Rundfunk und Kulturpolitik: Ein Beitrag zur Kultursoziologie [1. Aufl.] 978-3-663-01074-6;978-3-663-02987-8

429 37 14MB

German Pages V, 162 [164] Year 1985

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Rundfunk und Kulturpolitik: Ein Beitrag zur Kultursoziologie [1. Aufl.]
 978-3-663-01074-6;978-3-663-02987-8

Table of contents :
Front Matter ....Pages 1-5
Einleitung (Karl Rössel-Majdan)....Pages 7-10
Kultur ohne Köpfe (Karl Rössel-Majdan)....Pages 11-13
Kultur und Gesellschaft (Karl Rössel-Majdan)....Pages 14-17
Mögliches und Unmögliches der Rundfunktechnik (Karl Rössel-Majdan)....Pages 18-32
Der Rundfunk als Sozialfaktor und soziales Faktum (Karl Rössel-Majdan)....Pages 33-44
Kulturforschung und Kulturtabellen (Karl Rössel-Majdan)....Pages 45-52
Aufbau, Kontrolle und Statistik des Programmes Die zwei und dreidimensionale Methode (Karl Rössel-Majdan)....Pages 53-89
Vom Hören und Sehen — Von der psychophysiologischen Forschung und den Sonoritätsgruppen (Karl Rössel-Majdan)....Pages 90-101
Volkserziehung, Volksbelustigung — Information, Sensation (Karl Rössel-Majdan)....Pages 102-110
Individuelle Meinung — Öffentliche Meinung (Karl Rössel-Majdan)....Pages 111-115
Die dreidimensionale Meinungsforschung (Karl Rössel-Majdan)....Pages 116-145
Europäischer Rundfunk, europäische Kulturforschung, europäische Kulturpolitik (Karl Rössel-Majdan)....Pages 146-154
Back Matter ....Pages 155-159

Citation preview

Kuost uod Kommuoikatioo Schriften zur Kunstsoziologie und Massenkommunikation Herausgegeben von Dr. jur. Alphons Silbermann F.I.A.L. Sydney-Koln Band 5

Karl Rossel-Majdan

Rundfunk und Kulturpolitik Ein Beitrag zur Kultursoziologie

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Additional material to this book can be downloaded from http://extras.springer.com

ISBN 978-3-663-01074-6 ISBN 978-3-663-02987-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02987-8 043606 Aile Rechte fiir die deutsche Ausgabe

© 1962 Springer Fachmedien Wiesbaden Urspriinglich erschienen beiWestdeutscher Verlag. Koln und~Opladen 1962

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Kultur ohne Kopfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Kultur und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14

Mogliches und Unmogliches der Rundfunktechnik . . . . . . . . . . . . .

18

Der Rundfunk als Sozialfaktor und soziales Faktum . . . . . . . . . . .

33

Kulturforsmung und Kulturtabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

45

Aufbau, Kontrolle und Statistik des Programmes - Die zwei- und dreidimensionale Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

53

Vom Horen und Sehen - Von der psymophysiologismen Forschung und den Sonoritătsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

Volkserziehung, Volkshelustigung - lnformation, Sensation .... 102 lndividuelle Meinung - Offentliche Meinung . . . . . . . . . . . . . . . .. 111 Die dreidimensionale Meinungsforschung .................... 116 Europăischer Rundfunk, europăische Kulturforschung, europăische Kulturpolitik .......................................... , 146

