In einer noch anderen Geschichte erfahren wir, dass dem Teufel völlig fremde Leute übergeben wurden, und der Teufel (zumindest ab und zu) darauf bestand, dass solche Spenden von Herzen zu kommen hätten und nicht bloße Lippenbekenntnisse wären. Die Geschichte geht so: Ein ausgesprochen böser Steuereintreiber, grausam und habgierig, war eines Tages auf dem Weg in ein Dorf, um dort seinem gewohnten Eintreibungsgeschäft nachzugehen. Auf der Straße traf er zufällig eine Person, in der er prompt den Teufel erkannte. Es versteht sich von selbst, dass er ihn, als er ihn erkannte, aus gutem Grunde so schnell wie möglich wieder loswerden wollte. Da trafen sie einen Mann, der ein Schwein vor sich hertrieb. Das Schwein machte seinem Besitzer so viel Mühe, dass er die Geduld verlor und ausrief: „Der Teufel soll dich holen!“ Da sagte der Steuereintreiber zum Teufel: „Hörst du nicht, was er sagt? Der Mann schenkt dir sein Schwein, geh und hol’ es dir!“ „Nein“, antwortete der Teufel, „es kommt nicht von Herzen.“ Ein Stück weiter stoßen sie auf eine Mutter, die wütend ihr Kind anschreit: „Hol’ dich doch der Teufel!“ „Und warum nimmst du es dir nicht?“ stößt der Steuereintreiber hervor. „Es kommt nicht von Herzen“, erwidert der Teufel, „sie sagt das doch bloß so daher“. Inzwischen sind sie am Dorf angelangt, und als sie sehen, dass ihr Peiniger kommt, rufen die armen Dorfbewohner im Chor: „Dass dich der Teufel hole! Geh doch zum Teufel!“ Darauf der Teufel: „Diese Leute geben dich mir aus vollem Herzen, deshalb gehörst du mir.“ Und ohne ein weiteres Wort packte er ihn bei den Haaren und trug ihn davon.

Der Pakt mit dem Teufel

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ENN der Teufel mit Gewalt nicht weiterkommt, um seine Ziele zu erreichen, dann greift er zur List. Er greift freudig zu legalen Mitteln, sofern ihm legale

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Mittel Erfolg versprechend erscheinen. Wo er nicht stehlen darf, feilscht, tauscht, handelt und schachert er. Er kauft zu einem höheren oder niedrigeren Preis, was ihm anderweitig nicht gegeben wird, er entwirft Verträge, geht Verpflichtungen ein und erfüllt sie. Der Gedanke an einen möglichen Pakt mit dem Teufel schoss den Menschen in Zeiten lebendigeren und unbefangeneren Glaubens ganz spontan durch den Kopf und muss viele mit heftigen und seltsamen Verlockungen in Versuchung geführt haben. Wenn der innigste Wunsch, die größte Lust des Fürsten der Finsternis darin bestand, Seelen zu verführen, und wenn er, damit der Wunsch befriedigt werde, alle ihm zu Gebote stehende Kunst und Macht anwandte – warum sollte man dann nicht auch annehmen, dass jemand seine eigene Seele verkaufen würde, um dafür Ehren, Reichtümer oder irgendeine andere irdische Gunst zu bekommen, wo er, der Herr der Welt, all das doch so großzügig zur Disposition stellte? Und warum sollte jemand das nicht glauben, wenn doch Satan selbst Christus alle Königreiche dieser Welt unter der Bedingung anbot52, dass er als der Meister Christi anerkannt und von ihm angebetet würde? Natürlich musste der Vertrag in der bei Menschen üblichen Form gehalten und von Bürgschaften oder Sicherheiten begleitet sein, die seine Gültigkeit und Gesetzmäßigkeit beweisen und dafür sorgen, dass die Verpflichtungen von beiden Seiten erfüllt würden. Also in Schriftform, gebührend aufgesetzt und unterzeichnet, so verlangt es der Teufel von jedem, der sich verpflichtet, ihm im Austausch für dieses oder jenes nach einer gewissen Zeit seine Seele zu überlassen. Es ist ein Kuriosum, dass der Teufel zwar offenbar das Bedürfnis hat, sich der redlichen Absichten des anderen Vertragspartners durch die gebührende Form und klare Formulierungen zu versichern, die andere Seite aber gewöhnlich nicht das Bedürfnis hat, sich in ähnlicher Weise der redlichen Absichten des Teufels zu versichern. Tatsache ist, dass sich der Teufel meistens an seine Abmachungen hält, zumindest dem Worte, wenn auch nicht dem Geiste nach. Die Menschen dagegen halten sich sehr oft nicht an die getroffenen Vereinbarungen, sondern versuchen, aller diese Abmachungen belegenden Dokumente wieder habhaft zu werden. Und wenn sie sie haben, lachen sie sich ins Fäustchen und den anderen aus, der ihnen vertraut hat. Vielleicht um die bindende Kraft der Verträge zu erhöhen, bestand der Teufel seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts darauf, dass diese Dokumente mit Blut geschrieben würden, das, so sagt Mephistopheles, ein ganz besond’rer Saft sei.53 Auf diese Schriftstücke pflegte der Dämon eine Art Zeichen zu setzen. Auf einen Vertrag, den Gilbert Voss

(17. Jh.) in einer seiner theologischen Abhandlungen erwähnt, hatte der Teufel den versengten Abdruck seiner sich über ein Kreuz erstreckenden Hand gedrückt. Zahllos sind die Geschichten, die von Teufelspakten erzählen, und einige sind sogar recht alt. Der geneigte Leser wird es mir bestimmt nicht übel nehmen, wenn ich ein paar von ihnen hier anführe. In der Heiligenvita Basilius’ des Großen (329 bis 379), des Erzbischofs von Cäsarea, die dem Bischof von Ikonium, Amphilochius (um 340 bis um 395), zugeschrieben wird, lesen wir den folgenden Bericht: Ein christlicher Senator mit Namen Proterius hat eine hässliche Tochter, die er, nachdem er das Heilige Land bereist hat, Gott zu weihen beschließt. Das Mädchen ist mit dieser Entscheidung glücklich und zufrieden, doch der Teufel, der niemals schläft, rüstet sich auf der Stelle, dieser heiligen Sache ein Ende zu setzen. Er entfacht in einem jungen Sklaven eine heftige Leidenschaft für die edle Maid. Wohl wissend, dass er sein Verlangen nicht anders stillen kann, sucht er einen schwarzen Magier und Nekromanten auf und verspricht ihm eine riesige Summe Geldes, wenn dieser ihm hilft, ihre Liebe zu gewinnen. Der Nekromant willigt ein, lässt ihn daraufhin seinen Erlöser verleugnen und sagt zu ihm: „Gehe zu der und der nächtlichen Stunde und lege dich nieder auf das Grab eines Heiden und halte in deiner erhobenen Hand den Brief, den ich dir jetzt geben werde. Auf der Stelle wird jemand erscheinen, der dich zu dem Dämon, der mein Meister ist, geleitet, und von dem du die Hilfe bekommen kannst, die du erbittest.“ Der Sklave führt alles gewissenhaft aus wie ihm geheißen, und als die bezeichnete Stunde herangekommen ist, wird er von Geistern vor den auf einem luftigen Thron sitzenden Fürsten der Dämonen geführt, der von seiner Soldateska umgeben ist. Nachdem er den Brief des Zauberers gelesen hat, sagt der Fürst zum Sklaven: „Glaubst du an mich?“ Und er antwortet: „Ja.“ Doch der Dämon fährt fort: „Ihr Christen seid groß darin, euch eurer Verpflichtungen zu entziehen, und euer Wort ist nicht viel wert. Wenn du mich brauchst, dann kommst du und suchst mich auf, aber wenn dein Ende naht, gehst du zurück zu deinem Christus, der, gütig und barmherzig, wie er ist, dich wieder bei sich aufnimmt. Wenn du aber meinen Schutz wünschst, musst du schriftlich ihm und deiner Taufe entsagen und dich verpflichten, am Jüngsten Tag bei mir zu verweilen und mit mir die ewig währenden Schmerzen der Hölle zu ertragen.“ Der Sklave verspricht und schreibt es eigenhändig nieder. Dann sendet der Fürst einige seiner Diener aus, die in der Maid eine unbändige Leidenschaft entfachen und sie gegen das fromme Leben, dem sie sich doch gerade widmen wollte, tiefsten Abscheu empfinden lassen. Sie wirft sich ihrem Vater zu Füßen und bedrängt ihn so mit Flehen

Anonym, Das Wunder des Hl. Theophilus, frühes 13. Jh. Musée Condé, Chantilly (Frankreich).

Martino di Bartolomeo, Der Teufel entführt den neugeborenen Stephanus, frühes 15. Jh., Tafel aus: Sieben Szenen der Stephanus-Legende. Mischtechnik auf Pappelholz, 74,3 x 58,8 cm. Städel Museum, Frankfurt am Main. Martino di Bartolomeo, Stephanus wird aufgefunden, frühes 15. Jh. Tafel aus: Sieben Szenen der Stephanus-Legende. Mischtechnik auf Pappelholz, 75,1 x 58,4 cm. Städel Museum, Frankfurt am Main.

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und Tränen, dass er letztendlich voll Kummer und Bitterkeit in die Heirat einwilligt. Die Hochzeit findet statt. Doch nachdem etwas Zeit ins Land gegangen, fällt den Leuten auf, dass der Ehemann nicht mehr in die Kirche kommt, auch nicht mehr an den Sakramenten teilnimmt und sagen es der jungen Frau. Verzweifelt stellt sie ihren Mann zur Rede und erfährt das schreckliche Geheimnis. Von Grauen gepackt, flieht sie zu Erzbischof Basilius und fleht ihn um Rat und Hilfe an. Ohne Zeit zu verlieren, schreitet der heilige Mann zur Rettung. Er befragt noch einmal den Jüngling selbst, fragt ihn, ob er bußfertig sei, ob er an Gott und dessen unendliche Gnade glaube. Dann, als er ihn im günstigsten Geisteszustand wähnt, schließt er ihn in einem Raum ein, in dem heiligen Messgewänder aufbewahrt werden, und verbringt drei Tage im Gebet. In der Zwischenzeit belagern die Dämonen, rasend vor Wut, den Schuldner, schelten und zanken, fuchteln mit dem eigenhändig geschriebenen Dokument vor seinen Augen herum und verhöhnen ihn und seine schnöde Absicht. Einige Tage vergehen, dann lassen die teuflischen Angriffe in ihrer Heftigkeit langsam nach. Der junge Mann hört zwar noch immer ihr drohendes Geschrei, doch sieht er seine bösen Feinde nicht länger. Als der vierzigste Tag vorbei ist, führt der Gottesmann den Sünder aus seinem Gefängnis, ruft die Leute und die Geistlichen zusammen, legt den Fall dar und bittet alle zu beten, der Dämon möge bezwungen sein. Und als die Kirche von andächtigem Gebet widerhallt, siehe, da bespringt der Dämon den Jüngling, trachtet danach, ihn hinfort zu zerren und zeigt zum Beweis für seinen Anspruch das verhängnisvolle Schriftstück vor. Doch der heilige Mann verliert nicht den Mut, er stellt sich dem bösen Feind kühn entgegen und ruft ohne Unterlass, die Arme zum Himmel erhoben, damit der Sieg gewiss sein möge, den glaubensvollen Bittruf „Kyrie Eleison!“ Nach einer langen Weile sieht man das Dokument durch die Luft fliegen und dem heiligen Manne in die Hände fallen, worauf er nicht zögert, es schleunigst zu zerreißen. Der Jüngling ist gerettet. Er erhält des Erzbischofs Segen, nimmt wieder an den Sakramenten teil, kehrt zu seiner Frau zurück und lebt glücklich mit ihr. Er hat den Teufel angeschmiert und erfreut sich seines Glückes in Ruhe und Frieden. In dieser Geschichte (mit leichten Abwandlungen wird sie auch von Giacomo da Voragine und anderen erzählt) ist derjenige, der die traurigste Figur abgibt, meiner Meinung nach nicht der Teufel. Denn dieser, da er sein Versprechen in treuem Glauben gehalten hat, verlangt mit Recht, dass der andere Vertragspartner dasselbe tut. Sein Anspruch ist nicht anfechtbar. Und der heilige Basilius kann ihn dessen nur berauben, weil er ihm das Dokument, das den Anspruch begründet, auf listige Weise entwendet. In der Geschichte, die nun erzählt werden soll, gelingt es dem reuigen Sünder nicht, den Vertrag wiederzuerlangen, und ein gewisser

Eugène Delacroix, Mephistopheles bietet Faust seine Hilfe an, 1827-1828, Öl auf Leinwand, 45,5 x 37,7 cm. The Wallace Collection, London.

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Zweifel bleibt, ob er letzten Endes Erlösung finden wird. Man weiß nicht genau, wann die im Folgenden beschriebenen Ereignisse geschehen sind, doch stammt die anonyme griechische Chronik, die davon berichtet, aus sehr alter Zeit, und so sind auch die Dinge ohne Zweifel vor sehr, sehr langer Zeit geschehen. In der Stadt Antiochia lebte eine achtbare Witwe mit ihrer einzigen Tochter Maria. Mutter und Tochter führten beide ein musterhaftes Leben, ganz dem Dienst an Gott gewidmet, und die fromme Jungfrau hatte beschlossen, ihre Jungfräulichkeit makellos und unberührt zu belassen und sich vollständig dem himmlischen Bräutigam hinzugeben. Ein gewisser Anthemius, ein Mann großen Reichtums und eine der führenden Persönlichkeiten der Stadt, verliebt sich hoffnungslos in sie und beginnt, sie mit Geschenken zu reizen, mit Gefälligkeiten zu locken, und sich ihr, als er sieht, dass er sie nicht anders besitzen kann, als Ehemann anzubieten. Doch es hilft alles nichts. Von der Jungfrau und deren Mutter verschmäht und daher noch heftiger mit niederen Gelüsten entflammt, schwört er, er werde sein Ziel erreichen, was immer es ihn kosten mag. Anthemius sucht die Bekanntschaft eines äußerst mächtigen schwarzen Magiers und Nekromanten namens Megas, was soviel bedeutet wie „der Große“, und erzählt ihm seine Geschichte. Darauf verspricht dieser ihm, das Mädchen werde zu ihm kommen, nachts, in sein Haus und in sein Bett. Und so geschieht es. Durch eine List wird das Mädchen von einem Dämon in Anthemius’ Kammer gebracht, doch sie kann ihm entweichen, indem sie verspricht, bald wiederzukommen, mit oder ohne der Mutter Einverständnis. Als Anthemius die Wirksamkeit der magischen Kunst erkennt, möchte er selbst gern ein Zauberer werden und bittet Megas inständig, ihn zum Magier zu machen. Megas versichert sich zunächst, dass Anthemius bereit ist, Christus und seine Taufe zu verleugnen, dann gibt er ihm einen Brief und sagt: „Gehe von der Stadt noch vor dem Abendessen fort, und in der dunkelsten Stunde der Nacht gehe zu jener Brücke da, halte dieses Briefchen in deiner erhobenen Hand, doch was immer du siehst, hüte dich, zu erschrecken und das Kreuz zu schlagen.“ Anthemius tut, wie ihm geheißen. Als er um Mitternacht auf der Brücke steht, sieht er eine große Kavalkade nahen und einen Fürsten, der in einem Wagen sitzt. Er streckt den Brief vor, doch der Fürst will ihn nicht gleich als einen seiner Anhänger annehmen, er fordert ein schriftliches Abschwören. Diese Szene wiederholt sich zweimal, und dazwischen sucht Anthemius Rat bei dem Zauberer. Beim dritten Mal nimmt der Fürst das Schriftstück an. Dabei erhebt er die Arme zum Himmel und schreit: „Oh Jesus Christus, dieser Mann, der dein war, verleugnet Dich schriftlich, ich habe ihn nicht dazu veranlasst, er selbst hat mich wiederholt angefleht, er wolle mein sein. Deshalb bekümmere du dich von jetzt an nicht mehr um ihn.“ Als Anthemius diese Worte hört, erfasst ihn plötzlich eine große Furcht und Bestürzung und er fordert das Schriftstück zurück. Doch

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vergebens, der Fürst, der ihn nicht weiter beachtet, fährt weiter und lässt ihn im Staube liegend zurück, aufgelöst in Tränen des Grams und der Reue. Am folgenden Tag schneidet sich Anthemius das Haar ab, kleidet sich in Sackleinen und sucht den Bischof einer benachbarten Stadt auf. Er wirft sich ihm zu Füßen, erzählt ihm seine Geschichte und bittet ihn inständig, ihn erneut zu taufen und somit zu erretten. Der Bischof erwidert, dass er ihn nicht erneut taufen könne, ermahnt ihn, all seine Hoffnung in Gott zu setzen und weint und betet mit ihm. Als Anthemius nach Hause kommt, befreit er alle seine Sklaven, verteilt seinen Besitz an die Armen und die Kirchen, gibt Marias Mutter drei Pfund Gold, und während Maria ins Kloster geht, widmet er sich vollständig Gott, dessen Gnade niemand vergeblich erfleht. Was das Schriftstück anbelangt, das zurückzugeben sich der Dämon mit den Worten weigerte, er werde es dem ewigen Richter am Tag des Jüngsten Gerichts vorlegen – es wird nicht weiter erwähnt. Bei diesen beiden soeben vernommen Legenden ist Liebe das Motiv, das den Verwegenen oder auch Leichtsinnigen dazu treibt, die Hilfe des

Eugène Delacroix, Faust versucht, Margarete zu verführen. Lithographie, 26,2 x 20,8 cm. Musée Delacroix, Paris.

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Teufels zu erbitten und einen Vertrag aufzusetzen, der sie die Erlösung ihrer Seele kostet. Bei anderen Legenden ist es das Streben nach Ehren und Reichtum oder der Durst nach verbotenem Wissen. Die Legende von Theophilus, der auch schon (nicht sehr zutreffend) als ‘Faust des Mittelalters’ bezeichnet wurde, geht auf das 6. Jahrhundert zurück und wird erstmalig von einem gewissen Eutychianus erzählt, der sich als Schüler eben jenes Theophilus ausgibt und behauptet, das, was er berichtet, mit eigenen Augen gesehen zu haben: In Adana, einer Stadt in Kilikien, lebte ein Verweser und Vizedominus der örtlichen Kirche, ein mit vielen seltenen Tugenden gesegneter Mann mit dem Namen Theophilus. Als der Bischof gestorben war, bestimmten die Einwohner und die Geistlichen einhellig Theophilus zu dessen Nachfolger. Der Metropolit ist mit dieser Wahl äußerst zufrieden. Theophilus jedoch führt seine eigene Unwürdigkeit und Unzulänglichkeit ins Feld und lehnt diese neue Würde ab, und kein Appellieren oder inständiges Bitten können ihn davon abbringen. Deswegen wird ein anderer Bischof gewählt, der entgegen jedem Recht und aller Vernunft Theophilus aus seinem Verweseramt entfernt. Prompt beginnt der Teufel, seine Ränke zu schmieden, und in das bescheidene und demütige Herz jenes achtbaren Mannes gießt er den Gärstoff übler Leidenschaften, er weckt in ihm die Sehnsucht nach Ansehen, Rang und Ehre. Theophilus sucht einen ruchlosen Juden auf, der einen gewissen Ruf als Zauberer besitzt, erzählt ihm von der ihm widerfahrenen Ungerechtigkeit, eröffnet ihm seine Seele und bittet ihn um Hilfe. Um Mitternacht führt ihn der Hexenmeister zu einer Arena nahe der Stadt und warnt ihn mit den üblichen Worten: „Was immer du hörst oder siehst, fürchte dich nicht, und schlage auf keinen Fall das Kreuz.“ Und siehe da, herbei kommt eine große Horde Dämonen, gehüllt in weiße Gewänder, mit Lichtern im Überfluss, und in ihrer Mitte der Fürst auf dem Thron. Theophilus küsst dem Fürsten die Füße und überreicht ihm einen mit seinem Siegel versehenen Brief, in dem er erklärt, dass er Christus und seiner Mutter abschwört. Prompt werden die Folgen offenkundig. Der Bischof zieht seine Verfügung zurück und überhäuft ihn mit Ehren. Doch nicht viel Zeit vergeht, da wird Theophilus, der über das Ausmaß seines Frevels nachgrübelt, von Gewissensbissen geplagt. Ohne Hoffnung auf Hilfe von anderer Seite begibt er sich zur gesegneten Anwältin aller Sünder, zur Heiligen Jungfrau, verzehrt sich mit Fasten, strömt über vor Tränen, verbringt vierzig Tage und vierzig Nächte in inbrünstigstem Gebet und fleht sie so um Vergebung und Gnade an. In der vierzigsten Nacht erscheint ihm die entrüstete Heilige Jungfrau und tadelt ihn bitterlich für die begangene Sünde, jedoch nicht, ohne in sein krankes, vergiftetes Herz den Balsam der Hoffnung zu gießen. Theophilus verbringt drei weitere Tage in der Kirche im Gebet, und die Heilige Jungfrau erscheint ihm ein zweites Mal mit der freudigen Nachricht, Vergebung sei ihm gewährt worden. Weitere drei

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Tage vergehen, und die Heilige Jungfrau, die ihm ein drittes Mal erscheint, bringt ihm den vermaledeiten Vertrag. Am nächsten Tag, einem Sonntag, verkündigt Theophilus dieses denkwürdige Geschehen dem Bischof und allen in der Kirche versammelten Gläubigen. Doch dann wird er krank, und nur wenig später findet er, der all seinen Reichtum unter den Armen verteilt hat, ein höchst erbauliches Ende und geht ein in die ewige Herrlichkeit des Paradieses. Im Falle eines gewissen Ägidius löste sich der Fall nicht so einfach. Er schwor der Zauberei ab und wurde Dominikaner, doch sieben lange Jahre vergingen, bevor er mit der Hilfe der Heiligen Jungfrau seine Schuldverschreibung zurückbekam. Die Geschichte von Theophilus, die im 7. Jahrhundert von Paulus, einem Diakon in Neapel, aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt und im 11. Jahrhundert (oder möglicherweise auch im 12. Jahrhundert) von Marbod, dem Bischof von Rennes, in leoninische Verse gesetzt worden war, erfreute sich das ganze Mittelalter hindurch einer außergewöhnlichen Popularität und lieferte in vielen Gegenden Europas den Stoff für religiöse Dramen. In einem dieser Dramen, geschrieben vom französischen Troubadour Rutebeuf (um 1250 bis 1285), hadert Theophilus, seines Amtes enthoben und zur Bettelei gezwungen, mit Gott und klagt, dass er ihn nicht erreichen und ihn nicht bestrafen kann, wie er es so gerne täte: Ha! qui or le porroit tenir Et bien batre à la retornée Moult auroit fet bone journée; Mès il s’est en si haut leu mis, Por eschiver ses anemis, C’on n’i puet trere ne lancier. Se or pooie à lui tancier Et combattre et escremir, La char li feroie fremir.54 Ha! Könnte ich ihn doch jetzt nur festhalten und ihn immer und immer wieder verprügeln, dann würde ich ein gutes Tagewerk vollbringen! Aber er hat sich so weit oben hingesetzt, um seinen Feinden zu entgehen, dass man vergeblich ihn mit Pfeil oder Speer zu erreichen versuchen würde. Könnte ich ihn doch nur zum Kampfe herausfordern, die Klingen mit ihm kreuzen, es ihm ordentlich besorgen, Ich würde sein Fleisch rasch erzittern machen. Und schließlich, als der Teufel sich immer noch weigert, den Vertrag herzugeben, droht die Heilige Jungfrau, seinen Wanst mit Füßen zu zertrampeln und zertreten.

Nicht weniger berühmt, dafür besser bekannt, ist die Geschichte jenes Gerbert, der das 10. Jahrhundert mit seinen Lehren verblüffte und unter dem Namen Silvester II. (um 950 bis 1003) Papst wurde. Der Glaube, er stehe in des Teufels Schuld, nicht nur wegen seines erstaunlichen, übernatürlichen Wissens, das er auf vielerlei Art unter Beweis stellte, sondern auch wegen seiner Erhebung in das höchste Kirchenamt, der Glaube, er habe einen Vertrag in gebührender Form aufgesetzt und mit dem Teufel geschlossen, nahm Stück für Stück Gestalt an und verbreitete sich überallhin. Und im 12. Jahrhundert trieb er Blüten in Form einer grandiosen Legende, die zu beweisen und aufrecht zu erhalten sich zahlreiche Geschichtsschreiber zu überbieten suchten. Der englische Benediktiner William of Malmsbury (1095 bis 1142) sagt im zweiten Buch seiner History of the Kings of England, was er von Gerbert berichtet, sei zu seiner Zeit allgemein bekannt gewesen: Gerbert wurde in Aquitanien geboren, und schon im Kindesalter widmete er sich dem klösterlichen Leben. Doch ob er des Klosterlebens nun bald schon müde wurde oder ob ein verwerfliches Streben nach Ruhm von ihm Besitz ergriff, eines Nachts entwich er und floh nach

Eugène Delacroix, Mephistopheles in der Studentenkneipe. Lithographie, 27 x 22 cm. National Gallery of Art, Washington (D. C.).

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Spanien. Da lebte er unter den Sarazenen und beschäftigte sich mit dem Studium der Astrologie und der Zauberei. Schon nach kurzer Zeit war er über die Maßen auf allen Wissensgebieten gelehrt, sowohl in denen, die erlaubt sind, als auch in denen, die verboten sind. Einem sarazenischen Philosophen, der ihn in seinem Haus aufgenommen hatte, stiehlt er ein Zauberbuch und macht sich damit aus dem Staub. Er ruft den Teufel herbei, geht einen Vertrag mit ihm ein und lässt sich über das Meer tragen. Als er nach Frankreich zurückkehrt, eröffnet er eine Schule, macht sich einen großen Namen und hat viele Schüler. Unter ihnen ist ein gewisser Robert (971 bis 1031), der ihn, als er König von Frankreich wird (vermutlich Robert II., genannt ‘der Fromme’), zum Bischof von Reims macht. Hier konstruiert er mit erstaunlichem Geschick eine Uhr und eine Orgel. Als Gerbert in Rom weilt, sucht er ein verzaubertes unterirdisches Gewölbe auf und versteckt darin die Schätze des Kaisers Octavian, die er argwöhnisch bewacht. Später wird er zu Papst Silvester II. Er formt einen magischen Kopf, der ihm antwortet, wenn er ihn befragt, und der ihm versichert, er werde nicht sterben, bevor er nicht die Messe in Jerusalem zelebriert habe. Frohlockend beschließt der Pontifex, niemals das mit dem Blute Christi getränkte Land zu besuchen. Doch nach einiger Zeit zelebriert er die Messe in einer der Basiliken von Rom, die als Kirche des Heiligen Kreuzes in Jerusalem bekannt ist. Auf der Stelle wird er krank, und als er den sprechenden Kopf befragt, erkennt er den Betrug, dem er zum Opfer gefallen ist, und ihm wird bewusst, dass sein Ende naht. Daraufhin ruft er die Kardinäle zu sich, beichtet seine recht schwerwiegenden Sünden und – noch lebt er – befiehlt, man möge seinen Körper in Stücke schneiden und wie Abfall vor das Haus Gottes werfen. Die Geschichte wird auch in leicht abgewandelter Form erzählt, einige fügen ihr noch weitere Einzelheiten hinzu: Der Teufel begleitete Gerbert immer in Gestalt eines Hundes, und die doppelsinnige Antwort erhielt er nicht von einem künstlichen Kopf, sondern vom Teufel direkt. Seinen bevorstehenden Tod kündigten dem Pontifex eine große Schar Teufel an, die gekommen waren, um seine Seele davonzutragen. Er ordnete an, die sterblichen Überreste seines sündigen Körpers in einen Ochsenkarren zu legen und an jener Stelle zu begraben, an der die Ochsen von sich aus stehen bleiben. Seine Knochen klappern in seinem marmornen Grab, aus dem in großen Strömen Wasser fließt, wann immer ein Pontifex im Sterben liegt. Einige Quellen, etwa wie der 1113 gestorbene Chronist Sigebert, wissen nichts von seiner Reue, stattdessen aber von einem Gerücht, nach dem der böse Vicarius augenblicklich vom Teufel erschlagen worden sei. Silvester II. war jedoch nicht der einzige Pontifex, dessen sträfliche Geschäfte mit dem Teufel in Legenden überdauert haben: Johannes XII. (937/939 bis 963), Benedikt IX. (um 1014/1021 bis um 1055, der jedoch 1044 auf sein Amt verzichtete), Gregor VII. (um 1020 bis 1085) und Alexander VI. (1431 bis 1503) wurden ebenfalls beschuldigt, sich an eben jenes Wesen verkauft zu haben, gegen dessen Listen und Ränke sie die ihrer Obhut anvertraute Herde hätten beschützen sollen.

Die Legende von Gerbert bietet uns ein Beispiel jenes Schwindels, dessen sich der Teufel bedient, um jene irrezuführen, die sich ihm anvertrauen. Dabei bricht er seine Versprechen formal nie, er hält sich dem Wortsinn nach sogar recht strikt daran. Ein weiteres, der Erwähnung wertes Beispiel liefert uns eine Legende, die sich um eines der Opfer der Heiligen Inquisition rankt, um Cecco d’Ascoli (1257 bis 1327), den Verfasser von L’Acerba und Kritiker Dantes. Dies ist jedoch nicht der Ort, seine ganze traurige Geschichte erneut zu erzählen: Wie er zunächst in Bologna vom Inquisitor Fra Lamberto del Cingolo verurteilt wird, der ihm befiehlt, nicht mehr über Astrologie zu referieren, weder da noch sonst irgendwo. Wie er, als er nach Florenz kommt, von Fra Accursio erneut angeklagt wird, er lehre Astrologie, er habe das ganze Leben Christi mit Hilfe der Astrologie interpretiert, er habe behauptet, mit Hilfe der Astrologie könne man Wissen über alles erlangen, und er habe die Freiheit des Willens geleugnet. Und wie er letztendlich immer wieder auf diese Anklagen erwidert hat: „So habe ich es gesagt, so habe ich es gelehrt, und so glaube ich es“, und daraufhin der weltlichen Gerichtsbarkeit übergeben und im Jahre des Heils 1327 öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die Legende, um die es mir hier geht, nimmt erst später Formen an. Danach hatte Cecco einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, der ihm ausdrücklich versprach, er werde nur zwischen Afrika und dem Feld der Blumen sterben. Während man Cecco zum Hinrichtungsplatz führte, war er unerschrockenen Geistes und hegte nicht die geringste Todesfurcht – fest davon überzeugt, dass sein Freund kommen und ihn befreien werde. Doch als er, nachdem er bereits am Brandpfahl stand, erfuhr, dass ganz in der Nähe ein kleines Flüsschen namens Africo floss, und ihm bewusst wurde, dass mit ‘Feld der Blumen’ die Stadt gemeint sein müsse, die ihren Namen von den Blumen ableitet (Florenz also), erkannte er den teuflischen Schwindel und starb voller Verzweiflung. Der Teufel machte sich gerne, wie die Orakel in alten Zeiten, vieldeutige und doppelsinnige Worte zunutze, um seine Interessen und Ziele besser verfolgen zu können, doch wann immer er in einem Vertrag versprochen hatte, eine gewisse Zeitspanne, sprich so und so viele Jahre, vergehen zu lassen, bevor er seinen Anspruch geltend machen würde, hielt er treu sein Wort und kam nicht eine Stunde zu früh. Solch penible Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit wurde jedoch (wie wir anhand verschiedener Beispiele gesehen haben) von denjenigen, die sich um Hilfe an ihn wandten, nicht an den Tag gelegt, und man muss wohl nicht extra erwähnen, dass er nicht ganz unberechtigt gewisse Vorkehrungen traf und Schlingen legte, um sich gegen derartige Säumigkeiten zu wappnen. Dennoch entwischten ihm viele, sehr viele mittels Beichte, doch einigen gelang dies nicht, und die bezahlten nicht nur ihre Schuld, sondern die der anderen gleich mit. Ein Mönch, dessen Geschichte von Bischof Petrus Damiani (um 1006 bis 1072) erzählt wird, hatte ausgehandelt, dass der Teufel ihm seinen Tod drei Tage vorher ankündigen solle. Er meinte, somit ausreichend

Giovanni Canavesio, Der gehängte Judas, 1492. Fresko. Chapelle de Notre-Dame-des-Fontaines, La Brigue (Frankreich).

