Reise um die Erde durch Nord-Asien und die beiden Oceane, in den Jahren 1828, 1829 und 1830: Band 1 Reise von Berlin bis zum Eismeere im Jahre 1828 [Reprint 2020 ed.] 9783111617220, 9783111241050

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Reise um die Erde durch Nord-Asien und die beiden Oceane, in den Jahren 1828, 1829 und 1830: Band 1 Reise von Berlin bis zum Eismeere im Jahre 1828 [Reprint 2020 ed.]
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Reise um die Erde dureh

Nord-Asien und die beiden Oceane in den J a h r e n 1828, 1829 u n d 1830 ausgeführt von

Adolph

Er

man.

In einer historischen und einer physikalischen Abtheilung dargestellt und mit einem Atlas begleitet.

B e r l i n , v e r l e g t

bei

G.

1 8 3 3.

R e i m e r .

Reise um die Erde (1 II r c ll

Nord-Asien und die beiden Oceane in d e n J a h r e n 1828, 1829 und 1830 ausgeführt TOI)

Adolph

Er m a n.

Erste Abtheilung:

H i s t o r i s c h e r Berieht. E r s t e r Band. Reise von Berlin bis zum Eismeere im Jahre 1828.

B e r l i n , v e r l e g t

bei

G.

1 8 3 3.

Reimer.

Seiner Majestät dem Könige

Friedrieh Wilhelm III. s e i ii o ni

a Her gnädigsten Könige und Herrn

in ehrfurchtvollster Unterthänigkeit

D i e etwanigen Früchte treu gemeinter Bemühungen um die Wissenschaft Ew. Maj. unterthänigst zu Füfsen legen, ist ein hoher Lohn. Wenn aber bei einer Reise um das Erdenrund die mannichfaltigsten Eindrücke und Vergleichungen sich endlich abglichen in das E i n e Gefühl: meinem Vaterlande gehöre der Vorzug, die wahrhaft schätzbarsten Gü1er des Lebens am sichersten und schonend-

sten zu hegen, so ist es dem Rückkehrenden unendlich wohlthuend, dem erhabensten Bewährer dieses Vorzuges dankbar huldigen zu dürfen

A. Er man.

V o r w o r t .

E s

war Zweck und Hauptaugenmerk bei einer Reise

um clie Erde welche ich in den Jahren 182-8, 1829 und 1830 ausführte, Beobachtungen zu gewinnen die möglicher Weise einigen Nutzen für diejenigen Fächer der Erkenntnifs gewährten, welche durch Anscliliefsen an bestimmte Zahlenwerthe und durch Reduction auf Einheit der Erklärungsgründe,

bereits wissenschaft-

liche Organisation erlangt und als integrirende Theile der Physik sich gestaltet haben.

Ich wäre daher zu-

nächst nur befugt, über d i e s e Bestrebungen Rechenschaft abzulegen, durch genaue Darstellung der Messungen und physikalischen Beobachtungen welche ich in einem Zeiträume von 916 Tagen, auf beiden Halbkugelu und unter säinmtlichcn Meridianen der Erde

X

Y O R W 0 n T.

längs eines W e g e s von 8100 Deutschen Meilen, anstellte, so wie durch Motivirung ihrer Resultate.

In-

dessen haben sehr mannichfache und lebendige Anschauungen,

namentlich von

den, theils wenig be-

kannten, theils verkannten Lokalitäten und Völkerschaften N o r d - A s i e n s , so

bedeutend

erhöht,

den Genuss dass

ich

dieser Reise

mich

entschloss,

auch diese gleichsam mehr rhapsodische als wissenschaftlich gereifte und organisirte Ausbeute der Nachsicht der Leser darzubringen. lungen haben keinen

Dergleichen Mitthei-

andern Anspruch

zu machen

als den, einer treuen und durch keine Nachhülfe voroder nach-construirender Reflexion modificirten Schilderung des unmittelbaren Eindruckes, und somit erhält der Leser auch hier das unmafsgebliche Skizzenbuch der Reise, so wie es an den einzelnen Abenden und in den verschiedensten Lagen des Wanderlebens abgeschlossen wurde. Dennoch aber wird die Kunde von fremden Ländern welche wir durch s o l c h e Mittheilimgen erlangen, durch die Individualität desjenigen der die Anschauungen erlebte, noch so

wesentlich

bedingt, dafs man oft zu erstaunen hätte über Incohaerenz und Dissonanzen,

wenn man die Berichte

sehr verschieden gestimmter Reisenden ohne Kritik in die Form einer erzwungnen Einheit verschmelzt sieht, und es war grade diese Uberzeugung welche mich

Vorwort.

xi

bewog, das gegenwärtige Tagebuch schon mit den uns zunächst liegenden und für die Mehrheit

der

Leser bereits bekannten Gegenden zu beginnen, damit ein Jeder durch Vergleichung seiner eignen Anschauung mit der Ansicht des Reisenden für dessen individuelle Art der Auffassung einen Mafsstab gewönne, der späterhin an den Bericht über ganz fremde Gegenden sich anlegen liefse.

Diese Methode

ist

derjenigen analog, durch welche man die constaiiten Fehler eines Beobachtungs-Instrumentes zu eliminiren gewohnt ist. — Die gesammte Darstellung der Reise werde ic. demnächst nach dem folgenden Entwürfe mittheilen: I. D i e h i s t o r i s c h e A b t h e i l u n g welche, chronologisch geordnet, in die folgenden Abschnitte zerfällt: 1. Veranlassung und Vorbereitungen zur Reise. 18282. Reise nach Petersburg. 3. Aufenthalt in Petersburg. 4. Reise von Petersburg nach Jekatarinburg. Asien. 5. Jekatarinburg und Reise längs des nördlichen Ural. 6. Fernere Bemerkungen

über Jekatarinburg

und

den Ural. — Reise nach Tobolsk. 7. Winteranfang und Aufenthalt zu Tobolsk. 8- Reise nach Obdorsk. — Osljuken und ¡Saiiiojcder

XII

VORWORT.

1829. 9. Reise nach Irkuzk. 10. Aufenthalt zu Irkuzk. 11. Reise nach Kjachta und zu dem Buddhatempel der Buräten. 12. Reise nach Jakuzk. — Jakuten. 13. Jakuzk. 14. W e g von Jakuzk nach Ochozk über das Aldanische Gebirge. — Tungusen. 15. Aufenthalt in Ochozk und Excursion zum Marekanischen Gebirge. 16. Überfahrt nach Tigil, auf dem Meere von Peiyina. K a m t s c h atka. 17. Reise von Tigil nach Jelowka. 18- Besteigung des Vulkan Schiwelutsch. 19. Reise bis zum Dorfe Kliutschewsk und Besteigung des Vulkan gleiches Namens. 20. Schifffahrt auf dem Kamtschatkaflusse. 21. Reise durch die von Russen bewohnte Siidspilze der Halbinsel. 22. Petropaulshafen. Rückkehr

am

Bord

der

schen Korvette

Kaiserlich Krotkoi.

23. Überfahrt nach der Insel Sitcha. 24. Aufenthalt auf Sitcha. — Koljusclien. 25. Fahrt nach Kalifornien.

Russi-

VORWORT.

XIII

26. Aufenthalt zu San Francisco auf Kalifornien. 27. Fahrt nach Otaheiti. 1830. 28. Aufenthalt auf Otaheiti. 29. Fahrt um Cap Hoorn bis Rio Yaneiro. 30. Aufenthalt zu Rio Yaneiro. 31. Fahrt durch den Atlantischen Ocean bis Portsiüouth. 32. Portsmouth. 33. Nord- und Ostsee. 34. Ankunft zu Kronstadt. 35. Rückkehr nach Berlin. Gezeichnete Skizzen landschaftlicher und ethnographischer Gegenstände werden einem jeden Bande dieses

historischen

Berichtes

hinzugefügt

werden,

ausserdem aber auf meine Ortsbestimmungen begründete Wegekarten über die geschilderten Theile von N o r d - A s i e n und K a m t s c h a t k a , ebenso wie eine Generalkarte der ganzen Reise.

Herr Professor B e r g -

h a u s hat die Leitung dieser geographischen Darstellungen freundschaftlichst übernommen. II. D i e w i s s e n s c h a f t l i c h e A b t h e i l u n g

des

Berichtes enthält in 5 Abschnitten: 1) D i e O r t s b e s t i m m u n g e n Punkten

für eine Reihe von

auf beiden Continenten,

so wie

für

alle Punkte auf den Meeren an denen magne-

XIV

YOUWORT.

tische Beobachtungen angestellt wurden.

Die er-

stellen habe ich mittels eines tragbaren PassageInstrumentes nach den neuen Methoden welche Herr Professor B e s s e l

durch

die Geographie

bereicherte, die andren aber mittels des Sextanten erhalten.

Trigonometrische

und

barometrische

Ilöhenmessungen werden diesem x4bschnitte hinzugefügt. 2. M a g n e t i s c h e B e o b a c h t u n g e n und zwar die Bestimmungen der Abweichung mittels des tragbaren Passage-Instruments, der Neigung und Intensität der magnetischen Kraft längs einer zwischen 6 7 ° Nördlicher und 60° Südlicher Breite gelegnen

und sämmtliche Meridiane

durchschneidenden Linie, Verändrungen

welche

der

Erde

so wie der täglichen

diese Erscheinungen

an

verschiednen Orten erleiden. 3 Meteorologische Bestimmungen,

und na-

mentlich Beobachtungen über den Luftdruck, über die Temperaturen der Luft, der Erdoberfläche, der Bergwerke, der Quellen und des Meeres, und Rechenschaft

über meteorologische

Tagebücher,

welche mittels verglichner Instrumente an 12 der berührten

Punkte in E u r o p a ,

Nord - Asien

und N o r d - A m e r i k a

zu verschiednen

stunden,

am Bord

so

wie

auch

Tages-

der Korvette

VORWORT.

IV

K r o t k o i von 4 zu 4 Standen, sowohl während der Fahrt von K a m t s c h a t k a

um K a p

Iloorn

nach E u r o p a , als auch und früher von P e t e r s b u r g um das Kap der g u t e n H o f f n u n g und Neu - H o l l a n d

bis

Kamtschatka

geführt

wurden. 4. G e o g n o s t i s c h e

Beobachtungen

N o r d - A s i e n , die A l e u t i s c h e n I n s e l n Kalifornien, Rio Yaneiro. file

werden

so wie auf O t a h e i t i

durch und

und bei

Allgemeine geognostische Pro-

schon

auf den

früher

erwähnten

Karten zum historischen Theile ausgeführt, speziellere Zeichnungen aber diesem Abschnitte hinzugefügt 5. D i e B e s c h r e i b u n g melter

zoologischer

Gegenstände Berlin

auf d e r R e i s e

und

welche

und ich

Königsberg

den

gesam-

botanischer Museen

übergeben

von habe.

Abbildungen mehrerer neuen Arten von Vögeln, Insekten und Pflanzen werden diesen Abschnitt begleiten.

Der hier vorliegende erste Band der historischen Abtheilung schildert die zu Lande zurückgelegte Linie von B e r l i n

über T o b o l s k

bis zur Mündung des

O b i und von dort zurück nach T o b o l s k .

Nebenbei

xvi

VORWORT.

werden zwei andre Linien beschrieben, die eine vom U r a l bis zum s c h w a r z e n M e e r e und zur O s t s e e längs der schiffbaren Flussbahnen welche das Asiatin s e h e Gebirge mit jenen Meeren von E u r o p a verbinden (Seite 411), die andre von T o b o l s k durch die K i r g i s i s c h e n Lande nach den Chanaten von T a s c h k e n t und K o k a n (Seite 487). — Sie dürften vielleicht

den

Geographen

und

Ethnographen

will-

kommen sein: ich habe sie im Lande selbst durch Mittheilungen solcher Beobachter gewonnen, für deren Urtheils-Weise mir gemeinschaftliche Bekanntschaft mit » S i b i r i s c h e n Gegenständen einen Mafsstab darbot, und entschloss mich für diesen besondern Fall zu einer Abweichung von dem festen Vorsätze: Nichts zu bringen was nicht durch unmittelbare Autopsie begründet wurde.

Die graphische Darstellung des Landes von

T o b o l s k bis T a s c h k e n t

wird auf der General-

karte des Reiseberichts ergänzt werden, während alle übrigen in diesem Bande erwähnten Lokalitäten bereits auf die drei ersten Blätter der Spezialkarte eingetragen sind.

Diese geographischen Blätter und die

zu gegenwärtigem Bande bestimmten anderweitigen Zeichnungen (Figur 1 bis 14) beginnen den Atlas zu welchem die ferneren Beiträge mit den folgenden Abschnitten des Berichtes, das Titelblatt aber nach Abschlufs desselben ausgegeben werden. — —

Yonwonr.

*VI1

E s wäre ein äulserst erfreuliches Resultat. wenn die argen Vorurtlieile welche » S i b i r i e n nur als einen unwirthbaren, barbarischen und gefahrvollen Verbannungsplatz darstellen, vor dem idyllischen und Odysseischen Charakter verschwinden möchten, ich in jenen arktischen Anstatt

jedes

Gegenden

andern B e w e i s e s

welchen

meistens

erwähne

erlebte.

ich

schon

hier, dafs ich von I r k u z k bis O c h o z k von den früh e m Reisegefährten getrennt, nur allein tung

eines eingebornen Kosacken

in

Beglei-

mit Jakuten

und

Tungusen verkehrte, sodann aber während des W e g e s durch ganz K a m t s c h a t k a sen

sogar ohne einen R u s -

zu sehen, nur von K a m t s c h a d a l e n

und aufgenommen wurde.

Eine

begleitet

beträchtliche

Geld-

summe führte ich mit mir, und behufs geographischer und magnetischer Beobachtungen habe ich überall bei Tag und Nacht eine Menge von

Gegenständen

zur

Schau aufgestellt, welche durch Metallglanz und kunstreiche Form in den Augen der unkullivirten bornen

einen

unschätzbaren W e r t h haben

Eingemufsten:

niemals aber und nirgends auf diesem ganzen W e g e habe ich die mindeste Veruntreuung oder habsüchtige Anfeindung erfahren. S o häufig anerkannt sind die Nachtheile welche aus falscher Aussprache ausländischer Eigennamen oder anderweitiger Ausdrücke entspringen, dafs wohl jeder

xv M

VORWORT.

Reisende auf ein Mittel zu denken hat, um die gehörten Sprachlaute auch dem Leser seines Berichtes möglichst zu vergegenwärtigen.

Im Folgenden handelte

es sich namentlich und am häufigsten um die richtige Bezeichnung Russischer Rede, und es zeigte sich bald, dafs Deutsche Schriftzeichen und die für ihre Aussprache geltenden Regeln zur Erreichung dieses Zwekkes nicht auslangten. Der Besitz eines Systems von Symbolen welches alle gedenkbaren Artikulationen

der

menschlichen

Stimme ohne Rücksicht auf die Besonderheit einer bestimmten Sprache, auszudrücken vermöchte, ist an sich nicht unmöglich, vielmehr ist zu einer solcher pasigraphischen

Bezeichnung,

ein

erster

Gedanke

bereits gegeben durch diejenigen Grammatiker welche die Laute einzelner Sprachen nach den zu ihrer Hervorhringimg wirkenden Theilen der Stimm- Organe des Menschen unterscheiden; aber eine der mühsamsten empirischen Arbeiten müfste

vorhergehen,

ehe man dazu gelangte, einen jeden der bei yerschiednen Völkern gehörten Redelaute durch solche genetisch bedeutungsvolle und zugleich sichtbare Zeichen dem Lesenden zu vergegenwärtigen. •— In Erwartung solcher Leistungen musste hier auf einen andern Ausweg gedacht werden und es verhalf dazu die auch an sich nicht uninteressante Erfahrung, dafs für die Andeu-

VORWORT.

XIX

tung Russischer Rede eine bedeutende Erleichterung gewonnen wird, wenn man die West-Europäischen Schriftzeichen bald an D e u t s c h e ,

bald an F r a n -

z ö s i s c h e Aussprache erinnern läfst. —

Dieses Mit-

tels habe ich im Folgenden auf eine jetzt näher anzudeutende Weise mich bedient. Die durch die sogenannte Cursivform vor den umgebenden ausgezeichneten oder schräg

gestellten

Buchstaben, sollen immer nach den Regeln der Französischen Aussprache gelesen, alle übrigen aber nach dem Deutschen

Gebrauche

ausgesprochen

Namentlich aber wurde die zwiefache

werden.

Anwendung

ein und desselben Schriftzeichens für die folgenden Buchstaben nöthigr J und j sollen, in der Cursivform, denjenigen im Deutschen fehlenden Consonanten andeuten, welcher in den Anfangs - Sylben der Französischen

Worte:

j a r d i n , J e r e m i e , J u p i t e r gehört wird.

Hierhin

gehörige R u s s i s c h e Worte sind: y d w r o n k a , g ä n s k , y ü r i t j , und auch solche wie

Ji-

okru/nui,

podorö^'na, ^'a^'da, in welchen das j stets rein consonantische Bedeutung hat; von der andern Seite aber ist das j nach Deutschem Gebrauche zu lesen in Worten wie: J a k ü z k , j e l n i k , J u d o m a , U s t j ä n s k , O s t j a k i u. s. w., und es bezeichnet ebenso einen kaum noch hörbaren Anklang an i in den Infinitiven

Y0

XX

K W 0 lt T.

der Yerba wie r o d i t j , r o d i t j s j a , p o d a r i t j , , skas ä t j , welche nur in der Kirchen- und Liedersprache und bisweilen auch noch in S i b i r i e n van Anhängern ältester Sitte, wie p o d a r i t i , « k a s a t i ausgesprochen werden. Ferner sollen die Cursivzeiclien S und s an den im Deutschen fehlenden Laut der Französischen Worte: s a g e s s e , s e m e n c e , s i m u l e r erinnern, die gewöhnlichen S, s die Deutsche Aussprache der Worte: sag e n , S e g e n , S i e g herbeiführen.

So gehören im

Russischen zu dem ersten Falle die Worte »S'ibir, »ol, s e l ö (Dorf), zum zweiten aber: s a b a i k a l s k j i , s a p o r 6 gi, s a m o k, s e 1 o (das Sclilufswort in Kirchenliedern). — Auch für die Zusammenstellung S1 welche (auffallend genug) im Deutschen immer geschärft und also abweichend von dem gewöhnlichen Gebrauche des s ausgesprochen wird, ward eine Unterscheidung nöthig, und zwar bedeutet bei dieser die ausgezeichnete Form Sl eine Aussprache wie die im Worte Slave,

während das gewöhnliche

Sl denjenigen,

der Russischen Sprache eigentümlichen, Laut bezeichnet, welcher aus unveränderter Verbindung des Deutschen S (in S a g e , S i e g ) mit dem 1 entstehet. — Kur so wird es möglich, den vollkommnen Unterschied der Aussprache des Sl in den Rnssischen Worten: »S'läbost, »Slitka, &löwo etc., von der einen

V Seile, und S l o ,

O Ii W O R T .

XXI

S l a t o , S l a t o u s t von der andern,

fühlbar zu machen. — Die Zeichen G, K, Ch, T s c h , S c h , S c h t s c h , Z, wenn sie nach Deutscher Gewöhnung ausgesprochen werden, Übergänge darzustellen,

reichen

hin, um alle

welche im Russischen

von

den K e h l l a u t e n zu den G a u m e n - und Z u n g e n bucli s t a b e n

statt

finden

und

dort

ein

jeder

durch eigenthümliche Schriftzeichen angedeutet w e r den.

W a s die einfachen und diphthongischen Vokale

betrifft, so findet sich nur schen

Rede,

dessen

einer

in

Ausdruck

der

durch

RussiDeutsche

Schreibart schwierig ist, ich habe ihn im Folgenden stets durch ui bezeichnet,

es mufs aber da-

bei bemerkt werden, dafs nur die Redeorgane wie zur Aussprache des u vorbereitet,

sodann aber ein

in i übergehender Laut hervorgebracht werden müsse. Der durch das Zeichen beabsichtigte Laut ist nämlich ein unter geringster M i t w i r k u n g d e r L i p p e n und Zunge und

mit v e r g r ö f s e r t e r

auszusprechendes

i.

Gaumenhöhle

Beispiele sind die W o r t e :

b u i k , b u i k ö w a , p u i l , P ü i s c h m a und v. a. — Iii der Polnischen Rede wird ein ähnlicher Laut gehört und in der dort gebräuchlichen Schrift durch ein y bezeichnet, ohne dafs doch in den Schriften anderer Nationen das y jemals eine ähnliche Bedeutung habe.— Für die höchst wesentliche Betonung der Silben so

"VORWORT.

XXII

wie auch, wo es nöthig war, für ihre Länge und Kürze sind die, bei den Grammatikern gewöhnlich üblichen Zeichen auch hier angewendet worden. Es ist endlich noch zu erwähnen dafs überall in diesem Berichte w o nicht ausdrücklich das Gegentlieil gesagt ist, die Zeitrechnung nach dem neuen oder G r e g o r i a n i s c h e n Kalender 'geführt ist, und dafs, zur Übertragung der bisweilen gebrauchten R u s s i s c h e n Mafse, 697 W e r s t = Meilen und eine Sa^'en = setzen sind.

100 Geographische

7 Englische Fuis zu.

Inhalt des ersten Bandes.

I. A'b s c h n i t t .

s

18

D. Abschnitt.

1828.

Mai.

zu A p e n r a d e (55° 3 ' Breile) am 23. April, nach 7jährigen Beobachtungen, und bei einer Temperatur von + 6°,31R. ( zu K o p e n h a g e n (55° 4 1 ' Breite) am 5. Mai (nach 8jährigen Beobachtungen) bei einer Temperatur von -+- 7 ° , 2 1 R. Wenn man nun in E u r o p a für dieses Phänomen der animalischen Natur, fast eben so wie für die einzelnen Stadien der Vegclalion, eine nahe Übereinstimmung der begleitenden Temperatun erhall nisse bemerkt, so wird man aufgefordert zu entscheiden, in wie fern auch die grofsen Zeitunterschiede, welche man in A s i e n in Bezug auf das Erscheinen der Ilausschwalbcn bemerkt hat, durch die Luftwärme bedingt werden. Zu G u r j c w am K a s p i s e h e n Meere (in 49 0 G' Breite) werden die Ilausschwalbcn schon gegen E n d e M ä r z gesehen, während sie bei gleicher Breite im T r a n s b a i k a l i s c h c n D a u r i e n erst in der z w e i t e n W o c h e d e s M a i , zu T u r u c h ä n s k am J c n i i c i (in 65°,75 Breite) aber erst um die M i t t e d e s J u n i sich zeigen. [ M a i 3.] Nachmittags verliefsen wir K ö n i g s b e r g , um über die K u r i s c h e N ä h r u n g nach M e m e l zu gelangen. Bis M ü l s e n geht der Weg durch einen fruchtbaren und sehr wiesenreichen Landstrich. Die T a n n e ( P i n u s a b i e s ) ist auf ihm durchaus vorherrschend, F i c h t e n (P. s i l v e s t r i s ) sieht man sehr selten, wie man denn überhaupt im nördlichen D e u t s c h l a n d gar bald gewohnt w i r d , die Tanne als einen erwünschten Verkünder festeren Bodens, einer Oase im dürren Sandlande, zu betrachten. Auch andere Ebenen aufgeschwemmten aber nicht sandigen Landes zeigten mir früher diesen Einflufs der Standorte auf die Vertheilung der P i n u s - A r t e n . So sieht man in der trockenen Ebene zwischen M ü n c h e n und R e g e n s b u r g nur dann die Fichte durch die Tanne ersetzt, wenn muldenförmige Einsenkung des Bodens Ansammlung der Feuchtigkeit, und in Folge davon die Bildung einer bedeutenden Schicht Dammerdc, bewirkt. Bei M ü l s e n hat man wiederum dem Seestrandc sich genähert, und wieder beginnt ein Sandhügel- (Dünen-) Zug, der hier wohl sicher eine für die Tagewasscr undurchdringliche Schicht zur Grundlage hat: denn überall sieht man reichhaltige Quellen an dem Fufse der Hügel entspringen. Es schliefst sich dieser, auf dem Festland« beginnende. Riincnzug an den Südrand der N ä h r u n g .

II. Abschnitt.

1828.

Mai.

auf der man sich schon bei der nächsten Poststatiou

19 Sarkai)

befindet. Bei der auffallenden Schmalheit der Landzunge, die bei S a r k a u die Wasser der Ostsee von denen des H a f f e s trennt, hörte ich am Abend nicht ohne Überraschung ein sehr lebhaftes Geschrei von Fröschen; ein, so scheint es, sicheres Kennzeichen stehenden süfsen Wassers. Es sind die von dem Dünenwalle gesammelten Tagewasscr liier noch mit gehöriger Reichhaltigkeit vorhanden, um am Fufse desselben kleine sumpfige Wiesenstrecken zu bilden, während doch zur Linken des Weges nur nackter Flugsand bis zum Strande sich erstreckt. Bestätigt wurde mir die zur Erklärung dieses Phänomens nötlnge Mächtigkeit des atmosphärischen Niederschlages, auf den schmälsten Stellen der N a h r u n g zwischen R o s s i t t e n und N i d d e n , w o während der wolkenlosen Nacht ein ungemein rcichcr Thau sich auf dem Verdecke unseres Wagens bis zum Abflicfsen sammelte. Dennoch feldt es weiterhin, nach M c m e l z u , den Bewohnern der N ä h r u n g so sehr an Trinkwasser, dafs man dort genöthigt ist, die Pferde aus dem I l a f f e zu tränken. Freilich ist der Salzgehalt dieses H a f f w a s s e r s nur äufserst geringe , aber die Entfernung der Dörfer von dem Ufer macht den Mangel an Grundwasser dennoch sehr unbequem. Die festere Schicht mag dort tiefer liegen, und die Tagewasscr unter dem Flugsande hinweg der See zuführen. [ M a i 4 . ] Mit Sonnenaufgang erreichten w i r die mitten auf der N ä h r u n g gelegene Station S c h w a r z o r t . W i r hatten hier eine schöne Ansicht des I l a f f e s , die noch besonders interessant gemacht wurde durch das Phänomen einer überaus ausgezeichneten abnormen Straldenbrccliiuig. Die Linie, welche den Horizont des auf niedrigem Strande befindlichen Beobachters begränzt, erschien thcils discontinuirlich gestaltet durch erhöhte Bilder entfernter Gegenstände, thcils waren diese Bilder begleitet von zweiten unigekehrt stehenden und in der Luft schwebenden. Verbunden War liiermit das auf grofsen Ebenen in den Morgenstunden oft. bemerkte Zittern der gesehenen Gegenstände, durch welches die unteren Bilder derselben, sowohl als die über ihnen in der Luft schwebenden, in eine heftig wogende und scheinbar nach der Richtung des Windes fortschreitende Bewegung versetzt wurden. Ein sonder-

D. Abschnitt.

1828. Mai.

barer Zufall machte dieses Schauspiel noch auffallender. Das vom Ufer entferntere Wasser des I l a f f e s wimmelte nämlich von Entcnschwärmen, die nach Aussage der Einwohner vor Kurzem wieder von diesen nun vom Eise befreiten Stellen Besitz genommen hatten. Mit der diesen Vögeln eigenthümlichen Art des Fluges sah man sie mit gröfster Lebhaftigkeit nahe über dem Wasser meist paarweise und stets gradlinig sich hin und her bewegen, und der Eindruck dieser mannigfaltig sich kreuzenden mit der Wasserfläche parallelen Bewegungen verband sich auf eine höchst frappante Weise mit dem der schwebenden und wankenden Luftbilder. Man sieht übrigens leicht, wie, in dem gegenwärtigen Falle, die zur theoretischen Erklärung dieser Art von L u f t s p i e g e l u n g nöthige Bedingung, einer von kälteren Luftmassen nach o b e n zu bedeckten wärmeren Luftschicht, erfüllt sein konnte. Der ausgezeichnet reichhaltige Thauniederschlag auf der N ä h r u n g bewiefs uns, wie sehr in dieser Nacht der Erdboden durch Ausstrahlung sich erkältet hatte; das Wasser des H a f f e s aber mufstc, gewöhnlichen Erfahrungen zufolge, bei weitem wärmer bleiben, und die unmittelbar auf ihm ruhende Luft konnte daher von der seitwärts vom Lande her einströmenden erkälteten bedeckt werden. Um an dem von den Seewellen feslgeschlagenen O s t s e e s t r a n de unseren Weg leichter fortsetzen zu können, hatten wir einen uns von demselben trennenden Hiigelzug zu übersteigen. Mühsam gelang es sechs Pferden, das doch nicht schwere Fuhrwerk über die Anhöhe zu ziehen: so fein ist der bedeckende Flugsand. Die nicht unbeträchtliche Höhe des Hügelzuges, den man übersteigt, *) entfernt hier völlig die Ansicht, als könnten die ' ) Dafs man von dem höchsten Punkte der Nahrung anter günstigen Witterungsumständen die Schwedische Küste bei S t o c k h o l m , also einen um 6 4 Deutsche Meilen entfernten Ort gesehen habe, ist eine unter den Einheimischen sehr gangbare Tradition, welche aber um so mehr grundlos und naturwidrig ist, da die Insel G o t l a n d den angeblich gesehenen Ort verdeckt. W e n n man aber das gesehene Land auch nur für den nächsten Punkt der Go tl ä n d ' s c h e n Küste halten, d. h. ihm eine Entfernung von 30,5 Deutsche Meilen beilegen wollte, so wäre diese Thatsache der Beweifs einer hier Statt findenden sogenannten L u f t s p i e g e l u n g n a c h o b e n von durchaus unerhörter Stärke. Denkt man nämlich den auf der

II. Abschnitt.

18:28.

W e l l e n der S e e ihn a u f g e w o r f e n haben. F l u g s a n d h a t ihn ü b e r d e c k t ,

Mai.

'21

Vom Winde

angewehter

a b e r ein e r s t e r A n l a f s z u r

Bildung,

ein festerer K e r n , m u f s für die N ä h r u n g eben s o w o h l p r a e e x i s t i r t haben,

als für die Ilügelreihen bei D a n z i g u n d

Königsberg,

die durch direkte B e o b a c h t u n g sich als F o r t s e t z u n g e n a u f d a s F e s t land

für

jene

sonderbaren

Landzungen

zeigen.

