Sammlung von deutschen Gedichten für höhere Schulen: Mit einem kurzen Abriß der deutschen Literaturgeschichte [Reprint 2018 ed.] 9783111512754, 9783111145037

179 9 30MB

German Pages 438 [440] Year 1942

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Sammlung von deutschen Gedichten für höhere Schulen: Mit einem kurzen Abriß der deutschen Literaturgeschichte [Reprint 2018 ed.]
 9783111512754, 9783111145037

Table of contents :
Vorwort
Berichtigungen
Erster Theil. Die ältere Zeit
Kurze Uebersicht der poetischen Literatur der Deutschen bis zum Anfang des 17en Jahrhunderts
Erste Abtheilung der Sammlung
Zweiter Theil. Die neuere Zeit
Kurze Uebersicht der poetischen Literatur der Deutschen von Opitz bis aus die neueste Zeit
Zweite Abtheilung der Sammlung
Erste schlestsche Dichterschule
Geistliche Lieder. Paul Gerhardt
Die Pegnitzschäfer
Die zweite schlesische Dichterschule
Nachahmer der Franzosen und Engländer. Uedergang zu einer selbständigen Entwicklung der deutschen Poesie
Geistliche Lieder
Die höllischen Dichter und deren Zeitgenossen
Kräftigere Entwicklung einer deutschen National Poesie
Der Hainbund
Goethe und Schiller
Entwicklung der Poesie nach verschiedenen Richtungen
Die Romantiker
Patriotische Poesie in der Zeit des Freiheitskampfes
Die neuere Poesie
Zusätze

Citation preview

Sammlung von

deutschen Gedichten für höhere Schulen, mit

einem kurzen Abriß der

deutschen Literaturgeschichte herausgegeben

/ Finnou», Direktor der D-orotheeustLdtifcheu höhere» Stadtschule zu Berlin.

Berlin, gedruckt und verlegt bei G. Reimer

1842.

Borwort. ^ie nachstehende Sammlung soll bei dem Unterricht in der deut­ schen Literaturgeschichte auf höheren Schulen gebraucht werden.

Die­

ser Unterricht muß höchst unfruchtbar sein, wenn nicht auS den Wer­ ken, welche in der deutschen Literatur Bedeutung habe«, Proben mit­ getheilt und erklärt werden. Dieß ist gewiß auch bisher von jedem tzrrständigen Lehrer geschehen; aber jeder wird sich auch bald überzeugt haben, daß von dem, waS er den Schülern Nur vorgelesen^ wenig bei ihnen haften geblieben, daß sie schon nach kurzer Zeit den Inhalt ganz vergessen oder doch die aus verschiedenen Werken vorgelesenen Stellen mit einander verwechselt haben. Es scheint daher, wenn der Unterricht in der Literaturgeschichte seine rechte Bedeutung und guten Erfolg haben soll, unerläßlich, den Schülern selbst einen Auszug aus den in der Literaturgeschichte besonders erwähnenSwerthen Werken in Die Hand zu geben. Natürlich wird es nicht möglich sein, eine voll­ ständige Sammlung der Art für Schulen zu veranstalten, weil diese von einem Umfang sein müßte, der ihren Preis über das den Schu­ len durch äußere Verhältnisse meistens vorgeschriebene Maß steigern würde; es wird aber auch nicht nöchig sein, derselben eine so große Ausdehnung zu geben. Denn aus unbedeutenderen Werken, die nur in ihrer Zeit ein flüchtiges Interesse erregten, die aber zur fortschrei­ tenden Entwicklung der Rationalliteratnr des Volkes nichts beigetra­ gen haben, brauchen keine Proben aufgenommen zu werden; die Be­ schränkung auf das Beste und Wichtigste wird vielmehr ein Vorzug einer solchen Sammlung sein. Eben so wenig ist es erforderlich, daß aus demselben Werke sehr viel aufgenommen werde; auch an ciitafc kleineren Stück, wenn es nur den eigenthümlichen Charakter und den Standp>»nkt des ganzen Werkes erkennen läßt, kann man die Bedeu-

IV

Vorwort.

hing desselben richtig beurtheilen lernen. Ja wenn der Lehrer, nach­ dem ein kleineres Stück, welches die Schüler gedruckt vor sich ha­ ben, genauer durchgenommen ist, noch andere Stellen eines größeren Werkes vorliest, so werden diese nun weit eher in dem Gedächt­ niß haften, da sie sich genau an das Bekannte anschließen; die Schü­ ler werden leicht im Stande sein, sich ein vollständiges Bild des ganzen Werkes zu erzeugt» und sich itimttt wieder lebendig des Vor­ gelesenen zu erinnern; und zwar desto vollständiger und sicherer, wenn neben der kleinen Probe auch eine kurze Jnhaltsanzeige des ganzen Werkes ihnen jeden Augenblick zu Gebote steht. Nach diesen Grundsätzen habe ich die nachstehende Sammlung als Hülfsmittel für den Unterricht in der deutschen Literaturgeschichte veran­ staltet. Nur aus wichtigeren und bedeutenderen Werken habe ich Proben mitgetheilt und zugleich immer den Inhalt des ganzen Gedichtes angege­ ben; wo gleichzeitig mehrere Werke in demselben Geiste verfaßt sind, wie dieß z. B. bei den französischen Romanen des 13ten Jahrhunderts -er Fall ist, da ist nur aus einem der bedeutendsten eine Probe mitge­ theilt, der Inhalt der übrigen aber kurz angegeben. Dabei ist die Zeit vor Opitz nicht in dem Maße berücksichtigt worden, als die spätere, weil theils die Erzeugnisse jener früheren Zeit schon der Sprache we­ gen den Schülern immer fremd bleiben werden, theils auch die Zeit vom Ende des 13ten bis zum Ende des 16ten Jahrhunderts nur we­ nige bedeutende literarische Erscheinungen darbietet. Bei der Auswahl im Einzelnen hatte ich vielerlei zu berücksichtigen; theils durfte ich nämlich das Schönste und Edelste, was unsere poetische Literatur auszuweisen hat, nicht übergehen und doch auch die bekanntesten Gedichte, welche in der Regel zugleich die besten sind, nicht aufnehmen, weil sie den Schülern der oberen Klaffen, für welche diese Sammlung zunächst be­ stimmt ist, bereits ans den Lesebüchern, die sie in den unteren ge­ braucht haben, oder sonst anderweitig bekannt sein müssen. Außerdem hatte ich natürlich bei der Auswahl sorgfältig auf den Standpunkt der geistigen und sittlichen Bildung Rücksicht zu nehmen, auf dem die Schüler der Klaffen, die sich dieser Sammlung bedienen sollen, in der Regel zu stehen pflegen; ich hätte daher gern alle anakreontischen Lie­ der, obgleich ich ihrer nur wenige mit ängstlicher Vorsicht ausgewählt habe, fortgelassen, weil die »reisten Jünglinge daran wenig oder kein

Interesse zeigen. ich aber nicht umhin konnte, auch diejenigen Dichter, welche grade in dieser Gattung der Poesie sich besonder- aus­ gezeichnet haben, wegen der Bedeutung, welche sie für die Hntipickeluug der deutschen Poesie gehabt haben, in die Sammluug aufzuneh­ men, so konnte ich einigen unschuldigen Liedern der Art ihren Plah nicht vorenthalten. — Uebersetzungen glaubte ich au- dieser Samm­ lung ganz ausschließen zu müssen; denn nur das gehört der Literatur eines Volkes ganz an, waS nach Inhalt und Sprache ihr eigenthüm­ lich ist; freie Bearbeitungen fremder Gedichte konnte ich aber mit Recht aufnehmen, weil hier der Stoff unter der Hand des Dichter­ schon eine neue eigenthümliche Gestalt gewonnen hat. Ueberall habe ich, so weit e6 durchzuführen war, nur Originalausgaben zum Grunde gelegt; wo ich eine andere Sammlung benutzt habe, da ist es bei den betreffenden Gedichten angegeben. Die Inhalt-anzeigen der größeren Werke werden überdieß bezeugen, daß ich es an einem sorgfälllgen Quellen­ studium nicht habe fehlen laffen. Die Aufeinanderfolge der einzelnen poetischen Stücke konnte natürlich nur eine chronologische sein; doch find zugleich die Gedichte, welche einer und derselben allgmneinen Richtung oder Schule angehören, und unter ihnen wieder die Gedichte eines und desselben Dichters bei einander gelassen und nur unter sich nach der Zeitfolge geordnet. Wo aber von einem Schriftsteller viele verschiedene Gedichte aufgenommen werden mußten, glaubte ich, zur besseren Ueber­ sicht diese nach den 3 Hauptgattungen der Poesie ordnen zu müssen, und zwar so, daß die epischen Gedichte den lyrischen, und diese den dramatischen vorangingen. Wo von dieser im Allgemeinen beobachteten Ordnung abgewichen ist, wird man den Grund der veränderten Stel­ lung leicht auffinden. In Bezug auf die in der Sainmlung beobachtete Orthographie und Interpunktion habe ich noch einige Worte hinzuzufügen. Ich mußte in den Gedichten aus älterer Zeit offenbar die Orthographie deö Originals beibehalten, damit auch diese Seite der Sprachentwick­ lung in ihrem allmäligen Fortschritt beobachtet werden konnte; dieß strenge Festhalten an der Orthographie des Originals mußte ich aber aufgeben, als die Sammlung bis zu der Zeit vorrückte, wo eine eigenthümliche Fortentwicklung der Orthographie nicht mehr so ent­ schieden zu erkennen ist. Dazu schien mir das Jahr 1770, in das

vt

Voroimrt

uitgefähr die Entstehmrg des Hainbundes zu setzzp ist, am geeignet­ stes, weil seit der Zeit die Orthographie keine bedeutenden Aen­ derungen erfahren har. Denn die mancherlei Vorschläge und Neue­ rungen, welche man sich in dieser Beziehung in der neuesten Zeit erlaubt hat, sind noch nicht so allgemein anerkannt und so konse­ quent durchgeführt, daß man sie als ein neues Entwicklungsmoment ansehen könnte. Ich habe daher auch in diesem letzten Theil der Samm­ lung die bis jetzt noch allgemein übliche, in der bisherigen historischen Entwicklung begründete Orthographie beobachtet, also: Gluth, nicht Glut u. s. w. geschrieben. Bei der Endung inn der weiblichen Haupt­ wörter habe ich die alte richtige Schreibweise (Königinn) auS gram­ matischen (wegen der Pluralbildung) und historischen Gründen (s. S. 10. Z. 2. v. o.) beibehalten. Die Interpunktion der Originale durchweg beizubehalten, schien wegen des dadurch offenbar erschwerten Verständnisses unzulässig; da­ mit aber auch die allmälige Entwicklung der Interpunktion erkannt werden könnte, sind einzelne Gedichte aus verschiedenen Zeiträumen mit ihrer eigenthümlichen Interpunction abgedruckt worden. Jedem der beiden Hauptthrile der Sammlung habe ich eine kurze Uebersicht der poetischen Literatur der Deutschen vorangeschickt, um dadurch wo möglich die Anschaffung eines besonderen Leitfadens der Literaturgeschichte überflüssig zu machen. Möge das Buch in dieser Gestalt vielen Lehrern ein willkommnek Hülfsmittel bei dem Unterricht in der Literaturgeschichte sein; mögen die darin enthaltenen Gedichte die Herzen vieler Jünglinge für die Spracht und Literatur ihres Volkes begeistern und alle edelen Ge­ fühle in ihnen beleben lind stärken! Berlin, im März 1S42. Der Herausgeber.

Jnhattsverzeichniß. Oberster Theil. Die ältere ) Don den französischen Sagen wählten die Dichter jener Zeit besonders die­ jenigen zum Gegenstand ihrer Gedichte, welche auf Karl den Großen und auf feine Helden sich bezogen. Hier glänzte Roland vor Allen, der in der Roncevall, Schlacht fiel, wie es vom Pfaffen Konrad (1175) in dem &cbid)te: die Roncevallschlacht (theilweise gedruckt in Schilter's Thesaurus) besungen ist. Auch die Vorfahren Karts, wozu die Sage den Sohn des Königs von Neapel, Flore, und cm heimathloses, dort erzo­ genes Kind, DIanscheflure, machte, wurden in dem Gedichte: Flore uud Blanschefiur von Konrad von Flecke (1225) besungen. Flore reist bis nach Babnlon, um die auf Defehk fei'

Uebersicht ber poetischen Literatur bis ja Ant. b. 17Un Jahrh

-

nes Vaters dorthin verkaufte Blanßcheflur, die, um die 8te&< deS KönigSfohnS für das heimathlose Mädchen -u unterdrücken, todtgesagt worden war, zu erretten. Er schleicht sich in den Thurm, in dem der Amyral von Babylon seine Krauen verwahrt, wird verrathen und sammt Blanscheflur -um Tode verdammt. AIS daS Urtheil vollzogen werden soll, will Flore der Blanscheflur einen Riva aufdringen, der den, welcher ihn trögt, unverwundlich macht; sie will ihn nicht »ehmm und in toten Wettstreit werfen ihn Beide fort. Dieser Edelmuth wird de« Lmyral hinterbracht, und er erläßt Beiden die Todesstrafe und sendet sie beschenkt hei«. — Gedruckt in Müller'S Samm­ lung deutscher Gedichte 1784.

Auch daS Leben eines erst unter Karls Nachfolger lebenden Helden, Wilhelms des Heiligen von Oravfe, wurde um diese Zeit durch Wolfram von Elchenbach (aus Franken gebürtig, lebt um das Jahr 1900) bearbeitet und von Ulrich von Türleiu fortge­ setzt. Theilweise herausgegeben von EaSparson. Cassel 1782 —84. c) Auch die von walisischen, bretagnischen und nordfranzösischen Sängem bear­ beiteten Sagen von dem König Artus und seiner Tafelrunde wurden vielfach von deut, scheu Sängern zu epischen Gedichten benutzt. Artus, berühmt durch Tapferkeit und rit­ terlichen Sinn, sammelt um sich Ritter, die durch gleiche Eigenschaften sich auszeichnen; sie bil­ den seine Tafelrunde zu Caridol (Carduel). Au ihnen gehören Jwein, WigaloiS, Gawein, Lan­ celot, Wigamur u. a. Ihre Thaten werden in vielen epischen Gedichten besungen. 1) Jwein, der Ritter, mit dem Löwen, Gedicht von Hartmann (Dienstmann zu Aue um 1200), herausgegeben von Denecke und Lachmann. Berlin 1827 (f. d. Sammt.). 2) WigaloiS, der Ritter mit dem Rade, gedichtet von Wirnt von Gravenberch (1212) herausgegeben von Denecke. Berlin 1819. Iur Königin Ginovere auf Caridol kam ein unbekannter Ritter und forderte die der Ta­ felrunde zum Kampf; alle wurden getödtet und Gawein, als der tapferste unter ihnen, fortge­ führt. Ihm gab in seinem Lande jener Unbekannte seine Schwestertochter Florie zum Weibe; ihr Sohn ist Gwi von GaloiS (WigaloiS). Gawein kehrt nach einiger Zeit zurück an König Artus Hof, und dorthin kommt nach vielen Jahren auch WigaloiS, unerkannt von seinem Vater, wird zum Ritter der Tafelrunde gemacht und als solcher zur Rettung der Königin Gamanie auf Roymunt, der ihr Land von einem durch Zauber geschützten Ritter Roaz von GloiS geraubt war, aufgefordert. Rach vielen Abenteuern gelingt ihm der Sieg über diesen, und er erhalt das Land Korentin mit der Hand der Erbin Lane.

3) Wigamur, der Ritter mit dem Adler, von unbekanntem Verfasser, gedruckt in v. d. Hagen's und Düfchinq's Sammlung. Wigamur, Sohn König Paltriot'S von Lendrie, ward al- Kind vom Meerweib LeSpka ge­ raubt und in ihrer Höhle bewahrt, von dort aber durch ein Meerwunder wieder mtführt und von ihm unterrichtet, und als er herangewachsen war, inS Land Doloyer entlassen, um feine Eltern aufzusuchen. In einer zerstörten Burg fand er Roß und Bewaffnung und sah sich von käm­ pfenden Rittern die Handgriffe in der Führung des Rosses und im Gebrauch, der Stoffen ab. Rach manchen Abenteuern (unter andern befreite er einen Adler von einem Geier, und jener folgte ihm von der Seit an auS Dankbarkeit) kam er zu König Artus, kämpfte dort für eine Jungfrau, deren Muhme ihr ihr Erbtheil sammt einem immer grünenden Lindenbaum und einem Gesundheit verleihenden Brunnen rauben wollte, glücklich und will später für den König Atroelas von Rerat mit seinem unerkannten Vater Paldriot kämpfen. Er wird erkannt und erhält daS streitige Land Lendrie und die Hand der Tochter des AtroclaS, nachdem er zuvor noch einige Abenteuer bestanden.

4) Erec, gedichtet von Hartmann v. d. Aue, herausgegeben von M. Haupt. Leipzig 1839, (der Anfang f.hlt). Eree, mit der Königin Ginovere unbewaffnet reitend, erhält von einem Zwerge in Gefolge eines Ritters einen Ruthenschlag. Diesem zieht er nach, um sich zu rächen, erhält in dem Flecken, wo jene übernachten, von einem verarmten Ritter Obdach und Ritterschwert und bekämpft am andern Tage jenen Ritter, der seine Begleiterin für die schönste Frau erklärte. Er erhält den ausgesetzten Preis, einen silbernen Sperber, von dem Herzog Jmain und erklärt die Tochter sei­ nes Wirthes, Enite, für die schönste und nimmt sie zur Ehe. In seine Heimath zurückgekehrt, ver­ gißt er in seinem häuslichen Glück sein ritterliches Leben und wird endlich von seiner Gattin selbst aufgefordert, auf Abenteuer zu ziehen. Sie begleitet ihn, er fordert aber, daß sie nicht mit ihm veben darf, und da sie, um sein Leben zu retten, dies Verbot nicht beobachtet, muß sie Kncchtesdienste verrichten, bleibt aber unter allen Anfechtungen ihm treu und ergeben. Rach einer Reihe von tapfer bestandenen Abenteuern kehrt er endlich glücklich zurück.

Nur theUweise gedruckt ist das Gedicht: Daniel von Dlumenthal, gedichtet von dem Stricker um 1250, noch gar nicht: TandaryoS und Flordibel, von dem Plaier im 13tm Jahrhundert gedichtet, und Gawein, von unbekanntem Verfasser. Mit der ArtuSsage wurde auch die Sage von Tristan und der Isolde in Verbindung gebracht, von der eS^ viele Bearbeitungen giebt. Besonders gelungen ist die Bearbeitung Gottfrieds von Straßburg (lebte um 1228), die von Heinrich von Vriberg und Ulrich von Tür-

6

Uebersicht ber poetischen Literatur bi- zum Ant.

heim vollendet wurde. Breslau 1823.

I7ten Jahrh.

Herausgegeben ist sie in den Werken Gottfried s von v. d. Hagen.

Tristan, der Sohn des tapferen Riwalin zu (Saneoel und der Schwester des König- Marke von Kurnewate zu Tintajoel, verlor kurz nach seiner Geburt Baker und Mutter und wurde bei feinem Marschalt erzogen, aber durch Kaufleute, die ihn durch Schachspiel anlockten, geraubt. Born Sturme auf dem Meere geängstigt, setzten sie ihn zu Kurnewale an- Land; dort wird er zu Marke geführt und gut aufgenommen. Dorthin kam auch Rual, der Marschalk, nach langem Irren und bewies dem Marke, daß Tristan fein Neffe sei; dieser schlug ihn -um Ritter und ent­ sandte ihn wieder in sein Land. Hier erschlug er den Feind feine- Baker-, Morgan, der ihm die Ertheilung de- Lehens verweigerte. Au Marte zurückgekehrt, befreite er diesen durch Zweikampf von Morolt von Irland, dem Marke dienstbar geworden war, und der al- Ains 30 ebe'c Jüng­ linge forderte. In diesem Kampfe erhielt er aber eine giftige Wunde, die nur Jsolt, Morgan'Schwester, heilen konnte. Als bettelnder Harfenspieler wußte er in Irland sich ihre Liebe zu er­ werben, wurde geheilt und kehrte glücklich zurück. Um seinem Oheim die schöne 2sote, derKögin Jsolt Tochter, zu erwerben, kehrte er nach Irland zurück und erschlug einen Drachen, auf dessen Erlegung die Hand der Jsote als Preis gesetzt war. Er selbst war aber durch des Dra­ chen Aunge, die er bei sich trug, ohnmächtig geworden, wurde aber durch die Königin aufgefun­ den, geheilt und später, obgleich er als der Besieger ihres Bruders erkannt wurde, doch sei­ nes Lebens versichert. So warb er für Marke um Jsote und erhielt sie und zog mit ihr nach Engelland. Die Königin hatte aber der mitreisenden Nichte Brangaene einen Liebestrank mitgegeben; den sollte sie Marke und Jsote geben. Unterwies tranken aber Tristan und Jsote, ohne es zu wissen, davon und wurden von gegenseitiger Liebe ergriffen. Das brachte ihnen spä­ ter, da Jsote dem Marke vermahlt ward, viel Leid und Unheil. —

Mlt der Artussage ist auch die Gralsaqe in Verbindung gebracht, die besondere von Wolfram von Eschenbach im Parcival und Titurel bearbeitet ist. Der heilige Gral (etg. sän» real) ist die Schüssel, auS welcher Christus mit feinen Jüngern bei der Einsetzung des Abendmahls speiste. Joseph v. Arimathia fing darin das Blut des Erlösers aus und zog später damit in die Wüste. Diesen Gral, dem viele wunderbare Kräfte beiwohnen, brachten Engel zu Titurel, dessen Ahn der Fürst Senabor in Cappadocien ist, und er bewahrte ihn auf dem Berge Montsalvatz (San Salvador) in Spanien; cr diente dem Gral 400 Jahre in Ju­ gendkraft und Schönheit, der, wie alle Hü'cr des Grals, ein Muster der Tugend sein mußte. Nach ihm wird sein Sohn Frimutelle Hüter des Gral. Nach ihm wird sein Sohn Amfortas Hüter; da cr aber die Tugend, welche der Gral gebot, verletzt, wird er siech und auf den Tod verwundet. Aur Burg des Gral kommt der Sohn der Tochter Frimutelle'S, Parcival, der auf Abenteuer ausgezogen war. Eine Inschrift am Gral hatte dem AmfortaS, wenn Parcival in der ersten Nacht nach der Bedeutung der Ceremonien, die er in der Burg bemerkte, fragen würde, Genesung von seinen Schmerzen verheißen. Parcival, obgleich verwundert über das Seltsame, das er sah, fragt nicht und muß deshalb die Burg wieder verlassen und lange auf Abenteuer aus­ ziehen. Endl.'ch erschien eine Inschrift am Gral, daß Parcival Hüter des Grals sein solle. Die Botin des Grales Kundrie La Surziere wird ausgcsandr, ihn zu suchen und trifft ihn in der Nähe der bezauberten Burg Marfelle, wo Artus und Gawein Hof hielten. So kommt Parcival nach Montsalvatz und wird Hüter dcS Grals. Später zogen die Hüter des Grals, da ihnen der Occident zu sündlich schien, nach betn Orient und gelangten endlich, nachdem sie die Gefahren des Magnetberges überstanden, nach dem Reiche des Priesters Johannes, der dem Parcival feine Herrschaft abtritt. Herausg. sind die Werke Wolfram's v. Eschenbach durch Lachmann 1833. (Sine Uebersetzung des Parcival von San Marte 1836.

a* A»t >. 17ttw Iichch.

f

fron sich sür ihn opftr» melle. Dir Locht« seines MeierS erbot-sich dazu» aber als das Opfer vollbracht werden sollte, wollte es der Ritter nicht zugeben, sondern zog mit ihr wieder heim von Salrrnp. Dennoch genas er unterwegs und heirathere zum Dank jene Jungfrau. Auch schöne Spruchgedichle stammen aus jener Zeit, worunter Freidank's Be­ scheidenheit therauSg. v. W. Grimm. 1834) f. d. Samml. zu nennen.

Aber nicht bloß in der epischen Poesie zeichneten sich jene Meister des Gesangs, die um jene Zeit die höchste Blüthe mittelalterlicher Poesie herbeiführten, aus, sandem auch in der lyrischen. Schwärmerische Beredrung für alles Heilige, für ritterliche Ehre und edle Weiblichkeit bildet den Inhalt jener Gedichte (Minnelieder). Frauenlob und Regenbogen. Heinrich von Deldecke zeichnete sich zuerst durch seine Minnelieder aus, und ihm schloffen sich Hartmann von der Aue, Wolfram von Eschenbach, Reinmar der Alte (um 1200?), Gottfried von Straßburq und Walter von der Vogelweide (Seine Gedichte sind herausgegeben von Lachmann 1827, ins Reudeutfche übertragen von ©imrod 1833) an. — Sine Sammlung der Minnelieder soll Ruedger Manrß, Ritter und Mitglied des Raths zu Zürich, um d. 1.1300 veranstaltet haben; aus dieser ließ Bodmer viele abdrucken. 1748.

Die politischen Wirren Deutschlands gegen das Ende des t3tm Jahrhunderts und in der folgenden Zeit waren der Entwickelung der Poesie nicht günstig, daher der Verfall derselben sich immer mehr zeigt. Noch manche epische Gedichte werden zwar verfertigt, aber der Stoff der alten Sagen ist massenhaft zusammengedrängt (cyclische Epen); zweckmäßige Anordnung, Vollendung und Schönheit des Styls werden ver­ nachlässigt. Auch die Minnelieder jener Zeit sind oft nur Wiederholungen älterer Lie­ der in anderen Tönen, und die Dichtcrvereine, welche die Poesie zur zunftmäßigen Kunst erhoben (Meistergesang), beförderten mehr die Ausbildung der äußeren Form; als die innere Vollendung der Gedichte. Doch verdienen unter den älteren Dichtern: Reinmar von Zweier, der Marner, Konrad, Schenk von Landeck, der Tanhäuser u. o. und unter den jüngeren: Heinrich von Mügelin (um 1369), und Muscatblüt noch lo, bende Erwähnung. Rur die didactische Poesie theilte nicht den allgemeinen Verfall, und das größere Spruchgedicht: der Renner des Hugo von Trimberg (Schullehrer bei Bamberg 1300) und die Fabelsammlung: der Edelstein (s. d. Samml.) des DoneriuS (Geistlicher zu Bern) stehen den älteren Werken der Art nicht allzu sehr nach. Im Uten und ILten Jahrhundert und bis zur Reformation verfiel die epische Poesie ganz; man arbeitete ältere Gedichte um (KaSparS von der Röhn Heldenbuch 1450), bearbeitete ältere Sagen aufs Neue (MalagiS, Reinald von Montalban, Ogier von Dänemark), verschmolz die verschiedenartigsten Sagen zu einem Ganzen (cyclisches Gedicht von Ulrich Fürterer 1487) oder man besang gleichzeitige historische Begebenheiten, wie Peter Suchen­ wirt (lebt um 1350 zu Wien) in seinen Ehrenreden (AuSg. seiner Werke v. Primiffer. Dien 1827) und Rosenblüt (Wappenmalers zu Nürnberg um 1450) in f. Gedichte: Sieg der Stadt Nürn­ berg. Bemerkens werth sind 2 allegorische Gedichte: die Mohrin deS Hermann von Sachsenheim (+ 1458) und der von Kaiser Maximilian 1. entworfene, vom Caplan Melchior Pfintunq ausgeführte Theuerdank (Tewrdank>, s.d. Samml. AuSg. v. HaltauS. 1836. Besondere Erwähnung verdient hier auch daS needersächsische Gedicht Reynike de Bosz, wahrschein­ lich von Heinrich von Alkmar bearbeitet. Gedruckt Lübeck 1498. Neue AuSg. v. Hoffmann 1834. siehe die Sammlung. Unter den Gedichten der Meistersanger jener Zeit zeichnen sich die des Hans Dolz (f. unten), und Michael Beham (geb. 1421), Veit Weber'S und des Lucernrr's Halb Suter (1386) Schlachtgcsänge aus. Als Kirchenliederdichter sind berühmt: Konrad von Queinfurt (Pfarrer zu Steinkirchen am Queiß. t 1382 zu Löwenberg in Schles.) und Johann Tauler t 1361. Den Anfang der dramatischen Poesie machten die Fast­ nachtsspiele von den Nürnbergern Hans Bolz und Rosenblüt. (s. d. Samml.) Erwah, nung verdienen auch die moralischen Erzählungen und Allegorien von Heinrich dem Teich ner und Peter Suchenwirt, so wie das satirisch-didactische Gedicht: das Narrenschiff von Sebastian Brand (kaiserl. Rath zu Straß^urg f 1521. s. d. Samml.) Sein Nach, ahmer ist der Franziskaner Thomas Murner + 1536 (Narrenbeschwörung, Schelmenzunft). Die Prosa erhielt in dieser Zeit größere Ausbildung. Es erscheinen Ritter- und Belksromane, zum Theil Bearbeitungen alter Epen. Volksbücher (HaimonStinder, 7 w.

8

Hlebrrsicht der poetische» filmtet bi* ju Ant. V I Vten Johrh.

Meister, Melusine g. f.«.), Schwänke und Possen (Kalenberger, Pfaff Xmfr). Tyll Eulenspiegrl erschien ursprünglich niederdeutsch, gedruckt ward er erst 1519, Diele Chroniken wurden verfaßt (darunter die Elsassische von Jacob von KönAhofen f 1420). Merkwürdig ist der von Maximilian I. entworfene, von dein kaiserl. Secretair Marx Lreitzsaurwein ausgeführte allegorische Roman: Weiß,Kunig, der als Manuscript zu Ambras aufbe­ wahrt, erst 1775, als die dazu gehdrigen Holzschnitte von HanS Durgmair wiederauf, gefunden waren, zu Wien gedruckt wurde. Es werden darin die Thaten Marimilian'S I. (Jung-Weiß-Kunig) und seines DaterS (AltWeiß -Kunig), namentlich die von ihnen geführten Kriege mit dem blauen Könige (Ludwig XI.) und dem rothen Könige (Richard v. S.) geschildert. Auch die Reformation konnte, trotz der gewaltigen Umgestaltung, die alle Der, hältniffe Deutschlands dadurch erlitten, ebenso wenig, wie die Erneuerung klassischer Studien, der erstorbenen Poesie neue- Leben einhauchen. Sie legten den Keim zu ei­ ner neuen Entwickelung de- geistigen Lebens, die Frucht aber blieb späteren Zeiten aufbehalten. Don unendlicher Wichtigkeit waren aber, auch abgesehen von ihrem In, halt, der Reformatoren, und besonder- Luthers Schriften für die Ausbildung der neu, hochdeutschen Sprache. Luther's Bibelübersetzung 9t. T. 1524. A. T. 1632, ganz 1534. Don dem Papstthum zu Rom 1620. 2tn den christl. Adel deutscher Nation. Kirchenpostille. In der Prosa zeigten sich die Folgen dieser Sprachentwickelung bald, die Poesie wurde zunächst wenig davon berührt; nur schöne, kräftige Kirchenlieder Luthers, des Lazarus Spengler (geb. 1479 zu Nürnberg + das. als Rathsschreiber 1534), Paul Speratus (geb. 1484, t 1554 als Herzogt. Preuß. Hofprediger zu Liebmühl, f. d. Sammt.), Nicolaus Decius (früher Prior im Kloster Steterburg im Braunschw., zuletzt Prediger in Stettin, f. d. Sammt.), D. Justus Ionas (geb. 1493 zu Rordhausen f als Generalsuprrintend. in Eisfeld in Franken 1556 „Wo Gott der Herr nicht bei uns $dlt"), Johann Matthesius (geb. 1504 zu Rochlitz, + 1565 als Pfarrer in JoachimSthal, f. d. Sammt.), D. Nicolavs Selnecker (geb. 1532 bei Nürnberg, + 1592 zu Leipzig. „Ach Gott, wem soll ich klagen"), sind die Frucht jener glaubenskräftigen, herrlichen Zeit. — Unter allen den Meistersängern dama, liger Zeit verdient nur der durch die große Menge seiner Gedichte von allen Gattun, gen berühmte Hans Sachs (Schumacher zu Nürnberg geb. 1494, f 1576) lobende Erwäh, nung. Nicht bloß in der lyrischen Poesie zeichnete er sich aus, sondern lieferte auch eine große Menge von Schauspielen, zu denen er den Stoff theils aus antiken Sagen, theils aus der Geschichte entnahm; auch Schwänke und Fabeln dichtete er, wodurch sich außer ihm auch Luther und Durkard WaldiS (Geistlicher bei Avendorf um 1554) aus­ zeichneten (s. d. Sammt.). Auch bis -um Anfange des I7ten Jahrhunderts hob sich die poetische Literatur nicht bedeutend. Dalladenartige Volkslieder, gereimte Erzählun, gen, wie Johann Fisckarts (genannt Mentzer, geb. zu Maintz zwischen 1525 — 1530, ward wahrscheinlich zu Frankfurt utriusqne juris J)r., hielt sich später in Straßburg aus, gab den Gargantna und Pantagrue heraus, ward 1581 RelchSkammeradvocat in Speier, + 1591) glückhaftes Schiff (f. d. Sammt.), Schwänke, auf Belehrung abzielende Erzählungen, wie Georg Rollenhagens (Rectors zu Magdeburg, t 1609) Froschmäuseler, mancherlei Volks, lieber und einige dramatische Versuche, besonders Jacob Anrcr's (Notarius zu 9türnberg, + 1618) Opus theatricmn (dreißig Außbündtige schöne Comedirn und Lragedien von aller­ hand denkwürdigen alten Römischen Historien u. s. w. durch Jacobum Ayrer, Notarium Publi­ cum und Gerichts - Procuratorn zn Nürnberg. Nürnberg Anno 1618. toi.— Au den 5 erstm Eomddien ist der Stoff aus der römischen Geschichte, zu den übrigen theils aus der deutschen, theils aus dem Sagenstoff lz. B. v. Hugo Dietrich, von der schönen Melusina) gewählt. Dann folgen einige Fastnachtsspiele, z. B. das kein Landsknecht in Himmel noch in die Hölle kömptj von einem Juden zu Frankfurt, der einem Dieb sein gestoleneS Gut abkauffcn will), Schau­ spiele und einige Lehrgedichte von Bartholomäus Ringwaldt (Pfarrer zu Lengfeld um 1590, s. d. Sammt.) machten die poetische Literatur dieser Zeit aus. Die prosaische Li­ teratur ist reich an historischen Werken, Volksromanen und religiösen und belehrenden Schriften.

Erste Abtheilung der Sammlung.

10

Aus dem Nibelungenliede. Wie Günther Brunhilde gewann.

1677 "o sprach diu Kuiiiginne: „nii bringet mir min gewaut ; Und ist der starke siirit körnen in min lant Durch willen l) mioer miniie, ez gat im an den lip: Ich en 2) furht in niht so sere, daz ich werde sin wip." Brunliilt diu 3) vil sclioniu 4) wart schiere 5) wol gekleit; do gie c) mit ir dannen manigiu sclioniu meit, wol hundert oder inere, gezieret was ir lip: ez wolden sehen die geste mailich waetlichez *7) wip. Damitte giengen degene 8)* dar uz Iseulant, die Brunhilden rechen °), die truogen swert in haut, fünf hundert oder m. re: daz was den geslen leit; do stuonden von dein sedele 10) die beide kuone und geineitll). Do diu Kuniginne Sifriden angesach, nu mugt ir hören gerne, wie diu maget sprach: „Sit willekum, her Siirit, allier in dizze lant; waz meinet12) iuwer13) reise, daz het ich gerne bechant. „Vil michel") iuwer genade, min frouwe Brunliilt, daz ir mich ruochet15) gruozen, fürsten tohter milt, vor disem edeln reken, der hie vor mir stat; wan lü) der ist in in herre, der ereil bet ich gerne rat17). Er ist Kunicli ze Eine, waz sol ich sagen mer? durch18) diu dinen übe sin wir gevaren her; er wil dich gerne minnen, swaz im davon geschiht; nu bedenke diclis be zite: min her erlezzet19) dich sin niht. Er ist geheizen Günther, ein Kunich rieh und her: erwurb er dlniu minne, so ne2u) gert21) er nihtes mer. ja gebot mir her zu varen der reke wolgetan: molit icliz im hau geweigert, ich het ez gern verlan22)." Si sprach: „Ist er din herre und bistu sin man, — diu spil, diu ich im teile23), und tar24) er diu bestan, behabt 25) er des diu ineisterschaft, so wird ich sin wip: und ist, daz ich gewinne, ez gat iucli20) allen an den 11p." Do sprach von Troneg Hagene: „Frouwe, lat uns sehen, iuwer spil, diu starken: e daz iucli muste jelien 27) Günther, min Über herre, da must ez herte 28) sin: er trouwet 29) wol erw erben ein also sclioniu Kunigin." 1) um willen.

2) überflüssige Negation. 3) dic. 4) schöne. 5) schnell. 6) ging. 7) wohlgestaltet. b) Helden. 9) Kämpfer. 10) Sitz. 11) stattlich. 12) be­ zweckt. 13) eure. 14) groß. 15) geruhet. 16) denn, weil. 17) rit haben — entbehren. 19) wegen. 19) erlassen. 20) doppelte Negation. 21) begehren. 22) verläzen = aufgeben. 23) bestimmen. 24) v. turren s. unterstehn. 25) erlangen. 26) euch. 27) zusagen, zugestehn (Sieg). 29) hart, ernsthaft. 29) er getrauet sich.

AuS dem Nibelungenliede. Wie Günther Brunhilden gewann.

1677

Z)a sprach die Königstochter: „Nun bringt mir mein Gewand, Und ist der starke Siegfried gekommen in mein Land Um meiner Minne willen, cs geht ihm an den Leib: Ich fürcht ihn nicht so heftig, daß ich würde sein Weib." Drunhilde die schöne trug bald erlesen Kleid, Da ging an ihrer Seite manche schöne Maid, Wohl hundert oder drüber; geziert war ihr Leib: Die Gäste wollte schauen manches waidliche Weib. Das Geleite gaben ihnen Degen aus Isenland, Brunhildens Recken, die Schwerter in der Hand, Fünfhundert oder drüber; das war den Gästen leid: Da erhoben sich von den Sitzen die kühnen Helden allbereit. Als die Königstochter Siegfrieden erschaut, Sprach sie wohlgezogen zu dem Gaste laut: „Seid willkommen, Herr Siegfried, hier in meinem Land: Was bezweckt eure Reise? Das macht mir doch bekannt." „Die Gnade, Frau Drunhilde, ist -roß die ihr mir thut, Daß ihr mich, milde Fürstin, zuerst zu grüßen geruht, Vor diesem edlen Recken, der hier vor mir steht ; Denn Er ist mein Herre: der Ehre Siegfried wohl enträth. „Er ist König vom Rheine, was soll ich sagen mehr? Um deiner Liebe willen fuhren wir hiehcr. Er will dich gerne immun, was ihm geschehen mag. Nun bedenke dich bei Zeiten: mein Herr läßt nimmermehr nach. „Er ist geheißen Günther, ein König reich und hehr; Erwirbt er deine Minne, nichts weiter wünscht er mehr. Er gebot mir herzufahren, der Recke wohlgethan; Hätt' ichs ihm weigern dürfen, ich hätt' cS gerne gethan." Sie sprach: „Ist er dein Herre, stehst du in seinem Lehn, Meine Spiele soll er schauen, und will er die bestehn llnd bleibt darin der Meister, so werd' ich sein Weib: Wenn aber ich gewinne, es geht euch allen an den Leib." Da sprach von Troneck Hagen: „Nun zeigt uns, Königin, Eure schweren Spiele, und wenn euch den Gewinn Mein Herre Günther ließe, so müßt' es übel sein: Er getraut sich wohl zu erwerben ein so schönes Mägdelein."

12

Au« de« Nibelungenliede 1714 „Den stein sol er werfen und springen darnach, den ger30) mit mir schiezen: lat iu sin niht ze gach31); ir muget hie wol Verliesen32) diu ere und ouch den lip: dez bedenket iuch vil ebene.” Sprach daz minnechliche wip.

Sifrit der vil snelle zuo dem Kunige trat, allen stnen willen er in reden bat

gen der Kuniginne; er soll an angest sin: „Ich sol dich wol behuoten vor ir mit den listen min.” Do sprach der Kuuich Günther: „Kuneginne her, nu teilt, swaz ir gebietet, und waer ez dan noch mer, ich bestund ez afiez durch iuwem schönen lip: min lioubet wil ich Verliesen, ir en3)) werdet min wip.” Do diu Kuniginne siniu rede vemam, der spile bat si gaben 34), als ir daz gezam; si hiez ir ze strite bringen ir gewant, ein branne35) rotes goldes und einen guoten Schildes raut.

Ein daz von von

wassenhemde sidin, daz leite an 36) diu meit, in deheime 37) strite waffen nie versneit 38j, pfelle uz der Lihya, ez was vil wol getan, borten lieht gewurhte39) daz sach man schinen daran.

Diu zit wart den reken in strite vil gedruot40); Dankwart unde Hagene die waren ungefruot41); wie ez dem Kunig erginge, des sorget in der muot47); si dahten: unser reise ist uns gesten niht ze guot. Diu wlle was ouch Sifrit der waetliche 43) man, e daz ez ieman wesse, zuo dem schiffe gegäu, da er sin tarnkappen 44) verborgen ligen vant, darin slouf45) er vil schiere: dö was er nieman beth «int. Er ilte balde hin widere, do sach er reken vil, erlös Unde ouch des loubes 17) lutzel kos18).

1) Ich en; en ist die überflüssige Negation. 2) thust du. 3) wacker, brav. 4) Da ne ; ne ist die überflüssige Negation. 5) feiger, unentschlossener Mann. 6) daß sie nicht stehe. 7) belaubet. 8) undersetzen — stützen. 9) von Marmorstein. 10) in negat. S. = irgend ein; mit der Regat. c= kein. 11) Gieß. 12) für ze wäre = wahrlich. 13) Scheidest du. 14) winstere hant = linke Hand. 15) Welt. 16) ein in den Tod betrübter Mann. 17) Laub. 1*) ersehen, wahrnehmen von kielen.

I»em, »er Ritter mit >em fimtu. Da waren niender Ä9) zwene gelicli: 615 Ir sanc was so mnslich 2U), Hoch unde nidereu Die stimme gap in widere Mit gelichem galoae21) der walt. Wie da sanc sangre galt. 620 Den brunnen ich «dar under sach Unt swes mir der waltman jach22). Ein smareides23) was der stein: Uz iegelichem orte schein Ein also gelpfer2*) rubin, 625 Der Morgensterne mühte sin Niht schoener, sw enner uf gat Und in des luftes triiebe lat. Do ich daz becke hangen vant, Do gedaht ich des zehant 630 Sit ich nach aventiure reit, Ez waere ein unmanheit, Ob ich do daz verbaere25) lehn versuochte, waz daz waere: Unt riet mir min unwiser inuot, 635 Der mir vil oste schaden tuot, Daz ich goz ul den stein. Do erlasch diu sunne, diu e schein, Unt zergieuc26) der vogel sanc, Als ez ein swarz weter twanc. 640 Diu wölken begunden In den selben stunden Von vier enden uf gan: Der liebte tac wart getan27), Daz ich die linden kume gesach. 645 Groz ungnade da geschach. Vil schiere do gesach ich In allenthalben umhe mich Wol tusent tdseut blicke28): Darnach sluoc also dicke 650 Ein also kreftiger donreslac, Daz ich uf der erde gelac. Sich huop ein hagel unde ein regen: Wan daz mich der gotes se^en Vriste29) von des weteres not, 655 Ich waere der wile dicke tot. Daz (weter) wart also ungeraach, Daz der walt nider brach. Was iender30) boum da so groz Daz er stuont, der wart bloz 660 Unt loubes also laere, Als er verbrennet waere. Swaz lebte in dein walde, Ez entranne danne balde, Daz was zehant tot. 665 Ich bete von des weteres not

22

Mich des libes begeben Unde enahte niht üf min leben, Unde waere sunder zwivel tot: Wan der hagel unt diu not 670 In kurzer wile gelac31) Unt begunde liebten der tac. Do diu vreise32) zergienc33) Undez ze wetere gevienc, — Waer ich gewesen vür war 675 Bl dem brunnen zehen jar, lehn begüzze in nimer me, Wandich hetez baz gelazen e. Die vögele körnen widere, Ez wart von ir gevidere 680 Diu linde anders tunt bedaht, Si huoben aber ir süezen braht3*) Uht sungen verre baz dan e. Mime wart da vore nie so we, Desn waere nü al vergezzen. 685 Alsus bet ich besezzen Daz ander pardlse. Die selben vreude ich prise Vür alle, die ich ie gesach. Ja wand ich vreude an ungemach 690 Unangestlichen 35) imer häa: Seht, do betruoc mich min wan; Mir nahete laster unde leit. Nu seht wa dort here reit Ein riter, des geverte36) 695 Was so grimme unde also herte37), Daz ich des wände, ez waere ein her: Jedoch bereite ich mich ze wer. Sin ros was starc, er selbe groz; Des ich vil lützel genoz. 700 Sin stimme lute sam ein hörn: Ich sach wol, ime was an mich zorn. Als ab ich in einen sach Min vorhte unt min ungemach Wart gesenftet iedoch, 705 Unt gedahte ze lebenne noch Unt gurte ^) mime rosse baz. Do ich da wider uf gesaz, Do was er körnen, daz er mich sach. Vil lute rief er unde sprach, 710 Do er mich (aller) vererst erkos 30), „Riter, ir sit triuwelös40). Mime wart von in niht widerseit41), Unt hahent mir lasterlichez leit In iuwer hochvart getan. 715 Nu wie sihe ich minen walt stan: Den habent ir mir verderbet Unt min wilt ersterbet.

19) nirgend. 20) ungleich, verschiedenartig. 21) lauter Schall. 22) v. jeden sagen. 23) Smaragd. 24) Hellglänzend. 25) verbein = aufgeben, unterlassen. 26) ver­ schwand, Hörte auf (von zergen). 27) wurde so verwandelt. 28) Blitzes Leuchten. 29) Fristete = erhielt. 30) irgendwo. 31) legte sich. 32) schreckliches Unglück oder Gefahr. 33) s. Nr. 26. 34) lauter Schall, Geschrei. 35) ohne Gefahr. 36) der Aufzug, die Haltung, das ganze Aussehn. 37) hart, finster. 38) den Leibgurt zuschnallen. 39) erkiesen =: erblicken, ausersebn. 40) treulos. 41) aussagen, Fehde ankündigen.

24

Jwein, der Bitter mit dem Körnen.

Unt min gevügele verjagt. Ju si von mir widersagt: 720 Ir sult es mir ze buoze stau41) Ode mir den llp lan. Daz kint, daz da ist geslagen, Daz muoz wol weinen unde clagen: Alsus clagich von schulden. 725 Ich han wider iuwern holden Mit mtnen wizzen niht getan: Ane schulde ich grozen schaden han. Hiene sol niht vrides mere wesn: Wert iuch, oh ir weit genesn.” 730 Do bot ich min unschulde Unt suochte sine hulde, Wander was merre danne ich. Done sprach er niht wider mich Wan daz 47 ) ich mich werte. 735 Wand ich mich gerne nerte, Do tete ich, daz ich molite, Daz mit* doch liitzel tollte 4J). Ich tjostierte44) wider in: Des vuorte er min ros hin. 740 Daz beste heil, daz mir geschach, Daz was, daz ich min sper zehrach. Vil schone sazte mich sin haut Hinder daz ros an daz laut, Daz ich \il gar des vergaz, 745

Ob ich uf ros ie gesaz. Kr nam min ros unt lie mich ligen. Mir was geliickes da verzigen45). Do emnuote mich niht so sere, Ern bot *6) mir nie die ere, 750 Daz er mich wolde ane gesehn. Do ime diu ere was geschehn, Do gebarter rehte al diu gelich47), Als im aller tiigelieh Zehenstunt geschaehe alsame. 755 Der pris was sin unt min diu schäme. Sw’az ich doch Lasters da gewan, Da was ich ein teil unschuldec an. Mir was der wille harte guot, Done mohteii mir diu werk den muot 760 An im niht Volbringen: Des muose mir misselingen. Do mir des rosses wart x erzigen, lehn molite niht imer da geligen: 765 Do geruochte 4S) ich gen x on dan Als ein er loser man Unt saz aver ze dem brunnen. Der nnzulit sult ir mich xerkuniien 4"), Swie niiigerne 50) icli anders si, 770 Und saeze ich iemer 51) da bi lebn beguzze in nimer me re : Ich engalt 3J) es e so sere.

Jwein, dritter der Tafelrunde, durch diese Erzählung gereizt, dasselbe Abenteuer zu bestehen und den Herrn jene« Brunnen« vielleicht zu besiegen, beschließt, noch ehe Artu«, der diese Schmach rachen will, dort hinzieht, heimlich jenen Ort aufzusuchen. Er kommt dorthin, gießt Wasser auf den Brunnen, erduldet das Unwetter und kämpft mit dem Herrn de« Brunnen«, dem König Asealon, besiegt ihn und verfolgt ihn bi« in seine Burg, in die er zu hastig mit eindringt,so daß ihm ein FaUgitter den Rückzug vermehrt. Asealon stirbt an den erhaltenen Wunden-, die Knappen eilen wüthend in das Gemach, in welchem sich Jwein befindet, um ihn zu todten; aber ein Zauberring, den ihm eine im Schloß die­ nende Jungfrau (Lunete) gegeben, entzieht ihn ihren Blicken. Diese Jungfrau, welche ihn an König Artu« Hose früher gesehen und von seiner Tapferkeit viel gehört hatte, wußte ihre Herrtn sogar zu bewegen, daß sie den Jwein zu ihrem Gemahl und zum Beschützer des Schlosse- und deö Brunnens erkor. Nach 14 Tagen kam Artus mit seinen Rittern zum Brunnen; groß war sein Erstaunen, in dem Beschützer des Brunnens seinen Nttter Jwein wieder zu erkennen, und groß die Freude über sein Glück. Artus fordert ihn auf, noch weiter auf Abenteuer auszuziehen, und seine Gemahlin gestattet ihm auch, noch 2 Jahre auszubleiben, erklärt ihn aber für ehrlos, wenn er dann nicht zurückgekehrt sei. Jwein zieht fort und versäumt die zur Rückkehr ihm bestimmte Zeit. Seine Gattin schickt deshalb einen Boten zu Artus und läßt den Jwein in Gegenwart aller Ritter für ehrlos erklären. Diese Schmach trifft ihn so han, daß er darüber den Verstand verliert und lange Zeit wahnsinnig im Walde umherirrt. Durch eine kostbare Salbe, welche eine evele Frau, die ihn am Wege liegen sicht, ihm sendet, wird er gebeilt und zieht nun auf« Neue aus Abenteuer aus, bei denen er von nun an durch einen Löwen, den er aus einer Todesge­ fahr befreit hat, unterstützt wird. Durch viele tapfere Thaten erwirbt er sich endlich die Liebe und Verzeihung seiner Gattin wieder und kehrt zu ihr zurück. 41) büßen. 42) Als daß. 43) pvaet. v. tiiüon = nützen. 44) einen ritterlichen Zwei­ kampf kämpfen. 44) xer/ilim = versagen, verweigern. 46) als daß er mir nicht die Ehre anthat, 47) gan; dem gleich. 4N für gut finden. 40) einem etwas nicht zutrauen. 50) neugierig. 51) immer. 52) entgalt.

Herzog Grnst von Schwaben. (Gedr. in v. d. Hägens u. BüschingS Ged. d. Mittelalter- Bd.I.)

Die geschichtliche Grundlage diese- Gedichte- ist wahrscheinlich in der Empörung deHerzog- Ernst II. von Schwaben, de- Stiefsohns von Kaiser Conrad dem Salier, zu su­ chen. In dem Gedichte wird aber dieser Herzog Ernst als Stiefsohn de- Kaiser- Otto aufgeführt. Er wird beim Kaiser verleumdet, seiner Voigtei entsetzt, wehrt sich aber unb erschlagt sogar seinen Verleumder bei einem Ueberfall in der Hofburg de- Kaiser-. Des­ halb in die Reich-acht gethan, beschließt er mit seinen Mannen einen Zug nach dem heilt» gen Grabe. Auf der Fahrt von Constantinopel dahin überfällt die Wallfahrer ein schreck­ licher Sturm, so daß nur Ein Schiss gerettet wird. Mannichfache Abenteuer erleben fie nun; sie kommen zur Burg der Kranichschnäbler, denen sie nur mit Mühe enttinnen, dann zum Magnetberge im Lebermeer. Dieses Abenteuer wird im Folgenden geschildert:

Fro füren die genenden *), Die gotes eilenden 2), Sie hatten wint, der was gut, Das frewte wol der werden 3) mut. Vtf dein mere, als ich uch sage, Sie sahen an dein tzwelfften tage Eyn grossen stein, alsam eyn berg, Daronder von kylen inanig werg 4), Als 5) sie die flut hatt dar getragen, Die grossen masboyme hoch uff ragen. Der berg sie wol erfreuwet hat, Sie wanten 6)* finden eyne stat, Darin yn geselle gut gemach. Ernst tzu sinen brudern sprach: „Frewt uch, frewnt vnd werden man, Got wil vnser riiche han '), Des gnade vns hie nie verlie 8); Nu sullen wir in der stad hie Die mere gentzlich erfarn, Wo wir tzu Jherusalem farn; Sint °) vns got hat her geschafft, Wir haben noch gutes volle crafft, Das wir etwas hie vertzern Vnd vns mit guter splse nern. Disse stete haben allen ratlu), Wes der man gerunge 1!) hat, Darnach so sal man fragen, Vnd das geldvn 12) an betragen.” Es steig des kyles xerge ,3) Den inasbouin hin tzu berge, Do er den stein recht ersach, Zcu «len werden er da sprach: „Wir sin \il obil14) her gefarn, God müsse vns die sele bewarn. 1) genende — kühn.

Wir kommen wider nymmer mer: Der stein liget in dem Labermer, Vil wol versten ich mich des, Er ist geheissen Magnes; Auwe disser bösen flirt! Der stein ist von solcher art, Das manig mensche mus beclagen; Was kylen mit ysen 15) sint beslagen, Die tzuhet16) er an sich mit gewalt; Dort stehin die mastboum, als der walt, Die er an sich getzogen hat; Engestlich es vns stad, Wir müssen alle das leben Got alhie tzu tzinse geben 17); Wir sullen vmb die sele trachten, Vnser ding gegen gote achten18).” Do sprach der hertzoge gut: „Wir sullen wesen wol gemut; Got der vns geschaffet hat, Was der mit vns anegat19), Des sollen wir im gnade sagen, Vnd nymmer des an ym \ ertzagen, Er behüt vns vor der helle not, Ligen wir in synem «linste tod, Ab20) wir das erwerben, So mögen wir frolichen sterben.” Der kil begonde gaben21). Vnd vaste 22) dem steine nahen; So crefftig er yn ruckte, Das er mit hurte 23) druckte Manchen kyl vnd den tzubrach, Vnd \ aste nach in vallen sach; Wan sie vorfulet 24) warn, Als sie x or manchen iarn

2) eilend«* — Fremdling, viell. die um Gotteswillen in der Fremde waren, Gottesstreiter. 3) Werthen. 4) Gerüst, Wall, Geräth. 5) So wie. fl) wähnten. 7) Mühe, Obhut; daher jem. nioche hfin = sich jem. annehmen. S) verließ. IM weil, sintemal. 10) Vorrath. II) Begehren, Neigung. 12) gelten — vergelten. . 13) Führer. 14) übel. I >) Eisen. Ifl) ziehet. 17) opfern. 18) achten gen — hinrichten auf Jemand. 19) ansangen. 20) wenn (vielleicht) 21) eilen. 22) eilig. 23) Imrt — heftiger Stoß. 24) verfaulet.

26

Herzog (Ernst von Schwaben.

Mit gewalt der Magnet Vast an sich getzogen het. Die masboiim uss den kylen Vff der werden schiff da vile», Das es michel wunder was, Das ymant daruff genas. Do der stein Magnet Den ktl an sich getzogen het, Do riffen die marnäre 25) Mit vnfrolicher sware 2C) : „Yr herren, wisset des gewis Das hie vnser ahleibe 27) is ; Nu berichte28) sich ein iglich man, Als er des froinen 29) welle hau, An der sele hin tzü got, Vnd achte, das sin süsser bot Sei die vnvollobte maget, Maria, an der nymant vortzaget, Das er an vns machte lichte 3l) Vnser sunde mit der blchte 32), Vnd das wir so wert empfahen, Yn mit Hisse, sollen wir des gaben Sinen liclinam vnd sin blut, Das wir der helle 33) sein behüt, Des schin beuchit34) das lebende hrot, Vnd doch wart gewaltig got Vnd vater, herre Jhesu Christ Ein in drien personen ist, Immer wesenae 35) an 36) ende, Durch sin selbes enlende37), Das der tzarte dnrch vns38) leit: Der bedencke vnser erbeit, Das die für vnser schulde ste, Vnd vns verlier39) das wernde we." Ernst do der fürste sprach: ,,Ich enbin nicht üss durch gemach Körnen, noch durch senfftes leben ; Ich quam üss, das ich wolde geben Gemach vmb betrübet gern nie, Durch die gotes güte, Durch yn wil liden not, Der vor myn sunde leit den tot, Vnd sin blut vorgossen hat Vmb vnser aller missetat: Nach des willen sollen wir Sten an vnuortzagter glr4u), Das wir den tot hie durch )n neinen, Vnd lau vns frolichen des getzemen. Er dachte mich ein tore wesen, Der wolde hie vur dort genesen;

Werden brüder, weset41) fro, Got vater selber spricht so: „„In inymen hüse ist ein tag Besser, wann ai die werlt gehaben mag.” " Wir suln seyn fro vnd gemeit 42), Willig wesen das bereit, Das wir tzur bichte gän Vnd den herren enpian, Damit die sele ist ernert43), Wenn sie von dissem Übe vert." Do ging der edele werde man Vnd besuchte synen cappelan, Dem er sin ruwig44) bichte ted; Darnach hies er tzu stet, Der süsse fürste wise, Gehen die lebenden spise, Gots liclinam, das gesegende brot. Das gut ist \or der sele not. Das taten auch willicliche Sine bruder alle gliche, Zcu gots riche sie pflichten45). An den tod sie sich verichten4t>), Aller manen gelich, Also bereitten sie sich Zcu der hyinmelischen var. Sie waren in eyine mute gar, Das sie icht von dannen körnen künden ; Doch gingen sic vnder stunden47) Yss in die alden kil, Da funden sie vnmassen mN Hördes 48), der darynne lag, Vnd das des nymant enpflag Sie funden silber, gesteyne, golt; Sie wosten nicht, was es yn solt; Harnasch, gewazit, das was nü fül, Yil hing an manches kiles sül 49); Vil gebeines sunder as Aida in den kylen was, Von den, die üf der gotes var Der Magnet hat getzogen dar, Xne die inan war ff in das iner; Yil wart ir da der griffen tzer50). Sust waren sie in grosser not; \r gewisser tröst was ir tot, Den sahen sie vor yn alle tage; Doch was das der werden clage, Das sie selten also verscheiden, Das sie mit den beiden Nicht tzu strite soldcn körnen. Das >n der tröst was benomen,

25) mariniere, Schiffsmann, Ruderer. 26) Betrübniß, Schwermuth. 27) Ableben, Tod. 28) sich einrichten, seine Angelegenheiten ordnen. 29) vrorn = >rum, Nutzen, Vortheil. 30) nicht genug gelobet. 31) leicht. 32) Beichte. 33) Genit. statt der Praepos. vor. 34) beuget. 35) seiend. 36) ohne. 37) eig. Verbannung, dann Iammer, obwohl die erste Bedeutung passen kann. 38) um unsertwillen. 39) verbern --- ver­ meiden, freigeben. 40) sten an — dabei bleiben, nicht verlieren; gir = Begierde, Zu­ neigung, Liebe. 41) seid. 42) vergnügt. 43) erhalten, retten. 44) reuig. 45) flüchten. 46) s. verrichten = s. Angelegenheiten ordnen, einrichten. 47) sogleich. 4k) Hoit — Schatz. 49) Balken. 50) Nahrung.

Herzog Ernst von Sch«at>en. Das was den werden vngehabe5l). So lange sie swebeten uff der habe52), Das yn die spise abeging, Der sterbe53) sie so gar verfing54), Das ir keyner genas, Bis noch Ernst selb sibende was, Der manege reiche rote55) Gefrumet56) hett vor gote, Das gedachte ie der var57); Des irewt sich aller engel schar; Wenn der sunder sich bekeret, In dein hyinmel das freude meret; Wann der sunder busse enpfat Ynd treit die vor sin Missetat, So hat freuderichen schal Des hyinmels gesinde obir al. Als ie gelag ein bruder tod, Hertzog Ernst das gebod, Das man yn legte uf des kyles bort, Dann fürten yn die griffen vort, Yren jungen tzu neste. Wetzel des inutes veste, Do er nicht anders trostes sacli, Zcu synein herren er do sprach: „Ich sage iuch, wes ich habe gedacht, Dauon wir kynnen werden bracht; Von den griffen so muss das geschehn; Herre, das lasse ich iuch sehen: Das gefogil 58) ist so gewent, Vncl mit den toten her getzemt, Nu warten wir bederben 50) lute °°), Ab wir noch frische hüteCl) ln den kylen vinden inderb2)> Die gewesen sint merrinderw), Darynne lan wir uns vernen64); Ich wil uch lassen das besen; Als ich mich kan versynnen Wir körnen also von hynnen.” Ernst sprach: „Wes sümen wir vns dann, Yr lieben bruder vnd lieben man?” Sie gingen an den stunden, Da sie gute hüte funden; Ditz bet ein tzage60) nicht erdacht. Sie wurden vor den fürsten bracht; Was taug vil rede vmb süst07)? Daran ist niht, wann vorlust. Wer hurtze rede machet lang, Des sagent die wisen deinen dang. Sie wurden vnder yn drate68), Die w erden C9), des tzü rate,

21

Das vnder yn die bersten70) Sölden sin die ersten. Do legten die werden man Altzumal ir harnasch an, Auch namen die beide wert Yr habe einteil und auch ir swert, Vnd machten yre messer scharff, Do Wetzel dizzen rat entwarff; Doch sie vorchten ser den tot Und die iemerlichen not Vnd das grös vngemach, Das eyner an dem andern sach. Als ich die rede vornomen han, Ernst und Wetzel, sin man, Die wulten bey einander wesen, Es ging an sterben oder genesen. Do sie sich legten uff die hüte, Vnd man sie darynne versuwte 71), Als ich uch dauor las, Nicht mer, wenn siben ir was; Der hertzoge sprach den funfften tzu: „Ich man '-) uch lieben bruder nu Rechter truwe, das ir Vch lasset füren nach mir.” Die vire yn gelobten das; Den funfften sulch vnmacht73) besas Vnd rechter süche74) volle not, Der iacli 75), er wolde ligen tot, Er enmochte doch genesen nicht. Do hüb sich iemerlich geschieht; Do lies der fürste here Vil der tzere rere 76), Vnd sprach: „O werden man, Hab ich ie leit dir getan, Das saltu, herre, mir vorgeben, Durch got vnd durch das wäre leben, Das er dir behalden hat.” Ernst sich yn küssen bat; Damit die herren sorgen rieh Mit grossem iamer schulen sich. Uss trüg man die werden man, Vnd legte sie uff den bort sän77); . Die herren nicht lange lagen da, Die griffen fürtens anderswii Ynd brachtens yren Lungen, Die vil mit yn rungen Vnd mochten ir nicht gewyniien. Disse tzwen waren hie synuen, Vss den hüten sie sich snitten Vnd gingen in hügelichen 78) sitten

51) unlieb. 52) ein eingeschlossener Theil deS Meeres, Haftn, Bucht. 53) Pest, an­ steckende Krankheit. 54) fangen, ergreifen. 55) Schaar. 56) vrumen — helfen, nutzen, fortschaffen. 57) Fahrt, Reise, Fortschaffung. 58) das Gevögel collect, die Vögel (Greifen). 59) nützlich, tüchtig, brav. 60) Leute. 61) Häute. 62) jener. 63) Meerrind. 64) vernähen, einnähen. 65) nach meiner Einsicht, wenn ich mich nicht irre. 66) ein träger, unentschlossener Mensch. 67) umsonst. 68) schnell, eilig. 69) Werthen. 70) superlat. von her, vornehm; die Vornehmsten. 71) einnähen; compos. von süwen nähen. 72) ermahne. 73) Schwäche. 74) Seuche 75) fitzte. 76) rcren rinnen, herabträufeln. 77) sogleich. 78) freudigen.

28

Herzog Ernst von Schwaden.

Vnder den vels in -eynen tan; Zcu gote rissen79) die werden man, Das er sie bedechte, Vnd er yn ir gesellen brechte. — Do disse tzwene sassen so, Si sahin, des sie wurden fro, Das die griffen tzu neste gachten80) Vnd ire gesellen tzwene brachten, Die sich uss den hüten namen Vnd von den jungen quamen, Von dem velse hinnyder, Zcu Ernsten yrera herren sider. Do .si eynander sahen, Gote sie ldbes iahen 8l), Vnd baten sine gute

Mit rechter demute, Das er noch den tzweien eilenden Sine hulsse wulde senden Vnd sie brechte tzu eynander; Den tröst schire vand er, Ernst vnd die sine, Die getruwen pilgerine, Do sie von den tzweien noch kosten82), Got wolde sie da trösten, Sie sahen aber83) die griffen körnen, Die hatten die tzwene auch genomen, Der sie tzu spise gedachten Yren hindern, den sie sie brachten; Die von den wol quamen dan Zcu den x iren in den tan; Do wurden sie eynander fro.

Gerettet stiegen sic herab aus dem Walde und kamen nach allerlei Gefahren zu ei­ ner großen Stadt , welche von Menschen bewohnt war, die nur Ein Auge hatten, und zwar auf der Stirn. Diesen leisteten sie tapferen Beistand gegen die Plattsüßler und gegen die Riesen zu Eananea und kamen dadurch bei ihnen zu Ansehn und großen Ehren. Da aber in Herzog Ernst die Sehnsucht, seine Wallfahrt zu vollenden, immer zunahm, entfloh er endlich auf einem Mohrenschiff und gelangte glücklich nach dem heiligen Grabe Dort vollbrachte er so herrliche tapfere Thaten, daß fern Ruf bis nach Deutschland drang, und der Kaiser, dadurch zur Nachgiebigkeit bewogen, auf die Bitte seiner Mutter ihm die Erlaubniß zur Rückkehr gab und Verzeihung tvcßcit seiner vergangenen Thaten angedei-hen ließ.

Frygedank, (natt) rein Mullcischcn Vll'Mnrf.)

©fr Anfang dieses Spruchgedichtts lautet

Ich bin genannt bescheidenheit, Die aller tugende crone treit *) ; Und hat mich bericht 2) Kr>gedank : Ein teil von sinnen die sint krank. Got dienen one wank, Das ist aller wifsheit anwank 3b

Wer umbe dise kurtze zit Die ewige froeude git 4), Der hat sich selber betrogen Und zimbert :>) ul den Regenbogen. Wer die sele wil bewaren, Der muss sich selbs bissen °) iaren.

Er bespricht dann mehrere christliche Lehren sucht ste auch gegen Angriffe der Juden zu vertheidigen und schließt an viele derselben eine Menge Stttensprüche und Lebensregeln an.

Ueber das Aufschieben der Buße sagt er:

619 Maniger sundet ul den tröst, Das der schecher wart erlöst A on einer also kurzen bete, Die er an dem ersitze tete. 79) riefen. 1) trägt. bauen.

Wer uf den tröst s finde spart, Der seit xillicht der toren fart ’b 625 Mette er got recht erkant, Er bette ine gnaden ermant 8).

H)) eilten. H) sagten. *2) reden, plaudern. M) wiederum. 2) cig. einrichten = verfassen. :*) Ansang. 4) giebt. 5) zimmern, 6) lassen. 7) Weg. v) an Gnade erinnert, darum gebeten.

fnffltomk. 627 Sunde nieraan mag vergeben One ruwe 9) und on rechtes leben. Er ist tumb, wer hie gerichten mag, 630 Spart er es biz an den suontag 10). Wer sunde lat, ee sie in losse,

2t

Der fert der wtsen Strosse. Wer sunden volget biz an den tag, Daz er nit mer gesunden mög; 635 Den 16t die sunde, er entlot ir niht; Das leider luten11) vil geschiht.

Die späteren Sprüche find noch kürzer und je zwei Zeilen bilden in der Regel ein Ganze-, z. B

1401 Ich han vil manigen man erkant Der golt suochte und kupffer vant. Er ist tumb, der siner kinder brot Den bunden glt in hungers not. 1405 Die kletten und der hagedom, Die tuont gohen l2) Huten zorn. Wer sich zu kletten mischet, Unsansste er sie abwischet. Niemans fromes mische sich 1410 Zuo bösen Huten, das rat ich.

Hochfart verderbet alle tugent, So zieret tugent die schone jugent. Wer vorhtet donres blick, Der muofs erschrecken dick. 1415 Wart je edel kint glich Dem stieffvatter, das ist wunderlich. Da enthilsset nit der friunde heln, Da mich die vigent13) sehen! Stelen.

Minnelieder. Bon Heinrich von Beldecke (Deldig). (Nach der Manessischen Sammlung.)

1.

Bwie !) min not gefueger were, So gewönne ich liep nach leide Und froeide manic valde, Wan2) ich weis vil liebiu mere3): Die hluomen entspringent an der beide, Die vogel singent an dem walde, Da wilent lag der sne, da stat im gruener kle, Er touwet 4) an dem morgen; Swer nu welle, der froeiwe 5) sich, Nieman noet 6) es mich. Ich bin unledic ") von sorgen.

2.

Tristan mueste sunder sinen dank Stete 8) sin der Kuniginne, Wan in der poysun 9) darzuo twanc ,0) Mere, dan diu kraft der minne; Des sol mir diu guote danc Wissen, das ich solken träne Nie genarn und ich si doch minne Bas n) danne er, und mac das sin, Wol getane, valsches ane, La mich wesen din, und bis 12) du mfn.

9) Reue. 10) Gerichtstag, da- jüngste Gericht. II) Leuten. 12) goh = gach, eilig, hastig. 13) Feinde. 1) Wie auch immer; wenn auch. 2) denn. 3) Botschaft. 4) touwen = tauen. 5) freuen. 6) nöthigen, erzwingen. 7) nicht frei. 8) beständig, treu. 9) Trank, Liebestrank (poison). 10) zwang. 11) besser. 12) sei (imperat.).

30

Minnelieder Bon Härtn«ann von der Aue. (Nach der Dtanessischen Sammlung.)

Nieman ist ein selig man Ze dirre werlte13) wan 14) der eine, Der nie liebes teil gewan Und ouch darnach gedenket kleine I5); Des herze ist vri,6) von sender not, Diu manigen bringet uf den tot, Der schone heil gedienet hat Und sich des ane muos 17) began l8), Dem übe niht so nahe gat, Als ich mich leides wol entstan lfr), Wand ich den selben kumber han.

Es ist ein ungeliukes gruos, Der get fuor aller hande swere 20), Das ich von friunden scheiden muos, Bi den ich ieiner gerne were, Diu not von minen triuwen21) kumt, Ich enweis, ob si der sele iht 22) frumt, Si ne git23) dem Übe lones ine, Wan truren den >il langen tac; Mir tuot min stete24) dike we, Wand ich mih niht getroesten mac Der guoten, diu mich schoene pflag.

Bon Wolfram von Gschenbach. (Nach der Manessischen Sammlung.)

Maniger klaget die schonen zit Und die liebten tage, So klage ich, das mir ein wib getuot, Diu mir leit zuo sorgen git, ouwe 25) dirre20) klage! Was ist mir fuor sendes truren guot? Aller vogel singen, aller bluomen schin, Elliu 27) wib und wibes kint, swas der lebende sint, Troestent mich niht, wan so das sol sin. Hilf, hilf, guot wib! la besehen, Ob du brechen mäht Sorgen bant; min froeide hinket dran; Mir mag lieb \on dir beschehen28), dar zuo hast dus braht. Dine guete bitte ich, und man Manlich dienst wiblich Ion gelich ie wag w), Wan an dir, vil selig wib, knmber treit 30) min lip Die vernanten 31) zit naht3?) und tag. NR.

In der Manessischen Sammlung steht zwischen diesen beiden Strophen noch eine dritte, dir aber nach Versmaaß und Inhalt offenbar nicht dazu gehört.

Reinmar der Alte. (a.

Nach Ticck.)

Ich weiß den Weg nun lange wol Her von der Liebe bis an bad Leid, Der andre, der mich weisen soll 13) Wett. 14) alS, außer. 15) wenig. 16) frei. 17) Muße. 18) s. hegen e. D. — sich damit beschäftigen, damit umgehn. 19) cntstin m. d. Genit. = mar werden, empfinden.

20) Roth, Beschwerde. 21) Treue. 22) irgmd etwas, irgendwie. 24) Beständigkeit. 25) weh! 26) diese. 27) alle. 28) geschehen, zu Theil werden. 29) vom tr. wegen = achten, schätzen (gleich). 30) von tragen. 31) vergangen. 32) Nacht.

23) giebt.

Minnetieder.

31

Au- Leide in Liebe, der ist mir noch unbereit. Daß mir von Gedanken ist ohne Maßen weh, Da- überhöre ich viel und thu, als ob ich eS nicht versteh. Giebt Minne nicht- als Ungemach, So müsse Minne unselig sein, dieselbe ich noch stets in bleicher Farbe sach. Warumme füget die mir Leid, Don der ich hohe sollte tragen den Muth? Wohl werbe ich nicht mit Kundigkeit Noch durch Versuchen, wie eS jedoch viel mannicher thut; Ich ward nie rechte ftoh, als wann ich sie sah, Und ging von Herzen ganz, waS mein Mund nur jemals zu ihr sprach, Soll nun die Treue sein verlohnt, So darf eS Niemand Wunder nehmen, hab ich unterweilen einen Keinen Zorn. (b. Aus der Manessischen Sammlung.) Höh alsam 33) diu sunne stet das herze min, Das kumt von einer frowen 3*), diu kan stete sin, Ir genade, swä 35) s6 si ^), Si machet mich vor allem leide tri. Ich han ir nilit ze gebenne, wan min selbes 11b, Der ist ir eigen; dicke 37) mir diu schone gft Froeide und einen hohen muot, Swanne ich daran gedenke, wie si mir tuot. Wol mich des, das ich si ie so stete vant; Swa si wonet, diu eine liebet38) mir das lant. Euer’ si über den wilden se, Dar suer ich hin, mir ist nach ir so we. Het ich tusend manne, sin das were wol, Das ich si behielte, der ich dienen sol Schone und wol si das bewar, Das mir von ir niht leides wider var. Ich en 39) wart nie rechte selig, wan von ir, Swes ich ir gewiunschen kan, des gan40) si mir, Seleklich es mir ergie, Do diu schone mich in ir genade vie41).

Don Gottfried von Straßburg. Min und Din. Liute unde lant diu mühten mit genaden sin, Wan 42) zwei vil kleiniu wortelin, Min unde Din, Diu briuwent43) michel wunder uf der erde.

33) gleichwie. 34) Frau. 35) wo auch immer. 36) sei. 37) reichlich, oft. 36) lieb mache». 39) en die überflüssige Negation. 40) v. gunaen, gestatten, gönnen. 41) v. Tangen = aufnehmen. 43) wenn nicht wären. 43) briuwen = bereiten, anstiften.

32

Minnelirder. Wie gant sie frütende 44) unde wütende liberal unt tribent al die werlte uinbe als einen ball ich waene, ir krieges ie mer ende werde. Diu vertane45) gite4tt p»etischen L!trr«U«r ». Spitj tt« ans >. ntotfU Zeit.

67

Predig« Paul Gerhardt (geb. 1606, t 1676), sowie dem Prediger Johaun Heermaua (t 1647 im Fürsteuth. @logaä) und dem Bürgermeister Frank (,n (Snbtn, f 1677). Eigenlhümlich find dir Lieder de» Jesuiten Friedrich von Spee (t 1635 ,» Jtcli. Sammlung: Trutz Nachtigall). — Weit unbedeutender find die Leistungen der Nachfolger von Opitz in anderen Gat­ tungen der Poesie. Die epische Poesie lag ganz darnieder; erwähnungSwenh ist höchstendie Uebersetzung von Taffo'S befr. Jerusalem durch Dietrich von dem Werder (f 1657). Auch in der dramatischen Poesie wurde nicht viel geleistet; am meisten noch von AndreaS GryphiuS (s. oben): außer diesem dichteten auch Johann Jtlaj (f. oben) Trauerspiele und Simon Dach (s. oben) Singspiele, die jetzt anfingen, immer beliebter zu werden. Erwahnen-werch sind aber die Epigramme de- Freiherrn Friedrich von Logau (geb. 1604, 11655, als Kanzleirath zu Liegnitz), die er in verschiedenen Sammlungen (z. B. 1654 unter dem Titel: Salomon von Golau deutscher Sinngedichte drei Tausend) herausgab, und die in niederdeut­ scher Mundart geschriebenen Satiren von H. W. Laurenberg (geb. 1591 Lehrer zu Rostock, später zu Soröe, t 1659) sowie die den römischen Satirikern nachgebildeten von Joachim Rachel (geb. 1618 zu Lunden in Norddithmarsen, f als Rector in Schleswig 1669) und die in Prosa abgefaßten satirischen Schriften von Johann Michael Moscherosch (geb. 1600, Kammer- und Confistorialpräsident zu Hanau, f 1669. Er gab seine Satiren unter dem Titel: Wunderliche und wahrhafte Gesichte Philanders von Sittewald. Straßburg 1650 heraus) und von Balthasar Schuppe (geb. 1610 zu Gießen, t als Prediger zu Hamburg 1661).

Aber bald wich der ernste, sittliche Geist, der in den Werken der ersten schlesischen Schule gewaltet haue, aus der Literatur, und man fing an, jene frivole Gesinnung, welche tu der französischen Literatur schon lange geherrscht hatte, auch in Deutschland hei­ misch zu machen, während man in Betreff der äußeren Form der Gedichte dem Vorbilde Opitzens treu zu bleiben sich bestrebte. Die Stifter jener mit Wörterschwulst und üppigen Bildern prangenden Dichtungsweise waren 2 Schlesier, Christian H offmann von HoffmannSwaldau (geb. zu Breslau 1618, nach f. Rückkehr von einer Reise durch eineu großen Theil Europa'-Rathsherr in Breslau, 11679) und Daniel Kaspar von Lohenstein (geb. zu Nimptsch 1635, Regierung-rath und erster Syndikus zu Breslau, f 1683), und man befaßt des­ halb die Dichter, welche jener Richtung folgten, unter dem Namen der zweiten schlesischen Dichterschule. Zu dm entschiedensten Anhängern derselben gehörte Heinrich Anselm von Ziegler (geb. 1653, Gutsbesitzer in der Obcrlausitz, f 1690), Benjamin Neukirch (geb. 1665 in Schlesien, Prinzenlehrer in Anspach, t 1729; er gab die Gedichte aller dieser Männer her­ aus: H. v. Hoffmaunswaldau und anderer Deutschen auserlesene und bisher ungedruckte Gedichte. 7 Th. Leipz. 1695—1727) und Johann von Besser (geb. 1654 in Kurland, Ceremonienmeifter in Berlin, später in polnischen Diensten, t 1729). Äm bedeutendsten waren die Leistun­ gen dieser Schule, wenn man von dem oft unflttlichen Inhalt der Gedichte absieht, noch in der lyrischen Poesie, währmd weder die geistlosen, weitschichtigen Erzählungen de- in HoffmannSwaldauscher Manier, jedoch mit Beobachtung de- sittlichen Anstande-, dichtmden Pvstel (lebte zu Hamburg, wurde in dem satirischen Gedicht Chr. Wernike'S aus Preußen: Hans Sachs wegen seiner geistloses Meimereien verspottet), noch die phantastischen Trauer­ spiele Lohenstein'S Anerkennung verdienen. Nur der Freiherr HanS Aßmann von Abschatz (geb. 1646 zu Würbitz tu Schlesien, seit 1675 Verwalter de- Fürstenthums Liegnitz, t 1699) ist als Epigrammatiker und Lyriker erwähnenSwerth. Aber auch als man anfing, den Geschmack an jenen galanten Gedichten zu verlie­ ren, und einzelne Dichter sich bemühten, zur Dichtweise der Opitzischen Schule zurückzu­ kehren, wie nammtlich D. G. Morhof (geb. 1639 zu M-mar, Professor zu Kiel, t 1691) und Christian Gryphius (geb. 1649 zu Frauftadt, Rector zu Breslau, f 1706), verfiel man wieder in eine alles kräftigen Schwünge- ermangelnde geistlose Reimerei. Selbst der nach französischen Mustern sich btldmde, durch Klarheit und Anmuth seiner Sprache ausgezeich­ nete Freiherr Fried. Rud. Lud. von Canitz (geb. 1654 zu Berlin. Geh. Staatsrath, t 1699) besaß nicht eben hervorstechendes poetisches Talent, und der in frommen Naturbetrachtungen seinen religiösen Sinn offenbarende Barthold Heinrich Brocke- (geb. zu Hamburg 1680, Bei­ sitzer de- Rathe- daselbst, + 1747. Sammlung s. Ged.: Irdische- Vergnügen in Gott, bestehend in phyficalischen und moralischen Gedichten. Hamburg 1721. 9 Bände) wußte nicht immer den rechten Ton zu treffen. Nur Johann Christian Günther (geb. 1695 zu Striegau in Schlesien)

6

*

68

iltbctlW der poetischen Literatur v. Opitz di» ant d. neueste ßrit.

besaß eine wahrhaft schöpferisch- ^3^antafte; aber manche^ei Verirrungen, die feinen Va­ ter bewogen, ihn zu verstoßen, stürzten ihn in- Elend, und er starb schon 1723 in Jena. Seine 1723 zu BreSlau erschienenen Gedichte lassen ahnen, wieviel er bei weiterer Aus­ bildung hätte leisten können. So beklagenswerth der Zustand der Poesie in dieser ganzen Zeit war, so zeigte sich doch in anderen Gebieten der Literatur ein regeS geistiges Leben in Deutschland. Die Ge­ schichtsforschung und StaatSwissenschaft blühte kräftig auf (Schiller, von Eckhard, Sagittarius, Mascev, von Bünau, von Puffendorf); der mit allen Nichtungen des menschlichen Wis­ sen- vertraute Genius des Gründers der Berliner Akademie, G. W. von Leibnitz (f 1716), regte in allen Wissenschaften zu gründlicher Forschung an, und bald gab Christian von Wolff (Lehrcr der Philosophie zu Halle, t 1754) der Philosophie systematischen Zusammen­ hang und eine eigenthümliche Kunstsprache. Der Prediger Ph. Jak. Spener (t 1705), und Hermann Franke in Halle (j 1727) bemühten sich, statt dogmatischer Grübeleien, wahre Frömmigkeit und Gottesfurcht zu verbreiten, und allgemeiner wandte man dem Jugend­ unterricht und der Volksbildung erneute Aufmerksamkeit zu. Auch treffliche Kirchenlieder­ dichter sind zu nennen; neben Spmer und Franke namentlich: Arnold, Freylinghausen, Ramback, Tersteegen und Benj. Schmolck. Noch ehe aber allgemein ein ernsteres Streben, die deutsche Sprache und Poesie von dem nachtheiligen Einfluß des HoffmannSwalvaufchen Geschmacks zu reinigen, sich kund­ gab, hatten schon einzelne Dichter sich ihren eigenen Weg gebahnt und, gebildet durch das Studium der Alten und zum Theil auch der Engländer, ihren Gedickten in Betreff der Sprache und deS Versbaues eine bei dem damaligen Standpunkte der Poesie bewundernswerthe Vollendung gegeben. Es waren besonders: Friedrich von Hagedorn (geb. 1708 zu Hamburg, Sehn des dänischen Residenten von Hagedorn: er verlor seinen Pater frühzeitig, ward von s. Mutter aber sorgfältig erzogen, studirte 1720 in Jena die Rechte, ging 1729 als Seore1air des dänischen Gesandten nach London, wartete nach s. Rückkehr (1731) lange vergeblich auf eine Anstellung, nahm endlich 1733 die Stelle eines SceretairS bei einer Handelsgesellschaft in Hamburg an und lebte als solcher sorgenfrei bis 1754), der sich besonders im leichten erotischen

Liede, in der poetischen Erzählung und Fabel auszeichnete, aber auch einige belehrende Ge­ dichte lieferte und Albrecht von Haller (geb. 1708 zu Bern, studirte 1723 in Tübingen die Arzneikunst, ging 1725 nach Leyden, bereiste 1727 England und Frankreich, kehrte 1728 nach Basel zurück und bereiste zur Stärkung s. Gesundheit die Alpen, ließ sich 1729 in Bern als Arzt nieder. Durch f. botanischen und anatomischen Schriften vortheilhaft bekannt, ward er 1736 als Professor der Anatomie nach Göttingen berufen, gab dort eine Menge naturw. u. medie. Schr. heraus, ward 1749 geadelt, kehrte 1753 nach Bern zurück und starb daselbst 1777), dessen

Gedichte hauptsächlich auf Belehrung abzweckten. Wir haben außer seinem größeren be­ schreibenden Gedichte „die Alpen" von ihm noch ein Lehrgedicht „vom Ursprünge deS Ue­ bels" und „über die Ewigkeit" und einige Oden und Lieder. Am entschiedensten trat aber als Gegner deS Lohensteinfchen Geschmacks Johann Christoph Gottsched (geb. 1700 zu Judithenkirchen bei Königsberg, studirte 1714 auf der Uni­ versität Königsberg Philos. und schöne Wisseusch., kam 1724 nach Leipzig, hielt Borlesungen üb. schöne Wiss., gab 1728 s. Redekunst, 1729 s. kritische Dichtkunst heraus, ward 1730 Professor d. Philof. und Dichtkunst, t 1766 in Leipzig) auf. Er bekämpfte den Bilderprunk und drang

auf Reinheit und Verständlichkeit der Sprache und Regelmäßigkeit des Versbaues, fehlte aber darin, daß er dieS als die einzigen nothwendigen Eigenschaften eineS Gedichtes auf­ faßte und deshalb jede diesen Erfordernissen genügend» flmnierei für ein musterhafte- Ge­ dicht hielt. Gegen diesen Grundsatz traten die Schweizer Johann Jacob Bodmer (geb. zu Zürich 1699, beschäftigte sich bes. mit Poesie und Geschickte, gab seit 1722 eine kritische Zeit­ schrift heraus, ward 1725 Professor der Gcsch. in Zürich, f 1783. S. Noachide, s. Uebersetzung des Milton, Homer find ohne Werth, besser s. Ausg. d. Manessischen Sammlung) und Johann Jacob Breitinger (geb. zu Zürich 1701, ward 1731 in Zürich Professor d. griech. und hebräi­ schen Sprache am Gymnas., t 1776. S. Kritik der pcetischen Kunst erschien 1740) auf und

setzten daS Wesen der Poesie in die Erhabenheit und Schönheit der Gedanken, während sie den Reim für etwas Unwesentliches, ja oft für störend erstatten. Für sie erttarten sich in diesem (Streite bald die meisten Gelehrten jener Zeit, ja alS Beweis für die Richtigkeit der von ihnen aufgestellten Grundsätze gaben Jacob Immanuel Pyra (geb. 1715 zu Cott­ bus, Conrcktor in Berlin, t 1744) und Samuel Gotthold Lange (1711—1781) das erste Bei­ spiel von reimlosen lyrischen Gedichten. So wenig diese Gedichte auch den Namen poeti­ scher Erzeugnisse verdienten, so fühlte man doch, daß das Recht mehr, auf Seiten der Schwei­ zer war, und Gottsched s Ansehn sank immer mehr. Er würde in den satirischen Schrif­ ten von Christ. Ludw. LiScov (geb. 1709(?), lebte einige Zeit in Lübeck, später in Dresden.

Nekerstcht der poetische» ^ittwter ». Opitz öi« «nf >. tteatfte jkü soll 1780 im Gefäugniß geAorbe» ftün.

69

Sammlung satir. ». erufthaster Schrifte». Leipz. 1789)

und Johann Christoph Rost (geb. 1717 z» Leipzig, seit 1760 Oberstenersecretair in Dresden, t 1765) verspottet, ja toide seiner ehemaligen Anhänger und Schüler sagten fich von ihm lo- und befolgten in den Gedichte«, welche fie in einer von ihnen gestiftetm, zu Bremen erscheinenden Zeitschrift (Rene Beiträge des Witzes 1745 — 48) abdrucken lleßen, mehr oder weniger die von Bodmer und Brvitinger aufgeftelltm Grundsätze. Zu diesm, gewöhnlich unter dem Ramm der sächfischen Schule zusammmgefaßten Dichtern gehörten außer Carl Chr. Gaertner (geb. ;u Freiberg 1712, f zu Braunschweig 1791), Johann Andrea- Cramer (geb. 1723 zu Jöhftädt im Erzgeb., f 1788 zu Kiel), Nicolau- Dietrich Giseke (geb. zu Güuz in Ungarn 1724, t zu Sondershause« 1765), Friedrich Mlhelm Zachariä (geb. zu Fraukeuhausen 1726, studirte 1743 in Leipzig die Rechte, beschäftigte fich aber bes. mit der Dichtkunst, gab sein komisches Heldengedicht: „der Renommist" heraus und später noch mehrere, wie: Phaethon, Murner u.a., ward 1749 Lehrer am Carolinum tn Braunschweig, 1761 Professor, s 1777. Außer Oden, Fabeln, komischen Heldengedichten und einem größeren Gedicht, „die Tageszeiten," haben wir auch eine Ueberf. von Milton's verlornem Paradiese von ihm), Johann Arnold (Sbert (geb. zu Hamburg 1723, studirte 1743 in Leipzig, wurde 1749 Lehrer am Carolinum in Braunschwetg, 1753 Professor, später CanonlkuS, t 1795. Cr beschäftigte fich bes. m. d. engli­ schen Literatur, übersetzte VoungS Nachtgedanken), Johann Friedrich Freiherr von Cronegk (geb. zu Anspach 1731, studirte 1749 in Halle, 1750 in Leipzig, kehrte 1752 nach Anspach zu­ rück, wurde Hof- und Justizrath, t 1758. Außer einigen Lehrgedichten z. B. daS Stadtleben schrieb er viele Oden, Lieder, einige Lustspiele, Trauerspiele, z. D. Codrus und ein Gedicht in 6 Gesängen: die Einsamkeiten, v. Cr. Schriften 2 Bde. Leipzig 1765) besonders noch: Christian Fürchtegott Geliert (geb. 1715 zu Haynichen in Sachsen, studirte 1734 in Leipzig Theologie, begleitete 1741 den Sohn s. Schwester als Hofmeister zur Uuiverfität, ließ 1742 einige Fabeln und Erzählungen abdrucken, welche allgemeinen Beifall fanden, widmete sich 1745 der akademi­ schen Laufbahn, lieferte seit 1745 in den Bremischen Beiträgen Fabeln, Erzählungen und moral. Luftsp., 1746 den moral. Roman: die Gesch. d. schweb. Gräfin G. u. s. w., wurde 1751 Pro­ fessor, hielt bes. besuchte moralische Dorlesungen, f 1796), Johann Elia- Schlegel (geb. 1718 zu Meißen, besuchte Schulpforta, studirte 1739 in Leipzig die Rechte, ging 1732 nach Kopenha­ gen, nahm Theil an den Bremischen Beiträgen, ward 1748 Professor an der Ritterakademie zu Soroe, schrieb mehrere Schauspiele, auch für das dänische Theater, f 1749) und Gottlieb Wil­ Rabener (geb. 1714 zu Wachau bei Leipzig, stud. 1734 zu Leipzig die Rechte, ward 1741 Steuerrevisor, 1763 Steuerratb in Dresden, 11771. Am berühmtesten find f. satirischen Schrif­

helm

ten. 1752 —55). Bald nachher entstand auch in Halle ein Verein von jungen Dichtern, die sich noch entschiedener den Bodmer'schen Grundsätzen zuneigten; dazu gehörten Joh. Wtlh. Ludw. Gleim (geb. 1719 zu Grmsleben bei Halberstadt, stud. 1738 zu Halle die Rechte, ward 1748 Stabssecretair d. Prinzen v. Schwedt, später des Fürsten Leopold von Dessau, 1747 Secretair des Domcapitcls zu Halberstadt, später CanonikuS, f 1803. Außer f. zahlreichen auakreontischeu Liedern verdienen seine „Lieder e. preußischen Grenadiers" und „Halladat oder das rothe Buch" Erwähnung), Joh. Pet. Uz (geb. 1720 zu Anspach, stud. 1739 in Halle die Rechte, ward 1743 Secretair b. e. Juftizrath in Anspach ohne Gehalt, erst 1763 Assessor des Landgerichts, f 1796 als prcuß Geh. Justizrath. Außer vielen Oden und Liedern verfaßte er 2 Lehrgedichte: „Theodicee" 1755 und „die Kunst stets fröhlich zu sein" 1760, und die Epopöe: „der Sieg des Liebesgottes" 1750. Uz sämmtliche poetische Werke. Leipz. 1772. 2 Bde.), Joh. Nicol. Götz (geb. 1721 zu WormS. stud. 1739 in Halle Theologie, ward 1742 Hauslehrer, 1743 Schloßprediger zu Forbach in Lothringen, 1747 Feldprcdiger im Elsaß, daun Pfarrer an verschiedenen Orten, zuletzt 1766 Superintendent d. Aemter Winterburg u. Schrendlingcn, t 1781. Gr zeich nett fich hauptsächlich im leichten und erotischen Liede aus, dichtete auch einige Eleaieeu, Idyllen, Erzählungen und Epigramme. AuSg. f. Werke v. Ramler 1785. 3 Th.), an welche fich auch

Ewald

Christian von Kleist (geb. 1715 zu Zeblin in Pommern, stud. 1731 in Königsberg die Reckte, bes. Dänemark, ward dort 1736 Offizier, ward 1740 preußischer Offizier, zeichnete sich aus. ward 1757 Obrist - Wachtmeister, 11759 in Franks, a. d. O. Berühmt ist s. größeres Ge­ dicht: „der Frühling" und viele Erzählungen und Oden. v. Kleist'S Werke her. v. Körte. 2 Th. Berlin 1803), Karl Will). Ramler (geb. 1725 zu Celberg, stud. 1742 in Halle, ging 1744 nach Celberg, 1746 nach Berlin, ward 1749 Maitre am CadettcncorpS, später Professor, | 1796. Er übersetzte Hora;, Catull u. s. w., dichtete viele Oden und Cantaten z. B. den Ted Jesu) anschlossen. Sie alle überragte aber Friedrich Gottlieb Klopstock (geb. zu Quedlinburg den 2. Juli 1724. Nach Vollendung seiner Schulbildung auf Schulpforta bezog er die Universität Leipzig: hier machte er die ersten Gesänge seines großen religiösen Epos, der Mefstade, bekannt. Bodmer lud ihn cm, nach der Schweiz zu kommen 1750, und bald darauf berief ihn der König Friedrich von Dänemark nach Cepenbagen. damit er den in Muße seine Mefstade vollende. Spa­ rer zog er nach Hambing (1770), vclimctc rir Mefstade erst 1772, lebte dann ziemlich zurück­ gezogen bis 1803).

Cr hat nickt bloß um die Sprache durch feine ernsten Bestrebungen,

70

siedersicht der poetischen Literatur v. Opitz di» aut d. neueste Zeit.

ste von allem Fremdartigen zu reintqen, und durch die Ausbildung, die er der deutschen Merrit gab, sondern auch um die Poesie, sowohl durch seine an erhabenen Gedanken und lebendigen Schilderungen reiche Messtade, als auch durch seine begeisterten Oden unsterb­ liche Verdienste. Verfehlt waren seine Versuche, in seinen Bardieten tm nationale deut­ sches Schauspiel und durch Einführung der nordischen Mythologie eine von römischer und griechischer Mythologie befreite, echt deutsche Dichtersprache zu schaffen. Die Umbildung de- damals noch auf niederer Stufe stehenden Drama'S, welche Klopstock vergeblich ver­ suchte, gelang Gotthold Ephraim Lesstng. . aeaeste Zeit. 75 durch getreu» Naturschllderungen sich auszeichnet, in feinen dramatischen Gedichten aber phUosophische Zveen poetisch darzustellen versucht hat» ferner Anastasius Grün («lg. Graf Anton Aler. von Auersperg, geb. 1806 zu Thur» in Ärain, lebt das. oder in Wien. Epos: der letzte Ritter" 1830. „Spaziergänge eines wiener Poeten" 1831. „Schutt" 1835. „Sammlung d. Gedichte" 1837), der stch durch feine Romanzen und Lieder auszeichnet, besondere Beach­ tung, sowie Ferdinand Freillgrath (geb. 1810 in Detmold, hielt sich früher längere Zett als HandlnngSdiener in Soest und Amsterdam ans, seit 1836 aber am Rhein. Samml. s. Ged. 1840), der fich durch treffende Naturschilderungen („Löwenritt") auszeichnet. — Für das rein er­ zählende Epos scheint der rechte Zeitpunkt vorüber zu sein; nur die idyllischen Epen A. G. Eberhard'- (geb. 1796 zu Delzig, lebt in Halle, beliebt wegen s. Erzählungen, gab die Idylle: „Hannchenn.d.Küchlein" heraus) und die romanttschen Epen „Cacilia," noch mehr aber „die bezauberte Rose" von Ernst Schulte (geb. 1789 zu Celte. ftud. 1806 zu Göttingen Theol. und Philol., Dr. philos. feierte s. verstorbene Braut in d. GpoS: Cäcilie, nahm 1814 am Befreiungskriege Theil, lebte nach f. Rückkehr in Göttingen, schrieb 1816 die bezauberte Rose, t 1817. S. Werke heraus, v. Douterwek. 4 Bde.) fanden Anklang. Auch in der dramati­ schen Dichtkunst wurde ln der neueren Zeit wenig Bedeutende- geleistet. In dm Trauer­ spielen ist das Tragische oft bi- zum Grauftnhaftm verzerrt (Müllner's Schuld, Grillparzer's Ahnftau). den Schauspielen fehlt e- meist an rechter Einheit oder an Interesse (Karl Immermaun'S und Grabbe'S Dramen, Uhland'S Herzog Ernst, das Bild von Houwald ». f. w.). Am meisten leistete noch im Tragischen und Komischen Ernst Raupach (geb. 1784 zu Straupitz bei Llegnth, studirte 1801 zu Halle Theol., ging 1804 nach Petersburg als Erzieher, 1816 Professor d. philos. Fakult. das., verließ 1622 Rußland, lebt jetzt in Berlin. Erwähnung verdienen s. htstor. Dramen). Die prosaische Literatur der neueren Zeit ist dagegen überaus reich, besonder- auch die belletristische; die Zahl der Romane, Novellen ist ungemein groß, und auch viele- Ge­ diegene ist darunter. Die wissenschaftliche Literatur ist ebenfalls durch gediegene Werke in allen Gebieten de- mmschlichen Wissen- außerordentlich bereichert worden.

Zweite Abtheilung bet Sammlung. Rudolf Weckherlin. (Aus W. Müller's Bibliothek Band 4.)

Tugend und T u g e n d s ch e i n. 9Tcin, eS ist nicht der Tugend Schein, So uns die wahre Freud' kann geben, Sondern die Tugend selbst allein Kann unS glückselig machen leben. Die Tugend selbst hat daS Vermögen, Müh' und Verdruß von uns zu legen.

Was hilft es, daß ich geb' Bericht Von Allem, was jemals gewesen, Daß alle künstliche Gedicht' Ich der Poeten wohl gelesen, Wenn ste durch ihr kunstreiche- Lügen, Mein' Zeit verkürzend, mich betrügen?

Die Tugend giebt Ruhm, Adel, Ehr'; Wer sie hat, der ist wohlgeboren, Ob er wohl weder Fürst, noch Herr, Ist er doch von Gott auserkoren. Denn über sein Herz er regieret Und über die Welt triumphiret.

WaS hilft'-, Gemählde und Gesang, Die Zahl' und Maß' wohl zu verstehen, Der Sternen Lauf, der Welt Fortgang Und alle Länder zu besehen, Wenn in sich selbst mein Herz verblinvet, Kein Ziel, Maß, Zahl, noch Regel findet?

