Reise um die Erde durch Nord-Asien und die beiden Oceane, in den Jahren 1828, 1829 und 1830: Band 3 Reise von Tobolsk bis zum Ochozker Meere im Jahre 1820 [Reprint 2019 ed.] 9783111684000, 9783111296944

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Reise um die Erde durch Nord-Asien und die beiden Oceane, in den Jahren 1828, 1829 und 1830: Band 3 Reise von Tobolsk bis zum Ochozker Meere im Jahre 1820 [Reprint 2019 ed.]
 9783111684000, 9783111296944

Table of contents :
Vorwort
Inhalt des zweiten Bandes
IX. Abschnitt. Reise nach Irkuzk
X. Abschnitt. Irkuzk
XI. Abschnitt. Reise nach Kjachta und zu dem Buddhatempel der Sabaikalischen Buraeten
XII. Abschnitt. Fahrt im Lenathale nach Jakuzk
XIII. Abschnitt. Jakuzk
XIV. Abschnitt. Reise mit Jakuten und Tungusen über das Aldanische Gebirge nach Ochozk
Register zum zweiten Bande
Verbesserungen

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Reise um die Erde durch

Nord-Asien und die beiden Oceane in d e n J a h r e n 1828, 1829 u n d 1830

a u s g e f ü h rt

•von

Adolp

h Er

man.

In einer historischen und einerphysiknlisclienAbtheilung dargestellt und mit einem Alias begleitet»

B e r l i n , v e r l e g t

bei

G.

1838.

R e i m e r .

Reise um die Erde durch

Nord-Asien und die beiden Oceane in d e n J a h r e n 1828, 1829 und 1830 ausgeführt von

Adolph

Er

man.

E r s t e A b t h e i l u n go; •

H i s t o r i s c h e r Bericht.

Z w e i t e r liand:

Reise

von T o b o l s k

bis zum O c h o z k e r

im .Jahre 1829.

B e r l i n , v e r l e g t

bei

G.

1 8 3 8.

Reimer.

Meere

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D

o

r

w

o

r

t

.

ie Abschnitte meines Tagebuches welche ich hier

dem Publikum übergebe, beziehen sich auf Anschauungen welche eine Reise vo

T o b o l s k bis O c h o z k

darbietet, und sie beschliefsen daher die im vorigen Bande begonnene Schilderung einer quer durch das Festland von Nord-Asien gelegenen Strecke.

Ich habe

mich aber auch hier wiederum und in Folge eines früher ausgesprochenen Planes nicht nur jeder durchgeführten wissenschaftlichen Erörterung enthalten, sondern auch sogar die R e s u l t a t e

der geographischen

Ortsbestimmungen, der Höhenmessungen, der magnetischen und anderen physikalischen die mich während

dieser Reise

Beobachtungen,

beschäftigten,

nur

dann angeführt, wenn sie mit unmittelbareren W a h r nehmungen in direclem Zusammenhange standen. Jene Beobachtungen

selbst und

die Rechnungen,

durch

VI

V o i t W011T.

welche sie nutzbar gemacht wurden, befinden sich in der zweiten oder physikalischen Abtheilung dieses W e r k e s , die ich in Folgendem überall, wo auf bestimmte Stellen derselben zu verweisen w a r , durch eine II. angedeutet und von dem mit I, 1 bezeichneten ersten Theile des h i s t o r i s c h e n B e r i c h t e s unterschieden habe. Ueber die Schreibart, welche für geographische und andere Eigennamen gebraucht ist, so wie über andere Einzelheiten der Anordnung des Buches beziehe ich mich auf das Vorwort zur Abth. I, Bd. I. und bemerke hier nur noch, dafs einige zu den vorliegenden Abschnitten gehörige Zeichnungen und Blätter des geographischen Atlas mit den nächstfolgenden ausgegeben werden sollen, weil die Vollendung derselben über eine gleichzeitig begonnene, ausgedehntere und detaillirtcre Karte von K a m t s c h a t k a in etwas verspätet worden ist. Dagegen folgen hier nachträglich mit den Verbesserungen zu gegenwärtigem Bande auch einige, die sich auf die früher erschienenen beziehen.

Inhalt des zweiten Bandes.

IX. A b s c h n i t t . Reise nach Irkuzk

Seit« 1

X. A b s c h n i t t . Irkuzk

05

XI. A b s c h n i t t . Reise nach Kjachta und zu dem Buddhatempel der Sabaikalischen Buräten

05

XII. A b s c h n i t t . F a h r t im Lenathale nach Jakuzk

203

XIII. A b s c h n i t t . Jakuzk

248

XIV. A b s c h n i t t . Reise mit Jakuten und Tungusen über das Aldanische Gebirge nach Ochozk

304

IX. Abschnitt. Reise

nach

Irkuzk.

D i e letzten Tage des Jahres verlebte ich in T o b o l s k , dessen Äufsercs jetzt wieder mancherlei Anziehendes darbot. Auf den grofsen Marktplätzen der Stadt glänzte die Schneedecke zwischen den dunklen Holzwänden in seltener Helligkeit, denn am Tage war der Himmel durchaus rein und dunkelblau. Nur in den Morgenstunden zeigten sich Frostnebel, aber die schwebenden Eisnadeln, aus denen diese bestehen, reflcktiren das Sonnenlicht ohne es merklieh zu schwächen. Zwei rotlie Nebenbilder ( s t o l b ü i ) erschienen dann wieder, wie wir sie früher gesehen hatten, in einerlei Höhe mit der Sonne. Die schwächer gerötheten Säulen, durch welche jedes derselben sich gegen den Horizont verlängert, hatten oft eine schräge und veränderliche Richtung, wie Regenstreifen die vom Winde gebogen werden. — Auch in diesem Jahre war die Witterung dem Volksglauben günstig: dafs die Weih, nachtsfröste ( k r e s c h t s c l i e n s k i e m o r ö s u i ) , d. h. die um den 6. Januar neuen Styls eintretenden, die heftigsten seien; denn wie es die S i b i r i s c h e n Bauern ausdrücken: »ging nun die Sonne II. Band.

,

2

IX. Abschnitt.

1829.

Januar.

„wieder höher an den Himmel, der Winter aber zur Kälte ( * o l n z c na n e b o i d i o t , s i m ä k ' m o r o s u ) . "

Nur um so eifriger schien

man in T o b o l s k auf die Feier des YVcihnaclilsfestcs bedacht. Vor den Hauptgebäuden der unteren Stadt (f, 1. S. 457)

war

bereits

eine lange Strecke auf dem Eise des I r t u i s c h vom Schnec gereinigt und zu beiden Seiten mit grünen Tannenzweigen ( w j c c h i ) eingefafst worden, um während der Festtage den Schlittenlcnkern als Rennbahn ( b j e g ) zu dienen. Ich durfte indessen den Anfang dieser und ähnlicher Lustbarkeiten nicht abwarten, ohne wesentlichere Vorhaben aufzugeben. Professor H a n s t e e n und Lieutenant D u e waren bereits am 13. December von hier nach T j u k a l i n s k gefahren; ich bcschlofs daher die nördliche Strafse über T a r a zu wählen, um den Bereich unserer magnetischen Beobachtungen weiter auszudehnen.

Die gün-

stige Schnecbahn sollte zu möglichst schneller Zurücklegung der Wege zwischen den einzelnen Bcobachtungsorten helfen.

Bei

der Besorgung eines neuen Schlittens von der früher beschriebenen Art (I, 1. S . 529.), welche unsere Freunde in T o b o l s k während meiner Abwesenheit übernommen hatten, mufste daher vorzüglich auf Leichtigkeit gesehen werden.

Sie hatten aber zu

diesem Ende ein so kleines Fuhrwerk gewählt, dafs meine Instrumente und das übrige Gepäck die ganze Höhlung desselben anfüllten, und dafs daher das Lager für mich und meinen Begleiter, den früher erwähnten Esthnischen Diener, über die oberen Ränder des Schlitten hervorragte.

1S29. [ J a n u a r 4.] U m

4 Uhr Nachmittags fuhren wir aus dem südöstlichen Ende

der unteren Stadt und blieben auf dem rechtcn Ufer des I r t u i s c h , bis nahe vor dem Dorfe B a k t s c h c j e w a , wo der Weg über das Eis dieses Flusses führte. Selbst hier sind die O s t j a k c n und ihre Sitten wenig bekannt; denn die Rcnntliier - Kleidung, deren icli

I X . Abschnitt.

1829.

3

Januar.

micli seil ilcr O b d o r s k c r Reise bediente, wurde von den Bauern in B a k t s c l i c j c w a mit Verwunderung betraclitct.

Nur ein ver-

abschiedeter Soldat, der zur ehemaligen Besatzung von

Kam-

t s c h a t k a gehört halte, verglich den P a r k und die M a l j z a mit den dort üblichen Trachten. Südlich vom I r l u i s c h fanden wir hügliges Land, von Bächen tief gefurcht ist. — Einen T a t a r i s c h e n

welches Kirchhof

zur Rechten des Weges erkannte man schon aus der Ferne, weil er mit hohen Birken in dichten und malerischen Gruppen besetzt ist, I)ic unzweckmäfsige Einrichtung unseres Fuhrwerkes nun sehr fühlbar.

Durch Stöfse,

wurde

welche die Unebenheit

der

Fahrbahn veranlafste, fielen wir mehrmals seitwärts hinaus, bis endlich, bei einer schnellen Wendung des W e g e s , der Schlitten gänzlich umstürzte, und die sogenannten Abieiter oder zerbrachen, Fuhrwerks

Otwodi

weil sie den allzuhoch gelegenen Schwerpunkt des nicht genugsam zu stützen vermochten.

Ich verlor

durch diesen Unfall die schüncu Bogen, welche ich von den O s t j a k e n erhalten hatte. ( 1 , 1 . S. 563.) Sie waren an die Rückwand des Schlitten gebunden gewesen, hatten aber, vermöge ihrer bedeutenden Länge, über die Seitenwände desselben hervorgeragt, und zerbrachen daher als diese die Erde berührten. Sicher wäre die weile Reise bis I r k u z k

Unter diesen Um-

ständen äufserst beschwerlich und beinah unmöglich geworden, hätten wir nicht in dem nächsten Dorfe S t a r o l P o g o s t eine gründliche Abhülfe des Ucbcls und zugleich einen neuen Beweis für die Wohlfeilheit

landesüblicher Bedürfnisse

in

(Sibirien

gefunden.

Auf den Vorschlag eines R u s s i s c h e n B a u e r n , bei dem wir einkehrten, kaufte ich für

Rubel ( 2 2 § Sgl'. Preufs.) einen ein-

spännigen, niedrigen und offenen Schlitten, auf welchem ein bedeutenden Theil des Gepäcks angebracht und der Aufsicht meines Dieners übergeben Wurde, welche von den R u s s e n

Diese einspännigen Wihterfuhrwerke, in allen Theilen S i b i r i e n s

gebraucht

Werden in denen man Pferde besitzt, haben noch genau dieselbe Gestalt, in welcher sie H e r b e r s t c i n

und M e i e r b e r g im löten

Jahrhundert in der Nähe von M o s k a u sahen und abbildeten. — [ J a n u a r 5.] Die Nacht verging unter Ausbesserung des alten Fuhrwerkes und Einrichtung des neuen, und erst um 5 Uhr Mor1°

4

I X . Absclmiü.

1829.

Januar.

gens verlicfscn w i r S t a r o i P o g o s t , und fuhren bis 6 Uhr Abends 91 W e r s l w e i t , über K o p o t i l o w o und D r e s w j a n k a nach I s t j i l z k i j a J u r t u i . -— Die Gegend bleibt hüglig, mit dichter Waldung aus T a n n e n , F i c h t e n , Pappeln und sehr hohen Birken bedeckt, und von vielen Bächen durchschnitten, deren steile Uferhiigel durch hölzerne Pfahlbrücken verbunden sind. I n den zwei ersten Dörfern wohnen R u s s e n , welche Fuhrwesen treiben, und uns daher mit dem gewöhnlichen Eifer als W o l n u i e oder freiwillige Vermiether ihre Pferde anboten. I s t j a z k i j a J u r t u i oder I s t j a z k a j a S t a n z i a ist eine T a t a r i s c h e Ortschaft.

Durch Bauart und innere Einrichtung sind

die Jurten derselben denen

der W e r c l i o w i s c h e n

sehr ähnlich; auch hier ist nämlich stets, aufcer dem

Ostjakcn Tscliubal

oder Kamin welcher die Wohnung erwärmt, noch ein eingemauerter Kessel vorhanden (I, 1. S. 716), aber anstatt der durch Scheidewände getrennten SchlafsläUcn bei den O s t j a k c n , ist an den W ä n d e n dieser T a t a r i s c h e n Jurten nur eine schmalere und zusammenhangende Erhöhung mit gewebten Teppichcn, Filzdecken oder Thierfcllen bedeckt.

In einer der W o h n u n g e n ,

welche icli

besuchte, w u r d e eben einem etwa 8jährigen Knaben der Kopf rasirt, und man erkannte an der jetzt vorhandenen kurzen und gleichmäfsigen Behaarung dafs dieselbe Operation auch schon in früherem Alter statt gefunden hatte.

Uebrigens w a r es kein Europäi-

sches Sehecrmesser, sondern die Klinge eines gewöhnlichen Schneidemessers, mit welcher ein älterer T a t a r die Kopfhaut sehr schnell und genau cnlblöfste. — Iii B a l a c h l ä i s k i e J u r t u i und in K n * e r j a z k wechselten w i r die Pferde ohne weiteren Aufenthalt und erreichten { J a n u a r 6.] T s c h i s t j a k ö wo.

kurz nach Mitternacht das R u s s i s c h e

Dorf

Unerwarteter Weise waren hier die Bauern

schon w a c h , und ötrueten uns die breiten Flügelthüren eines der H ö f e , welche auch hier wie im E u r o p ä i s c h e n R u f s l a n d Bretterwänden umgeben sind.

mit

Durch die Glitnmerfenster glänz-

ten die Flammen aus dem mächtigen Ofen der l i b ä ,

und

die

Frauen w a r e n davor mit den Kohlsuppen, Fleischtöpfen und Weifsbrodten beschäftigt, welche am nächsten Morgen den Feiertag verherrlichen sollten.

Nur ungern ging man wieder aus dieser ge-

IX. Abschnitt.

1829.

Januar.

5

mtithlichen Umgebung in die finstere und kalte Schneelandschaft, durch welche uns die Bewohner des Hauses mit langen Holzfakkeln bis zu unseren Fuhrwerken begleileten. — Wir erhielten hier und auf den folgenden Stationen äufserst muthige Pferde, die noch vor dem Schlitten von zwei Männern am Zügel gehalten wurden, bis man das Iloflhor geöffnet hatte. Dann liefen sie so hitzig, dafs man sie selbst auf unebenem Wege nur zurückhalten nicht aber antreiben mufste. Die Station W i k o l o w o am hügligen Ufer des I s e h im erreichten wir noch während der Dämmerung. Es wurde eben zur Morgenmesse oder s a ü t r e n i e geläutet, und in einem der Häuser des Dorfes sangen Knaben ein geistliches Lied., in welchem die Worte: C h r i s t o s r o d i l « j a — Christus ist geboren — an die Bedeutung des heutigen Festes erinnerten, Diese Sänger gingen dann von Thür zu Thür, und wurden mit Lebensmitteln beschenkt. — Auch hier dampften die t s c h u g ü n u i oder eisernen Töpfe im Ofert, durften aber vor Sonnenaufgang und vor Anhörung der Messe nicht berührt werden. Gleich hinter W i k o l o w o fuhren wir über den I s c h i m . Sein Bette liegt in einer tiefen Schlucht, welche e r , wie die hier befindliche Brücke beweist, selbst nach dem Schneeschmelzen bei weitem nicht ausfüllt. Der Charakter der Landschaft blieb durchaus wie gestern. — Die R u s s i s c h e n Bauern jagen Eichhörner, Hermeline und Füchse in den hiesigeu Wäldern, wodurch ihr Wohlstand bedeutend erhöht wird, jedoch klagten unsere Fuhrleute, dafs die Zahl dieser Pelzthiere sich verringere. In K o t o t s c h i k o w o , einem kleinen Dorfe 21 Werst hinter W i k o l o w o , beobachtete ich kurz vor Mittag die Intensität und Neigung der magnetischen Kraft bei äufserst beschwerlichem Wetter. Der Himmel war ohne Wolken, und es erhob sich ein wüthender Nordwind, der wenigen, aber hart gefrorenen und stechenden Schnee bald geradlinigt jagte, bald wirbelnd emporhob. Dergleichen wirbelnde Winterstürme brechen urplötzlich ein, wenn in einer Stelle der weiten Schneeebcncn die Kälte geringer w a r , als es die Jahreszeit erfordert. Unter dem Namen B u r d n u i sind sie in allen Theilen N o r d a s i e n s bekannt und gefürchtet, jedoch am meisten in der Nähe des Eismeeres und auf K a m t s c h a t k a , wo

6

I X . Abschnitt.

1829.

Januar.

die begleitenden Schneegestöber, ungleich reichhaltiger als im mittleren ¿ S i b i r i e n , dem Reisenden jede Aussicht benehmen, und ihn unfehlbarer Verirrung Preis geben. — Durch die heftige Strömung wird das Gleichgewicht der Luftmassen sehr bald wieder hergestellt. Der Burän dauerte kaum länger als eine Stunde, während welcher wir in einem Bauernhause von K o t o t s c h i ' k o w o ten.

verweil-

Die Bewohner desselben waren nach den Kirchdörfern der

Umgegend zur Messe gefahren, und wir fanden nur eine alte Frau, die sich unablüfsig vor dem ob r a s in der E c k c des Zimmers verneigte und bekreutzigte. Dabei liefs sie sich durch unsere liegenwart durchaus nicht unterbrechen, sondern wiederholte nur noch lauter ihr „ H e r r erbarme dich einer Sünderin, Herr verlafs mich n i c h t " und ähnliehe einförmige Stofsseufzer. Gegen 7 Uhr Abends kamen w i r nach Dorfe A j c w s k j i W o l o k , tung anstellte.

dem wohlhabenden

wo ich eine astronomische Beobach-

Die messingenen Schrauben des Instruments erkal-

teten dabei so sehr, dafs ich die Haut von den Fingerspitzen verlor, als ich sie ohne Bedeckung berührte.

Gewöhnlich wurde die-

ses durch einen dünnen Handschuh verhindert, den man unter den unbiegsamen

Fausthandschuh der

Maljza

zog, und zugleich mit

den Fingern aus dem Schlitz dieses letzteren hervor strecken konnte, (I, 1, S. 617,) W i r erwärmten uns, wie gewöhnlieh, auf der Palata oder dem Lager über dem Ofen in dem Hause des Bauernältesten, und wui> den reichlich mit wirthet.

Fleischspeisen

Diesen S i b i r i s c h e n

und vortrefflichem

Kwai

bc-

Bauern fehlt es niemals an kräf-

tiger und wohlschmeckender Nahrung, am wenigsten aber zur Zeit des Fleischessens oder m j a * o j c d .

Die gewöhnliche Kohlsuppe

wird dann mit p i l m e n i oder Klössen aus gehacktem Fleische versehen, und man bereitet S t u d e n ,

d. h. eine sehr schmackhafte

Gallerte, die stets kalt gegessen w i r d , und zu welcher man u. a. die knorplieben Theile der b ä b k u i * ) oder kleineren Wirbelkno-

*) D i e s e l b e n , w e l c h e zu dem u n t e r dem Namen b a ' b k i bekannten V o l t s s p i e l e dienen. D i e K n o c h e n w e r d e n dabei mit ihren hervorragenden S p i t z e n w i e K e g e l a u f die E r d e g e s t e l l t , und dienen als Z i e l für S t e i n « iirle aus d e r F e r n e ,

IX. Abschnitt.

1829.

Januar.

7

chen der Tlricrc gebraucht; dazu werden Essig und Senf ( g o r l s c l u ' z a ) gegeben, die man in jederBaucrnwirtlischaft findet. Ausser dem gewöhnlichen Roggenbrod backen die Bauern an jedem Festtage Waizenbrode, und Mehlspeisen wie b l i n z u i , a l a d i u. a. Während der Nacht schien die Kälte selbst unsern geübten Fuhrleuten sehr empfindlich. Wir verweilten daher nur um uns zu erwärmen und ohne die Pferde zu wechseln in dem nächsten Kirchdorfe W e r c l i o w s k j i W o l o k . Es waren daselbst zwei Reisende die von T a r a kamen, und welche sich P o d r j ä d t s c l i i k i d. i. Entrcpreneure oder Aufkäufer nannten, Sic kauften Brod von den Bauern der hiesigen Gegend, wclche höher liegt als die gegen Osten angränzenden Ebenen, und deshalb trockener und zum Kornbau geeigneter ist. [ J a n u a r 7.J Das Terrain wird nun noch ebener als bisher, und anstatt der Wälder sieht man nun häufig Gebüsche von Weidciisträuclicn und andre Zeichen feuchten Bodens. — In R u i b i n s k a j a W o l o s t , wo wir am Mitlag ankamen, sagte man uns, dafs die Bauern sich versammelt haben um z u s c h w e l g e n (gulätj), d. h. den Feiertag auf übliche Weise zu begehen. Wir fanden in der I « b a des bezeichneten Hauses eine Menge von Gästen, und zwischen ihnen auf dem Fufsbodcn einen grofsen hölzernen Bottig mit Bier, welches der Wirtli gebraut, oder, wie man hier sagt, gek o c h t halte ( w a r i t j p i w o ) . Dieses sogenannte Bier wird nur bei festlicher Gelegenheit von den reicheren Bauern bereitet. Es ist eine braune, undurchsichtige und ölige Flüssigkeit, deren Consistenz noch durch eine Menge von Gerstenhülsen, welche darin schwimmen, vermehrt wird. Dennoch schien es den geübteren Trinkern sehr y.u behagen, und wird bis zur Berauschung angewendet. Arn lärmendsten war die Fröhlichkeit einer alten Frau, die sich als Verbannte zu erkennen gab. Sie erzählte mit. Begeisterung von den besseren Tagen, die sie in M o s k a u gesehen hatte, wobei sie dann wie gewöhnlich, bald die H a u p t s t a d t , bald ganz R u f s l a n d „ i h r e M u t t e r " nannte ( a ! t o Ii b u i l o , w ' m ä t u s c h k j e w ' M o s k w j c ! etc.). „Da tränke man Med und Branntwein, und könne das armselige ¿ S i b i r i e n nur verachten." Dennoch liefs sie sich das Bier sehr wohlschmecken, und behielt stets den hölzernen Krug in der Hand, während sie in der Mille des

8

IX, Abschnitt,

1829.

Januar.

Zimmers deklamirte und tanzte. Nicht ohne Talent wufsto sie an jeden ihrer Aussprüche einen der Volksgesänge zu knüpfen, in denen Klagen über die Entfernung von der Heimath und über die Folge eines traurigen Alters auf eine fröhliche Jugend eben so häufig sind, als das Lob der berauschenden Gelränke. Der Wechsel trüber und fröhlicher Stimmung, welche sie durch g e d e h n t e L i e d e r und T a n z l i e d e r ausdrückte, war ganz im Geschmack der Zuhörer, und erregte lebhafte Theilnahme und Gelächter. Ahnliche Erscheinungen gab es in dem Dorfe S a w j a l o w o 70 Werst vor Tara, welches wir am Abend erreichten. Unsere Schlitten blieben daselbst unter der Aufsicht des w ü i b o r n u i oder Wahlscliulzcn, während wir die w e t s c l i j ö r k i besuchten, die in einem nahe gelegenen Hause gehaHen wurden (1.1. 8. -i'iö). Während der « w j ä t z u i oder der zwölf Tage von Weihnachten bis zum Feste der drei Könige haben diese nächtlichen Versammlungen eine besondere Wichtigkeit, weil die Theilnehmerinnen dann durch allerlei Vorbedeutungen die Zukunft zu errathen suchen. In dieser gespannten Stimmung befanden sich auch die Mädchen von Sawjalowo, Sie safsen dicht an einander gedrängt auf den l a w k i oder Wandbänken einer spärlich erleuchteten i « b ä , und entsetzten sich gewaltig bei dem unerwarteten Anblick unserer O s t j a k i s c h e n Pelze, welche sie nachher für eine absichtliche Verkleidung erklärten. [ J a n u a r 8 ] Am Morgen kamen wir nach T a r a , und erhielten wie gewöhnlich von dem Polizeimeister der Stadt eine Wohnung angewiesen, in der ich einige Tage zu verweilen gcdaclilc. Beim Auspacken unserer zwei Schlitten vermifste aber mein Begleiter acht Gegenstände, welche sämmtlich in dem gröfsern derselben und unter der Matratze, welche ihn bedeckte, gelegen hatten. Unter anderem fehlte ein Theil des Statives, welches zur Auf Stellung der magnetischen Instrumente diente, und die zu den Declinations Beobachtungen nöthige Boussole. Der Verlust dieser letzteren war durch Nichts zu ersetzen. Jede Aussicht den Zweck meiner Reise zu erreichen, schien vielmehr nun so unwiderbringlich verloren, dafs kein ärgerer Unfall gedacht werden konnte! — In A j c w s k j i W o l o k , 150 Werst vor T a r a hatte ich die fehlenden Gegenstände noch gebraucht, und die Wände des Schlitten wa-

IX. Abschnitt,

1829. Januar.

0

ren jetzt so durchaus unversehrt, dafs ich bald von einem Diebstahl Überzeugt war. In dieser Voraussetzung ging ich zu dem Chef des Landgerichts, ( n a t s c h a l n i k s e m * k a g o i ü d a ) und meldete ihm meine verzweifelte Lage und den Entschlufs bis nach A j e w s k j i W o l o k zurückzuüihren, um bei der gerichtlichen Aufsuchung des Verlorenen gegenwärtig zu sein- Ein U r j d d n i k oder Unteroffizier der Kosacken Namens K r e p i k o w wurde beordert mich zu begleiten, und erhielt zur Ueberlieferung an d e n S e m s k j i S o « i e d a t e l oder Assessor vom Landgerichte, dem wir unterweges begegnen sollten, den schriftlichen Befehl sogleich u n d , wenn es nöthig sein sollte, längs des ganzen Weges zwischen A j e w s k j i W o l o k und T a r a , zu genauerer Untersuchung wegen des vermeintlichen Diebstahls zu schreiten. Zugleich wurde mir eine Podoro/na auf drei Pferde fiir die Fahrt nach dem genannten Ort und von da nach T a r a gegeben. — So waren wir drei Stunden nach unserer Ankunft schon wieder auf dem Rückwege begriffen, nachdem Herr Doctor R o s c h e r in Tara, an den ich von T o b o l s k aus empfohlen w a r , die Aufbewahrung meines noch übrigen Gepäckes freundschaftlichst übernommen hatte. Am Abend erreichten wir » S a w j a l o w o , und da die unerwartete Rückkunft nach einem so selten besuchten Ort Aufmerksamkeit erregen mufsta, so hielt unser gewandter U r j a d n i k eine sofortige Haussuchung bei dem W u i b o r n u i für rathsam- — Sie war erfolglos, und wir fuhren nun wie früher ohne Aufenthalt bis [ J a n u a r 9.] um 10 Uhr Vormittags nach R u i b i n s k a j a W o l o s t . Gegen die Bewohner dieses Ortes hegte ich keinen Verdacht, denn unsere Schlitten hatten daselbst unter den Fenstern des Hauses, in dem wir uns aufhielten, gestanden. Ich ging daher sogleich zu dem Priester des Dorfes, weil der Landrichter Herr B. auf dessen Unterstützung ich angewiesen war, sich eben daselbst befand. Die persönliche Bekanntschaft dieses Herrn erwcckte wenig Zutrauen. Es schien zwar als sei es mir gelungen, ihm die Wichtigkeit des erlittenen Verlustes einleuchtend zu machen, und er äufserte sogar, da es sich nicht um Geld handele, so sei die Wiedererlangung nicht unmöglich. Diese erfreuliche Theilnahme wurde aber bald zerstreuter, nachdem er sich durch so starke Dosen von

10

IX. Abschnitt.

1829.

Januar.

Branntwein vorbereitet hatte, dafs nur etwa seine riesige Gestalt ihnen einigermafsen gewachsen sein konnte. Dennoch machten wir uns sogleich auf die Reise, indem ich, auf Herrn B.'s Einladung, ihm in seinen Schlitten Gesellschaft leistete, und den meinigen dem Gerichtsschreiber einräumte, welcher ihn begleitete. Herr B. war von einer Deutschen Familie, und erzählte mir davon mit einiger Geuugthuung, welche er jedoch in Gegenwart von Russen niemals laut werden liefs. Es schien mir damals, als verdanke er dieser Abkunft eine sehr einnehmende Gutmüthigkeit des Benehmens. Diese äufserte sich namentlich bei den naiven Ucberredungs-Künsten, durch Welche er sieb auch in den ärmeren Dörfern einigen Branntwein von den Hausfrauen zu verschaffen wufste. Übrigens war es auffallend, wie diese Schwächen ihres Vorgesetzten in den Augen der Bauern reichlich ersetzt wurden durch den Anblick einer sehr abgenutzten Uniform. Auch bemerkten sie beifallig, dafs er an dem Zugjoche seines Schlitten eine jener grofsen und wohltönendcn Glocken führte, deren sich in ¿ S i b i r i e n nur wichtige Personen zu bedienen pflegen, während Kaufleute und andere Reisende mit den kleinem vorlieb nehmen, welche ihnen die Postfuhrleute von einer Station bis zur andern leihen. — Wir erhielten überall die rüstigsten Fuhrleute und Pferde, und kamen um 10 Uhr Abends nach A j e w s k j i W a l o k . In ganz anderer Stimmung als vor zwei Tagen ging ich wieder in die Wohnung dös Slärost., wo noch an demselben Abend eine vorgebliche Haussuchung gehalton und alsdann der J a m s c h t s c h i k , der uns bei unser früheren Anwesenheit zur nächsten Station befördert, und zwei Bauern, die uns damals bei der Verpackung der Instrumente geholfen hatten, uuter Aufsicht der Dorfbehörde gestellt wurden. So brachten es also die Umstände mit sich, dafs man einen der Verdächtigen als richterlichen Beistand brauchte; denn der liaueruälteste steht an der Spitze der örtlichen Polizei, und die zu Bewachenden gehörten theils zu seiner Familie, theils zu dem zahlreichen Hausgesinde derselben. [ J a n u a r 10.] Das gerichtlichc Verhör wurde mit Tagesanbruch in dem von uns eingenommenen Zimmer des mehrerwähnten Hauses begonnen, und ohne Erfolg bis zum Abend forigesetzt. Aus den dabei geführten Akten ergab sich auf ziemlich überzcu-

IX. Abschnitt.

1829.

Januar.

11

gende Weise, dafs alle Gegenstände, welche ich am 6. Januar in A j e w s k j i W o l o k gebraucht hatte, wiederum in den Schlitten verpackt worden waren. Der Landrichter erklärte daher, es bliebe nun kein andres Mitlei zur Entdeckung der Wahrheit als das K ü s s e n des H e i l i g e n b i l d e s , welches anstatt gerichtlichen Eides in ähnlichen Fällen verlangt wird. Der Richter von W e r c h o w s k j i W o l o k , des nächsten Dorfes auf dem Wege nach T a r a , (oben S. 7.) wurde daher noch an demselben Abend herbeigeholt, und dann in unserer Gegenwart die Ceremonie an der ganzen A j e w s k e r Gemeinde vollzogen. Eines der in der Kirche angewendeten obrasa wurde in dem Verhörzimmer auf einen Tisch gelegt, und dann jeder der Verdächtigen einzeln eingeführt und von dem Richter ermahnt, das allwissende Bild nicht eher zu küssen, als bis er sich bewufst sei vollkommen unbekannt mit der Angelegenheit zu sein, oder doch alle Fragen der Richter richtig und vollständig beantwortet zu haben. Es wurde indessen Niemand zu einem weiteren Geständnisse veranlafst. Eben so erfolglos blieben aucli gütliche Zureden, durch welche ich die in der Isba des Starosta versammelten Bauern einer gänzlichen Straflosigkeit versicherte, wenn sie die genannten Gegenstände während der Nacht in unsere Schlitten legen würden, die wir zu diesem Zwecke auf der Slrafse stehen liefsen. [ J a n u a r 11.] In dieser verzweifelten Lage erschien es mir daher wie ein Traum als der Unteroffizier K r e p i k o w mich um 5 Uhr Morgens weckte, und mit vielen Glückwünschen j e d e s der acht verlorenen Dinge übergab. Mit ihm kam ein J a m s c h t s c h i k von W e r c h o w s k j i W o l o k , welcher am gestrigen Abend den Popen dieses Orts hierher gebracht hatte, und dann sogleich zurückgefahren war. Er erzählte, wie er mit Erstaunen am Eingauge seines Dorfes und zur Seite der Strafse die mehrerwähnten Gegenstände auf dem Schnee ausgebreitet, gefunden und sie so eben hierher zurückgebracht habe. Zugleich wurde als Erklärung hinzugefügt, dafs der Bauer, bei dem wir in jenem Dorfe, und in der Nacht vom 6. zum 7. Januar eingekehrt waren, ein neu angekommener Verbannter sei, der in sehr üblem Rufe stehe. Dieser sei ohne Zweifel der Thäter, und bei der Nachricht von einer ernstlichen

12

IX. Abschnitt.

1829.

Januar.

Untersuchung habe er sich der gestohlenen Sachen auf eine gule Weise entledigen wollen. Wirklich waren unsere Schlitten vor jenem Hause und bei dunkler Nacht ohne Aufsieht geblieben. Auch war es glaublich, dafs die Entwendung auf sehr übereilte Weise geschah, denn der Dieb hatte unter anderen von zweien nahe beieinander liegenden Stiefeln nur einen, und aufserdem mehrere schon auf den ersten Anblick durchaus werthlose Dinge genommen. Aber jene Aussagen und Hypothesen hatten auch einiges Unwahrscheinliche, denn während der letzten Nacht w a r viel Schnee gefallen, und dennoch erhielt ich die Boussole, deren Kasten gewaltsam geöffnet war, eben so wie eine Landkarte, an der jede Spur von Durchnässung zu sehen sein mufste, völlig trocken und unversehrt. Nach einem so glänzenden Erfolg war ich indessen zu fernerer Untersuchung des wahren Zusammenhangs durchaus nicht aufgelegt; vielmehr begannen w i r mit erleichtertem Herzen die Rückreise nach T a r a , nachdem ich üblicher Weise den Priester von W e r c h o w s k j i beauftragt hatte, eine Kerze für 5 Rubel vor das Bild des heiligen G e o r g zu setzen, den ich während des Aufenthalts in R u f s l a n d als meinen Namensheiligen und Schutzpatron anerkannte. [ J a n u a r 12. und 13.] Am 12. Januar um 10 Uhr Morgens waren wir wieder in T a r a , wo das unerwartet glückliche Ende meines Abentheuers allgemeine Thcilnalimc erregte. Die Sladt liegt auf einem beträchtlichen Hügel, der sieh eine Werst oberhalb der Mündung des Baches A g a r k a in den I r t u i s c h befindet. Der steile Abfall dieses Hügels gegen das Wasser, und die tiefen Spalten welche Frost und Wasserspülung in ihm geöffnet haben, gewähren bei der Einfahrt in die Stadt einen sehr malerischen An-, blick. Wir kamen über eine hölzerne Brücke, welche wegen der bedeutenden Anschwellung der A g a r k a auf sehr hohen Pfählen angelegt ist. Eine Meuge von Arbeitern waren jetzt mit der Ausbesserung derselben beschäftigt. — Am Abend vor Neujahr (12. Januar) war ich in das Haus Kreishauptmanns oder o k r u / n u i n a t s c l i a l n i k geladen, wo sogenannten Schüssellieder ( p o d b l j u d n i e p j e s n i ) and andere d a n j i oder Wahrsagungsspiele von den T a r a e r Damen mit terthümlicliem Ernste ausgeführt wurden. Die Mädchen, die

des die gaaldas

IX. Abschnitt.

1829.

13

Januar

Schicksal befragen, legen Ringe in eine verdeckte Schussel, und singen dann jene L i e d e r , welche aus kurzen Strophen bestehen, deren jede in symbolischen Ausdrücken eine auf Ileiratlien oder Vermögensumstände bezügliche Wahrsagung enthält.

Gleichzeitig

nehmen einige ältere Frauen die erwähnten Ringe einzeln aus der Schüssel heraus, und bringen dadurch die Prophezeihungen einer jeden Strophe auf bestimmte Personen in Anwendung. Ich zweifle k a u m , dafs diese Wahrsagungs - Lotterie nur Nachahmung

eines

sehr ähnlichen Gebrauches bei den M o n g o l i s c h e n und M a n d _ / u i s c h e n Volksstämmcn ist.

Bei diesen, und namentlich in den

M a n d / u i s e h e n Tempeln zu Maimatschen, (unten Abschnitt XI.) stellt v o r d e m Buddhaislischen Heiligenbilde, eine Schale welche beschriebene Loose ( s c h i w a g h a der Mongolen) enthält.

Die Cha-

raktere auf denselben bedeuten thcils Glück, theils Unglück, und werden auf diejenigen Personen bezogen, welche nach vorhergegangenem Gebete eines der Loose für sich gezogen haben.

Die

merkwürdigste Bestätigung

die-

des Zusammenhanges

zwischen

sem Buddhaistisclien Gebrauche und den Schüsselliedern der R u s s e n scheint mir aber in folgender Stelle dieser letzteren zu liegen: „ r a t h e nun Mädchen, in wessen Hand sich das Schicksal (die Beg e b e n h e i t e n ) und die D r a c h e n f l ü g e l befinden. * ) " Unwillkürlich

wird

man nämlich

die bekannten Sagen der Chinesen, eiuem D r a c h e n

(loo

oder l u

durch

diese W o r t e

an

Mand/us und Mongolen von

der M o n g o l e n ,

lung

oder

l u n n der C h i n e s e n ) erinnert. Die Mongolen namentlich denken sich diese übermenschliche Personification g e f l ü g e l t , und sagen von ihm u. a., dafs er im W i n t e r in den sieben Meeren ruhe, im Sommer aber

zum Himmel auffliege, die Wilterung bedinge

u n d die gesammle Natur belebe. als in einem M o n g o l i s c h e n

Nichts wäre daher natürlicher,

Liede: d i e D r a c h e n f l ü g e l

als

Symbol des zukünftigen Schicksals erwähnen zu hören. Der Ucbcrgang desselben Ausdruckes in R u s s i s c h « Dichtungen hat

auf

keinem Falle in S i b i r i e n zuerst stattgefunden, denn die Schüssellicder sind im E u r o p ä i s c h e n

R u s s l a n d , und bei weil cm vor

*) G a d a i g a d a i d j c w i z a, w ' k o e i r u k j e b u i 1 i z a, s in j t i t> n ! j a kru il i z .1.

14

IX. Abschnitt.

1829.

Januar.

der Eroberung von ¿ S i b i r i e n , gebräuchlich gewesen; vielmehr wird man auch hier, so wie ich schon mehrmals erwähnte, auf eine ungleich frühere Berührung des R u s s e n mit den eigentlichen M o n g o l e n geführt. (Vergl. I, 1 S. 168, 431.) Erklärlich ist eine solche Erfahrung, denn in der That bestanden ja die Heere der T s c h i n g i s c h a n i d e n , welche R u s s l a n d unterjochten, ursprünglich aus M o n g o l e n des I r k u z k e r Gouvernements, und nur im Verlaufe ihrer Eroberungen nahmen sie die T a t ä r e n unter sich a u f , welche dann von den Russischen Geschichtsschreibern allein genannt wurden. Manche andere g a d a n j i oder Neujalirsorakel sind hingegen den in D e u t s c h l a n d üblicheu durchaus ähnlich. So wird auch hier aus der Gestalt von geschmolzenem Wachs, welches man in Wasser fallen läfst, gewahrsagt, und die Heirathsangclcgenlieitcn dtr Mädchen werden aus der Richtung erkannt, in welcher sich leere Schalen ( s c h a r k i p o p l u i w u s c l i k i oder Schwimmschalen) gegen einander bewegen, wenn man sie in einem mit Wasser gefüllten Geßifse aussetzt. Auf dieselbe Weise wird in den allerihümlichcn R u s s i s c h e n Hocbzeitliedern die Bewegung eines Ringes oder einer Perle erwähnt, die man auf einer sammetnen Decke rollen liefs, und welche dann dem zukünftigen Bräutigam zufielen. Eigenthümlich ist der Glaube an das sogenannte p o d « l u s c h i w a t j oder H o r c h e n , d. h. die Deutung einzelner W o r t e , welche von den Gesprächen in einem Hause bis unter die Fenster desselben und auf die Strafse hörbar werden. Die Einsamkeit des Ortes, an welchem das Schicksal befragt wird, erhöht natürlich die Empfänglichkeit für Vorbedeutungen, und die Landmädclien setzen sich daher um Mitternacht und ohne Licht in die b a n j i oder Badstuben, um ihren iS'u/enui d. h. den ihnen vom S c h i c k s a l b e s t i m m t e n Bräutigam zu sehen. — Von den Abergläubigen werden die b a n j i für den Lieblingssitz des D o m o w o i oder H a u s g e i s t e s gehalten. Man kann sich aber leicht denken, dafs es auch ohne die Dazwisehcnkunft eines solchen den wartenden Schöncn an Spukerscheinungen im R u s s i s c h e n , Sinne, nicht fehlen wird, I s p i i g und das Vcrbum i s p ü g ä t j mit denen wohl ohne Zweifel unser gleichlautendes D c u t s c h c s W o r t zusammenhangt, bezeichnen nämlich durchaus nichts übernatürliches, sondern recht cigent
S e l e n g i n s k e r B u r a e t c n ,

Sie

welche jetzt die Slrafsen

von K j a c h t a belebten, um die religiösen Feste in M a i m a t s c h e n zu feiern. Auch vielen C h i n e s i s c h e n Kaufleutc begegneten wir in K j a c h t a .

Sie trugen

schwarzem Seidenzeuge.

lange und ansclilicfscnde Röcke aus

Ihre Hiite von schwarzem Filz sind fast

wie eine Krone gestaltet: halbkugelförmig über der Milte des Kopfes und mit erhöhtem Rande verbreitet

sich in

ringsum.

Ein rothseidener

einzelnen Fäden über

dem

Scheitel

Büschel dieses

natioiiellen Hutes, und auf einer messingnen Schraube in der Mitte desselben wird eine Kugel aus einem farbigen Steine oder aus einer der andern Substanzen befestigt, welche in C h i n a das Kennzeichen der vcrschiednen Rangklassen ausmachen.

Bei den hiesi-

gen Kaufleutcn sali ich diese Schraube meist leer, und sie dürfen, wie man uns sagte, nur einen goldnen Knopf tragen, weil sie in C h i n a , eben wie in R u f s l a n d , zur niedrigsten Klasse gehören. Alle halten ihre Ohren in Gehäuse gesteckt, um sie gegen die Kälte zu schützen.

Es sind vierkantige und längliche Pappkasten,

die

mit schwarzem Seidenzeuge überzogen, und mit der offnen Seite

Xr. Abschnitt.

1829.

Februar.

109

gegen die Schläfe befestigt werden. Auch den nackt rasirten Thcil des Schädels hatten sie sorgfällig mit einer diclccn Seidenkappe bedeckt, die unter dem Hute hervorragte, und ein pechschwarzer Zopf von halber Mannslänge hing ihnen grade über den Rücken. An dem Leibgurte befestigen sie auf der rechten Iliiftc den länglichen Beutel, in welchem sie einigen Rauchtaback und ein, unten gekrümmtes, hölzernes Pfeifenrohr mit sehr kleinem Ki.pfe führen.

messingnen

Alle eilten jetzt über die G l ä n z e , denn vor

Untergang der Sonne mufs jeder C h i n e s e nach M a i m a t s c h c n zurückkehren.

W i r folgten dem Zuge, der sich gegen die enge

Thiire in der Vorderseite eines langen hölzernen Gebäudes bewegte. Sie führte uns in das innere Viereck

eines R u s s i s c h e n

Kauf-

hofes, dessen einzelne Buden nur zum Handel im Grofsen und zur Verschliefsung der W a a r e n , nicht aber zur Schaustellung bestimmt sind.

An der gegenüberstehenden Seile des Vierecks führt

eine ähnliche Thür dicht vor die hölzerne Mauer, welche hier die Glänze von C h i n a bezeichnet.

Ein breites Thor in derselben ist

mit Säulen verziert, und trägt an seinem oberen Gebälk den Russischen Adler und den Namenszug des jetzt regierenden Kaisers: N i k o l a i I , der es erbaute. W i e im Traume oder durch Zauber sieht man Alles geändert auf der andern Seite des Thores. Einen überraschendem Kontrast dürfte man kaum irgendwo auf der Erde Ernst aller R u s s i s c h e n

finden!

Der einförmige

Wohnplätze weicht in

Maimaischen

einem abentlieuerlich farbigen und lachendcm Glänze, dem sich ein Deutscher Weihnachtsmarkt, oder die bunteste Kirmes noch e t w a am nächsten zur Seite stellt. — Der Boden der Strafsc ist ein rein gefegter Estrich aus geschlagnem Lehm, zu beiden Seiten begränzt von parallelen Lehmmauern mit Fenslern aus Chinesischem Papier. Kaum erkennt man diese für die W ä n d e von einstöckigen Wohnhäusern, denn ihre platten Dächer werden von der Slrafse nicht gesehen. Auch sind die Mauern selbst, fast gänzlich versteckt durch Laternen aus buntem Papic* und durch farbige papierne Fahnen mit Inschriften, welche in senkrechten Reihen vor ihnen herabhangen.

Ähnliche Schnüre mit beschriebnen Fahnen und Lalernen

ziehen sich in flachen Bogen von Dach zu Dach quer über die Strafsen.

Auf dem gelblichen Grau der Mauern und des Bodens

110

Xl« Abschnitt.

1829.

Februar.

prangen diese blendenden Farben in grellstem Abstände w i e ein buntes Gemälde auf strohgelbem Grunde. — In dem Viereck zwi* seilen den Slrafsen, die sich senkrecht durchschneiden,

standen

grofse Kohlenbecken von Gufseisen, w i e Kelche auf einem 4 Fufs hohen und schlankem Gestell.

Auf den B ä n k e n , welche sie um-

geben, safsen Thcetrinker, und rauchten aus der kleinen Pfeife, die sie am Gürtel f ü h r e n , während ein Jeder seinen Kessel mit den Kohlen des gemeinsamen Feuers umgab.

Es sind die Diener und

Kamecltrciüer d e r M a i m a t s c h e n e r K a u f l e u t e , d.h. C h i n e s i s c h e M o n g o l e n der ärmsten Klasse, welche Erfrischung und Gespräche auf den Kreuzwegen finden.

Die ärmeren R u s s i s c h e n

Burae-

t e n hallen sich zu ihnen, und für beide Theilc dienen die vier kleinen Nichen, oder Kapellen, an den Ecken der Slrafsen, welche an die Feuerplätze gränzen. Sie sind der B u d d h a Religion gewidmet, und durch die geöffnete Thüre dieser heiligen Räume sahen w i r das Bild eines M o n g o l i s c h e n B u r c h a n e n im Hintergrunde hangen.

W i e in den Zelten der B u r a e t e n bei » i e l e n g i n s k , so

standen auch liier erzne Schalen mit geweihtem Wasser vor dem Heiligenbilde, und dazwischen gelbe Rauchkerzen, die in Form dünner Stäbe aus Pflanzentheilen zubereitet, ohne Flamme mit blauem und wohlriechendem Rauche glimmten; so wie auch dunkclroih gefärbte Taigkerzen, welche erst jetzt von einem der Vorübergehenden angezündet wurden. Ähnliche Kerzen brannten theils frei, theüs in bunten Laternen an dem Gebälke der Thüre und an den Wauden der Kapelle. Die niederen M o n g o l e n , welche w i r hier fanden, trugen ihre eng anliegenden Jacken und Hosen aus grauem Kameeltuch, ohne das Oberkleid der Kaufleule. Sie sind der Beachtung von Reicheren nicht g e w o h n t , und erwiederten daher unsren Grufs mit einnehmender Freundlichkeit,

und

durch Anbieten ihrer

Es ist hier an der Gränze zur Unterhaltung mit den

Pfeifen.

Chinesen

ein seltsamer Dialekt der Russischen Sprache entstanden.

Die

P e c k i n e r Kaufleule, von denen viole schon seit zwanzig Jahren in jedem Winter nach M a i m a t s c h e n k o m m e n ,

haben das

Russische uotlidürftig erlernt; aber sie erlauben sich eine Menge von Neuerungen in Aussprache und Fornibildung, die man nun aus Gefälligkeit und zum leichteren Verständnifs sorgfältig nach-

XL Abschnitt. ahmt.

1829.

Februar.

111

Paliin gehört, w i e w i r schon von Herrn Ostrowskji erfuh-

ren, dafs man niemals einen C h i n e s e n : K i t a e z n e n n e , w i e es doch in Rufsland üblich ist; sie wollen vielmehr in der Russischen Rede N i k a n e z , und in der Mehrzahl N i k a n z i genannt sein, und man behauptet h i e r ,

dafs dieses W o r t

auf M o n g o l i s c h

einen

t a p f e r n K r i e g e r bcdeulc, wiihicnd K i t a e z an einen Ekelnamen erinnere, welchen die erobernden M a u d / u s den besiegten C h i n e s e n gegeben haben. Mundarl,

Üblich ist ferner in der K j a c h l a e r

dafs man ein s c h ö n e s Ding durch t s c h ó g o l s k a j a

w e s c h t s c h d. i. eine stutzerhafte Sache, einen R u b e l g e l d , durch das allgemeine m o n é t a bezeichnet. gcin von p i t j trinken, die Formen p i c h u p j u und p e i .

Papier-

Auch bilden sie

und p i c l i a i ,

anstatt

Sie nennen die Russen O - l o - l ó s s i , suchen über-

haupt jedes r durch ein oder mehrere 1 zu ersetzen, und auf einander folgende Konsonanten durch allerhand slumme Vokale und Nasenlaute zu trennen. — Uns fragten die M o n g o l i s c h e n Raucher, ob wir Z i à n i seien, d. i. der Name, den sie den

Euro-

p ä e r n geben, und befriedigten sich mit der A n t w o r t , w i r seien C h u n d i , welches man mir als hier übliche Bezeichnung der E n g l ä n d e r genannt, und dem Worlsinne nach durch R o t h k ö p f e erklärt halte.

Der Geldwert!» der Dinge schien sie am meisten z a

interessiren, denn sie erkundigten sich sehr kaltblütig nach dem Preise von einigen unsrer Kleider, in der Absicht, sie uns vom Leibe zu handeln. W i r gingen sodann noch weiter bis zu einen hölzernen Thurm, der auf dem Durchschnitte zweier Hauptstraßen steht.

Es ist ein

quadratisches Gebäude mit 4 Thören und mit einem platten Dache, welches die sich schneidenden Strafscn überwölbt.

Der

platte

Altan, der auf diesen viereckigen Grundmauern ruht, ist mit einem Geländer verschn, und es stellt in seiner Mitte ein achteckiger Thurm, dessen Dach eine eben solche Pyramide mit concaven Seitenflächen bildet. — Von den Eckcn und von dem Gipfel dieses Daches, bis zu dem Geländer des Allans, reichen wiederum Schnüre mit papiernen Laternen und Fahnen in buntester Pracht, und jede senkrechte Fläche des achtseitigcn Thurmes zeigt in viereckigem Rahmen fratzenhafte Gemälde allegorischer W e s e n ,

die an

Cortes

Schilderung von Montczumas Mexikanischen Teuipelu erinnern.

Es

112

X I . Abschnitt.

1829.

Februar.

sind Menschengestalten mit rothen und grünen Thicrgcsichtern, mit Teufelskrallen und andren höchst phantastischem S c h m u c k e .

Ei-

nige Priester standen auf dem platten D a c h e dieses Thorgebäudes, welches nur zur Beobachtung der Tageszeiten durch den Aufgang und Untergang der Gestirne, nicht aber zu eigentlich religiösen Zwccken bestimmt ist.

Auch zeigte sich hier N i c h t s , w a s dem

Inhalte der erwähnten M o n g o l i s c h e n Kapellen, noch auch dem der prächtigen] Tempel von Ma ¡ m a t s c h e n ähnlich gewesen wäre, in denen die M a n d / u s oder vornehmen Chinesischen Unterthanen ihren Gottesdienst vollziehen. D e r Untergang der S o n n e w u r d e durch Pankenschlägc von diesem hölzernen Tliurme und durch scliwachc Schüsse auf den Höfen einiger Häuser angezeigt, und nun gab es für uns kein Mittel, um länger in M a i m a t s c h e n zu bleiben.

Nur an besondera

gen sind Ausnahmen von diesem Gesetze gestattet. leute und M o n g o l e n ,

Festta-

Einige Kauf-

die w i r nocli auf den Strafsen anredeten,

antworteten Nichts w e i t e r als p a s c h o l

oder g e h , und deuteten

mit gewöhnlicher Sanftmuth auf das Nördliche S l a d t t h o r oder den Ausweg aus C h i n a . D i e Strafsen von M a i m a t s c h e n sind etwa 2 0 Fufs breit und die Lehmwändc der Kaufmannshäuser 10 bis 12 Fufs hoch.

Eine

Mauer von der clben Höhe umgiebt die S t a d l , und von aufsen sieht man über dieselbe nur die Thiirme der hölzernen Thorgebäude hervorragen, von denen s i c h , aufser dem e r w ä h n t e n , noch mehrere ähnliche auf den Durchschnitten der Hauplstrafsen befinden. Einen durchaus neuen und ergötzlichen Anblick boten uns heute die Gesiebter der C h i n e s e n .

D e r Ausdruck von Indolenz seinen

uns in ihren Zügen vorzuherrschen.

Beim Reden zeigten sie eine

lächelnde Freundlichkeit, aber sie erinnerten keineswegs an lebhafte Wilden, sondern blieben stets, wie gebildete Männer, gesetzt und gemäfsigt. — Ihre Kleidung und ihr ganzes Aufsere gefallen durch Reinlichkeit und Eleganz ebenso und in noch höherm Maafse, w i e die der B u r a e t e n ;

höchst auffallend w a r e n uns aber an allen

Chinesischen Kaufleutcn ihre schlechten und schwarzen Zähne, ganz im Gegensatze zu denen der B u r a e t e n . [Februar /Sibirier

17.]

zu C h i n a

Die jetzigen und frühern Beziehungen der waren Gegenstand des Gesprächcs an dem

XL Abschnitt.

1829.

Februar.

113

heutigen Tage, den w i r in der Gesellschaft des Zoll - Direktors Herrn G o l c c h o w s k j i , und mehrerer Beamten und Kaufieute in K j a c h t a verlebten. — T r o i z k o S a w s k Und dessen Wirksamkeit bestehen erst seit dem Jahre 1727, nachdem in dem vorhergehenden Jahrhundert der Handel zwischen den ¿ S i b i r i e r n und den mächtigsten ihrer Südlichen Naclibarcn, sehr oft an einzelnen Punkten angeknüpft, niemals aber durch gelungene Traktate bleibend befestigt werden konnte. — Ein anziehendes Denkmal jener frühern Versuche bilden die Bruchstücke eines Tagebuches des T ob o l s k e r Bojarensohns F c d o r I « a k o w i t s c h B a i k o w * ) , der von 1655 bis 58 eine der ersten Gesandtschaftsreisen nach C h a m b a l u , d. i. P e k i n g ausführte. Auf dem Wege dahin versammelte er i m sich eine Karawane von Russischen und Bucharischen Kaufleuten, und lebte mit dieser 6 Monate lang in der Residenzstadt von C h i n a . Dennoch wufsten am Ende, „ w e d e r e r n o c h s e i n e „ L e u t e , ob C h a m b a l u g r o f s s e i o d e r k l e i n " , weil man sie in dem Gesandtschaftshause eingeschlossen hielt, wie in einem Kerker. Sein Benehmen gegen die C h i n e s i s c h e n Machthaber ist nichts weniger als biegsam gewesen. Er klagt, dafs man ihm zur Bcwillkommung nur z e h n Hofleute und nur £ Werst weit von der Stadt entgegengesendet habe. Auch brachte man ihn nicht dazu, am Stadtthore vom Pferde zu steigen, und das Knie zu beugen vor dem Wohnsitz des Herrschers, denn er behauptete, selbst seinen eignen Zaren grüfse er nur wenn er ihn sähe, und zwar stehend, und nur durch Abziehung des Hutes! Nicht minder zeigte er sich beleidigt, als man ihn beim Eintritt in P e k i n g im Namen des Beherrschers von C h i n a mit Thec bewirthete, denn obgleich es in der ersten Woche der grofsen Fasten ( a m 3. März a. st.) geschah, so sei doch, sündhafter Weise und wie ihm zum Hohne, der Thee mit Butter und Milch gekocht gewesen. B e i k o w verstand sich nach ernstlichem Zureden dazu, eine Tasse zu nehmen, gab sie aber ungeleert zurück, und er bemerkt, die C h i n e s i s c h e n Hofleute haben dazu g e s c h w i e g e n . Sie schienen

*) Unter anderm abgedruckt im «Sifcirs t j i W j c s t n i k . II. Band.

8

XI. Abschnitt.

114

1829.

Februar.

um desto zorniger g e d a c h t zu haben über den Kosackisclien Freimutb.

Am folgenden Tage kamen sie zu den Russen, um auf Be-

f e h l des Bogdu

Chan

gegen eine auszustellende Quittung die

Zarischen Gfeschcnke von ihnen in Empfang zu nehmen.

Auch

dieses erfolgte erst nach manchen Weigerungen des kühnen T o b o l s k e r , denn er behauptete: in R u f s l a n d sei es Gebrauch, dafs die Gesandlen zuvor den B r i e f des fremden Herrschers, und erst in der Folge dessen Geschenke als Licbeszeiclicn überreichten. Es vergingen dann ciuigc Monate, während welcher B a i k o w vergeblich aufgefordert w u r d e , seine Briefe dem M i n i s t e r des Bogdu Chan zu übergeben, und bis zu der ihm bevorstehenden Audienz bei dem Herrscher, die üblichcn Ehrfurclils-Bezeugungen zu erlernen.

Er beharrte darauf, den Zarischcn Brief nicht anders als ei-

genhändig zu bestellen, und Seine Mand/uischc Majestät nur nach Russischer Silte zu grüfsen, bis dafs ihm endtieb, a m 1 2 t c n A u g u s t desselben Jahres, seine Geschcnke zurückgebracht wurden, mit der Weisung, abzureisen; denn er halte den Wünschcn des Herrschers in Nichts entsprochen.

Sein Verlangen, den Bogdu Chan

ohne Weiteres zu sehen, sei anmafsend, denn selbst von dessen eignem Volke stehe Dieses nur den Vornehmsten zu, und die Verweigerung des üblichcn Grufscs sei um so anstöfsiger, als schon früher ein weit vornehmerer Russischer Botschafter, Namens P - e t r J a r ü i s c h k i n , ihn eben so w i e alle Europäischen Gesandten in Peking

vollzogen habe. — Diese gelinde Belehrung

als ein auffallendes Beispiel von dem Langmutlie der

erscheint

Chinesen,

B a i k o w dachte aber anders, und in seiner naiven Weise klagt er vielmehr, dafs man ihn nun ohne weitere Höflichkeiten und nur mit den uöthigen Wegweisern aus der Stadt gehen liefs. — Höchst auffallend ist, dafs er diese Ansichten später bereute, denn nach neun Tagereisen von P e k i n g machte er

wiederum Halt,

und

schickte einen I n d i e r , der bei der Karawane als Kaschewär d . i . Brcikocher oder Küchenmeister diente, nach der Hauptstadt zurück, bat beim Bogdu Chan um Verzeihung, und versprach nun Alles von ihm Gewünschte zu vollziehen.

Wirklich wurden die Unter-

handlungen noch einmal angeknüpft, sehr bald aber um so entschiedener abgebrochen, wegen einer neuen Unschicklichkeit von B a i k o w s Seite.

Die C h i n e s i s c h e n Eilboten,

die von

Peking

XI. Abschnitt.

1829.

Februar.

115

gesandt wurden, fanden ihn nämlich nicht mehr an demOrte, an welclicm ihn sein Koch verlassen hatte, vielmehr hatte er sich von dort, man weifs nicht wcfshalb, noch nm drei Tagcrcisen w e i t e r von P e k i n g entfernt.

Dies meldete man nach der Hauptstadt, und

andre Reil er, welche nun von dort in das Russische Lager kamen, bestellten schliefslich an ß a i k o w , w i e er uns selbst berichtet: ein Benehmen w i e das seinige, zeuge von geringem Verstände, und obgleich er sich einen Zarischen Gesandten n e n n e , so verstelle er doch durchaus nicht, das ihm übertragene Ehrenamt zu führen. B a i k o w spricht in seinem einfachen Tagcbuchc von Holländischen

einer

Gesandtschaft, die mit ihm zu gleicher Zeit in

P e k i n g gelebt, mit der sich a b e r , wegen Unkunde der Lateinischen Sprache, keiner der Scinigen habe verständigen können. E r erzählt ferner ganz richtig: vor 13 Jahren also etwa'um 1642 habe die M a n d / u - Dynastie begonnen.

Den letzten Herrscher

Von

C h i n e s i s c h e i n Stamme nennt er D a b a , obgleich derselbe in der von Europäern geschriebenen Landesgeschichte unter dem Namen D s u n - d / e n bekannt ist.

Baikow sagt, dafs dieser Kaiser beim

Einfalle der M o n g o l e n den Verstand verloren, jedoch einen Sohn hinterlassen habe, der seine Rcchte zu behaupten suchte.