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Zeit zu haben, um für die Errettung seiner Seele Vorsorge zu treffen. Der Teufel hält sich an die Abmachung, der Mönch jedoch fällt in dem Moment, als er beichten will, in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Das passiert mehrere Male in Folge, und er stirbt, ohne gebeichtet zu haben. Mehrere Nächte lang wird sein Grab von schwarzen Hunden bewacht. In Goethes unsterblichem Drama wird Faust letztendlich gerettet, nicht so jedoch in der volkstümlichen Version der Geschichte, die im Jahr 1587 erstmals in gedruckter Fassung veröffentlicht wurde. Für unsere Zwecke ist diese Erzählung von größerer Bedeutung als das Goethe’sche Drama. Faust wird durch Wissensdurst und Vergnügungssucht zu jenem Pakt getrieben. Er schreibt das Schriftstück, in dem das, was beide Seiten geloben, ebenso festgehalten ist wie die Bedingungen, unter denen das Gelobte eingehalten werden soll, mit seinem eigenen Blut nieder: Ich Johannes Faustus D. bekenne mit meiner eygen Handt offentlich, zu einer Bestettigung, vnnd in Krafft diß Brieffs, Nach dem ich mir fürgenommen die Elementa zu speculieren, vnd aber auß den Gaaben, so mir von oben herab bescheret, vnd gnedig mitgetheilt worden, solche Geschickligkeit in meinem Kopff nicht befinde, vnnd solches von den Menschen nicht erlehrnen mag, So hab ich gegenwertigem gesandtem Geist, der sich Mephostophiles uennet, ein Diener des Hellischen Printzen in Orient, mich vntergeben, auch denselbigen, mich solches zuberichten vnd zu lehren, mir erwehlet, der sich auch gegen mir versprochen, in allem vnderthenig vnnd gehorsam zuseyn. Dagegen aber ich mich hinwider gegen jhme verspriche vnd verlobe, dass so 24. Jahr, von Dato diß Brieffs an, herumb vnd fürvber gelauffen, er mit mir nach seiner Art vnd weiß, seines Gefallens, zuschalten, walten, regieren, führen, gut macht haben solle, mit allem, es sey Leib, Seel, Fleisch, Blut vnd gut, vnd das in sein Ewigkeit. Hierauff absage ich allendenen, so da leben, allem Himmlischen Heer, vnd allen Menschen, vnd das mussmuß seyn. Zu festem Vrkundt vnnd mehrer Bekräfftigung, hab ich disen Receß eigner Hand geschrieben, vnderschrieben, vnd mit meinem hiefür getrucktem eygen Blut, meines Sinns, Kopffs, Gedancken vnnd Willen, verknüpfft, versiegelt vnd bezeuget, etc. Faust erfreut sich reichlich an den Vergünstigungen, die ihm dieser Vertrag zusichert. In Gesellschaft von Mephostophiles (bald wird ‘Mephistopheles’ daraus werden) bzw. durch seine Hilfe reist er auf der ganzen Welt umher, bereist auch den Himmel, hat auf den leisesten Wink hin die schönsten Frauen die da sind, zu Willen, er schwimmt im

Francisco de Goya y Lucientes, Franz Borgia ringt um einen unbußfertigen Sünder, 1787-1788. Öl auf Leinwand, 350 x 300 cm. Kathedrale Valencia (Spanien).

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Reichtum und vollbringt alle Arten von Wundern. In Erfurt liest er öffentlich aus Homers Ilias und bewirkt, dass die Helden aus alter Zeit vor den verblüfften Zuhörern auferstehen, angetan mit ihren Rüstungen und in der Haltung, die ihnen gebührt. Und er bietet den Doktoren der örtlichen Universität an, ihnen alle verschollenen Komödien von Plautus (um 254 v.Chr. bis um 184 v.Chr.) und von Terenz (um 190 v.Chr. bis 185/184 v.Chr.) in die Hand zu spielen, ein Angebot, das diese aber aus Angst vor irgendeiner teuflischen Gaunerei ablehnen. Als das siebzehnte Jahr verstrichen ist, wird Faust, der bereits Anzeichen der Reue und des Verlangens nach Besserung zeigt, vom Dämon unter Androhung, er werde ihn in Stücke reißen, wenn er nicht gehorcht, gezwungen, mit seinem Blute ein zweites Dokument niederzuschreiben, das dem ersten gleicht. Die Zeit vergeht, und der schreckliche Tag, an dem jene Schuldverschreibung fällig wird, kommt immer näher. Im letzten Jahr gibt ihm der Teufel zur Beruhigung und zum Troste die Griechin Helena zur Geliebten. Dann kommt der unheilvolle Schicksalstag. Faust lädt alle seine Freunde zu einem Bankett ein, erzählt ihnen seine Geschichte und bittet sie inständig, nicht zu gehen, sondern dazubleiben, während er sein unausweichliches Ende erwartet. Kurz nach Mitternacht spüren die Freunde, wie ein mächtiger Windstoß das Haus erfüllt und erschüttert, als wolle er es von seinen Grundmauern reißen. Sie hören schreckliches Gewisper und dann Fausts durchdringende, verzweifelte Hilfeschreie. Von Grauen gepackt, vor Angst erstarrt, wagt es keiner, sich zu rühren. Als der Morgen anbricht, gehen sie in seine Kammer und finden alles blutverschmiert, die Hirnmasse des Unglücklichen über die Wände verteilt, seine Augen sind aus den Höhlen gerissen und liegen, ebenso wie ein paar Zähne, auf dem Fußboden. Die Leiche wird später draußen aufgefunden, zerfetzt, zertrampelt und auf einen Misthaufen geworfen. Christopher Marlowe (1564 bis 1593), der Vorläufer William Shakespeares (1564 bis 1616), stellte die furchtbaren Qualen, die Faust in Erwartung von Tod und Verdammnis erlitt, auf der Bühne zur Schau.55 Aus etwas späterer Zeit stammt die polnische Gestalt Pan Twardowski, der ebenfalls viele Wunder vollbrachte und ein ebenso böses Ende nahm wie Faust. Er hatte den schicksalsträchtigen Pakt mit seinem Blut auf eine Ochsenhaut geschrieben. Eines Tages verblüffte er die Müßiggänger in einer Dorfschenke mit seinen erstaunlichen Kunststückchen, da erschien plötzlich der Teufel und erinnerte ihn daran, dass die verabredete Stunde nun gekommen sei. Daraufhin rettet sich der Mann, indem er an ein Wickelkind herantritt, das in seiner Wiege schläft. Doch nachdem der Dämon ihn ob seiner bösen Absicht gescholten und ihm kundgetan hat, eine Ehrenmann könne sein Wort nicht brechen, nimmt er all seinen Mut zusammen und ergibt sich dem Teufel. Man muss aber zugeben, dass solch Ehrgefühl sehr selten war bei denen, die einen Pakt mit dem Teufel eingegangen waren und seine Unterstützung großzügig in Anspruch genommen hatten.

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III. Die Zauberei

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Die Geschichte der Zauberei und von magischen Praktiken ER einen Pakt mit dem Teufel einging, tat das oft mit dem Ziel, magische Handlungen und Zauberei, die doch verboten waren, ausüben zu können. Der Pakt umfasste dies jedoch nicht immer, und Zauberei hätte man unter Umständen auch ohne Teufelspakt betreiben können. Aber ich will mich genauer ausdrücken: Es gab Fälle, bei denen der Teufel sich freiwillig das zu tun verpflichtete, was der Zauberer von ihm verlangte, unter der Bedingung, dass Letzterer ihm seine Seele dafür gebe. Es gab aber auch Fälle, bei denen der Zauberer vermöge seiner eigenen Kunst den Teufel das zu tun zwang, was er von sich aus weder hätte tun müssen noch es freiwillig getan hätte. Es gab also, wie wir sehen, zwei Arten von Zauberei, die von den Autoren zu diesem Thema bisher nicht genügend unterschieden wurden, und die zwar ihrem Ursprung nach, aber nicht in der Wirkung völlig unterschiedlich waren. Die eine entsteht durch die freiwillige Unterordnung eines Menschenwillens unter eine teuflische Macht, die andere entspringt der tatsächlichen Meisterschaft, die ein Mensch über jene Macht gewonnen hat. Wohlgemerkt: gewonnen, und nicht durch göttliche Erlaubnis, sondern durch eine Kunst und ein Wissen, die ihren eigenen Regeln und Grundsätzen folgen, die durch eine Art Lehre und Ausbildung erworben wurde, und die man mehr oder weniger vollständig besitzen konnte – das Wissen und die Kunst der Magie. Wohl behaupten die Kirchenlehrer und die Theologen, der Erfinder dieser bösen und trügerischen Wissenschaft, dieser verderblichen Kunst, sei kein anderer als Satan höchstselbst, der sich ihrer zu bedienen pflegte, um seine eigenen Ziele besser zu erreichen. Uns kommen jedoch Zweifel und wir vermuten, dass ihnen hier ein Fehler unterlaufen sein muss, wenn wir doch mit ansehen müssen, wie dieses Wissen und diese Kunst gegen ihren mutmaßlichen Erfinder verwendet wird. Und zwar so, dass er gar nicht anders kann, als jedem, der ihm auf diese Weise Befehle erteilt, zu gehorchen. Ein Großteil der Zauberei setzt voraus, dass verborgene Kräfte, die mächtig genug sind, den Dämonen zu gebieten und sie an sich zu binden, in der Natur vorhanden sind, und dass der Mensch um diese Kräfte weiß. Doch wie auch immer der Zauberer zu seiner gefährlichen Macht gekommen ist, die Ausübung dieser Macht war Sünde, verstieß gegen das Gesetz und brachte den Übeltäter letztendlich in die Hölle. Ganz allgemein, und besonders, wenn man die Ergebnisse ihrer Handlungen betrachtet, kann man Hexen und Zauberer getrost als Gehilfen und Verbündete Satans ansehen.

Die Zauberei hat ihren Ursprung in der Ignoranz und in der Leidenschaft – beide machen den Menschen zum Großteil aus. Das Begehren, das immer wieder neu entsteht und unter gewöhnlichen Lebensbedingungen ungestillt bleiben muss, weckt in den Köpfen der Menschen den Traum von einer unfehlbaren Macht, mit der jede Lust befriedigt werden kann. Und die Unkenntnis der starren Gesetze, nach denen die Natur funktioniert, lässt die Menschen glauben, sie könne beherrscht und verändert werden im Einklang mit jenem Traum, der, wenn er ein gewisses Maß an Intensität erreicht hat, sich leicht einmal spontan in die Tat umsetzen kann. Hass, Liebe, der Wunsch nach Macht, nach Reichtum, nach Gesundheit, ja sogar nach Wissen – das sind die Quellen, aus denen Magie entspringt, und sie sind ihr ständiger Ansporn. Daher kommt es, dass wir überall, wo Menschen sind, mit Zauberei konfrontiert werden, im frühesten Altertum, im Mittelalter, in der Gegenwart, und nicht nur bei den wilden Naturvölkern, sondern auch bei jenen, die sich für zivilisiert halten. Cäsarius berichtet von einem gewissen fahrenden Scholaren, der unfähig war, irgendetwas durch bloßes Studieren zu erlernen, und der sich deshalb einen Stein verschaffte, der demjenigen, der ihn besaß, alles Wissen zuteil werden ließ. Das ist, kurz und bündig ausgedrückt, die ganze Geschichte der Zauberei. So, wie der Glaube an Satan wuchs und stärker wurde, gewann auch die Zauberei neues Ansehen und neue Energie hinzu. Alles, was man über den Teufel wusste oder zu wissen glaubte, über seine Ziele und Gewohnheiten, lief gewöhnlich und ganz von selbst darauf hinaus. Er war die immer lebende, immer rastlose Kraft, die alles umgab und alles durchdrang, der Fürst dieser Welt, der Beherrscher der irregeleiteten Natur, er war an jedem Ort, ihm gehorchten unzählige Heerscharen, immer bereit zu jeglichen Taten. Mit Hilfe dieser Macht war keine Aufgabe so schwer, dass man sie nicht hätte lösen können, gab es kein Wunder, das man nicht hätte vollbringen können, und diese Hilfe gewährte er sogar ohne übermäßiges Flehen. Es war allgemein bekannt, dass er sich freudig mit einem Menschen zusammentat, um seine eigenen Pläne leichter zu verwirklichen. Die Kirche hat – durch unablässiges Verkünden von Satans Stärke und Gerissenheit, durch zahllose Beispiele, wie sich seine Herrschaft über die Welt auswirkt, durch die Aussage, die Hölle sei dichter besiedelt als das Paradies –, eben diese Kirche hat dort Erfolg erzielt, wo sie es weder erwartet noch überhaupt angestrebt hat: Sie hat den vagen Glauben in den Köpfen der Menschen zum Keimen gebracht, dass Satan, nicht Gott, der wahre Herr sei. Und hier und da musste sie es über sich ergehen lassen, dass die Angst und das Grauen vor Satan von einer Art Anbetung verdrängt wurde.

Seite 140: Francisco de Goya y Lucientes, El Aquelarre (Der Hexensabbat), 1797-1798. Öl auf Leinwand, 44 x 31 cm. Fundación Lázaro Galdiano, Madrid.

David Teniers d. J., Hexensabbat, 1633. Öl auf Holz, 32 x 54 cm. Musée de la Chartreuse, Douai (Frankreich).

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Anonym, Frontispiz der französischen Übersetzung des Traktats gegen die Waldenser von Johannes Tinctor, Mitte des 15. Jh. Miniatur.

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Im 13. Jahrhundert wurden die Luziferianer beschuldigt, den Teufel anzubeten, dieselbe Anklage wurde gegen die Templer, die Albigenser, die Katharer und gegen verschiedene andere Sekten vorgebracht. Ohne Zweifel war es oft die reine Verleumdung, die aus klerikaler Perfidie oder konfessioneller Verbitterung entsprang, manchmal jedoch muss damit auch ins Schwarze getroffen worden sein. Die furchtbare Geschichte der Hexenprozesse liefert den unanfechtbaren Beweis dafür, und die diabolischen Zusammenkünfte, die in Frankreich als ‘sabbats’ und in Italien als ‘Spiele unserer Lieben Frau’ bekannt waren, setzen einen wahren und wirklich existenten Satanskult voraus. Doch davon soll später noch die Rede sein. Letztendlich darf man nicht vergessen, dass die Lebensbedingungen im Mittelalter durch die zweifache Unterdrückung durch Adel und Kirche so hart und unerträglich waren, dass ganze Bevölkerungsschichten ausgeplündert, am Hungertuch nagend und verzweifelnd, in der Magie entweder Linderung für die erlittene Drangsal oder ein Mittel der Vergeltung suchten. Für diese Menschen war die Hingabe an den Teufel die höchste Art der Erlösung, es bedeutete, einen Freund und Helfer zu finden, egal, was für einer er sein mochte. Satan war weniger grausam als der adlige Herr oder der Priester. Die meisten wurden zu Hexen und Zauberern, indem sie sich seiner Schar einfach anschlossen und jene Kräfte und Vergünstigungen genossen, an denen er sie gerne teilhaben ließ. Doch, wie bereits gesagt, gab es neben dieser niederen Magie, die das Ergebnis einer Art Weitergabe der Macht war, eine höhere Magie, das Resultat zielstrebigen Lernens und einer gewissen Entschlossenheit, eine Magie, die auf dem Wissen um die Kraft gründete, der die Dämonen gehorchten, die jedoch kein Element des Göttlichen in sich trug. Was diese höhere Magie anbelangt, hielt man die Juden und die Sarazenen für die Altmeister schlechthin. Es gab berühmte Schulen, in denen diese Art Magie gelehrt wurde, zum Beispiel die von Toledo oder Salamanca in Spanien und die von Krakau in Polen. Im Mittelalter war die berühmteste Schule die von Toledo, an der laut Legende der vom Dichter zum Zauberer mutierte Vergil, Gerbert, der selige Ägidius von Valladares (bis 1185) vor seiner Bekehrung, und viele andere eingeschrieben gewesen sein sollen. Die erste magische Handlung, die alle anderen erst möglich machte, war die Beschwörung, durch die Satan oder einer seiner untergeordneten Teufel gezwungen wurde, zu erscheinen – nichts Schwieriges, wenn man wusste, wie, doch gefährlich für jeden, der unbedacht und ohne all die notwendigen Vorkehrungen daranging. Diese magische Handlung wurde gemeinhin eher nachts vorgenommen, und zwar genau um Mitternacht. Sie konnte aber auch mittags ausgeführt wer-

Antoine François Saint-Aubert, Die Ankunft beim Hexensabbat und die Huldigung des Teufels. Öl auf Leinwand, 62,5 x 48 cm. Musée municipal, Cambrai (Frankreich).

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den, wenn der Mittagsdämon am stärksten und lebendigsten war. Sie fand da statt, wo sich zwei, drei oder vier Wege kreuzten oder in der Tiefe dunkler Wälder, auf einsamer Heide, in alten Ruinen. Der Teufelsbeschwörer begab sich in einen mit der Spitze eines Schwertes in den Boden geritzten Kreis (sicherer waren drei Kreise) und musste strengstens darauf achten, dass kein Teil von ihm, auch nicht der kleinste, über diese Grenzlinie hinausragte, und er durfte sich auf keinen Handel einlassen, den der Teufel vielleicht mit ihm eingehen wollte. Davon hing sein Leben ab. Unser alter Freund Cäsarius berichtet von einem Priester, der aus dem Kreis gelockt und vom Teufel so misshandelt worden war, dass er nach drei Tagen starb. Er erzählt auch von einem Scholaren von Toledo, der einen Finger aus dem Kreis streckte, weil ihm ein Teufel in Gestalt eines hübschen, tanzenden Mädchens einen goldenen Ring darbot. Augenblicklich wurde er gepackt und hinweggeschleppt zur Hölle, die er nur auf das inständigste Flehen des schwarzen Magiers hin verlassen durfte, der ihn zu der Vorführung eingeladen hatte. Es gab viele seltsame Beschwörungsformeln. Manche waren sehr lang, manche mehr, manche weniger wirksam, auch waren nicht alle an alle Teufel gerichtet. Wenn der Dämon zufällig müde oder schlechter Laune war, konnte die kleinste Auslassung die Formel schon völlig wirkungslos machen. Eine Bemerkung erscheint mir hier nicht unpassend: Anhand zahlloser Beispiele haben wir gesehen, dass der Teufel sich willig und ohne allzu hartnäckiges Bitten zeigt, selbst jenen, die ihn formlos und in gewöhnlicher Sprache herbeirufen, und dass er sich selbst dann oft zeigt, wenn man ihn gar nicht herbeirufen wollte. Gregor der Große berichtet von einem Priester, der zu seinem Diener sagte: „Komm, du Teufel, bring mir meine Stiefel“, und plötzlich den Teufel persönlich vor ihm erscheinen sah, an den er in diesem Moment nicht einmal gedacht hatte. Manchmal scheint der Teufel wiederum auch faul oder störrisch zu sein, dann muss man die Zauberformeln stark ausweiten und ständig wiederholen. Letztendlich muss er sich ihnen dann doch ergeben, vorausgesetzt, es ist kein Fehler darin. Der letzte der Familie Carrara rief ihn 1402 vergeblich, als das von der Pest geplagte und von den Venezianern belagerte Padua keinen einzigen Mann mehr zur Verteidigung hatte. Wenn er heraufbeschworen wird, kann das Erscheinen des Teufels mit diversen Wundertaten einhergehen, und er kann in unterschiedlicher Form erscheinen, es sei denn, der Zauberer hat ihn vorher genötigt, eine bestimmte Gestalt anzunehmen. Ein deutscher Ritter, dessen Geschichte Cäsarius erzählt, sah einst, als er zusammen mit einem befreundeten Hexenmeister in einem Kreis stand, zunächst eine große Menge Wasser um ihn herum wogen, dann hörte er einen Sturm toben und Schweine grunzen, dann, nach wei-

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teren Vorzeichen, sah er den Teufel selbst, höher aufragend als die Bäume des Waldes, ein so schrecklicher Anblick, dass er für den Rest seines Lebens blass und fahl im Gesicht war. In den Beschwörungsformeln kamen viele seltsam klingende und unverständliche Worte vor, und je seltsamer und unverständlicher sie waren, umso größer war die Wirkung, die man ihnen zuschrieb. In dieser Tatsache äußert sich eine wohlbekannte Neigung der menschlichen Natur, die wir durchaus ausführlich besprechen sollten. Das Wort ‘Abrakadabra’ schrieben schon die Griechen auf ihre Amulette, und das ganze Mittelalter hindurch behielt es seinen uralten Ruf. Dasselbe trifft auf das Wort ‘Abraxas’ zu. Der ungebildete Mann kann das Wort nicht von der Sache an sich unterscheiden, für ihn sind beide identisch. Nach seinem Wissen und nach seinem Denken bringt das Wort sofort das Bild der Sache mit sich, daher kommt der Glaube an eine geheimnisvolle Verbindung zwischen beiden und an die erzeugende, verursachende Kraft des Ersteren: „Klang ist Brahma“, sagt eines der heiligen Bücher Indiens: „Und Gott sprach: es werde Licht! und es ward Licht“, und „Im Anfang war das Wort“. Nach einem über die ganze Welt verbreiteten Aberglauben dürfen bestimmte Dinge nicht beim Namen genannt werden, weil der Name die Sache an sich mit sich bringt. Wer zum Christentum übertrat, änderte seinen Namen, um seine gesamte Vergangenheit mitsamt dem alten Namen fortzuwerfen, und ein ähnlicher Namenswechsel fand statt, wenn jemand der Welt entsagte und in ein Kloster eintrat. Eine magische Wirkung wurde nicht nur Worten, sondern auch Zahlen, Buchstaben und Zeichen nachgesagt, und die meisten dieser Vorstellungen sind schon sehr, sehr alt. Das auch als Höllenzwang bezeichnete Zauberbuch setzte sich aus Worten, Zeichen und Ziffern zusammen. Es verlieh seinem Besitzer die Macht, Teufel zu beschwören, über sie zu gebieten und durch sie allerlei Hexenwerk zu vollbringen. Kein Magier, der etwas auf sich hielt, besaß nicht auch sein eigenes Zauberbuch. Gerbert stahl seines, wie wir gesehen haben, von seinem eigenen Meister, und Faust besaß eines mit größter Wirkungskraft. Nach einer Legende befanden sich nahe dem italienischen Nursia die Höhle der Sibylle und ein von Teufeln bevölkerter See. Hierher kamen die Zauberer in Scharen, um ihre Zauberbücher zu weihen. In den Ritterepen vollbringt Malagigi56 seine Wunder nur mit Hilfe seines Zauberbuches. Zum Zauberbuch gehörte gewöhnlich auch der berühmt-berüchtigte Zauberstab. Doch neben dem Zauberbuch und dem Zauberstab gab es auch noch anderes, mit Hilfe dessen man die Dämonen an sich binden und sie beherrschen konnte. Dazu gehörten bestimmte Kräuter und bestimmte Edelsteine, die in den mittelalterlichen herbaria und lapidaria beschrieben werden. So manchem Zauberer gelang es, einen Dämon in einem Ring oder in einer Flasche einzusperren, so dass er ihn wie einen Sklaven herumkommandieren konnte – ähnlich wie dereinst Salomo, der sehr viele Dämonen versklavt hat, wie uns arabische und hebräische Quellen berichten.

Francisco de Goya y Lucientes, Les Vieilles oder Die Zeit und die alten Frauen, um 1808-1812. Öl auf Leinwand, 181 x 125 cm. Palais des Beaux-Arts, Lille (Frankreich). Jan Van Grevembroch II., Die Bestrafung der Hexe. Museo Correr, Venedig. David Ryckaert III., Dulle Griet (Die Hexe), 1651-1659. Öl auf Holz, 47,5 x 63 cm. Kunsthistorisches Museum, Wien.

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Vom berühmten Physiker und Astrologen Pietro d’Abano (um 1250/1257 bis 1316), der in den Kerkern der Inquisition starb – der Prozess gegen ihn wurde nach seinem Tod noch fortgesetzt und das Urteil lautete erwartungsgemäß auf Tod durch Verbrennen, da er aber bereits gestorben war, soll man, da der Leichnam nicht mehr aufzufinden war, ersatzweise ein Bild von ihm verbrannt haben – wird erzählt, er habe sieben Teufel in einer Viole eingesperrt, ganz zu schweigen von einer Börse, die ihm treu und brav immer wieder alles Geld zurückbrachte, das er ausgegeben hatte. Und der berühmte Paracelsus (1493 bis 1541) hielt einen oder gar mehrere Teufel im Knauf seines Schwerts gefangen. Mit Hilfe der Zauberkunst und der Astrologie konnten erstaunliche Vehikel und Apparaturen geschaffen werden, die zumindest teilweise die Mitwirkung der Dämonen überflüssig machten. Dazu gehörten jene künstlichen Köpfe, die alle Fragen beantworteten. Einen solchen hatte, wie wir bereits gesehen haben, Gerbert entwickelt, einen weiteren hatte der zum Kirchenlehrer ernannte Albertus Magnus (um 1200 bis 1280), einen dritten der Mönch und Philosoph Roger Bacon (1214 bis 1292/1294), und auch andere Hexenmeister hatten welche.

Hexen und Zauberer NICHT alle Hexen und Zauberer waren gleich schlau, gleich gewandt, gleich mächtig und gleich gerissen. Wie sonst die Menschen auch, unterschieden sich auch diese nach Macht und Rang. Ungeachtet dessen war aber keine Zauberin so unbedeutend, kein Hexer so verrufen, dass er kraft seiner Kunst nicht doch erstaunliche Dinge vollbringen konnte, die jenseits allen menschlichen Wissens und aller menschlichen Möglichkeiten lagen. Sollte es sich jemand zur Aufgabe machen, all die verschiedenen Handlungen der magischen Künste aufzulisten, würde das Bände füllen, und selbst dann gelänge es nicht, alles zu erfassen. Denn mit Hilfe dieser Kunst konnte beinahe alles vollbracht werden, was einem die Fantasie vorgeben oder als Objekt der Begierde erscheinen mochte. Mit starken Liebes- oder Zaubertränken oder mit Hilfe versierter Dämonen konnte der Zauberer Liebe entfesseln, Liebe in Hass verwandeln, jemandem den Geliebten oder die Geliebte rauben oder bewirken, dass sie nachts durch die Luft und dem Geliebten in die Arme flog. Er rächte sich an seinen Feinden oder an jenen, die seine Hilfe in Anspruch genommen hatten, ließ ihre Häuser in Flammen aufgehen, ihre Felder vom Sturmwind verwüsten, ihre Schiffe im Meer versinken. Oder der Zauberer schickte ihnen den Tod, indem er Dolche oder Nadeln in wächserne Figuren stieß, die ihnen ähnelten. Aber auch ganz ohne Hilfsmittel tötete er sie mit einem simplen Fluch oder

Lucas Cranach d. Ä., Ritt zum Hexensabbat, Detail aus: Eine Allegorie der Melancholie, 1532. Musée d’Unterlinden, Colmar (Frankreich).

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einem einzigen bösen Blick. Für ihn gab es keine Entfernungen, er brauchte keine anstrengenden und gefährlichen Reisen zu fürchten. Auf einem seiner Dämonen reitend, flog er von einem Ende der Welt zum anderen, brauchte ein paar Stunden, wo andere Monate oder gar Jahre unterwegs waren, und ebenso ließ er jene reisen, die er begünstigte und mit seiner Hilfe beglückte. Er erschuf Amulette und Talismane für jeden Zweck, verzauberte Rüstungen, so dass sie gegen Stahl und Feuer immun waren, und in einer einzigen Nacht errichtete er prächtige Schlösser, uneinnehmbare Burgen oder von mächtigen Mauern umgebene Städte. Mit einem einzigen Wort verdunkelte er den Himmel, rief schreckliche Stürme herauf, öffnete über der Erde die Himmelsschleusen, und mit einem einzigen Wort ließ er die Sonne am blauen Himmel wieder scheinen, heller als je zuvor. Der Zauberer brauchte nur einen Finger zu heben, und eine ganze Armee war in die Flucht geschlagen, oder er ließ eine andere Armee auf sie los, eine Armee aus Dämonen, die er direkt aus der Hölle herbeirief. Wo immer ein Zauberer sich einmischte, gab die Natur ihre Gesetze auf und verlor ihr eigentliches Wesen. Er verwandelte ein Ding in ein anderes, er machte Gold aus Schlamm und Schlamm aus Gold, und in gleicher Weise verwandelte er fühlende und lebende Wesen, Männchen in Weibchen, Weibchen in Männchen, Menschen in Tiere. Er wusste um die verborgensten Dinge, sah in einer Wasserschüssel, was immer er sehen wollte, er sagte fehlerlos die Zukunft voraus und – ein Wunder, das mehr geschätzt wurde als alle anderen – er konnte für sich und auch für andere die Jugend wiedererlangen. Die bedeutendsten Zauberer setzten mit größtem Vergnügen die erlauchtesten Gesellschaften in Erstaunen mit einer Vorführung all der Wunder, die sie vollbringen konnten. Eines Tages lud Albertus Magnus mitten im Winter den römisch-deutschen König Wilhelm von Holland (1227 bis 1256) mit seinem gesamten Hofstaat in sein Haus zum Abendessen. Der König kam, und der Zauberer führte ihn samt seinem Gefolge in einen Garten, wo das Festmahl unter den entlaubten Bäumen und inmitten von Eis und Schnee schon bereit stand. Die Höflinge fingen an, ob dieser seltsamen Nettigkeit ihres Gastgebers zu tuscheln, doch als der König sich zu Tische gesetzt hatte und die anderen ebenso, jeder nach seinem Rang, da schien plötzlich eine mittsommerliche Sonne vom Himmel. Eis und Schnee waren verschwunden, aus der Erde und an den Bäumen trieben Knospen und plötzlich war alles mit saftigem Grün und mit Blüten übersät. Zwischen den Blättern leuchteten heranreifende Früchte hervor und die Luft war erfüllt mit dem süßen Gezwitscher zahlloser Singvögel. Kurz – die Wärme wurde so übermäßig, dass die Gäste ihre äußeren Gewänder ablegten und halb bekleidet den kühlen Schatten der Bäume suchten. Als das Bankett vorüber war, verschwanden die vielen Diener wie Nebel, der Himmel wurde plötzlich wieder

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schwarz, die Bäume warfen ihre Blätter ab, und alles war wieder in frostige Kälte gehüllt. So eisig war es, dass die Gäste frierend ins Haus flohen, um sich am Feuer zu wärmen. Es gibt viele Geschichten ganz ähnlicher Couleur. Michel Scotto, der, um mit Dantes Worten zu sprechen,

und den Dante aus diesem Grunde mit all den anderen Zauberern in die Hölle gesteckt hatte, eben jener Scotto hatte dereinst am Hofe Friedrichs II. von Hohenstaufen (1194 bis 1250) mit seinen Künsten für Unterhaltung gesorgt. Und zwar hatte er etwas mit einem gewissen Ritter Ulf angestellt, der daraufhin der festen Überzeugung war, er habe Palermo und Sizilien verlassen und nach einer langen Reise durch die Straße von Gibraltar fremde und weit entfernte Gefilde erreicht, habe dort wiederholt mächtige Feinde im Kampfe besiegt, ein großes, blühendes Königreich erobert, sich eine Frau genommen und mehrere Kinder mit ihr gezeugt. Der Ritter glaubte, viele, viele Jahre damit zugebracht zu haben, dabei waren in Wirklichkeit nur ein paar Stunden vergangen. Um das Jahr 1400 war ein gewisser Zauberer häufig zu Gast am Hofe des böhmischen Königs Wenzel IV. (1361 bis 1419, genannt „der Faule“ und als solcher zeitweise auch römisch-deutscher König). Dieser Zauberer, Zito oder Zitek mit Namen, vollbrachte die seltsamsten Kunststückchen, von denen man je gehört hatte: Er bestieg eine Kutsche, die aus einer Walnussschale gefertigt war und von zwei dressierten Käfern gezogen wurde, und fuhr damit herum. Er präsentierte einen Hahn, den er an einen äußerst schweren Balken gebunden hatte, den dieser stolz umherzog, als sei er nur ein Strohhalm. Er verwandelte Heubüschel in Schweine und verkaufte sie auch als solche. Einige dieser Taten wurden später Faust zugeschrieben. In Prag erlangte ein Rabbi, ein gewisser Löw, im 16. Jahrhundert dermaßen viel Macht, dass selbst der Tod nichts gegen ihn ausrichten konnte. Doch der Tod versteckte sich schließlich in einer Rose, und der Rabbi starb, als er daran roch. Der Glaube an die Zauberei war im Mittelalter allgegenwärtig und blieb es auch während der Renaissance. Die Kirchen- und auch die weltlichen Gesetze, die diejenigen bestraften, die diese diabolische Kunst ausübten, bewirkten jedoch nur, dass dieser natürlich Angst und Misstrauen schürende Glaube wiederbelebt wurde und sich noch verstärkte. So, wie man ringsum Teufel sah, so wurden überall Hexen und Zauberer gesehen, und es gab keinen berühmten oder mächtigen Menschen, gegen den man nicht irgendwann den Vorwurf, er praktiziere Zauberei, erhoben hätte. Das beginnt bei den schon seit Jahrhunderten toten Größen des Altertums wie etwa Vergil, Aristoteles (384 bis 322 v.Chr.) oder

Hippokrates (um 460 bis um 370 v.Chr.) und geht bis hin zu Zeitgenossen Leos X. (1475 bis 1521) und selbst noch weiter. Francesco Petrarca (1304 bis 1374) wurde der Zauberei verdächtigt, und sogar im 17. Jahrhundert wurde noch der Dichter Alessandro Tassoni (1565 bis 1635) vor Gericht gebracht, weil man in seinem Haus in einer Glasflasche einen jener Teufel gefunden hatte, der als kartesischer Taucher, als Tanzteufel oder Flaschenteufel Schuljungen als Spielzeug dient. Mehrere Päpste – Leo III. (bis 816), Gerbert (wurde bereits mehrmals erwähnt), Benedikt IX. (um 1014/1021 bis um 1055), der von Kaiser Heinrich III. abgesetzte Papst Gregor VI. (bis 1047), Gregor VII. (um 1020 bis 1085), Clemens V. (1250/1265 bis 1314), Johannes XXI. (um 1205 bis 1277) – wurden mit denselben Anschuldigungen konfrontiert. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts erklärte Kardinal Benno in seiner Vita Hildebrands (Gregors VII.), in Rom habe es eine Zauberschule gegeben, die der Papst und andere erfolgreich durchlaufen hätten. Aus dem 12. und 14. Jahrhundert sind authentische Briefe Satans überliefert, geschrieben an Kirchenfürsten, also an seine Freunde und Mitarbeiter. Ein gelehrter Franzose, Gabriel Naudé (1600 bis 1653), der als Bibliothekar die Bücher der ersten Bibliothèque Mazarine zusammentrug, veröffentlichte 1625 ein umfangreiches Werk zur Verteidigung aller großen Männer, die fälschlicherweise der Zauberei verdächtigt worden waren. Doch die berühmten Zauberer waren nur die Spitze des Eisbergs. Ganze Heerscharen unzähliger Magier, kleinerer Zauberer, Hexen und Hexenmeister waren zugange – ganz besonders Hexen, denn alle Autoren zum Thema sind sich einig, dass auf jeden männlichen Vertreter der magischen Künste mindestens zehn weibliche kommen. Einigen der berühmten Zauberer gelang es, Satan hinters Licht zu führen und letzten Endes seinen Händen zu entwischen. Einige wussten auch die böse Kunst als Mittel zum guten Zweck einzusetzen, sie zwangen Satan, Besseres zu vollbringen, als ihm lieb war. Solch einer war Roger Bacon, der einen Ritter befreite, der Satan seine Seele verkauft hatte. Am Ende seines Lebens verbrannte er alle seine Bücher, schloss sich in einer Zelle ein, die er niemals wieder verließ und wo er nach zwei Jahren der Buße und des Gebets starb, wobei ihn ein Hauch von Heiligkeit umgab. Doch solche Fälle waren die Ausnahme, und von den kleinen Hexenmeistern wurde vielleicht nicht mal ein einziger errettet. Alle hatte ihr böses Ende reichlich verdient, das regelmäßig darin bestand, dass sie in dieser Welt bei lebendigem Leibe verbrannt wurden und nach ihrem Tode in der anderen Welt ewig weiterbrennen mussten. Das also war die wahre Herde des Teufels, und nicht nur seelisch, nein, auch körperlich trugen sie das Brandzeichen ihres Meisters, das so genannte ‘stigma’ oder ‘sigillum diaboli’, eine Körperstelle, die

Francisco de Goya y Lucientes, Der Exorzismus, 1797-1798. Öl auf Leinwand, 43 x 30 cm. Museo Lázaro Galdiano, Madrid.