Ein

geogno-

stisches P h ä n o m e n , w e l c h e s , v o r z u g s w e i s e für d i e z w i s c h e n D a n z i g und M e m e l

gelegene S t r e c k e des O s t s e e s t r a n d e s ,

das

Vor-

handensein einer n a h e unter der S a n d d e c k e l i e g e n d e n f e s t e r e n u n d älteren

Formation

andeutet,

schien

uns

v o n j e h e r d e r haupt-

sächlich in dieser G e g e n d v o n d e n S c e w e l l e n stein ;

ausgespülte

Bern-

denn k a u m scheint uns e i n e seit z w e i J a h r t a u s e n d e n i m m e r

an denselben S t e l l e n e r f o l g e n d e A u s w e r f u n g dieses F o s s i l s g e d e n k b a r , ohne die A n n a h m e einer g e r a d e hier a n s t e h e n d e n sehr eigenthümlichen ( B r a u n k o h l e n - )

Formation,

welche,

landeinwärts

N ä h r u n g gelegenen Punkt 350 Par. F n f s , den auf G o t l a n d gelegenen 800 Fufs hoch, und den Lichtstrahl zwischen beiden zuerst auf die gewöhnliche Weise gekrümmt, ( s o , dafs dadurch das gesehene Objekt am Himmel erhöht wird um | d e s B o g c n s , welcher die Entfernung beider Punkte auf der Erdoberfläche mifst — zufolge der Beobachtungen W o l t m a n n , B r a n d e s u n d T r a l l e s ) dann würde 14,6 D, Meilen die Gränze der gegenseitigen Sichtbarkeit sein. Diese Gränze kann nun freilich erweitert werden, wenn nufser den auf gewöhnlichere W e i s e afüzirlen Lichtstrahlen, andere, stärker gekrümmte, ein zweites Bild des gesehenen Gegen, standes veranlassen ( S p i e g e l u n g n a c h o b e n Statt findet). E s ist aber, so viel ich weifs, das stärkste bestimmt bestätigte Beispiel einer solchen abnormen Erhöhung der gesehenen Objekte dasjenige, welches B i o t erlebte, als er Feuersignale auf I v i 5 a von F o r m e n l e r a aus vervielfältigt erblickte,. und zwar findet man durch Rechnung, dafs in diesem Falle das höchste der u n g e w ö h n l i c h e n B i l d e r noch bei 27 D. Meilen Entfernung beider Punkte sichtbar gewesen sein würde, während das g e w ö h n l i c h e B i l d nur in 23 D . Meilen sich noch zeigen konnte. Dächte man sich einen analogen Einflufs auch hier Statt findend, so könnte dadurch die Gränze der Sichtbarkeit von 14,6 Meilen auf 17,1 erweitert werden, d. h. doch nur auf etwas mehr als die Hälfte der als faktisch behaupteten Ausdehnung des Gesichtskreises, Die Angabe der Bewohner der N a h r u n g bleibt daher als ein P a r a d o x o n bestehen, welches vielleicht werlh ist, dafs man weiter nachforsche, wäre es auch nur, ura den Grund der wahrscheinlich Statt findenden f r e m d a r t i g e 11 Täuschung aufzufinden.

2-2

II. Absclinitt.

1828-

Mai.

mit Sand bcdcckt, dem Seebecken entblößte Schichtenköpfe zuwenden mag.

Der Folgezeit wird es sicher gelingen durch Bohr-

versuche bestimmteren Aufschlufs über die Erstrcckung und Lagerungs Verhältnisse einer für P r e u f s e n so auszeichnenden Formalion zu erhalten, über deren Existenz in der Nähe von

Königsberg

schon die Arbeiten von J u n c k e r merkwürdige Andeutungen gegeben haben.

Am O s t s e e s t r a n d e ,

von da an w o wir ihn

wiederum erreichten, sahen wir behaucne Balken Schiffbauholzes durch die Wellen ausgeworfen, und immer häufiger wurden diese sonderbaren Anschwemmungen, je mehr man der H a f f m ü n d u n g sich näherte.

Dafs diese bearbeiteten Balken aus dem M e m e l c r

Hafen zufällig entronnen seien, schien mir die einzige annehmbare Voraussetzung über ihr Herkommen, und wurde nachher auf Erkundigung in der Stadt zur Gewifsheit gesteigert.

Man erhält also

hier einen augenfälligen Beweifs für die Existenz einer von NO. nach SVV. längs der Küste gerichteten Strömung, vermöge welcher die aus der Mündung ausgespülten Blöcke erst mehrere Meilen weit gen Westen fortgeführt werden, bevor der Wellenschlag sie wiederum auf das Land treibt. Die hohe Einförmigkeit des dürren und pflanzenlosen Strandes unterbrach nur etwa eine dem Auge auffallende farbige Streifung des Erdbodens, die nach gewissen regelmäfsigcn Linien geordnet erschien. Bald entdeckt man den Grund der Erscheinung: der Sand des Strandes zeigt siclib estehend aus höchst feinen vom Winde verwehbaren Quarzkörnern, die sämmtlich durchaus weifs sind, und aus weit gröfseren Körnern fleisclirothen Feldspathes, welche dem Winde bei weitem mehr Widerstand leisten.

So geschieht es, dafs

an allen dem Luftzuge frei ausgesetzten Stellen Alles bis auf die gröfseren Körner verweht, — an den, unter dem Winde gelegenen Punkten hingegen, eine Decke wird.

weifsen Sandes abgelagert

Die kleinsten Unebenheiten, welche den dahinter gelegenen

Punkten

einen

tljeilweisen Schutz gegen den Wind

gewähren,

reichen schon hin zur Hervorbringung dieser Sonderung, die um so schneller vor sich geht, da sie sich in sich selbst unterstützt.— Man überzeugt sich hier nicht ohne Verwunderung, dafs trotz der, so scheint es, für den Feldspath gröfseren Spallbarkcit als für den Q u a r z , jener doch der Zerkleinerung, durch die den festen Granit

II. Abschnitt.

lö.'K.

Mai.

23

zu Saiiil umbildenden Kralle, vollkommener widerstanden hal als der letztere. — Seiion hierdurch allein gewinnt man die Ansicht, als könne es nicht die Verwitterung gewesen sein, der unser N o r d d e u t s c h e r Saud seine Entstehung verdankt , sondern als sei vielmehr eine Zertrümmerung weil gewaltsamerer Art der Grund zu dem noch nicht genugsam erforschten Phänomene gewesen. Wolil möchte dermaleinst der Sand die Aufmerksamkeit späterer Geognosten, von dem Hochgebirge ab, zu Ebenen hinleiten, welche uns jetzt als jedes Interesses entblöfst erscheinen. Bald zum Ende d c r N ä h r u n g gelangt, sahen v v i r M e m e l am entgegengesetzten Ufer der kaum 6000Fufs breiten H a f f m ü n d u n g vor uns ausgebreitet. liier wagt man nicht mehr der in O s t p r e u f s c u landesüblichen Art der Fähren sich anzuvertrauen, sondern Ruder und oft auch Segel ersetzen bei den hiesigen Pramen die über das Wasser auszuspannenden Taue. — Auffallend ist die Sitte, dafs nach der Landung in der Stadt man vor den Fuhrwerken die Postpferde nicht wieder vorlegt: vielmehr spannen die Fährleute mittelst eigens dazu vorgerichteter Taue sich selbst ein, und befördern die Reisenden zum Ort ihrer Bestimmung. Der Alteste unter ihnen, der auf dem Praine das Steuer regiert, geht auf dein Lande, das Fuhrwerk an der Deichsel lenkend, voran. Aufserst anziehend war uns der lebhafte Verkehr, der an den Ankerplätzen der Stadt trotz der noch frühen Jahreszeit sich zeigte. Der dem H a f f e zugekehrte Quai, an der Westseile der Stadt, schien vorzugsweise von Flufsfahrzeugen eingenommen, welche den N j e m e n abwärts oft von G r o d n o an, also von 40 D. Meilen landeinwärts, die Landesprodukte hinzuführen, während an dem Quai der Nordseite vorzüglich Seeschifl'c gesehen werden. An diesem letzteren Landungsplätze wird die eigenthümliclie Bedeutsamkeit der O s t s e e h ä f e n im Allgemeinen, und recht vorzugsweise die von M c i n e l , sehr sichtbar. Am Strande selbst ist der mit allen Bedürfnissen der hier einheimischen Landleute reichlichst ausgestattete Markt, auf dem man im bunten Gewühle die dadurch angelockten Käufer sich mischen sieht mit E n g l i s c h e n und D e u t s c h e n Matrosen und mit der Mannschaft der tief aus dem Lande kommenden Flufsfalxrzeuge. So trägt der Verkehr in

24.

U Abschnitt.

1828. Mai.

den Ostseehäfen weit mehr als d e r anderer Seestädte, das Gepräge eines unmittelbaren Tauschhandels. Besonders auffallend sind dem Fremden die Sama'itischen*) Landleutc. Alle, Männer und Weiber, kommen reitend zur Stadt, durch Kleidung stets streng geschieden von den D e u t s c h e n Bewohnern. Ben Rock aus grauem Tuche von ungebleichter Wolle tragen sie noch jetzt eben so beständig wie im 16. Jahrhundert, w o H e r b e r s t e i n sie sah. Alle haben zur Fufsbekleidung niedrige Schuhe mittelst zweier um die Wade geschnürter Riemen am Fufse befestigt. Die Kleinheit des Pferdeschlages scheint bei ihnen das Aufserste erreicht zu haben. — Auch sie selbst zeichnen durcli geringere Körpergröfse vor den, hier eben so zahlreich versammelten, L i t t h a u e r n sehr bedeutsam sich aus. Aus diesem nachbarlichen Verkehr zweier durch ihre Leibesbeschaffenlieit sehr verschiedener Volksslämme, liefse sich vielleicht eine auffallende Bemerkung in Bezug auf die alten Anwohner P r e u f s c n s deuten, die ebenfalls H e r b e r s t e i n , wahrscheinlich aus eigener Anschauung, gemacht hat. Er berichtet nämlich von ihnen als einen sehr merkwürdigen Umstand, sie seien von äufserst abweichender Leibesgröfse, indem

*) Die Bewohner des S a m o g i t i e n genannten Landstriches. Schon der Eigenname dieses kleinen Distriktes und seiner Bewohner, erinnert auf eine bedeutungsvolle Weise an den gleichlautenden Namen der A s i a t i s c h e n S a m o j e d e n , welchen seinerseits man aus wohl bestätigten Gründen für identiscli hält, mit dem Namen S ° m o l a i n , den die in F i n n l a n d ansässigen Ureinwohner sich beilegen und der in ihrer Sprache, v o n S ä m a (ein S u m p f ) abgeleitet, einen S u m p f - g e h o r n e n o d e r S u m p f - b c w o h n e r bedeutet. Niemand denkt wohl jetzt mehr daran, denNamen der A s i a t i s c h e n S a m o j e d e n aus dem R u s s i s c h e n herzuleiten, ihn i S a m o j e d i auszusprechen und in Folge davon ihn durch S e l b s t - e s s e r (eine sein sollende Umschreibung für M e n s c h e n - f r e s s e r ) zu erklären. — Auch die hiesigen S a m a ' i t e n dürften mit eben dem Rechte wie die A s i a t i s c h e n S a m o j e d e n für einen versprengten Zweig des weit verbreiteten F i n n i s c h e n V ö l k e r s t a m m e s gehalten werden und e b e n so auch die jetzt sogenannten S a m c - l ä n d e r in der unmittelbaren Umgebung von K ö n i g s b e r g . — Finnländisclie M a t r o s e n , welche auf Russischen Kriegsschiffen (im Jahre 1812) in der Nähe von M e m e l gelandet waren, bestätigten mir späterhin die ihnen sehr auffallende und sie befremdende Verwandtschaft der dortigen Bewohner mit ihren eigenen Landsleuten.

n. Abschnitt.

1828.

Mai.

man bald, und zwar am häufigsten, Männer von ansehnlicher Statur unter ihnen sähe, bald aber auch von aufserordcntlichcr und wahrhaft zwerghafier Kleinheit: und zwar schienen ihm diese auffallenden Wechsel nicht durch jedesmalige zufällige Umstände herbeigeführt , sondern schon ein für allemal begründet für das Ganze des Volkssl ammes. Mehrere Slrafsen der Stadt sind reich und geschmackvoll gebaut, aber 6tets modernen Ansehens und kaum sieht man hier Spuren der eben so alterlhümlichen als originellen Bauart von D a n zig und zum Thcil auch von K ö n i g s b e r g . Trotz der um I i Grad nördlicheren Lage von M c m c l gedeiht eine Lindenallee in der Sladt noch ebenso vortrefflich als die ähnlichen in D a n zig. [Mai 5.] Nicht olme Besorgnifs näherten wir uns der R u s s i s c h e n Grunze, die von M e n i e l aus in wenigen Stunden erreicht wird. Es stand nämlich zu befürchten, dafs unser, mit mathematischen und physikalischen Instrumenten angefülltes, Fuhrwerk den Zollbeamten der Russischen Gränzstation befremdend genug erschiene, um die gewünschte schnelle Fortsetzung der Reise zu hemmen. Das letzte P r e u f s i s c h e Dorf, N i m m e r s a t t , liegt dem Seeufer näher als man nach den anmuthigen Gärten vermuthen sollte, die es einigen Bewohnern anzulegen gelungen ist. Erst seit etwa 10 Jahren haben fleifsige Ansiedler es versucht, den, früher bis zum Dorfe sich erstreckenden, losen Flugsand, durch Vegetation in Schranken zu halten: und nun liegt der Ort gleich einer Oase in der dürren Wüste; denn wenn man weiter nach P o l a n g e n hin sich begiebt, sieht man ein kahles Sandmeer zur Linken des Weges, zur Rechten erst in gröfserer Ferne Ackerfelder und Fichtenwaldung. Auf dieser einförmigen Ebne erheben sich die Schlagbäume die als Symbol der Gränze zwischen P r e u f s e n und dem R u s s i s c h e n Reiche dienen. An dem auf R u s s i s c h e r Seite befindlichen sahen wir schon von ferne her die Lanzen eines ihn bewachenden Kosackenpikcts emporragen. Bei Annäherung des Fuhrwerks wird die Barriere nur halb erhoben und nach der Durchfahrt sogleich wieder gesenkt, so dafs der Eingang notlidürflig gestaltet und gleichsam die Wichtigkeit des Schrittes symbolisch au-

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D. Abschnitt.

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Mai.

gedeutet wird. — Bewacht von einem, neben dem Wagen reitenden, bärtigen Kosacken fuhren wir nun schleunigst bis zu dem nahe gelegenen Zollamtc ( T o m i i J n a ) im Dorfe P o l a n g e n . Zwar wurde liier anfangs eine namentliche Angabe der einzelnen eingeführten Instrumente, behufs der davon zu entrichtenden Steuer, durch die unteren Zollbeamten von uns verlangt, als sich aber zeigte dafs dergleichen Namen sich in dem Tarifverzeichnisse nicht befanden, zog man den Vorsteher der Behörde zu Käthe, und eben so erfreulich als unerwartet kam uns die Nachricht: es stehe einer unverzüglichen und ungehinderten Abreise Nichts im Wege. — Anstatt aller befürchteten Schwierigkeiten, ward uns nun eine überaus freundliche und gastfreie Aufnahme zu Theil, bei der es deutlich hervorging, es müsse ohne unsere Bemühung, von der Hauptstadt aus, bereits eine Bevorwortung der Reise und ihres Zweckes, hierher erfolgt sein. Um mit Postpferden weiter reisen zu können, hat man sich liier, neben dem gewöhnlichen Passe, noch mit einem sogenannten Postpassc oder P o d o r ö / n a (von p o a u f oder b e z ü g l i c h , und d o r ö g a der Weg) zu versehen für dessen Ausstellung Tx„ des naclnnals für die Pferde zu bezahlenden Geldes, als Abgabe für die Krone vorläufig entrichtet wird. Diese P o d o r o / n e n in denen die Anzahl der, dem Reisenden zu liefernden, Pferde genannt ist, werden gewöhnlich als gültig bis zu irgend einer Gouvernementsstadt, in welcher der Reisende längere Zeit zu verweilen gedenkt, ausgestellt; nur auf dem Wege durch die Ostseeprovinzen nach P e t e r s b u r g mufs schon in R i g a der P o s t p a f s gewechselt werden, weil erst von dort au der, durch das ganze übrige R u f s l a n d übliche, geringere Preis der Postpferde ( i des in D e u t s c h l a n d und K u r l a n d gebräuchlichen) beginnt. Aufser denen für die Beamten und ihre Bureau's zierlich erbauten Holzhäuser enthält P o l a n g e n eine bedeutende Anzahl aus rohen Balken gefügter niedriger Hütten, welche mehrere äufserst schmutzige Strafsen bilden. — Die Bewohner des Ortes sind grossentlieils J ü d i s c h e Familien, die wahrscheinlich angelockt wurden durch die, an den Glänzen stets lebhafter als im Innlandc wechselnden , Conjunkturcn des Krämerhandels. Unter Anderem scheinen sie auch zum Vertrieb des in der Umgegend von P o l a n g e n noch sehr reichlich ausgeworfenen Bernsteines, den Pächtern des Strande»

II. Abschnitt.

1828-

Mai.

27

bchülilich zu sein, denn, in P o l a n g e n angekommen, wird der Reisende von J ü d i s c h e n Krämern, welche dieses Landesprodukt feil bieten, umlagert. Meist der Russischen Sprache mächtig, dienen die J u d e n den ankommenden Fremden als Dollmctsclicr; unter sich aber gebrauchen sie eine gemischte Rede, in welcher zwar D e u t s c h e Worte überwiegend zu sein schienen, die aber dennoch, auf das Merkwürdigste, Überreste aller derjenigen Sprachen enthalten soll, welche dieses Volk auf seinen Wanderungen bis zum endlich gefundenen Asyl im östlichen E u r o p a , reden hörte. Die Männer unter ihnen haben die, bei ihren Stamm'verwandten in P o l e n übliche, cigenlhümliche Kleidertracht beibehalten und kaum giebt es einen auffallenderen Contrast als den zwischen den seidenen Talaren der schmutzigen H e b r ä e r und den groben aber meist weil reinlicheren Kitteln der S a m a ' i t i s c h c n Bauern. Aber auch an R u s s i s c h e n Einwohnern fehlt es dem Orte ui cht, w i e , vor der für den G r i e cli i s cli e n Gottesdienst bestimmten Kirche, eine zahlreich versammelte Gemeinde bewiefs. Es war heute (am 23. April alten Styles) der dem H e i l i g e n G e o r g , dem Schulzpalrone des R u s s i s c h e n Reiches, geweihte Tag, zu dessen religiöser Feier wir die unteren Kirchendiener kleine Bilder des Heiligen auf den Strafsen umher tragen, den Laien zum Küssen darreichen und dafür ein Allmosen erbitten, sahen. Die S a m a ' i t i s c h c n Bewohner des Ortes und der Umgegend, die zur K a t h o l i s c h e n Confession sich bekennen, haben ebenfalls eine Kirche zu P o l a n g e n , welche durch die eigenthümlicheRohheit ihrer Bauart für den von D e u t s c h l a n d kommenden Reisenden auffallend ist. Denn, eben so wie die liier gebräuchlichen Hütten, ist auch dieses Gebäude ganz aus runden, parallel untereinander zusammengefügten, Balken gebaut und hat trotz der Rohheit des Materials und trotz der geringen Dimensionen des Ganzen dennoch eine sehr complizirte Form, die offenbar auf eine entfernte Weise an vollkomnmerc Muster B y z a n t i n i s c h e r Baukunst erinnern soll. Namentlich deuten auf ein solches Vorbild die kugelförmige Kuppel, die, fast in Gcslall eines menschlichen Kopfes, auf den schmalcn Thurm aufgesetzt ist und auch ein um das Hauptgebäude von aufsen her laufendes Chor. — Gesondert von der Kirche

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n. Abschnitt.

1828- Mai.

befindet sich ein Gerüst für die Glocken. — Aufseres Ausehen des Baumaterials läfst auf ein sehr langes Bestehen dieses bizarren Bauwerkes schliefscn. *) Bekanntlich übrigens nimmt der, von der Gränze an beginnende, Landstrich auf welchem in K u r l a n d die K a t h o l i s c h e Religion sich erhalten hat, gegen Osten zu nur einen schmalen Raum von etwa vier Deutschen Meilen ein; jenseits desselben unterscheidet sich das Stammvolk durch den Namen e i g e n t l i c h e r L e t t e n von den angränzenden Sama'iten und gleichzeitig mit dieser, durch physische Unterschiede in der Körperconstitution weit weniger als durch geschichtliche Überlieferung begründeten, Sonderung, beginnt das nun durch ganz K u r l a n d , L i e v l a n d und E s t h l a n d vorherrschende Bekennen zur E v a n g e l i s c h e n Kirche. Die uns von P o l a n g e n aus gegebene P o d o r ö / n a lautete auf d r e i P f e r d e , obgleich ein Fuhrwerk wie das unsrige in D e u t s c h l a n d wold überall mit zweien befördert wird. Die darauf aufmerksam gemachten Beamten erwähnten, nicht ohne stolzes Selbstgefühl, dafs dafür auch nun eine ganz andere Art zu Fahren beginne als die in D e u t s c h l a n d übliche, und dafs es in R u f s l a n d unerhört sei, Reisende im S c h r i t t e zu beiordern. Die heutige Fortsetzung unseres Weges über die Amter R u t z a u und O b e r - B a r t a u (9 Meilen) zeigte uns, wie der jetzigen Gränze zwischen D e u t s c h l a n d und dem R u s s i s c h e n R e i c h e durchaus kein natürliches Verhältnifs zum Grunde liege. Man glaubte in O s t - P r e u f s e n in der Nähe von K ö n i g s b e r g zu sein, denn genau wie dort so wechseln auch liier sehr fette Wiesen mit Sandstrecken und weit ausgedehnten Fichtenwäldern, den offenbaren Resten einer früheren allgemeinen Beholzung von natürlicher Aussäung. Es zieht sich durch dieses Terrain eine auf

*) Wirklich sieht man aus einer der Zeichnungen welche im Jalu-e 1661 der bei der M e i e r b e r g ' s c h e n Gesandtschaft befindliche Zeichner S t o r n o gemacht hat, das damals nur aus wenigen Iliitten beste licnde D o r f P o l a n g e n schon mit derselben auffallenden Kirche versehen, die es noch heute besitzt. — (Vergl. „A. v. M c i c r b c r g lind s e i n e R e i s e n a c h R u f s l a n d , n e b s t e i n e r auf d i e s e r R e i s e v e r a n s t a l t e t e n S a m m l u n g v o n A n s i c h t e n etc. — Herausgegeben von A d e l u n g . P e t e r s b u r g 1827.)

II. Abschnitt.

1828.

Mai.

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grofse Strcckcn vollkommen geradlinige Landstrafsc mit numerirten Distanzpfühlen von Werst zu Werst versehen, einen einförmigen Anblick gewährend und den Wunsch nach sclineller Fortbewegung dem Reisenden beständig erweckend. Eine durch mehrere sehr zierliche Landhäuser der hiesigen Gutsbesitzer und durch fleifsig geordneten Ackerbau ausgezeichnete Landstrecke, beginnt bei B a r t a u . In der Nacht passirten wir die Station G r o f s - D r o g e n und erreichten S c h r u n d e n mit Tagesanbruch ( 1 0 j Meile von ßarlau.) [Mai 6.] Iiier war Lehmboden allgemein geworden und in ihm lagen platte Schülfcrn eines festen gelblich-weifsen Kalksteines mit solcher Häufigkeit verstreut, dafs an ein nahe gelegenes Anstehen dieser Gebirgsart nicht gezweifelt werden konnte. Fichtenwälder sieht man selten. Das Terrain aber ist gewellt und eine hüglicltc Lage ist es, die man bei der Station S c h r u n d e n zur Erbauung eines, den ehemaligen Herzögen von K u r l a n d gehörigen, umwallten Sclilosscs benutzt hat. — In einem 40 bis 50Fufs tiefen Ziehbrunnen, den man auf dem Hofe der Posthalterci von S c h r u n d e n abgeteuft hat, ist der feste Kalk noch nicht erreicht worden; vielmehr war die ganze durchsunkene Schicht nur mit, nach der Tiefe zu, immer häufiger werdenden losen Trümmern gleich wie die Oberfläche erfüllt. Grofse Fliesen des Kalksteines die ich hier zu Bausteinen anwenden sah, holt man aber aus einem, zwischen S c h r u n d e n und der nächsten Station F r a u e n b u r g abseits vom Wege belegenen, Steinbruche. Die sorgfältige Abtheilung und Beschickung der Ackerfelder hiesiger Gegend, deutet auf fleifsige Landwirtlie und mag wohl bedeutend zu der so erheblichen Ergiebigkeit des K u r l ä n d i s c h e n Getreidebaues bei tragen. Durchaus vorherrschend ist hier die Sitte, vereinzelte Gehöfte in der Mitte der zu ihnen gehörigen Feldmarken, anstatt der zusammenhängenden Dörfer, anzulegen, und man hat diesen mit völliger Ähnlichkeit der aufseren Erscheinung in W e s t p h a l c n wiederkehrenden Gebrauch nicht ohne grofse Wahrscheinlichkeit dem Umstände zugeschrieben, dafs W e s t p h ä l i s c h e Ansiedler die

30

II. Abschnitt.

18-28. Mai.

Ersten waren, welche in K u r l a n d das Christenthum und mit ihm die Anfange der Bodenkultur einführlcn. *) Auf einer niedrig über dem Wasser befindlichen Brücke fuhren wir bei S c h r u n d e n über den Flufs W i n d a u , dessen Bette liier steile Lelunwände umgeben und der durch die \ \ iederaufiiahme einer schon früher begonnenen Kanalverbindimg mit dem oberen Laufe des N j e m e 11, eine hohe Bedeutsamkeit für die R u s s i s c h e n Ilandelswcgc erhalten wird. Dieselben mit; Kalktrümmcrn erfüllten Lehmwände zeigten uns viele andere Wasscrrissc auf unserem heutigen Wege, dem coupirtes Terrain und eine grofse Menge kleinerer Wässer ein sehr anmuthiges Aufscrc verliehen. Das dem von S c h r u n d e n ähnliche Schlofs F r a u e n b u r g , ist mit einer Menge sehr reicher Wirlhschaftsgebäudc umgeben. Eine bedeutende Bierbrauerei und Brann Iweinfabrik dienen hier um das in Übcrflufs gewonnene Gelreidc durch Bearbeitung zu höheren Werfhe zu erheben. Das roh zu versendende Getreide aber wird hier, wie überall in den Osts e e p r o v i n z e u und im nördlichen R u f s l a n d , gelinde gedörrt und dadurch, wie man versichert, gegen den Kornwurm und anderweitige Vcrderbuifs bedeutend geschützt. Die Abhänge der Lchmhügel von F r a u e n b u r g zu einen kleinen Bach der schnellen Laufes an ihrem Fufse /liefst, sind mil üppig wucherndem Gesträuchc bedeckt. — Eben so anmuthig und fruchtbar ist die Lage der nächsten Station B ä c k h o f , auf der eine reichhaltige Quelle in einem von Lchmhügeln umgebenen Wicsenthale entspringt. *) D i e s e geistreiche B e m e r k u n g , s o w i e manche im Verfolge zu er w ä h n e n d e Andeutungen, verdanke ich der mir schon vor meiner Abreise von B e r l i n g e w o r d e n e n Miltheilung eines hamlschriflliilien T a g e b u c h e s , w e l c h e s geführt w u r d e von Herrn O b e r - B e r g r a t h A v. E v e r s m a n n in den Jahren 1810 — 1 2 auf einer Ilcise von der Grafschaft M a r k bis zum U r a Ii s e l t e n Hüttenwerke S l a l o u s l und während s e i n e s Aufenthaltes am letzteren O r t e , w e l c h e r ilmi allein seine jetzige grofse Bedeutsamkeit verdankt.— Leider möchte durch Angabe und sorgsame Benutzung der mir von dieser S e i l e her gewordenen B e l e h r u n g e n , den Lesern nur ein unvollkommener Ersatz werden für die vollständige Mittheilung der wichtigen Handschrift, w e l c h e ihr Verfasser noch immer einer öffentlichen Bekannt» machung entzogen hal. —

n . Abschnitt.

1828.

Mai.

31

Ich fand ihre Temperatur zu -+- 5°,00 Reaumur, zu einer Zeit, Wo die Quellen,

die aus einer Tiefe wie die gegenwärtige ent-

springen, seit etwa fünf Wochen über ihrem niedrigsten Tempcraturzustande sich befinden, 25. März.

denn sie erreichen ihr Minimum am

Die mittlere Bodcntemperalur von K ö n i g s b e r g ergab

sich mir aus anhaltenden Quclleiibeobachtiingcn zu 6 ° , 5 3 , aber namentlich lialle eine Quelle daselbst. die etwa in gleicher Tiefe mit der von B ä c k h o f entspringt, am 6. Mai eine Tempera!ur von + also um 0 ° , 7 5

würde hiernach die Wärme

5°,75;

des Bodens zu K ö -

n i g s b e r g die des, um 2 Breitengrade nördlicheren, Ortes in K u r l a n d übertreffen und letzterem würde eine B o d e n t e m p e r a t u r von 5°, 78 zukommen. — Die Abnahme (1er Erdwärmc, um 0 ° , 3 7 für jeden Grad der B r e i t e ,

wclclie auf der Strecke von K ö n i g s -

b e r g bis B ä c k h o f nach dieser Beobachtung Slalt finden würde, ist, fast nur halb so grofs als die,

wclclie ich früher zwischen

B e r l i n und K ö n i g s b e r g wahrnahm (von 0 ° , 7 0 für einen Breitengrad).

Es zeigt sich demnach liier eine local bedingte gröfscre

Erwärmung

für den K u r l ä n d i s c h e u

Distrikt gegen den von

Königsberg. Betrachtet man auf einer Karte die Lage der zwei in Rede stehenden O r t e , so ergiebt sich der Grund eines durch locale Erwärmung gemilderten Klimas für erslcren, gröfscren Ausgesetztheit.

in der den Seewinden

Während nämlich für K ö n i g s b e r g nur

die von e i n e m V i e r t e l des Horizontes, von N. bis W . herwehenden W i n d e , S e e w i n d e sind, bringen für B ä c k h o f f alle zwischen N ' i 0 ° 0 und W 3 5 ° S des H o r i z o n t e s ) w a r m e , Seeluft.

(also über mehr als E i n D r i t t h e i l

erregten Winde

feuchte,

und

im

Winter

Besonders mufs der Umstand dafs auch die au»

dem Süd l i e h e n Viertel kommenden W i n d e , also für das Nördliche Europa die im Winter vorherrschenden,

für K u r l a n d

Seewinde

sind, (für O st p r e u f s e n aber nicht), zur Milderung der Winter und zu reichhaltigeren Schneefällen in erstgenannter Gegend beitragen. Nach einem Wege von noch 7 Meilen erreichten wir M i l a u gegen Abend.

Das Aufscrc der wohlhabenden Handelsstadt hat

wenig Auffallendes und nur die an Zald vorherrschenden Holzhäuser welche in den Vorstädten roher gebaut, in der Stadt selbst, durch Färbung der äufseren Wände, zierlicher sind,

gewähren dem an

32

II. Abschnitt.

1828.

Mai,

Städte des S ü d w e s t l i c h e n E u r o p a gewöhnten Auge eine durch aus neue Erscheinung. Das noch jetzt zu M i t a u bestehende Gymnasium w a r , bis zur Gründung der D o r p a t c r Universität, für R u f s l a n d ein gelehrtes Institut vom ersten Range: auch hat der Sinn der Bewohner für wissenschaftliches Treiben, durch Gründung einer K u r l ä n d i s c h e n G e s e l l s c h a f t f ü r L i t t c r a t u r u n d K ü n s t e , durch Anlegung einer Bibliothek und einer Sammlung naturhistorischer Gegenstände der O s t s c e p r o v i n z e n , auf eine erfreuliche Weise sich früh schon bethätigt. — Leider aber haben in jetziger Zeit, wo ein freies und schnelles Aneignen neuer Ideen zum wissenschaftlichen Leben uncrläfslichc Bedingung geworden ist, schon hier, (der D e u t s c h e n Gränzc räumlich so nahe) die von politischer Seile für R u f s 1 a n d crhcischlcn Ccnsurgesetzc, jenes ursprüngliche Streben seinen Folgen nach gehemmt, indem sie den ausländischen Buchhandel höchst bedeutend erschwerten. Fühlbarer noch ward diese Hemmung dadurch, dafs meist unvollkommene Kenntnifs der R u s s i s c h e n Sprache den Bewohnern K u r l a n d s auch d e n Ersatz vorenthält, welchen sie durch Aneignung der litterarisclien Erscheinungen ihres neuen Vaterlandes etwa finden möchten. — Ein Aufenthalt von nur wenigen Stunden in M i t a u erhielt ein lebendiges Interesse durch die Bekanntschaft des um die mathematische Physik höchst verdienten Professor P a u c k e r . Für die litterarisclic Einsamkeit in die er versetzt ist, suchtc er Entschädigung in dem eifrigen Studium der Naturverhältnissc seines Wohnortes und seinem Fleifse verdankt man die erste Kenntnifs der Wärmeerscheinungen für Mitau. Einer zusammenhängenden Behandlung der auf meiner Reise gewonnenen meteorologischen Erfahrungen, muls auch das Nähcrc über die zu M i t a u erhaltenen interessanten Aufschlüsse aufbehalten werden. [ M a i 7.] Nach schneller und ungehinderter Fahrt auf ebenem Wege erreichten wir in der Morgendämmerung des 7. Mai, das linke Ufer der majestätischen D w i n a . Eine niedrige Schiffbrücke führte uns über den, hier 900 Schritt breiten, Strom in die Vorstadt von R i g a . —

n. Abschnitt.