Dieser

sei mit einer ihm treuen Parthei in eine Gränzsladt des Reiches entflohen, und habe von dort mit dem neuen M o n g o l i s c h e n oder M a n d ^ ' u s c h e n Herrscher langwierige Kriege geführt. Das Fehlschlagen der ersten Unterhandlungen zwischen R u f s land

und C h i n a

mag zum

Theil an

Gesandten,

andererseits

aber

in

noch

Bcdürfnifs

China

kein

der Persönlichkeit

daran gelegen zu

haben,

dergleichen

dafs

man

Abkommen

empfand, weil sich die Gränzcn beider Reiche damals noch unvollkommener berührten als jetzt.

des

weit

Erst um mehrere Jahre spä-

ter ( i m Jahre 10()1 ) gründete der Kosack P o c l i a b o w

die erste

feste Niederlassung an. der Stelle des jetzigen I r k u z l c , und erst von dort, im Verlaufe der nächsten Decennien, drangen R u s s e n so lief in die Besitzungen der von China unabhängigen S a b a i k a l i s c h e n B u r a e t e n und T u n g u s e n ,

dafs sie unmittelbare Nach-

barn des himmlischen Reiches wurden. — Zu B a i k o w ' s

Zeiten

ging hingegen der einzige W e g nach P e k i n g noch direkt von T o b o l s k längs des I r t ü i s c h , bis zur Quelle desselben, und führte 8*

HC»

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Februar.

bis C h u c l i u - C h ö t o n , oder der g r ü n e n S t a d t , durch die Besizzungen selbständiger K a l m ü k i s c h e r T a i s c h c n und ackerbauernder Ansiedler von B o c h a r a , so wie durch Steppen, in denen die Vorfahren der jetzigen C h a l c h a s M o n g o l e n , ebenfalls unter unabhängigen, von T s c h i n g i s C h a n abstammenden, Herrschern nomadisirten. Aus diesem letzten Grunde halte auch noch eine zweite Russ i s c h e Gesandtschaft, welche sich im Jahre 1675 mit Briefen und Geschenken nach P e k i n g begab, eben so geringen Erfolg; aber bald darauf gewannen die Verhältnisse beider Monarchiecn eine andre Gestalt, durch unmittelbare Berührungen ihrer Untcrthanen a m A m ü r , in der von den Chinesen sogenannten Provinz der D a u r i oder Gränzbewohner. — Unter der Anführung eines ehemaligen P o l n i s c h e n Hauptmanns C h a b a r o w waren Verbannte von J c n i i e i s k aus flüchtig geworden. Sie hatten sich weit jenseits der jetzigen Russischen Gränze am A m u r unter 52°,9 Breite und 20 ft ,2 O. von I r k u z k , zwisclicn T u n g u s i s c h c n Stämmen niedergelassen, und daselbst den palissadirten Flcckcn A l b a # i n gebaut. Mehrere-Jahre verlebten sie daselbst in völliger Unabhängigkeit und boten erst dann, grade so wie J c r m a k ein Jahrhundert zuvor, ihre Eroberung dem M o s k a u e r Hofe als Sühne für einige Todschläge und andre Vergehungen. Grofse Fruchtbarkeit empfahl den Besitz dieser Gegend, und sie erhielt dalier sogleich einen eignen W o i w o d oder Zarischen Statthalter, und 100 Mann Besatzung. Aber die unabhängigen Freibeuter hatten schon zuvor ihre D a u r i s c h e n Nachbaren ermüdet und sie veranlafst, beim M a n d / u s c h e n Hofe um Hülfe zu bitten. Eine C h i n e s i s c h e Armee von 4000 bis 5000 Mann kam mit 15 Europäischen Kanonen im Jahre 1684 vor A l b ä i i n , verbrannte alle Gebäude, gab aber den 100 Russen freien Abzug nach N e r t s c h i n s k . — Die Ärndte stand noch auf dem Halme, und war für die Besiegten so lockend, dals sie nur den Abzug der Chinesen abwarteten, um gegen ihr gegebenes Wort vor A l b a «in zu rücken. Im nächsten Frühjähr bauten sie es von Neuem auf, versahen den Ort mit Erdwällen, und legten in denselben 1500 Mann gut bewaffneter p r o m u i s c h l e n i e und Kosackcn. Die Chinesen erfuhren dieses, u n d , nicht minder hartnäckig

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als die ¿ S i b i r i e r , waren sie schon im Juli desselben Jahres mit 3000 Reitern, gegen 5000 Mann Fufsvolk und 40 Kanonen, wiederum auf dem streitigen Platz. Nach mehrmonatlicher Gegenwehr wurden die Belagerten durch den Hunger gezwungen, sich zu ergeben, und mehrere von ihnen als Geifsel nach P e k i n g in die Gefangenschaft geführt. Gleichzeitig aber gab dieser grofsartigere Bruch die Gelegenheit zu näherer Bekanntschaft zwischen beiden Regierungen und zu deren jetzigen Verhältnissen. Europäische Jesuiten, welche bei den Unternehmungen gegen A l b ä # i n - die Iländc im Spiel hatten, veranlafsten nun auch den P e k i n e r Hof zur Abschliefsung des ersten förmlichen Traktates mit Rußland, und es wurde im Jahre 1089 zu N e r t s c h i n s k zwischen dem R u s s i s c h e n Abgesandten F e d o r A l e x e j e w i t s c l i G o l o w n i n von der einen und C h i n e s i s c h e n Beamten und Jesuiten von der andern Seite ausgemacht: dafs das Thal des A m u r gänzlich und für immer an C h i n a verbleiben, dafür aber ein freier Ein- und Ausgang beiderseitiger Karawanen gestaltet sein sollte. Dennoch war dieses gute Vernehmen schon in den ersten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts wiederum gestört, wohl gröfstentheils durch die in P e k i n g ansässigen EuropäerEin Gesandter P e t e r I., der Capitain I s m ä i l o w , wurde 1719 in der C h i n e s i s c h e n Hauptstadt zwar gut aufgenommen, erhielt aber nur bedingende und dilatorische Antworten auf das Verlangen nach innigerem Verkehr zwischen beiden Ländern. Unter andrem sollte man zuerst die C h i n e s i s c h e n Unterthanen, von dem Stamme der T u r g u t i s c l i e n K a l m ü k c n , welche im Jahre 1636 aus C h i n a entflohen, und sich an der Wolga niedergelassen hatten, zur Rückkehr in ihre alte Ileimath veranlassen. (Vergl. 1, 1. S. 202.) — So geschah es denn, dafs erst 1727 unter J e k a t a r i n a l . ein neuer und letzter Traktat zwischen beiden Regierungen abgeschlossen wurde. Ein Graf R a g u s i n s k j i , der in Rufsland unter dem Namen ¿S'awa W l a d i s l a w i t s c h bekannter ist, ging nach P e k i n g , und erhielt vom C h i n e s i s c h e n Kaiser einen Brief an seinen W a n oder Statthalter in der Sladt U r g a (30 Deutsche M. SO. von K j a c h t a ) , worin dieser beauftragt wurde, in der Nähe seines Wohnorts zu unterhandeln. Das A m ü r t h a l sollte von den R u s s e n geräumt, die T u r g u t e n gelassen werden wo sie woll-

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len, sodann aber ein freier Handel zwischen beiderseitigen Unterthanen bei den Gränzzeichen am Flusse K j a c h t a erlaubt sein; jedoch mit der besondern Beschränkung von Seilen C h i n a ' s , dafs k e i n e s t e i n e r n e H ä u s e r an d e r G r ä n z e e r b a u t w e r d e n , und die C h i n e s i s c h e n K a u f l e u t c k e i n e Frauen dahin m i t b r i n g e n d ü r f t e n . Noch in demselben Jahre wurde T r o i z k o >Vawsk durch iSawa W l a d i s l ä w i t s c l i angelegt, einigermafsen befestigt, und nach ihm benannt. R u s s i s c h e Kaufleule und promuischlenie liefsen sich daselbst nieder; nach einigen Jahren wurde auch M a i - m a - t s c l i e n gebaut, und dann vom Oktober bis zum Januar jeden Jahres der Handel grade so geführt, wie wir es noch heute sehen, auf- und abwärts schwankend, nach besondern Conjuneturen in beiden Ländern. Über Zoll-Angelegenheiten und andre etwa streitige Punkte verhandeln entweder der R u s s i s c h e Zoll-Direktor mit dem tfargutscliei, d. i. dem Chinesischen GränzBeamten in M a i - m a - t s c l i e n , oder, wenn sie allgemeiner und wichtiger sind, der General - Gouverneur von I r k u z k mit dem W a n oder geforsteten M a n d / u s e h e n Statthalter zu U r g a . — Den Wirkungskreis des tfärgutschei vergleicht man in K j a c h t a mit dem eines R u s s i s c h e n Beamten von der 7tcn Klasse, aber er übt am Orte selbst ein sehr freies Regiment; er sitzt zu Gericht, diktirt sehr harte Strafen, und beliebtet nur in Krimi naliallen an den W a n zu U r g a , der auch seinerseits die Todesstrafe nicht ohne Bestätigung von P e k i n g vollzieht. Eine gleichzeitige und höchst auffallende Folge jener Traktate war die Erlaubnifs, eine sogenannte g e i s t l i c h e G e s a n d t s c h a f t ( d u c h o w n a j a m i « « j a ) von R u f s l a n d aus nach P e k i n g zu schicken, und dieselbe regelmäfsig nach zehnjährigen Inlerwallen zu wechseln. Zur offiziellen Erklärung für dieses wichtige Verlangen konnte die R u s s i s c h e Regierung Nichts anders anführen, als den Wunsch, dafs die Nachkommen der Gefangenen von A l b a - s i n , durch Griechische Priester im Christenthum erhalten Würden. Jetzt sind dergleichen Nachkommen nur mit Mühe zu finden, und dennoch bleibt die C h i n e s i s c h e Regierung ihrem Worte getreu, zum gröfsten Vortheil für Europäische Ethnographen und Politiker, welche diesen geistlichen Missionen die gründlich-

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slen und ausgedehntesten Aufschlüsse über das himmlische Reich und dessen Verwaltung verdanken. Der Handel auf der Chinesischen Gränze erstreckt seinen Einflufs von K j a c h t a aus bis zur Mitte von D e u t s c h l a n d . Herr Kaufmann K o t e l n i k o w , der eines der Häuser in Kjachta besitzt, erzählte uns heute von den Tucheinkäufen, die er selbst in P r e u f s e n gemacht hatte. Er nannte uns L i e g n i t z , B r e s l a u , Z ü l l i c h a u und B e r l i n als Orte, in denen er Geschäfts-Verbindungen unterhalten hatte, und nach denen er mehrmals von K j a c h t a aus gereist war. Für ihn und seine Prikaschtschiks waren Fahrten von 15000 Werst in einem Jahre ein gewöhnliches Geschäft. [ F e b r u a r 18.] Die Feste des Jahresanfangs, oder des w e i f s e n M o n d e s , wie ihn die C h i n e s e n benennen, begannen in diesem Jahre am 18. Februar mit einem Gastmahl, welches vom / V a r g u l s c l i e i den Chinesischen und Russischen Standespersonen gegeben wurde. Durch Herrn G o l e c l i o w s k j i ' s gütige Verwendung erhielten auch wir zu dieser Feier eine Einladung nach M a i - m a tschen. Die Russischen Zoll-Beamten versäumten Nichts, um dieser jährlichen Freundscliafls-Bezeugung die gröfste Feierlichkeit zu verleihen. Alle diesseitigen Gäste des i S a r g u t s c l x e i versammelten sich bei dem Zoll-Direktor in T r o i z k o üSawsk, und fuhren von dort auf stattlichen Droschken nach K j a c h t a . R u s s i s c h e und B u r a e t i sclie Kosacken und Dollmetschcr ritten von beiden Seiten neben der Wagenreihe. — In K j a c h t a wurden nach C h i n e s i s c h e r Sitte in den vornehmsten Russischen Kaufmannshäusern Besuche abgestattet, und zwar zuerst bei den hiesigen Geschäftsführern der Russisch-Amerikanischen Ilandels-Compagnie, sodann aber bei den Herrn B a « i n , K o t e l n i k o w u. m. A. Unsre Wagen und die Reitpferde blieben an dem Thore von M a i - m a - t s c h e n , und wir gingen von dort in geordnetem Zuge nach dem Ilause des / S a r g u t s c h e i . Die Häuser waren mit farbigen und beschriebenen Papieren noch bunter und reicher verziert, als am löten. Herr G o l e c h o w s k j i sagte uns, dafs diese Inschriften in der M a n d / u oder Hofsprache abgefafst seien. Seine Geschäfte während eines mehrjährigen Aufenthalts auf der Gränze, hatten ihm einige Kenntnisse derselben erworben, und er erklärte uns

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die Bedeutung der Scliriftzeichen auf mehreren der Fahnen, welche vor den Kaufmannshäusern wehten. Sie enthalten den Namen der Familien, und einige Worte von guter Vorbedeutung, wie F r e u d e , R e i c h t h u m , W e i s h e i t , — die man über den Ilausthiiren liebt. Auf den Höfen der Häuser hörte man das Geknatter von kleinen Schwärmern und Raketen, welchc die Kaufleutc zur Verherrlichung des Feiertages abbrannten, namentlich aber, um eintretenden Gästen eine Höflichkeit zu bezeugen. Der Geruch von C h i n e s i s c h e m Pulver mischte sich mit dem eigenthümlichcn. Dufte der Rauchkerzen vor den M o n g o l i s c h e n Kapellen. Die Strafsen waren ungewöhnlich belebt, und auf einer derselben, in der Nabe der ¿ S a r g u t s c h e i s c h e n Wohnung, lärmte ein Haufen Verkleideter mit allerlei rasselnden Werkzeugen; es w a r die Schauspielertruppe von M a i - m a - t s c h e n . Sie führten hölzerne Trommeln in Gestalt eines Fasses, erznc Becken und eben 6olchc Scheiben, die an einem Faden gehalten und mit Klöppeln geschlagen wurden, und hölzerne Stäbe von versebiedner Länge, welche sie wie Castagnetten gebrauchten. Auf höchst eindringliche Weise wurden die Ohren der Vorübergehenden mit diesen musikalischen Waffen bestürmt. — Mehrere der Schauspieler stellten Frauen dar, und so natürlich, däfs man an eine Übertretung des B o g d u C h a n i s c h e n Verbotes glauben mochte. Man hatte zu diesem Ende die jüngeren und weiblichem Gesiebter ausgesucht, und die Täuschung vollendet durch Pcrrücken und lange Zöpfe von schwarzer Seide, vorzüglich aber durch platt angedrückte Locken auf der Stirn, die höchst auffallend an die alt Französische Mode der crochets erinnerte. Eigentliche Blasken sahen wir nicht, aber anstatt derselben waren die Gesichter mit weifser, schwarzer und rother Oclfarbe bemalt, theils zur Darstellung von Brillen, Schnurrbärten und dergleichen, theils auch um durch ganz abentheuerliche Figuren die menschlichen Züge zu verstecken. So liefen bei dem Einen farbige Strahlen vom Munde aus, wie eine Sonne über das ganze Gesicht. Er trug dann aber auch eine F e d e r a u f d e m K o p f , welche in der Chinesischen Komödie das konventionelle Zeichen einer Geister-Erscheinung ist. Ein andrer hatte einen goldnen Helm, und war dadurch allein zum Krieger geworden. Viele schlugen sich unabläs-

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sig m i t einem Stabe an die Hüften, und deuteten dadurch an, dafs sie zu. P f e r d e , s ä f s e n . — Die Erklärung dieser conventioneilen Mimik erhielt ich durch Russen, welche dieselben Verkleidungen und Schauspiele seit vielen Jahren und oft gesehen hatten, denn sie gehören zu jeder C h i n e s i s c h e n Feier. Die heutigen Darstellungen bestanden aus zwei Akten, die sich für uns, die wir die Sprache nicht verstanden, mit geringen Abwechselungen wiederholten.

Die

ganze Gesellschaft bildete einen Kreis, auf dem sie, während des ersten Aktes, einzeln hinter einander äufserst langsam und gemefsenen Schrittes einhergingen.

Dabei wurden alle musikalischen In-

strumente in dem angemessenen Takte geschlagen, und zwischen je zwei Schlägen eine Silbe eines Recitativ-Gesanges, von allen Mitgliedern im Chore ausgestoßen. Die Hebung der Füfse fiel mit dem Schalle der Instrumente, und das Sinken derselben mit den gesungenen Silben so genau zusammen, das Nichts regelmäfsigeres und feierlicheres gedacht werden kann. Nach einigen Umgängen t r a t aber eine klappernd rauschende Musik an die Stelle des Andante, und während dieses zweiten Aktes trippelten die Meisten der Tänzer äufserst schnell und auf den äufsersten Fufsspitzen, wie Vögel, einzeln hintereinander längs des Kreises, in dessen Mitte sich nun einige andre begeben hatten, welclic die Zuschauenden durch seltsame Sprünge und gewandte Spiele ergötzten. Sie warfen die zwei Holzstäbe, auf denen sie früher musizirten, nach einander in die Luft, sprangen dann selbst vom lloden, und haschten das Fallende unter den mannigfaltigsten Verdrehungen des Körpers.

Ein thäti-

ger Antheil der Zuschauer an diesen Maskenspieien schicu erlaubt und gewöhnlich, denn als ich versuchsweise einer der Pseudo Damen zärtliche Geberden

machte, wollte' sie sogleich durch eine

Umarmung antworten, und auch die Reiter bewiesen mir von nun an einige Aufmerksamkeit, indem sie bei jedem Umgange, und zur Freude der umstehenden M o n g o l e n , mit ihren Stäben auf meine B r i l l e deuteten, und sie zu berühren suchten.

Offenbar sahen sie

in dieser ein willkommenes Gegenstück zu den gemalten Brillen ihrer Mitspielenden. — Einen eigentümlichen Lauchgeruch, welcher dem Athem und den Kleidern der M a i m a t s c h e n e r

Chine-

s e n inwohnt, habe ich auch an den Schauspielern deutlich bemerkt. „ A n d , rnost d e a r a c t o r s , c a t u o o n i o n s " mochte man ihnen mit

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Sbakspeare rathen. *-) Doch waren es hier nicht Handwerker, die sich nur in besondern Fällen zu Tragöden machten, sondern wirkliche Mitglieder einer stehenden Truppe. Offenbar hatte unser Gastgeber diese Schauspieler abgesandt, um uns zu empfangen, und um uns schon auf der Strafse fröhlich und festlich zu stimmen, denn nach mehrmaliger Wiederholung jener Rundtänze setzten sie sich an die Spitze unsres Zuges, und geleiteten ihn, unter beständigem Geklapper der Holzinstrumente, bis vor das Haus des / S a r g u t s c h e i . Ein breites und von drei Säulenreihen getragnes Dach überwölbt den nach der Strafse gelegnen Yorhof dieses Hauses. Zwischen den Pfeilern hingen die Köcher und Bogen der Polizei-Soldaten, welche die Leibwache des Beamten bilden. Hier blieben die Schauspieler, um während des Mahles zu musiziren, damit sie das vorübergehende Yolk ergötzten, und auch ihm einigen Genufs von dem Feste zuwendeten. Die Zimmer, in die w i r nun traten, liegen zu ebner Erde, wie alle in Maimatschen. An der Thüre des ersten derselben stand ein Schwärm von C h i n e s i s c h e n Gästen des tfargutschei, um uns zu bewillkommnen. Jeder Einzelne von ihnen bemühte sich, mit geschäftigster Eile, Jedem von uns die Hand zu drücken; es lag eine kindliche Einfalt in diesem gewissenhaften Grufse, und dennoch waren es meist sehr alt aussehende Männer, die ihn vollzogen. Auch heute waren sie alle in schwarze seidene Stoffe gekleidet, trugen aber über den gewöhnlichen Röcken noch ein Obcrklcid mit weiten Ärmeln, welches nur bis zum Gürtel hinabrcichte. Aus dem Vorzimmer traten wir in den Speisesaal, in dessen Hintergrund sich unser Wirth von seinem gepolstertem Sitze erhob, und uns mit ruhiger Würde einige Schritt weit entgegen trat. Der ¿ S a r g u t s c h e i war ein sehr grofser und hagerer Mann von ernstem Ansehn, etwa 50 Jahr alt. Sein Rock und die weite Jacke über demselben bestanden aus grauem krausen Seidenzeuge oder Felbel, und wie die übrigen Chinesen, trug er auch im Zimmer den schwarzen Filzhut mit der rotlien Quaste auf dem Scheitel und einem Knopfe aus weifsem Stein, um die Rangklasse anzu*) Midsummer-niglit's dream. Act. IY. Sc. II.

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deuten, zu der er gehörte. Auf dem Daumen der rcchtcn Hand trug er einen zollbreiten Ring ans Chalccdon als offizielles Zcichen der M a n d / u s c h e n Beamten-Würde.

Die Nägel ragten ihm nur etwa

einen halben Zoll weit über die Spitzen der Finger, denn seine Gefallsucht w a r auch in diesem Punkte mäfsig, wie die eines gesetzten und alternden Mannes. In Folge des erwähnten Traktates ( S . 118) hat auch der Pallast des «Sar g u t s c h e i nur Mauern aus geschlagenem Lehm. Speisesaal bildet ein Rechteck.

Der

Die eine seiner längeren Wände

ist mit einem breiten und mit zwei weit schmaleren Fenslcrn verschen, deren crstcres sich von einer Ecke bis zur Mitte des Zimmers erstreckt, dennoch aber nur spärliches Licht gewährt, weil es sich u n t e r dem plallcn und breiten Dache des Vorhofes befindet.

Die

Scheiben derselben sind, wie in ( S i b i r i s c h e n Dorfwohnungen, aus kleinen

Glimmerstückcn

zusammengesetzt,

während doch M a i -

m a t s c h e n e r Kaufleute iu ihren Häusern ungleich zierlichere Fenster besitzen.

Diese sind nämlich quadratische Rahme,

in deren

Milte ein kreisförmiger hölzerner Ring mit i Släbcn befestigt ist, welche die Diagonalen des Quadrates einnehmen.

Nur die kreis-

förmige Durchsicht enthält eine sorfältig eingefügte Glimmerscheibe, die vier andern Felder aber durchscheinendes Papier, und die Rahmen und Leisten sind schwarz gebeizt, und, w i e alles Chinesisches Ilausgeräth, höchst sauber gearbeitet.

Offenbar ist diese Einrich-

tung bei den Kauflcutcn die ursprünglich nationclle, der ^ a r g u t s c h c i aber glaubte sich wohl europäisirt, indem er von S a b a i k a l i s c h e n Bauern eine Mode annahm.

Dies w a r aber auch das

Einzige, was hier auf Nachalimungssucht gedeutet werden konnte. Alles Andere war neu und eigenthiimlich. Vier quadratische Efstische standen, mit scharlachrothcm Tuclxc bedeckt, in einer Reihe, parallel mit der langen Seite des Saales-, und von einander genugsam entfernt, um von den aufwartenden Dienern umgangen zu werden. Nach stummen Verbeugungen nahm man Platz auf den Sitzen, wclchc diese Tische umgaben. Für den » S a r g u t s c h c i .stand ein gepolsterter Divan längs der schmalen W a n d des Saales, an dem vom Eingänge entferntesten Tische, und neben demselben drei Lchnstiihlc für begünstigte Gäste.

Ich halte

das Glück, den einen derselben nahe bei dein Wirthe und an der

m

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Quelle de« Gespräches zu erhalten. Die übrigen Tische waren mit Bänken umgeben, welche von den Russischen und Chinesischen Gästen so eingenommen wurden, dafs die ersteren mit dem Gesicht, die andren mit dem Rücken gegen die Fenster safsen. Auch auf den Sitzen lagen Tcppiche von scharlachrothem Tuche. — Hinter den Stuhl von Herrn G o l e c h o w s k j i stellte sich der R u s s i s c l i B u r a e t i s c h c Dollmetscher, der mit uns gekommen w a r , und neben den S a r g u t s c h e i zwei seiner jüngeren Beamten, welche aus dem Mongolischen in das M a n d / u i s e h e , der einzigen ihm verständlichen Sprache, übersetzten. Diese jungen Gelehrte schienen auf einen zierlichen Anzug sehr bedacht. Sie waren in rothe Stoffe gekleidet; und trugen unter andern an ihren Hüthen lange Zobelschwänze, die wie ein Fcdcrbusch, jedoch iu horizontaler Lage und nach hinten, hervorragten. Diese dienen uur als Putz, nicht aber, wie Pfauenfedern, die auf ähnliche Weise getragen werden, und wie die Kugeln auf den Hüten, zur Bezeichnung des Ranges, mit Hülfe der Dollmetscher begann nun eine ziemlich geläufige Unterredung, die sich aber, wegen der Seltenheit - ähnlicher Zusammenkünfte, meist auf gegenseitige Erkundigungen nach GesundhcitsUmständen und andere dergleichen Höflichkeiten beschränkte. Der ¿ S a r g u t s c l i e i führte seine Rede sehr würdevoll und gelassen, mit leiser aber klangvoller Stimme. Unter andren erregte die Uniform der Norwegischen Marine, welche Herr Lieutenant D u e trug, seine Wifsbegierde. Er tliat eine kurze Frage nach der Bedeutung dies_er, von der Russischen verschiedenen Militairtracht, ging aber sogleich nach der ersten Antwort zu ungetheilter Aufmerksamkeit auf die Speisen und auf die Efslust seiner Gäste über. In der Mitte eines jeden Tisches stand ein runder und verdeckter Behälter aus Pappe, wcicher nun aufgedeckt wurde, und in mehreren Abschnitten eine grofse Mannigfaltigkeit getrockneter Früchte enthielt. Dieses Geschirr war genau auf dieselbe Weise gestaltet und augeordnet, wie die jetzt in Europa üblichen und offenbar aus China überkommenen C a b a r c t s . Wir erkannten darin grofse Aprikosen, Rosinen ohne Kerne und mehrere andere, die wir schon in K a s a n , in T o b o l s k und andren S i b i r i s c h e n Orten durch den Handel mit B o c h a r a gefunden hatten, aufserdem aber grofse Birnen nnd Weintrauben, die gefroren hier-

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her kommen. Auch schienen die getrockneten C h i n e s i s c h e n Früchte noch süfser und gröfser, als die B u c h a r i s c h c n . — Wir kosteten von Allem, um eben dadurch nach C h i n e s i s c h e n Begriffen den Ruf g e b i l d e t e r M ä n n e r zu erlangen. — Gleichzeitig wurde Tliee in porzelanenen Tassen gereicht. Die Chinesen tranken ihn ohne jeden Zusatz, für die Europäer lag aber Zucker in der Mitte des Cabarets. Nach einiger Zeit nahmen mehrere Diener die Tassen und die süfsen Speisen hinweg, und legten vor jeden Gast ein Stück feinen Papiers als Serviette und ein Paar elfenbeinerne Efsstöckc oder K c h - t s e der C h i n e s e n , welche die Stelle der Gabeln vertreten. Es sind zwei cylindrische Stäbe von der Länge und Dickc eines Bleistiftes, welche b e i d e zwischen den Fingern der rechten Hand gehalten, und wie eine Zange gebraucht werden, um die Speisen damit zu ergreifen, auf eine für den Ungeübten durchaus nicht leichte Art. Jeder der 6 Fufs breiten Tische wurde dann mit kleinen porzelanenen Schaalen von der Gröfse unserer Untertassen dicht besetzt, und eine jede dieser Schaalen enthielt ein andres und meist höchst complizirtcs Gericht. Alle diese Speisen sind in sehr feine Streifen zerschnitten, damit man sie ohne weiteres mit den Efsslöcken aufnehmen und zum Munde führen könne. Sie sind dadurch meist völlig unkenntlich geworden; und nur die geübteren Russen zeigten uns unter andern vielerlei Pilze, Stücke von Fasanenfleisch, so wie von Schwein- und Schaffleisch mit Stücken von Fischen und von andren Seethieren, welche gesalzen, eingemacht oder getrocknet von Peking hierher gebracht wurden. Es waren auch Streifen von dem Scethiere darunter, welches Veranlassung zu der Sage von den Regenwürmern als Lieblingsspeisc der Maimatschener Chinesen gegeben hat. In gekochtem Zustande konnte man diese Stücke von gallertartigen Thieren allerdings für längliche Würmer halten, durch vollständige Exemplare, welche mir Herr G o l e c h o w s k j i am folgenden Tage aus einer Chinesischen Küche verschaffte, habe ich mich aber überzeugt, dafs es die grofsen Längcnmuskcln der h o l o t h u r i a f u l i g i n o s a waren. — Alle diese Speisen sind mit vielem Fette gekocht, aber an den Ecken des Tisches standen Schalen mit schwachem und nicht eben wohlschmeckenden Essig, in welche jeder Gast die Streifen, die

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er sich .gewählt. halle, cinlauchtc, um sie verdaulicher zu machen. Man kostete schnell aus jeder der vorhandenen Schüsseln.

Dauu

brachten die Diener auf einem Brette eine zweite und in der Folge noch mehrere Lieferungen von eben so vielen neuen Gerichten, welche 1 nacheinander auf die vorhergehende Schicht gesetzt wurden, bis dafs eine hohe Pyramide von gastronomischen Merkwürdigkeiten entstand. W i r hatten wohl sicher von 100 Schüsseln gegessen, als dieser zweite

Gang des Mahles für beendet erklärt, und jedem Gaste

eine zum Rauchen fertige Pfeife gereicht wurde. Tabacksbehälter derselben w a r , w i e immer bei

Der Kopf oder den

Buraetcn

und den hiesigen C h i n e s e n , nicht viel gröfser, als ein Fingerhut, und mau mufste d a h e r , nach der allgemeinen Asiatischen Sitte, den Rauch verschlucken, um dem Genüsse jedes Zuges dadurch eine stärkere und dauerndere Wirkung zu verleihen. Zu tadeln ist nur an den C h i n e s i s c h e n Pfeifen, dafs auch das Mundstück derselben aus Bronce besteht und daher oft einen stiptischcn und nachteiligen

Metallgcschinaek

besitzt.

Gleichzeitig wurden

kleine

Schalen mit T s c h a u - s e n , d . i . C h i n e s i s e h e r n Reis-Branntwein und andre mit gemeinem R u s s i s c h e n Korn-Branntwein angeboten. Erstercr ist so wenig meisterhaft bereitet, dafs alle C h i n e s i s c h e Gäste ihm das schlechte R u s s i s c h e Getränk noch vorzogen. Nachdem die Pfeifen geleert w a r e n , folgte der dritte Hauptj;ang, der aus v e r s c h i e d e n e n S u p p e n bestand.

Zum Beschlufs

des Mahles wurden dann wiederum Pfeifen gereicht, und auf jeden der Tische setzte man ein rauchcndcs und dampfendes Geföfs, welches w i r fälschlich für eine Theemaschine hielten.

Es w a r

mit

Kohlen geheb.t, die sich, w i e bei den Russischen iSamawars, in einer Röhre in der Mitte der Flüssigkeit befanden, diese aber enthielt nicht Theo, sondern w a r ein Aufgufs auf K o h l b l ä t t e r , der mittels eines Ilahnes aus dem Kochgcföfsc abgelassen und in Tassen getrunken wurde. — Nach beendigtem Mahle führte uns der

tfargutschci

in den

Haupt-Tempel für den F o ' i s c h c n Gottesdienst der M a n d / u s .

Er

liegt in der Nähe seines Pallastes, und wir gingen zu ihm durch die Hintergebäude und über den Hof desselben.

Neben dem Efs-

saal, den w i r verliefsen, befindet sich noch ein kleines Arbeitsam-

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mer des Beamten, in wclchcmwir nur einen gepolsterten Lelm stuhl und einen schwarzlakirlen mit Papieren belegten Schreibtisch sahen.

Dann kamen w i r durch einen langen Corridor, der zur Lin-

ken einige Fensler in den Hof, und zur Rechten die geöffneten Thören enthält, welche in die Küchen und Vorfathräume fuhren. Die Geschäftigkeit vieler Männer in diesen Räumen war anziehend, aber nicht unerwartet, denn nur eine zahlreiche Dienerschaft konnte so künstliche und niannnigfaltige Speisen bereitet haben. Der hufeisenförmige Hof, von welchem das Wohnhaus und diese KüchenGebäude zwei Seiten einnehmen, enthält, in dem dritten Flügel noch einen Raum für den Rcisewagcn des * S ' a r « u t s c h e i und einen andren, den die davor aufgestellten Fahnen als Gcrichtszimmer dieses Beamten bezeichneten. W i r betrachteten nur das Chinesische Fuhrwerk etwas genauer, und fanden daran fast vollständige Ähnlichkeit mit einem Deutschen Scliäferkarren, nur waren die zwei Räder desselben höher und schwerer, als bei diesen, und das seitliche Fenster mit einer Glimmerschcibe versehen, wie bei den bedeckten Narten, welche man auf der Reise nach dem Eismeere gebraucht.

(I, 1, S. 530.)

Der Tempel, deu wir alsdann besuchten, hat zwei Flügel, zwischen denen sich ein von ihnen durch Vorhänge getrennter und mit einem eigenen Eingänge versehener Thcil des Gebäudes befindet.

Auf dem Vorhofe liegen zwei kolossale Löwen-Gestalten, die

aus Thon gearbeitet und grün gefärbt sind.

Bunte Wimpel und

gröfsere Fahnen wehen auch hier vor den Tliürcn.

Einige Stufen

führen auf die Schwelle des Ileiligthums, wclchcs uns wiederum w i e Alles in M a i m a t s c h e u den Eindruck eines unvergleichlichen Abenteuers hinterliefs.

Den Hintergrund des viereckigen Raumes

in dem ersten Flügel bildet ciuc breite Stufe, auf welcher vier oder sechs lebensgrofse Götzenbilder mit den seltsamsten Attributen prangen.

Sie sind aus Thon geformt, und grell bemalt.

Ein Vorhang

schliefst diesen Theil des Gebäudes, und zwischen ihm und den erwähnten Figuren stellt und hängt mannigfaltiger Apparat zu den geistlichen Ceremonien. Aber unwillkürlich wenden sich die Blicke des Eintretenden von diesem Allem hinweg zu den materielleren und daher verständlichem Opfern, welche während der jetzigen Feiertage von den An-

128

XI. Abschnitt.

1829.

Februar.

dächtigen in wunderbaren Massen und Formen dargebracht worden waren. Auf den erhöhten Stufen, zu den Füfsen der Statuen, lagen sie zu Bergen gehäuft. Es waren ganze Schafe ohne Fell, deren Rippen durch das Fleisch zierlich hindurchschimmerten; so wie gerupfte Hühner, Fasanen und Kalekutischc Hähne in ihren natürlichen Stellungen, höchst sauber gewaschen uud vom Fette glänzend. — Ein länglicher Tisch steht, wie in Europäischen Handclsgcwölben, parallel mit der Schwelle des Tempels, so dafs man das eine seiner Enden umgehen mufs, um von der Strafse zu den Statuen zu gelangen. Auf diesem Tische nun ist eine wahre Mauer von Opfern gebildet. Sechs liegende Schafe hielten die Mitte, und ringsum dieselben lagen allerlei Kuchen und köstliches Backwerk. Das Ganze aber ist noch umgeben mit einem höchst künstlichen Gebäude aus weifsem Brodteige, welches, 5 bis 6 Fufs hoch, schon auf dem Fufsboden beginnt und den Tisch überragt. Der Teig ist genau so wie die durchsichtigen Flechtwerkc aus Stäben geformt, mit denen wir oft unsre Gartenanlagen umgeben; aber die rautenförmigen Lücken zwischen den Stäben sind hier mit getrockneten Früchten, so wie mit Kuchcn und andren feineren Efswaren ausgelegt. — Von den Götterbildern, welche in einem Halbkreise gruppirt sind, ist zuerst zu bemerken, dafs die zwei mittleren unter ihnen offenbar die vornehmsten sind, während den zur Seite stehenden nur eine untergeordnetere Rolle zu kommt. Über deren Bedeutung kann ich nichts als die Worte der uns begleitenden Russen wiederholen, welche von den mittleren Figuren die eine den G o t t d e s R e i c h t h u m s , die andre aber den G o t t d e r P f e r d e nannten. Die daneben stehenden Statuen wurden uns als Diener dieser Gottheiten erklärt. Der sogenannte Reichthum mochte wohl eher die verwandten Begriffe des Überflusses und der Fruchtbarkeit bezeichnen. Er war von stattlicher Figur, mit einem langen und zierlichen Barte; fast ganz bekleidet, zeigte er sich dennoch und offenbar recht absichtlich eben so schamlos, wie der Priapus oder Gartengott der Römer. Dieser Umstand mochte hier dieselbe allegorische Bedeutung wie in Rom haben, nur waren dazu noch Ausschmückungen gefügt, welche wiederum die Seltsamkeit des Chinesischen Geschmacks und der dar«

XI. Abschnitt.

1829.

129

Februar.

aus hervorgehenden Gebräuche bezeugten. *) Der Figur, welche die Russen für den G o t t d e r P f e r d e erklären, wird von einem neben ihr stehenden Diener mit der rechten Iland ein Pferd überreicht, dessen Kleinheit im Verhältnifs zu den menschlichen Statuen zu beweisen scheint, dafs diese von riesiger Gröfse gedacht werden. D e r zweite Seitenflügel des Tempels ist auf ganz ähnliche Weise angeordnet. Das mittlere und gröfste Idol in demselben wurde uns aber als G o t t d e s F e u e r s bezeichnet. Es ist eine sitzende nackte und mannigfach verzerrte Figur von feuerrother Hautfarbe. Anstatt des Bauchfelles ist ihr in der Mitte des Körpers eine Glasscheibe eingesetzt, und wohl möchte diese dazu bestimmt sein, den Begriff des Durchsclieinens als Ilauptattribut des Feuergottes anzudeuten. Ein anderes Bild in derselben Abtheilung nennen die Russen den G o t t d e r K ü h e und wirklich steht ihm zur Seite eine Figur, welche eine kleine Kuh in der Hand hält, und für einen Diener jenes Gottes ausgegeben wird. — Der verbindende Raum zwischen beiden Flügeln des Gebäudes war von einigen Kerzen nur spärlich erleuchtet, und wir sahen darin gro&e erzne Scheiben mit Klöppeln, die an der Decke hangen und welche geschlagen werden, wenn sich die Opfernden in den Seitenflügeln befinden. Auch steht daselbst auf einer thronartigen Erhöhung eine

") Sinense hocce tlduiXo», mentula gloriabatur nuda, turgidn, et carvata aliquantum pondéré tinlinn ab tili aenei, quod penis glandi adli>rv!r die Bedeutung d i e s t s seltsamen Schmuckes nicht crrallien. Aber eine der lügenhaft scheinenden Stellen in dem Tagebuche des Ritters P i g a f e t t a steht mit der Abbildung in dem M a i m a t s c l i c n e r Tempel in so genauer Übereinstimmung, dafs jene dadurch völlig beglaubigt, diese aber genugsam erklärt ivird. Die gemeinte Stelle befindet sieb in dem Berichte dieses Reisenden über die Insel T i m o r , welche er mit M a g e l h a e n s besuchte. Si quis ili juvenum mulierculae amore flagrat, tintinnabula quaedam, inter praeputium et glandem, peni adligat, iisque sub fenestra amasiae strenve concussis aurem yrimum et dein favorem stbi conciliât. — Der F o i ' s e h e Gottesdienst in M a i m a t s c h e n enthält also offenbare Anspielungen auf einen altertümlichen Gebrauch der Bewohner von T i m o r , und nicht zu verwundern ist e s , dafs man grade von dem Gölte des Überflusses eben so deutliche Beweise seiner Männlichleit, wie von den Rüstigem unter den Menschen verlangt habe. II. Band.

0

130

X I . Abschnitt.

grofse crzne

Schale,

vor

1829.

welcher

Februar.

Rauchkerzen

brannten,

die w c l c h e w i r in den M o n g o l i s c h e n Kapellen gesehen Diese

enthält die

beschriebenen L o o s e ,

die von

den

wie

hatten.

andächti-

gen M a n d / u s gezogen w e r d e n , u m ihr zukünftiges Schicksal zu erfahren.

( S . 13.)

A u s d e m T e m p e l begab sich w i e d e r u m die ganze Gesellschaft auf die Strafsen von Maimatschen.

D e r i S a r g u t s c h c i führte nun

u n s und alle seine G ä s t e z u m Besuch bei den vornehmeren Chinesischen Kaufleuten.

D i e Dollmetscher in rothen K l e i d e r n ,

deren

ich früher erwähnte, gingen w i e d e r zunächst neben dem vornehm e n Würdenträger, auch w u r d e n sie selbst für junge L e u t e

von

angesehenem S t a n d e a u s g e g e b e n , und w a r e n wahrscheinlich Candidaten, die sich zu den S t a a t s ä m t e r n vorbereiteten.

Einige Poli-

zei-Soldaten von der L e i b w a c h e des A S a r g u t s c h e i folgten seinen Schritten.

S i e trugen manuslangc und e t w a s gekrümmte S t ö c k e ,

w e l c h e w i e B o g e n aussahen, v o n denen man die Sehnen abgenommen hatte.

Dann kamen

nesischen Gäste. des Zuges.

die Russisch-Europäischen und die Chi-

Noch bunter und belebter erschien aber die S p i t z e

E s w a r schon finster g e w o r d e n , als w i r auf die Strafse

zurückkehrten, und es w u r d e n daher von vier Männern auf langen hölzernen S t a n g e n L a t e r n e n getragen. D i e s e sind würfelförmige Gehäuse v o n 11 Fufs S e i t e aus buntem und durchscheinenden Papiere und mit Inschriften und Zeichnungen von dunklerer F a r b e reichlich verziert.

A u f die Laternenträger folgte dann w i e d e r die T r u p p e

der S c h a u s p i e l e r ,

denen nun Kehlen

und Beine schon

ziemlich

m ü d e sein m o c h t e n ; dennoch w a r e n sie noch eben so thätig w i e a m Morgen und in den N a c h m K t a g s s t u n d e n ; sie tanzten, sprangen und trippelten vor unsrem Z u g e , und hörten nicht auf zu singen und mit ihren E r z s c h e i b e n , Holztrommeln und Stäben zu rasseln und zu klappern. V o r den K a u f m a n n s h ä u s e r n , von denen w i r wohl zwölfe besuchten, blieben die L e i b w a c h e , die L a t e r n e n t i ä g e r und der übrige T r o f s ; w i r aber w u r d e n zuerst auf der S c h w e l l e

der W o h n u n g

von Dienern b e w i l l k o m m n e t , wclche kleine zolllange Raketen und S c h w ä r m e r anzündeten und über unsre K ö p f e w a r f e n . Dann empfing uns der W i r t h in seinem Zimmer mit einem ähnlichem Gastmahle, w i e das des

tfargutschei.

Nur w u r d e n allmälig der Fleischspei-

XI. Abschnitt.

1829.

Februar.

131

Ben w e n i g e r , und man beschränkte sich auf süfse Früchte, Thee und Pfeifen. Die Kaufleute ermunterten unablässig durch die W o r t e p i c h a i , p i c h a i , welche in ihrer naiven Redeweise t r i n k e bedeuten sollen, denn es war eine Geuugthuung für sie, wenn man g e r n von dem Thee trank, mit dem sie bewirtheten. Es waren nämLich sogenannte F a m i l i e n t h e e s , d. h. Produkte bestimmter Plantagen in der Provinz P h u d / a n , welche die einzelnen Kaufmannsfamilien in Erbpacht haben. Der Thee, welcher unter dem Namen einer und derselben Familie n a c h M a i m a t s c h e n kommt, kann übrigens bald zu der schwarzen, bald zu der grünen Varietät und zu verschiedenen der ungeheuer zahlreichen Abstufungen derselben gchören. Die Angabe des Plantagenbesitzers dient vielmehr nur als Beweis für einen bestimmten Ursprung, und daher für die Achtheit und Reinheit des Produktes, während man den sogenannten g e w ö h n l i c h e n T h e e weit geringer achtet, weil ihn Aufkäufer bringen, welche dessen Abstammung nicht bis ins Besondere nachweisen können. In K j a c h t a beireiben daher die angehenden Kaufleute mit gröfstem Eifer das Studium der Zeichen mit denen die einzelnen Familien ihre Ballen versehen, und man besitzt sowohl von diesen als von den Namen der Abarten, geschriebene Verzeichnisse mit Russischer Übersetzung die für ein wesentliches Erfordernifs zum Tlieehandel gelten. — Die Kaufmannszimmer sind noch eleganter eingerichlet, als das des i S a r g u t s c h e i . Sie dienen meist auch als Gewölbe zum Verkauf für die feineren W a a r e n , welche dann in sehr zierlichen Schränken längs einer Wand des Zimmers aufgestellt und mit Chinesischer Sorgfalt geordnet sind. An der gegenüberstehenden Wand befindet sich ihrer ganzen Länge nach eine breitere und etwa drei Fufs hohe Stufe, welche zugleich als Ofen und als Ruhebette dient. Sie ist hohl aus Back - Steinen gemauert, und w i r d durch eine Öffnung an der einen Seite mit Feuerung versehen. Auf einer hölzernen Verkleidung, welche dieses Gemäuer umgiebt, liegen Polstern und seidne Decken, und auch die dahinterliegende W a n d des Zimmers ist sehr zierlich mit rothem Seidenzeuge bedeckt. — In der Mitte jedes Zimmers steht dann noch, um den Thee zu bereiten, ein metallenes Kohlenbecken, wie wir sie auf den Kreuzwegen von Maimatschen gesehen h a t t e n . (S. 110.) 9 *

132

XI. Abschnitt.

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Februar.

Bei unsren Gängen durch die S t r a f e n sahen wir auch ein Beispiel von der Schnelligkeit der C h i n e s i s c h e n Rechtspflege. In dem Gedränge wurde der tfargutschei durch einen betrunkenen Mong o l e n von niederem Stande etwas unsanft berührt oder gestofsen. Er sagte einige zornige Worte zu den Polizeisoldaten, welche sich sogleich des Schuldigen bemächtigten, während der Zug seinen Weg ruhig fortsetzte. Ich blieb zurück, um den Ausgang der Sache zu erfahren, und sah nun wie die Wache den M o n g o l e n gegen die Wand drückte, und ihm eine dünne eiserne Kette, die sie mit sich getragen hatte, um den Hals legte. Der arme Bestrafte zitterte vor Angst, und auf einige W o r t e , mit denen er sich wohl entschuldigen mochte, antwortete die bewaffnete Macht durch Ohrfeigen, die sie ihm gab. Am auffallendsten war aber, wie die umstehenden Volksgruppen an diesem Auftritte Theil nahmen. Sie schützten den S t ä r k e r e n : denn sobald der Delinquent ganz still geworden, erhoben sie ein lebhaftes Geschnatter, welches ohne Zweifel Ermahnungen zur Besserung enthielt, denn jeder Ausspruch endete damit, dafs der Redner seine Faust gegen die Nase des Angeredeten erhob, bis dieser zuletzt, vermöge der erwähnten Halskette, nach dem Gcfängnifs gezerrt wurde. Die Gefangenen stehen daselbst unter freiem Himmel, und werden dadurch gefesselt, dafs man ihre Hände durch zwei Offnungen eines horizontalen über ihrem Kopfe befestigten Brettes hindurch steckt. Gewöhnlich macht der Hunger, den sie in dieser beschwerlichen Stellung erdulden, einen Theil der Strafe. Die Russen erzählten uns aber bei dieser Gelegenheit von einer weit grausameren Strafe, welche der Vorgänger des jetzigen ¿ S a r g u t s c h e i einem seiner Untergebenen anthat, weil dieser ihn verläumdet hatte. Er liefs diesem Verbrecher eine Mischung von mensclilichcn Excrementen und Wasser in den Mund giefsenü — Dennoch sagte man dafs der ^ a r g u t s c h e i eigentlich nur solche Bufsen auferlegen dürfe, welche man in C h i n a eben so wie in Rufsland, zu der Kategorie der v ä t e r l i c h e n B e s t r a f u n g e n (otzowskoe nakasanie) rechnet. — Zum Abschiede erfuhren wir noch von unsrern M a n d / u i s c h e n Gönner, dafs sein Name nur aus dem einen Laute U bestehe. [ F e b r u a r 19.] Ich ging schon am Morgen dieses Tages nach K j a c h t a und von dort nach M a i m a t s c h e n , um durch einige

XI. Abschnitt.

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Einkäufe in den C h i n e s i s c h e n P h u s i oder Gewölben, den Inhalt und die Verwaltung derselben etwas näher kennen zu lernen. Von IJerrn Kaufmann Ba.?in in K j a c h t a erfuhr ich, dafs man sich hier anstatt gangbarer Münzen nur des Z i e g e l t h e e s bedienen könne. Es ist dieses Produkt, dessen ich schon mehrmals zu erwähnen halte (I, 1. S. 480 u. 722), ein in Öfen getrocknetes Gemenge von verdorbnen Stengeln und Blättern der Theestaude, mit den Blättern mehrerer anderen in C h i n a wild wachsenden Pflanzen und mit geronnenem Rindsblut. In I r k u z k , wo man ihn nachzuahmen versucht hat, sind die Chinesischen Pflanzen mit einigem Erfolge durch Ulmblätter, durch das Kraut von v a c c i n . v i t . i d a e a und einige andere ersetzt worden. In den südlichem Provinzen von C h i n a giebt es eine Menge von Fabriken, in denen diese Masse bereitet wird. Man theilt sie in Stücke von 3 bis 3-J Pfunden, und giebt diesen stets einerlei prismatische Form, welche sie den bei uns gebräuchlichen Mauersteinen (Russisch K i r p i t s c h ) völlig ähnlich macht. Im Deutschen würde man daher richtiger M a u e r s t . e i n t h e e , anstatt des schon üblich gewordenen Z i e g e l t h e e übersetzen. Die M a n d / u i s c h e n Stämme machen gar keinen Gebrauch von diesem Fabrikate, aber für die M o n g o l i s c h e n Nomaden in C h i n a , für sümmllichc Bur a e t e n und K a l m ü k e n , für die Russischen Bauern südlich vom B a i k a l und für die meisten / S i b i r i s c h e n T a t a r e n ist es eben so unentbehrlich geworden, wie das Brod in Europa. Nadi K j a c h t a werden davon jährlich gegen 300000 Pfund, d. h. 4000 Ballen oder halbe Pferdeladungen (Russisch m j e s t a ) gebracht. Diese reichen etwa aus um 10000 Trinker zu versorgen, wenn man annimmt, dafs sie während des ganzen Jahres, ebenso wie jetzt in den Wintermonaten, zweimal täglich ZiegeUhce trinken. — Ein jeder Stein oder Kirpitsch ist nämlich zu 60 bis 70 Portionen hinreichend, weil der Aufgufs auf die Blätter desselben noch mit Roggenmehl, mit Schafsfett und mit k u d / i r oder b u s u n , d . i . Salz aus den Steppenseen gemischt wird. Die Reichern unter den K a l c h a s M o n g o l e n und uiiler den Russischen B u r a e t e n sammeln Vorrätlie von diesem Fabrikate; sie gebrauchen es unter sich als Münze, obgleich doch auch die in C h i n a üblichen gewognen Silberbarren durch den Handel in dem Kaufhofe von U r g a ( S . 117) zu ihnen gelangen. An

X I . Abschnitt.

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Februar.

trocknen Orten erhält sich der Zicgelthee ganz unverdorben, und ein Kapital davon soll deswegen in der Steppe oft fiir sicherer und wünschenswerther gelten, als der Besitz einer grofsen Heerde.— Eben so wichtig ist nun auch dieses Fabrikat in M a i m a t s c h e n und K j a c h t a .

Die R u s s e n kaufen daselbst von den C h i n e s e n

eine grofse Menge desselben.

Ausserdem aber ist auch ein Kir-

pitsch oder Thee-Steiu die Münzeinheit, durch welche von beiden tauschenden Parteien der W e r t h jedes andren Besitzthums ausgedrückt wird. Von Seiten der K j a c h t a e r Kaufleute beginnt daher der Handel damit, dafs sie bei den M a i i n a t s c h e n e r n anfragen, auf wie viele Theesteine oder Kirpitschi die Gegenstände, die sie zu kaufen gedenken, in diesem Juhre zu stehen kommen. Sic setzen darauf für die Eichhornfelle, welche sie in grofser Menge zu Markte

bringen,

einen Preis ebenfalls in Theestcinen und deren Tlicilen fest, und führen darauf ihren Tausch durch schriftliche Wechsel, die in jener vegetabilischen Münze ausgedrückt sind. — R u s s i s c h e Beamte, welche zu ihrem eignen Bedarf mancherlei Kleinigkeiten in den Chinesischen Gewölben suchen, pflegen fürRussische Münze von ihren Landsleuten in K j a c h t a ein Kapital von Ziegeln zu erstehen. Man übersetzt dabei den Rubel in Ziegel, i n d e m man beide in Eichhornfellen ausdrückt, und zwar den Rubel zufolge des Pclzpreises in I r k u z k und den Ziegel zufolge desselben in M a i m a t s c h e n . D e r Ziegel oder Theestein kam jetzt ungefähr auf zwei Rubel zu stehen.

Es geschah daher o f t , dafs man Brüche dieser Einheit

zu bezahlen hatte, welche ich von B u r a e t e n und R u s s e n

nach

dem Augenniaafse ausführen und von den C h i n e s e n ohne Weiteres in Zahlung nehmen sah. — Ich zog es vor zur Bestreitung der Einkäufe in den M a i m a t s c h e n e r Läden 100 Rubel bei Herrn B a i i n in K j a c h t a zu deponiren.

Einer seiner Diener, den er mir

als Wegweiser und D o l m e t s c h e r mitgab, sagte dann den C h i n e s i s c h e n Kaufleuten, dafs ich Theesteine besäfse, und unterschrieb die Rechnungen, welche sie mit C h i n e s i s c h e n Charakteren aufsetzten, und als später zu präsentirende Wechsel bei sich behielten. An die Wohnhäuser der K a u f l e u t e , deren ich schon gestern erwähnte, gränzt stets eine Mauer von derselben Höhe, durch welche

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Februar.

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ein Thorweg, der ungleich breiter ist als die Haustliüre, von der Strafse auf den Hof führt.

In mehreren Häusern fanden wir heute

die Pforten desselben geöffnet, und sahen Kameele eingehen, die eben mit Thccballen von P e k i n g gekommen waren.

Sie trugen

die Ballen zu beiden Seilen eines Packsattels, nnd ein jedes derselben halte den Nasenknorpel durchbohrt, und durch die Öffnung einen halbkreisförmigen Knochen gesteckt, der mit seinen etwas dickeren Enden zwei Zoll weit aus jedem Nasenloche hervorragte. D e r Zaum wird an diese Enden befestigt.

In der Stadt gingen

aber die Kameele ganz ohne Lenkung indem sie eines dem andren sehr ruhig folgten.

Auf den Höfen w u r d e n sie an die hölzernen

Säulen der Halle gebunden, welche das Wohnhaus und die angränzenden leichter gebauten Waarenmagazine nach der innern Seite des Gehöftes umgiebt.

Zierliche Gitter aus Bambusstäben nehmen die

Räume zwischen diesen Säulen e i n , und ähnliche sind auch in den Fensteröffnungen der Waarenschoppen befestigt.

Überhaupt

aber herrscht auf diesen Höfen dieselbe gefällige Ordnung und Reinlichkeit, wie im Innern der Häuser. — Die Kameele w u r d e n sogleich entladen, und dann vor die Stadt auf die Weide getrieben. In den Magazinen auf seinem Hofe läfst der M a i m a t s c k e n e r Kaufmann nur die voluminöseren Vorräthe, welche zugleich auch für ihn die wichtigsten sind; namentlich aber den Thee und die Ballen von K i t a i k a , d. i. jener gröbere baumwollene Stoff, welcher hier B u oder / S i b a genannt w i r d , und der zur Kleidung jedes Russischen / S i b i r i e r s unerläfslich ist.

(I, 1. 478 u. a . )

Ich

beschränkte mich auf die Besichtigung der feineren Industrie-Produkte, die man uns in den heizbaren Zimmern der P h u s i oder Kaufmannshäuser vorlegte; denn viele derselben hatte ich in E u r o p a niemals gesehen. — Den Hausherrn fanden w i r stets rauchend und Thee trinkend in seinem Zimmer, und er sorgte dafür, dafs auch wir während der Dauer unseres Handels mit einer Pfeife und einer gefüllten Tasse versehen blieben. Es scheint,

dafs w i r T a s s e n ,

in der jetzt bei uns üblichen

Form, zuerst aus C h i n a erhalten h a b e n , denn das was w i r U n t e r t a s s e n nennen, ist bei uns fast ganz unnütz g e w o r d e n , spielt aber bei den C h i n e s i s c h e n Theetrinkern eine durchausnothweudige Rolle.

Nach ächter Landessitte werden nämlich hier eiuige

136

XÍ. Abschnitt.

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Februar.

Theeblätter in die eigentliche oder O b e r l a s s e gelegt. lu d i e s e r übergiefst man sie mit kochendem Wasser, und schliefst das so gefüllte Gcfáfs auf völlig dampfdichte Weise mit der Untertasse, in deren Boden sich deshalb eine auf den Rand der andren genau passende Vertiefung befindet. Der fertige E x t r a k t wird dann endlich in die Untertasse gegossen und stets aus dieser getrunken. Bei dem ersten der Kaufleute, den w i r heute besuchten, ver6tiefs ich, ohne es zu wissen, gegen die F o ' i s c h e Religion, indem ich yon einem Teller mit getrockneten Früchten afs, welcher auf einem eignen Tische in einer Eckc des Zimmers stand. Mein R u s s i s c h e r Begleiter erklärte mir zu spät, dafs dieses geheiligte Opfer f ü r einen llausgott seien. D e r Kaufmann bewies indefs alle Toleranz, die einem gebildeten Manne zukommt j denn er lächelte mit ruhiger Würde, und schützte seinen Gott vor fernerer Beraubung nur dadurch, dafs er für u n s einen andren Vorrath von ähnlichen Früchten bringen liefs. Ohne Zweifel findet man in den M a i m a t s c h e n e r Niederlagen nur einen unvollständigen Auszug von den Rcichthümerm der P e k i n e r , und dennoch sahen wir auch hier Belege von Wissenschaft, von Kunst und von sehr merkwürdigem Gewerbfleifse unter den C h i n e s e n . Zu dem Wissenschaftlichen rechne ich tragbare Sonnenuhren, welche durch eine mit ihnen verbundue Bussole orientirt werden. Die Anordnung eines Fadens, der beim Gebrauche mit der Ilimmclsaxe zusammenfallt, und die Verzeichnung einer horizontalen und einer geneigten Stnndensclieibe auf dem Haupttheile und auf dem Deckel des Kastens sind wesentlich eben so w i e bei ähnlichen Instrumenten, welche N ü r n b e r g e r K ü n s t l e r in früheren Jahrhunderten anfertigten, nur dafs bei den hiesigen Tag und Nacht zusammen in 12 zweistündige, anstatt w i e bei uns in 24 einstündige Intervalle gelheilt, und durch diejenigen 12 Zeichen unterschieden sind, deren sich die Chinesischen Astronomen bei allen Kreistlieilungen bedienen. Die erste jener C h i n e s i s c h e n Tageszeiten geht von 11 Uhr Nachmittags bis 1 Uhr nach Mitternacht, und auf den M a i m a t s c h e n e r Bussolen entsprechen die beiden äufsersteu Schattenlinien dem Anfange der 41 en und dein Ende der lOten jener Tageszeiten, so dafs dieselben noch an einem 14stundigen, nicht aber an einem l ä n g e r e n Tage brauchbar sind.

X I . Abschnitt.

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Februar.

137

D e r magnetische Theil dieser Apparate unterscheidet sich aber durch so auffallende Einzelnheiten von den E u r o p ä i s c h e n Bussolen, dafs man auch von dieser Seite veranlafst w i r d , den C h i n e s e n eine selbstständige Erfindung dieses wichtigsten Werkzeuges zuzuschreiben. Die Magnetnadel des Instrumentes welches ich in M a i m a t s c h e n kaufte, ist nur 5 Pariser Linien lang, und der stählerne oder magnetische Theil derselben wiegt nur \ Gran, ist aber mit einem kupfernen Hütchen, welches z e h n m a l so v i e l , nämlich 2 } Gran wiegt, verbunden, und dreht dieses um die Spitze auf welcher es ruht. Die Magnetnadel liegt um eine halbe Linie h ö h e r als der Uuterstützungspunkt: der Schwerpunkt des kupfernen Theiles aber um eben so viel u n t e r demselben Punkte. D e n unteren Theil dieses kupfernen Hütchens bildet eine quadratische P i a t i e , deren Seiten der halben Länge der Nadel gleich sind. — Diese seltsame Anordnung, auf welche Europäische Künstler niemals verfielen, ist dennoch nicht ohne erheblichc Vortheile, denn jede Erschütterung versetzt das System zu welchem die Nadel gehört, in lebhafte Pendelschwingungen, und durch diese wird die Reibung auf dem Unterstützungsstifte gut überwunden. Die schwache magnetische Kraft vermag aber weit leichter die Nadel zu drehen, w e n n diese schon, auf die genannte Weise, durch die Schwere in Bewegung ist, als w e n n sich, wie bei unsren E u r o p ä i s c h e n Bussolen der Schwerpunkt in dem Unterstützungspunkte und die Nadel in Ruhe befinden. In diesem letztern Falle ist nämlich die g a n z e Reibung durch den M a g n e t i s m u s zu überwinden. Bei dieser sowohl als bei allen C h i n e s i s c h e n Bussolen die ich gesehen habe, w a r die Hälfte der Nadel welche sich nach S ü d e n kehrt, durch einen Anstrich mit rother Farbe ausgezeichnet, und durch dieselbe Färbung ist auch auf dem umgebenden Ringe das Schrift zeichen welches S ü d e n bedeutet, vor den übrigen, als das wichtigere, unterschieden. Man hat Dieses schon früher bemerkt, und mit Recht behauptet, dafs die Chinesischen Theoretiker den s ü d l i c h von ihnen gelegenen Erdtheilen vorzugsweise sowohl magnetische Anziehungen, als auch andere physischc Vorzüge zuschreiben.

Durch den Winkel des Gno-

mon an dem iu Rede stehenden mathematischen Kunstwerke fand ich, dafs dasselbe nur für einen Ort unter nahe 32° Breite die Zeit

138

X I . Abschnitt.

richtig angeben k o n n t e .

1829.

Februar.

D e m n ä c h s t ist es w a h r s c h e i n l i c h in N a n -

k i n g unter 3 2 ° , 1 nicht aber in P e k i n g

unter S ö 0 / ) B r e i t e ange-

fertigt w o r d e n ; auch dauert der längste T a g am e r s l e r e n O r t e 14 u 6 ' , übereinstimmend

mit

der

früher

e r w ä h n t e n Ausdehnung

des

S t u n d e n r i n g e s an den M a i m a t s c h e n e r S o n n e n u h r e n ; i n P e k i n g hingegen nahe an 1 5 S t u n d e n . A n d e r e A r t e n von Z e i t m e s s e r n h a b e ich in den M a i m a t s c h e n e r L ä d e n nicht gesehen, dagegen a b e r in jedem derselben, — a l s S p i e l w e r k für K i n d e r ,

an

denen

es in C h i n a nicht zu fehlen s c h e i n t , — eine Menge v o n

oder für k i n d i s c h e E r w a c h s e n e ,

Thier-

u n d M e n s c h e n - G e s t a l t e n und a n d r e n P u p p e n ,

w e l c h e durch S t a h l -

federn und R ä d e r w e r k i n f o r t s c h r e i t e n d e und drehende B e w e g u n gen versetzt w e r d e n ,

und die d a h e r eine vollständige Ausbildung

der U h r m a c h c r k u n s t bei den C h i n e s e n Gemälde

nachweisen.

auf v e r s c h i e d e n e n A r t e n von P a p i e r w e r d e n i n gro-

fser Menge n a c h M a i m a t s c h e n g e n t l i c h e r Miniaturmanier u n d

gebracht. dann in

S i e sind theils in ei-

kleinem

Formate

höchst

s a u b e r und k u n s t r e i c h a u s g e f ü h r t ; theils sind es W a n d g e m ä l d e v o n Fufs B r e i t e und 6 bis 8 F u f s L ä n g e .

A u c h diese empfehlen sich

durch ein w a r m e s C o l o r i t und eine S a u b e r k e i t des P i n s e l s t r i c h e s , die man k a u m in einem andren L a n d e bei Meistern finden w i r d , w e l c h e i h r e Gemälde dutzendweise für den K r a m h a n d e l anfertigen. w e s e n t l i c h e V o r ü b u n g zu dieser F e r t i g k e i t durch die nationeile S c h r e i b c k u n s t ,

erhält j e d e r

Eine

Chinese

denn auch für diese ist

eine

grofse L e i c h t i g k e i t der H a n d b e w e g u n g e n unerläfslich. H i e r i n M a i m a t s c l i e n sah ich zum S c h r e i b e n theils Rolirlialme i n G e b r a u c h , w e l c h e w i e unsere G ä n s e k i e l e g e s p a l t e n , a b e r m i t w e i t g r ö b e r e n u n d w e i c h e r e n S p i t z e n als diese versehen w e r d e n , theils a b e r s e h r s c h ö n e P i n s e l v o n E i c h h o r n h a a r e n ; ferner s c h w a r z e n T u s c h , den m a n m i t r e i n e m W a s s e r a n r e i b t * ) und ungeleimtes P a p i e r .

Mir

* ) Im Russischen Handel führt daher der schwarze Tusch mit Recht den Namen: C h i n e s i s c h e T i n t e (kitaiskoe tschernilo). Die Kaufleute führen ihre Schreibmaterialien gewöhnlich an der linken Seite ihres Gürtels in einem länglichen Behälter, genau so wie es, im Mittelalter, auch in Deutschland üblich war. D e r Tusch wird bei jedesmaligem Gebrauche von Neuem gerieben in einem kleinen Napfe, der sich anstatt des Tintenfasses in jenem Behälter befindet.

XI. Abschnitt.

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Februar.

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schien nach einigen Versuchen der Gebrauch dieses Materials mindestens eben so unbequem als der der K e h - t s e

oder Efsstöcke

(S. 125), aber die geübten Kaufleute schrieben damit Buchstaben u n d Zahlen unsrer Rechnungen eben so zierlich w i e Europäische Kalligraphen. — Von den e r w ä h n t e n Malereien ist noch zu bemerk e n , dafs s o w o h l der Gegenstand als die P r e i s e derselben von d e m Stoffe, auf dem sie ausgeführt w a r e n , abhängig schienen.

Wandge-

mälde auf dünnem und ungeleimtem Papier sind nämlich ungemein w o h l f e i l , und w o h l offenbar für die unteren Volksklassen bestimmt. Man sieht darauf C h i n e s i s c h e Landschaften und W o h n u n g e n , sodann aber mannigfaltige G r u p p e n von Figuren in halber Lebensgröfse, w e l c h e die verschiedenartigen Geschäfte der Menschen oder auch unschuldigere C a r r i c a t u r e n und mancherlei religiöse Allegorien vergegenwärtigen.

D i e C h i n e s i s c h e n Kunstleistungen

würden

daher eben so lehrreich als anziehend zu n e n n e n sein, w e n n nicht die ungleich k o s t b a r e m Gemälde auf geleimten Papier einen ganz entgegengesetzten C h a r a k t e r besäfsen. Äufserlich unterscheiden sich diese von den f r ü h e r genannten durch ein n o c h glänzenderes Color i t , auch sind sie m i t b u n t e m Seidenzeuge eingefafst und, um gerollt oder aufgehängt zu w e r d e n , an gedrechselten Stäben befestigt, an deren E n d e n sich k o s t b a r e Knöpfe aus E l f e n b e i n , aus Glassflüssen oder aus geschniltnen Steinen belinden. Ihr Lieblingsthema besteht aber in den allerunzüchtigsten Handlungen von Männern und Frauen, w e l c h e man leicht an Kleidung und Umgebungen f ü r vornehme C h i n e s i s c h e Städter erkennt.

Diese schmutzigen Motive w e r d e n

übrigens w i e alle a n d e r n m i t äufserster Sorgfalt und Sauberkeit bearbeitet.

E s scheint sogar,

als haben grade diese die C h i n e s i -

s c h e n Maler zu einiger Idealisirung des Natürlichen veranlafst; bei der Darstellung des N a c k t e n geben sie nämlich der weiblichen Haut ein höchst ausgezeichnetes und zartes W e i f s , der männlichen aber denselben d u n k e l b r a u n e n T o n , den w i r an den G e s i c h t e r n d e r hiesigen C h i n e s e n und M o n g o l e n ohne Ausnahme sahen. k a n n k a u m g l a u b e n , dafs zwischen Individuen eines Volkes,

Man bei

welchem beide Geschlechter bekleidet g e b e n , eine so starke Verschiedenheit der H a u t f a r b e stattfinde, und man e r k e n n t vielmehr hier in der C h i n e s i s c h e n Kunst eine ganz ähnliche Art der Idealisirung, w i e an den meisten Gemälden von R u b e n s .

Während

140

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Februar.

aber der E u r o p ä i s c h e Maler nur das männliche Colorit durch Übertreibung entstellte, haben die C h i n e s e n offenbar die weibliche Hautfarbe idealisirt, und an der männlichen deren M o n g o l i s c h e n Charakter naturgemäfs aufgefafst. Den erwähnten obseönen Geschmack .bemerkte ich fast ohne Ausnahme in M a i m a t s c l i c n an den Malereien auf den porzellanenen Theelassen; aber auch bei diesen schienen Erinnerungen an Ausschweifungen nur Sache der Reichen und Vornehmen, denn die schamlosesten und untüchtigsten Darstellungen standen stets am höchsten im Preise. W e i t geschmackvollere Malereien in eben so schönen Farben sieht mau auf gewissen Fenstervorhängen, welche liier unter dem Namen S c h t o r i verkauft werden. Sie bestehen aus dünnen und höchst gleichförmigen Grashalmen von 1-J Fufs Länge, von denen je zwei in derselben Linie liegen, und eine Breite des Vorhanges ausmachen. Diese Halme sind parallel gegen einander und in Absländen von -y Linie durch drei dünne Fäden verbunden, welchc nach der Länge des Vorhanges laufen, und das ganze Gew e b e ist dann auf beiden Seiten mit einer reinen und glänzenden Grundfarbe und auf der einen noch aufserdem mit vielfarbigen und lebhaften Gemälden versehen. Dergleichen Anwendung von gittcrförmigen Geflechten zur Schwächung des Lichtes, findet sich häufig bei den A s i a t i s c h e n Völkern, und ich werde ihrer namentlich noch bei den J a k u t e n als üblichen Schutzmittels gegen Blendung der Augen zu erwähnen haben. Von Skulpturarbciien findet man in M a i m a t s c l i c n Reliefs und ganze Figuren aus Holz, aus Bronce und verschiedenen tlieils natürlichen, tlieils künstlich nachgeahmten Steinmassen. Sie bilden Verzierungen an Gefäfseu, Lichtschirmen, Laternen u. dgl., aufserdem aber gehören viele derselben zu den nutzlosen, oder nur zum Spiele vorhandenen Gegenständen, a n denen die hiesigen Niederlagen reich sind. Auch bei diesem Industriezweige zeigt sich die Sorgfalt und die Geduld der C h i n e s i s c h e n A r b e i t e r , oft aber noch aufserdem eine sehr richtige Zeichnung. Wahrscheinlich wurden die C h i n e s e n ursprünglich zu diesen Skulpturarbeiten durch ein sehr günstiges Material veranlafst, welchcs sich in ihrem Lande findet. Es ist der Bildstein oder die im talkigen Übergangsgebirge vorkommende Verbindung aus Kieselerde, Thonerde, Kali und Was-

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ser, welche sich mit dem Messer schneiden läfst, und dabei polirbar ist.

Ich sah diese zu zolllangen Thiergestalien, zu Laub-

w e r k und Götterbildern verarbeitet, wclche alle äufserst wohlfeil verkauft wurden.

Der Stein war an sich weifs oder hellgelb und

an den Kanten durchscheinend; er w i r d aber meistens nach

der

Bearbeitung mit rother Farbe gebeizt, und auf eine so täuschende Weise, dafs man deren Anwesenheit nur durch den Bruch erkennt. — Nicht minder häufig, aber ungleich theurer, w a r e n Bildwerke aus den härtesten Gesteinen; namentlich aber grofsc kugelförmige Schalen und eiförmige Vasen aus Chalzedon und Agat, und Reliefs, die aus Stücken von Carneol, von Nephrit und von andern farbigen Steinen bestehen. Theilc

aus

Meistens sind es Blumen, deren einzelne

verschiedenen

und

geschmackvoll

gewählten

nen geschliffen, und mit Mastix auf eine gemeinsame Unterlage gekittet werden.