Pieter Bruegel d. Ä., Die Dulle Griet (Die tolle Grete), 1561. Öl auf Holz, 117,4 x 162 cm. Museum Mayer van den Bergh, Antwerpen.

[...] die Trügereien Der Zauberkünste gründlich spielen ließ, […]57

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auf übernatürliche Weise keine Schmerzempfindlichkeit aufwies. Oft zeigte ein Körper mehrere solche Male, und die Inquisitoren bestimmten problemlos die Schuld oder Unschuld des Angeklagten, indem sie Nadeln in diese Körperstellen stießen. Hexen und Zauberer trafen sich üblicherweise zu festen Zeiten an vereinbarten Orten, um ihrem Herrn zu schmeicheln und zu huldigen. Das waren die Hoftage des Teufels. Jedes Land hatte seine eigenen Orte, die speziell für diese Zusammenkünfte genutzt wurden, bei denen (wenn man den Berichten Glauben schenken kann) viele tausend Personen zusammenkamen. In Frankreich war der Hauptversammlungsplatz der Vulkanfelsen Puy de Dôme, Deutschland hatte den Brocken bzw. den Blocksberg (Harz), den Hörselberg (Thüringen), den Bechtelsberg und mehrere andere, in Spanien versammelte man sich auf der Heide von Baraona und im Sand nahe Sevilla, in Italien traf man sich unter dem berühmten Nussbaum bei Benevento (Il noce di Benevento), auf dem Monte Paterno bei Bologna, dem Monte Spinato nahe Mirandola und so weiter und so fort. Solche Versammlungen wurden auch am Ufer des Jordan und auf dem Berg Hekla im fernen Island abgehalten. Gewöhnlich fanden sie einmal pro Woche statt, jedoch je nach Land an unterschiedlichen Tagen. Und dann gab es im Laufe eines Jahres auch noch andere Treffen, die eher den Charakter von feierlichen Generalversammlungen hatten. Diese fanden bevorzugt um wichtige Kirchenfeste herum statt. In Deutschland wurde das wichtigste Fest der Hexen in der Walpurgisnacht (30. April) gefeiert, was jedem, der Goethes Faust gelesen hat, bekannt sein dürfte. Die Hexen – wie bereits erwähnt, war die Anzahl der Hexer relativ gering – zogen, nachdem sie sich mit gewissen Salben eingerieben hatten, auf Besen, Mistgabeln, Schürhaken und Kohlenschaufeln, Schemeln oder gar Schweinen, Teufelshunden und Ziegenböcken reitend zu den Festen. Sie flogen in relativ geringer Höhe durch die Luft und sollten während ihres Fluges tunlichst vermeiden, den Namen Christi auszusprechen oder unbewusst an die ersten Töne des ‘Ave Maria’ zu denken, sonst würden sie Hals über Kopf herunterfallen und sich möglicherweise den Hals brechen. Die Riten, Belustigungen und Zeremonien auf den Festen waren in den einzelnen Ländern unterschiedlich und veränderten sich auch mit der Zeit. Wer sich genauer damit beschäftigen möchte, dem seien die vielen von den größten Leuchten der Spanischen Inquisition geschriebenen Sondertraktate oder der so genannte Hexenhammer oder die Aufzeichnungen zu den zahllosen Hexenprozessen empfohlen. Satan pflegte sich seinen getreuen Anhängern je nach Anlass in Gestalt eines Mannes, eines Affen, Keilers, Hundes oder Ziegenbocks und auf einem Thron oder Altar sitzend zu zeigen.

Hans Baldung Grien, Hexen, 1514. Albertina Museum, Wien.

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Wenn er in Gestalt eines Mannes erschien, gab er sich manchmal schroff, bärbeißig und griesgrämig, manchmal aber auch heiter und aufgeräumt. Wenn letzteres der Fall war, spaßte er mit den Hexen oder sang und spielte mit ihnen. Sie erwiesen ihm als ihrem Herrn die Ehre, indem sie vor ihm niederknieten, sein Gesäß oder seine Genitalien küssten, ihm beichteten und ihm all die Schändlichkeiten erzählten, die sie ihm zur Ehre seit ihrem letzten Treffen begangen hatten. Er hörte sie an, lobte oder tadelte sie, und bestrafte diejenigen mit schweren Geldstrafen oder Peitschenhieben, deren Anwesenheit auf den Versammlungen zu wünschen übrig ließ oder die anderweitig ihre Pflicht vernachlässigt hatten. Satan empfing neue Bekehrte, taufte sie in seinem Namen, gab ihnen Instruktionen und ermahnte sie. Teufel niederen Ranges bildeten in großer Zahl um ihren Fürsten eine Leibwache und nahmen mit den Hexen gemeinsam an den Zeremonien teil. Diese schienen eine Art Parodie auf die Riten der Kirche zu sein, also der Messe und der Sakramente. Dazu gehörten die Entweihung der Hostien und andere äußerst abscheuliche und widerliche, gotteslästerliche Freveltaten. Nichts wurde ausgelassen – diese seltsamen Priester besprengten die Umstehenden sogar mit ‘Weihwasser’ (‘Widerweihwasser’ wäre der richtigere Ausdruck), schmutzig, trübe und stinkend. Nach den Zeremonien folgte ein ausgelassenes Festmahl. Das Fest wurde von Kerzen erhellt, die einige auf vier Extremitäten stehende Hexen an ihren Hinterteilen befestigt hatten. Die Speisen waren manchmal fein und auserlesen, manchmal ekelhaft und widerlich, in beiden Fällen machten sie der höllischen Küche alle Ehre. Oft wurden Leichen, frisch vom Friedhof, oder zarte Säuglinge gegessen. Das Fest endete mit einem Tanz, zu dem auf Teufelsinstrumenten aufgespielt wurde. Danach packte jeder Dämon seine Hexe und vergnügte sich mit ihr coram publico; doch die Hexen behaupteten, für sie seien diese Umarmungen nicht allzu angenehm gewesen, eine, die Pico della Mirandola (1463 bis 1494) in seinem Dialog mit dem Titel Die Hexe vorstellt, ergeht sich in Einzelheiten, über die ich hier gern in aller Stille hinweggehen möchte. Die Hexen trafen ihre Dämonen jedoch nicht nur auf diesen Festen, sondern wurden auch bei sich zu Hause oft von ihnen besucht, in jenen dämmrig-dunklen Laboratorien der bösen Künste, voll gestopft mit Instrumenten, Paraphernalia und tausendundeiner Scheußlichkeit. Sie gingen gewöhnlich auch mit ihnen spazieren, behandelten sie wie Ehemänner, und als Zeichen zärtlicher Vertrautheit redeten sie sie mit oft liebevollen Namen an, die gar nicht teuflisch, sondern recht menschlich waren, oder mit drolligen und wunderlichen Spitznamen. Die Dämonen verwöhnten ihre Herzallerliebsten freigiebig mit Geschenken, und doch waren gerade diese Gaben nicht selten voller diabolischer Heimtücke: Geld, das

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sich in Späne oder verwelkte Blätter verwandelte, Juwelen, die zu Schlamm oder zu Schlimmerem wurden. Wenn Hexen von ihren Teufeln schwanger wurden, brachten sie oft Ungeheuer zur Welt, manchmal in menschlicher Gestalt, manchmal in der von wilden Tieren. Überdies begnügten sich die Teufel nicht mit den Hexen, von denen die Welt bereits voll war. Sie pflegten in der neuesten Mode umherzuwandern, den feinen Herrn zu spielen, um junge Mädchen und gesetzte Matronen gleichermaßen zu verführen und sich zu ihren Sklaven zu machen. Um ihre Ziele ungehindert verfolgen zu können, verwandelten sich die Hexen oft in Katzen und strichen nachts umher. Daher passierte es mehr als einmal, dass sie in dieser Gestalt verletzt oder verstümmelt wurden und dann, als sie ihre Frauengestalt wieder angenommen hatten, als Beweis ihres wahren Charakters und ihrer ureigenen Schuld eine klaffende Wunde oder ein fehlendes Glied aufwiesen. Der deutsche Benediktiner Johannes Trithemius (1462 bis 1516), ein außergewöhnlicher Theologe und ein ebenso außergewöhnlicher Geschichtsschreiber, verfasste ein Buch mit dem Titel Antipalus Maleficiorum, in dem er alle rechtschaffenen Männer lehrt, sich gegen Hexen und deren verfluchte Künste zu schützen. Die prophylaktischen Maßnahmen und Gegenmittel, die er vorschlägt, sind äußerst zahlreich und größtenteils lächerlich – das wirksamste Gegenmittel und die wirkungsvollste Prophylaxe waren, nach der einhelligen Meinung der Inquisitoren, noch immer Brandpfahl und Reisigbündel.

Die Inquisition – die Verfolgung der Zauberei ES gibt nichts, das uns eine so adäquate Vorstellung von der furchtbaren Macht Satans gibt wie die Geschichte der Hexen und die ihrer Verfolgung durch die heilige Mutter Kirche. Es hätte nicht viel gefehlt, und Satan hätte (sofern die Geschichtsschreiber die Wahrheit sagen) das gesamte Menschengeschlecht hinabgezogen in die Gefilde der üblen Praktiken und der grässlichen Sünde der Hexerei. Und freudig hätten jene äußerst beflissenen und umsichtigen Inquisitoren das gesamte Menschengeschlecht verbrannt, hätten sie dadurch ihren bösen Feind schlagen und die Verruchtheit besiegen können. Ich will an dieser Stelle die allseits bekannte Geschichte der Inquisition nicht noch einmal erzählen, auch wenn sie, obschon bekannt, es doch auch wert ist, studiert und reflektiert zu werden. Ein kurzer Blick darauf soll meinen Zwecken genügen. Die Hexenverfolgungen wüteten am schlimmsten zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert. Nicht, dass man für die Zeit davor keine Beispiele finden würde, sie sind sogar zahlreich. Doch finden sie sich,

so seltsam es auch scheinen mag, viel häufiger und schrecklicher, je weiter man in der Zeit vorangeht, je mehr die Barbarei des Mittelalters zurückgedrängt wird und die neue Gesellschaft der Renaissance heranrückt und fortschreitet. In einem der Kapitularien Karls des Großen wird ausdrücklich gesagt, dass jene, die sich den trügerischen Künsten der Zauberei widmen, als Anhänger heidnischen Aberglaubens hinter Schloss und Riegel gebracht und ermahnt werden sollen. Sollten sie an ihrem Aberglauben festhalten, sind sie solange einzusperren, bis sie sich bessern. In einem anderen dieser Kapitularien beweist der ruhmreiche Kaiser noch größere Weisheit und äußert sich in etwa so: Sollte da jemand sein, der vom Teufel getäuscht wurde und nach der Art der Heiden glaubt, es gäbe Hexen, Zauberer und Menschenfresser, und sollte dieser Jemand, von solchem Glauben getrieben, jene verbrennen oder ihr Fleisch wilden Tieren zum Fraße geben, dann solle er zum Tode verurteilt werden. Das war um das Jahr 800 herum. Karl der Große war überzeugt, dass der Glaube an Zauberkünste eine Illusion, ein Irrglaube sei, und er bestrafte die mit dem Tode, die mutmaßliche Hexenmeister ermordeten. Die Inquisitoren hätten kein leichtes Spiel gehabt, hätte er zu ihrer Zeit gelebt. Agobard, der Bischof von Lyon (um 779 bis 840), war einer der aufgeklärtesten und liberalsten Geister, die die Kirche hervorgebracht hat, nicht nur in jener Zeit, sondern überhaupt. Er entlarvte den Volksglauben bezüglich der Zauberei als absurden Aberglauben und beklagte und missbilligte die Beschimpfung und Misshandlung angeblicher Zauberer durch das ungebildete und unwissende Volk. Der Glaube, dass Hexen durch die Luft fliegen, ist schon sehr alt (immerhin sollte später der Glaube an den schrecklichen Hexenflug den Inquisitoren die Grundlage für die Hauptanklagen gegen die Hexen liefern). Ebenso alt ist aber auch die Überzeugung, dass diese Flüge ganz und gar eingebildet und die reine Illusion seien. Im 12. Jahrhundert nannten der Theologe Johannes von Salisbury (um 1115 bis 1180) und andere diese Flüge eine Illusion des Teufels, und etwas prägnanter sagte Étienne de Bourbon (um 1190 bis 1261) im 13. Jahrhundert, sie seien lediglich die Fantasien träumender Frauen. Lange Zeit wandte die Kirche gegen diejenigen, die magischer Praktiken angeklagt waren, lediglich spirituelle Strafen an, und so mancher Pontifex erhob sich wie Gregor VII. und verurteilte und verbot jeglichen Strafprozess gegen alle, die sich lediglich eines törichten und leichtfertigen Aberglaubens schuldig gemacht hatten. Und mit solch einer vernünftigen Auffassung stand die Kirche nicht einmal allein: Koloman (um 1070 bis 1116), ein König von Ungarn, einem Land, das sich fast noch im Zustand der Barbarei befand, sagte in einem seiner Dekrete klar und ausdrücklich: „Es gibt keine Hexen, und gegen jene, die angeblich welche sind, soll nicht gerichtlich vorgegangen werden.“

Francisco de Goya y Lucientes, Hexen in der Luft, 1798. Öl auf Leinwand, 43,5 x 30,5 cm. Museo del Prado, Madrid.

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Doch ach! Solcher Klugheit und solch liberaler Gesinnung und Politik sollte es nicht vergönnt sein, auf Dauer zu bestehen. Im 13. Jahrhundert erklärte Thomas von Aquin – jener heilige Thomas, der später das Orakel der Kirche, ihre unfehlbare Autorität werden sollte und bleiben würde, derselbe Thomas von Aquin, der heute vor den staunenden Völkern der Christenheit als einziges philosophisches Licht leuchtet – er erklärte, dass gemäß dem katholischen Glauben die Hexerei kein illusorisches Gebilde, sondern Tatsache sei. In demselben Jahrhundert wurde die Inquisition gegenüber dem Übel der Häresie den Dominikanern übertragen (und wie diese davon Gebrauch gemacht haben, weiß jedermann). Innozenz IV. (1195 bis 1254) führte die Folter ein, gegen die ein anderer Papst, Nikolaus I. (der Große; 820 bis 867), bereits vier Jahrhunderte davor äußerst beredt und mit einprägsamen Worten geschimpft hatte. Und hier beginnt ein seltsames und düster-trauriges Schauspiel. Die Kirche macht sich selbst zum Hüter und Verkünder des Aberglaubens, sie nährt die niedrigsten Instinkte des Pöbels, entfacht und begünstigt sie. Sie verwechselt – absichtlich und in vollem Bewusstsein ihres Tuns – Häresie und Hexerei, wirft beides in einen Topf. Und sie erschafft eine monströse Gemengelage der Interessen, in der Angst, Bosheit, Dummheit und Ignoranz einander die Hand reichen und miteinander verschmelzen. Jetzt beginnen die Hexenprozesse. Die Reisigbündel brennen lichterloh, und während die Jahre vergehen, verschlimmert sich der Wahnwitz anstatt nachzulassen. Die Päpste wetteifern miteinander, wer den größten Eifer, die größte Härte an den Tag legt bei dem, was sie Gottes Kampf gegen Satan nennen. Gregor IX. (um 1167 bis 1241) und Johannes XXII. (1245/1249 bis 1334) sind unter den frühen Verfolgern die glühendsten, die inbrünstigsten. So sind wir im Jahr des Heils 1484 angekommen, in dem Jahr, in dem am fünften Tage des Monats Dezember der ruhmreiche Pontifex Innozenz VIII. (1432 bis 1492) die berühmte Bulle Summis desiderantes affectibus veröffentlicht, in der er der Inquisition, in diesem Falle also der Hexenjagd, eine Form und ein System gibt und die Rechte und Pflichten der Inquisitoren ordnet und bestätigt. Mit dieser Hexenbulle läutet er eine in der Geschichte der Menschheit ihresgleichen suchende Ära des Leids und des Schreckens ein. Die Kirche zieht es vor, zu diesem Thema zu schweigen. Sie spricht lieber von der Schreckensherrschaft, die der Französischen Revolution zu so traurigem Ruhm verhalf. Jedoch: diese dauerte kaum zwei Jahre – jene mehr als zwei Jahrhunderte. Der Dominikaner und Inquisitor Jakob Sprenger (1435 bis 1495) schreibt daraufhin seinen 1489 veröffentlichten törichten und doch furchtbaren Malleus Maleficarum, den Hexenhammer, der in ganz Europa zum Evangelium und zum Kodex der Inquisition wird, und dem noch viele ähnliche Werke folgen sollen, die alle die heilige

Kunst des Aufspürens, des Befragens, des Quälens und Röstens einer Hexe lehren – ungeachtet aller List und Tücke des Teufels, ihres natürlichen Freundes und Beschützers. Von dieser Zeit an verbreiten sich die brennenden Reisighaufen wie Lauffeuer, dass sie herunterbrennen oder gar ausgehen, wird nicht mehr geduldet. Die Päpste gießen gehörig Öl ins Feuer – unter ihnen Leo X. (1475 bis 1521), jener großartige und äußerst kultivierte Papst, ein Schutzherr der Künstler und der Gelehrten, der Freund aller edlen Kunst. Allein in Lothringen werden innerhalb von fünfzehn Jahren neunhundert Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, und weitere neunhundert in nur fünf Jahren in der Diözese Würzburg. Pro Jahr brennen einhundert in der Diözese Como, der Rat von Toulouse verbrennt vierhundert mit einem Mal. Niemand ist gegen eine Anklage der Hexerei gefeit, und Anklage bedeutet fast immer Schuldspruch, und Schuldspruch bedeutet fast immer Tod auf dem Scheiterhaufen. Sich anmerken zu lassen, dass man nicht an Hexerei glaubt, ist an sich schon ein ernstes Zeichen, wenn nicht sogar der eigentliche Beweis, dass man schuldig ist. Die Folter wirkt Wunder, sie ringt den Halsstarrigsten und Widerspenstigsten das Bekenntnis ab, mit Satan Umgang gehabt zu haben, sie löst eine unaufhörliche Serie weiterer Denunziationen aus, jede zieht wieder eine weitere nach sich. Wie Tentakel eines monströsen Kraken züngeln die Wellen der Denunziation vom Tribunal des Richters nach allen Seiten mitten durch die Menge der von Panik ergriffenen Leute. Manch ein erschreckter Inquisitor fragt sich, ob denn die gesamte Menschheit in die Dienste des Teufels übergetreten ist. Mit dem Ziel vor Augen, das heilende Werk der Justiz schneller voranzutreiben als die Ausbreitung des Bösen von sich aus voranschreitet, werden die Verfahren aufs Äußerste beschleunigt. Die Angeklagten werden nach festen Formeln befragt, die ihnen das Geständnis ihrer Schuld regelrecht in den Mund legen. Die Foltermethoden werden verstärkt und erweitert, und alle, Männer und Frauen, Graubärte und Wickelkinder, die auch nur verdächtigt werden, infiziert zu sein, werden verbrannt. An manchen Orten weigern sich die Scharfrichter, ihre eigentlichen Aufgaben auszuüben, und legen ihr Amt nieder, weil sie so ausgelaugt sind vom übermäßigen Arbeitspensum, so abgestumpft, so gleichgültig. Die Auswirkungen dieser Art von Justiz übertreffen die Erwartungen ihrer Protagonisten bei weitem. Nicolas Remy (1530 bis 1612), ein herzoglicher Geheimrat und Oberrichter in Lothringen, ruft in einem Anfall berechtigten Stolzes aus: „Von meiner Seite wurde so kompetent Recht gesprochen, dass in einem Jahr sechzehn Hexen sich lieber selbst das Leben nahmen, als vor mein Gericht gebracht zu werden!“ Um der Wahrheit Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sei jedoch angemerkt, dass sich auch die Protestanten bei

Franz von Stuck, Die Sünde, 1893. Öl auf Leinwand, 94,5 x 59,5 cm. Neue Pinakothek, München.

Gustav Klimt, Beethovenfries (Detail), 1902. Sezessionshaus, heute Österreichische Galerie, Wien.

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dieser Sache in keiner Weise unfähiger erwiesen als die Katholiken. Luther glaubte nicht nur an Hexen, er sprach auch des Öfteren den Wunsch aus, sie mögen alle verbrannt werden. Unter denen, die am tüchtigsten darum bemüht waren, diese falschen Vorstellungen lebendig zu erhalten und die rechtliche Vorgehensweise strenger zu gestalten, belegt jener feige und pedantische König Jakob I. von England (1566 bis 1625) den vordersten Platz. So wurden in drei Jahrhunderten dank der vereinten Kräfte von Katholiken und Protestanten nicht Zehn-, nein, Hunderttausende Menschenleben geopfert. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass bei diesen Prozessen der Richter – sichtbar – die Hexe vor sich hatte, aber auch – unsichtbar – den Teufel, der seine Freundin, seine Geliebte, seinen Schützling natürlich nicht im Stich ließ. Er half ihr zu lügen (die Inquisitoren bestätigen dies, und sie sollten es ja nun wirklich wissen) und sich mutig der Folter zu stellen, er sorgte dafür, dass die Zeugen sich nicht erinnern konnten, er brachte die Gedanken der Richter durcheinander, er lähmte die Hände der Scharfrichter. All das konnte er. Starb die Hexe aber unter der Folter, dann hatte sie der Teufel erdrosselt, damit sie nicht reden könne. Tötete sich die Hexe selbst, hatte sie der Teufel dazu gedrängt, damit der Prozess nicht fortgesetzt werde. Im hessischen Dorf Lindheim wurden vier oder fünf Frauen angeklagt, die Leiche eines Säuglings ausgegraben und beim Brauen eines für Hexen typischen Absuds als Zutat verwendet zu haben. Als sie in der beschriebenen Weise gefoltert wurden, gestanden sie das Verbrechen. Daraufhin gelang es dem Ehemann der einen Frau, einen Lokaltermin auf dem Friedhof zu erwirken, um die Tatumstände des Falles besser in Augenschein nehmen zu können. Als das Grab geöffnet wurde, war der kleine Körper zu sehen, wie er völlig intakt in seinem kleinen Sarg lag. Doch der Inquisitor, der sich davon nicht im Geringsten aus der Fassung bringen ließ, erklärte, das müsse eine vom verfluchten Teufel hervorgerufene Illusion sein. Und da er die Geständnisse der Schuldigen bereits hatte, sollten keine weiteren Ermittlungen angestellt, sondern der Justiz nun endlich erlaubt werden, ihren Lauf zu nehmen zur Ehre und zum Ruhme der allerheiligsten Dreifaltigkeit. Und so wurden die Frauen bei lebendigem Leibe verbrannt. Damit des Teufels List und Verschlagenheit vergebens sei, wurden an einigen Orten verschiedene Vorkehrungen getroffen: Die Hexe wurde in ein Hemd gesteckt, das an einem einzigen Tag gewebt

und genäht worden war. Sie musste einen aus verschiedenen und vorher gesegneten Bestandteilen zubereiteten Aufguss trinken. Die Folterinstrumente wurden mit Weihwasser besprengt, bestimmte Kräuter wurden verbrannt und so weiter. Ob nun im Ergebnis dieser Praktiken oder aus anderen Gründen – dem Teufel gelang es jedenfalls nur sehr selten, seinen Freunden, den Hexen und Zauberern, eine wirklich nützliche oder auf Dauer wirkende Hilfe zukommen zu lassen. Der sizilianische Geschichtsschreiber Tommasso Fazello (1498 bis 1570) sagt von einem Magier, einem gewissen Diodorus, er sei mit Hilfe des Teufels seinen Wärtern entkommen und durch die Luft von Catania nach Konstantinopel geflogen. Das Schelmenstück schien zunächst geglückt, doch schließlich gelang es dem Bischof Leo, seiner habhaft zu werden und ihn lebendig in einen lodernden Schmelzofen zu schleudern, aus dem er nur einmal wieder hervorkam, um nämlich kopfüber in die Hölle zu stürzen. Der erste, der gegen diesen hassenswerten Aberglauben und seine schrecklichen Folgen Position bezog, war im 16. Jahrhundert der berühmte Universalgelehrte Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486 bis 1535). Ihm folgte und übertraf sein Schüler Johann Weyer (1515/1516 bis 1588), dessen Buch De lamiis (1577) zum Thema epochemachend war. Danach vervielfachten sich die Verteidiger des gerechten Geistes und der Humanität, ihr Kampf war jedoch noch lange nicht von Erfolg gekrönt, das geschah erst in einer viel späteren Epoche. Die letzten Opfer des Aberglaubens in Europa starben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und außerhalb Europas, in Mexiko, fanden sogar noch 1860 und 1872 öffentliche Hexenverbrennungen statt. Die Inquisition ist tot, die Hexenprozesse sind vorbei. Doch der törichte Hexenglaube an sich ist nicht tot, auch ist das Wehklagen derer, die ihn gerne lebendig hielten, nicht vorbei. Kein Jahr vergeht, ohne dass nicht ein Buch von irgendeinem dümmlichen oder unglaubwürdigen Geistlichen erscheint, der verkündet, die Welt sei beim Teufel, und des Satans Gefolgsleute, ausgebildet vom Meister selbst, korrumpierten alles mit ihren bösen Künsten, stellten den Rechtschaffenen üble Fallen und triumphierten über sie. Die Welt sei voller Zauberer, die zwar andere Masken trügen, die jedoch nicht weniger grausam und gefährlich seien als die Zauberer in alter Zeit. Und der Teufel, ihr liebender Herr und Meister, habe am Ende doch noch einen Weg gefunden, dass sie nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt würden. Ach, könnte man sie doch noch immer verbrennen, dann wäre alles gut.

Max Ernst, Die Einkleidung der Braut, 1940. Öl auf Leinwand, 129,6 x 96,3 cm. Peggy Guggenheim Collection, Venedig.

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IV. Die Hölle

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TELLEN Sie sich vor, die Welt sei in drei Ebenen unterteilt. Auf der obersten Ebene liegt das Paradies, der Palast Gottes, der Aufenthalt der Engel und derer, die gesegnet sind, prächtig strahlend vor Licht, widerhallend vor unbeschreiblichen Wohlklängen, duftend vor nie welkenden Blumen. Es ist das Reich unzerstörbarer Heiligkeit und immer währenden Glücks. Auf der mittleren Ebene liegt dann die irdische Welt, bewohnt von einer leidenden und gefallenen Menschheit, die sündigt und sich dabei nach Erlösung sehnt, die sich vor Schmerzen windet und dabei von Glück und Wonne träumt. Es ist das Reich des ständigen Wandels, des Probierens, immer wieder, mittendrin im Gemisch von Gut und Böse. Auf der untersten Ebene schließlich liegt die Hölle, der dunkle Schlund, wo Satan und seine Engel gemeinsam mit den zahllosen Verdammten der göttlichen Gerechtigkeit für eine Schuld bezahlen, die niemals erlassen werden kann. Es ist das Reich der irreparablen Sünde, der unverzeihlichen Verderbtheit, des unermesslichen Grams, verzweifelt und immer während. Angrenzend an dieses letzte Reich liegt eine Gegend, in der von Sünde geheilt und geläutert wird, wo der Kummer durch Hoffnung erleichtert wird. Das ist das Fegefeuer, das düstere Vestibül eines strahlenden Himmels. Das mittlere Reich ist wie ein riesiges Vivarium der Seelen, die beständig in zwei entgegengesetzten Strömen hinausfließen. Der eine Strom steigt zum Himmel hinauf, der andere fließt geschwind hinab zur Hölle. Satan und seine ungezählten Kohorten wirken mit keinem anderen Ziel, bemühen all ihre Kunst und Arglist zu keinem anderen Zweck, als die größtmögliche Anzahl von Seelen hinabzuziehen und die Hölle auf Kosten des Paradieses zu bevölkern. Und über mangelnden Erfolg bei diesem Unternehmen können sie durchaus nicht klagen. Doch wo genau lag die Hölle? Der heilige Augustinus von Hippo (354 bis 430) sagt in seinem Werk De civitate Dei (413/426; Vom Gottesstaat), dass kein Mensch dies wissen könne, es sei denn, Gott habe es ihm selbst mitgeteilt. Das konnte jedoch nicht verhindern, dass zu diesem Thema die seltsamsten und widersprüchlichsten Meinungen geäußert wurden. Das Reich der Verdammten wurde in der Luft angesiedelt, in der Sonne, im Tal des Jehoshaphat, an den Polen, unter Vulkanen, an den Antipoden, am Mittelpunkt der Erde, im östlichsten Osten, auf fernen Inseln versteckt in der Tiefe unbekannter Ozeane oder gänzlich außerhalb der Welt. Ein paar Beispiele sollen genügen, um diese Ansichten zu illustrieren: Papst Gregor der Große erzählte von einem Einsiedler auf der Vulkaninsel Lipari, der einst beobachtet habe, wie Papst Johannes und Symmachus die Seele von König Theoderich in den Krater warfen. Aubry de Trois-Fontaines, ein französischer Chronist (bis nach 1252), spricht vom Ätna und sagt, die Seelen der Verdammten seien täglich hergebracht worden, auf dass sie verbrannt würden. Aimoin

(um 970 bis nach 1008), ein Mönch in Fleury, und Cäsarius von Heisterbach berichten beide Ähnliches. Brendan der Reisende, der bis jenseits der Grenzen der bekannten Welt segelte, sah eine Feuer speiende Insel, wo Dämonen in der Gestalt von Schmieden mit Hämmern auf die rot glühenden Seelen einschlugen. In der französischen Dichtung Huon de Bordeaux’ aus dem 13. Jahrhundert erfahren wir, dass sich die Hölle auf einer Insel namens Moysant befindet. Laut eines anderen, ebenfalls französischen Epos’, Otinel, liegt sie unter der Tartarei. Huon d’Auvergne fand den Eingang zur Unterwelt in den fernen Gegenden des sagenhaften Ostens. Die am meisten anerkannte Meinung und eine, die gleichzeitig auch die natürlichste zu sein schien, war jedoch, die Hölle befände sich in den Eingeweiden der Erde. Diese Ansicht steht in Einklang mit der des Altertums. Also gähnte der Schlund als Falle und ständige Bedrohung unter den Füßen der Sünder und der Rechtschaffenen, und die Erdkruste wurde zum dünnen Deckengewölbe, das vom Getöse des rächenden Feuers und vom Wüten der immer währenden Qualen erbebte und erzitterte. Die Erde, außen von der Sonne beschienen, bunt und heiter mit blumenübersäten Fluren und grünen Wäldern, besprengt mit Tau, durchzogen von Gewässern, war wie eine wurmstichige Frucht, schön an der Oberfläche, aber im Inneren verfault. Sie war wie einer jener Äpfel, die nach den Berichten Reisender am Ufer des Toten Meeres wuchsen, außen leuchtend rot und rundum duftend, aber innen voller Asche. Die Kreatur, die an der Erde geknabbert und sie verdorben hat, ist Satan, von dem Dante sagt, er sei der „… Wurm[es] der die Welt durchnagt“ 58, sein Sturz aus dem Himmel hatte die übernatürliche Erschaffung des Höllenschlunds zur Folge. Die Hölle musste Ausgänge und Eingänge haben, und wenn aus keinem anderen Grunde, dann doch, damit die tausendundein Besorgungen erledigt werden konnten, mit denen die Teufel in einem Trubel ständigen Kommens und Gehens dauernd beschäftigt waren. In den Evangelien werden die Pforten der Hölle erwähnt, die der Kirche nicht standhalten sollen.59 Christus, der sich rüstet, diese düsteren Gefilde zu betreten, ruft dem Fürsten der Finsternis zu, er solle die Tore öffnen, und da ihm nicht Folge geleistet wird, reißt er sie nieder. Wo sich diese Pforten befanden, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Der Geograph und Historiker Gervasius von Tilbury (um 1150 bis 1235) sagt, sie seien aus Bronze gefertigt und man könne sie immer noch auf dem Grunde eines Sees nahe Pozzuoli sehen. Dante betritt die Hölle durch ein Tor, das keinen Riegel hat und über dem eine Inschrift „… von dunkler Farbe“60 steht. Es mangelte sicher nicht an weiteren Eingängen. Mehr wie eine große Höhle, dunkel und gewunden, mehr wie eine Kluft, tief eingesunken in die Erde, so stellte man sich der Hölle Rachen vor. Und während die einen meinten, die Dämonen hätten ihre Wohnung in den Vulkanen und dort litten die

Seite 168: Auguste Rodin, Die Pforten zur Hölle, 1880-1917. Bronze, 636,9 x 401,3 x 84,8 cm. Musée Rodin, Paris.