Des Leib'S Gesundheit ist die Gab', Damit unS die Natur erlabet; Viel besser aber dessen Hab', Der mit gesunder Seel' begäbet, Seel', die kein Zufall kann erschrecken, Betränken, schwächen, noch beflecken.

Wein, der bemühet sich umsunst, Sein Herz vergnüget zu befinden, Er sei gleich, wie er woll, voll Kunst, Der sich selbst nicht kann überwinden, llnd der sein Freud' nnd sein Vergnügen Will außerhalb sich selbst erkriegen.

WaS hilft es, daß in meinem Hirn Der Plato selbst und Zeno stecket, Daß witzig scheinet meine Stirn, Daß mein Mund stets von Weisheit gecket, Wenn in der Einfalt reinen Seelen Die Tugend sich pflegt zu verhehlen?

Denn es ist nicht der Tugend Schein, So unS die wahre Freud' kann geben, Sondern die Tugend selbst allein Kann uns glückselig machen leben, Sie selbst, die einig sich verbindet Mit Gottesfurcht, stets überwindet.

Auf König Gustav Adolf's Tod. (Sonett in Alexandrinern.)

Dem eigner Muth, o Held, weil Gottsfurcht, Ehr' und Recht Dein Herz und Schwert allein gestärket und gewetzet, Weil auch der Erden Kreis für dich zu eng und schlecht, Hat in den Himmel dich, zu früh für unS, versetzet. Denn gleich wie deine Faust der Gläubigen Geschlecht, Als eS in höchster Noth, errettet und ergötzet, Also hat durch dein Haupt die Kugel leider recht Der deutschen Freiheit Her; und Tugend Haupt verletzet

Julia, Mltzel» Zinck-rek. Siegreich und selig zw« hat dich, weil in der Schlacht Du frei für Gotte» Wort dein theure» Blut vergossen, Zn dir endlose Freud' und Ehr drin End' gebracht. Zedoch in Leid und Roch find deine Bundsgenoffen, Weil deine Herrschaft du mit Sieg, Triumph und Pracht, Dort in dem Himmelreich anfangend, hier beschlossen.

Sinngedichte. Das Glück. Das GlückM Allen gleich und gut, Za auch beständig heut und morgen: Den Reichen giebt e» Furcht, Müh', Sorgen, Den Armen Hoffnung, Sinn und Muth.

Leben. Mensch bist du klug Und willst recht wissen, wa» dein Leben, So merk' da» Wörtlrin Leben eben. Da hast du gnug: Lies es zurück, so wirst du sehen, Wa» e-, und wir e» thut vergehen.

An den Pfarrer Schandfleck. Pfaff, die Vergleichung deiner Haaren Mit deinen Sunden mußt du sparen: Denn jene nchmrn ab, die zu mit deinen Jahren.

Julius Wilhelm Ziuekgref.

Sinnbilder. Die Sonnenblume. Eiehe, wie die Sonvenwende fich zur Sonnen giebt, Dir ste liebt. Also werden dich auch lieben, König, die du liebst, Nicht bettübst.

Zeit und Rath. Schiffer, welche Meister find, Suchen Zeit und guten Wind; Mit Gewalt ist nicht» zu machen. Also wttden hohe Sachen Eher zu dem End' gebracht Durch die Weisheit, als durch Macht.

n

78

Martin Opitz.

Erste schlestsche Dichterschule. Martin Opitz. (Nach der zu Franks, a. M. 1644 erschienenen Ausgabe.)

Besuvius, ein beschreibendes Gedicht. Nachdem der Dichter die Natur, Apollo und die Musen zum Beistand angerufen und dm Herzog von Schlefien, dem er da- Gedicht gewidmet, wegen seiner geringen Gabe um Verzeihung gebeten, preist er den Umfang der menschlichen Kenntnisse und geht dann zur Beschreibung CampanienS über. WaS will ich aber dich durchauß von allen Ecken, Campanien, befehn? Ein jedes Orth und Flecken Hat seine Lust für sich. Zwar Welschland, gibt man zu, Ist aller Erven Zier, deß Welschen Landes du. Der Himmel lacht dich an, die Lüffte, so hier streichen, Sind nimmer ungesund; hier will noch Ceres weichen, Noch Bacchus; jene rühmbt ihr Korn, der seinen Wein, Und Flora heisset es zwey mal hier Frühling seyn, Beblümet zwier vas Feldt. Kein Meer ist mehr bebawet, Kein Hafen weit und breit wird schöner nicht geschawet, AlS umb Cajeta her, umb den Misener Strandt, Und wo Anchisen Sohn deu Weg zur Höllen fand, Durch stilles Finsternüß geführet von Sibyllen; Auch wo das Römer-Volck der schönen Bäder willen In voller Ueppigkeit die lange Zeit vollbracht, Und selbst der Hannibal verlohrm seine Macht Durch Laster, nicht durch Krieg. An Püschen zwar und Wilde Sind viel Gebierge reich; hier stehn die Weingeglde, Der edle MasficuS, daS fruchtbare Surrent Und GauruS, welchen Pan für allen Klippen kennt, Wo offtmahlS NereiS bey stiller Nacht gegangen Und in ein Rebenblat die Threnen auffgefangen Für Liebe, die ste trug, und etwan Galathee Den wllden Satyren nechst dem Lucriner See Durch List entgangen ist; jedoch wird zugegeben, ES sey VesuviuS für allen zu erheben, Mein Zweck VesuviuS. Für seinm Augen her, An seinen Wurtzeln schier fleußt daS Tyrrhener Meer, In welchem Prochyta und Pithecusa stehen Und NefiS, wo die Lufft fast schädlich pflegt zu gehen, Die Ziegen -Insel auch, da jener Keyser saß Und sein betrübtes Brod mit Furcht und Zittern aß, Bloß auS Gewissens Angst, zum Spiegel der Tyrannen, Die erstlich gute Leut', hernach fich selbst verbannen, Seynd aller Menschen Schmach und müssen blutig hin Nach kurtzer Grawsamkeit zur CereS Eydam ziehn. Noch naher lieget ihm NeapoliS die schöne, Parthenope genandt vom Grabe der Sirene, Da wo SebethuS rinnt, und wo nicht weit darvon DaS reiche Vorwerck stund, gebawt vom Pollion, PaufllypuS genandt; auch Maro wolte wissen Hier seine TodteS-Grufft bey dieses BergeS Füssen, Der, fnlchtbar umb und an, in schönen Wiesen liegt,

Martin Opitz. Der Vieh und Früchte hegt und kühlen Schatten kriegt Mit einer Men Lust von seine- Weine- Rebey, Dem alle Zeiten her da- gute Zeugnuß geben, Ihm gehe nicht- zuvor. Der Musen Sommer-Haust, Parnaffus, steckt wie er zwey hohe Spitzen auß Und raget in die Lufst. O daß doch alle Gaben Der gütigen Natur so viel Gebrechen haben, So mißlich allerseits und unvollkommen find. Der Erden beste Lust verrauchet als ein Wind Und geht geflügelt durch, da- Unglück aber wachet, Eh' als da- Glücke schläfst; da- Thier, so Honig machet, Ist bey der Süsstgkeit deß Stachels nimmer frey; Wo eine Rose blüht, da steht ein Dorn darbey. Zum ersten wann der Berg zu wüten angefangen, Und welche Zeit die Glut vor AlterS auffgegangen, Zeigt kein Gelehrter an; es ist auch nicht mein Ziel, Daß ich die grosse Brunst allhier erzehlen will, So da entsprungen ist, wie Titus hat regieret, Darvon die Asche ward in Afrtca geführet Und in Egypten hin; man schreibet nach und nach, Wie grimmig offt und viel die schwere Fewerbach Herfür gebrochen sey: Wir müssen näher kommen; Der bleiche Monde hat eylffmal erst abgenommen Und newe Hörner kriegt, seit daß der heisse Grund Sein Fewer werffen ließ den auffgesperrten Schlundt. Die Welt liegt unbesorgt, mit sanffter Ruh umbgeben, Als alles Landt umbher beginnet zu erheben Sich selbst und waS eS trägt; eS giebt der grossen Last Mit Furcht und Zittern nach; daS arme Bolck verblast, Der Häuffer Rücken bebt, die See wird auch erreget, Bis daß Aurora kompt noch bleicher, als fie Pfleget, Und ihren weiffen Zug fast hinter flch last gehn, Dieweil fle umb den Berg steht eine Wolcken stehn, Dardurch ihr heller Glantz mit allen seinen Strahlen Zu dringen nicht vermag, noch weiter- weiß zu mahlen DaS gantz betrübte Keldt. Der Nächte Mittag macht Die Wiesen nie so schwartz, wann de- Gestirne- Pracht Im dicken Nebel stecket, als dieser Dampff flch zeiget, Der wie ein Fichtenbaum hoch von der Wurtzel steiget Und spreitet flch al-dann mehr weit al- höher fast Mit dicken Aesten auß, dieweil der Aschen Last Sich in die Breyte gibt. Bald kömpt ein solches Krachen, Al- wann der Jupiter mit Donner in die Sachen Der schnöden Menschen schlägt, daß aller Grundt der Welt Erzittert, oder auch im Fall ein kühner Heldt, Der für die Freiheit steht und seine grosse Thaten Auff gute Sache Pflantzt. mit fewrigen Granaten Ergrimmet umb flch wirfft und zwinget eine Statt, Die noch an Billigkeit der Waffen Zweiffel hat, Zu glauben, waS ihr dient. Die Hitze bricht zusammen Durch eine rauhe Bahn mit ihren wilden Flammen, Wirfft schrecklicher Gestalt deS Berges Glieder auß Und jaget mit Geschrey' biß an deß Himmel- Hauß Den stinckichten Morast, von dessen schwachen Sande, Der Pech unnd Schwefel hält, kein Orth im gantzen Lande Sich frey und flcher weiß. E- springet auch ein Fluß Deß Fewer- auß der Klufft, dem alles weichen muß, Indem er seinen Lauff in fleben Sttöme theylet Und dem Gestade mit heiffem Rauschen eylet, Daß Thal und Hügel brennt) der Acker wird verheert,

n

80

Marli» Vpitz DaS Vieh, so weydm will, von Flammen selbst verzehrt, Die Gräser Hew gemacht, die Schatten-reichen Wälder Vom Grunde fortgeführt, und die Phlegreer-Felder Sindt nichts als lauter Glut; das alte Herculan, Das lustige Castell, genandt Octavian, Viel Flecken voller Frucht und Dörfer stehn im Branve, Die Wässer fürchten sich und fliehen von dem Lande. Das Volck, so nicht erstickt und gar wird fortgerafft, Kompr Athemloß daher, beraubet aller Krafft, Lahm, nackend und halb todt und füllt mit Wehe und Zagen Den gantzen Himmel an, der gleichsam mit ihm klageil lind auch sich kümmern muß. Wie etwan ein Soldat, Wann daß er Feind und Todt für seinen Fäusten har, Und ihm der blinde Staub gleich under Augen stehet, Erhitzet Fewer giebt, und da er meynt, er gehet Indessen auß Gefahr, so rennt er mehr hinein: Nicht anders laufen sie auch über Stock und Stein, Von Angst und Asche blind. Der giebst seinen Wänden, So brennen, gute Nacht; der reißt mit beyden Händen Den armen Vatter fort, der, nunmehr alt und schwach, Gar kaum zu folgen weiß und zeucht den Stab hernach; Der kan sein trewes Weib und Kinder nicht verlassen, Und jeglicher bemüht mit sich etwas zu fassen, DaS ihm für allen lieb; doch folgt der Raub nicht gar, Und mancher kompt durch Geitz in Jammer und Gefahr, Bleibt selber, wo sein Geldt. Die Glut muß aber weichen Dem, den der Himmel liebt; sie giebet fast ein Zeichen Der Gunst zur Gottesfurcht. So ward für dieser Zeit Der frommen Brüder Par für Etna auch befreyt, Die, als die andern zwar ihr Golt und Güter trugen, Der Eltern süsse Last umb ihre Schultern schlugen, Das Reichthumb ihrer Pflicht. O eine schöne Wahr! Der Mutter krummer Halß, deß Vattern graweS Haar, Ein Fewer wahrer Trew, versichert für dm Flammen! Wohin sie beyde gehn, da lausten sie zusammen, Sind schamroth, ihnen nur zu thun ein kleines Leyd, Und machen freye Bahn. Wie ist die Frömmigkeit Dem Menschen fort und fort sein bester Schirm unnd Schatten' Indem die Felder nun mit Pech unnd Schwefel braten, Die Lufft im Fewer steht, die Püsche hin und her Zu Grundt' und Boden gehn, und daS bestürzte Meer Die Wellen in sich schluckt, in dem deß NachtS die Sternell, Die Sonn' im Tage zagt, steht alle Welt von fermen Und weiß nicht, wessen sie nunmehr gewertig sey. Nach vieler Meynung ruckt der grosse Tag herbey, An dem der höchste Vogt soll Recht und Urtheil hegen. Viel haben diesen Wahn, eS sey der Fewer-Regen, Der auß den Wolcken her viel Stätte hat verzehrt Wo jetzt noch der Gestanck deß Asphaltites wehrt, Den Wildt und Vogel fleucht, dm keine Lufft beweget, Der selber weder Fisch noch Frucht am Ufer träget Und nur das Pech gebiehrt, auß welchem man erkiest, Wie Gott daS Laster strafft, das nicht zu sagen ist. ES ist daS arme Volck im Zweiffel aller Sachen; Man sieht gantz Stabia, Salem und Nola wachen, Es bebet Capua; die Königin der See, Deß Lande- bester Ruhm und Ziehr, Parthenope, Vermeinet durch dm Plitz und Donner zu zersplittern -. Die Thiere fürchten sich; deß Volkes Hertzen zittern. Der klagt der seiuigen und jener frembde Noch,

SI

Martin Opitz. Viel wünschen ihnen auch auß Todte-angst dm Todt Und sehen, waS nicht ist. Der allermeiste Haussen Kompt auff die Tempel zu mit Heister Brunft gelausten, Sagt seine Sündm auff, spricht theile- etwa- an, Da- selbst im Feuer steht unv wenig rhaten kan, Und theüe- weiß den Sinn doch bester zu erhöhen Zu dem, der einig hilfft. So pflegt e- her zu gehm: Wann böser Zustand ist, da nimbt man Gotte- wahr; Wo gute- Glücke wohnt, raucht selten ein Altar.

Der Dichter fuhrt nun die verschiedenm Meinungen an, welche man über die Ur­ sachen de- AuSwurfs de- Vesuv- hat, und läßt fich darüber sehr weitläufig au-. Dann fragt er, was vieser neue Auswurf de- Vesuv- zu bedeuten habe, und erklärt sich dahin, daß dadurch der AuSbruch de- dreißigjährigen Kriege- angedeutet worden sei, unv schließt mit einer Aufforderung zur Eintracht an die Deutschm.

AuS dem Französischen übersetzte Opitz: „von der Welt Eytelkeit," worin die Nich­ tigkeit aller welllichen Freuden in 25 Strophen geschildert wird. Zur Probe diene die 22ste. Welt kan einem Baume gleichen, Dessen starcke Wurtzeln reichen Biß zur Hölleu, der fie dimt. Ihre Blätter find begrünt, Ihre Blüt' ist wol geziehret, Ihre Frucht folgt auff der Flucht. Ihre Blüte die gebieret Lust, und Schmertzen ihre Frucht.

Au- den Oden, Liedern und Sonettm folgende Proben:

Ich empfinde fast ein Grauen, Daß ich, Plato, für und für Bin gesessen über dir; Es ist Zeit, hinauß zu schauen Und fich bey dm frischen Quellen In dem Grünen tu ergehn, Wo die schönen Blumen stehn Und die Fischer Netze stellen.

Hola! Junger, geh' und frage, Wo der beste Trunck mag seyn, Nimb den Krug und fülle Wein. Alle- Trauren, Leid und Klaae, Wie wir Menschen täglich haben, Eh' un- Clotho fort gerafft, Will ich in den süssen Safft, Den die Traube gibt, vergraben.

Wozu dienet das Studieren, Als zu lauter Ungemach? Unterdessen laufst die Bach Unsers Lebens, da- wir führen, Ehe wir es inne werden, Auff ihr letztes Ende hin, Dann kömpt ohne Geist und Sinn Diese- alles in die Erden.

Kaufte gleichfal- auch Melonen Und vergieß de- Zucker- nicht; Schaue nur, daß nichts gebricht. Jener mag die Heller schonen, Der bey seinem Gold und Schätzen Tolle fich zu krencken pflegt Und nicht satt zu Bette legt: Ich wil, weil ich kan, mich letzen.

Bitte meine gute Brüder Auf die Mufic und ein Glaß; Kein Ding schickt sich, dünckt mich, baß, Al- ein Trunck und gute Lieder. Laß ich schon nicht viel zu erben, Ey, so hab ich edlen Wein, Wil mit andern lustig seyn, Wann ich gleich allein muß sterben.

JmnotD’d deutsch. Ged. Samml.

6

82

Andreas Tfcherning.

Die Sterne. Jetzund kömpt die Nacht herbey, Vieh und Menschen werden frey, Die gewünschte Ruh geht an; Meine Sorge kömpt heran.

Zweene mangeln überall An der schönen Sternen Zahl. Diese Stemm, die ich mein, Ist der Liebsten Augenschein.

Schöne gläntzt der Mondenschein Und die gülven Sternelein; Froh ist alles weit und breit, Ich nur bin in Traurigkeit.

Nach dem Monden frag' ich nicht, Tunckel ist der Stemm Licht, Weil sich von mir weggewenvt, Asteris, mein Firmament.

Wann sich aber neigt zu mir Dieser meiner Sonnen Ziehr, Acht' ich es das beste seyn, Daß kein Stern noch Monde schein.

Gottesfurcht. Wer Gott daS Hertze giebet, So nie flch von ihm trennt, Und eine Seele liebet, Die keine Falschheit kennt; Der mag ohn Sorgen wachen, Mag schlaffen, wie er will, Weil seine rechte Sachen Sehn auff ein gutes Zieht.

Laß böse Zungen sprechen, Was ihnen nur gesellt; Laß Neidt unv Eifer stechen, Laß toben alle Welt: So wird er dennoch machen, Was sein Gemüte will, Weil seine rechte Sachen Sehn auff ein gutes Zieht.

Ich lege Neid und Hassen Bestendig unter mich Und stelle Thun und Lassen O Gott, allein auff dich; Du wirst es alles machen, Thun, was mein Hertze wil, Weil seine rechte Sachen Sehn auff ein gutes Zieht.

Andreas Tscherning. (Aus dem 7ten Bande von W. Müller'» Bibliothek deutsch. Dicht, k. 17tvn Iabrb.)

Lob der Musik. 2öer ungereget Die Sinnm träget, Wann Künstler fingen Und Saiten klingen, Ist taub an Ohren Und Francs geboren. Weil sonst sich reget, WaS Sinnen träget. Gott will durch Singen Und Saitenklingen Nicht nur auf Erden Gerühmet werden; Man soll ihn oben Auch also loben: Da wird das Singen Viel schöner Hingen.

Mehr Lust für Ohren Ist nicht geboren; Sie treibt vom Herzen Verdruß und Schmerzen, Kann Eifer dämpfen, Giebt Muth zu kämpfen, Macht durch die Ohren lind neu geboren. Was hier sich reget Und Athem träger, Heißt David singen Er heißet klingen Vor Gottes Ohren, Was je geboren, Weil er gereget Dran Liebe träget.

Andreas Gryphius. (Aus dem 2ten Baude vcu W. Mülter's Bibliothek d. Dichter d. L7te» Jahrh.)

Unbestand des Glucks. (Reihen der Höflinge aus dem Trauerspiel: Leo ArmeniuS.) ö du Wechsel aller Dinge! Arme, sucht doch hoch zu steigen! Immerwährend' Eitelkeit! Eh' der Ruhm euch recht erblickt, Läuft denn in der Zeiten Ringe Müßt ihr Haupt und Augen neigen, Nichts mit fester Sicherheit? Und der Tod hat euch bestrickt. Gilt denn Nichts, als Fall und Stehen, Nichts, denn Krön' und Henkerstrang? Ist denn zwischen Tief' und Höhen Kaum ein Sonnenuntergang?

Pocht, die ihr die Welt erschüttert, Pocht auf eurer Waffen Macht! Wenn die Luft was 2) trübe wittert, Wird die schwache Faust verlacht.

Ewig wandelbare- Glücke, Siehst du keine Szepter an? Ist denn Nichts, das deinem Stricke Auf der Welt entgehen kann?

Dem Metalle zugeflossen, Dem der TaguS Schätz' anbot, Bat oft, eh' der Tag geschlossen, Um ein Stücke schimmelnd Brodt.

Sterbliche, waS ist dieß Leben, AlS ein ganz vermischter Traum? DaS, was Fleiß und Schweiß uns geben, Schwindet, als der Wellen Schaum.

Schöne, die schneeweißen Wangen, Die die Seelen nach sich ziehn, DeS Gesichtes edleS Prangen Heißt ein schlechter Frost verblühn.

Fürsten, Götter dieser Erden, Schaut, was vor euch knieen muß! Ost, eh' es kann Abend werden, Kniet ihr unter fremdem Fuß.

Indem wir die Jahre zählen Und nach hundert Ernvten sehn, Muß eS an der Stund' und fehlen, Elotho ruft, es sei geschehn.

Auch ein Augenblick verrücket Euern und der Feinde Thron; Und ein enges Nun, das schmücket, Die ihr haßt, mit eurer Krön'.

Zimmert Schlösser, baut Palläste, Haut euch selbst auS hartem Stein! Ach, der Zeit ist nichts zu feste — WaS ich bau', bricht Jener ein.

Ihr, Sich Wie Daß

Nichts, Nichts ist, das nicht noch heute Könnt' in Eil zu Trümmern gehn, Und wir, ach, wir blinden Leute, Hoffen für nnd für zu stehn!

die mit gehäuftm Ehren ein Fürst verbunden macht, bald kann man von euch hören, ihr in die Ketten bracht l)!

Ein S o n e t t. Einsamkeit. In dieser Einsamkeit der mehr denn öden Wüsten, Gestreckt auf wiloes Kraut, an der bemooßten See, Beschau' ich jenes Thal und dieser Felsen Höh', Auf welcher Eulen nur uud stille Vögel nisten. Hier, fern von dem Pallast, weit von de- PöbelS Lüsten, Betracht' ich, wie der Mensch in Eitelkeit vergeh', Wie auf nicht festem Grund all unser Hoffen steh', Wie die vor Abend schmähn, die vor dem Tag unS grüßten. Die Höl', der rauhe Wald, der Todtenkopf, der Stein, 1) gebracht seid.

2) etwas, ein wenig.

Zacharias |unM.

84

Den auch feie Zeir rerftißt, die abgezehrten Bein' Entwerfm in dem Muth unzählige Gedanken. Der Mauern alter GrauS, dies ungebaute Land Ist schön und fruchtbar nur, der eigentlich erkannt3), Daß Alles, ohn' ein Geist, den Gott selbst hält, muß wanken

Ein Epigramm. Betrachtung der Zeit. Mein find die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen ; Mein find die Jahre nicht, die etwa möchten kommen . Der Augenblick ist mein, und nehm' ich den in Acht, So ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.

Zacharias Lundt. (Die Ausgabe, nach der die folgenden Gedichte abgedruckt sind, Zachariae Lundii Allerhand artige deutsche Gedichte, Poemata.

führt den 2itel: Leipzig 1636.)

Ein Chor aus der Schäfer-Comoedie Dteromene. ^Ehet weiden, Schäfflein gehet, Da der süsse Westwind wehet, Da die beste Wiesen seyn, Vnd daS Wasser klar als Wein.

Ihr mögt ftey durch Felder reysen, Süsse Sommerklee abbeissen, Phylar ist der kühne Held, Der euch sichern Paß bestellt.

Da die kühlen Bäche fliesten, Vnd flch ober Feld ergieffen: Kühlet euch, versäumt eS nicht, Weil die Sonn am Mittag sticht.

Wann jhr auff dem Abend sehet, Daß der HesperuS auffgehet, Sucht den Ort, den für die Nacht Euch der Schaffer hat gemacht.

Gehet Schäfflein an der Seiten, Wo euch ewer Lust mag leiten, Gehet Schäfflein, weil ihr heut Sicher für dem Wolffe seyd.

Traget aber volle Dütten, Süsse Milch mir außzufchütten: Auff, vnd suchet ewre Lust, Bringet aber volle Brust.

Bog elfrey. ALS der Vogel, der dem Bogen Vnd dem Tode ist entflogen, Da der Vogler auff seim Heerd Ligt vnd lauret, pfeifst vnd finget, Biß er fie in- Netze bringet, Als jhn die Erfahrung lehrt ;

Also nun ich auch entbunden, Frey und heyl von Liebeswunden, Sing vnd sag ich nur von Frewd. Weis von sorgen weder zagen, Weder Seufftzer weder Klagen, Weder Furcht vor fernerm Leid.

Schwingt fich in die hohe Lüfften, Dann durch Wälder, dann durch Klüfften, Dann auff einen grünen Ast, Vnd bald vnter fich auff Erden Andre sieht gefangen werden, Singt von erst entgangner Last.

Weg Cupido, Gallen Schencker, Weg du blinder Hertzen Hencker, Nun ich einmal ledig bin, Nun ich ftey von LiebeS Bänden, Solt du mich nicht mehr verblenden. Noch verleiten meinen Sinn.

3) für den, der wahrhaft erkannt hat.

¥*nl fitmrnmg. Wirff frey vo» dir drin« Srtlr, Deinen Bogen, deine Pfelle, Deine Köcher brich entzwey, Deine Fackel leg jetzt nieder, Geh vnd komm mir nimmer wieder, Ich bin ftoh, daß ich bin frey.

85

Danck Hai alle- sawer sehen, Danck hab alle- Hönisch schmehm, Danck hab jhr verhärte« Hertz, Danck hab alle« shöttisch sprechen, Danck hab alle« heimlich stechm, Daß gemindert ist mein Schmertz.

Hette fle mich nicht betrübet, Bnd mich, wie ich sie, geliebet, Wer fie nicht so hart gewest, Hette fie mich fing« verbunden, Seß ich heut zu dieser Stunden Zn der Noth noch eben fest. Diese beiden Gedichte find mit der Interpunktion de« Original« abgedruckt.

Paul Flemming. (Nach der Ausgabe: Geist- und Weltliche Poemata Panll Flemmings Med. D. et Poet. Laur. Caes. In Verlegung Martin Müllers Buchh. in Naumburg. Jena gedruckt bei Georg Sengenwalden 1666.)

D i e

Treue.

§3n getreues Hertze wissen, Hat des höchsten Schatze- Preist. Der ist seelig zu begrüffen, Der ein treue- Hertze weiß. Mir ist wol bey höchstem Schmertze, Denn ich weiß ein treues Hertze.

Gunst die kehrt sich nach dem Glücke, Geld und Reichthum da- zersteubt. Schönheit last un- bald zurücke, Ein getreues Hertze bleibt. Mir ist wol bey höchstem Schmertze, Denn ich weiß ein treue- Hertze.

Läufft da- Glücke gleich zu zelten, Ander- al- man will und meint, Ein getreue- Hertz' hilfft streiten Wieder alle-, wa- ist feind. Mir ist wol bey höchstem Schmertze, Denn ich weist ein treues Hertze.

Ein- ist da seyn, und geschieden, Ein getreue- Heiche hält, Giebt stch allezeit zuftieden, Steht auf, wenn e- nieder fällt. Ich bin froh bey höchstem Schmertze, Denn ich weiß ein treue- Hertze.

Sein Vergnügen steht alleine Zn de- andern Redligkeit. Hält de- andern Noth für feine Weicht nicht auch bey böser Zeit. Mir ist wol bey höchstem Schmertze, Denn ich weiß ein treue- Hertze.

Richt- ist süssere-, al- zwey Treue, Wenn sie eine- worden seyn. Diß ist-, daß ich mich erfreue, Und fie giebt ihr Za auch drein. Mir ist wol bey höchstem Schmertze, Denn ich weiß ein treue- Hertze.

Das 17tc Sonett des Isten Buches. Hephata. Ach! Ach! Ohr, Daß

sprich e- auch zu mir, dein kräfftigS Thu dich auff, sprich eS auch zu mir. Denn mir auch find verschlossen Augen, und der Mund. Viel Zeit ist hin verflossen, ich so elend bin. Die Welt hat viel zu Kaufs',

86

Simon Wach Ich folge was sie räch, und wird nur ärger drauff. So lebt mein krancker Leib mit seinen Hauß-genossen, Zu allem Wercke laß, zu allem Thun verdrossen. Muff ein Ding nur behertzt, zu enden seinen Lauff. Isis seelig, daß mir noch auf dieser bösen Erden O Mm, durch deine Hand soll außgeholffen werden, So zeuch mich nicht mehr auff. Hilff diesem Uebel ab. Nim mein Beschweren hin, nach dem mein Geist so wacht. Thust du's, so soll dein Lob auch ruffen aus mein Grab: Der alles machet wohl, hat mirs auch wohl gemacht. Die beiden verfichenden Gedichte find mit rer Interpunktion dcö Originals abgedruckt.

Chor der Moskauischen Nymphen auff eines guten Freundes Geburts - Taa. Wohl dir! aller Freunde Freund, Dem iyt seine Sonne scheint, Dem U'ir diese Blumen binden, Dem wir diese Schlingen winden, Dem wir diesen Tag begehn, Komm Herfür, komm hieher stehn, Hieher, da wir Nymfen jchertzen, Da sich Hirt' und Schäffrin hertzcn, Da die Buhlerischen Winde, Bald gelinde, bald geschwinde Ihre leichten Flügel schwingen, Da sich Schaaff üm Schaaffe dringen, Da die Erde, See und Lufft Laut in einem Ruuffen mufft: Lange lebe dieser Freund, Dem itzt seine Sonne scheint!

Soviel Tropffen der Regimen, Soviel durch gantz Reupland Bienen, Soviel Schritte Moßkau weil, Soviel mann da Klocken läut, Soviel mann in Jahres Frist Lauch und Wein da trineft und isst; Soviel hundert schöner Tage, Soviel tdufnlb Lust ohn Klage, Soviel hundert tausend Freuden Olme das geringste Leiden, Müsse der allzeit empfinden, Dem wir diese Blumen binden, Dem wir diese Schlingen winden, Dem itzt seine Sonne scheint, Der ist aller Freunde Freund.

Grab schrisst. Freund, was du liesest hier von mir, Hab' ich von andern offt gelesen. So wird man lesen auch von dir; WaS du bist, bin ich auch gewesen. Bekannt ist von Paul Flemming das schöne geistliche Lied: „In allen meinen Thaten."

Simon Dach. (Herrn von HcffmannSwaldau und anderer Deutschen außerlesene Gedichte. Leipz. 1697. 7 Tt'lc.)

D ie Freundschaft. ©er Mensch hat nichts so eigen, So wohl steht nichts ihm an, Als daß er Treu erzeigen Und Freundschaft halten kann, Wann er mit seines Gleichen Soll treten in ein Band, Verspricht sich, nicht zu weichen, Mit Herzen, Mund und Hand.

Die Red' ist unS gegeben, Damit wir nicht allein Für uns nur sollen leben Und fern von Menschen sein. Wir sollen unS befragen Und sehn auf guten Rath, DaS Leid einander klagen, So uns betreten hat

S«to«-n von Volan. WaS kann die Freude machen, Die Einsamkeit verhehlt? DaS gibt ein doppelt Lachen, WaS Freunden wtrv erzählt. Der kann sein Leid vergessen, Der eS von Hertzen sagt, Der muß stch täglich fressen, Der in Geheim sich nagt.

Gott stehet mir vor Allen, Die meine Seele liebt; Dann soll mir auch gefallen, Der mir fick herzlich gibt. Mtt diesen Bund-gesellen Verlach' ich Pein und Noth. Geh' auf den Grund der Höllen Und breche durch den Tod.

Ich hab', ich habe Hertzen, So treue, wie gebührt, Die Heuchelei und Scherzen Nie wissentlich berührt! Zch bin auch ihnen wieder Von Grund der Seele hold Und lieb' euch mehr, ihr Brüder, Als aller Erden Gold.

Die Vergnügung. Wohl dem, der stch nur läst begnügen Daran, waS ihm auf Gottes Gunst DaS Glück ohnfehlbar zu muß fügen, Und nehrt stch redlich seiner Kunst: Ein ander halt auf Geld und Guth, Ich liebe Kunst und fteyen Muth.

Muß gleich die Kunst nach Brodt jtzt gehen, Wie man von ihr verächtlich schwatzt, So will ich dennoch bey ihr stehen, Well ste mich inniglich ergeht. Ein ander halt auf Geld und Guth, Ich liebe Kunst und fteyen Muth.

Giebt ste mir nicht viel Goldes-Tonnen, So macht ste mich doch besser satt, Als den sein Geld, der viel gewonnen Und Herr nicht ist deß, waS er hat. Ein ander halt auf Geld und Guth, Ich liebe Kunst und freyen Muth.

Wenn mir der Höchste das nur giebet, WaS mir zu leben nöthig ist, Und eine Seele, die mich liebet Und mich vor allen auserkiest; So lieb' ich über Geld und Guth Sie und die Kunst' und fteyen Muth.

An merk. Fünf Verse aus der Mitte, die denselben Gedanken noch weiter ausspinnen, habe ich fortgelassen.

Im Berliner Gesangbuch stehn von S. Dach: „O wie selig seid ihr doch" (No. 780) und „Ich bin ja, Herr, in deiner Macht," (No. 737) jedoch etwas verändert. NB. Von Heinrich Albert ist das schöne Kirchenlied: „Gott des Himmels und der Erden" (No. 796. des Verl. Ges.)

Salomon von (9oI,

Eh du in Bosheit willigest. Ehr', Ueberfluß und Pracht ist Tand ; Ein ruhig Herz ist unser Tbeil. Durch diese DenkungSan, mein Sohn, Ist unter lauter Freuden nur Das Haar verbleichet. Und wiewohl Ich achtzigmal bereits den Wald Um uusre Hütte grünen sah, So ist mein langes Leben doch, Gleich einem heuern Frühlingstag', Vergangen, unter Freud' und Lust. — Zwar hab' ich auch manch Ungemach Erlitten. Als fcem Bruder starb, Da flössen Thränen mir vom Aug', Und Sonn' und Himmel schien mir schwarz Oft auch ergriff mich auf dem Meer Im leichten Kahn der Sturm und warf Mich mit den Wellen in die Luft; Am Gipfel eines Wafferbergs Hing oft mein Kahn hoch in der Luft, Und donnernd fiel die Flut herab, Und ich mit ihr. Das Volk des MeerS Erschrak, wenn über seinem Haupt Der Wellen Donner tobt', und fuhr Tief in den Abgrund; und mich dünkt', Daß zwischen jeder Welle mir Ein feuchtes Grab sich öffnete. Der Sturmwind tauchte dann ins Meer Die Flügel, schüttelte davon Noch eine See auf mich herab. Allein bald legte sich der Zorn Des Windes, und die Luft ward hell, Und ich erblickt' in stiller Flut Des Himmels Blld. Der blaue Stör Mit rothen Augen sahe bald Aus emer Höhl' im Kraut der See, Durch seine- Hause- gläsern Dach; Und vieles Volk de- weiten MeerS Tanzt' auf der Flut im Sonnenschein; Und Ruh und Freude kam zurück In meine Brust. — 3tzt wartet schon DaS Grab auf mich. Ich fürcht' e- nicht. Der Abend meine- Lebens wird So schön, als Tag und Morgen seyn.-----O Sohn! sey fromm uud tugendhaft; So wirst du glücklich seyn, wie ich, So bleibt dir die Natur stets schön.

Z-tzima Wichet»« #Wg «leim. Der Knabe schmiegt' sich an den Arm Irin- und sprach: Nein, Vater! nein» Du stirbst noch nicht; der Himmel wird Dich nach erhalten, mir zum Trost! Und »Me Thränen stoffen ihm Vom Aug'.-------- Indessen hatten sie Die Reusen au-gelegt. Die Nacht Stieg auö der Ser, fie ruderten Gemach der Heimath wieder zu.--------

127

Irin starb bald Sein ftommer Sohn Drwetm' ihn lang', und niemal- kam 3hm dieser Abend au» dem Sinn. Ein heil'ger Schauet überfiel Ihn, wann ihm seine» Vaters Bild Vor» Antlitz ttat. Er folgete Stet» dessen Lehren. Segen kam Auf ihn. Sein lange» Leben dünkt' Auch ihm Ein Frühlingstag zu sehn.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim. (I. W. L. Gleims sämmtliche Werke', herauSg. v. W. Körte.

Halberstadt 1811 u. 12. 7 Bde.)

Anakrcontische Lieder. Die Brüderschaft. O ihr bösen

Komm, du zarte, Weiße Freude, Komm und werde Meine Schwester! Komm und trinke Mit den Brüdern!

Schwarzen Sorgen, Laßt mich scherzen, Laßt mich lachen! Schwärmt, ihr Sorgen, Ueber'» Meer hin Zu den Mohren; Ihr seid schwärzer, Denn die Mohren!

Befehl an die Erben. 1749. Es Um Ich Im Um

lassen sich die tobten Fürsten balsamiren, desto länger todt zu sein; balsamire mich mit Wein Leben ein, desto länger lebendig zu sein!

An die Freude. Kind de» Himmels, Freude, komm! Komm herab aus deinem Himmel, Komm herab, wie Engel fromm, Komm herab in'S Weltgetümmel!

Komm in jede« Menschenherz! Blicke, wie de» Tiger-, werden Dir verschwinden; Lieb' und Scherz Dich begleiten hier auf Erden.

Ach, seit du geflohen bist, Ist die Erde voll von Buben. . Voll von Trug und Hinterlist, Voll von Mord und Mörvergruben!

Tausende von un» find krank, Krank am Herzen; komm und heile! Fürsten sollen mit Gesang Dich empfangen: Komm und eile!

Kind des Himmel», Freude, komm, Komm herab und mach' auf Erden Alle böse Menschen fromm, Daß sie wieder ftöhlich werden!

128

Johann Wilhelm ftttotg Gleim.

Triolette. Gebt mir Blumen, gebt mir Kränze, Bin ich gleich ein alter Manu! Ich bin freudig aller Tänze! Gebt mir Blumen, gebt mir Kränze, Daß ich alle Freudentänze Mit den Musen tanzen kann! Gebt mir Blumen, gebt mir Kränze, Bin ich gleich ein alter Mann!

Ein Triolet soll ich ihr fingen? Ein Triolet ist viel ru klein, Ihr große- Lob hineinzubringen! Ein Triolet soll ich ihr fingen? Wie sollt' ich mit der Kleinheit ringen, ES müsst' ein großer Hymnus seyn! Ein Triolet soll ich ihr singen? Ein Triolet ist viel zu klein!

Ich kann ein Triolet nicht singen, DaS Triolet ist mir zu klein, Verstand und Geist hineinzubringen! Ich kann ein Triolet nicht fingen! Franzosenwitz geht nur hinein; Ich mag im deutschen Musenhain, Zch kann ein Triolet nicht fingen, DaS Triolet ist mir zu klein!

Frühlingslied. Der liebe Frühling kommt auf uns're Fluren wieder, Bekränzt mit einem Veilchenkranz! Ihr, Singevögel, auf, fingt ihm die besten Lieder! Ihm tanze, Landvolk, Freudentanz! Die Ziegenheerde hüpft, die jungen Lämmer spielen Um ihre Mütter, und der Hirt Lebt auf und fühlt, wie fie die schöne Hoffnung fühlen, Daß alles Todte leben wird! O laßt uns freudig ihm, dem Gott der Freude, fingen. Dem Gott der Freude, welcher macht, Weil er die Menschm liebt, daß uns're Lämmer springm, Daß uns're Wiese wieder lacht! O laßt uns preisend heut' in alle Töne stimmm Der ihn -efingenden Natur! Auf, uns're Seele mag in Frühling-freuden schwimmen, Hier auf der neubelebtm Flur!

M«tn «llhel» fWe ein«.

12t

Von Gleim'S Fabeln und Erzählungen mögen hier stehen.

Der Wolf und die Ziege. Mus eines Felsen steiler Höh', Die weder GraS noch fetten Klee Dem Hungrigen zur Speise gab, Stand eine Ziege. „Jtomnt herab, „Du Kleine, Schlanke, Liebliche!" Rief Räuber Wolf zu ihr hinauf; „WaS stehst du doch da oben drauf? „Dort triffst du keinen guten Fraß; „Hier unten wächf't so schönes GraS; „Auch stehn an kleinen Wasserfällen

„Diel junge Bäumchen abzuschatten' „Jtomm, Liebliche!" — „Herr Wolf, ste sind „Fast allzugutig! Geben ste „Sich aber doch nur keine Müh „Um meinen Magen! denn ich bin „In Wahrheit keine Schmauserinn! „Ich halr eS mit gesunden Krautern „Und mag mit fettem GraS und Klee „Nicht eben meinen Leib erweitern! „Ich klettte gern! Herr Wolf, Adieu!"

Die Eiche und der Kürbiß. Sohn, mit Weisheit und Verstand Ordnete des Schöpfers Hand Alle Dinge. Sieh umher! Keines steht von ohngefähr, Wo es steht! DaS Firmament, Wo die große Sonne brennt, Und der kleinste Sonnenstaub, Deines Athemö leichter Raub, Trat, auf unsers Gottes Wort, Jegliches an seinen Ort. Jedes Ding in seiner Welt Ist vollkommen; dennoch hält Mancher Thor eS nicht dafür Und kunstrichtet Gott in ihr! Solch ein Thor war jener Mann, Den ich dir nicht nennen kann, Der, als er an schwachen Ranken Einen Kürbiß hangen sah, Groß und schwer, wie deiner da, Den du selbst gezogen hast, Den verwegenen Gedanken Hegte: Nein, solch eine Last Hatt' ich an so schwache- Reis Wahrlich doch nicht aufgehangen! Mancher Kürbiß, gelb und weiß, Reih' bei Reih', in gleichem Raum, Hätte sollen herrlich prangen Hoch am starken Eichenbaum!

Also denkend geht er fort Und gelanget an den Ort Einer Eiche, lagert sich Längelang in ihren Schatten Und schläft ein. — Die Winde hatten Manchen Monath nicht geweht; Aber als er schläft, entsteht In der Eiche hohem Wipfel Ein Gebraust; starke Weste Schütteln ihre vollen Aeste; Plötzlich stürzt von dem Bewegen Prasselnd ein geschwinder Regen Reiser Eicheln von dem Gipfel. Viele liegen auf dem Grase, Aber Eine fällt gerade Dem Kunstrichter auf die Nase! Plötzlich springt er auf und steht, Daß ste blutet. Dieser Schade Geht noch an! denkt er und flieht Und bereuet auf der Flucht Den Gedanken, welcher wollte, Daß der Eichbaum eine Frucht, Gleich dem Kürbiß, ttagen sollte. „Traf ein Kürbiß mein Gesicht," Sprach er, „nein, so lebt' ich nicht! „O wie dumm hab' ich gedacht! „Gott Hat Alles wohl gemacht!"

Bekannt sind von Gleim'S Fabeln und Erzählungen: „Der Hirsch, der stch im Wasser steht," „Die Grille und die Ameise," „Das Pferd und der Esel," „Die Berathschlagung der Pferde" und „Die Milchfrau." —

Zinnow's deutsch. Ged. Sammt.

9

130

Johann Wilhelm Ladung Gleim.

Tamerlan und seine Tochter. Die liebste Tochter Tamerlans, DeS Helden, welcher Furcht und Schrecken Um sich verbreitete, hieb eines schönen HahnGeliebter Henne, — die zu wecken, Der Hahn sein häßliches Kikri Hochstehend jeden Morgen schrie, — Sticht dieses harten Schicksals werth, Den Kopf ab mit des Vaters Schwert. Der Vater sah's. „Unschuldigen Geschöpfen „Haut man den Kopf nicht ab," sprach er; „Wer, Henker! lehrte dich des Hahns Gemahlinn köpfen' „Unmenschliche Tyrannin! wer?" „Herr Vater, Sie!"— „Tyrannin, kniee nieder: „Gerechtigkeit muß sein, du bist mir nicht zu lieb'" Der Tochter zitterten, hinknieend, alle Glieder! Der Vater nahm da- Schwert und hieb Den schönsten Mädchenkopf Der liebsten Tochter ab, Faßt ihn bei'm Schopf Und legt ihn sanft in'- Grab Ob wol mit ihrem Blut der große Tamerlan, Der böse Thaten hat gethan, Die Götter tu versöhnen meinte Mit seinen Kriegen und mit sich? „Gerechtigkeit muß sein!" sprach der Barbar und weinte Zwo Thränen bitterlich.

Kriegslieder des preußischen Grenadiers. S i e g e s l i e d nach der Schlacht bei Prag. Den Victoria! mit un- ist Gott, Der stolze Feind liegt da! Er liegt, gerecht ist unser Gott, Er liegt, Victoria!

Und sagte: „Kinder, Berg hinan, „Auf Schanzen und Geschütz!" Wir folgten alle, Mann vor Mann, Geschwinder wie der Blitz.

Zwar unser Vater ist nicht mehr, Jedoch er starb ein Held Und steht nun unser Siegesheer Vom hohen Sternenzelt.

Ach! aber unser Vater fiel, Die Fahne sank auf ihn. Ha! welch glorreiches Lebensziel, Glückseliger Schwerin!

Er ging voran, der edle Greis, Voll Gott und Vaterland; Sein alter Kopf war kaum so weiß, Als tapfer seine Hand.

Dein Friederich hat dich beweint, Indem er un- gebot; Wir aber stürzten in den Feind, Zu rächen deinm Tod.

Mit jugendlicher Heldenkraft Ergriff fle eine Fahn', Hielt fie empor an ihrem Schaft, Daß wir fie alle sahn.

Du, Heinrich, wärest ein Soldat, Du fochtest königlich! Wir sahen alle, That vor That Du junger Löw', auf dich!

Zstzm» MUtzikU» KqD»ig ttlrin.

131

Der Pommer Mb der Märker -ritt Mit rechtem Christen-Muth: Roth ward sein Schwert, ans jedem Schritt Floß dick Pandurenblut.

Und zitterte, ward feuerroth Im krieg'rischen Gesicht, — (Er zitterte für deinen Tod, Für seinen aber nicht.) —

AuS sieben Schanzen jagten wir Die Mützen von dem Dar. Da, Friedrich, ging dein Grenadier Auf Leichen hoch einher,

Verachtete die Kugelsaat, Der Stücke Donnerton, Stritt wüthender, that Heldenthat, Bis deine Feinde flohn!

Dacht' in dem mörderischm Kampf Gott, Vaterland und dich, Sah tief in schwarzem Rauch und Dampf Dich, seinen Friederich,

Nun dankt er Gott für seine Macht Und singt: Victoria! Und alles Blut aus dieser Schlacht Fließt nach Theresia.

Und weigert sie auf diesen Tag, Den Frieden vorzuziehn; So stürme, Friedrich, erst ihr Prag, Und dann führ' uns nach Wien.

Lied nach der Schlacht bei Collin. Den 19. Juni 1757.

„Zurück," rief Vater Friederich, „Zurück," rief er, „zurück." Nachdenkend dacht' er schon bei sich. Gott giebt dem Feinde Glück.

Was für sanftmüth'ge Blickt gab Sein Heldenangeflcht! „Laßt," rief er, „Kinder, laßt doch ab! „Mit uns ist Gott heut' nicht."

Wir aber stürmten noch daS Nest, Wir wollten noch hinan! Wir kletterten, wir hielten fest UnS an einander an

Da ließen wir den blöden Feind In seinem Felsennest. Nun jubelt er; o Menschenfreund! Nun hat er SiegeSfest.

Und sagten dem, der oben stand: „Wie kommen wir herauf?" Und schlugen tapfer Hand in Hand Und halfen unS hinauf.

Wie kann er aber? Brüder, sagt! Er kann ja nicht, fürwahr! Denn haben wir ihn nicht gejagt, So weit zu jagen war?

Da stürzte, von Kartetschensaat Getroffen, eine Schaar Von Helden, ohne Heldenthat, Die halb schon oben war!

Wir stritten nicht mit Roß und Mann, Mit Felsen stritten wir. Hier, Heldenbrüder, bind' er an? Hier, Brüder! sieg' er, hier!

DaS sahe Friedrich. Himmel, ach! Wie blutete sein Herz ; Wie stand bei mitleidsvollem Ach! Sein Auge himmelwärts!

Du Feind! herab in grünes Feld, lind zeige freie Brust Und streit' und sieg' und stirb ein Held! Hier ist zu sterben Lust!

Allein der Blöde wagt sich nicht, Wir mögen lange stehn Und auf ihn warten. Friedrich spricht: „Geht, Kinder! Laßt unS gehn!"

132

Zoh«nn Wilhelm Ladmig Gleim.

Lied an die Kaiserinn-Königinn nach

Wiedereroberung der Stadt Vr esla u. De« 19. December 1757.

Nun beschließe deinen Krieg, Der gerechte Waffen trägt Kaiser - Königinn! Zn's Gefecht mit Dir, Gieb dir selbst den schönsten Sieg! Mit uns kommt und steht und schlägt, Werde Siegerinn! Tapferer als wir; Heldinn, den bezwingst du nicht; Ueberwinde dich und gieb Menschlichkeit Gehör! Gott kann Wunder thun! Habe deine Völker lieb, Schenk' ihm FreudenSangeflcht, Opfere nicht mehr! Biete Frieden nun! Unsern Friedrich, der ein Held, Williger war nie ein Feind, Feinden zu verzechn; Der auch Weiser ist; Der ein Wunder ist der Welt, Schneller nie ein Menschenfreund, Wie du selber bist; Ausgesöhnt zu seyn; Nie ein größ'rer Feind der Schlacht Und der Heldenthat, AlS der Held, der deine Macht Ueberwunden hat! Mar sch lieb. Geflogen kam ein Büchsenschuß Den Braven fing' ich, der noch lebt, Gerad' auf den und traf Der eine That verschweigt, Den Feldherrn nicht! Ein Engel muß Die ihn zum Sitz der Götter hebt ; Mit sagen: da- ist brav! Der keine Wunde zeigt; Genannt nicht seyn will, nicht gelohnt Er aber ging, im Gehn fich kaum Für die verschwieg'ne That, Der edlen That bewusst! Die eine- Lebm- nicht geschont Ging vorwärts ruhig, fühlte kaum Den Todschuß in der Brust! Und ein- erhalten hat. Gott donnerte, da floh der Feind!*) „WaS machst du?" fragte Friederich: .Ich mache, was man macht, Floh aber langsam, floh, .Wenn man heraus, so gut als ich, Wie wenn man umzukehren meint Zum Ehrenfelde, so! .Gekommen auS der Schlacht!" „WaS steht er? Arzt, verbind'er ihn So floh er, und auf seine Flucht Rief Friederich, der Held! Noch trotzend jämmerlich, Uud sah die stolzen Feinde fliehn Noch krank an schwarzer SiegeSsucht, Und sah in'S SiegeSfeld! Schoß er noch hinter fich! Und Friederich, der Feldherr, stand Mein Braver aber schlich fich fort Zum nöthigen Verband In großer Todgefahr, Und dacht' an seines König- Wort An einer holten Felsenwand, Der Brave ward'S gewahr Und dacht' an'S Vaterland! Und trat vor ihn und stellte sich, Und hat nachher in mancher Schlacht, Nah seinem Friederich, Auf seines Herzens Rath, 2ln'S Vaterland noch oft gedacht Still in den Kugelregenstrich Und weniger an fich! Und that die edle That! Mit eine- Kriegeshelden Fleiß Baut' er sein Feld noch itzt! Wie heißt er? Seinen Namen weiß Der Engel, der ihn schützt! ) Schlacht bei vowosih

Johann Wichet« fabmig Vleim.

m

Sinngedichte. Ln Milidot. Ich rktze Gutes nur von bür, Du rrtxft Böse- nur von mir; DergebeaS ist, wa» jeder spricht — Denn fleh, — man glaubt uns Beiden nicht!

Der Witzling. Witz auf Witz, Auf Nicht- gegründet; Blitz auf Blitz, Und keiner zündet!

Unter Alexander- Bild. Er zwang die ganze Welt, flch selber zwang er nicht!

Spruch. Wer eine- Menschen Freude stört, Der Mensch ist keiner Freude werth.

Lebensregel. Sei Mnig über dich! — Dein Herz sei drin Senat, Und dein Verstand dein Rath!

Naturfreude. Für wen schuf deine Güte, Herr, diese Welt so schön? Für wen ist Blum' und Blüthe Zn Thälern und auf Höhn? Für wen ist hohe Wonne Da, wo da» Saatfeld wallt? Für wen bescheint die Sonne Die Wiesen und den Wald ? Für wm tönt da» Getümmel Der Heerden auf der Au'? Für wen wölbt fich der Himmel So heiter und so blau? Für wen sind Thal und Gründe So lieblich anzusehn? Für wm gehn kühle Winde? Für wen ist Alle» schön?

Un» gabst du ein Vermögen, Die Schönheit rtnzusehn, Un» Menschen, deinen Segen Zu fühlen, zu verstehn; Un- sollte all die Wonne Ein Ruf der Liebe sein, Mit jeder Morgen-Sonne Dir unser Herz zn weihn! Nun steh, o Gott, wir weihen Ein Herz voll Dankbarkeit Dir, der un» liebt, und freuen Un» deiner Gütigkeit! Du hauchtest nicht vergeben» Ein fühlend Herz uns rin: Ein Vorhof jenes LebenSoll un» die Erde sein!

Aus Hallada t. Der Zweifler. „Du Trauriger, am Felsm-Absturz dort, Und höre seinen Donner! — Wenn sei» Sturm, Du zweifelst: ob ein Gott vom Himmel Gehorsam seinem Wille», allen Dust fleht?" — .,D! sieh hinauf, sieh seinen Wolkenzug Und alle seine Wolken über dir' ii»d seinen milden Regen, seinen Blitz Hinweggetritben hat, dann sieh hinauf

134

Johann Peter 1H.

Zu seinem Hellen Himmel, und wenn dann Und arme Tochter, — stürze, stürze dich Dein Herz nicht fröhlich ist, wenn dir'S nicht Von dieses Felsens Spitze nur herab Und werde wieder, was du wärest, — Staub! m sagt. „Von diesem Himmel steht ein Gott herab, Und warte, Staub, ob etwa noch einmahl (Sin guter, der und alle liebt, ein Gott, Der Gott, der dort von seinem Himmel steht, Der diese seine Wolken regnen ließ!" Auf eine seiner Geisterstufen dich Dann, armer Blinder! steige nur hinauf Erheben will!" — Auf jene Spitze dieses FelsenS, wo „Ha! besser, besser ist Sein Adler nistet; und o du, dem nicht Ein Wäger, todter, seelenloser Staub „Ein guter Gott von seinem Himmel steht,"— Hier seyn, in seiner schönen Welt, als Geist Du, der du zweifelst, — armer blinder Mann, Und zweifeln: ob ein Gott vom Himmel Und armes blindes Weib, und armer Sohn, steht!"

Johann Peter Uz. (Sämmtliche poetische Werke.

Leipzig 1772. 2 Bde.)

Auf den Frieden. O Erde, wo jüngst Blut geflossen, Laß Blumen sprossen Noch vor der Blumenzeit, Den holden Frieden zu bekränzen, Der wieder kommt nach langem Streit, Und vor ihm her zu glänzen Im Frühlingskleid!

Gekrönte Häupter großer Staaten, Seht eure Thaten, Und wie ihr und beglückt! Zählt die erschlagnen Unterthanen, Wann ihr, von Heldenlust entzückt, Auf die ersteren Fahnen Stolz lächelnd blickt!

Er kömmt zurück durch öve Fluren, Voll ftischer Spuren Der kriegerischen Wuth. Er eilt aus räubervollen Sträuchen Und wandelt schaudernd über Blut Und halbverweste Leichen Und Asch und Glut.

Wie lange werden doch die Fürsten Nach Lorbeern dürsten, Wie MarS nach Blute schnaubt! Mit Schande, nicht mit Lorbeerkränzen, Verhängniß, kröne dessen Haupt, Der wieder unsern Gränzen Den Frieden raubt!

Die Freude jauchzt aus allen Wegen Ihm wild entgegen Durch süßen Weihrauchduft. Sein Anblick tröstet die Geplagten, Und seine sanfte Stimme ruft Die hoffenden Verjagten AuS ftemder Luft.

Der nicht sein Volk mit Huld erquicket, Die Noth erblicket Und Hungrige nicht speist, Sticht mit wohlthätigem Erbarmen AlS einen Vater sich erweist, Wann ihn ein Schwarm von Armen Laut jauchzend preist;

Sie taumeln jetzt mit scheuen Schritten Zu ibren Hütten, Zu Wohnungen der Noth. Sie finden rauchende Ruinen, Vom Blut erschlagner Freunde roth; Und Hunger nagt in ihnen Am letzten Brod.

Damit, nach unerhörten Plagen, In heitrern Tagen, Der Landmann sich erfreu, Jetzt seine wüsten Felder baue Und, flcher vor der Tyrannei, Auf Heerdenvoller Aue Selbst glücklich sei!

Sehnsucht nach Verlange nur nicht allzusehr DeS holden Frühlings Wiederkehr! Bald wird er, unter jungen Rosen, Den Grazien liebkosen Und im belaubten Hain Bey Nymphen unv Eytheren seyn.

dem Frühlinge. Des WinterS trauriges Gewand Deckt noch die Wälder, noch das Land. Doch PhöbuS jagt die raschen Pferde Schon näher an der Erde, Durch eine stellre Bahn, DeS Himmels rund Gewölb hinan.

Johann Peter

13*

Aus schnellem Wagen ist er schon Dem wilden Aaptifotn entstehn; Und von dm schwarzen Stürmen schwellen Die aufgebrachten Wellen: Der Mnde kämpfend Herr Fällt rasmd aus» gestäupte Meer.

Umsonst! Kein Gott erhört ihr Flehn! Sie wird ihn, ach! nicht wieder sehn. Er wird, in tiefer See begrabm, Die girr'gen Fische laben: Denn die erzürnte Fluch Vaschlingt lautbrüllend Schiff und Gut.

Weh ihm, watn sich der Handelsmann Zur Heimreif' jetzt entschließen kann, Bereichert mit Äegyptm» Waarm Der Kreter Meer durchfahren Und kühn dem AfttkuS Auf schwachem Schiffe trotzm muß!

Du aber, wann ein sanfter West Nun durch die erstm Veilchen bläst, Verweile nicht, dich zu entschließen Und Tage zu genießm, Die un» die karge Zeit Nur wenig, wenig Monden leiht!

Die junge Gattin harrt am Strand, Wo ihr Geliebter ihr verschwand, Und herzt den Sohn mit'bangem Sehnen, Dm unter süssen Thränm An ihrer Brust fit nährt Und ein Willkommen stammeln lehrt.

Der Mensch verfolgt mit starrem Blick Ein ihm entfliehend lächelnd Glück: Er jammert um versagte Freuden. Erst wann fit flüchtig scheiden, Erkennt und schätzt er fle: Doch, was er hat, genießt er nie.

Gott ein Erretter. Finsterniß und schnelle Wetter Brechen über mich herein; Und ich sehe keinen Retter, Keiner Hoffnung blaffm Schein. Deine schweren Donner rauschen, Gott! vom weiten wider mich: Aber meine Feinde lauschen; Mein Dafolger fteuet fich.

Will ich mich da Straf' entziehen Wie umsonst ist meine Flucht! Mag ein Stablicha entfliehen, Dm des Höchsten Auge sucht? Heere, Laga, Zepter, Krone Schützen den Derbrecha nicht: Auch beym schimmareichen Throne Findet Gott den Bösewtcht.

Sehet! sprechen die mich hasse»., Unser Netz hat ihn gefällt! Za, er Legt und siegt verlassen, Dem wir lange nachgestellt! Deine Tücke, schwarze Rotte, Sind mir wenig fürchtalich! Ich erzittre nur vor Gotte: Gott ist aber wider mich!

Hea! mit kindlichem Vertrauen Hang' ich dennoch fest an dir, O wie sollte mir noch grauen? Data, du verzeihest mir! Ich vafluche meine Sünden, Die mir deinen Schutz entwandt! Laß dich finden, laß dich finden, Wie dich stets die Reue fand!

O entsetzlicher Gedanke, Sich von Gott verfolget sehn! Wag ich'», in verwegnem Zanke, Dm Allmächtigen zu schmäh»? Seine schrecklichsten Gerichte Sind gaecht: was wend ich ein? O vor seinem Angestchte Sind die Engel selbst nicht rein!

Wenn da Blitz in deinen Händen Von entbranntem Zorne schnaubt: Läßt a sich durch Reue wenden Und verschont ein schuldig Haupt. Du bist nicht ein Mensch, der zürne; Hea, auf wen? Auf matte» Laub? Du, da Schöpfer da Gestirne, Du bist Gott, und ich bin Staub!

Ach! daß ich dich zu beflügeln, Tag da Hülfe, nicht vermag! Glanze bald auf unsern Hügeln! Brich doch an, erfeufzter Tag! Knirscht vor Unmuth, meine Feinde! Eure Bosheit fällt mich nicht : Denn ich habe Gott zum Freunde! Gott ist meine Zuversicht!

18«

Uicstaus Gstz. Lob des Höchsten.

Singt, fingt mit heiligem Entzücken, Singt unserm Gott ein neues Lied! Der Herr ist groß! Ihn will ich preisen, Ihn, den Gütigen, den Weisen, Dessen Auge nicht- entflieht!

Denn du versorgest, wa- du schufest: Dein kleinst Geschöpf ist dir bekannt. Der junge Rabe, der beschneyet, Hoch auf nackten Wipfeln schreyet, Sättigt fich aus deiner Hand.

Der du den sternenvoüen Himmel, Wie ein Gezelt, weit au-gespannt Und hier, umstrahlt von Sonnen thronest; Hier in einem Lichte wohnest, Wo kein Sterblicher dich fand!

Du bist'-, der zwischen rauhen Bergen Erftischend Wasser quellen läßt Und sonnenreichen Höhm Reben, Bäumen ihre Frucht gegeben, Grünen Wäldern ihren West.

Gott! ich verliere mich im Glanze; Dich, Gütigster, verlier ich nie! Du bist auch unter un- zugegen; Und entzückt von deinen Wegen, Voll Verwundrung preis' ich ste.

Zur Arbeit winket den Geschöpfen Der Tag auS strahlenvoller Luft: Bis, unter dunkler Schattenhülle, Kühler Nächte sanfte Stille Zur gewöhnten Ruhe ruft.

Dich preis' ich, der du an die Erde Mit väterlicher Güte denkst; Der du ihr in der Sonne leuchtest llnd im Regen ste befeuchtest, Sie mit kühlem Thaue tränkst:

Doch ftüh erwacht zu Dank und Liedern Der Vögel buntgefiedert Chor. Dann steigt von allen Nationen, Steigt aus aller Himmel Zonen Dir ein Lobgesang empor:

Daß frisches Grün um ihre Glieder, Ihr Haupt mit jungen Blumen lacht, Und ihren mütterlichen Rücken Saat und milder Segen drücken, Jährlich mit verneuter Pracht.

Dir, großer Vater aller Wesen, Der allen wohlthut, alle liebt, Und will, daß alle, wenn ste wollen, Alle glücklich werden sollen, Denen er das Leben giebt:

Damit sein Name herrlich werde Durch alle Welten, sein Gebiet, Und ihn, den Gütigen, den Weisen, Alle Zungen dankbar preisen Durch ein allgemeines Lied!

Nieolaus Götz. (Götz's vermischte Ged. herauSg. v. Ramler. 1785. 3 Thle.)

Von der Freude. „Tage," sprach ich, „holde Freude! Sage doch, waS fliehst bu so? Hat man dich, so fliehst du wieder! Niemals wird man deiner froh."

„Danke," sprach fle, „dem Verhängniß! Alle Götter lieben mich; Wenn ich ohne Flügel wäre, Sie behielten mich für fich."

Der Frühling. Hebt eure Häupter auf, ihr Brüder! ES kommt der junge Frühling wieder Und ist mit Rosen schön bekränzt. Dort seh' ich ihn die Flur durchziehen, Dort, wo der Bäume Wipfel blühen, Wo Alles voller Veilchen glänzt.

Verlaßt der Städte laut Getümmel! Dort labet uns ein heitrer Himmel, Wo AlleS voller Veilchen glänzt. Der holde Freund der Zärtlichkeiten, CytherenS Sohn, würd uns begleiten Und ist mit Rosen schön bekränzt.

Karl WIM« Nmnirr.

137

Die Prozesse. „Still doch, ihr Herrm, wenn man richtet!" So rief der Präsident Tuffen; „Der Lärm ist ja nicht au»z»strhn. Wir haben zehn Prozesse schon geschlichtet Und konnten kamü rin Wort davon verstehn."

fiotl Wilhel« Rewrler. (K. W. Ramler « poetische Werke.

Berlin 1825. 2 Thie,)

Sehnsucht nach dem Winter. (1744.)

©ie Stürme durchheulen di« Luft und schleudern Wolkm auf Wolken, Und donnernd stürzen di« Ström« durch- Land. Die Wälder trauern entblößt; da- Laub der geselligm Linde Wird weit umher in die Thäler gejagt. Der Weinstock, ein dürre» Gesträuch . . . Wa- klag' ich so müßig den Weinstock? Auf, Freunde! trinket sein schäumende» Blut! Schon seht ihr den triefenden Herbst mit leerem Fruchthom entweichen; Bald kömmt der Winter, mit Tannen bekränzt, Und deckt den donnernden Strom mit diamantenem Schilde, Der alle Pfeile der Sonne verhöhnt, Und hüllt in Blüthe den Wald (dem fröhlichen Barden ein Frühling!) Und streuet Lilien über da» Thal. Dann schwimmt der Jüngling nicht mehr durch reißende Hstuthen, dann schweift er Auf harten Wassern laut jauchzend umher, Die Füße beschuhet mit Stahl, und überwindet den Reiter, Der am Gestade den Wettlauf gewagt. Dann zittern die Bräute nicht mehr in wankender Gondel, sie fliegen Beherzt auf gleitenden Wegen dahin, Erwärmt vom Siberische» Päz, durch silberne Schleier beschirmet, An ihre zärtlichen Führer gelehnt. O Winter! eile voll Zorn und nimm den kältesten Ostwind Und treib die Krieger aus Böhmen zurück llnd meinen erstarreten Kleist! Noch hab' ich ihm seine Lykori» Und Wein von mürrischem Alter bewahrt.

An den König von Preußen, Friedrich den Zweiten. Friedrich! du dem ein Gott da» für die Sterblichen Zu gefährliche Loo» eine» Monarchen gab, Und (ein Wunder für un») der du dein Loo» erfüllst! Ach! kein Denkmahl au» Stein, himmelan aufgrthürmt, Sagt der Nachwelt dein Lob. Hebe zur herrlichsten Aller Städte, di« je Reichthum und Macht erschuf, Deine Thronstadt empor: alle die Tempel, der Palla» und dem Apoll und dem verwundeten Unbezwinglichen Mars heilig, sind Trümmer einst.

138

Karl Wilhelm Hamlet. Zwar daS Jahrbuch der Welt nennt, wann der Elfergeist Stolzer Könige schläft, dich dm Eroberer, Dich dm Großm: doch ach! heißt dieß ein Leben für Deine Tugenden? So lebt in EuropenS, so In der älterm Welt AfienS mancher Fürst, Dir an Weisheit nicht gleich. Selbst der unsterbliche Macedonier — wie lebt er? Bewundert nur, Nicht geliebt: denn er fand keinm Dircäifchm Herold, dessen Gesang mehr als LystppuS Erz, Länger spricht als Apell'S athmender Schattenriß Und noch Thaten erzählt, wann da- Geschichtbuch schweigt. Aber flehe, wie lebt Cäsar Octavius Durch zwey Evele RomS? (edel nach göttlichen Ranggesetzen, obgleich nicht aus der Rolle deS CensorS.) Ewig geliebt, ewig ein Muster für Alle Herrscher der Welt. — Glücklicher Barde, der, Unverdächtig, ein Lob, reiner als Beider Lob, In sein Saitenspiel fingt! Glücklicher Barde, der Nicht den Feldherrn allein und den geschäftigen Landesfürsten in dir, der auch dm Vater des Hauses, der auch den Freund fingt und den ftöhlichen Weisen, ihn, in der Kunst jeder Kamöne groß! Götter! wäre doch ich dieser beneidete Barde! Selber zu schwach, aber gestärkt durch ihn, Und die Sprache voll Kraft, die wie Kalliopens Tuba tönet, wie weit ließ' ich euch hinter mir, Sänger Heinrichs, und dich, LudewigS ganze Zunft!

An den Frieden. 1760.

Wo bist du hingeflohn, geliebter Friede? Gm Himmel, in dein mütterliches Land? Hast du dich, ihrer Ungerechtigkeiten müde, Ganz von der Erde weggewandt? Wohnst du nicht noch auf einer von den Fluren DeS Oceans, in Klippen tief versteckt, Wohin kein Wuchrer, keine Missethäter fuhren, Die kein Eroberer entdeckt? Nicht, wo mit Wüsten rings umher bewehret, Der Wilde sich in deinem Himmel dünkt? Sich ruhig von den Früchten seines Palmbaums nähret? Vom Safte seines Palmbaunts trinkt? O! wo du wohnst, laß endlich dich erbitten: Komm wieder, wo dein süßer Feldgesang Von Heerdevellen Hügeln, und aus Weinbeerhütten, Und unter Kornaltären klang. Sieh diese Schäferfitze, deine Freude, Wie Städte lang, wie Rosengärten schön, Nun sparsam, nun wie Bäumchen auf verbrannter Heide, Wie GraS auf öden Mauern stehn. Die Winzerinnen halten nicht mehr Tänze: Die jüngst verlobte Garbenbinderin Trägt, ohne Saitenspiel und Lieder, ihre Kränze Zum Dankaltarc weinend hin.

Kart Wilhelm Ramler. ^Dmn acht der Krieg verwüstet Saat und Rebm Und Korn und Most, vertilget Frucht und Stamm, Erwürgt die frtmmrn Mütter, die die MUch uns geben, Erwürgt da- kleine fromme Lamm. Mit unser» Rossen fährt er Donnerwagen, Mit unsern Sicheln mäht er Menschen ab; Den Vater hat er jüngst, er hat dm Mann erschlagen, Nun federt er den Knaben ab. Erbarme dich de- langen Jammer-! rette Van deinem Volk den armen Ueberrest! Bind' an der Hölle Thor mit fiebenfacher Kttte Auf ewig dm Verderber fest.

An den Römischen Kaiser Joseph den Zweiten. 1769. Von deinen Siegen, Cäsar GermanimS, Singt mein gerechtes Loblied dm ersten Sieg: Wie du, zu groß dem Eifergeiste, Preußen- erhabenen König aussuchst, In Landen aufsuchst, welche sein Schwert, sein Glück, Sein Recht vom Erbe deiner Erzeugerin Gettmnt, in ihm den weisen Vater Ehrend, den biedersten Frmnd eroberst Und seiner Feldherrntugmden höchste dir Erstrebst, dein weites Reich zu befestigen, Ihn selber nimmer zu bekämpfen: Joseph'- de- Völkererhalters Eidschwur. O, deiner Thaten erste strahlt herrlicher In eine- GotteS Augen, als IlionUnd Babylon- Eroberungen Oder die Schlachten der Zingi-kane. Geh nun in deiner rühmlichen Laufbahn fort Und leuchte künftig (unter der glänzenden Gekrönten Reihe deiner Ahnherrn Groß tu den Künsten der Triumphirer, In allen FriedmSkünsten der größere,) Gleich diese- Erdballs Sonne, bei Tausenden De- gränzenlosen blauen AetherSichtbar allein und allein erwärmend.

Sehr bekannt ist unter den Cantaten Ramler's: „der Tod Jesu."

139

14»

Kräftigere Entwicklung einer deutschen National Poesie. Friedrich Gottlieb Klopstock. (Klepstock'S sämmtliche Werke.

Leipzig 1839.)

Oden.

A n G i s e k e. (1747.)

©ei?’, ich reiße mich loö, obgleich die männliche Tugend Nicht die Thräne verbeut, Geh', ich weine nicht, Freund! Ich müßte mein Leben durchweinen, Weint' ich dir, Giseke, nach! Denn so werden sie Alle dahin gehn, Jeder den Andern Trauernd verlassen und fliehn. Also trennet der Tod gewählte Gatten: der Mann kam Seufzend im Ocean um, Sie am Gestad, wo von Todtengeripp und Scheiter und Meersand Stürme daS Grab ihr erhöhn. So liegt MiltonS Gebein von Homers Gebeine gesondert, Und der Cypresse verweht Ihre Klag' an dem Grabe deS Einen und kommt nicht hinüber Nach deö Anderen Gruft. So schrieb unser Aller Verhängniß auf eherne Tafeln Der im Himmel und schwieg. WaS der Hocherhabene schrieb, verehr' ich im Staube, Weine gen Himmel nicht auf. Geh', mein Theurer! ES letzen vielleicht sich unsere Freunde Auch ohne Thränen mit dir, Wenn nicht Thränen die Seele vergießt, unweinbar dem Fremdling Sanftes edles Gefühls. Eile zu Hagedorn hin, und, hast du genug ihn umarmet, Ist die erste Begier, Euch zu sehen, gestillt, sind alle Thränen der Freude Weggelächelt, entflohn, Gieseke, sag' ihm alsdann, nach drei genossenen Tagen, Daß ich ihn liebe, wie du!

An

Fanny. (1749.)

Wenn einst ich todt bin, wenn mein Gebein zu Staub Ist eingesunken, wenn du, mein Auge, nun Lang über meines Lebens Schicksal, Brechend im Tode, nun ausgeweint hast Und stillanbetend da, wo die Zukunft ist, Nicht mehr hinauf blickst, wenn mein ersungller Ruhm. Die Frucht von meiner JünglingSthrane Und von der Liebe zu dir, Messias,

Meirich V-ttU-b Mopstock. Nun auch verweht ist obtt von toenigtn Zn jene Welt hinüber gereUet ward; Wmn du alSdann auch, meine Fanny, Lange schwn tobt bist, unb deine- AugeS Stlllheeitre» Lächeln unb sein beseelter Blick Auch ist »erloschm; wenn bu, vom Volke nicht Bemerket, btbttf ganzen LebenEdlere Thaten nunmehr gethan hast, De- Nachruhm- werther, al- ein unsterblich Lieb; Ach, romn bu bann auch einen Beglückterm Al» mich geliebt hast — laß bm Stolz mir, Einen Beglückteren, hoch nicht Eblern — Dann wirb ein Tag seyn, bm werb' ich auferstehn! Dann wirb ein Tag seyn, bm wirst bu auferstehn! Dann trmnt kein Schicksal mehr bie Seelen, Die bu einander, Natur, bestimmtest. Dann wägt, btt Wagschal' in der gehobnen Hanb, Gott Glück unb Tugend gegm einander gleich; Wa- in der Dinge Lauf jetzt misslingt, Tönet in ewigen Harmonien! Wenn bann bu dastehst, jugendlich auferweckt, Dann tlT ich zu dir, säume nicht, bi» mich erst Ein Seraph bei der Rechten fasse Und mich, Unsterbliche, zu dir führe. Dann soll dein Bruder, innig von mir umarmt, Zu dir auch eilen; dann will ich chränmvoll, Doll froher Thränm jme» Leben». Neben dir stehn, dich mit Namen nmnm Unb dich umarmen. Gehörst du ganz un». Kommt, unaussprechlich So unaussprechlich, al-

Dann, o Unsterblichkeit, -Kommt, die da- Lied nicht fingt, süße Freuden, jetzt mein Schmerz ist!

Rinn' unterdeß, o Leben! Sie kommt gewiß Die Stunde, die un» nach der Cypreffe ruft! Ihr anbmt, seyd der- schwermuth-vvllm Liebe geweiht und umwölkt und bunfti!

Friedrich der Fünfte. (1750.)

Welchen König der Gott über die Könige Mit einweihendem Blick, al- er geboren ward, Sah vom hohen Olymp, dieser wird Menschenfteund Seyn und Vater de- Vaterlands. Viel zu theuer durchs Blut blühmder Jünglinge Und der Mutter und Braut nächtliche Thrän' nfauft, Lockt mit Silbergetön ihn die Unsterblichkeit I» da» eiserne Feld umsonst. Niemals weint' er am Bild eines Eroberer», Seines Gleichen zu seyn. Schon, da sein menschlich Her; Kaum zu fühlen begann, war der Eroberer Für bm Edleren viel zu klein.

141

142

Friedrich Gottiied Klopstock. Aber Thränen nach Ruhm, welcher erhabner ist, Keine- Höflings bedarf, Thränen, geliebt zu seyn Vom. glückseligen Volk, weckten den Jüngling oft Zn der Stunde der Mitternacht, Wenn der Säugling im Arm hoffender Mütter schlief, Einst ein glücklicher Mann; wenn sich des Greise- Blick Sanft in Schlummer verlor, jetzo verjünget ward, Noch den Vater des Volks zu sehn. Lange sinnt er ihm nach, welch ein Gedank' e- ist: Gott nachahmen und selbst Schöpfer de- Glücke- seyn Vieler Tausend'! Er hat eilend die Höh' erreicht Und entschließt sich, wie Gott zu seyn. Wie das ernste Gericht furchtbar die Wage nimmt Und die Könige wägt, wenn fie gestorben find, Also wägt er sich selbst jede der Thaten vor, Die sein Leben bezeichnen soll, Ist ein Christ und belohnt redliche Thaten erst, Und dann schauet sein Blick lächelnd auf die herab, Die der Muse sich weihn, welche, mit stiller Kraft Handelnd, edler die Seele macht; Winkt dem stummen Verdienst, daS in der Ferne steht; Durch sein Muster gereizt, lernt eS Unsterblichkeit: Denn er wandelt allein, ohne der Muse Lied, Sichres Weg- zur Unsterblichkeit. Die vom Sion herab Gott den Messias fingt, Fromme Sängerin, eil' itzt zu den Höhen hin, Wo den Königen Lob, besseres Lob ertönt, Die Nachahmer der Gottheit find. Fang' den lyrischen Flug stolz mit dem Namen an, Der oft, lauter getönt, dir um die Saite schwebt, Singst du einst von dem Glück, welches die gute That Auf dem fteieren Throne lohnt! DanienS Friedrich ist -, welcher mit Blumen dir Jene Höhen bestreut, die du noch steigen mußt! Er, der König und Christ, wählt dich zur Führerin, Bald auf Golgatha Gott zu sehn.

Dem

Erlöser.

(1750.) Der Seraph stammelt, und die Unend­ lichkeit Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach Dein hohes Lob, o Sohn! wer bin ich, Daß ich mich auch in die Jubel dränge? Vom Staube Staub!

Doch wohnt ein Unsterblicher Von hoher Abkunft in den Verwesungen Und denkt Gedanken, daß Entzückung Durch die erschütterte Nerve schauert.

Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung seyn, Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut, Und andrer Schauer Trunkenheiten Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken. Der Leben Schauplatz, Feld, wo wir schlummerten, Wo Adam- Enkel wird, was sein Vater war, Als er sich jetzt der Schöpfung Armen Jauchzend enttiß und ein Leben dastand!

Friedrich GsMreß Kl»pst»ck.

148

O Feld vom Aufgang bi», wo fie untergeht Der Sonnen letzte, heftiger Todter voll. Wann seh' ich dich? wann'weint mein Äuge llnter dm tausmdmaltausend Thränen?

Doch laß mich lebm, daß am errrtchtm Ziel Ich sterbe, daß erst, wmn e» gesungm ist, Da- Lied von dir, ich triumphirend Ueber da- Grab dm erhabnen Weg geh'!

De- Schlafes Stunden oder Jahrhunderte, Fließt schnell vorüber, fließt, daß ich aufersteh'! Allein fie säumen, und ich bin noch Diesseit am Grabe! O helle Stunde,

O du nullt Meister, der du gewaltiger Die Gottheft lehrtest, zeige die Wege mir, Die du da gingst, worauf die Seher, Deine Verkündiger, Wonne sangm!

Der Ruh' Gespielin, Stunde de- Tode-, komm,! O du Gefilde, wo der Unsterblichkeit Dieß Leben reift, noch nie besuchter Acker für ewige Saat, wo bist du?

Dort ist e» himmlisch! Ach, aus der Ferne Rocht Folg' ich der Spur nach, welche du wandeltest; Doch fällt von deiner Strahlenhöhr Schimmer herab, und mein Auge steht ihn.

Laß mich dort hingehn, daß ich die Stätte fth'. Mit htngrsenktem trunkenem Blick fie seh', Der Ernte Stumm drüber streue, Unter die Blumen mich leg' und sterbe!

Dann hebt mein Geist fich, dürstet nach Ewigkeit, Nicht jener kurzen, die auf der Erde bleibt; Nach Palmen ringt er, die Im Himmel Für der Unsterblichen Rechte sprossm.

Wunsch großer Au-ficht, aber nur Glück­ Zeig' mit die Laufbahn, wo an. dem fer­ lichen, nen Ziel Wmn du, di« süße Stunde der Seligkeit, Die Palme wehet! SR thun erhabensten Da wir dich wünschen, kämst: wer gliche Gedanken, lehr' ihn Hoheit, führ' ihm Dem, der al-dann mit dem Tod» ränge? Wahrheiten zu, die e- ewig bleiben, Dann mischt' ich kühner unter dm Thron­ gesang De- Menschen Stimme, sänge dann heftiger, Den meine Seele liebt, den Besten Aller Gtbornen, den Sohn de- Vater-!

Daß ich den Nachhall derer, die'» ewig find, Den Menschen singe, daß mein geweihter Arm Vom Altar GotteS Flammen nehme, Flammen in- Herz der Erlösten ströme!

Hermann und Tusnelda. (1752.) Ha, dort kömmt er mit Schmeiß, mit Römerblute, Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! So schön war Hermann niemals! So hat's ihm Nie von dem Auge geflammt! Komm'! ich bebe vor Lust, reich' mir den Adler Und das triefende Schwert! komm', athm' und ruh' hier Aus in meiner Umarmung Von der zu schrecklichen Schlacht. Ruh' hier, daß ich den Schweiß der Stirn abtrockne Uud der Wange das Blut! Wie glüht die Wange! Hermann, Hermann, so hat dich Niemals ThuSnelda geliebt! Selbst nicht, da du ruerst im Eichenschatten Mit dem bräunlichen Arm mich wilder faßtest! Fliehend blieb ich und sah dir Schon die Unsterblichkeit an, Die nun dein ist. Erzählt's in allen Hainen, Daß AugustuS nun bang mit seinen Göttern Nektar winket, daß Hermann, Hermann unsterblicher ist!

144

Friedrich Gotttied Mopstock. „Warum lockst du rodn -Haar? Liegt nicht tot stumme Todte Vater vor unS? O, hätt' AugustuS Seine Heere geführt, er Läge noch blutiger da!" Laß dein finkende- Haar mich, Hermann, heben, Daß eS über dem Kranz in Locken drohe! Sigmar ist bei den Göttern! Folg' du und wein' ihm nicht nach!

Die beiden Musen. (1752.)

Ich sah — o, sagt mir, sah ich, waö jetzt Allein die Sage kam mir, du seyst nicht geschieht? mehr. Erblickt'ich Zukunft? — mit der britannischen Verzeih', o Muse, wenn du unsterblich bist, Sah ich in Streitlauf Deutschlands Muse Verzeih', daß ich'S erst jetzo lerne; Heiß zu den krönenden Zielen fliegen. Doch an dem Ziele nur will ich s lernen! Zwei Ziele gränzten, wo sich der Blick Dort steht eS! Aber flehst du daS weitere verlor, Und seine Krön' auch? Diesen gehaltnen Muth, Dort an die Laufbahn. Eichen beschatteten Dieß stolze Schweigen, diesen Blick, der DeS Hains das eine; nah dem andern Feurig zur Erde sich senkt, die kenn' ich. Wehrten Palmen im Abendschimmer. Gewohnt deö StreitlaufS, trat die von Doch wäg'ö noch einmal, eh' zu gefahr­ Albion voll dir Stolz in die Schranken, so wie fie kam, da sie Der Herold tönet! War es nicht ich, die schon Einst mit der Mäonid' und jener Mit der an Thermopyl die Bahn maß Am Capitel in den heißen Sand trat. llnd mit der Hohen der sieben Hügel?" Sie sah die junge bebende Streiterin; Sie sprach'S. Der ernste, richtende Augen­ Doch diese bebte männlich, und glühende blick SiegSwerthe Röthen überströmten Kam mit dem Herold näher. „Ich liebe dich!" Flammend die Wang', und ihr goldnes Haar Sprach schnell mit Flammenblick Teutona, „Brittin, ich liebe dich mit Bewundrung; flog. Schon hielt sie mühsam in der empörten Doch dich nicht heißer, als die Unsterb­ Brust lichkeit Den engen Athem, hing schon hervorgebeugt Und jene Palmen! Rühre, dein Genius, Dem Ziele zu; schon hub der Herold Gebeut er's, sie vor mir; doch fass' ich, Ihr die Drommet', und ihr rrunkner Blick Wenn du sie fassest, dann gleich die Krön' schwamm. auch. Stolr auf die Kühne, stolzer auf sich, bemaß Und, o, wie beb' ich! o ihr Unsterbliche! Die hoye Brittin, aber mit edelm Blick, Vielleicht erreich' ich früher daS hohe Ziel. Dich, T hutSkone: „Ja, bei Barden Dann mag, o, dann an meine leichte Wuchs ich mit dir in dem Eichenhain auf; Fliegende Locke dein Achem hauchen!" Der Herold klang. Sie flogen mit Adlereil'. Die weite Laufbahn stäubte, wie Wolken, auf. Ich sah: vorbei der Eiche wehte Dunkler der Staub, und mein Blick verlor fie.

Fttrvrich Gottlirb Klopstock.

145

Der Eislauf. (1764.) Vergraben ist in ewige Nacht Der Erfinder großer Name zu oft. WaS ihr Geist grübelnd entdeckt, nutzen wir; Aber belohnt Ehre fie auch?

Wie schweigt um un- da- weiße Gestld! Wie ertönt vom jungen Froste die Bahn! Fern verräth deine- Kothurn- Schall dich mir Wenn du dem Bllck, Flüchtling, enteilst.

Wer nannte dir den kühneren Mann, Der zuerst am Maste Segel erhob? Ach, verging selber der Ruhm dessen nicht, Welcher dem Fuß Flügel erfand!

Wir haben doch zum Schmause aenug Don de- Halme- Frucht und Freuden des WeinS? Winterlust reizt die Begier nach dem Mahl; Flügel am Fuß reizen fie mehr!

Und sollte der unsterblich nicht seyn, Der Gesundheit und und Freuden erfand, Die da- Roß muthig im Lauf niemals gab, Welche der Reihn selber nicht hat?

Zur Linken wende du dich, ich will Zu der rechten hin halbkreisend mich drehn; Nimm den Schwung, wie du mich ihn neh­ men stehst: Also! nun fleug schnell mir vorbei!

Unsterblich ist dein Name dereinst! Ich erfinde noch dem schlüpfenden Stahl Seinen Tanz! Leichtere- Schwung- fliegt er hin, Kreiset umher, schöner zu sehn.

So gehn wir den schlängelnden Gang An dem langen Ufer schwebend hinab. Künstle nicht! Stellung, wie die, lieb' ich nicht, Zeichnet dir auch Prei-ler nicht nach.

Du kennest jeden reizenden Ton Der Muflk, drum gib dem Tanz Melodie! Mond uud Wald höre den Schall ihre- Horn-, Wenn fie de- FlugS Eile gebeut.

WaS horchst du nach der Insel hinauf? Unerfahrne Läufer tönen dort her! Huf und Last gingen noch nicht über- Ei-, Netze noch nicht unter ihm fort.

Sonst späht dein Ohr ja Alle-; vernimm, O Jüngling, der den Wasserkothurn Wie der Todeston wehklagt auf der Flut! Zu beseelen weiß und flüchtiger tarnt, Laß der Stadt ihren Kamin! Äomnvmit mir, O, wie tönt'- anders, wie hallt'-, wenn der Wo de- Krystalls Ebne dir winkt! Frost Meilen hinab Haltet dm See! Sein Licht hat er in Düfte gehüllt, Zurück! laß nicht die schimmernde Bahn Wie erhellt de- Winter- werdender Tag Dich verführen, weg vom Ufer zu gehn! Sanft den See! Glänzenden Reif, Sternen Denn, wo dort Tiefen fie deckt, strömt'- viel« gleich, leicht, Streute die Nacht über ihn au-. Sprudeln vielleicht Quellen empor. Den ungehörten Wogen entströmt, Dem geheimen Quell entrieselt der Tod. Glittst du auch leicht, wie dieß Laub, ach, dorthin, Sänkest du doch, Jüngling, und stürbst!

Der Jüngling. (1764.)

Schweigeno sahe der Mai die bekränzte Leichtwehende Lock' im Silberbach; Röthlich war sein Kranz, wie des Aufgangs, Er sah sich und lächelte sanft.

Ruhig schlummert' am Bache der Mai ein, Ließ rasen den lauten Donnersturm, Lauscht' und schlief, beweht von der Blüthe, Und wachte mit Hesperu- auf.

Wüthend kam ein Orkan am Gebirg her. Die Esche, die Tann' und Eiche brach, Und mit Felsen stürzte der Ahom Dom bebenden Haupt de- Gebirgs.

Jetzo fühlst du noch nicht- von dem Elend, Wie Grazien lacht das Leben dir. Auf, und waffne dich mit der Weisheit: Denn, Jüngling, die Blume verblüht!

Ztnnow's deutsch. Ged. Sammt.

10

146

Friedrich Gottlieb Alopstock.

Die frühen Gräber. (1764.) Willkommen, o silberner Mond, Des Maies Erwachen ist nur Schöner, stiller Gefährt' der Nacht! Schöner noch, wie die Sommernacht, Du entfliehst? Eile nicht, bleib', Gedanken- Wenn ihm Thau, hell wie Licht, aus der _t , freund! Locke traust, Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin. Und zu dem Hügel herauf röthlich er kömmt. Ihr Edleren, ach, eS bewachst Eure Male schon ernstes MooS! O, wie war glücklich ich, als ich noch mit euch Sahe sich röthen den rag, schimmern vie Nacht!

Mein Vaterland. (176t.) So schweiat der Jüngling lang, Dem wenige Lenze verwelkten, Und der dem silberhaarigen thatenumgebenen Greise, Wie sehr er ihn liebe, das Flammenwort hinströmen will. Ungestüm fährt er auf um Mitternacht, Glühend ist seine Seele. Dle Flügel der Morgenröthe wehen, er eilt Zu dem Greis und saget eS nicht. So schwieg auch ich. Mit ihrem eisernen Arm Winkte mir stets die strenge Bescheidenheit. Die Flügel wehten, die Laute schimmerte Und begann von selber zu tönen-, allein mir bebte die Hand. Ich halt' eS länger nicht aus! Ich muß die Laute nehmen, Fliegen den kühnen Flug, Reden, kann eS nicht mehr verschweigen, WaS in der Seele mir glüht! O, schone mein — dir ist dein Haupt umkränzt Mit tausendjährigem Ruhm; du hebst den Tritt der Unsterblichen Und gehest hoch vor vielen Landen her — 0, schone mein! Ich liebe dich, mein Vaterland! Ach, sie sinkt mir, ich hab' es gewagt! Es bebt mir die Hand vie Saiten herunter; Schone, schone! Wie wehet dein heiliger ^kranz, Wie gehst du den Gang der Ilnsterblichen daher' 3ch seh' ein sanftes Lächeln, Das schnell das Herz mir entlastet; Ich sing' es mit dankendem Freudenruf dem Wiederhall, Daß dieses Lächeln mir ward. Früh hab' ich dir mich geweiht. Schon, da mein Herz Dm ersten Schlag der Ehrbegierde schlug, Erkor ich, unter den Lanzen und Harnischen Heinrich, deinen Befteier, zu singen. Allein ich sah die höhere Bahn, Und, mtflammt von mehr, denn nur Ehrbegier, Zog ich weit sie vor. Sie führet hinauf Zu dem Baterlande deS Menschengeschlecht-

Friedrich «kttti* AtHpst-ck.

MT

Noch gBh' Ich sie, wtb, wenn ich auf ihr TeS Sterblichen Bürden erliege, So trenfo’ ich «ich seitwärts und nehme de- Barden Telyn *) Und fing;', c Vaterland, dich dir! Du pflanzetest dem, der dmket, und ihm, der handelt — Weit schattet und kühl dein Hain, Steht und spottet deS Sturmes der Zeit, Spottet der Büsch' um flch her — Wm scharfer Blick und die tanzende glückliche Stunde führt, Der bricht in deinem Schatten, kein Mährchen sie, Die Zauberruthe, die nach dem helleren Golde, Dem neuen Gedanken, zuckt. Oft nahm deiner jungen Bäume daS Reich an der Rhone, Oft das Lanv an der Thems' in die dünneren Wälder. Warum sollten sie nicht? ES schießen ja bald Ändere Stämme dir auf! Und dann, so gehörten sie ja dir an. Du sandtest Deiner Krieger hin. Da klangen die Waffen; da ertönte Schnell ihr Ausspruch: Die Gallier heißen Franken, Engelländer die Britten! Lauter noch ließest du die Waffen klingen. Die hohe Rom Ward zum kriegerischen Stolz schon von der Wölfin gesäugt; Lange war sie Weltthrannin. Du stürzetest, Mein Vaterland, die hohe Rom in ihr Blut! Nie war gegen das Ausland Ein anderes Land gerecht, wie du. Sey nicht allzugerecht! Sie denken nicht edel genung, Zu sehen, wie schön dein Fehler ist! Einfältiger Sitte bist du und weise, Bist ernstes tieferes Geistes. Kraft ist dein Wort, Entscheidung dein Schwert. Doch wandelst du gmt eS in die Sichel und triefst, Wohl dir, von dem Blute nicht der andern Welten! Mir winket ihr eiserner Arm! 2ch schweige, Bis etwa sie wieder schlummert, Und sinne dem edeln schreckenden Gedanken nach, Deiner werth zu seyn, mein Vaterland.

Psalm.

(1789.) Um Erden wandeln Monde, Erden um Sonnen, Aller Sonnen Heere wandeln Um eine große Sonne: „Vater unser, der du bist im Himmel!" Auf allen diesen Welten, leuchtenden und erleuchteten, Wohnen Geister, an Kräften ungleich und an Leibern;

Die Leyer der Barden.

Aber alle denken Gott und fteuen sich Gottes. „Geheiliget werde dein Name." Er, der Hocherhabene, Der allein ganz sich denken, Seiner ganz sich freuen kann, Machte den tiefen Entwurf Zur Seligkeit aller seiner Weltbewohner. „Zu unS komme dein Reich."

148

Friedrich Gottlieb Klopstock.

Wohl ihnen, daß nicht sie, daß er Ihr Jetziges und ihr Zukünftiges ordnete, Wohl ihnen, wohl! Unv wohl auch unS! „Dein Wille gescheh'. Wie im Himmel, also auch auf Erden." Er hebt mit dem Halme die Aehr' empor, Reifet den golvnen Wpfel, die Purpurtraube, Weidet am Hügel daS Lamm, daS Reh im Walve; Aber sein Donner rollet auch her, Und die Schloße zerschmettert es Am Halme, am Zweig, an dem Hügel und im Walde! „Unser tägliches Brod gieb unS heute." Ob wohl hoch über deS Donners Bahn Sünder auch und Sterbliche find? Dort auch der Freund zum Feinde wird, Der Freund im Tode sich trennen muß ? „Dergieb uns unsere Schuld, Wie wir vergeben unseren Schuldigern."

Gesonderte Pfade gehen zum hohen Ziel, Zu der Glückseligkeit: Einige krümmen sich durch Einöden; Doch selbst an diesen sproßt eS von Freu dm auf Und labet den Durstenden. „Führ' unS nicht in Versuchung, Sondern erlös' und vom Uebel." Anbetung dir, der die große Sonne Mit Sonnen und Erden und Monden um­ gab, Der Geister erschuf, Ihre Seligkeit ordnete, Die Aehre hebt, Der dem Tode ruft. Zum Ziele durch Einöden führt und den Wanderer labt, Anbetung dir! „Denn dein ist daS Reich und die Macht Und die Herrlichkeit. Amen."

Geistliche Lieder. Von den geistlichen Liedern KlopstockS findet man im Berliner Gesangbuch unver­ ändert: „Preis ihm! Er schuf unv er erhält"; mit einigen Veränderungen, welche aber weniger den Gedanken, alS den Ausdruck betreffen: „Auf ewig ist der Herr mein Theil," „Selig sind des Himmels Erben," welches besonders nur im 5ten, bim und Sttn Verse wesentlich verändert ist, und „Wie wird mir dann, o dann mir seyn," welche- im 5ten Verse wesentlich verändert ist, „Auferstehn, ja auferstehn" welches nur sehr menig verän­ dert ist; bedeutendere Veränderungen hat erlitten: „Starke, die zu dieser Zeit."

Furbitre für Sterbende. Du wollst erhören, Gott, ihr Flehn, Nicht ins Gericht mit ihnen gehn, Die jetzo deiner Ewigkeit Sich nahn, befreit Nun bald von dieser Eitelkeit! DeS Lebens und deS Todes Herr' Nun ist für sie die Zeit nicht mehr. Du hast gezählet all ihr Haar. Ihr Todesjahr Bestimmt, als keine Zeit noch war. Erfüllt ist ihrer Leiden Zahl, Sie weinen heut das letzte Mal. Ach, sey in ihres Todes Wert? Ihr Gott, ihr Geu! Ein Schlummer sey für sie der Tod! Vollende, Vater, ihren Lauf. Nimm sie zu deinem Frieden aus! Verwirf sie, wenn ihr Herz nun bricht, Verwirf sie nicht, Herr, Herr, von deinem Angesicht'

Wend' ihrer Krankheit bangen Schmerz. Von ihm entladen ruh' ihr Herz, Daß ihre müde Seele frei Von Täuscherei Des heißentfiammten Leibes sey' In ihr erschaffe deine Ruh', In ihrem Herzen bete du, Geist GotteS, daß sie glaubend traun, Auf Jesum Ichaun, Auf Jesum in des Todes Graun! Bet' unaussprechlich, Geist des Herrn, Zeig' ihnen ihren Lohn von fern! Laß sie des Vaterö Herz erflehn, Getröstet sehn: Wie der sie liebt, zu dem sie gehn! Ach, Gnade, Gnad' ergeh für Recht! Denn von dem menschlichen Geschlecht' Ist selbst der Heiligste nicht rein, Kann keiner dein, Gott, ohne deine Gnade seyn.

14»

Friedrich G»Miet» Alopstsch. Sey ihnen, Sott, nicht fürchterlich! Erbarme, Richter, ihrer dich! Ach, an- der Tiefe rufen fie: Erhöre fie! tfrlBft, Gott, erlöse fie!

Zu sterben, Herr, gieb ihnen Muth Durch Jesu Tode-schweiß und Blut, Vergossen in Gethsemane Und auf der Höh, Der Schädelstätte dunkler Höh'!

Entschlummert! Geht voran zu Gott! Euch segne, segne, segne Gott! Wenn euer Auge sterbend bricht, -eit' euch sein Licht, Tröst' euch de- Vater- Angeficht!

Der

Messias.

Erster Gesang.

Da- Gedicht beginnt von den letzten Tagen vor der Kreuzigung. Jesu- war mit Johanne- nach dem Oelberg gegangen, um dort zu beten. Er verrichtete sein Gebet, und sandte den ihn begleitenden Seraph Gabriel vor den Thron de- Höchsten, um sein SöhnungSgebet an dem himmlischen Versöhnung-altar zu verrichten. Eloa führt den Seraph zu dem Altar, und Gott verkündet den staunenden Engeln den Rathschluß der Versöhnung. Dem rückkehrenden Seraph schwebt der verklärte Adam entgegen und spricht den Wunsch au-, daß e- ihm vergönnt sein möchte, den verklärten MesstaS zu erblicken. Der Seraph eilt, nachdem er dem schlafenden Mittler von »der Au-richtung seine- Befehls Nachricht gegeben, in die Versammlung der heiligen Wächter der Erde, die im Innern der Erde thronen, und zu deren Wohnung am Nordpol der Eingang ist. Den dort Versammelten verkündet er den göttlichen Rathschluß und schwebt dann wieder empor zur Sonne. Zweiter Gesang.