Literaturverzeichnis ...................................... 155

Einleitung

Im Anfang war clas W ort, clie Logik, cler Logos, clie wirkencle Kraft cles Geclankens. Das Denken geht cler Tat voran uncl erwamt an ihr zum SelbstbewuBtsein. Die Philosophie steht am Beginn cler Wissenschaft. Wohl scheint clie Naturwissensmaftuncl insbesonclere ihre Anwenclung in cler Technik eine Zeitlang clen unbeclingten Vorrang gewonnen uncl sogar ihre geistigen Wurzeln verloren zu haben. Simer nicht zum Heile cler Mensmheit. Aber smon erleben wir heute einen neuen Umschwung, uncl selbst clie reine Temnik - clenken wir clom an clie Atomtechnik - kehrt immer mehr zur Problematik ihrer Arbeit zurilck uncl entcleckt immer mehr clie Wimtigkeit cler geistigen Arbeit, cler Oberlegung. Uncl immer mehr werclen wir gewahr, claB wir an unseren technischen Grofhaten zum ZeitbewuBtsein erwachen miissen, zum Bewu{hsein cler clamit verbunclenen moralismen, geistigen uncl sozialen Folgen, wenn wir nimt untergehen wollen. Allmăhlich schwindet der Wahn, es găbe nur Materielles zu erforsmen und alles Geistige, Psychisme, Massenpsychologisme, Soziologische gehore letzten Endes in den Bereich des Glaubens. Atomphysik ist heute eine rei ne, wenn auch sehr spezialisierte, einseitige Philosophie. Wir erforschen nimt mehr Stoffe, sondern Krăfte. Und claher mag es riihren, daB cler Techniker heute der Geisteswissensmaft oft vieI năher steht als viele Kulturtătige, die sich mehr oder weniger als "Geschăftsleute der Kultur" mit diesen Problemen der mensmlimen Gesellsmaft befassen. Dies gilt aum fUr den Rundfunk; clenn aum im Rundfunk haben wir immer wiecler die Erfahrung gemacht, daB der Temniker heute den Problemen, clie sich aus cler Rundfunktătigkeit, aus dem Wesen cles Rundfunks, aus seinem Wirken in der menschlichen Gesellsmaft ergeben, năher steht als der, der unmittelbar in einer kulturellen Tătigkeit verhaftet ist, z. B. im Wirkungsbereim des Programmes. Das Prinzip des exakten naturwissensmaftlimen Forschens, d. h. des Denkens und gleimzeitigen Experimentierens, des Erwamens des SelbstbewuBtseins an der Tat, dringt immer mehr in die Geisteswissenschaften ein. So kam es aum auf dem Gebiete cler Rundfunkwissenschaft zur Geisteswissensmaft vom Rundfunk, zur Rundfunkforschung. Die Wissensmaft von der Massenkommunikation ist in Amerika sehr stark entwickelt und seit lăngeren Zeiten sogar Hauptfam an Universităten. Man hat dort auch die praktisme Bedeutung der soziologischen Rundfunkforschung und der Rundfunkpsymologie erkannt

7

und es sehr wohl verstanden, die wissenschafHiche Forschung und das wissenschaftliche Experiment (etwa in der soziologischen Feldforschung der Meinungsbefragung) in materielle Werte umzusetzen und sogar fiir den Rundfunk zu Geld zu machen. In Europa ist die Rundfunkforschung mehr zum Selbstzweck geworden und dient der grundsătzlichen Erkenntnis verschiedener Probleme. Das richtige wird wohl sein, beide Prinzipien miteinander zu verbinden. Sicher ist, daB der Rundfunk nicht mehr einfach in den Tag hinein produzieren konnen wird, ohne sich Rechenschaft abzulegen iiber seine materiellen und geistigen Wirkungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft, und daB umgekehrt die Wissenschaft nicht mehr an der enorm wirkenden Kraft, die da heiBt Rundfunk, in unserer menschlichen Gesellschaft voriibergehen und die Umschichtungen iibersehen kann, die durch dic Telekommunikation, durch jene Mittel wie Film, Presse und Fernsehen hervorgerufen werden. Wenn heute, nach jahrzehntelanger Vorarbeit und Arbeit die Rundfunkforschung auch in Europa festere Formen annimmt, so verdanken wir das dieser sich immer mehr verbreitenden Ansicht. Der einsichtsvollen Hilfe aus den Reihen der Wissenschaft und des Rundfunks stand nur eine alte Krankheit entgegen: der Geldmangel. Gerade dies aber wurde uns selbst zum Ansporn, ja zum Zwang, aus der Not eine Tugend zu machen; veranlaBte uns bei unserer Tătigkeit in Osterreich an die Stelle der extensiven groBziigigen Arbeit die intensive Feinarbeit zu setzen. Gut wăre es noch, wie in jedem Forschungsgebiet, so auch in der Kulturforschung - denn Rundfunkforschung ist ein Teil der Kulturforschung - viel mehr Grundlagenforschung zu betreiben. Da Grundlagenforschung zunăchst Geld kostet und dieses eher fiir Weltraumforschung, Raketentechnik oder technische Wirtschaftszweige, schon aus politischen Griinden, zur Verfiigung steht, wird es die Kulturforschung in dieser Zeit wesentlich schwerer haben. Der Kultur um der Kultur willen, dem Wissen um der Weisheit willen zu dienen, stoBt auf materielle, wenn nicht gar politische Schwierigkeiten. Es braucht schon eine Zeit, um Bedenken zu zerstreuen und zu beweisen, daB auch in der Kultur die Grundlagenforschung die Voraussetzung fiir eine erfolgreiche praktische Kulturpolitik ist. Ehe Kulturtabellen den fiir Kulturpolitik Verantwortlichen zur Verfiigung stehen und helfen werden, viele Probleme leichter zu losen und viele Schwierigkeiten zu vermeiden, wird noch viel kulturelles Wasser durch die Programme plătschern. Der Weg, der unsere Rundfunkforschung zu diesen Kulturtahellen fiihren sollte, war der folgende. Am 27. Mai 1953 erschien das erste Heft unserer zweisprachigen Forschungsberichte "Radio-T elevision" . Dem Werke, das durch ein Kuratorium von Universitătsprofessoren und Spitzenfunktionăren des Rundfunks begonnen worden war, liehen 8