Für manche

Stei-

steinerne

dieser eben so nutz-

losen als kunstreichen Gegenstände forderten die

Maimatschc-

n e r Kaufleute 4000 Theesteinc, d. h. gegen 2500 Preufs. Thal. — Wir sahen hierin ein Beispiel von der Prachtlicbe und der Verschwendung unter den C h i n e s e n ,

während viele andere

Indu-

strie-Produkte an deren Verweichlichung und weibische Sitten erinnerten. Die Kaufleute boten mir Perlenschniire aus Moschus und kleine Säcke mit wohlriechenden Substanzen zum Verkauf, und sie behaupteten, dafs dergleichen für einen j u n g e n Mann ganz unerläfslich seien.

Sic zeigten dann den Nutzen derselben an ihrer eignen Klei-

dung, denn in C h i n a tragen selbst die älteren Männer dergleichen an ihren Leibgurten neben den Apparaten zum Tabackrauchen.

Für

eben so wesentlich halten sie ein sonderbares S p i e l w c r k : es sind zwei polirte Kugeln von etwa einem Zoll im Durchmesser, welche die Männer stets mit sich führen.

Sie werden während müfsiger

Zeiten in die rechtc Iland genommen, und mit den Fingern derselben übereinander gerollt nnd gerieben, wobei sie Geräusch und vielleicht auch für den Geübtem ein angenehmes Gefühl erregen. Hier in M a i m a t s c h e n sah ich dergleichen Kugeln aus einem grün und weifs gestreiften Glase, welche hold waren und in ihrem Innern einen kleinen Kern von Thon enthielten, der bei der Bewegung klapperte. Die Masse derselben w i r d so geschickt zusammen-

X I . Abschnitt.

142

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Februar.

geschmolzen, dafs man die Stelle an der es geschehen ist, auch auf dem Bruche nur mit Mühe erkennt. Ich kaufte zu genauerer Untersuchung auch mehrere andere Gegenstände, welche w i r von den C h i n e s e n im gewöhnlichen Leben anwenden sahen. Die kleinen Schwärmer, Raketen und andren Feuerwerksstücke (S. 130) erhält man in sehr zicrlichen Kisten verpackt.

Sic bilden sowohl hier, als auf andern C h i n e s i -

s c h e n Märkten, einen nicht unwichtigen Handelsartikel, denn ich fand sie in B r a s i l i e n w i e d e r , wohin sie von K a n t o n gebracht werden, um bei den katholischen Feiertagen auf dieselbe Weise zu dienen, wie hier bei der Feier des Fo'ischen w e i s s e n

Mondes.

Auch in D e u t s c h l a n d sah ich sie später in Menge als Kinderspielwerk verkaufen, und es ist immer bemerkenswerth, dafs dergleichen C h i n e s i s c h e Industrie-Produkte, nach so weitem Transporte, noch neben den E u r o p ä i s c h e n Preis halten.

Noch aus-

gedehnter ist der Handel mit gedrechselten hölzernen Trinkgeschirren und größeren hölzernen Gefäfsen.

Sic sind lakirt und mit ei-

nem Firnifs überzogen, welcher sie zur Aufnahme von kochendcm Wasser vollkommen geschickt macht. Ich kaufte eine von den braun lakirten hölzernen Theetassen, deren sich alle B u r a e l e n bedienen, und habe mich beim Gebrauch derselben während der folgenden Reise überzeugt, dafs sie den Geschmack des heifsen Getränks mit dem man sie füllt, durchaus nicht verändern.

Auf der Rückseite

dieser Schalen stellt in schwarzer C h i n e s i s c h e r Schrift das W o r t : tha'i oder g r o f s , welches wohl an die unterscheidende Eigenschaft dieser Tassen vor den porzellanenen erinnern soll.

Wirklich sind

die porzellanenen C h i n e s i s c h e n Tassen nicht gröfscr als unsre E u r o p ä i s c h e n , während die hölzernen für die B u r a e t e n etwas mehr als ein Viertel eines Preußischen Quartes enthalten. — Auch die zu religiösem Gebrauche bestimmten cylindrischen Rauchkerzen erhielt ich ohne Schwierigkeit, nachdem der Verkäufer mit einigem Lächeln bemerkt hatte, dafs ihm dergleichen Dinge für mich ganz nutzlos schienen. Auffallend w a r es dafs, bei dem hiesigen Verkehre, der Gewerbfleifs des A s i a t i s c h e n Volkes fast glänzender hervortliat als der des E u r o p ä i s c h e n . So sah ich z.B. unter den W'aaren, welche die C h i n e s i s c h e n Kaufleute von den R u s s e n in K j a c h t a ent-

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nommcn hatten, dieselben metallnen Knopfe, welche auf dem O b d o r s k e r Jahrmarkt an S a m o j e d e n und O s t j a k e n verkauft werden, um i h r e Leibgurte zu besetzen.

( I , 1. S. 619 u. 651).

Sie

mögen wohl für ganz N o r d - A s i e n aus einerlei Fabrik hervorgehen, denn auch liier waren sie, genau w i e in O b d o r s k , mit dem eingeprägten Bilde eines I l u n d c s versehen, und nur für die civilisirtern Käufer etwas besser poürt, als für die O s t j a k e n .

Die

M a i m a t s c b e n e r kaufen übrigens sowohl d i e s e rohen Metallwaren, als auch eiserne Töpfe, kupferne Kessel u. dergl. R u s s i s c h e Produkte nicht zu eignem Gebrauch, sondern bringen sie den M o n g o l i s c h e n Nomaden ihres Landes. Die Gegenstände, die w i r in dem Innern d e r P h u s i oder M a i m a t s c b e n e r Läden gesehen haben, gewähren aber durchaus keinen vollständigen Begriff von dem hiesigen Handel. Zu einem solchen gehört unter andrem, dafs von den eigentlichen und in E u r o p a gebräuchlichen Theearten jährlich gegen 70000 mjesta oder L a d u n g e n f ü r S a u m p f e r d e gekauft werden.

halbe

Eine jede der-

selben kann mindestens auf 2 Pud, und der gesammte Einkauf daher auf 5 Millionen Preufs. Pfunde, oder einen Geldwerth von 10 bis 15 Millionen Preufs. Thalern gerechnet werden. Auch der Handel mit R h a b a r b e r ist beträchllicli, w e n n wirklich, w i e man mich in I r k u z k versicherte, die C h i n e s e n davon jährlich 10000 Pud zu einem Preise von 600000 Preufs. Thalcr a b s e t z e n ! ? — V o n den R u s s e n wurden dagegen durchschnittlich, aufser den schon erwähnten Waaren, für eine halbe Million R u b e l P o l n i s c h e n Tuches, und etwa eben so viel baumwollene Zeuge oder zusammen für 300000 Pr. Thalcr von hier nach C h i n a verkauft. — Neben einem der Tempel von M a i m a t s c h e n , au dem wTir vorbeigingen, stand ein Theater, auf welchem die gestern erwähnte Schauspieler - Truppe mit W o r t e n und Gebeiden agiite.

Es w a r

eine hölzerne Bühne, die auf vier dünnen Pfählen, etwa 10 Fufs über dem Erdboden ruhte, und mit drei Wänden und einem leichten Dache versehen war. Diesesmal wurde eine zusammenhangende Handlung aufgeführt, von welcher ich jedoch nur die letzten Scenen mit ansah. Man zeigte darin die Befreiung eines verurtheillen Verbrechers durch Dazwischenkunft eines übermenschlichen Wesens, welches, eben so wie mehrere andere Personen des Dramas, von

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XI. Abschnitt.

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Februar.

Männern in w e i b l i c h e n K l e i d e r n dargestellt wurde. — Alle Schauspieler benahmen sich übrigens äufserst lebhaft und beweglich. Man konnte glauben eine I t a l i ä n i s c l i e Komödie zu sehen, und zwat um so mehr, als mehrere der hiesigen Theater-Kleidungen den Trachten der I t a l i ä n i s c h e n Masken auffallend ähnlich waren. An Zuschauern w a r aufser uns noch ein Ilaufe -von B u r a e t e n und M o n g o l e n und einige vorübergehende C h i n e s i s c h e Kaufleute. W i r standen alle hinter einem zu diesem Zwecke errichteten Geländer, der offnen Seite der Bühne gegenüber und in einer passenden Entfernung von derselben. Man halte dieses bewegliche Theater nur während der Festtage zur Seite des Tempels erbaut, in welchen ich nun ebenfalls hineinging. E r w a r dem gestern gesehenen sehr ähnlich, nur dafs sich hier auf der erhöhten Stufe, auf welcher die Götterbilder stehen und hinter dem Vorhänge der das Gebäude theilt, eine menschliche, d. h. nicht verzerrte und dadurch allegorische, Figur in goldener Ritterrüstung befand. Ähnliches soll übrigens in allen M a i m a t s c h e n e r Tempeln der Fall sein, und die R u s s e n sagten uns, dafs man in dem einen derselben dem regierenden Kaiser seine Ehrfurcht bezeuge, während es in den übrigen Tempeln andere wirklich existirende Heroen sein mögen, deren Bilder zugleich mit den allegorischen Wesen verehrt w e r d e n , und zwar hinter dem Vorhänge! — In dem Tempel, w o dem Kaiser gehuldigt wird, endigt der Gottesdienst mit einer Phrase, die mein Begleiter übersetzte, durch: „ m ö g e e r t a u s e n d u n d a b e r m a l s t a u s e n d „ J a h r e l e b e n , d e r H i m m c l s s o h n . " Diese Auslegung dürfte indessen gegen die Kraft des Originalausdrucks noch zurückstehen; indem dieser höchst wahrscheinlich Nichts andres w a r , als das w a n w a n n i ä n oder z e h n t a u s e n d m a l z e h n t a u s e n d J a h r e , d . h . ein in C h i n a so völlig übliches und doch so auszeichnendes Attribut für den regierenden Kaiser, dafs man beim Gebrauche desselben eben so gut verstanden w i r d , als wenn man geradezu t h a i z i n g d. i. grofser Zing oder den offiziellen Titel der M a n d / u i s c h e n Dynasten nennte. — Die R u s s e n sagten ferner von dem Beinamen, den sie durch n e b e i n u i « u i n , d. i. H i m m e l s s o h n übersetzen, dafs e r s i c h a u f e i n e ArtvonMetempsychosebeziehe,indem die Chinesen von

XI. Abschnitt.

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Februar.

ihren Herrschern eben so wie die Mongolen von den D a l a i - l a men

annähmen, dafs ein Jeder derselben die hochbegabte oder

himmlische Seele seines Vorgängers ererbe. Bei der Rückkehr nach K j a c h t a besuchte ich daselbst Herrn Kaufmann K o t e l n i k o w .

Diesesmal und in mehreren andren Fäl-

len bemerkte ich schon beim Eintritt in das R u s s i s c h e durch e i n e n

eigenthümlichen

Haus

G e r u c h , dafs C h i n e s e n

in

dem Besuchzimmer w a r e n ! — Personen welche in gewisse Gegenden der Erde plötzlich genug versetzt w u r d e n , um deren spezifischen Charakter ohne vermittelnde Ubergänge aufzufassen, haben von einem L a n d e s - g e r u c h oder N a t i o n a l - g e r u c h gesprochen, und ich verstehe ihre Meinung genugsam, seitdem ich mehrere Beispiele zu derselben erlebte; zuerst beim Eintritte in R u f s l a n d , und dann hier an der C h i n e s i s c h e n

Gränze, wo selbst

ein Blinder bemerken würde, dafs er die S i b i r i s c h e n und R u s s i s c h e n Umgebungen verlassen hat.

Zu dem Gerüche in M a i -

m a t s c h e n trugen freilich die Rauchkerzen vor den Mongolischen Kapellen und der Dampf von C h i n e s i s c h e m Pulver Einiges bei; aber w e i t wesentlicher die C h i n e s e n selbst, von denen Jeder u m sich eine Atmosphäre verbreitet, die an den strengen Geruch des Lauches erinnert. Ich glaube kaum, dafs dieses auf so direkter Weise wie die R u s s e n es behaupten, von gegessenen Zwiebeln herrühre; man würde dann diese Eigenthümlichkeit nicht, so wie es hier an der Gränze geschieht, bei allen Individuen, zu jeder Zeit und an allen Gegenständen, welche mit ihnen in Berührung gewesen sind, wahrnehmen.

Man überzeugt sich vielmehr durch diese und manche

verwandte Erfahrungen, dafs die Ausdünstungen des menschlichen Körpers bei den einzelnen Nationen eine constant unterscheidende und vererbliche Beschaffenheit annehmen; noch aufser denjenigen individuellen Merkmalen, die jeder Hund an den Ausdünstungen seines Herrn aufzufassen weifs, und deren Untersuchung in ein noch zu bebauendes Feld der Chemie gehört. Die M a i m a t s c h e n e r Kaufleute welche Herrn K o t e l n i k o w in Handels-Angelegenheiten besucht h a t t e n , safsen nun sehr behaglich nebeneinander längs der Wand des grofsen Zimmers und II, Band.

10

146

X I . Abschnitt.

rauchten.

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Februar.

Der Eine bot mir seine P f e i f e * ) , und ein Anderer Ta-

back zum Schnupfen.

Die C h i n e s e n bedienen sich eines äufserst

fein zerriebenen Schnupftabacks, und führen ihn in linsenförmigen Flaschen von etwa einem Zoll im gröfsten Durchmesser.

In den

cylindrischen Hals derselben wird ein Deckel eingeschraubt, an dessen Unterseite ein kleiner Löffel befestigt ist, welcher in das Innere der Flasche hinabreicht.

Sie legen mittels desselben eine

sehr kleine Portion des scharfen Pulvers auf den Nagel des Daumen und führen es dann erst zur Nase.

Dergleichen Tabacksdo-

sen werden theils aus harten Steinen geschliffen, theils aus Smaragd- oder rubinfarbnen Glasflüssen. Als die C h i n e s i s c h e n Gäste erfuhren dafs ich aus den Phusi oder Läden käme, verlangten sie das Eingekaufte zu sehen, und machten darüber mancherlei scherzhafte und witzige Bemerkungen, theils in ihrem gebrochenen R u s s i s c h e n Dialekt, theils unter sich in C h i n e s i s c h e n Phrasen, von denen mir die K j a c h t a e r Manches erklärten.

Es freute sie dafs ein Z i a n oder Euro-

p ä e r * * ) sich mit C h i n e s i s c h e n Putzsachen schmücken wolle, und sie zeigten mir einige darunter, die nur für Frauen bestimmt seien, und die ich daher als Liebeszeiclien für e i n e m e i n e r

Freun-

d i n n e n aufzuheben hätte. Dann wurde die früher erwähnte Sonnenuhr betrachtet, und sie bemühten sich mit Stolz mir deren weise Einrichtung recht fühlbar zu machen.

Ich fragte den Ei-

nen von ihnen nach den Sinn der C h i n e s i s c h e n

Inschriften,

welche sich an vcrscliiednen Stellen dieses Instrumentes befinden. Namentlich aber sind es: 1) vier wie gewöhnlich einsilbige Worte, welche eine horizontale Reihe auf dem Deckel des Kastens bilden, der noch aus* ) „ L u e venerea s e l i b e r u m " sponte et e x p r e s s i s verbis p r a e d i c a n s . P l u r i m i mercatorura S i u e n s i u m e x interiore imperii hue advenae, liac p e s t e vexanlur. — Maimacinae feminis omnino abstinere jubentur e t , ut ego quidem audivi, r a r i s tantummodo artifieiis mulieres e B u r a e t i s M o n g o l i s v e ad udulterium compellunt, furtim eas in oppido relinenles. — A d p a e d e r a s t i a m autem eo intentius refugiunt et p a l a m adeo ut R o s s i : vidisse se, d i c e b a n t , qui p r o p e triviis in latrinis q u a e a d exoneranduin ventrein exstant, turpissiuium hocce flagitium exercerent. " )

Wörtlich: e i n B a r b a r v o m

Westmeere.

Xf. Abschnitt.

1820.

Fehl•uar.

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serclem mit dem Bilde eines strauchartigen Gewächses verziert ist; 2) zwei von aufsen auf dem Boden des Kastens befindliche und aus 8 Zeichen oder Silben bestehende Verlikalreihen, und 3) vier Silben, welche um den getheilteu Kreis der Bussole im Innern des Kastens stehen. Nur die zwei eisten Inschriften wurden bei unsrer Unterhaltung in K j a c h t a beachtet, und ich schrieb zuerst die Aussprache der einzelnen Silben auf, sowie sie der M a i m a t s c h e n e r Kaufmann angab, und dann die von ihm hinzugefugte Erklärung derselben. Seit meiner Rückkehr hat mein berühmter Freund Herr W . S c h o t t in B e r l i n , die Auslegung in beiden Beziehungen wiederholt, und es ergaben sich dabei für die A u s s p r ä c h e nur linterschiede welche durch provinzielle Mundarten bei den C h i n e s e n erklärbar sind. Für die B e d e u t u n g der Worte hingegen bemerkte ich mit Verwunderung, dafs die Auslegung des M a i m a t s c h e n e r nicht die geringste Ähnlichkeit mit der von Herrn S c h o t t gegebenen hatte!! Ich würde keine andre als die Interpretation unsres gelehrten und mit geübtester Kritik begabten Landsmannes anführen, wenn es sich allein darum handelte, die Absicht des Verfassers jener Unterschriften zu verstehen. Die frühere Auslegung ist aber von einer andern Seite bemerkenswertli, denn sie giebt uns das, wohl nur in C h i n a vorkommende Beispiel eines Mannes, der Worte seiner eignen Sprache richtig las und dennoch ganz falsch verstand. Die erste der genannten Inschriften besteht aus rothen Buchstaben, und sie wurde gelesen durch: den C h i n e s e n : Herrn Schott: tsclii hi fo ho tin tsching se sui Als Erklärung gab aber der Erstere an, es sei d e r E i g e n n a m e e i n e s V e r f e r t i g e r s v o n S o n n e n u h r e n ; Herr S c h o t t hingegen die Phrase: H i , h o m a c h t (oder m a c h e n ) d a s J a h r ; zu welcher er bemerkte, dafs die Silben H i und H o , die stets gleichzeitig genannt werden, einen oder zwei berühmte Stcrnkun10*

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XI. Abschnitt.

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Februar.

dige der C h i n e s i s c h e n Vorzeit benennen, die von der Nachwelt als Lenker der Sonne verehrt werden, weil sie die Länge des tropischen Jahres ( s u i ) bestimmten. Noch seltsamere Verschiedenheit fand sich in den Erklärungen der unter ( 2 ) genannten zwei Vertikalkolumnen auf dem Boden des Kastens. Die Zeilen folgen einander von der Rechten gegen die Linke, und die Worte von oben nach unten. Sie lauten aber nach Herrn Schott: dem C h i n e s i s c h e n Ausleger: fang sin fo «en sieu ngan siu ga schui hieu soi fiio d s c h i . i tschi. dji Der C h i n e s e erklärte sodann die erste Zeile wörtlich durch das R u s s i s c h e : n o w a j a w c s c h t s c l i ; c h o r o s c h e n k o k l a d i d . h . e i n e n e u e S a c h c ; m a n v e r p a c k e s i e g u t . — D i e zweite Zeile aber durch: t s c h e t i r u g ö l n i k d l j a s c l i t s c h e g o l e i , d.h. V i e r e c k f ü r S t u t z e r oder etwa f e i n e L e u t e . — Anstatt alles Dieses findet hingegen Herr S c h o t t in denselben Zeilen nichts weiter als: verfertigt von F a n g - s i e u - s c h u i aus dem Dorfe H i e u bei S i n n g a n . Die Horizontalreihe im Innern des Kastens, welche ich mit dem C h i n e s e n gar nicht beachtete, lautet endlich nach Herrn Schott: schi i fang dschi wo die Deutschen Worte, eben so wie die C h i n e s i s c h e n des Originals, von der Rechten gegen die Linke zu lesen sind; und sie bedeutet: Es k e n n t die H i m m e l s g e g e n d e n (fang) und b e q u e m t s i c h d e r Z e i t a n (d. h. b e s t i m m t d i e Z e i t . ) Von dem Bilde einer Pflanze, welches über dieser Inschrift steht, vermuthet Herr S c h o t t , dafs es die sogenannte S c h a l t p f l a n z e darstelle, die durch eine eigenthümliche Periodizität bei dem Abwerfen ihres Laubes, die C h i n e s i s c h e n Astronomen an das Hülfsmittel regelmäfsig wiederkehrender S c h a l t m o n a t e erinnert haben soll.

XI. Abschnitt.

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Februar.

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Die vier Quadranten des Bussolen limbus sind dann noch respektive mit: pe nan tung und si

d. -

i. -

Norden, Süden Osten Westen

bezeichnet. Was nun aber die so merkwürdig abweichenden Auslegungen meines M a i m a t s c h e n e r Gewährsmannes betrifft, so mufs ich bemerken , dafs dessen ernste und von Überlegung zeugende Minen durchaus keinen Zweifel gegen die Redlichkeit seiner Absicht bei mir entstehen liefsen. Auch hatte er mir die Friedenspfeife so gutartig angeboten, und über meine Begierde nach Chinesischer Weisheit so viele Freude geäufsert, dafs ich selbst, als der Schein so stark gegen ihn sprach, überzeugt blieb: die angeführten C h i n e s i s c h e n Worte müfsten vieldeutig sein, und, für einen in der astronomischen Sprache ungeübten Kaufmann, Mi fs V e r s t ä n d n i s s e zulassen, welche ihn ganz oder theilweise entschuldigten. — Zu e i n e m solchen Mifsverständniss lag nun der Grund sehr auffallend am Tage. Herr S c h o t t hatte mir nämlich gesagt, dafs das Zeichen: f a n g , -welches er in der dritten Inschrift, dem astronomischen Spracbgebrauche gemäfs, durch H i m m e l s g e g e n d übersetze, ursprünglich V i e r e c k bedeute. Dasselbe Zeichen findet sich nun aber auch in der zweiten Inschrift, wo es von dem C h i n e s e n : fo von Herrn S c h o t t aber ebenfalls f a n g gelesen, und von Ersterem w i r k l i c h d u r c h V i e r e c k , von Herrn S c h o t t hingegen, dem Zusammenhange gemäfs, für e i n e n E i g e n n a m e n erklärt wurde. Auf den Grund dieser Bemerkung ersuchte ich daher Herrn S c h o t t sich noch ferner nach anderweitigen Doppelsinn in den Worten der ersten und zweiten Inschrift umzusehen, damit zwar nicht das Wissen, aber doch wenigstens die Redlichkeit meines M a i m a t s c h e n e r Bekannten in ihrem wahren Lichte erschiene. Ich erlaube mir daher nun, aus einem Briefe jenes gütigen und gelehrten Forschers, die hierher gehörigen Resultate seiner Bemühungen milzutheilen, .,Bei: h i - h o - t s c h i n g - s u i (oder nach der provinziellen Aus-

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XI. Abschnitt.

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Februar.

„spräche t s c h i - f o - t i n - s e ) w a r dem M a i m a t s c l i e n e r Interpre„ t e n offenbar die historische Anspielung entgangen.*)" Er hat übrigens I l i - h o richtig für einen E i g e n n a m e n erkannt, und da er noch aufserdem den Begriff: m a c h e n mit Recht und eben so wie Herr S c h o t t gelesen hatte, so wäre ihm vielleicht zu verzeihen, dafs er, um den Sinn der Phrase zu runden, das Wort s u i (oder nach seiner Aussprache se) für einen Z e i ï m e s s e r anstatt, wie es sein soll, für einen Z e i t a b s c h n i t t oder ein J a h r genommen hat. Er gelangte dann zu dem Resultate: I i i h o m a c h t S o n n e n u h r e n , anstatt des allein richtigen: Hi h o m a c h t e das Sonnen-Jahr, „In der rechtsliegenden Vcrtikalkolumne, welche S i n n g a n „aus dem Dorfe Iii e u bedeutet, von unserm C h i n e s e n aber .,durch: n e u e S a c h e , man v e r p a c k e s i e g u t ! übersetzt „ w u r d e , heifst das erste W o r t , s i n oder s e i l , wenn man es als „Appellativum nimmt, allerdings n e u , — Das zweite Zeichen „ n g a n oder g a heifst, wenn man es wiederum appellativisch neh„men wollte: R u h e oder F r i e d e n , das dritte hat eine mit. der „des zweiten v e r w a n d t e appellative Bedeutung, und das letzte endl i c h bedeutet nie etwas andres als ein S t ä d t c h e n oder D o r f . " Ich glaube demnach dafs auch hier das in Rede stehende Mifsverständnifs durchaus nicht ganz unerklärt bleibt, denn in der Seele des unbefangnen Kaufmanns entstanden nacheinander und mit Recht die Begriffe: N e u e s , R u h e , R u h e , O r t — welche er dann, an eine etwas laxe Deutung seiner fast hieroglyphischen Sprachc gewohnt, zu: e i n N e u e s a n e i n e n r u h i g e n O r t , oder nach ei*) Über diese historische Anspielung hatte Herr S c h o t t noch Folgendes beizubringen die Güte: „die Herren H i und H o oder aber der Herr „ H i - I i o wird öfters erwähnt in dein von Peter G a u b i l übersetzten „Werke S c h u - k i n g . ( L e C h o u k i n g , par G a u b i l , à P a r i s 1778) „Eben s o i n B a y e r i M u s e u m S i n i c u m , P e t r o p o l i 1733, tom II. p,ig. „ 2 3 3 : annis 3G0 et amplius post cyclum l'nstitutum duos astrononios I I o „ e t I i i commémorant, quibus adjiitoribus J a u s ( J a o ) rex demum 12 „menses lunares, sex 30 dierum et totidem 29 dierum, menses deinde in„tercalarcs ordinaverit. Hi dueum dignitatem consccuti, ad serös nepotes „decus suum transmisere. — Pater G o n c a l v e s in seiner A r t e C h i n a „citirt noch folgende Parallelstelle zu der Devise unserer Sonnenuhr: „Hi-ho-king-scheu-jin-schi. Sie heifst wörtlich: H i - h o reveren„ter doeuit homiües tempora."

XI. Abschnitt.

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nigem Nachdenken, nicht ohne Witz, zu N e u e s D i n g ! — m a n v e r p a c k e es g u t ! gestaltete. — Herr S c h o t t hingegen wird in seiner oben angeführten Interpretation noch dadurch befestigt, dafs man immer in C h i n a den Namen des Geburtsortes dem (nun folgenden) Namen der Person vorangehen läfst. — Noch weit verzeihlicher erscheint mir endlich der Irrthum, den sich der M a i m a l s c h e n e r in Bezug auf die zweite oder links stehende Vertikalkolumne der zweiten Inschrift zu Schulden kommen liefs. In dieser ist nämlich der Doppelsinn der Worte so vollständig qualifizirt, dafs eine ganz falsche und doch consequente Auslegung für einen Jeden unvermeidlich wurde, welcher die ihm vorliegenden Worte für mehr als blofse E i g e n n a m e n halten wollte. Dergleichen Namen konnte aber der C h i n e s e nicht mehr vermutlien, da er sie schon in der ersten Inschrift zur Genüge gefunden zu haben glaubte. — Herr S c h o t t sagt nämlich von dieser Columne: „allerdings steht in ihr das Zeichen f a n g , dessen Urbedeut u n g V i e r e c k ist; obgleich es in der ersten Inschrift durch „ H i m m e l s g e g e n d zu übersetzen und in der vorliegenden für den „Familiennamen des Mechanikers zu nehmen ist. Der dann folg e n d e Beiname: s i e u - s c h u i (provinziell s i u - s o i ) ist wie ge„wohnlich bei den C h i n e s e n zweisilbig.*) Er ist dazu bestimmt „seinen Empfänger zu e h r e n , und es wäre daher gar nicht ver„wunderlich: w e n n e r w i r k l i c h e i n e e l e g a n t e P e r s o n „ o d e r e i n e n S t u t z e r b e d e u t e t e . Das Wörterbuch von „ M o r r i s o n enthält bei weitem nicht alle C h i n e s i s c h e n Compo„sita; namentlich fehlt in ihm: s i e u - s c h u i ; dagegen aber hat dic„ser Schriftsteller unter s i c u das zusammengesetzte Wort s i e u „ k h i wörtlich B l ü t h e n d u f t , welches er durch e l e g a n t , s u b „ t l e m a t t e r und durch: f i n c p e r s o n übersetzt. — S i e u „ s c h u i heifst buchstäblich B l ü t l i c n w a s s e r und es möchte wohl „damit im gemeinem Leben dieselbe figürliche Bedeutung wie mit „dem s i e u - k h i oder B l ü t h e n d u f t , nämlich die eines S t u t z e r „oder einer e l e g a n t e n P e r s o n verbunden sein!! — Das vierte

») „ E s herrscht unbegrenzte W i l l k ü r in der W a h l dieser zweisilbig e n Beinamen, von denen jeder C h i n e s e einen an dem Tage erhält, an „ w e l c h e m ihm d i e M ä n n e r m ü t z c zum erstenmale aufgesetzt w i r d . "

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XI. Abschnitt.

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Februar.

„Zeichen der Columne ( d s c h i ) ist der gewöhnliche Ausdruck für „ a r b e i t e n , v e r f e r t i g e n . " Es scheint mir demnach so gut als erwiesen, dafs der C h i n e s i s c h e Ausleger consequent und auf seine Weise lesen mufsle: V i e r e c k , S t u t z e r , g e m a c h t , woraus er dann, nicht allzufrei: e i n f ü r S t u t z e r g e m a c h t e s V i e r e k k i g e s bildete. Die kubischc Form des Instrumentes und dessen elegante Hülle von gesticktem Seidenzeuge konnte ihn noch in dieser Ansicht bestätigen, und ihn von der allein richtigen Deutung: fang» s i e u - s e h u i h a t es g e m a c h t , vollends entfernen. —• Jedenfalls scheint mir diese Thalsache geeignet, um uns E u r o p ä e r n einerseits den Vorzug unserer 24 Buchstabcnzeichcn, und unserer einförmigen Sprache, vor den vielen Tausenden von Wortzeichen, nebst den 8 Schrill- und den 4 Stylarten der C h i n e s e n fühlbar zu machen, — andererseits aber um uns mitEhrfuicht zu erfüllen für den Scharfsinn und die Ausdauer derjenigen unsrer Landsleute, welche in jenem Chaos weit besser bewandert sind, als viele eingeborene, und mit bester kaufmännischer Bildung ausgestaltete Chinesen. Über die A u s s p r a c h e meines M a i m a t s c h e n e r Freundes verdanke ich Herrn S c h o t t noch folgende interessante Mittheilungen: „ich will nicht in Abrede sein, dafs er in s e i n e r Art richtig gc„ lesen habe} denn jeder nicht wissenschaftliche Eingeborne dos „Mittelreiches liest, wenn er wirklich lesen kann, i n d e m P r o v i n „zial-Dialekte seiner Ileimath, und dieser Dialekte giebt es Le„gion. Aufscr der K u a n - l i o a , dem C h i n e s i s c h e n H o c h d e u t s c h , kenne ich nur den Dialekt von K a n t o n etwas näher, „und es war überraschend, dafs ihr C h i n e s e einige Wörter uns e r e r Inschriften genau so ausgesprochen hat, wie man sie in „Kanton ausspricht. Diese Wörter sind: s i n für s i e u ; s o i für „ s c h u i ; s e n für sin. Das vierte Zeichen der linken Vertikal„Columne wird auch in der K u a n - h o a : d s c h i gelesen. Dafs f o „statt h o steht, ist sehr sprachgemäfs, denn ancli im Dialekte von „ K a n t o n findet man das Ii der k u a n - h o a oft durch f vertret e n und umgekehrt, z. B. h o a Blume, in K a n t o n : f a ; hing e g e n f u ng Wind, in Macao h o n e . " Auch die C h i n e s e n , mit denen ich heute umging, hatten sämmtlich schwarze und verderbte Zähne. Bei der grofsen Sorg-

X I . Abschnitt.

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Februar.

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falt, wclche sie übrigens auf körperliche Schönheit und Eleganz verwenden, ist diese Verunstaltung auffallend; ich glaube, dafs die Kupferauflösung, wclche sich aus dem brcnzlichen Öle des Tabacks in den broncenen Mundstücken ihrer Pfeifen erzeugt, am meisten dazu beiträgt. [ F e b r u a r 20 und 21.] netischen Beobachtungen,

Die Ortsbestimmungen und die magwelche wir in T r o i z k o ^ a w s k bei

dem Hause vonllerrn O s t r o w s k j i (S. 107) anstellten, waren von besondrem Interesse, indem sie, im Verein mit früheren Resultaten dieser Reise, bewiesen, dafs wir im z i e l e n gathale eine zweite Stelle der L i n i e o h n e A b w e i c h u n g überschritten hatten.

Zwischen

O s a b l i k o w o und D o s k i n o , wo wir diese Linie zum erstenmal erreichten (1,1. S . 188; II, 1. S. 9-3, 94, 406) hatte sie eine Richtung von NW. gegen S O . , hier hingegen von S W . nach NO., und die Gesammthcit

der Beobachtungen,

wclche wir zwischen

diesen

Orten erhalten hatten, bewies, dafs beide Theile ein und derselben Linie angehörten.

Die Ansicht, dafs z w e i von einander ge-

trennte L i n i e n o h n e A b w e i c h u n g

den Asiatischen Kontinent

durchzögen, welche einige Physiker noch unmittelbar vor unsrer Reise aufgestellt hatten, wurde durch diese Thatsache widerlegt; eben so wie die ungerechten Zweifel, die man bei derselben Gelegenheit, und der irrthiimlichen Ansicht zu Liebe, gegen einige Declinations-Bcobachtungen von B i l l i n g s erhoben hatte.*) — Eben so wichtig waren für unsern Hauptzweck die Messungen der magnetischen Intensität an der C h i n e s i s c h e n Gränze, denn wir befanden uns nun an dem südlichsten

Punkte,

den wir auf dem

A s i a t i s c h e n K o n t i n e n t e erreichten (50° 21' 5 " N. Br.), aber, vermöge der gleichzeitig erfolgten Annäherung an den / S i b i r i s c h e n Magnetpol, war die magnetische Kraft hier dennoch eben so stark als im Meridian von B e r l i n unter 82° Breite. Ich habe schon früher die Übereinstimmung erwähnt, die sich in N o r d - A s i e n zwischen den Linien g l e i c h e r

magnetischer

K r a f t und zwischen denen gleicher Mitteltemperaturen zeigte ( I , 1. S. 601), und wir hatten demgemäfs auch hier noch Zunahme der Kälte zu erwarten, wenn wir fortfuhren uns bei einerlei Breite *) A n n a l e «

d e r P h y s i k 80. S. 552.

lj'i

X I . Abschnitt.

gegen Osten zu bewegen. Temperatur von I r k u z k

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Februar.

Unsre Erfahrungen über die mittlere widersprachen

dieser E r w a r t u n g

kei-

neswegs, denn auf keinem der zwisclicn Europa und dem Baikal gelegenen Meridiane hat man, bei 52° 16' Breite und 1164 Paris. Höhe über dem Meere, ein Klima beobachtet, welches so kalt wäre w i e das von I r k u z k . — Die meteorologischen Verhältnisse von T r o i z k o i S a w s k blieben zur Prüfuug dieses Resultates sehr wichtig.

Herrn O s t r o w s k j i und Stabsarzt P e t r o w

tfawsk

in

Troizko

verdankte ich einige allgemeine Beschreibungen des Ver-

laufes der hiesigen Witterung, durch welche der Mangel an atmosphärischem Wasser und das Vorherrschen der Meridianwinde über die in dem Parallelkreise wellenden auch für diese Ortlichkeit bestätigt w u r d e ; namentlich sollen Ostwinde zu den seltensten gehören.

Während unsres sechslägigen Aufenthalts wechselten mehr-

mals Südliche Winde mit Nördlichen, und stets w a r der Himmel dunkelblau bei ersteren, und von weifslichercr F a r b e , sobald der Nordwind sich einstellte. Auch wuchs durch diesen Wind so wohl die Feuchtigkeit der Luft oder die Wahrscheinlichkeit eines Niederschlages aus derselben, als auch die Quantität des Wassers, welches die Luftsäule über T r o i z k o iSavvsk enthielt.

Am 20. Fe-

bruar fielen bei NNO -Wind und weifslichem Himmel einige ungemein feine Schneeflocken.

Die Luft an der Erdoberfläche enthielt

aber dennoch nur -f- von dem W a s s e r , welches sie bei der damaligen Temperatur ( v o n — 16° R . ) enthalten k o n n t e ;

der feine

Schnee welcher herabfiel, w a r daher nicht in ihr entstanden, sondern entweder aus grofser Höhe oder aus der Ferne herbeigeweht. Nach den Angaben eines Saussurcschen Hygrometers hätte das Wasser der über uns stehenden

Luftsäule bei blauem Himmel und

S S W . - W i n d e eine Schicht von 1,8 P a r . Linien, und an dem Tage w o es schneite, eine Schicht von 4,8 Par. Linien Höhe auf dem Erdboden bilden können, wenn es vollständig herabgefallen wäre. Im Sommer und in dampfreichercn Gegenden k a n n aber auf dieselbe Weise eine Schicht von e i n e m F u f s Höhe entstehen. Auch hätte es, selbst um jene geringen Erfolge hervorzubringen, einer Erkältung der ganzen Luftsäule von — 20° bis a u f — 27° R., an den ersten Tagen, und von — 16° bis auf — 21° R. an dem andren bedurft. — Längere Reihen von Temperatur-Beobachtungen wa-

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ren bisher noch nicht angestellt worden, und es mufste daher auch hier auf einigen Ersatz durch die Messung der Quellwärme gedacht werden. Am 20. Februar fuhr ich zu diesem Zwecke nach einem der grofsen Wasserbehälter an der Ostseitc von K j a c h t a auf der C h i n e s i s c h e n Glänze, in welchem die Kameele getränkt werden. Es ist dieses ein viereckiger und einige Fufs tiefer Tcicli, und ich glaube wohl, dafs er, so wie man behauptet, durch Quellen gefüllt w i r d , die an seinem Boden entspringen. Zu Temperatur-Beobachtungen waren sie indessen nicht zu gebrauchen, denn ihr Wasser ist durch einen Erddamm gestaut, wclcher in K j a c h t a unter dem Namen des unlern Dammes ( n i . / n a j a p l o t i n a ) bekannt ist, und es w a r daher auch mit einer Eisrinde bedeckt. — Die Gränzlinie, auf der w i r entlang fuhren ist hier, in der Nähe von K j a c h - t a , durch eine Reihe von Spanischen Reitern bezeichnet.

Auf der

C h i n e s i s c h e n Seite derselben sahen wir heute 75 entladene und freigelassene Kameele, welche neben einander die gefroreneu und vertrockneten Gräser begierig abweideten.

Überhaupt geben die

Kameele ein seltenes Beispiel von Duldsamkeit und biegsamem Naturell; sie fürchten die hiesigen strengen Winter eben so wenig wie die dörrende Hitze in den Sandsteppen. Gefährlich ist für sie nur der Wecliscl von Thauwetter und Frost, w e n n er sie in den beschneiteren Gegenden betrifft. Die brüchige und scharfe Eisdecke welche sich dann bildet, soll ihnen die Füfse eben so verwunden, w i e man es in E u r o p a an Hirschcn und Rehen beobachtet. — Die Haarfarbe der hiesigen Kameele seheint eben so grofsen Wechsclo, wie die von andren Ilausthicren unterworfen, namentlich sah ich unter den B u r a e t i s c h c n und C h i n e s i s c h e n in K j a c h t a viele schneeweifse, bei denen dennoch das Pigment der Augen die gewöhnliche Farbe halle, und nicht r o t h geworden w a r , wie ich es nach dem Beispiele der weifsen Mäuse und andrer dem A l b i n i s m u s unterworfenen Thicrarten erwartete. An dem folgenden Tage fand ich andre zu einer richtigen Temperatur* Angabe durchaus geeignete Quellen. ziemlich engen Thale einen Arm des Baches, U s t - K j a c h t a in die

tfclenga

ergiefst.

Sie bilden in einem welcher

sich bei

Eine derselben, welche

in freier Luft aus der Thalwand entspringt, hatte eine Temperatur

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XI. Abschnitt.

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Februar.

0

- j - l ^ R., und dieselbe fand icli auch unterhalb dieser Stelle,

w o die Eisdccke des seichten Baches durch Quellen unterbrochen w a r , welche auf dem Boden entspringen und den Sand desselben sichtlich emporwirbeln. Der Russische Arzt in T r o i z k o i S s w s k erzählte uns beim Abschiede noch viel Rühmliches von seinen Chinesischen Collcgen, welche bisweilen nach M a i m a t s c h e n kommen. Der eine derselben halte einen Russen, den man n u r durch Abnehmen eines Beines rellen zu können glaubte, durch Acupunclur geheilt, und man sieht daher dafs dieses Mittel nicht nur in der

Barabinzischen

Steppe gegen die ¿ S i b i r i s c h e Pest, sondern auch bei den gelehrten M o n g o l e n früher als in Europa gebräuchlich w a r .

Ein andrer

C h i n e s e soll eine Halsentzündung geheilt haben, nachdem sie die Russischen Ärzte bereits für tödtlich erklärt hatten.

Es geschah

durch Einflöfsung eines Trankes, dessen Beschaffenheit leider unbekannt geblieben ist. Von den Iiolothurien, welche wir beim ¿ S ' a r g u t s c h e i gegessen hatten, ist noch zu erwähnen, dafs sie liier mit Unrecht auf Russisch k a r a k ä t i z a genannt w e r d e n , denn diesem W o r t e zufolge müfstc man sie für Sepien halten. Dieser Irrthum ist aber K j a c h t a e r Kaufleuten leicht zu verzeihen, da sie von Mollusken höchstens die des O c h o z k i s c h e n Meeres lebend und aus eigner Ansicht k e n n e n , während ihre M a i m a t s c h c n e r Nachbaren auf den Mar i a n c n-Inseln für ihre Tafeln fischen lassen. Man erkannte diesen entfernten Ursprung an den getrockneten Iiolothurien, welche ich aus den hiesigen Küchen erhielt. Sie waren wie die Glieder eines Halsbandes mittels eines braunen Strickes verbunden; dieser aber bestand aus der B a s t h ü l l e v o n K o k o s n ü s s e n ,

welche w o h l

nur auf diese einzige Weise nach ¿ S i b i r i e n gelangen.

Die eiför-

migen Thicre sind in der Richtung ihres kleinsten Durchmessers durchbohrt, so dafs sie ihrer Länge nach parallel neben einander liegen.

Diese Durchbohrung und der Strick, welcher sie ausfüllt,

hat gegen 5 Linien im Durchmesser, und das Thier selbst, im getrocknetem Zustande nur 7 Linien Breite und 2 Zoll Länge.

Die

lebenden Individuen sind aber ungleich gröfser, und auch bei den getrockuelcn verdoppelt sich jede ihrer Dimensionen, w e n n man

X I . Abschnitt. sie in Wasser aufweicht.

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Februar.

Durch anhaltendes Kochen erhall, man

aus ihnen eine sehr wohlschmeckende und voluminöse Gallerte, welche von den anhängenden Bestandteilen des Meerwassers oder von denen des Thieres selbst stark gesalzen und durch das braune Pigment der äufsern Haut etwas gefärbt ist.

Das zurückbleibende

Muskelfleisch ist zähe und an Geschmack dem Kalbfleische ähnlich. [ F e b r u a r 22.]

Wir verliefscn T r o i z k o i S a w s k gegen 9

Uhr Morgens, und fuhren auf Rädern schnell bergab bis U s t k j a c h t a . Erst dort erhielten wir wieder unsre Schlitten, und blieben 50 Weist weit bis M o n a c h ö n o w a auf dem Eise der ^ e l e n g a , deren breites Thal an seiner linken oder westlichen Seite von schroffen und vielfach gespaltenen Felsen begränzt ist. In dem Postliause von M o n a c h ö n o w a fanden wir vier Lamen

oder

Buraetischc

Priester,

die uns

Griifse

und emfe

Einladung von ihrem Oberhaupte, d e m C h a m b a l a m a , überbrachten.

Aufserdem war uns, auf Veranlassung des U d i n s k e r Land-

Sel e n g i n s k bis hierher entgegengekommen, um uns heute und bei dem Besuche am folgenden Tage als Dollmelscher zu dienen. Die L a m e n trugen spitze Hüte von hellgelbem Zeuge und weite Oberröcke aus scharlachrothem Tuche. Mit dieser prachtvollen und eleganten Kleidung vereinigten sie einen stattlichen Wuchs und eine so kräftige und gewandte Haltung, dafs man sie in E u r o p a wohl eher für Krieger als für Geistliche gehalten haben würde. — Die hiesigen Russen sagten, dafs es kaum eine B u r a c t i s c h e Familie gäbe, von der nicht wenigstens e i n Mitglied zur Priesterschaft gehöre. Sie erzählten uns auch von der strengen Ascctik, welche die Lamen geloben. Dafs sie der Ehe und jedem Umgange mit Frauen entsagen, wurde uns auch bei spätem Nachfragen bestätigt. Hier behauptete man aber aufserdem, dafs ihnen auch alle geistigen Getränke streng verboten seien. Gegen uns bewiesen sie eine uneigennützige Würde, denn drei dieser Abgeordneten, welche schon am heutigen Abend zum C l i a m b a l a m a zurückkehrten, verzichteten sehr entschieden auf einige Geschenke, die wir ihnen aus Erkenntlichkeit für ihre Bemühungen anboten; rathes, ein Unteroffizier der T u n g u s i s c h e n Kosacken von

*) Vergi. Naturhistorischer Atlas pag. 31.

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sie antworteten, dafs sie als Vertreter des höchsten Priesters keine Gaben annehmen könnten. — Auch unser Dollmetscher w a r ein Mann von Würde und Anstand. Er sagle mir, dafs er zu der T u n g i j s i s c h e n Herrscher-Familie der G a n t i m u r gehöre, deren fürstliches Geblüt von P e t e r d e m G r o f s e n anerkannt und sanctionirt worden sei. Die Anhänger von T s c h i g e m ü n c beginnen ihr Jahr mit dem Monate, welchen sie nach dem Panther ( B a r s , auf R u s s i s c h und auf M o n g o l i s c h ) benennen. Er fällt mit dem w e i f s e n M o n d e der C h i n e s e n zusammen, und sollte nun am folgenden Tage, in der Steppe in die man uns einlud, durch einen feierlichen Gottesdienst begangen werden. W i r blieben daher während der Nacht in M o n a c h ö n o w a , wo ich einige astronomische Beobachtungen anstellte. Die Luft war auch in dieser Nacht s o rein und durchsichtig, wie man sie nur in der hiesigen Gegend findet. [ F e b r u a r 23.] Um 8 Uhr Morgens waren alle Vorbereitungen für unsre Reise zum C h a m b a l a m a getroffen. Der Weg, den wir durch die westlich von hier gelegene Steppe zu nehmen hatten, ist für Schlitten durchaus unfahrbar, und man brachte uns daher zwei Tilegen oder hölzerne Postwagen von derselben Art, wie die von U s t k j a c h t a . Ich zog es vor zu reiten, und der L a m a welcher noch bei uns geblieben w a r , der Fürst G a n t i m u r und ein R u s s i s c h e r Bauer von M o n a c h ö n o w a , dem das Gespann der Tilegen gehörte, waren gleichfalls zu Pferde. Unsre Sättel und Zaumzeuge waren mit Stahlknöpfen reich verziert, und die Pferde von B u r a e t i s c h e m Schlage zeigten sich auch hier so feurig, wie wir sie früher gesehen hatten. — Wiederum war der Himmel dunkelblau und ohne Spur von Bewölkung und die Luft in völliger Ruhe. M o n a c h ö n o w a liegt auf dem etwas erhöhten linken Ufer eines schwachen Zuflusses zur ¿S*e 1 c n g a , welcher, gegen NNW. von hier, in dem sogenannten Gänsesee ( g u i i n o c o s e r o ) entspringt. Die Wohnung d c s C h a m b a l a m a soll sich nahe an der Südseite dieses Sees befinden. — Wir ritten zuerst steil abwärts auf das Eis des genannten Flusses, der stellenweise mit einigem Schilfe umgeben ist. In der trockenen Jahreszeit soll er gänzlich verschwinden. Wir folgten ihm gegen N W . , dann wandte sich der

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Eisspiegel gegen N., und w i r nach Westen in die Sicppc. Vor uns lag nun eine völlig wagercchtc und w e i t ausgedehnte Ebne. im W . und S W . ist sie von hohen und blauen Bergen einer Mauer umgeben.

Nur

wie mit

Mit runden Gerollen, die nur seilen faust-

grofs, meist aber weit kleiner sind, ist der Boden dicht besäet. Sie bestehen aus schwarzbraunem Feldspathporphyr w i e die Berge bei Mo n a ch 6110 w a .

Oft sind die Stücke sehr porös, und mögen

wohl einen Übergang machen zu den wahren L a w e n , welche, nach Herrn O s t r o w s k j i , in dem westlichen Gebirge an einem um 30 bis 40 W e r s t von dem Sitze des Chamba lama entfernten P u n k t e vorkommen. — An den Abhängen der blauen Berge sahen w i r Schnecstreifen, aber rings um uns w a r der Boden der Ebne völlig nackt.

Zwischen den Steinen standen dürre und gelbgo,wordene

Kräuter, von denen sich die P f e r d e , Kühe, Schaafe und Kameele im W i n t e r ernähren.

W i r sahen viele Pferde - Ileerden auf der

weiten Ebne umherstreifen.

Sie flohen scheu w e n n sich unser

lärmender Zug ihnen näherte, und auch von ihren Besitzern w e r den sie nur mit der Wurfschlinge gefangen. — Die Kameclc vermeiden die besuchten Gegenden der Steppe. An vielen Stellen w a r das Erdreich von tiefen Frostspalfen durchsetzt, die sich in vcrscliiednen Richtungen

durchkreuzten.

Ähnliche hatte ich schon früher in dem schneelosen Thale zwischen T r o i z k o i S a w s k und K j a c h t a , und b c i O b d o r s k i n den trokkenslen Stellen der hohen O b i u f e r gesehen. (I, 1. S. 648.) W i r ritten schnell über das günstige Terrain. — Der L a m a halte die Untcrenden seines langen Rockes um die Knie gewanden, nnd w a r nun beim Gallopp und Carriere stets der Erste im Zuge. Er führte sein Pferd mit grofser Gewandtheit; auf anziehende W ; eise schienen liier Gelehrsamkeit und geistige W ü r d e mit ritterlicher Tugend vereinigt, und der Sattel eine uncrlüfslichc Stufe zur Bildung. — G a n t i m u r sagte dafs w i r 24 W e r s t zurückgelegt hätten, als unser geistlicher Begleiter nach Westen auf das Haus des C h a m b a l a m a und die Tempel und Kapellen zur Seite desselben deutele. — Die letzte W e r s t w u r d e nun in geschlossner Reihe zurückgelegt, während unsre W a g e n mit lautem Gepolter und klingelnden Glocken am Krummholze folgten. Dann hielten wir in der sonderbarsten Umgebung, an der Spitze

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eines Zuges von Männern, die w i e ein Baumgang in zwei parallen Reihen, den W e g zu dem Hause des hohen Priesters besetzten. Es waren L a m e n die alle e i n e r l e i s c l i a r l a c h r o t h e d e r und andern farbigen Kleiderschmuck trugen.

Gewän-

Bunte Wimpel

und gröfsere Fahnen w e h t e n in Menge zwischen den Reihen. Die Pracht dieser Farben auf dem Hintergrunde glänzender Schneeberge und des lazurblaucn Himmels der S a b a i k a l i s c l i e n Gegend werde ich niemals vergessen. Als w i r abgestiegen und zwischen die Reihe der Priester getreten waren, begann eine eben so erschütternde als seltsame Musik.

Ein jeder der L a m e n trug dazu bei, und w i r sahen nun zwi-

schen ihnen riesige P a u k e n , die auf vierrädrigen Wagen ruhten, 10 Fufs lange kupferne Tubae, deren vorderes Ende von dem Blasenden einem vor ihm stehenden Manne auf die Schulter gelegt wurde, Horner von alleil Gröfsen und Formen, erzne Scheiben und Glokken, die mit Klöppeln geschlagen wurden, Becken, Ilolztrommeln, hölzerne Klappern und viele andere Instrumente. W i e bei der C h i n e s i s c h e n Musik, so folgte auch hier auf ein Andante von Bafshörnern und Pauken ein bachantisches Allegro aller Instrumente. Aber das M a i m a t s c h e n e r Concert erschien höchst kleinlich im Vergleich mit dem hiesigen, bei welchem das ernste Vorspiel der Blas-Instrumente einem brausenden Orkan und das Chor der Erzscheiben, Holztrommeln u. a . , dem Gerassel eines einstürzenden Berges glich. Zwischen den Reihen der musizirenden Priester empfing uns der designirle Nachfolger des C h a m b a l a m a .

E r entschuldigte,

dafs der heilige Mann uns wegen Altersschwäche nicht empfangen k ö n n e ,

selbst

und die Wahrheit dieser Angabe zeigte sich

bald, als wir den C h a m b a l a m a auf der Treppe seines hölzernen Hauses begrüfsten.

Er war so außerordentlich beleibt, dafs ihm

jede Bewegung schwer werden mufste, aber trotz dieses materiellen Äufsern hatten die Züge seines dunkelbraunen

Gesichts und

seine ernste Würde das Gepräge humaner Bildung.

Auch er trug,

wie alle ihm untergebenen Lamen, ein Gewand von scharlachrothem Tuche. — W i r setzten uns neben den höchsten Priester in einem seiner W o h n z i m m e r , in welchem sich mehrere nicht unelegante hölzerne Schränke und einige C h i n e s i s c h e Polsterstühle befanden.

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Mit G a n t i m u r s Hülfe, der uns als Dollmetscher diente, begann dann eine sebr angenehme Unterhaltung. Auf meine Frage nach dem Verliältnifs der hiesigen B u r a e t i s c h e n Religion zu dem Buddhaismus, welchen die E n g l ä n d e r auf C c i l o n und in N e p a l vorgefunden haben, und zu der Religion der C h i n e s e n antwortete der C h a m b a l a m a , dafs ihr hiesiger T s c h i g e m u n e - Dienst dem B u d d h a i s m u s der I n d e r völlig gleich sei. Ganz verschieden sei aber T s c l i i g e m u n c s Religion von der Fo'i sehen in C h i n a . Als Gegenstand ihres hiesigen Kultus nannte er auch die Mutter von T s c h i g e m u n e , entgegnete aber auf meine Aufscrung, dafs sie daher mehr als eine Gottheit anzuerkennen schienen, dieses sei durchaus nicht der Fall. Die B u r c h a n e n , deren Bilder sie in ihren Tempeln aufstellen, seien, wie die Heiligen der G r i e c h i s c h e n Kirche, nur Lehrer und Vorbilder der Menschen. Ich fragte darauf, ob sie auch C o n f u t s e für einen solchen hielten, und empfing eine verneineude Antwort. Der C h a m b a l a m a schicn sogar diesen C h i n e s i s c h e n Weisen gar nicht zu kennen. — E r sagte uns ferner dafs die B u r a e t e n welche sich zum Priesterstand bestimmen, schon als Kinder in die Jurte eines L a m e n gegeben und von demselben im Schreiben und im Lesen der heiligen Bücher unlcrrichlct werden. Diese Bücher haben sie aus T i b e t erhalten, eben so wie säinmtliche Religions-Lehrcn und Gebräuche. Ihre gottcsdicnstliche Sprache nannte er Tangutisch, und sagte, dafs sowohl die Worte als auch die Schriftzeichcn derselben von denen der B u r a c t e n und übrigen M o n g o l e n durchaus verschieden seien; namentlich werde das Tangulische in horizontalen, das currcnte Mongolische aber in vertikalen Reihen geschrieben. Religiöse Gesänge und andre in dieser heiligen oder Gclehrten-Sprachc abgefafste Schriften werden indessen in den J u r t e n der hiesigen Lamen mittels hölzerner Tafeln nachgedruckt. — Die B u r a c t i s c l i e Priesterschaft zerfalle in eine Menge von Graden, deren obersten der D a l a i l a m a in Tibet einnehme. Von den hiesigen Lamen sei nur dem C h a m b a und dem L a m a vom nächst folgenden Grade erlaubt alle vorliandnen Bücher zu leseu. Einige dieser Bücher stehen dagegen auch den L a i e n welche Geschmack daran finden, zu Gebote. Der C h a m b a l a m a bestätigte sodann unsre Fragen nach der II. Baud. 11

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strengen Ascelik, der sich die Priesterschait unterwerfe, bestrafte mich aber mit einer unwilligen Miene, als ich das Gelübde der Ehelosigkeit für ein sehr unbequemes erklärte. — Ich erfuhr später von den R u s s i s c h e n Nachbarn des hohen Priesters, dafs man ihn eines heimlichen Liebes - Verhältnisses beschuldige, und er mag daher meinen unzeitigen Scherz für eine Anspielung gehalten haben. Man vermuthete sogar dafs der designirte Nachfolger, den er für einen Neffen ausgab sein Sohn sei, und eine sehr auffallende Ähnlichkeit beider Männer, so wie eine starke Neigung zur Beleibtheit bei dem jüngern, schienen dieser Ansicht nicht ungünstig. Der zukünftige C h a m b a l a m a war schon bei Lebzeiten seines Vorgängers ernannt, und wohnte mit diesem bis zu dessen Tode unter demselben Dache. Ein Glaubens - Artikel der B u r a e t e n , nach welchem die Seele des C h a m b a l a m a in seinem Nachfolger übergeht, so dafs dieser Geistliche dieselbe Art von Unsterblichkeit besitzt wie sein höchstes Oberhaupt in T i b e t , erhielt hierdurch eine fafsliehere Bedeutung. Wir sprachen noch von den kosmographischcn und astronomischen Vorstellungen der M o n g o l i s c h e n Geistlichkeit, und zwar gab der C h a m b a l a m a selbst dazu Veranlassung, weil er gehört hatte, dafs wir reisten um den Himmel zu beobachten. Mit unsrer Angabe, dafs die Sterne still stehen und die Erde sich bewege, war er theilweise einverstanden, denn obgleich die Erde von den B u d d h a i s t c n ruhend und auf dem Rücken eines Eleplianten gedacht wird, so haben sie doch, eben so wohl wie wir, die tägliche Bewegung des Himmels für eine nur scheinbare erkannt. Sic halten nämlich die Fixsterne für unbewegliche und unveränderliche Lichter, von denen wir Menschen nur Abspieglungen in einem flicfsenden Wasser, welches die Erde umgäbe, gewahr werden. Nur die Bewegung dieses Wassers sei es, welche den Spiegelbildern der ruhenden Sterne eine scheinbare Bewegung ertheile! Wir enthielten uns jeder Polemik gegen diese uns unklare Vorstellung, und fragten den C h a m b a lama was er von den Überschwemmungen denke, welche die Erde erlitten haben solle. Er erwiederte, dafs die T a n g u t i s c h e n Bücher vieler, theils vergangener, theils noch zn erwartender Kataklysmen erwähnen. Von einer Person welche dergleichen Ereignisse überlebt hätte, wie

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N o a h oder D e u k a l i o n , wufste er Nichts, auch schien er sich nicht zu freuen, als ich ihm die Versteinerungen, als Bestätigung der B u d d h a i s t i s c h c n Lehren anführte, denn es erfolgte nur zur Antwort, dals er dergleichen Fische in den Felsen nicht gesehen und auch in seinen Büchern Nichts davon gelesen habe. Unser Gespräch wurde durch den Anfaug des Gottesdienstes in dem nahe gelegenen Haupltempel unterbrochen. Der Nachfolger des C h a m b a l a m a begleitete uns zu dieser Feier, welcher der höchste Priester n i c h t beiwohnte. Die heiligen Gebäude befinden sich sämmtlich auf einem grofsen Hofe, der mit einer einfachen hölzernen Umzäumung und mit Thorwegen in derselben versehen ist. Der Haupttempel liegt in der Mille dieses Raumes, und ringsum ihn dreizehn kleinere Gebäude, in denen theils religiöse Ceremonien vollzogen, theils die dazu gehörigen Apparate aufbewahrt werden. Alle diese Häuser sind aus Balken gezimmert. Sie bestehen meistens aus einzelnen Abtheilungen von verschiedner Höhe, über denen sich ohne Einheit und Ebenmaafs ein Gewirre von pyramidalen und vielfach gebrochenen Bretterdächern erhebt. Der Grundrifs des Haupttempels bildet ein Rechteck, dessen längere Seiten von aufsen mit einer Säulenhalle versebn sind. Einige Stufen führen zu den erhöhten Fufsboden dieser Halle und eine gröfsere und überdachte Treppe an der schmalen Südseite des Gebäudes in das Innere desselben. Wir traten von dieser Treppe zuerst in ein quadratisches Vorzimmer mit mancherlei buntem Schmucke und dann in eine fast gothische Kirche. Ein breites Schiff in der Mitte derselben ist an jeder seiner Seiten durch zwei Säulenreihen von einem niedrigem Scitcngange getrennt, und über dem Mittelpunkt der Kirche erhebt sich das Hauptschiff zu einer hohen und platt gedeckten Kuppel. Die viereckigen Säulen tragen breitere Kapitale von derselben Form mit geschnitzten und bemalten Verzierungen, und viele Hunderte von Gemälden hangen an den Seitenwänden des Tempels, in der Kuppel und an der nördlichen W a n d , vor welcher sich aufserdem der Hochaltar und der Opfertisch befinden. Durch mehrere Fenster in den Seitengangen war der Tempel vortrefflich beleuchtet. 11 •

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Mit Woilok bcdecktc Bänke befinden sieb zwischen den Säulen einer jeden der vier Reiben; am Nordende der zwei mittleren Reiben vier höhere Polster, und zu jeder Seile des Hochaltars an der nördlichen Wand ein thronarligcr Sitz unter scidr.cm Baldachin. — Alle diese Räume waren, als wir eintraten, mit Priestern erfüllt. In den Scitengängcn salscn die niederen Lamcn dicht neben einander gedrängt, in dem Hauptschiffe die höheren, und auf den Polstern am Nordende desselben die Priester, welche bei dem Rituale ein ausgezeichnetes Amt bekleideten. Nur e i n e r der überwölbten Sitze war leer, er war für den C h a i n b a l a m a bestimmt; unter dem andern Baldachin safs ein Priester, den sie zord^'a l a m a nannten. Er übersieht die Reihen der übrigen Geistlichkeit und ordnet die Feier durch Zeichen. Auch hief waren a l l e Gewänder von s c h a r l a c h r o t h e m T u c h e , alle Kopfbedeckungen von s c h w e f e l g e l b e m Z e u g e , jedoch nach den Graden der Priester von verschicdnem Zuschnitt. Die vornehmen Lamcn hatten Hüte welche wie getreue Nachbildungen eines antiken Helmes erschienen. Über dem Scheitel haben sie eine kammartig genähte Krause und reichen tief über den Nakken mit einer Krempe, welclic ihre convexe Seite nach unten kehrt. Die Hüte der niedern Geistlichkeit haben dagegen kreisrunde Krempen ringsum den Kopf und über demselben einen spitzen Kegel wie bei dem B u r a e l i s c h e n Volke. Der Gottesdienst begann mit Musik, zu deren Ausführung von 200 Lamen ein Jeder das Seinige beitrug. Hier waren die tönenden Werkzeuge noch mannigfaltiger, als bei unserm Empfange. Die ungeheuren Tuben, die erznen Hörner, die Pauken und Mctallschcibcn waren auch jetzt im Gebrauch, aber aufserdem bliesen Mehrere auf riesigen Mccrsclinccken ( T r i t o n i u m y a r i e g a t u m C u v . ) , mit denen die Bewohner der Südsccinseln das Signal zur Kriegsrüstung geben. Viele andre schlugen Becken von verscliieduer Gröfse, die sie an Riemen um den Hals trugen. Auch bemerkte ich in einer der hinteren Reihen an der Westseite des Tempels einen Lamcn, der ein Glockenspiel gebrauchte. Es bestand aus einem viereckigem hölzernen Rahmen, dessen Ebne senkrecht stand. Drei übereinander liegende Schnüre waren in ihm und parallel mit seiner Grundfläche gespannt, und an jeder derselben hin-

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gen drei Glocken, die von dem Priester mit Klöppeln gcschlagen wurden. Nur die L a m e n auf den Polstern in der Nähe des Altars waren ohne musikalische Bewaffnung. Beim Beginne der Feier sangen diese, oder recilirten vielmehr mit tiefer Bafsstimmc in langsamen Takte und versartigen Absätzen Gebete, welche mit Instrumental-Musik begleitet wurden. Die Tuben und tieftönenden Hörner herrschten vor bei diesem ernsten Recitative, bis dafs nach beendigter Strophe alle Lamen einstimmten zu einem fröhlichen und unbeschreiblich krüftigen Chor. A l l e zugleich recitirten nun silbenweise in kurz abgestofsenem Takte, und zwischen je zwei Silben liefs ein jeder einen eben so kurz abbrechenden Ton seines Instruments erschallen, als solle in dem dithyrambischen Gesänge dennoch der Werth jedes Wortes hervortreten- Von dem Klange der Stimmen und des Erzes erzitterte das Gebäude. Dergleichen Rcsponsorien oder Wechsel des Gesanges wiederholten sich oft, und zum Einstimmen des Chores gaben die obera Lamen, eben so wie es bei den Katholiken üblich ist, ein Zeichen mit kleinen Glocken, au deren Handgriffe sich ein gekröntes Heiligenbild befindet. Vor dem Z o r d / a l a m a lag, um die Haupt-Abschnitte des Dienstes zu bezeichnen, eine kleine gestielte Trommel, die mit klappernden Körpern gefüllt ist. Das eigenthümliche Rasseln dieses Instrumentes übertönte deutlich alle audern. Auch führte der Z o r d / a l a m a zu demselben Zweck einen kurzen erznen Stab mit eiförmigen und verzierten Enden. Er hielt ihn in der Mitte umfafst wie einen Marschallsstab, und schien durch Bewegungen desselben den zunächst sitzenden Priestern Winke au geben. Während einer Pause im Gesänge nahm einer der vornehmeren lamen eine Schale mit Getraide von dem Opfertischc vor dem Altare; er schritt damit durch die mittlere Ablheilung des Tempels, und gab jedem der dort Sitzenden eine Hand voll Körner. Dann begann von Neuem Musik und Gesang, und nach einigen Strophen warfen Alle zugleich das Gclraidc in die Luft, so dafs es in breiten Bogen liiuabficl, als gälte es ein Fehl zu besäen. — Das Gclraide diente dann noch zu einer andern symbolischen Handlung. Mehrere Priester hielten nämlich einer hinter dem andern

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einen Umgang durch das mittlere Schilf und durch die östliche Abtheilung des Tempels, indem sie sich einzeln vor dem Opfertische verneigten und die Getraidescliale mit der Stirn berührten; dann blieb Jeder von ihnen vor einem der sitzenden Lamen stehen und empfing von ihm wiederum aus einer andren Schale eine Iland voll Körner. — An ein C h r i s t l i c h e s Abendmahl wurde man beim Anblick dieser Cercmonie lebhaft erinnert, und die Ähnlichkeit wuchs bis zur Täuschung durch den feierlichen Gesang, mit dem die Lamen ihren Umgang durch die Kirche begleiteten, und der von einem unsrer alten Chorale kaum zu unterscheiden war. Bei allen diesen Theilcn der heiligen Handlung hallen die obenan sitzenden Lamen ihre helmförmigen Hüte hinter sich über ihren Polstern gehängt; gegen das Ende bedeckten sich aber Alle und führten so einen ernsten und ergreifenden Schlufsgesang aus. Die L a m e n tragen keine Zöpfe wie die weltlichen B u r a e t e n , sondern 6cheerca das Haar vollständig an allen Stellen des Kopfes. Männer und Frauen der B u r a e t i s c h e n Gemeinde, welche dieser zahlreichen Priesterschaft unterworfen ist, nahmen an dem Gottesdienst durchaus keinen thätigen Antheil. Sie standen in mehreren Reihen hinter einander längs der schmalen südlichen Wand des Tempels, in der sich der Eingang befindet. Die Frauen und Mädchen waren äufserst prächtig und durchaus gleichartig gekleidet. Alle trugen Röcke von kornblumfarbigem Seidenzeuge, und um die Stirn und in den Haarflechten die kostbaren Binden aus M a l a c b i t k u g c l n , e d l e n r o t h e n K o r a l l e n und P e r l m u t t e r , wclche ich schon früher erwähnt habe. ( S . 103.) Während des Gottesdienstes hatte jedes Mitglied der Gemeinde die H ä n d e g e f a l t e n , genau so, wie es in Christlichen Kirchen üblich ist. Erst als die Feier beendet war und die Lamen den Tempel verlassen hatten, gewann das Auge Ruhe, um Einzelnes von der unglaublich bunten und sinnverwirrenden Ausstattung des inneren Raumes zu unterscheiden. Über dem Altar am Nordende des Mittelganges hangen unter einem Thronhimmel von Seideuzeuge die Bilder von T s c h i g e m u n e , von der Mutter dieses Burchan und von einigen andern Heiligen.