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Mai.

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An der seewärts gekehrten Seile der Brücke lag eine zahlreiche Reihe zweimastiger Schiffe dicht an einander gedrängt, mit ihren Bogsprietcn die niedrige Fahrbahn weit überragend.

Auf der

anderen Seite aber, zu unserer Rechten, platte Flufsfahrzeuge die mit Getreide beladen, den Seeschiffen ihren Tribut zuführten. Noch herrschte nächtliche Stille zwischen den Schiffen, unter denen man, auffallend genug, auf Landwegen einherfährt.

Wie lebendig

aber am Tage der Verkehr zwischen den ihre Produkte austauschenden Fahrzeugen sein müsse, bewiefs uns die grofse Zahl der dann zur Arbeit bestimmten Männer, die jetzt theils auf den Verdecken der Schiffe,

theils unter deren Vordertheilen auf der

Brücke dicht neben der Fahrbahn, unter freiem Himmel schliefen. Auch in der Stadt auf den Stufen eines schönen gothischen Gebäudes,

welches,

dem A r t h u r s h o f e in D a n z i g ähnlich,

als

Börse und Rathhaus dient, sahen wir diese nördlichen Lazzaroni, ungeachtet der empfindlichen Kälte und des starken Thaues der Frühjahrsnacht, im Freien schlafend.

Es waren R u s s i s c h e L a n d -

leute, kenntlich vor allen anderen durch langes Haupthaar und lange Bärte, vorzüglich aber durch die ausgezeichnete Breite ihres Halses und Nackens, und durch die Gedrungenheit ihrer Gestalt. — Die Meisten unter ihnen trugen in dem Leibgurte, der ihre Kleidung zusammenhält, ein breites Beil von hinten her eingesteckt. — Diese durchziehen das Land als geschickte Zimmerleute ( P l o t n i k i ) , stets gewifs eine einträgliche Beschäftigung zu finden. Andere ebenfalls in der Entfernung von ihrer Heimath vorzugsweise in den gröfseren Städten ihren Unterhalt suchend, ohne so bestimmt dem Zimmerhandwerk ergeben zu sein, verdingen sich auf kürzere Zeit zu Arbeiten verschiedener Art bietet.

so wie der Zufall sie ihnen dar-

Iiier in den O s t s e e provinzen belegt man diese, zur Zeit

der Frühjahrsschifffahrt und zwar zeugen, die hier S t r u s e n

vorzüglich auf den Flufsfahr-

genannt werden, sich einfindenden

wandernden Arbeiter, mit dem Namen B u r 1 ä k e n , welcher (in dem Sl a v i s c h e n S p r a c h s t a m m e wenigstens) keiner etymologischen Erläuterung fähig ist, sondern als wirklicher Eigenname erscheint. Wenn sie aus den südlichen Gouvernements her kommen, so sind es Leibeigene, die von ihreii Besitzern, gegen denselben zu leistende jährliche Geldabgabe, eine auf bestimmte Zeit beschränkte I

Fand.

3

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H. Abschnitt.

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Erlaubnifa zum freien Wandern erhalten haben, und auf diese Art dem Gebundensein an die Scholle alljährlich entgehen, /freilich meistens mit Aufgebung der sie an die Heimath fesselnden Familienbande, eine kurze Freiheit erkaufend. Viele der hiesigen B u r l ä k e n sind indessen auch in den O s t s e e provinzen selbst zu Hause, wo jetzt die Leibeigenschaft aufgehoben ist und wo sie dennoch einem ruhigen Landbesitze, die wandernde Lebensart vorziehen. In Bauart und äufserer Anordnung von R i g a schien sich uns zwiefach eine ursprüngliche und eine später hinzugetretene Bedeutung auszusprechen. Vorherrschend und durch ältere Bauart aus* gezeichnet sind die offenbar für den Handel und die damit in Verbindung stehenden Gewerbe bestimmten Theile der Stadt, während in anderen neueren Anbauen, die Beziehung als Gouvernementsstadt, als Sitz der Behörden und der Garnison sich zu erkennen giebt. Wie es an einem der vorzüglichsten Slapelplätze des O s t s e e handels zwischen R u f s l a n d und den übrigen seefahrenden Nationen leicht zu erwarten ist, sieht man zu R i g a in den Kaufmannsgewölben alle Produkte E u r o p ä i s c h e r Industrie zur Befriedigung der näheren Bedürfnisse sowohl als derer des Luxus; aufserdem aber sind dem Fremden auffallend gewisse besondere Gegenstände des Handels, die als solche im übrigen E u r o p a kaum gesehen werden und daher theils auf eigenthümliche Anforderungen der hiesigen Käufer hindeuten, theils auch wohl auf hierhin führende Handelswege, welche weiter nach Westen hin ihren Einflufs nicht mehr so bestimmt zu äufsern vermögen. So sieht man unter der beständigen Überschrift: R o s s i s k a j a Lävvka d. h. R u s s i s c h e B u d e eine grofse Anzahl von Gewölben, in denen eine Auswahl von Gegenständen sich findet, welche fast ausschliefslich von dem R u s s i s c h e n Landmann angewendet werden, und durch deren Gebrauch er von seinen D e u t s c h e n und anderen Nachbarn sich bestimmter unterscheidet: aus Lindenbast g e f l o c h t e n e M a t t e n ( R a g ö / i genannt), R u s s i s c h e s Lederzeug für die Bespannung der Wagen, die Krummhölzer oder Joche, Glocken und eigenthümliche Kumten die zum landesüblichen Anspannungsapparat gehören, B i r k e n t h ä r ( D o g o t ) dessen man sich ztim Einreiben des Leders bedient um es wasserdicht

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zu machen, und, nie fehlend* gewisse aus Leder genähte Fausthandschuhe von enormer Gröfse, deren alle mit dem Fuhrwesen beschäftigten Männer sich bedienen. — Wenn nun von der einen Seite diese Gewölbe beweisen, dafs ein nicht unwesentlicher Theil des R i g a e r Handels für auswärtige Käufer bestimmt i s t , denen in der unmittelbaren Nähe ihrer Heimath auch die Produkte der ersten Und ursprünglichsten Industrie abgehen und deren hier zu befriedigende Bedürfnisse von den einfachsten Lebensverhältnissen zeugen, so bildet dazu einen merkwürdigen Gegensatz eine zweite Art ebenfalls nationeller, und dem von D e u t s c h l a n d Kommenden hier zuerst erscheinender, Handelsniederlagen. — Unter der Aufschrift: f r ü k t o w o i p o g r e b

oder

f r ü k t o w a j a l a w k a , F r u c h t k e l l e r oder F r u c h t b u d e , sieht man mit ungemeiner Häufigkeit Räume, in denen Früchte, und zwar fast ausschliefslich Erzeugnisse weit südlicherer Klimate, zum Verkauf ausgeboten werden.

Orangen, die man durch den über-

seeischen Handel in grofser Menge sich verschafft,

würden etwa

nur die Vorliebe der Bewohner für diese von der Natur ihnen fast versagten Nahrungsmittel beweisen;

weit häufiger aber sind

Erzeugnisse des südlichen R u f s 1 a n d und der an dasselbe angrenzenden

Asiatischen

Länder.

Theils

werden

diese

getrocknet

eingeführt, theils aber auch begünstigt ihre ungewöhnlich lange Erhaltung auf dem W e g e , grade d e r Umstand, der die Gewinnung an Ort und Stelle verhindert.

Während des strengen Win-

ters nämlich werden die Früchte der südlichen Provinzen:

Äpfel

Birnen, Arbusen (Wassermelonen), Melonen, ja auch wohl Weintrauben zunächst nach M o s k a u gebracht, von dort aber so weit gegen Westen befördert als noch der unmittelbare

Russische

Handel sich erstreckt oder vielleicht auch so weit als die nationellc besondere Vorliebe für diese Erzeugnisse eine lebhafte Nachfrage darnach unterhält. — Nicht unerheblich mag dieser sehr lebhafle und äufserlich auffallende Handelszweig dazu beigetragen haben, in uns, mit Bezug auf R i g a , das Bild eines südlicheren Habitus der Menschen und ihres Verkehrs,

den Begriff einer das Land und

seine Bewohner belebenden Wärme zu erwecken, deren Existenz unter dem 57sten Grade der Breite doch nur durch Trugschlüsse sich aufdringen konnte. 3

*

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II. Abschnitt.

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Andrerseits aber wirkte unfehlbar zur Begründung dieser unwillkürlichen Täuschung, der erste und daher lebhafteste Eind/ruck den die

BCKCSHUTIS; OD O

mit dem R u s s i s c h e n Volke auf uns machte.

W i r sahen das Erwachen der, an verschiedenen Plätzen der Stadt vertheilten, eingewanderten Arbeiter, und gewahrten bei dem nun beginnenden Verkehr eine Lebhaftigkeit der Stimmen, Geberden und Bewegungen, einen Ausdruck

sinnlicher Leidenschaftlichkeit,

die man bei durch Frost erstarrten Ilyperboräcrn, vorgefafsten Meinungen zu Folge, nicht erwartet.

So erschien uns schon jetzt als

höchst beachtungswertli das früher nur befremdende Urlheil,

zu

welchem Frau v o n S t a e l bei einer Reise durch R u f s l a n d veranlafst wurde.

In Folge der einzelnen Erfahrungen welche sie über

den Volkscharakter gesammelt halte,

hielt sie,

auch ohne Rück-

sicht auf geschichtliche Dokumente, den Ursprung der R u s s e n in milderen Klimatcn für ein unleugbares Faktum. — Viele Zweige des Detailhandels werden hier ausschließlich von R u s s i s c h e n Krämern geführt und vor den Gewölben dieser bärtigen Verkäufer hatten •wir wiederum merken,

Gelegenheit

die bewegliche Lebendigkeit zu be-

mit der sie die Vorübergehenden zu ihren Niederlagen

anlocken, ihre Waaren anpreisen und die Käufer ihren Forderungen geneigt zu machen suchen. S o geschickt auch die R u s s e n

hier zu R i g a bei dieser Art

von Beschäftigung, dem allgemeinen Zeugnifs

der Einw-ohner zu

Folge, sich beweisen, so wenig sind sie doch zur Führung ausgedehnterer Kaufmannsgeschäfle tüchtig: alle gröfseren Ilandlungshüuser der Sladt werden von jeher und noch jetzt fast ausschliefslich von Deutschen

oder anderen ausländischen Familien verwaltet.



Auch von den mannigfaltigen zu R i g a blühenden Gewerben werden nur einige wenige vorzugsweise von R u s s e n betrieben.

Nament-

lich sind sie geschickt in der Bereitung

welches

eines Leders,

das D e u t s c h e zugleich an Wohlfeilheit und für gewisse Zwecke an Güte übertrifft, und daher werden denn auch hier Fufsbckleidungen sowohl als viele andere Lederwaaren fast nur von R u s s e n zum Verkauf ausgeboten.

Ein anderer Zweig der Industrie durch

welchen die hiesigen R u s s e n sich auszeichnen, Ausfuhrhandel von keiner Wichtigkeit, Erwähnung würdig.

ist zwar für den

dennoch aber an sich der

Es isi Dieses die Gewinnung efsbarer Garten-

II. Abschnitt.

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gewächse theils auf künstlich angcordneteu Mistbeeten, theils in geheizten Räumen. Eine grofse Anzahl R u s s i s c h e r Landleute beschäftigt sich mit diesem Gewerbe in der unmittelbaren Umgebung der Stadt und zwar vorzugsweise am Fufse der Wälle, wclche theils zum Schutze gegen das frülijahrliche Austreten des Flusses und gegen den Eisgang, theils als kriegerische Festungswerke aufgeworfen sind. — Dafs man hier nicht nur jetzt im Mai sondern auch während des ganzen Winters des G a r t e n s p a r g e l s als eines sehr gewöhnlichen Gerichtes 6ich bedient, erschien uns auffallend, wurde aber von den Einwohnern noch zu den kleineren Leistungen der Treibekun»t gerechnet. — Vieles mag der Ilolzreichthum des Landes zur Belebung dieser Art von Gewerbsthätigkeit beitragen, aber dennoch ist auch eine besondere Vorliebe des Volkes hier nicht zu verkennen und wurde bei weiterem Fortschreiten immer auffallender bestätigt, denn noch im L e n a t h a l e unweit J a k u z k werden wir der Bemühungen R u s s i s c h e r Bauern zu erwähnen haben, welche G u r k e n (beim Volke das beliebteste der einheimischen Gartengewächse) im geheizten Zimmer aus Saamen ziehen und, mittelst mächtiger Sonnenwirkung während des kurzen Sommers, zu erwünschter Reife zu befördern wissen. In den Thcilcn der Stadt, an denen, wie oben erwähnt, die bestimmtere Beziehung als Gouvernementsstadt des R u s s i s c h e n Reiches sich ausspricht, unterscheiden sich, durch eine gewähltere Architektur, die der Regierung und dem Arsenale bestimmten Gebäude. Den quadratischen Platz welchen siebegränzen, ziert, seit der F r a n z ö s i s c h e n Invasion, ein den Kriegst baten A l e x a n d e r I. errichtetes, einfaches Denkmal. Es besteht aus einem polirten Blocke F i n n l ä n d i s c h e n Granites, welcher auch der mineralogischen Beachtung nicht unwerth sein dürfte. Das Gestein ist grofskörnig und man sieht in ihm einen jeden Krystall des fleischrothen Feldspathcs umgeben von einer ähnlich gestalteten Hülle eines vveifsen Fossiles, welches auf der ebenen und pQlirlen Oberfläche des Steines einen scharf gezeichneten Ring um jeden Durchschnitt der röthlichen Krystalle bildet. — Bei flüchtiger Ansicht schienen die Contouren der weifsen Ringe parallel mit denen der rothen Kerne: also als habe ein Fossil von nahe gleicher Krystallgestalt um den Feldspath sich abgelagert. Ist es ein schon während der

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Erhärtung der Masse erfolgter Mangel des färbenden Prlnzipes, der hier sich zeigt? Ist es vielleicht A l b i t , der den F e l d s p a t h umgiebt? Das möchte zu entscheiden nicht ganz ohne Interesse sein. Für die gebildeten Stände der R i g a e r ist noch jetzt das D e u t ? s e h e die ausschliefslich herrschende Umgangssprache, denn von Russ e n haben nur durch Dienstverhältnisse gezwungene Beamte in der, ihrer ursprünglichen Landessitte treu gebliebenen, Stadt sich niedergelassen. — In dem hier bestehenden Gymnasium fängt man erst jetzt an, die Erlernung der R u s s i s c h e n Sprache unerläfslicli zu machen. Auch abgesehen von den oben erwähnten künstlichen Mitteln der Treibekunst, ist das allgemeine Bild der Vegetation in R i g a , seinen auffallenderen Zügen zu Folge, kaum bedeutend im Nachtheil gegen das des nördlichen D e u t s c h l a n d s . — Hier fehlt noch keiner der bei B e r l i n vorkommenden Waldbäume, obgleich einzelne unter ihnen schon weit seltener geworden sind. Buchen zieren noch die, wenig oberhalb der Stadt, am Flusse gelegenen Landsitze, die auch wegen des dort in malerischen Felsen anstehenden Gesteines als sehr anmuthig geschildert, aus eigener Ansicht uns aber nicht bekannt wurden. E i c h e n sahen wir vor den Thoren eben 90 wie Alleen von R o f s k a s t a n i e n und L i n d e n . Um 5 Uhr Nachmittags verliefsen wir R i g a und fuhren am Abend und während der Nacht durch eine ebene dem Meeresufer nahe Gegend mit ausschliefslich L e t t i s c h e r Bevölkerung. Sehr auffallend war die hier schon jetzt ununterbrochene Dauer der nächtlichen Dämmerung, die, bei stellen^ ciser und um Mitternacht plötzlich erfolgter Entwölkung des Nordhorizontes, für eine entfernte Feuersbrunst von dem Ungewöhnten gehalten wurde. Wirklich tritt hier die ununterbrochene Dämmerung schon am 23. April, in B e r l i n aber erst am 17. Mai ein. Nur in schon w ä r m e r e n Nächten sind wir bei uns der Helligkeit gewohnt und reist man im Frühjahr gegen Norden, so fällt es auf: der Temperatur nach, in den Winter zurück, dem Lichte nach aber dem Sommer schnell entgegen sich versetzt zu sehen. So wirkt die an sich minder bedeutende Differenz der Erscheinungen, für das unmittelbare Gefühl als verdoppelt. — Ni U g u n , Sapogi ( K a s a n i s c l i c S t i e f e l n ) mit welchen man die zu T o i y o k angefertigten zierlichen Fufsbckleidungen aus farbigem Leder bezeichnet, denn unter den R u s s e n galt anfangs nur das K a s a n i s c h e C l i a n a t für das eigentlich T a t a r i s c h e Land und w e s t - E u r o p ä i s c h e Gelehrte haben nachher wohl oft zu freigebig den Namen T a t a r e n über Volksstämme ausgedehnt, die mit dem K a s a n i s c h e n Nichts gemein hatten. — Das Leder zu diesen Arbeiten wird übrigens nicht hier angefertigt, sondern aus den P e t e r s b u r g e r Fabriken bezogen. In den einzelnen Häusern der Stadt hat man reichhaltige Niederlagen dieser beliebten Waaren angelegt, um sie leichter an Reisende abzusetzen. Mehrere Häuser reicherer Bürger sind hier aus Stein gebaut, und auch die innere Anordnung derselben zeigt von bedeutendem Wohlstände. Besonders auffallend war uns aber ein gegen die geographische Lage des Ortes merkwürdig abstechendes Erzcugnifs des Luxus. Reife Kirschen einer äufserst veredelten Art werden von Vcrkäu ferinnen aus den Umgebungen der Stadt in Menge herbeigeführt, und zu sehr geringen Preisen ausgeboten. Es sind nicht Treibhäuser ( T e p l i t z u i ) durch welche man hier, dem ungünstigen Klima zum Trotze, diese ausgezeichnet schönen Früchte zu gewinnen

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weifs, sondern nur eine besondere Auswahl des mit Bäumen zu bepflanzenden Terrains. Nie auf ebnem Lande sondern in kleineu (oft sogar künstlich ausgegrabnen) Schluchten, werden die Pflanzungen gruppenweise angelegt. Nach dem hier zu T o 1 7 0 k üblichen Sprachgcbrauche bezeichnet man dergleichen für den Baumwuchs auserlesene Schluchten mit dem Namen G r ü n t i (die pluralische Form des Wortes G r ü n t , welches man gleichbedeutend mit P o t s c h w a , zur Bezeichnung des Erdreichs in der Sprache des Russ i s c h e n Gartenbaues gebraucht). Das Wesentliche in der auffallend günstigen Wirkung, wclchc dergleichen niedrige Erdwände auf den Bnuinwuchs äufsern, liegt offenbar in der Verhinderung eines zu frühen Treibens im Frühjahre, so wie in dem Schutze, den sie gegen den erkältenden Wind vielleicht auch gegen die nächllichc Ausstrahlung gewähren; zugleich aber wird in den G r ü n t i durch besondere Bearbeitung das obere Erdreich künstlich vorbereitet uud zu einem vollständigeren Zurückhalten der empfangnen Wärme geschickt gemacht. Schon H e r b e r s t e i n erzählt, dafs in R u s s l a n d der Wachsthum der M e l o n e n durch eine besonders geschickte Düngung und Auflockerung des Erdreiches (d. h. durch M i s t b e e t e welche damals, gegen Anfang des lßten Jahrhunderts, in D e u t s c h l a n d noch nicht gebräuchlich gewesen zu sein scheinen) auf eine merkwürdige Weise begünstigt werde, *) so dafs also für diese (freilich nicht tief wurzelnden Gewächse) ein ausserordentlicher Schulz gegen das rauhe Klima durch künstliche Herbeiführung einer schlechten Wärmelcitung des Erdreichs und einer Entwickclung von Wärme durch Gährung erhalten wird. Es ist bemerkenswerth, dafs diese Mittel allein, und durchaus ohne die jetzt in E u r o p a gebräuchliche Verstärkung der Sonnenwirkung (durch Glasfenster) von so mächtigem Einflufs auf den Wachsthum befunden werden. Sie können indessen nur weit geringere Wirkung auf die tiefer wurzelnden und höher über den Boden

Er sagt: „terram iimo pcrmixtain in areolas quasdam altiorcs coiu„poniiiit, inque cas semen conilunl: liac arlo, calori ac frigori aequo „succurrilur. Kam si forte aestus ininius fuerit, rimulas tanquam „spiracula quactlain, 110 seinen calore nimio suffbeetnr, per fnnum „terrae mixtum l'aciimt, in frigore vero nimio laetaminis calor semi., nibus conililis piaestat auxilium."

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sich erhebenden Bäume ¡iufsern, und für diese bleibt die G e s t a l t u n g der k l e i n e n T h ä l e r ( G r ü n t i ) das wesentliche Schutzmittel gegen die ihnen sonst tödllichen Fröste des Winters und Frühjahres. [ J u l i 17.] Von T o r / 6 k bis T w c r ( 6 6 | Werst) ging die Landstrafsc durch eine flache Gegend, in welcher dürres und sandiges Terrain um so vorherrschender wurde, jemclir wir der W o l g a uns näherten. Die sandigen Stellen sind meist von Fichtenwaldungen eingenommen. Tannen haben nur in einzelnen feuchteren Einsenkungen, gleichzeitig mit Wiesen und kleinen Bächen, sich eingefunden. — An einem solchen Wicscnbaclic liegt Mj e d n o i J a m ( K u p f e r • d o r f , so genannt nach der kupfernen Bedachung seiner Kirche): die einzige Station, die wir auf unserm heutigen Wege erreichten. In dem Posthause bot man uns von dem D o n i s c h e n Weine an, den man heute von den Führern der vorbeiziehenden Ochscnkarawanen gekauft hatte. Es ist ein nach Art des Champagner bereiteter moussirender W e i n , welcher uns dem aus F r a n z ö s i s c h e n Trauben bereiteten durchaus Nichts nachzugeben schien. Man erzählt dafs während langer Zeit man die Weine des süd liehen R u s s l a n d s als zur Versendung untauglich betrachtete, bis endlich Winzer, die man aus der C h a m p a g n e habe kommen lassen, die jetzt übliche Art der Bereitung eingeführt und somit von neuem einen der unerwarteten Contraste möglich gemacht haben, welche im nördlichen R u s s l a n d die rege und vielseitige Verbindung mit südlichen Landstrichen verursachen. Der D o n i s e h e WTein wird für ein Drittel des Preises verkauft, welcher in P e t e r s b u r g dem echten Champagner zukommt. Nahe hinter Mj e d n o i J a m stehen mitten auf dem Felde drei einzelne sehr alte Eichen; offenbar sind diese Überbleibsel einer ursprünglichen besseren Bcholzung, und erst nach gewaltsamer Ausrottung scheint die Oberfläche des Bodens so sehr ausgetrocknet zu sein, dafs er jetzt nur Fichten zu uähren im Stande ist, Auch die spärlichen Reste dieser früheren Vegetation reichen übrigens hin, um zu beweisen, dafs die Temperaturverhältnissc der hiesigen Gegend (56°)9 Breite), dem Wachsthuine der Eichen

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schon wiederum weit günstiger sind, als die von P e t e r s b u r g und zwar ungeachtet einer zwischen 500 und 600 Fufs betragenden Höhe dieser Ebnen über dem Meere. Einige Werst jenseits M j e d n o i vcrlicfscn wir die Landstrafse um ein grofses und sehr bedeutendes Kloster zu sehen. Das schöne steinerne Gebäude liegt mitten in einer dürren Ficlitenwaldung und von ihr durchaus versteckt, und verdient dadurch mit Recht den Namen einer W ü s t e n - w o h n u n g ( P u s t u i n j a ) welche, dem alten Gebrauche gcmäfs, allen Klöstern beigelegt wird. Ein viereckiges Hauptgebäude enthält sowohl die Kirche als die Wohnungen der Mönche. Es ist rings umgeben von einem Ilofraum und dieser wiederum eingeschlossen von hohen, mit Zinnen versehenen Mauern. Eine mit der äufseren Mauer parallel laufende innere Wand bildet einen bedeckten Kreuzgang, und in jeder Eckc des äufseren Ringes erhebt sich ein hoher Thurm, der wie man uns versicherte, zum Gcfängnifs für die, gegen die strenge Klostcidisziplin sündigenden, Mönche bestimmt sei. Also auch unter der sonst sanfteren Herrschaft des Krummstabes, sind hier körperliche Strafen üblich. Mehrere Grabsteine liegen auf dem Hofe, und den gröfsten derselben beschattet eine Esche von sehr hohem und schönem Wüchse. Das Aufserc dieses Klosters gleicht mehr einem kriegerischen Befestigungswerke als einem zu religiösen Zwecken dienenden Gebäude. Die seltene Gröfse und die sorg same Ausführung dieses Hauses, bei bekannter Abneigung der R u s s e n gegen steinerne Bauten, zeigt wie auch hier die herrschend werdenden christlichen Lehren, bedeutende Aufopferungen von Seiten der Bekehrten herbeiführten. Ein S t ö r o / oder H a u s w a r t öffnete uns die Thüre der äusseren Kloslcrmauer. Die grofsen Räume erschienen wie ausgestorben, jedoch versicherten unsre Begleiter, dafs das mittlere Gebäude von den „ h e i l i g e n V ä t e r n " bewohnt und mit allen Lebensbedürfnissen reichlichst ausgestattet, auch Vorüberreisenden eine erwünschte Raststclle darbiete. Eine schnelle Fortsetzung .der Reise nach T w e r mufste aber leider der Bekanntschaft mit den KlosterUcwohncrn vorgezogen werden. — Die J ä m s c h t s e h i k s welche wir im T w e r ' s c h c n Gouvernement kennen lernten, waren ausgezeichnet vor den bisher

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gcsehnen durch schlanken und hohen Wuchs, und meistens von sehr fröhlichem Temperament. Sie sollen von K l e i n - R u s s i s c h e r Abkunft sein, und häufig zum Kosackendicnstc in P e t e r s b u r g ausersehen werden; auch macht sie hierzu die besonders gc rühmte Pferdezucht des T w e r sehen Gouvernements vorzüglich geschickt. Das Ufer der T w e r z a , welches wir auf unserem heul igen Wege zu mehreren Malen berührten, war von sandigen Abhängen gebildet, die aber nie um mehr als 40—60 Fufs sich erheben; um so viel auch senkt sich das Terrain, wenn man, nahe vor T w e r , zur W o l g a sich wendet, so dafs also das zwischen beiden Flüssen enthaltene keilförmige Stück Landes, als ein nur wenig erhabnes, meist dürres Plateau sich gestaltet. Auch auf diesem sind die oftmals erwähnten Hornquarzgerölle sehr häufig verstreut. Hier bei T w e r strömt die W o l g a äufserst langsam, auch war sie jetzt sehr schmal, aber an den Ufern zeigten sich deutliche Spuren einer vor kurzem erfolgten bedeutenden Abnahme ihrer Wassermasse. Die Bewohner der Stadt bekräftigten dasselbe und schrieben die starke Austrocknung der heftigen Sommerhitze zu. [ J u l i 18-] T w e r trägt jetzt das Gepräge einer planmäfsig gebauten Gouvernementsstadt, in welcher die Kirchen und öffentlichen Gebäude von Stein, die Privathäuser aber mit wenigen Ausnahmen aus Holz erbaut sind. Die äufseren Wände der letztern sind aber meistens mit Brettern bekleidet und gefärbt, die Strassen sorgfältiger allignirt als in den bisher gesehenen Landstädten. Längs der Häuser laufen hölzerne Trottoirs, die mit Lindenalleen eingefafst sind. — Wir fuhren heute von T w e r bis K l i n (82 Werst). Auf der W o l g a in der Nälic der Stadt lagen eine grofse Anzahl von Barken, welche ihre Ladung stromabwärts beförderten; sie trugen keine Segel, sondern bedienten sich auch liier des Schlcpptaues als hauptsächlichen Bewegungsmiücls. Die zahlreiche Bemannung der Barken hatte am Ufer ihre Feuerungsplätze und Lagerstätten angelegt. Auf (1er ersten Hälfte unsres heutigen Weges entfernten wir uns nicht über einige Werst von der W o 1 ga ; und dort war stets

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sandiger Boden, aber mit der Entfernung vom Flusse und mit gleichzeitigem allmähligen Ansteigen des Terrains wird Ackerbau häufiger und die Landschaft weit freundlicher. Namentlich mit Erreichung des Baches S c h ö c h a , auf der Gränze des T w e r sehen und Mosk au sehen Gouvernements, wird dieser Wechsel sehr fühlbar. Auch die Lage von Kl in ist anmutbig besonders durch das Flüsschcn i S c s t r j ä , welches mit weit lebendigerem Laufe als die auf dem bisherigen Wege gesehenen Gewässer, zwischen den Häusern der Stadt ilicfst. In der Milte des breiten Baches sind viele Behälter zur Aufbewahrung der hier gefangnen Fische an Pfählen befestigt. — Die Hügel, welche südöstlich von der Stadt sich erheben, sind theils mit Fehlern bedeckt, thcils bewaldet, und verleihen der Aussicht weit mehr Manniclxfaltigkeit als man bisher zu sehen gewohnt wurde. In dem Posthause von K l i n hatte die T u l a e r Fabrik von Slahlwaaren eine reiche Niederlage ihrer Erzeugnisse. Die Preise der ebenso mannichfaltigen als zierlichen Waaren sind, im Vergleiche mit den im w e s t l i c h e n E u r o p a gebräuchlichen, auffallend gering und nur erklärbar durch das hier bei weitem mäfsigerc Tagelohn der Arbeiter. Es fclilt nicht an vielen diese Fabrik sehr auszeichnenden Erzeugnissen; so ist die Auslegung des Stahles mit Gold und Silber hier sehr üblich, und die berühmten blanken Waffen der T s c h e r k e s s e n hat man zu T u l a nachzuahmen gelernt. Nur eine gewisse Flüchtigkeit der Ausführung wird oft zum Nachtheilc der T u l a e r Staldwaaren bemerkt. Namentlich wagt man kaum des hier käuflichen Schiefsgewehres sich zu bedienen, ohne vorher die inneren Theile untersucht, und Einzelnes sorgfältiger ausgeführt zu haben. [ J u l i 19.] Auch während des heutigen Weges von K l i n bis M o s k a u (82 Werst) erhielt sich der anmuthigere Charakter der Landschaft, der seit dem Übergänge über die W o l g a sich einfand. Reiche Ackerfelder bedecken hier das hügliche Land, welches immer noch an Gesammterhebung zu gewinnen scheint. Auf der Hälfte unsres heutigen Weges bei dem Dorfe »So I n e t s c h n a j a Gorit d. i. S o n n e n b e r g entspringt der bei K l i n gesehene Bach »Scstrjä und nahe dabei liegen die Quellen der