auch die UNESCO und die Europaische Vereinigung der Rundfunkanstalten, die Union Europ6enne de Radiodiffusion, ihre wertvolle Unterstiitzung und Hilfe. DaB die 1952 begonnene Rundfunkforschung zeitnotwendig und gut fundiert war, beweisen die zahlreichen Zuschriften und Bestellungen auf diese Zeitschrift, die uns noch heute aus aHer Welt erreichen. Die in Hamburg erscheinenden Hefte "Rundfunk und Fernsehen" sowie die spater erschienenen "Cahiers d'Etudes de Radio-T616vision" des franzosischen "Centre d'Etudes de RadioT616vision" sind weitere Beweise des Fortschreitens der Rundfunkforschung in Europa. Vorlesungsverzeichnisse europaischer Hochschulen Jahresberichte, Fachaufsatze und breit angelegte Berichte iiber Horerforschung sind die iibrigen Beweise fiir die erfolgreiche Tatigkeit dieses jungen Z weiges der Wissenschaft. Wir haben damals im ersten Heft von "Radio-Television" in einem grundlegenden Artikel unter dem Titel "Neue Wege der Horerforschung" auf jene Methoden hingewiesen, die wir nun nach langjahrigen Versuchen erprobt haben. Das Provisorium der Organisation des Osterreichischen Rundfunks und die Wechselfalle in der Entwicklung unserer Abteilung haben uns gezwungen, uns jeweils den Moglichkeiten anzupassen und dadurch die theoretischen und praktischen Zweige, die zu dem Gesamtforschungsgebiet gehoren, nacheinander zu entwickeln. Nach verschiedenen Vorarbeiten wurde zunachst an der Universitat Wien die Rundfunkkunde, die Wissenschaft und Lehre vom Rundfunk - oder besser vom Rundfunkwesen - auf breiter und griindlicher Basis eingefiihrt. Nach Obergabe aHer Studios durch die Besatzungsmachte an den Osterreichischen Rundfunk ergab sich dann die Notwendigkeit, ganz auf das praktische Gebiet iiberzuwechseln und der Programmdirektion in Form einer griindlichen Statistik ein Instrument in die Hand zu geben, das ihr einen Oberblick iiber die gesamte Programmproduktion in den osterreichischen Landern ermoglichte. Es dauerte fast zwei Produktionsjahre, um geeignete Methoden zu finden und einen praktisch und wirksam arbeitenden statistischen Mechanismus mit geringsten finanziellen Mitteln aufzubauen. Diese Statistik erwies sich dann als die geeignete Basis fiir jede Art theoretischer Untersuchungen und insbesondere fiir die Horerforschung. Da Horerforschung als Kulturforschung nicht Marktforschung bedeutet, richteten verschiedene Institute in Europa in den letzten Jahren ihr Augenmerk auf die Tiefenforschung, auf die Qualitatsforschung. Uns selbst war es erst 1957 moglich, die "neuen Wege", die wir 1952 beschritten haben, zu Ende zu gehen, was wir dem besonderen Entgegenkommen eines Direktors der Osterreichischen Stickstoffwerke verdanken. Ausgehend von der Rundfunkforschung und der Praxis des Rundfunkbetriebes, fanden wir bald, daB die Rundfunkforschung im engeren Sinne nichts anderes sein kann als Kulturforschung im Gebiet 9