Anonym, Psalter der Blanka von Kastilien, frühes 13. Jh. Bibliothèque de l’Arsenal, Paris.

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Es ist die „… blinde Welt“,63 der Raum, in dem „… verstummt war alles Licht“,64 dessen endlose Schwärze nur von den blutroten Blitzen in den Sturmwolken und Feuerstürmen, vom Aufflackern der brennenden Kohlenhaufen und den Strömen geschmolzenen Metalls durchbrochen wird. „Das Reich des toten Volkes“65 ist unermesslich tief und weit, wie es den zahllosen, hier versammelten Bewohnern zukommt. In einer angelsächsischen Dichtung heißt es, Christus habe Satan befohlen, es zu vermessen, und Satan habe herausgefunden, dass die Entfernung vom äußersten Rand bis zum Tor einhunderttausend Meilen betrage. Es verdient jedoch Beachtung, dass der Jesuit Cornelius a Lapide (1567 bis 1637), Verfasser eines zehnbändigen Kommentars zur Heiligen Schrift, versichert, die Hölle habe einen Durchmesser von maximal zweihundert italienischen Meilen.66 Ein angesehener deutscher Theologe ging noch weiter und errechnete, dass der Rauminhalt einer Kubikmeile ausreiche, um einhundert Milliarden verlorener

Seelen aufzubewahren, und zwar nicht aufrecht stehend und in bequemer Haltung, sondern eine auf die andere geschichtet wie Anchovis in einem Fässchen oder zertrampelte Weintrauben in der Weinpresse. Dante beschreibt uns eine Hölle, die auf der Grundlage geometrischer Prinzipien aufgebaut ist, eingeteilt in Kreise, die, immer kleiner werdend, zum Mittelpunkt der Erde abfallen. Eine ähnliche Struktur findet sich bei einigen der Nachahmer des göttlichen Dichters, jedoch nicht bei denen, die man in gewisser Hinsicht seine Vorläufer nennen könnte. Hier meine ich die Verfasser der Visionen. Die hier beschriebene Hölle ähnelt einer irdischen Landschaft, außer dass sie unwirtlicher ist als die meisten unwirtlichen Gegenden, die der Mensch kennt, und dass das Licht der Sonne sie nie erreicht. Hier gibt es Berge, kahl und steil, Täler, wild und undurchdringlich, Schwindel erregende Klippen, Wälder voll gespenstischer Bäume, Seen voll bleifarben-öligem Erdpech und faulig stinkende, öde Moore. Kreuz und quer durch dieses Land fließen Flüsse, träge oder geschwinde, manche strömen hervor aus dem Leib des Avernus, aus der Unterwelt der Antike: Styx, Lethe, Acheron, Kokytos und Phlegethon – auch sie nennt oder beschreibt Dante. Im „Reich der Schmerzen“ gab es auch Burgen und Städte.67 Dante beschreibt die Stadt Dis mit ihren von ewigen Flammen rot schimmernden Türmen, mit ihren massiven Eisenmauern.68 Oft wird die ganze Hölle als eine riesengroße Stadt gesehen, als „infernalisches Babylon“, als Gegenstück zum himmlischen Jerusalem – so wie Satan das Gegenstück zu Gott ist. Stellt euch eine Stadt vor, sagt der heilige Bonaventura (1221 bis 1274), unendlich groß und fürchterlich, voll tiefster Finsternis, brennend mit schrecklichen, mit übermäßigen schwarzen Flammen, voll furchtbaren Geschreis und verzweifeltem Geheul: das ist die Hölle. Der Franziskaner Giacomino da Verona, seines Zeichens ein Poet, beschreibt in zweien seiner Gedichte – nicht sonderlich kunstvoll zwar, aber glühend vor Gläubigkeit – die beiden gegensätzlichen Städte im Vergleich miteinander: Das himmlische Jerusalem sei von hohen, luftigen Wällen umgeben, die Fundamente seien aus Edelsteinen, der Stadtzugang würde durch drei Tore geschützt, strahlender als die Sterne und gekrönt mit Zinnen aus Kristall. Die Plätze und Straßen seien mit Gold und Silber gepflastert, die Paläste schimmerten prächtig vor lauter Marmor, Lapislazuli und edlen Metallen. Allerorten fließe kristallklares Wasser, bringe den herrlichen Bäumen und den lieblichsten aller Blumen Erfrischung, die Luft sei durchdrungen von göttlichem Licht, von herrlichem Duft, von übernatürlichen Wohlklängen. Ganz anders das infernalische Babylon. Die Stadt sei riesengroß, hoch und lang und breit, überdacht von einem unzerstörbaren

Anonym, Das Jüngste Gericht, 1490. Missale. Russische Nationalbibliothek, St. Petersburg.

Anonym, Das Jüngste Gericht, 14. Jh. Illuminierte Handschrift.

Seelen der Verdammten ihre Qualen, glaubten andere, die Vulkane seien eher der Rachen oder die Kamine der Hölle, durch die der Rauch und die Hitze des ewigen Schmelzofens ausströmte. In Irland öffnete sich die berühmte Grube des heiligen Patrick (Ende 4./Anfang 5. Jh. bis 461/493)61 zur Hölle und zum Fegefeuer. Neben den dauerhaften und gewöhnlichen Eingängen fehlten auch nicht die anderen, die zufälligen und ungewöhnlichen. Der Boden pflegte aufzureißen, so dass die Dämonen hindurchschlüpfen konnten oder die größten Verbrecher gleich lebendig verschlungen wurden. Die Hölle war wie ein riesiges Monstrum, dessen Körper mit zahllosen Mäulern übersät war, die gierig nach neuem Futter für den unersättlichen Bauch schnappten. Nicht ohne Grund finden wir deshalb die Hölle in den Gemälden und den Mysterienspielen des Mittelalters als Kopf eines monströsen Drachens dargestellt, der Seelen verschlingt und Feuer und Rauch speit. Die Hölle ist das Reich des Grams und der Düsternis, so wie der Himmel das Reich der Freude und des Lichts ist. Die Dunkelheit da drinnen ist dicht und tief, geradezu greifbar. Vom Schmerzenstal des Höllenschlunds sagt Dante: Oscura, profonda era e nebulosa Tanto, che per ficcar lo viso al fondo, Io non vi discerneva alcuna cosa. So qualmerfüllt, so dunkel und so tief war’s, Dass ich, wie sehr ich auch das Auge schärfte, In seinem Grunde nichts erkennen konnte.62

Anonym, Der Höllenschlund, Miniatur aus dem Stundenbuch der Catherine de Clèves, um 1440. Illuminierte Handschrift. The Pierpont Morgan Library, New York.

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Himmel aus Bronze und Eisen, umgeben von Bergen und Klippen wie von einer Mauer, durchflossen von trüben Rinnsalen, deren Wasser bitterer als Galle schmecke, voller Nesseln und messerscharfer Dornen, immer und immer wieder verzehrt von rasenden Flammen. Die Luft von unerträglichem Gestank verpestet und dröhnend vor unaufhörlichem Lärm und Getöse. Zu den auffälligsten Dingen in dieser verfluchten Gegend gehört nach den Zeugnissen vieler eine sehr schmale Brücke, die alle Seelen passieren müssen, und von der diejenigen kopfüber in die Grube darunter stürzen, deren Sündenlast allzu schwer ist. Es ist dies eine bildhafte Fantasie aus dem Fernen Osten, die irgendwie ihren Weg in die christlichen Vorstellungen des Mittelalters gefunden hat – wenn sie nicht sogar bei uns ebenso spontan entstanden ist wie im Orient. Das „Reich der Schmerzen“ besitzt eine eigene Topographie, aber auch eigene Wetterverhältnisse, eigene Fauna und Flora. Heftige, teils eisige, teils sengend heiße Stürme suchen dieses Land heim, nicht enden wollende, alles überschwemmende Regengüsse, Hagel und Schneestürme. Die Pflanzen, die der wüste Boden hervorbringt, strotzen vor Dornen und tragen Früchte voll giftigen Saftes. Die wilden Tiere sind Bestien oder Dämonen in bestialischer Gestalt: Kröten, Vipern, tollwütige Hunde, Zerberus, widerliche Insekten und der dreileibige Geryon. In die Hölle kamen die Seelen aller Ränge und Stände: Seelen von Päpsten und von Kaisern, von Mönchen und von Rittern, von Kaufleuten und von Scharlatanen, von liederlichen Frauenzimmern und garstigen Kindern. Alle Klassen, alle Berufe zahlen ihren Tribut, den höchsten Tribut. Die Hauptaufgabe der Menschheit, das Ziel all der langen Kämpfe schien zu sein, Leute für die Hölle heranzuziehen. Die Seelen wurden entweder von den Dämonen erbeutet und hierher geschleppt, oder sie fielen kopfüber in den Abgrund, so als zöge eine eigentümliche Schwerkraft der Sünde sie nach unten. Der heilige Barontus, ein Eremit des 8. Jahrhunderts, beobachtete, wie Dämonen Seelen in die Hölle schleppen, dabei schwärmten sie wie Bienen, die mit reichlicher Beute zum heimischen Bienenstock zurückkehren. Der heilige Obizzo (gestorben um 1212) sah Seelen wie vom Himmel fallende Schneeflocken in die Hölle treiben. Die heilige Birgitta von Schweden schreibt in einer ihrer Revelationes, dass der Seelen, die tagtäglich in die Hölle stürzten, mehr seien als Sandkörner im Meer. Wie viele Seelen kommen ins Paradies? Das sagt uns niemand. Viele Male wurde beobachtet, wie große Scharen von Dämonen mit Seelen beladen durch die Lüfte flogen. So wurde auch die Seele von Roderich (bis 711), des letzten Königs der Westgoten in Spanien, davongetragen, ebenso die vieler anderer nicht minder böser Männer. Doch selbst hier variierten die Dämonen gerne Methode und Prozedur. Einige Mönche, so Giacomo da Voragine, standen einst vor Tagesanbruch am Ufer eines Flusses und ergingen sich, Zerstreuung

suchend, in frivoler und müßiger Konversation. Plötzlich sehen sie, wie sich eine Barke über das Wasser bewegt, darin sitzen lauter Ruderer, die mit aller Kraft rudern. „Wer seid ihr?“, fragen sie, und die Ruderer antworten: „Wir sind Dämonen, und wir schaffen die Seele von Ebroin (bis 681), dem Hausmeier von Neustrien, in die Hölle.“ Als sie das hören, werden die Mönche ganz blass vor Schrecken und rufen: „Sancta Maria, ora pro nobis!“ „Ihr tut gut daran, Maria anzurufen“, meinten da die Dämonen, „denn wir hatten eigentlich die Absicht, euch zu ertränken und zu zerreißen als Strafe für euer eitles und unpassendes Geschwätz.“ Die Mönche warten keinen weiteren Wortwechsel ab und kehren in ihr Kloster zurück. Die Dämonen hingegen setzen ihren eiligen Weg fort, heimwärts der Hölle zu. Den Teufeln genügte es jedoch nicht, nur Seelen fortzuschleppen, oft packten sie mitsamt der Seele auch die Körper der Übeltäter. Cäsarius von Heisterbach berichtet von einem Soldaten in der Diözese Köln, einem eingefleischten Spieler, der einst mit dem Teufel gewürfelt und gewonnen hatte. Um ihm den Verlust heimzuzahlen, schleppte ihn der Teufel durch das Dach des Hauses davon, dabei blieben die Eingeweide des Spielers an den Dachziegeln hängen. Um solcherart Entführungen zu bewerkstelligen, nahm der Teufel gerne die Gestalt eines schwarzen Pferdes oder eines Reiters auf einem schwarzen Pferd an. Eines Tages hörte der alternde Theoderich, als er gerade im Bad saß, einen seiner Diener rufen: „Da drüben galoppiert ein schwarzes Pferd, so schön und feurig, wie ich es noch nie gesehen habe!“ Der Barbarenfürst springt aus dem Wasser, schlüpft eilig in sein Gewand und befiehlt, man möge ihm auf der Stelle sein Pferd und auch die Hunde bringen. Doch als die Diener nicht schnell genug wiederkommen, springt er voll Ungeduld auf den Rücken des schwarzen Pferdes, das augenblicklich davonschnellt, flinker als ein Vogel fliegt. Hinter ihm her eilt der beste Reiter aus seinem Gefolge mitsamt der losgelassenen Meute, doch alles ist vergebens. Als Theoderich bemerkt, dass da bei dem Hengst, der ihn so schnell davonträgt, etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, will er abspringen, doch es gelingt ihm nicht. Von weit hinten ruft ihm der andere Reiter zu: „Mein Herr, warum reitet Ihr so schnell, und wann gedenkt Ihr zurückzukehren?“ Darauf er: „Es ist der Teufel, der mich davonträgt. Ich komme wieder, wenn es Gott und der Jungfrau Maria gefällt.“ Jacopo Passavanti erzählt in seinem Specchio di vera penitenza (Spiegel wahrer Buße) die Geschichte, die er nach eigenen Angaben von Helinand (bis um 1229) wie folgt übernommen hat: In Maliscona habe einst ein Graf gelebt, der ein sinnenfroher Mann und ein großer Sünder gewesen sei, überheblich gegenüber Gott und hart und gnadenlos zu seinen Nächsten. Und da er in großer Pracht lebte, Macht und Reichtümer besaß und gesund und kräftig war, sei es ihm nie in

Andrea Mantegna, Der Abstieg in den Limbus, um 1490. Tempera auf Holz, 38,8 x 42,3 cm. Privatsammlung.

Eugène Delacroix, Dante und Vergil in der Hölle (Die Dante-Barke), 1822. Öl auf Leinwand, 189 x 241 cm. Musée du Louvre, Paris.

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den Sinn gekommen, dass er einmal sterben müsse und dass alles auf der Welt vergänglich sei, und auch nicht, dass Gott ihn am Jüngsten Tage richten werde. Eines Ostertages habe er, umgeben von vielen Rittern, Kavalieren und von vielen ehrbaren Patriziern, in seinem Palast das Osterfest begangen. Da sei ein Fremder auf einem gewaltigen Pferd durch das Palasttor geritten, habe zu niemandem ein Wort gesprochen und sei bis zum Grafen und seiner Gesellschaft herangekommen. Dann habe er so, dass ihn alle sehen und hören konnten, zum Grafen gesagt: „Auf, Graf! Steig aufs Pferd und folge mir.“ Und dieser, bebend vor Angst, sei aufgestanden und dem seltsamen Ritter gefolgt, zu dem niemand ein Wort zu sprechen wagte. Als sie zum Schlosstor kamen, habe der Ritter den Grafen geheißen, das Pferd zu besteigen, dass da aufgezäumt und gesattelt bereitstand. Und das Tier beim Zügel nehmend und es hinter sich herführend, sei er davongaloppiert, er sei durch die Lüfte geflogen, so dass es die ganze Stadt gesehen habe. Der Graf habe dabei ein schlimmes Wehgeschrei erhoben: „Helft mir, oh meine Landeskinder! Helft eurem unglücklichen, dem Untergang geweihten Grafen!“ Und während er noch weiter rief, hätten ihn die Leute aus den Augen verloren und er sei für immer bei den Teufeln in der Hölle verschwunden. Soweit Helinands Geschichte bei Passavanti. Doch noch vor Passavanti und Helinand erzählt Petrus Venerabilis in seinem Buch De Miraculis eine ganz ähnliche Geschichte. Bei derartigen Sachen, wie dem Entführen lebender Menschen oder dem Wegschleppen der Seelen, waren die Teufel nicht gerade zimperlich. Oft legten sie Hand an Leute, die sie eigentlich gar nicht hätten anrühren sollen. Nach dem Tode Kaiser Heinrichs II. (973/978 bis 1024) sah ein Eremit, wie ein Schwarm Teufel dessen Seele in Gestalt eines Bären zum göttlichen Strafgericht wegtrug. Wie sich herausstellte, fiel dieses zugunsten eines Gefangenen aus. Papst Gregor der Große erzählt die Geschichte eines gewissen Edelmannes namens Stephan, der während eines Aufenthalts in Konstantinopel plötzlich erkrankte und verstarb. Als er vor das höllische Tribunal gebracht wurde, hörte der Tote den Richter ausrufen: „Ich befahl euch, die Seele von Stephan, dem Schmied, zu bringen, nicht diesen Burschen!“ Auf der Stelle kehrt Stephan, der Edelmann, in die Welt zurück und Stephan, der Schmied, stirbt statt seiner. Weitere und noch seltsamere Beispiele für ein derartiges Hin- und Herschicken von Seelen finden sich ohne weiteres. Thomas Cantipratensis erzählt dieses: Ein aufmüpfiger Junge stirbt, und die Teufel packen seine Seele und tragen sie hinfort zur Hölle. Da kommt der Erzengel Michael, nimmt sie ihnen weg und trägt sie in den Himmel. Dort verweigert ein älterer Mann (zweifellos Petrus) die Annahme und befielt Michael, die Seele wieder in den Körper zurückzuschaffen.

Als Dauergast in die Hölle zu kommen war einfach, aber sie einfach nur als Besucher zu betreten, war dagegen sehr schwierig. Dennoch haben viele sie besucht, angefangen mit der Jungfrau Maria, die, wie eine griechische Legende berichtet, der Erzengel Michael mit einer ganzen Engelsschar dorthin begleitete, und kurz darauf stieg Paulus hinab, so eine im Mittelalter weit verbreitete Legende, die Dante sicherlich kannte. Solcherart Abstieg ins Reich der Verdammten war gewöhnlich die Folge einer göttlichen Gnade, er betraf die Erlösung eines ganz bestimmten Sünders oder die eines ganzen Volkes, das gegenüber den göttlichen Regeln und Warnungen nachlässig und vergesslich geworden war. Doch nicht immer hatte es etwas mit göttlicher Gnade zu tun, zumindest nicht direkt. Der hier schon des Öfteren erwähnte heilige Guthlac wurde eines Nachts in seiner Klause von einer ganzen Legion Teufel angegriffen, die ihn unter Peinigungen wegschleppten, damit er sich die Qualen in der Hölle näher ansehe. Oder jener verwegene Ritter Huon d’Auvergne besuchte auf ausdrückliches Geheiß seines Königs, der von Luzifer Tribut gefordert hatte, die Hölle. Im Jahr 1218 bot ein gewisser Graf von Geulch demjenigen eine große Belohnung, der ihm Nachricht bringen könne von seinem Vater, der kurz zuvor verstorben war. Ein kühner Ritter bot seine Dienste an und stieg mit der Hilfe eines Zauberers in die Hölle hinab. Er fand den alten Grafen, der ihm sagte, seine Leiden würden erleichtert, wenn man bestimmte Pfründe, derer er sich zu Unrecht bemächtigt hatte, an die Kirche zurückgebe. Wann immer göttliche Gnade direkt am Werke war, geleitete üblicherweise ein Engel den Besucher. Der Besuch konnte im Geiste erfolgen, oder auch mit ganzem Leibe. Im ersten Falle handelt es sich um die Jenseitsvision, die mit Fug und Recht so genannt wird. Im zweiten ist es eine wirkliche, reale Reise. Visionen kamen im Allgemeinen nur dann vor, wenn sich ein Mensch im Zustand mentaler Überreizung befand oder nach langer Krankheit geschwächt war: Der Geist wanderte unabhängig vom Körper, der im Zustand tiefer Lethargie zurückblieb, dem Tode ähnlich. Die physiologischen und psychologischen Umstände dieses Phänomens brauchen an dieser Stelle nicht näher untersucht zu werden, es genügt, ein paar Beispiele anzuführen. Der heilige Furseus, ein irischer Mönch des 7. Jahrhunderts, hatte drei Tage lang krank gelegen, als er von zwei Engeln in die Hölle gebracht wurde, damit er die Höllenqualen sehe. Den beiden war ein weiterer Engel mit einem flammenden Schwert und einem funkelnden Schild vorausgegangen. Eines Nachts wollte sich der Frankenkönig Karl III. (genannt der Dicke; 839 bis 888), zu Bett legen, als er eine schreckliche Stimme rufen hörte: „Karl, deine Seele wird deinen Körper verlassen und Gottes Strafgericht schauen.“ Und so geschah es. Alberico, der neunjährige Sohn eines Barons von Kampanien, fiel in eine Ohnmacht, die neun Tage anhielt. In dieser Zeit besuchte er,

Luca Signorelli, Die Verdammten, 1499-1505. Fresko. Dom, Brizio-Kapelle Orvieto (Italien).

Anonym, Der Obstgarten der Trunkenheit oder Der Obstgarten des Trosts, 12. -14. Jh. Illuminierte Handschrift, 44 x 30 cm. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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Anonym, Die Hölle, Stundenbuch, um 1480. Victoria & Albert Museum, London.

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Hieronymus Bosch, Visionen aus dem Jenseits: Der Sturz der Verdammten; Die Hölle, Teil eines Weltgerichts-Polyptychons, 1500-1504. Öl auf Holz, 86,5 x 39,5 cm. Dogenpalast, Venedig.

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begleitet von Petrus und zwei Engeln, die Hölle und das Paradies. Im Jahr 1149 wurde ein irischer Ritter mit Namen Tundalus, ein Mann böser Reden und ebenso böser Taten, beinahe von einem seiner Schuldner durch einen Axthieb getötet. Als er wieder zu sich kam, berichtete er, was er in der anderen Welt gesehen hatte. Andere, wie der bereits erwähnte Huon d’Auvergne oder wie Guerino Meschino und wie der Ritter Owen, besuchten die Hölle jedoch mitsamt dem Körper und folgten damit dem Beispiel von Äneas und Odysseus. Dante reiste auf dieselbe Weise in die Hölle. Doch egal, wie jemand sie besuchte, ob mit oder ohne Körper, die Reise war nicht ohne Gefahren: Der heilige Furseus trug für den Rest seines Lebens die Narben da, wo das Höllenfeuer ihn berührt hatte. Die Dämonen sahen es äußerst ungern, wenn Personen, die nicht auf Dauer da blieben, in ihrem Reich umherwanderten, und sie unternahmen einiges, um ihnen zu schaden, wo sie nur konnten. So versuchten sie etwa, Karl den Dicken mit rot glühenden Haken zu packen oder einen achtbaren Mann aus Northumbrien, der in der Vision des Beda Venerabilis erwähnt wird, mit glühenden Zangen zu fassen. Der junge Alberico, der Ritter Owen und viele andere wurden von ihnen auf verschiedene Weise bedroht und gequält. Ohne die Hilfe Vergils und des Himmelsbotens hätte sich Dante mehr als einmal in großen Nöten befunden.

Mehr zur Hölle DIE Hölle existiert zur gemeinsamen Bestrafung der Verdammten und der Teufel, der Peiniger und der Gepeinigten. Satan vereinigt viele Ämter und viele Eigenschaften in sich, die, so scheint es zunächst, unmöglich miteinander in Einklang zu bringen sind. Ist Satan einerseits die Hauptursache allen Übels in der Welt, unermüdlicher Anstifter zur Sünde und ewiger Seelenverführer, ist er doch andererseits auch der große Verwalter der Gerechtigkeit – durch sein Wirken wird das Böse unter Kontrolle gehalten und die Sünde gesühnt. Kein Akt im Leben und in den Gedanken der Menschen ist so unbedeutend, kein Gedanke so banal, dass die Dämonen ihn nicht aufzeichneten, wenn auch nur das kleinste Bruchstückchen, nur ein Hauch von Sünde dabei mitschwingt. Der heilige Augustinus sah einst einen Teufel, der auf seinem Rücken ein riesiges Buch trug, in dem alle Sünden der Menschheit in der Reihenfolge, in der sie begangen wurden, aufgelistet waren. Häufiger aber gab es einen einzelnen schweren, schwarzen Band pro Sünder, den die Teufel beim Strafgericht manchmal gereizt in die Waagschale der göttlichen Waage schleuderten, manchmal auch wichtigtuerisch zur Schau stellten als Gegenbeweis zum winzigen goldenen Büchlein, in dem der Schutzengel liebevoll die guten und lobenswerten Taten eingetragen hat.

Vincenzo Mannozzi, Die Hölle. Öl auf dunklem Stein, 43,5 x 59 cm. Uffizien, Florenz.

In vielen mittelalterlichen Kirchen, etwa in der von Halberstadt, ist der Teufel dargestellt, wie er gerade die Namen derer aufschreibt, die im Haus Gottes einschlafen oder sich auf andere Weise nicht anständig benehmen. In der Vita des heiligen Aichadrus (bis 687) lesen wir, dass einst, als ein armer Mann seine Haare an einem Sonntag zu schneiden wagte, der Teufel dabei beobachtet wurde, wie er in der Ecke des Raumes hockte und diese Sünde eifrig auf ein Stück Pergament schrieb. In der Regel wird der keine Gnade verdienende Sünder in der Hölle bestraft. Manchmal jedoch nimmt Satan, wenn er ihn auf frischer Tat ertappt, an der göttlichen Vergeltung teil und züchtigt ihn noch zu Lebzeiten. Die Mörder eines Bischofs, des heiligen Regulus, (3./4. Jahrhundert) wurden von ihm stranguliert. Der Attentäter, der den heiligen Godegrand meuchelte, wurde bei lebendigem Leibe davongetragen. Eine Frau mit üblem Lebenswandel, die versuchte, den heiligen Elia Speleota zur Sünde zu bewegen, wurde vom Teufel grün und blau geschlagen. Wenn man dem Geschichtsschreiber Liutprand (920 bis 972) Glauben schenken kann, wurde der verruchte Papst Johannes XII. (937/939 bis 964) vom Teufel zu Tode gepeitscht, als dieser ihn im Bett und in den Armen einer seiner Konkubinen fand. Und das, obwohl dieser Pontifex, als er noch gesund und munter war, immer gerne auf die Gesundheit dessen getrunken hatte, der ihm solch ein erbärmliches Ende bescheren sollte. Fra Filippo da Siena (1339 bis 1422) erzählt die schreckliche Geschichte von einer Frau, die so schön wie eitel war und regelmäßig Stunden damit zubrachte, sich hübsch herzurichten, sich zu putzen und zu schmücken. Eines Tages schmückte sie der Teufel und richtete sie so her, dass sie vor Angst und Scham ob ihrer Entstelltheit starb. Das war in Siena im Jahre des Heils 1322. In Antwerpen erwürgte der Teufel am 27. Mai 1562 um sieben Uhr abends ein Mädchen, das zu einer Hochzeit eingeladen worden war und sich in seiner Unbesonnenheit einen Stoff gekauft hatte, der neun Taler die Elle kostete, um sich daraus eine jener stark gefältelten Halskrausen zu nähen, die seinerzeit in Mode waren. Oft schlägt, würgt oder trägt der Teufel diejenigen fort, die sich in Gegenwart von Reliquien ehrfurchtslos zeigen oder sich über die geheiligten Riten lustig machen. Er schlüpft in die Körper jener, die bei der Messe unaufmerksam sind, und mit lauter Stimme verkündet er zur großen Verwirrung der Schuldigen deren heimlichen Sünden. Oft besänftigte sich der Zorn des Teufels erst, nachdem er sich an der Leiche des Sünders vollends ausgelassen hatte, und manche schreckliche Geschichte berichtet von Leichen, die aus Kirchen weggeschleppt wurden, die in ihren Gräbern zerfetzt wurden oder völlig verbrannten. Die Karmelitin Teresa von Ávila (1515 bis 1582) bat Gott einst flehentlich, dass sie zu ihrer Erbauung die Leiden der Hölle ein wenig

Fra Angelico, Das Jüngste Gericht, eines von 35 Gemälden für die Silberschatzkammer der Kirche Santissima Annunziata, um 1450. Tempera auf Holz, 39 x 78 cm. Museo di San Marco, Florenz.

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ausprobieren könne. Diese Gnade wurde ihr gewährt, und selbst nach sechs Jahren noch ließ sie die Erinnerung an die Gräuel, die sie erlitten hatte, vor Furcht frösteln. Es gibt viele Geschichten, die wir von verlorenen Seelen erfahren haben, die für kurze Zeit aus der Hölle herauskamen, um den Lebenden eine Vorstellung von der unaussprechlichen Pein zu vermitteln, der sie dort ausgesetzt sind. Jacopo Passavanti erzählt von einem gewissen Monsieur Lo, einem Philosophielehrer in Paris, und einem seiner Schüler. Dieser sei, so Passavanti, scharfsinnig und spitzfindig beim Disput, aber arrogant und lasterhaft in der Lebensführung gewesen. Er starb, doch ein paar Tage später erschien er seinem Meister und sagte ihm, dass er eine verlorene Seele sei: Um ihm eine gewisse Vorstellung von den Qualen zu geben, die er litt, schüttelte er den Finger über der Handfläche seines Meisters und ließ einen winzigen Tropfen Schweiß fallen, der, so Passavanti, sich unter großem Schmerz ganz und gar durch die Hand hindurchbohrte, als sei er ein scharfer, brennender Pfeil. Die Leiden der Hölle halten den Theologen zufolge nicht nur zeitlich kontinuierlich an, sondern auch räumlich in dem Sinne, dass auch das kleinste Partikelchen der verlorenen Seele unerträgliche und unverändert starke Schmerzen erleidet. Das wichtigste Folterinstrument ist das Feuer. Origenes, Lactantius und Johannes von Damaskus (650 bis 754) glaubten, das Höllenfeuer sei ein rein ideelles Feuer, ein Bild, ein Symbol. Doch die Mehrheit der Kirchenväter glaubte das Gegenteil, und der heilige Augustinus sagte, wenn alle Meere der Welt in die Hölle flössen, nütze das doch nichts, um die Hitze der unablässig lodernden furchtbaren Flammen zu mildern. Außer Feuer gibt es auch Eis, es gibt peitschenden Regen und tosende Stürme, es gibt wütende Bestien und tausend andere Arten von Plagen, die die Teufel ersinnen und denen sie frönen. Thomas von Aquin beweist, dass die Teufel die Pflicht und das Recht haben, die Verdammten zu peinigen, dass sie alles tun, was in ihrer Macht steht, um ihnen Angst und Schrecken einzujagen, sie zu quälen und sie zudem noch zu verhöhnen und zu verspotten. Doch die größte Qual von allen besteht für die Verdammten darin, dass sie die beseligende Gottesschau für immer entbehren müssen, ebenso das Wissen um das Glück der Seligen. Bezüglich dieses letzten Punktes sind sich die Kirchenschriftsteller jedoch nicht ganz einig. Einige betonen, dass die Seligen das Leid der Gottlosen sehen, dass Letztere jedoch nicht die Freude der Seligen sehen können. Papst Gregor der Große versichert uns, dass die Leiden der Verdammten ein durchaus angenehmer Anblick für die Auserwählten seien. Bernhard von Clairvaux (um 1090 bis 1153) erregt sich geradezu, wenn er uns anschaulich und eindringlich vor Augen führt, dass die Seligen das Schauspiel, das die Qualen der Verdammten ihnen bieten, mit Vergnügen sehen, und zwar mit Vergnügen aus genau vier Gründen: Erstens, weil diese Qualen sie nicht berühren; zweitens, weil nun, da

Hans Memling, Das Jüngste Gericht, Triptychon (rechter Flügel), 1467-1473. Öl auf Holz, gesamter Triptychon: 242 x 360 cm. Muzeum Narodowe w Gdansku, Danzig.