Al- der Morgen über dem Oelberg heraufzog, erblickten die Seelen der Väter, welche auf der Sonne leben, den MesstaS. Da erhub sich Adam'- und Eva s Seele in lieblichem Gesänge zum Preise des Erlösers. — Eva schließt ihren Gesang mit folgenden Worten: Heilig bist du, anbetungswürdig und ewig, o Erster! Der du deinen göttlichen Sohn von Ewigkeit zeugtest, Ihn, nach deinem Bilde gezeugt, zum Erlöser der Menschen, Meine- von mir beweinten Geschlechts, erbarmend erwähltest. Gott hat meine Thränen gesehn; ihr habt ste gesehen, Seraphim, und sie gezählt; auch ihr, ihr Seelen der Todten, Seelen meines entschlafnen Geschlecht-, sie alle gezählet. Wärest du nicht, o Messias, gewesen: die ewige Ruhe Hätte selbst mir traurig und ungenießbar geschienen. Aber, von deiner göttlichen Huld, von deiner Erbarmuna, Stifter de- ewigen Bundes, von ifiv ihr umschattet, da Tlern?»' «/4t ich Selbst in der Wehmuth Schmerz mehr Seligkeiten empfinden. Und nun trägst du sein Bild, da- Bild des sterblichen Menschen, Gottmensch, Mittler, dich beten wir an! Vollende dein Opfer, Da- du für un-, Weltrichter, für uns zu vollenden herabfliegst. Mache die Erde bald neu, die du zu verneuen beschlössest. Dein und unser Geburt-land! Komm' zurück in den Himmel! Komm', sey gegrüßt in deinen Erbarmungen, Gottmensch, Mittler! Also ertönte mit mächtigem Klang die Stimme der Seelen Durch deS strahlenden Tempels Gewölbe. JesuS vernahm sie Fern' in der Tiefe. Wie mitten in heiligen Einsiedeleien, In der Zukunft Folge vertieft, prophetische Weise Dich, in der Fern herwandelnde Stimme de- Ewigen, hören Jesus stieg an dem Oelberg nieder. An seiner Mitte mäh

avm

150

Friedrich Gotttieb Alopstock Standen Palmen, vor allen aus niedrigm Hügeln erhaben, Von leichtschimmernden Wolken de- Morgennebels umflossen. Unter den Palmern vernahm der MesfiaS den Engel Johannes, Raphael ist sein Rame, der ihn hier betend verehrte. Liebliche Winde zerflossen von ihm und trugen die Stimme, Die sonst keine Geschöpfe nicht hörten, hinab zu dem Mittler. „Raphael, komm'," rief ihm der Messias mit freundlichem Anblick, „Wandle mir hier ungesehn zu der Seite. Wie hast du die Nacht durch Unsers lieben Johannes unschuldige Seele bewachet? Welche Gedanken, die deinen Gedanken, Raphael, glichen, Hatt' er? Wo ist er jetzt?" „Ich bewacht' ihn," sagte der Seraph, „Wie wir die Erstlinge deiner Erwählten, c Mittler, bewachen. Seinen geöffneten Geist umschatteten heilige Träume, Träume von dir. O, hättest du ihn da schlummern gesehen, Als er dich, Göttlicher, sah! Ein heiliges Frühlingslächeln Füllte sein Antlitz. Dein Seraph hat auch in Edens Gefilden Adam gesehn, da er schlief, und das Bild der werdenden Eva Und des bauenden Schöpfers vor seine Gedanken herabkam. Aber so schön war er kaum, wie dein göttlicher Jünger Johannes. Doch jetzt ist er dort unten in traurigen nächtlichen Gräbern, Klaget einen besessenen Mann, der im Staube der Todten Fürchterlich bleich, wie bebend Gebein, herübergestreckt liegt. Mittler, du solltest ihn sehn, du solltest den zärtlichen Jünger Neben ihm voll mitleidiges Kummers und Wehmuth erblicken, Wie vor Menschenliebe das Herz ihm erbarmend zerstießet, Wie er bebet. Mw selbst drang eine Thräne der Wehmuth Zitternd ms Auge. Da wandt' ich mich weg. Das Leiden der Geister, Die du tut Ewigkeit schufst, ist mir stetö durch die Seele gedrungen." Raphael schwieg. Der Göttliche sah mit Zorne gen Himmel. Vater, erhöre mich! Es werde der Hasser der. Manschen Deinem Gericht' ein ewiges Opfer, das jauchzend der Himmel, DaS mit Bestürzung und Schand' und Schmach die Hölle betrachte' Also sagt' er und näherte sich den Gräbern der Todten. Unten am mitternächtlichen Berge waren die Gräber In zusammengebtrgte zerrüttete Felsen gehauen. Dicke, finsterverwachsene Wälder verwahrten den Eingang Vor des fliehenden Wanderers Blick. Ein trauriger Morgen Stieg, wenn der Mittag schon sich über Jerusalem senkte. Dämmernd noch in die Gräber mit kühlem Schauer hinunter. Samma, so hieß der besessene Mann, lag neben dem Grabe Seines jüngsten geliebteren Sohns in kläglicher Ohnmacht. Satan ließ ihm die Ruh', ihn desto ergrimmter zu quälen. Samma lag bei des Knaben Gebein in modernder Asche; Neben tfmt stand sein anderer Sohn und weinte zu Gott auf. Jenen Todten, den der Vater beweint' und Bruder, Brachte die zärtliche Mutter einst, erweicht durch sein Flehen, Mit in die Gräber zum Vater hinab, tu dem Vater im Elend, Den jetzt Satan in grimmiger Wuth bei den Todten herumtrieb. „Ach, mein Vater!" so rief der kleine geliebte Benoni Und entflöhe der Mutter Arm, die ängstlich ihm nachlief; „Ach, mein Vater, umarme mich doch!" und krümmt' um die Hand sich, Drückte sie an sein Herz. Der Vater umfasset ihn, bebet. Da mit kindlicher Inbrunst nun der Knab' ihn umarmte, Da er mit sanft liebkosendem Lächeln ihn jugendlich ansah, Warf ihn der Vater an einen entgegenstehenden Felsen, Daß sein zartes Gehirn an blutigen Steinen herabrann, Und mit leisem Röcheln entfloh die Seele voll Unschuld. Jetzo klagt er ihn trostlos und faßt das kalte Behältniß Seiner Gebeine mit sterbendem Arm. „Mein Sohn, Benom' Ach, Benoni, mein Sohn!" so sagt er, und jammernde Thränen

Küdrich Vottzirt» Alqßstack. Stürzen vom Auge, das bricht und laugsaylstarrend dahinstirbt. Also lag er beklommen von Angst, da der Mittler hinabkam. Joel, der andere Sohn, verwandte sein thränende- Antlitz Bon dem Vater und sah den Mefsta- die Gräber herabgehn, „Ach, mein Vater," erhub er froh vor Berwundrung die Stimme, „Jesu-, der große Prophet, kommt in die Gräber hernieder." Satan hört' e- und sah bestürzt durch die Oeffnung de- Grabmals. So sehn Gottesleugner, der Pöbel, au- dunkeln Gewölben, Wenn am donnernden Himmel da- hohe Gewitter heraufzieht, Und in den Wolken der Rache gefürchtete Wagen sich wälzen. Satan hatte bisher aus der Fern' nur Samma gepeinigt. Aus den tiefsten entlegensten Enden des nächtlichen Grabmals Sandt' er langsame Plagen hervor. Itzt erhub er sich wieder, Rüstete sich mit de- Todes Schrecken und stürzt' auf Samma. Samma sprang auf, dann fiel ohnmächtig von Neuem er nieder. Sein erschütterter Geist (er rang noch kaum mit dem Tode) Riß ihn, von dem mördrischen Feind' empöret zum Unsinn, Felsenan. Hier wollt' ihm, vor deinen göttlichen Augm, Richter der Welt, am hangenden Felsen Satan zerschmettern. Aber du wärest schon da, schon trug voreilend die Gnade Dein verlaff'neS Geschöpf aus freuen allmächtigen Flügeln, Daß er nicht sank. Da ergrimmte der Geist deS Menschenverderbers Und erbebte. Ihn schreckte von fern die kommende Gotcheit. Jetzo richtete JesuS sein helfendes Antlitz auf Samma, Und belebende göttliche Kraft, mit dem Blicke vereinet, Ging von ihm aus. Da erkannte der bange, verlassene Samma Seinen Retter. ZnS bleiche Gesicht voll Todesgestalten Kam die Menschheit zurück, er schrie und weinte gen Himmel, Wollte reden, allein kaum konnt' er, von Freuden erschüttert. Bebend stammeln. Doch breitet' er sich mit sehnlichen Armen Rach dem Göttlichen auS und sah mit getröstetem Auge, Doll Entzückung, nach ihm von seinem Felsen herunter. Wie die Seele des trüberen Weisen, die, in flch gekehret Und an der Ewigkeit der künftigen Dauer verzweifelnd, Innerlich bebt — die Unsterbliche schauert vor der Vernichtung — Aber itzt nahet stch ihr der weiseren Freundinnen eine; Ihrer Unsterblichkeit sicher und stolz auf Gottes Verheißung, Kommt sie zu ihr mit tröstendem Blick. Die trübe Verlassne Heitert flch auf und windet mit Macht vom jammernden Kummer Ungestümfreudig stch los; die Ewige jauchzt nun und segnet Sich in Triumph und ist von Neuem unsterblich geworden. Also empfand der besessene Mann die Beruhigung Gottes. Jetzo sprach der Messias mit mächtiger Stimme zu Satan: „Geist deS Verderbens, wer bist du, der du vor meinem Antlitz Dieß zur Erlösung erwählte Geschlecht, die Menschen, so quälest?" „Ich bin Satan," antwortet' ein zornige- tiefe- Gebrüll, „bin König der Welt, die oberste Gottheit unsklavischer Geister, Die mein Ansehn etwas Erhabnerem, als den Geschäften Himmlischer Sänger, bestimmt. Dein Ruf, o sterblicher Seher — Denn Maria wird wohl Unsterbliche niemals gebären — Dieser dein Ruf drang, wer du auch bist, zu der untersten Hölle. Selber ich verließ fie — sey stolz ob meiner Heraufkunft — Dich von himmlischen Sklaven verkündigten Retter zu sehen. Doch du wurdest ein Mensch, ein götterträumender Seher, Wie die, welche mein mächtiger Tod hinab in die Erve Gräbt. Drum gab ich nicht Acht, was die neuen Unsterblichen thaten. Aber, nicht müßig zu seyn, so plagt' ich — das hast du gesehen — Deine Geliebten, die Menschen. Da schau' die TodeSgestalten, Meine Geschöpf , auf diesem Gesicht! Jetzt eil' ich zur Hölle. Unter mir soll mein allmächtiger Fuß da- Meer und die Erde,

152

Friedrich (ßottlieb Klopstock. Mir zu bahnen gehbaren Weg, gewaltsam verwüsten. Dann soll schauen die Höü' Ln Triumph mein königlich Antlitz. Willst du waS thun, so thu' eS alsdann. Denn ich kehre wieder, Hier auf der Welt mein erdberteS Reich als König zu schützen. Stirb indeß noch, Derlaffner, vor mir!" Er sprach'-, und er stürzte Stürmend auf Samma. Allein des ruhigschweigenden MittlerStille verborgne Gewalt kam, gleich des Vater- Allmacht, Wenn er Untergang unerforscht auf Welten herabwinkt, Satan in Zorne zuvor. Er floh und vergaß im Entfliehen, Unter allmächtigem Fuß zu verwüsten daS Meer und die Erde. Samma stieg indeß von seinem Felsen hernieder. Also entfloh von dem hoben EuphrateS Rebukadnezar, Da ihm der Rath der heiligen Wächter die Bildung de- Menschen Wiedergab und, von Neuem den Himmel zu schaun, ihn erhöhte. GotteS Schrecknisse gingen nicht mehr, mit dem Rauschen Euphrates, Ihm in Wettern vorüber, als wären'- de- Sinai Wetter. Rebukadnezar erhub stch auf Babylon- Hangende Höhen; Jetzo kein Gott mehr, lag er gen Himmel ausgebreitet, Dankbar im Staube gebeugt, den Ewigen anzubeten. So kam Samma zu Jesu- herab und fiel vor ihm nieder. „Darf ich dir folgen, du heiliger Mann? Ach, laß mich mein Leben, Da- du von Neuem mir gabst, bei dir, Mann Gotte-, vollenden!" Also sagt' er und schlang stch mit brünstigen, zitternden Armen Um den Erlöser, der ihm mit menschenfteundlichen Blicken Dieß erwiederte: „Folge mir nicht, doch verweile dich künftig. Oft an der Höh* der Schädelstätte: da wirst du die Hoffnung Abraham- und der Propheten mit deinen Augen erblicken." Al- der Mittler zu Samma so sprach, da wandte stch Joel Zu Johanne- und sagte zu ihm mit schüchterner Unschuld: „Lieber! ach, führe du mich zu Gottes großem Propheten, Daß er mich höre, du kennest ihn ja." Der zärtliche Jünger Nahm ihn und führt' ihn zu Jesus; da sagt' er in seiner Unschuld. „Gotte- Prophet, so kann denn mein Vater und ich dir nicht folgend Aber — o, darf ich e- sagen — warum verweilest du jetzo, Wo mein jugendlich Blut erstarrt vor der Todten Gebeinen? Komm', Mann GotteS, in- Haus, wohin mein Vater zurückkehrt; Dort soll meine verlassene Mutter mit Demuth dir dienen. Milch und Honig, die lieblichste Frucht von unseren Bäumen Sollst du genießen; die Wolle der jüngsten Lämmer der Aue Soll dich decken. Ich selber will dich, o Gotte- Prophet, dann, Kömmt der Sommer, unter der Bäume Schatten begleiten, Die mein Vater tm Garten mir gab. Mein lieber Benoni! Ach, Benoni, mein Bruder! dich lass' ich zurück in dem Grabe! Ach, nun wirst du mit mir die Blumen künftig nicht tränken! Wirst am kühlenden Abend mich nieural- brüderlich wecken! Ach, Benoni! ach, Gotte- Prophet, da liegt er im Staube!" Jesu- sah mit Erbarmen ihn an und sprach zu Johanne-: „Trockne dem Knaben die Zähren vom Aug': ich hab' ihn viel edler Und rechtschaffner, al- viele von seinen Vätern, erfunden." Also sagt' er und blieb mit Johannes allein in dm Gräbern.

Der vertriebene Satan eilte zu den äußersten, in ewiger Finsterniß liegenden Räu­ men der Schöpfung, wo da- Reich der Hölle beginnt. Die Geister der Hölle, Adramelech, Moloch, Bellelel, Magog versammelten stch vor seinem Throne. Satan erzählt den Seinen die Geburt, Erziehung u. s. w. de- Mesfia- und theilt ihnm den Entschluß mit, den Mittler zu tödten. Nur ein reuiger gefallener Geist, Abbadona, wagt es, dem Satan und seinem verruchten Plane stch zu widersetzen; aber Adramelech tritt grimmig gegen ihn auf, und Alle folgen ihm und dem Satan, um den Untergang de- Erlöservorzubereiten.

Meirich «otUUk DU-»stM.

153

Dritter Gesaug. Jesu- war noch allein mit Johanne-, während die übrigen Eilfe ihn traurig am Fuße des Berge- suchten. Ihre Beschützer erhuben sich auf die Höhe de- Oelberg-, und ein Seraph der Sonne kam zu ihnen herab, gesendet von dm Seelm der Väter, um die Schritte de- Messias zu beobachtm und den harrenden Seelm zu verkündigm. Ihm zei­ gen die Engel den Messias und seine Jünger, indem sie mit den Tugenden jede- Einzel­ nen ihn bekannt machen. Der Traum de- Jschariot. Unterdeß schliefen, müde von Kummer, die übrigen Jünger In den Schattm des Oelberg- ein. Der unter dem Oelbaum, Wo er seinen bedeckmden Arm am tiefsten herabließ; Jener im Thale, da- sich bei kleinen Hügeln versenkte; Dieser am Fuß der himmlischm Ceder, die hoch und erhaben Stand und mit leisem Geräusch von dem-stillen waldigen Wipfel Schlummer und Thau auf die Ruhendm ttäufte. Viel' schliefen in Gräbern, Welche die Kinder der mordmden Stadt den Propheten erbautm. Juda- Jschariot war, nicht weit von dem stillm Lebbäu-, Der sein Verwandter und Freund war, voll Unruh' eingeschlafm. Aber Satan, der seitwärts in einer verborgenen Höhle Alle-, wa- die Engel von ihren Jüngern erzählten, Hatte gehört, brach zümend hervor und ließ, voll Gedanken Zu dem Verderben entflammt, fich über Jschariot nieder. Also nahet die Pest in mitternächtlicher Stunde Schlummernden Städten. ES liegt auf ihren verbreiteten Flügeln An den Mauern der Tod und haucht verderbende Dünste. Jetzo liegen die Städte noch ruhig; bei nächtlicher Lampe Wacht noch der Weise; noch unterreden fich edlere Freunde, Bei unentheiligtem Wein, in dem Schattm duftender Lauben, Von der Seele, der Freundschaft und ihrer unsterblichen Dauer. Aber bald wird der furchtbare Tod fich am Tage de- JammerUeber sie breiten, am Tage der Qual und de- sterbendm Winseln-, Wenn mit gerungenen Händen die Braut um den Bräutigam wehklagt; Wenn, nun aller Kinder beraubt, die verzweifelnde Mutter Wüthend dem Tag, an dem ste gebar und geborm ward, fluchet; Wenn mit tiefem verfallneren Auge die Todtengräber Durch die Leichname wandeln, bi- hoch au- der Donnerwolke Mit tiefsinniger Stim der Tode-engel herabsteigt, Weit umherschaut, Alle- still und einsam und öde Sieht und auf den Gräbern in emsten Betrachtungen stehn bleibt. So kam über Jschariot Satan zum nahm Verderben, Goß dann einen verführenden Traum in sein offne- Gehime. Schnell empört er da- klopfende Herz zu Begierden der Bosheit; Senkte zuerst empfundne Gedanken, voll Feuer, stürmend, Ihm in die Seele. So wie sich der Donner in schweflichte Berge Htmmelab stürzt, ste entzündet, dann neue Donner versammelt, Dann durch die Tiefen, nunmehr ejn ganze- Wttter, sich fortwälzt. Denn der Seraphim hohe- Geheimniß, den Seelen der Menschen Edle Gedankm, der Ewigkeit würdige, große Gedanken Einzugebm, war Satan, zu seiner größern Derdammniß, Noch bekannt. Zwar kam auS treust, sorgsamer Ahnung Seraph Jthuriel wieder zurück, bei dem Junger zu bleiben; Aber, da er mtdeckte, wie über Jschariot Satan Sich verbreitete, bebt' er und stand und sahe zu Gott auf Und enschloß sich, vom Schlaf Jschariot aufzuwecken. Dreimal schwebt' er auf Flügeln de- Sturms durch brausende Cedern Ueber sein Angesicht hin, ging dreimal mit mächtigem Schritte Bei dem Jünger vorbei, daß deö Berg- Haupt unter ihm bebte. Aber Jschariot blieb, mit kalter, erblassender Wange, Wie in tätlichem Schlummer. Der Seraph verhüllte sein Antlitz

154

Friedrich V-Miet, Ktopstock. Gleich erschien dem Jünger im Traum sein Vater und sah ihn Starr und trostlos an und sprach mit bebender Stimme: „Und du schläfst, Jschariot, hier unbekümmert und ruhig Und entfernst dich so lang von Jesus, als wenn du nicht wüßtest, Daß er dich haßt und die übrigen Jünger alle dir vorzieht! Warum bist du nicht immer um ihn mit ihnen zugegen? Warum suchest du nicht von Neuem sein Herz zu gewinnen? Ach, wem ließ, Jschariot, dich dein sterbender Vater! Gott! mit welcher Vergehung hab' ichs, mit welchem Verbrechen Hat'S mein Geschlecht verdient, daß ich auS dem Thale des TodeS Kommen und um Jschariot hier und sein trauriges Schicksal Weinen muß? Und meinst du, du werdest im Reich deS Messias, DaS er errichtet, glücklicher seyn, so betrügst du dich, Aermster! Kennest du nicht Petrus, o, kennst du die Zebedäiden, Diese geliebteren Jünger, nicht mehr? Die find eS, die werden Größer, als du, und herrlicher seyn! Die werden bei JesuS Schätze, wie Ströme, zu sich von des Landes Milde versammeln. Auch die Uebrigen werden ein viel glückseliger Erbe, AlS mein verlassener Sohn, von ihrem Messias empfangen. Komm', ich will dir ihr Reich in seiner Herrlichkeit zeigen. Steige mir nach! auf, wanke nicht! komm', ermanne dich, JudaS' Siehest du dort vor uns daS unendliche, breite Gebirge, Welches ins fruchtbare Thal verlangte Schatten hinabstreckt? Hier wird unaufhörlich, wie auS dem schimmernden Ophir, Gold gegraben; hier trieft das Thal, durch selige Jahre, Reich und unerschöpflich, vom Ueberflusse des SegenS. Dieß ist seines erwählten Johannes gesegnetes Erbe. Jene Hügel, belastet von dichten, schattenden Reben, Diese von wallendem Korn weit überfließenden Auen Sind dem geliebteren Petrus von seinem Messias gegeben. Siehst du die ganze Fülle des Landes? Wie hier sich die Städte, Gleich der KönigeStochter, Jerusalem, unter der Sonne Glänzend und hoch, voll unzählbarer Menschen, im Thale verbreiten! Wie sich neue Jordane dort, die Städte zu wässern, Unter jener Umwölbung der hohen Mauern dahinziehn! Gärten, gleich dem befruchteten Even, beschatten den Goldsand Ihrer Gestade. Dieß sind die Königreiche der Jünger. Aber erblickst du, Jschariot, auch in jener Entfernung Don das kleine gebirgige Land? Da liegt eS verödet, Wild, unbewohnt uud steinig, mit dürrem Gehölz durchwachsen. Ueber ihm ruhet die Nacht m der kalten, weinenden Wolke, Unter ihr Eis und nordischer Schnee in unfruchtbaren Tiefen, Wo, verdammt zu der Klage, zur Oed' und deiner Gesellschaft, Nächtliche Vögel die donnergesvlitterten Wälder durchirren. Ach, dein Erbe! Wie werden vor dir, verachteter Jünger, Bald die übrigen Eilfe, mit triumphirender Stirne, Stolz vorübergehn und kaum in dem Staube dich merken! Judas, du weinest vor Gram und edelmüthigem Zorne! Sohn, du weinest umsonst, umsonst stießt jede der Thränen, Die in deiner Verzweiflung dir fließt, wenn du selbst dir nicht beistehst! Höre mich an, ich schließe dir ganz mein väterlich Herz auf: Sieh', der Messias säumt mit seiner großen Erlösung Und mit dem herrlichen Reich, das er aufzurichten verheißen. Nichts ist den Großen verhaßter, als Nazareths Kömg zu bienen. Täglich sinnen sie Tod' ihm aus. Verstelle dich, Judas, Schein', als wolltest du ihn in die Hand der wartenden Priester Ueberliefern, nicht, Rache zu üben, weil er dich hasset, Sondern, ihn nur dadurch zu bewegen, daß er sich endlich Ihrer langen Verfolgungen müd' und furchtbarer zeige, Daß er, mit Schande, Bestürzung und Schmach sie zu Bodelt zu schlagen.

Kiedrich «otttidr Kl-pftack. Sein so lang erwartete- Reich auf Einmal errichte. O, dann wärst du ein Jünger von eine» gefürchteten Meister; Dann, dann würdest du auch dein Erbtheil früher erlangen! Ist e- auch klein, so kannst du eS doch, erlangst du eS früher, Endlich mit unermüdendem Fleiß, mit Wachen und Arbeit, Durch Anbauung und Handel bereichern, daß e- der Andern Großem gesegneten Erbe, wiewohl von ferne nur! gleiche. Hierzu füllen gewiß, für die Ueberlieferung Jesus, ^ Dir die dankbaren Priester mit ihrem Golde die Hände. Dieß ist der Rath, den dir dein bekümmerter Vater ertheilet. Schaue mich an! Ist eS nicht mein blasses, erstorbenes Antlitz? Ja, aus deS unteren Libanon- Hain, selbst da für dich wachend, Komm' ich hierher und zeige dir deine Rettung im Traume! Doch du erwachst. Verachte nicht, Sohn, die ermahnende Stimme Deines VaterS und laß mich nicht trauernd zu meinen Genossen, Zu den Seelen der Todten mit Herzeleid nicht hinabgehn!" Satan richtete stch nach seiner Gesichte Vollendung Ueber ihm auf. So richtet stch hoch ein werdender Berg auf, Kurz noch ein Thal, wenn Thäler um ihn bei Erschüttrung der Erde Mit den gesunkncn Gewölben hinab in die Tiefe sich stürzen. Judas erwacht, springt ungestüm auf. „Ja, ste war es, die Stimme Meines todten Vaters, so redt' er, so sah ich ihn sterben! Also ist es gewiß: Er hasset mich! Selbst bei den Todten Ist es bekannt! Was du immer mit zitternder Ahnung vermuthet, Du Derlass'ner, das melden dir jetzt die Seelen der Todten! Run wohlan! so will ich denn hingehn, Alle- vollenden, WaS mein Gesicht mir gebot! Allein so handl' ich ja untreu An dem Messias! Und wenn mir zürnende Schwermuch den Traum gab Oder Satan? Entfleuch, zu furchtsamer, kleiner Gedanke! Aber ich fühle bei mir nach Reichthum heiße Begierden! Heiße Begierden nach Rache! WaS bist du, Seele, so zärtlich, Ach, so empfindlich und bang, dich mit schwachen Gedanken zu quälen? Träume zeigen stch dir! Die Träume befehlen dir Rache! Wenn ein Gesicht ste gebeut, so ist die Rache geheiligt!" Satan hört' ihn so reden, den schon die Gerichte deS RichterLeise trafen, weil er vorher die Unschuld der Seele Schon entheiliget hatte. Mit vollem schweigenden Stolze Schauete Satan auf ihn und mit wildem Antlitz herunter. Also sieht ein gefürchteter Fels au- der hohen Wolke In da- wogende Meer auf schwimmende Leichname nieder. Aber nun faßt der Donner ihn bald, bald ist er, zertrümmert, Tief in dem Meer ein Thal ant) liegt; ihn werden die Inseln Fallen sehn und rings zujauchzen dem rächenden Donner. Satan verließ vaS Gebirg und ging mit gehobenem Schritte Ueber Jerusalem hin und sucht' in den stillen Palästen Kaiphas auf, den Feind und den Hohenpriester der Gottheit, Ueber sein Herz voll Bo-heit noch viel boshaftre Gedanken Auszugießen und ihn mit dunkeln Gesichten zu Tuschen. JudaS Jschariot blieb noch vertieft in irre Gedanken Auf dem Gebirge. Der Tag ging jetzt der schlummernden Welt auf. Jesus erwachte, Johannes mit ihm. Sie gingen zusammen Auf den Berg und fanden daselbst die Jünger noch schlafend. Jesus ergriff dem frommen LebbäuS die sinkenden Hände, Sprach, als er jetzt erwachte, zu ihm: „Da bin ich und lebe, Frommer LebbäuS!" Der Jünger sprang auf, umarmt’ ihn mit Thränen, Lief und weckte die übrigen Jünger und brachte sie JesuS. Als ste ihn rings vertraulich umgaben, sprach er zu ihnen: „Komm', du heilige Schaar, nnr wollen uns unter einander Diesen übrigen Tag vor dem AbschiedSkuffe noch freuen! Komm’, jetzt stehet uns Saron noch offen, thallt noch der Himmel

ro

156

Friedrich Gottlied Alopftock.

Ueber und aus dem frühen Gewölk in die SegeriSgestlde. Siehe, die himmlische Ceder, von meinem Vater erzogen, Sendet noch kühlende Schatten herab. Noch seh' ich den Menschen Von so göttlicher Bildung bei meinen Unsterblichen wandeln! Aber bald ist daS Alle- nicht mehr! Bald wird stch der Himmel Dunkel mit schreckenden Wolken umziehn! Bald werden die Tiefen Ungestüm erzittern und dieß Gefilde voll Segen, Dieß geliebte Gefilde verwüsten! Bald schaun die Menschen Mit Mordblicken mich an! bald werdet ihr Alle mich fliehen! Weine nicht, PekruS, und du, mein zärtlich bekümmerter Jünger, Weine du nicht! Wenn der Bräutigam da ist, weinet die Braut nicht. Ach, ihr werdet mich wieder erblicken, mich sehn, wie dle Mutter, Sie ein einziger Sohn bei den Auferstehenden sehn wird." Dieses sagt' er und stand mit göttlich heiterem Antlitz Unter ihnen; allein in seinem Herzen empfand er Innerlich Seelenangst und der Söhnung erhabene Leiden. Also ging er und ward von Allen verttaulich begleitet. Nur von Jschariot nicht. Der hatt' ihn unter den Schatten Waldiger Wipfel von ferne gehört. „So weiß er ja selbst schon," Sagt' er in sich, da er JesuS, der eilt', in der Ferne noch nahsah, „Daß ihm ein Tag der Finsterniß droht! So wird er auch wissen, Wie er seinen Verfolgern begegnen und, unüberwindlich, WaS er anfing, endigen soll. Doch weiß er auch, JudaS, Weiß er, waS du beschlössest, auch schon? Du willst ihn verrathen! Aber wenn daS Gesicht mich nun täuschte? der Traum mich bewöge? Täuschet mein Traum mich, und kam er, noch mehr den Gehaßten zu quälen, O, so sey sie verflucht, die Stund', in welcher ich einschlief, Und zu mir mein Vater, wie Todtengestalt, heraufkam! Kehrt sie zurück, dann müsse man sterbend Geheul auf den Bergen Hören! sterbend Geheul in tiefen, fallenden Gräbern Müsse man hören! Verflucht sey der Ort, wo ich lag und einschlief! Don, dort müss' ein entsetzlicher Sohn den Vater erwürgen! Ha! dort stieße daS Blut von meinem geliebteren Freunde, Wenn er mit eigener Hand in seiner Wuth sich erwürgt hat! JudaS, wohin verinest du dich? Verirrest? WaS zürnst du Ueber dich selbst? Du verinest dich nicht, wenn du also getäuscht wirst! Lehret mich ein gesandtes Gesicht den Messias venathen, Uud ich sündige dran, seyst du auch untn den Tagen, Schrecklichster Tag, verflucht, da mich der Messtaö erwählte, Da er voll Liebe, mit Blicken der Huld, dem Gehorchenden sagte: „Folge mir nach!" Du müssest umwölkt und dunkel und Nacht seyn' Nahest du, müsse die Pest in Finsternissen umhergehn! Tödten, senkt die Sonne den Sttahl, vnderbende Seuche! Dich, Tag, nenne kein Mensch! und untn den Tagen vergess' dich Gott! Wie ergreift mich die Angst! wie zittern mir alle Gebeine! Judas, wo bist du ? Erwache, sey stark! Was quälst du dich, Aermster? Deine Gesichte täuschen dich nicht! Und wenn sie dich täuschten, Kannst du eö andns, als so, wonach du dürstest, erlangen?" Also rief er, wüthet' er, war seit seinem Gesichte Zwo erschreckliche Stunden dn Ewigkeit näher gekommen. Vierter Gesang. Unterdeß hatte Satan auch den CaiphaS mit vnwinendem Traume bethört. Dieser läßt die Versammlung aller Priestn und Aeltesten bnufen und sucht sie zu bewegen, end­ lich den langgehegten Entschluß, JesuS zu vndnben, auszuführen. Philo, ein Pharisäer, übnhäuste zwar den EaiphaS mit Vorwürfen wegen seiner Heuchelei und seines Lebens­ wandels, drang aber auch darauf, daß JesuS gesteinigt werden sollte. Gamaliel aber sucht die Tobenden zu beschwichtigen und räth zur Mäßigung. NikodemuS lobt ihn deshalb, bekennt frei die Unschuld des Messias, ob auch Philo in schrecklicher Wuth gegen ihn tobt, und verläßt dann mit Joseph von Arimathia die Versammlung. Da tritt Jschariot ein,

/vk)th|| fßottlifb Jltopftoik.

15T

theilt dem Hohenpriester f*tm Plan mit und geht dann, Jesu- wieder aufzusuchen. — Jesu- näherte fich Jerusalem und sandte Johanne- und Petrus vorauf, da- Mahl zu be­ reiten. Petrus schaute von dem Söller de- Hause-, um die Ankunft Jesu zu erwarten. Da erblickte er die Mutter Jesu, die ihn lange vergeblich gesucht und traurig daher kam, begleitet von Lazaru-, seiner Schwester Maria, Cidli, der Tochter Zairu-, und von Semida, dem Jüngling von Nain. Petru- ladet fie ein, auf die Ankunft de- Erlöser- zu warten, aber der besorgtm Mutter währt e- zu lange; fie will ihn aufsuchen, um ihn zu bittm, sein Leben nicht zu opfern. Jesu- spart ihr den Schmerz und gelangt auf einem anderm Wege zu den harrenden Jüngern und halt mit ihnen da- letzte Mahl. Dann geht er hinau- über den Kidron in den Garten Gethsemane.

Fünfter Gesang. Gott verließ mit Eloa seinen Thron, um zum Gericht über die Sünden der Mensch­ heit heranzunahen. Ihn sahen die himmlischen Schaarm, auch die auf einem Gestinte wohnenden unschuldigen Menschen. Gott ließ stch auf Tabor nieder und begann da- Ge­ richt. Eloa erläßt eine Aufforderung an alle Himmlische, ob einer von ihnen statt deMenschengeschlechts im Gericht erscheinen wollte. Da erhub fich Christus im Garten Gethsemane. — Da- Gericht über ihn begann. Bange Leiden de- Todes quälten ihn, und Angstgebete sandte er gen Himmel. Und Adramelech kam, sein zu spotten, aber Chri­ stus sah ihn an mit vernichtendem Blick, und er entfloh. Dann kam er zu sännt schla­ fenden Jüngern zurück, und die erste Stunde der Leiden war vorüber. Und er ging wieder in da- Gericht. Da kam Abbadona, sein Antlitz zu schauen und klaate von fern sein elen­ de- Geschick und seine Verzweiflung. Jesu- kam zu den schlafenden Jüngern zurück, und die zweite Stunde der Leiden war vorüber. Und er ging wieder hin in da- Gericht, und endlich ging auch die dritte Stunde der bängsten Leiden vorüber.

Sechster Gesang. Da nahte Juda- mit der Schaar der Knechte, küßte ihn und ließ ihn ergräftn. — Die Priester waren versammelt und erwarteten mit Ungeduld die Ankunft de- gefangenen Messias, der erst zu Hannas geführt war. Er kam, und Kaipha- bestieg den Richtstuhl, gedungene Zeugen traten auf, und Philo und KaiphaS bestimmten ihn zum Kreuzestod. Portia, de- Römer- Pilatus Weib, hatte dem Gericht beigewohnt, und trat, von ttefem Mitleid ergriffen, auf den Söller, um für seine Rettung m beten. Da hörte fie de- Pe­ trus Stimme, der voll Verzweiflung seine Verläugnung Jesu dem Johanne- bekannte.

Siebenter Gesang. Philo träfet die Versammlung an, den Messta- vor Pilatu- zu führen und dort anzuklagen. Dieser führt ihn von der Menge fort in- RichthauS. — Jschariot, der die Folgen seiner That steht, wirft voll Verzweiflung den Priestern ihr Geld vor die Füße, entflieht und tödtet sich. Pilatus fand keine Schuld an Jesu- und überwie- ihn an Herodes. — Die Mutter Jesu naht fich dem Palaste und findet die Portia, und diese ver­ spricht voll Rührung Hülfe, an die Maria nicht glaubt, da Jesus selbst oft von sänem gewissen Tode gesprochen. — HerodeS verspottete Jesu-, und man führte ihn zu PtlatuS zurück, der, ihn zu retten, sich nicht stark genug fühlte.

Achter Gesang. Eloa weihet Golgatha zur Stätte de- Tode- Christi. Die Seelen der Väter schwe­ ben von der Sonne herab, um Zeugen seine- Tode- zu sein. — Christus kam herauf nach Golgatha mit dem Kreuz, und die Engel umstanden ihn. Zwei Verbrecher wurden mit ihm gekreuzigt; der Eine von ihnen wird begnadigt. — Sonnenfinsterniß, Erdbeben.

Neunter Gesang. Petrus stand auf einer der Anhöhen nah' an Golgatha und wagte nicht, sein Ant­ litz zu dem Gekreuzigten zu erheben, wandte fich und suchte die anderen Jünger auf. Er fand Lebbäu-, dann Andrea-, dann Joseph v. Arimathia und NikodemuS; endlich wagt er e-, Golgatha näher zu gehn und fleht am Fuß de- Kreuze- Maria, Johanne- und Magdala, tief in Schmerz versunken. Abraham und Mose- Unterredung. Christus tröstet Maria und Johannes. Abbadona nahte fich dem Kreuze, aber, erkannt von Abdiel, einem Engel oe- Licht-, entfloh er. — Jschariot'- Seele wird von Obaddon zur Hölle geführt.

158

Friedrich «ottlirt Mopstsck. Zehnter (besang.

Qualen Satan's und Adramelech'S bei Jesu Kreuzigung. Um daS Kreuz standen die Seelen der künftigen Christen, unter ihnen die des Timotheus, Antipas, HermaS, der Phöbe, deS EpaphraS u. f. w. Die ernststen Todten klagen um den sterbenden Messias, Simeon und Johannes, Debora und Mirjam. LebbäuS, der trauernde Jüngling, der kla­ gend sich an einem Grabmahl niederwarf, wird von LazaruS getröstet. Alle Frommendes §L T. kommen, um Zeugen des Todes Jesu zu sein. Gebet AdamS. Der Todesengel kam näher und näher.

Christus verschied.

Cilfter Gesang. Christus schwebte verklärt zu Gott empor; die Schaaren der Heiligen kehrten zurück zu ihren Gräbern, und sie erstanden mit verklärten Leibern als himmlische Geister. Joseph's und Samed's Unterredung. Tod des begnadigten Schächers am Kreuz. Auferste­ hung Mosis und der Könige Judas. Daviv's und Jonathan s Unterredung. Elisas, Debora'S und A. Auferstehung. Die Mutter mit ihren 7 Söhnen ersteht. Joel, Samma'S Sohn, an seines Bruders Benoni Grab. —

Zwölfter Gesang. Joseph v. A. erbittet sich von PilatuS Jesu Leichnam; er und Nikodemus begraben ihn. Klaggesang der Seligen. Johannes führt die.Mutter Jesu in sein HauS; Versamm­ lung der klagenden Jünger. Lazarus eilt mit LebbauS zu Maria, seiner kranken Schwe­ ster. Sie stirbt. — Lazarus kehrt zurück in der Jünger Versammlung. — Traum des Johannes.

Dreizehnter Gesang. Die Engel und die auferstandnen Frommen eilen zu dem Grabe Jesu, der Auferste­ hung zu warten. Portia sendet zum Hauptmann, der die Wache am Grabe hat. Ge­ danken de- Hauptmanns. — Obaddon verkündet Satan und Adramelech den Befehl, bei der Auferstehung Jesu auf Golgatha zugegen zu sein. Da bebte die Erde, und der Er­ standene schwebte über dem Grabe und dann nach Tabor hinüber. Die Hüter des Grabes waren ohnmächtig umgesunken; als sie sich ermannten, fanden sse das Grab leer und brachten der Priesterversammlung Nachricht. AlS auch der Hauptmann die Schreckensnach­ richt bestätigte, entriß Philo ihm sein Schwerdt und tövtete sich voll Verzweiflung.

Bierz ehnter Gesang. Die Frauen an Christi Grabe. Immer noch in ihr Leiden versenkt und schmachtend nach Troste War in der Hütt' an dem Tempel die jammervolle Versammlung, Wie an der glanzverbergenden Decke der näheren Zukunft Oft Schnellsterbende dicht schon wandeln und dennoch weinen. Und die heiligen Weiber vermischten mit Oele der Würze Blume zur Salbung deS Herrn, und Thränen rannen darunter. Wie die weisen Begleiterinnen des Bräutigams wachsam Waren und emsig zu nävren der Lampen Flamme, damit sie Ihm entgegen kämen, sobald er erschiene: so wart ihr Auch, Nachfolgerinnen des Mittlers, bereit bei der Dämmrunq Erstem Winke zu seyn, mit eilender Sorge beschäftigt. Doch sie erwarteten nicht der Morgendämmerung Ankunft; Nacht noch war eS beinah, als sie die Jünger verließen. Die aus Magdala'S Hütten und KleophaS Weib, Maria, Und Johanna, mit ihr die Schwester der leidenden Mutter, Salome, dann die zu zärtliche Mutter der Zebedäiden Waren die Führerinnen. Ihr Lieben, ihr seht ihn noch einmal, Sprach bei dem Abschied die Mutter, ich aber seh' ihn nicht wieder. Gehet denn hin im Namen deS Herrn. Sie schwiegen und gingen. Und der Morgen athmete kalt. Sie eileten, sprachen: „Mer wer wälzet den Srein von dem Grabe?" Doch dieser Kummer

Kiedrich «fUßtt Ai-pst-ch. Hielt sie nicht #Hf- „Wir thun," sprach Magdalena Maria, „WaS wir können, und schützen, solang das Salben vermögen, Ihn vor der grauenvollen Verwesung." So sprach sie und eilte. Gabriel sa- auf dem weggewalzeten Felsen und sagte Zu Eloa und Abdiel, die nicht fern von ihm schwebten: „Ach, kaum, daß ich vermag zu erscheinen, so beb' ich vor Freüden. Seht ihr die Zeuginnen kommen? Ich will als Jüngling erscheinen; Sonst ergriffe die armen Glücklichen, schreckte zu mächtig Meiner Herrlichkeit Schrecken. Erscheinet ihr ihnen als Männer, Wenn sie mchr der Unsterblichen Glanz zu ertragen vermögen." Aber der Mittler schaut' auS seiner Verborgenheit Hüllen Auf die Engel herab und auf die kommenden Menschen; Freuete sich der göttlichen Freuden, die Blut ihm erkaufte. Magdala's Bewohnerin kam, sah offen das Grabmal, Weggewälzel den Fels, floh, rief's den Andern entgegen, Eilte zurück nach Jerusalem. Aber die Kommenden ließen Sich nicht schrecken und gingen heran. Da erblickten sie schleunig Auf dem Felsen, der weggewälzt an der Oeffnung de- GrabS lag, Einen Jüngling, der schimmerte. Seine Gestalt war dem Blitze Gleich, dem Schnee da- Gewand. Er sprach mit der Stimme der Wc „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr den Gekreuzigten suchet, Jesu-. Er ist nicht hier. Er ist von den Todten erstanden, Wie er verkündiget hat. Kommt her und sehet die Stätte, Wo der Göttliche ruhte." Da führet' er sie in da- Grabmal. Gehet eilend nun hin und sagt'S den Jüngern und sagt eKephaS: Auferstanden sey er von den Todten. Und stehe, Jesus gehet hinab nach Galiläa. Da werdet Ihr ihn sehn. Nun eilt und verkündet- den Zwölfen. Sie bliebm Unentschlossen und zitterten säumend. Im Strahlengewande Traten noch zween der Engel herein. Sie erschraken und schlugen Nieder zur Ero' ihr Angesicht. „WaS suchet ihr," sprachen Diese Männer, „unter den Todten den Lebenden! Hier ist JesuS nicht. Erstanden ist er. Gedenkt, was er sagte, AlS er in Galiläa noch war. In die Hände der Sünder Muß der Sohn der Menschen gegeben werden, gekreuzigt Muß er werden, erwachen den dritten Tag von dem Tode." Jetzo eileten sie mit Beben und inniger Freude, Liefen, es nun den Jüngern de- Herrn zu verkündigen. > PetruS Unv Johannes kamen indeß mit Magdale wieder. AlS sie Jerusalem jetzt verließen, sagte JohanneZu den Gefährten: „Der Weg an jenen Sträuchen hinunter Ist ein schnellerer Weg." Er führt', ihm folgten die Andern. Wo einander am meisten die beiden Wege sich nahten, Sondert' ein Hügel sie nur. Von diesem Hügel geschieden, Gingen sich, ohn' einander zu sehn, die heiligen Weiber Und die Jünger vorüber. So nahn oft Pilger nach Salem, Deren Seelen sich gleich und für einander gemacht find, Sich in diesem Leben und fehlen sich dennoch. In Salem Sehn sie sich erst, verwundernd, daß ste sich hier nicht gefunden. Kephas sprach zur Gefährtin, indem sie dem Führer mit Mühe Und von ferne nur folgte: „Genommen wäre der Leichnam? Don dm Priestern? Allein die habm, sagt man, den Grabstein Ja versiegelt! So haben ihn denn Elende gmommen, Ihm das Todtengewand zu rauben." Er sprach'-, und JohanneWar dem Grabe schon nah. Gelegt erblickt' er die Leinen; Aber er ging, voll unentschlossene- Kummer- und Ehrfurcht, Nicht hinein. Nun kam auch athemlo- Petrus und eilte, So wie er kam, in da» Grab. Er sahe daS Tuch, so de- Todtm Haupt umwand, besonders gelegt und nicht bei den Leinen, Fand eS zusammengewickelt. Ihm folgte Johanne- in- Grabmal,

ise

160

Friedrich Gottliet, Alopstsck. Sah eS und überzeugte sich ganz von Magdale'S Botschaft. Aber davon, daß, nach der Propheten Gesicht, der MesflaS Aufstehn muffe, wußten sie nicht-. Sie verließm da- Grabmal Und Maria. „Wofern," sprach Petrus im Gehn zu Johanne-, „Sich die Priester ander- entschlossen und der Besieglung Nicht gnug trauten, gewiß ihn zu haben, so nahmen die Wüther Ihm da- Todtengewand, um seine Wunden noch einmal, Heiß vom Durste der Rache, zu sehn." Sie gingm verstummt fort. Magdale stanv vor dem Grab und blickt' und wischte die Thränen Schnell mit Heftigkeit weg, um zu sehen, fie blickt' und starrte Aengstlich hinunter in- Grab. Zwar waren Engel im Grabe Und erschienen ihr; doch kaum sah fie die Engel. Denn JesuSah fie nicht, nicht Jesu-. So sucht mit lechzender Zunge, Nur die Quelle da- schreiende Reh; die Sonne, die aufgeht, Siehet e- nicht, es fühlt nicht die y-ehenven Schatten des Waldes. „Weib, waS weinest du?" sprachen zu ihr die Boten der Wonne. M. Ach, fie haben genommen, den meine Seele liebet, Und ich weiß nicht, wohin sie ihn legten? So sprach fie und wandte Sich von dem Grabe. Da stehet sie JesuS stehen und weiß nicht, Daß eS Jesu- ist. I. WaS weinest du, Weib? wen suchst du? Aber dieß sprach er noch nicht mit der Stimme de- ewigen Lebens. Sie antwortet dem Gärtner (sie meint, sie sehe den Gärtner): „Hast du ihn weggenommen; wohin hast du ihn getragen ? Ach, in welche Finsterniß? daß ich eil' und ihn suche." Nahe, wie sie, der unaussprechlichsten Seligkeit, weint so Selbst ein Geliebter deS Herrn, wenn seiner Sterblichkeit letztes, Aber stärkstes Gefühl die ganze Seel' ihm erschüttert. Ach, er lieget und ringt mit dem Tod und dürstet nach Hülfe, Weint zu Christus und kennt — so schreckt ihn der Prüfungen letzte Kennt den Liebenden nicht, steht nur den Richter der Welten. Aber zwo Thränen nur noch, und welche Wonn' ist die seine! Selber von dem, mit dem sie von Jesu- redete, wendet, In der Traurigkeit ihrer Seele, Maria ihr Antlitz. Aber, wie Harfen am Thron, wie Jubel der Ueberwinder, Singen fie, ganz in Liebe zerflossen, daS Lamm, da- erwürgt ward, Nicht wie der Ueberwinder Harfen und Jubel am Throne, Inniger, herzlicher, liebender scholl des Auferstandnen, JesuS Stimme der Weinenden, Jesu- Stimme: „Maria!" Und fie hört' und erkannte die Stimme deS Herrn, und indem sie, Kaum sich ihrer bewußt, in der Angst der Freude dahinsank, Bebend und bleich in den Staub hinsank zu den Füßen deS Mittlers, Strebte fie, wa- sie empfand, dem Erstandenen zuzurufen; Aber sie stammelt' und athmete kaum und blickte den Herrn an, Weint' und stammelte nur mit leisem Staunen: „Rabbuni!" Und fie hielt mit wankender Hand deS Götüichen Füße. Liebend und ganz Barmherzigkeit sah sie der Herr an und sagte: „Halt' mich nicht also! Noch bleib' ich bei euch. Du siehst mich noch wieder. Und noch hab' ich mich nicht zu meinem Vater erhoben. Geh' zu unseren Brüdern und sage zu ihnen: Die Stunde Meiner Herrlichkeit naht. Ich gehe zu meinem Vater Unv zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem!" Jesus verschwand, und sie ging mit der Botschaft der Wonne belastet. Salome naht sich mit ihren Begleiterinnen dem Thore. Aber, der Maria verschwand, begegnet den Andern In der duftenden Kühle deS werdenden röthlichen Tage-, Mit der Sonne, die kam und Gottes Herrlichkeit strahlte. Und er war eS gleich selbst. Sie erkannten ihn Alle, der nun nicht Unter den Todten mehr war. „Seyd mir gegrüßet," so sagte Jesu- Christus. Sie sanken vor ihm mit Beben zur Erde, Hielten ihm seine Füße. „Seyd nicht erschrocken und gehet

JMftrt# Mi* -»-pft-ck.

m

Und verkündigt tS ndiMtt Brüdern. Rach Sawäa Sollm sie gehn. Dort sehen fie mich. Er verschwand mit dm Workm. Und di« AOgtnne» hudm einander mit sprachlos« Freud' auf, Gingen eilmd nach Sale«, der Wonne Botschaft zu bringen. Botschaft an dir Versammlung der Jünger. Zweifel des Thomas. Petru» geht dann allein hinaus zum Grabe, und auch ihm erscheiut Christus. Die beidm Jünger auf dem Wege nach Euunau» (KleophgS und Matthias). — Thomas kann dem Zweifel noch immer nicht wehren, flieht in die Einsamkeit; dort erscheint ihm rin Himmltscher, der ihn ttöstet; aber sei» Zweifel weicht nicht. — Di« Jünger warm versammelt bet ver­ schlossenen Thüren, da erschien ihnm der Herr.

Fünfzehnter Gesang. Gebet Nephthoa'S, «ine» von Christus gesegnetm Knaben. — Dem Dilean erschei­ net Thttza, die Mutter der 7 Märtyrer in himmlischer Gestalt. Der Tabitha erscheint die Prophetin Debora. — Tod der Gattin Gedor's und Erscheinung der Rahel. —. Dem Jüngling StephanuS erscheint der himmlische Jrdivoth und verkündet ihm sein Martyrerthum. Dem Barnabas Jose» erscheint Johanne» der Täufer, nachdem Ananias und Sapphira einer solchen Erscheinung nicht würdig brfundm waren. Der Portta erscheinen an dem Grabmal de» Herrn Verklärte, Rahel und Irmina, Hiob» Tochter. Dem durch Chri­ stus geheilten Blinden, Beor, erscheint Hiob. Dem Samma und Joel, dem Elkanan, Si­ meon'» Bruder, und seinem Führer Boa erscheinen die verklärtm Gestalten Brnoni's und Simeon'». Der Mutter Jesu erscheint Eva. Semtda'S und Cidli'S Verklärung. Cidli, di« Tochter Jatru», saß vor der Laube de» Söller» In dem Schimmer der Morgmrvthr. Sie sah den Geliebten, Seit er zu seinem Grabe von ihr in der Traurigkett eilte, Ihren Srmida nicht. „O Liebe voll Unschuld, ich darf dich, Meine Liebe, so ntnnm, wann wirst du mich endlich verlassen, Wann wegrufen den Schmerz, der Alles in ttibe Blldrr, Alles in Thränen um mich verwandelt? Gehör' ich der Erd« Biel zu wmig, ihr sterblich« Söhn« zu gebm; erstand ich, Gott mich auf diese Weis« zu widmen: wa» weilest du, Liebe, Zwar mir bitterer Schmerz, doch Liebe voll Unschuld, was wellst du Unnachlaffend in mtt? Doch, wenn drin Weilen mtt zeigte, Daß ich, also dem Herrn mich zu widmm, vom Tode nicht aufstand? Ach, wer führt mich heraus au» dieser Tiefe M Schmerze», Dieser Irr« de» Grübeln» heraus? Zwar bin ich erstanden; Aber sterblich bin ich. Ich leb', und ich leide, wie Andre, Leid« viel mehr, wie Andre, die so voll Unschuld nicht lieben. Wär' ich nur sterblicher auch! Du Klage, wärest zu heftig. Sterblicher will ich nicht seynSie erhebt sich und trocknet mit Eile Ihre Wange. Da stieg der Pllgertnnrn des Festes Eine den Söller herauf, von der Mutter Ctdlt's begleitet. P. Lange »ettf ich umher, Jatru» Tochter zu sehen; Endlich find' ich dich auf. Du hast von deines Erweck«» Hohem Triumph doch gehört? C. Ich habe von meine» Erweck«» Hohem Triumphe gehört; dock sein« Herrlichkeit Zeugen Hab' ich noch nicht gesehn. Maria, Lazaru» Schwest« — Denn ihn kennst du wohl auch, da du mich zu suchen umherwallst — Ist entschlafen, und, ob die Mutt« de» Göttlichen lebe, Weiß ich auch nicht. P. Sie lebt und hat den Erstandn«» gesehen. C. Hat «in Engel dich mir, o Pilgerin, zugesendtt, Daß du mtt dies« Botschaft von Jesus Herrlichkeit brächtest Und den Freuden d« Mutt«? P. Ich suchte d« Auf«standnen Eine, von denen eine, die Jesu» Herrlichkeit zeugten, Al» « noch in der Niedrigkeit war. Vernähmest du, Cidli, Nicht» von den neuen Zeugen und Zeuginnen nun, da « herrschet Mächtig« über dm Tod, als da er den Brnd« Maria'»

Siiinoro'6 deutsch. Ged. Sammt.

11

168

Friedrich Gottlieb Ktopstock.

Und den Vaterlose« aus- Rain und dich erweckte? Kam der Ruf nicht zu dir: viel' Heilige wären erstanden, AlS er am Kreuz entschlief, und die erschienen den Frommen, Die ihn liebten? 6. Ich lieb' ihn, ich lieb' ihn, o Pilgerin, rede! Ist der Ruf denn gewiß? P. Nicht lange, so wird es sich zeigen. Biel' erzählm, daß sich die auferstandnen Gerechten Auf der Verklärung Gebirg versammeln. Auf Tabor zu steigen, Ist daher mein Entschluß. Doch in einer Erstandnen Begleitung Wallet' ich lieber dahin, als allein zu den neum Erstandnen. C. Pilgerin, zwar bin ich auferweckt von dem Tode, doch bin ich Sterblich, wie du. Die Erstandenen find vollendete Fromme, Wenn sie erscheinen. Doch geh' ich mit dir, wofern du mich leitest Und die Sinkende hältst, wenn wir Erscheinungen sehen. Und sie machten sich auf, nach Tabor zu gehen, die Mutter Und mit Cidli die Pilgerin. Der Jüngling auö dhxn, Semida, hatte so viel von deinem Erwachen, Versöhner, Endlich erforscht, daß er sein Herz beruhigen konnte, Glauben konnte, du seyst wahrhaftig vom Tod' erstanden. 9iim erwachten von Neuem mit tiefverwundender Wehmuth Seiner Liebe Schmerzen in ihm. Noch war für ihn immer Cidli geschaffen. Das fühlt' er yt mächtig; unüberwindlich War der Sieger, dieß starke Gefühl, in dem innersten Herzen. „Nacht vor mir, wer führt mich durch dich, wer hindurch zur Gewißheit, Ob, die ich mir erkor für die Ewigkeit, wieder mich liebe? Over auch nicht? Wer bringt mich hinauf zu den Höhen der Freude Oder hinab in daS sinkende Thal der bittersten Schmerzen? Auferstandm bin ich, doch nicht unsterblich geworden. Waren wir dieß, so wären wir lang hinüber gegangen In der Ruh' Gefilde, wo nichts die Liebenden trennet. Und dort liebte mich Cidli gewiß! O Cidli, Gewählte, Die ich liebe, wie Wenige nur zu lieben vernlögen! Doch verstumme du, Schmerz! noch sterblicher machst du mich, trüber Bitterer Schmerz. Wie sonderbar ist mein Schicksal! Ein Jüngling, Munter und froh, der war ich und starb und kehrt' auS Gefilden Dunkler Empfindungen wieder, allein die Freude mir waren, Wurde — waS würd' ich? — mir däucht'S bei dem Wiederkommen, ich wäre Nun ein Unsterblicher; aber wie bald empfand ich, ich wäre Wieder sterblich und, was ich nicht war, eh' zum Tod ich hinsank, Elend, elend dadurch vor Allem, daß ich die Wonne Meines Lebens, die Weisheit deß, der todt war und lebet, Nicht, wie ich sollte, genug mir machte zu Saat für die Zukunft, Dann zu ernten, wenn nun das erste Leben enrfiohn ist. Herr, von dem Tod Erstandener, eh' zu dem Vater du hingehst, Rufe zu dir mich, damit ich von dir daS Eine, daS noth ist, Mehr noch lerne!" So dacht' er und schwieg mit gefalteten Händen. Und zu ihm trat ein Fremdling herein. F. Du kannst mir, o Jüngling, Helfen, wofern du willst. An dem Fuße von Tabors Gebirge Liegt ein verwundeter Mann, den haben Mörder verwundet. Auf dem Wege zu dem sitzt Einer, der blind ist und durstet. Keine Quelle war da, er wußte mir keine zu nennen. Sieh', er durstet und ruft nach Hülfe, die lhm versagt wird. Auf dem Wege zu ihm wehklagt ein ermatteter Alter, An die Felsen gesunken. Ich konnt' ihn nicht führen, und laben Konnt' ich ihn auch nicht. Ich selber, ach, bin durstig und kraftlos. Semida rief mit Schnelligkeit: „Nimm unv stärke dich; nimm dann Dieses für sie unv dieß. Ich nehme das Andre." Sie gingen, Kamen zum Greise. S. Geh' du voraus mit dem zu dem Blinden. Nimm, mein Battr, und iß und trink' dieß Labsal der Traube! Sprach's und kaw dem Pilger zuvor und früher zum Blinden. „Den die Sonne nur wärmt, o, nimm die Stärkung, ich komme

MeVßjch «»tM» Al«Pst»ck. Wied« zurück; bona gehst bil mit mir noch Jerusalem." Eilend Ging er weit«. Die Sonne begann» seitbrm sie die Thore SalemS »«lleßeu, daS Erstemal üb« btt Berge zu steigen. Und sie eilten dahin, leicht mit der kühlenden Krüh« Athem. Da Tabor stk nahten, «blickte Semida Cidli Zwischen b« Pilgerin und b« Mutt«. Schrecken b« Freude Stürzten auf ihn; allein « blieb bei dem führenden Fremdling, lind fl« kamen zum Manne, der bleich, als stürb' «, im Blute Lag. Sie »«banden chm sorgsam die Wunden und legten ihn schonend Auf sanfckühlende« Moo». Da wandte fich Semida endlich, Sahe Cidlt h«um an de« Berge kommen, doch ferne. Jetzo kam sie näh« und sah e» und stand «schrockeu. Ab« als ste «kannte, daß jenem Verwundeten Hülfe Durch die Mann« geschah', da wagte ste weit« zu gehen. Semida säumte nicht lang, er lief mit zitternd« Me Cidli entgegen, doch nah vttstummten ste Beide vor Freude Und vor Wehmuth. Die Pilgerin bat, nicht lang« zu weilen: Denn sonst würden aur B«ge ste noch die Strahlen de» MittagTreffen. S. So nehm' ich von dir schon wird« Abschied! Auf imm«, Meine Cidlt? Sie weint' und folgte d« führenden Fremden. Semlda blieb bei dem Blutenden mit dein Gefährten und stärkt' ihn. Als ste fich unt«redetrn, wo ste ihn bärgen, «reichten ' Sie zween Männer. Die waren des armen Leidenden Brüd«. Und nun schieden ste mit Dank und mit Ruh' von einand«. „Wenn du," sagte d« Fremdling, „mich üb« Tabor brglettest, Geher dort ein kürzer« Weg, als jene sich wählten, Und wir kommen zu ihnen, sobald ste den Gipfel ««eichen. Denn es fließt der klein«« Weg mit dem großen zusammen. S. Ja, ich bin dein Gefährt'; doch mußt du zurück mit mir kehren. P. Nicht zurück mit dir. S. Welch' ist die Heimath, o Pilgex, Die drin wartet? P. Mein warten in mein« glücklichen Heimach Himmlische Freunde. S. So bist du nicht arm, wenn redlich« Freunde Dir dein Leben «heitern. O, nenne mir ihr« Namen. P. Ihre Namen? Du wirst «staunen, daß ihr« so vir? sind. S. Diele Freunde! Da» macht mich erstaunen; doch nenne ste. Freudig Sah d« Pilger chn an und begann die Namen zu nennen: David! Abraham! Noa! Melchisedek! Josua! Hiob! Rahel! Joseph! Debora! Und Semida sah ihn «staunt an. Doch bald staunt' « noch mehr. Denn de- Pilger» Angeficht wurde Röthlich und schimmernd; doch war'» «st wenige Dämmrung von Schimm«. Auch schien Jonathan schwebend zu gehn. Je hell« « wurde, Desto bläff« vor Freud' und vor Furcht ward Semida'» Antlitz. Ab« ihn stärkte sein Freund und führte den Bebendm weit«. Auf dem and«en Wege stand auf Einmal der Reise Frohe Gefähnin, die Pilgerin, M und sprach zu d« Mutt«: „Weit« folge du nicht. Die Auf«weckte de» Mittler» Sieht die höher» Erscheinungm nur." Sie glänzte »«wandelt. „Nimm jetzt Abschied." Sie sagt' r» d« finkenden Mutt« und hielt sie. M. Abschied von mein« Cidli, von der ich niemal» mich trennt« ? Komm' bald wieder, o himmlische Tochter, und sage mir Armen, Was du sahst. Gott segne zu dies« Erscheinungen Heil dich! „Geh' nach Salem hinab," so sprach zu der Mutt« Megiddo, „Denn du flehest so bald die glückliche Cidli nicht wird«." C. Meine Mutt«! der He« geleite dich, meine Mutt«! Himmlische Freundin, laß bald mich wird« die Mutter umarmen! Und ste verließen die Arme, die weinend den Scheidenden nachsah. Al» sie erstiegen die Höh', und vor Staunen Cidli kaum fragte, Sahe ste fern in dem Cederschatten Semida kommen Mit dem Pilger, der nun in seinem Schimmer auch glänzte. Semida lab auch ste. Die beiden Sterblichen standen,

169

164

Friedrich «sttlirt Ktopstock. Gingen, zitterten, ruhten. Auf jeder Sette Begannen Sttahlmgefialten um ste zu schweben und ihnen zu lächeln. O, wie glänzten, noch Unerkannte, der Greis und der Blinde Und der verwundete Mann und seine kommenden Brüder! Immer würben der Himmlischen mehr und leuchtender immer. Wer vermag die Entzückungen alle mit Ramm zu nennen, Welche die Beiden ergriffen, wie fie mit gefalteten Handen Staunend umhersahn, wieder den Blick zu der Erde senktm, Fragen wolltm und in der bebendm Frage verstummtm! Wie, von Strahlen umgeben der nahen Unsterblichm, wie ste, Dann von Schimmer und sanstzulispelndem Segen umgebm, Freudig waren und bang! Sie kämm stch näher. Da schwandm Ihre Gedanken, und fie, die beiden Glücklichen, wurden Schnell verklärt. Sie schwebten daher und umarmten einander, Ach, das Erstemal dort und nicht in dm Hütten der Trmnung! Wiedersehen, o du der Siebenten Wiedersehen, Wenn bei dem Staube de- Einen nun auch des Anderen Staub ruht, Selbst der Gedank' an dich ist nur ein Traum von dm Freuden Cidli's (nun weinten ste andere Thränen) und Semida'S Freuden!

Sechszehnter Gesang. Christus hält auf Tabor Gericht über die Seelen der Gestorbenen. ES sterben Äer* mach, Gelimar, Elifama, eS kommen Seelen der Eroberer, Könige, unschuldiger Kinder, auch eine- Zweifler'-, Toa'S, Seele u. f. w. Christus schwebt mit Eloa zu der Hölle und hält dort furchtbare- Gericht. —

Siebzehnter Gesang. Thomas kehrte zurück in die Versammlung der Gläubigen; da erschien dem Zwei­ felnden Christus. — Auch dm Geistern derer, die vor der Sündfluth lebten und nicht gläubig gewesen waren, erschien in ihrem Gefängniß Christus zum Gericht. — Nephthoa kommt mit 9 Knabm zu dein Grab de- Erstandenen, wo auch andre Gläubige stch ververfammelt hatten. AlS fie die Gräber mit SiegeSgesange umtanzten, erschienen ihnen viele Verklärte, ASmath, Debora, Jedidoth u. f w. Versammlung Gläubiger bei LazaruS. Himmlische erscheinm Zweifelnden. Auch dem römischm Hauptmann CnejuS er­ scheint ein Verklärter, ebenso dem Bethoron, der stch früher geweigert, ein Jünger Jesu zu werden. Cidli erscheint ihrer Mutter, und fie stirbt vor Freude; auch einem der 10 Aus­ sätzigen erscheint ein Himmlischer. —

Achtzehnter Gesang. Adam - Gesicht.

Christi Gericht.

Neunzehnter Gesang. Weitere Beschreibung de- Gerichts. Abbadonna'S Begnadigung. — Jesu- kam von Tabor zum Gestade de- SeeS Tiberiaö. Die Jünger waren im Rachen beim Fischm beschäftigt; da erschien ihnen der Herr. Zum Tabor wallten viele der Zeugen, LazaruS, Maria, Magdala, Tabitha, Portia, Stephanus u. s. w., so daß 500 beisammen waren; und sie feierten mit einander daS Mahl deS Herrn. Den Versammelten erschien Christus. Nephthoa'S Tod. Christus erscheint dem Jakobuö und dann am Fuß deS Tabor den ver­ sammelten Jüngern. Christi Gebet für fie. Die Jünger auf dem Oelberg. Christi Him­ melfahrt. —

Zwanzigster Gesang. Lobgesang der Erstandnen, der-Unsterblichen. Fall BabesS, Lob der 7 Gemeinden. Chöre der Seher und Erzengel. Sieb der Debora und Mirjam. Chor der Propheten. Sieb Benoni's und der Schwester de- LazaruS. Chöre der Triumphbegleiter. ChristuS nahet dem Throne und setzet stch zu der Rechten deS Vaters.

Gotthold Ephraim Lefftng. (SLmmtttchs Schrlste», heraa-qegeben vou L. Lach»«». Berlin 1838.)

Sinngedicht,. Auf den falsche» Ruf von RigrinS Lode. CB» sagte, fonbet alle Gnade, Die ganze Stadt Rigrtnen tobt Wa- that die Stadt in dieser Noch 1 Ein Zehntheil von der Stadt sprach: „Schade!" Doch al» man nach und nach erfuhr, daß da» Geschrey Cln bloße» blinde» Lärmen sey! So holten, wa» zuvor da» eine Zehutheil sprach, Dt» andem neune nach.

LhemiS über ihr Bildniß in dem Haufe eines Richters. Womit, o Zeu», hab' ich dm Schimpf verschuldet, Daß man mein Bild in diesem Hause duldet?

Der müßige Pöbel. Um einen Arzt und seine Bühne Stand mit erstaununaSvoller Miene Die leicht betrvgne Menge In lobmdem Gedrenge. Ein weiser Trinker ging vorbey Und schriee: „Welche Policey! So müßig hier zu stehen! Jtann nicht da» Volk zu Weine gehen?"

Fabeln. Der Löwe und die Mücke. Ein junger Held vom muntern Heere, Da» nur der Sonnmschein belebt, Und da» mit saugmdem Gewehre Nach Ruhm gestochner Beulen strebt, Doch die man noch, zum großen Glücke, Durch zwey Paar Strümpfe hindem kann, Der junge Held war eine Mücke. Hört meine» Heldm Thaten an!

Auf ihren Ami;» uud Ritterzügen Fand fie, entfernt von ihrer Schaar, Im Schlummer einen Löwen liegen, Der von der Jagd entkräftet war. „Seht, Schwestern, dort den Löwen schlafen," Schrie ste die Schwestern gaukelnd an, „Jetzt will ich hm, und will ihn strafen. Er soll mir blutm, der Tyrann!"

W6

Gotthokd Ephraim Frsfing.

Sir eilt, und mit verwegnem Sprunge Setzt fie sich auf de» König» Schwanz. Sie sticht und flieht mit schnellem Schxmngr, Stolz auf den sauren Lorbrnkranz. Der Löwe will stch nicht bewegen? Wie? ist er todt? da» heiß ich Wuth! Zu mördrisch war der Mücke Degen: Doch sagt, ob er nicht Wunder thut?

„Ich bin e», die den Wald befreyct, Wo seine Mordsucht sonst getobt. Seht, Schwestern, den der Tyger scheuet, De, stirbt!■ Mein Stachel sey gelobt!" Die Schwestem jauchzen voll Vergnügen Um ihre laute Siegerinn. Wie? Löwen, Löwen zu befiegrn! Wie, Schwester, kam dir das in Sinn?

„Za, Schwestern, wagen muß man, wagm! Zch hätt' e» selber nicht gedacht. Auf! lasset un» mehr Feinde schlagen! Der Anfang ist zu schön gemacht." Doch unter diesen SiegeSliedern, Da jede von Triumphe« sprach, Envacht der matte Löwe wieder Und eilt erquickt dem Raube na*.

Die Sperlinge. Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzählige Nester gab, ward ausgebessert. Al» fie nun in ihrem neuen Glanze dastand, kamen die Sperlinge wieder, ihre alten Woh­ nungen zu suchen. Allein ste fanden fie alle vermauert. „Zu wa»," schrieen fie. „taugt denn nun da» große Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!"

Nathan der Weise. Ein gefangener Tempelherr, dem Sultan Saladin zu Jerusalem wegen der großen Ähnlichkeit, die er mit seinem verschollenen Bruder Assad hatte, da» Leben geschenkt, hatte bei einer entstandenen Feuer»brunst die Tochter des damals grade auf einer Handelsreise begriffenen Juden Nathan gerettet, sich aber jedem Danke, den ihm Daja, die christliche Erzieherin der Geretteten, aufdringen wollte, harmäckig entzogen. Nathan kehrt zurück und erfährt von der Daja die Gefahr, in der seine Recha wahrend seiner Abwesenheit ge­ schwebt halte (1. Aufzug. 1. Austritt). Auch Recha eilt jetzt herbei, um ihre,» Vater zu empfangen.

Erster Aufzug. Zweyter Austritt. Nathan. Daja. Recha. Rechn. So seyd Ihr e» doch ganz und gar, mein Vater? Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge, Für Wüsten, was für Sttöme trennen un» Denn noch? 3dr athmet Wand an Wand mit ihr, Und eilt nicht, Eure Rechn zu umarmen? Die arme Rechn, die indeß verbrannte! — Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht' E« ist rin garst'ger Tod, verbrennen. O! Nathan. Mein Kind! mein liebe» Kind! Recha. Ihr mußtet über De» Euphrat, Tvgriö, Jordan; über — wer

(MM* EPhra«, Aessurz. Weiß wa» für Wasser all? — Wie oft hab' ich Um Euch gezittert, eh das Feuer mir So »ahe kam! Drau seit d»S Feuer mir So nahe kam: dünkt «ich im Wasser sterben Erquickung, Labsal, Rettung. — Doch Ihr seyd Ja nicht ertrunkm: ich, ich bin ja nicht Verbrannt. Wie wollen wir un» freun und (Bott, (Bett loben! Er, er trug Euch und den Rachen Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel Die ungetreuen StrSm' hinüber. Er, Er winkt«'meinem Engel, daß er sichtbar Auf seinem weißm Fittiche mich durch DaS Feuer trüge — Nathan. (Weißem Fittiche! Ja, ja! der weiße vorgespreitzte Mantel Dr» Tempelherrn.) Recha. Er flchtbar, sichtbar mich Durch- Feuer trüg’, von seinem Fittiche Verweht. — Ich also, ich hab' rinm Engel Don Angesicht zu Angesicht gesehn; Und meinen Engel. Nathan. Recha wär' e» werth; Und würd' an ihnt nicht» schönre» sehn, al» er An ihr. Recha. (lächelnd.) Wem schmeichelt Ihr, mrln Vater? wem? Dem Engel, oder Euch? Nathan. Doch hätt' auch nur Ein Mensch, — ein Mensch, wie die Natur sie täglich Gewähtt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte Für dich ein Engel seyn. Er müßt' und würde. Recha. Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher; E» war gewiß ein wirklicher! — Habt Ihr, Ihr selbst dir Möglichkeit, daß Engel find, Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben. Auch Wunder könne thun, mich nicht gelehrt? Ich lieb' ihn ja. Nathan. Und er liebt dich und thut Für dich und deine» gleichen stündlich Wunder; Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit Für euch gethan. Recha. Da» hör' ich gern. Nathan. Wie? weil ES ganz natürlich, ganz alltäglich klänge, Wenn dich rin eigentlicher Tempelherr Gerettet hätte: sollt' e» darum weniger Ein Wunder seyn? — Der Wunder höchste» ist, Daß uns die wahren, echten Wunder so Alltäglich werden könnm, werden sollen. Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je Genannt, wa» Kindern bloß so heißen müßte,

lff

168

Votthstt GphTLim KePnß. Die gaffend nur das Ungewöhnlichste, DaS Neuste nur verfolgen. Daja (zu Na thau.) Wollt Ihr denn Ihr ohnedem schon überspannte- Hirn Durch solcherlei Subtilttäten ganz Zersprengen? Rathan. Laß mich! — Meiner Recha war' ES Wunders nicht genug, daß fle ein Mensch Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder! Denn wer hat schon gehört, daß Saladin Je eine- Tempelherrn verschont? daß je Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden Verlangt, gehofft? ihm je für seine Freyheit Mehr als den ledern Gurt gebothen, der Sein Eisen schleppt; und höchsten- seinen Dolch? Recha. Da- schließt für mich, mein Vater. — Darum eben War da- kein Tempelherr; er schien es nur. — Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders ÄlS zum gewissen Tode nach Jerusalem; Geht keiner in Jerusalem so frey Umher: wie hätte mich de- Nachts freywillig Denn einer retten können? Nathan. Sieh! wie sinnreich. Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab' e- ja Von dir. daß er gefangen hergeschickt Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr. Daja. Nun ja. — So sagt man freylich; — doch man sagt Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn Begnadigt, weil er seiner Brüder einem, Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe. Doch da e- viele zwanzig Jahre her, Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, — er hieß, Ich weiß nicht wie; — er blieb, ich weiß nicht tro: — So klingt das ja so gar — so gar unglaublich, Daß an der ganzen Sache wohl nicht- ist. Nathan. Ey, Daja! Warum wäre denn das so Unglaublich? Doch wohl nicht — wies wohl geschieht Um lieber etwas noch unglaublicherZu glauben? — Warum hätte Saladin, Der sein Geschwister insgesammt so liebt, In jungem Jahren einen Bruder nicht Noch ganz besonders lieben können? — Pflegen Sich zwey Gesichter nicht zu ähneln? — Ist Ein alter Eindruck ein verlorner? — Wirkt DaS Nehmliche nicht mehr das Nehmliche? — Seit wenn? — Wo steckt hier das Unglaubliche? — Ey freylich, weise Daja, wär's für dich Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur Bedürf. . . verdienen, will ich sagen, Glauben. Daja. Ihr spottet.

aietfre«. VBtB du m«tnfr Rottest — Doch Auch fe «ch, Recha, MdWt bdw Rettung (Bin Wunder, dem nur mögltch, der die stvengsten Entschlüsse, die unbändigst« Entwürfe Der Könige, sein Spiel — wen» nicht sein Spott — Sem an dm schwächst« Fäden lenkt. Rrcha. Mein Vater! Mein Vater, wmn ich irr', Ihr wißt, ich irre Nicht gern. Nathan. Vielmehr, du läßst dich gem belehren. — Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt; Der Rück« einer Rase, so vielmehr Al» so grführtt; Augenbraunm, dir Auf einem scharf« oder stumpfm Knochen So oder so fich schlängeln; eine Linie, Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mahl, Ein Richt», auf eine» tritt)« Europäer» Gesicht: — und du entkömmst dem Feur, in Asten! Da» wär' kein Wunder, wundersücht'ges Volk? Warum bemüht ihr d«n noch «in« Engel? Daja. Wa» schadet» — Nathan, lernn ich sprechen darf — Bey alle dem, von einem Engel lieber Al» einem Mensch« fich gtrettet dmken? Fühlt man der erst« unbegreiflich« Ursache seiner Rettung nicht sich so Viel näher? Nathan. Stolz! und nicht» al» Stolz! Der Topf Don Eis« will mit einer filbem Zange Gem au» der Gluth gehoben seyn, um selbst Ein Topf von Silber sich zu dünken. — Pah! — Und wa» r» schadet, fragst du? wa- r» schadet? Was Hilst r» ? dürft ich nur hinwieder fragen. — Denn dein „Sich Gott um so viel näher fühlen," Ist Unsinn oder Gotteslästerung. — Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. — Kommt! hört mir zu. — Nicht wahr? dem Wes«, da» Dich rettete, — es sey ein Engel oder Ein Mensch, — dem möchtet ihr, und du besonder», Gern wieder viele große Dienste chun? — Nicht wahr? — Nun, einem Engel, wa» für Dienste, Für große Dienste könnt ihr dem wohl thun? 3hr könnt ihm danken; zu ihm seufz«, btt«; Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen; Könnt an dem Tage seiner Feyer fasten, Almosen spenden. — Me» nichts. — Denn mich Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster Hierbey writ mehr gewinnt, als er. Er wird Nicht fett durch euer Fasten, wird nicht reich Durch eure Spenden, wird nicht herrlicher Durch tut Entzücken, wird nicht mächtiger Durch eur Verttaun. Nicht wahr? Allein ein Mensch! Daja. Ey freylich hätt' ein Mensch, etwas für ihn Zu thun, uns mehr Geleg«heit verschafft. Und Gott weiß, wie bereit wir dazu war«!

«Wtlfotb Ephraim fefftng. Mein er wollte ja, bedurfte ja So völlig nichts! war in sich, mit sich so Dergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel Sey» können. Recha. Endllch, al- er gar verschwand . . . Nathan. Verschwand? — Wie denn verschwand? — Sich nntmt Palmen Nicht ferner sehen ließ? — Wie? oder habt Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht? Daja. Da- nun wohl nicht. Nathan. Nicht, Daja, nicht? — Da steh Nun, was eS schadt! — Grausame Schwärmerinnen! — Wenn, dieser Engel nun — nun krank geworden! . . . Recha. Krank! Daja. Krank! Er wird doch nicht! Recha. Welch kalter Schauer Befällt mich! — Daja! — Meine Stirne," sonst So warm, fühl! ist auf einmal Eis. Nathan. Er ist Ein Franke, dieses Klima's ungewohnt; Ist jung, der harten Arbeit seines Standes, DeS Hungerns, Wachen- ungewohnt. Recha. Krank! krank' Daja. DaS wäre möglich, meint ja Nathan nur. Nathan. Nun liegt er da! hat weder Freund noch Geld, Sich Freunde zu besolden. Recha. Ah, mein Vater! Nathan. Liegt ohne Wartung, ohne Rath und Zusprach, Ein Raub der Schmerren und deS Todes da! Recha. Wo? wo? Nathan. Er, der für eine, die er nie Gekannt, gesehn — genug, eS war ein Mensch — JnS Feur sich stürzte . . . Daja. Nathan, schonet ihrer! Nathan. Der, waS er rettete, nicht näher kennen, Nicht weiter sehen möcht', um ihm den Dank Zu sparen. . . Daja. Schonet ihrer, Nathan! Nathan. Weiter Auch nicht zu sehn verlangt', eS wäre denn, Daß er zum zweytenmal eS retten sollte — Denn gnug,' eS ist ein Mensch

erntn» EM»« MW,



Daja. Hirt auf und seht! Nathan. Der, der hat strrbend sich zu laden, nicht» — Al» da» Bewußtseyn dieser That! Daja. Hirt auf! Ihr tödtet fie! Nathan. Und du hast ihn getödtet! — Hältst so ihn tödten können. — Rechn! Rechn! ES ist Arzney, nkcht Gift, wa» ich dir reiche. Er lebt! — komm zu dir! — ist auch wohl nicht krank; Nicht einmal krank! Recha. Gewiß? — nicht tobt? nicht krank? Nathan. Gewiß, nicht todt! Dmn Gott lohnt Gute», hier Gechan, auch hier noch. — Geh! — Begreifst du aber, Wie viel andächtig schwärmen leichter, al» Gut handeln ist? wie gem der schlaffst« Mensch Andächtig schwärmt, um nur, — ist er zu Zeiten Sich schon der Abficht deutlich nicht bewußt — Um nur gut handeln nicht zu dürfen? Recha Ah, Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch Nie wiederum allein! — Nicht wahr, er kann Auch wohl verreist nur seyn? Nathan. Geht! — Allerdings. — Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick Ein Muselmann mir die beladenen Kameele. Kennt chr ihn? Dasa. Ha! Euer Derwisch. Nathan. Wer? Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell! Nathan. Al. Hast? da- Al. Hast?

Daja. Ztzt de» Sultans

Schatzmeister. Nathan. Wie? Al-Hast? Träumst du wieder? — Er ist»! — wahrhaftig, ist-! — kömmt auf uns zu. Hmein mit Euch, geschwind! — Was werd' ich hören! Al - Hast, ein Derwisch und Nathan'» Freund, war während dessen Abwesenheit zum Schatzmeister de» Sultan'» gemacht worden, der aber durch seine meist unrichtig ange­ wandte Mildthätigkeit den Schatz ganz erschöpft hatte. Er kommt, um Nathan mit seiner neuen Würde bekannt zu machen und ihm zugleich zu erklären, daß er möglichst bald sich dieser Ehre wieder entziehen würde, um wieder Bettler zu sein (3. Austr.). — Daja berich­ tet dem Nathan, daß der Tempelherr fich wieder unter den Palmen zeige (4. Auftr.). Eh' Nathan ihn erreicht, macht ein vom Patriarchen Jerusalem's an den Tempelherrn abgesen­ deter Klosterbruder diesem den unedlen Antrag, zur Ehre der Christenheit den Spion zu machen und Saladin heimlich au» dem Wege zu räumen. Beide» weist der Tempelherr mit Unwillen zurück. Darauf drängt stch Daja an ihn, um ihm die Rückkehr Nathan's

m

G-tth-tp Ephraim Lessing.

anzuzeigen und ihn zu bitten, jetzt in da» Hau» de» Juden zu kommen; auch diese» wei­ gert er sich zu thun (5. und 6. Austr). — Sultan Saladin hatte an feine Schwester Sittah im Schachspiel ziemlich große Summen verloren, welche diese aber edelmüthig nicht angenommen, sondern vielmehr zur Unterhaltung seine» Haushalte» au» ihrem Vermögen heimlich seinem Schatzmeister noch viel vorgestreckt hatte. Al «Hast entdeckte die» endlich dem Sultan, und dieser trug ihm auf, Geld anzuschaffen, wo möglich von dem reichm Nathan (2. Aust. 1 —3. Austr ). — Ratchan sucht unterdeß stch dem Tempelherrn zu nahen, um chm zu danken.

Zweyter Aufzug. Fünfter Austritt. Nathan und bald daraus der Tempelherr Nathan. Fast scheu' ich mich de- Sonderling-. Fast macht Mich seine rauhe Tugend stutzen. Daß Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen Soll machen können! — Ha! er kömmt. — Bey Gott! Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl Dm guten, trotzgen Blick, dm drallen Gang! Die Schaale kann nur bitter seyn: der Kern Ist- sicher nicht. — Wo sah' ich doch dergleichen? — Verzeihet, edler Franke. . . Tempelherr. WaS? Nathan. Erlaubt. . . Tempelherr. Was, Jude? waö? Nathan. Daß ich mich untersteh', Euch anzuredm. Tempelherr. Kann ich- wehren? Doch Nur kurz. Nathan. Verzieht und eilet nicht so stolz, Nicht so verächtlich einem Mann vorüber, Den ihr auf ewig Euch verbundm habt. Tempelherr. Wie daS? — Ah, fast errath' ichs. Nicht? Ihr seyd . . . Nathan. .Ich heisse Nathan, bin des Mädchen- Vater, DaS Eure Großmuth au- dem Feu'r gerettet, Und komme . . . T empelherr. Wenn zu danken: sparts! Ich hab' Um diese Kleinigkeit de- Danke- schon Zu viel erduldm müssen. — Vollend- Ihr, Ihr seyd mir gar nicht- schuldig. Wußt' ich dmn, Daß diese- Mädchen Eure Tochter war? E- ist der Tempelherren Pflicht, dem Erstm Dem Besten beyzuspringen, dessen Noth Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem In diesem Augenblicke lästig. Gern, Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, E- für ein anvre- Leben in die Schanze Zu schlagen: für ein andre» — wenn- auch tun Da- teten einer Jüdinn wäre.

Nathan. Groß! Groß und abscheuLch 1 — Doch dir Wendung läßt Eich denken. Die bescheidne Größe flüchtet Sich hinter da« Abscheulich«, um der Bewundrung auszuweichen. — Aber wenn Sie so da« Opfer der Bewunderung Verschmäht: wa« für ein Opfer denn verschmäht Sie minder? — Ritter, wenn 3hr hier nicht fremd Und nicht gefangen wäret, würd' ich Euch So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit Kann man Euch dienen? Tempelherr. Zhr? Mit nicht-. Nathan. Ich bin Ein reicher Mann. Tempelherr. Der retchre Zude war Mir nie der besser Jude. Nathan. Durst Zhr denn Darum nicht nützen, wa« dem ungeachtet Er beffre« hat? nicht feinen Reichthum nützen? Tempelherr. Nun gut, da- will ich auch nicht ganz »rrreden, Um meine« Mantel« willen nicht. Sobald Der ganz und gar verschlissen, weder Stich Noch Fetze länger haltm will: komm' ich Und borge mir bey Euch zu einem neuen, Tuch oder Geld. — Seht nicht mit ein« so finster! Noch seyd Zhr ficher; noch ist« nicht so weit Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch Zm Stande. Nur der rin« Zipfel da Hat thun garstgrn Fleck; er ist versengt. Und da« bekam er, al« ich Eure Tochter Durch- Feuer trug. Nathan (der nach dem Zipfel geeist und thu betrachtet.) 6« ist doch sonderbar, Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmahl Dem Man« ein beffrr« Zeugniß redet, al» Sein eigner Mund. Ich möcht ihn küssen gleich — Den Flecken! — Ah, verzeiht! — Ich that e« ungern. Tempelherr. Wa»? Nathan. Eine Thräne fiel darauf. Tempelherr. Thut nicht«! Er hat der Tropfen mehr. — (Bald aber fängt Mich dieser Zud' an zu verwirren.) Nathan. Wär't Zhr wohl so gut und schicktet Euern Mantel Auch einmal meinem Mädchen? Tempelherr. Wa« damit? Nathan. Auch ihren Mund auf diesen Fleck zu drücken.

174

G-tthoi- Ephraim Lrssing. Denn (gute Kniee selber zu umfassen, Wünscht sie nun wohl vergeben-. Tempelherr. Aber, Iuve — Ihr heisset Nathan? — Aber, Nathan — Ihr Setzt Cure Worte sehr — sehr gut — sehr spitz — Ich bin betreten — Allerdings — ich hätte . . . Nathan. Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find' Auch hier Euch au-. Ihr wart zu gm, zu bieder, Um höflicher zu seyn. — Da- Mädchen, ganz Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt — Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge; Floht ihre Prüfung, floht, um nicht zu siegen. Auch dafür dank' ich Euch — Tempelherr. Ich muß gestehn, Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten. Nathan. Nur Tempelherren? sollten blos? und blos, Weil eS die Ordensregeln so gebieten? Ich weiß, wie gute Menschen denken, weiß, Daß alle Länder gute Menschen tragen. Tempelherr. Mit Unterschied doch hoffentlich ? Nathan. Ja wohl; An Färb', an Kleidung, an Gestalt verschieden. Tempelherr. Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort. Nathan. Mit diesem Unterschied ists nicht weit her. Der große Mann braucht überall viel Boden; Und mehrere, m nah gepflanzt, zerschlagen Sich nur die Äeste. Mittelgut, wie wir, Findt sich hingegen überall in Menge. Nur muß der eine nicht den andern mäckeln. Nur muß der Knorr den Knubben hübsch vertragen. Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen, Daß eS allein der Erde nicht entschossen. Tempelherr. Sehr wohl gesagt! — Doch kennt Ihr auch da- Volk, DaS diese Menschenmäckeley zuerst Getrieben ? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk Zuerst das auSerwählte Volk sich nannte? Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte, Doch wegen seine- Stolzes zu verachten, Mich nicht entbrechen könnte? Seine- Stolzes, Den e- auf Christ uht> Muselmann vererbte, Nur sein Gott sey der rechte Gott! — Ihr stutzt, Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede? Wenn hat, und wo die fromme Raserey, Den bessern Gott zu haben, diesen bestem Der ganzen Welt als besten aufzudringen, In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt Die Schuppen nicht vom Auge fallen . . . Doch Sey blind, wer will! — Vergeßt, was ich gesagt, Und laßt mich! (will gehen.)

Eptzmi« LefftuA

17$

Nathan. Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester Ich nun mich an Euch brmgm werde. — Kommt, Wir mästn, müssen Freunde seyn! — Verachtet Mein Volk, so sehr Ihr wollt. Wir haben beyde Un8 unser Volk nicht auSrrlrsen. Sind Wir unser Volk? Wa» heißt denn Volk? Sind Ehrist und Jude eher Christ und Jude, AU Mensch? Ah! lernn ich einen mehr in Euch Gefunden hätte, dem eS gnügt, ein Mensch Zu heissen! Tempelherr. 3a, bey Gott, daS habt Ihr, Nathan! DaS habt 3hr! — Eure Hand! — Ich schäme mich, Euch einen Augenblick verkannt zu haben. Nathan. Und ich bin stolz darauf. Nur daS Gemeine Verkennt man selten. Tempelherr. Und daS Seltene Vergißt man schwerlich. — Nathan, ja; Wir müssen, müssen Freunde werden. Nathan. Sind ES schon. — Wie wird sich meine Recha freuen! — Und ah! welch eine heitre Ferne schließt Sich meinen Blicken auf! — Kennt fit nur erst! Tempelherr. 3ch brenne vor Verlangen. — Wer stürzt dort AuS Euerm Hause? 3stS nicht ihre Daja? Nathan. Ja wohl. So ängstlich? Tempelherr. Unsrer Recha ist Doch nicht- begegnet? Daja ruft den Nathan ab, um ihm zu sagen, daß der Sultan nach ihm geschickt. Al-Haft kommt, um dem Nathan mitzutheilen, daß der Sultan Geld von ihm zu haben wünscht, und erklärt, daß er nicht langer bleiben, sondern zu den Ghebern am GangeS zurückkehren wolle (9. Auftr). — Der Tempelherr hatte sich nun endlich bewegen lassen, in Nathan'S HauS zu kommen; da aber Nathan abwesend war, so entzieht er sich schnell wieder dem Danke der Recha, die einen außrrordentttchen Eindruck auf ihn gemacht hatte (i —,!, Auftr ). Nathan kommt unterdrß zum Sultan.

Dritter Aufzug. Fünfter Austritt. Saladin und Nathan. Saladin. Tritt näher, Jude! — Näher! — Nur ganz her! Nur ohne Furcht! Nathan. Die bleibe deinem Feinde! Saladin. Du nennst dich Nathan? Nathan. Ja. Saladin. De» weisen Nathan?

E-tth-ld Ephraim Leffi«-. Rathan. Nein. Saladin. Wahl! nennst du dich nicht, nrnnt dich da» Nathan. Kann seyn; da» Volk! Saladin. Da glaubst doch nicht, daß ich Verächtlich von de» Volke» Stimme denke? — 3ch habe längst gewünscht, dm Mann zu kmnen, Den r» den Weisen nennt. Nathan. Und wenn e» ihn Zum Spott so nennt«? Wenn dem Volke meist Nicht» weiter wär' al» klug? und klug nur der, Der sich auf seinen Vortheil gut versteht? Saladin. Auf seinen wahren Vortheil, meynst du doch? Nathan. Dann freylich wär' der Eigennützigste Der Klügste. Dann wär' freylich flug und weise Nur ein». Saladin. Zch höre dich erweisen, wa» Du widersprechm willst. — De» Menschen wahre Vortheile, die da» Volk nicht kmnt, kennst du, Hast du iu kennm wenigstens gesucht, Hast drüber nachgedacht: das auch allein Macht schon dm Weisen. Nathan. Der sich jeder dünkt Zu seyn. Saladin. Nun der Bescheidenheit genug! Denn fie nur immerdar zu hören, wo Man trockene Vernunft erwartet, eckelt. (Er springt auf.) Laß uns zur Sache kommm! Aber, aber Aufrichtig, Zud', aufrichtig! Nathan. Sultan, ich Will stcherltch dich so bedimm, daß Ich deiner stemm Kundschaft würdig bleibe. Saladin. Bedienen? wie? Nathan. Du sollst das Beste haben Don allmr, sollst es um den billigsten Preis habm. Saladin. Wovon sprichst du? doch wohl nicht Von deine« Waarm? — Schachern wird mit dir Schon meine Schwester. (DaS der Horcherinn!) — Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu thun. Rat han. So wirst du ohne Zweiftl wissen wollen, Wa» ich auf meinem Wege von dem Feinde, Der allerdings fich wieder reget, etwa Bemerkt, getroffen? — Wenn ich unverhohlen . . . Saladin. Auch darauf bin ich eben nicht mit dir

«Phrai» L.ssrng. Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel Ich nöthig habe. — Kurz; — Nathan. Gebiethe, Sultan. Sa lad in. Ich heische deinen Unterricht in ganz WaS anderm; ganz was ander«. — Da du nun So weise bist: so sage mir doch einmal — WaS für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet? Nathan. Sultan,

Ich bin ein Jud'.

Saladin. Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen und. —- Von diesen drey Religionen kann doch eine nur Die wahre seyn. — Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburth Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern. Wohlan! so theile deine Einsicht mir Dann mit. Laß mich die Gründe hören, denen Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit Gehabt. Laß mich die Wahl, die diese Gründe Bestimmt, — versteht sich, im Vertrauen — wissen, Damit ich sie zu meiner mache. — Wie? Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? —- Kann Wohl seyn, daß ich der erste Sultan bin, Der eine solche Grille hat; die mich Doch eine- Sultans eben nicht so ganz Unwürdig dünkt. — Nicht wahr? So rede doch! Sprich! — Oder willst du einen Augenblick, Dich zu bedenken? Gut; ich geb' ihn dir. — (Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen; Will hören, ob ichs recht gemacht. —) Denk nach! Geschwind denk nach! Ich säume nicht, zurück Zu kommen. (Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben.)

Sechster Austritt. Nathan allein. Hm! hm! — wunderlich! — Wie ist Mir denn? — Was will der Sultan? was? — Ich bin Auf Geld gefaßt; und er will — Wahrheit. Wahrheit! Und will sie so, — so baar, so blank, — als ob Die Wahrheit Münze wäre! — Ja, wenn noch Uralte Münze, die gewogen ward! — Das ginge noch! Allein so neue Münze, Die nur der Stempel macht, die man aufS Bret Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht! Wie Gelv in Sack, so striche man in Kopf Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude? Ich oder er? — Doch wie? Sollt' er auch wohl Die Wahrheit nicht in Wahrheit fodern? — Zwar, Zwar der Verdacht, daß er die Wahrbeit nur AlS Falle brauche, wär' auch gar zu klein! — Zu klein ? — Wa- ist für einen Großen denn Zu klein? Gewiß, gewiß: er stürzte mit Jinnctr'a deutsch. Ged. Sammt.

m

178

Votlhold Ephraim Lessing.

Der Thüre so inS Haus! Man pocht dock, hört Doch erst, wenn man alS Freund sich naht. — Ich muß Behutsam gehn! — und mit? wie das? — So ganz Stockjude seyn zu wollen, geht schon nicht. — Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürft er mich nur fragen. Warum kein Muselmann? — Da- warö! DaS kann Mich rettm! — Nicht die Kinder blos speist man Mit Mährchen ab. — Gr kömmt. Er komme nur'

Siebenter Austritt. Saladin und Nathan. Saladin. (So ist daS Feld hier rein!) — Ich komm' dir doch Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande Mit deiner Ueberlegung. — Nun so rede' ES hört uns keine Seele. Nathan. Möcht auch doch Die ganze Welt uns hören! Saladin. So gewiß Ist Nathan seiner Sache? Ha! daS nenn Ich einm Weisen! Nie die Wahrheit zu Verhehlen! für ste alles auf daS Spiel Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut! Nathan. Ja! ja! wanns nöthig ist und nutzt. Saladin. Von nun An darf ich hoffen, einen meiner Titel, Verbesserer der Welt und de- Gesetzes, Mit Recht zu führen. Nathan. Traun, ein schöner Titel Doch, Sultan, eh ich mich dir ganz vertraue, Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu Erzählen? Saladin. Warum daS nicht? Ich bin stetS Ein Freund gewesen von Geschichtcken, gut Erzählt. Nathan. Ja, gut erzählen,-da- ist nun Wphh ebfn pichte, S-che. nicht. Saladin. Schon wieder So stolz bescheiden? — Mach! erzähl', erzähle! Nathan. Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Werth' AuS lieber Hand besaß. Der Stein ivat ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuverficht ihn frug. WaS Wunder, Daß ihn der Mann in Osten darum nie Vom Finger ließ und die Verfügung traf,

ftW*

Mini-

Auf ewig thu bey seinem Hause iu Erhaltm? Nehmlich so. Er ließ den Ring Don seinen Söhnen dem Geliebtesten Und setzt» fest, daß dieser wiederum Den Ring von seinen Söhnm dem vermache, Der ihm der liebste sey, und stet» der Liebst», Ohn' Ansetzn der Geburt, in Kraft allein De» Ring», da» Haupt, der Fürst de» Hause» werde. — Versteh mich, Sultan. Saladin. Ich versteh dich. Weiter! Nathan. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, Auf «inen Vater endlich von drey Söhnm, Die alle drey ihm gleich gehorsam waren, Die all« drey er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Stur von Zeit Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Der dritte, — so wie jeder sich mit ihm Allein befand, und sein ergieffend Herr Die andern zwey nicht theilten, — würdiger De» Ringe»; den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Da« ging nun so, so lang e» ging. — Allein E» kam zum Sterben, und der gute Vater Kömmt in Verlegenheit. 6» schmerzt ihn, zwey Von seinen Söhnm, die sich auf sein Wort Verlassen, so zu kränken. — Wa» zu thun? — Er sendet in geheim zu einem Künstler, Bey dem er, nach dem Muster seine» Ringe», Zwey andere bestellt und weder Kostm Roch Mühe sparen heißt, fle jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Da» gelingt Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst der Vater seinen Musterrtng Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden in» besondre; Giebt jedem in» besondre stinen Sergen — Und seinen Ring — und stirbt. — Du hörst doch, Sultan1 Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt.) Ich hör, ich hör»! — Komm mit deinem Mährchen Nur bald zu Ende. — Wird« ? Nathan. Ich bin zu Ende. Denn wa» noch folgt, versteht fich ja von selbst. — Kaum war der Vater todt, so kömmt ein jeder Mit seinem Ring', und jeder will der Fürst De» Hause» seyn. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich; — (nach einer Pause, in welcher er de« Sultan« Antwort erwartet.)