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K l j d s m a , welche von dem nach SSO. gericlilctcn M o s k a u e r Wege sich abwendend, ihren Lauf gegen O. nimmt und dadurch ein auch fernerhin gegen M o s k a u noch fortdauerndes Ansteigen zu erkennen giebt. Zum ersten Male seit der Ausfahrt von P e t e r s b u r g sahen wir hier zwischen den Dorfwohnungen, reichcr gebaute Häuser der Gutsbesitzer, auch sind in den bisher gesehenen Ortschaften am Wege die Bewohner nur selten Privatleuten trihutspflichtig, sondern vorzugsweise J ä m s c h t s c h i k s , welche durch Leistung der Postfuhren die Regierung unmittelbar befriedigen. Nahe vor M o s k a u liegen nach SW. zu, oifene Ebnen "welche mit Gebüsch von strauchähnlichcn und niemals hochstämmigen Eichcn bedeckt sind, (die Einheimischen nennen diese Form des Baumes d u b ö w i e k u s t i oder Eichensträuche). Durch diese sanft ansteigenden Ebnen hindurch geht der Weg zu den Quellen der M o s k w a , auf wclchen im Jahre 1812 das F r a n z ö s i s c h e Heer hinter den zuriickweichcndeu R u s s e n der Hauptstadt sich näherte. [ J u l i 20 b i s 28.] Ebenso kolossal wie P e t e r s b u r g ist M o s k a u in jeder Beziehung ein weit manniclifaltigercs Ganze. Schon die natürlichen Verhältnisse der Gegend haben dazu beigetragen, denn aus dem sumpfigen Erdreiche, welches die mit der M o s k w a hier sich vereinigenden Bäche N e g l i n a u n d J a u s a umgiebt, erheben sich Hügel festeren Bodens, die Ausläufer eines von S. und SO. angränzenden steinigen Landstriches, und für die verschiedne Bestimmung der Gebäude, konnte leicht ein entsprechender Unterschied des Platzes gefunden werden. Im Übrigen aber scheint der Zufall grade hierhin den Mittelpunkt des Reiches verlegt zu haben, dcim die Beziehung zur Umgegend begünstigt weder ein schiffbarer Fluss noch ein W o l o k (oben pag. 147) oder anderes Tcrrainverliältnifs, welchcs mit Nothwendigkcit die Strafsen des Reiches hierher geführt hätte. — Die befestigte Burg der Stadt wurde frühzeitig auf einem der trocknen Hügel angelegt, und auf den nach Osten zu angrenzenden Höhen erbauten die reicheren Grofsfürstlichen Vasallen ihre Paläste, wclche sie schon damals mit Gartenanlagen umgaben. Die zahlreiche Klasse der Kaufleute aber und der Arbeiter, siedelte am Fufse der Hügel sich an, anfangs nur von e i n e r Seite und

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bis auf die Entfernung, welche noch jetzt die Erdwällc des Stadttheils K i t ä i g o r o d bezeichnen, dann aber, bei immer wachsender Bevölkerung, rings um den K r e m l und weiter hinaus auf dem sumpfigen Boden von B j c l o i und S e m l j ä n o i G o r o d . Mehr noch als diese ursprünglich verscliiedne Bedeutung einzelner Stadlthcile, hat eine an Umwälzungen und Zerstörungen reiche Geschichte, dein Orte ein mannichfalligcres Ansehen verliehen. — Eine aus dem väterlichen Haupte vollendet entsprungne M i n e r v a , könnte für P e t e r s b u r g als sinnbildliches Wappen gewählt werddtt, für M o s k a u aber noch wahrhafter ein aus der Aschc stets neu aber unverändert erstehender P h ö n i x . Nur von der letzten N a p o l c o n i s c h e n Zerstörung von Mosk a u ist nach dem w e s t l i c h e n E u r o p a eine bestimmtere Kunde gelangt, aber von ungleich häufigeren und bei weitem wichtigem Umwälzungen zeugen noch jetzt die Gebäude der Stadt. Die meisten der steinernen Kirchen haben unversehrt dem letzten Brande widerstanden, und auf ihren Tliürmen sieht man als bedeutungsvolles Denkmal früherer Katastrophen, das Kreuz über dem m a h o m e d a n i s c l i e n Halbmonde sich erheben. Das T a t a r i s c h e Joch hat so lange und so drückend gelastet, dafs ähnliche Ereignisse der späteren Zeit, von geringerer Bedeutung erschienen. Ja, sogar die plötzlich sich aufdringende F r a n z ö s i s c h e Herrschaft ist dein Volke kaum so bedenklich erschienen, als man im Auslände wähnte, denn da dunkle Anklänge der Landesgeschichtc noch bis jetzt sich sprichwörtlich erhalten, so verglich man das neueste Ereignifs nur mit den häufigen Einfällen der P e t s c h e n e g i und mit denen der P o l e n in einer späteren Zeit, war aber noch weit entfernt, an T a t a r i s c h e Knechtschaft erinnert zu werden. Namentlich waren Feuersbrünste in der Geschichte der Stadt durchaus gewöhnliche Begebenheiten, und obgleich aus den früheren Perioden viele Nachrichten verloren worden sind, so lassen sich doch von dem 13ten bis zum Beginne des 19ten Jahrhunderts, 7 gänzliche Einäscherungen nachweisen und zwar meist als das Werk siegreicher Angreifer. So versteht man denn leichter, warum den nationeilen Geschichtsschreibern der letzte Brand der Hauptstadt nicht als Wendepunkt der Kriegsgeschichte, sondern

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IV. Abschnitt.

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Juli.

nur als o!n begleitendes Ereignifs von untergeordneter Bedeutung erschien. Für die richtige historische Würdigung der Begebenheiten scheint aber die Meinung beider Parthcicn zu berücksichtigen, und A i c h a r ü m o w s lehrreiche Darstellung des Feldzuges von 1812 ist auch in dieser Beziehung wichtig. Von den Altanen der hohen Häuser in B j e 1 o i G 6 r o d ( d. I». eigentlich die w e i f s e S t a d t ) übersieht man diejenigen Slrafscn, welche am meisten durch die Feuersbrunst gelitten hatten. Jetzt war keine Spur der Zerstörung vorhanden, sondern ringsum das Ansehn behaglichsten Wohlstandes. Häuser aus weifsen Quadern rechtfertigen nun völlig das Beiwort b j e l o k a m e n a j a oder w e i f s . s t e i n i g , welches von einzelnen Stadtthcilen, dichterisch auf das Ganze übertragen, in den Liedern des gutmüthig anslaunendcn Volkes von jeher für M o s k a u erwählt war. Die aus Eisenblech gefügten Dächer sind dunkelgrün angestrichen und, aus gröfscrer Entfernung gesehen, verschwinden sie völlig unter den hohen Baumgruppen, welche überall aus den Gärten emporragen. — Die vergoldeten Kuppeln zahlloser Thürme sieht man meist auf grünem Hintergründe glänzen. Abgenommen hat jetzt die Zahl niedriger Holzhäuser, welche früher, zwischen den steinernen Gebäuden, die Gärten nach der Strafse zu umgaben. Jetzt sieht man sie nur noch in den Vorstädten, die theils bis an den Horizont sich hinziehen, theils von dichten Birkengehölzen umschlossen sind. Auch diese nahe gelegenen Gehölze wurden während des Krieges gefällt, und haben erst seit jener Zeit mit. ungemeiner Schnelligkeit sich wieder erneuert. Oft sahen wir in der Umgegend von M o s k a u , wie Birken, die man ohne jede Schonung umgehauen und mit horizontaler Lage des Stammes zur Umzäunung der Felder verwendet hatte, noch fortlebten und Zweige trieben. Für die einförmige vegetative Natur der hiesigen Gegend, ist eine schwer zu unterdrückende Lebenskraft auszeichnend, und, auffallend genug, ist es dieselbe Eigenschaft einer ungehinderten Existenz unter drückenden Verhältnissen, eines zähen Widerslandes gegen umbildende Einflüsse, welche man hier auch an den M e n s c h e n gewahrt. —

IV. Abschnitt.

1828.

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1GL

Auch bei oberflächlichster Spraclikenntnifs ist jedem Ausländer In der R u s s i s c h e n Rede der Ausdruck k a k n i b u d , sowohl seiner häufigen Wiederkehr als seiner sonderbaren Bildung wegen, aufgefallen. In den zu R u s s l a n d gehörigen D e u t s c h e n Provinzen sah man sich genöthigt, denselben durch „ w i e n i c h t i s t " wörtlich EU übersetzen und diese u n - D e u t s c h e Wortfügung in der Rede aufzunehmen, denn des echt nationellen Begriffes konnte man auch dort nicht entbehren. „ W i e es a u c h i m m e r s e i ; G l e i c h v i e l auf w e l c h e W e i s e " möchten unserer Sprache etwas angemessener, diese sonderbare Gleichgültigkeit gegen alle näheren Bedingungen der Existenz umschreiben, welche denn auch h i e r z u M o s k a u in Bezug auf leblose Dinge sowohl als auf die Lebensverhältnisse der Mcuschcn mannichfaltig sich äufsert. „ K a k ni b u d , da y i w ö t ! " ( E s l e b t , g l e i c h v i e l w i e ) wird auch hier gleich oft von einem nur eben vor dem Einsturz bewahrten Ilause oder Wagen, als von Menschen bei drückenster Armuth oder Krankheit gebraucht und gilt in den verschiedensten Fällen als Beweifs einer Erreichung des Zweckes und als hinreichender Grund zur Zufriedenheit. Dafür aber auch ist man unerschöpflich an Mitteln um eine g l e i c h v i e l w i e b e s c h a f f n e Existenz, den Dingen und Menschen in jedem Falle zu fristen und grade dahin äufsert sich vorzugsweise die ungemeine Gewandtheit der Nation. Ein und derselbe Zug des R u s s i s c h e n Charakters ist es, welcher hier die niedere Volksklasse lehrt, aus den Hefen der Dinge noch Vortheil zu ziehen und somit selbst die äufserste Dürftigkeit leicht zu ertragen, wälirend er den Begüterten zu steter Vergröfserung der Z a h l ihrer Besitzthümer behülflich wird, denn da hier ein nur äufserlich ähnliches Surrogat jedwedes eigentlich beabsichtigte Ding zu ersetzen im Stande ist, wird um so leichter zur Gewohnheit, den Antrieben einer nie zu stillendeu Habsucht zu entsprechen, W ie bunt und mannichfaltig Sitte und Lebensverhältnisse in der großartigen Stadt unter solchen Umständen sich gestalten müssen, ist leicht zu erachten, dennoch aber ist nach e i n e r Seite hin diese Mannichfaltigkeit auf das Bestimmteste begränzt, denn trotz aller übrigen Wechsel des Äufscren trägt hier jede Erscheinung ein n a t i o n e l l e s Gepräge, und ciu Beharren bei den einI. Band.

11

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IV. Abschnitt.

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Juli.

mal landesüblich gewordnen Gebräuchen, ist noch jetzt als oberster Grundsatz zu erkennen. — Zwar werden von den Einheimischen Sitten und Lebensart der in M o s k a u ansässigen Ausländer, begierig und sorgsam bcaclitet, aber das davon Anzunehmende wird stets der eignen Sitte assimilirt; es ist der Strom, welcher Bäche empfängt ohne seinen Namen zu ändern, oder, ähnlicher noch, ein kräftig lebender Organismus, den selbst die verschiedenartigste Nahrung nicht umzugestalten vermag. Unter den besonderen Zügen des Bildes von M o s k a u ist die Ansicht des K r e m l noch jetzt das Auffallendste. Der Name dieses Stadttlieils, welcher fast in allen zugleich alten und bedeutenden R u s s i s c h e n Wohnplätzen sich wiederfindet, ist dem W o r t e : F e s t e sowohl dem Begriffe als der Bildung nach völlig entsprechend. Echt iSVavisclien, nicht aber wie Einige behauptet haben, T a t a r i s c h e n Ursprungs, erklärt er sich leicht durch die "Worte: K r e m e n , ein h a r t e r K i e s e l ; k r e p k j i , f e s t ; k r e p o s t , F e s t i g k e i t oder F e s t u n g u. s. w. — Aus den reich und modern gebauten Strafsen von K i t ä i g o r o d näherten wir uns den hohen Ringmauern welche den K r e m l von W . und NW. umgeben. Wachtthürme mit Zinnen erheben sich an den Ecken der einschliefsenden Mauern, in das Innere aber führt von liier der finstere und hoch überwölbte Gang, welcher die H e i l a n d s p f o r t e ( S p a « k a j a W o r o t a ) genannt wird. Dem wunderthätigefi Bilde welches im Innern dieses Thorgebäudes an der Mauer befestigt ist, hat noch Niemand ohne das Haupt zu entblöfsen sich genähert, und zwar wirkt bei der überwiegenden Zahl der Gläubigen eigne Ehrfurcht, bei den Übrigen aber die Mahnung eines mit alterthümliclier Hallebarde bewaffneten Wächters. Auch wird den Hunden der Durchgang durch dieses Thor auf das Strengste verwehrt, und es zeigt sich hier wiederum w i e , vom religiösen Standpunkte aus, dieses Thier den R u s s e n als unrein und verächtlich erscheint, so vielfältig sie auch seiner im gewöhnlichen Leben sich bedienen. Die ebne Oberfläche des Hügels ist von der Süd - und Südoslseite nur mit niedriger Brustwehr umgeben, und gränzt dort an den senkrechten und mit Mauerwerk bekleideten Abhang, an dessen Fufse man die Wasser der N e g l i n a und M o s k w a sich ver-

iV. Abschnitt.

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einigen sieht. — Im Innern des von den Ringmauern begränzteu Weitläufigen Raumes liegen im sonderbaren Gemische, Kirchen und Klostcrgebäude zwischen kriegerischen Befestigungswerken und den Palästen des weltlichen Herrschers. Die kirchlichen Gebäude dienen noch jetzt dem Metropoliten und andren oberen Geistlichen als Wohnung, auch werden die Sitzungen der Synode in ihnen gehalten, aber der Zarische Palast welcher aus einem ungleich mächtigeren Gewirre planlos zusammengefügten Gemäuers besteht, ist öde und verlassen. Er scheint ein Denkmal längst vergangner Zeit, dessen unveränderte Erhaltung, bei der Rohheit und Unvollkommcnheit der ursprünglichen Anlage nur noch auffallender wird. Meisterwerke der Baukunst sind nur ein Abdruck der ewig gleichen Gesetze des Schönen, und daher geschieht es, dafs sie selbst nach Jahrtausenden nicht das Gepräge wunderbar langen Bestehens und ehrwürdigen Alterthums erlangen, welches kunstloserem und roherem Menschenwerk schon nach kürzerer Frist unausbleiblich zu Thcil wird. Lebhaft wird man hier an diesen Umstand erinnert, denn sehr oft hat im Bezirke des K r e m l das unvollkommenste Gemäuer ein zu seinem Werthe unverhältnifsmäfsiges Alter erreicht. So sieht man noch jetzt, von der Zeit her wo die Z a r e n hier wohnten, in der Mitte des Hofraums, die niedrige und aus wenigen Steinen roh gefügte Bühne sich erheben, von welcher alljährlich dem Volke der Segen crtheilt wurde. Ihrer Bauart nach scheint sie nur dem augenblicklichen Bedürfnifs abhelfen zu sollen, und doch zeigt das Ansehn der Steine von sehr hohem Alter. Daneben liegen die Läufe von fünf kolossalen Geschützen, welche abenteuerlich mit engen steinernen Gewölben überbaut, wohl mehr trügerisch beruhigende Zuversicht als wirklichen Schutz zu verleihen im Stande waren. Nur einmal im Jahre, bei der Feier des Osterfestes, regt sich jetzt noch ein vorübergehendes Leben in den ausgestorbenen Mauern des K r e m l und dann dienen auch wieder diese ungelieuern Kanonen, um dem gläubigen Volke den wichtigen Augenblick zu verkünden. Grofse Gufswerke, mehr zur Pracht als zum Nutzen bestimmt, scheinen übrigens von jeher im Geschmack der R u s s e n und ihrer frühesten Vorältern gewesen zu sein. In der Nähe der merkwür11 *

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IV. Abschnitt.

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digen Geschütze sieht man die bei weitem grofsartigere Glockc, welche am Fufse des Iwan-Thurmcs in einem Loche in der Erde bewahrt wird. Da dieses Gufswerk noch jetzt das gröfste der vorhandenen sein möchte, so mag es der Erinnerung verdienen, dafs schon H e r o d o t (460 vor Christ.) bei den südlichen S k y t h e n zwischen dem D n j e p r und K u b a n , ein damals kaum minder wunderbares Kunstwerk gesehen hat. *) Es war ein erznes Gefafs, welches, bei einer Melalldicke von 4,46 Zollen, eine Höhlung von 282,2 Kubikfufs Par. Mais umschlofs. Leider fehlt es an näheren Angaben der Gestaltung, wollte man aber das Gefafs als cylindrisch sich denken, so würden die Annahmen von 4 Fufs Höhe des inneren Raumes, bei 9,48 Fufs Durchmesser desselben, oder von 12 Fufs Höhe, bei 5,46 F. Durchmesser, als etwa noch wahrscheinliche Extreme, dem von H e r o d o t angegebenen Inhalte entsprechen und für die Menge des verarbeiteten Metalles ergiebt sich aus ersterer Annahme 76,3, aus letzterer 91,3; in einem mittleren Falle also etwa 83 Pariser Kubikfufs oder an Gewicht 41000 alt Franz. Pfunde, wenn man annimmt, dafs das Gefafs aus Bronze bestanden habe. **) — Es war dieses 'antike S k y t h i s c h e Gefafs, wie H e r o d o t bemerkt, 6 mal gröfser als das bedeutendste von ähnlicher Art, welches d a m a l s in G r i e c h e n l a n d sich vorfand. Aber auch noch jetzt würde dasselbe als höchst ansehnlich erscheinen und z. B. die gröfste der in F r a n k r e i c h existirenden Glokken (in der Kathedrale zu R o u e n ) stark übertreffen, denn das Gewicht derselben wird nur zu 36000 Pfund angegeben. N u r im Vergleich zu der Glocke des K r e m l wäre das Gefafs von E x a m p e als ein schwacher Versuch zu betrachten, denn wenn auch sehr verschiedene Angaben über das Gewicht dieser letztern vorhanden

••) H e r o d o t Lib. 4. Capt. 81. — ,0

) Nach P a u c t o f t ' s Metrologischen Untersuchungen habe ich den G r i e c h i s c h e n A m p h o r e u s zu 0,470 Par. Kubikfufs, den Dalct y l o s zu 0,7431 Par. Zoll, angenommen. Wären es aber gar R ö m i s c h e Amphoren gewesen, mit denen man das Gefafs von E x a m p e gemessen, . s o hätte man an die Stelle der oben angegebnen Metallraasse sogar nahe" 70000 Franz. Pfund zu setzen und, die Arbeit der a l t e n f ' S k y t h e n käme der ihrer Nachkommen an Gröfse noch um--etwas näher.

IV. Abschnitt.

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sind, so kann man doch 300,000 bis 400,000 P f u n d , mithin da« Zehnfache des S k y t h i s c l i e n Gefafses, mit Sicherheit dafür annehmen. Dies beweisen schon die Dimensionen dieses kolossalen Gufswerkes, welche 22,5 Engl. Fufs im gröfslen Durchmesser bei 21,3 Höhe betragen; die Mclalldickc, sehr verschieden an verschiedenen Stellen der Glocke, dürfte doch nirgends unter 6 Zoll 6ein, beträgt aber nahe das Vierfache in der Nähe des unteren Randes. Wenn auch, wegen unvollkommncr Kenntnifs der G r i e c h i s c h e n Mafsc, über diese quantitative Verglcichung des alten S k y t h i s c l i e n Kunstwerkes mit d e m R u s s i s c l i c n einiger Zweifel zurückbleibt, so bieten doch beide auch anderweitig noch eine auffallende Ähnlichkeit dar. I l e r o d o t berichtet nämlich, dafs A r i a n t a s ein alter Beherrscher der S k y t h e n , das Erz zu dem erwähnten Gefäfsc durch eine vom ganzen Volke geleistete Beisteuer gcsammolt habe; namentlich wurde jeder Mann, unter Androhung der Todesstrafe im Unterlassungsfälle, zur Darbringung einer erznen Pfeilspitze gezwungen; es wird hinzugefügt, dafs man eine richtigere Würdigung der Volksmenge bei Anfertigung dieses Denkmals beabsichtigt habe. Nun finden sich aber nicht nur von dergleichen allgemeinen Beisteuern zu öffentlichen Unternehmungen unter dem Namen von p o / e r t w o w a n j i oder O p f e r u n g e n , ( v o n , / e r t w a ein Opfer) die häufigsten Beispiele in der R u s s i s c h e n Geschichte, sondern es ist auch die selir glaubwürdige Tradition vorhanden, dafs um die Glocke des I w a n - T h u r m e s zu giefsen, metallene Gefäfsc und andre ähnliche Bcsitzthümer im ganzen Reiche gesammelt wurden. — So erhält man hier ein neues Beispiel von der überraschenden Beständigkeit, mit welcher in R u s s l a n d nicht nur wichtige und einflufsreicherc Theile der Volkssitten, sondern auch ganz besondre Gebräuche sich erhalten. Wie alle nur entfernt zu kirchlichen Zwecken bestimmte Gegenstände, so geniefsen auch die Glocken beim R u s s i s c h e n Volke eines wahrhaft religiösen Anselms; der mehrerwähnten aber scheint man durch den Namen w j e t s c h n u i k o l o k o l oder der e w i g e n G l o c k e noch eine ganz besondere Achtung haben verschaffen zu wollen, und diese Absicht ist so vollkommen erreicht worden, dafs schon jetzt der Ursprung des Kunstwerkes in einbedeutendes Dunkel gehüllt ist. Die Reisenden im Anfange de»

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IV. Absclinitt.

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Juli.

18ten Jahrhunderls würden indessen sicher nicht eine so auffallende Erscheinung durchaus unerwähnt gelassen h a b e n , •wenn man nicht die am häufigsten gehörte Behauptung, dafs dieselbe erst unter der Kaiserinn A n n a ,

also nach 1730 gegossen worden s e i ,

annehmen dürfte.

J a es licfsc sich n o c h , nicht ohne Wahrschein-

l i c h k e i t , eines Umstandes gedenken,

welcher

grade

für w a h r

damals

das

W e r k erleichtert und vielleicht auch noch besonders dazu veranlafst haben d ü r f t e . — D e n R u s s i s c h e n Kupfermünzen hatte man vor 1730 beständig einen dieselben

so geringen

Nennwerth

gegeben,

dafs

als Ausfuhrartikel von ausländischen Kauileuten eifrigst

begehrt und dafür eine bedeutende Menge ungleich werthloseren Silbergeldes eingeführt worden w a r ;

j a so bedeutend w a r dieser

dem Staatsschatze naclitlxeilige V e r k e h r geworden, dafs damals der W e r t h des noch im Lande vorliandnen geprägten Kupfers »wischen 3 , 0 0 0 , 0 0 0 und 1 0 , 0 0 0 , 0 0 0 Rubel schwankend von den damit beauftragten Beamten geschätzt wurde.

Theils um Gewifslieit über die-

sen wichtigen P u n k t zu erlangen, theils um auch für die Zukunft durch neue Ausprägung unter Verleihung eines höheren Nennwertlies, den Staatsbesitz zu sichern, wurde unter A n n a ' s Regierung eine Einsammlung sämmtliclier Kupfermünzen mit angelegentlichem und erfolgreichem Eifer betrieben, liernacli aber, auf Anrathen der damit beauftragten Minister G o l o w k i n trächtliche

Menge desselben

und M ü n n i c l i , eine be-

aufser Curs gesetzt und, zum ersten

male in R u s s l a n d - , durch P a p i e r g e l d mein1 als ersetzt.*)

Dafs

man nun das eingeschmolzne und dem Verkehre entzogne Kupfer zu einem heiligen Z w e c k e

bestimmt,

Betrug die dem Volke anstöfsige

Maafsregel

pieres annchniliclicr gemacht liabo, mit anderweitigen Erscheinungen,

und durch diesen frommen des

gemünzten

Pa-

scheint durchaus im Einklang Man weifs sogar mit Bestimmt-

h e i t , dafs, als späterhin während E l i s a b e t h ' s

Regierung

eine

neue Summe von 50.000,000 Rubel Papiergeld vertheilt und wiederum eine entsprechende Menge Kupfers dem Verkehr entzogen wurde,

man

die

eingeschmolzne Melallmasse in einem cigeus er-

bauten Magazine aufzubewahren begann, Nach dem jetzigen W e r t h e des Kupfers zu urtheilen, ' ) S c h l ö z e r , M t t n z w c s e u i n K u s s l a n d pag. 109.

besitzt

IV. Abschnitt.

1828.

Juli.

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die zur e w i g e n G l o c k e verarbeitete Metallmasse einen Werth von 2,000-000 Rubeln, ohne dabei auf die, allem Anscheine nach hinzugefügten, edleren Metalle Rücksicht zu nehmen. Diese Swnmo inachte einen schon beträchtlichen Theil der damals vorhandnen Geldmenge aus, und während man eben der Sparsamkeit im Staatshaushalte sich recht angelegentlich bcllcifsigtc, konnten wolil nur die angedeuteten besonderen Verhältnisse, zur scheinbaren Aufgebung eines so bedeutenden Besitzes veranlassen. Dafs man übrigens das ganze Werk als eine vom Volke dem Ilimmcl dargebrachte Gabe darstellte, -war natürlich, um so mehr da es aufscr der erwähnten Mafsregel der Münzeinziehung, auch noch wahrer Beisteuern, namentlich zur Bestreitung des Zusatzes an edlen Metallen, bedurfte. Was endlich die von ausländischen Beobachtern vielfach best rillne Überlieferung betriff!., dafs die mehrerwähnte Glocke durch einen Fall von der Höhe des I w a n - T h u r m e s , an ihren jetzigen auffallenden Aufbewahrungsort, unter die Erde, gelangt sei, so schien uns kein Grund zum Zweifel an der allgemeinen Erzählung vorhanden. Von dem in den Boden des Loches tief eingedrückten Rande der Glocke, ist ein ungeheures Slück genau eben so abgebrochen, wie es nach einem Falle geschehen mufste und übrigens ist es begreiflich genug, dafs eine Masse von 400,000 Pfund welche nach dem Fall von der Höhe des Thurmes mit einer senkrechten Geschwindigkeit von etwa 100 Fufs in der Sekunde sicli bewegt haben würde, nicht anders als einen sehr tiefen Eindruck verursachen konnte. Von der Beschaffenheit des durch den fallenden Körper getroffenen Erdreichs ist freilich hierbei gar Vieles abhängig; indessen ist grade an der Stelle, wo die Glocke jetzt rulil, der Boden so nachgiebig, dafs man alljälirig ein neues Sinken bemerkt, welches nur durch den Druck des r u h e n d e n Körpers bewirkt, auf den Erfolg eines von dem s c h n e l l b e w e g t e n , ausgeübten Stofses scliliefscn läfst. Bei einer Feuersbrunst im Jahre 1737 ist nun wirklich ein Theil des Gebäudes in 'welchem dio Glocke eich befunden haben soll, eingestürzt und leicht kann der dadurch erzeugte Schutt noch dazu beigetragen haben, die herabgestürzte Masse mehr zu bedecken, und bei nachher erfolgter Aufräumung den Eindruck tiefer erscheinen zu lassen als er ursprünglich war.

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IV. Abschnitt.

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Dafs eine besondre Gcschickliclikclt in der Kirnst des Metallgusses in dieser Gegend der Erde von den frühesten Zeiten lier durch ununterbrochene Überlieferung sich erhalten habe, beweisen auch die in dem jetzt noch bestehenden Tlieile des Thurmes von I w a n W c l i k o i aufgehängten Glocken, welche sämrotlich bald nach Erbauung der Kirche, (unter dem Zare B o r i s G o d u n ö w im Jahre 1600) angefertigt wurden. Die gvöfste derselben hat ein Gewicht von 4000 P u d d. h. von 133684 Franz. Pfunden oder reichlich das Fünffache der berühmten E r f u r t e r Glocko (deren Gcwicht von Ä t h a n . K i r c l i e r zu 25400 Pfund angegeben wird) und nahe das Vierfache der oben erwähnten von R o u e n . - Vielleicht dafs die auffallende und frühzeitig bemerkte Häufigkeit ähnlicher Leistungen in C h i n a , wo eine Glocke von 120000Pfunden schon im Jahre 1403 unter der Regierung des Kaisers Jiim 16 gegossen wurde, *) einigerniafsen dazu beiträgt, die Geschicklichkeit der alten S k y t h e n und ihrer Nachfolger in R u s s l a n d zu erklären; denn ebenso wie wir später sehen werden, dafs selbst die S i b i r i s c h e n Urvölkcr trotz beschränktester Mittel von jeher mancherlei Kunstfertigkeiten mit den C h i n e s e n tlieilten und wahrscheinlich mittelbar von ihnen geerbt haben, so wäre eine ähnliche Quelle der Überlieferung auch liier wohl gedenkbar, denn nur in dem Mafse als R u s s l a n d mit dem westlichen E u r o p a in Verbindung trat, wurde es dem s ü d l i c h e n A s i e n entfremdet. Die Annäherung, welche durch die Eroberung von ¿Sibirien von neuem erfolgt ist, dürfte, der in den frühesten Epochen vorhanden gewesnen, durchaus noch nicht gleich kommen. — Die Anfertiger des Gefiifscs von E x a m p e können ohne Zweifel ihren Metallreichthuni auf Handelswcgen aus dem südlichen « S i b i r i e n erhalten haben, denn dort fiuden sich häufige Spuren eines uralten, aber noch vor der Bekanntschaft mit den neueren R u s s e n unterbroche n Bergbaues; aber auoh in späteren Zeiten bis zur endlich erfolgten Wiedereröffnung der » S i b i r i s c h e n Gruben, wufste man in R u s s l a n d den Handel so zu leiten, dafs der Metallbesitz des Reiches durch ihn beständig sich mehrte. Dieses bezweckten na-

*) In Ä t h a n . K i r c h e r i C h i n a i l l n s t r a t a befindet sich eine vollständige Geschichte und Beschreibung dieses Kunstwerks.

IV. Abschnitt.

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mcntlich die noch im 16len Jahrhundert mit äufserster Strenge wiederholten Verordnungen der R u s s i s c h e n Herrscher: bei jedwedem Handel mit Ausländern n u r P c l z w a a r e n in Zahlung zu geben. —Nur die prächtige Stadt mit ihren Umgebungen Im entfernteren Hintergrund, so wie der nahe gelegene Fluss am Fufse des Hügels verleihen der Aussicht von der Höhe des I w a n - T h u r m e s ihren ausgezeichneten Reiz, die umgebenden Gebäude des K r e m l sind aber allzu willkürlich und mit anscheinender Zufälligkeit aneinander gereiht, um einen gefälligen Anblick zu gewähren. Ja sogar die seltne Gröfse der Steinmassen bleibt hier wirkungslos, wegen mangelnder Einheit des Planes. — Während die Wohnhäuser in den Strafscn von M o s k a u eben so schön und geschmackvoll erscheinen wie die von P e t e r s b u r g , sind die alterthümlichen öffentlichen Gebäude hier von weit geringerem Werthe. W enn" man die abenteuerlich verzierten filnfthürmigen Kirchen in der Nälfb betrachtet, so bemerkt man fast immer eine widerliche Unregelmäfsigkeit der architektonischen Linien und bei den ältesten Gebäuden des K r e m l sogar oft eine so schiefe Stellung der einzelnen Thcile, dafs man an ihre Festigkeit zweifeln würde, w e n a nicht die Erfahrung bereits das Gegentheil gelehrt hätle. In einem gänzlich andren Lichte erscheinen aber die kirchlichen Gebäude von M o s k a u und insbesondere die des K r e m l , den einheimischen R u s s e n ; sie haben in ihren Augen einen so mystischen W e r t h , dafs künstlerische Vollendung des Aufseren, ihn kaum zu erhöhen im Stande wäre. Vor den unscheinbarsten Kapellen ( T s c h a i ö w n i der R u s s e n ; von T s c l i a i ü i , die S t u n d e n und die s t ü n d l i c h e n G e b e t e , h o r a e der Katholiken) eben so wie vor den gröfseren und prächtigeren Kirchen, sieht man die Vorübergehenden mit stets gleichem Ausdrucke ernstester Andacht sich bekreuzigen, und wenn auch einzelne der religiösen Festlichkeiten hier einen wahrhaft ergreifenden Charakter besitzen, so ist es doch in andren Fällen wunderbar, wie die mystische Ehrfurcht auf Dinge übertragen wird, deren durchaus gewöhnlicher Ursprung so nahe vor Augen liegt. In der Nacht des ersten Ostersonntags soll in den Slrafsen der Stadt eine durch Nichts unter brocheue Stille herrschen, bis urplötzlich in dem Augenblicke

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IV. Abschnitt.