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die Gottlosen alle verdammt sind, die Seligen nicht länger irgendwelche Missetaten durch die Menschen oder der Teufel fürchten müssen; drittens, weil ihre eigene Glorie nun durch den Kontrast größer erscheint und viertens, weil das, was Gott gefällt, auch den Gerechten gefallen muss. Und ganz sicher war das Schauspiel so vielfältig, intensiv und abwechslungsreich, dass selbst der Verwöhnteste daran Geschmack fand und die exklusivsten Neigungen befriedigt wurden. Wir wollen zumindest in unserer Fantasie versuchen, einen Moment lang Zuschauer bei diesem Spektakel zu sein. Folgen wir also den Spuren einiger jener Pilger, die das Glück hatten, das „Reich des toten Volkes“ zu besuchen. Ein Mönch namens Petrus, von dem Gregor der Große in einem seiner Dialogi spricht, sah die Seelen der Verdammten getaucht in ein grenzenloses Flammenmeer. Der schottische Bischof Furseus sah vier große Feuer in größerem Abstand voneinander, in denen vier unterschiedliche Kategorien von Sündern bestraft wurden und viele Dämonen eifrig mit ihnen beschäftigt waren. Diese Visionen gehören nicht zu den ganz frühen, sie stammen aus dem 6. und 7. Jahrhundert und zeigen uns eine Bestrafung, die noch nicht diversifiziert ist, sondern einfach und einheitlich. In den Visionen der darauf folgenden Jahrhunderte entwickelte sich allmählich eine gewisse Vielfalt und Komplexität der Strafen, und die Hölle zeigte sich langsam in all der Mannigfaltigkeit ihrer Gräuel und Schrecken. Der Mönch Wettin, von dessen Vision ein Abt des Klosters Reichenau zu Anfang des 9. Jahrhunderts berichtet, gelangte, begleitet von einem Engel, zu unvergleichlich schönen und erhabenen Bergen, die, wie es schien, aus Marmor bestanden, und deren Sockel von einem breiten Feuerstrom umflossen wurde. In die Wellen dieses Stromes war eine unfassbare Menge Verdammter getaucht, andere wurden auf tausend andere Arten gequält. In einem großen Feuer waren viele fest an Pfähle gebundene Kirchenmänner unterschiedlichsten Ranges zu sehen, wobei jeder seiner eigenen Geliebten ins Auge sehen musste, die ihm gegenüber in derselben Weise angebunden war. Der Engel erklärte Wettin, dass diese Sünder an jedem Tag der Woche bis auf einen an ihren Genitalien gegeißelt würden. In einer schwarzen, rußigen Burg, aus der eine dichte Rauchwolke aufstieg, waren mehrere Mönche gefangen, und einer von ihnen war auch noch in einer bleiernen Kiste eingesperrt. Weitaus abwechslungsreicher hatte der Mönch Alberico de Settefrati die Hölle zu Beginn des 12. Jahrhunderts gesehen, als er noch ein Kind gewesen war. In einem düsteren Tal standen viele Seelen in Eis getaucht, einige nur bis zu den Knöcheln oder Knien, andere bis zur Brust oder zum Hals. Gleich dahinter wuchs ein fürchterlicher Wald mit sechzig Ellen hohen Bäumen und voller Dornen, an deren scharfen, stacheligen Ästen jene herzlosen Frauen an den

Jan van Eyck, Das Jüngste Gericht, um 1430. Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 56,5 x 19,7 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York.

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Brüsten aufgehangen waren, die sich geweigert hatten, kleine mutterlose Kinder mit ihrer Milch zu ernähren. An jeder hingen zwei Schlangen, die an jenen Brüsten saugten, die einst so grausam verwehrt worden waren. Auf einer dreihundertfünfundsechzig Ellen hohen Leiter aus rot glühendem Eisen stiegen jene hinauf und hinab, die an Sonntagen oder an Festtagen der Heiligen nicht auf den Intimverkehr verzichtet hatten. Hier fiel der eine, da der andere von ihnen kopfüber in einen riesigen Kessel am Fuß der Leiter, in dem es vor lauter kochendem Harz, Öl und Pech nur so brodelte und schäumte. In fürchterlichen Flammen wie in einem Schmelzofen wurden die Tyrannen bestraft, in einem Feuersee die Mörder. In einer gigantischen Schmorpfanne voll geschmolzenem, mit Harz und Schwefel gemischtem Metall wie Blei, Zinn und Bronze, saßen jene leichtherzigen Gemeindepfarrer, die bei den minderen Vergehen ihrer Gemeindemitglieder ein Auge zugedrückt hatten. Ein kleines Stück weiter gähnte wie ein Brunnenloch das Maul der tiefsten Höllengrube, finster und voll schrecklichem Gestank und Getöse. Gleich daneben war eine Schlange von enormer Größe mit einer eisernen Kette befestigt. In der Luft schwebend hingen vor ihr jede Menge Seelen, und mit jedem Atemzug sog die Schlange ein paar von diesen Seelen ein, als seien sie Fliegen, um sie dann beim Ausatmen glühend wie Feuerfunken wieder auszuspeien. Die Gotteslästerer kochten in einem See aus geschmolzenem Metall, dessen Wellen ein prasselndes Geräusch von sich gaben. In einem anderen See mit schwefligem Wasser und voller Schlangen und Skorpione ertranken immer und immer wieder die Verräter und die, die falsch Zeugnis ablegten. Diebe, Erpresser und Wucherer waren mit riesigen Ketten von rot glühendem Eisen gefesselt, um ihrem Hals hingen schwere Eisengewichte. Doch von allen Beschreibungen der Hölle, die das Mittelalter uns hinterlassen hat, ist die schrecklichste, die an Poesie des Grauens reichste, in der es vor skurrilen Einfällen und fantastischen Erfindungen nur so wimmelt, diejenige, die wir in der Visio Tnugdali, der bereits erwähnten Vision des Tundalus lesen können. Die Seele des Tundalus entkommt den Händen zahlloser Dämonen und durchquert, geleitet von einem strahlenden Engel, die dichteste Finsternis, bis sie ein grauenvolles Tal erreichen, voll glühender Kohlen und überwölbt mit einem Himmel rot glühenden, sechs Ellen starken Eisens. Auf jenes riesige Dach regnen unablässig die Seelen von Mördern herab, die dort, durchdrungen von der fürchterlichen Hitze, schmelzen wie Schweineschmalz in der Pfanne und dann, verflüssigt, durch das Metall hindurchsickern wie geschmolzenes Wachs, das durch ein

Tuch geseiht wird. Dann tröpfeln sie auf die Kohlen darunter, wo sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren, wiederhergestellt und erneut bereit zur nicht endenden Bestrafung. Ein Stück weiter befindet sich ein Berg von erstaunlichem Ausmaß, voller Schrecken inmitten einer großen, weiten Einsamkeit. Dorthin gelangt man auf einem schmalen Pfad, über den auf einer Seite rauchende Flammen, auf der anderen Hagel und Schnee hinweg jagen. Der Berg ist voller mit Dreizack und Haken bewaffneter Dämonen, die über die Seelen der Verschwörer und Abtrünnigen herfallen, die sich mühsam den Pfad entlangschleppen. Die Dämonen stoßen sie um und werfen sie aus dem Feuer hinüber ins Eis und aus dem Eis wieder ins Feuer, unablässig hin und her, immer wieder, immer wieder. Und dann ist da noch ein Tal, ebenso düster und fürchterlich, den Grund kann man gar nicht erkennen. Hier erzittert die mit Rauch gesättigte und unerträglich stickige Luft von dem da unten fließenden schwefligen Fluss und von dem nicht enden wollenden Heulen der Verdammten. Zu den gegenüberliegenden Wänden dieses Abgrunds führt eine Brücke, eintausend Schritte lang und kaum einen Schritt breit, unpassierbar für die Stolzen, die hinabstürzen, endlosen Qualen entgegen. Nach einer langen und beschwerlichen Reise stellt sich der verängstigten Seele eine Bestie in den Weg, größer als der höchste Berg und unaussprechlich schrecklich anzusehen. Die Augen ähneln zwei brennenden Hügeln, das Maul ist so groß, dass es neuntausend Kämpfer und Streiter fassen könnte. Zwei Riesen halten wie mächtige Säulen das eine unauslöschliche Flamme ausspeiende Maul aufgesperrt. Angetrieben und vorwärtsgestoßen von vielen, vielen Dämonen stürzen die Seelen der Geizkragen in dieses Feuer, gelangen ins Maul und von da in den Bauch der Bestie, aus dem das Geheul von unzähligen Gequälten zu vernehmen ist. Als Nächstes kommt ein riesiger, sturmgepeitschter See, den eine zwei Meilen lange und mit scharfen, spitzen Nägeln besetzte Brücke überspannt. Ungeheuer sammeln sich entlang der Brücke, speien Feuer und verschlingen alle Seelen, die herunterfallen, das sind die der Diebe, Erpresser und Wucherer. Aus einem runden, riesengroßen, einem Backofen ähnelnden Gebäude sprühen Flammen, die an den Seelen sengen und züngeln, obwohl sie doch noch tausend Schritte entfernt sind. Vor den Türen, inmitten des Feuers, stehen teuflische Scharfrichter, bewehrt mit Äxten, Bohrern, Hacken, Messern, Sicheln, Spießen und anderen Werkzeugen, mit denen sie die Seelen der Unersättlichen häuten, durchbohren, enthaupten, zerhacken, vierteilen und schließlich ins Feuer werfen.

Giorgio Vasari (begonnen), Federico Zuccari (beendet), Die Bestrafung der Lust, Das Jüngste Gericht (Detail), zwischen 1572 und 1579. Fresko. Santa Maria del Fiore, Florenz.

Michelangelo (eigentlich Michelangelo Buonarroti), Das Jüngste Gericht, 1534-1541. Fresko, 1370 x 1220 cm. Sixtinische Kapelle, Vatikan, Rom. Luca Signorelli, Die Verdammten (Detail), 1499-1505. Fresko. Dom, Brizio-Kapelle, Orvieto (Italien).

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Noch ein Stück weiter hockt auf einem zugefrorenen Wasserloch eine Bestie, in ihrer Gestalt ganz anders als die anderen, sie hat zwei Flügel, zwei Füße, einen sehr langen Hals und einen eisernen Schnabel, der unauslöschbare Flammen speit. Dieses Ungeheuer verschlingt alle Seelen, die in seine Reichweite geraten, verdaut sie und scheidet sie, wenn sie verdaut sind, in der üblichen Weise aus. Wenn dieser Kot aus Seelen auf das Eis des gefrorenen Wasserlochs fällt, nimmt jede Seele wieder ihre ursprüngliche Form an und wird, solchermaßen wiederhergestellt, schwanger, unabhängig davon, ob sie weiblich oder männlich ist. Die Schwangerschaft nimmt ihren natürlichen Verlauf, und währenddessen bleiben die Seelen auf dem Eis und fühlen, wie ihre lebenswichtigen Organe von der Brut, die sie empfangen haben, zerrissen werden. Gegen Ende dieser Periode bringen sie alle – Männer wie Frauen – monströse Kreaturen zur Welt, mit Köpfen aus rot glühendem Eisen, scharfen, spitzen Schnäbeln und Schwänzen voller Haken. Diese Kreaturen brechen aus allen möglichen Körperteilen hervor und zerreißen dabei lebendes Fleisch und lebenswichtige Organe oder zerren beides hinter sich her, sie beißen, brüllen, krallen. Das ist die Strafe für die Lasterhaften, die Unzüchtigen und Ausschweifenden, und ganz besonders für diejenigen, die in den Dienst Gottes getreten waren und dennoch ihr Fleisch nicht zügeln konnten. In einem anderen, weiter entfernten Tal befinden sich viele Schmiedewerkstätten, und zahllose als Schmiede verkleidete Dämonen packen die Seelen mit heißen Zangen und werfen sie auf die Kohlenglut, die der Atem des Blasebalgs beständig rot glühend hält. Dann, wenn die Seelen heiß genug und verformbar geworden sind, ziehen die dämonischen Schmiede sie mit großen eisernen Schürhaken aus dem Feuer, werfen zwanzig oder dreißig oder gar hundert auf einen Haufen, gießen diese glühende Masse auf den Amboss und schlagen abwechselnd mit ihren Schmiedehämmern darauf. Wenn die Masse dann derart gehämmert und verschweißt ist, schleudern sie sie durch die Luft anderen, nicht weniger schrecklichen Schmieden zu, die sie von Neuem mit eisernen Zangen packen und das Spiel mit ihnen von vorn beginnen. Tundalus selbst wurde dieser Folter unterzogen, die für jene gedacht ist, die Sünde über Sünde aufgehäuft haben. Nachdem die Seele dieser monströsen Prüfung unterzogen wurde, kommt sie zum letzten und tiefsten Schlund der Hölle, der in seiner Form einer viereckigen Zisterne gleicht, aus der eine Rauchund Feuersäule hoch aufsteigt. Unendlich viele Seelen und unzählige Dämonen bewegen sich in Funkenform in dieser Säule und fallen wieder in die Grube hinab. Und dort, ganz unten, in der allerschrecklichsten Tiefe der Hölle, wohnt der Fürst der Finsternis, ausgestreckt und festgebunden auf einem riesigen Gitterrost und umwimmelt von Dämonen, die die

lodernden Kohlen unter ihm schüren und mit dem Blasebalg anheizen. Er ist riesengroß, schwarz wie Rabenfedern und hat tausend mit eisernen Klauen bewehrte Arme. In der Dunkelheit schwingt und windet er einen außerordentlich langen, dicht mit den schärfsten Stacheln besetzten Schwanz. Dieses entsetzliche Monstrum wütet und wirft sich herum, und toll vor Pein und Wut schleudert er seine tausend Hände durch die düstere, mit Seelen geschwängerte Luft. Was er fängt, stopft er sich ins brennende Maul, so wie ein durstiger Bauer eine Weintraube im Ganzen verschlingt. Dann atmet er aus und prustet die Seelen heraus, dass es nur so spritzt. Und wenn er den nächsten Atemzug macht, saugt er sie wieder in sich auf. Auf diese Weise werden jene bestraft, die nicht auf Gottes Gnade gehofft oder die gar nicht erst an Gott geglaubt haben, und so auch all die anderen Sünder, die, nachdem sie eine Zeit lang andere Qualen erlitten haben, sich zuletzt dieser einen, endgültigen und für immer fortdauernden zu stellen haben. Andere haben die Hölle beschrieben, als ähnele sie eher einer riesigen und schrecklichen Küche oder einem entsetzlichen Speisesaal, wo die Teufel als Köche und als Tafelgäste fungieren, die Seelen der Verdammten sind die vielfältige Weise zubereiteten und garnierten Speisen. Giacomino da Verona, der ebenfalls weiter oben bereits erwähnt wurde, sagt, der Koch Beelzebub brate die Seele „… wie ein fettes Schwein über dem Feuer“, würze sie mit einer Soße aus Salz, Ruß, Galle, Wasser, herb-beißendem Essig und einer Prise starken Giftes und serviere sie dann, hübsch appetitlich bereitet, am Tische des Höllenkönigs. Dieser kostet und lässt alles zurückgehen, es scheine ihm noch nicht genug durchgebraten zu sein. Raoul de Houdan (2. Hälfte 12. Jh. bis um 1226), ein französischer Dichter und Sänger und Zeitgenosse Giacominos, beschreibt in einer seiner kürzeren Verserzählungen, dem Le Songe d’Enfer, eine großartiges infernalisches Bankett, an dem er teilnehmen durfte, als König Beelzebub eine öffentliche Ratssitzung und Generalversammlung abhielt: Kaum hatte Houdan die Hölle betreten, sah er, wie sich eine große Schar Dämonen daran machte, die Tische zu decken. Jeder, der wollte, konnte eintreten, niemand wurde ausgeschlossen. Äbte, Bischöfe und andere Kleriker und Schreibkundige grüßten ihn freundlich, Pilatus und Beelzebub hießen ihn willkommen, und zur bezeichneten Stunde nahmen alle an den Tischen Platz. Nie und an keinem Königshof hatte es ein prachtvolleres Bankett mit ausgesuchteren Speisen gegeben. Die Tafeltücher waren aus der Haut von Wucherern und Beutelschneidern gemacht, die Servietten aus der Haut bejahrter Prostituierter. Die einzelnen Gänge und Zwischengerichte ließen nichts zu wünschen übrig: fette, knusprig gebratene Wucherer, Haschee aus Mördern und Räubern, Metze an Kräutersoße, Häretiker am Spieß, gegrillte Anwaltszunge ebenso wie Mönchs-, Heuchler-, Nonnen- und Sodomitenragout sowie

Domenico di Michelino, Dante und die drei Königreiche, 1465. Öl auf Leinwand. Museo dell’Opera del Duomo, Florenz.

Sandro Botticelli, Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie, Zehnter Gesang des Inferno, um 1490. Biblioteca Apostolica Vaticana, Vatikan, Rom.

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anderes zartes Wildbret. Wein gab es nicht. Wer durstig war, trank Schurkensaft. Die Teufel übten das Amt des Aufsehers und des Scharfrichters aus. Wie berichtet wurde, war es war ihre Pflicht, die Seelen zu kochen, zu rösten, sie abzubalgen und zu vierteilen. Jedes Amt hatte seine Dienstgrade und Unterabteilungen, und während die Gepeinigten je nach ihren Sünden auf die einzelnen Höllenregionen verteilt wurden, so waren auch die Peiniger eingeteilt je nach der Strafe, die ihrer besonderen Verantwortung unterstand. Und so wie hinter jedem Vergehen ein spezieller Anstifter steckte, so gab es auch einen speziellen diabolischen Bestrafer dazu. Doch besteht die Frage, ob auch die Bestrafer, wenn sie voll Hingabe ihr Amt ausübten, die Züchtigung empfanden, die ihre eigene Gottlosigkeit verdient hätte? Wurden auch sie gepeinigt, während sie selbst peinigten?

Sandro Botticelli, Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie, Achtzehnter Gesang des Inferno, um 1490. Staatliche Museen zu Berlin, Berlin.

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Dazu gehen die Meinungen auseinander. Es mangelt nicht an Verfassern, und Verfassern guter Reputation zudem, die betonen, die Teufel würden nicht unter den Qualen der Hölle leiden. Denn wenn sie darunter litten, würden sie nur mit großem Widerwillen ihre Pflicht erfüllen, die darin besteht, andere zu quälen und zu versuchen. Eine Pflicht, die sie, wie es scheint, im Gegenteil sogar mit erstaunlicher Begeisterung erfüllen. In den Visionen wie auch in der Dichtung Dantes ist Luzifer gewöhnlich in den untersten Tiefen der Hölle gefangen, wo er, so wird übereinstimmend auch in der Offenbarung des Johannes gesagt, den härtesten Folterungen ausgesetzt ist.69 Von den anderen Dämonen wird in der Regel allerdings nicht gesagt, dass sie schlimme Qualen leiden. Dass sie sich gelegentlich gegenseitig quälen, aneinander geraten oder sich gegenseitig gehörig verprügeln, scheint nur natürlich, und Ausschreitungen dieser

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Art sind in der Visio Tnugdali ebenso zu finden wie in der Göttlichen Komödie, und zwar da, wo Dante den Graben der Bestechlichen beschreibt.70 Auch an Erholung und Vergnügungen fehlte es den verfluchten Geistern nicht. So wie jede gute Arbeit für sie eine Qual war, fanden sie Vergnügen bei jeder schlechten Arbeit. Und nach allem, was wir über die Geschäfte der Menschen wissen, können wir getrost vermuten, dass die Teufel häufiger Grund zum Jubeln als zum Grämen hatten. In frommen Legenden sieht man oft die Teufel Freudensprünge machen, wenn irgendeine Seele gerade ihr Mitbürger geworden ist. Der Abt und Bischof Peter von Celle (Petrus Cellensis; um 1115 bis 1183) sagt in einer seiner Predigten, der Teufel, tief versunken in den Flammen der Hölle, wäre doch längst Hungers gestorben, würde er nicht durch die Sünden der Menschen immer wiederbelebt werden. Und Dante versichert uns, dass der Teufel selbst unten in der

Hölle Trost findet, wenn er nämlich sieht, wie die Dinge in dieser Welt ganz nach seinem Sinne ablaufen. Selbst wenn man zugeben will, dass die Leiden der Teufel sehr groß sind, so sind sie doch nicht ohne Linderung. Theologen sind sich im Großen und Ganzen einig, dass im Fegefeuer keine Dämonen sind, die die Seelen quälen. Doch nach sehr vielen Visionen ist das Fegefeuer voller Teufel, die eifrig damit beschäftigt sind, ihrem Amt als Peiniger nachzukommen. Die Kirche, die erst 1439 auf dem Konzil von Florenz das Dogma des Purgatoriums ratifizierte (eine Lehre, die vordem von Gregor dem Großen und von Thomas von Aquin entwickelt worden war), hat sich zu diesem einen Punkt noch nicht festgelegt. Dante, dessen Ideen und Vorstellungen hinsichtlich der Lage und dem Aufbau des Fegefeuers seine ganz und gar ureigenen sind, hält es in Anbetracht der Frage, ob Dämonen im Purgatorium zu Gange sind, mit der Meinung der

Sandro Botticelli, Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie, Fünfzehnter Gesang des Inferno, um 1490. Biblioteca Apostolica Vaticana, Vatikan, Rom.

Anonym, Die Hölle (Detail), 16. Jh. Öl auf Leinwand. Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon.

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Theologen und lässt die der Mystiker fallen. Der alte Widersacher versucht, in das Purgatorium des Dichters in Gestalt einer Schlange einzudringen: War eine Schlange, der wohl zu vergleichen, Die Eva einst die bittre Speise bot.71 Doch die Engel, „… jene Himmelsfalken“72 schlagen ihn in die Flucht. Ganz nebenbei sei bemerkt, dass die Qualen im Fegefeuer, weil sie nicht für immer andauerten, von einigen für schlimmer gehalten wurden als die in der Hölle. Die Hölle war der ganz normale Aufenthalt der Verdammten und der Ort, an dem sie ihre verdiente Strafe regelmäßig abbüßten, allerdings sollte man nicht glauben, dass diese Regel gänzlich ohne Ausnahme war. An dieser Stelle wollen wir die wenigen glücklichen Geister unter den Verdammten, die durch ganz besondere göttliche Gnade aus dem Höllenschlund gezogen und in den Himmel eingelassen wurden, außer Acht lassen, von ihnen soll später noch die Rede sein. Es ist anzumerken, dass in einigen konkreten Fällen die Verdammten ihr Gefängnis für eine kurze oder längere Zeit durchaus verlassen konnten und dass es dann sozusagen eine Hölle außerhalb der Hölle für sie gab. Wie wir gesehen haben, sind den Menschen häufig Verdammte erschienen, denen es jedoch nichts nützte, außerhalb ihres gewohnten Leidensortes zu sein, denn das Leiden folgte ihnen wie ein Schatten dem Körper. Andere Verdammte durften nicht in der Hölle schmoren, sondern mussten an einem seltsamen Ort auf der Erde leiden, vielleicht, um als heilsame Warnung für all jene zu dienen, die ihnen auf ihren Wanderungen begegneten. So fand Brendan der Reisende, als er auf der Suche nach dem irdischen Paradies die Meere befuhr, den größten aller Verbrecher, Judas Ischariot, in einem riesigen Malstrom, wo er von den wütenden Wogen beständig hin und hergeschleudert wurde. Und einer der Helden der altfranzösischen, sich rund um Karl den Großen (747/748 bis 814) rankenden Epen, Huon de Bordeaux, wanderte ostwärts und fand Kain in einem innen mit lauter Nägeln besetzten Eisenkäfig gefangen, der unablässig auf einer verlassenen Insel umherrollte. Giovanni Boccaccio (1313 bis 1375), der auf seine Art die Geschichten aus alter Zeit neu erzählt, schildert die furchtbare Geschichte von jenem Guido degli Anastagni73, der sich aufgrund unerwiderter Liebe das Leben nahm und daraufhin zu ewig währender Bestrafung verdammt war. Täglich reitet er über Land, mal hier, mal da, sitzt auf einem schwarzen Ross, hält ein Rapier in der Hand, zwei

Fra Angelico, Das Jüngste Gericht, Die Hölle (rechter Flügel), um 1435-1440. Tempera auf Holz, 102,7 x 28 cm. Gemäldegalerie, Berlin. Bartolomeo di Fruosino, Illustration zu Dantes Inferno, um 1420. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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Giovanni di Paolo, Das Jüngste Gericht, nach 1445. Tempera und Gold auf Holz. Pinacoteca Nazionale Siena, (Italien).

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Mastiffs rennen vor ihm her, und immerfort verfolgt er die grausame, herzlose Dame. Sie ist ebenso wie er verdammt und flieht unablässig vor ihm, nackt und zu Fuß. Er holt sie ein und durchbohrt sie mit dem Rapier, schlitzt ihren Körper mit seinem Jagdmesser auf und wirft ihr Herz und andere Organe seinen ausgehungerten Hunden vor. Étienne de Bourbon spricht von gewissen Gespenstererscheinungen, die in der Gegend um den Ätna zu beobachten waren. Die Gespenster waren damit beschäftigt, eine Burg zu errichten, die jede Samstagnacht zusammenfiel, um jeden Montagmorgen erneut wieder von den Grundmauern an aufgebaut zu werden. Es ist jedoch wahrscheinlich, das es sich hier eher um Seelen im Zustand der Reinigung und Läuterung handelt als um Seelen von Verdammten. Mehr als einmal wurde mitten in der Nacht die gesamte Höllenbewohnerschaft beobachtet, wie sie in einem langen Zug durch die Luft oder durch Wälder marschierte, in Reihen aufgestellt wie Heerscharen auf dem Vormarsch. Der Mönch Otlo (1013 bis 1072) erzählt von zwei Brüdern, die eines Tages ausritten und eine große Menge Leute bemerkten, die in der Luft, nur ein wenig über dem Boden, vorbeizogen. Erschrocken bekreuzigten sie sich und baten diese seltsamen Reisenden, ihnen zu verraten, wer sie seien. Einer von ihnen, der nach dem Pferde, auf dem er ritt, und nach seinem Erscheinungsbild ein bedeutender Kavalier zu sein schien, stellte sich so vor: „Ich bin euer Vater, und wenn ihr nicht dem Kloster die Lehnsgüter zurückgebt, von denen ihr wisst, dass ich sie zu Unrecht fortgenommen habe, werde ich ohne Hoffnung auf Vergebung verdammt sein, und mit mir alle meine Nachkommen, die das unrechtmäßig erworbene Land in ihrem Besitz behalten.“ Der Vater gibt seinen Söhnen eine dunkle Ahnung von den Qualen, die er leidet, die Söhne machen das Vergehen wieder gut und befreien somit seine Seele aus der Hölle. Eine noch schrecklichere und wundersamere Geschichte als diese findet man jedoch in den Erzählungen eines anderen Mönchs, des Chronisten Ordericus Vitalis (1075 bis um 1142). Ein Priester namens Gualchelmus, Kurat von Bonneval, befand sich im Jahr 1091 eines Nachts auf dem Rückweg von einem Krankenbesuch und war noch weit von zu Hause entfernt. Als er die einsame, vom Mond beleuchtete Flur durchwanderte, erfüllte seine Ohren plötzlich ein tiefes, unheilvolles Geräusch, als sei eine riesige Armee im Anmarsch. Von Entsetzen gepackt, will er sich hinter einem nahen Gebüsch verstecken, als ihm plötzlich ein mit einer gewaltigen Keule bewaffneter Riese den Weg versperrt und ihm gebietet, sich nicht zu bewegen, ohne ihn jedoch anderweitig zu belästigen. Der Priester bleibt wie angewurzelt stehen und wird Zeuge eines seltsamen und fürchterlichen Schauspiels. Zunächst zieht eine Gesellschaft unzähliger Männer zu Fuß vorbei. Sie treiben eine große Herde Rinder vor sich her und sind mit allerlei Beute und Diebesgut

beladen. Alle stoßen die schmerzlichsten Wehklagen aus und bedrängen und belästigen einander. Dann folgt ein Trupp Totengräber, die fünfzig Totenbahren tragen. Auf jeder Bahre sitzt ein grausiger Zwerg mit einem riesigen Kopf wie ein Fass. Festgebunden an einem von zwei dunklen Äthiopiern (Teufeln) auf den Schultern getragenen großen Baumstamm, kommt ein böser Mann daher, dessen schreckliches Gebrüll die Luft erfüllt. Ein monströser Dämon sitzt rittlings auf ihm und jagt ihm glühende Sporen in Lenden und Rücken. Dahinter erscheint eine endlose Schar sündhafter Frauen zu Pferde, immer wieder hebt der Wind ihre grazilen Körper eine ganze Elle hoch und lässt sie dann zurück auf die Sättel fallen, die mit rot glühenden Nägeln übersät sind. Dieser Kavalkade schließt sich eine Gruppe Kirchenmänner jeden Ranges an, dahinter kommt auf schnellen, riesigen Pferden ein ganzes Reiterheer in voller Rüstung, schwarze, im Winde flatternde Banner tragend. Mit einem dieser Reiter wechselt der Priester ein paar Worte, die ich hier nicht wiedergegeben will. Ordericus erklärt, er habe dies alles aus des Priesters eigenem Munde vernommen. In der dem Johannes zugeschrieben Enthüllung lesen wir, dass die Qualen der Verdammten für alle Zeiten fortdauern werden, und dass sie Tag und Nacht ohne Unterbrechung anhalten.74 Die Kirchenschriftsteller sind uneins hinsichtlich der Frage, ob Gott die Verdammten fallen lässt und vergisst. Der heilige Bernhard sagte ausdrücklich in einer seiner Predigten, dass es in der Hölle keinen Platz für Nachsicht gäbe, da dort die Möglichkeit der Reue nicht bestünde. Diese Meinung wird von der strengen, von Dogmen bestimmten Glaubenslehre bestätigt. Doch existiert noch eine andere, eine Gegenmeinung, angeregt von einer Glaubenslehre, die humaner und toleranter ist, die nichts weiß von den Spitzfindigkeiten der Dialektik, einer Glaubenslehre, die stattdessen von Herzen kommt und zu Herzen geht – nach dieser anderen Meinung macht die unendliche Gnade Gottes nicht vor den Toren der Hölle halt, sondern durchdringt den Abgrund der Hölle wie ein freundlicher Strahl des hellen Sonnenlichts und bringt den Verdammten ein wenig Ruhe und Aufschub und lindert ihre unaussprechlichen Qualen. Der christlich-lateinische Dichter Prudentius (348 bis nach 405) spricht in einem seiner Epen von der Ruhepause, die den Seelen der Verlorenen in der Nacht Christi Auferstehung gewährt wird. Aus einer apokryphen Apokalypse des Paulus, die gegen Ende des 4. Jahrhunderts von einem griechischen Mönch aufgeschrieben wurde, erfahren wir vom Abstieg des Apostels zu den Heiden im Reich der ewigen Verdammnis. Vom Erzengel Michael geführt, ist der Apostel bereits im ganzen „Reich der Schmerzen“ herumgekommen, er hat die verschiedenen Kategorien von Sündern gesehen und die bitteren Strafen, die die göttliche Gerechtigkeit ihnen auferlegt. Bei ihrem Anblick hat Paulus Tränen des Mitleids und des Kummers vergossen.

Fra Angelico, Das Jüngste Gericht (Detail), 1432-1435. Tempera und Gold auf Holz, 105 x 210 cm. Museo di San Marco, Florenz.

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Paulus ist gerade dabei, sich von dem Schrecken der Dunkelheit loszureißen, als die Verdammten wie aus einem Munde schreien: „Oh Michael! Oh Paulus! Habt Erbarmen mit uns, betet für uns zum Erlöser.“ Der Erzengel spricht zu ihnen: „Weinet nur alle, und ich will mit euch weinen, und Paulus und alle Engelschöre werden mit mir weinen. Wer weiß, vielleicht mag Gott doch seine Barmherzigkeit über euch ausbreiten?“ Und die verlorenen Seelen rufen: „Du Sohn Davids, erbarme dich unser.“75 Und siehe, der gekrönte Christus steigt vom Himmel herab und tadelt die sündigen Seelen für ihre Verderbtheit und erinnert sie an das Blut, dass vergebens für sie vergossen wurde. Doch Paulus und Michael und tausende und abertausende Engel knien nieder vor dem Sohn Gottes und flehen ihn an, Gnade walten zu lassen. Dann erweist Jesus, vor Mitleid gerührt, all den Seelen in der Hölle seine Gnade, damit sie ausruhen können und ohne Qualen sein mögen von der neunten Stunde des Sonnabends bis zur ersten Stunde am Montag. Dies ist vielleicht die schönste all der frommen Legenden, die die christliche Vorstellungskraft hervorgebracht hat. Sie wurde später aus dem Griechischen in das Lateinische und aus dem Lateinischen in die Sprachen der Völker Europas übersetzt, sie erfreute sich großer Beliebtheit, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass Dante sie kannte und auf diese Geschichte in seiner göttlichen Dichtung Bezug nimmt. Doch der dahinter steckende Gedanke ist nicht ausschließlich dieser Legende zu Eigen, er tauchte auch noch in anderen mittelalterlichen Legenden auf. Petrus Damiani (1006 bis 1072) erzählt im Auftrag Erzbischof Humberts das Folgende: Nahe Pozzuoli erhebt sich aus dem schwarzen, stinkenden Wasser eine zerklüftetes, felsiges Kap. Und aus diesem pestbringenden Wasser steigen zu bestimmten Zeiten schreckliche Vögel auf. Von Samstagabend bis Montagmorgen kann man sie sehen, dann fliegen sie, als seien sie aus einem Käfig losgelassen, über dem Vorgebirge hin und her, sie strecken ihre Flügel und putzen sich das Gefieder mit den Schnäbeln, so, als freuten sie sich einer Art ihnen gewährter Rast und Erholung. Niemand sieht sie je fressen, auch ist es keinem Vogelfänger je gelungen, einen von ihnen zu fangen, so trickreich er es auch angestellt haben mag. Wenn am Montagmorgen die Dämmerung anbricht, kommt plötzlich ein Rabe, so groß wie ein Geier, und treibt sie mit heiserem Krächzen zusammen und vor sich her. Einer nach dem anderen stürzen sie ins Wasser und sind bis zum darauf folgenden Sonnabend nicht mehr zu sehen. Deshalb glaubt so mancher, das seien die Seelen der Verdammten, denen zu Ehren der Auferstehung Christi das Privileg zuteil wurde, am Sonntag und in den Nächten davor und danach auszuruhen.