Fast so unrrwei-lich, al» Un» itzt — der rechte Glaube. Saladin Wie? da» soll Dir Antwort seyn auf meine Frage? . . . Rathan. Soll Mich blo» entschuldigen, wenn ich die Ringe Mir nicht getrau zu unterscheiden, dir

m

18»

Votlhotd Ephraim Lesfing. Der Vater in der Absicht machen ließ, Damit sie nicht zu unterscheiden wären. Galadin. Die Ringe! — Spiele nicht mit mir? — Ich dächte, Daß die Religionen, die ich dir Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären. Bis auf die Kleidung; bis auf Speis und Trank' Nathan. Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. — Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! — Und Geschichte muß doch wohl allein auf Treu Und Glauben angenommen werden? — Nicht? Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn • Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen ? Doch deren Blut wir sind? doch deren, die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben, die uns nie getäuscht, als wo Getäuscht zu werden uns heilsamer war? — ffite kann ich meinen Vätern weniger, Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. Kann ich von dir verlangen, daß du deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nickt Zu widersprechen? Over umgekehrt. DaS nehmliche gilt von den Christen. Nicht? — Saladin. (Bey dem Lebendigen! Der Mann hat Reckt Ich muß verstummen.) Rath an. Laß auf unsre Ring' UnS wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, Unmittelbar auS seines Vaterö Hand Den Ring zu haben. — Wie auch wahr? — Nachdem Er von ihm lange daS Versprechen schon Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Geniessen. — Wie nickt minder wahr! — Der Vater, Betheu'rte jeder, könne gegen ihn Nicht falsch gewesen seyn-, und eh' er dieses Don ihm, von einem solchen lieben Vater, Argwohnm laß': eh' müß' er seine Brüder, So gern er sonst von ihnen nur daS Beste Bereit zu glauben sey, deS falschen Spiels Bezeihen; und er wolle die Verräther Schon auszufinden wissen, sich schon räcken. Saladin. Und nun, der Richter? — Mich verlangt zu bören, WaS du den Rickter sagen läffesi. Sprich? Nathan. Der Richter sprach: wenn ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich euch Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Räthsel Zu lösen da bin? Oter harret ihr, Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? — Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen, Vor Gott und Menschen angenehm. DaS muß Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch daS nicht können! — Nun; wen lieben rwey Don euch am meisten ? — Macht, sagt an ! Ihr schweigt?

•rttfrtt «phtRim Lessin-

18»

Dle Ringe wirken nur zurück? und nicht Rach aussen? Zeder liebt fich selber nur Am meisten? — O so seyd ihr alle drey Betrogene Betrieger! Eure Ringe Sind alle drey nicht echt. S)fct echte Ring Vermuthlich ging verloren. Den Verlust Zu bergm, zu ersetzen, ließ der Vater Die drey für einen machen. Saladin. Herrlich! herrlich! Nathan. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rath, statt meine- Spruche-, wollt: Geht nur! — Mein Rath ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig, wie fie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder ficher seinen Ring Den echten. — Möglich; daß der Vater nun Die Tyranney de- (Sinnt Ring- nicht länger In seinem Hause dulden wollen! — Und gewiß; Daß er euch alle drey geliebt und — gleich Geliebt: indem er zwey nicht drücken mögen, Um einen zu begünstigen, — Wohlan! ES elfre jeder seiner unbestochnen Don Dorurtheilen fteyen Liebe nach! ES strebe von euch jeder um vie Wette, Die Kraft des Stein- in seinem Ring' an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanstmuth, Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun, Mit innigster Ergebenheit in Gott Zu Hüls'! Und wenn fich dann der Steine Kräfte Bey turnt Kindes - KindeSkindern äussern: So lad' ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle fitzen, Als ich; und sprechen. Geht! — So sagte der Bescheidne Richter. Saladin. Gott! Gott! Nathan. Saladin, Wenn du dich fühlest, dieser weisere Versprochne Mann zu seyn . . . Saladin. (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, bis zu Ende nicht wieder fahren läßt.)

die er

3ch Staub? Ich Nicht-? O Gott! Nathan. Was ist dir, Sultan? Saladin. Nathan, Ueber Nathan! — Die tausend tausend Jahre deines Richters Sind noch nicht um. — Sein Richterstuhl ist nicht Der meine. — Geh! — Geh! — Aber sey mein Freund Nathan Und weiter hätte Saladin mir nichtZu sagen? Saladin. Nicht-.

Gotthold Ephraim Lessing. Nathan. Nichts? Saladin. Gar nichts. — Und warum? Nathan. Ich Ham noch Gelegenheit gewünscht,

Dir eine Bitte vorzutragen. Saladin. Brauchts Gelegenheit zu einer Bitte? — Rede! Nathan. Ich komm' von einer weiten Reis', auf welcher Ich Schulden eingetrieben. — Fast hab' ich DeS baaren Gelds zu viel. — Die Zeit beginne Bedenklich wiederum zu werden; — und Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. — .Da dacht ich, ob nicht du vielleicht, — weil doch Ein naher Krieg deS Geldes immer mehr Erfodert, — etwa- brauchen könntest. Saladin. (ihm steif in die Augen sehend.)

Nathan! — nicht fragen, ob Al-Hafi schon gewesen; — will nicht untersuchen, nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses freyer Dings zu thun . . . Nathan. Ein Argwohn? Saladin. 3ch bin ihn werth. — Verzeih mir! — denn waS hilfts Ich muß dir nur gestehen, daß ich im Begriffe war — Nathan. Doch nicht, daS Nehmliche An mich zu suchen? Saladin. Allerdings. Nathan. So wär' Uns beyden ja geholffen! Daß ich aber Dir alle meine Baarschaft nicht kann schicken, DaS macht der junge Tempelherr. Du kennst Ihn ja. Ihm hab' ich eine große Post Vorher noch zu bezahlen. Saladin. Tempelherr? Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht Mit deinem Geld' auch unterstützen wollen? Nathan. Ich spreche von dem einen nur, dem du DaS Leben spartest. . . Saladin. Ah! woran erinnerst Du mich! — Hab' ich doch diesen Jüngling ganz Vergessen! — Kennst du ihn? — Wo ist er? Nathan. Wie? So weißt du nicht, wie viel von deiner Gnade Für ihn, ourch ihn auf mich geflossen? Er, Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens, Hat meine Tochter auS dem Feu'r gerettet. Ich will Bey dir Ob dich Erbieten

Mich«t Pe»t».

183

Saladin. Er? Hat er da-? — Ha! darnach sah er auS. Da- hätte traun mein Bruder -auch gethan, Dem er so ähnelt! — Ist er denn noch hier? So bring ihn her! — 3ch habe meiner Schwester Von diesem ihren Bruder, den fie nicht Gekannt, so viel erzählet, daß ich fie Sein Ebenbild doch auch muß sehen lassen! —

Geh, hohl ihn! — Wie au- Einer guten That, Gebahr fie auch schon bloße Leidenschaft, Doch so viel andre gute Thaten flieffen! Geh, hohl ihn! Nathan, (indem er Saladin- Hand fahre« laßt.) Augenblick-! Und bey dem andern Bleibt eS doch auch? (ab.) Saladin. Ah! daß ich meine Schwester Nicht horchen lassen! — Zu ihr! zu ihr! — Denn Wie soll ich alle- das ihr nun erzählen? (ab von der andern Seite.)

Nathan trifft den Tempelherrn wieder unter den Palmen, doch dieser hat nicht- Ei­ ligere- zu thun, als ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten; Nathan will Bedenkzeit. (8. Auftr). Indeß vertraut Daja dem Tempelherrn, daß Recha von Geburt nicht Na­ than'- Tochter, sondern nur von ihm erzogen, aber eine Christin sei. Darüber ist der Tempelherr aufgebracht, weil Nathan eine Christin in dem Judenthum auferzogen; erfragt de-halb (4. Aufz.) den Patriarchen von Jerusalem um Rath, der eifrig den Namen de« Juden triffm und den Sultan bewegen will, die Sache zu untersuchen und den Juden, wenn er schuldig, verbrennen zu lassen. Der Tempelherr verschweigt ihm aber den Namen de« Juden. Er stellt stch dann, wie ihm geheißen, vor dem Sultan ein, der ihn bei flch behal­ ten will, und dem er entdeckt, was er über Recha erfahren (4. Auftr.). Sittah, SaladinSchwester, wünscht fie zu sehen und läßt ste holen. (5. Auftr.). Unterdeß hat der Pa­ triarch einen Klosterbruder abgesandt, um jenen ihm unbekannten Inden au-zumitteln; dieser Klosterbruder hat vor Jahren selbst, al- er ein Reitknecht war, jene- Kind, die Toch­ ter eines später im Kriege gebliebenen Ritters, dem Nathan übergeben und kommt jetzt zu ihm, um ihn auf die nahende Gefahr aufmerksam zu machen. Nathan will vor Allem wissen, wer die Verwandten jene- Wolf von Filneck, Vater- der Recha, gewesen, und der Klosterbruder verspricht, ein Gebetbuch zu bringen, worin diese ausgezeichnet find. (7. Auftr ). Er bringt es und sagt Nathan zugleich, daß ein Tempelherr ihn beim Patriarchen ange­ geben. (5. Aufzug. 4. Auftr.). Der Tempelherr kommt dazu, erflärt Nathan, wie diezugegangen und verlangt von ihm die Recha. Nathan erklärt aber, nicht- über fie bestim­ men zu können, weil er jetzt ihre Verwandten kenne, und fordert ihn auf, mit zum Sul­ tan zu gehn. (.5. Anftr ). Dort ermittelt sich durch jene- Gebetbuch, daß Recha und der Tempelherr Geschwister, und Kinder von dem Bruder des Sultans sind, der seiner deut­ schen Gattin aus kurze Zeit nach Deutschland gefolgt, dann nach Palästina zurückgekehrt und bei Ascalon gefallen war.

Michael Denis. (Ossian'o uud Sined'ö Liercr. Wien 1784.)

Das dritte Vaterlandslicd. §ange, schoil lange kenn' ich euch, Sänger Kannten euch einsten- unsere Väter fremder Geschlechter, fernerer Himmel! Dennoch ertönten Bardengefänge. Aber ich Haynebewohner, ich Nordensohn Fürsten, Druiden und Mädchen und Jünglinge Bild' euch meine Gesänge nicht nach. Gaben Bardengesängen ihr Herz.

184

Satomon Gessncr.

Reizet uns nicht der Lugenden Hohheit? Soll er vor ManaS Enkeln in Liedern Fühlen wir nicht die Wonne der Wehmuth ? Euren verbuhlten Donnerer nennen, Fachet uns Liebe deS Vaterland-, Heldentod, Nennen die flutengebohrne Bethörerinn Und ihr böses geflügeltes Kind? Freundschaft, Schönheit und Ruhmbegier nicht an? Herrschet nicht oben mächtig Allvater? Soll er, von Heldenjugend umgeben, Wohnen nicht oben Geister der Ahnen? Euren bestrickten Kriegesgott singen, Lachet kein Frühlmg, kein Morgen und Abend Singen ein trunkene- rasendes Weiberheer uns? Mit dem schläfrigen Geber deö Weins ? Kreist beym Mahle kein schäumende-Horn? Maßt ihr uns, Sänger ftemver Geschlechter, Unseren Hayn durchhüpfet kein Bockmensch, Fernerer Himmel! müßt ihr und zeigen, Unsere Quellen bergen kein Mädchen, Wie sich de- Tages hellflammendes Riesenaug' Keines verwiesen die Barden in Bäume noch, Rastlos bläuliche Fernen durchwälzt? Menschenfeindlich mit Rinde bedeckt. Müßt ihr uns zeigen wandelnde Monde, Menschen aus Steinen, Blumen aus Knaben. Schwellende Wogen, kreuzende Blitze, Güldene Zeiten, Widder und Aepfel, Zeigen im Winde das wiegendeBlumenhaupt? Drachen und eisenr Vögel und Schlangenhaare Oder können wir selber es sehn? Machen deutsche Gesänge nicht heiß. Fliegt nur in eurem Liede der Adler? Namen von euren Sternen und Winden, Sproßt nur in eurem Liede der Schatten? Euren Gebirgen, Strömen und Auen, Kann sich im Farbengemische der jungen Flur Tönen zu weichlich ins nordische Saitenspiel, Sined's Auge nicht selber erfreun? Regen Seelen der Helden nicht aus. Schwillt nun in seinem Busen Gesang auf, Lehrt ihr nicht oft auch Sittenverderbniß, Soll er von euch die Weisen borgen? Künste der Lust in euren Gesängen? Höret er lispelnden Quellen den Schlummerten, Sollten Gesänge nicht Tugenden heilig seyn? Tannenwipfeln die Seufzer nicht ab? Ha! da lehren euch Barden nicht nach! Lehret ihn nicht das Rollen des Donners? Reist mir Gesang im Busen, ich rufst Lehret ihn nicht daS Brausen rer Fluten? Keine neun Schwestern nieder vom Berge. Lauscht er im Hayne der Drossel und Amsel Quellen umlauten mich, feuchten die Kehle mir ; nicht. Brauch' ich einen geflügelten Huf? Nachtigallen in Hecken nicht aus? Heldensohn, du mit bläulichem Auge! Schneide mir diesen Schößling der Eiche, Kränze mir Scheitel und Harfenspiel, Heldensohn! Lorber stammt nicht im Erbe von Leut.

Salomon (tzeßner. (Geßner'S

Schriften. Zürich

1627.)

Idyllen. An den Wasserfall. «5ll das der Ort, wo sonst Entzücken 3m sanften Schalten aus mich kam? Bist du es, Fels! wo aus den Sträuchen Die Quelle hoch herunterstürzt?

Da, wo sonst deine klare Quelle Auf Schaum und MooS sich sträubend stürzt. Da blinkt von Eis itzt eine Säule Vom hohlen Felsen hoch herab.

Salomon Vessner.

18»

Wie öd', wie nackt st»d die Gesträuche, Wo sonst im dunkeln Laubgewölb' Die Zephyr' mit den Blüthen spielten Und mit dem sanftbewegten Laub,

€ dann nimm mich in deine Schatten, Wo keme bange Sorg' mich find't, Du Wayerfall und du Gebüsche, . Du Lager.von dem weichsten MooS!

Da schnell verschwundne Sonnenstrahlen Auf Wellen, Schaum und weichem MooS Wie Lichter durch den Schatten blitzten; Wie öd', wie nackt hängt ihr herab!

Da kömmt vom Thal und von den Hügeln, Vom dunkeln Wald und von der Flur, Mir kömmt von jeder Frühlingsblume Ein froh Entzücken in die Brust.

Doch bald, bald kömmt der Frühling wieder, Hängt über dich ein frisch Gewölb Und öffnet die verschloßne Quelle, Daß Kühlung mit den Wellen fließt.

Und könnt' ich Könige beneiden, Wenn neben mir im kalten Bach Die Wellen mit der Flasche spielen, Von altem Wein hoch aufgefüllt,

Und wenn in deinem kühlen Schatten Mir oft ein frohes Lied gelingt, DaS noch mit unschuldvoller Freude Deö späten Enkels Brust erfüllt?

Menalkas und Alexis. Ein Greis war Menalkas, achtzig Jahre waren schon über sein Haupt hingeflogen; silbern war sein Haar auf seiner Scheitel und um sein Kinn, und efit Stab sicherte seinen wankenden Fußtritt. Und wie der, der nach den Arbeiten eines schönen Sommertages ver­ gnügt an der Kühlung des Abends fitzt, den Göttern dankt und so den stillen Schlaf er­ wartet: so waren seine übrigen Tage den Göttern unv der Ruhe heilig; denn er hatte gearbeitet und Gutes gethan und erwartete gelassen und froh den Schlummer in dem Grabe. Er sah seine Kinder gesegnet; reiche Heerven und schöne Tristen hatt' er ihnen übergeben. Mit zärtlicher Sorgfalt eiferten sie, wer mehr den frommen Alten erfreuen, mehr die Pflege der Jugend ihm vergelten könne; unv das lassen die Götter nicht unge­ segnet. Vor seiner Hütte saß er oft, oder im sonnenreichen Vorhaus, wo er den wohlbe­ pflanzten Garten übersah oder in weit sich verlierender Entfernung die Arbeiten und den Reichthum deS Feldes; oder er hielt den Vorübergehenden mit freundlicher Schwatzhaftig­ keit auf und hörte die Geschichtchen der Nachbarschaft, und von dem Fremdling die Neuig­ keiten, und Sitten und Gebräuche ferner Länder. Seine Kindtskinder, sein süßester Zeit­ vertreib, gaukelten dann um ihn her. Er schlichtete ihre kleinen Zwiste und lehrte sie gü­ tig seyn und nachgebend und mitleidig gegen Menschen und gegen daS kleinste Thier; und unter die mannigfaltigen Spiele, die er sie lehrte, mischet' er immer süßtreffenden Un­ terricht. Er selbst macht' ihnen ihr Spielgeräthe; immer kamen sie gelaufen: mach' undieß und mach' uns das; und wenn'S fertig war, küßten sie ihn und hüpften mit frohem Gewühl um ihn her. Aus Schilf lehrt' er sie Flöten machen und Hirtenpfeifen, und blies ihnen vor, wie man den Schafen und den Ziegen zur Weide unv von der Weide bläst; lehrte sie viele Lieder; die kleinen mußten sie singen, die größern sie mit der Flöte begleiten; oder er erzählte ihnen lehrreiche Geschichtchen; dann saßen sie aufmerksam an der Erde oder auf der Thürschwelle um ihn her. Einst saß er so im VorhauS an der Sonne, und Aleris sein Enkel stund allein bey ihm. Ein schöner Jüngling, itzt hatt' er dreyzehn Frühlinge gesehn ; der jugendlichen Ge­ sundheit Rosenfarbe glühte aus seinen Wangen, und in goldnen Locken wallte sein Haar. Und der Greis erzählte ihm von dem Vergnügen, andern Gutes zu thun und dem, der in der Noth ist, beyzustehen; und daß kein Vergnügen dem gleicht, das man sühlt, wenn man eine gute That gethan hat. Die schön ausgehende Sonne, daS Abendroth, der volle Mond in einer Hellen Nacht schwellen unsern Busen vor Vergnügen; aber süßer, mein Sohn, süßer ist jene Freude noch. Dem schönen Knaben quollen Thränen die Wangen herunter; mit Entzücken sah es der Greis. Du weinst, mein Sohn, so sagt' er und sah mit freundlichem Blick ihm in'S Gesicht; aber gewiß, nicht meine Reden allein können dieß; in deinem Busen muß etwa- seyn, daS ihnen diese Stärke gibt.

186

Salomon

Vefsner

AleriS wischte die Thränen von der Röthe seiner Wangen, aber neue quollen immer Ach! sagt' er, ich fühl' eS, ich fühl' eS ganz ; nichts ist süßer, al- andern Oute- thun. MenalkaS drückte gerührt de- Jüngling- Hand in seine Hände und sprach: Aus deiner Stirne, in deinen Augen seh' ich'-, 4ich rührt etwa- mehr, al- da-, wa- ich dir sagte. Betroffen blickte der Jüngling seitwärts. Sind, so sprach er, deine Reden nicht rüh­ rend genug, Thränen wie Thau auf die Wangen zu gießen? Ich sehe, mein Sohn, saate MenalkaS, ich sehe, daß du mir waS verhehlest, zum erstenmal vielleicht, da- deinen Busen schwellt und schon auf deiner Zunge sitzt. AleriS weinte und sprach: O so will ich dir alles erzählen, waS ich sonst in dem Innersten deS Busens verschwiege. Nur halb gut ist der, der mit dem Guten prahlt, so lehrtest du unS; drum wollt' ich verschweigen, was meinen Busen schwellt, waS mir'S so Eins unsrer süß empfinden läßt, daß Gutes thun die süßeste Freud' unser- Lebens ist. Schafe hatte sich verirret, ich sucht' eS in dem Gebirge; und ich hörte im Gebirg' eine Stimme, die jammerte; da schlich ich mich hin, und ein Mann stand da. Er nahm eine schwere Bürde von der Schulter und legte sie auf den dürren Boden hin. Weiter, so sprach er, vermag ich nicht zu gehen. Mühselig ist mein Leben, und kümmerliche Nahrung mein ganzer Gewinn. Stundenlang irr' ich schon mit dieser Last in der MittagsHitze, und keine Quelle find' ich, den brennenden Durst zu löschen; und kein Baum und keine Staude bietet eine Frucht mir dar, daß sie mich erquicke. Ach Götter! um mich her seh' ich nur Wildniß, keinen Fußsteig, der mich zu den Meinen führe, und weiter können meine schwankenden Kniee nicht. Doch, ihr Götter! ich murre nicht; denn immer habt ihr geholfen! So sagt' er, und kraftlos legt' er sich auf seine Bürde hin. Von ihm nicht gesehn, lief ich da, so schnell ich konnte, zu unsrer Hütte, raffte einen Korb voll ge­ dörrter und frischer Früchte zusammen, nahm meine größte Flasche voll Milch, und so schnell ich konnte, lief ich in'S Gebirge zurück und fand den Mann noch, den itzt ein fanf* ter Schlaf erquickte. Leise, leise schlich ich mich zuihm hin und stellte mein Körbchen neben ihn und die Flasche voll Milch; und still schlich ich in'S Gebüsche zurück. Aber bald, da erwachte der Mann. Er sah auf seine Bürde hin und sprach: Wie süß ist die Erquickung de- Schlafes! Nun will ich'ö versuchen, dich weiter zu schleppen; hast du doch so sanft mir zum Pfühle gedient. Vielleicht leiten die gütigen Götter meinen Schritt, daß ich bald daö Rieseln einer Quelle höre, vielleichteineHütte finde, wo der gutthätige Hauswirth mich unter sein Dach aufnimmt. Itzt wollt' er die Bürde auf die Schulter heben, da erblickt' er die Flasche und den Korb. Aus seinen Armen entfiel die Bürve. Götter, waS seh' ich? so rief er. Ach! mir Hungrigen träumet von Speise; und wenn ich erwache, ist's nicht- mehr. Doch nein, Götter! Ich wache, ich wache! Itzt langt' er nach den Früchten. Ich wache! O welche Gottheit, welche gütige Gottheit thut dieses Wunder? DaS erste aus dieser Flasche gieß' ich dir aus, und diese beyden, die größesten dieser Früchte weih' ich dir. Oiimm, o nimm gnädig meinen Dank auf, der meine ganze Seele durchdringt! So sprach er, setzte sich hin, und mit Entzücken und mit Freudenthränen genoß er da sein Mahl. Erquickt stund er wieoer auf und dankte noch einmal der Gottheit, die so gütig für ihn sorgte. Oder, so sagt' er, haben vielleicht die Götter einen gutthätigen Sterblichen hergeführt, o warum soll ich ihn nicht sehn, ihn nicht um­ armen? Wo bist du, daß ich dir danke, daß ich dich segne? Segnet ihn, ihr Götter! Segnet den Redlichen, die Seinen; segnet, o segnet alles, waS ihm zugehört! Satt bin ich, und diese Früchte nehm' ich mit; mein Weib und meine Kinder sollen davon essen und mit Freudenthränen mit mir den unbekannten Gutthäter segnen. Itzt ging er. O ich weinte vor Freude! Aber ich lief durch's Gebüsche den Weg ihm vor und setzte mich an einen Bord hin, wo er vorbey mußte. Er kam, er grüßte mich und sprach: Höre, mein Sohn ; sage, hast du Niemanden auf diesem Gebirge gesehn, der eine Flasche trug und ei­ nen Korb voll Früchte? — Nein, Niemand hab' ich in diesem Gebüsche gesehn, der eine Flasche trug und einen Korb voll Früchte. Aber sage mir, so fragt' ick), wie kömmst du in diese Wildniß? Uebel hast du gewiß dich verirret; denn hier führt keine Straße. Uebel, so erwiedert' er, übel hab' ich mich verirret, mein Sohn; und hatte nicht eine gütige Gottheit, oder ein Sterblicher, den die Götter dafür segnen werden, mich gerettet, so war' ich vor Hunger und vor Durst im Gebirge gestorben. - - So laß mich nun den Weg dir weisen ; gib deine Bürde mir zu tragen, so folgest du mir leichter. Nach vielem Wei­ gern gab er die Bürde mir, und so führt' ich ihn auf die Straße. Und sieh', das ist eS nun, waS itzt noch mich vor Freude weinen läßt. Gering und mühelos war, waS ich that, und doch vergnügt eS mich, wenn'S mir zu Sinne kommt, wie sanfter Sonnenschein. O wie muß der glücklich seyn, der viel Gute- gethan hat! nach.

Lhnst»ph Martin Wlclanb.

197

Und btt drei« umarmte den Hörnen Knaben voll der süßesten Freude. £>, so sprach er, froh und ruhig geh' ich in'« Grab, laß ich doch Lugend und Frömmigkeit in meiner Hütte zurück. 9

Christoph Martin Wieland. (Wieland's fänimtl. Werke, hcraiSg. v. Gräber.

Leipzig 1824.

52 Bände.)

Oberon.

Äitter Hüon, der, ohne e- zu wissen, den Sohn Karls des Großen im Kampfe erschla­ gen, wird von demselben verbannt und soll nur unter der Bedingung zurückkehren dür­ fen, daß er nach Babylon ziehe, und wenn dort der Kalif beim Mahle ist, dem, der zu seiner Linken fltzt, den Kopf abschlage, dann die Erbin seines Thrones dreimal öffentlich küsse und endlich sich als Geschenk vier Backzähne und eine Handvoll Haare auS dem Bart deS Kalifen erbitte. Hüon unternimmt dies Wagestück und trifft auf der Reise nach Babylon in einem Eremiten auf dem Libanon einen alten Diener seine- Baterö, RarnenS ScheraSmin, der ihn auf seiner gefährlichen Fahrt $u begleiten sich entschließt. — Nach­ dem sie einen Haufen räuberischer Araber besiegt und zerstreut, kommen sie gegm Abend in einen Wald, in dem sie nach langem Umherirren ein Schloß erblicken, aus dessen goldnen Thüren auf einem Silberwagen ein schöner Knabe herausfährt. ScheraSmin entflieht und zieht den Ritter mir sich fort. Sie flüchten in ein Kloster, da- dicht am Walde liegt; aber schon ist der Knabe mitten unter ihnen. Er stößt in sein Zauberhorn und sogleich beginnt ScheraSmin sammt allen Mönchen und Nonnen zu tanzen. Der schöne Knabe giebt sich als Oberon, Kvnia der Elfen, tu erkennen, verspricht dem Hüon be! settrem schwe­ ren Abenteuer seine wunderbare Hülfe, schenkt ihm daS Zauberhorn und einen Becher, der dem Unschuldigen sich mit Weine füllt, dem Schuldigen leer bleibt und in der Hand glüht, und verschwindet dann schnell vor ihren Blicken. AlS die beiden Wanderer weiter ziehen, wird Hüon von einem Prinzen vom Libanon, der von vielen Mannen umaeben in einem Thale lagert, aufgehalten und zum Kampfe herausgefordert, besiegt aber Alle, den Prin­ zen sammt den Rittern. Dennoch erbietet er sich, demselben bei der Befreiung seiner Braut auS den Händen des Riesen Angulaffer, der sie ihm geraubt hatte und durch einen Zau-berring unüberwindlich war, behulflich zu sein. Er zieht allein in die Burg deS Riesen, besiegt denselben, nachdem er ihm im Schlafe seinen Ring genommen, und giebt die be­ freite Angela dem Prinzen AleriS zurück. Nachdem er die Glücklichen verlassen, wird er durch ein Zaubermahl gestärkt und erblickt dann im Traume eine weibliche Gestalt, für die er von Liebe ergriffen wird. — Er erzählt dem ScheraSmin seinen wunderbaren Traum, der ihm theils die Bedeutsamkeit seines TraumeS auszureden, theils auch ihn mit der Hoffnung zu trösten versucht, er werde daS Urbild seines TraumeS vielleicht in Bagdad finden. Sie brechen auf und verfolgen ihren Weg. Als sie beim MittagSmahle aus­ ruhen, vernehmen sie ein Angstgeschrei; sie erblicken, als sie demselben nacheilen, einen Sa­ razenen im Kampf mit einem Löwen. Hüon befreit den Sarazenen und reicht ihm zur Stärkung seinen Becher. Doch dieser erglüht ihm in der Hand, und der Sarazen ent­ flieht. Gegen Abend kommen sie in Bgvad an und finden bei einer alten Frau Auf­ nahme. Diese erzählt ihnen, daß Rezia, des Sultans Tochter, am folgenden Tage an einen Fürsten der Drusen vermählt werden solle, ihren Bräutigam aber nicht liebe, weil ihr in einem wunderbaren Traume die Gestalt eines Ritters erschienen sei, der ihr Herz gewonnen. Babekan, der Fürst der Drusen, habe nun, um daS Herz der Rezia durch eine tapfere That zu gewinnen, es unternommen, einen Löwen, der daß Land verheert, zu tödten, sei aber vor wemgen Stunden, ohne die Klauen deS Ungeheuers als Zeichen des Sieges mitzubringen, still zurückgekehrt. Hüon erblickt in dem, was er von der Alten er­ fahren, Beweise von dem mächtigen Beistand, den ihm Oberon versprochen, und ist gewiß, daß Babekan jener von ihm befreite Sarazen, nnb Rezia seine ihm im Traum erschienene Geliebte sei. Mit diesem tröstenden Gedanken ergiebt er sich dem Schlafe. Rezia erblickt unterdeß im Traum aufd Neue ihren Geliebten und theilt ihrer Amme, Fatme, den In-

188

Christoph Martin Wieland.

halt de- Traume- mit. — Der Hochzeit-tag bricht an; die Braut wird geschmückt, und im festlichen Saal versammeln fich alle Gäste. — Hüon findet beim Erwachen vor seinem Bett einen herrlichen Kaftan, den er anlegt, um damit in den Palast zu gehen. Fünfter Gesang. 29.

Herr Hüon stand nunmehr, bi- auf die lilienglatte Bartlose Wange, wie ein wahrer Sultan da, Indem da- Mütterchen ihn um und um besah Und immer noch an ihm zu putzen hatte. Drauf, al- der treue Scherasmin 2hm wa- in- Ohr geraunt, beginnt er fortzugehen, Reicht einen Beutel Gold der Wirthin freundlich hin: Und nun, lebt wohl, auf Wiedersehen! 30.

Nichts halb zu thun ist edler Geister An. Ein reich gezäumtes Roß steht vor der Thür der Alten Und neben ihm zwei Knaben, schön und zart, In Silberstück, die ihm die golvnen Zügel halten. Herr Hüon schwingt sich auf; die Knaben frisch voran, Und führen ihn auf einem Seitenwege Am Strome hin, durch blühende Gehäge, Bis sie der hohen Burg sich gegenüber sahn. 31.

Schon ist er durch den ersten Hof gezogen, Im zweiten steigt er ab und geht zum dritten ein. Er scheint ein Hochzeitgast vom ersten Rang zu seyn, Und überall, von diesem Schein betrogen, Macht ihm die Wache Platz. Er schreitet frei und stolz Daher und nähert sich dem Thor von Ebenholz. Zwölf Mohren, Riesen gleich, stehn mit gezücktem Eisen Die Unberechtigten vom Eingang abzuweisen. 32.

Allein des Ritters Staat und königlicher Blick Drückt, wie er sich der hohen Pforte zeiget, Die Säbelspitzen schnell zurück, Die fernher sich entgegen ihm geneiget. Die Flügel rauschen auf. Hoch schlägt sein Heldenherz, Indem sie hinter ihm fich wieder wehend schließen. Drauf führt ein Säulengang, an welchen Gärten stießen, Ihn noch zu einer Thür von übergülv'tem Erz. 33.

Ein großer Vorsaal war-, mit Sklaven aller Farben Kombabischen Geschlecht- erfüllt, Die ewig hier am Quell der Freude darben, Und, da ein Mann, von Emirsglanz umhüllt, In ihre hohlen Augen schwillt. Mit Blicken, die in KnechtSgefühl erstürben, Die Arme auf die Brust ins Kreuz gefaltet, stehn lind kaum so muthig sind ihm hintennach zu sebn, 34.

Schon tönen Cymbeln, Trommeln, Pfeifen, Gesang und Saitenspiel vom Hochzeitsaale her; Schon nickt deS Sultans Haupt von Weindunst doppelt schwer, Und freier schon beginnt die Freude auszuschweifen : Der Braut allein theilt sich die Lust nicht mit, Die in des Bräut'gams Augen glühet: Als, eben da sie starr auf ihren Teller siehet, Herr Hüon in den Saal mit edler Freiheit tritt 35.

Er naht der Tafel sich, und alle Augenbraunen Ziehn sich erstaunt empor, den Fremden anzuschauen.

Christoph Martin Wieland. Die schöne Rezia, die ihre Traume denkt, Halt auf den Teller noch dm ernsten Blick gesmkt; Auch der Kalif, den Becher just zu leeren Beschäftigt, läßt fich nicht- in seinem Opfer stören: Nur Babe kan, den seines nahen FallKein guter Geist verwarnt, dreht seinen langen HalS. 36.

Sogleich erkennt der Held den losen Mann von gestern, Der sich vermaß der Christen Gott zu lästern: Er ist'-, der link- am golvnen Stuhle sitzt Und seinen Nacken selbst der Straf' entgegen bieget. Rasch, wie de- Himmel- Flamme, blitzt Der reiche Säbel auf, der Kopf des Heiden flieget, Und hoch aufbrausend überspritzt Sein Blut den Tisch und den, der ihm zur Seite lieget. 37.

Wie der Gorgone furchtbar- Haupt In Perseu- Faust den wild empörten Schaaren Da- Leben stracks durch seinen Anblick raubt; Noch dampft die KönigSburg, noch schwillt der Auftuhr, schnaubt Die Mordlust ungezähmt im Busen der Barbaren; Doch Perseus schüttelt kaum den Kopf mit Schlangenhaaren, So starrt der Dolch in jeder blut'gen Hand, Und jeder Mörder steht zum Felsen hingebannt: 38.

So stockt auch hier, beim Anblick solcher kecken Verräterischen That, de- ftohen Blutes Lauf Zn jedem Gast. Sie fahren allzuhauf, Al- sähn ste ein Gespenst, von ihren Sitzen auf Und greifen nach dem Schwert. Allein, gelähmt vom Schrecken, Erschlafft im Ziehn der Arm, und jedes Schwert blieb stecken ; Ohnmächtgen Grimm im starren Blick, Sank sprachlos der Kalif in seinen Stuhl zurück. 3H.

Der Auftuhr, der den ganzen Saal empöret, Schreckt Rezien auS ihrer Träumerei: Sie schaut bestürzt sich um, was dessen Ursach' sev. Und, wie sie fich nach HüonS Seite kehret, Wie wird ihm, da er sie erblickt! Sie ist's, sie ist'-, ruft er und läßt entzückt Den blut gen Stahl und seinen Turban fatlrii Und wird von ihr erkannt, wie seine Locken wallen 40.

Er ist's, beginnt auch sie zu rufen, doch die Scham Erstickt den Ton in ihrem Rosenmunde. Wie schlug da- Herz ihr erst, da er geflogen kam, Im Angesicht der ganzen Tafelrunde, Sie liebeSkühn in seine Arme nahm Und, da sie glühend bald, bald blaß wie eine Büste, Sich zwischen Lieb' und jungferlichem Gram In seinen Armen wand, ste auf die Lippen küßte! 41.

Schon hatt' er ste zum zweiten Mal geküßt: Wo aber nun den Trauring her bekommen? Zum Glücke, daß der Ring an seinem Finger ist, Den er im Eisenthurm dem Riesen abgenommen, Zwar, wenig noch mit dessen Werth vertraut, Schien ihm, dem Ansehn nach, der schlecht'ste kaum geringer. Doch steckt er ihn au- Noth itzt an de- Fräuleins Finger Und spricht: So eign' ich dick zu meiner lieben Braut!

189

190

Lhristoph Martin Wieland. 42. Er küßt mit diesem Wort die sanft bezwungne Schöne Zum dritten Mal auf ihren holden Mund. Ha! schreit der Sultan auf und knirscht und stampft den Grund Vor Ungeduld, ihr leidet, daß der Hund Von einem Franken so mich höhne ? Ergreift ihn! Zaudern ist Verrath! Und, tropfenweis erpreßt, versöhne Sein schwarzes Blut die ungeheure That!

43. Auf einmal blitzen hundert Klingen In HüonS Aug', und kaum erhascht er noch, Eh' fie im Sturm auf ihn von allen Seiten dringen, Sein hingeworfnes Schwert. Er schwingt es dräuend. Doch Die schöne Rezia, von Lieb' und Angst entgeistert, Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust zum Schild Der seinigen — der andre Arm bemeistert Sich seines Schwerts. Zurück, Verwegne, schreit sie wild.

44. Zurück! es ist kein Weg zu diesem Busen AlS mitten durch den meinen! ruft sie laut; Und ihr, noch kaum so sanft wie Amors holde Braut, Giebt die Verzweiflung itzt die Augen von Medusen. Vermeßne, haltet ein, ruft sie den Emirn zu, Zurück! — O schone sein, mein Vater! und, o du, Den zum Gemal daS Schicksal mir gegeben, O spart mein Blut in euer beider Leben!

45. Umsonst! des Sultans Wuth und Dräun Nimmt überhand, die Heiden dringen ein. Der Ritter läßt sein Schwert vergebens blitzen, Noch hält ihm Rezia den Arm. Ihr ängstlich Schrein Durchbohrt sein Herz. WaS bleibt ihm sie zu schützen Noch übrig, als sein Horn von Elfenbein? Er setzt eS an den Mund und zwingt mit sanftem Hauche Den schönsten Ton auS seinem krummen Bauche.

46. Auf einmal fällt der hoch gezückte Stahl AuS jeder Faust; in raschem Taumel schlingen Der Emirn Hände sich zu tänzerischen Ringen; Ein laute- Hussa schallt bacchantisch durch den Saal, Und Jung und Alt, was Füße hat, muß springen; Des Hornes Kraft läßt ihnen keine Wahl: Nur Rezia, bestürzt dieß Wunderwerk zu sehen, Bestürzt und froh zugleich, bleibt neben Hüon stehen.

47. Der ganze Divan dreht im Kreis Sich schwindelnd um. die alten Baffen schnalzen Den Takt dazu, und, wie auf glattem Eis, Sieht man den Imam selbst mit einem Hämmling walzen Noch Stand noch Alter wird gespart; Sogar der Sultan kann der Lust fich nicht erwehren, Faßt seinen GroSwesfir beim Bart Und will den alten Mann noch einen Bockssprung lehren.

48. Die nie erhörte Schwärmerei Lockt bald aus jedem Vorgemache Der Kämmerlinge Schaar herbei, Sodann das Frauenvolk und endlich gar die Wache Sie all' ergreift die lust'ge Raserei:

«tzePsph Mrtm Wietand. Der Aanbertaumel setzt den ganzen Harem ftei; Die Gärtner selbst in l$ten bunten Schürzen Sieht man sich in dm Reihn mit jungen Nymfen stürzen.

49. MS eine, die kaum ihrm Augen glaubt, Steht Rezia, de- Athems fast beraubt. Welch Wunder! ruft sie auS; und just in dem Momente, Wo nichts als dieß unS retten könnte! Ein guter Genius ist mit unS, Königin, Versetzt der Held. Indem kommt durch die Hausen Der Tanzenden sein treuer ScheraSmin Mit Fat men gegen sie gelaufen.

50. Kommt, keicht er, lieber Herr! Wir haben keine Zeit Dem Tanzen zuzusehn; die Pferde stehn bereit, Die ganze Burg ist toll, die Thüren alle offen Und unbewacht; waS säumen wir? Auch hab' ich unterwegs Frau Fat men angetroffen, Zur Flucht bepackt, als wie ein lastbar Thier. Sey ruhig, spricht der Held, noch ist'S nicht Zeit zu gehen, Erst muß daS Schwerste noch geschehen.

51. Die schöne Rezia erblaßt bei diesem Wort, )hr ängstlich Auge scheint zu fragen und zu bitten. Warum verziehn? warum am steilen Bord DeS Untergangs verziehn? O laß mit Flügelschritten Uns eilen, eh' der Taumelgeist rerrinnt, Der unsrer Feinde Sinnen bindet! Doch Hüon, unbewegt, begnüget sich mit Blicken Voll Liebe ihre Hand fest an sein Herz zu drücken.

52. Allmählich ließ nunmehr die Kraft de- Hornes nach. Die Köpfe schwindelten, die Beme wurden schwach, Kein Faden war an allen Tänzern trocken, Und in der athemlosen Brust Geschwellt, begann daS dicke Blut zu stocken. Zur Marter ward die unfteiwill'ge Lust. Durchnäßt, als stieg' er gleich auS einer Badewanne, Schwankt der Kalif auf seine Ottomanne.

53. Mit jedem Augenblick fällt, starr und ohne Sinn, Da, wo rings um die Wand stch Polster schwellend beben, sin Tänzer nach dem andern hin. Smirn und Sklaven stürzen zappelnd neben Yöttinnen deS Serai's, so wie's dem Zufall dä'uchl, ÄlS ob ein Wirbelwind sie hingeschüttelt hätte, So daß zugleich auf Einem Ruhebette Oer Stallknecht und die Favoritin keicht.

54. Herr Hüon macht die Sülle fich zu Nutze, Oie auf dem ganzen Saale ruht; !äßt seine Königin, nah bei der Thür, im Schutze OeS treuen ScheraSmin, dem er auf seiner Hut ju seyn gebeut, giebt ihm auf alle Fälle OaS Horn von Elfenbein und naht sodann der Stelle, Do der Kalif, vom Ball noch schwach und matt, luf einen Polsterthron fich hingeworfen hat.

55. In dumpfer Sülle liegt mit ausgespannten Flügeln *eis' athmend die Erwartung ring- umher,

m

192

Christoph Martin Weinn*. Die Tänzer all' von Schlaf und Taumel schwer, Bestreben sich die Augen aufzuriegeln, Den Fremden anzusehn, der sich, nach solcher That, Mit unbewehrter Hand und bittenden Geberden Dem stutzenden Kalifen langsam naht. WaS, denkt man, wird aus diesem allen werden? 56. Er läßt sich auf ein Knie vor dem Monarchen hin, Und mit dem sanften Ton und kalten Blick des Helden Beginnt er: „Kaiser Karl, von dem ich Dienstmann bin, Läßt seinen Gruß dem Herrn der Morgenländer melden, Und bittet dich — verzeih! mir fällt's zu sagen hart! Doch, meinem Herrn den Mund, so wie den Arm, zu lehnen, Ist meine Pflicht — um vier von deinen Backenzähnen Und eine Hand voll Haar aus deinem Silberbart." 57. Er spricht'S und schweigt und steht gelassen, Des Sultans Antwort abzupassen. Allein, wo nehm' ich Athem her, den Grimm Des alten Herrn mit Worten euch zu schildern? Wie seine Züge sich verwildern, Wie seine OJase schnaubt? mit welchem Ungestüm Er aus vom Throne springt? wie seine Augen klotzen, Und wie vor Ungeduld ihm alle Adern strotzen ? 58. Er starrt umher, will fluchen, und die Wuth Bricht schäumend jedes Wort an seinen blauen Lippen. Auf, Sklaven! reißt das Herz ihm aus den Nippen! Zerhackt ihn Glied für Glied! zapft sein verruchtes Blut Mit Pfriemen ab! weg mit ihm in die Flammen! Die Asche streut in alle Winde auS, Und seinen Kaiser Karl, den möge Gott verdammen! Was? Solchen Antrag? Mir? In meinem eignen HauS? 59. Wer ist der Karl, der gegen Mich sich brüstet? Und warum kommt er nicht, wenn'S ihn So sehr nach meineur Bart und meinen Zähnen lüstet, Und wagt'S, sie selber außzuziebn? Der Mensch muß unter seiner Mütze Nicht richtig sevn, versetzt ein alter Kan. So etwas allenfalls begehrt man an der Spitze Bon dreimal hundert tausend Mann. HO. Kalif von Bagdad, spricht der Ritter Mit edlem Stolz, laß alles schweigen hier Und höre mich'/ Es liegt schon lange schwer auf mir, Karls Auftrag und mein Wort. Doch seiner Öberherrlichkeit

Des Schicksals Zwang ist bitter

Sich zu entziehn, wo ist die Macht auf Erden? WaS eS zu thun, zu leiden unS gebeut, Das muß gethan, daS muß gelitten werden. Hl.

Hier steh' ich, Herr, ein Sterblicher wie du, Und steh' allein, mein Wort, trotz allen deinen Wachen. Mit meinem Leben gut zu machen: Doch läßt die Ehre nur noch einen Antrag zu Entschließe dich von Mahomev zu weichen, Erhöh' das heil'ge Kreuz, das edle Christenzeichen, In Babylon und nimm den wahren Glauben an, So hast du mehr, als Karl von dir begehrt, gethan

LtzttstsA MavUn Wlrttmb.

199

62. Dann nehm' ich - auf mich selbst, dich völlig los zu sprechm Von jeder andern Forderung, Und der soll mir zuvor den Nacken brechen, Der mehr verlangt.' Go einzeln und so jung Du hier mich stehst, waS du bereit- erfahren, Verkündigt laut genug, daß einer mit mir ist, Der mehr vermag, als alle deine Schaaren. Wähl' itzt da- beste Theil, wofent du weise bist?

63. Indeß, an Kraft und Schönheit einem Botm Des Himmels gleich, der jugendliche Held, Uneingedenk der Lanzen, die ihm drohten, So mannhaft spricht, so muthig dar sich stellt: Beugt Rezia von fern, mit glühend rothen Entzückten Wangen, liebevoll Den schönen Hals nach ihm, doch schaudernd, wie der Knoten Von all' den Wundern sich zulegt entwickeln soll. Herr Hüon hatte kaum das letzte Wort gesprochen, So fängt der alte Schach wie ein Beseßner an Zu schrei'n, zu stampfen und zu pochen, Und sein Verstand tritt gänzlich auS der Bahn. Die Heiden all' in tollem Eifer springen Von ihren Sitzen auf mit Schnauben und mit Dräun, Und Lanzen, Säbel, Dolche dringen Auf Mahoms Feind von allen Seiten ein.

65. Doch Hüon, eh' sie ihn erreichen, reißt in Eile Der Männer einem rasch die Stange aus der Hand, Schlägt um sich her damit, als wie mit einer Keule, llnb zieht, stets fechtend, sich allmählich an die Wand. Ein großer goldner Stapf, vom Schenktisch weggenommen, Dient ihm zugleich als Schild und als Gewehr; Schon zappeln viel am Boden um ihn her, Die seinem Grimm zu nah gekommm.

66. Der gute Schera-min, der an der Thüre fern Zum Schutz der Schönen steht, glaubt seinen trftat Herrn Zm Schlachtgedräng ru sehn und überläßt voll Freude Sich tinm Augenblick der süßen Augenweide: Doch bald zerstreut den angenehmen Wahn DeS Fräuleins Angstgeschrei; er steht der Heiden Rasen, Sieht seines Herrn Gefahr, setzt flugS daS Hüfthorn an Und bläst, als lag' ihm ob, die Todten aufjuMafm.

67. Die ganze Burg erschallt davon und kracht; Und stracks verschlingt den Tag die fürchterlichste Nacht, Gespenster lassen sich wie schnelle Blitze sehen, Und- unter stetem Donner schwankt Des Schlosses Felsengrund. Der Heiden Herz erkrankt; Sie taumeln, Trunknen gleich, Gehör, Geficht vergehen, Der schlaffen Hand entglitschen Schwert und Speer, llnb gruppenweis' liegt alle- starr umher.

68. Der Sultan, übertäubt von solchen Wunderdingen, Scheint mit dem Tod den letzten Kampf zu ringm: Sein Arm ist nervenloS, sein Athem schwer, Sein Puls schlägt matt und endlich gar nicht mehr. Auf einmal schweigt der Sturm; ein lieblich säuselnd Wehen

jinncm’t deutsch. Ged. Sam ml.

13

194

Christoph Martin Wieland. Erfüllt dm Saal mit frischem Lilienduft, Und, wie ein Engel-bild ob einer Todtengruft, Laßt Oberon sich itzt auf einem Wölkchen sehen. 69.

Ein lauter Schrei deS Schrecken- und der Lust Entfährt der Perserin; ein unfreiwillig Grauen Bekänrpft in ihr da- schüchterne Vertrauen. Die Arme über chre Brust Gefaltet, steht sie glühend neben! Dem Jüngling da, dem sie ihr Herz gegeben, Und wagt, der süßen Schuld jungfräulich sich bewußt, £u ihrem Retter kaum die Augen aufzuheben. 70.

Gut, Hüon, spricht der Geist, du hast dein Ehrenwert Gelöst, ich bin mit dir zufrieden. Zum Ritterdank ist dir dieß schöne Weib beschieden! Doch, eh' ihr euch entfernt von diesem Ort, Bedenke Rezia, wozu sie sich entschließet, Eh' sie vielleicht mit unfruchtbarer Reu Die rasche Wahl verführter Augen büßet! Zu bleiben oder gehn, läßt ihr da- Schicksal frei. 71.

So vieler Herrlichkeit entsagen, Verlassen Hof und Thron, dem sie geboren ward, Um sich auf ungewisse Fahrt In- weite Meer der Welt mit einem Mann zu wagen; Zu leben ihm allein, mit ihm den Unbestand Des Erdenglücks, mit ihm des Schicksals Schläge tragen, (Und ach! oft kommt der Schlag von einer lieben Hand!) Da lohnt sich'- wohl, vorher sein Herz genau zu fragen. 72.

Noch, Rezia, wenn dich die Wage schreckt, Noch steht'- bei dir, den Wunsch der Liebe zu betrügen: Sie schlummern nur, die hier, al- wie im Grabe, liegen; Sie leben wieder auf, so bald mein Stab sie weckt. Der Sultan wird dir gerne,« wa- geschehen, Verzeihn, trotz dem, waö er dabei verlor, Und Rezia wird wieder, wie zuvor, Don aller Welt sich angebetet sehen. 73.

Hier schwieg der schöne Zwerg. Und bleicher als der 'lob Steht Hüon da, da- Urtheil zu empfangen, Womit ihn Oberon, der Grausame, bedroht; In Asche sinkt da- Feuer seiner Wangen. Zu edel oder stolz, vielleicht ein zweifelnd Herz Mit Liebe-worten zu bestechen, Starrt er zur Erde hin mit tief verhaltnem Schmerz Und läßt nicht einen Blick zu seinem Vortheil sprechen. 74.

Doch Rezia, durchglüht von seinem ersten Kuß, Braucht keines Zunder- mehr, die Flamme zn erhitzen. Wie wenig däucht ihr noch, wa- sie verlassen muß, Um alles, waS sie liebt, in Hüon zu besitzen! Von Scham und Liebe roth bis an die Fingerspitzen, Verbirgt sie ihr Gesicht und einen Thränenguß In seinem Arm, indem, hoch schlagend von Entzücken, Ihr Herz empor sich drängt, an seines sich zu drücken 75.

Und Oberon bewegt den Lilienstab Sanft gegen sie, als wollt' er seinm Segen

LhrPsph Marlin Wieland.

199

Auf ihrer Herren BündniK legen, Unb eine Thräne fällt auö feinem Aug' herab Auf beider Stirn. So eil' auf Liebesschwingen, Spricht er, du holde- Paar! Mein Wagen steht bereit, Bevor da- nächste Licht der Schatten Heer zerstreut, Euch sicher an den Strand von A-kalon zu bringen. Er sprach'-, und eh' de- letzten Worte- Laut Verklungen war, entschwand er ibren Augen. Wie einem Traum erwacht, steht Hüon- schöne Braut, Den süßen Duft begierig aufzusaugen, Der noch die Luft erfüllt. Drauf sinkt ein scheuer Blick Auf ihren Vater hin, der wie in Todesschlummer Zu starren scheint. Sie seufzt, und wehmuthsvoller Kummer Mischt Bitterkeit in ihre- Herzen- Glück. 77. Sie hüllt sich ein. Herr Hüon, dem die Liebe Die Sinne schärft, steht nicht so bald Ihr Herz beklemmt, ihr schöne- Auge trübe, So drückt er sie mit zärtlicher Gewalt, Den rechten Arm um ihrm Leib gewunden, Zum Saal hinaus. — Komm, spricht er, eh' die Nacht UnS überrascht, und jeder Arm erwacht, Den, uns zu Lieb', der Geist mit Zauberschlaf gebunden. 78. Komm, laß unS fliehn, eh' und den Weg zur Flucht Ein neuer Feind vielleicht zu sperren sucht; Und sey gewiß, sind wir nur erst geborgen, Wird junfer Schüler auch für diese Schläfer sorgen. Dieß sprechend, tragt er sie mit jugendlicher Kraft Die Marmortrepp' hinunter bis zum Wagen, Den Oberon zu ihrer Flucht verschafft, Und eine süßre Last hat nie ein Mann getragen. Eiu Wagen, von 4 Schwänen gezogen, entführt sie sammt Scherasmin und der Amme der Rezia, Farme, durch die Luft. — Als sie am Morgen flch am Ufer des Meeres sahen, brachte ihnen Oberon ein Kästchen, in dem vier Backzähne und einige Haare au- dem Bart des Sultans lagen. Sie besteigen darauf ein Schiff, da- sie nach Lepanto bringen sollte. Unterwegs läßt Rezia sich taufen und nimmt den Namen Amanda an. — Oberon hatte ihnen feine Hülfe so kräftig erwiesen in der Hoffnung, in ihnen ein Paar gefunden zu haben, das, durch keusche Liebe verbunden, in allen Leiden sich treu bleiben würde. Er hatte sich nämlich von seiner Gattin Titania getrennt und wollte nicht eher sich wieder mit ihr vereinigen, als bis er ein so treue- Paar gefunden. Da aber Hüon und Amanda ein Gebot Oberon'S übertreten, beginnt für sie eine Reihe von Leiden. — Die Schiffsleute, bei einem entstehenden Sturme in höchster Noth, beschließen da- Looüber den zu werfen, der der erzürnten Gottheit als Opfer fallen solle. DaS LooS trifft Hüon, aber Amanda stürzt sich mit ihm in die Fluten. Der Zauberring schützt sie vor dem Ertrinken, und sie werden an ein Eiland gerettet, wo sie lange mit dem Hunger zu kämpfen haben, endlich aber in der Hütte eines Eremiten, Namens Alfonso, Schutz und Obdach finden. Dort leben sie 3 Jahre, bis endlich neues Unglück über sie hereinbricht. Von der Titania, die auf diesem Eiland wohnt, wird ihnen ihr Kind geraubt, und als sie es überall suchen, wird Amanda von Korsaren ergriffen, und Hüon, der ihr zu Hülfe eilt, an einen Baum gebunden. Doch Oberon erbarmt sich seiner und läßt ihn von einem Sylfen über da- Meer nach Tunis vor die Wohnung des Gärtner- Ibrahim tragen; in diesem erkennt Hüon den alten Scherasmin, der nach langer Wanderung, um ihn zu su­ chen, endlich nach Tunis gekommen war und, da er in der Sklavin de- Gärtner- die Fatme erkannt, sich dort als Gärtnergehülfe vermiethet hatte. Beide erfahren darauf, daß das Schiss, auf dem sich Amanda befunden, an der Küste von^uni- gescheitert sei, und der Sultan Almansor sie in seinen Harem habe bringen lassen. Hüon beschließt deshalb, sich auch als Gärtner zu verdingen, um sich ihr vielleicht nähern zu können. Als er einst zu 13*

196

GoMitb Aonra- PteLei.

spat Im Garten deS Harem sich verweilt, erblickt ihn die Sultanin Almanfaris. Sie faßt für ihn eine leidenschaftliche Zärtlichkeit, aber da sie durch keine Lockung seine Treue fiii erschüttern vermag, beschuldigt sie ihn bei Almansor, er habe sie verführen wollen. Er wird zum Holzstoß verdammt. Fatme giebt der Amanda Nachricht davon; diese begiebt sich zum Sultan und fleht ihn fußfällig um Hüon'S Leben. Da der Sultan aber ihre Hand zum Preis fordert, und sie ihrem Gatten nicht entsagen will, wird auch sie zum Holzstoß vervammt. Als Beide schon angebunden sind, unv die Sklaven schon die Feuerbränve herbeibringen, erbebt die Erde plötzlich, die Stricke rerreißen, und Hüon steht Oberon's Horn an seinem Halse hangen. Er bläst, und Alle tanzen. Ein Wagen, von Schwänen gezogen, kommt durch die Luft und führt die Liebenden sammt Scherasmin und Fatme nach Oberon s Palast, der sich jetzt mit seiner Gattin Titania wieder aussöhnt. Von da werden sie nach Paris getragen, und Hüon erwirbt im Turnier sein eigen Land und Lehen, da- Karl der Große als Preis des Sieges ausgesetzt hatte, und erhält darauf, indem er nachweist, daß die ihm für seine Rückkehr gestellten Bedingungen erfüllt sind, Karls Verzeihung.

Gottlieb Konrad Pfeffel. (Poetische Versuche von G. K. Pfeffel.

Tübingen 1S02. s Vre.)

Der Lohn der Tugend. An Selma. 99Tit stillen brünstigen Gebeten Kam täglich vor Jehovens Thron Arist, ein frommer Greis, getreten Und bat für seinen frommen Sohn. „Er ist, o Gott, mein Trost auf Erden, Laß ihn dafür so glücklich werden, Als dein Geschöpf eS werden kann." So betete der heilge Mann.

Der Alte wacht in seiner Zelle Und betet, bis es morgen war. Itzt trat sein Fuß in die Kapelle. Ein Leichnam lag vor dem Altar. Es war sein Liebling. Keine Zähre Entweiht sein Auge; „Gott sey Ehre!" So ruft er, küßt mit Himmelslust Den Sohn und — stirbt auf seiner Brust.

Einst sank er zu des Altars Fuße In himmlische Begeistrung hin, Da trat mit einem holden Gruße Ein lichter Seraph neben ihn. „Der Herr," so sprach er, „der dich höret, Freund, hat dir deinen Wunsch gewähret, Und morgen krönet hier der Lohn Der Tugend dich und deinen Sohn."

O Selma, der ich in der Jugend Dieß Lied zum Pfand der Freundschaft gab, Nun leg ichs deiner Engeltugend Zum Denkmal auf dein frijcheS Grab Ihr, die es leset, fromme Schönen, Benetzet es mit euren Thränen Für Selma. Mehr als Elegie Und Marmor ehren Thränen sie.

Der Rang. Vor Zeiten, als am Hofe gar Ein eignes Amt für Starren war, Statt daß sie doch in unsern Tagen Dabey noch andre Würden tragen Kam eine- Fürsten lustger Rath Dem edlen Kanzler au- Versehen Auf seine rechte Hand zu stehen.

Hilf ZevS, wie schäumte der Magnat! So schäumt ein Aurochs im Gefechte. „Fort," ries er, „Schlingel, packe dich! Ich lasse keinem Narrn die Rechte." ,,„O!"" sagte RiklaS, „„aber ich"" . . Und sprang mit einem losen Winke Dem Staatsminister auf die Linke.

Ostttirt Klmrad Ptesset. H o In China lag beym Sternenlichte Ein Jüngling — Dank sey der Geschichte Für seinen Namen — Hotten Lag müd auf feinet Binsenmatte Und sah, vom Räuber ungesehn, Der sein Gemach erstiegen hatte, Wie hurtig er, was ihm gefiel,

In seinen weitm Schnapsack steckte. Er regt stch nicht auf seinem Pfühl Und Hingt die Augen zu. Nun streckte Der Gaudieb die versuchte Hand

197

i e n. Nach einem Topf von Siegelerde, Der leer in einem Winkel stand. „Laß," rief mit flehender Geberde 36t Hotten, „laß, armer Mann, Mir diesen Topf, damit ich morgen Für meine Mutter kochen kann." Der Räuber bebt: „„Schlaf ohne Sorgen; Solch einen Sohn besteh! ich nicht,"" Lallt er, legt all die Beute nieder Und wischt fich Thränen vom Gesicht. Seit diesem Tag stahl er nicht wieder.

Das Gebet. Ist diese junge Städterin! Die Freude lacht aus ihren Mienen, Und mit erhitzter Emsigkeit Wirkt sie ein bunte- Keyerkleid: Sprich, welche betet unter ihnen? „„Die am Altar,"" erwiedert er Und fällt aufs Antlitz und erröthet. „Du irrst, sie sagt Gebete her," Versetzt der Geist, „und diese betet." „„Sie?"" rief der Klausner: „„ihre Hand Wirkt ja mit ärgerlichem Fleiße Ein Kleid . . ."" „Für eine arme Waise," Sprach Gottes Herold und verschwand.

Ein Eremit am Libanon, Den man als einen Heilgen ehrte, Und welchen Gott zum öftern schon Durch himmlische Gesichte lehrte, Lag stehend einst vor seinem Thron. Da nahte sich in stiller Feyer Eloah, Fürst der Seraphim, Berührt sein Aug und spricht zu ihm: „Sieh jenes Weib im Nonnenschleyer Und schwarzen, harnen Bußtalar; Sie kniet am ernsten Sühnaltar, Und ein Gebet des Jsaiven Strömt über ihre Lippen hin; Und hier, wie sehr von ihr verschieden

Die

Kapelle.

Auf einem Hügel des Wasgau lag Vor AlterS eine Kapelle; Ein schattiger Busch sie ringS umschloß, Und aus des Hügels Busen ergoß Sich eine sprudelnde Quelle.

Jetzt warf die Holde vor dem Altar Mit nassem Auge sich nieder! „0 du! für deren Sohn sein Arm Sich waffnete, still' meinen Harm, Gieb meinen Benno mir wieder!^

Kein Pilger zog durch dieses Gefild', Der nicht am Brünnlein sich labte, Nicht an der heiligen Mutter Altar, Der dieses Kirchlein gewidmet war, Ein frommes Opfer gabte.

„Herr Gott!" ruft, auf den Führer gelehnt, Ein Blinder mit edler Geberde Jetzt auS des Kirchleins offenem Thor; Die Jungfrau hebet ihr Antlitz empor Und sinket entgeistet zur Erde.

Schon glühte die Flur im Abendroth, Schon blökte das Schaf nach dem Stalle; Da kam ein Weib — eine Seraphs-Gestalt — Den Hügel festlich heraufgewallt Unv ttat in die dämmernde Halle.

Der Blinde taumelte neben sie hin: „Du bist eS! deine Stimme, Mein Herz, o Jutta! verräth dich mir. O Schicksal! nur noch ein Wort von ihr, Dann trotz ich deinem Grimme!"

In einem Körbchen aus Silberdrath Trug sie ein Blumengewinde, DaS langsam ihre rosichte Hand Der Säugerin um den Nacken wand Uno deren göttlichem Kinde

Er preßt sie an's Herz, Verzweiflung pocht Im Innern. Mit süßem Schrecken Erwacht der Engel und flüstert ihm zu: „Du bist'S, mein Benno! du bist'S! nur du Kannst aus dem Tode mich wecken!" —

198

Christian Friedrich Daniel Schnbart

Ach! ihr verbarg ja die Dunkelheit Sein todtes Auge. Mit Schauern Rief er: „Mein letzter Wunsch ist erfüllt! Nun will ich, in ewige Nacht gehüllt, De- Leben- Rest vertrauern!" —

„Nicht- mehr?" sprach Jutta und küßt ihn entzückt Und netzte sein Antlitz mit Zähren. „Mein Benno bedarf eine leitende Hand, Die reich ich ihm morgen zum ewigen Pfand Der Treue vor Gotte- Altären."

„Ich irrte, du bist mein Benno nicht!" Seufzt Jutta. — „Leiver getroffen! Dein Benno war blühend, ihm lachte das Glück, Und dieser kommt blind aus der Ferne zurück, Ach! und hat nicht- mehr zu hoffen." —

Er finket der Edlen zu Fuß' und lallt Des Segen- schmelzende Töne. Hier, wo er die Traute wiederfand, Hier weihte der Priester da- heilige Band, Und Engel fei'rten die Scene. —

Auch jene Scene feierten sie, Da deine Hand mich erwählte, O Doris! lange schon bist du mir, Was Jutta dem Pilger; Dank sei dir, Daß ich kein Mährchen erzählte!

Sehr bekannt ist: „Ibrahim" (Eh' Ferdinand mit frommer Wuth) und „tic Ta­ back-pfeife" (Gott grüß' euch, Alter, schmeckt das Pfeifchen?).

Christian Friedrich Daniel Schubart. 1 Schubart's sämmtliche Gedichte.

Stuttgart 1766. 2 Bde.)

D e r ewige Jude. Eine lyrische Rhapsodie.

Aus einem finstern Geklüfte KarmelKroch Aha-ver. Bald find'- zweitausend Jahre, Seit Unruh' ihn durch alle Länder peitschte. Al- Jesu- einst die Last de- Kreuze- trug Und rasten wollt' vor Aha-vero- Thür; Ach! da versagt' ihm Aha-ver die Rast Uno stieß den Mittler trozig von der Thür: Und Jesu- schwankt' und sank mit seiner Last. Doch er verstummt. — Ein Todesengel trat Bor Aha-vero- hin und sprach im Grimme: „Die Ruh' hast du dem Menschensohn versagt; „Auch dir sei fie, Unmenschlicher! vrrsagt, „BiS daß er kömmt!!" — Ein schwarzer höllentflohner Dämon geisselt nun dich. Ahaöver, Bon Land zu Land. DeS Sterben- süßer Trost, Der Grabesruhe Trost ist dir versagt!

Und splitterte. „Der war mein Vater!" brüllte Aha-veros. 9?od) ein Schädel! Ha, noch Sieben Schädel polterten hinab von Fels zu Fels! „Und die — und die," mit stierem Borgequollnem Auge rast'- der Jude: „Und Die — und die — sind meine Weiber — Ha!" Noch immer rollten Schädel. „Die und die," Brüllt'Ahaöver, „find meine Kinder, ha! Sie konnten sterben! — Aber ich, Ver­ worfner, Ich kann nicht sterben — Ach! da- furcht­ barste Gericht Hängt schreckenbrüllend ewig über mir. — Jerusalem sank. Ich knirschte denSäugling, Ich rannt' in die Flamme. Ich fluchte dem Römer; Doch, ach! doch, ach! Der rastlose Fluch Hielt mich am Haar, und — ich starb nicht.

Au- einem finsteren Geklüfte KarmelTrat Aha-ver. Er schüttelte den Staub Roma, die Riesin, stürzte in Trümmer; Au- seinem Barte, nahm der aufgethürmten Ich stellte mich unter die stürzende Riesin, Todtenschädel einen, schleudert' ihn Doch, sic fiel - und zermalmte mich nicht Hinab vom Karmel, daß er hüpft' und scholl

Christian Friedrich Ptmiel Kchnbart. Nationen entstanden und sanken vor mir; Ich aber blieb, und starb nicht!! Von wolkengegürteten Klippen stürzt' ich Hinunter in'- Meer; doch strudelnde Wellen Wälzten mich an'- Ufer, und des SeynFlammenpfeil durchstach mich wieder. Hinab sah' ich in ÄetnaS grausen Schlund Und wüthete hinab in seinen Schlund, Da brüllt' ich mit den Riesen zehn Monden lang Mein Angstgeheul und geißelte mit Seufrern Die Schwefelmündung — Ha! zehn Mon­ den lang!! Doch Aetna gohr und spie in einem Lavastrom Mich wieder aus. Ich zuckt' in Asch' und lebte noch: ES brannt' ein Wald. Ich Rasender lief Zn brennendm Wald. Vom Haare der Bäume Trof Feuer auf mich — Doch sengte nur die Flamme mein Gebein Und — verzehrte mich nicht. Da mischt' ich mich unter die Schlächter der Menschheit, Stürzte mich dicht in'- Wetter der Schlacht, Brüllte Hohn dem Gallier! Hohn dem unbesiegten Deutschen: Doch Pfeil und Wurfspieß brachen an mir. Rn meinem Schädel splitterte Des Sarazenen hochgeschwungenes Schwerdt. Kugelsaat regnete herab an mir, Wie Erbsen auf eiserne Panzer geschleudert. Die Blize der Schlacht schlängelten sich Kraftlos um meine Lenden, Wie um de- Zackenfelsen Hüsten, Der in Wolken sich birgt. — Vergeben- stampfte mich der Elephant; Vergebens schlug mich der eiserne Huf DeS zornfunkelnden StreitroffeS. Mit mir berstete die pulverschwangre Mine, Schleudert' mich hoch in die Lust! Betäubt stürzt' ich herab und fand mich — geröstet Unter Blut und Hirn und Mark Und unter zerstümmelten Aesern

MMI

Meiner Streitgenoffen wieder. An mir sprang der Stahlkolben de- Riesen. De- Henker- Faust lahmte an mir —; Des TiegerS Zahn stumpfte an mir; Kein hungriger köw' zerriß mich tat ZirkuS. Ich lagerte mich zu giftigen Schlangen; Ich zwickte de- Drachen blutrothen Kamm; Doch die Schlange stach—und mordete nicht! Mich quälte der Drache und mordete nicht! Da sprach ich Hohn dm Tyrannen, Sprach zu Nero: Du bist ein Bluthund! Sprach zu Mulei J-mael: Bist ein Bluchund! Doch die Tyrannen ersannm Grausame Qualen und würgtm mich nicht. Ha! nicht sterben könnm! nicht sterbm könnm! Nicht rühm könnm nach deS Leibe- Mühm! Den Staubleib tragen! Mit seiner Todtenfarbe Und seinem Siechthum! Seinem Gräbergeruch! Sehen müssen durch Jahrtausende DaS gähnende Ungeheuer Einerlei! Und die geile, hungrige Zeit, Immer Kinder gebahrend, immer Kinder ver­ schlingend! — Ha! Nicht sterben könnm! nicht sterben könnm!! — Schrecklicher Zürner im Himmel, Hast du in deinem Rüsthause Noch ein schrecklichere- Gericht? — Ha, so laß eS niederdonnem auf mich! — Mich wälz' ein Wettersturm Don Karmel- Ricken hinunter, Daß ich an seinem Fuße Ausgestreckt lieg' — Und keuch' — und zuck' und sterbe!! — " Und AhaSveroS sank. Ihm klang'-im Ohr; Nacht deckte seine borst'gen Augenwimper. Ein Engel trug ihn wieder in - Geklüft. „Da schlaf nun," sprach der Engel, „Ahasver, Schlaf süßen Schlaf; Gott zümt nicht ewig! Wenn du erwachst, so ist Er da, Deß Blut auf Golgatha du fließen sah'st; Und der — auch dir verzeiht."

Der Frühling. Da kommt er nun wieder, Der Jüngling de- Himmels, Und schüttelt auS seidnen Locken Goldnen Thau in die Kelche Der dürstenden Blümchen im Thal; Die Hügel erwachen! Es rauschen die Flüsse, Entfesselt vom Eise! Die Lüste ertönen, Die Wälder erklingen Vom Vogelgesang. Der stömmere Mensch

Blickt betend gen Himmel, Und Freudenthranen tropfen JnS junge keimende Gras. „Willkommen! Willkommen! „Du lächelnder Lenz, „Gefährte der Engel „Im Bräutigamsschmuck!" Doch ach! ich soll dich nicht sehen, Du Jüngling deS Himmels, Nicht sehen den blinkenden Goldthau, Der sanft dir entträufelt, Nicht hören deiner Flügel Melodie

m

Christian Friedrich Daniel Schubart.

Und das Geflister der Winde, Die deine glühende Wange kühlen? Vergib mir-, vergib mirS, Schaffer des Frühlings, Wann ich in bebender Rechte Mein Antliz berg' und weine! Schöpfer, zwar hab ich gesündigt, War seiner Blumengerüche, Seiner fröhlichen Farbengenüsche, Seimr Winde Säuseln nicht werth; Richt werth seiner Gesänge Und deS blüthenbewehtcn Silberbachs! Doch sah ich nicht auch Vom lächelnden Antliz deS Frühlings Zu dir, seinem Bilder, empor? Ach Gott, du weißtS, Oft tropften Thränen auf den Blüthenzweig, Den ich dankend brach und ihn Flistern ließ an der pochenden Brust; Oft entküßt ich dem ersten Veilchen, Von der Hand deS Knaben gepflückt, Die lichtere Tropfe und sog, Gottfühlend, seinen Balsam auf; Hörte preisend Der steigenden Lerche Lied, Der Grasmücke Gezwitscher Aus der blühenden Linde Duft! Und wie stieg mein Herz, Wenn am Abend aus dunkelm Gebüsche Die melodische Nachtigall gluckte! Auch saß ich oft im FrühlingSgrase Der fühlenden Gattin zur Seite, Von goldlockigten Kindern umhüpft; Da sah und fühlt' ich dich, Schöpfer! FühltS, daß du die Liebe bist. — Sah im Wiesenblümchen dich! Im Forellenbache dich! In der Rosenknospe dich! — Und ach! im schimmernden Blicke der Gattin Und auf der Kinder röthlichen Wange Dich, Freudengeber, dich! — Ich muß weinen, Vater! Mein Aug' in hohler Hand bergen

Und weinen, denn ach! Ich habe gesündigt! Bin des himmlischen Frühlings Anblick Und seiner Umarmung nicht werth. Drum warfst du mich zürnend In deS Felsen Nacht Und sprachst: „Fühl eö, Berauschter, WaS es heiße, meinen Frühling nicht sehen!" O, ich fühl-, ich fühlS, Erbarmer! Denn zu Gefühlen der Schönheit und Größe War dieß Herz immer geöffnet. 3ch fühlS, ich fühlS, waS eS sei, Deinen Frühling nicht sehn;

Aber tragen deiner Ungnade Last, Fühlen deS Rächerblicks Flamme; Nicht von der Ruthe deS Vaters, Stein, von der Geißel des Richters zerfleischt, Liegen im Staube deS Kerkers, Von Finsterniß und Fluch gedrückt, Nicht sehn daS Bruderantlitz deS Menschen, Der tröstenden Liebe Blick! O das ist mehr, du Ewiger, mehr, AlS deinen Frühling nicht sehn . . . O lächle mir wieder Gnade, Erbarmer, Gnade, Gnade! Laß das Zorngewölk zerfließen, Das mir dein Antlitz verhüllt! Und du, mein Erlöser, Jesus Ehristus, mein König, mein Gott! Dessen Opferblut Auf die Frühlingsblume floß, Erbarme dich meiner und bitte für mich! Laß schreien dein Blut am Throne: „Gnade! Gnade! Gnade!!" — Dann erheb ich mein Haupt vom Staube, Achte nicht mehr der Fesseln Geklirr Und des schüchternen Frühlings, Der mit blässerer Wange Durch mein Eisengitter schaut. Hast du mir vergeben, Erlöser, vergeben, Dann geht mir jenseit des Grabes Ein schönrer Frühling aus, als der, Der Gräber bescheint Und dunklere Grüfte deS Kerkers.

Die Linde. Warst so schön, breitwipfligter Baum, AlS dir schmollen die Knospen, AlS du Blüthendüfte verhauchtest; Warst so schön!

Die Blüthe fiel; da warst du grün Und stärktest mein Auge, DaS an s falsche Dunkel meines KerkerGewöhnt, blinzt' im Sonnenstrahl.

Dich umsummt' im Lenzabend der Käfer, Geflügelte Ameisen schwärmten, Wie Mittagswölkchen, die die Sonne Verfilbert, um deinen Blüthenzweig

Und nun bist du halbnackt; Der Herbststurnt blies in deinen Scheitel Und deinen Schmuck; die golvnen Blätter, Wälzt nun wogend rer Odem des Sturms.

Etzrtstk» Zttelrich Daniel Schubart.

201

Aber ach! mein Herbst ist gekommen; Die schwarzen Aeste jtatroi trauernd, So früh ist schon nitin Herbst gekommen!— Ihrer Decke beraubt, in die Luft. Dich flieht der Sperling, denn du bist Da- Schicksal blie- mit kaltem stürmendem Zhm nicht mehr Hülle gegen den Sperber.— Odem; Und meine Blätter fielen. Einst knospete ich, o Linde! Schöner, alt du, trug Blüthen DeS Knaben, deS Jüngling-, die süßer Dufteten, alö du im Fruhling-schmuck.

Heiser ist mein Gesang; Die geflügelte Rechte lahmt Auf dm braunen Tasten Des goldnen Saitenspiels.

Meine geringelte Seidenlocken Waren schöner, al- dein grüne- Haar. Schöner, al- deine- Finken und Distelvogels, Scholl mein Gesang und Flügelspiel.

Meine Fantaste, der Riese, Zuckt au-gestreckt, wie ein Geripp' 3m Staube. Mein Witz, die Rose, Liegt entblättert, zerknickt.

Ich war ein Mann, breitwipfligt Und lieblich im Sonnenstrahl spielend. Meine- Geistes Fittig deckte die Meinen, — Wie dein schattender Wipfel den Pilger.

Fern' ist meine Liebe; Meine Kinder sind ferne; — Der schwarze, starre, enthaarte Ast Vermag nicht mehr zu schattm die Lieben!

Der Gefangene. Gefangener Mann, ein armer Mann! Durch'- schwarze Eisengitter Starr' ich den fernen Himmel an Und wein' und schluchze bitter.

Wa- Hilst mir Thau und Sonnenschein 3m Busen einer Rose? Denn nicht- ist mein, ach! nicht- ist mein 3m Muttererden -Schooße.

Die Sonne, sonst so hell und rund, Schaut trüb auf mich herunter; Und kömmt die braune Abendstund', So geht fie blutig unter.

Kann nimmer an der Gattin Brust, Nicht an der Kinder Wangm, Mit Gattenwonne, Vaterlust In Himmel-thränen hangen.

Mir ist der Mond so gelb, so bleich! Er wallt im Wittwenschleier; Die Sterne mir flnd Fackeln gleich Bei einer Todtenfeier.

Gefang'ner Mann, ein armer Mann! Sem von den Lieben allen, Muß ich des Lebens Dornenbahn 3n Schauernächten wallen.

Mag sehen nicht die Blümlein blühn, Nicht fühlen Lenze- Wehen; Ach! lieber säh' ich Rosmarin 3m Duft der Gräber stehen.

E- gähnt mich an die Einsamkeit, 3ch wälze mich aus Nesseln, Und selbst mein Beten wird entweiht Vom Klirren meiner Fesseln.

Vergebens wiegt der Abendhauch Für mich die goldnen Aehren; Möcht' nur in meinem Felsenbauch Die Stürme brausen hören.

Mich drängt der hohen Freiheit Rust 3ch fühl'-, daß Gott nur Sklaven Und Teufel für die Kette schuf, Um fie damit zu strafen.

Wa- hab' ich, Brüver! euch gethan? Kommt doch, und seht mich Armen! Gefang'ner Mann! ein armer Mann! Ach! habt mit mir Erbarmen!

202

Johann Georg Jacodi N

ch t l i e d.

Nun dann, in Gottes Namen Legt fich mein Leib rur Ruh. Herr Jesu! Amen! Amen! Drück mir die Augen zu! Wen deine Flügel decken, Dem ist kein Bett zu hart, Und für der Nachte Schrecken Schützt deine Gegenwart.

Vertreib mit deinem Lichte Der bösen Träume Schaar Und stelle dem Geflchte Nur fromme Bilder dar; O gieb, daß meine Seele, Vom Höllengeist geäfft, Nie sündige und fehle, Auch wenn der Körper schläft.

Send' einen Engel nieder, Der mir zur Seiten steht Und meine müden Glieder Mit HimmelSlust beweht. Erscheine mir im Schlafe, Erlöser, als der Hirt, Der seine lieben Schafe Auf grüne Auen führt.

Wenn neben mir ein armer Gefangner Freund noch wacht; So stärk ihn doch. Erbarmer! Mit einer guten Nacht. Gieb allen sorgenschweren Beklemmten Herzen Rast; Wisch ab des Elends Zähren Und nimm des Müden Last.

Sollt' ich int Schlafe sterben, So sei mein schneller Tod Nicht Hinsturz in's Verderben, Er sei ein Flug zu Gott. Und nun, in GotteS Namen Legt sich mein Leib zur Ruh; Herr Jesu! Amen! Amen! Mein letztes Wort bist du.

Sehr bekannt ist von Schubart: „Friedrich der Große" (Als ich ein Knabe noch war). Von seinen geistlichen Liedern steht im Berl. Gesangb. unter No. 678.: „Alle- M euer, o Worte des ewigen Lebens," jedoch mit Auslassung einiger Verse.

Johann Georg Jaeobi. (Jacobi's sämmtliche Werke.

Zürich 1825. 4 Bde.)

An die Liebesgötter. Entflieht ihr kleinen Heere Der lächelnden Cythere! DaS Thal ist freudenleer; Bereift stud eure Flügel; Dem nackten, öden Hügel Tönt keine Leier mehr.

Wollt ihr vielleicht beim Jagen Die Mordgewehre tragen, Der Netze Hüter sein; Gedungen von Centauren, Auf hohen Aesten lauren, Zum Klang der Hörner schrein?

Seht! wilde Jäger würgen Auf hallenden Gebirgen, Sie spotten eurer Macht; Von spröden Amazonen, Die nur in Wäldern wohnen, Wird Paphia verlacht.

Und wenn die Stürme wehen, Soll dann auf kalten Höhen, Wo Sonnenstrahl gebricht, Euch eure Fackel wärmen? Dem Wilde nachzuschwärmen, Gab sie Cythere nicht.

Das Laub, dem Hain entrissen, Stirbt unter euren Füßen: Flieht! Alles ist verheert. O tragt die dürren Blätter, Ihr artigsten der Götter, Auf eines Dichters Hecrv!

Johann Georg Jaroki

m

Die Nachtigall. Eine Fabel. Die zartgebaute Nachtigall Verbarg sich vor dem großen Schall Der noch entfernten Donnerschlage; Nicht weit von ihr, am offnen Wege, Saß, ungeschützt, mit seiner Brut Ein schwarzer Rabe, voller Muth, Und hörte kaum die Donnerschläge. Da sah die bange Sängerin Nach ihrem kühnen Nachbar hin. „Warum," so klagte fie bescheiden, „Muß diesen Räuber ich beneiden? Mich nennen Wiese, Busch und Flur Den kleinen Günstling der Natur; Und doppelt fühl' ich jede- Leivm."

Ein Schäfer, der vorüberging, Vernahm den Klageton und fing Den Frühlingsboten an ru fragen: „Ob nicht die Luft an heitern Tagen, Ob nicht das erste Grün im Mai, Den Nachtigallen schöner sei, Als denen, welche nimmer klagen?" Der weise Schäfer hatte Recht. ES giebt ein nervichteS Geschlecht Von unerschrocknen Männerseelen; Jedoch auS ihren heisern Kehlen Geht keine Göttermelodie; Und Rabenkinder werden nie Zu still behorchten Philomelen.

An die Rose. Rose, komm! der Frühling schwindet; Veilchen haben dich verkündet, Maienblumen starben hin: Oeffne dich beim Lustgetöne Dieser Fluren; komm, o schöne, Holde Blumen-Königin! AIS du kamst im ersten Lenze, Hingen tausendfache Kränze Schon um Anger, Berg und Thal; Ufer lockten; Wälder blühten, Pomeranzen - Haine glühten Weitumher im Sonnenstrahl. Libanons umwölkte Gipfel Hoben ihre Cedern - Wipfel Duftend in den Morgenschein; Doch auf demuthSvollem Throne Solltest du der Schöpfung Krone, Der Geschaffnen Wonne sein. Und du gingst mit leisem Beben Aus der zarten KnoSp' ins Leben; Erd' und Himmel neigten sich; Und es huldigten die Wiesen; Nachtigallen-Chöre priesen, Alle Nymphen liebten dich. Goldne Schmetterlinge schlugen Froh die Flügel; Winde trugen, Wo die Luft in Jubel war, Deinen Balsam; Herzen pochten Dir entgegen; Mädchen flochten Unter Perlen dich ins Haar. Die von Weiber-Anmuth sangen, Malten sie mit Rosenwangen ; Jede Seele, gut und mild, Arglos, unschuldvoll, bescheiden, War in ihren höchsten Freuden Dein getreues Ebenbild.

Und der Schönheit und der Jugend Wächterinnen, Scham und Tugend, Zu den Knospen hingebückt, Hüllten unter deinem Namen Ihr Geheimniß; Bräute kamen Nicht umsonst mit dir geschmückt. Da begann der rohe Zecher, Den von dir umblümten Becher Keuschen Grazien zu weihn. Allen Helden, allen Göttern Ging daS Volk mit deinen Blättern Weg und Tempel zu bestreun. Mit verjüngtem Herzen schlichen Greise zu den Wohlgerüchen Deines vollen Kelchs herbei, Lehrten segnend ihre Söhne: Daß hienieden alles Schöne, Selbst die Rose, sterblich sei. An deS Freundes heil'gem Grabe Wurdest du zur letzten Gabe Seinem Schatten dargebracht, Solltest ihm den Pfad umschlingen, Thränen ihm und Küsse bringen In die leere Todes-Nacht. Fromme fingen an zu loben, Sahn gen Himmel, ließen droben, Zwischen Palmen ewig grün, In des Paradieses Hallen, Wo die reinen Geister wallen, Dich zum Sieges-Kranze blühn. Rose, komm! In stiller Feier, Unter jungfräulichem Schleier, Warten Lilien auf dich; Und für deine Schönheit offen, Steht mein Herz in süßem Hoffen. LiebeShauch umsäuselt mich.

204

Johann Georg Jacobi.

O wie friedlich, o wie lautet Diese Liebe! Wirst mich trauter, AIS der Morgensterne Pracht, Von der Weisheit unterrichten, Die so stolz der Berge Fichten, Dich so klein und schön gemacht,

Daß in deinem holven Wesen Wir der Seelen Unschuld lesen, UnS die Brust von Ahndung schlagt ; Daß der Geist der niedern Blume Unsern Geist zum Heiligthume Schöner GotteS-Engel trägt.

Perle. ES ging ein Mann zur Frühlingszeit Durch Busch und Felder weit und breit Um Birke, Buch' und Erle; Der Baume Grün im Maienlicht, Die Blumen drunter sah' er nicht; Er suchte seine Perle. Die Perle war sein höchstes Gut, Er hatt' um sie des MeereS Fluth Durchschifft und viel gelitten, Von ihr deö Lebens Trost gehofft, Im Busen sie bewahrt und oft Dem Räuber abgestritten. Da sucht' er nun mit Weh und Ach! Da wies man ihm den hellen Bach Und drinn die goldne Schmerle ; Nicht- half der Bach im Sonnenglanz, Zm Bache nichts der Schmerlen Tanz; Er suchte seine Perle.

Und suchen wird er immer so, Wird nicht deö Leben- werden froh, Nicht mehr die Morgenstunden Am purpurrothen Himmel sehn; Berg auf und nieder muß er gehn, BiS daß er sie gefunden. Der arme Pilger! So wie er, Geh' ich zur Frühlingszeit umher Um Birke, Buch' und Erle; Des Maien Wunder seh' ich nicht; Was aber, ach! was mir gebricht, Ist mehr, als eine Perle. WaS mir gebricht, was ich verlor, WaS ich zum höchsten Gut erkor, Ist Lieb' im treuen Herzen. Vergebens wall' ich auf und ab; Doch find' ich einst ein kühle- Grab, Das endet alle Schmerzen.

Am Aschermittwoch. Weg von Lustgesang und Neigen! Bei der Andacht ernstem Schweigen Warnen Todtenkränze hier, Sagt ein Kreuz von Asche dir: Was geboren ist auf Erden, Muß zu Erd' und Asche werden. Vom Altar in die Paläste Dräng' es sich zum Jubelseste; Mitten unterm Göttermahl Ruf es in den Königssaal: Was den Zepter führt auf Erden, Muß zu Erd' und Asche werden. Wo Trophäen sich erheben, Sieger jauchzen, Völker leben, Tön' es aus der Ferne dumpf In den schallenden Triumph: WaS den Lorbeer trägt auf Erden, Muß zu Erd' und Asche werden. Wie sie ringen, sorgen, suchen, Das Gefundne dann verfluchen; Der umhergetriebne Geist Felsen thürmt und niederreißt! Was so rastlos strebt auf Erden, Muß ;u Erd' und Asche werden

Siehe durch des Tempels Hallen Mann und Greis und Jüngling wallen Und die Mutter, die entzückt Ihren SäuHlmg an sich drückt. Was da blüht und reist auf Erven, Muß zu Erd' und Asche werden. Wie sie kommen, ach! so kamen Viele Tausend; ihre Wanten Sind erloschen, ihr Gebein Decket ein zermalmter Stein. Was geboren ist auf Erven, Muß zu Erd' und Asche werden. Aber, von der Welt geschieden, Cime Freud' und ohne Frieden, Blickt die Treue starr hinab In ein modervolleS Grab. Was so mächtig liebt auf Erden, Soll es Erd' und Asche werdend In den schönsten Rosentagen Füllt die Lüfte banges Klaget,, Jammert die verwaiste Braut, (Stnent Schatten angetraut. Liebe kann nicht untergehen; Was verwest, muß auferstehen

Istz«» Georg Jacobi. Und da» brüderliche Sehnen, Abzuwischen alle Thränen, WaS di« Hand der Armuth Mt, Haß mit Wohlchun gern vergilt; Ewig kann» nicht untergehen! Wa» vrrwes't, muß auferstehen.

Die dem Vater aller Seelen Kindlich ihren Geist befehlen Und, vom Erdenstaube rein, Der Vollendung schon sich fteun, Sollten sie, wie Staub, verwehen? Hoffnung muß dem Grab entgehen.

Jene, die gen Himmel schauen, Ihrer höhern Ahndung trauen, Diesem Schattenland entflieh», Vor dem Unsichtbaren knien, O die werden auferstehen! Glaube kann nicht untergehen.

Sieh an schweigenden Altären Todtenkränze sich verklären! Menschenhoheit, Erdenreiz Zeichnet dieses Aschenkreuz; Aber Erde wird zu Erde, Daß der Geist verherrlicht werde.

m

Die Tempel. „Ihm, der die Alpen aufgethürmt, Die, seit Jahrtausenden umstürmt, Umdonnert, daö Gewölk durchschauen, Ihm reißet auS der Berge Schooß Ihr kümmerlich den Marmor loS, Um eine Wohnung ihm zu bauen?

Seht der Verwirrung grauses Bild, Wo schneebedeckte Lasten wild AuS dicht verschlung'nen Büschen ragen; Wo über Klippe Klippe hängt, Und vor dem Felsen, der fich senkt, Der Abgrund zittert, Wälder zagen!

Blickt hin, wo sich zum Heiligthum Sein Himmel wölbet, wo sein Ruhm Durch die gestirnten Hallen schimmert! WaS sollen dem, der ewig war Und sein wird, Tempel und Altar, Die einst der Zeiten Gang zertrümmert?"

Entschwunden ist dem Auge da Der Eintracht Kette; fern und nah Verkündigt sich ein Gott der Stärke, Der will und schafft. Im Bergstrom braus't Er nieder; seine Tanne sauf’t; Rur Allmacht stempelt seine Werke.

Wir blicken hin: Allwaltend schwebt Er auf Gewittern; dennoch hebt Sich unser Tempel dem zur Ehre, Der auch den niedern Schlehdorn liebt, Die Blume schmückt und Wasser giebt Dem Wiesenbächlein, wie dem Meere.

Wir aber suchen ihn, den Geist, Der schafft und ordnet, blühen heißt Das Feld, bevor die Aehren wallen; Dem sich in Chören Sterne dreh'n, Und Sonnen auf- und untergeh'n Beym Wechsellted der Nachtigallen.

Ihm bauen wir, der Welt an Welt Ins Unermeßliche gestellt, Der Sonnen mißt und Erden gründet, Zum Guten weislich Schönes wählt, Dem Schwachen Stärkeres vermählt Und Alles ordnet, Alle- bindet.

Ihn suchen, ahnden, finden wir, Wenn dort der Epheu bebt, sich hier Der Weinstock an die Ulme lehnet; Des Rasens blumiger Altar Macht ihn dem Herzen offenbar, Das liebend sich nach Schönheit sehnet.

ES knüpft ein wundervolles Band Zusammen Mond und Meer und Land, Den Dsop und den Cedernwipfel; Ein feste- Band, allein zu groß Für unfern Blick! Wie regellos Umschauern uns der Alpen Gipfel!

Er selber lmkt den innern Sinn Auf Ebenmaß und Ordnung hin: Drum steh'n, in schwesterlichen Reihen, Die Säulen da; der Marmor schmiegt Und wölbt, die stolze Tanne fügt Zu Tempeln sich, die wir ihm weihen.

Und Lobgesang ertönt von Chor Zu Chor; die Seele steigt empor Und wandelt schon in lrchtern Sphären; Zur ewig großen Harmonie Der bessern Welt bereitet sie Sich an vergänglichen Altären.

206

Matthias Claudius.

Die Mutter. Mutterliebe, Muttertreue Giebt dem kleinen Erdenglück Seinen Anfang, seine Weihe, Lehrt den ungewissen Blick Erst umher und dann zum blauen Hochgewölbten Himmel schauen.

Eitles Bild! es wird verschwinden, Wie der Rose Wiederschein, Wenn am Teich, umbraust von Winden, Ihre Blätter sich zerstreun. Todesscharten sinken nieder: Eile, Jüngling, kehre wieder!

Diese Treue, diese Liebe Sichert uns an ihrer Brust. Sei der Morgen noch so trübe, Wir erwachen da zur Lust, Hören, unter Donnerschlägen, Nur der Mutterstimme Segen.

Daß dich, sterbend, ihre blaffe Lippe segne; daß der Arm Deiner Mutter dich umfasse, Ihre Brust, so liebewarm, An dem großen Scheidungstage Noch an deinem Herzen schlage!

Und das stille, traute Zimmer Wird von Engelglanz erhellt, Wenn deS Monde- reiner Schimmer Auf der Mutter Antlitz fällt; Banger Nächte Finsternisse Mindern schweigend ihre Küsse.

Ach zu spät! die starren, kalten Hände, die so treu, so fromm Deiner pflegten, sind gefallen, Sinds auf immer; Jüngltng, komm, Daß, von dir besucht, die Erde Der Entschlafnen leichter werde.

Fremd auf diesem Erdenrunde, Nur daheim in ihrem Schooß, Hängt das Kind an ihrem Munde, Wird der Knabe spielend groß; Klagen darf er, Litten, hoffen: Mutterhand ist immer offen.

Blicke stumm nach ihrem leeren Sitze, deiner Seufzer werth! Halte lebenslang in Ehren Den durch sie geweihten Heerd, Wo die hell'ge Flamme lodert, Die noch Dank und Thränen fodert.

Sie, die jedes leise Sehnen Stillte, sie, die Alles gab, Beut dem Jüngling nun mit Thränen Den gewünschten Wanderstab: Oeffnet zitternd ihm die Pforte Bei dem letzten Abschicdswerte.

Und will je dein Glaube wanken, Wenn, im Auge Hüls' und Rath, Groll und Meineid im Gedanken, Sich der Mensch dem Menschen naht, So ermanne dich, so freue Dich der mütterlichen Treue!

% Und da- letzte Wort verhallet Lang in seinem Busen nicht, Und die Sorgenvolle wallet Einsam oft int Dämmerlicht; Starrt hinaus in dunkle Ferne, Fragt nach ihm die golvnen Sterne.

Singt sie doch an jeder Wiege, Lacht dem Säugling, den sie trägt! Und es bleiben ihre Züge Bessern Seelen eingeprägt, Die nicht von der Liebe weichen Und die Bruderhand und reichen.

Mag er jugendlich indessen Neuer Lust entgegen gehn Und sein Kinderglück vergessen! Nur des Liebling- Wiedersehn Zeigt die tröstende, die milde Hoffnung ihr im Nosenbilve.

Freue dich! Der Alles lenket, Ter die zarte Pflanz' im Hain Wie die Ceder, wärmt und tränket, Muß durch Ltebe selig sevn! Hätt' er sonst dieß Wonnebeben In das Mutterherz gegeben?

Matthias Claudius. (Sämmtliche Werke des Wandsbecker Boten.

WandSbeck 1774.)

Täglich zu singen. danke Gott und freue mich, Wie'S Kind zur Weihnachtsgabe, Daß ich bin, bin! und daß ich dich, Schön menschlich Antlitz! habe:

Daß ich die Sonne, Berg' und Meer Und Laub und GraS kann sehen Und Abends unterm Sternenheer Und lieben Monde gehen;

M»tthia- Claudius.

207

Und daß mir denn zu Muthe ist, Als wenn wir Kinder kämm Und sahen, waS der hewge Christ Bescheeret hatte, Amm!

Denn Ehr' und Reichthum treibt und bläht, Hat mancherlei Gefahren, Und vielm hat'- da- Herz verdreht, Die weiland wacker waren.

Ich danke Gott mit Sattenshtel, Daß ich kein König worden; Ich wär geschmeichelt wordm viel Und wär vielleicht verdorben.

Und all daS Geld und all da- Gut Gewährt zwar viele Sachen; Gesundheit, Schlaf und guten Muth Kann'- aber doch nicht machen.

Auch bet' ich ihn von Herzen an, Daß ich auf dieser Erde Nicht bin ein großer reicher Mann Und auch wohl keiner werde.

Und die find doch, bei Ja und Nein! Ein rechter Lohn und Segen! Drum will ich mich nicht groß kastei'n De- vielen Geldes wegen.

Gott gebe mir nur jeden Tag, So viel ich darf zum Leben. Er giebt'S dem Sperling auf dem Dach; Wle sollt' er- mir nicht geben!

Ein Lied vom Reiffen. Seht meine lieben Bäume an, Wie fle so herrlich stehn, Auf allen Zweigen angethan Mit Reisten wunderschön!

Doch Erle, Eiche, Weid' und Ficht' Im Reiffen nah und fern — So gut wirds euch nun einmal nicht, Ihr lieben reichen Herrn!

Von unten an bis oben nauAuf allen Zweigelein, Hängt- weiß und zierlich, zart und krauS Und kann nicht schöner sein;

DaS hat Natur, nach ihrer Art Gar eignen Gang zu gehn, Uns Bauersleuten aufgespart, Die anders nicht- verstehn.

Und alle Bäume rund umher, All' alle weit und breit, Stehn da, geschmückt mit gleicher Ehr, In gleicher Herrlichkeit.

Viel schön, viel schön ist unser Wald! Dort Nebel überall, Hier eine weiße Baumgestalt Im vollen Sonnenstrahl.

Und fie beäugeln und besehn Kann jeder BanerSmann, Kann hin und her darunter gehn Und freuen fich daran.

Lichthell, still, edel, rein und frei Und über alles fein! — O aller Menschen Seele sei So lichthell und so rein!

Auch holt er Weib und Kinderlein Vom kleinen Feuerheerd, Und Marsch mit in den Wald hinein! Und das ist wohl waS werth.

Wir sehn da- an und denken noch Einfältiglich dabei! Woher der Reif, und wie er doch Zu Stande kommen sey?

Einfältiger Natur-Genuß, Ohn' Alfanz drum und dran, Ist lieblich, wie ein Liebeskuß Von einem ftommen Mann.

Denn gestern Abend, Zweiglein rein Kein Reiffen in der That! — Muß einer doch gewesen sein, Der ihn gestreuet hat.

Ihr Städter habt viel schönes Ding, Viel Schöne- überall, Credit und Geld und goldnen Ring Und Bank und Börsensaal.

Ein Engel Gottes geht bei Nacht, Streut heimlich hier und dort, Und wenn der Bauersmann erwacht, Ist er schon wieder fort.

Du Engel, der so gütig ist, Wir sagen Dank und Preis. O mach' uns doch zum heil'gen Christ Die Bäume wieder weiß!

268

Matthias Clanttn*. Abendlied.

Der Mond ist aufgegangen, Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel hell und flat, Der Wald steht schwarz und schweiget, Und au- den Wiesen steiget Der weiße Nebel wunderbar.

Wir stolze Menschenkinder Sind eitel arme Sünder Und wissen gar nicht viel. Wir spinnen Luftgespinnste Und suchen viele Künste Und kommen weiter von dem Ziel.

Wie ist die Welt so stille Und in der Dämmrung Hülle So traulich und so hold! Als eine stille Kammer, Wo ihr des Tages Jammer Verschlafen und "vergessen sollt.

Gott, laß uns dein Heil schauen, Auf nichts VergänglichS trauen, Nicht Eitelkeit uns freun! Laß uns einfältig werden Und vor dir hier aus Erben Wie Kinder froh und fröhlich sein.

Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen Und ist doch rund und schön! So find wohl manche Sachen, Die wir getrost belachen, Weil unsre Augen ste nicht sehn.

Wollst endlich sonder Grämen AuS dieser Welt unS nehmen Durch einen sanften Tod! Und wenn du uns genommen, Laß uns in'n Himmel kommen, Du unser Herr und unser Gott!

*

*

So legt euch denn, ihr Brüder, In GotteS Namen tiieber; Kalt ist der Abendbauch. Verschon' uns, Gott! mit Strafet! Und laß uns ruhig schlafen! Und unsern kranken Nachbar auch.

Der Winter. Der Winter ist ein rechter Mann, Kernfest und auf die Dauer; Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an, Und scheut nicht Süß noch Sauer.

Doch wenn die Füchse bellen sehr, Wenns Holz im Ofen knittert, Und an dem Ofen Knecht und Herr Die Hände reibt und zittert;

Er zieht sein Hemd' im Freien au Und läßt'S vorher nicht wärmen Und spottet über Fluß im Zahn Und Kolik in Gedärmen.

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht, Und Teich' und Seen krachen; Das klingt ihm gut, das haßt er nicht, Denn er will sich todt lachen.

AuS Blumen und aus Vogelfang Weiß er sich nlchtS zu machen, Haßt warmen Drang und warmen Klang Und alle warme Sachen.

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus Beim Nordpol an dem Strande; Doch hat er auch ein Sommerhaus Im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort, bald hier, Gut Regiment zu führen, Und wenn er durchzieht, stehen wir Und sehn ihn an und frieren.

Anmerk.

Zwischen dem ersten und zweiten Verse ist ein Vers fortgelassen.

Johann Kaspar Favater.

20t

Vaterlandslied. Stimmt an mit Hellem hohem Klang Zur Ahnentugend wir unS weihn, Stimmt an da- Lied der Lieder, Zum Schutze deiner Hütten; Des Vaterlandes Hochgesang; Wir lieben deutsche- Fröhlichsein Das Waldthal hall' ihn wieder! Und alte deutsche Sitten. Der alten Barden Vaterland, Die Barden sollen Lieb' und Wein, Dem Vaterland der Treue, Doch öfter Tugend preisen, Dir niemals auSgesungnes Land, Und sollen biedre Männer sein Dir weihn wir uns auf- neue. Zn Thatm und in Weisen. Ihr Kraftgesang soll himmelan Mit Ungestüm sich reißen! Und jeder ächte deutsche Mann Soll Freund und Bruder heißen.

Kommst, stiller Abend, wieder Auf unsre kleine Flur, Dir tönen unsre Lieder; Wie schön bist du, Natur! Schon steigt die Abendröthe Herab in- kühle Thal, Bald glänzt in sanfter Röthe Der Sonne letzter Strahl.

AbendUed. All überall herrscht Schweigen, Nur steigt au- unserm Ehor Hier unter grünen Zweigen Ein Danklied noch empor. Kommst, lieber Abend, wieder Auf unsre kleine Flur? Dir danken unsre Lieder, Dir, Vater der Natur.

Sehr bekannt sind von Matthias Claudius: die Geschichte von Goliath und David („War einst ein Riese Goliath"), daS Rheinweinlied („Bekränzt mit Laub den lieben vol­ len Becher"), der Mond („Im stillen heitren Glanze") und UrianS Reise um die Welt („Wenn jemand eine Reise thut"').

Johann Kaspar Lavater. (Schweizerlicder. Bern 1767.)

Historische Lieder. Wilhelm Teil. 9ttin! vor dem aufgesteckten Hut, Du Mörderanaeficht! Bückt sich kein Mann voll Heldenmuth, Bückt Wilhelm Teil stch nicht! Knirsch immer, du Tyrannenzahn! Wer frey ist, bleibet frey! Und wenn er nickt- mehr haben kann, Hat er noch Muth und Treu'! Zinnow's deutsch. Ged. Sammt.

Der Landvogt voll von Rache schnaubt Ihn an: „Schieß deinem Kind „Schnell einen Apfel weg vom Haupt; „Sonst würg ich dich geschwind!" Teil hörtS und seufzt — „Ach,der Tyrann! „Ich sterbe, Sohn, für dich! „Doch Sohn! — ich schieße — ja ich kann Erretten dich und mich!" 14

210

Johann Kaspar Kavater.

Drückt an die Brust ihn — welch ein Schmerz' Gebunden bleibt der Held ein Held, In Ketten Tell noch Tell. Und lispelt ihm: „Steh still! Gott. dem die Freyheit stetö gefallt, „Eh schlägt nicht mehr mein Vaterherz, Sieht ihn und hilft ihm schnell. „Eh ich dich treffen will!" Er ruft dem Sturm! der Sturm braust her, Und führt ihn sanft an einen Baum, Die Schiffer stehn erblaßt, Drückt ihm den Llpfel auf Sehn bebend keine Rettung mehr, Und legt den angewiefnen Raum Zurück im schnellen Lauf, Wenn Tell daS Steu'r nicht faßt. Nimmt eilend- Pfeil und Bogen — spannt, Des Helden loSgebundner Arm Arbeitet fort zum Strand: Blickt scharf — fest steht der Knab' Tell springt und steht, von Freyheit warn, Und drückt mit kaum bewegter Hand. (DaS Schiff prallt weg) — am Land! ES knallt — den Llpfel ab! Die Wogen rauschen fürchterlich Voll jugendlicher Munterkeit In de- Tyrannen Ohr, Sucht ihn der Knab ; in Eil Tell sieht zu Gott auf, stärket sich Bringt er dem Vater voller Freud Am Apfel seinen Pfeil. Und läuft ihm schnell zuvor! Hätt der ihm nur ein Haar gefehlt, Er kömmt, auf seiner Stirne Zorn. Verwirrung im Gehirn; Der zweyte träfe doch! Wen? Gehler, dich! du lägst entseelt, Tell sieht ihn hinter einem Dorn, Und Tell wär frey vom Joch! Sieht Tod auf seiner Stirn'. Der Vogt, von Rach' und Wuth entflammt Da zielt er, drückte, — Heil dir! — loS, Bindt schnell ihm Händ' und Füß' Der Pfeil zischt in die Brust, Und schäumt und stampfet und verdammt Deö Mörders schwarze- Blut zerfloß; Das sahe Tell mir Lust; Den Tell zur Finsterniß. Die Freyheit seines Vaterlands Steht auf mit Gehler - Fall, Und bald verbreitet sich ihr Glanz, Bald strahlt sie überall.

Die großmüthigen Belagerten im 3ahr 13IS.

Noch nicht der Niederlagen satt. Kam Herzog Leopold Vor Solothurn und schloß die Stadt. Die König Ludwig zollt'. Vierhundert Helden sandt' ihr bald Die treue Schwester Bern. Groß war die feindliche Gewalt. Der Donner nicht mehr fern' Urplözlich schwoll und riß die Aar' Des FeindeS Brücke weg Und strömte, was ihr nahe war, Roß, Mann und Wagen weg'

Vom hohen Thurme sahn die Netb Kaum die Belagerten: „Kömmt, rettet." riefen sie, „vom Tod „Die Feinde" daS ist schön! Und liefen schnell vom Thurm herab Zum Thor hinaus, voll Mutb. llnd reichten eilends Speer und Stab Den Feinden in der Fluth, llnd halsen jedem brüderlich Zum Leben, welch ein Sieg' Man weinte und umarmte sich. Und Friede ward aus Krieg.

Die Schlacht bei Nasfels im Jahr 1388. „Nein! wir verschenken unsern Leib „Nicht Fürsten unser Gut; ,,EH' kämpfen wir für Kind und Weib „Und kämpfen bi- auf- Blut!"

So sprach in seiner Berge Schooß Der Glarner LandSgemeind', Und sie, der Freyheit treu, beschloß Zu streiten mit dem Fernd,

Ishsnn Kaspar Favater.

21t

Der sich zu tausenden aufmacht Und schon bereitet steht, Zu siegen in der nahen Schlacht, Zu rauben, wo er geht.

Da» weggrscheuchte Roß vom -auf Ist toll und stampft und bäumt Sich vornen und schlägt htatenauf, Schnaubt, wiehert laut und schäumt.

Sie zogen au»! der Feind rückt an! Sturmglocke rufe du! Da eilte tapfer, Mann für Mann, Dem Glarnerhäufchen zu!

Gequetscht von manche« scharfm Stet», Und müde seiner Last, Stürzt r» zurück in» H«r hinein, Rennt — alle» flieht erblaßt.

Doch ihrem Feinde viel zu schwach, Stritt ohne Sieg ihr Muth! Fest standen sie! doch schlug er — ach! Viel nieder in ihr Blut!

Hoch stieg der Glarner Much empor! Und Hüls' eilt hintenher: „Rächt jeden, der sein Blut verlor! „Eilt, schlagt, und schont nicht mehr!"

Von Bülen hob da» Panner hoch. Daß e» die Glarner sehn, „Zurück; e» ist, kommt, Helden, doch! „Noch nicht um un» geschehn."

Da stürzen sie, wie Felsenstück Vom Berg, in sie herab Und legten jeden Augenblick Zu Fünfzigen in» Grab.

Sie schlugen durch die Feinde sich; „Kommt alle, di« ihr floh't" Und wer nicht schnell zur Seit« wich. Den hauten sie zu Tod!

Und schlugen fort, wer kann, der flieh! Floh athemlo» und schwach, Daß vom Gedränge Knie an Knie, Und Wesrnbrückr beuch;

Uno stießen zu dem kleinen Häuf': „Blut sey un» nicht zu thrur; „Auf, kämpft und sieget, Brüder, auf; „Auf! unser Muth sey Frur!"

Hereinplazt Mann auf Mann, auffchwoll Der kriegervolle Strom! Die Sieger kamen: leichrnvoll Und blutig war der Strom.

Der Feind, der sie versammelt sah, Verläßt den kleinen Raub Und lacht de» Kriegerhäufchen»: „ha! „Da» schlagen wir zu Staub."

Dankt, Sieger, dankt mit blut'ger Hand Und betet knteend an, Gott hat, o dank chm, Vaterland! Hat Wunder heut gethan.

Und stellt die Reuter vornen an Und kommt im schnellen Trab Auf sie und greift — nur rilfmal an Und weicht nur rilfmal ab!

Er schlug de» stolzen Feinde» Heer, Mit kleiner große Kraft! Nun find wir frey; kein Feind ist mehr! Dank ihm, Nachkommenschaft!

Patriotisches X‘icb. Der Schweizer. Wer, Schweizer, wer hat Schweizerblut? Der, der mit Ernst und frohem Muth Dem Vaterland« Gute» thut, In seinem Schooße friedlich ruht; Nicht fürchtet seiner Feinde Wuth; In dem fließt reine» Schweizerblut.

Wer seiner Väter Tugmd ehrt, Sie ausübt und sie andre lehrt, Da» Gute schützt, dem Bösen wehrt, Des Schmeichlers Stimme niemals hört Und Treu hält, wenn er auch nicht schwört; Der ist des Helden Namen» werth!

Wer Falschheit haßt und arge List, Und Schlangen gleich flieht jedm Zwist; Und, wa» ihm Gott giebt, froh genießt. Gern sein gesunde» Blut vergießt, Wenn sein Tod andrer Lebm ist, Der ist rin Schweizer und rin Christ!

Wen vieler Glück und Sicherheit Mehr, al» sein eigen Glück, erfteut: Wen keine schöne That gereut, Wer ftühe den Tyrannen dräut, Dem Laster gleich die Knechtschaft scheut; Der, der hat Schweizerrrdlichkeit!

sir

I«ha«»n Aaspar Lavater

Wer immer, wo er stehn soll, steht, Sich niemals über andre bläht. Den graben Weg in allem geht, Gold, Wollust, Ueppigkeit verschmäht, Selbst erndtet, was er selber sät, Ist über Könige erhöht!

O Schweiz, du Heldenvaterland! Sey niemals deiner Vater Schand, Und halt daS vestgeknüpste Band Der Einigkeit mit treuer Hand! Dann ist in dieser Welt kein Land Dir gleich, du Heldenvaterland!

Christliche Lieder. Geduld und Freudigkeit im Leiden. Muthig, muthig! bald errungen Ist daS Ziel von jeder Pein; Bald ist jeder Schmerz verschlungen Bon der Freude, frei zu seyn, Frei von Leiden und Gefahren! Von der Freude, zu erfahren: Unaussprechlich zärtlich liebt Er, der uns int Leiden übt. Ich will harren, hoffen, schweigen. Mein Erbarmer ist mir nah'! Will mich tiefanbetend neigen, Wo ich leide: Gott ist da! Im Verborg'nen, wo ich weine, Ist von meinen Thränen keine Dem, der mich in Schwachheit stärkt, Meinem Vater unbemerkt. Deine Vateraugen blicken Gnad' und Trost aus mich herab ; Diese Lasten, die mich drücken, Nimmst du, Vater! bald mir ab. Stärke bis zum letzten Tage Mich, daß ich ste willig trage, Wenn mein Herz verschmachten will, Ruse: Kind! sey froh und still. Jesu- Christus trug int Staube Duldend aller Leiden Last. Mich auch stärke Muth und Glaube, Der die Ewigkeit umfaßt. Gott, mein Vater, sieht mein Leiden; Gott, mein Vater, sieht die Freuden, Die mein Leiden mir erzeugt, Wenn mein Glaube duldend schweigt.

Fließt, ihr fließt vor Gott, ihr Thränen Gott, Gott zählt euch alle — fließt! Er, er weiß, daß all' mein Sehnen Nur auf ihn gerichtet ist! Er, er schlägt mir diese Wunden, Zählt und wiegt des Leidens Stunden. Wer, wer kann mein stilles Fleh n Mehr vernehmen, mehr verstehn'^ Jeder Tag der Erde Leiden, Welch ein Segen für mein Herz! Welche Saat von tausend Freuden Jeder still gelitt'ne Schmerz! Ich will leiden, will nicht klagen. WaS mein Gott mir auflegt, tragen Still, mein Herz! der Vater trägt, Was er seinem Kind' auflegt. Keine Leiden, keine Schmerzen Drängen mich, o Gott, von dir! Du bist in den tiefsten Schmerzen Unaussprechlich nahe mir, Reinig st mich durch heiße Leiden Zum Genuß der reinsten Freuden; Lenkest, reißest meinen Sinn Ganz zu deinem Herzen hin. Bald, bald kommt die letzte Stunde' Meiner Thränen letzte bald; Bald verschwindet Schmerz und Wunde, Und der Gnade Stimme schallt. „Sey erlöst von allen Banden! Ueberstanden, überstanden! Ewig frei von jeder Pein Wirst du satt an Freuden seyn "

Gebet um Stärkung des Glaubens. Stärke (denn oft will er wanken) Meinen Glauben, Gott! an dich. O wie wird mein Herz dir danken, Wie frohlocken, höre mich! Laß mich nicht an dir verzagen, Immer kühn're Bitten wagen! Sinkt Wein Glaube, gieße du Del dem schwachen Lichte zu!

Wollen Zweifel sich erheben, Blendet mich des Irrthums Schein. O so laß mein Herz nicht beben, Den Verstand nicht dunkel seyn! Zeige du dein Licht mir wieder! Ströme Gaben auf mich nieder! Deiner Wahrheit reiner Glanz, Der entwölke sie mir ganz.

ZohiMN Gstttrlsd HM AerHr.

213

Rur auf dein Wert, nicht auf kehren Schwacher Menschm, laß mich seh'n! Deine Stimme laß mich hören, Deine Stimme recht versteh'n! ' Mehr als Zeugniß aller Welten Laß mir, Gott! dein Zeugniß gelten. Richte meinm ganzen Sinn Rur auf dine Wahrheit hin.

Glauben, rote wenn ich dich sähe, Flöße mir, mein Helland? ein, 3m Gefühl von deiner Nähe Laß mein Herz sich täglich freu'n; Jesu! willst du dich nicht zeigen? Hörst du «ich? wie kannst du schweigen? Gieb mir Glauben! nahe dich Meinem Geist und starke mich.

Aechten Glauben schenk' vor allen Ändern Gnaden, Vater! mir. Wem er fehlt, muß dir mißfallen; Wer ihn hat, ist Ein- mit dir. Er belebe meine Triebe, Sey der Stab, die Hand der Liebe; Er besiege, wie ein Held, Tod und Satan, Fleisch und Welt.

Unaussprechlich schwach und stüchtig Ist mein tief verdorb'neS Herz; Heut' ist mir die Tugend wichtig, Morgen mir die Sünd' ein Scherz. Ach! wär' nur mein Glauben fester! Stärk' ihn, mehr' ihn, Allerbestet! 3esu! eile; stärke du! Ach, sonst find' ich keine Ruh'.

Johann Gottfried von Herder. (Sämmtliche Werke.

Stuttgart u. Tübingen.

A.

Zur Literatur u. Kunst.

20 Bde. 1627—30.)

Kleinere Gedichte Träume der Jugend.

§liegt, ihr meiner Jugend Träume, Flattert, leichtbeschwingte Reime, In mein frohe- Jugendland, Wo ich unter dichten Bäumen, In der Muse sel'gen Träumen Wahrheit suchte, Bilder fand.

Ach, in bctnen Echooß versunken Sind die Welten, die ich trunken In dir sahe, Silbersee. Schlummert sanft! denn auch in jenen Luftgefärbten hellen Scenen Winket mir der Wahrheit Höh'.

Gleich den bunten Schmetterlingen Schlüpften mir auf leichten Schwingen Manche, manche längst vorbei: Andre sind mir treu geblieben, llnd so bleib' ich euch, ihr Lieben, Auch mit Herz und Seele treu.

Flieht, ihr meiner Jugend Träume, Flattert, leichtbeschwingte Reime, In die Hand der Jugendzeit. Träume sind wir, denen Schatten Sich mit Licht und Wahrheit gatten; Und die auch der Traum erfreut.

Das Kind der Sorge. Einst saß am murmelnden Strome Die Sorge nieder und sann: Da bildet' im Traum der Gedanken Ihr Finger ein leimernes Bild.

„Mein Finger hat eS gebildet." „Und ich gab Leben dem Thon" Sprach Jupiter. Als sie so sprachen, Da trat auch TelluS hinan.

„Was hast du, sinnende Göttinn?" Spricht ZeuS, der eben ihr naht. „Ein Bild, von Thone gebildet; Beleb -, ich bitte dich, Gott."

„Mein ist'S! Sie hat mir genommen Don meinem Schooße das Kind." „Wohlan," sprach Jupiter, „wartet, Dort kommt ein Entscheider, Saturn.'

„Wohlan denn! lebe! — Es lebet! lind mein sei dieses Geschöpf!" Dagegen redet die Sorge: .Nein, laß es. laß eS mir, Herr!"

Saturn sprach: „Habet es alle! So will'S daS hohe Geschick. Du, der das Leben ihm schenkte, Nimm, wenn eS stirbet, den Geist,

214

Johann Vottlrie* von Herder.

Du, TelluS, seine Gebeine: Denn mehr gehöret dir nicht. Dir, seiner Mutter, o Sorge, Wird e- im Leben geschenkt.

Du wirst, so lang' e- nur athmet, ES nie verlassen, dein Kind. Dir ähnlich wird eS von Tage Zu Tage sich mühen in- Grab."

DeS Schicksals Spruch ist erfüllet. Und Mensch heißt diese- Geschöpf; 3m Leben gehört es der Sorge, Der Erd' im Sterben und Gelt.

Flora und die Blumen. Kinderchen de- holden süßen Frühlings, Hört, o hört der Mutter treue Warnung: Wenn ein lauer Winterwest euch heuchelt, Trauet nicht dem heuchelnd bösen Mörder.

Als sie kam: Ries die Kinder Und die Mutter Lief umher und

der goldne Vater Frühling auS dem Winttrschlafe, brachte schöne Kleider, sucht' und zählet' alle.

Wartet, bis der goldne Vater rufet, BiS die treue Mutter euch erscheinet, Die euch weckt auS euren Winterbetten Und euch Kleider bringt und schöne Häubchen."

Ach, da fand sie manche schöne Knospe Früh hervorgelockt vom bösen Mörder. Ausgetreten war sie auS der Zelle, Hatt' hervorgeblickt mit ihren Aeuglein

Also sprach zu ihren Blumenkindern Flora scheidend und ging auf zum Himmel. Alle Blumen sagten ihr Gehorsam Und Geduld zu, bi- sie wieverkäme.

Und war bald erstarret, von de- bösen Heuchelnden Verführers Hand vergiftet: Denn der Winterwest war Frost geworden, Und erstarret stand da- arme Blümchen.

Traurig rief die Mutter ihrem Zephyr, Der es brach; und sie begrub eS traurig. Seht! die ungeduldig frühe Blume Prangt nun nimmermehr im Lenz der Flora.

Der Himmel. Dünste steigen auf und werden In den Wolken Blitz und Donner Oder Regentropfen. ~

Dünste steigen auf und werden In dem Haupte Zorn und Unmuth Oder werden Thränen.

Freund, bewahre deinen Himmel Vor dem Dunst der Leidenschaften: Deine Stirn' sey Sonne.

Luther.

1775. Mächtiger Eichbaum! Deutschen Stamm-! GotteS Kraft! Droben im Wipfel braust der Sturm, Du stehst mit hundertbogigen Armen Dem Sturm entgegen und grünst! — Der Sturm braust fort! Es liegen da Der dürren, armen Aeste Zehn darnieder gesaust. Du Eichbaum stehst, Bist Luther! —

Ishmm Gotttned von Herder. Germanien. Deutschland, schlummerst du noch? Siehe, wa- ring- um dich, Wa- dir selber geschah. Fühl' e-, ermuntre dich, Eh die Schärfe de- SiegerDir mit Hohne den Scheitel blößt! Deine Nachbarinn steh, Polen, wie mächtig einst, Und wie stolz! o sie kniet, ehren- und schmuckberaubt Mit zerrissenem Busen Bor drei Mächtigen und verstummt. Ach, es halfen ihr nicht ihre Magnaten, nicht Ihre Goeln, es half keiner der Namen ihr, Die au- tapferer Vorzeit Ewig glänzen am Sterngezelt. Und nun wende den Blick! Schau die zerfallenen Trümmer, welche man sonst Burgen der Freiheit hieß, Unzerstörbare Nester; Ein Wurf stürzte die Sichern hin. Weiter, schaue. Du stehst, ferne in Osten steht Dir ein Riese; du selbst lehretest ihn, sein Schwert, Seine Keule zu schwingen. Zorndorf probte fie auch an dir. Schau gen Westen; e- droht fertig in jedem Kampf, Vielgewandt und entglüht trotzend auf Glück und Macht Dir ein anderer" Kämpfer, Der dir schon eine Locke nahm. Und du säumetest noch, dich zu ermannen, dich Klug zu einen? Du säumst, kleinlich im Eigennutz, Statt de- polnischen Reich-tag-, Dich zu ordnen, ein mächtig Volk? Soll dein Name verwehn? Willt du zertheilet auch Knien vor Fremden? Und ist keiner der Väter dir, Dir dein eigenes Herz nicht, Deine Sprache nicht alle- werth? Sprich, mit welcher, o sprich, welcher begehrtest du Sie zu täuschen? Dein Herz, soll es de- Gallier-, De- Kosaken, Kalmuken Pul-schlag ftöhnen? Ermuntre dich! Wer fich selber nicht schützt, ist er der Freiheit werth, Der gemahleten, die nur ihm gegönnet ward? Ach die Pfeile de- Bündel-! Einzeln bricht ste der Knabe leicht. Höfe schützen dich nicht; ihre Magnaten fliehn, Wenn kaum nahet der Feind; Jnful und Mitra nicht. Wirf die lähmende Deutsch heit Weg und sey ein Germanien! *

* *

Träum' ich, oder ich seh welch einen GeniuNiederschweben? Er knüpft, einig verknüpfet er Zwei germanische Freunde-Hände, Preußen und Oesterreich.

2t»

216

Johann öottfrict von Herder. B.

Legenden.

Der gerettete Jüngling. Eine schöne Menschenseele finden, Ist Gewinn; ein schönerer Gewinn ist, Sie erhalten, und der schönst' und schwerste, Sie, die schon verloren war, zu retten. Sankt Johannes, auS dem öven PathmoS Wiederkehrend, war, was er gewesen, Seiner Heerden Hin. Er erntet’ ihnen Wachter, auf ihr Innerstes aufmerksam. Zn der Menge sah er einen schönen Jüngling; fröhliche Gesundheit glänrte Vom Gesicht ihm, und aus seinen Augen Sprach die liebevollste Feuerseele.

„Auf dem Berge dort!" — „Ich muß ihn sehen!" Und Johannes, kaum dem Walde nahend, Ward ergriffen (eben dieses wollt' er). „Führet," sprach er, „mich zu euerm Führer."

Vor ihn trat er! Und der schöne Jüngling Wandte sich; er konnte diesen Anblick Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling, Nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater, Einen Greis. Ich habe dich gelobet „Diesen Jüngling'," sprach er zu dem Bi­ Meinem Herrn und muß für dich antworten. Gerne geb' ich, willst du eS, mein Lebett schof. Für dich hin; nur dich^fortan verlassen „Nimm in deine Hut. Mit deiner Treue Stehst du mir für ihn! — Hierüber zeuge Kann ich nicht! Ich habe dir vertrauet, Dich mit meiner Seele Gott verpfändet." Mir und dir vor Christo die Gemeine." Weinend schlang der Jüngling seine Arme Und der Bischof nahm den Jüngling zu sich, Um den Greis, bedeckete sein Antlitz, Unterwies ihn, sah die schönsten Früchte In ihm blühn, und weil er ihm vertraute, Stumm und starr; dann stürzte statt der Ließ er nach von seiner strengen Aussicht. Antwort AuS den Augen ihm ein Strom von Thränen. Und die Freiheit war ein Netz des Jüngling-; Auf die Kniee sank Johannes nieder, Angelockt von süßen Schmeicheleien, Küßte feine Hand und seine Wange, Ward er müßig, kostete die Wollust, Nahm ihn neugeschenket vom Gebirge, Daün den Reiz de- fröhlichen Betruges, Dann der Herrschaft Reiz; er sammelt' um sich Läuterte sein Herz mit süßer Flamme. Seine Spielgesellen, und mit ihnen Jahre lebten sie jetzt unzertrennet Zog er in den Wald, ein Haupt der Räuber. Mit einander; in den schönen Jüngling Goß sich ganz Johannes schöne Seele Als Johannes in die Gegend wieder Kam; die,erste Frag' an ihren Bischof * * War: „wo ist mein Sohn ?" — „Er ist ge­ Vr storben!" Sprach der Greis und schlug die Augen nieder. Sagt, was war cS, waS daS Herz des JünglingS „Wann und wie?" — „Er ist Gott abge­ Also tief erkannt' und innig festhielt? storben, Ist (mit Thränen sag' ich es) ein Räuber." Und eS wiederfand, und unbezwingbar Rettete? Ein Sankt-Johannes-Glaube, „Diese- Jünglings Seele," sprach Johanne-, Zutrau n, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit „Fordr' ich einst von dir. Jedoch wo ist er ? "—

Die Krone. Nicht int müßigen und stolzen Grübeln, In Geschäftigkeit für s Wohl der Menschen Und in selbstvergeßner Demuth wohnen Gottgefälligkeit ltttb Zier und Weisheit

PyoteriuS in seiner Celle Dünkete vor Gott fich groß und herrlich, Weil er über Thabors Glanz und alle Seraphsflügel tief und viel nachdachte

Zoha«n Gottfried von Herder.

31«

Eilig sank vor ihr auf seine Kniee Und dm Denkenden «mfing ein schwerer Trau« einmal ES sprach zu ihm der Seraph: PyoteriuS: dmn um ihr Antlitz Leuchtete, was ihm der Engel zeigte, „Pyoterius, steh' auf und eile Selbstvergeffenheit und Lieb' und Unschuld. Nach Tabenna, trenn d» jene sehn willst, „Segne mich, so sprach er, heil'ge Zungftau, Die mit seiner Krone Gott gekrönt hat." Die mit seiner Krone Gott gekrönt hat." Pyoterius stand auf und eilte Plötzlich strahlete mit hellm Strahlen Nach Tabenna. Vor ihn traten alle Ihre Binde. Alle knieten nieder: Heil'ge Jungfraun, Schwestern und die Mut­ „Ach verzeih mir, daß ich dich verlachte! ter. — Ach verzeih mir, daß ich dich verschmähte! PyoteriuS sprach: „seyd ihr'S alle? Daß ich oft dich, ihnen zu gefallen, Denn mir mangelt unter euch noch jene, (Sprach die Mutter) wider mein Gewissen Die mir im Gesicht der Engel zeigte." Schalt, und du rechtfertigtest dich niemals." — „Eine," sprach die Mutter, „ist noch drunten, Eine Alberne, fast unsre Schande. Unermüdlich im geringsten Dienste, Dient fie in- und außerhalb dem Kloster Jedem Fremdling, sey eS Jud' und Heide. Darum nennen wir sie so gewöhnlich Die Wahnfinnige: denn fast antwortet Sie unS nicht, ist aber immer fröhlich, Und nie mehr, als wenn man fie verachtet."

Porphyrite war sogleich entwichen; Ihr bedünkte diese Hochverehrung Spott und Wahnsinn. Wohin sie gegangen? WaS fie ferner litt? wo sie gestorben? Davon schweigt die Chronik unsres Klosters.

Nur dem großen und vollkonrmnen Denker Pyoterius entwich daS hohe Bild nicht ganz. Und wenn er über ThaborS Unerschaffnen Glanz und über alle SeraphSstügel dachte, stand ihm plötzlich „Laß fie kommen, damit ich fie sehe," Porphyrite da, die Selb^ivergeßne, Sprach der Heilige. Gezwungm kam fie. — Immer nur geschäftig für die Menschen, Fröhlich stets und schweigend, nie vergnügter, Porphyrite, rein und schlecht gekleidet, Als wenn sie verachtet und verkannt war. Lang daS Haar, und ohne Nonnenkrone, Vor ihm stand sie mit der schlichten Binde, Um ihr Haupt nur eine schlichte Binde. Die mit seiner Krone Gott gekrönt hat.

Der himmlische Garten. Marimina, die an ihres Vaters Herzen hing, (denn nach der Mutter Tode Halt' er fie, sein einzig Kind, erzogen Und der Mutter Bild in ihr geliedet;) Marimina hing auch nach deS Vaters Tod' an seinem Herzen, und verlassen, Wie ein Lamm in öder wilder Wüste, Sehnte fie sich oft zu ihm hinüber: „Ach, daß ich ihn einmal schauen könnte, Droben dort in seinem Paradiese!"

„Laß mich," sprach fie traumend, „Diese junge Rosenknospe brechen—" „Brich sie, wenn du kannst!"— Die Knospe wich ihr. Sieh, o Tochter, eben daS war deine LebenSblum'. UnauSgeblühet kannst du, Darfst du sie nicht brechen; unter Dornen Blühet sie, doch voll und schön und einsam.

„D so zeige mir dann, guter Vater, Und ein süßer Schlaf umfing sie freundlich, Dein' und meiner Mutter LebenSblume." Und fie sah im holdm Traumgefichte Einen Garten voll der schönsten Blumen, „Siehe hier auf einem Stengel beide, Die auf Erden sie noch nie gesehen. Eine langst, die andre kaum verblühet." Goldne Früchte glanzten auf den Baumen, Deren Zweige klingend sich bewegten. Wundernd sah fie jetzt die vielen Blumen, Rosen, Lilien und Hyacinthen, Freundlich kam der Vater ihr entgegen: Knospend, blühend und verwelkend! „Sieh, o Kind, wie angenehm ich wohne!" „Tochter," Nahm fie bei der Hand und zeigt' ihr tausend Sprach die himmlische Gestalt und wurde < Schöne Blumen. Leuchtender, „du stehest hier den weiten

218

Ishann Gottfried von Herder.

LrbenSganen auSerwählter Menschen. Engel wachen über Baum' und Früchte: Deiner Knospe Hüter find wir beide, Ich und deine Mutter." „Ach, wo ist fit?" Glänzend ging die schönste der Gestalten

Ihr vorüber, und das Kind erwachte. Paradies und Vater war verschwunden. Aber immer blieb' ihr tief im Herzen Dieser Traum; auch sehnlich wünschend wollte Sie die Lebensknospe eh nicht brechen, Eh eS ihre- unsichtbaren WächterLinde, leise Vaterhand geböte.

Die wiedergefundenen Söhne. WaS die Schickung schickt, ertrage; Wer ausharret, wird gekrönt. Reichlich weiß sie zu vergelten, Herrlich lohnt sie stillen Sinn. Tapfer ist der Löwenfleger, Tapfer ist der Weltbezwinger, Tapfrer, wer sich selbst bezwang.

So verstrichen Jahr' auf Jahre, Bi- ein wilder Krieg entsprang. „Wo ist PlaciduS, mein Feldherr? (Sprach der Kaiser,) suchet ihn." Und man sucht' ihn nicht vergebens : Denn die Prüfreit war vorüber, Und de- Schicksals Stunde schlug.

PlaciduS, ein edler Feldherr, Reich an Tugend und Verdienst, Beistand war er jedem Armen, Untervrückten half er auf. Wie er einst den Feind bezwungen, Wie er einst das Reich gerettet, Rettet' er, wer zu ihm floh.

Zweene seiner alten Diener Kamen vor der Hütte Thür, Sahn den Gärtner und erkannten An der Narb' ihn im Gesicht, An der Narbe, die dem Feldherrn, Statt der Schätze, statt der Lorbeern, Einzig blieb al- Ehrenmahl.

Aber ihn verfolgt' das Schicksal, Armuth und der Bösen Neid. „Laß dem Neid uns und der Armuth Still entgehn!" sprach Placidus. „Auf! laß uns dem Fleiße dienen! (Sprach sein Weib,) und gute Knaben, Tapfre Knaben, folget uns."

Alfobald ward er gerufen; Es erjauchzt da- ganze Heer. Vor ihm ging der Feinde Schrecken, Ihm zur Seite Sieg und Ruhm. Stillen Sinns nahm er den Palmzweig, Gab die Lorbeern seinen Treuen, Seinen Tapfersten int Heer.

Also gingen sie; im Walde Traf sie eine Räuberschaar, Trennen Vater, Mutter, Kinder Lange sucht der Held sie auf. „PlaciduS, (rief eine Stimme Ihm im hochbeherzten Busen,) Dulde dich, du findest sie."

Als nach auSgefochtnem Kriege Jetzt der Siegestanz begann, Drängt mit zween seiner Helden Eine Mutter sich hervor. „Vater, nimm hier deine Kinder! Feldherr, sieh hier deine Söhne, Mich, dein Weib, Eugenia.

Und er kam vor eine Hütte: „Kehre, Wandrer, bei mir ein, (Sprach der Lanvmann) du bist traurig: Auf! und fasse neuen Muth. Wen daS Schicksal drückt, den liebt eS, Wem'S entzieht, dem will'- vergelten, Wer die Zeit erharret, siegt."

Wie die Löwin ihre Jungen, Jagt' ich sie den Räubern ab. Nachbarlich in dieser Hütte, — Komm' und schau! - erzog ich sie. Glaubte dich uns längst verloren . Deine Söhne mir statt deiner, Deiner werth erzog ich sie.

Und er ward deS Manne- Gärtner, Dient' ihm unerkannt und treu, Pflegend tief in seinem Herzen Eine bittre Frucht, Geduld. „PlaciduS, (rief eine Stimme Ihm im tiefbedrängten Busen,) Dulde dich: du findest sie."

Al- die Post erscholl vom Kriege, Rufend deinen Namen auS, Auferweckt vom Todtentraume Rüstet' ich die Jünglinge. „Zieht! verdienet euren Vater! „Streitet unerkannt und werdet, „Werdet eure- Vater- werth."

21»

Gotttrie- von Herder. Und ich seh', fie tragen Kränze, Ehrmkranze dir zum Ruhm. Die du unerkannt dm Söhnen, Nicht als Söhnm, zuerkannt. Bater, nimm itzt deine Kinder, Feldherr, steh hier deine Söhne Und dein Weib Eugenia." —

Wa» die Schickung schickt, ertrage. Wer au-harret, wird gekrönt. Placidus, der stillgefinnte, Lebet noch in Hymnen jetzt; Christlich u-andt' er seinm Namen, Semen Namm nennt die Kirche Preisend Sankt Eustachius.

Der Schlffbruch. Mitten in des Weltmeers wildm Wellen Scheiterte das Schiff. Die Edlen retten Sich imFahneug: „Wo ist DonAlonfo?" Riefen fie. (Er war deS Schiffe- Priester.)

Höret ihre Sünden, ihre Buße, Ihr Gebet und wehret der Verzweiflung, Labet fie und geht mit ihnen unter. *

Welch ein Geist war größer? jene- Cato, Der im Zorne sich die Wunden aufriß; Oder diese- Priester-, der, den Pflichten Seine- Amte- treu, im Meer erfinket?

Und er eilt' hinunter in de- Schiffes Kammern, seine Sterbenden zu ttösten,

C.

* *

„Reiset wohl, ihr Freunde meine- -ebm-, Bruder, Oheim! (sprach er von dem Borde) Meine Pflicht beginnt; die eure endet."

Der Cid.

Der Cid (mein Herr), eigentlich: Don Rodrigo, Sohn Don Diego'-, au- einer gräflichen Familie Castilien'S, ward vielleicht um'S Jahr 1063 m Divar bei BurgoS ge­ boren. Durch Tapferkeit, Muth und edele Gesinnung schon in jungen Jahren ausgezeich­ net, erwarb er sich in hohem Grade da- Vertrauen König Sancho'S deS Starken von Castillen, stand nach dessen Tode auch seinem Bruder, dem König Alfonso treulich bei, ward aber auf den Rath neidischer Hofleute aus Castilien verbannt, später aber wieder zu Eh­ ren aufgmommen. Er starb in hohem Alter, an Ehre und Siegen reich; sein Name lebt noch im Munde de- Volke-. Herder hat durch Bearbeitung alter Romanzm über den Cid ihn verherrlicht.

I Traurendtief saß Don Diego; Wohl war keiner je so traurig Gramvoll dacht' er Tag' und Nächte Nur an seine- Hause- Schmach,

Endlich schüttelt er die Bürde Los de- grausam stummen Grame-, Lässet kommen seine Söhne, Aber spricht zu ihnen nicht;

An die Schmach de- edlen alten Tapfern Hause- der von Lainez, Da- die Jnigo- an Ruhme, Die AbarcoS übertraf.

Bindet ihrer aller Hände Ernst und fest mit starken Banden; Alle, Thränen in den Augen, Flehen um Barmherzigkeit.

Tief gekränket, schwach vor Alter Fühlt' er nahe sich dem Grabe, Da indeß sein Feind Don Gormaz Ohne Gegner ttiumphirt.

Fast schon ist er ohne Hoffnung, Al- der jüngste seiner Söhne, Don Rodrigo, seinem Muthe Freud' und Hoffnung wiedergab.

Sonder Schlaf und sonder Speise, Schläget er die Augen nieder, Tritt nicht über seine Schwelle, Spricht mit seinen Freunden nicht,

Mit entflammten Tigeraugen Tritt er von dem Vater rückwärts; „Vater," spricht er, „Ihr vergesset, Wer Ihr seyd, und wer ich bin.

Höret nicht der Freunde Zuspruch, Wenn fie kommen, ihn zu ttösten; Dmn der Athem de- Entehrten, Glaubt er, schände seinen Freund.

Hätt' ich nicht au- Euem Händen Meine Waffenwehr empfangen, Ahndet' ich mit einem Dolche Die mir jetzt gebotne Schmach."

220

Johann Gottfried von Herder.

Strömend stoffen Freudenthränen Auf die väterlichen Wangen. „Du," sprach er, den Sohn umarmend, „Du, Rodrigo, bist mein Sohn.

Ruhe gibt dein Zorn wir wieder; Meine Schmerzen heilt dein Uamuth! Gegen mich nicht, deinen Vater, Gegen unser- Hauses Feind.

Hebe fich dein Arm!" — „Wo ist er?" Rief Rodrigo, „wer entehret Unser HauS?" Er ließ dem Vater Kaum, e- zu erzählen, Zeit. Er rüstete fich zum Kampfe und forderte Rechenschaft von Don Gormaz für die seinem Hause angethane Schmach. Im Zweikampf fiel Don Gormaz (2. u. 3. Romanze) 4. Thränen rannen, stille Thränen Rannen auf de- Greises Wangen, Der, an seiner Tafel sitzend, Alles um sich her vergaß,

Lang' ansteht den guten Vater, Mitleid tief im Herzen fühlend, BiS er zutritt, ihm die Rechte Schüttelnd: „Iß, o guter Greis!"

Denkend an die Schmach de- Hauses, Denkend an de- SohneS Jugend, Denkend an deS Sohns Gefahren Und an seines Feinde- Macht.

Spricht er, weisend- auf die Tafel; Reicher flogen nun Diego Seine Thränen: „Du, Rodrigo, Sprachst du, sprichst du mir dieß Wort?"

Den Entehrten flieht die Freude, Flieht die Zuversicht und Hoffnung; Alle kehren mit der Ehre Froh und jugendlich zurück.

„Ja, mein Vater! Und erhebet Euer edleö, werthes Antlitz." — „Ist gerettet unsre Ehre?" „Edler Vater, er ist todt."

Roch versenkt in tiefer Sorge, Sieht er nicht Rodrigo kommen, Der, den Degen unter'm Arme, Und die Händ' auf seiner Brust,

„Setze dich, mein Sohn Rodrigo, Gerne will ich mit dir speisen. Wer den Mann erlegen konnte, Ist der Erste seines Stamm-."

Weinend knieete Rodrigo, Küssend seine- Vaters Hände; Weinend küßte Don Diego Seines Sohnes Angesicht.

Zum Hof des Königs Fernando nach BurgoS kam Einteile, des Gormaz Tochur, klagend ihres Vater- Tod, und Den Diego mit seinem Sohn Rodrigo und 300 edlen Rittern, bereit, sich dem zu stellen, der deö Don Gormaz Tod rächen wolle. Keiner stell! sich (5te Romanze). 0.

Mit zerrißnem Trauerschleier Sprach hinten* jetzt zum König: (Thränen schwollen ibre Augen, Wie war sie in Thränen schön!

Meinen Vater, der von Helden Stammte, die mit ihren Fahnen Einst Pelagiu-, dem ersten Ehristenkönig, folgeren.

Schön, wie die bethaute Rose, Glänzte sie in ihren Thränen; Schöner blühten ihre Wangen, Glühend in gerechtem Schmerz.

Meinen Vater, der den ChristenGlauben selbst mit Macht beschirmte, Ihn, da- Schrecken der AlmanzorS, Ihn, der Ehre deine- ReicheErsten Sproß, in deiner Krone, Ihn, den ersten Edelstein.

Ihre Worte singt der Sänger, Doch nicht ihre Blick' und Seufzer.) „König," sprach sie, „edler König, Schaffe mir Gerechtigkeit. Er erstach mir meinen Vater, Er erstach ihn, eine Schlange. Meinen Vater, der, o König, Denk' e-, dir dein Reich beschützt'

Recht nur fleh' ich, nicht Erbarmen. Recht muß beistehn jedem Schwachen, Unwerth ist ein ungerechter Fürst, daß ihm der Edle diene. Daß die Königinn ihn liebe, Keines ihrer Küsse werth

Johßttm G-tttrie» voa Herder. Und du wilde- Thier, Rodrtgo, Auf! durchbohr' auch diesen Busen, Den ich hier in tiefster Trauer Dir eröffne. Mord' auch mich! Warum nicht die Tochter tödten, Der du ihren Vater raubtest? Warum nicht die Feindinn morden, Die dir'- jetzt und ewig seyn wird ? Rache fodert fie de- Himmel-, Und der ganzen Erde Rache Gegen dich!" — Rodrigo schwieg.

221

Und de- Roffe- Zaum ergreifend, Kehret langsam er den Rücken Allen Feldherrn, allen Kriegern, Wartend, ob ihm einer folge; Aber keiner folget' ihm. Als Limene diese- sahe, Rief fie lauter noch und lauter: „Rache, Krieger, blut'ge Rache, Ich selbst bin de- Racher- Preis?"

Abermals klagt Limene, daß Don Rodrigo's Falk ihre Tauben gewürgt und über­ haupt übermüthig ihrer Trauer spotte. Der König fordert Don Diego zu Hofe (7. Rom). 8.

Eingefallen in Castiljen Waren Könige der Mauren Fünf. Verwüstung, Lärm und Feuer, Mord und Tod zog ihnen vor. Ueber BurgoS schon hinüber, Monte- d'Oca, Belsorado, San Domingo und Narara Steht verheeret alles Land. Weggetrieben werden Heerden, Schafe, Christen, Christenkinder, Männer, Weiber, Knaben, Mädchen; Jene weinen, diese fragen: „Mutter, wohin ziehen wir?" Ruhmreich sammeln schon die Mauren Ihren Raub, zurückzukehren; Denn niemand begegnet ihnen, Niemand, auch der König nicht. Zu Vivar auf seinem Schlosse Hörte diese Noth Rodrigo;

Noch war er nicht zwanzig Jahre, Doch an Muth war er ein Mann. Auf sein Roß, es hieß Babieya, Stieg er. wie hoch in den Wolken Gott auf seinem Donnerwagen, Und durchrannte ring- da- Land. Die Vasallen seines VaterS Bot er auf; sie waren alle Angelangt zu MonteS d'Oca Und erwarten ihren Feind. Guter Himmel! von den Mauren Zog fortan nicht Einer weiter — Aber die geraubten Heerden, Männer, Weiber, Christenkinder, Alle ziehen ihres Weges Froh und frei. Die fünf gefangnen Mohrenkönige — dem König Don Fernando schickt Rodrigo Die Gefangnen zum Geschenk.

Abermals fordert Limene von Don Fernando Rache für den Tod ihre- Vater-; doch der König weist fie mit der Antwort ab, daß er den Rodrigo ihr erhalte, da fie bald so um sein Leben, wie jetzt um seinen Tod, flehen würde (9te Romanze). 10.

Nie erscholl ein Ruhm gerechter, Größer nie, als Don Rodrigo's: Denn fünf Könige der Mauren, Mauren aus der Moreria, Waren ihm Gefangene. Und nachdem er mit Vereidung In Vasallenpflicht und ZinSpflicht Sie genommen, sandt' er alle Wieder in ihr Land zurück. Als nach steben langen Jahren (Nie wär' er von ihr gewichen) Don Fernando jetzt die feste Stadt Coimbra, fest durch Mauern Und durch Thürme, überwand; Weihet' er der Mutter GotteDie prachtvollste der Moscheen;

Hier in diesem heil'gen Tempel Hielt Rodrigo Ritterwacht. Hier mit eignen König-händen Gürtet ihm da- Schwert der König; Und die Königinn, fie führet Selber ihm den Zelter zu. Die Jnfantinn Donna Uraka Schnallt' ihm an die goldnen Sporen: „Mutter," sprach fie, „welch ein Ritter! Einen schönern sah ich nie! Glücklich ist da- Bauermädchen, Die ihn, ohne Scheu' des VorwurfUnanständig niedrer Sitte, Lang anschauen nach Gefallen,

222

Johann Gottfried von Herder.

Ohne Scheu' ihn sehen darf. Glücklicher ist die Gemahlinn, Die ihm zuführt seine Mutter, 3hm, dem Schönsten, den ich sah."

Also sprach die König-tochter, Doch nicht mit der Rosenlippe; Tief nur im verschwiegnen Busen Sprach also ihr stille- Herz.

Die Infantin Donna Uraka, enthüllt, ohne e- recht zu wollen, dem Cid ihre Liebe und zugleich ihre Eifersucht gegen Limene, welche der Cid liebte (litt Rom.). Don Fernando warnt den Cid im Gespräch, um ihn zu prüfen, vor einer Vermah­ lung; der Cid aber vertheidigt die Ehe und erbittet sich vom Könige die Erlaubniß zu seiner Verbindung mit Ximene (12te u. IZte Rom.).

14. Rodrigo. Zn der stillen Mitternacht, Wo nur Schmerz und Liebe wacht, Nah' ich mich hier, Weinende Limene, (Trockne deine Thräne!) Zu dir. Lime ne. In der dunkeln Mitternacht, Wo mein tiefster Schmerz erwacht, Wer nahet mir? Rodrigo. Vielleicht belauscht unS hier Ein unS feindselig Ohr -, Eröffne mir — Limene. Dem Ungenannten, Dem Unbekannten Eröffnet sich zu Mitternacht Kein Thor. Enthülle dich ; Wer bist du, sprich!

Rodrigo. Verwaisete Limene, Du kennest mich. Limene. Rodrigo, ja ich kenne dich. Du Stifter meiner Thränen, Der meinem Stamm sein edles Haupt, Der meinen Vater mir geraubt. — Rodrigo. Die Ehre that'S, nicht ich. Die Liebe will'- versöhnen. Limene. Entferne dich! unheilbar ist mein Schmerz Rodrigo. So schenk', o schenke mir dein Herz; Ich will eS heilen. Limene. Wie? zwischen dir und meinem Vater, ihm! Mein Herz zu theilen? — Rodrigo. Unendlich ist der Liebe Macht. Limene. Rodrigo, gute Nacht

15. Als der König Don Fernando, Don Rodrigo und Limenen Beider Wort und Treu' empfangen, Zu vergessen allen Haß, Und deshalb sich vor dem guten Frommen Bischof Luyn Calvo Zu vermählen — denn die Liebe, Sie allein verzeihet ganz — Gab er, um den Cid Limenen Gleichzumachen an Vermögen Valduerna und Saldanna, Belsorado und San Pedro De Cordonna gab er ihm. Herrlich ging am Hochzeittage Auf die Sonne. Don Rodrigo, Abgelegt die Waffenrüstung, Kleidet sich mit seinen Brüdern Hochzeitlich und ftöhlich an. Aecht' Walloner Pantalone, Mit Scharlach gezackte Schuhe, Fein an Leder; zween Stifte Hefteten fie fest und enge An dm kleinen netten Fuß.

Jetzo zog er an die Weste, Eng' anliegend, ohne Borten: Dann die schwarze AtlaS-Jacke, Wohlgepufft, mit weiten Aermeln; (Wenig hatte sie sein Vater Rur getragen.) Auf den AtlaS 8'iel von ausgezacktem Leder Breit anständig das Kollet. Und ein Netz von goldnen Fäden, Eingewirkt in grüne Seide, Schloß sein Haar ein. Auf dem Hute Von Cortrayer feinem Tuche Hob sich eine Hahnenfeder, Wunderbarlich hoch und roth. Schönbefranzt bis auf die Hüfte Reichet ihm die Jazerine; Und um seine Schultern spielet Ausgeplüscht ein Hermelin. Und der unverzagte Degen, Tizonada war sein Name, Er daS Schrecken aller Mauren, Hängt in schwarzen Sammetbändern An dem festen tapfem Gurt.

Ishann ©ottfrirt Von Herder. Ausgezackt, gefaßt mit Silber War der Gurt) ein feine- Schnupftuch, Wohlgefaltet, hing an ihm. So gekleidet ging der edle Cid, begleitet von den Brüdern, Hin zum weiten Kirchenplatz, Wo der König und der Bischof Und die Herrn de- Hofe- alle Mit Limenen ihn erwarten, Mit Limenen, seiner Braut. Sittsam stand fie da, Limene, Bon elastisch feiner Leinwand Puffte ihre Klügelhaube : Bon dem feinsten Londner Tuche, Wohl garnirt war ihre Kleidung, Die von Schultern zu dm Füßen Barg und zeigte ihren Wuchs. Auf zwei rosigen Pantoffeln Stand als Königinn fie da. Ihren Hals umschlang ein Halsband ; An ihm hingen acht Medaillen, Einer Stadt an Werthe gleich; Und die reichste unter ihnen, Den Sankt Michael darstellend, Schwer von Perlen und Juwelen, Hing Limenen an der Brust.

223

So begabm die Verlobten Zum Altar sich; vor m Altare, Eh' der Braut die Hand er reichte, Sah er mit dem Blick der Liebe Und sprach zu ihr tiefbeschämt: „Fräulein, einen Mann von Ehre Leider hab' ich Euch getödtet! Denn eS wollt' eö Ehr' und Pflicht, Diesen Mann geb' ich Euch wieder, Und waS Ihr mit ihm verlöret, Vater, Freund, Verwandte, Diener, Alles geb' ich Euch, mit allem Mich Euch, Euren Ehgemahl." AuS zog er den kühnen Degen Dor'm Altare, kehrt zum Himmel Seine Spitze: „Mich zu strafen," Sprach er, „diene dieser da, Wenn mein Lebenlang den Eidschwur Ich verletze: Euch zu lieben Und Euch alle- zu ersetzen, Wie ich Euch vor Gott gelobt. — Und nun auf, mein guter Onkel, Luyn Calvo, segnet unS!"

Der HochzeitSzug, wie er auS der Kirche nach dem Palast unter dem Jubel deDolkeS zurückkehrt, wird in der 16. Rom. beschrieben. Der Cidvertheidigt, mit einem Heere über die Alpen ziehend, deS Königs Rechte gegen die Anmaßungen de- deutschm Kaisers Heinrich, dessen Oberherrschaft er anerkennen sollte (17. Rom ). Maurische Ge­ sandte, die dem Cid Tribut bringen, sendet dieser dem Könige zu (18. Rom ). Limene bittet den König, ihr ihren abwesenden Gatten bald wieder zuzusenden (19. Rom.) DeKönigS Antwort (20. Rom.). König Fernando theilt in seiner Todesstunde sein Reich an seine Kinder auS, vermacht auch jeder seiner Töchter eine Stadt zum Eigenthum, der Donna Uraka Zamora, der Donna Elvira Toro. — Aber nach Fernando s Tode beginnt Don Sancho den Krieg mit seinen Brüdern; und durch Cid'S Hülfe erobert er ihr Land, nimmt auch seiner Schwester Elvira Toro. Auch Zamora wünscht er zu besitzen uud überredet den Cid, nach Zamora zu reiten und eS von seiner Schwester Uraka zu fordern (23. bis 27. Rom ). 28.

Grad' einreiten in Zamora Will der Cid; al- ihn die Wache Ihn mit seinen fünfzehn Kriegern Anhält, draußen vor dem Thor. Laut und lauter wird der Larmen, Lauter da- Geschrei der Straßen, Bis es zur Jnfantinn drang. Und in ihren Trauerkleidern Eilet schnell sie auf die Mauer, Als — das Schrecken von Castlljen, Sie den Cid da vor sich steht. Ihre schönen Augen netzen Thränen; an die Mauer drücket Sie die Brust, enthüllt ihr Antlitz, Und, vorbreitend ihre Arme, Rufet fie ihm furchtbar zu: „Da du unS zu Feinden haben wolltest, Warum klopfest du an unsre Thore?

Da durch dich wir hier im Jammer leben, Warum kommst du, und waS willst du weiter? Da, der Freundschaft MaSke weggeworfen, Du dem Unrecht deinen Arm geliehen. — Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!" Seit er seinen Cid an mir gebrochen, Den er zuschwur einer König-tochter, Mich zu schirmen; mich, die einst ihn liebte, Und noch jetzt sein Bild in diesen Mauern Ehrt, in Mauern, die er kommt zu stürmen; Seit, von seinem neuen Glücke trunken, Er vergaß die schönen Jugendtage, Die an meine- Vater- Hof er lebte. — „Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!"

224

Johann Gotttrieb von Heeder.

Dem mein Vater Ritterwaffen reichte. Daß er seinem Raube nicht gewehret, Meine Mutter selbst den Zelter zuführt', Der dem Don Garzia, Don Alfonso Ich anschnallete die golvnen Sporen, Ihre Reiche nahm — der Eine schmachtet Knieend auf dem Marmor. Er bemerkte Im Gefängnisse; der Anvre mußte Damals nicht, wa- jedes Mädchen merket; Zu Ungläub'gen fliehen, zu den Heiden — Er vergisset, waS er war, und denkt nur, Daß Don Sancho meiner armen Schwester, Was er ist. Auch ich, so manches dacht' ich, Die im Kloster jetzt von Milde lebet, Waö der Himmel mir um meiner Fehler Toro, ihr rechtmäßig Erbtheil raubte, Willen nicht vergönnte. Meine Eltern Und der Eid auch diese- ihm nicht wehrte; Hoben ihn; er stürzte mich hernieder. Daß mein Bruder nicht, und auch der Cid nicht Weil ich denn um seinetwillen weine — Tief erröthen, Mich hier zu bekämpfen, „Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Mich, die Schwester, mich, ein schwaches Weib Deine Ehre ist verloren! nur, Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!" Die zu Waffen nichts sonst hat, als Thränen — Ich ein Weib, dazu noch jung und zärtlich, Deßhalb — Kann ihm zwar fern Leid vom Himmel wün„Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! schm; Deine Ehre ist verloren! Hat er mich mit seinem Stolz beleidigt, Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!" Hat er innig mir das Herz verwundet, Also sprach, gepreßt dm Busen Kommen von ihm alle meine Leiden; An die Mauer, Donna Uraka; So komm' auf ihn meine Güt' und Gnade; So antwortet sie dem Cid. Ich verzeih' ihm. Er darf mich beleid'gen Er, betroffen von der Antwort, Ohne Strafe: denn deS jungen Ritters, Hält verworren; dann auf einmal Seiner, in der prächt'gen Kirche zu Coimbra, Lenkt er um sein Roß Babieea: Werd' ich stet- gedenken. — Aber dennoch— „Rückwärts!" Hörer man ihn murmeln, „Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! „Rückwärts!" zwischen seinen Lippen, Deine Ehre ist verloren! Reitend nach dem Lager stumm. Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!" Und so kommt er von Zamora, Daß er nicht dm Bruch deS EidS ver- Wohl von manchem Pfeil verwundet, hindert', Der auch ohne Spitz' und Eisen, Den Don Sancho meinem Vater zuschwur, Tief im Herzen bohrend glüht. Der König beschuldigte den unverrichteter Sache zurückkehrenden Cid, er habe selbst die gamoraner rum Widerstände gereizt, und verbannte ihn aus seinen Staaten, rief aber später, als 2 Zamoraner Ritter int Zweikampf gegen die Ritter Don Sancho's gesiegt hatten, und er Zamora nicht einzunehmen vermochte, den Cid wieder inS Lager zurück (29 — 31. Romanze) Hüte, hüt' dich, König Sancho, Vor Verrätbern. Vor Verräthern Hüte jeder sich; am meisten, Wer Gewalt und Unrecht thut. AuS dem Thore von Zamora Eilt heran Bellido Dolfos; Seht, wie er sein Roß dort spornet! Seht, er eilt zu Königs Zelt. „Großer König, Gott beschütze Eure Waffen," spricht Bellido; „Gott beschütz' Euch!" spricht der König, fCwf«*. «r ° „Edler Mann, wasa (r.ttk* führt reitst« Euch her?" „Eu'r Vasall bin ich geboren, Hoher König," sprach Bellido. „Unter Euem Fahnen stritt ich, Unter ihnen blieb mein Herz. AlS ich diese- in Zamora Frei bekannte und Zamora Rieth an Euch, an Euch, den Herren, Willig sich zu übergeben, Droht mir Gonsalo, der alte AriaS drohet mir den Tod.

Da ich drinnen nichts vermochte, Komm' ich, Euer pflichtverbundner Castiljaner, hier in'S Lager, Sichern Weges Euch, o König, Einzuführen in die Stadt. Einen engen Gang der Mauer Kenn' ich, eine kleine Oeffnung — " Als er also im Gespräch war, Zeigte auf dem nächsten Bollwerk Sich der edelste der Krieger, AriaS Gonsalo, und rief: „Sey eö Euch gesagt, o König, Euch gesagt, ihr Castlljaner. Ein Verräther ist entwichen Aus der Stadt; er heißt Bellido. Vier Verrätherei n beging er, Wenn er Euch die fünfte zufügt: Keinem edlen Zamoraner Rechnet'- an; ihr seyd gewarnt." Hüt' dich, hüt' dich, König Sancho, Vor Verräthern! Vor Verräthern

Johann Gottfried non Herder. Hüte jeder sich; am meisten, Wer Gewalt und Unrecht thut. „Glaubet nicht- davon, o König," Sprach Belltdo, „was der Alte, Euch Rißtraum ru erregm, Dorther von der Mauer ruft; Wohl weiß er, daß ich die Oeffnung Und den Gang der Mauer kenne; Und dann weiß er auch sein Schicksal." „Za, Bellivo," sprach der König, „Ich ftnn1 ihn alt einen stolzen, Einen unbiegsamen Mann. Ungern küßt' er mir die Hand einst — Aus! wohlauf denn zu der Oeffnung, Zum geheimen Mauergang!" — „Jetzt, o Könia, würde jeder UnS mit seinen Augen folgen" — „Wohl dann! so gescheht e- später!" „Und am besten wär'-, o König, Erst die Lage zu besehen; Ihr und ich, wir gehn allein." Eh' fie gingen, stellt der König All sein Heer hin in die Waffen; Schwören solltm alle Führer Nicht- zu schonen in Zamora, Keinem Flehn zu geben nach. Als der ©b jo schwören sollte, Sprach er: „Meine Männer werden Wie de- Manne- Freunde kämpfen, Der nicht- fürchtet. Allenthalben Werden fie mich vorwärts sehn, Aber, abgelegt die Waffen, Schwör' ich bei dem Himmel droben, Gegen vie erhabne Schwester Meine- Könige- den Degen Nie zu zucken! Hört den Schwur!" Einen Wurfspieß in die Rechte Nahm der König, und sie gingen. Läng- dem Ufer deS Duero Sah man lang fie vorwärt- gehn. Bis auf einmal fich Bellivo

226

Hob und mit dem Dolch dm König Zehnmal in den Rückm stieß. Fallen sah man dm Monarchm, Todtverwundet, doch nicht todt. Vor Berräthera, vor Verrathen» Hüte jeder fich; am meiftm. Wer Gewalt und Unrecht thut. Unbewaffnet, wie er dastand, Schwang sich auf sein Roß Rodrtgo, Einzuholen den Verräther. An die Pforte vor Zamora Sprengt' er, ach! al- sich die Pforte Eben hinter dem Verräther Schloß. „O zeuge mir'- die Erde Und der ganze weite Himmel," Rief er, „wie ich mich verwünsche, Jetzt um einen Augenblick! Hätt' ich Sporen, ach ich wäre Vorgekommen dem Verräther, Hätt' ihn hier am Thor ergriffen, Ihm gegeben.seinen Lohn!" Tobt verwundet trug dm König Man in's Lager. Alle sprachen Zu ihm; und ein Einz'ger nur Sprach die Wahrheit, die ihm diente, Ein bejahrter Ritter-mann: „König, denkt an Eure Seele! Sonst an nicht- mehr auf der Welt." Sterbend seufzete Don Sancho, Als der edle Graf von Cabra Diese Worte zu ihm sprach: „Ach, der Kön'ge harte- Schicksal! Daß, wenn man sie nicht mehr fürchtet, Dann nur ihnen Wahrheit spricht." „Auch zu andern, andern Zeiten Sagt man ihnen wohl die Wahrheit, Aber sie, fie hören nicht," Sprach der Cid; er sprach e- leise, Daß er seine- König- Seele Scheidend nicht beleidigte.

Empört über dm Berrach, den Bellivo an dem Könige geübt, beschließt man, die Zamoraner zum Zweikampfe herauszufordern. Der Civ will, seinem Schwure getreu, statt seiner einen Ritter nennen, der mit dem Zamoraner Aria- Gonsalo und seinen 4 Söhnen kämpfen sollte (33—35. Rom ); doch Don Diego au- Ordonna erbietet sich von selbst dazu. 38. Nah' der Mauer von Zamora War zum grausen Tode-kampfe Zubereitet schon der Platz. Schon durchritt ihn Don Diego, Mit der Stärke de- Alciden, Seine jungen Feind' erwartend. Schweigt unglückliche Trommeten, Eine- Vater- Eingeweide Wenden sich bei turnn Hall! Wer den väterlichen Segm Erst empfing, e- war Don Pedro, Er, der Brüder Aeltester.

Zinnew'ö deutsch. Ged. Sannnl.

Als er vor Diego'- Antlitz Kam, begrüßt' er ihn bescheiden, Als den ältern Kriege-mann: „Möge Gott, Euch vor Verräthern Schützend, Eure Waffen segnen, Don Diego! Ich erschein' hier, Von dem Schimpfe des VerratheMein Zamora zu befrein." — „Schweig'!" erwiedert. Don Diego, „Denn Verräther seyd Ihr alle!" Und so trennen beide fich, Raum zu nehmen; beide rennen

226

Johann ©0tt(rie> von Herder.

Mächtig los; es sprühen Funkm — Ach, daS Haupt de- jungen KriegerS Trifft Diego; er zerspaltet ©rinnt Helm, durchbohrt sein Hirn. —Pedro Arias stürzt vom Rosse In den Staub hin. Don Diego Hebt den Degen und die Stimme Fürchterlich hin gen Zamora. „Sendet einen andern," rief er, „Dieser liegt." Es kam der andre, Kam der dritte, der auch fiel. Schweigt, unglückliche Trommeten! Eines Vaters Eingeweide Wenden sich bei euerm Hall. Thränen flössen, stille Thränen, Auf deS guten Greise- Wangen, Als er seinen jüngsten Sohn, Seine- Lebens letzte Hoffnung, Waffnete zum TodeSkampf. „Auf," sprach er, „mein Sohn Fernando, Mehr al- du an meiner Seite Noch im letzten Kanrpf geleistet, Mehr verlang' ich nicht von dir. Eh' du in die Schranken eintrittst, So umarm' erst deine Brüder Und dann blick' aus mich zurück." — „Weint Ihr, Vaters" „Sohn, ich weine! So weint' über mich mein Vater Einst, beleidiget vom König Zu Toledo — seine Thränen Gaben mir deS Löwen Starke, Und ich bracht' ihm, welche Freude! Seines stolzen Feindes Haupt." Mittag war es, als der letzte Sohn de- Grafen Arias, Don Fernando, aus den Platz trat;

Dem Befieger seiner Brüder, Seinem flohen Blick begegnet Er mit Ruh' und Festigkeit. Dieser, spielend mit dem jungen Krieger, nahm den ersten Streich auf, Aus die Brust; er war nicht tödtlich. Aber bald lag mit den Trümmern Ihrer Rüstungen der Kampfplatz Ueberdeckt. Gebrochen lagen Schon die Schranken; beide Rosse Keichen, durch und durch im Schweiß. Als man ihnen Morgensterne, Kolben brachte, deren Eisen Blitzt in ihrer beider Hand. Und der erste Schlag deS EisenS In der stärken: Hand Ordonno'S Traf — deS edeln Jünglings Haupt. Todtverwundet, (seinem Rosse Griff er um den Hals und hält fich An der Mähn' ihm;) Hölleneifer Gibt zum letzten Streich ihm Kraft. Diesen Streich, er thut ihn tapfer; Aber weil daö Blut deS Hauptes Sein Gesicht bedeckt, so trifft er, Ach, die Zügel nur de- Rosse-, Sie durchhau'nv. Es bäumt da- Roß sich Wirft den Reiter auS den Schranken — Sieg! schrien alle Zamoraner; DaS Gericht des Kampfe- schwieg. Ariaö Gonsalo, zum Kampfplatz Eilend, fand den Kampfplatz leer, Sah den jüngsten Sohn verblühen, Ihn verblühn wie eine Rose, Eh' sie sich entfaltete. Schweigt, unglückliche Trommeten! Eines Vaters Eingeweide Wenden fich bei euerm Hall.

„Fliegt, getreue Boten, flieget Zu Alfonso, meinem Bruder!" Sprach Uraka. „Er vergiffet Seines Glückes in Toledo, Da sein Glück ihn nicht vergißt." „Sagt ihm, daß der Feind nicht mehr ist, Daß sein Bruder, Don Garzia, AuS dem Kerker in das Grabmahl Seiner Ahnen wanderte. Sagt ihm, daß die Eastiljaner, Die Asturier, die Leoner, Ihn erwarten, ihren König, Wie die Schwester ihren Bruder; Sagt eö ihm und flieget schnell." „WaS zu thun?" sprach Don Alfonso; „Ali-Maimon, dieser gute Saracene, that mir ®ut8. WaS dem Flüchtling man meiget, Thut man das auch einem König? Ob mein neuer Stand dem Mauren

Wohlgefalle, weiß der Himmel. Eines, weiß ich, ist mir nöthig, Mit Vorsicht geheime Flucht." „In der Rrmdung dieser Mauern Ist ein Ort," sprach der Gesandte, „Niedersteigen wir zu Nacht. Aus rückwärts beschlagnen Pferden Eilen sicher wir davon." Angekommen in Zamora, Zog Alfonso dann nach BurgoS, Und die Reichsversammlung sprach: „Erbe seyd Ihr aller Thronen Unsers großen Don Fernando; Niemand streitet sie Euch jetzt. Aber, ohn' Euch zu mißfallen, Fordern wir von Euch den Eidschwur, An dem Morde deS Don Sancho Theilgenommen nie zu haben, Mittel» und unmittelbar; Solchen Eidschwur un- zu leisten

Z-tzch«i P-lMch» «n H«D»r. Förmlich, wie e- unS gefällt, Und bekräftigen ihn zu laffm Von zwölf Eurer Evelstm." „Duser Wunsch sey euch gewähret/ Spruch Mfonso; „morgen schwör' ich 3n der Kirche der Gadea Vor dem' heiligen Altar. Heut' begehr' ich nur zu wissen,

22»

Wer vyu Euch mir diesen Eidschwur Abzunehmen dann gedenkt?" „Ich!" strrach Civ. „Ihr, Don Rodrigo? Denket 3hr daran, daß morgen Ihr ein Unterthan mir seyd?" „Noch nicht! Daran werd' ich denken, Herr, wenn 3hr mein König seyd."

Der Cid nimmt dem Könige den Schwur ab, wird aber darauf auf 1 3ahr von ihm verbannt und später, da er von den: edlen Stolze deS Cid sich beleidigt fühlt, noch­ mals deS Lande- verwiesen und seiner Güter beraubt. Er zog mit seinen Kriegern gen Toledo und eroberte sich Valencia von den Mauern. Er sandte von seinen erbeuteten Schätzm dem Könige Geschenke und ließ seine Gattin mit den Töchtern auch nach Valencia kom­ men. Bei Don Alfonso bewerben sich 2 reiche Grafen Carrioü um die Hand der Töchter des Cid. Alfonso entbietet den Cid zu sich und verwendet sich bei ihm für diese Heirath, und der Cid willigt ein. Beide Grasen zogen mit dem Civ nach Valencia) fie werden mit den Töchtern deü Cid verlobt, und Feste folgen auf Feste. Bei einer solchen Festlichkeit dringt ein Löwe, den der Cid sich hielt, und der seinem Wächter entkommen war, in den Speisesaal und stürzt auf die beiden Grafen los, die der Cid von ihm befreit. Die beiden Grafen, die glauben, daß dies absichtlich geschehen sei, beschließen Rache. Sie ziehen mit ihren künftigen Gattinnen fort, lenken aber unterwegs ihren Zug in die Wüste, reißen dort die Töchter des Cid von den Maulth.ieren, entkleiden sie, geißeln fie und binden fie an einen Baum fest. Sein Neffe Ordonno, den der Cid abgesandt hatte, 'findet die Un­ glücklichen und befreit fie. Cid eilt zum Könige gegen Toledo und zeigt ihm den schänd­ lichen Verrath an, den die Grafen begangen. Der König ordnet einen Kampf an, in dem die beiden Grafen und ihr Oheim, der um die That gewußt, besiegt werden. So ward die Schmach gebüßt (38 — 61. Rom ). Eingeschlummert, matt vor Alter, Saß auf seinem hölzern Stuhle Cid, der Feldherr; neben ihm Saß Limene mit den Töchtern, Stickend eine feine Leinwanv; Ihnen winkte mit dem Finger Sie, deS Vaters süßen Schlummer Nicht zu stören; alles schwieg. AlS zwei persische Gesandte, Den ruhmvollen 6ib zu grüßen, Kommen mit Geräusch und Pracht, Denn der Ruf von seinen Thaten, Von der Größe seine- WertheDrang durch Maurm und Araber Hin in'S ferne Persien. Von deS Helden Ruhm ergriffen, Sandt' der Sultan ihm Geschenke, Seidenstoffe, Spezerei'n. Angelanget mit Kameelen, Traten vor ihn die Gesandten; „Ruy Diaz," sprach der eine Mit hinabgesenktem Blick, „Ruy Diaz! tapfrer Feldherr! Unser mächtiggroßer Sultan Beut dir seine Freundschaft an. Bei dem Leben Mahoms schwur er: Hätt' er dich in seinem Lande, Wohl die Hälfte seines Reiches Gab' er gerne dir als Freund. Seine Achtung dir zu zeigen, Sendet er dir die Geschenke." —

3hm antwortete der Cid: „Sagt dem Sultan, Euerm Herren, Daß t)ie Ehre seiner Botschaft 3ch empfange unverdient. Was ich that, eü war nur wenig; Was ich bin, ward oft verläumdet. Hätt' er sich bei unS erkundet, Wer ich sey, er hätte schwerlich Mir die Ehre nicht erzeigt. 3ndeß, wär' er Christ, ich machte 3hn rum Richter meine- Werth-." Also sprach der Cid und zeigte 3hnen darauf seine Schätze: Die Gemahlinn und die Töchter; Zwar nicht überdeckt mit Perlen, Ohne Schmuck und Edelsteine, Doch de- Herzen- Güt' und llnschuld Sprach aus jeglichem Gesicht. Ueber seiner Töchter Schönheit Waren beide hoch erstaunt; Und noch mehr, noch mehr erstaunet Ueber seine schlichten Sitten, Ueber sein einfaches Haus. Auch in Spanien besiegte Bald sein Ruhm die ärgsten Neider; Seine schönen edeln Töchter, Donna Sol und Donna Elvira, Fand der Lohn; an zwei 3nfanten Arragonien- und Navarra'Wurden glücklich fie vermählt.

228

Johann Votttried von Herder.

Zur Belagerung von Dalmcia zog Bukar, der Sarazen, mit 30 Königen herbei Den Cid ergriff schwere Krankheit, und als er auf seinem Lager ermattet lag, erschien ihm der Apostel San Pedro und verkündete ihm seinen nahen Tod. Er bestellte sein HauS und traf Anordnungen in Betreff seiner Bestattung. Sie sollten seinen Tod dem Feinde verhehlen, die Schlacht beginnm und, ihn auf sein Roß setzend, gegen den Feind anstürmen unb nach glücklichem Siege ihn zu San Pedro de Cordonna bestatten (63—66. R).

67. Fahnen, gute, alte Fahnen, Die den Cid so oft begleitet In und fiegreich aus der Schlacht, Rauschet ihr nicht in den Lüften Traurig, daß euch Stimm' und Sprache, Daß euch eine Thräne fehlt? Denn eS brechen seine Blicke, Er sieht euch zum letztenmal. Lebet wohl, ihr schönen Berge, Teruel und Albarazin, Ew'ge Zeugen seines Ruhmes, Seines Glückes, seines Muths; Lebet wohl, ihr schönen Höhen,

Und du Aussicht auf das Meer hin. Ach, der Tod, er raubt uns alles, Wie ein Habicht raubt er unS. Seht, eS brechen seine Augen — Er blickt hin zum letztenmal. WaS hat er gesagt, der gute Cid? Er liegt auf seinem Lager. Wo ist seine Eisenstimme? Kaum noch kann man ihn verstehen, Daß er seinen Freund Babieya, Ihn noch einmal sehen will. Babieya kommt, der treue Mitgefährt' deS wackern Helden Zn so mancher, mancher Schlacht.

MS er die ihm wohlbekannten Guten alten Fahnen siehet, Die sonst in den Lüsten wehten, Hingebeugt auf'S Sterbelager, Unter ihnen seinen Freund, Fühlt' er seinen Lauf deS RuhmeAuch geendet, steht mit großen Augen stumm da, wie ein Lamm; Sein Herr kann zu ihm nichts sprechen, Er auch nichts zu seinem Herrn. Traurig sieht ihn an Babieya, Cid ihn an zum letztenmal. Gerne hätt' sich Alvar Fannez Mit dem Tode jetzt geschlagen; Ohne Sprache sttzt JPinmtt; Cid, er drückt ihr noch die Hand. Und nun rauschen die Paniere Stärker; durch das offne Fenster Weht ein Wind her von den Höhen — Plötzlich schweigen Wind und Fahnen Edel: denn der Cid entschläft. Auf, nun auf! Trommeten, Trommeln, Pfeifen, Klarinetten tönet, Uebertönet Klag' und Seufzen; Denn der Cid befahl eS da. Zhr geleitet auf die Seele Eines Helden, der entschlief.

Wie der Cid schon im Leben befohlen, also geschieht es nach seinem Tode. Bukar wird besiegt, sein Leichnam in San Pedro de Cordonna beigesetzt. Als König Sancho der Heldenmüthige von Navarra, Cid'S Urenkel, als Sieger nach diesem Kloster kam und Castilien'S Schatze mit sich fortschleppen wollte, wußte der Abt de- Klosters durch da- An­ denken an den Cid ihn zu bewegen, diese Beute als fromme Stiftung für das Kloster von Cordonna zurückzulassen. So wirkte Cid'S Andenken noch lange nach seinem Tode wohl­ thätig (68 — 70. Romanze).

Der Hainbund *). Gottfried August Burger. (G. A. Bürger'- sämmtliche Werke. Göttmgeu 1829. 7 Bde.)

A. Balladen. Das Lied vom braven Manne (1776). 'Doch klingt da- Lied vom braven Mann, Wie Orgelton und Glockenklang. Wer hohe- Muthes sich rühmen kann, Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang. Gottlob! daß ich singen und preisen kann, Zu fingen und preisen den braven Mann. Der Thauwind kam vom Mittag-meer Und schnob durch Welschland, trüb' und feucht. Die Wolken flogen vor ihm her, Wie wann der Wolf die Heerde scheucht. Er fegte die Felder, zerbrach den Forst; Auf Seen und Strömen da- Grundeis borst. Am Hochgebirge schmolz der Schnee; Der Sturz von tausend Wassern scholl; Da- Wirsenthal begrub ein See; DeS Landes Heerstrom wuchs und schwoll; Hoch rollten die Wogen, entlang ihr Gleis, Und rollten gewaltige Felsen EiS. Auf Pfeilern und auf Bogen schwer, AuS Quaderstein von unten auf, Lag eine Brücke drüber her; Und mitten stand ein Häuschen drauf. Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind. „O Zöllner! o Zöllner! Entfleuch geschwind'!" ES dröhnt' und dröhnte dumpf heran, Laut heulten Sturm und Wog' um's Haus. Der Zöllner sprang zum Dach hinan Und blickt' in den Tumult hinaus. — „Barmherziger Himmel! Erbarme dich! Verloren! verloren! Wer rettet mich?" — Die Schollen rollten, Schuß auf Schuß, Von beiden Ufern hier und dort, Von beiden Ufern riß der Fluß Die Pfeiler sammt den Bogen fort Der bebende Zöllner, mit Weib und Kind, Er heulte noch lauter, als Strom und Wind. Die Schollen rollten, Stoß auf Stoß, An beiden Enden hier und dort, Zerborsten und zerttümmert, schoß Ein Pfeiler nach dem andern fort. Bald nahte der Mitte der Umsturz sich. — „Barmherziger Himmel! Erbarme dich'" ) Bei den nun felgenden Gedichten in nicht mehr beibehalten.

Nt

Hoch auf dem fernen Ufer stand Ein Schwarm von Gaffern, groß und klein; Und Jeder schrie und rang die Hand, Doch mochte Niemand Retter seyn. Der bebende Zöllner, mit Weib und Kind, Durchheulte nach Rettung den Strom und Wind. Wann klingst du, Lied vom braven Mann, Wie Orgelton und Glockenklang? Wohlan! So nenn' ihn, nenn' ihn dann! Wann nennst du ihn, mein schönster Sang? Bald nahet der Mitte der Umsturz sich. O braver Mann! braver Mann! zeige dich! Rasch galoppirt' ein Graf hervor, Auf hohem Roß ein edler Graf. WaS hielt des Grafen Hand empor? Ein Beutel war es, voll und straff. — „Zwei hundert Pistolen sind zugesagt Dem, welcher die Rettung der Armen wagt." Wer ist der Brave? Jst's der Graf? Sag' an, mein braver Sang, sag' an! — Der Graf, bei'm höchsten Gott! war brav; Doch weiß ich einen bravern Mann. — O braver Mann! braver Mann! Zeige dich! Schon naht das Verderben sich fürchterlich. — Und immer höher schwoll die Fluth; Und immer lauter schnob der Wind; Uno immer tiefer sank der Muth. — O Retter! Retter! Komm geschwind'! — Stet- Pfeiler bei PfeUer zerborst und brach. Laut krachten und stürzten die Bogen nach. „Halloh! Halloh! frisch auf gewagt!" Hoch hielt der Graf den Preis empor. Ein Jeder hört'-, doch Jeder zagt, AuS Tausenden tritt Keiner vor. Vergebens durchheulte, mit Weib und Kind, Der Zöllner nach Rettung den (Strom und Wind. — Sieh, schlecht und recht, ein Bauersmann Am Wanderstabe schritt daher, Mit grobem Kittel angethan, An Wuchs und Antlitz hoch und hehr. Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort Und schaute das nahe Verderben dort. Jnterpuncticn und Orthographie

dcö

Originale

230

Votttrie- August Kürzer.

Und kühn, in Gottes Namen, sprang Er in den nächsten Fischerkahn; Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang, Kam der Erretter glücklich an. Doch wehe! der Nachen war allzu klein, Um Retter von Allen zugleich zu seyn.

„Hier, rief der Graf, mein wackrer Freund! Hier ist dein Preis! Komu^ her! Nimm hin!"— Sag' an, war daö nicht brav gemeint? — Bei Gott! der Graf trug hoben Sinn. — Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug DaS Herz, das der Bauer im Kittel trug.

Und drei Mal zwang er seinen Kahn, Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang; Und drei Mal kam er glücklich an, Bis ihm die Rettung ganz gelang. Kaum kamen die Letzten in sichern Port, So rollte das letzte Getrümmer fort. —

„Mein Leben ist für Gold nicht feil. Arm bin ich zwar, doch eff' ich satt. Dem Zöllner werd' eur Gold zu Theil, Der Hab' und Gut verloren hat!" So rief er mit herzlichem Biederten Und wandte den Rücken und gmg davon.

Wer ist, wer ist der brave Mann? Sag' an, sag' an, mein braver. Sang! Der Bauer wagt' ein Leben dran; Doch that er'S wohl um Goldesklang? Denn spendete nimmer der Graf sein Gut, So wagte der Bauer vielleicht kein Blut. —

Hoch klingst du, Lied vom braven Mann, Wie Orgelton und Glockenklang! Wer solches Muths sich rühmen kann, Den lohnt kein Gold, den lohnt Gesang Gottlob! daß ich singen und preisen kann, Unsterblich zu preisen den braven Mann.

Der Kaiser und der Abt. Ich will euch erzählen ein Mährchen, gar schnurrig: ES war 'mal ein Kaiser, der Kaiser war kurrig; Auch war 'mal ein Abt, ein gar stattlicher Herr; Nur schade! sein Schäfer war klüger, als er. Dem Kaiser. ward'S sauer in Hitz' und in Kälte: Oft schlief er bepanzert im Kriegesgezelte; Oft hatt' er kaum Wasser zu Schwarzbrot und Wurst; Und öfter noch litt' er gar Hunger unv Durst. Das Psäfflein, daS wußte sich besser zu hegen Und weidlich am Tisch und im Bette zu pflegen. Wie Vollmond glänzte sein feistes Gesicht. Drei Männer umspannten den Schmerbauch ihm nicht. Drob suchte der Kaiser am Psäfflein oft Hader. Einst ritt er, mit reisigem KriegeSgeswwader, In brennender Hitze des SommerS vorbei. Das Psäfflein spazierte vor seiner Abtei. „Ha," dachte der Kaiser, „zur glücklichen Stunde!" Und grüßte das Psäfflein mit höhnischem Munde: „Knecht Gottes, wie geht's dir? Mir däucht wohl ganz recht, DaS Beten und Fasten bekomme nicht schlecht. Doch däucht mir daneben, euch plage viel Weile. Ihr dankt mir'S wohl, wenn ich euch Arbeit ertheile, Man rühmet, ihr wäret der pfiffigste Mann, Ihr hörtet das Gräschen fast wachsen, sagt man. So geb' ich denn euern zwei tüchtigen Backen Zur Kurzweil drei artige Nüsse zu knacken. Drei Monden von nun an bestimm' ich zur Zeit. Dann will ich auf diese drei Fragen Bescheid. Zum ersten: Wann hoch ich, im fürstlichen Rathe, Zn Throne mich zeige im Kaiser- Ornate, Dann sollt ihr mir sagen, ein treuer Wardein, Wie viel ich wohl wenh bis zum Heller mag sein?

Gottfried Angust Kürger. Zum zweiten sollt ihr mir berechnen und sagen: Wie bald ich zu Rosse die Welt «ag umjagen: Um keine Minute zu wenig und viel! Ich weiß, der Bescheid darauf ist euch nur Spiel. Zum dritten noch sollst du, o Preis der Prälaten, Auf's Härchen mir meine Gedanken errathen. Die will ich dann treulich bekennen; allein ES soll auch kein Titelchen Wahres dran sein. Und könnt ihr mir diese drei Fragen nicht lösen, So seid ihr die längste Zeit Abt hier gewesen; So lass' lch euch fuhren zu Esel durch's Land, Verkehrt, statt deS ZaumeS den Schwanz in der Hand." — Drauf trabte der Kaiser mit Lachen von hinnen. DaS Pfäfflein zerriß und zerspliß sich mit Sinnen. Kein armer Verbrecher fühlt mehr Schwulität, Der vor hochnochpeinlichem Halsgericht steht. Er schickt nach ein, zwei, drei, vier Un'vers'täten, Er fragte bei ein, zwei, drei, vier Faeultäten, Er zahlte Gebühren und Sportuln vollauf. Doch löste kein Doctor die Fragen ihm auf. Schnell wuchsen, bei herzlichem Zagen und Pochen, Die Stunden zu Tagen, die Tage zu Wochen, Die Wochen zu Monden; schon kam der Termin! Ihm warv's vor den Augen bald gelb und bald grün. Nun sucht' er, ein bleicher hohlwangiger Werther, In Wäldern und Feldern die einsamsten Oerter. Da traf ihn auf selten betretener Bahn HanS Bendir, sein Schäfer, am Felsenhang an. „Herr Abt," sprach HanS Bendir, „waS mögt ihr euch grämen Ihr schwindet ja wahrlich dahin, wie ein Schemen. Maria und Joseph! Wie hotzelt ihr ein! Mein Sirchen! Es muß euch waS angethan sein." — „Ach, guter Hans Bendir, so muß sich'- wohl schicken. Der Kaiser will gern mir am Zeuge waS flicken Und hat mir drei Nüss' auf die Zähne gepackt, Die schwerlich Beelzebub selber wohl knackt. Zum ersten: Wann hoch er, im fürstlichen Rathe, Zu Throne sich zeiget im Kaiser-Ornate, Dann soll ich ihm sagen, ein treuer Wardein, Wie viel er wohl werth bis zum Heller mag sein? Zum zweiten soll ich ihm berechnen und sagen: Wie bald er zu Rosse die Welt mag umjagen? Um keine Minute zu wenig und viel! Er meint, der Bescheid darauf wäre nur Spiel. Zum dritten, ich ärmster von allen Prälaten, Soll ich ihm gar seine Gedanken errathen; Die will er mir treulich bekennen; allein ES soll auch kein Titelchen Wahres dran sein. Und kann ich ihm diese drei Fragen nicht lösen, So bin ich die längste Zeit Abt hier gewesen; So läßt er nuch führen zu Esel durch's Land, Verkehrt, statt des ZaumeS den Schwanz in Da Hand." -

232

G»1ttrie- August Kürger. „Sttchts weiter?" erwiedert HanS Bendir mit Lachen. „Herr, gebt euch zufrieden, da- will ich schon machen. 9tut borgt mit eur Käppchen, eur Kreuzchen und Kleid So will ich schon geben den rechten Bescheid. Versteh' ich gleich nicht- von Lateinischen Brocken, So weiß ich den Hund doch vom Ofen zu locken. WaS ihr euch, Gelehrte, für Geld nicht erwerbt, Da- hab' ich von meiner Frau Mutter geerbt." Da sprang, wie ein Böcklein, der Abt vor Behagen. Mit Käppchen und Kreuzchen, mit Mantel und Kragen Ward stattlich Hans Bendir zum Abte geschmückt Und hurtig zum Kaiser nach Hose geschickt. Hier thronte der Kaiser im fürstlichen Rathe, Hoch prangt' er, mit Zepter und Krön', im Ornate: „Nun sagt mir, Herr Abt, als ein treuer Wardein, Wie viel ich itzt werth bis zum Heller mag sein?" — „Für dreißig Reichsgulden ward Christus ^erfc^ad^cri > Drum gab' ich, so sehr ihr auch pochet und prachert, Für euch keinen Deut mehr als zwanzig und neun, Denn Einen müßt ihr doch wohl minder werth sein." „Hum, sagte der Kaiser, der Grund läßt sich hören Und mag den durchlauchtigen Stolz wohl bekehren. Nie hätt' ich, bei meiner hochfürstlichen Ehr'! Geglaubet, daß so spottwohlfeil ich wär'. Nun aber sollst du mir berechnen und sagen: Wie bald ich zu Rosse die Welt mag umjagen? Um keine Minute zu wenig und viel! Ist vir der Bescheid darauf auch nur ein Spiel?" — „Herr, wenn mit der Sonn' ihr früh sattelt und reitet Und stets sie in einerlei Tempo begleitet, So setz' ich mein Kreuz und mein Käppchen daran, In zwei Mal zwölf Stunden ist Alles gethan." „Ha, lachte der Kaiser, vortrefflicher Haber! Ihr füttert die Pferde mit Wenn und mit Aber. Der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht, Hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht. sJhm aber zum dritten, nun nimm dich zusammen! Sonst muß ich dich dennoch zum Esel verdammen. Was denk' ich, das falsch ist? Das bringe heraus! Nur bleib' mir mit Wenn und mit Aber zu HauS." — „Ihr denket, ich sei der Herr Abt von St. Gallen. —" „Ganz recht! und das kann von der Wahrheit nicht fallen." „Sein Diener, Herr Kaiser! Euch trüget eur Sinn: Denn wißt, daß ich Bendir, sein Schäfer, nur bin!" — „Was Henker! Du bist nicht der Abt von St. Gallen?" Rief hurtig, als wär' er vom Himmel gefallen, Der Kaiser mit ftohem Erstaunen darein; „Wohlan denn, so sollst du von nun an es sein! „Ich will dich belehnen mit Ring und mit Stabe. Dein Vorfahr besteige den Esel und trabe! Und lerne fortan erst quid Juris verstehn! Denn wenn man will ernten, so muß man auch fä lt." —

Vstttried August Kürzer.

23®

„Mit Gunsten, Herr Kaiser! DaS laßt nur hübsch bleiben! Ich kann ja nicht lesm, noch rechnen und schreiben; Auch weiß ich kein sterbende- Wörtchen Latein. WaS HänSchen versäumet, holt HanS nicht mehr ein." — „Ach, guter Han- Bendir, daS ist ja recht Schade! Erbitte demnach dir ein' andere Gnade! Sehr hat mich ergehet dein lustiger Schwank; Drum soll dich auch wieder ergehen mein Dank?* — „Herr Kaiser, groß hab' ich so eben nicht- nöthig! Doch seyd ihr im Ernst mir zu Gnaden erbötig, So will ich mir bitten, zum ehrlichen Lohn, Für meinen hochwürdigen Herren Pardon." — „Ha bravo! Du trägst, wie ich merke, Geselle, DaS Herz, wie den Kopf, auf der richtigsten Stelle. Drum sey der Pardon ihm in Gnaden gewährt, Und obenein dir ein Panis-Brief beschert: Wir lassen dem Abt von St. Gallen entbieten : HanS Benvir soll ihm nicht die Schafe mehr hüten. Der Abt soll sein pflegen, nach unserm Gebot, Umsonst bis an seinen sanftseligen Tod."

Der wilde Jäger. Der Wild - und Rheingraf stieß in's Horn: „Halloh, halloh, zu Fuß und Noß!" Sein Hengst erhob sich wiehernd vorn; Laut rasselnd stürzt' ihm nach der Troß; Laut Hisst' und klafft' es, frei vom Koppel, Durch Korn und Dorn, durch Heid' und Stoppel.

„Schlecht stimmet deine- Hornes Klang," Sprach der zur Rechten, sanften Muth-, Zu Feierglock' und - Chorgesang. „Kehr' um! Erjagst dir heut nichts Gut-. Laß dich den guten Engel warnen Und nicht vom Bösen dich umgarnen!" —

Nom Strahl der Sonntagsfrühe war DeS hohen Domes Kuppel blank. Zum Hochamt niste dumpf und klar Der Glocken ernster Feierklang. Fern tönten lieblich die Gesänge Der andachtsvollen Christenmenge.

„Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!" Fiel rasch der linke Ritter drein. „Was Giockenklang? WaS Chorgeplärr? Die Jagdlust mag euch baß erfreun! Laßt mich, waS fürstlich ist, euch lehren Und euch von jenem nicht bethören!" —

Rischrasch quer über'n Kreuzweg ging's, Mit Horridoh und Hussasa, Sieh da! Sieh da kam rechts und links Ein Reiter hier, ein Reiter da! Des Rechten Roß war Silbersblinken, Ein Feuerfarbner trug den Linken.

„Ha! Wohlgesprochen, linker Mann! Du bist ein Held nach meinem Sinn. Wer nicht des Waivwerk- pflegen kann, Der scher' an'S Paternoster hin! Mag'S, frommer Narr, dich baß verdrießen, So will ich meine Lust doch büßen!" —

Wer waren Reiter links und rechts t Ich ahnd' eS wohl, doch weiß ich'S nicht. Lichthehr erschien der Reiter rechtS, Mit mildem Frühlingsangesicht. Graß, dunkelgelb der linke Ritter Schoß Blitz vom Aug', wie Ungewitter.

Und hurre hurre, vorwärts ging'-, Feld ein und aus, Berg ab und an. Stets ritten Reiter recht- und links Zu beiden Seiten neben an. Auf sprang ein weißer Hirsch von ferne Mit sechzehnzackigeur Gehörne.

„Willkommen hier zu rechter Frist, Willkommen zu der edeln Jagd! Auf Erden und im Himmel ist Kein Spiel, daS lieblicher behagt." Er riefs, schlug laut sich an die Hüfte Und schwang den Hut hock) in die Lüfte.

Und lauter stieß der Graf in'S Horn; Und rascher flog's zu Fuß und Roß; Und fleh! bald hinten und bald vorn Stürzt' einer todt dahin vom Troß. „Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen! Daö darf nicht Fürstenlust verwürzen."

214

Votttrir- August Kärger.

Da- Wild duckt stch in'- Achrenfeld Und hofft da sichern Aufenthalt. Sich da! Ein armer Landmann stellt Sich dar in kläglicher Gestalt. „Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen! Verschont den sauern Schweiß de- Armen!"

Halloh, Gesellen, drauf und dran! So! Doho! Huffasasa!" — Und jeder Hund siel wüthend an, WaS er zunächst vor stch ersah. Bluttriefend sank der Hirt zur Erde, Bluttriefend Stück für Stück die Heerde.

Der rechte Ritter sprengt heran Uttd warnt den Grafen sanft und gut. Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenftohem Frevelmuth. Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen.

Dem Mordgewühl entrafft sich kaum Da- Wild mit immer schwächerm Lauf. Mit Blut besprengt, bedeckt mit Schaum, Nimmt jetzt des Walde- Nacht eö auf. Tief birgt sich'- in de- WalveS Mitte, In eines Klausner- GotteShütte.

„Hinweg, du Hund," schnaubt fürchterlich Der Graf den armen Pflüger an. „Sonst hetz' ich selbst, beim Teufel! dich. Halloh, Gesellen, drauf und dran! Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen, Knallt ihm die Peitschen um die Ohren!"

Risch ohne Rast mit Peitschenknall, Mit Horridoh und Hussasa Und Kliff und Klaff und Hörnerschall, Verfolgt's der wilde Schwarm auch da. Entgegen tritt mit sanfter Bitte Der fromme Klausner vor die Hütte.

Gesagt, gethan! Der Wildgraf schwang Sich über'n Hagen rasch voran, Und hinterher, bei Knall und Klang, Der Troß mit Hund und Roß und Mann; Und Hund und Mann und Roß zerstampfte Die Halmen, daß der Acker dampfte.

„Laß ab, laß ab von dieser Spur! Entweihe Gottes Freistatt nicht! Zum Himmel ächzt die Kreatur Und heischt von Gott dein Strafgericht. Zum letzten Male laß dich warnen, Sonst wird Verderben dich umgarnen!

Vom nahen Lärm empor gescheucht, Feld ein und auS, Berg ab und an Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht, Ereilt da- Wild deS Anger- Plan Und mischt sich, da verschont zu werden, -Schlau mitten zwischm zahme Herden.

Der Rechte sprengt besorgt heran Und warnt den Grafen sanft und gut. Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenftohem Frevelmuth. Und wehe! Trotz des Rechten Warnen Läßt er vom Linken stch umgarnen!

Doch hin und her, durch Flur und Wald, Und her und hin, durch Wald und Flur, Verfolgen und erwittern bald Die raschen Hunde seine Spur. Der Hirt, voll 2lngst für seine Heerde, Wirft vor dem Grafen sich zur Erde.

„Verderben hin, Verderben her.' Das," ruft er, „macht mir wenig Graus. Und wenn S im dritten Himmel wär', So acht' ichs keine Fledermaus. Mag'S Gott und dich, du Narr, verdrießen; So will ich meine Lust doch büßen!"

„Erbarmen, Herr, Erbarmen! Laßt Mein arme- stilles Vieh in Ruh'! Bedenket, lieber Herr, hier gras t So mancher armen Wittwe Kuh. Ihr Eins und Alles spart der Armen! Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!"

Er schwingt die Peitsche, stößt in's Horn: „Halloh, Gesellen, drauf und dran!" Hui, schwinden Mann und Hütte vorn, llnd hinten schwinden Roß und Mann ; Und Knall unv Schall und Iagdgebrülle Verschlingt auf ein Mal Tootenstille.

Der rechte Ritter sprengt heran Und warnt den Grafen sanft und gut. Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenftohem Frevelmuth. Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen.

Erschrocken Must der Graf umher; Er stößt in's Horn, es tönet nicht; Er ruft, und hört sich selbst nicht mehr; Der Schwung der Peitsche sauset nicht; Er spornt sein Roß in beide Seiten Und kann nicht vor- nicht rückwärts reiten

„Verwegner Hund, der du mir wehrst! Ha, daß du deiner besten Kuh Selbst um- und angewachsen wärst, Und jede Vettel noch dazu! So sollt' eS baß mein Herz ergehen, Euch stracks in'S Himmelreich zu hetzen

Drauf wird es düster um ihn her Und immer düstrer, wie ein Grab. Dumpf rauscht eS, wie ein fernes Meer. Hoch über seinem Haupt herab Must furchtbar, mit Gewirrergrimuic. Dieß Urtheil eine Donnerstimmen

V-Mried Arqvst Kürzer. „Du Wüthrich, teuflischer Natur, Frech gegen Gott und Mensch und Thier! Das Ach und Weh der Kreatur Und deine Missethat an ihr Hat laut dich vor Gericht gefodert, Wo hoch der Rache Fackel lodert. Fleuch, Unhold, fleuch und werde jetzt, Von nun an bis in Ewigkeit, Von Höll' und Teufel selbst gehetzt! Zum Schreck der Fürsten jeder Zeit, Die, um verruchter Lust zu frohnen, Nicht Schöpfer noch Geschöpf verschonen!"— Ein schwefelgelber Wetterschein Umzieht hierauf deS WaldeS Laub. Angst rieselt ihm durch Mark und Bein; 3hm wird so schwül, so dumpf und taub! Entgegen weht ihm kalte- Grausen, Dem Nacken folgt Gewittersausen. Das Grausen weht, daS Wetter saust, Und au- der Erd' empor, huhu! Fahrt eine schwarze Riesenfaust; Sie spannt fich auf, sie krallt sich zu; Hui! will sie ihn bei'm Wirbel packen; Hui! steht sein Angesicht im Nacken.