1828.

Juli.

der-Mitternacht, sümmtlichc Glocken auf den erleuchteten Thürmeu von 250 Kirchen, und der Donner der ungeheuren Geschütze Vom K r e m l erschallen. Nun erst werden alle Strafscn erleuchtet, so wie es als Ausdruck allgemeiner Freude sonst nur bei Siegesbotschaften üblich ist. Eine Bevölkerung von 400000 Menschen, welche nun in der Stadt und nächsten Umgebung mitten in der Nacht plötzlich sich zu regen beginnt, wird nur von einem Gedanken belebt. Bald darauf erscheinen die Häuser wie ausgestorben, weil Alles zu den Hauptkirchcn strömt, in deren Mitte ein Katafalk errichtet ist. Einzelne der bigotten Menge sehen darin stets von Neuem das wahre Grab des Erlösers, und nachdem sie es leer befunden, suchen sie noch nach dem Aufcrstandnen in den nächstgelegnen Theilen der Kirche, und dann erst folgen auch sie dem Beispiele der Übrigen, welche unter allseitigen Umarmungen und mit den Worten C h r i s l ö s w o i k r e i —- und w o i s t i n o w o * « k r e « ( C h r i s t u s ist e r s t a n d e n — in W a h r h e i t e r ist e r s t a n d e n ! ) einander die Freudenbotschaft verkünden. Vom zartesten Alter an, nehmen auch die Kinder Theil an dem erschütternden nächtlichen Feste, und natürlich ist es dafs die Macht des ersten Eindrucks bei ihnen bis zum spätesten Alter nachwirkt. Während der darauf folgenden heiligen Woche gehört es zu den besonderen Genüssen des Volkes, die kirchlichen Gerätschaft e n , welche im K r e m l aufbewahrt werden, andächtig zu bewundern. Man betet vor den nur dann sichtbaren R e l i q u i e n d e r G o t t g e f ä l l i g e n ; ( M ö s c h t s c h i B o g a U g o d n i k o w ) sodann aber werden die Kleiderkammern ( R i s n i z u i , v o n R i s a ein g e i s t l i c h e s G e w a n d ) der noch lebenden Priester mit ebenso gläur biger Einfalt angestaunt; die P a n a g j i , M i t r i , Omoföri, E p i t r a c h i l u i , ¿ S a k ö i n i u. v. a. werden zu einem Gegenstande des Studium, und schon dadurch sind hier Benennung und Bedeutung aller einzelnen Tlicile dieses complizirten Apparates allgemein bekannt. Auch zeigt man frei die Gcfäfse, in denen das M ü i r o n oder wunderkräftige Salb-Öl gekocht wird. ( M u i r o w a r e n i e oder S a l b - O l - k o c h u n g ist der gebräuchliche Ausdruck.) Ebenso wird das viermal im Jahre sich wiederholende Fest des J o r d a n oder der W e i h e d e s F l u s s w a s s e r s , ( S w c s c h .

IV. Abschnitt.

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t s e h e n i c W o d d ) , z u M o s k a u in der Nähe des K r e m l gefeiert. Die g c h c i m n i f s v o l l c P f o r t e ( t ä i n i z k a j a w o r ö t a von t a i n u i , g e h e i m ) fiilirt durch die Ringmauer zum nächstgelegnen Ufer der M o s k w a , an welchem hölzerne Brücken, um das Wasser bequemer zu erreichen, gebaut sind. — Kaum minder eigcnthiimlich als die Erscheinungen des K r e m l ist derjenige Stadt tlicil, in wclchcm recht vorzugsweise ein vielseitiger Handel geführt wird. Die meisten der für den Verkauf im Einzelnen bestimmten Waarenmederlagcn befinden sich in dem sogenannten K i t a i g o r o d d. h. der C h i n e s i s c h e n S t a d t , welche ihren schon in den frühesten Chroniken genannten Namen, dem damals vorherrschenden C h i n e s i s c h e n Kramhandcl verdanken soll. Jetzt sind es zunächst zwei G o s t i n i e d w o r i oder K a u f h ö f e die sich hier befinden, und wclehc mit dem P e t e r s b u r g e r im Wesentlichen der Anordnung übereinkommend, denselben au Mannichfaltigkeit und Bedeutsamkeit des Verkehrs noch bei weitem übertreffen. Wirklich ist kaum ein zu begehrender Gegenstand gedenkbar, für dessen Ausbietung nicht hier eine eigne Budenvcihe ( R ä d ) vorhanden wäre. Jeder der dortigen Händler beschränkt sich auf eine bestimmte Klasse von Waarcn, und das ungewöhnliche Krämertalent der Nation äufsert sich durch die Vollständigkeit, mit welcher ein Jeder seine Niederlage auszustatten weifs. Für den einmal erwählten Zweig des Handels, sind die Budenbesitzer Verkäufer und Aufkäufer zugleich, und sie wissen dann den eingetauschten Waaven durch leichte Umarbeitung das Ansehn der Neuheit wieder zu verschaffen. Auch das Geld ist zur Waare geworden, denn in einer langen Reihe von Weclislerbuden kann man eine jede Münzart eintauschen, jedoch so, dafs der Preis des zu Erhaltenden sich nicht nach einer allgemeinen Ubereinkunft, sondern nach dem besondern Bedürfnisse des Händlers richtet. Daher auch findet man dort gangbare Gcldarten aller Länder ebenso häufig als Metallstücke, die nur weil sie ein Gepräge besitzen, den Namen von Münzen verdienen, übrigens aber durch Alterthum oder anderweitige Umstände längst zur Waare geworden sind. Kaum bedarf es der Erwähnung, dafs die Kaufleute des Mosk a u e r G o s t i n j i d w ö r die altertümlichen Sitten der in P c -

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IV. Abschnitt.

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Juli.

t e r s b u r g gleichartig Beschäftigten tlieilen, denn jedes nationelle Element, welches schon dort dem eben ankommenden Ausländer auffällt, ist hier ungleich reiner entwickelt. P e t e r s b u r g ist ein vielfarbiges Chamäleon, welches stets gegen das vorhergesehene contrastirend, dem Fremden als R u s s i s c h e Stadt, dem ¡von M o s k a u Kommenden aber, als ein dem heiligen Lande entfremdeter Heerd des Ausländischen erscheint. —Hier gehört der ganze Stadttheil dem behaglichen Volke der Krämer, und während besoldeten K a u f d i e n e r n ( P r i k a s c h t s c l i i k i , von p r i k a s & t j , b e f e h l e n ) die Sorge der Buden übertragen ist, sieht man die bärtigen Besitzer der Waaren, auf der Strafse in der Nähe des Kaufhofes mit einander verkehren. Mit müfsiger Geduld scheinen sie nur von der Gunst des Zufalls zu leben, und die pflegmatisclie Sorglosigkeit ihrer Gespräche ist bei den M o s k a u e r n sprichwörtlich geworden. Auch hier sind es ebensowohl leibeigne als freie Menschen, welche bei dieser Lebensart eine Befriedigung finden, die sie kaum geneigt sein möchten gegen irgend andre Verhältnisse zu vertäu* sehen. Von den vcrschiednen Ausdrücken, deren man sich in R u s s l a n d zur Bezeichnung der knechtischen Abhängigkeit bedient, ist der anscheinend unumwundenste, am wenigsten gehässig. Die Frage: w e s s e n b i s t du? ( t s e l i e i t u i ? ) ist niemals anstöfsig, und wird gleiclimüthig bald durch: m e i n e i g e n ( j a i w o i ) , bald durch den Namen eines Dritten beantwortet. Abei» die Benennung R a b ist drückend und beleidigend, und doch, wie die abgeleiteten,Formen rab dafs der Trieb zum wandernden Leben und die Ilofihung eines geringen Gewinnes, stets Meldungen veranlassen werde. Zur Pacht eines noch zu eröffnenden Steinbruches im südlichen R u s s l a n d , zum Transport der in der K r i m m gewonnenen Weine hört man gleichmäfsigin M o s k a u die reicheren P o d r j ä d t s c h i k i auffordern. Dergleichen Verträge werden nach der üblichen Formel, durch t o r g und p e r i t o r s c h k a d. h. durch A n e r b i e t u n g e n der Einzelnen, und nachheriges Ü b e r b i e t e n zwischen der versammelten Meuge abgeschlossen. Wie das Gewerbe dieser Leute allmälig in das der eigentlichen Kaufleute übergehe, ist leicht zu ersehen, und der Eintritt auf dem Lande geborner Männer in städtische Zünfte, erfolgt um so häufiger als er auch mit dem Vortheile der Lehnsherrn sich verträgt,

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denn die Abgaben der mit bürgerlichen Gewerben beschäftigten Leibeignen, sind meist ergiebiger als der Ertrag von den Ackern die, bei mangelndem Interesse der Arbeiter, stets nachlässig von ihnen bestellt werden. Wenn auch diese Abnahme der Zahl der Landleutc noch zu geringe ist, um in R u s s l a n d die wünschenswcrtheste Abschaffung des Lehnswesens mit Notwendigkeit zu veranlassen, und auf consequent gesetzmäfsigem Wege herbeizuführen, so wirkt sie doch indirekt und nicht minder unauswcichbar in diesem Sinne; denn der Grundbesitz der Bevorrechtigten wird stets werthloser, während bedeutender Gcldbcsitz der zurückgesetzten Klasse sich zuwendet. Wenn man nun in der selbstständigcn Ausbildung der als abhängige Bauern oder M u / i k i gebornenLeute, einen bestimmten Keim zur dercinstigen gänzlichen Umgestaltung der Lebensverhältnisse in R u s s l a n d nicht verkennen kann, so ist andrerseits hier in M o s k a u auch die alte Ordnung der Dinge noch gänzlich erhalten. — Meistens sieht man auf der sogenannten K r a s n a ja p l ó s c h t s c h a d oder dem r o t h e n M a r k t in der Nähe der Kaufhöfe , einen Trupp von Männern und Weibern, welche ihre Herren dorthin geschickt haben, damit für sie ein Miether oder auch Käufer sich finde. Es sind Leibeigne, die wegen Mangel an Betriebsamkeit ihren Besitzer bisher keinen Vortheil gewährt haben. Die oben erwähnten Mittel zur Verbesserung ihrer Lage und zu Erlangung eignen Vermögens verbleiben ihnen jedoch auch nun noch so wie früher. Einige Hoffnung für die Zukunft ist Alles •was sie von Anbeginn besitzen, und diese kann ihnen durch Nichts genommen werden. Mit einem B r a s i l i s c h e n S k l a v e n m a r k t c hat übrigens der Verkehr an der K r á s n a j a p l ó s c h t s c h a d durchaus keine Ähnlichkeit, sondern vielmehr mit den öffentlichen Anstalten, die in D e u t s c h e n Städten für die Vermiethung des Hausgesindes bestehen. Das Ereignifs ist so durchaus gewöhnlich und gleichgültig für die Bctheiligten geworden, dafs man nie nötliig hat, den zum Markte Geschickten einen Wächter oder Bevollmächtigten des Herrn beizugesellen, sondern ihnen selbst die Sorge für eine neue Art der Existenz überläfst. Öfter noch als die Ausstellung auf dem Markte werden jetzt in M o s k a u Zeitungsanzeigen zu diesem Zwecke benutzt. Durch beide Mittel aber kommt der

IV. Abschnitt.

1828. Juli.

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Ankauf einzelner Leute äufserst selten zu Stande, weil die allein dazu berechtigten Grundbesitzer, weit öfter ÜberJlufs als Mangel an Leibeignen haben; die Miethung hingegen erfolgt sehr häufig, denn diese ist sowohl für die begüterten R u s s i s c h e n Bürger als auch für die grofse Zahl der ansässig gewordenen Ausländer der einzige Weg sich Dienstlcute zu verschaffen. In Folge dieses Umstandes ist denn auch ersichtlich, dafs diese Auflösung der angecrblcn Verhältnisse den Betroffenen meist vorteilhaft erscheinen müsse, denn sie treten dadurch in Dienstpflichten zu. minder bevorrechtigten Individuen. — Obgleich auch die reicheren M o s k a u e r es fast für unentbehrlich hallen, eine Landwohnung während des Sommers zu besitzen, so schien doch während unsres Aufenthaltes die regsame Lebendigkeit der Slrafsen kaum verringert. Die Landgüter führen den cigcnlhümlichcn Namen P o d m o s k ü w n j i d. h. M o s k o w i s c h e B e i w e r k e , weil bis auf einen Umkreis von 6 Deutschen Meilen alle Wohnplätze, ungeachtet der sie trennenden leeren Strecken mit dem städtischen Mittelpunkte in Verbindung und auf ihn sich beziehend gedacht werden. Ein gewöhnlicher Reichthum an Pferdekraft läfst auch hier die Entfernungen schwinden und durchaus üblich ist es, am Tage auf dem entlegnen Landsitze zu leben, ohne am Abend die prunkenden Freuden der Ilaupistadt sich zu versagen. Im völligsten Gegensätze mit den in P e t e r s b u r g herrschenden Ansichten ist man hier um Erlangung von Staatsämtern durchaus nicht bekümmert; vielmehr gilt für anständig und edel nur die freie Mufse, welche der Besitz von Leuten und Land verleiht. Dieses ist die Ansicht d e s M o s k a u e r Adels, und er bcharrt dabei ohne jede Änderung, als ein selbstständiges und unerschütterliches Ganze. Es ist ein Bündnifs von Familien, welches zu der R u s s i s c h e n N a t i o n aus eigner und durch Gleichheit der Sprache und des religiösen Glaubens bekundeter Wahlverwandtschaft hinzutritt, welches aber zu dem R u s s i s c h e n S t a a t e nur wie ein coordinirtes Institut sich verhält. Nur wenn besondre politische Verhältnisse der durch alte Vererbung zur Wahrheit gewordnen Lebensansicht dieser Volksklasse mit Angriffen drohten, haben sie sich ernstlich bekümmert und zu bündigem Widerstande geneigt gezeigt, sonst aber herrscht hier die Sorglosigkeit der Bewohner eines

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IV. Abschnitt.

1828.

Juli.

geträumten Eldorado. Nur ein niclil zu stillender Drang nach sogenannten Zerstreuungen und künstlichen Vergnügungen beseelt sie Alle, und bei dahin gericlitetetem Zusammenwirken bedeutender Kräfte ist es nicht zu verwundern , dafs man in dieser Beziehung ungewöhnlich erfinderisch gewesen ist. Von glänzenden Bällen und Conzerten bis zu Bärenhetzen und Bärenkämpfen in gesclilofs« nen Schranken, fehlt liier kaum eine Abstufung der irgendwo oder in irgend einer Zeit erfundnen Lustbarkeiten; wesentlich aber gilt der Grundsatz, dafs nur Mannichfaltigkcit das Vergnügen erzeuge, und ihm gemäfs sucht man stets die ungleichartigsten Eindrücke bunt an einander zu reihen. Eine unmännliche Weichlichkeit der Denkungsart ist als Folge dieser Verhältnisse nicht zu verkennen, und es mag dazu nocli der Umstand beigetragen haben, dafs d e n F r a u e n z u g e f a l l e n , etwa noch den einzigen, mühsamerer Bestrebungen würdigen Lebenszweck ausmacht, weil n u r lleirathsverbindungen im Stande sind, das vom Schicksal bei der Geburt verliehene Loos zu verbessern, die Anzahl der dem Einzelnen z u T l i e i l g e w o r d n e n S e e l e n ( t s c h i s l o d u s c h ) zu vermehren. Ebenso bestimmt aber hat sowohl die erwähnte Lebensart, als vielleicht auch die nie fehlende religiöse Stimmung der bevorrechtigten M o s k a u e r , ihnen im Allgemeinen eine auffallende Gutherzigkeit verliehen, wTelchc hier um so höher zu achten ist, da sie in jedem einzelnen Falle den direktesten Einflufs auf das Schicksal von 500 bis 1000 Menschen ausübt. [ J u l i 29.] Vormittags machten wir uns von M o s k a u aus wieder auf den Weg. Obgleich während des Aufenthaltes in der Hauptstadt unsre Fuhrwerke einer durchgängigen Ausbesserung unterworfen worden, wareil wir doch noch innerhalb der Stadt einem neuen Bruche an der 'Deichsel des Packwagens abzuhelfen genöthigt. Wohl war es die hier immer ungewohnter werdende Bespannungsart dieses Fuhrwerkes, welche es häufigen Beschädigungen aussetzte. *— Bei völlig heiterem Himmel war die Hitze des Tages sehr drückend. Nicht nur in der Nähe der Stadt sondern auch während unsres ganzen heutigen Wrcges (48 Werst bis B o g o r ö d s k ) sah man Felder, die mit Kartoffeln, Gerste und Buchwaizen sehr

IV. Abschnitt.

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ileifsig bestellt waren. Dazwischen ¡aber liegen einzelne Strecken diclilcr Waldung, in denen hochstämmige Eichen zwischen Fichten und Birken sich erheben. Von anderweitiger Waldung umgeben scheinen also die Eichen weit besser zu gedeihen, als auf der offenen Ebne westlich von M o s k a u , auf welcher sie zu Strauchwerk entartet sind. Die Ebereschcn hatten hier schon rolhe und gereifte Früchte ebenso wie S a m b u c u s r a c c m o s a , Äufserst zalilreiche der als Unterholz sehr häufig sich zeigte. Schwärme grofscr Raben und einer rothbraunen Falkcnart belebten die Walder in der Nähe des Weges. Beide Arten von Vögeln verfolgten einander feindlich und schienen um zufällig gefundene Beute sich zu streiten. Der R u s s i s c h e Name J a . s t r e b , welchen die Einheimischen dem zuletzt genanuten Vogel beilegen, hangt offenbar mit der Wurzel « I r c b i l j ( a u s r o t t e n ) zusammen und mag auf dessen gefräfsige Raubsucht sich beziehen. Bei P a l l a s findet sich der Name J a « t n ' b für A c c i p i t e r A s t u r ; (Zoolog. Ros?. I. pag. 367.) ob der hier gesehene Vogel dahin zu rechneu sei, vermochte ich nicht zu entscheiden. In dem Dorfe N ö v a j a sahen wir an der Landstrafse ein der Familie G a l i z i n gehöriges geschmackvoll gebautes Landhaus. — Wir übernachteten zu B o g o r o d s k , einer Kreisstadt, welchc ihrem Aufsern nach sich kaum von den reicheren der früher gesehenen Fuhrmannsdörfer unterscheidet. Der Name und die Würde einer Stadt wird in R u s s l a a d allen Ortschaften beigelegt, in denen die Mehrzahl der Einwohner durch bestimmte Abgaben den Eintritt in bürgerliche Zünfte erkauft hat. Da indessen auch in der Mehrheit der Dörfer einzelne Landleute neben dem Ackerbau mancherlei Kunstfertigkeiten sich aneignen und ausüben, so nähern sicli Städte und Dörfer sowohl durch Bauart als durch den Charakter ihrer Bewohner. Hier in B o g o r o d s k sind die hölzernen Wohnhäuser mit einigen Stufen und einem überdeckten Altane ( K r u i l i ö ) sowohl an der zur Slrafse als der zum Ilofraume führenden Thüre versehen. Die viereckigen Höfe umgiebl nach der Slrafse zu eine hohe Bretterwand mit weiten Flügelthüren, aufserdem aber begränzon sie hölzerne Schoppen, wclchc bald als Ställe, bald als Vorl. B.init 12

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IV. Abschnitt.

1828.

Juli.

rathskammern und oft in verscliicdcncn Abiheilungen gleichzeitig zu beiden Zwecken dienen. Der volkthümlichcn Reinlichkcilsliebc wird hier, wie überall, durch Badsluben entsprochen; aufserdem aber gehört zum gewöhnlichen Ilausrathe ein an derThüre zum Ilofe, an Schnüren aufgehängtes (gewöhnlich tliönernes) Wassergefäfs, welches den Namen r u k a m ó i n i k oder H ä n d e b a d führt und von den Hausbewohnern an jedem Morgen gebraucht wird. Die Sitte und der dafür gebräuchliche Ausdruck sind ähnlich dem a l t - G r i e c h i s c h e n % e Q V i ip und y e q v v ß o v gebildet, noch auffallender aber wird die Ähnlichkeit des Gebrauches in reicheren Wirthschaftcn, wo man nicht durch Aufhängen des Gefafses dem Waschenden zu Hülfe kommt, sondern stets durch Diener aus besonderen Wasscrgefafsen die Hände übergiefsen läfst, des R u k a m o i n i k aber nur zum Auffangen des ablliefsenden Wassers sich bedient, genau nach dem I l o m c r i s c h c n Ausdrucke: JFFQII/»«

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[ J u l i 30.] Schon auf dem gestern zurückgelegten Wege schien das äufsere Anselm des Bodens sowohl als auch gewisse Vegclationserschcinungen darauf hinzudeuten, dafs hier festeres Gestein der Erdoberfläche nahe liege. So wurde eine S a x í f r a g a an mehreren Stellen in grofser Menge gesehen und auch den Bcrghollunder ( S a m b u c u s r a c c m o s a ) erinnert man sich i n D e u t s c h l a n d recht vorzugsweise an steinigen Standorten angetroffen zu haben. Am heutigen Morgen bestätigte sich diese Vcrmulhuiig in B o g o r ö d s k , denn mächtige Quadern eines festen Gesteines sahen wir häufig auf den Strafsen liegen und man führte uns zu ihren Fundort auf einen gegen Osten zu an das Städtchen an*) V o f s hat nur umschreibend übersetzt: O d y s s . I, 136. „Eine Dienerinn trug in schöner goldener Kanne „Wasser auf silbernem Becken daher, und besprengte zum Waschen „Ihnen die I l ä n d e . " und I l i a s XXIV, 302.: ,, jene nun nable „Haltend das Wassergefäfs und die Kanne zugleich in den Händen."

IV. Abschnitt.

1828. Juli.

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gränzendcn Hügel. Dort waren mächtige horizontale Bänke (licht unler der Dammcrde völlig sichtbar und cntblöfst, weil man die zu Mühlsteinen sehr taugliche Gebirgsart an ihnen gebrochen Italic. Es ist ein derbes Quarzgestein, welches meistens gelblich jedoch stellenweise auch dunkler braun gefärbt und theils mit undeutlichen, theils mit offenbar von Encrinitenstacheln herrührenden Eindrücken durchsetzt ist. Krystallinisclier Quarz hat oftmals die unförmlicheren Höhlungen erfüllt. Das Gestein ist den früher erwähnten Ilornquarzgeschieben, welche seit dem Ostabhange des W a l d ä i häufig sich zeigten, so vollkommen ähnlich, dafs man nicht zweifelt, hier den Ursprung dieser Massen errciclit zu haben. Auch in jenen sahen wir Encrinitenstacheln vorherrschend neben vollkommen crhaltncn Abdrücken von Tcrebrateln u. a. Dem äufseren Anselm zufolge würde man dieses auffallende QuarzgCölein für Braunkohlcnsandstcin zu halten sicli geneigt fühlen, wenn nicht dieser meistens in rundlichen isolirten Knollen von Lcttcnschichten eingeschlossen, nicht aber wie hier ununterbrochene mächtige Lager bildend, sich fände. Wir fuhren heute bis zu dem Dorfe P o k r ö w , Werst von B o g o r o d s k entfernt ist.

welchcs 46

Während der ersten 7 Werst erhielt sich die Landstrafsc auf der zu B o g o r o d s k erreichten IIölic. Das erwälmtc Geslcin schien von guter Dammerde bedeckt, denn der Boden zeigte sich liier besonders fruchtbar. Die Bauerhöfe, wclelic auf dieser Strecke sich finden, haben gut cultivirte Gemüsegärten, in denen namentlich Bolmen fleifsig an Stangen gezogen wie es in D e u t s c h l a n d üblich, auf dem bisherigen Wege aber nirgends gesehen wurde.— Dann folgt ein plötzlicher Abhang gegen die K l j a s m a , deren Niveau liier um nahe 100 Fufs niedriger liegt als die Ebne von Bogorodsk. Vergeblich hatten wir erwartet, liier die Schichten des nichrcrwälmten Gesteines noch einmal cntblöfst zu sehen, nur einzelne Trümmer zeigten sich hin und wieder am Abhänge verstreut, aber sonst ist sowohl der Rand des kleinen Plateaus als aucli das andre einige ¡Faden hohe Ufer der K l j a s m a dicht mit Sand überdeckt, dürr und vegetationslos. So sahen wir schon oft auf den R u s s i s c h e n Ebnen in der Nähe der Flüsse das Land weit dürrer und unfruchtbarer als in einiger Entfernung, 12 *

180

IV. Abschnitt.

1823.

Juli.

gleichsam als Laben sie dereinst Stellen mit Triebsand libersehüttet, welehc jetzt von ihrem Wasser niemals crrcicht werden. Schon die nächste Station P l a t o w a

( 2 3 Werst von B o g e -

r ö d s k ) liegt "Wieder in einer üufscvst anmuthigen Gegend. Dorf ist von üppigen Wiesengründen Kljasma

sich" wendender Bacli

umgeben,

welche

Das ein zur

durchschncidct und die gegen

Westen zu von dichter Waldung begränzt werden.

Hier ist das

Fuhrwesen nicht mehr so angelegentliches Geschäft der Bauern als in den nördlichen Gouvernements, und zum ersten Male ereignete es sich heute, dafs wir lange Zeit warten mufsten, bevor die zur Feldarbeit ausgezognen Pferde geholt wurden.

Den zufallig

gewonnenen Aufenthalt zu P l a t o w a benutzten wir tlieils zu einer außerordentlichen Vervielfältigung unsrer magnetischen Beobachtungen (welche gewöhnlich nur an den Orten wo wir die Nacht über verweilten, angestellt wurden) tlieils zu einem Gange in die nahe gelegene Waldung.

Aufscrst hohe und schlanke Fichten ver-

wehren hier dem Sonnenlichte fast gänzlich den Zutritt und Laubmoose wuchern äufserst üppig. sen,

fand ich

Von

diesen gänzlich überwach-

eine 3 Zoll h o h c ^ M o n o t r o p a h y p o p i t y s bei

welcher Blätter, Stiel und Blüthe durchaus weich und sehr saftrcich geworden waren.

Hier hatte offenbar die Besonderheit des

Standortes zur Ilcrvorbringung der Bleichsucht gewirkt, cher bekanntlich diese Pflanze stets geneigt ist.

zu wel-

W i r erlegten hier

einen Falken der, um ein Stück Beute zu verzehren auf einen hohen Baumzweig sich zurückgezogen hatte.

Dieses anscheinend

junge Individuum zeigte sich mit der bei P a l l a s gegebnen Beschreibung des W a n d e r f a l k e n stimmend.

(F. peregrinus)

gut überein-

In dem sehr stark angefüllten Kröpfe des Vogels fanden

sich Rudera eines Frosches und einer kleinen Schlange. W i r übernachteten heute in dem Dorfe P o k r ö w. —

Hier

waren, wie w i r es früher in den Dörfern schon oftmals gesehen hatten,

die Zimmer mit rohen Holzschnitten und Malereien ge-

ziert , und zwar hatten dieselben diefsmal die Ereignisse des Jahres 1812 zum Gegenstande und vergegenwärtigten einzelne der von den Bauern ausgeübten Kriegsthaten. ten im barokken

Geschmacke

„Gotllosigkcit

der

Durch gereimte Unterschrif-

des Volkes wird bald

fremden

und

daher

nicht

auf

die

chrisl-

IV. Abschnitt.

18-28. Juh.

181

l i e h e n H e e r e " angespielt, bald auf die heldcnmüthige Verlhci digung der Angefeindeten, bei denen „ s o g a r d i e ä l t e s t e n Weiber noch Feinde erlegt hätten." Es scheinen die Maler der Heiligenbilder ( O b r a s ä ) gewesen 7.11 sein, welche durch die denkwürdigen historischen Ereignisse zu einer seltnen Diversion von dem gewöhnlichen Kreise ihrer Kunstlcistungcn sich veranlafst fühlten, denn die Unterschriften mit Worten und Schriftzeichen der Kirchensprache ( Z c r k ö w n o e [ i l i m u d. i. die a l U / S l a v o n i s c l i e oder K i r c h c n s c h r i f t ) schienen eine solche Entstehung anzudeuten. Übrigens können die Einwohner von P o k r ö w nur eine indirekte Theilnahme an den Kriegscrcignissen gehabt haben, denn nur bis 60 Werst östlich von M o s k a u waren F r a n z ö s i s c h e Truppen vorgedrungen und hatten zwischen den Dörfern M i k t i l i n und D ü b n a die Brücke zerstört und das Dorf B u i k ö w a abgebrennt. [ J u l i 31.] Durch ebnes und einförmiges Ackerland legten wir heute 56 Werst zurück, von P o k r ö w bis zu dem Dorfe D m i t r i e w s k , Gegen 10 üln- Morgen, noch nahe an P o k r ö w , erlebten wir ein äufserst heftiges Gewillcr. Unsrc Pferde schienen sich zu entsetzen vor den starken Regengüssen, die uns auf ganz offner Ebne trafen und vicllcichl auch vor dem heftigen Rollen des Donners, denn während das Gewitter anhielt, waren sie nicht zum Fortschreiten zu bewegen. Die Fuhrleute versicherten, es sei jetzt für ihre Gegend die Jahreszeit der Gewitter, im Winter aber seien dergleichen bei ihnen durchaus unerhört. Dafs im Allgemeinen i m E u r o p ä i s c h e n R u s s l a n d die Gewitter einen sehr imposanten Charakter annehmen, beweist schon der Name des Phänomens: G r o s ä , welcher von der Wurzel g r o s i t j , d r o h e n oder f ü r c h t e r l i c h s e i n abgeleitet ist, von welcher manniclifaltige andre Formen abstammen, die nur zur Bezeichnung des Schrecklichen in der g e i s t i g e n Welt gebraucht werden. — Beim Volke ist es gebräuchlich, nach jedem Donnerscldage das Haupt zu entblöfscn und sich zu bekreuzigen, und schon während einiger in P e t e r s b u r g erlebten Gewitter sähe ich die eingewanderten Bauern diese Sille streng befolgen, obgleich heftigster Regen das Hutabuchmen sehr bcschwcrlich machte. Auch wird man hierbei geneigt sich zu erinnern, wie vor Einführung des Christcnlhums

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IV. Abschnitt.

1828.