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Dann folgt ein Vorhang und zwischen diesem und der 6chmalen Wand des Gebäudes liegen Tausende von T a n g u t i s c l i e n Büchern vom Fufsboden bis zur Decke über einander gehäuft. Jedes derselben besteht aus losen Blättern, die zwischen zwei Brettern gebunden und mit buntem Zeuge umwickelt 6ind. — Auf dem Altäre brannten heilige Kerzen aus B u t t e r m i t b a u m w o l l e n e m D o c l i t c , und wie in den M a i m a t s c h e n e r Tempeln, so steht auch hier vor diesen Lichtern ein hölzerner Trog, in welchem sich die Asche des Dochtes sammelt. Neben diesem glimmten C h i n e s i s c h e Rauchkerzen (S. 110), und in besondern erznen Gcfafsen vieles andre Rauchwcrk. Broncene Schaalen mit geweihtem Wasser, wie wir sie auf dem Haus-altarc einer B u r a e t i s c h e n Jurte gesehen hatten, befanden sich zwischen den Lichtern. Auf einem besondren Tische vor dem Altare lagen die Opfer. Die früher erwähnte Schaalc mit Getraide enthielt auch den geflügelten Samen eines Platanus und andre Kräuter der Steppe. Sodann aber waren aus Butter grofse Blumen und andre zierliche Bildwerke geformt und als Opfer dargebracht. Vergeblich hätten wir wohl versucht die Bedeutung der Heiligenbilder zu errathen oder zu erfragen, mit denen die Wände ringsum bcdcckt sind. W i r sahen tlicils allegorische und nur halbmenschliche Figuren mit Flügeln, Thierköpfen, vielen Paaren von Armen, und andrem ähnlichen Beiwerk, theils anbetende Menschen mit gefaltenen Händen und untergeschlagenen Beinen sitzend. Diese trugen alle die einfach kegelförmige M i t r a der I n d e r , deren sich unter den hiesigen Lamen nur der C h a m b a bedient, und e i n e n r i n g f ö r m i g e n H e i l i g e n s c h e i n um das Haupt. Auch in dieser Allegorie fanden wir ebenso unwillkürlich, wie in vielen Einzelheiten des Rituales, eine äufsere Ähnlichkeit der B u d d h i s t i s c h e n M y t h o l o g i e mit der k a t h o l i s c h e n Legende. Aber nur das Studium der Tangutisclien Bücher wird entscheiden, ob inan hier an einen frühzeitigen Einflufs N e s t o r i a n i s c h e r C h r i s t e n auf die M o n g o l i s c h e n Völkerschaften zu denken habe, oder an den benachbarten Ursprung beider Religionsbekenntnisse und die vielfachen Wege, duich welche S ü d A s i a t i s c h e Tradilionen und Gebräuche auch in späteren Zeiten nach E u r o p a gelangen konnten. Den Heiligenschein würden unsre Maler vielleicht lieber durch

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cino Anscliliefsung der B y z a n t i n i s c h e n Schulc an B u d d l i a i s t i s c h c Heiligenbilder erklären, als dafs sie in i h m , so wie es bisher geschah, eine Nachbildung des n i m b u s sähen, mit welchem Bildhauer des klassischen Altcrthumes den Kopf ihrer Statuen gegen Vogelexcrementc verwahrt haben. Besonders auffallend erschien mir noch, wegen ihres häufigen Vorkommens, eine Darstellung welche auch den

Russischen

Kennern der Mongolischen Sprachen und Sitten entgangep, zu sein scheint.

Im Hintergrunde des Tempels hangen an Schnüren von

der Decke herab und dicht neben einander eine außerordentliche Menge von Tafeln, die in Gestalt eines Kopfes ausgeschnitten sind. Jede derselben ist auf genau gleiche Weise mit einem Gesichte bemalt, an dem man einen Hunderachen, zwei

schiefgeschlitzte

Augen und in der Mitte der Stirn einen schwarzen und kreisrunden Flcckcn bemerkte, der entweder die Pupille eines dritten Auges, oder noch wahrscheinlicher ein Stigma oder Wundmal darstellt.

Von dem Kinne des Cesichtes hängt ebenfalls bei jeder Ta-

fel ein Bündel bunter Bänder in Gestalt eines Bartes herab.

Herr

I g u m n o w , den ich später über diese auffallenden Bildnisse befragte, halte sie in den Tempeln nicht bemerkt, aber er bestätigte meine Yermuthung, dafs die M o n g o l i s c h e n Mythen von Wesen handlen, welche an G r i e c h i s c h e Cyklopen erinnern. * ) Noch anziehender als diese Bilder waren eine Menge

von

Süd - Asiatischen Natur - Produkten, denn diese bewiesen auf das Entschiedenste eine noch fortdauernde Verbindung der mit T i b e t und I n d ien.

Lamen

Grofsc Stofszähne von Elcphanten und

riesige Meermuscheln sieht man an vielen Stellen des Tempels aufgestellt, und an den Säulen hangen Felle von Tigern und Leoparden und Büschel von Pfauenfedern. Auch das Eintrittszimmer oder die Vorhalle des Tempels ist erfüllt mit dergleichen Jagdbeute aus wärmern Ländern, unter andern aber stehen d o r t , wie Wächtcr an der Schwelle des Heiligthums, ein vollständiger Tiger und ein Löwe, sehr kunstreich und naturgemäfs ausgestopft.

Wir fragten

* ) Nacli dem H o m e r i s c h e n Mjllius trug der berühmteste unter diesen anstatt des Auges ebenfalls ein Stigma auf der S t i r n , wie die B u d d h a i s t i s c h e n Bilder.

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noch, ehe wir dieses Zimmer verlicfsen, nach der Bestimmung eines auffallenden Apparats in der Mitte desselben.

Ein hohler Cy-

linder von etwa 6 Fufs Höhe ist mit Papier beklebt, mit T a n g u t i s e h e n Gebeten beschrieben und mittels zweier Zapfen um eine senkrechte A x e drehbar. Bunte Bänder und Malereien zieren das obere Ende dieses heiligen Carussels und zwei Ton dem Cylinder hervorragende Arme schlagen bei jeder Drehung einmal an Glocken, welche zu beiden Seiten aufgestellt sind.

Wir erfahren

von dem Lama der uns begleitete, dafs diese Vorrichtung für die unwissenden Laien bestimmt sei, welche die Gebete weder lesen, noch im Gedächtnifs behalten können.

Sic verrichten beim Aus-

gange aus dem Tempel ein verdienstliches W e r k , wenn sie die heiligen Zeichen in Bewegung setzen, und zählen durch Glockenschlage die Beweise ihres Eifers.

Diese aber erinnern an die bei

den Katholiken vorkommende Anwendung des Rosenkranzes ohne gleichzeitige Aussprache der Gebete.

Die Lamcn selbst bedienen

sich übrigens zur Abzahlung wirklich ausgesprochener Gebete einer Schnur mit 108 Kugeln, welche E r i c h e genannt, und genau wie die Rosenkränze der Christen mit der rechten Iland gehalten und mit der linken bewegt werden. Von den Neben-Gebäuden, welche den Haupttempel umgeben, besahen wir nur eines.

Es enthielt einen verdeckten Wagen in

welchem, wie man uns sagte, das Bild von T s c h i g e m u n e s Mutier an besondren Festtagen gefahren wird. Sieben hölzerne Pferde stehen auf einem mit Rollen versehenen Brette als Gespann dieses Fuhrwerks.

Sie sind durch hellgrüne Färbung entstellt, sonst aber

mit einer Treue gearbeitet, die auch anerkanntem Künstlern zur Ehre gereichen würde. Ihre Stellung und Anspannung sind genau so wie es bei den R u s s e n üblich ist, und ohne Zweifel haben Fuhrwerke ihrer Nachbaren den B u r a e t i s c h e n Bildhauern als Muster gedient.

Das mittlere Pferd, welches in der Gabel und un-

ier dem Krummholzc geht, ist von natürlicher Gröfse und hat zu jeder Seite drei an Höhe abnehmende, so dafs das äufscrsle derselben nur den vierten Theil der Lcbcnsgröfse besitzt. — Am Krummliolze hat man sogar, komischer Weise und um die Mutter des Gottes zu ehren, die Glocke angebracht, welche als Unterscheidungs- und Ehrcn-zcichen der Kaiserlichen Postfuhren gilt! — Wir waren aber

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keineswegs aufgelegt den uralten Tibctisclien Kultus zu vcrlachen, denn moclitcn w i r auch in Einzelnem geschmacklose Entstellungen durch die Lameu wclche davon leben, vermutheu, so fühlten w i r uns doch tief ergriffen von dem Gesänge und der unvergleichlichen Musik in dem Tempel und durch die heiligen Ceremonien, in denen w i r eine uralte Verwandtschaft mit den Symbolen des Cliristenlhums ahneten. W i r kehrten dann zurück in das Ilaus des C h a m b a l a m a , w o sich mit uns zugleich einige junge B u r a e t i n n e n mit ihren Töchtcrn einfanden, wclche dem Gottesdienste beigewohnt hatten. D e r Priester winkte den Kindern und reichte ihnen die Hand zum Kusse. Die Frauen blieben andächtig an der Thure des Zimmers und beurlaubten sich dann mit ehrfurchtsvollem Grufse aus der Ferne. — Der C h a m b a l a m a verlangte sodann in meinem Tagcbuchc, welches ich eben in der Hand halte, unsre Schriftzeichcn zu sehen, und schrieb mir in dasselbe zum Andenken seinen Titel und Namen mit M o n g o l i s c h e r Cursivschrift. Sie bestehen aus 17 W o r t e n , wclche drei sich von der L i n k e n gegen die R e c h t e d. h . nicht wie in den Chinesischen Schriften, folgende Vertikal-Columnen bilden. Jede Columne wird aber, eben so wie bei den Chinesen, von oben nach unten gelesen. Die Handschrift des hohen Priesters, der an dem Gebrauch des Bleistifts nicht gew o h n t sein mochte, ist so unleserlich ausgefallen, dafs Herr Schott nur den Anfang derselben, nämlich: Baighal d a l a i - j i n emiine dazung-ot-un entziffert, und durch: Von den im Süden des Meeres Baikal g e l e g n e n T e m p e l n erklärt hat. — Der C h a m b a halte sich mit einer grofsen goldnen Medaille geschmückt, welche i h m , so wie vielen Häuptlingen der S i b i r i s c h e n Bundes Völker von A l e x a n d e r I. verliehen wurde. Auch jetzt äufserte er die loyalsten Gesinnungen, und bat uns, als es zum Abschiede ging: „bei unsrer Rückkehr nach P e t e r s b u r g „ d e m Kaiser zu sagen, dafs auch die B u r a e t c p eifrig und so gut „als sie es verstehen zu Gott beten." Ich hatte gewünscht, ehe w i r die Steppe verliefsen, die in derselben weidenden Kameelheerdcn aufzusuchen; denn die Brunstzeit halte jetzt begonnen, und mau durfte daher hoffen, ihre Be-

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gatlnng zu Beben, welche nur noch wenige Beobachter gefunden hat. Meine Begleiter verweigerten aber den beträchtlichen Umweg der hierzu nötliig sein sollte, und wir kehrten vielmehr, weil es schon dunkel wurde, in gestrecktem Galopp nach M o n a c h ö n o w a zurück. W i r hatten nun die Pferde erhalten, welche früher in die Tilegen gespannt waren, aber dennoch wurden ihre Sprünge leicht und sicher, als wir sie, auf G a n t i m u r s Vorschlag, mit möglichst losen Zügeln ritten. [ F e b r u a r 24.] Von M o n a c h o n o w a fuhren wir am Abend noch 15 Werst weit nach ¿ ' c l c n g i n s k , und blieben daselbst während der Nacht. Am Morgen begaben wir uns von der Stadt nach dem entgegengesetzten linken Ufer der ¿ P e l e n g a , wo sich seit mehreren Jahren drei Mitglieder der Londoner Bibelgesellschaft, als Missionaire für die B u r a e t e n , niedergelassen haben. Die zwei Holzhäuser welche sie besitzen, haben eine sehr malerische und anmuthige Lage, hart am Fufse der schroffen und zerrissenen Granitfelsen, welche das dortige Thal begränzen. W i r trafen von den Missionairen nur Herrn Robert Y u i l l ; denn seine zwei Landsleute die Brüder S t a n y b r a s , halten sich nach den Steppen am O n o n begeben, um bei den B u r a c t i s c l i e n Nachbarn der C h i n e s e n zu lernen und zu Ichren. — Überhaupt erfuhren wir mit gröfster Freude, dafs man hier die einseitigen Bekehrungs-Versuche der Methodisten so ziemlich aufgegeben hatte, und sich dagegen vorzugsweise mit dem crspriefslicliern Studium der M o n g o l i s c h e n Sprache und Litteralur beschäftigte. Die Engländer schienen sich ein Beispiel genommen zu haben an der weisen Toleranz, die den R u s s e n eigentümlich ist, und welche sie hier neben den gebildeten B u r a e t e n eben so wohl, wie in andren Thcilcn S i b i r i e n s rohem Stämmen gegenüber beweisen. Von R u s s i s c h e r Seite erhalten jetzt die Urvölker keine andre Belehrung, als dafs man sie die Vortheile eines nur mäfsigen und daher für sie nicht abschreckenden Gewerbileifses sehen läßt. Man vergifst aber niemals, dafs den Sprachen und Sitten dieser Völker von der Natur eine ebenso hohe Selbstständigkeit verliehen w u r d e , wie den E u r o p ä i s c h e n , und dafs sie daher nicht ausgerottet sondern beobachtet und erlernt zu werden verdienen. Die « S i b i r i s c h e n Russen haben es sogar in vielen Fällen vortheil-

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Februar.

haft gefunden, sich von den U r v ö l k c r n Gebräuche anzueignen, weil diese durch uralte Erfahrungen mit der Landesnatur in dem nölhigen Einklänge sind. — Es ist leicht zu erachten, daß man von diesem Standpunkte allen direkten Versuchen zu religiöser Bekehrung entsagen und sich auf mündliche oder schriftliche Miltheilung der beiderseitigen Glaubensbekenntnisse beschränken müsse; und wirklich ist Dieses das Einzige, was sich R u s s i s c h e Priester in ¿ S i b i r i e n erlauben. In demselben gemäfsigten Sinne hatte auch Herr J g u m n o w schon im Jahre 1818 zu W e r c h n e i U d i n s k eine Schule gestiftet, in welcher er zugleich die Kinder B u r a e l i s e h e r Häuptlinge oder T a i s e h e n in der R u s s i s c h e n Sprache, R u s s i s c h e Kauflcutc aber im B u r a c t i s c l i e n nnd andren Mong o l i s c h e n Dialekten unterrichtete. So wie alle Unternehmungen dieses ausgezeichneten Mannes war auch diese nur aus eignem Antriebe und aus Liebe zu wissenschaftlicher Erkcnntnifs entsprungen. Seit der Ankunft der Englischen Missionaire halle daher Herr I g u m n o w jene direkten Lchrversuche aufgegeben; indessen schien, wie schon erwähnt, das Beispiel weiser Toleranz auch jetzt noeh günstig auf seine Nachfolger zu wirken. Herr Y u i l l erzählte uns, dais bis jetzt weder er noch seine Landsleute einen B u r a c t e n getauft hätten, auch müssen auf Befehl der R u s s i s c h e n Regierung etwanige Proselyten zur G r i e c h i s c h e n Kirche übertreten. Dagegen halten die eifrigen E n g l i s c h e n Reformatoren zugleich mit der M o n g o l i s c h e n Sprache auch das R u s s i s c h e schon cinigermafsen erlernt, so dafs sie nun versuchten Herrn f g u m n a w s Unterricht fortzusetzen. Einigen Bur a c t e n halle Herr Y u i l l sogar das Lateinische gelehrt, auch sahen wir bei ihm das fertige Manuscript eines L e h r b u c h e s der Geometrie und Trigonometrie in B u r a e t i s c h c r Sprache. Es waren darin viele Rechnungs-Beispiele mit M o n g o l i s c h e n Zahlen geschrieben, so dafs zur Benutzung dieses vortrefflichen Geschenkes nur M o n g o l i s c h e Logarillimentafcln und der Druck des Ganzen fehlte. Herr Y u i l l zeigte uns ferner ein Exemplar des in C h i n a sogenannlen Buchs des Kaisers, welches im 13lcn Jahrhundert zu P e k i n g gedruckt wurde. Es war durch die letzte der R u s s i s c h e n geistlichen -Missionen nach ¿ S i b i r i e n gebracht worden, uud ist eines der voluminöseren, sicher aberdas älteste der söge-

XI. Abschnitt.

1829. Februar.

173

nannten Real-Wörterbücher. Es ist nicht alphabetisch sondern nach logischen Prinzipien in viele ziemlich willkürliche Kapilel geordnet, und enthält neben jedem M a n d / u i s c h e n Worlc das entsprechende M o n g o l i s c h e nebst einer vollständigen Definition in M o n g o l i s c h e r Sprache. Herr Y u i l l w a r nun damit beschädigt ein M o n g o l i s c h - E n g l i s c h e s und ein M a n d / u i s c h - E n g l i s c h e s Wörterbuch aus diesem Werke zu exceipiren. Er halle aber zuvor beträchtliche Miihe auf die Ausarbeitung einer Clavis verwendet, denn nur, nachdem man auf diese Weise die C h i n e s i s c h e Logik eliminirt halte, w a r schnelles Auffinden eines Wortes möglich geworden. W i r erfuhren liier, dafs die Sprache die der C h a n i b a l a m a T a n g u t i s c h nannte, und in welcher alle aus T i b e t herstammenden Bücher der B u r a e t e n verfafst sind, Nichts anderes sei als achtes S a n s c r i t . Es hat sich daher mit den Rcligionslchren auch die religiöse Sprache von C e i l o n nach T i b e t und von dort nach den hiesigen Steppen längs eines Weges von 45 Breitengraden verpflanzt. Herr Y u i l l zeigte uns zum Beweise eine hölzerne Tafel in der einige Zeilen Sanskrilsclirift geschnitten waren. Er halle sie von einem B u r a e t i s c h e n Lamen erhallen, der in seiner Jurte neue Abdrücke der sogenannten Tangutischen Gesäuge mit dieser und ähulichcn Tafeln besorgte. Überhaupt fanden die Englischen Missionaire für ihre linguistischen und ethnographischen Arbeilen sehr thätige Hülfe bei der B u r a e t i s c h e n Geistlichkeit, waren aber dennoch aus andren Gründen gegen diese nicht günstig gestimmt. Man bestätigte auch hier, dafs die hiesigen Nomaden an sich höchst gut geartet und rechtlich seien, dafs aber ihre Sitten verderbt würden durch die L a m e n , welche jetzt mehr als i der zum B u d d h a i s m u s übergetretenen Volksmenge ausmachen. Namentlich habe das Cölibat die nachtheiligsten Folgen, indem die heiligen Rolhröcke nicht nur in den Jurten die Mädchen verführen, sondern auch ihre Tempel als Gelegcnheitsorte zu verbotnem Verkehre gebrauchen. W i r vcrliefsen *S'e 1 en gin s k gegen 5 Uhr Nachmittags und erreichten um 8 Uhr das Poslhaus von A r i e n t s c l i e w a am linken Ufer der iSelenga. Die magnetischen Beobachtungen welche ich daselbst am Abend und am folgenden Morgen anstellle, erga-

174

X I . Abschnitt.

1820.

ben durchaus normale Resultate.

Februar.

Die Schwingungen einer Hori-

zontalnadel erfolgten langsamer, die Neigung war gröfser und die Abweichung östlicher als in T r o i z k o ^ a w s k .

Am Morgen des

15tcn Februars hatte aber Herr Professor H a n s t e e n an derselben Stelle den horizontalen Theil der magnetischen Kraft auffallend stark (um nahe -nh? gröfser als ich ihn heute bestimmte), gefunden, und schon damals diese Erscheinung mit einem ungewöhnlichen Lichte in Beziehung gedacht, welches wir am Abend des 14ten Februar am Himmel bemerkt hatten.

Es waren helle weifsüche

Streifen, welche sich vom Nordhorizont gegen das Zcnith erstreckten ; da indessen der Mond damals hoch am Himmel stand, so konnten wir nicht entscheiden, ob diese Erscheinung nur Ton etwa vorhandenen dünnen Wolken, oder von einem Nordlichte herrührte. Die magnetischen Messungen haben nun das Letzte äufserst wahrscheinlich gemacht, und ich erwähne ihrer hier in der Hoffnung, dafs vielleicht auch an andern Punkten der Erde in jener Nacht ein Nordlicht oder dessen magnetische Wirkungen beobachtet worden sind. [ F e b r u a r 25.]

W i r fuhren ohne Aufenthalt durch W e r c h -

n e i U d i n s k , und kamen heute noch am Tage in die merkwürdige und malerische Felsengegend bei dem Dorfe P o l a w i n a .

Zunächst

bei der Stadt sind die Felsen geschichtet, und auf beträchtliche Strecken bestehen sie aus einem groben Conglomerate, dessen Bänke nach SO. geneigt und daher eingeschlossen sind zwischen dem Granite des Udathales ( S .

101)

und zwischen dem des

Gebirgszuges von P o l a w i n a . — Man bleibt dann an der linken Thalwand, auf welcher der Weg sich allmälig erhebt.

Der Ab-

hang zum Flusse ist zuerst sanft, aber wenn man den Kamm des granitischen Gebirges erreicht hat, sieht man die

tfelenga

tief

unter sich in einer engen Schlucht und gegenüber am andern Ufer derselben eine hohe und schroffe Febenrippe, welche zwei Arme des Flusses zu trennen scheint.

Die A'elenga nimmt hier eine

westlichere Richtung an, und die enge Schlucht, die sich zur Rechten von jener Felsenrippe fortsetzt, erscheint wie eine Verlängerung ihres bisher gesehenen Bettes.

Es ist aber ein eignes und

selbsständiges Thal, welches sich hier mit dem der ter einem sehr spitzem Winkel vereinigt.

tfelenga

un-

X I . Abschnitt. 1829. Der I t a n z a f l u f s Schlucht.

rinnt in

Februar.

der

175

Ton Norden kommenden

Er entspringt an den Uferhugcln des B a i k a l , nnd

ergiefst sich liier in die ^ e l e n g a .

Auch trennt sich bei P o l a -

w i n a von der I r k u z k e r IJauplstrafse ein Seitenweg,

welcher

längs d e r l t a n z a nach der T u r k i n s k e r heifsen Quelle fuhrt, die nahe in der Mitle der diesseitigen, gegen D a u r i e n gekehrten Seeküste entspringt. Grofsc Granilblöcke liegen noch einige Werst weit jenseits der westlichen Biegung der «S"elcnga in ihrem Bette. Hügel mit bemoosten Trümmern derselben Gebirgsart und mit herrlicher Nadelwaldung begrünzen das Thal von beiden Seiten, bis nahe vor T r o i z k o i m o n a s t u i r , wo die sandige Ebene beginnt.

Nur zu

unsrer Linken waren auch dort bewaldete Vorberge noch nahe am Wege.

Ohne Zweifel gehörte einst diese sandige Ebne zu dem

Bette des B a i k a l , welches damals auch in dieser Gegend eben so wie an der entgegengesetzten Küste von steilen Felsen be~ gränzt war. Wir blieben während der Nacht in T a r a k a n o w a .

Mein

Hund, den ich von hier aus wieder mitnahm, hatte an der Kette gelegen, und die beunruhigende Wildheit war nun beseitigt. [ F e b r u a r 26.J Erst jenseits T a r a k a n o w a , als wir uns von den bewaldeten Hügeln entfernten, die gestern zur Linken unsres Weges lagen, traten fern im S W . die hohen und mit glänzendem Schnee bedeckten Gipfel des Chamargcbirges wieder hervor. In den Vormittagsstunden zeigte sich ein auffallender Einflufs dieses Gebirges auf den Zustand der Atmosphäre. Bei uns wehte ein frischer Nordwind vom B a i k a l her, und dieselbe Luftströmung schien es zu sein, welche Wasserdämpfe an jenen Berggipfeln niederschlug.

Sie waren nur an ihrer Nordseile mit Wolken von

der Form des cumulus bedeckt, welche ich hier zum erstenmal während des Winters in S i b i r i e n sah.

Der Himmel war aber

überall rein und dunkelblau und jene Haufenwolken auf den Berken sah man an ihrer Nordseite in feine und verwaschene Cirri übergehen. W i r erreichten die Küste des B a i k a l bei P o * o l s k o i um 3 Uhr Nachmittags, und begannen sogleich die Überfahrt nach K a -

176

XI. Abschnitt.

1829.

Februar.

d í l n a j a . Die Zertrümmerung des Eises zu senkrecht aufgerichteten Schollen erstreckt sich nur cinc Werst weit Tom Ufer (S. 97), dann fanden wir wieder eine spiegelnde Ebne. — Wir machten auf dem See eine magnetische Beobachtung, als wir uns um 10 Werst von dem P o i o l s k e r Ufer entfernt hatten. Das Eis gewährte unsren Instrumenten eine äufserst feste Unterlage und war zugleich von dem Verdachte magnetischer Anziehung noch freier als alle Gesteine. Es ist vollkommen durchsichtig aber von senkrechten Spaltungscbnen durchsetzt, vermöge deren wir deutlich den Anfang des flüssigen und dunkelgrünen Wassers unterschieden, und die Dicke des Eises auf A Fufs schätzten. Alle jene Spalten waren äufserst eng und nur mit Luft gefüllt. Viele derselben reichten von der Oberfläche des Eises genau bis auf einerlei Tiefe, die ungefähr f der ganzen Dicke betrug; die übrigen begannen dagegen erst in dieser Tiefe uud reichten von dort bis zum Wasser. Ich bemerkte noch, dafs ihre Ebnen sich vorzugsweise unter Winkeln von 120° durchschhittcn, so dafs dadurch so wohl die oberste als auch die zweite Eisschicht in prismatische Stücke gelheilt war, welche etwa dieselbe Regelmäfsigkeit wie Basaltsäulcn, jedoch einen weit gröfseren Querschnitt als diese be6afsen. Offenbar war diese auffallende Trennung während der Erstarrung des Eises, diese aber in zwei getrennten Perioden und momentan für eine jede der zwei erwähnten Schichten erfolgt. Die oberste Wasserschicht moclitc sich, ohne zu gefrieren, beträchtlich unter dem Nullpunkte erkaltet und dann plötzlich und in Masse krystallisirt haben. Auf dieselbe Weise konnte sich dann auch später die untere Eisschicht gebildet haben, für welche ein andres Spaltungssystem ein verschiednes Alter nachwiefs. Ganz verschieden von den erwähnten waren die weit breiteren Spalten, welche von Erkältung und Zusammenziehung des s c h o n f e s t g e w o r d n e n E i s e s hcrrührlcn. Ich fand unter andren eine solche an der Stelle, w o wir verweilten. Sie erstreckte sich von dort gegen NO. und SW. mit geringen Krümmungen bis zum Horizont, hatte überall einerlei Breite von 4 Zoll und reichte senkrecht von der Oberfläche des Festen bis zum Wasser. Neues Eis hatte sie ausgefüllt, und ihr das Anselm eines Ganges in einer Gcbirgsschicbt gegeben; um so mehr als jene Füllmasse überall ein

XI. Abschnitt.

1829.

Februar.

177

weifscres Anselm als das Umgebende erhalten halte.

Das

spä-

ter eingedrungene Eis -war nämlich auf höchst merkwürdige und regelmäfsigc Weise

von

feinen

Rissen

durchsetzt.

Der

eine

dieser Risse bildete eine continuirliclic und etwas gcschlängclte Linie, welche von der Oberfläche des Ganges die Witte einnahm, und von ihm aus erstreckten sich unter spitzem Winkel eine grofsc Menge kürzerer Risse gegen jede Seitenwand, gerade so wie die Querrippen eines Blattes von dessen Mittelrippc ausgehen.

Diese

merkwürdige Zertrümmerung schien schwcr zu erklären.

In ge-

spanntem Zustande halte sich die Gangmassc freilich befunden, durch den ungeheuren Druck

miler wclchem das Wasser gefror,

denn zu beiden Seiten widerstand unbewegliches Eis der Ausdehnung, welche sich beim Festwerden äufscit. — W i r blieben während der Nacht in K a d i l n a j a an der Küste des Sees. [ F e b r u a r 27.]

Iiier bei K a d i l n a j a und längs des ganzen

Weges zum Ausflufs der A n g a r a erinnern die Umgebungen des Baikal an den A l p n a c h e r

Busen des V i e r w a l d s t ä d t e r

Sees.

Das Gebirge besteht aus einem grobkörnigen Coiiglomcrate, aus welchem

oft kopfgrofsc Gerüllc

hervorragen; es ist von

hell-

gelber Farbe in dicke Bänke gcthcilt, wclchc äufserst sleil nach N W . geneigt sind,

und

deren Queibruch

rechlen Felswänden am Seeufcr zeigt.

sich auf den senk-

Auch setzen viele breite

Schluchten rechtvvinklich gegen die Kiislc durch das Gebirge, und trennen es in kolossale Säulen und Kegel von den schroffsten Formen.

Nur in diesen Schluchlcn steht herrliche

Lärchenwaldung;

zwischen dem Fufse der senkrechten Steinwände und dem Eise des Sees liegt aber nur ein schmaler Strand, der mit Gerollen aus dem Coiiglomcrate und mit ganzen Blöckcn hoch überschüttet ist. Durch

ein hartes

und kicsliges Ccmcnl verbunden,

Stücke des Granites von W e r c h n c i U d i n s k und in diesen merkwürdigen Schichten

liegen

/Velenginsk

theils ganz erhalten, thcils so

fein zertrümmert, dafs jede Spur eines andren Bindemittels verdrängt ist. Stücke von Feldspalh-porphyr sind darin eben so häufig, jedoch stets rundgerollt und niemals so fein zertrümmert wie der Granit; auch sali ich iu den Felsblöckcn bei K a d i l n a j a , Gerolle II. Band.

12

178

X I . Abschnitt.

1829.

Februar.

milchweifsen Quarzes mit Anflügen von grauem Manganerz, welches sich so oft bei Porphyrausbrüchen gebildet hat. — W e i t e r längs der Küste bis zur A , n g a r ä sieht man an jedem Felsen die Spuren gewaltsamer Ereignisse, denn Schichten deren Gefüge eine horizontale Ablagerung beweist, stellen nun voreinander als senkrechte und immer noch parallele Wände.

Oft sind

einzelne oben zerbrochen, und von dem Innern des Landes ragt dann ein Fels hoch über die der Küste hervor.

Durch Quer-

schlueilten sind Vorgebirge entstanden , an denen man mit Schwindeln hinaufsieht, und eben so steil sind die Bänder des Beckens auch unter dem Wasser, denn in 900 Fufs Entfernung vom Ufer hat -man hier eine Tiefe von 100 S a / e n e n gefunden. Ilierzweifelt man nicht,

dafs einerlei Kraft die

Schichten

des Ufers erhob, und

das Land an der Stelle des B a i k a l einstürzen machte. — Sehr auffallend erschien nun ferner das Verhältnifs dieses Baikalischen Conglomerates zu dem feinkörnigen und glimmeireiclien

Granit,

weleher einen so bedeutendenThcil von dessen Masse ausmacht. Dieser mufste schon erhärtet, ja sogar schon wieder vielfach zertrümmert sein, als sich das Bindemittel des Conglomerates niederschlug und Gerolle verkittete; dennoch sieht man bei W c r c h n c i U d i n s k ganze Bänke jenes Granites eingeschaltet zwischen steil geneigten Schichten desselben Conglomerates. — Nach langem und ruhigen Bestehen mufs also das krystallinische Gestein von neuem erweicht und in Spalten der Flözscliichten, welche es bedeckten, geprefst worden sein, und zwar w ar grade dieses Ereignifs gleichzeitig mit der Erhebung der Conglomcratschichten und mit der ÖJFnuugder Spalte, welche jetzt von den Wassern des B a i k a l erfüllt ist. W i r fuhren auf dem Eise des Sees an zweien, erst, in der letzten Nacht entstandnen Frostspalten vorüber.

Sie waren so breit,

dafs vier Pferde einer Tilege von L i s t w e n i s c h n a j a am heutigen Morgen in die eine derselben gefallen, und nur mit Mühe gerettet worden w a r e n ; am vorigen Abend hatte man aber dieselbe Stelle des Weges befahren und sicher befunden. Den Ausflufs der A n g a r ä aus dem B a i k a l fanden w i r auch heute wieder ganz frei von Eis, Sein Wasser flofs rauschend und bildete schäumende Wellen, auf denen sich Schwärme von wilden Enten wiegen liefsen. Auch von hier ziehen sie niemals fort, und

X L Abschnitt.

1829.

März.

179

ertragen die Winterkälte eben so gut, wie auf allen Seen der arktischen Länder, welche durch Quellen offen erhalten werden (r, 1 . S. 389). — W i r s a h e n d a n n bei L i s t w e n i s c h n a j a

dieBaikalcr

Flotte in einem breiten Becken des Flusses an dessen linkem oder jenseitigem Ufer.

Mehrere

Galioten lagen bemastet vor

Anker,

daneben pramartige Kaufmannsschiffe, und am Ufer ein Kran zum Entladen. — Die Felsen am rechten Ufer sind dort durch Waldung verdeckt; aber bald traten sie wieder h e r v o r , und anstatt groben Conglomerates sahen w i r nun den feinkörnigen Sandstein der Ebne von I r k u z k mit Lagern von schwarzem kohligen Letten. Gleich anfangs sind diese Schichten weit schwächer geneigt als die des Conglomerates am B a i k a l , jedoch gegen NW., wie diese. — W i r kamen am Abend nach I r k u z k ,

w o das Wiedersehen

früherer Bekannten für die Trennung von C h i n e s e n

undBurae-

t e n entschädigte. [ F e b r u a r 28 bis M ä r z 18.]

Die periodischen Veränderun-

gen der magnetischen Abweichung beschäftigten mich während dieses zweiten Aufenthaltes in der merkwürdigen Hauptstadt, auch ergänzten w i r nun durch Sammlungen von Belägen und mündlichen Mittheilungen unsre Ansichten über die geognostischen Verhältnisse der S a b a i k a l i s c h c n Gegenden, und über die Abstammung und Sitten ihrer Bewohner. — In der Nacht vom 7ten zum 8ten März erlebten wir ein Erdbeben, welches I r k u z k und die Umgegend erschütterte.

Ich war

eben aus dem Schlafe crwacht,, als plötzlich um 4 u - 40' nach Mitternacht, das Bette auf welchem ich lag, schnell und ununterbrochen zu zittern anfing.

Zugleich und in demselben Takte hörte

ich ein lautes Klappern und Hasseln, etwa w i e im Innern einei Mühle.

Als Zitierungen und Geräusch etwa 10 Sekunden gedauert

hatten, folgte weit stärkeres Wanken der Wände, und dann nach 5 Sccüiiden ein dumpfer und einmaliger Knall. Zugleich schwankte der Boden so heftig, dafs ich einige Augenblicke den Einsturz unsres schon schief stehenden Holzhauses erwartete.

Es folgten aber

nur, den anfänglichen ähnliche Zitterungen von gleicher Dauer mit jenen und wieder begleitet von klapperndem und rollendem Geräusche.

Dann wurde alles still.

Ich wartete vergebens 12 '

auf

ISO

X I . Abschnitt.

1829.

März.

eine Erneuerung des riitlisclliaflen Vorfalles, der nichts weiter als Verwunderung und Aufforderung zum Naclulcnkcn hinterliefs. Die hörbaren Erscheinungen konnte man mit dem Gerolle des Donners vcrgleiehen, in so fern auch dieses durch einmaliges lautes Krachen unterbrochen w i r d , und dann wieder mit abnehmender Stärke sich fortsetzt. Zu dem Geräusche am Anfange und am Ende des Erdbeben schienen lose Theilc des Hauses beizutragen, und icli glaubte namentlich darunter das Geklapper einer Lampe zu erkennen, welche an metallnen Ketlen vor dem Heiligenbilde in meinem Zimmer hing.

Aber w o h l nicht alle gehörten Töne liefscn

sich auf diese Weise erklären, denn -wäre auch das einmalige donncrähnliclic Krachen in dem Gebälkc des Hauses entstanden, so hätten wir nicht vergeblich am folgenden Morgen nach den Spuren einer Zerstörung gesucht.

W i r fanden aber alle Theile des

kleinen Gebäudes unversehrt; auch schicn die Neigung seines Fundamentes, welche man f r ü h e m Erdbeben zuschrieb, durch

das

jetzige nicht merklich geändert. — Die Magnetnadel, an der ich die periodischen Veränderungen der Abweichung beobachtete, behielt nach dem Erdbeben genau dieselbe Richtung wie früher. Ich fand

sie durch das W a n k e n der W ä n d e des Ilauses noch

in

schwingender Bewegung, aber sobald diese vorüber w a r , zeigte sie denselben Gang w i e an den entsprechenden Stunden der vorhergehenden und folgenden Tage. In der nächstcn W o c h e erfuhr m a n . dafs der Erdslofs in derselben Nacht sowohl in K j a c h t ä unter 50 n ,33 Breite, als auch in N i y ' n c i U d i n s k unter 54°)90 gefühlt wurde. Am letzteren Orte, welcher, eben so wie I r k u z k , von Kohlensandstein umgeben ist, waren gemauerte Öfen in den Häusern durch die Schwankungen des Bodens eingestürzt. — Auch

in I r k u z k

Wahrnehmungen verschieden gewesen.

selbst waren

In einem

die

zweistöckigen

steinernen Gebäude fielen Bilder von den Nägeln, mit denen sie an den Wänden befestigt w a r e n , auch beschrieben die Bewohner dieses Hauses das begleitende Geräusch noch stärker, als ich es gehört halle. — Ein Soldat der vor d e m s e l b e n Hause Wache hielt, und de.i man gleich nach dem Erdbeben befragte, behauptete aber von dem ganzen Hergänge Nichts bemerkt zu haben, und dennoch w a r ein Ilaufen Holzscheite auscinandcrgefallen, der in einer an-

XI. Abschnitt.

1829.

März.

181

d e m Gegend der Sladt auf dein Erdboden lag! — Noch auffallender w a r die Behauptung eines I r k u z k e r : er verstehe die Erdbeben vorherzusagen.

Bei dem jetzigen war es ihm gelungen, denn

einige Tage vor demselben forderte er mich auf, den zerbrechlichen Instrumenten in meinem Zimmer feste Unterlage zu geben, weil er aus dem Ansehen der Witterung auf ein baldiges Erdbeben schliefse. Auffallend w a r allerdings, dafs wir in der ersten Wochc des Würz mit schwachem Ostwinde oft dünne Nebel und sternlose Nächto gehabt hatten.

Bei Sonnenuntergang sah ich sogar zweimal Ilau-

fenwolkeu, die unter hohen Federwolken lagen.

Am Abend vor

dem Erdbeben war der Himmel klar, aber in der Nacht bildete sich dichter Nebel, der sich erst am folgenden Nachmittage zertheilte. Zwei leichtere Erschütterungen hatte man hier im Sommer und im Herbst dieses Jahres beobachtet, und die ungemeine Häufigkeit solcher Ereignisse giebt den XJrtheilen der I r k u z k e r über dieselben, ein hohes Gewicht. In Bezug auf das Geräusch welches die Erdbeben begleitet, und auf deren Zusammenhang mit atmosphärischen Verhältnissen, habe ich folgende R u s s i s c h e Beschreibungen zur Ergänzung meiner Beobachtung zu erwähnen. — 1819 am 17. März neuen Styls, zwischen 9 und 10 Uhr Abends, begann zu K j a c h t a ein Erdbeben blofs mit dumpfem und rollendem Geräusch, welches von dem Beobachter geradezu ein u n l e r i r d i s c h e s genannt würfle. Erst später gesellte sich dazu das Klappern und Knarren von Tliüren und Fensterladen, begleitet von heftigen Schwankungen des Bodens. Dieser letztere A k t der Erscheinung wurde jedoch nur in den nördlichen Häusern der Sladt beobachtet; an dem Süd-endc derselben wufste man Nichts von Schwankungen, und hatte deulioch den unterirdischen Donner eben so deutlich wio an den übrigen Punkten gehört. — Sehr ähnliche Umständo sind nach unsrer Anwesenheit in K j a c h t a beobachtet w o r d e n , und zwar 1835 am 3tcn Januar n. S t . , w o u m 7 u - 55' Abends ein ziemlich heftiges Erdbeben bei fcuclilcm und neblicliem W e l t e r stattfand. „Zuerst „merkte man nur ein dumpfes Getöse, unterbrochen von einzelnen „ D o n n e r n , die denen eines entfernten Gewitters gleich kamen. „ E r s t später folgten Erschütterungen die ungefähr 5 " dauerten,

182

XI. Abschnitt.

1829.

März.

„und mit einem so heftigen Stofse endeten, dafs alle Gebäude „schwankten. — Am nächsten Vormittage erhoben sich die Dünste, „ die während der ganzen Nacht auf der Erde gelegen hatten, über „die benachbarten Berge, und bedeckten die Bäume mit Reif. Dann „schwebten sie in der Luft als grofse und getrennte Wolken, wie „ R e g e n w o l k e n im S o m m e r . "

Wichtig scheint mir, dafs

in diesen Fällen das Gerassel und sogar das donnerartige Krachen früher als die überirdischen Erschütterungen bemerkt wurden j so dafs man also jene durchaus nicht, wie etwa bei meiner Beobachtung, für eine Folge dieser letzteren halten konnte. Die Erscheinungen zwingen uns vielmehr zu der Annahme, dafs hier, gerade eben so wie in vulkanischen Kraleren, Detonationen im Innern der Erde stattfinden. — Eine anomale Vermehrung der Wasserdämpfe in den Luftschichten bei K j a c h t a , erschien auch dem neuesten Beobachter wiederum abhängig von dem unterirdischen Prozesse. Viele andre Äufserungen vulkanischer Kräfte zeigen sich in der S a b a i k a l i s c h e n Gegend und in der Nordhälfte des I r k u z k e r Gouvernements an den Gesteinen und deren Lagerung. In der Ebne längs der A n g a r a , unterhalb I r k u z k , herrscht feinkörniger Sandslein des Kohlengebirges. Man liat in ihm reine und 9 Fufs mächtige Kohlenlager gefunden. Er erstreckt sich nach Norden bis N i / n c i U d i n s k , und gegen Süden finden sich vereinzelte Massen derselben Formation noch weil jenseits des B a i k a l . Aus der Steppe von ¿ S e l e n g i n s k erhielt ich, durch Herrn Y u i 11, Platten von schwarzer und glänzender Steinkohle, die mit Schwefelkiesknollen durchsetzt sind. Ahnliche findet man an der C h i n e s i s c h e n Gränze an den Ufern des unteren Argun (bei dem Dorfe G o r b u n o w a ) und an denen d e s O n o n b o r s a , der sich in den O n o n ergiefst. Auch am Ursprünge des W i t i m in 54° Breite und 8° O. von I r k u z k liegen in quarzigein Sandsteine Baumstämme, theils mit Schwefelkies vererzt, theils verkohlt. Von den Salzquellen des I r k u z k c r Gouvernements entspringen einige in der nnzerrissenen Hauptmasse dieses Kohlengebirgs, andre südlich vom B a i k a l an den erwähuten Stellen, wo einzelne Stücke deisclbcn Formation zwischen andren Gesteinen vorkommen. — Granitische Gebirgszüge, die diese Flözschichten unterbrochen haben, und Spalten, durch welche vulkanische Mas-

X ! . Abschnitt.

1829.

März.

1S3

sen an die Oberfläche gedrungen sind, haben nun in dieser Gegend sämmtlicli ein NO.-liches Streichen, parallel mit dem B a i k a l .



An den S a j a n i s c h e n Gebirgen, welche den M i n u i i n s k c r K r e i s gegen C h i n a

begränzen ( S . 5 0 ) , hat man eben so wie in der

Nordhälfte des J e n i « e i s k e r Goüvernements überall

Ostliches

Streichen beobachtet, und in derselben Richtung setzen sich diese Gebirge fort, längs der südlichen Gränze des Ni^'nei U d i n s k e r und des i r k u z k e r Kreises.

Aber von den höchsten Punkten der

> V a j a n i s c h e n Kette erstrecken sich nach NO. die Gebirgsketten und Spalten der I r k u z k e r

und B a i k a l i s c h e n

sahen wir bei N i / n e i U d i n s k

die U d a

Gegend.

So

von zwei parallelen,

um mehrere Meilen von einander entfernten Bergziigcn begleitet. Sie kehren steil abgcbrocline Felswände gegen das Thal, und fern im S W . sieht man die Sa j a n i s c h e n Gipfel, von denen sie ausgehen.

Durch Wasserspülung kann dieses breite Thal eben so we-

nig entstanden sein, wie der B a i k a l selbst, an dessen Umgebungen auch die Gestalten der N i / n e i U d i n s k e r Berge erinnern. — Eben so ist das Thal des I r k u t eine wahre Spalte, und an den» Ursprünge desselben sind vulkanische Gebirgsarten bis zur Oberfläche gelangt, während sie sich näher an 1 r k u z k nur durch schroffe Abbrccbung der sie bedeckenden Flözschichlen aussprechen.

Ich

habe viele basaltische Laweu gesehen, welche sich in der oberen Hälfte des I r k u t thales finden, jedoch nur auf der breiten und ebjieu Sohle desselben.

Die Thahvände, die auch dort um mehrere

Meilen von einander entfernt sind, bestehen aber nach Herrn II e s se's Beobachtungen, südlich von dem Flusse aus Granit und nördlich von demselben aus Hornblend-gesteinen.

Den Ursprung der

vulkanischen Massen, die zwischen diesen Gesteinen eingeschaltet sind, hat man nach ihm in einem hohen Gebirgsgipfel an der Quelle des I r k u t zu suchen, und es scheint dafs das Änfsere dieses Berges noch jetzt au auffallende Umwälzungen erinnert,

oder so-

gar noch bei Menschengedenken dergleichen erlitten hat.

Die alt-

gläubigen oder B a r g a - B u r a e t e n

halten ihn nämlich für den ge-

heininirsvollen Wohnsitz des B e g d s e

oder

obersten der Natur-

geister zu denen sie beten, und sie nennen ihn deswegen: m o n d o r g o n - o l a , das heifst: deu für Sterbliche unzugänglichen Berg. Dieselbe Erscheinung eines mit dem B a i k a l parallelen Streichens

184

X I . Abschnitt.

1820.

März.

acht vulkanischer Gesteine -wiederholt sich südlich von dem S e e . S i c beginnen nuter 5 0 ° Breite und 2 ° W . von I r k u z k , fort in dem Thale der D / i d a

setzen

durch die Steppe im W e s t e n der

j S c l e n g a , und finden sicli wieder am Ursprünge der U d a unter 5 2 ° Breite und C°,5 O . von I r k u z k .

Ain Boden der Tliäler der

D / i d a und U d a , -welche wie das des I r k u t v o n

Granitwänden

begränzt sind, finden sich feste basaltische L a w e n mit Olivin.

In

den j S c l e n g i n s k e r Steppen herrschen hingegen Mandclstcine, deren Drusen mit Krystallen von C . h a b a s i e , von S t i l b i t und M e s o t y p gefüllt sind.

Auch deutet auf noch dauernde vulkanische

Einflüsse die starke Entwickelung von Kohlensäure durch die Quellen von P o g r o m n a , welche im oberen U d a thale an der Grunze des Granites und der basaltischen Lawen entspringen. Man wird schon hierdurch geneigt den B a i k a l selbst, für eine vulkanische Spalte zu halten, welche parallel mit den erwähnten aufbrach.

D i e Gestalt und die Beschaffenheit der ihn umgebenden

B e r g e bekräftigt aber diese Ansicht von allen Seiten.

Das C h a -

m ä r g e b i r g e , dessen nördlichste Punkte w i r zwischen

Wcrchnci

U d i n s k und P o l a w i n a überschritten, ist schroff abgerissen gegen die D a u r i s c h c Seite des S e e s , und an der

gegenüberstehenden

Küste, zwischen K a d i l n a j a und dem Ausflusse der A n g a r a , lassen die Felsen keinen Zweifel über eine gewaltsame und bis zum Zerreifsen fortgesetzte Hebung ihrer Schichten. ( S . 1 7 S ) Fossilien deren Ursprung aus vulkanischen Spalten in andren Gegenden der Erde mit Bestimmtheit erkannt ist, finden sich in ausgezeichneten Exemplaren am Abhänge

des C h a m ä r g c b i r g e s

Von dem Baclic ' S l j i i d i n k a ,

gegen

den

See.

der aus diesen Bergen und um iG

VS'erst S O . von K u l t u k oder dem westlichsten P u n k t e des B a i k a l , entspringt, bringt mau Krystallc von P r e h n i t nach I r k u z k ,

und

Augit

sodann aber den B a i k a l i s c l i c n Lasurstein,

wel-

cher nahe verwandt oder identisch ist mit den Ilauyn-krystallen, die sich in D e u t s c h l a n d bildet haben

in dem Krater des L a a c h c r s c e s ge-

Man hat vergeblich gehofft, dieses Mineral in den

granitischen Thalwänden

der » S ' I j i i d i n k a

anstehend

zu

es ist dem Flufsbelte in der Nähe des Sees ausschliefslich

finden; eigen

geblieben, und offenbar sind wohl auch dort vulkanische Blassen, von den granitischen b e d e c k t ,

nur

auf der

Sohle

der

Thliler

XI. Abschnitt.

1S29.

Würz.

IS5

unter (1cm Wasser zu faulen. — Ein sandiges Gemenge von glasigem Feldspath mit Sphen und Magneteisen erhielt ich ebenfalls von dem südwestlichen Ufer des B a i k a l , wohin es durch Wellen aus dem Innern des Becken gespült wird. Auch diese Fossilien kennen w i r aber ebenso hei einander in den R h e i n i s c h e n Lawen

und in dortigen Gncissblöcken, welche durch vulkanische

Steiuausbrüche und Sublimationen

umgeändert

worden sind.

Ilcissc Mineralquellen an den Räudern des B a i k a l beweisen endlich ebenfalls, dafs dort ungewöhnliche Verbindungen zwischen der Oberflache der Erde und den tiefer gelegenen Schichten derselben stattlinden.

An der I r k u z k e r Küste entspringen dergleichen un-

ter andrem in 5 i ° , 9 Breite und 4° O. von I r k u z k bei dem Kot e l n i k o w e r Bache, der sich in den B a i k a l ergiefst. Diese werden nur von B u r a c t e n als Heilquellen benulzt, weil man sie von I r k u z k aus nur auf einem beschwerlichen

Reitwege

erreichen

k a n n ; dagegen begeben sich in jedem Sommer Bewohner der R 11ss i s c l i e n Städte nach den Bädern an den T u r k i n s k e r lieifscn Quellen, welchc unter 52°,S Breite und 4°,2 0 . von I r k u z k an der D a u r i s c h e n

Seekiisle entspringen.

Sic besitzen eine Tem-

peratur von 45° bis 50° R., und Herr H e h n , dessen ausgezeichnete chemische Arbeiten wir in J c k a t a r i n b u r g

kennen lernten

(1,1. S. 108), hat in ihnen Kohlensäure, Schwefelsäure, Natron und geringere Mengen von Kalk- und Talkcrde gefunden. Er glaubte dafs die genannten Basen vorzugsweise au Schwefelsäure gebunden seien.

Wahrscheinlich gehen aber die B e s t a n d t e i l e dieser Quel-

len andre Verbindungen ein, während sie unter vermindertem Druck au der Atmosphäre vorweilen; denn, ebenso w i e ich es von den heifsen Wassern am Fufsc der K a m t s c h a t i s c h e n Vulkane gesellen habe, so entweicht auch aus den T u r k i n s k e r Quellen eine Menge von Schwefelnasserstoff während sie an der Luft erkalten, und gleichzeitig werden viele ihrer erdigen B e s t a n d t e i l e auf den unterliegenden Steinen abgesetzt. So wie die D a u r i s c h c Küste des B a i k a l von dem m ä r g e b i r g e begleitet w i r d ,

Cha-

so läuft auch parallel mit der Strei-

chungs linie der D / i d a und U d a , und südlich von derselben das Jablonoi

oder N e r t s c l i i n s k e r

Gebirge.

Es

durchschneidet

die C h i n e s i s c h - R u s s i s c h e Glänze unter 49° Breite und 5°,5

186

XF. Abschnitt.

1829.

März.

O. von I r k u z k , und erstreckt sich von dort durch D a u r i c n parallel mit dem B a i k a l bis 54° Breite und 13° 0 . von I r k u z k . An dem nach SO. gekehrten Abhänge der nördlichen Hälfte dieses Gebirges liegt ein 30 D. Meilen breiter und schwach gewellter Landstrich, der, im Norden von dein Längenthaie der S c h i l k a und im Süden von dem des A r g ü u begränzt, von reichen Erzgängen durchzogen ist. Die N e r t s c h i n s k e r Gruben bebauen diese Gänge auf einer Strecke die in der Richtung des Hauptstreichcns gegen 40 D. Meilen einnimmt. Die Metallmasse •welche jährlich aus ihnen gewonnen w i r d , beträgt nur gegen 76000 Pud. d. h. dem Gewichte nach, nur j « von dem Ertrage des U r a l i s c h e n Bergbaues. ( I , 1. S. 411.) Sie ist aber dennoch wichtig für R u f s l a n d , weil der Gehalt der N e r t s c h i n s k e r Gänge von dem der Uralischen wesentlich verschieden ist. Von Blei, welches am U r a l fast gänzlich fehlt, liefern die N e r t s c h i n s k e r Gruben jährlich gegen 35500 P u d ; eben so unterscheiden sie sich von den U r a Ii s e h e n durch ihren Reichthum an Z i n k - und Zinn-erzen. Die Ausbringnng dieser letzten könnte a b e r , wie man uns sagte, durch Verbesserung der dazu dienenden Hutten noch beträchtlich vermehrt werden. Dann werden noch jährlich gegen 390 Pud Silber, 4 Pud Gold und 40000 Pud Eisen in vcrscliicdnen Gestalten aus den N e r t s c h i n s k e r Hütten über I r k u z k durch ¿Sibir i e n nach Europa versandt. Die Goldgewinnung wird bedeutend zunehmen, denn bei geognostisclien Untersuchungen, welche seit 1828 begonnen w a r e n , halte man Trümmerlager mit Goldköi-Bern in den Queiiliälern gefunden, welche von dem Hauptkamme des J ä b l o u o i ausgehen und in das Längen - Thal der S c h i l k a münden. Die Gebirgsarten und Mineralien von verschiedenen Punkteu des N e r t s c h i n s k e r Kreises, welchc ich in I r k u z k erhielt, zeigten sehr auffallend, dafs vulkanische Rcactionen auch in jener Gegend stattgefunden liaben, und zwar zum Theil dicht neben den Lagerstätten der Erze. Folgende nähere Mittheilungen über diesen Gegenstand verdanke ich einem der ausgezeichnetsten Bergbeamten von N e r t s c h i n s k , Herrn A l e x a n d e r A p l i a n a * o w i t s c h S16b i n , mit dem ich in J a k u z k zusammentraf. (Unten XIII. Abschnitt. )

XI. Abschnitt.

1829.

März.

187

Von dem Kamrae des Ilauplgebirges bis an das linke Ufer der Stsli ¡1 k a erstreckt sich Granit, durchsetzt ist.

der stellenweise von Grünslein

Erzgänge bat man nirgends in diesem Räume auf-

geschlossen, dagegen aber während der letzten Jahre die erwähnten Lager, welche. Goldkörncr zwischen Grünstein-Trümmern enthalten; eben so wie am U r a l , (f, 1. S. 353, 374 u. a.) — Erst südlich von der S c h i l k a bis zu dem mit ihr parallelen Längentliale des A r g ü n liegt der eigentliche Grubendistrikt, der in 7 einzelne Reviere gelbeilt ist.

Seine Erzgänge stehen theils in Dolomit, der

auf Thonschicfcr ruht, theils in diesem Thonschiefer selbst.

Nur

in der Milte des nach NO. keilförmig zulaufenden Raumes zwischen beiden genannten Tbälern, am rechten Ufer des Flusses G a s i m u r erheben sich zwischen den Kalkgebirgen wiederum

Granilmassen.

Diese erreichen ihre gröfste Höhe nahe an der Quelle des Flusses G a s i m u r , ragen aber selbst dort nur 700 Engl. Fufs über die umgebende E b n e ,

während

doch der höchste P u n k t des J ä b l o n o i

selbst, an der Quelle des C h i l o k und der I n g o d a , zu 1420 Fufs über dieselbe Ebne bestimmt wurde. führt den Namen

der D o n i n s k e r

Jener secundäre Granitzug Berge.

Gesinterte Schiefer

kommen an seinen Abhängen zu Tage. — Basaltische Mandclstcinc mit Drusen von Ausgezeichneter Gröfsc und Beschaffenheit begränzen den erzhaltigen Dolomit-Dislrikt, denn sie finden sich vorherrschend im Norden längs des Thaies der S c h i l k a

und im Süden

zwischen dem linken Ufer des A r g u n und den D o n i n s k e r Bergen.

Auch bilden Lager von Mandelsteiuen und groben Conglqjije-

ralen die Sohlen von einigen der liefern Längenlhälcr dieses Distriktes. — Die Erze aus demselben sind nun theils Verbindungen die bei mäfsigen Temperaturen verdampfen, theils enthalten sie einzelne leicht flüchtige B e s t a n d t e i l e mit deutlichen Anzeigen eines spätem Ilinzutritls derselben. Kupfer, welches am U r a l in so ungeheuren Massen vorkommt, fehlt auf den N e r t s c h i n s k e r Gängen fast spurlos. In deip an der S c h i l k a gelegnen nördlichsten der 7 Reviere iiudet man himmelblauen Kieselmalachit, der mit derbem und glasglänzenden kohlensanerm Blei durchsetzt ist, aber diese Stufen jjnd die von Rotlikupfererz aus einigen andren Gruben gellen jetzt in den Lokalsanmilungcn als Seltenheiten,

und die Verhüllung

derselben ist

188

X I . Abschnitt.

1829.

März.

schon seit 90 J a h r e n als geringfügig aufgegeban.

Dagegen

findet

sich Blei in jeder, Silber und Zink in den meisten N e r t s c h i n s k e r Gruben. In dem nördlichen oder S c h i l k i n s k c r

Revier am

Flusse

S c l i i l k a bilden die Erze isolirte P l a t t e n , die nacli N W . geneigt und gegeneinander auf einer NO.-lichen Streichungslinie sind.

gestellt

S i e stehen im D o l o m i t ; Brauneisenstein bildet nur den Be-

s t e g , die Hauptmasse der Nester besteht aber aus Blciglanz und kohlensaurem Blei, mit w e l c h e n sich auf der Gränze mit dem Eisenerz noch Schwefeleisen und Arsenikkies

findet.

Mandelstcinc bilden abgesonderte Berge in der Kalkformation dieses R e v i e r s : namentlich den sogenannten P o l o # a t i k d. h. den gestreiften

Berg.

Kopfgrofse D r u s e n ,

die ich aus

diesem

B e r g e erhielt, besitzen ganz offenbar die Gestalt von Luftblasen, die in einer zähen Flüssigkeit aufsteigen. Ihre W ä n d e bestehen aus Chalzedon, sie sind i m Innern mit Kalkspathtafeln bekleidet, und enthalten theils noch zähen thcils festen Asphalt, vulkanisirten P u n k t e n der Transbaikalischen

der an andren

Gegend noch jetzt

aus der Erde quillt. Die Gänge der z w e i mittleren R e v i e r e , w e l c h e am rechten Ufer des Flusses G a s i m u r l i e g e n , scheinen sich vorzüglich durch ihren bedeutenden Zinkgehalt von den obengenannten auszuzeichnen.

Namentlich ist in den sogenannten G a s i m i i r o w e r Gruben,

•welche zunächst am Flusse und im Kalke stehen, der Brauneisenstein des Besteges mit Zinkocher innig gemengt, und in den Gängen selbst finden sich dort ungeheure Massen von kohlensaurem Zink, w e l c h e s wachsgclbc und durchscheinende Stalaktiten mit nierfönnigen Ablösungen bildet: Kiesel/.ink sitzt theils in kleinen undurchsichtigen Krystallen auf der Oberiläche des getropften Brauneisensteins, thcils bildet es eigne Drusen, w e l c h e aus zarten üufserst durchsichtigen und wasserhellen Krystallen bestehen.

Von Bleier-

zen findet man in diesen Gängen sowohl Bleiglanz, als a u c h , und vorzugsweise, durchsichtigen Bleispath in grofsen und gestalteten Krystallen.

In den W o s k r e i c n s k e r

maunigfach Gruben

ani

Nordabhange des oben erwähnten Höhenzuges, w e l c h c r von den D o n i n s k c r Bergen ausgeht, ist der gangführende Kalk mit Granit und mit gesinterten Schiefern durchsetzt.

Die Gänge sind är-

XL Abschnitt.

1820.

März.

189

mer an Z i n k , das Blei ist meist mit Schwefel verbunden, silberhaltiger und schwerer schmelzbar als in den übrigen Ncrlschinsker Crub-cn. Die vier südlichen Reviere am linken Ufer des A r g u n

schei-

nen noch reicher an Verbindungen leiclililüchtiger SlofTe. In dein nördlichem derselben, an dem Flusse S c r c n t i i j a , der sich in den A r g u n ergiefst, liegen grofse Erzncstcr auf einer nach NO. streichenden Linie in talkhalligem hellgrauem Kalke, der mit Thonschiefer wechselt.

Mangan- und Eiscn-crze bilden die Scitenwäiidc der

Erzncstcr, und zwischen diesen liegen unter andicm grofse und herrliche Drusen von phosphorsaurem mul arsoniksaurem Blei.

Die

sechseitigen Säulen, welche diese Erze bilden, si;id oft mit einer Rinde von blciballigcm Braunstein überzogen, und das Vorkommen dreses feuerbeständigen Körpers als Überzug so leicht schmelzbarer Verbindungen erklärt sich vielleicht durch die Flüchtigkeit

der

Mangansäurc, welche einige Chemiker beobachlet haben. — Auch der Brauneisenstein an den Wänden

dieser Erznester ist oft an

seiner Oberfläche umgewandelt in blaues phosphorsanres Eisen und dieses ist dann besetzt mit kleinen Kryslallcn von phosphorsanrem Blei.

Bleiglan/.. Zinkblende, Baryt und gediegener Schvvcfcl finden

sich gleichfalls in den Gruben dieses Reviers, und am nördlichen Ende seines Ilauplslreicheiis, am Bache I l d i k a n , Gänge von Zinnober im Dolomit; ferner ein Berg der aus einem Gemenge von Quarzkörnern mit gediegnem Schwcfcl besteht. — Auch in den Gruben zu beiden Seiten des Baches « r e d n a j a B o r s a werden silberhaltiger Blciglanz, kohlensaures Blei und Zinkblende gefunden, und zugleich mit den Erzen scheint dort überschüssige Talkcrde in die Gänge gedrungen zu sein; denn sie sind reich an Bilterpath, Asbest, Bergkork und andren talkhaltigen Fossilien. An dem Flusse U r j u l u n g i , der sich in den Argun ergiefst, liegt cndlich das südlichste oder K l i t s c h i n s k c r Revier.

Seine

Gruben stehen in talkhaltigem Kalk und Thonschiefer, welche von grobkörnigen Granilmassen durchsetzt sind.

Die geförderten Erze

sind körniger Bleiglanz, Bleiniere und kohlensaures Blei, welches dort llieils grofse Drusen bildet, deren Krystalle oft mit Kalkspath bcdcckl sind, tlicils derbe Massen, welche die Zwischenräume zwischen Quarzdrusen des Thonschiefers ausfüllen.

Aufscrdem finden

190

X I . Abschnitt.

1829.

März.

sich in diesen Gruben Arsenik- und Antimonerze nnd in dem Besiege der Gänge merkwürdige Durchwachsungen von Flufsspath und Kalkspath-Krystallen.— Ein Mandelsteinlager, welches zwischen dem erzführenden Kalk und dem Südabhange der D o n i n s k e r Granitberge streicht, ist in diesem Reviere besonders aufgeschlossen worden an einem Berge bei dem Dorfe M ü l i n a .

Man bricht in

diesem grofse Chalzedonmandeln, deren oberes plattes Ende mit Amethyst und Kalkspatli-krystallen gefüllt ist. Das obenerwähnte Urgebirge, welches den Kamm des Jablonoi von dem erzhaltigen Kalkdistrikte trennt ( S . 1 8 7 ) , ist weiter gegen Westen — zwischen der I n g o d a und dem O u o n — d u r c h das Vorkommen von Zinnerzen und andren seltnen Fossilien ausgezeichnet. — Der Parallelismus der bisher erwähnten Gänge in der

Kalkformalion mit der Kette

des J ä b l o n o i und mit den

vulkanischen Spalten der I r k u z k e r und S a b a i k a t i s c h e n Gegend, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines ursachlichcn Zusammenhanges zwischen diesen verschiedenen Phänomenen.

Dieses Argu-

ment fehlt aber eben so entschieden für die Z i n n g ä n g e des Ncrtschinsker Kreises.

Sie streichen nach N . , ganz unabhängig von

der NO. liehen Richtung des Gebirges und seiner Längenthäler. — DcnRusscnist diesemeucReichthum erst seit dem Jahre 1812 bekannt. Die Buracten der sogenannten A g i n s k e r Steppe, eines ebnen und hohen Landstrichs, welcher sich zwischen dem linken Ufer des O n o n und seinem Seitenflusse A g a befindet, wufsten aber schon lange, Zinn aus den Erzen darzustellen, und machten daraus Gelafse zu religiösem Gebrauch.

In dem genannten Jahre zeigte einer ih-

rer T a i s c h e n einen Zinngatig an R u s s i s c h e Bergleute, und verkaufte ihn im Namen der Seinigeu an die Krone.