Henri Romain, Abstract des Livius. Bibliothèque nationale de France, Paris. Augustinus, De civitate Dei, Illustration aus dem 15. Jh. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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Doch sei es nun mit oder ohne zeitweise Linderung und Erholung, die Höllenqualen dauern bis in alle Ewigkeit fort. Die Lehre, die Origenes im 4. Jahrhundert begründete – und Origenes war gewiss einer der größten Köpfe, die das frühe Christentum hervorbrachte –, die Lehre also, dass am Jüngsten Tag alle Geschöpfe erlöst würden und alles, was von Gott ausging, schließlich zu Gott zurückkehren würde – eine Lehre, die auch in den darauf folgenden Jahrhunderten von Bischof Gregor von Nazianz (329 bis 390) und vom Heiligen und Kirchenlehrer Gregor von Nyssa (um 335 bis nach 394) vertreten wurde –, hatte die eher eifersüchtigen Wächter der dogmatischen Wahrheit auf den Plan gerufen. Sie missbilligten diese Lehre, ihre Konzile und Synoden belegten sie mit dem Kirchenbann und sie machte vollends Platz für die Lehre der ewigen und unabänderlichen Verdammnis. Diese furchtbare Bedrohung war nun also in den Köpfen aller Menschen gegenwärtig, und jedes Mittel war recht, sie dort noch tiefer zu verankern und einzubleuen. Die Künste wetteiferten miteinander, wer denn wohl den Glauben am besten unterstütze. Giotto malte in der Arenakapelle von Padua, Andrea di Cione, (genannt Orcagna; 1308 bis 1368) malte auf einer Innenwand der Kirche Santa Maria in Florenz, und ein anonymer Maler malte im Campo Santo in Pisa – sie alle stellten mit ihren Pinseln die Flammen des Schreckens im Abgrund der Hölle bildlich dar. In den Mysterienspielen erschien das abgrundtiefe Maul eines symbolischen Drachens auf der Bühne, das war der Seelenverschlinger. Dante beschrieb allen Völkern das Reich der Finsternis, über dessen furchtbarem Tor unter anderem folgende Worte standen: „Lasset, die ihr hier eingeht, alle Hoffnung fahren.“76 Von der Kanzel, mit einer Hand das Kruzifix zum Zeugnis seiner Worte erhebend, zählt der Pater die Qualen auf, eine nach der anderen, die jenen verfluchten Seelen zuteil werden, die unter Satans Herrschaft gefallen waren. Und wenn er fertig ist, beginnt die Orgel zu donnern, während unter den tiefen Gewölbebögen, im Zwielicht des marmornen Kirchenschiffs, der angstvolle Gesang widerhallt, der von den Schrecken der gefürchteten Höllengrube erzählt: Ubi tenebrae condensae, Voces dirae et immensae, Et scintillae sunt succensae Flantes in fabrilibus. Locus ingens et umbrosus, Faetor ardeñs et fumosus, Rumorque tumultuosus, Et abyssus sitiens.77

Brüder von Limburg, Die Hölle, aus: Das Stundenbuch des Herzogs von Berry (Les Très Riches Heures du Duc de Berry), frühes 15. Jh. Musée Condé, Chantilly (Frankreich).

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V. Die Niederlagen des Teufels

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ATAN hatte, wie wir gesehen haben, sehr, sehr viele Parteigänger, aber auch eine ganze Reihe Gegenspieler: Erstere in der Hölle und auf der Erde, Letztere auf der Erde und im Himmel. Die Parteigänger Satans waren alle anderen Dämonen und alle schlechten Menschen, besonders die Häretiker und die Zauberer. Seine Gegenspieler waren alle guten Menschen und besonders die Heiligen, ob nun lebend oder bereits tot, die Geistlichen, wenn auch nicht vermöge ihres Charakters, so doch kraft ihres Berufes, und auch die verschiedenen Engelsorden, die Jungfrau Maria, und Gott, der HERR. Gott nahm – wie schon zu Zeiten der ersten Rebellion Satans – kaum an diesem Kampf teil, er wartete ab, bis die Zeit erfüllt und das vorbestimmte Ende für die Arroganz des Teufels gekommen sein würde. Er duldete, dass seine Mutter, die Heiligen, alle himmlischen Heerscharen und die Menschen, denen es nicht an seiner Gnade oder der Hilfe durch die heilige Kirche fehlte, den Kampf gegen seinen unwürdigen Feind aufnahmen. Und es war ein Kampf, der Tag für Tag ausgefochten wurde, immer wieder neu, denn kaum war Satan geschlagen, erhob er sich wieder, kaum war er von einer Stelle vertrieben, tauchte er an anderer Stelle wieder auf. Gelegentlich tauschte Satan auch die Rolle des Besiegten gegen die des Siegers. Wir werden zunächst untersuchen, welche Siege Menschen von Fleisch und Blut über den großen Widersacher erringen konnten. Danach wollen wir sehen, welche Siege die Bewohner des Himmels über ihn erringen konnten. Dem Christen, der um seines eigenen Seelenheils willen gegen Satan focht, mangelte es durchaus nicht an den für einen solch furchtbaren Kampf nötigen Waffen, weder an denen zum Angriff noch an denen zur Verteidigung. Diese Waffen waren teils spiritueller Art, teils waren sie auch real. Er konnte sich zudem der Unterstützung durch die göttliche Gnade sicher sein, ohne die es keine Hoffnung auf Erlösung gab. Und er hatte außerdem seinen Glauben und seine Tugend, hinter denen er sich zur Wehr setzen konnte wie hinter dem Bollwerk einer stark befestigten Zitadelle. Die religiösen Praktiken, denen er sich beflissen widmete – Fasten, Gebet, Befolgung der Sakramente, längere Virgilien – waren wie so viele Kriegshandlungen dazu gedacht, den Feind auf Abstand zu halten oder ihn, sollte er bereits zu weit vorangeschritten sein, zurückzudrängen. Eine mächtige, Furcht einflößende Waffe, bei Bedarf immer zur Stelle, war das Zeichen des Kreuzes, nicht weniger nützlich beim Angriff als bei der Verteidigung. Ungezählt sind die Teufel, die aus eigenem Munde bekennen mussten, dass sie der Wirkung dieses heiligsten aller Symbole nichts entgegensetzen konnten, dass es sie mit Schrecken und Verwirrung erfüllte. Mit dem Kreuzzeichen wurden nicht nur Teufel in die Flucht geschlagen, sondern auch Feuersbrünste gelöscht, Stürme besänftigt, Kranke geheilt und viele andere schwierige Aufgaben gelöst. Große Wirkung hatten auch die Namen Gottes des Vaters, Jesu und der Jungfrau Maria, wenn sie mit der Inbrunst des Glaubens angerufen und wie eine Kampfansage den Teufeln direkt ins Gesicht geschleudert wurden. Seite 216: Raffael (eigentlich Raffaello Sanzio), Der Hl. Michael tötet den Dämon, auch bekannt als Der große Hl. Michael (in Abgrenzung zur Miniatur gleichen Inhalts und Namens), um 1518. Öl auf Holz, später auf Leinwand übertragen, 268 x 160 cm. Musée du Louvre, Paris.

Als nächste Waffe war da das Weihwasser, das ihre verfluchten Nacken und Rücken stärker verbrühte als das geschmolzene Blei und das siedende Pech in ihren Höllenkesseln. Die Glocken, die die Luft mit ihrem Geläut erfüllten und damit die Gläubigen zum Gebet, zu den Riten der Anbetung und zur Meditation riefen und die gnadenvollen Feiertage und Kirchenfeste ankündigten, schlugen die Dämonen weit und breit in die Flucht, verscheuchten oft die Stürme, die die Teufel heraufbeschworen hatten, und zeitigten manch andere wunderbare Wirkung. Deshalb folgt hier der Glockensang: Laudo Deum verum, Plebem voco, Congrego clerum. Defunctos ploro, Pestem fugo, Festa decoro. Funera plango, Fulgura frango, Sabbata pango. Excito lentos, Dissipo ventos, Paco cruentos;78 und manchmal am Ende die furchtbare Zeile: Est mea cunctorum terror vox daemoniorum.79 Die Reliquien der Heiligen, die über all die Angriffe und all die Winkelzüge Satans triumphiert hatten, waren zahllosen anderen eine große Hilfe, um ähnliche Triumphe erringen zu können. Dasselbe kann man von gewissen um den Hals getragenen oder in die Kleidung eingenähten geweihten Schriften sowie von bestimmten Amuletten sagen. Es bestand auch kein Mangel an rein natürlichen Objekten, die sich den Teufeln entgegenstellten und ihnen Schaden zufügten. Dazu gehörten bestimmte Edelsteine wie Achat und Chrysolith, vor denen die Teufel flohen, und der Saphir, der den Menschen mit Gott versöhnte. Dazu gehörten auch bestimmte Pflanzen wie Knoblauch80 und Raute81 und ein Kraut, das die Franzosen Permanable nennen und das Dämonen verzaubern konnte. Salz war eines der Dinge, vor dem sich die Teufel am meisten fürchteten. Der Hahn war, wie bereits erwähnt, ein großer Teufelsgegner – mit seinem morgendlichen Weckruf war er der Vorbote des Tages und zwang sie (jedoch nicht alle), sich zu verstecken. Und letztlich konnte der gute Christ, wie wir noch sehen werden, in bestimmten Fällen seine Fäuste oder einen kräftigen Knüppel durchaus wirksam einsetzen. Außerdem vermochte sich jemand, der in die Gewalt des bösen Feindes geraten war, mit mehr oder weniger langen und schweren Bußübungen befreien und dem grausamen Meister den Fuß in den Nacken setzen. Sandro Botticelli, Geburt Christi (Mystische Geburt), um 1500. Öl auf Leinwand, 108,6 x 74,9 cm. The National Gallery, London.

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Doch leider muss man eingestehen, dass diese Waffen und diese Schutzmaßnahmen nicht immer wirkten. Das sieht man an vielen bekannten Beispielen, die uns die Lebensbeschreibungen zahlreicher Heiliger liefern, und nicht nur die eher unbedeutenden oder mittelmäßigen, sondern die Heiligen höchsten Ranges. Was auch immer der Grund sein mag, es passierte nur allzu oft, dass die Teufel, gottlos und unverschämt wie sie waren, die frommen Gebete, mit denen die Heiligen sie einzuschüchtern versuchten, ja selbst die Psalmen des heiligen Psalters, Wort für Wort nachsprachen, um nicht zu sagen: mit lauter Hohn und Spott nachäfften. Es geschah auch, dass sie beim Anblick des Kreuzes dreist und frech kicherten, obwohl sie sich doch normalerweise sofort umdrehten und flüchteten, sobald auch nur ein Schatten davon auftauchte. Und es kam vor, dass sie tanzten und herumtollten, obwohl Weihwassertropfen auf sie herabregneten, und dass ihre Übergriffe heftiger und häufiger wurden, je stärker man sich dagegen zu verteidigen suchte. Die Heiligen waren von allen Menschen die imposantesten Gegner Satans, sie waren diejenigen, die pausenlos und ohne Unterlass gegen ihn kämpften, sei es nun in Verteidigung ihrer selbst oder anderer, oder um seinen Missetaten einfach ein Ende zu setzen. Viele Gemeinheiten und zahllose Belästigungen von Seiten Satans mussten sie ertragen, doch oft beglichen sie die Rechnung, die sie mit ihm offen hatten, und zahlten ihm

alles mit Zinsen zurück. Und je heftiger und länger der Kampf anhielt, desto ruhmreicher und vollständiger war ihr Triumph. Ein ganzes Buch könnte man füllen mit den glaubwürdigen Beschreibungen dieser Kränkungen, der wundersamen Demütigungen, der frommen Züchtigungen, die Satan und seine Genossen von Seiten der rechtschaffenen Diener Gottes erfuhren, von Frauen wie von Männern, von altehrwürdigen, langbärtigen Klausnern wie von frommen Jungfrauen, die kaum der Kindheit entwachsen waren. Der heilige Antonius der Große, ein ägyptischer Mönch und erster Eremit, der geduldig tausend Schandtaten der Teufel ertragen und sogar die härtesten Prügel eingesteckt hatte, spie einem der Dämonen eines Tages mitten ins Gesicht, um ihm zu zeigen, wie wenig er von ihm und seinen Possen hielt. Das setzte den Teufel hors de combat (außer Gefecht), und er gab Fersengeld. Nun mag man sagen, die Spucke eines Heiligen besitzt vielleicht Eigenschaften, die der Speichel normaler Menschen nicht hat. Und tatsächlich, Bischof Donatus, der zu Zeiten der Kaiser Flavius Honorius (384 bis 423) und Flavius Arkadius (um 377 bis 408) lebte (Arkadius war Kaiser des byzantinischen Reiches, Honorius Kaiser des weströmischen Reiches), tötete einen riesigen und fürchterlichen Drachen, indem er ihm einfach nur ins Maul spuckte. Wie haben gesehen, welche Wirkung das Kreuzzeichen hatte. Mit dem Zeichen des Kreuzes vertrieben der heilige Sulpicius (2. Hälfte 6. Jh. bis 647) und der heilige Frodobert (um 600 bis um 673), als sie noch Kinder waren, den Teufel, der versucht hatte, sie auf ihrem Weg zur Schule aufzuhalten. Mit derselben Waffe erzielten andere heilige Männer sogar noch wundervollere Ergebnisse. Petrus Venerabilis erzählt uns, der Teufel habe einst einen Weg in die Abtei von Cluny gefunden, um einen der Mönche zu versuchen. Der Prior, ein Mann von großer Gewitztheit und ebenso großer Frömmigkeit, habe mit nichts als dem Kreuzzeichen den Teufel in die Latrine getrieben. Es sollte uns nicht verwundern, dass der heilige Sulpicius und der heilige Frodobert sich so erfolgreich gegen den Teufel verteidigen und ihn sogar in die Flucht schlagen konnten, wo sie doch noch kleine Jungen waren. So wie sich Frömmigkeit und Heiligkeit oft schon in frühen Jahren entwickelte, so entwickelten sich auch bestimmte Fähigkeiten früh, die eine Heiligkeit so mit sich bringt. Der Abt und Heilige Pachomius (um 287 bis 346) war von frühester Kindheit an ein sehr großer und unerbittlicher Gegner des Teufels. Der Mönch Victor von Archiac versetzte die Dämonen schon in Angst und Schrecken, als er noch im Mutterleib war. Doch ist dieses Wunder kaum größer als jenes, das die bloßen Abbilder des heiligen Ignatius von Loyola (1491 bis 1556) seligen Angedenkens vollbrachten. Sie, seien sie nun gemalt oder geschnitzt, schlugen die Verwegensten und Unverschämtesten der verfluchten Geister holterdiepolter in die Flucht. Viele Heilige haben den Teufel gefesselt, manche mit Ketten, manche mit einer einfachen Schnur. Der heilige Silvester I. (bis 335), derselbe, der nach höchst glaubwürdigen Historien den Kaiser Konstantin (272/285 bis 337) vom Aussatz heilte und zum Dank Rom und das ganze Abendland

Mailänder Werkstatt, Die Heilung des Besessenen von Gerasa, spätes 10. Jh., Elfenbein. Hessisches Landesmuseum, Darmstadt.

Anonym, Der Hl. Bernard streckt einen Dämon nieder, Stundenbuch, 1490. Bibliothèque de l’Arsenal, Paris.

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erhielt – dieser Papst Silvester I. erwischte den Teufel in einer tiefen Höhle, wo er die Gestalt eines Drachens angenommen hatte. Er fesselte ihn mit einem Faden und versiegelte sein Maul mit dem Zeichen des Kreuzes. In Hibernia, dem alten Irland, band ein Mann namens Mun, ein Abt und Heiliger, einen Drachen mit einer rot glühenden Kette. Andere Heilige wollten keinen solchen Aufwand betreiben, oder dieser Behelf kam ihnen gar nicht in den Sinn, sie bewerkstelligten es anderweitig. Der heilige Apollonius, ein Abt in der Thebais, erwischte den stolzen Dämon eines Tages in Gestalt eines kleinen Äthiopiers (Teufels) und vergrub ihn im Sand. Einmal, als irgendein Dämon plötzlich in Gestalt eines Riesen über den heiligen Contestus (bis 513) gekommen war und ihn zur Ausschweifung verleiten wollte, warf der fromme Mann seine Stola über des Dämons Nacken und führte ihn wie einen Hund herum und durch die ganze Stadt. Der heilige Illidius (bis um 383) zwang einen der Teufel, zwei Säulen von Trier bis in die Auvergne zu tragen. Der heilige Prokop von Sázava (um 970 bis 1053) zwang einige von ihnen, seinen Pflug durch den

steinigen Boden zu ziehen. Der selige Notker Balbulus (um 840 bis 912) betrat eines Nachts die Kirche und fand dort den Teufel in Gestalt eines Hundes vor, er befahl ihm, stille zu stehen, ergriff einen kräftigen Knüppel, der einst dem heiligen Columban (um 543 bis 615) gehört hatte, und zerschlug ihn auf dem Rücken des Dämons. Der heilige Dunstan (um 909 bis 988), der Abt von Glastonbury, ging noch schlimmer mit dem Teufel um. Dieser achtbare Mann arbeitete eines Tages am Schmiedefeuer eines Hufschmieds, so wie er es in seinen freien Stunden gern zu tun pflegte, als sich ihm der Versucher in Gestalt einer jungen und schönen Frau zeigte. Der Heilige gibt vor, ihn nicht zu erkennen und lässt sich in ein freundliches Gespräch mit ihm ein. Unterdessen wartet er darauf, dass eine auf die Kohlen gelegte Kneifzange ordentlich heiß wird. Als er sieht, dass sie so heiß ist, wie er sie haben will, packt er die günstige Gelegenheit beim Schopf: Er greift nach der Zange, fuchtelt damit herum und erwischt mit bewunderungswürdiger Gewandtheit die Nase des unglücklichen Teufels. Er zerrt und

Fra Angelico, Christus im Limbus, eins von 35 Gemälden für die Silberschatzkammer der Kirche Santissima Annunziata, um 1450. Tempera auf Holz, 39 x 39 cm. Museo di San Marco, Florenz.

Duccio di Buoninsegna, Maestà, Altarretabel des Sieneser Doms, Rückseite, Hauptregister mit Szenen zu Christi Passion, Szene: Christi Höllenfahrt, 1308-1311. Tempera auf Holz, 51 x 53,5 cm. Museo dell’Opera del Duomo, Siena (Italien).

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Vittore Carpaccio, Der Hl. Georg und der Drachen, 1502. Tempera auf Leinwand, 141 x 360 cm. Scuola di San Giorgio degli Schiavoni, Venedig.

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dreht mit solcher Wucht, dass der Teufel in seinem Schmerz sich wie ein Kreisel dreht, wie ein Büffel brüllt und, sobald er sich losgemacht hat, wie ein Pfeil davonschnellt. Der heilige Dominikus (um 1170 bis 1221) war etwas humaner. Eines Nachts, als der Heilige über seinen Studien sitzt, macht sich plötzlich der Teufel um ihn herum zu schaffen und versucht ihn zu foppen und zu necken. Der Heilige lässt aber weder zu, dass er gestört wird, noch verliert er die Geduld – er nimmt einfach die Kerze aus der Lampe, mit der er gelesen hat, gibt sie dem Dämon in die Hand und gebietet ihm, sie völlig ruhig zu halten. Dann liest er weiter als sei nichts geschehen. Der Teufel muss gehorchen. Die Kerze brennt vollständig herunter und versengt ihm die Finger. Denselben Streich sagt man dem heiligen Antonius und dem heiligen Bernhard nach. In einer sehr ähnlichen Situation gab sich Luther damit zufrieden, sein Tintenfass nach des Teufels Kopf zu schleudern – aber Luther war kein Heiliger, einige behaupteten sogar, er sei der Sohn des Teufels gewesen. Die Heiligen waren nicht verpflichtet, sich allzu sehr um das Wohlergehen des Teufels zu sorgen. Der heilige Bernhard von Clairvaux reiste einst in einer Kutsche, als der Teufel daherkam und eines der Räder zerbrach. Umso schlimmer für ihn, denn der Heilige befahl ihm, sich in ein Wagenrad zu verwandeln und die Stelle des von ihm zerschmetterten Rades einzunehmen. Es ist öfters vorgekommen, dass die Teufel, die den Heiligen eine Grube gegraben haben, selbst hineinfielen. So brachte einst ein Teufel es zuwege, dass der heilige Lupus von Sens (bis 623), als er gerade im Gebet versunken war, von einem unbändigen Durst ergriffen wurde. Der Heilige schickt nach einem Becher frischen Wassers, und der Teufel schlüpft augenblicklich hinein, natürlich in der verständlichen Hoffnung, so in den Körper des heiligen Mannes gelangen zu können. Doch dieser deckt in aller Ruhe den Becher mit dem Kissen von seinem Bett zu und hält den dreisten Teufel bis zum nächsten Morgen gefangen. Andere Heilige spielten ihrem bösen Feind denselben Streich, hielten ihn aber viel länger gefangen. Der heilige Conon von Isauria pflegte die Teufel in Flaschen einzuschließen, die er versiegelte und im Fundament seines Hauses aufbewahrte. Doch ihnen allen war Salomo lange vor ihrer Zeit schon immer eine Nasenlänge voraus. Ihm sagt man nach, er habe – ich weiß nicht wie viele – Legionen von Teufeln in einer Messingvase eingeschlossen und dann die Vase in einem Morast nahe Babylon versenkt. Die Teufel wären noch immer dort, hätten nicht die habgierigen Babylonier in einer bösen Stunde die Vase herausgefischt und geöffnet, weil sie dachten, der weiseste aller Könige hätte bestimmt einen Schatz darin versteckt. Und was erst soll ich zu Chiuppillo sagen, einem Heiligen, der zwar nicht im Heiligenkalender steht, aber den die Neapolitaner sehr wohl kennen und oft erwähnen? Keinem anderen Heiligen ist meines Wissens je der Gedanke gekommen, dem arroganten Versucher den Streich zu spielen, den San Chiuppillo ihm gespielt hat, oder ihm einen solch wertvollen Rat

Petrus Christus, Das Jüngste Gericht, 1452. Holz, 134 x 56 cm. Staatliche Museen, Berlin. Maestro di Castelsardo, Der Erzengel Michael, Retabel für St. Peter, 1498-1500. Chiesa di San Pietro, Tuili (Italien).

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zu geben, wie es dieser Heilige tat. Wenn ich nun hier in aller Stille darüber hinweggehe, dann geschieht dies, um die Beschämung, die dem Teufel widerfahren ist, nicht allzu sehr in der Öffentlichkeit auszuwalzen. Weibliche Heilige standen ihren Brüdern in nichts nach, wenn es darum ging, dem Teufel zu verabreichen, was er verdient. Einige wenige Beispiele mögen genügen, um dies zu belegen. Die heilige Juliana (um 285 bis 304) weigerte sich, Eleusius, den Präfekten von Nikomedia, zum Manne zu nehmen, da er Götzen anbetete. Nachdem dieser vergeblich gefleht und gedroht hatte, ließ er sie zunächst mit Ruten schlagen, dann befahl er, man möge sie am Haar aufhängen und ihr flüssiges Blei über den Kopf gießen. Da sie das alles unbeschadet überstand, ließ er sie in Ketten schlagen und in ein Verließ werfen. In diesem Verließ erschien der Jungfrau der Teufel in Gestalt eines Engels und sprach zu ihr: „Oh Juliana, ich bin der Engel Gottes, der mich zu dir gesandt hat, auf dass du dich entschließen mögest, getrost Götzen zu dienen und nicht solch eines bösen Todes zu sterben.“ Doch Juliana schickt ein inbrünstiges Gebet gen Himmel, und der Dämon ist gezwungen, sich zu erkennen zu geben. Um ihn zu lehren, niemals wieder fromme Jungfrauen zu versuchen, bindet ihm die tapfere Jungfer die Hände auf den Rücken, wirft ihn zu Boden und verprügelt ihn auf das Heftigste mit der Kette, mit der man sie angekettet hat, ohne sich auch nur im Geringsten von seinen Schreien beeindrucken zu lassen. Der Präfekt befiehlt daraufhin, man möge Juliana aus dem Gefängnis holen und neuen Foltern unterziehen. Sie kommt und schleppt ihren bösen Feind hinter sich her. Der Dämon beklagt sich und bittet sie inständig: „Oh Juliana, mach mich doch nicht zum Gespött der Leute, nicht so, ich kann doch von jetzt an niemanden mehr versuchen. Man sagt, die Christen seien barmherzig, warum hast du kein Erbarmen mit mir?“ Doch Juliana beachtet ihn gar nicht, sie führt ihn im Triumph über den ganzen Marktplatz und stößt ihn dann in die Gosse. Der wütende Präfekt, der alles mit angesehen hat, will nicht zugeben, dass er im Unrecht ist. Er befiehlt, die Jungfrau aufs Rad zu flechten, doch ein Engel zerschmettert das Rad, die Jungfer bleibt unversehrt und ist danach sogar besser bei Kräften als vorher. Unzählige Zuschauer sehen dieses große Wunder und bekehren sich zum Glauben Christi, und auf der Stelle werden vierhundert Männer und einhundertdreißig Frauen enthauptet. Der Präfekt lässt Juliana in einem Kessel voll siedenden Bleis untertauchen. Doch da auch dieser Versuch vergebens ist, befiehlt er, sie ohne weiteren Verzug zu enthaupten. In diesem Augenblick erscheint der Dämon erneut, diesmal in Gestalt eines Jünglings, und feuert die Scharfrichter an, zählt all die Beleidigungen auf, die sie den Göttern und ihm selbst zugefügt hat. Doch Juliana braucht nur ihre Augen ein klein wenig zu öffnen, und schon schlägt sie ihn in die Flucht. Letztendlich wird ihr die Krone des Martyriums zuteil. Eine andere Juliana, die Priorin von Mont Cornillon (um 1192 bis 1258), stieß den Teufel, wenn er ihr zu lästig fiel, um und trampelte auf ihm herum, so wie man Weintrauben in der Weinpresse zertritt.

Viel poetischer, wenn nicht sogar viel wunderbarer, ist die Geschichte einer heiligen Gertrud – ich weiß allerdings nicht, um welche heilige Gertrud es sich handelt, es gibt mehrere mit diesem Namen. In diesem Falle wird der Teufel weder verprügelt noch gefesselt, doch was er tut, zeigt, welch große Macht die Heilige über ihn besaß. Ein Ritter hatte sich hoffnungslos in diese bildhübsche Jungfrau verliebt. Doch sie, der alle irdische Liebe fremd war und die sich nach keiner anderen Ehe als der ewigen Vereinigung mit dem himmlischen Bräutigam sehnte, hatte sich in einem Kloster eingeschlossen, wo sie die Tage mit Gebet und Kontemplation verbrachte. Da er sich außerstande sieht, irgendetwas anderes zu unternehmen, schenkt der edle Ritter all seinen Reichtum dem Orden, in den Gertrud eingetreten ist, und nach drei Jahren ist er nur noch ein Bettler. Er grämt sich, nicht darüber, dass er nun in Armut lebt, sondern dass er keine weiteren Zuwendungen zu Ehren der geliebten Frau mehr machen kann, und wandert durchs Land. Eines Nachts begegnet der Ritter dem Teufel. Der beteuert, ihn so reich zu machen, wie er früher war, wenn er verspricht, ihm nach sieben Jahren seine Seele zu überlassen. Der Verliebte nimmt das Angebot an, schreibt den Pakt mit seinem eigenen Blut nieder und, reicher als je zuvor, gibt er freigiebig seinen Wohlstand zu Ehren seiner Dame her. So vergehen die Jahre, und der vereinbarte Tag kommt heran. Der Ritter will sich von der Jungfrau verabschieden und erzählt ihr vom Schicksal, das ihn erwartet, dann kippt er den Becher Wein, den sie ihm reicht, hinunter, sitzt auf und reitet davon. Um Mitternacht begibt er sich zu dem Ort, an dem er mit seinem furchtbaren Gläubiger verabredet ist. Doch den Dämon erfasst, als er des Ritters gewahr wird, große Bestürzung und er gibt ungefragt das tödliche Schriftstück zurück – er hat die Jungfer Gertrud erspäht, die hinter dem Ritter auf des Pferdes Kruppe sitzt und dem Manne, der sie liebt, zu Hilfe geeilt war. Mehr als einmal gipfelte die zwischen Teufeln und Heiligen bestehende natürliche Feindschaft in einer handfesten Herausforderung und damit in einem Duell, im Kampf Mann gegen Mann (oder sollte ich sagen: Mann gegen Dämon?). Der heilige Wulstan (bis 1095) machte einst bei einer Kirche halt, um vor dem Altar zu beten. Da kommt ein tollkühner Teufel daher und fordert ihn zu einem Ringkampf heraus. Der Heilige nimmt die Herausforderung an, er bekommt seinen Gegner im Würgegriff zu fassen, wirft ihn zu Boden und verpasst ihm eine ordentliche Tracht Prügel. Der heilige Andreas von Skythien (bis etwa 940) hatte einst eine merkwürdige Vision: Ihm war, als sei er in einer Arena. Auf der einen Seite war eine große Zahl Äthiopier (Teufel), auf der anderen eine große Zahl Männer in weißen Gewändern (Christen). Die Äthiopier unterhielten sich über Ringkämpfe und Wettrennen und schienen auf das Wort eines riesigen Mohren zu warten, der sie alle an Stärke und Statur überragte. Die Weißgekleideten waren voller Zweifel, ob auch nur einer von ihnen es wagen könnte, diesen Riesen anzugreifen, aber der heilige Andreas greift ihn an und besiegt ihn. Die in den weißen Gewändern lassen ihren Beifall im Zirkus widerhallen, und ein Engel setzt dem Siegreichen drei Kronen auf das Haupt.

Lucas Cranach (Werkstatt), Der Schlüssel zur Hölle, aus der Lutherbibel in der von der Werkstatt Lucas Cranach illustrierten Ausgabe, um 1534. Kolorierter Holzschnitt. Stadtarchiv, Zerbst.

Raffael (eigentlich Raffaello Sanzio), Der Hl. Georg mit dem Drachen, um 1503-1505. Öl auf Holz, 29 x 25 cm. Musée du Louvre, Paris.

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Unstrittige, aber nicht näher bezeichnete Quellen berichten von einem gewissen Mann aus der Lombardei, der eine große Frömmigkeit und zwei recht muskulöse Arme besaß. Aus tiefstem Herzen wünschte er, seine Kraft mit dem Teufel zu messen und betete zu Gott, ihm diese Gnade doch zu gewähren. Eines Tages, er war zufällig gerade in Spanien (es war zur Zeit des Predigers Vinzenz Ferrer (1350 bis 1419), da traf er ein armes altes Weib im Gefilde, ganz krumm und runzelig. Er nahm an, dass sie der Teufel sei, warf sich ohne viel Aufhebens auf sie und schlug so lange mit den Fäusten auf sie ein, bis sie tot war. Sollte sich jemand daran machen, all das Gute zu erzählen, was die Heiligen taten, als sie noch in dieser, der schlechtesten aller Welten weilten, und wie sie die Teufel daran hinderten, Böses zu tun – die Geschichte würde lang werden. Bei zahllosen Gelegenheiten zwangen sie die Teufel, etwas zu sagen, was für die aber viel lieber ungesagt geblieben wäre, ein jedes ihrer Vorhaben und ihrer Geheimnisse zu gestehen, die Schurkereien die sie begangen hatten und noch zu begehen hofften. Viele Heilige erkannten den bösen Feind, hinter welcher Gestalt er sich auch immer verbergen wollte. Andere witterten ihn so, wie Setter das Jagdwild wittern. Aus alldem erwuchs der guten Sache großer Nutzen. Und uns wird bewusst, dass etwas dran sein mag an der auch von den zurückhaltendsten Biographen geäußerten Beteuerung: Im 15. Jahrhundert sei der einzige Mann, der die Teufel davon abhielt, das unglückliche Italien ganz und gar in Chaos und Ruin zu stürzen, der heilige Franz von Paola gewesen (um 1436 bis 1507; der Gründer des Ordens der Minimen). Auch wenn er kein Heiliger war, konnte ein Mensch, der die richtigen Waffen besaß, dem Teufel durchaus Paroli bieten, wenn dieser ihn von außen angriff. Wenn der Teufel sich jedoch wie ein Feind, der sich auf geheimen Pfaden Zugang zu einer Festung verschafft, bereits in seinen Körper geschlichen hatte, war es viel schwieriger, ihn zu bezwingen. Gewöhnlich war dann, wollte man ihn zum Rückzug zwingen, fremde Hilfe vonnöten, wie wir bereits gesehen haben. Wohl wahr, Thomas Cantipratensis berichtet von einem Kleriker, der den Teufel, der von ihm Besitz ergriffen hatte, ganz alleine vertrieb, indem er einen Häretiker verbrannte, doch blieben solche Fälle die Ausnahme. Selbst wenn man einräumt, dass dieses Heilmittel äußerst wirksam ist, so hatte doch die besessene Person nicht immer einen Häretiker zur Hand, den sie verbrennen konnte. Zudem durften Ketzer nur von den Inquisitoren verbrannt werden, die das Privileg ihres Amtes eifersüchtig verteidigten. In der Regel war der Besessene bereits geschlagen, und der Kampf wurde dann nicht mehr zwischen dem Dämon und dem Besessenen ausgetragen, sondern zwischen dem Dämon und einem mehr oder weniger erfahrenen Krieger, der seine Kriegskunst von außen und mit unterschiedlichem Erfolg anwandte. Genau genommen war der Besessene wie eine Burg, in der sich der oder die Teufel gegen die Angreifer verschanzten und sie oft triumphierend zurückschlugen. Der Methoden zum Austreiben von Dämonen gab es viele, ihre Wirkung hing teilweise von ihrer eigenen, teilweise aber auch von der Beschaffenheit derer ab, die sie anwandten.