August.

der Dienst einer Gottheit d e s D o n n e r s unter dem Namen P e r ü n der einzige allen ^ l a v i s e h e n Stämmen gemeinschaftliche war, während in Bezug auf die übrigen Pcrsonificationen polytheistischen Glaubens mannichfaltige Unterschiede bei den verschiednen Stämmen herrschten. [ A u g u s t 1.] Gegen Mittag erreichten wir die Stadt W l a d i m i r (22 Werst von D m i t r i e w s k ) , welche auf einem steil gegen das linke Ufer der K l j a s m a abfallenden Hügel erbaut durch eine höchst anmuthige Lage sich auszeichnet und durch eine bedeutende Anzahl steinerner Kirchen und Wohnhäuser einen Anblick gewährt, von dem man auf dem bisherigen Wege immer mehr sich entwöhnt hat. W l a d i m i r ist in der Umgegend weit berühmt durch eine reiche Ärndte von K i r s c h e n , welche die Einwohner jährlich gewinnen. Auffallend war es uns daher, die Temperatur des Erdreiches auch hier kaum höher zu finden, als zu P e t e r s b u r g , denn das Grundwasser in einem 78 Fufs tiefen Brunnen in einer westlichen Vorstadt des Ortes hatte heute nur eine Wärme von 4° ,8 R. Das Gedeihen der Obstbäume erklärt sich daher auch hier nur durch die sorgsame Anwendung desselben Schutzmittels, dessen man zu T o r / ö k sich bedient und für welches hier die besondere Gestaltung des Terrains eine vorzügliche Erleichterung gewährt hat. In den engen und tiefen Schluchten mit welchen heftige Wasserspülung die Ufcrhügcl gefurcht hat, sieht man nämlich auch hier die Kirschbäume haufenweise gepflanzt, durch die Erdwände gegen die herrschenden westlichen Winde geschützt und nur von SO. und Süden den Sonnenstrahlen frei ausgesetzt. Noch jetzt schien W l a d i m i r nicht ohne Bedeutung und lebhaftem Verkehr, dennoch aber dürfte die nach hiesigem Mafsstabo äufserst grofsartige Anlage der öffentlichen Gebäude in keinem Verhältnisse stehen zur jetzigen Anzahl und Beschaffenheit der Einwohner, auch sieht man in der Nähe der Stadt mehrere aus Holz gebaute Vorstädte, wclche jetzt vereinzelt stehen, früher aber mit dem Hauptorte zusammengehangen haben sollen. Ebenso wie zu N o w g o r o d wird man also auch hier an vergangene Zeiten des Glanzes erinnert. Während langer Zeit lag die Stadt den Gränzcn mächtiger T a t a r i s c h e n Besitzungen sehr nahe und

IV. Abschnitt.

1828. August.

183

durch TerrainbcschaiTenlicit begünstigt, mochte sie als Bollwerk gegen feindliche Angriffe eine besondre Bedeutung erlangt haben; im Allgemeinen aber findet man häufig in R u s s l a n d die Spuren einer gröfsern Individualisirung einzelner Thcilc, welche ein später durchgreifendes Ccntralisalionssystcm hat verschwinden machen und man wird lebhaft daran erinnert, wie liier der Gang politischer Entwickelung dem in D e u t s c h l a n d wahrgenommenen völlig entgegengesetzt gewesen sei; denn während dort auf einen ursprünglich einseitigen Zusammenhang aller Thcilc ein Zerfallen in einzelne selbstsiändigc Staaten erfolgte, sieht man wie liier in R u s s l a n d umgekehrt eine Resorption der getrennten Staaten zu einer umfassenden Einheit Statt gefunden habe. Die neue Bcdeulung, wclchc die Einführung provinzieller Verwaltung des Reiches einzelnen Orten verliehen hat, scheint nur selten zu einem gleichbedeutenden Ersätze für die Wichtigkeit geworden zu sein, deren ßic als Mittelpunkt individueller Ilerrsclicrthumc genossen. Ein steiler Hohlweg führt von W l a d i m i r zu dem Flusse dessen rechtes Ufer durchaus niedrig und hier von fruchtbaren Wicsengründen cingcfafst ist. In dem nächsten Dorfe B a r a k o w a ( 1 2 W . von W l a d i m i r ) wurde ein kirchliches Fest gefeiert, zu welchem auch aus der Umgegend Besuchende angekommen waren, wie die vor den Hausthüren stehenden Fuhrwerke bewiesen. Jetzt waren fast Alle zur Kirche gegangen und die einzeln in den Häusern Zurückgebliebenen waren mit Vorbereitungen zu den stets auf geistliche Feste folgenden Gelagen beschäftigt. Obgleich der heutige Eeiertag nicht zu den bedeutenderen gehörte, waren die Dorfbewohner dennoch bemüht, uns zu der bei solchen Gelegenheiten wesentlichen miifsigen Ruhe zu überreden. Schon der Ausdruck P r a s d n i k , welcher wörtlich eine v o n A r b e i t f r e i e Z e i t , nachher aber ausschliefslich die nationellen und religiösen Feste bezeichnet, beweist die herrschende Verbindung beider Begriffe, noch bestimmter aber erinnerte man auch liier daran durch das sprücliwörilich übliche: „Kein Vogel baue sein Nest am Feiertage und doch wolle man reisen!" ( P r a s d n i k ! p t i z a g n j c s d ö n i w j ö t , a j c c l i a t j cliötschesch.)

184

IV. Abschnitt.

1828.

August.

Wir erreichten am Abend das Städtchen tfüdogda ( 5 8 W . v. D m i t r j e w s k ) , welches zur Beobachtungsstation und zum Nacht» quartiere ausersehen wurde. Der lebhafte Verkehr des Ortes hat einen seiner Bürger zur Anlage eines Wirtlisliauses veranlafst, in welchem denn b e s t i m m t e Forderungen für die Aufnahme der Fremden, an die Stelle der üblichen Antwort: T s c h t o p o / a l u i t e s oder w i e v i e l e u c h b e l i e b t getreten sind, mit der man bisher beständig unseren Fragen nach der Vergütigung der Bewirthung entgegnete; übrigens war die Ausstattung dieses eigentlichen Wirtlisliauses von der einer gewöhnlichen Landwirtschaft kaum unterschieden und nicht ohne Verlegenheit entschlofs man sich zur Aufnahme einer zweiten Reisegesellschaft, die zufällig gleichzeitig mit uns sich einfand. Dafs man Betten hier eben so wenig als bisher besafs, sondern voraussetzt, der Reisende sorge selbst für sein Lager, folgt schon aus der früher erwähnten allgemeinen Landessitte. Verwilderte Tauben, welche auch hier in der Nähe der Dörfer in grofsen Schwärmen angetroffen werden, hatten wir heute in Menge geschossen und waren nicht wenig verwundert, als man sich hartnäckig weigerte, sie zur Speise zu bereiten, w e i l es d u r c h a u s n i c h t e i n g e f ü h r t s e i , d e r g l e i c h e n zu essen. Wie man uns später sagte, verbietet ein religiöses Vorurtheil das Thier zu tödten, welches zum Sinnbilde des Heiligen Geistes geworden ist. Die mannichfaltige Ausstattung ihrer Handelsbuden wurde uns auch hier mit vieleiji Stolze von den Einwohnern angepriesen und sie bedienten sich dabei der gewöhnlichen hyperbolischen Redensart: Alles k ö n n e man h i e r kaufen. Wenn man aber den B o r n i s e h e n Wein abrechnet, den man auch hier von den durchziehenden Karawanen reichlich entnommen hatte, so wird mehr die Genügsamkeit des Volkes als wirklicher Luxus durch diesen Ausspruch bewiesen, denn übrigens fand man in den Buden nur das, was zur Befriedigung der Bedürfnisse bei nationeller ländlicher Lebensart erforderlich ist. So haben denn auch trotz des vermeintlichen hohen Wohlstandes gar einfache Vergnügungen bei den Ber wolinern sich erhalten, denn am Abend ergötzte man sich auf den Strafscn an den unvollkommnen musikalischen Leistungen der HU'«

LT. Abschnitt

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len, welche eines K u l i h o r n c s ( R o , / ö k ) als Blaseinstrumentes eich bedienen. [ A u g u s t 2.] Auf den Strafscn von S ü d o g d a lagen grofsc Blöcke eines festen Kalkes und andre eben so mächtige von derbem Gyps.mit Gäifgen von Strahlgyps, welche man aus der Nähe geholt hatte. — Von diesen Gesteinen sahen wir noch häufige Spuren auf dem Verfolge unsres heutigen Weges; so zu D r a t s c h e w o (51 Werst von S ü d o g d a ) wo man zur Verbesserung der Landstrafse tiefe Gräben zu beiden Seilen gezogen h a t . in denen Schichten eines merglichcn Kalkes sich zeigen. 31 iirom ( S i W e r s t von S ü d o g d a ) am linken Ufer der O k a , crrcichtcn wir am Abend. Bekanntlich hatte diese Stadt schon unmittelbar nach der religiösen Bekehrung des Landes eine gewisse Berühmtheit gewonnen, aber die volkthümlichen Sagen, welche ihrer in dieser Beziehung erwähnen, sind durch romantische und vielleicht allegorische Zusätze so sehr entstellt, dafs nur wenig sichere Schlüsse darauf zu begründen sind. Die Sage von E l i a s d e m M ü r o m e r ist nur etwa als Überlieferung von einem freiwilligen Aufstande der damaligen Bewohner gegen die Angriffe benachbarter heidnischer Völker zu betrachten, und zwar scheint man eine Auszeichnung der unteren Volksklassen bei diesen Unternehmungen dadurch angedeutel z.u haben, dafs der Held ausdrücklich als ein B^uerssohn geschildert wird. In den von Süden her an M ü r o m angränzenden Wäldern setzt aber die alte Überlieferung den Aufenthalt eines fabelhaften Wesens ( ¿ S o l o w e i R a s b o i n i k oder R ä u b e r - N a c h t i g a l l ) , welches durch seinen Gesang die Vorübergehenden aus der Ferne her anlockte und sie dann n u r durch die Kraft seiner Stimme tödtete. Hier am Orte selbst darf man am wenigsten hoffen, über den Ursprung dieser und ähnlicher Traditionen Aufschlufs zu erhalten, denn bei häufigen Zerstörungen der Stadt *) sind längst jede etwanigen ma.

*) Bei der letzten Wiederaufbauung von ? I ü r o m , gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, bemerkte man, dafs das Erdreich in der Stadl aus mehrfachen schiclitenformigen Ablagerungen von vorrodetein Kehricht und L nralh bestehe und dafs an der Gränze je zweier Schichten, verkohltes IIolz oder anderweitige Trümmer von Gebäuden sich fanden. Diese Schichten waicn stellenweise mit B l a u -

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IV. Abschnitt.

tcricllcn Denkmale vernichlct,

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August

und auch aus den Überlieferungen

der Einwohner hat die hier besonders lange währende T a t a r i s c h ' c Unterjochung, das Andenken früherer Ereignisse längst verdrängt. Auffallende Abweichung der Gesichtsbildung von der R u s s i s c h e n Nationalphysiognomie bemerkten w i r übrigens in M i i r o m wiederholcntlieh und sie dürfte w o h l mit Wahrscheinlichkeit jenen Zeilen der Unterjochung zugeschrieben werden. [August 3.]

Die Stadt grunzt an einen steilen Abhang gegen

die O k a , welche im Frühjahr heftig geschwollen,

die Schichten

des Ufers unterwäscht und dadurch das Abgleiten des von Frosl-

e i s e n e r d e ( p h o s p h o r s a u r e m E i s e n ) durclizogcn und so ward das Bild einer postadamitischen Bildung wahrhaft geognost. Lager noch vollständiger. Dafs übrigens auch hier zu M i i r o m die Blaucisenerde der zu Tage ausgehenden Schichten, tiefer liegenden reicheren Eisenerzen ihre Entstehung verdanke, beweist ein durchaus ähnliches Vorkommen an genauer erforschten Punkten der Umgegend. Die der Familie B a t v i s c h e f gehörigen reichcn Eisen-Sawoden ( H ü t t e n w e r k , von s a w o d i t j , e i n r i c h t e n ) W e l e t m a 3 0 W e r s t SO. und W u i s k a 27 W e r s t SSO. von M i i r o m , verarbeiten ein braunes Eisenerz, von welchem zwischen beiden Orten rundliche Knollen mit Scliaalen von (manganhaltigem) Schwarzeisenstein umgeben, unmittelbar unter der mit Blaueisenerde imprägnirten Dammerde anstehen. Im Jahre 1812 sah Herr Oberbergrath v. E v e r s in a n n daselbst Hochöfen mit aufserordentlich weiter Gichtüffnung zum Verschmelzen der Erze. Giefsereien, Dtahtzüge und Schwarzblechfabriken waren sehr thätig, besonders ausgezeichnet aber eine Sensenfabrik, welche damals für die bedeutendste des Reiches galt. Eine gelblich weifse dichtere Abänderung des Eisensteines wurde zu R o h s t a h l verschmolzen und dieser theilweise in C a e m e n t s t a l i l verwandelt. Das Material zu den Sensen erhielt man durch Schweifsung einer Schiene Caementstahles zwischen zweien Schienen von Rohstahl; die Güte desselben zeigte sich aber so auffallend bedingt durch die jedesmal eröffneten Anbrüche, dafs augenblicklicher Mangel des hellgelberen Erzes sogleich geringeren Absatz der daraus angefertigten Sensen verursachte; ein bedeutender Beweifs für die Ansicht, dafs zu Erzeugung des Stahles, das Eisen mit anderen Metallen sich legiren müsse, die künstlich bewirkte Verbindung mit Kohle aber keineswegs hinreiche. — Die Anfertigung mannichfaltiger Gefälsc aus Schwarzblech und die Verzinnung derselben zu W u i s k a schienen dem Berichterstatter wegen Dünulieit der Bleche sogar noch vollkominner, als die auf den kurz zuvor gesehenen D e u t s c h e n Werken zu K ö u i g s h ü t t e a m I l a r z uud zu N e u w i e d .

IV. Abschnitt.

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spalten zerklüfteten oberen Erdreiches begünstigt. Noch jetzt so wie früher ist man alljährlich genöthigt, die dem Rande des Abhanges zunächst gelegnen Holzhäuser mit neuen Unterstützungen zu versehen, bis cndlich auch diese nicht helfen und eine Verlegung des Gebäudes nötliig wird. Zur Seite der Fähre, welche uns über den Strom führte, lagen eine Menge von platten Barken, welche von hier aus in die W o l g a und nach dem Marktplatz von N i / n e i N o w g o r o d sich begeben. An den Masten dieser Fahrzeuge waren in verschicdncn Höhen, aus Holz geschnitzte Wimpel von mannichfacher Gestaltung als bunte Zierrathen angebracht. — Einzelne Platzregen begannen heute schon am Morgen und wechselten mit trocknem Wetter und sehr wirksamem Sonnenschein. Der erste Theil unsres Weges an dem nunmehr erreichten rcchtcn Ufer der O k a führte durch Niederungen, welche äufserst üppiger Graswuchs auszeichnete und eine grofse Mannichfaltigkcit von Wiesenkräutern zierte. Iiier sahen wir grofse Schwärme von Staarcn, die wie sie es pflegen, in der feuchten Niederung zur Auswanderung gegen Süden sich versammelt hatten. Nur etwa 20 Werst weit erstreckt sich dieses fruchtbare Wiescnland, dann aber setzten wir auf einer Fähre über das Flüsschcn T j ü s c h a nahe an dessen Mündung in die O k a , und am rechten Ufer desselben sahen wir das Land mit übersandetem Abhang sich wiederum erheben und nunmehr mit dichter Fichtenwaldung bedeckt. Hier waren an den Zweigen hoher Fichten häufig ausgehölte Holzklötze befestigt, in denen wilde Bienen ihren Aufenthalt suchen und ihre Produkte den in der Nähe wohnenden Landleuten zu Theil werden lassen. Es war dieses das erste Beispiel einer beabsichtigten Honiggewinnung, welches wir auf unserm Wege wahrnahmen. Bei M o n a k ö w o (31 Werst v o n M d r o m ) hatten wir wiederum der O k a uns genähert. Dieses reiche Dorf ist auf Hügeln erbaut, wclclie durch eine senkrecht auf die O k a gerichtete trockne Schlucht steil abgeschnitten werden und Schichten von b u n t e m S a n d s t e i n e an ihrem Abhänge zeigen. Oben auf dem Hügel bilden mehrere hölzerne Buden einen kleinen Kaufhof (Güs t i n ji d w o r ) wie gewöhnlich für die Bedürfnisse der Landlcule

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IV. Abschnitt.

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reichlich genug ausgestaltet. In der hiesigen Gegend mufs die Obstzucht einträglich sein, denn auch in dem Dorfe wurden Kirschen in grofscr Menge zum Verkauf ausgcbolen. Wir trafen zu R l o n a k ö w o einen von T o b o l s k kommenden Beamten, der jetzt, wie alljährlich, an der Spitze einiger Lastwagen nach P e t e r s b u r g reiste, um den Tribut der W e s t - / S i b i r i s c h e n Provinzen abzuliefern. Von liier aus bis nach O s ä b l i k o w o , wo wir die Nacht über uns aufhielten, blieb die fleifsig angebaute hügliche Landschaft höchst anmutliig. Dort machte man uns aufmerksam auf einen westlich vom Orte kuppenförmig sich erhebenden Hügel, welcher wie man sagte, aus einem daselbst häufig gebrochenen A l a b a s t e r bestehe. Grofse Bruchstücke des Gesteines zeigten, dafs es den zu Süclogila gesehenen Gypsblöcken völlig ähnlich ist. *) [ A u g u s t 4.] Nun wird die Annäherung an das reiche und 6chöne Lanil von N i / n e i N o w g o r o d immer fühlbarer. Die Gränze des W l a d i m i r s c l i e n und des nun beginnenden N i / c g o r ö d i s c h e n Gouvernements erreichten wir 10 Werst östlich, voii O s a b l i k o w o . Um die Landstrafse trocken zu erhalten, sind nun zu beiden Seiten derselben Gräben gezogen, und jenseits dieser sieht man zwiefache Birkenreihen gepflanzt. Die natürliche Festigkeit des Erdbodens reicht hier auch ohne Pflasterung hin, die vielfach befahrene Slrafsc eben zu erhalten. Eine liellrothe Färbung des Erdreiches sieht man hier häufig und sie erhöht die Freundlichkeit der an grünenden Ackerfeldern reichen Gegend. Aber auch in den Dörfern, welche wir auf unserm heutigen Wege kennen lernten, wird der Einflufs eines, dem äufseren Anscheine nach, so reichen Landes sichtbar. Vorzüglich ausgezeichnet schien in dieser Beziehung das Dorf B o g o r ö d s k , welches wir Nachmittags erreichten. Hier sind alle Häuser von den Bauern mit besonderem Fleifse gezimmert und reich an Verzierungen, dem untrüglichen Zeichen einer durch Wohlstand verliehenen Mufsc.

In Bezug auf den Hauplzweck unsrer Reise wurde dieser Ort sehr denkwürdig, weil magnetische Beobachtungen, welche ich dort anstellte, bewiesen, dafs die L i n i e o h n e A b w e i c h u n g jetzt sehr nahe an demselben vorbeigeht.

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August.

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Namentlich läuft längs jeder Kante des der Strafsc zugekehrten Dacligiebcls, ein etwa fufsbreites und mit seiner breiteren Flächc senkrecht gestelltes Brett, wclchcs mit zierlicher durchbrochncr Arbeil versehen ist. Bei den geringen mechanischen Hülfsmitteln der Erbauer wird die Ausführung dieser geschmackvollen Zierrathc noch merkwürdiger. Ausserdem aber sieht man auf der Spitze eines jeden Giebels ein ebenfalls hölzernes erhabnes Bildwerk hervorragen. Das Abbild eines Pferdekopfes schien bei weitem am häufigsten im Geschmack der Hausbesitzer gewesen zu sein. — Auch die Bewohner des Dorfes waren durch gesundes Anselm und angenehme Gesichtsbilduiig sehr vorlheilhaft ausgezeichnet. Jetzt halle der lebhafte Verkehr in den Dörfern eine direkte Beziehung auf den Markt von N. N o w g o r o d und auf die Bedürfnisse der durchziehenden Ilandelscaravanen; so waren Niederlagen \oii Pferdegeschirr zu B o g o r o d s k und neben ihnen eine Reihe von 20 bis 30 Ilufschmicdcwcrkslältcn, in deren jeder eifrigst gearbeitet wurde. Wir übernachteten zu D o s k i n o 63 Werst von O sab Ii k o w o . Iiier ist die Ebne von steilen Schluchten so mannichfach durchschnitten, dafs man sich in einer Gebirgsgegend wähnen könnte. Der Geistliche des Ortes übernimmt in einem ärmlichen Hause die Beherbergung der nur sehr selten zu D o s k i n o verweilenden Reisenden. [ A u g u s t 5.] Von D o s k i n o aus ging der Weg über Hugcl, die steil zu dem Niveau der O k a abfallen und von häufigen schmalen Schluchten durchschnitten werden, welche senkrecht auf das Ilaupllhal gerichtet sind. — Ackerbau ist hier überall in Aufnahme und der Boden zeigte wieder die früher erwähnte liellrothc Färbung. — Übrigens, erhält sich die Landstrafsc immer um einige Werst von dem Abhänge zum Flusse entfernt; nur selten wird die W asscrllächc theilweise sichtbar und um so auffallender erschien es, dafs eine Menge von Flussvögeln ( S e e s c h w a l b e n , s t e r n a e ) hier auf den Hügeln sich zeigten, wie es schien, um auf den frisch gepflügten Feldern ihre Nahrung zu suchen. Sie werden von den Hiesigen M a r t u i s c h k i genannt. Gegen 11 Uhr Morgens erreichten wir N i / n e i N o w g o r o d , welches schon vou weitem durch seine thurmrcichen Kirchen sich

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IV. Abschnitt.

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August.

auszeichnet. Sehr gespannt waren -wir, nun cndlicli den Ort zu sehen, der bis auf so grofse Entfernung als Mittelpunkt einer allgemeinen und vielseitigen Thätigkcit sich zu erkennen gab. In der parallel mit dem Flusse gerichteten Strafsc, welche wir zuerst erreichten, zeigte sich eine sehr zierliche Bauart. Fenster mit grofsen und hellen Glasscheiben sind liier etwas Gewöhnliches in den bisher gesehenen Landstädten aber unerhört. Hier waren steinerne Gebäude fast vorherrschend, unter denen jedoch die gröfseren zu öffentlichen. Zwcckcn bestimmt, nicht aber Privateigenthum sind. Sodann folgt ein quadratischer Platz mit einem mililairisclien Waclithause in seiner Mitte; von dort aus sieht man mehrere Quecrstrafsen vom Flusse abwärts sich erstrecken. Alles ist regclmäfsig und zierlich gebaut und die Strafsen sind sorgfältig mit Steinen gepflastert, so wie wir es bisher nur in P e t e r s b u r g und M o s k a u gesehen hatten. — Wohlerlialtene steinerne Kirchen sind in grofscr Menge vorhanden. Aber rätlisclliaft war es, nach so liocli gespannter Erwartung die Stadt wie unbewohnt und ausgestorben zu sehen; denn auf den Strafsen wurde aufser der militairisclicn Besatzung nur höchst selten ein andrer Bewohner sichtbar. Man führte uns zu einem grofsartig angelegten Wirlhshause in einer der, senkrecht auf die O k a gerichteten Strafsen. Erst dort erklärte man uns, dafs die befremdende Stille grade eine direkte Folge des J a h r m a r k t e s sei, der eben jetzt in gröfster Aufnahme sich befinde, denn während dieser Zeit verliere die o b e r e S t a d t ihre Bedeutung und einem anderen u n t e r e n S t a d t t h e i l e wende aller Verkehr sich zu. Dahin auch war nicht nur am heutigen Nachmittage unsre erste Ausflucht gerichtet, sondern auch während unsres viertägigen Aufenthaltes zu N i / n c i kehrten wir täglich zu diesen anziehenden und lehrreichen Punkt zurück. — Es zeigte sich n u n , dafs der früher erwähnte freie Platz in der o b e r e n S t a d t bis zum äufsersten Rande der Ebne sich erstrecke. Er befindet sich an der rundlichen Ecke, welche die Thäler der O k a und W o l g a an dem Punkte ihrer Vereinigung abschneiden. Eine steinerne Brustwehr begrönzt ihn von der der

IV. Abschnitt. Wolga

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August.

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zugekehrten Seite und von dort sieht man tief unten am

Fufse des steilen Abhanges die majestätische Wasserfläche ausgebreitet und jenseits derselben ein vollkommen flaches und niedriges Land bis zum Horizonte sich ausdehnen. Ein steinernes Thor öffnet sich gegen den etwas sanfteren Abhang zur O k a , auf welchem ein gepflasterter Falirdamm und zur Seite desselben Stufen für die Fufsgängcr zu den Stadtllieil fuhren, der unten an dem, hier breiteren, Strande des Flusses sich erhebt und die Wasserfläche desselben dem Auge verbirgt. Zu dieser u n t e r e n

Stadt

gelangt,

sieht man eine Reihe

dreistöckiger steinerner Gebäude die linke Seite der längs der O k a sich hinziehenden Strafse bilden und sonderbar contrastircn gegen die von Alter geschwärzten Holzhäuser der rechten Seite,

in de-

nen Gcwcrbtrcibende und Fabriken mannichfaltigcr Art ihren Sitz haben.

Die zum Schiffbau erforderlichen Handwerke und beson-

ders Scilspinnercien, sind die bedeutendsten unter diesen. Fuhrwerke und Fufsgängcr bewegten sich liier in gedrängten Reihen und sammelten sich zum Thcil um hölzerne Handelsbuden, welche vor den Häusern aufgestellt sind;

aber die während wei-

teren Fortschreitens bemerkte beständige Zunahme des Verkehres zeigt bald, dafs nach einen entfernteren Mittelpunkt die wogende Menschenmenge tlieils sich richtet, rückkehrt. —

stehende Häuserreihe unterbrochen, Strafse

theils von dort befriedigt zu-

Man sieht dann endlich die dem Flusse zunächst während die linke Seite der

durch einzelne Landhäuser stromaufwärts sich fortsetzt.

Rechts sich wendend betritt man nun eine nur wenig über dein W7asser erhabne Schiffbrücke, auf welchcr zu beiden Seiten der Fahrbahn ein Strom von Fufsgängern sich bewegt. Iiier erst, wo die Vorübergehenden sich einander näher treten, bemerkt man in dem bunten Gewühlc eine Menge durchaus neuer Erscheinungen, man gewahrt erst nun eine grofse Mannichfaltigkeit fremdartiger Kleidungen und Gcsiclitsbildungcn, sten Male während unsres Weges von P e t e r s b u r g

und zum eran,

hörten

wir die R u s s i s c h e Rede durch fremde und unbekannte Sprachen fast gänzlich verdrängt. — W i r erreichten das jenseitige Ufer der O k a und sahen uns zunächst umgeben von hölzernen Buden, die dicht au einander gereiht zu einzelne» Quadraten geordnet sind

19-2

IV. Abschnitt.

1828.

August,

und wegen ihrer bedeutenden Anzahl schon hinreichend ersehet-* nen, um die Erwartung eines sehr grofsartigen Handelsverkehrs zu rechtfertigen. Dem unmittelbaren Zutritte zunächst hat der Detailhandel seine Stelle gefunden. Iiier herrscht die gewöhnliche Mannichfaltigkcit des Inhaltes eines R u s s i s c h e n Kaufhofes, aber in einem Mafsstabe, der alles früher Gesehene an Grofsartigkeit bei weitem übertrifft; wie gewöhnlich sieht man die Niederlagen gleichartiger Waaren reihenweise neben einander befindlich. Die Eisenwaaren des U r a l , Lederarbeiten und Kleidungsstoffe aller Art versammeln liier einen Schwärm von Landlculen der Umgegend. In gröfscrcn Buden, die nur zum Schutze gegen die Witterung bestimmt scheinen, sind die Waaren der Großhändler in ungeöffneten Ballen aufgehäuft. Wie erstaunt man aber, wenn üian diese Niederlassungen, deren Gcsammtheit schon allein einer nicht unbedeutenden Stadt verglichen werden könnte, nur als temporaire Aufsenwerke zu einem ungleich kolossaleren Marktplatze erkennl. Jenseits des von den hölzernen Niederlagen eingenommenen Raumes sieht man einstöckige steinerne Gebäude, die von Säulenhallen umgeben und mit grün gefärbtem Eisenblech gedeckt sind. Sie sind gänzlich von Handelsgewölben eingenommen und bilden 64 reclxtwinkliche und durch Queerstrafsen getrennte Viertel. In ihrer Mitte erhebt sich durch seine Höhe und architektonische Vollendung ausgezeichnet, ein mit zwei Seitenflügeln veselienes Gebäude, welches zur Aufnahme der mit Beförderung und Leitung des Jahrmarktes beschäftigten R u s s i s c h e n Behörden bestimmt ist; In dem unteren Stockwerke desselben hat während der Dauer der Messe, die sonst in der oberen Stadt befindliche Briefpost ihren Sitz und erfüllt dann einen Wirkungskreis, der an auffallender Mannichfaltigkcit wohl kaum seines Gleichen haben dürfte, denn schriftliche Naelirichten, durch welche A r m e n i s c h e und T a t a r i s c h e Kaufleutc ihre entfernten A s i a t i s c h e n Geschäftsverbindungen unterhalten, begegnen sich hier mit Briefen aus allen Thcilen E u r o p a s . — Ferner befinden sich in diesem sogenannten H a u p t g e b ä u d e ( G l ä w n o i d o r n ) die Kanzelei des Civilgouverneurs, ein eignes Bureau für die Verzeichnung der zum Jahr' markte eingeführten W a a r e n , eine Bank und eine Niederlassung

IV. Abschnitt.

1828.

August.

193

der allgemeinen Polizeibehörde sowohl als der besonderen Ab theilung derselben, welcher die Leitung der Löschanstalten im Falle einer Feuersbrunst übertragen ist. In dein inneren Ringe von Gewölben, welcher das H a u p t g e b ä u d e zunächst umgiebt, sieht man vorzugsweise die Niederlagen von Gegenständen des E u r o p ä i s c h e n Luxus. In den Gewölben der F r a n z ö s i s c h e n Modchüiidler und den Niederlagen der P e t e r s b u r g e r und M o s k a u e r Fabrikate würde man glauben, plötzlich wieder in die Mitte einer E u r o p ä i s c h e n Hauptstadt versetzt zu sein, wenn nicht mit jedem Schritte durch das Ansehen der Vorübergehenden, das Vorherrschen A s i a t i s c h e n Verkehres sich bekundete. Die Buchläden und die damit verbundenen Niederlagen von Landkarten und Kunstgegenständen nelmien eine eigne Reihe dieses inneren Ringes ein; eine andere sahen wir ausschlicfslich zur Ausstellung von G r i e c h i s c h e n Heiligenbildern ( o b r a s ä ) in den \crschicdenartigstcn Gröfscn und Formen, so wie auch von Anmieten, Kerzen und mannichfachen andren Gegenständen bestimmt, welche bei Begräbnissen und andren Gebräuchen der G r i e c h i s c h - R u s s i s c h e n Kirche in Anwendung kommen. Die Mehrheit der Heiligenbilder wird in den Fabrikörtern am U r a l angefertigt, jedoch werden auch andre in vielen einzelnen Dörfern und kleineren Landstädten von ungebildeten Bauern gemalt, welche dadurch ein besonders verdienstliches Werk zu ihun glauben. Die Besitzer der hiesigen Niederlagen sind daher gleichzeitig mit dem Ankauf und dem weiteren Vertriebe dieser Gegenstände beschäftigt, und «war wird, dem Landesglauben gemäfs, dieser Zweig des Handels wegen seiner cigcnthümlichen Natur stets durch den Namen des A u s t a u s c h e n s ( w u i m e n a t j ) bezeichnet, weil heilige Gegenstände dieser Art eigentlich nicht für Geld gekauft, sondern nur durch Bezahlung mit adäquaten Dingen erlangt werden sollen. — Die Satzung der G r i e c h i s c h e n Kirche, nur lineäre, nicht erhabene Abbildungen der heiligen Personen zu gebrauchen, bezieht sich nur auf die unbekleideten Thcile des Darzustellenden; die Kleidung aber (mit einem eigenthümlicheu Wurzclworte R i s a benannt, siehe oben pag. 170.) darf erhaben sein und wird aus Silber- oder Goldblech getrieben, auf die hölzerne Tafel des Bildes befestigt. Daher auch sieht man so oft in den I, B»n

v o m

Gewicht der verschmolzenen Erze.