Diese zuerst

bekannt gewordne Lagerstätte liegt zwischen den Bächcn Z u g o l und issa dissertatione de gentis origine, m o r i b u s , superstitione etc. R o m a e . 1762. 4to. — P a t e r Georgius Meinung der Buddhai'smus sei aus den Verirrangen der B l a n i c h ä e r entstanden und daher eine p a r o d i r t e N a c h a h m u n g des Cliristenthums, giebt freilich eine E r k l ä r u n g f ü r die Ähnlichkeiten in d e m R i t u a l e b e i d e r R e l i g i o n e n ; s i e ist aber übrigens nur s c h w a c h begründet und streitet namentlich mit d e r Versicherung d e r T i b e t a n e r , d a f s ihre R e l i g i o n von I n d i e n her gekommen sei und sich dort selbständig gebildet habe. A u c h findet sich wohl im C h r i s t e n t h u m kein K e i m zu d e r G r u n d i d e e der Indischen und Tibetanischen R e l i g i o n , dafs nämlich d i e S e e l e gerettet w e r d e n m ü s s e durch absolutes oder abstraktes D e n k e n , und dafs d a h e r die höchste Religionsübung in gänzlicher Unthätigkeit und der d a r a u s hervorgehenden Vereinfachung des B e w u s t s e i n s bestehe.

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März.

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wuCsten sicli die T i b e t a n i s c h e n Missionaire, leichter als die Christlichen, zu einigen mit den altgläubigen oder B a r g a - B u r a e t e n , denn sie fanden bei diesen den Glauben an manche Beschwörungen und Zaubcrgebräuche, welche den B u d d h i s t i s c h e n nicht unähnlich waren. Noch jetzt baben sich die B u r a e t i s c h e n Jagerfamilien, welche in unzugänglichem Gegenden leben, und die meisten Irkuzker T u n g u s e n ganz frei von der T s c h i g e m u n i s c h e n Religion gehalten, und man findet bei diesen ihren ursprünglichen Naturdienst. Auch sie haben Geistliche oder vielmehr wahrsagende Zauberer, deren Amt auf B u r a e t i s c h durch b u g o i oder u d a g a n bezeichnet wird, je nachdem es Männer oder Weiber bekleiden. Beiden T u n g u s e n lieifsen sie S c h a m a n u i , eben so wie bei den O s t j a k e n (1,1. S. 672) und bei vielen T a t a r i s c h e n Stämmen. — Die b u g o i der altgläubigen B u r a e t e n behaupten, dafs sie besser als andere Menschen mit gewissen schadenfrohen Geistern umzugehen wissen, welche sie o n g o t . u i nennen. Au der Spitze derselben stehe ein Geist Namens b e g d s e , der auf dem m o n d o r g o n o l a oder dem früher erwähnten Vulkanischen Gebirge am I r k u t wohne. Das Vorgebirge beim Austritt der A n g a r a aus dem B a i k a l und die Insel O l c l i o n sind ebenfalls geheiligte Plätze, an welchen Opfer zur Versöhnung jener Geister ausgelegt und, als Zeichen der Befriedigung, von den b u g o i heimlich über die Seite gebracht werden.— Aufserdem haben die B u r a e t e n von jeher jährliche Dankfeste für die g u t e n Geister gefeiert. Nackte Berggipfel ihres Landes sind dazu ausersehen und durch einen sogenannten o b o oder rohen Steinhaufen bezeichnet. Um die Mitte des Sommers, wenn das Steppenvieh am besten genährt ist, werden vor diesen Altären Opfer gebracht und Ringiibungen und andere körperliche Wettkämpfe angestellt. — Die B u d d h i s t i s c h e n Lanien haben nun diese alten Gebräuche anerkannt und sanetionirt, damit den B u r a e t e n die neue Religion nur als eine Erweiterung der alten erscheine. Den b e g d s e haben sie für einen wahren Burchan erklärt, und ihm zu Ehren lassen sie auch von ihren Anhängern, nach je drei Jahren, nahe bei dem Tempel des K u t u c h t a von U r g a und auf dem dortigen Gebirge c h a n - o l a , ein grofsartiges Volksfest feiern. Unter dem Vorsitz ihrer Fürsten üben sich dort die B u d d h i s t i s c h e n

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X I . Abschnitt.

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März.

K a l c h a s - m o n g o l e n i m Ringen, Laufen,Reiten und Bogenschiefsen und die Sieger in diesen Kämpfen erhalten Ehrennamen und andere Belohnungen. Eine Volkszählung und Berathung über öffentliche Angelegenheiten ist mit diesem Feste verbunden. — Ebenso wetteifern die Lamen auch durch medizinische Kcnntnifs mil den Zaubern der altgläubigen Buracten. Herr Jgnninow erzählte mir unter anderm, dafs sie gichtische Anschwellungen vertheilen, indem sie dieselben mit kleinen Stöcken oft und anhaltend schlagen. Ich habe endlich noch zu erwähnen, dafs wohl kaum eine andere Gegend zur Erlangung M o n g o l i s c h e r und B u d d h i s t i s c h e r Gelehrsamkeit geeigneter ist, als das I r k u z k e r Gouvernement. Man kann liier fast jeden der Russischen Kosackcn gebrauchen, um das B u r a e t i s c h e zu erlernen, denn den meisten von ihnen ist dieser Dialekt eben so geläufig w i e ihre Muttersprache. Riese vorläufige Kcnntnifs läfst sich aber dann in ^ c l e n g i u s k durch den Umgang mit den L a m e n ergänzen und endlich zu Nutze machen durch Büchersammlungcn, welche man von diesen für geringe Gegendienste erhält. Beim Anblick der ungeheuren Haufen von Büchern in dem Tempel des C h a m b a l a m a sollte man glaub e n , dafs der Besitz von e i n z e l n e n derselben wcrthlos sei, und doch fehlen sie noch gänzlich in vielen Europäischen Bibliotheken. Herr R o b e r t Y u i l l verschaffte uns von den Priestern, mit denen er umging, mehrere B u d d h i s t i s c h e W e r k e , von welchen ich eines etwas näher beschreiben will. Es besteht aus 54 losen Blättern von starkem Schreibpapier, welches, wie das Wasserzeichen beweist, von einer R u s s i s c h e n Fabrik in die Steppe gelangte. Die Holzplatten mit denen es gedruckt w u r d e , waren wie gewöhnlich von sehr länglicher Form, denn jede Seite, wclchc 18 senkrecht stehende Zeilen enthält, ist mit einem Rande von nur 3 Zoll Höhe bei 9 Zoll Länge umgeben, so dafs sich durchschnittlich etwa 15 Buchstaben in jeder Zeile und 270 auf jeder Seite befinden. Das Ganze ist schwarz gedruckt, aber an einzelnen Stellen mit rother und gelber Erdfarbe sehr dick übermalt, und die Blätter sind nicht mit M o n g o l i s c h e n , sondern mit C h i n e s i s c h e n Zahlzeichen paginirt. Die Bedeutung des Buches läfst sich nach Herrn Untersuchungen folgeudermafsen bcurtheilen:

Schotts

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D i e religiösen Werke der B u d d h i s t i s c h e n Geistlichkeit zerfallen in zwei Ilauptklassen, welche von den M o n g o l e n durch Ä u d u r und S c h a s t r a bezeichnet werden. Die ersteren, die theils rein didaktisch, theils didaktisch - historisch sind, werden als B u d d h a s Wort verehrt, und der grofse Religionscodex G a n d / u r (Seite 103) ist nichts anders als eine vollständige Sammlung dieser i S u d u r . Die S c h a s t r a sind dagegen, etwa w i e die Apokryphen unsrer Bibel oder wie die katholischen Legenden, crbauliche Erzählungen voller Wunderdinge und mehr für das gemeine Volk berechnet. Das in Rede stehende Werk gehört zu der ersten Gattung oder den tfudur's und zwar zu der durch das M o n g o l i s c h e Wort: j e k e k ü l g e n , d . h . das höchste Mittel, bezeichneten Art derselben. Man versteht darunter ein religiöses Mittel zur Befreiung des Geistes, und diejenigen Ä^idur, welche diese Überschrift führen, zeigen, wie der höher begabte B u d d h a v e r e h r e r sich stuffenweise lossagen könne von Allem was die Sinne berührt, um durch die zehn P a r a m i t a oder Übergänge zur glückseligen Abstraktheit des N i r w a n n a emporzudringen. Diese j e k e k ü l g e n « i u d u r sind daher die geschätztesten von allen. — Der vollständige M o n g o l i s c h e Titel des vorliegenden lautet:chutuktu watschir-jar oktoloktschi tschinatu kisagl i a r a , g ö r ü k i e n n a r a t u j e k e k ü l g e n i u d u r , d. h. die sogenannte diamantene i S u d u r des grofsen Mittels, wodurch man zum jenseitigen Ufer gelangt. Unter jenseitigem Ufer ist aber verstanden: das sichere Gestade der Abstraktheit, zu welchem man aus dem Meer des Geburtenwechsels gelangt. Dasselbe Werk ist auch ins C h i n e s i s c h e übersetzt unter dem Titel k i n - k a n g - k i n g , d. h. der diamantne Canon, und zwar geschah diese Übertragung unmittelbar aus dem I n d i s c h e n Originale, die M o n g o l i s c h e aber mittelbar aus dem T i b e t a n i s c h e n . In meinem Exemplare dieses »Sud ur befinden sich nun auf der Kehrseite des ersten Blattes in rother Schrift eine Anrufung der erwähnten B u d d h i s t i s c h e n Trias: Gottheit, Lehre und Geistlichkeit, dann folgt, wie es bei allen / S u d u r gebräuchlich ist, der Titel des Werks in Sanskrit, in T i b e t i s c h e r und in M o n g o l i s c h e r Sprache, welche jedoch alle mit M o n g o l i s c h e n Buchstaben geschrieben sind.

200

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1829.

März.

Das Buch selbst beginnt mit einer Einleitung, die im Wesentlichen folgendermafsen lautet: „Anbetung sei allen B u r c h a n e n und B o d h i s a t v a s ! *) Also „liabeich gehört: einstmals verweilte der allerlieiliclist vollendete „ B u d d h a zu S c h i r a w a s t i im Blumengarten des Königsohns „ T s c h i t ä , im Kreise von 1250 seiner geistlichen Verehrer. Als „die Zeit des Essens k a m , zog der p. p. B u d d h a sein geistliches „Gewand an, griff zur Bettlerschale, und begab sich in die grofse „Stadt Schirawasti um die milde Speisegabe zu erbetteln. Nach„dem dieses Geschäft vollendet war, kehrte er zurück, legte sein „Gewand ab, setzte die Schale nieder, und kauerte sich mit untergeschlagenen Beinen an den Boden. Seine Begleiter umkreis„ten ihn dreimal huldigend, und setzten sich dann um ihn her. „Nach einer Weile stand der hochbejahrte S u b u d i von seinem „Sitze auf, beugte das linke Knie, legte die flachen Hände zusam* „men, und sprach: „ „ B u d d h a , wahrhaft Erschienerer u. s. w., „„welches ist das höchste Mittel (zur Befreiung), und wie kann „ „ m a n dazu gelangen?"" — Es folgt dann ein zusammenhangender Lehrvortrag B u d d h a s , der nur hin und wieder durch kurze Antworten seines Schülers S u b u d i unterbrochen wird. •

»

«

In der zweiten Wochc des März sank in I r k u z k das Thermometer während der Nächte noch auf — 10° R., aber an jedem Mittage thaute der Reif von den Dächern. Zum erstenmal sah ich mit Schrecken das Frühjahr herannahen, denn es drängte zur Abreise, und doch war zuvor noch mancherlei Ilindernifs zu beseitigen. Ich verkaufte den bisher gebrauchten Schlitten und erhielt einen gröfseren von derselben Bauart, welchen ein seltsamer Zufall für Ausländer und ausländische Zwecke bestimmt zu haben schien, denn anstatt der magnetischen Instrumente, die er nun auf-

*) Das Mongolische B u r c h a n ist identisch mit dem I n d i s c h e n B u d d h a , währendBodhisatva oder G e f ä h r t e Buddhas, ein Wesen höherer Art bedeutet, welches jedoch die absolute B u d d h a w ü r d e noch nicht erlangt hat.

XI. Abschnitt.

1829. März.

201

nahm, hatte er bisher die Apparate der früher erwähnten I t a l i e n i s c h e n Seiltänzer von T o b o l s k nach I r k u z k transportirt. Der Kosack A l e x e i M i t l e j e w , der schon in I r k u z k bei mir gewohnt und hei den astronomischen Beobachtungen einige nöthige Hülfe geleistet hatte, sollte mich nun bis nach J a k u z k begleiten, und dort wie es üblich ist, durch einen andern Kosakken ersetzt werden. Ich wünschte aber damals diesen altern Bekannten möglichst lange zur Seite zu haben, und da M i t l e j e w sich einverstanden erklärte, so erhielt er vom General-Gouverneur die schriftliche Erlaubnils bis nach O c l i o z k oder K a m t s c h a t k a mit mir zu gehen, und erst von den dortigen Behörden die Mittel zur Rückkehr zu fordern. Er verstand aufser dem R u s s i s c h e n noch die B u r a e t i s c h e Sprache, war sehr grofs, von brauner Gesichtsfarbe, und etwas M o n g o l i s c h e m Anselm. Die Anstellig, keit und Gewandtheit der ächten ¿Sibirier besafs er im höchsten Grade, war aber einsilbig und verschlossen, und äufsertc nur bisweilen eine fanatische Liebe für R u s s i s c h e Sitte und Religion, und Abscheu vor allem Fremden. In I r k u z k wurde dann noch für Lebensmittel aufs Beste gesorgt. Auf die ganze Dauer der folgenden Reise kaufte ich Thee und Zucker im g o s t i n u i d w o r , 40 Pfund M o s k a u e r Taback zu eignem Gebrauche, so wie Brode und Fische für den gemeinsamen Bedarf bis J a k u z k . Es waren B a i k a l i s c h e O m u l n und M u k i u m e aus der Lena (I, 1. S. 528). Die Lachse jener erstem Art, von denen an der Mündung der tfelenga in einem Jahre bis 10 Millionen gefangen werden, kaufte ich theils getrocknet, theils in jenem eigenthümlich frischen Zustand, in welchem die ¿ S i b i r i e r mit Hülfe des Frostes einige ihrer Fische durch sehr schwache Einsalzung zu erhalten wissen. (I, 1. S. 443.) Geräuchertes Schweinefleisch, welches ich noch aufserdem von I r k u z k aus mitnahm, wurde während der Fasten verborgen, um das Gewissen meines Begleiters zu beruhigen, und gelangte daher a l s g r o f s e S e l t e n h e i t bis nach K a m t s c h a t k a . Für physikalische Beobachtungen beschlofs ich wiederum dieselbe Einrichtung, wie auf der Reise zum O b i ; dafs nämKch an jedem Morgen ein Aufenthalt gemacht würde, um die Neigung und die Intensität der magnetischen Kräfte zu bestimmen, und wenn

202

XI. Abschnitt.

1829.

März.

es das Wetter erlaubte, auch die Lage der Orte durch Messung von Sonnenhöhen. Ein zweiter Aufenthalt in den Wohnorten, die wir zu Anfang der Nächte erreichen würden, sollte wie früher zur Messung der Declination und zur Ortsbestimmung durch Sternbeobachtungen dienen. — Aufserdem verabredete ich corrcspondirende Ablesungen des Barometers mit Herrn Lieutenant D u c , der nun beschlossen halte nach einigen Tagen ebenfalls längs der L e n a bis J a k u z k zu reisen, und erst von dort wieder hierher zurückzukehren. Beide Vorsätze kamen während der folgenden Tage zur Ausführung.

XII. Abschnitt. Fahrt im Lenathale nach Jakuzk.

[März, 19.1 I c h verliefs I r k u z k um 2 Uhr Nachmittags hei hellem Sonnenschein und Thauwettcr. Gute Schlittenhahn fanden wir erst 8 Werst von der Stadt, wo wir über eine ziemlich steile und zu beiden Seiten des Weges schön bewaldete Anhöhe fuhren. Dann ging es wieder durch ebnes Ackerland aber schon nach einigen Wersten abermals aufwärts an dem langen Südabhang eines Bergzuges von wclchem bereits aller Schnee verschwunden war. Hier versagten unsre Pferde ihren Dienst, obgleich wir die Ladung des Schlittens beträchtlich verminderten. Fast fcwei Stunden vergingen unter vergeblichen Anstrengungen his wir Hülfe von B u r a e t e n erhielten. Diese kamen uns mit mehreren Schlitten entgegen auf denen sie Heu nach I r k u z k brachten. Sie fuhren mit Ochsen und liehen uns einige davon als Vorspann bis auf die Höhe. — An dem Abhänge zeigte sich röthlicher Sandstein. Erst um 8 Uhr Abends erreichten wir die Station C h u m u t o w s k , die nur 23 Werst von der Stadt und nach Angabe des Barometers um 312 Pariser Fufs unter dem Rücken des zulezt überschrittenen Höhenzuges liegt. Der Postaufseher von C h u m u «

204

XII. Abschnitt.

1829.

März.

t ö w s k liatle als Unteroffizier in dem ehemaligen K a m t s c h a t i s c h e u Regimentó gedient, und erzählte von seinem Aufenthalle in N i / n e i K o l u i m s k , in O c l i o z k und auf K a m t s c h a t k a . W i r fuhren am Abend und während der mondhellen Nacht 45 Werst w e i t bis zur Station U s t a r d i n s k und befanden uns beständig am Abhänge eines zu unsrer Rechten gelegenen höhereu Landes, welches die hiesige Gegend von dem B a i k a l

trennt.

Um Mitternacht w a r die Kälte empfindlich: das Thermometer kam auf — 20° R., so dafs meine Besorgnifs vor dem Frühjahr allmählig verschwand. [ M ä r z 20.] Von 5 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends fahren w i r 115 Werst weit durch eine gebirgige Gegend zwischen U s t a r d i n s k und M á n s u r s k . Auf der Station O l s ö n s k ( 3 0 W e r s t von U s t a r d i n s k ) machte ich magnetische Beobachtungen. Sie liegt schon auf dem hohen und feuchten Lande, von welchem sowohl die A n g a r a als auch die L e n a Zuflüsse erhalten. Ich bestimmte ihre Höhe zu 408 Pariser Fufs über I r k u z k . — W i r fuhren von dort zunächst über einen höheren Rücken und dann nach den Stationshäusern B a g e n d a i s k und C h o g ö t s k längs einer breiten Thalsohlc, in deren Mitte sich ein Bach Namens k ä m e n n a j a r j é t s c h k a befinden soll. Sie ist von zwei sanft ansteigenden und NO.lieh streichenden Bergzügen begränzt. W i r blieben an dem nördlichem von ihnen und fast in derselben Höhe w i e O l s ö n s k : in B a g e n d a i s k 492 und in C h o g o t s k 348 Par.Fufs über I r k u z k . Diese baumlose Gegend halte jetzt im Winter ein ödes und einförmiges Ansehn. D e n W e g erkannte man nur durch spitze Erdhaufen, in deren Mitte ein Pfahl gepflanzt war. Zur Seite sahen w i r oft B u r a e t i s c h c Jurten. Es sind bald viereckige bald sechseckige aus dünnen Balken gezimmerte Hütten mit platten Dächern. Ihre Wände sind von aufsen mit Kuhmist überzogen und die Dächer mit Baumzweigen und Erde hoch bedeckt. Die hiesigen B u r a e t c n haben von jeher in dergleichen festem Wohnungen gelebt. Sic besitzen grofsc Rindsheerden, gebrauchen aber auch Pferdcmilch zu ihren Speisen. — Den Heuschlag in den Thälern und die Jagd der Pelzthiere treiben sie zu eignem Bedarf und auch zum Verkauf, denn noch immer begegneten uns viele

XII. Abschnitt.

1829.

März.

205

mit Ochscn bespannte Schlitten, auf denen ß u r a e t e n ihr Heu nach I r k u z k brachten. Die Männer führten Bogen, welche weit kleiner als die O s t j a k i s c h e n ( I , 1. S. 563) dennoch eben so wirksam sein mögen, denn anstatt des harten Holzes in der Mitte enthalten die hiesigen schön geglättete Streifen von Ochsenhorn. Der Vielfrafs wird in dieser Gegend sehr häufig erlegt, und unter andrem gesuchtem Pelzwerk sah ich auch zuerst bei den hiesigen B u r a e t e n : das B u r u n d ü k oder g e s t r e i f t e E i c h h o r n . Es ist kleiner und schmächtiger als das E u r o p ä i s c h e und über dem ganzen Körper mit mehreren schwarzen Längsstreifen auf isabcllgelbem Grunde geziert. Sein kurzes und glattanliegendes Haar macht es dem Hermeline ähnlicher als dem Eichhorn von welchem es doch durch Sitten und wesentlichem Bau durchaus nicht zu trennen ist. Bei den Russischen Wohnungen wird auch hier einiger Ackerbau getrieben, jedoch weniger als in der gestern gesehenen Ebue bei I r k u z k . Wir fuhren nahe vor M ä n s u r s k über die flache Hügelkette an deren SO.-abhange wir uns bisher befunden hatten, und kamen dann an den morastigen und mit Schilf bewachsenen Ursprung eines andren nach NO. gerichteten Zuflusses zur L e n a . — M ä n s u r s k liegt an diesen» Bache. Es ist ein kleines R u s s i s c h e s Dorf mit alterthümlichen Häusern. Die Wiesen welche es umgeben , waren mit spitzgewölbten Heuhaufen dicht besetzt. — Ich machte daselbst eine Declinations-Beobachtung, wurde aber gegen 8 Uhr durch Nebel und Bewölkung gestört. Wieder war die Lufttemperatur — 17° R., und die Hitze in dem Hause wo wir Tbee tranken, sehr wohltliätig. Man fragte nach dem Ziel meiner Reise und eine alte R u s s i n bat mich darauf, einen gewissen I w a n E w j e . j e w i t s c h zu grüfsen, der vor 6 Jahren von M a n s u r s k nach der Insel Malaschka gereist w a r , die jenseits K a m t s c h a t k a liegen solle. Offenbar war U n a l a s c h k a gemeint.*) Sie sagte mir dann:

•) Der mir diktirte Grufs, den icli nicht ausrichten konnte, lautete wörtlich: I w a n u E w f e j e w i t s c h u jechawschcmu is Mansurki na ostrovv Dlalaschku poklon, ot M a r j i /Scmenownl ^ w i n i c h i w'Mansurkje.

206

X U . Abschnitt.

1829.

März.

schon auf K a m t s c h a t k a lebe man gut und im Überflnfs, aber weiterhin komme das Land, w o mau a u f d e n H ä u s e r n Dächer

habe,

und

goldne

zu welchem, wie sie glaubte auch M a -

l a s c h k a gehöre. — Hier lebten also noch Europäische Sagen aus den Zeiten der Entdeckung von Amerika, und doch ist inan mit der Nordwestküste in beständiger Verbindung. W i r fuhren am Abend und während der Nacht 55 W e r s t weit in der Nähe des gröfseren Wassers, in welches der Bach von M a n s u r s k mündet, und kamen [ M ä r z 21.] um 4 Uhr Morgens nach dem Stationsdorfe K a t s c l i u g a am rechten Ufer der L e n a .

Diese entsteht hier aus der

Vereinigung des bisher gesehenen linken Armes mit einem andren der von dem Gebirge am Baikal herkommt. — Hier traten w i r zuerst in ein wahres Thal und in eine von der bisherigen durchaus verschiedne Gegend. Senkrechte Felsen von ziegelrothem feinkörnigem Sandstein, mit völlig horizontaler Schichtung begränzen bei K ä t s c h u g a den noch schmalcn Flufs w i e zwei künstliche Mauern, über welche grünende Nadelwaldung höchst anmnthig hervorragt.

Die Oberfläche des Flusses liegt hier 1410 Pariser Fufs

über dem Meere.

(Vcrgl. II, 1. S. 383 )

Bis nach W e r e h o l e n s k , 30 W e r s t von K ä t s c h u g a fuhren w i r noch mehrmals durch Querschluchten aus dem Thalc auf das bewaldete U f e r , blieben aber dann beständig auf dem Eise der Lena.

Die

Stationen,

noch T i u m c n ö w s k ,

von

denen

Korkinsk,

wir

bis 10 Uhr Abends

Pctröwsk

und

Panama-

r o w s k erreichten, sind hier ausschliefslich von R u s s e n bewohnt und um 20 bis 30 W e r s t von einander entfernt. Sie bestehen meist aus nur C bis 8 sehr a l t e r t ü m l i c h e n Balkenhäusern und liegen theils neben den Mündungen von Bächen in E r w e i s u n g e n des Thaies, Iheils auch hart am Abhänge der Hügel.

Das Gestein war

überall auf dem heutigen Wege der dunkclrothe, einfarbige und meist dünnscliiefrige Sandstein von K ä t s c h u g a ,

und er zeigte

sich an der linken Seite des Thaies stets in nackten Felsen mit senkrechten Wänden, während w i r zur Rechten sehr oft mit Erde und Waldung bedeckte Berge fanden.

Die Ursache dieses Unter-

schiedes liegt nicht, w i e wohl sotfSt bei ähnlichem Anschein in ei-

XII. Abschnitt. ner Neigung der Schichten,

1829.

207

März.

denn ihre sichtbaren Durchschnitte

sind auch hier auf weite Strecken und trotz der verschiedenen Richtungen, welche die Felswände annehmen, mit dem Eisspiegel völlig parallel.

Um so auffallender erscheinen mehrere Stellen un-

terhalb W e r c h o l e n s k , an denen die fufsdicken Bänke des Gesteines schlangenförmig gebogen und an der Gränze mit andern scharfwinklich geknickt sind.

Gleichzeitig findet man dort Sand-

steinblöcke, welche genau so aussehen als sei ihre Masse im Augenblick der Erstarrung in Wellenbewegung g e w e s e n ; sie zeigen nämlich die Gränzflächen je zweier Schichten bedeckt mit äufserst gleichmäfsigen wellenförmigen Eindrücken von z w e i bis drei Zoll Durchmesser und entsprechender Tiefe. V o n mehreren Inseln in der Mitte des Flusses bestehen die Abhänge ebenfalls aus nacktem Gestein; ihre Oberfläche- ist aber mit hochstämmigem Nadelholze bedeckt.

Überhaupt erschien hier

das L e n a t h a l äufserst fruchtbar, denn mit seltner Mannichfaltigkeit erhebt sich eine Waldung aus Lärchen, F i c h t e n , Tannen und Zirbelfichten, überall

wo

sich einiges weichere

Erdreich

gesam-

melt hat. In dem Dorfe P e t r ö w s k , SCWcrst v o n K a t s c h u g a , bemerkte ich zuerst an mehreren dortigen Frauen grofse und ausgebildete Kröpfe und hörte mit Überraschung dafs diese, für die Europäischen Alpentliäler so charakterische, Erscheinung hier an der L e n a häufig vorkomme. — Auffallend war ferner ein andrer Eindruck, der sich während der heutigen Fahrt beständig wiederholte.

Mir

schien nämlich das Eis auf dem w i r uns, eingeengt zwischen Felswänden, befanden, in der Richtung unsres Weges s i c h t b a r a b wärts geneigt.

Unser Fuhrmann sagte mir, dafs er dasselbe

sähe, fand es aber auch ganz natürlich, da w i r ja w o n i s , d . h . in die u n t e r e Flufsgegend führen.

Nach unsren Beobachtungen hat

nun aber das Gefälle der L e n a nachdem es zwischen K a t s c k u g a und T i u m e n o w s k

wie

das eines Gcbirgsbaclies

betragen

hat, hier bei P e t r o w s k schon bis auf «^VÖ abgenommen. (II, 1. S. 380.)

Unmöglich konnte dieser Abhang dem Auge auffallen,

w e n n er nicht durch optische Umstände scheinbar verstärkt worden wäre.

Ich glaube daher dafs ein Zusammenhang statt fand

zwischen dieser Erscheinung und zwischen der

flimmernden

Bc-

208

XII. Abschnitt.

1829.

März.

wegung und Verzerrung entfernter Gegenstände, welche ich sowohl in dieser Gegend des Thaies als auch mehrmals an den folgenden Tagen bemerkte.

Diese bewies nämlich dafs die Luft von

dem Eise aufstieg, und daher beträchtlich leichter w a r ,

als

die

etwas höheren Schichten, in denen sich unser Auge befand, und unter solchen Umständen mufs dann ein horizontales Terrain das Ansehn eines abwärts gekrümmten annehmen. *) Wir erreichten

um Mitternacht die Station

Sigalowsk,

129 Werst von K a t s c h u g a , und fuhren von dort ohne das Eis der L e n a zu verlassen bis [ M ä r z 22.] 4 Ulir Morgens, 30 Werst weit nach U s t i l g i n s k und am Tage bis 10 Uhr Abends auf dieselbe Weise durch 6 Stationen nach O r l i n s k

144 Werst von U s t i l g i n s k .

bestanden die Thalwäude

Wieder

aus dem rothen Sandsteine mit allen

erwähnten Eigentümlichkeiten. Wiesen bildeten liier einen ebnen Strand zwischen der L e n a und den Felsen, und noch jetzt sahen wir auf denselben das gewonnene Heu sorgfältig aufgestapelt und neben den Dörfern auch einiges Ackerland. — In ß o t o w s k 49 Werst von U s t i l g i n s k blieb ich von 9 Uhr Morgens bis Mittag um Sonnenhöhen zu messen. Die R u s s i s c h e n Bewohner fischen

*) I s t z. B . das Auge des Beobachters u m 10 F u f s ü b e r dem B o d e n u n d die Luft, d a s e l b s t um 10° R . kälter als die w e l c h e die E r d e b e r ü h r t , so e r h ä l t eine horizontale O b e r f l ä c h e eine h y p e r b o l i s c h e K r ü m m u n g , der e n d u r c h das A u g e g e r i c h t e t e Asymptote gegen den H o r i z o n t eine Neigung von -j-ä-r b e s i t z t . F ü r 2 0 ° T e m p e r a t u r - u n t e r s c h i e d steigt diese N e i g u n g bis auf V o r a u s g e s e t z t n ä m l i c h , dafs das U r t h e i l des Auges ü b e r die E n t f e r n u n g d e r P u n k t e UDgeändert bleibt, w ä h r e n d sich die R i c h t u n g e n , n a c h denen sie gesehen w e r d e n ändern. Das starke F l i m m e r n u n d die aufsteigende B e w e g u n g d e r L u f t , w e l c h e ich in d e r N ä h e von O b d o r s k gesehen h a b e ( I , 1. S. 6 8 9 ) , b e w e i s e n auch n o c h , eben so w i e die anomalen Refraktionen auf dem E i s m e e r e , dafs d e r g l e i c h e n T e m p e r a t u r - u n t e r s c h i e d e selbst bei s e h r kaltem W e t t e r vorkommen. A u c h erklärt sich w o h l n u r auf diese W e i s e eine von H e r r n S t e p a n o w im J e n i f e i s k e r Gouvernement bei einer R e i s e nach M i n u i i n s k g e m a c h t e B e o b a c h t u n g . E r glaubte d o r t w ä h r e n d des F a h r e n s ein s t a r k abhängiges T e r r a i n zu s e h e n ; eben so w o h l nach d e r Seite von w e l c h e r e r h e r k a m , als nach d e r entgegengesetzten, und da sich d e r s e l b e E i n d r u c k eine Zeitlang an allen P u n k t e n , die nach einander err e i c h t w u r d e n , w i e d e r h o l t e , so b e r u h t e auch e r offenbar auf optischen Verhältnissen.

XII. Abschnitt.

1829,

März.

209

hier m i t sogenannten m o r d u i , d. i. mit Fischkörben von derselben F o r m w i e am O b i (I, 1. S. 626), die man aber hier nur gegen 3 Fufs lang macht. Quappen

Sie bcwirtheten uns mit friscbgefangncn

( n a l u i m ) und vertrösteten gutmüthig auf die Gegend

von K i r c n s k , w o man uns gröfsere und edlere Fische vorsetzen würde. In G o l o w s k fand ich das Fuhrmannshaus sehr zierlich gezimmert und von neuerem Ansehn als die übrigen Hütten. Urheber dieses Fortschrittes nannte man einen hier Verbannten,

Als

ansässigen

d e r , w i e gewöhnlich, mit Hülfe und für Beiträge

der Gemeinde gebaut hatte. — Wiederum sah ich viele Kröpfe an

den

Bewohnern

von

Botowsk,

von G o l o w s k

und

in

den folgenden Stationen; fragte man aber nach einer klimatischen Eigenthiimlichkeit dieser Gegend vor dem übrigen ¿ S i b i r i e n , in wclchem ich jene Krankheit niemals gesehen hatte, so mufste w o h l Jeder zuerst auf die Begränzung und Beschattung der hiesigen Luftschichten durch schroffe und parallele W ä n d e verfallen. Diese w i r k t e heule so auffallend auf Temperatur und Feuchtigkeit, dafs w i r mit mehrmaligem grellem Wechsel aus völlig heiterem Wetter in dichtes Schneegestöber übergingen, sobald die Thalwände eine NW.liche Richtung annahmen. | M ä r z 23.]

W i r kamen um 5 Uhr Morgens nach den Sta-

tionshäusern von i S o k n i n s k , 35 Werst von O r l i n s k .

Die Luft-

temperatur w a r um 10 Uhr Abends — 16° R. gewesen, jetzt aber bei hellem Himmel bis auf — 24°,3 R. gefallen; für den Anfang des astronomischen Frühjahrs eine ansehnliche Kälte 1 Ich wärmte mich daher in einem Hause von » S o k n i n s k auf dem Hängeboden über dem Ofen, w o man bei der hiesigen Bauart ein wahres Rauchbad anstatt der sonst üblichen Dampfbäder genofs. Es giebt nämlich hier nur sogenannte t s c h e r n u i j a i s b u i , d. i. s c h w a r z e Stuben.

Der grofse gemauerte Ofen dient auch in diesen sowohl

zum Kochen als zum Heizen 5 er hat dieselbe Form wie in den neuern R u s s i s c h e n Häusern, ist aber hier ganz ohne Schornstein, so dafs aller Rauch, der etwa, trotz der Breite und Tiefe des Feuerungsraumes, unverbrannt bleibt, zugleich mit der erwärmten Luft durch die Heizungsthüre in das Zimmer zurücktritt. Er zieht sich dann über den Hängeboden, den er bald vollständig schwärzt, und II. Band.

210

XII. Abschnitt.

1829.

März.

6uclit endlich einen Ausweg durch ein eignes Fenster, welches sich in der Höhe dieses Bodens und an der Thürwand des Zimmers befindet. Die hiesigen R u s s e n unternehmen jährlich zur Jagd der Pelzthierc weile Expeditionen in die Wälder, und ebeu jetzt waren dazu viele Männer von i S o k n i n s k ausgezogen. Auch hörten wir hier zuerst von den T u n g u s e n , die mit demselben Zwecke zu beiden Seiten des L e n a t h a i e s verkehrten; man behauptete aber in i S o k n i n s k , dafs sie nur selten an den Flufs in die R u s s i ' s e h e n Ortschaften kämen. In dem nächsten Dorfe B o j a r s k o e , wo ich magnetische Beobachtungen anstellte, war die Bekanntschaft der R u s s e n mit ihren T u n g u s i s c l i e n Nachbarn schon inniger geworden. Mau sagte m i r , dafs diese nicht selten hierher kämen um ßrodmelil zu kauf e n , und dafs sie davon das Pud mit 3 Eichhornfellen bezahlten. In I r k u z k gelten diese Felle etwa 90 und das Pud Mehl 55 Kopeken, so dafs, nach dieser Angabe und mit Rücksicht auf die Transportkosten, der hiesige Tauschhandel mit Billigkeit geführt wird. Die T u n g u s e n aus der Umgegend der L e n a sind übrigens keinesweges an diese R u s s i s c h e Nahrung gebunden, sondern essen noch aufserdem sowohl Rennthierfleisch, als a l l e übrigen Thiere, die sie für den Pelzhandel erlegen. Man sagte mir ferner, dafs sie auf Rennfhieren hierher geritten kämen, und dafs ihnen dabei ein einfaches Stück W o i l o k die Stelle des Sattels verträte; so wie auch dafs sie mit Schiefspulver und gezognen Büchsen ( w i n t ö w k i ) jagen, welche sie im Sommer liier an der L e n a von den abwärts schürenden Knuflenten gegen Pelzwerk eintauschen. Den Charakter des Thaies und seiner steilen und felsigen Begrenzung fand ich heute eben so wie auf dem gestrigen Wege. An Tagewassern sind die Berge ungemein reich. Mehrmals sah ich hier an die unteren Schichten des rothen Sandsteines Eisberge angelagert, welche durch Quellen entstanden waren, und ein Abflnfs zur L e n a war offenbar auch noch jetzt unter dieser gefrornen Decke vorhanden. In den Stationsdörfern R i / n a j a und T u r ü z k a j a (60 und 94 Werst von ¿S'okninsk) waren Kröpfe noch weit häufiger als bisher. Namentlich sah ich sie heute auch an vielen Männern; in der

X I I . Abschnitt.

1829.

211

März.

oberen Thalgegend schienen aber fast ausschliefslich Frauen damit behaftet.

D a z u k a m nun bei den Leidenden eine bleifarbene Haut

im Gesichte, w e i t hervortretende Augenlieder und ein stierer und blödsinniger Blick.

In T u r u z l c fragte ich einen Verbannten, den

einzigen gesund aussehenden Bewohner des Ortes, wie er sich v o r dem K r ö p f e geschützt habe, und erfuhr, dafs keiner der erwachsenen Ankömmlinge aus E u r o p a , von dem Übel befallen werde, vielmehr sei der Kropf den Kindern der Einheimischen

„angeboren

und w a c h s e mit dem Menschen.'' N a c h einem hellen Morgen hatte sich heute gegen Mittag efne doppelte Wolkenschicht von c i r r i s und darunter gelegnen Haufenw o l k e n gebildet, aber am Abend zertlieilten sie sich wieder und ich erhielt in dem D o r f e U s t k u z k

eine gute

Sternbeobachtung

zur Bestimmung der Declination und der geographischen Lage. — W i r blieben dann über Nacht in U s t k u z k ,

weil ich die Salz-

quellen sehen wollte, welche sich in der Nähe dieses Ortes befinden.

D a s Gemeindezimmer, w o w i r unser L a g e r auf den Wand-

bänken aufschlugen, w a r wie gewöhnlich und bis spät in die Nacht sehr belebt von gesprächigen Fuhrleuten und andern Bewohnern, welche uns die Neugierde zuführte. [ M ä r z 24.]

Einer dieser Bauern brachtc mich am Morgen

mit seinem einspännigem Schlitten nach den Salzquellen.

Sie lie-

gen um 4 Werst westlich von U s t k u z k , in dem Seitenthalc des Flusses K u t a , der hier in das linke L e n a u f e r mündet.

An der

linken Thalwand der K u t a , an der wir entlang fuhren, fand ich dunkelrothen höchst feinkörnigen Sandstein anstehend, bis wir zu einer Stelle gelaugten, w o diese Hügel weiter vom Flusse zurücktreten und eine Ebne umschliefscn, die nur wenig höher liegt als die Thalsohle.

Nadelwaldung bedeckt die umgebenden Abhänge,

aber die Ebne selbst ist kahl, mit sumpfigem Boden, aus welchem Blöcke von löchrigem und zerfressenem Kalke hervorragen. Es ist ein Rauhkalk wie der bei K u n g u r .

(I, 1. S . 275.)

Die Solquel-

len, welche sich unter diesem Erdreiche befinden, münden

zum

Theil in einem salzigen Teich von 30 Fufs Durchmesser und e t w a 5 Fufs Tiefe.

Andre würden unter dem S u m p f zur K u t a abüie-

fsen, w e n n man sie nicht zuvor in einem gegrabnen und ausgezimmerten Brunnen sammelte. In diesem fand ich das Wasser äufserst 14 *

212

x n . Abschnitt.

1829.

März»

6alzig von Geschmack, auch war es völlig flüssig, obgleich es sogar es in der Tiefe des Brannens, wohin ich ein Thermometer in einem mit Steinen beschwerten Eimer hinabliefs, eine Temperatur v o n

— 4» R . besafs. — Die Siedpfannen, welche sich neben die-

sem Bassin in einem hölzernen Gebäude befinden, werden nur vom März bis November benutzt, und man soll jährlich in dieser Zeit 20000 Pud Kochsalz zur Versorgung des Kirensker Kreises gewinnen.

Die Verwaltung dieser Quellen, und die umgebende W a l -

dung sind jetzt einem Kaufmann von K i r e n s k übergeben.

Er

erhält aus der Staatskasse 23 Kopeken, oder nahe an 2 Silbergr. Preufsisch für jedes Pud Salz, welches er in die öffentlichen Magazine liefert, und aufserdem einen Zuschufs von 2700 Rubel zu den Kosten des Betriebes, so wie 3 0 Verbannte als Arbeiter, von denen er einen Jeden jährlich mit 50 Rubel zu besolden hat. Diese wohnen in U s t k u z k , dürfen sich aber im Winter zu andrer Arbeit in der umliegenden Gegend vermiethen. Bei der Rückkehr zur Mündung der K u t a sah ich am linken Ufer dieses Flusses noch

mehrere kleinere Quellen entspringen,

welche das Eis rings um sich offen erhielten, und ebenfalls sehr salzig schmcckten-

Die salzhaltigen Schichten liegen also auch dort

noch unter denen des rothen Sandsteins, welche die

Thalwand

über den Quellen bilden. — Von dem K u t a t h a l e erzählte mir mein Begleiter, dafs es noch 100 Werst weit aufwärts von der Mündung, von Rassischen Jägern bewohnt sei, aber von dort bis zur Quelle dieses Zuflusses, die er um 300 Werst von der L e n a

entfernt

hielt, sei die Gegend noch felsiger und wilder, und werde nur von herumstreifenden T u n g u s e n besucht. In P o d u i i n a c h i n s k , Vi Werst von U s t k u z k , bemerkte ich noch einen allen Verbannten, dem die Nasenflügel aufgerissen waren.

Diese Bezeichnung der mit dem Knut bestraften Verbrecher

soll jetzt nicht mehr üblich sein, und ich habe sie wirklich aufser an dem eben erwähnten Manne, nur an einigen R u s s e n Südspitze von K a m t s c h a t k a gesehen, keine Verbannte mehr geschickt werden.

auf der

wohin schon seit lange Es ist ein e t w a eine

Linie breiter kreisförmiger Einschnitt in dem Unterrande Nasenflügels, und mir schien es stets als erhalte Profil des Kopfes einen widerlich listigen Ausdruck.

dadurch

jedes das

Aufserdem

XII. Abschnitt.

1829. März.

213

wurde noch dergleichen Verbrechern das W o r t w o r , d. i. D i e b in die Stirnhaut gebrannt, so dafs sich ein o in der Mitte derselben und die beiden andern Buchstaben auf den beiden Schläfen befanden. An den Individuen welche ich gesehen habe, waren diese Brandmahle nicht mehr au bemerken, vielleicht, weil sie vollständig vernarbt oder durch den Haarwuchs bedeckt waren; ich glaube aber dafs der Ekelname w o r n a k , mit dem man die Verbannten in ¿ S i b i r i e n bisweilen belegt, von w o r und s n a k , d. i. Zcichen abstamme, und als Denkmal jener älteren und grausamen Criminal-Justiz zu betrachten ist. Die nächste Station K o k u i s k besieht nur aus 6 Häusern mit 22 Einwohnern. Sie ist aber ausgezeichnet durch ihre malerische Lage hart am Fufsc eines sohrofl'en Felsens, welcner dort die linke Wand des Lenathaies bildet. Er ist nahe an 400 Fufs hoch, in der Höhe völlig senkrecht abgeschnitten, und unten gegen das Thal von sanftrrin Abbang, auf welchem schöne Lärchen und andres Nadelholz stehen. Die hinabgefallenen Blöcke bestanden wie bei den Salzquellen von U s t k u z k aus löcherigem Kalkstein. — Auf der Spitze des Felsens haben die Bewohner von K o k u i s k ein hölzernes Kreuz gesetzt, um, wie sie mir sagten, den l j e s c h e d. i. den iin Walde spukenden Geist damit zu beruhigen. Dieser habe auch liier sein Wesen getrieben, indem er Steine von oben auf dem Berge nach den Vorübergehenden ins Thal warf; auf dieselbe Weise gebrauchte er auch das erste Kreuz, durch welches man den Spuk vertreiben wollte, und erst das jetzt errichtete liefs er sich gefallen. — Kropfige sah man hier eben so häufig als gestern. Dergleichen hohe und prachtvolle Felswände bleiben vorherrschend auf dem folgenden Wege. In Ä i i c h o w s k , der nächsten Station naoh K o k u i s k klagten die Bewohner über gänzliche Armuth des Ortes. Zum Ackerhau sei das Thal zu enge. Viehzucht erlauben die Raubthiere nicht, und so bleibe denn die Jagd der einzige Erwerbzweig. Wölfe und Bären giebt es hier in Menge, und um diese zu erlegen beneideten sie mir meinen B a r a b i n z i s c h e n Hund, der ungleich stärker sei als die ihrigen. Aueh sagten sie, dafs selbst die T u n g u s e n in den nächstgelegenen Waldungen nur wenig edle oder kostbare Pelzthiere zu finden wilfsten.

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XII, Abschnitt.

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März.

Trotz des regelmäfsigen Verkehres mit I r k u z k , welcher im Sommer durch die SchiJTfahrt auf der L e n a erleichtert w i r d , erscheint hier die Gegend höchst isolirt. Zum Beweise erzählten mir die Bauern in j S ü c h o w s k , welche wie alle übrige im L e n a t h a l sehr leidenschaftliche Tabackraucher sind, dafs sie einen ganzen Rubel für jedes Pfund des gemeinen oder sogenannten T s c h e r k e s s i s c h e n Blatt-tabacks bezahlten. In I r k u z k gilt aber diese Waare nur 20 Kopeken, und aufserdem mufs man sie hier mit Eichhornfellen bezahlen, wclclie der Kaufmann nur für f des 1D I r k u z k dafür üblichen Preises anrechnet. Die ¿ S ü c h o w s k e r rauchen daher niemals r e i n e n Taback, sondern ein Gemenge desselben mit Holzspänen, und zerschneiden zu demselben Zwecke ihre alten Pfeifenröhre, von denen sie mit der Miene geübter Kenner versicherten, dafs sie den t a b a s c h n u i d ü c l i , d . i . den wahren Duft oder Geist des Tabacks in sich aufnehmen. Noch um 9 Uhr Morgens war die Lufttemperatur in U s t k u z k bei hellem llimmel — 18°,5 R. Als es sich aber um Mittag bewölkte, stieg sie schnell bis auf — 4 ° R., und unter dem Schutzc der Wolken wurde es auch am Abend nicht viel kälter. In S a r o w s k , 113 Werst von U s t k u z k , fand ich um 10 Uhr nur — 7° R» Dennoch wirkte die Nachtluft durch ihre starke Feuchtigkeit äufserst unangenehm auf das Gefühl, und es wiederholte sich die Erfahrung, dafs man sich gegen die stärksten Grade trockener Kälte ungleich besser als gegen Nebel schützen könne. (I, 1. S. 646.) [ M ä r z 25.] Wir kamen um 9 Uhr Morgens nach der Station P o t a p o w s k , 73 Werst von S a r o w s k , wo ich die gewöhnlichen magnetischen Beobachtungen anstellte. — Wieder blieb es, unter einer gleichförmigen und hohen Bedeckung des Himmels, bei sehr geringer Kälte; um 4 Ulir häuften sich mit Westwind niedrige und schwere Wolken, auf deren Entstehung die jedesmalige Richtung des Thaies den entschiedensten Einflufs ausübte, auch hatten wir wieder demgemäfs so wie am 22sten März, partielle Schneegestöber in mehreren Windungen des Thaies und helles Wetter in den andren. Von P o t a p o w s k fuhren wir 40 Werst weit n a c h S a b ö r s k wie gewöhnlich auf dem Eise der L e n a , und hatten noch am Ende dieser Strecke sehr schöne Wände des rothen und horizontal ge-

XII. Abschnitt.

1829.

März.

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schichteten Gesteines zu beiden Seiten. Der Charakter der Gegend ist auch hier noch wie am Anfang des Thaies, nur ist der Flufs ungleich breiter und die Felswände sind höher geworden. Zwischen S a b ö r s k und K i r e n s k beschreibt die L e n a eineij Bogen, der gegen Westen gewandt und 00 Werst lang ist. W i r verkürzten diesen Weg bis auf 28 Werst, indem wir, zum erstenmal seit 4 Tagen, das Eis verlicfsen und einen steilen Gebirgsrücken überstiegen, welcher dort die rechte Tlialwand bildet. Er erhebt sich in zwei Absätzen bis zu 502 Pariser Fufs über der L e n a oder 1238 Pariser Fufs über dem Meere , und ist dicht bewaldet mit Nadelholz und Pappeln. Wir wendeten uns von dieser Höhe wieder abwärts, sahen aber auch weiter gegen Osten andre nach N. oder NW. streichende Gebirgsrücken. Von dem nächsten derselben trennte uns das Thal der K i r e n g a , welche bei K i r e n s k in die L e n a mündet. Die schwarzen Häuser dieser Stadt und einige Kirchen lagen vor uns, als wir die Waldung verliefsen, mit malerischer Willkür auf den besclincilen Hügeln vertheilt, welche das rechte L e n a ufer von dem linken der K i r e n g a trennen. W i r hielten um 7 Uhr Abends vor einem der niedrigsten Balkenhäuser des Ortes, in Welchem die Kaiserliche Behörde ihren Sitz hat. M i t l e j e w übergab daselbst unsre Papiere und gleich darauf erschien einer der Beamten an der Thür, um dem Fuhrmann die uns angewiesene Wohnung zu bezeichnen. Sie war in dem Hause eines reichen Bürgers, welches über den Wirtlischaftsräumen auf platter Erde noch ein höheres Stockwerk und eine im Innern dahin führende Treppe enthielt. Ich fand die Zimmer vortrefflich geheizt und fiufserst reinlich und bequem. Sie erschienen prächtig im Vergleich mit den Wohnungen, die wir in den letzten 7 Tagen betreten hatten. Gegen Abend entwölkte sich der Himmel und ich beobachtete Stcrndurchgänge um die geographische Lage von K i r e n s k und die magnetische Abweichung zu bestimmen. In wenigen Stunden hatte sich nun die Luft wieder bis auf — 16° R. erkaltet und auf dem Hofe, wo ich meine Instrumente aufstellte, borst das Erdreich unter laulcm Krachen durch die schnelle Zusammerjziehung, welche es erlitt.

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XII, Abschnitt,

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[ M ä rz 26.] Die Verheifsungen der Bauern im obera L e n a » thale gingen aufs beste in Erfüllung, denn wir wurden heute in K i r e n s k mit vortrefflichen Pirogen aus Störfleisch, mit Caviar und andren leckeren Fischspeisen bewirthet, zu denen auch die Laehse der L e n a das ihrige beitrugen. M i t l e j e w wollte aber auch hier von der Strenge seiner 40lägigen Fasten nicht ablassen. Während der bisherigen Reise hatte er sich mit Thee und mager gedörrten Fischen höchst kümmerlich erhalten, und sogar die fleischigem gesalznen Omuln fiir zu nahrhaft erklärt; auch war er schon sichtlich abgemagert und geschwächt, und sein Gesicht halte eine ungesunde Farbe, Wir schieden um 3 Uhr von unsrem gefälligen Wirthe, nachdem wir noch in der Stadt einige von der Bulterwoche übrig gebliebene Rutschberge gesehen hatten. — Unser Schlitten war trefflich bespannt, und zwar ist es hier wiederum wie auf dem O b i üblich geworden, die Pferde g u i e m , d. h. im Gänsemarsch oder einzeln voreinander anzuschirren. Als wir die L e n a erreichten, bemerkte ich schon aus der Ferne am linken Ufer hohe Felsen von so zackigen und zerrissenen Formen, wie wir sie bisher in den Sandsteingebirgen des Thaies nirgends gesehen hatten. Sie erheben sich an einer Stelle, wo die L e n a nach östlichem Laufe sich wieder nach NO. wendet, und ich erkannte sie, als wir diese Stelle erreichten, für einen derben und hellgrauem K a l k , dessen Schichtcn aufs merkwürdigste gewunden und geknickt und stellenweise durch unförmliche Spaltungen gänzlich versteckt sind. — Dann bogen wir um die Ostspitze dieses Vorgebirges und sahen an seiner Nordseite den rothen Sandstein deutlichst aufgelagert auf den Fufs der ungeheuren Kalkmasse. Beide Gebirgsarten sind hart neben einander zu erkennen. Die Schichten des Sandsteins sind ebenfalls etwas gebogen, aber durchaus nicht geknickt. Sie fallen nämlich in geringem Grade von dem Berge abwärts nach Norden, werden aber mit allmäliger Biegung und schon in geringer Entfernung wieder völlig horizontal. — Auch an dem rechten Ufer der L e n a steht ein Kalkfels, der offenbar im Zusammenhange mit jenem unter dem Wasser fortsetzenden Vorgebirge ist.

XII. Abschnitt.

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217

Auch er ragt steil über rothc und zu beiden Seiten an ihn angelagerte Schichten hervor. *) In der nun folgenden Strecke des Thaies schienen die Kröpfe ihre gröfste Häufigkeit und Bliithe erreicht zu haben.

Ich beach-

tete unter andrem eine kopfgrofse Geschwulst dieser A r t , die aus vier einzelnen Höckern bestand, an dem Halse eines etwa 12jährigen Knaben in G o r b o w s k **), 45 W e r s t von K i r e n s k .

Auch

in diesem Falle wurde zuversichtlich behauptet, die Anlage zur Krankheit sei angeboren gewesen, und habe sich mit zunehmendem Alter schnell entwickelt.

Es giebt in diesen Stationen keine neu

angekommene Verbannte.

Zur Bestätigung ihrer Meinung von der

Erblichkeit des Kropfes erwähnten aber die B e w o h n e r , dafs man abwärts im Thale, w o wieder Verbannte mit Eingebornen zusammen leben, kein Beispiel der Krankheit an den ersteren kenne. Die hiesigen R u s s e n versicherten mich, dafs sie für ihre Jagden eine Abgabe an den S c h u l e n g i n , d. h. den T u n g u s i s c h e n Häuptling bezahlen, in dessen Distrikt sie sich begeben, denn die T u n g u s c n seien, wie sie erklärend hinzufügten: „höchst gewitzigt und gebildet", (chitrie i obrasövvannie); sie hielten streng auf ihre Rechte, und begegneten in ihren Wäldern jedem R u s s i s c h e n Jäger mit der Frage: w e r i h n d e n n e i n g e l a d e n

h a b e ? ( a kto

tebja swäl?) — Auch heute

waren lokale Erwärmungen der Luftschichten

zwischen beengenden Felswänden höchst auffallend, denn, als die Sonne schon niedrig stand, schienen alle entfernten Gegenstände in wallender Bewegung so oft wir aus einer schon beschatteten Strecke des Thaies, in eine hell beleuchtete hineinsahen. [ 3 ! ä r z 27.]

W i r kamen um 9 Uhr Morgens nach I t s c h o r a

der 7ten Station von K i r e n s k .

W i e die meisten an der L e n a ,

besteht auch dieses Dorf nur aus 8 Gehöften.

Die hiesigen sind

ärmlich, doch gab man uns gute Karauschen, wclche auf einfache aber empfehlenswerthe Weise bereitete.

Mitlejew Sic werden

") Vergl. die hierzu gehörige Zeichnung. •») Ich bemerke noch, dafs wohl auch der Name dieser Station, welcher von g o r b , d. h. einen H ö c k e r oder B u c k e l , gebildet ist, auf die Häufigkeit der Kröpfe deutet.

218

X I I . Abschnitt.

1829.

März.

in Hälften zerschnitten, von innen mit e t w a s S a l z bestreut, und dann mit einer Unterlage von S t r o h

oder Papier auf den heifscn

Steinen an der Mündung des Ofens gebacken. — Auch erhielt ich liier einen vortrefflichen Leiin, welchen sich die Bewohner zu eignem Gebrauch aus dem Rückenmark der Störe und andrer Ilausenartcn bereiten.

Mir w a r diese Cabe äufserst wichtig um eine

Beschädigung des Verschlusses an einem meiner Barometer zu verbessern. Uni er diesem Geschäft und den gewöhnlichen magnetischen Beobachtungen blieben w i r bis Mittag in I t s c h o r a . Auf dem folgenden W e g zeigte sich der Kalk von K i r e n s k in äufserst scliroffcn und schönen W ä n d e n ; der bedeckende Sandstein schien nun verschwunden. D a s Thal blieb eng begränzt und bei niedrigem Sonnenstande zeigte sich das auffallende Luflilimmera unter denselben Umständen w i e gestern. Zwischen T s c h a s t i n s k , nächsten Station D u b r o w a ,

22 Werst von I t s c h o r a , und der fuhren w i r wieder zur Abkürzung

des W e g e s über einen mit Nadelholz bewachsenen B e r g am rechten Ufer der L e n a . [ M ä r z 28.]

Seinen höchsten Punkt erreichten w i r bei Tages-

Anbruch, so dafs ich das Barometer daselbst ablesen k o n n t e , und seine Höhe zu 200 Par. Fufs über der L e n a oder 809 Fufs über dem Meere bestimmte. Im Thale bei D u b r o w a fragte ich wieder nach Kröpfen. Man kannte sie wohl, doch werden sie hier schon weit seltner, und auf dem folgenden Wege habe ich keine mehr gesehen, — S o hatten w i r also, absteigend längs der L e n a , die untere Verbreitungs-Gränze dieser merkwürdigen Erscheinung fast erreicht, ohne wesentlichen Aufschlufs über ihre Ursach und Entstehung.

Lebhaft

verlangte

ich damals nach den Meinungen wissenschaftlicher Männer, welche in E u r o p a dem gleichen Räthscl vieljährige Beobachtungen

wid-

m e t e n , und ich habe mich jetzt überzeugt, dafs die sechs Octavb ä n d e , welche e t w a die Originallitteratur über den endemischen K r o p f und den, entweder d u r c h diesen oder m i t i h m a u s e i n e r l e i U r s a c h entstehenden C r e t . i n i s m u s ausmachen, ihren Resultaten nach auf Folgendes zurückkommen : In fruchtbaren, wasserreichen und meist von beiden, immer aber von einer Seite, durch felsige Gebirge begränzteu Ebnen von

XII. Abschnitt.

1829.

März.

219

meist nicht über 3Ö00 Fufs Höhe, wird im Sommer die nicht frei circulirende Atmosphäre anomal erwärmt und ungewöhnlich feucht. Sie dürfte in diesen Beziehungen, so wie auch zur Ergründung andrer noch unbekannter Eigenschaften, mit d e r L u f t i n T r e i b h ä u s e r n am besten zu vergleichen sein. Für die Vegetation w u r d e eine auf diese Weise modificirte Atmosphäre stets äufserst günstig befunden, zugleich aber, und man weifs nicht durch welche der i h r w e s e n t l i c h e n Eigenschaften, erzeugt sie unausbleiblich den Cretinismus.

Es entstehen zuerst bevor die Einwirkung auf

menschliche Organismen genugsam gedauert hat, nur Kröpfe. Von Generation zu Generation werden diese beträchtlicher, bis sie, nach Erreichung einer gewissen Gröfse und Allgemeinheit, die Ursache oder doch die sicheren Vorboten des vollständigen C r e t i n i s m u s ausmachen. — W i r wissen dann ferner, dafs der Kropf eine Krankheit der Schilddrüse ist, eines Organes, von welchem

Födere

vermutliet, dafs es da sei, um die Luftröhre durch Schleim geschmeidig zu erhalten, während C o i n d e t , der glücklichste unter den Kropfärzten, versichert, dafs man dessen Nutzen durchaus nicht kenne.

Der C r e t i n i s m u s hingegen ist ein von Mifsgestaltung

des Schädels begleitetes Gehirn- und Nervenleiden, welchem jene Ausartung der Schilddrüse stets und sogar ursachlich vorher

zu

gehen scheint. *) W e n n w i r nun im L e n a t h a l e von P e t r o w s k b i s

Dubrowa

so blühende Kröpfe finden, dafs ihnen, nach F o d e r c s Erfahrungen, der vollständige C r e t i n i s m u s sehr bald folgen wird — es sei denn, dafs Heirathen mit neu ankommenden Verbannten oder mit B c r g - T u n g u s e n diese letzte Entwickelung hemmen — so k a n n

*) leb nenne als Stützen dieser Ansichten: H. B. S a u s s u r e . Voy. d a n s l e s A l p e s , à G c n e v e 178C. Vorzüglich tom IV. A c k e r m a n n . Ü b e r d i e C r c t i n e n . G o t h a 1790. Svo. J. und K. W e n z e l . Ü b e r d e n C r e t i n i s m u s . W i e n 1802. 8vo. F o d e r e . T r a i t é du g o i t r e et du c r e t i n i s m e . à P a r i s an VII. 8vo. B r a m l e y . In: T r a n s a c t i o n s of the med. and p h y s . soc. of C a l c u t t a 1833. Vol. G pag. 183. — C o i n d e t . Ü b e r den K r o p f . Anna len d e r P h y s i k 66 pag. 238. so wie auch, als Repräsentant der raisonnirenden Versuche über den Gegenstand: T r o x l e r . D e r C r e t i n i s m u s u n d s e i n e F o r m e n e l r . Z ü r i c h 1836. 4lo.

220

X I I . Abschnitt.

1829.

März.

dieses, nach den eben erwähnten R e s u l t a t e n , nicht befremden.

Auch

diese G e g e n d bringt uns vielmehr und in vollstem Maafse besondre Bestätigungen jener a l l g e m e i n gefafsten Aussprüche.

Stagnation

der Luftschichten, äufserst heftige S o n n e n w i r k u n g und s t a r k e Feuchtigkeit, w e l c h e von der L e n a und von allseitig zufliefsenden Q u e l len genährt w i r d , erkannten w i r s o g a r jetzt im W i n t e r durch lokale Bewölkungen,

die v o n Schneegestöbern in einzelnen T h a l -

k r ü m m u n g e n , so w i e von a b n o r m e n B r e c h u n g e n des Lichtes begleitet w e r d e n .

In den heifsen S o m m e r n

der

hiesigen

Gegend

müssen sich alle diese Umstände vielfach steigern. * ) Im Allgemeinen k a n n m a n sich von dem starken Einflufs der T h a l w ä n d e auf die T e m p e r a t u r der sie umgebenden Luftschichten vielleicht a m besten durch Beispiele im Kleinen überzeugen, w e l c h e von Menscl»enhänden herbeigeführt werden.

Da

schon die Häuser in den S t r a f s e n

d e r S t ä d t e die nächtliche E r k a l t u n g so s e h r h e m m e n , dafs T h a u in denselben unerhört ist, und da sie aufserdem alle allgemeineren S t r ö m u n g e n der L u f t fast bis zum unfühlbarcn s c h w ä c h e n , so darf m a n an der W i r k u n g v o n Thälern w i e das d e r L e n a nicht z w e i f e l n , in denen sich dergleichen S e h u l z an allen P u n k t e n S t r e c k e von 100 D . Meilen wiederholt. F o d c r e , im Thale v o n M a u r i e n n e tinismus e r k a n n t e ,

finden

einer

Üppigen B a u m w u c h s , den

für einen Begleiter des C r e -

w i r auch z w i s c h e n den Felsen

desLo

u a t h a l e s ; denn hier von 5 5 ° bis 57°>7 B r e i t e und sehr nahe a n dem k ä l t e s t e n M e r i d i a n d e r E r d e

mufs eiue hohe Mannich-

faltigkcit und Schönheit des Nadelholzes f ü r eben so auszeichnend gelten, w i e die Pistazien und L o r b e e r e n a m F u f s e des M o n t ll i s .

Ce-

A u c h für diesen Einflufs der T h a l w ä n d e auf di.e V e g e t a t i o n

giebt es ein auffallendes Beispiel im K l e i n e n : ich meine 'die k ü n s t lich gegrabenen S c h l u c h t e n , v e r m ö g e deren m a n i m Europäischen; Rufsland die Obstzucht betreibt.

(I, 1. S . 153.) — D i e K r ö p f e a n

der L e n a sind am ausgezeichnetsten zwischen 1050 und (¡06 P a r . F u f s über dem Meere; in naher Übereinstimmung mit den E r f a h rungen in E u r o p a , w o eine H ö h e v o n 1100 P a r . Fufs über d e m

* ) Die atmosphärischen Erscheinungen im L e n a thale erinnern bis ins Einzelne an eine vortreffliche Schilderung der CreUnlhüler im S a l i b u r g s c l i e n durch W e n z e l 1. I. pag. 4 — 6.

X I I . Abschnitt.

1820.

März.

221

Meere am gunstigsten für den Crctinisxnus und von 7 5 0 P a r . Fufs als untere Gränze des Phänomens erscheint. *) Eben so analog sind die Thatsachen, dafs hier einzelne Dörfer, wie T u r u i k und R i / n a j a durch günstige Lage gegen die -wärmenden Felsen und besondern Überflufs an Quellwasser, w e i t reicher an Kropfigen sind, als die übrigen ihnen sehr nahe gelegnen ( S . 2 1 0 ) , leichter als Männer, e r w a c h s e n e

dafs Frauen

Ankömmlinge aber niemals an

der endemischen Entartung Iheilnebmen. Neben dieser Übereinstimmung mit früher B e k a n n t e m ,

bietet

aber die hiesige Kropfgegend auch einige ihr e i g e n t ü m l i c h e B e ziehungen.

In den Alpen behauptet man allgemein, dafs jeder ein-

zelne Kropf im W i n t e r abnehme, und Bewegung iu kalter Luft gilt dort sogar für das beste Schutzmittel gegen das aufkeimende Übel.

Hier scheint es bei weitem nicht hinreichend.

Von

der

Kälte der hiesigen W i n t e r erhielten w i r einen deutlichen Begriff, durch Lufttemperaturen von — 2-4° R., die w i r noch jetzt zu Anfang des Frühjahrs erlebten, und obgleich die kropfigen

Bauern

auch hier wie überall in Rufsland stark geheizte Zimmer und den Platz auf dem Ofen lieben, so lassen sie es doen von der andern Seite an anhaltender Beschäftigung in der Kälte keineswegs fehlen. S i e gehen im W i n t e r mehrere W o c h e n auf die Jagd und halten dabei ihre Nachtlager unter freiem Himmel!

Vielleicht hat man anzu-

n e h m e n , dafs die Kälte ihren wohlthätigen Einflufs verliert durch die auffallende Feuchtigkeit, mit der sie liier im L c n a t h a l e , ganz im Gegensatz zu andren Gegenden ¿ S i b i r i e n s , begleitet ist. — Beachtungswerth ist ferner, dafs hier nicht einmal volle zwei Jahrhunderte nöthig w a r e n ,

um eine ganz gesunde

R a c e dem Crclinismus sehr nahe zu bringen.

Russische

W i r sind hier also

dem räthselhaftcn E n l s t e h u n g s - m o m e n t e des Übels ungleich näher,

als unter der uralten Bevölkerung der

und selbst als in den P y r e n ä e n .