Gérard David, Der Erzengel Michael, um 1510. Öl auf Holz. Kunsthistorisches Museum, Wien. 232

Hinsichtlich Letzterer gab es große Unterschiede zwischen dem bescheidenen Exorzisten, der nichts vorzuweisen hatte als seine ekklesiastische Persönlichkeit, und dem wundertätigen Heiligen, der seine Kapuze an einem Sonnenstrahl aufhängen oder Wasser in Wein verwandeln konnte. Wo Ersterer nur nach langen und mühsamen Übungen Erfolg hatte und dabei noch Gefahr lief, von eben jenem Dämon, von dem er seinen Patienten gerade befreien wollte, in Besitz genommen zu werden, genügte dem Heiligen ein Blick, eine Geste, ein einziges Wort. Ein Exorzismus konnte ein langes und kompliziertes Unterfangen sein oder eine ganz einfacher, kurzer Schritt – je nach den Umständen. Der Exorzist mochte Ausräucherung, brennende Kerzen, unablässige Gebete, Beschwörungsformeln und dergleichen fordern oder auch all das überflüssig machen. Es sei hinzugefügt, dass nicht alle Teufel gleichen Gemüts und desselben Wesens waren. Während die einen bei der ersten Attacke oder sogar schon beim ersten Trompetenstoß das Weite suchten, leisteten die anderen erbitterten Widerstand und mussten körperlich aus der besessenen Person extrahiert werden, wie man einen Nagel mit der Zange aus einem Brett zieht. Viele Besessene wurden geheilt, indem sie einfach nur die Reliquien eines berühmten Heiligen berührten oder ein wenig Wasser tranken, in dem eine Prise Staub vom Grab eines berühmten Heiligen gelöst war. Mehrere wurden geheilt (oder sagen wir besser: erlöst) mit dem Wasser, das vorher dazu verwendet worden war, die überaus heiligen Sandalen des heiligen Elia Speleota zu waschen. Wenn Heilige die Teufel austrieben, pflegten diese ein sichtbares Zeichen ihres Schreckens und ihrer Verwirrung zu geben. Ein Teufel, den einst der heilige Aper austrieb, flüchtete unter erheblichem Geräusch zur ersten besten sich anbietenden Öffnung hinaus. Begleitet, sagt der glaubwürdige und überaus gewissenhafte Biograph, von einer äußerst produktiven Entleerung der Gedärme. Geschieht ihm recht, dem widerlichen, bösen Feind, verdient hat er ein solches Schicksal! Der Humanist und Theologe Erasmus von Rotterdam (1466/1469 bis 1536) machte sich in einem seiner Colloquia, dem Exorcismus sive Spectrum, ungeniert lustig über all die Formeln, Riten und das Kauderwelsch der Exorzisten. Es ist jedoch bekannt, dass es mit seiner Orthodoxie nicht allzu gut bestellt war, und sein Spott hielt einen gewissen Kapuzinermönch aus Mantua nicht davon ab, gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein Buch zu schreiben, dessen lateinischer Titel übersetzt ungefähr folgendermaßen lauten würde: Die Dämonen als Geißel der Menschheit. Hierin enthalten furchterregende Exorzismen, höchst potente, wirkungsvolle und wohl erprobte und bewährte Mittel, Rüstzeug für die Austreibung böser Geister und jedweder anderer Art von Behexung aus dem Körper derer, die besessen. Zugleich enthalten die Benediktionen und andere Sachen, die notwendig für solcherart Expulsion. Wir wollen nicht vergessen, dass eines der „… wohl erprobten und bewährten Mittel“ die Rute war: Bei manch einem Besessenen wurde beobachtet, dass er sich, nachdem ihn ein muskulöser Heiliger ordentlich versohlt hatte, wie durch ein Wunder damit beschied und geheilt war, ohne dass ein weiterer Exorzismus notwendig gewesen wäre.

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ER Bekehrung und Erlösung des Teufels steht ein Hindernis im Wege, das den Theologen nie in den Sinn gekommen ist, und wäre es ihnen in den Sinn gekommen, dann hätten sie es geleugnet: Der Teufel ist tot oder liegt im Sterben. Und wenn er stirbt, wird er nie wieder in das himmlische Königreich eingehen. Er wird jedoch in die Fantasie der Menschen eingehen und sich darin auflösen, in denselben Schoß, aus dem er ganz zu Anfang hervordrang. Nach dem Glauben der Rabbis sind viele Dämonen sterblich. Bei den Hexenprozessen erzählten die Beschuldigten mehr als einmal, dass der Teufel von Zeit zu Zeit krank wird, ja, dass er an der Schwelle des Todes stand und sich dann wieder erholte. In vielen Märchen und Sagen der Völker, die hier und da in Europa noch erzählt werden, stirbt der Teufel tatsächlich. Es soll jedoch genügen, eine Legende aus Mantua anzuführen, nach der ein Jüngling unterschiedliche Gestalten annimmt, um dem Teufel zu entkommen, der seinerseits ebenfalls verschiedene Formen annimmt, während er ihn verfolgt. Letztendlich verwandelt sich der Jüngling in einen Iltis, tötet seinen Verfolger, der sich in ein Huhn verwandelt hatte, „… und deshalb“, so endet die Geschichte, „… gibt es keinen Teufel mehr.“ Seltsam und bezeichnend ist eine solche Bestätigung aus dem Munde der einfachen Leute: der Teufel ist nicht mehr. Doch bevor wir uns von ihm und seiner Geschichte verabschieden, wollen wir einige der Anhaltspunkte für seine Auflösung und die Ursachen dafür betrachten. Der Teufel entstand aufgrund bestimmter Ursachen, er lebte und gedieh unter bestimmten Bedingungen und passte sich, so gut er konnte, an deren langsame, aber unablässige Veränderungen an. Dem Gesetz der alles steuernden Veränderung war auch er unterworfen, und auch er durchlief als lebender Organismus die einzelnen Phasen der Evolution. Der Ursachen und Bedingungen seiner Existenz beraubt, geht er seinem Ende entgegen und stirbt, so wie es einem Geschöpf der Tropen ergehen mag, das ins harte Polarklima verbracht wird. Er stirbt, weil sein Nutzen endet und weil sich die Vorstellungen, unter denen er entstand, unter dem mächtigen Ansturm rivalisierender Daseinsformen gegen andere, neuere und kraftvollere Ideen nicht länger durchsetzen können. Um die Symptome seines Sterbens zu erkennen, brauchen wir uns nur einmal umzuschauen. Was ist sein Werk heute verglichen mit dem, was es früher einmal war? Wo sind seine schrecklichen Erscheinungen, wo jene ständigen Überfälle aus dem Hinterhalt, jene Ärgernisse aller Art, jene Furcht einflößenden Phänomene? Wo sind seine gewaltigen Heerscharen, mit denen er nächtens die Felder und Wälder durchstreifte oder im Fluge die Lüfte durcheilte? Wo sind die kohlrabenschwarzen Rösser, auf denen er die von Bosheit und Verderbtheit durchdrungenen Menschen davontrug? Wo sind die Feuersbrünste, die er schürte, die Stürme, die er entfesselte, die verheerenden Pestepidemien, die er hervorrief? Selbst die Kirche, die ja schließlich nicht eingestehen kann, dass er im Sterben liegt, muss, ob sie will oder nicht, zugeben, dass er

heute weitaus deutlicher behindert wird als ehedem, und dass er vieles, was er einst tat, nicht mehr tut oder tun kann. Und in den Köpfen der Menschen ist der Gedanke an ihn, das Misstrauen gegen ihn, die Furcht vor ihm immer mehr verblasst. Das betrifft nicht nur die kultivierten Leute, sondern auch das ‘einfache Volk’, nicht nur in den Städten, wo eine Veränderung der Ideen und Gebräuche äußerst schnell vonstatten geht, sondern auch auf dem Lande, wo sich die uralten Gewohnheiten und Glaubensvorstellungen am längsten halten. Seinen Name hört man oft im alltäglichen Sprachgebrauch, in Sprichwörtern, Ausrufen und geflügelten Worten, doch sein Bild ist gemeinhin nicht mehr in den Köpfen. Magische Riten erfreuen sich bei manchen noch immer einiger Beliebtheit, doch die Fälle, in denen der Teufel dabei eine Rolle spielt, sind heute wirklich selten geworden, und von seinen berüchtigten Hexensabbaten, den Spielen, Teufelsscherzen und Zusammenkünften ist kaum noch die Rede. Wem, außer vielleicht ein paar hoffnungslosen Rappeligen, sollte auch nur der Gedanke kommen, den Teufel herbeizurufen, um einen Pakt mit ihm zu schließen, um ihm seine Seele zu überantworten und als Gegenleistung Reichtum und Ehren zu erwarten? Selbst die Kirche spricht nicht mehr von diesen und ähnlichen Sünden, die sie ja früher mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen bestrafte, und sie scheint wirklich froh zu sein, sie endlich vergessen zu können. Sie geht sogar noch weiter und spricht so wenig vom Teufel wie möglich. Und wo sie doch in der Vergangenheit eifrig bemüht war, auf jede erdenkliche Weise den Menschen seine Macht, seinen Namen, seine Person und seine Werke ins Gedächtnis zu rufen, scheint es heute, als hätte sie selbst alle diese Dinge vergessen. So wird das Gesetz der Evolution in eben jenem Gefüge sichtbar, das sich diesem Gesetz am meisten widersetzt hat, und das sich am liebsten für beständig und unveränderbar hält. Vergleichen Sie doch einmal eine Predigt von heute mit einer Predigt von vor fünfhundert Jahren: In Letzterer springt der Teufel aus jedem einzelnen Satz hervor, monströs und schrecklich, angestrahlt von den Flammen des ewigen Schmelzofens. In einer heutigen Predigt fällt gelegentlich und ganz nebenbei einmal sein Name, und das auch nur selten. In einer modernen Kirche taucht kein Schatten von ihm, nicht ein Zeichen von ihm auf, in einer Kirche aus dem Mittelalter sieht man den Teufel in all seinen Erscheinungsformen, in all seinen Gebärden: als Bild, als Skulptur, als Intaglio, auf Gemälden, in Basreliefs, im Chorgestühl, an den Kapitellen, in den Verzierungen – immer auf der Bühne, ein unverzichtbarer Charakter in einem Drama, das so lang und so breit ist wie die Geschichte der Menschheit selbst. Heutzutage fürchtet sich kein Reisender davor, durch einen düsteren Wald, durch einsame Hochgebirgstäler zu wandern, in unheilvolle große Höhlen, an bodenlose, unergründliche Seen oder Meeresstrudel zu gelangen, wo Dämonen wild, grausam und heimtückisch ihr Unwesen treiben. Wenn heute ein hartnäckiger Sünder plötzlich spur-

Seite 234: Anonym, Satan wird für tausend Jahre in Ketten gelegt, spätes 16. Jh. Miniatur im russischen Stil der Apokalypse.

Anonym, Psalter von Winchester, zwischen 1150 und 1160. British Library, London.

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los verschwindet, hat niemand mehr das Bild vor Augen, dass der Teufel ihn am Haar gepackt hält und mit ihm in die Hölle davonfliegt. Stattdessen wird eine Suche organisiert, werden Meldungen veröffentlicht im festen Glauben, der Mensch müsse ja irgendwo sein, tot oder lebendig – in dieser Welt, nicht in der anderen. Wenn ein Mensch tot in seinem Bett aufgefunden wird, erstochen, erwürgt oder erschlagen, glaubt niemand mehr, der Teufel habe ihm den Garaus gemacht. Wir sagen dann einfach, es sei ein Verbrechen begangen worden; die Polizei kümmert sich darum, den Verbrecher aufzustöbern und dingfest zu machen. Die Frauen leben nicht mehr in ständiger Furcht vor den nächtlichen Umarmungen des Teufels. Sie haben auch keine Angst mehr davor, Mutter eines teuflischen Sprösslings zu werden oder mit ansehen zu müssen, wie der Teufel, verkleidet als Vormund oder Patenonkel, ihr eigen Fleisch und Blut davonträgt. Wenn jemand krank wird, bildet er sich nicht mehr ein, er habe den Teufel im Leib oder sei verhext worden. Er sucht nur sehr selten noch Zuflucht beim Exorzisten, sondern geht zum Arzt. Wenn ein Mensch im Sterben liegt, sieht er keinen Kreis mit lauter Teufeln mehr um sein Bett, pechschwarz, die Mäuler voller spitzer Zähne, hervorquellende Augen, die krummen, hakenförmigen Hände ausgestreckt und fest entschlossen, des Sterbenden Seele wegzuschleppen. Einen Beweis unter vielen, dass der Teufel so nicht mehr oder zumindest nur noch in außerordentlich seltenen Fällen von den Gedanken der Menschen Besitz ergreift, liefert die Tatsache, dass Fälle von Dämonomanie sehr selten geworden sind und die Tendenz haben, ganz zu verschwinden. In vergangenen Jahrhunderten, und selbst noch in der jüngeren Vergangenheit, haben gewisse Nervenstörungen und besonders gewisse Formen der Hysterie die Phänomene Obsession und Besessenheit regelmäßig ausgelöst. Der Grund dafür war eben, dass die Köpfe der Menschen voll waren mit Gedanken an den Teufel und der Angst vor ihm. Heute haben sich solche Ideen verloren und völlig anderen Symptomen, Bekundungen und Manifestationen Platz gemacht, die von unserer modernen Lebensweise bestimmt werden, von neuen Sorgen und Anliegen, von einer veränderten Denkrichtung und von neuen Interessen. Ärzte haben dies schon lange erkannt und bekannt gemacht. Die einst von den Exorzisten in den Kirchen vollbrachten ‘Wunder’ werden heute von den Ärzten in den Kliniken vollbracht. Während die Kultur, die Zivilisation voranschreitet und weiter an ihrem gewaltigen und wunderbaren Gebäude baut, ändert sie immer und immer wieder Arbeitsgerät und Handwerkszeug. Mit eigenen Händen reißt sie Gebälk und Baugerüst nieder und zerstört auch die anderen Werkzeuge und Arbeitshilfen, deren sie sich beim Errichten des Gebäudes bedient hat. Was zu einer bestimmten Zeit notwendig war, ist in späteren Zeiten unnütz oder hinderlich, und man wirft es weg, macht sich frei davon, trotz und gegen die Einwände derer, die sich ihr entgegenstellen. Unsere Kultur, unsere Zivilisation wirft den Teufel weg, rangiert ihn aus. Er hat ihr zu anderen Zeiten gute Dienste geleistet, doch jetzt ist

Albrecht Dürer, Die Apokalypse (Detail), 1498. Bibliothek des Museo Correr, Venedig.

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er ihr zum überflüssigen Ballast geworden. Sie wirft ihn fort, wie sie die Sklaverei, Sonderprivilegien, religiösen Fanatismus, das ‘Gottesgnadentum’ und vieles andere fortgeworfen hat, und wie sie auch in Zukunft immer wieder vieles fortwerfen wird. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Der Teufel war ein integraler Bestandteil, ja er war sogar Hauptbestandteil von Dingen und Ideen, von einem komplexen und mächtigen Regiment, das jahrhundertelang alles menschliche Leben unter sein Zepter zwang. Als dieses Regiment sich allmählich bis zu einem gewissem Grade änderte, musste sich notwendigerweise auch der Teil ändern, der innerhalb dieses Regiments dem Teufel vorbehalten war. Nun, da der Wandel noch ein bisschen weiter vorangeschritten ist, muss der Teufel notwendigerweise ganz gehen. Eine primitivere Religion, eine rohe, gröbere Moral sowie Dummheit und Unwissenheit – sie haben den Teufel eingeschleppt und ihn zu dem Monstrum gemacht, das wir kennen gelernt haben. Eine kultiviertere Religion, eine reifere Moral sowie die Wissenschaft – sie berauben ihn Stück für Stück seiner scheußlichen Eigenschaften und seiner furchtbaren Macht, setzen ihm von allen Seiten zu, scheuchen ihn aus dem Bewusstsein, aus dem Leben, aus der Welt. Der Geist, der stets verneint,82 wird nun selbst verneint. Will man fair sein, darf man der Kirche nicht allzu sehr die Schuld dafür geben, dass sie zuließ, dass die Figur jenes düsteren Widersachers wachsen konnte, bis er sozusagen zum zweiten Ahriman (mittelpersisch: arger Geist) wurde, und dass sie damit die Rechte des Königreichs Gottes verletzt und die ganze Idee eines Reichs Gottes seiner wahren Natur entfremdet hat. Wer ohne gebührende Nachsicht und ohne angemessene Zugeständnisse die Kirche schilt, sie habe an der reinen und einfachen Lehre der Evangelien nicht festgehalten, der zeigt, dass er die menschliche Natur nur schlecht versteht und dass er eine völlig falsche Vorstellung von der Geschichte, von ihren Prozessen und ihren Notwendigkeiten hat. Der Teufel ist ein Spross der Geschichte, und als solcher ist er mit einer unstillbaren und unbezähmbaren Lebensfreude ausgestattet. Selbst wenn die Kirche bereit und willens gewesen wäre, so wäre sie doch nicht imstande gewesen, ihn zu verschweigen, zu verbieten, zu verdrängen und zu vernichten. Denn er reproduzierte sich im Bewusstsein jedes Einzelnen immer wieder, und vom Bewusstsein jedes Einzelnen aus störte und behinderte er immer wieder die Geschichte. Wollte man sich die Religion im Mittelalter – eine Religion, die nicht nur von ein paar Leuten ausgeübt wurde, sondern für ungezählte Menschenmassen das Natürlichste der Welt war – wollte man sich diese Religion ohne Teufel vorstellen – es wäre unmöglich. So unmöglich, wie sich vorzustellen, dass es unter anderen Bedingungen, in einer anderen Zeit und Zivilisationsstufe, eine Religion ohne Götzenbilder, ohne Orakel, ohne Blutopfer gegeben haben könnte. Ursprung und Wurzel des mittelalterlichen Teufels gehen zweifellos auf ein religiöses Dogma zurück, das viel älter ist als das Mittelalter. Doch es ist eben jene Zeit, wie man sie sich mit all ihren Gedankengebilden, Institutionen und Gebräuchen vorstellt,

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die seinem Wesen zur vollen Größe und seinem Charakter zur Perfektion verholfen hat. Er war eine Notwendigkeit jener Zeit, eine so unbestreitbare Notwendigkeit, dass die Reformation ihn nicht anrührte, sondern ihn so akzeptierte, wie er war. Doch eine Religion verändert sich, Stück für Stück, so wie sich auch alles andere verändert, das wahrhaft lebt. Sie verändert sich in den Köpfen der Menschen, wenn auch nicht in ihren Dogmen, in ihren Gefühlen, wenn auch nicht in ihren Büchern. Das Christentum ändert sich, und wenn die Hindernisse, die einst im Wege standen, ausgeräumt sind, kehrt es Schritt für Schritt zur Reinheit seines Ursprungs zurück. Es wird immer spiritueller, wird wieder zu dem, was es ganz am Anfang war – eine Religion der Hoffnung und Liebe, der Freude und des Friedens. Es reißt sich all die dunklen und schrecklichen Elemente heraus, die sich die langen Jahrhunderte der Barbarei hindurch in seinem Schoß eingenistet haben. Dieser Schritt ist jedoch, was die Dogmen angeht, bisher immer noch nicht ganz vollbracht, denn auch diejenigen, die diesen Schritt vollziehen und die sich selbst die Diener und die Hüter der Wahrheit nennen, sind noch nicht vollkommen. Doch es geschieht aus sich selbst heraus, spontan und in aller Stille, in den geheimen Winkeln des menschlichen Bewusstseins. Wie viele Christen habe ich gekannt und kenne ich noch – und hier meine ich zutiefst religiöse und höchst ehrenwerte Leute –, die nichts von einem Teufel wissen wollen und die resolut in Abrede stellen, dass ein Gott der Gnade und der Liebe seine unglücklichen Geschöpfe zur ewigen Hölle verdammen würde, zu nicht wieder gutzumachender Bosheit, zu einer Strafe, die schrecklich ist und nutzlos, weil sie für immer anhält. Die wahre Religion (und mögen diejenigen daran denken, die sich für ihre Lehrer halten) ist also nicht eine, die sich kalt und rigide in Dogmen hüllt, sondern eine, die beweglich und lebendig wie eine Flamme in den Seelen der Menschen brennt und sie wärmt und alle Wege ihres Lebens erhellt. So, wie sich die Religion wandelt, wandelt sich die Moral, und diese beiden Wandlungsprozesse können nicht losgelöst voneinander vonstatten gehen, sondern jeder ist mit dem anderen verbunden und dem anderen gleichgestellt, und beide werden bedingt durch andere Wandlungen, die sie selbst wiederum auch bedingen. So schließt sich der große, schwer fassbare Kreis der Ursachen und Wirkungen, der die Geschichte des Lebens und der Menschheit unermüdlich antreibt. Was auch immer andere dagegen sagen werden, getrieben von Vorurteilen oder einer unvollständigen Kenntnis der Zeiten und Ereignisse – die Moral wächst überall auf der Welt – wenn wir unter Moral die Summe all jener mentalen Handlungen und Zustände verstehen, die die Existenz und das Glück des Einzelnen und seiner Gemeinschaft sichern und die höchste Offenbarung sozialen und individuellen Lebens begünstigen. Der Mensch wird langsam zum

Menschen, bewegt sich mehr und mehr weg vom Tier, und im Laufe der Jahrhunderte hebt, erweitert und verfeinert sich die Moral. Heute gibt es mehr Moral auf der Welt als noch vor hundert Jahren, viel mehr als im Mittelalter, unendlich mehr als in der Steinzeit. Ich weiß, dass die Verfechter einer Offenbarungsreligion und einer unveränderlichen Moral all dies leugnen, so gut sie können, doch wehe ihnen, wenn das, was sie a priori leugnen, nicht wahr wäre! Und Beweise, dass es wahr ist, gibt es ohne Zahl, reichlich ausgestreut auf jeder Seite jedweden Geschichtsbuchs, das man aufschlagen mag. Diese Beweise alle, oder auch nur ein paar von ihnen, anzuführen, wäre eine ermüdende Aufgabe. An dieser Stelle wollen wir jedoch nur eine einfache Annahme äußern. Nehmen wir einmal an, das Mittelalter – mit seinen Königen, seinen Edelleuten, seinen rivalisierenden Parteiungen und seinen einander feindlich gesinnten Staaten und Städten – hätte die gefährlichen Vernichtungswaffen besessen, die uns die Wissenschaft inzwischen beschert hat: Würde heute noch ein Burgwall, eine Stadtmauer stehen? Würde es noch zivilisierte Völker, noch kultivierte Gesellschaften geben? Wir können es wohl bezweifeln. Dadurch, dass die Menschen in sozialen Gruppen zusammenleben, wurden sie immer moralischer. Dadurch, dass sie in Gemeinschaften leben, unterwerfen sie sich mehr und mehr jenen Lebensformen und -bedingungen, die notwendig oder begünstigend sind für die Existenz einer Gemeinschaft an sich. Das ist nur ein Beispiel für das universale Phänomen, dass sich Organismen an ihre Umwelt anpassen. Moral wird zur Gewohnheit, wird instinktiv, so wie alle freiwilligen, endlos wiederholten und an nachfolgende Generationen weitergegebenen Handlungen. Je instinktiver sie wird, desto weniger sind gesetzliche Regeln oder Verbote oder gesetzlich geregelte Strafen vonnöten. Sollten Strafen und Gesetze jemals weniger drastisch werden, wäre das ein Zeichen für den Anstieg, nicht für den Rückgang der Moral: die externe Autorität der Gesetze wird zur internen Autorität des Gewissens. Die Bestrafung, die ihrem Wesen nach ja nicht korrigierend ist, wird zur Reue, zu Gewissensbissen, sprich zur Selbstkorrektur. Deshalb verschwindet die Todesstrafe aus unserer modernen Gesetzgebung, wie auch viele andere grausame Strafen, die früher Anwendung fanden. Das ist auch der Grund, warum der Glaube an einen folternden Teufel und eine Hölle voll verdammter Seelen, die nie ein Strahl der Hoffnung trifft, zurück- und sogar ganz verloren geht. Im Mittelalter drohte beim geringsten Vergehen der Richter mit dem Tode, der Beichtvater mit der Hölle – und das zu recht, denn jedes andere Argument hätte die Menschen, die von Natur aus grob, rüde und gewalttätig waren, niemals davon abgehalten können, schlimme Taten zu begehen. Doch um die Menschen, die inzwischen gebildeter und kultivierter sind, von bösen Taten abzuhalten, genügen weniger fürchterliche Argumente, die Todesstrafe wird abgeschafft, und der

William Blake, Der Erzengel Michael fesselt Satan („He Cast Him into the Bottomless Pit, and Shut Him Up“), um 1805. Wasserfarben, schwarze Tusche und Graphit auf Papier, 35,9 x 32,5 cm. Fogg Art Museum (Harvard University Art Museums), Cambridge (Massachusetts, USA).

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Teufel verschwindet. Je mehr die Menschen in der Lage sind, sich von Vernunft leiten zu lassen, desto weniger wollen sie sich von Furcht leiten lassen. Also werden despotische Regierungen durch liberale ersetzt. Und wenn andere Fakten es nicht beweisen konnten, der Anstieg der Moral wäre ausreichend bewiesen mit dem Ende von Despotismus, der Milderung der Strafen und Gesetze und dem Verschwinden des Teufels. Zuletzt kommt die Wissenschaft an die Reihe, die das Werk zu Ende bringt, das eine aufgeklärtere Religion und eine vollkommenere Moral begonnen haben, und die das gesamte Werk sogar alleine bewältigen könnte, ohne die Hilfe der beiden anderen. Wenn wir von Wissenschaft sprechen, sprechen wir unter anderem vom genauen Gegenteil des Dämonismus. Der Dämonenglaube entsteht spontan und nicht aufgrund von Scharlatanen. Er spricht auf bestimmte Zustände des menschlichen Geistes und auf bestimmte Entwicklungsstufen des Wissens an. Der unzivilisierte Mensch kann sich die Naturphänomene nicht anders erklären, als dass er einen Willen wie seinen eigenen hinter allem vermutet und das Universum mit guten und bösen Wesen bevölkert, die über der Natur stehen. Das ist Dämonismus. Dann kommt die Wissenschaft und lässt uns erkennen, dass hinter den Dingen kein launischer Wille, sondern disziplinierte Kräfte stecken, und dass die Natur nicht willkürlichen Dekreten, sondern Gesetzen gehorcht. Der Dämonismus wird von dieser einen Tatsache augenblicklich und unwiederbringlich zerstört. Der Mensch des Mittelalters hört und sieht den Teufel überall: im Toben des Sturms, im Brechen der Wellen, im Lodern der Flamme, im Aufleuchten des Blitzes, im Hagelwetter, im Irrlicht, in Krankheiten, in seinen eigenen Gedanken und Gefühlen. Der moderne Mensch sieht, sofern er einen gewissen Grad an Bildung und Kultur besitzt, im Lauf der Dinge nur den endlosen Strom von Ursache und Wirkung, dessen Richtung man mit dem entsprechenden Wissen vorhersehen und beschreiben kann. Er sieht nicht das Reich der Willkür vor sich, sondern das Reich fest verankerter Gesetze. Die Wissenschaft hat den Teufel von einem Phänomen zum anderen getrieben, so wie man einen Feind von einer Stellung zur anderen treibt, und hat ihm nun weder auf der Erde noch im Himmel ein einziges Fleckchen gelassen, wohin er sich zurückziehen und von wo er erneut seinen Schatten über die Welt werfen könnte. Die Wissenschaft vermochte sogar noch mehr: Sie hat gezeigt, wie und warum der Teufel geboren und aus welchen Elementen unseres eigenen Wesens er geschaffen wurde. Und sie hat ihn uns, die ihn leugnen, bekannter gemacht, als er denen, die in längst vergangenen Tagen an ihn geglaubt haben, je war. Der Dichter Heinrich Heine (1797 bis 1856) erzählt uns in einem seiner Gedichte,83 wie er einst den Teufel rief und, als er ihn genauer ansah, einen seiner alten Bekannten in ihm erkannte. Wir können getrost noch weiter gehen: Wir können sagen, dass wir, wenn wir den Teufel genauer betrachten, unser eigenes Selbst wiedererkennen.

Thomas Rowlandson, Bonapartes Flucht aus dem Höllenschlund, 1815. Kolorierter Stich. Bibliothèque historique de la ville de Paris, Paris.

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Die Wissenschaft greift allen Aberglauben, welcher Natur er auch sein mag, an und schlägt ihn in die Flucht, wo immer sie seiner gewahr wird. Sie wird nicht ruhen, bis sie ihn vollständig bezwungen und zerschmettert hat. Sie greift ihn jedoch nicht überall mit derselben Wucht an und erringt nicht überall die gleichen Siege. Die geringeren Formen des Aberglaubens entgehen ihren Angriffen leichter als die größeren, weil sie weniger hartnäckig sind und sich mit weniger Raum und weniger Stützen zufrieden geben. Der Wirbelsturm bewegt kaum die Grashalme auf der Wiese, wenn er darüber hinwegzieht, aber die stärksten Bäume entwurzelt er. Die Wissenschaft mag den einfachen Aberglauben, der kaum von Bedeutung und fast ohne Auswirkung ist, am Boden dahinvegetieren lassen, nicht aber den anmaßenden und hartnäckigen Aberglauben, der sich ihr mit seinen zahlreichen Verästelungen an jeder Ecke in den Weg stellt, auch nicht den allmächtigen Aberglauben, der den Dingen und Seelen, der Natur und der Geschichte den Teufel aufgedrängt hat. Diesen Aberglauben bekämpft sie zwangsläufig mit jedem Schritt, wo immer sie ihn trifft. Und mögen auch viele Phantasmen weiterhin ungestört in der Fantasie des Volkes weiterleben, jene lebhaften kleinen Sprösslinge der Angst und Unwissenheit – die Wissenschaft bekämpft den Aberglauben, und das ist der Grund, warum sich der Teufel zurückzieht, warum der Teufel stirbt, warum der Teufel sich in Rauch auflöst. Welch seltsamer Wandel der irdischen Angelegenheiten! Er stirbt und löst sich auf durch die Wissenschaft – derselbe Teufel, den man einst für den Anstifter zu jenen ruhelosen Nachforschungen und jener heimlichen Rebellion des Geistes hielt, von denen die Wissenschaft sich rühmt, sie sei daraus geboren. ‘Satis scis si Christum scis’ – ‘Du weißt genug, wenn du von Christus weißt’ – so klang die Weisheit der Asketen und der Heiligen, jedem anderen Wissen wurde mit Misstrauen begegnet. Und jene Männer, die auf irgendeine Weise mit den Geheimnissen der Natur Bekanntschaft gemacht hatten, wurden beschuldigt, Handel mit dem Teufel, dem alten Lügner getrieben zu haben, der zuerst das Weib mit dem Versprechen der Erkenntnis verführt hat. Beide, die Triumphe der Wissenschaft und das Heranwachsen einer neuen Kultur, deren Lehrer und Lenker die Wissenschaft wird, jeden Tag ein wenig mehr, wurden als Sieg und als Werke des Teufels beklagt und verdammt. Und nun sehen wir, wie sich der Teufel in den Visionen und der glühenden Sprache des Dichters verwandelt hat und zum Symbol wurde – zum strahlenden und wunderbaren Symbol der unbesiegten und unerschrockenen Wissenschaft, die Dogmen zerschmettert und Aberglauben mit den Wurzeln ausreißt, zum Symbol der Rebellion, die alle Tyrannei überwindet, zum Symbol der Freiheit, unter deren breiten Schwingen ein neues Leben beginnt. Voltaire (1694 bis 1778) grüßte seine engsten Freunde, die wie d’Alembert (1717 bis 1783) und Diderot (1713 bis 1784) mit ihm gemeinsam um eine gewaltige Erneuerung der Philosophie und des Staatsbürgertums rangen, jubelnd als „… Brüder in Beelzebub“. Jules Michelet (1798 bis 1874) erzählt in La Sorcière von diesem symbolischen Satan, und an diesen

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Satan richtet Giosuè Carducci (1835 bis 1907) seine Hymne, die wie folgt endet: Salute, o Satana O ribellione, O forza vindice De la ragione! Sacri a te salgano Gl’incensi e ii voti! Hai vinto il Geova De ii sacerdoti. Heil dir, oh Satan, oh Rebellion, oh rächende Macht der Vernunft! Heilig sollen der Weihrauch und die Gelübde zu dir emporsteigen! Du hast besiegt den Jehova der Priester.84 Satan wurde zu Gott, trat an seine Stelle, und er hatte seine eigenen Verehrer und wurde angebetet. Ein anderer Dichter, Baudelaire (1821 bis 1867), rief ihn zu Hilfe, als ihn ein nicht näher benannter Kummer quälte: O Cherub, weisester, schönster von Gottes Söhnen, Gestürzt, selbst noch ein Gott, dem keine Psalmen tönen, Satan, erbarm dich mein in meiner tiefen Not! O König des Exils, den man mit Schmach bedeckt, Und der, besiegt, voll Trotz das Haupt nur höher reckt, Satan, erbarm dich mein in meiner tiefen Not! [...] Aller Verstoß’nen Freund und liebender Berater, Die einst in finstrem Zorn aus Eden stieß der Vater, Satan, erbarm dich mein in meiner tiefen Not! Der Bezwungene verwandelt sich in den Bezwinger, er tritt wieder in jenen Himmel ein, aus dem er einst verbannt worden war, und er tötet seinen Feind. Der gottlose Mario Rapisardi85 beschrieb diesen finalen Sieg Luzifers in vortrefflichen Versen: Così dicendo (ed additava il sole, Che sotto ai passi gli sorgea), toccollo

De l’acuto suo raggio, e parte a parte Lo trapassò. Stridea, come rovente Ferro immerso ne l’onda, il simulacro Fuggitivo del Nume; e, a quella forma Che crepitando si scompone e scioglie Fumigante la calce a l’improvviso Tasto de l’acqua o del mordente aceto, Tale al raggio del Ver struggeasi il vano Fantasima; e in vapore indi converso, Tremolando si sciolse, e all’aria sparve. Così moría l’Eterno. Ai consuëti Balli movean gli antichi astri; dal cielo Luminose partían come in trionfo Le Magne Ombre dei Sofi, e a tutti innanzi Luzifero. Arrivò co’l Sol novello Sul Caucaso nevato, ove al soffrente D’adamantino cor figlio di Temi: -Lèvati, disse, il gran tiranno è spento!Doch dies sind poetische Mythen und Symbole, denen andere Dichter prompt und zielsicher widersprochen haben. Im Werk Armando von Giovanni Prati (1815 bis 1884) stirbt Mastragabito (d.i.: Satan) vor Erschöpfung. In dem kleinen Gedicht La Mort du Diable von Maxime du Camp (1822 bis 1894) fleht Satan inständig Gott an, ihm doch die Gunst des Todes zu gewähren, und er stirbt unter den Füßen Evas, der alten Ahnmutter, die einst von ihm getäuscht wurde und nun nicht ein Werk der Vergeltung, sondern das Werk der Gnade zu Ende bringt. Der gute Béranger (1780 bis 1857) erklärte, der Teufel sei schon lange tot, nämlich bereits seit der Zeit des Ignatius von Loyola, und des Teufels Tod hätte der Heilige höchstselbst herbeigeführt: Du miracle que je retrace Dans ce récit des plus succincts. Rendez grâce au grand saint Ignace, Patron de tous nos petits saints. Par un tour qui serait infâme Si les saints pouvaient avoir tort. Au diable il a fait rendre l’âme. Le diable est mort, le diable est mort. Satan, l’ayant surpris à table, Lui dit : Trinquons, ou sois honni. L’autre accepte, mais verse au diable, Dans son vin, un poison béni. Satan boit, et, pris de colique, Il jure, il grimace, il se tord;

Anonym, Die Fee Berliquette, um 1900. Reklamebildserie für das Kaufhaus Au Bon Marché. Bibliothèque nationale de France, Paris.