2SS

8- stimmt und flammt rund um ihn her Mit grüner, blauer, rother Gluth; ES wallt um ihn ein Feuermeer; Darinnen wimmelt Höllenbrut. Jach fahren tausend Höllenhunde, Laut angehetzt, empor vom Schlunde. Er rafft sich auf durch Wald und Feld Und flieht, laut heulend Weh und Ach; Doch durch die ganze weite Welt Rauscht bellend ihm die Hölle nach, Bei Tag tief durch der Erde Klüfte, Um Mitternacht hoch durch die Lüfte. Im Nacken bleibt sein Antlitz stehn, So rasch die Flucht ihn vorwärts reißt. Er muß die Ungeheuer sehn, Laut angehetzt vom bösen Geist, Muß sehn da- Knirschen und da- Jappm Der Rachen, welche nach ihm schnappen.— Das ist de- wilden Heeres 3agd, Die bi- zum jüngsten Tage währt Und oft dem Wüstling noch bei Nacht Zu Schreck und Graus vorüber fährt.. DaS könnte, müßt' er sonst nicht schweigen, Wohl manches Jägers Mund bezeugen.

B. Sonette. Verlust *). Wonnelohn getreuer Huldigungen, Dem ich mehr als hundert Monden lang Tag und Nacht, wie gegen Sturm und Drang Der Pilot dem Hafen, nachgerungen'. Becher, allgenug für Götterzungen, Golvnes Kleinod, bis zum Ueberschwang Stündlich neu erfüllt mit Labetrank, O wie bald hat dich daö Grab verschlungen!

Nektarkelch, du wärest süß genug, Einen Strom des Lebens zu versüßen, Sollt' er auch durch Weltenalter fließen. Wehe mir! Seitdem du schwandest, trug Bitterkeit mir jeder Tag im Munde. Honig trägt nur meine Todesstunde.

Auf oic Morgenröthe (1786). Wann die goldne Frühe, neu geboren, Am Olymp mein matter Blick erschaut, Dann erblass' ich, wein' und seufze laut: Dort im Glanze wohnt, die ich verloren! Grauer Tithon! du empfängst Auroren Froh auf'S neu', so bald der Abend thaut; Aber ich umarm' erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren.

Tithon! Deines Alters Dämmerung Mildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattinn, ewig schön und jung; Aber mir erloschen die Gestirne, Sank der Tag in öde Finsterniß, Als sich Molly dieser Welt entriß.

4) Bei dem Tode mner zweiten Gattinn gedichtet.

236

Leopold Friedrich Günther von G-ekingk.

An August Wilhelm Schlegel. Kraft der Laute, die ich rühmlich schlug, Kraft der Zweige, die mein Haupt umwinden, Darf ich dir ein hohe- Wort verkünden, Da- ich längst in meinem Busen trug.

Schön und laut ist deines Fittich- Tönen, Wie das Erz, daS zu Dodona klang, Und fein Schweben leicht, wie Sphärengang.

Junger Aar! Dein königlicher Flug Wird den Druck der Wolken überwinden, Wird die Bahn zum Sonnentempel finden, Oder Phöbus Wort in mir ist Lug.

Dich zum Dienst deö Sonnengott- zu krönen, Hielt ich nicht den eignen Kranz zu werth; Doch — dir ist ein besserer beschert.

An das Herz (1792). Lange schon in manchem Sturm und Drange Trotz der Zeit Despoten-Allgewalt Wandeln meine Füße durch die Welt. Fährst du fort, wie in de- Lenzes Tagen, Bald den Lebensmüden beigesellt, Liebend, wie die Nachtigall, zu schlagen. Ruh' ich auS von meinem Pilgergange. Leise sinkend faltet sich die Wange; Jede meiner Blüthen welkt und fällt. Herz, ich muß dich fragen: was ertydU Dich in Kraft und Fülle noch so lange?

C.

Aber ach! Aurora hört eS kalt, Waö ihr Tithon'S Llppen Holdes sagen. — Herz, ich wollte, du auch würdest alt!

Sinngedicht. Trost.

Wann dich die Lästerzunge sticht, So laß dir dieß zum Troste sagen: Die schlechtsten Früchte sind es nicht, Woran die Wespen nagen. Bekannt sind nnter Bürgers Balladen auch: Leonore („Lenore fuhr ums Morgen» roth"), der Raubgraf („ES liegt nicht weit von hier ein Land"), die Weiber von Weins­ berg („Wer sagt mir an, wo WeinSberg liegt?"), die Kuh („Frau Magdalis weint' aus ihr letztes Stück Brot") u. s. w.

Leopold Friedrich Günther von Goekingk. (Gedichte von Goekingk. 3 Theils

Leipzig 1780—82.)

Erkannte Wohlthat. *$d) danke Gott, daß ich zu Fuß muß gehen, Nlcht fahren und nicht reiten kann! Der Gemse Klippen und des AvlerS Höhen Klimmt keines Fürsten Roß hinan.

Leopold Friedrich Günther von Goekingk. Ich aber höre, auf M Brocken» Spitze, Von meinem Fuß hinab in« Land Die Donner rollen, und die Blitze Greis' ich am Saum mit meiner Hand. An merk.

23S

Mir ist, öl» müßt' ich mich an diesrhangen, M» solltm fie mich nach flch rieh«; Denn jeder Erdenwunsch ist mir vergangen, Und klein, wa« sonst so groß mir schien.

Der letzte Der» ist fortgelassen.

Auf der Stelle, wo Gustav Adolph in der Schlacht bei Lützen blieb. (Den 2te» Juni 1778.) Laßt den Wagen halten oder fahren! Denn ich bleib' hier fitzen. Dieser Stein Soll de« Manne«, der an seiner Schaaren Spitze hier geblutet, Altar sein!

Solch ein Denkmal für da» große Lebm Diese- Retter» einer halben Welt! — Murren mögt'ich, (mag mir « Gott vergeben!) Daß die Armuch mich gefesselt hält.

Thränen will ich opfern. Denn von allen Königen, die vor ihm, wie nachher, Unterm Schwrrdt des Kriege« find gefallen, War nur Gustav kein Eroberer.

Zwar bedarf er nicht der Marmorsäule, Die hier stehen sollt«; aber dann Ruhte hier der Wandrer eine Weile, Las' und segnete dm bravm Man«!

Auf die Stelle, die sein Blut getrunken, Wälzten Bauern weinend diesen Stein, Zn die Erde halb schon izt versunken! Und ich kann ihm keinen bessern weihn!

Läs' und weinte seinen Muth wohl größer, Seinen Stolz geringer durch dir Schämn! Denn auch ich, da» fühl' ich, gehe besser Weg von diesem Steine, al« ich kam.

Sinngedichte. Kritik über ein Drama. Herr Tragiscribar wähnt, Sein Drama hab' un« sehr gefallen, „Denn," spricht er. .Keiner pfiff von Allen!" Doch, wer kann Pfeiffrn, wenn man gähnt?

Die vielen Freunde. Wer hätte da« gemeint? Zwey hundert Freunde hat Alcist! Denn Jeden, dem er schuldig ist, Rmnt er: Mein lieber Freund!

Die goldene Leier. Maz reimet kein Gedicht, Worin er nicht Von seiner goldnen Leier spricht. Du Narr, der immer Hunger hat, Verkaufe fie und iß dich satt!

288

Christian Grat zu Ktolberg. T y l l. Tyll frägt: „Was ist ein Sinngedicht?" Was Tyll versteht, das ist eS nicht.

Reliquien. Der Prior ließ von da uns weiter Zu einem Schranke gehn Und zeigt' unS drin ein Stückchen von der Leiter, Die Jacob einst im Traum gesehn.

Geistererscheinung. Wie doch die Leute find? Kaum stirbt Herr Almeroch, So soll auch schon fein Geist erscheinen. Und, als er lebte, sprach man doch: (St habe keinen.

Das Haus des Maninn. Man lebet, wie im Himmel, im Hause deS Maninn: Man ißt und trinket nicht darin.

Die Freunde des alten Pino. „Wir freun uns, dich so alt und dich so frisch zu sehn!" So sagen zwar die Herr'n, so oft sie ihn besuchen; Doch wißt ihr wohl, auf wen die (Komplimente gehn? Das Alt aus seinen Wein, daS Frisch auf seinen Kuchen

Aus das Bildniß einer Schwätzerinn. Dem Bilde hier soll bloß die Sprache fehlen? Just deshalb würd' ich'S lieber, als selbst das Urbild wählen.

Christian Graf zu Stolberg. ((Gesammelte Werke d. Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen \\\ Stolberg. Hamburg 1827 sq. 20 Bde.)

Zum Geburtstag meines Bruders, den siebenten November.

Äuf! mit des AdlerS Schwingen, fleuch Hin zu ihm, mein Gesang, und mit dir Mein frohlockender Morgengruß! Hin ju ihm, der mir ist, Was fern Sterblicher je Sterblichen war!

Röthliche Schimmer erwachen schon; Sie verkündigen den Tag, Ach! den entzückenden, Der dich, Lieber, ins Leben rief! Seht, wie er pranget im herbstlichen Schmuck

Christfest ©ms zu Stolberg. gtitntb naht er und stolz, umtanzt Von der Sonne, dem Mond und dem wei­ lenden Stern! Eile, der du mir schwebst Auf der lechzenden Lippe, Brudeüuß! Schnell gleit' auf dem ersten Strahl, Feuervoll und erquickend, wie er, Hin zu ihm, der mtf ist, WaS kein Sterblicher je Sterblichen war! Lagre behend auf seine Lippe dich. Scheuche nicht den Morgentraum, Der mit duftenden Kränzen, Der mit windenden Epheuranken Fesselt den Schlummernden! ' Träufle deinen Honig und laß da- Bild, Ach. mein Bild! Vor seiner ahnenden Seele schweben, und mit ihm Schmachtende Sehnsucht, ach, nach mir! Dann erweck' ihn ungestüm mit dem Fittig­ schlag Der Lieb' und ruf' es laut Mit Flammenwort ihm zu: Daß er mir sei, WaS kein Sterblicher je Sterblichen war! Mein Bruder! Siehe, wie fie bebt, Der Freude Zähre, Daß du'S bist, und daß du Mehr denn Bruder und Freund, Daß du bist Meines Herzens Vertrautester! Sage, sproßte dir je, Keimte mir je ein Gedank', Dessen Hülle nicht du Hobest, picht ich?

339

In der einsamen Halle, Deinen Wonneberauschten, Deinen Buhlen, o Göttliche! — Ha! ich kenne fie auch! Schwester, und Braut! An ihrer Hand Schweb' ich zu dir, Ueber Länder und Meere zu dir! Schütte dir auS Mein überströmendes Herz. — Bruder! unS ist gefallen daS LooS Lieblich, unser Erb' ist schön! Ach! aber warum traust In deS Jubels Becher die Thräne? Ach! warum find wir getrennt, Heute getrennt ? Wie nach dem Thau das Sommergefild', Wie die Sonne lechzet nach de- MeereSchoos, Wie der Weinstock nach der beschattendm Ulme süebet; O! so streb' ich, so lechz' ich nach dir, Der du mir bist, WaS kein Sterblicher je Sterblichen war! Kehre wieder, du der Freude Tag, Segenschwanger, und triefend Deine Tritte von Milch, Von Honig Und von der Rebe Blut! Immer komm', die Schläfe bekränzt Mit herbstlichem Schmuck! Ach, bald nahet auch unS Unser Herbst!

Wie durch der heiligen Natur Auch er komme, die Schläfe bekränzt Tief verborgne Wunderkraft, Mit herbstlichem Schmuck! Der unberührten Leyer Saite bebt, Und mit Früchten, o! mit Früchten, Wenn de- Sängers Stimme den Ton Mit unvergänglichen Der Bebenden hallt; Reich beschwert! O! so stimmte Mutter Natur Nimmer find' und dann, schöner Tag, Unsrer Zwillingsseelen Wie heute getrennt! Immer tönende Harmonie! Tönend, wenn das Feuerblut O! Erfüllung, Erfüllung! Lodert in der Jünglinge Brust, DeS sehnlichsten Wunsche- Erfüllung! Tönend, wenn der Rührung Zähre sanft Hell blickt mein Aug' Ueber die blässere Wange rinnt. In der Zukunft Fern', eS späht Goldne Tag' am Ende der Bahn! Ach! du, der du mir bist, WaS kein Sterblicher je Sterblichen war! An der Begeistrung und der Muse Hand, Endlich kommt der Winter einher, Deiner Vertrauten, zu denen du sprichst: Ein sanfter fteundlicher GreiS, ^ „Du bist meine Schwester! und du Beut unS beiden die Hand und führt, „Bist meine Braut!" — O der Wonn'! und ungetrennt Oft besucht ihr in stiller Nacht, Dorthin, wo unter Leben-bäumen, Du, den Bruder, mtb du, Wo in Lauben der Himmlischen,

240

Christian ©ras zu Ktolberg.

Ach! unter eurem ftuchtbelastrten, Ruhe gewährenden Feigenbäume, Dorthin, ach! wo, unter eurem Freud' und Schattm Bietenden Weinstock,

Bester Vater! und du, Die mich gebar, die mich saugte, Beste Mutter! Wechsellos blühet Ewiger Lenz.

Größe der Erde. Klein ist die Erde, schwimmet, wie ein Bläschen, Auf den Wogen des Welten-Oceanes, Dessen kleinsten Busen der Mensch erspähet: Klein ist die Erde! Aber der kleinen Erde Ströme trennen Von dem Freunde den Freund; sie sondern Brüder. Elb' und Weser sondern anch mich vom Bruder. Groß ist die Erde! Blühet dereinst ein Strauch auf meinem Grabe, Weithin über's (Mein des Todten schattend; Dann wird mir des winzigen Hügels Erde Reichlich genügen! Aber des Welten-Oceanes Inseln Wird der fliegende Geist dereinst erspähen, Wird zu weiten Flügen auf kurze Zeiten Lächelnd fich trennen.

S t e r b e l i e d. Lieg' ich einst an jener Schwelle, Die der Zukunft Schleier hebt, Sinkt des Pulses AbschiedS-Welle, Schweigt der Odem und entschwebt; Send' erbarmend Fried' und Ruh' AuS dem Himmel dann mir zu, Daß an dich, Versöhner, hefte Sterbend ich die letzten Kräfte.

Eh', an ihres Kampfes Ende, Nun der Seele Band zerreißt, Gieb, daß ich in deine Hände, Herr, befehle meinen Geist. Trübt stch schwüler mir die Lust In deS Todesthales Gruft, Laß in Lieben, Glauben, Hoffen, Dann mich schaun den Himmel offen

Nicht im Tod' erst; weil mein Leben Noch in regen Stunden kreist. Will ich weihend übergeben Deinen Händen meinen Geist; 2hm, dem Funken deines Lichts, Gnüge nicht der Erde Nichts, Ach, schon hier, auf Sehnsuchtsschwingen, Mög' empor er heimwärts dringen!

Ludwig Heinrich Christoph Höltv. (Nach der Ausgabe von 1823.)

Das Landleben. Äöunderseliger Mann, welcher der Stadt Sein bestroheteS Dach, wo sich daS Taubenvolk entfloh! Jede- Säuseln deS BaumS, jedes Geräusch Sonnt und spielet und hüpft, winket ihm de- Bach-, süßre Rast, Jeder blinkende Kiesel Als dem Städter der Goldsaal, Als der Polster der Städterinn. Predigt Tugend und Weisheit ihm. Jedes Schattengesträuch ist ihm ein heiliger Und der spielende Trupp schwirret zu ihm herab, Tempel, wo ihm sein Gott näher vorüber­ Gurrt und säuselt ihn an, flattert ihm auf wallt; Jeder Rasen ein Altar, den Korb, Picket Krumen und Erbsen, Wo er vor dem Erhabenen knie't. Picket Körner ihm auS der Hand. Seine Nachtigall tönt Schlummer herab auf Einsam wandelt er oft, Sterbegedanken voll. ihn, Durch die Gräber des Dorfs, setzet sich auf Seine Nachtigall weckt flötend ihn wieder auf, ein Grab Wann da- liebliche Frühroth Und beschauet die Kreuze Durch die Bäum' auf sein Bette scheint. Mit dem wehenden Todtenkranz Dann bewundert er dich, Gott, in der Mor- Und das steinerne Mal unter dem Fliederbusch, gmflur, Wo ein biblischer Spruch freudig zu sterben In der steigenden Pracht deiner Verkünderinn, lehrt, Deiner herrlichen Sonne, Wo der Tod mit der Sense Dich im Wurm und im Knospenzweig; Und ein Engel mit Palmen steht. Ruht im wehenden GraS, wann sich die Kühl' Wunderseliger Mann, welcher der Stadt ent­ ergießt, floh! Oder strömet den Quell über die Blumen auS; Engel segneten ihn, als er geboren ward, Trinkt den Athem der Blüthe, Streuten Blumen de- HimmelTrinkt die Milde der Abendluft. Auf die Wiege de- Knaben auö!

M a i Tanzt dem schönen Mai entgegen, Der, in seiner Herrlichkeit Wiederkehrend, Reiz und Segen Ueber Thal und Hügel streut! Seine Macht verjüngt und gattet Alles, was der grüne Wald, Was der zarte Halm beschattet Und die laue Wog' umwallt. Tanz, o Jüngling! tanz, o Schöne, Die deS Maies Hauch verschönt' Menget Lieder ins Getöne, DaS die Morgenglocke tönt, Ins Gesäusel junger Blätter Und der holden Nachtigall LiebejauchzendeS Geschmetter; Und erweckt den Wiederhall. Zinnow's deutsch. Ged. Samml.

lieb.

Flieht der Stadt umwölkte Zinnen! Hier, wo Mai und Lieb' euch ruft, Athmet, schöne Städterinnen, Athmet frische Maienluft! Irrt mit eurem Sonnenhütchen Auf die Frühling-flur hinaus, Singt ein fröhlich Maienliedchen, Pflücket einen Busenstrauß! Schmückt mit Kirschenblüthenzweigen Euch den grünen Sonnenhut, Schürzt da- Röckchen, tanzet Reigen, Wie die Schäferjugend thut; Bienen sumsen um die Blüthe, Und der Westwind schwärmt sich matt, Schwärmt und haucht auf eure Hüte Manches weiße Blüthenblatt.

16

242

Au-wig Heinrich Christoph H-lty. Ln die Ruhe.

Tochter Eden-, o Ruh, die du die Finsterniß Stiller Haine bewohnst, unter der Dammerung Mondversilberter Pappeln Mit verschlungenen Armen weilst. Mit dem Schäfer am Bach flötest, der Schä­ ferinn Unter Blumen der Au singest und Kränze flichtst Und dem Schellengeklingel Ihrer tanzenden Schäfchen horchst!

Jeden Lispel deS Baum-, jede- Geräusch deBachs, Jede- ländliche Lied, welche- dem Dorf'entweht, Wandelt, Göttinn, dem Odem Mir in Sphärengesangeston. Hingegossen auf Thau, -lick' ich den Abend­ stern, Deinen Liebling, o Ruh, blick' ich den Mond hinan, Der so fteundlich, so freundlich Durch die nickenden Wipfel schaut!

Wie der Züngling die Braut liebet, so lieb' ich dich, Allgefällige Ruh! spähte dir immer nach, Bald auf duftenden Wiesen, Bald im Busche der Nachtigall!

Ruhe, lächle mir stet-, wie du mir lächeltest, Als mein Knabengelock, mit der entknospe­

Endlich bietest du mir, Herzenerfreuerinn, Deinen himmlischen Kranz, ach? und umar­ mest mich, Wie den flötenden Schäfer, Wie die singende Schäferinn!

Keiner Städterinn Reiz, weder ein blaueS Aug, Noch ein kußlicher Mund, soll mich aus dei­ nem Arm Zu den Hallen deS Tanzes Locken oder deS Opernspiels!

ten Rosenblume bekränzet, Abendlüftchen zum Spiele flog!

Hier bei Früchten und Milch unter dem Halmendack Weil', o Freundinn, bei mir, bi- du mich, an der Hand Eine- lächelnden Mädchen-, Edens Hütten entgegen führst

An

V o ß.

1773. Klimme muthig den Pfad, Bester, den Dor­ nenpfad Durch die Wolken hinauf, bis du den Strah­ lenkranz, Der nur weiseren Dichtern Funkelt, dir um die Schläfe schlingst.

Stille- Trittes, o Voß, wandelt indeß dein Freund Durch Gefilde der Ruh, lauschet der Nach. tigall Und der Stimme de- leisen Mondbeschimmerten WiesenbernS,

Heißer liebe durch dich Enkel und Enkelinn Gott und seine Natur, herzliche Brudertreu, Einfalt, Freiheit und Unschuld, Deutsche Tugend und Redlichkeit.

Singt den duftenden Hain, welchen das Mor­ genroth Ueberflimmert mit Gold' oder den Frühlings­ strauß, Der am Busen de- Mädchens, Mildgeröthet vom Abend, bebt.

Mir auch weinet, auch mir, Wonne' das Mädchen Dank, Küßt mein zärtliche- Lied, drückt e- an ihre Brust, Seufzt: Dn redlicher Jüngling, Warum barg dich die Gruft so früb!

Johann Marlin Miller. — Friedrich ftopoli von Stotberg.

24S

Aufmunterung zur Freude (1776). Wer wollte fich mit Grillen plagen, So lang' uns Lenz und Jugend blühn? Wer wollt' in seinen Blüthentagen Die Stirn' in düstre Falten ziehn? Die Freude winkt auf allen Wegen, Die durch dies Pilgerleben gehn; Sie bringt uns selbst den Kranz entgegen, Wann wir am Scheidewege stehn. Noch rinnt und rauscht die Wiesenquelle; Noch ist die Laube kühl und grün; Noch scheint der liebe Mond so helle, Wie er durch Adams Bäume schien!

Noch macht der Saft der Purpurtraube DeS Menschen krankes Herz gesund; Noch schmecket in der Abendlaube Der Kuß auf rinnt rothen Mund! Noch tönt der Busch voll Nachtigallen Dem Jüngling hohe Wonne zu; Stoch strömt, wenn ihre Lieder schallen, Selbst in zerrißne Seelen Ruh! O wunderschön ist GotteS Erde Und werth, darauf vergnügt zu sein! Drum will ich, bis ich Asche werde, Mich dieser schönen Erde freu'n!

Bekannt sind von Hölty: der arme Landmann an seinen Sohn („Ueb' immer Treu und Redlichkeit"), daS Mailied („Der Schnee zerrinnt"), das Feuer im Walde („3wem Knaben liefen durch den Hain") und: Elegie auf ein Landmädchen („SchwermuthSvoll und dumpfig hallt Geläute").

Johann Martin Miller. (Gedichte von M. Miller. 1783.)

Der Sommerabend. schwane kommen gezogen durch die bläuliche Fluch, Und die erglänzenden Wogen wallen in schäumender Gluth. Laßt unsre Zither erklingen beim Schlummer der Natur, Laßt unsre Lieoer mft singen, bis Sterne begrüßen die Flur! Leise Stimmen der Wonne ziehen durch den Hain, Strahlen der scheidenden Sonne grüßen den trauten Verein. Laßt unsre Zither u. s. w. In den röthlichen Strahlen pranget der Blüthen Gewand, Purpurne, silberne Schaalen schmücken den grünenden Strand. Laßt unsre Zither u. s. w. Lasset durch- Leben uns gehen, fröhlich im trauten Verein; Mögen uns Stürme umwehen, mögen uns Blüthen erfreun! Laßt unsre Zither u. s. w. Bekannt sind von Miller: Zufriedenheit („Was frag ich viel nach Geld und Gut").

Friedrich Leopold von Stolberg. Der Harz (1772). herzlich sei mir gegrüßt, werthes Cheruskaland! Land deS nervigen ArmS und der gefürchteten Kühnheit, freieres Geistes, Denn das blache Gefild umher'

244

Friedrich Leopold von Ktolberg Dir gab Mutter Natur au- ton vergeudenden Urne männlichen Schmuck, Einfalt und Würde dir! Wolkenhöhnende Gipfel, Donnerhallende Ströme dir! 3m antwortenden Thal wallet die goldene Fluth de- Segen- uno strömt in den genügsamen Schooß deS lächelnden Fleißes, Der nicht kärglich die Garben zahlt. Schafe weiden die Trift; auf der gewässerten Aue brüllet der Stier, stampft das gesättigte Roß; die bärtige Ziege Klimmt den zackigen FelS hinan. Wie der schirmende Forst deinem erhabenen Nacken schattet! Er nährt stolzeS Geweihe dir, Dir den schnaubenden Keuler, Der entgegen der Wunde rennt! Dein wohlthätiger Schooß, selten mit goldenem Fluche schwanger, verleiht nützendes Eisen und, DaS den Acker durchschneidet Und daS Erbe der Väter schützt. Dir gibt reinere Luft und die teutonische Keuschheit Jugend von Stahl; moosigen Eichen gleich, Achten silberne Greise Nicht der eilenden Jahre Flug. Dort im wehenden Hain wohnt die Begeisterung; Felsen jauchrten zurück, wenn sich der Barden Sang Unter bebenden Wipfeln Durch daS hallende Thal ergoß. Und dein Hermann vernahm'S! Sturm war sein Arm! sein Schwert Wetterflamme! betäubt stürmten die trotzigen Römeradler, und Freihelt Strahlte wieder im Lande TeutS! Doch deS Heldengeschlechts Enkel verhülleten Hermanns Namen in Nacht, bis ihn (auch er dein Sohn!) Klopstock'S mächtige Harfe Sang der horchenden Ewigkeit. Heil, CheruSkta, dir! Furchtbar und ewig steht, Gleich dem Brocken, dein Ruhm! donnernd verkünden dich Freiheitsschlachten! und donnernd Dich unsterblicher Lieder Klang!

Die

Natur

(1773).

Er sei mein Freund nicht, welcher die göttliche Natur nicht liebet! Engelgefühle find Ihm nicht bekannt! Er kann mit Inbrunst Freunde nicht, Kinder nicht, Weib nicht lieben! Ihm bebte nie von trunk'ner Begeisterung Die stumme Lippe! Schauer begegneten, In hoher Wallung, seiner Seele Nie mit der steigmden Morgensonne.'

Friedrich Leopold von Ktolterg. Zn deinen Wonnebecher, Allgütiger, Entfielen niemals Thränen deS Danke- ihm! Sein Erb' ist Taumel oder Schlafsucht! Wehmuth und Wonne de- Weisen Erbe! Er ist kein Sohn der Freiheit? Da- Vaterland Ist Spreu dem Feigen! Sklave, dich freite nicht Die Römerschlacht! Zu meinen Füßen Krümme dich, Raupe, daß dein ich spotte! — Ich seiner spotten? — Weh mir! O, zürne nicht, Du Vater Aller! Wirbel und Staub ergriff Den Mann von Staub, daß er de- StaubeSpottete, den er beweinen sollte! O sei gesegnet, Thräne der Reue, mir! De- Mitleid- Thräne, mehr noch gesegnet, du! Nun werden, wie nach Frühlingöregen, Traulich die Blumen der Au mir lächeln. Nur reinen Herzen duftet der Abendthau Der bunten Lenzflur. Heilig nur ihnen find Der Eiche Schatten. Deine Segen, Einsamkeit, können nur sie erttagen! Woll'st oft, o sanfte Mutter der Weisheit, mich Auf ernste Pfade leiten, im Mondenschein, Wo nur der Denker tiefe Wahrheit Schöpfet unv glühender Stirne wallet! Dann werden oft sich ernste Bettachtungen 3n Harmonteen wandeln; Begeisterung Wird mich erfüllen, daß die Thale Hallen mein Lied und die Felsengänge! Wenn du mich fürder leitest, Natur, so soll Mein Lied dir jauchzen, weil ich ein Jüngling bin! ES soll dich feiern, wenn mit Silber Kürzere Locke die Scheitel schmücket!

Das Rüsthaus in Bern

(1775).

DaS Herz im Leibe thut mir weh, Wenn ich der Väter Rüstung seh; Ich seh' zugleich mit nassem Blick In unsrer Väter Zeit zurück!

Sie Die Die Und

flohn und warfen au- der Faust Fahnen, vom Gewühl zerzaus't; sammelte de- Krteaer- Hand hing sie auf an diese Wand!

Ich greife gleich nach Schwert und Speer; Doch Speer und Schwert sind mir zu schwer; Ich lege traurig ungespannt Den Bogen auS der schwachen Hand.

Viel andre Beute zeuget noch Vom blutig abgeworf'nen Joch, Von der Burgunder Heereömacht Und Uebermuth und eitler Pracht!

DeS Panzer- und deS HelmeS Wucht, Der Schild mit tiefgewölbter Bucht, Des scharfen Beiles langer Schaft Zeugt von der Väter Riesenkraft!

Mit diesen Stricken wollten sie Der Schweizer Hände binden früh, Und, eh' die Sonne sank in- Thal, Beschien sie noch der Stolzen Fall!

Geschwenkt von eines Helven Arm, Hat dieser Panner manchen Schwarm Der stolzen Feind' in mancher Schlacht, Wie scheue- Wildpret, weggejagt.

So, Schweizer, focht der Väter Muth! ES floß für euch ihr theure- Blut! Sie sind de- Enkeldanke- werth. Wohl dem, der sie durch Thaten ehrt!

241

246

Friedrich Feopoid von Stolberg. Bad c l t e b zu fingen im Sunde (1777). ES lockten mich nimmer Die milderen Schimmer Der Sonne so sehr! Die Abendlust hauchet; Auf, Jünglinge, tauchet Die Glieder inS Meer!

Seht Titan, er sinket InS Weltmeer und winket Noch flammend und her! Schamröthend erhebet Sich Luna und bebet Auf östlichem Meer!

Hier, wo sich zwei Meere Begegnen wie Heere, Stürz' ich mich hinab! Mich Sterblichen grüßen Die Nymphen ; ste küssen Die Hitze mir ab!

O rühmliche Wonne, Mit Mond und mit Senne Zu baden im Meer! Die wallenden Gluthen Der purpurnen Fluthen So rund um uns her!

An das Meer (1777). Oft eil' ich aus der Haine Ruh' Du heiliges und weites Meer, Wie ist dein Anblick mir so hehr! Mit Wonne deinen Wogen zu Und senke mich hinab in dich Sei mir im frühen Strahl gegrüßt, Und kühle, labe, stärke mich. Der zitternd deme Lippen küßt! Wohl mir, daß ich, mit dir vertraut, Viel tausendmal dich angeschaut! ES kehrte jedes Mal mein Blick Mit innigem Gefühl zurück.

Der Geist deS Herrn den Xiduer zeugt, Die Erve mütterlich ibn säugt, Auf deiner Wegen blauem Schooß Wiegt seine Phantasie sich groß.

Ich lausche dir mit trunknem Ohr ; ES steigt mein Geist mit dir empor Und senket sich mit dir hinab In der Natur geheimes Grab.

Der blinde Sänger stand am Meer; Die Wogen rauschten um ibn her, Und Riesenthaten goldner Zeit Umrauschten ihn im Feierkleib.

Wann sich zu dir die Sonne neigt, Erröthend in dein Lager steigt, Dann tönet deiner Wogen Klang Der müden Erde Wiegensang.

ES kam zu ihm auf Schwanenschwung Melodisch die Begeisterung, Und JliaS und Odyssee Entstiegen mit Gesang der See.

ES lauschet dir der Abendstern Und winket steundlich dir von fern; Dir lächelt Luna, wann ihr Licht Sich millionenfältig bricht.

Hätt' er gesehn, wär' um ihn her Verschwunden Himmel, Erd' und Meer; Sie sangen vor deS Blinden Blick Den Himmel, Erd' und Meer zurück.

Aden blieb (1764). Die Lüfte hauchen kühl und mild Vom dunklen Buchenwald; ES zittert auf dem See sein Bild, Mit Abendroth durchstrahlt; DaS Schilfrohr säuselt zu dem Tanz Der Welle, die es biegt, Indeß auf ihm mit regem Schwanz Sich leicht die Bachstrlz' wiegt.

Hier rauscht des SeeeS Melodie, Hier tönt der Vögel Klang; ES wird in dieser Symphonie Mein Athem selbst Gesang. Mit jener Ente tauchet sich Mein froher Geist hinab Uno wieget mit den Döglein sich Am Schilfe auf und ab.

Friedrich ftopolb von Ktoiberg.

24?

Gelös 't vom Zoche, kommen nun Die heißen Gäule dort; Es scheucht der Hengst daS Wasserhuhn AuS schwanken Binsen fort. Vom Blumenhügel kommen hier Die Schafe zu der Fluch: Mit starrem Nacken kühlt der Stier Zm Wasser seine Gluch.

Au- ihren hohlen Aestm keucht Die düstre Fledermaus, Trinkt kühle tzuft, und kreischend fleugt Sie aus dem Loch heraus; Sie senkt de- Flügel- Zacken, schweift Mit wilder Scheu und saugt Ertränkte Mücken ein und streift Den See, indem sie taucht.

Sieh, wie der edle, schöne Schwan Mit hohlem Fittig prahlt; Er schimmert, wie der Silberkahn, Der dort am Himmel strahlt; Zwei graue Kinder folgen nach, Die Mutter schließt vaS Heer, Der Vater theilt die Flutb gemach, Stolz, wie ein Schiff im Meer.

Die Erlen athmen süßen Duft, Besprengt mit kühlem Thau; Er tränkt der grauen Dämmrung Lust, Den Hügel unv die Au. Es sauget jedes Blümelein Zm Felde, klein und groß, Ein perlenrundes Tröpfchen ein Zn seinen reinen Schooß

Frei, wie ihn Gott der Herr erschuf, Weiß er von keinem Herrn, Doch kennt er meiner Stimme Ruf Und kommt zu mir von fern. Die Ente flieget schnell herbei; ES harren meiner Hand Die Karpfe und die golvne Schleih' Und drängen sich ans Land.

Und schließet dann sich klüglich zu Und schläft die kurze Nacht Und hüllet sich in sanfte Ruh', Bis daß der Tag erwacht. Am hohen Himmel aber blüht Die schöne Sternenau, Wo Sonne neben Sonne glüht, Auf dunklem Himmelblau.

ES freut sich, was sich freuen kann, Und Alles kann fich freun! Denn Gottes Athem weht uns an, Wir sollen fteudig seyn! Die alte morsche Weide nickt, Mit ihrem Silberhaar, lind fühlet sich vom Thau erquickt Und lockt der Mücken Schaar.

Vom hohen Himmel strahlen sie Empfindung mir inS Herz; Mit Flammenseilen ziehen sie Die Seele himmelwärts. Noch säugt die Erd' als Amme mich Und lullt mich freundlich ein; Bald führt ein sanfter Schlummer mich Zum Vater selbst hinein.

Aus dem Schauspiel: Theseus. Flammend und schön, wie da- Angesicht Der Sonne fich hebt au- dem Purpurmeer, Wenn ihr Strahl leichtes Gewölk golden malt, Und der Schwan badet im Glanz rosiger Fluth, Trat, wie ein Gott, der in Hütten tritt, Der Held in die Nacht, wo de- TodeS Graun Vor ihm floh; raffelnd erscholl dumpf daS Thor Nach ihm her, aber der Held wandelte kühn. Siehe, da rief mit der Liebe Ruf Ste leise, wie Litzpel im Myrtenbusch, Und ihr Glanz leuchtete sonst gegen ihn, Wie der Mond, wenn er durch Wald schimmert int See. Theseus! sie rief-, und sie gab das Band Zhm hin unv versank in der Liebe Angst. ES erlosch, ach! mit dem Strahl threS Blicks Auch ihr Tocht, aber sein Licht ließ ihr der Held!

248

Johann Heinrich Voss. Wandelte kühn durch die Mitternacht, Die ewig in schlängelnder Wölbung haus t, Und er warf nieder daS Scheusal unv ging Mit Gesang hin zu der Braut, Sieger zur Braut! Siehe die Nacht, gleich deS ChaoS Nacht, Gebar, denn e- schwebeten schön aus ihr Ariadne und der Held, Sonn' und dRonb, Und auch wir zündeten und Leben am Strahl! Schimmernd und tönend, ein Sternentanz, Erschallet der Reigen und schwebet leicht. O, auch euch tönet er schön, schwebt er schön, Die ihr lang', harrend auf uns, zagtet daheim. Väter, wir sind, und ihr Mütter, sind Bei euch! bei den Schwestern und Brüdern sind Wir daheim! Danket auch ihr! Siegend rief Er der Schmach: wende fcicV! gab Leben und Ruhm!

Bekannt sind von Stolberg: Lied eines deutschen Knaben („Mein Arm ist stark und groß mein Muth"), Lied eines alten schwäbischen Ritters an seinen Sohn („Sohn, da hast du meinen Speer") und Romanze („In der Väter Hallen ruhte").

Johann Heinrich Boß. l Sämmtliche Gedichte von I. H. Veß.

KenigSberg 1925. 4 Ddc.1

Der Winterschmaus. schneidender Ostorkan aus Sibirien saus t am Doppelfenster: Bepackt mit Feurung knarrt im Frost die Lastfuhr. Weder den Schnee durchklingelt ein Schlittener, noch umschwebt ein Läufer Mit Stahl der Eisbahn blankgefegten Marmor. Einzele traben tnt Sturm, wie gefittiget; auch das arme Mägdlein Knirrt rasche- Fußtritts, Haub' und Mantel haltend. Selbst im Stalle der Hahn traurt klösterlich, krähet kaum und duldet, Gelockt zum Futter, Kräh' als Gast und Sperling. Stolberg, trotz dem Orkan, wie er wintere, komm in falber Wildschur, Dem Bärenturban dicken Dampf entathmend! Keck in dichter Karosse begleite dich zarter Frau'n Gesellschaft, Die rothe Wang' halb eingemummt in Rauchwerk. Lenz hier wärmt das Gemach und Heiterkeit. Lenz umgrünt das Fenster llnv höhnt des Frostes blumenhast Gegaukel. Lenz in dem Käfige singt der Kanarier, froh des krausen Kohles, Woran Krystall in Heller Sonn' ihm funkelt. Froh, wie in blühender Bäum' Umdämmerung, klingt der Feicrgläser Geläut mit Glückwunsch um dle Hirtentafel. Manches Gesangs Nachhall auö Jonia, mancher Laut vom TibriS, Wo junger Frühling ewig blüht, umweht unS, Mit herzengendes GramS Aufheiterung. Eine Ros' auch spiegelt In deinem Kelchglas purpurroth ihr Antlitz, Die mein kosendes Weib sanft pflegete. Horch, sie duftet lispelnd: „Schnell rollt das Schicksal, blüht mir auch im Winter!"

Johann Heinrich Voss.

249

O b st l i e d. Wohl ist der Herbst ein Ehrenmann; Er bringt und Schnabelwelde. Auch Nas' und Auge lockt er an Und überspinnt, thalab, bergan, DaS Feld mit bunter Seide!

Was blinkt von jener Mauer her So gelb und schwarz im Laube? Die Leiter an! Wie voll und schwer! Den Traubm drängt fich Beer an Beer, Den Ranken Traub' an Traube!

Schon lange lüstert und der Gaum, Aud seinem Korb zu naschen! Wann reift doch Apfel, Pfirsch' und Pflaum? Oft sehn und hören wir im Traum, Wie'd niederrauscht, und haschen.

WaS rauscht und klappert dort und kracht? Da hageltd welsche Nüsse! Frisch, abgehülst und ausgemacht! Wie euch der Kern entgegen lacht, Milchweiß, voll Mandelsuße!

Schaut auf und jubelt hoch im Tanz, Wie sich die Baume färben! Gelb, roth und blau in buntem Glanz! Er kömmt, er kömmt im Asterkranz, Der Herbst mit vollen Körben!

Der Baum dort mit gestütztem Ast Will auch so gerne geben! Den Apfelbrecher her in Hast, Und nehmt behend' ihm seine Last, Im Winter hoch zu leben!

Von Früchten regnet'd rund herum, Und wad nur gehn kann, sammelt: Der Eine läuft den Andern um, Der schreit und macht den Rücken krumm; Und Alles schmaus't und dammelt.

Am Abend prang', o Herbst, zur Schau Dein Opfer auf dem TischeEin hoher Pyramidenbau Von edler Frucht, gelb, roch und blau, In lachendem Gemische!

Komm, Boread, und stürme du DaS Laub den Bäumen nieder! Wir machen dir daS Pförtchen zu Und naschen Nuß und Obst in Ruh Und trinken klaren Eider!

Der siebzigste Geburtstag (1781). Auf die Postille gebückt, zur Seite ded wärmenden OfenS, Saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk Und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare geziert war: Tamm, seit vierzig Jahren in Stolp, dem gesegneten Freidorf, Organist, Schulmeister zugleich und ehrsamer Küster; Der fast Allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit, Einst Taufwaffer gereicht und Sitte gelehrt und Erkenntniß, Dann zur Trauung gespielt und hinweg schon Manchen gesungen. Oft nun faltend die Händ', und oft mit lauterem Murmeln, Lad er die tröstenden Sprüch' und Ermahnungen. Aber allmälig Starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagdschlummer. Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke; Und bei entglittener Brill' und silberfarbenem Haupthaar Lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet, Mit Fuchspelze verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel. Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, Froh des erlebeten Heils. Sein einziger Sohn Zachariad, Welcher ald Kind auf dem Schemel geprediget und, von dem Pfarrer Ausersehn für die Kirche, mit Noth vollendet die Laufbahn, Durch die lateinische Schul' und die theuere Akademie durch : Der war jetzt einhellig erwähleter Pfarrer in Merliz, Und seit kurzem vermählt mit der wirthlichen Tochter ded VorfahrS Fernher hatte der Sohn zur Verherrlichung seines Geburtstags Edlen Taback mit der Fracht und stärkende Weine gesendet,

250

Johann Heinrich Voss. Auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattinn: Hemmeten nicht Hohlweg' und verschmiere Gründe die Durchfahrt, Sicherlich kamen sie Beide, daS Fest mit dem Vater zu feiern Und zu empfahn den Segen von ihm und der würdigen Mutter. Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein harre der Vater Froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die Gesundheit Ihres Sohns Zacharias geklingt und der freundlichen Gattinn, Die sie so gern noch sähen und Töchterchen nennten und bald auch Mütterchen, ach! an der Wiege der Enkelrnn oder des Enkels! Vrel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung, Und wie sich Alles nunmehr auflös' in behagliches Alter: „GureS gewollt, mit Vertraun und Beharrlichkeit, führet zum Ausgang! Solches erfuhren wir selbst, du Trauteste; solches der Sohn auch! Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weinetest: Frau, nur geduldig! Bet' und vertrau! Je größer die Noth, je näher die Rerrnng! Schwer ist aller Beginn; wer getrost fortgehet, der kommt an!" Feuriger rief es der Greis und las die erbauliche Predigt Nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Vater. Doch der balsamische Trank, der altende, lös re dem Alten Sanft den behaglichen Sinn und duftete süße Betäubung. Mütterchen hatte mit Sorg' ihr freundliches Stübchen gezieret, Wo von der Schule Geschäft sie ruheren und mit Bewirthung Rechtliche Gäst' aufnahmen, den Prediger und den Verwalter: Hatte gefegt und geuhlt und mit feinerem Sande gcstreuet Reine Gardinen gehängt um Fenster und lustigen Alkov, Mit rothblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch Und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt, Knospende Ros' und Levtoj' unv spanischen Pfeffer und Goldlack, Sammt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen. Ringsum blinkten gescheu'rt die zinnernen Teller unv Schüsseln Auf dem Gesims'; auch hingen ein Paar stettmische Krüge Blaugeblümt an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing, Desem und Mangelholz und die zierliche Elle von Nußbaum. Aber das grüne Klavrer, vom Greise gestimmt und besaitet, Stand mit bebildertem Deckel und schimmerte; unten befestigt Hing ein Pedal; es lag auf dem Pult ein offnes Ehoralbuch. Auch den eichenen Schrank mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln, Schraubenförmigen Füßen und Schlüsselschilden von Messing, (Ihre selige Mutter, die Küsterinn, kauft' ihn zum Brautschatz:) Hatte sie abgestäubt und mit glänzendem Wachse gebonet. Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe, Beide von GypS, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern, Zween Theetöpse von Zinn und irdene Tassen und Aepfel. AlS sie den Greis wahrnahm, wie er ruht' in athmendem Schlummer, Stand das Mütterchen aus vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl, Langsam, trippelte dann auf knirrenvem Sande zur Wanduhr Lers' und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel, Daß ihm den Schlaf nicht störte daS klingende Glas und der Kuckuk Jetzo sah sie hinaus, wie tue stöbernden Flocken am Finster Rieselten, und wie der Ost dort wirbelte, dort in den Eschen Rauscht' unv der hüpfenden Kräh n Fußtritte verweht' an der Scheuer. Lange mit ernstem Gesicht, ihr Haupt und die Hände bewegend, Stand sie vertieft in Gedanken und flisterte halb, was sie dachte: „Lieber Gott, wie es stürmt und Schnee in den Gründen sich anhäuft! Armer, wer jetzt auf Reffen hindurch muß, ferne der Einkehr! Auch wer, Werb zu erwärmen und Kind, auswandert nach Reisholz, Hungerig oft und zerlumpt! Kein Mensch wohl jagte bei solchem Wetter den Hund aus der Thüre, wer seines Viehs sich erbarmet' Dennoch kommt mein Söhnchen, das Fest mit dem Vater zu feiern! WaS er wollte, das wollt' er, von Kind auf! Gar zu besonders

I-Hinn Hri-rich Voss. Wühlt mir da- Herz! Uub o! wie die Katz' auf dem Tritte de- TischeSchnurrt unv das Pfötchen sich leckt, auch Bart und Nacken fich putzet! DaS bedeutet ja Fremde, nach aller Vernünftigen Unheil!" Sprach- und trat an den Spiegel, die festliche Haube zu ordnen, Welche der Vater verschob, mit dem Kuß ausgleichend den Zwiespalt; Denn er leerte das Glas auf die Enkelinn, sie auf den Enkel. „Richt ganz schäme sich meiner die Frau im modischen Kopfzeug!" Dachte sie leis' im Herzen und lächelte selber der Thorheit. Reben dem schlummernden Greis', an der anderen Ecke des TischeS, Deckte sie jetzo ein Tuch von feingemodeltem Dnllich, Stellete dann die Taffen mit zitternden Händen in Ordnung; Auch die blechene Dos' und darin großklumpigen Zucker, Trug sie hervor aus dem Schrank und scheuchte die sumsenden Fliegen, Die ihr Mann mit der Klappe verschont zur Wintergesellschaft; Auch dem Gesims' enthob sie ein Paar Thonpfeifen mit Posen, Grün und roth, und legte Taback auf den zinnernen Teller. Als sie drinnen nunmehr den Empfang der Kinder bereitet, Ging sie hinaus vorsichtig, damit nicht knarrte der Drücker. AuS der Gefindestube darauf, vom rummelnden Spulrad, Rief sie, die Thür' halb öffnend, Marie, die geschäftige Hausmagd, Welche gehaspeltes Garn von der Wind' abspulte zum Weben, Hastiges Schwungs, von dem Weber gemahnt und eigenem Ehrgeiz. Heiser ertönte der Ruf; und gehemmt war plötzlich der Umschwung: „Flink, lebendige Kohlen, Marie, aus dem Ofen gescharret, Dicht an die Platte der Wand, die den Lehnstuhl wärmet im Rücken; Daß ich frisch (denn er schmeckt viel kräftiger) brenne den Kaffee. Heize mit Kien dann wieder und Torf und büchenem Stammholz, Ohne Geräusch, daß nicht aus dem Schlaf aufwache der Vater. Sinkt das Feuer in Gluth, dann schiebe den knorrigen Klotz nach, Der in die Rächt fortglimme, dem leidigen Froste zur Abwehr. Siebzigjährige sind nicht Fröstlinge, wenn sie im Sommer Gern an der Sonn' ausruhn und am wärmenden Ofen im Winter. Auch für die Kinderchen wohl brauchtö gründliche Wärme zum Aufthau'n." Rasch der Ermahnenden folgte Marie und sprach im Hcrausgehn: „Barsch durchkältet der Ost; wer im Sturm lustreiset, ist unklug; Rur ein wähligeS Paar, wie das unsrige, dammelt hindurch wohl. Wärmenden Trank auch bot ich den Kalberchen heut unv den Milchküh'n, Auch viel wärmende Streu in daS Fach. Schönmädchen und Blüming Brummten am Trog und leckten die Hand und ließen sich kraueln." SprachS; und sobald sie dem Ofen die funkelnden Kohlen entscharret, Legte sie Feu'rung hinein, und weckte die Gluth mit dem Blasbalg, Hustend, und schimpfte den Rauch und wischte die thränenden Augen. Emsig stand an dem Heerde daS Mütterchen, brannte den Kaffee Ueber der Gluth in der Pfann' unv rührte mit hölzernem Löffel: Knatternd schwitzten die Bohnen und bräunten sich, während ein würzig Duftender Qualm aufdampfte, die Küch' und tue Diele durchräuchernd. Sie nun langte die Mühle herab vom Gesimse deS Schornsteins, Schüttete Bohnen darauf, und fest mit den Knieen sie zwängend, Hielt sie den Rumpf in der Linken unv drehete munter den Knopf um; Oft auch hüpfende Bohnen vom Schooß haushälterisch sammelnd, Goß sie auf graues Papier den grobgemahlenen Kaffee. Plötzlich hemmte sie nun die raffelnde Mühl' in dem Umlauf; Und zu Marie, die den Ofen verfpündete, sprach sie gebietend: „Eile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in das BackhauS; Daß, wenn der Schlitten sich naht, das Gebell nicht störe den Vater. Denkt auch T Horns an die Karpfen für unseren Sohn und den Pastor, Der uns zu Abend beehrt, ihr Lieblingsessen von Alters? Hol' er vor dunkeler Rächt; sonst geht ihm der kitzliche Fischer Schwerlich zum Halter hinab. Aus Vorsicht bring' ihm den Beutel.a Denn er auch trockene- Holz für die Bratgans, die wir gestopfet,

252

Johann Heinrich Voss. Splitterte! Bring' ihm da- Bell und bedeut' ihn. Dann im Dorbetgehn Steig' auf den Taubenschlag und steh, ob der Schlitten nicht ankommt. Kaum gesagt, so enteilte Marie, die geschäftige Hau-magd, Nehmend von rusfichter Mauer das Beil und den maschigen Beutel, Lockte den neuen Monarch mit Geburt-tag-brocken znm Backhaus, Fern an den Garten hinab, und schloß mit der Krampe den Kerker. Anfangs kratzte der Dogg' und winselte; aber sobald er Wärme roch vom frischen Gebäck de- festlichen Brote-, Sprang er behend' auf den Ofen und streckt' au-ruhende Glieder. Jene lief in die Scheune, wo Thom- mit gewaltiger Arbeit Häckerling schnitt, denn ihn fror! und ste sagt' in der Eile den Auftrag. „Splittere Holz für die GanS und hol' in dem Beutel die Karpfen, Thomö, vor dunkeler Nacht; sonst geht dir der kitzliche Fischer Schwerlich zum Halter hinab, trotz unserem Sohn und dem Pastor!" ThomS antwortete drauf und stellte die Häckerlinglad' hin: „Splitter, Marie, und Karpfen verschaff' ich dir, früher dann noth ist. Wenn an dem heutigen Tage flch kitzeltch zeiget der Fischer, Treib' ich den Kitzel ihm aus; und bald ist der Halter geöffnet!" Also der rüstige Knecht; da rannte ste durch da- Gestöber, Stieg aus den Taubenschlag und pustete, rieb sich die Hände, Steckte ste unter die Schürz' und schlug fich über die Schultern. Al- sie mit schärferem Blick in deS Schnee- umnebelnden Wirbeln Spähete; flehe da kamS mit verdecktem Gestühl wie ein Schlitten, Welcher vom Berg' in das Dorf herklingelte. Schnell von der Leiter Stieg ste herab und brachte der emsigen Mutter die Botschaft, Welche der Milch abschöpfte den Rahm zu festlichem Kaffee: „Mutter, e- kommt wie ein Schlitten ; ich weiß nicht sicher, doch glaub' ch Also Marie; da verlor die erschrockene Mutter den Löffel; Unter iyr bebten die Knie'; und sie lief mit klopfendem Herzen, AthemloS; ihr entflog im hastigen Lauf der Pantoffel. Jene lief zu der Pfort' unv öffnete. Näher und näher Kam da- Gekling' und daS Klatschen der Peitsch' und der Pferde Getrampel Nun, nun lenkten herein die muthigen Roff' in den Hofraum, Blankgeschirrt; und der Schlitten, mit halb schon offnem Verdeckstuhl, Hielt an der Thür', und e- schnoben, beschneit und dampfend, die Renner. Mütterchen rief: „Willkommen!" daher: „Willkommen, ihr Kindlein! Lebt ihr auch noch?" und reichte die Händ' in den schönen Verdeckstuhl; „Lebt in dem grimmigen Ost mein Töchterchen?" Dann, für sich selber Nur zu sorgen, ermahnt: „Laßt, Kinderchen!" rief sie; „dem Sturmwind Wehret da- Hau-! Ich bm ja vom eisernen Kerne der Dorwelt! Stets war unser Geschlecht steinalt und Verächter deö Wetterö; Aber die jüngere Welt ist zart vnd scheuet die Zugluft." Sprachs; und den Sohn, der dem Schlitten entsprang, umarmte ste eilig Hüllte das Töchterchen dann au- bärenzottigem Fußsack Und liebkosete viel, mit Kuß und bedaurendem Streicheln, Zog dann Beid', in der Linken den Sohn, in der Rechten die Tochter, Rasch in daS HauS, dem Gesinde deS Fahrzeugs Sorge vertrauend. „Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag?" Fragte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die Mutter: „Still! daS Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl! Laß mit kindlichem Kuß dein junges Gemahl ihn erwecken; Dann wird wahr, daß Gott im Schlafe die Seinigen segnet!" Sprachs und führte sie leis' in der Schule gesäubertes Zimmer, Voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Tafeln: Wo ste an Pflöck' aushängte die nordische Wintervermummung, Mäntel, mit Flocken geweißt, und der Tochter bewunderten Leibpelz, Auch den Flor, der die Wangm geschirmt und daS seidene HalStuch. Und sie umschloß die Enthüllten mit strömender Thräne der Inbrunst: „Tochter und Sohn, wtllkommm! an- Herz willkommen noch einmal! Ihr, un- Altenden Freud', in Freud' auch altet und greifet,

Woltgaug von Goethe.

251

Stet- einmüthtge- Ginn- und umwohm von gedeihenden Kindern! Nun mag brechen da-' Auge, da dich wir gesehen im Amt-rock, Sohn, und dich ihm vermahlt, du frisch aufblühende- Herzblatt! Arme- Kind, wie da- ganze Gesicht roth glühet vom Ostwind! O du Seelengeficht! Denn ich duze dich, weil du e- federst! Aber die Stub' ist warm, und gleich soll Kaffee bereit sein!" Ihr um dm Nacken die Arme geschmiegt, liebkos'te die Tochter: „Mutter, ich duze dich auch, wie die leibliche, die mich geboren; Also geschah- in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war: Denn du gebarst und erzogst mir den wackeren Sohn Zacharia-, Der an Wuchs und Gemüth, wie er sagt, nachartet dem Vater. Mütterchen, habe mich lieb; ich will auch artige- Kind sein. Fröhliche- Herz und rothe- Gesicht, da- hab' ich beständig, Auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals, Klopfend die Wang', ich würde noch krank vor lauter Gesundheit." Jetzo sagte der Sohn, sein Weib darstellend der Mutter: „Mütterchen, nehmt sie auf Glauben! So zart und schlank, wie sie dasteht, Ist sie mit Leib und Seele vom edelsten Kerne der Vorwelt. Daß sie der Mutter nur nicht da- Herz abschwatze de- Vater-! Komm denn und bring' als Gabe den zärtlichsten Kuß zum Geburt-tag!" Schalkhaft lächelte drob und sprach die treffliche Gattinn: „Nicht zur Geburt-tagsgabe! WaS Bessere- bring' ich im Koffer Unserem Vater zur Lust und dem Mütterchen, ohne dein Wissen!" Sprach- und faßte dem Manne die Hand; die führende Mutter Oeffnete leise die Thür' und ließ die Kinder hineingehn, Aber die junge Frau, voll Lieb' im lächelnden Antlitz, Hüpfte voraus und küßte den Greis. Mit verwunderten Augen Sah er empor und hing in der trautesten Kinder Umarmung. Bekannt sind von Voß: Tischlied („Gesund und frohe- Muthe-"), Mailted („Seht den Himmel, wie heiter!"), Im Grünen („Willkommen im Grünen!") und Bauernglück („Ihr Städter, sucht ihr Freude")

Goethe und Schiller. Johann Wolfgang von Goethe. (Goethe'- Werke. Stuttgart und Tübiugeu 1828. 55 Bde.)

I. Episches. A.

Aus Hermann unv Dorothea. Erster Gesang.

Kalliope.

Da- Herannahen der französischen Heere hatte die Bewohner der deutschen

Lande jenseit de- Rhein- au- ihrer Heimath vertrieben, und sie suchten Schutz auf dem rechten Rheinufer. Der Zug dieser Unglücklichen ging bei einem kleinen Städtchen vorbei, dessen Bewohner ihnen mancherlei Unterstützung gewahrten. Auch Hermann, der Sohn de- Gastwirth- zum goldnen Löwen, hatte ihnen Lebensmittel und Wäsche hinausgefahren, während seine Eltern vor dem Hause traulich plaudernd saßen. Der Pfarrer und der Apotheker kehrten zurück, die unglückliche Lage, in der die Vertriebenen sich befanden, zu berichten. Im kühleren Zimmer pflogen sie dann weiter freundlichen Gesprächs.

Zweiter Gesang. Terpsichore. Unterdrß war auch Hermann zurückgekommen und erzählte, daß er einem Mädchen, die, hinter dem Zuge der übrigen Vertriebenen zurückgeblieben, für eine arme

254

Johann Woltgang von Goethe.

Wöchnerinn, die ste auf einem Wagen mit stch führte, sein Mitleid angefleht, nicht bloß die mitgegebene Wäsche, sondern auch die Lebenömittel zur Venheilung an die übrigen Flüchtlinge gegeben habe. Man billigt seine That. Der Apotheker preist stch glücklich, daß er in dieser vielleicht auch ihrer Stadt bald nahenden Noth allein stehe und nicht für Frau und Kinder zu sorgen habe. Hermann tadelt diese Gesinnung und erachtet eS deS ManneS würdiger, in dieser Noth daS schwächere Weib zu schützen. Der Vater lobt ihn deshalb, und auch die Mutter erinnert sich mit Freuden, daß ihr Ehebund in den Zeiten deS Unglücks geschlossen sei. Ja, der Vater ermuthigt ihn, ihm bald eine Schwiegertochter ins HauS zu führen und schlägt ihm eine der Töchter deS gegenüber wohnenden reichen Kaufmanns vor. Da ihn diese aber oster wegen seiner nicht modischen Kleidung verspot­ tet haben, so will Hermann sich um sie nicht weiter bewerben. Der Vater wird zornig darüber, und der Sohn verläßt schweigend das Zimmer.

Dritter Gesang. Thalia. Der Vater klagt über die Gesinnung seines Sohnes, der nicht nach Hö­ herem und Besserem strebe. Er rühmt, wie er und seine Mitbürger viel zur Verschöne­ rung der Stadt beigetragen, aber nicht die Hoffnung hege, daß sein Sohn eben so han­ deln werde. Die Mutter vertheidigt den Sohn und verläßt das Zimmer, um ihn auszu­ suchen. Die Herren führen ihr Gespräch in ähnltcher Weise weiter.

Vierter Gesang. Euterpe. Die Mutter suchet den Sohn im Stall, im Garten, im Weinberg und findet ihn endlich an der Grenze ihrer Ländereien unter einem Birnbaum weinend sitzend. Er führt als Ursach seines Kummers die Noth und Bedrängniß seines Vaterlandes an und theilt ihr den Entschluß mit, noch an demselben Tage in die Reihen der Kämpfer zu treten. Die Mutter findet aber dennoch den wahren Grund seiner Bekümmerniß auf und weiß ihn zu dem Geständniß zu bewegen, daß jenes vertriebene Mädchen, der er die Un­ terstützungen zur Venheilung gegeben, sein Herz gewonnen habe.

Fünfter Gesang. Polyhymnia. Aber es saßen die Drei noch immer sprechend zusammen, Mit dem geistlichen Herrn der Apotheker beim Wirthe; Und es war das Gespräch noch immer eben dasselbe, Das viel hin und her nach allen Seiten geführt ward. Aber der treffliche Pfarrer versetzte, würdig gesinnt, braus: „Widersprechen will ich euch nicht. Ich weiß es, der Mensch soll Immer streben zum Bessern; und, wie wir sehen, er strebt auch Immer dem Höheren nach, zum wenigsten sucht er das Neue, Aber geht nicht zu weit! Denn neben diesen Gefühlen Gab die Natur uns auch die Lust, zu verharren im Alten Und sich dessen zu freun, was Jever lange gewohnt ist. Aller Zustand ist gut, der natürlich ist und vernünftig. Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig; Denn die Tage sind kurz, und beschränkt der Sterblichen Schicksal. Niemals tadl' ich den Mann, der immer, thätig und rastlos Umgetrieben, das Meer und alle Straßen der Erve Kühn und emsig befährt und sich des Gewinnes erfreuet, Welcher sich reichlich um ihn und um die Seinen herum häuft; Aber jener ist auch mir werth, der ruhige Bürger, Der sein väterlich Erbe mit stillen Schritten umgehet Und die Erve besorgt, so wie es die Stunden gebieten. Nicht verändert sich ihm in jedem Jahre der Boden, Nicht streckt eilig der Baum, der neugepflanzte, die Arme Gegen den Himmel aus, mit reichlichen Blüthen gezieret. Nein, der Mann bedarf der Geduld; er bedarf auch deS reinen. Immer gleichen, ruhigen Sinns und des graden Verstandes. Denn nur wenige Samen vertraut er der nährenden Erde, Wenige Thiere nur versteht er mehrend zu ziehen; Denn daS Nützliche bleibt allein fein ganzer Gedanke.

Astzmm Wotlgang »on Goethe. Glücklich, wem die Natur ein so gestimmtes Gemüch gab! Er ernähret un- alle. Und Heil dem Bürger de- kleinen Städtchen-, welcher ländlich Gewerb' mit Bürgergewerb' paart! Auf ihm liegt nicht der Druck, der ängstlich den Landmann beschränket; Ihn verwirrt nicht die Sorge der vtelbegehrendeu Städter, Die dem Reicheren stets und dem Höheren, wenig vermögend, Nachzustreben gewohnt sind, besonders die Weiber und Mädchen. Segnet immer darum des Sohnes ruhig Bemühen Und die Gattinn, die einst er, die gleichgesinnte, sich wählet." Also sprach er. ES trat die Mutter zugleich mit dem Sohn ein. Führend ihn bei der Hand und vor den Gatten ihn stellend. „Vater," sprach sie, „wie oft gedachten wir, unter einander Schwatzend, deS fröhlichen Tags, der kommen würde, wenn künftig Hermann, seine Braut sich erwählend, unS endlich erfreute! Hin und wieder dachten wir da; bald dieses, bald jenes Mädchen bestimmten wir ihm mit elterlichem Geschwätze. Nun ist er kommen der Tag; nun hat die Braut ihm der Himmel Hergeführt und gezeigt, es hat sein Herz nun entschieden. Sagten wir damals nicht immer: er solle selber sich wählen? Wünschtest du nicht noch vorhin, er möchte heiter und lebhaft Für ein Mädchen empfinden? Nun ist die Stunde gekommen! Ja, er bat gefühlt und gewählt und ist männlich entschieden. Jenes Mädchen ist'S, die Fremde, die ihm begegnet. Gieb sie ihm; oder er bleibt, so schwur er, im ledigen Stande." Und eS sagte der Sohn: „Die gebt mir, Vater! Mein Herz hat Rein und sicher gewählt; euch ist sie die würdigste Tochter." Aber der Vater schwieg. Da stand der Geistliche schnell auf. Nahm daS Wort und sprach: „Der Augenblick nur entscheidet Ueber daS Leben des Menschen und über sein ganzes Geschicke; Denn nach langer Berathung ist doch ein jeder Entschluß nur Werk deS Moments, eS ergreift doch nur der Verständ'ge daS Rechte. Immer gefährlicher ist'S, beim Wählen dieses und jenes Nebenher zu bedenken und so daS Gefühl zu verwirren. Rein ist Hermann; ich kenn' ihn von Jugend auf; und er streckte Schon als Knabe die Hände nicht auS nach diesem und jenem. WaS er begehrte, daS war ihm gemäß; so hielt er es fest auch. Seid nicht scheu und verwundert, daß nun aus einmal erscheinet, WaS ihr so lange gewünscht. Es hat die Erscheinung fürwahr nicht Jetzt die Gestalt deS Wunsches, so wie ihr ihn etwa geheget.^ Denn die Wünsche verhüllen uns selbst daS Gewünschte; die Gaben Kommen von oben herab, in ihren eignen Gestalten. Nun verkennet es nicht, das Mädchen, das eurem geliebten, Guten verständigen Sohn zuerst die Seele bewegt hat. Glücklich ist der, dem sogleich die erste Geliebte die Hand reicht, Dem der liebltchste Wunsch nicht heimlich im Herzen verschmachtet! Ja, ich seh' eS ihm an, eS ist sein Schicksal entschieden. Wahre Neigung vollendet sogleich zum Manne den Jüngling. Nicht beweglich ist er; ich fürchte, versagt ihr ihm dieses, Gehen die Jahre dahin, die schönsten, in traurigem Leben." Da versetzte sogleich der Apotheker bedächtig, Dem schon lange das Wort von der Lippe zu springen bereit war: „Laßt unS auch dießmal doch nur die Mittelstraße betreten! Eile mit Weile! daS war selbst Kaiser AugustuS Devise. Gerne schick' ich mich an, den lieben Nachbarn zu dienen, Meinen geringen Verstand zu ihrem Nutzm zu brauchen: Und besonder- bedarf die Jugend, daß man fie leite.

255

256

Johann Nloltgang von Voethe. Laßt mich also hinauS; ich will eS prüfen, daS Mädchen, Will die Gemeinde befragen, in der fie lebt und bekannt ist. Niemand betrügt mich so leicht; ich weiß die Worte zu schätzen." Da versetzte sogleich der Sohn mit geflügelten Motten: „Thut eS, Nachbar, und geht und erkundigt euch. Aber ich wünsche, Daß der Herr Pfarrer sich auch in eurer Gesellschaft befinde; Zwei so treffliche Männer sind unverwerfliche Zeugen. O, mein Dater! sie ist nicht hergelaufen, daS Mädchen, Keine, die durch das Land auf Abenteuer umherschweift Und den Jüngling bestrickt, den unerfahrnen, mit Ränken. Nein; das wilde Geschick deS allverderblichen Krieges, DaS die Welt zerstört und manches feste Gebäude Schon aus dem Grunde gehoben, hat auch die Arme vertrieben. Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt nun im Elend? Fürsten fliehen vermummt, und Könige leben verbannet. Ach, so ist auch sie, von ihren Schwestern die beste, AuS dem Lande getrieben; ihr eignes Unglück vergessend, Steht sie Anderen bei, ist ohne Hülfe noch hülfreich. Groß sind Jammer und Noth, die über die Erde sich breiten; Sollte nicht auch ein Glück aus diesem Unglück hervorgehn, Und ich, im Arme der Braut, der zuverlässtgen Gattinn, Mich nicht erfreuen deS Kriegs, so wie ihr des Brandes euch freutet?" Da versetzte der Vater und that bedeutend den Mund auf. „Wie ist, o Sohn, dir die Zunge gelöst, die schon dir im Munde Lange Jahre gestockt und nur sich dürftig bewegte! Muß ich doch heut' erfahren, was jedem Vater gedroht ist: Daß den Willen deS Sohns, den heftigen, gerne die Mutter Allzu gelinv begünstigt, und jeder Nachbar Parthei nimmt, Wenn es über den Vater nur hergeht oder den Ehmann. Aber ich will Euch zusammen nicht widerstehen; waS hüls es? Denn ich sehe doch schon hier Trotz und Thränen im voraus. Gehet und prüfet und bringt in GotteS Namen die Tochter Mir inS HauS; wo nicht, so mag er daS Mädchen vergessen." Also der Vater. Es rief der Sohn mit froher Gebärde. „Noch vor Abend ist euch die trefflichste Tochter bescheret, Wie sie der Mann sich wünscht, dem ein kluger Sinn in der Brust lebt. Glücklich ist die Gute dann auch, so darf ich es hoffen. Ja, sie danket mir ewig, daß ich ihr Vater und Mutter Wiedergegeben in euch, so wie sie verständige Kinder Wünschen. Aber ich zaudre nicht mehr; ich schirre die Pferde Gleich und führe die Freunde hinaus auf die Spur der Geliebten, Ueberlasse die Männer stch selbst und der eigenen Klugheit, Richte, so schwör' ich euch zu, mich ganz nach ihrer Entscheidung, Und ich seh' es nicht wieder, als bis eS mein ist, daö Mädchen." Und so ging er hinaus, indessen Manches die Andern Weislich erwogen und schnell die wichtige Sache besprachen. Hermann eilte zum Stalle sogleich, wo die muthigen Hengste Ruhig standen und rasch den reinen Hafer verzehrten Und das trockene Heu, auf der besten Wiese gehauen. Eilig legt' er ihnen darauf daS blanke Gebiß an, Zog die Riemen sogleich durch die schön versilberten Schnallm Und befestigte dann die langen, breiteren Zügel, Führte die Pferde heraus in den Hof, wo der willige Knecht schon Vorgeschoben die Kutsche, fie leicht an der Deichsel bewegend. Abgemessen knüpften sie braus an die Wage mit saubern Stricken die rasche Kraft der leicht hinziehenden Pferde.

JWm W-lt-aag v,n Goethe. Hermann faßte die Peitsche; dann saß er und rollt' in dm Thorweg. AlS die Freunde nun gleich die geräumigen Plätze genommen, Rollte der Wagm eilig und ließ daS Pflaster zurücke, Ließ zurück die Mauern der Stadt und die reinlichen Thürme. So fuhr Hermann dahin, der wohlbekannten Chaussee zu, Rasch und säumete nicht und fuhr bergan wie bergunter. AlS er aber nunmehr den Thurm des Dorfes erblickte, Und nicht fern mehr lagen die gartenumgebenen Häuser, Dacht' er bei fich selbst, nun anzuhalten die Pferde. Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet, Die Jahrhunderte schon an dieser Stelle gewurzelt, War mit Rasen bedeckt ein weiter grünender Anger Vor dem Dorfe, den Bauern und nahen Städtern ein Lustort. Flachgegraben befand fich unter den Bäumen ein Brunnen. Stieg man die Stufen hinab, so zeigten fich steinerne Bänke, RingS um die Quelle gesetzt, die immer lebendig hervorquoll, Reinlich, mit niedriger Mauer gefaßt, zu schöpfen bequemlich. Hermann aber beschloß, in diesem Schatten die Pferde Mit dem Wagen zu halten. Er that so und sagte die Worte: „Steiget, Freunde, nun auS und geht, damit ihr erfahret, Ob daS Mädchen auch werth der Hand sei, die ich ihr biete. Zwar ich glaub' eS, und mir erzählt ihr nichts Neues und Seltne-; Hätt' ich allein zu thun, so ging' ich behend zu dem Dorf hin, Und mit wenigen Worten entschiede die Gute mein Schicksal. Und ihr werdet fie bald vor allen Andern erkennen; Denn wohl schwerlich ist an Bildung ihr eine vergleichbar. Aber ich geb' euch noch die Zeichen der reinlichen Kleider: Denn der rothe Latz erhebt den gewölbeten Busen, Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an; Sauber hat sie den Saum des Hemdes zur Krause gefaltet, Die ihr da- Kinn umgibt, das runde, mit reinlicher Anmuth; Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund; Stark find vielmal die Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt; Vielgefaltet und blau fängt unter dem Latze der Rock an Und umschlägt ihr im Gehn die wohlgebilveten Knöchel. Doch das will ich euch sagen unv noch mir ausdrücklich erbitten: Redet nicht mit dem Mädchen und laßt nicht merken die Absicht, Sondern befraget die Andern und hört, waS sie Alles erzählen. Habt ihr Nachricht genug, zu beruhigen Vater und Mutter, Kehret zu mir dann zurück, und wir bedenken daS Weitte. Also dacht' ich mir'ö aus, den Weg. her, den wir gefahren." Also sprach er. ES gingen darauf die Freunde dem Dorf zu, Wo in Gärten und Scheunen und Häusern die Menge von Menschen Wimmelte, Karrn an Karrn die breite Straße dahin stand. Männer versorgten daS brüllende Vieh und die Pferd' an den Wagen, Wäsche trockneten emsig auf allen Hecken die Weiber, Und es ergötzten die Kinder sich plätschernd im Wasser des BacheS. Also durch die Wagen sich drängend, durch Menschen und Thiere, Sahen sie rechts und links sich um, die gesendeten Späher, Ob sie nicht etwa da- Bild deS bezeichneten Mädchens erblickten; Aber keine von Allen erschien die herrliche Jungfrau. Stärker fanden fie bald das Gedränge. Da war um die Wagen Stteit der drohenden Männer, worein sich mischten die Weiber, Schreiend. Da nahte sich schnell mit würdigen Schritten ein Alter, Trat zu den Scheltenden hin; und sogleich verklang das Getöse, Als er Ruhe gebor und väterlich ernst sie bedrohte. „Hat uns," rief er, „noch nicht das Unglück also gebändigt, Daß wir endlich verstehn, unS unter einander zu dulden

Zinnow's deutsch. Ged. Sammt.

17

267

256

Johann Wathaag von Goethe. Und zu vertragen, wenn auch nicht Zeder die Handlungen abmißt? Unverträglich firrwahr ist der Glückliche! Werden die Leiden Endlich euch lehren, nicht mehr, wie sonst, mit dem Bruder zu hadern? Gönnet einander den Platz auf fremdem Boden und theilet WaS ihr habet, zusammen, damit ihr Barmherzigkeit findet." Also sagte der Mann, und Alle schwiegen; vertraglich Ordneten Vieh und Wagen die wieder besänftigten Menschen Als der Geistliche nun die Rede deS Manne- vernommen Und den ruhigen Sinn deS fremden Richters entdeckte, Trat er an ihn heran und sprach die bedeutenden Worte: „Vater, fürwahr! wenn das Volk in glücklichen Tagen dahin lebt. Bon der Erde stch nährend, die weit und breit sich aufthut Und die erwünschten Gaben in Jahren und Monden erneuert, Da geht AlleS von selbst, und Zeder ist sich der Klügste, Wie der Beste; und so bestehen sie neben einander, lind der vernünftigste Mann ist wie ein andrer gehalten: Denn waS AlleS geschieht, geht still, wie von selber, den Gang fort. Aber zerrüttet die Roth die gewöhnlichen Wege des Lebens, Reißt daS Gebäude nieder und wühlet Garten und Saat um, Treibt den Mann und das Weib vom Raume der traulichen Wohnung, Schleppt in die Irre sie fort, durch ängstliche Tage und Nächte: Ach! da sieht man sich um, wer wohl der verständigste Mann sei, Und er redet nicht mehr die herrlichen Worte vergebens Sagt mir, Vater, ibr seyd gewiß der Richter von diesen Flüchtigen Männern, der ihr sogleich die Gemüther beruhigt? Za, ihr erscheint mir heut' als einer der ältesten Führer, Die durch Wüsten und Irren vertriebene Völker geleiten. Denk' ich doch eben, ich rede mit Josua oder mit Moses." Und eS versetzte darauf mit ernstem Blicke der Richter: „Wahrlich unsere Zeit vergleicht sich den seltensten Zeiten, Die die Geschichte bemerkt, die heilige, wie die gemeine. Denn wer gestern und heut' in diesen Tagen gelebt hat, Hat schon Jahre gelebt: so drängen sich alle Geschichten. Denk' ich ein wenig zurück, so scheint mir ein graues Alter Auf dem Haupte zu liegen, und doch ist die Kraft noch lebendig O, wir Anderen dürfen uns wohl mit jenen vergleichen, Denen in ernster Stund' erschien im feurigen Busche Gott der Herr; auch unS erschien er in Wolken und Feuer." Als nnn der Pfarrer darauf noch weiter zu sprechen geneigt war Und das Schicksal des MannS und der Seinen zu hören verlangte, Sagte behend der Gefährte mit heimlichen Worten in's Ohr ihm. „Sprecht mit dem Richter nur fort und bringt das Gespräch auf das Mädchen Aber ich gehe herum, sie aufzusuchen, und komme Wieder, sobald ich sie finde." Es nickte der Pfarrer dagegen, Und durch die Hecken und Gärten und Scheunen suchte der Späher. Sechster Gesang.

Klio. Der Geistliche sprach mit dem Richter im Allgemeinen über die Schrecken de- Krieges, während der Apotheker umherging, das Mädchen aufzusuchen, bald aber zu­ rückkam, um dem Geistlichen anzuzeigen, daß er sie aufgefunden. Der Geistliche ging mit ihm und fand die äußere Erscheinung des Mädchens lieblich unv würdig: der Richter, bet dem er sich erkundigte, lobte sie aber in jeder Hinsicht, und so eilten die beiden Freunde, Hermann diese Botschaft zu bringen. Dieser wollte nun allein zurückbleiben, um die Ein­ willigung deS Mädchens sich zu holen; die beiden Freunde fuhren deshalb allein nach Hause zurück. Siebenter Gesang.

Erato. Während Hermann noch nachdenkend dastand, kam das Mädchen auS dem Dorfe, um an dem Brunnen zu schöpfen. Als sie erstaunt fragte, wie er hieber gekom-

Istzsim Wolkgmig Mn Goethe

299

mm, deutete er ihr an, daß er um ihretwillen gekommen, um fit als Gehülfin für seine Mutter ins Hau- zu führen. Sie willigte ein, kehne in» Dorf zurück, nahm von der Wöchnerin und dem Richter Abschied und folgte Hermann.

Achter Gesang. Melpomene. Sie setzten ihren Weg durch die Felder nach der Stadt fort, indem da- Mädchen unterwegs sich nach dem Charakter de- Vaters und der Mutter erkundigte, um fich danach fügen zu können. Hermann wagte ihr noch nicht zu entdecken, welche Stelle sie im Hause einnehmen sollte, da fie fich selbst nur als Magd bettachtete. Neunter Gesang. Urania. Dies giebt Anlaß zu neuer Verwirrung. Der Vater begrüßt fie so­ gleich als Braut seines SohneS; fie nimmt dies für Spott und will da- HauS sogleich verlassen. Der Pfarrer wirft ihr diese Empfindlichkeit als Unrecht vor, und fie entdeckt in ihrer Gegenrede ihre Neigung für Hermann. Dieser erhält dadurch den Muth, ihr die wahre Lage der Sache zu entdecken, und so werden fie unter dem Segen der Eltern von dem Pfarrer sogleich verlobt.

B. Balladen. Der

Sänger.

„WaS hör' ich draußen vor dem Thor. Was auf der Brücke schallen? Laß den Gesang vor unserm Ohr Zm Saale wiederhallen!" Der König sprach'S, der Page lief; Der Knabe kam, der König rief: „Laßt mir herein den Alten!"

„Die goldne Kette gieb mir nicht, Die Kette gieb den Rittern, Vor deren kühnem Angesicht Der Feinde Lanzen splittern; Gieb fie dem Kanzler, den du hast, Und laß ihn noch die goldne Last Zu andern Lasten tragen.

„Begrüßet seid mir, edle Herrn, Gegrüßt ihr, schöne Damen! Welch reicher Himmel! Stern bei Stern! Wer kennet ihre Namen ? Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit Schließt, Augen, euch; hier ist nickt Zeit, Sich staunend zu ergötzen."

Ich finge, wie der Vogel fingt, Der in den Zweigen wohnet; Das Lied, das au- der Kehle dringt, Ist Lohn, der reichlich lohnet. Doch darf ich bitten, bitt' ich einS: Laß mir den besten Becher Weins In purem Golde reichen."

Der Sänger drückt' die Augen ein Und schlug in vollen Tönen; Die Ritter schauten muthig drein, Und in den Schooß die Schönen. Der König, dem daS Lied gefiel, Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel, Eine goldne Kette reichen.

Er setzt' ihn an, er trank ihn auS: „O Trank voll süßer Labe! O wohl dem hochbeglückten Haus, Wo daS ist kleine Gabe! Ergeht'S euch wohl, so denkt an mich Und danket Gott so warm, als ich Für diesen Trunk euch danke."

E r l k ö n i g. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! ES ist der Vater mit seinem Kind; „Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, „Manch' bunte Blumen find an dem Strand! Er saßt ihn ficher, er hält ihn warm. „Meine Mutter hat manch' gülden Gewand." Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? — Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Krön' unv Schwetf? Mein Sohn, eö tst ein Nebelstreif. —

Mein Vater, mein Vater, unv hörest du nicht, WaS Erlenkönig mir leise verspricht? — Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. —

17

*

260

Johann Voltgang von Goethe.

„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? „Meine Töchter sollen dich warten schön; „Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn „Und wiegen und tanzen und singen dich ein."

„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt -, „Und bist du nicht willig, so brauch' ich Ge­ walt." — Mein Vater, mein Vater, jetzt saßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids gethan! —

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht „ dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? — Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' eS genau; ES scheinen die alten Weiden so grau. —

Dem Vater grauset'S, er reitet geschwind, Er hält in Armen daS ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Noth; Zn seinen Armen das Kind war todt.

D e r

Fischer.

DaS Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Ein Fischer saß daran, Sah nach dem Angel ruhevoll, Kühl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt, und wie er lauscht, Theilt sich die Fluch empor; Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.

Labt sich die liebe Sonne nicht, Der Mond sich nicht im Meer? Kehrt wellenathmend ihr Gesicht Nicht doppelt schöner her? Leckt dich der tiefe Himmel nicht, DaS feuchtverkläne Blau? Lockt dich dein eigen "Angesicht Nicht her in ew'gen Thau?"

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: „Was lockst du meine Brut Mit Wenschenwitz und Menschenlist Hinauf in Todeögluth? Ach wüßtest du, wie'S Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, Und würdest erst gesund.

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Netzt' ihm den nackten Fuß; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll, Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war's um ihn geschehn: Halb zog sie ihn, halb sank er hin Und ward nicht mehr gesehn.

Der König in Thule. ES war ein König in Thule Gar treu biS an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen geldnen Becher gab.

Er saß beim Königsmahle, Die Ritter um ihn her, Auf hohem Vätersaale, Dort auf dem Schloß am Meer.

ES ging ihm nichts darüber, Er leert' lhn jeden Schmaus; Die Augen gingen ihm über, So oft er trank daraus.

Dort stand der alte Zecher, Trank letzte Lebensgluth Und warf den heil'gen Becher Hinunter in die Fluth.

Und als er kam zu sterben, Zahlt' er seine Städt' im Reich, Gönnt' Alle- seinem Erben, Den Becher nicht zugleich.

Er sah ihn stürzen, trinken llnd sinken tief ins Meer. Die Augen thäten ihm sinken; Trank nie einen Tropfen mehr.

Die wandelnde Glocke. ES war ein Kmd, daS wollte nie Zur Kirche sich bequemen, Und Sonntags fand eS stetS ein Wie, Den Weg in 8 Feld zu nehmen.

Die Mutter sprach: ,,Die Glocke tönt Und so ist dir'S befohlen, Und hast du dich nicht hingewöhnt, Sie kommt und wird dich holen."

Johann Wolfgang wn Goethe.

2W

Da- Sänb e- denkt: die Glocke hangt Da droben auf dem Stuhle. Schon hat'S den Weg in'S Feld gelenkt, Als lief eS auS der Schule.

Sie wackelt schnell, man glaubt e- kaum; Das arme Kind im Schrecken ES lauft, eS kommt, als wie im Traum; Die Glocke wird eS decken.

Die Glocke Glocke tönt nicht mehr, Die Mutter hat gefackelt. Doch welch ein Schrecken hinterher! Die Glocke kommt gewackelt.

Doch nimmt eS richtig seinen Husch, Und mit gewandter Schnelle Gilt eS durch Anger, Feld und Busch Zur Kirche, zur Capelle.

Und jeden Sonn - und Feiertag Gedenkt eS an di m Schaven, Läßt durch den e rsten Glockenschlag, Nicht in Person sich laden.

Der getreue Eckart. „O waren wir weiter, o wär' ich zu Haus! Und der eS euch anräth, und der eS befiehlt, Sie kommen. Da kommt schon der nächtliche Er ist es, der gern mit den Kindelrin spielt, GrauSDer alte Getreue, der Eckart. Sie flnd's, die unholvigen Schwestern. Vom Wundermann hat man euch immer Sie streifen heran, und sie finden uns hier, erzählt; Sie trinken daS mühsam geholte, daö Bier, Nur hat die Bestätigung Jedem gefehlt, Und lassen nur leer uns die Krüge." Die habt ihr nun köstlich in Händen." So sprechen die Kinder und drücken sich schnell; Da zeigt sich vor ihnen ein alter Gesell: „Nur stille, Kind! Kinderlein, stille! Die Hulden, sie kommen von durstiger Jagd Und laßt ihr sie trinken, wie's jeder behagt, Dann sind sie euch hold die Unholden."

Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug, Ein Jedes den Aeltern, bescheiden genug Und harren der Schläg' und der Schelten. Doch siehe, man kostet: ein herrliches Bier! Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier, Und noch nimmt tar Krug nicht ein Ende.

Gesagt so geschehn! und da naht sich der Graus Und siehet so grau und so schattenhaft aus, Doch schlürft es und schlampst es auf's beste. Das Bier ist verschwunden, die Krüge sind leer; Nun saust eS und braust eS, daS wüthige Heer, In'S weite Gethal und Gebirge.

Das Wunder eS dauert zum morgenden Tag; Doch fraget, wer immer zu fragen vermag: „Wie ist s mit den Krügen ergangen?" Die Mäuslein sie lächeln, im Stillen ergötzt; Sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt; Und gleich sind vertrocknet die Kruge.

Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell, Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell: „Ihr Püppchen, nur seid mir nicht traurig." — „Wir kriegen nun Schelten und Streich' bis auf's Blut." „Nein keineswegs, Alles geht herrlich und gut, sJtur schweiget und horchet wie Mäuslein!"

Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht, So horchet und folget ihm pünktlich! Und liegt auch das Zünglein in peinlicher Hut, Verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut; Dann füllt sich daS Bier in den Krügen.

Der Tod t e n t a n z. Der Thürmer der schaut zu Mitten der Nacht Hinab auf die Gräber in Lage: Der Mond der hat Alles in's Helle gebracht, Der Kirchhof er liegt, mte am Tage; Da regt sich ein Grab und ein anderes dann: Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann, 2h weißen und schleppenden Hemden.

Das reckt nun, eS will sich ergötzen sogleich, Die Knöchel zur Runde, zum Kranze, So arm und so jung, und so alt und so reich ; Doch hindern die Schleppen am Tanze. Und well hier die Scham nun nicht weiter gebeut, Sie schütteln sich Alle, da liegen zerstreut Die Hemdelein über den Hügeln.

262

Johann Woltgang von Goethe.

Run hebt sich der Schenkel, nun wackelt daBein, Gebärden da giebt cd vertrackte; Dann klipperts und klappert- mitunter hinein, AlS schlüg' man die Hölzlein zum Tacte. Das kommt nun dem Thürmer so lächerlich vor; Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, in'S Ohr; „Gehl hole dir einen der Laken." Gethan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell Run hinter geheiligte Thüren. Der Mond und noch immer er scheinet so hell ßunt Tanz, den sie schauderlich führen. Doch endlich verlieret sich dieser und der, Schleicht Eins nach dem Andern gekleidet einher, Und husch! ist cs unter dem Nasen.

Rur Einer, der trippelt und stolpett zuletzt Und tappet und grapst an den Grüften; Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt} Er wittert das Tuch in den Lüften. Er rüttelt die Thurmrhür, ^ste schlägt ihn zurück, Geziert und gesegnet, dem Thürmer zum Glück; Sie blinkt von metallenen Kreuzen. Das Hemd muß er haben, da rastet er nicht, Da gilt auch kein langes Besinnen. Den gothischen Zierrath ergreift nun der Wicht Und klettert von Zinne zu Zinnen. Nun ist's um den Armen, den Thürmer, ge­ than! Er ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan, Langbeinigen Spinnen vergleichbar.

Der Thürmer erbleichet, der Thürmer erbebt, Gern gäb' er ihm wieder den Laken. Da häckelt — jetzt hat er am längsten gelebt — Den Zipfel ein eiserner Zacken. Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins; — Die Glocke sie donnert ein mächtiges Eins, Und unten zerschellt das Gerippe.

Der

Zauberlehrling.

Hat der alte Herenmeister Sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben. Seine Wort' und Werke Merkt' ich und den Brauch, Und mit GeisteSstärke Thu' ich Wunder auch. Walle! walle Manche Sttecke, Daß, zum Zwecke, Wasser fließe Und mit reichem vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder; Wahrlich! ist schon an dem Flusse, Und mit Blitzesschnelle wieder Ist er hier mit raschem Gusse. Schon zum zweiten Male! Wie da- Becken schwillt! Wie fich jede Schale Voll mit Wasser füllt! Stehe! stehe! Denn wir haben Deiner Gaben Vollgemessen! — Ach, ich merk' eS! Wehe! wehe! Hab' ich doch daS Wort vergessen!

Und nun komm, du alter Besen! Nimm die schlechten Lumpenhüllen; Bist schon lange Knecht gewesen; Nun erfülle meinen Willen! Auf zwei Beinen stehe, Oben sei ein Kopf, Eile nun und gehe Mit dem Wassertopf! Walle! walle Manche Strecke Daß, zum Zwecke, Wasser fließe

Ach daS Wort, worauf am Ende Er da- wird, was er gewesen. Ach, er läuft und bringt behende! Wärst du doch der alte Besen! Immer neue Güsse Bringt er schnell herein, Ach! und hundert Flüsse Stürzen auf mich ein. Nein, nicht länger Kann ich'S lassen; Will ihn fassen. Das ist Tücke! Ach! nun wird mir immer bänger! Welche Miene! welche Blicke!

Und mit reichem vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße.

Aßhmm W-tt-«ulg 90 G-ettze. O, du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze HauS ersaufen? Seh' ich. Äer jede Schwelle Doch schon Wafferströme laufnt. Ein verruchter Besen, Der nicht hören will! StoL, der du gewesen, Steh doch wieder M! Willst'- am Ende Gar nicht lassen? Will dich fassen, Will dich halten Und das alte Holz behende Mit dem scharfen Beile spalten.

263

Seht, da kommt er schleppend wieder! Wie ich mich nun auf dich werfe, Gleich, o Kobold, liegst du nieder; Krachend trifft die glatte Scharfe. Wahrlich! brav getroffen! Seht, er ist entzwei! Und nun kann ich hoffen, Und ich athme frei! Wehe! wehe! Beide Theile Stehn in Eile Schon als Knechte Völlig fertig in die Höhe! Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und fle laufen! Naß und nässer Wirds im Saal und auf bnt Stufen. Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister! hör' mich rufen! Ach, da kommt der Meister! Herr, die Noth ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd' ich nun nicht los. „Zn die Ecke, Besen! Besen! Setd'S gewesen. Denn alS Geister Ruft euch nur, zu seinem Zwecke. Erst hervor der alte Meister."

C. Episch-Didaktisches.

L e fl AlS noch, verkannt und sehr gering, Unser Herr auf der Erde ging, llnd viele Jünger flch zu ihm fanden, Die sehr selten sein Wort verstanden, Liebt er sich gar über die Maßen Seinen Hof zu halten auf der Straßen, Weil unter des Himmels Angesicht Man immer besser und freier spricht. Er ließ sie da die höchsten Lehren AuS seinem heiligen Munde hören; Besonders durch Gleichniß und Erempel Macht' er einen jeden Markt zum Tempel. So schlendert' er in Geistes Ruh Mit ihnen einst einem Städtchen zu, Sah etwas blinken auf der Straß', DaS ein zerbrochen Hufeisen waS. Er sagte zu St. Peter drauf: „Heb' doch einmal daS Eisen auf!" Santt Peter war nicht aufgeräumt, Er hatte so eben im Gehen geträumt, So waS vom Regiment der Welt, Was einem Jeden wohlgefällt: Denn im Kopf hat daS keine Schranken.

ende.

Das waren so seine liebsten Gedanken; Nun war der Fund ihm viel zu klein, Hätte müssen Krön' und Zepter sein; Aber wie sollt' er seinen Rücken Nach einem halben Hufeisen bücken? Er also sich zur Seite kehrt Und thut, als hätt' er'S nicht gehört. Der Herr, nach seiner Langmuth, drauf Hebt selber daS Hufeisen auf Und thut auch weiter nicht dergleichen. Als sie nun bald die Stadt erreichen, Geht er vor eine- Schmiede- Thür, Nimmt von dem Manir drei Pfennig dafür. Und als fie über den Markt nun gehen, Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen, Kauft ihrer, so wenig oder so viel, Als man für einen Dreier geben will, Die er sodann nach seiner Art Ruhig int Aermel aufbewahrt. Nun ging'- zum andern Thor hinau-, Durch Wies' und Felder ohne HauS; Auch war der Weg von Bäumen bloß.

264

Johann Vß-llgang mm Goethe

Die Sonne schien, die Hitz' war groß, So daß man viel an solcher Statt' Für einen Trunk Wasser gegeben hatt'. Der Herr geht immer voraus vor Allen, Läßt unversehens eine Kirsche fallen. Samt Peter war gleich dahinter her, Als wenn es ein golvner Apfel wär; DaS Beerlein schmeckte seinem Gaum. Der Herr, nach einem kleinen Raum, Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,

Wornach Sanct Peter schnell sich büch. So läßt der Herr ihn seinen Rücken Gar vielmal nach den Kirschen bücken DaS dauert eine ganze Zeit. Dann sprach der Herr mit Heiterkeit: „Thät'st du zur rechten Zeit dich regn, Hältst du'S bequemer haben mögen. Wer geringe Ding' wenig acht't, Sich um geringere Mühe macht."

Parabolisch Die Frösche. Ein großer Teich war zugefroren, Die Fröschlein, in der Tiefe verloren, Durften nicht ferner quaken noch springen, Versprachen sich aber, im halben Traum, Fänden sie nur da oben Raum, Wie Nachtigallen wollten sie fingen. Der Thauwinv kam, das Eis zerschmolz, Nun ruderten sie und landeten stolz Und saßen am Ufer weit und breit Und quakten, wie vor alter Zeit.

Parabeln aus vom Westöstlichen Divan. Die Perle. Vom Himmel sank in wilder Meere Schauer Ein Tropfe bangend, gräßlich schlug die Fluth; Doch lohnte Gott bescheidnen Glaubensmuth Und gab dem Tropfen Kraft und Dauer. Ihn schloß die stille Muschel ein. Und nun, zu ew'gem Ruhm und Lohne, Die Perle glänzt an unsers Kaisers Krone Mit holdem Blick und mildem Schein.

Die Cassirer. Ein Kaiser hatte zwei Eassirer, Einen zum Nehmen, einen zum Spenden; Diesem fiel'S nur so aus den Händen, Jener wußte nicht, woher zu nehmen. Der Spendende starb; der Herrscher wußte nicht gleich, Wem das Geber-Amt sei anzuvertrauen, Und wie man kaum thät' um sich schauen, So war der Nehmer unendlich reich ; Man wußte kaum vor Geld zu leben, Weil man einen Tag nickts ausgegeben. Da ward nun erst dem Kaiser klar, WaS schuld an allem Unheil war. Den Zufall wußt' er wohl zu schätzen, Nie wieder die Stelle zu besetzen.

Joharm Wottzimg von Goethe. DaS Spinnengewebe. Alle Menschm groß und klein Spinnm sich ein Gewebe fein, Wo sie mit ihrer Scheeren-Spitzen Gar zierlich in der Mitte sitzen. Wenn nun darein ein Besen fährt, Sagen sie, eS sei unerhört, Man habe den größten Palast zerstört.

u.

Lyrisches. A. Lieder.

Schäfers Klagelied. Da droben auf jenem Berge, Da steh' ich tausendmal An meinem Stabe gebogen Und schaue hinab in da- Thal.

Und Regen, Sturm unv Gewitter Verpaff' ich unter dem Baum, Die Thüre dort bleibet verschlossen; Doch Alles ist leider ein Traum.

Dann folg' ich der weidenden Heerve, Mein Hündchen bewahret mir sie. Ich bin herunter gekommen Und weiß doch selber nicht wie.

ES stehet ein Regenbogen Wohl über jenem HauS! Sie aber ist weggezogen, Und weit in das Land hinaus.

Da stehet von schönen Blumen Die ganze Wiese so voll. Ich breche sie, ohne zu wissen, Wem ich sie geben soll.

Hinaus in daS Land und weiter, Vielleicht gar über die See. Vorüber, ihr Schafe, vorüber! Dem Schäfer ist gar so weh.

Trost in Thränen. Wie kommt'S, daß du so traurig bist, Da Alles froh erscheint? Man steht dir's an den Augen an, Gewiß du hast geweint.

So raffe denn dich eilig auf, Du bist ein junges Blut. In deinen Jahren hat man Kraft Und zum Erwerben Muth.

„Und hab' ich einsam auch geweint, So ist'S mein eigner Schmerz, Und Thränen fließen gar so süß, Erleichtern mir daS Herz."

„Ach nein, erwerben kann ich s nicht, ES steht mir gar zu fern. ES weilt so hoch, es blinkt so schön, Wie droben jener Stern."

Die frohen Freunde laden dich, O komm an unsre Brust! Und waS du auch verloren hast, Vertraue den Verlust.

Die Sterne, die begehrt man nicht, Man freut sich ihrer Pracht, Und mit Entzücken blickt man auf In jeder heitern Nacht.

„Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht, WaS mich, den Armen, quält. Ach nein, verloren hab' ich's nicht, So sehr es mir auch fehlt."

„Und mit Entzücken blick' ich aus So manchen lieben Tag ; Verweinen laßt die Nächte mich, So lang' ich weinen mag."

266

266

Johann Woltgang von Goethe. An Mignon.

Ueber Thal und Fluß getragen Ziehet rein der Sonne Wagen. Ach, sie regt in ihrem Lauf, So wie deine, meine Schmerzen, Tief im Herzen Immer Morgen- wieder auf.

Schon seit manchen schönen Jahren Seh' ich unten Schiffe fahren; Jedes kommt an seinen Ort; Aber ach, die steten Schmerzen, Fest im Herzen, Schwimmen nicht im Strome fort.

Kaum will mir die Nacht noch frommen, Denn die Träume selber kommen Nun in trauriger Gestalt, Und ich fühle dieser Schmerzen, Süll im Herzen, Heimlich bildende Gewalt.

Schön in Kleidern muß ich kommen, Au- dem Schrank sind sie genommen, Weil eS heute Festtag ist; Niemand ahnet, daß von Schmerzen Herz im Herzen Grimmig mir zerrissen ist.

Heimlich muß ich immer weinen, Aber freundlich kaun ich scheinen Und sogar gesund und roth; Wären töbtlich diese Schmerzen Meinem Herzen, Ach, schon lange wär' ich todt.

Wandrer's Nachtlied. Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, Ach ich bin des Treibens müde! WaS soll all der Schmerz und Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust!

Ein Gleiches. Ueber allen Gipfeln Ist Nuh', In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch.

Bundeslied. In allen guten Stunden, Erhöbt von Lieb' und Wein, Soll dieses Lied verbunden Von uns gesungen sein! UnS halt der Gott zusammen, Der uns hierher gebracht. Erneuert unsre Flammen, Er hat sie angefacht.

So glühet fröhlich heute, Seid recht von Herzen ein-! Auf, trinkt erneuter Freude Dieß GlaS deS ächten WeinS! Auf, in der holden Stunde Stoßt an und küsset treu, Bei jedem neuen Bunde, Die alten wieder neu!

«5h|«6i Woltg«ÜA M» Vsettze.