Schweizer-tliäler,

In diesen soll der Cretinismus

zwar jünger als in den Alpen, dennoch aber schon seit dem Sten Jahrhundert

entstanden

sein,

indem er sich an den

Westgo-

t h e n entwickelte, welche durch C h l o d w i g in die dortigen Thäder zurückgedrängt wurden. — Endlich lernen w i r im L e n a t h a l e *) Vergl. u. A. F o d e r S 1. 1. pag. 178. S a u s s u r e Tom. 4. 297. etc.

222

X I I . Abschnitt.

1829.

März.

dafs Herrn B r a m l e y s Behauptung, die Kröpfe entständen in N i p a l unter ganz andren Bedingungen als in E u r o p a ,

wenigstens

nicht auf alle Theile von Asien auszudehnen ist. — Ein Einwohner von D u b r o w a fuhr von dort aus, 10 W e r s t w e i t , mit mir in meinem Schlitten, um nach Eichhornfallen zu sehen, die er im Walde zur Seite des Thaies aufgestellt hatte.

Er

nahm sogenannte l ü i y i oder Schneeschuhe mit sich, ohne welche man hier im Winter keine Fufsreise machen kann.

Es sind zwei

lange und etwas kahnförmig gebogene Bretter, mit denen die beiden Fufssolilen sowohl nach hinten als nach vorne verlängert werden.

Näheres über ihre Beschaffenheit und Anwendung habe icli

in der Folge zu erwähnen. In den Fallen wei den Fische als Lockspeise gebraucht, und zwar sind gelrockuete O m u l n dazu so vor-" züglich geeignet, dafs Russische Jäger siel» oft kaufsweise dergleichen verschaffen. Unser Begleiter erzählte mir ferner, dafs die Eichhörner auch hier, im Sommer rotli und ihr Pelz locker und undauerhaft 6ei.

Sic werden daher nur im Winter gejagt, und seien in dieser

Jahreszeit tlieils s c h w a r z theils h e l l g r a u .

Die ersteren stehen

am höchsten im Preise, und sollen auf den Bergen zu unsrer Rechten oder s ü d l i c h vom Flusse nicht selten vorkommen, während sich n ö r d l i c h von der L e n a nur graue Eichhörner iiudtn. Die Jäger glauben auch hier, dafs diese Verschiedenheit von der Beschaffenheit des Waldes abhange. Sehr auffallend w a r ferner die Versicherung, dafs die hiesigen R u s s e n ohne Feuergewehr jagen, während ihre T u n g u s i s c h e n Nachbaren sämmtlich damit versehen sind: denn die Ureinwohner erscheinen dadurch wieder als die wahren Herren des Landes, die R u s s e n nur als geduldet von ihnen. (S. 217.)

Die Bären w e r -

den von den R u s s e n nur mit Lanzen erlegt,; Wölfe sollen hier selten vorkommen, und doch giebt es auf den Bergen der Nord-< Seite viele wilde Reunthierc, welche im westlichen ¿ S i b i r i e n stets von diesen Raubthieren begleitet werden,

(i, 1. S. 633, 703.) —«•

Auch der V i e l f r a fs ( r o s s o m a g a ) , welcher die hiesigen W ä l der belebt, wird nur den glücklichern T u n g u s e n zu Theil, dagegen bildet die Jagd der F l u f s o t t e r n ( w u i d r u i ) ein einträgliches Gewerbe für die R u s s e n .

Sic sind häufig in den Bächen j welche

sich in die L e n a ergiefsen. Auf dem Lande bewegen sie sich sehr

XII. Abschnitt.

1829.

März.

223

ungeschickt, und werden daher leicht von den Hunden gestellt, sollen sich aber dann durch fürchterliche Bisse w e h r e n , bis die Jäger sie mit Knitteln erschlagen. W i r begegneten auf dem Eise, noch che uns der Jäger von D u b r o w a wieder verliefs, einem T u n g u s e n auf Schneeschuhen, der eine Narte oder kleinen Ilandschlittcn hinter sich herzog.

Er

und z w e i seiner Landslcute hatten sich jetzt in dem nahe gelegenen W a l d e niedergelassen, und erregten den Neid der R u s s e n , weil sie mit Büchsen jagten. Auf der nächsten Station K u r e i s k hatten das Poslzimmer und dessen Besitzer ein sehr reinliches und gefälliges Anschn. Letzterer w a r ein junger Mann, der mir klagte, dafs er aus dem Nowgoroder

Gouvernement,

w o er geboren, auf

sung seines Gutsherrn, mit seinen Altern und stern hierher verwiesen worden sei.

Veranlas-

zweien Schwe-

Jetzt blieb er allein zu-

r ü c k , denn unter den Beschwerden der Ansiedlung waren seine Angehörigen sämmtlich gestorben. — Ich habe nicht erfahren ob auch Diese nur b r o d j a g i d. h. Länflinge gewesen sind, welche die Verbannung nach ¿ S i b i r i e n der Leibeigenschaft vorzogen. (I, 1. S. 325, 381 und 513), oder ob ein andrer Vorfall das Exil einer ganzen Familie rechtfertigte. Ein kleiner Vogel, der hier seines Gesanges wegen im Bauer gehalten w u r d e schien mir von unsren Europäischen Dompfaffen gar nicht verschieden. Er wird liier auch gegessen, denn mit mehren ähnlichen Arten bildet er jetzt im Winter grofse Schwärme und wird dann in pferdehaarnen Schlingen auf dem Schnee gefangen.

Das gesehene Individuum war ein Männchen, um weniges

gröfser als der Haussperling. Sein schwarzer Schnabel war stumpf kegelförmig und bestand aus völlig gleichen und n i c h t g e k r e u z t e n Hälften.

Brust und Bauch waren k i r s c h r o t l i , der Rücken

a s c h g r a u , die Flügel s c h w a r z mit einer w e i f s e n B i n d e . — Von den Weibchen sagte man m i r , dafs sie eine g r a u e haben. — P a l l a s Beschreibung von P y r r h u l a r u b i c i l l a

Brust

(Taunä

R o s s . II, pag. 7 ) stimmt hiermit hinreichend überein, nur dafs die graue Färbung (1er Weibchen, welche er auch für / S i b i r i e n nur als eine Ausnahme betrachtet, hier an der L e n a für allgemein gehalten wird.

224

X I I . Abschnitt.

1829.

März.

W i r fuhren v o n K u r e i s k am rechten, nach P a r s c h i n s k am linken L e n a u f e r 40 W e i s t weit im Thale ohne eine Menschenwohnung zu sehen.

Der Kalk, der nun allein herrschend ist, bil-

det an mehreren Stellen sehr schroffe und nacktc W ä n d e ; bisweilen bestehen diese aus mächtigen Tafeln mit NW.lichcm Sireichen und steilem Fallen nach S W . , dann scheint wieder jede Regel verwischt, und die Felsen nur wie durch Spalten unförmlich gelheilt. Wieder sind nacktc Wände an der Nordseite des Thaies vorherrschend und an der südlichen bewaldete Abhänge.

Die Ilügel der

rechten oder südlichen Seile sind abgerundet und in kleinen und fast gleichen Intervallen, durch parallele Qucrschluchten gefurcht, nur einige dieser Schluchten setzen bis auf die L e n a hindurch, während von den übrigen die Berge nur bis zu geringerer Tiefe durchschnitten werden.

Eine Menge von Quellen sah ich vorzugsweise an dieser

rechten Thalwand entspringen. Flufs den Schnee

Alle hatten auf ihrem W e g e zum

geschmolzen, so dafs schwatze Erde zu se-

hen war. Die innere Zerklüftung des Kalkes, die man schon aus der Form der Hügel erkennt, scheint auch liier, wie auf der Westseite des U r a l , die Bildung ungewöhnlich reicher Quellen zu begünstigen. (I, 1. S. 270.)

Unser Fuhrmann erzählte mir, dafs zwischeu

P a r s c h i n s k und der folgenden Station das Quellwasser in 5bacharligen Armen aus einerlei Felsen hervorbreche.

Es w a r

finster

geworden che w i r diese Stelle des Thaies erreichten, weil ich in P a r s c h i n s k mehrere Stunden mit geographischen und magnetischen Beobachtungen zubrachte. — W ä h r e n d der Nacht wurden heute nur zwei Stationen zurückgelegt, denn der W e g auf der Lena w a r äufserst beschwerlich. D e r Schnee lag drei Fufs hoch auf dem Eise, und mein Schlitten w u r d e zweimal u m g e w o r f e n , weil er sieh ungleichmäfsig in die lockere Decke eindrückte: ein Ereignifs, welches hier mit eignem Kunstwort das Schneiden der Schlitten ( « a n i o b r j e s a j u t ) genannt wird.

Eine fcstgedrückle Bahn w a r zwar auch in dieser

schneereichen Thalstrecke vorhanden, aber nur für Natten und einspännige Schlitten von weit schmalerem Geleise als der meinige, [ M ä r z 29.] Wir erreichten kurz nach Sonnenaufgang den W o l o s t oder Bezirksort W i t i m s k , dessen schwarze und einstöckige

XII. Abschnitt.

1829.

März.

225

Häuser eine ziemlich ansehnliche Reihe am linken L e n a u f e r bilden. Ich blieb in dem Posthause am nördlichen Ende des Oft es, und gegenüber der Mündung des W i t i m in das rechte Ufer der L e n a . Es wohnen hier zwei Kaufleute, welche Pelzwerk von R u s s e n und T u n g u s e n gegen einige E u r o p ä i s c h e Wäaren eintauschen. Beträchtlicher ist aber der Handel mit Glimmer zu Fensterscheiben, denn gänz ¿ S i b i r i e n wird jetzt von hier aus mit diesem wichtigen Fossile versehen. Die W i t i m s k e r Kaufleute schikken jährlich eine gemiethete R u s s i s c h e Mannschaft nftch den Glimmerbrüchen, die, wie man mir sagte, im W i t i m t h a l e um 200 Werst aufwärts von der Mündung desselben liegen. Arbeiter die an diesen Expeditionen Thcil genommen hatten, gaben mir braune Glimmcrscheiben von 1 bis 2 Fufs Seite, und auf meine Frage nach den Fossilien, welche den Glimmer begleiten: Granatkrystalle, Stücke von Amethyst und einen schwarzen Hornstein, welcher ästige Holzstämme durchdrungen und deren Form bis ins Feinste angenommen hat. Die Angabe, dafs gerade dieser letztere der wahre Begleiter und Anzeiger des Fensterglimmers sei, lehrt uns, dafs auch dort der Granit mit Flüzgesteinen und wahrscheinlich mit der in den S a b a i k a l i s c h e n Gebirgen, so verbreiteten Kohlenformation in Berührung ist. (S. 182.) Auch einige Bruchstücke von Mammuts - Stofszähnen wurden mir hier angeboten. Man wollte sie nach dem Gewichte zu einem Rubel für jedes pfündscliwere Stück verkaufen. Die Klüfte zwischen den Schmelzschichten dieser Zähne waren mit blauem phosphorsauren Elsen bedeckt. Die hiesigen R u s s e n werden theils als ansässige Landleute, theils als p r o m u i s c l i l e n u i e , d. h. Jagd- und Erwerbsreisende Lei den Volkszählungen aufgeführt. Die letzteren sollen an j & s ä k oder jährlicher Steuer 5 Eichhornfelle für jede männliche Seele bezahlen, doch werden diese, wie mir ein alter Verbannter in W i t i m s k versicherte, nur von den zur Jagd wirklich auszieliendea Männern und nicht von den jungem Knaben erhoben. Auf den nächsten 54 Werst sind die Stationen P e l e d u i und K r e s t o w s k die einzigen Wohnungen, und diese Strecke gewährte zum erstenmal an der L e n a einen höchst traurigen und öden Anblick. Alle Berge sind nämlich flach abgerundet und bewaldet 5 am Ii. Eimd. 15

226

XII. Abschnitt.

1829.

März.

linken Ufer verschwinden sie oft gänzlich. Das anziehendste auf diesem Wege waren aus Lehm geschlagene Kamine, die ich zuerst in den Häusern von K r e s t o w s k anstatt der gemauerten R u s s i s c h e n Ofen bemerkte. Mati hatte sie den J a k u t e n nachgeahmt, sie waren aber durch Form und Anordnung den O s t j a k i s c h e n Kaminen ähnlich. (I, J . S. 558, 560 u. a.) Auf der nächsten Station P e i k o w s k und in den folgenden sind ebenfalls diese zugleich leuchtenden und wärmenden Feuerstätten gaijz allgemein. Die R u s s e n nenuen sie hier k o m e l k i , die J a k u t e n : ö . ? o k , und Niemand k e n n t den am O b i gebräuchlichen T a t a r i s c h e n Namen: t s c h u b ä l . — In dem Gemeindehause zu P e i k o w s k fanden w i r eine aus T u n g u s e n und R u s men gemischte Gesellschaft, und nahmen Theil an deren seltsamer Unterhaltung. Eine kranke aber noch junge T u n g u s i n lag daselbst auf dem Fufsboden in der Nähe des Kamins, und hörte mit sichtlicher Spannung auf einen, dem T r o j a n i s c h e n direkt entgegengesetzten, Streit. Ein R u s s e , mit dem sie verheirathet gewesen, war vor Kurzem gestorben; und als man sie darauf ihren T u n g u s i s c h e n Angehörigen zur Verpflegung überliefs, hatten sich diese geweigert und sie nun wieder hierher an die Gemeinde ihres Mannes zurückgeschickt. Jetzt w a r aufser dem T u n g u s e n , der die Kranke wieder gebracht h a t t e , auch der R u s s i s c h e I3czirksälteste zugegen; und es w u r d e von ihm eine abermalige und definitive Zurücksendung in die väterliche Jurte beschlossen. Dafs die hiesigen T u n g u s e n sich selbst: o w o n u i , die R u s s e n aber l ü t s c h i nennen, erfuhr ich ebenfalls in P e i k o w s k von einem T u n g u s e n , der ziemlich gut R u s s i s c h sprach. Dergleichen giebt es hier sehr viele, eben weil der umgekehrte Fall, dafs R u s s e n das T u n g u s i s c h e lernen, nur selten vorkommt. Desto glänzender bewährt sich aber das Sprachtalent der R u s s e n beim Verkehr mit dem ansässigen und schon deswegen für sie ungleich wichtigein Stamm der J a k u t e n . Eben so wie in den O s t j a k e n gegenden, so hatten nämlich die Bauern auch hier, und zwar zuerst in P e i k o w s k neben ihrer Muttersprache, eine andre zu intimem und privatem Gebrauch. Sie redeten zu einander J a k u t i s c h , theils um von uns nicht verstanden zu w e r d e n , theils auch, weil ihnen manche J a k u t i s c h e W i t z w o r l e unentbehrlich geworden siud.

XIF. Abschnitt.

1829.

März.

227

W i r hatten am heutigen Tage Schnee wetter mit W e s t w i n d und eine vom Frostpunkt nur wenig verschiedene Temperatur. [ M ä r z 30.)

In K a n t i n s k , 77 W e r s t von P e - f k o w s k und

in den folgenden Stationen ist die R u s s i s c h e Bevölkerung

zu

mehr als gleichen Theilen mit J a k u t e n gemischt. Diese sind w e i t glücklichere Fischer und Jäger als die R u s s e n , und stets fanden w i r in ihren Jurten schöne Vorräthe von K a r a u s c h e n und anderen Fischen.

Viele von ihnen haben sich durch Tauschhandel be-

reichert, während die hiesigen R u s s e n nach eigenem Gesländnifs sich nur kümmerlich nähren. W i r fuhren im Verlauf des Tages und während der folgenden Nacht 140 W e i s t weit durch

die Stationen

Bucliturminsk,

M u r i e r i n s k , ¿ ' u n d u k i und N j u i s , bei welchen die Wände des Thaies wiederum ihre frühere Höhe und nackte Felsen zeigten. Namentlich liegt 15 W e r s t abwärts von M u r i e r i n s k

ein min-

destens 500 Fufs hoher Fels am rechten Ufer, denn ich sah diesen schon deutlich bei der Ausfahrt von B u c l i t u r m i n s k aus 40 W e r s t Entfernung. Bei den J a k u t e n in M u r i e r i n s k kaufte ich einen Vorrath von Karauschen, die uns auf der folgenden Reise vortreffliche Mahlzeiten gewährten. Die meisten dieser Fische waren jetzt von Rogen auf das Doppelte geschwollen, und viele auch im Übrigen von seltner Gröfsc.

Man stekt h i e r , um sie leichter zu transportiren,

einen 2 Fufs langen Stab durch die Mitte ihres Leibes, verbindet so eine grofse Reihe von Fischen mit den platten Seiten gegeneinander, und hält sie durch einen Widerhaken an jedem Ende des Stabes zusammen.

Man fängt sie nur in den au J a k u t e n gehöri-

gen Seen im Norden der L e n a , und daher haben auch die R u s s e n am Flusse nur so viel von diesen Fischen, als ihnen jene ursprünglichen und geübteren Herren des Landes ablassen; diese führen aber davon viele Hundert Pnde zum Verkauf in das obere Thal. M i t l e j e w liintei-licfs bei den Jakuten in M u r i e r i n s k

ein

Paket, welches von Iland zu Hand nach der nördlich von hier unier 63°,8 Breite gelegenen O l e n s k e r Niederlassung befördert werden sollte. Es ist diese, wie uian mir sagte, ein J a k u t c n - o r t , in welchen» aber des Handels wegen mehrere R u s s i s c h e Kaufleute und eis zu ihnen gehöriger Priester wohnen.

Auf älteren R u s 15*

228

XII. Abschnitt.

1829.

März.

eis e h e n Karten findet man wirklich an jener Stelle und am Flusse O l e n e k ein Zeichen mit der Benennung: p r o j e k t i r t e S t a d t O l e n s k und daneben sind die Wohnungen der J a k u t i s c h e n Fürsten C h a r i t o n S c h i s c h k i n und M u i s c h k a p a n O k i n nebst den Jurtenhaufen ihrer Leute angedeutet. Wenn uns dagegen neuere Karten die Ufer jenes Flusses fast völlig entvölkert zeigen, so glaube ich dafs dieses Geständnifs zu früh kommt: denn noch jetzt erklärten die J a k u t e n von M u r i e r i n s k ihren erfreulichen Wohlstand für eine Folge des Verkehrs mit nördlich wohnenden Landsleuten. /S'unduki und N j u i s sind ebenfalls J a k u t i s c h e Ortschaften mit geringem Antheil R u s s i s c h e r Bevölkerung. Die Wohnungen sind hier äufserst reinlich, und Nahrung und Kleidungen zeugen von erfreulichstem Wohlstand. Im Hause trugen die meisten Frauen ein Oberkleid aus farbigen gewebten Stoffen; die Männer kurze Überröcke von Renntliierfellcn mit den Haaren nach innen und auf der Lederseite gefärbt. Eine junge J a k u t i n in N j u i s erwiederte mir voll naiver Überzeugung, als ich ihren Hausstand lobte: „dafs jetzt alle R u s s e n eben so dächten wie ich, denn keiner verschmähe mehr eine J a k u t i s c h ' e E h e . " Wirklich hat hier der Neid der Einwandrer gegen die reichen Asiaten das täuschcndc Ansehn von A c h t u n g gewonnen. Die R u s s e n schmeicheln den Mächtigern, weil sich diese nicht mehr betrügen lassen. W i r hatten am heutigen Tage nicht unter — 2° Kälte. Es war am Morgen bewölkt; auch schneite es in der Stunde vor Mittag. Daun ward aber der Himmel völlig klar und erhielt sich so, während einer halben Stunde, bis wir uns jenseits B u c h t a r m i n s k zwischen hohen Thalwänden befanden. Da begann plötzlich ein wirbelnder Sturm aus Westen; in wenigen Sekunden war die obere Hälfte des Himmels wieder von dichtem und schwerem Gewölke bedekt. Vor uns hingen von den Rändern der schwarzen Massen, Streifen hinab, ohne den Horizont zu erreichen, und während ich noch an deren auffallende Ähnlichkeit mit Ilagelstreifen im Sommer dachte, hörten wir schon das Gerassel von fallenden Körnern, und wurden mit derben und schweren EisstUcken überschüttet. Sic hatten die Form von Tetraedern meist von 3 Linien Seite, und liefsen sich durch Zerdrückung in regelmäfsige

XII. Abschnitt.

1829.

März.

839

dreiseitige Tafeln zerlegen. Nur jene Abrundung einer der Flächen, welche der Hagel iin Sommer zu zeigen pflegt, w a r an dem hiesigen nicht zu bemerken.—Wichtig erschienen nach dieser eignen Erfahrung einige meteorologische Aussagen der Bauern in D u b r o w a . (S. 218.) Schon diese sagten mir nämlich, daßs es in ihrer Gegend auch im Winter hagele, ja sie versicherten sogar, auf meine darnach gerichtete Frage, dafs sie auch wahre Gewitter mit Blitzen im Winter erlebt hätten; namentlich aber im letzten Jahre um Weihnachten mit Nebel nach heftigstem Froste! — Hagel und elektrische Wetter im Winter habe ich wohl an der NW.Küste von A m e r i k a beobachtet (unten: November 1829), wo sich warme und feuchte Meeresluft auf den kälteren Ländermassen niederschlägt, aber mitten im Continent sind sie Lochst unerwartet. Man kennt sie weder in I r k u z k noch in J a k u z k , und mufs daher auch in diesen Erscheinungen nur lokale Wirkungen der Luft aus den engern Thalstreckcn erkennen. Auch ist in der That die Plötzlichkeit des Gefrierens und Niederschlags, durch welche Hagel und elektrische Wolken entstehen, gar wohl godenkbar, wenn sich dampfreiche Luft von zwischen den Felsen mit der ungleich kälteren der angrenzenden Ebnen mengt, und es erscheinen demnach Wintcrhagel und Wintergewitier für die Lenaische Kropfgegend, oder doch für deren unteren Gränzdistrikt, eben so charakterisch wie der Mangel von Sommerhagel für die Cretinthäler der Alpen, [ M ä r z 31.] Wir erreichten am Morgen die R u s s i s c h e n Häuser von . / e r b ! n s k 33 Werst von N j u i s , welche am linken Ufer in einer fruchtbaren Weitung des Thaies tlieils von bewach, senen, tlieils von felsigen Bergen umgeben sind. Auf dem Wege von I r k u z k bis hierher hatte ich immer s c h w a c h e Ostabweichungen der Magnetnadel beobachtet; wir waren daher immer in der Nähe der Linie ohne Abweichung gewesen. Hier in , / e r b i n s k zeigte sich, dafs wir diese Linie am gestrigen Tage an der dritten Stelle auf unserer Reise*) überschritten hatten, und dafs wir uns daher nun wieder, eben so wie in K j a c h t a und wie in E u r o p a , in einem mit Westabweichung begabten Distrikte der Erde befanden. —» *) Vergl. H, 1. S. 171; s o wie auch S. 413 Zeile 1 und 2 von unten, w o bei der Abweichung W . anstatt 0 . zu lesen ist.

230

XII. Abschnitt.

1829.

März.

Ein alter Russe der wegen eines Todschlags vor 50 Jaliren, aus der Gegend von M u r o m hierher nach . / e r b i n s k

verbannt

wurde, klagte mir mit humoristischer Frechheit über die fortschreitende Bildu.ig der J a k u t e n .

Früher hätten diese jedes Pfund

Mehl mit den schönsten Thierfellen bezahlt, jetzt gäben sie kaum eben so viel für ein P u d , und es geschähe sogar nicht selten, dafs sie Mehl im Vorraihe aufkauften, um es im W i n t e r einzeln an die hiesigen Russen zu versteigern.

Auch habe, noch als er hierher

kam, jeder R u s s e bei den J a k u t e n für ein vornehmeres Wesen gegolten; vor ihm selbst seien sie grüfsend in ehrfurchtsvoller Ferne stehen geblieben: jetzt sei es nahe daran, dafs e r sich vor den J a k u t e n verbeugte. 10 Werst hinter . / e r b i n s k sahen w i r hoch über uns in einem schroffen Kalkfelsen der linken Thalwand ein schwarzes nnd kreisrundes Loch. Es ist der Eingang zur , / e r b i n s k e r Höhle, welche ich im östlichen ¿ S i b i r i e n zwar oft nennen niemals aber von einem Augenzeugen genauer beschreiben gehört habe. *) Ich hoffte sie vom Flusse aus zu erreichen, konnte aber auf dem befrornen und gegen oben immer steiler werdenden Felsen nicht über die Hälfte der Höhe gelangen. Eine nähere Ansicht des Gesteines lohnte für den vergeblichen Versuch. Schon aus der Ferne erkennt man liier deutlich die Schichten des Kalkes. Sie sind sehr steil gegen S W . geoeigt, und jede ihrer Trennungsklüfte, welche sieh auf der Thalwand zeigen, ist mit einem erhabenen und schwarzen Streifen von derbem Brauneisenstein bcdeckt. Den Grund dieser auffallenden Erscheinung bemerkte ich bald durch Anschlagung des angränzenden Kalkes. In diesem sind nämlich eine grofse Menge feiner Schwefelkieswürfel eingesprengt gewesen, welche jetzt ringsum an ihrer Oberfläche in Brauneisenstein verwandelt und als solcher meist schon zu bedeutendem Theile ausgespült sind. Viele der Räume, welcho solche Krystalle enthielten, sind schon ganz leer geworden, *) Von Herrn H e d e n s t r ö m in P e t e r s b u r g , welcher mit L a x mann im August 180S die J e r b i n s k e r Höhle besuchte, liabe ich erfahren, dafs deren innere Wände mit s p i e g e l n d e m E i s bedeckt sind. Die Leichtigkeit des Zuganges, welchen sie aiitediluviauischen Raublhieren darbot, läfst Knochen darin vermuthen.

XII. Abschnitt.

1829.

März.

231

und n u r an den W ä n d e n braun gefärbt, in andren findet man losen Ocher und bisweilen einen Schvvcfelkicskern. Offenbar sind es eingedrungene Wasser gewesen, welche diese Zersetzung b e w i r k t , und auf den Klüften, an denen sie wieder abflössen und verdampften, das aufgelöste Eisenerz hinterlassen haben. Zwischen diesen kieshaltigen und weifsen Bänken der Kalkfclsen liegen andre von blafsrother Farbe. Diese enthalten gewisse rundliche Körper von { bis i Linie im Querdurchmesser, in so ungeheurer Menge, dafs zwischen denselben nur schwache Spuren des derben Kalkes bleiben und dafs daher das ganze Gestein seinem Anselm nach sehr treffend mit Fischrogen verglichen werden kann. Man hat aber dabei keineswegs an die uneigcntlich sogenannten Rogensteine, oder an diejenigen Oolithenschichtcn zu denken, deren körniges Gcfirge nur durch den Ansatz der Kaikniasse an Sandkörner entstand, welche in der Flüssigkeit aus der sie sich niederschlug, suspendirt w a r e n ! Vielmehr ist in diesem . / e r h i n s k e r Kalke jedes der eiförmigen Körner durchaus erfüllt mit k r y slallisirtem Kalkspath, der auf dem Bruche stark glänzt und stets dunkelrother gefärbt ist als der umgebende Stein; grade so w i e jnan die versteinerten Glieder der E n k r i n i t e n s t y l e und andre thierische Reste im Kalkgebirge zu sehen gewohnt ist. Zwischen diesen merkwürdigen Resten und senkrecht aufsitzend auf den Ablösungsflächen der sie umschliefsenden Schichten bemerkt man noch aufserdem kleine Stylolitheu, wclche denen des Muschelkalkes ähneln. Sowohl an dieser Stelle des Thaies als auch weiter stromabwärts hat der Kalk in etwa 50 Fufs Höhe über der L e i i a stets ein merklich anderes Ansehn, als am Fufse der Felsen; seine Farbe wird dort dunkler, die geneigten Schichtungsklüfte hören auf mit Eisen bedeckt zu sein, ja sie verschwinden ganz, und an den obersten Tbeilcn der Felswand treten andre senkrccht stehende Spalten an ihre Stelle. — Höhlen scheinen in dieser Gegend sehr häufig und ich sah z. B. ein wenig stromabwärts von der « / e r b i n s k e r und in derselben Höhe am Felsen eine zweite eben so breite aber längere Kluft, welche die Schichten senkrecht durchschneidet und sieh offenbar tief in das Gestein erstreckt. Die nächste Slation K a m c n o w s k 35 Werst von . / e r b i n s k

232

XII, Abschnitt.

1829.

Mär«,

hat eine eben so merkwürdige als malerische Lage. Mitten in der L e n a liegt hier eine gegen 150 Fufs hohe Insel, die allen Anschein eines von der linken Thalwand abgerissneu ungeheuren Felsblockes hat. Beide Ufer der L e n a sind nämlich hier wiederum von Kalkgebirgen begränzt. Am linken Ufer bilden diese gegen 300 Fufs hohe und senkrecht abgeschnittnen W ä n d e ; die Felsen am rechten siud niedriger und mit bewaldeten Absätzen versehen. Die merkwürdige Steininsel zwischen beiden nimmt nun nahe ein Drittheil der gesammten Thalsohle ein. Sie ist am höchsten auf ihrem linken Rande, der schroffen Thalwand gegenüber, und kehrt von dort senkrechte Felsen gegen den linken, und eine sanft geneigte und bewaldete Ebne gegen den rechten Arm der L e n a , Auch ihre stromaufwärts gerichtete Seite besteht aus nacktem Gestein und zeigt wiederum eine starke Neigung der Schichten gegen SW. —. Mehrere Verbannte haben sich an dem sanft abfallenden Strande der Insel und unter dem Schutze der schönen Nadelwaldung, welche sie bedeckt, in drei Hütten niedergelassen ; eine vierte bewohnt ein I r k u z k e r Bürger, der sich von hier aus mit Pelzhandel beschäftigt. Wir kamen gegen Abend nach den N o c h t u i s k e r Jurten") (55 Werst von K a m e n o w s k ) , welche von sehr wohlhabenden und gebildeten J a k u t e n bewohnt sind. Mehrere Männer, die wir in der Posthütte trafen, sprachen geläufig Russisch, und waren stolz auf diese Kenntnifs. Einer von ihnen, der mehrmals bis nach I r k u z k gereist war, begann mit M i t l e j e w einen Streit über das Alter von J a k u z k und I r k u z k . Der J a k u t e behauptete mit Recht, dafs die hiesige Hauptstadt früher gegründet sei, aber erst als er dem Kosacken noch ferner gesagt hatte: ¿ S i b i r i e n sei vor 250 Jahren unter Zaar I w a n W a s i l e w i t s c h erobert worden, wurde seine Gelehrsamkeit feierlich belobt mit den Worten „jetzt sehe ich, dafs Du die S i b i r i s c h e Geschichte gelesen hast."**) — Derselbe J a k u t erwiederte auf meine Frage nach dem Verhältnifs zwischen seinen Landsleuten und den B u r a e t e n : dafs beide von einerlei Abstammung und ihre Sprachen noch jetzt einander sehr *) Auf den meisten Karten steht fälschlich Loch tu i s t . **) Vermutlich hatte dieser Mann dem Unterrichte in der Jakuzker Volksschule beigewohnt.

XII. Abschnitt.

1839. April,

233

ähnlich seien!! — Er bezog sich hierbei nur auf die jetzigen Anwohner der Quellen der L e n a , welche er selbst gesehen hatte, und in Übereinstimmung hiermit fand man bei den J a k u t e n schon gegen Anfang des lTten Jahrhunderts (1630), wo ihre Bekanntschaft mit den Russen begann, die Tradition, dafs sie ehemals an dem oberen Thal dicht neben B u r a e t e n und M o n g o l e n gewohnt hätten, und erst während eines Krieges von jenen Nachbarn und Verwandten getrennt und in ihre jetzigen Wohnplätze zurückgedrängt worden seien. — [ A p r i l 1,] W i r kamen um 7 Uhr Morgens, nach der Station B e r e s o w o i o s t r o w , d. i. B i r k c n i n s c l , 56 Werst von N o c h t u i s k . Sie besteht aus nur e i n e m sehr wohlhabenden Bauerhofe, den ein alter Verbannter aus dem N i / e g o r o d i s c h e n Gouvernement angelegt hat. Dieser rüstige Mann ernährte jetzt einen Haussland von 11 Personen, und ersetzte durch Flcifs, was das hiesige Klima zu versagen Sellien. Hinter dem ansehnlichen Wohnhause hatte er bedeckte Ställe für Rindvieh und Pferde erbaut, anstatt der offnen Hürden, die man sonst in den ¿ S i b i r i s c h e n Dörfern findet, auch war er für den ganzen Winter mit IIcu versehen, welches er, zum Theil aus Entfernungen von 20 Werst, von niedrigen und grasreichen inseln der L e n a zusammenführt. Roggen und Gerste gewähren hier reichliche Ärndten und man lachte über das Vorurtheil der trägeren Bauern, welche K i r e n s k für die Gränze des Kornbaucs halten. In einem Garten neben dem Hause gedeihen Kohl und Rüben, und auch Gurken werden auf Beeten aus Saainen gezogen, die man schon während des Frühjahrs durch Dünger lind künstliche Wärme zum Keimen bringt. Bei Erbauung des Hauses und der Ställe hatte man hier das Beispiel der J a k u t e n befolgt, denn die Balken-Wände waren von aufsen mit Kuhmist gedichtet. In der i i b a oder dem Gesindezimmer des Hauses fanden wir jetzt viele Hühner hinter Gitterverschlägen längs der Wände. Die G o r n i z a oder das Zimmer des Herrn war dagegen mit reichen Heiligenbildern und den dazu gehörigon Lampen versehn, auch hingen an den Wänden einige Holzschnitte und grobe Gemälde, wie es in den Dörfern des Europäischen R u f s l a n d s üblich ist. Ich bemerkte hier unter andrem eine beliebte satyrische Darstellung,

234

XII. Abschnitt.

1829.

ApriL

auf welcher man die eingesargte Leiche einer Katze durch fröhliche Dläuse zu Grabe tragen sieht. — Diese musterhafte Wirtlischaft in B e r e s o w s k j i o s t r o w mag ungefähr mit dem Haushalte der hiesigen J a k u t e n auf gleichem Fufse stehen.

Die R u s s e n selbst wollten aber diese Gleichheit

nicht einmal zugeben, sondern versicherten mich, viele der Urbewohncr seien noch ungleich reicher; die J a k u t e n , welche nördlich von hier am W i l u i wohnen wüfsten sogar oft die Zahl ihrer Ileerden nicht anzugeben. Die L e n a

die von K a m e n s k

bis B e r e s o w o i

ostrow

gegen SO. fliefst, wendet sich hier sehr plötzlich wieder nach NO., offenbar gezwungen durch die Beschaffenheit der Uför. Eine niedrige Ebne liegt nämlich auf der nächst folgenden Strecke zur Linken des Flusses, am rechten Ufer hingegen Felswände, unter denen die sogenannntea I l a r f e n b e r g e ( g ü j e l n i e g ö r u i ) wegen ihres streifigen Ansehens berühmt sind.

Sie bestehen aus horizontalen

Schichten von rothen und grünlichen Mergeln, *) Auf der nächsten Station zu D e l g e i s k erzählte mir ein alter J a k u t von den jetzigen Sitten seiner Landsleute: Nähe der R u s s i s c h e n

„ H i e r in der

Ortschaften begnüge sich jetzt ein Jeder

mit e i n e m Weibe, aber bei den Familien der nördlichem Gegenden sei die Polygamie noch eben so allgemein wie früher.

Ganz*

beim Alten sei es auch hier noch mit dem sogenannten K o l i i i m , d . h . einer Summe, für welche die J a k u t i s c h e n Männer sich ihro Bräute erkaufen. Es werden gewöhnlich Rinder zum W e r t h e von 200 bis 300 Rubel gezahlt, da aber die Familie des Mannes nicht im Stande sei das Ganze mit eincmmale zu erstatten, so verlobe man liier die Knahen meist schon in ihrem zwölften Jahre.

Sie

dürfen dann ihre Bräute in deren älterlichem Hause besuchen, sie jedoch nicht eher heimführen, als bis durch allmälige Zahlung die übernommene Schuld vollständig getilgt ist. Der K o l u i m ver-

Andere Gesteine w e l c h e in dieser Gegend des Tliales anstellen h a b e ich in J a k u z k erhalten, und namentlich liegt bei D e l g e i s k ein Kalk von jüngerer Entstehung als der f r ü h e r erwähnte von K i r e n s k , von . / e r b i n s k u. a.; und zwischen D e l g e i s k und der O l c k i n a ein weisser und sehr verwitterter quarziger Sandstein.

XII. Abschnitt.

1829.

April.

235

bleibt übrigens gänzlich dem Vater der Frau, der dagegen nur einige freiwillige Geschenke in die neue Wirthscliaft liefert.

Freiwerber

und Freiwerberinnen, die # w ä t i und s w ä c l i u i der R u s s e n , seien hier als Zeugen bei der Festsetzung des Brautpreises durchaus uncrläfslich." — An mehreren nach der Angabe dieses Mannes geschriebenen J a k u t i s c h e n W o r t e n , zeigte sich keine wesentliche Übereinstimmung mit den gleichbedeutenden Ausdrücken der S a b a i k a l i s c h e n B u r a e t c n , welche Mitlejew beibrachte.*)

Dagegen

bemerkte ich in den hiesigen Jurten manche merkwürdige Ähnlichkeit mit den Sitten der O s t j a k e n am O b i .

So ist der Kamin,

d. i. der wichtigste Thcil aller arktischen Wohnungen bei beiden Völkern, durchaus nach derselben Idee construirt, denn er besteht hier so wie am O b i aus einem mit Lehm überzogenem Geflechte von Holzstäben. (I, 1. S. 558 )

Nur in der Stellung des Apparates ist

einiger Unterschied, denn die hintere Mauer des Brennraumes liegt bei den O s t j a k e n dicht an der W a n d des Zimmers, -während die J a k u t e n stets einen mannsbreilcn Raum zwischen dem Kamin und der Wand unbesetzt lassen. Die Rauchröhre ist daher in den O bischen Jurten senkrecht, in den hiesigen hingegen um 30° rückwärts geneigt, wodurch sie dann eine Verlängerung der brennenden Holzscheite bildet, die in eben so schräger Lage, unten auf

dem

Boden des Kamines und oben an die Mündung desRauchfanges gelehnt sind. Diese Abweichung von der O s t j a k i s c h e n Bauart ist. offenbar Tortheilhaft, denn man findet liier, gleich zu Anfang der Heizung, einen ungemein starken und hörbaren Luftzug mit helllodernden Flammen, in den O b i s c h e n Jurten hingegen oft beizenden Rauch. Auch die Fallen für Hermeline, welche mir die D e l g e i s k e r J a k u t e n zeigten, bewiesen, dafs sich einst wichtige Traditionen •von O b d o r s k bis hierher an die L e n a erstreckt haben. Sie stimmten völlig überein mit den sogenannten: j u g e l oder selbstschiefsenden Bogen, welchen ich 368 Meilen von hier in K u n d u w a n s k zu demselben Zwecke in Gebrauch fand (I, 1. S. 583 und Fig. 6 u. 7), mit dem einzigen Unterschiede, dafs die Fangöffnung (cd. Fig. 7) bei den O s t j a k e n kreisförmig, hier "bei den J a k u t e n aber qua*) Ich werde diese J a k u t i s c h e n Spracliproben weiter unten mit den später erhaltenen und vollständigeren vereinigen.

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XII. Absclmitt.

1829.

April.

dratisch ist. Unmöglich kann man annehmen, dafs zwei Erfinder unabhängig von einander auf diesen, nicht eben einfachen, Mechanismus verfallen sind! In N e l e n s k , 25 Werst von D e l g e i s k wohnen R u s s i s c h e Ansiedler. Wir kamen nach Sonnenuntergang daselbst an, und es wurde uns von den Fuhrleuten gcratlicn, während der Nacht nicht weiter zu fahren, weil 20 Werst unterhalb ihres Ortes schon Wasser aus dem Eise gequollen sei. *) Von einigen Bauern, die am vorigen Abend hier aus fuhren, erzählte man, dafs sie sich nur mit Mühe gerettet haben, und unverrichteter Sache nach den nüchstgelegnen Jakutenjurten zurückgekehrt seien. In dem Zimmer, wo wir die Nacht über blieben, wurden wieder zwei Arten von kleinen Singvögeln in einem Käfig gehalten (S. 223}. Man fängt sie wegen ihres wohlschmeckenden Fleisches, hatte aber diese aufbewahrt, weil sie zufällig in den Schlingen am Leben geblieben waren. Die eine Art waren Weibchen vorn Dompfaffen (Pyrrli. r u b i c i l l a ) mit weifser Brust, einer weifsen Binde auf den blauschwarzen Flügeln und blauschwarzem Kopfe. Im Sommer werden, wie man mir liier sagte, nur die weifsen Stellen ihres Körpers grauer, die übrigen bleiben ungeändert. Man nennt sie hier « n i e g i r i d. h. eben so wie die Schneeammern ( E m b . n i v a l i s ) mit denen sie im Winter gesellschaftlich leben. Die andre liier gesehene Art wurde K i e s t genannt, und erhält diesen Namen weg«n der za,ngenförmigen Beschaffenheit ihics Schnabels (von k l e s c h t s c h i eine Zange): denn es waren dunkelrothc Individuen von l o x i a c u r v i r o s t r a oder unsrem gemeinen Kreuzschnabel. Die Spitze des Unterkiefers lag hei den hiesigen l i n k s von der des obern, wenn man den Vogel von vorne ansah. — Ich kaufte einige dieser Vögel von unsrem Wirtlie, und die übrigen Bauern bedauerten nun, dafs sie nicht früher von unserer Ankunft gewufst halten, um allerlei Thiere zum Verkauf zu sammeln. Nur der Cadaver einer L e t j a g a oder- fliegenden Eichkalze -wurde gebracht. Diese w a r , wie es hier oft geschieht, in eine Falle für gemeine Eichhörner gegangen. Ihr Pelz war durchgehends hellgrau, wie ") ^ R j e t s c h k a n a l t i p j e l a " , d. Ii. eigentlich, ein Bach sei aufgekocht oder gequollen. (Vergl. I, 1. S. 555.)

XII. Abschnitt.

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April.

237

der des gewöhnlichen Eichhorns im Winter, und man sah noch die breiten Flughäute ausgespannt, welche sich durch Behaarung auf b e i d e n Seiten und durch weit gröfscre Dicke von dem, sonst vergleichbarem, Organe der Fledermäuse unterscheiden. Im Übrigen war das Thier stark entstellt, weil man es als nutzlos verworfen, und nur zufällig, ohne es auszuweiden in der Kalle verwahrt hatte. [ A p r i l 2.] Von N e l e u s k durch 3 Stationen und 95 Werst weit bis zur O l e k m a verliefsen wir das Eis der L e n a und fuhren durch eine bruchige Ebne an deren linkem Ufer. 'Wir fanden zuerst einige J a k u t i s c h e Jurten mit platten und hoch mit Erde beworfnen Dächern, von Hürden umgeben, zwischen denen das Vieh im Sommer gehegt wird, und kamen dann an die gefahrvolle Stelle, die man gestern erwähnt hatte. W i r mufsten über einen Bach, der sich hier, bei seinem Ausflufs in die L e n a , bedeutend ausbreitet, und der nun sowohl sein eignes Eis als auch das des Hauptstromes an der Mündung fast gänzlich zerstört halte. Die Lufttemperatur war doch noch — 16° R. als wir N e l e n s k verliefsen! — Der Bauer der uns führte, ging vom Ufer aus mit einem Beile voran, und untersuchte das Eis an verschiedenen Stellen. Es fand sich zuletzt auch über die Milte des Baches eine 3 Zoll starke Decke, über welche die Pferde mit dem Schlitten behutsam geleitet wurden. An einer anderen Stelle in der Nähe des Ufers war der Bach nur mit hohlliegcndcm Schnee überzogen, durch welchen man beim Gehen hindurchtrat. Ich sah durch die Löcher, welche hierdurch entstanden, äufserst schöne Eiskrystalle auf der gegen das Wasser gekehrten Seite des Schnees. Es waren niedrige sechsseitige Säulen mit trichterförmigen und ebenfalls sechseitig begränzlen Höhlungen in ihrer uutern Endfläche. (I, I. 577 u. I, 2. S. 43.) Das frühe Eisschmelzen auf diesem und andren in die L e n a mündenden Bächen soll sich übrigens alljährlich und eben so wie auf den vom U r a l kommenden Zuflüssen zum O b i wiederholen. (1, 1. S. 555.) Zur Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung bleibt aber nur die Annahme, dafs aus den Felsen Quellen entspringen, deren Temperatur sowohl den Frostpunkt als auch, um so mehr, die weit niedrigere Mitteltemperatur der hiesigen Gegend übertrifft! — Die folgende Strecke ist gut bevölkert von Jakuten, welche

238

XII. Abschnitt.

1829.

April.

ihre "Winterwolinungen stets vereinzelt und auf grofsen Grasplätzen in der Mitte der herrschenden Nadelwaldung angelegt haben. Auch hier sind die viereckigen

Balkenhütten

platt

gedeckt und

mit

Rindsmist gedichtet, die Thüren aber in Ermangelung von Brettern mit behaarten Ochsenfellen bekleidet. Eisschollen verschliefsen die Fenster, doch sah man jetzt in einigen Jurten anstatt ihrer, auch Thier-Blasen

oder - D ä r m e .

Die J a k u t i s c h e n

welche uns häufig begegneten, waren wie bei den

Schlitten,

Buraeten,

mit Ochsen bespannt, auf deren einem der Lenker des Fuhrwerkes ritt. Daneben sind aber hier auch Pferde zum Reiten von jeher üblich gewesen, wie schon die Eigcuthümlichkeit des J a k u t i s c h e n Geschirres beweist.

Ihre Sättel haben ungewöhnlich dicke

Polster, auf denen man zwischen zweien hohen und senkrechten Breitern w i e

eingeklemmt sitzt.

Die weifse Farbe der Pferde

wird hier zugleich mit der J a k u t i s c h e n Bevölkerung entschieden vorherrschend. Erst dicht vor der R u s s i s c h e n S t a d t , bei der Mündung der O l e k m a , ändert sich der Charakter der Gegend. Eine breite Hügelreibe mit NW.lichcm Streichen trilt liier wieder an das linke Ufer der L e n a . Abhang.

Schneeweifse Gypsfelsen bilden ihren SW.lichen

Sic sind durch horizontale und senkrechte Spalten in

grofsc und rundliche Blöcke getlieilt, und auf hervorragenden Absätzen mit rothen Mergeln überschüttet, welche aueh die Oberfläche der Hiigcl einnehmen. — Die Balkenhäuser der O l e k m i n s k e r Bürger bilden einige kurze aber zierliche Strafsen in gleicher Richtung mit der L e n a .

In

dein hölzernen Kaufhof sahen w i r jetzt nur- e i n e Bude geöiTnet und in Gebrauch, aber auch die andren füllen sich, wie man uns sagte im Sommer, wenn die Schifffahit den Tauschhandel belebt. [ A p r i l 3.]

Von Kaiserlichen Beamten giebt es in O l e k m a

nur einen Landrath oder Isprawnik und dessen Schreiber; dagegen ist die Sladt von Bedeutung durch die Thätigkeit ihrer handeltreibenden Bürgel*.

Herr Kaufmann N i k i t i n ,

bei dem ich wohnte,

erzählte von dem häufigen Verkehre mit. W e r c h n e i

Wiluisk

in 63° / 15Breite und unter dem O l e k m i n s k e r Meridiane. Ein bequemer Reitweg führt von hier aus nach dieser Stadt, deren Umgegend unter andrem an wichtigen Mineralien rcich ist. Die Quel-

XH. Abschnitt.

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April.

239

len der selbslabsetzenden oder gesättigten Salzseen am obern W i l u i und das weifsc, blaue und roilie Steinsalz, welches von dorther gebracht w i r d , gehören offenbar zu einerlei Formalion mit dem mächtigen Gygsgebirge das von O l c k m a nach N W . streicht, und aus welchem auch in der hiesigen Gegend viele Salzquellen entspringen.

Sie sind eben so wenig w i e die U s t k u z k e r Quel-

len für oberflächliche Überbleibsel einer jüngsten Überschwemmung zu halten. (S. 46 u. 211.) — Auch hörte ich hier wieder von einem Eisenerze, von wclcbem sich eirunde Gerolle im W i l u i den.

Schon vor Ankunft der R u s s e n

Schmiede geschmolzen haben, und

sollen es

fin-

Jakutisclic

das Erz selbst wird deshalb

noch jetzt t s c l i u g u n , d. i. Gufscisen genannt.

Stücke davon, die

ich in T o b o l s k gesehen habe, waren indefs nichts weniger als gediegen, sondern ein Gemenge von erdigem Brauneisenstein mit Punkten von Schwefelkies, aus dem jener entstanden zu sein schien. Ihre chemische Beschaffenheit erinnert an das auswiUernde Erz bei . / e r b i n s k , so wie an ein gleiches Vorkommen in dem Kalke am Westabhang des U r a l ( S . 230, und I, 1. S. 4 1 5 ) ; doch sind die Stücke-vom W i l u i stets weit gröfser als jene dünnen und streifigen Stalaktiten. Mit den Märkten von K j a c l i t a von I r b i t und so w i e mit M o s k a u e r nnd P e t e r s b u r g e r

Makaricw

Pelzhändlern stehen

die hiesigen Kaufleute in häufiger Verbindung, weil die Zobel von der O l e k m a und vom obern W i t i m von jeher für die vorzüglichsten galten.

Aber aufser der grofsen S i b i r i s c h e n

Strafse

führen auch andre und minder bekannte in das Thal der L e n a . Von der obern Hälfte desselben und namentlich von dem Meridiane der Station B o j a r s k (S. 210) gehen T u n g u s e n jährlich an das nächst gelegne Ufer der untern A n g a r a , w o die I r k u z k e r Handelschiffe vorbeifahren.

(S. 30.)

Andre ziehen über die Gebirge

unterhalb K i r e n s k an die untere T u n g u s k a zum Jahrmarkt von T u r u c h ä n s k , während von Süden her eben so direkte Verbindungen zwischen der C h i n e s i s c h e n Punkten des L c u a t l i a l e s statt

finden.

Gränzc und verschiednen Sie werden durch Ver-

bannte unterhalten, welche nicht selten aus den N e r t s c l i i n s k e r Bergwerken an die L e n a entfliehen, und regelmäfsiger noch durch die jährlichen

Reisen der Zobeljäger am W i t i m

und an der

240

XII. Abschnitt.

1829.

April.

O l e k m a , von der Mündung bis zu den Quellen dieser Flüsse. — Mit lebhafter Sehnsucht hörte icll liier vo'n diesen gangbaren Strafsen, durch welche L e n a e r T u n g u s e n in einerlei Jahre Nachricht aus C h i n a erhalten und dann in T u r u c h ä n s k mit S a m o j e d e n zusammentreffen können, die O b d o r s k gesehen, und daselbst durch Augenzengen von A r c h a n g e l s k gehört haben. Im Verein mit diesen Nomaden könnten E u r o p ä e r die gesammte Küste des Eismeeres eben so schnell als bequem befahren, und von beliebigen Punkten derselben queer über die Gebirgsketten reisen, von denen die Thäler des W i l u i und der L e n a nur Längendurchschnitte zeigen! Die O l e k m a e r Kaufleute sind aber mit diesen Wegen des Handels noch gar nicht zufrieden; sie erklärten es vielmehr für ein •wahres Unglück, dafs das Thal des A m u r den C h i n e s e n gehört. Selbst wenn man absähe von der Fruchtbarkeit desselben und von der Schönheit der Zobel auf den umgebenden Bergen, so wisse man doch, dafs nur durch die SchiflTahrt auf diesem Flusse eine gehörige Verbindung zwischen der Mitte von ¿ S i b i r i e n und dem grofsen Ocean zu erlangen sei. Die L e n a gewähre keinen Ersatz, weil alle Erleichterungen des Transportes bis J a k u z k , gegen die Beschwerden des Gebirgsweges von J a k u z k nach O c h o z k verschwänden! — Bestätigungen dieser herrschenden Ansichten hörte ich auch von einem Offiziere der R u s s i s c h e n Marine, der wegen Thcilnahmc an den politischen Umtrieben im Decembcr 1826 nach O l e k m a verbannt war. Wir verliefsen die Stadt um 4 Uhr Nachmittags und fuhren zuerst durch Waldung am linken Ufer, 25 Werst weit bis S o l i ä n s k , wo aus der Gypsformation einige Salzquellen entspringen. — Dann aber die Nacht über auf dem Eise der L e n a , zwi» sehen ¿ S o l j a n s k und N a m a n a , einem Stationswege von 44 Werst. [ A p r i l 4.] Gegen 0 Uhr Morgens gerieth unser Schlitten auf der L e n a in so tiefen Schnee, dafs wir ihn stehen lassen und auf den müden Pferden 10 Werst weit nach N a m a n a reiten mufsten. Erst von dort wurde das versunkne Fuhrwerk mit frischem Vorspann geholt. — Die J a k u t e n in N a m a n a und die auf der folgen^ den Strecke von 110Werst bis /Sa n a j a c h t ä t s k, leben noch ganz nach ihrer ursprünglichen Weise. Ihre Jurten fand ich wieder den O s t -

XII. Abschnitt.

1829. April.

241

j a k i s c l i e n ähnlich; sie sind viereckig, platt gedeckt, Und im Innern mit hier sogenannten n a r u i , d. h. erhöhten und abgethcilten Schlafstellen längs der Wände versehen. Die dicken Eisschollen, die als Fensterscheiben dienen, werden auch hier von aufsen an die Wand befestigt mittels einer geneigten Stange, deren unteres Ende auf dem Boden ruht. Auf der innern Seite beschlagen sie des Nachts, wenn das Feuer ausgeht, fast eben so wie Glasscheiben, mit undurchsichtigem und schneeartigem Reif; am Tage schmilzt aber sowohl dieser, als auch ein beträchtlicher Theil des Eises durch die Heizung, und die fufsdicken Scholien müssen daher vier bis fünfmal in jedem Winter durch neue ersetzt werden, welche Vorräthig vor der Jurte liegen» Die Theile dieser Wohnungen welche vom Feuer bestralt werden, erwärmen sich bis + 15° oder + 20° R. *) Wir fanden in denselben die Kinder beiderlei Geschlechts völlig nackt. Sie liefen indessen heute bei einer Temperatur von — 10° R. auch eben so ins Freie! — An der Kleidung der Erwachsenen zeigt sich eine auffallende Vorliebe für farbige Stoffe, denn die Frauen tragen im Hause, fast eben so wie die Bur a e l i n n c n , Kleider aus grünem oder andrem hellen C h i n e s i s c h e m Zeuge, die Männer aber eng anliegende und kurze Überröcke, welche sehr auffallend den Waffcnröckcn der Knappen im Mittelalter ähneln. Sie waren hier meist von weifsem Tuchc und rings an den Rändern mit blauem Bande besetzt. Unten an der Rückscilc haben diese Röcke einen senkrechten Einschnitt, der aufwärts bis zu den Ilüflen reicht, damit sie beim Reiten nicht hindern. Auch die Pelzmützen der hiesigen Einwohner waren mit weifsem Tuchc überzogen und mit Eichhornschwänzen und andren s c h w a r z e n Fellen verbrämt. Man kann a n n e h m e n , dafs v o n der W ä r m e , feuer erzeugt, eben schnittlich

w e l c h e das K a m i n -

s o v i e l in der Eissclieibe zerstört w i r d ,

d u r c h ein S t ü c k

der I l o l z w a n d von

gleichem

als durch-

Flächeninhalte

hindurchgeht. — I n einer kubischen Jurte von 15 F u f s S e i t e b e w e i s t nun «•ine viermalige S c h m e l z u n g der fufsdicken S c h e i b e , dafs die S u m m e d e r Ilcizungsvrärme an 1 7 0 W i n t e r t a g e n 3400 Kubikfufs E i s s c h m e l z e n w ü r d e . N a c h R u m f o r d s V e r s u c h e n w e r d e n hierzu bei v o r t e i l h a f t e s t e r Verbrennung 14900 P f u n d o d e r 2 3 1 K u b i k f u f s Holz im Verlauf des Winters» d. h . 8 7 Pfund täglich v e r b r a u c h t .

D e r tägliche Vorrath, d e r in den

Jakuti«

s e h e n Jurten n e b e n d e m K a m i n e liegt, schien n i c h t eben g r ö f s e n I I . Band.

16

242

XII. Abschnitt.

1829.

April.

Die wenigen R u s s e n , welche zur Besorgung des Postwesens i n den hiesigen Stationen leben, sprachen auch' unter sich nie anders als J a k u t i s c h , und man unterschied sie von den Urbewohnern nur durch länglichere und weniger dunkelrothe Gesichter, so wie auch durch ärmlichere Kleidung. [ A p r i l 5.] Bei hellem Himmel war die Temperatur am Morgen wieder bis auf — 19° R. gesunken. W i r kamen zuerst nach S a n a j a c h t ä t s k , und fuhren von dort 77 Werst weit bis I s ß i t , wo ich geographische Beobachtungen anstellte und die Nacht über blieb. Das Thal ist auf dieser Strecke von Kalkfelsen bcgränzt, welche oben senkrecht abgeschnitten, an der untern Hälfte aber sanfter gegen den Flufs geneigt sind. M i t l e j e w äufserte mehrmals sein Entsetzen über die R u s s e n , welche wir auf den Stationen trafen, weil sie unter den Jak u t e n „nicht nnr die christliche, d. i. R u s s i s c h e Sprache, sondern auch jede christliche Sitte abgelegt hätten." Sie afscn nämlich jetzt während der grofsen Fasten die verbotensten Fleischspeisen ( s k o r o m n o e ) ohne jede Scheu, und entschuldigten sich nur mit dem Mangel an Fischen in der L e n a . In den -umliegenden Seen gäbe es K a r a u s c h e n , welche aber nur den J a k u t e n zu Theil werden. — Auch waren hier die R u s s i s c h e n Frauen im Tabackrauchen eben so eifrig, wie wir es schon bisher von den J a k u t i n n e n gesehen halten. Die Pfeifen welche die J a k u t i s c h e n Männer und Frauen stets bei sich führen, sind so klein, dafs sie in wenigen Zügen geleert werden. Die Köpfe derselben sind Kugelschaalen aus C h i n e s i s c h e r Bronce von einem halben Zoll Durchmesser, und enden unten mit einem hohlen und sehr dünnen Cylinder, welcher in dem hölzernen Rohr der Pfeife befestigt ist. Dieses besteht aus zweien mit der platten Seite auf einander gelegten Stäben, in deren jedem eine Hälfte des cylindrischen Kanales geschuiltcn ist. Sie werden dann der Länge nach mit einem dünnen Riemen umwickelt, und luftdicht zusammengebunden; die ganze Einrichtung gewährt aber den unschätzbaren Vortheil, dafs man das Tabacksül, welches sich in dem Rohre absetzt, sammeln, es mit Ilolzspänen mengen, und noch einmal verrauchen kann. [ A p r i l 6.] Auf dem Wege von I s s i t über . / u r i n s k und O n m u r a n s k nach *S"insk, sieht maa am linken Rande des Tha-

XII. Abschnitt.

1829.

April.

243

Ies stets senkrechte und gegen 80 Fufs hohe Kalkfelsen. Sie haben anfs Täuschendste das Ansehn künstlicher Mauern, denn ihre grünlichen und rothen Schichten liegen völlig horizontal und sind so regelmäfsig gefärbt, dafs man, oft 20 Werst weit, einerlei nur wenige Zoll breiten Streifen in gleichem Abstände vom Flufsspiegel wieder erkennt. Senkrechte Querspalten durchsetzen diese Wände und theilen sie in einzelne Quadern. — Zwischen dem Fufse der Felsen und dem Wasser stehen Tannen von auffallendem Wuchs; ihre unteren Zweige sind kurz und verkümmert, die Stämme aber ungewöhnlich schlank und südwärts gegen die L e n a geneigt. — In y a m o j e d e n am O b i , dafs die dortigen Rennthiere ihren Sommcraufenthalt in den schneereichen T h ä l e r n des O b d o r i s c h c n Gebirges w ä h l e n , in denen wir doch im W i u t e r H . Band.

17

258

X I I I . Abschnitt.

1829.

April.

nur Spuren ihres früheren Aufenthaltes fanden. den behauptet m a n ,

I n beiden Gegen-

dafs diese Züge nur durch Mücken veranlafst

w e r d e n , w e l c h e dann in den W ä l d e r n w ü i h e n , und ich habe mich auf K a m t s c h a t k a

u n i c r ganz ähnlichen Verhältnissen von

W a h r s c h e i n l i c h k e i t dieser Behauptung überzeugt. U n t e r den T s c h u k t s c l i e n

der



a u f dem Markte in N i / n e i

l u i m s k erzählen v i e l e , dafs sie mit ihren Landslcuten

Ko-

vom

Ost-

vorgebirge, über die G w o s d c w - f c l s e n in der Rcringsstrafse, nach A m e r i k a übergesetzt und P e l z w e r k von dorther mitgebracht haben.

S i e nennen die Namen vieler Ortschaften an der Küste

des

andern C o n t i n c n t s , und der Umgang beider V ö l k e r ist völlig gedenkbar, da man die Sprache der ansässigen T s c h u k t s c l i e n O s t - k a p übereinstimmend findet mit der der A l c u t e n auf jak.

Die J a k u z k c r

Kauflcule

halten solche Reisen über

Meere des Nordens für e t w a s ganz gewöhnliches, veranlassen

oder unternehmen

am

Kaddie

denn sie selbst

jährlich mehrere dergleichen

und

von w e i t giöfsercr Ausdehnung als eine F a h r t über die B e r i ' n g s strafse.

S i c haben auf diese W e i s e im S i b i r i s c h e n

Eismeere

zuerst die grofsen Landmassen vor der Mündung der L e n a befahr e n , dann aber auch die bis auf 4 0 Deutsche Meilen von der nächsten Küste entfernten Inseln K o t e l n o i , P h a d c j e w s k j i und N e u /Sibiricn,

nebst den näheren L j ä c h o w s c h e n

Inseln,

und für ihre Handelszweckc in Besitz genommen. *) merkwürdige E r w e r b s r e i s e n

entdeckt

Dergleichen

scheinen zuerst um 17G0 durch den

Kaufmann L j ä c h o w unternommen worden zu sein.

Er

wieder,

holte sie mit stets neuem E r f o l g e , und hat 4 0 J a h r e lang nur mit der J a k u z k c r Familie S u i r o w a t s k j i darin g e w e i t e i f e r t . folgte ihnen der Kaufmann P r o t o d j ä k o n o w , der

r i e n auffand, und im J a h r e 1 8 0 6 zum crslcnmalc der von den neuen Ländern Anzeige machlc.

Dann

Nen-jyibiRegierung

D a s Monopol,

welches

die E n t d e c k e r bis dahin zu behaupten gewufst hatten, wurde aufgehoben, und jährlich haben sich seitdem unter den hiesigen und U s t -

Die Fahrten

der T s c h u k t s c l i e n

ü b e r die Beringssti-afse b e t r a -

gen n u r 13 D e u t s c h e Mellen vnn einein C o n t i n c n t

zum

ü b e r Gly I ) . Meilen o d e r von d e r H e i s e d e r J a k u z k e r , z w i s c h e n dem Oslknp und d e r A m e r i k a n i s c h e n d e w - f e l s e n ausruhen sollte.

andren,

und nie

wenn man e t w a

K ü s t e b e i den ( » w ö s -

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

259

j a n s k e r Kaufleuten entschlossene Männer gefunden, welche nach den Inseln reisen. Sie ziehen meistens mit Hundeschlitten, bisweilen aber auch mit J a k u t i s c h e n Pferden über das Eis, und haben zu jener ersten und gewöhnlichem Art des Reisens nur 10 Wochen Tom März bis zu Ende Maies geeignet gefunden.

Im Winter hin-

dert die Finsternifs jener Gegenden, auch behaupten die Kauflcutc, dafs der Schnee durch allzu strengen Frost eine Härte oder Schärfe annehme.

eigenthümliche

Er fange dann an, so stark an den

Geleisen der Schlitten zu r e i b e n , dafs man vier mal mehr Hunde als in der günstigen Jahreszeit bedürfe.

Herr I l e d e n s t r ö m , der

mit eben so viel Liebe als Einsicht an dergleichen Fahrten auf dem Eismeere Thcil nahm, bestätigte dieses merkwürdige Verhältnifs vollkommen, und man darf es daher keinesweges durch eine Ermattung des Zugviehes erklären wollen.

Mit Anfang Juni?, w o

die Sonne zwischen der Küslc und den Inseln, selbst um Mitternacht noch 6° hoch ist, wird das Thauen den Schlittenfahrern eben so hinderlich w i e der übermäfsige Frost im J a n u a r , obgleich das unterliegende Eis auf dem Meere auch dann noch völlig sicher Verbleibt: in den meisten Jahren w i r d es nur im August auf einige Wochen unterbrochen. — Ilundefahrtcn nach den Inseln, bei denen man Monate lang von jeder Menschenwohnung entfernt bleibt, haben noch das Unbequeme, dafs man einer bedeutenden Last von trokkenen Heringen zur Ernährung des Zugviehes bedarf. Einige Narten gehen mit dicsemTheile der Ladung bisauf die Hälfte desWeges vorauf, und kehren von dort zurück an die Küste, nachdem man an verschiedenen Stellen auf dem Eise die nöthigen Vorräthe von Fischen, für die Gespanne der eigentlichen Reisenden deponirt hat.

Auch

helfen sich diese durch weifse Bären, von denen sie einige bei jeder Fahrt auf dem Meere erlegen, um mit ihrem Fleisch den Proviant für die Hunde zn ergänzen. Die Jagd der Polarfüchse wird auch auf jenen Inseln mit be stem Erfolge betrieben.

Noch werthvoller und merkwürdiger ist

aber das Elfenbein, welchcs dort mit Schädeln und ganzen Skeletten von Elcphanlen, Nashörnern, Bisons und andren ausgestorbenen Thicrartcn die Schichten des gefrorenen Landes auf eine räthEclhafte Weise erfüllt. Es ist dieses eines der Phänomene, welches man früher für 17 *

260

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

örtlich begränzt hielt, jetzt aber fast in a l l e n Gegenden der Erde •wiederfindet. Die Erklärungs-versuche sind dadurch nicht eben erleichtert, denn sie müssen nun gleichmäfsig auf die Küsten des Eismeeres, auf die Umgegend des Ohio, und aufserdem fast ohne Ausnahme auf alle Thäler der Europäischen, Nord-Asiatischen und Amerikanischen Ebnen Anwendung

finden.

Dennoch zeigen sich an

den hiesigen Fundorten jener urweltlichen Thiere manche so unverkennbare Denkmale ihres Ursprungs, dafs sie wohl besondrer Erwähnung verdienen. Der Boden um J a k u z k ,

den man in Herrn Schergins Brun-

nen kennen gelernt hat, besteht mindestens bis auf 100 Fufs Tiefe*) aus Schichten von Letten, feinem Quarz- und Magnct-sand. Sic haben sich aus Wassern abgesetzt, welche damals und wohl plötzlich das ganze Land bis zum Eismeere überschwemmten. In jenen tiefsten Schichten findet man hier Zweige, Wurzeln und Blätter von Birken- und Weiden-ähnlichen Bäumen, und selbst die unbefangensten Beobachter erklärten sich dieses Verhältnifs, indem sie es mit der jährlichen Bildung von neuen Inseln und Bänken durch die jetzigen Überschwemmungen der L e n a verglichen.