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Il crève comme un hérétique. Le diable est mort, le diable est mort. Il est mort! disent tous les moines; On n’achètera plus d’agnus. Il est mort! disent les chanoines; on ne paîra plus d’oremus. Au conclave on se désespère: Adieu puissance et coffre-fort! Nous avons perdu notre père. Le diable est mort, le diable est mort. [...]86 Doch der heilige Ignatius, so fügt der Lyriker hinzu, bewarb sich zudem um den Posten, den der Entschlafene davor inne hatte, und bekam ihn auch, ebenso erbte er die Hölle. Zu guter Letzt sei daran erinnert, dass sich Wilhelm Hauff (1802 bis 1827) in Deutschland und Frédéric Soulié in Frankreich zu den Memoiren des Teufels äußerten87 – und dass Memoiren gewöhnlich über jemandem geschrieben wurden, der tot ist, nicht von jemandem, der noch lebt. In Wirklichkeit ist es die Wissenschaft, die so vieles tötet, während sie doch so vieles andere schafft, sie hat den Teufel hingeschlachtet, oder ist gerade dabei, ihn zur Strecke zu bringen, ihn, dessen Hilfe sie nicht mehr braucht (wenn sie ihn überhaupt je gebraucht hat). Mit der Wissenschaft erfüllen sich die denkwürdigen Worte Vergils: Selig, wem es gelang, der Ding’ Ursprung zu ergründen, Und wer jegliche Furcht und das unerbittliche Schicksal Niedertrat, das Getöse des gierigen Acheron höhnend.88

Félicien Rops, Frau auf einem hölzernen Pferd. The British Museum, London.

Anonym, Fil au Démon (Reklame), um 1880-1890. Lithographie. Bibliothèque des arts décoratifs, Paris.

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Doch nicht jedermann gibt zu, dass der Teufel tot ist, nicht einmal, dass er im Sterben liegt. Viele beharren immer noch darauf, dass sie sein Werk sehen. Da sie es nirgends anders sehen können, behaupten sie, es sei in den obskuren Phänomenen oder in dem nur allzu offensichtlichen Schwindel des „animalischen Magnetismus“ und des Spiritismus auszumachen: Noch im 19. Jahrhundert schickte seine unfehlbare Heiligkeit, Papst Leo XIII. (1810 bis 1903), ergriffen von einer Teufelei der Geister und von jenen Visionen, die ganze zwei Wochen lang die Zeitungsspalten Italiens füllten, ein glühendes Gebet zum Erzengel Michael. Darin bat er ihn, erneut sein formidables Schwert zu zücken, unter Ausstoßen seines Schlachtrufs in alle vier Winde über und unter der Milchstraße und noch einmal herabzusteigen um gegen seinen uralten und dennoch unbesiegten Widersacher ins Feld zu rücken, und ihn für immer auf den Platz zu verweisen, der ihm gebührt. Oh seligster Vater! Ich weiß nicht, welche Antwort du von oben auf dein Ersuchen hin erhieltest, doch war es wirklich nötig, die Ruhe des ehrenwerten himmlischen Paladins zu stören? Das Werk, das Christus vor zwei Jahrtausenden begonnen hat – die Zivilisation hat dieses Werk vollendet. Die Zivilisation hat die Hölle erobert und uns für immer vom Teufel erlöst.

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Anmerkungen 1

Jesaja 14, 12: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!“

2

vgl. Petrusbrief 2, 4; Brief des Judas 6.

3

Genesis 6, 1-4.

4

The Loves of the Angels von Thomas Moore und Heaven and Earth, A Mystery von Lord Byron.

5

Die Gottheit Robigo (Brand, Mehltau) rief man zur Abwendung des Mehltaus an. Febris, die Göttin des Fiebers, hatte drei Tempel in Rom.

6

Genesis 3, 1.

7

In der Form ‘Beelzebub’ erscheint dieser Name nur in den ersten drei Evangelien des Neuen Testaments. Im Alten Testament erscheint die Form Baal Zebub viermal im ersten Kapitel des zweiten Buchs der Könige. Baal Zebul (oder Baal Zebub, „Herr der Fliegen“), war eine kanaanitische Gottheit, nämlich der Stadtgott von Ekron.

8

Leviticus 16, 6-8. „Und Aaron [...] soll das Los werfen über die zwei Böcke: ein Los dem HERRN, das andere dem Asasel.“

9

Hiob 1, 6; Hiob 2, 1.

10

Sacharja 3, 1-2.

11

„Denn Gott hat den Menschen geschaffen / zum ewigen Leben / vnd hat jn gemacht zum Bilde / das er gleich sein sol / wie er ist. Aber durchs Teufels neid / ist der Tod in die Welt komen / Vnd die seins teils sind / helffen auch dazu.“ Weisheit Salomons 2, 23-25.

12

Jesaja 45, 7.

13

1. Petrusbrief 5, 8.

14

Johannes 12, 31.

15

Hebräerbrief 2, 14.

16

Lukas 11, 21.

17

Johannes-Apokalypse 12, 9; 20, 2.

18

Brendan von Clonfert, geb. 484, gest. 577, hat der Legende nach auf der Suche nach dem irdischen Paradies Reisen unternommen (vgl. Navigatio Brendani). Er und seine Begleiter sollen auf einer wunderbaren Insel im Atlantik gelandet sein.

19

Im neunten Buch des Parzival von Wolfram von Eschenbach sagt der Eremit zum Ritter: Die sich nicht entscheiden mochten, Als Kampf ward gefochten Zwischen Trinitas und Lucifer, All das himmlische Heer Mit leuchtendem Gefieder, Zu dem Steine must es nieder Dort zu dienen diesem Stein: Wohl muß der hehr und edel sein Ob ihnen Gott die Schuld erließ,

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Ob er sie später ganz verstieß – Er mochte thun was ihm genehm Dem Steine dienen seitdem Die Gott dazu benannte, Herr, so steht es um den Gral. (Übersetzung von Karl Simrock, Wolfram von Eschenbach: Parzival. Die Bibliothek der Weltliteratur, S. 79528). 20

Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie (Die Hölle), 3. Gesang, Verse 39-64, Berlin: Askanischer Verlag, [1916]. Übersetzung von Karl Witte.

21

Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie (Die Hölle), 34. Gesang, Verse 70-81.

22

Vgl. die beiden italienischen und französischen Sprichwörter „II diavolo, quand’ è vecchio, si fa romito“ und „Quand le diable devient vieux il se fait ermite“.

23

Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie (Die Hölle), 34. Gesang, Vers 18. In Dantes Hölle sind es die Riesen, nicht die Titanen, die als Wächter des Neunten Höllenkreises fungieren (Dante: Hölle, 31. Gesang).

24

Nach den Angaben, die Dante im 34. Gesang der Hölle macht, wurde die Größe Luzifers auf ungefähr 750 Meter geschätzt.

25

Das Nikodemus-Evangelium ist eine der so genannten apokryphen Schriften.

26

Dante: Komödie (Hölle), 21. Gesang, Verse 31-36.

27

Dante: Komödie (Hölle), 17. Gesang, Verse 1-27.

28

John Milton: Das verlorene Paradies, Erster Gesang. Übersetzung von Adolf Böttger.

29

Dante: Komödie (Hölle), 33. Gesang, Verse 118-147.

30

Dante: Komödie (Hölle), 34. Gesang, Vers 22, 23 und 25.

31

Matthäus 12, 24; Lukas 11, 15. Ebenso Markus 3, 22.

32

Dante: Komödie (Hölle), 34. Gesang, Vers 28.

33

Matthäus 4, 3.

34

Dante Alighieri: Das Gastmahl (Il Convivio), Drittes Buch, Vers 13.

35

Dante: Komödie (Hölle), Siebenundzwanzigster Gesang, Vers 123.

36

Jean Bodin war einer der Autoren, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Hexenverfolgung wieder aufleben lassen wollten. Sein Hexentraktat Daemonomania erschien 1579.

37

Das bezieht sich möglicherweise auf Matthäus 10, 28 oder 12, 24-26.

38

Vgl. Johannes 12, 31; 14, 20; 16, 11.

39

Vgl. Victor Hugo: Die Weltlegende, III. Macht und Güte. Aus: Victor Hugo’s sämmtliche poetische Werke. Deutsch von Ludwig Seeger, Stuttgart 1860.

40

Epheserbrief 4, 27.

41

Dieses Zitat stammt nicht von Paulus, sondern von Jakobus (Jakobusbrief 4, 7).

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Nach der antiken und mittelalterlichen Medizin entsprachen die vier Temperamente den Körpersäften: Blut – Sanguiniker, Schleim – Choleriker, gelber Schleim – Phlegmatiker und schwarze Galle – Melancholiker.

43

Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe, 22 An Eustochium, 7. (Migne, Patrologia Latina, XXII, 398) Übersetzung aus: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften Bd. 2-3; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 16 und 18) Kempten; München: J. Kösel : F. Pustet, 1936-1937.

44

Boccaccio: Dekameron, Dritter Tag, Zehnte Geschichte.

45

Lukas 14, 11. Wie Antonius sagt, kann der Teufel die Bibel für seine Zwecke zitieren.

46

Victorinus (2. Jahrhundert) war ein der Sünde der Unmäßigkeit verfallener Einsiedler.

47

Vgl. 2. Korintherbrief 11, 14: „... denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichtes.“

48

Genesis 6, 1-4.

49

Das Hinabsteigen Christi in die Hölle, um die Seelen der rechtschaffenen Leute zu befreien, die zu Zeiten des Alten Testaments gelebt haben, ist häufiges Thema frühchristlicher und mittelalterlicher Schriften.

50

Robert I. (1028 bis 1035), auch (irrtümlich) mit Robert dem Teufel identifiziert, war Herzog der Normandie. Er unternahm eine Pilgerfahrt nach Jerusalem, starb aber kurz nach seiner Rückkehr. Meyerbeers Oper Robert der Teufel wurde 1831 uraufgeführt.

51

Vgl. 1. Johannesbrief 2, 18: „Kinder, es ist die letzte Stunde! Und wie ihr gehört habt, dass der Widerchrist kommt, so sind nun viele Widerchristen geworden; daher erkennen wir, dass die letzte Stunde ist.“

52

Vgl. Matthäus 4, 8; Lukas 4, 5.

53

„Blut ist ein ganz besond’rer Saft.“ Johann Wolfgang Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil, Studierzimmer (2).

54

Vgl. Rutebeuf: Le Miracle de Théophile.

55

Die Tragical History of Doctor Faustus wurde wohl um 1594 uraufgeführt.

56

Ein Zauberer, der in den Chansons de geste (altfranzösische Epik) in einem „Cycle de Charlemagne” (Zyklus um Karl den Großen) auftaucht.

57

„Veramente/Delle magiche frode seppe il gioco.“ Dante: Komödie (Hölle), 20. Gesang, Vers 117.

58

„II verme reo che il mondo fora.“ Dante: Komödie (Hölle), 34. Gesang, Vers 108.

59

Matthäus 16, 18: „... und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“

60

„Senza serrame ancor si trova“ („... das seitdem/verschlusslos blieb“), Dante: Komödie (Hölle), 8. Gesang, Vers 126. „Christus hat das Tor zur Hölle niedergerissen.“ Vgl. Vergil: Aeneis, Sechster Gesang, Verse 127-128: „Noctes atque dies patet atri janua Ditis“ („Nächte und Tage hindurch steht offen der Eingang zum düstren/Pluto“ „Queste parole di colore oscuro/Vid’ io scritte al sommo d’una porta“ Dante: Komödie (Hölle), Dritter Gesang, Verse 1-11: „Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen, [...] / Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren./In dunkler Farbe sah ich diese Zeilen/Als einer Pforte Inschrift.“

61

Auf einer Insel im Lough Derg im County Donegal gibt es eine Höhle, bekannt als Saint Patrick’s Purgatory (Fegefeuer). Hier soll Christus dem heiligen Patrick von Irland eine tiefe Grube gezeigt haben, worin jeder, der einen Tag und eine Nacht hier verbracht hat, die Qualen der Hölle und die Wonnen des Himmels erblicken könne.

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Dante: Komödie (Hölle), 4. Gesang, Verse 10-12.

63

„Or discendiam quaggiù nel cieco mondo“ („Lass denn zur blinden Welt uns niedersteigen!“). Dante: Komödie, (Hölle), 4. Gesang, Vers 13.

64

„Io venni in loco d’ogni luce muto“ („Verstummt war alles Licht in diesem Raume,“). Dante: Komödie (Hölle), 5. Gesang, Vers 28.

65

„Lo regno della morta gente.“ Dante: Komödie (Hölle), 8. Gesang, Vers 85.

66

Die italienische Meile ist nicht überall gleich lang. Ihre Länge schwankt zwischen 1488 und 2226 Metern.

67

Dante nennt Luzifer den „Kaiser von dem Reich der Schmerzen“ („Lo imperador del doloroso regno“). Dante: Komödie (Hölle), 34. Gesang, Vers 28.

68

Dante: Komödie (Hölle), 7. Gesang, Verse 68-78.

69

Johannes-Apokalypse 20, 10: „Und der Teufel, der sie verführte, ward geworfen in den feurigen Pfuhl und Schwefel, da auch das Tier und der falsche Prophet war; und sie werden gequält werden Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit.“

70 71

Dante: Komödie (Hölle), 21. Gesang. „Forse qual diede ad Eva il cibo amaro.“ Dante: Komödie (Fegefeuer), 8. Gesang, Vers 99.

72

„Gli astor’ celestiali.“ Dante: Komödie (Fegefeuer), 8. Gesang, Vers 104.

73

Giovanni Boccaccio: Das Dekameron, Fünfter Tag, Achte Geschichte.

74

Johannes-Apokalypse 14, 11: „… und der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit; und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht...“

75

Vgl. Markus 10, 47, 48; Lukas 18, 38, 39.

76

„Lasciate ogni speranza voi ch’entrate.“ Dante: Komödie (Hölle), Dritter Gesang, Vers 9.

77

„Wo tiefe Finsternis ist, furchtbare Schreie niemals enden und glühende Kohlen in den Schmieden atmen. Eine Gegend, groß und voller Düsternis, beißender, rauchiger Gestank, stürmisches Getöse und der unersättliche Abgrund.“

78

„Den wahren Gott lobe ich, das Volk rufe ich, die Geistlichkeit sammle ich, die Toten beweine ich, die Pest vertreibe ich, die Feste verherrliche ich, zur Totenmesse klage ich, die Blitze breche ich, die Feiertage kündige ich, die Trägen ermuntere ich, die Winde verjage ich, die Zürnenden besänftige ich.“

79

„Meine Stimme ist der Schrecken aller Dämonen.“

80

In Bram Stokers Dracula wird Knoblauch häufig als Schutzmittel gegen Vampire genannt.

81

In England wurde die Raute früher „Herb of grace“ oder „Herb-grace“ genannt („Kraut der Gnade“), was sich später auch zu „Herby-grass“ und „Herbgrass“ verschliff.

82

Vgl. Goethe: Faust. Mephistopheles sagt dort: „Ich bin der Geist, der stets verneint!“

83

Heinrich Heine: Buch der Lieder (Die Heimkehr), Gedicht 35 „Ich rief den Teufel, und er kam...“

84

Interlinearübersetzung unter Verwendung von: http://www.rafa.at/125litan.htm)

85

Diese Zeilen stammen aus dem letzten Gesang des epischen Gedichts Il Lucifero von Mario Rapisardi.

86

La Mort Du Diable. Aus: Oevres Completes de P. J. de Béranger, Tome Deuxième, Paris 1854.

87

Hauffs Mitteilungen aus den Memoiren des Satans wurden 1826 veröffentlicht; Souliés Les Mémoires du Diable erschienen 1836 und 1837.

88

„Felix, qui potuit rerum cognoscere causas, Atque metus omnes et inexorabile fatum Subjecit pedibus, strepitumque Acherontis avari.“

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Bibliographie Alighieri, Dante, Die Göttliche Komödie. 1321. La Divine Comédie illustrée par Botticelli. Paris, éditions Diane de Selliers, 2006. Ariès, Philippe, L’Homme devant la mort, Bd. 1: Le Temps des gisants. Paris, Seuil, 1985. Baschet, Jérôme, Les Justices de l’au-delà, les représentations de l’enfer en France et en Italie (XIIe-XVe siècle). École française de Rome, 1993. Blanc, Monique, Voyages en enfer. De l’art paléochrétien à nos jours. Paris, Citadelles & Mazenod, 2004. Boccaccio, Giovanni, Das Dekameron. 1353. Boswell, John, Christianisme, tolérance sociale et homosexualité, les homosexuels en Europe occidentale des débuts de l’ère chérétienne au XIVe siècle. Paris, Gallimard, 1985. Brenk, Beat, Tradition und Neuerung in der christlichen Kunst des ersten Jahrtausends. Wien, 1966. Byron, Lord George Gordon, Heaven and Earth, A Mystery. 1821. Eco, Umberto, Art et beauté dans l’esthétique médiévale. Paris, Grasset, 1997. Goethe, Johann Wolfgang von, Faust. 1808. Goff, Jacques Le, Un Autre Moyen-Âge. Paris, Gallimard, 1999. Eschenbach, Wolfram von, Parzival. Yverdon les bains, Éditions Anthroposophiques Romandes, 2005. Hauff, Wilhelm, Mitteilungen aus den Memoiren des Satans. 1826. Jessen, Peter, Die Darstellung des Weltgerichts bis auf Michelangelo. Berlin, 1883. Mc Ginn, Bernard, Visions of the End: Apocalyptic Tradition in the Middle Ages. New York, 1979. Moore, Thomas, Loves of the Angels. 1823. Muchembled, Robert, Damned: An Illustrated History of the Devil. Paris, Seuil Chronicle, 2004; Une histoire du diable, XIIe-XXe siècles, Paris, Seuil, 2000. Néret, Gilles, Devils. Köln, Taschen, 2003. Pastoureau, Michel, L’Étoffe du diable. Une histoire des rayures et des tissus rayés. Paris, Seuil, 2002. Polacco, Renato, La Cattedrale di Torcello; Il Giudizio Universale. Canova, L’Altra Riva, 1986. Soulié, Frédéric, Les Mémoires du diable. Paris, Robert Laffont, 2003. Stoker, Bram, Dracula. München, Hanser (1992). Verdon, Jean, La Nuit au Moyen-Âge. Paris, Hachette Littératures, 2003. Wirth, Jean, L’Image médiévale, naissance et transformations d’un système iconographique (VIe-XVe siècle). Paris, Méridiens Klincksieck, 1989. Zlatohlávek, Martin, Christian Rätsch und Claudia Müller-Ebeling, Das Jüngste Gericht: Fresken, Bilder und Gemälde, übers. aus dem Tschech.: Jürgen Ostmeyer. Düsseldorf; Zürich, Benziger, 2001 252

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Index A

B

Angelico, Fra Christus im Limbus, eins von 35 Gemälden für die Silberschatzkammer der Kirche Santissima Annunziata 222 Das Jüngste Gericht (Detail) 34-35, 210 Das Jüngste Gericht, eins von 35 Gemälden für die Silberschatzkammer der Kirche Santissima Annunziata 188-189 Das Jüngste Gericht, Die Hölle (rechter Flügel) 206

Bartolo, Taddeo di Die Hölle

Anonym Aphrodite oder Venus Genetrix 113 Die Empfängnis Merlins, aus der Geschichte Merlins 116 Die Fee Berliquette 244 Fil au Démon (Reklame) 247 Florentinisches Gemälde in neun Tafeln (Detail) 92, 93 Frontispiz der französischen Übersetzung des Traktats gegen die Waldenser von Johannes Tinctor 142 Geflügelter Dämon 12-13 Der Hl. Bernard streckt einen Dämon nieder, Stundenbuch 221 Hl. Eligius und der Dämon als Frau 90 Die Hölle (Detail) 204-205 Der Höllenschlund 175 Die Hölle, Stundenbuch 184 Die Hölle und die Sieben Todsünden 55 Das Jüngste Gericht 71, 173, 174 Das Jüngste Gericht (Detail) 18 Der Krampus, ein Dämon in Begleitung des Hl. Nikolaus 43 Madonna del Soccorso (Detail) 42 Mann mit sieben Teufeln, aus: Buch der Sieben Todsünden 60 Mann und Teufel in der Initiale O einer lateinischen Bibel 86 Messbuch der Kirche St. Nicaise in Reims (Missale Remense) 22 Der Obstgarten der Trunkenheit oder Der Obstgarten des Trosts 182-183 Psalter der Blanka von Kastilien 170 Psalter von Winchester 236 Der riesenhafte Geist 8 Satan wird für tausend Jahre in Ketten gelegt 234 Siva Nataraja 11 Statuette des Dämons Pazuzu mit Inschrift 10 Das Stundenbuch von Luxemburg 91 Szenen der Hölle 17 Tableau de mission, dit taolennou (Missionsbild, sog. Taolennou) Der Zustand der Sünde 54 Teufelei 70 Das Wunder des Hl. Theophilus 128 Augustinus De civitate Dei

213

Bartolomeo, Martino di Stephanus wird aufgefunden Der Teufel entführt den neugeborenen Stephanus Béziers, Matfre Ermengaud von Das Breviari d’Amor: Gefahren der Liebe Blake, William Der Erzengel Michael fesselt Satan („He Cast Him into the Bottomless Pit, and Shut Him Up“) Tafel 5 aus Europa: Eine Prophezeihung Bondone, Giotto di Das Jüngste Gericht (Detail) Bosch, Hieronymus Der Heuwagen Das Narrenschiff oder Die Verspottung des zügellos Feiernden Die Versuchung des Hl. Antonius Visionen aus dem Jenseits: Der Sturz der Verdammten; Die Hölle, Teil eines Weltgerichts-Polyptychons Botticelli, Sandro Geburt Christi (Mystische Geburt) Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie, Achtzehnter Gesang des Inferno Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie, Fünfzehnter Gesang des Inferno Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie, Zehnter Gesang des Inferno Die Versuchung Christi Bouts d. Ä., Dieric Das Jüngste Gericht, Höllentafel (Detail) Bruegel d. Ä., Pieter Die Dulle Griet (Die tolle Grete) Sturz der Engel

38

131 130

88

240 57

39

84-85 103 104-105 185

218 202 203 200-201 96-97

64-65

156-157 26-27

Buonarroti, Michelangelo, auch bekannt als Michelangelo Das Jüngste Gericht Ursünde

195 83

Buoninsegna, Duccio di Hauptregister mit Szenen zu Christi Passion, Szene: Christi Höllenfahrt Maestà, Altarretabel des Sieneser Doms, Rückseite,

223 253

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C

Gislebertus Das Jüngste Gericht (Detail)

Canavesio, Giovanni Der gehängte Judas Carpaccio, Vittore Hl. Georg und der Drachen

136

48-49, 224-225

Christus, Petrus Das Jüngste Gericht

226

Coincy, Gautier de Das Leben und die Wunder unserer Lieben Frau: Der Wucherer und der Bettler

127

Cranach d. Ä., Lucas Ritt zum Hexensabbat, Detail aus: Eine Allegorie der Melancholie Cranach d. Ä., Lucas (Werkstatt) Der Schlüssel zur Hölle

153

228-229

Crivelli, Carlo Madonna mit Kind

52

Goya y Lucientes, Francisco de Der behexte Mann, ein Ausschnitt aus El Hechizado por Fuerza („Der Behexte wider Willen“) El Aquelarre (Der Hexensabbat) Der Exorzismus Franz Borgia ringt um einen unbußfertigen Sünder Hexen in der Luft Les Vieilles oder Die Zeit und die alten Frauen Grand, Jacques le Das Buch der guten Sitten: Bathseba im Bade

David, Gérard Der Erzengel Michael

233

178-179 134 133 74 135

Doré, Gustave Illustration zu Gargantua und Pantagruel von François Rabelais Dürer, Albrecht Die Apokalypse (Detail) Ritter, Tod und Teufel

63

239 47

E Ernst, Max Die Einkleidung der Braut

166

Eyck, Jan van Das Jüngste Gericht

191

F Fruosino, Bartolomeo di Illustration zu Dantes Inferno Fuseli, Henry Der Albtraum

207

121

6 140 154 139 160 148

108-109

Grevembroch, Jan II. van Die Bestrafung der Hexe

149

Grien, Hans Baldung Adam und Eva Hexen

80 159

Grünewald, Matthias Hl. Antonius, Isenheimer Altar (Detail)

D

Delacroix, Eugène Dante und Vergil in der Hölle (Die Dante-Barke) Faust versucht, Margarete zu verführen Mephistopheles bietet Faust seine Hilfe an Mephistopheles im Fluge Mephistopheles in der Studentenkneipe

19

37

K Klimt, Gustav Beethovenfries (Detail)

164-165

L Langlumé Der Albtraum, aus: L’Album comique Ligny (nach Gustave Doré) Lucifer auf einem Felsen Limburg Brüder Die Hölle, aus: Das Stundenbuch des Herzogs von Berry (Les Très Riches Heures du Duc de Berry) Limburg, Pol de Der Sturz und das Gericht Lucifers, aus: Das Stundenbuch des Herzogs von Berry (Les Très Riches Heures du Duc de Berry)

118-119

77

215

23

M Ma’shar, Abû Das Buch der Geburten (Kitab al-mawalid)

14

Maestro di Castelsardo Der Erzengel Michael, Retabel für St. Peter

227

Maître des Anges Rebelles Der Heilige Martin teilt seinen Mantel und Der Sturz der Engel

24, 25

G Giordano, Luca Der Erzengel Michael stürzt die abtrünnigen Engel in den Abgrund 254

28

Mailänder Werkstatt Die Heilung des Besessenen von Gerasa

220

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Mannozzi, Vincenzo Die Hölle Mantegna, Andrea Der Abstieg in den Limbus Marcovaldo, Coppo di Das infernalische Chaos rund um Satan Meister der Seeligkeit der Jungfrau Maria Das Jüngste Gericht (Detail) Meister von 1445 Die Versuchung des Hl. Antonius

Page 255

186

Rowlandson, Thomas Bonapartes Flucht aus dem Höllenschlund

176

Ryckaert III., David Dulle Griet (Die Hexe)

72-73

66

101

111 30 190

Michelino, Domenico di Dante und die drei Königreiche

198

40-41

N Niederrheinischer Meister Liebeszauber

112

O Orsel, André-Jacques-Victor Gut und Böse: Der Teufel versucht eine junge Frau

106

P Pacher, Michael Hl. Augustinus und der Teufel Paolo, Giovanni di Das Jüngste Gericht

78

208-209

32, 68-69

R Rodin, Auguste Die Pforten zur Hölle Romain, Henri Abstract des Livius Rops, Félicien Frau auf einem hölzernen Pferd Hinter der Bühne

Saint-Aubert, Antoine-François Die Ankunft beim Hexensabbat und die Huldigung des Teufels Sanzio, Raffello, auch bekannt als Raffael Der Hl. Georg mit dem Drachen Hl. Margarete Der Hl. Michael tötet den Dämon, auch bekannt als Der große Hl. Michael

168

147

230 51 216

Schön, Erhard Der Teufel bläst die Sackpfeife in Form eines Mönchskopfes

87

Schongauer, Martin Die Versuchung des Hl. Antonius

98

Signorelli, Luca Predigt und Taten des Antichrists Die Verdammten Stuck, Franz von Die Sünde

124 181, 196-197

163

T Teniers d. J., David Hexensabbat Die Versuchung des Hl. Antonius Tintoretto Die Versuchung Christi

144-145 100

95

U Uccello, Paolo Hl. Georg und der Drachen

44-45

V Vasari, Giorgio (begonnen), Federico Zuccari (beendet) Die Bestrafung der Lust, Das Jüngste Gericht (Detail)

Q Quarton, Enguerrand Marienkrönung (Detail)

150-151

S

Memling, Hans Die Eitelkeit, Mitteltafel des Triptychons Irdische Eitelkeit und göttliche Erlösung Irdische Eitelkeit und göttliche Erlösung, Triptychon (Detail) Das Jüngste Gericht, Triptychon (rechter Flügel)

Modena, Giovanni da Die Bestrafungen der Verdammten in der Hölle

243

192-193

Vecellio, Tiziano, auch bekannt als Tizian Adam und Eva

82

Verdun, Nikolaus von Klosterneuburger Altar (Detail)

20

W 212

246 115

Wiertz, Antoine Die Romanleserin Wrubel, Michail Alexandrowitsch Fliegender Dämon

122-123

58-59 255

Arturo Graf

SATAN, BEELZEBUB, LUZIFER

„Der Teufel hält die Fäden, die uns bewegen!“ (Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen, 1857.) Satan, Beelzebub, Luzifer… der Teufel hat viele Namen und Gesichter; sie alle haben Künstlern stets als Inspirationsquelle gedient. Bilder von Teufeln wurden oftmals von Angehörigen des Klerus in Auftrag gegeben, um, je nach Gesellschaft, mit Bildern der Furcht oder Ehrfurcht und mit Darstellungen der Hölle die Gläubigen zu bekehren und sie auf den von ihnen propagierten rechten Pfad der Tugend zu geleiten. Für andere Künstler, wie z. B. Hieronymus Bosch, waren sie ein Mittel, um den völligen moralischen Verfall seiner Zeit anzuprangern. Auf dieselbe Weise hat die Beschäftigung mit dem Teufel in der Literatur oftmals Künstler inspiriert, die den Teufel mithilfe von Bildern austreiben wollten; dazu gehören insbesondere die Werke von Dante Alighieri und Johann Wolfgang von Goethe. Im 19. Jahrhundert fühlte sich die Romantik zunächst von dem mysteriösen und ausdrucksvollen Gehalt des Themas angezogen und setzte die Verherrlichung der Böswilligkeit fort. Auguste Rodins Höllentor, ein monumentales Lebenswerk, für das er sich sehr gequält hat, stellt nicht nur diese Leidenschaft für das Böse perfekt dar, sondern enthüllt auch den Grund für diese Faszination. Was könnte in der Tat fesselnder, motivierender für einen Mann sein, als seine künstlerische Meisterschaft zu prüfen, indem er die Schönheit im Hässlichen und Diabolischen darstellt?

SATAN, BEELZEBUB, LUZIFER

Der Teufel in der Kunst

Arturo Graf