Die hiesigen Hohöfen

sind im Schachte rund gebaut. 33 Engl. Fufs hoch, an der GichtöfFnung ( K o l o s c h a der hiesigen Kunstsprache) von 7 Engl. Fufs, an der breitesten Stelle ( R o s p a r , von r o s p a r i t j , z e r f l i e f s e n m a c h e n ) aber von 14 Engl. Fufs Durchmesser. Die Verengerung des Ofens über der Form wird G o r n oder B r e n n r a u m

(von

goritj, brennen),

oder

der feuerfeste Grund aber P o t s c l i a

L e s c h t s c h e d a , d. i. U n t e r l a g e genannt. Sowohl für die T a g i l s k e r als auch für die nördlicher gelegnen U r a l i s c h e n Werke holt man die Gestellsteiue zu den Ofen von einem, 140 Werst Ost von T a g i l s k , an der Mündung des R e / - F l u s s e s gelegnen Steinbruche.

Der Bergrücken welchcr dieses aufseror-

dentlicli feuerbeständige

Geslein

enthält,

g o r a d. h. der S c h l c i f s t c i n b e r g

wird

genannt,

totschilna/a

und ist an seiner

entblöfstcn Seite in eben so viele einzelne Bezirke gctheill als Hüttenwerke an der Förderung Ansprüche haben.

Die

nützliche«

Steinplatten welche diesen Hiigelzug bilden, bestehen aus einem äufserst festen körnigen Q u a r z e , den talkige

Glimmerschuppen

grünlich färben imd auf dessen Schichtenablösungen die schönsten Krystallanfliige von rothem Bleierz (chromsaiirein Bleie) äufserst häufig sich zeigen. —

Uber die Entstehungsgeschichte zweier für

den U r a l gleich auszeichnenden Erze, des r o t h e n B l e i e r z e s und

V. Abschnitt. de» g e d i e g e n e n totschilnaja liefern.

Goldes

gora

1828.

September.

339

schienen uns diese Gesteine von der

einigen nicht unerheblichen Aufschlufs zu

Wir wufsten bereits dafs in den reichen Bergwerken von

B e r e s o w s k (unten Abschnitt VI. September 2 5 ) der goldhaltige Brauneisenstein nur da sich finde, wo (Bleispath führende) Quarzgänge das talkige Übergangsgebirge durchsetzt haben.

Aber sowie

dort das goldhall ige Erz durch die talkige Hauptmasse in Nähe der Gänge zerstreut,

der

das seltene Bleierz hingegen durchaus

nur in der Mille der durchsetzenden Gänge sich zeigt, so ist es auch an der t o t s c h i l n a j a g o r a .

Bis auf dünne Chloritschuppen

in der Gangmassc selbst ist dort jede Spur der talkigen Formation durch die (später) hinzugetretne Quarzbildung verdrängt, und, zu vollständigerer Bestätigung der B e r e s o w s k e r Erfahrungen, sieht man dort den Bleispath in ungewöhnlicher Fülle und Golderze zeigen sich nicht. — In» Allgemeinen unterscheidet man hier am U r a l

drei ver-

schicdne Qualitäten von Roheisen, von denen das weichste und am meisten kohlehaltige (A'pe 1 o i t s c h u g i i n ) von einer schwammigen und mit Granit gemengten Schlacke begleitet zu sein pflegt. Gewöhnlich ist diese so porös dafs sie auf Wasser schwimmt, doch finden sich darunter auch dichtere krystallinische und ebenfalls wcifsc Stücke welche den Stahlschlacken von B e n d o r f am R h e i n e durchaus ähnlich sind und ohne Zweifel, ebenso wie diese, mit den fasrigen Hornblenden (Trcmolithen) der Gebirge übereinkommen. Das aus reinem Magneterz gewöhnlich erhall ene

Roheisen

führt den Nauien t r j c t n i s c h o k (mittleres oder eigentlich DrittelProdukt) und ist slets von grüner (Oxydulhaitiger) Schlacke bedcckl;

eine schwarze Schlacke aber begleitet das

kohlenarme

weifse Roheisen, welches gewölilich beim Anfange des Sclimelzprozesses sich erzeugt und von den hiesigen Hüttenleuten ^ u i r o i oder auch , / e s t ö k o i t s c h u g u n d. i. r o h e s oder s p r ö d e s (eigentlich g r a u s a m e s ) Gufseiscn genannt wird. Einen auffallenden Beweils von der Handgeschicklichkeit der Russischen

Albeiter erhält man wiederum durch die hier so-

wohl als auf allen übrigen U r a l i s e h e n Hüttenwerken gebräuchlichen Gebläse für die gröfseren Schmelzöfen.

Sie sind stets von 22 *

340

V. Abschnitt.

18-28.

September.

cylindrischcr Form und man scheint also liier die Schwierigkeiten nicht anzuerkennen welche, nach dem Urthcile E u r o p ä i s c h e r Hüttenleute, mit der Anfertigung dieser Vorrichtungen selbst dann verbunden sind, wenn dazu ungleich mannichfaltigere Hülfsmittel als hier am U r a l zu Gebote stehen. Die Cylinder sowohl als die sie von oben und unten verschliefsenden Deckel und der comprimirende Stempel, werden aus Lindenholz gearbeitet welches man aus den Waldungen des westlichen P e r m i s c h e n und des O r e n b u r g i s c h c n Gouvernements erhält. Mit eisernen Schienen und Press - schrauben werden die einzelnen Theile des Apparates bis zu luftdichtem Schliefsen gegeneinander gedrückt. — Der obere sowohl als der untere Deckel der Cylinder ist mit einer naeli innen sich öffnenden Ventilklappc versehen, auch sind zwei hölzerne Ableitungsrohren, die eine in der Nähe des oberen, dio andre in der Nähe des unteren Bodens vorhanden, so dafs gleichmäfsig bei Erhebung und bei Senkung des Stempels, die comprimirte Luft in eine vor den Cylindern liegende gänzlich abgeschlofsne Windlade geleitet wird. Die senkrecht auf und nieder bewegten Kolbenstangen sind von Eisen und bei ihrem Durchgänge durch den oberen Deckel des Cylinders schliefsen sie sich genugsam luftdicht an das sie unmittelbar umgebende weiche IIolz. Später erst hat man auf dem Kaiserlichen Werke zu W e r c h n e j T u r i n s k bei K u s c h w a (unten September 10) mit grofsen Kosten cine Maschine zur Abdrehung gusseiserner Balgcylinder hergestellt, dennoch aber sieht man immer noch das früher gebräuchliche und hinreichend vollkommne Hülfsmittel gleichzeitig mit dem neueren anwenden. Um das aus den Holiöfen erlialtene Roheisen noch einmal zu schmelzen und daraus weichere Gufswaaren zu bereiten, braucht man auch hier die Cupoloocfen (Russisch: W a g r a n k i ) . Diese enthalten in einer tonnenförmigen blechernen Hülle einen mit dem oben erwähnten quarzigen Gestellsteinen ausgelegten Schmelzraum. Mittels zweier seitlicher Zapfen ruhen sie schwebend auf einer horizontalen Unterlage. Nach vollendeter Schmelzung wird ein, das Vorderende des Ofens tragender, Unterbau hinweggenommen und dadurch das Ausfliessen des Eisens erleichtert.

V. Abschnitt.

182a

September.

341

Von der In dem D i m i d o w s c h e n Hütten-Distrikte üblichen Frischarbeit und Anfertigung des Stabeisens werden wir nach Ansicht des T s c h e r n o i s t ö l s c h i u s k e r Werkes (unten Septbr. 19) nocli Einzelnes zu erwähnen haben;

hier zu T a g i l s k

aber ist

die Blcchfabrikatioii zu einen ausgezeichneten Grad von Vollkommenheit gediehen.

Die Walzen

zwischen denen kurze Eisen-

und Kupferslübe (Russisch: B o l w a n k i ) werden, bestehen aus Eisen.

zu Platten ausgedehnt

Sie werden nicht abgedreht sondern

durch den Gufs in einem niit Graphit überstrichnen Ilohlcylindcr wird ihnen

gleich

ursprünglich

Ebenheit und Glätte ertheilt.

der

erforderliche Grad

von

Die als Form dienenden Hohlcylin-

der aber sind ebenfalls von Eisen und werden, ebenso wie die C l ünder der Gebläse, mittels der oben erwähnten Bohrmaschine des W e r c h n c j T u r i n s k e r Werkes angefertigt. Indem man allmülig und nach mehreren Glüliungen die Metallplatten bis zu dem erforderten Grad der Dünnheit auswalzt, wird stets sorgfältig darauf geachlct, dafs der Rand derselben vollkommen glatt und ohne Einschnitte sei, und die Stücke werden daher nach voi'gczoiclmcten Linien mittels grofser Blechschceren mehrmals beschnitten.

Nach vollendeter Auswalzung werden 12 bis 20

Platten gleichzeitig unter den Schlägen eines 40 Pud schweren Hammers geglättet.

Die zu hämmernden Platten liegen übereil*

ander gcscliichtct auf einem sinnreich eingerichteten Rollwagen, mittels dessen sie unter dem Hammer bewegt und umgewendet werden.

Einer der Arbeiter ist beschäftigt, mit einem Besen den

sich fortwährend erzeugenden Glühspahn abzukehren und dadurch die Oberflächc des Bleches vor Unebenheilen und Eindrücken eu bewahren. — Die Kupferbleche haben vorzüglich

seitdem sie in

der R u s s i s c h e n Marine zur Bekleidung der Schiffe angewendet werden, eine höhere Wichtigkeit erlangt.

Das schwarze Eisen-

blech aber ist seil langer Zeit in R u s s l a n d zum Dachdecken sowohl als zur Anfertigung mannichfalliger Geräthschaflen und Geßifse in grofser Menge verbraucht worden, und vermöge der vortrefflichen Natur des hiesigen Eisens ist es gelangen zu einem seltnen Grade, von Dünnheit auszuwalzen.

dasselbe bis Man hat

aufserordentlich glatte und ebne Platten angefertigt, wclchc bei 1 Arschine Breite und 2 Arschinen Länge ein Gewicht von nur

34-2

V. Abschnitt.

1828-

September.

Russ. Pfunden d. h. eine Dicke von 0,057 Par. Linien besitzen *) und dalier wie biegsames Messingblech aufgerollt werden können.

Den durch Oxydation während des ganzen Walz- und

Hämmerprozesses verursachten Verlust schätzt man auf 0,12 bis 0,13 des angewendeten Eisens.

Bei der oftmaligen Ebnung des Ran-

des der Platten erhält man hier zu 0,20 an Abschnittscln welche man früher auch hier zu der oben (Seite 259) beschriebnen Anfertigung des sogenannten Uklad - Stahles, jetzt aber, mit einer das Doppelte ihres Gewichtes betragenden Kohlenmenge, zu Stabeisen verarbeitet;

bei dieser Anwendung der Abfälle vom Bleche soll

wiederum nur 0,10 vom Gewichte derselben verloren gehen, und es beträgt demnach der eigentliche Verlust bei der Blechbereitung nur 0,14 bis 0,15 von dem ursprünglich angewendeten Eisen. — Eine Gröfse von 2 Quadratarschinen ist für die zur Dachbedeckung anzuwendenden Eisenbleche üblich geworden; die fertigen Platten werden schon hier mit kaufmännischer Zierlichkeit und Sorgfalt zu Ballen verbunden, und zur Bequemlichkeit der Käufer wird auf den eisernen Schienen welche sie zusammenhalten, die Anzahl der verbundnen Bleche und das Gewicht der zusammenhaltenden Bänder eingeprägt. Unter den hiesigen Kupfererzen sind reine Oxyde vor den geschwefelten Verbindungen bei weitem vorherrschend, und, ebenso wie die meisten Erze desselben Metalls welchc in der Nähe des U r a l r ü c k e n s in den südlicheren Hüttendistrikten sich finden, sind auch die hiesigen durch eine höchst innige Vereinigung mit Eisenerzen ausgezeichnet. Das Produkt der in Brillöfen und mit einem Zuschlage von Kalk,

Thon

und

Kupferschlacke

erfolgenden Schmelzung

der

Kupfererze ist daher stets in zwei durchaus verschiedenartige Metallschichtcn getrennt, von denen die zuunterst sich ablagernde aus einem nur schwach eisenhaltigem Rolhkupfer die spezifisch leichtere obere Schicht aber aus einem stark gekohlten Roheisen besteht, welches durch innige Beimengung einer geringen Kupfermenge auf dem Bruche röthlich-grau erscheint, und bei den U r a * ) Wenn man d a s spezifische G e w i c h t des Bleelies zu 7,788 von des W a s s e r s bei -f- 3 ° , 5 l t . annimmt.

dem

V. Abschnitt.

1828.

September.

343

l i s c l i c n Ilüttenleuten unter dem Namen l n j e d n o i t s c h u g u n d. i. kupfriges Gufsciscn bekannt ist.

Wenn z. B. die ganze Be-

schickung der Öfen aus einem hier häuiig vorkommenden Kupferuud Eisen-halligen Chlorile besieht, so erhält man aus 1000 Theilcn Erz nur 6,4 Thcilc Rothkupfers, aber zugleich 72 Theile des kupfrigen Gufseisens, welclie nach erfolgter Abscheidung

noch

andre 11,4 Theile , also mit jenen ersten zusammen etwa 1,8 Proccnt Kupfers liefern.

Ein etwa halb so grofser Anlhcil des beab-

sichtigten Metallcs zieht sich noch aufserdem in die Schlacke welche auf dem Ergebnifs der ersten Schmelzung schwimmt.

Wie

es auf allen Kupferhütten üblich ist, wird auch hier diese Schlacke theils bei der ersten Schmelzung des Erzes, theils bei der folgenden Bearbeitung des Rohkupfers und Kupfereisens wiederholenllich hinzugefügt.

Auch die von erdiger Beimengung freieren Erze der

hiesigen Gruben liefern stets jene zwei gesonderten Schichten. l)a, nach direkteren Versuchen im Kleinen, das Eisen einer chemischen Verbindung mit dem Kupfer

unfähig gehalten wird,

so dürften vielleicht diese Erscheinungen bei den hiesigen Sclimekwerken einige Aufmerksamkeit verdienen,

denn durch künstlich

beschleunigte Abkühlung des geschmolzenen Metalles wird in den hiesigen Öfen eine so völlig reine Absondrung beider mehrerwähnten Schichten bewirkt, dafs für das Vorherrschen zweier bestimmten Mischungsverhältnisse 'wirklich mehr Wahrscheinlichkeit als für eine nur mechanische Mengung vorhanden zu sein scheint. *) Nur durch eine bis zu ' 10 Malen wiederholte Schmelzung auf

° ) D e r eigentliche K u p f e r g e h a l t des kupfrigen G u f s e i s e n s kann d u r c h die Erfahrungen d e r Hüttenlpute nicht ermittelt w e r d e n , weil kupferbaltige Schlacken sowohl bei der nnchherigen Abscheidung in den Garheerden hinzugesetzt, als auch neue daselbst erzeugt und nachher während des übrigen S c h m e l z v e r f a h r e n s mit ilen E r z e n g e m e n g t werden. Nach einer von Herrn H e l m zu J e k a ta r i n b u r g gen i a l Ilten Analyse d i e s e r interessanten L e g i r u n g haben sich a b e r in 100 Tlieilen derselben 66,75 E i s e n , 2'2,25 K u p f e r , 8,00 K i e s e l e r d e . 3,00 K o h l e

gezeig:.

344

V. Abschnitt.

1828.

September.

Garherden gelingt es endlich das Eisen der Verbindung zu verschlacken und das spezifisch schwerere Kupfer am Boden der Ofen vollständig zu sammeln. — Zu diesen Schwierigkeiten bei der Ausbringung des Kupfers kommt auch hier der bekannte Umstand hinzu, dafs oftmals, bei einer zu sehr beschleunigten Erwärmung der in den Schmelzöfen aufgegebnen Erze, der gröfste Theil ihres Kupfergehaltes durch die Gichtöffnung entweicht, und nur erst in einiger Entfernung vom Ofen als feines Metallpulvcr sich niederschlägt. Nach vergleichender Ansicht des liier zur Bereitung des Eisens und zu der des Kupfers üblichen Schmelzprozcsses befremdet die sehr bestimmte Erfahrung, dafs die frühesten Schmelzversuche S i b i r i s c h e r Urbewohner ausschliefslich auf die anscheinend schwierigere Ausbringung des Kupfers gerichtet waren; denn werden wie jetzt die Erze in vollständigen Flufs gebracht, so scheint es unmöglich das Kupfer zu scheiden, ohne auf die Anwesenheit des an Menge überwiegenden Eisens aufmerksam zu werden. Dennoch waren es nur reine Kupfermassen welche in der Nähe der uralten und von den R u s s e n sogenannten T s c l i u d i s c h e n Schmclzstätten auch am U r a l gefunden wurden. Ein ebenso alter wohlverzimmerter Schacht ( t s c l i u d s k o i k ö p oder F r e m d lingsgrube; vergl. oben Seite 40) ist bei G u m e s c l i e w s k (56°,5Breite) am Westabhange des U r a l vorhanden und die vollkommnere Reinheit der früher dort brechenden Kupfererze dürfte wohl dort zur Erklärung der erwähnten Schwierigkeit beitragen. Vielleicht dafs dieselbe Besonderheit eines sehr reinen Kupfervorkommens auch an den übrigen Förderungsstellen sich nachweisen läfst, welche mit Bestimmtheit schon in jener dunkeln Epoche der U r a l i s c h e n Bcrgwcrksgescliichte in Aufnahme waren. Einen sehr auszeichnenden Industriezweig bildet hier zu T a g i l s k die Kunst, das Eisenblech mit einem schönen und der Wärme des kochenden Wassers widerstehenden Lack zu überziehen, und auch von dieser Fertigkeit ist es nicht unwahrscheinlich, dafs der Verkehr mit den C h i n e s e n ihre frühzeitige und besondre Ausbildung in ¿ S i b i r i e n herbeiführte, denn bei diesen ist ebenfalls ein ausgezeichnet haltbarer Lack in sehr allgemeinem Gebrauche (vergl. unten Abschnitt XI.). In besonder» grofser Zahl werden

V. Abscluiltt.

18-28. September.

345

hier vcrschliefsbarc Behälter zur Aufbewahrung von wichtigen Habseligkeiten angefertigt, weil dergleichen unter dem Namen L a r e z oder dcminutivisch L a r t s c h i k ein volkthiimlich unentbehrliches Hausgcräth der R u s s e n ausmachen; aufserdem aber auch zierliche Tischplatten und mancherlei Gefäfsc. Die zu lakirenden blechernen Waaven ziert man mit Malereien und auch dieser Tlicil der Fabrikation wurde lange Zeit hindurch, ohne Anleitung eines gebildeteren Meisters, denjenigen Hüttenarbeitern überlassen welche einige Neigung für die zeichnenden Künste iiufscrtcn. Talentvollere Individuen verschafft cn sich bald einen bedeutenden Ruf, nnd es geschah z. IS. dafs man die zu T a g i l s k angefertigten Blechwaarcn 400 Werst weit nach 81a l o u s t zweien dort ansässigen Malern ( B o j a r t s c h i k o w und B u s c h u j e w ) übersandte, sodann aber, um das Gemalte mit Lack zu überziehen, sie von dort aus nach T a g i l s k zurückbeförderte. Eine ähnliche 6clir beträchtliche Fabrik ist auch nahe bei J c k a t a r i n b u r g am I « e t von einem dortigen Bürger angelegt worden; jedoch soll die Vortrciflichkeit des T a g i l s k e r Eisens den hier angefertigten Waareu den Vorzug verleihen. Seit einigen Jahren haben die Besitzer des hiesigen Hüttenwerkes für eine vollkommnere Ausbildung dieser Kunstfertigkeit gesorgt, indem sie ihre Leibeignen nach E u r o p a sandten und dort im Zeichnen und Malen unterrichten liefsen. Ja einige dieser Zöglinge haben mehrere Jahre in I t a l i e n gelebt und in einer zu T a g i l s k angelegten Kunstschule überliefern sie nun das dort Gelernte ihren ¿ S i b i r i s c h e n Landsleuten. Anziehend waren einige frühere Leistungen dieser S i b i r i s c h e n Künstler wegen der lokalen und nationellen Beziehungen der gewählten Gegenstände. So sahen wir ein Bildnifs J e r m a k ' s , welches den talentvollen Krieger bereits nach der glücklichen Wendung seines Unternehmens darstellte. Er ist bereits mit dem verhängnifsvollen golduen Harnisch bekleidet welchen der Zar ihm bei der ersten Siegcsnachricht verlieh und der bald nachher, bei einemSturz in den I r t u i s c h , den Helden am Schwimmen verhinderte und seinen frühzeitigen Tod herbeiführte. — Daneben sieht man häufig, durch dankbare Nachkommen erhallen, ein Bildnifs von N i k i t i D i m i d o w , dem Urheber des U r a l i s c h c n Bergbaues, dessen Gesichtszüge von rüstigem

346

V. Absclmitt.

1828.

September.

Mutlie zeugen, während man nicht wcifs oh der kahle Schcitcl dem Einflüsse eines langen und sorgenvollen Lehens oder der vielleicht damals noch allgemeiner herrschenden Sitte des Iiaarschcerens (oben Seite 141) beizumessen ist.

Der mächtige Dornenstab

in der Kecliien des Mannes läfst in ihm den unermüdlichen Wanderer erkennen. — Ebenso hat die liier angefertigte Darstellung eines alten Ilölenklostcrs am steilen I r t u i s c h - U f e r bei T o b o l s k trotz geringer künstlerischer Vollendung bereits einen historischen Werth erlangt,

indem sie mit unverkennbarer

merkwürdigen Zustande diese

Stadt

in

zeigte.

Auf

Tagilsker

Maler

in S i b i r i e n ,

Treue einen Theil der

einem jetzt nicht mehr eine die

bedeutende einzigen

vorhandenen

Entfernung

darstellenden

sind

Künstler

und es ist daher sicher wünschenswerth,

dafs

diese auch noch fernerhin aus dem ungemein reichhaltigen und kaum erst berührten Schatz ethnographischer und landschaftlicher Gegenstände des nördlichen A s i e n s sich Vorbilder wählen,

und

dadurcli ihren meistens nach ¡ \ i y n c i N o w g o r o d gesandten Arbeiten einen ganz besondern Werth in den Augen der W c s l - E u r o p ä i s c l i c n Händler verleihen. — Wir waren etwa eine Werst weit gegen Osten von dem Hüttenwerke gegangen, als wir an dem Fufse eines sieil zu 300 Fuls über den T a g i l s k e r Hütlenleich ansteigenden und 3 Werst weit gegen Norden sich erstreckenden Felscngratcs uns befanden.

Die-

ses ist die unerschöpfliche Vorralhskammer für die hiesigen sowohl als, wie wir oben erwähnten, für die N e w j a n s k e r Eisenhütten. Die ganze Masse dieses frei hervorragenden Felsens besteht aus reinen Eisenerzen.

Die si eilen Abfalle welche ihn gegen Westen

begränzen, hat er zum Theil durch Menschenhände erhallen, denn seit 1720 ist hier eine durchaus einfache Steinbrucliarbeit im Gange, vermöge deren mau an drei Stellen für die D i m i d o w s d i e n und Jakowlewschen

Hütten

die Eisenerze von der jedesmaligen

Vorderiläche des Felsens ablöst.

Man dringt nur so tief unter das

Niveau der umgebenden Ebne, als noch einfache Pumpen hinreichen um die in den Vertiefungen sich ansammelnden Tagewasser hinwcgzuschaiTcn.

Aber auch dem Eindringen der Arbeiter von

der westlichen Vorderiläche gegen die Mitte des mächtigen Stockwerkes ist eine Gränze gesetzt,

denn auf das weiche Brauneisen-

V. Abschnitt.

18-28.

September.

347

crz welches die äufsere Wand bildet, sieht man gegen Osten zu durch alhniilige t'bergänge deu körnigen Magneteisenstein folgen, welcher das reichste und geschälzlcstc Roheisen liefert.

Gegen

den Kern des Stockwerk es erlangt dieses Erz eine immer gröfsere Härle und zuletzt •widersteht es den trennenden Kräften so sehr, dafs man sogar die zur Sprengung mit Pulver erforderten Bohrlöcher nicht mehr ausfuhren k a n n ,

weil die Kosten welche das

häufige Zerbrechen der Mcifsel verursacht,

durch den Ertrag der

Erzförderung nicht mehr ersetzt werden. Nach der Streichungslinie dieser Eiseiunassc zu urtheilen, 'erscheinen die Erzlager bei N e w j a n s k als Theilc ein und desselben Systcmes;

aber ärmer ist es dort w o nur scliicfrige Talkgeslcine

es umgeben; es wird mächtiger und reicher sobald, wie hier und wie au den unten zu erwähnenden nördlichen Verlängerungen desselben, ein krystallinischer Grünsteinporphyr an seiner Seite sich zeigt.

Entfernt man sich, gegen W e s t e n , in der E b n e ,

von dem

Rande dieser kolossalen Eisenfelsen, so sieht man die Bodcnfläclic noch reich an Nestern zerreiblichen braunen Gebers; eine

einförmiger

gefärbte

talkige

Blasse.

Der

dann folgt erhebliche

Reichthum, welcher auch unter diesen unscheinbaren Erdschichten in der Tiefe sich findet, ist lange ungeahndet geblieben. Noch im Jahre 181-2 kannte man nichts als Eisenerz zu T a g i l s k ;

nutzlos

und unbearbeitet lag die weite Ebne auf der man jetzt eine regsame Menschenmenge mit der Erhebung und dem Transporte reicher Kupfererze beschäftigt sieht.

Hier ist ein kunstreicher gere-

gelter Grubenbau erforderlich gewesen und mit bestem Erfolge eingeführt worden. Die Förderung der Erze geschah jetzt durch mehrere Schachte aus einer Tiefe von 28 S a / e n , in welcher man die Wasser

zu

Sumpf kommen liefs und durch einen eignen Pumpenschacht erhob.

An der Obcrlläche waren nur Weiber mit dem Transporte

des aus den Schachten Erliobnen beschäftigt, und nur die Hauerarbeit in den Gruben seiden den Männern überlassen.

Ein ober-

schlächliges Wasserrad von 5 Sa/en Durchmesser wirkte mittels eines langen Gestänges auf die Pumpcnstempel, durch eine Dampfmaschine ersetzt werden.

sollte aber jetzt

348

V. Abschnitt.

1828.

September.

Die in der angegebnen Tiefe von 28 Sa/'en (184 Par. Fufs) zu Sumpf gekommnen Wasser befafsen überall wo ich sie untersuchte , eine durchaus gleichförmige Temperatur von + 3°,90 R. Ilicr war eine mit der Tiefe zunehmende Wärme der Gesiciuschichl cn nicht zu verkennen und zwar zeigte am folgenden Tage (September 7) die Untersuchung der näher an der Oberfläche gelegnen Erdschichten, dafs in der hiesigen Gegend für 106 Par. Fufs Eindringen in die Tiefe ein Wärmezuwachs von 1°R. Slatt finde. Die unleugbaren Beweise welche in Bergwerken und tiefen Bohrlöchern für die Existenz einer Wärmequelle im Innern der Erde sich darbieten, hat man erst seit der letzten Jahrzehnte, ihrer hohen Wichtigkeit gemäfs, zu würdigen begonnen; bisher aber hallen Örtiichkeitcn welche dergleichen Beobachtungen begünstigen, nur theils in E u r o p a unter mittleren Breiten, theils in den tropischen Klimaten des südlichen A m e r i k a sich dargeboten, und als ein neuer Beweis für die Allgemeinheit der Erscheinung gehörten daher die liier gemachten Erfahrungen zu den wünschenswcrtheren. Aber auch noch aus einem besondern Gesichtspunkte war es erfreulich, sich namentlich in diesem Theilc der Erde zu überzeugen, dafs die Temperatur des tiefer gelegnen Gesteines die der oberflächlichen Schichten übertreffe, dafs auch den hiesigen Klimaten, in denen die überirdischen oder meteorischen Verhältnisse eine weit spärlichere Wärme als in den uns bekannteren Gegenden E u r o p a ' s zu erzeugen scheinen, wenigstens jene unterirdische Ilülfsquelle nicht versagt sei. Als zuerst glaubwürdige Augenzeugen ibestätigten, dafs in einem grofsen Theile von ¿ S i b i r i e n zu allen Jahreszeiten und in mäfsiger Tiefe ein frostcrsiarrlcs Erdreich gefunden werde, haben E u r o p ä i s c h e Physiker, die Beobachter irrthümlicher Täuschungen beschuldigt. Nur durch meteorische Einwirkungen dachle man damals die Temperatur unsresPlaneten bedingt; wo d i e s e selbst im Sommer das obere Erdreich nicht aufzuthauen vermochten, da, glaubte man, müssen auch die Tiefen der Erde eine ebenso niedrige Temperatur besitzen. Vor dem Gedanken dafs der Mcnsck einen nur an der Oberfläche stellenweise abgethauten Eisklumpen bewohne, entsetzte sich das unmittelbare Gefühl, und zugleich mit wissenschaftlicher Strenge rief man dagegen die Eimvenduns; zu

V. Abschnitt.

1828.

September.

349

Hülfe, (lafs man nirgends das Meer von der Tiefe herauf habe gefrieren oder Eis an seinem Boden sich habe bilden sehen. So widerlegte man die Behauptungen der ¿ S i b i r i s c h e n Reisenden, indem man zu beweisen suchte dafs sie zu anderweitig unhaltbaren Folgerungen leiteten, und es dürfte daher nicht unwichtig sein, dafs neben den Bestätigungen des ewig gefrornen Erdreiches, welche wir im Folgenden zu den Behauptungen unsrer Vorgänger hinzubringen, es zugleich gelungen ist, dem mildernden Umstände einer inneren Wärmequelle eine neue Bekräftigung hinzuzufügen. — Wenn man auch nach dem später Mitzuteilenden, nicht leugnen wird dafs die Bewohner von J a k u z k ihr Getreide auf der nur 3,5 Engl. Fufs tief entthauten Oberfläche ewiger Eisschichten gewinnen , so mag es Manchem tröstlich erscheinen, dafs nicht unter 600 Par. Fufs tief diese gefrornen Schichten sich erstrecken und (lafs in der Tiefe von 23100 Par. Fufs auch dort, mit derselben Wahrscheinlichkeit wie unter E u r o p a in der Tiefe von 22500Fufs, die Temperatur des schmelzenden Bleies vorausgesetzt werden dürfe. Von sehr merkwürdiger Beschaffenheit ist das Gestein in den hiesigen Kupfergruben. Es ist eine talkige Masse von so geringer Festigkeit, dafs im Innern der Grube die durchsickernden Wasser sie in einen weichen Teig verwandeln. Nur durch eine sehr sorgfältige Verzimmerung werden die Wände der Stollen und Schächte vor dem Einstürze bewahrt. Die Kupfererze welche in abgesonderten Massen durch dieses zerreibliclie Gestein vertheilt sind, bilden in demselben die einzigen härteren Kerne. — Verworrene Kristallisationen von Malachit mit Bitterkalk, Kupferlasur und Zicgclcrz liegen von einem Kupfer- und Eisen - haltigem Chlorite umgeben, in der gelblich-weifsen Talkmasse, parallel mit der Streichungsliuie des festen Eisenfelsens vertheilt. Die Malachitmassen sahen wir auch hier oft sehr rein ausgeschieden, jedoch nicht von der bewunderten Grüfse und Reinheit, welche man in den der Familie T u r t s c h e n i n o w gehörigen Kupfergängen von G u m e s c h c w s k o i bei P o l e w s k am Wcstabhange des U r a l in 56°,5 Breite wahrgenommen hat. Geschwefelte Kupfererze finden sich darunter fast eben so selten, wie das geschwefelte Eisen in dem magnetischen Stockwerke. Bemerkenswerth ist dafs ein

350

V. Abschnitt.

1828-

September.

metallarmer Raum die Kupfererze von dem Eisenfelsen

trennt,

denn dieser erhebt sicli an der östlichen Gränze des weichen Lagers,

das Kupfer aber

mender Häufigkeit.

findet

sich mit gegen Weslen hin zuneh-

Auch von oben nach unten zeigt sich zvrischcn

der Verllicilmigsart beider Metalle ein merkwürdiger Unterschied. Die Eisenerze haben an der Oberfläche selbst ihre gröfsle Mächtigkeit erreicht; ja zu einem selbständigen Berge sich erhebend, scheinen sie empor gequollen über die sie umgebenden erdigen Geblrgsarten. ren,

Ihre äufsersten Schichten scheinen oxydirter als die innein keinem Falle aber übertreffen sie jene an Gediegenheit.