2*7

Wer lebt in unserm Kreise UnS hat ein Gott gesegnet Und lebt nicht selig drinn? Mit freiem LebenSblick, Genießt die freie Weise Und Alles, was begegnet, Und treuen Bruderstnn! Erneuert unser Gluck. So bleibt durch alle Zeiten Durch Grillen nicht gedränget, Herz Herzen zugekehrt; Verknickt fich keine Lust; Von keinen Kleinigkeiten Durch Zieren nicht geenget, Wird unser Bund gestört. Schlägt freier unsre Brust. Mit jedem Schritt wird weiter Die rasche Lebensbahn, Und heiter, immer heiter Steigt unser Blick hinan. UnS wird eS nimmer bange, Wenn Alles steigt und fallt, Und bleiben lange, lange! Auf ewig so gesellt.

M i g

non.

Kennst du daS Land, wo die Citronen blühn, Im dunkeln Laub die Gold - Orangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, Kennst du eS wohl? Dahin! Dahin Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

Kennst du daS HauS? Auf Säulen ruht sein Dach, Es glänzt der Saal, eS schimmert daS Gemach, Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: WaS hat man dir, du armes Kind, gtthan? Kennst du eS wohl? Dahin! dahin Möcht' ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn. Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? DaS Maulthier sucht im Nebel seinen Weg; Zn Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; ES stürzt der FelS und über ihn die Fluth. Kennst du ihn wohl? Dahin! Dahin Geht unser Weg! o Vater, laß unS ziehn!

Königlich Gebet. Ha, ich bin der Herr der Welt! mich lieben Die (Solen, die mir dienen. Ha, ich bin Herr der Welt! ich liebe Die Edlen, denen ich gebiete. O gieb mir, Gott im Himmel! daß ich mich Der Höh' und Liebe nicht überhebe!

Harfenspieler aus Wilhelm Meister.

Wer fich der Einsamkeit ergrebt Ach! der ist bald allein. Ein Jeder lebt, ein Jeder liebt Und laßt ihn seiner Pein. Ja, laßt mich meiner Oual! Uno kann ich nur einmal Recht einsam sein,

Es schleicht ein Liebender lauschend sacht, Ob seine Freundinn allein? So überschleicht bei Tag und Nacht Mich Einsamen die Pein, Mich Einsamen die Qual. Ach werd' ich erst einmal Einsam im Grabe sein, Da läßt sie mich allein!

268

Johann "Wolfgang von Goethe. Derselbe. An die Thüren will ich schleichen, Süll und sittsam will ich stehn; Fromme Hand wird Nahrung reichen; Und ich werde weiter gehn. Zeder wird stch glücklich scheinen, Wenn mein Bild vor ihm erscheint; Eine Thräne wird er weinen, Und ich weiß nicht, waS er weint.

Derselbe. Wer nie sein Brod mit Thränen aß, Wer nie die kummervollen Nachte Auf seinem Bette weinend saß. Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!

Ihr führt in'S Leben und hinein, Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Pein: Denn alle Schuld rächt stch aus Erden

B. Hym nen. Gesang der Geister über den Wassern. Schäumt er unmuthig Stufenweise Zum Abgrund.

DeS Menschen Seele Gleicht dem Wasser : Vom Himmel kommt ed, Zum Himmel steigt eS, Und wieder nieder Zur Erde muß es, Ewig wechselnd. Strömt von der hohen Steilen Felswand Der reine Strahl, Dann stäubt er lieblich In Wolkenwellen Zum glatten Fels, Und leicht empfangen, Wallt er verschleiernd, LeiSrauschend, Zur Tiefe nieder. Ragen Klippen Dem Sturz' entgegen,

Im flachen Bette Schleicht er das Wiesenthal hin, Und in dem glatten See Weiden ihr Antlitz Alle Gesttrne. Wind ist der Welle Lieblicher Buhler; Wind mischt vom Grund aus Schäumende Wogen. Seele des Menschen, Wie gleichst du dem Wasser! Schicksal deS Menschen, Wie gleichst du dem Wind!

Prometheus. Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst Und übe, dem Knaben gleich, Der Disteln köpft, An Eichen dich und Bergeshöhn; Mußt mir meine Erde Doch lassen stehn Und meine Hütte, die du nicht gebaut. Und meinen Heerd, Um dessen Gluth Du mich beneidest

Zch kenne nichts AermereS Unter der Sonn', als euch, Götter! Ihr nähret kümmerlich Von Opfersteuern Und Gebetshauch Eure Majestät Und darbtet, wären Ntcht Kinder und Bettler Hoffnungsvolle Thoren.

Wolt-a»g wit G-ettze.

Hast du die Thränen gestillet Je de- Geängsteten? Hat nicht mich zum Manne geschmiedet Die allmächtige Zeit Und da- ewige Schicksal, Meine Herrn und deine?

T-a ich ein Hrrid war, Nich-t wußte, wo au- noch ein, Kehrt' ich mein verirrte- Auge Zur Sonne, als wenn drüber war' Ein Ohr, zu hören meine Klage, Ein Herz, wie mein'-, Sich de- Bedrängten zu erbarmen. Wer half mir Wider der Titanen Uebermuth? Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverei? Hast du nicht Alle- selbst vollendet, Heilig glühend Herz? Und glühtest jung unv gut, Betrogen, Rettung-dank Dem Schlafenden da droben? Ich dich ehren? Wofür? Hast du die Schmerzen gelindert Je de- Beladenen?

San Wie im Morgenglanze Du ring- mich anglühst, Frühling, Geliebter! Mit tausendfacher Liebe-wonne Sich an mein Herz drängt Deiner ewigen Wärme Heilig Gefühl, Unendliche Schöne! Daß ich diesen fassen möcht' In diesen Arm! Ach an deinem Busen Lieg' ich, schmachte, Und deine Blumen, dein GraDrängen stch an mein Herz. Du kühlst den brennenden

Wähntest du etwa, Ich sollte da- Leben hassen, In Wüsten fliehen, Well nicht alle Blüthenträume reiften? Hier fitz' ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, da- mir gleich sei, Zu leiben, zu weinen, Zu genießen und zu freuen sich Und dein nicht zu achten, Wie ich!

m e b. Durst meines Busen-, Lieblicher Morgenwind! Rust drein die Nachtigall Liebend nach mir aus dem Nebelthal. Ich komm', ich komme! Wohin? Ach, wohin? Hinauf! Hinauf strebt'-. Es schweben die Wolken Abwärts, die Wolken Neigen stch der sehnenden Liebe. Mir! Mir! In euerm Schooße Aufwärts! Umfangend umfangen! Aufwärt- an deinen Busen, Allliebender Vater!

Grenzen der Menschh. it. Wenn der uralte Heilige Vater Mit gelassener Hand Aus rollenden Wolken Segnende Blitze Ueber die Erde sä t, Küss' ich den letzten Saum seine- Kleides, Kinvliche Schauer Treu in der Brust. Denn mit Göttern Soll sich nicht messen Irgend ein Mensch. Hebl er stch aufwärts

20»

Und berührt Mit dem Scheitel die Sterne, Nirgends haften dann Die unstchern Sohlen, Und mit ihm spielen Wolken und Winde. Steht er mit festen Markigen Knochen Auf der wohlgegründeten Dauernden Erde; Reicht er nicht auf, Nur mit der Eiche Oder der Rebe Sich zu vergleichen.

Was unterscheidet Götter von Menschen? Daß viele Wellen Vor jenen wandeln, Ein ewiger Strom: Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir »erstufen. Ein kleiner Ring Begrenzt unser Leben, Unv viele Geschlechter Reihen stch dauernd An ihres Daseins Unendliche Kette.

270

Ivhann Vßottgang von Goethe.

C. Elegie. Euphrosyne. Auch von deS höchsten GebirgS beeiSten zackigen Gipfeln Schwindet Purpur und Glanz scheidender Sonne hinweg. Lange verhüllt schon Nacht da- Thal und die Pfade deS Wandrers, Der, am tosenden Strom, auf zu der Hütte fich sehnt, Zu dem Ziele des Tag-, der stillen hirtlichen Wohnung; Und der göttliche Schlaf eilet gefällig voraus, Dieser holde Geselle des Reisenden. Daß er auch heute, Segnend, kränze daS Haupt mir mit dem heiligen Mohn! Aber waS leuchtet mir dort vom Felsen glänzend herüber Und erhellet den Duft schäumender Ströme so hold? Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten und Klüfte? Denn kein irdischer Glanz ist es, der wandelnde, dort. Näher wälzt sich die Wolke, sie glüht. Ich staune dem Wunder'. Wird der rofige Strahl nicht ein bewegte- Gebild ? Welche Göttinn nahet sich mir? und welche der Musen Suchet den treuen Freund, selbst in dem grausen Geklüft? Schöne Göttinn! enthülle dich mir und täusche, verschwindend, Nicht den begeisterten Sinn, nicht das gerührte Gemüth. Nenne, wenn bji es darfst vor einem Sterblichen, deinen Göttlichen Namen, wo nicht: rege bedeutend mich auf, Daß ich fühle, welche du seist von den ewigen Töchtern Zeus, und der Dichter sogleich preise dich würdig im Lied. Kennst du mich, Guter, nicht mehr? Und käme diese Gestalt dir, Die du doch sonst geliebt, schon als ein fremdes Gebild? Zwar der Erde gehör' ich nicht ulehr, und trauernd entschwang sich Schon der schaudernde Geist jugendlich frohem Genuß; Aber ich hoffte, mein Btld noch fest in des Freundes Erinn'rung Eingeschrieben und noch schön durch die Liebe verklärt. Ja, schon sagt mir gerührt dein Blick, mir sagt eS die Thräne. Euphrosyne: sie ist noch von dem Freunde gekannt. Sieh, die Scheidende zieht durch Wald und grause- Gebirge, Sucht den wandernden Mann, ach! in der Ferne noch auf-, Sucht den Lehrer, den Freund, den Vater, blicket noch einmal Nach dem leichten Gerüst irdischer Freuden zurück. Laß mich der Tage gedenken, da mich, das Kind, du dem Spiele Jener täuschenden Kunst reizender Musen geweiht. Laß mich der Stunde gedenken und jedes kleineren Umstands. Ach, wer ruft nicht so gern Unwiederbringliches an! Jene- süße Gedränge der leichtesten irdischen Tage, Ach, wer schätzt ihn genug, diesen vereilenden Werth! Klein erscheinet es nun, doch ach! nicht kleinlich dem Herzen. Macht die Ltebe, tote Kunst, jegliches Kleine doch groß. Denkst du der Stunde noch wohl, wie, auf dem Bretter-Gerüste, Du mich der höheren Kunst ernstere Stufen geführt? Knabe schien ich, ein rührendes Kind, du nanntest mich Arlbur Und belebtest in mir brittischeS Dichter - Gebild, Drohtest mit grimmiger Gluth den armen Augen und wandtest Selbst den thränenden Blick, innig getäuschet, hinweg. Ach! da warst du so hold und schütztest ein trauriges Leben, DaS die verwegene Flucht endlich dem Knaben entriß. Freundlich faßtest du mich, den Zerschmetterten, trugst mich von dannen, Und ich heuchelte lang', dir an dem Busen, den Tod. Endlich schlug die Augen ich auf und sah dich, in ernste, Stille Betrachtung versenkt, über den Liebling geneigt. Kindlich strebt' ich empor und küßte die Hände dir dankbar,

I-Hmm W-1tza»- wn G-ettzr. Reichte zum rdnm Kuß dir dm gefälligen Mund. Fragte: „warum, mein Dater, so ernst? und hab' ich gefehlet, O! so zeige mir an, wie mir da- Beff're gelingt. Keine Muhe verdrießt mich bei dir, und Alles und JedeWiederhol' ich so gern, wmn du mich leitest und lehrst." Aber du faßtest mich stark und drücktest mich fester im Arme, Und eS schauderte mir tief in dem Busen da- Herz. „Nein! mein liebliche- Kind," so riefst du, „Alle- und Jede-, Wie du eS heute gezeigt, zeig' eS auch morgen der Stadt. Rühre ste Alle, wie mich du gerührt, und eö fließen, zum Beifall, Dir von dem trockensten Aug' herrliche Thränen herab. Aber am tiefsten trafst du doch mich, dm Freund, der im Arm dich Hält, den selber der Schein früherer Leiche geschreckt. Ach, Natur, wie sicher und groß in Allem erscheinst du! Himmel und Erde befolgt ewige-, festes Gesetz; Jahre folgen auf Jahre, dem Frühlinge reichet der Sommer, Und dem reichlichen Herbst ttaulich der Winter die Hand. Felsen stehen gegründet, e- stürzt fich da- ewige Wasser, AuS der bewölkten Kluft, schäumend und brausend hinab. Fichten grünen so fort, und selbst die entlaubten Gebüsche Hegen, im Winter schon, heimliche Knospen am Zweig. Alle- entsteht und vergeht nach Gesetz; doch über de- Menschen Leben, dem köstlichen Schatz, herrschet ein schwankende- Loos. Nicht dem blühenden nickt der willig scheidende Vater, Seinem trefflichen Sohn, fteundlich vom Rande der Gruft ; Nicht der Jüngere schließt dem Aelteren immer das Auge, Das flch willig gesenkt, kräftig dem Schwächeren zu. Oefter, ach! verkehrt da- Geschick die Ordnung der Tage; Hülflos klaget ein Greis Kinder und Enkel umsonst, Steht ein beschädigter Stamm, dem ring- zerschmetterte Zweige Um die Seiten umher strömende Schlossen gestreckt. Und so, liebliche- Kind, durchdrang mich die tiefe Betrachtung, Als du rur Leiche verstellt über die Arme mir hingst; Aber freudig seh' ich dich mir, in dem Glanze der Jugend, Vielgeliebte- Geschöpf, wieder am Herzen belebt. Springe ftöhlich dahin, verstellter Knabe! Da- Mädchen Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken heran. Immer strebe so fort, und deine natürlichen Gaben BUde, bei jeglichem Schritt steigenden Leben-, die Kunst. Sei mir lange zur Lust, und eh' mein Auge sich schließet, Wünsch' ich dein schöne- Talent glücklich vollendet zu sehn." Also sprachst du, und nie vergaß ich der wichtigen Stunde! Deutend entwickelt' ich mich an dem erhabenen Wort. O wie sprach ich so gerne zum Volk die rührenden Reden, Die du, voller Gehalt, kindlichen Lippen vertraut! O wie bildet' ich mich an deinen Augen und suchte Dich im tiefen Gedräng' staunender Hörer heraus!

Doch dort wirst du nun sein und stehn, und nimmer bewegt sich Euphroshne hervor, btr zu erheitern den Blick. Du vernimmst ste nicht mehr, die Töne de- wachsenden Zögling-, Die du zu liebendem Schmerz frühe, so frühe! gestimmt. Andere kommen und gehen; es werden dir Andre gefallen, Selbst dem großen Talent drängt sich ein größeres nach Aber du. vergesse mich nicht! Wenn Eine dir jemals Sich im verworrnen Geschäft heiter entgegen bewegt, Deinem Winke flch fügt, an deinem Lächeln sich freuet Und am Platze sich nur, den du bestimmtest, gefällt: Wenn sie Mühe nicht spart noch Fleiß, wenn thätig der Kräfte, Selbst biö zur Pforte de- Grab-, freudige- Opfer sie bringt; Guter! dann gedenkest du mein und rufest auch spät noch:

291

272

Johann Woltgang von Goethe. „Euphrosyne, sie ist wieder erstandm vor mir! Vieles sagt' ich noch gern; doch, ach! die Scheidende wellt nicht, Wie sie wollte; mich führt streng ein gebietender Gott. Lebe wohl! schon zieht mich'- dahin in schwankendem Ellen. Einen Wunsch nur vernimm, freundlich gewähre mit ihn: Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn! Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod. Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneia'S Reiche, massenweis', Schatten vom Namen getrennt; Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet, Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu. Freudig tret' ich einher, von deinem Liede verkündet, Und der Göttinn Blick weilet gefällig auf mir. Mild empfängt sie mich dann und nennt mich; es winken die hohen Göttlichen Frauen mich an, immer die nächsten am Thron. Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber, Auch Euadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl. Jüngere nahen sich dann, zu früh herunter Gesandte Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick. Wenn Antigone kommt, die schwesterlichste der Seelen, Und Polyrena, trüb' noch von dem bräutlichen Tod, Seh' ich als Schwestern sie an und trete würdig zu ihnen; Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie. Bildete doch ein Dichter auch mich; und seine Gesänge, Za, sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt." Also sprach sie, und noch bewegte der liebliche Mund sich Weiter zu reden; allein schwirrend versagte der Ton. Denn auS dem Purpurgewölk, dem schwebenden, immer bewegten, Trat der herrliche Gott Hermes gelassen hervor, Mild erhob er den Stab und deutete; wallend verschlangen Wachsende Wolken, im Zug, beide Gestalten vor mir. Tiefer liegt die Nacht um mich her; die stürzenden Wasser Brausen gewaltiger nun neben dem schlüpfrigen Pfad. Unbezwingliche Trauer befällt mich, entkräftender Jammer, Und ein moosiger Fels stützet den Sinkenden nur. Wehmuth reißt durch die Saiten der Brust; die nächtlichen Thränen Fließen, und über dem Wald kündet der Morgen sich an.

I).

Lyrisch-Didaktisches. Epigramm e.

Ein Kranz ist gar viel leichter binden, Als ihm ein würdig Haupt zu finden.

Zücht'ge den Hund, den Wolf magst ru peitschen; Graue Haare sollst du nicht reizen.

Zwischen heut und morgen Liegt eine lange Frist; Lerne schnell besorgen, Da du noch munter bist.

„Nein! heut' ist mir das Glück erbost'" Du, sattle gut und reite getrost!

Wer sich nicht nach der Decke streckt, Dem bleiben die Füße unbedeckt.

Man hat ein Schimpf - Lied auf dich ge­ macht; Es hat's ein böser Feind erdacht.

ES ließe sich Alle- trefflich schlichten, Könnte man die Sachen zweimal verrichten.

Laß sie'S nur immer singen; Denn eS wird bald verklingen.

AchM*

mm G«eche.

219

Dauert nicht so lang ie den Landen, Al- da-: Christ ist erstanden. Da- dauert schon 1800 Jahr, Und ein Paar drüber, da- ist wohl wahr!

Zahme $ e n i e n. Von heiligen Männern und von weisen Ließ ich mich recht gern unterweisen, Aber es müßte kurz geschehn, Lange- Reden will mir nicht anstehn: Wornach soll man am Ende trachten? Die Welt zu kennen und sie nicht verachten.

Wie einer denkt, ist einerlei, WaS einer thut, ist zweierlei; Macht er's gut, so ist eS recht, Geräth eS nicht, so bleibt eS schlecht.

Hast du eS so lange, wie ich, getrieben; Versuche, wie ich, das Leben zu lieben.

Von Jahren zu Jahren Muß man viel Fremdes erfahren; Du trachte, wie du lebst und leibst, Daß du nur immer derselbe bleibst.

„Warum erklärst du'S nicht und läßt fie gehn?" Geht'- mich denn an, wenn sie mich nicht verstehn?

Nicht- ist zarter als die Vergangenheit, Rühre fie an, wie ein glühend Eisen: Denn sie wird dir sogleich beweisen, Du lebest auch in heißer Zeit.

„Sag nur, wie trägst du so behaglich Der tollen Jugend anmaßlicheS Wesen?" Fürwahr fie waren unerträglich, Wär' ich nicht auch unerträglich gewesen.

Der Sinn ergreift und denkt fich wa-, Die Feder eilt hiernach zu walten: Ein flüchtig Bild, es ist gefaßt, Allein eS läßt fich nicht erhalten.

Ja, da- ist daS rechte Gleis, Daß man nicht weiß, Was man denkt, Wenn man denkt; Alle- ist, als wie geschenkt.

All unser redlichste- Bemühn Glückt nur im unbewußten Momente. Wie möchte denn die Rose blühn, Wenn fie der Sonne Herrlichkeit erkennte!

Das Sonett. Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben, Ist heil'ge Pflicht, die wir dir auferlegen: Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegen Nach Tritt und Schritt, wie es dir vorgeschrieben. Denn eben die Beschränkung läßt fich lieben, Wenn fich die Geister gar gewaltig regen; Und wie fie fich denn auch gebärden mögen, Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben. So möcht' ich selbst in künstlichen Sonetten, In sprachgewandter Maße kühnem Stolze, Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen; Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten, Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze Und müßte nun doch auch mitunter leimen. Zinnkw'- deutsch. Ged. Sammt.

18

2T4

Johann WolLgang von Gorthr.

in. Dramatisches. Jphigenia auf Tauris. Die bekannte griechische Mythe liegt dem Schauspiel zu Grunde. ist der Hain vor Dianens Tempel auf Taun-.

Der Schauplatz

Erster Aufzug. Erster Auftritt. Jphigenia. Heraus ln eure Schatten, rege Wipfel DeS alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Göttinn stiüeS Hciligthum, Tret' ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl, AlS wenn ich sie zum ersten Mal beträte, Und eS gewöhnt sich nicht mein Geist hierher. So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe; Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd. Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten, Und an dem Ufer steh' ich lange Tage, DaS Land der Griechen mit der Seele suchend ; Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Töne brausend mir herüber. Weh dem, der fern von Eltern und Ge­ schwistern Ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram DaS nächste Glück vor seinen Lippen weg, Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken Nach seine- DaterS Hallen, wo die Sonne Zuerst den Himmel vor ihm ausschloß, wo Sich Mitgeborne spielend fest und fester Mit sanften Banden an einander knüpften. Ich rechte mit den Göttern nicht; allein Der Frauen Zustand ist beklagenswerth. Zu Haus' und in dem Kriege herrscht der Mann,

Und in der Fremde weiß er sich zu helfen. Ihn freuet der Besitz; ihn krönt der Sieg! Ein ebrenvoller Tod ist ihm bereitet. Wie eng-gebunden tst des WeibeS Glück! Schon einem rauhen Gauen zu gehorchen, Ist Pstichr und Trost; wie elend, wenn sie gar Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt! So hält mich Thoaö hier, ein edler Mann, In ernsten, heil'gen Sklavenbanden fest. O wie beschämt gesteh' ich, daß ich dir Mit stillem Widerwillen diene, Göttinn, Dir meiner Retterinn! Mein Leben sollte Zu freiem Dienste dir gewidmet sein. Auch hab' ich stets auf dich gehofft und hoffe Noch jetzt auf dich, Diana, die du mich, De- größten Königes verstoßne Tochter, In deinen heil'gen, sanften Arm genommen. Ja, Tochter Zeus, wenn du den hohen Mann, Den du, die Tochter fordernd, ängstigtest, Wenn du den göttergleichen Agamemnon, Der dir sein Liebste- zum Altare brachte, Von Trojas umgewandten Mauern rühmlich Nach seinem Vaterland zurück begleitet, Die Gattinn ihm, Elektren und den Sohn, Die schönen Schätze wohl erhalten hast; So gieb auch mich den Meinen endlich wieder Und rette mich, die du vom Tod' errettet, Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!

Dom Könige auf Tauris, Thoas, wird ArkaS als Bote gesendet, um der Priesterinn die glückliche Rückkehr deS Königs aus dem Streite anzukündigen und sie aufzufor­ dern, das Dankopfer desselben für die Göttinn entgegen zu nehmen. Zugleich räth er der Jphigenia, die Bewerbung des Königs nicht länger zurückzuweisen, indem er besonders her­ vorhebt, daß sie durch die Vermählung mit ihm auch zugleich dem Lande die größte Wohl­ that erweisen würde, wie sie auch jetzt schon den König vermocht habe, jenes grausame Gesetz, nach welchem alle Fremdlinge, welche in TauriS landeten, der Diana geopfert wur­ den, bi- jetzt nicht in Anwendung zu bringen. Jphigenia erklärt sich entschieden gegen eine solche Verbindung, da sie immer noch auf Rückkehr nach ihrem Vaterlande hofft. Sie sucht auch dann gegen ThoaS, der gleich darauf ihr feine Wünsche selbst auöspricht, sich auf alle Weise wegen ihres Entschlüsse- zu rechtfertigen, indem sie namentlich auch behaup­ tet, sie würde ihm und dem Lande nur Unheil und Fluch bringen, der stets auf ihrem Geschlechte gelastet, was sie veranlaßt, das bisher beobachtete Schwelgen über ihre Abkunft zu brechen und dem Könige sich als Tochter Agamemnons kunv zu geben. Der König aber, entrüstet über ihre Weigerung, beschließt, jenes alte Gesetz wieder inS Leben treten zu lassen, und befiehlt der Priesterinn, 2 Fremdlinge, die eben gelandet und gefangen sind, zu opfern. Jphigenia schaudert vor der Gräueltbat eines Menschenopfers zurück und bit-

Johatt«

von Voiethk.

275

tet Diana, ihre Hände von einer solchen That rein zu erhalten. (2ter LiS 4ter Austritt.) Die beiden Gefangenen find Orest und PyladeS; fie kommen zu dem Hain, Orest fit schwer^ müthiiger Erwartung deS unvermeidlichen TodeS, PyladeS voll Hoffnung auf Rettung. Als wie Pnesterinn den PyladeS empfängt, verhehlt er ihr seinen wahren Namen, erzählt ihr acher, da Jphigenia danach forscht, daS Geschick deS Agamemnon (2ter Aufzug. 1fkt und Lter Austritt). Orest aber, der, allein mit Iphigenien, auch von ihr über da- Ge­ schick ihrer Verwandten befragt wird, vermag nicht, fie zu täuschen, und giebt fich zu erkennerv (Zter Aufzug, lster Auftritt). Orest. Ich kann nicht leiden, daß du große Seele Mit einem falschen Wort betrogen werdest. Ein lügenhaft Gewebe knüpf' ein Fremder Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, Zur Falle vor die Füße; zwischen uns Sei Wahrheit! Ich bin Orest! und dieses schuld'ge Haupt Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod; In jeglicher Gestalt sei er willkommen! Wer tu auch seist, so wünsch' ich Rettung dir Und meinem Freunde; mir wünsch' ich sie nicht. Du scheinst hier wider Willen zu verweilen; Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier. Es stürze mein entseelter Leib vom Fels, Es rauche bis zum Meer' hinab mein Blut lind bringe Fluch dem Ufer der Barbaren! Geht ihr, daheim im schöben Griechenland Ein neues Leben fteundnch anzufangen. (Gr entfernt fich.) Jphigenia. So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter DeS größten Vaters, endlich zu mir nieder! Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir! Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die, Mit Frucht- und Segenskränzen angefüllt, Die Schätze des Olympus niederbringen. Wie man den König an dem Uebermaß Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig scheinen, WaS Tausenden schon Reichthum ist; so kennt Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang' Und weise zubereiteten Geschenken. Denn ihr allein wißt, waS unS frommen kann, Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes AbendS Stern- und Nebelhülle Die Aussicht und verdeckt. Gelassen hört Ihr unser Flehn, daö um Beschleunigung Euch kindisch bittet; aber eure Hand Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte; Und wehe dem, der, ungeduldig sie Ertrotzend, saure Speise sich zum Tod' Genießt. O lass't daS lang' erwartete, Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten DeS abgescbiednen Freundes, eitel mir Und dreifach schmerzlicher vorübergehn' Orest (tritt wieder zu ihr). Rufst du die Götter an für dich und PyladeS,

Go nennt meinen Ramen mcht mit eurem. Du rettest den Verbrecher nicht, tu dem Du dich gesell'st, und theilest Fluch und Noth. Jphigenia. Mein Schicksal ist an deine- fest gebunden. Orest. Mit Nichten! Laß allein und unbegleitej Mich zu den Todten gehn. Verhülltest du Zn deinen Schleier selbst den Schuldigen; Du birgst ihn nicht vor'm Blick der 3m» merwachen, Und deine Gegenwart, du Himmlische, Drängt sie nur seitwärts und verscheucht fie nicht. Sie dürfen mit den ehrnen stechen Füßen DeS heil'aen WalveS Boden nicht betreten; Doch hör^ ich aus der Ferne hier und da Ihr gräßliches Gelächter. Wölfe harren So um den Baum, auf den ein Reisender Sich rettete. Da draußen ruhen sie Gelagert; und verlass' ich diesen Hain, Dann steigen sie, die Schlangenhäupter schüttelnd, Von allen Seiten Staub erregend, auf Und treiben ihre Beute vor sich her. Jphigenia. Kannst du. Orest, ein freundlich Wort ver­ nehmen ? Orest. Spar' eS für einen Freund der Götter auf. Jphigenia. Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht. Orest. Durch Rauch und Qualm seh' ich ben mat­ ten Schein DeS TodtenfluffeS mir zur Hölle leuchten. Jphigenia. Hast du Elektren, eine Schwester nur? Orest. Die eine sannt' ich, doch die allste nahm Ihr gut Geschick, das uns so schrecklich schien, Bei Zeiten aus dem Elend unsers Hauses. O laß dein Fragen und geselle dich Nicht auch zu den Erinnyen; fie blasen Mir schadenfroh die Asche von der Seele Und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen Von unsers Hauses Schreckensbrande still In mir verglimmen. Soll die Gluth denn ewig, Vorsätzlich angefacht, mit Höllenschwefel Genährt, mir auf der Seele marternd brennen?

J8’

27#

Johann woltyang von Goethe.

Jphigenia. Ich bringe süße- Rauchwerk ln bic Flamme. O laß den reinen Hauch der Liebe dir Die Gluth deS BusenS leise wehend kühlen. Orest, mein Theurer, kannst du nicht vernehmend Hat daS Geleit der Schreckensgötter so DaS Blut in deinen Adern aufgetrocknet? Schleicht, wie vom Haupt der gräßlichen Gorgone, Derstestzelsnb dip, ein Zauber durch dir Glieder? O wenn vergossenes MutterbluteS Stimme Zur Hill hinab mit dumpfen Tönen tust: Soll nicht der reinen Schwester Segenswert Hülfreiche Götter vom Olympus rufen? Orest. Es ruft! eS ruft! So willst du mein Ver­ derben ? Verbirgt in dir sich eine Rachegöttinn? Wer bist du, bereit Stimme mir entsetzlich DaS Innerste in seinen Tiefen wendet? Jphigenia. Es zeigt flch dir im tiefsten Herzen an: Orest, ick bin sSieh Iphigenien! Ich lebe! Orest. Du! 2ph igenia. Mein Bruder! Orest. Laß! Hinweg! Ich rathe dir, berühre nicht die Lockens Wie von Kreusas Brautkleid zündet sich Ein unauslöschlich Feuer von nur fort. Laß mich! Wie Herkules will ich Unwürd'ger Den Tod voll Schmach, in mich verschlossen, sterben. Jphigenia.

Du wirst nicht untergehn! O daß icb mir Ein ruhig Wert von dir vernehmen tonnn! O löse meine Zweifel, laß des Glückes, DeS lang' erflehten, mich auch sicher werden. Es walzet sich ein Rad von Freud' und Schmerz Durch meine Seele. Von dem fremden Manne Entfernet mich ein Schauer; doch es reißt Mein Innerstes gewaltig mich zum Bruder. Orest. Ist hier Lyäens Tempel? und ergreift Unbändig-heil ge Wuth die Priesterinn? Jphigenia. O höre mich! O sieh mich an, wie mir Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet, Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt Noch für mich tragen samt, das Haupt zu küssen, Mit meinen Armen, die den leeren Winden Nur ausgebreitet waren, dtch zu fassen! O laß mtch! Laß mich! Denn es quillet heller Nicht vom Parnaß die ew'ge Quelle sprudelnd Von Fels zu Fels in s goldne Thal hinab, Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt,

Und wie ein selig Meer mich ring- umfangt. Orest! Orest! Mein Bruder! Orest. Schöne Nymphe. Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht Diana fordert strenge Dienerinnen Und rächet da- entweih'te Heiligthum. Entferne deinen Arm von meiner Brust! Und wenn vu emen Jüngling rettend lieben, Das schöne Glück ihm zärtlich bieten willst, So wende meinem Freunde dein Gemüth, Dem würd'gern Manne, zu. Er irr t umher Auf jenem Felsenpfade; such' ihn auf, Weis' ihn zurecht und schone meiner. Jphigenia. Fasse Dich, Bruder, und erkenne die Gefund'ne! Schilt einer Schwester reine Himmelefreude Nicht unbesonnene, strafbare Lust.

9 nehmt den Wahn ihm von dem starren Auge, Daß uns der Augenblick der höchsten Freude Nicht dreifach elend mache! Sie ist hier, Die längst verlerne Schwester. Vom Altar Riß mich die Göttinn weg und rettete Hierher mich in ihr eigen Heiligthum. Gefangen bist du, dargestellt zum Opfer, Und findest in der Pricstcrinn die Schwester. _ Öreft. Unselige! iro mag die Sonne denn Die letzten Gräuel unsers Hauses sehn' Ist nicht Elektra hier, damit auch sie Mit uns zu Grunde gehe, nicht ihr Leben Zu schwererem Geschick' und Leiden friste? Gut, Pnestcrinn! ich folge zum Altar: Der Brudermord ist hergebrachte Sitte Des alten Stammes; und icl) ranke, Götter, Daß ihr mich ohne Kinder auszurotten Beschlossen habt. Und laß dir rathen, habe Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne Komm, solge mir ln'S dunkle Reich hinab! Wie sich vom Schwefelpfuhl'erzeugte Drachen Bekämpfend die verwandle Brut verschlingen Zerstört sich selbst das wüthende Geschlecht Kommt kinderlos und schuldlos mit hinab' Du siehst mich mit Erbarmen an? Laß ab' Mir solchen Blicken suchte Klytämnestra Sich linat Weg nach ihns Sohnes Herzen. Doch sein geschwung ner Arm traf ihre Brust Die Mittler fiel' — Tritt auf, unwill ger Geist! Im Krus grschlossen tretet an, ihr Fünen, Und wohnet dem willkommnen Schauspiel bei, Dem letzten, gräßlichsten, das ihr bereitet! Nicht Haß und Rache schärfen ihren Dolch; Die liebevolle Schwester wird zur Thar Gezwungen. Weine nicht! Du hast nicht Schuld. Seit meinen ersten Jahren hab' ich nichts Geliebt, wie ich dich lieben könnte, Schwester.

Johann Wottgang von Goethe. Ja, schwinge deinen Suhl, verschone nicht, Zerreiße diesen Buse» und eröffne Den Strömen. die hier sieden, einen Weg! (Er finkt in Tnnattnng)

277

Jphtgenia. Allein zu tragen diese- Glück und Elend, Vermag ich nicht. — @o -ist du, PyladeS? Wo find' ich deine Hülfe, theurer Mann? (Sie entfernt sich suchend.)

Zweiter Auftritt. Orest. (aus seiner Betäubung erwachend und sich auf­ richtend). Noch einen! reiche mir aus Lethe's Fluchen Den letzten kühlen Becher der Erquickung! Bald ist der Krampf des Lebens aus dem Busen Hinweggespült; bald stießet still mein Geist, Der Quelle des VergessenS hingegeben, Zu euch, ihr Schatten, in die ew'gen Nebel. Gefällig laßt in eurer Ruhe sich Den umgerriebnen Sohn der Erve laben! Welch ein Gelispel hör' ich in den Zwergen, Welch ein Geräusch aus jener.Dämmrung säuselnd — Sie kommen schon, den neuen Gast zu sehn! Wer ist die Schaar, dre herrlich mit einander, Wie ein versammelt Fürstenhaus, sich freut? Sie geben friedlich, Alt' und Junge, Männer Mit Weibern; göttergleich und ähnlich scheinen Die wandelnden Gestalten. Ja, fle stnd'ö, Die Ahnherrn meines Hauses. — Mit Thyesten Geht Atreus in vertraulichen Gesprächen; Die Knaben schlüpfen scherzend nm ihn her. Ist keine Feindschaft hier mehr unter euch? Verlosch dle Rache, wie daS Licht der Sonne? So bin auch ich willkommen, und ich darf In turnt feierlichen Zug mich mischen. Willkommen, Väter! euch grüßt Orest,

Von euerm Stamme der letzte Mann; WaS ihr gesä t, hat er geerntet: Mit Fluch beladen stieg er herab, Doch leichter träget sich hier jede Bürde: Nehmt ihn, o nehmt ihn in turnt Kreis! Dich, Atreus, ehr' ich, auch dich Thyesten: Wir sind hier alle der Feindschaft loS. — Zeigt mir den Vater, den ich nur einätal Im Leben sah! — Bist du's, mein Vater? Und führst die Mutter vertraut mit dir? Darf Klylämnestra die Hand dir reichen; So darf Orest auch zu ihr treten Und darf ihr sagen: steh deinen Sohn! — Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen! Auf Erven war in unserm Hause Der Gruß des Mordes gewisse Losung, Und das Geschlecht des alten Tantalus Hat seine Freuden jenseit der Nacht. Ihr ruft: Willkommen! und nehmt mich auf. O führt zum Alten, zum Ahnherrn, mich! Wo ist der Alte? daß ich ihn sehe, Das theure Haupt, das vielverehrte, DaS mit den Göttern zu Rathe faß. Ihr scheint zu schaudern, euch wegzuwenden? Was ist es? Leider der Göttergleiche? Weh mir! eS haben die Uebernrächt'gen Der Heldenbrust grausame Qualen Mit ehrnen Ketten fest aufgeschmiedet.

Jphigenia und Pylades suchen ihm den Wahn, als sei er schon in der Unterwelt, zu benehmen, und Orest erlangt endlich seine Besinnung wieder und drückt die Hoffnung aus, daß er nun ganz von der Qual der ihn verfolgenden Furien werde befreit sein. (3ttr Auftritt.) Jphigenia spricht in einem Monolog ihre Freude über den Beistand, den, wie fie hofft, deS PyladeS Klugheit ihnen leisten soll, auS und zugleich ihr Bedenken darüber, daß sie nach dem Plane desselben den König hintergehen soll. Dieser schickt den ArkaS, um daS Opfer zu verlangen. Sie giebt auf den Rath des PyladeS vor, sie müsse das durch die Gegenwart des eilten Fremdlings, der wahnsinnig sei, entheiligte Bild der Diana zuvor am Meere entsühnen, läßt sich aber doch von Arkas überreden, diese Handlung ntcht eher vor­ zunehmen, als bis er dem Könige Anzeige davon gemacht. (4terAufz. Isteru. 2ter Auftr.) Als er fle verlassen, fühlt sich Jphigenia von seiner Rede so ergriffen, daß fle in ihrem Entschlüsse, den König zu täuschen, wankend gemacht wird. (Zter Austritt.) PyladeS bringt die freudige Nachricht, daß Orest von seinem Wahnsinn geheilt sei, vernimmt aber ungern, daß fie erst die Rückkehr des Arkas abwarten will, und trägt ihr auf, klüglichen Vorwand zu ersinnen, damit fie ihre Flucht bewerkstelligen können, und kehrt dann zu den Gefähr­ ten, die mit dem Schiff in einer Bucht versteckt sind, zurück. (4tcr Austritt.)

Fünfter Auftritt. Jphtgenia (allein). Ich muß ihm folgen: denn die Meiltigen Seh' ich in dringender Gefahr. Doch ach!

Mein eigen Schicksal macht mir bang' und bänger. O soll ich nicht die stille Hoffnung retten."

276

Johann Wolfgang von Goethe.

Die in der Einsamkeit ich schön genährt? Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll Nie dieß Geschlecht mit einem neuen Segen Sich wieder Leben? — Nimmt doch Alles ab! DaS beste Gluck, de- Lebens schönste Kraft Ermattet endlich, warum nicht der Fluch ? Go hofft' ich denn vergebens, hier verwahrt, Don meines Hauses Schicksal abgeschieden, Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen Die schwer befleckte Wohnung zu entsühnen! Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder Vom grimm'gen Uebel wundervoll und schnell Geheilt, kaum naht ein lang' erflehtes Schiff, Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten, So legt die taube Noch ein doppelt Laster Mit ehrner Hand mir auf: das heilige Mir anvertraute, viel verehrte Bild Zu rauben und den Mann zu hintergehn, Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke. O daß in meinem Busen nicht zuletzt Ein Widerwille keime! der Titanen Der alten Götter tiefer Haß auf euch, Olympier, nicht auch die zarte Brust Mit Geierklauen fasse ! Retter mich Und rettet euer Bild in meiner Seele! Vor meinen Ohren tönt daS dtte Lied — Vergessen hatt' ich s und vergaß es gern — Da- Lied der Parcen, daS fie grausend sangen, AlS TantaluS vom golv'nen Stuhle fiel: Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig War ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang. In unsrer Jugend sang'S die Amme mir Und den Geschwistern vor, ich merkt' es wohl. ES fürchte die Götter DaS Menschengeschlecht! Sie halten die Herrschaft 3n ewigen Händen Und können fie brauchen, Wie'S ihnen gefällt.

Der fürchte sie doppelt. Den je sie erheben! Auf Klippen und Wolken Sind Stühle bereitet Um goldene Tische. Erhebet ein Zwist sich: So stürzen die Gäste, Geschmäht und geschändet. In nächtliche Tiefen Und harren vergebens, Im Finstern gebunden, Gerechtes Gerichtes. Sie aber, sie bleiben In ewigen Festen An goldenen Tischen. Sie schreiten vom Berge Zu Bergen hinüber: Aus Schlünden der Tiefe Dampft ihnen der Athem Erstickter Titanen Gleich Opfergerüchen, Ein leichtes Gewölle. Es wenden die Herrscher Ihr segnendes Auge Von ganzen Geschlechtern Und meiden, im Enkel Die eh'mals geliebten, Still redenden Züge DeS Ahnherrn zu sehn. So sangen die Parcen ; E- horcht der Verbannte In nächtlichen Höhlen, Der Alte, die Lieder, Denkt Kinder und Enkel Und schüttelt das Haupt.

ThoaS, durch die Zögerung der Jphigenia argwöhnisch gemacht, läßt die Buchten deS UferS untersuchen, um vielleicht da- Schiff, da- die Fremdlinge hergebracht, zu finden, und läßt die Priesterinn rufen, um von ihr näheren Aufschluß über ihre Weigerung zu erhalten. (5ter Aufzug. Ister und 2ter Auftritt.)

Dritter Austritt. Jphigenia. Jphigenia. Du forderst mich! was bringt dich zu unher? T hoas. Du schiebst daS Opfer auf; sag' an, warum? Jph igenia. Ich hab' an ArkaS AUeS klar erzählt.

ThoaS. Don dir möcht' ich es weiter noch vernehmen. Jphigenia. Die Göttinn gibt dir Frist zur Ueberlegung.

ThoaS. T hoa s. Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist. Jphigenia. Wenn dir daS Herz zum grausamen Ent­ schluß Verhärtet ist: so solltest du nicht kommen! Ein König, der Unmenschliches verlangt, Find't Diener gnug, die, gegen Gnad' und Lohn, Den halben Fluch der That begierig fassen; Doch seine Gegenwart bleibt unbefMt

Johann WottgiMß von Goethe.

379

Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke, ThoaS. Und seine Boten bringen flammendeIch acht' eS mehr, als eine- Bruder- Schwert. Verderben auf de- Armen Haupt hinab; Jphigenia. Er aber schwebt durch seine Höhen ruhig, Da- Loos der Waffen wechselt hin und her: Ein unerreichter Gott, im Sturme fort. Kein kluger Streiter hält den Feind gering. Thoas. Auch ohne Hülfe gegen Trutz und Härte Die heil'ge Lippe tönt ein wilde- Lied. Hut die Natur den Schwachen nicht gelassen. Jphigenia. Sie gab zur List ihm Freude, lehn' ihn Künste ; Nicht Priesterinn! nur Agamemnon- Tochter. Bald weicht er aus, verspätet und umgeht. Der Unbekannten Wort verehrtest du; Za, der Gewalt'ge verdient, daß man ste übt. Der Fürstin^ willst du rasch gebieten? Nein! T hoaS. Von Jugend auf hab' ich gelernt gehorchen, Die Vorsicht stellt der List fich klug entgegen. Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit, Jphigenia. Und folgsam fühlt' ich immer meine Seele Und eine reine Seele braucht fie nicht. Am schönsten frei; allein dem barten Worte, ThoaS. Dem rauhen Ausspruch eine- Manne- mich Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urtheil. Zu fügen, lernt' ich weder dort noch hier. Jphigenia. Thoas. O sähest du, wie meine Seele kämpft, Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir. Ein bös Geschick, da- sie ergreifen will, Jphigenia. Im ersten Anfall muthig abzutreiben! Wir fassen ein Gesetz begierig an, So steh' ich denn hier wehrlos geaen dich? Da- unsrer Leidenschaft zur Waffe dient. Die schöne Bitte, den anmuth'gen Zweig, Ein andre- spricht zu mir, ein älteres, In einer Frauen Hand gewaltiger, Mich dir zu widersetzen, da- Gebot, Al- Schwert und Waffe, stößest du zurück: Dem jeder Fremde heilig ist. Wa- bleibt mir nun, mein Inn res zu verThoas. theid'geu? ES scheinen die Gefangnen dir sehr nah Ruf' ich die Göttinn um ein Wunder an? Am Herzen: denn vor Antheil und Bewegung Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen? Vergissest du der Klugheit erste- Won, ThoaS. Daß man den Mächtigen nicht reizen soll. ES scheint, der beiden Fremden Schicksal macht Jphigenia. Red' oder schweig' ich, immer kannst du wissen, Unmäßig dich besorgt. Wer find fie? sprich, WaS mir im Herzen ist und immer bleibt. Für die dein Geist gewaltig stch erhebt. Jphigenia. Lös't die Erinnerung deS gleichen SchicksalNicht ein verschlossne- Herr zum Mitleid auf? Sie find — sie scheinen — für Griechen halt' ich ste. Wie mehr denn mein-! In ihnen seh' ich ThoaS. mich. Land-leute find eS? und sie haben wohl Ich habe vor'm Altare selbst geritten, Der Rückkehr schönes Bild in dir erneut? Und feierlich umgab der frühe Tod Jphige nia (nach einigem Stillschweigen). Die Knieende! da- Messer zuckte schon Den lebenvollen Busen zu durchbohren; Hat denn zur unerhörten That der Mann Mein Innerste- entsetzte wirbelnd fich, Allein da- Recht? Drückt denn UnmöglicheMein Auge brach, und — ich fand mich ge­ Nur er an die gewalt'ge Heldenbrust? WaS nennt man groß? Wa- hebt die Seele rettet. schaudernd Sind wir, wa- Götter gnädig und gewährt, Dem immer wiederholenden Erzähler, Unglücklichen nicht zu erstatten schuldig? Du weißt eS, kennst mich, und du willst mich Al- wa- mit unwahrscheinlichem Erfolg Der Muthigste begann? Der in der Nacht zwingen! Allein da- Heer des Feinde- überschleicht, ThoaS. Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn. Wie unversehen eine Flamme wüthend Die Schlafenden, Erwachendm ergreift, Jphigenia. Zuletzt gedrängt von den Ermunterten Laß ab! Beschönige nicht die Gewalt, Die fich der Schwachheit eine- Weibe- fteut. Auf Feinde- Pferden, doch mit Beute kehN, Ich bin so frei geboren, al- ein Mann. Wird der allein gepriesen? der allein, Stünd' Agamemnon- Sohn dir gegenüber, Der, einen sichern Weg verachtend, kühn Und du verlangtest, waö sich nicht gebührt: Gebirg' und Wälder durchzustreifen geht, So hat auch er ein Schwert und einen Arm, Daß tt von Räubern eine Gegend saubre? Ist unS nicht- übrig? Muß ein zaNeS Weib Die Rechte seine- Busens zu veNheid'gen. Sich ihre- angebornen Recht- entäußern, Ich habe nicht-, als Worte, und e- ziemt Dem edlm Mann, der Frauen Wort zu achten. Wild gegen Wilde ftin, wie Amazonen

280

Johann Wolfgang wen Goethe

Jphigenia. Das Recht M SchwettS euch rauben und Nein! o König, nein! mit Blute Ich könnte hintergangen werdm; diese Die Unterdrückung rächen? Auf und ab Steigt in der Brust ein kühne- Unternehmen: Sind treu und wahr. Wirst du fie ander­ finden, Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn, Noch schwerem Uebel, wenn es mir mißlingt ; So laß fie fallen und verstoße mich, Mein euch leg' ich'- auf die Kniee! Wenn Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit Ihr wahrhaft seid, wie ihr gepriesen werdet, An einer Klippeninsel traurig Ufer. So zeigt'-durch euern Beistand und verherrlicht Ist aber dieser Mann der lang' erflehte, Durch mich die Wahrheit! — Ja vernimm, Geliebte Bruder: so entlaß uns, sei Auch den Geschwistern, wie der Schwester, o König, freundlich 1 ES wird ein heimlicher Betrug geschmiedet; Mein^Vater fiel durch seiner Frauen Schuld, Vergeben- fragst du den Gefangnen nach; Sie find hinweg und suchen ihre Freunde, Und sie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein, Die mit dem Schiff am Ufer warten, auf. Laß mich mit reinem Herzen, reiner Hanv, Der Aeltste, den das Uebel hier ergriffen Hinübergehn und unser Haus entsühnen. Und nun verlassen har — es ist Orest, Mein Bruder, und der Andre sein Vertrauter. Du hältst mir Wort! — Wenn zu den Meinen je Sein Jugendfreund, mit Namen Pyladeö. Mir Rückkehr zubereitet wäre, schwurst Apoll schickt sie von Delpht diesem Ufer Du mich zu lassen; und sie ist es nun. Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild Ein König sagt nicht, wie gemeine Menschen, Dianens wegzurauben und zu ihm Verlegen zu, daß er den Bittenden Die Schwester hinzubringen, und dafür Auf einen Augenblick entferne; noch Verspricht er dem von Furien Verfolgten, Verspricht er auf den Fall, den er nicht hofft: De- Mutterblutes Schuldigen Befreiung. UnS Beide hab' ich nun, die Ueberbliebnen Dann fühlt er erst die Höhe seiner Würde, Von Tantals Haus', in deine Hand gelegt: Wenn er den Harrenden beglücken kann. Verdirb uns — wenn du darfst. Thoas. Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser ThoaS. Du glaubst, es höre Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme Zu tilgen sucht, so wehret sich der Zorn Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die In meinem Busen gegen deine Worte. Atreus, Jphigenia. Der Grieche, nicht vernahm? O laß die Gnade, wle das heil'ge Licht Jphigenia. Der stillen Opferflamme, nur, umkränzt Es hört sie Jeder, Von Lobgesang und Dank und Freude, lodern' Geboren unter jedem Himmel, dem Thoas. De- Lebens Quelle durch den Busen rein Wie oft besänftigte mich diese Stimme! Und ungehindert fließt. — Was sinnst du mir, Jphigenia. O König, schweigend in der tiefen Seele? O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen'. Ist e- Verderben? so tödte mich zuerst! ThoaS. Denn nun empfind' ich, da unS keine Rettung Du forderst viel in einer kurzen Zeit. Mehr übrig bleibt, die gräßliche Gefahr, Worein ich die Geliebten übereilt Jphigenia. Vorsätzlich stürzte. Weh! Ich werde sie Um Gut s zu thun, braucht'- keiner UeberGebunden vor mir sehn! Mit welchen Blicken legung. Kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen, T hoas. Dm ich ermorde? Nimmer kann ich ihm Sehr viel! denn auch dem Guten folgt daMehr in die vielgeliebten Augen schaun! Uebel. ThoaS. Jphigenia. So haben die Betrüger künstlich-dichtend Zweifel ist'S, der Gutes böse macht. Der lang' Verschloff'nen, ihre Wünsche leicht Der Und willig Glaubenden, ein solch Gespinnst Bedenke nicht; gewähre, wie du'ö fühlst! Um's Haupt geworfen! Unterdeß haben die Tauner daS Schiff der Griechen in einer Bucht des MeereS entdeckt und dieselben angegriffen. Orest und PyladeS sehen kein andere- Mittel zur Ret» tung, als kämpfend bi- zum Hain der Diana vorzudringen. und die Jphigenia mit sich fortzuführen. Jphigenia gebietet dem mit entblößtem Schwerte andringenden Orest, das­ selbe einzustecken und die friedliche Au-gleichnng, die sie von dem Könige zu erlangen

Friedrich »»« Kchilier.

28t

hofft, ruhig abzuwarten. Auch ThoaS gebietet seinem Volke, vom Kampfe übzustehn. ThoaS verlangt von Orest, daß er al- Sohn de- Agamemnon fich ausweise; dieser will den Beweis durch einen Zweikampf mit einem der tapfersten Scythen führen, da er andere Zeugnisse nicht geltend machen kann. Zphigenia aber weiß den König auf andere Art zu überzeugen, und da Orest jetzt einsteht, daß er das pythifche Orakel, welche- ihm gebot, die Schwester au- TauriS zu Holm, fälschlich auf die Diana bezogen, und nicht ftnttr darauf besteht, das Bild der Göttinn mit nach Griechenland zu nehmen, so giebt ThoaS nach unv läßt sie friedlich ziehm. (4ttt bi- 6ter Auftritt.)

Bekannt sind unter Goethe'- Balladen noch: der Schatzgräber („Arm am Beutel, krank am Herzen"), Hochzeitlied („Wir fingen und sagen vom Grafen so gern") und der Rattenfänger („Ich bin der wohlbekannte Sänger").

Friedrich von Schiller. (Schiller'!? sämmtliche Werke.

Stuttg. u. Tübinq. 1939. 12 Bde.)

I. Episches. A.

Balladen und Romanzen. Der Alpenjäger.

Äöiüst du nicht daS Lämmlein hüten? Lämmlein ist so fromm und sanft, Nährt sich von des Grases Blüthen, Spielend an des Baches Ranft. „Mutter, Mutter, laß mich gehen, Jagen nach deS Berges Höhen!"

Auf der Felsen nackte Rippen Klettert sie mit leichtem Schwung, Durch den Riß geborstner Klippen Trägt sie der gewagte Sprung; Aber hinter ihr vermögen Folgt er mit dem TodeSbogen.

Willst du nicht die Heerde locken Mit deS Hornes munterm Klang ? Lieblich tönt der Schall der Glocken In des Waldes Lustgesang. „Mutter, Mutter, laß mich gehen, Schweifen auf den wilden Höhen!"

Jetzo auf den schroffen Zinken Hängt sie, auf dem höchsten Grat, Wo die Felsen jäh versinken, Und verschwunden ist der Pfad. Unter sich die steile Höhe, Hinter sich deS Feindes Nähe.

Willst du nicht der Blümlein warten, Die im Beete freundlich stehn? Draußen ladet dich kein Garten; Wild ist'S auf den wilden Höhn! „Laß die Blümlein, laß sie blühen! Mutter, Mutter, laß mich ziehen!"

Mit deS Jammers stummen Blicken Fleht sie zu dem harten Mann, Fleht umsonst, denn, loszudrücken, Legt er schon den Bogen an; Plötzlich auS der Felsenspalte Tritt der Geist, der Bergesalte.

llnd der Knabe ging zu jagen, Und eS treibt und reißt ihn fort, Rastlos fort mit blindem Wagen An des Berges finstern Ort: Bor ihm her mit Blitzesschnelle Flieht die zitternde Gazelle.

Und mit seinen Götterhänden Schützt er da- gequälte Thier. „Mußt du Tod und Jammer senden," Ruft er, „bis herauf zu mir? Raum für Alle hat die Erve: WaS verfolgst du meine Heerde?"

282

Friedrich von Schiller.

Die Kraniche des Zum Kampf der Wagen und Gesänge, Der auf KorinthuS Landesenge Der Griechen Stämme frob vereint, Zog Ibyku-, der Götterfreund — Ihm schenkte deS Gesanges Gabe, Der Lieder süßen Mund Apoll — So wandert' er, am leichten Stabe, AuS Rhegium, des GorteS voll. Schon winkt auf hohem BergeSrücken Akrokorinth deS Wandrers Blicken, Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein. Nicht- regt sich um ihn her, nur Schwärme Von Kranichen begleiten ihn, Die fernhin nach des Südens Wärme In graulichem Geschwader ziehn. „Seid mir gegrüßt, befreunv'te Schaaren, Die mir zur See Begleiter waren! Zum guten Zeichen nehm' ich euch — Mein LooS, eS ist dem euren gleich: Don fern her kommen wir gezogen Und flehen um ein wirthlich Dach — Sei uns der Gastliche gewogen, Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!" Und munter fördert er die Schritte Und sieht sich in deS Waldes Mitte; Da sperren, auf gedrangem Steg, Zwei Mörder plötzlich seinen Weg. Zum Kampfe muß er sich bereiten; Doch bald ermattet sinkt die Hand: Sie hat der Leier zarte Saiten, Doch nie de- Bogen- Kraft gespannt. Er ruft dle Menschen an, die Götter, Sein Flehen dringt zu keinem Retter; Wie weit er auch die Stimme schickt, Nicht- Lebendes wird hier erblickt. „So muß ich hier verlassen sterben, Auf stemdem Boden, unbeweint, Durch böser Buben Hand verderben, Wo auch kein Rächer mir erscheint!" Und, schwer getroffen, sinkt er nieder. Da rauscht der Kraniche Gefieder; Er hört — schon kann er nicht mehr sehn — Die nahen Stimmen furchtbar krähn. „Don euch, ihr Kraniche dort oben, Wenn keine andre Stimme spricht, Sei meine- Morde- Klag' erhoben.'" Er ruft e-, und sein Auge bricht. Der nackte Leichnam wird gefundm, Und bald, obgleich entstellt von Wunden, Erkennt der Gastfreund in Korinth Die Züge, die ihm theuer sind. „Und muß ich so dich wieder finden Und hojfte, mit der Fichte Kranz De- Sängers Schläfe zu umwinden, Bestrahlt von seine- Ruhme- Glanz!"

Jbykus (1797). Und jammernd Hören s alle Gäste, Versammelt bei Poseidon- Feste; Ganz Griechenland ergreift der Schmerz: Verloren hat ihn jede- Herz. Und stürmend drängt sich zum Prytanen Das Volk, es fordert seine Wuth, Zu rächen de- Erschlagnen Manen, Zu sühnen mit des Mörders Blut. Doch wo die Spur, die aus der Menge, Der Völker flutendem Gedränge, Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Thäter kenntlich macht? Sind'S Räuber, die ihn feig erschlagen? That's neidisch ein verborgner Feinv? Nur Helios vermag'S zu sagen, Der alles Irdische bescheint. Er geht vielleicht mit frechem Schritte Jetzt eben durch der Griechen Mitte, Und, während ihn die Rache sucht, Genießt er seines Frevels Frucht. Auf ihres eignen Tempels Schwelle Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt Sich dreist in jene Menschenwelle, Die dort sich zum Theater drängt. Denn Bank an Bank gedränget sitzen Es brechen fast der Bühne Stützen — Herbeigeströmt von fern und nah, Der Griechen Völker wartend da, Dumpfbrausend wie de- Meeres Wogen; Don Menschen wimmelnd, wächst der Bau In weiter stets geschweiftem Bogen Hinauf bi- in de- Himmels Blau. Wer zählt die Völker, nennt die Namen, Die gastlich hier zusammen kamen! Von TheseuS Stadt, von Auli- Strand, Von Phocis, vom Spartanerland, Von Asten- entlegner Küste, Von allen Inseln kamen sie Und horchen von dem Schaugerüste De- Chore- grauser Melodie, Der, streng und ernst, nach alter Sitte, Mit langsam abgemess'nem Schritte, Hervortritt au- dem Hintergrund, Umwandelnd de- Theaters Rund. So schreiten keine ird'schen Weiber! Die zeugete kein sterblich Haus! Es steigt das Riesenmaß ver Leiber Hoch über Menschliches hinaus. Ein schwarzer Mantel schlägt die t'enorn, Sie schwingen in entfleischten Händen Der Fackel düsterrothe Gluth; In ihren Wangen fließt kein Blut, Und, wo die Haare lieblich flattern, Um Menschenstirnen freundlich wehn, Da fleht man Schlangen hier und Nattern Die giftgeschwollnen Bäuche blähn.

Friedrich »»» -chiiier. Und schauerlich, gchreht im Kreise, Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet Noch zweifelnd jede Brust und bebet Beginnen fie de- Hymnus Weise, Und huldiget der furchtbar« Macht, Der durch da- Herz zerreißend dringt, Die richtend im Verborgnen wacht, Die Bande um de» Sünder schlingt. Die, unerforschlich, unergründet, Bestnnungraubend, herzbethörend De- Schicksal- dunkeln Knäuel flicht, Schallt der Erinnyen Gesang, Dem tiefen Herzen sich verkündet, Er schallt, des Hörer- Mark verzehrend, Doch fliehet vor dem Sonnenlicht. Und duldet nicht der Leier Klang: Da hört man auf den höchsten Stufen „Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Auf einmal eine Stimme rufen: Bewahrt die kindlich reine Seele! „Sieh' da, sieh' da, Timotheu-, Ihm dürfen wir nicht rächend nahn; Die Kraniche des ZbykuS!" — Er wandelt frei des Leben- Bahn. Und finster plötzlich wird der Himmel, Doch wehe, wehe, wer verstohlen Und über dem Theater hin Des Mordes schwere That vollbracht! Wir heften und an seine Sohlen, Sieht man, in schwärzlichem Gewimmel, Das furchtbare Geschlecht der Nacht. Ein Kranichheer vorüberziehn. „De- ZbykuS!" — Der theure Name Und glaubt er fliehend zu entspringen, Rührt jeve Brust mit neuem Grame Geflügelt sind wir da, die Schlingen Und, wie im Meere Well' aus Well', Ihm werfend um den flücht'gen Fuß, Daß er zu Boden fallen muß. So läuft's von Mund zu Munde schnell: So jagen wir ihn, ohn' Ermatten — „De- Ibyku-, den wir beweinen, Versöhnen kann un- keine Reu' — Den eine Mörderhand erschlug? WaS ist'- mit dem, waS kann er meinen? Ihn fort und fort bi- zu den Schatten llnd geben ihn auch dort nicht frei." WaS ist- mit diesem Kranichzug?" — So singend, tanzen sie den Reigen, Und lauter immer wird die Frage, Und ahnend fliegt'-, mit Blitze-schlage, Und Stille, wie de- Tode- Schweigen, Liegt überm ganzen Hause schwer, Durch alle Herzen: „Gebet Acht, Al- ob die Gottheit nahe wär'. Das ist der Eumeniden Macht! Und feierlich, nach alter Sitte, Der fromme Dichter wird gerochen, llmwandelnd de- Theater- Rund, Der Mörder bietet selbst sich dar — Mit langsam abgemeff'nem Schritte, Ergreift ihn, der da- Wort gesprochen, Verschwinden sie im Hintergrund. Und ihn, an den'- gerichtet war!" Doch dem war kaum da- Wort entfahren, Möcht' er'S im Busen gern bewahren; Umsonst! der schreckenbleiche Mund Macht schnell die Schuldbewußten kunv. Man reißt und schleppt sie vor den Richter, Die Scene wird zum Tribunal, Und e- gestehn die Bösewichter, Getroffen von der Rache Strahl.

Kassandra. Freude war in Troja- Hallen. Eh' die hohe Veste fiel; Jubelhymnen hört' man schallen Zn der Saiten goldne- Spiel; Alle Hände ruhen müde Von dem thränenvollen Streit, Weil der herrliche Pelide PriamS schöne Tochter freit

Und, geschmückt mit Lorbeerreisern, Festlich wallet Schaar auf Schaar Nach der Götter heil'gen Häusern, Zu de- Thymbrier- Altar. Duuipf erbrausend durch die Gaffen Wälzt fich die bacchant'sche Lust, Und in ihrem Schmerz verlassen War nur eine traur'ge Brust.

284

Friedrich von Schiller.

Freudlos in der Freuden Fülle, Ungesellig und allein, Wandelte Kassandra stille In Apollo- Lorbeerhain. Zn de- WalveS tiefste Gründe Flüchtete die Seherinn,

Und sie warf die Priesterbinde Zu der Erde zürnend hin: „Alles ist der Freude offen,

Nimmer mit dem Schmuck der Dräute Kränzt' ich mir da- duft'ge Haar, Seit ich deinem Dienst mich weihte An dem traurigen Altar. Meine Jugend war nur Weinen, llnd ich kannte nur den Schmerz; Jede herbe Noth der Meinen Schlug an mein empfindend Herz.

Alle Herzen sind beglückt, Und die alten Eltern hoffen, Und die Schwester steht geschmückt. Ich allein muß einsam trauern, Denn mich flieht der süße Wahn. Und geflügelt diesen Mauern Seh' ich das Verderben nahn.

Fröhlich seh' ich die Gespielen, Alles um mich lebt und liebt Sn der Jugend Lustgefühlen; Mir nur ist das Herz getrübt, Mir erscheint der Lenz vergeben-, Der die Erve festlich schmückt. Wer erfreute sich des Lebens, Der in seine Liefen blickt!

Eine Fackel seh' ich gl üben, Aber nicht in Hymens Hand: Nach den Wolken seh' ich's ziehen, Aber nicht wie Opserbranv; Feste seh' ich froh bereiten, Doch im ahnungsvollen Geist Hör' ich schon des Gottes Schreiten, Der sie jammervoll zerreißt.

Selig preis' ich Polyrenen In des Herzens trunknem Wahn, Denn den Besten der Hellenen Hofft sie bräutlich zu umfahn. Stolz ist ihre Brust gehoben, Ihre Wonne faßt sie kaum, Nicht euch, Htmmltsche dort oben, Neidet sie in lhrem Traum.

Und sie schelten meine Klagen, Und sie höhnen meinen Schmerz. Einsam in die Wüste tragen Muß ich mein gequältes Herz, Von den Glücklichen gemieden, Und den Fröhlichen ein Spott: Schwere- hast du mir beschicden, Pythischer. du arger Gott!

Unv auch ich hab' ihn gesehen. Den das Herz verlangend wählt. Seme schönen Blicke flehen, Bon der Liebe Gluth beseelt. Gerne möcht' ich mit dem Gatten Sn die heim'sche Wohnung ziehn; Doch es tritt ein styg'scher Schatten »Nächtlich zwischen mich und ihn.

Dein Orakel zu verkünden, Warum warfest du mich hin Sn die Stadt der ewig Bluwen, Mit dem aufgeschloss nen Sinn? Warum gabst du mir zu sehen, WaS ich doch nicht wenden kann? Das Verhängte muß geschehen, DaS Gefürchtete muß nahn.

Shre bleichen Larven alle Sendet mir Proserpina; Wo ich wandre, wo ich walle, Stehen mir die Geister da; Sn der Jugend frohe Spiele Drängen sie sich grausend ein, Em entsetzliches Gcwühle! Nimmer kann ich fröhlich sein.

Frommt'ö, den Schleier aufzuheben, Wo das nahe Schreckniß droht? Nur der Irrthum ist das Leben, Und das Wissen ist der Tod. Nimm, o, nimm die traur'ge öUarheit Mir vom Aug', den blut'gen Schein! Schrecklich ist es, deiner Wahrheit Sterbliches Gefäß zu sein.

Und den Mordstahl seh' ich blinken Und das Mörderauge glühn; Nicht zur Rechten, nicht zur Linken Kann lch vor dem Schreckniß flieh»; Nicht die Blicke darf ich wenden, Wissend, schauend, unverwandt Muß tch mein Geschick vollenden, Fallen in dem fremden Land." —

Meine Blindheit gieb mir wieder Und den fröhlich dunkeln Sinn l Nimmer sang ich freud'ge Lieder, Seit ich deine Stimme bin. Zukunft hast du mir gegeben, Doch du nahmst den Augenblick, Nahmst der Stunde fröhlich Leben — Nimm dein falsch Geschenk zurück!

Und noch hallen ihre Worte Horch'! da dringt verwerrner Ton Fernher aus deS Tempels Pforte. Todt lag ThetiS großer Sohn! Eris schüttelt ihre Schlangen, Alle Götter fliehn davon, Und des Donner- Wolken hangen Schwer herab auf Ilion.

Friedrich Von Schiller.

28§

Der Kampf mit dem Drachen (1798)* WaS rennt bad Volk, waS wälzt sich bort Die langen Gaffen braufenb fort? Stürzt Rhodu- unter FeuerS Flammen? ES rottet sich im Sturm zusammen, Und einen Ritter, hoch zu Roß, Gewahr' ich auö dem Menschenttoß; Und hinter ihm, welch Abenteuer! Bringt man geschleppt ein Ungeheuer. Ein Drache scheint e- von Gestalt, Mit weitem KrokodileSrachen, Und Alle- blickt verwundert bald Den Ritter an und bald den Drachen. Und tausend Stimmen werden laut: „DaS ist der Lindwurm, kommt und schaut, Der Hirt und Heerden und verschlungen! Das ist der Held, der ihn bezwungen! Viel' Andre zogen vor ihm aus, Zu wagen den gewalt'gen Sttauß, Doch Keinen sah man wiederkehren; Den kühnen Ritter soll man ehren!" Und nach dem Kloster geht der Zug, Wo Sanet Johanns, des Täufers, Orden, Die Ritter des Spitals, int Flug Zu Rathe sind versammelt worden. Und vor den ebebt Meister tritt Der Jüngling mit bescheidnem Schritt; Nachdrängt das Volk, mit wildem Rufen, Erfüllend des Geländers Stufen, Und jener nimmt das Wort und spricht: „Ich hab' erfüllt die Ritterpflicht. Der Drache, der das Land verödet, Er liegt von meiner Hand getödtet; Frei ist dem Wanderer der Weg, Der Hirte treibe ins Gefilde, Froh walle auf dem Felsensteg Der Pilger zu dem Gnadenbtlde." Doch strenge blickt der Fürst ihn an Und spricht: „Du hast als Held gethan: Der Muth ist'S, der den Ritter ehret, Du hast den kühnen Geist bewähret; Dock, sprich! was ist die erste Pflicht Des Ritters, der für Christum ficht, Sich schmücket mit deS Kreuzes Zeichen?" Und Alle rings herum erbleichen. Doch er, mit edelm Anstand, spricht, Indem er sich erröthend neiget: „Gehorsam ist die erste Pflicht, Die ihn deS Schmuckes würdig zeiget." „Und diese Pflicht, mein Sohn," versetzt Der Meister, „hast du frech verletzt: Den Kampf, den das Gesetz versaget, Hast du mir freveln: Muth gewaget!" — „Herr, richte, wenn du Alles weißt," Spricht jener mit gesetztem Geist,

„Denn deS Gesetze- Sinn und Willm Vermeint' ich tteulich zu erfülle«. Richt unbedachtsam zog ich hin, Da- Ungeheuer zu bekriegen; Durch List und kluggewandten Sinn Versucht' ich'-, in dem Kampf zu siegen. Fünf unsers Ordens warm schon, Die Zierden der Religion, De- kühnen Muthe- Opfer worden: Da wehrtest du den Kampf dem Orden. Doch an dem Herzen nagten mir Der Unmuth und die Streitbegier, Ja, selbst im Traum der stillen Nächte Fand ich mich keuchend im Gefechte, Und wenn der Morgen dämmernd kam Und Kunde gab von neuen Plagen, Da faßte mich ein wilder Gram, Und ich beschloß, e- frisch zu wagen. Und zu mir selber sprach ich dann: WaS schmückt den Jüngling, ehrt benStorni? Was leisteten die tapfern Helden, Don denen uns die Lieder melden, Die zu der Götter Glanz und Ruhm Erhob das blinde Heiventhum? Sie reinigten von Ungeheuern Die Welt in kühnen Abenteuern, Begegneten im Kampf dem Leun Und rangen mit dem Minotauren, Die armen Opfer zu befrein, Und ließen sich daS Blut nicht bauten. Ist nur der Saracen' es werth, Daß ihn bekämpft des Christen Schwert? Bekriegt er nur die falschen Götter? Gesandt ist er der Welt zum Retter, Don jeder Noth und jedem Harm Befreien muß sein starker Arm; Doch seinen Muth muß Weisheit leiten, Und List muß mit der Stärke streiten. So sprach ich oft und zog allein, Des Raubthiers Fahrte zu erkunden. Da flößte mir der Geist es ein; Froh rief ich auS: „Ich hab'S gefunden! Und trat zu dir und sprach dies Wort: „Stich zieht es nach der Heimatb fort." Du, Herr, willfahrtest meinen Bitten, Und glücklich ward das Meer durchschnitten Kaum stieg ich aus am heim'schen Strand, Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand, Getreu den wohlbemerkten Zügen. Ein Drachenbild zusammenfügen. Auf kurzen Füßen wird die Last DeS langen Leibes aufgethürmet; Ein schuppicht Panzerhemd umfaßt Den Rücken, den es furchtbar schirmet.

286

Friedrich von Schiller.

Lang strecket sich der Hals hervor, Und gräßlich, wie ein Höllenthor, Al- schnappt' es gierig nach der Beute, Eröffnet sich M Rachen- Weite, Und au- dem schwarzen Schlunde Dräun Der Zahne stachelichte Reihn; Die Zunge gleicht de- Schwerte- Spitze, Die kleinen Augen sprühen Blitze, Zn eine Schlange endigt sich De- Rücken- ungeheure Länae, Rollt um sich selber furchtemch, Daß e- um Mann und Roß sich schlänge. Und Alles bild' ich nach genau Und kleid' eS in ein scheuSlich Grau. Halb Wurm erschien's, halb Molch und Drache, Gezeuget in der gift'gen Lache. Und als daS Bild vollendet war, Erwähl' ich mir ein Doggenpaar, Gewaltig, schnell, von flinken Läufen, Gewohnt, den wilden Ur zu greifen; Die hetz' ich auf den Lindwurm an, Erhitze sie zu wildem Grimme, Zu fassen ihn mit scharfem Zahn, Und lenke sie mit meiner Stimme. Und wo des Bauche- weiches Vließ Den scharfen Bissen Blöße ließ, Da reiz' ich sie, den Wurm zu packen, Die spitzen Zähne einzuhacken. Ich selbst, bewaffnet mit Geschoß, Besteige mein arabisch Roß, Von adeliger Zucht entstammet, Und al- ich seinen Zorn entflammet, Rasch auf den Drachen spreng' ich's loS Und stachl' es mit den scharfen Sporen Und werfe zielend mtin Geschoß, AIS wollt' ich die Gestalt durchbohren. Ob auch da- Roß sich grauend bäumt Und knirscht und m den Zügel schäumt, Und meine Doggen ängstlich stöhnen, Nicht rast' ich, bis sie sich gewöhnen. So üb' tch'S auö mit Emsigkeit, Bis dreimal sich der Mond erneut, Und, al- sie Jedes recht begriffen, Führ' ich sie her auf schnellen Schiffen. Der dritte Morgen ist es nun, Daß mtr's gelungen, hier zu landen; Den Gliedern gönnt' ich kaum zu ruhn, Bls ich daS große Werk bestanden. Denn heiß erregte mir daS Herz DeS Landes ftisch erneuter Schmerz: Zerrissen fand man jüngst die Hirten, Die nach dem Sumpfe sich verirrten; Und ich beschließe rasch Die That, Nur von dem Herzen nehm' ich Rath. Flugs unterricht' ich meine Knappen. Besteige den versuchten Rappen,

Uifb von dem eveln Doggenpaar Begleitet, auf geheimen Wegen, Wo meiner Thar kein Zeuge war, Reit' ich dem Feiude ftisch entgegen. DaS Kirchlein kennst du, Herr, da- hoch Auf eine- FelsenbergeS Joch, Der weit die Insel überschauet, DeS MeisterS kühner Geist erbauet. Verächtlich scheint eS, arm und klein, Doch ein Mirakel schließt eS ein: Die Mutter mit dem Jesusknaben, Den die drei Könige begaben. Aus dreimal dreißig Stufen steigt Der Pilgrim nach der steilen Höhe; Doch, hat er schwindelnd sie erreicht, Erquickt ihn seines Heilands Nähe. Tief in den Fels, auf dem eS hängt, Ist eine Grotte eingesprengt, Vom Thau deS nahen Moor- befeuchtet, Wohin deS Himmel- Strahl nicht leuchtet Hier hausete der Wurm und lag, Den Raub erspähend, Nacht und Tag. So hielt er, wie der Höllendrache, Am Fuß des Gotteshauses Wache; Und kam der Pilgrim hergewallt Und lenkte in die Unglücksstraße, Hervorbrach aus dem Hinterhalt Der Feind und trug ihn fort zum Fraße. Den Felsen stieg ich jetzt hinan, Eh' ich den schweren Strauß begann; Hin kniet' ich vor dem Christuskinde Und reinigte mein Herz von Sünde. Drauf gürt' ich mir tni Heiligthum Den blanken Schmuck der Waffen um, Bewehre mit dem Spieß die Rechte, Und nieder steig' ich zum Gefechte. Zurücke bleibt der Knappen Troß; Ich gebe scheidend die Befehle Und schwinge mich behend aufs Roß, Und Gott empsehl' ich meine Seele. Kaum seh' ich mich im ebnen Plan, FlugS schlagen meine Doggen an, Und bang beginnt daS Roß zu keuchen Und bäumet sich und will nicht weichen: Denn nahe liegt, zum Knaul geballt, Des Feindes scheusliche Gestalt Und sonnet sich auf warmem Grunde. Auf jagen ihn die flinken Hunde; Doch wenden sie sich pfeilgeschwind, AlS eS den Rachen gähnend theilet Und von sich haucht den giftgen Wind Und winselnd, wie der Schakal, heulet. Doch schnell erfrisch' ich ihren Muth, Sie fassen ihren Feind mit Wuth,

m

Friedrich von Schiller Indem ich nach de- Thiere- Sende Au- starker Kaust den Speer versende; Doch machtlos, wie eia dünner Stab, Prallt er vom Echuppenpanzer ab, Und. eh' ich meinen Wurf erneuet, Da bäumet sich mein Roß und scheuet An seinem Basiliskenblick Und seine- Ache«- gift'ge« Wehm, Und mit Entsetzen springt - zurück, Und jetzo war'- um mich geschehen — Da schwing' ich mich behend vom Roß, Schnell ist de- Schwerte- Schneide bloß -, Doch alle Streiche sind verloren, Den Felsenharnisch zu durchbohren, Und wüthend, mit deö Schweife- Kraft, Hat e- zur Erde mich gerafft; Schon seh' ich seinen Rachen gähnen, Es haut nach mir mit grimmen Zähnen, "Als meine Hunde, wutentbrannt, An seinen Bauch mit grimm'gen Bissen Sich warfen, daß e- heulend stand, Von ungeheurem Schmerz zerriffm. Und eh' e- ihren Bissen fich Entwindet, rasch erheb' ich mich, Erspähe mir de- Feinde- Blöße Und stoße tief ihm in- Gekröse, Nachbohrend bi- an- Heft, den Stahl. Schwarzquellend springt de- Blute- Strahl. Hin sinkt e- und begrabt im Falle Mich mit de- Leibe- Riefenballe, Daß schnell die Sinne mir vergehn. Und al- ich neugestärkt erwache, Seh' ich die Knappen um mich stehn, Und todt im Blute liegt der Drache." De- Beifalls lang gehemmte Lust Befreit jetzt aller Hörer Brust, So wie der Ritter dies gesprochen; Und, zehnfach am Gewölb' gebrochen, Wälzt der vermischten Stimmen Schall Sich brausmd fort im Widerhall. Laut fordern selbst des Orden- Söhne, Daß man die Heldenstirne kröne,

Und dankbar im Triumphaepviag' Will ihn da- Volk dem Volke zeigm; Da faltet seine Stirne streng Der Meister und gebietet Schweigen — Und spricht: „Den Drachen, der die- Land Verheert, schlugst du mit tapfrer Hand: Ein Gott bist du dem Volke worden, Ein Feind kommst du zurück dem Orden, Und einen schlimmern Wurm gebar Dein Herz, al- dieser Drache war. Die Schlange, die da- Hetz vergiftet, Die Zwiettacht und Verderben stiftet, Das ist der widerspenst'ge Geist, Der gegen Zucht sich ftech empöret, Der Ordnung heilig Band zerreißt: Denn er ist'-, der die Welt zerstöret. Muth zeiget auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck; Denn wo der Herr in seiner Größe Gewandelt hat in Knechte-blöße, Da stifteten, auf heil'gem Grund, Die Väter diese- Orden- Bund, Der Pflichten schwerste zu erfüllen, Zu bändigen den eignen Willen! Dich hat der eitle Ruhm bewegt, Drum wende dich au- meinen Blicken! Denn, wer de- Herren Joch nicht fragt, Darf fich mit seinem Kreuz nicht schmücken." Da bricht die Menge tobend au-, Gewalt'ger Sturm bewegt das Hau-, Um Gnade flehen alle Brüder; Doch schweigend blickt der Jüngling nieder. Still legt er von fich da- Gewand Und küßt de- Meister- strenge Hand Und geht. Der folgt ihm mit dem Blicke, Dann ruft er liebend ihn zurücke Und spricht: „Umarme mich, mein Sohn! Dir ist der härtre Kampf gelungen. Nimm diese- Kreuz. ES ist der Lohn Der Demuth, die sich selbst bezwungen."

Der Gras von Habsburg Zu Aachen, in seiner Kaiserpracht, Im alterthümlichen Saale, Saß König Rudolph- heilige Macht Beim festlichen Krönung-mahle. Die Speisen trug der Pfalzgraf de- Rheins, Es schenkte der Böhme de- perlenden Wein-, Und alle die Wähler, die Sieben, Wie der Sterne Ehor um die Sonne sich stellt, Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, Die Würde deö Amte- zu üben.

(1803).

Und ring- erfüllte den hohen Balcon Da- Volk in freud'gem Gedränge; Laut mischte sich in der Posaunen Ton Da- jauchzende Rufen der Menge: Denn geendigt nach langem verderblichen Streit War die kaiserlose, die schreckliche Zeit, Und ein Richter war wieder auf Erden. Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer, Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr. De- Mächtigen Beute zu werden.

288

Friedrich von Schiller.

Und der Jtüfer ergreift den goldnen Pokal Und spricht mit zufriedenen Blicken: „Wohl glänzet da- Fest, wohl pranget das Mahl, Mein königlich Herz zu entzücken ; Doch den Sänger vermiss' ich, den Bringer der Lust, Der mit süßem Klang mir bewege die Brust Und mit göttlich erhabene« Lehren. So hab' ich's gehalten von Zugend an, Und, waS ich als Ritter gepflegt und gethan, Nicht will ich'- als Kaiser entbehren."

„Was schaffst du?" redet der Graf ihn an, Der ihn verwundert bettachtet. — „Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann, Der nach der Himmel-kost schmachtet, Und da ich mich nahe de- Bache- Steg, Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg Im Strudel der Wellen gerissen. Drum, daß dem Lechzenden werde sein _ Hell, So will ich daS Wäfferlein jetzt in Eil Durchwaten mit nackenden Füßen."

Und sieh'! in der Fürsten umgebenden Kreis Trat der Sänger im langen Talare; Zhm glänzte die Locke silberweiß, Gebleicht von der Fülle der Jahre. „Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold, Der Sänger singt von der Minne Sold, Er preiset das Höchste, das Beste, WaS das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt; Doch sage, was ist des Kaisers werth An seinem herrlichsten Feste?" —

Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd Und reicht ihm die prächtigen Zäume, Daß er labe den Kranken, der sein begehrt, Und die heilige Pflicht nicht versäume. Und er selber auf seines Knappen Thier Vergnüget noch weiter des Jagens Begier: Der Andre die Reise vollführet, Und am nächsten Morgen, mit dankendem Blick, Da bringt er dem Grasen sein Roß zurück, Bescheiden am Zügel gesühret.

„Nicht gebieten werd' ich dem Sänger," spricht Der Herrscher mit lächelndem Munde, „Er steht in des größeren Herren Pflicht, Er gehorcht der gebietenden Stunde. Wie in den Lüften der Sturmwind saust, Man weiß nicht, von wannen er kommt und braust, Wie der Quell aus verborgenen Tiefen: So des Sängers Lied auS dem Innern schallt Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt, Die im Herzen wunderbar schliefen."

„Nicht wolle daS Gott," rief mit Demuthsinn Der Graf, „daß zum Streiten und Jagen Das Roß ich beschritte fürderhin, Das meinen Schöpfer getragen! Und nmgst da s nicht haben zu eignem Ge­ winnst, So bleibt eö gewidmet dem göttlichen Dienst: Denn ich hab' es dem ja gegeben, Von dem ich Ehre und irdisches Gut Zu Lehen trage und Leib und Blut Und Seele und Athem und Leben."

Und der Sänger rasch in die Saiten fällt Und beginnt sie mächtig zu schlagen: „Aufs Waidwerk hinaus ritt ein edler Held, Den flüchtigen Gemsbock zu jagen. Ihm folgte der Knapp' mit dem Jägergeschoß, Und als er auf seinem stattlichen Roß In eine Au kommt geritten, Ein Glöcklein hört er erklingen fern — Ein Priester war's mit dem Leib des Herrn; Voran kam der Meßner geschritten.

„So mög' auch Gott, der allmächtige Hort, Der das Flehen der Schwachen erhöret, Zu Ehren euch bringen hier und dort, So wie ihr jetzt ihn geehret. Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt Durch ritterlich Walten im Schweizerland; Euch blühen sechs liebliche Töchter. So mögen sie," rief er begeistert auS, „Sechs Kronen euch bringen in euer Haus, Und glänzen die spätsten Geschlechter!"

Und der Graf zur Erde sich neiget hin, Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da, Das Haupt mit Demuth entblößet, Als dächt' er vergangener Zeiten; Zu verehren mit gläubigem Christensinn, Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah, Da ergreift ihn der Worte Bedeuten. Was alle Menschen erlöset. Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld, Die Züge des Priester- erkennt er schnell Von des Gießbachö reißenden Fluchen ge­ Und verbirgt der Thränen stürzenden Quell In des Mantels purpurnen Falten. schwellt, Das hemmte der Wanderer Tritte, Und Alles blickte den Kaiser an Und erkannte den Grasen, der daS gethan, Und beiseit' legt jener daS Sacrament, Und verehrte daS göttliche Walten. Von den Füßen zieht er die Schuhe behend, Damit er das Bächlein dtlrchschritte.

Friedrich B.

wm

-chiürr.

Episch-Didaktisches.

Parabel», Fllleguriee« «ud Nathsel. Ach. a«S diese» Thales Gründen, Dir der kalte Nebel drückt, Könnt' ich doch den AuSgang finden, Ach, wie fühlt' ich mich beglückt! Dort erblick' ich schöne Hügel, Ewig jung und ewig grün! Hätt' ich Schwingen, hätt' ich Flügel, Nach dm Hügeln zög' ich hin.

Sehnsucht. Ach, wie

schön muß sich'» ergehen Dort im ew'gm Sonnenschein, Und die Luft auf jenm Höhen — O, wie labend muß sie sein! Doch mir wehrt de» Stromes Tobm, Der ergrimmt dazwischen braus't; Seine Wellm find gehoben, Daß die Seele mir ergraus't.

Einen Nachen seh' ich schwankm, Aber, ach! der Fährmann fehlt. Frisch hinein und ohne Wanken! Seine Segel find beseelt. Du mußt glauben, du mußt wagen, Denn die Götter leihn kein Pfand; Nur rin Wunder kann dich tragen 3» da» schöne Wunderland.

Harmoniern hör' ich klingen, Töne süßer Himmel-ruh', Und die leichten Winde bringen Mir der Düfte Balsam zu. Goldne Früchte seh' ich glühen, Winkend zwischen dunkelm Laub, Und die Blumen, die dort blühen, Werdm keine» Winter» Raub.

Der Pilgrim. Noch in meine» Lebm» Lenze War ich, und ich wandert' au», Und der Jugend frohe Tänze Ließ ich in de» Vater» Hau».

Abend ward'» und wurde Morgen, Nimmer, nimmer stand ich still; Aber immer blieb'» verborgen, Wa» ich suche, wa» ich will.

All mein Erbthell, meine Habe Warf ich fröhlich glaubend hin, Und am leichten Pilgerstabe Zog ich fort mit Kinderfilm.

Berge lagen mir im Wege, Ströme hemmten meinen Fuß, Ueber Schlünde baut' ich Stege, Brücken durch den wilden Fluß.

Denn mich trieb rin mächtig Hoffen Und ein dunkle» Glauben»wort; „Wandle," rief'», „der Weg ist offen, Immer nach dem Aufgang fort,

Und zu eine» Strom» Gestaden Kam ich, der nach Morgen floß; Froh vertrauend seinem Faden, Warf ich mich in seinen Schooß.

Bi» zu einer goldnen Pforten Du gelangst, da gehst du ein; Denn da» Irdische wird dorten Himmlisch, unvergänglich sein."

Hin tu einem großen Meere Trieb mich seiner Wellen Spiel; Vor mir liegt» in weiter Leere, Näher bin ich nicht dem Ziel.

Ach, kein Steg will dahin führen, Ach, der Himmel über mir Will die Erde nie berühren, Und da» Dort ist niemals Hier!

Das verschleierte Bild zu Sais (1795). Ein Jüngling, den des Wissens heißer Durst Nach Sais in Aegypten trieb, der Priester Geheime Weisheit zu erlernen, hatte Schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheile; Stet» riß ihn seine Forschbegierde weiter,

Zinnew'» deutsch. Ged. Samml.

19

290

Friedrich »nt -chiüer. Und kaum besänftigte der Hierophant Den ungeduldig Strebenden. „WaS hab' ich, Wenn ich nicht Alle- habe," sprach der Jüngling, „Gibt'S etwa hier ein Weniger und Mehr? Ist deine Wahrheit, wie der Sinne Glück, Nur eine Summe, die man größer, kleiner Besitzen kann und immer doch besitzt? Ist fie nicht eine ewz'ge, ungetheilre? Nimm einen Ton au- einer Harmonie, Nimm eine Farbe aus dem Regenbogen: Und MeS, waS dir bleibt, ist nichts, solang Da- schöne All der Töne fehlt und Farben." Indem sie einst so sprachen, standen sie Zn einer einsamen Notonde still, Wo ein verschleiert Bild von Riesengröße Dem Jüngling in die Augen fiel. Verwundert Blickt er dm Führer an und spricht: „Was ist's, Das hinter diesem Schleier sich verbirgt?" — „Die Wahrheit," ist die Antwort — „Wie?" ruft jener, „Nach Wahrheit streb' ich ja allein und diese Gerade ist es, die man mir verhüllt?" „Das mache mit der Gottheit aus," versetzt Der Hierophant. „Kein Sterblicher, sagt sie, Rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Und, wer mit ungeweihter, schulv'ger Hand Den heiligen, verbotnen früher hebt, Der, spricht die Gottheit" — „Nun?" — „Der sieht die Wahrheit" „Ein seltsamer Orakelspruch! Du selbst, Du hattest also niemals ihn gehoben?" — „Ich? Wahrlich nicht! Und war auch nie dazu Versucht." — „DaS fass' ich nicht. Wenn von der Wahrheit Nur diese dünne Scheidewand mich trennte" — „Und ein Gesetz," fällt ihm sein Führer ein. „Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst, Ist dieser dünne Flor — für deine Hand Zwar leicht, doch centnerschwer für dein Gewissen." Der Jüngling ging gedankenvoll nach Hause . Ihm raubt de- Wissen- brennende Begier Den Schlaf, er wälzt sich glühend auf dem Lager Und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel Führt unfreiwillig ihn der scheue Tritt. Leicht ward e- ihm, die Mauer $11 ersteigen, Und mitten in daS Innre der Retonde Trägt ein beherzter Sprung den Wagenden. Hier steht er nun, und grauenvoll umfängt Den Einsamen die lebenlose Stille, Die nur der Tritte hohler Widerhall In den geheimen Grüften unterbricht. Von oben durch der Kuppel Oeffnung wirft Der Mond den bleichen, silberblauen Schein, Und furchtbar, wie ein gegenwärt'ger Gott, Erglänzt durch des Gewölbeö Finsternisse In ihrem langen Schleier die Gestalt. Er tritt hinan mit ungewissem Schritt; Schon will die frrche Hand das Heilige berühren,

Friedrich m OchUler.

All

Da zuckt e- heiß Und kühl durch sein Gebein Und stößt ihn weg mit unsichtbarem Arme. Unglücklicher, waS willst du thun? so ruft In seinem Innern eine treue Stimme. Versuchen den Allheiligen willst du? Kein Sterblicher, sprach de- Orakels Mund, Rückt diesen Schleier, bi- ich selbst ihn Hede. Doch setzte nicht derselbe Mund hinzu: Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen? „Sei hinter ihm, waS will! Ich heb' ihn auf." Er ruft'S mit lauter Stimm': „Ich will sie schauen." Schauen! Gellt ihm ein lange- Echo spottend nach. Er spricht'- und hat dm Schleier aufgedeckt. „Nun," fragt ihr, „und waS zeigte fich ihm hier?" Ich weiß eS nicht. Besinnungslos und bleich, So fanden ihn am andern Tag die Priester Am Fußgestell der Isis ausgestreckt. WaS er allda gesehen und erfahren, Hat seine Zunae nie bekannt. Auf ewig War seine- Lebens Heiterkeit dahin, Ihn riß ein tiefer Gram zum frühen Grabe. „Weh' dem," die- war sein warnung-volle- Wort, Wenn ungestüme Frager in ihn drangen, „Weh' dem. der zu der Wahrheit geht durch Schuld: „Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein."

Das Mädchen aus der Fremde (1796). Zn einem Thal bei armen Hirten Erschien mit jedem jungen Jahr, Sobald die erstm Lerchen schwirrten. Ein Mädchen schön und wunderbar.

Sie brachte Blumm mit und Früchte, Gereift auf einer andern Flur, Zn einem andern Sonnenlichte, Zn einer glücklichem Natur,

Sie war nicht in dem Thal geboren, Man wußte nicht, woher sie kam; Doch schnell war ihre Spur verloren, Sobald da- Mädchen Abschied nahm.

Und theilte Jedem eine Gabe, Dem Früchte, jmem Blumen auS; Der Jüngling und der Greis am Stabe, Ein Zeder ging beschmkt nach Haus.

Beseligend war ihre Nähe, Und alle Herzen wurden weit; Doch eine Würde, eine Höhe Entfernte die Vertraulichkeit.

Willkommen warm alle Gäste; Doch nahte fich ein liebend Paar, Dem reichte sie der Gabm beste, Der Blumen allerschönste dar.

Räthsel Don Perlen baut fich eine Brücke Hoch über einen grauen See; Sie baut sich auf im Augenblicke, Und schwindelnd steigt sie in die Höh'. Der höchsten Schiffe höchste Masten Ziehn unter ihrem Bogen hin,

(1802). Sie selber tmg noch keine Lasten Und scheint, wie du ihr nahst, zu fiiehn. Sie wird erst mit dem Strom und schwindet, Sowie des Wassers Fluth versiegt. So sprich, wo fich die Brücke findet, Und wer fie künstlich hat gefügt?

292

Friedrich van Schiller.

Auf einer großen Weive gehen Diel tausend Schafe filberrveiß; Wie wir sie heute wandeln sehen, Sah fle der allerältste Greis. Sie altern nie und trinken Leben Aus einem unerschöpften Born, Ein Hirt ist ihnen zugegeben Mit schön gebognem Silberhorn. Er treibt sie au- zu goldnen Thoren, Er überzählt sie jede Dacht Und hat der Lämmer fem6 verloren, So oft er auch den Weg vollbracht. Ein treuer Hund hilft fle ihm leiten, Ein muntrer Widder geht voran. Die Heerde, kannst du sie mir deuten, Und auch den Hirten zeig' mir an!

Es steht ein groß geräumig Haus Auf unfichtbaren Säulen, ES mißt's und geht's kein Wandrer auS, Und keiner darf drin weilen; Nach einem unbegriffnen Plan Ist eS mit Kunst gezimmert, Es steckt fich selbst die Lampe an, Die eS mit Pracht durchschimmert; Es hat ein Dach, krystallenrein, Don einem einz'gen Edelstein — Doch noch kein Auge schaute Den Meister, der eS baute.

Kennst du da- Bild auf zartem Grunde? ES giebt sich selber Licht und Glanz. Ein andre- ist'S zu jeder Stunde, Und itnmer ist eö frisch und ganz. Im engsten Raum ist'S ausgeführet, Der kleinste Rahmen faßt eS ein; Doch alle Größe, die dich rühret, Kennst du durch dieses Bild allein. Und kannst du den Krystall mir nennen? Ihm gleicht an Werth kein Edelstein; Er leuchtet, ohne je zu brennen, DaS ganze Weltall saugt er ein. Der Himmel selbst ist abgemalet Zn seinem wundervollen Ring; Und doch ist, waS er von sich strahlet, Noch schöner, als waS er empfing.

Ein Gebäude steht da von uralten Zeiten, ES ist kein Tempel, eS ist kein HauS; Ein Reiter kann hundert Tage reiten, Er umwandert eS nicht, er reitet'« nicht auS Jahrhunderte find vorüber geflogen, ES trotzte der Zeit und der Sturme Heer; Frei steht eS unter dem himmlischen Bogen, ES reicht in die Wolken, eS netzt sich im Meer. Nicht eitle Prahlsucht hat eS gethürmet. ES dienet zum Heil, es rettet und schirmet. Seine- Gleichen ist nicht auf Erden bekannt, Und doch ist'- ein Werk von Menschenhand.

Wir stammen, unser sechs Geschwister, Don einem wundersamen Paar, Die Mutter ewig ernst und düster, Der Vater fröhlich immerdar. Don Beiden erbten wir die Tugend, Von ihr die Mild', von ihm den Glanz; So drehn wir und in ew'ger Jugend Um dich herum im Cirkeltanz. Gern meiden wir die schwarzen Höhlen Und lieben uns den heitern Tag; Wir sind es, die die Welt beseelen Mit unser- Leben- Zauberschlag. Wir sind de- Frühlings lust'ge Boten Und führen seinen muntern Reihn -. Drum fliehen wir daS HauS der Todten: Denn um unS her muß Leben sein. UnS mag kein Glücklicher entbehren, Wir sind dabei, wo man fich freut, Und, läßt der Kaiser sich verehren, Wir leihen ihm die Herrlichkeit.

Wie heißt daS Ding, das Wen'ge schätzen? Doch ziert'S deS größten Kaisers Hand; ES ist gemacht, um zu verletzen; Am nächsten ist s dem Schwert verwandt. Kein Blut vergießt's und macht doch tau­ send Wunden, Niemand beraubt's und macht doch reich; Es hat den Erdkreis überwunden, ES macht das Leben sanft und gleich. Die größten Reiche hat'S gegründet, Die allsten Städte hat'- erbaut; Doch niemals hat es Krieg entzündet, Und Heil dem Volk, daS tym vertraut!

Friedrich wtt Dchillrr.

293

1L Lyrisches und Lyrisch-Didaktisches. Das Eleusische Fest. Windet zum Kranze die goldenen Aehrm, Flechtet auch blaue Cyanm hinein! Freude soll jede» Auge »erklären: Denn die Königinn ziehet ein, Die Brzähmerinn wilder Sitten, Die den Menschen zum Menschen gesellt Und in friedliche, feste Hütten Wandelte da- beweglich» Zelt. Scheu in de» Gebirge- Klüften Barg der Troglodyte fich; Der Nomade ließ dir Triften Wüste liegen, wo er strich; Mit dem Wurfspieß, mit dem Bogen Schritt der Jäger durch da- Land: Weh' dem Fremdling, den die Wogen Warfen an den Unglück-strand! Und auf ihrem Pfad begrüßte, Irrend nach de» Kindes Spur, Ceres die verlass'»« Küste. Ach, da grünte keine Flur! Daß sie hier vertraulich weile, Ist kein Obdach ihr gewährt; Keines Tempel- heitre Säule Zeuger, daß man Götter ehrt. Keine Frucht der süßen Aehren Lädt zum reinen Mahl fir «in; 9tur auf gräßlichen Altären Dorret menschliche» Gebein. Ja, so weit sie wandernd freiste, Fand sie Elend überall, Und in ihrem großen Geiste Jammert sie de- Menschen Fall. „Find' ich so de» Menschen wieder, Dem wir unser Bild geliehn, Dessen schöngestalte Glieder Droben im Olympus blühn? Gaben wir ihm zum Besitze Sticht der Erde Götterschooß, Und auf seinem König-sitze Schweift er elend, heimathlos? Fühlt kein Gott mit ihm Erbarmen? Keiner au- der Sel'gen Chor Hebet ihn mit Wunderarmm Au- der tiefen Schmach empor? In de- Himmels sel'gen Höhen Rühret fie nicht ftemder Schmerz; Doch der Menschheit Angst und Wehen Fühlet mein gequältes Herz. Daß der Mensch rum Ptenschen werde, Stift' er einen tnvgm Bund Gläubig mit der frommen Erde, Seinem mütterlichen Grünt,

Ehr« da» Gesetz der Zeiten Und der Monde heil'gm Gang, Welche still gemessen schreiten Im melodischen Gesang." Und den Nebel theilt fle leise. Der den Blicken fie verhüllt. Plötzlich in der Wilden Kreise Steht sie da, ein Götterbild. Schwelgend bei dem SiegeSu»ahIc Findet sie die rohe Schaar, Und die blutgefüllte Schale Bringt man ihr zum Opfer dar. Aber schaudernd, mit Entsetzen Wendet fie fich weg und spricht: „Blutge Tigermahle netzen Gnes Gotte- Lippen nicht. Reine Opfer will er haben, Früchte, die der Herbst bescheert; Mit de» Felde» stemmen Gaben Wird der Heilige verehrt." Und fie nimmt die Wucht de» Speere» Au» de- Jäger» rauher Hand; Mit dem Schaft de» Mordgewehres Furchet sie dm leichten Sand, Nimmt von ihre» Kranze- Spitze Einen Kern, mit Kraft gefüllt, Senkt ihn in die zarte Ritze, Und der Trieb de» Keime- schwillt. Und mit grünm Halmm schmücket Sich der Boden alsobald, Und, soweit da- Auge blicket, Wogt e-, wie ein goldner Wald. Lächelnd segnet fie die Erde, Flicht der ersten Garbe Bund, Wählt dm Feldstein sich zum Heerde, Und eS spricht der Göttinn Mund: „Vater ZeuS, der über alle Götter herrscht in AetherS Höhn! Daß die» Opfer dir gefalle, Laß ein Zeichen jetzt geschehn! Und dem unglücksel'gm Volke, Da- dich, Hoher, noch nicht nennt, Nimm hinweg de- Auge» Wolke, Daß e- seinen Gott erkennt!" Und e» hört der Schwester Flehen Zeus auf seinem hohen Sitz: Donnemd au» den blauen Höhe» Wirft er den gezackten Blitz. Prasselnd fängt »S an z» lohe», Hebt sich wirbelnd vom Altar, Und darüber schweln im hoben

Kreisen sein gnVhvmm Aar

294

Friedrich vpn Achcher.