Auch diese

bestehen nämlich aus ähnlichen schlammigen Schichten und entwurzeltem Weidengebüsch; sie liegen aber um 110 Fufs höher als der Boden, welchen jene alten Fluthen bedeckten. — Knochen ur•weltlicher "Vierfiifser liegen nun überall, zugleich mit vegetabilischen Besten in diesen mächtigen Alluvionen.

In dem unteren

Thalc der L e n a , an der Mündung des W i l u i in dieselbe, zwischen den felsigen Bergen, welche den Lauf der J a n a begränzen, und am Eismeere, zu beiden Seiten der Mündungen dieser Flüsse, hat man Zähne und Knochen von Mammuten, Nashörnern und andern Vierfüfsern, ja oft auch g a n z e Leichen gefunden. — Nicht zu verkennen i s t , dafs mit der Annäherung an die Küste sowohl die Holzlager unter der Erde als auch die Knochcnlager, welchc sie begleiten, an Ausdehnung und Häufigkeit zunehmen.

Hier un-

ter J a k u z k liegen die Birkenstämme nur vereinzelt, dagegen bilden sie unter den Tundren zwischen der J a n a und d c r l n d i g i r k a so mächtige und reichhaltige Schichten, dafs die J u k a g i r e n dort *) Er ist im Jahre 1831 bis so weit durchgraben worden.

XIII. Abschnitt.

1829. April.

261

kein andres als unterirdisches Brennholz begehren. Sie holen es an Landseen, welche fortwährend dergleichen Stämme aus ihrem Boden auswaschen; in demselben Verhältnifs wächst auch die Sicherheit des Elfenbeinsuchens von den Ufern der binnenländischen Flüsse bis zu den Küstenhiigeln am Eismeere. — Beide verwandte Erscheinungen erlangen indessen ihre gröfste Ausdehnung und Bedeutung offenbar erst auf der äufsersten Kette der erwähnten Inseln, welche von der Küste durch eine 40 Meilen breite Meeresstrafse von geringer Tiefe getrennt ist. An dem nach Süden gekehrten Abhänge v o n N c u - t f i b i r i e n liegen nämlich 250—300 Fufs hohe Berge aus Treibholz, dessen uralte Entstehung, eben so wie die des Hölzes unter den Tundren, selbst den ungebildetsten Fuchsund Elfenbein - jägern einleuchtet. Sie nennen beide Arten von Baumstämmen a d a m o w t s c h i n a , d. h. adamitisebes Wesen. — Andre Hügel derselben und der westlichem Insel K o t e l n o i bestehen bis zu gleicher Höhe aus Skeletten von Pachydermen, Bisonen u. a. welche durch gefrornen Sand, so wie durch Schichten und Gänge von Eis verkittet sind. Nur in den unteren Schichten der N e u - Ä i b i r i s c h c n Ilolzberge haben die Stämme diejenige Lage, welche sie bei ruhigem Schwimmen oder Untersinken annehmen. Oben auf den Hügeln sieht man sie hingegen durcheinander gewirrt, der Schwere zuwider steil aufgerichtet, und an ihren Spitzen zertrümmert, gerade so, als seien sie gewaltsam von Süden her an ein Ufer gespült und auf demselben gehäuft worden. — Nun würde sich ein ebner See, welcher die Gipfel jener Hügel auf den Inseln bedeckte, selbst bei der jetzigen Gestalt des Terrains, bis nach J a k u z k (270 P. Fufs über dem Meere) erstrecken. Ehe sich aber die jüngsten Sand- und Schlamm-scliichtcn gesetzt und das hiesige Terrain um mehr als 100 Fuls erhöht hatten, mufste dergleichen Wasserfläche noch ungleich weiter aufwärts, bis zwischen die Felsen des L e n a t h a i e s reichen! So erweist es sich denn dafs, in der Zeit wo Elephanten und Hölzer verschüttet wurden, einerlei Floth von weit im Innern des Landes bis zu jenem äufsersten Damm in dem jetzigen Meere gereicht hat. Sie mag von den höheren Gebirgen durch die felsigen Thäler geströmt sein. Thiere und Hölzer, welche sie von oben hinwegraffte, konnten dann in den schlammigen und schnellen Wogen nur langsam

262

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

sinken, muteten aller in w e i t gröfserer Zahl und gewaltsam gegen die ä l t e r e n Theile von K o t e l n o i und N e u - < S i b i r i e n gedrängt w e r d e n , weil diese der Ausbreitung des Wassers ein letztes Hindernifs entgegensetzten. *) Die Mammulszähne, welche im vorigen Jahre gefunden w o r d e n , waren jetzt schon von hier nach Europa gesandt, und ich fand daher bei den Kauflcuten nur Gegenstände,

die sie gele-

gentlich mit jenen und von denselben Fundorten erhalten h a t t e n ; namentlich Rindsschädel und Rhinoccros-llörner, die ungleich gröfseren als den jetzt lebenden Individuen angehört halten.

Eines

dieser Horner, welches ich mit mir nahm, ist, fast im Kreise, nach hinten gekrümmt, hat an seiner Wurzel in der Richtung des Nasenbeines 8, und in der darauf senkrechten Richtung 2 i Par. Zoll im Durchmesser.

Es mifst von dort bis zum oberen E n d e , w o es in

eine Spitze ausläuft, 3 | Par. Fufs, und besteht, so w i e Fischbein oder Spanisches Rohr, aus parallel liegenden und leicht trennbaren Fasern oder dicken Haaren.

Diese sind aufsen dreikanlig und mit

einer cylindrischen Höhlung im Innern; sie haben, w e n n man sie aus der Erde zieht, ein mattes und holzartiges Anselm, w e r d e n jedoch im Wasser sogleich glänzend und durchsichtig, auch zeigt der Horngeruch, den sie beim Verbrennen verbreiten, ihre w a h r e Natur.

Von der Wurzel gegen die Spitze

dieser Horner be-

m e r k t man in regclmäfsigen Abständen mehrere höchst auffallendo Ringe, innerhalb welcher jene Fasern wellig gekrümmt s i n d , und loser nebeneinander zu liegen scheinen. Offenbar entstanden diese an den Glänzen von eben so vielen gleich langen Wachsthumsperioden, denn man sieht, dieser Annahme gennifs, die Abstände der Ringe bei zunehmendem Querschnitt von der Spitze gegen die W u r zel der Hörner, regelmäfsig abnehmen. Es liegen daher Stücke von nahe gleichem Inhalt zwischen je zweien Ringen; namentlich in denjenigen Theilen der Masse, welche von der Witte bis zum Ende der Lebensdauer des Thieres gewachsen sind, und von viel gcrin-

*) Sleinkerne von A m m o n i t e n , welche die Elfenbeinsucher von der K o t e ] n o i - I n s e ! mitbringen, b e w e i s e n , d-afs ein Tlieil dieser Kelle aus weit alleren Gebirgsarlen als die knocbenballigen ScLlaramscliicliten besiebt.

XIII. Abschnitt. 1829.

April.

263

gercm Betrage sind nur die o b e r s t e n Anwüchse aus den ersten Jugendperioden. — Thermische Jahre, oder andere ihnen an Regelmäßigkeit gleichkommende Wechsel in den Lebensbedingungen der Tliierwelt haben also in jener Zeit stattgefunden. Diese Erfahrung ist aber von Interesse, weil andere geologische Thatsachen andeuten, dafs in noch früheren Zeilen die Wirkung der Sonne an Orten von verschiedener geographischer Lage entweder nahe gleich war, oder doch compensirt und unwesentlich gemacht wurde, durch vollständigere Mittheilung der Wärme aus der Tiefe gegen die Oberfläche der E r d e . * )

Das R h i n o c e r o s , dessen Ilorn ich hiev er-

hielt, hatte 20 solcher Perioden durchlebt. Dünne Platten welche man aus diesen Hörnern schneidet, sind höchst elastisch.

Sie werden deshalb von den J u l c a g i r e n eifrig

gesucht und, eben so wie Rindshörner bei den B u r a e t e n und ha ziges Holz bei den O s t j a k c n , zur Futterung der Bogen gebraucht.

Die Aufmerksamkeit des Volkes ist dadurch auf d i e s e s

Denkmal der Vorwelt mehr als auf andere gelenkt worden, und die nomadischen Geologen am Eismeere haben ausgemacht, dafs man es für die Nägel oder Fängen von riesigen Vögeln zu hallen habe, welche älter seien als der J u k a g i r i s c l i e Stamm, und in der Vorzeit mit diesem um den Besitz der Tundien stritten Ich habe schon früher erwähnt, auf welchem Wege dieser Nordusiatisclie Mythus in den Griechischen von den Greifen übertragen zu sein scheint.

( I , 1. S. 711.)

liier in J a k u z k wird er aber eben so

gläubig fortgepflanzt, wie ehemals durch A r i s t e a s

und durch

l l e r o d o t . Was ich vom Rhinoceros erzählte, hatte man schon oft gehört, nannte aber die vorliegenden Horner doch nicht anders als p t i t s c h i e k d g t i oder Vogelnägcl, und sah keinen Cruud, sie umzutaufen. — Auf a n d r e

W e i s e könnte nahe G l e i c h h e i t

aller Klimate

grössere Durchsichtigkeit des W e l l r a u m s bestanden haben. derter Exstinction kann

die

d e r S t r a l e n d u r c h d i e M a t e r i e in den

wärmende Wirkung

der Fixsterne

w e r d e n oder a u c h w e i t s t ä r k e r a l s d i e s e .

durch vermin-

Intermundien,

der Sonnenwirkung

gleich

D i e Mitteltempcraturen am Pol

y n d a m A e q u a t o r n ä h e r t e n s i c h dann d e r G l e i c h h e i t . s o w o h l T a g und N a c h t ,

Bei

E s würde d a n n aber

a l s W i n t e r u n d S o m m e r an L i c h t und

Wärme

¥ inander g l e i c h , a u f e i n e W e i s e , w e l c h e nicht m i t d e r W a h r n e h m u n g von J a h r r i n g e n a n T h i e r - o d e r Pilanzen-körpern zu vereinen w ä r e .

264

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

Auch über andere antediluvianische Reste fand ich bei den Mammutshändlern keine Hypothese, mit der man unsere Europäischen Systeme bereichern könnte. Sie loben nur die Weisheit des Schöpfers, welcher alle Märkte denen Wallrofszähne fehlen, mit Elfenbein versorgte.

"Wirklich halfen sich Wallrosse von den Kü-

sten des » S i b i r i s c h e n Eismeeres überall entfernt, und es ist dagegen eine Thatsache, dafs ihre Zähne den Handel von A r c h a n g e l s k beleben. Man bringt sie dahin noch von der P e t s c b o r a , aber von dieser gegen Osten fehlen sie entschieden. Sie werden durch Mammutszähne ersetzt in O b d o r s k , in T u r u c h a n s k , in K o l u i m s k und in U s t j a n s k , spielen aber dann wieder eine bedeutende Rolle in dem Ilausrathe und Handel der T s c h u k t s c h e n und der Bew o h n e r des Nord.Osten von K a m t s c h a t k a . Trotz jenes Mangels an gelehrten Hypothesen findet Wissenschaftliches auch hier einige Theilnahme, w e n n es für Reisende oder für den Handel nützlich ist.

Ich wurde mehrmals gebeten die Fernrohre

zu verkaufen, die ich an meinen Meßinstrumenten mit mir f ü h r t e ; denn man gebrauche stets dergleichen bei den Fahrten über das Eis und nach den Inseln, und könne Elfenbeinlager unter den Ebnen oft schon aus grofser Ferne durch einige hervorragende Zähne erkennen. — D i e häuslichen Sitten der a l t e n Jakuzkcr Familien fand ich mindestens eben so anziehend wie die Gespräche von ihren Reisen. Das Theetrinken in den Abendgesellschaften ist hier bis aufs äufsersle gekommen.

Man nimmt gewöhnlich 5 bis 6 Tassen ohne Weige-

rung, und erst die folgenden auf Bitten der Hausfrau. Diese aber steigern sich dabei durch alle gewöhnlichem Formen bis zu den e i g e n t ü m l i c h e n Ausdrücken: p o n a t ü / l e *

und

ponewolitei,

d. h. strengen sie sich an und überwinden sie ihren Widerwillen. Zugleich werden viele Zirbelnüsse gegessen, denen man oft den sonderbaren Namen r o s g o w ö r k i ,

d. h. Gespräche beilegen hört.

Es w i r d hier nämlich noch verlangt, dals die jüngeren Frauenzimmer in den Versammlungen der Alten schweigen.

Sie sitzen in

festlichen Kleidern nur als Zierde und zur Schau an den W ä n d e n des Gesellschaftszimmers, und man beschäftigt dabei ihren Mund mit jenen Nüssen a n s t a t t m i t G e s p r ä c h e n .

Wirklich ist dieses ein

passendes Mittel, denn es erfordert eine eigne Geschicklichkeit die

XIII. Abschnitt. kleinen

1829.

April.

265

Samen der Zirbclfichte aufzubeissen, und ohne

einige

Übung hält man sie geeigneter für Eichhörner als für Menschen. — Nach dem Thee wurden w i r , wie bei den C h i n e s e n und w i e iu allen S i b i r i s c h e n Städten, mit w a r e n i e , d. i. in Zucker eingemachten Früchten

aus Klein - Rufsland und mit

getrockneten

Aprikosen v o n B ö c h a r a bewirthct; dazu kam aber hier ein höchst wohlschmeckendes und acht J a k u z k i s c h e s Produkt, welches ich nicht ohne Überraschung für rohes Fleisch erklären hörte.

Grofse

Scheiben von Rindfleisch werden im Herbst an eigens dazu gemachten hölzernen Gestellen reihenweise aufgehängt, und dann den ganzen W i n t e r über an luftigen Orten der vereinten Wirkung der Sonne und des Frostes überlassen. Mit Anfang des Frühjahrs sind sie zum Ccbrauche fertig, und lieifscn nun w j a l c n o e oder w j ä l e n a j a g o w j ä d i n a , d. h. gewölktes Fleisch.

oder

mja«o gedörrtes

Man ist aber dann kaum noch im Stande, den Ursprung

dieses Produktes zu erralhen, denn das Ganze ist nun vollkommen trocken, die fetteren Stellen haben ein schneeweifses und wachsortiges Ansehn, und das eigentliche Fleiseh bildet eine harte und zcllige Masse, welchc auf dem Schnitte blank wird wie Leim.

Es

w e r d e n zum jedesmaligen Gebrauche höchst dünne Streifen von diesen Scheiben abgeschnitten, und diese sind von so vortrefflichem Geschmack, dafs man nicht umhin kann den Frost und die Einwirkung der Luft für einen vollständigen Ersatz des Kochens zu erklären.

Namentlich fand ich aber dieses S i b i r i s c h e Pro-

dukt zum Rohessen ungleich geeigneter als das c a r n e s e c c o in C a l i f o r n i e n und B r a s i l i e n , welchcs blofs durch Sonnenwärme gedörrt wird, — Das J a k u z k i s c h e Fleisch erhält sich dann auch im Sommer durchaus unverdorben. Es ist ein unschätzbares Hülfsroittel

für die Reisenden, welche nicht immer im Stande sind

Kochfeuer anzulegen, und durch längeren Gebrauch gewöhnt man sich so sehr an diese kräftige Nahrung, dafs man sie, wie in den hiesigen Theegesellschaften, auch im Hause als Leckerbissen verlangt. — Auch an dem Hausgeräth und an der Kleidung dieser Familien vom alten Schlage mag sich seit 200 Jahren kaum etwas geändert haben.

Einige Mädchen fingen z w a r an ihren Röcken

aus C h i n e s i s c h e m Stoffe einen E u r o p ä i s c h e n geben,

aber

den Frauen w a r der S a r a f a n

Zuschnitt zu

und das 6eidene

266

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

Kopftuch noch immer die festlichste Tracht.

Es ist nicht Man-

gel an Beispiel, sondern n u r religiöse Liebe für das A l t e ,

die

solche Sitte vorherrschend erhält, denn der Handel und die politischen Stürme verursachen auch liier manche unerwartete Berührungen.

So traf ich in J a k u z k einen G r i e c h i s c h e n Kaufmann,

Herrn K a t a k ä z i a , der mir von O d y s s e u s i Insel erzählte, und seine eignen Erfahrungen mit Homerischen Versen belegte. •war erst in neuerer Zeit vor den Bedrückungen der

Er

Türken

nach Rufsland geflohen, und hatte sich nun wegen des Pelzhandels liier niedergelassen.

Dieser lebte mit Europäischer Eleganz und

obgleich er einige Gemälde, ein Fortepiano und mancherlei ähnliches aus einer Entfernung von 1262 Meilen von M o s k a u aus verschrieben h a t t e , so lag doch für die ¿ S i b i r i e r gerade h i e r i n kein Ilindernifs um seinem Beispiele zu folgen. Für die Amerikanische Handels Compagnie ist ihre J a k u z k c r Niederlassung eine der wichtigslen, denn hier, w o die Schlittenwege aufhören, bedarf es einer klugen Leitung, damit das Getraide lind manche Europäische W a a r e n für die A l e u t i s c h e n Inseln, auf sichere und wohlfeile Weise befördert werden.

Auch gehen jähr-

lich Führer mit J a k u t i s c h e n Pferden von hieraus nach O c h o z k um die Seekatzen- und Otter-feile zu empfangen, welche mit ¿Sitc h a e r SchifTcn dort ankommen.

Hier trennt man dann das ge-

ringere Pelzwerk zum Eintausch Chinesischer Waaren in K j a c h t a , von dem werthvolleren welches direkt nach M a k ä r i e w gelangt. — So übt J a k u z k einen bedeutenden Einflufs auf den überseeischen Handel, obgleich es noch um 145 Meilen eines schwierigen Terrains von der Küste entfernt ist. J e t z t eben w a r dieses Verhällnifs sehr auffallend sichtbar.

D e r O c h o z k e r Ilafcn, welcher bisher dio

einzige Verbindung der Insel-Colonic mit dem Continenle darbot, ist schon längst sehr uubequem und unsicher befunden, und man halle deshalb von hieraus einen neuen iu Vorschlag gebracht. Leute des hiesigen Comtorcs waren nun eben auf graden) W e g e durch die Wälder nach der Mündung des Ud-flusscs in oa^O Breite, 5° südlich von O c h o z k und 12 Meilen von der J a p a n i s c h e n Gränzc geritten, und hatten jetzt eben durch einen Bolen gemeldet, dafs die dortige Bucht so gut sei, als man erwartet habe. Sie enthalte nur eine einzelne Sandbank, und nicht eine ganze Barre,

XIII. Abschnitt.

1829. April.

267

wie die O c l i o z k e r Rhede. Bei Herrn Schergin auf dem Gehöfte der Compagnie war nun Alles in Thätigkeit, um diese Unternehmung weiler zu fordern. Ich fand dort viele J a k u t e n , welchc Ochsenhäute schabten und zusclinittcn, denn die Abgesandten von U d s k o i wollten die Bucht in ledernen Fahrzeugen sondiren, und piufsten von hier aus damit versorgt werden. In solchen wie in allen andern Angelegenheiten bleibt die Amerikanische Compagnie durchaus unabhängig von dem Gouverneur der Provinz. Für J a k u z k wird zwar dieser Beamte jetzt 6tets aus der Kaiserlichen Marine gewählt, aber nur deshalb, weil die Verwaltung der hiesigen Gegend, auch abgesehen vom Handel, vielfaltig in die des O c l i o z k e r Hafens eingreift. Die Kaiserlichen Schiffe, welche, noch aufser denen der Compagnie, auf dem P e n / i n s k e r Meer und an den K a m t s c h a t i s c h e n Küsten fahren, werden über J a k u z k mit Proviant so wie oft auch mit Mannschaft und manchen andren Erfordernissen versehen; auch könnten ohne Zweifel die Reisen und Sendungen durch die Tundren und andre ungebahnte Gegenden der hiesigen Provinz nicht zwcckmäfsiger als durch einen S e e m a n n geleitet werden, wenn der praktische Sinn der J a k u t e n und Kosacken hierin überhaupt noch einer Nachhülfe bedürfte. Capitain M j ä g k o w , den ich als Gouverneur von J a k u z k kennen lernte, genofs allgemeiner Zuneigung, weil er die Interessen der Urbewohner mit denen der Russischen / S i b i r i e r zu vereinigen wufste. Ich habe mehrmals an seinem Tische mit reichen J a k u t i s c h e n Hirten gespeist, und diese rechneten auf eeine Gastfreiheit, so oft sie aus ihren Jurten nach der Stadt kamen. Sie waren von der P e t e r s b u r g e r Sprache und Sitte in demselben» Grade entfernt, wie die O s t j a k i s c h e n Häuptlinge und wie ihre Landsleute an der obern L e n a , aber der Gouverneur hatte nichts mehr dagegen, dafs sie ihn abwechselnd D u und E w . I l o c h w o h l g e b o r e n titulirten, auch war hier Jeder gewohnt ihr stolzes und etwas mürrisches Selbstvertrauen frei gewähren zu lassen. Herr M j a g k o w erwiederte diese Besuche eben so angelegentlich, und machte unter andren während meiner Anwesenheit in J a k u z k eine beträchtliche Reise nach der Jurte eines J a k u t i s c h e n Knjasez, der ihn als Zeugen bei der Hochzeit seines Soh-

268

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

nes, oder vielmehr bei Abzahlung des Koluim für denselben eingeladen halte. — Ich habe früher einer Zählung

der Urbewohner

erwähnt,

welche -während des vorigen Jahres im Norden des T o b o l s k e r Gouvernements gemacht wurde.

( I , 1. S. 715.)

Eine ähnliche

•war nun a u c h f ü r O s t - i S i b i r i e n i m W e r k e , und ich traf in J a k u z k drei verdienstvolle Beamte, welche sie ausführten. Unter diesen gehörte nur I l e r r P j a t n i z k j i zum Finanzministerium in P e t e r s b u r g , während die Herren T a s k i n und AI. A p h . S l ö b i n von d c u N e r t s c h i n s k e r Bergwerken mitgegangen waren, um bei dieser Gelegenheit auch die etwanigeu mineralischen Reichthümer der hiesigen Gegenden zu beachten.

Der Hauptzweck der Expedition w a r

indessen eine neue Feststellung des Felltributes für die einzelnen Familien und Geschlechter der Urbewohner, und man sagte uns, dafs die Regierung ausdiücklich vorgeschrieben habe mit gröfster Milde dabei zu verfahren.

Dcnnocli liatle man auf dem J a k u t i -

s c h e n und T u n g u s i s c h e n Strich längs der öbern L e n a überall den J a i ä l c vermehren k ö n n e n , weil die Zahl der

Urbewohner

dort während der letzten 50 Jahre beträchtlich gewachsen w a r . Dasselbe Resultat soll man durchschnittlich in ganz ¿ S i b i r i e n erhalten, und Ausnahmen davon nur in Gegenden gefunden haben, in denen endemische Krankheiten herrschen, s o w i e bei den W e r c h o w i s c l i e n O s t j a k e n . (I, 1. S. 576 u.a.) Ich hörte bei dieser Gelegenheit von einer eignen ChiiTreschrift, die während des jetzigen Umganges mit den Urbewohnern erfunden w o r d e n w a r , und durchweiche man den einzelnen Gesellschaften ibre neuen Verpflichtungen eingeprägt und mit ihnen über die früheren gerechnet hatte. Sie bestand indessen nur aus 6 verschiednen Figuren, die respektive Quantitäten von Fellen zum W e r t h von 5 und 10 Kopeken, und von 1, 10, 100 und 1000 Rubeln andeuteten.

Während

der

Verhandlungen selbst wurden dergleichen Runeu auf Papier gezeichnet, dann aber als bleibende Denkmäler in hölzerne Stäbe geschnitten, so w i e es die O s t j a k e n und W o t j a k e n zu ihren eignen Zwecken gewohnt sind. (I, 1. S. 621 u. 438.) Natürlich w a r diese Begebenheit für die Bewohner der abgelegnen Jurten weitgeschichtlich und cpochisch.

Die J a k u t e n haben sie in impro-

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

269

visirten Gesängen g e f e i e r t , v o n denen ein R u s s i s c h e r Dollinetscher Folgendes ü b e r t r u g : die Commission errichtete bei uns ihren T h r o n zum allgemeinen Besten.

Ihr

a n d r e n Släinmc

e m p f a n g t sie

gut,

damit sie auch cucli mit W e i s h e i t richte. E i n e s Abends, w o viele J a k u t e n meinen astronomischen Beobachtungen zusahen, überraschten mich i n d e r Finstcrnifs Französische W o r t e u n d die Frage eines M a n n e s , „ o b w i r uns sehen w o l l t e n , obgleich er B e s t ü / e w h e i f s e " ? — Ich beseitigte seinen Zweifel m i t dein S p r i c h w o r t e der K o s a c k e n , dafs z w a r die B e r g e stehen, alle Menschen aber mit einander umgehen solllen *), und erfreute m i c h darauf in meiner einsamen W o h n u n g eines ergreifenden Gespräches. — Man hatte V e r h ä r t u n g oder stoischen Gleiclimuth von einem Manne e r w a r t e n k ö n n e n , der aus Freilieitsträumeu fast augenblicklich durch Ketten u n d , i m K e r k e r g e w e c k t w u r d e , d e r d a n n , seit lange auf den schmachvollsten Tod gefafst, das Exil als eine YVohlt h a t empfangen hatte.

Iiier h a t t e

aber

ein

solcher

in

Zügen,

W o r t und Gestalt alle Frische der J u g e n d und den Glanz eines edlen Talentes b e w a h r t .

E r gestand mir, dafs die Fröhlichkeit des

Gemüthes w i d e r seinen W i l l e n stets neu in ihm e r w a c h e , denn er sollle doch hillig von dem G e w i c h t e der Vergangenheit, u n d einer hoffnungslosen Z u k u n f t e r d r ü c k t s e i n , fühle aber dennoch Liebe f ü r das G e g e n w ä r t i g e , u n d Muth es zu geniefsen. — A l e x a n d e r Bestu/cw

w a r schon lange v o r d e m A u s b r u c h e der Revolution

in die Kreise der Versclnvornen gezogen.

Überzeugt von der Be-

gabtheit des R u s s i s c h e n V o l k e s , h a t t e er zu denjenigen gehört, w e l c h e es plötzlich von der Leibeigenschaft zu einer freien Ver« fassung e r w e c k e n w o l l t e n .

N u r diese Absicht verlautete u n t e r 5h«

n e n , als sie das Aufserstc beschlossen, und sie hofften später über einige Mitvcrschworiie zu siegen, die eigennützigen Ehrgeizes dringend verdächtig w a r e n . — V o n den T r u p p e n , die m a n v e r f ü h r e n wollte, fanden sich am 14. D e c e m b e r n u r 5000 Mann u n t e r d e r A u f ü h r u n g Von Umtriebern, w ä h r e n d diese auf m e h r als das D o p p e l t e gerechnet

*) G o r a s g o r o i u ni f c l i o d i t s j a , a t s c l i e l o w j e k jekom.

s'tschelow-

270

XIII. Abschnitt.

i829.

April»

hatten; und dennoch war zum Thcil durch unglaubliche Überraschungen auf die Unbefangenen gewirkt worden. So wurde der Lieutenant A l e x a n d e r B e s t ü / e w , der damals als Adjudant des Chefs vom Genie-Corps zu keiner bestimmten Truppe gehörte, erst am Morgen des Aufstandes von den Verschworenen in die Kaserne des Moskowischen Regiments gesandt. Nur durch stürmische Vorstellungen, so wie sie der Augenblick darbot, entflammte er die Gemüther der Gemeinen. Keiner ilirci1 Offiziere nahm Theil an dem Treubruch, und dennoch griffen fünf Compagnicn nach Flintensteinen und Patronen in dem Magazin der Kaserne. *) Sie zogen schufsfcrtig, in Schlachtordnung und mit fliegenden Fahnen zur Wahlstatt auf dem Isaksplatz, an ilirrr Spitze nur den Redner, der äclit Russische Worte gefunden hatte. Den* noch sahen ihn fast alle zum erstcnmale, auch trug er eine ihnen fremde Uniform. — Es ist bekannt, wie dann der Kaiser durch ritterliche Todesverachtung die Reue der Edleren und die Unterwerfung der Massen herbeiführte. Alle schienen wie gebannt durch die moralische Macht seines Sieges. Hier war nicht mehr an Gnade zu denken, und dcnnoch benutzte kaum Einer die Gelegenheiten zur Flucht, die sich in der ersten Aufregung Vielfach darboten. Auch B c s t u ; ' e w war im Verlaufe des Tages allen Verfolgungen entgangen^ kehrte aber in der Nacht äus ciiner entlegenen Vorstadt zurück, und drang unerkannt durch die Posten der Artillerie, welche neben ihren Geschützein bei Wachtfeuern mit brennenden Lunten lagerten. Er ging in den Pallast des Kaisers j wo ihn einer seiner Freunde, der die Leibwache befehligte, mit Entsetzen empfing. Die Ketten; die er seitdem zu P e t e r s b u r g in der Ciladclle und in einer F i n n l ä n d i s c l i e n Festung getragen, ja der Tod seiner Freunde^ neben ihm unter Henkc'rsliänden auf dem Scbäffot, hatten nicht vermocht in dem Verbannten das Andenken an e i n e n Moment jener ersten Leidensnacht zu verwischen. Er erzählte noch heute

* ) Anstatt d e r Flintensteine w u r d e n in den Regimcnlern hölzerne F o r m e n ( d e r e w j ä s e l i k i ) g e t r a g e n , und die E m p ö r u n g w a r entschieden, als die T r u p p e n einstimmten in den R u f : d e r f e w j ä s c l i k i d a ' l ö i , oder fort mit den Hölzern.

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

271

mit Erschütterung, w i e ihm der Kaiser soglcich, in einem weilen und fast dunklen Räume des Pallastes allein entgegengetreten, und mit unerträglicher Hoheit des Blickes von der Treue des verstorbenen General B e s t i i / e w *) und von der Entartung seiner Söhne gesprochen liatle. Ein verhängnisvolles Band knüpft an dieses politische Drama das schönste Erzeugnifs der Russischen Dichlkunst. anerkannt in der Geschichte,

Es ist bereits

dafs Kaiser A l e x a n d e r

in

den

Jahren 1822 und 1823 durch Frömmler vermocht wurde, eine geistige Entwickclung zu hemmen, die er selbst bis dahin gepflegt und aufs Edelsle befördert halte.

Damals erst entfrcmdcle er sich die

Gemülhcr, zum Theil durch neue Strenge der Ccnsur; als aber dann diese in den folgenden Jahren einen gefährlichen Widerspruch wirklich erregt, als sie selbst die N o t w e n d i g k e i t ihres Bestehens erzeugt halte, zeigte sie sich auf beispiellose und fast unglaublicbeVVcise gelähmt. Unverkennbar waren es nämlich in jenen Jahren die Verschworenen, denen recht vorzugsweise dichterische Lorbeeren in Rufsland zu Theil wurden, und zwar indem sie immer offener ihren fanatischen Idealen Eingang in die Gemülhcr zu erwerben strebten. „ An die Freundinuncn und Freunde des Vaterländischen" weihten gleichniäfsig und wie verabredetermaafsen B e s t u y ' c v v - R j i i m i n , zwei Jahre vor seiner Hinrichtung, seine poetischen Frühlingsgaben, N i k o l a i B e s t u / e w , ein älterer und jetzt ebenfalls verbannter Bruder des J a k u z k c r , seine Erinnerungen an H o l l a n d , und der Verschworene K ü c h e l b e c k e r und K n j a s O d o j e w s k j i , - i h r e Mnemosync. W e d e r diese Erscheinungen noch auch ähnliche litterarische von M u r a w i e w - A p ö s t o l und andren jener Rädelsführer rechtfertigen übrigens

den Namen

eines Aufruhrs von

Prätorianern

und Pöbel, mit dem man w o h l in Europa jene Russischen Umtriebe bezeichnet hat.

Diese erscheinen aber noch weit entschiedener

als tragische Vorboten künftigen Glückes, als Folgen eines edlen damals aber im Erwachen gehemmten Gemeinsinns, in den Dichtungen von R u i l e j c w und von A l e x a n d e r

Bestu/ew,

Herausgeber des lilterarischen Journals der P o l a r s t e m

Als

wirkten

' ) A l e x . A l e x a n d r o w i t s c l i B e s t u / e w bekannt durch m e h r e r e Schriften über militairischc Erziehung.

272

X I I I . Abschnitt.

beide

1829.

April.

drei Jahre läng vereint m i t hinreifsender A n m u l h in jener

freisinnigen Richtung, bis dann R u i l c j e w

allein, sich die Ietzlo

u n d fast unheimlich glänzende K r o n e eines Sehers und aufs Letzte treuen Freundes errang.

eines bis

Ich m e i n e in seinem Gedichte

W o i n a r ö w s k j i , w e l c h e s aus innigster T i e f e einer edlen gequollen ist.

Seele

D i e Entstehung desselben ist nur dadurch erklär-

b a r , dafs w e n i g e Monate v o r s e i n e m T o d e dem Dichter offenbai wurdet sei es durch scharfe Combinationen in einem erregtenGemüth, oder durch das w a s w i r Ahndung n e n n e n , w i e jeder der F ä d e n des G e w e b e s verlaufen w e r d e , w e l c h e s er i m Finstcrn anspinnen half.

Er sieht im Geiste die Träume der V e r s c h w o r n e n eitel ver-

nichtetj

ihre Absicht

gebrandmarkt, B e s t ü / e w

seinen

Freund

aus der menschlichen Gesellschaft gestofsen, und v o n dessen jahrelangem Leiden erkennt er im Voraus jeden feinsten Z u g , er sieht endlich sich selbst in den Händen des H e n k e r s !

D e n n o c h treibt

es ihn w e i t e r in der Bahn, in die er sich v o m Schicksal gedrängt glaubt; mit männlichcr Ruhe bringt er daher die v e r z w e i f e l t e Sache z u E n d e , und w e i f s auf der Wahlstatt den Posten zu

finden,

an

dem er sein Leben sichcr v e r w i r k e . — Sei es aber eine letzte Freude an der W c h m u t h , sei es unbewufstcr Drang oder der W u n s c h sich z u zeigen so w i e er w a r , er mufstc zuvor seinen tragischen Ahndungen unsterbliche W o r t e l e i h e n ! M a s c p p a s Aufsland, die Verbonnung seines Verbündeten W o i « n a r o w s k j i nach J a k u z k , w o ihn der Geschichtsschreiber

Mül-

l e r im Jahre 1736 schon halb v e r w i l d e r t antraf, boten dazu ein seltsam glückliches Gleichnifs. — B c s t u / e w sehen Gedichte

erhält in dem propheti-

den Namen seines Vorgängers in der Verbannung,-

dabei aber w i r d jeder seiner Züge m i t erschreckender W a h r h e i t erhalten.

D e r D i c h t e r malt J a k u z k , w e l c h e s er doch niemals gese-»

lien hat, er malt das dortige L e b e n der Verbannten s o t r e u , man kann.

die

Verse

nie

ohne

Grauen

Mufstc ich doch z u g e b e n ,

an

die

Wirklichkeit

dais v o n unserer heutigen

gegnung schon seit drei Jahre geschrieben w a r ! *)

Des

dafs

halteö Be-

Freundes

•) Dieser Umstand, den ich einst gleich nach meiner Rückkehr an Herrn von C l i a m i s s o erzählte, vcranlafste die Übertragung und Erweiterung von l l u i l e j c w s Versen im

X l l i . Abschnitt. Schicksal dem

war

Gcdichtc

oft darin

ihm

k e n n t und

er das Entsetzen Volksverrüther Kirchen schcidet

das w i c h t i g s t e ,

und

273

so licfs R u i l e j e w

eines V e r s c h w o r n c n ,

irl

der

sein schmäli-

dennoch v o r w ä r t s schreitet.

S o schildert

mit dem sich M a s e p p a nach seinem Tode als

gebramlmarkt

und nach Russischer S i t t e in allen

des Landes v e r f l u c h t d e n k t ! — er

April.

sein eignes Abbild im Hintergrunde, zeigt j e d o c h

die S t i m m u n g

liges Ende

1S29.

endlich

das Leben fessele.

von

dem

In zufeignenden Verseil

Freunde,

der

ihn

allein

an

Er entläfst ihn mit den W o r t e n : „ n i c h t Dich*

A i l a l l ) . v o n C h a v n i s s o s W e r k e . L e i p z i g . 1830. Band IV. Seile 51 u. f. — Nach so glänzender Einführung jener Ereignisse in den Deutschen Ideeiikreis, hätte ich sie nicht mehr h er mit unbeholfenem W o r t e n erwähnt, w ä r e es nichtv\ünschenswerth erschienen,auch in d i e s e m F a l l e das rein Thalsachliche neben der dichterischen Auflassung derselben zu bewahren. Ehen dazu können sehr ausführliche historische NachVVeisuilgeft dienen, welche die Original-Ausgabe des Russischen Gedichtes Uber d i e Hauptpersonen desselben enthält. W i r sehen darin unter andrem, dafs A n d r e a s W o i n a r o w s k j i , Schwestersobn und jüngerer Verbündeter des Russischen Wallenstein, denn so konnte man M a s e p p a neiinert, Sich t u seiner Zeit auch in Deutschland bekannt machte. Er entfloh, nachdem K a r l XII. und die Klein - Russischen Empörer mit ihm bei P o l » t ä w a geschlagen w a r e n , und lebte einige J a h r e lang unter dem Schutze des Ostreichischen llofes, theils in W i e n , theils in Breslau und andren Deutschen Hauptstädten. Die Gräfin Aurora von Königsmark, die Geliebte Königs A u : u s t von Polen und Mutter des tapfern Grafen Moritz von Sachsen, soll damals i h r Herz dein kräftigen und äöfserst gewandten Flüchtling geschenkt haben, und w i e d e r u m ist es ein seltsames Spiel des Zufalls, das w i r noch heutigen Tages in Quedlinburg am Harze den L e i c h nam jener Schönen unverändert sehen, w ä h r e n d der ihres unglücklichen Freundes mindestens eben so g u t : unter J a k u z k in dem ewigen Eise erhalten ist. W o i n a r o w s k j i w u r d e erst 1710 bei einer Durchreise durch H a m b u r g von dem dortigen Russischen Abgesandten ergriffen und nach Petersburg gefühlt. Die Fürbitten der Gemahlin P e t e r I. verwandelten dort die, ihm zuerkannte Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung nach J a k u z k . — — Der Historiker G e r h a r d F r i e d r i c h M ü l l e r w u r d e 1705 zu Herford in W e s l p h a l e n geboren und 1725 von P e t e r I. nach Rul'sland berufen. Er ging nach » S i b i r i e n mit der ersten gelehrten Expedition, deren W i r k u n g s k r e i s in die J a h r e von 1733 — 43 fällt. Mit Begeistrung und Deutschem Fleifse schöpfte er in den städtischen Archiven die wichtigen Beiträge für Asiatische Ethnographie, die w i r in s e i n e r : „ S a m m l u n g Russischer Geschichten" besitzen, und befreundete sich in J a k u z k mit W o i n a r o w s k j i , w e l c h e r nach 20 j ä h r i g e r V e r bannung nur noch Spuren geselliger S i t t e befafs. II. Band.

18

274

XIII. Abschnitt. 0

ter bin icb, aber B ü r g e r " ) ,

1829.

von denen

April. das letzte in d i e s e m

Sinne zum erstenmale in R u f s l a n d , und zwar von einem Manne; der es mit dem Tode erkaufte, gebraucht wurde. W e r wollte daher zweifeln, dafs es auch dort einst Geltung erlangen wird? Bei so ergreifenden Hauptzügen dieser wahrhaft historischen Dichtung verlieren manche an sich merkwürdige fast ihr Interesse.

Nebenumstände

So namentlich, dafs R u i l c j c w ' s Verse erst

nach dessen Hinrichtung auf einige Zeit v e r b o t e n , vorher aber fast ohne Weiteres gedruckt wurden. Dieser fast wörtlich zu nehmenden Anspielung auf eine zukünftige und der Apotheose einer gewesenen Empörung in Rufsland glaubte man damals Alles anstöfsige genommen, sobald sich der Herausgeber dazu verstand in einigen Noten zu sagen: Maseppa's Character sei in der Wirklichkeit nicht so edel gewesen, als im Gedichte; die revolutionären Maximen, die er und Woinarowskji äufsern, seien eben nur eines Revolutionairs nicht aber eines ruhigen Untertlianen würdig, und einiges andere, welches jetzt noch weit auffallender für Ironie gegen die Schwäche der überstark sein wollenden Censoren erkannt wird. Auch h i e r noch hatte B e s t u / e w ohne es zu wollen, die Gemüther für sich eingenommen: durch die Lebendigkeit seines Geistes und durch Kraft und Anmuth in Zügen und Gestalt.

In

dem Hause des Gouverneurs bedauerte Jeder, dafs man den anziehendsten Bewohner von J a k u z k nur selten sehen dürfe; aber die / S i b i r i e r und J a k u t e n , an denen Europäische Ereignisse spurlos vorübergehen, scheuten sich nicht ihre Zuneigung für den neuen Mitbürger zu äufsern.

Sie waren es die ihm Pferde liehen

um

zur Jagd oder nach benachbarten Jurten in die Wälder zu reiten, denn hier, w o ihn jede Flucht in weit drückendere Verhältnisse als die jetzigen geführt haben würde, w a r dem Verbannten dergleichen Freiheit unbenommen. — B e s t u / e w hatte vor wenigen Wochen einen Leidensgefährten verloren an dem Begnadigten, den» ich in *) J a ni p o e t , a g r a / d a n i n . Auch die Altrussische Sprache bietet als entfernten Anklang an das antike c i v i s nur ihr: g r a / d a n i n , d. i. der Bewohner eines umzäunten oder umwallten Platzes (.von g r a / d a t j umzäunen), so dafs man sich also auch in den S l a v i s c h e n Republiken nur zu Schutz und Trutz vereint fühlte, noch nicht aber zu friedlicher Pflege des Ganzen, wie einst in Griechenland und Rom.

XIII. Abschnitt.

I r k u z k begegnete. (S. 83.)

1829.

April.

275

Er besafs nun von Diesem als Eib-

Ihcil die Hütte, die sie gemeinsam bewohnt und mit einem seltsamen Gemisch aus J a k u t i s c h e n Geräthen und einigen Resten E u r o p ä i s c h e n Besitzes versehen hatten.

Es gehörten dazu einige

Bücher die man ihnen nachzusenden erlaubte, und unter denen ich ein Exemplar von G ö l h e ' s F a u s t , w o h l das erste an einem Orte der eben so kalt ist wie der Nordpol der Erde, gesehen habe. Nicht minder tröstete sich nun der Hinterbliebene mit Beobachtung seiner merkwürdigen Umgebungen.

E r hatte manche Sitten der J a k u -

t e n durch Zeichnungen und in W o r t e n geschildert, und gedachte den Rest seines Lebens dem Studium ihrer Sprache und den ethnographischen Fragen zu w i d m e n , welche sich daran knüpfen. — Als w i r für immer von einander schieden sagte jeder dem andern was er von der Zukunft e r w a r t e , und versprach Nachricht über dio etwanigen Fehler dieser Vorhersagung.

Zum Glücke w a r es B e -

s t I'Jje w , der zuerst dieses Versprechen zu erfüllen h a t t e , denn, statt des erwarteten Begräbnisses in J a k u z k , erhielt er schon im folgenden Jahre Begnadigung. *) — Ich habe von meinem Aufenthalte in der Hauptstadt noch einige allgemeinere Erfahrungen über die J a k u t e n zu e r w ä h n e n , denn durch diese w u r d e E i n z e l n e s verständlicher, w a s ich in den Jurten des L e n a t h a i e s und bei der späteren Reise nach

Ochozk

gesehen habe. Bei Winterreisen tragen die J a k u t e n , eben so w i e die O s t jaken

und S a m o j e d e n ,

aufsen kehrt.

einen Pelzrock, der die Haare nach

Auch hier besteht dieser meistens aus Rennthierfql-

len, doch gebrauchen Ärmere zu demselben Z w e c k e auch die Häute von geschlachteten Pferden und Rindern.

Immer erhält aber die-

ser Rock die zum Reiten passende F o r m , welche ich früher erwähnte ( S . 2 4 1 ) ; er wird rings an den Säumen mit schwarzem

") Er schrieb mir damals von den Freuden seines "Rittes durch Schneewasser und ausgetretene Flüsse von der L e n a bis nach G r u s i e n , w o er als Gemeiner eine neue Laufbalm unter R u s s i s cIi e n Fahnen zu beginnen hatte. — Ich erhielt jedoch nicht das Original dieses Briefes sondern erst einige Jahre später einen Abdruck desselben in Aufsätzen von B e s t u / e w , die jetzt pseudonym als einem Kosacken M ä r l i n s k j i zugehörig, erschienen sind. 18"

276

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

P e l z w e r k besetzt und auf dem Rücken mit Zierratlien aus demselben Stoffe kunstvoll gestickt. Man n e n n t ihn » S a n a j a c h und denselben Namen f ü h r t auch das Obcrklcid der F r a u e n , welches sich von dem

rtiännlichen

nur durch eine e t w a s gröfscrc Länge unter-

scheidet, übrigens aber eben so, hinten aufgeschlitzt und zum Reit e n geschickt ist. In gelinderer Jahreszeit und bei längerem Aufenthalt im Hause w i r d der i S a n a j ä c h durch Kleider von demselben Schnitte aber aus höchst biegsamem u n d hellgelb gefärbtem Leder oder aus farbigem Tuche ersetzt,

Oft

findet

man jedoch in den

J u r t e n Männer u n d Frauen mit nacktem O b e r l e i b , w e n n sie aus dem Freien z u m Feuer zurückkehren, oder eben von ihren Schlafb ä n k e n aufstehen; denn man trägt jene Röcke unmittelbar auf der Brust.

Beide Geschlechter bedecken nur den Untertheil des Kör-

pers nochaufserderti mit Hosen aiis biegsamem Rennthierfelle, welche^ so tvie bei den O s t j a k e n , von den Weichen nur bis zur Ilälfle der Lenden h i n ä b r e i c h e n , mit P d z s t r ü m p f e n ( K e t c n t s c h i ) die sie am unteren Rande der Hosen befestigen und ten Stiefeln.

wasserdich-

Die J a k u t e n n e n n e n diesen vortrefflichen Thcil

i h r e r Kleidung: e t e r b ä s , w o r a u s die hiesigen R u s s e n ^ ihn ebenfalls und mit Recht der E u r o p ä i s c h e n v o r z i e h e n : t o r b a s ä gemacht haben.

wclchc

Fiifsbckleidung

Sie schliefsen überall eng an

das Bein Und bedecken es von unten bis w e i t über das Kniegelenk, sind aber dennoch durch vollständige Biegsamkeit f ü r Fufsgänger eben so b e q u e m , w i e f ü r den Reiter.

Zu diesem Ende, und um

sie durchaus wasserdicht zu m a c h e n , schneidet man die T o r b a i e n stets aus dünnem Pferdeleder, welches zuerst mit saurer Milch get r ä n k t Und geräuchert, dann aber mit Fett und feinem Rufs aus den Kaminert gerieben w i r d .

A u c h die Sohle besteht aus derseU

ben A r t Von L e d e r ; sie w i r d im Innern des Stiefels an den Schaft genäht, u n d endet gegen die Zehen mit einer aufwärts gebogenen Spitze eben so w i e an den Stiefeln der jetzigen B a s c h k i r e n

und

an denen der R u s s i s c h e n Reiter im l ö t e n J a h r h u n d e r t (I, 1. S, 4 3 1 ) , dagegen ist liier die Sohle ganz ohne jenen hohen Absatz u n t e r dem Hacken, w e l c h e r den Gang der B a s c h k i r e n und K i r g i s e n so schwerfällig und ungeschickt macht. Z w e i lange Riemen w e r d e n unten an den Schaft der Torba.»en g e n ä h t , und beim Gebrauche fest u m das Bein geschlungen: zuerst an dem Knöchel und

XIII. Abschnitt.

182».

April.

277

dann, nachdem man sie hinten längs der W a d e aufwärts gezogen hat, noch einmal unter dem Knie, w o man ihre Enden verbindet. Zum Schutze gegen die Kälte gebrauchen dann die J a k u t e n noch aufserdem eine breite und schlangenförmige Halsbinde (Jakutisch: m o i l r u k ) aus schwarzen Eichhornschwänzen, Handschuho von Fuchspelz (Jakutisch: u t e l e k ) und eine Mütze (Jakutisch: b e r g e s a ) aus bunlcm T u c h c , welche die Stirn und einen Theil des Gesichtes mit einem Besatz von Vielfrafsfellen bedeckt. — Ich habe noch an einigen J a k u t i s c h e n Mädchen eine A r t von ledernem Kissen bemerkt, welches sie unter dein ¿ S a n a j a c h und über den Hosen auf dem Gesäfse trugen. Veimutlilich ist dieses zur Erleichterung des Reilens auf Ochsen eingeführt: vielleicht auch einigermafsen zu vergleichen mit einem ähnlichen Stücke an der Kleidung der T s c h u w a s c h i s c h e n Weiber.

(I, I. S. 225.)

Nicht minder e i g e n t ü m l i c h ist die Nahrung dieses Volkes, Alle ziehen Pferdefleisch dem Rindfleische vor; sind aber überhaupt mit ihren Heelden so sparsam, dal's nur die Reichsten beständig, die Übrigen aber nicht ohne festliche Gelegenheiten davon sehlach' teil.

Bei Hochzeiten werden alle Gäste mit Schlachtvieh b e w i r .

thet, und die Braut überreicht noch aul'serdcm ihrem zukünftige« Herrn einen gekochten Pferdekopf, der mit einer A r t von Würsten aus Pferdefleisch umgeben ist. blen J a k u t e n

W e i t wichtiger ist für die mei-

die Milch ihrer Kühe und Stuten.

Sie haben im

Sommer Übcrflnfs daran und gebrauchen sie dann unverniischt j u mancherlei Speisen. Zum Winter wird aber ein YorratU von Milch in Gcfäfsen aus Birkenrinde gesammelt, von dem man täglich Einiges mit Wasser verdünnt und mit vegetabilischen Substanzen zw einem Brei kocht.

Nur in der Nähe der Russen verschaffen sie

sich Wehl zu diesem Z w e c k e ; in entlegneren Jurten dient aber noch immer die untere Rinde von Fichten und Lärchentannen als tägliches ß r o d .

Man zerstöfst diese in Mörsern, w e l c h e , eben s«

wie die Wando der Jurten, aus gefroruem und über einem Gerippe aus Stäben gestrichenen Kuhmist geformt sind. wenn

Im Juni und Juli»

die Stuten fohlen, wissen die J a k u t e n ebenso w i e die

B a s c h k i r e n , die B u r a e t e n und andere « S i b i r i s c h e die Pferdemiloh in weinige Gährung zu versetzen.

Stämme

Sie begehen

dann ein religiöses Dankfest; bei wclclicm ungeheure hölzerne Ge*

278

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

fäfse mit jenem berauschenden Getränke von den Männern in einem Ziigegcleertwerdcn. Die Weiber müssen sich auch dann mit dem Rausche von Tabacksdampf begnügen. Einige destillircn aucli die gesäuerte Milch, so w i e es bei den B u r a e t e n üblich ist, in einem eisernen Kessel, welcher zur Aufsammlung der abgetriebenen Dämpfe mit einem Brette bedeckt und einer unter Wasser tauchenden hölzernen Röhre versehen wird. zeichnet sowohl diesen Branntwein.

Der J a k u t i s c h e Nnnic a r u i g u i

nationellcn

als auch

den

be-

Russischen

Ein andres fettes Getränk aus Milch wird im Win-

ter gebraucht; die J a k u t e n nennen es a r u i , die R u s s e n

aber

geradezu: „geschmolzene J a k u t i s c h e B u t t o r ' ' und dennoch soll auch dieses b e r a u s c h e n , w e n n es nur in gehöriger Masse genossen wird. (Unten A p r i l 29.) — Aufser dem werdenalle Arten von Fischen und a l l e Thierc des Waldes ohne Vorurtheil und Ausw a h l von den J a k u t e n gegessen. Die bis zum Eismeer verschlagenen Glieder dieses Stammes wissen sich sogar allein auf d i e s e Art von Nahrung zu beschränken, denn die Renuthierzucht, welche die dortigen T u n g u s e n betreiben, ist niemals und nirgends einem J a k u t e n gelungen. Obgleich die J a k u t e n an Bildung den B u d d h i s t i s c h e n B u r a e t e n , von denen w i r eben h e r k a m e n , beträchtlich nachstehen, so besitzen sie doch mancherlei sehr auffallende Fertigkeit und Kenntnifs!

Sie gewinnen dadurch mehr das Ansehn eines verwil-

tlerteu, als das eines noch ganz rohen Stammes. — Von der zweckmäfsigen Behandlung der Thierfellc, so wie von ihrer Übung im zierlichen Nähen, zeugen alle ihre Kleidungsstücke, und manche noch in der F o k e zu erwähnende Theile des J a k u t i s c h e n Haushaltes. Sic scheinen oft neben der Erfüllung des Bedürfnisses auch auf Ausschmükkung und gefälliges Äufsere bedacht; doch mufs man freilich bei dergleichen tJrtheil billige Rücksicht auf die Lebensart dieses Hirtenvolkes nehmen

und darf sich nicht w u n d e r n , dafs Alles was

zu ihm gehört, nach Rindsmist rieche, und dafs ihre niegewaschenen Kleider bald auch Farbe und Ansehn von dieser gewöhnlichslcn Umgebung annehmen.

Gewisse Handarbeiten der

werden sogar von den R u s s e n gekauft

und

Jakuten

nach E u r o p a ver-

sendet, namentlich Teppichc aus weifsen und farbigen Fellen, die in feine Streifen zerschnitten und dann nach Art der Mosaik sym-

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

metrisch und gesellmackvoll zusammengenäht sind.

279 Wichtiger ist

noch, dafs dieser Stamm von jeher sich einige Metalle zu verschaffen und sie zu bearbeiten gewufst hat. Das Eisenerz vom W i l u i (S. 239) w i r d in den dortigen Jurten auf dieselbe Weise geschmolzen und gcschmiedct, wie zu T a s c h k e n t , wie bei den B u r a e t e n , nnd bei den T a t a r e n von K u s n e z k (I, 1. S. 502.). Schon vor der Einwanderung der R u s s e n erhielten alle übrigen J a k u t e n

von

ihren Landsleulen am W i l u i eiserne Beile, Pfrieme und W e r k zeuge zur Enthaarung der Thierhäutc, so w i e auch kupferne Zierrathen an Kleidern und Sattelzeug und die Messingsclieiben, welche sie, eben so w i e die O s t j a k e n , auf ihre Leibgurte nähen. S. 620.)

(I, 1.

Aber auch jetzt, w o sie E u r o p ä i s c h e s Schiefsgewehr

gebrauchen, und dadurch an den R u s s i s c h e n Handel gewöhnt sind, übt noch jeder ihrer Männer die eigne Geschicklichkeit, bei Anfertigung des grofsen Messers oder Dolches, welches er unter dem S a n a j a c h am Hosenbunde trägt.

Der J a k u t i s c h e

Stahl

ist durch einige Biegsamkeit leicht von dem R u s s i s c h e n zu unterscheiden, und dennoch kann man Kupfer und Messing mit Klingen aus demselben, so w i e nur mit den besseren schneiden.

Europäischen

Den hölzernen Griff ihrer Messer versehen sie stets,

nach ursprünglicher Sitte, mit zinnernen Zierrallien, zu denen sie das Material offenbar aus den N e r t s c h i n s k e r Bergen empfingen, noch che die R u s s e n von den dortigen Erzgängen wufsten (S. 190.). Sie schneiden Zeichnungen in das Holz und vergiefsen die tiefern Tiieile derselben mit Zinn, von welchem ein dicker Knopf an dem Ober-ende des Griffes gelassen und mit dem Meifsel geformt wird. Dann weiden zu diesen J a k u l i s c h e u Dolchen die Scheideu aus Birkenrinde geschnitten, mit schwarzem Leder überzogen und zuletzt mit Blcclistrcifen beschlagen, in welche allerlei geradlinige Zeichnungen gravirl sind. — Ich hatte früher einige entscheidende Beweise für den Eiuflufs der nördlichsten ( S i b i r i e r auf die Bildung der J a k u t e n zu erwähnen ( S . 2 3 5 . ) ; liier deuteten hingegen mehrere der nomadischen Fertigkeiten, so wie vor Allem die Schmicdckunsl dieses Volkes, auf alte Verbindungen desselben mit den jetzigen Bewohnern der südlichem Steppen- und Gebirgsgegenden.

Eben dafür scheint aber auch der physische Charakter und

die Sprache der J a k u t e n zu entscheiden.

280

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

Ich wurde an W e s t - Si b i r i s c h c T a t a r e n erinnert durch ihre gelbliche Hautfarbe, die scharfen Züge ihrer Gesichter, die doch mehr träge und behagliche Sanftmuth als Kraft und Leidenschaft ausdrücken, so wie durch ihr pechschwarzes Haupthaar, welches die Männer kurz geschoren tragen. Die J a k u t i s c h e n Frauen erscheinen lebhafter und fröhlicher als ihre Männer: sie sind oft sehr schön gebaut, haben regelmäfsigo Züge und feurige schwarze Augen, doch bemerkt man dieses nur bei den jüngeren, weil ihre mehr troekenen als vollen Gosichter, eben so wie die der T a t a r i n n e n , schon in frühem Alter durch Runzeln entstellt werden. — Uber die Sprache der J a k u t e n habe ich die hier folgenden Proben gesammelt, und zwar sind mir davon 40 Worte von einem J a k u t e n in D c l g e i s k (S. 2-35), 250 von einem J a k u t e n der Stadt und 215 von einem andren bei der Fährstcllc am A i d an (unten XIV. Absch.) dildirt worden. Es ist dabei nahe an hundertmal vorgekommen, dafs ich mit einerlei R u s s i s c h e m Wort an zweien jener Orte gefragt habe; die Übersetzungen sind aber in Stilen diesen Fällen so gleichartig ausgefallen, dafs gar kein Unterschied dor Sprache auf dieser 130 Meilen breiten Strecke des J a k u t i s c h e n Landes statt zu finden scheint. Ich habe deshalb auch in dem folgenden Würter-Verzeichnifs keine Trennungen nach den Orten wo dessen einzelne Theile entstanden sind, für nöthig gehalten. Erwünschter war eine Vcrgleichung der J a k u t i s c h e n Ausdrücke mit den entsprechenden der T o b o l s k e r T a t a r e n , und ich habe diese, so oft es möglich w a r , nach dem früher erwähnten Wörter-Buche von J. T i g a n o w ausgeführt. (I, 1. S. 518.) Ein Punkt in der zweiten Spalte des folgenden Verzeichnisses bedeutet, dafs die Vcrgleichung mit dem T a t a r i s c h e n ohne Erfolg, eine leere Stelle aber, dafs sie gar nicht Tersuclit worden ist.

XIII. Abschnitt. 1829. April.

281

Zur Yergleichung der Jakutischen nxit der Tobolsker Tataren-Sprache.

Ich weine Ich schlafe Ich lache Ich trinke Ich sehe Ich höre Ich fühle Ich gehe Er oder es geht Gche hcr Laufen Geh fort Er fliegt Schiffen mit dem

Strom

gegen deu

Strom

Hinüberrudern Rudern Fahren, Reisen Ich Du Er Sic Seiner Wir Ihr Sie

Jakutisch:

Tatarisch:

u i t a b u ì il utujcbuin kjulebiii isjabin korj ub iiiu uschtcbin oid j ub j ùil i*jabiu isj a r kel sj urd j a barda, bar kottiü

suiktaimen j uklaimen k j ulanien izjamen kjuramen

wua okiei torà eri j a ajanua Uli jan

j uiamcii (ich schiffe)

kini kinenja bi*igi iiigi kinncr

ischitjamen

tujamen

lei 1 b e r i

) ugjuramenGch l«^ baramen (ich gehe)

in in ¿eil

282

XIII. Abschnitt.

1829.

Jakutisch:

April. Tata riseli:

Alle

baruilar

E i n e r allein

bir

ber

Menscli

ki«i

kischi

Mann

iir k i # i

ir kischi chalun

Weib

jachtor, /aehtar

Hausfrau

chotun

Kopf

ba#

basch

Fufs

alach

a jak

Iland

ili

Die Finger

tarbach

kul b a r m a eli

D e r Hals

moino

Die Scliultcrn

íanui a

Der Rücken

í is

Der Bauch

urego

Der Hintere

ema«a

Der Nacken

ketjach

Die Gelenke

#iu.vech

Das Gesicht

#uirai

Die Backen

* u i g a c Ii

Das Kinn

«egija

Das Ohr

kulgach

Das Auge

charach

D i e Nase

m u n n u , inurun

burun

D e r Mund

ajàch

agu is

tuil

tilj

Die Zunge tmd Sprache Das Haar

as

Der Bart

buituik

Die

«1US

Stirn

Das Gesicht

«uirai

Die Knochen

inn j ok

Die Geschlechts11i e i I e C männlichen ) (weiblichen )

j ob üs abas

k ur«ag

kulak

j u s

(Gcsitlil)

siu jok

XIII. Abschnitt.

E i n e F i s chschuppe Der Nagel Der Zahn Das Herz Das Fett Fettig Das Blut Die Feder Die Haut Der Fisch Ster ljäd (Accip. r u t h e n u s ) Die K a r a u s c h c ( C y p r i n . carass.) Der Vogel Der Schwan Der Kranich D i e Mövo Die Gans Die Ente Der Rabe Die Krähe Der Auerhahn Der Eirkhahn (letr. tetrix) Die W e i h e (falco milvus)

1829.

April.

Jakutisch:

Tatarisch:

ch a t u r u i k *) tuinjuiracli ti s biürach sc

ternach tisch jurach

chan kói'iu n tiri baluìk chatui*

semis kan kauriun tere baluik

«ob o kotuir kuba t u r ja chopto cha« kui »OT

turach ulär erdjaga

D e r Falke*4) D e r Habicht.

eie

moschsogol kuirt D e r S ch n e e a ni m e r t u l l u k (Ember. nivalis) ®) "Vergi. Baumrinde. " ) Das Russ. iokol.

kusch turna kas

2S3

284

X I I I , Abschnitt.

1829.

April.

Jakutisch;

Ein Wurm Eine Fliege Der Frosch Der Schaafboclc Der Ziegenbock D a s w i l d e Scliaaf Die Kabarga Die Kuh Der Bulle Der Ochs Die Stute D e r Ilcngst Das Pferd Das Kalb Das Füllen D i e Maus Das Elen Das Rennlhier D e r Huud Der Bär Der Wolf Der Fuchs Der Zobel Der Polarfuchs (Can. lagopus) Das Eichhorn Das Hermelin D e r Hase W a l d , Gehölz Baum

jon buirtach baga

Tatarisch;

zuirgai bagä

harán*) tscli u b u k ä bi I seil an uinjacli atuir ohm at ohu« bäc atuir at t o r b os kulun kutujach tajacli iaba fit 5*ä

ugius bija 8igu r at koluu

et aju

berä sa«uil kis kuirsa t i , tig kuirna« Löbach o j u r u n d ma« mai

agaz

Das R u s s i s c h e Wort. Die J a k u t e n erkennen also au diesem R u s s i s c h e n Hausthiere nicht die Abkunft von dem wilden Scliaafe, welches sie sehr wohl kennen uutl benannt haben.

X I I I . Abschnitt. Jakutisch: Wurzel

1829.

April.

285

Tatarisch :

l ii rd ii

B a ii m r i n »ii»l aga.? ol 050 Giara

«inil apta ul uglan

kiii.? jno'i! arlotti 1 j u r t t l la

kui* urng

iilliiinja Icnirtlenagas eder jiitscìmgei

terillj amen Icarui j achscliui

chti.vagan nlachhn kntsfchugui orto bai / a (lagni san «infgcs eh o i e ithagas hn^to Sileni b e r , sir. sir o r j t i s eh arsi eh n j a suir

nllug urtä bai

knje

jer k a v a g (Festland)

snirfc

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

289

Jakutisch: Ein H ü g e l Ein Vorgebirge Der A n b e r g Der Weg Eine Quelle Der Flufs Der Bach Der Wasserfall Der See Das Meer D e r Sumpf Ein W a n d n e t z (newod) Ein Sacknetz (ijet) Ein Schiff Ein Kahn Flicfsen Schwimmen Schaum Eine Welle Eine Insel Von liier Von d o r t Die Mitte Rechts Links Hinter Es ist Zeit ( p o r ä ) D e r Tag Die N a c h t D e r Monat Das Jahr Die Stunde II. Band.

Tatarisch:

.

jiirdük tumul daban jol

Y O L

tschólbach or ju» jurach sanaíá kjül bajagol b u r u i a budarait mucha \ ilim

kjül

jeluim

)

al ogotscho tamaluir cliarbakchá kjujep dolgun a r iii mantan ontou ortó u n j o dck chanjas dck k enniger kjem kelljá k jun t jun uii «uil t s e b a í (das RUÍS.

d a r ja

. kubj ul

mundii andan urta ung -



k j un tun ai j el Wort)



290

XIII. Abschnitt.

1829.

April. Tatarisch:

Jakulisch: Der Frühling Der Sommer Der Herbst Der Winter Winterlich Heute Gestern Morgen D e r Morgen Spät D e r Mittag Die Mitternacht Der Himmel Die Sonne D e r Mond Der Stern Die Sterne Die Wolke Die Wolken Der Nebel Der Wind 1 Der Sturm-' Die Luit Der Regen Der Regenbogen D e r Thau Der Hagel Der Schnee Das Eis Eisberge Der Blitz Der Donner Das Gold Das Kupfer

¿a* «atn kjuíjun k ü í 5n k ü í iin j ¡i bjugjun bjagalju #ar«uin

ja» jai k ju« k iisch küschkü bukjun

irtja chodejutabuit kjun anjara tjun anjara challan kjun nii «ulus «nlustar builuit builuittar chaiuin

jartuikjun j a r u i n t j il n kjun ai juldus bulut

tel

jcl

challan «amguir «a#uil iga chaluin tolon char mu«, bu» m u¿ s u i r d a r tschaguirgan 1 ating j k u i i u i l kjumiis altan

chana jamgur

m u « , bu« jaschuin kjuuiían altun

XIII. Abschnitt.

1829

April.

Jakutisch: Das

Eisen

ti mir

Tatarisch: timur

D a s Z inn

chorgoldokun

Der

tschokur, esteri

Feuerstein

291

Salz

tu*

Schwcfcl

CS

Harz

s m o 1 a *)

Taback

t a b a c k **)

.

tu«

.

Tabackspfeife

chang^a

kansa

Feucrschwamm

ke

kaw

Leinwand

c h o l s t ó ***)

Faden

injir oder í a p

jcp

Eine Nähnadel

innic i . . . 1 istincbín J

i n j a x (ein [«her)

Schwarz

chara

kara

Ich nähe Weifs

jurjüg

Dunkel

cliaranja

.

karangu

Roth

k uiíui 1

kuisuil

Blau

kj uch

k juk

Bunt

eren

Geschrei

sanja

Der

Zorn

.

or

Schlagen

suinnecha

Ich verwunde

ljuierebin

Ich t ö d t c

j olljorobjún

Ein

Getödteter

jolljorbjut

Der

Kaiser

uirach tagui,

Der

Krieg

Äcrilesseler

D erBcfchlshaber

ulachán

ult j u r a m e n



tojon

(Russ. Gouverneur) Ein Freund

dogor

dost

•) Das Russ. s m ó l a . ••) Das Russ. t a b ä k . * " ) Das Russ. c h o l s t . 19'

XIII. Abschnitt.

292

1829.