In den Kupfergraben aber zeigt sich unter beiden Gesichtspunkten ein direkt entgegengesetztes Verhalten.

Nur seltene Blättchen ge-

diegenen Kupfers und kleine Massen von rotliem Ziegelerz s i s c h : B / a w l s c h i n a d. h. R o s t ) , Metalle entstanden sind,

(Rus-

welche aus dem gediegnen

verkünden in den oberen TJieilen des

Baues den Reichthum des Unterliegenden;

aber erst mit zuneh-

mender Tiefe trifft man auf oxydirtere Erze, die in immer mächtiger werdenden Masse sicli angesammelt haben. —

Ein sehr ähn-

liches Zusammenvorkommen beider Metalle hat man schon früher als hier,

am südlichen U r a l bei S l a t o u s t ,

durch den Bergbau

aufgeschlossen, und auch die zum Hüllendistrikte von M i a s k gehörigen Kupfergruben ( i n 54°,5 Breite) liegen w i e die hiesigen am Ostabhange des U r a l auf der Linie welche für jenen Thcil des Gebirges durch die reichsten Eisenansannnlungen ausgezeichnet ist. Dennoch aber ist das gleichzeitige Aufireten der Eisenerze mit den Kupfergängen der Transitions-Formationen des U r a l keineswegs als eine allgemeine Regel zu betrachten, und sogar die reichsten Gänge reinen Malacliitcs bei

Gumcschewsk

sind

fern

von

jener Begleitung des magnetischen Eisenerzes, am VVestabhange des U r a l in 3 0 W e r s t Entfernung von der Wasserscheide, von K a l k Gebirgen u m g e b e n , gefunden worden. Der Kupferhaltige erst nach der Bildung des Zechsleines abgelagerte Sandstein, dessen ungeheure Ausdehnung unter den westlich von dem >Sui 1 waflussc gelegenen Ebnen wir oben (Seite 272) erwähnt haben, besitzt einen so gleiclimäfsigen und wegen Einfachheit der dortigen Lagerungsverhältnisse so zuverlässigen Reichthum, dafs man lange Zeit hindurch mit diesem sich begnügte, und daher da-

V. Abschnitt.

18-28.

September.

351

mais die Kupfererze, welche in (1er Nähe des Hauptgebirges unter durchaus verschiedenen geognostischen Verhältnissen sich nur seilen des Bergbaues würdigte.

finden,

An jenen ursprünglich

be-

kannten Anbruchsstellen fehlt es nie an den unzweifelhaftesten Beweisen, dafs die in dünnen horizontalen Streifen vorkommenden Metnllkalkc sich am Boden eines weilen Wasserbeckens ruhig abgesetzt haben, gleichzeitig mit den feinen Gcbirgstrümmern welche sie umschliofsen, so wie theils mit verkohlten, theils vereraten Holzstännncn. Eine etwas nähere Betrachtung der zusammengesetzten Beschaffenheit jener merkwürdigen Flötzc,

wclclic ich einem geog-

nostischen Berichte aufbcliallc, läfst ferner deutlich erkennen, dafs die dort conglomerirten Stein - Trümmer vom U r a l i s c h e n Gebirge abgebrochen sind.

Dafs aber auch die Ktipferslreifen, welche das

Conglomérai mit so aufserordentlicher Beständigkeit durchziehen, denselben Ursprung gehabt haben, weifs man erst, seitdem an dem Ilauptgcbirgc die mit Kupfer erfülllen mächtigen Gangspalten aufgeschlossen worden sind. Nim erst erscheinen jene ausgedehnten Flötzschichten auf dei Westseite des U r a l als ein bedeutungsvolles Analogon zu der Verbreitung der Gold- und Platinhaltigcn Trümmerlager über die Umgegend desselben Gebirges.

Aber neben der Ähnlichkeit zwischen

den geognostischen Begebenheiten welche als Ursache beider Erscheinungen geahndet w e r d e n ,

zeigen sich auch sehr bestimmte

und sehr merkwürdige Verschiedenheiten.

Die in den Transitious-

Formationen des Hauptgebirges aufsetzenden Kupfergänge, deren

theilvveise Zerstörung der

Erzgehalt

jener

durch

ausgedehnten

Conglonieratschicht entstanden, sind noch jetzt mit grofser Häufig, lceit und mit grofsem Reichthnm vorhanden, während unversehrte Geburtstätten

für das Gold ungleich seltner gefunden, für das

Platin aber sogar nur erst durch schwache Spuren angedeutet sind. Trotz der ungeheuern Ausdehnung

des Kupfcrfülircnden Conglo-

mérat-Lagers uiid seines gleichmäfsigen Erzgehaltes kann es dennoch mit den aufgefunducn ursprünglichen Lagerstätten an Keichthuni kaum verglichen w e r d e n ,

dahingegen für die edlen Metalle

die Trümmerlager bereits ungleich reichere Ausbeute geliefert ha-

352

V. Abschnitt.

1828.

September.

ben als die bis jetzt bekannten Geburtstätten jemals darzubieten vermögen.

Noch verschiedenartiger aber werden durch die Er-

scheinungen selbst, die zwei Überschwemmungsbcgcbcnheiten charakterisirt deren eine das Kupferlialtige Conglomérat absetzte, während die andre die mit edlen Metallen erfüllten Trümmerlager über die Gcbirgsabliängc ausbreitete.

Bei jener scheinen die Was-

ser in einem weiten Becken ruhig gesammelt, über dem, oben (Seite 2 7 2 ) angedeuteten, fast 4500 Quadratmcilen weiten Räume gestanden zu haben.

Der nocli jetzt steil über die Ebne sich er-

hebende Wall von

Alpenkalk

(Zechstein)

und älterem Flöz-

gyps bildet gegen Osten hin die Gränzc des Wasserbeckens

aus

welchem allein der Niederschlag erfolgte, und obgleich die sich absetzenden Trümmer von dem Hauptgebirge herstammten, so haben sie doch nirgends auf dessen Abhänge selbst oder auf den unversehrten Gesteinen aus denen sie entstanden, sich abgesetzt. Triimmcrschichtcn hingegen welche

Die

Gold und Platin enthalten,

finden sich noch unmittelbar zwischen den Gangführenden Gesteinen denen sie ihren Ursprung verdanken, über Thalweitungcn und ebne Stellen

dicht an ihren Gebuitstätten verbreitet,

und

oft

deutliche Spuren von lokalen Fluthbegebcnhcitcn tragend welche den noch jetzt durch Thalverstopfungen und Seedurclibrüche an Alpinischen Wassern erlebten durchaus ähnlich erscheinen. Völlig übereinstimmend

mit

den genetischen

Andeutungen

welche die V e r t lie i l un g der zwei betrachteten Arten von Metall-Lagern liefern, sind die Aufschlüsse welche für beide die Ges t a l t der begleitenden Trümmer gewährt.

In dem Kupfcrconglome-

ratc sind sie stets bei weitem kleiner und abgerundeter als in den Lagern der edlen Metalle welchc vielmehr aus cckig unversehrten Gesteinstücken gebildet sind.

Wie es nur

bei ruhigem Ab-

sätze möglich ist, haben jene feinen Gerolle zu einem festen Sandstein sich wiederum vereinigt, während die groben Bruchstücke in den Goldlagern nur, so wie es in Betten scbnellströmender Wassermassen geschieht, unordentlich und ohne Zusammenhang übereinander gehäuft und stellenweise durch weiche Schlammscliichlen getrennt sind. — In den hiesigen Kupfergruben sind durchaus keine künstliche Mittel zur Erneuerung

und Verbesserung

der Luft vorhanden,

V. Abschnitt.

1828.

September.

353

vielmehr sind die Bergleute angewiesen an die Oberfläche zurückzukehren, sobald das Brennen ihrer Grubeulicliter durch die Unreinheit der Luft gehindert scheint.

Diese Lichter aber sind hier

ebenso wie in allen S i b i r i s c h e n Bergwerken kleine Talgkerzen welche den Arbeitern in einzelnen Bündeln geliefert werden.

Man

hat gefunden, dafs durch eine Beimengung von Kohlenstaub die Flamme dieser Kerzen bei weitem intensiver und vollkommner brennbar ausfallt. Von der Lebensart und den Dienstverhältnissen der hiesigen Bergleute gilt das was wir oben von den N c w j a n s k e r Hüttenarbeitern erwähnten.

Trotz durchaus verschiedener Beschäftigung

herrscht auch liier die in R u s s i s c h e n Dörfern bemerkte Einfachheit der Sitte und äufserste Genügsamkeit.

An die Stelle der

Mehl Verpflegung hat man zu T a g i l s k ein bis auf 25 Kopeken erhöhtes tägliches Arbeitslohn gesetzt. Auch in dem Hülteudislrikte von T a g i l s k sind reiche Lager der edleren Metalle (Gold und Platin) an vielen Stellen gefunden worden.

Das einträglichste Waschwerk liegt der Hauptwasser-

scheidc des Gebirges sehr nahe, an dem oben (Seite 3 3 5 ) erwähnten Passe.

Eine Heise in diese wichtige Gegend versparten wir

bis zu unsrer Rückkehr nach N i / n c i T a g i l s k . —

Andre ergie-

bige Waschversuche sind iii den kleinen Thälcrn wclche nahe bei der hiesigen Ortschaft in den T a g i l münden

gemacht

worden;

denn auch dort besteht die Sohle der Schluchten aus übereinander gehäuften Blöcken von Grünstcinporpliyr, zwischen welchen grofse Goldkörner in weichem Letten eingehüllt sich finden. Diese Blöckc sind dem in der unmittelbaren Umgebung anstehenden Gesteine durchaus ähnlich; auch fehlen hier durchaus die weifsen Quarztrümmer die man an einigen früheren Waschstellen, in dem Bezirke der talkigen Gesteine, als Anzeiger des Goldes betrachtete und welche etwa zu der irrigen Vermuthung hätten leiten können, dafs nur eine

jetzt

zertrümmerte und nicht

mehr anstehend gefundne

Quarzformation die edlen Melalle ursprünglich enthalten habe. Ein wesentlicher Rciclitlnun der D i m i d o w s c h e n Besitzungen bestellt in den ungeheuren Waldungen welche den Schmelzvverken noch lange ein unbeschränktes Bestehen zusichern, zu den Hütten gehörigen Terrain I. B a n d .

von

denn auf dem

11500 Quadrat-Werst 23

354

v . Abschiiilt.

(•23i,7 Quadrat M e i l e n )

1828.

September.

ii.il das ,Nadelholz so dicht sich erhalten,

dafs die Arbeiter oftmals nicht vermögen Längs des W e g e s erstreckt

die ! tol/.axt zu

führen.

w e i c h e n w i r am 4 i c n S e p t e m b e r zurücklegten,

sich die

zu T a g ü s k

nordlieh v o n N e w j a n s k ,

gehörige W a l d u n g bis 12 W e r s t

und erst von dorl an gegen Süden ge-

hören die F o r s l e n zu dem zuletzt genannten J a k o w s l c w s e h e n Hüttenwerke. — In diesen finstern W i l d u n g e n

leben E l e n t b i e r c

häufig,

und

da die Jagd hier nur von Einzelnen und nicht als G e w e r b e geübt w i r d , so erwachsen sie ungestört bis zu einer seltnen Gröfse. ses b e w i e s e n schon die mächtigen E l e n g e w e i h c ,

welche

Zierde in den Häusern der Jagdliebhabcr zu T a g i l s k

Die-

wir

als

sahen.

W ä h r e n d Sonntaglicher Mufsc w a r e n am 7 t c u September die St rafsen des Ortes durch eine zahlreiche und sehr w o h l g e k l e i d e t e Menschenmenge belebt.

A u c h an den Feiertagen ist das R u s s i s c h e

V o l k in steter B e w e g u n g ,

und

Spaziergänge

immer dem ruhigeu S i t z e n vorgezogen.

(Gulanji)

werden

D e r g l e i c h e n gesellschaft-

liche W a n d e r u n g e n sind selbst in Ortschaften gebräuchlich w e l c h e , w i e die hiesige, eine dichte W a l d u n g umgiebt. das Einsammeln

der

wildwachsenden

eine besondere Veranlassung.

Ja es giebl alsdann

Beerenfriichle

dazu

noch

Besuche bei entfernteren Nachbarn

w e r d e n v o n den Bauern an den Feiertagen des W inters w e i t häufiger als im S o m m e r gemacht, w e i l der Besitz der Schlitten ihnen leichter als der v o n Räderfuhrwcrk R a d ) zu Theil wird. Lust- und W e t t f a h r t e n ,

( k o l e « k a von k o l e j r o ,

D a h e r auch gehören die

das

eigenlhümlichcn

deren w i r später e r w ä h n e n w e r d e n , aus-

schliefslich zu den Vergnügungen des W inters. Es gelang uns durch h e u l e angestellte

Versuche einige

sehr

e r w ü n s c h t e Aufschlüsse über die initiiere B o d e n w ä r i n e der hiesigen Gegend z u erhallen, und die Temperatur-Veränderungen zu ermitteln

welche

hier

eine

um

4 Ful's unter der Oberfläche gelegne

Erdschicht im Verlaufe der Jahreszeilen erleidet.

In der oberfläch-

lichen Lchmschieht eines hiesigen Gartens w u r d e ein Thermometer mittels des ßergbohrs 4 Engl. Ful's tief eingesenkt.

D i e Tempera-

tur dieses Punktes ergab sich an dein heutigen Tage zu -+- (j°,33R. und es w a r somit einer derjenigen Zalileiiwerthe e r m i t t e l t ,

deren

Reihefolge den periodischen W ä n n c z u s t a n d für die in R e d e

ste-

V. Abschnitt.

1828,

355

September.

hcmle Örtlichkeit ausdrückt. Durch F o u r i e r s cpocliische Untersuchungen ist erwiesen dafs, an v e r s c h i e d e n e n Orten der Erde uud bei e i n e r l e i Tiefe, der Umfang der dort vorkommenden grölstcn Veränderung der Bodenwärme, dein an denselben Orten stattfindenden gröfsten YVechscl der äulscrcii Lufttemperatur direkt proportional ist, und F e r g u s o n s Versuche zu A b b o t s l i a l in F i f e haben uns andrerseits die, durch das Leitungsvermögen der obersten Erdschicht bedingte, Abhängigkeit kennen gelehrt, welche an e i n e r l e i Orte und in v e r s c h i e d e n e n Tiefen zwischen den Wechseln der äufscren Luftwärme und denen der inneren Bodenwärmc Statt findet. So wird denn eine empirische Bestimmung wie die hier zu T a g i l s k erhaltene zu einer vollständigen Einsicht in die örtlichen Verhältnisse der Bodenwärme hinreichend, wenn man sie nur mit der anderweitig crhaltnen Angabe verbindet dafs hier zu T a g i l s k vom kältesten bis zum wärmsten Monate die ä u f s e r e Lufttemperatur um 31° 11. sich ändere. Eine nähere Angabc der hierhin gehörigen Rechnungen unsrem meteorologischen Berichte aufbehaltend, wollen wir jetzt nur die anziehenden Resultate desselben betrachten. Die mittlere Temperatur beträgt zu T a g i l s k -f- 2°,36 R. In einer 4 Engl. Fufs tiefen Schicht linden aber im Verlaufe der Jahreszeiten Wechsel Statt, welche bis zu 3°,98 R. unter und über diesen initiieren Werth sich erheben, uud zwar ist in dieser Tiefe das Erdreich vom 161 cu Januar bis eum 3tcn Mai gefroren, vom 15ten Juli bis zum löten November besitzt es hingegen eine zwischen -f- 4,°,0 und -+- 6°,34 R. oscillirendc Temperatur. Den Wachsthum schnell lebender Sommerund Herbst-gewächse vermag daher der hiesige Boden sehr wohl zu begünstigen, während doch vom März bis zum Juni nur diejenigen Krautgewächse bestehen können, die etwa noch jenseits der Schneegräuze auf den hohen Alpen gedeihen. In Bezug auf die tief wurzelnden holzigen Gewächse ergiebt sich, nach den obenerwähnten Beobachtungen, dafs hier das Gefrieren nicht unter 5.6 Engl. Fufs tief, in den Boden hinab reicht, und dafs daher manclie Waldbäume die Enden ihrer Wurzeln in einem Erdreiclic haben welches auch im Winter nicht erstarrt, dennoch aber eine nur wenig über dem Frostpunkte erhabne Temperatur besitzt. Blau könnte etwa glauben dafs grade dieser geringe tberschufs über die Frosttcmperaüir zur Erhaltung 23*

35(5

v. Abschnitt.

IS-'S.

September.

der hiesigen Waldungen nülhig sei, aber spätere Erfahrungen haben uns mit völliger Bestimmtheit gelehrt, dafs Lärchen- und Arven-wäldcF eben so gut gedeihen, wenn die Enden ihrer Wurzeln in einem ewig gefrornen Erdreiche sich befinden. (Vergleiche unten Abschnitt. XIII. J a k u z k . ) Sehr anziehende Erscheinungen bieten sich in den zwischen 15 und 20 Fufs tiefen Senkbrunnen dar, welche die Einwohner von T a g i l s k zu wirtschaftlichem Gebrauche auf ihren Gehöften angelegt haben. Mit eng an die cylindrischen Wände anschliefsenden hölzernen Deckeln hat man das Wasser dieser Behälter sowohl vor der direkten Einwirkung der Sonnenstrahlen als auch, was noch ungleich wichtiger ist, vor dem Hineintreiben des Schnees völlig geschützt. An dem heutigen Tage fanden wir die Temperatur des in diesen Cistcrnen gesammelten Grundwassers zwischen -4- 2°,4 und -+- 2°.9R. d. h. nicht crheblicli von der Bodenwärme verschieden ßo wie man es denn, bei so gutem Schulze gegen die kräftigsten überirdischen Einwirkungen, und bei einer Tiefe von 15—20 Fufs, auch von vorne herein erwartet hätte. Dennoch aber würde man bedeutend irren, wenn man während des ganzen Jahres ein ähnliches Verhalten voraussetzte. Vielmehr versicherten die Einwohner einstimmig, vom Winter an bis in die erste Woclic des J u l i (nach neuem Styl) sei niemals flüssiges Grundwasser in ihren Brunnen vorhanden, und zwar schiene sich alsdann das E i s in die W ä n d e des S c h a c h t e s h i n e i n g e d r ä n g t zu h a b e n , d e n n a u f d e r S o h l e d e s s e l b e n s ä h e m a n es n i c h t . Die Richtigkeit der Beobachtung darf keinesweges bezweifelt werden, wohl aber ist hier die wahre Ursache des Versiegens nur in den Temperaturvcrhältnissen der zwischen der Oberfläche und einer Tiefe von 3,5 Engl. Fufs gelegnen Erdschicht, nicht aber in den tieferen Theilen der Brunnenwände zu suchen. Bis in die erste Woche des M a i mufs in jener erst erwähnten Schicht, alles Wasser erstarren welches durch die Bodenoberfläche hinabsickert, und nicht zu verwundern ist es dafs in der etwas lieferen Schicht, welche den Untertheil des Brunnens bildet, der Ausflufs noch länger und bis zum J u l i gehemmt wird, denn das wieder frei ge-

V. Abschnitt.

1828.

September.

357

wordne Wasser vermag ja nur tropfenweise und langsam bis zu jener Tiefe hinabzusinken. Für den ersten Anblick scheint es schwierig, mit dieser Ansicht von dem beobachteten

Versiegen

(Seite 271) erwähnte und späterhin

der Brunnen die

oben

( B o g o « l o w s k . 1828 Sep-

tember 14) noch vollkommncr bestätigte Erfahrung zu vereinigen, dafs in den tieferen Schachten der Bergwerke auch hier während des ganzen Jahres ein h ö c h s t n a h e

constantcr

YVasseraus.

f l u s s Statt finde; aber eine genauere Betrachtung der hier w i r k samen Umstände möchte lcicht dio anscheinende Schwierigkeit der Erklärung schwinden machen, ja sie haL vielmehr in einer verwandten Naturerscheinung bereits einen völlig erklärten Vcrgleichungspunkt gefunden.

Erlaubt man sich nämlich die Gesetze der

Mittheilung des Wassers von den oberen Schichten an die unteren mit denen der Wärmcmittheilung vergleichbar zu d e n k e n ,

und

zwar namentlich nur anzunehmen, dafs für das Wasser so w i e für die Wärme in jedem Augenblicke und an jedem P u n k t e die Menge des an die Nachbarschaft Milgelhcilten, der Menge des in dein Punkte vorhandneii proportional sei, so würde für durchaus ahnliehe Erscheinungen in beiden Fällen eine gleiche Erklärung möglich werden.

Offenbar gehet im Verlaufe einer langen Periode

durch alle Punkte einer und derselben Vertikale,

eine

gleiche

Wassermenge eben sowohl wie eine gleiche Wärmemenge hindurch, wenn nur der betrachtete Schacht

in einem

hinlänglich

ebnen Erdreiche steht, so dafs nicht austretende Quellen schon oben einen Seilcnablluss bedingen,

Dafs aber der während

kürzerer

Zeitabschnitte in oberflächlichen Brunnen beobachtete Wassermangel in tiefen Schachten ungeahndet bleibt, befremdet nicht mehr w e n n man

weifs

dafs ja auch der an der Oberfläche alljährlich Statt

findende Wärmemangel in der Tiefe eben so wenig sich äufsert; denn einerlei Schlüsso gelten ja dann für beide Arten von Durchdringung. — Siebzehn Pferde wurden tun 4 Uhr Nachmittags von den Bewohnern des gastfreien Ilüttenorles bereit gehalten,

um unsre

kleine Caravane weiter gegen Norden zu befördern.

Auf einer

breiten und ebnen Landstrafse fuhren wir zuerst 28 W e r s t weit bis zu dem Dorfe L a ja ( N N W . von N i / n c i T a g i l s k ) .

Die

358

V. Abschnitt.

1828.

September.

Waldung ist ausgerodet, und Ackerbau w i r d von den D o r f b e w o h nern getrieben. schlossen sie sicli

Obgleich sie zu Poslfidiren verpflichte! s i n d , entungern

den Freunden der Ilütlcnbcsiti'.cr A or-

spann zu leisten.— W ä h r e n d 20 W e i s ! , von L a j a bis zu dem kaiserlichen H ü t t e n w e r k e K u s c h w a . folg! w i e d e r dichtcrc W a l d u n g und liügliehes Terrain zu den Seiten des \\ eges. Die Ortschaft K u s c h w a , welche w i r ain Abende erreichten, ist minder ausgedehnt als die zu den bisher gesehenen Privatbcsilzungcu gehörigen Niederlassungen.

Die an bestimmlerc Formen

gebundne V e r w a l t u n g äufserte sich schon bei dem Empfange der Fremden, denn eine Meldung bei der Polizei des Ortes geht hier der Aufnahme in einem Gehöfte v o r h e r ,

welches allen Reisenden

ein glcichmäfsiges Obdach darbietet. [ S e p t e m b e r 8-J

Die natürliche Lage von K u s c h w a ist

ungleich manniclifaltiger und anmulhigev als die der bisher gesehnen N o r d - U r a l i s c h e n W e r k e ,

weil

bedeutendere felsige Iliigel

den Ort rings umgeben. Es ist höchst nahe eine mit dem Streichen der Ges-ammtmassc des U r a l parallele L i n i e ,

welche K u s c h w a

mit den bisher be-

trachteten P u n k t e n N. T a g i l s k und N e w j a n s k v e r b i n d e t ; darf also nicht annehmen

man

dafs man sich hier dem Hauptkammc

m e h r genähert habe als f r ü h e r , dafs man w e i t e r gegen das Inncro des Gebirgssystemes vorgedrungen s e i ;

auch besitzen die hiesigen

Thalsohlen w i e d e r u m nahe dieselbe Meere^höhc, uns auf dem bisherigen W e g e

in w e l c h e r

seil J e k a t a r i n b u r g

wir

befanden;

denn, insofern man aus einzelnen Uarometcrvergleichuiigcn schliefsen d a r f , scheint das Flussniveau bei K u s c h w a eine Meereshöhe von 8 6 0 F u f s nicht zu übertreffen.

Ebenso bestimmt beweisen die

Gesteine selbst w e i c h e man hier antrifft , dafs man sich

immer

noch in demselben B e z i r k e des Gebirgssystemes. in den ans Übergangs-

und

Trapp - Formationen

gebildeten

Talkreiche Grünsteine hier w i e zu T a g i l s k , erscheinen

wie

Vorbergen einzelne

befinde. Kalklager

bei N e v v j a n s k und mit merkwürdigster llegel-

mäfsigkeit sieht man auch hier den gröfslcn Eisenreichthum w i e derum auf der Verlängerung derjenigen Linie erscheinen,

welche

die südlicheren Erzanbrüche als Streichungslinie eines einzigen kolossalen Lagers kennen

lehren.

Aber

alle

einzelnen

Gesteine

V. Abschnitt. welche liier sich z e i g e n ,

1828.

September.

359

vagen in w e i l b e d e u t e n d e r e n Massen als

mi den f r ü h e r gcschnen P u n k t e n über die Erdoberfläche h e r v o r ; und w e i l liefere und

sleilere Thäler t r e n n e n hier die einzelnen

Formationen und namentlich die k r i s t a l l i n i s c h e n Grünsteine v o n den ebenso mächtigen Eisenfelsen.

D i e ersten Zuflüsse zur T u r a

haben ihre Quellen in der Nähe des Ortes, in den breiten tiefen Spalten welche die Gcbirgsglicder

und

scheiden.

Die ansehulichen lliigel sind mit k r ä f t i g e r W a l d u n g

bedeckt.

Nadelholz ist durchaus v o r h e r r s c h e n d , aber es zeigt sich ein Reichtliuui von Arten

der k a u m gröfser gedacht w e r d e n k a n n ,

denn,

w i e man es n u r in künstlich gcsäelcn F o r s t e n g e w o h n t i s t , man hier p i n u s s y l v e s t r i s ,

p. a b i e s ,

p. l a r i x ,

sieht

p. c e m b r a

und die / V i b i r i s c h e F o r m p. p i c l i t a , F i s c h e r (vergleiche oben Seite 265) nebeneinander gedeihen. D u r c h iMiltheiUingen der liebcnswiirdigeu u n d aufgeklärten Beamten w a r d eine vorläufige Übersicht des hiesigen B e r g w e r k s - u n d Ilüttciibclricbc« bedeutend erleichtert, und die Ansicht der Eiscnb e r g w e r k e des Distriktes f eitlen die nächste B e a c h t u n g zu verdienen. —

Kuschwa

und die mit ihm u n t e r einerlei V e r w a l t u n g

stehenden Hüllen W c r c h n e i von

Kuschwa

von K u s c h w a )

an

der

und N i / n c i

Tura)

Turinsk

Barantscha

(nördlich

(14 Werst

SO.

und die westlich v o m U r a l gelegne Iliitte S c -

r e b r j a n k a an dem

ersten Zuflusse d e r T s c l i u « o w a j a ,

den Namen der B l a g o d n t i s c l i e n W e r k e

führen

(goroblagod;itskie

s a w o d i ) , weil der m e r k w ü r d i g e Berg B l a g o d a t *) ihnen allen eine unversicglichc Quelle von Eisenerzen darbietet. — Man glaubte dafs die Ansicht

dieses weit

im l a n d e berühmten Magnetberges

grade für uns noch besonders w i c h t i r sein müsse, w e i l ja m a g n e t i s c h e Untersuchungen

den Z w e c k tinsrer Heise ausmachten.

Z w e i B ä c h e , der eine von S . , der a n d r e von W . h e r

fliefsend,

vereinigen sieh in dem künstlich gespannten Ilülleiiieiche des Q r t c s , und bildcii jenseits des Sees die nac'i N. sich richtende K u s c h w a , eine der Haiiptquollen der T u r a .

D i e Ortschaft liegt

unterhalb

des Teiches sowohl auf dem rechten und Hachen als auf dem linken und

hüglichcn

Ufer

dieses

Wassers.

Gegen

WNW.

von

•) Der Name 131 «goil a t bedeutet Sejt«-n ("Irr W o h l t h . i t .

fler

360

V, Abschnitt.

1828-

September.

K u s c h w a gewandt, folgten wir zwei Werst weit bis zum B l a g o d a t einer breiten und sorgfältig gecbnclcn Fabrstrafse,

deren

Verlängerung über den Hauptriicken des U r a l zur Sawode iScreb r j a n k a und bis zu den Ladungsstellen ( P r i s t a u i von p r i s t ä t j l a n d e n ) der schiffbaren T s c l i u i o w a j a führt. Kaum ist man am linken und westlichen Ufer des K u s c h w a e r Baches, so beginnt zur Linken des Weges eine Bergrcilie, welche steile felsige Abfälle der Strafse zukehrt, aber eine sanfte und äufserst malerische Begränzung ihrer Gipfel darbietet.

Fels-

triimmer liegen am nördlichen Fufse dieser Berge, aber höher hinauf zeigt sich nur glattes und unversehrtes Gestein mit steiler Spaltung,

und schräg gegen die Landstrafsc nach NNW. gerich-

tetem Streichen.

E s sind äufserst schwere basaltähnliche Grün-

ßteine welche diese Abhänge bilden.

In der schwarzen Hauptmasse

sieht man von derbem Feldspath bald dünne Splitter eingesprengt bald völlig mandclähnliche Körner ausgeschieden.

Vereinzelte Au-

gitkrystallc findet man neben diesen rundlichen Körnern. *) Nadclwaldungen zieren die Gipfel und stehen üppiger und gedrängter in den Einscnkungcn welche die aufeinander folgenden Gipfel trennen.

Dann senkt sich zum letztenmal eine Kuppe die-

ses Hügelzuges bis zur Ebne hinab, und wenn man ein wenig östlich von dort einen neuen Gipfel sich erheben sieht, so erkennt man schon aus der Form der Umrisse,

dafs ein durchaus andres

Gestein ihn bilde. E s ist der B l a g o d a t welcher nun mit zwei zackig schroffen uud völlig nackten Hörnern aus dem ebnen und berasten Anger am östlichen Fufse der Grünstcinbergc aufsteigt, und Fclsenwände aus reichsteiiEiscijerzen werden nunmehr ausscliliefslieh angetroffen. Auffallender noch erscheinen die malerischen Formen der zwei schroffen Hauptkuppen des B l a g o d a t ,

weil man mit einer hoch

D u r c h A u f s c h l o g u n g der