Und gerührt zu der Herrscherinn Füßen Stürzt sich der Menge freudig Gewühl, Und die rohen Seelen zerfließen Zn der Menschlichkeit erstem Gefühl, Werfen von sich die blutige Wehre, Oeffnm den düster gebundenen Sinn Und empfangen die göttliche Lehre AuS dem Munde der Königinn.

Auch den Meergott steht man eilen . Rasch mit deS TrtdeltteS Stoß Bricht er die granitnen Säulen AuS dem «rdgerippe loS, Schwingt sie in gewannen Händen Hoch, wie,wwi Leichten Ball, Und mit Hermes, dem behenden, Thürmet er der Mauern Wall.

Und von ihren Thronen steigen Alle Himmlische herab, Themis selber führt den Reigen, Und mit dem gerechten Stab Mißt sie Jedem seine Rechte, Setzet selbst der Grenze Stein, Und des Styr verborgne Machte Ladet sie zu Zeugen ein.

Aber aus den goldnen Saiten Lockt Apoll pte Harmonie Und das holde Maß der Zeiten Und die Macht der Melodie. Mit neunstimmigem Gesänge Fallen die Kamenen ein ; Leise nach deS LiedeS Klange Füget sich der Stein zum Stein.

Und es kommt der Gott der (yfie, Zeus erfindungsreicher Sohn, Bildner künstlicher Gefäße, Hochgelehrt in Erz und Thon. Und er lehrt die Kunst der Zange Und der Blasebälge Zug; Unter seines Hammers Zwange Bildet fich der erste Pflug.

Und der Thore weite Flügel Setzet mit erfahrner Ham* Eybele und fügt die Riegel Und der Schlösser festes Band. Schnell durch rasche Götterhände Ist der Wunderbau vollbracht, Und der Tempel heitre Wände Glänzen schon in FesteSpracht.

Und Minerva, hoch vor Men Ragend mit gewichtigem Speer, Läßt die Stimme mächtig schallen lind gebeut dem Göttcrheer. Feste Mauern will sie gründen, Jedem Schutz und Schirm zu sein, Die zerstreute Welt zu binden In vertraulichem Verein.

Und mit einem Kranz von Myrten Naht die Götterköniginn, Und sie führt den schönsten Hirten Zu der schönsten Hirtinn hin. Benuö mit dem holden Knaben Schmücket selbst das erste Paar, Alle Götter bringen Gaben Segnend den Vermählten dar.

Und sie lenkt die Herrscherschritte Durch des Feldes weiten Plan, Und an ihres Fußes Tritte Heftet fick der Grenzgott an. Messend führet sie die Kette Um deö Hügels grünen Saum; Auch des wilden Stromes Bette Schließt fie in den heil'gen Raum.

Und die neuen Bürger ziehen, Von der Götter sel'gem Eher Eingeführt, mit Harmoniern In daS gastlich offne Thor. lind das Priesteramt verwaltet EereS am Altar deS ZeuS; Segnend ihre Hand gefaltet. Spricht sie zu des Volkes Kreis:

Alle Nymphen, Oreaden, Die der schnellen Artemis Folgen aus deS Berges Pfaden, Schwingend ihren Jägerspieß, Alle kommen, Alle legen Hände an, der Jubel schallt. Und, von ihrer Aerte Schlägen Krachend, stürzt der Fichtenwald.

„Frecheit liebt daS Thier der Wüste, Frei im Aether herrscht der Gott, Ihrer Brust gewalt'ge Lüste Zähmet daS Naturgebot; Doch der Mensch in ihrer Mitte Soll fich an den Menschen reihn, Und allein durch seine Sitte Kann er frei und mächtig sein."

Auch auS seiner grünen Welle Steigt der schilfbekränzte Gott, Wälzt den schweren Floß zur Stelle Auf der Göttinn Machtgebol, Und die leichtgeschürzten Stunden Fliegen, ans Geschäft gewandt, Und die rauhen Stämme runden Zierlich fich in ihrer Hand.

Windet zum Kranze die goldenen Achren, Flechtet auch blaue Eyanen hinein! Freude soll jedes Auge verklären: Denn die Königinn ziehet ein, Die uns die süße Heimath gegeben, Die den Menschen zum Menschen gesellt. Unser Gesang soll sie festlich erheben, Die beglückende Mutter der Welt!

Fritzdttch

mb

Kchtllrv.

395

Die Macht de» K-sas-er (1796). (Sin Regeustrom au- gtlftnriffm — (Sr kommt mit Doooir» Unflytüm, Bergtrümmer folgen feinen Güssen, llnb Eichen stürzen unter ihm; Erstaunt, mit wollustvollem Grausen, Hört ihn der Wanderer und lauscht, Er hört die Fluch vom Felsen brausen, Doch weiß er nicht, woher fie rauscht: So strömen de- Gesanges Wellen Hervor au- nie entdeckten Quellen.

Wie wenn auf einmal in die Kreise Der Freude, mit Giaantenschritt, Gehtimulßvvll nach Gelstaweise, Ein »ngcheure- Schicksal tritt: Da beugt jb jede Erdengröße Dem Fremdling au» der andern Welt, De» Jubel- nichtige» Getöse Verstumm^ und jede Lqrve fällt, Und vor der Wechrhät mächt'aem Siege Verschwindet jede» Werk der Lüge.

Verbündet mit den furchtbar» Wesen, Die still de- Leben- Faden drehn, Wer kann de- Sänger» Zauber lösen, Wer seinen Tönen widerstehn? Wie mit de» Stab de- Götterboten Beherrscht er da- bewegte Herz; Er taucht e- in das Reich der Todten, Er hebt eS staunend himmelwärts lind wiegt e» .zwischen Ernst und Spiele Auf schwanker Leiter der Gefühle.

So rafft von jeder eitelst Bürde, Wenn de- Gesänge» Ruf erschallt. Der Mensch sich auf zur Getsterwürde Und tritt in heiligt Gewalt; Den hohen Göttern ist er eigen, Ihm darf nicht» Irdisches sich nahn, Und jede andre Macht muß schweige», Und kein Berhängmß. fällt ihn an; E» schwinden jede» Kummer» Falken, So lang des Liedes Zauber walten.

Und wie nach hoffstungSlosem Sehnen, Rach langer Trennung bitterst» Schmerz, Ein Rind mit heißen Reuethränen Sich stürzt an seiner Mutter Herz : So führt zu seiner Jugend Hütten, Zu seiner Unschuld reinem Glück, Vom fernen Ausland fremder Sitten Den Flüchtling der Gesang zurück, In der Natur getreuen Armen Von kalten Regeln zu erwärmen.

Die Worte des Glaubens

(1797).

Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer, Sie gehen von Mund zu Munde, Dock stammen fie nicht von außen her; Das Herz nur giebt davon Kunde. Dem Menschen ist aller Werth geraubt, Wenn er nicht mehr an die drei Worte glt

Und die Tugend, fie ist kein leerer Schall, Der Mensch kann sie üben im Leben; Und sollt' er auch straucheln überall, Er kann nach der göttlichen streben; Und wa» kein Verstand der Verständigen sieht, Da» übet in Einsalt ein kindlich Gemüth.

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, Und würd' er in Ketten geboren. Laßt euch nicht irren de» Pöbel» Geschrei, Nicht den Mißbrauch rasender Thoren! Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, Vor dem freien Menschen erzittert nicht!

Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt, Wie auch der menschliche wanke; Hoch über der Zeit und dem Raume webt Lebendig der höchste Gedanke; Und ob Alle» in ewigem Wechsel freist, E» beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.

Die drei Worte bewahret euch, inhaltschwer, Sie pflanzet von Munde zu Munde -, Und stammen sie gleich nicht von außen her, Euer Innre» giebt davon Kunde. Dem Menschen ist nimmer sein Werth geraubt. Sc lang er noch an die drei Worte glaubt.

/ttitri* v-n AchiRer.

296

Sprüche der Konfucius (1799). 2.

i.

Dreifach ist der Schritt der Zeit : Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, Pfeilschnell ist da- Jetzt entflogen, Ewig M steht die Vergangenheit. Keine Ungeduld beflügelt Ihren Schritt, wenn ste verweilt. Keine Furcht, kein Zweifel zügelt Ihren Lauf, wenn ste entellr. Keine Reu', kein Zaubersegen Kann die Stehende bewegen. Möchtest du beglückt und weise Endigen de- Leben- Reise, Nimm die Zögernde zum Rath, Nicht zum Werkzeug deiner That! Wahle nicht die Fliehende zum Freund, Nicht die Bleibende zum Feind!

Dreifach ist de- Raume- Maß. Rastlos fort ohn' Unterlaß Sttebt die Länge fort in- /Weite, Endlo- gießet sich die Breite; Grundlos senkt die Tiefe fich. Dir ein Mld find ste gegeben: Rastlo- vorwärts mußt du streben, Nie ermüdet stille stehn, Willst du die Vollendung sehn; Mußt inS Breite dich entfalten, Soll sich dir die Welt gestalten; In die Tiefe mußt du steigen, Soll sich dir das Wesen zeigen. Nur Beharrung führt zum Ziel, Nur die Fülle führt zur Klarheit, Und im Abgrund wohnt die Wahrheit.

< l t g i € t a.. Der Spaziergang (1795). Sei mir gegrüßt, mein Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel! Sei mir, Sonne, gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint! Dich auch grüß'-ich, belebte Flur, euch, säuselnde Linden, Und den fröhlichen Chor, der auf den Aesten sich wiegt, Ruhige Bläue, dich auch, die unermeßlich sich auSgießt Um das braune Gebirg', über den grünenden Wald, Auch um mich, der, endlich entflohn deS Zimmers Gefängniß Und dem engen /Gespräch, fteudig sich rettet zu dir: Deiner Lüfte balsamischer Strom durchrinnt mich erquickend, Und den durstigen Blick labt das energische Licht. Kräftig auf blühender Au erglänzen die wechselnden Farben, Aber der reizende Stteit löset in Anmuth sich auf.; Frei empfängt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich, Durch ihr fteundlicheS Grün schlingt sich der ländliche Pfad, Um mich summt die geschäftige Biene, mit zweifelndem Flügel Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichen Klee; Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste, Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft. Doch jetzt braust'S aus dem nahen Gebüsch, tief neigen der Erlen Kronen sich, und im Wind wogt das versilberte Gras; Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung Nirnnn ein prächtige- Dach schattender Buchen mich ein. In deS Waldes Geheimniß entflieht mir aus einmal die Landschaft, Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor. Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubiges Gitter Sparsames Licht, und eS blickt lachend das Blaue herein. Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald giebt Ueberraschend deS Tags blendendem Glanz mich zuruck. Unabsehbar ergießt sich vor meinen Blicken die Ferne, Und ein blaues Gebirg' endigt im Dufte die Welt. Tief an deS Berges Fuß, der jählings unter mir abstürzt, Wallet des grünlichen Stroms fließender Spiegel vorbei

M»rtch tm Kchiker. Endlos unter mb seh' ich dm Archer, über mir endl-S, Blicke mit Schwindeln hinauf, -licke mit Schaudern hinab. Aber zwischen der ewigm Höh' und der ewigen Tiefe Trägt ein geländerter Steig -cher den Wandrer dahin. Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber, Und dm ftöhlichm Fleiß rühmet daS prangende Thalß Jene Ltnim, fleh'! die de- Landmanns Eigenchum scheiden, Zn den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt. Freundliche Schrift des Gesetzes, deS menfchmerhaltmdm Gottes, Seit auS der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand! Aber in fteierm Schlangen durchkreuzt die geregeltm Felder, Jetzt verschluagm vom Wald, jetzt an dm Bergen hinauf Klimmend, ein schimmernder Streif, die länderverknüpfende Straße; Auf dem ebmen Strom gleiten die Flöße dahin; Vielfach ertönt der Heerdm Geläut' im belebten Gefilde, Und den Widerhall weckt einsam deS Hirten Gesang. Muntre Dörfer bekränzen den Strom, in Gebüschen verschwinden Andre, vom Rücken de- Bergs stürzen fie jäh dort herab. Nachbarlich wohnet der Mensch noch mit dem Acker zusammen, Seine Felder umruhn ftievlich sein ländliche- Dach; Traulich rankt sich die Reb' empor an dem niedrigm Fenster, Einen umarmmden Zweig schlingt um die Hütte der Baum. Glückliches Volk der Gefilde! noch nicht zur Freiheit erwachet, Theilst du mit deiner Flur ftöhlich das enge Gesetz; Deine Wünsche beschränkt der Ernten ruhiger Kreislauf, Wie dein Tagewnck, gleich, windet dein Leben fich ab! Aber wer raubt mir auf einmal den lieblichen Anblick? Ein ftemder Geist verbreitet fich schnell über die fremdere Flur. Spröde sondert fich ab, was kaum noch liebend fich mischte, Und daS Gleiche nur ist's, waS an das Gleiche sich reiht. Stände seh' ich gebildet, der Pappeln stolze Geschlechter Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig daher, Regel wird ÄlleS, und Alles wird Wahl und Alle- Bedeutung, Diese- Dienergefolg' meldet den'Herrscher mir an; Prangend verkündigen ihn von fern die beleuchteten Kuppeln, Aus dem felsigen Kern hebt sich die thürmende Stadt. In die Wildniß hinaus find de- Waldes Faune verstoßen, Aber die Andacht leiht höheres Leben dem Stein. Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen. Enger wird um ihn, Reger erwacht, eS umwälzt rascher fich in ihm die Welt. Sieh', da entbrennen in feurigem Kampf die eifernden Kräfte, Großes wirket ihr Stteit, Größeres wirket ihr Bund. Tausend Hände belebt ein Geist, hoch schlaget in tausend Brüsten, von einem Gefühl glühend, ein einziges Herz, Schlägt für das Vaterland und glüht für der Ahnen Gesetze; Hier auf dem theuren Grund ruht ihr verehrte- Gebein. Nieder steigen vom Himmel die seligen Götter und nehmen In dem geweihten Bezirk festliche Wohnungen ein; Herrliche Gaben bescheerend, erscheinen fie: Ceres vor Allen Bringet deS Pfluges Geschenk, HermeS den Anker herbei, Bacchus die Traube, Minerva deS OelbaumS grünende Reiser, Auch daS kriegrische Roß führet Poseidon heran, Mutter Cybele spannt an deS Wagens Deichsel die Löwen, In daS gastliche Thor zieht sie als Bürgerinn ein. Heilige Steine! AuS euch ergossen fich Pflanzer der Menschheit, Fernen Inseln des Meers sandtet ihr Sitten und Kunst, Weise sprachen das Recht an diesen geselligen Thoren, Helden stürzten zum Kampf für die Penaten heraus. Auf den Mauern erschienen, den Säugling im Arme, die Mütter, Blickten dem Heerzug nach, bis ihn die Ferne verschlang.

2*

29*

Friedrich von SchiLrr^ Betend stürzten fit dann vor der Götter Altären fich nieder, Flehten um Ruhm und Sieg, flehten um Rückkehr für euch. Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke. Eurer Thatm Verdienst meldet der rührende Stein: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest „Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl." Ruhet sanft, ihr Geliebte! Von euttm Blute begossen, Grünet der Oelbaum, es keimt lustig die köstliche Saat. Munter entbrennt, des Eigenthums froh, daS freie Gewerbe, AuS dem Schilfe des Stroms winket ver bläuliche Gott. Zischend stiegt in dm Baum die Art, eS erseufzt die Dryade, Hoch von deS Berge- Haupt stürzt fich die donnernde Last. Aus dem FelSbruch wiegt fich der Stein, vom Hebel beflügelt ; Zn der Gebirge Schlucht taucht fich der Bergmann hinab. Mulcibers Ambos tönt von dem Takt geschwungener Hämmer; Unter der nervigen Faust spritzen die Funken deS Stahls. Glänzmd umwindet der goldene Lein die tanzmde Spindel; Durch die Saiten deÄ Garn- sauset daS webende Schiff. Fern auf der Rhede ruft der Pilot, eö warten die Flotten, Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischm Fleiß; Andre ziehen frohlockend dort ein mit den Gaben der Ferne, Hoch von dem ragenden Mast wehet der festliche Kranz. Siehe, da wimmeln die Märkte, der Krähn von fröhlichem Leben, Seltsamer Sprachen Gewirr' braus't in daS wundernde Ohr. Auf den Stapel schüttet die Ernten der Erde der Kaufmann, Was dem glühenden Sttahl Afrikas Boden gebiert, Was Arabim kocht, was die äußerste Thule bereitet, Hoch mit erfteumdem Gut füllt Amalthea daS Hont. Da gebieret daS Glück dem Talente die göttlichen Kinder, Von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust. Mit nachahmendem Leben erfreuet der Bildner die Augen, Und vom Meißel beseelt, redet der fühlende Stein; Künstliche Himmel ruhn auf schlanken jonischen Säulen, Und den ganren Olymp schließet ein Pantheon ein; Leicht, wie der ZriS Sprung durch die Luft, wie der Pfeil von der Sehne, Hüpfet der Brücke Zoch über den brausenden Strom. Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Cirkel Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden Geist, Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben, Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Aether dem Strahl, Sucht daS vertraute Gesetz in de- Zufalls grausenden Wundern, Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht. Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken, Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt. Da zerrinnt vor dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes, Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht. Seine Fesseln zerbricht der Mensch, der beglückte! Zerriff' er Mit den Fesseln der Furcht nur nicht den Zügel der Scham! Freiheit! tust die Vernunft, Freiheit! die wilde Begierde, Von der heil'gen Natur ringen fie lüstern sich los. Ach, da reißen im Sturm die Anker, die an dem Ufer Warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der flutende Strom. In- Unendliche reißt er ihn hin, die Küste verschwindet, Hoch auf der Fluthen Gebirg wiegt sich entmastet der Kahn; Hinter Wolken erloschen des Wagens beharrliche Sterne, Bleibend ist nichts mehr, eS irrt selbst in dem Busen der Gott. Aus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, Glauben und Treue Auö dem Leben, eS lügt selbst aus der Lippe der Schwur; In der Herzen vertraulichsten Bund, in der Liebe Gehcimnih Drängt sich der Sykophant, reißt von dem Freunde den Freund :

FriSrich ora Auf die Unschuld schielt der Verrath mit verschlingendem Blicke, Mit vergiftendem Biß tödtet deS Lästerer- Zahn; Kell ist in der geschändeten Brust der Gedanke, die Liebe Wirst de- fteien Gefühl- göttlichen Adel hinweg; Deiner heiligen Zeichen, o Wahrheit, hat der jvetrug stch Angemaßt, der Natur köstlichste (Stimmen entweiht, Die da- bedürftige Herz in der Freude Drang stch erfindet; Kaum giebt wahre- Gefühl noch durch Verstummen sich kund; Auf der Tribune prahlet da- Recht, in der Hütte die Eintracht, DeS Gesetze- Gespenst steht an der Könige Thron. Jahre lang mag, Jahrhunderte lang die Mumie dauern, Mag da- trügende Bild lebender Fülle bestehn, Bis die Natur erwacht, und mit schweren, ehernen Händen An da- hohle Gebäu rühret die Noth und die Zeit — Einer Tigerin gleich, die da- eiserne Gitter durchbrochen Und de- numidischen Wald- plötzlich und schrecklich gedenkt — Aufsteht mit de- Verbrechen- Wuth und de- Elend- die Menschheit Und in der Asche der Stadt sucht die verlorne Natur. O, so öffnet euch, Mauern, und gebt den Gefangenen ledig, Zu der verlassenen Flur kehr' er gerettet zurück! Aber wo bin ich? Eü birgt sich der Pfad. Abschüssige Gründe Hemmen mit gähnender Kluft hinter mir, vor mir den Schritt. Hinter mir blieb der Gärten, der Hecken verttaute Begleitung, Hinter mir jegliche Spur menschlicher Hände zurück. Rur die Stoffe seh' ich gethürmt, aus welchen da- Leben Keimet, der rohe Basalt hofft auf die bildende Hand, Brausend stürzt der Gießbach herab durch die Rinne de- Felsen, Unter den Wurzeln de- Baums bricht er entrüstet stch Bahn. Wild ist e- hier und schauerlich öd'. 3m einsamen Luftraum Hängt nur der Adler und knüpft an da- Gewölke die Welt. Hoch herauf bi- zu mir trägt keines Windes Gefieder Den verlorenen Schall menschlicher Mühen und Lust. Bin ich wirklich allein? In deinen Armen, an deinem Herzen wieder, Natur, ach! und e- war nur ein Traum, Der mich schaudernd ergriff; mit de- Leben- furchtbarem Bilde, Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab. Reiner nehm' ich mein Leben von deinem reinen SUtare, Rehme den fröhlichen Muth hoffender Zugend zurück! Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig Mederholter Gestalt wälzen die Thaten sich um. Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne Ehrst du, fromme Statur, züchtig das alte Gesetz; Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne, Wa- dir da- gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut, Nährest an gleicher Brust die vielfach wechselnden Älter; Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter, Und die Sonne Homer-, siehe! sie lächelt auch unS.

Klage der Ceres (1796). 3st der holde Lenz erschienen? Hat die Erde sich verjüngt ? Die besonnten Hügel grünen, Und des Eise- Rinde springt. AuS der Ströme blauem Spiegel Lacht der unbewölkte Zeus,

Milder wehen Zephyr- Flügel, Augen treibt das junge Reis. 3n dem Hain erwachen wieder, Und die Oreade spricht: „Deine Blumen kehren wieder. Deine Tochter kehret nicht."

360

Friedrich von Schiller.

Ach, wie lang' ist'-, daß ich walle, Suchend durch der Erde Flur! Titan, deine Strahlen alle Sandt' ich nach der theuren Spur; deiner hat mir noch verkündet Bon dem lieben Angesicht, Und der Tag, der Alles findet, Die Verlorne fand er nicht. Hast du, Zeus, sie mir mtriflm? Hat, von ihrem Reiz gerührt, Zu des Orkus schwarzen Flüssen Pluto sie hinabgeführt? Wer wird nach dem düstern Strande Meines Grames Bote fein? Ewig stößt der Kahn vom Lande, Doch nur Schatten nimmt er ein. Jedem sel'gen Aug' verschlossen Bleibt daS nächtliche Gefild, Und so lang der Styr geflossen, Trug er kein lebendig Bild. Nieder führen tausend Steige, Keiner führt zum Tag zurück; Ihre Thränen bringt kern Zeuge Vor der bangen Mutter Blick. Mütter, die aus Pyrrhas Stamme Sterbliche geboren find, Dürfen durch des Grabes Flamme Folgen dem geliebten Kind; Nur, was JoviS HauS bewohnet, Nahet nicht dem dunkeln Strand, Nur die Seligen verschonet, Parcen, eure strenge Hand. Stürzt mich in die Nacht der Nächte Aus deS Himmels goldnem Saal! Ehret nicht der Göttinn Rechte: Ach, sie find der Mutter Qual! Wo sie mit dem finstern Gatten Freudlos thronet, stieg' ich hin, Träte mit den leisen Schatten Leise vor die Herrscherinn. Ach, ihr Auge, feucht von Zähren, Sucht umsonst daS golvne Licht, Irret nach entfernten Sphären, Auf die Mutter fällt es nicht; Bis die Freude fie entdecket, Bis sich Brust mit Brust vereint, Und, zum Mitgefühl erwecket, Selbst der rauhe Orkus weint. Eitler Wunsch! verlorne Klagen 1 Ruhig in dem gleichen GleiS Rollt deS Tages sichrer Wagen, Ewig steht der Schluß des ZeuS. Weg von jenen Finsternissen Wandt' er sein beglücktes Haupt,

Einmal in die Nacht gerissen, Bleibt sie ewig mir geraubt, Bis des dunkeln Stromes Welle Von Auroren- Farben glüht, Iris mitten durch die Hölle Ihren schönen Bogen zieht. Ist mir nichts von ihr geblieben, Nicht ein süß erinnernd Pfand, Daß die Fernen sich noch lieben, Keine Spur der theuren Hand? Knüpfet sich kein Liebesknoten Zwischen Kind und Mutter an? Zwischen Lebenden und Todten Ist kein Bünvniß aufgethan? Stein, nicht ganz ist sie entflohen! Nein, wir sind nicht ganz getrennt! Haben unS die ewig Hohen Eine Sprache doch vergönnt! Wenn deS Frühling- Kinder sterben, Wenn des Nordens kaltem Hauch Blatt und Blume sich entfärben, Traurig steht der nackte Strauch: Nehm' ich mir das höchste Leben AuS Dertumnus reichem Horn, Opfernd eö dem Styr zu geben, Mir des Samens goldne- Korn. Traurend senk' ich'- in die Erde, Leg' cd an des Kindeö Herz, Daß eS eine Sprache werde Meiner Liebe, meinem Schmerz. Führt der gleiche Tanz der Horen Freudig nun den Lenz zurück: Wird da- Todte neu geboren Von der Sonne Lebensblick. Keime, die dem Auge starben In der Erde kaltem Schooß, In das heitre Reich der Farben Ringen sie sich freudig loS. Wenn der Stamm zum Himmel eilet, Sucht die Wurzel scheu die Nacht; Gleich in ihre Pflege theilet Sich der Styr, des Aelhers Macht. Halb berühren sie der Todten, Halb der Lebenden Gebiet: Ach, fie sind mir theure Boten, Süße Stimmen vom Kocyt! Hält er gleich sie selbst verschlossen In dem schauervollen Schlund: Aus des Frühlings jungen Sprossen Redet mir der holde Mund, Daß auch fern vom goldnen Tage, Wo die Schatten traurig zichn, Liebend noch der Busen schlage, Zärtlich noch die Herzen glühn.

von Schiller.

O, so laßt euch tmxüßm, Kinder der verjüngten An! Euer Kelch soll uberfließm Von des Nektar» reinstem Thau. Tauchen will ich euch in Strahlen, Mit der Iris schönstem Licht

Will ich eure Blätter malm, Gleich Auroren» Angestcht. In de» LmzrS beiterm Glanze Lese jede zane Brust, In de» Herbste» welkem Kranze Meinen Schmerz und meine Lust.

Epigrammatische».

Der Sämann (1795). Siehe, voll Hoffnung vertraust du der Erde dm goldenen Samen Und erwartest im Lenz ftöhlich die keimmde Saat. Nur in die Furche der Zeit bedenkst du dich Thaten zu streuen, Die, von der Weisheit gesät, still für die Ewigkeit blühn?

Die Johanniter (1795). Herrlich kleidet sie euch, de» Kreuze» furchtbare Rüstung, Wenn ihr, Löwen der Schlacht, Akkon und Rhodu» beschützt, Durch die syrische Wüste dm bangm Pilgrim geleitet Und mit der Cherubim Schwert steht vor dem heiligen Grab. Aber, rin schönerer Schmuck, umgirbt euch die Schürze de» Wärter», Wenn ihr, Löwm der Schlacht, Söhne de» edelstm Stamm», Dient an de» Kranken Bttt, dem Lechzenden Labung bereitet Und die niedrige Pflicht christlicher Milde vollbringt. Religion des Kreuze», nur du verknüpftest in einem Kranze der Demuth und Kraft doppelte Palme zugleich!

Eolumbus. Strure, wüthiger Segler! E» mag der Witz dich verhöhnen, Und der Schiffer am Steu'r senken die lässige Hand. Immer, immer nach West! Dort muß di« Küste stch zeigen, Liegt sie doch deutlich und liegt schimmernd vor deinem Verstand. Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer: Wär' sie noch nicht, sie stieg' jetzt au» dm Fluchen empor. Mit dem Geniu» steht die Natur in ewigem Bunde: Wa» der Eine verspricht, leistet die Andre gewiß.

Ilias (1795). Immer zerreißet den Kranz de» Homer und zählet die Väter De» vollendeten ewlgm Werk»! Hat e» doch eine Mutter nur und die Züge der Mutter, Deine unsterblichen Züge, Natur!

Die Sänger der Vorwelt (1796). Sagt, wo find die Vortrefflichen hin, wo find' ich die Sänger, Die mit dem lebenden Wort horchende Völker entzückt, Die vom Himmel den Gott, zum Himmel dm Menschm gesungen Und getragen den Geist hoch auf den Flügeln de» Lied»?



302

Friedrich tum Schiller. Ach, noch leben die Sänger; nur fehlen die Thaten, die Lyra Freudig zu wecken, e- fehlt, ach! ein empfangende- Ohr. Glückliche Dichter der glücklichen Welt! Von Munde zu Munde Flog, von Geschlecht zu Geschlecht euer empfundene- Wort. Wie man die Götter enrpfängt, so begrüßte Zeder mit Andacht, Wa- der Genius ihm, redend und bildend, erschuf. An der Gluth de- Gesang- entflammten de- Hörers Gefühle, An de- Hörer- Gefühl nährte der Sänger die Gluth — Nährt' und reinigte ste, der Glückliche! dem in de- VolkeStimme noch hell zurück tönte die Seele de- Lied-, Dem noch von außen erschien, im Leben, die himmlische Gottheit, Die der Neuere kaum, kaum noch im Herzen vernimmt.

Zenith und Nadir. Wo du auch wandelst im Raum, e- knüpft dein Zenith und Nadir An den Himmel dich an, dich an die Achse der Welt. Wie du auch handelst in ihr, es berühre den Himmel der Wille, Durch die Achse der Welt gehe die Richtung der That!

Das Kind in der Wiege. Glücklicher Säugling! dir ist ein unendlicher Raum noch die Wiege, Werde Mann, und dir wird eng die unendliche Welt.

Das Unwandelbare. „Unaufhaltsam enteilet die Zeit." — Sie sucht da- Beständ'ge. Sei getreu, und du legst ewige Fesseln ihr an.

Das Höchste. Suchst du da- Höchste, das Größte? Die Pflanze kann eS dich lehren WaS ste willenlos ist, sei du eS wollend — da- ist'ö!

Botivtafeln

(1796).

WaS der Gott mich gelehrt, was mir durchs Leben geholfen, Hang' ich, dankbar und fromm, hier in dem Heiligthum auf. Zweierlei Wirkung-arten.

Wirke Gutes, du nährst der Menschheit göttliche Pflanze; Bilde Schöne-, du streust Keime der Göttlichen aus. Unterschied der Stände.

Adel ist auch in der sinnlichen Welt. Gemeine Naturen Zahlen mit dem, waö ste thun, edle mit dem, was sie sind. Da- Werthe und Würdige.

Hatt du etwa-, so theile mir'- mit, und ich zahle, waS recht ist; Bist du etwa-, o, dann tauschen die Seelen wir aus.

Friedrich

von

-chiitkr

Jetzige Generation.

War es immer, wie jetzt? Ich kann da- Geschlecht nicht begreifm. Nur das Alter ist jung, ach! und die Zugend ist alt. Pflicht für Jeden.

Immer strebe zum Ganzen! und kannst du selber kein Ganzes Werden, als dienende- Glied schließ' an ein Ganzes dich an! Aufgabe.

Keiner sei gleich dem Andern, doch gleich sei. Zeder dem Höchsten! Wie da- zu machen? Es sei Jeder vollendet in sich. Der Schlüssel.

Willst du dich selber erkennm, so steh', wie die Andern e- treiben. Willst du die Andern verstehn, blick' in dein eigene- Herz. Die Uebereinstimmung.

Wahrheit suchen wir Beide, du außen im Leben, ich innen Zn dem Herzen, und so findet fie Zeder gewiß. Ist da- Auge gesund, so begegnet e- außen dem Schöpfer; Ist e- da- Herz, dann gewiß spiegelt e- innen die Welt. Inneres und Aeußeres.

„Gott nur flehet da- Herz." — Drum eben, weil Gott nur das Herz steht, Sorge, daß wir doch auch etwas Erträgliche- sehtt. Freund und Feind.

Theuer ist mir der Freund; doch auch den Feind kann ich nützen: Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, wa- ich soll. Der Genius.

Wiederholen zwar kann der Verstand, wa- da schon gewesen; WaS die Natur gebaut, bauet er wählend ihr nach. Ueber Natur hinaus baut die Vernunft, doch nur in da- Leere. Du nur, Genius, mehrst in der Natur die Natur. Die Forscher.

Alle- will jetzt den Menschen von innen, von außen ergründen : Wahrheit, wo rettest du dich hin vor der wüthenden Jagd? Dich zu fangen, ziehen ste auS mit Netzen und Stangen; Aber mit Geiste-tritt schreitest du mitten hindurch. Wahl.

Kannst du nicht Allen gefallen durch deine That und dtin Kunstwerk: Mach' es Wenigen recht; Vielen gefallen, ist schlimm. Dilettant.

Weil ein BerS dir gelingt in einer gebildeten Sprache, Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein? Der Meister.

Jeden anderen Meister erkennt man an dem, was er ausspricht; Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Styl-.

304

Friedrich von Schiller.

Falscher Studirtrieb (1796). 0, wie viel neue Feinde der Wahrheit! Mir blutet die Seele, Seh' ich daS Eulengeschlecht, das zu dem Lichte flch drängt.

Quelle der Verjüngung. Glaubt mir, eS ist kein Mährchen, die Quelle der Jugend, sie rinnet Wirklich und immer. Ihr fragt, wo? In der dichtenden Kunst.

Der Naturkreis. Alles, du Ruhige, schließt sich in deinem Reiche: so kehret Auch zum Kinde der GreiS kindisch und kindlich zurück.

Erwartung und Erfüllung. Zn den Ocean schifft mit tausend Masten der Jüngling; Still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis.

Das gemeinsame Schicksal. Siehe, wir Haffen, wir streiten, eS trennet-unS Neigung und Meinung; Aber es bleichet indeß dir sich die Locke, wie mir.

Deutscher Genius. Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit! Beides gelang dir; doch nie glückte der gallische Sprung.

Kleinigkeiten. Der epische Herameter.

Schwindelnd trägt er dich fort aus rastlos strömenden Wogen: Hinter dir stehst du, du siehst vor dir nur Himmel und Meer. Das Distichon.

Im Herameter steigt des Springquells flüssige Säule; Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab. Die achtzeiltge Stanze.

Stanze, dich schuf die Liebe, die zärtlich schmachtende — dreimal Fliehest du schamhaft und kehrst dreimal verlangend zurück. Das Thor.

Schmeichelnd locke das Thor den Wilden herein zum Gesetze; Froh in die freie Natur führ' es den Bürger hcrallö!

Friedrich von Schiller

305

Wissenschaft. Einem ist st« die hohe, die himmlische Göttinn, dem Andern Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt.

Die Flüsse. Rhein.

Treu, wie dem Schweizer gebührt, bewach' ich Germanien- Grenze; Aber der Gallier hüpft über den duldenden Strom. Donau.

Mich umwohnt mit glänzendem Aug' das Volk der Phaiaken: Immer ist's Sonntag, eö dreht immer am Heerd sich der Spieß. Main.

Meine Burgen zerfallen zwar; doch getröstet erblick' ich Seit Jahrhunderten noch immer das alte Geschlecht. Saale.

Kurz ist mein Lauf und begrüßt der Fürsten, der Völker so viele; Aber die Fürsten find gut, aber die Völker sind frei. Ilm.

Meine Ufer sind arm; doch höret die leisere Welle, Führet der Strom sie vorbei, manches unsterbliche Lied. Elbe.

All' ihr Andern, ihr sprecht nur ein Kauderwälsch — unter den Flüssen Deutschlands rede nur ich, und auch in Meißen nur, deutsch. Spree.

Sprache gab mir einst Rammler und Stoff mein Cäsar: da nahm ich Meinen Mund etwas voll, aber ich schweige seitdem. Weser.

Leider von mir ist gar nichts zu sagen: auch zu dem kleinsten Epigramme, bedenkt, geb' ich der Muse nicht Stoff.

in. Dramatisches. Wallensteins Tod. Der zweite Theil deS großen dramatischen Gedichte- Wallenstein beginnt in dem Zeitpunkt, da Wallenstein die unwillkommene Nachricht erhält, daß der Unterhändler Wallenstein's mit den Schweden, Sefln, von einem dem Kaiser ergebenen Feldherrn aufgefan­ gen ist, so daß dadurch Wallenstein's Plan dem Kaiser verrathen, und er gezwungen scheint, das Bündniß mit den Schweden abzuschließen und sich offen für den Feind des Kaisers zu erklären. Terzky, sein Schwager, und Jllo, ein ihm besonder- ergebener Feldherr, suchen ihn zur schleunigen Ausführung seines Planes zu überreden, während Wallenstein noch schwankt. Ein schwedischer Oberst ist zur Unterhandlung mit ihm gesendet und wartet auf seine Entscheidung. Zlnnow's deutsch. Ged. Samnil.

306

Friedrich von Schiller. Erster Aufzug. Vierer Auftritt. Wallenstein, mit sich selbst redend. Wär'S möglich? Könnt' ich nicht mehr, wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mirs beliebt? Ich müßte Die That vollbringen, weil ich sie gedacht, Nicht die Versuchung von mir wies — das Herz Genährt mit diesem Traum, auf ungewisse Erfüllung hin die Mittel mir gespart, Die Wege bloß mir offen hab' gehalten? — Beim großen Gott deS Himmels! ES war nicht Mein Ernst, beschloff'ne Sache war eS nie. In dem Gedanken bloß gefiel ich mir; Die Freiheit reizte mich und das Vermögen. War's Unrecht, an ^>em Gaukelbilde mich Der königlichen Hoffnung zu ergötzen? Blieb in der Brust mir nicht der Wille frei, Und sah ich nicht den guten Weg zur Seite, Der mir die Rückkehr offen stets bewahrte? Wohin denn seh' ich Plötzlich mich geführt ? BahnloS liegt's hinter mir, und eine MauerAus meinen eignen Werken baut sich auf, Die mir die Umkehr thürmenv hemmt! (Er bleibt tiefsinnig stehen.)

Strafbar erschein' ich, und lch kann die Schuld, Wie ich's versuchen mag, nicht von mir wälzen. Denn mich verklagt der Doppelsinn des Lebens, Und — selbst der frommen Quelle reine That Wird der Verdacht, schlimmdeutend, mir vergiften War ich, wofür ich gelte, der Verrätheri Ich hätte mir den guten Schein gespart, Die Hülle hätt' ich dicht um mich gezogen, Dem Unmuth Stimme nie geliehn. Der Unschuld, DeS unverführten Willens mir bewußt, Gab ich der Laune Raum, der Leidenschaft — Kühn war das Wort, weil eS die That nicht war Jetzt werden sie, waS planlos ist geschehn, Weitsehend, planvoll mir zusammenknüpfen Und, waS der Zorn und was der frohe Muth Mich sprechen ließ im Ueberfluß des HerzenS, Zu künstlichem Gewebe mir vereinen Und eine Klage furchtbar draus bereiten, Dagegen ich verstummen muß. So hab' ich Mit eignem Netz verderblich mich verstrickt, Und nur Gewaltthat kann eS reißend lösen. (Wiederum stille stehend.)

Wie anders, da deS Muthes freier Trieb Zur kühnen That mich zog, die, rauh gebietend, Die Noth jetzt, die Erhaltung von mir heischt! Ernst ist der Anblick der Nothwendigkeit. Nicht ohne Schauder greift des Menschen Hand In des Geschicks geheimnißvolle Urne. In meiner Brust war meine That noch mein; Einmal entlassen aus dem sichern Winkel DeS Herzens, ihrem mütterlichen Boden, HinauSgegeben in deS Lebens Fremde, Gehört sie jenen tück'schen Mächten an, Die keines Menschen Kunst vertraulich macht. (Er macht heftige Schritte durch's Zimmer, dann bleibt er wiede­ sinnend sieben.)

m

Friedrich ». Der Schwede muß sich vorsehn nut dem Deutschen. Man hat unS über's Ostmeer hergerufen ; Gerettet haben wir vom Untergang Das Reich — mit unserm Blut des Glaubens Freiheit, Die heil'ge Lehr' des Evangeliums Versiegelt — Aber jetzt schon fühlet man Nicht mehr die Wohlthat, nur die Last, erblickt Mit scheelem Aug' die Fremdlinge im Reiche Und schickte gern mit einer Handvoll Geld UnS hktm in unsre Wälder. Nein! wir haben Um JudaS Lehn, um klingend Geld und Silber

Friedrich von Schiller. Den König auf der Wahlstatt nicht gelaffm! So vieler Schweden adeliges Blut, ES ist um Gold und Silber nicht geflossen! Und nicht mir magerm Lorbeer wollen wir Zum Vaterland die Wimpel wieder lüsten; Wir wollen Bürger bleiben auf dem Boden, Den unser König fallend sich erobert. Wallenstein. Helft den gemeinen Feind mir niederhalten: Das schöne Grenzland kann euch nicht entgehn. Wrangel. Und, liegt zu Boden der gemeine Feind, Wer knüpft die neue Freundschaft dann zusammen? Uns ist bekannt, Herr Fürst — wenn gleich der Schwede Nicht- davon merken soll — daß Ihr mit Sachsen Geheime Unterhandlung pflegt. Wer bürgt uns Dafür, daß wir nicht Opfer der Beschlüsse find, Die man vor und zu hehlen nöthig achtet? Wallenstein. Wohl wählte sich der Kanzler seinen Mann, Er hätt' mir keinen zähern schicken können. (Aufstehend.)

Besinnt Euch eine- Bessern, Gustav Wrangel. Von Prag nicht- mehr! Wrangel. Hier endigt meine Vollmacht. Wallenstein. Euch meine Hauptstadt räumen! Lieber tret' ich Zurück — zu meinem Kaiser. Wrangel. Wenn'S noch Zeit ist. Wallenstein DaS steht bei mir, noch jetzt, zu jeder Stunde. Wra ngel. Vielleicht vor wenig Tagen noch. Heut' nicht mehr. — Seit der Sestn' gefangen sitzt, nicht mehr. (Wie Wallenstein betreffen schweigt.)

Herr Fürst! Wir glauben, daß Sie'S ehrlich meinen: Seit gestern sind wir deß gewiß — Und, nun Dies Blatt unS für die Truppen bürgt, ist nichts, WaS dem Vertrauen noch im Wege stände. Prag soll unS nicht entzweien. Mein Herr Kanzler Begnügt sich mit der Altstadt, Euer Gnaden Läßt er den Hradschin und die kleine Seite. Doch Eg er muß vor Allem sich und öffnen, Eh' an Conjunction zu denken ist. Wallenstein. Euch also soll ich trauen, ihr nicht mir? Ich will den Vorschlag in Erwägung ziehn. Wrangel. In keine gar zu lange, muß ich bitten. InS zweite Jahr schon schleicht die Unterhandlung: Erfolgt auch diesmal nichts, so will der Kanzler Aus immer sie für abgebrochen halten. Wallenstein. Ihr drängt mich sehr. Ein solcher Schritt will wohl Bedacht sein. Wrangel. Eh' man überhaupt dran denkt, Herr Fürst! durch rasche That nur kann er glücken. (Er gebt ab.)

311

312

Friedrich vor» Schiller.

Noch immer bleibt Wallenstein schwankend in seinem Entschluß, bis die Gräfinn Terzky durch stachelnde Worte ihn endlich dabin bringt, daß er stch entschließt, vollständig mit dem Kaiser zu brechen. (6ter und 7ter Auftritt.) Wallenstein sendet den Generallleutenant Octavio Piccolomini mit dem Aufträge fort, daß er unter dem schein, gegen ihn ru handeln, stets zögernd abwarten soll, bis Alles glücklich beendigt ist. Octavio's Sohn, Mar Piccolomini, wird von Wallenstein vergeblich aufgefordert, seiner Pflicht gegen den Kaiser zu entsagen; er versucht vielmehr auf alle Weise, den Wallenstein von dem Ent­ schlüsse, stch von dem Kaiser loszusagen und mit den Schweden zu verbinden, zurückzu­ bringen. AlS er ihn dazu nicht zu bewegen vermag, verläßt er thn schnell.

Zweiter Aufzug. Dritter Austritt. Wallenstein. Terzky. Gleich darauf Jllo. Terzkv. Mar Piccolomini verließ dich eben* Wallenstein. Wo ist der Wrangel* Terzky. Fort ist er. Wallenstein. So eilig* Terzky. Es war, als ob die Erd' ihn eingeschluckt. Er war kaum von dir weg, als ich ihm nachging: Ich hatt' ihn noch zu sprechen — doch weg war er, Und Niemand wußte mir von ihm zu sagen. Ich glaub', eS war der Schwarze selbst gewesen: Ein Mensch kann nicht auf einmal so verschwinden. Jllo tkommt). Jst'S wahr, daß du den Alten willst verschickend Terzky. Wie* Den Octavio! Wo denkst du hin* Wallenstein. Er geht nach Frauenberg, die spanischen Und walschen Regimenter anzuführen. ' Terzky. Das wolle Gott nicht, daß du das vollbringst! Jllo. Dem Falschen willst du KriegSvolk anvertrauen* Ihn auS den Augen lassen, grade jetzt, In diesem Augenblicke der Entscheidung* Terzky. DaS wirst du nicht thun. Nein, um Alles nicht! Wallenstein. Seltsame Menschen seid ihr. Jllo. O, nur diesmal Gieb unsrer Warnung nach. Laß ihn nicht fort. Wallenstein. Und warum soll ich ihm dies eine Mal Sticht trauen, da ich's stets gethan? Was ist geschehn, Das ihn um meine gute Meinung brächte* Aus eurer Grille, nicht der meinen, soll ich Metn alt erprobtes Urtheil von ihm ändern* Denkt nicht, daß ich ein Weib sei. Weil ich ihm Getraut blS heut, will ich auch heut' ihm trauen

Friedrich von Schiller. Terzky. Muß es denn der just sein? Schick' einen Andern! Wallenstein. Der muß eS sein, den hab' ich mir erlesen. Er taugt zu dem Geschäft. Drum gab' ich'- ihm. Jllo. Weil er ein Walscher ist, drum taugt er dir. Wallenstein. Weiß wohl, ihr wart den Beiden nie gewogen, Weil ich sie achte, liebe, euch und Andern Vorziehe flchtbarlich, wie fie's verdienen; Drum find fie euch ein Dorn im Auge! WaS Geht euer Neid mich an und mein Geschäft? Daß ihr fle haßt, daS macht sie mir nicht schlechter. Liebt oder haßt einander, wie ihr wollt: Ich lasse Jedem seinen Sinn und Neigung, Weiß doch, was mir ein Jeder von euch gilt. Jllo. Er geht nicht ab — müßt' ich die Raver ihm am Wagen Zerschmettern lassen. Wallenstein. Mäßige dich, Jllo! ^ Terzky. Der Questenberger, al- er hier gewesen, Hat stet- zusammen auch gesteckt mit ihm. Wallenstein. Geschah mit meinem Wissen und Erlaubniß. Terzky. Und, daß geheime Boten an ihn kommen Vom Gallas, weiß ich auch/ Wallenstein. DaS ist nicht wahr. Jllo. O, du bist blind mit deinen fthnden Augen! Wallenstein. Du wirst mir meinen Glauben nicht erschüttern, Der auf die tiefste Wissenschaft sich baut. Lügt er, dann ist die ganze Srernkunst Lüge. Denn wißt, ich hab' ein Pfand vom Schicksal selbst, Daß er der treuste ist von meinen Freunden. Jllo. Hast du auch eins, daß jene- Pfand nicht lüge? Wallenstein. Es giebt im Menschenleben Augenblicke, Wo er dem Weltgeist näher ist, als sonst, Und eine Frage frei hat an das Schicksal. Solch ein Moment war S, als ich in der Nacht, Die vor der Lützner Action vorherging, Gedankenvoll an einen Baum gelehnt, Hinaussah in die Ebene. Die Feuer Des Lagers brannten düster durch den Nebel; Der Waffen dumpfes Rauschen unterbrach, Der Runden Ruf einförmig nur die Stille. Mein ganzes Leben ging, vergangenes Und künftiges, in diesem Augenblick An meinem inneren Gesicht vorüber, Und an des nächsten Morgens Schicksal knüpfte Der ahnungsvolle Geist die fernste Zukunft. Da sagt' ich also zu mir selbst: „So Vielen Gebietest du: sie folgen deinen Sternen

313

314

Friedrich von Schiller. Und setzen, wie auf eine große Nummer, Ihr Alles auf dein einzig Haupt und find Zn deines Glückes Schiff mit dir gestiegen Doch kommen wird der Tag, wo diese alle Daö Schicksal wieder auseinander streut; Nur Wenige werden treu bei dir verharren. Den möcht' ich wissen, der der Treuste mir Von Allen ist, die dieses Lager einschließt. Gieb mir ein Zeichen, Schicksal! der soü'ö sein, Der an dem nächsten Morgen mir zuerst Entgegen kommt mit einem Liebe-zeichen." Und, dieses bei mir denkend, schlief ich ein. Und mitten in die Schlacht ward ich geführt 3nt Geist. Groß war der Drang. Mir tödtete Ein Schuß das Pferd, ich sank, und über mir Hinweg, gleichgültig, setzten Roß und Reiter; Und keuchend lag ich, wie ein Sterbender, Zertreten unter ihrer Hufe Schlag. Da faßte plötzlich hülfreich mich ein Arm, Es war Octavio's — und schnell erwach' ich, Tag war es — und Octavio stand vor mir. „Mein Bruder," sprach er, „reite heute nicht „Den Schecken, wie du pflegst. Besteige lieber „Das sichre Thier, daS ich dir ausgesucht. „Thu'S mir zu Lieb, es warnte mich ein Traum" llnd dieses Thieres Schnelligkeit entriß Mich Banners verfolgenden Dragonern. Mein Vetter ritt den Schecken an dem Tag, Und Roß und Reiter sah ich niemals wieder. Jllo. Das war ein Zufall. Wallenstcin (bedeutend). ES giebt keinen Zufall, Und was unS blindes Ungefähr nur dünkt, Gerade daS steigt auS den tiefsten Quellen. Versiegelt hgb' ichs und verbrieft, daß er Mein guter Engel ist, imo nun kein Wort mehr! (Er geht.) T erzky. DaS ist mein Trost, der Mar bleibt uns alS Geißel. Jllo. llnd der soll mir mcht lebend hier vom Platze. Wal lenstein. (bleibt stehen und kehrt sich um.) Seid ihr nicht, wie die Werber, die beständig Zurück nur kommen auf ihr erstes Wort, Wenn man Vernunft gesprochen stundenlang! Des Menschen Thaten und Gedanken, wißt, Sind nicht, wie Meeres blind bewegte Wellen. Die innre Welt, fein Mikrokosmus, ist Der tiefe Schacht, aus dem sie ewig quellen. Sie sind nothwendig, wie deö Baume- Frucht, Sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln; Hab' ich des Menschen Kern erst untersucht, So weiß ich auch sein Wellen und sein Handeln. (Gehen ab.)

Unterdes versucht Octavio Piccolomini, der eine geheime Vollmacht vom Kaiser erhalten hat, nach welcher ihm alle Hauptleute des Heeres Folge leisten sollen, den General Jsolanr und den Oberst Buttler in ihrer Ergebenheit gegen Wallen stein wankend zu machen und für den

Friedrich von Schiller.

315

Kaiser zu gewinnen. ES gelingt ihm bei Beiden; aber seinen Sohn vermag er nicht zu bewegen, den Wallenstein sogleich zu verlassen und mit ihm nach Frauenberg zu ziehen. Auch bittet flch Buttler von Octavio die Erlaubniß auS, mit seinem Regimente bei Waklenstein bleiben zu dürfen, indem er hofft, ihn so um so ficherer zu verderben. (2ter Aufz. 4ter — 7ter Auftr.) Die Gräfinn Terzky versucht Thekla, Wallenstein'S Tochter, zu be­ nagen, den Mar Piccolomini, der sie liebte, zu überreden, daß er sich für Wallenstein er­ kläre. Thekla weis t diese Aufforderung von sich und wird über den Schritt, den ihr Va­ ter gegen den Kaiser gethan, schmerzlich beunruhigt; auch die Herzoginn von Friedland, obgleich sie die Wahrheit nicht erfährt, sondern nur glaubt, ihr Gemahl werde durch seine Hartnäckigkeit bei dem Kaiser in Ungnade fallen, ahnt großes Unglück. Alö Wallenstein selbst zu den Frauen tritt, erfährt er, aufmerksam gemacht durch Thekla'S schwermüthiges Wesen, ihre Liebe zu Mar, mißbilligt sie aber, obgleich die Herzoginn sich günstig auSfpricht, int höchsten Grade, weil er seine Tochter auf einem Fürstenchrone sehen will. Unterdcß bringen Terzky und Zllo die unglückliche Nachricht, daß viele Anführer mit ihren Truppen das Lager verlassen haben und von Wallenstein abgefallen sind, und daß sich unter allen Truppen eine unruhige Bewegung zeigt. Die meisten Regimenter haben Wal­ lenstein den Gehorsam aufgekündigt, weil Piccolomini vor seiner Abreise ihnen den schrift­ lichen Befehl vom Kaiser vorgezeigt, daß sie nur ihm zu gehorchen haben. Ja, die schlimmste Schreckenspost bringt noch Buttler, daß die Regimenter in und um Prag, das Wallenstein zuerst für sich gewinnen wollte, dem Kaiser neu gehuldiat, und daß Wal­ lenstein, Terzky und Jllo geächtet seien. (Zter Aufzug 1 — lOtcr Auftritt) Auch die Herzoginn erfährt jetzt den Plan ihres Gemahls und das Mißlingen desselben. Das Re­ giment Pappenheim schickt zehn Eürassiere ab, die von Wallenstein selbst zu wissen vei> langen, ob er wirklich dem Kaiser Eid und Treue zu brechen gesonnen sei. Schon hat er mit künstlicher Rede sie fast ganz beruhigt, als Buttler die Nachricht bringt, daß Terzky'S Regimenter den kaiserlichen Adler von den Fahnen herabgeriffen und Wallenstein'S Zeichen aufgesteckt haben. Sogleich verlassen ihn auf diese Nachricht die Pappenheimer. Bald darauf stürmen sie sogar gegen das Schloß an, um ihren Oberst, Mar Piccolomini, der, wie fit glauben, von Wallenstein festgehalten werde, zu fordern. Dieser will Anfangs ihren Forderungen nicht nachgeben, versucht aber vergeblich dadurch, daß er sich den Trup­ pen selbst zeigt, den Aufruhr zu stillen. Da auch Mar nicht zu bewegen ist, freiwillig zu bleiben, so giebt ihm Wallenstein Erlaubniß, daS Schloß zu verlassen. Die Pappen­ heimer rücken in den Saal, um ihren Oberst abzuholen. Voll Verzweiflung scheidet er. — Wallenstem beschließt nach Eger aufzubrechen, weil er in Pilsen Alles verloren geben muß. (.lut Aufz. 1—2Zster Auftr.) In Eger sucht Buttler den Kommandanten der Fe­ stung, Gordon, einen Jugendfreund Wallenstein'S. zu bewegen, zum Untergang desselben mitzuwirken. AlS nun die Nachricht kommt, daß die Schweden, nachdem sie Mar Picco­ lomini, der sich mit ihnen, in der Absicht, seinem Leben ein Ende zu machen, in einen Kampf eingelassen, besiegt, nur wenige Meilen von Eger stehen, und Wallenstein ihnen die Thore zu öffnen beschließt, steht Buttler kein anderes Mittel, sich Wallenstein'S, seinem Versprechen gemäß, zu bemächtigen, als indem er ihn und Terzky und Jllo umbringen läßt. (4ur Aufz. 1 — 8ter Auftr.) Thekla, die bei der Nachricht von dem Untergange deS Mar Piccolomini ohnmächtig niedergesunken war, erbittet sich, als sie sich wieder er­ holt hat, von ihrem Vater die Erlaubniß, ausführlich von dem schwedisches Hauptmann, der die Nachricht gebracht, den ganzen Hergang zu erfahren. Ais sie seinen Bericht ver­ nommen, beredet sie ihre Hofdame, mit ihr auS Eger zu entfliehn, um daS Grab Mar Piccolomini s aufzusuchen. (9ter—l4ter Auftr.). — Buttler giebt einem Major seines Re­ giments den Befehl, am Abend bei einem Gastmahl, welches auf dem Schloß veranstaltet wird, Terzky und Jllo zu ermorden; darauf dingt er auch die Mörder WallensteinS. — Wallenstein, der nicht mit zu jenem Gastmahl gegangen war, sondern, tief ergriffen von dem Tod deS Mar, den er sehr geliebt, in schwermüthigen und trüben Gedanken in sei­ nem Zimmer verweilt, auch durch die TrosteSworte seiner Schwester, der Gräfinn Terzky, nicht erheitert wird, empfängt von Gordon die Schlüssel der Festung und glaubt so Alles in Sicherheit. Plötzlich stürzt sein Astrolog Seni ins Zmtmer, ihm anzuzeigen, daß die Sterne ihm nahes Unheil prophezeien. Wallenstein deutet dies auf den Verrath, den Oc­ tavio an ihm begangen, und meint, diese Weisung käme jetzt zu spät. Seni, der jene Pro­ phezeiung auf die Schweden bezieht, bittet ihn, jenes Bündniß zu meiden. Atlch Gordon bittet ihn knicend darum. Wallenstein, d.r nicht weiß, von welcher Seite ihm Gefahr drohen könnte, weist ihre Warnungen zurück unv geht in sein Schlafgemach. Buttler kommt mit den Mördern: Gordon bittet ihn vergeblich um Aufschub der Tbat: aber da

316

Lhrittoph August Litdge.

man in der Ferne Hörner hört und Buttler glaubt, eS seien die Schweden, so vollzieht er die That. Unterdeß kommt Octavio Piccolomini, der in die Sladt eingedrungen war. und von dessen Truppen jene Signale herrührten. ($t kommt aber zu spar, um die That zu verhindern, die er mißbilligt, während Buttler Belohnung dafür hofft.

Entwicklung der Poesie nach verschiedenen Richtungen. Christoph August Tiedge. (5ict\}c> Werke, herausgegeben ven (Ibciluur.

Halle 1S27. 7 Bde.)

Elegie auf dem Schlachlfeloe bet Kunersdorf. ^kacht umfängt den Wald; von jenen Hügeln Stieg der Tag ms Abendland hinab; Blumen schlafen, und die Sterne spiegeln In den Seen ihren Frieden ab. Mich laßt hier in dieses Waldes Schauern, Wo der Fichtenschatten mich verbirgt! Hier soll einsam meine Seele trauern Um die Menschheit, die der Wahn erwürgt. Drängt euch um mich her, ihr Fichtenbäume! Hüllt mich ein, wie eine tiefe Gruft! Seufzend, wie das Athmen schwerer Träume, Weh' um mich die Stimme dieser i'ufi! Hier, an dieses Hügels dunkler Spitze, Schwebt, wie Geisterwandel, banges Graun : Hier, hier will ich, vom bemoosten Sitze, Jene Schävelstätten überschaun. Dolche blinken dort int Mondenscheine, Wo das Ernteseld des Todes war; Durcheinander liegen die Gebeine Der Erschlagnen um den Blutaltar. Ruhig liegt, wie an der Brust dcS Freundes, Hier ein Haupt, an Feindes Brust gelehnt, Dort ein Arm vertraut am Arm des Feindes. Nur das Leben haßt; der Ted versöhnt. O, sie können sich nicht mehr verdammen, Die hier ruhn! sie ruhen Hand an Hand; Ihre Seelen gingen ja zusammen. Gingen über tn ein Friedenöland; Haben gern einander dort erwiedert, Was die Liebe giebt und Lieb' erhält. Nur der Sinn der Menschen, noch entbrüvert, Weift den Himmel weg aus dieser Welt. Hin eilt dieses Leben, hm zum Ende. Wo herüber die Eypreffe hängt: Darum reicht einander doch die Hände, ssh die Gruft euch an einander drängt'

Aber hier um diese Menschentrümmer, Hier, auf öder Wildniß, ruht ein Fluch; Durch das Feld hin streckt sich Mondenschimmer, Wie ein weites, weißes Leichentuch. Dort das Dörfchen unter Weidenbäumen; Seine Väter sahn die grause Schlacht: O, sie schlafen ruhig und verträumen In den Gräbern jene Flammennacht! Vor den Hütten, die der Asch' entstiegen, Ragt der alte Kirchentburm empor, Hält in feinen narben vollen Zügen Seine Welt noch unsern Lagen vor. Ledernd fiel um ihn das Dorf zusammen. Aber ruhig, wie der große Sinn Seiner Deutung, sah er auf die Flammen Der umringenden Verwüstung bin. Finster blickt er, von der Ofart't umgrauet Und von Mondesanblick halb erhellt, Ueber diesen Hügel und beschauet, Wie ein dunkler Geist, daö Leichenfeld. Mag, o Lenz, dein Angesicht hier lächeln' Jeder Windstoß, der den Wald bewegt, Ist ein großer Seufzer, der das Röcheln Der Gcfallnen durch die Wilomß trägt. Diese Greisinn, diese düstre Fichte, Zeigt die Narben, die auch sie empfing, Weist dahin, wo blutig die Geschichte Böser Zeiten ihr vorüber ging. Als hier wild die Waffendonner stürmten, War sie noch mit Jugendkraft umlaubt, Und, wie Hände der Natur, beschirmten Ihre Schatten mt geweihtes Haupt. Hier sah Friedrich seine Krieger fallen. Herrscher deiner Welt, du warst so groß; Aber doch - das härteste von allen

Christoph

Arrgnst Tiedge

317

Aber in dem Myrtendunkel säume Die Begeistrung einer Nachtigall; Und die Waldlufr schweb' um ihre Träume, Wie ein sanft gehaltner Wellenfall! Leise schwebe sie durchs Laub de- Strauche-, DaS der Boden dieser Stelle trieb, Wie der Nachhall eines FlötenhaucheS, Der uns auS oeS Dichters Leben blieb! Und im zarten Weiß der sanftem Trauer Nahe sich die Mondnacht dieflm Raum; Hier der See und dort des Stromes Fluthen Feiernd trete sie in seine Schauer, Wie ein heiliger ErinnrungStraum! Spiegelten zurück das TodeSschwert; Dieser Himmel sah daS Opfer bluten; Zwar den fernen Geist kann nichts er­ Dieser Hügel war ein Opferheerd; statten; Hier im Bach hat Menschenblut geflossen; Doch er schwand nicht ganz aus unserm Blick. Wo der Halm im Monde zuckend nickt, Der geweihte Mann wirft seinen Schatten Hat vielleicht ein Auge, halb geschlossen, Nach der Heimathgegenv hingeblickt. Dort noch aus Elysium zurück. Viel der edeln Männer find gefallen; Da, wo die Eicad' im düstern Thale Aber, Kleist, dein Name tritt hervor, Durch die Nacht der Ulmenwaldung tönt, Tritt hervor und hebt, geweiht vor Allen, Da, da hat vielleicht zum letzten Male Aus der Fluth der Zeiten sich empor. Manches zarte Lebewohl gestöhnt. Hier fand mancher Jüngling, welcher muthig Und der stille Wandrer, welcher traurig Einen Namen sucht', ein stumme- Grab; Sich dem Graun der Gegend überläßt, Fühlt eln dumpfes Ahnen, das so schaurig Manche Hoffnung riff^der Tod hier blutig Vom Idol der goldnen Zukunft ab. Ihm den Athemzug zusammen preßt.

War dem Loos, es war ein König-loos! Mann freä Ruhme-, konnten alle Blüthen Jene- Kranze-, der dein Haupt umfing, Konnt' Um dir die Musenhuld vergüten, Diesen Weg, der über Leichen ging? Menschen fielen, gleich gemähten Aehren! Ach, sie fielen vir, du großer Mann! Da, da war es, als dein Herz in Zähren Auf den blutbespritzten Lorbeer rann. —

War es Klang von einer fernen Quelle, Was so dumpf zu meinem Herzen sprach? Over schwebt Geseufz' um jede Stelle, Wo ein Herz, ein Herz voll Liebe, brach? Ist eS Wandel einer düstern Trauer, WaS am Sumpf dem Hagebusch entrauscht llnd nun schweigt und, wie ein dunkelgrauer Nebelstreif, im Nachtgeflüster lauscht? Wandelst du dort, arme Mädchenseele, Der die Wuth den holden Freund entriß? Schattest vu dort um me Tovtenhöhle, Durch das Nachtgraun deiner Finsterniß? —

Sagt, was ist, waS gilt ein Menschenleben, WaS die Menschheit vor dem Weltengeist, Wenn der wilde Tod auS den Geweben Ihres Daseins so die Fäden reißt? Welche Fäden sind hier abgerissen! Und waS fällt, wenn nur ein Haupt zer­ fällt! — Hier stehn wir, und hinter Finsternissen Steht der hohe Genius der Welt!

Stürme fahren aus dem Schooß der Stille, Und die Zeit, mit Trümmern wüst umringt, Zählt am Uferrand der Lebensfülle Aber still! was flimmert durch die Zweige, Jeden Tropfen, den der Sand verschlingt. Wie ein weißer, schleierheller Geist? Schwankend irren wir im finstern Sturme; Wechseltod beherrscht die Finsterniß; Jeder rohe Laut der Wildniß schweige! Diese Stell' ist heilig! hier fiel Kleist. Er beraubt den Halm und giebt dem Wurme, Wo den Raum die Ulmen Überschleiern, Giebt dem Halm, waS er dem Wurm entriß. Sank der Frühlingssänger in den Staub. Diese Stelle will ich heilig feiern; Luftig spielt daS Laub des UlmenbaumeS An den frischen Aesten um den Stamm; Ach und kann sie nur bestreun mit Laub! Rinnen laß hier eine Silberquelle! Regt darin sich noch ein Rest des Traume-, Winde deinen sanftem Blumentag, Der einmal in Nervensäften schwamm? Holder Frühling, um die rauhe Stelle, Jenen Kopf bewohnten einst Gedanken, Wo dein edler Sänger blutend lag! Stolz vielleicht und Dünkel seine Stirn; Hier, aus diesem wildernden Gesträuche, Jetzt durchkriecht ein Nachtwurm ihn, und Ranken Wo der deutsche Mann sein Blut verlor, Hebe sich der Schatten einer Eiche, Wilder Kräuter nährte sein Gehirn. Grün' ein zartes Myrtenreis empor! Dieser Staub am Wege hing um Seelen; llnd im dunkelgrünen Eichenlaube Wo ich trete, stäubt vielleicht ein Herz; Girre, wenn der Lenz vorüber zieht, Gott! und hier aus diesen Augenhöhlen Klagend eine silberweiße Taube Starrete zu dir hinauf der Schmerz. Nach dem Sänger Lalage's ihr Lied!

318

Lhristoph August Tiedge.

— Hierher, Volksregierer! Hier, bei dem verwitternden Gebein, Schwöre, deinem Volk ein sanfter Fübrer, Deiner Welt ein Frievenögott zu sein! Hier schau her, wenn dich nach Ruhme dürstet! Zähle diese Schädel, Völkerhirt, Vor dem Ernste, der dein Haupt, entfürstet, In die Stille niederlegen wird! Laß im Traum daS Leben dich umwimmern, Das hier unterging in starres Graun! Ist eS denn so reizend, fich mit Trümmern In die Weltgeschichte einzubaun? Welch

ein

Anblick!

Einen Lcrbeerkranz verschmähn, ist edel! Mehr als Helvenruhm ist Menschenglück! Ein bekränztes Haupt wird auch zum Schädel, Und der Lorbeerkranz zum Rasenstück! Cäsar fiel an einem dunkeln Tage Ab vom Leben, wie entstürmtes Laub; Friedrich liegt im engen Sarkophage-, Alerander ist ein wenig Staub. Klein ist nun der große Weltbestürmer -.

Er verhallte, lauten Donnern gleich; Längst schon theilten sich in ihn die Würmer, So wie die Satrapen in sein Reich. Fließt das Leben auch auS einer Quelle, Die durch hochbekränzte Tage rinnt: Jrdendwo erscheint die dunüe Stelle, Wo daS Leben stille steht und sinnt. Katharinas Lorbeerthaten zögen Gern verhüllt den Lethestrom hinab; Beffre retten ihre Gruft und legen Sanfrre Kronen nieder auf ihr Grab. Dort, dort unten, wo zur letzten Krümme Wie ein Strahl, der Lebensweg sich bricht, Tönet eine feierliche Stimme, Die dem Wandrer dumpf entgegen spricht: „Was nicht rein ist, wird in Nacht ver­ schwinden, Sterne werden aus dem Nebel gehn ; Zittern werden die bekränzten Sünden, Und der Mensch wird vor der Wahrheit stehn."

Ergo b u n g. Nach dem Frieder Sind noch

nicht

abgebüßt der Völker Schulden? ES leuchtete am Saum der tiefen Nacht, Die deutschen Hügel freundlich zu vergulden, Und neuer Lebenssinn war aufgewacht; Doch ach, zurück nahm ihren Traum die Nacht' ES ist geschehn! wir sollen länger dulden. Nicht frag' ich, wer dem Frevel Sieg verlieh; Er hat gesiegt: ich beuge still daS Knie.

von Wien.

1809.

Wer, sich gewöhnend, daS Verruchte duldet, Der giebt ihm Recht und hat eS halb ver­ schuldet. Verhüllet nicht, was ihr nicht läugnen dürft! Und kommt die Zeit, ihr habet viel zu rächen: Da seht ein weltumschlingendes Verbrechen, DaS Menschenblut, wie Wasserflurben, schlürft! Seht, wie vom Rhein her über eure Flächen Es seinen finstern Riesenschatten wirst! Der brütet dort, wo eure Fluren trauern, Die Basilisken aus, die euch umlauern.

Was soll geschehn fortan? Ein leereS Hoffen Löst auf ln Fäulniß jeve Lebenskraft. Wer selbst nicht Sieg und Frieden sich ver­ schafft, Der Frevler fürchtet doch, es könnt' ein Den hat deö Todes kalte Hand getroffen. Ein dumpfes Sein hält ihn in enger Haft, Held Rur Tugend lebt, und Tugend nur darf hoffen. Voll deutscher Kraft und Tugend Großes Ein Jeder sei und rette, was er kann! wagen. Ihr aber sollt, ihr dürfet nicht verzagen! Der Kettenhaß bewährt den bessern Mann. Nur glaubet fest, eS kann einmal die Welt Thut, waS die Zeit und Gott und Tu­ DaS Ungeheuerste nicht lange tragen. Fragt die Geschichte, die uns Rechnung hält: gend heischen! Sie zeigt die Frechen, welche Gott versuchten, Ein Wolkenvorhang deckt das Weltgericht, DaS heilige, das Recht und Wahrheit spricht; Und prophezeit sein Schicksal dem Verruchten. Nur laßt euch nicht mit gaukelnden GeDa stärkt euch und bewährt euch fest unv * räuschen Zur Leidlichkeit der Schmach hinunter täu­ rein! Es giebt nur eine Kraft, die Kraft der Tugend. schen ! Die hält im Sturm daS Leben, sie allein! Ihr traget Ketten, nur verdient sie nicht!

Christoph August Tiedge.

31»

Und eurem Staub, ihr Vaterlandsgeweihten, Zu ihrem Altar führet eure Jugend Und laßt ste schwören: heilig treu der Tugend, Entgrünen einst die Saaten beffrer Zeiten. Und heilig treu dem Vaterland zu sein! Dann zeiget euren Söhnen den Verbrecher, Herab von euren Sternen seht ihr dann Und hegt und pflegt in jedem einen Racher! Die schönern Sonnen auf unS niederstrahlen; Ihr lehrtet, daß der Wüthrich fallen kann! Bor ihm erröthete sein eigner Sieg; Wie sollen wir euch unsern Dank bezahlen? Den Frieden selbst, den Engelmelovieen Die Hügel weihn sich euch zu Ehrenmalen. Begleiteten, wenn er vom Himmel stieg, Da ruht von eurer Blutarbeit fortan! Macht er zum Fluch, den stygische Harpyen, In Segen ruht! Von euren Thaten spreche Mit gräßlichem Geschrei nach Raub, umziehen. Daö junge Laub und daS Getön der Bäche! Nimm deinen Frieden, Feind, und laß und Krieg. Und euch, die ihr vom Kampf unS übrig Dies Recht, um einen edlen Tod zu werben! bliebt, Da kann doch frei der Mann der Freiheit Euch, die der Ruhm als seine Söhne liebt, sterben. Seht, Kronen weihn euch unsre schönsten Haine. Ihr edlen Opfer einer harten Zeit, Wo glorreich ihr für Recht und Würde fochtet, Schaut unverwandt nach unserm deutschen Rheine, Die Hügel AsperaS habt ihr geweiht; Dort grünt fortan der Kranz, den ihr euch Bis euch ein Tag zurück die Waffen giebt! Es kommt der Tag, der Alles gleicht und rügt, flochtet. Wenn ihr die Welt zu retten nicht vermochtet, Wenn Gottes Recht in unsrer Brustmicht lügt. Nicht zu befrein: euch, euch habt ihr befreit.

Des Pilgers Nacht. Dein leiser Hauch ist eine hohe Sendung, Die Nacht ist ernst! ste steht dort an der Ein Frieden-geist, ein feierlicher Laut, Pforte Der heilig daS Geheimniß der Vollendung Der stillen Ewigkeit, voll Ruh und Licht. ES stnd geheiligte, geweihte Worte, Der stillen Dunkelheit vertraut. Die ste zu meinem Geiste spricht. Bei dir ist Ruh in jenen blauen Fernen, Der große Weltensabbath ist begonnen; Der Altar steht in Glanz und flammt empor, Dort ist ihr heimathliches Land; Und um ihn her die tausend, tausend Sonnen Sie muß dort oben wohnen bei den Sternen, Im großen, feierlichen Chor. Dort weht ihr schimmernde- Gewand. Erhabne Nacht, zu deinem ernsten Throne Dein Pilger wandelt noch im dunkeln Thale, Schaut mein begeisterte- Gemüth hinaus; Geheiligt schwebt sein Geist zu dir hinauf Du setztest dir die lichte, goldne Krone, Und richtet kräftig flch an deinem Strahle, Wie eine König-tochter, auf! Wenn ihm der Stab entsinket, auf! Dein Pilger feiert dich in deiner Fülle, Ob du auch seiner Feier nicht bedarfst Und glänzend um die Hoheit deiner Sülle Den reichen Sternenmantel warfst.

O! lind' umsäuselt mich dein hoher Friede, Wie Ruhe, die von Himmelsrosen thaut. Still! hör' ich nicht von einem Götterliede Schon näher den entfernten Laut?

Wie Lüfte, so die zarten Wellen kräuseln, Du, Seele GleimS, nach der ich hier mich sehne, Ziehn wunderbare Geister auf und ab; Und feierliche Weissagungen säuseln, Vernehm' ich dich? vernimmst auch du mich Geweihte Nacht, von dir herab. dort? Still, mein Gesang! — die heiße Herzen-thräne Fällt, ach! zu siegend dir in- Wort! Bekannt stnd von Tiedge: der Anfang der Urania („Mir auch war ein Leben auf­ gegangen"), der Kosack und sein Mädchen („Schöne Minka, ich muß scheiden!") uno Borussia („WaS glänzt mich an von meinem deutschen Hügel?").

320 Christian Adolph Overbeck. (Cterberf’d Sammlung vermischter Gedichte. Lübeck 1794.)

Fischerlied. Ä)er gleichet uns freudigen Fischern im Kahn? Wir wissen die schmeidigen Fische zu fah'n; Wir fitzen und schweben Strom ab und Strom auf, Wir tanzen und heben die Füße nicht auf. Bald hauchen unS säuselnde Lüftchen ins Ohr, Bald schaukeln unS schäumende Wellen empor; Dann brüllt eS aus Klippen und Felsen hinan, Dann schüttern die Rippen im segelnden Kahn. Deß lachen wir rüstigen Fischer jedoch Und winken die listigen Fischlein ins Joch. Dem Schooße des Wassers, so grimmig es scheint, Dem trau'n wir, als wär' eS mit Planken umzäunt. Wir fahren mit sinkendem Monde hinaus Unv kommen mit blinkendem Kahne nach Haus; Uns geben die -Netze, früh Morgens gestellt, Lebendige Schätze und Abends schon Geld. Dann bergen uns schützende Hütten die Nacht, Bis wieder das blitzende Sternchen erwacht. So geht es, und nimmer geht's anders, als gut ; Gin Fischer hat immer zufriedenen Muth!

Das gieb von der Ernte. Kein Klang von Allem, waS da klingt, Geht über Sensenklang, Wenn sie der rasche Schnitter schwingt Zum fröhlichen Gesang.

Da liegt sie nun, die ganze Schaar Der Halme, lang und schwer; Die Schwaden liegen Paar bei Paar In Reihen ringü umher.

DaS Aehrenfeld in goldner Pracht Rauscht, Halm an Halm gefügt. Wie da des Schnitters Auge lacht, Wie ist er so vergnügt!

Da steht der Schnitter mitten drinn Und jauchzet in das Thal; 9iun hüpft die frohe Binderinn Daher und ruft zum Mahl.

Er sieht den reichen Segen an, Womit ihn Gott beglückt, Denkt, wie er Andern helfen kann, Und fühlt sich hoch entzückt.

Dte Schüssel dampft, die Kanne blinkt, Das Mahl schmeckt königlich; Und seht, der muntre Schnitter winkt, Und Alles rüstet sich.

Er fingt, es zirpt in einem Ton Die kleine Grille mit; Und nieder sinkt die Garbe schon Von seiner Sense Schnitt.

Und wieder hin aufs hohe Feld, Die Garben aufgefaßt, Gebunden und emporgestellt, Und immer keine Rast.

Bekannt sind von Overbeck; die Schifffahrt („Das waren mir selige Tage!"), Ver­ trauen zu Gott („Warum sind der Thränen unterm Mond so viel?") und: Lied junger Hkten („Unschuld, Tochter der Natur").

Ludwig Theobul Kosegarten. ( Kosegarten'S Legende«.

Berlin 1804.

2 Bde.)

DaS Gesicht des ArseniuS. Ärsenius hört' eine (Stimm1 ihn rufen: „Komm, und ich will der Menschen Thun dir zeigen." Der Klausner ging hinaus zum ersten Mal: Und einen Mohren sah er, welcher, emsig Holz hackend, einen schweren Bündel häufte Und, da er ihn zu heben nicht vermochte, Zhn immerfort mit neuen Scheitern mehrte. Der Klausner ging hinaus rum andern Mal: Und einen Menschen sah er, welcher Wasser AuS einem Teich in eine löchrichte Cisterne goß. Verloren war die Mühe. Das Wasser floß zurück; der Teich blieb immer Gefüllt, und immer die Cisterne leer. Der Klausner ging hinaus zum dritten Mal Und sah gestreckten Laust zwei trotz'ge Retter Mit starken, in die Quer gelegten Balken Ansprengen gegen eines Tempels Thor. Umsonst! Anrennend mit den Balken, prallten Sie stets zurück und blieben ewig draußen. Da sprach ArseniuS: „Herr, deute mir, WaS ich gesehn!" Und dieses war die Deutung: Der Mohr, der immerfort sein Bündel häuft, Das ist der Mensch, der manche Sünde thut Und, well er solche abzuthun verzweifelt, Die alte Sünde stets mit neuer häuft. Der Thor, der Wasser schöpft, wie in ein Sieb, DaS ist der Mensch, der Gute- thut, doch immer Dazwischen mehr des Bösen. Müh' und Arbeit Und auch deS Guten Frucht verliert ein solcher. Die tollen Reiter, die mit Unverstand Das Thor zu sprengen meinen, da- find die, Die mit Gewalt und Uebermuth die Burg DeS Himmels zu erstürmen droh'n. Umsonst! Es öffnet fich daS diamantne Thor Der Demuth nur, dem Glauben und der Liebe.

Das Amen der Steine. Von Alter blind, fuhr Beda dennoch fort Zu predigen die neue ftohe Botschaft. Von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorfe wallte An seine- Führers Hand ver frommt Greis Und predigte das Wort mit Jünglingsfeuer. Einst leitet' ihn sein Knabe in ein Thal, DaS übersät war mit gewalt'gen Steinen Leichtsinnig mehr, als boshaft sprach der Knabe: „Ehrwürd'ger Vater, viele Menschen sind Versammelt hier und harren auf die Predigt."

Jinnow'5 deutsch. Ged. Sammt.

322

Johann Peter Hebet. Der blinde Greis erhub stch alsobalv, Wählt' tinnt Tert, erklärt' ihn, wandt' ihn an, Ermahnte, warnte, strafte, tröstete So herzlich, daß die Thränen mildiglich Ihm niederfloffen in den grauen Bart. Als er beschließend drauf daS Vaterunser, Wie sich- geziemt, gebetet und gesprochen: Dein ist das Reich und dein die Kraft und dein Die Herrlichkeit bis in die Ewigkeiten — Da riefen rings im Thal viel tausend Stimmen: „Amen, ehrwürd'ger Vater, Amen, Amen!" Der Knab' erschrak, reumüthig kniet' er nieder Und beichtete dem Heiligen die Sünde. „Sohn," sprach der Greis, „hast du denn nicht gelesen. „„Wenn Menschen schweigen, werden Steine schrein?"" „Nicht spotte künftig, Sohn, mit GotteS Wort. Lebendig ist eS, kräftig, schneidet scharf, Wie kein zweischneidig Schwert. Und sollte glelch Das Menschenherz sich ihm zu Trotz versteinen, So wird im Stein ein Menschenherz sich regen.

Johann Peter Hebel. lHebel's allemanuische Gedichte.

Arau 1831.)

Der Winter. *5fd) echt do obe Bauwele feil? Ste schütten tim e redli Theil in d'Gärten aben und ufs Huus; eS schneit doch au, eS isch e Gruus; und 'S hangt no menge Wage voll am Himmel obe, merki wol.

Meng Summervögli schöner Art lit unterm Bode wohl verwahrt; eS het kei Chummer und kei Ehlag und wartet uf st Ostertag; und gangs au lang, er chunnt emcl, und flver 4) schlofts, und 'S isch em wohl

Und wo ne Ma vo witem lauft, so het er vo der Bauwele gchauft; er treit si uf der Achsle no und uffem Huet, und lauft dervo. WaS lauffch denn so, du närsche Ma? De wirsch sie doch nit gstehle ha?

Doch wenn im Frühlig 'S Schwälmli fingt, und d'Sunnewärmi abedringt, Potz taustg, wacht'- in jedem Grab und streift fi Todtehembli ab. Wo nummen 5) au ne Löchli isch, schlieft 0) 's Leben use jung und frisch.

Und Gärten ab und Gärten us hen alli Scheie7) Chäpli uf. Sie stöhn wie großi Here do; sie meine, 's heigs sust niemes so. Der Nußbaum het doch au si Sach und 's Here HuS und 'S Chilchedach 3).

Do fliegt e hungrig Spätzli her! e BröSli Brod wär si Begehr. ES luegt ein so erbärntli a ; 's het siver nächte nüt meh gha. Gell 7), Bürstli, fei isch andri Zit, wenn 's Ehorn in alle Füre lit?

Und wo me luegt, isch Schnee und Schnee, me fleht ke Stroß und Fueßweg meh. Meng Somechörnli, chlei und zart, lit unterm Bode wohl verwahrt, und schnei's so lang es schneie mag, eS wartet uf si Ostertag.

Do hesch! Löß andern au dervo! Bisch hungerig, chasch wieder cho! — 'S mueß wohr sy, wie 'S e Sprüchli git: „Sie seihe nit und ernde nit; „ste hen kei Pflueg und hen kei Joch, „und Gott im Himmel nährt ste doch."

1) etwa. 2) Gartenpfähle.' 3) Kirchen dach. anoschlüpfen. 7) Nicht trahr?

4) unterdessen.

f>) nur.

6) hn

Ishav» Peter jgtktl.

228

Der B ttler. „(5it alte Ma, eit arme Ma, er sprichtich um e Wohühat a: E (Btüdlt Brod ab euem Tisch, wenn- eue guete Willen isch! He ho, dur Gott- Wille! In Sturm und Wetter, arm und bloß, gibore bin i uf der Stroß und uf der Stroß in Sturm und Wind erzogen, arm, e Bettelchind. Drus woni chräftig werde bi, und d'Eitere fln gstorbe gfi, se hani denkt: Solvatetod isch besser, weder Bettelbrod. I ha in schwarzer Wetternacht vor LaudonS Zelt und Fahne gwacht; i bi bi'nt Paschal Paoli in Korsika Draguner gsi, und gfochte hani, wi ne Ma, und Bluet an Gurt und Sabel gha. I bi vor ntenger Batterie, i bi in zwenzig Schlachte gst und ha mit Treu und Tapferkeit dur Schwerdt und Ehugle 's Lebe treit. Zieht hen si mt mit lahmem Arm ins Elend gschickt. Das Gott erbarm! He jo, dur Gotts Wille!" „„Chumm, arme Ma! I gunn der's, wieni- selber ha. lind helf der Gott uS diner Noth und tröst' di, bis eö besser goht.""

„Vergelt- der Her und dank der Gott, du zartm Engel wiiß und roth, und geb der Gott e brave Ma! — Was luegsch mt so biwegli*) a ? Hesch öbben 12) au e Schatz im Zelt, mit Schwerdt unv Roß im wite Feld? Biwahr di Gott vor Weh und Leid und geb di'm Schatz e sicher Gleit, und bring der bald e gsunde Ma! 'S goht ziemlt scharf vor Mantua. 's cha sy, t chönnt der Meldig 3) ge. — WaS luegsch ml a und wirsch wie Schnee? Denkwol, i henk mi Bettelgwand, mi falsche graue Bart an d'Wand! — Iez bschau mt recht und chennst ml no? Geb Gott, i feig Gottwilche *) do!" „ „Her Jests, der Friedli, mi Friedli isch do! Gottwilche, Gottwilche, wohl chenni di no! Wohl het mi bigleitet di liebligi Gstalt uf duftige Matten, im schattige Wald. Wohl het di bigleitet mi b'chümmeret Herz dur Schwerdter und Ehugle, mit Hoffnig und Schmerz, und briegget5) und betet. Gott het mer willfahrt, und het mer ml Friedli und het mer en gspart. Wie chlopft'S mer im Buese, wie bini so froh; O Muetter, chumm iveiblic), mi Friedli isch do!""

DaS G e ro 111 e r. Der Vogel schwankt so tief und still, er weiß nit, woner ane will. ES chunnt so schwarz und chunnt so schwer, und in de Lüfte hangt e Meer voll Dunst und Wetter. Los 7), wie'S schallt am Blauen, und wie s widerhallt. In große Wirble fliegt der Staub zum Himmel uf, mit Halm und Laub, und lueg mer dört fei Wülkli a! I ha ke große Gfalle dra; lueg, wie merö usenander rupft, wie üsereis 8), wenns Wulle zupft. Se helfis Gott, und b'hüetis Gott! Wie zucktS dur'S G'wülch so füürigroth, und 'S chracht und toSt, eS isch e Grus, aß d'Fmster zitteren und 'S HuS! Lueg 's Büebli in der OBaglett 9) a! Es schlost und nimmt st nut drum a. 1) cevufyvt. f)i tvemen,

2) etwa. 6) huitig.

Sie lute z'Schlienge druf und druf, ie, und 'S hört ebe doch nit uf. Sel bruucht me gar, wenns dundre soll, und 'S lütet eint no d'Ohre voll. — O, helfiS Gott! ES isch e Schlag! Dört, stehst im Baum ant Gartehag? Lueg, 'S Büebli schloft no alliwil, und uS dem Dundre machts nit viel. Eö denkt: „DaS ficht mi wenig a, „er wird jo d'Auge bynem ha." ES schnüfelet, eS dreiht st hott ufS anver Oehrli. Gunn der'S Gott! O, stehsch die helle Streife dört? O loS! hesch nit das Raßle g'hön? ES chunnt. Gott welliS gnatig sy! Gvhnt weidli, hanket d'Laden i! 'S isch wieder afurat wie vern. Guet Nacht, du schöni Weizen-Ern.

3) Meldung. 4) Bcqrüstung — GettcS Willkommen. 7) losen — tiorchcn. 8) unser (ünc»is

Zuletzt that man Herm Mllon sehn, Der nach dem Schloff» lenkte; Er ließ da» Rißlet» langsam geh«, Da» Haupt er traurig senkte. Roland ritt hinter'« Vater her Und trug ihm sein« starken Speer Zusamoa dem festen Schilde.

Und als W« Pies« helle Gluth Im Schilde Stilen» brannte, Da rief der dttfiig frohgemuth: „Hell Milon von Anglante! Der hat den Rieft« übermannt, 3hm abgeschlagen Haupt und Hand, Da» Kleinod ihm entrissen."

Doch wie sie kamen vor da» Schloß Und zu den Herrn geritten, Macht er von Vater» Schilde lo» Den Zierrath in der Mitten; Das Riesenkleiuod setzt' er ein. Da» gab so wunderklaren Schein, Al» wie die liebe Sonne.

Herr Milon hatte sich gewandt, Sah staunend all di« Helle: „Roland! sag an, du junger Fant! Wer gab dir da». Gesellet" „Um Gott, Herr Vater! zümt mir nicht, Daß ich erschlug den groben Wicht, Derweil ihr eben schliefet!"

Taillefer. Normannenherzog Wilhelm sprach einmal: „Wer finget in meinem Hof und in meinem Saal? Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht, So lieblich, daß mir da» Herz im Leibe lacht?" „Da» ist der Taillefer, der so gerne singt, Zw Hofe, wann er das Rad am Brunnen schwingt, 3m Saale, wanu er da» Feuer schüret und facht, Wann er Abend» sich legt, und wann er Morgen» erwacht." Der Herzog sprach: „3ch hab' einen guten Knecht, Der Taillefer, der dienet mir fromm und recht, Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut Und finget so hell, das höhet mir den Muth." Da sprach der Taillefer: „Und wär' ich frei, Viel besser wollt' ich dienen und fingen dabei. Wir wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd! Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwerdt!" Nicht lange, so ritt der Taillefer itt’6 Gefild Auf einem hohen Pferde, mit Schwerdt und mit Schild. De» Herzog» Schwester schaute vom Thurm in'ö Feld, Sie sprach: „Dort reitet, bei Gott! rin statüichrr Held." Und als er ritt vorüber an Fräulein» Thurm, Da sang er, bald wie ein Lüstlein, bald wie ein Sturm. Sie sprach: „Der fingst, da» ist eine herrliche Lust! E» zittert der Thurm, und e» zittert mein Herz in der Brust." Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über da» Meer, Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer. Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand: „Hei! — rief er — ich fass' und ergreife dich, Engelland!" Al» nun da» Normannmheer zum Sturme schritt, Der edle Taillefer vor den Herzog ritt: „Manch Zährlein hab' ich gesungen und Feuer geschürt, Manch Zährlein gesungen und Schwerdt und Lanze gerührt. Und hab' ich euch gedient und gesungen Zurrst d» ein Knecht und dann al» ein So laßt mich da» entgelten am heutigen Vergönnt mir auf die Feinde den ersten

zu Dank: Ritter front: Tag, Schlag!"

leteig Utzla»>. Der Sulfits«r ritt »ee efitm Rormannenhttr Auf ti*m hohm Pfade, mit Schwrrdt und mit Spar, Er seng so herrfich, da» klang über Hasting»frld, Bon Roland sang n und manchem frommen Held. Uudal» da» R»laud-li»d wie ein Sturm «scholl Da wallete manch Paula, manch Haje schwoll» Da branntm Ritter und Mannen von hohem Much, Da Taillefrr sang und schürte da» Frua gut. Dann sprmgt' a hinein und führte den asten Stoß, Davon ein englischer Ritta zur Erde schoß, Dann schwang a da» Schwaot und sühne dm rrstm Schlag, Davon ein englischa Ritta am Boden lag. Rorrnaunm sahen'», die harrtm nicht allzu laug, Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schildaklang. Hei! sausende Pfeile, kliamda Schwad «erschlag! Bi» Harald fiel, und sein trotzige» Hra erlag. Herr Wllhelrn steckte sein Banner aufs blutige Feld, Inmitten da Todten spannt' a sein Gezelt, Da saß a am Mahle, den goldnen Pokal in da Hand, Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland. „Mein tapfter Taillefrr! komm, ttink mir Bescheid! Du hast mir viel gesungm in Lieb und in Leid, Doch heut im Hastingsfeldr dein Sang und dein Klang, Da tönet mir in den Ohren mein Leven lang."

Der Schenk von Limburg. Zu Limburg auf da Beste, Da wohnt' ein edla Graf, Den keina selna Gäste Jemals zu Hause traf. Er trieb sich allerwege« Gebirg und Wald entlang, Kein Sturm und auch kein Regen Valeidet' ihm den Gang.

Run hielt auf Hohenstaufen Der deutsche Kaiser Hau»; Der zog mit hellen Haufen Einsmal» zu jagm au». Er rannt' auf eine Hind« So heiß und hastig vor, Daß ihn sein Jagdgrflnde Im wilden Forst verlor.

Er trug ein Warn- von Leda Und einen Jägahut Mit mancher wilden Feder, Da» steht dm Jägan gut; E» hing ihm an der Seiten Ein Trinkgekäß von Buch»; ® twaltig konnt' a schreiten Und war von hohem Wuchs.

Bei einer kühlm Quelle, Da macht' er endlich Halt; Gezieret war dir Stelle Mit Blumen rnannigfalt. Hier dacht' er fich zu legen Zu einem Mittagschlaf, Da rauscht' e» in dm Hägen, Und stand vor ihm der Graf.

Wohl hatt' a Knecht' und Mannen Und hatt' ein tüchtig Roß, Gich doch zu Fuß von dannen Und ließ daheim den Troß. Es war sein ganz Geleite Ein Jagdspieß, stark und lang, Mit dem a üba breite Waldströme kühn fich schwang.

Da hub er an zu schelten: „Treff' ich den Nachbar hie? Zu Hause wellt er seltm, Zu Hofe kommt er nie: Man muß im Wald« streifen, Wmn man ihn fahrn will, Man muß ihn tapfer greisen, Sonst hält er nirgmd» still."

Ktziatzv.

388 Al- braus ohn' alle Fahrde Der Graf fich niederveß Und neben in die Erbe Die Zägerstange stieß, Da griff mit beiben Händen Der Kaiser nach dem Schaft: „Dm Spieß muß ich mir pfänden. Ich nehm' ihn mir zu Haft. Der Spieß ist mir verfangen, Deß ich so lang begehrt, Dn sollst dafür empfangen Hier dieß mein beste- Pftrd. Nicht schweifen Im Gewälde Darf mir ein solcher Mann, Der mir zu Hof und Felde Biel besser dienen kann." „Herr Kaiser, wollt vergeben! Ihr macht da- Herz mir schwer. Laßt mir mein freies Leben, Und laßt mir meinen Speer! Ein Pferd hab' ich schon eigen, Für Eure- sag' ich Dank; Au Rosse will ich steigen, Bin ich 'mal alt und krank."

„Mit dir ist nicht zu streiten, D» bist mir allz« stolz. Doch führst du an der Seiten Ein Trinkgefiiß von Holz; Run macht die Jagd mich dürstm, Drum thu mir das, Getzll, Und gieb mir ein- zu bürsten Au- diesem Wafferquell!" Der Graf hat fich erhoben, Er schwenkt dm Becher klar, Er füllt ihn an bi- oben, Halt ihn dem Kaiser dar. Der schlürft mit vollen Zügm Den kühlen Trank hinein Und zeigt ein solch Vergnügen, Al- war'- der beste Wein. Dann faßt der schlaue Zecher Den Grafen bei der Hand: „Du schwenktest mir den Becher Und fülltest ihn zum Rand, Du hieltest mir zum Munde Das labende Getränk: Du bist von dieser Stunde DeS deutschen Reiche- Schenk'"

Des Sängers Fluch. ES stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch unb behr, Weit glanzt' e- über die Lande bis an das blaue Meer, Und ring- von duft'gen Garten ein blüthenreicher Kranz, Drin sprangen frische Brunnen in Regmbogenglanz. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegm reich, Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich: Denn wa- er sinnt, ist Schrecken, und wa- er blickt, ist Wuth, Und wa- er spricht, ist Geißel, und waS er schreibt, ist Blut. Einst zog nach diesem Schlosse ein edle- Sangerpaar, Der Ein' in goldnen Locken, der Andre grau von. Haar; Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß, E- schritt ihm ftisch zur Seite der blühende Genoß. Der Alte sprach zum Zungen: „Nun sei bereit, mein Sohn! Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton, Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! ES gilt un- heut, zu rühren de- Königs steinern Herz." Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal, Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl ; Der König, furchtbar prächtig, wie blut'ger Nordltchtschein, Die Königinn, süß und milde, alö blickte Vollmond drein. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug fie wundervoll, Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll, Dann strömte himmlisch helle de- Jüngling- Stimme vor, De- Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisterchor. Sie fingen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, Don Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit. Sie fingen von allem Süßen, wa- Menschenbrust durchbebt, Sie fingen von allem Hohen, wa- Menschenherz erhebt.

Ifcfarig Nhl«»h. Di« Höfliagvschaar H» dtedf« wCrnut jeden Spott, Dr« König« trotz'«« Krieger, st« beugen stch vor Sott, Die Königinn, zerstoße» fit Wehmuth und in Luft, Sie wirst dm Sängern nieder di« Rose von ihrer Brust. „Ihr habt »ei» Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?" Der König schreit e« wüthend, er bebt am ganzen Leib, (5t wirft sein Schwer», da« blitzmd de» Jüngling« Brnst durchdringt» Drau«, statt der -oldnen Lieder, ein Blutstrahl Hochauf springt. Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm, Der Jüngling hat verröchelt in seine« Meister« Arm, Der schlägt um ihn dm Mantel und setzt ihn aus da» Roß, Er bind't ihn anstecht feste, »erläßt mit ihm da» Schloß. Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergrei», Da faßt er seine Harfe, str aller Harfen Pret«, An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt, Dann ruft er, daß e« schaurig durch Schloß und Gärten gellt: „Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang Durch eure Räum« wieder, «U Saite noch Gesang, Rein! Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt, Bi« euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt! Weh euch, ihr dust'gen Gärten im holdm Maimlicht! Euch zeig' ich di«se» Todte» entstellte» Angeficht, Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt, Daß ihr in künst'gen Tagen versteint, verödet, liegt. Weh dst, verruchter Mörder! du Fluch de» Sängrrthum«! ilmsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhm», Drin Name sei vergessen, in rw'ge Nacht getaucht, Sri, wie ein letzte« Röcheln, in leere Luft verhaucht!" Der Alte hat'» gerufen, der Himmel hat'« gehört, Dir Mauern liegm nieder, die Hallen find zerstört, Noch «ine hohe Säule zeugt von vrrschwundner Pracht, Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht. Und ring», statt dust'ger Gärten, ein Kein Baum verstrmet Schatten, kein De« König» Namen meldet kein Lied, Versunken und vergessen! da» ist de»

ödes Hatdeland, Quell durchdringt den Sand, kein Heldenbuch; Sänger» Fluch.

Die Bätergruft.