des Rundfunkwesens. Besonders das umfassende Wesen eines Monopolrundfunks - dies solI kein Werturteii sein - spiegeit das gesamte, zumindest das ăuBere Kulturgeschehen wider. Zum Rundfunkwesen gehort die KuIturproduktion, die Rundfunkiibertragung und der Horer ais Kulturkonsument. Die Rundfunkforschung und ihre Methoden auf diesem Gebiet diirfen daher ein gewisses Interesse von seiten der Kulturforschung und der KuIturpolitik schiechthin erwarten. Ist doch unsere gesellschafliiche Organisation vieI zu sehr durchgebildet, ais daB man Kulturpolitik noch mit Schropfkopfen und Gesundbeten wie im alten Stil betreiben konnte. Eine Wirtschaflspolitik ohne Wirtschaflsforschung, ohne Preisindizes, Produktionstabellen und Marktforschung, eine SoziaIpolitik ohne Sozialforschung und eine Kulturpolitik ohne Kulturforschung sind in absehbarer Zeit vollig undenkbar. Es sei hier in der Einieitung das scharfe Wort genehmigt: Es ist ein Zeichen fiir den noch immer herrschenden Materialismus unserer Zeit, den die Atomphysiker, nicht aber die Kulturkonsumenten im allgemeinen iiberwunden haben, daB der Geist ais Luxus aufgefaGt wird und nicht ais Gegenstiick zur Naturgrundiage der Wirtschafl, ais Grundiage der KuItur, die Ietzthin alles menschiiche Tun bis in die Wirtschafl hinein qualifiziert. Die Wirtschafl war in der Zeit der Griechen und Romer ein Teil der Kultur. Man sprach von Ackerbaukultur und sah nicht den materielIen Vorgang, sondern die geistige Tătigkeit in allem menschiichen Tun. Technik, die griechische Techne, ist in ihrem tiefsten Wesen Kunst. Erkennt man dies in seiner umfassenden Bedeutung, so wird man gerade in unserer Zeit Kulturforschung als konkreten praktischen Weg zur Geistesforschung betreiben wollen. Die Geistesforschung, zum Unterschied von einer rein ăuGerlichen Wirtschaflsforschung, hat aber immer den Beigeschmack einer Gewissenserforschung. Dies mag erklăren, warum die Kulturforschung und die Rundfunkforschung im Vergieich zu ihren mehr bekannten Schwestern noch vielfach im argen Iiegen und, solange es noch geht, gerne iibersehen werden. Nichts ist aber schădIicher fiir den Menschen ais KuIturpolitik ohne Gewissen. Es ist der Ungeist, der in jede Krise fiihrt; auch in jede Weltkrise und wirtschafliiche Krise. Eine kulturelIe Wiederaufforstung verlorener Kulturgebiete in unserem offent1ichen und in unserem privaten Leben kann nur durch den Aufstand des Geistes gegen diesen Ungeist zum Erfolg fiihren. Die Forschung kann dazu nur Methoden und MitteI bereitstelIen, es ist an der Kulturpolitik, sie zu ergreifen.

10

Kultur ohne Kopfe

Die Smwierigkeit unseres Beginnens besteht darin, da~ im allgemeinen politismen Wortsmatz Europas das Wort Kulturpolitik eigentIim sehr klein geschrieben werden mii~te. Parteipolitik und Staatspolitik sind es, die dieses Feld beherrschen, und wenn man die Tageszeitungen aufschlagt, so liest man vom starker werdenden Wettlauf der Gro~machte mit einer staatlich betriebenen Wirtschaftspolitik interkontinentalen Ausma~es bei den unterentwickelten Volkern, man li est aber nichts von Kulturpolitik. Kulturattaches scheinen ein reprasentativer Luxus gro~er Gesandtsmaften zu sein. Und dom geschahen die gro~ten Fehler in der kolonialen Fiihrung der sogenannten wirtschaftIim, aber keineswegs kulturell unterentwickelten asiatischen und atrikanischen Volker durch das rein westliche wirtschaftliche und politische Denken ohne Beriicksichtigung dessen, was kulturpolitisch notwendig gewesen ware. Se1bst ein politismer Kopf wie Churchill sah in Ghandi nur einen Bettler, den wirtsmaftlimen Habenichts, und verkannte die Macht seines Geistes 1• Auf au~enpolitischem Gebiet ist die Kultur ohne Fiihrung, soweit es sim um Systematik in der Fiihrung, in der Erreichung der gesamtgesellschaftlichen Zie1e, eben um Politik hande1t. Innenpolitisch wiederum gibt es eine so diirftig entwickelte Kulturpolitik, weil die kulturellen Institutionen se1bst meist planlos Kultur produzieren oder vermitteln und eine methodische Kulturpolitik zur Erreichung ihrer Absichten nicht anwenden. Kulturpolitik wird vie1fam nom verwechselt mit fremder Politik in der Kultur, bzw. auf dem Riicken der Kultur, auf ihre Kosten oder gar gegen ihre Ziele2 • Vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt fassen wir den Begriff der Kulturpolitik 10sge1ost von weltanschaulimen und anderen politischen Zwecksetzungen auf3. Hierbei wollen wir als Kulturpolitik nur das begreifen, was im Wesen der Kultur und ihren Zie1setzungen se1bst seine Wurzeln hat. Wir sind uns dabei im klaren, da~ die Begriffe Geist und Kultur streng zu unterscheiden sind. Wohl ist die Kulturau~erung Schopfung des mensmlichen Geistes, sie ist aber nimt identisch mit diesem Geist. Kulturforsmung ist daher nicht Geistesforsmung im Madhuri Desai, Begegnung mit Gandhi. Bern 1949. Roman Boos, Soziologie des freien Geisteslebens. Bern 1942, S. 116 ff. a Vgl. Roman Boos, Freiheit als soziale Gestaltungskraft. Schaffhausen 1955. 1