Jakutisch:

Der Hausherr Die Hausfrau Der Diener Richten Strafen Begnadigen Das Dorf Die Umgegend Der Thurm Die Brücke Gott Ein P r i e s t e r Ein Schaman Der Verstand D i e Seele Der Teufel Das Leben Der Tod Ich sterbe I c h werde s t e r b e n Ich g l a u b e Ich s c h n e i d e Ich thue Ich beifse Offen Öffne! Ich drücke I c h s c h l i e f s t zu Ich k l o p f e Ich w e r f e Ich w i l l

t o j on ch otu n k u1 u t tojönna bur uida abra na«Ijcg, ulu# teg jürgen k a s c h n ja *) mostä "J tangara agabüit ojon #anna 1 tuin J aba«ui tuinnach jolju jo1jobjun j o l l jo in i 1 j a g ii b i n bui«ab uin onjorobun komjolluchä

April. Tatarisch:

chotan knl

tigrjäsi

tjangri

Aja n , j a n (die Seele)

uljum u1jamen ischanamen

a z ti i k a.? b a 11 u i b u i n c Ii a t n i b u i n oclisubun bragabüio ¿agarabüin

") Nach dem Russischen. " ) INach dem Russischen.

jabamcn

XIII. Abschnitt.

1829.

Jakutisch: Nimm Gicb Leihc Ich v e r s t e h e Ich w e i f s Ich liehe Ich bcdecke I ch l e g e m i c h h i n Lege dich hin St c h auf Schlafe W a c h e auf Ich suche Ich finde Ich hoffe Ich freue mich Ich t a n z e Ich bin t r a u r i g Ich singe Vorher Naclilicr Vorne Hinter Kalt Ileifs Oft Nach unten Entfernt Näher Lang Kurs Geräumig Eng Gekrümmt

April.

293 Tatarisch:

il k ulu eskulu t ajab ui n b i l j a b in taptuibuin in baLi ii in «uitab uiu •suit tur jutui U«Ugllll korju.biun bulabuin c r e n c b in jorobiun inkjulubjun sonarguibuiii uilluibuin urut chodckut innikjä kenniger tuimnui itschiges subusub u allaia uirach tschugiis usiin ltuilgas k¡etil keragas o g o l l j u b j ut

jabamen j u t a n i e n (irfi liege), d u r a m e n (ich siehe auf). j u k 1 a i m e n (ich sthhfe).

kailaimen b urun

suirluk

erach usun kuiska tar, tuiguis

294

XIII. Abschnitt.

1829.

Jakutisch: Aufrecht(aufdiMaFiifse)

atachcha

SchweiLeicht Scharf Norden Süden Osten Westen Eins Zwei Drei Vier Fünf Sechs Sieben Acht Neun Zehn Elf Zwölf Fünfzehn Zwanzig Fünfzig Hundert H u n d e r t und E i n s Tausend Zehntausend

erachan «ipts chegi suitui chotu ilin, «oguru i l i n dék arga bir ikki jus tjürd be« alta settä aguis togus on on o r d u g o b i r on o r d u g o i k k i on o r d u g o b e « sjurbä b e « on «ju« s j u s o r d u g o bir t u i s a t s c h ä *) on- t u i « a t s c h a

April. Tatarisch: (Siehe obtn Fuf.o

ipkja utk uir tuschliuk

ber ike uz d urt bisch altui jeti tokos on on her on i k e on b e * jegirmä ilj l j e jus min on min

Das Vorstehende zeigt uns in der Sprache der heidnischen J a k u t e n eine überwiegende Menge von Wurzclwörtern, wclchc sich wiederfinden bei den T a t a r i s c h c n oder richtiger T ü r k i s c h e n M a h o m e d a n e r n in T o b o l s k , in K a s a n und über. *) Das Russische

XIII. Abschnitt.

1829.

295

April.

all im westlichen ¿ S i b i r i e n , so wie auch bei den U i g u r e n in T u r f a 11 und bei den E u r o p ä i s c h e n

Türken.

nach dieser Vergleicliung nicht zu bezweifeln, der L e n a oder am A l d a n geborner J a k u t

E s ist sogar

dafs sich ein an

ohne Schwierigkeit

mit den Bewohnern von K o n s t a n t i n o p c l verständigen und sie, trotz der

gänzlichen

Verschiedenheit

ihrer

klimatischen

Le-

bensbedingungen, für nahe Verwandte erkennen würde. In denjenigen Fällen, wo bei Gleichheit der Wurzel, die J a k u t i n s e h e Wort-Form

etwas

abweicht von den westlichen Dialek-

ten der Türkischen Sprache, erscheinen unter diesen Abweichungen viele einander analog, nicht aber eine jede als besondere Zufälligkeit. Es dürften daher nur wenige Regeln erforderlich sein, um einen Jakuten

das T ü r k i s c h e

oder einen T ü r k e n

das

Jakuti-

s c h e zu lehren. Dahin gehört: dafs im J a k u t i s c h e n die Adjektiva stets mit Flexionssilben versehen, nicht aber apokopirt und dadurch nach Genus und Casus unwandelbar geworden sind, so wie bei den U i guren

und bei

Worte:

den

Europäischen

Türken.

Die

Uigurischen

k c t s c h i g , u l u g , j a k t s c h i g lauten demnach im J a -

kutischen:

otschugui,

uluchan,

jütschugei

u. s. w . —

Die Tatarische Endung: a m e n für die erste Singularperson des Präsens, ist bei den Jakuten durchgängig in ü b i n , oder u b i n übergegangen, und es entscheiden endlich eine Menge von Umwandlungen der Wurzetworte

dahin:

dafs die J a k u t e n

nur

zum

Sprechen mit den Lippen und mit geringer Oeffnung des Mundes geneigt sind, in den Fällen wo die T o b o l s k e r T a t ä r e n Gaumen- und Zungenbuchstaben gebrauchen oder Vokale mit weit geöffnetem Munde aussprechen.

So

ersetzen

einander häufig bei

sonstiger Gleichheit der Worte: Das T a t a r i s c h e : S ) j 2 seh iu

Das Jakutische: t t s b 3

bju

XIII. Abschnitt.

296

1829.

April.

Das Tatarische:

Das Jakutische:

a a e ui

ui ö ui

Dagegen kommt die Umwandlang des T a r t a r i s c h c n m in das J a k u t i s c h c b nicht öfter v o r , als die gerade umgekehrte, eben weil beide in fast genau gleichem Maafse zu den Lippenlaut ten gehören. — Man könnte den L a b i a l i s m u s der J a k u t e n mit dem der Kinder bei allen Nationen vergleichen, und daher annehmen, dafs dieser T ü r k i s c h e Stamm am meisten im ursprünglichen Zustande geblieben sei, weil er früh von den übrigen getrennt, und allein in die unwirksamsten Gegenden verstofsen wurde. Andrerseits ist aber eine gewisse Verdrossenheit, die sich von vielen Seiten in dem Benehmen der J a k u t e n zeigt, ganz sicher im Zusammenhange mit der Schwerfälligkeit ihrer Zunge. Trotz der Verwandtschaft der hiesigen Sprache mit der T ü r k i s c h - T a t a r i s c h e n bleiben dennoch bedeutende Dunkelheiten über den Ursprung und die Schicksale der J a k u t e n . In dem vorstehenden Verzeichnisse sind durch einen Punkt (.) in der zweilen Spalte die Fälle angedeutet, in denen ich die Vergleichung mit dem T o b o l s k c r Dialekte versucht habe, ohne dafs sich eine Aehnlichkeit beider Sprachen ergab, und es folgt daraus, dafs von 297 J a k u t i s c h e n W o r t e n , 114 aus einer andern Quelle als die entsprechenden T a t a r i s c h e n herstammen. Es sind darunter die Benennungen für viele der ursprünglichsten Begriffe eines Volkes, namentlich einige Theile des menschlichen Körpers, mehrere der gewöhnlichsten Gegenstände der leblosen Natur, Bezeichnungen der menschlichen Verwandtschaft, und Einiges auf das Rindvieh oder das wichtigste der J a k u t i s c h e n Hansthiere Bezügliche. Die eigne Tradition der J a k u t e n , dafs sie in früheren Zeiten mit den B u r a e t e n zusammen an dein Ursprung der L e n a gelebt haben ( S . 1 0 0 ) , liefs mich natürlich vermuthen, dafs die N i c h t - T ü r k i s c h e n Bestandteile ihrer Sprache

XIII. Abschnitt. 1829. April.

297

M o n g o l i s c h seien. Doch scheint sich Dieses nur in sehr geringem Maafse zu bestäligen, denn unter den genannten 114 niclitT ü r k i s c h c n Worten der J a k u t e n , finden sich kaum mehr als folgende 14 Uebercinstimmungen mit M o n g o l i s c h e n : * ) Jakutisch: Der Nacken Der Hintere Ein S a t t e l Ein altes Weib Eine Insel Eine Welle Der Bach Der Blitz Bunt Der Feuerstein Das Zinn Der Auerhahn Reisen Die Reise Das Schiff Der Zorn

ketjak emata

a r ui dolgun jurjach tschaguirgan eren tschokur clior goldogun ulär ajanna ogotscho or

Mongolisch: ket

.

emakal emakan aril dolgin g o r i g nn tschagilgan erd^/en tscliagigor dogolgan ulärkü a j alchakü ajan ogotscha orin, agor

Auch darf man keinesweges behaupten, dafs die J a k u t e n etwa das Bessere ihrer Bildung durch ehemalige M o n g o l i s c h e Nachbarcn erhielten, denn sie haben vielmehr rein T ü r k i s c h e Worte zur Benennung der Gottheit **) für das Eisen und für die anderen Metalle mit Ausnahme des B u r a e t i s c h e n Zinns, (S. 190), für die Geräthe zur Fischerei u. a. m. Die berauschenden und destillirten Getränke aus Milch benennen sie eben so wie die T ü r k i s c h e n T a t a r e n . Das J a k u t i s c h e a r u i g u i , d. i. der allen T ü r k e n gemeinsame Name für den Brannt-

*) Nach S c h m i d t : L e x i k o n d e r M o n g o l i s c h e n S p r a c h e . " ) Das Wort A l l a : ist bei den T o b o l s k e r T a t a r e n erst durch den K o r a n eingeführt, und sie haben daneben noch jetzt das ältere Synonym: t j a n g r i , welches dem J a k u t i s c h e n T a n g a r a entspricht.

298

XIII. Abschnitt.

w e i n , von welchen auch unser

1829.

April.

Europäisches A r a k

abstammt,

findet sich z w a r auch bei den B u r o e t c n und bei andern M o n g o l e n , erscheint jedoch als ursprüngliches Eigenthuui desjenigen Stammes,

bei •welchem er nicht isolirt

Benennung für andere verwandte

steht, sondern mit

der

Begriffe zusammenhängt.

So

ist es aber b e i d e n J a k u t e n , w o a r u i g u i oder Milchbranntwein uur eine Erweiterung von a r u i , d. i. K u h b u t t e r ausmacht. Der Lehrer in der J a k u z k e r Volksschule versicherte mich, dafs er an J a k u t i s c h e n Fertigkeiten bemerkt,

Schülern viel Anlage für mechanische

dagegen vergebens versucht h a b e , sie im

Rechnen und andern logischen Leistungen

zu unterrichten.

dere R u s s e n , denen die Sprache der J a k u t e n

An-

eben so geläufig

ist als ihre eigene, erzählten m i r , dafs die Gesänge dieses Volkes oft höchst auffallend seien durch Wendungen die wir romantische

nennen w ü i d e n ;

denn es w e r d e

darin

„ d i e Bäume eines Waldes unter einander,

behauptet,

„dafs

oder ähnliche

unbe-

l e b t e Dinge zu den Mcnschen, geredet h a b e n . "

Diese diclitcri.

sehen Leistungen vergehen aber meistens eben so wie sie entstehen, denn auf der Heise oder bei freudiger Stimmung im Ilauso singt ein Jeder

nur

neue und augenblickliche

Eindrücke

den Gegenständen, welche ihn eben umgeben.

von

Sie haben dazu

eine Gesangweise, die nur aus zwei Tönen besieht;

diese wer-

den mehrmals so wiederholt, dafs der höhere auf den tiefereu folgt, dann aber am Eude eines versartigen Absatzes einmal in kehrter Ordnung. der Stadt

Das Ganze klingt so traurig,

umge-

dafs ich oft in

einen lautscbluchzenden Menschen zu hören

glaubte,

•während es doch J a k u t e n waren, welche Gesänge improvisirten, Vielleicht haben sogar meine eigenen Angelegenheiten auf Augen, blicke in J a k u t i s c h e n Versen gelebt. Die Männer wclclie in den Jurten neben unserer Wohnung verkehrten, fanden sieb nämlich in jeder Nacht auf dem Hofe ein, um den Gebrauch meines Passage-Instrumentes zu betrachten, und sie hatten sich bald über dessen Bestimmung entschieden. Sie meinten dafs ich die Sterne zähle, und einen Jeden namentlich aufschreibe, nen derselben

verloren

und

weil mich

man in abgesandt

irgendwo auf der Erde wieder aufzufinden.

Petersburg habe,

um

eiihn

Diese Sage verbrei-

XIII. Abschnitt. tcte sich zuerst in der Stadt

1829.

April.

so allgemein,

299 dafs mich

auch

die K ü s s e n nach dem Grunde derselben fragten, dann aber auch w e i t e r durch das ganze Land bis zu den T u n g u s e n . In der Nachbarschaft mit den

Russen

hat sich eine sehr

auiTallende Eitelkeit und auch einige Habsucht zu der ursprünglichen Gutartigkeit der J a k u t e n

gemengt.

Verbrechen sind da-

her nicht mehr unerhört unter ihnen, obgleich noch immer selten. Während meines Aufenthaltes in der Stadt wurde ein Mann,

der

nach einer benachbarten Jurte zurückkehren wollte, auf der Strafsc erschlagen. die

Ein anderer J a k u t

Leiche gefunden habe;

zeigte gleich darauf a n , dafs er

derselbe bekannte

sich aber

auch

schon am folgenden Tage als Thäter, und erzählte, dafs er dem Ermordeten einiges Geld habe abnehmen wollen. Ich hatte bis zum 20sten April die geographische Lage der vier Kirchthürme

von J a k u z k

bestimmt, und

eine Reihe von

Beobachtungen über die periodischen Veränderungen der magnetitischen Abweichung Lcnathales

beendet,

auch war

das

Nivellement

des

durch die am 19ten erfolgte. Ankunft von Herrn Lieu-

tenant D u e und durch eine nochmalige Vergleichung unserer Barometer geschlossen worden die Abreise zu denken. vollkommnerer kuzk;

Ich hatte daher nun ernstlich an

Hier herrschte zwar noch jetzt ein weit

W i n t e r , als selbst vier Wochen früher

aber da ich mich nun

wieder von

in

Ir-

dem Meridian

des

Kältepols entfernen, und an die Meeresküste einem milderen Klima entgegen gehen sollte, so erneuten sich, gegründetere nisse vor der Unwegsamkeit

Besorg-

welche sich mit dem Anfang des

eigentlichen Frühjahrs einstellt. Winterreisen von J a k u z k nach O c h o z k gehören für Privatleute zu den seltenen Unternehmungen, und nur die Postverbindung wird durch dergleichen unterhalten.

Von allen Seiten w u r d e

mir daher gerathen, bis zum Juni oder Juli hier in J a k u z k zu warten. Nur dann kann man bis nach O c h o z k auf Pferden rei-

*) Yergl. dieses Berichtes w i s s e u s c h a f l l . A b t h e i l . Bd. 1. S. 3ö'J u. II".

300

XIII. Abschnitt.

1829.

April.

tcn, welche theils voraus geschickt w e r d e n , nach eigenen Station e n , tlieils hier gemiethet oder g e k a u f t , um nach jenen letzteu Vorposten des Reiches Lebensmittel und sländc zu tragen.

Im W i n t e r werden

390 Wersten des W e g e s , und

Hunde

sen,

und

dann aber

gebraucht. — Das

andere

dagegen

HandelsgegenPferde nur auf

Tungusische

Interesse

Rennthiere

für diese Art zu rei-

für die Kenntnifs der Nomaden,

die sich

derselben

bedienen, im Sommer aber von den Wegen der R u s s e n entfernt h a l t e n , bestärkte mich vollends in

meinem ursprünglichen

Ent-

schlüsse; auch fürchtete ich, durch den geforderten Aufenthalt in J a k u z k jede Möglichkeit einer Einschulung auf

Kamtschatka

zu verlieren. Obgleich wir die ersten 250 Werste noch in kleinen Schlitten zurücklegen sollten, so mufste doch schon hier alles Gepäck, zu dem nachhcrigen Transport auf Satteln eingerichtet und so viel als möglich in Ballen verlheilt werden, welche Paarweise einerlei Gewicht und Umfang besäfsen.

Die hiesigen Kaufleute gebrauchen

dazu dünne hölzerne Kasten, die fest vernagelt und dann ringsum mit Ochsenhäulcn benäht

werden.

Man

inufs

dann auf einen

Monat von allen Habseligkeiten Abschied nehmen; da ich aber die meisten Instrumente

auch

während

der Reise

täglich

ge-

brauchte, so bcschlofs ich dazu einige Behälter mit leicht zu öffnenden Deckeln versehen, diese aber eben so gut wie gewöhnlich gegen

das Eindringen von Wasser

beim Durchwaten

kleinerer

Flüsse und bei thauendem Schneewetter schützen zu lassen.

Die-

ser Vorschlag fand wie alles Neue vielen Widerspruch. E r ward aber dennoch ausgeführt, nach Verwerfung eines vergeblichen Versuches, bei wclchcm der R u s s i s c h e Zimmermann

nur an den

Sommertransport auf P f e r d e n , nicht aber an die Befrachtung der Rennthiere gedacht h a l t e , welche weit kürzere Ballen erfordert. — Als die

Holzarbeit endlich gelungen w a r , wurden mir

Jakutinnen

zugeführt, um in meiner Wohnung

mit Ochsenhäuten zu überziehen,

drei

das Gepäck

denn nur die Frauen der Urbe-

wohner verstehen sich auf dieses Geschäft, und scheinen die eigentlichen

Erfinder desselben.

Die

Rindshäule

werden

einge-

weicht, dann noch feucht um das Gcpäck gelegt und mit dünnen Riemen straff zusammen genäht. Vor der Abreise müssen sie aber

XIII. Abschnitt.

1829.

am O f e n gctrocknet sein, und schliefsen

April.

301

dann so dicht an

Unterliegende, dafs selbst durch die Nätlic kein W a s s e r durchdringt; fest,

und

waren

auch werden die dünnen Kasten können

sehr

rüstig

harte

Stöfse vertragen.

bei der

Arbeit,

dadurch

Die

das mehr

äufsert

Jakutinnen

unterbrachen

sie

jedoch

mehrmals, um sich aus ihren kleinen Pfeifen mit Tabacksdampf zu erquicken oder zu berauschen.

Ich gab ihnen dazu von mei-

nem E u r o p ä i s c h e n Taback, sie erklärten ihn aber bald für unw i r k s a m , d. h. zu wenig narkotisch, und kehrten zu dem ungescliwachten T s c h e r k e s s i s e h e n Kraute zurück.

(S. 214).

Eben so sind hier für die Nahrungsmittel der Reisenden eigenthümlichc Anordnungen üblich.

Unterwegs

finden

Russisch

c h r i s t l i c h e Magen nur selten etwas für sie Passendes, nigsteil in der Fastenzeit. bei etwa vorkommender

am w e -

Aufserdem würde auch jeder Andere Verirrung oder Unwegsamkeit

verhun-

g e r n , w e n n er sich auf andere als eigene Mittel vei lassen hätte» Allen Mundvorriithcn die man mitnimmt, mufs dann noch ein möglichst kleines Volumen

und die gröfstc Dauerhaftigkeit gegeben

werden. Man verschafft sich deshalb vor Allem die s o g e n a n n t e # u c h a r i , d. i. Iirod welches in Zoll hohe Würfel geschnitten bei gelindem Feuer steinhart gctrocknet ist.

und

möglichst

zusammengeschrumpft

Gewöhnlich bringen die Reisenden, ehe sie J a k u z k verlas-

s e n , mehrere Tage damit zu, dergleichen Zwieback in einem Stubenofen zu bereiten.

Man kann ihn jedoch auch ganz fertig, ob-

gleich etwas theurer, von den Kaufleuten Pudwcise erhalten; und zwar sowohl den t s c h e r n o i « u c h a r S i b i r i e u eine so seltsame Wasserscheide, dafs selbst die J u d o m a noch zum Gebiete des E i s m e e r e s gehört. Ihr Wasser kommt durch die M a j a und den A l d a n in die L e n a und erst mit dieser zum E i s m e e r e , nach einem Wege von 300 Deutschen Meilen, d. i. mindestens einen zehnmal gröfseren als der Abstand ihrer Quellen von dem g r o f s e n O c e a n e bei Ochozk. W i r verliefsen J u d o m s k erst um Mittag und legten heute nur etwa vier Deutsche Meilen eines sehr gebirgigen Weges zurück, denn unsere Rennthiere ermüdeten weit früher als gewöhnlich. Es war mir dabei höchst auffallend, wie sehr die Begierde nach ihrem seltsamen Lieblingsgetränk (S. 341.) in solchen Augenblicken zunimmt. Man hat dann nicht zu fürchten dafs ein Rennthier entlaufe, wenn man mitten im Walde absteigt und ihm den Zügel überläfst: denn ein jedes verfolgt seinen Reiter mit sichtbarer Lüsternheit und wenn ihm wirklich ein Bedürfnifs desselben zu dem gewünschten Genüsse verhilft, so wird es auffallend gestärkt und geht sogleich wieder freudiger und schneller. Es sind wahrscheinlich die Ammoniaksalze im menschlichen Harne, welche auf die Rennthiere ebenso wirken, wie die ähnlichen die auch unsere Aerzte als nervenstärkend empfehlen; jedenfalls sieht man aber, dafs die T u n g u s e n und die S a m o j e d e n Recht haben, indem sie diesen leidenschaftlichen Iustinkt für das bedeutendste Mittel zur Einfangung und Zähmung ihrer Last! liiere erklären. W i r ritten nahe bei der Jurte über das Eis der J u d o m a und dann aufwärts durch Felsschluchten, welche das vor uns liegende Gebirge der Queere nach durchsetzen. Der Boden dieser wasserlosen Tliäler ist stark geneigt, w i r kamen aber in ihnen auf mehrere horizontale stufenartige Absätze, an Stellen wo sie in Ein-

X I V . Abschnitt.

1829.

Mai.

393

Senkungen münden die mit dem Ilauptstreichen des Gebirges palallel sind;

auch fanden

wir

auf einer

dieser

hochgelegenen

Ebnen einen S e e , dessen Umgebungen an das Eisfeld bei K a p i t a n s k j i S a « i e k erinnerten.

Er scheint aber nicht so m e r k w ü r -

dige Eigenschaften zu besitzen w i e j e n e s ,

denn die T u n g u s c n

haben ihm keinen Namen gegeben. — Auch hier bestehen

noch

alle Felsen aus Tafeln jener klingstcinähnlichen G r a u w a c k e , deren ich früher e r w ä h n t e und welche w i e d e r mit stärkeren Bänken des groben Quarzconglomerates wechselt.

Die Schichten sind sehr steil

nach W . geneigt und deutlich sichtbar, s o w o h l an beiden Abhängen des Gebirges welches w i r heute ü b e r s c h r i t t e n , als auch auf dem Kamme desselben. Von diesem sahen felsige B e r g k e t t e , spilzen

Gipfel vor

wir wieder

welche

sich

gegen Osten

vorn K a p i t a n

allen andren auszeichnete.

dieselbe

kahl-

aus d u r c h Die

ihre

Tunguscn

sagten m i r , dafs sie jenseits K e t a u d a liege, und man e r k a n n t e uuu deutlich, so w i e ich es früher v e r m u t h e t e , dafs sie durch eine Ebene von den G r a u w a c k e n h e r g e n völlig getrennt ist. W i r ritten von dort a b w ä r t s über bewaldetes Land, an w e l c h e m man die W i r k u n g e n einer grofsen Feuersbrunst b e m e r k t e ; chen-Stämme w a r e n auf w e i l e

Strecken gänzlich

denn die Lärniedergebrannt,

an andern aber ringsum verkohlt durch F l a m m e n , w e l c h e n u r das Gras und das niedrigere S t r a u c h w e r k ergriffen hatten, dann k a m e n w i r , 5 W e r s t jenseits der Hälfte des Weges von J ü d o m s k nach der J u r t e von K e t a n d a ,

auf eine E b n e , in der sich das Eis

eines Baches zwischen niedrigeren Grauwackenfelsen zeigte. E r h a t hier eine südliche R i c h t u n g , w e n d e t sich aber d a n n , w i e unsere Begleiter versicherten, o s t w ä r t s , zu dem gvöfseren W a s s e r , bei der genannten Station und mit dieser:

zum O c h o z k e r

Meere!

E s w a r der erste Zufluls dieses Meere9 den w i r erreichten. — W i r liefsen hier unsere R e n n t h i e r c weiden und blieben bis zum Morgen, um

ein W a c h t f e u e r am rechten Ufer des Baches.

Ein geringfügig scheinender Gegenstand erregte dann die B e w u n d e rung der T u n g u s e n in h o h e m Grade.

Sie hatten niemals E r b -

s e n gesehen und als ich dergleichen zum Kochen g a b , hielten sie 6ie für getrockneten Fischrogen, w u n d e r t e n sich aber, dafs er härt e r und undurchsichtiger s e i , als der w e l c h e n s i e sich bereiten.

XIV. Abschnitt.

394

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Mai.

[Mai. 13.1 W i r ritten heute bis Mittag 20 W e r s t weit bis zur Slation Ketända.

Das W e t t e r w a r äufserst angenehm, aber bei hellem

Sonnenschein glänzte der beschneite Hoden so stark,

dafs man

selbst in den Wäldern nicht ohne Schneebrillen aushalten konnte. Die T u n g u s e n zeigten mir, als w i r unterweges abstiegen, die Bremsenlarven, von denen fast jedes Rennthier um diese Jahreszeit geplagt wird. Die von J ü d o m s k litten aber noch so ganz besonders unter dieser grausamen Anordnung der Natur, dafs sie offenbar nur deswegen jetzt so viel schneller als gewöhnlich ermüdeten. Ich halte schon b e m e r k t , dafs sich einige dieser Renntlüere heftig schüttelten so oft man sie mit dem Springstocke oder mit den Hacken stärker berührte, und hielt dies anfangs für Wirkung eines Instinktes, der sie im Sommer einigermafsen vor den Bremsenstichen schützen sollte. Sie thun es aber vielmehr, um endlich die fast zoll-langen und eiförmigen Larven los zu werden, welche nun völlig ausgebildet in der Oberhaut stecken und bis auf das Muskelflcisch hinabreichen. Die Stellen unter denen dieselben liegen sind zwar ganz mit unversehrtem Haar überwachsen, aber dieses ist etwas wellig gewölbt und man bemerkt mit einiger Uebung, dafs die Seiten manches Rennthieres n u r d a v o n ganz kraus erscheinen. Sie haben es gern w e n n man ihnen die Ilaare von solchen Buckeln ausrauft, und schütteln sich dann gleich so s t a r k , dafs sie die Larve mehrere Fufs weit aus dem frei gewordnen Loche hinaus schleudern. Die T u n g u s e n bezeichnen die Rennthierbremse oder doch wenigstens den jetzigen Zustand derselben, durch das W o r t K u i t und sie bemühten sich mir den Schmerz ihrer Rennthiere einleuchtender zu machen, indem sie mir lächelnd das Gesicht mit der stachligen Obcrfläche einer eben ausgeworfenen Made rieben. Wir

ritten dicht vor

der

Ketandaer

Station

über

Flufs gleiches Namens, an dessen rechtem Ufer die Gestelle

den ei-

niger Sommerzelte standen. Die kleine Balkenjurte, in der wir bis zum folgenden Morgen blieben, liegt an der anderen Seite des Flusses, wiederum von deu schönsten hochstämmigen Pappeln umgeben.

Ihre Zweige bil-

XIV. Abschnitt.

1829.

Mai.

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deten selbst jetzt ein so schatliges D a c h , üafs ich Mühe hatte eine zu Sonnenbeobachtungen brauchbare Stelle zu finden. — Diese Niederlassung ist überhaupt eine der reichsten, die wir bis hierher gesehn hatlen, in den; sie zur Rennlhierzucht noch hoch genug liegt und zugleich in der Nähe der günstigsten Plätze finden Fischfang im Sommer.

Der Besitzer der Jurte bleibt daher

das ganze Jahr über ansässig und unteihält einen lebhaften Tausch, handcl mit den eigentlichen G e b i r g s - T u n g u s e n

d. i. denjeni-

gen seiner Landsleute, welche westlich von der grofsen Wasserscheide, an den zum Eismeere gehörigen Flüssen leben; denn in diese steigen keine Zugfisclie auf. —

Jetzt hatten sich mehrere

Familien aus dem höheren Gebirge, etwas abwärts von hier, an der K c t ä n d a Männer

in Sommerzeiten niedergelassen.

derselben,

welche

gleich

nach

Ich sprach

uns,

im

die

schnellsten

Trabe auf ihren Reniithieren zum Besuche geritten kamen.

Sie

reichten uns die Hand zum Willkommen, und erkundigten sich dann wie gewöhnlich „nach dem verlornen Stern".

Auch diese

hallen übrigens einige Kunde vom Seewesen und namentlich von dem Kompas,

denn es w a r ihnen nichts Neues,

als icii ihnen

zeigte, dafs ihre Messer und Fcuerstalile auf die Magnetnadeln iu meinen Instrumenten wirkten. Ich halte gleich nach MiItag angefangen Sonnenhöhen zu messen, als sich viele leichte und mit W e s t w i n d

schnell ziehende

Wolken bildeten. Die Luft erkaltete bis auf -+- 1° R. und es fiel Schnee während

16 Minuten;

dann

trennten

sich die W o l k e n

von Neuem und am Abend w u r d e es ganz hell bei zunehmender Kälte. —

Ich habe aber niemals den Schnee in so reinen und

mannigfaltigen Krystallen gesehen, als während dieses plötzlichen und kurzen Gestöbers;

jedes Korn fiel einzeln, nnd an den we-

nigen welche sich auf das Glas und auf das Metall meiner Instrumente absetzten, unterschied ich sechs verschiedene Formen. Sicher blieben aber deren w e i t mehrere ungeselin, denn ich hatte zugleich eine noch wundervollere und mir ganz neue Erscheinung au beachten.

Viele Krystalle fingen nämlich a n , au den Kanten

zu schmelzen, sobald sie einen festen Gegenstand berührten, und an anderen geschah dieses, w i e es mir schien, schon während des Falles durch die Luft.

Es folgte aber stets und augenblicklich auf

3%

XIV. Abschnitt.

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Mai.

das Zusammensintern ein neues Gefrieren, und zwar so, dafs das Schneekorn anstatt seiner früheren Gestalt, eine a n d e r e und z u s a m m e n g e s e t z t e r e annahm. — So bestanden die einfachsten Krystalle welche ich heute bemerkte, aus sechs höchst dünnen Eisnadcln, welche die Diagonalen eines regelmässigen Sechseckes bildeten. Beim Schmelzen eines solchen Sternes zog sich jeder seiner Straten zu einem dickeren und nur halb so langen Wassercylinder zusammen. Nach wenigen Augenblicken sah man aber diesen wieder erstarren und sich in eine breitere und an ihrem äufseren Rande durch zwei Flächen eines regelmäfsig sechsseitigen Prismas zugeschärfle E i s - T a f e l verwandeln. Der ganze Kry stall blieb daher noch ein sechsseitiger Stern, aber mit breitern, dickern und weit kürzern Stralcn als zuvor. — Andere Sterne, welche ursprünglich dergleichen p l a t t e und g e f ü l l t e Stralen besafsen, verwandelten sie durch Schmelzung in g e f i e d e r t e , denn indem sie zerflossen, erhielt sich nur die Mitte jeder Piaitc als Eisnadel zwischen dem Wasser, bis dann wieder von jenem Vesten aus, viele parallele Nadeln naeli beiden Seiten unter Winkeln von CO0 anschössen und einen Eisstrahl von der Gestalt eines Federbartes bildeten. — Manche einfache Sterne hatten gleich anfangs dergleichen Fiederung aber nur an der oberen Hälfte ihrer Stralen. — Ich sah nicht dafs sich diese weiter verwandelten, eben so wenig, wie einige andere verwickeitere Gestalten. So bemerkte ich unter andern eine kleine und ganz gefüllte sechsseitige Tafel von deren Ecken einfache Stralen in der Verlängerung ihrer Diagonalen ausgingen. Je zwei benachbarte Stralen waren aber noch unter sich verbunden, indem sich an der Mitte eines jeden und nach jeder Seite eine Eisnadel befand, die der ihr entsprechenden unter einem Winkel von 60° begegnete. — Dergleichen zusammengesetztere Krystalle zeigten sich aber weit seltner und diejenigen, die sich unter unsern Augen umbildeten, waren so überwiegend und boten ein so bewegtes Schauspiel, dafs man sich am Ende kaum erwehren konnte, sie für lebende Wesen zu halten. Wirklich sind wir nur bei solchen gewohnt, dergleichen räthsclhafte Verwandlungen mit anzusehen, ohne uns weiter nach den bedingenden Kräften zu fragen. —

XIV. Abschnitt.

182Ö- Mai.

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Man konnte sich indessen diese Erseheinung wohl dadurch etwas näher erklären, dafs die äusseren und zuerst schmelzenden Theile der Schneekrystalle, ihre Liquefeetionswärme von den V e s t g e b l i e b e n e n entnahmen, und dafs sie daher diese wieder bis u n t e r den Gefrierpunkt erkaltclen. Dann konnte aber das eben entstandene Wasser von neuem erstarren, indem es sich um diese Eistlieile sammelte, und zugleich der L u f t , durch deren Wärme es schmolz, weniger Oberfläche darbot. Es entstanden dabei zusammengesetztere Gestallen als zuvor, weil nun die Reste des alten Krystalles, verschiedenartigere Anziehungen als in einem ganz flüssigen Wassertropfen ausübten. — Vielleicht bilden sich sogar a l l e verwickeiteren Formen des Schnees, aus den einfacheren nur durch dergleichen Uinsclimelzungcn, die sie schon beim Falle durch die Luft erleiden, und hier wurde dieses wahrscheinlich durch den Umstand, dafs j e n e stets von weit k l e i n e r e m D u r c h m e s s e r waren als die einfacheren Sterne. [Mai. 14.] Ich fand die Höhe der K e t a n d a bei der Winterjurte zu 2580 P a r . Fufs über dem Meere und doch erreicht sie die Küste im Verein mit mehreren andren Gewässern schon bei O c h o z k d . i . in gerader Linie nur 24 Deutsche Meilen von hier! Dies ungeheure Gefälle scheint aber in etwas gemäfsigt duveli die Krümmungen der Flüsse, denn bei dem Winterwege, den die T u n g u s e n möglichst gradlinig wählen, blieben wir nur auf kurze Strckken in den Thälern derselben. — W i r verliefsen unser Nachtlager um 7 Ühr Morgens bei ganz hellem Himmel und einer Temperatur von — 5 ° R. und ritten zuerst über eine weite Ebene, an derem östlichen Rande sich felsige Berge w i e eine scnkrechte Mauer erhoben. Es waren offenbar dieselben die wir schon vom K a p i t a n und dann noch deutlicher von dem letzten Passe östlich von J ü d o m s k , für eine g e t r e n n t e und s e l b s t s t ä n d i g e Kette des A l d a n i s c h e n Gebirges erkannt hatten. — Sie erscheinen anfangs ganz continuirlich, doch entwickeln sie sich, indem mau sich nähert zu zwei einzelnen Gruppen und man t r i t t dann plötzlich in ein Querthal oder richtiger eine Spalte dieses Gebirges. Ihre Sohle ist stark abwärts geneigt, aber ganz ohne Wasser und von beiden Seilen durch Klippen begränzt, die sich

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1S29.

Mai.

bald ganz nackt und scnkreclit erheben, bald wieder durch angelagerte Trümmerhügel etwas sanfter erscheinen. Iiier w a r an den Felsen keine Spur von Schichtung, sondern nur Klüfte, die sie in senkrechte Säulen theilen. Sie bestehen aus einem reinen P o r p h y r , welcher in meergrünem dichtem Feldspath gelblichweifse sechsseitige Säulen desselben Fossllrs enthält. Diese waren in allen Stücken welche ich liier von den Felsen abschlug, mit einer dünnen Decke von grünlichgelbem Strahlstein umgeben, und ofl'enbar ist es dieser der im Verein mit Feldspathsubslanz die schön gefärbte Hauptmasse des Porphyrs ausmacht. So findet man also erst am Ostabhange dieses breiten Gebirgslandes, ein durch Schmelzung entstandenes Gestein, und (las erste, welches mit der steilen Aufrichtung aller bisher gesehenen Schichten in ursachlicher Verbindung zu denken ist. Die Wände des engen Querthaies durch welches w i r in das Porphyrgebirge eintraten, ragen an vielen Stellen bis zu 800 Fufs über die Ebene bei K e t a n d a oder zu 3000 Fufs über dem Meere. Wir fanden sie bald darauf viel weiter von einander entfernt, stiegen aber immer merklich abwärts. Auch hiei hat ein dichter Lärchenvvald diese ausgedehnteren Ebnen zwischen den Fclsgipfeln eingenommen. Er w a r aber auf beträchtliche Strecken gänzlich niedergebrannt und an andern n u r geschwärzt durch ein Feuer nach dessen Entstehung ich mich vergebens erkundigte. Die T u n g u s e n sagten mir nur dafs es schon vor längerer Zeit und im Sommer ausgebrochen s e i , sie wufsten aber n i c h t , ob gleichzeitig mit dem Waldbrande dessen Verheerungen w i r am 12. Mai, und 9 Meilen westlich von dieser Gegend, gesehn hatten. Hier sah man noch in den versengten Strecken die Spuren eines West-Sturmes, welcher wohl gleichzeitig mit dem Feuer gewülliet haben mochte. Alle höheren Lärchenstämme waren entwurzelt und lagen völlig parallel, init den Gipfeln nach Osten. W i r waren von K e t a n d a aus während sieben Stunden ge« gen OSO. geritten als w i r uns wieder zwischen P o r p h y r - F e l sen befanden. Sie unterscheiden sich von denen die w i r am Morgen gesehen hatlen, nur dadurch, dafs sie anstatt des Strahl steines s c h w a r z e Hornblende enthalten. Diese bildet rundliche Knollen, in denen man beim Aufschlagen fleischrothe Feldspath-

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IS'29.

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krystalle findet. Die Hauptmasse des Porphyrs ist aber genau von derselben Farbe und Beschaffenheit wie an dem Rande des Gebirges gegen die Ebne von K e t ä n d a . — Wir kamen gleich darauf an ein ansehnliches Wasser, welches zwischen steilen Abhängen desselben Gesteines gegen SSO. fließt. Die T u n g u s e n nennen es O k a t d. i. vorzugsweise d e n F l u f s , und es ist daraus das R u s s i s c h e O c h ö t a entstanden, und somit auch der Name des O c h o z k e r llafen, bei wclchem dasselbe in den grofsen Ocean mündet; namentlich heifst aber dieser westliche Arm des Hauptflusses der hiesigen Gegend bei den Russen die g r o f s e O c h o t a oder auch die A r k a . Der Eintritt in dieses Thal wird mir stels als einer der genufsreiebsten Augenblicke der Reise erinnerlich bleiben: so plötzlich schien hier die Nalur von ihrer winterlichen Erstarrung zu neuem Leben e r w a c h t ! W i r ritten über die A r k a und fanden nur an den Rändern noch Eis; in der Milte flofs sie schon reissend und mit lautem Gemurmel. Ihr Wasser ist silberklar und nur gegen xwei Fufs tief; auch sah man unter demselben runde und blank geschliffene Porphyr-iierölle in ungeheurer Menge. Zu beiden Seilen des Flusses standen Pappeln und dichte Weidengesträuchc in voller Bliithe und das Thal war von ihnen mit so herrlichem Dufte erfüllt, w i e ich ihn früher nie an solchen Bäumen bemerkt hatte. Man mag wohl nach einem ¿ S i b i r i s c h e n Wint e r für diese ersten Genüsse des Frühjahrs noch etwas empfänglicher sein als in gemäßigten Klimalcn: es schien mir aber als ob die Blüten des hiesigen Laubliokcs auch wirklich weit stärker röchen als in E u r o p a : vielleicht weil sie sich hier in dem kürzern Sommer um so vieles schneller entwickeln und verzehren nnd daher auch ihre aromalischen B e s t a n d t e i l e energischer ausströmen. — Mitten auf dem Flusse schwirrten dicht über uns drei E n t e n , noch weiter stromaufwärts zu andrem offnen Wasser, und am Ufer der A r k a spielten zwei k l e i n e und ganz schwarzc Bachstelzen, welche die hiesigen R u s s e n : t « c h e r n o i w o r a b e i d. i. schwarze Sperrlingc nennen *). An den Rändern des Thaies wechselten glatte Porphyr-Klip') Wahrscheinlich: m o l a c i l l a

raontanella.

P a l l a s F. R.. I. 47J.

400

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p c n , mit abgewitterten Trümmern desselben Gesteines, deren Ursprung deutlich zu sehen w a r ; denn von jedem der kegelförmigen Berge welche sie bildeten, reichte die Spitze bis an einen tiefen Einschnitt in dem Kamme der Thalwand. Dieser w a r also einst ganz eben gewesen und die jetzt fehlenden Stücke desselben allmählig zerfallen und bis an den Flufs hinunter gescharrt. Auf diesen Schutibergen lag der Schnee noch in hohen Schichten und doch sah man an vielen Stellen grünende Baumzweige aus demselben hervorragen. Nachdem w i r etwa drei W e r s t weit an dem rechten Ufer der A r k a stromabwärts geritten waren, verliefsen w i r es wieder, weil es zu weit nach Süden führte. W i r wendeten uns gegen Osten durch eine Querschlucht, welche bis auf die Sohle des HaupUbales hinabsetzt, und kamen bald darauf an ein T u n g u s i s c h e s Zelt, bei welchem w i r unsere Rennthiere frei liefsen und die Nacht über blieben. Es w a r so w i e alle früher gesehenen, kegelförmig gestaltet, und so geräumig, dafs jeder von uns eine bequeme Schlafstelle, neben denen der 6 gewöhnlichen Bewohner erhielt; aber anstatt des Filzes, der Hennthierfelle oder der Birkenrinde, die w i r bisher als Bedachung gefunden h a t t e n , w a r die hiesige Zeltdecke aus Fischhäuten genäht, eben so w i e die Ober-Kleider und die Stiefel der Werchowischen O s t j a k e n (I. 1, S. 562,676). Uebrigens w a r man auch in dieser W o h n u n g vortrefflich aufgehoben so lange das Feuer in ihrer Milte brannte, aber gegen Morgen als wir e r w a c h t e n , welile es kalt durch mehrere schadhafte Stellen in dem Daelie und ich wünschte den Besitzern, dafs sie bald ein neues in ihrem Flusse erbeuten möchten. Ich hatte n u n , seitdem w i r auf Rennlhieren r i t t e n , fast beständig auf das' merkwürdige und oft besprochene Geklapper geachtet, welches sie beim Gehen hervorbringen. Es w a r bisher nur selten so laut und auffallend gewesen , w i e ich es früher auf dem O b i gehört hatte. Heute zeigte sich aber deutlich, dafs dieser Unterschied nur von der Beschaffenheit des Bodens abhängt, denn so oft w i r in dem Thale auf blofsem Eise, oder über dünnen Schnee mit gefrorner Oberfläche ritten, w a r es als w e n n jeder Reiter den Schritt seines Rennthiercs mit Castagnetten begleitete, und es wurde erst wieder still w e n n die Heerde mehrere Zoll

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tief im Schnee zu waten anfing. Man hätte etwa glauben können, dafs der Grund dieses Geräusches in einem Anstreifen der Klauen der Hinterfüfse an die langen Afterzehen der vordem liege, denn man fühlte deutlich wie die Rennthiere auf solchem härteren Boden ihre Schritte beschleunigten und ihr Hintertheil stärker bewegten; auch sah ich nun an ihrer Fährte, dafs die Spitzen der Hinterfüfse ein wenig eingriffen in die stets deutlichen Abdrücke der zwei kleineren Zehen der vordem. Indessen konnten diese übergreifenden Tappen ebensowohl n a c h e i n a n d e r als g l e i c h z e i t i g entstanden sein, und wirklich kann man nur ersteres annehmen von einem Thiere, welches so sicher und behende schreitet. Es ist daher nicht zu bezweifeln, dafs das Geklapper nicht beim Niedersetzen sondern beim Heben des Fufses und zwar dadurch erfolgt, dafs die zwei Zehen jedes Paares zusammenklappen. Eben deshalb verstärkt es sich auch bei lebhafterem Schritte, und hört gänzlich auf, wenn die Schliessung der Klaue noch im Schnee erfolgt. — Ich sah heute auf unserm Wege auch die Fährte eines ganz jnngen Rennthieres. Die Tungusen erkannten es für ein diesjähriges Kalb, und sagten mir dafs auch die K e t a n d a e r Kühe schon vor mehreren Tagen geworfen hätten. Mein Barometer, welches ich gleich nach der Ankunft an einer Zeltstange aufhing, hielt sich die Nacht über und am folgenden Morgen um 17'" höher als an der K e t a n d a . W i r waren daher im Laufe des Tages um 1500 Fufs abwärts gestiegen, und befanden uns jetzt im Niveau der nächst gelegenen Thäler nur noch 1092 Pnr. Fufs über dem Meere *) d. i. nicht höher als am Wcstabhange des Gebirges iin B j c l a j a t h a l e zwischen T s c l i e r n o l j e s und G a r n a s t a c h . Die überraschenden Fortschritte des Frühlings, die wir auf unserm heutigen Wege gesehen hatten, waren daher nicht allein durch Annäherung an das Meer, sondern auch durch schnelle Abnahme der Höhe des Bodens zu erklären. [Mai. 10.j| Ich erfuhr am Morgen, dafs unsere Wirthe nur erst seit kurzem des Fischfanges wegen mit ihren Renntliieren hierher gekommen seien, im W i n t e r aber um 10 Werst östlich von der A r k a , *) Vergl. II. 1, St. 384, 380. — Ohne Rücksicht auf den oben, St. 342, erwähnten Umstand fände man die hiesigen Höhen um 420Par. Fufs grösser. II, Band.

26

m

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in der A m g i k a n e r Balkenjurte wohnen. Sie sind gegen O c h o z k zu die letzten welche eine vollsländigc Rennthier-Heerde besitzen, und w i r bedurften daher ihrer Hülfe zur Fortsetzung der Reise. Ich bemerkte dabei so wie schon früher in K e t a n d a , dafs die fischenden T u n g u s e n durch den Tauschhandel, zu dem sie die Verhältnisse ihrer W o h n o r t e veranlassen, und durch den öftern Umgang mit den R u s s e n noch gewitzigler, zugleich aber auch weniger freigebig geworden sind als ihre Landsleute im Gebirge; auch bemühen sie sich mehr als diese, R u s s i s c h e W o r t e zu lerr-> n e n , und ich konnte mich mit einigen von ihnen ohne Dollmetscher verständigen. Sie entschlossen sich nach einigem Weigern uns mit zwanzig Renuthieren eine Tagereise w e i l , bis zu den nächsten Hundebesitzern zu begleiten, und zwar für zwei Pfund Butter und einen kleinen Haufen Zwieback, die ich dem Herrn des Zeltes zu Füfsen legte. Die ganze Familie setzte sich dann sogleich um dieses essbare Postgcld, und noch ehe man die Reiso anflog w a r es bereits gänzlich aufgezehrt. Die Männer fragten hier auch weit dringender und begehrlicher nach manchen E u r o p ä i s c h e n Erzeugnissen. So sagten sie mir gleich beim Eintritte in ihr Zelt, dafs ihnen der z i m u t , d. h. auf T u n g u s i s c h die Schneebrille, welche ich t r u g , weit besser gefalle als die ihrigen. Es w a r aber eine gewöhnliche sil» berne Brille, vor deren Gläser ich das J a k u t i s c h e Netz aus schwarzen Pferdehaaren gebunden hatte. Dann forderten sie Sclinupftaback, welchen sie mit den R u s s i s c h e n » S i b i r i e r n , p r ö s c h k i d . i . Pulverchen nennen, oder noch lieber meinen messingenen Taschenkompas, weil dieser doch sicher dergleichen enthalte. — Auch w a r es ihnen unbegreiflich, dafs ich unter so vic-. lern Gepäck nicht einige der Dinge haben sollte, welche die R u s s i s c h e n Kaufleutc im Sommer mit sich führen. Sie fragten nach einander nach Nähnadeln, Pulver und Blei, Taback oder doch w e nigstens einem Spiegel. Am dringendsten baten sie aber um Feuersteine und zwar nachdem sie schon, wie ich später bemerkte, aus allzu starker Versuchung die drei Steine, welche sich an meineu Flinten befanden, losgeschraubt und sich zugeeignet hatten. Obgleich ich aber alle ihre Bitten durch Versicherung meiner Armuth zurückweisen mufste, blieben w i r dennoch die besten

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403

Freunde, und die witzige Laune der T u n g u s e n zeigte sich hier glänzender als jemals. Ich erfuhr, dafs sie sich unter einander sehr seltsame Spottnamen geben, denn unser gestriger W i r t h , der uns von K e t a n d a bis hierher begleitet hatte, Frage:

erwiderte auf meine

„ich heifse auf R u s s i s c h G r e g o r , aber die T u n g u s e n

nennen mich M u d u k t s c h ä n ,

das sind S p ä n e v o m H o l z f ä l -

l e n . " — Es enstand ein allgemeines Gelächter, welche» aber der Betroffene sogleich von sich abzuwenden wufstc,

indem er auf

einen der A m g i k a n e r Männer zeigte, und mir sagte, daf« man diesen E r m u l i k t s c h a n

nenne.

Nun wurde das Lachen noch

ausgelassener, und obgleich es sich auf die sehr obscoene Bedeutung dieses Ausdruckes bezog, so freuten sich doch auch die zwei Frauen aus dem hiesigen Zelle ganz unverholen über dessen Erwähnung. *) Der Inhaber des Namens lachte zwar ebenfalls, stellte sich aber dabei sehr erzürnt, und rächte sich an den übrigen mit derben Faustschlägen. Ich verschaffte mir hier noch einige Larven von Reisrithierbremsen, um sie in Weingeist aufzubewahren, und die gusen

fanden auch dabei wieder Gelegenheit

Tun-

zu allerlei guten

Späfsen. Sie weigerten sich zuerst mir dergleichen zu bringen und zwar mit dem Ausdrucke „ g r j e s c h n o " d. i. es ist sündhaft, dessen lächerlich häufige Anwendung ihnen an den R u s s e n war.

aufgefallen

„Mit Gewalt sollte ich aber gewifs keine K u i t oder Brem-

sen erhalten, denn die Heerde gehöre ihnen, mit Allem was darin sei."

Sobald ich aber aufhörte zu fordern, brachte Jeder der vor

das Zelt ging, wo man die Rennlhiere schon versammelt hatte, eine ganze Hand voll Larven, und fragte dabei lachend ob ich denn noch nicht genug hätte.

Diese waren übrigens alle von

einerlei Gröfse und eiförmiger Gestalt und nur, so wie Schmetterlingslarven von verschiedener Reife, durch ihre Farbe unterschieden , die vom Gelblicliweifsen bis zum Dunkelbraunen wechselte. Dann brachte aber Einer noch eine Larve, die ebenso lang w a r wie jene, aber kaum halb so dick und von fast cylindrischer Form. Die T u n g u s e n sagten mir: diese Art werde a r a b g o n ge-

") E r m u l i k t s c h a n , ut fluidem. Ipsi nominis auetores interpretabantur, virum magnitudine penis insignem signiücat. 26 *

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nannt, und finde 6ich u n t e r der Zunge der Rennthiere. Dafs aber dieselbe äufserst selten sei, behaupteten sie wieder nur zum Scherze, d e n n , sobald ich für mehrere dergleichen eine eiserne Schnalle von meinen Salteltaschcn versprach um die sie mich schon lange gebeten halten, wufsten sie davon in wenigen Augenblicken fünf Exemplare zu finden. *) Ich sah übrigens gleich zu Anfang unserer heutigen Reise, dafs diese zweite Art von Oestruslarven sich wirklich in dem R a c h e n der Rennthiere aufhält, denn viele von denen welche w i r ritten, fingen an zu husten, sobald man sie einige Augenblicke stehen liefs. Sic stützten dabei die geöffnete Schnautze auf den Schnee, und ich fand jedesmal an den Stellen w o dies geschehen w a r , eine jener länglichen Maden von einigem weifsen Schleime umgeben. Ob aber die Bremsen welche ihre Eier an der Zungenwurzel legen, durch die Nase oder geradezu in die MundöHnung der Thiere eindringen, konnte ich nicht erfahren. — Auch die K u i t oder Ilautmaden waren hier so ungeheuer häufig, dafs manche Rennthiere davon zu beiden Seiten wie einen Ilagel ausstreuten, w e n n man von ihnen abstieg, und sie durch Kitzel mit dem Springstockc aufforderte, sich heftig zu schütteln. Freilich mochten w o h l auch diese durch das Frühlingsweiter der letzten Tage ih. rer Vollendung etwas näher gekommen sein, und daher jetzt leicht e r ausgeworfen w e r d e n , als zu Anfang nnserer T u n g u s i s c h e n Reise; dennoch wären mir aber ihre Spuren nicht so lange entgangen, w e n n nicht die Gebirgsrennthicre ungleich weniger von den Bremsen verwundet würden als die hiesigen, welche auch den Sommer nahe an den niedrigem Flufslhälern verleben. W i r ritten heute von 10 Uhr Vormittags bis gegen 8 Uhr Abends theils über bewaldete Berge in der Nähe der A l k a , tlieils in dem Tliale derselben. — Von unserm Zelt kamen w i r nach einer Stunde an die W i n t e r j u r t c der A m g i k a n e r T u n g u s e n . Sie liegt a m Rande eines schönen Lärchenwaldes, w a r aber jetzt verödet und ausgeräumt. Der Eingang und die Fenster standen offen, und so fiel nun, wie uiemals im W i n t e r , helles Tageslicht in das Innere der W o h n u n g ; auch w a r rings um dieselbe der Schnee schon geschmolzen, und vor der Thür über dem mannshoch ge*) Ich habe beide Arten von Larven dem K. Museum in Berlin übergeben.

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häuften Kcliriclit spielten kleine Fliegen und ein Schwärm von Mücken, die die Morgensonne ausgebrütet hatte. Es waren die eisten, die ich in diesem Jahre sah! — Vor der Jurte bemerkte man w i e gewöhnlich den Speisekeller, welchen die T u n g u s e n

d e b d a k a r " ) nennen;

e r wird mit

getrockneten Fischen gefüllt, und bietet im Winter die einzige Nahrung. Jetzt w a r er aber nur eine leere viereckige Grube, und die Balken mit denen man ihn zudeckt, lagen nutzlos neben derselben.

Ein Glück dafs nun zugleich auch das Eis auf den Flüssen

thaute und der neue Fischfang anfangen k o n n t e ! — So mufs sich aber hier immer der Magen in seinen Forderungen nach der bevorstehenden Witterung richten, und bei den T u n g u s e n

gelingt

Dieses so gut, dafs sie ohne andres Zeitmaafs an ihrem Essvorrath sehn, wann man zu den Sommerarbeiten ausziehen müsse. Je weiter wir im Walde r i t t e n , desto häufiger w u r d e n Stellen, an denen der Schncc geschmolzen oder im Schmelzen begriffen war.

Einige dieser höhern Ebnen waren hier noch mit Renn-

thiermoos und mit andern üppigen Flechtenbüscheln bedeckt, die man nur um 200 Fufs tiefer und um einige Meilen abwärts an der O c h o t a vergebens sucht.

An andern sah man ßchon Flecke von

herrlich grünendem Rasen.

Es waren Vaccinien, die unter dem

Schncc gelebt hatten, und nun gleich beim ersten Thauwclter eine fertige Pflanzendecke bildeten, und Sträuche von Ledum mit n e u entwickelten Trieben.

Hier sah man wie viel diese lederartigen

Pflanzen zu der Schnelligkeit helfen mit der der Sommer in die hiesigen Gegenden einzieht, auch erkannte inan wesshalb die Vaccinien in ebnen Wäldern nur die kleinen Hügel einnehmen, welche die Baumstämme umgeben, oder Steine und Aelinliches bedecken, denn nur diese ragten jetzt schon trocken und dicht bewachsen aus den überstauten Flächen hervor, aber rings herum unter dem Schneewasser sah man nur nackte Erde, Ein noch auffallenderes Grün bemerkte ich zuerst auf einem bewaldeten Hügel zwischen ungleich tieferem Schnee.

Es

waren

kleine Zweige von Nadelholz, die ganz einzeln auf dem weifsen Boden verstreut schienen, grade w i e Windbruch oder auch beim *) Von dem T u n g u s i s c l i e a : d e b d a k , d. i. essen.

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Fällen znrückgelassene Reiser von Tannen. Ich hätte sie für solche gehalten und nicht weiter beachlet, wäre 6s nicht in einem L ä r c h e nwalde gewesen, in dem man sonst nirgends eine Spur von g r ü n e n d e m Nadelholz erblickte! — Wir sahen ihren Ursprung erst als wir an dem Südabhange eines steileren Berges hinabritten, denn dort zeigte sich zwischen diesen seltsamen Zweigspitzen auch etwas von Stämmen an denen sie hingen, und die wie kriechende Sträucher an den Boden gedrückt waren. Sie hatten nur bis zu 3 Zoll im Durchmesser, aber 10 bis 12 Fufs Länge und waren ganz grade und schlank zu mehreren aus einer Wurzel gewachsen. Im Winter verbergen sich diese merkwürdigen Bäume so vollständig unter dem Schnee, dafs man in Lärchenwaldungen über sie hinweg reitet, ohne es zu ahnen; schon jetzt sah man aber, dafs sie sich in der warmen Jahreszeit fast senkrecht aufrichten, denn an den steilern und schon ganz scbneelosen Abhängen hatten sie sich in wenigen Tagen bedeutend erhoben, während sich am Fufse derselben Berge nur erst ihre Spitzen zeigten. Es waren eben solche Zweige, die wir gestern im A r k a t h a l e aus dem Schnee hervorragen sahen; man mufstc aber nun in diesem kriechenden Gewächse auch eine Abart der ¿ S i b i r i s c h e n Ceder (P. c e m b r a ) erkennen, die wir am O b i bis zum Polarkreise und gegen Osten noch im L c n a t l i a l e stets mit den herrlichsten Stämmen angetroffen hatten. Die hiesigen hatten wie die ächte Zirbelfichte sehr lange, glatte und biegsame Nadeln zu je fünf in einer BlaUscheide vereinigt, aber ihre Rinde war immer auffallend glatt und ungespallen, recht als sollte sie die merkwürdige Elastizität dieser Bäume erhöhen. Ihre Zapfen sollen nur halb so grofs werden als sonst in S i b i r i e n , sie enthalten aber eben so wohlschmeckende Nüsse, und werden deshalb von den Russen gesammelt. Man bezeichnet hier solchen Wuchs und solche Lebensart des Holzes, sowohl bei der Zirbelfichte, als auch bei den andern Baumarten, die sich (auf K a m t s c h a t k a ) dazu neigen, mit dem malerischen Worte « l a n e z . Dieses ist nämlich von s t l a t gebildet, welches, so wie slernere und GTOQiOtti, e i n L a g e r o d e r A e h n l i c h e s a u s b r e i t e n u n d n i e d e r l e g e n bedeutet, und eben, deshalb wird auch « l a n e z schon in der a l t - R u s s i s c h e n Sprache des Volkes, von jedem s c h i e f r i g e n G e s t e i n e gesagt, offenbar

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mit Anerkennung des Ursprungs, den unsre Gcognosten solchen Formationen erst seit W e r n e r anzuweisen gelernt haben*). Ueberall, wo wir heute an d e r A r k a entlang ritten, oder über dieselbe von einem Thalraud zum andern,- hatie das Thauwetter schon mächtiger gewirkt. In der Witte war die Strömung ganz frei und das Ufereis zwar von verschiedner, aber überall beträchtlich verminderter Dicke. Es war sehr glatt und durchsichtig, und ich sah unter demselben eine erstaunliche Menge von abgeplatteten Luftblasen dicht neben einander und fast schon zu einer continuirlichen Schicht gesammelt. Sie hatten da wo das Eis am dünnsten war, bis zu einem Fufs im Durchmesser, auch hörte man dort fortwährend ein lautes Zischen unter den Füfsen der Renntliiere, welche durch die schwache Decke bis ins Wasser hindurchtraten. Unter stärkerem Eise waren aber die Luftblasen immer weit kleiner, offenbar weil sie während des Winters eingefroren gewesen waren, und sich, nur nach Mafsgabe der Schmelzung, abgeschieden und an der Oberfläche des Wassers gesammelt halten. Es wurde aber dadurch recht schlagend bewiesen, dafs hier die Eisdecke nicht v o n o b e n n a c h u n t e n , sondern in u m g e k e h r t e r R i c h t u n g geschmolzen war. Es mochte nun sein, dafs sich wärmeres Wasser aus der schon offenen Milte des Stromes nach den Ufern gezogen und das feste von unten zernagt hatte, oder, was weit wahrscheinlicher ist, dafs die Sonnenstralcn unwirksam durch die klaren Eisschichten gingen, und erst an der Wa'sserseite derselben ihre Wärme entwickelten und abgaben. Die Thalwände sind hier schon niedriger als wir sie gestern gefunden halten, bestehen aber ebenfalls aus Porphyr, der in schönen säulenförmigen Klippen aus dem abgewitterten Schutte hervorragt. Er ist rölblicher als oberhalb A m g i n s k , jedoch nur weil sich hier die grüne stralige Hornblende noch häufiger und in gröfseren Parthien aus dem Umgebenden abgeschieden hat. — Auch die Gerolle welche sich in dem Plufse zu grofsen Bänken und Inseln gehäuft haben, zeigen dieselben Bestandteile, Es sind S o heifsen P i n u s c e m b r a variet. h u m i s t r a t a , k e d r o v v o i i l a n e z ; A l n u s i n c a n a h u m i s t r a t a , o l c h o w o i « l a n e z u. s. vv., und in der Mineralogie der Thonschiefer, Glimmerschiefer u. a., g l i n i n o i s l a n e z , « l j u d a n o i s l a u e z u. s. w .

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Porphyre ohne jede Spur von Quarz, deren dichte feldspathige Hauptmasse vom Braunrothen bis zum Hellgrünen wechselt. Sonst fand ich darunter nur noch einige Stücke der Grauwackenformation, aber ungleich seltener und durch längeres Hollen weit kleiner geworden und vollständiger abgerundet als jene. Sie gelangen durch die K e t a n d a hierher, welche in jenem mittleren Tlieile der A l d a n i s c h e n Gebirge entspringt, und schon als mächtiger Flufs durch ein Querthal in die Porphyrkette eintritt. Gleich unterhalb einer Stelle wo wir wieder über die A r k a nach ihrem rechten Ufer gegangen waren, sah man die Felsen ganz nahe an demselben. Das Eis war dort auch schon am Rande völlig gebrochen, und wir stiegen daher durch die nächste Querschlucht auf das höhere Land in Westen des Elufses. Ich hatte dann unsro Führer mit dem Gepäck weit zurückgelassen, als mir ein T u n g u s i s c h e r Reiter im schnellsten Trabe aus dem Walde entgegen kam, und nach einem eiligen und stummen Grufse den Zügel meines Rennthieres ergriff. Er band ihn an den Kehlriem des scinigen und jagte dann mit mir wie mit einem Gefangenen weiter abwärts vom Flusse, in der Richtung aus der er gekommen war. Ich liefs ihn ohne weiteres gewähren, denn sicher hatte man in A r k i von Hnsrer Ankunft gehört, und nur in freundschaftlicher Absicht diese Entführung veranlafst, auch folgte uns mein Hund ohne Mifstrauen zu zeigen. — Wir ritten wohl noch während einer halben Stunde über Berge, auf denen die elastische Zirbelßchte häuüg war. Ihre Aeste hatten sich schon beträchtlich gehoben, aber sie träuften hörbar von schmelzendem Sehnce. Dann trieb der T u n g u s e unsere Renntliiere geschickt durch die gewaltigen Bäche, die jetzt in allen Schluchten des Waldes gegen das Felsenthal flössen, und ich sah nun wie auf so regelmäfsig zerklüftetem Boden die Schneedecke in wenigen Tagen zerrinnt. Mit ihr ist aber auch sogleich jede Erinnerung an den Winter verschwunden, — Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang über einen 6anft gegen SO. geneigten Abhang in eine Ebne, welche von einem weiten Halbkreise beschneiter Berge mit Streifen grünender Zirbelbüsche umgeben war. Die O c h o t a verbreitet sich in dieser, nachdcm sie sich, etwas weiter aufwärts, mit der A r k a vereinigt hat; auch lag nun vor uns die A r k i n s k e r Niederlassung, eine der lieblichsten die ich jemals gesehen habe.

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Eine Menge von kleinen Wasserarmen treten hier zu dem Hauptflusse, und andre trennen sich von demselben, Sie rieseln durch die Niederung in flachen Betten, und waren jetzt zu beiden Seiten mit einem breiten Streifen blank gerollter Kiesel umgeben; aber auf jeder der Inseln zwischen ihnen erhoben sich die Wipfel hochstämmiger Pappeln über griinendenErlen- und Weidengebüschen. Es duftete herrlich von ihren Blülhen und jungen Trieben. Die Wohnungen lagen einzeln und halb versteckt in diesen Gehölzen; das Thal schien erst eben zum Leben erwacht und einem Heere von Möven gehörig, die mit e r s c h r e c k e n d m e n s c h l i c h e m G e l ä c h t e r über jeder Wasserstelle schwärmten und fischten. Es lag in diesem Allen ein ergreifender Wechsel, wenq man sich so wie wir an die" winterliche Stille und Erstarrung der Gebirgswälder gewöhnt hatte. Zugleich aber war hier ein gewisser Charakter der Gegend vollendet, deren Anfänge mich schon bei J u d o m s k und K e t a n d a wie etwas seltsam Bekannfes angeregt hatten. — Iiier wufsle ich plötzlich, dafs es die Homerische Schilderuug von K a l y p s o ' s Insel gewesen war, von der mir Bruch, stücke zur Vergleichung mit den Wohnplätzen der F i s c h - T u n g u s e n vorschwebten: denn es wuchs um die Wohnung ein schattig grünend Gehölze: Erlen, Pappeln und Cedern, balsamische Düfte verbreitend und es nächtigten dort viel breitgeflügelte Vögel: spottende Möven, Weihen und geschwätzige Krähen, alle zur Salzflut gehörig, von Meeresgeschäften sich nährend — auch flofs glänzendes Wasser gereiht in vier einzelnen Armen, einer nahe beim andern, doch jeglicher anders sich schlängelnd *). O d j s s . V . 6 3 . 199. v).7] äi. oniot

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