2

11

engeren Sinn 4• Der Unterschied wird noch deutlicher, wenn wir das der Kultur innewohnende Element, namlich das Prinzip der Erhaltung der Kulturgliter mit dem Prinzip des Fortschrittes und der Freiheit, mit dem Pioniersinn des menschlichen individuellen Geistes vergleichen. Dieser menschliche Geist wirkt in der Kultur und durch die Kultur5 und verleiht ihr ein dynamisches Element, von dem jede menschliche Entwicklung ausgeht. Nicht die museale Registratur von Kulturgiitern, sondern diese fortwirkende und in der Kultur weiterlebende Kraft gibt einer Kulturpolitik ihre Daseinsberechtigung und macht sie zur Notwendigkeit. Der smopferische Geist neigt dazu, sich um das weitere Schicksal seiner Produkte nicht zu klimmern. Die Durchflihrung und Betreuung der Kultursmopfungen und Kulturkrafte erfordert aber ihrerseits wieder systematisch denkende und handelnde Kopfe. In dieser Zeit insbesondere muB sich die Kultur auch gegen die Wirtschaft, zu deren Werbefassade sie sonst herabgedrlickt wlirde, und gegen die Politik, zu deren propagandistischem Aushangeschild sie sonst wlirde, behaupten6 • Sie muB sich sogar gegen die Selbstvernichtung durch das Gegeneinanderwirken der eigenen Krafte in den eigenen Reihen durch eigene Organisation und autonome Selbstverwaltung zur Wehr setzen. Wilhelm von Humboldt sagte liber das Wesen der Sprache: "Sie ist kein Werk (Ergon), sondern eine Tatigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische sein.« Man kann dasselbe natiirlich auch von der Musik sagen, ja von der Kultur iiberhaupt. Ein Opus ist nicht ein fertiges Paar Schuhe, das nur mehr abgetreten werden kann und sich nicht erneuert. Kultur ist fortwirkende Energie aus geistiger Quelle. Die einzelnen geistigen Leistungen, die Dynamik der Kultur in ihren groBen Zusammenhangen 7 zu sehen, nimmt dem einzelnen Werk, dem einzelnen Schopfer nichts von seiner Freiheit. Karl Schmid schreibt in einem anderen Zusammenhang hierzu: "So mag es verstandlich sein, daB man in einer Zeit, die nun schon so lange im Banne des Ergons, des Werkes, des Erzielten steht, auch wieder in die umgekehrte Richtung blickt, auf jene mlitterliche Energeia der Geschichts- und Seelentiefen hin, aus der alles immer wieder aufbricht, was wirkend ist und schopferisch. Sofern das Geheimnis der schopferischen Spannung, das der Erganzung dabei in seiner ganzen umschlingenden Allmachtigkeit ahnbar wird, mag das mit dem Dblichen solcher 4 Siehe hierzu Rudolf Steiner, Die soziale Frage als BewuBtseinsfrage. Dornach 1957. ~ Albert Schweitzer, Kultur und Ethik. Munchen 1960, S. 97 ff. 6 Wilhelm Furtwangler, Der Musiker und sein Publikum. Zurich 1955, S. 33 f. 7 Ralph Linton, The Cultural Ba